Nachdenken über Rom: Literarische Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats 3515121366, 9783515121361

Politische Umbrüche verändern den Blick auf die Vergangenheit. In Rom brachte der Bürgerkrieg des 1. Jh. v. Chr. eine ja

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German Pages 575 [578] Year 2018

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Table of contents :
VORWORT
KONVENTIONEN
INHALTSVERZEICHNIS
A. EINLEITUNG
I. DIE IULISCH-CLAUDISCHE DYNASTIE ALS EPOCHE
II. „NACHDENKEN ÜBER ROM. KONSTRUKTIONEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN DER FORMIERUNGSPHASE DES PRINCIPATS“
III. INHALTSÜBERSICHT
IV. FORSCHUNGSSTAND
B. DAS AUGUSTEISCHE ZEITALTER
I. DIE SAECULARFEIER ALS ANBRUCH EINER NEUEN EPOCHE DER RÖMISCHEN GESCHICHTE
II. FORMEN VON MEISTERERZÄHLUNGEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IM AUGUSTEISCHEN PRINCIPAT
1. DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG
2. DIE KULTURENTWICKLUNGSLEHREN
3. DER HISTORISCHE ABRISS
III. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DER HISTORIOGRAPHIE
1. LIVIUS, DIE RÖMISCHE GESCHICHTE UND DIE AB URBE CONDITA
2. DIE PRAEFATIO UND IHR MODELL VOM ABLAUF DER RÖMISCHEN GESCHICHTE
3. REPUBLIKANISCHES SYSTEM, REPUBLIKANISCHE POLITIK, REPUBLIKANISCHE GESCHICHTE. DAS PROOEMIUM DES II. BUCHES
4. POLITISCHE ANTHROPOLOGIE
5. DIE FORMIERUNG DER REPUBLIK. DIE I. DEKADE
6. IDEALES POLITISCHES SYSTEM UND IDEALE POLITIK. LIVIUS’ PATRIZISCHE REPUBLIK
7. EIN WENDEPUNKT DER RÖMISCHEN GESCHICHTE? DIE III. DEKADE
8. DER AUFSTIEG ZUM WELTREICH. DIE DEKADEN IV UND V
9. ZUSAMMENFASSUNG. DIE LEHREN DER AB URBE CONDITA UND DIE ZUKUNFT DER RES PUBLICA
IV. KULTURENTWICKLUNGSTHEORIE UND HISTORISCHE ABRISSE
1. VON SATURN BIS AUGUSTUS. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN VERGILS AENEIS
2. DELIA, MESSALLA, ROM UND DAS LAND. TIBULLS IDEALWELT UND DIE GESCHICHTE
3. ELEGISCHE LIEBE UND AITIOLOGIE. PROPERZ
ZWISCHENBILANZ I
1. ÜBERSICHT
2. HISTORISCHE ABRISSE
3. POLITISCHE THEMEN
4. GEGENWART UND ZUKUNFT
5. KULTURENTWICKLUNGSTHEORIEN UND HISTORIOGRAPHIE
V. GESCHICHTE UND ELEGIE NACH DER SAECULARFEIER. OVID
1. OVID UND SEIN WERK IM HISTORISCHEN UND LITERATURGESCHICHTLICHEN KONTEXT
2. ZEITKRITIK EINES PAUPER AMATOR. DIE ELEGIE III 8
3. LIEBE UND GESCHICHTE. DIE LEHRDICHTUNGEN
4. ZUSAMMENFASSUNG
VI. DAS AUGUSTUSFORUM ALS MONUMENTALE MEISTERERZÄHLUNG DER RÖMISCHEN GESCHICHTE
1. EINFÜHRUNG
2. KRITERIEN UND GESTALTEN
3. DAS AUGUSTUSFORUM ALS MEISTERERZÄHLUNG DER RÖMISCHEN GESCHICHTE
4. DIE BEDEUTUNG DER GESCHICHTE IM AUGUSTUSFORUM FÜR GEGENWART UND ZUKUNFT
ZWISCHENBILANZ II
VII. UNIVERSALGESCHICHTE UND KALENDER
1. OVIDS DEUTUNGEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN ZEITEN DER KRISE UND DES ÜBERGANGS
2. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DEN METAMORPHOSEN
3. OVID UND DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DEN FASTEN
4. BILANZ. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DEN METAMORPHOSEN UND DEN FASTEN
ZWISCHENBILANZ III
C. DAS PRINCIPAT DES TIBERIUS
I. DAS PRINCIPAT DES TIBERIUS
II. HISTORISCH-POLITISCHE LITERATUR UNTER TIBERIUS
III. ROM IN DER UNIVERSALGESCHICHTE
1. VELLEIUS UND DER PRINCEPS
2. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IM II. BUCH
3. DAS DEKADENZSZENARIO
4. DAS JAHRHUNDERT DES BÜRGERKRIEGS
5. DAS PRINCIPAT
6. ZUSAMMENFASSUNG
IV. EIN ALTERNATIVES GESCHICHTSWERK
1. VALERIUS MAXIMUS UND SEINE EXEMPLASAMMLUNG ALS ALTERNATIVES GESCHICHTSWERK
2. AMBIVALENTE ZEITDIAGNOSTIK
3. DIE RES PUBLICA DES VALERIUS MAXIMUS
4. ZUSAMMENFASSUNG
V. ZWEI DEUTUNGEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IM PRINCIPAT DES TIBERIUS
1. DIE WERKE
2. PRINCEPS UND BÜRGER
3. GEGENWART UND ZUKUNFT
D. DIE KONSTRUKTIONEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN DER FORMIERUNGSPHASE DES PRINCIPATS
I. EINLEITUNG
II. ÜBERSICHT DER ERGEBNISSE
III. GESAMTBILANZ
LITERATURVERZEICHNIS
I. HAUPTSÄCHLICH VERWENDETE EDITIONEN AUSGEWÄHLTER ANTIKER WERKE
II. FORSCHUNGSLITERATUR
ALLGEMEINES REGISTER
STELLENREGISTER
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Nachdenken über Rom: Literarische Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats
 3515121366, 9783515121361

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Nils Steffensen

Nachdenken über Rom Literarische Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Historia – Einzelschriften 252

Nils Steffensen Nachdenken über Rom

historia

Zeitschrift für Alte Geschichte | Revue d’histoire ancienne |

Journal of Ancient History | Rivista di storia antica

einzelschriften

Herausgegeben von Kai Brodersen, Erfurt |

Mortimer Chambers, Los Angeles | Mischa Meier, Tübingen | Bernhard Linke, Bochum | Walter Scheidel, Stanford Band 252

Nils Steffensen

Nachdenken über Rom Literarische Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Relief an der Ara Pacis Augustae, 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., Museo dell’Ara Pacis, Rom © akg-images / De Agostini Picture Lib. / G. Nimatallah Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Hubert & Co., Göttingen Satz: DTP + Text Eva Burri, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12136-1 (Print) ISBN 978-3-515-12145-3 (E-Book)

Für meine Eltern

VORWORT Geschichte schreiben heißt – einer Einsicht Golo Manns zufolge – „den Chaosdrachen bannen für eine Zeit“1. Im Frühen Principat war das Ungeheuer, das es zu beherrschen galt, der politische Systemwechsel, hervorgerufen durch einen Bürgerkrieg, der eine jahrhundertelang bestehende Ordnung zum Einsturz gebracht hatte. Der Zerfall der Republik und die Konsolidierung des Staates durch die Etablierung des Principats forderten die römische Gesellschaft zu neuer Selbstvergewisserung auf. Einem Ausschnitt aus den Debatten über die Orientierung in einer Zeit des dynamischen, zwischen der Ausrichtung an der Vergangenheit und der Anpassung an neue Realitäten changierenden Wandels ist dieses Buch gewidmet. Sein Gegenstand sind die Versuche einer historischen Einordnung und Mitgestaltung der Gegenwart über literarische Konstruktionen der Geschichte, die während der Herrschaft des Augustus und des Tiberius entstanden. Eine frühere Fassung der Studie lag im Sommersemester 2013 der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation vor. Für den Druck habe ich sie gestrafft und zugespitzt. Die Literatur habe ich bis zum Herbst 2017 systematisch erfasst und alle seither erschienen Titel eingearbeitet, soweit sie mir bekannt geworden sind. Geleitet hat mich das Bemühen um eine repräsentative Berücksichtigung der für das Thema relevanten Arbeiten. Wo dies nicht gelungen ist, bitte ich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eine eingehendere Würdigung oder Auseinandersetzung verdient gehabt hätten, um Nachsicht. Dieses Buch wäre nicht ohne die Unterstützung vieler Menschen und Institutionen zustande gekommen, denen ich meinen Dank abstatten möchte. Professor Dr. Frank Kolb (Tübingen) hat mich über mein gesamtes Studium hinweg generös gefördert. Auf das Thema, das ich ihm vorschlug, ließ er sich sofort ein. Die Entstehung der Dissertation verfolgte er intensiv und gewährte mir den größtmöglichen konzeptionellen Freiraum. Dankenswerterweise erklärte sich Professor Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln), dessen Arbeiten mein Verständnis der politischen Kultur Roms bereichert haben, zur Übernahme des Zweitgutachtens bereit. Zur Finanzierung der Studie hat ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes wesentlich beigetragen. Für ein zweimonatiges Forschungsstipendium bin ich der Elise und Annemarie Jacobi- sowie der Gerda Henkel-Stiftung verpflichtet. Dem Herausgebergremium der Historia Einzelschriften schulde ich großen Dank für die Aufnahme des Buches in ihre Reihe. Von der eindringlichen Lektüre des Manuskriptes und den wertvollen Hinweisen der beiden anonymen Gutachter 1

G. Mann, Schiller als Geschichtsschreiber, in: Zeiten und Figuren. Schriften aus vier Jahrzehnten, Frankfurt a. M. 1979, 108–128, hier: 128, an dieser Stelle besonders die ästhetische Dimension der Historiographie betonend.

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Vorwort

hat der Text sehr profitiert. Die Drucklegung hat Professor Dr. Kai Brodersen (Erfurt) mit Umsicht und freundlichem Rat begleitet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Franz Steiner Verlags (Stuttgart) haben das Manuskript zügig und professionell in ein Buch verwandelt. Für die Gelegenheit, zentrale Thesen vorab in Vorträgen zu erproben, bin ich Professor Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln), Professor Dr. Hilmar Klinkott (damals Heidelberg, jetzt Kiel), Professor Dr. Christof Schuler (Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik, München), Professor Dr. Uwe Walter (Bielefeld) und Professor Dr. Martin Zimmermann (LMU München) verbunden. Professor Dr. Jürgen Hammerstaedt (Köln) und Professor Denis C. Feeney (Princeton) danke ich für die vertrauensvolle und pragmatische Hilfsbereitschaft, die sie mir gewährt haben. Die Freundin Carolina López M. A. (Frankfurt am Main) war trotz starker beruflicher Belastung kurzfristig bereit, einen Großteil des Manuskriptes Korrektur zu lesen. Im Tübinger Alltag, in dem das Buch entstand, erwiesen mir Dr. Hartmut Blum und Professor Dr. Hilmar Klinkott jederzeit kollegiale und freundschaftliche Unterstützung. Maren Désirée Fischer begleitet mich nicht nur durch das Leben. Jahrelang hat sie als unentbehrliche Diskussionspartnerin zahllose Einzelprobleme zur römischen Historiographie und Dichtung mit mir besprochen und unermüdlich etliche Versionen der Arbeit oder einzelner Kapitel gelesen. Am Wichtigsten aber ist: Sie hat immer an mich geglaubt. Ich verdanke ihr sehr viel. Den größten Dank schulde ich meinen Eltern, Karin und Holger Steffensen. Sie haben mich und meine wissenschaftlichen Interessen seit jeher und in jeder Hinsicht vorbehaltlos und großzügig unterstützt. Auch um diese Studie, die ohne sie nicht denkbar gewesen wäre, haben sie sich durch vielfältige und unerlässliche Hilfe verdient gemacht. Ihnen ist das Buch gewidmet. Uetersen, den 10. April 2018

Nils Steffensen

KONVENTIONEN Der Lektüre dieses Buches seien zur Vermeidung von Missverständnissen drei formale Hinweise vorausgeschickt: (1) Im Sinne der Lesbarkeit schien es mir geboten, im Umgang mit der Terminologie pragmatisch zu verfahren. Begriffe wie beispielweise politische Ordnung, Staat, Staatlichkeit und res publica oder Zivilisations- und Fortschrittsgeschichte oder Verfall und Dekadenz oder Vergangenheit und Geschichte verwende ich synonym, wenn der sachliche Zusammenhang es zulässt und konzeptionelle Irritationen ausgeschlossen sein dürften. (2) Bei der Angabe der Jahreszahlen habe ich einen flexiblen Modus gewählt. In der Regel ist dem Kontext zu entnehmen, ob die behandelten Ereignisse vor oder nach der Zeitenwende stattgefunden haben. Der Zusatz „v. Chr.“ bzw. „n. Chr.“ steht deshalb nur in den Fällen, bei denen sich eine Zuordnung nicht von selbst versteht oder chronologische Bezüge ausdrücklich hervorzuheben sind. (3) Bei der Zitation folge ich der traditionellen, heutzutage aber nicht mehr durchgängig angewandten Praxis, dass Fußnoten hinter einem Interpunktionszeichen stehen, wenn sie sich auf den gesamten vorhergehenden Satz oder Satzteil beziehen, hingegen davor, wenn sie nur einem einzelnen Wort oder Sachverhalt gelten.

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort.............................................................................................................. Konventionen ....................................................................................................

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A. EINLEITUNG ..............................................................................................

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I. II.

Die iulisch-claudische Dynastie als Epoche ............................................. „Nachdenken über Rom. Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats“. Thema, Methodik, wissenschaftstheoretische Einordnung ....................... III. Inhaltsübersicht ......................................................................................... IV. Forschungsstand ........................................................................................

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B. DAS AUGUSTEISCHE ZEITALTER .........................................................

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I.

Die Saecularfeier als Anbruch einer neuen Epoche der römischen Geschichte ................................................................................................. II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte im augusteischen Principat........................................................................ 1. Die Geschichtsschreibung ................................................................... 2. Die Kulturentwicklungslehren............................................................. a) Die Kulturentwicklungslehren in der Antike ................................. b) Kultur, Zivilisation und Fortschritt. Aspekte einer Begriffsgeschichte ....................................................................................... c) Kulturentwicklungstheorien in Rom .............................................. 3. Der historische Abriss.......................................................................... III. Die römische Geschichte in der Historiographie. Livius’ Ab urbe condita ............................................................................. 1. Livius, die römische Geschichte und die Ab urbe condita .................. 2. Die Praefatio und ihr Modell vom Ablauf der römischen Geschichte ... a) Einführung ..................................................................................... b) Aufstieg und Niedergang Roms ..................................................... c) Livius und die Dekadenztheorien der römischen Historiographie............................................................................................ d) Zusammenfassung.......................................................................... 3. Republikanisches System, republikanische Politik, republikanische Geschichte. Das Prooemium des II. Buches ............. 4. Politische Anthropologie ..................................................................... a) Die Bedeutung des livianischen Menschenbildes für das Verständnis der Ab urbe condita .................................................... b) Livius’ Kommentare zur politischen Anthropologie ......................

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Inhaltsverzeichnis

5. Die Formierung der Republik. Die I. Dekade ..................................... a) Einleitung ....................................................................................... b) Die Frühe Republik und ihre strukturellen Gesetzmäßigkeiten nach Livius ..................................................................................... c) Rhetorische und politische Strategien ............................................ d) Die Notwendigkeit der Akzeptanz von Herrschaft. Patrizische Konsens- und Kooperationspolitik .............................. e) Konflikte innerhalb des Patriziats .................................................. 6. Ideales politisches System und ideale Politik. Livius’ patrizische Republik............................................................................................... 7. Ein Wendepunkt der römischen Geschichte? Die III. Dekade ............ a) Einleitung ....................................................................................... b) Kriegsverlauf.................................................................................. c) Politische Konstellationen.............................................................. d) Zusammenfassung.......................................................................... 8. Der Aufstieg zum Weltreich. Die Dekaden IV und V.......................... a) Einleitung ....................................................................................... b) Politische Entwicklungen............................................................... c) Volk und Volkstribunat ................................................................... d) Konflikte innerhalb der Nobilität ................................................... e) Zusammenfassung.......................................................................... 9. Zusammenfassung. Die Lehren der Ab urbe condita und die Zukunft der res publica ..................................................................................... IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse.................................. 1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis .................................................................................. a) Einleitung ....................................................................................... b) Euanders Erzählung vom Goldenen Zeitalter Saturns ................... α) Einführung ................................................................................ β) Euanders Kulturtheorie............................................................. γ) Vorläufer und Vergils Innovation.............................................. δ) Zusammenfassung .................................................................... c) Die historischen Abrisse der Aeneis ............................................... d) Zusammenfassung.......................................................................... 2. Delia, Messalla, Rom und das Land. Tibulls Idealwelt und die Geschichte............................................................................... a) Leben, Elegien und Politik ............................................................. b) Kulturentwicklungslehren und die (Zeit-)Geschichte .................... α) Tibull und die Elemente des idealen Lebens (I 1) .................... β) Tibulls Spektrum der politischen Deutung der Welt (I 3; I 7; I 10; II 1; II 3)............................................................. γ) Tibulls Gesamtgeschichte (II 5) ............................................... c) Zusammenfassung.......................................................................... 3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz ............................................. a) Leben, Werk und Politik ................................................................ b) Überblick über die Sammlung .......................................................

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Inhaltsverzeichnis

c) Ungeschriebene Geschichte. Properz’ Annäherungen an historische Themen als Gegenstand elegischer Dichtung in den Büchern I–III ....................................................................... d) Aitiologie. Der Abriss der römischen Geschichte und das IV. Buch e) Die Bilanz des IV. Buches.............................................................. f) Zusammenfassung.......................................................................... Zwischenbilanz I. Deutungen der Geschichte in Kulturentwicklungstheorien, historischen Abrissen und der Historiographie ................................................. 1. Übersicht.............................................................................................. 2. Historische Abrisse .............................................................................. 3. Politische Themen ............................................................................... 4. Gegenwart und Zukunft ....................................................................... 5. Kulturentwicklungstheorien und Historiographie ............................... V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier. Ovid ................................ 1. Ovid und sein Werk im historischen und literaturgeschichtlichen Kontext ................................................................................................ 2. Zeitkritik eines pauper amator. Die Elegie III 8 ................................. 3. Liebe und Geschichte. Die Lehrdichtungen ........................................ a) Einleitung ....................................................................................... b) Ars amatoria .................................................................................. c) Medicamina faciei femineae .......................................................... 4. Zusammenfassung ............................................................................... VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung der römischen Geschichte ......................................................................... 1. Einführung ........................................................................................... 2. Kriterien und Gestalten........................................................................ 3. Das Augustusforum als Meistererzählung der römischen Geschichte ... 4. Die Bedeutung der Geschichte im Augustusforum für Gegenwart und Zukunft ......................................................................................... Zwischenbilanz II. Das Augustusforum im Diskurs über die Geschichte ....................................... VII. Universalgeschichte und Kalender. Die römische Geschichte in Ovids Metamorphosen und Fasten .............. 1. Ovids Deutungen der römischen Geschichte in Zeiten der Krise und des Übergangs............................................................................... 2. Die römische Geschichte in den Metamorphosen ............................... a) Einführung ..................................................................................... b) Die Zeitalter und die Neuerschaffung der Welt unter Iuppiter....... c) Die römische Geschichte ............................................................... α) Einführung ................................................................................ β) Die Auswahl der Stationen der römischen Geschichte............. γ) Die Botschaften der Geschichte ...............................................

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Inhaltsverzeichnis

3. Ovid und die römische Geschichte in den Fasten ............................... a) Einführung ..................................................................................... b) Vergangenheit, Gegenwart und die Mechanismen der Zivilisation ............................................................................... c) Historische Überblicke in den Fasten ............................................ α) Die Prophezeiung der Carmentis .............................................. β) Mars Ultor-Tempel und Augustusforum................................... γ) Die Titel „Augustus“ und pater patriae ................................... δ) Schlaglichter in die Geschichte ................................................ d) Zusammenfassung.......................................................................... 4. Bilanz. Die römische Geschichte in den Metamorphosen und den Fasten..................................................................................... Zwischenbilanz III. Die Deutungen der römischen Geschichte im augusteischen Zeitalter ............

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C. DAS PRINCIPAT DES TIBERIUS.............................................................. 373 I. Das Principat des Tiberius......................................................................... II. Historisch-politische Literatur unter Tiberius ........................................... III. Rom in der Universalgeschichte. Die Historia Romana des Velleius Paterculus........................................... 1. Velleius und der Princeps .................................................................... 2. Die römische Geschichte im II. Buch.................................................. 3. Das Dekadenzszenario......................................................................... 4. Das Jahrhundert des Bürgerkriegs ....................................................... a) Einführung ..................................................................................... b) Aufruhr und Konterrevolution I. Die Gracchen ............................. c) Aufruhr und Konterrevolution II. Die Volkstribunen Saturninus und Glaucia .................................................................................... d) Senatorische Inflexibilität und Gewalt. Das Tribunat des Livius Drusus ............................................................................................ e) Von innenpolitischen Verwerfungen zum ersten Bürgerkrieg........ f) Das I. Triumvirat und der Bürgerkrieg Caesar – Pompeius ........... g) Der republikanische Dictator und sein republikanischer Rächer ... h) Bilanz des Bürgerkriegsjahrhunderts ............................................. 5. Das Principat........................................................................................ a) Übersicht ........................................................................................ b) Das Principat des Augustus. Die Konsolidierung des Staates ....... α) Einleitung ................................................................................. β) Die Restitution der republikanischen Ordnung ........................ γ) Augustus und die wiederhergestellte Republik ........................ c) Das Principat des Tiberius.............................................................. α) Einleitung ................................................................................. β) Das Reformwerk des Tiberius .................................................. γ) Tiberius’ Herrschaftspraxis....................................................... 6. Zusammenfassung ...............................................................................

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Inhaltsverzeichnis

IV. Ein alternatives Geschichtswerk. Die Exemplasammlung des Valerius Maximus......................................... 1. Valerius Maximus und seine Exemplasammlung als alternatives Geschichtswerk.................................................................................... 2. Ambivalente Zeitdiagnostik ................................................................ a) Verherrlichung und Kritik der Gegenwart ..................................... b) Dekadenzmodelle ........................................................................... c) Die Krisenphänomene. Themen des IX. Buches ........................... d) Zusammenfassung.......................................................................... 3. Die res publica des Valerius Maximus ................................................ a) Grundlagen des Staates .................................................................. α) Einleitung ................................................................................. β) Das II. Buch .............................................................................. γ) Zusammenfassung .................................................................... b) Politische Leittugenden .................................................................. α) Einleitung ................................................................................. β) Konkurrenz und Konsens ......................................................... γ) Stabilität.................................................................................... δ) Bilanz........................................................................................ 4. Zusammenfassung ............................................................................... V. Zwei Deutungen der römischen Geschichte im Principat des Tiberius. Velleius Paterculus und Valerius Maximus im Vergleich – und ein Seitenblick auf Seneca d. Ä. ...................................................................... 1. Die Werke ............................................................................................ 2. Princeps und Bürger ............................................................................ 3. Gegenwart und Zukunft .......................................................................

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D. DIE KONSTRUKTIONEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN DER FORMIERUNGSPHASE DES PRINCIPATS .............................. 489 I. Einleitung .................................................................................................. 491 II. Übersicht der Ergebnisse........................................................................... 492 III. Gesamtbilanz ............................................................................................. 506 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 513 I. Hauptsächlich verwendete Editionen ausgewählter antiker Werke .......... 513 II. Forschungsliteratur.................................................................................... 514 Allgemeiner Index ............................................................................................ 553 Stellenindex....................................................................................................... 561

A. EINLEITUNG

I. DIE IULISCH-CLAUDISCHE DYNASTIE ALS EPOCHE Das Ineinandergreifen linearer wie zyklischer Tendenzen und Prozesse hat der Geschichte der Entwicklung und Institutionalisierung des Principats unter der iulischclaudischen Dynastie ihr charakteristisches Gepräge verliehen. Seit jeher galt das Principat des Augustus bei aller Anknüpfung an die Vergangenheit als Beginn einer neuen Epoche, die ein Ergebnis langfristiger, überindividueller Entwicklungen war. Epochenschwellen sind „Häufigkeitsverdichtungen von Veränderung“1, die einen tiefgreifenden Wandel der „großen Elementargewalten“, der sozialen, ökonomischen, politischen und rechtlichen Verhältnisse2, hervorbringen. So war der Sieg Octavians bei Actium – wie sehr ein Zeitraum sich auch der Reduktion auf eine alle Dimensionen der Kultur und Politik umfassende Formel verweigern mag3 – ein Wendepunkt in einer Ära von jahrhundertelanger Kontinuität: der Wechsel von der aristokratischen Republik zu einer historisch eigentümlichen Form der Alleinherrschaft, dem Principat.4 Die Orientierung der neuen Ordnung und der politischen Praxis an der Republik war die entscheidende Quelle der Legitimität des Princeps zumindest innerhalb der Senatsaristokratie.5 Immer noch bildete die republikanische Vergangenheit, wie sehr sich auch die Substanz ihrer Konzepte ändern mochte, den Bezugspunkt, von dem politisches Handeln und Nachdenken über Politik ihren Ausgang nahmen. Die Republik, das war das System der Magistrate, die ursprünglich vom Volk, dann vom Senat gewählt und nach den Grundsätzen der Annuität und Kollegialität besetzt wurden; das waren Volksversammlungen, Debatten und Abstimmungen im 1 2 3

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Osterhammel 2009: 115. Troeltsch 1922: 756 (Zitat); 765. Dieses Problem erfasst das Dictum J. Burckhardts: „Es ist die wesentlichste Schwierigkeit der Kulturgeschichte, dass sie ein großes geistiges Kontinuum in einzelne scheinbar oft willkürliche Kategorien zerlegen muss, um es nur irgendwie zur Darstellung zu bringen.“ (zit. nach van der Pot 1999: 57). Generell zum Problem der historischen Periodisierung van der Pot 1999: 52–56; 58; 66–68. Für Legitimität soll hier die Definition von Kielmansegg 1971 gelten: „Legitimität ist soziale Geltung als rechtens […]“ (356). „Jede legitime Herrschaftsstruktur ist nichts anderes als ein System anerkannter und durchsetzbarer Herrschaftsansprüche. Die Geltung einer Herrschaftsordnung ist nichts anderes als die Geltung dieser Ansprüche“ (372). Als Prozess verstanden, muss Legitimität sich immer wieder ‚selbst hervorbringen‘ (373 f.). Für einen Überblick zur Begriffsgeschichte s. Würtenberger 1982. Allgemein s. Dahlheim 2013: 9–13. Die Anwendung des Legitimitätsbegriffs auf das Principat hat Flaig 1992 (aktualisiert und zusammenfassend 2016) grundsätzlich angegriffen. Tatsächlich erweist sich die im 19. Jh. gängige Vorstellung von Legitimität, gegen die er sich wendet, für die Analyse der politischen Ordnung des Principats als zu eng bzw. nicht adäquat. Noch ist die Diskussion über das von Flaig als Alternative vorgeschlagene Konzept vom Principat als Akzeptanzsystem jedoch nicht abgeschlossen. Auch hat sich, wie dargelegt, das Bedeutungsspektrum des Begriffs Legitimität entscheidend erweitert. An ihm soll daher in dieser Studie festgehalten werden. Zu dem Konzept der Akzeptanz, für das Flaig plädiert, besitzt er dessen ungeachtet eine große substantielle Nähe.

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I. Die iulisch-claudische Dynastie als Epoche

Senat, die in verbindliche Beschlüsse mündeten; das war eine aristokratisch geprägte Kultur der Politik mit einem Set an Regeln, Konventionen und Praktiken, auf der seit Jahrhunderten die zentrale Stellung des Senats und die Funktionsfähigkeit der Nobilität beruhten. Der Charakter der Principatsordnung mit seiner Fassade der Kontinuität begründete im letzten die sinnstiftende Präsenz der Republik in der politischen Kultur und zwang über ideologisch fundierte soziostrukturelle Rahmenbedingungen6 den Princeps bei der Herrschaftsausübung in die Doppelrolle eines Bürgers und Monarchen hinein.7 Ungeachtet dieser Beharrungskräfte vollzog sich im frühen Principat die historische Entwicklung in der Wechselbeziehung zweier miteinander unauflösbar verbundener Zeitschienen, (1) der monarchischen und (2) der republikanischen. (1) Die an der politischen Kultur der Republik orientierte Principatsordnung gewann, je länger sie existierte, desto stärker an eigenständigem Profil.8 Die Linearität in dieser Entwicklung hing mit der Institutionalisierung dieser Staatsform und der damit einhergehenden, ideologisch jedoch verschleierten Abkehr von der Republik zusammen.9 Bereits Augustus beförderte neben den republikanischen Zügen, die für die Akzeptanz des Regiments notwendig waren, auch die monarchischen Elemente jenes Zwitterwesens, das das neue Regiment faktisch war. Die umfassende, anfangs noch aus einer Vielzahl an Kompetenzen und Befugnissen zusammengesetzte Amtsgewalt der Principes, die ihnen seit Tiberius der Senat mittels eines Ermächtigungsgesetzes, einer lex de imperio, als Ganzes übertrug, sowie die Akklamationen und Gefolgschaftseide von Senat und Heer widersprachen den Grundlagen der republikanischen Ordnung und demonstrierten offen die Machtverhältnisse. In der Haushalts- und Lebensführung der Principes verschwammen zusehends die Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, zwischen der domus Augusta und der res publica. Auch in der Selbstdarstellung der Principes wurde ihre über republikanische Maßstäbe weit hinausragende Stellung in allen Sphären des öffentlichen Lebens manifest. (2) Die Geschichte des Principats in der iulisch-claudischen Dynastie bestand jedoch auch aus dem periodisch wiederkehrenden Scheitern der Principes bei gleichzeitigem Fortbestand des Systems, das unter den Nachfolgern aufs Neue ausbalanciert wurde. In Frage stand jeweils die Person, nicht die Position des Princeps selbst. Die Geschichte des frühen Principats bestand nicht im regelmäßigen Ausbruch eines Kampfes um die Vorherrschaft im Staat, den führende Mitglieder der Senatsaristokratie gegeneinander austrugen oder in einer sich immer wieder formierenden Widerstandsbewegung Einzelner oder des Senats gegen einen quasimonarchischen Princeps. Vielmehr lag die Schwäche des Principats begründet im gegen Konventionen verstoßenden, kommunikative Missverständnisse heraufbe6 7 8 9

Hierzu Winterling 2005: 195, der nachweist, wie der als Positivist und Konstitutionalist geltende Mommsen dies bereits im „Staatsrecht“ verarbeitet hat. Zu diesem Komplex s. z. B. Heuß 1960/2003: 343; Bleicken 1998: 376; Winterling 2003; Bringmann 2007. Die Formel vom Princeps als Bürger und Monarchen ist entlehnt von Wallace-Hadrill 1982 (Titel). Zur sich beschleunigenden „Kopflastigkeit“ des Principats s. Bleicken 1995: 60. Zum Folgenden maßgeblich Timpe 1962: 29; 61; 74 f.; 86; 91 f.; 101; 104; 123 f.; 124–126.

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schwörenden, autistischen, selbstherrlichen oder ungeschickten Agieren der Principes, das von den Zeitgenossen als Machtmissbrauch und Entartung zur Tyrannis verstanden und als Resultat von charakterlicher Deformierung oder Dekadenz gedeutet wurde. In zuverlässiger Abfolge wiederholte sich in der Innenpolitik ein immer gleicher Komplex von Problemen: Auf das Angebot eines Princeps nach der Machtübernahme zur Kooperation mit dem Senat folgte jedes Mal die Konfrontation. Die Hoffnungen der Senatoren wurden ebenso enttäuscht wie die Erwartungen der Principes. In einer vorhersehbaren Spirale folgten die Reaktionen von Princeps und Senat aufeinander und steigerten sich in wechselseitiger Intensität. Die Berufung eines Princeps auf Augustus als den Begründer einer Zeit, in der Frieden und Prosperität geherrscht hatten, versprach die programmatische Anknüpfung an dieses Vorbild und weckte Hoffnungen auf die Wiederkehr eines augusteischen Zeitalters, dessen Ideologie von republikanischen Elementen geprägt war. Durch das ständige Scheitern der Principes und den gleichzeitigen Ausbau der Principatsordnung bot die Geschichte der iulisch-claudischen Dynastie ein Bild der stetigen Wiederkehr. Als Grundlage der politischen Ordnungsvorstellung behielt die Republik ihre Relevanz, auch wenn niemand mehr an ihre tatsächliche Wiederherstellung glaubte oder diese wünschte, und verbürgte weiterhin das Prinzip der Senatsherrschaft, die kollektive Ausübung der Regierungsgewalt durch eine Aristokratie. In der stetigen Ankündigung einer Rückkehr zum augusteischen Regiment, das an republikanischen Prinzipien orientiert war, äußerte sich die Notwendigkeit, die historisch legitimierte gesellschaftlich-politische Rolle der Nobilität anzuerkennen, ihr Bedürfnis nach Prestige zu befriedigen und ihre Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen zu fördern. Mit jedem Princeps war das Versprechen einer Rückkehr zu geordneten Verhältnissen und Eintracht nach einer Phase der Konflikte verbunden. Es war eine Epoche des permanenten politischen Neubeginns, verursacht durch individuelles Scheitern, bei gleichzeitiger Konstanz und fortschreitender Festigung des Systems. Zwei Zeitschienen standen gegeneinander, die die beiden konstitutiven Aspekte der neuen Ordnung vereinigten, die Rückbesinnung auf die Republik und die Anerkennung und Festigung der Monarchie. Das Principat unter der iulisch-claudischen Dynastie ist ein Beispiel für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.10 In der politischen Praxis und der politischen Kultur blieb die Republik präsent. Als Arsenal in Auseinandersetzungen diente sie der Formulierung und Ideologisierung politischer Ziele. Die Inanspruchnahme der Vergangenheit eröffnete einen Diskurs über die Politik des Princeps und ermöglicht die Äußerung von Kritik, Zustimmung und Erwartungen. Trotz allem Wandel von der Republik zum Principat und innerhalb des Principats vermochte die Geschichte noch immer einen Beitrag zur Erklärung der Politik zu leisten, die Vergangenheit zur Gegenwart in Bezug zu setzen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. 10

Koselleck 1989(a) und 1989(b). An dieser Formel von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die keine normative Wertung enthält, soll trotz der ernstzunehmenden Vorbehalte, die Landwehr 2012 gegen sie erhoben hat, festgehalten werden. Weiteres zu Zeitschichtentheorien s. Osterhammel 2009: 86; 115, aber auch Diner 2000: 17.

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Seit der Einrichtung dieser ianusköpfigen Ordnung mit ihrer Verbindung aus republikanischen und monarchischen Zügen existierte eine sich in der politischen Praxis und Kommunikation sowie der Selbstdarstellung des Princeps spiegelnde Spannung zwischen Ideologie und Wirklichkeit, zwischen der Vision der wiederhergestellten Republik und der dominierenden Rolle des Princeps. Literarisch wurde sie erstmals unter der Herrschaft Neros, des letzten Vertreters der iulischclaudischen Dynastie, problematisiert, als Seneca und Lucan die Einsicht vortrugen, dass bereits im Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius nicht um die Verteidigung der Republik gegen einen Usurpator, sondern um die Alleinherrschaft gefochten wurde.11 Ein halbes Jahrhundert später begründete Tacitus die Notwendigkeit einer Monarchie mit der Befreiung des Staates von inneren Konflikten12 und sah mit dem Wandel der politischen Ordnung eine vollkommene Veränderung der Politik gegenüber der Republik einhergehen.13 Die Auseinandersetzung mit dem Principat seit der Frühen Neuzeit hat diese Charakterisierung des Einschnitts, den Augustus’ Neuordnung der res publica für das politische System bedeutete, aufgegriffen. In der Neuzeit hat Montesquieu, bei der militärischen Lösung der Krise der Republik ansetzend und von hier aus die Machtbasis des Princeps untersuchend, in seinen wirkmächtigen „Considérations“ die von Augustus zur Legitimierung seines Regiments verwendete Formel der res publica restituta als eine Chimäre entlarvt. Da die Ursachen der Zerstörung der Freiheit, die Dekadenz,14 auch nach den Bürgerkriegen fortbestanden hätten, sei eine wahre Wiederherstellung der Freiheit unmöglich gewesen. Die von Augustus eingerichtete Ordnung rubriziert er als eine „dauerhafte Knechtschaft. Denn in einem freien Staat, in dem man soeben die unumschränkte Herrschaft usurpiert hat, nennt man alles Ordnung, was die unbegrenzte Autorität eines einzelnen begründen kann. Und man nennt Unruhe, Empörung, Regierungsmissbrauch, was die ehrenhafte Freiheit der Untertanen erhalten könnte.“15 Dezisionistisch definiert er das 11

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Sen. epist. 14,13; Luc. I 1–7; 33–66; II 286–323 (Cato); IX 190–214 (Cato). Die explizite Vorstellung von Augustus als einem Monarchen begegnet vereinzelt auch in der während seines Principats entstandenen Literatur, namentlich bei Ovid (hierzu bes. Kap. B.V und VII) und Horaz (hierzu jüngst Mutschler 2005). Tac. hist. I 1,1: […] postquam bellatum apud Actium atque omnem potentiam ad unum conferri pacis interfuit […]; ann. I 1,1: […] et Pompei Crassique potentia cito in Caesarem, Lepidi atque Antonii arma in Augustum cessere, qui cuncta discordiis civilibus fessa nomine principis sub imperium accepit (mit 2,1; 3,1); ferner v. a. IV 33, bes. 33,2: […] sic converso statu neque alia re Romana quam si unus imperitet […]. S. auch ann. I 7,1: At Romae ruere in servitium consules patres eques [zum Herrschaftsantritt des Tiberius]. Tac. ann. IV 32, zu den klassischen Themen der Innenpolitik in der Geschichtsschreibung s. 32,1: […] si quando ad interna praeverterent, discordias consulum adversum tribunos, agrarias frumentariasque leges, plebis et optimatium certamina libero egressu memorabant […]; ferner hist. I 1,1: […] inscita rei publicae ut alienae […]. Damit relativiert er die historische Bedeutung, die er vormals selbst dem Herrscherwechsel von Domitian zu Nerva zugemessen hatte: […] quamquam […] Nerva Caesar res olim dissociabiles miscuerit, principatum ac libertatem […] (Agr. 3,1). Zum Terminus der Dekadenz im Zusammenhang mit der römischen Ideengeschichte s. u. S. 51 f. mit Anm. 47. Montesquieu 1734/2000: 186; Übersetzung von L. Schuckert (leicht verändert).

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Principat als eine „doppeldeutige Verfassung, die, weil sie nicht von ihren eigenen Kräften gestützt wurde, nur solange Bestand haben konnte, wie es dem Monarchen gefiel, und die folglich vollkommen monarchisch war.“16 Die Strukturen dieser Ordnung, die als Erneuerung des Bestehenden ausgegeben wurde, trugen – so hieß das – weder länger sich selbst, noch bildeten sie über die Ideologie hinaus den Rahmen für das tatsächlich Handeln der Akteure. Ihre Existenz war nun dem Willen einer einzelnen Gestalt, des Princeps, unterworfen, dessen Machtmittel, in letzter Instanz die militärische Gewalt, faktisch über Normal- und Ausnahmezustand entschieden. Trotz vielerlei Differenzierungen und Modifikationen ist diese systemanalytische Deutung, ihres moralisierenden Ansatzes entkleidet, im Kern bis heute maßgeblich geblieben.17 Weithin liegt dem Verständnis des Principats zugrunde, dass nach der militärischen Lösung der im Bürgerkrieg mündenden Konflikte innerhalb der Nobilität die Ära des traditionellen Senatsregiments strukturell unwiderruflich18 abgelaufen war und dass die von Augustus etablierte und zunächst auf sich zugeschnittene Ordnung von seinen Nachfolgern lediglich fortentwickelt und institutionalisiert19 wurde: ein Prozess, in dem die anfangs nur provisorisch mit der res publica verbundene Position des Princeps mit dem Gemeinwesen immer fester verknüpft wurde. Nach der Desintegration der Nobilität und den im Bürgerkrieg mündenden politischen Eruptionen der Späten Republik, den Jahrzehnten zwischen den Reformgesetzen der Gracchen und dem Sieg des Augustus bei Actium, hatte es den Anschein, als sei in der longue durée eine Zeit der Kontinuität im Zeichen der Alleinherrschaft angebrochen. Auf das Ganze gesehen herrscht die Vorstellung vor, dass die Geschichte des Principats als ein irreversibles Ergebnis der Vergangenheit stationär wirkte, als eine „Entwicklung mechanischer Kräfte“, beruhend auf einem „einzigen Individuum und den Wenigen die seine Umgebung bilden“20, „ohne wahre[] Krisen“ und „ohne vitale Umgestaltungen“,21 erfüllt von „bleierne[r] Langeweile“ und „öde[r] 16 17 18 19

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Montesquieu 1734/2000: 187; Übersetzung wie Anm. 15. Für Forschungsüberblicke s. Christ 2002: 2–11 (bes. zur älteren Literatur); Timpe 2011; Winterling 2017 sowie Blochmann 2017: 18–24 (mit Schwerpunkt auf dem Verhältnis von Princeps und Senat). Eine prominente Ausnahme bildet Gruen 1974, der in seiner Analyse der Krise den Ausbruch des Bürgerkriegs und den folgenden Zerfall der Republik auf die spezifische Personenkonstellation der 50er Jahre zurückführt. Zum Aspekt der Kontingenz s. Walter 2009. Zur Institutionalisierung s. neben Melville 1992: 1–8 bes. die Akzentuierung der Kontinuität bei Rehberg 2001: 8, der Institutionalisierung als Herstellung von „als auf Wiederholbarkeit und ‚dauerhafte‘ Sicherung von Handlungsvollzügen und Vorstellungsinhalten gerichtete soziale Beziehungsformen“ definiert; ferner 10; 12. Niebuhr 1848: 162; 163 über die „Bedeutung der Kaisergeschichte“. Burckhardt 1905/2000: 468: „Aber das Kaisertum war nun wirklich der Friede, mit auffallender Sekurität vor Bewegungen im Innern.“ An die Grundfesten des Systems rührende Revolutionen hätten nur spezielle, lokale Gründe; vorbei gewesen sei das Zeitalter der inneren Zwietracht. Gefahr für die politische Ordnung habe allenfalls von den Praetorianern, so beim Tod des Nero und Pertinax, gedroht. Doch waren dies „keine wahren Krisen. Niemand will die Form des Reiches ändern […]“. Dem fügt er die grundsätzliche Bemerkung an: „Die echten

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Leere“,22 „arm[] und bedeutungslos[]“.23 Mit Augustus verbanden sich so das „Ende der alten Ordnung“ und der „Beginn einer neuen Epoche“. Zwar hat ein bis auf Mommsens Staatsrecht und die dort vorgetragen Dyarchie-These zurückgehender Forschungszweig den republikanischen Elementen der von Augustus gesteuerten Regierungspraxis substantielles Gewicht beigemessen und teils den Anspruch, dass im Principat die Republik wiederhergestellt sei, verwirklicht gesehen.24 Noch immer geläufige Einordnungen des Principats als eine Form der „Monarchie“ haben jedoch das traditionelle Verständnis von der Rolle des Princeps als eine Art Alleinherrscher bewahrt, wie sehr er auch Relikte der republikanischen politischen Kultur und Gesellschaft durch faktische oder symbolische Politik einzubinden genötigt war.25 Insofern standen sich Gegenwart und Vergangenheit nicht voneinander losgelöst gegenüber. Über alledem ist aber offen, wie der Wandel, der sich mit der Etablierung des Principats vollzog, von den Zeitgenossen in die Gesamtgeschichte Roms eingeordnet wurde und welche Perspektiven für die Zukunft sie aus diesem Akt der Selbstvergewisserung ableiteten.

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Krisen sind überhaupt selten.“ S. auch Niebuhr 1848: 163: „[…] die Natur bringt keine Krisis mehr hervor […]“. Zit. nach Demandt 1992: 19 f. Mit diesen Einschätzungen liegen moderne Periodisierungen weitgehend auf einer Linie, s. Heuß 1960/2003: 342; 362; Garzetti 1974; Dahlheim 1992: 229– 258; 2003: 141–143; 2010: 395; 405 (Zitate). Weiler 1997; Bellen 1998; Christ 2002 sowie die Gliederung von Bowman/Champlin/Lintott 1996: v. Mommsen 1882/86: 406. Ihm folgt Heuß 1960/2003: 321; 342. Mommsen 1878 und Mommsen 1882/86: 228 mit Heuß 1977 und Peachin 2005. Für eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung s. Nippel 2005. Mommsen selbst hatte allerdings im Bereich der politischen Praxis, die von juridischen Kategorien abstrahierte, keinen Zweifel an der Vorrangstellung des Princeps, mochte sie sich auch seinem Systemwillen entziehen (Winterling 2005: 194–198; Peachin 2005: 167 f.; 175 f.). Für die ältere Forschung seit Mommsen s. Eder 1990: 73–82 und Kienast 2009: 90, Anm. 38. S. dagegen bes. Castritius 1982, aber auch Eder 1990: bes. 104–111; 2005: 15–18; 24 f.; Richardson 2012: 224 f.; Woolf 2012: 23 sowie die Diskussion bei Winterling 2017: 416 f., der 430 f. für eine weniger stark schematisierende, terminologisch differenzierende Analyse des Principats plädiert. Die folgenden aktuellen Titel mögen die Tendenzen der Forschung zur Ausgestaltung der Principatsordnung reflektieren: Flaig 1992: 174–207; 2016 (Akzeptanzsystem, hier mit Schwerpunkt auf dem Militär); Bleicken 1995: 60 (Kompetenzen des Augustus wachsen schon gegen Ende seiner Regierungszeit „zu einer kompakten kaiserlichen Gewalt zusammen“); wichtig insgesamt 60–94; 1998: 297 („Das römische Weltreich hatte nurmehr einen einzigen Herrscher. Welcher Art seine Herrschaft aber war und sein würde, blieb völlig offen.“); 394 f.; Bringmann 2007: 122 f.; 126–128 („eine neue Form der Monarchie“, 128); Kienast 2009: bes. 1 („Alleinherrschaft [Kapitelüberschrift]); Dahlheim 2010: 220 f.; 395; 405 („Ende der alten politischen Ordnung“, Augustus als Begründer der „Monarchie als Rechtsordnung“); Levick 2010: 74–78 (terminologisch differenziert); 96 („autocracy“); 202 („monarch“).

II. „NACHDENKEN ÜBER ROM. KONSTRUKTIONEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN DER FORMIERUNGSPHASE DES PRINCIPATS“ Thema, Methodik, wissenschaftstheoretische Einordnung Historischer Wandel steht in einem komplexen Wechselverhältnis mit Verschiebungen in der Erinnerung und wird begleitet von Modifikationen bisher geltender Sinnzusammenhänge. Das frühe Principat unter der iulisch-claudischen Dynastie war kein Zeitalter des dramatischen Paradigmenwechsels, der radikalen Abstoßung des Alten, sondern der Verbindung von Kräften, die in die Vergangenheit wie in die Zukunft wiesen.1 Die Beibehaltung charakteristischer Deutungsmuster aus der Republik auf dem Feld des Politischen während des Principats bewirkte eine Annäherung von Vergangenheit und Gegenwart. Da die Erinnerung zu den stärksten Kräften für die Erfassung und Erklärung der Gegenwart zählt und die Geschichte ein wirkmächtiges Medium der Sinnstiftung ist,2 liegt angesichts des eigenartigen Veränderungsprozesses – der Neuausrichtung des politischen Systems – im historischen Verständnis jener Epoche ein zentraler Teil der Antwort auf die Frage nach der Erfahrung von Kontinuität und Diskontinuität, nach der Zeitstimmung und dem Selbstverständnis der römischen Gesellschaft im Frühen Principat3 – aber auch nach der Wahrnehmung der neuen Ordnung und ihrer Mitgestaltung im öffentlichen Diskurs. Überliefert wird die memoria über verschiedene, oftmals nicht scharf voneinander abgrenzbare Träger,4 über mündliche Traditionen, Literatur, bildliche Darstellungen,5 Monumente, Rituale und Zeremonien. Zu den Fundamentaloperatio-

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Zur ursprünglichen, gegen einen positivistischen, teleologisch verstandenen Wissenschaftsbegriff gerichteten Bedeutung des Terminus s. Kuhn 1962. In der Geschichtswissenschaft dient er der Bezeichnung des Wandels von Geschichtsbildern unbeschadet ihrer Faktizität (Veränderungen der Geltung von Ereignissen und Gestalten, neue Kontinuitäten und Kontingenzen, Annullierung von bisher geltenden Gewissheiten, neue Profile); hierzu auch Koselleck 2010: 51; Diner 2000: 11. S. Hölkeskamp 2005: 251 über die Erinnerung als „main source of patterns of perception, of conceptions of order, right and wrong, and of the framework in which to interpret one’s own contemporary Lebenswelt“. Ansonsten s. Rüsen/Hölkeskamp 2003; Walter 2004: bes. 17–35; Lottes 2005: 169; 179 f.; Rüsen 1997; 2008; Langewiesche 2008(a): 10; Koselleck 2010: 18. Zur Erinnerung als „erkenntnistheoretische[r] Kategorie“ s. Walter 2004: 24; dort auch eine Kritik an diesem Konzept als Modeströmung oder „Leitparadigma der Geschichtswissenschaft“, die doch vielmehr ein „Gegenstand der Erforschung von Geschichte unter anderen“ sei. Zum Zusammenhang von historischer Veränderung und Erinnerung s. Rüsen 1990, Lottes 2005: 180; Rüsen 2008; Langewiesche 2008(a): 11 f. Hölkeskamp 2005: 252; zu den Monumenten auch 257, Anm. 18; 19. Hierzu bes. Elsner 2007; die Beiträge in Hölscher/Hölscher 2007; Schneider 2008; 148; 150.

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nen der Erinnerung zählt ihre Literarisierung.6 Als immaterieller Erinnerungsort7 übernimmt die Literatur eine zentrale Funktion bei der Vermittlung8 historischen Wissens, indem sie aus der Überlieferung ein Narrativ erzeugt9 und so zu einem Instrument der Schaffung von Identität, zur gemeinsamen Wahrnehmung und Deutung von Geschichte wird, damit auch zur Grundlage politischen Handelns innerhalb einer an soziale Gruppen gebundenen Erinnerungsgemeinschaft,10 die eine kollektive Erinnerung herausbildet. Für den Formierungsprozess des Principats erhebt sich eine Reihe fundamentaler Fragen, die um die Gestalt des politischen Systems und der Kultur, aber auch die in ihnen wirkenden Akteure kreisen. (1) Zog die zyklisch-lineare Geschichte einen Paradigmenwechsel im historischen Diskurs nach sich, weil sie mit der Vorstellung von einer Zeitenwende verbunden war, oder veränderte sich das Bild von der bisherigen Geschichte im Lauf der iulisch-claudischen Dynastie nicht, weil im Diskurs die Fortexistenz der Republik angenommen wurde und einschlägige Begründungszusammenhänge glaubwürdig blieben? (2) Wie wurde der Verlauf der Vergangenheit im Ganzen bewertet, welche der überkommenen Modelle zur Deutung von Geschichte (Aszendenz, Dekadenz, dialektische Mischform) kamen wann und in welcher Form zur Anwendung? (3) Worin erblickte man die zentralen Faktoren und Indikatoren der Geschichte und anhand welcher Leitkriterien wurde sie betrachtet? Wurden die politischen Probleme der res publica und des Principats als identisch wahrgenommen? (4) Gab es eine Pluralität der Geschichtsbilder auf der Basis unterschiedlicher Prämissen und Ansatzpunkte, also unterschiedliche, möglicherweise divergierende Strömungen innerhalb der Erinnerungskultur? Interagierten parallel existierende Geschichtsdeutungen miteinander? (5) Sind die Vorstellungen von der idealen Ordnung einem Wandel unterworfen? (6) Welche Erkenntnisse und Lehren hält eine Beschäftigung mit der Republik, auch der Frühen und Mittleren, für die sich immer weiter von ihr entfernende Zeit bereit und welche Zukunftserwartungen resultieren daraus? (7) Inwieweit wurde der historische Wandel im historisch-politischen Diskurs reflektiert, nachvollzogen und auch mitbestimmt? (8) In welchem Verhältnis stehen die historischen Vorstellungen des Princeps mit den umlaufenden Geschichtsbildern? Im Zeichen dieser Themenkomplexe möchte diese Untersuchung einen Teil des literarischen Diskurses über die römische Geschichte während der Herrschaft des Augustus und des Tiberius erforschen und über die Rekonstruktion eines Ausschnitts aus der geistigen Physiognomie der Zeit einen Beitrag zum Verständnis zur Etablierung und Institutionalisierung des Principats leisten. Mit seiner Ausrichtung auf zeitgenössische Deutungen des von Augustus erschaffenen Systems möchte er eine Alternative einerseits zur ereignisgeschichtlichen Rekonstruktion des Etablie6 7 8 9 10

Koselleck 1989(a) und 1989(b); Rüsen 1990. Grundsätzlich zum Konzept des Erinnerungsortes s. Nora 1984; Assmann 1992/2007: 59 f. Zur Alten Geschichte Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2006: 13 und Behrwald 2009: 12 f. Zu seiner Verwendung in der deutschen Geschichtswissenschaft s. Robbe 2009. Zu den Medien s. Erll 2005: 123–125; 130–142. Maßgeblich hierzu Rüsen 1990 und jetzt v. a. 2008: 18. Kansteiner 2004: 122; König 2008: 65; Lottes 2005: 173; 175; 177; Erll 2005: 143–166 (zur Literatur als Sozialsystem); Koselleck 2010: 18; zur Alten Geschichte Walter 2004: 212–220.

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rungsprozesses des Principats, andererseits zu „staatsrechtlichen“ oder soziologischen Ansätzen leisten bzw. solche Zugänge mit Argumentationsmaterial ausstatten. Die Studie rechnet sich zur Neuen Politikgeschichte bzw. zur Kulturgeschichte des Politischen.11 Die seit den 70er Jahren als überholt in Verruf geratene klassische Politikgeschichte hat jüngst mit einem expansiven Politikbegriff eine Renaissance erlebt. Zwar ist der Politikbegriff stets variabel12 und nie so eng gewesen, wie ihre Kritiker behaupteten. Die als neu apostrophierte, allerdings bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichende13 Politikgeschichte wendet sich jedoch programmatisch von den traditionellen Themen, von der Ereignis-, Institutionen- und Verfassungsgeschichte ab, hin zu einer integrativen, Ideen, Interessen, intellektuelle Strömungen, Institutionen und wirtschaftliche Aspekte verbindenden und deren Wechselwirkungen analysierenden Geschichtsschreibung.14 Ihr Gegenstand ist die politische Kultur15, die Erklärung von Phänomenen als Ergebnissen von Sinnzuschreibungsprozessen, die Rekonstruktion von Weltbildern, Diskursen und Praktiken, das Herausfiltern zeitgenössischer Sinn- und Bedeutungsstrukturen, die Analyse der öffentlichen Kommunikation in Reden, Zeremonien, Ritualen, damit einhergehend die Dekonstruktion eines überhistorisch-universalistischen Verständnisses von Handlungen, Institutionen, Wertvorstellungen.16 Als das Politische versteht sie den Raum, in dem politische Entscheidungen angebahnt, vorbereitet und getroffen werden.17 Als Ziel strebt sie das Verständnis der Macht- und Herrschaftsstrukturen innerhalb einer Gesellschaft und eines Staates an.18 In der politischen Kultur Roms war die Geschichte ein essentielles Feld der politischen Auseinandersetzung.19 Dies musste umso mehr für das Frühe Principat, 11 12

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Zur gegenwärtigen Erforschung des Politikbegriffs s. Landwehr 2003, Frevert 2005, StollbergRilinger 2005, Schorn-Schütte 2006, Steinmetz 2007; zur Alten Geschichte bes. Hölkeskamp 2009 und 2010 (mit weiterer Literatur). Hierzu s. bes. Steinmetz 2007: 9–15; 26–36; 9: „[…] die Begriffe des Politischen [waren] immer unsicher, seit das Politikvokabular zu Beginn der Frühen Neuzeit vermehrt in die europäischen Sprachen Eingang fand“, waren abhängig von Land, Sprache, Sprecher und Situation, also historisch bedingt. Hierzu Schorn-Schütte 2006: 14–40. S. auch Lipp 1996 zum Begriff der politischen Kultur bei W. v. Humboldt. Schorn-Schütte 2006: 53. Pointiert Mergel 2004: 416: „Die Trennung zwischen Politik und Nichtpolitik erweist sich aus dieser Perspektive [d. h. die Bedeutung der nicht im engeren Sinne als politisch geltenden, nunmehr aber aufgewerteten Tätigkeiten] als künstlich, zumindest als historisch hergestellt.“ Zur Begriffsgeschichte s. Rohe 1990: 321–332; Lipp 1996: 79–82; Pedersen 2002; Mergel 2004; Fuchs 2007: 161 f.; 163–167. Rohe 1990: 333; Stollberg-Rilinger 2005: 13; Sharpe 2005: 169; Hölkeskamp 1996/2004; 2006: 362; 363 f.; 2010: 53–57. Stollberg-Rilinger 2005: 13 f. Für eine Reihe weiterer Definitionen des Politikbegriffes s. Steinmetz 2007. Zu den Risiken durch Verlust des Untersuchungsgegenstandes an Kontur s. Frevert 2005: 23 f. S. hierzu die Synthese von Walter 2004. Seinen terminologischen Festlegungen von Geschichtskultur und Erinnerung (18–41), die weitgehend Konsens sein dürften, ist diese Studie verpflichtet.

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eine Zeit des Wandels, gelten. Die Vergangenheit war ein wesentlicher Bestandteil des Diskurses über die Macht und die Organisation der Herrschaft. Sie erfüllte für Princeps wie Senatoren, aber auch für die restlichen Segmente der Gesellschaft beim Austausch von Erwartungen und Ansprüchen kommunikative Funktionen, die über sämtliche Medien lief.20 Wie einerseits der Princeps Formen und Themen des Erinnerns beeinflusste, konnten andererseits auch seine Adressaten, deren Akzeptanz er benötigte, durch ihre Deutungen von Geschichte das Handeln beeinflussen. Angesichts des Systemwechsels gewinnen die ohnehin in der römischen Annalistik allgegenwärtigen Aspekte Machterhaltung, Machtausübung und Machtorganisation sowie die Frage nach Trägergruppen, die Legitimität und die Akzeptanz von Herrschaft einen zentralen Rang.21 Innerhalb der neuen Politikgeschichte ordnet sich die Studie so in den Bereich der Ideengeschichtsschreibung ein und begreift die Modifikation und Weiterentwicklung von Diskursen, von Denk- und Argumentationssystemen,22 als Sprechakte, als Handlungen,23 denen als distinktive Sprachen gängige Schemata an Formeln, Themen und Strukturen zugrundeliegen. Durch die Rekonstruktion dieser Kernthemen der Politik im zeitgenössischen Diskurs werden die intellektuelle Fundierung der Politik, das Arsenal der politischen Auseinandersetzung und der Handlungsrahmen, in dem Princeps, Senatoren, die Bevölkerung und die Soldaten jeweils agieren, sichtbar und erlauben jenseits der eigentlich politikgeschichtlichen Fragestellung, deren Reflexion erforscht werden soll, eine vollständigere Erfassung des Frühen Principats. So lässt sich die Behandlung der Texte in der allgemeinen Problemstellung bündeln, welche Sicht auf die Geschichte und ihren Ablauf den verschiedenen Typen der Texte jeweils in einem bestimmten historischen Kontext zu eigen ist und welche Schlussfolgerungen sich nach Auffassung der Autoren für die Zukunft und das politische Handeln ergaben. Natürlich ist keine Totalgeschichte der Repräsentation der römischen Geschichte in der Literatur angestrebt, die Darstellung der Gesamtheit des historischen Wissens und der Formen seiner Verbreitung. Abgezielt wird vielmehr auf eine Problemgeschichte, als deren Paradigmen konkrete, mit der Einführung der neuen Ordnung zusammenhängende Themenkomplexe dienen. Damit ist die Arbeit auf einen Ausschnitt aus dem Zeitbewusstsein und dessen Veränderungen im Zeichen des Systemwandels gerichtet. Aus der Totalgeschichte 20 21 22 23

Zur Bestimmung und Diffusion des Machtbegriffs s. Ball 1993 sowie Arweiler/Gauly 2008. Für weitere mit diesem Komplex zusammenhängende Fragen Näheres bei Bleicken 1981. Umfassend zum Diskursbegriff Landwehr 2001. Zur Definition des Diskurses über Geschichte als Art, in der historisches Wissen lebt, s. Rüsen 2008: 52. Zu deren Bedeutung für das Verständnis des Sprechaktes s. Skinner 2002(a): 96. Pocock 2009(a): 71. Zum methodischen Rüstzeug s. Skinner 2002 und Pocock 2009. Zur Einführung s. Rosa 1994, Bevir 2002, Hampsher-Monk 2002; Palonen 2003. Für kritische Auseinandersetzungen s. ferner die Beiträge in Tully 1988 sowie Rosa 1994: 207 f.; 214; Bevir 1998; Hellmuth/von Ehrenstein 2001: bes. 161–164, Palonen 2004: 310–313. Nicht überzeugend die aufrechterhaltene Unterscheidung zwischen Sprache und Handlung Koselleck 2010: 14 f.; 33: „Gleichwohl möchte ich daran festhalten, Sprache und Geschichte analytisch zu trennen […]. Zwischen Sprechen und Tun bzw. zwischen Sprechen und Leiden bleibt eine Differenz, auch wenn Sprechen eine Sprachhandlung ist und auch wenn Tun und Leiden sprachlich vermittelt werden.“ 36; 58 f.

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des Principats wird ein fest umrissener Sektor ausgewählt: ein Bestandteil des Diskurses über Geschichte. In ihm steht wiederum die Erörterung von Machtfragen im Mittelpunkt. Erhellt werden soll die intellektuelle Auseinandersetzung über eine traditionell als Kernproblematik der Politik geltende Frage, die Verteilung und Organisation von Macht innerhalb eines Gemeinwesens. Aus dem weiten Feld der Erinnerung wird ein Spezialgebiet extrahiert, die Literatur, und abgegrenzt von der Thematisierung von Geschichte in Monumenten, Bildprogrammen, Statuen, Ritualen und Festen, die als Bestandteile des historischen Kontextes allerdings in die Untersuchung einbezogen werden. Die Analyse des von der Geschichte ausgehenden Nachdenkens über politische Fragen im engeren Sinn soll dem Verständnis der Politik im Frühen Principat eine weitere Dimension hinzufügen. Da so der Rahmen für die Erfassung des Politischen im Sinne einer Neuen Politikgeschichte erweitert wird, dient das angestrebte Resultat auch der Erforschung der politischen Kultur in Rom und ihres Regelsystems, eines „Systems in Bewegung“24, das eine andere Perspektive auf den Wandel eröffnen soll. An diesem öffentlichen und hochkomplexen Diskurs, der in der Regel nicht mit existentiellen Risiken für die Teilnehmer verbunden war,25 nahmen auch Augustus und Tiberius mit den verschiedenen Formen und Medien ihrer Selbstdarstellung teil, die schon bald nach der Rückgabe der res publica an Senat und Volk alle öffentlichen Sphären zu durchdringen begann26 und die intensiv auf die Gesellschaft einwirkte. Die lange Zeit geläufige Dichotomie von pro- und antiaugusteischen Autoren, Texten und Position ist weitgehend überholt27 und wurde inzwischen durch ein flexibleres Modell ersetzt. Die augusteische Kultur wurde nicht oktroyiert; sie entstand als Resultat eines Kommunikationsprozesses.28 Die Selbstdarstellung des Princeps diente den Autoren als Anregung für Reaktionen, in denen sie Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen formulierten und in den Diskurs einspeisten. Von Augustus rezipiert, flossen sie in das Regierungshandeln ein und wurden ihrerseits 24 25 26

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Schmidt 2003: Kap. 1, Subtitel (bezogen auf die Literatur der augusteischen Zeit). Timpe 1987; Raaflaub 1987; Raaflaub/Samsons 1990; Meier 2003(a). S. hierzu Kap. B.I. Eindrücklich Levick 2010: 133: „Every arena was pervaded by the Augustan voice, varying from one time to another but consistent overall in its self-righteousness, and intended to conciliate public opinion. Augustus […] intended his Romans admittedly to look forward, but only in the sense that an imaginery age of the dim past might somehow been recreated, or was indeed in the process of recreation“. S. auch Feeney 1992 zum Facettenreichtum der augusteischen Selbstdarstellung und den daraus resultierenden Verständnisschwierigkeiten. Zum Dialog Barchiesi 1997 und 2005; Griffin 2005. Für programmatische Beiträge zur Debatte über Augusteismus und Antiaugusteismus s. Labate 1984; 2006; Kennedy 1992; Binder 1994; Casali 2006; Davis 2006; Heyworth 2007 (Verzicht auf die Suche nach einer Autorenintention). Zum aushilfsweisem Rückgriff auf Ironie s. Perkell 1994. Für Kritik an simplifizierenden Ansätzen augustuskritischer Interpretationen auf dem Feld der Literatur s. Galinsky 1999. Die von ihm vorgebrachten Argumente, dass Augustus nicht die einzige Instanz zur Beurteilung von Literatur war, dass er die Literatur nicht auf ihre political correctness überprüfte und dass der Inhalt einer vermeintlich augusteischen Ideologie nicht in jedem Fall festzustellen sei, besagen allerdings noch nichts über Intention und Aussage der Autoren. Diese Position hat bes. Galinsky 1996 konsensfähig gemacht. Für die Nachweise und die weitere Diskussion s. S. 48.

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Gegenstand einer medialen Antwort. In diesem dialektischen Verfahren entstand auf kulturellem Sektor, im Austausch über politische Fragen, die neue Ordnung. So hatte der Princeps trotz seiner privilegierten Position denn auch keine Herrschaft über die Erinnerung inne.29 Da die neue Ordnung ein auf ihn als Gravitationszentrum ausgerichtetes System war, standen Kommentare zu politischen Themen allerdings besonders mit seiner Person in Zusammenhang. Als Adressat von Kritik wie Unterstützung muss er bei der Interpretation der Literatur stets einbezogen werden muss. Mit der Untersuchung des Nachdenkens über Geschichte wird jedoch nur ein Ausschnitt aus einem vielschichtigen, intellektuellen Diskurs über Politik vorgeführt. Erinnerungsgemeinschaften bildeten nur eine Teilgemeinschaft innerhalb der Bürgerschaft.30 Zwar thematisiert die Arbeit innerhalb des historischen Diskurses mit der Machtfrage eine traditionelle, nicht zuletzt aber angesichts der Erfahrungen der Späten Republik zentrale, das Schicksal des Staates, der Mitglieder der Senatsaristokratie, aber auch der Soldaten und der Plebs betreffende Frage. Aber damit wird zugleich die Diskussion auf bestimmte Paradigmen konzentriert, die aus einem größeren Spektrum an Problemen und Fragestellungen stammen. Dass andere Zugriffe auf die römische Geschichte oder die römische Historiographie, die über den in dieser Studie fixierten Rahmen hinausreichen, daher selbstverständlich ihre Berechtigung und Notwendigkeit besitzen, sei ausdrücklich anerkannt. Solche Fragen stehen hier allerdings nicht im Mittelpunkt. Allerdings bilden die abgehandelten Themen trotz ihrer Selektivität einen eigenständigen, sinnvoll von anderen Gesichtspunkten abzutrennenden Teilbereich. Wenngleich die Arbeit bei der Analyse historischer Diskurse auf die im engeren Sinn politischen Fragen abgestellt ist, wird das eigentliche Thema stets in das Umfeld, in das es gehört, eingeordnet, also in Beziehung zu anderen Themen der Geschichtskultur sowie des jenseits davon angesiedelten politischen Denkens gesetzt. Die Beschränkung auf Teildiskurse soll also zu keiner Verabsolutierung der Fragestellung und der auf ihrer Grundlage erzielten Ergebnisse führen. Zu berücksichtigen ist auch, dass Literatur an ein von politischen Einflüssen separiertes „Gedächtnis“ mit eigenen Gesetzen und Konventionen gebunden ist31 und deshalb ihre Entstehungszeit und Entstehungsbedingungen partiell transzendieren kann: „[S]elbst da, wo die Literatur auf neue politische Entwicklungen ‚reagiert‘, ist sie nicht nur 29 30 31

Zu diesem Komplex s. die grundsätzlichen Ausführungen bei Lottes 2002: 169; 179 f. Hierzu Hölkeskamp 2005: 257. Zur Heterogenität von Identität s. bes. Straub 2004: 284–287; 298. Grundsätzlich Erll 2005. Der Erforschung solcher Gedächtnisse widmet sich augenblicklich in der Klassischen Philologie die Erforschung der Intertextualität; s. bes. Conte 1986; Hardie 1993; Hinds 1998: 21–25 und van Trees 2004: 11–21 (zur Forschungsgeschichte). Vertreter dieses Trends untersuchen das Verhältnis von Texten untereinander und deren Eigendynamik. In ihrer entschiedenen Wendung gegen die Möglichkeit objektivierbarer Erkenntnisse durch eine historische Untersuchung auf der Basis der historisch-kritischen Methode (Conte 1986: 24–26; van Trees 2004: 11; 20: „[…] fundamentalist view that reconstructs authorial intention […]“; von „fundamentalism“ spricht auch Hinds 1998: 48) erliegen sie jedoch einem ahistorischen und vollkommen willkürlichen Subjektivismus, der konträr zu den hier angestrebten Erkenntnisinteressen steht.

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Reflex und eine sekundäre abgeleitete Wirklichkeit, sondern verarbeitet die politischen Ereignisse oder Prozesse in Denkfiguren und Formensprache, die sie mit ihrer eigenen Tradition verbinden.“32 Ferner ist die untersuchte Literatur auf die Hervorbringungen in Rom oder mit der Hauptstadt in Verbindung stehender römischer Historiker und Dichter sowie die dortige Selbstdarstellung des Princeps konzentriert. Alle untersuchten Autoren waren, wenn nicht Stadtrömer, so doch primär auf ein stadtrömisches Publikum ausgerichtet.33 Allenfalls in Ausnahmefällen kann eingegangen werden auf die Debatten, die in den Provinzen stattfanden,34 sowie die griechischen Historiker, die teilweise eng in die Aristokratie eingebunden waren oder zum Umfeld des Princeps gehörten,35 aber eben doch keine Angehörigen der römischen Aristokratie waren. Dass die relevante Literatur nur ausschnittsweise erhalten ist und womöglich bedeutende Autoren und Gattungen fehlen, birgt die Gefahr einer verzerrten Wahrnehmung, die das Individuelle als allgemeingültig und repräsentativ in Anspruch nehmen könnte. Dem wird aber durch die Einbindung der Autoren in den historischen Kontext begegnet. Indem das biographische Prinzip stets Beachtung findet, soll vermieden werden, dass durch Systematisierungen von Aussagen, Formen und Motiven ein geschlossenes Bild entsteht, dass verschiedenen Zeiten entstammende Autoren und Gattungen undifferenziert verglichen werden und Verknüpfungen entstehen, die tatsächlich nicht existieren oder zumindest keine historische Aussagekraft besitzen.36 Ohnehin ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Textarten und individuell verschiedene Autoren besprochen werden, deren historische und literaturwissenschaftliche Eigenarten als hermeneutische Grundlage vorausgesetzt werden. So wird auch die Vielfalt der Ideen, Vorstellungen und Motive deutlich, die in verschiedenen Kontexten das Nachdenken über Geschichte prägen und nicht nur nebeneinander, sondern auch über Gattungsgrenzen hinweg miteinander in Verbin-

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Schmidt 2003: 25 S. hierzu auch die folgende Überlegung (24 f.): „Es gilt aber nicht nur, statt und vor der quasi-synchronen Kommunikation mit Ereignissen der politischen Geschichte und mit anderen Kulturmanifestationen die eigene literarische Diachronie ins Feld zu führen, sondern ebenso die quasi-synchrone Kommunikation innerhalb des literarischen Systems und ihre diachronen Metamorphosen. Zur Bedeutung des Milieus s. Lottes 2005: 171. Hierfür s. z. B. Yarrow 2006. S. hierzu beispielsweise Gabba 1991; Luraghi 2003 und Wiater 2011 für Dionysios von Halikarnassos sowie Kienast 2009: 266 mit weiterer Literatur für Timagenes von Alexandria. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum New Historicism. Bei diesem tritt der Autor hinter den Text zurück, ist sekundär. Denn da die Intention der New Historicists darin besteht, Bedeutungsstrukturen und Machtarrangements einer Gesellschaft anhand der Texte aufzuzeigen, wird der einzelne Autor, das Individuum, vorschnell als ein Typus vereinnahmt, während seine Biographie, seine Intentionen und die spezifischen Bedingungen, unter denen er wirkt, ins Abseits geraten. So droht massiv die Gefahr einer Enthistorisierung. Richtig ist allerdings, dass der Autor kein absoluter Herr der Sprache ist, sondern innerhalb eines bereits bestehenden Systems, eines (literarischen) Gedächtnisses agiert; zum „surplus meaning“ s. bes. Skinner 2002(b): 111. Über die Berücksichtigung des historischen und sozialen Kontextes hinaus hat zuletzt Henrich 2011 noch radikaler die Bedeutung der Individualität des Autors für die Genese eigenständiger, von ihm selbst ausgehender und von der Umwelt unbeeinflusster Ideen betont.

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dung stehen. Da Motivation und Intentionen der Autoren37 meistens schwerlich unmittelbar zu greifen sind, ist man für manche Aspekte des Verständnisses ihrer Werke auf Annäherungen über die erhaltenen biographischen Daten angewiesen. Zudem variierte und divergierte die Intensität des literarischen Diskurses, abgesehen vom Überlieferungszustand, der ein uneinheitliches Bild zeichnet, stark. Dem quantitativ und qualitativ hohen Niveau des augusteischen Zeitalters hatte die nachfolgende Epoche unter Tiberius wenig entgegenzusetzen, ebenso unter dessen Nachfolgern Caligula und Claudius. Erst unter Nero setzte wieder ein deutlicher Aufschwung ein. Ein vergleichbares Bild bietet die Überlieferung. Im Zeitalter des Augustus etwa sind gravierende Verluste in der politisch bedeutsamen Gattung der Liebeselegiker und der Geschichtsschreibung zu verzeichnen. Aus der reichhaltigen historiographischen Literatur der tiberischen Zeit wiederum haben nur das Geschichtswerk des Velleius Paterculus und die Exemplasammlung des Valerius Maximus überdauert. Velleius gehörte, wenngleich Praetorier und ein Mann aus dem Umfeld des Princeps, weder zur Spitze der Aristokratie noch waren seine Vorfahren bis zum Consulat gelangt. Viel gelesen wurde Velleius offenkundig nicht. Eine gänzlich obskure Persönlichkeit hingegen ist Valerius Maximus. Sein Verhältnis zum Princeps und seine Vertrautheit mit den Führungszirkeln in Rom sind nicht zu erschließen. Immerhin wurde seine Sammlung anders als das Geschichtswerk des Velleius stark rezipiert. Kaum ablesbar aber ist, inwieweit die Werke beider in der Senatsaristokratie wahrgenommen wurden und inwieweit sie von Einfluss auf das Denken der führenden Männer waren. Ihre perlokutionäre, greifbare Wirkung im Sinne der Sprechakttheorie bleibt notgedrungen offen. Dennoch sind sie Bestandteile der kollektiven Erinnerung ihrer Zeit, reflektieren Zeitströmungen und die Selbstdarstellung des Princeps, und wirken gleichzeitig prägend auf ihre Umwelt ein.38 Innerhalb enger Grenzen kann die Arbeit auch zu einer Mentalitätsgeschichte des Frühen Principats beitragen.39 Um diesen Teilbereich der historischen Wirklichkeit erschöpfend zu erfassen, ist jedoch die Reichweite der untersuchten Texte und Autoren zu niedrig. Wesentliche Textgattungen, namentlich private Zeugnisse, stünden von vornherein nicht zur Verfügung. Ferner müssten nicht nur andere Quellengattungen, sondern auch Zeugnisse aus den Provinzen berücksichtigt werden. Da sich die Autoren, wie erwähnt, an stadtrömische Eliten wandten, liegt der Fokus auf der Mentalität der Senatsaristokratie und des politisch nicht aktiven, aber gebil37 38 39

Zu deren Bedeutung für das Verständnis des Sprechaktes s. Skinner 2002(a): 96 und Pocock 2009(a): 71. Für puristische Positionen in dieser Frage vgl. Richter 1991: 160; Bevir 1998: 205. Für eine Abgrenzung zum Begriff des kollektiven Gedächtnisses s. Walter 2004: 25 f.; 36 m. Anm. 101 und Diefenbach 2007: 8–10. Unter Mentalität wird hier verstanden ein „Konglomerat bewusster und unbewusster Denkmuster, Vorstellungen und Meinungen der Mitglieder spezifischer Gruppen, eingebettet in ein Spannungsfeld von Charakterstrukturen der Individuen einerseits und von Verhalten und Handlungen unter bestimmten äußeren Voraussetzungen (Situationen) andererseits, […] als Form orientierungsstiftenden kollektiven Wissens (Deutungsmuster, Orientierungsmuster) […]“ (Meier 2003: 40 f.). Zur Struktur und zum Handlungspotential von Mentalitäten s. GilcherHoltey 1998: 473 f.; 480.

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deten und vermögenden Teils des Bürgertums, auf deren Stellung als Adressaten der Literatur und Interesse an Themen wie der Partizipation an der Politik, dem idealen Staat, den Gründen für die innere Krise des Reiches und den Reformansätzen. Von vornherein bleibt die Mentalität der plebs urbana und der Soldaten außen vor. Zum Verständnis der Texte, der Intention der Autoren und der Wirkung auf die Mitglieder der Nobilität und den Princeps bezieht die Arbeit allerdings mentalitätsgeschichtliche Erkenntnisse zum Principat ein, Deutungs- wie Verhaltensmuster, Erwartungen, Befürchtungen, Hoffnungen, weil immerhin eine Beziehung zwischen den literarisch verarbeiteten Problemen und den Adressaten existiert, eine Beziehung, die angesichts der römischen Geschichte von besonderer Emotionalität gekennzeichnet sein muss. Umgekehrt trägt die Arbeit trotz der erwähnten Beschränkungen selbst zur Erweiterung der mentalitätsgeschichtlichen Erkenntnisse für die Epoche bei, weil der Diskurs über Geschichte in engem Zusammenhang mit mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen steht und deshalb auch Auswirkungen auf die Formierung der Mentalität besitzen kann. Eine allgemeine Tiefenwirkung der, soweit es die Geschichtsschreibung betrifft, didaktisch angelegten Texte durch ihre Rezeption auf die Mentalität breiterer Adressatenkreise ist generell methodisch schwer und zumeist nur in Einzelfällen konkret belegbar, wenngleich einzubeziehen ist, dass die römische Aristokratie eine intensive Lesekultur pflegte, Literaturzirkel besuchte und Patronage von Autoren betrieb.40

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Hierzu White 1993; 2002; 2005.

III. INHALTSÜBERSICHT Die Studie setzt ein mit dem von Augustus eingeläuteten neuen Zeitalter, der Saecularfeier des Jahres 17, die zugleich den Abschluss einer Phase des Niedergangs und den Beginn einer Epoche des Friedens, der Prosperität und der imperialen Stärke bilden sollte. Unter der Formierung des Principats wird hier die Herrschaft des Augustus und des Tiberius begriffen. Diese Periode bildet den ereignisgeschichtlichen Rahmen der Untersuchung der Geschichtskultur im Wandel, der angesichts der umfangreichen Forschungslage nur knapp skizziert zu werden braucht (B.I; C.I + II). Konzentriert sind die Analysen auf die zum Systemwechsel gehörenden Komplexe Machtorganisation, Machtverteilung und Machtausübung. Sie werden geleitet von Problemen wie dem Wechselverhältnis von innerer Instabilität und äußerer Stabilität, der Präsenz der latenten Gefahr des Bürgerkriegs sowie der Rolle von Eintracht und Konkurrenz; der Beziehung zwischen sittlicher Entartung und kulturellem Fortschritt; den mentalen Zuständen Selbstsicherheit und Sendungsbewusstsein zwischen Pessimismus und Optimismus sowie schließlich der Suche nach den Kräften der Geschichte beim Aufstieg Roms und, damit zusammenhängend, der Berufung auf die Vergangenheit in Entscheidungssituationen. Gefragt werden soll nicht, ob die Autoren als Gegner oder Propagandisten des Princeps agierten. Im Fokus steht, wie sie in diesem Zeitraum des Wandels aufgrund persönlicher Umstände durch Reaktionen auf politische Ereignisse und Probleme sowie die Selbstdarstellung des Augustus und Tiberius literarisch an der Gestaltung der Wirklichkeit mitwirkten: durch Kritik und Unterstützung, durch den Hinweis auf Probleme und das Aufzeigen von Lösungsstrategie, durch die Formulierung von Erwartungen und Hoffnungen. Nur am Rande werden Autoren eingebunden, die zwar Kommentare zu einzelnen historischen Persönlichkeiten und Ereignissen abgeben oder auch Stellung zur Zeitgeschichte beziehen, nicht aber Gesamtdeutungen der Vergangenheit Roms vorlegen. Diese Entscheidung trifft besonders das Œuvre des Horaz.1 Er zählte unbestritten nicht nur zu den prominentesten Gestalten der augusteischen Literatur, sondern gehörte auch zu den maßgeblichen 1

Zur römischen Geschichte bei Horaz informiert umfassend Labate 2013. Für diese Studie ist noch das im Rahmen der Saecularfeier aufgeführte Carmen Saeculare wichtig (Kap. B.I). Hinzu kommt die Epode 16, die in Kap. B.IV,3 unter den Vorläufern des Geschichtsbildes Vergils in der Aeneis thematisiert wird, aber ansonsten nicht mehr in den chronologischen Rahmen dieser Untersuchung gehört. Über die Vielzahl historischer Bezüge und politischer Einwürfe hinaus, die in der Regel das Erneuerungsprogramm des Augustus unterstützen, ließen sich aus Horaz’ Œuvre noch die Epode 7 zum Schicksal des Bürgerkriegs, die Übersicht über führende Gestalten der römischen Geschichte bis zur Gegenwart (carm. I 12), die Zivilisationsschöpfung des Orpheus (ars 391–399), der Abriss der Kulturgeschichte (serm. I 3,99–117), die illusorische Utopie des Alfius (epod. 2) und die Klage über den dekadenzbedingten Niedergang der Landwirtschaft (carm. II 15, bes. 10–20) nennen. Alle diese Gedichte und Partien vermitteln aber – so die These – keine geschlossene Gesamtdeutung der römischen Geschichte in einer Meistererzählung, so wichtig die in ihnen transportierten ideologischen Botschaften auch

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Multiplikatoren der Politik des Princeps. So wird denn auch seiner Rolle bei der Saecularfeier sowie den Epoden mit ihren historischen Überblicken Rechnung getragen. Den übrigen Teilen des Werkes, soweit es sich mit der Geschichte beschäftigt, soll eine separate Untersuchung gelten. In einer Einführung in das augusteische Zeitalter soll der Kontext des zeitgeschichtlichen Diskurses über die römische Geschichte abgesteckt werden. Zunächst wird nachvollzogen, wie sich das Regiment des Augustus seit Actium entwickelte, bevor es im Jahr 19 jene Gestalt erhielt, die sich längerfristig als endgültig erweisen sollte (B.I). Eine Übersicht stellt dann die Formen, Ebenen und Themen der Gesamtdeutungen, der Meistererzählungen2 vor, die drei Gruppen angehören: der Geschichtsschreibung, der auf das Beispiel Roms angewandten Kulturentwicklungstheorie und dem knappen, meist in umfangreiche Dichtungen eingebetteten historischen Abriss (B.II). Hier werden auch grundlegende Begrifflichkeiten der historischen Vorstellungswelt und der Analyse eingeführt. Als einziges erhaltenes Exemplar der Geschichtsschreibung aus augusteischer Zeit werden zunächst die Ab urbe condita des T. Livius untersucht (B.III), deren bald kanonischer Rang auf jede künftige Auseinandersetzung mit der römischen Geschichte ausstrahlte. In zentralen Aspekten soll das gängige Verständnis von Werk und Autor modifiziert und erweitert werden. Die Analyse richtet sich vornehmlich auf die Fragen, was Livius als Mechanismen der Geschichte verstand, wie die römische Geschichte mit ihren Grundbedingungen und Akteuren seinen Vorstellungen nach ablief und welche Botschaften die Ab urbe condita für die Zukunft bereithalten. Nur zwei Jahre vor der Saecularfeier war Vergil verstorben. Seine annähernd vollendete Aeneis, der lediglich ein letzter Korrekturdurchgang fehlte, ist ein monumentales Epos über die römische Geschichte (B.IV,1). Zwar berichtet die Erzählung selbst ausschließlich von der Flucht des Aeneas und seiner Gefährten, den Kämpfen nach der Landung in Italien und den sich anschließenden Kämpfen gegen die Latiner und deren Verbündete. Doch abgesehen von vielfachen aitiologischen Bezügen zur Gegenwart enthält sie in der Skizze des Goldenen Zeitalters des Aeneas und drei großformatigen historischen Abrissen in Form von Vorhersagen – der Iuppiterprophezeiung, der Heldenschau und der Schildbeschreibung – eine vollständige Deutung der römischen Geschichte, ihres Ablaufs und ihrer Ziele, ihrer Kräfte und Themen. Ihrer Untersuchung wird als Fundament für Vergils Deutung der Geschichte die Archäologie des Euander mit einer Skizze des Goldenen Zeitalters Saturns vorgestellt werden, dessen Erneuerung in globalem Maßstab unter der Herrschaft des Augustus vorhergesagt wird. In dieser Partie trägt Vergil die Kriterien für die Bewertung historischer Ereignisse, Prozesse und Persönlichkeiten zusammen, umreißt jedoch auch die grundlegenden Schwierigkeiten der Zivilisation. Anschließend soll vorgeführt werden, in welcher Verbindung Euanders Konzeption mit früheren Visionen des Goldenen Zeitalters steht, die seit der Krise der 30er

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sind. Ihre Darstellung und Analyse bedürfen daher eines anderen Rahmens, der auch Horaz’ Gesamtwerk und die jeweiligen literaturgeschichtlichen Kontexte intensiv einbezieht. Zum Terminus s. Jarausch/Sabrow 2002.

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Jahre entstanden waren. Teils stammen sie von Horaz, teils von Varro, teils aber auch von Vergil selbst. Zur historischen Analyse dieser Texte gehört, wie sie die Frage nach der Möglichkeit einer Erneuerung des Ideals beantworten, das Augustus in der Saecularfeier propagierte. Euanders Archäologie im VIII. Buch dient dann als Ausgangspunkt für die Diskussion der historischen Abrisse der Heldenschau. Historische Reflexionen und Überblicke, die etwa zur gleichen Zeit wie die Aeneis entstanden oder veröffentlicht wurden, sind von den Liebeselegikern Tibull (B.IV,2) und Properz (B.IV,3) überliefert. Sie gehören in den Kontext der während des ersten Jahrzehnts der Herrschaft des Augustus entstandener Dichtungen. Auf die Welt blicken sie aus der Perspektive von gesellschaftlichen Außenseitern, von Verfechtern eines Lebensideals, das gegen den vermeintlich in der Zeit der Dekadenz untergegangenen, von Augustus idealisierten und wiederbelebten mos maiorum aufbegehrte. Wie in Bildungsromanen zeichnen Tibull und Properz die Entwicklung eines elegischen Ichs in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt nach und rücken ihre Erfahrungen, Sorgen und Hoffnungen vor einen historischen Horizont, in kulturtheoretischen Erwägungen und historischen Abrissen, die Beurteilungen von Gegenwart und Vergangenheit und geschichtlich basierte Reflexionen über die Bedingungen verschiedener Lebensformen entwerfen. Die erste von drei Zwischenbilanzen, die nicht nur als Zusammenfassung der in den jeweils vorhergehenden Abschnitten erzielten Ergebnisse zu verstehen sind, sondern auch als kontinuierliche, sich fortschreibende Rekonstruktion des Wandels, will dann die Stellung der Saecularfeier und deren ideologische Botschaft ideengeschichtlich im historischen Diskurs jener Jahre beleuchten und deren Bedeutung im Sinn eines kulturwissenschaftlichen Politikbegriffs eruieren. Für die folgenden eineinhalb Jahrzehnte ist die literarische Überlieferung stark versiegt. Aus diesem Zeitraum sind neben Horaz’ IV. Odenbuch, das wie seine früheren Dichtungen zwar politische und auch historische Themen aufgreift, aber keine Gesamtkonstruktionen der Geschichte entwirft und deshalb weitgehend unberücksichtigt bleibt, lediglich die Liebesdichtungen Ovids erhalten (B.V). Sie stehen in unmittelbarem intertextuellem und thematischem Bezug zu Properz’ und Tibulls Elegien und knüpfen an deren Betrachtungen zur Entwicklung der Kultur in der Menschheitsgeschichte an. Mit unterschiedlichen Intentionen konstruiert Ovid Kurzdarstellungen der Geschichte, die multiperspektivische Ausgangspunkte einer Bewertung der Gegenwart sind. Zu den bedeutendsten geschichtspolitischen Manifestationen in der Selbstdarstellung des Princeps zählte das im Jahr 2 v. Chr. eingeweihte Augustusforum (B.VI). Erstmals bezog der Princeps, mochte auch in seinem Bemühen um Legitimität die Geschichte als Ausgangs- und Bezugspunkt politischen Handelns eine herausragende Funktion übernehmen, Position in dem Diskurs über die römische Geschichte und die Verortung der Gegenwart. Das Bauwerk, als administratives Zentrum der Hauptstadt geplant, bestand aus zwei Statuengalerien, die eine Meistererzählung der römischen Geschichte als Monument boten. Es war eine Antwort auf die umlaufenden Deutungen der Vergangenheit, konkretisierte und aktualisierte jedoch auch die Botschaften der Saecularfeier und der Ara Pacis, die mit der Idee vom Goldenen Zeitalter operierten. Zugleich diente es seinerseits als für den historischen Diskurs. So widmete Ovid dem Forum einen ausführlichen

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und für die Interpretation der Vergangenheit bedeutenden Eintrag in den Fasten. Aus diesem Grund verbot sich die reizvolle Option, die chronologische Anordnung der Autoren zu durchbrechen und das Augustusforum als Reaktion des Princeps den literarischen Auseinandersetzungen mit der Geschichte als Abschluss des Teils B entgegenzustellen. Eine zweite Zwischenbilanz soll jedoch Augustus’ Darstellung der Geschichte mit den bisher entstandenen Meistererzählungen in Geschichtsschreibung und Dichtung vergleichen. Den Abschluss des augusteischen Principats bilden die Metamorphosen und die Fasten Ovids (B.VII). Lassen sich die Metamorphosen als eine Art Universalgeschichte verstehen, die von den Anfängen der Welt bis zur Gegenwart reicht, widmen sich die Fasten speziell der römischen Geschichte in Form eines Kalenderkommentars. Die Zuordnung der beiden Werke zum Zeitalter des Augustus folgt pragmatisch den Konventionen, wenngleich die zumindest Fasten nach dem Herrschwechsel einen tiefgreifenden Umarbeitungsprozess durchliefen, der gravierende ideologische Implikationen besaß. In beiden Dichtungen wird Geschichte ebenfalls auf den zwei Ebenen historischer Reflexion vorgeführt, auf der kulturentwicklungstheoretischen und auf der ereignispolitischen. Gerade die Fasten setzen sich dezidiert mit der Selbstdarstellung des Princeps auseinander. Abschließend soll die dritte Zwischenbilanz die Hauptergebnisse der Rekonstruktion des augusteischen Geschichtsdiskurses bündeln. Den Gegenstand des zweiten Hauptteils bildet das Principat des Tiberius (C). Sein Herrschaftsantritt markierte einen bedeutsamen Schritt im Institutionalisierungsprozess der neuen Ordnung und legte deren immanente Widersprüche, von Augustus virtuos drapiert, schonungslos offen (C.I). Nur zwei prominente Autoren, die sich mit der Geschichte befassten, sind aus der literarisch wenig produktiven Ära zwischen 14 und 37 erhalten geblieben (C.II): die systematisch gegliederte, inhaltlich konzeptionell geschlossene Exemplasammlung des Valerius Maximus, die nach dem Willen des Autors eine Alternative zur Historiographie sein soll, sowie die kompendienhafte Universalgeschichte des Velleius Paterculus in zwei Büchern, deren Erzählung sich zusehends auf Rom konzentriert und ab der Übernahme der Weltherrschaft nach dem Sieg über Karthago sich ganz und detailliert dessen Politik und Geschichte widmet. Beide Werke, verfasst von Autoren, die dem Princeps nahestanden, werfen die Frage nach der Kontinuität in der römischen Geschichte, des Zustands und der Probleme der Gegenwart, den Lösungsvorschlägen zu drängenden aktuellen Fragen sowie der Rolle des Princeps in der res publica und im Zusammenspiel mit Senat und Bürgerschaft auf (C.III + IV). An ihnen lässt sich im Vergleich mit ihren Vorgängern aus der Späten Republik und dem augusteischen Principat die historische Entwicklung im Konstitutionalisierungsprozess der neuen Ordnung nachvollziehen und die von Augustus konzipierte Vorstellung von der res publica restituta auf ihre Aktualität überprüfen. Ein Vergleich zwischen Velleius und Valerius fördert Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der (Neu-)Bewertung der Vergangenheit zutage (C.V). Der Schlussteil (D) lässt zunächst die zu den einzelnen Autoren erzielten Ergebnisse ausführlich Revue passieren. Danach geht er den in der Einleitung erhobenen Fragen nach dem Bild der Formierungsphase des Principats in einem Ausschnitt

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der Geschichtskultur der Zeit und damit nach Mentalität und Zeitstimmung in einer Phase des Wandels nach. Zuletzt soll die Frage beantwortet werden, wie die Transformation der Republik in das Principat aus der Perspektive des historischen Diskurses in die Geschichte eingeordnet wurde, wie die Zeitgenossen das neue System verstanden und rechtfertigten und welches Bild von der Gesamtgeschichte Roms in dieser Epoche entstand. Zweifelsohne wäre es attraktiv, Gedankenfiguren, Erklärungsmuster, Dekadenzschemata, formale Strategien, Portraits von Einzelpersonen und Gattungen in systematischer Darstellung zu vergleichen und nebeneinander zu stellen. Eine synchrone Behandlung von Autoren, Gattungen, Themen, Denkmustern und literarisch-rhetorischen Strategien würde die Anforderungen einer modernen Ideengeschichte nach der historischen Kontextualisierung der Autoren, Themen und Werke verfehlen und bei der Untersuchung der Bedeutung und des Sinns der Auseinandersetzung mit der Geschichte scheitern. Suggeriert würde mit dieser al-fresco-Perspektive eine Einheitlichkeit der Verhältnisse, die die Wahrnehmung eines Wandels beseitigte. Die Vorbedingung eines solchen Ansatzes wäre, die Geschichte des 1. Jahrhunderts als ein statisches Kontinuum aufzufassen. Aber dies würde gerade der Entwicklung des Principats nicht gerecht werden und würde in eine letztlich ahistorische Ideengeschichte ohne geschichtswissenschaftliche Aussagekraft einmünden würde.3 Doch nicht nur aus dem historischen Kontext würde man die einschlägigen Ideen und Topoi reißen, sondern auch aus dem Zusammenhang des Werkes, dem sie entnommen sind. Auch hier würde Sinnstiftung, wenn nicht gar das unmittelbare Verständnis von Texten zerstört und verlören die Autoren als Individuen an Kontur. In Diskursen sind jedoch Individual- und Kommunikationsgedächtnis miteinander verwoben und können nicht ohne Verlust für das Verständnis literarischer oder inhaltlicher Innovationen auseinanderdividiert werden.4 Bei einer rein systematischen Verfahrensweise bestünde zuletzt die Gefahr, dass die behandelten Autoren umstandslos als eine repräsentative Gruppe gewertet würden. Tatsächlich aber dürfen die Positionierungen der erhaltenen Autoren in Debatten nicht auf die Gesamtheit der Senatoren oder der Bürgerschaft und Bevölkerung Roms hochgerechnet werden. Vier Themen und Autoren sollen für separate Abhandlungen ausgegliedert werden: Livius’ Darstellung der Königszeit im I. Buch der Ab urbe condita, die Vorstellungen der Geschichte im Œuvre des Horaz, die rhetorischen Schriften Senecas d. Ä. sowie die Astronomica des Manilius. Für die Anlage der Studie, der Frage nach den Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Frühen Principat im historischen Diskurs, bietet Livius in seiner Behandlung der Königszeit keine konkreten Erkenntnisse; an ihr ließe sich hauptsächlich überprüfen, inwieweit für ihn schon in dieser Periode die Gesetzmäßigkeiten der Politik gelten, die seiner Konzeption zufolge die republikanische Geschichte beherrschen, und welche Bewertung eine Monarchie bei ihm erfährt. Die Nichtberücksichtigung des Horaz ist keineswegs in einer vermeint3 4

Ein Beispiel hierfür bietet die ansonsten aufschlussreiche Übersicht von Lovejoy/Boas 1965. S. hierzu Walter 2004: 24–26.

III. Inhaltsübersicht

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lich fehlenden historischen Dimension seines Werkes zu suchen. Geschlossene Entwürfe zur Geschichte hat er jedoch nur in zwei Gedichten vorgelegt, den Epoden 7 und 16, die am Rande des hier behandelten Zeitraums liegen. Vergleichbares gilt für die unter Tiberius entstandenen Werke. Sie sind zwar ebenfalls politisch aufgeladen; Meistererzählungen der Vergangenheit enthalten sie indes nicht.5 Die gesonderte Auseinandersetzung mit diesen Autoren soll später auf der Basis der in diesem Buch erzielten Ergebnisse geleistet werden. Alles in allem sollen Resultate auf drei Ebenen erreicht werden: Zunächst soll das Bild der einzelnen Autoren erweitert werden, teils durch die Revision von bisher geltenden Forschungspositionen, teils durch die Diskussion neuer Perspektiven. Von zentraler Bedeutung ist weiterhin die konsequente Einbeziehung von kulturtheoretischen Konstruktionen vor allem in der Dichtung als Teil des Diskurses über Politik und Geschichte. Nicht zuletzt sollen die drei zumeist separat betrachteten Formen geschichtlichen Denkens, die Geschichtsschreibung, die Kulturtheorie und der historische Abriss als Miniaturform der Meistererzählung, in Beziehung zueinander gesetzt und als tragende Pfeiler eines Systems verstanden werden. Als zweites sollen bisher weniger beachtete ideologische Verbindungslinien zwischen Texten und Autoren hergestellt und hinsichtlich ihrer ideengeschichtlichen Positionen untersucht werden. Zuletzt soll die übergeordnete Fragestellung, die der Arbeit zugrunde liegt, beantwortet werden, nämlich inwieweit sich der Prozess des Wandels zwischen Kontinuität und Diskontinuität im Nachdenken über historische Abläufe, Probleme und Lösungsmöglichkeiten niederschlägt und umgekehrt das Nachdenken über Rom historische Wirklichkeit konstituiert.

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Für eine Behandlung dieser Autoren sowie auch des Phaedrus s. die einer anderen Konzeption folgende Studie von Wiegand 2013.

IV. FORSCHUNGSSTAND Die Forschung zum Frühen Principat entzieht sich angesichts der vielfältigen und in der Summe unübersehbaren Aktivitäten auf diesem Feld einer griffigen Bilanz. In der modernen Auseinandersetzung mit der iulisch-claudischen Dynastie dominieren, abgesehen von Spezialuntersuchungen zu einer Vielzahl von Aspekten, eher Kaiserbiographien als strukturgeschichtliche, auf übergreifende Entwicklungen ausgerichtete Ansätze. Zwar entstanden zu zeitgeschichtlichen Panoramen ausgedehnte, über das Leben des betreffenden Kaisers hinausreichende1 oder auf grundsätzliche Fragen des politischen Systems2 konzentrierte Biographien sowie vom biographischen Prinzip abstrahierende Gesamtdarstellungen einzelner Principate.3 Doch die Entwicklung der Principatsordnung im Zeitraum zwischen Augustus und Traian als ein historischer Prozess ist nur von wenigen Gesamtdarstellungen nachvollzogen worden, die auch politisch-kulturelle Themenfelder erschlossen haben, aber stark der Ereignis- und Politikgeschichte verpflichtet blieben.4 Eine Ausnahme bildet die kulturgeschichtliche Synthese von A. Wallace-Hadrill, die sich allerdings nicht auf die mit der Principatsordnung zusammenhängenden Entwicklungen und Probleme konzentriert, sondern eine „kulturelle Revolution“ in dieser Epoche nachzeichnet.5 Für die Ausgestaltung des Principats als politischer Ordnung ist neben den Gesamtdarstellungen immer noch Timpes grundlegende Studie zu Institutionalisierung und Kontinuität gültig.6 Die Zahl der mit dieser Studie methodisch vergleichbaren Arbeiten ist überschaubar. In den vergangenen 60 Jahren wurde die Epoche jedoch immer wieder zum Gegenstand geistes-, diskurs- und mentalitätsgeschichtlicher Untersuchungen. Unmittelbar nach dem II. Weltkrieg hat K. D. Bracher den Kulturpessimismus als eine der tiefsten Ursachen für die Vorherrschaft und den Kampf der Ideologien im 20. Jahrhundert mitsamt den Massenbewegungen aufgegriffen und zur Ermittlung des historischen Standorts der Gegenwart nach Vergleichsbeispielen in der europä-

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Bleicken 1998; Kienast 2009 (zu Augustus); Strobel 2010 (zu Traian). Ein Beispiel für eine Biographiensammlung ist Grant 1975. S. z. B. Winterling 2003 und jüngst Blochmann 2017 zu den Beziehungen zwischen Princeps und Senat in der operativen Politik vor dem Hintergrund des politischen Wandels. S. z. B. Galinsky 1996; Galinsky 2005; Galinsky 2014; Galinsky/Lapatin 2015; Richardson 2012 (zu Augustus); Strocka 1994 (zu Claudius); Cizek 1972; Sullivan 1985; Elsner/Masters 1994 (zu Nero). Prominente Beispiele sind Heuß 1960/2003; Christ 2002 und Woolf 2012, aber auch die die systematische Synthese in Bowman/Champlin/Lintott 1996 (bes. mit den Beiträgen von J. A. Crook und T. E. J. Wiedemann). Grundsätzliche Überlegungen zu einer Kaisergeschichte finden sich bei Christ 2002: 2–13 sowie bei Winterling 2011; 2017, von dem eine Gesamtdarstellung der Kaiserzeit erwartet wird. Wallace-Hadrill 2008. Timpe 1962, s. aber auch Christ 2002.

IV. Forschungsstand

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ischen Geschichte gesucht.7 Als Gegenstand wählte er die römische Kaiserzeit. Wie in der Zeitgeschichte nahm er auch hier einen Widerspruch zwischen allgemeinem kulturellen Aufschwung und grassierendem Pessimismus wahr. Zwar räumte er selbst gravierende Unterschiede zwischen Moderne und römischer Antike ein. Dennoch bleibt anzumerken, dass der Vergangenheitsbezug, ein konstitutives Merkmal der politischen Kultur Roms, aus anderen Quellen herrührte, andere Funktionen übernahm und andere Konsequenzen zeitigte als die totalitären und faschistischen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts. Eindrücklich beweist er jedoch, wie sich die Gegenwartsdiagnose an der Realität rieb, weil sie traditionellen Deutungsmustern verhaftet blieb, die von der Wirklichkeit überholt worden waren, aber als Angebot der Sinnstiftung auf die politischen Akteure und Kräfte einwirkten. Die Prozesse und Mechanismen von Machtausübung der Gegenwart blieben so, unter gänzlich anderen Vorzeichen, noch von der Vergangenheit mitgesteuert. Zwei Jahrzehnte später ging R. Häußler dem Phänomen des Fortschritts in europäischer Perspektive nach.8 Seine Studie sollte eigentlich nur dem Zeitbewusstsein bei Tacitus gelten, war aber ebenso wie Brachers Arbeit auf die Herstellung einer Verbindung von Zeitgeschichte und römischer Geschichte bedacht. Ohne von einem konkreten politischen Interesse geleitet zu sein, suchte sie mit einer Klassikerlektüre das Fortschrittsbewusstsein als ein Phänomen der Geistesgeschichte Europas zu erweisen. Die erste Hälfte der Abhandlung führte den Fortschrittsgedanken chronologisch von der Moderne rückwärts bis in die Antike zurück. Erst der zweite Teil setzte sich pathetisch unmittelbar mit Tacitus und dem historischen Umfeld auseinander. Auf die Anfangsphase des Principats aus, die in dieser Studie im Fokus steht, greift er jedoch nicht aus. Die Geschichtskultur der Epoche wird allerdings regelmäßig in den Darstellungen einzelner Principate sowie in den Biographien der Principes anlässlich einer Skizze des historischen Horizonts oder der Behandlung ihrer Selbstdarstellung zum Thema.9 Die Dichtung, soweit sie nicht der Gattung des Epos angehörte, wurde zwar in Hinblick auf ihre politische Aussage untersucht.10 Im Fokus stand dabei jedoch die Analyse der Positionierung des jeweiligen Dichters zum Princeps. Auf diesen Komplex wird die Literatur der Kaiserzeit ohnehin zumeist reduziert, nicht aber als Sprechakt oder Teil eines weitaus vielschichtigeren Kommunikationsprozesses. Fragen der Kulturentwicklungstheorie, die, wie hier postuliert, einen wichtigen Seitenzweig des Geschichtsdenkens bildeten, wurden bisweilen motiv-, für Vertreter des augusteischen Zeitalters auch politikgeschichtlich angerissen, jedoch selten systematisch in die Geistes- und Mentalitätsgeschichte eingebettet und vor allem nicht zu einem literarischen Dialog zusammengesetzt, der über Gattungsgrenzen hinaus geführt wurde. Abgesehen von einer unübersehbaren Zahl an Monographien und Aufsätzen sind der politischen Dimension der Dichtung in jüngster 7 8 9 10

Bracher 1948/1987. Häußler 1965. S. die oben genannte Literatur sowie für die iulisch-claudischen Principes nach Augustus und Tiberius z. B. Winterling 2003; Levick 2001: 88–91; 93–108; Osgood 2011: 33–37; 49 f.; 85– 88; 147–167; Griffin 2000: 50–66; 90–99; Champlin 2003; Sonnabend 2016: 102; 131 f.; 174. S. hierzu die Forschungsüberblicke in den Kap. B. IV und VII.

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IV. Forschungsstand

Zeit mehrere Sammelbände gewidmet, deren Beiträge sich zumeist mit Spezialproblemen auseinandersetzen.11 Bei der Beschäftigung mit kaiserzeitlichen Konstruktionen von Geschichte konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Historiographie. Doch abgesehen von propädeutischen Erzeugnissen12 und kommentierten Fragmentsammlungen13 dominieren seit längerer Zeit, bedingt durch die prekäre Überlieferungslage und die Attraktivität überragender Klassiker, auch auf diesem Feld die Einzeluntersuchungen.14 Auch wird historiographisches Material für die derzeit prosperierende Werteforschung herangezogen.15 Für die Hohe Kaiserzeit und die Spätantike liegen allerdings von M. Hose,16 U. Eigler17 und M. Sehlmeyer18 umfassende Abhandlungen zur Rolle der Republik in der Geschichtskultur und der politischen Didaktik vor. Zum 3. Jh. existieren außerdem von K. Strobel und Chr. Witschel zwei auf das Imperium ausgedehnte mentalitätsgeschichtliche Darstellungen zum Zeit- und Krisenbewusstsein, die sich besonders auf andere als historiographische Literaturgattungen19 oder auf epigraphische20 Evidenz stützen. Korrespondierende Untersuchungen für das augusteische Principat fehlen. Jüngst hat jedoch A. Gallia eine die Verbindung zur politischen Geschichte suchende Studie zur Rezeption der republikanischen Geschichte in der Flavierzeit herausgebracht, die auf Fallbeispielen basiert.21 Aber dieser Untersuchungszeitraum liegt bereits jenseits der Formierungsphase des Principats. Für den gleichen zeitlichen Abschnitt untersucht Wilkinson ausgewählte Probleme der politischen Praxis auf dem Hintergrund spätrepublikanischer und zeitgenössischer Autoren.22 Eine historische Untersuchung zur Stimmung der 30er Jahre, dem Übergang zwischen dem II. Triumvirat und dem Principat, hat J. Osgood23 publiziert, die verschiedene literarische und auch nichtliterarische Quellengattungen verbindet, während sich I. Mäckel für den gleichen Zeitraum eine Analyse der Literatur unternommen hat24. Überdies hat E. Dench sich verschiedener Ausprägungen römischer Identität, in einem großangelegten Überblick von Alexander bis Hadrian angenommen – wenngleich nicht hauptsächlich aus historiographischer Perspektive und nicht auf historische Zusammenhänge bezogen.25 Wie präsent das Phänomen des Bürgerkriegs im Frühen Principat war, 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Für einige repräsentative und prominente Beispiele s. nur Woodman/West 1984; Binder 1988(a); Levene/Nelis 2002; Farrell/Nelis 2013; Labate/Rosati 2013; Hardie 2016. Flach 1998; Wiedemann 2000; Feldherr 2009. HRR 2; Bardon 1956. S. hierzu die Forschungsüberblicke zu den Kap. B.III; C.III + IV. Z. B. aktuell Haltenhoff/Heil/Mutschler 2003 und 2011; Norena 2011. Hose 1994. Eigler 2003. Sehlmeyer 2009. Strobel 1993. Witschel 1999. Gallia 2012. Wilkinson 2012. Osgood 2007 Mäckel 2007. Dench 2005.

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zeigen die Beiträge eines Sammelbandes zur Historiographie und Dichtung der „Citizens of Discord“.26 Mit einer knappen Zusammenstellung von Kurzportraits kaiserzeitlicher Historiker und einigen skizzenhaften übergreifenden Überlegungen hat sich A. Gowing der Entwicklung von Historiographie und Geschichtsdenken im Principat angenommen.27 Der Schwerpunkt der anregenden Essays, die biographisch strukturiert sind, liegt auf der nachaugusteischen Zeit. Im Vordergrund stehen die für jeden Autor spezifischen Besonderheiten. Zu den wichtigsten Ergebnissen, die Gowing erzielt hat, gehört die Feststellung, dass Freiheit und Monarchie im Principat nicht als Gegensatzpaar verstanden worden seien. Kürzlich hat I. Wiegand28 eine Analyse von Autoren aus der Zeit des Tiberius vorgelegt, die Aufschlüsse über die Vorstellung von Kontinuität oder Diskontinuität in dessen Principat aufzeigen. Die Methode dieser Arbeit ist stärker literaturwissenschaftlich geprägt als der hier gewählte Ansatz; sowohl inhaltlich als auch bei der Auswahl der Autoren setzt sie andere Akzente. Ihre Untersuchung ist daher eine Ergänzung der hier vorliegenden Studie. Weniger konzentriert sie sich auf Deutungen der Geschichte als Ganzes denn auf Gegenwartsdiagnosen, die vor allem die jüngere Vergangenheit einschließen. Geleitet wird die Untersuchung von dem Problem, ob die Literatur der Tiberius-Zeit als etwas Eigenständiges konstituiert werden kann. Tatsächlich beantwortet sie diese Frage positiv. Ihr Befund lautet, dass die Autoren aus dem Principat des Tiberius im Bewusstsein einer „lebenswerten Gegenwart“ schreiben und die Gegenwart bruchlos mit dem augusteischen Principat verknüpfen, so dass der „Eindruck der Kontinuität“ erweckt wird.29 Sowohl die These von der optimistischen Gegenwartsdiagnose als auch von der Fortschreibung einer Stabilitätserfahrung soll in der vorliegenden Studie angefochten werden. In einer rein motivgeschichtlichen Arbeit hat K. Sion-Jenkis30 die Analysen und Schilderungen des Untergangs der römischen Republik bei vornehmlich hochkaiserzeitlichen Historikern und Biographen systematisch katalogisiert. Aus der Perspektive der longue durée liefert sie Aufschlüsse über die vielfältigen antiken Erklärungsmuster und Theorien zum Untergang der Republik, konzentriert auf die 26 27 28 29 30

Breed/Damon/Rossi 2010. Gowing 2005. Wiegand 2013. Wiegand 2013: 317. Sion-Jenkis 2000. Mit dieser Arbeit vergleichbar ist die Studie von Biesinger 2016, die mir zu spät zugänglich geworden ist. Von dem hier gewählten Ansatz unterscheidet sie sich dadurch, dass sie die Geschichte aus der Perspektive des Dekadenzdiskurses betrachtet, dass sie sich auf die Historiographie konzentriert, dass sie einen teilweise anderen historischen Horizont wählt (2. Jh. v. Chr. bis 2. Jh. n. Chr.) und dass sie letztlich andere Erkenntnisinteressen verfolgt. Dieses Buch dagegen geht von der historischen Fragestellung aus, wie der Umbruch nach dem Bürgerkrieg historisch gedeutet und wie die Institutionalisierung der neuen Ordnung begleitet und mitgestaltet wurde; es berücksichtigt dabei nicht nur die Historiographie, sondern schließt auch die Dichtung ein; schließlich sieht es Dekadenzvorstellungen nur als einen Teil der Reflexionen über die Vergangenheit an und bestreitet, dass von ihnen die Konstruktionen der Vergangenheit geprägt waren. Insofern dürfte auch Biesingers Arbeit als ein Komplement zu dieser Studie bei dem gemeinsamen Ziel der Erforschung der römischen Geschichtskultur gelten.

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IV. Forschungsstand

Ereignisgeschichte der letzten Bürgerkriegsphase. Der chronologische Horizont der Arbeit liegt weit jenseits des hier behandelten Untersuchungszeitraums. Hinzu kommt, dass ihre Ergebnisse nicht an einen historischen Kontext anknüpfen. Aussagekraft bezieht die Untersuchung vor allem aus der Analyse historiographischer Topoi und Narrative. Gegenüber den Ansätzen, die von den vorgestellten Arbeiten repräsentiert werden, sucht diese Studie in dreierlei Hinsicht ihre Eigenständigkeit: (1) in der Rückbindung der Analyse der Texte und Autoren auf den jeweiligen historischen Kontext, (2) in der Konzentration auf die Grundfragen ihrer Epoche, des augusteischen Principats, die vom Wandel der politischen Ordnung und ihrem davon bestimmten Umgang mit der Geschichte geprägt wird, und (3) in der Verbindung verschiedenartiger, häufig nicht gemeinsam untersuchter literarischer Gattungen als Bestandteil eines politisch-historischen Diskurses, der um ein zentrales Thema der Zeitgeschichte kreist und insofern ein integraler Bestandteil der Geschichtskultur war.

B. DAS AUGUSTEISCHE ZEITALTER

I. DIE SAECULARFEIER ALS ANBRUCH EINER NEUEN EPOCHE DER RÖMISCHEN GESCHICHTE Die Saecularfeier, im Jahr 17 mit pompösem Zeremoniell begangen, sollte nach dem Willen des Princeps eine neue Epoche in der römischen Geschichte einläuten.1 Mittlerweile lagen die Schrecken des bei Actium mit der Niederlage des Antonius endgültig beendeten Bürgerkrieges schon über ein Jahrzehnt zurück. Nach der Befreiung des Staates von der Herrschaft der Parteiungen, als die Augustus seinen Sieg stilisierte,2 erklärte er in den vielfältigen Formen seiner Selbstdarstellung, deren einstweiliger Höhepunkt das Fest war, die Restauration der Republik und des mos maiorum zur Garantie für Frieden, Prosperität und imperiale Stärke. Die in den Feierlichkeiten annoncierte Zäsur hatte sich mit den Konsolidierungsbemühungen des Princeps über einen längeren Zeitraum hinweg angebahnt. Obwohl er mit Antonius seinen letzten potenten Widersacher besiegt hatte, war im Jahr 31, ähnlich wie nach dem Sieg Caesars über Pompeius und die ihn unterstützenden Kräfte, kaum absehbar, welche Gestalt die res publica, die sich von Caesars Dictatur auf Lebenszeit bis zum Zerfall des II. Triumvirats in einem fortwährenden Ausnahmezustand befunden hatte, künftig annehmen werde und ob einem neuen, maßgeblich von Octavian gelenkten Regiment Dauerhaftigkeit und Stabilität beschieden sein könne. Der Zeitabschnitt zwischen Actium und der Saecularfeier, in der Octavian, seit dem Jahr 27 mit dem Ehrennamen Augustus ausgezeichnet, bei den tragenden Gruppen der res publica, der Nobilität, der Plebs und den Soldaten, um die Akzeptanz seiner Herrschaft warb, war eine Phase des Wandels, geprägt vom ständigen Ausbalancieren seiner Interessen mit den an ihn gerichteten Erwartungen. So war die staatliche Ordnung Roms, wie sie ab dem Jahr 193 in ihren fortan charakteristischen Zügen feststand, kein unausweichliches Ergebnis der Einsicht des Princeps in strukturelle Rahmenbedingungen, die sein Handeln lenkten. Sie entsprang einer experimentellen Strategie,4 dem Austesten und der Weiterentwicklung verschiedenartiger Lösungen. Im Bewusstsein der prekären Statik seines Regiments5 erfasste der Princeps über zehn Jahre hinweg, seit der Rückgabe der 1

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Das Ziel dieser Skizze kann es lediglich sein, einige grundlegende Züge der Zeit vorzustellen und den historischen Horizont des Diskurses aufzureißen, an den die Saecularfeier anknüpft. Für grundlegende neuere Literatur s. Galinsky 1996; 2012; Bleicken 1998; Bringmann 2007; Eck 2009; Kienast 2009; Dahlheim 2010; Levick 2010; Richardson 2012; von den Hoff/Stroh/ Zimmermann 2014. R. Gest. div. Aug. 1. S. bes. Kienast 2009: 99–115; Levick 2010 63–114; Dahlheim 2010: 180–185 sowie Zimmermann 2014. Zu den krisenhaften Erscheinungen allgemein s. die detaillierten Untersuchungen von Dettenhofer 2000. So z. B. Galinsky 1996: 234–237 und ausführlicher Galinsky 2012: 61–83; Crook 1996; Eck 2009: 10. Zur Fragilität der 20er Jahre s. bes. Dahlheim 2010: 162.

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res publica an Senat und Volk, die in konkreten Situationen jeweils sichtbar werdenden politischen Konstellationen sowie die Zeitstimmung mit ihren Chancen und Gefahren und stellte, auf die sich wandelnden Verhältnisse reagierend, immer wieder von neuem seine Position auf eine stabile Basis. Als er, wie er für sich in Anspruch nahm, in den Senatssitzungen vom 17. und 18. Januar des Jahres 28 die Republik in die Hände von Senat und Volk zurücklegte,6 war dies folglich keine Restitution der res publica libera, sondern der Auftakt zu einer Neuordnung des Systems, die sich in drei Stufen unter periodisch auftretenden, existentiellen innenpolitischen Spannungen vollzog. Im Jahr 19 erhielt das Principat dann die Ausprägung, die sich als dauerhaft erweisen sollte. Die zentralen Herausforderungen nach Actium waren für Augustus die Stabilisierung des Staates und die Verstetigung seiner faktischen Vormachtstellung in der res publica, die auf dem consensus universorum beruhte. Sein Werben um Legitimität und Akzeptanz bei Senat, plebs urbana sowie den Streitkräften stand im Zeichen der Paradigmen Freiheit, Sicherheit in rechtlicher, polizeilicher und sozialer Hinsicht sowie Sieghaftigkeit im Kampf gegen innere wie äußere Feinde. Nach den Schrecken der Bürgerkriegsepoche bildete die Reaktivierung des mos maiorum das Fundament seines Erneuerungsprogramms und versprach die Anknüpfung an den politisch-militärischen Aufstieg Roms zur Weltmacht sowie die Integrität der Sitten vergangener Epochen. Diese Botschaften vermittelte Augustus in einer omnimedialen und multidimensionalen Selbstdarstellung.7 Sie durchdrang den öffentlichen Raum und die Ordnung der Zeit, blieb aber ein wandelbares System. Mit ihrem Assoziationsreichtum waren die Botschaften, die Augustus aussandte, je nach Kontext und Rezipient vielfältig ausdeutbar und in den verschiedenen Elementen, aus denen sie bestanden, miteinander kompatibel. So konnte die Selbstdarstellung des Princeps, manifestierte sie sich in Bauwerken oder Inschriften, Kunstwerken oder Münzen, im Kalender8 oder in performativen Inszenierungen, zum Resonanzraum eines Diskurses werden, dank dessen integrativer Kraft das augusteische Zeitalter zu einer facettenreichen Epoche wurde. Jahrzehnte nach der Beendigung des Bürgerkriegs sollte Augustus, der in einem Edikt einen optimus status der res publica und seinen Einsatz

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R. Gest. div. Aug. 34. Bleicken 1998: 332–335; zur Selbstdarstellung in den Jahren 28 und 27: Welwei 1973: 30 f. Treffend spricht Wallace-Hadrill 2005: 61 von einer „reinvention of tradition“. Zum Folgenden grundlegend Galinsky 1996; 2012: 144–158, dessen Ansatz sich weitgehend durchgesetzt hat, hierzu z. B. Bleicken 1998: 248–250; Levick 2010: 254. Für die Auseinandersetzungen mit älteren Konzepten, z. B. dem lange Zeit sehr einflussreichen Ansatz von Syme 1939, demzufolge Augustus der Initiator eines Systems der Organisation der öffentlichen Meinung war, s. Galinsky 1996: 4–9, für ein Plädoyer gegen den Propagandabegriff 39–41. Überzeugend legt Hölscher 2016: 64 f. dar, dass es sich bei dem, was früher als Propaganda galt, um „Demonstrationen von verschiedenen Seiten an und für den Kaiser“ (Zitat 64) gehandelt habe. Vorstellungen von einer stärkeren Lenkung des Diskurses durch Augustus sind jedoch noch nicht obsolet, s. z. B. Zanker 1987/2009: 107 und Dahlheim 2010: 256 f.; 264 f.; 269. Zurecht warnt jedoch Haas 2015: 5 f. davor, den Einfluss der Gestaltungsmacht des Princeps zu stark zu relativieren. Zur Kalenderreform s. zusammenfassend Wallace-Hadrill 2005: 58–62 und Feeney 2007: 164– 189. Für Details s. u. S. 331 f.

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für die Bürgerschaft als salutaris princeps9 versprach, in den Res Gestae, die nicht nur eine Bilanz seines Principats zogen, sondern auch die charakteristischen Züge des von ihm verkörperten Idealherrschers10 entwarfen, das Changieren des von ihm geschaffenen Systems zwischen Republik und Monarchie illustrieren.11 Die Niederschlagung seiner Gegner, diskreditiert als dominatio factionum, und die Rückgabe der res publica12 stilisierte er zur Wiederherstellung der Freiheit. Sein Handeln stellte er in eine Kontinuität mit der Vergangenheit. Die Feststellung, dass sein Handeln statt auf außerordentlichen Befugnissen lediglich auf seiner persönlichen Autorität beruht habe,13 annoncierte ebenso die Rückkehr zur republikanischen Ordnung wie der Anspruch, er habe die alten, obsolet gewordenen Gesetze wiederbelebt und neue Gesetze im Geist der alten geschaffen.14 Drei Ausleseverfahren sowie Einfluss auf die Wahlen waren nicht nur ein Instrument zur Kontrolle des Senats, sondern zielten auch auf die Wiederherstellung von dessen traditionellem Ansehen durch den Ausschluss vermeintlich unwürdiger Mitglieder.15 Stabilisieren sollten den Senatorenstand hoch umstrittene Sittengesetze zur Bekämpfung von Ehe- und Kinderlosigkeit.16 Augustus selbst orientiert sich in seinem Habitus an der Rustikalität der Frühzeit und suchte durch Leutseligkeit im Umgang mit der Senatsaristokratie seine besondere Stellung herunterzuspielen.17 Im Bereich der Religion18 demonstrierten Tempelrestaurierungen19, die Wiederbegründung alter Collegien20, die Redefinitionen von Göttern, die Übernahme 9 10 11

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Suet. Aug. 28,2; zur unklaren Datierung s. Wardle 2005; Levick 2010: 207. Ramage 1987: 114–116; Peachin 2013: 265–269. Zu den Res Gestae s. neben der umfassenden Darstellung von Ramage 1987 (bes. 32; 56 f. zu R. Gest. div. Aug. 13 sowie 33–35; 66–72 und v. a. 71 f. zur Aufrechterhaltung der Freiheit bei gleichzeitiger Vorrangstellung des Augustus) auch die Kommentare von Scheid 2007 und Cooley 2009 sowie ferner Ridley 2003. R. Gest. div. Aug. 1; 34. Zur Gliederung s. Heuß 1975; als maßgebliche Kommentare und Interpretationen sind Ramage 1987; Scheid 2007; Cooley 2009 heranzuziehen. Aktuelle Überlegungen zum Problem, welche Befugnisse konkret Octavian zurückgegeben habe, bieten Börm/ Havener 2012, die nicht von einer in juridischen Maßstäben fassbaren Stellung des künftigen Princeps ausgehen, sondern überzeugend den Inszenierungscharakter dieses Aktes betonen, der das neue Regiment bei der Nobilität akzeptabel machen sollte. Für eine aktuelle und umfassende Diskussion zum Verständnis des Restitutionsvorgangs und der Selbstdarstellung des Augustus s. Rich 2012: bes. 89–111. R. Gest. div. Aug. 8. Bleicken 1998: 364–366; Dahlheim 2010: 219; Levick 2010: 93; Zimmermann 2014: 226 f., auch zu Aufsteigern in den Senat. Zur lex Iulia de adulteriis und der lex Iulia de maritandis ordinibus s. auch Dahlheim 2010: 222–225. Augustus’ eigene Promiskuität war bekannt und wurde auch in den Konflikten bei der Implementierung der Ehegesetze thematisiert; s. hierzu Griffin 1985: 23 f. Zum Komplex der Sittenpolitik s. jetzt die Überblicke bei Galinsky 2012: 90–95 und Baltrusch 2016. Zur vermeintlichen Widersprüchlichkeit zwischen der Moderne und der Orientierung am Alten s. Eigler 2015: 17; 23–25. Für einen Überblick zu den sakralen Aktivitäten s. Bleicken 1998: 286–389; 379–381; Levick 2010: 150–154 sowie für die Aufnahme des Augustus in das Salierlied Kienast 2009: 218 f. Levick 2010: 150 f. Kolb 2002: 362 f.; Favro 1996: 105–110; Favro 2005: 242 als Form der pietas, s. auch Scheid 2005; Levick 2010: 150 f.

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des Oberpontifikats21 sowie sein eigenes, mit den „allerheiligsten Mythen und Riten ihres Ursprungs und der Gründung Roms“22 verbundenes und an geweihter Stätte errichtetes Wohnhaus seine pietas.23 Offiziöse antiquarische Literatur, etwa über die Penaten, die Gründung und Lage der italischen Städte, die troianischen Familien oder die consularische Amtsgewalt,24 sollte die Vergangenheit literarisch aktualisieren. Gleichzeitig nahm er, wie ein Neugründer25 Roms, eine radikale Umgestaltung des Stadtbildes im Zeichen des Konservatismus und der Prachtentfaltung vor, ließ aber dabei seine Position deutlich hervortreten.26 In außenpolitischer Hinsicht kündete die Selbstdarstellung des Augustus von seiner Sieghaftigkeit und dem von ihm in allen Erdteilen mit Waffengewalt erzwungenen Frieden, der in Roms Weltherrschaft kulminierte.27 Sich selbst stilisierte Augustus mit Rückgriff auf seine militärischen wie diplomatischen Erfolge, die mit der Bürgerkriegszeit begannen und die er in den 20er Jahren fortsetzte, zur Inkarnation der virtus,28 einer Tugend, die in der Panzerstatue von Porta Prima29, dem clupeus virtutis30 und der Ara Pacis31 mit der Verbindung von Krieg und Frieden ikonographischen Ausdruck fand.

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Bleicken 1998: 379–381; Levick 2010: 150–154. Bleicken 1998: 214–244; Kolb 2002: 333; 334 (Zitat); Schneider 2008: 154 f. Zu den sakralen Aktivitäten s. Bleicken 1998: 286–389. Kienast 2009: 270 f. Zur Romulus-Nachfolge Kolb 2002: 330 f.; Favro 2005: 248–262. Zu den Münzbildern s. Trillmich 1988, zu den Portraits s. Galinsky 1996: 164–179; Rose 1997; Schneider 2008: 159–163 sowie grundsätzlich Mannsperger 1974 und Zanker 1987/2009. Eine Übersicht über die Baupolitik, von Augustus dargelegt in R. Gest. div. Aug. 19–21, vermitteln Kolb 2002: 330–369; Schneider 2008: 151–159; Wallace-Hadrill 2003; Favro 1996 und 2005; Wallace-Hadrill 1993; Zanker 1987/2009; Hölscher 2006; Schneider 2008; Levick 2010: 211–218; Hölscher 2016. Für die Beziehung zur Literatur der Zeit s. Schmitzer 2016: 71–80. Für Augustus’ eigene Zusammenfassung s. R. Gest. div. Aug. 26 f.; 29 mit der zusammenfassenden Interpretation bei Geus 2016: 80–83. Zeitgenössische Stimmen zur Bedeutung des militärischen Erfolgs sind beispielsweise Hor. carm. IV 15; epist. I 12 und Prop. IV sowie Verg. Aen. VI. Die Notwendigkeit der Expansion für die Herrschaftslegitimierung betont exemplarisch Wendt 2012: 109 und Zimmermann 2014: 177–180. Zur Erwartung eines militärischen Vorgehens in der Partherfrage s. Kienast 2009: 342 f. und Wiesehöfer 2010; 187; 193; zur Bedeutung der Feldzeichen von den Hoff 2014: 129–142. Zu den enttäuschten Erwartungen einer militärischen Lösung der Partherfrage s. zusammenfassend Havener 2016: 274 f. Zum Konzept der Weltherrschaft s. für die ältere Forschung v. a. Fuchs 1965: 201 sowie aktuell Galinsky 2012: 85–87. Gegen die These, dass die Weltherrschaft eigentlich nicht verwirklicht worden sei, s. die Untersuchungen zu den Raumvorstellungen in augusteischer Zeit bei Sommer 2014: 147–149 und Geus 2016. Zu den Weltreichsvorstellungen grundsätzlich Wendt 2008: 145–147. Als Zeichen nicht nur seiner eigenen Leistungen, sondern des Senats und der gesamten res publica prangte außerdem die Victoria im Senat (Näheres bei Kienast 2009: 228 und Dahlheim 2010: 363 f.), während die Rostren von Actium als Zeichen der Rettung des Staates mit den nach dem I. Punischen Krieg aufgestellten Schiffsschnäbel konkurrieren sollten (Kienast 2009: 229). Zanker 1987/2009: 192–195; bes. 194 f. S. bes. Galinsky 1996: 83–88. Für Literatur s. u. Anm. 64.

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Die Bemühung um Akzeptanz bei der plebs urbana und beim Heer erlegte ihm die Lösung sozialer Probleme auf. Als langfristige Herausforderung erwies sich die angesichts der Politisierung der Soldaten32 heikle Versorgung der Veteranen der Bürgerkriegsarmeen, die er anfangs durch Enteignungen33, später durch Landkäufe34 und Donative für sich gewann, bevor ab dem Jahr 7 das System der Altersversorgung mit Landzuweisungen durch die Einführung von Pensionskassen ersetzte.35 Gegenüber der Plebs, die von Hunger, Verschuldung, Arbeitslosigkeit und einer prekären Wohnsituation geplagt war,36 inszenierte sich Augustus als civilis princeps37 mit populären Maßnahmen wie Geldgeschenken,38 Schuldentilgungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,39 Sicherung der Getreideversorgung, und Steuererleichterungen.40 Dass die Plebs in den zwanziger Jahren eine weiterhin über das republikanische Maß herausgehobene Rolle des Princeps forderte, trug zu seiner Entscheidung bei, die tribunicia potestas zu übernehmen.41 Die renitenten Compitalkulte befriedete er durch die Verbindung mit den Lares Augusti42 und sicherte die Loyalität der dort organisierten Teile der Plebs.43 Auch sorgte er, wenngleich später in geringerem Umfang, für eine kostenlose Getreideversorgung, bot rasche Hilfe bei Naturkatastrophen an44 und erhöhte die Lebensqualität, die er mit seinem Bauprogramm optimierte45. Mit der Saecularfeier und der Deklaration einer neuen Epoche46 bezog der Princeps Position in einem Peripetiediskurs, einer intensiv geführten Debatte über den Verlauf der jüngeren Geschichte, die von den Verwerfungen der Innenpolitik seit Mitte des 1. Jh.s angestoßen worden war und in der die Gegenwart als Produkt der Dekadenz gedeutet wurde.47 In den Analysen der politischen Publizistik und 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Schneider 1977: 206. Für Augustus’ Verhältnis zu den Veteranen s. Botermann 1968 und Keppie 1983: 112–114. Schneider 1977: 233. Keppie 1983: 49–86 (allgemein zu den Siedlungsprogrammen); Kienast 2009: 43. R. Gest. div. Aug. 3,3 zur Ansiedlung von 300.000 Römer in Kolonien mit Ramage 1987: 28. Bringmann 2007: 115. Schneider 1977: 236–242; zusammenfassend Dahlheim 2010: 150 f. Zur sonstigen Unterstützung für Veteranen s. Keppie 1983: 114–122. Zur sozialen Lage der Plebs s. Brunt 1971; Nippel 1981; Will 1991. Zur Volkstümlichkeit und Umgänglichkeit des Augustus s. Galinsky 2013: 38–40 (m. Stellen). Kienast 2009: 195. Zur Schuldentilgung s. Dio LIII 2,3, zur Arbeitsbeschaffung s. Kolb 2002: 331 f. Kienast 2009: 194 f. Kienast 2009: 195. Zanker 1987/2009: 135–140; Wallace-Hadrill 2003: 197–206; Dahlheim 2010: 198 (zum Compitalkult); Galinsky 2012: 102. Kienast 2009: 197; Schneider 2008: 158; Galinsky 2012: 102; Horster 2014: 98–101. Levick 2010: 205 f.; Dahlheim 2010: 225–228. Zur Porticus der Livia s. Kolb 2002: 364 f., zu den Grüngürteln Favro 2005: 251 und Schneider 2008: 157; zur Wasserversorgung s. Horster 2014: 101–106. Alle Details hierzu in Kap. B.II,1 und III,1. – Zur Saecularfeier: Aktenedition: Mommsen 1891; s. auch 1905 und Pighi 1965. Für eine grundlegende Gesamtdarstellung s. Schnegg-Köhler 2002. S. hierzu zusammenfassend Walter 2004: 319–329, der auch den Begriff des Peripetiediskurses geprägt hat. Zum Niedergangsdenken sei weiterhin auf die grundlegende Studie von Bring-

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Historiographie der zurückliegenden Jahrzehnte erschien die Kette der inneren Konflikte und Bürgerkriege, die Rom seit den Reformgesetzen der Gracchen erschütterte, bei allen konzeptionellen Unterschieden als Resultat einer lange angebahnten, tiefgreifenden Krise, die mit der römischen Expansion in den östlichen Mittelmeerraum und dem von dort nach Italien strömenden Luxus begonnen, sich aber erst mit der Erringung der Weltherrschaft nach dem Sieg über Karthago beschleunigt habe und die schließlich eingemündet sei in die mit immer höherem Einsatz von Gewalt ausgetragenen Machtkämpfe der von übersteigerten Herrschaftsansprüchen besessenen Nobiles. In einer Abwendung vom mos maiorum, die alle Lebensbereiche erfasste, waren avaritia, das Streben nach materiellen Gütern, und ambitio, das übersteigerte Streben nach Macht – so lautete der Tenor des maßgeblich unter dem Einfluss des Polybios und Poseidonios stehenden Geschichtsdiskurses – zu den Hauptfaktoren geworden, die das Handeln der politischen Akteure bestimmten, während nahezu alle in der Geschichte Roms manifesten Tugenden pervertiert oder in Vergessenheit geraten waren. Im Jahr 17 schloss die Saecularfeier mit der Epoche des Verfalls symbolisch ab. Die von innerem Zerwürfnis und Bürgerkrieg geprägten Dezennien hatten in der jüngsten Vergangenheit einen kritischen Diskurs mit fundamentalen Fragen an die römische Geschichte48 sowie eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und nach einer Rettergestalt49 hervorgebracht. Nach den erfolgreichen Konsolidierungsbemühungen, die nach Actium bislang ein Jahrzehnt der Sicherheit und Stabilität gezeitigt hatten, konnte Augustus sich durch seine innenpolitischen Reformen wie auch durch Demonstrationen außenpolitischer Stärke als göttlich legitimierte Heilsfigur, als Neugründer Roms inszenieren.50 Das auf etruskische Ursprünge zurückgehende Fest,51 das auch in der Vergangenheit schon einschneidende Übergänge anzeigte,52 wurde

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mann 1977 verwiesen sowie ferner auf Bernett 1995; Jehne 2003; Samotta 2009 (mit ausführlicher Dokumentation). Der in dieser Studie verwendete Dekadenzbegriff orientiert sich am Verfallsdiskurs; unter ihm wird grundsätzlich die Korruption einer intakten Ordnung durch ökonomische, ethische und politische Fehlentwicklungen verstanden, die sich in der Analyse der antiken Autoren oftmals gegenseitig bedingten. Er wird auch auf die in den Kapiteln B.IV; V; VII behandelten Formen des Niedergangs mythischer oder frühgeschichtlicher Systeme (z. B. die Herrschaft Saturns in Vergils Aeneis) verwendet, an die in der Dichtung identische oder vergleichbare Maßstäbe angelegt wurde wie in der Historiographie und der politischen Publizistik. Wallace-Hadrill 2004. Alföldi 1951; Osgood 2007; Dahlheim 2010: 163–165. Zur Romulus-Nachfolge s. Suet. Aug. 7,2 mit Kienast 2009: 93 sowie Kolb 2002: 330 f.; Favro 2005: 248–262. Für die diversen Aspekte der Selbstdarstellung s. zu den Verdiensten Dahlheim 2010: 190–193. Pfeilschifter 2005: 67, Anm. 26; Kienast 2009: 94–98, Weinstock 1971: 311 f., Kolb 2002: 233 f.; Schneider 2008: 154 f.; Feeney 2007; Levick 2010: 209 f. Zu den Verdiensten um die Freiheit und Sicherheit der Bürger s. die Übersicht von Levick 2010: 209 f.; Galinsky 1996: 148; Zanker 1987/2009: 11. Zur Entstehung s. Val. Max. II 4,5; Zos. II 1–3 mit Schnegg-Köhler 2002: 171–185; zur Tradition s. Schnegg-Köhler 2002: 156–170. Belegt für die Jahre 456, 346, 236, 126 sowie überliefert für 509; 504; 449; 384/6; 249; 149; 146 (Schnegg-Köhler 2002: 156; 160).

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eigens von seinem regulären Termin vorverlegt.53 Augustus selbst verzeichnete die Feier in seinem Tatenbericht.54 Die ideologische Botschaft der Feier wurde medial von einem Festgedicht des Horaz,55 einer Gedenkinschrift56 und Münzprägungen57 konserviert. Die Feier zelebrierte die an den Maßstäben der Vergangenheit orientierte Restauration der Sitten als Voraussetzung der Reorganisation der res publica unter dem Regiment des Augustus sowie den Auspicien der Götter Apollo und Diana und verkündete eine in deren Zeichen stehende, jedoch noch nicht vollständig eingetretene Zukunft der Prosperität und des Friedens, die auf militärischer Stärke beruhte.58 Das Carmen Saeculare schlägt die Leitmotive des augusteischen Herrschaftsprogramms an.59 Es evoziert eine römische Geschichte, die von Troia über Romulus bis in die Gegenwart60 mit der Übernahme der Weltherrschaft reicht. Den Preis der Fruchtbarkeit der Natur durchsetzen Reminiszenzen an Vorstellungen von einem Goldenen Zeitalter.61 Horaz bittet die Götter um Frieden und um die ewige Fortdauer Roms, die durch die Ehegesetze und reiche Nachkommenschaft gesichert werden soll. Im Zeichen von fides, pax, honos, pudor möge die künftige Geschichte stehen. Noch allerdings sei die virtus nicht vollkommen zurückgekehrt, die Gegenwart noch nicht gänzlich von Lastern befreit.62 Erst in der Zukunft werde das annoncierte melium aevum eintreten. In der Saecularfeier wie auch in der gesamten Selbstdarstellung des Augustus manifestierten sich zwei verschiedene Stränge historischer Reflexion. Einerseits stellte Augustus sich, die Wiederherstellung des mos maiorum in allen ihren politischen und militärischen Facetten rühmend, in die Tradition der politischen Kultur der Republik. Mit ihren bildersprachlichen Assoziationen knüpfte er andererseits an das Konzept des Goldenen Zeitalters einer mythischen, quasi-paradiesischen Epo-

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Beauftragt mit der Berechnung des neuen Termins wurde Augustus’ Experte für Sakral- und Pontifikalrecht, Capito (Kienast 2009: 225). R. Gest. div. Aug. 22,2; s. auch Tac. ann. XI 11; Suet. Aug. 31,4; Suet. Claud. 21,2 (zur Nachahmung unter Claudius, der sich auf Gründung der Stadt berief); Dio LIV 18,2; Zos. II 4,2. Hierzu jetzt Thomas 2011: bes. 19 f.; 53–60. Schnegg-Köhler 2002: 181. Zu betonen ist allerdings, dass bei Augustus von einem Goldenen Zeitalter nie wörtlich die Rede war. BMCRE I 74, 431; RIC I2 50, 138 f. mit Trillmich 1988: 488 und Schnegg-Köhler 2002: 216– 220. Bleicken 1988: 366–368; Kienast 2009: 223–225; Dahlheim 2010: 248–250; Galinsky 2012: 85 f. Zu Augustus Beziehung zu Apollo s. Lange 2009: bes. 159–190 (für die Phase nach Actium) sowie bes. Miller 2009: 15 f.; 18; 54–94. Neueste Literatur: Putnam 2000; Barchiesi 2002. Horaz gestaltet durch sein Gedicht das Fest aktiv mit und prägt es auf seine Weise (Barchiesi 2002: 120 mit Feeney). Ähnlich Putnam 2000: 144: „But Horace is creating a world for politics, not serving as a henchman to the mighty or as an aesthetic toady. He is exerting a power’s power not only to imagine what the Roman polis should be but to bring that vision into being by means of his originality, whether in the poet’s grand sweep or in the emphases of bright detail“ (147). Hor. carm. saec. 37–44. Hor. carm. saec. 29–32; 58 f. Zur Deutung grundlegend Zanker 1987/2009; 171–188. Hor. carm. saec. 67 f.; hierzu Putnam 2000: 84.

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che63 an und verlieh seinem Programm die Aura einer sakralen Überhöhung. Nicht nur sah er in sich, bei aller demütigen Orientierung an der Vergangenheit, den einstweiligen Höhepunkt der Geschichte verkörpert. Ranken, Efeu, Füllhörner und Fruchtbarkeitssymbole, wie sie wenige Jahre später auch die anlässlich einer siegreichen Rückkehr des Augustus aus dem Krieg gewidmete Ara Pacis64 trug, bekräftigten den Anspruch auf Realisierung eines Zeitalters, das von Reminiszenzen an eine vorhistorische Epoche von sittlicher Integrität und vollendetem Frieden ohne korrumpierende Zivilisation erfüllt war,65 während andere Elemente der Bildersprache von der militärischen Gewalt als Basis der augusteischen Ordnung kündeten. Zusammengehalten wurde all dies von der Vorstellung einer kontinuierlichen, mit dem Fall Troias beginnenden römischen Geschichte, die unter Augustus zu ihrem Ziel fand. Der Rückgriff auf die römische Geschichte, deren Ideale und Prinzipien Augustus in der Gegenwart zu erneuern suchte, ging so einher mit der feierlichen Beschwörung der Wiederkehr eines Ideals, das nicht länger eine Utopie von Eskapisten bleiben, sondern, an die Realitäten angepasst,66 mit politischen Instrumenten, mit Gesetzen und militärischer Stärke, verwirklicht werden sollte. Im Zeichen dieser Ambitionen stand die Saecularfeier: als Inszenierung des Beginns einer welthistorischen Epoche, in der pax, concordia und salus publica sich gegenseitig bedingten67. Der hier nur rudimentär skizzierte Prozess der Verschmelzung der Figur des Princeps mit der res publica, mit ihrer politischen und sakralen Sphäre, der einen einstweiligen Höhepunkt erfuhr, als Augustus das neue Zeitalter nach den Bürgerkriegen mit der Saecularfeier einläutete, hat seinen Niederschlag auch in der zeitgenössischen Literatur hinterlassen.68 Ein von Augustus straff gelenktes Instrument der Propaganda war sie nicht.69 Vorbilder für monarchische Panegyrik fehlten in Rom. Die Bedeutung der in Rom spätestens seit der Späten Republik im Auf-

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Näheres zu diesen Konzeptionen in Kap. B.II,2. Zur Ara Pacis s. Elsner 1991; Bleicken 1998: 514–516; Kolb 2002: 340–342; Kleiner 2005: 221–225; Rossini 2006; Schneider 2008: 156 f.; Dahlheim 2010: 250–254. Für eine Verbindung mit Horaz’ Dichtung s. Ableitinger-Grünberger 1972: 96 f. Die umfassendsten Darstellungen zu diesem Komplex sind Zanker 1987/2009: 171–196 und Galinsky 1996: 106–121; 141–163. S. hierzu eindringlich Galinsky 2012: 90–95. Bleicken 1998: 512–514. Zur Tradition des Friedensgedankens, in den sich Augustus einfügt, s. Fuchs 1926: 182–205, bes. 201–204 sowie in diesem Zusammenhang für die Ara Pacis Pollini 2002. Grundsätzlich ist jedoch zu beachten, dass, wie Havener 2016: 198–252 erwiesen hat, das Verhältnis von Krieg und Frieden in der Selbstdarstellung des Augustus kontextbedingt und jeweils Ausdruck eines Kommunikationsprozesses war, der zwischen Augustus und der Senatsaristokratie ablief. Grundlegend White 1993; 2000; 2005; Fantham 1998; ferner Schmidt 2003 und Galinsky 1996: 225–287 sowie Little 1982; von Albrecht 2003; Griffin 2005; Galinsky 2012; Gall 2014 (ein Kondensat von Gall 2013); Stroh 2014. Zur augusteischen Kultur s. o. S. 48; zur Literatur im besonderen s. die zusammenfassenden Ausführungen von White 2005: 335, der auch auf die Quellenproblematik bei der Analyse des konkreten Einflusses des Augustus auf die Entstehung literarischer Werke hinweist.

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schwung befindlichen70 Literaturszene als potentiellem Multiplikator politischer Botschaften kannte er selbstverständlich.71 Zu mehreren Autoren hielt er persönlichen Kontakt.72 Der Princeps selbst betrieb, wie andere Mitglieder der Senatsaristokratie, aktive Patronage.73 Er selbst bekundete Interesse an der Literatur und nahm an Lesungen teil.74 Zwar formulierte er den Wunsch zur Verherrlichung seiner Taten, und sucht positive Darstellungen seines Regiments zu befördern.75 Massiven Druck76 übte er aber nicht aus. So sind denn auch keine unmittelbar panegyrischen Darstellungen seines Principats erhalten. In recusationes wahrten die Dichter formal Autonomie,77 und nur mit scheinbarem Widerwillen fügten sie sich den Erwartungen des Princeps; Vergil soll sogar die postume Verbrennung der Aeneis verlangt haben, die jedoch Augustus persönlich verhinderte.78 Repressionen hatten die Autoren ungeachtet von Warnungen vor heiklen Themen wie dem (dennoch vielbehandelten) Bürgerkrieg nicht zu fürchten. Gerieten Literaten in einen Konflikt mit Augustus, lag dies nicht an ihren Werken, sondern hatte politische oder persönliche Ursachen.79 Als zentrale Gestalt seiner Zeit zog der Princeps natürlicherweise Interesse auf sich.80 Insofern bildeten er, sein Regiment und die Gegenwart stets den Fluchtpunkt literarischer Erschließungen von Politik und Gesellschaft. Angesichts des Erneuerungsprogramms mit seinen in verschiedene Dimensionen reichenden historischen Bezügen war der Princeps auf dem Sektor der Literatur politischen Fragen prinzipieller Natur ausgesetzt, die seine Legitimität und die Akzeptanz des Principats im Kern berührten: Bedeutete die Gegenwart tatsächlich eine Zäsur? War ein Bruch zur republikanischen Geschichte mit deren Exzessen möglich? Konnte wirklich ein vollkommener Frieden herrschen? Welche Art von Idealstaat ließ sich überhaupt verwirklichen? Wie stark waren die Handlungsoptionen der Politik an die historischen Rahmenbedingungen gekoppelt? Von diesen Fragen war der zeitgeschichtliche Diskurs in Prosa und Dichtung über die Gattungsgrenzen, in Dichtung wie in Prosa, in Epos, Elegie, Geschichtsschreibung und 70 71 72 73

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S. hierzu die komplementären Gesamtdarstellungen von Fantham 1998 und Eich 2000. Griffin 2005: 315. Für eine engere Steuerung s. Gall 2014: 130 f. White 2005: 332. White 1993: 15–17, 2005: 325 f.; 328; s. auch Suet. Aug. 89. Topische Klage nach Gibson 2003: 266 mit Xen. Frg. 2; Theokr. 16; Plin. ep. III 21,3; anders jedoch dessen Zeitgenossen, die das augusteische Principat als große Zeit der Literatur betrachteten: Mart. I 76; V 16; VIII 55; X 58; XI 3; Iuv. 7 passim. Ein Propagandasystem etablierte er jedoch nicht, so zurecht die communis opinio (z. B. Bleicken 1998: 538–540) gegen eine alte Beschreibung von Syme 1939. Hierzu umfassend Quinn 1982 sowie jüngst White 2005: 327 f. Sogar zu Schauspielern unterhielt er freundschaftliche Beziehungen (Griffin 1985: 13). Griffin 2005: 314; White 2005: 332. Anders hingegen Griffin 2005: 315; Gall 2014: 131. Zu diesem Phänomen s. u. S. 241 f. Hierzu s. u. S. 163. Für einige problematische Fälle s. Kienast 2009: 265–268 sowie auch White 2005: 334. Zu ihnen s. aber die grundlegenden und abwägenden Darlegungen von Timpe 1987 und Meier 2003(a); für eine Übersicht s. Mehl 2001: 97–105. White 2005: 333.

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Fachschriftstellerei hinweg beherrscht. Zum Reigen der Literaten, die an dieser Debatte teilnahmen, gehören auch die im ersten Teil dieser Studie vorgestellten Autoren. Alle, die nicht bloß historische Motive in ihren Texten verwenden, sondern Meistererzählungen der Geschichte verfasst haben, sollen vorgestellt werden, als Zeitgenossen, Teilhaber und Mitgestalter einer Phase des Umbruchs. Der jeweilige politische, soziale und literarische Rahmen, in dem sie wirkten, soll allerdings nicht hier rekonstruiert werden. Jedem Autor ist stattdessen eine kleine Skizze gewidmet, die ihn in seinen spezifischen Kontext rückt.

II. FORMEN VON MEISTERERZÄHLUNGEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IM AUGUSTEISCHEN PRINCIPAT 1. DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG Die relative Stabilität der politischen Ordnung und das annalistische Schema hatten in der römischen Historiographie seit jeher die Praxis befördert, Themen, Probleme, Konflikte und Konstellationen der jeweiligen Zeitgeschichte auf die Vergangenheit zu projizieren.1 Daraus ergab sich eine strukturelle Kontinuität, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verband und den Betrachter immer wieder mit vergleichbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen und entsprechenden Geschehnissen konfrontierte. Im zurückliegenden Jahrhundert, beginnend mit den Reformgesetzen der Gracchen, hatte sich ein „Prozess der Autonomisierung der annalistischen Gesamtgeschichte“ vollzogen.2 Seit Fabius Pictor hatten die römischen Historiker in einer langen Reihe ausführliche Darstellungen der gesamten römischen Geschichte einschließlich der Zeit vor der Gründung der Stadt und mit einem Schwerpunkt nicht nur auf der jeweiligen Gegenwart, sondern auch auf der Anfangsphase dargeboten. Der turbulente Verlauf der Innenpolitik im letzten Drittel des 2. Jh.s schien dann die konsequente Thematisierung der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart zu verlangen.3 Schon das Geschichtswerk des Calpurnius Piso hatte die von der Desintegration der Nobilität ausgehenden, aber auf moralische Ursachen zurückgeführten Probleme der Zeitgeschichte in ihrer prinzipiellen Dimension fixiert, die Folgen der Beseitigung des mos maiorum für die res publica, die aristokratische Arroganz und die Gefahr, die von einzelnen Akteuren für das Gemeinwesen ausging.4 Im Zuge der nunmehr eintretenden Ausdifferenzierung der römischen Historiographie, die aus der Gesamtgeschichte hervorging, entwickelten sich die historische Monographie und die Zeitgeschichte, die mit einer skizzenhaften Darbietung der 1 2

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Zu den Anfängen der Geschichtsschreibung s. v. a. Beck/Walter 2001: 17–50 und Walter 2004: 212–319 mit reichhaltigen Literaturangaben sowie Timpe 1972 und Flach 1998: 56–79. Zitat: Walter 2004: 352. Grundlegende Literatur: Timpe 1979; Mehl 2001: 60–87; Kierdorf 2003; Walter 2003; Walter 2004: 339–353; Beck/Walter 2004; Levene 2006(a): 277–280 (mit besonderer Berücksichtigung des Quellenwertes der in ihrer Zuverlässigkeit teils höchst umstrittenen Autoren). Den neuesten Forschungsstand dokumentiert Walter 2011. Aktuelle Fragmentsammlungen: FRH II, Chassignet 2004. An die dort zu den jeweiligen Autoren gebotenen Einleitungen sowie auch an Walter 2003 und Kierdorf 2003 lehnt sich die Charakteristik der im Folgenden vorgestellten Historiker an. Die Universalgeschichtsschreibung behandelt Timpe 2007. Zur Gestalt der Werke der älteren Annalistik s. Timpe 1972, für die Proportionen bes. Timpe 1979: 106. Für einen ersten Reflex des nunmehr eintretenden Wandels s. das bekannte Fragment von Calpurnius Piso FRH 7 F 26. Maßgeblich sind Forsythe 1994; FRH 7, Einleitung, 55–61; Walter 2004: 306–319.

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II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte

Anfänge Roms sowie der Frühen und Mittleren Republik formal noch an die Gesamtgeschichte anschloss, jedoch rasch zu ihrem eigentlichen Thema, der Gegenwart, überleitete. Immer blieb dabei die Gesamtheit der römischen Geschichte als sinnstiftender Bezugsrahmen erhalten. Von diesem Konzept nahmen Monographien wie Coelius Antipaters Werk über den II. Punischen Krieg Abschied. Hinzu traten als subjektivierte Zeitgeschichte in zusehends wachsender Zahl die Autobiographie, in der Senatoren in apologetischer Absicht nach dem Ende ihrer Laufbahn eine Summe ihres politischen Lebens zogen, und der commentarius, der jetzt literarisch ausgefeilte und in dezidiert politischer Absicht verfasste Rechenschaftsbericht der Magistrate.5 Prominente Verfasser von Zeitgeschichten im 1. Jh. waren P. Rutilius Rufus und L. Cornelius Sisenna. Rutilius Rufus, außerdem Autor einer Autobiographie in fünf Büchern, behandelte in seinem Geschichtswerk den Zeitraum zwischen 183 und 88, einen Abschnitt der Geschichte, den Sempronius Asellio, Militärtribun unter Scipio bei Numantia, eine Generation zuvor geschildert hatte. Wahrscheinlich zwischen dem Jahr 76, als er die Praetur bekleidete, und dem Jahr 67, als er auf Kreta als Legat des Pompeius den Tod fand, arbeitete Sisenna an einer Zeitgeschichte, die vom Bundesgenossenkrieg bis zum Tod Sullas gereicht haben könnte.6 Indes knüpfte seit den 90er Jahren eine neue Generation römischer Historiker, die sog. Jüngere Annalistik, wieder – wenngleich mit einem neuen literarischen, inhaltlichen und formalen Konzept – an die Gesamtgeschichte klassischer Provenienz an, die die Kontinuität der römischen Geschichte über alle Brüche und längerfristigen Entwicklungsstufen darstellte und die zuletzt isoliert behandelte Zeitgeschichte in einen weiten chronologischen Horizont einbettete.7 Dies bedeutete eine ganz moderne, aktualisierende Behandlung der römischen Geschichte.8 Mit seiner Gleichförmigkeit illustrierte das annalistische Schema die Funktionsweise der Institutionen, die vielfältigen Aspekte der politischen Kultur sowie die Normen und Konventionen in Gesellschaft und Religion.9 Weder ihrer Herkunft noch ihrer politischen Tendenz nach bildeten die Autoren eine einheitliche Formation. Unter ihnen finden sich politisch aktive Mitglieder der Nobilität, die üblicherweise das 5 6 7

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Bates 1983; Scholz 2003; Walter 2003(a); Pelling 2009. FRH 16, Einleitung, 240–245 und Timpe 2010. Zu den Voraussetzungen s. Timpe 1979; 2007 und Walter 2003: 137–143. Zum ideologischen Gehalt ausführlich Rich 2011(a) und Walter 2003, zur Kontinuität bes. 143 f.; zusammenfassend Walter 2004: 345 f. – Für die provinziale Perspektive auf die römische Geschichte, die hier nicht thematisiert werden soll, s. Yarrow 2006. Timpe 1979: 102 f. Rich 1997 und Walter 2003: 144 f. erblicken darin ein Mittel der Kontingenzbewältigung, weil trotz aller Turbulenzen in der Ereignisgeschichte die Beharrungskräfte in der Struktur der res publica deutlich würden. Manches spricht in der Tat für diese Auffassung, und wesentliche Bestandteile des politischen Systems wie der Gesellschaftsordnung blieben schließlich über mehrere Jahrhunderte zumindest der Form nach im Ganzen bestehen. Andererseits zeigt das sich seit dem 2. Jh. ausbildende Dekadenzbewusstsein die deutlich ausgeprägte Fähigkeit der politischen Elite, Veränderungen und Bewegungen innerhalb des traditionellen, unverrückbar scheinenden Rahmens wahrzunehmen und den ungegliederten Geschichtsverlauf durch Epochenjahre zu strukturieren.

1. Die Geschichtsschreibung

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Feld der Geschichtsschreibung beherrschten, zusehends aber auch Privatleute mit Kontakten zur Nobilität, die wohl teils im Auftrag ihrer Patrone schrieben. Selbst angesichts der in der römischen Geschichtsschreibung üblichen Manipulation des Quellenmaterials war der bezeichnenderweise aus dem Bemühen um Autorität und Authentizität sowie aus literarischen Ansprüchen resultierende Grad an Ideologisierung, Rhetorisierung, Übertreibung und Fälschung in diesen Werken schon aus der Sicht der Zeitgenossen spektakulär.10 Den methodischen Forderungen des Sempronius Asellios entsprechend, der sich seinerseits an Polybios orientierte, wollten die Autoren die Geschichte in Kausalzusammenhängen erklären und analysieren, nicht bloß ereignispolitische Phänomene aneinanderreihen. Dazu gehörten Portraits historischer Persönlichkeiten ebenso wie antiquarische oder geographische Exkurse.11 In stilistischer Hinsicht suchten sie modernen Ansprüchen Genüge zu tun, wie sie Coelius Antipater erhob, der jüngst auf diesem Gebiet Maßstäbe zu setzen versucht hatte.12 Als Akteure standen der populus Romanus und die Magistrate mit ihren Taten in Krieg und Frieden im Mittelpunkt: innere Auseinandersetzungen, Volksversammlungen, Prozesse, Senatssitzungen, Kriegserklärungen und Friedensschlüsse. All das wurde in ein flexibel gehandhabtes annalistisches Schema eingefügt. Gleichzeitig wurde die Geschichte zu einem Monument, weil die Werke, ohne in antiquarische Exzesse zu verfallen, auch von der „Welt der sichtbaren Objekte“ handelten, von der Stadtlandschaft und den Gebäuden mit ihrer Geschichte, die, wenn sie zerstört worden waren, gleichsam wieder zum Leben erweckt wurden oder eine literarische Rekonstruktion erfuhren.13 Wohl als Client eines nicht näher bekannten Optimaten behandelte Q. Claudius Quadrigarius die römische Geschichte von der Invasion der Gallier im Jahre 390 bis zum Bürgerkrieg des Jahres 82 in zwanzig Büchern, zehn davon der Zeitgeschichte gewidmet. In den 50er Jahren veröffentlichte Valerius Antias ebenfalls eine Gesamtgeschichte, die mindestens bis ins Jahr 91 reichte, während Licinius Macer die Vergangenheit Roms aus einer dezidiert popularen Perspektive betrachtete und eine Darstellung der Frühen Republik entlang der politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart konzipierte, die er in die Vergangenheit projizierte; Fragmente des ausführlich auch die römischen Anfänge behandelnden Werks sind nur bis zum Jahr 299 überliefert.14 Ebenfalls weiter in die römische Geschichte griff Q. Aelius Tubero mit seinem 14 Bücher umfassenden, wohl nach 31 entstandenen Werk aus, das 10 11 12 13 14

Deutlich Timpe 1979, zur politischen Tendenz 107–111, zu den Quellen 111–114; ferner Walter 2003: 145 f.; 149. Zu Asellio und Polybios s. Mehl 2001: 57 f.; Walter 2003; Beck/Walter 2004: 20–22; Walter 2004: 339–345. Zum stilistischen Anspruch s. Timpe 1979: 102 f.; 116–118. Zu Coelius s. Walter 2003: 141– 143. Hierzu mit ausführlichen Literaturangaben Walter 2011: 286 f. Zitat: Walter 2003: 144. Walt 1997; Walter 2003: 149 f. FRH 17, Einleitung, 314–317; Chassignet 2006: 115 f.; 123 f. unentschieden zur politischen Motivation Macers; sicherlich treffend definiert sie als Gegenstand des Werks „une histoire de Rome qui soit cohérente, avec des institutions anciennes, remontant pour un grand nombre d’entre elles à la fondation de la Ville“ (123).

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II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte

sich in archaisierendem Duktus ausführlich mit der Phase vor der Gründung Roms befasste und die Frühe und Mittlere Republik thematisierte.15 Wie sich die zu Beginn des augusteischen Principats entstandene Historiographie zu diesen Vorläufern stellt, wird bei der Einordnung des Livius in den geistesgeschichtlichen Horizont seiner Zeit vorgeführt werden. 2. DIE KULTURENTWICKLUNGSLEHREN a) Die Kulturentwicklungslehren in der Antike Seit jeher hat das Problem der Kulturentwicklung als ein fundamentaler Aspekt der Welterfahrung und des Geschichtsverständnisses zu intensiver Auseinandersetzung eingeladen.16 Bereits die Dichtungen Homers und Hesiods enthalten Skizzen und Reflexionen zu einer in der Urzeit ansetzenden Geschichte der Menschheit. Eine systematische Kulturtheorie, die mit der Erschaffung der Welt beginnt und in einer chronologischen Reihe bis in die Gegenwart reicht, bildet erstmals der Zeitaltermythos in Hesiods Lehrgedicht Werke und Tage. Mit der voranschreitenden Entwicklung der Poliswelt und der Ausbildung des Politischen, das vielfache Schwierigkeiten der Selbstvergewisserung mit sich brachte und die Bürger zur Erforschung des Kosmos und dessen Gesetzmäßigkeiten zwang,17 avancierte die Lehre von der Kulturentwicklung zu einer attraktiven Operation im philosophischen Denken, vermochte sie doch, zentrale Fragestellungen der Politik und Philosophie in einem komplexen, anthropologische, kulturtheoretische und geschichtsphilosophische Gesichtspunkte zusammenbindenden Ansatz zu deuten und erklären. Die Kulturentwicklungstheorien antworten auf elementare Fragen: wie das Wesen des Menschen beschaffen ist und welche Intentionen sein Handeln bestimmen; welche Faktoren ihn zur Gründung einer staatlichen Gemeinschaft bewegen, Schwäche oder Gemeinschaftstrieb; welchen Einfluss die zivilisatorischen Errungenschaften auf den Einzelnen wie die Gesellschaft nehmen, welche Entwicklungsstufen die Menschheit durchläuft, unter welchen Bedingungen Aszendenz und Dekadenz eintreten und ob der Fortschritt als ein determinierter oder beherrschbarer Prozess ver15 16

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FRH 18, Einleitung, 346–348. Grundlegende Arbeiten zu den Theorien der zivilisatorischen Entwicklung und dem damit zusammenhängenden Fortschrittsgedanken unter umfassender Berücksichtigung der Literatur sind van der Pot 1985: 341–565 und van der Pot 1999. Den Fortschrittsglauben als europäische Idee untersucht Loewenstein 2009. Grundlegende Beiträge zur Antike allgemein: Guthrie 1957; de Romilly 1966; Gatz 1967; Edelstein 1967; Dodds 1973; Meier 1975; Koselleck 1975; Reischl 1976; Bracher 1948/1987; 1981; Nisbet 1980: 10–46; Novara 1982; Meier 1983: 435– 484; Kubusch 1986; Evans 2008. Zu den einzelnen Autoren gibt es bedeutende Spezialuntersuchungen, die an den entsprechenden Abschnitten der Diskussion eingeführt werden. Alle relevanten Stellen aus der Literatur des Altertums versammeln Lovejoy/Boas 1965. Die derzeit beste Übersicht zu antiken Kulturentwicklungstheorien mit überzeugenden Interpretationen stammt von Müller 2003, der Uxkull-Gyllenband 1924, die einzige bisherige Gesamtdarstellung, ersetzt. Hier sei nur verwiesen auf die Überlegungen von Meier 1983 und Meier 2009.

2. Die Kulturentwicklungslehren

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läuft; welches die Mechanik der Politik ist und mit welchen Maßnahmen auf die historische Entwicklung eingewirkt werden kann, um Frieden und Wohlstand zu sichern. Insofern sie analysieren, wie die jeweilige Gegenwart im Formungsprozess der Geschichte entstanden ist, und prognostizieren, wie historisch-anthropologische Faktoren die Zukunft beeinflussen könnten, dienten sie der Sinn- und Identitätsstiftung. Als Indikatoren für Geschichtsbilder wiesen sie zugleich auf das intellektuelle Profil ihrer Urheber zurück und vermittelten Aufschlüsse über deren Zeitempfinden und das Zeitbewusstsein der Epoche, in der ihre Werke rezipiert wurden. Seit der griechischen Klassik fanden Kulturentwicklungstheorien als Teil des öffentlichen Diskurses Eingang in nahezu alle literarischen Gattungen. Mythologische Erklärungsmuster, wie sie zunächst dominiert hatten, lebten außerhalb der Dichtung in rationalisierten Versionen fort, die in der hellenistischen Aufklärung entstanden.18 Neuere Philosophenschulen wie die Stoiker und Epikureer verfeinerten und erweiterten das Interpretationsangebot und schufen eigene Deutungsansätze, die ihrerseits zu Modifikationen einluden. Obwohl sich im 4. Jahrhundert, ausgehend etwa von Xenophon und Aristoteles, zunächst die Vorstellung durchzusetzen begann, der gleichsam unüberbietbare Höhepunkt der Geschichte sei nunmehr erreicht und Wissen und Reichtum seien an ihre natürliche Grenze gestoßen,19 nahm die Konjunktur des Nachdenkens über die Kulturentwicklung nicht mehr ab, ja, sie erfuhr sogar in Zeiten eines starken geschichtlichen Wandels besondere Intensität: so im Hellenismus, als die griechische Welt sowohl territorial-politisch als auch intellektuell eine Neuordnung erfuhr und der Machtrückgang der Polis nach Erklärungen verlangte, während Wissenschaft und Zivilisation einen rasanten Aufschwung erfuhren; so in der römischen Expansion ab dem 2. Jahrhundert, die massiv in die politischen Verhältnisse des hochzivilisierten Griechenlands eingriff und zu einer Neukonzeption des Geschichtsdenkens inspirierte; so auch in der Krise der römischen Republik und im Bürgerkrieg, als die Auflösung des politischen Systems immer weiter voranschritt, Zukunftsängste um sich griffen und Reformvorschläge in schnellem Tempo ventiliert wurden.20 b) Kultur, Zivilisation und Fortschritt. Aspekte einer Begriffsgeschichte Als Kontrapunkt zur Natur, als etwas Künstliches, vom Menschen Geschaffenes21 bezeichnet der Kulturbegriff der antiken Kulturtheoretiker die Ergebnisse einer willkürlichen Formung der unberührten Natur, die in allen materiellen, sozialen, 18 19 20 21

Müller 2003: 202–281. Müller 2003: s. o. Zur Offenheit der Zukunft s. die Einleitung in das augusteische Zeitalter. Müller 2003: 13 f.; Pflaum 1961; Fisch 1992. Manche Kulturentwicklungstheoretiker hingegen, die den Fortschritt als teleologische Entwicklung betrachten und den Menschen für ein zum Fortschritt begabtes Wesen halten, sprechen von einer zweiten Natur, weil der Mensch kulturelle Errungenschaften als Ausfluss seines natürlichen Wesens hervorbringe, beispielsweise Anaxagoras, Protagoras, Demokrit, Poseidonios. S. hierzu jetzt die Interpretationen bei Müller 2003.

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II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte

ökonomischen und geistigen Hervorbringungen und Entdeckungen ihren Niederschlag fand, im Häuser-, Städte- und Festungsbau, in den verschiedenen Wirtschaftsformen wie Landwirtschaft und Handel, in Religion, Kunst, Literatur und Wissenschaft, aber auch den Techniken der Kriegsführung sowie in Sitten, Gesetzen und Institutionen, die das Zusammenleben der Menschen regulieren.22 Das antike Kulturverständnis integrierte so eine Vielzahl höchst verschiedener, aber doch aufeinander beziehbarer Phänomene. Es erzeugte jedoch, anders als in der Neuzeit, nicht zwingend die Vorstellung von einer Summe der Kultivierung in verschiedenen Disziplinen während eines begrenzten Zeitraums.23

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Die Definition lehnt sich in manchem an Müller 2003: 18 sowie Bringmann 2011: 9 an. S. ferner Fisch 1992: 682 f. Die lateinischen Nomina cultura und cultus, die Vorgänger des Begriffs Kultur, entstammen wohl zusammen mit dem Verb colere dem Wortfeld der Landwirtschaft (Müller 2003: 19–21). Früh schon erstreckten sich die Bedeutungen „pflegen“ und „bebauen“ auf alle Tätigkeiten und Errungenschaften des Menschen, die mit der willkürlichen Formung und Bearbeitung der Natur zu tun hatten. Von dort aus übertrug sich der Begriff auf Individuen und meinte zumal Bildung, Erziehung und die Sorge um sich selbst, dann aber auch Abstrakta wie Tugenden und Laster. So kam das Wort von der cultura animi, der Bildung des Geistes, das metaphorisch an die Tätigkeit des Ackerbaus anknüpft, ebenso auf wie der cultus vitiorum oder der cultus litterarum. Eine weitere Bedeutungsebene erschließt das Feld der Religion. Schließlich konnte cultus aber auch allgemein die Lebensweise einer Person bezeichnen (Pflaum 1961: 1–5 und Fisch 1992: 684–686, beide gestützt auf das Material des ThlL). Die These von Müller 2003: 17, im lateinischen Sprachgebrauch hätten cultus und cultura ausschließlich Anwendung auf Individuen gefunden, erweist sich als unhaltbar. Fisch 1992: 687 f., wobei die genannten Stellen dieser Deutung teils gerade widersprechen. – Analog zur lateinischen Begriffsgeschichte der Worte cultus und cultura hat sich der Kulturbegriff in der Neuzeit entwickelt (Fisch 1992: 679–682). Bis in das 18. Jahrhundert hinein fungierte cultus als Fachterminus in der Landwirtschaft. Stets schloss er die Aspekte des Verbesserns und des Veredelns ein. Ab dem 18. Jahrhundert war Kultur nicht mehr auf das Individuum beschränkt. Einerseits wurde sie als subjektive Kultur zu einem Synonym für Geisteskultur und Bildung. Für einige einschlägige Belegstellen s. Pflaum 1967: 290. Gleichzeitig aber verstand man im Ausgang des 18. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Kulturgeschichtsschreibung darunter als objektive Kultur zusehends das „Ensemble derjenigen Faktoren, die die Menschheit aus dem rohen Naturzustand herausführen“ (Daniel 2006: 199; Pflaum 1961: 317) könne. Nunmehr fand der Kulturbegriff auch Anwendung in Bezug auf Kollektive wie Gemeinschaften oder Staaten (Daniel 2006: 195–200). Im Deutschland des ausgehenden 19. Jhs. wurden dann die zeitweise synonym verwendeten Begriffe Kultur und Zivilisation in Opposition zueinander gebracht, die eine Einschränkung des Kulturbegriffs zur Folge hatte. Grundlegend zur Begriffsgeschichte von Kultur und Zivilisation: Pflaum 1961: bes. 21–48; Pflaum 1967: 24–43; Hilgers-Schell/Pust 1967 und, auf neuestem Stand, Fisch 1992. Zum Gegensatz Kultur – Zivilisation im Deutschen s. Pflaum 1961: 90–316 und Pflaum 1967: 294– 298; 298–300. Da der Kulturbegriff seit dem cultural turn jedoch wieder eine solche Integrationskraft erlangt, dass er nahezu alle denkbaren Phänomene des Alltags umfasst, wird es notwendig, zwischen einem umfassenden Kulturverständnis, das wie „Zivilisation“ die Gesamtheit aller Lebensbereiche einschließt, und einem eingeschränkten Kulturverständnis zu unterscheiden, das lediglich die geistig-künstlerische Sphäre meint. Zur Verwendung des Begriffs und dessen Wandlungen in der modernen Kulturgeschichte s. neben den etwas pauschalen Ausführungen bei Burke 2005: 45 f. vor allem Daniel 2006: 195–219. Für eine Kritik s. die Einwände von Bringmann 2011: 9–11. Eine sachliche Behandlung des modernen Kulturbegriffs in allen seinen Facetten bietet Fisch 1992: 769–774.

2. Die Kulturentwicklungslehren

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Schon immer stand das Nachdenken über die Kulturentwicklung in einem unauflöslichen Zusammenhang mit dem Problem der Bewertung des Fortschritts, dessen Brisanz auf der allen Theorien zugrundeliegenden Einsicht beruht, dass die zivilisatorische Entwicklung potentiell eine Veränderung der Sitten bewirke, dass also dem Fortschritt ein technischer wie ein moralischer Aspekt innewohne, die, untrennbar miteinander verkoppelt, in einem Wechselverhältnis zueinander standen.24

24

Da der Diskussion der Kulturentwicklung in dieser Studie der antike und damit der erweiterte Kulturbegriff zugrunde liegt, werden die Termini Kultur und Zivilisation synonym nebeneinander gebraucht. Hier ist noch eine Anmerkung zum Gebrauch des Fortschrittsbegriffs notwendig. Ob allerdings die Antike den Fortschrittsgedanken im modernen Sinn, mit seinen Implikationen aus der neuzeitlichen Philosophie und Geschichte, gekannt hat, ist umstritten. Zwar kennen Wörter, die den Fortschritt beschreiben, sowohl das Griechische als auch das Lateinische in Fülle, s. hierzu im Einzelnen Meier 1975: 353 f. und Edelstein 1967: passim. Aber angesichts der historischen Aufladung des Fortschrittsbegriffes bestreitet eine sprachpuristisch argumentierende Gruppe die Existenz des Fortschrittsgedankens im Altertum, z. B.: de Romilly 1966; Meier 1975; Koselleck 1975; Meier 1983; van der Pot 1985: 33 f.; 48–51, bes. 49 f.; van der Pot 1999: 343 f.; Bringmann 2011: 11. Für Namen und Positionen der älteren Forschungsgeschichte s. bes. Edelstein 1967: XI–XXXIII, aber auch Nisbet 1980: 10–12 und van der Pot 1999: 343–346 sowie W. Nippel, DNP 4, 1998, 694–698, s. v. Fortschrittsgedanke. Der neuzeitliche Fortschrittsbegriff beruht auf der Vereinigung der Einzelgeschichten unterschiedlicher Völker und Staaten zu einer einzigen Geschichte der Menschheit (Koselleck 1975: 387 f. Meier 1975: 357). Hätten frühere Jahrhunderte bereits einzelne Fortschritte in diversen Sektoren einer Zivilisation zu identifizieren vermocht, so mache das Eigentümliche des modernen Fortschrittsgedankens aus, dass nun die Rede vom Fortschritt schlechthin möglich sei. Das Wort „Fortschritt“ wird als Kollektivsingular aufgefasst und führt zu einem Fortschrittsgedanken, der alle denkbaren Felder in einer einheitlichen Richtung sich entwickeln sieht (Meier 1983: 439). Ein solches Geschichtsdenken ist von strikter Linearität geprägt. Zum Vorläufer dieses namentlich von Kant inaugurierten Fortschrittsbegriffes gehörte die Annahme, die Geschichte sei durch das Streben nach Perfektion gekennzeichnet, Perfektion der Lebensweise und Perfektion des Menschen selbst in einem infiniten Prozess (Koselleck 1975: 357). Die Errungenschaften des Fortschritts müssten deshalb zu etwas grundsätzlich Neuem führen, nicht zur Wiederherstellung von etwas Gutem, das in der Vergangenheit liege (Koselleck 1975: 389; Meier 1983: 441; van der Pot 1985: 48–51; van der Pot 1999). Fortschritt meine daher eine „irreversible Steigerungsfähigkeit zum Besseren“. In der Antike hingegen habe es keine Vorstellung einer einheitlichen Richtung der geschichtlichen Ereignisse zum Besseren gegeben (Meier 1975: 353 und Meier 1983: 439). Fortschritt sei, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine „rein deskriptive, sachgebundene Feststellung“ gewesen, der alles ‚Weltbemächtigende‘ gefehlt habe (Meier 1975: 357), und sei, von der Ausnahme einiger weniger Autoren abgesehen, nur in einzelnen Bereichen bekannt gewesen, nicht aber als universaler, unumkehrbarer Prozess. Im übrigen habe die von Zyklen dominierte Zeitvorstellung der Antike schon prinzipiell einem „geschichtlich unumkehrbaren Aufstieg zum Besseren“ entgegengestanden, hierzu auch Burke 2010. Doch diese Position, die sich ohnehin nicht vollständig hat durchsetzen können (s. etwa Edelstein 1967 und Nisbet 1980), offenbart bedenkenswerte Schwächen. Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist die Vorstellung eines Fortschritts, der auf allen Sektoren in eine einheitliche Richtung weist, brüchig geworden, als man sich zusehends der Ambivalenzen der Geschichte bewusst wurde und ein mächtiger Zukunftspessimismus aufkam. S. hierzu bes. Radkau 1998 zum Zeitalter zwischen Bismarck und Hitler sowie die Analyse des Kulturpessimismus

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II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte

Kulturtheoretiker gehören hauptsächlich zwei Klassen an. Die erste Gruppe bilden die Fortschrittskritiker, die Verfechter eines bißow litoßw. Vorzugsweise sehen sie den Menschen in einer primitiven Lebensform verharren, in einem Jägerund Sammlerdasein ohne Ackerbau und sonstige Errungenschaften der Zivilisation. Alle notwendigen Voraussetzungen für ein gesundes, moralisch richtiges Leben liefert ihrer Ansicht nach die Natur; sie plädieren für eine Rückkehr zu einer ursprünglicheren Lebensführung jenseits des korrumpierenden Luxus. Als Ursache für die destruktiven Seiten des Fortschritts gilt ihnen das Entstehen von Privatbesitz. Ursprünglich hätten alle Menschen unterschiedslos alles besessen und keinerlei Besitzansprüche geltend gemacht. Dann habe die Ressourcenknappheit eingesetzt und die menschliche Pleonexie aktiviert. Die unheilvollen Wirkungen des Fortschritts resultierten folglich aus inneren und äußeren Ursachen, aus einer natürlichen Anlage des Menschen und aus den Einflüssen der Umwelt. Aufgrund der steigenden Begehrlichkeiten der Menschen habe sich die Gefahr der Konfrontation zwischen den Menschen erhöht. So seien sie, nachdem sie einst ohne den Zwang von Gesetzen zusammengelebt hätten, auf das Recht angewiesen, während ihre am Ausgang des 19. Jh.s anhand dreier Fallbeispiele von Stern 1963. Für die Ambivalenzen im neuzeitlichen Fortschrittsdiskurs seit dem 19. Jahrhundert s. auch Sparn/Walther 2006: 1082 f. Schon relativ schnell also hat sich die Vorstellung vom Fortschritt als einer Kraft, die in allen Lebensbereichen in eine einheitliche Richtung ausstrahle, verflüchtigt. Nachdem in der Gegenwart mit dem zeitweiligen „Abschied von den Utopien“ (J. Fest) die Attraktivität von fortschrittlichen Ideen, die auf Perfektibilität und auf etwas völlig Neues abzielten, stark zurückgegangen und Orientierungslosigkeit gewichen ist (s. die Debatte um das von Fr. Fukuyama prophezeite Ende der Geschichte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion), erscheint die Schlussfolgerung nicht unangebracht, der Fortschrittsbegriff der Gegenwart nähere sich inzwischen dem an, was Chr. Meier, auf das Altertum bezogen, das Auxesis-Bewusstsein genannt hat, eine Art alternatives Fortschrittsbewusstsein, das Verbesserungen in einzelnen oder mehreren Sektoren erkennt. Insofern ist zweifelhaft, ob man für die Gegenwart überhaupt noch von einer Uniformität des Fortschrittsbegriffs wie in der Aufklärung ausgehen darf. Wer heute noch von einer Anwendung des Fortschrittsbegriffs auf antike Verhältnisse abrät, weil er unlöslich mit Implikationen der Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts aufgeladen sei, dem unterläuft selbst der Anachronismus, vor dem er warnt, weil er eine historisch bedingte, dem geschichtlichen Wandel unterworfene Begriffsdefinition absolut setzt. Was die vermeintlich rein zyklischen Vorstellungen im antiken Geschichtsdenken betrifft, so steht fest, dass es im Altertum keine allgemein gültigen Deutungen des Ablaufs von Geschichte gab, sondern dass solche Konzeptionen in großer Zahl existierten. Verwiesen sei hierzu auf die grundsätzlichen Arbeiten von Momigliano 1966 und Feeney 2007, contra hingegen van der Pot 1985: 49 f. Die meisten Lehren von der Kulturentwicklung scheinen von einer Spiralförmigkeit der Geschichte auszugehen (Pluriozykloprogressivität), einem prinzipiell zyklischen Verständnis, das sich aus der fortwährenden Geltung anthropologischer und politischer Gesetzmäßigkeiten ergibt, das aber die Entwicklung der menschlichen Zivilisation generell voranschreiten sieht. Da außerdem Einigkeit besteht, dass der Antike der Fortschritt zumindest als Denkform bekannt gewesen sei (so bes. Dodds 1973; Bracher 1948/1987: 22–25; Bracher 1981: 213–216; ferner Novara 1982: 11–37; außerdem Meier 1975 mit den Ausführungen zum Auxesis-Bewusstsein), spricht, dies alles vorausgesetzt, wenig gegen die behutsame Anwendung des Fortschrittsbegriffs auf die Antike und entfällt die Notwendigkeit zum Gebrauch „dritter Begriffe“, für die Meier 1980: 437 plädiert hatte. Zu den pragmatischen und hermeneutischen Schwierigkeiten, die einem sprachpuristischen Ansatz in der Geschichtswissenschaft innewohnen, s. im übrigen die grundsätzlichen Überlegungen bei Walter 1998: 9–11.

2. Die Kulturentwicklungslehren

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Moral stetig absinke. Mit der Erfindung des Eisens sei die Zeit der gewalttätigen Auseinandersetzungen und des Krieges angebrochen. Zur zweiten Gruppe zählen die Apologeten des Fortschritts. Wenngleich ihnen dessen Ambivalenzen bewusst sind, vertreten sie die Auffassung, dass die Weiterentwicklung der Zivilisation der Disposition der menschlichen Natur entspreche und dem Menschen selbst die Mittel gegeben seien, den durch die Zivilisation drohenden Gefahren entgegenzusteuern. Im Primitivismus, der nur ein tierähnliches Leben (bißow jhrivßdhw) hervorbringe, erblicken sie nichts Erstrebenswertes; die Befähigung zur Kultur verstehen sie als eine zweite Natur des Menschen, die erst ein menschenwürdiges Leben ermögliche. Nur in mythologischen Erklärungsmustern gibt es schließlich die Vorstellung von einem bißow auötoßmatow, einer primitiven, aber paradiesischen Lebensform, eines Goldenen Zeitalters, das mit fortschreitender Kulturentwicklung der Dekadenz verfällt, während doch die unschuldige und bequeme Lebensweise im Urzustand für ein vollkommenes Glück ausgereicht hätte. Die letzte Stufe des Niedergangs bildet dieser Theorie gemäß das Eiserne Zeitalter, in dem der historische Mensch lebt. Dies ist die Welt der Geschichte25. Eine besonders eigentümliche Konstruktion begegnet bei Platon und Arat: Sie siedeln das Goldene Zeitalter in dem Ideal einer Stadt an.26 Das Verständnis von Fortschritt bzw. Zivilisation, dessen sich diese Studie bedient, ist nicht das eines chronologischen Ablauf, sondern knüpft an die Vorstellung an, die den analysierten Texten zugrunde liegt: die sich in ihren einzelnen Komponenten bedingende, häufig verschiedenen Stufen zuzuordnende Steigerung der technischen, ökonomischen und sozialen Innovationen. Hierunter fällt zunächst die Nutzbarmachung von Edelmetallen für Werkzeuge. Sie bedingt Veränderungen in der Lebensweise durch die Entdeckung des Ackerbaus, die Errichtung fester Behausungen, die Produktion von Nahrungsmitteln. Im Zuge dieser Entwicklung entstehen aber auch Geld, Handel und Krieg. Zum Fortschritt gehört nicht zuletzt die Erhöhung des Lebensstandards über die Erfüllung des Notwendigen hinaus durch das Aufkommen von Konsum- und Luxusgütern. Ein geschlossenes Modell dieses Prozesses soll als Kulturentwicklungstheorie begriffen werden. c) Kulturentwicklungstheorien in Rom Hinter den Reflexionen zur Kulturentwicklung im augusteischen Zeitalter stand die Erfahrung des Bürgerkrieges, die eine nähere Beschäftigung mit dem Menschen, der Funktionsweise der Geschichte und der Politik anregte. Fundamentale Krisen brachten fundamentale Fragen hervor. Alle Dichtungen jener Epoche waren – mit einer Begriffsprägung Ernst Zinns – Weltgedichte. Ihr Thema war „die Welt“, „das 25

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Der Terminus „Welt der Geschichte“, der im Folgenden als Gegenbegriff zur unberührten, mythischen Epoche dienen soll, ist einem Aufsatztitel Fr. Klingners entlehnt (Virgil und die geschichtliche Welt; Klingner 1979), bezeichnet aber ursprünglich bloß die Einbeziehung der Zeitgeschichte, der 30er Jahre, in die Dichtungen Vergils. S. hierzu umfassend Kidd 1997.

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Weltganze“, der Kosmos.27 Dies ging über die herkömmlichen Konzepte einer historia magistra vitae weit hinaus, weil sie die gesamte Menschheitsgeschichte seit der Erschaffung der Welt umschlossen. Dabei sollte nicht primär in rückwärtsgewandten, die Vergangenheit romantisch ausleuchtenden Konstruktionen ein Fluchtort gesucht werden. Vielmehr suchten sie die Stellung des Menschen in seiner sozialen und politischen, durch historische Mechanismen konditionierten Umwelt zu erfassen und die ihm innerhalb dieser Grenzen möglichen Handlungsoptionen und Hoffnungen aufzuzeigen. Befeuert wurde die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Kultur auch durch die zunehmende Präsenz der griechischen Philosophie in der Späten Republik.28 Sämtliche wichtigen Philosophen der griechischen Klassik und des Hellenismus wurden in Rom reflektiert. So enthalten Kulturentwicklungstheorien sowohl die Dichtungen Catulls29 als auch die philosophischen Schriften Ciceros.30 Zu den politischen Autoren, die über die Funktionsweise der Welt nachsannen, gehörte auch Varro, der in seiner Abhandlung über die Landwirtschaft, den Res rusticae, ausführlich das Thema reflektierte und für die spätere Auseinandersetzung der Dichter in den zwanziger Jahren wie auch für den Diskurs über Gegenwart und Vergangenheit ein wichtiger Referenzautor wurde. Gerade in die Zeit nach der Ermordung Caesars fielen fundamentale Auseinandersetzungen über die Kulturentwicklung. Die Autoren, die sich mit dem Platz der Gegenwart in der Geschichte und den Zukunftsaussichten unter den aktuellen politischen und sozialen Verhältnissen befassten, traten in einen Dialog miteinander ein und kommunizierten über intertextuelle Bezüge nicht nur mit ihren literarischen Vorläufern, sondern auch mit ihren Zeitgenossen. Vergils 4. Ecloge, in deren Zentrum die Rückkehr eines Goldenen Zeitalters steht, bildet den Auftakt dieses Gespräches. Dies zeigt das utopische Potential an, das aus der Atmosphäre der Zeit heraus verständlich wird. Unmittelbar mit Vergils Bukolik hängt das Frühwerk des Horaz zusammen. Seine Epoden 7 und 16, die auf gängige Topoi der Kulturentwicklungstheorie rekurrieren, sind Beispiele für eine Utopie und Dystopie. Auch zur Untermauerung politischer Forderungen oder Illustration von politischen Idealen setzt er Kulturentwicklungslehren ein.31 Die gedrückte Atmosphäre jener Jahre hellte sich erst mit dem Sieg Octavians bei Actium wieder auf, der nunmehr tatsächlich den Bürgerkrieg zu seinem endgültigen Ende gebracht zu haben schien und die Stabilisierung des Staates in Angriff nahm.32 Es folgte eine Debatte, in der es um die Bedingungen für ein Zeitalter des Friedens 27 28 29 30 31

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Zinn 1956: 7 f. Hierzu bes. Rawson 1985 und Gruen 1992. Cat. 64. Näheres bei Müller 2003: 263–372; s. auch Samotta 2009: 58. S. z. B. Hor. serm. I 3,99–117, die vor dem Hintergrund einer historischen Entwicklung der Funktion von Recht und Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt gewidmet ist; ars 391–399 zur Stiftung einer durch Recht, Städte und institutionalisierten Sitten beruhenden Zivilisation durch Orpheus; sowie epod. 3, die angesichts des Sittenverfalls in der Gegenwart die Rückkehr zu einer intakten Moral der Frühzeit verlangt, dies aber schließlich als unrealistisch enthüllt. Hierzu generell Osgood 2007.

2. Die Kulturentwicklungslehren

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und der Prosperität, die grundsätzlichen Schwierigkeiten der Politik und das Verhältnis zur Vergangenheit ging und die sich in der Neugestaltung des Staates niederschlagen musste. Der Princeps Augustus selbst übernahm vermittels seiner Selbstdarstellung einen Part in diesem Diskurs. Vergil äußerte sich wiederum grundsätzlich in den Georgica, entstanden seit Mitte der 30 Jahre, veröffentlicht wohl 29, die in Abkehr von der Utopie der 4. Ecloge mit ihrer Vorstellung von einer Wiederkehr des mythischen Goldenen Zeitalters nunmehr das Landleben propagierten, das als zivilisatorische Stufe zwischen der ursprünglichen Unschuld und der Stadt als letzter, dekadenter Lebensform stand. Die dort eingenommene Position griff der Dichter selbst in seinem nächsten Werk, der Aeneis, auf, passte sie jedoch der neuen gattungsspezifischen Perspektive an und verband, auch in Auseinandersetzung mit der Liebeselegie und Varro, was vorher als Gegensatz galt: Goldenes Zeitalter und geschichtliche Welt. Zeitgleich näherte Horaz seine Dichtung stark den geschichtlichen Ideologemen des Augustus an, dem Konezpt eines durch Waffen und Tugenden gesicherten Friedens, der in der geschichtlichen Welt angesiedelt war.33 Die zwanziger Jahre waren auch die Hochzeit der Liebeselegie. Neben den Begründer der Gattung Gallus traten Properz und Tibull, an die nach ihrem Tod Ovid anknüpfen sollte. Scheinbar fundamental unterzogen sie die bestehende Gesellschaft einer radikalen Kritik, propagierten vermeintlich eine Art Aussteigerexistenz und flohen in die Idylle eines unpolitischen, der Liebe geweihten Privatlebens, setzten sich dabei jedoch intensiv und auch in geschichtlicher Hinsicht mit der res publica und den dazugehörigen Themenkomplexen auseinander. Nur trümmerhaft ist die Fachliteratur der Zeit erhalten geblieben.34 Sie erfüllte im Programm des Augustus eine besondere Rolle, insofern sie den kulturellen Raum dessen ausmessen sollte, was man für römisch hielt, und im Sinn einer Rückkehr zur als vorbildhaft empfundenen Tradition Orientierung stiften sollte. Hierzu gehören insbesondere die Kalenderreform und die Kommentare zum Kalender. Sie sollten also das kulturelle Bewusstsein fördern und den Zusammenhang aufzeigen, in dem Augustus seine Politik verortete. Aufschlüsse vermögen heute nur noch Bemerkungen in Vitruvs De architectura zu vermitteln, die Rolle und Bedeutung der Architektur für die Zivilisation darlegen, ein grimmiges Bild vom bißow litoßw der Frühzeit zeichnen und mit alledem das ideologische und städtebauliche Programm des Augustus unterstützen.35 Der Einschnitt, den die Saecularfeiern markieren, bildet auch eine Zäsur im kulturellen Leben Roms. Verstorben sind in den Jahren um 17 die Dichter Vergil, Tibull und Properz. Von Horaz folgten noch die Episteln und das IV. Odenbuch, das sich noch einmal besonders dem Politischen zuwendet. Inzwischen begann der Aufstieg eines neuen Stardichters. Es war Ovid, der in den folgenden zwanzig Jahren, ähnlich wie Vergil, ein Œuvre schuf, das mehrere Gattungen vereinigte, und mit den Metamorphosen und den Fasten zwei Dichtungen vorlegte, die nicht der 33 34 35

S. hierzu S. 53 f. S. hierzu S. 48; 50. Vitr. II 1,1–3.

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II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte

Geschichtsschreibung angehören, aber doch Geschichte, sowohl in universalgeschichtlicher als auch in römischer Dimension, sowie das Phänomen der Zeit und des Wandels zum Gegenstand haben. Beide Werke erfuhren während der Verbannung des Dichters ans Schwarze Meer nach Tomi tiefergehende Überarbeitungen, die Fasten nach dem Tod des Augustus sogar eine Umwidmung auf Tiberius. Erst im letzten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts vor Christus entstanden die großen städtebaulichen Manifestationen der augusteischen Selbstdarstellung, in denen die römische Geschichte thematisiert wurde. In ihren Grundzügen waren sie schon in den 20er Jahren angelegt. Damals kristallisierten sich prägende Elemente heraus, die in das Konzept der Saecularfeier einmündeten. Nun erst gelangten sie zur vollen Ausführung. Die großen ideologiegeladenen Teile der Selbstdarstellung waren das Augustusforum, die Ara Pacis, die Tempelrestaurierungen und die Münzpropaganda. Erst die Res Gestae bestätigten in literarischer Form die Botschaften des augusteischen Bildprogramms: Frieden und Prosperität durch eine victoriis parta pax, die Anlehnung an die römische Vergangenheit und, durch eine Befürwortung der positiven Elemente der politischen Welt, die Beteiligung an Krieg und Politik zum Nutzen des Staates, ohne sich korrumpieren zu lassen. Den Abschluss des Nachdenkens über die menschliche Kultur in der Formierungsphase des Principats bilden zwei Dichtungen, die in die Zeit des Herrschaftswechsels von Augustus zu Tiberius fallen: die Astronomica des Manilius und die Phaenomena, die Caesar Germanicus in freier Übersetzung des gleichnamigen Lehrgedichtes des Arat verfasste. Bei Manilius handelt es sich allerdings nur um fast rein motivische Reminiszenzen, mit denen er die Position der Wissenschaft in der Gegenwart zu fixieren sucht, nicht mehr aber um genuin politische Überlegungen, die sich mit der Stellung der Gegenwart in der Kultur auseinandersetzen. Germanicus hingegen weist schon in der Praefatio mit der Widmung an Tiberius, der freilich namentlich ungenannt bleibt, auf die huldigende Absicht hin, die er mit seinem Werk verfolgt, auf den Preis der unter dem Kaiser florierenden Gegenwart. 3. DER HISTORISCHE ABRISS Eine dritte Form der Darstellung von Geschichte als Prozess vereinigt Elemente der Historiographie und des kulturtheoretischen Zugriffs: der historische Abriss. Im ersten Jahrhundert entstanden mit T. Pomponius Atticus’ tabellarischer Übersicht der römischen Geschichte und mit Varros Galerien berühmter Männer Alternativen zu der breit angelegten annalistischen Geschichtsschreibung mit ihren anspruchsvollen literarischen, methodischen und inhaltlichen Vorgaben.36 Noch vor dem Trend zur Epitomisierung umfänglicher Geschichtswerke existierte bereits in der Späten Republik eine Reihe von Exempla-Sammlungen und dann auch unter Augustus, teils dirigiert von den in seinem Umfeld wirkenden Gelehrten wie Hygin.37 36 37

Zum kulturellen Hintergrund des Augustusforums, das ein historischer Abriss war, s. Geiger 2008: 25–51. S. hierzu bes. Skidmore 1996: 44–52, v. a. 44 und Schmidt, P. L. 2001.

3. Der historische Abriss

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In den meisten erhaltenen Dichtungen der augusteischen Zeit sind oftmals überblicksartige Gesamtdarstellungen der Geschichte in die Handlung eingeschaltet, reduziert auf charakteristische Themen und Personen, die anders als dekontextualisierte, isoliert dastehende exempla keine didaktische Funktion übernehmen, sondern ein geschlossenes Bild der Geschichte erzeugen. Jenseits der Literatur gab es solche Abrisse auch als Monumente, wie das Augustusforum mit seinen zwei Statuengalerien der Principes, oder als Rituale und Zeremonien, wie etwa die Darstellung einer pompa auf der Ara Pacis oder der Leichenzug des Augustus. In ihrem Umfang erfassen sie, angelegt als Gebet oder göttlich inspirierte Prophezeiung, im Durchlauf die gesamte römische Geschichte von den mythischen Anfängen um die Troianer bis hin zur Gegenwart, dem Principat des Augustus. Die Auswahl der von geschichtlichen Persönlichkeiten repräsentierten Themen und damit der historischen Paradigmen war vollkommen dem Autor eines solchen Abrisses überlassen, in dessen Konzeption auch gattungsspezifische Gesichtspunkte und die Handlung des dazugehörigen Werkes38 hineinspielen. Trotz der weitgehenden Berücksichtigung der Chronologie erfüllen solche Abrisse zwar essentielle Anforderungen der Geschichtsschreibung nicht, weil sie keine expliziten kausalen Beziehungen herstellen und ein überliefertes Spektrum traditioneller Themen vollständig abdecken. Historiographischen Prinzipien widersprach ferner die Einbeziehung der göttlichen Sphäre. Auch thematisch wurden die Grenzen der Geschichtsschreibung überschritten. Zwar erhob sich die moderne historiographische Literatur des 1. Jahrhunderts über die politische Ereignisgeschichte und nahm auch kulturwissenschaftliche oder universalgeschichtliche Exkurse und Reflexionen auf. Doch die Abrisse der augusteischen Zeit sind darüber hinaus massiv vom Nachdenken über das Goldene Zeitalter und die kulturtheoretische Einordnung von Gegenwart und Zukunft geprägt. Im Verzicht auf die in der Geschichtsschreibung penibel registrierten Details der politischen Geschichte konnten die entscheidenden Linien der Geschichte ausgezogen, aber auch durch den engen Raum, der zur Präsentation zur Verfügung stand, pointierter als in einem ausführlichen Narrativ vorgeführt werden. Wenngleich thematische Zusammenhänge nur über Assoziationen vermittelt wurden, durch kurze Portraits, Beschreibungen oder bildersprachliche Elemente, konnten durch die Reduktion des Materials und die beschränkte Auswahl paradoxerweise die Zusammenhänge, auf die es ankam, eindringlicher dem Adressaten, dem Leser oder Betrachter, vermittelt und leichter eine Gesamtdeutung der römischen Geschichte, der in ihnen wirkenden Kräfte und Tendenzen, entworfen werden.39 Dies verlieh jedem Abriss, dieser variablen und vielschichtigen Variante einer historischen Meistererzählung, seine unverwechselbare Gestalt und ließ ihn neben der Geschichtsschreibung und der Kulturentwicklungstheorie, aber auch in Verbindung mit ihnen, zu einer kaum überschätzbaren Form der Darstellung von Geschichte in augusteischer Zeit avancieren. Eminent wichtige Aufgaben übernimmt 38 39

Deshalb verstellt auch die systematische, motivgeschichtliche Erfassung solcher Abrisse den Zugang zu deren Verständnis. Deshalb gehören Hor. carm. I 12 und Manil. I 758–926 mit ihrer bloßen Aufzählung von Namen nicht in die Reihe der hier analysierten Abrisse.

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II. Formen von Meistererzählungen der römischen Geschichte

er in Tibulls Elegie II 5, die auf die ganze Sammlung ausstrahlt, in Properz’ Gedicht IV 1, der Ouverture zum IV., aitiologisch dominierten Buch, dem Abschluss seines Elegienwerks, in den drei großen Prophezeiungen der Aeneis, der Iuppiter-Prophezeiung, der Heldenschau und der Schildbeschreibung, sowie in den Metamorphosen und Fasten Ovids. Die einzige Deutung, mit der Augustus trotz der vielfältigen historischen Bezüge in seiner Selbstdarstellung aufwartete, war das Augustusforum, das als Monument in den vorwiegend literarisch geführten Diskurs über Rom und seine Vergangenheit eingriff.

III. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DER HISTORIOGRAPHIE Livius’ Ab urbe condita1 1. LIVIUS, DIE RÖMISCHE GESCHICHTE UND DIE AB URBE CONDITA Nicht lange vor der Saecularfeier veröffentlichte T. Livius, geboren 64 oder 59 v. Chr. in Padua,2 zwischen 27 und 253 die ersten Bücher seiner monumentalen Gesamtdarstellung der römischen Geschichte, der Ab urbe condita. Als das Werk, das mit dem Tod des Drusus endete, nach einer geradezu ununterbrochenen Versenkung des Historikers in die Vergangenheit 14 n. Chr. – im gleichen Jahr, als Augustus starb – mit dem 142. Buch abgeschlossen vorlag, war es die einzige Gesamtgeschichte geblieben, die in augusteischer Zeit entstanden war. Rasch gewann es, sämtliche Vorgänger verdrängend, als definitive, unüberbietbare Meistererzählung in der Gattung der Historiographie einen kanonischen Rang.4 Von der sicheren Erwartung eines stabilen Friedens nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs und der Aussicht auf künftige Prosperität war das Vorhaben allerdings kaum getragen, als Livius mit der sukzessiven Veröffentlichung des Werks begann. Zwar rühmt er die Schließung des Ianus-Tempels im Jahr 29, die erste seit dem I. Punischen Krieg, als ein Geschenk der Götter für die Zeitgenossen und ein Symbol für den Frieden, der nach Octavians Sieg bei Actium zu Lande und zu Wasser eingetreten sei.5 Doch hat er in dem Ereignis, das, wie auch die Rückgabe der res publica an Senat und Volk, die Wiederkehr von Frieden, Freiheit und Eintracht besiegeln sollte, keine Epochenscheide gesehen. Stattdessen ordnete er die Gegenwart in der Praefatio, der Einleitung zum Gesamtwerk, in einen langfristigen, sich über mehrere Jahrhunderte erstreckenden Prozess des sittlichen Verfalls ein, der, so sah er es damals, Mitte der 20er Jahre, noch immer andauerte und in der Gegenwart sogar seinen Höhepunkt erreichte.6 Dass nach der Schlacht von Actium tatsächlich eine Epoche 1

2 3 4 5 6

In diesem Teil führe ich einige vorläufige Überlegungen zu Livius’ Geschichtsdenken weiter, die ich vor geraumer Zeit als Diskussionsvorschlag unterbreitet habe (Steffensen 2009; s. dort bes. 115). Was damals bloß skizziert worden ist, soll hier vertieft und auf umfassender Quellenbasis ausgeführt werden. Denn inzwischen ist der damals vorgestellte Ansatz vielfach modifiziert, präzisiert und erweitert worden. Zu den grundsätzlichen Überlegungen von damals tritt als neue Fragestellung auch das Problem der Entwicklung der Geschichte im Narrativ der Dekaden II, IV und V und deren Implikationen für Livius’ Geschichtsdenken hinzu. Zur Vita bes. Burck 1992: 1–6, für einen Überblick von Albrecht 2003: 559 f. Zur Frage der Datierung gleich Näheres. Für einen Überblick zur antiken Rezeption s. Burck 1992: 188–193. Liv. I 19,3. Näheres zur Schließung des Ianus-Tempels s. Kienast 2009: 80; 222 f. sowie Lange 2009: 140–148. Liv. praef. 4 (hierzu auch die folgenden Ausführungen). Nicht akzeptiert von Luce 1965: 231 und Woodman 1988: 132 als unvereinbar mit den Errungenschaften des Augustus, die Livius

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

dauerhafter innenpolitischer Stabilität begann, hat er erst im Schlussteil des Werks, entstanden in der Endphase des augusteischen Principats, feststellen können.7 Mit der Formel, dass die Gegenwart weder die Verkommenheit der Sitten noch die Heilmittel gegen die Dekadenz ertrage,8 konstatiert Livius in der Praefatio je-

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registriert haben müsste. Apodiktisch von Albrecht 2003: 660, dass Livius das „Ende der Bürgerkriege“ und den „Anfang einer gesicherten, friedlichen Zeit“ zur Abfassung seines Werks bestimmt hätten. Zuletzt hat Burton 2008: 91, Anm. 44 die vermeintliche Diskrepanz zwischen dem Ton der Praefatio und Livius’ angeblicher Einschätzung der Zeitgeschichte mit dem Umstand erklären wollen, die Praefatio sei für eine erste Edition der I. Pentade, veröffentlicht noch vor Actium, verfasst worden und sei zu bekannt und vielleicht zu populär gewesen, als dass sie für die zweite Fassung der Bücher I–V Mitte der 20er Jahre hätte abgeändert werden können. Aber selbst wenn Livius relativ früh mit der Abfassung des Werkes begonnen haben sollte, kurz vor oder nach Actium, erscheint es unplausibel, dass er, als er zwischen 27 und 25 den ersten Teil des Werkes publizierte, eine mittlerweile überholte Sicht auf das zeitgeschichtliche Geschehen habe vorlegen wollen, dass also die pessimistische Stimmung der Praefatio mit einer in Wahrheit optimistischen Beurteilung der aktuellen Politik zusammentraf. Insofern dürften die skeptischen Einlassungen in der Praefatio, wann immer konzipiert, Livius’ Beurteilung der gegenwärtigen Zustände auch tatsächlich widerspiegeln. In der Livius-Forschung ist die Diskussion über die Abfassungszeit der I. Pentade bis heute höchst kontrovers ausgetragen worden. Einen zuverlässigen Überblick über die Debatte bietet neben Oakley 1997: 109 f. v. a. Burton 2000: 429–438. Traditionell galt, dass die Abfassung der I. Pentade dem Erscheinungstermin, der zwischen 27 und 25 lag, unmittelbar vorausging, s. Burton 2000: 430, Anm. 4 mit der einschlägigen Literatur. Andererseits hat es auch schon länger Plädoyers für die Existenz von späteren Einschüben in den Text namentlich des I. Buches gegeben, so bei Soltau 1894; Bayet 1940; Syme 1959. Im Anschluss an Bayet hat Luce 1965 dann für die Existenz zweier Editionen plädiert; die erste sei etwa in der Zeit von Actium entstanden und im Jahr 27 publiziert worden, die zweite – und gleichzeitig die überlieferte – nach dem Anbringen von Korrekturen im Jahr 25. Spätestens seither ist die Annahme verbreitet, Livius habe schon einige Jahre vor der Publikation der I. Pentade mit der Niederschrift begonnen. An dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Niederschrift und Publikation haben zuletzt von Haehling 1989 sowie 2007: 69 f., Burck 1992: 4 und, indirekt, Mineo 2006: 109 f. festgehalten. Jüngst hat Burton 2000 eine verfeinerte Variante der Zwei-Editionen-These vorgetragen und dabei die Entstehung der Praefatio, die dann bei der Veröffentlichung der I. Pentade unverändert wieder erschien, für das Jahr 32/31 angesetzt. Für eine gesicherte Beweisführung fehlt es jedoch an zwingenden Belegen. Immerhin sollte sich von selbst verstehen, dass Livius seinen Entschluss, eine Gesamtgeschichte Roms zu verfassen, nicht erst unmittelbar vor dem Beginn der Niederschrift gefasst haben dürfte. Nicht auszuschließen ist, dass er erste Pläne für das Werk und seine geschichtsphilosophische Konzeption sogar schon in den späten 40er oder frühen 30er Jahren, während der Bürgerkriege nach Caesars Ermordung, ersonnen hat. Insgesamt jedoch sind die Fragen nach dem exakten Zeitpunkt, an dem Livius’ Geschichtswerk zu entstehen begann, und wie sich das Projekt von den ersten Plänen bis zum Beginn der Niederschrift entwickelte, für das Verständnis des Textes, einschließlich der Praefatio, überschätzt. Denn so, wie er vorliegt, hat Livius ihn zwischen 27 und 25 mit Absicht veröffentlicht. Liv. perioch. CXXXIII 2. Wenig spricht dafür, dass Livius bereits zur Zeit der Veröffentlichung der I. Pentade dieses Ereignis, wie Woodman 1988: Kap. 3 und Miles 1995: 75 behaupten, als historische Zäsur betrachtet hat. Ob er überhaupt das Principat als Einschnitt in die Geschichte wahrgenommen hat, bezweifelt Deininger 1985. Die Erörterung dieses Problems darf jedoch nicht auf die Frage nach der Gestalt der politischen Ordnung beschränkt bleiben. Liv. praef. 9: […] haec tempora, quibus nec vitia nostra nec remedia pati possumus […]. Was Livius unter den remedia verstand, ob z. B. eine Sittengesetzgebung oder die Alleinherrschaft des Augustus, ist Gegenstand einer Debatte, die bislang keine eindeutigen Ergebnisse erbracht

1. Livius, die römische Geschichte und die Ab urbe condita

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doch die Erfolglosigkeit der bisherigen Konsolidierungsbemühungen des Augustus und bekundet pathetisch seine Ratlosigkeit angesichts der Zukunft, eine Ratlosigkeit, die mit einer Verherrlichung der sittlich intakten Frühzeit zu kompensieren er zu einem der beiden zentralen Ziele der Ab urbe condita erklärt. Trotz der eskapistischen Instrumentalisierung der Vergangenheit als mentalen Rückzugsort und trotz der Resignation, die aus dem Geschichtsmodell der Praefatio spricht9, versteht Livius sein Werk im Sinne einer didaktisch ausgerichteten Historiographie als einen Beitrag zur Erneuerung der res publica, als ein Monument, das seine politische Botschaft nicht im Medium des Bildes, sondern in literarischer Form präsentierte.10 Insofern kündet die Einleitung bei allem Pessimismus zumindest von der Hoffnung auf eine Rückkehr zur moralischen Blütezeit, wie sie während der Phase des Aufstiegs geherrscht hatte.11 Die tiefgreifende Krise der Gegenwart eröffnete Livius’ Vorhaben einer Gesamtgeschichte und seinen didaktischen Ambitionen ungeahnte Wirkungschancen. Zu dem Zeitpunkt, als er mit der Konzeption und Niederschrift seines Werkes begann, während des II. Triumvirats oder nach der Schlacht bei Actium, war die künftige Entwicklung Roms noch vollkommen offen. Weiterhin harrten die im Zug der Desintegration der Nobilität manifest gewordenen brisanten politischen und sozialen Probleme einer Lösung. Zwar zeichnete sich in den 30er Jahren ab, dass die bei Brundisium vereinbarte Aufteilung des Reiches in zwei Interessensphären Makulatur werden und die beiden verbliebenen Triumvirn zu einer finalen Auseinandersetzung im Bürgerkrieg antreten würden. Ob aber der Sieger, der schließlich Octavian hieß, anders als zuvor Caesar seine Stellung würde behaupten können und wie er die res publica neu ordnen würde, war aus der Sicht der Zeitgenossen kaum zu

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hat; hierzu Näheres bei Moles 1993: 158 f. und Burton 2008: 80–85. Keinesfalls aber dürfen die remedia mit den verlorengegangenen bonae artes gleichgesetzt werden (so aber Burton 2008: 84 f.), dienen sie doch lediglich deren Wiederherstellung. Zur Unterscheidung von mores und artes s. Walsh 1955: 370. Über den düsteren Tonfall der Praefatio herrscht weitgehende Einigkeit; anders jedoch Cizek 1992: 361; 363, der Livius’ Klage über den Niedergang als ironisch auffasst und Optimismus aus der Praefatio sprechen sieht. Schon Plin. nat. praef. 16 diagnostizierte bei Livius einen inquies animus. Die sprachlichen Anklänge an die Zeitkritik Sallusts reflektieren jedoch keine spezifisch sallustianischen Vorstellungen, sondern gehören in die Tradition des römischen Verfallsdenkens und den in der Geschichtsschreibung entwickelten Dekadenzmodellen. Zu Livius’ skizzenhafter Rekonstruktion der Geschichte in der Praefatio und seinen Vorbildern s. Kap. B. III,2. Liv. praef. 10: […] omnis te exempli documenta in inlustri posita monumento intueri; inde tibi tuaeque rei publicae, quod imitere, capias, inde foedum inceptu, foedum exitu, quod vites. Grundlegend zu dieser Form des Verständnisses von Historiographie Jaeger 1997; s. ferner Moles 1993: 153 f. und Feldherr 1995: 1–50. Bereits die bloße Überlieferung der Taten des römischen Volkes betrachtet er als Teil seines Verdienstes, falls es ihm nicht gelingen sollte, seine Vorläufer zu übertreffen (praef. 3). Zur Didaktik Miles 1995: 78 f. Das Spannungsverhältnis zwischen vermeintlicher Zukunftslosigkeit und Didaktik ist kein logischer „Drahtseilakt“ (Burton 2008: 85), sondern ergibt sich daraus, dass der düstere Ausblick auf die Zukunft als dramatisierendes Mittel eingesetzt wird, um dem praktischen Zweck des Werkes Nachdruck zu verleihen und dessen Relevanz zu unterstreichen.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

prognostizieren. Angesichts der offenen Zukunftsperspektiven konnte eine Gesamtgeschichte der Reflexion über Gefahren, Chancen und Handlungsoptionen sowie der politischen Einflussnahme dienen. Dass die dramatischen Wendungen in der Politik der zurückliegenden 50 Jahre noch nicht in ein vollständiges Panorama der römischen Geschichte eingeordnet worden waren, eröffnete Livius auch die Chance, die Vergangenheit Roms unter dem Eindruck der Gegenwart mit einer eigenen Deutung auszustatten. Aus literaturgeschichtlicher wie politischer Perspektive war in der Endphase der Bürgerkriege und nach Actium die Zeit für eine neue Bilanz der römischen Geschichte günstig.12 Trotz der Entmonopolisierung des historischen Wissens und des damit einhergehenden gestiegenen Interesses an der Geschichte in weiteren Kreisen der Gesellschaft, der Entstehung einer ausgedehnten Buch- und Lesekultur sowie der Perfektionierung des Lateinischen als Literatursprache hatten die Verfasser von Gesamtgeschichten noch keine Nachahmer gefunden, als Livius mit der Abfassung der Ab urbe condita begann. Ihre Werke wurden zwar weiterhin rezipiert – auch von Livius, der sie als Quellen bei der Abfassung der Ab urbe condita heranzog –, galten aber stilistisch als antiquiert13 und waren inhaltlich überholt. Unter den Geschichtswerken der augusteischen Zeit dominierte, soweit die Überlieferung einen solchen Schluss zulässt, angesichts der sich rasch wandelnden politischen Umstände neben der Autobiographie die Zeitgeschichte.14 Dass von vielen Werken nicht einmal das Thema überliefert ist, zeigt, wie wenig die meisten Historiker an eigenständigem Profil zu gewinnen vermochten. Gesamtgeschichten jedenfalls wurden allem Anschein nach nicht einmal in Angriff genommen. Aus inhaltlichen Gründen stand Livius’ Vorhaben daher konkurrenzlos dar, auch wenn dem Beginn seines Projekts das Sensationelle einer Behandlung der Gegenwart fehlte und ihm stattdessen ein etwas antiquarischer Zug anhing.15 Für 12 13

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Hierzu auch B.II,1. Zur Geschichte der Kaiserzeit generell Bardon 1956; Mehl 2001: 88–106; Toher 1990. Timpe 1979: 117 f.; Walter 2003: 154 f. Zur Präsenz des historischen Wissens in der Öffentlichkeit in der Späten Republik s. Timpe 1979: 109–113; Walter 2001: 275; 283 f.; 2003: 154 f., mit Belegen in Anm. 84; 2004: 212 f.; Pausch 2011: 17–53. Zu Sempronius Asellio s. FRH 12, Einleitung, S. 84–86; Walter 2004: 341 f. Wie gleich gezeigt wird, waren ihre Unzulänglichkeiten als Produkte einer Übergangszeit nicht der ausschließliche Grund für ihr Verschwinden nach dem Erscheinen des livianischen Geschichtswerkes. Liv. praef. 4 deutet selbst an, wie sehr das Publikum besonders nach einer Behandlung der Gegenwart verlangt. In die gleiche Richtung zielt seine Bemerkung über den Stoff als cum veterem tum vulgatam rem (praef. 2). Zur antizipiertem Reaktion der Leserschaft s. Liv. praef. 4. In die Schriften der Gegner und Anhänger Caesars führt HRR 2, LVIIII–LXVIII ein. Zur Memoirenliteratur der Zeit insgesamt Geiger 2011, zu Augustus Smith 2009 (mit Testimonien und Fragmenten) und Pelling 2009. Zu den Exponenten der Erinnerungsliteratur gehörten die führenden Mitglieder des neuen Regiments, allen voran der Princeps sowie seine engsten Weggefährten, Agrippa und Maecenas, womöglich auch Messalla (Bardon 1956: 99–102; Pelling 2009. Zu Messallas Memoiren s. Schanz/Hosius 1935: 21–24, hier: 24, zu seinen sonstigen literarischen Hervorbringungen: HRR 2, LXXVIII–LXXXIII sowie Leppin 1998 und Syme 1986). Zusätzlich stellte Augustus sein politisches Wirken an seinen Adoptivvater C. Iulius Caesar in Commentarien nieder, die

1. Livius, die römische Geschichte und die Ab urbe condita

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die Ab urbe condita konnte er aber nicht nur die Erfahrungen der zurückliegenden Zeit einarbeiten. In seine Gestaltung des Stoffes flossen auch die von den Protagonisten des Bürgerkrieges verfassten autobiographischen Schriften sowie die Zeitgeschichten, die in jenen Jahren entstanden, ein und rückten die in ihnen dokumentieren Motive, Handlungen und Rechtfertigungsstrategien vor einen erweiterten historischen Horizont. Ihm bot sich die Gelegenheit, mit einer eigenen Interpretation inhaltliche Innovationen zu wagen und seiner Rekonstruktion der Vergangenheit Paradigmen oder Schwerpunkte zugrunde zu legen, die der jüngsten Entwicklung angepasst waren. Das eröffnete ihm auch die Möglichkeit, nach den einstweilen beendeten Auseinandersetzungen der Späten Republik die bei der jüngeren Annalistik überlieferten Verzerrungen und Tendenzen auf ihre Aktualität hin zu überprüfen und zu korrigieren.16 Indem er selbst auf eine Zeitgeschichte verzichtete, mied er den Wettbewerb mit Autoren, denen gegenüber er wegen seiner provinziellen Herkunft, seiner mangelnden Prominenz und weil er nicht am Bürgerkrieg teilgenommen hatte, bei aller literarischen Brillanz kaum hätte bestehen können. Die Vergangenheit einer aktualisierten Deutung zu unterwerfen bot über eine literaturgeschichtliche Profilierung oder persönliche Selbstvergewisserung hinaus aber auch eine politische Chance. Angesichts der Offenheit der Zukunft konnte eine umfassende Darstellung der Republik und ihrer Geschichte der Darlegung struktureller Probleme und dem Aufzeigen von Lösungsstrategien dienen. Über die Historiographie konnte Livius hoffen, wenn es ihm denn gelänge, Aufmerksamkeit zu erzeugen, wie mittelbar auch immer als eine Art literarischer Berater für den Princeps bei der Organisation seiner Herrschaft zu fungieren und gleichzeitig in die führenden Kreise, namentlich den Senat, mit geschichtlichen Lektionen hineinzuwirken. Mithilfe einer solchen politisch-historischen Didaktik ließe sich ein Beitrag zur Verhinderung künftiger Katastrophen leisten, wie sie sich in den zurückliegenden Dezennien ereignet hatten. Trotz der Bekundungen der Praefatio, sofern man sie als programmatisches oder ideologisches Statement akzeptieren möchte, unterhielt Livius offensichtlich ein von Ambivalenzen und Spannungen erfülltes Verhältnis zur römischen Geschichte. Mit seiner emotionalen Haltung gegenüber der römischen Vergangenheit ist auffälligerweise seine Erzählung der römischen Geschichte mit deren Faktoren und Wendemarken nicht kompatibel, die Zweifel an der Plausibilität einer romantisierenden Verherrlichung17 der Vergangenheit erweckt. Seine Behandlung der krisenreichen Ständekämpfe, inspiriert von Episoden aus den bürgerkriegsartigen

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30 Bücher umfassten und deren Endpunkt die Schlacht bei Actium bildete. Zugleich schilderten sowohl Agrippa als auch Maecenas ihre Kriegserlebnisse mit Octavian (Maecenas: HRR 2, LXXVI f. Agrippa: HRR 2, LXXVII f.). Dass Livius die Gesamtgeschichte als Format gewählt habe, um der politischen Brisanz der Zeitgeschichte zu entgehen, wie Moles 1993: 148 (vgl. aber 150) behauptet, ist angesichts des liberalen Umgangs Octavians/Augustus’ mit der politischen Literatur der Gegner unwahrscheinlich. Ohnehin wäre das Projekt einer Gesamtgeschichte schließlich in die Behandlung der Gegenwart eingemündet. Pausch 2011: 73 spricht diesen Äußerungen hauptsächlich eine motivierende Funktion zu.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

Auseinandersetzungen der Späten Republik,18 ist nur schwer mit der Gewissheit vereinbar, damals hätten die Tugenden allgemein in Blüte gestanden, während sie in der Gegenwart vollkommen darniederlägen. Zwar ist in der Praefatio natürlich auch von negativen exempla die Rede, deren abschreckenden Taten Livius eine didaktische Wirkung zuschreibt.19 Andererseits wagt er die Behauptung, die von den Philosophen entwickelte Utopie des Idealstaats sei in Rom verwirklicht worden, weil dort die führenden Männer nicht an Herrschsucht litten und das Volk gesittet gewesen sei.20 Angesichts der geschichtlichen Darstellung sind jedoch Einwände angebracht, ob sich tatsächlich „in der Politik des frühen Rom die von Livius gepriesenen Grundwerte stärker behauptet haben“21 als in den folgenden Jahrhunderten, wie er mit unermüdlicher Beharrlichkeit erklärt.22 Trotz mancher Bemühungen um Differenzierung lauten noch immer gängige Einschätzungen, dass Livius von der Größe Altroms erfüllt sei und mit Ehrfurcht auf die Frühzeit der Stadt zurückblicke, fest überzeugt von der sittlichen Überlegenheit des römischen Volkes. Diese Deutungstradition, die bisweilen in Livius einen moralphilosophierenden Nostalgiker oder einen ästhetisierenden Literaten sieht,23 hat bislang wenig an Wirkungskraft verloren.24 Jüngst wurde jedoch, nach einigen tastenden Vorarbei18

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Zur vielbehandelten Methode der (Re-)Konstruktion von Geschichte in der römischen Historiographie s. jetzt v. a. Walter 2004, bes. aber auch Timpe 1972 und Timpe 1979. S. ferner von Ungern-Sternberg 1990/2006: bes. 178–180 und, für ältere Literatur, von Ungern-Sternberg 2005/2006: 83, Anm. 30. Zu Livius’ Quellenbehandlung s. Klotz 1941 (Zusammenfassung 293–297); Ogilvie 1970: 5–17; 19 f.; Gutberlet 1985; Burck 1992: 18–34; Oakley 1997: 13– 108; Forsythe 1999. Die Parallelen zwischen Früher und Später Republik sind gelegentlich registriert, aber, abgesehen von Miles 1995 und Mineo 2006, nicht für eine Überprüfung herangezogen worden, ob das Geschichtsbild der Praefatio mit dem Narrativ der Ab urbe condita übereinstimmt, s. etwa Walsh 1961: 64 f.; Kraus 1994(a) und 1998: 283; Baier 2003; Penella 2004 (zur Königszeit); Martin 2007: 195 f. Zur Ambivalenz republikanischer Gestalten s. Stem 2007: 436. Ironie in Livius’ Verherrlichung erkennt, ohne Begründung, Cizek 1992: 359 f. Zu den mala exempla s. Chaplin 2000: 194 m. Anm. 111; Fox 2007: 267 f.; meist relativierend Burck 1967: 123; Burck 1992: 97 f.; 104 f.; 109–116 (jedoch fast ohne Berücksichtigung der Frühzeit). Liv. XXVI 22,14 f. Livius soll, einem Zeugnis des jüngeren Seneca zufolge, teils philosophische Abhandlungen, teils Texte, die weder mit Sicherheit der Philosophie noch der Geschichte zuzuordnen seien, verfasst haben (epist. 100,9) und wird selbstverständlich mit der politischen Philosophie der Griechen vertraut gewesen sein. Zu der an eine Behauptung Macchiavellis angelehnten These T. J. Luces, Rom sei eine Erfolgsgeschichte aus Gegensätzlichkeit (Luce 1977: 245), die angesichts der zitierten Stelle nicht unproblematisch wirkt. Für dieses Zitat s. Burck 1964: XIX. Eine Übersicht der Stellen, an denen Livius die Gegenwart mit der Vergangenheit kontrastiert, enthält von Haehling 1989: 79–158. Hierzu schon Bayet 1958: XXXVIII–XLI, bes. Anm. 1 mit Literatur aus dem ersten Drittel des 20. Jh.s, sowie auch Burck 1964. Wichtig auch Heuß 1983; Lefèvre 1983; von Haehling 1989: 163, der eine fehlende „sachliche Durchdringung der Ursachen und sozialen Zusammenhänge“ bemängelt; zuletzt noch Wiedemann 2000: 253. Bis heute hat Burck maßgeblich die internationale Livius-Forschung und das Bild des Autors geprägt. Eine Synopse seiner Ergebnisse bietet Burck 1992. Seither sind, mit Ausnahme der gleich zu besprechenden Werke von Miles und Mineo, keine Gesamtdeutung der Ab urbe con-

1. Livius, die römische Geschichte und die Ab urbe condita

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ten in den 1990er Jahren, das traditionelle Livius-Bild differenziert.25 G. B. Miles stellte fest, dass Livius bereits für die Zeit nach der Eroberung Veiis, im Jahre 496, Luxuserscheinungen schildere, wie sie zwei Jahrhunderte später mit der Expansion des Reiches in den Osten wieder aufkamen. An dieses Ergebnis knüpfte er die Existenz von Zyklen in der römischen Geschichte. Mineo hat diese These weiterentwickelt. Er begreift die Geschichte Roms, die Livius erzählt, als eine Folge mathematisch berechenbarer Zyklen, die nach diversen Höhen und Tiefen im augusteischen Principat ihren grandiosen Abschluss fänden. Der erste Zyklus mit der Gründung und dem Aufstieg Roms in Latium reiche bis König Servius Tullius. Anschließend folge bis Camillus eine Phase des Verfalls. Bis zum Ende des II. Punischen Kriegs erstrecke sich dann wieder eine historische Hochphase. Seither stehe die Entwicklung erneut im Zeichen des Verfalls. Zugrunde liegt auch dieser Interpretation die Dialektik von Erfolg und Dekadenz, die vom Dekadenzdiskurs der Späten Republik auf die gesamte römische Geschichte appliziert wurde.

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dita mehr erschienen. Im Einzelnen s. Burck 1992: 87–108, bes. 89; 91 f.; 94 f. Ferner: Burck 1967: 102 f.; 106; 115; 126 f.; 136. Für vergleichbare Positionen s. Hoffmann 1954: 176: „Gesinnung des Volkes […] [war] während des 5. Jahrhunderts im Grunde gesund […]“; 179 f.; Ogilvie 1970: 20; 24; 30; Walsh 1974: 271 f.; von Haehling 1989: 176–182, bes. 179; Flach 1998: 145 f.; Galinsky 1996: 280–288; Fuhrmann 1999: 247; von Albrecht 2003: 768 f.; Schmidt 2003: 79; Walter 2004: 345 (allgemein zur Behandlung der Ständekämpfe in der annalistischen Darstellungsweise, der auch Livius verpflichtet ist); 423 f. (‚gelegentliche Fehlleistungen‘); Dahlheim 2010: 276–285. Eine differenzierte Sicht findet sich bei Kajanto 1958 (Livius’ Kritik an Persönlichkeiten der Mittleren Republik; dann aber 63 die klassische Position: „Livy recognized the high moral status of the ancient Romans, and, full of pride, proclaimed that no other state had succumbed so late to avaritia luxuriaque“); Gries 1969: 388 („[…] he seems to detect the old Adam everywhere“; die Rede aber ist vor allem von „our little weaknesses“); Luce 1965 und 1975: 242 f.; 245 und Levene 2006(a): 283–286 (zur Praefatio). Miles 1995, gefolgt von Feldherr 1997; Mineo 2006; zusammenfassend Mineo 2015(a). Beide Untersuchungen wollen vor allem darlegen, dass der Historiker dem Princeps Augustus die Rolle einer Gründergestalt wie etwa Camillus zuweisen wollte und ein inhaltlich komplexes Gesamtkunstwerk vorgelegt habe. Sie sind dabei jedoch mit teilweise stark deterministischem Einschlag auf die Phänomenologie der historischen Ereignisse beschränkt, ohne Livius’ Vorstellungen vom politischen Handeln zu untersuchen. Dies ist allerdings das Ziel dieser Abhandlung, die insgesamt auch zu anderen Ergebnissen gelangt. Mineos Thesen zu Livius’ Geschichtsdenken haben wenig Widerhall in der Kritik gefunden. Ähnliches gilt für die im ganzen argumentativ nicht überzeugenden, aber doch bedenkenswerten Ausführungen von Fox 1996: 96–139 zur Darstellung der Königszeit, in der Livius nach Auffassung des Autors gewisse Probleme des weiteren Geschichtsverlaufs angelegt habe (Fox 2007: 268 kann aber als implizite Distanzierung von seiner eigenen Deutung verstanden werden). Zu den erwähnten Tendenzen in der Livius-Forschung s. Anm. 50. – Für eine Abkehr vom Zugriff Burcks und der älteren Literatur sei jetzt pauschal auf die lesenswerte Abhandlung von Haas 2015 zur Frühgeschichte bei Livius und Dionysios verwiesen, die aber einige ihr vorausgehende Neuansätze der LiviusForschung leider unberücksichtigt gelassen hat. Aufmerksam gemacht werden soll auch auf Vasaly 2015, die Livius’ Frühgeschichte gewissermaßen einer politikwissenschaftlichen, akteurszentrierten Untersuchung unterzieht und dabei politics und polity innovativ miteinander verbindet, aber einen anderen Zugang als den hier vorgestellten wählt und bei manchen Berührungspunkten auch zu anderen Ergebnissen gelangt.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

Dennoch spricht vieles dafür, dass Livius einen tiefen Hiat zwischen der Phase des Aufstiegs und der dekadenten Gegenwart sich auftun sieht.26 Dieser Befund offenbart das Rätsel der Ab urbe condita und wirft die Frage auf, inwiefern dieser Abstand tatsächlich besteht und wie sein Zustandekommen zu erklären ist: wie das Verhältnis zwischen Linearität und Kontinuität in der römischen Geschichte des Livius gestaltet ist. Dazu gehört wesentlich, die Selbstsicht des Historikers und seine einprägsamen Etikettierungen zu überprüfen.27 Hier soll ein neuer Versuch unternommen werden, sein Profil als politischer Denker zu schärfen: durch die Analyse seines Verständnisses von den Schlüsselthemen der republikanischen Geschichte; durch eine ins Grundsätzliche reichende Aufschlüsselung seiner Vorstellungen von der menschlichen Konditionierung politischer Prozesse, aus denen sich die Faktoren für den Ablauf der Geschichte ergaben und die die Ursache für Kontinuitäten und Diskontinuitäten waren; und durch eine umfassende Besprechung der politischen Entwicklungen und Debatten, mit einem Schwerpunkt auf der Innenpolitik, in deren Zentrum das Handeln der Akteure im populus Romanus wie Volk, Senat, Soldaten und der Magistrate stehen. Am Anfang steht eine Analyse der Praefatio, die Livius’ Positionierung im historiographischen Peripetiediskurs bestimmen soll. Es ist einzuräumen,28 dass er möglicherweise nur den Zweck seines Werkes in drastischer Rhetorik rechtfertigt, die einschlägigen Topoi nur formelhaft verwendet und dass die späteren Teile des Werkes nicht zwingend in ihrem Bann stehen müssen. Zumindest angesichts der zwanziger Jahre, in denen die I. Dekade entstand, ist jedoch der Umstand ernstzunehmen, dass Livius einerseits die weithin als glorreich geltende Frühzeit Roms zu verherrlichen trachtet, um in ihr Trost vor den Widrigkeiten der Gegenwart zu finden, dass er sich andererseits gleichzeitig genau jener Phase annimmt, die nach dem Vorbild der Späten Republik konstruiert wurde, den Ständekämpfen. Eine auf die ganzen Ab urbe condita ausgedehnte Relevanz soll den Einzelheiten der Praefatio dagegen nicht zugesprochen werden. Entscheidender ist in dieser Hinsicht die Schilderung vom Funktionieren der Politik, wie sie sich in der I. Dekade manifestiert. Da Livius bereits hier sein historisch-politisches Denken vollständig entfaltet, soll im Anschluss an die Interpretation dieses Teils der Versuch einer Rekonstruktion seiner Vorstellung von der idealen politischen Ordnung und der idealen Politik unternommen werden. Mit der darauf folgenden Untersuchung der Dekaden III bis V, die von Livius selbst vorgesehene Einschnitte in die Geschichte markieren, soll überprüft werden, inwiefern sich der angekündigte Dekadenzprozess abspielte. Als Resultat der Untersuchung soll eine Reihe neuer Perspektiven auf die geistige Welt des Livius eröffnet werden: auf seine Konzeption von der Mechanik der Politik, seine Idealvorstellung eines politischen Systems und dessen Verwirklichungschancen, seine Deutung des Ablaufs der römischen Geschichte, sein Verhält26 27 28

Sehr scharf mit sprachlich-stilistischen Analysen herausgearbeitet bei Heuß 1983 und, unter systematischer Aufbereitung des gesamten Materials, bei von Haehling 1989. S. auch den etwas pauschalen Hinweis bei Levene 2006(a): 283–286 auf den „Sallustian Livy“, mit einigen interessanten Beobachtungen zur Struktur des Werkes. Hier möchte ich wichtige prinzipielle Einwände eines anonymen Gutachters zur Funktion und zur Aussagekraft der Praefatio aufgreifen, für die ich dankbar bin.

1. Livius, die römische Geschichte und die Ab urbe condita

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nis zur Vergangenheit und die aus dem Werk ableitbaren Aussichten auf die Zukunft.29 Eine methodische Vorbemerkung sei vorausgeschickt. In diesem Buch werden die Ab urbe condita nicht als fiktionales Werk aufgefasst. Die Livius-Forschung gliedert sich in drei Stränge,30 in den historischen, den literaturwissenschaftlichen und den ideologischen, die gleichermaßen Berechtigung für sich beanspruchen können. Forscher, die sich dem historischen Ansatz zuordnen lassen,31 unterziehen Livius’ Text einer quellenkritischen Analyse, um den tatsächlichen geschichtlichen Gehalt von Ereignissen und Strukturen in den jeweils von Livius wiedergegebenen Abschnitten der römischen Geschichte, namentlich der Frühzeit, zu ermitteln. Die Vertreter der anderen beiden Ansätze wählen einen anderen Zugriff.32 Sie stellen nicht die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Darstellung; ihr Interesse richtet sich auf die erzählerischen Strategien oder die politischen Intentionen, die Livius verfolgte. Zwar ist ihnen bewusst, dass Livius keine völlige Unabhängigkeit bei der Konstruktion seines Narrativs besaß. Sein Werk war weniger der Quellenforschung verpflichtet, als dass es in einer historiographischen Tradition, der Annalistik, stand, der ein Geschichtsschreiber, wie rudimentär auch immer, verbunden bleiben musste. Allerdings unterschied sich das Wahrheits- und Objektivitätsverständnis römischer Historiker von jenem der historistisch geprägten modernen Geschichtswissenschaft in vielerlei Hinsicht fundamental.33 Die römischen Geschichtsschreiber unterwarfen ihre Narrative konsequent literarischen und politischen Absichten (ohne sich allerdings von quellenkritischen Fachkontroversen abhalten zu lassen, die ihre Konkurrenten diskreditieren sollten34) und kreuzten die Geschichtsschreibung dabei auch mit anderen Gattungen.

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Insgesamt soll versucht werden, das politische Denken des Livius noch schärfer analytisch zu fassen als immer noch üblich, s. z. B.: „L.s own attitude to the politics of the episode is characteristically ambiguous. As on another occasions, he criticizes adversely the behaviour of the tribunes of the plebs […]; but he was no lover of aristocratic pride, and the speech of Decius is a resounding rebuke to patrician exclusiveness“ (Oakley 2005[b] zur Rogation der Ogulnier). Oder: „[…] when absolute power is imposed on rebellion or dissonance, it often leaves a bad taste that L. does not remove, perhaps as a reminder that unity has its price“ (Kraus 1994: 197). Oder: „His [Manlius’] demagoguery provokes a moderately hostile response from L.“ (Kraus 1994: 146). Aktueller Forschungsüberblick bei Pausch 2011: 3–8 (der allerdings eine andere Gliederung vornimmt) sowie ferner Vasaly 2015: 17–21; 24–29; 31–35 (m. S. 31, Anm. 35) und Haas 2015: 45–47. S. z. B. aktuell Forsythe 1999; Cornell 2005, Hölkeskamp 1987/2011, partiell Oakley 1997; 1998; 2005(a) + (b). Maßgeblichen Einfluss auf diesem Feld hat lange Zeit E. Burck ausgeübt (s. z. B. Burck 1964; 1992). Zu nennen wären außerdem noch Walsh 1955; 1961 und Luce 1971; 1977; 1990. Für neuere Forschungen s. Pausch 2011: 6 f. (m. Anm. 28). Zum Verhältnis zwischen literarischen und inhaltlichen Anforderungen und dem Wahrheitsbegriff s. Woodman 1988: 72 f., 78 f., 83–95, 101 sowie bes. Walsh 1961: 20–45 und zuletzt Wiseman 1994: 1–21. Livius selbst äußert sich mehrfach über die Unzuverlässigkeit der Quellenbasis, z. B. VIII 40,4 f. Für Livius s. von Ungern-Sternberg 2015: 168.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

Livius selbst verstand sein Geschichtswerk als einen didaktischen Beitrag zur Politik, der in einer Zeit der Krise und des Wandels durch Beispiele idealtypischen Handelns sowie durch eine politikphilosophische Grundlage Orientierung stiften sollte. An der Ermittlung historischer „Wahrheit“ besaß er ostentativ kein Interesse. Seine Praxis der Dramatisierung und der Formung des Materials ist intensiv erforscht. Quellenkritische Untersuchungen und Analysen seiner Erzählstrategie zeigen, dass er sich bei der Auswahl und Anordnung von Ereignissen großen Spielraum gewährte und besonders in der Darstellung der Frühzeit „freihändig“35 agierte. Am deutlichsten tritt seine Eigenständigkeit bei den Reden der historischen Protagonisten, aber auch bei bewertenden Kommentaren in auktorialer Perspektive und in der tendenziösen Gestaltung von Episoden hervor. Die hier angestellte Studie gehört zum dritten Strang der Livius-Forschung. Ihr Gegenstand ist nicht die Erforschung der in den Ab urbe condita dargestellten Epochen.36 Sie basiert auf der Prämisse, dass Livius zur Durchsetzung seiner politischen Ziele soweit Einfluss auf den Stoff genommen hat, wie es ihm im Rahmen der gängigen Praxis der Annalisten und innerhalb der von der Gattung gezogenen Grenzen zulässig war. Seine Bearbeitung des historischen und historiographischen Ausgangsmaterials und die ideologischen Überzeugungen, die er hegte, bedingten sich gegenseitig und gingen eine konstruktive Wechselbeziehung ein. So dürfte beispielsweise die Lektüre annalistischer Werke (teilweise) Einfluss auf die Herausbildung seines politischen Menschenbildes genommen haben, auf dessen Grundlage er dann überall dort historisches Geschehen erzählte und analysierte, wo sich ihm die Chance dazu bot. Sein Verhältnis zur Tradition ist aufgrund der Quellenverluste oftmals nicht mehr genau zu bestimmen.37 Wenn es möglich ist, wird aber versucht, das Charakteristische seiner jeweiligen Version durch einen Abgleich mit der Parallelüberlieferung anzudeuten. Durch Formulierungen wie „Livius’ römische Geschichte“ oder „Livius’ Tarquinius“ soll der Konstruktionscharakter seines Textes betont werden, ohne den die Verwirklichung seiner politischen Absichten nicht vorstellbar gewesen wäre.

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So das bekannte Dictum von Luce 1971: 301 („free hand“); zustimmend zuletzt Vasaly 2015: 123. Zur Quellenforschung s. außer den Beiträgen von Burck z. B. Tränkle 1977; Holloway 2012; Halfmann 2013. Insofern nimmt sie auch nicht, wie z. B. Pausch 2011: 8, in Anspruch, eine Brücke zwischen zwei verschiedenen „Schulen“ der Livius-Forschung zu schlagen. Die Feststellung von Forsythe 199: 7 f. oder Cornell 2005: 62, dass dieser Ansatz keinen Beitrag zur Erforschung des frühen Rom erbringe, ist sachlich zutreffend, führt aber als Kritik ins Leere, weil sie einen unzulässigen Absolutheitsanspruch erhebt. Für einen aktuellen Überblick s. von Ungern-Sternberg 2015: 167–171.

2. Die Praefatio und ihr Modell vom Ablauf der römischen Geschichte

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2. DIE PRAEFATIO UND IHR MODELL VOM ABLAUF DER RÖMISCHEN GESCHICHTE38 a) Einführung Vorausgesetzt, dass die Praefatio eine programmatische Funktion erfüllen soll,39 stellt sich Livius, wenn er hier einen Überblich über die Gesamtgeschichte präsentiert, in die lange Tradition eines historiographischen Peripetie- und Dekadenzdenkens, die bis zur ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts zurückreichte. Im Zuge des massiven Eindringens griechischen Reichtums und griechischer Kunst während des römischen Ausgreifens in den östlichen Mittelmeerraum entstand das diffuse Gefühl eines Niedergangs, das in den Auseinandersetzungen der Tagespolitik instrumentalisiert und publizistisch aufgegriffen wurde. Von diesem Niedergangsbewusstsein kündet die in jener Zeit konzipierte Luxus- und Sittengesetzgebung.40 Inspiriert von dem in der zeitgenössischen Historiographie von Cato bis Calpurnius Piso nur vage entwickelten Bewusstsein für einen kausalen Zusammenhang zwischen der militärisch-politischen Vorrangstellung, die Rom in den vergangenen Dezennien erworben hatte, entwickelten Polybios und Poseidonios in ihren Geschichtswerken die sich in ihren Grundzügen rasch durchsetzende Theorie, wonach der Zerfall der Sitten eine Folge der unangefochtenen Weltmachtstellung Roms sei, resultierend aus der korrumpierenden Wirkung des Wohlstands und des gesicherten Friedens.41 Da jede Historikergeneration das Epochenjahr, in dem sich der Umschwung ereignet haben soll, chronologisch in der Nähe der jeweiligen Zeitgeschichte ansiedelte, bildete sich über die Datierung des Wandels spät und auch erst dann annähernd ein Konsens heraus, nachdem Sallust sich eindringlich auf das möglicherweise von C. Fannius „entdeckte“ Epochenjahr 146 berufen hatte.42 Überdies stimmten die Verfallstheorien nur darin überein, dass Roms Weltherr38

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Die Literatur zur Praefatio ist zahlreich. Fast ausschließlich konzentriert sie sich auf Livius’ Beurteilung der Gegenwart und seine Aussicht auf die Zukunft. Kaum je wurde jedoch eine Rekonstruktion des geschichtsphilosophischen Dekadenzszenarios mitsamt seinen Vorbildern sowie den Einsichten des Livius in die Gesetzmäßigkeiten von Geschichte und Politik unternommen, wie sie hier angestrebt wird. Aus der zahlreichen Literatur zur Einleitung in die Ab urbe condita sind herauszuheben: Walsh 1955; Oppermann 1967: 176–179; Ogilvie 1970: 23–28; Woodman 1988: 128–140; von Haehling 1989: passim und 2007: 69–76; Moles 1993; Mineo 2006; Burton 2008. Für umfangreiche Bibliographien s. Moles 1993: 162, Anm. 2 und Burton 2008: 70, Anm. 2. Zur Methodik dieses Abschnittes s. o. S. 78. Zur Entstehung des Dekadenzdenkens in der Mittleren Republik erstmals Hampl 1959 mit der Kritik von Christ 1982: 137, sowie Lintott 1972, der allerdings das Bewusstsein für den Sittenverfall sehr spät, in die Gracchenzeit, datiert. Zu den Details und zur Epoche s. v. a. Bringmann 1977 sowie mit moderner Literatur Gargola 2006: 162 f. und Flower 2010: 63–65; 65 f.; 69 f.; 72–75; zu den legislatorischen Gegenmaßnahmen Sauerwein 1970; Bleicken 1975: 147–149; 168–177 und zuletzt Zanda 2011. Hierzu grundlegend Bringmann 1977. Natürlich griffen sie für diese Theorie auf Figuren griechischen Verfallsdenkens zurück; die beste Übersicht hierzu bietet Ryffel 1949: 253. Zu Fannius s. Bringmann 1977: 41. Inwieweit das häufig in der antiken Historiographie zitierte Wendejahr tatsächlich die Erzählung beeinflusste, ist auch Gegenstand dieser Studie.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

schaft eine fundamentale Bedeutung für den Fortgang der Geschichte besaß; strittig blieb, welche konkreten Folgen diese Zäsur für innen- wie außenpolitische Konstellationen, Handlungsweisen und Ereignisse zeitigte. Als Thema der Ab urbe condita kündigt Livius in der Praefatio den Erwerb und die Bewahrung des Reiches mit militärischen und zivilen Mitteln sowie den sich anschließenden Niedergang an, der sich mit wachsender Intensität und Geschwindigkeit vollzog.43 Das beinhaltete notwendigerweise eine Positionierung in dem seit mehr als einem Jahrhundert bestehenden Diskurs über Periodisierung und Peripetie der Geschichte, der wesentliche Auskünfte über die politische Haltung des jeweiligen Autors preisgab. b) Aufstieg und Niedergang Roms Die römische Geschichte gliedert Livius in zwei Abschnitte: die Phase der inneren wie äußeren Ausbildung des Imperiums und den dann einsetzenden Niedergang. In Einklang mit der Tradition des politischen Denkens in Rom erklärt er die mores zum zentralen Faktor historischen Geschehens. Sie würden im Handeln ihrer Träger, der Individuen, der viri, verwirklicht und fänden in den artes, den Normen und Konventionen der politischen Praxis, ihren Niederschlag.44 Da Livius es bei generalisierenden Bemerkungen belässt, kann der Leser vor der Lektüre der Ab urbe condita den genauen Inhalt und das Zusammenspiel dieser konstitutiven Tugenden bloß erahnen, aber kaum sicher erschließen. Mit nachlassender disciplina, so Livius’ Oberbegriff für die ursprüngliche, tugendhafte Lebensweise45, habe jedoch der Umschwung eingesetzt und sich der Niedergang, ablesbar am Zustand der mores, schrittweise und in wachsender Schnelligkeit vollzogen: vom allmählichen Absinken, über ein stetig zunehmendes Abgleiten und den jähen Absturz bis zur scheinbar ausweglosen Gegenwart, die keine Zukunft besitze.46 Vom Zustand der Sitten und der Lebensweise in Rom vor 43 44

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Liv. praef. 9. Liv. praef. 9: Ad illa mihi pro se quisque acriter intendat animum, quae vita, qui mores fuerint, per quos viros quibusque artibus domi militiaeque et partum et auctum imperium sit. Ennius hatte gedichtet: Moribus antiquis res stat Romana virisque (ann. 500 Va), gelegentlich von Livius auch wörtlich zitiert (VIII 7,16; IX 16,9). Zu Ennius s. Walter 2004: 258–279. Zu solchen artes und ihrer historischen Funktion s. für das Beispiel Sallusts Earl 1966: 11 f. sowie Heldmann 1993: 27–69 und Walter 2004: 321–323 zum sog. Kyros-Modell. Bei Livius treten die artes erst im Lauf der Erzählung hervor. Zum Inhaltlichen Walsh 1955. Zum Verständnis von disciplina an dieser Stelle s. ThLL V 1, 1313–1325 (severa morum educatio, severitas) und OLD I 550 („orderly conduct based on a moral training“). Für einen ähnlichen Gebrauch bei Livius s. z. B. I 18,4; IV 8,2; VIII 32,7; XXVIII 27,12, im Sinne von politischer Ordnung auch IX 20,10; XXXVI 6,2; XXXVIII 17,12. Velleius Paterculus knüpfte in seiner Dekadenztheorie offensichtlich im Wortlaut an Livius an, wenn er zu Beginn des II. Buches seines Geschichtswerkes die Folgen des Siegs über Karthago bilanziert: vetus disciplina deserta, nova inducta […] (Vell. II 1,1). Liv. praef. 9: nec vitia nostra nec remedia pati possumus. Zu dem vielbehandelten Thema der livianischen Einschätzung von Gegenwart und Zukunft s. Kap. B.III,1.

2. Die Praefatio und ihr Modell vom Ablauf der römischen Geschichte

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und nach dem Eintreten des moralischen Verfalls zeichnet er ein pointiertes Kontrastbild, indem er die in der römischen Geschichte wirkenden Kausalitäten aufzeigt und die Ursache der Dekadenz erläutert, die er in dem historischen Abriss noch unbestimmt gelassen hatte.47 Die Analyse des Verfalls selbst, die auf einen Einschub über den Nutzen von exempla folgt48, bettet er in eine rhetorisch auftrumpfende, durch den Vergleich mit anderen Staaten gesteigerte Würdigung Roms ein, dessen Größe, Integrität der Sitten und Anzahl der moralisch guten exempla er pompös herausstreicht. So relativiert er zwar die Schande der zuletzt doch noch eingetretenen Dekadenz. Deren Ursachen spricht er implizit jedoch gerade dadurch eine universalhistorische Gültigkeit zu, dass er den Niedergang Roms in Beziehung zu den geringgeschätzten anderen, jedoch nicht namentlich erwähnten Völkern setzt, die an einem vergleichbaren Schicksal zugrunde gegangen waren und sich in dieser Hinsicht prinzipiell kaum von Rom unterschieden.49 Als Hauptphänomene des Verfalls benennt er avaritia und luxuria. Sie kamen nicht von selbst aus der Bürgerschaft hervor, sondern „wanderten“ von außen „ein“.50 Ihnen gegenüber standen paupertas und parsimonia, die bislang gegolten hatten. Diesen fundamentalen Wandel, der eine Verkehrung der Werte auslöste, führt Livius auf den neuartigen Reichtum (divitiae) zurück, der in Rom aufgekommen sei. Die einstmals höchstes Ansehen (honor) genießenden Elemente der von Kargheit geprägten Lebensform gemäß dem mos maiorum hätten ihre Vorrangstellung eingebüßt. Ausgehend von der Feststellung, dass die Ursache der Bedürfnislosigkeit die allgemein herrschende Armut gewesen sei, deren Beseitigung das erstmalige nennenswerte Aufkommen von cupiditas zur Folge gehabt habe,51 entwickelt er eine Wechselbeziehung zwischen Lebensweise und materiellen Ressourcen, der alle Abschnitte der römischen Geschichte, die Blütezeit wie die Phase des Abstiegs, wenngleich unter unterschiedlichem Vorzeichen, unterworfen waren. Insofern war die frühere Tugendhaftigkeit aus der von parsimonia bestimmten Zeit lediglich den äußeren Umständen, der damals herrschenden paupertas, zu verdanken. Zusammengenommen bilden diese aus Topoi der Dekadenztheorie zusammengesetzten Erwägungen den – in der Forschung bislang wenig beachteten – Nukleus eines konkreten geschichtsphilosophischen Modells, auf dessen Grundlage das Narrativ der Ab urbe condita offensichtlich fußen soll. Der zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt nach Rom gelangte Reichtum (divitiae) ließ die Armut als Mangelzustand erscheinen und weckte dadurch das Verlangen (cupiditas) nach einer materiell höheren Lebensqualität, für deren Erwerb avaritia notwendig war.52 47 48 49

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Liv. praef. 11 f. Liv. praef. 10. Liv. praef. 11: Ceterum aut me amor negotii suscepti fallit, aut nulla umquam res publica nec maior nec sanctior nec bonis exemplis ditior fuit nec in quam civitatem tam serae avaritia luxuriaque immigraverint, nec ubi tantus ac tam diu paupertati ac parsimoniae honos fuit. Die Elemente der Einzigartigkeit Roms treten in der Gliederung des Satzes durch das fünffache nec sowie durch den Gebrauch superlativischer Partikel (umquam, tam serae, tantus ac tam diu) hervor. S. o. Liv. praef. 11, bes. immigraverint. Liv. praef. 12: Adeo quanto rerum minus, tanto minus cupiditatis erat […]. Für den gleichen Zusammenhang s. bes. Sall. Cat. 12,1–3.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

Mit dem Wandel der Lebensbedingungen, der Ablösung von paupertas durch divitiae, entstanden bislang unbekannte Lebensweisen und Mentalitäten. Dem Verschwinden von parsimonia korrespondierte das Auftreten von luxuria und in deren Gefolge auch weitere voluptates, die avaritia hervorbrachten.53 Armut zu überwinden und einen luxuriösen Lebensstil zu gewinnen, waren die Motive, die nach dem Eindringen des Reichtums avaritia auslösten.54 Die Ursache des Verfalls lag folglich in einem charakteristischen Bestandteil der menschlichen Natur, in ihrer Begehrlichkeit. Wie das römische Beispiel lehrt, auf das Livius sich bezieht, war sie durch äußere Einflüsse mühelos zu aktivieren. Nicht Tugendhaftigkeit um ihrer selbst willen, so die Schlussfolgerung aus Livius Betrachtungen, hatte Politik und Privatleben der Römer bestimmt. Vielmehr waren die Entstehung und der Erhalt der intakten Sitten ausschließlich auf eine kontingente Konstellation zurückzuführen, die Armut und Unberührtheit von äußeren Einflüssen. Für die geschichtliche Entwicklung waren deshalb in beiden Fällen – sowohl in der Frühzeit Roms, als Zufriedenheit in Armut herrschte, als auch im späteren, vom Streben nach Reichtum und Luxus gekennzeichneten Abschnitt – allein ökonomische Rahmenbedingungen ausschlaggebend. Mit der Zersetzung der bislang bestehenden disciplina, der Summe aller mores, unter dem Einwirken von divitiae, avaritia, luxuria begannen sich folgerichtig im Anschluss an die parsimonia auch die übrigen mores aufzulösen, in deren Zeichen der Aufstieg Roms gestanden hatte. Das Ende dieses Prozesses wäre der bislang jedoch noch nicht eingetretene Untergang in luxus und libido, in einem zügellosen Begehren, das sich auf alle Gebiete des privaten und öffentlichen Lebens erstreckte.55 c) Livius und die Dekadenztheorien der römischen Historiographie Wenngleich Livius in seiner Konzeption der römischen Geschichte sichtlich den Anschluss an die historiographische Tradition der Dekadenztheorie sucht, wie Polybios und Poseidonios sie etabliert hatten und wenige Jahre vor der Entstehung der Ab urbe condita Sallust in seinen drei historischen Schriften vertreten hatte, tritt im Detail doch eine persönliche Prägung hervor.56 Auf eine Verkoppelung der Stationen des Verfalls mit Ereignissen der politischen Geschichte verzichtet er. Seine Beschränkung auf eine abstrakte, geschichts- und politikphilosophische Ebene be53

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Voluptas verwendet Livius oft in Zusammenhang mit Luxusphänomenen: Liv. VII 38,5; XXIII 4,4 (Lebensführung in Capua); XXIII 8,6 (domus ditis ac luxuriosa); XXIII 18,10–16; XXXVI 11,2–4 (befördert durch Friedenszeiten); XXXVIII 17 ([Land-]Besitz); ansonsten kann das Wort bei Livius auch andere Bedeutungen annehmen: II 32,9; V 33,2; XLV 39,13 (Speisen und Getränke); XXXIII 32,10; XLI 20,11 (Spiele); XXXIX 8,6 (sexuelle Ausschweifungen). Besonders deutlich Liv. praef. 12: […] nuper divitiae avaritiam […] invexere. Liv. praef. 12. Weiterhin kann libido bei Livius auch als Sammelbegriff für tyrannische Dekadenz dienen: XXIV 5,5; XXIV 21,3; XXIX 17,18; XXXI 31,17; XXXII 21,21. Seine Verwendung des Wortes spiegelt dessen allgemeine Bedeutungsvielfalt wider, s. ThLL VII 2.2, 1330–1336. Demgegenüber hebt die Livius-Forschung v. a. die sprachlichen Parallelen vieler Stellen zu Sallust hervor, s. zuletzt bes. Woodman 1988; Moles 1993; Burton 2008; Levene 2006(a), ohne dass dabei allerdings die Geschichtsmodelle beider Autoren verglichen würden.

2. Die Praefatio und ihr Modell vom Ablauf der römischen Geschichte

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wirkt, dass er sich der in der Historiographie mit immer neuen Ansätzen geführten Debatte entzieht, zu welchem Zeitpunkt und hervorgerufen von welchen Personen und Taten der Niedergang eingetreten und avaritia erstmals aufgekommen sei. Zwar vermerkt er, dass Armut und bescheidene Lebensführung verhältnismäßig lange in Ehren gestanden hätten und avaritia ein erst jüngst aufgekommenes Phänomen sei,57 doch definiert er nicht den historischen Horizont, innerhalb dessen sich dieser Wandel vollzogen haben soll. Ob er den neuerworbenen Reichtum und den damit einhergehenden Zerfall der sittlichen Integrität als eine Folge der Expansion Roms im 2. Jh. oder erst der militärischen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte bewertet, bleibt einstweilen ebenso offen wie die Frage, ob diese Entwicklung von außen- oder innenpolitischen Ursachen bestimmt war. Für die Entstehung des Wandels hätten sich eine Reihe von Daten in der Zeitspanne zwischen 168 und 59 angeboten.58 Denn nachdem lange Zeit wahlweise der römische Sieg über Perseus im III. Makedonischen Krieg, der Untergang Karthagos, die Vernichtung der Cimbern oder Lucullus’ Einzug in Rom nach der Ausschaltung des Mithridates als Epochenjahre gegolten hatten, verschob sich jüngst die Perspektive, als Cicero in der Dictatur Sullas59 und Asinius Pollio60 in der Begründung des I. Triumvirats die entscheidenden Einschnitte in der Geschichte ansetzten, damit aber auch den kausalen Zusammenhang zwischen dem Verfall und der Übernahme der Weltherrschaft aufgaben. Angesichts des Hinweises auf den vierstufigen Verfallsprozess, der der Skizze des Niedergangs zugrunde liegt, ist trotz seines Bemühens um Relativierung des Sittenverfalls61 immerhin schon in der Praefatio erkennbar, dass Livius ein eher langfristiger Zeitraum für den Ablauf der Dekadenz vorschwebte.62 Für die Vorstellung eines Niedergangs, der sich in mehreren Phasen vollzog, dienen Poseidonios’ und Sallusts Geschichtswerke als Vorbilder. Poseidonios weiß zwar um die Bedeutung, mit der Roms Siege über den Makedonenkönig Perseus im Jahr 168 und über Karthago im Jahr 146 im römischen Diskurs über die Geschichte aufgeladen waren.63 Da er aber ausdrücklich die Weltherrschaft als Auslöser des Niedergangs betrachtet und den Cimbernkrieg als eine existentielle Bewährungsprobe für Rom auffasst, konnte nicht Karthago der letzte furchterregende Gegner gewesen sein, nach dessen Ausschaltung im III. Punischen Krieg der metus hostilis 57 58 59 60 61 62

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Liv. praef. 11; 12: nuper. S. die Diskussion bei Bringmann 1977. Diehl 1988: 118–210; Samotta 2009: 133–147. Der Beginn des Werkes ist zu erschließen aus Hor. carm. II 1,1 f. Näheres bei André 1949: 46 f. S. o. praef. 12 der Verweis auf den erst kürzlich eingetretenen Niedergang. Unwahrscheinlich ist jedenfalls, dass der Verfall für Livius erst nach dem Jahr 60 begonnen haben soll, das in Sallusts Catilina als Gegenstand eines sittenkritischen Exkurses (36,4) dient, so aber Burton 2008: 78, der im übrigen zwischen dem Eintritt und dem Endstadium des Verfalls nicht differenziert und unzulässig Sall. Cat. 36,4 mit Livius’ Bemerkung über das Aufkommen von avaritia (praef. 11) nebeneinander stellt. Makedonien: Diod. XXXI 24; Karthago: F 211c Th sowie FGrH 87 F 112 = F 178 Th. Zum Jahr 168 s. noch Calpurnius Piso FRH 7 F 41 mit den Stellen des Kommentars, p. 324, sowie die Rede Catos in der Senatsdebatte über die Rhodier 167 (FRH 3 F 5,3, bes. 3b) mit der Einordnung von Bringmann 1977: 34 f.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

verschwunden sei.64 Insofern geht er zwar von einem einzigen, ultimativen Datum aus, dem er jene überragende Bedeutung für den Wandel zuspricht, erkennt jedoch eine Tendenz für den Niedergang, die aus Roms bisherigen militärischen Erfolgen und wachsender Stärke entsprungen war.65 Sallust wiederum datiert in den Monographien Catilina und Iugurtha den Beginn des Sittenverfalls in das Jahr der Zerstörung Karthagos, 146.66 Fremd ist aber auch ihm der Gedanke nicht, dass dieser Zäsur bereits ein längerer Zeitraum vorausgegangen sei, in dem sich die Schwächung der Sitten abgezeichnet habe. Im Catilina erscheint deshalb die Beseitigung der Furcht vor Karthago als Schlusspunkt einer Entwicklung, die mit der Zunahme des weltpolitischen Gewichts Roms eingesetzt hatte.67 Mit einem solchen Vorlauf für den eigentlichen Umschlag der Sitten, dem Aufkommen von avaritia, operiert Livius jedoch nicht. Er konstatiert lediglich den stufenweisen, sich beschleunigenden und in der Gegenwart seinen Höhepunkt erreichenden Verfall, der durch den nach Rom gelangenden Reichtum ausgelöst worden sei. Die Praefatio lässt jedoch offen, ob auch Livius dieses Ereignis mit der inzwischen eingetretenen68 Weltherrschaft Roms identifizierte und es als auslösendes Moment für den Niedergang betrachtete,69 wie die römische Historiographie seit der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts zu postulieren pflegte, oder ob er bloß, wie die Historiker vor Polybios, auf den Zusammenhang von Machtzunahme und sittlicher Korruption abhob, ohne aber dieses Phänomen theoretisch mit der Übernahme der Weltherrschaft zu verbinden. Angesichts des Fehlens konkreter Datierungen für den Beginn der Dekadenz wie für die Stufen ihres Ablaufes will Livius in seiner Einleitung zum Gesamtwerk offenbar eine bedeutungsschwere Stellungnahme in der Debatte um das „richtige“ Wendejahr und alles, was damit an politischen Implikationen zusammenhing, vermeiden und greift so zu einem Modell, das in seiner Unbestimmtheit prinzipiell an 64

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69

Zum Cimbernkrieg als Epochengrenze s. die überzeugende Interpretation der relevanten Fragmente bei Bringmann 1977: 37–39. Zur Weltherrschaft s. F 211b Th = Diod. XXXVII 3,1–5, bes. 1 f.: eön de? toiqw nevteßroiw xairoiqw, katapepolemhmeßnvn me?n tvqn pleißstvn eöjnvqn, poluxronißou de? eiörhßnhw genomeßnhw, meteßpesen eön th#q ÖRvßmh# to? thqw aörxaißaw aögvghqw eiöw oöleßjrion zhqlon. Treffend zur eingeschränkten historischen Rolle Karthagos bei Poseidonios Malitz 1983: 365 (allerdings angefochten von Walter 2004: 326, Anm. 501). Terminologisch irreführend ist deshalb, wenn Walter 2004: 326 im Werk des Poseidonios mehrere Wendepunkte, also wörtlich genommen: Umschläge in eine jeweils neue Richtung, erkennen will. Sall. Cat. 10,1; Iug. 31,1–4; hist. I 12. Sall. Cat. 10,1: Sed ubi labore atque iustitia res publica crevit, reges magni bello domiti, nationes ferae et populi ingentes vi subacti, Carthago aemula imperi Romani ab stirpe interiit […]. S. Liv. praef. 3 die Formulierung vom princeps terrarum populus sowie auch 4: Res est praeterea et immensi operis, ut quae supra septingentesimum annum repetatur et quae ab exiguis profecta initiis eo creverit, ut iam magnitudine laboret sua […]. Vordergründig spricht Livius hier über den Umfang des historischen Stoffes, der seiner Bearbeitung harrt, bezieht sich aber auch auf die Entwicklung und Größe des römischen Reiches (Weiteres bei Moles 1993: 164, Anm. 23). Immerhin blieb Rom für Livius trotz der Krise immer noch der praevalens populus (VII 29,2). Zu dem Gedanken der Selbstzerstörung durch Größe Dutoit 1936: 370 und Oakley 1998: 273. Voreilig konstatiert bei Oppermann 1967: 177 und von Haehling 2007: 71.

2. Die Praefatio und ihr Modell vom Ablauf der römischen Geschichte

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die diversen Interpretationen seiner Vorläufer anschlussfähig ist. Diese Entscheidung hatte nicht nur den Vorteil, die Erwartungen der Leser zu steigern, denen ein neues Deutungsangebot unterbreitet werden musste,70 sondern sie war, wie die Analyse des Werkes zeigen wird, vom Inhalt seines Narrativs bedingt. Mit der Zurückhaltung in der Diskussion über die Periodisierung der Geschichte hängt auch eine scheinbare Abweichung von den geläufigen Dekadenzmodellen eines Polybios, Poseidonios oder Sallust zusammen. Der ambitio nämlich, einem klassischen Element antiker Verfallstheorien, wird in der Praefatio keine Rolle im Niedergangsprozess, als Produkt oder Faktor des Wertewandels, zugewiesen. Darin liegt jedoch weniger eine apologetische Verhüllung der Ursachen zerstörerischer innenpolitischer Konflikte oder ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber dem vermeintlichen Pessimismus Sallusts.71 Plausibler ist, die fehlende Thematisierung dieses Aspekts auf einen Komplex kompositioneller wie politischer Beweggründe zurückzuführen. Denn bei allen Unterschieden, die sie trennen, stimmen sowohl Polybios als auch Poseidonios und schließlich Sallust darin überein, dass am Anfang eines Sittenverfalls immer die Habgier stehe und politische Verwerfungen immer erst in ihrem Gefolge aufträten.72 Wenn Livius also in seiner Analyse ambitio nicht erwähnt oder allenfalls auf sie anspielt,73 ist damit keine Distanzierung von bestehenden Modellen intendiert, sondern er führt die Dekadenz lediglich auf ihren eigentlichen Ursprung zurück. Dazu passt, dass in der Praefatio umgekehrt parsimonia als alleiniges Signum der tugendhaften Frühzeit firmiert, während die übrigen mores namentlich unerwähnt bleiben. Dieser doppelte analytische Reduktionismus mag nicht zuletzt mit dem Ankündigungscharakter der Einleitung zusammenhängen, und auch der symmetrischen Gegenüberstellung von parsimonia und avaritia zur Kennzeichnung zweier historischer Phasen wohnt eine eindrucksvolle rhetorische Plastizität inne. Größeres Gewicht für Livius’ Entscheidung, ambitio auszusparen, dürfte jedoch ein anderes Moment besitzen. Fußend auf dem Konzept von der Weltherr70 71 72

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Liv. praef. 1 f. Ogilvie 1970: 23 f.; Korpanty 1983; Miles 1995: 3 f. (scharfer Kontrast zu Sallust); Feldherr 1998: 40. Pol. VI 57,5: ÄOtan ga?r pollou?w kai? megaßlouw kindußnouw divsameßnh politeißa meta? tauqta eiöw uÖperoxh?n kai? dunasteißan aödhßriton aöfißkhtai, fanero?n vÖw eiösoikizomeßnhw eiöw auöth?n eöpi? polu? thqw euödaimonißaw sumbaißnei tou?w me?n bißouw gißnesjai polutelesteßrouw […]. S. ferner VI 18,5: ÄOtan ge mh?n paßlin aöpolujeßntew tvqn eökto?w foßbvn eöndiatrißbvsi taiqw euötucißaiw kai? periousißaiw taiqw eök tvqn katorjvmaßtvn, aöpolaußontew thqw euödaimonißaw […]; für die Vorbilder s. Walbank 1957: 744 f.; XXXI 25,3–7 zu den Exzessen in Rom nach dem Sieg über Perseus. – Poseid. FGrH 87 F 112 = 178 Th = Diod. XXXIII/XXXIV 33,1–8, hier bes. 5 f. (nach der Zerstörung Karthagos); F 211b Th = Diod. XXXVII 3,1–5, bes. 1 f. (nach dem Cimbernkrieg und vor dem Bundesgenossenkrieg; für die Einordnung des Fragments s. Bringmann 1977: 39 und Malitz 1983: 385–387) und F 211a Th = Diod. XXXVII 2,1 f. – Sall. Cat. 10,3: Igitur primo pecuniae deinde imperi cupido crevit: ea quasi materies omnium malorum. Hist. I 11 (zum Beginn der Ständekämpfe nach dem Tod des abgesetzten Königs Tarquinius Superbus im Jahr 495; s. auch Liv. II 21,6). In praef. 9 spricht Livius von den artes, die auf den mores basieren und den Aufstieg Roms ermöglicht haben.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

schaft als Auslöser des Niedergangs, hatten alle drei seiner prominenten Vorläufer den inneren Verfall in den Einzelheiten seines Ablaufs unterschiedlich ausgedeutet und eine tendenziell populare wie tendenziell antipopulare Interpretation der römischen Innenpolitik entwickelt. Obwohl Polybios feststellt, dass in der Zeit des sicheren Friedens Wohlstand und Prachtentfaltung zunächst den politischen Ehrgeiz der Eliten schürten, so wies er doch die faktische Schuld für die inneren Konflikte entschieden dem Volk zu, das teils von Ressentiments erfüllt sei, teils sich in den Machtkämpfen instrumentalisieren lasse, so dass am Ende eine Pöbelherrschaft entstehe.74 Poseidonios hingegen greift bei seiner Schilderung der Verhältnisse in Rom nach dem Fall Karthagos offensiv die Demagogie des Ti. Gracchus an, der das Volk aufgehetzt und es in Front gegen die Senatsaristokratie gebracht habe.75 Später spricht er der Plebs einen Großteil der Verantwortung für den Ausbruch des Bundesgenossenkriegs zu.76 Sallust wiederum geht in seinen Analysen der Zeit nach 146 von der Korruption sowohl der Senatsaristokratie als auch der Plebs aus, konzentriert sich aber auf die Machtkämpfe, die innerhalb der Nobilität ausgetragen wurden, und deren Protagonisten; die Ziele der gracchischen Politik verteidigt er.77 Natürlich reflektieren auch die übrigen Geschichtswerke des 1. Jahrhunderts die Positionen in den politischen Streitfragen und künden von der vielschichtigen Ausdeutbarkeit der zeitgeschichtlichen Entwicklung.78 Die Einbeziehung von ambitio schließt deshalb eine Positionierung im Diskurs über den Niedergang ein und hätte angesichts der Diskrepanzen über die Innenpolitik noch in der Praefatio eine nähere Erörterung erzwungen. Da Livius von vornherein den Plan zu einer Gesamtdarstellung gefasst hatte, ist nicht unwahrscheinlich, dass er bei Beginn der Niederschrift – etliche Jahre, bevor er die Phase der Späten Republik erreicht haben würde – eine Festlegung von einer so grundlegenden Bedeutung vermeiden wollte, die auch massive Folgen für die Rezeption des Werkes hätte haben können. Noch vor der Lektüre der Erzählung der Ab urbe condita selbst wäre diese womöglich als unmittelbares Engagement in den politischen Auseinandersetzungen der jüngeren Vergangenheit aufgefasst und wäre Livius in eine Debatte über die Rolle prägender Figuren wie Marius, Sulla, Pompeius, Crassus, Caesar, Cicero, aber auch der Caesarmörder und deren Rächer und zuletzt sogar Antonius und Augustus gezogen worden, die in den 20er Jahren, als die Verhältnisse trotz der momentanen Führungsrolle des Princeps noch ungesichert blieben, enorme Brisanz besaß und damals oder später persönliche Risiken für den Autor 74 75

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Pol. VI 57,4–9. FGrH 87 F 112 = 178 Th = Diod. XXXIII/XXXIV 33,1–8, hier bes. 5–7; für den Beginn der Konflikte s. 6: […] kai? ga?r eöpikißndunoi dhmagvgißai kai? xvßraw aönadasmoi? kai? summaßxvn aöpostaßseiw megaßlai kai? eömfußlioi poßlemoi poluteiqw kai? foberoi? kai? taälla ta? proagoreujeßnta uÖpo? touq Skipißvnow hökoloußjhshn. Ähnlich später noch Plut. Cato Maior 27,3 f. und App. Lib. 69. Zur „optimatischen“ Beurteilung der Innenpolitik s. Malitz 1983: 368–377. F 216 Th = Diod. XXXVI 2,2. Um nur die auktorialen Kommentare zu nennen: Sall. Cat. 10–13; 36,4–39,5; Iug. 41 f. (zu den Gracchen 41,3 f.); hist. I 12; 16. S. den Abschnitt über Livius und seine Vorgänger.

2. Die Praefatio und ihr Modell vom Ablauf der römischen Geschichte

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hätte heraufbeschwören können.79 Auf alle Fälle hätte Livius von Anfang an in einer womöglich aussichtslosen Konkurrenz mit den Deutungsangeboten gestanden, die führende Vertreter der Zeitgeschichte in zahlreichen historischen und autobiographischen Werken unterbreitet hatten. Angesichts der ostentativen Verherrlichung Roms in der Praefatio mag überraschen, wie stark Livius die Abhängigkeit des Verlaufs der römischen Geschichte von äußeren Umständen betont. Allerdings zeigt das Beispiel des Poseidonios, dass die Anpreisung von moralischer Integrität keinen zwingenden Widerspruch etwa zur gleichzeitigen Einsicht in die Existenz und Wirksamkeit des metus hostilis bedeuten muss, der für die Weltherrschaftstheorie eine konstitutive Bedeutung besaß.80 Aber der naheliegende Hinweis auf die Eintracht stiftende Kraft einer äußeren Bedrohung, die abgesehen von Poseidonios auch zentral für die Geschichtsauffassung des Polybios war und besonders eindringlich von Sallust hervorgehoben wurde,81 fehlt bei Livius dann doch. Dem Leser der Praefatio konnte dies als eine Abweichung vom Modell des Sittenverfalls durch die Weltherrschaft erscheinen, das darauf basierte, dass nach dem Wegfall aller relevanten Feinde erst der erworbene Wohlstand in Zusammenhang mit dem gesicherten Frieden zu jenen innenpolitischen Verwerfungen führte, die einen Epocheneinschnitt begründeten. Zwar gesteht Livius ein, dass der während der Expansion nach Rom gelangte Reichtum einen Wandel der Lebensumstände hervorgebracht habe. Zugleich scheint er jedoch in apologetischer Absicht den historischen Glanz der Phase des Aufstiegs, als der mos maiorum unangefochten in Geltung gestanden hatte, nicht durch die Einführung des metus-hostilis-Prinzips relativieren zu wollen, das seine Unterteilung der römischen Geschichte in zwei verschiedene Phasen erschüttert und eine eher auf struktureller Kontinuität basierende Deutung der Vergangenheit suggeriert hätte. Das Vorbild für eine solche Auffassung der römischen Geschichte hätten Sallusts Historien geboten, in denen seit der Frühzeit der metus hostilis in unterschiedlichen Ausprägungen die politischen Verhältnisse maßgeblich beeinflusste.82 Obwohl Livius in seinem Modell auf das Konzept des metus hostilis verzichtet, begründet er den Aufstieg Roms andererseits auch nicht mit der produktive Kräfte freisetzenden Konkurrenz innerhalb der Senatsaristokratie, wie es Sallust im Catilina getan hatte.83 Doch dieses Modell war, wie die Erzählung beweist, mit den Konstanten seines Geschichtsdenkens so unvereinbar, dass die eigentliche Darstellung der Geschichte in einen fundamentalen Widerspruch zur Praefatio geraten wäre.84 Dass er den metus hostilis in der Einleitung, die von seinem verklärenden Blick auf die ruhmreiche Epoche des Frühen und Mittleren Roms geprägt ist, uner79 80 81 82 83 84

Wie gezeigt, bedeutet das jedoch nicht, dass Zeitgeschichte generell gefährlich für einen Historiker war, wie Moles 1993: 148 behauptet. F 211a Th = Diod. XXXVII 2,1; F 211b Th = Diod. XXXVII 3,1. Pol. Sall. hist. Sall. hist. I 16 (Karthago); 11 (Abriss der Gesamtgeschichte) mit 7 (der politischen Anthropologie). Sall. Cat. 7,6. Hierzu im Einzelnen die Untersuchung der I. Dekade sowie der gesamten Ab urbe condita.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

wähnt lässt, schließt freilich nicht die Möglichkeit aus, ihn später für die Erklärung der politischen Abläufe doch noch heranzuziehen. Zunächst setzt er den kühler rechnenden Autoren Poseidonios, Polybios, Fannius und Sallust eine idealistischer gefärbte Sicht der Zeit vor dem Sittenverfall entgegen. Allerdings bleibt es dabei, dass nach Livius die Geltung des mos maiorum hauptsächlich auf externen Faktoren beruhte – nicht etwa auf der Liebe zur Tugend an sich, die Sallust negiert85, oder einer intrinsischen Sittlichkeit des populus Romanus. d) Zusammenfassung Eine originelle Umdeutung überkommener Interpretationen der römischen Geschichte nimmt Livius in der Praefatio nicht vor. Augenscheinlich ist das Modell vom Aufstieg und Niedergang Roms, das er vorträgt und das in seiner konzeptionellen Geschlossenheit über eine Aufzählung unverbundener dekadenzkritischer Topoi hinausgeht, zwar den Theorien und Erzählungen prominenter Vorläufer verpflichtet. Doch prägt eine inhaltliche Unbestimmtheit Livius’ Ausführungen. Zentrale Fragen hält er offen: ob der Niedergang tatsächlich durch die Erringung der Weltherrschaft ausgelöst wurde, mit welchen historischen Ereignissen die vier Stufen des Verfalls verknüpft sind und wie nach dem Verlust der einfachen Lebensweise, ausgelöst durch das Eindringen des Reichtums, politische und ökonomische Faktoren im weiteren Verlauf der Geschichte zusammenspielten. Was vage bleibt, hängt sicherlich mit dem Ankündigungscharakter und dem rhetorischen Gestus der Praefatio zusammen. Wahrscheinlich hat Livius aber auch voreilige politische Stellungnahmen von zeitgeschichtlicher Brisanz vermeiden und sein Geschichtswerk von offen tagespolitischem Engagement in Querelen der zurückliegenden Jahrzehnte distanzieren wollen, um persönliche Risiken zu vermeiden und um seine Autorität als Historiker zu erhöhen. Nicht zuletzt steigert er so Spannung und Erwartungshaltung beim Publikum, das zur vollständigen Lektüre des, so war bei dem Format der Gesamtgeschichte abzusehen, gewaltige Ausmaße annehmenden Werkes genötigt werden sollte und dem deshalb der Inhalt des Narrativs nicht mit wenigen Orientierung stiftenden Schlagwörtern vorweggenommen werden durfte, zumal wenn er eigene Akzente zu setzen gedachte. So vermag Livius auf der Verherrlichung der Vergangenheit, wie plakativ sie auch ausfiel, zu beharren. Gleichzeitig hält er sich Optionen für eine differenzierte Betrachtung der politischen Prozesse offen.

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Sall. hist. I 11: Optumis autem moribus et maxuma concordia egit inter secundum atque postremum bellum Carthageniense [causaque *** non amor iustitiae, sed stante Carthagine metus pacis infidae fuit]. Zum Ausdruck amor iustitiae s. den Apparat von Maurenbrecher, p. 6 f.

3. Republikanisches System, republikanische Politik, republikanische Geschichte

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3. REPUBLIKANISCHES SYSTEM, REPUBLIKANISCHE POLITIK, REPUBLIKANISCHE GESCHICHTE. DAS PROOEMIUM DES II. BUCHES Das II. Buch der Ab urbe condita eröffnet mit der Abschaffung der Monarchie und der Umwandlung des politischen Systems einen neuen Abschnitt in der römischen Geschichte, die Republik. Mit diesem Wendepunkt veränderten sich die Themen und gesellschaftlichen Konstellationen in der Bürgerschaft. Die Politik insgesamt nahm eine neue Gestalt an. All dies hing wesentlich mit einem Grundelement der republikanischen Ordnung zusammen, der Freiheit. Welche Chancen, aber auch Gefahren für die Stabilität des Gemeinwesens dem neuen System innewohnen, reißt Livius in einem Binnenprooemium an.86 Was er in seinen Ausführungen präsentiert, sind grundlegende Einsichten in die Mechanismen der Politik und eine Vorstellung von idealer Regierungspraxis und Staatsform. Darin liegt die überragende Bedeutung des Prooemiums, weit über den unmittelbaren Anlass, der Einführung in einen neuen Zeitabschnitt hinaus. Scheinbar trägt Livius – ein Widerspruch, der sich jedoch auflösen wird – zwei verschiedene Definitionen der Freiheit vor. Zunächst charakterisiert er sie als die Verbindung des Annuitätsprinzips mit der Existenz von Gesetzen.87 Am Ende des Kapitels hingegen erklärt er zum Ursprung der Freiheit lediglich die Übertragung der königlichen Gewalt auf Beamte, die für ein Jahr gewählt würden, erwähnt jedoch nicht mehr die Existenz von Gesetzen.88 Der Grundsatz der Collegialität fehlt in beiden Fällen. In seiner Erörterung der Freiheit wendet er sich zunächst deren begeisterter Aufnahme zu und führt diese auf die tyrannische Regierung des Königs Tarquinius Superbus zurück, die mit der Herrschaft seiner als Gründergestalten gerühmten Vorgänger gebrochen habe. Dann aber thematisiert er den relativ späten Zeitpunkt 86

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Zum Wandel der Staatsform als historischem Gründungsakt Miles 1995: 120 f. Etwas einseitig wird seit Burck 1964: 52 das II. Buch unter das Generalthema „Freiheit“ gestellt. Tatsächlich gehört „Freiheit“ zu den zentralen Themen des Gesamtwerkes, die mit dem in der Praefatio erwähnten Ablauf der römischen Geschichte in Verbindung stehen. Zum Gesichtspunkt der Freiheit s. neben Burck 1952: 52–55, Phillips 1979 und Lipovsky 1981 (zur II. Pentade) besonders Heldmann 1987. Die konsequente Stilisierung des livianischen Berichts auf den Wandel des Systems und die damit verbundenen Zusammenhänge zeigt Tränkle 1965 in einem quellenkritischen Verfahren auf. Lefèvre 1983: 33–35 trägt in seiner Besprechung des Beginns der Republik in Livius’ Darstellung nichts zur Klärung des Freiheitsbegriffs bei. Zu der Behauptung von Burck 1964: 52, Livius sei dem Gedanken des Verfassungskreislaufs verpflichtet, s. u. Näheres. Auch sollte das Prooemium zum II. Buch nicht – wie bei Weissenborn/Müller 1894: 7 – auf das Thema der Souveränität des Volkes reduziert werden. Dionysios von Halikarnassos vermerkt zum Systemwechsel, das Königtum sei von einer Aristokratie abgelöst worden und die Consuln hätten die königliche Gewalt übernommen (ant. V 1,2) – eine Einschätzung, die Livius’ Deutung der Regierungsform und der Machtverhältnisse, die er im Prooemium zum II. Buch darlegt, sehr nahe kommt. Abzuleiten aus Liv. II 1,1: […] annuos magistratus imperiaque legum potentiora quam hominum peragam. Liv. II 1,7: Libertatis autem originem inde magis, quia annuum imperium consulare factum est, quam quod deminutum quicquam sit ex regia potestate, numeres. Die Einschränkung der Machtfülle, auf die Livius anspielt, war eine Folge der Ständekämpfe und reflektiert nicht die Situation nach der Vertreibung der Könige.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

der Einführung der Freiheit. In einer kontrafaktischen Überlegung beschwört er den Zerfall des Staates, der bei einer vorzeitigen Abschaffung der Monarchie wegen der inhomogenen Gesellschaftsstruktur und des Fehlens konvergierender Interessen der Bevölkerung eingetreten wäre.89 Da es an familiären Bindungen und an Liebe zur neuen Heimat gefehlt habe, die ein Identitätsgefühl hätten stiften können, wäre ein Auseinanderbrechen des unter dem Druck tribunizischer Demagogie stehenden Gemeinwesens wahrscheinlich gewesen.90 Die Herausbildung eines solchen Identitätsgefühls (consociare animos) aber war ein Verdienst der ersten sechs Könige. Dass dieser Integrationsprozess sich habe vollziehen können, habe an der Regierungspraxis der Könige gelegen, die ein vorzeitiges Verlangen nach Freiheit durch Maßhalten in der Herrschaft (tranquilla moderatio imperii) verhindert hätten. Nach der Vertreibung des Tarquinius Superbus habe dann die res publica genügend Kräfte besessen, um die Früchte der Freiheit zu ertragen.91 Bei einer verfrühten Einführung der libertas wäre das nicht möglich gewesen.92 Als Voraussetzungen für die Stabilität einer politischen Ordnung benennt Livius hier zwei Kriterien: den metus zur Erzeugung von formeller oder informeller Durchsetzungsstärke93 und moderatio, die Mäßigung von Machtausübung. Die an sich unbegrenzte Herrschaftsgewalt bedurfte folglich der Akzeptanz. Um erhalten zu werden, musste sie für Livius freiwillig begrenzt werden, nicht durch Kontrolle oder politische Partizipation der Plebs. Die Intensität des Strebens nach Freiheit steht so in einem Zusammenhang mit der Ausübung von Herrschaft. Die Versicherung, die Freiheit sei unter der Herrschaft des Königs Tarquinius Superbus wegen dessen sprichwörtlichem Hochmut „besonders froh“ aufgenommen worden, suggeriert, dass unter einem stärker von moderatio geprägten Regiment als in der Endphase seiner Herrschaft ein Wandel der politischen Ordnung weniger wahrscheinlich gewesen wäre. Selbst die Furcht, so zeigt sich im Schicksal des letzten Königs, besitzt nur eine relative Wirkung und kann paradoxerweise durch sich selbst, ihre exzessive Anwendung, an Kraft verlieren, wenn Situationen eintreten, in denen, wie im alle Stände erfassenden Terrorregime des Tarquinius, die Furcht ihren 89

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Das Wort plebs erwähnt Livius zusätzlich zu den bei Cicero überlieferten pastores und convenae (die Stellen bei Weissenborn/Müller 1894: 8), aber nicht primär, wie Heldmann 1987: 217 behauptet, um eine „abwertende Komponente“ einzuführen, sondern um die drohenden Interessengegensätze aufzuzeigen. Heldmann 1987: 218 scheint bei seinen Ausführungen über die Agitation der Volkstribunen den Aspekt des Interessenkonfliktes zu sehr zu vernachlässigen und stattdessen einseitig auf den demagogischen Gebrauch ihrer Kompetenzen in der Folgezeit abzuheben. S. hierzu meine Ausführungen zum metus regius. Zu teleologisch gedacht erscheint, in der Königszeit eine Epoche der „Erziehung zur libertas“ zu sehen (so aber Weissenborn/Müller 1894: 8 f.). Die Bedeutung der caritas gegenüber den Familienmitgliedern als grundlegende Tugend einer Gemeinschaft hebt Miles 1995: 204 f. hervor. Zur Körpermetaphorik bei Livius und ihrer Tradition jetzt Mineo 2006: 19–45. Verfehlt hingegen erscheinen die Bezüge zur Landwirtschaft, die Phillips 1979: 87 f. zu entdecken glaubt. Heldmann 1987: 216; 218 f. konstatiert hier einen Wandel in Livius’ Freiheitsverständnis. Seine Auffassung suchen die folgenden Ausführungen zu widerlegen. S. Phillips 1979: 90 f. und Heldmann 1987: 221, auch 218 über die „prohibitive Wirkung“ der Furcht, die allerdings nur „punktuell spürbar“ gewesen sei.

3. Republikanisches System, republikanische Politik, republikanische Geschichte

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Schrecken verliert. Zur Furcht als integrierendem Faktor tritt komplementär das Identitätsgefühl hinzu. Deren Fehlen konnte, so Livius’ kontrafaktische Überlegung, in der Königszeit durch den metus kompensiert werden. Dieser wäre allerdings bei einem vorzeitigen Systemwechsel verschwunden, und der tribunizischen Demagogie hätte sich Raum zur Entfaltung geöffnet. Beide Bedingungen für Stabilität wären zugleich weggefallen. Für den Erhalt der politischen Ordnung kommt dem später von den Volkstribunen instrumentalisierten Volk eine eher passive Funktion zu. Das Identitätsgefühl, die Bindung an Land und Familie, hätte in der Republik, so Livius euphemistisch, für Widerstandsfähigkeit gegen demagogische Umtriebe gesorgt. Die Strategie der Volkstribunen, ihre Forderungen mithilfe der Plebs und des Versprechens, deren soziale Notlage zu lindern, durchzusetzen, wäre nach Livius’ Einschätzung auch in der Frühzeit, erfolgreich gewesen, hätte sich die Monarchie nicht auf den von ihr ausgehenden metus und die Akzeptanz des Volkes stützen können. Als ambivalent versteht Livius die neuentstandene Freiheit. Dass sie unter der Monarchie gefehlt habe, verzeichnet er als Defizit. Selbst ohne Tarquinius wäre, bei allen Verdiensten der Könige, die Ablösung der Monarchie ein begrüßenswerter Akt gewesen.94 Er begreift die Freiheit nicht als Partizipation der gesamten Bürgerschaft an politischen Prozessen, sondern als befristete, durch alljährliche Wahlen zum Consulat beschränkte, in der Machtfülle jedoch unangetastete Herrschaft, die vom Patriziat monopolisiert wurde. In dieser Hinsicht profitierten lediglich die Patrizier, die alleine Ämter bekleideten, von der Freiheit. Livius’ Versicherung im Prooemium zum II. Buch, dass nicht die Machtbefugnis an sich eingeschränkt worden sei, offenbart ein Verständnis von positiver Freiheit, das einen großen Teil der Bürgerschaft von der Freiheit ausschließt.95 Abgesehen von der nun jährlichen Wahl der Consuln, veränderte sich die politische Stellung der Plebs durch den Systemwandel kaum. Immerhin, und das war der Aspekt der negativen Freiheit, die mit der Einführung der Republik zusammenhing, wurde die Wahrscheinlichkeit einer Willkürherrschaft durch die kurze, nur ein Jahr dauernde Amtsperiode der Consuln verringert. Die imperia legum, die potentior als die von Menschen seien, zogen den Rahmen, in dem sich die Akteure und Anordnungen der Magistrate zu bewegen hatten.96 Was Livius mit dem Ausdruck „die Frucht der Freiheit ertragen“ umschreibt, enthält ihre in seinen Augen destruktive Seite, das Entstehen der Politik sowie der 94 95

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Das geht hervor aus Liv. II 1,2: Quae libertas ut laetior esset, proxumi regis superbia fecerat. Schon Burck 1964: 53 hatte bemerkt, dass Livius keine Definition von Freiheit biete; sie sei „gefühlsmäßig unmittelbar gegenwärtig“. Zu dieser vagen Feststellung s. Heldmann 1987 abzuhelfen. Ein negatives Verständnis der Freiheit liegt auch der Bemerkung zugrunde, die sich ins Asylum geflüchteten Straftäter und Sklaven hätten Freiheit (libertas) oder Straflosigkeit (impunitas) erlangt. Das nennt Heldmann 1987: 21 nicht zu Unrecht einen „Gegensatz zur Sklaverei“, schließt den Sachverhalt aber von der weiteren Erörterung aus, weil er eine privatrechtliche Angelegenheit behandle. Tatsächlich aber steht dieser Aspekt von Livius’ Verständnis des Wortes „Freiheit“ in Übereinstimmung mit seiner sonstigen Auffassung. Für Antiquarisches zu den institutionellen Reformen, den neugeschaffenen Ämtern und ihren Kompetenzen s. Ogilvie 1970: 235–238. Hierzu auch Heldmann 1987: 212.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

ihr innewohnenden Dynamik.97 Anders als Sallust, der als Vorzug der Freiheit das Erwachen der Tugenden in den von patriotischem Streben nach Ruhm und Anerkennung erfüllten Bürgern herausgestrichen und die nun freigesetzten Kräfte durch den Wettbewerb der Magistrate als Motor für den Aufstieg Roms verstanden hatte,98 konzentriert Livius sich auf ihre desintegrierenden Kräfte. Die entstehenden Verwerfungen führt er, wie die Bemerkung über die procellae der Volkstribunen zeigt, aber nicht auf die potentiellen Teilnehmer eines Wahlkampfs zurück, die Patrizier, sondern auf die von der politischen Partizipation ausgeschlossene Gruppe, die plebeische Elite, die für ihren Zugang zur Magistratur das Volk mobilisierte. Nicht bloß die innerhalb der Nobilität vermeintlich unproblematische Wahl von Magistraten ist in Livius’ Erwägungen mit der Freiheit verbunden, sondern auch der Kampf um die Beteiligung an der Politik, die in der Monarchie unbestritten Monopol des Königs gewesen war. Über die Verwerfungen, die aus dem Agieren der Patrizier hervorgingen, schweigt Livius sich aus. Die Exzesse in der Zeit der Ständekämpfe, die vom Machtmissbrauch der Patrizier im Jahr 495 ihren Anfang nahmen, blendet er ebenso aus wie die Konflikte, die innerhalb der Nobilität selbst um Prestigefragen aufkamen und sich zeitweise bis zum Versuch einer Usurpation steigerten. Dass er kein Auseinanderbrechen des Staates in der Republik befürchtet, die in den folgenden Jahrhunderten von bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder tatsächlichen Bürgerkriegen heimgesucht wurde, ist Ausdruck eines demonstrativen Optimismus. Die Bedeutung der Akzeptanz und deren jederzeit von neuem auszubalancierendes Verhältnisses zur unbegrenzten Amtsgewalt blieb in der patrizischen Republik im Grundsatz gültig. Der vom Volkstribunat, nicht von den Patriziern initiierte Wettbewerb um Ämter mit innerer Zwietracht und Destabilisierung im Gefolge, war, folgt man Livius’ Einsichten, nur einzudämmen durch eine um Akzeptanz des Volkes werbende Politik, die Anlässe für die Aktivierung von Demagogie beseitigte. Die Ausübung der Herrschaft der Patrizier im republikanischen System als Nachfolger der Könige hatte in der Beachtung der gleichen Prinzipien wie die Monarchie zu bestehen. Wie ihre Herrschaft unbegrenzt ist, so muss sie von Mäßigung geprägt sein. Auch sie blieb von der Unterstützung der Plebs abhängig. In den Ständekämpfen sollten künftig die patrizischen Magistrate, wie im Einzelnen gezeigt werden kann, durch den gleichen Fehler wie Tarquinius Unruhe stiften und Angst schüren, obwohl das Volk von sich aus keineswegs zu politischen Forderungen neigte oder einen Umsturz plante. Die apodiktische Feststellung, die Einführung der Freiheit und die Abschaffung des Königtums seien zum historisch richtigen Zeitpunkt erfolgt, wird vom Ablauf in der römischen Innenpolitik in den Ständekämpfen mit bürgerkriegsähnlichen Szenen und mehrfachen Sezessionen stets von neuem in Frage gestellt.99 97

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Insofern trifft die These bei Heldmann 1987: 213 nicht zu, dass sich der Siegeszug des Freiheitsgedankens durch die „fast irrationale Übermacht der Idee“ ergeben habe. Zumindest für die römische Innenpolitik der Folgezeit ist das genaue Gegenteil der Fall. Im übrigen war die Freiheit mit handgreiflichen Interessen verknüpft. Sall. Cat. 7. Anders Heldmann 1987: 219.

3. Republikanisches System, republikanische Politik, republikanische Geschichte

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Schon zu Beginn des II. Buchs also thematisiert Livius alle mit der Freiheit zusammenhängenden Probleme für die Stabilität und Eintracht, für die concordia. Aus ihnen spricht eine sich später, in der Erzählung, manifestierende Ablehnung der Partizipation des Volkes an der Politik, weil sie tribunizische Agitation und Instabilität einschließt. Stattdessen plädiert er implizit für eine moderate und um Akzeptanz bemühte, von keinen institutionellen Regelungen eingehegte Herrschaft der Patrizier, angelehnt an die Monarchie.100 Am Königtum kritisiert er weniger die Machtfülle als die Möglichkeit einer Pervertierung zur Willkürherrschaft und begrüßt deshalb die Einführung des Annuitätsprinzips. Die von ihm gebilligte und an die Monarchie erinnernde Machtfülle, die nicht mehr an eine Person, sondern einen Stand übertragen war, darf nicht zu der Annahme verleiten, in der Idealvorstellung des Livius seien, eine Politik der moderatio und gewisse Schutzmechanismen vorausgesetzt, libertas und regnum im Prinzip nicht unvereinbar.101 Das würde unterstellen, dass er allein ein Verständnis von negativer Freiheit besessen hätte und stünde auch in Widerspruch zu seiner Definition von einer Freiheit, die ihren Ursprung in der Wahl, im Wechsel der Herrschaft, besaß. Tatsächlich jedoch hielt Livius die Einführung der Freiheit, ungeachtet der gemäßigten Herrschaft der ersten sechs Könige und der Exzesse des Tarquinius Superbus, für etwas generell Begrüßenswertes, wie die Verwendung des Komparativs laetior bei der Anspielung auf die Abschaffung der Monarchie zeigt. Nicht die Monarchie102 war für Livius die mögliche Antwort für die Verhinderung und Bekämpfung von Zwietracht, sondern ein möglichst unbeschränktes Senatsregiment, das sich allerdings, ablesbar am notwendig gewordenen Erlass von Gesetzen, in seiner ursprünglichen Form, wie es nach der Vertreibung der Könige bestand und von Teilen der Patrizier erbittert verteidigt wurde, langfristig nicht bewährte. Die Entstehung der ausdifferenzierten Republik ist die Geschichte der Ständekämpfe. Insofern ist ihm bei der Definition der Freiheit, um die er zweimal im Prooemium kreist, kein Widerspruch unterlaufen. Denn für den Ursprung der Freiheit hielt er, in Abgrenzung zur Königszeit, das Annuitätsprinzip. Dass er zugleich dieses und die Existenz von Gesetzen, die menschlichem Handeln Grenzen auferlegen, als die Paradigmen einer republikanischen Geschichte begreift, demonstriert, wie wenig die aus dem Ursprung der Freiheit abgeleitete Staatsform, die patrizische Republik, sich in der Geschichte behaupten konnte, vielmehr bald modifiziert wer-

100 Richtig Heldmann 1987: 222; 224 über Livius’ Skepsis gegenüber der Freiheit, berücksichtigt aber nicht die Schwierigkeiten, die aus Livius’ Ansatz hervorgehen und die im Verlauf der Ständekämpfe sofort auftreten. Heldmann sieht zu Unrecht eine proaugusteische Tendenz am Werk. Gegen eine solche Interpretation kann indes vorläufig vor allem eingewendet werden, dass gerade Augustus’ Principat nur mühsam in Einklang mit dem Annuitätsprinzip zu bringen ist, das zu den Wesensmerkmalen der republikanischen Ordnung gehört. Heldmann selbst hat darauf hingewiesen, dass die Befreiung von der Königherrschaft auch ohne Tarquinius Superbus als laetus empfunden worden wäre. 101 So aber Heldmann 1987: 214, mit der Schlussfolgerung, dass Livius kein Gegner der Monarchie sei. 102 Dies ist jedoch die Position von Heldmann 1987: 229.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

den musste.103 Ihr rasches Scheitern annonciert auch das Versagen des livianischen Ideals einer politischen Ordnung, die, statt innere Stabilität zu sichern, an ihren strukturellen, paradoxerweise gerade auf Festigung der Verhältnisse ausgerichteten Voraussetzungen scheiterte, der freiwilligen, aus Einsicht in die Notwendigkeit von Akzeptanz geübten Mäßigung der classe dirigeante in der Herrschaftsausübung. Aus dem System der Republik folgt die überragende Bedeutung der Freiheit für die politische Praxis. Um die Freiheit als einen zentralen Aspekt der Komplexe Herrschaftsausübung und Machtverteilung sind in Livius’ Darstellung die Auseinandersetzungen in Rom konzentriert. Der Rang der Freiheit bei Livius erklärt sich aus der politischen Kultur der Späten Republik, in der Freiheit zu den wichtigsten Schlagworten des Diskurses gehörte.104 Zwar umfasste der Terminus libertas viele sowohl juristische als auch ideologische Bedeutungsebenen, wie die Freiheitsdefinition stark vom politischen Standpunkt abhing. In der politischen Debatte jedoch stand er, so jedenfalls Livius’ Konstruktion, im Mittelpunkt des Streites um das Verhältnis zwischen dem Senat und dem Volk. Seine Darstellung zeigt, dass die Unterscheidung zwischen einer aktiven und passiven Freiheit, dem Recht zum Handeln und dem Freisein von politischer Unterdrückung105 (nicht aber von existentieller Not106) ausgeprägt war. Konsens zwischen den Ständen bestand nur in der Unvereinbarkeit von Königsherrschaft und Freiheit.107 Auf allen Seiten sah man das Freiheitsstreben des Gegners als Angriff auf die eigene Position (dignitas).108 Das Ringen um den Freiheitsbegriff gehört für Livius bei der Darstellung der Ständekämpfe zu den wichtigsten Ideologemen patrizischer Abwehr plebeischer Interessen und plebeischer Forderungen nach politischer Partizipation oder Schutzrechten gegenüber einer aggressiven Politik des Senats.

103 Dieses Problem berücksichtigt Heldmann 1987: 224 nicht, wenn er die proaugusteische Komponente betont, die sich aus Livius’ Erzählung ergibt, weil sie auf der Annahme eines ‚väterlichen‘ Herrschers beruht. An solchen Gestalten fehlte es freilich in der I. Dekade meistens. Ähnlich wie Heldmann zieht Mineo 2006: 131 f. eine Parallele zur Zeitgeschichte. 104 Die Rede vom Schlagwort hat Syme 1939: 149–161 im Kapitel über die political catchwords aufgebracht. Grundlegende Literatur: Kloesel 1935; Bleicken 1962; 1972; Wirszubski 1967 (mit Momigliano 1951); Lind 1986 und Brunt 1988, der die verschiedenen semantischen Schattierungen des Freiheitsbegriffes am subtilsten heraus präpariert; Weiteres bei Arena 2007. Für eine Abgrenzung des römischen zum griechischen Freiheitsbegriff: Raaflaub 1984; 1985; Brunt 1988: 310–313. Für die Rolle der Freiheit in popularen und optimatischen Konzepten s. zuletzt Robb 2010 und Hellegouarc’h 1963: 388–415. Für Livius: Bruno 1966 und 1966(a). 105 Bruno 1966: 118. 106 Wirszubski 1967: 9; 11 und generell Brunt 1988. 107 S. bes. Liv. I 17,3; II 2,2; 4–7; 7,11 (implizit); 9,1–4; 10,8; 15,2–4; III 28,2 f.; 39,7 f. (als iniusta dominatio); VI 19,1; für eine grundsätzliche Gegenüberstellung s. XLIV 24,1 (natura inimica). 108 Zur Spannung libertas–dignitas s. z. B. Liv. IV 6,10; VII 17,7, aber auch Caes. civ. III 91,2; Sall. Iug. 41,5 mit Earl 1961: 54 f.; Wirszubski 1967: 9–17; 74–79; Hellegouarc’h 1963: 408.

4. Politische Anthropologie

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4. POLITISCHE ANTHROPOLOGIE a) Die Bedeutung des livianischen Menschenbildes für das Verständnis der Ab urbe condita Antike Geschichtsschreiber pflegten die Quintessenz ihrer Forschung auf unterschiedliche Weise darzubieten. Zu ihren Komponenten gehörten neben der chronologischen Anordnung topographische Beschreibungen, Portraits der „großen“, „Geschichte machenden“ Männer sowie eine eingehende Analyse in Form von Prooemien und Exkursen, die über ein bloßes Referat der Ereignisgeschichte hinausgehen sollte.109 Auch Livius rückt geschichtliche Ereignisse gelegentlich in einen weiteren Horizont, so etwa in der Praefatio mit ihrem Dekadenzschema und der Einleitung zu den Büchern II, VI, XX und XXXI sowie in der Kennzeichnung wichtiger Wegmarken in der römischen Geschichte.110 Hinzu kommen knappe antiquarisch-aitiologische Erklärungen von Mentalitäten und Institutionen mit besonderer Bedeutung für den Fortgang der römischen Geschichte.111 Sein Schwerpunkt lag jedoch auf der pragmatischen Geschichte. Bislang nahm man jedoch an, dass die didaktische Wirkung seines Geschichtswerkes ausschließlich auf den Taten der exempla beruhte, deren Interpretation allerdings die Gefahr von Missverständnissen einschließt112. Der Profit der Lektüre für den Leser ergäbe sich dann aus kleineren Sinneinheiten, die auch vom größeren Zusammenhang abgetrennt ihre Verständlichkeit und ihre Aussagekraft bewahren. Für eine solche Erzähltechnik fand Livius ein Vorbild im Geschichtswerk des Sempronius Asellio.113 Griffige oder tieferreichende Einsichten in das Geschichtsdenken des Autors, von dem sie lediglich Fragmente sind, konnten sie jedoch nicht vermitteln. Detaillierte Aufschlüsse über die politische Bewertung, die Livius in den geschilderten Ereignissen vornimmt, liefern auch die Komposition des Stoffes sowie die stilistische Gestaltung von den Reden der historischen Protagonisten, die in die Erzählung eingewoben sind.114 Essentielle Leitideen jedoch, die Livius’ Darstellung einen inneren Zusammenhang verleihen und wesentliche Einblicke in sein Verständnis von Politik erlauben, sind in mehreren über den Text verstreuten Stellungnahmen und Sentenzen enthalten, die Livius als auktorialen Kommentar in den Erzählfluss integriert. Nicht zufällig erscheinen sie bereits in der ersten Pentade der Ab urbe condita, die geschlossen als erster Teil der livianischen Gesamtgeschichte veröffentlicht wurde und nahezu 109 Hierzu s. o. Kap. B.II,1. Polybios pflegte sich überdies exzessiv mit auktorialen Kommentaren unmittelbar an den Leser zu wenden. 110 Zur Übersättigung durch die Lektüre der scheinbar immer gleichen Geschehnisse s. z. B. Liv. VI 12,2. 111 Vgl. hier die antiquarische Spezialforschung, wie Varro und Hygin sie repräsentieren, oder die literaturgeschichtlichen Exkurse bei Velleius Paterculus, die eine Innovation in der römischen Geschichtsschreibung bedeuteten. 112 Hierzu z. B. Burck 1992: 126–131 sowie v. a. Chaplin 2000: 1–31 und Walter 2004. Zur erwähnten Missverständlichkeit von exempla generell Chaplin 2000. 113 Hierfür hat Burck 1964 den Terminus „Einzelerzählung“ geprägt. 114 Zu den Reden s. zuletzt Baier 2003: 236 f.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

sämtliche fundamentale Themen der römischen Geschichte behandelt. Sie dienen dort der Erläuterung von zentralen politischen Konflikten. Die in ihnen formulierten Gesetzmäßigkeiten über die menschliche Natur und über klassische Strategien in der Politik sollen zum Verständnis des Handelns der Akteure beitragen, indem sie dessen natürliche Grundlagen aufdecken. Weil sie feststehende Intentionen und Ziele der Menschen benennen, lassen sich deren politische Entscheidungen im Rahmen bestimmter historischer Konstellationen vorausberechnen. In diesem Sinn sind geschichtliche Ereignisse Funktionen bestimmter, auf natürlicher Veranlagung beruhender und damit auch den Menschen definierender Wesenszüge und erlangen dadurch eine über den Einzelfall hinausreichende Aktualität und Anwendbarkeit. Nie durch anderslautende oder relativierende Äußerungen in Frage gestellt, offenbaren diese Kommentare die konzeptionelle Geschlossenheit des Werkes, die Livius’ Darstellung zugrundeliegt. Tut man sie nicht als rhetorische Phrasen ab, so erscheint der Historiker nicht als romantischer Geschichtenerzähler mit Neigung zu Szenen, die isoliert zueinander stehen, sondern als Historiker, dessen Werk von politisch-philosophischen Einsichten geprägt ist, ohne dass diese ideologischen Grundlagen jedoch auffällig herausgestellt würden. In der Tat darf ihre Bedeutung für die Interpretation des Geschichtswerks nicht verabsolutiert werden. Doch als integrale Bestandteile einer systematischen Betrachtung von Politik und Geschichte liefern sie einen durch weitere Aspekte zu ergänzenden Beitrag zum Verständnis eines Geschichtswerks, dessen politisch-historische Lehren wegen der zumeist ununterbrochen dahinfließenden Erzählung weniger offen zutage treten als bei anderen Historikern. b) Livius’ Kommentare zur politischen Anthropologie Livius’ Einsichten in die menschliche Natur seien mit Übersetzungen versehen der Analyse vorgeschaltet.115 1. […] ut est humanus animus insatiabilis eo, quod fortuna spondet […]. (IV 13,4; zur Erklärung der Usurpation des Sp. Manlius) Übers.: […] wie die menschliche Natur unersättlich nach dem strebt, was das Schicksal bietet […]. 2. Omnium igitur simul rerum, quarum immodica cupido inter mortales est, agri pecuniae honorum discrimine proposito […]. (VI 35,6; zur Debatte um das sextisch-licinische Gesetz) Übers.: Also wurden alle Dinge zugleich, nach denen unter den Menschen ein maßloses Verlangen herrscht: Land, Geld, Ämter116, zur Entscheidung gestellt. 3. […] sed factione respectuque rerum privatarum, quae semper offecere officientque publicis consiliis. (II 30,2; über die Hardliner-Fraktion im Senat während der Krise des Jahres 494) 115 Die meisten dieser Stellen habe ich bereits in Steffensen 2009 als grundlegend für das Verständnis des livianischen Menschenbildes identifiziert, präsentiere sie hier jedoch erweitert und mit vertieften Interpretationen versehen. 116 Honor bedeutet dem Kontext zufolge „Amt“ und wird von Livius nicht als Abstraktum „Ehre“ verwendet.

4. Politische Anthropologie

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Übers.: […] aber durch Parteiinteressen und Rücksichtnahme auf persönliche Angelegenheiten, die öffentlichen Entscheidungen immer entgegenstanden und entgegenstehen werden […]. 4. […] dum aequari velle simulando ita se quisque extollit ut deprimat alium […] cavendoque ne metuant, homines metuendos ultro se efficiunt, et iniuriam ab nobis repulsam, tamquam aut facere aut pati necesse sit, iniungimus aliis. (III 65,11; zu den politisch motivierten Prozessen, die nach der Beseitigung des Decemvirats die Plebs anzustrengen plante) Übers.: […] indem jeder vorgibt, gleichgestellt werden zu wollen, hebt er sich so weit empor, dass er den anderen niederdrückt […], indem die Menschen dafür sorgen, dass sie nicht zu fürchten brauchen, machen sie sich selbst zu solchen, die man fürchten muss, und das Unrecht, das wir von uns abgewehrt haben, fügen wir anderen zu, als ob es notwendig sei, Unrecht zu tun oder zu erleiden. 5. […] sed externus timor, maximum concordiae vinculum, quamvis suspectos infensosque inter se iungebat animos. (II 39,7; zur Reaktion von Magistraten, Senat und Volk auf die tribunizische Blockade einer Aushebung) Übers.: […] aber die Furcht vor dem auswärtigen Feind, das stärkste Band der Eintracht, verband die Menschen, auch wenn sie sich gegenseitig verdächtig und verhasst waren. 6. Non equidem, si qua sit sapientium civitas quam docti fingunt magis quam norunt, aut principes graviores temperantioresque a cupidine imperii aut multitudinem melius moratam censeam fieri posse. (XXVI 22,14; zum Abstimmungsverhalten bei einer Consulatswahl im II. Punischen Krieg) Übers.: Wenn es einen Staat der Weisen gäbe, den die Gelehrten mehr entwerfen als kennen, so könnten doch, wie jedenfalls ich meine, weder seine führenden Männer ehrwürdiger und von der Herrschsucht freier, noch die Volksmenge gesitteter sein.

Diese wenigen Äußerungen erlauben eine anschauliche Rekonstruktion von Livius’ Bild des Menschen. Ihm wird eine dynamische, von unbegrenztem Verlangen geprägte Natur zugeschrieben, der alles Statische fremd ist. Im Mittelpunkt steht die Begierde (cupido) nach drei zum Kernbereich der Wirtschaft wie der Politik gehörenden Gütern: Land, Geld und Ämtern.117 Die Verfügungsgewalt über alle drei Güter hängt eng zusammen. Ihnen wohnt nicht nur ein materieller, sondern auch ein psychologischer Aspekt inne. Indem Livius die verallgemeinernde Formulierung mortales gebraucht, verdeutlicht er, dass der Einfluss der Begierde die Menschen unabhängig von Standesgrenzen und sozialer Lage beherrscht. Da die Begierde bei der Verteidigung oder Erweiterung von Besitz höchste Energien freisetzt, führt sie, wie Livius anlässlich der Debatte um die sextisch-licinischen Gesetze explizit feststellt, zu schwerwiegenden politischen Verwerfungen. Der Historiker beklagt weniger ihre Existenz an sich als vielmehr ihre Maßlosigkeit; sie kennt keine Grenze, die mit einem summum bonum erreicht würde.118 Die Begehrlichkeit des Menschen ist 117 Liv. VI 35,6: Nicht behandelt bei Kraus 1994 und Oakley 1997. Der archaische Terminus cupido, vertreten weder in Ciceros noch in Caesars Wortschatz, ist nach den Dichtern Plautus und Terenz erstmals von Sallust wiederaufgegriffen worden, s. Vretska 1961: 131 f. und Vretska 1976: 53 f. Syme 1964: 312 zur Verwendung von cupiditas und cupido in den historischen Schriften Sallusts s. Syme 1964: 312. 118 Der Terminus summum maximum scheint nicht, wie ich ursprünglich annahm, allgemein gebräuchlich, sondern von Kersting 2006: 37 geprägt worden zu sein. Er findet Verwendung bei der Erläuterung der politischen Anthropologie Machiavellis, die Livius’ Vorstellungen stark

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für ihn unersättlich und sie äußert sich in einem permanenten, nie zu beseitigenden Gefühl der Unzufriedenheit. Immer wird er zu noch mehr Besitz angetrieben, ohne sich mit einmal definierten Zielen zufriedenzugeben. Da Privatinteressen stets dem Gemeinwohl gegenüberstehen,119 betreiben die Menschen, angestachelt von ihrer übermäßigen cupido, kaum je eine sachgemäße Politik; sie pflegen ihre Interessen ideologisch drapiert, unter dem Vorwand übergeordneter Ziele, wie etwa der Sicherung der Freiheit, zu verfolgen. Der Antrieb zu einem auf das Gemeinwohl ausgerichteten Handeln scheint ihnen nicht angeboren zu sein; der Mensch findet keine Erfüllung durch das Leben in der Gemeinschaft an sich. Er ist ein dynamisches Begehrswesen, das sich stets im Wettkampf mit seinen Mitmenschen um die allseits erstrebten, aber knappen Ressourcen befindet. Eine von Leidenschaften unangefochtene Politik verweist Livius in den Bereich der Utopie vom Idealstaat. Implizit erhebt er die Mäßigung (moderatio) zum zentralen Kriterium für die Bewertung politischen Agierens: für die Herrschenden, die ihre Macht angemessen ausüben, und für die Massen, die nicht in Zügellosigkeit entarten sollen. Wer unter Ungerechtigkeiten leidet, gibt sich mit deren Beseitigung nicht zufrieden, sondern trachtet danach, seinen vormaligen Unterdrücker niederzuzwingen; aus jemandem, der einst die Macht anderer zu fürchten hatte, wird, sobald er jenen ebenbürtig geworden ist, selbst eine furchteinflößende Person, die ihre Stellung absichern muss. Da die Pleonexie den Menschen also nach einem nicht festlegbaren summum bonum streben lässt und er nach größtmöglicher Überlegenheit trachtet, droht eine Eskalation unter den Konkurrenten, weil der Schwächere in steter Furcht lebt, eliminiert zu werden, während der Stärkere keine Relativierung seiner Macht zulassen darf, damit seine Schwäche nicht diejenigen zum Angriff einlädt, denen er Unrecht antut. Daher scheint ein friedliches Zusammenleben in einer stabilen, statischen Ordnung ausgeschlossen. Immerfort ist der Mensch auf die Absicherung seiner Interessen und die Maximierung seines Nutzens bedacht. So kann er es beim Kampf gegen Ungerechtigkeit nicht mit der Wiederherstellung seines Rechtes belassen. Die Furcht vor dem Mitbürger ist die Kehrseite der Pleonexie; jedermann muss daran interessiert sein, die Angst des anderen zu maximieren. So gehört zu den Kernelementen des livianischen Menschenbildes eine Spirale der Ungerechtigkeit, aus der es offensichtlich keinen Ausstieg gibt (tamquam […] necesse sit). Niemand kann seine moralische Integrität bewahren, weil er früher oder später selbst zum Täter wird. Alles in allem ist der Mensch ein von Natur aus asoziales Wesen. Seine Veranlagung zur Durchsetzung eigensüchtiger Interessen artet ins Selbstzerstörerische aus; er bedarf deshalb der Disziplinierung durch Gesetze und Bestrafung, ist aber ähnelt, aber sich doch auch partiell deutlich von ihr unterscheidet. Für die zum Zweck der Theoretisierung sinnvolle Benennung des faktisch natürlich nicht erreichbaren Ziels der Pleonexie existiert ansonsten nur Hobbes’ maximum bonum. Dieser Begriff aber hebt sich nicht plastisch genug von summum bonum ab, das ein erreichbares höchstes Gut bezeichnet. Ich halte deshalb im Weiteren an Kerstings Begriffsprägung fest. 119 Die Verwendung des Futurs in officientque (Liv. II 30,2) verweist auf die Allgemeingültigkeit dieses Kommentars.

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selbst eine beständige Gefahr für die bestehende Ordnung, die er für seinen persönlichen Vorteil ausnutzt. Da Einigkeit nicht durch freiwillige Übereinkunft zustande kommt, dient ein äußerer Faktor als stärkster Antrieb zum inneren Frieden: der Krieg.120 Ihn hält Livius für das maximum concordiae vinculum, da er der Vermeidung von Übeln dient, die alle Gruppierungen im Gemeinwesen zugleich beträfen, etwa Eroberung der Stadt, Plünderung und Versklavung. Das Selbstinteresse des Menschen gebietet deshalb eine Kooperation sogar unter verfeindeten Bürgern. Insbesondere also vermag die Furcht – sei es innenpolitisch vor den konkurrierenden Mitbürgern, sei es außenpolitisch vor militärischen Gegnern, aber auch vor gesetzlichen Sanktionen – die menschliche Pleonexie zu zügeln. Gerechte Maßnahmen und Gesetze vermögen kaum die egoistischen Absichten der Menschen zu binden; immer scheitert eine Politik, die allein auf ethischen Appellen beruht. Als Wesen, dessen Verhalten allein auf seiner kurzfristigen Interessenkalkulation beruht, ist der Mensch ein homo oeconomicus. Livius’ auf die Pleonexie fixiertes Menschenbild reiht sich in die Tradition des anthropologischen Denkens der Antike ein.121 Schon immer gehörten das menschliche Vorteilsstreben und die Unvereinbarkeit von Interessen zu den Hauptproblemen jedes Nachdenkens über Politik.122 Die Pleonexie galt seit den frühesten Kulturtheoretikern als Motiv des menschlichen Handelns und daher als charakteristischer Motor der Politik. Am frappierendsten ist jedoch, welche weitgehenden Übereinstimmungen ausgerechnet mit Thukydides, der in Rom stark rezipiert wurde.123 Im Peloponnesischen Krieg bietet er im Bericht über die Stasis in Korkyra eine drastische Pathologie der Politik fern aller Idealisierung dar und rechnet über den historischen Anlass hinaus das Berichtete zu jenen Einsichten, die zur Natur des Menschen gehörten, stets einen Teil der Politik bildeten und darum zu dem ewigen Vermächtnis seines Werkes beitrügen.124 Sallust selbst ist in vielen Details seines politischen Denkens thukydideischen Ideen verpflichtet.125 Thukydides’ Bürgerkriegsszenario, das eine Extremsituation beschreibt, überträgt Livius in seinen Grundzügen auf die römische Tagespolitik. Hier wie dort verliert das Recht seine Wirkung und tritt gegenüber der schrankenlos ausgeübten Gewalt zurück, die auf allen Seiten als Instrument zur Durchsetzung politischer 120 Auf allgemeine zeitgeschichtliche Assoziationen verweist Ogilvie 1970: 333. 121 S. zur Pleonexie v. a. die begriffsgeschichtliche Abhandlung von Weber 1967: 42–61 für Thukydides, 95 und 108 für Platon und 122–126 für Aristoteles sowie neuerdings die knappen Ausführen von Dihle 2004. Ausführliche Literaturangaben zum antiken Menschenbild bei Leppin 1999: 107 f. 122 S. außer den staatsphilosophischen Schriften Platons und Aristoteles’ bes. die Verfassungsdiskussion im II. Buch der Politika. 123 Natürlich können hier nur einige sehr kursorische Anmerkungen folgen. – Zur ThukydidesRezeption in Rom s. Canfora 2006, zu Sallust als Nachahmer des Thukydides 735–740. Die Vertrautheit des Livius mit Thukydides’ Geschichtswerk weist Polleichtner 2010 am Beispiel der Behandlung des II. Punischen Krieges nach. 124 Thuk. III 82–85; daraus auch das Folgende. Zur Allgemeingültigkeit: 82,2; I 22,4. Die anthropologischen Voraussetzungen seines Werkes listet Leppin 1999: 107–127, bes. 108 f. prägnant auf. Zum Bürgerkrieg in Korkyra s. Price 2001: 39–77 und Hornblower 1991: 477–489. 125 Für eine Zusammenstellung der Belege s. o. Anm. 123.

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Ziele angewendet wird und auch vor familiären Bindungen nicht haltmacht. Beide Historiker messen der Ideologisierung der Politik hohes Gewicht bei und enthüllen das mit Phrasen drapierte nackte politische Interesse.126 Als innerste Ursache politischer Abläufe begreift auch Thukydides Herrschsucht, Habgier und Ehrgeiz.127 Ebenso hat die Feststellung, das Unrecht zur Abwendung von Unrecht angewandt werde, in Thukydides’ Satz sein Vorbild, dass es im Bürgerkrieg als lobenswert gelte, zur Abwehr moralisch verwerflicher Pläne beim eigenen Handeln selbst die Grenzen der Moral zu überschreiten.128 Dass Individualinteressen im Zentrum aller Kalküle gestanden hätten, wie Livius versichert, nimmt Thukydides vorweg, wenn er feststellt, Bündnisse seien nicht zur gegenseitigen Unterstützung geschlossen worden, sondern aus Raffgier.129 Deutlich tritt der rein instrumentelle, höherer Gesichtspunkte bare Charakter der Zusammenschlüsse von Menschen zutage. Ihr Handeln richtet sich zuletzt immer an egoistischen Erwägungen aus. Niemand fühle sich dem Gemeinwesen verpflichtet. Vielmehr diene es allen zur Beute, den Verfechtern der Oligarchie nicht anders als den Vertretern der Gleichberechtigung, ein Gedanke, den Livius, ebenso wie Sallust mehrfach aufgreift.130 Die Mittleren, die keine Partei in den Konflikten ergriffen, würden, wie Thukydides anfügt, verfolgt und ausgerottet.131 Das entspricht bei Livius dem Befund, dass die gemäßigten Männer, ob Consuln oder Volkstribune, stets auf Misstrauen bei den Gegnern stießen, mehr aber noch aus den eigenen Reihen angefeindet wurden. Der mäßigend wirkende Teil der Bürger würde von den Radikalen ausgeschaltet und so das Auseinanderbrechen der politischen Gemeinschaft noch beschleunigt werden. Ein gewichtiger Unterschied zu Sallust und Livius besteht allerdings darin, dass Thukydides die Voraussetzung zur Stasis im Krieg sieht, nicht hingegen im Frieden, während die beiden römischen Historiker dem Krieg eine disziplinierende Wirkung zusprechen. Grundsätzliche Beobachtungen zur Dynamik des politischen Handelns führt Thukydides in Diodotos’ Rede bei den Beratungen über Mytilene aus. Einerseits entstehe Habgier aus Übermut und Überfluss, andererseits machten Armut und Not verwegen; Angst vor Bestrafung zeige keine Wirkung.132 Damit steht Livius’ Ansicht in Einklang, dass für gewöhnlich die Reichen nach mehr Macht strebten, während die Masse sich zügellos gebärde. Das Volk nämlich verfolgt bei Livius keine politischen Interessen. Die reicheren Plebeier, die in einem relativen Überfluss leben, seien zunächst von der Sucht nach Steigerung ihres Einflusses geleitet, der sich im Wunsch nach politischer Partizipation äußerte. Die Patrizier hingegen kannten, wie bei Thukydides angedeutet, keine Grenze ihrer Ansprüche, weder ökonomisch noch politisch, obwohl sie bereits über alle Ressourcen verfügten. Ferner äußerte 126 127 128 129 130

Thuk. III 82,8. Thuk. III 82,8. Thuk. III 82,5. Thuk. III 82,6. Thuk. III 82,8. Zu Sallust s. Iug. 41,5: […] sibi quisque ducere trahere rapere. Ita omnia in duas partis abstracta sunt, res publica, quae media fuerat, dilacerata. 131 Thuk. III 82,8. 132 Thuk. III 45,4. Zur Wirkung der Furcht in Thukydides’ Werk s. Desmond 2006: bes. 262 f.; 265.

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sich ihr Hochmut in der für das Volk unerträglichen Verachtung, mit der die Führer der Patrizier in ihren Reden aufzutreten pflegten. In den gleichen thematischen Zusammenhang, der ebenfalls auf Livius’ Narrativ übertragbar ist und auf die Rolle des Krieges anspielt, gehören die Ausführungen des Syrakusaners Athenagoras, der feststellte, dass in oligarchisch geführten Staaten das Volk nur Anteil an den Gefahren gewährt werde, nicht aber an den Vorteilen.133 An dieser prekären Situation sieht Livius mehrfach die Republik beinahe zerbrechen. Offensichtlich bildeten die zentralen Elemente der Konfliktanthropologie des Thukydides, für die er einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, zusammen mit den Einflüssen der römischen Geschichtsschreibung des späten 2. und 1. Jahrhunderts eine gemeinsame geschichtsphilosophische Vorlage für Sallusts und Livius’ Historiographie: Habgier (avaritia), Ehrgeiz (ambitio), Willkür (licentia), gegenseitiges Zuvorkommen und Übertreffen im Unrecht, Ideologisierung politischer Ziele und Verabsolutierung von Individualinteressen. Dieser Befund stellt die dringliche Frage nach der Gestalt der idealen, Stabilität und inneren Frieden versprechenden politischen Ordnung und deren Realisierungschancen, relativiert aber auch das in der Praefatio vorgestellte Geschichtsmodell mit seiner Zweiteilung der Vergangenheit in eine sittlich-moralische Blütephase und den darauf folgenden Niedergang. Es wird deutlich, dass angesichts der Gesetzmäßigkeiten, die Livius diagnostiziert, kein prinzipieller Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit bestand. Trotz Modifikationen und Erweiterungen, namentlich was die Ergänzung politischer Aspekte betrifft, stimmen diese Einsichten jedoch mit der impliziten Anthropologie der Praefatio insofern überein, als der Mensch als ein Begehrswesen erscheint, dessen Handeln sich primär nicht an der Erfüllung sittlicher Maßstäbe ausrichtet. 5. DIE FORMIERUNG DER REPUBLIK. DIE I. DEKADE a) Einleitung Die Bedingungen für die Akzeptanz der res publica demonstriert Livius unmittelbar zu Beginn seiner Darstellung der republikanischen Geschichte: mit der Belagerung Roms durch König Lars Porsenna im Jahr 509. Diese Episode bildet die Grundlage für das Verständnis der Rückwirkung der Außen- auf die Innenpolitik während der Ständekämpfe und damit der Innenpolitik jener Epoche selbst. Das Ziel der Angreifer war die ideologisch mit der Solidarität unter Monarchen begründete134 Rückführung des exilierten Königs Tarquinius Superbus in seine Herrschaft. Angesichts von Versorgungsengpässen fürchtete der Senat die militärische Bedrohung nicht weniger als die Demoralisierung des Volkes. Zwar war die Bürgerschaft eidlich zur Verteidigung der Freiheit gegen alle Versuche einer Usurpation verpflichtet.135 Faktisch aber wog die soziale Not so schwer, dass eine Kapi133 Thuk. VI 39,2. 134 Liv. II 9,2–4. 135 Liv. II 1,9.

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tulation und die Rückführung des wegen seines tyrannischen Regiments vertriebenen Königs nicht abwegig schien, um die Existenz zu sichern. Der Friede würde dann, wie Livius das politische Problem formuliert, mit der Knechtschaft erkauft werden.136 Der Senat reagierte bei Livius auf die Stimmung in der Bürgerschaft nicht mit Repressionen, sondern suchte die Loyalität des Volkes zur res publica zu stärken, indem er eine Reihe von Vergünstigungen (blandimenta) gewährte. Die Bewältigung der Krise führt Livius allein auf die Maßnahmen des Senats zurück: „Daher hielt dieses Entgegenkommen der Senatoren danach, in der schweren Zeit der Belagerung und des Hungers, so sehr die Bürgerschaft in Eintracht zusammen, dass die Vornehmsten nicht mehr als die Niedrigsten das Wort ‚König‘ fürchteten und später kein Einzelner mit üblen Methoden so populär war wie damals der Senat in seiner Gesamtheit mit seinen guten Maßnahmen.“137 Die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung und den Schutz vor existentieller Not betrachtete Livius als grundlegende Voraussetzung für die Akzeptanz des Staates. Für die Mehrheit der Bevölkerung war die Verteidigung der Freiheit nur von zweitrangiger Relevanz, solange sie einer gerechten Herrschaft unterworfen war. Nicht die Ablehnung der Monarchie an sich hatte sie zur Vertreibung des Tarquinius veranlasst, sondern die Art der Herrschaftsausübung.138 Zugespitzt und verallgemeinert, hing der Einsatz der Bürgerschaft für das Gemeinwesen von dessen Einsatz für ihre Wohlfahrt ab. Die Aussicht auf eine Königsherrschaft besaß keine abschreckende Wirkung, wenn das Überleben der Plebs durch einen Friedenschluss hätte gesichert werden können. Die wichtigste Bedingung für den Erhalt der concordia ist nach Livius’ Einschätzung die Berücksichtigung der Belange aller für den Bestand des Staates notwendigen Schichten der Bürgerschaft. In diesem Fall zeigt Livius, wie die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung des Volkes dazu beitrug. Ungeachtet des Erfolgs der popularen Maßnahmen bei der Verteidigung Roms deutet Livius explizit auch auf die Risiken dieser Strategie hin. Der Erfolg der volksfreundlichen Maßnahmen zeigte grundsätzlich die Attraktivität des ihnen innewohnenden Potentials, nutzbar auch für die politischen Absichten Einzelner, die persönliche Zwecke verfolgten. Die populare Methode war, so stellt Livius heraus, ein bloßes Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele ohne Bindung an ein bestimmtes ideologisches Programm. Über die Bewertung popularer Politik entscheidet nach Livius die Intention der Akteure. Wurde sie von Einzelpersonen angewendet, war sie eine mala ars, ein zu verurteilendes, demagogisches Mittel zur Durchsetzung partikularer Interessen. Andererseits war sie ein probates Mittel, wenn der Senat als Institution (universus senatus) sie einsetzte, um seinem Regiment mit einer Demonstration von dessen Leistungsfähigkeit Akzeptanz zu verschaffen. Ihre Aufgabe lag dann in der Sicherung der Stabilität und war Ausweis eines umsichtigen Regierungshandelns (bene imperando) im Sinne der res publica. Die Ambivalenz der popularen Politik, eines 136 Liv. II 9,6: […] receptis in urbem regibus vel cum servitute pacem acciperet. 137 Liv. II 9,8: Itaque haec indulgentia patrum asperis postmodum rebus in obsidione ac fame adeo concordem civitatem tenuit, ut regium nomen non summi magis quam infimi horrerent nec quisquam unus malis artibus postea tam popularis esset, quam tum bene imperando universus senatus fuit. Für eine andere Motivation des Volkes bei Vergil s. u. S. 193. 138 Liv. III 39,4.

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Mittels der Usurpation wie der Freiheitssicherung, die Bewertung ihres Einsatzes in unterschiedlichen Situationen und für unterschiedliche Ziele, aber auch die Konsequenzen popularen Agierens bilden Leitmotive der Darstellung der Frühen Republik in den Ab urbe condita, die darum auch für die Zeitgeschichte Aktualität besaß. Den Tod des abgesetzten Königs Tarquinius im Jahre 495 in Cumae markiert Livius als eine deutliche Zäsur.139 Von den politischen Strukturen der Republik, die erst rudimentär ausgebildet war, profitierte bislang allein das Patriziat. Die Plebs hingegen stand wegen ihrer fehlenden politischen Integration den Errungenschaften der Freiheit tendenziell indifferent gegenüber. Nur was die Beendigung des Terrorregimes des Tarquinius betraf, trugen beide Stände gleichermaßen den Nutzen aus dem Wandel der Verhältnisse davon. Mit dem Tod des früheren Monarchen lässt Livius einen Wandel in den Beziehungen zwischen den Ständen eintreten. Die Feststellung, Senat und Volk seien wie von einer erdrückenden Last befreit (erecti patres, erecta plebes), soll eine Neuausrichtung der Innenpolitik annoncieren.140 Dass die Bedrohung der libertas durch den Herrschaftsanspruch eines führenden Mannes beseitigt war, setzte Energien frei, die die bislang kaum offensichtlichen Differenzen in den Interessen der beiden Stände zu einem konfliktträchtigen Gegensatz auswachsen ließen. Offensichtlich nahmen die Patrizier an, ihre Stellung in Rom werde künftig unangefochten sein, da die Plebeier über keine nennenswerten politischen Rechte verfügten. In dieser für sie komfortablen Situation befiel sie sofort ein Gefühl von hochmütiger Überlegenheit (superbia).141 Nach dem Wegfall der äußeren Bedrohung wurde die Bedeutung des metus hostilis offensichtlich. Livius zeigt, dass die einzige substantielle Gemeinsamkeit zwischen den Ständen in einem kurzfristigen, auf einem minimalen Nenner basierenden Ziel bestanden hatte, das beide trotz aller Verschiedenheiten verfolgten: die Verteidigung der Freiheit und die Verhinderung der Rückkehr des Königs. Ab sofort entbehrte die Interessenskoalition mit der Plebs, die lediglich auf die Abwehr einer gemeinsamen Gefahr, die Rückkehr des Königs, gerichtet war, der Grundlage. Weil das Patriziat die Plebs wegen deren Kampfkraft bei der Verteidigung der Stadt benötigte, hatte man sie für die Zeit des Krieges mit popularen Maßnahmen sediert. Fortan allerdings unterschieden sich die Patrizier nach Livius in ihren Methoden wenig von der tyrannischen Herrschaftsausübung des Tarquinius. Den Unterwerfungsanspruch, den sie erhoben, reflektiert Livius’ resümierende Feststellung, bislang seien die Plebeier als Freie (inservitum) behandelt worden. Mit der Nachricht vom Tod des Monarchen verkehrte sich das Entgegenkommen der Patrizier, deren Regiment bislang auf Ausgleich bedacht war, in eine Unrechtsherrschaft (iniu139 Liv. II 21,5 f.: Insignis hic annus est nuntio […]. So auch Burck 1964: 61. 140 Liv. II 21,6: iniuriae a primoribus fieri coepere. Dionysios von Halikarnassos jedoch berichtet, es habe schon im Jahre 500 Spannungen zwischen den Ständen gegeben (ant. V 53,2); schon damals hätten die Gläubiger, obwohl Krieg herrschte, keine Mäßigung gezeigt; s. auch VI 22,1: […] hÄ politikh? staßsiw auQjiw aönißstato […]. Zu Livius’ politischen Vorstellungen hätte ein solcher Konflikt noch während des Ringens um das Überleben der Republik in Widerspruch gestanden, er wäre zu früh gekommen. Für die Darstellung politischer Abläufe in den Ab urbe condita musste der Historiker dieses Detail, wenn er es in einer Vorlage gefunden haben sollte, weglassen. 141 Das ist explizit Livius’ eigene Einschätzung. Zu Dion. Hal. ant. s. u.

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riae).142 Noch im gleichen Jahr waren Livius zufolge die Stände in Hass gegeneinander entbrannt.143 Für populare Maßnahmen sah der Senat angesichts der stabilen außenpolitischen Verhältnisse keine Notwendigkeit mehr. Später lässt Livius die Plebs denn auch klagen, unter Feinden sei sie sicherer als unter ihren Mitbürgern. Über die innenpolitischen Folgen des Umschwungs hinaus besitzt die Episode Signalcharakter für sein Geschichtsdenken. Für den Zerfall der concordia und die Entstehung von Dekadenz bedurfte es nicht erst des nach Rom durch die Eroberungen im östlichen Mittelmeerraum einströmenden Luxus. Als Hauptursache der Desintegration erwies sich der Wegfall der disziplinierenden Wirkung des metus hostilis, dessen Existenz wesentlich über die Kooperation der verschiedenen Gruppierungen in der Bürgerschaft entschied. Darüber hinaus verband die Stände mit ihren unterschiedlich gelagerten Interessen nichts. Der Tod des Tarquinius entsprach so im kleineren historischen Maßstab der Vernichtung Karthagos, die in der Historiographie der Späten Republik als geschichtlicher Wendepunkt galt. Insofern steht die Eröffnung der Ständekämpfe in einem Widerspruch zum Lob der römischen Tugend und der Skizze einer zweigeteilten Geschichte, gegliedert in eine Phase des Aufstiegs und eine Phase des Niedergangs, in der Einleitung zum Werk. b) Die Frühe Republik und ihre strukturellen Gesetzmäßigkeiten nach Livius Die Geschichte der Frühen Republik bis zum Jahr 293, mit dem die I. Dekade endet, konstruiert Livius als eine Epoche ständiger Unruhe, die aus der Konstellation der ersten innenpolitischen Krise im Jahr 495 resultierte.144 Stets gefährdete der Dualismus zwischen Patriziern und Plebeiern, der schon seit der Königszeit bestand,145 aber jetzt an Schärfe gewann, die politische und gesellschaftliche Stabilität. Während sich die Gestalt der inneren Ordnung Roms in den Auseinandersetzungen zusehends ausdifferenzierte, musste die Republik nach außen die unaufhörlichen Expansionsbestrebungen ihrer Nachbarn abwehren. Diese Kriege und auch kontingente Ereignisse wie Naturkatastrophen verhinderten längere Phasen der Ruhe und wirkten so auch auf die Abläufe des innenpolitischen Geschehens ein.146 142 Liv. II 21,6. Zu den folgenden Ereignissen s. auch Dion. Hal. ant. VI 22–24.; Dio IV 17,6–12; V 18,2–6. 143 Wie dramatisch die Lage war, zeigt ein längerer Abschnitt, in dem Livius das Beispiel eines heruntergekommenen, vom Elend furchtbar gezeichneten Centurio vorführt (II 23,3–7). Zur Komposition der Stelle s. Burck 1964: 64. 144 Zur Gliederung der Bücher II bis VI s. Burck 1964: 8 f.; 51 f.; 89; 109; Walsh 1974: 8 f.; 17 f.; Luce 1977: 3–9; Kraus 1994 (zu VI). Die ausführlichste Diskussion der I. Pentade bietet Burck 1964, freilich zumeist aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. S. ferner die Kommentare von Ogilvie 1970 und Oakley 1997; 1998; 2005(a); 2005(b) sowie die knappe Übersicht von Briscoe 1971. 145 Das gesellschaftliche Konfliktpotential in der Königszeit nach Livius’ Darstellung hat Fox 1996 erkannt. 146 Die Fälle, in denen völliger Friede in Rom herrschte, sowohl weil kein Krieg von auswärtigen Feinden drohte als auch wegen der Eintracht der Bürger, verzeichnet Livius ausdrücklich als bemerkenswert. S. u. Näheres.

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Es war eine Zeit der letztlich erfolgreichen Selbstbehauptung unter permanent existentiellen Gefahren. In der Auseinandersetzung der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der römischen Bürgerschaft um ihre jeweilige, interessengeleitete Vorstellung von republikanischer Freiheit lag nach Livius’ Darstellung, das Konfliktpotential der Ständekämpfe begründet,147 in denen eine soziale und eine politische Ebene verquickt waren. Das Leitmotiv der Konflikte war zunächst die Sicherung der Freiheitsrechte der Plebs, später, ab dem Jahr 445, die politische Partizipation. Üblicherweise verlief die Trennlinie daher zwischen Patriziern und Plebeiern. Die plebeische Elite, die sich wegen ihres Wohlstands die Bekleidung politischer Ämter leisten konnte und aus dessen Reihen die Tribunen gewählt wurden, strebte nach vermehrtem Einfluss in der Politik; die breite Masse, die wegen fehlenden Landbesitzes oder Verschuldung in Armut lebte, hoffte auf eine Verbesserung ihrer sozialen Lage und auf institutionellen Schutz vor dem Zugriff der patrizischen Magistrate. Die Patrizier hingegen waren um die Verteidigung ihrer Privilegien und Kompetenzen, die sie schrittweise verloren, bemüht und erblickten teils ihr ultimatives Ziel in Verhältnissen, wie sie vor der Einrichtung des Volkstribunats bestanden hatten. So formierten sich auf beiden Seiten natürliche Interessenskoalitionen, Bündnisse, die allerdings von wechselhafter Festigkeit waren und auch von divergierenden Vorstellungen, was die Ziele und Methoden der Politik betraf, geschwächt wurden.148 Die Darstellung der Geschichte in der Zeit der Ständekämpfe bei Livius prägt ein dialektisches Verhältnis von Innen- und Außenpolitik. Die Entscheidungen in den meisten Auseinandersetzungen wurden unter dem Eindruck einer militärischen Bedrohung durch die Nachbarvölker erzwungen und kamen nicht als Kompromiss zustande. Die Angst vor der Niederlage, so wird mehrfach vorgebracht, zwang die Konfliktparteien zur Eintracht. Nur selten, wenn in der Plebs die Interessen der auch dort bestehenden Strömungen nicht konvergierten, gelang den Patriziern die Einberufung zum Kriegsdienst unter Anwendung eines consularischen imperium. Der entscheidende Faktor für innenpolitische Veränderungen war der metus hostilis.149 Die römische Geschichte sieht Livius daher in einem mehrfach pro Jahr auf147 Für einen Forschungsüberblick zu den Ständekämpfen s. Flower 2010: 44–47. Moderne Zugänge zu den Ständekämpfen, die nicht mit Livius’ Darstellung übereinstimmen (müssen), sind zu finden bei Raaflaub 1986; Hölkeskamp 1987/2011; Martin 1990; Sordi 2005; Flower 2010: 44–57. 148 Zu eng ist die These, gerade das II. Buch habe Livius als Kampf um die Freiheit stilisiert – so die gängige Einschätzung seit Burck 1964; s. auch Lefèvre 1983 und zuletzt Baier 2003. Auch in den weiteren Abschnitten der römischen Geschichte nämlich blieben die Faktoren, die Roms Geschicke im Inneren wie Äußeren bestimmten, immer die gleichen, freilich in unterschiedlicher Intensität, und auch in den Jahrzehnten, die auf die im II. Buch geschilderten Vorgänge folgten, kreiste das politische Geschehen um Fragen, die mit dem Komplex der Freiheit verbunden waren. Stets wirkten vergleichbare Zusammenhänge zwischen Innen- und Außenpolitik. 149 Zu seiner Funktionsweise s. die Reflexionen und Kommentare in Liv. II 52,2; 54,1 f. (Wirkung des Wegfalls); III 16,4; IV 25,9; VII 12,4; IX 12,4; s. ferner beispielsweise II 22,2; V 22; IX 45,10–13. Zum Angstmotiv im antiken Denken s. Kapust 2008: 358–372; spezifisch zum metus hostilis, auch in der römischen Historiographie, s. Earl 1966; 47, Anm. 5; Bonamente 1975; Paul 1984: 124; Samotta 2009: 151–157; Kapust 2011 (im Detail problematisch).

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tretenden Zyklus von Friedenszeiten mit innerer Unruhe und Kriegszeiten mit innerem Frieden verlaufen.150 Als Akteure zeichnen sich in den zum Ständekampf gehörenden Konflikten neben der Masse der Plebs vier Gruppen ab: die revisionistisch orientierten Patrizier, die Volkstribunen, teils antipatrizisch, teils mit dem Patriziat kooperierend, und die auf Kooperation mit dem Volk ausgerichteten Patrizier. Die Wechselverhältnisse zwischen ihnen und ihre Motive stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. In vielen Fällen lassen sich Livius’ anthropologische Gesetzmäßigkeiten unmittelbar anwenden. Politischen Fragen, sofern sie nicht ihre existentiellen Probleme berührten, stand die Plebs indifferent gegenüber. Hauptbestandteile ihres negativen Freiheitsverständnisses waren die Abschaffung der Zinsknechtschaft, körperliche Unversehrtheit und die Existenz von Ämtern und Rechten zu ihrem Schutz, wie die Provocation und das Volkstribunat, die seit den ersten Auseinandersetzungen mit dem Patriziat als Instrumente zur Sicherung der plebeischen Freiheit eingeführt wurden.151 In verschiedenen Debatten zur Zeit der Ständekämpfe brachte das Volk zum Ausdruck, im Krieg freier und sicherer zu sein als in der Heimatstadt.152 Durch diese Ineinssetzung von außen- und innenpolitischen Gegnern griffen sie nur dann zu den Waffen, wenn sie für ihre eigene Freiheit zu kämpfen hätten. Je geringer die persönliche Freiheit und der Schutz vor Übergriffen waren, desto geringer war auch die Loyalität des Volkes in Kriegszeiten.153 Die reicheren, ambitionierten Plebeier vertraten demgegenüber einen aktiven Freiheitsgedanken. Sie fochten für politische Partizipation. Statt Schutz vor patrizischer Willkür lautete ihr Schlagwort aequa libertas, die völlige Gleichberechtigung mit den Patriziern,154 das wechselseitige Ausüben und Hinnehmen von Herrschaft.155 Ihre Ziele verfolgten sie mit der Strategie eines „Koalitionskrieges“ (J. v. Ungern-Sternberg) gemeinsam mit der Plebs. Das zentrale Argument dieses Vorgehens war, dass nur eine politische Teilhabe durch Bekleidung von Ämtern an der res publica die Rechte des einfachen Volkes garantieren könne.156 Dahinter stand der Gedanke, dass zur Beschränkung der patrizischen Macht weder Appelle an ihre Mäßigung noch ihren Einfluss einschränkende Schutzrechte weiterhülfen, sondern nur der Zugang zu Ämtern und den mit ihnen verbundenen Kompetenzen. Die Gegner der verschiedenen Gesetzesinitiativen wurden als Gegner der Freiheit angegrif150 S. z. B. Liv. II 54,2; III 9,1; 10,8 (orbis); 39,2 (Zwietracht durch militärische Erfolge); VII 1,7 (ne quando a metu ac periculis vacarent ([Romani]). Zur Schwäche durch eine gespaltene Gesellschaft s. ferner. Sall. Cat. 6,2; 9,1; Iug. 10,6; 41,2 f. 151 Zinsknechtschaft: Liv. II 23,2 f.; VI 27,7 f.; VIII 28,1. Volkstribunat als munimentum: II 55,2; III 37,5; 56,1. Provocation: III 55,4; III 56,6. Zur Vorstellung vom Menschen als freiem Wesen s. Brunt 1988. 152 Z. B. Liv. II 23,2 f. 153 Liv. II 28,2; VII 25,6 (das gleiche Motiv bei den Latinern). 154 Liv. IV 5,2. S. auch analog in einem außenpolitischen Zusammenhang VIII 4,3. 155 Liv. IV 5,5; 58,12; V 2,12. 156 Liv. V 12,8; IV 44,5 (zum Militärtribunat); VI 18,12 (Manlius empfiehlt aggressive Konfrontation mit den Patriziern als einziges geeignetes Mittel zur Durchsetzung plebeischer Interessen); VI 37,2 + 11 (erst das Consulat eines Plebeiers wird eine Landverteilung durchsetzen und die Schuldknechtschaft beseitigen).

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fen.157 Ideologisch begründet wurde die Forderung nach einer Zulassung zu politischen Ämtern mit dem patrizischen Ressentiment,158 die Plebeier würden nicht als Bürger akzeptiert und ihnen werde nicht die aequa libertas zugestanden. Vorzugsweise würden die Patrizier sie sogar physisch liquidieren, weil sie kaum Menschen seien.159 Die Geschlossenheit der Plebs in den Ab urbe condita wurde allerdings von den unterschiedlichen Interessen innerhalb dieses Standes beeinträchtigt. Immer dann, wenn diese beiden nur mit gegenseitiger Unterstützung und einer gemeinsamen Strategie zu verwirklichenden Interessen divergierten, brach ihre Kooperation zusammen, da die Plebs als gesellschaftliche Gruppierung keine übergeordneten Ziele verfolgte, sondern sich allein aus Gegnerschaft zu den Senatoren speiste.160 Über die Präferenzen der Plebs, Freiheitsliebe oder soziale Erleichterungen, gibt sich Livius keinerlei Illusionen hin.161 Popularen Initiativen, denen für das Volk ein natürlicher Anreiz (dulcedo)162 innewohnte, waren deshalb stets Erfolg beschieden.163 Zu diesen Verwerfungen im plebeischen Lager trat hinzu, dass Volkstribunen sich bisweilen von den Patriziern mit Versprechungen kaufen ließen.164 157 So der Patrizier Quinctius wegen seiner Ablehnung des Gesetzentwurfs des Terentilius Harsa (Liv. III 11,13). S. auch VI 18,12. 158 Liv. IV 1,1: Fuit annus domi forisque infestus. Zon. VII 19 folgt, vermittelt über Dio, eng der livianischen Darstellung. Signifikante Abweichungen bei Dion. Hal. ant. XI 53–61: Bei ihm findet eine Volksversammlung mit den Auftritten auch von Patriziern statt (XI 58–61). Zu möglichen Verbindungen zur Geschichte der Späteren Republik s. die stark formaljuristischen Darlegungen bei Gutberlet 1985: 99–115. Literatur zu den Quellen des Livius bei Ogilvie 1970: 528. Unter erzählerischen Gesichtspunkten betrachtet Burck 1964: 90–92 die Episode. Die Bewunderung, die Livius nach Burcks Auffassung für die Plebs empfindet, trifft die differenzierte Haltung des Historikers nicht. 159 Liv. IV 3,1–3; 8 f. Zur wichtigen Rede des Canuleius und den Differenzen zwischen Livius’ und Dionysios’ Version s. jetzt Vasaly 2015: 117–121, die allerdings das Freiheitsverständnis der Plebs anders auffasst, als es hier vorgeschlagen wird. 160 Kritisiert von ihnen selbst in Liv. VI 17,1 f. (Manlius-Episode); IV 35,5–36,2; 54,4 f.; VI 39,5– 12. Bei Liv. IV 25,1; 9 heißt es zugespitzt, dass das Volk außerhalb einer Notlage keine Plebeier zu Consulartribunen wähle. 161 Plastisch hierzu auch Liv. X 9,3. 162 Liv. II 41,2; 42,6. Für weitere Beispiele s. VII 19,4–6; 21,4; 22,2. 163 S. z. B. die Beteiligung an der Beute (Liv. V 20; VI 2,13; umgekehrt überwarf es sich mit Feldherren, die ihre Beute an die Staatskasse abführten, V 23,11; X 46,6), die Dankbarkeit für die Einführung des Soldes (IV 60,1 f.) und umgekehrt die Wahl von Militärtribunen aus Zorn über ausbleibende Soldzahlungen (V 12,7–13). 164 Appius Claudius hatte diese Taktik im Jahre 480 erstmals angewandt, und während der Auseinandersetzung um das sextisch-licinische Gesetz wurde sie von seinem Nachfahren App. Claudius wiederholt (Liv. II 44). S. auch V 29,6 f.; VI 36,8 f.; 38,5) (über die Interessenlinien hier s. Pellam 2014, wenngleich die von ihm als Besonderheit diagnostizierten Interessengegensätze innerhalb der Plebs als Faktum schon länger bekannt sind). Zu den Appii Claudii als Prototypen politischer Reaktionäre s. jetzt Vasaly 2015: 59–65. Nach anderen Quellen, die Livius erwähnt, aber als unglaubwürdig verwirft, soll die Plebs sogar einen Aufstand geplant haben, der nur durch den Übertritt des patrizischen Getreidekommissars zu den Plebeiern verhindert wurde (IV 16,2 f.). Zu dieser Geschichte ausführlich Oakley 1997: 476–568 sowie Lintott 1970: bes. 22 f. Nützlich ist die Übersicht der von Livius verwendeten Adjektive zur Charakterisierung des Manlius bei Bernard 2000: 420.

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Die Gruppe der konservativen, eine politische Integration der Plebs ablehnenden Patrizier definierte die Freiheit als Handlungsfreiheit. Alle Bemühungen von Vertretern der Plebs um politische Partizipation verstanden sie als Angriff auf ihre dignitas und Minderung ihres Einflusses;165 patrizische und plebeische Freiheit waren für sie unversöhnliche Gegensätze.166 Immer wieder zeigt Livius, wie ihnen entging, dass die Freiheit der Plebs auch ihre eigene, die patrizische Freiheit sicherte. Mit jeder Grenzüberschreitung wurde die patrizische Macht jedoch aufs Neue eingeschränkt. In sozialen Reformen, die von führenden Plebeiern initiiert werden, witterten die Patrizier das Streben nach der Königsherrschaft167 und begriffen plebeische Freiheit als die Nicht-Beachtung des Senats, der Magistrate, der Gesetze, des mos maiorum sowie der instituta patrum und der disciplina militiae.168 Selbst kooperative Senatoren hielten aktive politische Rechte des Volkes für überflüssig; dessen Freiheit liege in den Gesetzen und im Volkstribunat.169 Die Unterdrückung (servitus) der Plebs im Decemvirat ließ die Patrizier unbeeindruckt, weil sie diesen Zustand als Konsequenz aus der Jagd der Plebeier nach mehr Freiheit interpretierten, eine Freiheit, die der ihren entgegengestanden habe.170 Mit vorgeschobenen Aushebungen suchten sie die Widerstandskraft des Volkes zu brechen.171 Die Forderungen der Plebs wurden von der Gruppe der revisionistischen Senatoren als Ausdruck von licentia aufgefasst, nicht als Folge einer Zwangslage. Die schwierige wirtschaftliche Situation des Volkes führten sie auf dessen eigenes Versagen zurück.172 Erklärt wurde diese Haltung gerade mit der Existenz plebeischer Rechte.173 Der Erfolg plebeischer Interessenswahrnehmung, der angesichts des patrizischen Widerstands stets die Form von innerer Unruhe oder Aufständen annahm, sei ein Anreiz für weitere derartige Anträge und Beschlüsse.174 So musste die Bemühung um eine Übereinkunft mit der Plebs, die in militärischen Zwangslagen kurzfristig erfolgreich war, Anlass immer augedehnterer innenpolitischer Konflikte werden. Folgerichtig erschien allein ein unbedingter Widerspruch die Gefahr der innenpolitischen Spaltung effektiv zu bekämpfen. Im Gegenteil. Ständiges Nachgeben ziehe immer weiter reichende und auch aggressiver vorgetragene Forderungen nach sich. Die Koexistenz von Patriziat und Volkstribunat galt als Adynaton. Die Schlussfolgerung lautete, dass entweder das Patriziat oder das Volkstribunat abgeschafft

165 166 167 168 169 170 171 172 173 174

Liv. III 55,2. Z. B. Liv. III 59,4. S. auch II 34; IV 15,6. So bei Sp. Cassius (bes. Liv. II 41,3). Liv. V 6,17. Liv. III 53,8–10. Liv. III 37,1 f. Zu diesem häufig gewählten Vorgehen s. bes. Liv. III 10,10 + 14. Liv. II 29,9; 34,10; VI 40,7. Liv. II 29,9. Liv. IV 2,2 f.: Cuius rei praemium sit in civitate, eam maximis semper auctibus crescere […] (3). Maximum Romae praemium seditionum esse; seditiones singulis universisque semper honori fuisse. 2,4: Finem ergo non fieri nec futuram, donec, quam felices seditiones, tam honorati seditionum auctores esse.

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werden würde.175 Schon die bloße Existenz des kürzlich eingerichteten Volkstribunats hielt Coriolan im Jahr 492 für eine Einschränkung der Freiheit und für das Symbol einer zurückgekehrten Tyrannis.176 Widerstand gegen tribunizische Initiativen würde als Konsequenz politische Prozesse nach sich ziehen. Da den Tribunen kein auf das Ganze der res publica abzielendes Denken unterstellt wurde, trugen sie aus dieser Perspektive die Verantwortung für die Spaltung der Bürgerschaft. Die ursprüngliche Form der res publica, wie sie nach der Vertreibung der Könige errichtet worden war, war der Maßstab und wurde durch die Berufung auf die Vergangenheit und die Väter geradezu sakralisiert und damit für unverrück- und unverhandelbar erklärt.177 Der Verzicht auf die Durchsetzung von Vorrechten wurde interpretiert als Aufgabe des consularischen imperium und zugleich der res publica.178 Der Plebs entgegenzukommen, wurde als Verrat am Staat und als populares Mittel zur Durchsetzung von Privatinteressen diffamiert.179 Umgekehrt wurde die Verteidigung der patrizischen Privilegien mit der Verteidigung der res publica in eins gesetzt. Standesinteressen wurden so zu Staatsinteressen, obwohl dadurch die Desintegration der Bürgerschaft befördert wurde. Nur in Notfällen waren die konservativen Patrizier zu Konzessionen bereit, deren Umsetzung sie allerdings blockierten.180 c) Rhetorische und politische Strategien Innerhalb des Patriziats gab es während der Ständekämpfe eine an scharfer Konfrontation mit der Plebs interessierte Gruppe. Sie lehnte jegliche politische Integration der Plebeier ab und verfolgte das Ziel, den Patriziern jene unangefochtene Stellung wieder zu verschaffen, die sie vor der Einrichtung des Volkstribunats besessen hatte. Sie trachtete danach, die bestehende und sich stetig weiter differenzierende innere Ordnung Roms mit der voranschreitenden Partizipation der Plebs zu revidieren und ein schrankenloses Regiment des Senats mit den beiden Consuln als einzigen regulären Magistraten einzurichten. Nach Livius bestand ihr Freiheitsverständnis im Gehorsam gegenüber dem Senat, den Magistraten und den Gesetzen und in der Befolgung des mos maiorum, den Einrichtungen der Senatoren und der Wahrung der militärischen Disziplin.181 Jeden Zuwachs an plebeischen Rechten, die während der Ständekämpfe erstritten wurden, bekämpfte sie massiv. Zur Lösung von Konflikten empfahlen sie die Demonstration von äußerster Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit. Der konsequent antiplebeischen Strategie 175 Liv. IV 2,11: […] finem [sc. der Konflikte zwischen den Ständen] non fieri posse si in eadem civitate tribuni plebis et patres essent; aut hunc ordinem aut illum magistratum tollendum esse […]. 176 Liv. II 34,10: Tarquinium regem qui non tulerim, Sicinium feram? 177 Liv. IV 2,4. 178 Liv. II 27,11. 179 Liv. II 27,10. 180 Hierzu auch Steffensen 2009. 181 Liv. V 6,17: […] quoniam ea demum Romae libertas est, non senatum, non magistratus, non leges, non mores maiorum, non instituta patrum, non disciplinam vereri militiae.

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lag eine mit historischen Belegen unterfütterte Vorstellung von der Dynamik innenpolitischer Machtkämpfe zugrunde. Da alles, was Erfolg zu bringen vermöge, einen Siegeslauf antreten werde – so lautete die Argumentation – sei zu befürchten, dass, wenn man den Forderungen der Plebs nachgebe, die Patrizier in der Folgezeit auch den Rest ihrer Vormachtstellung einbüßen würden.182 Die Kette der seditiones werde so lange kein Ende nehmen, wie die Aufwiegler, die plebeische Elite, sich durchzusetzen vermochten. Den Beginn dieser Entwicklung setzten sie in den Anfangsjahren der Republik an, als auf das erste Zugeständnis, die Schaffung des Volkstribunates, weitere Rechte für die Plebs gefolgt waren. Diese revisionistischen Patrizier standen gleichzeitig in Auseinandersetzung mit ihren kompromissbereiten und gegenüber der Plebs kooperativ gestimmten Standesgenossen um geeignete Maßnahmen und Strategien, die als Antwort auf die Forderungen des Volkes dienen sollten. Ihre politischen Ziele legitimierten sie mit einer Rhetorik und Kommunikation der Nichtakzeptanz und Ausgrenzung. Die tatsächlichen, auf Machterhalt und Machterweiterung angelegten Motive der reaktionären Patrizier wurden in der Interaktion mit dem Volk mit ideologischen Vorwänden drapiert wie der Durchmischung des Patriziats und der Verletzung der göttlichen Ordnung.183 Sie selbst operierten mit einem Bündel an politischen Methoden, das teils den Rahmen des Legalen überschritt: mit der Anordnung von Aushebungen, mit Mord, mit Missachtung von Wahlgesetzen und mit Obstruktion gegen die Anordnungen plebeischer Magistrate184. Dazu kam auch die Instrumentalisierung des metus hostilis.185 Diese Strategie findet bei Livius ebenso entschiedene Kritik186 wie die Anwendung von Gewalt.187 Insgesamt zeigt diese Episode die Gefahren, die aus dem Einsatz von Gewalt für den inneren Frieden entstehen, und die Vergeblichkeit der daran geknüpften Hoffnungen. Die innere Lage hatte sich nicht beruhigt, sondern zugespitzt. Die Domestizierung der Plebs musste scheitern, weil deren fundamentale Freiheitsrechte betroffen waren. Offenbar wurde auch, dass die Anwendung von Gewalt nicht zu monopolisieren war. Die Zersetzung der res publica wäre durch die Verletzung von Rechten beider Stände, der Plebeier wie der Patrizier, vollzogen worden. Neben der Konfrontationspolitik setzten die revisionistischen Patrizier aber auch scheinpopulare Methoden ein,188 die als Gegenleistung für die Durchsetzung 182 183 184 185

Liv. II 4,1–4. S. z. B. Liv. IV 2,7 f.; VI 41,4–11. S. z. B. Liv. VI 8; VII 17,6–9. Liv. IV 1,4. Dort auch die kritische Bemerkung: adeo vel infelix bellum ignominiosae paci praeferebant. Anders Dion. Hal. ant. XI 54. S. für weitere Stellen II 55,1; 64,3; VI 21,5. 186 Liv. IV 6,1. 187 Liv. IV 6,6 f. Auch der Consular Claudius schlug im Jahr 445, allerdings erfolglos, die Anwendung von Waffengewalt gegen die Tribunen vor. S. auch Liv. II 54,10: […] adeoque neminem noxiae paenitebat [bezieht sich auf die Ermordung des Anklägers der Consulare L. Aemilius und Opiter Verginius], ut etiam insontes fecisse videri vellent palamque ferretur malo domandam tribuniciam potestatem. 188 Zur Berechtigung der Verwendung von popularis s. Liv. III 14,5: […] alibi popularis iuventus erat. Beispiele Liv. II 44,2–6. Zum Begriff der Methode s. III 14,6: His per totum annum artibus lex elusa est. Zur maiestas: IV 48,7.

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von Rogationen zumeist sozialen Inhalts die Unterstützung des Volkes für politische, die Partizipationsmöglichkeiten der Plebs und konkret deren Elite erweiternde Gesetzesvorlagen erwarteten. Auf einen tatsächlichen Ausgleich mit der Plebs war hingegen die Gruppe kooperationsbereiter Senatoren gerichtet. Ihrer Politik lag die Einsicht zugrunde, dass nach der Kornkrise der Jahre 495 bis 491, als die Chance verpasst wurde, die Plebs zu einer einvernehmlichen Rückgabe ihrer inzwischen erworbenen politischen Rechte zu bewegen, vollends aber nach dem tyrannischen Regime der Decemvirn, während dessen die Plebs gewaltsam unterdrückt wurde und die Notwendigkeit von Schutzmechanismen für das Volk offenkundig wurde, nur eine im Geist der Aufrichtigkeit praktizierte Kommunikation zwischen den Ständen dauerhaft den inneren Frieden sichern würden. Das betraf sowohl die politische wie die soziale Gesetzgebung. d) Die Notwendigkeit der Akzeptanz von Herrschaft. Patrizische Konsens- und Kooperationspolitik Eine zweite Formation innerhalb des Patriziats bildeten während der Ständekämpfe und besonders in Krisensituationen die an einem Ausgleich und Kooperation mit der Plebs interessierten Senatoren. Sie gingen von der Notwendigkeit einer Akzeptanz der patrizischen Herrschaft beim gesamten Volk und des Prinzips der fides in praktischen Fragen wie in der Kommunikation zur Sicherung der Stabilität der res publica aus. In mehreren grundlegenden Situationen und Reden führt Livius die Prämissen, Grundzüge und Erfolgschancen einer solchen Politik in seiner Erzählung vor. Die Einsicht in die Verbindung außen- und innenpolitischer Themen, die Notwendigkeit der Eintracht in der Bürgerschaft mit ihren heterogenen Interessensverhältnissen für die Abwehr militärischer Bedrohungen, war nach der Belagerung Roms durch Lars Porsenna stets die Grundlage für die populare Ausrichtung des auf Kooperation mit der Plebs setzenden Teils des Senats oder einzelner Senatoren. Als eigentliche Ursache des Dualismus diagnostizierten sie eine Maßlosigkeit im Freiheitsverständnis, die sich auf beide Stände erstreckte.189 Entscheidend ist die Rede des T. Quinctius Capitolinus. Nicht länger gegen die Plebs, sondern durch Vertretung ihrer Interessen würde Eintracht einziehen, zugleich aber auch die Stellung des Patriziats gewahrt bleiben. Überzeugend belegte er, dass die Plebs von der Politik der Volkstribunen kaum profitierte und eher noch Nachteile davontrug. Er setzte darauf, dass die Masse des Volks keine politischen Interessen hegte, sondern auf den Erwerb materieller Güter, Beute und Land, aus war.190 Den bloß populistischen Reden, die bislang den Volkstribunen Beliebtheit verschafften, sich jedoch nicht in tatsächlichen Verbesserungen für die Lebensumstände der Plebs niederschlugen,191 stellte Quinctius die eigentlichen Wünsche des Volkes gegenüber. In der 189 Liv. III 66,6: Discordia ordinum et venenum urbis huius, patrum ac plebis certamina, dum nec nobis imperii nec vobis libertatis est modus, dum taedet vos patriciorum, nos plebeiorum magistratuum […]. Zu Quinctius s. auch S. 115 mit Liv. II 56,16. 190 Liv. III 68,6. 191 Liv. III 68,10.

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Konsequenz lief dies auf eine populare Politik beider Lager, der Patrizier wie der plebeischen Elite, hinaus, wobei grundlegende Differenzen über deren Substanz, konkrete Gegenstände und Auswirkungen zutage traten. Am schwersten wog, dass eine militärische Niederlage und eine Eroberung der Stadt die Plebs hart treffen würde, nicht nur die res publica.192 Damit konstruierte er einen Zusammenhang, den mit Blick auf die Absichten der hochkonservativen Patrizier die Plebeier bislang negiert hatten, wenn sie die Aushebungen verweigerten, weil sie angesichts der Repressalien, denen sie ausgesetzt waren, die Zerstörung der Stadt für ein geringeres oder jedenfalls kein schlimmeres Übel hielten als das Regiment des Patriziats.193 Insofern war es folgerichtig, dass Quinctius das Wohlwollen der Patrizier den Plebeiern gegenüber betonte. Dass dies in jener Zeit allerdings mehr eine Wunschvorstellung war als eine Tatsache, auf die er sich berufen durfte, zeigt schon seine Analyse der Zwietracht, die nicht allein der Plebs die Verantwortung für die Desintegration der Bürgerschaft zuschob, sondern zu gleichen Teilen auch dem Patriziat und dessen schrankenloser Machtausübung. Zur Bekräftigung seiner Ernsthaftigkeit konnte er eine Reihe von Zugeständnissen der Patrizier aufzählen, die aus dem Geist der Eintracht zustande gekommen seien.194 Vordergründig richtete sich die Rede, zur Aufgabe der Blockade von Aushebungen aufrufend, an die Plebs. Doch in nicht geringerem Maße suchte sie auch die Grundlagen für die künftige Herrschaft der Patrizier zu legen. Die Einsicht in die Notwendigkeit von Akzeptanz thematisiert Livius detailliert bei der Darstellung der maßgeblich von L. Valerius Potitus und M. Horatius Barbatus betriebenen Versuche, das Decemvirat zu beseitigen. Sie stellten fest, dass die Decemvirn weder zur Senats- noch zur Volkspartei gehörten, sondern vielmehr eine dritte Fraktion mit separaten Interessen bildeten.195 Ihr Hinweis, das Decemvirat hoffe vergeblich, durch Kriege das Regime im Inneren zu stabilisieren, weil es keine Verschärfung des bereits existierenden Schreckens geben könne, enthüllt die begrenzte Wirkung des metus hostilis. Die Rhetorik, der sie sich bedienten, besaß eine unverkennbar populare Tönung. Hatten bislang die Plebeier ihre mangelnde Integration in die res publica klagend in das Bild der zweigeteilten Stadt gekleidet und ihre innenpolitischen Widersacher mit äußeren Feinden gleichgesetzt, so griff Horatius dieses Argument auf, als er behauptete, für das Volk seien die Auseinandersetzung mit den Decemvirn von größerem Gewicht als der Krieg gegen die Sabiner, weil sie gegen ihre eigene Regierung für Recht und Freiheit zu kämpfen hätten.196 Die Furcht vor dem Feind musste, auch diesmal relativiert durch die Furcht vor dem Patriziat, nach ihrer Analyse als Instrument der Herrschaftssicherung versagen.197 Indem er sich so 192 193 194 195

Liv. III 68,3. Liv. III 68,3 f. und 6–8. Liv. III 67,7–10. Liv. III 39,9: […] cuius illi partis essent, rogitare? populares? quid enim eos per populum egisse? optimates? qui anno iam prope senatum non habuerint, nunc [Ruperti: tunc N] ita habeant, ut de re publica loqui prohibeant? 196 Liv. III 39,8. 197 Liv. III 39,10: Ne nimium in metu alieno spei ponerent; graviora, quae patiantur, videri iam hominibus, quam quae metuant.

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den Freiheitsbegriff der Plebeier aneignete, ging er über die Position volksfreundlicher Senatoren hinaus, die in der Vergangenheit entweder auf die Bedeutung der Plebs für die res publica insgesamt hingewiesen oder bloß Diskussionsbereitschaft über deren Interessen bekundet hatten. Den Höhepunkt der Bemühungen kooperationsbereiter Patrizier um das Volk erreicht in Livius’ Narrativ eine weitere Rede des Quinctius. In dieser Ansprache erhob er das Volk zur höchsten Instanz in der res publica. Dessen potestas werde der Senat sich unterwerfen, dem Senat aber würden wiederum die Magistrate Gehorsam leisten. Damit erkannte er die Führungsrolle der Plebs an. Dieses Zugeständnis ging weit über die Anerkennung der Institution des Volkstribunats hinaus. Vielmehr unterstellte er die gesamte Politik der Staatsführung dem Willen des Volkes und degradierte den Senat zum Ausführungsorgan des Gesamtvolkes. Die konservativen Senatoren hingegen, die bislang um die Rückkehr zu ihrer einstigen, mit der Einrichtung des Volkstribunats verlorengegangenen Stellung gerungen hatten, waren nach ihrem Selbstverständnis allein an den Interessen ihres Standes ausgerichtet, die sie mit jenen des Staates in eins setzten. All dies waren jedoch keine taktischen, auf die Sicherung der Macht gerichteten Überlegungen zur Verhinderung eines schleichenden Verfalls des Einflusses des Patriziats. Im Mittelpunkt stand die Sorge um die Integrität des Staates. Auf ihn, so deuteten die Senatoren an, würde der Dualismus von Volkstribunen und Consuln hinauslaufen. Das Vorgehen beider Seiten wurde im Kern als Machtfrage gesehen und ihrer ideologischen Drapierung, die ihnen die jeweiligen Protagonisten umgelegt hatten, enthüllt: hier als Verteidigung der Freiheit der Plebs, die in Wahrheit zu erweiterten Partizipationsrechten der Plebeier führen sollte, dort als Schutz der bisherigen institutionellen und sakralen Ordnung des Staates, der in Wirklichkeit dem Erhalt des Status quo diente. Nicht die Verteidigung des Staates vor dem verderblichen Einfluss des jeweiligen inneren Gegners war das Ziel der Akteure – jeder strebte nach dem Besitz der res publica. In einem plastischen Bild spricht Livius von dem während eines Machtkampfs zerstückelten Staat, von dem schließlich nichts übrig geblieben sei, weil beide Parteien, die Tribunen und die Consuln, an sich gerissen hätten, wessen sie habhaft geworden seien.198 Das bedeutet im Umkehrschluss: Die Voraussetzung für die Existenz eines Staates liegt im Verzicht der in ihm vertretenen Gruppen, Bereiche des Gemeinwesens, an dem alle Teile der Bürgerschaft Anteil besitzen, zu separieren und zu monopolisieren. Über dem Ringen gehe, so lautete weiter die Einsicht der Senatoren, das Bewusstsein für die Gesamtheit der res publica bei den Kontrahenten verloren und werde abgelöst von der Fixierung auf den politischen Gegner. Aus einem solchen Konflikt würde der Sieger zwar alles an sich reißen, was einst die res publica umfasste, bliebe aber, ohne die res publica, allein zurück. Was die Desintegration der Plebs für die äußere Sicherheit des Staates bedeutete, hat Livius in den Episoden der Ständekämpfe deutlich gezeigt. Ihr Denken war ausschließlich am Gemein198 Liv. II 57,3: […] dum consules tribunique ad se quisque omnia trahant, nihil relictum esse virium in medio; distractam laceratamque rem publicam; magis quorum in manu sit, quam ut incolumis sit, quaeri.

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wohl orientiert und erblickte in popularen Maßnahmen kein Instrument für die Förderung der Interessen ihres Standes. Allerdings beabsichtigten auch die an Eintracht ausgerichteten Patrizier keine Förderung der politischen Partizipation der Plebs. Sie suchten lediglich die concordia durch Selbstbeschränkung der Herrschaftsausübung sowie durch Schutzrechte für das Volk zu sichern, ohne die Notwendigkeit einer Ausdifferenzierung des politischen Systems, einer Zulassung von Plebeiern zum Consulat in Betracht zu ziehen.199 In der Gliederung des populus in eine classe dirigeante und eine classe dirigée in der Rede des Quinctius kommt diese Haltung am deutlichsten zum Ausdruck. e) Konflikte innerhalb des Patriziats200 Die von Livius identifizierten anthropologischen Grundlagen der Politik, die Pleonexie, der Kampf um die Durchsetzung von Individualinteressen und die daraus resultierenden Strategien der Akteure, prägten auch die Konflikte, die innerhalb der beiden Lager wegen divergierender Interessen oder aus dem für die politische Kultur der Republik charakteristischen Konkurrenzdenken erwuchsen. Sowohl die Plebs als auch das Patriziat bildeten zumeist nur dann geschlossene Formationen, wenn Interessen des Standes als Ganzes betroffen waren. Bis ins Detail hinein lässt sich nachvollziehen, wie konsequent Livius’ Darstellung auch solcher Fälle auf den philosophisch-politikwissenschaftlichen Einsichten fußt, die sein Geschichtsdenken bestimmen. Die internen Auseinandersetzungen der Patrizier betrafen zumeist den Konkurrenzkampf zwischen führenden Amtsträgern und Feldherren, die aus übermäßigem Streben nach Prestige den Rahmen der res publica überschritten und zu einer Gefahr für das Gemeinwesen wurden. Regelmäßig führten Streitigkeiten unter Consuln über die Übertragung von Oberbefehlen zu Blockaden in der Kriegführung.201 Zum Konfliktstoff zwischen Senat und Feldherrn wurden auch von der Mehrheit oftmals als missliebig empfundene Anträge auf Gewährung von Triumphzügen.202 Mehrfach verstießen Magistrate gegen das Prinzip der Annuität oder übertraten die Kompetenzen ihres Amtes.203 Auseinandersetzungen um die Kriegführung führten zu einer Schwächung des Patriziats204 brachten den Staat an den Rand einer militärischen Niederlage,205 und Konflikte zwischen patrizischen Befehlshabern äußerten sich in folgenschwerer gegenseitiger Behinderung im Feldzug.206 Weniger den mi199 S. bes. Liv. III 53,8 f.: Scuto vobis magis quam gladio opus est. Satis superque humili, qui iure aequo in civitate vivit nec inferendo iniuriam nec patiendo. 200 Für Vorüberlegungen s. Steffensen 2009. 201 Beispielsweise Liv. VIII 12,4–13; 31–35. 202 Liv. III 63,10; V 6,17. 203 S. u. Näheres. 204 Zum Folgenden s. Liv. IV 56 f. mit 57,6. 205 Zu diesem Komplex s. Liv. IV 25,13–26,11. Zur Rekonstruktion der Vergangenheit in dieser Episode s. Ogilvie 1970: 576. Die literarische Analyse bei Burck 1964: 97 f. trägt für die hier verfolgten Ziele keine Erkenntnisse bei. 206 S. hierzu Liv. V 8 f.

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litärischen Gegner als vielmehr ihre eigenen Collegen, Standesgenossen und Landsleute betrachteten die Kontrahenten, abhängig von der konkreten Situation, als Feinde. Livius streicht nicht nur die Kritik am demagogischen Auftreten Einzelner sowie die grundsätzliche Gefahr der Demagogie deutlich heraus. Seine Botschaft lautet außerdem, dass innere Zwietracht leicht durch Interessensverschiedenheiten entstehe und dass sich höchst eigenartige Konstellationen entwickeln könnten, die das Gleichgewicht der gesamten res publica stören könnten. 6. IDEALES POLITISCHES SYSTEM UND IDEALE POLITIK. LIVIUS’ PATRIZISCHE REPUBLIK207 Nur selten formuliert Livius seine Vorstellungen von einer idealen Staatsordnung. Anlässlich einer eher nebensächlichen, mit Pathos aufgeladenen Angelegenheit aus dem II. Punischen Krieg, der Consulatswahl des Jahres 211, als außergewöhnliche Eintracht zwischen dem Volk und den Magistraten bestanden hatte, skizziert er beiläufig seine Auffassung über die Machtverhältnisse, die in einem innerlich stabilen Staat mit concordia208 herrschen sollten.209 Ersichtlich steht die Begebenheit in Übereinstimmung mit seinen Ausführungen zum Verhältnis zwischen Herrschaft und Freiheit in früheren, aber auch späteren Teilen des Werks. Zusammen mit dem Prooemium des II. Buchs, seinen anthropologischen Erkenntnissen sowie den Schilderungen der politischen Auseinandersetzungen und den Reden seiner historischen Protagonisten zeigt sie Livius’ Ideal einer politischen Ordnung. Im Jahr 211 hatten die jungen Männer der zuerst abstimmenden Zenturie Volturia für den Zensorier und zweifachen Consular T. Manlius Torquatus votiert; wie Livius berichtet, sei anschließend mit der Zustimmung des gesamten Volkes für diese Entscheidung zu rechnen gewesen. Manlius lehnte jedoch seine Wahl wegen eines Augenleidens ab und wies die Einwände, die durch Zurufe an ihn herangetragen wurden, mit solcher Festigkeit ab, so berichtet Livius, dass seine auctoritas sogar die Bewunderung der von ihm brüskierten Anhänger erlangte.210 Nach einvernehmlichen Gesprächen zwischen den Jüngeren und den Älteren in der Zenturie wurden Alternativkandidaten benannt, die von allen Stimmkörpern des populus geschlossen ins Consulat gewählt wurden. Seinen Bericht schließt Livius mit einer stolzen Bilanz:211 In jenem Jahr seien die bislang unverwirklicht gebliebenen Ideal207 Für einen anderen aktuellen Ansatz zu Livius’ Idealstaatsvorstellungen und folglich auch anderen Ergebnissen s. Vasaly 2015: 132–139. 208 Zur umfassenden Bedeutung von concordia s. Momigliano 1942; Weinstock 1971: 260–266; Flory 1984: 309–330 und auch Brown 1995. 209 Liv. XXVI 22. 210 Nahezu wortgleich erzählt dieselbe Begebenheit Val. Max. IV 1,4. Sein Bericht rückt jedoch lediglich die Standfestigkeit des Consuls in den Mittelpunkt und bezieht nicht die Reaktion des Volkes ein, der in Livius’ Darstellung eine wesentliche Bedeutung zukommt. In der knappen Erwähnung der Episode bei Zon. IX 5 erscheint Manlius hingegen als ein schroffer, missgelaunter Mann, der von Verachtung für das moralisch korrumpierte Volk erfüllt ist. 211 Liv. XXVI 22,14 f. Eludant nunc antiqua mirantes: non equidem, si qua sit sapientium civitas quam docti fingunt magis quam norant, aut principes graviores temperantioresque a cupidine

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staatsvorstellungen der Philosophen von einer civitas sapientium realisiert worden. Es sei unvorstellbar, dass es in jenen utopischen Konstruktionen principes gebe, die gemäßigter und von der Herrschsucht freier seien, und dass dort eine Volksmenge auftrete, die gesitteter sei als die Bürger Roms. Für Livius hat hier die Wirklichkeit der römischen Geschichte über philosophische Träumereien triumphiert. In einem zeitkritischen Vergleich setzt der Historiker die Szene anschließend in Bezug zur inzwischen verfallenen Autorität der Eltern in der Gegenwart und rühmt die Ehrerbietung der jüngeren Bürger gegenüber den älteren als eine typische Leistung der alten Zeit.212 Drei weitere, grundsätzliche Kommentare des Livius bestätigen das Ideal eines Regiments, das auf fides, auf Kooperation von Herrschern mit Beherrschten, basiert. Sie gehören zwar in einen außenpolitischen Zusammenhang, können aber wegen analoger Situationen auch auf die Innenpolitik bezogen werden. Quellenkritische Vergleiche zeigen, welches Gewicht solchen Bemerkungen beizumessen ist, die eine didaktische Funktion in den Ab urbe condita erfüllen sollen und keineswegs als rein rhetorische Sentenzen abgetan werden dürfen.213 (1) Eine richtungsweisende Rede lässt Livius den Consul Camillus nach dem Sieg der Römer über die Latiner im Jahre 338 halten, als im Senat über den Umgang mit den Unterlegenen beraten wurde.214 Das Ziel müsse es sein, so führt er aus, mit den häufig rebellierenden Latinern einen ewig dauernden Frieden zu schließen. Als Alternativen böten sich Härte oder Milde und Nachsicht an.215 Entweder entscheide man sich, ganz Latium zu verwüsten und grausam gegen die Bevölkerung vorzugehen, oder man schließe mit den Unterworfenen ein Bündnis und nutze die Chancen, nach dem Vorbild der Vorfahren das Reich zu vergrößern und dadurch Ruhm zu gewinnen.216 Am stabilsten sei eine Herrschaftsform, bei der die Unterworfenen gern gehorchten.217

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imperii aut multitudinem melius moratam censeam fieri posse. Centuriam vero iuniorum seniores consulere voluisse, quibus imperium suffragio mandaret, vix ut veri simile sit, parentium quoque hoc saeculo vilis levisque apud liberos auctoritas fecit. Diese Quintessenz aus dem Geschehenen trifft jedoch nicht genau den Bedeutungsgehalt des Satzes über die beiden Teile der Bürgerschaft, denn das Lob für die Jüngeren, die dem Rat der Älteren folgen, bezeichnet einen anderen Sachverhalt als der Gehorsam gegenüber Manlius Torquatus, dessen überraschende Ablehnung des ihm angetragenen Amtes sie schließlich einsichtig akzeptierten. Für diese quellenkritischen Hinweise s. jeweils den Fußnotenapparat. Liv. VIII 13,11–18. Zur Rede s. neben Lipovsky 1981: 106 f. v. a. Oakley 1998: 535–538. Liv. VIII 13,14: […] vel saeviendo vel ignoscendo […]. Liv. VIII 13,15 f. Der Gedanke der Vergrößerung der Republik durch Kooperation beschäftigt Livius auch in einem innenpolitischen Zusammenhang, in der Rede des Canuleius für die Gleichstellung der Plebeier mit den Patriziern IV 3,2–17. Zu dem Motiv Oakley 1998: 537. – Die Intentionen, die Camillus nach Livius’ Darstellung bestimmten, hatten nach Sall. Cat. 9,5 und Iug. 102,6 maßgeblich zum Aufstieg Roms beigetragen. Liv. VIII 13,16: Certe id firmissimum longe imperium est, quo oboedientes gaudent. S. auch bes. Pol. V 11–12,4, bes. 11,6–12,4, dessen Darlegungen einen stark moralistischen Anstrich besitzen, weniger aber auf das Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten und die Stabilität des Friedens eingehen. Weitere Stellen zum Motiv Oakley 1998: 537.

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(2) Nur wenige Jahre später, 329, hatte der Senat über einen vergleichbaren Fall zu beraten, über einen Friedensschluss mit den Privernaten.218 Wiederum stand eine Entscheidung an, bei der man zwischen Härte und Milde wählen konnte. Als der Gesandte der Privernaten gefragt wurde, welche Art von Frieden sein Volk verdient habe, gab er zur Antwort, einen Frieden, der eines freiheitsliebenden Volkes würdig sei, da nur ein guter Friede treu eingehalten werde und ewig sei, während ein schlechter nur kurz andauere.219 Zwar steigerte seine Bemerkung die Empörung noch mehr und man befürchtete, ein Eingehen auf seine Forderungen würde die übrigen unterworfenen Völker zur Auflehnung anstacheln. Doch gelang es dem versöhnlicher gestimmten Teil des Senats, dessen Haltung Livius teilt,220 mit Hilfe einer Intervention des Consuln L. Plautius Venox221 die Rachepläne der übrigen Senatoren zu vereiteln. Von keinem Menschen sei zu erwarten, dass er länger in einer Lage verweile, die er ablehne; tatsächlich sei nur jener Frieden zuverlässig (fidus), der freiwillig geschlossen werde. Auf die Treue von Menschen, die in Knechtschaft (servitus) gehalten würden, zu einer Lebensweise gezwungen, die ihrem Willen zuwiderlaufe, dürfe man nicht zählen.222 In der Feststellung, dass Herrschaft nur mit Einverständnis der Beherrschten Stabilität finde und dass für die Beherrschten nur ein Frieden in Freiheit ein akzeptabler Frieden sei, liegt der auf die philosophische Grundierung des Werkes verweisende Leitgedanke, den Livius zur Herrschaftsausübung in diesem Abschnitt vermittelt.223 (3) Wie zutreffend die Überlegungen der Senatsmehrheit waren, zeigt eine Episode aus dem II. Punischen Krieg.224 Als Hannibal die Gegend um Falernum von seinen Truppen verwüsten ließ, wahrscheinlich um die dortige, mit Rom verbündete Bevölkerung zum Abfall zu bewegen,225 hielten diese Bundesgenossen trotz 218 Liv. VIII 20,10–21,10. 219 Liv. VIII 21,4: Si bonam dederitis, inquit, et fidam et perpetuam; si malam, haud diuturnam. 220 Bei Liv. VIII 21,6 stellen sich textkritische Schwierigkeiten. Entweder lese man […] pars melior senatus ad molliora responsa trahere […] oder pars mitior senatus ad meliora responsa trahere […]. Entscheidend ist der moralische Zusammenhang, den Livius hier zwischen melior und mitis konstruiert. 221 Auch die Zensur, die er gemeinsam mit App. Claudius bekleidete, beweist, im Unterschied zu seinem hochfahrenden Kollegen, die Umgänglichkeit des Mannes (Liv. IX 29,5–8). 222 Liv. VIII 21,6 f. Zur infida pax s. auch IX 45,5. Zum Grundsatz fides obligat fidem, den sich Livius zu eigen macht, s. XXII 22,14 (Rede des Saguntiners Abelux); VIII 21,2: Eam [poenam] inquit, quam merentur, qui se libertate dignos esse censeant (ein Gesandter im Senat). 223 Dion. Hal. ant. XIV 13 bietet eine in historischen Details abweichende Erzählung von den Friedensverhandlungen. Wesentlicher aber ist, dass er sich stark auf das Freiheitsbewusstsein des Privernaten konzentriert, weniger aber die Konflikte im Senat und die dort aufeinander prallenden Motive thematisiert. Ähnlich Dio. VII 35,11, der anders als Livius auf die grundsätzliche Identität eines Friedens in Freiheit mit einem fairen Frieden hinweist. 224 Liv. XXII 13,9–11. Dutoit 1942: 103–105 zieht zum Vergleich Cic. off. I 16 f. und ad Q. frat. I 1,23 heran und vergleicht die Livius-Stelle mit ihrer Vorlage, Pol. III 90 (Unterschied: videlicet quia). Er beschränkt sich aber nur auf eine außenpolitische Interpretation (105). 225 Die Intentionen, die Hannibal mit seinen Operationen verfolgte, gibt Livius nicht ausdrücklich an. Dass es dennoch wohl seine Absicht gewesen war, Roms Bundesgenossen zum Abfall zu veranlassen, behauptet Pol. III 90,10 f. Der Vergleich mit Polybios’ Bericht offenbart die Eigenständigkeit der livianischen Behandlung der Geschichte und ihrer Deutung. Zwar spricht auch

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des Terrors an ihren Verpflichtungen gegenüber Rom fest, weil sie, wie Livius nachdrücklich hervorhebt, unter einer gerechten und maßvollen Herrschaft gestanden hätten. Das einzige Band der Treue sei, einem Besseren zu gehorchen.226 Der Bestand eines Regiments, das war die Lehre aus dieser Begebenheit, hängt also maßgeblich von seiner Akzeptanz bei den Beherrschten ab. Für die anlässlich der Consulwahl 211 artikulierte Vorstellung von der idealen politischen Ordnung stehen, wie die Anspielung auf die Philosophen (docti) zeigt, Einsichten Pate, die nicht nur vom spätrepublikanischen Diskurs zwischen Optimaten und Popularen inspiriert sind, sondern aus der Tradition der griechischen Demokratiekritik herrühren und die in besonderer Verbindung mit den politisch-philosophischen Konzeptionen Platons stehen.227 Sicherlich kann die Entstehung der livianischen Vorstellungswelt nicht allein auf die Beschäftigung mit politischer Philosophie zurückgeführt werden. Aber der in grundsätzliche Dimensionen hineinreichende Kommentar zur Consulwahl rekurriert auch auf Positionen, die seit dem 5. Jahrhundert in der von Philosophie und Publizistik geführten Auseinandersetzung über die Demokratie, über das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit bezogen und von Platon für den Idealstaat der Politeia fortentwickelt wurden.228 Für eine Anwendung von dessen Ideen auf ein römisches Geschichtswerk war der Dualismus der römischen Bürgerschaft, der Gegensatz zunächst von Patriziern und Plebeiern, dann von Optimaten und Popularen, außerordentlich günstig. Auf alle Fälle demonstrieren Livius’ Formulierungen seine intellektuelle Auseinandersetzung mit Grundfragen der Politik und der idealen Staatsform außerhalb der historiographischen oder zeitgeschichtlichen Literatur. Die Topoi der Demokratiekritik konzentrieren sich in der Hauptsache auf die politische Unfähigkeit des Volkes. Als erster hat Pseudo-Xenophon in seiner Athenaion Politeia in einer Skizze der Gesellschaft das Volk und die „Guten“ konfrontiert. Während sich das Volk durch Ignoranz, mangelnde Disziplin und Schlechtigkeit auszeichne, gebe es bei den Besten die geringste Zügellosigkeit und die wenigste Ungerechtigkeit. Als Ursache für das Verhalten des einfachen Volkes gelten Polybios von der Treue der Bundesgenossen zu Rom (III 90,13 f.) und erklärt ihr Verhalten mit ihrer Bewunderung (kataßplhciw) und Achtung (katacißvma). Aber Livius, der eine ähnliche Begründung anführt, fügt noch seinen erläuternden, die historische Situation ins Allgemeingültige wandelnden Zusatz an und erklärt präziser, welche Mechanismen der Herrschaftsausübungen hier zum Tragen kamen. 226 Liv. VII 13,11: […] videlicet quia iusto et moderato regebantur imperio nec abnuebant, quod unum vinculum fidei est, melioribus parere. Obwohl es sich um Bundesgenossen handelt, setzt Livius hier das tatsächliche Machtverhältnis voraus, das zwischen Rom und seinen socii bestand. 227 Erinnert sei hier an Livius’ philosophische und geschichtsphilosophische Interessen. 228 Eine kurze Übersicht der Topoi der athenischen Demokratiekritik findet sich bei Bleicken 1995(a): 437–447. Zu den Kontroversen über die Demokratie im 5. Jh. seien aus der unübersehbaren Fülle an Literatur bes. Nippel 1980; Roberts 1994: 48–70; Welwei 1995; Herrmann-Otto 1997; Gehrke 1997; Rhodes 2000; Heftner 2003; Weber 2010: 12–19 herausgehoben; zum 4. Jh.: de Ste. Croix 1989: 69–80; Roberts 1994: 71–92; Welwei 1995: 41 f. Zum historischen Kontext s. jetzt die Geschichte des klassischen Athen von Welwei 1999 sowie die einschlägigen Abschnitte in Welwei 2011, aber auch Heftner 2003. Für eine Diskussion der hermeneutischen Schwierigkeiten bei der Klassifizierung und Bewertung demokratiekritischer Äußerungen s. Bleicken 1995(a): 437–440 und Rhodes 2000: 135 f. Hierauf baut die folgende Übersicht auf.

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dem Autor die Armut und der Mangel an Erziehung und Bildung. Bei der Verwaltung suche das Volk stets seinen eigenen Vorteil, ohne das Gemeinwohl zu berücksichtigen, und nur die Ämter, die für den Bestand der Stadt maßgeblich seien, würden von kompetenten Männern bekleidet. Ansonsten sei ihm der Zustand des Staates gleichgültig, wenn es nur frei sei und herrschen könne. Die Ausplünderung der Reichen gehe über den Gerechtigkeitssinn. Die besondere Gunst des Volkes gelte nur jenen, die ihm wohlgesonnen seien und seinen Nutzen förderten. Eine gute Verfassung würde das Volk von politischer Partizipation ausschließen. So wird dem Volk die Befähigung zur Einsicht in das Gemeinwohl abgesprochen, weil es von Leidenschaften beherrscht sei und es ihm an Disziplin fehle, es sich nur auf die Durchsetzung seiner eigenen Interessen konzentriere und seine Entscheidungen von Maßlosigkeit und Wankelmut geprägt seien, womit eine Anfälligkeit für Demagogen einhergehe, die um ihre Privatinteressen, Geld und Macht, kämpften. Es drohten Rechtlosigkeit und Willkürjustiz und eine Umverteilung des Vermögens. Die der Demokratiekritik zugrundeliegende Auffächerung der Bürgerschaft in das Volk und die Elite ließ sich umstandslos auf die römische, in eine classe dirigée und eine classe dirigeante, in die Plebs und die Senatsaristokratie gegliederte Gesellschaft übertragen und mit ihr ebenso die politischen und sozialen Probleme, die auch den Diskurs über Politik in der Republik prägten. Die Darstellung der Geschichte in den Ab urbe condita hat die mangelnde Regimentsfähigkeit des Volkes ebenso bewiesen wie die Gefahren, die von den Volkstribunen ausgingen, aber auch die Notwendigkeit herausragender Vertreter des von Livius mit Sympathie beurteilten, allerdings keineswegs idealisierten Senats, aus dessen Reihen zeitweise eine reaktionäre, konfrontativ gegen die Plebs gerichtete Politik betrieben wurde. Als Antwort auf den weitgehenden demokratiekritischen Konsens entstanden in der politischen Philosophie der klassischen Zeit und des Hellenismus nur selten Plädoyers für reine Verfassungstypen, deren Schwächen scharf registriert wurden. Die Einigkeit darüber, dass die nahezu unbeschränkte Herrschaft einer einzigen Gruppe in der Bürgerschaft in absehbarer Zeit zur Instabilität führen würde, weil man sicher mit dem Missbrauch einer unkontrollierten Macht zu rechnen habe, erklärt das besondere Interesse für gemischte Verfassungstypen, die Konflikte innerhalb einer Polis nicht sedierten, sondern die Interessensgegensätze auszugleichen und Kontrollinstanzen zu schaffen suchten, die eine Pervertierung des politischen Systems verhindern sollten.229 Über die Vermittlung des Polybios fand der Gedanke der Mischverfassung Eingang in die politische Philosophie Roms und schlug sich, allerdings in bezeichnenden Modifikationen, in Ciceros Ausführungen über das System der Republik in De re publica und De legibus nieder. In Opposition zu solchen gängigen Vorstellungen steht Platons Konzeption der idealen staatlichen Ordnung in der Politeia.230 Hier plädiert er nicht für eine durch Institutionen gesicherte Ordnung, sondern für eine weitgehend personale Herrschaft, die auf einer zur Ausübung der Herrschaft moralisch instruierten Elite, dem Wächterstand, beruht. Weitere Maßnahmen sorgen für einen Zustand, in dem alle 229 Hierzu grundsätzlich Nippel 1980. 230 Für die Details s. Schöpsdau 2004, aber auch Schütrumpf 1995.

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durch Streben nach Macht oder Geld ausgelösten Probleme vollständig beseitigt, nicht aber, wie in den Mischverfassungskonzeptionen, nur eingehegt werden. In dem platonischen Idealstaat muss die Macht nicht mehr verteilt werden, weil sie missbraucht werden könnte, sondern sie liegt in den Händen derer, die zu ihrer Ausübung erzogen wurden. Alle anderen Stände in der sorgfältig gestaffelten Gesellschaft, die Platon entwirft, besitzen keinerlei politische Rechte; sie führen lediglich die zwangsläufig „richtigen“ Anweisungen aus, die sie vom Wächterstand erhalten. Eine institutionell gesicherte Herrschaftsverteilung lehnt Platon zugunsten der personalen Herrschaft einer durch Tugendhaftigkeit ausgezeichneten Elite ab. Seine Hoffnung richtet sich auf die Ausschaltung politischer Prozesse. Auch Livius orientiert sich mit seinem Kommentar der Ereignisse um die Consulwahl des Jahres 211 an diesem Ideal.231 Auf die res publica übertragen, ist die Gesellschaft anhand ihrer sozialen Stratifikation in zwei Gruppen zu gliedern, die principes und die multitudo, die einerseits vom Patriziat bzw. der Nobilität und andererseits von der Plebs gebildet werden. Der Ritterstand fällt aus diesem Raster heraus. Der Einfluss der Principes, den sie bei der Entscheidung zur Geltung brachten, lag nicht in gesetzlich festgelegten Kompetenzen, sondern ausschließlich in der gravitas, einer Form nicht konstitutionalisierter, auf Anerkennung beruhender Macht. Voraussetzung für das Funktionieren einer solchen Ordnung ist die Akzeptanz der classe dirigeante bei der classe dirigée. In die Erörterung der Machtverteilung schließt Livius auch die Probleme seines Ideals der Herrschaftsausübung ein: die Tendenz zur Maßlosigkeit und zum Streben nach Macht in der Führungsschicht sowie die Tendenz zur Insubordination bei der Masse. Beide Phänomene sind bei allen augenscheinlichen Unterschieden in ihrer Ursache einander darin ähnlich, dass sie, wie mehrfach in der I. Dekade betont, von einem moralischen Defekt, der Zügellosigkeit, herrühren. Trotzdem plädiert Livius bei seiner Vision einer idealen Staatsordnung nicht für eine auf Institutionen fußende Kontrolle. Ihr Funktionieren basiert allein auf der Ausbildung politischer Tugenden. Was Livius als Ideal vorschwebt, ist keine Mischverfassung, sondern ein reiner Verfassungstyp, ein System der media via, die ohne institutionelle Vorgaben die politisch Handelnden in ihren Entscheidungen auf moderatio und modestia verpflichtet.232 Aufgrund der Indifferenz der Mehrheit des Volkes in politischen Angelegenheiten, soweit sie nicht an elementare Freiheitsrechte rühren, erblickt Livius in der fehlenden Partizipation der Plebs keine Ursache für Instabilität. Die Voraussetzungen der livianischen Vorstellung von einer idealen Ordnung enthält die Deutung der Freiheit und der Grundzüge der republikanischen Politik, die er im Prooemium zum II. Buch vorträgt. Als entscheidendes Kriterium für die Leistungsfähigkeit eines politischen Systems benennt er dort die Stabilität. In der Herstellung und Sicherung von Eintracht (concordia) erblickt Livius das wichtigste Ziel der römischen Innenpolitik. Zerstört werden würde sie durch politischen Wettbewerb, wie er am Beispiel des Volkstribunats ausführt. In der extremsten Form einer 231 Über das Verhältnis des Livius zu seinen römischen Vorgängern Näheres im folgenden Abschnitt. 232 Hierzu gleich weitere Details.

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solchen Entwicklung würde der Staat auseinanderbrechen. Das Königtum entsprach seinem Ideal zwar weitgehend wegen der Organisation der Macht, hatte sich jedoch mit der Entartung zur Tyrannenherrschaft historisch disqualifiziert. An seine Stelle trat die patrizische Republik. Nur im Prinzip der Annuität, der zeitlichen Beschränkung der obersten, weiterhin umfassenden Amtsgewalt sieht Livius den Ursprung der Freiheit. Erst als offenkundig wurde, dass die Patrizier den Ansprüchen an die gesetzlich nicht festgelegten, sondern aus dem moralischen Grundsatz der Mäßigung abzuleitenden Herrschaftsausübung, die zweieinhalb Jahrhunderte lang die Monarchie stabil gehalten hatte, nicht mehr genügte, mussten zur Abwendung des Zerfalls der Republik von innen Gesetze eingeführt werden, die zunächst die Machtvollkommenheit der Patrizier einschränkten und schließlich auch die Partizipation des Volkes an der politischen und religiösen Ämtern hervorbrachten. Als wichtigste Leistung des Königtums würdigt er das Fehlen von politischem Wettbewerb, als zentrales Prinzip der Herrschaftsausübung die Mäßigung, die im Verbund mit der Autorität die Akzeptanz des Regimes sicherte. Die Herrschaft der ersten sechs Könige und der Sturz des Königs Tarquinius Superbus lehrten, dass die Lebensdauer eines Regiments maßgeblich von der Akzeptanz der Beherrschten abhing. So konnte die Monarchie im Zeichen einer von moderatio geprägten Machtausübung unangefochten bestehen. In dieser Zeit erfreute sich die Autorität der Könige, von Livius als regium metus wiedergegeben, ungeteilter Anerkennung. Erst Tarquinius hatte sich mit allen Gruppierungen in der Bevölkerung, den Senatoren wie der Plebs, überworfen. Der Respekt oder die Furcht vor seiner Position wurde überlagert und neutralisiert von dem Schrecken, den sein Regiment auslöste. Die Herrschaftspraxis im Königtum und dessen Sturz wiesen im Grundsatz auf die kommenden Konflikte der republikanischen Epoche, aber auch Lösungsansätze in Krisenzeiten voraus. In der Republik nämlich veränderten sich die Strukturen der Machtverteilung und der Machtausübung keineswegs radikal. Vielmehr trat, wie Livius darlegt, das Patriziat an die Stelle der Könige, dessen Stellung in das Amt des jährlich neu zu wählenden und stets mit zwei Männern zu besetzenden Consuln umgewandelt wurde, ohne dass dabei die Kompetenzen reduziert würden. Allein im Wechsel der Herrschaft und in der gegenseitigen Kontrolle der beiden Collegen bestand die Freiheit. Wie impraktikabel das System war, erwies sich bereits in den Ständekämpfen, die sich um die Ausgestaltung der Freiheit sowie um die Beteiligung an der Herrschaft und deren Grenzen dreht. Die Agitation der um politische Partizipation kämpfenden Volkstribunen ist für ihn der Anlass von Zwietracht. Als Gegenmittel schwebt ihm nicht die Partizipation der Plebs an der Politik vor, sondern die Beseitigung von deren Notlage, auf der jede demagogische Agitation gründete. Später, als die Plebs unwiederbringliche Rechte vom Patriziat erworben hatte, hätte statt Repressionen der Einsatz der popularen Methode die verbliebenen Bestände patrizischer Macht gesichert. Sein Ideal ist eine Politik der media via.233 Sie sieht keine Machtteilung vor, sondern ein gemäßigtes, institutionell nicht kontrolliertes, allein moralisch-sittlichen Grundsätzen verpflichtetes Regiment. Wie Cicero erkennt er 233 Liv. I 32,4; II 30,1; III 13,6; VIII 13,3; X 15,10.

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die Notwendigkeit der Akzeptanz von Herrschaft. Angesichts der politischen Indifferenz der Masse des Volkes erschien deshalb ein populares Regiment des Senats als erfolgversprechendes Mittel für die Verhinderung der Ambitionen der Volkstribunen. Seine Bejahung der popularen Methode als Instrument des Patriziats entspringt keiner persönlichen Vorliebe, sondern seiner Einsicht in die Notwendigkeit einer zweigeteilten Gesellschaft, bestehend aus einer classe dirigée und einer classe dirigeante, in der Politik mit ihren gefürchteten Auswirkungen abgestellt war. Die populare Methode weist er also nicht an sich zurück, sondern bewertet sie nach dem jeweiligen Einsatzzweck.234 Legitim erscheint sie ihm für die Verteidigung senatorischer Interessen, illegitim beim Kampf der Volkstribunen. Energisch befürwortet er populare Maßnahmen der Patrizier und des Senats zur Sicherung ihres politischen Einflusses. Deutlich wird dies an seiner Behandlung des Jahres 509, als er die integrierende und akzeptanzstiftende Wirkung der popularen Methode hervorhebt, und ans seiner Sympathie für das von einem Teil des Senats intendierte Tauschgeschäft, durch das die Senatoren einer plebeischen Initiative zuvorkamen. Livius’ Vorstellungen stehen in Übereinstimmung mit den Auffassungen kooperationsbereiter Patrizier. Zwar unterstützt er die Bestrebungen der Patrizier in einem der ersten Konflikte der republikanischen Ära, in der Kornkrise am Ausgang der 490er Jahre, die Abschaffung des Volkstribunats gegen soziale Unterstützung der Plebs durchzusetzen. Voraussetzung dieses Tauschgeschäfts sollte allerdings der Verzicht auf die Unterdrückung der Plebs durch Wucherzinsen und Zinsknechtschaft sein. Die aggressive, an das Schreckensregiment des Königs Tarquinius Superbus erinnernde Erpressungs- und Unterdrückungspolitik Coriolans lehnt er, wie auch die damalige Senatsmehrheit, ab. Hinter der Kompromisslösung, die von gemäßigten Patriziern vorgeschlagen wurde, stand ein auf dem Prinzip der fides basierender Austausch. Er sollte das Verhältnis zwischen den beiden Ständen dauerhaft festschreiben. Auf der einen Seite waren die Patrizier zur Fürsorge für die Plebs verpflichtet. Nicht wie in den Jahren zuvor sollten sie ihre Machtvollkommenheit ausspielen und die Plebs geradezu in den Sklavenstand herabdrücken, sondern den Zusammenhalt der Bürgerschaft durch eine großzügige Behandlung des Volkes sichern. Die Akzeptanz, die sie sich durch diese Form des inneren Ausgleichs für ihre Herrschaftsausübung erwarben, sollte andererseits verhindern, dass in der Plebs der Wunsch nach Schutzrechten entstand, die das patrizische Machtmonopol in der res publica eingrenzen würden. Populare Maßnahmen waren deshalb ein wesentlicher Bestandteil einer auf Stabilität zielenden Innenpolitik.235 Diese Kalkulation beruhte darauf, dass das Volk kein Interesse an politischen Fragen besitzt, solange seine ökonomischen Le234 Dem entspricht die wohl gängige, jedenfalls auch von Cicero gebrauchte Verwendung des Wortes popularis (hierzu Robb 2010, die aber wegen ihrer begriffsgeschichtlichen Ausrichtung wichtige Episoden der Ab urbe condita unberücksichtigt lässt, in denen das Wort nicht verwendet wird). 235 Einige Beispiele: Die cura der Consuln für die Freiheit des Volkes wehrt den Einsatz der tribunizischen Gewalt antizipierend ab (Liv. III 59,3). Livius hält dies in einem Kommentar zu den opponierenden Senatoren ausdrücklich als eine pragmatische, der unruhigen Situation angemessene Maßnahme für gerechtfertigt.

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bensbedingungen nicht unmittelbar betroffen sind. Als Profiteure der sozialen Notlage der Plebs standen die Volkstribunen bereit. Sie entstammten der plebeischen Elite und richteten ihre Ambitionen auf politische Ämter, von denen sie bis über die Mitte des 5. Jh.s hinaus ausgeschlossen geblieben waren. Erst sie wandelten die Stimmung im Volk zu einer politischen Agenda um. Weil von ihnen die Initiativen zu innenpolitischen Konflikten ausging, die nicht nur die Ruhe erschütterten, sondern bisweilen sogar die Existenz des Staates gefährdeten, gilt ihnen Livius’ Abneigung. Als Instrument zur Sicherung der politischen Ordnung hält er deshalb ausdrücklich populare Maßnahmen für notwendig. Mochten sie, von Einzelpersonen eingesetzt, der Zerstörung der fides236 und der Eintracht dienen, so waren sie ein probates Mittel, wenn sie der Senat als Institution verwendete, um seinem Regiment Akzeptanz zu verschaffen. Je nach Intention und Urheber konnten solche blandimenta eine mala ars oder Ausweis eines kompetenten Regierungshandelns sein, ein Mittel der Usurpation oder der Sicherung der Freiheit. Eine populare Strategie des Senats hätte der plebeischen Elite die wichtigste Waffe im Kampf um politische Partizipation nehmen und die Stellung der Patrizier in der res publica abstützen können. In den Händen der Volkstribunen diente sie der Aufwiegelung der Volksmasse, zur Durchsetzung revolutionärer, das Gemeinwesen schädigender Ziele. Im Namen des Patriziats oder des Senats hingegen trug sie zur Befestigung der Integrität der Bürgerschaft bei. Hätten die Senatoren zentrale soziale Forderungen der Plebs aufgenommen, wären die Volkstribunen als deren Interessenvertreter überflüssig und ihre Agitation unwirksam geworden. Eine wesentliche Komponente von Livius’ Ideal, die Konzentration der Herrschaft auf den Senat, wäre damit verwirklicht worden. Folgerichtig kommentiert er sozialpolitische Gesetzgebung und Kompromisslösungen, waren sie von Senatoren im Interesse des Gemeinwohls initiiert, ausschließlich positiv. In der Regel waren die Bemühungen der Patrizier um Akzeptanz mithilfe popularer Mittel oder zumindest die Bereitschaft zu einer Kooperation mit der Plebs erfolgreich. Livius’ Idealvorstellungen greifen über Bezüge zur griechischen Staatsphilosophie hinaus auch auf zeitgenössische Vorstellungen, auf sein bewundertes literarisches Vorbild Cicero zurück, dessen Werke er wohl nicht nur zur Verfeinerung seines Stiles eingehend studiert237 hatte. In erster Linie ist an die Abhandlungen De re Nach der Durchsetzung des canuleischen Gesetzes verzichtete die Plebs auf Wahrnehmung ihrer Rechte, die Wahl plebeischer Consulartribunen, weil ihr das bloße Recht dazu genügte. Dies zeigt auch den Erfolg einer Einbindung des Volkes, die faktisch keine Auswirkungen auf das patrizische Regiment besitzt. Die Plebs verzichtete auf die Wahlen von Consulartribunen, weil sie ohnehin Patrizier wählen möchte (Liv. IV 7,8 f.). Das Primat des Wohlergehens bei politischen Entscheidungen wurde bei einer Consulwahl offenbar, als nach einer patrizischen largitio das Volk zwei Consuln wählte (Liv. VII 22,7). S. auch Beendigung der Schuldknechtschaft unter Wahrung der fides (VII 21,5–8) und die Einführung des Soldes sowie das Lob für den Beschluss der Hernicer, die Motivation ihrer Truppen mit verdoppelten Soldzahlungen zu erhöhen (VII 7,5). Für eine vergleichbare Wirkung, nur innerhalb des Patriziats, sorgte nach Livius die Erweiterung des Senats zu Beginn der Republik (II 1,10). 236 Liv. VI 41,10. 237 Sen. contr. IX 1,13; 2,26.

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publica und De legibus zu denken. Beide Schriften präsentieren in sich ergänzenden Skizzen die Gestalt einer idealen Ordnung. Cicero beruft sich in ihnen ausdrücklich auf das Mischverfassungskonzept des Polybios,238 ist jedoch kein Verfechter eines wirklichen Ausgleichs der institutionellen Kräfte in der res publica. Zwar erkannte er die Notwendigkeit plebeischer Rechte an. Im Alltag sollten sie jedoch lediglich psychologisch eine beruhigende Funktion übernehmen, ohne politisch aktiviert zu werden, während die Politik faktisch ein Monopol der Patrizier bleiben sollte. Zur Voraussetzung für eine derartige Herrschaftsteilung erklärte er einen auf Ausgleich, auf die Wahrung der fides, gerichteten Umgang der Patrizier mit der Plebs, keine Domestizierungsversuche. In De legibus nimmt Cicero eine Konzeption Scipios aus De re publica auf. An der Spitze des Staates sollten mit königlicher Gewalt ausgestattete Consuln stehen, deren Amtsführung in erster Linie am Gemeinwohl orientiert sei. Während es die Aufgabe des Senats sei, als moralisches Vorbild der Bürgerschaft zu dienen,239 sei es entscheidend, dass dem Volk keinerlei Einfluss zukomme. Die Politik solle alleinige Domäne der Magistrate und des Senats bleiben. Als Vorbild einer solchen Ordnung dient wie schon in De re publica das römische Beispiel, ein in der Realität verwirklichtes Ideal.240 Als bedeutendstes Kriterium dieser Staatsform hebt er deren durch Ausbalancierung der Kräfte zustande gekommene Mäßigung hervor.241 Seine Wunschvorstellung ist die seit Tarquinius Superbus diskreditierte Monarchie.242 Die nach der Vertreibung der Könige eingerichtete Form der Republik orientierte sich jedoch am Vorbild der Monarchie. Erhalten geblieben war nämlich die maior potestas der Consuln gegenüber den untergeordneten Magistraten.243 Zum Ausgleich für diese Machtfülle und zu deren Minderung wurde dann das Volkstribunat eingeführt.244 Im III. Buch rühren die Gesprächspartner an die politische Partizipation der Plebs, eines der klassischen, seit den Ständekämpfen virulenten und in den rhetorischen Strategien immer wieder aktualisierten Probleme der römischen Geschichte. Entzündet hat sich die Debatte an der Frage, ob zu dem mustergültigen Gemeinwesen auch das Volkstribunat gehören solle. Sie wird entschieden verneint von den beiden Hauptunterrednern neben Cicero, dessen Bruder Q. Cicero und Freund T. Pomponius Atticus.245 Anstoß nimmt Q. Cicero an der von M. Cicero im Sinne des Ausgleichsgedankens begrüßten Beschränkung der consularischen Amtsgewalt und übertrug sie auf das Verhältnis zwischen den beiden Ständen, nämlich die Reduzierung der gravitas der Optimaten zugunsten einer Zunahme der vis des Volkes.246 Im 238 239 240 241 242 243 244 245 246

Cic. rep. I 34; II 27. Cic. leg. III 10: Is ordo vitio vacato; ceteris specimen esto. S. auch 30 f. Cic. leg. III 12. Cic. leg. III 12 (Lob für Scipios temperatio rei publicae; die römische Ordnung moderatissime eingerichtet). Cic. leg. III 15. Cic. leg. III 15 f. Cic. leg. III 16, mit Seitenblick zu den Ephoren in Sparta als Gegengewicht zum König. Hierzu jetzt Näheres; zu Atticus s. Cic. leg. III 26. Cic. leg. III 17. Die Vorstellungen seines Bruders hält er, was das Volkstribunat betrifft, für ein magnum malum. Die Opposition gravitas – vis erklärt sich daraus, dass das Volk tatsächlich

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Tribunat erblickt er eine Quelle für innere Unruhen und sieht darin auch den Zweck dieses Amtes.247 Auf diese Vorbehalte gegen das Volkstribunat aus optimatischer Sicht bringt Cicero eine Reihe von Einwänden vor.248 Im Gegensatz zu seinem Bruder akzentuiert er die Eintracht stiftende, die emotionalen Ausbrüche des Volks und hemmungslose Gewalt eindämmende Wirkung von Volkstribunen. Zudem würde der Einfluss des einzelnen Volkstribunen durch die Möglichkeit der Intercession seiner Collegen reduziert. Verantwortungslose Tribunen würden stets auf verantwortungsbewusste treffen. Zu einer freien politischen Ordnung müssten auch Rechte für die Plebs gehören. Überdies sei die Zeit der schweren Konflikte zwischen Senat und Volk vorüber. Die wichtigsten Garanten des inneren Friedens seien, dass der Senat keine gegen das Volk gerichteten Aktivitäten beginne und das Volk selbst nicht um seine Rechte kämpfe – beide Bedingungen seien in Rom erfüllt. Denn solange es keine gegen das Volk gerichteten Aktivitäten gebe, sei die Plebs auch nicht zum Kampf um ihre Rechte gezwungen. Als Grund für die Akzeptanz, die auctoritas der Senatsherrschaft führt er die herausragende Politik der Principes an. Nicht zuletzt aber leiste das Tribunat einen psychologischen Beitrag zur Integration der Bürgerschaft. In Wahrheit besitze es zwar keine Macht, doch suggeriere es den Menschen aus dem Volk, dass sie den führenden Männern ebenbürtig seien, und habe sich deshalb zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Rechte der Plebs entwickelt. Die Gleichrangigkeit zwischen Plebeiern und Senatoren hält er natürlich gleichwohl für eine Fiktion. Insofern sei das Tribunat kein Schaden für die res publica, sondern befördere vielmehr das Gemeinwohl. Umgekehrt bezeichnet er eine Verweigerung des Volkstribunats als Akt feindseliger Gesinnung.249 In seinem ersten Consulat habe auch Pompeius, den Cicero als eine Art Kronzeugen für die Unbedenklichkeit seiner Darlegungen anführt, die Notwendigkeit und psychologische Unverzichtbarkeit des Volkstribunats erkannt.250 Als wichtigsten Beleg für die Richtigkeit seiner Darlegungen führt er das Beispiel der Ständekämpfe an. Die Einführung des Volkstribunats lässt er als eine Initiative der Senatoren erscheinen. Sie dient als Beleg für das Erfolgspotential der patrizischen Kooperationsbereitschaft, weil es dadurch gelungen sei, die Ständekämpfe zu beenden.251 Die Quintessenz aus diesen Überlegungen lautet, dass erst das Volkstribunat die Freiheit wirklich hergestellt habe und der Freiheitsanspruch der Plebs respektiert werden müsse. Eine Verringerung der Stellung des Senats und des Einflusses der Senatoren liege darin nicht. Aus Entgegenkommen

247 248 249 250 251

zusätzliche Kompetenzen erhielt, während das consularische imperium selbst unverändert blieb und nur in seiner Anwendbarkeit eingeschränkt wurde. S. hierzu seine Ausführungen in Cic. leg. III 19–22. Cic. leg. III 23–26. Cic. leg. III 17: non ius enim illud solum superbius populo et violentius videri necesse erat? Quo postquam modica et sapiens temperatio ecessit [- – -]. Cic. leg. III 26. Cic. leg. III 24: Sed tu sapientiam maiorum in illo vide: concessa plebi a patribus ista potestate, arma ceciderunt, restincta seditio est, inventum est temperamentum […].

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des Senats folgt kein Aufstand im Volk, sondern eine Beruhigung der innenpolitischen Lage. Unbestritten bleibt für ihn: Die ideale gemäßigte Staatsform besteht aus der potestas des Volkes, die sich faktisch in den politischen Prozessen nicht niederschlägt, und der auctoritas des Senats, dem dominus publici consili. Darin liege die Voraussetzung für ein Gemeinwesen der Eintracht und der Mäßigung.252 Im Plädoyer für die Optimatenherrschaft in De re publica besteht der beste Zustand für Cicero erst dann, wenn ein freies Volk die Besten wählt, denen es gehorchen will. Zu den Grundvoraussetzungen einer solchen Ordnung zählt, dass die classe dirigeante die Interessen der Mehrheit der Bürgerschaft, des Volkes, verfolgt.253 Ein Regiment von Optimaten wahrt deshalb mit seiner Machtfülle und seiner Akzeptanz bei den Bürgern die Mitte zwischen Königtum und Volksherrschaft. Zugleich verficht Cicero die optimatische Theorie, dass das Freiheitsstreben des Volkes nicht durch Verbesserung seiner Rechtslage gesättigt, sondern im Gegenteil erst geweckt wird.254 Die Bemühungen zu Beginn der Republik um einen Ausgleich mit dem Volk, die Einführung der Provocation und die Regelungen, die zu den Beilen der Lictoren getroffen wurden, würdigt Cicero als ein- und weitsichtig.255 Entsprechend kritisiert er den Umgang mit der Schuldknechtschaft der Frühen Republik als Versagen,256 weil anders als einst unter Solon in Griechenland nicht nach allen Mitteln gegen die Krise gesucht wurde. Trotzdem beruhte der Staat auch weiterhin auf der auctoritas einiger weniger Principes. Das Verbot des conubium hält er außerdem für ungerecht und kritisiert das Fehlen eines Gegengewichts zu den Decemvirn.257 Das Ideal des Livius scheiterte jedoch an der geschichtlichen Wirklichkeit, wie er sie konstruiert. Wie seine eigene Darstellung der Geschichte zeigt, ist die Erfahrung, die er für die Consulwahl des Jahres 211 berichtet, nur ein kurzfristiges Erlebnis, das sich in der Tat gelegentlich wiederholte, insgesamt aber die Ausnahme blieb. Nur unter bestimmten Konstellationen fügten sich die Plebeier widerspruchslos den Anordnungen der Magistrate, ebenso wie diese nur selten ihre Herrschsucht zu zähmen verstanden. Mehr noch, die Hoffnungen, die er äußert, stehen in Widerspruch zu seinen Analysen der römischen Politik. Das Utopische, das Livius den griechischen Philosophen triumphierend vorhält und das er im römischen Beispiel überwunden sieht, wird auch in Rom nicht aufgehoben, sondern sogar konterkariert von seinen anthropologischen Einsichten und dem Verlauf der Ständekämpfe. In Livius’ Darstellung der Ständekämpfe wurde die im Prooemium zum II. Buch skizzierte Gefahr einer Desintegration der Bürgerschaft Wirklichkeit. Die starre Weigerung einer Mehrheit der Patrizier gegen jede Veränderung und Weiterentwicklung der Ordnung hielt er für ein Versäumnis. Hatte der Senat sich anfangs noch mit Sozialreformen Beliebtheit verschafft – ein Vorgehen, das Livius mit der Formulierung bene imperando lobt – so beendete er die Kooperation mit dem Volk 252 253 254 255 256 257

Cic. leg. III 28. Cic. rep. I 51–53. Cic. rep. II 50. Cic. rep. II 53–59. Cic. rep. II 59. Cic. rep. II 62.

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in der Folgezeit. Durch den Verzicht auf Reformen schuf er ungewollt den politisch ambitionierten Volkstribunen einen Resonanzboden für ihre Agitation, die Livius als mala ars bezeichnet, weil sie vorrangig der Befriedigung von persönlichem Ehrgeiz diente. Daher bestanden die sozialen Probleme bald als Landknappheit, bald als Schuldknechtschaft fort, da ideologische Blockaden zumal beim Patriziat pragmatische Problemlösungen verhinderten. Repressiven Maßnahmen war jedoch nur kurzfristig Erfolg beschieden. Jedoch hätte eine offensive Politik der Patrizier mit popularen Mitteln den Volkstribunen jegliche Überzeugungskraft genommen, deren risikobereites Vorgehen die Republik oftmals gefährdete. Die konfrontative Taktik war zum Scheitern verurteilt. Anstatt den inneren Frieden zu sichern, löste sie heftigen Widerstand bei den Plebeiern aus und führte zu scharfen Parteikämpfen. Da die Plebs in kriegerischen Auseinandersetzungen als Rückgrat des Heeres benötigt wurde, ging sie letztlich als Siegerin aus den Konflikten mit dem Patriziat hervor. Auch wenn Furcht, vermittelt etwa durch die Autorität der Gesetze oder die Amtsgewalt eines Magistraten, nach Livius’ Darstellung große Wirkung zu erzielen vermag, um Menschen zu einem bestimmten Handeln zu zwingen,258 fehlte es der Unterwerfungsstrategie so sehr an Legitimität, dass die Plebeier eine Auseinandersetzung oder die Preisgabe der Stadt dem Gehorsam bisweilen vorgezogen hätten, wenn die Patrizier nicht letztlich doch zu Konzessionen bereit gewesen wären. Das Regime hätte im Inneren einen solchen Schrecken verbreitet, dass es dem Volk hätte gleichgültig sein können, ob die Patrizier oder eine Nachbarstadt die Herrschaft über Rom innehätten. Die fortschreitende Modifikation der ursprünglichen republikanischen Ordnung, in der schließlich durch Gesetze der Handlungsspielraum der classe dirigeante eingeschränkt wurde, ist der Beweis für das Scheitern der Konfrontationspolitik. Nach der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts und dem Decemvirat, das, solange es die Plebs terrorisierte, die Unterstützung eines Großteils der Senatoren erhielt, war allerdings eine Wiederherstellung des patrizischen Monopols in der Politik undenkbar geworden. Mittlerweile war das Volkstribunat, so die Einschätzung kooperativer Senatoren, zu einem essentiellen Bestandteil der Freiheit der Plebs geworden. Bislang war unter keiner Herrschaftsform, weder unter dem Patriziat noch unter dem Decemvirat, die Freiheit des Volkes gewahrt worden. Trotzdem versuchte eine revisionistisch orientierte Gruppierung des Patriziats, in der Regel angeführt von einem Vertreter der claudischen gens, auch künftig in Sachfragen wie in der Kommunikation die Partizipation der Plebs aufzuhalten oder Zugeständnisse rückgängig zu machen. Livius selbst muss die Notwendigkeit einer Regulierung der Senatsherrschaft und der Amtsgewalt der Magistrate anerkennen.259 Eine Politik der Einbeziehung der Plebs hatte allerdings jederzeit Sinn. Zwar verloren die Patrizier im Lauf des 5. und 4. Jahrhunderts sukzessive alle wesentlichen Privilegien. Doch besaß dieser Prozess, anders als revisionistisch gesinnte Senatoren behaupteten, keine innere Notwendigkeit oder war in seinem Ergebnis gar prädestiniert. An zahlreichen Auseinandersetzungen zeigte sich, wie die Erweiterung der Partizipation der Plebs durch populare 258 Zur disziplinierenden Leistung der Furcht s. o. 259 Liv. X 9,4.

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Maßnahmen hätte aufgehalten werden können. Besonders deutlich war dies an der Einigung über die Errichtung des Consulartribunats abzulesen. Wenngleich die Plebeier den Zugang zu einem Amt erstritten hatten, war die breite Masse allein mit der Existenz des passiven Wahlrechts zufrieden und verlangte nicht nach substantiellem Einfluss auf Politik, wählte also keine Angehörigen ihres Standes in das Tribunat. Livius kritisiert eine konfrontative Politik wiederholt scharf.260 Dies aber keineswegs, weil ihm die reaktionären Ziele der Patrizier im Prinzip widerstrebten. Sondern vielmehr, weil die mangelnde moderatio in Machtausübung und Kommunikation den Widerstand im Volk anstachelte. Dies beschwor einen kontinuierlichen Machtverlust herauf. Durchzusetzen vermochten die Revanchisten sich in der Regel nicht. So kam es zwangsläufig zur Ausbildung eines politischen Systems, das differenzierter war, als Livius es sich wünscht. Das Ideal einer auf Selbstbeschränkung setzenden Elite ohne Einschränkung der Machtbefugnisse hatte versagt. Richtig blieb weiterhin, dass die herausragende Stellung des Senats so lange nicht angefochten wurde, wie die Interessen des Volkes wahrgenommen wurden. 7. EIN WENDEPUNKT DER RÖMISCHEN GESCHICHTE? DIE III. DEKADE a) Einleitung Den II. Punischen Krieg markiert Livius als Zäsur in der römischen Geschichte. Er bildet nicht nur innerhalb der Ab urbe condita ein eigenständiges Teilstück,261 stilisiert in einem an Herodot, Thukydides und Polybios geschulten Binnenprooemium 260 So kritisiert er die Drapierung politischer Interessen, als die konservativen Gegner des Canuleius dessen Antrag auf Zulassung von Plebeiern zum Consulat mit der religiösen Aura des auspicium zurückwiesen. So verurteilt er die Ausgrenzungspolitik Coriolans, wenngleich er dessen Ziele, die Abschaffung des Volkstribunats zu erzwingen, ausdrücklich begrüßt. 261 Untersuchungen zur Behandlung der III. Dekade sind: Hoffmann 1942; Burck 1950; Burck 1981; Mineo 1994, Mineo 2006; Levene 2010: 3 (v. a. literaturwissenschaftlich ausgerichtet). Insgesamt hat Livius’ Darstellung des II. Punischen Krieges, verglichen mit anderen Partien der Ab urbe condita, im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses gestanden. Konsens herrschte in der geschichtlichen und ideologischen Einordnung der III. Dekade (s. die genannte Literatur). Livius habe den moralischen und zugleich militärischen Triumph Roms über seine Feinde gefeiert und trotz mancher Einschränkungen die Tugenden des römischen Volkes und seiner Führer verherrlicht. Neue Akzente setzte B. Mineos unpublizierte Studie über die von Livius gestaltete Kommunikation zwischen Nobilität und Plebs im Punischen Krieg (Mineo 1994; für eine knappere Wiedergabe der wichtigsten Ergebnisse s. Mineo 2006: 255–322). Dort zeigt er den Einfluss äußerer Faktoren auf das Rom dieser Kriegszeit auf. Die Tugenden der Römer seien, so lautet seine Einsicht, von vielfachen Fluktuationen beherrscht gewesen, Phasen des moralischen Aufschwungs und des Niedergangs hätten in enger Beziehung zu den militärischen Ereignissen gestanden. Sicherlich haben Mineos Ausführungen im Ganzen viel Überzeugendes für sich. Gleichwohl haftet ihnen eine gewisse Tendenz zum Schematischen an. Am schwersten wiegt der Einwand, dass sie bei der Analyse der Motive der Akteure häufig an der Oberfläche stehenbleiben und deshalb Livius’ Vorstellungen vom Funktionieren der römischen Politik gerade in Krisenzeiten nicht richtig zur Geltung kommen.

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zum denkwürdigsten Krieg aller Zeiten, ausgetragen von zwei auf ihrem Höhepunkt stehenden Großmächten.262 Die Eroberung von Syrakus war auch eine der in der Praefatio angekündigten Stufen des Dekadenzprozesses, die sich in Livius’ Erzählung identifizieren lassen.263 Mit der im Einklang mit dem Kriegsrecht von dort nach Rom verbrachten Beute hatte der Feldherr die Römer erstmals mit griechischer Kunst bekannt gemacht und, so bilanziert Livius, eine irreparable Leidenschaft (licentia) entfacht, die weder von privat- noch sakralrechtlichen Vorschriften gebremst wurde. Im Streit über Kommanden lebte die in den zurückliegenden Jahren unterdrückte ambitio264 wieder auf, die militärische Disziplin verfiel,265 Fälle von impietas häuften sich. Der wechselhafte Verlauf des Konflikts eröffnet Livius die Möglichkeit zu einer Erzählung über die Auswirkung äußerer Einflüsse auf die Innenpolitik, die Effekte innenpolitischer Konstellationen auf die Kriegsführung, die Kommunikation zwischen Magistraten, Senat, Volk und Soldaten, die Beziehung Roms zu seinen Bundesgenossen und die Bildung eines Imperiums. Von besonderem Gewicht für das Narrativ ist die Interaktion der Magistrate untereinander. Besonders von den Feldherren, von ihrer Kompetenz und ihrer Bereitschaft zur Kooperation, hing im Krieg der Bestand des Staates ab. Nach der Epoche der Ständekämpfe hatten sich die Verhältnisse in der römischen Innenpolitik verwandelt. Die beiden Stände standen sich nicht länger konfrontativ gegenüber. Die Integration der Plebs hatte mit der aus Patriziern und Plebeiern bestehenden Nobilität eine neue Führungsschicht hervorgebracht. Nachdem das Patriziat seine Privilegien in der res publica vorher

262 Obwohl für die Darstellung eine spezifische Gestaltung des Stoffes nicht immer sicher methodisch nachzuweisen ist, kann jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Livius das Sujet im Rahmen des Faktengerüstes, an das er gebunden war, weitgehend nach eigenen Vorstellungen bearbeitet hat (Hoffmann 1942: 5–11; Burck 1950; Burck 1981: 219–222; Mineo 2006: 259– 262, mit weiterer Literatur 259, Anm. 108. Für eine breite Diskussion der Quellen und Vorlagen s. jetzt Levene 2010: 82–163. Zu Tränkles These, dass es sich bei der III. Dekade im faktisch um eine Übertragung des Polybios ins Lateinische handele, s. E. Burck, Rez. H. Tränkle, Livius und Polybios, Stuttgart 1977, Gnomon 51, 657–677.). Für eine tabellarische Übersicht der von Livius berichteten Ereignisse s. Levene 2010: 6–9. Zur Einordnung: Liv. XXI 1,1–3. 263 Liv. XXX 25,1–3. Zu Beginn von XXXIV zieht Livius in der Rede Catos über die Abschaffung der lex Oppia eine kausale Verbindung zwischen dem Fall von Syrakus mit den mittlerweile sichtbar gewordenen Verfallerscheinungen (4,3–5). 264 S. hierzu die sich anschließende Analyse. 265 Hingewiesen sei lediglich auf folgende Aspekte: fehlende Einsicht in die Strategie (Liv. XXII 23,3; hierzu auch Mineo 1994: 198 f.); Befehlsverweigerung und Meuterei (XXII 41,1; XXVIII 26,11–29,12 (Meuterei bei Scipio); Grausamkeit (XXIV 39,6 f. ([halbherzig von Livius gerechtfertigt]; XXV 31,9 [bei der Einnahme von Syrakus, heftig kritisiert]; XXVII 16,6–8 [Tarent]; XXVIII 20,6 f.; XXX 6,4); Beutegier (XXVI 46,10; XXVIII 23,4; XXIX 6,3). Dagegen steht Livius’ Betonung der Tapferkeit und Disziplin der Truppe, s. z. B. XXI 25,10; 46,9; 50,4; 57,8; XXII 5,7; 29,4–6; XXV 14,1–10; 19,15; 23,1; XXVI 6,1; XXVII 1,11. Als besonders skandalös galten die Eroberung von Syrakus und Tarent (XXVII 15,9–16). Die Verbindung zwischen dem historischen Kontext, dem Kriegsverlauf, und der Moral der Soldaten verkennt, wer Livius eine ausschließlich apologetische Absicht unterstellt, so Burck 1950: 27, der „nur selten einen Schatten“ auf das Heer fallen sieht.

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gegen den Widerstand der Plebs verteidigt hatte,266 zeichnete sich jetzt ab, dass künftig die Auseinandersetzungen hauptsächlich innerhalb der Nobilität verlaufen würden. Damit eröffnet Livius den Prozess der Desintegration der Oberschicht, der sich im Laufe des 2. Jh.s vollzog. Der II. Punische Krieg bildet einen wichtigen Testfall für die Gültigkeit und Relevanz der Einsichten des Livius in den Ablauf und die Mechanismen politischer Prozesse. Zu welchem Verhalten das römische Volk mit seinen verschiedenen Gruppierungen durch den Druck der äußeren Ereignisse tendierte, gehört zu den Fragen, die Livius an die Epoche stellt, unbeschadet der Vielschichtigkeit und des Facettenreichtums des Textes, dessen didaktisches Programm sich auf vielerlei Felder jenseits der hier im Mittelpunkt stehenden Fragen erstreckt.267 Ihren Ausgang soll die Analyse der III. Dekade von Livius’ Grundannahmen über die Politik und deren Mechanismen nehmen: Von welchen Interessen werden die verschiedenen Akteure geleitet? Verändert sich ihre Politik unter dem Eindruck äußerer Faktoren? Welcher Einfluss kommt dem metus hostilis in dem Krieg zu? Inwieweit sind die Tugenden des römischen Volkes und der Magistrate vom Kriegsverlauf abhängig? b) Kriegsverlauf Livius gliedert den Verlauf des Krieges in eine Phase des Niedergangs und eine Phase des Wiederaufstiegs. Die Anfangsjahre sind, wie es die Überlieferung vorgab, von zahlreichen Niederlagen geprägt. Im XXVI. Buch verortet er jedoch durch einen kompositorischen Eingriff die Peripetie des Krieges.268 Während Polybios einen Gleichstand zwischen den römischen und den karthagischen Kräften in das Jahr 211 datiert, um von dort den für Rom immer positiver verlaufenden Krieg nachzuzeichnen, sind bei Livius die Ereignisse so verschoben, dass ab dem Jahr 211, geschildert im XVI. Buch mit einer Reihe wegweisender Ereignisse, der Verteidigung Roms gegen Hannibal, der Einnahme Capuas und dem Bündnis mit den Aitolern, erst allmählich der Siegeszug Roms begann.269 In diesem Abschnitt des Kriegs gelang den Karthagern kein Sieg von entscheidender Bedeutung mehr. Basierend auf dieser Periodisierung, vollzieht Livius die innere Entwicklung Roms parallel zum militärischen Geschehen anhand der aus der I. Dekade bekann266 Allerdings hatte es, wie dargelegt, bereits in der Frühen Republik, abhängig von den Zeitumständen, von außen- wie innenpolitischen Konstellationen, stark divergierende Interessen und Machtkämpfe innerhalb des Patriziats gegeben. Dies galt verstärkt, nun bezogen auf die Nobilität, für den Punischen Krieg. 267 Z. B. etwa das Verhältnis Roms zu den Bundesgenossen, die Kompetenz von Feldherren oder die psychologische Disposition der Soldaten. 268 Burck 1950: z. B. 13–15; 1981: 217 f. und Hoffmann 1942: bes. 57. Für einen tabellarischen Überblick über die III. Dekade s. Levene 2010: 6–9. 269 Für Livius’ Vergleich der römischen mit der karthagischen Lage in Liv. XXXVI 27 sowie zu den vermeintlichen Widersprüchen in der Wiedergabe der Ereignisgeschichte s. Burck 1950: 19–26. Im Jahr 212, das im XXV. Buch behandelt wird, verbuchten die Römer einen Erfolg, die Einnahme von Syrakus, erlitten aber zugleich zwei Niederlagen und Rückschläge, den Verlust von Tarent und die Niederlagen der beiden Scipionen in Spanien.

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ten Faktoren nach, der politischen und wirtschaftlichen Interessen der Akteure und des metus hostilis. Die Vorkriegszeit bis in die ersten Kriegsjahre hinein war von diversen Auseinandersetzungen innerhalb der Nobilität sowie von einem Verlust militärischer Disziplin und religio geprägt. Eintracht kehrte erst nach den schweren Niederlagen der ersten Kriegsphase ein; sie führte prompt zur moralischen Konsolidierung und zum Wiedererstarken Roms.270 Mit der Schlacht am Metaurus, die in der Erzählung als Wendepunkt dient, begann nach Livius die Eintracht zu zerfallen und die sittliche Integrität nachzulassen.271 Dem Wegfall der karthagischen Bedrohung korrespondierte ein Rückgang des metus hostilis. Dessen integrierender Wirkung war nach der Anfangsphase des Krieges, die von der Zwietracht der Magistrate untereinander sowie von deren teilweise zerrüttetem Verhältnis zum Senat geprägt war, die militärische und administrative Reorganisation der Republik zu verdanken gewesen. Für die Folgezeit berichtet Livius von neu ausgebrochenen Rivalitäten in der Nobilität. Ihren Ausdruck fanden sie in Auseinandersetzungen über die Kriegsführung gegen Hannibal, die von Partikularinteressen bestimmt waren, sowie im Wettstreit um die Übernahme von militärischen Kommanden gegen Karthago. Einer der Höhepunkte dieser Jahre waren die Überführung der Magna Mater nach Rom272 und die Saecularspiele des Jahres 207. c) Politische Konstellationen Für die Zeit des II. Punischen Kriegs schildert Livius nur wenige schwerwiegende Konflikte, die die Dimension der Ständekämpfe zwischen Senat und Plebs besaßen. Die politische Initiative lag unangefochten bei der Nobilität. Nur in die Auseinandersetzung führender Magistrate zu Beginn des Krieges war die Plebs als Objekt involviert. Livius demonstriert, dass die Masse ohne einen Anführer handlungsunfähig war.273 Die Plebs behielt allerdings weiterhin ihre Rolle als Mobilisierungsfaktor in den innenpolitischen Machtkämpfen. In der Anfangsphase des Krieges verhielt sich das Volk ablehnend gegenüber erfolgreichen, wenn auch glanzlos wirkenden Strategien274 und charakterlich herausragenden Feldherren,275 verfiel dafür aber popularen Parolen. In solchen Fällen brachte die Wahl von beim Volk beliebten, militärisch jedoch inkompetenten Feldherrn die Republik in Gefahr. Die mangelnde politische Einsicht des Volkes lässt Livius auch in dessen Reaktionen auf die Wechselfälle des Kriegsgeschehens offenkundig werden. Irrational reagiert es auf die Nachricht von Niederlagen,276 mit maßloser Freude hingegen auf 270 271 272 273 274

S. hierzu mit allen Belegen Mineo 2006: 273–275; 279–283; 283–288. Hierzu ausführlich Mineo 1994: 192–194. Liv. XXIX 11–14 mit Mineo 2006: 285 f. und Gruen 1990: 5–33. Liv. XXII 25,17; XXVI 35,4–7. S. u. zu den Debatten um die Kriegsführung. Zu Fabius s. Liv. XXII 25,12 (minime popularis); 40,1–3. 275 Liv. XXII 40,1–3. 276 Liv. XXI 57,1 f. (terror); XXII 7,6–14 (terror und tumultus); 60,1 f. (clamor flebilis vor der Beschlussfassung über den Freikauf der Gefangenen); XXIII 25,1 f. (pavor); XXVI 9,6–8 (in-

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Siegesnachrichten.277 Seine Opferbereitschaft war nach Livius allerdings stabil.278 Erst in der zweiten Hälfte des Krieges protestierten die Bauern gegen ihre Einberufung zum Militärdienst und waren zu einer seditio bereit.279 Während der Finanznot des Staates wirkte die Plebs bereitwillig an der von Livius als außerordentliche Vaterlandsliebe gerühmten Initiative der Privatleute zur finanziellen Unterstützung der in Spanien kämpfenden Einheiten mit.280 Das Agieren der Volkstribunen war eng mit dem jeweils aktuellen Kriegsverlauf verknüpft. Anfangs beteiligten sich Volkstribunen demagogisch in Auseinandersetzungen über die Kriegsführung und suchten hier Ressentiments gegen die Senatsaristokratie zu wecken.281 In den vorrangig innerhalb der Nobilität ausgetragenen Konflikten während der zweiten Kriegshälfte beteiligten die Tribunen sich zumeist im Interesse der res publica an Maßnahmen gegen die überzogenen Ambitionen einzelner Magistrate oder traten als Hüter der politischen Ordnung auf.282 Auch Ämterbesetzungen führten nicht mehr zum Konflikt zwischen Patriziern und Plebeiern.283 Der Senat erwies sich bei Livius während des II. Punischen Krieges als Stütze der res publica. Während der I. Dekade waren nur selten Impulse für die Sicherung der Ordnung und des Friedens von ihm ausgegangen. Zwar hintertrieben die Senatoren in der Anfangsphase die Wahl des Marcellus zum Consuln aus klassenkämpferischen Motiven284, instrumentalisierten die Opferbereitschaft der Plebs zur Sicherung persönlicher Interessen285 und reagierten unsicher auf die vermeintlich ängstliche Kriegführung des Dictators Fabius.286 Angesichts der existentiellen Bedrohung durch Hannibal avancierte der Senat jedoch zur zentralen Instanz, die Roms Politik koordinierte, wie ein Scharnier zwischen den Amtsträgern und dem Volk287 fungierte und auch für den Bestand plebeischer Rechte eintrat.288 Auf dem Feld der Außenpolitik war er sich seines unrühmlichen Zögerns bei den Beratungen

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gens terror); XXVII 44,1–10 (terror, tumultus, metus angesichts der karthagischen Erfolge); XXX 28,1–9 (Sorge über den weiteren Kriegsverlauf). S. auch die Angst vor dem Aufbruch Scipios XXVI 19,1. Zum Aberglauben des Volks s. XXIX 14,2–4. Liv. XXX 17,5. Beinahe alle von Burck 1981: 230 verzeichneten Stellen, die das Gegenteil behaupten, sind nicht zutreffend, ausgenommen Liv. XXVI 35. S. jedoch z. B. Liv. XXII 4,11; XXIII 25,1–3. Liv. XXVI 35,4–7. Liv. XXIII 49,3. S. auch XXIV 18,14 und XXVI 36,2–9. S. hierzu bes. Liv. XXII 25; XXVII 20,9–21,5 sowie die Darstellung der Wettbewerbe um die Kommanden. S. z. B. Liv. XXVI 24,11–14; XXVII 6,1–12; 45,7; XXVIII 45,7; Liv. XXIX 37,18. Liv. XXVII 8,1–3. Liv. XXIII 31,13. Ergänzend zu diesem Komplex s. Levene 2010: 188 zur Charakterisierung führender Gestalten bei Livius. Liv. XXVI 36,2–9: Res publica incolumis et privatas res facile salvas praestat: publica prodendo tua nequiquam serves. Bei Val. Max. V 6,8, aber auch Flor. I 22,24 fehlt die berechnende Erwägung des Laevinus. Liv. XXII 25,12. Liv. XXVII 8,1–3 (umsichtiges Agieren in einem vetus certamen). S. z. B. auch den Prozess gegen die Steuerpächter im Jahr 213 bei Liv. XXV 3,19; 4,4; 4,5. S. z. B. Liv. XXIII 31,13; XXVII 5,15–18.

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über Sagunt bewusst. Nachdem die Nachricht von dem Fall der Stadt in Rom eingetroffen war, verbreiteten sich Scham und Zorn unter den Senatoren, die dann jedoch zur Verteidigung der fides gegenüber den saguntinischen Bundesgenossen bereit waren.289 Livius hebt hervor, wie sofort Entschlossenheit einkehrte und die Rüstungen forciert wurden. Zu der Unsicherheit und dem Wankelmut, die gelegentlich das Volk heimsuchten, bildete der Senat einen Gegenpol der Verlässlichkeit und Standhaftigkeit.290 Gegenüber den Streitkräften schließlich setzte der Senat die militärische Disziplin im Sinne des mos maiorum durch.291 Außenpolitisch war der Senat in Beziehung zu fremden Völkern – im Gegensatz zu Hannibal und den Karthagern292 – später auf die Einhaltung der fides bedacht und bemühte sich um Gerechtigkeit gegenüber Verbündeten wie Besiegten.293 In der Frage der Vergabe der Kommanden gegen Hannibal brachen jedoch Konflikte innerhalb des Senats aus. Entschlossen bekämpfte nach Livius’ Bericht die Mehrheit alle Erscheinungen von politischen vitia. Mitglieder der Nobilität, deren Aspiration die Kriegsführung beeinträchtigte, wurden bisweilen im Verein mit den Volkstribunen, in die Grenzen ihres Standes zurückgewiesen. Umgekehrt wirkte der Senat nach Livius auf die Eintracht zwischen Magistraten und die Wahl kompetenter Amtsinhaber hin.294 Zwischen einzelnen Senatoren, aber auch zwischen dem Senat und Magistraten mit imperium brachen mehrere Auseinandersetzungen aus: zwischen den Consuln Sempronius Longus und Scipio, durch die die Niederlage an der Trebia verschuldet wurde; zwischen dem Dictator Fabius und seinem Magister equitum Minucius; zwischen den Consuln C. Flaminius und Cn. Servilius Geminus sowie zwischen Terentius Varro und Aemilius Paullus, die die Niederlagen beim Trasimenischen See sowie bei Cannae verursachten; und schließlich, in der Endphase des Krieges, zwischen zwei der berühmtesten Gestalten des Krieges, Fabius und Scipio, sowie zwischen Scipio und anderen Nobiles, die um den ruhmversprechenden Auftrag zur Beendigung des Krieges stritten. Die Auseinandersetzungen über die Kommanden und die Kriegsführung in Livius’ Darstellung zeigen den Einfluss des Ehrgeizes der Magistraten auf die politischen und militärischen Entscheidungen. Alle Fälle, die Livius berichtet, beleuchten dieses Problem aus unterschiedlicher Perspektive. Zum ersten Konflikt kam es zwischen P. Cornelius Scipio und Ti. Sempronius Longus vor der Schlacht an der Trebia im Jahr 218.295 An diesem Beispiel demonstriert Livius, wie politischer Ehrgeiz und das Streben nach Prestige zu einer militä289 Liv. XXI 16,2–6; s. auch XXI 10; XXII 13,11 (bellum iustum). Zum Ursprung des Krieges und der römischen Kriegsführung s. Hoffmann 1942: 17–26; Burck 1950: 59–63; Burck 1981: 218. 290 Für die Details s. bes. Mineo 1994. 291 Liv. XXII 61,2.; XXV 6,2–23; 7,1–4. 292 Hierzu s. Porod 1989: 205 f. 293 Näheres bei Mineo 2006: 275 f. Uneinigkeit allerdings entstand, als M. Cornelius Cethegus die Beschwerden der Sizilier über Marcellus zu einem Angriff auf seinen Collegen instrumentalisierte (Liv. XXVI 26,5–9). 294 Liv. XXVII 35,7–10; 40,8 f. Die Versöhnung zwischen Claudius Nero und Livius Salinator hatte allerdings nur unter dem Eindruck des dahinsiechenden Gemeinwesens Bestand und wurde von beiden schließlich faktisch aufgekündigt. 295 Hierzu und zum Folgenden Liv. XXI 52 f.

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rischen Niederlage führen, weil die Ambitionen zu übereiltem Vorgehen verleiten.296 Die übrigen Auseinandersetzungen standen hingegen in Zusammenhang mit Konstellationen innerhalb der Nobilität. Den Untergang des römischen Heeres beim Trasimenischen See inszeniert Livius als Höhepunkt eines langjährigen Konflikts mit politischer wie religiöser Dimension zwischen einem Individuum, dem rasant aufgestiegenen früheren Volkstribunen und zweifachen Consuln C. Flaminius, einem von ambitio getriebenen homo novus, der sich aus politischem Ehrgeiz über sakrale Pflichten hinwegsetzte, und der Institution Senat.297 Für Livius war Flaminius’ Niederlage, dessen Widerstand gegen den Senat und den mos maiorum und die religiöse Observanz298 er als Kriegserklärung an die Götter299 deutet, unvermeidlich.300 Aus wiederum anderem Blickwinkel bildet die discordia zwischen Fabius Maximus und Minucius sowie zwischen Varro und Aemilius Paullus ebenfalls innenpolitische Kämpfe ab. Hier drehte sich der Konflikt nicht vorrangig um die Kritik des Senats an der Amtsführung eines Consuln, sondern angesichts der glanzlos wirkenden301, umsichtigen und auf einen langfristigen Erfolg angelegten Defensivstrategie, die Fabius und Aemilius vertraten, erblickte ein Außenseiter, Varro, den Livius als Typus eines aus den Ständekämpfen bekannten popularen Demagogen

296 Liv. XXI 53,3–7. Liv. XXI 53,6 formuliert entlarvend. Für eine insgesamt ähnliche Darlegung der Geschehnisse im Feldlager und der Motive des Sempronius s. Pol. III 70,1–8. Hier fehlt aber der für Livius’ politische Botschaft wichtige Gegensatz zwischen den privaten Interessen dieses Consuls und seinen öffentlichen Darlegungen. S. ferner Liv. XXI 53,8–11. 297 Ausschlaggebend ist hier das Gesetz über die Beschränkung des Frachtraums von Schiffen: Liv. XXI 63,3 f. Zu den Intentionen, die Flaminius zur Unterstützung des Gesetzes bewegten, verlautet bei Livius nur, dass er mit dieser Entscheidung die Gunst des Volks gewann und ihm kurz darauf erneut die Wahl zum Consul gelang. Die eigentliche Intention des Gesetzes (hierzu v. a. Bringmann 2003), das die Aktivitäten der Nobilität im Fernhandel nicht bekämpfen wollte, wurde in der Historiographie in der Nachfolge des Fabius Pictor (s. hierzu den differenzierten Kommentar zu FRH 1 F 32, p. 135 f., mit Literatur) wohl verzerrt dargestellt. Diese Bewertung unterstreicht auch das Ackergesetz, das Flaminius als Volkstribun einbrachte. Von Livius ist hierzu lediglich perioch. XX erhalten. Angesichts der knappen und beiläufigen Erwähnung des Gesetzes ist es wenig wahrscheinlich, dass Livius Flaminius die revolutionäre Absicht unterstellt, er habe seinen Antrag mit Waffengewalt gegen den Senat durchsetzen wollen, wie Val. Max. V 4,5 behauptet. S. ferner Fabius Pictor FRH 1 F 30b (m. weiterer Literatur); Cato FRH 3 F 2,14; Pol. II 21,8 (zu den außenpolitischen Folgen); Cic. leg. III 20 (mit einer anti-popularen Bewertung des Tribunats des Flaminius); Cato 11. – Flaminius gehorchte der Anordnung des Senats nicht, aus dem Feld zurückzukehren, weil seine Wahl unter widrigen Auspizien vollzogen worden war. S. hierzu (nicht widerspruchsfrei) außer Liv. XXI 63,2 f. bes. Plut. Marcellus 4,2–4; Fabius 2,4; Flor. I 20,4; Zon. VIII 20. 298 Liv. XXI 63,13–15. S. ferner zu Beginn des neuen Buches eine in XXII 1,5–14 geschilderte Senatssitzung. Anders hingegen Flaminius’ College Servilius Geminus: XXII 1,14–20. Zon. VIII 25 berichtet hingegen von einem gemeinsamen Auszug der Consuln. 299 Liv. XXI 63,6–11, das zitierte Dictum in 63,6. 300 Rat der Götter und Hoffnung auf Erfolg: Liv. XXII 3,4. Verwüstung Italiens als Motiv: 3,7. Vorzeichen: 3,12–14. Zur weiteren militärischen Fahrlässigkeit des Flaminius: 4,4–7. 301 Liv. XXII 12,6 f.; 23,1–3. Zum Senat auch 25, bes. 25,12.

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portraitiert,302 die Chance, sich durch Mobilisierung des Volkes den Aufstieg in die Nobilität zu bahnen. Die an sachlichen Kriterien orientierte Kriegsführung des Fabius wurde durch Mobilisierung der Massen zu einer grundsätzlichen Frage stilisiert.303 Für Livius bestätigte sich damit erneut die destabilisierende Wirkung politischer Ambitionen von Plebeiern, die fast ausschließlich über Appelle an die Interessen und Wünsche des Volkes realisiert werden konnten. In der nächsten, erneut mit einer militärischen Niederlage endenden Auseinandersetzung um die Kriegsführung aktualisierte sich wiederum der Gegensatz der Stände, eingeführt als ein magnum certamen patrum ac plebis,304 der entstand, weil Varro die Ressentiments der Plebs wegen der langen Dauer des angeblich von der Nobilität absichtsvoll in die Länge gezogenen Krieges mobilisierte, um selbst den Oberbefehl zu übernehmen. Das Ziel der Darstellung dieser Episoden ist die Demonstration, dass militärischer oder politischer Ruhm, die Verabsolutierung von Individualinteressen, ausschlaggebend für das Fehlverhalten der Kommandierenden waren. Äußern konnte es sich unmittelbar während des Feldzugs, als Ergebnis kleinerer, aber in ihrer Bedeutung übertriebener Erfolge (wie bei Sempronius Longus und Minucius), oder als politisches Kalkül in innenpolitischen Konflikten (Flaminius, Varro). In allen Fällen trat als Folge der Zwietracht unter den Consuln oder der überstürzten Kriegsführung eine Niederlage ein. Beides, der Verlust an concordia (Varro und Aemilius Paullus) wie an taktischer Besonnenheit (Sempronius Longus, Minucius), sowie ferner mangelnde religiöse Observanz (Flaminius) benennt Livius als entscheidende Ursachen für die Misserfolge. Die Endphase des Kriegs prägte ein Konflikt verschiedener Feldherren (P. Scipio, P. Aelius Paetus, Cn. Cornelius Lentulus) mit dem Senat im Streit über strategische Fragen und über den Oberbefehl gegen Hannibal. Drei der vier Consuln dieser Jahre hatten Ambitionen auf den Oberbefehl in Africa.305 Die Ursache war der sich abzeichnende Sieg gegen Karthago. Das zentrale Thema in Livius’ Schilderung des Konflikts waren die Auswirkungen des ungezügelten Ruhmesstrebens eines Magistraten auf das System der Republik. Ihm zufolge löste die Aussicht, den Krieg zu beenden, die außerordentliche Ruhmesgier306 und die Bereitschaft aus, wider die Konvention notfalls die Entscheidung vom Volk ohne Konsultation des

302 Liv. XXII 25,18–26,1 f.: Is iuvenis, ut primum ex eo genere quaestus pecunia a patre relicta animos ad spem liberalioris fortunae fecit, togaque et forum placuere, proclamando pro sordidis hominibus causisque adversus rem et famam bonorum primum in notitiam populi, deinde ad honores pervenit […]. S. ferner 34,2. Val. Max. III 4,4; V 4,5 (zur Herkunft); Dio XIV 57,24; Zon. IX 1; bes. aber Plut. Fabius 14,1 f. 303 Zur Masse expressis verbis Liv. XXII 25,17. 304 Liv. XXII 34,2. 305 Liv. XXX 27,2; 40,7. Den politischen Ehrgeiz, der sie umtrieb, hat Livius semantisch verdeutlicht: Er stellt fest, die Consuln des Jahres 202 seien cupientes, und Lentulus, der Consul, des Jahres 201 cupiditate flagrabat. 306 Liv. XXVIII 40,1: […] ipse nulla iam modica gloria contentus […]. Eine womöglich günstigere Motivation nimmt Plut. Fabius 25,1 an, der behauptet, das Volk habe von Scipio eine gewaltige Tat verlangt und er habe diesem Wunsch Genüge tun wollen. Für die Bewertung der Episode bei anderen Autoren s. u.

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Senats fällen zu lassen.307 Der Senat war nach Livius’ Schilderung in Befürworter und Widersacher Scipios gespalten. Während sich seine Gegner auf den mos maiorum stützten, war aber auch ein Teil des Senats von ambitio erfasst und neigte aus Sorge um die Karriere anfangs keiner Entscheidung zu.308 In den Auseinandersetzungen über den Oberbefehl zur Beendigung des II. Punischen Krieges, als sich nach dem Sieg bei Metaurus der metus hostilis angesichts der militärischen Lage abgeschwächt hatte, trat ein Muster zutage, das schon vom Anfang des Krieges bekannt war und damals zu katastrophalen Fehlentscheidungen geführt hatte: das Aufbrechen von innerer Zwietracht, bedingt durch die Interessen einzelner Personen oder ganzer Gruppen, bei nachlassendem äußeren Druck. Alle Aspiranten waren von dem gleichen Motiv, der Vergrößerung ihres Prestiges, geleitet, zerstörten den Konsens in der Nobilität und ließen sich teils zu militärisch fragwürdigen Operationen hinreißen. Insgesamt jedoch blieben bei den Auseinandersetzungen um die prestigeträchtigen Kommanden gegen Hannibal Autorität und Einfluss des Senats als zentrales Entscheidungsorgan der res publica ebenso wie die Kohärenz der Nobilität bei allen Verwerfungen und Auflösungserscheinungen letztlich – noch – gewahrt.309 d) Zusammenfassung Zwischen der militärischen Lage und den innenpolitischen Verhältnissen zieht Livius in seiner Darstellung des II. Punischen Kriegs eine enge Verbindung. Bis zu den schweren Niederlagen bei Cannae und beim Trasimenischen See dauerten bereits in der Vorkriegszeit ausgebrochene Konflikte an, die aus Rivalitäten innerhalb der Nobilität herrührten, oder entstanden neu angesichts der mit Kriegsbeginn zu treffenden Entscheidungen über die Strategie und die Zuteilung der Kommanden. Danach trat eine Phase der Konsolidierung ein, in der erfolgreich die Lehren aus den zurückliegenden Desastern gezogen und die lähmenden Konflikte im Senat beendet wurden, so dass durch die Kooperation aller Gruppierungen der Bürgerschaft die Römer mit immer größerem Erfolg ihren Gegnern gegenübertraten. Ausschlaggebend für die Eintracht, die Garantin des Aufschwungs, aber war allein die Gefahr einer Niederlage und des Zerfalls des Staates. Den Abschluss dieses Abschnittes bildete die Schlacht am Metaurus im Jahre 207, als die Römer nach langem Zweifeln an den endgültigen Durchbruch glaubten.310 In der dritten Phase des Krieges, die bis zum Sieg Scipios bei Zama reichte, verstärkten sich hingegen die Dekadenzphänomene wieder. Sie entstanden durch den Verlust des metus hostilis und erinnerten an die Vorkriegszeit, namentlich die impietas, wie sie Pleminius sich zuschulden kommen ließ, der Verlust an Disziplin beim Heer und die ambitio und 307 Liv. XXVIII 38,12; 40,2. Zum Charisma XXVI 19,1–9. Den Glauben des Volkes suchte Scipio absichtsvoll zu stärken und politisch zu aktivieren (19,8: His miraculis nunquam ab ipso elusa fides est; quin potius aucta arte quadam nec abnuendi tale quicquam nec palam adfirmandi). 308 Liv. XXVIII 40,2, mit den Motiven metus und ambitio. 309 Den Einfluss der Feldherren spielt herunter Levene 2010: 300–316, bes. 315 f. 310 Liv. XXVII 51,10.

7. Ein Wendepunkt der römischen Geschichte? Die III. Dekade

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discordia der Feldherren, die sich im Kampf um Prestige, in Auseinandersetzungen um Oberkommanden niederschlug. All dies zeigt, dass der metus hostilis, ungeachtet apologetischer Tendenzen des Livius311 und der schroffen Gegenüberstellung römischer Sittlichkeit und karthagischer Falschheit, das entscheidende Movens des politischen Handelns während des II. Punischen Krieges war. Der Patriotismus in Rom war in diesem Zeitraum lediglich ein Kalkül.312 Über die gesamten Wechselfälle des Kriegs hinweg erwies sich der Senat als wichtigste Stütze des Staates, während das Volk bei allem Durchhaltevermögen ein ums andere Mal seine mangelnde Regimentsfähigkeit unter Beweis stellte und die führenden Vertreter der Senatsaristokratie, abgesehen von Principes wie Fabius, Aemilius Paullus und Marcellus, sich in Konkurrenzkämpfen gegenseitig aufrieben. Die Ständekämpfe gehörten für Livius weitgehend der Vergangenheit an. Lediglich bei Konflikten innerhalb der Nobilität dienen sie als Ressource im Machtkampf. Was das Narrativ prägt, sind die Auseinandersetzungen innerhalb der Senatsaristokratie, zwischen dem Senat als Organ und ambitionierten Magistraten oder zwischen Magistraten, während der Senat in den Hintergrund rückt. Die Fehler und Tugenden der Feldherren sowie die sich wiederholenden Schlagwörter der politischen Rhetorik kleidet Livius in stets gleiche Formeln und unterstreicht so die grundsätzliche Bedeutung und den inneren Zusammenhang der Episoden, ihren Rang als exempla. In den gegensätzlichen Consulpaaren stehen sich dabei temeritas und prudentia sowie consilium gegenüber. Stets drapierten die auf den Fortgang ihrer Karriere bedachten Feldherren oder Magistrate ihre Handlungsweise mit dem Gemeinwohl oder der militärischen Lage. Die Streitfälle um die Kommanden zeigen die verheerenden Folgen innenpolitischer Konflikte für die Sicherheit des Staates aus einer neuen Perspektive. Insgesamt ist deutlich: Auch in der Phase des II. Punischen Krieges blieb für Livius die innere Stabilität der res publica fragil. Der Versuch, Individualinteressen durchzusetzen, ist eine kontinuierliche Gefahr für den Bestand des Staates. Erst in der existentiellen Krise konsolidierten sich die maßgeblichen Kräfte. Diese Einigkeit hielt aber nicht einmal bis zum siegreichen Ausgang des Krieges vor. Mit dem sich abzeichnenden Sieg kehrten die Rivalitäten um Prestige wieder in die römische Innenpolitik zurück. Es wirkten die gleichen Mechanismen wie in der I. Dekade.

311 Näheres bei Porod 1989: 208. 312 Generell verkannt bei Mineo 2006.

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8. DER AUFSTIEG ZUM WELTREICH. DIE DEKADEN IV UND V a) Einleitung Die IV. Dekade ist ein weiterer historischer Einschnitt in Livius’ Narrativ.313 Das Binnenprooemium zum XXXI. Buch ordnet den nun beginnenden II. Makedonischen Krieg als Spätfolge des Krieges gegen Hannibal ein.314 Mit diesem Konflikt lässt Livius Rom in eine neue Phase seiner Geschichte eintreten. Für ihn ist offensichtlich, dass nach dem Sieg über Makedonien dessen im Prooemium angedeutete Vormachtstellung auf Rom übergehen werde.315 Die auswärtigen Verwicklungen Roms schildert er als eine nahezu ununterbrochene Kette von Kriegen.316 Er rechtfertigt sie als bella iusta, die nicht der Ausdehnung der römischen Macht, sondern dem Schutz der Bundesgenossen317 oder der Sicherung der griechischen Freiheit gedient hätten.318 Die Einbeziehung Roms in die Verhältnisse der griechischen Staatenwelt, die in der IV. und V. Dekade geschildert werden, verändert das Narrativ. In den Mittelpunkt rücken Roms Stellung als Großmacht und die dazugehörigen Probleme durch die diplomatischen Verwicklungen und die Kriege. Jetzt berührt Livius 313 Liv. XXXI 1,1 f. – In der Livius-Forschung sind die Dekaden IV und V gegenüber dem II. Punischen Krieg und erst recht der Zeit der Ständekämpfe weniger beachtet worden. Für eine Struktur s. Kern 1960. Briscoe 1982 bietet unter dem Titel „Livius und die senatorische Politik“ lediglich eine Übersicht über die Beziehungen innerhalb der Senatsaristokratie für den Zeitraum, den dieser Teil der Ab urbe condita abdeckt. Doch sind seine Ausführungen nur für eine historische Beschäftigung brauchbar, nicht für eine Auseinandersetzung mit der livianischen Historiographie, die einen anderen Zugriff auf die Politik pflegt als etwa eine moderne Konstellationsforschung. Vergleichbares gilt für die Rekonstruktion der Gesetzgebungsaktivitäten bei Ferrary 2003. Für eine eher allgemein gehaltene Einführung s. Walbank 1971. Für die hier verfolgten Untersuchungsziele in der Regel wenig ergiebig auch die kommentierende Erschließung von Briscoe 1973; 1981; 2008 sowie Walsh 1992; 1993. Mineo 2006: 314–336 hat diese Epoche nach der Hochphase des II. Punischen Kriegs als Beginn des Abstiegs identifiziert, ist dabei aber, wie auch sonst, zu schematisch vorgegangen, lediglich zentrale Themen der Politik katalogisierend, so dass, weil er auf eine Analyse der Akteure sowie deren Strategien und Erfolge verzichtet, die Stellung der IV. und V. Dekade in Livius’ Geschichtswerk überhaupt nicht deutlich werden. 314 Liv. XXXI 1,6. 315 S. auch Liv. XXXVI 17,14–16: Der Sieg über die ditissima regna des Ostens hält als Prämie die Weltherrschaft bereit. 316 S. auch Hoch 1951: 81 spricht von einer „organische[n] Entwicklung“: „Fast unauffällig ergibt sich eins aus dem andern“. 317 S. bes. die Ansprache des Marcius Philippus an seine Truppen (Liv. XLIV 1,9–12) über die Gründe für den Krieg, pietas und fides der Römer im Einsatz für die iura und die Verteidigung der Bundesgenossen; s. auch XLV 8,1–6 (Aemilius Paullus an Perseus). Zu Livius’ Behandlung der Kriegsursachen s. Hoch 1951: 75–78; Briscoe 1973: 39–47. Für das Motiv der Rache für die Beteiligung Makedoniens am II. Punischen Krieg s. Pompeius Trogus (= Iust. XXX 1,1– 2,6); Flor. I 23,2–5; Zon. IX 15. 318 Hierzu Liv. XXXIII 19,6–11; vgl. Pol. XVIII 50,5–9; Diod. XXVIII 14. Weiteres bei Briscoe 1981: 30–32. Für Polybios s. Pédech 1964: 166–176 (mit einem Quellenvergleich 166). Zu diesem Komplex grundlegend Hoch 1951 und v. a. Petzold 1983. Die detaillierte Untersuchung von Livius’ Behandlung der Kriegsschuldfragen kann und muss hier nicht geleistet werden. Ihr gebührt ein besonderer Rahmen. Im Folgenden sollen nur einige charakteristische Tendenzen aufgezeigt werden.

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jenen Abschnitt der römischen Geschichte, den er als Beginn des Niedergangs angekündigt hatte und der von der Expansion Roms in den Osten bestimmt wurde. b) Politische Entwicklungen Eine neue Stufe in dem Dekadenzszenario nach der Eroberung von Syrakus bedeutete der Triumph des Cn. Manlius Vulso im Jahr 189. Mit seinem aus dem Feldzug zurückkehrenden, sittlich verwahrlosten Heer habe, so führt Livius aus, die in Rom fremde luxuria Einzug gehalten. Detailliert verzeichnet er die damals entstandenen Neuerungen und beschreibt die Anfänge des einsetzenden Wertewandels. Mit Blick auf die Zukunft erklärt er dieses Ereignis zum Ursprung einer Entwicklung, deren Höhepunkt erst in viel späterer Zeit erreicht worden sei. Wie Livius den Dekadenzprozess dann im Einzelnen weiterverfolgt hat, in den Jahrzehnten nach 167, ist wegen des schweren Überlieferungsverlustes nicht mehr nachvollziehbar.319 Er stellt jedoch fest, dass zu den Sitten der Späten Republik immer noch ein dramatischer Abstand bestanden habe.320 Tatsächlich trat Rom bei ihm, gestützt auf die Überlieferung, als Friedensmacht auf321 und war ein diplomatisches Zentrum322, so dass es den Ruf als Befreierin bei vielen griechischen Staaten323 oder als Schlichterin in inneren Angelegenheiten diverser Poleis324 erwarb. An vielen Erscheinungen in Politik und Alltag demonstriert Livius dennoch die Veränderungen, die eingetreten waren: das erstmalige Aufstellen von vergoldeten Statuen,325 Prozesse wegen Bereicherung,326 den Luxus bei Spielen.327 Auf der politischen Ebene verschärften sich die Konflikte innerhalb der Senatsaristokratie im Kampf um Einfluss und Prestige, um Ämter, Triumphe, Oberkommanden. Wie keine andere Episode aus der IV. und V. Dekade symbolisiert das Rededuell anlässlich des Streits um die Aufhebung 319 Liv. XXXIX 6,6–9: Neque ea sola infamiae erant, quae in provincia procul ab oculis facta narrabantur, sed ea etiam magis, quae in militibus eius quotidie aspiciebantur. Luxuriae enim peregrinae origo ab exercitu Asiatico invecta in urbem est. […] (9) Vix tamen illa quae tum conspiciebantur, semina erant futurae luxuriae. Hierzu bereits Calpurnius Piso (FRH 7 F 37, mit Kommentar). Aus der modernen Literatur s. Luce 1977: 270–275 und Briscoe 2008: 225–229. 320 Liv. XLIV 9,4. 321 Liv. XXX 2,1 f.; XXXIII 34,1–35,12 (Freiheitsmotiv) (vgl. jedoch Pol. XVIII 47 f.; Diod. XXVIII 13; Plut. Flamininus 12,4; 6–12; 13,1–3); XXXVII 52–54; XXXIX 5–7; XLV 17–18,8 (Makedonien und Illyrien); 20,4–25,13 (Rhodos); 26,11–15 (Illyrien); 29 (Makedonien). 322 Liv. XXXVIII 37 (Völker diesseits des Taurus); XXXIX 34; XLII 38,6 (thessalisches Koinon); XLIV 14,1–15,8; 19,6–14 (Ägypten; vgl. Pol. XXIX 2,1–4); XLV 13 (Antiochos, Masinissa); 42,1–4 (Gesandtschaft des Kotys); 44,4–21 (Prusias’ Nachsuchen um die Freundschaft Roms). 323 Liv. XXXI 15,10 f.; XXXIII 30,1 f.; XXXIV 22,4; 49,11; 41,3; XXXVI 31,5; XXXIX 25,11; XLV 18; 29 f. Für eine Paraphrase s. Hoch 1951: 86–90. In diesem historischen Abschnitt war die Zeit der Unterdrückung noch nicht gekommen; Einzelheiten hierzu bietet Petzold 1983: 244. Zum Imperialismus und der Imperialismuskritik gleich Näheres. 324 Liv. XXXIV 51,4–6; XXXIX 33 f.; 48,5; XL 20; XLI 17,6–10; 25. 325 Liv. XXXVIII 35,6. 326 Liv. XLII 1,6; 19,1; XLIII 16,2–16 (zu den Publicani, s. auch Cic. rep. VI 2; Val. Max. VI 5,3; vir. ill. 57,3). 327 Liv. XLIV 18,8; XLV 32,10.

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der lex Oppia im Jahr 195 den politisch-moralischen Wandel in dieser Epoche,328 in deren Verlauf der Volkstribun Valerius den vom Luxus infizierten Zeitgeist verkörpert, während Cato avaritia und luxuria zu den größten Bedrohungen für das bereits vom Sittenverfall betroffene Rom erklärt. Sichtbar wurde der Wandel, der sich in der res publica zutrug, auch in der lex Villia annalis, die zeigt, dass Regelungen bei der Ämterbewerbung für notwendig gehalten wurden, weil die seit jener Zeit offensichtlich stärker hervortretende ambitio der Kandidaten eingegrenzt werden sollte und die herkömmlichen, durch den mos maiorum fixierten Konventionen scheinbar nicht mehr genügten.329 Für die Intensivierung des Konkurrenzkampfs standen Unregelmäßigkeiten bei Wahlen und Verstöße gegen den mos maiorum. Der Konkurrenzkampf zwischen Vertretern der Senatsaristokratie beherrscht wie schon im II. Punischen Krieg auch die Dekaden IV und V. Im Zentrum steht wiederum die Auseinandersetzung um militärischen Ruhm. Die Konfliktfelder sind die Anträge auf Triumphe, Unregelmäßigkeiten bei Wahlen und Verstöße gegen den mos maiorum,330 die Methoden der Kriegsführung römischer Magistrate sowie der Umgang mit auswärtigen Völkern. Der römische Triumph war das entscheidende Instrument sowohl für die Inszenierung der Sieghaftigkeit des römischen Volkes als auch für die Selbstdarstellung der Feldherren.331 In der Registrierung der Triumphe zeichnet Livius Roms Expansion und seine Entwicklung zur Großmacht nach.332 Angesichts ihrer Bedeutung für das Prestige eines nobilis besaßen sie das Potential für die Entstehung von Zwie328 Liv. XXXIV 1,1–8,3. Eine Verbindung zum Fall von Syrakus lässt Livius Cato in dessen Debattenbeitrag ziehen (4,3–5). Für eine Diskussion der einschlägigen Belege zum Gesetz s. Sauerwein 1970: 40–46; Elster 2003: 217–220; Zanda 2011: 114–117; ferner auch Briscoe 1973: 39–43. Wie schon bei der Erzählung über die sextisch-licinischen Gesetze spricht Livius von einer parva res (1,1), der aber eine enorme politische Bedeutung innewohnte. S. außerdem Val. Max. IX 1,3; Zon. IX 17; vir. ill. 47,6; Oros. IV 20,11 sowie Sauerwein 1970: 57–66; Bleicken 1975: 184 f.; Elster 2003: 294–296. 329 Liv. XL 44,1, ohne den Zweck des Gesetzes zu erwähnen, der sich wohl von selbst verstand. Zum Problem der ambitio, auf das die lex geantwortet habe, s. Cic. Phil. 5,47. Weitere Stellen und Diskussion bei Elster 2003: 344–347. S. auch Livius’ Kommentar zur Consulatswahl des Jahres 193, bei der viele prominente Bewerber angetreten waren (XXXV 10,1–11): […] ambitio magis quam umquam […] (10,1). Für andere teils skandalöse Wahlen s. XXXVII 57; XXXIX 32,5–13; 40 f. 330 S. z. B. Liv. XXXIX 39. 331 Itgenshorst 2005: 89–147; 209–218; Hölkeskamp 2008: 103 f. – Wichtige Literatur zur Bedeutung des Triumphs für die politische Kultur Roms: Flaig 2003: 23–48; Itgenshorst 2005; Bastien 2007; Beard 2007; Hölkeskamp 2008, bes. 97–104; Östenberg 2009: bes. 189–261 für die mediale Repräsentation der pompae. 332 Zur systematisch-schematischen Behandlung der Triumphe bei Livius und ihrer Funktion: Phillips 1974: passim, bes. aber 272 f. und Itgenshorst 2005: 153–158. Zu den Triumphdebatten bei Livius s. bes.: Phillips 1974; Chaplin 2000: 140–156 (bes. zur argumentativen Berufung auf die Vergangenheit bei den Triumphdebatten im Senat); Itgenshorst 2005: 148–179 (widmet sich aus historischer Perspektive v. a. den rechtlichen Neuerungen und Problemen in den von Livius berichteten Genehmigungsverfahren); Pittenger 2008 (konzentriert sich auf die Binnenverhältnisse der Nobilität, soweit sie in den Triumphdebatten sichtbar werden, trennt jedoch nicht strikt zwischen den historischen Verhältnissen, wie sie mit geschichtswissenschaftlicher Zielsetzung aus dem Bericht des Livius eruiert werden können, und der Bewertung des Livius; naturgemäß

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tracht, wurde doch mit der Entscheidung über einen Antrag das Verhältnis eines Imperiumsträgers und eines Mitglieds des Senats zu seinen Standesgenossen in einer zwischen prinzipieller Gleichrangigkeit und Hierarchie changierenden politischen Ordnung ausgehandelt. Die entscheidende Instanz für die Bewilligung eines Triumphes war der Senat.333 Die ausführlichen Angaben zur in der pompa mitgeführten Beute illustrieren den Wandel, der Rom ergriff. Zugleich nahmen im Zuge der nun wieder ausbrechenden Kämpfe innerhalb der Nobilität, die in der korrumpierenden Dekadenz begründet waren, die Auseinandersetzungen um die Genehmigung von Triumphzügen sprunghaft zu. Im Mittelpunkt der Kontroversen, die bei der Antragstellung im Senat ausgefochten wurden, standen die militärischen Leistungen des Feldherrn, seine Pflichterfüllung gegenüber den Anordnungen des Senats, sein Verhältnis zu den Soldaten und die juristisch-moralische Bewertung der Umstände, unter denen er seine Siege errungen hatte. Damit aber wurde immer auch die Geltung des mos maiorum problematisiert. Neben innenpolitischen Verwerfungen thematisierten die zeitkritischen Niedergangsszenarien in Geschichtsschreibung und Philosophie des 1. Jh.s auch die Auswirkungen der römischen Expansion auf den Umgang besonders von Imperiumsträgern mit den unterworfenen oder verbündeten Völkern, teils aus deren Perspektive formuliert. Zu den Topoi der Kritik an Roms Außenpolitik gehören Habgier, Ausplünderung der Bevölkerung, ungerechte Herrschaftspraktiken, imperialistische Ambitionen, Grausamkeit in der Kriegsführung.334 Die Vorwürfe gegen Imperiumsträger gehören zwei Gruppen an. Zum einen galten sie der Missachtung von Anordnungen des Senats beim Einsatz der Streitmächte. Um Ruhm zu gewinnen, provozierten Statthalter Kriege gegen die Bevölkerung ihrer Provinz oder überschritten die Grenzen ihres Amtsbereiches ohne einen Auftrag des Senats. Zum anderen klagten die Provinzialen über rechtwidrige Ausbeutung, Plünderung oder Versklavung der Bevölkerung. Seit der Wende im II. Punischen Krieg berichtet Livius zunehmend von völkerrechtswidrigen, moralisch fragwürdigen und umstrittenen Übergriffen römischer (Pro-)Magistrate gegenüber fremden Völkern. Diese Magistrate gerieten unter Rechtfertigungsdruck vor dem Senat, wenn auswärtige Gesandtschaften Anklage gegen sie erhoben. Livius’ Erzählung zeigt, wie sich die korrumpierende Wirkung des griechisch-orientalischen Luxus und die militärische Vormachtstellung nicht durch rechtswidrige oder grausame Herrschaft des Senats als Institution, sondern nur durch das individuelle Handeln der Magistrate äußerte. Als Konsequenz aus weichen die Ergebnisse, die eine Analyse beider Ebenen hervorbringt, stark voneinander ab). Aus sachlichen Gründen ist ein prominenter Streitfall aus der I. Dekade hier mitbehandelt. 333 Zu seiner Rolle s. Itgenshorst 2005: 157 f.; 193–200. Bei einem genehmigten Triumph kam dann noch die Interaktion des Feldherrn mit den Soldaten und dem römischen Stadtvolk hinzu. 334 Grundlegende Stellen: Caes. Gall. VII 77,3–16, bes. 15 f. (Rede des Critognatus); Cic. off. II 27–29; Sall. Iug. 81,1 (Iugurtha im Gespräch mit Bocchus); hist. IV 69 (Brief des Mithridates an König Phraates III.); Pompeius Trogus = Iust. XXIX 3,1 (Illyrerkönig Demetrius warnt König Philipp von Makedonien vor den Römern); XXXVIII 4–7 (Feldherrn-Rede des Mithridates). Zur Literatur s. neben Fuchs 1938: 15–18; 42–48 v. a. die Topologie der Imperialismuskritik bei Volkmann 1975 sowie Burck 1982: 1151–1156; 1171–1176 (vornehmlich zu Livius).

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dieser Entwicklung wurde dann im Jahr 148 auf Betreiben des Consuls L. Calpurnius Piso Frugi ein ständiger Repetundengerichtshof eingesetzt.335 Die Verfehlungen der Magistrate referiert Livius in den topischen Formeln der Imperialismuskritik. Als Ursachen für ihr Vorgehen diagnostiziert er avaritia und superbia, resultierend aus der Gier der Feldherren und aus der Überlegenheit der römischen Besatzer bzw. Vormacht.336 Das gemeinsame Muster dieser Vorgänge war, dass die Statthalter und Feldherren die friedlichen und kooperationsbereiten Provinziale ohne Notwendigkeit angriffen oder ihre Rechte verletzten.337 c) Volk und Volkstribunat Das Volkstribunat hatte sich in der III. und IV. Dekade von seinen Anfängen im Ständekampf als Schutzmacht gegenüber den Patriziern längst emanzipiert. Die plebeische Elite hatte ihre Ziele erreicht, und die zufriedenstellende soziale Lage338 des Volkes beseitigte den Sprengstoff für innenpolitische Kämpfe. Trotz alledem trat das Kollegium der Volkstribunen nicht immer geschlossen auf.339 Für Livius’ grundsätzliches Verständnis der innenpolitischen Konstellation kommt der Entscheidung über den II. Makedonischen Krieg eine bedeutende Rolle zu. Hier erhebt er angesichts der Agitation des Volkstribunen Q. Baebius bei der Abstimmung über den Krieg gegen König Philipp den aus Zeiten des Klassenkampfes herrührenden Vorwurf, die Volkstribunen hätten die Erschöpfung des Volkes nach dem II. Punischen Krieg ausgenutzt, um die Senatoren zu beschuldigen, sie hielten das Volk aus taktischen Gründen unter ständiger Anspannung. Damit griffen sie, so stellt er fest, auf eine via antiqua zurück, auf ein altes, aber scheinbar noch

335 Wie Livius dieses Ereignis bewertete, das in der jüngeren Annalistik bisweilen als Wendepunkt der römischen Geschichte figurierte, lässt sich aus den Periochen nicht erschließen, die für das Jahr nur außenpolitische und militärgeschichtliche Ereignisse referieren. Zum Gesetz des Piso s. Richardson 1987, der zeigt, dass das Gesetz nur dem Schutz römischer Bürger vor der Willkür der Promagistrate galt und erst mit einem Gesetz Sullas die Rechte der Provinzialen geschützt wurden. So auch Elster 2003: 418–422 (mit ausführlicher Literatur). 336 Avaritia und superbia: Liv. XXXVIII 45 f. (über Manlius’ Kriegsführung gegen die griechischen Kelten) XLIII 2,2; 4,5 (avaritia); 7,8; Grausamkeit, teils kombiniert mit caedes und rapinae: P. Licinius Crassus; C. Lucretius Gallus; L. Hortensius – nach perioch. XLIII; sowie XLIII 5; 6; 7,4 (Kriegsführung diverser Magistrate in Griechenland und in Ligurien). 337 Liv. XXXIX 3,2 f. M. Furius und sein Vorgehen gegen die Cenomanen in Friedenszeiten, denen er die Waffen wegnahm, um einen Krieg auszulösen); XLIII 4,8–12 (Erstürmung Abderas durch Truppen des L. Hortensius). 338 Für Landassignationen an Veteranen oder Koloniegründungen s. Liv. XXXI 4,1–3; 49,4 f.; XXXII 1,6; XXXIV 45,1–5; 53, 1–3; XXXVII 47,1 f.; XXXIX 44,10; 55,5 f.; XL 29,1 f.; 29,12; 43,1; XLI 13,5; XLII 4,3 f. – In der Debatte über den Triumph des Cn. Manlius Vulso konnte Livius folgerichtig den Feldherrn ausrufen lassen, die Tribunen hätten ihre frühere Gehässigkeit verloren (XXXVIII 47,1), eine Bemerkung, die allerdings auch einem konkreten rhetorischen Zweck diente, der Diskreditierung seiner Gegner aus der Nobilität. 339 S. z. B. Liv. XXXVIII 36,7–9; XLI 6,1–3 oder die Triumphdebatten.

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immer wirksames Mittel.340 In der Centuriatsversammlung wurde die Entscheidung über den Krieg zu einer Frage über die Wahrung der fides gegenüber den römischen Bundesgenossen stilisiert.341 Die Formulierung via antiqua signalisiert, dass der Dualismus von Volk und Senat trotz der Integration der plebeischen Elite noch immer existierte, die seit der Frühen Republik bestehenden Fronten ihre Geltung behielten und Plebs und Senat weiterhin gegeneinander ausgespielt werden konnten. Zumeist jedoch griffen die Tribunen in Konflikte ein, die zwischen Magistraten und dem Senat als Institution ausgetragen wurden oder sich als Hüter des mos maiorum und Verteidiger der res publica gerierten.342 Volkstribunen waren auch an Entscheidungen über Triumphe beteiligt.343 In diesen Fällen wandten sie sich bei Livius häufiger gegen den Beschluss eines Triumphes und traten als Wächter der Tradition oder von Rechtsnormen auf.344 Stießen sie auf den Widerstand der Senatsmehrheit, zogen sie ihre Interventionen zurück345 und gaben der Autorität der Väter nach.346 Auch waren sie beteiligt an der Verfolgung eigenmächtiger oder kriminell operierender Feldherren, die ihre politischen Ambitionen über das Staatsinteresse stellten.347 Des weiteren suchten sie Triumphe zu verhindern, die trotz mili340 Liv. XXXI 6,2–6. Zum Motiv der Bevölkerung s. 6,3: Id cum fessi diurnitate et gravitate belli sua sponte homines taedio periculorum laborumque fecerant. 341 Liv. XXXI 6,1. Die Senatoren sahen sowohl damnum als auch dedecus als Konsequenzen einer Ablehnung des Antrags (Liv. XXXI 6,6). Für die Rede des Consuls s. 7,2–15. 342 Zu den entsprechenden Aufgaben des Volkstribunats gemäß einer Rede des Gracchus s. Liv. XXXIX 5,2–5. S. z. B. die Intervention gegen die Bewerbung des Flamininus um ein Consulat wegen Verstoßes gegen die Annuität (XXXII 7,9–11; Plut. Flamininus 2,1 hat Livius’ Bericht, dem er ansonsten folgt, an einer entscheidenden Stelle abgeändert, wenn er weglässt, dass Senat und Volkstribunen schließlich im Einklang auftraten, und stattdessen schreibt, der Senat habe die Angelegenheit an das Volk übertragen), die Weiterleitung von Klagen einer Colonie ohne politischen Profilierungsversuch (XXXVI 3,4–6); Widerstand gegen die willkürliche Erweiterung des Amtsbereichs von Consuln (XXXII 28,1–8); Erzwingung der Ratifizierung eines Friedensvertrags gegen die Interessen des kriegführenden Magistraten (XXXIII 25,4–7; die Erwähnung dieser Intervention der Tribunen fehlt bei Polybios und scheint Livius’ eigenständige Erfindung zu sein; Pol. XVIII 42,2–4. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass er aber einer römischen Vorlage folgt). 343 Näheres s. u. unten sowie Liv. XXXII 7,4; XXXVI 39,6–40,10. 344 Über dieses Motiv grundsätzlich Oakley 2005(a) zu Liv. IX 33,5. 345 Liv. XXXII 7,4; XXXIII 22 f.; XXXV 8; XXXVI 39,6–40,10; XXXIX 4,3–5,5. S. hierzu ausführlich die folgenden Ausführungen. 346 Liv. X 37,6–12 (gegen Postumius Megellus); XXXI 20,1–7 (Einspruch des Ti. Sempronius Longus sogar gegen eine Ovatio); XXXV 8,9 (gegen L. Cornelius Merula) XXXIII 20,1–10; XXXVII 60,6 (geht hervor aus XXXVIII 47,5). Einen Sonderfall bildet die Intervention gegen P. Cornelius Scipio Nasica (XXXVI 39,3–40,10: Notwendigkeit der Rückkehr des Feldherrn ins Operationsgebiet). Ohne Angabe von Gründen verweigerten die Volkstribunen dem L. Manlius Acidinus im Jahr 198 die ihm vom Senat genehmigte Ovation (XXXII 7,4). S. ferner im Detail die folgenden Fallbeispiele. 347 Liv. XLIII 4,5 f.; 7,7–8,10; XLI 6,1–3 (Scheitern am Widerstand des Volkstribunen Q. Aelius). Im Zusammenhang mit dem Fall des C. Popilius s. XLII 21,1–4;22,1 f.; 7 f.). S. auch XXXVI 39,1–40,10. Für historische Informationen s. Walsh 1990: 117 f.; Itgenshorst 2005: 167–169; Pittenger 2008: 187–195. Treffend vermerkt Chaplin 2000: 115 f., wie ungewöhnlich sich die Argumentation des Volkstribunen gerade im Vergleich mit dem Fall des Furius Purpureo ausnimmt. Erstmals hatte ein Teil des Tribunenkollegiums in einer Senatsdebatte gegen den Antrag

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tärisch ungenügender Leistungen abgehalten werden sollten oder auf betrügerisch erhobenen Ansprüchen beruhten.348 Nachdem die Politik der Volkstribunen in der Frühen Republik regelmäßig die Verteidigungsfähigkeit des Staates gefährdet hatte, ließen sie nun Gelegenheiten zur Obstruktion verstreichen.349 Zu fundamentalen Verstößen gegen innenpolitischer Regeln setzten sie nur selten an.350 Allerdings waren auch Tribunen weniger von übergeordneten politischen Gesichtspunkten als von persönlichen Verbindungen geleitet351 oder instrumentalisierten ihren Status als Tribunen zur Sicherung ihres Prestiges als Patrone.352 d) Konflikte innerhalb der Nobilität Der Senat war die zentrale Instanz für die Genehmigung von Triumphen.353 In der Durchsetzung seiner Ansprüche verteidigte der Feldherr seine maiestas354, während der Senat als Kollektiv über die Forderungen eines seiner Mitglieder zu befinden hatte. Außer in drei Episoden der Frühzeit, die in den Kontext der Ständekämpfe gehören, sowie im Fall des als popular verfemten C. Flaminius führt Livius nirgends die Ablehnung eines Triumphes auf Missgunst oder Feindseligkeit des Senats als Ganzem gegenüber dem Feldherrn zurück.355 Obwohl die Entscheidungen in höchstem Maß politisch motiviert waren, referiert er, wenn er die Positionen von Teilen des Senats wiedergibt, zumeist nur rechtliche, auf der Vergangenheit, auf exempla beruhende Argumente und stilisiert ihn als eine für das gesamte Gemein-

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des Consuls Postumius Megellus interveniert, der im Jahr 294 kraft seines Imperiums einen Triumph abhalten wollte, nachdem er zuvor wegen angeblicher taktischer Fehler, Missachtung der Anordnungen des Senats und auch wegen privater Motive von Senatoren, die ihm die Zustimmung verweigerten, auf Ablehnung gestoßen war (X 37,6–12. Zu dieser Begebenheit s. Oakley 2005(b): 373–377 und Itgenshorst 2005: 159 f. Zur Berufung auf das imperium s. 37,8. Ausdrücklich wandten sich die Volkstribunen gegen ein novum exemplum (37,9). S. ferner VI 42,8. XXXIII 22 f.). Liv. XXXIII 22,1–10; 35,8 (Unterstützung für den intervenierenden Consul Metellus gegen Cornelius Merula); XXXVIII 47,5 (gegen einen Seetriumph für den Praetor des Jahres 188, Q. Fabius Labeo; der Einspruch war erfolglos: XXXVII 60,6). Liv. XL 29,3–13. Liv. XLV 21. Liv. XXXIX 4,3–5,6. Walsh 1994: 110–114. Hier wird auf Klagen über die Amtsführung der Volkstribunen aus der Zeit der Ständekämpfe zurückgegriffen (s. o.). Hier allerdings kämpften die Tribunen nicht mehr für ihre eigene Karriere, sondern für die eines Consuln. Liv. XLIII 16. Die Parallelberichte heben v. a. auf die Loyalität des Censors Gracchus zu seinem Collegen ab; s. Cic. rep. VI 9; Val. Max. VI 5,3 (hier heißt der Volkstribun P. Popillius); Plut. Ti. Gracchus 1,1; 14,3. Hierzu Itgenshorst 2005: 154. Hierzu bes. Liv. X 37,8. Postumius, Marcius Rutilus (hierzu s. u.), Valerius und Horatius. Nach der Beseitigung des Decemvirats untersagten die Senatoren Valerius und Horatius, den populären Consuln, einen Triumph, weil sie glaubten, nicht über die Feinde, sondern über sie solle ein Sieg gefeiert werden, und legten Protest gegen eine Abstimmung in der Volksversammlung ein, die von den Volkstribunen einberufen wurde und für den Triumph votierte (Liv. III 63,7–10).

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wesen verantwortliche, von Intrigen weitgehend freie Institution, deren Entscheidungen ohne Willkür getroffen werden.356 Friktionen innerhalb des Senats brachen nur bei Anträgen auf, bei denen keine Einigkeit darüber bestand, wie streng historisch gewachsene Konventionen zu beachten seien.357 Bei anderen Anträgen herrschte über die Wahrung des durch eine Genehmigung womöglich in Frage gestellten mos maiorum wiederum Konsens.358 Besonders politisiert waren die von Ressentiments und Missgunst geleiteten Einsprüche von Legaten gegen die Ambitionen ihrer Feldherrn, deren Bemühungen um einen Triumph sie mit Klagen über militärische Fehlentscheidungen zu hintertreiben suchten.359 Der Triumph bot auch Anlass für die unmittelbare Austragung von persönlichen Feindschaften360 sowie die Instrumentalisierung von Volk und Heer für politische Auseinandersetzungen innerhalb der Nobilität mit demagogischen Parolen.361 Hier zeigt Livius die grundsätzliche Gefährlichkeit der Demagogie wie auch der psychologischen Disposition der Masse auf. Einerseits bot sich die durch die Aussicht auf Geldgeschenke leicht korrumpierbare Plebs als ein mühelos handzuhabendes Instrument in den politischen Kampagnen der Nobilität an. Andererseits besaßen die Erwartungen der Soldaten an den Feldherrn einen potentiellen Einfluss auf die Führung des Heeres. Bei der Ausübung seines Kommandos konnte ein ambitionierter und auf einen Triumph bedachter Feldherr sich veranlasst fühlen, sich auf den Tauschhandel – honor gegen Donativ oder lasche Disziplin – einzulassen. Während des sittlichen Niedergangs, der nach Livius seit der Expansion Roms in den Osten an Geschwindigkeit gewann, war das, wie die Ab urbe condita bei mehreren Gelegenheiten zeigen, tatsächlich eine ernsthafte Option. Mit dem römischen Ausgreifen in den östlichen Mittelmeerraum eröffnete sich Livius’ Erzählung über der Form der Kriegführung ambitionierter Feldherren und dem Senat als gestaltendem Zentrum einer dem Ideal der fides verpflichteten Außenpolitik ein neues Konfliktfeld. Magistraten wurden alle topischen Vergehen der imperialismuskritischen Publizistik zur Last gelegt (rapinae, servitus, sacrilegium): die Plünderung und Zerstörung der Stadt, der Verkauf von Kindern und Frauen in die Sklaverei und der Diebstahl der Götterbilder. Auch hier kam es zur Instrumentalisierung von Fällen für politische Zwecke und die Austragung von politischen Auseinandersetzungen in Gerichtsverfahren.362 Zumeist wurde den Provinzialen vom Senat das verlorene Eigentum restituiert und ein Prozess gegen den Magistra-

356 Zur Flexibilität s. Chaplin 2000. Das gilt besonders für das Gesuch des Furius Purpureo, der sich wie sein Opponent Cotta auf das Vorbild der Geschichte berief. 357 Zu Marcellus s. Liv. XXVI 21,1–10; zu Furius XXXI 49,10; zu Manlius XXXVIII 50,3. 358 So bei P. Cornelius Scipio (Liv. XXVIII 38,2–5); L. Cornelius Lentulus (XXXI 20); L. Manlius Acidinus (hatte als Privatmann gefochten) (XXXII 7,4); M. Helvius Blasio (XXXIV 10,3–5). 359 Liv. XXXV 4 f. 360 Liv. XXXIX 4 mit Chaplin 2000: 154 und Itgenshorst 2005: 173–175. Zur Rivalität zwischen Aemilius Lepidus und Fulvius Nobilior s. Pittenger 2008: 196–199. 361 Liv. XLV 35. 362 Liv. XXXVIII 43,1–44,6.

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ten angestrengt.363 Auch zog der Senat Aufgaben der Provinzverwaltung an sich, um die Bevölkerung vor dem Fehlverhalten von Statthaltern zu bewahren.364 Zur Untersuchung von Vorwürfen wurden Senatsgesandtschaften in die Provinz geschickt.365 Anmaßung der Feldherren gestattete der Senat nicht, sondern ließ sich betont vom Grundsatz traditionell gepflegter Milde in der Provinzverwaltung leiten. Von dem Vorgehen des M. Furius gegen die Cenomanen und der Erstürmung der Stadt Abdera durch L. Hortensius abgesehen, wurden keine ungerechten Kriege angezettelt.366 Episoden, die die Fürsorge des Senats für die Provinzialen dokumentieren, behandelt Livius ausführlich.367 Das Motiv, das die Senatoren bewegte, war auf einer grundsätzlichen Ebene der Verstoß gegen die fides, dessen sich der Consul schuldig gemacht hatte, dann aber auch die pragmatische Erwägung, dass sich die Gegner künftig nicht mehr leicht zu einer Kapitulation entschließen würden.368 Neben völkerrechtlich-politischen Prinzipien zählte auch die Observanz der religiöser Verpflichtungen zu den Kriterien des Senats bei der Beurteilung des Umgangs von Feldherren mit auswärtigen Völkern, die wegen Religionsfrevel Beschwerden einreichten.369 Die Schonung der Provinzialen stellt Livius als ein Bekenntnis vorrangig des Senats zur clementia dar, die Roms Außenpolitik leitete.370 363 Liv. XLIII 2: Anklagen einer spanischen Gesandtschaft gegen die avaritia und superbia römischer Beamte, die unberechtigte Geldforderungen erhoben hätten. Livius bezeichnet die Vorwürfe als zutreffend, s. perioch. XLIII (P. Licinius Crassus wegen der Behandlung der Bevölkerung von Koroneia und anderer griechischer Städte). Die Angeklagten wählten vor der drohenden Verurteilung teils das Exil, wurden teils aber auch freigesprochen (ita praeteritis silentio oblitteratis); 4,5 (Abderiten); 5,1–10 (wohlwollender Empfang der Gallier, Histrier und Iapyiden im Senat; die Verhandlung gegen den attackierten Consul C. Cassius musste wegen dessen Abwesenheit einstweilen aufgeschoben werden); 7,8–8,10 (gegen Lucretius und Hortensius). S. ferner die Reaktion auf die Klagen der Syrakusaner und Capuaner und den Fall des Q. Pleminius sowie den spektakulären Ausschluss des Consularen L. Flamininus aus dem Senat, Liv. XXXIX 42,5– 43,5 mit Briscoe 2008: 357–361, Walsh 1994: 158 f. Das Vorgehen Catos galt als prominentes Beispiel für die Härte seiner Amtsführung als Zensor; s. hierzu Cic. de or. I 171; III 135; rep. II 1; Nep. Cato 2,3–3,2; Val. Max. III 7,7; VIII 7,1; Plut. Cato Maior 15,1–16,8. 364 Liv. XLIII 2,12. S. auch die Eroberung von Syrakus. 365 Liv. XLIII 11,2 f. S. auch den Fall des Pleminius. 366 Die beeindruckende Liste mit angeblich von römischer Aggressivität verschuldeten Kriegen bei Burck 1982: 1182 f. hält einer Überprüfung nicht stand; in der überwiegenden Anzahl der dort genannten Fälle führt Livius den Krieg ausdrücklich auf die Aggressionen der Feinde zurück. 367 Zu Cn. Fulvius: Liv. XXXVIII 43,1–44,6 mit Briscoe 2008: 153–156, zu den anderen Fällen s. gleich Näheres. 368 Liv. XLII 8. 369 Liv. XXIX 8,8–11; für Details s. 6: superbia, crudelitas; 7: scelus, avaritia; 9,11: lubido, avaritia; 17,4; 17,18: libido, avaritia. Für Livius’ Behandlung der Episode s. ferner Burck 1981(a). Aus sachlichen Gründen wird diese Affäre, die nach dem Umschwung im II. Punischen Krieg eintrat und den sich seither häufenden Verfehlungen der Römer, hier thematisiert. Zum bekannten Fall des Pleminius s. XXIX 8,6–9; 12; 16,4–18,20, bes. der Vorwurf wegen ambitio und neglegentia 16,5; 19–22 (Angriff des Fabius auf Scipio und Wiedergutmachung, bes. 19,3–9; 11–13). S. außerdem Liv. XLII 3. 370 Liv. XXXII 12,7: Flamininus über die römische clementia.

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Allerdings konnten persönliche Beziehungen die konsequente Verfolgung eigenmächtiger Magistrate durch den Senat verhindern und so die Grenzen von dessen Durchgriffsmöglichkeiten aufzeigen.371 Einflussreiche Feldherren wie Scipio genossen auch die Deckung größerer Teile des Senats.372 Ebenfalls ein Problem bildete die Überschreitung von Kompetenzen.373 In allen Fällen schritt der Senat in Livius’ Erzählung drastisch ein und zog Magistraten für ihr Fehlverhalten zur Rechenschaft: für eigenmächtig begonnene Kriege374 und die Übernahme hoher Risiken375, oder willkürliche Überschreitung von Kompetenzen bei der Gerichtsbarkeit und grausame Verstöße gegen die fides.376 e) Zusammenfassung Die Analyse der innenpolitischen Auseinandersetzungen seit dem II. Punischen Krieg in Livius’ Ab urbe condita liefert keine Anzeichen für einen dramatischen Sittenverfall in jener Epoche. Im Mittelpunkt aller Auseinandersetzungen stand der Triumph. Die Zahl der aus plausiblen Gründen abgelehnten Anträge, aber auch die Austragung persönlicher Konflikte deutet jedoch nach den bislang zumeist im Konsens genehmigten Triumphzügen der Frühen Republik auf den zunehmenden Einfluss der ambitio innerhalb der Nobilität hin. Dass jedoch nur wenige Feldherrn mit ihren Forderungen scheiterten, ist ein Indiz für die hohe Geschlossenheit in der Senatsaristokratie. Weitgehend fielen Ablehnungen einhellig aus. Für Livius traf der Senat in Triumphangelegenheiten keine fragwürdigen Entscheidungen. Aus nichtmilitärischen Gründen scheiterten am Senat allein der traditionell als von seinen Standesgenossen isoliert geltende C. Flaminius und Q. Minucius Rufus, dessen Leistungen an die seines erfolgreichen Collegen heranreichten. Die einzige Initiative zur Ablehnung eines Antrags, der sich als problematisch erweisen sollte, ging vom Senat bei Furius Purpureo aus. Hier bestand sichtlich keine Einigkeit über die bei der Entscheidung anzulegenden Kriterien, den Erfolg des Feldherrn oder sein vom mos maiorum abweichendes Verhalten. Während Volkstribunen nur dreimal Feldherrn aus politischen Erwägungen angriffen, L. Manlius Acidinus, P. Scipio Nasica und M. Fulvius Nobilior, sich sonst jedoch auf sachliche Gesichtspunkte beschränkten und im Zweifelsfall vor der Autorität der Senatoren zurückwichen, waren die Einsprüche der Legaten oder Collegen allesamt von Rivalität oder persönlichem Ressentiment geprägt. Diese Intrigen bleiben jedoch stets erfolglos. Die 371 Hierzu Liv. XLII 22,4–7. Dass Popilius dank der Machenschaften seiner Freunde nicht verurteilt wurde, hält Livius ausdrücklich fest (22,7: arte). 372 Dies illustriert die Unterstützung für Scipio, der sich in der Affäre um Pleminius einer Untersuchung zu stellen hatte; hierzu s. o. S. 148, Anm. 369. 373 Liv. XLII 7,4–9; XLIII 4,5; 4,8–12. 374 Liv. XLI 1–5; 7,4–10. 375 Liv. XLIII 1,4–12. 376 S. z. B. das Verbrechen des L. Flamininus (S. 148, Anm. 363) auf dem gallischen Kriegsschauplatz. Zur Unterhaltung seines Lustknabens tötete er einen Überläufer der Boier, der sich unter der Zusicherung von Schutz zu ihm begeben hatte. Nach Livius hätte ihn nicht einmal sein Bruder Ti. Flamininus, wäre er Zensor gewesen, im Senat halten können.

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Volkstribunen setzten hingegen in der Regel auf das Einvernehmen mit dem Senat. Umstrittene, aber letztlich positive Bescheide, die sichtbar machten, dass innerhalb des Senats verschiedene Strömungen bestanden, waren die Triumphe für L. Furius Purpureo und Cn. Manlius Vulso. Einen Sonderfall bildete die Kontroverse um den Triumph des L. Aemilius Paullus. Das hohe Prestige eines Triumphes führte mehrfach zu Fehlverhalten oder zumindest umstrittenem Agieren der Feldherrn, beispielsweise Überschreitung von Kompetenzen, Widersetzlichkeit gegen Vorgesetzte, grundlose Entfesselung eines Krieges.377 Manche besaßen die Chuzpe, Anträge zu stellen, obwohl ihre militärische Leistung eine Auszeichnung keineswegs rechtfertigte. Mit Spott wurde in Rom die Ruhmredigkeit und das hartnäckige Verlangen L. Scipios nach einem Triumph für seine Erfolge im Krieg gegen Antiochos registriert, und selbst Livius vermerkt mit Humor, den Göttern sei größtmögliche Ehre zuteil geworden, weil sie den Sieg für die Römer so leicht gemacht hätten.378 Im Jahr 180 wurde M. Fulvius Nobilior ein zweiter Triumph weniger wegen seiner militärischen Leistungen als wegen seiner Beliebtheit gewährt, ein völlig unbedeutendes Ereignis, wie Livius festhält.379 Für eine Landverteilung an Ligurer, die einen Krieg vermeiden sollte, wurden im gleichen Jahr erstmals, wie Livius festhält, zwei Consuln, P. Cornelius Cethegus und M. Baebius Tamphilus, ein Triumph ohne eine Kampfhandlung gewährt.380 Nur einmal jedoch, im Fall des Furius Purpureo, fiel die Entscheidung in unbestreitbarem Widerspruch zum mos maiorum. Gegen die fragwürdigen Ambitionen von Feldherren hebt sich positiv ab, dass trotz der verschärften Konkurrenz immerhin sechs Aspiranten auf einen Triumph ihren Verzicht erklärten, dass in den Jahren 206 und 197 zwei Consuln sich bei ihrem Antrag zusammenschlossen und dass im Jahr 196 der Consul M. Claudius Marcellus großzügig seinem Collegen L. Furius Purpureo einen Triumph überließ, den er auch selbst hätte beanspruchen können.381 Trotz der sichtbaren Anzeichen für einen Wandel der politischen Kultur in Rom blieben doch die Integration der Nobilität und der mos maiorum in der Bewährungsprobe der Auseinandersetzungen um Triumphe weitgehend intakt.382 Die Exzesse römischer Magistrate bei der Kriegsführung und bei der Provinzverwaltung wurden, sofern sich die erhobenen Vorwürfe als zutreffend erwiesen, vom Senat konsequent geahndet. Exemplarisch zeigt Livius aber auch die Instrumentalisierung von Anklagen gegen Imperiumsträger durch Mitglieder der Senatsaristokratie auf. Das römische Eingreifen in die Verhältnisse des östlichen Mittelmeerraums deutet er nicht als Ausdruck imperialistischer Politik, sondern als bellum iustum, 377 Dazu gehört auch der Fall des Q. Fabius Labeo (Liv. XXXVII 60,2–7, bes. 2). 378 Liv. XXXVII 58,6–59,6. Für eine völlig konträre Einschätzung der Taten des L. Scipio s. Cic. Mur. 31. 379 Liv. XL 59,1–3. 380 Liv. XL 38; bes. 8 f. 381 Zu Marcellus und Fulvius s. Liv. XXXIII 37,10–12. S. auch die Kooperation der curulischen Aedilen C. Flaminius und M. Fulvius Nobilior bei der Verteilung von Getreide im gleichen Jahr (42,8). Schon in der Frühen Republik hatte ein Fabius aus Trauer über den Tod seines Bruders in der Schlacht einen Triumph ausgeschlagen (II 47,10 f.). 382 Dies gegen Mineo 2006: 325. Man erinnere sich auch an die drei umstrittenen Triumphe der Frühen Republik.

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eine aus außenpolitischen Zwängen geborene Intervention, die auf Bitten der Griechen erfolgt sei ohne politischen und strategischen Gewinn für Rom.383 Auch den von ihm als ideales Herrschaftsorgan der res publica angesehenen Senat entlastet er von allen imperialismuskritischen Vorwürfen und stilisiert ihn stattdessen zum Hüter einer gerechten, dem mos maiorum und den Interessen der Republik verpflichteten Außenpolitik, der Fehlverhalten der Magistrate regelmäßig sanktionierte. Die Ambivalenz der Zeit illustrieren Livius’ Bemerkungen zur Censur Catos im Jahr 184. Als dieser die Wiederherstellung der alten Sitten zum Ziel seiner Amtsführung erklärte, wurde er von jenen attackiert, die angesichts einer streng ausgeübten Censur um ihr Ansehen fürchteten, gewann jedoch mit der Ankündigung einer scharfen Amtsführung auch große Unterstützung. Ein Programm, das so unterschiedliche Reaktionen auslöste, traf offensichtlich den Nerv der Zeit.384 9. ZUSAMMENFASSUNG. DIE LEHREN DER AB URBE CONDITA UND DIE ZUKUNFT DER RES PUBLICA385 Livius’ Darstellung der Republik zeichnet ein alles andere als verklärendes Bild der römischen Politik. Für ihn war die Ordnung in Rom nie unangefochten, sondern drohte stets aus dem Gleichgewicht zu geraten. Livius’ Behandlung der Späten Republik ist nahezu vollständig verloren gegangen. Für eine, wenngleich methodisch heikle Annäherung an seine Darstellung der Epoche bieten sich zwei Ansätze. Zum lässt sich der Inhalt der übrigen Teile des Werkes über die Periochen rekonstruieren. Bei ihnen handelt es sich jedoch um ein eigenständiges Werk, dessen Autor sein Material zwar den Ab urbe condita entnommen hat, aber auch eigene inhaltliche Akzente setzt,386 so dass alle Rückschlüsse auf Livius’ Darstellung und Bewertung von Ereignissen wie Personen unter Vorbehalt stehen müssen. Zum anderen besteht die Frühzeit Roms in der Darstellung der Annalisten in ihren Grundzügen aus einer Projektion der Zeitgeschichte in die Vergangenheit. Aus dem bisherigen Verlauf der Geschichte, wie er in der Ab urbe condita erhalten ist, ließe sich dann hochrechnen, welchen Platz Livius dem Zeitalter der Bürgerkriege in seiner Konzeption der römischen Geschichte zuweist.387 383 Das Thema der Interaktion Roms mit auswärtigen Mächten kann hier nicht weiter verfolgt werden, weil stattdessen das Zustandekommen politischer Entscheidungen durch Kooperation und Obstruktion der verschiedenen Gruppen in der res publica, d. h. die Verhältnisse in der römischen Innenpolitik, analysiert werden soll. Verwiesen sei auf Hoch 1951; Erb 1963; Petzold 1940 und 1983. 384 Liv. XXXIX 40. 385 Für einige Vorüberlegungen s. Steffensen 2009: 141–147. 386 Chaplin 2010 und jetzt bes. Levene 2015: 313 f.; 325 f. sowie Bessone 2015: 428 f.; 432 f. 387 S. ferner das traditionelle, auch von Livius gebrauchte Verfahren der römischen Historiographie, das, wie eingangs erwähnt, im Großen und Ganzen zeitgeschichtliche Ereignisse, Probleme oder sonstige Konstellationen manipulativ in die Vergangenheit projizierte, um einen Zusammenhang zwischen der Gegenwart und der fernen Geschichte zu erzeugen oder durch Verfremdungen Unterschiede aufzuzeigen. Außen vor bleiben muss einstweilen die scheinbar zwingende Untersuchung jener Autoren, denen Livius mit größerer oder geringerer Wahr-

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Akzeptiert man behelfsweise diese Prämissen, könnte sich das folgende, nur ganz rudimentäre Schema ergeben: Die historischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Roms Macht zu entfalten begann, waren in den ersten Jahrhunderten der Republik günstiger, weil die außenpolitische Bedrohung die Bürger zu konstanter Anspannung zwang, von Veientern über die Samniten und Pyrrhus bis zu den Puniern. Der Sittenverfall, der Livius zufolge nach dem Sieg über Karthago im II. Punischen Krieg eingetreten sein soll, wirkte, verstärkt durch die Expansion in den Osten und den Einzug der zivilisatorischen Errungenschaften Griechenlands, lediglich wie ein Katalysator. Das zu jeder Zeit bestehende Konfliktpotential wurde nicht etwa neu geschaffen, sondern lediglich auf eine höhere Stufe angehoben. Als Karthago von Scipio Aemilianus endgültig geschlagen wurde, nahm der Druck auf die Basis der republikanischen Ordnung wieder zu. Die Geschichte wiederholte sich in verändertem Maßstab. Nur die Intensität der Konflikte trennte in der Zeit nach der Entstehung der Nobilität die Frühe von der Späten Republik. Nunmehr wurden die Konflikte nicht so sehr zwischen den Ständen als zwischen den Mitgliedern der Nobilität ausgetragen. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits in den erhaltenen Teilen des Werkes, den Dekaden III und IV, ab, mit den Konflikten über Triumphe, Kommanden und über die Kriegsführung. Bei allen Verfallserscheinungen, die in dieser Epoche zutage traten, war es zuletzt immer der Senat als Institution, der allen desintegrierenden Kräften widerstand. Mit den Reformbemühungen der Gracchen begann für Livius wohl das Bürgerkriegsjahrhundert. Wiederum verliefen die Fronten nicht nur zwischen den Ständen, sondern vor allem zwischen einzelnen, nach immer mehr Macht strebenden Führungspersönlichkeiten, die sich für ihre Ziele lediglich der Massen mit deren sozialen Interessen bedienten, wie Marius und Sulla, Pompeius und Caesar. Wie wenig auch damals die Unterwerfungsstrategie Erfolg hatte, zeigen die von Sulla angestrengten Restaurationsbemühungen. Aussagekräftig sind seine vernichtenden Urteile über die Gracchen,388 Marius,389 Sulla,390 Caesar,391 denen er Grausamkeit sowie Ruhm- und Herrschsucht unterstellt. Einer Bemerkung des Augustus zufolge, der Livius einen Pompeianer nannte, dürfte Pompeius eine wohlwollende Behandlung in den Ab urbe condita erfahren haben.392 Schon an den erhaltenen Teilen des Werkes ist erkennbar, dass seine Geschichtskonzeption die in der Annalistik gängige Zweiteilung der Vergangenheit in

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scheinlichkeit als Quelle gedient hat, etwa Lucan, Florus, Eutrop, Orosius, Cassius Dio. Sicherlich handelte es sich dabei um eine erkenntnisfördernde Aufgabe. Freilich darf nicht übersehen werden, wie methodisch heikel es bei einer solchen quellenkritischen Arbeit wäre, über die Frage der Abhängigkeit hinaus im Detail genuin livianisches Gedankengut ausmachen zu wollen, wenn man die höchst unterschiedlichen Interessen und Ziele der in Frage kommenden Autoren berücksichtigt. Neuerdings zu den Periochen Chaplin 2010 mit weiterer Literatur sowie Mineo 2009(a). Liv. perioch. LVIII (Ti. Gracchus); LXVII (perniciosas […] leges). Liv. perioch. LXXX. Liv. perioch. LXXXVIII. Liv. perioch. CIII; Sen. nat. V 18,4. Hierzu detailliert Strasburger 1983. Zu Caesars Angriff auf den Erdkreis: frg. 37 (CIX) (bei Oros. VI 15,3). Hierzu s. u. S. 156.

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einen Aufstieg und einen Niedergang modifiziert. Indes war Livius’ Ansatz nicht ohne Vorbild. Seit der Ermordung Caesars war ein früherer Weggefährte des Dictators, C. Sallustius Crispus, mit drei historiographischen Werken hervorgetreten. Als sie erschienen, begann Livius womöglich mit der Entwicklung der Ab urbe condita, deren erster Teil, die Bücher I bis V, etwa zehn Jahre später herauskam, oder beschäftigte sich bereits mit geschichtsphilosophischen Themen, die er in Essays abhandeln sollte.393 Sallusts Deutung der römischen Geschichte steht in dem schmalen, binnen weniger Jahre entstandenen Œuvre nicht monolithisch da, sondern wurde von Werk zu Werk, vom Catilina über den Iugurtha bis zu den Historien, kontinuierlich revidiert.394 In der Einleitung des letzten Werkes, der Historien,395 zeigt Sallust den Menschen als ein dynamisches, von permanenter Unruhe getriebenes, in seiner Energie ungebremstes Konkurrenzwesen, von Natur aus inquietus und indomitus. Die Bedeutung der anthropologischen Erkenntnisse bezieht er ausdrücklich auf die römische Geschichte und verbindet sie mit der Darstellung des Beginns der inneren Konflikte, den primae dissensiones. Der Mensch kennt weder Ruhe noch Selbstzufriedenheit noch Bescheidenheit, und in seiner Unzähmbarkeit tritt zur Dynamik der menschlichen Natur als zweites wesentliches Kennzeichen die Pleonexie. Eine Statik in der menschlichen Gesellschaft kann unter derartigen Bedingungen nicht existieren. Aus dem stetigen Wettkampf, dessen Beseitigung als ein Bestandteil der menschlichen Natur ausgeschlossen ist, entstehen Spannungen, die in politische Konflikte münden. Da er die römische Geschichte von Anfang an von Prinzipien geleitet sieht, die auch in späteren Epochen ihre Gültigkeit besitzen, hebt er die scharfen Abgrenzungen zwischen Frühzeit, Mittlerer sowie Später Republik auf. Sein Durchlauf durch die römische Geschichte,396 der mit der Zeit unmittelbar vor Beginn des Bürgerkrieges zwischen Caesar und Pompeius einsetzt, als das rö393 Ebd. 394 La Penna 1968; Schmal 2001: 92, modifiziert 94; Koestermann 1971: z. B. 167; Paul 1984: 124 f.; Latta 1988, 1989; Schütrumpf 1998; Samotta 2009: 151; Kapust 2011; Devecka 2012. – Auf Verweise zur Forschungsliteratur kann im Folgenden verzichtet werden; s. hierzu bereits Steffensen 2009. Die ausführlichste Dokumentation bietet Samotta 2009; s. außerdem stets Earl 1966. Auf die Monographien wird nur dort zurückgegriffen, wo die Historien keine weiteren Aufschlüsse bieten. Unter vielen philologisch gehaltenen Vergleichen zwischen beiden ragt der geschichtsphilosophisch angelegte von Mineo 1997 heraus, der aber zu schematisch verfährt (wie die dazugehörige Monographie Mineo 2006). Das Ziel ist, nur einige wesentliche Punkte in einer Gegenüberstellung zweier als konträr geltender Historiker zu vorzuführen. 395 Sall. hist. I 7: Nobis primae dissensiones vitio humai ingeni evenere, quod inquies atque indomitum semper in certamine libertatis aut gloriae aut dominationis agit. 396 Sall. hist. I 11: Res Romana plurimum imperio valuit Ser. Sulpicio et M. Marcello consulibus, omni Gallia cis Rhenum atque inter mare nostrum atque Oceanum, nisi qua a paludibus invia fuit, perdomita. Optumis autem moribus et maxima concordia egit inter secundum atque postremum bellum Carthaginiense [causaque --- non amor iustitiae, sed stante Carthagine metus pacis infidae fuit]. At discordia et avaritia atque ambitio et cetera secundis rebus oriri sueta mala post Carthaginis excidium maxume aucta sunt. Nam iniuriae validiorum et ob eas discessio plebis a patribus aliaeque dissensiones domi fuere iam inde a principio, neque amplius quam regibus exactis, dum metus a Tarquinio et bellum grave cum Etruria positum est, aequo et modesto iure agitatum. Dein servili imperio patres plebem exercere, de vita atque tergo regio

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mische Reich seine größte Machtausdehnung erreicht habe und der Mittelmeerraum einschließlich Galliens vollständig unterworfen sei, verortet die moralische Hochzeit Roms in der Zeit zwischen dem II. und dem III. Punischen Krieg. Mit den optumi mores sei maxuma concordia einhergegangen. Als Ursache dieses angesichts der menschlichen Disposition zum Konflikt ungewöhnlichen Zustands benennt er in einem Nachsatz den metus hostilis. Keineswegs sei die moralische Integrität auf die Liebe zur Gerechtigkeit zurückzuführen. Anschließend beschreibt er den danach einsetzenden Wandel, die Verkehrung von concordia in discordia. Aus den optumi mores wurden avaritia, ambitio und andere, im Frieden entstehende Dekadenzphänomene. Denn hatte zuvor der metus hostilis die Republik im Gleichgewicht gehalten, sei die neue Entwicklung auf dessen Wegfall zurückzuführen, der nach dem Fall Karthagos eingetreten sei. Die weitere Entwicklung stellt Sallust nicht differenziert dar, sondern begnügt sich mit der Feststellung, nach dem Sieg über Karthago hätten die Laster in Rom einen Höhepunkt erreicht (maxima aucta). Für seine Betrachtung der Geschichte ist jedenfalls der Dualismus zwischen der moralisch guten und der moralisch schlechten Zeit bestimmend. Bei Livius wirken in der Darstellung der Frühzeit avaritia und ambitio zusammen: in dem Streben der Patrizier nach Verteidigung oder Maximierung ihres politischen Einflusses und der Vergrößerung ihrer ökonomischen Potenz. Wörtliche Übereinstimmung besteht zwischen dem Beginn der innenpolitischen Konflikte bei Livius und bei Sallust. Ausgangspunkt ist der Tod des Königs Tarquinius Superbus. Wenn Sallust feststellt, die Patrizier hätten anschließend ein Regiment regio more ausgeübt, so steht das mit Livius’ Formulierung inservitum397 in Übereinstimmung. Auch wenn der Begriff metus hostilis bei Livius nicht fällt, ist der sachliche Zusammenhang offenkundig.398 Das regium imperium konkretisiert sich bei beiden Historikern zunächst durch den Versuch der Patrizier, ihre wirtschaftliche Stellung auszubauen, indem sie die Existenznot der Plebeier verschärften. Bei den Senatoren äußerte sich der Wegfall der kriegerischen Bedrohung durch Maßlosigkeit in der Freude, eine Maßlosigkeit, die nun das Vorgehen gegen die Plebs bestimmen sollte. Indem Livius feststellt, nun seien von den Patriziern iniuriae ausgegangen, weist er ihnen die Schuld am Ausbruch der inneren Konflikte zu. Die Behandlung der Plebs charakterisiert er als inservitum und schreibt damit den Patriziern implizit ein Streben nach dominatio zu. Erst später gewinnt die Zwietracht in der Stadt eine politische Komponente: durch den Versuch der Plebeier, ihre Unterdrückung durch die politisch wie ökonomisch übermächtigen Patrizier abzuschütteln. Dieses Unterfangen ließ sich naturgemäß nur mit Beteiligung an der Politik bewerkstelligen. Auch Sallust deutet neben der Vertreibung des Volkes von seinem Landbesitz das Zinsproblem sowie die unablässigen Aushebungen als Ursache der Konflikte. Auch bei ihm wird die politische Vorrangstellung der Patrizier benannt (soli in immore consulere, agro pellere et, ceteris expertibus, soli in imperio agere. Quibus saevitiis et maxime fenore oppressa plebes cum assiduis bellis tributum simul et militiam toleraret, armata montem sacrum atque Aventinum insedit, tumque tribunos plebis et alia sibi iura paravit. Discordiarum et certaminis utrimque finis fuit secundum bellum Punicum. 397 S. o. S. 105 f. 398 Liv. II 21,6: Eo nuntio [vom Tod des Königs Tarquinius] erecti patres, erecta plebes.

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perio agere). Beide stimmen in ihrer Einsicht in die Ideologisierung der Politik überein und teilen die Einschätzung von der Korrumpierbarkeit der beiden Lager. Inzwischen hatte aber eine Entwicklung stattgefunden: An der Zwietracht der Frühzeit trugen für Sallust wie Livius zunächst die Patrizier die Schuld, für Sallust erst in der Späten Republik beide Parteien. Livius hingegen greift das Agieren der Plebeier hingegen auch schon in der Darstellung der Frühen Republik an, bedingt durch seine Ablehnung der Ambitionen der plebeischen Elite (ungeachtet der Anerkennung für einzelne herausragende plebeische Gestalten). Allerdings wendet Sallust auch bei seinem Modell eine chronologische Differenzierung an und belässt im Zusammenhang mit dem Motiv des metus hostilis Karthago seine historische Rolle:399 Ab der Vertreibung der Könige seien die inneren Konflikte ausgebrochen und hätten bis zum Ende des II. Punischen Krieges angedauert; zwischen dem II. und dem III. Punischen Krieg habe zum einzigen Mal in der römischen Geschichte vollständiger innerer Friede bestanden; erneut seien die Konflikte innerhalb der Bürgerschaft nach der Eroberung Karthagos aufgebrochen; mit der Ermordung der Gracchen hätten seditiones graves begonnen.400 Im letzten Abschnitt der Dekadenz habe dann der Verfall das größte Maß an Beschleunigung gewonnen.401 Der Höhepunkt der Macht des Reiches und gleichzeitig der tiefste Stand der Sitten sei im Jahr 51 erreicht gewesen. Livius selbst behält ebenfalls eine Binnendifferenzierung des historischen Ablaufs bei. Zwar operiert er nicht mit dem Fall Karthagos als Wendepunkt der römischen Geschichte. Dennoch deutet er in der Praefatio einen relativ späten Beginn des Aufkommens von Lastern an. Als markante Daten erwähnt er später, in der Erzählung selbst, die Eroberung von Syrakus und den Triumph des Manlius über Griechenland. In der Sache aber ist sein Narrativ an den Grundsätzen orientiert, die Sallust in den Historien aufgestellt hatte. Was Sallust nur skizzenhaft in der Einleitung seiner auf die Zeitgeschichte konzentrierten Gesamtgeschichte benennt, breitet Livius in seiner Gesamtgeschichte in annalistischer Breite aus. Eine entscheidende Gemeinsamkeit zwischen beiden Historikern liegt in ihrer Haltung zur Geschichte: In einem Zeitalter der Umbrüche stellen sie die Vergangenheit nicht als einen „wunderbare[n] Zusammenhang richtiger Vorgänge“402 dar. Welches Verhältnis zwischen Livius und Augustus bestanden hat, bleibt spekulativ.403 Fest steht, dass beide persönlich miteinander bekannt waren und Livius 399 Sall. hist. I 11 (stante Carthagine metus); 12 (metu Punico). 400 Sall. hist. I 17. 401 Sall. hist. I 16: Ex quo tempore maiorum mores non paulatim ut antea, sed torrentis modo praecipitati […]. Hier liegt kein Widerspruch zu I 12 vor, wie Latta 1989 behauptet, weil Sallust dort nur die Dekadenz im Allgemeinen schildert und sie nicht schon etwa für die Zeit der Ermordung der Gracchen (plurumae) ansetzt. 402 So aber Klingner 1979: 480 über Livius. 403 Liv. IV 20; Tac. ann. IV 34; Suet. Claud. 4,1. Literatur: Deininger 1985: 265 f.; Kraus 1994: 6–9; Feldherr 1998: 19; Stem 2007: 438, Anm. 12; Ridley 2010. Für die ältere Literatur s. Burck 1991: 272, Anm. 11. Kraus 1994: 8 urteilt, dass beide an der Rekonstruktion der Vergangenheit mitwirkten; aber das bedeutet nicht zwingend Gemeinsamkeiten im Konkreten, so auch Feldherr 1998: 1–50, bes. 49 f. Kaum überzeugend die These von Cizek 1992, Livius habe Augustus zu einem an der Vergangenheit orientierten Reformprogramm inspirieren wollen.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

zumindest sporadisch zur Familie des Princeps Kontakt hatte. Das Spektrum möglicher Positionen reicht von behutsam-enthusiastischer404 Begeisterung für das Reformprogramm des Princeps über Distanzierung405 bis hin zu reserviert-entschiedener Ablehnung406 von dessen Regiment aus republikanischer Gesinnung heraus. Offenbar sah er sich nicht verpflichtet, der Interpretation der Geschichte des Princeps zu folgen,407 sofern diese sich schon konkret manifestiert hatte. Das Vorgehen des jungen Octavian im Bürgerkrieg kommentiert Livius – nach Ausweis der Periochen – jedenfalls positiv. Als Ursache für die Beteiligung des Caesar-Sohns an diesem widerrechtlichen bewaffneten Konflikt führt er Antonius’ Streben nach einer Alleinherrschaft und dessen Gewalttätigkeit an sowie das persönliche Unrecht, das er von Antonius erfahren habe.408 Das widerrechtliche Aufstellen eines Heeres durch einen Privatmann, wie Octavian es war, sei im Interesse des Staates gewesen,409 anders als bei Brutus, der das Gemeinwohl lediglich vorgetäuscht habe.410 Erst die Undankbarkeit des Senats und dessen Arrangement mit Brutus, mit dem Missachtung für Octavian einherging, habe den Weg zu dessen Versöhnung mit Antonius gebahnt.411 Während er als einen Zweck des vorgeblich zur Reformierung des Staates begründeten II. Triumvirats die Rache an persönlichen Gegnern erwähnt,412 so hebt er Octavians clementia bei Perusinum hervor413. Die Gegner Octavians kritisiert er dabei stets für die Illegitimität ihrer Kampfhandlungen oder ihrer politischen Interessen.414 Einen Feind der Freiheit sah Livius in Augustus offenbar nicht. Umgekehrt hielt Augustus Livius, den er einen Pompeianer nannte, was die Beurteilung der Bürgerkriegszeit betraf, wohl für einen Anhänger der caesarfeindlichen Senatsmehrheit.415 Auch die deutlichen Anspielungen416 auf das augusteische Principat, wie der Vergleich mit dem Bauprogramm des Tarquinius 404 Burck 1964; 1967; 1991; 1992; Syme 1959; Stem 2007: 438; Mineo 2009(a): 279 f. 405 Walsh 1961: 273; Petersen 1961; Lefèvre 1983; Badian 1993: z. B. 19. Als Kriterium für das Verhältnis zwischen Historiker und Princeps sieht Sailor 2006: 382 die Konkurrenz über die Autorität bei der Deutung von Geschichte. 406 Mette 1961: bes. 284 f.; Mensching 1967: 24 f.; Luce 1977: 273 f.; 277. 407 Miles 1995: 49–51; 53 f.; Chaplin 2000: 192–196; Sailor 2006 (anlässlich der Debatte um die Authentizität der libri lintei). 408 Liv. perioch. CXVII, vgl. Suet. Aug. 95; Obs. 68) zur dominatio und vis. Unerfindlich, warum diese Beschönigung für Mineo 2009(a): 279 einen Schatten auf Octavian werfen soll. 409 Liv. perioch. CVIII 2 (qui privatus rei publicae arma sumpserat). 410 Liv. perioch. CVIII 1. Irreführend Mette 1961: 278, der behauptet, Liv. habe sich geweigert, Brutus und Cassius als parricidae zu bezeichnen. 411 Ebd. 412 Liv. perioch. CXX 3. 413 Liv. perioch. CXXVI. 414 Zu Antonius und Brutus s. o. Sex. Pompeius: perioch. CXXIII; CXXVIII (als Räuber). Zu Caesar, über den Livius ein ambivalentes Urteil fällt, s. Mineo 2012. 415 Für die Stellen s. Strasburger 1983: 269. Dies kein Affront gegen Augustus: Syme 1939: 317. Ein Ausdruck von Großzügigkeit war das bei Augustus, dem Wiederhersteller der Republik und dem Förderer von Angehörigen bedeutender gentes, anders als Strasburger 1983: 271 behauptet, nicht (so auch Mineo 2009[a]: 288). Als Feldherrn stellt Livius Pompeius an die Seite von Alexander d. Großen (IX 17,6). 416 Ausführlich hierzu Nesselrath 1990: 153–155.

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Superbus,417 die Erwähnung der Schließung des Ianus-Tempels,418 die Würdigung des gegenwärtigen Friedens419 und Augustus’ protreptische Rezitation einer Rede des Metellus im Zeichen seiner Ehe- und Sittengesetzgebung420 signalisieren eher Konvergenz als Kritik. Über die historiographische Beurteilung des Princeps hinaus können die Ab urbe condita als ein Beitrag zur Formierung und Ausgestaltung der neuen Ordnung gelesen werden. Einer Verherrlichung der Frühzeit entzieht Livius’ Analyse der politischen Mechanismen die Substanz. Der Umschwung nach dem Jahr 146 war kein Sonderfall der römischen Geschichte, weil sich erst in jener Zeit, wie es in der Praefatio heißt, Habgier und Herrschsucht durchgesetzt hätten; er war vielmehr ein naturgemäßes, schon in der Frühen Republik oftmals zu beobachtendes Phänomen, das sich allerdings nun in mehreren Bürgerkriegen entlud, mit denen die althergebrachte Republik endete. Als Motor allen Handelns begreift er die mit Rücksichtslosigkeit gepaarte Pleonexie, deren selbstzerstörerische Wirkung nur durch Furcht, sei es vor Feinden, Gesetzen oder Amtsträgern, eingedämmt werden kann. Die Darstellung reduziert Kategorien wie Stände und Parteiungen auf den Rang auswechselbarer Rahmenbedingungen, die lediglich die unmittelbaren, prinzipiell aber vergleichbaren Interessen der Akteure definieren. So schildert er die Politik in Rom nicht nur als Auseinandersetzung zweier gesellschaftlicher Gruppierungen, des Patriziats und der Plebs, sondern auch als Kampf jedes gegen jeden. Einen Konsens suchten die Akteure, trotz mancherlei emphatischer Beteuerungen und einiger rührender Szenen, ausschließlich für das Erreichen minimaler Ziele, der Abwehr von inneren oder äußeren Gegnern, wie die Beispiele vom Ende der Monarchie oder der Beseitigung des Decemvirats lehren. Nach dem Ende einer Krisensituation mit ihrer disziplinierenden Wirkung glitt die verteidigte oder wiedergewonnene libertas sogleich in superbia oder licentia ab. Nur wenige Senatoren oder Volkstribune waren auf einen Ausgleich bedacht oder wagten es, radikalen Vertretern ihres jeweiligen Standes mäßigend entgegenzutreten. Das entscheidende Moment aber, das die Republik aufrechterhalten hat, war trotz der allmählichen, aber nie gesicherten Emanzipation der Plebs der metus hostilis als das größte Band der Eintracht, keine spezifisch römische Tugendhaftigkeit. Insofern scheinen Livius’ Bemerkungen in der Einleitung zum II. Buch von einem Romantizismus zu künden, wenn er versichert, dass das Gemeinwesen aus Zwietracht zusammengebrochen wäre, hätte jemand wie Brutus zu einem früheren Zeitpunkt die Monarchie gestürzt, als die Römer für die Freiheit noch nicht reif waren. Weil der Leser aus Livius’ Geschichtswerk schließen darf, dass es nie eine gemeinsame Identität, einen nationalen Konsens der Römer gab, so wird er folgern, dass der externus timor zu jeder Zeit eine überragende Bedeutung besaß. Ein solches Staatswesen aber ist weit von jenem Ideal entfernt, das Livius emphatisch beschwört. Auch wenn er, wie eingangs zitiert, die philosophische Utopie von der Gemeinschaft tugendhafter Bürger in Rom verwirklicht sieht, so enthüllt der Gang 417 418 419 420

Liv. I 56,2. Liv. I 19,3. S. o. S. 71 f. Liv. perioch. LIX 8.

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der Geschichte diese Übernahme offensichtlich griechischen Denkens als eine Wunschvorstellung. Denn selbst in jenen Episoden, in denen die Römer aus äußeren Zwängen einträchtig handelten, fehlte es den meisten von ihnen an der Einsicht in die Notwendigkeit einer langfristig am Gemeinwohl ausgerichtete Politik. In der Frühen wie der Späten Republik waren sie stets von ihren Interessen geleitet, die sie mit kurzsichtiger Rücksichtslosigkeit verfolgten. Tatsächlich aber hätte eine populare Politik des Senats im Interesse der res publica die Vormachtstellung der Patrizier sichern können. So musste es denn zwangsläufig zu dem bekannten Ablauf der republikanischen Geschichte und zur Ausbildung eines differenzierteren Systems kommen, als Livius es gewünscht hätte. Das Ideal einer auf Selbstbeschränkung setzenden Elite ohne Eingrenzung der Machtbefugnisse war gescheitert. Richtig bleibt für Livius, dass die herausragende Stellung des Senats so lange nicht angefochten wurde, wie er auch die Interessen des Volkes wahrnahm. Die Ansätze zu einem Identitätsgefühl konnten, weil die politischen Bruchlinien innerhalb der Bürgerschaft zu tief waren, im Zeitalter der Ständekämpfe, die sich wohl in der Späten Republik erneuerten, nur undeutliche Konturen annehmen: Zu präsent waren überall das Dominieren von materialistischen Zielvorstellungen und, wie am Beispiel der libertas demonstriert, das damit einhergehende Werte- und Tugendverständnis. Livius’ Geschichtswerk ist deshalb in der Sache frei von musealer Selbstvergewisserung. Zu einer sentimentalen Beruhigung der Gemüter im augusteischen Principat nach überstandener Katastrophe geben die Ab urbe condita keinen Anlass. Wenn T. J. Luce die These verficht, Roms Erfolgsgeschichte sei aus Gegensätzlichkeit geboren, so verdeckt seine Behauptung, dass diese Gegensätzlichkeit keine stimulierenden Effekte, sondern allenfalls brüchige, in Friedenszeiten leicht aufkündbare Kompromisse hervorbrachte, in der Frühen ebenso wie in der Späten Republik.421 Auf Quinctius’ im Tonfall tiefer Resignation gestellte Frage: „Wann wird uns wohl je vergönnt sein, dass wir eine einzige Stadt haben, wann wohl je, dass sie unser gemeinsames Vaterland ist?“,422 gibt Livius’ Geschichtswerk eine skeptische Antwort. Zu den remedia des Princeps leistete es immerhin seinen Beitrag: durch seine konzeptionell geschlossene, aber anhand vieler exempla dargebotene Erklärung von Politik. Die dargestellten Konflikte vermitteln Einsichten in die Funktionsweise von Politik, die ihm ein reflektiertes, über den historischen Spezialfall hinausreichendes Handeln erlauben. Das Narrativ entmythifiziert jedoch die früheren Epochen der römischen Geschichte und politisiert sie zugleich durch eine politische Analyse. Die Vergangenheit, wie Livius sie schildert, fiel deshalb als orientierungsstiftende Kontrastfolie zur Gegenwart aus. Entscheidend für die Problemlösungen der Zukunft sind vor dem Hintergrund der Einsichten in die strukturellen Probleme Roms Livius’ Vorstellung vom idealen Funktionieren des Staates. Sie basieren auf einem möglichst unbeschränkten Regiment des Senats. Wie in der Königsherrschaft die zeitlich unbegrenzte Machtaus421 S. hierzu Luce 1977: 245. 422 Liv. III 67,10: Ecquando unam urbem habere, ecquando communem hanc esse patriam licebit? Quinctius hielt seine Rede kurz nach dem Sturz der Decemvirn, im Jahre 446.

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übung für Livius die Ursache zur Entwicklung eines tyrannischen Regimes ist, so bereitet ihm in der Republik die permanente Auseinandersetzung um die Macht Sorgen. Die Existenz herausragender Einzelpersönlichkeiten war, wie die Beispiele der Kooperation in der Republik zeigen, mit einer Senatsherrschaft vereinbar. Insofern war das augusteische Principat, das gerade den Anschluss an die Republik suchte,423 nicht inkompatibel mit Livius’ politischen Einsichten. Immer wieder waren herausragende Gestalten anfällig für die Dekadenz der Macht. Zugleich wurden im Wettbewerb um Prestige und Ämter Sonderstellungen innerhalb der res publica nicht langfristig akzeptiert und Gegenstand in einem sich verschärfenden Konkurrenzkampf. Inspiriert sind Livius’ Vorstellungen, so lautet eine Erkenntnis dieser Studie, von der idealen Ordnung von zwei Vorbildern. Die von ihm favorisierte Unterscheidung zwischen einer classe dirigeante und einer classe dirigée geht wohl auf die Lektüre Platons zurück, die ihm, dem Verfasser philosophischer und geschichtsphilosophischer Schriften, wohl bekannt gewesen ist. Mit Cicero hingegen teilt er die Auffassung, dass der Senat auf die Wahrung grundlegender Interessen des Volkes bedacht sein müsse, um eine faktische Verringerung des plebeischen Einflusses auf die Politik zu erreichen. Solche Überlegungen ventiliert Cicero in dem historischen Abriss von De re publica mit der originellen Umdeutung der polybianischen Mischverfassung und in der Diskussion über die Bedeutung des Volkstribunats und des Tabellargesetzes in De legibus. Ob Livius das Principat des Augustus tatsächlich als eine Veränderung im System der Republik wahrnahm, muss offen bleiben. Beide plädierten jedoch im Sinne der Konsolidierung des Staates für eine Orientierung am Vorbild der Vergangenheit, für ein vom Prinzip der Restauration und der Verbesserung der Sitten inspiriertes Regiment – zumindest betrieb Augustus in diesem Zeichen seine Politik. Wenngleich die tiefgreifende Krise Roms noch nicht beendet war, stiftete Augustus immerhin kurzzeitig Eintracht, weil er, zumindest aus Livius’ Perspektive, die Bedingungen der concordia – das Streben der classe dirigeante oder herausragender Führungsgestalten um Akzeptanz, die Regulierung des politischen Wettbewerbs und eine auf Integration setzende Kommunikation der Akteure – zu erfüllen bemüht war. Die Ab urbe condita waren auch der in einer Krisensituation, dem Ausgang des Bürgerkriegs, unternommene Versuch einer historischen Selbstvergewisserung. Ihnen haftet ein Zug zur Autosuggestion an: im Feiern legendenhafter Helden wie Lucretia oder Horatius Cocles, in der Beschwörung von duces fatales, den schicksalsgesandten Führern, im poetischen Kolorit der I. Pentade, in der betonten Religiosität, in gegenwartskritischen, die historische Situationen als orientierungsstiftende Vorbilder anpreisenden Einwürfen. Mit diesem Aspekt der Ab urbe condita trifft er allerdings einen Nerv der Zeit und nimmt Aspekte der Vergangenheit auf, die später auch für Augustus eine integrale Funktion besitzen sollten. Sein Stil ebnet vollends jegliche Brüche in der Geschichte ein.424 All dies bildet eine Dimen423 Hierzu auch Mineo 2009: 306. Für die republikanischen Assoziationen der Camillus-Nachfolge des Augustus s. Gärtner 2008: 51 f. 424 Nach Quint. VIII 3,53 ist Livius gelegentlich in seinem Eifer über das Ziel hinausgeschossen; s. auch Lucian. hist. conscr. 45. Zur ideologischen Bedeutung des Stils Woodman 1988: 117–159.

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III. Die römische Geschichte in der Historiographie

sion der Darstellung von Geschichte in den Ab urbe condita, die neben eine gewissermaßen politikwissenschaftliche Analyse des Werkes treten. In Livius’ Darstellung treten vielfache Brüche und Widersprüche zutage. Das Schema vom Aufstieg und späten Niedergang Roms, das er in der Praefatio präsentiert, wird in seinen Eckdaten schon von den Geschehnissen der Frühen Republik widerlegt und nur äußerlich in vereinzelten Bemerkungen der Dekaden III und IV wieder aufgenommen. Zugleich erweist sich auch das dort vorgetragene Erklärungsmodell als unvollständig. All dies mag eine unfreiwillige Desillusionierung des Autors, einen Widerwillen über das Ergebnis seiner historischen Studien, offenbaren, ebenso wie die an Cicero geschulte Glätte und Harmonie des Stils womöglich geradezu der Ausdruck eines Weg-Schreibens von Realitäten aus Angst und Unsicherheit ist. Livius pflegt zwar die Attitüde des in die Vergangenheit versunkenen Eskapisten. Doch weder die Ereignisse, über die er berichtet, noch sein desillusioniertes Menschenbild noch seine Analyse der politischen Prozesse rechtfertigen eine träumerische Verherrlichung, die immer wieder durchbricht. Auch steht sein Ideal von der politischen Ordnung, was die Realisierungschancen betrifft, in bezeichnendem Widerspruch zu seinen anthropologischen Einsichten. Immerhin spricht für Livius’ Glorifizierung der Vergangenheit, dass es, wie er einmal festhält, erst in der jüngeren Vergangenheit tatsächlich zu einem Bürgerkrieg gekommen sei. Das Bild von der in zwei Teile gespaltenen Bürgerschaft, das Potential zum Bürgerkrieg symbolisierend, durchzieht jedoch schon die ersten Bücher der Ab urbe condita, die Darstellung der doch sittlich eigentlich intakten Zeit, und aktualisiert sich in der Folgezeit dann immer wieder. Auch innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen setzten sich die Friktionen in der Bürgerschaft fort. So stehen die beiden Ziele, die Livius mit seinem Werk verfolgte, in Spannung zueinander: das didaktische, das Lösungen für immer wiederkehrende, auch in der Gegenwart virulente Krisen am historischen Beispiel vermittelte, und das sentimentale, die Flucht in eine idealisierte Vergangenheit, mit deren Hilfe sich die Schrecken der Zeitgeschichte betäuben ließen. In jeder Epoche gab es allerdings historische Gestalten, die beispielhaft verkörperten, was Livius als Ideal in der Politik aufstellt, so die Fabii, Camillus und die Valerii in der Frühen Republik, P. Scipio Africanus im II. Punischen Krieg und L. Aemilius Paullus während des Ausgreifens in den Osten. Pleonexie in der Form von Streben nach Reichtum und Macht sowie der metus hostilis blieben dennoch bestimmende Konstanten der Geschichte, nicht nur in der Republik, sondern auch in der Königszeit. Die durch solche Gesetzmäßigkeiten entstehenden innenpolitischen Verwerfungen als „gelegentliche Fehlleistungen“425 zu relativieren entkernt Botschaft und Charakter des Werks. Am Ende bleibt, dass Livius in den Ab urbe condita forciert zwei einander widerstrebende Intentionen zu vereinigen sucht: die Vergangenheit zu verklären und gleichzeitig Politik zu erklären. Tatsächlich waren die res publica den Ab urbe condita zufolge wegen ihrer inneren Disposition, der unablässig gefährdeten omnibus aequa libertas und deren stets drohender Entartung zur licentia, bewirkt durch 425 U. Walter (s. o. S. 77).

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die immodica cupido der zwei Parteiungen zugehörenden Bürger, tatsächlich seit ihrem Beginn schon ein Gebilde von äußerster Fragilität. Auf eine hoffnungslose Aporie läuft das Werk jedoch nicht hinaus. Nicht allein im metus hostilis sieht er, wie Sallust, ein Instrument zur Herstellung von concordia, sondern auch in der akzeptanz- und damit herrschaftssichernden Selbstbeschränkung bei der Ausübung der Macht, handele es sich um das Regiment eines Einzelnen oder einer Elite. Darin liegt die Quintessenz seiner Didaktik der Politik. Deren Realisierungschance verhindert nicht vorrangig der gewaltige Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit, den Livius leitmotivartig konstatiert. Angesichts des fundamentalen Wandels der römischen Lebenswelt seit dem 2. Jahrhundert ist es allein die Praefatio, die völlige Ausweglosigkeit verhieß, indem sie Livius’ Rom-Ideal an die Rahmenbedingungen einer längst vergangenen, unwiederbringlichen Epoche fixiert. Die dahinter stehende Zweiteilung der Geschichte wird in dem auf Kontinuität beruhenden Narrativ der Ab urbe condita jedoch widerlegt oder büßt jedenfalls ihre ordnungsstiftende Funktion stark ein. Durch diese Historisierung der gesamten Geschichte befreit Livius Gegenwart und Zukunft von der düsteren Perspektive einer faktisch unbeeinflussbaren Determinierung, wie sie die Praefatio suggeriert, und macht sie für politisches Handeln gestaltbar. So darf er denn auch am Schluss des Alexanderexkurses, geschrieben wohl vor dem Jahr 20, hoffnungsvoll feststellen, dass Friede und Größe Roms gesichert blieben, wenn der augenblicklich herrschenden Liebe zur Eintracht Dauerhaftigkeit beschieden sei.426

426 Liv. IX 17–19, bes. 19,17.

IV. KULTURENTWICKLUNGSTHEORIE UND HISTORISCHE ABRISSE 1. VON SATURN BIS AUGUSTUS. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN VERGILS AENEIS a) Einleitung Die Aeneis war nicht das Epos, das Vergil, der seit annähernd zwei Jahrzehnten von Maecenas geförderte und im Austausch mit Augustus stehende Dichter, in den Georgica über die Zeitgeschichte und den Princeps angekündigt hatte.1 Diese Themen hatten bereits Rabirius2 und Cornelius Severus3 in epischen Dichtungen über die Siege im Bürgerkrieg gefeiert; hinzu kamen die von Augustus und den Personen aus seinem Umfeld verfassten Memoiren. Die Aeneis hingegen greift auf die Universalgeschichte und die gesamte römische Geschichte aus. Mit ihr setzt Vergil in einer neuen Gattung seine Deutung der Vergangenheit und deren Auswirkungen auf Gegenwart und Zukunft fort. Im Rahmen zivilisationsgeschichtlicher Betrachtungen hatte er in seinem zweiten Werk, den zwischen 36 und 29 verfassten4 Georgica, den Aufstieg Roms vom primitiven Bauernvolk zur Großmacht nachvollzogen und dabei sowohl über die Kräfte, die diese Entwicklung begünstigten, als auch deren ambivalente Konsequenzen für die Lebensformen der Römer, für die Veränderungen der Sitten und der Gesellschaft, reflektiert. Zurück blieb die Spannung zwischen der paradoxalen Bejahung sowohl einer ländlichen Existenz als auch des Weltmachtstatus. Gleichzeitig wandte er sich unmittelbar der Zeitgeschichte zu, der Krise des Weltreiches im Bürgerkrieg, und rief Octavian zum Retter des zerfallenden Staates aus. Für die Konsolidierung und den außenpolitischen Machtzuwachs versprach er dem Princeps ein rühmendes Epos. An diese vielfältigen, die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erfassenden Themen und Konflikte, die zentrale Probleme des zeitgenössischen politischen Denkens in einen Zusammenhang brachten, knüpft Vergil in der Aeneis wieder an, mit der Skizze der Kulturentwicklung in Euanders Archäologie wie mit den Prophezeiungen zur römischen Geschichte. Statt den Taten des Princeps wendet er sich dem Ursprung des römischen Volkes zu und griff dabei chronologisch bis auf das zurück, was als Beginn der Geschichte galt, den Troianischen Krieg.5 Die 1

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S. hierzu Verg. georg. III 10–39. Hierzu mit umfassender Dokumentation Kirichenko 2013: 65 f. Farrell 1991: 314 und Dyson 1994: 4 erkennen hingegen überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Skizze im III. Buch und dem Epos erkennen. Für die Biographie Vergils sei auf die Gesamtdarstellungen von Hardie 1998; Holzberg 2006; Smith 2012 verwiesen. Bardon 1956: 73 f.; Zecchini 1987. Bardon 1956: 61–64; Dahlmann 1975; E. Courtney, DNP 3, 1997, 197. Zusammenfassend zur Datierung jetzt Nelis 2013: 249 f. Zu Troia als Beginn der historischen Zeit Näheres bei Myers 2009: 4.

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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Eroberung Troias und die Flucht des Aeneas und seiner Gefährten, die Landung in Italien, die Behauptung in den Kriegen gegen einheimische Völker und die Begründung einer neuen, gemeinsamen Dynastie mit den Latinern waren die Voraussetzung für die Gründung Roms Jahrhunderte später. Bereits in den Eingangsversen des Epos deutet Vergil die Ankunft der Troianer als Initialzündung für die künftige römische Geschichte.6 Zwar war in der Literatur der republikanischen Zeit die Verbindung zwischen Rom und Aeneas sowie Troia geläufig und dienten troianische Gestalten in den Genealogien römischer Nobiles, politisch instrumentalisiert, der Mehrung von Prestige.7 In der Aeneis wurde jedoch zum ersten Mal der Versuch unternommen, die Geschichte der Abstammung Roms aus troianischen Ursprüngen in einer Meistererzählung zu kanonisieren. Trotz des antiquarisch anmutenden Sujets ist das Epos von vielfältigen Bezügen zur römischen Geschichte und zum augusteischen Principat durchzogen und fügt sich auch in die Selbstdarstellung des Princeps und in seine Bemühungen um Legitimitäts- wie Identitätsstiftung ein.8 Schon in der Antike galt das Epos vorrangig als eine Verherrlichung des römischen Volkes, aber auch dessen führender Gestalten und am meisten des Princeps,9 der auf den Abschluss des Projektes drängte10. Dass Augustus die postume Publikation der Aeneis, die ihm aus Rezitationen bekannt war,11 deren Manuskript Vergil jedoch zur Vernichtung vorgesehen haben soll,12 anordnete, während er im Jahr 13 als Pontifex Maximus umlaufende Zukunftsvisionen sammeln und über 2.000 Bücher verbrennen ließ,13 belegt die offiziöse Bedeutung, die Vergils Darstellung von Geschichte in diesem Werk zukommt. Über die Interpretation der politischen Botschaft der Aeneis wird ein Disput hauptsächlich zwischen zwei Lagern ausgetragen, der sogenannten europäischen

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Verg. Aen. I 1–7, bes. 6 f.; 21 f. S. Hardie 1998: 63: „[…] the poem’s ostensible subject is the history of a nation, of a race, and of the leading families of that race“. S. auch Aen. X 11 f. Zur Funktion Troias in der politischen Kultur der Späten Republik s. Erskine 2001 mit der Kritik von Walter 2003(b): 263 f.; Mavrogiannis 2003; Dench 2005: 248–253; Walter 2006. Zu den Ursprungsmythen um Troia und Rom s. noch Perret 1942; Horsfall 1987; Gruen 1992; Martínez-Pinna 2011. Zum Antiquarismus Vergils und den in der Aeneis erwähnten Völkern, Riten und Plätzen s. bes. Binder 1971; Binder 1988 (mit wichtigen tabellarischen Übersichten 285–287) und Horsfall 1991. Zur Geschichte in der Aeneis: Hardie 1998: 63–71. So vermerkt Vergils spätantiker Kommentator Serv. Aen. VI 752, p. 106: […] unde etiam in antiquis invenimus, opus hoc appellatum esse non Aeneiden, sed gesta populi Romani. S. hierzu Suerbaum 2007: 120 f. Zusammenfassend Suerbaum 2007: 117–120. Vergils Bitte um Vernichtung des Manuskripts: Don. Vita Verg. 39 f.; Serv. Aen. prooem.; Augustus’ Interesse an der Publikation: Don. Vita Verg. 31; 41. Augustus soll darauf bestanden haben, dass der Wortlaut des vom Dichter hinterlassenen Textes unverändert bleibe. Zur Entstehung s. auch die natürlich mit äußerster Vorsicht zu betrachtende Behauptung bei Serv. Aen. prooem. (postea ab Augusto Aeneiden propositam scripsit), die immerhin die zeitgeschichtliche Aktualität des Epos im augusteischen Principat bekundet und unterstreicht, dass allgemein die politische Botschaft des Werkes als kongruent mit augusteischen Ideologemen galt. Suet. Aug. 31,1. Für Prophezeiungen über Aug. s. Suet. Aug. 14–17.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

und der Harvard-Schule.14 Zwar herrscht Einigkeit über das panegyrische Design der Aeneis. Nach Überzeugung der Vertreter der Harvard-Schule15 verbirgt sich dahinter jedoch eine zweite, persönliche Stimme Vergils,16 die in der Heldenschau „bei der Devise ‚durch Leid und Opfer zum Sieg‘ nicht nur das letzte Wort betont“.17 In einem Geflecht von ineinander verschobenen und miteinander verwobenen Perspektiven18 trage Vergil sogar subversive Kritik am Regiment und an der Ideologie des Augustus vor. Dagegen steht eine Forschungstradition, die den panegyrischen Charakter der Heldenschau betont und ein optimistisches Bild der römischen Geschichte wie der zeitgeschichtlichen Situation entworfen sieht.19 Auch die Deutungen der Schildbeschreibung unterscheiden sich fundamental. Die wiederholte Schilderung der Gefahren, in die Rom geriet, sowie die Akzentuierung des Militärischen und die Anspielungen auf Leid und Bürgerkriege haben der Schildbeschreibung pessimistische Interpretationsansätze eingetragen.20 Aus optimistischer Perspektive hat Vergil in der Bewältigung aller Herausforderungen eine Demonstration römischer Tugend vorgeführt und die Entstehung des Weltreichs gefeiert.21 Jenseits dieser Dichotomie könnte man noch einen dritten, eher dialektisch ansetzenden Forschungszweig identifizieren, der stärker auf die Ambivalenten abhebt, die Vergil in der römischen Geschichte offenbare.22 Die hier vorgestellte Interpretation ordnet sich nicht in das von optimistischen und pessimistischen, von proaugusteischen und antiaugusteischen Deutungen definierte Spektrum ein. Vergils Konzept der römischen Geschichte soll stattdessen von ihren Rahmenbedingungen ausgehend analysiert werden. Umrissen wird der historische Horizont durch die Zeitvorstellungen in der Archäologie Euanders. Hier werden die Komponenten eines Goldenen Zeitalters unter Rückgriff auf kulturgeschichtliche Theorien definiert und die Mechanismen der Politik bestimmt, die Rom bis zur Gegenwart, dem Principat des Augustus, prägen. In diesen Rahmen 14

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Für Überblicke s. Harrison 1990(a); Gurval 1995: 211 f.; Hardie 1998: 94–101; Suerbaum 1999: 372–375; Schauer 2007; Holzberg 2006: 44–61; zuletzt Smith 2012: 202 f. Natürlich lassen sich nicht alle Vertreter eines Lagers diesem in jedem einzelnen Aspekt zuordnen, und natürlich ist die Zugehörigkeit zu einem der beiden Lager auch nicht an die geographische oder akademische Herkunft gebunden. Als prominente Vertreter dieser Richtung können gelten: Parry 1963; Clausen 1964; 2002; Putnam 1965; Lyne 1987; Zetzel 1997; Lefèvre 1998: 108; 110; Thomas 1999; 2001. Der Begründer der Zwei-Stimmen-Theorie ist Parry 1963. Suerbaum 1999: 373. Lyne 1987 („further voices“). Wichtige Verfechter dieser Deutungstradition sind Buchheit 1963; Klingner 1967; Williams 1972; Cairns 1989; Grebe 1989; West 1993; Galinsky 1996; Schmidt 2001(a) und 2001(b); Holzberg 2006(a); Stroh 2014: 153–157. Feeney 1986 (grundlegend); O’Hara 1990: 166; 173 f.; Quint 1993; Gurval 1995: 244. – Für eine Übersicht der Forschungspositionen s. Gurval 1995: 214 f. Klingner 1967; Williams 1972: 209; Cambronne 1980: 16–21; Hardie 1986: 350; 358; Zetzel 1997: 199; Putnam 1998: 135 (jedoch ambivalent). Zu vermeintlich geringeren Komplexität der Schildbeschreibung s. etwa O’Hara 1990: 173, der darin eine Subversivität Vergils erblickt; Hardie 1998: 97. Für solche Tendenzen s. nur beispielsweise von Albrecht 1967: 177 f.; Hardie 1986: 75; Thomas 2001: 210; Egelhaaf-Gaiser 2008: 232 f.

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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werden die geschichtlichen Abläufe, die in den drei Prophezeiungen skizziert sind, eingeordnet – ohne eine Isolierung dieser Partien und der in ihnen vorkommenden Gestalten. Die Konzeption Vergils in der Aeneis soll außerdem in Beziehung zu seinen früheren Dichtungen gestellt werden, die ebenfalls sowohl die grundsätzlichen Möglichkeiten von Politik als auch ihre Konkretisierung in der Geschichte thematisieren. Das Ziel ist, Vergils Vorstellungen von den Gesetzmäßigkeiten der Politik und den Rom prägenden Paradigmen zu rekonstruieren, die einen Ausblick auf die für ihn relevanten künftigen Gefahren und Chancen eröffnen. Unmittelbar daraus folgt die politische Botschaft des Werks: Vergils Positionierung zum Regiment und zur Selbstdarstellung des Princeps sowie seine Didaktik der Politik. b) Euanders Erzählung vom Goldenen Zeitalter Saturns α) Einführung Im VIII. Buch der Aeneis, das allgemein als Schlüssel des Epos gilt,23 trifft Aeneas auf Euander, den König der Arkader, den er auf Geheiß des Flussgottes Tiberinus als Bundesgenossen gegen die von Iuno und Turnus aufgehetzten Latiner zu gewinnen sucht.24 Die Begegnung gehört zu den geschichts- und ideologieträchtigen Szenen des Epos. Durch die Mobilisierung der Vergangenheit stellt Vergil typologische Verbindungen zwischen dem Mythos und der Zeitgeschichte her25: durch die Arkader, die wie Aeneas und die Troianer als Flüchtlinge nach Italien kamen, dort ein neues Reich begründeten und sich gegen die Feindschaft der Latiner behaupteten; durch die arkadische Siedlung Pallanteum, die auf der Stätte des späteren Rom liegt, von der aus aber zunächst, wie Aeneas angekündigt wird, nach Ablauf von zehn Jahren Ascanius zur Gründung von Alba aufbrechen wird; durch die historische Rolle Euanders nicht nur als Unterstützer der Troianer, sondern auch als Gründer der arx Romana; durch die Schilderung der Heldentaten des Hercules, der das 23

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Gransden 1976: 24 („key to a proper understanding not only of the book itself but also of the entire epic“); 37; Klingner 1967: 527, allerdings eher in ästhetischer Hinsicht. Zu einem Interpretationsverfahren, das auf Typologie (oder auch Präfiguration) beruht, s. einführend Suerbaum 1999: 334–336 mit der grundlegenden Literatur. Kritik an diesem Ansatz jüngst bei Schauer 2007, der jedoch sehr enge Parallelen zwischen verschiedenen Zeitstufen, Personen und Ereignissen für einen typologischen Ansatz verlangt. Für die vielfältigen typologischen Bezüge zwischen Saturn, Euander, Aeneas und Augustus s. bes. Binder 1971; Gransden 1976: 14–20, jedoch mit einigen problematischen Überlegungen zur Zeitstruktur; Walsh 1977: XIV f.; XXIV–XXVI. Zur Beschreibung der Stätte Roms zuletzt umfassend Stahl 2016: 266–319 sowie Fowler 1918; Binder 1971; Edwards 2000: 30–43; 52–63; Schmitzer 2016: 116–123. Literatur: Binder 1971: passim sowie bes. 81–108; Eden 1975 und 1986; Gransden 1976; Reischl 1976: 22–36; Klingner 1967: 527–542; Fordyce 1977; von Albrecht 2007: 133–135, bes. 135; Rea 2007: 89–93. Zum erzählerischen Zusammenhang Stahl 2016: 254–259. Wifstrand Schiebe 1997 zur Figur Saturns. Zur Landschaft, aber wenig weiterführend Witek 2006: 189–193. Zur Diskussion der Quellen in der älteren Forschung s. noch Reynen 1965: 421, mit einigen allerdings problematischen Betrachtungen zum Motiv des Goldenen Zeitalters vor allem bei Vergil. Umstritten ist, wie konkret die Verbindungen zwischen den verschiedenen Zeiträumen gezogen werden; s. zur Diskussion jetzt Schmitzer 2016: 115–118 mit Literatur.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

zivilisationsfeindliche Monstrum Cacus besiegte; durch den Rundgang über die Stätte des späteren Rom, ein Ort, den schon damals, lange vor der Gründung und dem Aufstieg der Stadt, eine feierliche Aura umschwebte; und schließlich durch die Erzählung von der Herrschaft Saturns, seiner kulturschöpfenden Leistung und vom Goldenen Zeitalter, das er einst vor der Ankunft der Arkader in Latium erschaffen hatte. Diese Verbindungslinien bilden das Fundament der Vergils Epos tragenden teleologischen Sicht auf die römische Geschichte. So steht Augustus, selbst Nachkomme eines Gottes, am Ende einer Zeitschiene, der Geschichte Italiens und Roms, die mit Saturn begann. Saturns Wirken dient als Folie für die Politik des Augustus, des Siegers im Bürgerkrieg und Restaurator des Staates. Über ihn formuliert Vergil seine Ansprüche an den Princeps, rezipiert gleichzeitig aber auch Kernelemente des Programms und der Selbstdarstellung des Augustus. Obwohl sich weder Euander noch Aeneas ein detaillierter Blick auf künftige Geschehnisse und Persönlichkeiten der römischen Geschichte enthüllt, lautet die Botschaft der Szene, dass Augustus als ein zweiter Gründungsheros das Goldene Zeitalter, wie Anchises in der Unterwelt seinem Sohn prophezeit, in der Gegenwart erneuern soll.26 In einer neuen Variante präsentiert Vergil hier seine von Dichtung zu Dichtung modifizierte Konzeption von einem gesellschaftlichen Idealzustand, der unter den Schlagwörtern Goldenes Zeitalter oder Zeitalter Saturns firmiert, und greift damit ein zentrales Problem des zeitgeschichtlichen Diskurses auf, die praktische Möglichkeit der Realisierung des Goldenen Zeitalters. Auch reagiert er auf die zwischen Fortschrittskritik und Fortschrittsbefürwortung oszillierende Kulturentwicklungslehre Varros in den Res rusticae, verfasst während des Dualismus zwischen Antonius und Octavian, aber auch auf die Kulturentwicklungstheorien in den Elegiensammlungen des Tibull und Properz, die in den zwanziger Jahren entstanden waren. Anders als der Rundgang über den Ort des späteren Rom hat Vergils Konstruktion des Zeitalters Saturns in der Forschung kaum je sonderliche Aufmerksamkeit erregt. Tatsächlich bildet sie den historischen Rahmen, innerhalb dessen Vergils Darstellungen der römischen Geschichte, die Bewertung der Gegenwart und die Aussichten für Roms Zukunft zu deuten sind. β) Euanders Kulturtheorie In der Archäologie Euanders27 konfrontiert Vergil den Urzustand der Menschheit mit der von Saturn inaugurierten Zivilisation (314–327). Die beiden Epochen, die allerdings mit ihren jeweiligen Komponenten nicht streng spiegelbildlich einander 26 27

Verg. Aen. VI 791–797, hier: 792–794: […] Augustus Caesar divi genus, aurea condet / saecula qui rursus Latio regnata per arva / Saturno quondam. Verg. Aen. VIII 314–327: Haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tenebant / gensque virum truncis et duro robore nata, / quis neque mos neque cultus erat, nec iungere tauros, / aut componere opes norant aut parcere parto, / sed rami atque asper victu venatus alebat. / Primus ab aetherio venit Saturnus Olympo, / (320) arma Iovis fugiens et regnis exsul ademptis. / is genus indocile ac disperum montibus altis / composuit legesque dedit Latiumque vocari / maluit, his quoniam latuisset tutis in oris. / Aurea quae perhibent illo sub rege fuere / (325) saecula: sic

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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gegenübergestellt werden, charakterisiert er in jeweils fünf Versen (314–318; 319– 323). Nach der Schilderung des Goldenen Zeitalters thematisiert Euander dann die nach Saturns Herrschaft allmählich einsetzende Dekadenz, bevor er zu seinem eigenen Schicksal überleitet (324–328). γ) Vorläufer und Vergils Innovation Die Archäologie Euanders ist Teil eines seit dem Tod Caesars und der Wiederaufnahme des Bürgerkriegs ausgetragenen Diskurses über die Gestalt eines Goldenen oder Saturnischen Zeitalters, zu dessen prominenten Protagonisten außer Vergil selbst auch Horaz und Varro zählten. Den Anfang bildeten Vergils Eclogen und Horaz’ Epoden. Inspiriert vom Schrecken der Gegenwart spielen sie die Zukunft in Utopien und Dystopien durch. Als Ursache für die Verwerfungen der Gegenwart diagnostizieren sie die herrschende, von Horaz sogar auf den Beginn der römischen Geschichte zurückgeführte Zwietracht. Der Idealzustand, den Vergil in der 4. Ecloge entwirft, ist eine Inversion des Weltaltermythos Hesiods, ein bißow auötoßmatow. Erreicht werden soll er in einem mehrstufigen Phasenmodell.28 Den Grundstein der Entwicklung legt die Geburt eines heilsbringenden Knaben, ein Ereignis, das Vergil in der unmittelbaren Gegenwart ansiedelt. Ob sich mit ihm die Vorstellung einer konkreten Person verbindet, ist strittig.29 Zu dem Knaben gesellt sich dann ein ganzes neues, ein goldenes Geschlecht.30 Die politischen Rahmenbedingungen für den Eintritt dieses Ideals sind für Vergil offenbar die Wiederherstellung des Friedens und der Eintracht, ausgehend möglicherweise vom Frieden von Misenum. Die Verknüpfung der Vision mit einem quasiparadiesischen Mythos wirft jedoch die Frage auf, welche Realisierungschancen Vergil seinen Hoffnungen beimaß: ob er eine langfristige Beilegung der Konflikte tatsächlich für ein erreichbares Ziel hielt oder bloß für eine Utopie. In der concordia der politischen Akteure erblickte er zwar die Voraussetzung für Frieden. Offen blieb indes, ob diese sich unter den strukturellen Bedingungen der Gegenwart verwirklichen ließ. Auf der Suche nach dem Ausweg aus einer vom Bürgerkrieg infizierten römischen Geschichte operiert auch Horaz in der 16. Epode mit einer Variante des Zeitaltermythos. Die Gegenwart weist er als ein Eisernes Zeitalter aus, in der noch Relikte des ursprünglichen, von Iuppiter beseitigten bißow auötoßmatow präsent sind.31 Nur eine Flucht, zu der er sich als vates anbietet, könne dorthin führen. Wie

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placida populos in pace regebat, / deterior donec paulatim ac decolor aetas / et belli rabies et amor successit habendi. Gatz 1967: 99 behauptet: „Das Goldene Zeitalter ist als Ganzes mit der Geburt des Knaben fertig da.“ Die These steht aber offensichtlich nicht im Einklang mit der Abfolge der Geschehnisse, die Vergil aufzählt. Für einen aktuellen Forschungsüberblick s. Havener 2016: 61. Verg. ecl. 4,7 mit 4,9. Aus der umfangreichen Literatur zu Horaz’ Epoden seien folgende aktuelle Titel herausgehoben, die auch für die im Folgenden angerissenen möglichen Zukunftsvorstellungen des Horaz

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

bei Vergil bedient Horaz sich eines mythischen Ideals zur Formulierung politischer Ziele, deren Substanz jedoch nicht konkret fassbar ist. Vorstellbar ist, dass ihm eine räumliche Aufgabe Roms vorschwebt; womöglich ruft er auch zu einer Abwendung von der Politik, zu einer kontemplativen und künstlerischen Lebensweise auf. Nicht ausgeschlossen ist ebenfalls, dass er für eine durch virtus vermittelte Herstellung der Eintracht plädiert, die nach seiner Deutung der römischen Geschichte ein historischer Einzelfall wäre. Jedenfalls verknüpft auch Horaz seine Hoffnungen auf die Zukunft mit einer Idealvorstellung jenseits der geschichtlichen Welt.32 Mitte der 30er Jahre entwarf dann der Antiquar Varro auf der Suche nach Rezepten zur Lösung der politischen Krise eine Kulturgeschichte Italiens und konstruierte ein die Gegenwart mit der Frühzeit, den Fortschritt mit der Fortschrittskritik verbundenes Ideal Roms.33 Angelehnt an Diakaiarchs Rationalisierung des Zeitaltermythos’ Hesiods, entwickelt er eine in drei bzw. vier Epochen gegliederte Menschheitsgeschichte, die sich in den Urzustand mit einer Jäger- und Sammlerexistenz, in das Hirtendasein und in die bäuerlich-ländliche und zuletzt, implizit, die städtische Existenz gliedert.34 In Übereinstimmung mit der traditionellen römischen Überhöhung des Bauerntums rühmt er den Ackerbau als ideale Lebensform35. Dass Tore und Mauern erst mit der Entstehung von Städten aufgekommen seien, lässt das Bauernleben, das sich in dürftigen Unterkünften abspielte, als eine von Kriegen freie Existenz erscheinen.36 Den Niedergang bringt er im Unterschied zu Dikaiarch mit der Existenz von Städten zusammen.37 Seiner Theorie zufolge beginnt der sittliche Niedergang also erst mit dem Erreichen einer bestimmten Kulturstufe, nicht schon mit der Entstehung der Zivilisation an sich.

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heranzuziehen sind: Ableitinger-Grünberger 1972: 46–48; Carini 1994; Stroh 1993: bes. 309; 311; Stabryła 1998; Nasta 2001 sowie jetzt Havener 2016: 71–76. Anders jedoch Havener 2016: 75 f., der in den Epoden 7 und 16 eine Aufforderung zur Gestaltung von Politik wahrnimmt, jedoch feststellt, dass Horaz den Ausweg aus der unheilvoll determinierten Geschichte nicht benennt; so auch Holzberg 2009: 111. Zu Biographie und Werk s. v. a. Dahlmann 1935: 1173–1181; Ax 2001; Cardauns 2001; sowie die knappen Bemerkungen von Flach 2006: 3–5. Die Bedeutung seiner Person und seines Wirkens für die Zeitgenossen zeichnen Baier 1997 und Baldarelli 2009 nach. Varro rust. II 1,3–5. Anders als Müller 2003: 376 behauptet, gab es für Varro keinen bißow auötoßmatow. Das Verb descendere, mit dem Varro den Übergang der Menschheit von einer Kulturstufe zur nächsten bezeichnet, schließt keine moralische Wertung ein, so richtig auch Reischl 1976: 95 und Müller 2003: 376. Diederich 2007; Fögen 2009: 196, Anm. 126. Varro rust. III 1,3: […] in casis et tuguriis habitabant nec murus et porta quid essent sciebant, inmani numero annorum urbanos agricolae praestant. Mauern und Türen galten als klassische Elemente der Zivilisation und markierten in fortschrittskritischen Theorien die Abkehr von einem friedlichen Leben im Primitivismus: Lucr. V 955; 1011 und in augusteischer Zeit u. a. Verg. ecl. 4,32 f.; Tib. I 3,43; 10,9; Ov. am. III 8,47 f. Zu dem mit Primitivismus verbundenen casae s. z. B. Prop. IV 1,6; Tib. II 5,26; Vitr. II 1,5; Verg. Aen. VIII 654 mit Ov. fast. III 183 f.; V 93 f. Zur Dekadenz der Stadt s. Diederich 2007: 333–337. Das Lob der Viehhaltung steht zwar in Spannung zu Varros Präferenz des Ackerbaus, ist aber bedingt durch das Thema des II. Buches, in dem er die Weidewirtschaft erörtert. Dikaiarch lehrte, dass Hirtenexistenz und Ackerwirtschaft im Sinne zweier aufeinander folgender Epochen zusammengehörten, frg. 55 (= Varro rust. II 1,15 f.), und hierin folgt ihm Varro explizit.

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Die Schwierigkeiten der Kulturtheorie Varros, die vom Gegensatz von Stadt und Land als Folge des Fortschritts ausgeht,38 als Grundlage eines politisch-moralischen Reformkonzepts rühren aus seiner Kritik an der modernen Welt bei gleichzeitiger Ablehnung eines sich der Zivilisation verweigernden Primitivismus her. Da er das Bauerntum in der Vergangenheit verortet, ist sein Ideal mit den historischen Rahmenbedingungen verkoppelt, die in jener Zeit herrschten. Dass Landleben und städtische Zivilisation sukzessive aufeinander folgenden Epochen zugeordnet sind, wirft die grundsätzliche Frage auf, inwieweit unter den Bedingungen des Weltreichs eine Rückkehr zur der von ihm idealisierten Ackerbauexistenz möglich sein soll. Schwerer wiegt, dass seine im Dialog dargestellte, unternehmerisch-aristokratische Lebenspraxis mit seinen gesellschaftlichen und ökonomischen Idealvorstellungen kollidiert. Diese Diskrepanz verschweigt er nicht etwa, sondern sucht sie durch den Einsatz von Humor zu überspielen.39 Womöglich ist es seine Absicht, dem Leser gegenüber durchblicken zu lassen, dass seine Theorie kein hohes Realisierungspotential besitzt. Schon die vor der Aeneis entstandenen Werke Vergils umkreisen aus historischer Perspektive die vielfältigen Wechselverhältnisse zwischen dem Menschen mit seinen Lebensformen und der Umwelt. Am Anfang seiner Auseinandersetzung mit der römischen Geschichte, die in eine historische Krisensituation, den Bürgerkrieg nach Caesars Ermordung, datiert,40 beginnt mit einer Utopie, mit der 4. Ecloge. Das Gedicht wurde in enger zeitlicher Nähe zu den Utopien und Dystopien in Horaz’ Epoden 9 und 16 verfasst und baut auf Motiven Hesiods und Arats auf.41 Erstmals in der antiken Tradition sieht hier ein Kulturentwicklungsschema explizit die Rückkehr eines längst verloren geglaubten paradiesischen Idealzustandes, eines Saturnischen Zeitalters, in der Zukunft vor.42 Welche Haltung zur Zukunft die Ecloge vermittelt – ob sie Ausdruck einer Hoffnung ist, die bald in Erfüllung geht, oder tiefer Resignation, die um die Ausweglosigkeit der geschichtlichen Welt weiß –, entzieht sich einer eindeutigen Bestimmung.43 In den Georgica entwickelt Vergil einen anderen Zugang zur Welt und zur Geschichte.44 Den zeitlichen Ausläufer der Geschichte bildet der römische Bürger38 39 40

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Dies ist eine konzeptionelle Neuerung Varros, s. Müller 2003: 381 und Diederich 2007: 343–352. S. hierzu grundlegend Diederich 2007; 2013: 288 f. Für einen aktuellen Forschungsbericht s. Binder 1989 den knappen Überblick von Volk 2008(a). Die eindrucksvollste Schilderung der Zeit mit starker Berücksichtigung der Literatur und namentlich der Dichtungen Vergils stammt von Osgood 2007. S. ferner Bleicken 1998: 43–296 und Kienast 2009: 10–77. Zur Datierung s. jetzt Schmitzer 2016: 105. Aus der Literatur zur 4. Ecloge seien hervorgehoben die Kommentare von Coleman 1977, jedoch v. a. für sprachliche Phänomene, und Clausen 1994 mit einer knappen Einführung in das Gedicht sowie Kraus 1980 mit Erfassung der Literatur bis 1974. Zur kulturtheoretischen Deutung maßgeblich Gatz 1967: 87–103; Müller 2003: 393. Zur Vermengung der östlichen und westlichen Traditionen, die Vergil in diesem Gedicht verarbeitet, s. Nisbet 1995. Einmaligkeit: Gatz 1967: 90 f., jedoch mit Hinweis auf die Sibyllenorakel 100; Clausen 1994: 121. Für eine aktuelle Diskussion s. Havener 2016: 55–68, bes. 63–65. Einen knappen aktuellen Forschungsüberblick über die Georgica bietet Volk 2008. Eine detaillierte Behandlung der Kulturgeschichte Vergils in den Georgica wird separat erscheinen.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

krieg, eine Pervertierung der geschichtlichen Welt im Krieg durch die Zerstörung der öffentlichen Ordnung, den Zusammenbruch des Bauerntums und die Bedrohung Roms durch auswärtige Feinde, die allein Octavian beenden kann.45 Innerhalb des Werkes treten jedoch Spannungen und Widersprüche zutage, deren Ursache in einem Dilemma liegt: in der Bejahung sowohl des Landlebens mit einer kernigen Bevölkerung und dem förderlichen Klima Italiens als auch des zur Großmacht aufgestiegenen Rom. Die beiden Lebensformen hängen für Vergil historisch-genetisch zusammen und werden von ihm aber als unvereinbare Gegensätze aufgefasst. Insgesamt präsentiert er drei verschiedene Vorstellungen der kulturgeschichtlichen Zusammenhänge im Ablauf der Geschichte der Menschheit und Roms. Da die Welt im Zeichen Iuppiters steht, der ein vorhistorisches Paradies verdrängte, ist ein primitives Goldenes Zeitalter nicht der Bezugspunkt. Stattdessen feiert er in einem Lob Italiens die landwirtschaftliche Prosperität sowie die Mentalität und Physis der Bevölkerung als Voraussetzungen für das römische Weltreich. Von einem städtischen, von Politik und Reichtum geprägten Leben setzt er jedoch die Existenz der Bauern und ein musisches, philosophischer Betrachtungen geweihtes Dasein positiv ab. Der Schluss des Buches verdichtet den inzwischen eingetretenen Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit und schließt mit einem Lob auf die pulcherrima rerum, die Weltmacht Rom. Drei primitive, von der Geschichte unangetastete Lebensformen – die Nomaden, die Scythen und der Gärtner von Tarent – sowie die Schilderung einer Pest als Parodie auf das Goldene Zeitalter werfen die Frage auf, ob eine Wiederstellung der Zeit vor der Machtübernahme Iuppiters in der Moderne gelingen kann.46 In der laus Italiae firmiert Italien als Saturnia tellus.47 Von Fruchtbarkeit, mildem Klima und einer friedlichen Tierwelt geprägt, ist es eine paradiesähnliche Landschaft.48 In ihr und der Bevölkerung ist jedoch auch der Stoff für politische 45

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47 48

Verg. georg. I 498–514. Saeclum eversum: 500. Zur Pervertierung ferner 505 f.: Quippe ubi fas versum atque nefas […]; zum Niedergang des Bauerntums bes. 506–508; zum Krieg: 509–514. Als Ursache führt Vergil die Laomedonteae periuria Troiae an (501 f.) (hierzu Mynors 1990: 97). Dass „auch die römischen Brudermorde seit Laomedon von Romulus verschuldet seien“, wie Erren 2003: 266 behauptet, geben die angeführten Stellen nicht her. Vgl. auch Hor. epod. 7, bes. 17–20 und carm. III 3. Zur Einordnung des Werkes in die Stimmung der Zeit s. Nelis 2013: bes. 261 f. Zu den Nomaden und den Scythen s. Verg. georg. III 339–348; 349–383 (vgl. auch Hor. carm. III 24,9–24), zur Pest 478–566. Zur Gestalt des Gärtners von Tarent (IV 116–148) s. Thomas 1982: 56–60; 1992. Gegen die These, seine Existenz komme der Verwirklichung eines Goldenen Zeitalters nahe (z. B. Burck 1929: 314 f.; Davis 1979: 30–32) s. jetzt Cramer 1998: 229–231. Verg. georg. II 173 f.: Salve, magna parens frugum, Saturnia tellus, / magna virum […]. Verg. georg. II 136–154. Nachdem Ross 1987: 115–119 und Thomas 1988 Vergils Beschreibung jegliche Realitätstreue abgesprochen hatten und die laus als Illusion zu enttarnen gesucht hatten – an ihnen orientierte sich zuletzt Nappa 2005: 84 f. – konnte besonders Cramer 1998 zeigen, welche sachliche Substanz Vergils Verse bei aller Überhöhung tatsächlich besaßen (s. v. a. 84–90; 111–114). Seine Befunde bestätigt Gale 2000: 215–219, auch wenn sie ebenfalls von „hyperbole“ in Vergils Beschreibung ausgeht (216; 218). Das steht nicht in Widerspruch zum topischen Charakter mancher der gepriesenen Elemente (für einige Parallelstellen zu Fruchtbarkeit und Klima s. Gale 2000: 218, Anm. 66). S. ferner Farrell 1991 und Gärtner 2002: 14 f. sowie Johnston 1980 für die Motivik. Zwar wird es nicht mehr genügen, mit Burck 1929:

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Konflikte angelegt.49 Neben den natürlichen Voraussetzungen des Landes preist Vergil als zivilisatorische Errungenschaft auch die Städte und rühmt den Reichtum Italiens an Edelmetallen, die ein ambivalentes Potential bergen,50 weil sie einerseits für Habgier und Krieg stehen, andererseits wichtige Kulturtechniken repräsentieren.51 So ist auch der Kriegshafen am Lucriner See eine technische Meisterleistung, ruft aber gleichzeitig Erinnerungen an den Bürgerkrieg wach.52 Antiken Kulturtheorien folgend, charakterisiert Vergil die Einwohner Italiens als Produkte der Landschaft. Eine Liste verzeichnet die kriegerischen Völkerschaften Italiens, die Marser, Sabeller, Ligurer, Volscer, bekannt als harte, widerstandsfähige Stämme, die Gegner Roms von der Frühzeit bis zum Bundesgenossenkrieg waren. Mit ihren Namen ruft er nicht bloß die Integration Italiens in Erinnerung,53 sondern auch das kriegerische Erbe der Vergangenheit. Danach folgen die großen Feldherrn und Staatsmänner der römischen Geschichte, aufgeführt in einer für die römische Memorialkultur typischen exempla-Reihe54, die Decier, Marius, Camillus, die Scipionen, und, als Höhepunkt der Aufzählung, Augustus. Diese Persönlichkeiten figurieren als Beispiele für die Niederringung äußerer Feinde. Zugleich reflektieren sie, wie sich die Ambivalenz der Landschaft Italiens auf die Geschichte auswirkt, weil sie auch an inneren Konflikten beteiligt waren.55 Die doppelte Ausrichtung der laus mit der Einbindung politisch-militärischer Aspekte hebt Vergil von vergleichbaren Würdigungen Italiens bei seinen Zeitgenossen ab.56 Die Etappen der geschichtlichen Entwicklung Roms vollziehen sich angesichts der Rahmenbedingungen in einem mit Notwendigkeit ablaufenden Prozess, vom einfachen und harten Bauernle-

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295 von einem „wundervolle[n] Gemälde Italiens“ zu sprechen oder die laus als rhetorisches Schaustück zu qualifizieren (so immer wieder seit Wilkinson 1969: 87), doch hat Vergil hier sicherlich keine subversiven Absichten verfolgt, wie Thomas 1988 unterstellt. Verg. georg. II 136–176. Thomas 1982: 35–69; Thomas 1988; Farrell 1991; Gale 2000: 215– 219. Über die literarische Tradition der laus Italiae informieren Mynors 1990: 119; Fögen 2009: 142, Anm. 96, m. moderner Forschungsliteratur, und auch Gärtner 2002 sowie Passavanti 2009. Verg. georg. II 155–166. Zum problematischen Potential Verg. georg. II 165 f. Hier konkret: Thomas 1988: 187 f. mit Hor. carm. III 24,47–50 und Ov. met. I 138–142. S. Erren 2003: 374 mit Verweis auf Lucr. V. 795–800. Verg. georg. II 161–164. Dio XLVIII 50,3. Unterstrichen von Thomas 1988: 187 mit weiteren Belegen. Erren 2003: 376 f. Verg. georg. II 167–172 mit Glei 1991: 74–76 und Cramer 1998: 91–100. Diese Aspekte hält Nappa 2005: 81 f. zu Unrecht für ambivalent, betont aber treffend den „martial strain“. S. hierzu S. 188 f. Ähnliches bietet zur gleichen Zeit nur Vitr. VI 1,10 f., der die klimatischen Umweltbedingungen als förderlich für den die römische virtus herausstreicht, aber nicht auf die Landwirtschaft eingeht. An der georgischen Idylle besaß er als unbedingter Verfechter des Fortschritts kein Interesse. Zu Cato s. im Kontext seiner Darstellung Italiens FRH 3 F 2,22 (die harten Sitten der Sabiner); 3,9 (Disziplin und karge Lebensweise); 4,10 (die Alpen als natürlicher Schutz vor einer Invasion); zu Catos Italienbild s. auch Gärtner 2002: 10–12. Varro rust. I 2,3–7 betont die klimatischen Umweltbedingungen, die Italien für alle Formen der Landwirtschaft als besonders geeignet erscheinen lässt; s. ferner ant. rer. hum. 11, ähnlich auch Dion. Hal. ant. I 36 (mit Verweis auf Saturn!). – Als in sich widersprüchlich fasst Thomas 1982: 40; 45 f. Vergils Lobpreis auf, den er für eine subversive, politisch motivierte Unterminierung des ländlichen Idylls hält.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

ben, im Finale des II. Buchs mit dem Goldenen Zeitalter Saturns gleichgesetzt, über den Aufstieg bis zur Großmacht mit der Katastrophe der Republik. Eine Restitution des Goldenen Zeitalters ist angesichts dieser historischen Zusammenhänge ausgeschlossen. Der Konflikt, vor den Vergil die Kulturentwicklungslehren im II. Buch der Georgica stellt, ist einerseits die Bejahung einer frühen Stufe der Zivilisation, des italischen Bauerntums, andererseits die Bewunderung für die historische Größe Roms, die aus der Stärke der agrarisch geprägten Frühzeit erwachsen ist. Der Urzustand, den Euander schildert, gehört chronologisch in das Zeitalter Iuppiters. Die Uneinigkeit, die in der antiken Tradition über die Gestalt Saturns herrscht, hat sich auch in Vergils Dichtungen niedergeschlagen, die widerstreitende, mit der jeweils favorisierten Bewertung der Zivilisation zusammenhängende Versionen seiner Herrschaft präsentieren.57 In der Aeneis tritt Saturn nicht als Mensch oder autochthoner König Italiens auf, sondern als Herrscher des Olymps, der von seinem Sohn Iuppiter vertrieben wird.58 In das typologische Konzept des Epos passt, dass Saturn als Flüchtling das Schicksal des Euander und des Aeneas teilt, die ebenfalls Flüchtlinge und Gründergestalten sind. An seinen Errungenschaften werden sie als Nachfolger mit ihren Leistungen zu messen sein. Vor der Ankunft Saturns, der auf der Suche nach Schutz vor der Verfolgung durch Iuppiter war, führten die Menschen in Italien ein primitives Leben. Das Goldene Zeitalter, das er etablierte und das üblicherweise in einer vorhistorischen Zeit angesiedelt wird, bildet hier also gleichsam eine Zeitinsel innerhalb des Eisernen Zeitalters, das Iuppiters Herrschaft symbolisiert und von Elementen des Fortschritts gekennzeichnet ist. Vergil präsentiert ihn deshalb weder als Landgott, als der Saturn später kultisch hauptsächlich verehrt wurde,59 noch als Schöpfer einer menschenfreundlichen Natur60. Als Exponent des Fortschritts verbindet Saturn nichts mit seinem griechischen Pendant Kronos, dem olympischen Herrscher im primitiven Goldenen Zeitalter des Zeitaltermythos’ Hesiods.61 Anders als in Kulturentwick57

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Zur Saturn-Gestalt s. die etwas unscharfe Würdigung bei Gransden 1976: 37; Montanari 1988: bes. 686 zu den verschiedenen Sagen, die um seine Herkunft kreisen; Reischl 1976: 26 f.; Binder 1971: 84–86, (nicht problemlos, s. u.); Wifstrand Schiebe 1997: 14–115; Winiarczyk 2002: 157–161. Euanders historischer Abriss konnte so knapp ausfallen, weil er, anders als Binder 1971: 80 behauptet, seinem Gast keineswegs die vollständige Geschichte Latiums bis zur Ankunft der Troianer berichtet. Zu solchen Vorstellungen s. Wifstrand Schiebe 1997: 20; 22; 35 sowie allg. zur vorvergilianischen Tradition 51–73. Hierzu Näheres bei Eden 1975: 107. Dion. Hal. ant. I 38,1. Die antike Tradition kannte jedoch noch weitere Verdienste Saturns, die Erfindung des Ackerbaus (Fest. 202 L.; Macr. sat. I 7,21; 24 f.; 10,19; Plut. qu. R. 42), die Urbarmachung von unwirtlicher Landwirtschaft (Macr. sat. I 7,25; Aug. civ. XVIII 15), die Einführung von Schrifttafeln und des Münzwesens (Tert. apol. 10,8). Vgl. jedoch hierzu die Dichtungen Tibulls, Kap. B.IV,2. Literatur zur Gleichsetzung: Gatz 1967: 123–128, mit der Auffassung, Vergil biete eine Nebentradition (123); s. auch die Bemerkungen zu Kronos (114 f.); Wifstrand Schiebe 1997: 81. Die Gleichsetzung von Saturn und Kronos begegnet auch bei Vergils Zeitgenossen Dionysios von Halikarnassos (ant. I 38,1). Eine solche Gleichsetzung in der Archäologie Euanders unterstellen zu unrecht etwa Fowler 1918: 68 f. und Binder 1971: 84. Sehr allgemein zu den Unterschieden zwischen Saturn und Kronos Fordyce 1977: 238 f.

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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lungslehren, die mit Kronos’ oder Saturns Vertreibung den Beginn der Kultur und damit zugleich auch den sittlichen Niedergang ansetzen, werden bei Vergil die Dekadenzphänomene, die nach der Regentschaft Saturns auftreten, nicht durch die Zeitenwende des Machtwechsels auf dem Olymp hervorgerufen, sondern sind Konsequenzen der von Saturn selbst eingeführten Zivilisation. Der Urzustand, der in Einklang mit zeitgenössischen Skizzen über die frühitalische Menschheit steht62, und die Würdigung der Verdienste Saturns weisen starke Ähnlichkeiten mit stoischen Kulturentwicklungslehren auf63 und implizieren eine grundsätzliche Bejahung des Fortschritts. Einen bukolischen Urzustand Roms, der sentimentale Reminiszenzen an ein quasi-paradiesisches Ideal mit einer friedlichen und bedürfnislosen Menschheit erweckt, konstruiert Vergil nicht.64 Stattdessen definieren asozialer Isolationismus, Abwesenheit von mos und cultus sowie Unkenntnis der Ökonomie die Lebensform der Urzeit.65 Illusionslos spricht Euander von einem groben Menschenschlag, der aus Baumstämmen und Eichenholz hervorgegangen sei und mit Faunen und Nymphen verstreut in den Bergen gelebt habe. Das Attribut durus, mit dem er die Bevölkerung charakterisiert, spielt gleichermaßen auf die Natur der Menschen wie auf ihre Lebensweise an,66 eine tierische Existenz (bißow jhrivßdhw),67 der selbst die primitivsten Errungenschaften der Zivilisation fehlten. Da den Menschen die Kulturtechnik des Ackerbaus unbekannt war, hätten sie ihren Lebensunterhalt mühsam durch eine Jäger- und Sammlerexistenz erwirtschaften müssen, und auch über die Fähigkeit, Vorräte anzulegen, verfügten sie noch nicht.68 62

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Sall. Cat. 6,1.: genus hominum agreste, sine legibus, sine imperio, liberum atque solutum. Keine Beschreibung Italiens vor der Ankunft des Aeneas hingegen bei Liv. I 1 f. Dion. Hal. ant. I 10,1 f. spricht ebenso wie Sallust von primitiven Menschen, charakterisiert sie jedoch auch als Verbrecher. Die Übernahme von stoischem Gedankengut ist seit längerem bekannt. Die ältere Forschung resümiert Reischl 1976: 25, Anm. 1. Zu den Übernahmen aus Poseidonios, dessen Lehre aus Cic. inv. I 2,2; Sen. epist. 90 und Varr. rust. II 1,1 rekonstruiert werden kann, s. Müller 2003: 401 f. und Reischl 1976: passim sowie bes. 26; 35 f. Allerdings hat die weitere Entwicklung, anders als Müller 2003: 401 behauptet, nur wenig mit Poseidonios zu tun, und auch Müllers Schlussfolgerungen für Augustus als zweiten Saturn bleiben problematisch. Zum letzteren s. u. Klingner 1967: 32. Verg. Aen. VIII 316–318; 321. Lucr. V 598–620 erläutert, dass die duritas der Menschen von der duritas der Erde herrühre, die sie hervorgebracht habe. Eden 1975: 106 f.; Gransden 1976: 39; und Fordyce 1977: 239 sowie Thomas 1982: 47 m. Anm. 53 mit weiteren Stellen zum Glauben an die Übereinstimmung von Menschen mit dem Material, aus dem sie geschaffen wurden. Serv. Aen. VIII 315 erinnert hingegen an das Leben in Höhlen und Bäumen, das die Urbewohner geführt hätten, weil ihnen Häuser noch unbekannt gewesen seien. Faune als „frühe Landesbewohner, als Vertreter jener kulturlosen Epoche“: Binder 1971: 81, s. auch den Verweis auf Ennius ann. 214 Va: quos olim vatesque canebant. Die Ähnlichkeit zur Lebensweise der Tiere konstatiert auch Claud. Donat. Aen. VIII 321 p. 160,16 sowie VIII 325 p. 160,27 und 161,3. Humanitas beginnt für Donat erst mit der Schaffung von Gesetzen (Aen. VIII 322 p. 160,18 f.; 21: inhumanum). Reischl 1976: 24 f. Zur stoischen Annahme von einer natürlichen Begabung des Menschen s. Reischl 1976: 28 sowie die Darlegungen bei Müller 2003 zur Tradition in der griechischen Philosophie; dort streichen die Fortschrittsbefürworter die Fähigkeit des Menschen zum Lernen heraus. Verg. Aen. VIII 316–318.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Dass die Urbevölkerung nach Euander indocile war, soll nicht einen angeborenen Mangel an Intellekt bezeichnen, sondern den Zustand der völligen Unwissenheit und Zivilisationslosigkeit, in dem die Menschen dahinvegetierten.69 Zum einen besaßen die frühen Menschen, wie Euander festhält, keine wirtschaftlichen Fertigkeiten. Ihnen fehlte die Fähigkeit zum Erwerb von Besitztümern aller Art (opes)70. Das bezog sich nicht bloß konkret auf das Horten von Ernte und Früchten. Hier spielt auch die Grundannahme der antiken Kulturphilosophie hinein, dass Fortschritt und Zivilisation mit der Entstehung von Eigentum verbunden seien.71 Insofern bezieht sich der Terminus opes nicht nur auf das Bauerntum, die erste Stufe der Kulturentwicklung, sondern auch auf eine Gemeinschaft mit komplexerer ökonomischer Struktur.72 Was für Vergil vorrangig zählt, ist der Gegensatz von Urzustand und Zivilisation, nicht von Stadt und Land. Zum anderen mangelte es den Menschen an cultus und mos. Unter diesen Begriffen sind die kulturellen Errungenschaften in ihrer Gesamtheit sowie das Normen- und Wertesystem zu subsumieren.73 Zur Entstehung und zum Erhalt des mos, der bei der Behandlung des Goldenen Zeitalters nicht mehr erwähnt wird, tragen unter Saturn die Gesetze bei.74 Cultus meint auf der geringstmöglichen Stufe des Fortschritts lediglich das Zusammenleben in einer gemeinschaftlichen Siedlung und die Fähigkeit der Menschen, durch Ackerbau ihre Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen. Gesetzgebung und Landwirtschaft, die die Entstehung des Privatbesitzes voraussetzt, gehören kulturgeschichtlich zusammen.75 Da die Menschen während des Urzustands isoliert nebeneinander her lebten und keine geregelten Beziehungen unterhielten, führt Vergil den Begriff des Friedens erst bei der Behandlung des Saturnischen Zeitalters ein76. Die Existenz von pax 69

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Indocile: Verg. Aen. VIII 321. Unbelehrbarkeit attestiert den Urmenschen zu Unrecht Claud. Donat. Aen. VIII 321 p. 160,14 f. Richtig jedoch Serv. Aen. VIII 321, der treffend konstatiert, dass Vergil hier indocile für indoctum gebrauche; so auch Müller 2003: 401. – Verg. Aen. VIII 316: quis neque mos neque cultus erat […]. Verg. Aen. VIII 317. S. hierzu die Vorstellung der fortschrittsbejahenden Theoretiker bei Müller 2003. Nicht gesehen von Claud. Donat. Aen. VIII 317 p. 159,23–26 sowie jetzt auch Fowler 1918: 70 und Reischl 1976: 32. Nicht treffend Binder 1971: 84, der nur die Gemeinschaftsbildung Saturns betont („einzig und allein“), nicht aber die Verbesserung der Lebensweise, das, was er die „Überwindung des primitiven Zustands materieller Kultur“ nennt. 90: Die Leistung liege im „Mitteilen höherer Werte“. S. auch 102 f. Zu cultus s. hier die bereits erwähnten Belegstellen bei Pflaum 1961 und Fisch 1992. Fordyce 1977: 239 definiert ihn kompakt als „acquisition of the arts of life“. Zu eng ist die Wiedergabe von cultus mit lex, die es bereits in der Antike gab, wie Serv. Aen. VIII 316 belegt. Die Gesetze sind allerdings nicht mit dem mos identisch. Humanitas beginnt für Donat erst mit der Schaffung von Gesetzen (Aen. 8,322 p. 160,18 f.; 21). Als etwas genuin Römisches bezeichnet die Erwähnung der Gesetze Reischl 1976: 29; andeutungsweise Müller 2003: 401. Iustin XLIII 1,3 hebt iustitia als Leistung Saturns hervor. Keine leges: Binder 1971: 90 f., für eine andere Konzeption des Goldenen Zeitalters ohne Gesetze in der Aeneis s. u. König Latinus. Zur Terminologie Reischl 1976: 25. Mos fälschlicherweise als Synonym für lex bei Reynen 1965: 423. Serv. Aen. IV 58. S. ferner die Bemerkungen von Müller 2003: 394 f. zum I. Buch der Georgica und dem dort beschriebenen Wandel der Zeitalter. Verg. Aen. VIII 325. Zum pax-Begriff des Augustus s. o. S. 53 f.

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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gehört zu den Errungenschaften des Fortschritts. Erst mit der Zivilisation konnten Phänomene wie Krieg und Frieden aufkommen. Als Saturn den Fortschritt in Latium initialisierte, war es von der Zivilisation unberührt. Nach der Auflistung der Defizite des Urzustands verzeichnet Vergil jedoch nicht die entsprechenden Errungenschaften des Fortschritts, deren Kenntnis er bei seiner literarisch gebildeten Leserschaft voraussetzen konnte. Dies tat er wohl nicht allein aus kompositorischen Gründen. Vielmehr bot sich ihm die Chance, nur jene Aspekte der Zivilisation hervorzuheben, die ihm zentral erschienen. So beschränkt er sich auf die Feststellung, dass Saturn die in den Bergen verstreut lebenden Menschen zusammenführte und ihnen Gesetze gab.77 Mit den leges leistete er einen Beitrag zur Formierung des mos, der im Urzustand fehlte. Welche Siedlungsform man sich bei einem Volk vorzustellen hat, für dessen Etablierung Vergil die Vokabel componere verwendet, ist zweitrangig.78 In den Eclogen, besonders aber in den Georgica feiert Vergil zwar eine ländliche Lebensform als Ideal. Für die historische Einordnung dieser Gründungsleistung Saturns ist jedoch entscheidend, dass die Menschen die Isoliertheit aufgaben, die das Leben im Urzustand prägte.79 Aus den weiteren Ausführungen Euanders ergibt sich dann, dass Mauern und eine Befestigungsanlage zu Saturns Siedlung gehört hatten, beides Elemente einer Stadt.80 Tatsächlich aber scheint Vergil kein Interesse an einer konkreteren Charakterisierung der Siedlung besessen zu haben. Nicht auf ein Plädoyer für eine bestimmte Art einer gesellschaftlichen Lebensweise zielt er ab, sondern auf eine allgemeine Beschreibung der Zivilisation, deren Beginn die Bildung einer gemeinschaftlichen Siedlungsform mit relativ fortgeschrittener Ökonomie und einem sittlich-rechtlichen Rahmen markiert und die einem bißow jhrivßdhw entgegengestellt ist.81 Mit der Zusammenführung der Menschen setzt der Zivilisationsprozess ein; den normativen, sittlich-rechtlichen Rahmen der Gemeinschaft bilden die Gesetze.82 Die Bedeutung dieses Ansatzes liegt darin, dass Vergil lediglich eine Abgrenzung zwischen Urzustand und Zivilisation vornimmt, nicht aber zwischen den verschiedenen Arten der Zivilisation, wie etwa zwischen der ländlichen Siedlung und 77 78

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Verg. Aen. VIII 321–323. Vgl. Verg. Aen. III 387: urbem componere terrā. Allgemein herrscht Übereinstimmung, dass Vergil mit zwei verschiedenen Bedeutungen von componere in den Versen 317 und 322 arbeitet (s. Fordyce 1977: 239 und Gransden 1976: 125; Binder 1971: 90 [„Moment des Friedens, der Befriedung“]). Zum Aspekt der Gemeinschaftsbildung Reischl 1976: 28; als politischer Akt interpretiert von Binder 1971: 90. Verg. Aen. VIII 355; 357. So auch Varro rust. III 1,3. Nicht gesehen von Claud. Donat. Aen. VIII 317 p. 159,23–26. Dass opes componere in einem Zusammenhang mit weiteren zivilisatorischen Erfindungen steht, zeigt er VIII 317 p. 160, 2–4: Herstellung von Kleidung, Back- und Kochkunst, Verwendung von einfachem Geschirr. Diese Vorstellungen gehen möglicherweise auf Poseidonios zurück; s. hierzu Müller 2003: 400 f. mit Cic. inv. I 2,2 und Sen. epist. 90. Problematisch sind jedoch die Ausführungen zur weiteren historischen Entwicklung bei Müller 2003: 401. Die Ausdehnung des Bedeutungsinhaltes von componere bei Müller 2003: 401 trifft daher nicht den Sinn der Stelle. Componere und leges dare gehören vielmehr zusammen. Zu den Mauern s. Schmitzer 2016: 111 mit Literatur.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

der Stadt. Diesen zuvor von Varro eingeführten, allerdings eine historische Entwicklung implizierenden Antagonismus, der sich auch mit eigenen früheren Vorstellungen in den Georgica deckt, hebt Vergil auf und stellt sich in eine Tradition mit Denkern wie Arat oder Platon, deren Idealzustand in einer Stadt angesiedelt ist, oder Lucrez, bei dem die Gründung von Städten folgerichtig aus der Entstehung der Kultur hervorgeht.83 Auch verherrlicht er das vorrömische Italien nicht als eine bukolische Landschaft voller Anmut und Friedfertigkeit. Der Friede des Saturnischen Zeitalters ist, anders als in utopischen, auf dem Mythos basierenden Konzeptionen, ein Frieden der Zivilisation, der sogar mit Waffen verteidigt wird und dem Vergil gleichwohl das Attribut placida zuschreibt.84 Jedoch berücksichtigt Vergil in seiner Konzeption des Goldenen Zeitalters auch die Ambivalenzen des Fortschritts. In kulturgeschichtlicher Perspektive war Allgemeingut, dass mit der Entstehung von Eigentum die gesellschaftlichen Konflikte begonnen hätten, weil Besitz Ressourcenknappheit zur Folge habe. Auch im Dekadenzprozess der Herrschaft Saturns übernahm Habgier eine treibende Rolle.85 Der Ursprung der Konflikte liegt in der Erzählung Euanders im Zusammenleben der Menschen, deren solitäre, tierhafte Existenz der Bildung einer Gemeinschaft in der Zivilisation weicht. Hierin liegt die grundsätzliche Unvollkommenheit der geschichtlichen Welt.86 So sei nach einiger Zeit im Latium Saturns, wie Euander mit Reminiszenzen an den Weltaltermythos Hesiods erläutert, eine decolor aetas aufgetreten.87 Von Hesiod unterscheidet Vergil jedoch, dass kein scharfer Übergang zwischen den Zeitaltern stattgefunden habe. Der Wandel habe nicht sofort vollständig Einzug gehalten,88 sondern sich allmählich, in einem stufenlosen Prozess, vollzogen.89 Aus dieser Vorstellung von den chronologischen Abläufen am Ende der Herrschaft Saturns leitet sich eine kausale Beziehung zwischen der Veränderung der Lebensweise und dem gesellschaftlichen Wandel ab. Durch die bislang unbekannten Vorzüge des cultus korrumpiert, so suggeriert Vergil, hätten die Menschen, je länger sie mit den Segnungen der Zivilisation vertraut gewesen seien, desto mehr Verfallssymptome hervorgebracht. Markiert wird der Abstieg durch das Aufkommen eines sittlichen Fehlers, der Habsucht, die als Konsequenz den Krieg nach sich zieht.90 Die von Saturn erlassenen Gesetze vermochten ihre Bewährungsprobe au-

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So auch bei Platon und Aratos. Verg. Aen. VIII 325 mit 355; 356 f. So bezeichnet Vergil auch den Frieden, der unter König Latinus’ Regiment, einem anderen dezidiert militaristischen Nachfolger Saturns, herrscht. Verg. Aen. VIII 327. Hierzu gleich Näheres. Falsch, dass die Dekadenz erst von äußeren Völkern nach Italien hereingetragen wurde (so aber Binder 1971). Verg. Aen. VIII 326. Verg. Aen. VIII 326 f. Aber nicht, weil die Sitten nach der langen Regentschaft Saturns plötzlich hätten umschlagen können, wie Claud. Donat. Aen. VIII 326 p. 161,14 f. behauptet, so auch Reynen 1965: 424 f. Er bemüht im Folgenden eine Zyklus-Dekadenztheorie (18–24). Die Überlegungen bei Binder 1971: 102 lassen kulturtheoretische Zusammenhänge außen vor. Mit dem Wort paulatim operiert auch Lucrez in seiner Kulturgeschichte. Für diesen Zusammenhang s. Verg. Aen. VIII 328.

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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genscheinlich nicht länger zu erfüllen.91 Blickt man auf den bißow jhrivßdhw zurück, der vor Saturn in Italien geherrscht hatte, so wird deutlich, dass die isoliert lebenden Menschen im Urzustand keines mos und keiner leges bedurften, weil wegen des noch nicht entdeckten, zum cultus gehörenden Privatbesitzes und der noch nicht existierenden Gemeinschaft keine Gefahr der Korruption oder des asozialen Handelns bestand. An den Maßstäben eines primitiven, paradiesartigen Goldenen Zeitalters ist die Schöpfung Saturns nicht zu messen. Denn gemäß den Einsichten der kulturtheoretischen Tradition ruft die Zivilisation selbst, also das Goldene Zeitalter Euanders, jene Erscheinungen auf den Plan, die ausdrücklich nicht mehr Elemente des Goldenen Zeitalters sind. Und doch sind die Errungenschaften der Kultur Saturns nach Vergils Darstellung dem Dahinvegetieren der primitiven Urbevölkerung, dem bißow jhrivßdhw, eindeutig vorzuziehen. Der Archäologie des Euander und der Erzählung von der Herrschaft Saturns mit ihrem Verzicht auf Perfektibilität liegt daher eine Utopiekritik zugrunde. Sie besagt, dass keine unrealisierbaren Goldenen Zeitalter im Mythos gesucht werden müssten, und dass in der Geschichte tatsächlich Goldene Zeitalter verwirklicht wurden, die trotz aller zwangsläufigen Unvollkommenheiten diesen Namen verdienten. Die Mittel gegen die destruktiven Seiten seiner Schöpfung hatte Saturn selbst bereitgestellt. Zum Goldenen Zeitalter gehört deshalb nicht die Abwesenheit von Lastern wie im quasi-paradiesischen bißow auötoßmatow. Sie werden vielmehr von mores und leges eingehegt. Erst mit dem Ende der Wirkungskraft von Sitte und Gesetz beginnt die Dekadenz, die die Formulierung amor sucessit habendi belegt.92 Danach habe die Habgier angefangen, eine beherrschende Rolle zu spielen. Dass sogar Saturn mit dem Aufkommen von Dekadenz gerechnet hatte, zeigt gerade die Schaffung von leges und mores, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen garantieren sollten. So fasst Vergil den amor habendi nicht als ein Dekadenzphänomen auf, das im Lauf der römischen Geschichte aufgetreten sei, beispielsweise mit der Expansion Roms in den östlichen Mittelmeerraum und dem nach Italien strömenden Luxus oder der Übernahme der Weltherrschaft, sondern begreift ihn als Kernelement einer politischen Anthropologie. Diese natürliche Eigenschaft des Menschen trat erst mit dem Aufkommen des Privatbesitzes und der Errichtung einer sozialen und politischen Gesellschaft zutage. Im Naturzustand hingegen blieb sie verborgen, weil es dort keine Ressourcenknappheit gab.93 Als Gegenmittel zum Verfall dienen lediglich Gesetze und Sitten, eine zivilisatorische Antwort auf die Herausforderungen der Zivilisation. Den Anlass der Entstehung der Dekadenz, die zum Abschied des Goldenen Zeitalters führte, thematisiert Vergil nicht. Ihm kommt es nur darauf an, die Grundzüge dieser Entwicklung zu kennzeichnen.94 91 92 93

Anders hingegen Buchheit 1973: 34. Verg. Aen. VIII 327. Zum topischen Zusammenhang von Habgier und Krieg s. schon Verg. Aen. III 13–68 mit Gransden 1976: 126. Binder 1971: 102–105 interpretiert die Stelle typologisch. 94 Über die Länge des Goldenen Zeitalters äußert sich Vergil nicht. Angesichts seiner grundlegenden Einsicht in dessen Voraussetzungen wäre dies auch unerheblich. Dies verkennen die

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Diese Erkenntnisse verleiten Vergil nicht zu einem Eskapismus. Da das Zeitalter Saturns schon prinzipiell dem Verfall ausgesetzt ist – durch seine eigene Existenz und dessen Fortschrittsbejahung – gibt es in der Geschichte keine Phase, die von einer Unschuld gekennzeichnet ist, in die die Menschheit zurückkehren könnte. Als eine Erfahrung, die in die Welt der Geschichte fällt, ist das Goldene Zeitalter des vergilischen Saturns deshalb auch keine sentimentale Sehnsuchtsfigur. Stattdessen ermöglicht seine historische Skizze ein Bekenntnis zur geschichtlichen Welt mit ihren vielseitigen und problematischen Facetten. Durch die grundsätzliche Gegenüberstellung der Alternativen „Urzustand“ und „Zivilisation“ entwirft er eine von inneren Spannungen freie Theorie über die Möglichkeiten der Politik, die für die Sicherung von Frieden und Prosperität keiner Zuflucht im Primitivismus bedarf, sondern zur Bekämpfung der Mängel der Zivilisation auf Maßnahmen zurückgreifen muss, die ebenfalls der Zivilisation entspringen. Dass die historisch-politische Welt mit ihrer ambivalenten Zivilisation ein Faktum sei, das nicht geleugnet werden könne, steht für Vergil fest. Weder bietet der bißow jhrivßdhw des Urzustandes ein erstrebenswertes Dasein noch scheint eine Rückkehr in jene Zeit, die vor der Herrschaft Saturns lag, praktisch realisierbar zu sein. Dies erlaubt Vergil am Ende ein Bekenntnis zum Status Roms als moderner Weltmacht. Vergils Erzählung vom Goldenen Zeitalter in der Aeneis wirft die Frage auf, ob Augustus gemäß dieser Kulturtheorie ein neues Goldenes Zeitalter begründen kann, wie Anchises es in der Unterwelt gegenüber Aeneas ankündigt. Die ältere Forschung neigt, sofern sie sich überhaupt dieser Frage stellt, zu der typologischen Interpretation, die in Augustus einen späten Nachfolger Saturns sieht,95 während sein Gegenspieler Antonius als die Personifizierung von amor habendi und belli rabies gilt.96 Eine solche Interpretation bezieht als Hintergrund der Stelle lediglich die Zeitgeschichte ein, berücksichtigt jedoch nicht die Kategorien der Kulturentwicklung und lässt die Bahnen außer Acht, in denen für Vergil die Geschichte abläuft. Zwischen dem Wirken des Augustus, dessen er sich in seiner Selbstdarstellung rühmte, und Saturns bestehen substantielle Ähnlichkeiten: Beide vollbringen ihre Leistungen nicht in einer mythischen Zeit, sondern in der geschichtlichen Welt, beide sind um die Gründung oder Integration einer Gesellschaft bemüht, beide treten als Gesetzgeber auf, beide haben den Frieden auch mit Waffengewalt zu sichern. Hoffnungen auf eine Rückkehr in eine Periode völligen Friedens jenseits der geschichtlichen Welt werden in Euanders Archäologie widerlegt. Augustus selbst hat sich vielfach zu den Grundlagen und dem Ziel der römischen Weltherrschaft bekannt, der parta victoriis pax. Wie Euander kann Augustus mit seiner Politik, gemessen an den Zielen, der Wiederherstellung eines Goldenen Zeitalters, unter den Bedingungen der historischen, zivilisierten Welt notwendigerweise nur ein Provisorium schaffen, dessen Existenz immer durch die Geschichte bedroht sein wird.

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Interpretationen von Binder 1971, der 95 f. auch eine lange Dauer des Goldenen Zeitalters annimmt. Reischl 1976: 29 sowie die Kommentare. Binder 1971; Gransden 1976: 14 f. und 38; Gatz 1967: 125. Barchiesi 1997: 236 betont die Vorstellung einer Rückkehr zur Frühzeit. S. u. S. 184.

1. Von Saturn bis Augustus. Die römische Geschichte in Vergils Aeneis

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Mit der Archäologie des Euander demonstriert Vergil eine Abkehr von rückwärtsgewandten Utopien. Nach der Kulturentstehungstheorie Euanders besitzt die Geschichte hier eine prinzipiell zyklische Dimension. Anders als bei den quasi-paradiesischen Goldenen Zeitaltern, die von Iuppiter abgelöst wurden, ist eine Rückkehr zu einem Goldenen Zeitalter, wie Saturn es begründet hatte, nicht von vornherein ausgeschlossen. Eine exakte Kopie des Saturnischen Zeitalters kann Augustus jedoch nicht gelingen. Weniger freilich, weil er Hoffnungen auf eine vorhistorische Idylle genährt hätte. Denn die Grundlagen seines Regiments hat er illusionslos in der geschichtlichen Welt verortet. Saturn hatte es bei seiner Schöpfung jedoch mit Menschen zu tun, die er aus dem Urzustand zur Zivilisation führte und die erst anschließend der Dekadenz verfielen. Augustus hingegen stand vor der Aufgabe, einen Staat zu ordnen, der aus seiner und der Zeitgenossen Perspektive durch moralische Korruption zerrüttet war. Diese Aufgabe verlangte eine weitaus größere Kraftanstrengung, als sie einst der Gott aufbringen musste. Der Princeps gebot jedoch über die gleichen politischen Mittel wie Saturn: die Gesetze, ein Instrument der Zivilisation gegen die von ihr selbst hervorgebrachten Widrigkeiten sowie sonstige Maßnahmen zur Stärkung der mores. Den sittlichen Niedergang zu Beginn der Kulturentwicklung hatten allerdings auch Saturns leges nicht aufhalten können. Wie sein Goldenes Zeitalter kann auch dasjenige des Augustus nicht in die Ewigkeit überdauern. Fest steht jedoch: Die Archäologie eröffnet eine theoretisch begründbare Möglichkeit, das Goldene Zeitalter in der Welt der Geschichte wiederaufleben zu lassen – jedenfalls in der Form, wie Euander es im VIII. Buch der Aeneis beschreibt. δ) Zusammenfassung In der Erzählung des Euander befreit Vergil den Idealzustand von seiner Verkoppelung mit einer historischen Epoche und identifiziert ihn lediglich mit der Beschaffenheit der Sitten und der Geltung von Gesetzen. Weit von einer rückwärtsgewandten Utopie entfernt, entwirft er damit eine Kulturtheorie, nach der in der Gegenwart, dem augusteischen Principat, die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters nicht an geschichtstheoretischen Vorannahmen prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist. Für Vergil kann es in der geschichtlichen Welt keinen paradiesartigen, vorhistorischen Idealzustand geben. Weil er lediglich zwischen Urzustand und Zivilisation unterscheidet, vermeidet seine Kulturtheorie die mühsamen Differenzierungen zwischen historisch bedingten Lebensformen, mit denen Varro und seine eigenen Georgica operieren. Nach der Kulturtheorie Euanders sind die Bauern – zumindest im Grundsatz – genauso von der korrumpierenden Wirkung der Zivilisation bedroht wie die Stadtbürger. Das ermöglicht dem Dichter ein Bekenntnis zur Großmacht Rom und der Vorstellung von einem in der Gegenwart realisierbaren Goldenen Zeitalter. Denn eben nicht von einem bestimmten historischen Abschnitt und der dazugehörigen Lebensweise, etwa dem Ackerbau der Frühzeit oder der mondänen Großstadt der Späten Republik, hängt nach Vergil der Zustand des Staates ab, sondern allein vom Einfluss der Sitten und Gesetze – gleichgültig in welcher Epoche. In der Aen-

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

eis werden schließlich auch die Widersprüche in den Kulturentwicklungstheorien der früheren Dichtungen Vergils aufgelöst. Nachdem Vergil bereits in den Georgica die Utopie der Ecloge 4 aufgegeben hat, überwindet er in der Aeneis das Dilemma der Georgica, in denen die bäuerliche Lebenswelt als Ideal zwar den bißow auötoßmatow ersetzt, sich aber auch, von Ambitionen der geschichtlichen Welt infiziert, ihr eigenes Ende bereitet. Eine Rückkehr zum Bauerndasein ist aus historischen Gründen nicht möglich. Über die Antithese von Land und Stadt, von Frühzeit und Gegenwart setzt sich Vergil in der Archäologie Euanders hinweg und verabschiedet die Vorstellung eines mythischen, vorzivilisatorischen Idealzustands. Das Ideal der durch Gesetze und Sitten geordneten res publica, die Saturn geschaffen hatte, enthält das Bekenntnis zu einer von der Zivilisation bestimmten Welt. Es besteht auch ohne Verkoppelung der Gegenwart mit einer vergangenen, unwiderruflich verlorenen Epoche. Erst mit diesem Konzept wird aus der Perspektive der Kulturentwicklungstheorie die Wiederherstellung eines Goldenen Zeitalters in der Gegenwart des augusteischen Zeitalters denkbar. c) Die historischen Abrisse der Aeneis Euanders Schilderung vom Goldenen Zeitalter Saturns und dessen Verfall bildet den Rahmen für eine in drei Abrissen kondensierten Gesamtgeschichte Roms, die in die Gegenwart und die Wiederbegründung einer Saturnischen Herrschaft mündet. Aus der Perspektive des Epos knüpfen die Prophezeiungen thematisch an die Georgica an.97 Dort personalisiert Vergil mit einer Reihe berühmter historischer Gestalten, die Decier, die Marier, die Camiller, die Scipionen und Octavian selbst, die Expansion Roms aus militärischer Stärke und skizziert ein Entwicklungsszenario im Miniaturformat,98 das von Kräften eines Eisernen Zeitalters bestimmt war. Dieser Reihe fehlt allerdings die Vorstellung einer schicksalsbedingten, über geographisch-klimatische Einflüsse hinausreichende Teleologie. Den Schluss der römischen Geschichte, soweit sie in den Georgica erfasst wird, bildet die in universalgeschichtlichen Maßstäben gedeutete Katastrophe des Bürgerkriegs als Spätfolge der untergegangenen Welt des Bauerntums und der damit korrespondierenden Weltmachtstellung Roms, bis Octavian die Wiederherstellung des Friedens gelang. Zu diesem Zeitpunkt war der Erfolg der Konsolidierungsbemühungen des Princeps noch nicht absehbar. In den 20er Jahren kehrte mit der Etablierung des Principats innenpolitische Stabilität ein. Als Augustus plante, den endgültigen Abschluss der Bürgerkriegsperiode und den Anbruch eines neuen Zeit-

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Hierzu grundsätzlich Thomas 2001: 208. Verg. georg. II 167–172. Strikt hält er bei der Aufzählung der Namen die Chronologie nicht ein. Im ganzen aber bleibt die historische Ausrichtung gewahrt, da die Decier, mit denen die Reihe beginnt, für die Frühe Republik und den Beginn der territorialen Ausdehnung stehen und Augustus als Sieger über den Erdkreis vorgestellt wird. Für eine weitere Reduktion von Geschichte auf Einzelpersonen s. Hor. carm. I 12.

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alters der Prosperität mit der Saecularfeier öffentlich zu begehen, bot dieser Anlass Vergil die Chance zu einer aktualisierenden Fortschreibung der Geschichte. Innerhalb der universalhistorischen Zeitschiene, deren Endpunkte die beiden Goldenen Zeitalter markieren, konkretisiert Vergil die römische Geschichte99 in drei Überblicken100: mit der Prophezeiung Iuppiters (I 257–296), der Heldenschau in der Unterwelt (VI 776–886) und der Schildbeschreibung (VIII 617–731).101 Die ausgewählten Personen und Ereignisse exemplifizieren die für Vergil konstitutiven Themen und kausalen Zusammenhänge in der römischen Innen- und Außenpolitik. Strukturiert sind die Überblicke teils nach thematischen Gesichtspunkten, teils nach der Chronologie, dem wichtigsten Kompositionsprinzip der Geschichtsschreibung.102 Die Übersichten, denen ein genalogisches Konstrukt des populus Romanus zugrunde liegt, erfüllt eine doppelte parainetische Funktion.103 Einerseits richtet sie 99 Hierzu jetzt Kennedy 1997: 146; Zetzel 1997: 188 f.; Hardie 1998: 63–71. 100 Zu Prophezeiungen in der Politik s. Liebeschuetz 1979: 7–29. Für eine Liste der Prophezeiungen in der Aeneis ist O’Hara 1990: 128 zu konsultieren. Über die poetische Tradition der Prophezeiung handeln O’Hara 1990: 129 und Smith 2005: passim. 101 Für Vergils formale Modelle s. bes. Grebe 1989: 38–58; 61 zur Teichoskopie (Hom. Il. III 171–242) sowie zur pompa 1988: 233; Skard 1965 und nun v. a. Flower 1996: 109–114 sowie Walter 2004: 89–108. Grundlegend zur pompa funebris Flaig 2003: 49–68. Die Nennung von Merkmalen, mit denen die historischen Gestalten zu Lebzeiten vornehmlich identifiziert werden (etwa: Torquatus mit dem Beil (Verg. Aen. VI 824); Numa mit seinen weißen Haaren, (VI 809), die er nach Serv. Aen. VI 809 von Geburt an getragen haben soll; diese Überlieferung wird zu Vergils Lebenszeit geläufig gewesen sein; zu den Masken: Flower 1996: 91; Skard 1965: 61) stellen ein Analogon zu den in der pompa mitgeführten Masken der verstorbenen Vorfahren dar. Und wie in einer laudatio funebris der Trauerredner auch die Toten anzusprechen pflegte, so wendet sich Anchises nicht nur an seinen Sohn, sondern bisweilen auch unmittelbar an die Seelen (Verg. Aen. VI 834 f.; 841; 845; 882 f.). – Zur Technik der Visualisierungen generell Smith 2005: 86 f.; 90 sowie zum Perspektivenwechsel in der Heldenschau s. Williams 1972: 208. 102 Verg. Aen. VIII 626–629: Illic res Italas Romanorumque triumphos / […] / fecerat Ignipotens, illic genus omne futurae / stirpis ab Ascanio pugnataque in ordine bella. Zum Anordnungsprinzip der Chronologie s. auch Eden 1975: 164; Hardie 1986: 346; Woodman 1989: 132; Putnam 1998: 121; Mackay 1998; Walter 2004: 89. Für Einschränkungen s. Horsfall 2013: z. B. 510. – Wichtige Vorschläge für Gliederungen unterbreiten von Albrecht 1967; Basson 1975: 41–52 und Grebe 1989. Zur Auswahl der Szenen auf dem Schild s. die von West 1990: 296 verzeichneten Erklärungsansätze. 103 Den hier abgewandelt aufgegriffenen Begriff des „genealogic protreptic“ hat offensichtlich Horsfall 1976: 84 geprägt. In Iuppiters Prophezeiung soll der Glanz der römischen Geschichte Venus, die Adressatin der Ansprache, über Aeneas’ ungewiss scheinende Aussichten hinwegtrösten. Dies nimmt O’Hara 1990: 137 f.; 161 f. zum Anlass, die Glaubwürdigkeit der Ausführungen Iuppiters in Zweifel zu ziehen. – Die Heldenschau und die Schildbeschreibung, die beide an Aeneas gerichtet sind, sollen angesichts der bevorstehenden Kämpfe gegen die latinischen Völkerschaften Zuversicht stiften. Mehrfach hat Vergil die Katabasis und den Ausblick auf die Zukunft, die Aeneas dort zuteil werden soll, angekündigt, zuletzt im V. Buch durch Anchises, der, nachdem verängstigte Troianerinnen einen Teil der Flotte auf Sizilien verbrannt haben, seinem vom neuerlichen Schicksalsschlag erschöpften Sohn als nächtliche Erscheinung begegnet. Nicht nur fordert er Aeneas auf, an dem eingeschlagenen Weg festzuhalten, sondern lädt ihn auch zu einem Gang in die Unterwelt ein. Wenn er ihm verspricht, dass er dort sein gesamtes künftiges Geschlecht kennenlernen werde, nimmt er schon den Zweck des histori-

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sich an die Figuren des Epos, an Venus und Aeneas, deren Hoffnung und Mut sie stärken sollen. Andererseits spricht sie auch die zeitgenössischen Leser an, die über den historischen Standort der Gegenwart aufgeklärt werden sollen. Nicht zuletzt aber spricht er mit der Konkretisierung der Probleme, die in der Zwischenzeit anfallen, Handlungsempfehlungen für die praktische Politik aus, die zum Goldenen Zeitalter führen sollen und die sich nicht nur an Augustus, sondern auch an die übrigen relevanten Akteure in der res publica richten. Wie ein Prisma der Präsenz von Zukunft und Vergangenheit führen die Überblicke je nach Perspektive des Adressaten die römische Geschichte in Form einer Weissagung als Zukunft oder in einem historischen Rückblick als Vergangenheit vor.104 Zu einer geschlossenen Konzeption werden die drei Prophezeiungen durch die ihnen immanente Teleologie, die von Augustus durchgesetzte Erneuerung des zerbrochenen Goldenen Zeitalters. Viermal umreißt Vergil dessen Gestalt. (1) Die Iuppiter-Prophezeiung sagt den Römern die Übernahme der grenzenlosen Weltherrschaft, errungen durch Waffengewalt, im Zeichen des Friedens voraus.105 (2) Die Ziele und Prinzipien der universalen römischen Machtausübung verkündet eine Parainese in der Heldenschau:106 Als Ordnungsmacht, gestützt auf die Verbreitung von Sitten und die Garantie von Gesetzen, sichern die Römer den Weltkreis gegenüber aufrührerischen Völkern. (3) Augustus selbst, apostrophiert als Vertreter der iulischen gens und aus göttlichem Geschlecht, stellt Vergil einer Würdigung als Wiederbegründer des Goldenen Zeitalters, das eine weltweite Dimension besitzt.107

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schen Ausblicks vorweg, der Aeneas’ die Sinnhaftigkeit seines Handelns und seiner Mühen vorführen soll (Verg. Aen. V 724–740, bes. 737: Tum genus omne tuum et, quae dentur moenia, disces.). Später, bei der Begegnung im Schattenreich, unterstreicht Anchises noch einmal den protreptischen Charakter der historischen Projektion (Verg. Aen. VI 716–718: Has [die Seelen, die in der Unterwelt warten, bis sie ans Tageslicht geholt werden und dort ein Menschenleben zu führen beginnen] equidam memorare tibi atque ostendere coram / iam pridem hanc prolem cupio enumerare meorum, / quo magis Italia mecum laetere reperta.). S. auch Horsfall 1976: 84 f. Eine vergleichbare Aufgabe schreibt Vergil dem Schild, einem von Vulcan gefertigten Geschenk der Venus, zwar nicht eigens zu, doch vermerkt er das Interesse und die Freude des Aeneas über die dargestellten Personen und Ereignisse, deren Bedeutung ihm allerdings verschlossen bleibt (Verg. Aen. VIII 616–625; 729–731: Talia per clipeum Volcani, dona parentis, / miratur rerumque ignarus imagine gaudet, / attollens umero famamque et fata nepotum.). S. hierzu insgesamt Verg. Aen. VIII 369–386; 608–616; 729–731. Zu diesem Aspekt, der bisweilen als Indiz für eine pessimistische Deutung der Geschichte aufgefasst wurde, s. Binder 1971: 142; Lyne 1987: 209; anders Suerbaum 2007: 329. Harrison 2001: 89 und Schauer 2007: 277 nehmen, wenn überhaupt, nur einen geringen Einfluss der Heldenschau und der Schildbeschreibung auf Aeneas an. Zu den visuellen Effekten des Schildes s. West 1990: 302 f. S. Bettini 1991: 148 f. für eine graphische Übersicht der Zeitverhältnisse. Verg. Aen. I 278–282; 291. Verg. Aen. VI 846–853. Für eine philologische Analyse mit ideengeschichtlichen Verweisen zur Tradition s. jetzt Horsfall 2013: 577–586. Verg. Aen. VI 788–807. Zur Form s. die detaillierten Ausführungen von Norden 1899. Zu V. 796 f. s. Horsfall 2013: 543 f. Die Stelle nimmt freilich, anders als Norden 1899: 466 es sieht, der sie im übrigen etwas gezwungen mit V. 791 beginnen lässt, keineswegs den geometrischen Mittelpunkt der Heldenschau ein: zwar gehen ihr 36 Verse voraus, doch an die folgenden 38 muss noch die Marcellus-Episode angeschlossen werden, so dass das von Norden errechnete ideale Zahlenverhältnis zerbricht.

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In doppelter Weise, politisch als Gründergestalt wie genealogisch als Nachfahren des Iulus, fixiert Vergil die historische Stellung des Augustus:108 als Gipfel der Geschichte und als Ziel aller historischen Herausforderungen, das die gesamte römische Geschichte zur notwendigen Vorstufe dieses Höhepunktes degradiert.109 Ihm obliegt die Ausübung der Weltherrschaft im Sinne eines umfassenden Friedens. Die innenpolitische Aufgabe des Augustus, die Wiederherstellung des Goldenen Zeitalters, liegt die Vorstellung von einer auf mores und leges basierenden, im Grundsatz fortschrittsbejahenden Lebens- und Gesellschaftsform zugrunde. Zwar war dieses Ideal nach dem Bericht Euanders schrittweise einem inneren Zerfall erlegen, doch fixiert Vergil seine Existenz nicht an eine konkrete in der Vergangenheit liegende Epoche, deren Rahmenbedingungen endgültig verloren sind. Damit existiert tatsächlich die Chance auf eine Wiederkehr des Zeitalters Saturns in der Gegenwart, deren Inauguration unter Augustus Vergil ankündigt. Dass die Friedensleistungen und die Weltherrschaft mit der Idealkonzeption vom Goldenen Zeitalter in Einklang standen, wird erst nach Euanders Ausführungen im VIII. Buch deutlich. Ein Vergleich mit Hercules, Dionysos und Alexander, der Elemente der Selbstdarstellung des Princeps aufnimmt,110 rückt Augustus in eine teils mythologischgöttliche, teils in eine historische Dimension111, die seine Rolle als Träger der Zivilisation allegorisiert.112 Während Hercules im Norden der Peloponnes den Frieden wiederherstellte, indem er die Hirschkuh, den Stier und die Schlange erlegte,113 rührte Dionysos’ Bedeutung aus seiner zivilisationsstiftenden Gabe her,114 die auch der Princeps für sich in Anspruch nahm. Beide, Hercules und Dionysos, reichen ebenbürtig an Augustus heran.115 Das Alleinstellungsmerkmal des Augustus ist jedoch die Durchsetzung von leges und mores in der Nachfolge Saturns. Vergil rückt 108 Auch eine genaue philologische Untersuchung vermag kein Licht in dieses Problem zu bringen: Es könnte sich einerseits um C. Iulius Caesar handeln, um die bislang prominenteste Figur aus der iulischen gens einzuführen, zumal Caesar in dem ihm geltenden Abschnitt, der Gegenüberstellung mit Pompeius, nicht namentlich genannt wird; freilich würde ihm damit als einziger Gestalt ein zweifacher Auftritt in der Heldenschau beschieden sein. Andererseits wäre es nicht unplausibel, Augustus hinter diesem „Caesar“ zu vermuten, da über hic vir hic est (791) in einer fixierenden Blickverengung die Hauptgestalt der folgenden Verse eingeführt worden wäre. 109 Verg. Aen. VI 805 f. 110 Zum Friedensgedanken s. die Einleitung in das augusteische Zeitalter. In R. Gest. div. Aug. 25 f. wird, wie Norden nachweist, das Wort pacare verwendet, das hier von Vergil benutzt wird. Vergil nimmt allerdings die Größe des Landes, das Augustus erobern soll, und die von Hercules durchwanderten Weiten als formale Grundlage des Vergleiches zusammenkommt; s. auch Norden 1899: 473; Grebe 1989: 65 f. 111 Zur Verwendung mythologischer Gleichnisse s. Grebe 1989: 57 f. und Horsfall 2013: 547; 548 f. 112 Norden 1899: 473. 113 Serv. Aen. VI 802 f.; Claud. Don. Aen. VI 801 ff. p. 610,4–11. Zur zivilisationsstiftenden Leistung des Hercules in der Literatur der Republik und des Principats s. die Belege bei Norden 1899: 473; für moderne Literatur s. Grebe 1989: 66. 114 S. auch von Albrecht 1967: 163; Grebe 1989: 66 f. 115 Verg. Aen. VI 801; 804. Dass Hercules der erste Mensch war, der vergöttlicht wurde, soll vielleicht auf die Zukunft des Princeps hinweisen (Williams 1972: 211 f. sowie allgemein La Penna 1988).

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Augustus auch in die Nähe zum Makedonenkönig Alexander, den er zeitweilig verehrte116 und dessen grandiose Eroberungen er überbieten soll. So wird der Princeps nicht nur an herausragenden, teils übermenschlichen Gestalten gemessen, an die er auf dem jeweiligen Feld heranreicht oder die er sogar übertrifft, sondern er vereinigt in seiner Person auch ein Spektrum von Leistungen, zu denen seine Vorgänger nur einzelne Bestandteile beisteuern konnten. (4) Die Realisierung und Akzeptanz des neuen Goldenen Zeitalters unter der globalen Führung Roms unterstreicht die Siegesparade der Schildbeschreibung mit einer Huldigung der unterworfenen Nationen an den Princeps. Auf dem Schild nimmt die Schlacht bei Actium zusammen mit der Szene des sich anschließenden Friedens und der Weltherrschaft Roms den zentralen Platz ein. Augustus, von Vergil anachronistisch mit diesem ihm erst Jahre später verliehenen Ehrennamen angesprochen, tritt als Vertreter von Senat und Volk auf.117 In seiner Person ist also der Staat repräsentiert. Gestützt auf den consensus universorum führte er, unterstützt von Agrippa, die Truppen in die Schlacht. Bei Actium traten nicht zwei Anführer von Bürgerkriegsparteien gegeneinander an,118 sondern das römische Volk gegen seine Feinde. Hauptgegner waren Antonius, stilisiert zu einem orientalischen Fürsten, einem Despoten, sowie die Barbaren, für die Vergil stellvertretend Kleopatra, angesprochen als Antonius’ Gattin, nennt, dazu einige weitere mit ihr verbündete Völker.119 Die Unterstützung durch die Penaten, die, von Aeneas nach Italien gebracht, das Erbe Troias symbolisieren, und die Götter in Person verliehen der Sache des Augustus die sakrale Legitimation. In der als Gigantomachie gekennzeichneten Schlacht verteidigte Augustus mit göttlicher Hilfe nicht nur Rom, sondern zugleich die zivilisierte Welt.120 Dass Vergil Antonius namentlich nennt, ist außergewöhnlich.121 Augustus selbst hatte seine finale Auseinandersetzung mit Antonius als Krieg gegen Ägypten deklariert, seinen Widersacher jedoch vom Senat zum Staatsfeind erklären lassen. Antonius steht typologisch in Verbindung mit Lars Porsenna und den Galliern. Er, selbst ein Römer, führte die Barbaren ins Feld, um Roms Freiheit zu beenden. Indem Vergil Antonius nicht bloß zum Protagonisten eines Bürgerkrieges, sondern sogar zum Anführer einer barbarischen Streitmacht macht, bannt er auch das Odium des Bürgerkriegs, das sowohl über der Erinnerung an Actium hängen mochte als auch über dem Sieger der Schlacht, Augustus, dessen 116 Zu Augustus’ Verehrung des Makedonenkönigs s. Suet. Aug. 50, der berichtet, dass der Princeps seine Briefe zeitweise mit einem Siegel ausfertigte, das ein Bildnis Alexanders trug: ([…] sphinge usus est, mox imagine magni Alexandri […]). 117 Verg. Aen. VIII 678–680: Hinc Augustus agens Italos in proelia Caesar / cum patribus populoque, penatibus et magnis dis / stans celsa in puppi […]. 118 So aber die gängige Deutung, wie Lange 2009: 82–90 zeigt. 119 Zu Antonius Gurval 1995: 234. Kleopatra als Feindin Roms bei Hor. carm. I 37, jedoch würdigend 21–32; epod. 9,11; Prop. III 11,29–56; IV 6,22 f. Dass Kleopatra bei Vergil das Fremde verkörpert, das besiegt werden müsse, damit die Ordnung wiederhergestellt werden könne, zeigt Quint 1993: 23–31. 120 Zur Gigantomachie s. bes. Hardie 1986: 97–110. Mit Antonius führt ein Römer die Barbaren gegen Rom an. Insofern steht Actium nicht für einen bloßen Krieg der Kulturen, so aber Gurval 1995: 246. 121 Für die Stellen s. Gurval 1995: 234.

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anfechtbares Agieren im Jahrzehnt nach der Ermordung Caesars gerechtfertigt wird. Den Abschluss dieses zentralen Stücks des Schildes bildet die Feier des dreifachen Triumphes des Augustus. Unter den Triumphen der römischen Geschichte, die nach Vergils Aussage auf dem Schild dargestellt sind, ist dies der einzige, der in der Beschreibung behandelt wird. Zunächst stattet Augustus mit Opferungen und Tempelweihungen den Dank an die Götter für deren Unterstützung bei Actium ab, während in den Straßen der Stadt Freudenfeste gefeiert werden.122 Sodann nimmt er die Parade der unterworfenen Völker ab. Beide Szenen feiern den Sieg über die Barbaren, die Weltherrschaft Roms und den Segen der Götter.123 Dass Augustus vor dem Tempel des Apollo sitzend gezeigt wird, demonstriert, unter wessen Zeichen das Regiment Roms über die Völker steht und von welcher Macht es geschützt wird, von einem Gott sowohl des Krieges wie des Friedens.124 Wie Trophäen werden die Geschenke der Nationen an den Torpfosten aufgehängt. Die große Anzahl der am Princeps vorüberziehenden Völkerschaften sowie ihre ethnische Verschiedenheit verdeutlicht die Superiorität, aber auch die Notwendigkeit der Herrschaft Roms.125 Daneben präsentiert der Schild auch einige Nationen, die noch der Unterwerfung harrten, um an dem weltweiten Friedenswerk Roms zu partizipieren, im Osten die Parther, im Norden die Germanen.126 Nachdem die Iuppiterprophezeiung, die erste der drei großen Projektionen der römischen Geschichte in der Aeneis, den Römern die Weltherrschaft angekündigt hat, schließt die Schildbeschreibung, der dritte historische Abriss des Epos, mit dem Bild, das die Erfüllung dieses Versprechens zeigt. Mit den Zielvorstellungen des Restaurationsprogramms des Princeps stimmt diese Konzeption des Goldenen Zeitalters überein.127 Was die außenpolitischen Komponenten des Augustus-Portraits betrifft, waren die genannten Länder, Osten und Süden markierend, tatsächlich Gegenstand der augusteischen Politik. Die Garamanten, ein innerafrikanisches Volk, wurden im Jahre 20/19 durch L. Cornelius Balbus bezwungen;128 der zitternde Nil bezeichnet das nach der gemeinsamen Niederlage des Antonius und der Kleopatra unter römische Herrschaft gefallene Ägypten; die Caspia regna, die Scythen, schickten im Jahre 25 eine Gesandtschaft nach Rom, ein außergewöhnliches und aufsehenerregendes Ereignis;129 die Inder zuletzt stehen für die ungeheuren Weiten des Ostens, wie sie einst von Alexander erobert 122 123 124 125 126 127 128 129

Verg. Aen. VIII 714–719. Zu den Feierlichkeiten s. Eden 1975: 189 f. Verg. VIII 720–728 mit Eden 1975: 191. Zu Apollo s. die Interpretation zu Tib. II 5 sowie Miller 2009: 66–75 zu seiner Rolle bei Vergil. Für die Bedeutung des Empfangs auswärtiger Gesandtschaften für die Selbstdarstellung des Augustus s. R. Gest. div. Aug. 31–33 sowie Gabelmann 1986: 294–296 zur bei Serv. Aen. VIII 271 erwähnten Porticus ad nationes. Zu den unterworfenen Völkern s. Kienast 2009: 296. Austin 1988: 243; Klingner 1979: 304. Plin. nat. V 36 nach Austin 1988: 244. Claud. Don. Aen. VI 798 ff. p. 609,25–610,3; Serv. Aen. VI 799. Norden 1899: 478; freilich räumt er ein, dass es sich hier auch um eine nicht geographisch festgelegte Formulierung handeln könnte, zumal die Identität der Maeotia tellus, mit der wohl ebenfalls ein scythisches Volk gemeint sein wird, und der historische Zusammenhang zweifelhaft ist; s. auch Austin 1988: 246.

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worden waren und die zur Zeit der Abfassung der Aeneis noch der Unterwerfung harrten.130 Mehr noch: Der Ankündigung der Iuppiter-Prophezeiung entsprechend soll das römische Reich durch keine irdische Grenze gebunden sein und über himmlisches Maß hinausgehen.131 Als ein auf Sitten und Gesetzen basierendes, militärisch gesichertes System entspricht der neue Idealzustand in der Substanz genau der von Euander geschilderten Herrschaft Saturns. Er beschränkt sich jedoch nicht bloß auf Italien, sondern umfasst den gesamten Erdkreis. Die globale Realisierung des Goldenen Zeitalters der Gegenwart übertrifft den Mythos. Mit Rom als Lenkerin der Welt wird die einst auf Latium beschränkte Epoche Saturns auf eine universale Größenordnung übertragen. Die Anforderungen an die Weltherrschaft, die Vergil in der Parainese formuliert, sind identisch mit den Eigenschaften, die einst Saturns Goldenes Zeitalter kennzeichneten: der Friede im Zeichen von Sitte und Gerechtigkeit, beschützt mit Waffengewalt. Roms Geschichte vollzieht sich nach Vergils Abrissen (bislang) nicht in Zyklen, sondern in einem grundsätzlichen linearen Prozess, der in die Gegenwart mündet. Die römische Geschichte, die Vergil in den Prophezeiungen entfaltet, ist in welthistorischer Sicht nur eine „Zwischenzeit“. Sie wird begrenzt durch den Zusammenbruch des Goldenen Zeitalters und dessen Wiederherstellung in der Gegenwart. Charakteristisch sind für sie die nach Saturns Ende auftretenden Verfallserscheinungen. Vergils römischer Geschichte fehlt daher auch die in der römischen Geschichtskultur gängige Vorstellung eines Wendepunkts mit anschließendem Verfall. Wegen der Einbettung in ein universalhistorisches Schema kann die Entwicklung Roms trotz des ihr zugrunde liegenden Aufstiegsszenarios eine unverschattet glorreiche Epoche, wie sie in der römischen Erinnerungskultur (vermeintlich) konserviert wurde, für Vergil von vornherein nicht sein. Schon die Georgica haben die Ambivalenz der römischen Geschichte zwischen inneren und äußeren Bewährungsproben, Glanz und Dekadenz offenbart. Diese Tendenz prägt auch die Prophezeiungen der Aeneis. Sie spiegelt sich unmittelbar in den Gestalten und den von ihnen verkörperten Themen und Ereignissen wider. Bei der thematischen Gestaltung der Prophezeiungen setzt Vergil unterschiedliche Schwerpunkte. Der Ausblick, den Iuppiter eröffnet,132 skizziert die Geschichte Roms als Expansion anhand ausgewählter Wendemarken, beginnend mit der Landung der Troianer in Italien, die über die Roms Entwicklung vorantreibenden Gründergestalten verkoppelt sind.133 In der Heldenschau, die chronologisch von Silvius über die Könige von Alba Longa, die römische Königszeit, die Republik bis zu Augustus reicht, steht in den meist nur mit einem Attribut versehenen Gestalten, 130 Stauffenberg 1963: 19. Norden 1899: 47 f. indes vermutet, hinter der Erwähnung von Indern und Garamanten eine Umschreibung für Äthiopien, eine, wie er jedoch selbst einräumt, „grotesk“ anmutende Hypothese. 131 Verg. Aen. VIII 794–797: […] super et Garamantos et Indos / proferet imperium – iacet extra sidera tellus, / extra anni solique vias, ubi caelifer Atlas / axem umero torquet stellis ardentibus aptum – : / […]. 132 Verg. Aen. I 229–253. Zur Situation: O’Hara 1990: 132–137. 133 Verg. Aen. VI 760–807. Hierzu von Albrecht 1967: 163 f.

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abgesehen von der Hervorhebung von Gründungsakten, Innen- und Außenpolitisches nebeneinander oder geht ineinander über, ohne dass jede erwähnte Einzelperson näher bestimmt oder gar namentlich genannt wird. Die Beschreibung des Schildes, der alle Kriege Roms verzeichnet, jedoch nur eine Auswahl von ihnen referiert, erfasst die römische Geschichte hingegen im Wesentlichen anhand militärischer Krisensituationen und Modi der Krisenbewältigung134. Die Frühzeit repräsentieren Romulus und Remus (630–634), der Raub der Sabinerinnen, gefolgt vom Krieg gegen das Volk des Tatius mit der Versöhnung und der Abschließung des Bundes zwischen beiden Völkern (635–641) und die Hinrichtung des Mettus als Strafe für seinen Verrat (642–645). Die Frühe Republik ist vertreten durch die Behauptung der Freiheit gegen den Etruskerkönig Porsenna sowie die auf dem Scheitel des Schildes gezeigte Verteidigung des Capitols durch Manlius Capitolinus (646–662). Die Folgezeit verkörpert sowohl die von Catilina exemplifizierten Verbrecher als auch die pii, die in der Nachfolge des Aeneas stehen und als deren Vertreter Vergil Cato anführt (666–670).135 Während alle diese Szenen am Rand des Schildes placiert sind, ist der meiste Raum dem in der Mitte des Schildes abgebildeten, historisch zentralen Ereignis gewidmet, der Schlacht bei Actium und dem anschließend von Augustus abgehaltenen dreifachen Triumph (671–728). Die Gestalten der Heldenschau spiegeln zwei Dimensionen wider: außenpolitisch den Aufstieg Roms, innenpolitisch die Mechanismen nach dem Ende der Saturnischen Herrschaft. Beides ist von Schwierigkeiten und Rückschlägen begleitet, die Resultat der Zwischenzeit, des Verlustes von Sitten und Gesetzen sowie militärischer Schwäche, sind. An den Anfang setzt Vergil den König Tullus, den Begründer der militärischen Stärke Roms. Den Aufstieg repräsentieren Feldherren aller namhaften Kriege der von der Frühen Republik bis zur Zeitgeschichte. Für die Frühe Republik stehen die aufreibenden Kelten- und Samnitenkriege.136 Die für den Sieg notwendige Tapferkeit und Opferbereitschaft in der Schlacht137 symbolisieren die Decii, Torquatus und Cossus in den Gallier- und Samnitenkriegen.138 An erschütternde Niederlagen, aber auch an die Resilienz Roms erinnert Camillus, der die im Jahr 386 von den Galliern zurückeroberten Feldzeichen trägt und in dieser

134 Zu den Kontroversen um die Gliederung der abgebildeten Ereignisse s. Eden 1975: 163 f. 135 Serv. Aen. VII 670 denkt hier ausdrücklich nicht an den Gegner Caesars im Bürgerkrieg, sondern an dessen Vorfahren Cato Censorius, auf den in der Tat die angedeutete Charakteristik bei Vergil zutreffen könnte. Doch konnte schon Horaz den Widersacher des Adoptivvaters des Princeps als Beispiel für Standhaftigkeit und Unbeugsamkeit rühmen (carm. I 12,35; II 1,24). Obwohl Augustus eine Antwort auf Brutus’ Rechtfertigungsschrift für Cato verfasste (Suet. Aug. 85,1), zitierte er einmal gesprächsweise dessen Bekenntnis zum Konservatismus, den er als Richtlinie der Politik empfahl (Macr. sat. II 4,18). Es ist überzeugend, mit Williams 1973: 670 im Cato der Schildbeschreibung den „Typus der Gerechtigkeit und der Tugend“ zu sehen. 136 Brutus: Verg. Aen. VI 818–823; T. Manlius Torquatus: 825; Decii, Drusi, Camillus: 824 f. Zu Drusus s. Zetzel 1997: 198 (Sieger bei Metaurus, aber auch der Tribun). 137 Serv. Aen. VI 824 f.; Claud. Donat. Aen. VI 824 f. p. 612,12 ff.; mit den Belegen Austin 1988: 823; 825. 138 Zu den Drusi s. Feeney 1986: 11 f. (mit Hinweis auf den Volkstribun des Jahres 92); Lefèvre 1998: 106 f.; West 1993: 290.

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Funktion als Vorläufer des Augustus, des Rächers des Crassus, erscheint.139 Welche Drusi gemeint sind, bleibt unklar; zu denken ist sicherlich an den Sieger der Schlacht am Metaurus.140 Hinzu kommen die Feldherren der Punischen Kriege wie Fabius Maximus, der für die Reorganisation der Verteidigung Roms sorgte, sowie P. Scipio Africanus Maior und L. Cornelius Scipio Africanus Minor, die jeweils den II. und den III. Punischen Krieg beendeten. Zu ihnen gehört thematisch der namentlich nicht genannte Mummius, dessen Zerstörung Korinths die griechische Staaten- und Poliswelt als Machtfaktor ausschaltete. Die Zeitgeschichte markieren Caesar und Pompeius mit ihren Eroberungen in Gallien und im Osten des Imperiums. Innenpolitisch lässt sich die Geschichte als Abfolge von Konflikten um Macht und Prestige deuten. Die Probleme, die er über die Nennung der Namen anreißt, dokumentieren auch Fehlentwicklungen, die aus dem Verschwinden von leges und mores, den Komponenten des Zeitalters Saturns, resultieren. In allen Auseinandersetzungen, die in die aufgeführten Personen projiziert werden können, strebten Persönlichkeiten, von Willkür und Selbstherrlichkeit getrieben, Vorteile und Positionen für sich an, die mit der für die res publica konstitutiven Freiheit unvereinbar waren. Die Strategien, derer sie sich bedienten, verursachten Instabilität und lösten schließlich den Bürgerkrieg aus. Zumeist instrumentalisierten sie die Teilung der römischen Gesellschaft und operierten mit popularen Methoden. Bereits Königs Ancus141, von Vergil möglicherweise als Vorgänger Caesars aufgefasst, verkörperte die demagogische Bedrohung, die Mobilisierung des Volkes für die Interessen von Gruppen oder Einzelpersonen, um Macht mit volksfreundlicher Politik zu sichern. Den Widerstand gegen die zur Tyrannis degenerierte Herrschaft des Königs Tarquinius Superbus, durch dessen Sturz die Republik im Zeichen der Freiheit gegründet wurde, personifiziert Brutus.142 Als Consul wehrte er die Restitution einer Monarchie durch die Hinrichtung seiner Söhne ab. Ebenfalls mithilfe einer Exekution seines Nachwuchses sicherte Torquatus durch die neuerrungene Freiheit, als er die Autorität und Anerkennung der Befehlsgewalt des Oberkommandierenden im Feld verteidigte. In der Folgezeit mussten führende Repräsentanten der res publica sich im Wettbewerb der Senatsaristokratie dem Vorwurf des Strebens nach einer traditionswidrigen Vormachtstellung in der res publica stellen: Camillus trieb nach dem Sieg gegen Veii die Undankbarkeit der von ihm geretteten Bürgerschaft ins Exil, als er den eintretenden Sittenverfall energisch bekämpfte.143 139 Zu dieser Parallele s. Austin 1988: 254, Clausen 2002: 136; 138–147 mit Bezug auf Hor. carm. I 12 und der Bedeutung des Camillus im augusteischen Principat; von Ungern-Sternberg 2001: 295 und Coudry 2001: 64 hin. 140 S. o. den Ansatz von Zetzel 1997: 198. Andere Lösungen nehmen sich unbefriedigend aus: Norden 1916: 330 denkt vornehmlich an M. Livius Salinator, den Feldherrn aus dem 2. Punischen Krieg; auf ihn würde jedoch trotz seiner Zugehörigkeit zur livischen gens das cognomen nicht passen. Austin 1988: 253 f. favorisiert den konservativen Volkstribun, weil er als exemplum in Deklamationen Eingang fand (so schon Norden 1899: 330 und Feeney 1986: 11); indes fehlte dann der thematische Bezug zu den Decii, mit denen die Drusi zusammenstehen. Vor allem den Stiefsohn des Augustus, Nero Claudius Drusus, hat wiederum Servius im Blick. 141 Zu seiner ungünstigen Darstellung s. bes. Lefèvre 1998: 102 f. 142 Zu seinem Auftritt in der Heldenschau s. Lefèvre 1998: 103–106. 143 Diesen Komplex erörtert umfassend Gärtner 2008; s. auch S. 187; 296.

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Im Kampf um Oberkommanden im II. Punischen Krieg hatte sich Scipio sich mit Ko-Befehlshabern auseinanderzusetzen, die ihm Ruhm streitig machen wollten, während er selbst mit einer Aufwiegelung des Volkes gegen den Senat drohte, wurde Fabius Maximus wegen seiner effektiven, aber unbeliebten Kriegführung als korrupt diffamiert, war Marcellus nach der Eroberung von Syrakus in politisch motivierte Prozesse verstrickt. Später wurden dann auch P. und L. Scipio von ihren innenpolitischen Gegnern in juristischen Verfahren angegriffen. Zur gleichen Zeit wandte sich Cato Maior gegen den Sittenverfall. Die Gracchen lösten mit ihren teils von persönlichen Interessen motivierten Reformmaßnahmen eine Krise des Staates aus.144 Ebenfalls ein Opfer innenpolitischer Auseinandersetzungen um die innere Ordnung wurde der Volkstribun Drusus.145 Den Höhepunkt der inneren Konflikte bildet, repräsentiert von Caesar und Pompeius, der Bürgerkrieg146. Womöglich wegen der Brisanz dieses Komplexes erläutert Vergil die Motive der beiden Protagonisten nicht.147 Wie die Söhne des Brutus und der junge Torquatus erkannten sie die zur Freiheit und zum republikanischen System gehörende Limitierung der Individualinteressen nicht an. Sie stehen sowohl für die Wirksamkeit wie die Konsequenzen des Verlusts der concordia: die Ermöglichung der Expansion und damit die Anpeilung der vom fatum vorgesehenen Weltherrschaft, aber auch den selbstzerstörerischen Bürgerkrieg,148 dessen Ursache der übersteigerte Wettbewerb nach gloria war. Beide verstießen gegen fundamentale Bestimmungen der politischen Ordnung. Die Verantwortung für den Ausbruch des bewaffneten Konflikts weist Vergil Caesar zu.149 Wäre der Kreis der teils deutlicher, teils schwächer zu identifizierenden Individuen um weitere Mitglieder

144 Verg. Aen. VI 842. Ti. und C. Gracchus, die legendären Volkstribunen fügen sich hier zwar thematisch nicht ein. Trotzdem spricht Vergil von genus, obwohl er, wenn tatsächlich zwei Gracchen für ihn in Frage gekommen wären, sicherlich auch in Parallele zu den Scipionen ausdrücklich von zweien gesprochen hätte. Serv. Aen. VI 842 und Austin 1988: 258 beziehen die Volkstribunen mit ein, von Albrecht 1967: 168 denkt ausschließlich an die Consuln des II. Punischen Kriegs. 145 Für die Nachweise s. u. S. 398 f. 146 S. die sprachliche Analyse zu Verg. Aen. VI 826 f. bei Horsfall 2013: 564. 147 Der zwischen ihnen ausgetragene Bürgerkrieg kann jedoch schwerlich mit den Auseinandersetzungen zwischen Romulus und Remus parallelisiert werden (so aber Dognini 1996: 140 f.), weil dieser nicht in der Heldenschau oder der Schildbeschreibung aufgegriffen wird. Für die Erwähnung Catos als verhüllte Kritik an Caesar s. Dognini 1996: 141; 143 f.; 150 f. 148 Norden 1916: 330 weist plausibel die Annahme zurück, diese Partie sei nachträglich eingefügt worden, weil Augustus, der selbst Bürgerkriege habe führen müssen, daran Anstoß genommen habe. Allerdings hatte Augustus sich als menschlicher Sieger gezeigt, wie in dem an Caesar gerichteten Appell gefordert (für Ausnahmen s. u. zur Schildbeschreibung); ferner galt Augustus’ erster Bürgerkrieg – offiziell – der Bestrafung der Caesarmörder und der Wiederherstellung der Republik, der zweite, gegen Antonius, der Bewahrung der Reichseinheit. Die Echtheit dieser Stelle ist zuletzt von Zwierlein 1999: 116 bezweifelt worden. 149 Für Pompeius als Vertreter der Freiheit s. Lefèvre 1998: 107 f. sowie 102 in Abgrenzung zu Caesar; für eine gleichmäßige Verteilung der Schuld am Bürgerkrieg s. Glei 1998: 172. Zur Verbindung der Stelle mit Lucrez im Sinne einer Kritik Caesars s. Gale 2013: 294 f.

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der jeweils selben Familie zu ergänzen,150 würde die Bürgerkriegsthematik durch die Caesargegner Cato Minor, Scipio151 und Brutus erweitert werden, die im Namen der Freiheit kämpften. Noch deutlicher würde Vergil dann den Verstoß gegen die politische Ordnung zu einem latenten Leitmotiv seiner römischen Geschichte in der Heldenschau machen. Vergils Bild der römischen Geschichte in der Heldenschau ist komplex. Sowohl in der Außen- wie in der Innenpolitik waren existentielle Herausforderungen zu bestehen. Die virtus der Feldherren bewährte sich auch in schwierigsten militärischen Lagen. In drei Schritten, von den Gallier- und Samnitenkriegen über die Punischen Kriege bis hin zu den beispiellosen Eroberungen Caesars und des Pompeius, vollzog sich der Aufstieg zur nahezu unangefochtenen Weltmacht, wie ihn das fatum angekündigt hatte und wie Augustus ihn abschließen sollte. Vielschichtiger verlief zeitgleich der innere Wandel. Vergils Narrativ operiert mit den Paradigmen der Historiographie. Das Verlangen nach Ruhm, das nach traditioneller Auffassung den militärischen Erfolg ermöglicht hatte, wirkte sich destruktiv auf die Konstellationen innerhalb der Führungsschicht aus, wie die Schwierigkeiten, aber auch das rücksichtslose Vorgehen herausragender Gestalten demonstrieren. Entweder strebten sie eine Vormachtstellung jenseits des in der res publica gezogenen Rahmens an oder sie gerieten durch ihre Maßnahmen im Sinne des Gemeinwohls zu Unrecht in den Verdacht, den Staat mit ihren vermeintlichen Ambitionen zu sprengen. Aufgehängt sind die Konflikte an der ökonomisch-sozialen Spaltung der Bürgerschaft, deren Mobilisierung zum taktischen Arsenal der republikanischen Innenpolitik gehörte. In optimatischer Sicht galt sie als Hauptursache für die Desintegration der Bürgerschaft. Auf die Gefahren der popularen Methode, die stets im Verdacht stand, das republikanische System auszuhebeln, weist Vergil durch das auf Ancus, mittelbar aber vielleicht auf Caesar bezogene Attribut nimis popularis ausdrücklich hin. Explizit thematisiert Vergil das Phänomen des Ruhms am Beispiel des L. Brutus, des Begründers der Freiheit.152 Nicht die Verteidigung der Republik gegen die Restitutionsbestrebungen des abgesetzten Königs Tarquinius, bei deren Abwehr 150 So die einflussreiche, aber umstrittene These von Feeney 1986: bes. 11–14 mit Belegen zu diesen Personen. 151 Verg. Aen. VI 842 f.; zu cladem Libyae s. 843. So auch Austin 1988: 259, auch Stauffenberg 1963: 191 Feeney 1986: 13 f. Anders Serv. Aen. VI 843 mit Blick auf die 211 in Spanien getöteten Brüder. Norden 1916: 33 bringt eine ausführliche Diskussion; er vertritt allerdings, vor allem wegen des Epitheton clades Libyae, die hier angestrebte Zuweisung. 152 Verg. Aen. VI 823: Vincet amor patriae laudumque immensa cupido. Serv. Aen. VI 818 bietet eine ausführliche Erzählung von der Vertreibung der Tarquinier und bezieht die Stelle allein auf den älteren Brutus. In den Versen 823 f., in denen eine, teils zeitgebundene, Kritik an dem „unmenschlichen“ Verhalten des Brutus gesehen worden ist, wird der Ruhmesgedanke nach römischem Verständnis entfaltet. Die sprachliche Problematik der Verse erörtert Horsfall 2013: 558; 561. Zum Einsatz für das Vaterland gehören auch persönliche Opfer (so auch Norden und Lefèvre 1998: 103 f., positiv auch Glei 1998: 172), hierzu z. B. Liv. II 3–5, bes. 5,5; 8 und Val. Max. V 8,1; anders Williams 1972: 213 und Feeney 1986: 10 f., die bei Brutus wie auch bei Torquatus zumindest eine Ambivalenz erkennen; Thomas 2001: 211–213; negative Konnotation des jüngeren Brutus: West 1993: 289 f. Kritisch zu Torquatus’ Tat der allerdings spätantike Kommentator Claud. Don. Aen. VI 825 p. 612,14 ff.; Cic. fin. I 23; Liv. VIII 7,14–8,2, bes. 7,20; 22; 8,1 und Val. Max. II 7,6 erwähnen die Härte der Entscheidung, ziehen jedoch nicht

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Brutus in der Schlacht fiel, hebt Vergil als Verdienst heraus. Stattdessen führt er die Hinrichtung der Söhne an. In der Überlieferung war Brutus’ Tat unumstritten.153 Der Aspekt des Ruhms bei ihm steht anders als in der Späten Republik mit der contentio dignitatis führender Gestalten nicht im Widerspruch zum Freiheitsgedanken; er ist allein auf die res publica bezogen. Ruhmesbegierde und Vaterlandsliebe bedingen sich bei Brutus gegenseitig. Mit der assoziativen Darstellung der Geschichte konkretisiert Vergil die Voraussetzung des im Zeichen von leges und mores stehenden Goldenen Zeitalters. In der „Zwischenzeit“ drückten sich die politischen Defizite Roms in einem systemwidrigen, die Freiheit zerstörenden Machtstreben aus. Der Bürgerkrieg, in den schließlich die Auseinandersetzungen gemündet waren, hatte die Herrschaft des Augustus mit sich gebracht. Aus der Heldenschau ist abzuleiten, dass für Vergil bei der Integration der res publica die konstruktive Nutzung der virtus und die Eindämmung des aristokratischen Wettbewerbs im Mittelpunkt steht. Welche Herausforderungen damit einhergingen, zeigt Vergils römische Geschichte. An Camillus’ Beispiel weist er auf die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Reformen und den dabei entstehenden Gefahren für deren Urheber hin. Bei der Regelung der sozialen Belange erwies sich die notwendige Balance als heikel. Soweit die Schlussfolgerung anhand der stichwortartigen Personenaufzählung zulässig ist, neigt Vergil offenbar konservativen Positionen zu, führten doch die Reformmaßnahmen der exempla unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung zu einer Spaltung der Bürgerschaft, die bis zum Bürgerkrieg eskalieren konnte. Mit den zentrifugalen Kräften, die in der Innenpolitik wirkten, ist, so könnte die Botschaft Vergils lauten, auch in der Gegenwart zu rechnen. Andererseits sind Tarquinius’ und Caesars Schicksale mahnende Beispiele für die Folgen einer tyrannischen Herrschaft. Solange die Prinzipien Saturns, in der konkreten Situation die Wahrung der Freiheit und die Sicherung der Stabilität, erfüllt sind, ist die Frage nach der Gestalt des politischen Systems für Vergil offenbar nachrangig. Mit dieser Ambivalenz knüpft Vergil an die Reihe der Helden im II. Buch der Georgica an, legt dem Ablauf der Geschichte jedoch eine andere Kausalität zugrunde. Außenpolitischer Erfolg und innere Krise standen dort in einem Wechselverhältnis, dessen Ursache in der spezifischen Konfiguration der Welt nach dem Ende des paradiesischen Primitivismus lag. Im Unterschied hierzu besteht in der Heldenschau keine dialektische Verkoppelung von Innen- und Außenpolitik. Die römische Geschichte der Aeneis vollzieht sich in einer Zeit des Übergangs, die zwischen dem Scheitern Saturns und der Wiederherstellung von dessen Reich durch Augustus liegt. Vergil legt also nicht vermeintlich subversiv die dunkle Seite der Vergangenheit offen, sondern expliziert die Mechanismen, die nach Euanders Erzählung die Welt seit dem Ende des Goldenen Zeitalters bestimmen. So begründet er historisch die Notwendigkeit der Bemühungen des Augustus um die Restitution von mores und leges. deren Berechtigung in Zweifel. Zur Diskussion: Norden 1916: 829 und Austin 1988: 221 f. Ambivalenz konstatieren z. B. Williams 1972: 212; 214 und O’Hara 1990: 166. 153 S. o. S. 190 mit Anm. 152.

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Ausschließlich Szenarien der militärischen Bedrohung von Freiheit und Existenz des römischen Staates ist die Schildbeschreibung gewidmet. Eindeutiger noch als die Heldenschau sind die dargestellten Ereignisse typologisch auf die Zeitgeschichte gerichtet. Das Thema des Kriegs gegen die Sabiner sind die Rechtmäßigkeit und der Modus von Friedensschlüssen. Den Raub der sabinischen Frauen sucht Vergil nicht als existentielle Maßnahme für Roms Fortbestehen zu rechtfertigen. Er bezeichnet ihn als einen Verstoß gegen die Sitten und führt umgekehrt auch andeutungsweise die Eröffnung des Krieges durch die Sabiner auf deren Sittenstrenge (severitas) zurück.154 Den Krieg zwischen Römern und Sabinern deutet Vergil nicht als eine Form des Bürgerkrieges. Im Mittelpunkt stehen nicht Schlachtenszenen, sondern die friedliche Beilegung des Konflikts und der Beginn einer Kooperation zwischen den verfeindeten Parteien. Wie Romulus sollte später auch sein Nachfahre Augustus in einen vergleichbaren Krieg verwickelt werden. Der Krieg gegen die Sabiner ging auf eine Aggression der Römer zurück – bei Actium hatten die Römer die Invasion der zu Barbaren stilisierten Gegner und den zum Staatsfeind erklärten Antonius abzuwehren. Dass Vergil das fragwürdige Agieren des Romulus nicht umgeht, ist keine Kritik an dessen Nachfolger Augustus, sondern erhöht noch die Verdienste des Princeps, der ein erklärter Verteidiger der mores war. Mit Fufetius Mettus ruft Vergil die grausame Ahndung eines hochverräterischen Akts in Erinnerung. Während der Herrschaft des Königs Tullus Hostilius hatten die Römer einen Krieg, der einer Behauptung des Livius zufolge einem Bürgerkrieg stark ähnelte,155 gegen die unter dem Befehl des Mettus stehenden Albaner für sich entschieden. Anschließend wurde Alba in den römischen Herrschaftsbereich inkorporiert. Um seine Beliebtheit beim Volk zu befördern, das mit dem Friedensschluss haderte, betrieb Mettus daraufhin den Abfall von Rom und wiegelte die Nachbarvölker auf.156 In einer ausführlichen Rede, die Livius in die Ab urbe condita eingeschaltet hat, klagte ihn Tullus Hostilius des Bruchs der fides an und befahl seine Hinrichtung.157 Den Vollzug des Urteils kritisiert Livius als unmenschlich und als Widerspruch zur römischen Milde.158 Durch die endgültige Eingliederung 154 Verg. Aen. VIII 635–638: […] raptas sine more Sabinas / consessu caveae magnis Circensibus actis / addiderat subitoque novum consurgere bellum / Romulidis Tatioque seni Curibusque severis. Nach Serv. Aen. VIII 638 kann das Attribut severus auch auf die Härte der von dem Spartaner Sabus abstammenden Sabiner bezeichnen. Diese Eigenschaft ging dann, wie Cato und auch Gellius (FRH 3 F 2,22) berichten, von ihnen auf die Römern über; hierzu auch der Kommentar zu FRH 3 F 2,21; s. auch Liv. I 18,4 über die disciplina tetrica ac tristis der Sabiner. In erster Linie dürfte Vergil jedoch auf den Kontrast zu dem sittenwidrigen Verhalten der Römer angespielt haben, die unter der Führung des Romulus rechts- und sittenwidrig (sine more) geraubt wurden (V. 635). Für eine apologetische Interpretation s. Williams 1973: 635 f., der sine more mit „outreageously“ übersetzt. Weitere Kritik an den Römern bei Liv. I 13 f. 155 Liv. I 23,1. 156 Liv. I 27,1 f. 157 Liv. I 28,4–9. 158 Liv. I 28,11: […] parum memoris legum humanarum fuit: in aliis gloriari licet nulli gentium mitiores placuisse poenas. S. hierzu jetzt Rossi 2010: 148 f.

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Albas wurde, wie Tullus vermerkt, die lange Aufspaltung der beiden von den Troianern abstammenden Völker aufgehoben. Auch von diesem Krieg aus, ausgetragen zwischen den Römern und den Albanern, reichen Bezüge zur Zeitgeschichte und namentlich zur Schlacht von Actium. Beide Male gab es eine Spaltung zusammengehörender Völker bzw. Bürgerschaften, hier der Römer und Albaner, dort der von Octavian und Antonius repräsentierten Teile des römischen Volkes, und beide Male endeten die Kampfhandlungen mit einer Wiedervereinigung, durch die Integration von Alba in den römischen Staat und durch die Rückeroberung des östlichen, von Antonius gelenkten Teils des Reiches. Wie Mettus hielt auch Antonius seine Verpflichtungen gegenüber Rom nicht ein, als er, der Propaganda Octavians zufolge, gemeinsam mit der ägyptischen Königin Kleopatra zu einem Feldzug rüstete und ein orientalisches Reich zu errichten trachtete.159 Auch er büßte seinen Verstoß gegen die fides mit dem Leben. Anders als Livius hat Vergil die in ihrer Grausamkeit römischen Sitten zuwiderlaufende Todesart des Mettus nicht beanstandet, vielmehr nachdrücklich als notwendige Konsequenz aufgefasst, für die der albanische Dictator selbst die Verantwortung trage.160 Im Fall von Actium gaben jedoch Antonius und Kleopatra, die Augustus zu verschonen beabsichtigte, sich selbst den Tod, so dass der Princeps nicht gegen die römische Tradition der clementia gegenüber Besiegten verstieß, die er zu befolgen selbst für sich in Anspruch nahm und der er sich auf dem ihm gewidmeten clupeus virtutis rühmte. Für die Zukunft ist das Schicksal des Mettus eine Warnung an Roms Vertragspartner. Mit Tarquinius Superbus bietet Vergil einen der in der Erinnerung prominentesten Gegner der Freiheit Roms auf. Durch die Bezeichnung der Römer als Abkömmlinge des Aeneas ordnet er diese Episode, die von der Selbstbehauptung der Republik handelt, in den Rahmen der teleologisch geprägten Geschichte Roms ein.161 Auf dem Schild ist die Szene abgebildet, wie Porsenna den Römern die Wiederaufnahme des vertriebenen Tyrannen befahl. Erinnert wird nicht an das Schreckensregiment des Königs. Vergil zielt ab auf die Kollaboration des abgesetzten Monarchen mit einer auswärtigen Macht, dem Etruskerkönig Porsenna, zur Wiedererlangung seiner Herrschaft, die Rom auf den Status eines Satelliten reduziert hätte. Die Abwehr der Belagerung Roms deutet Vergil als Einsatz für die Verteidigung und Konsolidierung der Republik und idealisiert im Unterschied zu Livius die begeisterte Abwehrbereitschaft und Freiheitssehnsucht des Volkes.162 Wie Antonius ist auch Tarquinius ein zum Staatsfeind mutierter Römer, der sein Vaterland mit Hilfe auswärtiger Mächte angreift. Vergils Aufmerksamkeit ist hingegen ganz von den beiden exempla absorbiert, die in bedrängter Lage die Freiheit der Stadt verteidig-

159 Hierzu zusammenfassend Halfmann 2011: 193 f. 160 Verg. Aen. VIII 642 f.: Haud procul inde citae Mettum in diversa quadrigae / distulerant (at tu dictis, Albane, maneres!) / […]. Keine Kritik an der Hinrichtungsart übt Dion. Hal. ant. III 30,7. Die zitierte Livius-Stelle hat Zetzel 1997: 199 fälschlicherweise auch auf Vergils Haltung bezogen. Ungerechtfertigt ist auch die Kritik an der Hinrichtungsart bei Gurval 1995: 221 f. 161 Verg. Aen. VIII 648: Aeneadae in ferrum pro libertate ruebant. 162 Liv. II 8,5–8.

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ten.163 Vergils Aufnahme des Tarquinius Superbus unter die referierten Szenen des Schildes unterstreicht die Legitimität des nicht unumstrittenen Bürgerkriegsakteurs Octavian, der sich vor der letzten Auseinandersetzung mit Antonius zum Verteidiger der Freiheit und der Unabhängigkeit Roms stilisierte.164 Nicht nur beanspruchte Octavian, der Retter Roms zu sein, sondern er stützte sich auch auf einen consensus omnium. Anders als unter den frührepublikanischen Patriziern, die eine repressive Politik gegen die Plebeier betrieben, so impliziert Vergil, stand das Volk unerschütterlich auf Seiten Octavians, den sie als ihren Vertreter anerkannten. Außer der Freiheit wurde auch die sakrale Ordnung Roms angefochten. Der Schild zeigt auch M. Manlius Capitolinus, der vor dem Iuppiter-Tempel auf dem Capitol die Invasion der Gallier zurückschlägt.165 Zwar verdunkelte später, von Vergil nicht aufgegriffen, Manlius’ Streben nach der Königsherrschaft den bei der Rettung Roms erworbenen Ruhm.166 Die Verteidigung des Capitols aber war unbestreitbar sein Verdienst. Im Konflikt mit Antonius und Kleopatra verteidigte auch Octavian die religiöse Identität Roms. Wie bei Actium hatte sich die Republik auch hier eines Angriffs von Barbaren zu erwehren. Mit der prominenten Rolle des Manlius in der Schildbeschreibung bringt Vergil jedoch keine Kritik an der außergewöhnlichen Stellung des Augustus in der res publica an. Eher unterstreicht Manlius’ Ambivalenz den Abstand zwischen Vergangenheit und Gegenwart zum Vorteil des Princeps. Zwar hatte auch Augustus die Feinde Roms abgewehrt und dann zentrale politische Funktionen übernommen. Während Manlius von neiderfülltem Konkurrenzdenken beherrscht war und aufgrund seiner Leistungen eine über das übliche Maß herausgehobene Position verlangte, rühmte sich Augustus, dass er die Republik wiederhergestellt und keine potestates außerhalb der althergebrachten Ordnung beansprucht habe, und dass sein Principat allein auf den consensus universorum und seine persönliche auctoritas beruhe. Nicht nur konnte er sich darauf berufen, dass er die in seinem Besitz befindlichen Vollmachten von Senat und Volk übertragen bekommen hatte. Auch hatte er alle Befugnisse zurückgewiesen, sofern sie republikanische Traditionen konterkarierten.167 Allen auf dem Schilde dargestellten Szenen liegen, was ihre Ursachen, die Art der Kriegführung und ihre Folgen für die Innenpolitik betrifft, Gemeinsamkeiten zugrunde, die Vergils Auswahl der Abbildungen eine innere Geschlossenheit verleiht. In fast jedem der referierten Kriege hatte Rom einen Feind abzuwehren, der seine Freiheit oder religiöse Ordnung, ja sogar die Existenz bedrohte. Gegner waren teils Römer, wie Tarquinius Superbus, der auf die militärische Unterstützung 163 Für die Tradition von der Eroberung der Stadt durch den Etruskerkönig s. Tac. hist. III 72,1 und Plin. nat. XXXIV 139 mit Ogilvie 1970: 255. 164 S. o. S. 48 f. 165 Für Allgemeines zu Manlius s. Woodman 1989: 138 f. und Putnam 1998: 128–135; jedoch mit einer bloß vordergründigen Ineinssetzung von Manlius und Augustus als Retter der Stadt 156 f. 166 Rossi 2010: 150 f. nimmt hingegen Anspielungen auf die monarchischen Ambitionen des Manlius wahr, bezieht sie allerdings nicht typologisch auf Augustus. Im Mittelpunkt steht in dieser Episode jedoch nicht der Schutz der Römer durch die Götter, der die Eroberung der Stadt verhinderte, so aber Williams 1973: 165 f. 167 S. o. S. 49.

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des Etruskerkönigs Porsenna angewiesen war, teils Barbaren, wie die Gallier, die unter ihrem Anführer Brennus das Capitol belagerten. Eine Ausnahme bildet der Krieg der Sabiner gegen Rom. Da die Auseinandersetzungen mit Tatius anders als die Kriege gegen Porsenna und gegen die Gallier nicht mit einem Sieg endeten, kann Vergil zeigen, wie sich die militärische Konfrontation in eine Kooperation beider Völker verwandelte, deren Könige fortan gleichberechtigt die Herrschaft ausübten. Das an den Sabinern verübte Unrecht, das Romulus und die Römer sich hatten zuschulden kommen lassen, wurde dadurch wenn nicht aufgehoben, so doch relativiert, und war jedenfalls nicht die einzige Perspektive, unter der man Romulus’ völkerrechts- und sittenwidriges Vorgehen deuten konnte. Dass umgekehrt die Römer mit unnachgiebiger Konsequenz den Verrat des Mettus ahndeten, ließe sich ebenso auf die Zeitgeschichte und Antonius projizieren. In diesem Akt der Bestrafung lag, wie auch in der Verfolgung der Kleopatra und des Antonius keine unnötige Grausamkeit, keine Missachtung des Gebots der clementia, die Vergil wie Augustus als Prinzip der römischen Herrschaftsausübung auffassten.168 Stattdessen stand sie im Einklang mit der in der Heldenschau geforderten Niederringung der Feinde Roms und zog auch die Beendigung eines Bürgerkrieges nach sich. Alle Kriege hatten Auswirkungen auf die Innenpolitik. Sie wurden nicht nur zur Sicherung des Staates, sondern auch zur Verteidigung seiner Freiheit geführt. Im Fall des Krieges gegen die Sabiner ergab sich durch die Einbindung der früheren Gegner, namentlich durch die Beteiligung des Königs Tatius an der Herrschaft, eine Modifikation des Regierungssystems. Die bei Vergil nicht erwähnten Ansprüche des Manlius auf die Alleinherrschaft wurden schließlich durch einen größtmöglichen Konsens, durch das konzertierte Vorgehen von Senat, Volkstribunen und Volk, abgewiesen. Alle diese in den jeweiligen Kriegen auftauchenden Aspekte kehrten zurück und vereinigten sich in der Schlacht bei Actium, dem Mittelpunkt des Schildes. Wie der Krieg gegen Tarquinius oder gegen Mettus war dies auch ein Bürgerkrieg, in dem sich die Verteidiger und die Gegner der Freiheit gegenüber standen, aber wie gegen die Gallier war hier zugleich auch der Ansturm primitiver oder jedenfalls barbarischer Feinde abzuwehren. Wie gegen Porsenna, Mettus und die Gallier focht auch hier das gesamte Volk, angeführt von einem überragenden Feldherrn. Die Einbeziehung der Gottheiten, die Actium in den Rang einer Gigantomachie erhoben, eröffnete gegenüber den vorherigen Kriegen eine neue, gewaltige Dimension, die der Schlacht nicht nur eine universalhistorische, sondern zusätzlich noch eine kosmologische Bedeutung verlieh.169 Actium war unbestritten der Höhepunkt der römischen Kriegsgeschichte und Augustus deren hochrangigster Vertreter. Anders als Romulus den Sabinerkönig Tatius vermochte er seinen Gegenspieler Antonius nicht in die politische Ordnung 168 Mit Hinweisen auf die Kriegsverbrechen Octavians sucht hingegen Funke 1990: 59 f.; 62 die Schildbeschreibung als wahrheitswidrige Panegyrik zu entlarven und beruft sich zur Diskreditierung des Lobs der römischen Geschichte auf die (vermeintlichen) Grausamkeiten, die auf dem Schild gezeigt wurden (56–59). S. Tarrant 1997: 179 zu Octavians Menschenopfer nach Perusinum (Dio LVI 44,1 m. Kienast 2009: 280 f.). 169 Grundlegend hierzu Hardie 1986 und Holzberg 2006(a): 38, der hier ein „Abbild des irdischen Universums“ erkennt.

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Roms einzubinden. Waren Römer und Sabiner immerhin über die geraubten Mädchen miteinander verwandt, so hatte Antonius seiner Gattin Octavia, der Schwester Octavians, den Scheidebrief geschickt und insofern ein mögliches Kooperationsangebot des Augustus, analog zu demjenigen des Romulus an Tatius, unmöglich gemacht.170 Zugleich erhebt Vergil Augustus über seinen Vorgänger Romulus, die andere bedeutende Gründergestalt, wenn er ihn einen Krieg zur Wahrung des römischen Staates führen ließ, der in Übereinstimmung mit den Sitten und mit dem Recht stand und nicht Folge eines verurteilenswürdigen Menschenraubs war. Bei seinem Kampf gegen Antonius und Kleopatra handelte der nachmalige Princeps keineswegs auf sich allein gestellt und aus Eigeninteresse, sondern gestützt auf den consensus universorum, im Verbund mit Senat und Volk im Sinne der Freiheit.171 Die von ihm gerettete Freiheit bedrohte er im Gegensatz zu Manlius nicht. Stattdessen ließ er die in den Bürgerkriegen verlorengegangene Republik wiederherstellen. Nur Leser, die nicht an die augusteische Selbstdarstellung glaubten, konnten in diesen Versen eine zeitgeschichtliche Kritik am Regiment des Princeps erkennen. Stellvertretend für alle Usurpatoren in der römischen Geschichte und deren Gegner stehen Catilina und Cato. Zwischen letzterem, dem Gegenspieler Caesars, und Augustus konnte Vergil mühelos eine zunächst paradoxal anmutende Verbindung andeuten, waren beide doch Verteidiger der res publica und wird Cato hier nicht seinem Widersacher im Bürgerkrieg, Caesar, sondern Catilina, dem Rebellen, gegenübergestellt.172 Alles in allem erfüllen die von Vulcan auf dem Schild eingravierten und von Vergil beschriebenen Kriege eine präfigurative Funktion für die Zeitgeschichte, die, von der Schlacht bei Actium symbolisiert, im Zentrum des Schildes standen. Mit historischer Regelmäßigkeit wurde Rom von seinen Feinden existentiell herausgefordert. Die erfolgreiche Bewältigung der Angriffe war Teil des vom fatum vorherbestimmten Verlaufs der römischen Geschichte, die in der Gegenwart, mit der allgemeinen Herstellung des Friedens und der Weltherrschaft, ihren Gipfel erreicht hatte. Als größte Herausforderung mussten dabei der Bürgerkrieg und dessen Beendigung bei Actium gelten. Durch die Einordnung in den historischen Zusammenhang wurde ihm trotz aller damit verbundenen Grausamkeiten noch ein Sinn erschlossen. Am Ende stand denn auch die Restauration der Republik. Das Versprechen Iuppiters, das Telos der Geschichte, war eingelöst. Die in der Phase zwischen den Goldenen Zeitaltern liegende Vergangenheit und die Gegenwart, in der das Goldene Zeitalter unter Augustus erneuert wurde, trennt Vergil von einander ab. Weder verstieß Augustus wie Romulus gegen die Sitten noch bestrafte er seine Gegner grausam noch nutzte er den Krieg für eine Usurpation. Der Ausblick am

170 S. z. B. Kienast 2009: 172. 171 S. hierzu Kap. B.I. 172 Zu Cato und Catilina s. ferner Williams 1973: 265 f. Insofern trifft nicht zu, dass Cato hier in erster Linie als „patriotic Roman fighting for Republican libertas against the inexorability of empire and of one-man rule“ (Putnam 1998: 135; ähnlich Gurval 1995: 229) gezeigt wird. Ebensowenig stehen Cato und Catilina für die alte Ordnung, die nunmehr zu Ende gegangen sei (Putnam 1998: 140).

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Schluss der Schildbeschreibung allerdings lehrt, dass es zur Sicherung des Friedens und der Freiheit auch in Zukunft nicht an militärischen Konflikten fehlen werde. Am Schluss der Heldenschau wendet sich Vergils tour d’horizon durch die römische Geschichte mit dem Portrait des früh verstorbenen Marcellus d. J. der Zukunft zu. Für ihn hatte Augustus wahrscheinlich eine führende Stellung vorgesehen.173 Er heiratete im Jahr 25 Iulia, die Tochter des Princeps,174 bekleidete er als 26-Jähriger die Aedilität (wobei der Princeps die Kosten für die ungewöhnlich prächtig ausgerichteten Spiele übernahm) und erhielt außerdem die Erlaubnis zur vorzeitigen Bewerbung um das Consulat.175 Der Tod, der ihn noch während der Amtszeit als Aedil ereilte, zerstörte jedoch alle Hoffnungen, die möglicherweise in ihn gesetzt worden waren. Sein Begräbnis war eine Demonstration der ihm zugedachten Bedeutung. Nach der Verlesung der laudatio funebris, die Augustus persönlich übernahm,176 wurde er im neuerrichteten Mausoleum des Princeps beigesetzt.177 Auch die Würdigung Vergils trägt Züge einer Trauerrede.178 Die familiären Beziehungen, die Marcellus mit der Vergangenheit verbinden, signalisieren die Kontinuität der Geschichte. Über den älteren Marcellus steht er in Beziehung zu einem Retter des Vaterlands,179 dessen Erfolge die Leistungen aller übrigen römischen Helden überragen180 und dem als Drittem nach Romulus und Cossus die Ehre zuteil wurde, die mit persönlicher Tapferkeit erworbenen spolia opima zu weihen.181 Auf der Folie dieser Lebensbilanz nehmen sich die gerühmten Anlagen und Tugenden des Marcellus d. J. für das Reich zukunftsverheißend aus. Durch seine Heirat ist Marcellus zugleich mit zwei der großen Gründergestalten Roms verwandt, Augustus und Aeneas, und insofern das vorerst letzte Glied der claudischen wie der iulischen gens. Auf diese genealogische Dimension ist zurückzuführen, dass Anchises die bereits entfachte Anteilnahme seines Sohnes Aeneas schürt, indem er den Tod des jungen Helden als ingentem luctum tuorum bezeichnet.182 Das Goldene Zeitalter fortzuführen, versagen ihm jedoch die Götter. Die Tragik seines Endes begründet Vergil mit ihrer Eifersucht auf die Macht Roms, als deren

173 Hierzu s. Fr. Münzer, RE III 2, 1899, 2738–2755, s. v. Claudius Nr. 220; Syme 1939: 34; Bleicken 1999: 339 f. und 346 f., der Marcellus’ politische Bedeutung eher gering taxiert; Kienast 2009: 100–102; 110. 174 Dio LIII 26,1; Suet. Aug. 63,1. 175 Zur Aedilität und den Spielen s. Dio LIII 31,2, zur Bewerbung Dio LIII 28,3 f.; 31,2 und Suet. Aug. 43,1. 176 Zur laudatio s. Dio LIII 30,5. 177 Zur Bestattung: Dio LIII 30,5; Serv. Aen. I 712. 178 So bereits Serv. Aen. VI 862. Anchises selbst bricht bei der Vorstellung des Marcellus in Tränen aus (Verg. Aen. VI 867). 179 Verg. Aen. VI 858. 180 Verg. Aen. VI 856: Ingreditur victorque viro supereminet omnis. 181 S. ferner Verg. Aen. VI 855 f.: spoliis Marcellus opimis / ingreditur; 859: tertiaque arma patri suspendet capta Quirino. 182 Verg. Aen. VI 868; 884: Marcellus als Enkel – den zeitlichen Abstand zusammenraffend. Austin 1988: 269 mit Belegen zur Trauer um Marcellus. Für formale Erläuterungen s. Norden 1916: 338–346.

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Exponenten sie Marcellus identifizieren.183 So bleiben die ihm innewohnenden Möglichkeiten unerschöpflich und unerschöpft zugleich: unerschöpft, weil ihm den Beweis für seine eigene Größe anzutreten versagt wird, unerschöpflich, weil in ihm das Potential des römischen Volkes aufscheint. Durch den frühen Tod des Marcellus wird jedoch Vergils Deutung der Gegenwart mit der Rückkehr des Goldenen Zeitalters nicht relativiert184 und droht dem Reich nicht der Untergang. In der Heldenschau musste, schon weil Vergil als Zeitgenossen des Augustus die Zukunft verschlossen war, der konkrete Fortgang der römischen Geschichte offenbleiben. Tatsächlich sollte die bereits ab dem Jahr 23 virulente Nachfolgefrage des Princeps zu einem der drängendsten Probleme seiner Regierungszeit werden. Ausgehend von der Geschichtsauffassung der Aeneis wären sowohl eine Fortschreibung des Goldenen Zeitalters als auch, wie nach der Herrschaft Saturns, eine Erzählung von dessen Scheitern denkbar. In der Würdigung des Marcellus d. J. wird deutlich, wie sehr die Zukunft von der Gestaltungskraft an der Spitze des Reiches abhängt. Die Aufrechterhaltung des Status quo ist für ihn kein Automatismus, sondern bedarf politischer Handlungsfähigkeit. d) Zusammenfassung Vergil entwirft in der Aeneis eine Gesamtdeutung der römischen Geschichte. Eingeordnet ist sie in einen universalhistorischen, in den Mythos ausgreifenden Rahmen. Die in ihm geltenden Gesetzmäßigkeiten bestimmen über die Bewertungsmaßstäbe, die an die Vergangenheit angelegt werden. Die Zeitschiene erstreckt sich vom Goldenen Zeitalter Saturns in Italien bis zu dessen Wiederherstellung und Überbietung in globaler Dimension unter Augustus. In drei Prophezeiungen wird das historische Geschehen über repräsentative Gestalten und Themen kondensiert. Dass Vergil die römische Geschichte als Fortsetzung der troianischen darstellt, verleiht den Überblicken Kohärenz. Das Goldene Zeitalter Saturns ist kein urzeitliches Paradies, sondern eine auf Sitten, Gesetzen und militärischer Stärke fußende Ordnung. Es ist daher nicht zwingend in einer konkreten historischen Situation zu verorten, sondern kann in jeder Epoche reproduziert werden. Vom fatum ist seine Wiederkehr im Zeitalter des Augustus vorbestimmt. Die römische Geschichte, die die Phase zwischen den Goldenen Zeitaltern füllt, ist eine Zwischenzeit, determiniert vom Verlust der beiden tragenden Elemente der Herrschaft Saturns. Kontinuität stiften die von Vergil aufgereihten Gründergestalten, die Roms Aufstieg repräsentieren. Eine Dekadenzerfah183 Verg. Aen. VI 870 f. Vergil greift hier das von römischen Grabepigrammen jung Verstorbener bekannte Motiv auf, dass allein die fehlende Zeit es sei, die dem Toten versagt habe, den Vorfahren an honores, an Ehrenstellen des öffentlichen Lebens, gleichzukommen (s. z. B. ILLRP I 312, 2–5: magna sapientia / multasque virtutes / aetate quom parva possidet hoc saxsum / quoiei vita defecit non / honos honore / is hic situs quei nunquam / victus est virtutei). Zur Verbindung von Stolz und Trauer in dieser Partie s. West 1993: 294–296, bes. 296. 184 Repräsentativ für die pessimistische Sicht ist Zetzel 1997: 200. Vgl. jedoch von Albrecht 1967: 182; O’Hara 1990: 168 und Glei 1998: 126 f.: „[…] the show had to go on, and it did!“

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rung, wie sie im Peripetiediskurs der Späten Republik der Fall Karthagos bedeutete, kennt seine römische Geschichte nicht. Sie ist keine Erzählung von Aufstieg und anschließendem Verfall. Trotz der Expansion ist sie wegen ihrer strukturellen Bedingungen, der Entstehung von avaritia, des Geltungsverlusts von Gesetzen und der Entfesselung der Gewalt, die Folgen des Scheiterns der Zivilisation Saturns waren, gegen eine Idealisierung immun. Zwar kannte die Vergangenheit natürlich Beispiele römischer Tugendhaftigkeit. Doch Vergil stellt ihr auch moralisches und politisches Versagen gegenüber. Die Themen blieben über die Zeit hinweg gleich. Thematisch dominiert innenpolitisch die Destabilisierung der res publica durch Prestige- und Machtstreben einzelner Persönlichkeiten, die teils durch populares Agieren die Gesellschaft fragmentierten, teils ihre Interessen mit Gewalt und im Bürgerkrieg durchsetzten. Außenpolitisch war Rom existentiellen Bedrohungen seiner Feinde ausgesetzt, die jedoch stets zurückgeschlagen wurden. Erst unter Augustus, so verlauten die Prophezeiungen, werden die Fehlentwicklungen beseitigt. Trotz aller menschlicher und moralischer Kosten, verursacht von Gewalt und Brutalität, soll die Aeneas’ verheißene Hoffnung auf Frieden Realität werden.185 Diese Version der Geschichte steht in einem Spannungsverhältnis zu den Narrativen der Historiographie. Seit der Etablierung des Dekadenzdiskurses wurde schon das Verdikt über die Zeitgeschichte gefällt. Mit den nach Caesars Ermordung entstandenen Werken teilt sie den desillusionierten Blick auf die gesamte Vergangenheit. Vergils Ansatz ist allerdings nicht mit Pessimismus zu verwechseln. Für ihn ist die Geschichte lediglich ein Durchgangsstadium zwischen zwei Goldenen Zeitaltern, nicht der alleinige Bezugspunkt der historischen Bewertung. Als Telos fasst er das Principat des Augustus auf. Differenzen bestehen hingegen in der Konstruktion des Ablaufs zur Geschichtsschreibung. Zu Beginn des 1. Jh.s wurde der Fall Karthagos als Wendepunkt historiographisch kanonisiert. Aber auch von dieser Zäsur rückte die jüngere Geschichtsschreibung ab. En vogue war, nach den Interpretationen in dieser Studie, eher die Vorstellung eines auf anthropologischen Einsichten basierenden Kontinuums, das in der Aeneis von den Nachwirkungen des Endes Saturns bestimmt ist. Mit der Relativierung einer Epochenscheide folgt Vergil womöglich einem Trend. Als Maßstab der Interpretation von Vergils Darstellung der republikanischen Vergangenheit sind die aus Euanders Erzählung hervorgehenden Rahmenbedingungen der Geschichte anzulegen. Dies fordert eine Revision der Debatte zwischen der traditionellen Vergil-Forschung und der Harvard School. Beide beruhen auf einer isolierten Lektüre der Prophezeiungen, abgekoppelt vom Goldenen Zeitalter Saturns. Sowohl die These von der Verherrlichung der Vergangenheit als auch der Ansatz, der eine subversive Kritik Vergils identifiziert, gehen von einer Perspektivverkürzung aus. Nicht nur ist seit der Späten Republik in der Literatur die Geschichte niemals glorifiziert worden – insofern richtet die Einschätzung, dass Vergils Bild der Vergangenheit im Zeichen von moralischem Scheitern, Tragik, Bruta-

185 Gegen Zetzel 1997: 202.

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lität und Krieg stehe, um Distanz zur Politik zu annoncieren oder die Selbstdarstellung des Princeps zu unterlaufen, unsachgemäße Erwartungen an die Aeneis. Wichtiger ist, dass eine manichäische Sicht Vergils auch in Widerspruch zu seiner Geschichtsteleologie gestanden hätte. Augustus’ Herrschaft ist für ihn gerade wegen der destruktiven Kräfte, die auch in der römischen Geschichte wirkten, legitimiert. Die Leistungen der Republik wertet Vergil nicht ab. Aber diese Epoche gehorchte ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, bei denen sich die Aeneis an den Erfahrungen der Gegenwart, aber auch an einem historischen Konsens orientierte. Einen Ausweg aus Fehlentwicklungen bietet das Principat des Augustus. Diese Studie plädiert deshalb für eine dritte Position jenseits von Optimismus und Pessimismus. Ihr zufolge ist Vergils römische Geschichte der kontinuierliche Weg zu einem weltumspannenden Goldenen Zeitalter, der begann, als Italien längst an den Folgen des Endes der Herrschaft Saturns laborierte, und der von diesem universalhistorischen Faktor bestimmt ist. Die Wiederherstellung des frühen Idealzustands ist keine Utopie, sondern lässt sich mit politischen Mitteln erzielen. Alles lief notwendig auf das Mittel des fatum, Augustus, hinaus. Die Zukunft indes bleibt offen. Die Darstellung der römischen Geschichte in der Aeneis ist keine Abrechnung mit der Vergangenheit und der Politik des Princeps, sondern legitimiert seine Restaurationsbemühungen. Zwar fehlt Vergils Ansatz die Zweiteilung der Geschichte in eine Phase des Aufstiegs und des moralischen Abstiegs und damit auch die Möglichkeit einer Orientierung an der Vergangenheit, die nach dem Willen des Augustus unter Rekurs auf die römische Geschichtskultur der Stabilisierung des Staates dienen sollte. Aber in der Methodik und den Zielen der Politik, der Begründung der res publica auf Sitten und Gesetzen sowie der Erlangung der Weltherrschaft, herrscht zwischen Dichter und Princeps Übereinstimmung. Das Goldene Zeitalter, das Augustus in der Saecularfeier ankündigt, ist nach Vergils Variante des Saturnmythos ein Ziel, das Potential zur Verwirklichung besitzt, weil es in der geschichtlichen Welt angesiedelt ist und deren Gegebenheiten Rechnung trägt. Alle Verwerfungen der Zeit nach Saturns Herrschaft werden aufgehoben in der Restitution des Goldenen Zeitalters unter Augustus. Nicht nur festigte er, wie in den Georgica angekündigt, den zerfallenden Staat. Ihm oblag in der Folgezeit auch die imperiale Aufgabe, die Ordnung der Welt im Zeichen des Friedens. Voraussetzung für die Existenz eines Goldenen Zeitalters, wie es unter Saturn geherrscht hatte, war die Geltung von Sitten und Gesetzen. In größeren Dimensionen, nicht nur wie einst Latium, sondern sogar den Erdkreis einschließend, erfüllte er, nach der Wiederherstellung der Republik und der Rückgewinnung der Feldzeichen des Crassus, die in den Prophezeiungen an ihn gerichteten Erwartungen. Das Beispiel Saturns lehrte jedoch, dass die Aufrechterhaltung des Goldenen Zeitalters permanente und ungebrochene Anstrengungen verlangt. Der von Augustus etablierten Ordnung droht potentiell das gleiche Schicksal wie der Herrschaft Saturns. Mit dem Ende der Bürgerkriege und der Einrichtung des Principats ist das Ende der Geschichte nicht erreicht. Die Heldenschau illustriert mit dem Blick in die Vergangenheit, in das republikanische Rom, wie eine solche Zukunft konkret aussehen könnte.

2. Delia, Messalla, Rom und das Land. Tibulls Idealwelt und die Geschichte

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2. DELIA, MESSALLA, ROM UND DAS LAND. TIBULLS IDEALWELT UND DIE GESCHICHTE a) Leben, Elegien und Politik Tibull galt im 1. Jh. n. Chr. nach einem Urteil Quintilians noch vor Ovid und Properz als der vollkommenste Elegiker seiner Generation.186 Die wenigen biographischen Auskünfte über ihn sind vage.187 Möglicherweise stammte er, der nicht vor dem Jahre 64, sondern wahrscheinlich erst ein Dezennium später in eine Familie aus dem Ritterstand geboren wurde, aus Pedum in Latium.188 Ein Epigramm des Domitius Marsus legt nahe, dass er zeitgleich mit Vergil verstorben ist.189 Wie Vergil, Properz und später Ovid entschied er sich gegen eine politische oder administrative Karriere und wählte stattdessen eine künstlerische Existenz. Dass Ovid ihn schon wenige Jahre nach seinem Tod in eine Reihe mit Gallus und Properz stellte,190 dokumentiert den kanonischen Rang, den er in der römischen Literaturszene offenbar rasch gewann. Prägend für Tibulls Biographie und Œuvre war sein Anschluss an den Feldherrn und Politiker Valerius Messalla, eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte.191 Neben der Kultivierung seiner rhetorischen Bega186 Zum künstlerischen Rang s. bes. Quint. X 1,93, zuvor schon Ov. am. I 15,27 f. Weitere Urteile der Nachwelt verzeichnet Maltby 2002: 37–39. 187 Eine grundlegende Einführung in das Leben des Dichters bietet Fisher 1983: 1933–1938. Für eine Diskussion der Zeugnisse zur Biographie des Dichters s. Murgatroyd 1980: 1–6 und Maltby 2002: 33–42. Murgatroyds Ausführungen sind, wo sie die Gedichte Tibulls für die Rekonstruktion seiner Vita heranziehen, nicht frei von Spuren einer autobiographischen Interpretation (bes. 6 f. zur Familie und dem Landbesitz sowie auch 3 zur Lebensführung). 188 Zum Geburtsdatum s. Murgaytroyd 1980: 3 f. Gemeinhin datiert man die Geburt Tibulls in die Jahre nach 54, so Murgatroyd 1980: 4; Fuhrmann 1999: 230; von Albrecht 2003: 597 f. Die Herkunft aus Pedum kann nur aus Hor. epist. I 4,2 erschlossen werden. Die ritterliche Abkunft vermerkt die spätantike Vita. Allenfalls über einen fragwürdigen autobiographischen Interpretationsansatz ließe sich aus Tib. I 1 erschließen, dass die Familie von den Landenteignungen betroffen war, jedoch ohne schwerwiegende finanzielle Verluste zu erleiden. Vom finanziellen Ruin des Sohnes eines Tibullus, der schwerlich mit dem Adressaten des Briefes I 4 identisch sein kann, spricht Hor. serm. I 4,109 f. 189 Das bestätigt auch die Vita (abgedruckt als Testimonium Nr. 2 bei Maltby 2002: 33), allerdings mit ausdrücklicher Bezugnahme auf das Epigramm. 190 Ov. ars III 333 f.; 535–538; rem. 763–766; trist. II 445–468; IV 10,51–54. 191 Bei Philippi kämpfte er zusammen mit den Caesarmördern, schloss sich danach Antonius an, wechselte vor der Schlacht von Actium erneut die Seiten und nahm seither einen Platz unter den wichtigsten Weggefährten des Augustus ein, mit dem er im Jahr 31 gemeinsam das Consulat bekleidete. Vier Jahre später wurde ihm ein Triumph über Gallien zuteil. Es ist nicht auszuschließen, dass der Dichter seinen Mäzen bei Operationen in Ägypten (i. J. 30/29) und gegen die Aquitanier (i. J. 28/27) begleitete. Im Jahr 26 gab er das neugeschaffene Amt des Stadtpräfekten, das Augustus ihm übertragen hatte, nach wenigen Tagen wieder zurück, angeblich, weil es mit der freiheitlichen Tradition Roms unvereinbar war, wahrscheinlich aber um seine politische Unabhängigkeit zu demonstrieren. Seine Freundschaft zum Princeps beeinträchtigte dies offensichtlich nicht. Während Messalla Mitglied des Kollegiums der Arvalbrüder wurde und später den Posten des curator aquarum versah, wurde sein Sohn Messalinus im Jahr 19 zum Quindecimvir sacris faciundis gewählt. Es war Messalla, der Augustus im Auftrag des Senats

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bung pflegte Messalla auch gelehrte und künstlerische Ambitionen. Dass er erotische und vielleicht auch bukolische Dichtungen verfasste,192 hat möglicherweise das Fundament zu einem literarischen Austausch mit Tibull gelegt, dessen zwei Elegienbücher auch von den Eclogen und den Georgica Vergils inspiriert sind. Das Œuvre Tibulls umfasst zwei Bücher mit je zehn und sechs Gedichten.193 Vermutlich wurde das I. Buch im Jahr 26 veröffentlicht; ihm gingen Horaz’ Epoden und Satiren ebenso voraus wie die Georgica Vergils, die seit Mitte der 30er Jahre entstanden, sowie vermutlich auch das I. Buch des Properz. Etwa sieben Jahre später, kurz vor Tibulls Tod, folgte in zeitlicher Nähe zur Saecularfeier der zweite Teil der Sammlung. Mittlerweile hatte Horaz seine ersten drei Odenbücher veröffentlicht und Properz die Bücher II und III seiner Elegien vorgelegt; im II. Buch, namentlich in der 5. Elegie, hat die zur gleichen Zeit entstehende Aeneis intertextuelle Spuren hinterlassen. Beide Bücher erzählen in einer romanhaften Handlung aus auktorialer Perspektive die fiktiven Liebes- und Lebenserfahrungen eines jüngst von einem Feldzug seines Patrons Messalla zurückgekehrten, nach Orientierung suchenden amator. Der elegische Liebhaber steht zwischen verschiedenen Lebensentwürfen: zwischen der an eine urbane Existenz gebundenen Liebe, die zunächst Delia, dann dem Knaben Marathus und schließlich Nemesis gilt, und dem Wunsch nach einem friedvollen, einfachen Auskommen auf dem Land jenseits von Krieg und Politik, und der Freundschaft zu dem Militär Messalla. Die gleichzeitige Realisierung aller dieser Komponenten definiert für den amator das ideale Leben. Das Streben nach einer Vereinbarkeit dieser konträren Sehnsüchte rufen existentielle Konflikte mit sich selbst und seiner Umwelt herauf. Die Kontamination der unterschiedlichen Lebensformen und die Interaktion der mit ihnen jeweils verkoppelten Personen führen immer wieder neu zu der Frage, wie es dem amator gelingen kann, die Voraussetzungen eines glücklichen Lebens mit seinen divergierenden Neigungen in Einklang zu bringen. Die Sammlung, die zu Beginn des augusteischen Principats existentielle Konflikte zwischen persönlichen Neigungen, gesellschaftlichen Konventionen und politischen Verpflichtungen zeigt, kulminiert zu einem Nachdenken über die Mechanismen der Welt, das sich in kulturgeschichtlichen und historischen Dimensionen bewegt. Wie kein anderer Elegiker im augusteischen Rom erfasst Tibull die formieden Titel eines pater patriae antrug. Nach schwerer Krankheit ist er 12 oder 13 n. Chr. verstorben. – Die besten Rekonstruktionen der Vita Messallas stammen von Syme 1986: 200–216 und Leppin 1998: 182–189. Zu den Messalla-Stellen im Corpus Tibullianum jetzt Foulon 2007. Den Rücktritt Messallas bewertet Leppin nach der Diskussion anderer Erklärungsansätze mit Recht als eine „kalkulierte Provokation“ (187). Zu Messalla als Patron Tibulls s. Schmitzer 1993: 117, Anm. 26. Umstritten ist sein Verhältnis als literarische Figur in den Elegien zu Tibull; Forschungspositionen bei Mossbrucker 1983: 1–11; Näheres hierzu s. u. 192 Erotische Gedichte Messallas bezeugt Plin. epist. V 3,4 f., der von lusus spricht. Nur schwache Hinweise auf bukolische Dichtungen vermag Newman 1998: 231 zu entdecken, ähnlich aber auch Foulon 2007: 175 mit Verweis auf [Verg.] Cat. 9. Weiteres zu den literarischen Interessen Messallas bei Leppin 1998: 185. 193 Zu den Verfassern und der Datierung der nicht von Tibull stammenden Bücher III und IV des Corpus Tibullianum s. von Albrecht 2003: 605–611.

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renden Kräfte der römischen (Lebens-)Welt und erschafft so ein elegisches Weltgedicht. Zur Stimmung im augusteischen Zeitalter und dem Versprechen des Princeps von Frieden und Prosperität für die Zukunft bietet sein Werk einen wichtigen literarischen Diskursbeitrag. Da es Augustus’ Anspruch war, ein Zeitalter des Friedens und der Prosperität herzustellen, lassen sich die Gedichte als ein Kommentar zur augusteischen Selbstdarstellung lesen. Stets von neuem sucht Tibull die Frage zu beantworten, ob in der von widersprüchlichen Kräften durchzogenen Gegenwart ein stabiler Frieden möglich sei und welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssten. Das Problem, inwiefern die Ziele des Augustus realisierbar seien, macht Tibulls Dichtung zu einer Form der politischen Literatur, auch wenn die Elegien die Politik im engeren Sinn oder Einzelheiten der römischen Geschichte zumeist nicht direkt berühren. In der Forschung herrschen zwei gegensätzliche Positionen zur politischen Einordnung Tibulls vor. Sie gehen auf unterschiedliche Einschätzungen der Persönlichkeit und der Ziele des amator zurück, der wahlweise als komisch,194 melancholisch, träumerisch, scheu, blutarm, sensibel und träumerisch195 eingestuft wird. Als Bekenntnis zum Princeps galt sein Ideal vom Leben auf dem Land wie auch sein Wunsch nach Frieden.196 Seine daseinskritische Haltung gebe Tibull197 bzw. die persona198 schrittweise auf und arrangiere sich mit der Wirklichkeit. Seine Hoffnungen, die sich in den Elegien artikulieren, seien nicht utopisch, sondern realistisch.199 Gegen eine positive Haltung Tibulls zu Augustus wird angeführt, dass seine Idealvorstellungen eine scharfe Zeitkritik enthielten.200 In ihrer Widersprüchlichkeit bekundeten sie scheinbar eine Krise der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter.201 Die Ablehnung des Imperialismus, aber auch die Unterwerfung unter die puella sowie der träumerische Utopismus202 stünden in Widerspruch zum traditionellen, von Augustus wiederbelebten mos maiorum.203 In historisch-materialistischer Sicht als Kritiker der gegenwärtigen Verhältnisse verstanden, der sich zu der Erkenntnis durchringe, dass seine gesellschaftspolitische Hoffnung zum Scheitern verurteilt gewesen sei.204 Umstritten ist jedoch, inwieweit die persona eine ernstzunehmende Gestalt sei und die von ihr vorgetragene Kritik an den Verhältnissen vom zeitgenössischen Publikum ernst genommen worden sei.205 Auch die Elegie II 5, die als ein194 Gotoff 1974: 235; 238; 245; Dubla 1978; Kruschwitz 2002. 195 Für eine umfassende Dokumentation dieser Positionen mit Belegen s. Lee-Stecum 2000: 177. 196 Außer Allen 1922; Wifstrand Schiebe 1981; Gall 2014: 127 zusammenfassend Holzberg 2006: 76–98. 197 Wimmel 1968; 1976; 1983. 198 Mutschler 1985. 199 Weiden Boyd 1984: bes. 280. 200 Neumeister 1986: z. B. 147; 156. 201 Wimmel 1968. 202 S. z. B. Eisenberger 1960: 196 f. 203 Solmsen 1962: 298; 300. Distanz ohne Widerspruch nimmt Stroh 2014: 157–159 wahr. 204 Henniges 1979. 205 S. Holzberg 2006: z. B. 78 f.; 97 f. zur Komik und deren Auswirkungen auf eine politische Interpretation der Sammlung.

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ziges Gedicht der Sammlung einen kompletten Überblick über die römische Geschichte gibt, hat zu unterschiedlichen Deutungen eingeladen. Sie wird als Miniatur der Aeneis und als Huldigung an Augustus gelesen.206 Spannungen, die Tibulls Werk durchzögen, lösten sich hier durch „Nähe und Vertrautheit“207 auf. Auch wenn nach Tibull das neue Goldene Zeitalter noch nicht begonnen habe, formuliere er die Hoffnung, dass eine Versöhnung zwischen Apollo und Saturn möglich sei.208 Eine dritte Position begreift Tibull als Dichter einer Übergangszeit. Seine Gedichte spiegelten wider, dass Rom an der Schwelle einer neuen Zeit stehe,209 in der über die traditionelle „Zweiheit Roms“ entschieden werde210. Wenn er schon keine Gesellschaftskritik äußere, dann bekunde das Werk eine Doppelgesichtigkeit,211 die sich einer Vereinnahmung durch Augustus entziehe.212 Weitreichende Bedeutung wird Tibulls Verhältnis zu Messalla und Augustus durch ihre Darstellung in der Sammlung beigemessen. Die Spekulationen über die politische Haltung Messallas, der bisweilen weniger als Verbündeter denn als Opponent des Princeps galt,213 führten zur Einschätzung, Tibull sei ein Kritiker des Augustus. Während der Name des Princeps in den Gedichten kein einziges Mal erwähnt wird, sind Messalla und seine Familie nicht nur Widmungsträger mehrerer Gedichte, sondern treten in ihnen sogar als handelnde Personen auf.214 Da jedoch Tibulls Aufmerksamkeit in erster Linie seinem Förderer zu gelten hatte, der Huldigungen des von ihm protegierten Dichters erwartet haben mag und trotz seines demonstrativen Rückzugs vom Amt des Stadtpräfekten zu den politischen Unterstützern des Augustus gehörte, reichen diese Indizien kaum aus, um auf eine ablehnende Einstellung Tibulls zum Regiment des Princeps zu schließen.215 Da in seinen Elegien Messalla als Vertreter der politisch-militärischen, vom mos maiorum geprägten Welt auftritt, die oftmals dem amator feindlich gesinnt ist, werden jedoch übergeordnete Fragen, zumal in einem kulturtheoretischen Kontext, angerissen, die die Zeitgeschichte und das Principat des Augustus betreffen. Für eine politische Interpretation der Sammlung, in deren Zentrum die Realisierbarkeit, die Gestalt und die Bedingungen des Friedens stehen, sollen hier die Lebensideale der persona auf ihren entwicklungsgeschichtlichen Ansatz und die 206 207 208 209 210 211 212

Buchheit 1963; Gerressen 1970. Merklin 1970. Neumeister 1987. Carins 1979: bes. 229 f. Wimmel 1961. Mutschler 1985. Angefügt sei, dass sich Tibull für Gosling 1987 einer politischen Einordnung entziehe, wie sie am Beispiel von Elegie II 5 demonstriert. 213 S. die bei Maltby 2002: 41 angegebene Literatur sowie Leppin 1998: 187 f. 214 Für Tibull als Kritiker des Augustus s. beispielsweise Ball 1981: 137; 142; Schmitzer 1993; anders z. B. Lee-Stecum 2000: 212. – Dass Tibull Augustus nicht erwähnt, lässt, wie Solmsen 1962: 297 zeigt, keine Rückschlüsse auf seine Bewertung des Princeps zu. Wie Augustus wird auch die Stadt Rom in der Sammlung nicht genannt; hierzu zuletzt Schmitzer 2016: 125–127. Als Negativfolie ist sie aber auch ohne Namen weitgehend präsent. 215 Zum Patronagesystem s. White 1993; Cairns 2006; Heyworth 2010. Zum Verhältnis zu Augustus auch Lee-Stecum 2012: 212 f.

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Verkoppelung der Lebenssituationen mit Reflexionen über die römische Geschichte und die Theorie der Kulturentwicklung in den Elegien I 3; 7; 10, II 1; II 3; II 5 untersucht werden. Denn zu den Charakteristika beider Bücher zählt, dass Tibull die individuellen Probleme des amator mit der geschichtlichen Entwicklung engführt und sie am Schluss nicht nur mit der römischen, sondern auch mit der Weltgeschichte verknüpft. Anhand der Elegie I 1 wird das Ideal des amator rekonstruiert. Ob und wie es sich wandelt und welche Herausforderungen die persona zu bestehen hat, soll eine gedichtweise voranschreitende Analyse zeigen. Eine Gesamtdeutung der römischen Geschichte liefert Tibull in der Elegie II 5. Dieses Gedicht steht jedoch nicht isoliert für sich, sondern ist Bestandteil einer Gesamtkomposition, in die sie eingebettet wird. Von diesen historischen Horizonten empfängt die Sammlung, die das geschlossene Geschichtsbild einer fiktiven Person der entstehenden Principatsordnung in den Jahren nach der Beendigung des Bürgerkriegs präsentiert, ihre politische Bedeutung, ihre Verortung im augusteischen Principat und ihren Beitrag zum historisch-politischen Diskurs. Die Anordnung der Elegien bildet die Umrisse einer Biographie des elegischen Tibull ab.216 Zu Beginn, offenkundig nach dem Abschluss eines Feldzuges, sinniert der amator über sein künftiges Leben auf dem Landgut der Familie zusammen mit seiner Geliebten Delia (I 1). Delia ist jedoch auch mit einem anderen Mann liiert, dem durch Kriegsdienst zu Vermögen gelangten Rivalen (I 2). Um seinen Freund und Patron ins Feld zu begleiten, hat der amator hat auf Bitten Messallas Rom erneut verlassen; auf der Insel Korkyra hält ihn jedoch eine schwere Krankheit zurück, die den Anlass für eine Meditation über den Tod bietet (I 3). Abrupt erscheint der amator in einer neuen Rolle, als glückloser Verehrer des Knaben Marathus und als von Priap inspirierter, jedoch erfolgloser Lehrer der Liebe (I 4). Obwohl er die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Delia auf dem Land nicht verliert, verkennt er das Phantastische und Unwirkliche dieser Vorstellung nicht (I 5). Auf ein rühmendes Geburtstagsgedicht, das Messalla gewidmet ist (I 7), folgen zwei Elegien, die auch das endgültige Scheitern der Liebe zu Marathus erzählen (I 8 + 9). Nach einer erneuten Einberufung zum Kriegsdienst schließt das I. Buch mit einer von Angst geprägten Reflexion über die Entwicklung der römischen Geschichte von den frühesten Anfängen bis zur Gegenwart. Im II. Buch tritt die persona als Leiter eines ländlichen Festes auf, das einen ungestörten Frieden feiert. Zum harmonischen Eindruck, den ihre Lebensumstände vermitteln, trägt eine Geburtstagselegie auf Cornutus bei, dessen Liebe zu einer 216 Grundlegend Mutschler 1985 mit einem ausführlichen Forschungsbericht 13–28. Seit den Untersuchungen Schusters steht fest, dass die Gedichte in der überlieferten Reihenfolge gelesen werden müssen (Schuster 1930, der allerdings einen rein biographischen Ansatz verfolgt. S. jetzt Korenjak 2010 und ferner Bright 1975 sowie Lee-Stecum 1998: 1 f.; 6–9; Maltby 2002: 49 f. und Gärtner 2003). Nach einer relativen Chronologie zu suchen, die sich von der überlieferten Reihenfolge entfernt, entbehrt einer methodischen Rechtfertigung. Eine eigenwillige Anordnung konstruieren Wimmel und Wifstrand Schiebe, die Tibulls Haltung zum idealen Leben als konstruktive Fortentwicklung nach dem Vorbild Vergils begreift (s. bes. Wimmel 1968; 1976 und Wifstrand Schiebe 1981, kritisiert zurecht bei Maltby 2002: 31), dafür die Gedichte jedoch in ihrer Abfolge komplett umzustellen gezwungen sind.

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Frau tatsächlich in eine Ehe gemündet ist (II 2); Tibull hingegen ist dem servitium amoris der herrischen Nemesis ausgeliefert, die sein inneres Gleichgewicht zerrüttet (II 3 + 4). In einem Gedicht auf die Amtseinführung des Messalinus, des Sohnes des Messallas, der in das Kollegium der Quindecimviri sacris faciundis gewählt worden ist, entwirft Tibull ein Bild der Gegenwart, eingebunden in einen historischen Gesamtüberblick (II 5). Von der Herrschaft, die Nemesis über ihn ausübt, kann er sich unterdessen noch immer nicht befreien und scheitert, von Amor bezwungen, am Abschied von der elegischen Liebe (II 6). b) Kulturentwicklungslehren und die (Zeit-)Geschichte α) Tibull und die Elemente des idealen Lebens (I 1) Das Spektrum der Konflikte in der fiktiven Biographie des elegischen Tibull entfaltet das erste Gedicht des I. Buchs. Tibulls Vorstellung vom idealen Leben ist eine dem Frieden auf dem Land und der elegischen Liebe gewidmete Existenz.217 Im ersten Teil stellt Tibull einen Kontrast zwischen dem Land und dem Militär als Lebensformen her; im zweiten Teil führt er das Kriegsleben als Gegensatz zur Liebe ein. Mit dem Land konnotiert sind Sesshaftigkeit, Bescheidenheit, Armut, bäuerliche Tätigkeiten, Einfachheit und Religiosität. Assoziiert ist diese Lebensform, die Tibull vorschwebt, mit der Vergangenheit und der damals vorherrschenden Integrität der Sitten. Der erste Teil des Gedichts (1–50), eine recusatio der Epik218, zeigt den amator am Ende seines Kriegsdiensts vor dem Rückzug ins Privatleben. Seine persönlichen Vorlieben stehen im Widerspruch zum mos maiorum. Armut und fehlenden Ruhm zieht er den vom Soldaten verkörperten Reichtum und Ruhm vor. Von dem ursprünglich großen und reichen Familienbesitz sei nur ein geringer Teil erhalten geblieben.219 Das Landleben enthält starke religiöse Komponenten wie die Verehrung der Laren und die pietas gegen Gottheiten wie Ceres, Bacchus und Pales, die das Land repräsentieren220 und auch in weiteren Gedichten des Zyklus als Symbol

217 S. bes. Cairns 1979: 11–35; Maltby 2002: 116. Gliederungsmöglichkeiten: Putnam 1973: 49 (Politik – Land) und Weiden Boyd 1984: 273, Anm. 1, mit dem Plädoyer für eine Zweiteilung; Maltby 2002: 115; anders v. a. Gaisser 1983: 58 f. mit der älteren Literatur. Widersprüchlich Fisher 1970: 767. – Dass die Situation, in der Tibull sich in Elegie I 1 sieht, kein Traum ist, wie Miller 1999 behauptet, hat zuletzt Döpp 2005: bes. 459–461; 471, in einer Strukturanalyse gezeigt. 218 Maltby 2002: 116. 219 Tib. I 1,19 f. (felicis quondam, nunc pauperis agri / custodes); 21 f. (tunc – nunc); bes. aber 25 (Iam, modo non, possum contentus vivere parco); 37 (paupere mensa); 41 f. (Non ego divitias patrum fructusque requiro / […]). Hier ist aber nicht an eine dekadenzkritische Rückprojektion eines Lebensideals in die Vergangenheit zu denken. 220 Tib. I 1,19–24; 35–40. Zum symbolischen Gehalt des Materials Maltby 2002: 135. Zu den Laren die historischen Informationen bei Murgatroyd 1980: 58; Maltby 2002: 129; zu Pales Maltby 2002: 134 f.

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einer ländlichen, religiös geprägten Lebensform dienen.221 Gerichtet sind seine Reflexionen an seinen Freund, den Feldherrn Messalla. Für den amator unterscheidet er sich von den übrigen Feldherren, weil er nicht Reichtum, sondern Ruhm anvisiert. Doch verglichen mit dem Ideal des beschaulichen, von äußeren Ansprüchen unangefochtenen Lebens auf dem Land ist auch dies für Tibull nicht erstrebenswert.222 In der zweiten Hälfte des Gedichts wandelt sich der amator vom Apologeten des Landlebens zum Liebhaber. Dem siegreichen Soldaten Messalla stellt Tibull den siegreichen amator gegenüber.223 Die elegische Lebensform tritt in diesem Gedicht auch in Opposition zum vorher noch mit moralischen und religiösen Werten konnotierten Landleben.224 Weder von der zerstörerischen Wirkung der Liebe ist in der ersten Elegie die Rede noch von der Unvereinbarkeit von Landleben und städtischer Maitresse. Beides wird der amator bald erfahren.225 Nicht der Krieg selbst

221 Tib. I 3,34; 10,15; II 1,60; 4,54; 5,20; 42. 222 Tib. I 1,27–36. Zu Recht verweist Wimmel 1976: 9 darauf, dass Tibull hier nicht an „fronhafte Tätigkeiten“, denkt (modifiziert jedoch 28 f.: Ochsentreiben als „grobianische Tätigkeit“), s. auch Reischl 1976: 44 zu 1,7 (tristitia durch Arbeit). Interdum zeigt, dass Tibull die Landarbeit jedenfalls nicht als Hauptaufgabe ansieht (missverstanden von Murgatroyd 1980: 55 und unberücksichtigt von Foulon 2010: 96). Zu I 1,5 (inerti) besteht kein Widerspruch, wie Putnam 1973: 54 behauptet. Reischl 1976: 42: Kulturlandschaft bei Tib.: „Garten Eden, ein Idyll“. Trotz seines Bekenntnisses zur paupertas darf man ihn sich nicht als ärmlichen Bauern vorstellen, dessen Tag vollständig von Arbeit dominiert wird. Eher tritt Tibull als eine Art GentlemanFarmer auf, der nicht aus Not arbeitet und mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten nur kokettiert. Paupertas bedeutet nicht strenge, ehrenrührige Armut (Dissen 1835: 9; Putnam 1973: 59–61, passim; Wimmel 1976: 7–10; Smith 1964: 186 mit Verweis auf Sen. epist. 87,40; Mart. XI 32,8). Weitere Stellen bei Murgatroyd 1980: 53. S. auch V. 77 f.: Um keinen Hunger zu leiden, legt Tibull einen Vorrat an. Zur Tradition der von Tibull verwendeten Motivik s. ferner Murgatroyd 1980: 49. Ferner Maltby 2002: 120 f. zu den gattungsgeschichtlichen Konventionen und zum positiven moralischen Unterton. Für einen Vergleich der Darstellung des Landes bei Tibull mit der Lebensform des Gärtners von Tarent in Verg. georg. IV s. Weiden Boyd 1984: 274 f. 223 Tib. I 1,73 f. Von Wimmel 1976: 64 f. in die Formel amator militans – miles cupidus gekleidet. Kurz zuvor allerdings befand er sich noch als exclusus amator im servitium amoris (1,55). Zum typisch elegischen Material der Stelle s. bes. Putnam 1973: 58 und auch Smith 1964: 200. Als exuviae Delias erscheint Tibull hier gerade nicht, wie Maltby 2002: 54 feststellt. Zur inszenierten provokativen Umkehrung der Werte bei Tibull, hierzu auch Tib. I 1,58, auch allgemein Wimmel 1976: 64 f. und Gaisser 1983: 63; 65. Ob dieser Teil der Elegie als Huldigung an Messalla zu verstehen ist (Döpp 2005: 469), mag bezweifelt werden. 224 Dies wäre einzuwenden gegen Döpp 2005: 471 f., der Tibulls Idealvorstellung nicht in einem Leben auf dem Land, sondern zusammen mit Delia in bequemer Annehmlichkeit erblickt (ähnlich noch Jacoby 1909/10: 46–48 und Lee 1974: 103 f.). Die bei Murgatroyd 1980: 50 genannten Stellen für die Verbindung von Liebes- und Landleben (Theokr. 11,42–49; 65 f.; Verg. ecl. 2,28–38.) besitzen wenig Aussagekraft, da sie von bukolischer, nicht elegischer Liebe – wie bei Tibull – handeln. Die urbane elegische Liebe gehört nicht ins Land; vgl. auch Gaisser 1983: 61, verkannt von Ball 1983: 31 f.; Fisher 1970: 767–772; Bright 1975: 125 f.; Murgatroyd 1980: 48. – Eine stärkere Verbundenheit Tibulls gegenüber Messalla als gegenüber Delia, wie Lee 1974: 110 behauptet, zeigt das Gedicht nicht. 225 Eine solche Unvereinbarkeit vermag Weiden Boyd 1984: 277 nicht zu erkennen und geht von einer Entwicklung aus, einer Ablösung des ländlichen Ideals zugunsten der Liebe.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

ist eine Herausforderung für Tibulls Ziele, sondern der Reichtum seines Rivalen, der mit militärischem Ruhm einhergeht.226 Die Elegie I 1 hält ein Plädoyer für die von elegischer Liebe erfüllte vita contemplativa. Bei allen Reminiszenzen an ein Leben im Goldenen Zeitalter oder Vergils Idealisierung des Landlebens in Georgica II227 operiert Tibull indes noch nicht mit jenen kulturtheoretischen Reflexionen.228 Zur Politik des Princeps nimmt dieser Lebensentwurf eine zwiespältige Haltung ein: Indem Tibull die Aussicht auf militärischen Ruhm gleichgültig lässt, weicht er nicht nur vom senatorischen Habitus ab, der für Augustus’ Erneuerungsprogramm eine integrale Funktion besaß, sondern konterkariert ihn durch seine Entscheidung für ein der Liebe gewidmetes Leben im Privaten; indem er sich von der Habgier distanziert, die im Dekadenzdiskurs eine Hauptverantwortung für den Niedergang Roms trägt, und eine ländliche Existenz favorisiert, stimmt er mit den Reformbemühungen des Princeps um eine Wiederbelebung der Sitten überein, wenngleich aus Motiven, die Augustus’ Politik fremd waren. Die Anstrengungen zur Verwirklichung der Ideale, begleitet von Reflexionen oder emotionalen Ausbrüchen, die die zwischen Hoffnung und Verzweiflung changierende Stimmung Tibulls erzeugen, bilden das politische Leitmotiv der beiden Gedichtbücher. β) Tibulls Spektrum der politischen Deutung der Welt (I 3; I 7; I 10; II 1; II 3) Elegie I 3 Nach den Hoffnungen auf ein Leben in ländlicher Zurückgezogenheit (I 1) und dem Werben um Delia in der Stadt (I 2) wird der elegische Tibull in Elegie I 3 mit einem dramatischen Wandel seiner Lebenssituation konfrontiert.229 Auf einer Reise in den Osten des Reiches, wohin er Messalla auf dessen Feldzug begleitet, wird er von einer schweren Krankheit befallen. Tibull bleibt alleine auf der Insel Korkyra zurück. Seiner depressiven Stimmung verleiht er durch verzweifelte Gebete und eine wütende Anklage Ausdruck. Für seine Genesung setzt er auf göttlichen Beistand. Heilung erbittet er von Isis, in deren Tempel Delia für ihn beten soll, und von den Laren und Penaten, seinen persönlichen Schutzgöttern, die ihn vom Krieg in die Welt der Liebe und des Landes zurückholen sollen. Zugleich fleht er Iuppiter, den Herrscher über die Gegenwart, um Verschonung an. 226 Smith 1964: 198; Bright 1975: 42–44; Gaisser 1983: 61. 227 Smith 1964: 184; Fisher 1970; Cairns 1979: 13–15; Ball 1983: 21 f.; Gaisser 1983; Weiden Boyd 1984; Maltby 2002: 116. 228 Anders Weiden Boyd 1984: 275 f. Wenig weiterführend erscheinen ihre Vergleiche mit dem Gärtner von Tarent (274) aus den Georgica und mit der Situation von Georgica I, in der der Landbau als Kriegsführung gegen eine widrige Umwelt charakterisiert wird (273 f.). 229 Gliederung des Gedichtes: Murgatroyd 1980: 98 f. Zur Motivik des Goldenen Zeitalters, freilich unspezifisch und unterschiedliche Versionen kontaminierend Smith 1964: 244–252 und Murgatroyd 1980: 112. – Petersen 1951: 38–40. Für die Zeitalterlehre weist Wimmel 1976: 90 auf Vergil als mögliches Vorbild hin, wohl mit Blick auf georg. I. Das Goldene Zeitalter Tibulls bedient sich aber so stark fortschrittskritischer Topoi, dass eine gezielte Orientierung an Vergils Dichtung nicht zwingend erscheint.

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In mehreren kulturgeschichtlich-philosophischen Szenarien, die verschiedenen Zeitebenen angehören, entfaltet Tibull seine Bewertung der Gegenwart und spekulative Aussichten für die Zukunft: (1) in einer Kurzfassung der Menschheitsgeschichte, (2) einer Skizze des Elysiums und (3) in der Vision einer Wiederbegegnung mit Delia. (1) In der historischen Übersicht unterscheidet Tibull zwei Phasen: ein nach Saturn benanntes Zeitalter, bestehend aus einer Variante des mythologischen bißow auötoßmatow, und die von Eisen geprägte Herrschaft Iuppiters (35–50). Der Urzustand ist von der Gegenwart her, durch eine Auflistung der Differenzen zum Regiment Iuppiters, konstruiert230. Als konstitutive Elemente dieser Epoche nennt Tibull geläufige Topoi der Fortschrittskritik. Charakteristisch sind die noch ausstehende Erfindung des Straßen- sowie des Schiffbaus und des damit verbundenen, vom Gewinnstreben inspirierten Fernhandels, das Fehlen von Landwirtschaft und Privatbesitz generell sowie die Abwesenheit von Krieg. Das Überleben der Menschen sicherte ein bißow auötoßmatow mit freigebigen Nahrungsspenden von Natur und Tierwelt. Der Zeit Saturns stellt er die Herrschaft Iuppiters diametral gegenüber. Sie ist geprägt durch den Materialismus reflektierenden Seehandel und die todbringende Erfindung des Krieges. Die Funktion dieses Abrisses ist die Verbalisierung der Verzweiflung des elegischen Tibulls über sein nahendes, vom Krieg verschuldetes Ende. Mit der grandiosen Negativität, mit der er den Fortschritt bewertet, korrespondiert die Endgültigkeit der Gefahr, der er sich ausgesetzt sieht. Daher rechnet er den auf der Nutzbarmachung des Eisens beruhenden Ackerbau nicht unter die Errungenschaften der Zivilisation, zu deren Produkt er gehört. Der Traum von einem der Landwirtschaft gewidmeten Dasein kollabiert vor dem Zerstörungspotential der menschlichen Erfindungskraft. Der Hoffnung auf Frieden lassen die historisch bedingten Gesetzmäßigkeiten der vom Krieg dominierten Gegenwart keine Chance. (2) Aus der Erinnerung an die Herrschaft Saturns leitet Tibull keine Erwartungen für die Zukunft ab. Dass eine Wiederherstellung des Urzustands für ihn außerhalb der Vorstellungskraft liegt, verdeutlicht, dass er das einzige noch erreichbare Goldene Zeitalter in einer anderen Dimension verortet, im Jenseits. Nur für die Toten ist eine Rückkehr zu den vergangenen paradiesähnlichen Verhältnissen erfahrbar. Das Elysium bildet zur gegenwärtigen Herrschaft Iuppiters auf der Erde, aber auch zur Welt des mos maiorum den Kontrapunkt. Denn abweichend von der Tradition ist dort der Ehrenplatz den Liebenden, nicht den Helden, vorbehalten. Die Existenz seiner Bewohner bestimmen Muße, Gesang und Liebe.231 All jene, die Prinzipien der Herrschaft Iuppiters vertreten, die Politik und den Krieg, ordnet Tibull dem für Verbrecher reservierten Bereich zu, für die er allerdings nur drei mythische Beispiele 230 Falsch wäre es, in dieser Methode „dichterische Bescheidenheit“ (Wimmel 1968: 195) oder ein „typisches Merkmal der Paradiesschilderung“ (Wifstrand Schiebe 1981: 86) zu sehen. Letzteres wird schon durch V. 45 f. widerlegt. 231 Verfluchung: Tib. I 3,81 f. Elysium: Tib. I 3,57–66. Zum Elysium bei Tibull Smith 1964: 253; Maltby 2002: 195; 202. Einen unmittelbaren Bezug zu den Zeitaltern Saturns und Iuppiters gibt es nur in dem Motiv der Landarbeit, in dem weitere Assoziationen mitschwingen, Nichtexistenz von Privatbesitz, Integrität der Natur etc.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

anführt. Eine Verbindung zwischen diesem Teil der Unterwelt und den maßgeblichen Akteuren Roms ist – aus Vorsicht Tibulls? – nur assoziativ möglich. (3) Dem Fatalismus ergibt sich Tibull allerdings nicht. Die aus der Einsicht in die Geschichte aufsteigende Todessehnsucht tauscht er gegen die Hoffnung auf Rückkehr ein. Damit gehen eine veränderte Wahrnehmung der Welt und eine Modifikation des poetologischen Diskurses einher. Tibull wechselt in die Rolle des amator. In den Mechanismen einer militärisch geprägten Welt sieht er keine Gefahren mehr. Erfasst wird er nun von der Furcht vor der mangelnden Treue der puella. In Übereinstimmung mit den in der Elegie I 1 formulierten Vorstellungen entwickelt er die Vision von Delia als einer Art Reinkarnation Lucretias, als römische Matrone am Spinnrad, die auf seine Rückkehr wartet. Nach der Zurückweisung des mos maiorum übernimmt ausgerechnet die römische Frühzeit die Funktion einer Garantin seines zukünftigen Glücks. Insofern bleibt Tibull wenngleich unter veränderten Vorzeichen, bei einer Ablehnung der Moderne. Die Ablehnung der Zivilisation speist sich nicht aus der Furcht vor dem Tod im Krieg, sondern vor den Verlockungen des Luxus, über den ein Rivale verfügt. Aber auch dieser Versuch, sein Lebensideal zu realisieren, bleibt utopisch, weil es voraussetzt, dass die puella Delia die Tugenden einer römischen Dame aus der Frühzeit besitzt.232 Wie die Reflexion über die Kulturgeschichte und das Elysium ist daher auch die Vorstellung seiner von Delia begrüßten Rückkehr nur eine Illusion.233 Charakteristisch für die Deutung der Welt in dieser Elegie ist die Entsprechung zwischen der Lebenssituation des amator und seiner Haltung zur Geschichte, zwischen der ihm drohenden Gefahr und der Radikalisierung seiner Zeitkritik. Die Ablehnung der geschichtlichen Welt resultiert aus seiner Furcht vor dem Tod im Krieg. Die Kräfte, von denen die Welt in der Gegenwart bestimmt wird, verbieten, dass sich sein Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit erfüllt. Wie illusionär diese Hoffnung ist, manifestiert sich in Tibulls Beschwörung einer mythischen Vorzeit. Aus dieser Perspektive wird für ihn das Jenseits zum Sehnsuchtsort, in dem sich das mythische Goldene Zeitalter des Diesseits wiederholen soll.234 Als Tibulls Lage 232 Tib. I 3,83–88. Putnam 1973: 74 hält diese Vorstellung für einen Ausdruck des Humors. Sie ist jedoch gerade kein Ausdruck von „understated irony“ (86). Hingegen behauptet Eisenberger 1960: 196 „die von innerer Lebensgewissheit getragene Vorstellung seiner beiderseits brennend erwarteten und freudig begrüßten Wiederkehr“. Bright 1978 charakterisiert Tibulls Vision von Delia als Matrone richtig als „complete escape“ (152) und „mere dreaming“ (154). – Zum Spinnrad-Motiv s. auch Tib. II 1,63–66 sowie Prop. III 6,15–18; Ov. met. IV 32–35; sowie fast. II 741–746 und Liv. I 57,9 zu Lucretia, dem Prototyp der römischen Matrone. Zweifel an der Treue gehört zum motivischen Repertoire der Elegie, s. Prop. I 11; III 6,15–17; 12; IV 3; 8. Zwar ist das Land in dieser Elegie kein „gegenwärtiges ländliches Heilskonzept“ (Wimmel 1976: 91), aber Tibulls Vorstellung vom Leben mit Delia ist, wie der Schluss zeigt, von Elementen bestimmt, die in den übrigen Gedichten mit dem Landleben verknüpft sind (Kargheit, intakte Sitten). 233 Tib. I 3,94 f.: Hoc precor, hunc illum nobis Aurora nitentem / Luciferum roseis candida portet equis. Nur eingeschränkt kann daher die Einschätzung von Dissen 1835: 61 gelten: suavissimo progressu a tristibus ad laetiora et laetissima pergentis; ähnlich Murgatroyd 1980: 125; 127. 234 Wifstrand Schiebe 1981: 84 hat gegen Wimmel 1968: 192 f.; 196 richtig eingewandt, dass Tibull auch keine Annäherung an die Georgica vollziehe. Zu einseitig urteilt Wifstrand Schiebe 1981: 86 f. jedoch über Vergils Bewertung des Endes des Saturnischen Zeitalters in Georgica I.

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jedoch an Dramatik verliert, reduzieren sich auch die von ihm artikulierten Affekte gegen die Wirklichkeit. Doch auch seine neuen Erwartungen zerschellen an der Gegenwart. Die an der rustikalen Frühzeit orientierten Vorstellungen von einem Leben mit Delia scheitern an ihrer materialistischen Persönlichkeit und ihrer urbanen Existenz.235 Vor der Moderne bietet weder das Jenseits noch die Ausrichtung an der Vergangenheit ein Entkommen. In politischer Hinsicht positioniert sich die Elegie zwiespältig zum Reformprogramm des Augustus. Mit dem Princeps teilt Tibull die Ablehnung der zeitgenössischen Dekadenz und die Verherrlichung frührömischer Sitten. Der amator und Augustus verfolgen jedoch unterschiedliche Interessen. Während dieser die Konsolidierung des Staates auf der Grundlage des mos maiorum betrieb, um innenpolitische Stabilität herzustellen und außenpolitische Macht zu projizieren, lehnt jener eine militärisch geprägte Existenz und die mit ihr verbundenen Kernelemente der politischen Kultur Roms ab. Ja, Tibulls elegischer Rückzug ins Private ist geradezu Teil einer Lebensform, gegen die sich die Gesellschafts- und Sittenpolitik des Princeps richtete. Die persönliche Gefahr für Tibull ist, wie der Feldzug Messallas zeigt, noch nicht gebannt. Auch der Normalfall, ein Staat im inneren Frieden, aber mit Weltmachtambitionen, setzt den elegischen Liebhaber wie den kriegsmüden Bürger Bedrohungen aus, die teils aus dem traditionellen aristokratischen Wertesystem Roms herrühren (wie dem Streben nach Ehre und Ruhm), teils aber auch durch faktische Notwendigkeiten bedingt sind (wie der Verteidigung des Landes). Trotz vordergründiger Berührungspunkte mit der augusteischen Restauration sind die in der Elegie I 3 formulierten Erwartungen daher inkompatibel. Elegie I 7 Die Elegie ist ein Huldigungsgedicht auf Messalla, den Förderer des Dichters und Freund des amator, aus Anlass von dessen Geburtstag. Der Konvention gemäß verlangt dieses Ereignis eine Würdigung der öffentlichen Verdienste des Adressaten.236 Die militärischen Siege Messallas, deren Nennung zwingend notwendig ist, lässt Tibull denn auch ausführlich Revue passieren.237 Delikat ist jedoch die Herausforderung, den Ruhm Messallas literarisch zu fördern, obwohl die persona dessen von Politik und Militär geprägte Lebensform verabscheut.238 In Einklang mit einander zu bringen sind daher die Lebensphilosophie des amator und der Krieg, den Messalla verkörpert. Tibull löst dieses Problem durch eine typologische Verbindung Messallas mit der ägyptischen Gottheit Osiris, die er beide als Stifter der Zivilisation rühmt. Das Gedicht ist zweigeteilt. Zunächst trägt er einen kulturhistorischen Überblick mit den Erfindungen des Osiris vor. Daran anknüpfend preist er anschließend in einer 235 Vgl. aber Eisenberger 1960: 193 f., dass gerade die Vorstellung eines Elysiums im Jenseits, nicht die eines Goldenen Zeitalters, „Befreiung“ bringe. 236 S. hierzu Cairns 1979(a): 121 f. sowie Murgatroyd 1980: 208 f. zur Gattungsfrage: Sieg-, Triumph- oder Geburtstagsode, Paean, Dithyrambus. Zur Forschung Ball 1983: 107–109; 113–116. 237 Tib. I 7,5–22. 238 Tib. I 7,9. Dass Tibull sich eine aktive Rolle an den Erfolgen seines Freundes zuschreibt, reflektiert die Funktion seiner Dichtung, nicht seine Beteiligung an militärischen Operationen.

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Gegenüberstellung die korrespondierenden Taten Messallas. Zuletzt wirft ein Epilog einen Ausblick in die Zukunft, auf die Nachkommen Messallas und wie sie das Erbe ihres Vaters wahrnehmen. Der kulturgeschichtliche Abriss würdigt Osiris als Schöpfer einer ländlich geprägten Kultur.239 Die chronologisch geordnete Übersicht beginnt mit der Erfindung von Pflugscharen und der Entstehung der Landwirtschaft. Auch wenn Tibull feststellt, dass die Pflüge aus Eisen, dem Symbol für die Herrschaft Iuppiters, hergestellt sind, beschreibt er das Pflügen ohne Anspielung auf die in fortschrittskritischer Perspektive damit einhergehende Verletzung der viscera terrae. Zum Landbau treten die Weinlese und das Weinkeltern hinzu, als deren Urheber traditionelle Osiris gilt.240 Die auf diese Kulturgüter zurückgehenden Emotionen und Vergnügungen, Freude und Entspannung, Musik und Tanz, bilden die Komponenten der von Frieden und Sorglosigkeit geprägten Lebensweise, die Osiris etabliert. Verglichen mit den weltgeschichtlichen Verdiensten des Gottes, gehört Messallas Leistung, die Errichtung einer Landstraße zwischen der Stadt und dem Land, einer kleineren Dimension an.241 Hierbei handelt es sich um den Ausbau der Via Latina, den Augustus ihm übertragen hatte.242 Der Nutzen, den sie für die Menschen erbringt, ist jedoch nach Tibulls Auslegung auf das gleiche Ziel gerichtet wie Osiris’ Wirken, die Ermöglichung eines sorgenfreien Lebens. Dank Messalla kehren die Bauern nachts, vom Zechen in der nahen Großstadt berauscht, sicher in ihre Häuser zurück. Das Vergnügen des Weingenusses etabliert die Verbindung zwischen dem römischen Staatsmann und dem ägyptischen Gott. Die Kulturgeschichte, die Elegie I 7 zugrunde liegt, ist ein eigener Entwurf Tibulls. Der Fortschritt manifestiert sich lediglich auf dem Sektor der Landwirtschaft. Alle weiteren Stationen, die sich traditionsgemäß anschließen, aber einen durch Krieg und Handel vorangetriebenen Dekadenzprozess initiieren würden, sind ausgeblendet. Nicht, dass Tibull die folgende historische Entwicklung ignorierte. Aber erst die Wahl eines Ausschnitts aus der Menschheitsgeschichte ermöglicht konzeptionell den Preis Messallas, ohne die Ideale der persona zu verleugnen. Da es Tibulls Ablehnung des Krieges verbietet, die Erfolge Messallas als Feldherr zu rühmen, stützt er sich alternativ auf dessen Leistungen im Frieden. Angesichts der Ambivalenz des Fortschritts und der Präferenzen des amator bot sich ihm an, Messallas Taten mit einer ländlichen Zivilisation zu verknüpfen. Notwendigerweise bleibt ebenfalls aus239 Zur politischen Problematik der Berufung auf Osiris s. Maltby 2002: 281. Hierin sieht Konstan 1978 einen Affront gegen den Princeps. Zur Typologie s. Maltby 2002: 281; Gaisser 1971: 227, die Messalla durch das Gedicht zum Halbgott erhöht sieht; Putnam 1973: 119; Bright 1975; Ball 1975: 737. Zu weit geht indes die These, dass Tibull Osiris und Messalla als identisch angesehen hat (Murgatroyd 1980: 209). 240 Osiris wird hier mit Bacchus identifiziert (s. auch Hdt. II 42; 144 f. sowie die Stellen bei Murgatroyd 1980: 223). Traditionell gilt auch Osiris als Erfinder von Weinanbau und Kelterei (Diod. I 15,8; 17,1; 20,4; IV 1,16 f.). 241 Historisches zum Landbauvorhaben Messallas bei Murgatroyd 1980: 230 f. 242 Tibull selbst nennt den Namen der Straße nicht, der daher auch umstritten war. Zur Identifizierung der Via Latina s. McCracken 1932: 350–352.

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gespart, dass in Kulturentwicklungstheorien die Straßen zu den Dekadenzphänomenen gehören, weil sie dem Handel und der Kriegsführung dienen.243 Die auf die Steigerung von Vergnügen gerichteten Errungenschaften, als die Tibull die Straße versteht, legitimiert das Vorbild eines Gottes, dessen Erfindungen den Menschen Freude bringen sollte.244 Im elegischen Diskurs Tibulls durchlebt Messalla eine Transformation. Nicht mehr wird er verflucht, weil er der persona den Tod auf dem Schlachtfeld bringt, sondern er wird für seine Verdienste um die Steigerung der materiellen Lebensqualität der Menschen gefeiert, ohne dass er durch den Vergleich mit Osiris zu einem Objekt dichterischen Spotts wird. Von traditionellen römischen Vorstellungen über die Leistungen des Ackerbaus ist Tibulls Preis Messallas jedoch weit entfernt. Insofern markiert das Geburtstagsgedicht keine Abkehr von den Idealen des amator. Vielmehr ist Messalla, der Straßenbauer, mit ihnen vereinbar. Da der Anlass des Gedichts eine Weltsicht verbietet, die von radikale Fortschrittskritik dominiert ist, entkleidet Tibull den Fortschritt von seinen in Dekadenz und Krieg mündenden Konsequenzen und rühmt dessen bejahenswerten Eigenschaften, die sich in eine ländliche Idylle einfügen. Mit der Würdigung Messallas verkehrt er traditionelle Maßstäbe. Nicht die Erfolge als Feldherr begründen seinen Ruhm.245 Gemessen wird er an Werten jenseits der militärisch-politischen Tradition Roms, die Osiris’ kulturelle Schöpfungsleistung realisiert, eine Schöpfungsleistung, die Tibull eigenständig, fernab literarischer Vorbilder gestaltet. Manifest wird dieser Wandel in dem originellerweise für die Straße okkupierten Begriff monumentum246, das von Messalla künden werde. Tibulls Umschreibung der Werte erstreckt sich auch auf die Zukunft. Die reiche Nachkommenschaft, die er Messalla wünscht, wird in einem Bild aufgerufen, das an eine pompa funebris erinnert.247 Mit den Vorfahren, deren Lebensweise und Errungenschaften in diesem Ritual beschworen werden, hat Messallas Familie nichts mehr gemein. Die Fortschreibung der in der Elegie gepriesenen Leistungen, die Tibull von ihr erwartet, eröffnet die Perspektive auf eine von der Vergangenheit abgekoppelte Lebensform, die eine Absage an den mos maiorum einschließt und von Muße und Vergnügen geprägt ist. So unterläuft die Elegie auch die Restaurationsbemühungen des Princeps. Über Messalla vollzieht sich keine Annäherung an das innenpolitisch auf die Vergangenheit, außenpolitisch auf militärische Stärke hin orientierte Programm des Princeps. Die persona integriert Messalla in seine elegi243 Die kulturgeschichtliche Ambivalenz der Straße verkennt Ball 1981: 139. 244 Auf eine Kenntschaft Messallas, was Wein betrifft, scheint Hor. carm. III 21,7 f. anzuspielen. Für seine Neigung zu Festivitäten s. Gaisser 1971: 228. 245 Gaisser 1971: 221 glaubt, nicht nur Tibulls Anerkennung für Messallas militärische und politische Taten, sondern auch für seine intellektuellen Interessen und seine Kenntnis der römischen und alexandrinischen Dichtung zu spüren. Etwas einseitig Leppin 1998: 191–195, der Messalla „überwiegend in der Rolle des erfolgreichen Kriegers“ portraitiert sieht. Zur Rolle des Weines s. die Beobachtung von Gaiser 1971: 228 mit Hor. carm. III 21 und Serv. Aen. VIII 310: „Messalla had the reputation of liking wine and festivity“. Ball 1981: 138, Anm. 9 mit der älteren Forschung zu den zivilen und militärischen Leistungen Messallas. 246 Tib. I 7,57. 247 Tib. I 7,55 f.

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sche Welt.248 Die Voraussetzung dafür war eine eigenständige Konstruktion des Osiris als Kulturschöpfer und eine Neudefinition öffentlicher Leistungen in Rom, die mit traditionellen Werten bricht. Dass die spezifische Zivilisationsgeschichte in diesem Gedicht die Funktion erfüllt, ein Ideal mit der Wirklichkeit zu verbinden, erklärt, warum sie auf die erste Phase des Fortschritts beschränkt ist und über die Entdeckung der Landwirtschaft nicht mehr weiter verfolgt wird. Tibull wäre dann mit der Nutzbarmachung der Edelmetalle und dem Aufkommen des Krieges konfrontiert gewesen. Wegen des ubiquitären, nicht auf den Ackerbau beschränkten zivilisatorischen Fortschritts ist diese Deutung der Geschichte und die postulierte Vereinbarkeit zwischen den Wertesystemen, die Messalla und der amator repräsentieren, jedoch nur eine fragile, Illusionen weckende Konstruktion. Auch die Funktion, die die Straße nach Tibull erfüllen soll, ist eine Chimäre. In Wirklichkeit verkörpert das Straßensystem, auf dem Handel und die militärische Schlagkraft Roms fußen, das Gegenteil der Hoffnungen Tibulls. Gerade die Messalla übertragene Instandsetzung eines Abschnitts der Via Latina, finanziert aus Kriegsbeute,249 erfüllte kommerzielle und militärische Zwecke. Die Hoffnungen des amator entpuppen sich daher als unerfüllbar. Die Existenz des Fortschritts steht in unauflöslicher Spannung zu seinen Vorstellungen vom Frieden und einer idealen Lebensführung. Sie aufzuheben versucht Tibull durch eine partielle Ausblendung des Fortschritts, eine Umdeutung der Werte und eine Negierung der Realität. Der Dichter versagt dennoch nicht als Client Messallas. Das Publikum und die zeitgenössische Leserschaft werden das Geburtstagsgedicht nicht als oppositionellen Akt wahrgenommen haben. Zwar läuft es allen Konventionen des Genres zuwider. Tibulls Versuch einer Redefinition der Roms Gesellschaft lenkenden Wertewelt misslingt jedoch offensichtlich und büßt dadurch seinen revolutionären Impetus ein. Was bleibt, ist ein Hinweis auf die nichtpolitischen Aspekte der römischen Kultur und die harmlose Formulierung damit verbundener Erwartungen. Elegie I 10 Im Szenario der Elegie I 10 ist die persona erneut mit einer existentiellen Gefahr konfrontiert, der Einberufung zum Krieg und dem Tod im Feld. Dies löst bei ihm eine die Ambivalenz des Fortschritts enthüllende, als Frage formulierte Reflexion über die Kulturentwicklung aus: ob der Fortschritt, repräsentiert durch das Eisen, angesichts der ihm innewohnenden Zwiespältigkeit zu befürworten ist, inwieweit die Geschichte determiniert ist und ob es im Wesen des Menschen liegt, die Güter des Fortschritts zu missbrauchen.250 Das Gedicht besteht aus zwei Teilen. In der 248 Etwas anderes hingegen ist die These von einer Annäherung der Lebensvorstellungen bei Mutschler 1985: 125; Moore 1989: 423 f.; 429. Zum Frieden Ball 1983: 125. 249 Suet. Aug. 30. 250 Tib. I 10,1–4. Stellen hierzu bei Murgatroyd 1980: 282 f. zu den Ursachen für menschliche Erfindungen: Lucr. V 1028–1090; 1448–1457. Wilde Tiere: Lucr. V 982–987; Plat. polit. 247b– f; Diod. I 8; sowie auch Sen. epist. 90,41. Zum Missbrauch: Plat. Gorg. 456d–457c; Cic. nat. III 69 f.; Sen. nat. V 18,4. Für eine formale Gliederung s. Murgatroyd 1980: 278 f.

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ersten Partie verurteilt Tibull den Krieg als Wahnsinn251; der zweite Abschnitt ist ein Anruf an ein ländliches Friedensideal. Tibull gliedert die Geschichte in zwei Phasen, einen Urzustand und ein Eisernes Zeitalter. Näher beschreibt er den Urzustand nicht. Was ihn auszeichnete, bestimmt er von der Gegenwart her. Die Grenze, die ihn vom Verfall trennt, markiert die Entdeckung der Edelmetalle. Geprägt war diese Zeit von Anspruchslosigkeit, Religiosität und vollkommenem Frieden. Das Material, das die Epoche kennzeichnet, ist das Holz252, das eine moralische Höherwertigkeit indiziert und aus dem auch die ihn vor dem Krieg beschützenden Laren hergestellt sind. Dieser primitive Urzustand gehört jedoch, wie Tibull einräumt, unwiederbringlich der Vergangenheit an.253 Im Eisernen Zeitalter254, das unmittelbar auf den Urzustand folgte, begann die Dekadenz. Sie setzte jedoch nicht mit der Herstellung von eisernen Waffen zur Abwehr gefährlicher Tiere255 und dem Ackerbau256 ein, sondern erst mit der Entdeckung des Goldes.257 Den Krieg führt Tibull, gängige kulturkritische Axiome aufgreifend, auf die Entdeckung des Goldes zurück. Der Reichtum erweckte die menschliche Pleonexie und initiierte eine Dynamik des Begehrens. Bislang diente das Eisen zur Sicherung des Überlebens;258 jetzt wurde es von den Menschen zweckentfremdet und zur Durchsetzung ihrer Interessen mit kriegerischen Mitteln genutzt.259 Zusätzlich korrumpierte das Gold die Liebe, die ihre Unschuld verlor260. Die Pleonexie erfasste also die menschliche Existenz auf allen Ebenen: Sie zerrüttete ebenso die Gesellschaft wie private Bindungen.

251 Zum furor wörtlich Tib. I 10,33. 252 S. o. Zu dieser Stelle Wimmel 1968: 129 f.; Murgatroyd 1980: 279 f.; Maltby 2002: 345 f. 253 Tib. I 10,7–10; das Zitat aus V. 11. Dass Tibull den Naturzustand als nicht erstrebenswert betrachtet habe, weil er anschließend positiv über die kulturellen Errungenschaften spreche, wie Wifstrand Schiebe 1981: 76 behauptet, trifft daher nicht zu. Zustimmend äußert sich Tibull über eine bestimmte Form der Zivilisation, das Landleben in Zeiten des Friedens. Zugleich gibt es keinen Anlass, die Präsentation der Vorzeit als „bukolische Szene ungetrübten Glücks“ zu apostrophieren (Wifstrand Schiebe 1981: 90). – Zum Unterschied zu Elegie I 1, in der Tibull auf den Reichtum früherer Zeiten zurückblickt, s. Wifstrand Schiebe 1981: 64. 254 Für die Erfindung des Schwertes im Eisernen Zeitalter: Cic. nat. II 159 = Arat. fr. 18,1 f.; Hes. op. 150 f. 255 So aber Lucr. V 1014–1017; 1105–1111; 1113. Zum Kampf gegen die Tiere: Murgatroyd 1980: 282 f. 256 Zum Zusammenhang zwischen pax und concordia in den augusteischen Münzprägungen s. Maltby 2002: 351. 257 Richtig Wifstrand Schiebe 1981, dass Tibull den natürlich implizierten Begriff Goldenes Zeitalter vermeidet, um leichter das Gold als Ursache des Niedergangs namhaft zu machen (so schon Wimmel 1968: 173 f.). Die einem Vergleich zwischen Tibull und Lucrez gewidmete Untersuchung von Pillinger 1971 hebt lediglich den Zusammenhang zwischen Venus und dem Frieden bei Lucrez hervor, eine Verbindung, die Tibull durch die rixae Veneris am Ende des Gedichts vom Erhabenen ins Lächerliche zieht und geradezu verneint. 258 So auch die positive Funktion des Eisens bei Lucrez; s. bes. Lucr. V 966 f.; 975; 1255–1261; 1283–1285. 259 Dass Tibull hier auf einen Topos zurückgreift, zeigen die von Murgatroyd 1980: 283 gesammelten Stellen zur Habgier als Ursache der Dekadenz. 260 Tib. I 10,2.

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Die Funktion des historischen Überblicks liegt sowohl in der Dämonisierung des Krieges, der seinem Ansatz ist die Zwiespältigkeit der Kulturentwicklung, die eine partielle Bejahung des Zivilisationsprozesses ermöglicht. Anfangs erwiesen sich die menschlichen Erfindungen nämlich nicht als verderblich. Die in radikalen fortschrittskritischen Deutungen abgelehnten Errungenschaften wie Ackerbau und Waffen dienten nach Tibull der Sicherheit und dem Lebensunterhalt der Menschen. Sie sind nicht moralisch schlecht an sich. Eine todbringende Wirkung erzeugt das Eisen erst, seit Habgier die Triebfeder menschlichen Handelns ist. Ob der Frieden, den er skizziert, erreichbar ist, hängt daher ausschließlich von der Zähmung der Pleonexie ab. Determiniert ist die Menschheitsgeschichte für Tibull nicht. Der zweite Teil der Elegie ist eine Absage an den Pessimismus. Die vage Utopie eines frühzeitlichen Primitivismus weicht der in einem Gebet formulierten Hoffnung auf ein realisierbares Leben in ländlicher Beschaulichkeit. Die Rahmenbedingungen für eine solche Form der Zivilisation schafft die Wiederherstellung des Friedens. Das Bild eines von der Pax personifizierten paradiesischen Zustands der Fülle entwirft er am Schluss des Gedichts. Unter ihrer Herrschaft kehren konstitutive Elemente der Frühzeit wieder. Aus Tibulls Erwartung, dass Waffen anachronistisch würden,261 geht hervor, dass er eine Unterbrechung der dynamischen Pleonexie, die seit der Entdeckung des Goldes die Geschichte bestimmte, und die Abspaltung destruktiver Elemente der Zivilisation für möglich hält. Den Erzählungen von militärischen Ruhmestaten begegnet der amator mit nachsichtigem Spott.262 Spuren des Krieges trägt nur noch der Streit unter Liebenden. So beantwortet sich Tibulls die Elegie eröffnende Frage, ob der Erfinder von Waffen zu verurteilen sei: Nicht auf der Verdammung des Fortschritts, der eine vom Ackerbau geprägte Kultur ausschlösse, beruht der Frieden, sondern auf der Mentalität der Menschen, auf ihrem Bekenntnis zum einfachen Leben und zum Verzicht auf Reichtum. Tibulls Ideal fußt nicht auf einem urzeitlichen Primitivismus. Die Zukunftsperspektive, die er entwirft, erfordert keine Rückkehr in unwiderrufbar vergangene Zeitalter, sondern eine Gesellschaftsreform, die nur durch einen Wertewandel gelingt, einen Verzicht auf Ruhm und Beute zugunsten eines Lebens in ländlicher Bescheidenheit. Diese Vorstellung ist auf dem Feld der antiken Kulturgeschichte von der Perpetuierung des Niveaus einer agrarischen Kultur nach der Entdeckung des Goldes und der Entstehung materieller Begehrlichkeiten eine konzeptionelle Seltenheit. Das Gedicht ist nicht nur ein Ausdruck der Furcht vor der Einberufung des amator zum Kriegsdienst, sondern formuliert auch konstruktive Bedingungen für die Verwirklichung seines Lebensideals. Die optimistische Grundhaltung zur Gegenwart, die Tibull einnimmt, ermöglicht die auf einer Zivilisationsentwicklungstheorie beruhende Konstruktion der Geschichte und der die Welt regierenden Mechanismen. Die Wahrnehmung des Gedichts jenseits der textimmanenten Handlung mag in der öffentlichen Rezeption der Zeit zwiespältig gewesen sein. Die sittlichen Forderungen, die Tibull stellt, konvergieren mit Augustus’ Politik der moralischen 261 Tib. I 10,49 f. 262 Tib. I 10,31 f.

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Erneuerung Roms. Zwar unterscheiden sich beide in ihren Motiven, Tibull mit seiner Abkehr vom mos maiorum, der Princeps mit seiner Fokussierung auf die glorreiche Vergangenheit. In der Analyse der zeitgenössischen Dekadenz und der gesellschaftspolitisch-ökonomischen Konzeption ihrer Bekämpfung stimmen sie jedoch überein. Das Bild, das in der Anrufung des Friedens evoziert wird, wird zehn Jahre nach der Abfassung des Gedichtes Teil der augusteischen Selbstdarstellung des Princeps in der Ara Pacis werden.263 Ihm fehlen jedoch die militärischen Komponenten des Monumentes, die integraler Bestandteil der Friedenskonzeption des Augustus sind. Denn in der Herstellung des Friedens ergeben sich fundamentale Differenzen zwischen Princeps und Dichter. Übereinstimmend mit der politischen Kultur Roms starrte die pax des Augustus vor Waffen. Einerseits beruhte die Projektion von Stärke und Sicherheit auf Waffengewalt. Diese globale Dimension blendet die Elegie aus. Gerade aber die Beherrschung und Unterwerfung fremder Völker zählte zu Augustus’ Legitimationsstrategien. Dem augusteischen Leser musste offensichtlich sein, dass die Umwandlung Roms in ein georgisches Idyll, wie Tibull es vorschwebt, keinen außenpolitischen Schutz vor den Interessen auswärtiger Mächte bot. Der amator verweigert zwar, wie seine verrosteten Waffen bekunden, die Teilnahme am Krieg. Aber seine persönlichen Handlungen und Empfindungen sind nicht auf die Realität übertragbar, in der, repräsentiert von einem ruhmseligen Soldaten, Krieg und Gewalt existieren. Andererseits war Sieghaftigkeit auch ein Kernelement der Selbstdarstellung des Princeps. Doch Ruhmessucht verspottet der amator ebenso wie das Streben nach Reichtum als wahnwitzige und offensichtlich lächerliche Ideologie, die in einem kurzen, gewaltsamen Tod mündet.264 In dieser Frage erweisen sich der von Augustus repräsentierte mos maiorum und Tibulls elegisches Programm erneut als inkompatibel. Frieden zusammen mit Prosperität und militärisch basierter Ruhm waren für den Princeps, wie verschiedene Medien der Herrschaftsrepräsentation dokumentieren, kein Widerspruch, sondern komplementäre Aspekte seiner Politik. Elegie II 1 Die erste Elegie des II. Buches preist das Leben auf dem Land als Alternative zur Utopie innerhalb der geschichtlichen Welt.265 Ein Lustrum bildet die Szenerie des Gedichts266. An dem Fest nimmt außer Tibull auch Messalla teil. Der amator erhebt das Land zur Keimzelle des Lebens und beschwört die Verwirklichung seines sich 263 Dagegen Riposati 1967: 181 f., vgl. jedoch Wimmel 1968: 142; Wifstrand Schiebe 1981: 93; Maltby 2002: 357. Putnam 1973: 152 über die Nähe zum Ceres-Demeter-Terra Mater-Kult (s. Tib. I 1,15 f.; II 1,4; Ov. fast. IV 407). 264 Zur Gegenüberstellung beider Lebensformen in diesem Gedicht s. Neumeister 2011. 265 Einen weniger eskapistischen Ton als in Elegie I 1 vermerkt Maltby 2002: 360. 266 Zum Anlass des Festes (Feriae Sementivae, Ambarvalia, frei erfunden), der sich nicht sicher rekonstruieren lässt, s. Pöstgens 1940: 44–48; Foulon 1987: 115 f.; für Ambarvalia auch Schmitzer 1993: 128; Maltby 2002: 359 f. Murgatroyd 1994: 17–19. 21 zu den Anleihen bei Vergil in den Versen 5 f.; 7 f.; 19 f.; 35 f.; 37 f.; 43 f.; 49 f.; 53 f.; 57 f. Bright 1975: 8 zeigt überzeugend, dass es Tibull nicht auf die antiquarische Rekonstruktion eines Festes ankam, sondern dass er ein Muster schaffen wollte, auf dem er seine Vorstellungen anbringen konnte. Für Kal-

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aus widerstrebenden Bestandteilen zusammensetzenden Lebensideals: die Verbindung des Landes, mit der Liebe und der Freundschaft zu Messalla, der das politische und militärische Rom repräsentiert. In der Entstehungsgeschichte der Zivilisation, die Tibull nachzeichnet, ging jeglicher Fortschritt vom Land aus.267 Die Entwicklung der Kultur vollzog sich, befördert durch göttliches Wirken, in drei Schritten, von den alimenta meliora über die artes bis zu amor, dem Höhepunkt des Lebens.268 Initiiert wurde der kulturelle Prozess von den Landgöttern.269 Ihnen sind die Grundlagen des Lebens (fundamenta vitae), die Versorgung mit Lebensmitteln (victus, aerumnae) sowie die Künste (artes) und die Liebe (amoris gaudia) zu verdanken. Im Einzelnen verzeichnet Tibull den Anbau von Nahrungsmitteln, Wohnungen, Ackerbau mit Tieren, Obstbau durch ein Bewässerungssystem, Weinbau, Bienenzucht und Gesang. Auch die Liebe ist ein Produkt des Landes: Es ist der Geburtsorts Amors. Die Kulturgeschichte der Elegie gehört zu den detailliertesten in Tibulls Œuvre. Situationsbedingt liegt dies am Sujet, dem Lustrum, das verlangt, die alle Bereiche des Lebens einschließende zivilisatorische Kraft des Landes zu rühmen. Darauf sind die von Tibull angeführten Merkmale abgestimmt. Aufgezählt werden nur die Produkte der Landwirtschaft in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Die materielle Kultur mit den Erfindungen von Werkzeugen bis hin zu Waffen spart er aus, die Erwähnung von Edelmetallen wie dem berüchtigten Gold fehlt. Insofern enthält Tibulls Verzeichnis bei aller Ausführlichkeit markante Leerstellen. Die historische Entwicklung folgt einem Fortschrittsszenario, zu dessen Besonderheiten zählt, dass limachos als Vorbild der Elegie s. Foulon 1987: 119 f. m. weiterer Literatur. Für eine Gliederung s. Musurillo 1975: 109. 267 Die Intention Tibulls hat Dissen 1835: 209 treffend erfasst: […] cum haec sacra pro flore rei rusticae instituta nunc appareat pro summorum conservatione bonorum celebrari, quae primordia olim et fundamenta cultioris vitae fuerunt. Eine lediglich deskriptive Behandlung bietet Dubla 1978: 34; 37 f. Für die Unterschiede zu I 10 s. Grondona 1971: 239; 241. Für einen detaillierten Vergleich mit Lucrez und Vergils Georgica II s. Pöstgens 1940: 53–63, zu Lucrez auch Foulon 1987: bes. 121, Anm. 31; 128 f. 268 Hierzu Dissen 1835: 209 und Foulon 1987: 117. 269 Für einen Vergleich zu I 7 s. Maltby 2002: 369. Für einen Vergleich der von Tibull benannten Götter mit denjenigen bei Vergil Foulon 1987: 118 f. Zu den Leistungen im Einzelnen: Tib. II 1,37 f. (keine Eicheln mehr als Nahrungsmittel – gegen 2,3,73 f., wo der Primitivismus situationsbedingt als Ideal gefeiert wird – extreme Verunsicherung des Dichters; zu den Eicheln s. auch Maltby 2002: 370: Hes. op. 233; Lucr. V 965; Verg. georg. I 8; 148; 159; Varr. rust. II 1,4; Iuv. 13,57; 14,182–184; ferner Tib. II 3,69); 39 (Wohnungen; s. auch zur Hütte als Errungenschaft des Fortschritts s. aus der zeitgenössischen römischen Literatur v. a. Lucr. V 1011; Vitr. II 1,2; Ov. met. I 121 f.; später noch bes. Sen. epist. 90,7 nach Poseidonios); 41 (Ackerbau mit Hilfe von Stieren; s. ferner z. B. Lucr. V 14 f.; Ov. am. III 10,7–10; fast. I 675 f.; IV 401–404; met. V 341 f. sowie Murgatroyd 1994: 41 für die griechischen Vorlagen.); 43 f. (Obstbau; Erfindung von Bewässerungssystemen in der Landwirtschaft; s. auch Murgyatroyd 1994: 45 mit Diod. I 19,5; III 64,1); 45 f. (Wein; s. auch zum Wein als Bacchus’ Erfindung: Tib. I 7,35 f.; Eur. Bacc. 279; Lucr. V 14 f.; Ov. met. IV 14; fast. II 329. Zur ersten Mischung: Plin. nat. VII 199; Verg. georg. I 7–9); 47 (Ernte); 49 (Bienenzucht); 51 f. (Gesang, s. auch Plut. mor. 974a; Lucr. V 1379–1381, jedoch als Imitation der Vögel); und ferner 59; 61; 63.

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es nicht aus dem Land hinausführt, sondern die Zivilisation hier ihr Zentrum findet. Eine Perspektive auf die Welt jenseits dieser räumlichen Grenze eröffnet er nicht. Diese Form der Kulturgeschichte überwindet die in Tibulls Lebensideal immanenten Spannungen. Amors teils quälendes, teils zerstörerisches Wirken ist ein ursprünglich im elegischen Diskurs beklagtes Element einer urbanen Zivilisation. Doch wegen seiner Verortung im Land verliert er in diesem Gedicht seine destabilisierenden Charakterzüge. Mit Messalla bindet Tibull ein kriegerisches Element in die Idylle ein. Vorgestellt wird er zwar als erfolgreicher Feldherr. Allerdings weist Tibull ihm auch die Schirmherrschaft über das Fest und seine Dichtung zu.270 Die militärischen Implikationen der Existenz und Persönlichkeit Messallas wendet er so ins Positive. Während er sonst den Krieg als Bedrohung des friedlichen Lebens darstellt, wird hier der siegreiche Feldherr zum Garanten des Friedens, der Barbarenvölker niederringt und zivilisatorische Leistungen inauguriert, weil er sich als Patron Tibulls, eines Dichters, engagiert.271 Tibulls Bemühungen zielen darauf, die Lebenssphären beider, Messallas wie seiner eigenen, zu vereinbaren.272 Die im Gebet der Elegie I 10 formulierte Hoffnung auf Frieden wird hier zumindest für die Zeit des Festes Wirklichkeit. Tibulls Vision, kondensiert und verwirklicht im Lustrum, ist dennoch eine Utopie. Die Beziehung des Festes zum Alltag und das Verhältnis des ländlichen Szenarios mit seiner Religiosität zur Stadt mit der urbanen Lebensweise blendet er aus. Gleichzeitig deutet er traditionelle Vorstellungen des Bauerntums, das primär der Wehrfähigkeit Roms diente,273 zu einer Lebensform um, das bukolische und elegische Züge trägt. Dem arma virumque cano, wie das gleichzeitig im Entstehen begriffene Epos Aeneis beginnt, setzt Tibull ein rura cano rurisque deos entgegen.274 Von Messalla entwirft er ein Zerrbild. Die von ihm, dem Feldherrn, verkörperten Elemente der geschichtlichen Welt, Krieg, Tod, Beute, sind nicht präsent.275 Er wird stattdessen zum Förderer einer antimilitärisch gefärbten Dichtung.276 So konstitutiv offensichtlich seine Funktion für Tibulls im Fest zusammengezogenes Ideal ist, so 270 Tib. II 1,33–36: Gentis Aquitanae celeber Messalla triumphis / et magna intonsis gloria, victor ades / huc ades aspiraque mihi, dum carmine nostro / redditur agricolis gratia caelitibus. S. ferner den Trinkspruch bene Messallam (31 f.). 271 Zu Messalla als Garanten des Friedens und zu den Barbaren: Tib. II 1,33–36: S. bes. die Verbindung, die Tibull zwischen Messalla und den Künsten herstellt. Eine gottähnliche Rolle, die Messalla in der Elegie übernehme, will Ball 1981: 140 erkennen. 272 Dieses Eingebunden-Werden erwähnt Putnam 1973: 152. Dient aber Messalla hier wirklich als Tibulls Muse (156) wie Augustus bei Hor. carm. IV 5,29 f. und Ov. fast. II 637 f. (so auch Pöstgens 1940: 17). Für das positive Verhältnis zwischen Land- und Stadtwelt s. jedenfalls Mutschler 1985: 208. 273 S. hierzu bes. die Analyse der Rolle des Landbaus in Vergils Georgica S. 169 f. 274 Tib. II 1,37. 275 Indifferent steht er der bedrückenden Seite der geschichtlichen Welt jedoch nicht gegenüber, so Mutschler 1985: 209. Vgl. Maltby 2002: 368 mit Cairns 1979: 131. Missverständlich in Hinblick auf die verschiedenen kulturgeschichtlichen Konzeptionen Tibulls ist jedoch, dass sich unter Messallas Schutz „gleichsam die glückliche Frühzeit Roms“ wiederholen solle und im Fest „ein Rest des verlorenen Paradieses bewahrt“ sei (Schmitzer 1993: 132). 276 Tib. II 1,33; 35 f. Dieses Eingebunden-Werden erwähnt Putnam 1973: 152, jedoch ohne weitere Schlussfolgerungen. Ist Messalla hier wirklich Tibulls Muse (156) wie, nach Putnam, Augustus

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nebulös bleibt der Kontext seines Wirkens in der Politik. Messalla gegenüber, der historischen Gestalt wie der persona der Elegie, ist die Zurückhaltung ein Ausdruck des Taktes. Zugleich ist sie ein Indiz für den Utopiegehalt des Gedichts. Doch auch das Idyll, das Tibull zeichnet, bleibt nicht ohne Eintrübungen, verursacht durch den von Amors Boshaftigkeit gestifteten Unfrieden.277 Diese Relativierung des Glücks deutet auf die Instabilität des Ideals, das er realisiert wähnt.278 Es ist Amor, aus dessen Einfluss sich das Verhalten der elegischen puellae, die zur Stadt gehören, ebenso erklärt wie die Unmöglichkeit, sich von der Liebe loszureißen: ein Aspekt, der einen wesentlichen Teil des Unglücks ausmacht, den Tibull in der fiktiven (Auto-)Biographie der Sammlung durchleidet.279 Die Vorstellung einer friedlichen Zivilisation, die unbeschwertes Liebesglück und Messalla verbindet, übersteht kaum den Tag des Festes. Elegie II 3 Die neue puella Nemesis stürzt den amator in hektische Verzweiflung und eine Stimmung düsterer Ausweglosigkeit.280 Das Gedicht ist in doppelter Hinsicht ein Paraklausithyron. Einerseits steht Nemesis unter dem Einfluss ihres Geliebten, eines zu Reichtum gelangten Freigelassenen,281 der eine Annäherung Tibulls unterbindet; andererseits hat sie sich mit ihm auf das Land zurückgezogen, den Sehnsuchtsort Tibulls; während dieser alleine in der Stadt weilt. In seiner Phantasie imaginiert er, die Geliebte umwerbend, einen spektakulären Auftritt der von ihm mit luxuriösen Geschenken zurückgelockten Nemesis. Allerdings ist ihm bewusst, dass er gegen seinen reichen Rivalen keine Chancen hat. Diese Situation nimmt Tibull zum Anlass für zwei Reflexionen über die historische Entwicklung: (1) Zunächst klassifiziert er angesichts der Aussichtslosigkeit seines Wettbewerbs gegen Nemesis die Gegenwart als Eisernes Zeitalter. (2) Danach formuliert er den unerfüllbaren Wunsch, das Leben auf dem Land gliche einem bißow litoßw wie in der Urzeit, um Nemesis und ihrem Herrn den Aufenthalt dort zu verleiden. (1) Anfangs zeigt sich der amator bereit, Nemesis durch harte körperliche Arbeit auf dem Land zu dienen, und untermauert diese Vorstellung mit mythischen Vorbildern. Inzwischen sei jedoch, so diagnostiziert er, ein Wertewandel eingetreten und mit diesem die Vorherrschaft des Materialismus. Die Anklage gegen die

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bei Hor. carm. IV 5,29 f. und Ov. fast. II 637 f.? Für das positive Verhältnis zwischen Land- und Stadtwelt s. Mutschler 1985: 208. Tib. II 1 67–79. Das spricht gegen die Auffassung von Mutschler 1985: 211 f., dass in dieser Elegie ein Idealzustand konstruiert werde, in dem weder der Krieg noch die Liebe Schwierigkeiten bereiten. Zu Recht betont Foulon 1987: 124, dass Tibulls Darstellung des Festes keine Vorstellung eines Goldenen Zeitalters zugrunde liegt. Lee-Stecum 1998: 182 f. geht indes zu weit, wenn er postuliert, Elegie II 1 markiere einen radikalen Bruch zum I. Buch, weil die latente Dominanz von Venus und Amor aufgehoben werde. Anders als er suggeriert, erkennt Tibull bereits hier, dass es keine Befreiung von der tyrannischen Macht der Liebe für ihn geben wird. Hierzu Mutschler 1985: 229–253 und Gärtner 2003. Murgatroyd 1994: XVII mit einer Charakterisierung der Nemesis und ferner Maltby 2002: 43 f. Dies ist aus Tib. II 3,63 f. zu erschließen.

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Gesellschaft resultiert in einer radikalen Fortschrittskritik. Die Gegenwart ordnet er als Eisernes Zeitalter ein, das einen Kontrapunkt zum abgelösten Reich der Venus bildet. Als dessen charakteristisches Kennzeichen benennt er das Beutemachen und stellt so eine Verbindung der Epoche mit dem Krieg her. Mit hämmernden Anaphern listet er die Erscheinungsformen des gewaltsamen Todes, resultierend aus Beute- und Ruhmesgier, auf. Die Ziele des Beutemachers sind Landbesitz und eine exquisite Bauweise, die zu einer Pervertierung der natürlichen Ordnung führen.282 Das Ziel dieser Gegenwartsbeschreibung ist die Diskreditierung des Rivalen. Er ist für den amator ein Exponent der Gegenwart; von seinem Reichtum profitierend, wird Nemesis zu seiner Komplizin. Die Übersicht ist von der Situation des amator bestimmt und deshalb auf jenen Aspekt konzentriert, der den Unterschied zwischen Tibull und dem Rivalen ausmacht, den Reichtum und die Dekadenz der Gegenwart. Die Phänomene des Verfalls, die er aufzählt, sind gängige Topoi im Peripetiediskurs der Späten Republik. Eine Alternative entwirft Tibull nicht. Die ländliche Tätigkeit der Götter, die er als Vorbild für landwirtschaftliche Arbeit instrumentalisiert, ist mit keiner spezifischen Epoche der Menschheitsgeschichte verbunden, auch nicht dem Goldenen Zeitalter, sondern gehört dem Mythos an. Für den externen Leser ist diese Skizze des Eisernen Zeitalters eine Kritik an der Gegenwart. Zu Augustus’ Zielen gehörte zentral eine Sittenreform – Tibulls Gegenwartsdiagnose registriert ihr Scheitern. Den Luxus führt er über den Krieg auf eine Ursache, die strukturell auch trotz der Erneuerungsbemühungen des Princeps die römische Gesellschaft prägen sollte, die Verherrlichung militärischer Tugenden und des Krieges. Zwar respektiert Tibull gelegentlich das Ruhmesstreben als Motivation für Kriegsdienst; aber die Habgier als Ziel menschlichen Strebens verurteilte er stets. Seine Zeitkritik reicht jedoch über den elegischen Diskurs, über die Verzweiflung eines pauper amator an der übermächtigen Konkurrenz, hinaus und ist für den Mainstream der gesellschaftlichen Debatte der Zeit anschlussfähig. Mit der persona spricht nicht nur ein Außenseiter, sondern er benennt Missstände, die in der Publizistik und Mentalität Konsens waren. Die Reformbestrebungen zielten indes auf eine Restauration einer Vergangenheit, die militärisch geprägt war. Bei aller zustimmungsfähigen Kritik an den Erscheinungen der Gegenwart zielt Tibull auf eine Neuorientierung des Zusammenlebens. Nur durch ein Leben gemäß den von Venus repräsentierten Prinzipien ist eine Wiederherstellung der Sitten möglich. (2) Die abschreckende Vision des bißow litoßw instrumentalisiert Tibull für sein Hauptziel, Nemesis’ Rückkehr. Sein Kennzeichen ist nicht nur die kümmerliche Ernährung und das Fehlen von Landwirtschaft. Entscheidend für den amator ist, dass die Besitzlosigkeit und die noch nicht erfundene Baukunst eine freie Liebe ermöglichten, wie sie sich ein elegischer Liebhaber erhofft. Das Land als Sehnsuchtsort und Refugium der Werte der Elegie und der sittlichen Werte ist durch die Invasion des Geliebten der Nemesis entweiht. Tibulls Wunschvorstellungen werden zur Dystopie. Auch auf dem Land entfaltet die Korruption ihre Macht und bezwingt die Werte anderer Lebensformen. 282 Tib. II 3,39–50. Venus wird hier von der elegischen Liebe separiert. Für die Belege s. Smith 1964: 420–424.

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Die Bejahung der Gegenwart ist der persona in diesem Gedicht fremd. Eine scharfe Zeitkritik beleuchtet den Zusammenhang zwischen Materialismus und Krieg. Die Gegenwart charakterisiert Tibull als ferrea saecula, deren Kennzeichen Huldigung des Reichtums und die Verachtung der Venus sind. Bestimmt wird dieses Urteil jedoch durch die Perspektive des amator, der in hoffnungsloser Konkurrenz zu einem durch militärischen Erfolg zu Vermögen gekommenen Rivalen steht. Die Aussichtslosigkeit seiner Stellung erkennend, ist Tibull bereit, seine Werte zu opfern. Zwar gibt er sein Ideal nur notgedrungen auf. Aber er passt sich taktisch den Gesetzmäßigkeiten der modernen Welt an. Dieses Vorgehen, das in der folgenden Elegie konkretere Formen annimmt,283 wirkt auf die Deutung der Vergangenheit zurück und wird von ihr wiederum legitimiert. Tibulls historische Konstruktionen in dieser Elegie fügen sich in seine Behandlung der Geschichte in der Sammlung ein. Je nach Stimmungs- und Lebenslage operiert er mit unterschiedlichen Szenarien der Geschichte und verschiedenen Formen von Zeitkritik und Idealvorstellungen. Der situative Anlass, die von ihm so oft erhoffte Ankunft der puella auf dem Land, verdorben jedoch durch die Präsenz ihres Liebhabers, bewirkt eine Neupositionierung zur Geschichte. Von der modernen Welt kontaminiert, kann das Land nicht länger als Rückzugsort dienen. Nur der Verrat an einem ländlichen Ideal vermag die Hoffnung auf Erfüllung der Liebe aufrecht zu erhalten. Diese Aussicht ist jedoch utopisch, weil sie die Transformation der Gegenwart in die Vergangenheit verlangt. Insofern vereitelt die Wirklichkeit eine Erfüllung der Träume des amator. Auch dieses Gedicht steht in Übereinstimmung mit der moralischen Restauration des Princeps. Es konstatiert aber auch deren Aussichtslosigkeit: Die Dekadenz ist in der Gegenwart omnipräsent. Nicht nur zerstört sie die elegische Welt Tibulls, sondern auch die von Augustus betriebene Restauration Roms. Ungeachtet ihrer divergierenden Interessen sind sowohl Tibull als auch der Princeps von dieser Entwicklung betroffen. γ) Tibulls Gesamtgeschichte (II 5) αα) Einführung Die einzige umfassende Darstellung der römischen Geschichte in der Sammlung liefert Tibull in der Elegie II mit ihrem in mythische Zeiten ausholenden und bis über die Gegenwart in die Zukunft hinaus geführten Abriss der Geschichte Latiums 283 Tibull will auf Nemesis’ Forderungen eingehen. Er weiß, dass nur die Bestechlichkeit der puella ihm Zugang zu ihr verschafft, dass er sich dafür aber in Verbrechen verstricken wird. Sogar die Fortführung seines dichterischen Schaffens, seiner künstlerischen Existenz, stellt er unter deren Erfolg als werbende Dichtung, spricht ihr also einen Sinn jenseits seines elegischen Liebesverhältnisses ab (Tib. II 4,15–20). Zuletzt erkennt er, dass er womöglich sogar seinen Landbesitz veräußern muss, um die Forderungen der Geliebten erfüllen zu können. Da mit dem Land die Laren seiner Familie verbunden sind, bedeutete ein Verkauf, dass er um Nemesis’ willen nun auch seine familiär-religiösen Bindungen für das Glück in der Liebe opfern wird (zu den Verbrechen: II 4,21;25 f.; zur Dichtung: 15–20; zum Verkauf des Landguts: 51–54). Die Erfüllung der Liebe zu Nemesis ist für Tibull deshalb mit völliger Selbstaufopferung verbunden.

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und Roms. Der Anlass ist die Einführung des Messalinus, des Sohns des Messalla, in das Amt des Decemvir sacris faciundis, zu dessen Aufgaben die Konsultation der sibyllinischen Bücher gehört.284 Dieses Ereignis fiel mit zwei erinnerungspolitisch bedeutsamen Terminen im römischen Festkalender zusammen, dem Parilienfest, an dem Roms Geburtstag begangen wurde, und dem Jahrestag des Apollo Palatinus, eines der Schutzgötter des Augustus, des selbsternannten Neubegründers der Republik, in dessen Tempel die sibyllinischen Bücher verwahrt wurden.285 Als Decemvir nahm Messalinus an den Vorbereitungen der Saecularfeier teil, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dieser Elegie steht. Das Parilienfest dient als Klammer einer Verschränkung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In vier Etappen werden die Vorgeschichte und die Geschichte Roms aufgerufen auf: eine Hirtenidylle (25–38) vor der Gründung der Stadt, die Ankunft des Aeneas mit den Kriegen in Latium und der Begründung einer neuen Heimat für die Troianer (39–50), die Gründung der Stadt Rom sowie die damit verbundene Expansion zum Weltreich (51–64) und die im Zeichen der Bürgerkriege stehende Zeitgeschichte (67–78).286 Die Zukunft berührt Tibull nicht mehr in Form einer Prophezeiung, als gesichertes göttliches Wissen, sondern in einem Gebet an Apollo Palatinus, das seinen Erwartungen und Hoffnungen für Rom, sich selbst und Messalinus Ausdruck gibt (79–122). Der Form nach ist die Elegie ein Hymnus auf Apollo, der um Schutz für Rom bittet.287 Als ein Huldigungsgedicht erweist sie dem Patron Tibulls und seiner Familie Reverenz. An den zeitgenössischen Leser wendet sie sich wiederum mit einer Einordnung des augusteischen Principats in die römische Geschichte wie auch die Zivilisationsgeschichte in Italien.288 In diesem Gedicht tritt Tibull in eine Auseinandersetzung mit den Kulturtheorien Vergils in der Aeneis und in den Georgica ein289 284 Zum Decemvir sacris faciundis: Murgatroyd 1994: 163 f. sowie Cairns 1979: 84 f. Die Decemvirn hatten auch die Riten für Apollo zu überwachen, Maltby 2002(a): 291, s. ferner 298 zu ihrer Rolle bei der Saecularfeier. 285 Möglicherweise spielt auch Tib. I 1,35 f. auf das Parilienfest, den Jahrestag der Stadtgründung, an. Zu Apollo Palatinus s. o. S. 53; 185. Zur Lagerung der Bücher im Tempel Murgatroyd 1994: 166 gegen Suet. Aug. 31,1 sowie Burkowski 2016: 162 (m. weiterer Literatur). Apollo tritt in dem Gedicht, als Patron der Dichter angerufen, zugleich als Apollo Citharoedus auf. 286 Über die Sibyllen und die Prophezeiungen in der römischen Literatur umfassend Murgatroyd 1994: 178–180. Für Nachweise zumindest motivischer Bezüge auf Vergil s. Buchheit 1965: 104 f.; 107 (zur Prophezeiung); 118. 287 Zum Charakter des Gedichts s. Tib. II 5,3 f.: Nunc te [i. e. Apollo] vocales impellere pollice chordas, / nunc precor ad laudes flectere verba meas. Zur Gattung des Hymnus s. bes. Cairns 1979(a): 65–86, jetzt auch Murgatroyd 1994: 164 f. und Maltby 2002(a): 292. 288 Ein wesentlicher Unterschied zur Prophezeiung im VI. Buch der zeitgleich entstandenen Aeneis liegt darin, dass bei Vergil die Sibylle dem Aeneas ein zukünftiges Geschehen vorhersagt und auch für den Fortgang des Epos, die Kämpfe des Aeneas in Latium, von dramaturgischer Bedeutung ist, während bei Tibull durch das Referat der Prophezeiung vornehmlich der römische Leser angesprochen wird, nicht mehr der eigentliche Adressat, dessen Person in der Elegie keine Funktion mehr übernimmt. 289 Dass die Elegie II 5 trotz ihrer Komplexität und ihres unbestreitbar hohen Anspruchs dennoch in einem engen thematischen Zusammenhang zu den übrigen Gedichten der Sammlung steht und dass Tibull nie reine Liebesdichtung verfasst hat, verkennt Murgatroyd 1994: 167 f.

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und greift mit der aitiologisch inspirierten Beschreibung der urzeitlichen Stätte, an der einst Rom gegründet werden sollte, ein Motiv auf, das etwa gleichzeitig auch Properz, in der Elegie IV 1,290 und Vergil, bei der Führung Euanders im VIII. Buch,291 beschäftigte. Das Gedicht sondiert die Realisierungsmöglichkeiten einer langfristigen Sicherung des Friedens unter Augustus und seines von Apollo gestützten Regiments vor einem historischen Horizont. In diesem Sinn setzt sich die Elegie als einziges Stück der Sammlung unmittelbar mit dem (wie stets nicht namentlich genannten) Princeps auseinander. Sie ist ein Kommentar zur Zeitgeschichte zwischen Bürgerkrieg und Saecularfeier.292 ββ) Inhalt Die Prophezeiung der Sibylle setzt mit der Zeit vor der Gründung Roms und der Ankunft des Aeneas ein. In der Gegend, in der später die Stadt errichtet werden sollte, herrscht eine Hirtenidylle. Mit den Umständen der Stadtgründung spielt Tibull auf die problematischen Charakteristika der geschichtlichen Welt an, politischen Ehrgeiz und Mord, und hebt davon die vorstädtische Urzeit ab. Den großen chronologischen Abstand zwischen beiden Epochen, zwischen Urbanität und Rustikalität, zwischen der einem Goldenen Zeitalter ähnelnden Idylle und dem Eisernen Zeitalter, veranschaulicht die Beschreibung zweier Orte, die zentrale Bedeutung für die nachmalige Stadt besaßen, des Palatins und des Capitols, auf dem damals Kühe geweidet und Hütten gestanden hätten.293 Die beiden damals noch nicht mit sakraler Bedeutung aufgeladenen Hügel sollten einst die geschichtlich-politische Welt symbolisieren, mit den Tempeln für Iuppiter, der Saturn aus der Herrschaft vertrieben hatte, und Apollo, der Iuppiters Sieg verherrlicht hatte. Das Bild wird von zahlreichen bukolischen Reminiszenzen bestimmt. Die mit ihnen korres290 S. u. S. 245–254. 291 S. o. S. 165–180. Für eine ausführliche Dokumentation der Beziehung des Gedichts zu Vergil s. Gerressen 1970: bes. 53–72 sowie Buchheit 1961: bes. 107; 115; 117. 292 Trotz der allseits anerkannten politischen Bedeutung der Elegie (z. B. Wimmel 1961; Merklin 1970; Smith 1964: 445 f.; Putnam 1973: 8 f.; 182 f.; Murgatroyd 1994: 166 f.) steht die Zahl der politisch orientierten Interpretationen hinter Auseinandersetzungen mit der Frage zurück, ob Tibull bei der Abfassung des Gedichts, wie mögliche motivische Anleihen nahelegen, auf Vergils Aeneis zurückgegriffen hat und inwieweit sich daraus Schlussfolgerungen etwa für die Datierung von Tibulls Tod, die Arbeitsweise Vergils und die Lesekultur im augusteischen Rom ziehen lassen. Dass Tibull tatsächlich, sei es über einen Einblick ins Manuskript, sei es über Lesungen, mit Vergils Epos vertraut war, steht weitgehend außer Frage, s. bes. Cartault 1909: 123–127; Gerressen 1970; Ball 1975(a); Maltby 2002(a). Diese motivgeschichtlich-literaturwissenschaftlichen Einsichten wurden aber kaum für eine politische Interpretation nutzbar gemacht. Für eine schwach begründete Ablehnung der Auffassung, Tibull habe Bezug auf Vergil genommen, s. Riposati 1942: 93 f.; skeptisch aber auch Della Corte 1980: 267–269 (grundsätzlich) sowie Della Corte 1984 (für Details). Die wichtigsten politischen Interpretationen sind, von zahlreichen Einzelbeobachtungen in den einschlägigen Kommentaren abgesehen, Wimmel 1961; Merklin 1970; Henniges 1979: 150– 173; Wifstrand Schiebe 1981: 56–68; Neumeister 1987; Mutschler 1985: 254–269; Maltby 2002(a); Rea 2007: 85–102. Zur älteren Forschung s. Neumeister 1987: 157. 293 Tib. II 5,25 f.: sed tunc pascebant herbosa Palatia vaccae / et stabant humiles in Iovis arce casae.

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pondierenden Assoziationen, romantisch gefärbte Armut, Reinheit der Sitten und Religiosität, symbolisieren das ländliche Lebensideal, dem Tibull huldigt, jedoch keine Jäger- und Sammlerexistenz.294 Die Unschuld dieser frühen Zeit repräsentiert am eindrücklichsten die Liebe eines Mädchens und eines Jünglings, die vom servitium amoris im modernen Rom ebenso unberührt ist wie von den Gewaltausbrüchen im bäuerlichen Leben der geschichtlichen Welt.295 Bei der Vorhersage des nächsten Entwicklungsschritts richtet sich die Seherin unmittelbar an Aeneas und enthüllt ihm das Schicksal, das ihn in Italien erwartet (39–50). Mit Aeneas wird zwar der Untergang der friedlichen, von Hirtenleben geprägten Welt Latiums eingeleitet, doch steht am Ende dieser Epoche mit der Gründung von Alba Longa auch eine konstruktive Tat, die auf Iuppiters Befehl erfolgt. Aeneas selbst wird – darin gleicht ihm später Romulus, ein weiterer Gründungsvater in der römischen Geschichte – unter die einheimischen Götter erhoben.296 Auf die Veränderung der Landschaft weisend, mit der Roms Gründung einhergehen wird, bereitet Tibull im folgenden Abschnitt der Prophezeiung, adressiert an Rhea Silvia, den Abschied von der gleichsam geschichtslosen Welt Italiens vor, bezeugt zugleich jedoch auch die damit verbundene Sinnhaftigkeit des Wandels, der im Aufstieg Roms zur Weltmacht und der Rache für Troia liegt (51–62).297 Denn aus Verbindung der Vestalin mit dem Kriegsgott Mars, gehen die Zwillinge Romulus und Remus hervor, die für den Beginn der Geschichte der neuen Stadt Rom stehen. Auch wenn das Rendezvous zwischen der Priesterin und dem Gott mit sexueller Gier und der Vernachlässigung religiöser Pflichten einhergeht, blendet Tibull die perfide Gewalttätigkeit des Mars, von der andere Versionen des Mythos berichten, aus und konstruiert nur einen graduellen Unterschied zur reinen Liebe der Hirtenmenschen.298 Mit einem längeren Ausblick auf die römische Expansion gelangt die Prophezeiung scheinbar ans Ende.299 Dass die Sibylle das personifizierte Troia eingestehen lässt, durch den militärischen Erfolg habe Rom die glorreiche Geschichte Troias übertroffen und damit seien der Aufbruch und die 294 In die Irre führt, wenn man diese Phase als „proto-Rome“ (Rea 2007: 85 und auch Wifstrand Schiebe 1981: 57) oder „Frührom als Hirtenrom“ (z. B. Wimmel 1968: 237, Anm. 109; ferner Wimmel 1961; Merklin 1970; Wifstrand Schiebe 1981: 59) bezeichnet, weil die Ankunft der Troianer den Beginn einer gänzlich neuen, von der Hirtenwelt völlig verschiedenen Zeit beginnt. Unpräzise ist andererseits auch das Wort vom „Gegen-Rom“ (Henniges 1979: 156), das eine problematische politische Konnotation enthält. 295 Tib. II 5,35 f.: Illac [i. e. Velabrum] saepe gregis ditis placitura magistro / ad iuvenem festa est vecta puella die. Die harmlosen Geschenke des Mädchens für den Liebhaber entsprechen ihrer Unschuld und haben nichts von Berechnung an sich, s. auch Prop. III 13,27–32 sowie II 34,71. Unbegründet daher die Gegenmeinung von Maltby 2002(a): 299. Gegen die Identität des iuvenis mit dem ditis magister spricht sich Merklin 1970: 305; anders Maltby 2002: 443 und Murgatroyd 1994: 189 f., der auch nachweist, dass dem möglicherweise anstößigen Attribut ditis hier keine ambivalenten Implikationen innewohnen. 296 Tib. II 5,43 f. Zu indigetem in V. 45 s. Maltby 2002: 446. Zu den Varianten in der Überlieferung von Aeneas’ Tod Smith 1964: 456. 297 Keine Ironie in der Aufforderung an die Rinder, die ihnen verbleibende Zeit zu genießen. 298 So nämlich Liv. I 4,2; Dion. Hal. ant. I 77; Ov. fast. III 21 f. und Serv. Aen. I 273. Zu Unrecht spricht Henniges 1979: 157 von „rohe[r] Gewaltsamkeit“, ähnlich Neumeister 1987: 164. 299 Tib. II 5,55–64.

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Mühen des Aeneas belohnt worden, signalisiert, dass jetzt ein formierender Abschnitt der römischen Geschichte beendet ist.300 Im letzten Teil der Prophezeiung gelangt Tibull, die politische Ereignisgeschichte der Königszeit und der republikanischen Geschichte überspringend, unmittelbar in die Gegenwart. Die Erwähnung von ungünstigen Vorzeichen301 rekurriert auf die Ermordung Caesars und den Bürgerkrieg. Diese Phase ordnet Tibull jedoch bereits einer abgeschlossenen Vergangenheit zu. Deren letzte Spuren soll Apollo, so fordert er in seinem Gebet, endgültig beseitigen.302 Mit der unmittelbaren Gegenwart und der Zukunft, auf die sich die zweite Hälfte des Gedichts konzentriert, soll nach dem Aufstieg Roms zur Weltmacht und den Bürgerkriegen der zurückliegenden Jahrzehnte die Konsolidierung im Zeichen des Friedens folgen, den Apollo sichert. Die Wiederherstellung der Ordnung spiegelt sich im Parilienfest. Die ländliche Szenerie evoziert die vorrömische Hirtenexistenz (79–122). War in der primitiven Vorzeit vor der Stadtgründung die menschliche Existenz noch vom Hirtenleben bestimmt, so ist das Leben unter dem Schutz Apollos von einer höheren Kulturstufe, der Landwirtschaft, mit zivilisatorischen Errungenschaften wie Acker- und Weinbau, geprägt, die unter göttlicher Schirmherrschaft gedeihen.303 Den Göttern statten die Bauern, in einem Akt der pietas, beim Fest ihren Dank ab und bitten um Schutz vor gefährlichen Tieren. In Eintracht und Muße, unbehelligt vom Schrecken der Bürgerkriege, verbringen mehrere Generationen umfassende Familien das Fest und stellen so, nach der Dezimierung und Vertreibung in den 30er Jahren, die Vitalität Roms unter Beweis. Für sich selbst erbittet Tibull von Apollo, den Garanten des Friedens, Erlösung von der elegischen Liebe, die allein den Frieden stört.304 Am Ende steht ein Ausblick auf die persönliche Zukunft Tibulls, auf einen Wandel seiner Dichtung. Mit der Ankündigung, dass sein Talent künftig für die Verherrlichung der militärischen Taten des Messalinus verwenden werden soll, dessen künftige Triumphe er bereits imaginiert, vollzieht er poetologisch den Übergang von der 300 Tib. II 5,61 f. 301 Hier referiert Tibull die Ankündigungen von vier Sibyllen, Amalthea, Herophile, Phoet und Aniena, zu ihnen bes. Smith 1964: 444; 465–467; Della Corte 1980: 279 f.; Murgatroyd 1994: 208–210. Sie sind nicht mit der bisher sprechenden Seherin zu verwechseln. 302 Den Eindruck, dass Tibull über die Bürgerkriegszeit hinwegeilt, wird dadurch vermittelt, dass nicht die Geschehnisse selbst, sondern lediglich die sie symbolisierenden Omina erwähnt werden und dass der Dichter diese problematische Phase der Zeitgeschichte in einer gigantischen Parenthese unterbringt (II 5,67–78): (67) Quicquid Amalthea, quicquid Marpesia dixit, Heriphile Phoebo grata quid admonuit […] – (79 f.) haec fuerant olim, sed tu iam mitis, Apollo […]. Den zeitlichen Abstand beider Phasen verdeutlicht dabei olim – iam. Zu den Vorzeichen Dio XLV 17,5 und App. civ. IV 4. Aufgenommen von Verg. georg. I 463–497. Zu den Einzelheiten Murgatroyd 1994: 211 f. 303 Tib. II 5,83–88. 304 Tib. II 5,105–112. Zur Landjugend s. 101–104. Tibull wünscht nur von der elegischen Liebe, verkörpert von dem bewaffneten Cupido, erlöst zu werden, nicht von jener Form der Liebe, die es gab, bevor Cupido sich mit einem Bogen bewaffnete (5,105–108): Pace tua pereant arcus pereantque sagittae, / Phoebe, modo in terris erret inermis Amor. / Ars bona: sed postquam sumpsit sibi tela Cupido, / heu, heu, quam multis ars dedit ista malum. Zur Krankheitsmetapher s. 110 (morbo). Die Streitereien der Jugend relativiert Neumeister 1987: 159 f.

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Elegie zum Epos. In die friedvolle Existenz auf dem Land spielt hier plötzlich, diesmal allerdings nicht bedrohlich, die politische Welt hinein.305 γγ) Der historische Abriss Wie Vergil in den Georgica gliedert auch Tibull die Weltgeschichte in zwei Phasen, in das Zeitalter Saturns und die Herrschaft Iuppiters. Das Hirtenleben vor der Ankunft der Troianer setzt er jedoch nicht mit einem saturnischen bißow auötoßmatow gleich oder bezeichnet diese Phase gar als Goldenes Zeitalter.306 Den Herrschaftswechsel auf dem Olymp datiert Tibull offenbar schon lange vor dem Troianischen Krieg.307 Offen bleiben muss, ob er, der Überlieferung folgend, Saturn mit Kronos in eins setzt oder ob er, wie Vergil in der Aeneis, seine Herrschaft nur in Italien verortet, wohin Saturn sich nach seinem Sturz geflüchtet hat.308 Mit Saturn ist jedenfalls keine Vorstellung eines Goldenen Zeitalters verbunden.309 Im Gegenteil. Vielmehr wird er von Iuppiter mit Unterstützung Apollos, des Schutzgottes des Augustus, bekämpft. Allerdings entspricht das Hirtenleben der prähistorischen Zeit und gerade auch der Kontrast zur Herrschaft Iuppiters dem Zeitalter Saturns in der Elegie I 3.310 Vom Mythos verschiebt Tibull dieses Ideal jetzt in die Welt der Geschichte. Es gehört der Epoche Iuppiters an, den Apollo, wie später auch Augustus, in seinem Kampf unterstütze. Dass der Primitivismus mit der Ankunft des Aeneas zu Ende geht, entspricht der gängigen Tradition, wonach der Troianische Krieg die chronologische Grenze zwischen Mythos und Geschichte zieht. Die Geschichte Italiens folgt hier einem göttlichen Plan. Die Ansiedlung der Troianer wie die Expansion Roms, der Bürgerkrieg wie die Wiederherstellung des Friedens sind vorherbestimmt.311 Der Abriss berichtet von mehreren Gründungsakten. Sie alle sind präfigurativ auf die Gegenwart ausgerichtet und erfüllen eine legitimitätsstiftende Funktion: die Ansiedlung der Troianer in Italien unter Aeneas, die Errichtung von Alba Longa, einer Vorläuferin Roms, durch Ascanius, und die Gründung Roms. Dem namentlich nicht genannten Augustus, an dessen Sieg bei Actium Tibulls Anruf an Apollo erinnert, 305 Tib. II 5,113–120. 306 Hiervon gehen jedoch Merklin 1970: 304 f.; Miller 2009: 237 f.; Burkowski 2016: 162 f. aus. 307 Für den Untergang dieses Ideals gäbe es dann bei Tibull und Vergil unterschiedliche Ursachen: bei Tibull ein äußeres Ereignis, die Ankunft der Troianer mit den sich anschließenden Kriegen, bei Vergil eine von innen kommende Entwicklung, die Dekadenz der Bevölkerung. Rea 2007: 97 unterläuft hier eine Kontamination verschiedener chronologischer Zusammenhänge in Vergils Werken, wenn er die Begründung für den Wandel der Zeitalter in Verg. georg. I, den von Iuppiter initiierten Ausbruch aus der trägen Dumpfheit zu Tätigkeit und Zivilisation, auf Tibull überträgt. 308 S. hierzu zusammenfassend S. 179 f. Nach Euanders Erzählung sollen lange, nachdem das Zeitalter Saturns durch den moralischen Verfall der Menschen zerstört worden sei, Invasionen auswärtiger Völker Italien heimgesucht haben. 309 Als Repräsentant für „disorder“ deutet ihn Cairns 1979: 84 f. 310 Tib. I 3,35–50. 311 Zur Doppeldeutigkeit des fatale nomen Rom (Tib. II 5,57), das möglicherweise auf die von Tibull tatsächlich wahrgenommenen zerstörerischen Folgen der Entwicklung Roms anspielt, s. jedoch Burkowski 2016: 164.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

obliegt die Erneuerung Roms nach dem Bürgerkrieg. Wie Aeneas auf der Seefahrt eine Victoria erscheint, so bei Actium auch Augustus.312 Wie schon die Hirten Pales-Figuren schnitzen, so feiern die modernen Römer das Parilienfest. In jedem Abschnitt der Geschichte erscheint Apollo als Figur von zentraler Bedeutung, beim Sieg über Saturn, bei der Entstehung des Weltreiches und als Wächter des Friedens, in seiner Rolle als Gott des Kriegs wie des Gesangs.313 Alle diese Geschehnisse werden durch die Szenerie des Gedichtes, das Parilienfest, miteinander verklammert, so dass eine umfassende Kontinuität der Geschichte über den historischen Wandel hinweg entsteht. Die Sicherung der Zukunft vermittelt der Amtsantritt des Messalinus. Er stellt sich am Geburtstag der Stadt in den Dienst Roms. Als Interpret der Sibylle wird er mit dem, was die römische Geschichte essentiell ausmacht, vertraut und lernt den heilsgeschichtlichen Kontext seiner politischen Tätigkeit kennen, eine Tätigkeit, die aus politischer Beratung auf religiöser Grundlage besteht. Ihren Höhepunkt wird sie nach Voraussage Tibulls in der Feier eines Triumphes finden. Messalinus wird so die Zeit des jüngst angebrochenen Friedens und der Stärke des Reiches fortschreiben, nachdem bereits sein Vater unter Augustus zur Beendigung der Bürgerkriege beigetragen hat. Wie der Princeps erfüllen somit auch Messalinus und Messalla eine Aufgabe im göttlichen Heilsplan der römischen Geschichte.314 Die Zukunftsgewissheit und das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der römischen Geschichte, die von der Vergangenheit bis in die mit der Zukunft unmittelbar verknüpfte Gegenwart reicht, bekundet die Formel Roma aeterna. Tibull erzählt in seiner historischen Übersicht trotz des Verlustes der vorhistorischen Hirtenidylle und der Übernahme der Herrschaft durch Iuppiter keine kulturpessimistische Geschichte. Zwar gingen mit diesem Wechsel politische, gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen einher. Statt des sorgenlosen Lebens der Hirten widmen sich die Menschen der Gegenwart der Landarbeit, in deren Einführung der historische Wandel ablesbar ist. Die einst frei auf den Weiden herumstreifenden Rinder sind der Nutzbarmachung des Landes, verkörpert durch die Göttin Ceres, die Prosperität garantiert, gewichen.315 Zur Welt der Geschichte zählen auch die Stadt selbst sowie gefährliche Tiere, die es im Vorrom nicht gab. Verändert hat sich aber auch die Form der Liebe. Die Unschuld der friedlichen, traditionellen 312 Zu Aeneas Tib. II 5,45 f. Augustus wird nicht erwähnt. Allerdings gehen die Parallelen nicht so weit, dass der Sieg Iuppiters und Apollos über den bei Tibull sonst niemals mit negativen Untertönen erwähnten Saturn mit Octavians Sieg über den Staatsfeind Antonius bei Actium gleichzusetzen wäre – so aber Smith 1964: 447; Merklin 1970: 302 f.; Putnam 1973: 183 f.; Maltby 2002: 434; dies zurecht abgelehnt von Murgatroyd 1994: 174. Auch Messalla wirkte an der Ausschaltung des Antonius, seines früheren politischen Freundes, mit. 313 Tib. II 5,9 f.; 65 f.; 83 f.; s. hier bes. die Erwähnung des Apollo bezeichnenden Lorbeers. – Tib. II 5,5 deutet an, dass Apollo selbst am Sieg Iuppiters beteiligt gewesen sei. Horaz belegt seine Teilnahme am Kampf gegen die Titanen (carm. III 4,49–80, zu Apollo 61–64), mit denen Saturn nicht gleichgesetzt werden sollte (gegen Murgatroyd 1994: 171 f., der auch 173 f. zu stark vereinfacht die Absetzung Saturns behandelt). Zum Verweis bei Maltby 2002: 435 auf Tib. I 3,35 f. 314 Messalla war zusammen mit Octavian Consul im Jahr 31. Zu seiner Rolle beim Sieg über Antonius s. Vell. II 84,1; App. civ. IV 38; Dio L 10,1. 315 Tib. II 5,55–60; 84.

2. Delia, Messalla, Rom und das Land. Tibulls Idealwelt und die Geschichte

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Rollenbildern entsprechenden Hirtenliebe ist bereits mit Rhea Silvia und Mars gewichen, deren Affäre mit der Zeugung der Zwillinge die Gründung Roms ermöglichte. In der Gegenwart herrscht die elegische Liebe mit unerbittlich-demütigenden Ritualen und fordernden Frauengestalten, wie der amator erfährt. Auch der mit einem Bogen bewaffnete Cupido ist ein Produkt neuerer Zeit,316 und ebenso sind die häuslichen Gewaltszenen, die bei Tibull öfters zum Bauernleben gehören, der Hirtenwelt fremd.317 Tibull bejaht aber auch den mit diesen Entwicklungen einhergehenden Aufstieg Roms zur Weltmacht318. Für ihn waren die Ankunft der Troianer und die Gründung der Stadt einschließlich des Brudermords notwendig. In der Gegenwart zeigt sich immerhin, dass mit göttlichem Beistand jüngst der Bürgerkrieg, der für die Pervertierung der politischen Welt steht, überwunden wurde. Im Ausblick auf die Zukunft konkretisiert Tibull die politischen Verhältnisse nicht. Seine Hoffnungen beruhen auf dem Regiment Apollos und damit auf dem Principat des Augustus. Während der historische Überblick sich auf die Bedingungen eines glücklichen Lebens und die Rahmenbedingungen der aufeinanderfolgenden geschichtlichen Phasen konzentriert, sind Aspekte der staatlichen Ordnung nur nachrangige Phänomene. Den wiederhergestellten Frieden, erfahrbar im Parilienfest, stellt Tibull in Anlehnung an die längst vergangene Hirtenidylle dar. Die politische Bedeutung des historischen Abrisses liegt in der Frage nach dem Verhältnis von vorrömischer Frühzeit und Zeitgeschichte, nach der Realisierungschance eines neuen Zeitalters des Friedens unter veränderten historischen Rahmenbedingungen: Wird eine Annäherung an die Frühzeit vor der Ankunft des Aeneas unter dessen Nachkommen in augusteischer Zeit und später gelingen oder bleibt diese Vorstellung wegen der historischen Gesetzmäßigkeiten eine bloße Utopie? Die Deutung der Geschichte in dieser Elegie ist das Resultat der Bemühungen Tibulls um eine Verbindung der Idealvorstellungen der persona mit der Realität und den in ihr wirkenden politischen Mechanismen. So entrückt er das Hirtenidyll nicht in die Sphäre des Mythos. Ein Goldenes Zeitalter oder die Herrschaft Saturns zu beschwören hätte sein Ideal als Utopie entblößt. Stattdessen ist es Bestandteil eines historischen Prozesses, als dessen Telos Tibull die Gegenwart bezeichnet. Die Linearität dieses historischen Verlaufs, der sich immer weiter von seinen Anfängen entfernt, nährt keine Hoffnungen auf eine Rückkehr zur Frühzeit. Was Vergangenheit und Gegenwart jedoch vereint, ist das Frieden und Sicherheit garantierende Wirken Apollos, unter dessen Herrschaft Tibull das augusteische Principat stellt. Als Schauplatz, an dem sich die Spannungen zwischen Ideal und Wirklichkeit auflösen, fungiert das an Roms Gründung erinnernde Parilienfest. Inwieweit sich all das, was Tibull mit diesem Ereignis verbindet, auf den Alltag übertragen lässt, hängt von Apollo ab, dem Gott des Friedens wie des Krieges, der 316 S. auch Tib. II 1. Während der urzeitliche amator sich noch als magister fühlen darf, sinkt er im Konzept der elegischen Liebe zum Sklaven der domina herab, die auch noch auf einer sozial niedrigen Stufe steht (s. Inhaltswiedergabe). 317 Zu dieser Problematik s. Solmsen 1962: 307 f. 318 Zur Übereinstimmung mit Vergil in dieser Frage s. Gerressen 1970: 65 f. Für eine Kritik an Augustus s. Ball 1981: 142.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

das doppelte Antlitz der Gegenwart verkörpert. Zwar wurde unlängst die Eintracht mit Waffengewalt wiederhergestellt. Aber die Hoffnung auf einen Triumph des Messalinus, den Tibull detailliert imaginiert, verweist auf eine auch zukünftig militärisch geprägte Außenpolitik. Von ihr können, wie die Elegien I 1, 7 und 10 am Beispiel des amator zeigen, auch Privatpersonen tangiert werden. Auch privat, in der Sphäre der Liebe, ist die Gegenwart nur unvollkommen. Nicht nur haben berechnendes Kalkül und Gewalt die Unschuld des Hirtenroms vertrieben; selbst am Parilienfest ist der Furor der elegischen Liebe eine Bedrohung für die innere Balance des amator.319 Offen bleibt auch der Einfluss des Krieges, personifiziert durch den reichen Rivalen, auf die puellae und die Chancen des amator. Zu den privaten Problemen kommen noch die politischen Verwerfungen hinzu, die im nicht näher analysierten, nicht explizit auf politische Kategorien zurückgeführten Bürgerkrieg kulminierten, moralische Dekadenz, Pleonexie und politischer Ehrgeiz. Die Zukunft Roms bleibt daher potentiellen Gefährdungen ausgesetzt. Durch die Ausblendung der zeitgenössischen Politik vermeidet Tibull eine Positionierung zu den Maßnahmen des Princeps und umgeht eine Prognose, ob das Restaurationsprogramm des Augustus angesichts der Unterschiede zwischen Frühzeit und Gegenwart Erfolg beschieden sein könnte. Kritik an der Gegenwart formuliert er in diesem Gedicht nicht. Der Elegie fehlt die Vorstellung eines Goldenen Zeitalters. Der zweischneidige Friedensbegriff, wie ihn die Saecularfeier vermittelte, ist auch in dieser Elegie präsent. Statisch, von destruktiven Kräften unberührt ist der Frieden des Princeps nicht. Als Dichter wird Tibull den Erwartungen seines Patrons Messalla gerecht. Die Elegie auf das Avancement des Messalinus wie auf das Parilienfest ist eine Hommage ohne offene Ambivalenzen und konvergiert mit der Selbstdarstellung des Augustus, der sich als Höhepunkte einer jahrhundertelangen, bis in vorhistorische Zeiten zurückreichenden Genealogie verstand und sich als Instrument des Apollo feiern ließ, den er zu einer Stütze seines Regimes erhob. Ob der Versuch der persona in diesem Gegenwartsszenario gelingt, die Paradigmen seiner Lebenswelt – Landleben, Liebe und die Freundschaft zu Messalla – miteinander zu verbinden und sein die Sammlung leitmotivartig durchziehendes Ideal zu erfüllen,320 lässt die Deutung der mit Apollo in der Gegenwart kulminierenden Geschichte offen.

319 Für Apollo als Verkörperung des Gegensatzes von Politik und Elegie s. Burkowski 2016: bes. 164 f. in Hinblick auf die Unvereinbarkeit des Rationalen und des Irrationalen. 320 Nicht durch das Gedicht scheint die These von Wimmel 1961: 248 f., gedeckt dass „etwas vom Wesen Frühroms für die Gegenwart gerettet“ werden könne und bald zu „eine Art Weltzustand“ werden könne. Auch die an sich zutreffende Feststellung von Gerressen 1970: 45, die Hirtenzeit werde beim Fest ‚nacherlebt‘ und ‚nachgelebt‘, sagt nichts über die Zukunftsperspektive und die immanenten Spannungen zwischen Gegenwart und Tibulls Vorstellungen aus. Für eine Realisierung s Hirtenrom in der Zukunft s. Neumeister 1986: 82; 105 f. Anders auch Buchheit 1961: 115, der Tibulls Hirtenrom und die künftige Größe Roms als Kontrast auffasst, die Verflechtungen zwischen beiden Epochen jedoch außer Acht lässt.

2. Delia, Messalla, Rom und das Land. Tibulls Idealwelt und die Geschichte

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c) Zusammenfassung In Tibulls Elegiensammlung dienen Kulturentwicklungslehren und historische Überblicke der Einordnung verschiedener existentieller Situationen, in denen sich die persona befindet, und der Auslotung von sich daraus ergebenden Problemen und Chancen für ihr Lebensideal, das aus der Verbindung des Bedürfnisses nach einem friedlichen Dasein auf dem Land mit der Liebe zu einer puella und der Freundschaft zu Messalla besteht. Die Elegie I 3 zeigt den amator in existentieller Angst vor dem Krieg. In einer mehrteiligen Reflexion schlägt sie sich in einer radikalen Fortschrittskritik nieder. Die Verwirklichung seiner Hoffnung schiebt er ins Jenseits: Nur im Elysium ist die Erfahrung vollkommenen Glücks möglich. Von der Verneinung der Welt wechselt Tibull jedoch in die Wirklichkeit zurück. Nun zielen seine Erwartungen auf ein Zusammenleben mit Delia auf dem Land. Seine puella wird zur Matrone frührömischen Zuschnitts. Diese Aussicht auf die Zukunft ist jedoch illusionär. Den Anlass der Elegie I 7 bietet der Geburtstag Messallas, der nach einer Würdigung der von ihm erworbenen politischen und militärischen Verdienste verlangt. Auf dieses Ziel hin ist eine fortschrittsbefürwortende Kulturentwicklungslehre angelegt. Tibull entpolitisiert die Taten des Staatsmannes und Feldherren und harmonisiert sie mit den eigenen Idealen. Messalla wird so zum Garanten einer ländlichen, von Annehmlichkeiten geprägten Welt. Er steht nicht für Krieg, Habgier und Beute, sondern für Frieden, Tanz und Wein. Allerdings ist Tibulls Vorstellung als Illusion zu decouvrieren. Die Straße, mit deren Instandsetzung Augustus Messalla beauftragt hat, soll nach Tibulls Wunsch den Bauern den Weg vom Zechgelage in der Stadt zurück in ihr Dorf erleichtern, ist aber topisch mit Krieg und Handel verbunden. Militärische und kommerzielle Zwecke verfolgen auch die Infrastrukturmaßnahmen des Princeps. Die Integration Messallas in die Ideenwelt der persona beruht daher auf einer partiellen Ausblendung der Gegenwart. Insofern entpuppt sich die positive Deutung des Zivilisationsprozesses als Chimäre. Nicht nur sticht die Realität von Tibulls Lob Messallas ab; sie ist auch das Produkt anderer Gesetzmäßigkeiten, als es die vom ihm skizzierte Entwicklung des Fortschritts postuliert. Ein möglicher Einsatz im Krieg, der Tibull droht, wirft in der Elegie I 10 erneut die Frage nach der Beurteilung der Zivilisation auf. Die persona zieht eine ambivalente Bilanz des Fortschritts, die sich auf die Entdeckung des Eisens konzentriert. Einerseits habe es dazu geholfen, wilde Tiere abzuwehren und landwirtschaftliche Arbeitsgeräte herzustellen; andererseits habe es den Bau von Waffen erlaubt und damit zur Entstehung von Kriegen beigetragen. In einer Beschwörung imaginiert Tibull eine Existenz des ländlichen Friedens ohne Krieg. Die Voraussetzung für diese Vision ist jedoch eine Unterbrechung der historischen Kulturentwicklung auf dem Niveau eines frühen Bauerntums. Von dieser Epoche ist jedoch die Gegenwart weit entfernt. Wie sie an die idealisierte Vergangenheit anknüpfen soll, bleibt offen. Ein ländliches Kultfest ist in der Elegie II 1 die Grundlage einer fortschrittsbejahenden Kulturtheorie. Ihr zufolge liegt der Ursprung der Kultur auf dem Land und ist mit ihm verbunden. Tibull verzeichnet die damit zusammengehörenden Errungenschaften, übergeht aber wichtige Stationen der historischen Entwicklung.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Das Szenario, das er entwirft, ist nur auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit, das Land, beschränkt. Sogar Messalla ist in die Szenerie eingebunden. Vorgestellt wird er in als ein die Zivilisation sichernder Eroberer. Diese Implikationen des Krieges übergeht Tibull jedoch. Umgedeutet wird auch das Bauerntum. Traditionell der Garant der militärischen Stärke Roms, wird es zum Ursprung der Liebe. Die Bedrohung durch einen vermögenden Rivalen im Wettstreit um Nemesis löst in der Elegie II 3 eine scharfe Kritik des Fortschritts aus. Als pauper amator verurteilt Tibull den Krieg, der ihm eine Niederlage in der Liebe beschert. Sein Lebensideal macht jedoch auch zunichte, dass der Rivale sich mit Nemesis auf das Land zurückzieht und es entweiht. Dies zwingt Tibull, die dortige Lebensform als einen bißow litoßw zu beschwören, um Nemesis’ Rückkehr zu erwirken. Den umfassendsten Überblick über die römische Geschichte bietet Tibull in der Elegie II 5. Der Anlass ist in doppelter Hinsicht politisch: das Parilienfest, an dem die Gründung Roms begangen wird, und die Ernennung des Messalinus zum Decemvir sacris faciundis. In diesem Rahmen fügt sich Tibulls Analyse von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nachgezeichnet wird die Entwicklung Latiums und Italiens von der Zeit Saturns an. Die römische Geschichte bildet ein geschlossenes Ganzes. Die Ankunft der Troianer markiert einen entscheidenden Einschnitt. In mehreren Stufen verliert die ursprüngliche Lebensweise ihren idyllischen Charakter. Der Krieg tritt bei der Gründung der Stadt wie in der jüngsten Vergangenheit in Erscheinung. Auch die Liebe büßt ihren unschuldigen Charakter ein. Dem Aufstieg Roms korrespondiert eine fundamentale Abkehr von den früher in Latium herrschenden Verhältnissen. Die Zukunft soll jedoch unter dem Wirken Apollos stehen, der im Bürgerkrieg die Feinde Roms bezwungen hat und wirkt nun als Gottheit des Friedens. Mit dieser Deutung knüpft Tibull an die Selbstdarstellung des namentlich nicht genannten Augustus und konkret an die Botschaft der Saecularfeier an. Ob die Gesetze der Vergangenheit sich nicht auch in die Zukunft fortsetzen und ob in der Gegenwart wirklich das Telos der Geschichte erreicht ist, steht dahin. Die Elegien spiegeln keine einheitliche Konstruktion der Geschichte wider. In der Regel bewegen sie sich in Dimensionen der Kulturtheorie; nur ansatzweise wird die römische Geschichte selbst thematisiert. Explizit geschieht dies nur, wenn Messalla mitsamt seinen Taten (I 7; II 1; II 5) zum Akteur wird oder wenn, wie Gedicht II 5, ein ganzes Stück der Zeitgeschichte gewidmet ist. Tibull deutet die Vergangenheit situationsbedingt. Je auswegloser die Lage der persona ist, desto radikaler äußert sie Zeitkritik. Die Faktoren, die ihre Haltung bestimmen, sind der Krieg und die Liebe, repräsentiert durch die diversen Figuren im Umfeld der persona. Dennoch bemüht Tibull sich um einen pragmatischen Zugang zur Gegenwart: durch die Auswahl der Maßstäbe der Betrachtung von Geschichte und durch die Stratifikation der Vergangenheit. So führt er die Geschichte nur bis zu ausgewählten Punkten in der Vergangenheit oder er wählt unproblematische Kriterien, die nicht zu Konflikten mit gegenwärtigen Verhältnissen führen. Eine Entwicklung innerhalb des Œuvres ist nur rudimentär erkennbar. Der entschiedenen Ablehnung des Krieges in der programmatischen Elegie I 1, deren Tenor Gedicht I 3 nochmals verschärft, folgt das Bemühen um die Integration Messallas in seine Welt (I 7; II 1;

2. Delia, Messalla, Rom und das Land. Tibulls Idealwelt und die Geschichte

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II 5). Tritt Messalla jedoch zwischenzeitlich nicht auf (I 10), wird die Distanz zur Lebenswelt, die er verkörpert, wieder größer. Dieses Vorgehen führt zu mehreren Problemen: Teils beruhen seine Vorstellungen auf einer Illusion (I 7), teils blendet er essentielle Aspekte der Realität aus (wie den Krieg in I 10), teils manipuliert er die Geschichte und ignoriert Widersprüche (II 1), teils formuliert er wilde Utopien (II 3). Unterschiedlich gewichtet er auch die Rolle des Krieges. Militärisch gewonnenen Reichtum verachtet er stets und hält den im Krieg errungenen Ruhm zumeist für irrelevant. Positiv bewertet er den Krieg, wenn er den Sieg als nützlich für sein Ideal eines dem Vergnügen (I 7) und dem Frieden (II 1) gewidmeten Lebens preisen kann. In der Elegie II 5 soll die Aussicht auf künftige Triumphzüge die Stabilität und den Frieden der Gegenwart fortschreiben. Konzeptionell erweist sich die Vereinigung aller Elemente seiner Idealvorstellungen als unmöglich: Das ländliche Idyll kann nicht ohne den Krieg und die Verteidigung gegen äußere Feinde bestehen. Da die Liebe korrumpiert ist, wofür exemplarisch der Rivale steht, muss das Unterfangen scheitern, die puella in das Ideal ländlicher Frugalität einzubinden. Zwanghaft fallen die Versuche aus, Messalla in sein Lebenskonzept aufzunehmen, weil sie nur durch eine elegische Umdeutung von dessen Lebensform funktionieren. Die Gedichte üben keine Kritik an Messalla. Dass seine Integration in das Ideal der persona fehlschlägt, ist nur durch deren spezielle, die Wirklichkeiten übersteigende Wünsche bedingt. Der Dichter Tibull wird so seiner Rolle als Client gerecht. Weil er die mit seinem Ideal übereinstimmenden Züge Messallas akzentuiert oder sie seinen Zielen entsprechend umdeutet, ohne sie zu persiflieren, enthalten seine Deutungen der Geschichte und der Rolle Messallas keine Subversivität. Zu dem namentlich nicht genannten Augustus und dessen Politik gibt es vielerlei Berührungspunkte. Für den Princeps war der Krieg ein zentrales Element seiner Selbstdarstellung. Sein Ziel war ein Frieden unter Waffen. Tibulls Haltung zum Krieg basiert auf elegischen Vorstellungen. Beide stimmen jedoch in der Bewertung der Sitten der Gegenwart überein. Auf diesem Sektor können die Gedichte als Unterstützung für die Reformpolitik gelesen werden. Eklatante Differenzen zwischen Dichter und Princeps bestehen jedoch hinsichtlich des Ziels ihrer Kritik. Tibull nimmt Anstoß an dem Reichtum, weil er die Liebe korrumpiert. Augustus hingegen strebte eine Wiederbelebung der ruhmreichen Vergangenheit durch die Anknüpfung an eine idealisierte Vergangenheit an. Tibulls Idealisierung des Landes ist kompatibel mit Vorstellungen des Augustus. Dient es der persona jedoch als Rückzugsort, ist es für den Princeps das Fundament Roms. Beide maßen der Religiosität einen hohen Wert zu. Für Augustus war die pietas Teil der von ihm verfolgten Erneuerungsbestrebungen in der Tradition des mos maiorum, die zu einer Erneuerung der politischen und militärischen Stärke Roms führen sollte. Für Tibull ist diese Vergangenheit kein Bezugspunkt. Aus der Perspektive des Elegikers und des Pazifisten sind die Laren Teil einer vom Luxus unberührten Lebensweise. Klare Diskrepanzen bestehen zwischen Tibull und Augustus, was den Rang der Liebe betrifft. Dass sich der amator, das männliche Rollenbild aufgebend, seiner jeweiligen Geliebten völlig verschreibt, ist eine Haltung, die mit dem Restaurationsprogramm des Princeps und der traditionellen

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Geschlechterordnung unvereinbar ist. Die Divergenzen liegen in unterschiedlichen ideologischen Standorten Tibulls und des Princeps begründet: im Wertekosmos der Elegie und im mos maiorum. Etwaige Übereinstimmungen zwischen ihnen sind nur äußerlich. Die Ziele, auf die sie ausgerichtet sind, unterscheiden sich grundlegend. Das Gleiche gilt für die Haltung zur Geschichte. Sowohl Tibull als auch der Princeps sind an der Vergangenheit orientiert. Aber sie gehen von zwei verschiedenen Konzepten der Vergangenheit aus. Bestimmt sind sie von unvereinbaren Paradigmen und Zielen, Tibull von der Ärmlichkeit und den intakten Sitten, die ein der Liebe gewidmetes Leben ermöglichen, Augustus von den kargen Anfängen Roms, die Voraussetzung für die Entfaltung der Macht Roms waren. In seiner Elegiensammlung erweist Tibull sich als Illusionär. Immer wieder von neuem zeigt sich an seinen Deutungen der Geschichte, dass eine Verbindung der verschiedenen Pole seines Ideals ausgeschlossen ist, mag er auch mehrfach zu Modifikationen seiner Sicht der Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten ansetzen. Seine Kritik geht primär von den traditionellen Mechanismen aus, die in der römischen Gesellschaft herrschten und auf die sich die operative Politik des Princeps affirmativ bezog. Zwar kollidieren zentrale Vorstellungen Tibulls trotz oberflächlicher Gemeinsamkeiten mit dem Programm des Princeps. Dennoch ist er kein Opponent des Augustus. Die persona entzaubert sich durch ihre Kulturentwicklungstheorien selbst und büßt dadurch an Glaubwürdigkeit ein. Ihre Idealvorstellungen entpuppen sich leicht erkennbar als unrealisierbar. Die politische Wirkung Tibulls liegt im Aufzeigen von Alternativen der Lebensweisen und von Korrekturmöglichkeiten der Politik. Die Elegien verdeutlichen, dass ein Ausbruch aus der Realität nicht möglich ist. Ein Gegen-Rom, changierend zwischen elegischer Liebe, Sehnsucht nach dem Land und der Freundschaft zum Feldherrn Messalla, kann er nicht aufzeigen. Das Gedicht II 5 mit der Abmilderung der Spannung zwischen der Gegenwart und dem vergangenheitsorientierten Ideal der persona lässt die Zukunft offen. Mit Apollo ist sie den Kräften anheim gestellt, die über alle (Fehl-)Entwicklungen hinweg die Kontinuität Roms gesichert haben. Dass aber auch in der Gegenwart des Dichters ein Glück nach traditionellen Maßstäben in der Liebe möglich ist, bezeugt die in der Gedichtsammlung vielfach gerühmte Familie Messallas.321 Für die Ursache der Liebes- und Lebenskrise des amator trägt jenseits der zeitgeschichtlichen Entwicklungen in Rom allein der Wunsch nach Verwirklichung eines spannungsvollen Lebensideals Verantwortung. Die Sammlung Tibulls, die die Funktionsweise der Gegenwart in ihren grundlegenden Mechanismen vor einem historischen Hintergrund sondiert und darstellt, kommt auf der Suche nach einer idealen, von der Realität abgekehrten Welt zu keinem Ergebnis. So bestätigt sie die Verhältnisse, die sie anklagt. Die Abkehr vom mos maiorum, die Tibull erkundet, erweist sich nicht als Alternative.

321 Außer in den besprochenen Gedichten bes. in II 5.

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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3. ELEGISCHE LIEBE UND AITIOLOGIE. PROPERZ a) Leben, Werk und Politik Ovid rechnet Properz zusammen mit Gallus und Tibull unter die führenden Elegiker seiner Zeit.322 Über seine Vita informieren ausschließlich die beiden Sphragisgedichte am Schluss des I. Buchs (21 und 22) sowie die Elegie II 34.323 In den Bürgerkrieg war Properz anders als Horaz und Vergil nicht involviert, aber seine Schrecken ruft er in Erinnerung. Sofern autobiographische Elemente in die Verse eingeflossen sind, ist ihnen zu entnehmen, dass Verwandte von ihm den Kampfhandlungen zum Opfer gefallen sind. Über sich selbst spricht er, allerdings durch eine fiktive Figur, den Gott Horos, außerdem zu Beginn des IV. Buches, in dem er sich als vates aus Umbrien, als historisch-aitiologischer Dichter präsentiert.324 Geboren wurde Properz wohl um das Jahr 50 in Asisium. Dort sind die Propertii, seit dem Ende des 2. Jh.s eine einflussreiche Familie, auch noch nach den verlustreichen Bürgerkriegen nachweisbar.325 Wahrscheinlich entstammte Properz dem Ritterstand. Der Vater, der möglicherweise zu den Gegnern Caesars zählte, ist früh verstorben.326 Seine Familie, so deutet er an, büßte bei den Landverteilungen der Bürgerkriegszeit einen Großteil ihres Besitzes ein. Ursprünglich schien er, hierin Ovid vergleichbar, rednerische Ambitionen verfolgt zu haben, die er allerdings sehr bald aufgegeben haben muss.327 Nach anfänglicher Förderung durch einen Volcacius Tullus, der im I. Buch als Adressat oder handelnde Person auftritt, geriet Properz offenbar in das Umfeld des Maecenas, des Widmungsträgers der Elegien II 1 und III 9.328 Das vier Bücher umfassende Werk des Properz entstand in der ersten Dekade des augusteischen Principats, parallel zur Aeneis und im wechselseitigen Austausch mit der Sammlung Tibulls.329 Rekonstruiert werden können die genaue chronologi322 Zu den Stellen s. o. die Einleitung zu Tibull S. 201. 323 Zu Properz’ Leben s. die ausführliche Rekonstruktion von Cairns 2006: 1–34; 50–59 sowie Keith 2008: 1–18. Für einen Vergleich mit den Biographien anderer Dichter der augusteischen Zeit 31–34. Eine Reihe methodisch inzwischen überholter Zugänge zur Vita des Dichters: 1, Anm. 4; 2, Anm. 4. Zur Patronage 35–42 sowie Heyworth 2007. Cairns Auffassungen zur Patronage sind nicht immer frei von methodischer Einseitigkeit, s. Cairns 2006: 322 f. – Zu Gedicht II 34 s. Cairns 2006: 301–319. Einem eigentlich seit dem Beginn des 20. Jh.s veralteten biographischen Ansatz folgt die Rekonstruktion der Vita bei Syndikus 2010: 11–23, 21 zum angeblich autobiographischen Gehalt der Gedichte. Dass Properz die Trennung zwischen Leben und Kunst teilweise aufhebt, ist eine schwerlich beweisbare Behauptung von Sharrock 2000. 324 An anderer Stelle hatte er sich bereits haruspex genannt (Prop. III 13,59). 325 Cairns 2006: 12–14. Zur möglichen Erwähnung des Vaters in Cic. dom. 49 s. Cairns 2006: 15 f. 326 Cairns 2006: 26. 327 Zur Ausbildung und der familiären Patronage s. Cairns 2006: 27 f. 328 Cairns 2006: 30–69; 250–294. 329 Lyne 1998 mit zahlreicher älterer Literatur in Anm. 1 (S. 519) diskutiert die intertextuellen Bezüge. Neuerdings zum Vergleich beider Dichter: von Albrecht 2005, ohne sonderliche Beachtung des Politischen, vielmehr auf Stilistisch-Poetologisches konzentriert. Datierung: Buch I: ca. 29/28: Fedeli 1980: 9 f.; 28–26: Fedeli 2005: 21. Holzberg 2006: 3: I: 28; II: 26; III: 24;

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

sche Reihenfolge der Abfassung und Veröffentlichung beider Gedichtzyklen nicht.330 Das I. Buch der Elegien des Properz ging wahrscheinlich Tibulls I. Buch voraus. Auf dessen erste zehn Elegien folgen Properz’ Bücher II und III. Etwa zeitgleich wurden Tibulls II. Buch und die Aeneis abgeschlossen. Wenige Jahre später, vielleicht um 16 herum, nach den Saecularfeiern, dem Beginn des neuen Zeitalters, für das Horaz sein Festgedicht verfasst hatte, beschloss Properz seine Sammlung mit einem IV. Buch. Nicht viel später wird er verstorben sein. Die politische Dimension der Dichtung des Properz ist stets Gegenstand von Kontroversen gewesen. Augustus- und zeitkritisch anmutende Gedichte oder Verse trugen ihm früher den Ruf ein, ein entschiedener Gegner des Princeps zu sein.331 Hierzu gehören Klagen über die Ehegesetzgebung sowie Reminiszenzen an den Bürgerkrieg, aber auch die gattungsbedingte Ablehnung zentraler Elemente des politischen Programms des Augustus.332 Irritiert hat auch der teilweise deklamatorisch-pathetische Ton mancher Gedichte, der die Substanz eindeutiger politischer Bekenntnisse zu ironisieren schien.333 Properz’ gesellschaftliche Verbindungen haben jedoch Zweifel an der Theorie einer regimekritischen Haltung des Dichters geweckt. Dass er anders als Tibull und Ovid in den Kreis der von Maecenas protegierten Künstler gehörte, legte die Vermutung nahe, mögliche kritische Untertöne in den Elegien seien auf Fehlinterpretationen und ein historisch nicht adäquates, eher von den totalitären Erfahrungen der Moderne inspiriertes Verständnis des augusteischen Literaturbetriebs zurückzuführen.334 Der offensichtlich enge Kontakt zu Maecenas weckt überdies starke Zweifel an der einst vorherrschenden Auffassung, die Wahl der Gattung Elegie und die Darstellung elegischer Liebe an sich seien bereits ein oppositioneller Akt gewesen.335 Überdies wurde überzeugend geltend gemacht, dass etliche vermeintlich augustuskritische Passagen tatsächlich als Unterstützung für den Princeps gelesen werden können, werden der historische Kontext der jeweiligen Gedichte und die Gattungs-

330 331 332 333 334

335

IV: 16. Zur Datierung unter Einbezug der Publikationsdaten Tibulls: von Albrecht 2005: 257 f., der für Buch IV einen Bearbeitungszeitraum von 22 bis 16 annimmt. Zu den Viten der beiden Dichter s. nun die Übersicht bei von Albrecht 2005: 251–258. Zu Properz’ Verhältnis zu den zeitgenössischen Dichtern s. Dimundo 2002: zu Vergil: 304–310; zu Tibull: 310–314; zu Ovid: 314–318. Besonders einflussreich Stahl 1985. Zu diesen Aspekten gleich Näheres. Cairns 2006: 63 f. Einen Musterfall bildet die Elegie II 7, ein vermeintlicher Angriff auf die Ehegesetzgebung des Princeps; s. hierzu die Interpretation von Cairns 1979 und Cairns 2006: 325 f. sowie 359 (Befürwortung der augusteischen Ehegesetzgebung in Elegie IV 11). Die Gegenposition markiert Stahl 1985: 141–156. Ein weiteres Beispiel bieten die letzten beiden Gedichte des I. Buchs, in denen Properz das Schicksal seiner Familie im Bürgerkrieg erwähnt, damit aber keine augustuskritische Position einnimmt: DuQuesnay 1992; Nicholson 1998, zusammenfassend Holzberg 2006: 46–48. Verkannt von Syndikus 2010: 100–105 (keinen „direkte[n] Angriff auf Octavian“), der die ältere Literatur zur Stelle verzeichnet. Kritisch Stahl 1985: 109–122. Der Konsens, dass Properz in einem Patronageverhältnis stand (s. z. B. Stahl 1985: 162–171; Cairns 2006: 260–269; Keith 2008: 9 f.) ist jüngst nicht unumstritten geblieben (Heyworth/ Morwood 2010: 183 mit Literatur). S. in Bezug auf Gallus Cairns 2006: 83–85.

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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gesetze in die Interpretation einbezogen.336 Auf Properz’ Wendung zur Aitiologie, sofern sie nicht als das autonomes Ergebnis eines künstlerisch-ästhetischen Programms anzusehen ist, mag Maecenas sogar maßgeblichen Einfluss genommen haben. Ob Properz sogar persönlichen Umgang mit Augustus pflegte und wie sich dies in der Ausrichtung und dem Inhalt der Dichtung niederschlug, muss jedoch spekulativ bleiben.337 Im ersten Gedicht der Sammlung ist der amator aus dem konventionellen Lebensrahmen ausgebrochen.338 Als Bedingung für die Existenz seines Werkes nennt Properz den Frieden.339 Insofern bilden die Gedichte über die Inhalte und Aussagen, die sie transportieren, nicht nur ein Dokument des Zeitgeistes, sondern stilisieren sich selbst bewusst als ein solches Dokument, als Literatur, die nur in der Zeit des Friedens entstehen konnte und die darum ein indirektes Bekenntnis zu den Leistungen des Princeps ablegt.340 Ohne Augustus und seine Leistungen hätte es, so suggeriert Properz, die Elegien niemals gegeben. Die Forschung hat sich bei der Untersuchung des politischen Properz hauptsächlich auf Aussagen des Dichters zu Augustus, zum Programm des Princeps oder zu aktuellen Problemen der Gegenwart konzentriert. Hier soll Properz’ Elegiensammlung von einem alternativen Zugang aus als ein politisches Werk zur Zeitgeschichte erschlossen werden: über seine Vorstellungen von der römischen Geschichte. Angesichts der Orientierung des Properz hin zur Aitiologie gehört die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu den charakteristischen Zügen der Sammlung und deren politischer Botschaft. Im Fokus stehen nicht vereinzelte historische Reminiszenzen oder exempla, sondern Properz’ Konzeptionen vom Ablauf 336 Zusammenfassend für diese Sicht auf Properz nun Cairns 2006: 320–403, der Buch II, verfasst von einem „new Propertius“ (342), eine „deeply Augustan nature“ zuschreibt (324). Zum folgenden Satz s. 322 f. Ansonsten auch Baker 1983; Kierdorf 1995; Galinsky 1996; Holzberg 2006: 36–75; Syndikus 2010; Fedeli 2012; Coutelle 2015; Properz’ Wandel zu einem Unterstützer des Augustus: Boucher 1965: 133–136 mit Reserven, was die innenpolitischen, Properz’ Privatleben betreffenden Reformen des Princeps betrifft; Newman 2006: 350 (Augustus als Messias für Properz); ausführlich Newman 1997; Lieberg 2007. Als augustuskritischen Dichter verstehen Properz Lyne 1980 (wegen der Elegie als Gattung); Steidle 1962 (Distanz zum Regime); Stahl 1985: 117 (Properz anti-Octavian, pro-republikanisch); Gurval 1995; Merriam 2006: 31–56 (31: Hass auf Augustus); Heyworth 2007; Cresci Marrone 2014. S. zu Merriam jedoch die Rez. v. W. Schubert, Gnomon 2009; 32 f. und die Kritik an überholten Interpretationen der Bürgerkriegselegien I 21 und I 22. Richtige Einwände gegen Stahl bei Fox 1999: 159 f., kritisch auch Janan 2001. Tränkle 1983 sieht Properz in gemäßigter Distanz zum Princeps. Das Stadtbild als Spiegel verschiedener Gesellschaftsgruppen und die Offenheit der römischen Geschichte für Reinterpretationen zeigt Welch 2005, die jedoch im ganzen eine pessimistische Lesart vertritt (8; 110). Der jüngste Forschungsbericht, Fedeli 2006, konzentriert sich auf die Geschichte der Textkritik bei Properz. 337 Cairns 2006: 254. Für die Patronage des Properz durch Augustus plädieren, freilich ohne zwingende Argumente, Cairns 2006: 256 f. und Hutchinson 2006: 1–10. Zu Augustus’ Rolle als Patron und seinem Interesse an Properz s. Cairns 2006: 320–325. 338 Dass Properz hier, wie von Albrecht 2005: 261 ausführt, die Fiktion einer Identität von persona und Autor konstruiert, gilt auch für alle anderen Elegiker. 339 Prop. III 1,17 f. Zu Amor als Gott des Friedens s. Prop. III 5,1. 340 S. auch die mit dem augusteischen Programm zu vereinbarenden Klagen im elegischen Stil über Habgier und Krieg Prop. III 5,1–6; IV 1,97; III 2,5 f. Zu Unrecht abgetan von Cairns 2006: 346 als rein topisch.

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der Geschichte, von ihren Paradigmen und maßgeblichen Stationen. Diese Konstruktionen ordnen die Gegenwart vor einem historischen Horizont ein. Sie kommentieren und beurteilen die zeitgenössische Politik in geschichtlichen Dimensionen, unterbreiten Alternativen und öffnen die Perspektive auf die Zukunft und auf mögliche Szenarien, die sich in ihr verwirklichen können. Im Zuge seiner dichterischen Verwandlung entwirft Properz unterschiedliche Projekte für historische Dichtungen. Pläne für Epen mit je verschiedenen chronologischen und thematischen Schwerpunkten präsentiert er in den Büchern II und III. Realisiert wurden diese Vorhaben nicht. Das IV. Buch, das im Zeichen der Aitiologie stehen soll, eröffnet Properz mit einem groß angelegten Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit mitsamt einer römischen Gesamtgeschichte im Miniaturformat. Anschließend folgen fünf aitiologische Gedichte, zwischen ebenfalls fünf341 Stücke geschaltet sind, die im weiteren Sinne in den Bereich der Liebeselegie gehören. Nach einem Überblick über die Entwicklung der Sammlung sollen zunächst Properz’ Pläne für politische Dichtungen untersucht werden. Darauf folgt eine Analyse der Gesamtgeschichte Roms in der Elegie IV 1. Zur ihr werden anschließend die aitiologischen Elegien des IV. Buches in Bezug gesetzt. Ein Vergleich der Skizzen in den Büchern II und III mit dem historischen Abriss in Gedicht IV arbeitet die Entwicklungen heraus, die sich in Properz’ historischem Denken über die Sammlung hinweg widerspiegeln. In jedem Abschnitt werden die zeitgeschichtlichen Aspekte der untersuchten Teile analysiert. Die Zusammenfassung soll ein Gesamtbild des elegischen Œuvres des Properz als politisch-historische Dichtung zeichnen. b) Überblick über die Sammlung Konzipiert ist die Elegiensammlung als Entwicklungsgeschichte, in der ein amator sich von einem Gegner zu einem Verfechter des traditionellen Wertesystems wandelt und die am Ende durch eine Enterotisierung des Liebesmotivs und eine Erotisierung des Politischen eine dialektische Verbindung zwischen beiden konträren Polen vollbringt.342 Dieser Wandel der elegischen Dichtung ist Teil eines poetolo341 Hierzu wird hier auch die Elegie IV 11 gerechnet. 342 Zur liebeselegischen Anlage des I. Buches s. Manuwald 2006: bes. 243. Zur Verbindung von Erotik und Politik s. Holzberg 2006: 71–74 und Maltby 2006: 179. Die romanhafte Entwicklung bestreitet nicht ohne Grund Syndikus 2010: 14–17; 108, weil es keine nachvollziehbare Chronologie gebe; ähnlich Lyne 1980: 120, der zumindest jedes einzelne Gedicht als abgeschlossene dramatische Einheit betrachtet, sowie Kierdorf 1995: bes. 180–182. Insgesamt ist aber doch die zunehmende Distanzierung von der elegischen Liebesform unverkennbar. Buch IV fasst Maltby 2006: 179 überzeugend als Kompromiss auf. Zur Entwicklung: Neumeister 1983, D’Anna 1986; Komp 1988; Janka 2000: bes. 317–319; Ruhl 2001; Cairns 2006; Heyworth 2010. Anders hingegen Stahl 1985: passim; 133–135, der mit einer gleichbleibenden Haltung des Properz rechnet und die „augusteischen“ Elegien für subversiv hält, so jetzt auch DeBrohun 2003. S. ferner Camps 1961: 1; Camps 1966: 2 und Camps 1967: 3; 5, der das Liebesmotiv im III. Buch in den Hintergrund treten sieht und mit Buch IV einen scharfen thematischen Einschnitt wahr-

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gischen Spiels.343 Am Anfang der Entwicklung steht die dezidierte Abkehr der einer puella namens Cynthia344 verfallenen persona vom mos maiorum.345 In der Zeitkritik, die Properz formuliert, dominiert die Perspektive des elegischen amator, nicht die eines Verfechters des mos maiorum. So erklärt sich sein Plädoyer für die Übernahme spartanischer Sitten in Elegie III 14 aus der Absicht, die Freizügigkeit in Rom zu befördern.346 Situationsgebunden ist auch die Polemik gegen die zeitgenössische Damenwelt in Elegie III 22.347 Die Korruption habe zentrale Werte der menschlichen Gemeinschaft wie pietas und fides erfasst und auch die Sitten und Gesetze in Mitleidenschaft gezogen. In einer solchen Umwelt sind die Chancen des in Armut lebenden elegischen Liebhabers marginalisiert. In einem ähnlichen Zusammenhang unterfüttert Properz die Kritik an der Habgier moderner Frauen in Elegie III 13 mit Elementen einer Dekadenztheorie. In diesem Gedicht nimmt er wiederum die Position des elegisch Liebenden ein. Die Szenerie ist ein in der Vergangenheit liegendes ländliches Idyll.348 Müssten die Verehrer in der Gegenwart ihren Geliebten mit teuren Geschenken aufwarten, die ihr Vermögen ruinierten, so hätten sich einst die Frauen mit Naturalien oder Tieren zufriedengegeben.349 In der Pose des haruspex, als Nachfolger Kassandras, die vor der Eroberung Troias warnte, wagt Properz die pessimistische Vorhersage, dass die aus der Prosperität hervorgehende Dekadenz zum Niedergang Roms führen werde.350 Alle diese Kritikpunkte am Zustand der Gegenwart gehören zu den Topoi der spätrepublikanischen Zeitdiagnostik. Die gegen die römische Gesellschaft gerich-

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nimmt. Dagegen wäre einzuwenden, dass in Buch III die Qualen der elegischen Liebe zu Properz’ Erleichterung das Ende seiner Beziehung zu Cynthia einleiten, während das aitiologische Programm des IV. Buches schon in den Recusatio-Elegien des II. Buches vorbereitet wird. S. hierzu Holzberg 2006: 60. Anders Cairns 2006, der die Thematik der Bücher von den Interessen der wechselnden Patrone des Dichters beeinflusst sieht, und auch Flach 2011: bes. 3 f.; 16 f. Umstritten ist die soziale Stellung der Cynthia-Figur, die wahlweise als verheiratete Frau oder als Kurtisane gilt. Für mögliche Ansätze s. Griffin 1985: 27 f. Prop. I 1; 6, ein Gedicht, das mit Tullus, einen geradezu karikaturenhaft gezeichneten Vertreter des tradtionellen Wertekodex auf einer militärischen Mission im Osten zeigt (s. auch III 22); vgl. aber Properz: non ego sum laudi, non natus idoneus armis mit Stahl 1985: 72–98; II 34B,55–94, bes. 55–58 als Vertreter der politisch-militärischen Welt, die dem mos maiorum verpflichtet ist; Boucher 1965: 13–39. Zur vielfältigen Übernahme von Motiven aus der Dichtung des Gallus s. Cairns 2006: 104–249. Holzberg 2006: 39; mit dem servitium amoris als Lebensform. Zum servitium Syndikus 2010: 112 f., zu Topoi der Liebeselegie bei Properz auch 42; 52 f.; 62 (mit weiteren Stellen). Die wichtigsten Motive der elegischen Dichtung des Properz hat zuletzt Maltby 2006 in einer aufschlussreichen Sammlung aufbereitet. Zur Weiterentwicklung der elegischen Motivik s. Holzberg 2006: 64. Prop. III 14. Als ironisch missverstanden von Syndikus 2010: 267 f. S. für eine ausführliche Interpretation Cairns 2006: 370–403 sowie die knappen Andeutungen bei Lefèvre 2002. Für vergleichbare Stellen s. Keith 2008: 147–155. S. o. den Verweis auf Arcellaschi 2006 und Holzberg 2006. Für eine ideologische Frontstellung gegen Augustus s. hingegen Mastrorosa 2005. Prop. III 13,47–50. Prop. III 13,25: Felix agrestum quondam pacata iuventus. Prop. III 13,25–34. Diese Geschenke (blanditia [33]) hält Properz für unschuldig, weil ihnen der Anstrich der Käuflichkeit fehlt. Prop. III 13,59 f., s. aber auch 61–66.

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teten Anklagen sind keineswegs ein Angriff auf den Princeps. Im Gegenteil. Das Programm des Augustus zielte ja gerade auf eine moralische Erneuerung der Gesellschaft. Die Polemik macht Properz eher zum Unterstützer der Restaurationspolitik.351 Wo das Privatleben des amator von Widrigkeiten tangiert wird, stimmt er mit der Zeitkritik überein, die auch Augustus übte.352 Da das private Motiv der Verurteilung gegenwärtiger Sitten, die Enttäuschung des elegischen Liebhabers, jedoch nicht die Erneuerung des Staates ist, differieren die vom amator anvisierten Ziele von den politischen Ordnungsvorstellungen des Augustus. Als Konsequenz aus der Ablehnung der Gegenwart entwirft Properz im Gedicht II 15 eine ideale Lebensform.353 Im Irrealis formuliert, handelt es sich offensichtlich um eine Utopie, der zufolge die Liebenden Vorbilder für ein friedliches Leben sind. Dem Krieg, der hier mit der Schlacht bei Actium in seiner speziellen Form als Bürgerkrieg annonciert wird, setzt er gemäß der elegischen Topologie ein der Liebe gewidmetes Leben entgegen.354 Properz insistiert auf der sakralen Unschuld einer dem Genuss und der Muße gewidmeten Lebensform,355 verurteilt jedoch nicht den Sieger,356 der nach eigener Selbstdarstellung, aber auch nach der Behandlung in der Sammlung keine Verantwortung als Auslöser des Konflikts trug, eines Konflikts, der, was die Schlussphase des Bürgerkriegsjahrhunderts betraf, vielmehr von außen an Rom herangetragen wurde. Ungeachtet des utopischen Gehalts der Elegie verweist Properz auf ein im ausgehenden Jahrhundert der Bürgerkriege anerkanntes Phänomen: dass die römische Geschichte über weite Strecken, wenn nicht gar seit der Gründung der Stadt, bis in die unmittelbare Gegenwart hinein von Zwietracht oder Bürgerkrieg heimgesucht worden und bislang kein Mittel für die endgültige Sicherung des Friedens gefunden sei. Sein Ansatz ist die elegische Lebensweise, deren Unerfüllbarkeit er jedoch nicht leugnet.

351 Aus anderer Perspektive begründet Cairns 2006: 322 den augusteischen Charakter des noch von Liebeselegien dominierten II. Buches: „[…] it was in the interests of Maecenas (and Augustus) that Propertius should continue to write love poems and, even in elegies evincing general approval of the Augustan regime, continue to voice the antisocial attitudes of his elegiac persona when the clashed with the regime’s civic policies.“ 352 S. beispielsweise die Sittenkritik in Prop. II 34; III 5; 13; 14. Boucher 1965: 98–104 zu fides und Romanitas; 131 zum Ehebruch der Frauen. Hierzu sowie zu Properz’ Kritik an der Käuflichkeit der Frauen s. Arcellaschi 2006; Holzberg 2006: 56; 59 f.; 62 f. Scharfe Zeitkritik formuliert Properz lediglich in Gedicht III 13. Der Gegenwart schreibt er die üblichen Topoi zu. Seine wüste Polemik hängt mit der Untreue der Frauen und der Attraktivität der reichen Nebenbuhler zusammen, die über alle Vorzüge verfügen, die dem armen poeta fehlen. So auch Gedicht II 25. Mit der Kritik verbunden ist ausnahmsweise ein enthusiastisches Lob der Frühzeit, das der gleichen Motivlage entspringt. 353 Prop. II 15,41–46. 354 Prop. II 15,45: nec totiens propriis circum oppugnata triumphis / lassa foret crinis solvere Roma suos. Zu den Grausamkeiten des Bürgerkrieges, die Properz in Erinnerung ruft, s. ReitzJoosse 2016: 289 f. 355 Prop. II 15,47 f. 356 Prop. II 15,41–46. Die These, dass die Kritik wenig überzeugend gewirkt habe, weil sie von einer unwürdigen Gestalt wie der dekadenten, dem Wein und der Liebe ergebenen persona ausgesprochen werde, vertritt Cairns 2006: 337 f.

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Ab dem II. Buch erweitert Properz das Themenspektrum der Elegien hin zur Aitiologie,357 poetisch motiviert mit den frustrierenden Liebeserfahrungen der persona, und formuliert in den Gedichten III 24 und III 25 die endgültige Abkehr von der Liebeselegie.358 Obwohl er sich überzeugt gibt, dass Cynthia auch künftig die alleinige Quelle seiner dichterischen Inspiration bleiben werde,359 deutet er die Möglichkeit von anderen elegischen Formen an.360 Insgesamt vollzieht sich eine stringente Entwicklung vom servitium amoris bis zur Befreiung von der elegischen Lebensweise.361 Den Höhepunkt und Abschluss findet diese Entwicklung im IV. Buch, im impliziten Vergleich zwischen Cynthia, Properz’ puella aus der demimonde,362 und Cornelia, der römischen Matrone, mit deren Epitaph die Sammlung abschließt. Nicht Cynthia ist, wie es im I. Buch prophezeit wird, die erste und letzte puella, sondern Cornelia, deren an traditionellen Moralvorstellungen orientierte Züge er preist und die die Antipodin zu der mit immer stärkeren moralistischen Vorhaltungen bedachten363 Kurtisane Cynthia bildet. Von der Liebeselegie verabschiedet er sich jedoch nicht so vollständig wie angekündigt. Fünf der elf Gedichte des IV. Buches sind spezifische Ausprägungen der Liebeselegie, und von den zu ihr gehörenden Motiven und literarischen Strategien ist auch die Thematisierung aitiologischer Stoffe bestimmt. Weil Cynthia nicht mehr Properz’ einzige Muse ist,364 und sich die persona vom servitium amoris befreit,365 nimmt seine Dichtung eine neue und poetologisch innovative Gestalt an.

357 S. bes. Prop. II 34; 30. Zu den neuen Themen, die Properz ins Auge fasst, Becker 1971: 458 f.; 462 f.; Maltby 2006: 174–178; Cairns 2006: passim; Lieberg 2007: 61. Zur Veränderung des Liebes-Themea in Buch s. zusammenfassend Dengler 2017: 90–93. 358 Hierzu v. a. Holzberg 2006: 60–62; 66, mit anderer Gewichtung, aber im Resultat ähnlich Cairns 2006 sowie Dengler 2017: 119 f. Mit derlei Überlegungen soll aber nicht einer autobiographischen Interpretation der Dichtungen das Wort geredet werden. Properz’ persona verkörpert lediglich die Möglichkeit eines Lebensentwurfes, der jedenfalls einen Teil der Bedürfnisse und Mentalitäten von Vertretern der Ritterschaft und der Nobilität widerspiegelt. Zumindest in bestimmten Auffassungen und Reaktionen des amator werden sie sich wiedererkennen, ohne zugleich dessen Lebensweise als Ganze zu adaptieren. 359 Zur Wandlung bereits Alfonsi 1945: 60–62; Burck 1959; Burck 1981 (hier auch zu Prop. III 21); Neumeister 1983 (mit der älteren Literatur). Komp 1988; Ruhl 2001; Cairns 2006; Coutelle 2015: 26–30. Gegen die thematische Geschlossenheit der Bücher I bis III Holzberg 2006: 60 f. Stahl 1985 sieht in Properz weiterhin einen Repräsentanten der vermeintlich system- oder augustuskritischen Liebeselegie. 360 Holzberg 2006: 56 f. 361 Zur Verwendung „klassischer“ Motive der Elegie in Properz’ Gedichten wie dem servitium amoris und der Liebe als Krankheit bei Maltby 2006; zur Macht der Liebe s. Cairns 2006: 107 f. 362 Zur Gestalt Cynthias Syndikus 2010: 21–23; 32 m. Anm. 1 und auch Steidle 1962: 112 f. Im Unterschied zu Tibull besitzt Properz nur eine Geliebte, hierzu Lyne 1980: 62. 363 Cairns 2006: 354; 356. 364 S. hierzu bes. Prop. II 1. 365 Prop. I 12,19 f.: Cynthia als Lebensschicksal, sowie I 4,3 f. Zu IV 11 s. Cairns 2006: 358–361.

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c) Ungeschriebene Geschichte. Properz’ Annäherungen an historische Themen als Gegenstand elegischer Dichtung in den Büchern I–III Die Verwandlung des Properz vom erotischen und eroto-didaktischen366 zum aitiologischen Dichter in der Tradition des Kallimachos367 parallel zur emotionalen Distanzierung der persona von Cynthia bereitet sich in einer Reihe poetologischer Reflexionen und spielerischer Überlegungen zu historischen Sujets als Gegenstand künftiger Dichtungen vor. Diese Pläne verwirft Properz, bei seinen Absagen mit dem Bescheidenheitstopos operierend,368 allerdings umgehend in recusationes, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit solcher programmatischer Überlegungen erweckt haben und als Ausweis einer subversiven Kritik am Regiment des Princeps gelten.369 Tatsächlich werden die recusationes der Bekundung einer affektiven Beziehung zu Augustus und dessen Politik gewesen sein.370 Ob Properz tatsächlich die Realisierung der von ihm skizzierten Epen plante, ist fraglich.371 Eher dürften seine Überlegungen sowohl Teil eines poetologischen Konzeptes sein als auch eine strategische Funktion im Verhältnis zu seinen Förderern besitzen. Entscheidend ist, welche Themen er für eine panegyrische Dichtung für geeignet hält. Die Neuausrichtung des Œuvres präsentiert die Eröffnungselegie des II. Buchs. Hier ventiliert Properz Pläne für eine patriotische, politische Dichtung, eines Epos im Stil der Ilias, das zur Verherrlichung des Princeps dienen soll.372 Im Fokus soll die Zeitgeschichte stehen. Ihr weist er die Priorität nicht nur vor mythischen Themen oder einem Stoff aus der griechischen Geschichte,373 sondern auch vor der weiter zurückliegenden Vergangenheit Roms zu, der Gründungsphase des Reiches, den Punischen Kriegen und der von Marius niedergeschlagenen Bedrohung durch die Cimbern. In der Erwähnung des Remus als erstem König Roms sowie der Weltmachtambitionen Karthagos, das er zu einer Rivalin Roms stilisiert, und der Barbarengefahr kristallisieren sich sowohl innen- als auch außenpolitische Herausforde-

366 Prop. II 34B,94 f.; IV 1,133 f. Zur Didaktik s. die trotz des biographischen Interpretationsansatzes lesenswerten Interpretationen von Stroh 1971. Noch die Elegien I 7 und 9 enthalten eindeutige Distanzierungen vom Epos. 367 Prop. IV 1,59–64, bes. 64. Weitere Stellen bei Syndikus 2010: 23. 368 Z. B. Prop. II 1,39–42; II 10,21–26; III 9,4 sowie 43 f. und 52 (hier sieht Properz jedoch die Möglichkeit zu einer nichtepischen historischen Dichtung in der Nachfolge des Kallimachos). 369 S. auch Prop. II 34,32. III 1; 10. Zum vermeintlich zeitkritischen Gehalt s. Stahl 1985; Gurval 1995: 169–182; Maltby 2006; Lieberg 2007. 370 S. hierzu bes. Wimmel 1960: 188; 193–200; Enk 1962, 151 f.; Cairns 2006: 265 f.; Lyne 2007: 233. Als Vorbild könnten Properz Hor. serm. II 1,12–15; carm. I 6,5–12 und epist. II 1,258–60 gedient haben; hierzu auch Boucher 1965: 184 f. 371 So z. B. Stahl 1985: 156–162 zu Prop. II 10 und Syndikus 2010: 252 zu III 9. 372 Prop. II 1; zum Frieden s. II 16. Dass der Dichter sein Vorhaben jedoch im Irrealis skizziert, weil es ihm, wie er behauptet, an literarischem Talent fehle, zeigt, dass politische Dichtung im Augenblick noch keine Option für ihn darstellt. S. bes. Prop. II 1,17 f.: Quod si mihi tantum Maecenas, fata dedissent, / ut possem heroas ducere in arma manus […]; 19: canerem; 25: memorarem; 26: fores; 35: contexeret. 373 Prop. II 1,19–22. Zur Dreistufigkeit der Themen und ihrem Bezug zum klassischen repertoire des Epos s. Fedeli 2005: 59; Stahl 1985: 164.

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rungen als Sujets heraus.374 Vorrangig interessieren ihn die vom Beginn des Bürgerkriegs bis zum Triumph über Kleopatra aufgeführten Leistungen des Augustus in Friedens- wie Kriegszeiten, an denen auch Maecenas, der Partner des Princeps, beteiligt war, dem Properz ebenfalls seine Reverenz erweist.375 In diese Dichtung wären auch Details der Bürgerkriegszeit eingeschlossen gewesen.376 Da die Bürgerkriegsepoche literarisch bereits erschlossen war, hätte dies die panegyrische Wirkung, die das Epos hätte entfalten sollen, nicht beeinträchtigt.377 Eher hätte dieses Werk die Sieghaftigkeit des Augustus sowohl als Überwinder innerer wie äußerer Feinde gefeiert. Einen zweiten Entwurf für ein zeitgeschichtliches Epos über die militärischen Taten des Augustus stellt Properz in Elegie II 10 vor.378 Das Gedicht hätte den weltumspannenden Herrschaftsanspruch Roms und Augustus’ Verdienste dokumentiert. Zum Zeitpunkt der Abfassung der Elegie gab es die Erfolge, denen eine solche Dichtung gelten sollte, jedoch noch nicht.379 Im Jahr 25 sollte vielmehr die Arabien-Expedition des Aelius Gallus mit einem vollständigen Scheitern enden und die Rückgabe der von den Parthern eroberten Feldzeichen nicht mit einem militärischen Sieg, sondern nach diplomatischen Verhandlungen erfolgen.380 Die angedeutete Unterwerfung Indiens hat ihren realen Hintergrund in einer Gesandtschaft, die Augustus im Jahr 26 in Tarraco empfing.381 Dieses Epos hätte mit der Demonstration der außenpolitischen Stärke Roms382 Kernelemente der Selbstdarstellung des Augustus unterstrichen, aber nicht in die Geschichte ausgegriffen.

374 Die Verwendung des Namens Remus muss daher weder mit metrischen Gründen erklärt werden, noch erhält das Gedicht durch ihn eine Wendung ins „Negative“ oder „Unheroische“ (so aber Gurval 1995: 172). Auch die folgenden Kriege müssen entgegen der Auffassung von Camps 1967: 69 nicht als problematisch gedeutet werden. 375 Prop. II 1,27–34 mit Syndikus 2010: 248. Zur Maecenas’ Beteiligung am Bürgerkrieg s. Gurval 1995: 176. Zu Actium s. auch Prop. II 16,37–42 sowie III 11. Hier stellt Properz die Sinnhaftigkeit der römischen Geschichte in Frage, falls Kleopatra Octavian besiegt. Umsonst hätte Rom seine Freiheit sonst in vielen historischen Krisensituationen verteidigt. Die Geschichte dient in diesem Gedicht einer Rechtfertigungsstrategie des amator, relativiert damit aber nicht den Sieg Octavians. Gegen die Deutung von Camps 1966: 104 als patriotische Dichtung wendet sich Gurval 1995: 191–207. Tatsächlich unterstreicht der Abstand zwischen dem amator und Antonius, wie gering das „Vergehen“ der persona zu beurteilen ist. 376 S. hierzu Heyworth/Morwood 2010: 19 f.; 24–26. Als Ausdruck der Kritik deutet Gurval 1995: 174 f. diesen Zeitbezug. 377 Kritisch hingegen Sullivan 1976: 57 f. und Stahl 1985: 162–170; 165 f. bes. in Hinblick auf Maecenas’ Verwicklungen sowie Gurval 1995: 175–177 (mit vergleichbaren Interpretationen in 177, Anm. 18). S. dagegen Cairns 2006: 263 f.; 268 f.; Dengler 2017: 65. 378 Prop. II 10,11 f.; 25 f. Cairns 2006: 326–339; Boucher 1965: 113 f.: Properz als Nationalist; Stahl 1985: 156–162. 379 Sehr kritisch zur Ernsthaftigkeit der Absichten des Properz Stahl 1985: 156–162. Syndikus 136–140 dagegen nimmt den guten Willen des Dichters wahr. Zu den Feldzügen Fedeli 2005: 322–325. 380 Cairns 2006: 333 sieht hier v. a. eine mythische Dimension, in die Augustus eingerückt wird. 381 Zu diesem Komplex insgesamt Kienast 2009: 334–363. 382 Zum Aspekt der Gigantomachie in diesem Gedicht s. Cairns 2006: 333–336.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Nicht auf die Zeitgeschichte gerichtet ist die dritte Skizze eines Epos in Elegie III 3. Hier inszeniert Properz sich als prospektiver Nachfolger des Ennius. Gegenüber der Reihe großartiger Sujets, die der Archeget des römischen Epos behandelt hatte, von der Königszeit bis zum Triumph des Aemilius Paullus, nimmt sich allerdings das mehr dem Mythos als der Geschichte zuzuordnende Sujet, die Könige von Alba Longa, irrelevant für politische Zwecke aus. Das Thema motiviert Properz mit dem Rangunterschied, der ihn von Ennius trenne.383 Doch nicht nur demonstriert er mangelndes Interesse an der Geschichte, indem er die historischen Ereignisse in Ennius’ Dichtung in chronologisch völlig willkürlicher Reihenfolge auflistet,384 sondern beweist auch Unkenntnis des Werkes seines selbsterwählten Vorgängers, der ein Jahr vor dem angeblich in seinem Epos behandelten Triumph des Aemilius Paullus verstorben war. Eine Neuausrichtung der Dichtung lässt Properz sich schließlich von Apollo, den Kalliope unterstützt, verbieten.385 Eine konkrete Vorstellung des Properz von der römischen Geschichte wird sichtbar in dem vierten Konzept einer epischen Dichtung, in der Elegie III 9. Mythischen Stoffen erteilt er zunächst eine Absage. Sein Werk projektiert einen Überblick über die Gesamtgeschichte Italiens, die mit den Kämpfen Iuppiters beginnt, dann auf das Italien vor der Gründung der Stadt Rom übergeht, anschließend dessen mit dem Tod des Remus verbundene Entstehung berichtet und mit den Erfolgen des Augustus in der Gegenwart endet, dem Sieg im Bürgerkrieg und der Rückgabe in Crassus’ Partherfeldzug verlorengegangenen Feldzeichen.386 Offenbar wäre dieses Epos von der Dialektik des Spannungsverhältnisses zwischen inneren Konflikten und äußerer Stärke Roms geprägt gewesen. Sowohl der Tod des Remus als auch die Niederlage des Antonius verweisen auf Bürgerkriegsszenarien. Möglicherweise hätte es starke Ähnlichkeiten zur gleichzeitig entstandenen Aeneis besessen. Mit ihr hätte es offenbar die Behandlung politisch heikler Themen wie die inneren Konflikte Roms geteilt. Die panegygrische Wirkung hätte dies nicht notwendig abgeschwächt.387 Den Tod der beiden Protagonisten des Bürgerkriegs, die Properz erwähnt, Remus und Antonius, hätte er als Resultat des zerstörerischen Umsturzversuchs stilisieren und die Überwindung dieser Krisensituationen durch militärischen Erfolg und Diplomatie dem Princeps zuschreiben können, der schließlich den Frieden und die Stabilität wiederhergestellt habe. Das Epos hätte die problematischen Seiten der römischen Geschichte nicht negiert, sie jedoch in ein Konzept des Aufstiegs eingebettet, der trotz seiner offensichtlichen zyklischen Tendenzen zielgerichtet zur Gegenwart hinführt. 383 Prop. III 3,5 f.; 16 f. 384 Prop. III 3,7–12. 385 Prop. III 3,37–50. Nicht überzeugend der Hinweis von Cairns 2006: 345, dass Properz Kalliopes Rat in Elegie III 4 nicht beachtet. Wenn er am Ende dieses Gedichts seine Reserve gegenüber den Triumphen des Augustus betont, an denen er selbst nicht beteiligt sein möchte, zeigt das, wie sehr er der Empfehlung der Götter tatsächlich folgt (III 4,21 f.). Dass Properz ernsthaft über neue Wege für seine Dichtung nachdenke, sucht hingegen Stahl 1985: 48–71 zu widerlegen, wenngleich deutlich ist, dass die Bücher II und III das Buch IV thematisch vorbereiten. 386 Zu den stichwortartig aufgelisteten Themen im Einzelnen s. Prop. II 9,47–56. 387 Anders jedoch Syndikus 2010: 251 f. im Hinblick auf Remus.

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Allen Projekten, die Properz entwirft, sind ein umfassender Anspruch und ein Schwerpunkt auf die Gegenwart gemeinsam. Zwar verbleibt er in den Büchern II und III in den Bahnen der Liebeselegie und verwirklicht noch keine politisch-historischen Sujets. Die Pläne zeigen jedoch eine klar konturierte Vorstellung von Gestalt und Inhalt künftiger Dichtungen. Die Auswahl der Stoffe ist auf die politischen Themen der Gegenwart und auf den Princeps bezogen. Wären die Epen zustande gekommen, wären es weniger historische als zeitgeschichtliche Dichtungen geworden. Eine von der Gegenwart abgekoppelte Darstellung der Geschichte, wie er sie in Elegie III 3 erwägt, war aus Mangel an Inspiration, aber auch fehlender Sinnhaftigkeit wegen keine Option. Die nicht realisierten Projekte, die Properz skizziert, wären Huldigungen an Augustus konzipiert geworden. Alle Verdienste, die auch die Selbstdarstellung des Princeps anpries, wären gerühmt worden: Über genealogische Verbindungen zu Aeneas hätte er die Position des Princeps legitimiert. Der Sieg im Bürgerkrieg wäre nicht verschwiegen, sondern als Leistung ausgewiesen worden. Unter Augustus hätte Rom die Weltherrschaft militärisch und diplomatisch gesichert. Die Gegenwart hätte Properz als Höhepunkt der Geschichte gedeutet, als Vollendung einer kontinuierlichen Entwicklung. In der Person des Augustus wären in vergrößertem Maßstab die Leistungen und Tugenden der historischen Helden vereint gewesen. Der Vergleich mit Ennius signalisiert, dass die frühere Zeit keinen Maßstab des Vergleichs für die Gegenwart mehr darstellt. Mit den führenden Gestalten der republikanischen Ära sind auch die Leistungen dieser Epoche insgesamt überholt. Der Ausblick auf die Zukunft visiert sogar noch zu erwartende Erfolge des Princeps an. Diese Dichtungen hätten als Bekenntnisse zu den Errungenschaften Roms in den historisch-politischen Diskurs der Zeit eingegriffen. Zwar verfasst Properz tatsächlich kein Epos auf Augustus. Aber die Reflexionen über die einstweilen noch nicht vollzogene Aufgabe des elegischen Diskurses recusationes sind kein Affront gegen Augustus. Sie entfalten auf der thematischen Ebene über ihren Inhalt sowie in poetologischer Hinsicht durch die Annäherung an eine epische Dichtung in einer Elegiensammlung eine panegyrische, legitimatorische und systemstützende Wirkung. Im IV. Buch sind politisch-historische Sujets nicht mehr bloß ein Objekt poetologischer Reflexion, sondern werden zum Gegenstand der Dichtung selbst. d) Aitiologie. Der Abriss der römischen Geschichte und das IV. Buch Die Elegie IV 1 ist die Ouvertüre zu dem aitiologischen Programm, das Properz am Ende des ersten Teils des Gedichts ankündigt.388 Nicht nur sie, sondern das gesamte Buch deklariert er als eine Einführung für Fremde,389 denen sowohl ein Rundgang über die Lage der Stadt Rom und deren Ursprünge in mythischer Zeit als auch in die 388 Prop. IV 1,61–70. Der erste Teil der Elegie umfasst die Verse 1–70. Für einen Überblick der Forschungspositionen zur Einordnung des IV. Buchs s. Coutelle 2015: 23–26. 389 S. die Anrede hospes in Prop. IV 1,1. Für eine Übersicht zum IV. Buch s. Becker 1971: 473– 480; Hutchinson 2006: 1–21; Syndikus 2010: 297–299; Günther 2006(a): 353–356. Zu Kallimachos s. Coutelle 2015: 36–41.

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Geschichte Roms geboten werden soll. Mit dem Gast, an den er sich richtet, ist neben einem räumlich auch ein zeitlich Fremder angesprochen. Beide Dimensionen, die räumliche wie die chronologische, annonciert er als Thema des IV. Buches, dessen Gegenstand er mit drei Trägern der memoria umreißt: sacra, dies und cognomina prisca locorum.390 Da die Ereignisse, die Properz im IV. Buch behandelt, gemäß ihrer Position im Kalender angeordnet sind, erfüllt die Darstellung die Mindestanforderungen der programmatischen Ankündigungen.391 Auch wenn er eine zusammenhängende Darstellung der römischen Geschichte nicht anstrebt, erhebt er einen Anspruch auf Formierung einer Tradition und eine Deutung der Vergangenheit.392 Properz’ Projekt war hochaktuell. Es steht nicht nur in der Tradition der antiquarischen Literatur der Späten Republik, deren Ziel es war, die Vergangenheit sinnstiftend für die Gegenwart zu aktualisieren, sondern tritt auch automatisch in eine Beziehung zur Selbstdarstellung des Augustus, die aus der Vergangenheit Legitimation schöpfte.393 Die politische Implikation des Vorhabens unterstreicht, dass Properz bei der obligatorischen Bitte um Unterstützung höherer Mächte keine Muse anruft, die sein Vorhaben befördern soll, sondern die Bürger, und dass er um glückverheißende Auspizien bittet, als handele es sich bei der Abfassung der Dichtung um einen Staatsakt.394 Die Römer, durch schwindende Erinnerung selbst allmählich fremd in ihrer Stadt, wie er konstatiert, gehören denn auch zu den Adressaten des Buches: Zu ihrem Nutzen wird es geschrieben. In diesem Sinn bezeichnet er das IV. Elegien-Buch als eine der pietas verpflichtete römische Dichtung.395 Durch den Versuch einer Rekonstruktion der Vergangenheit anhand dreier Kategorien, der religiösen Gebräuche, des Kalenders und städtischer Örtlichkeiten, nimmt er für sich in Anspruch, selbst eine Autorität als Deuter der römischen Geschichte zu gewinnen. Seine poetische Erschaffung Roms setzt er in eins mit der historischen Entwicklung der Stadt: Wie einst die römische Wölfin den Aufstieg Roms ermöglichte, als sie die Zwillinge Romulus und Remus säugte, so reiht sich auch er unter ihre Alumni ein, wenn er sie als Amme, als Inspirationsquelle seiner

390 Prop. IV 1,69. Zu den poetologischen Aspekten des Programms s. Syndikus 2010: 297 f. 391 Zur Chronologie Holzberg 2006: 70. 392 Neue Darstellungen zum IV. Buch: Hutchinson 2006; Günther 2006(a); Syndikus 2010: 297– 367; Coutelle 2015 (mit aktuellem Forschungsüberblick). Als rein artistische Herausforderung betrachtet den politisch-aitiologischen Themenkreis des IV. Buches Lefèvre 2002. 393 Deshalb genügt es auch nicht, als „konstitutives Thema“ des IV. Buches den Gegensatz von Vergangenheit und Gegenwart in der römischen Geschichte zu bezeichnen (so aber Weeber 1977: 17). Keineswegs wird „Urrom“ zum „Thema seiner neuen Dichtung“ (Syndikus 2010: 303). Auf Augustus verweisen Cairns 2006: passim sowie Günther 2006(a): 359 f. Zum aitiologischen Programm des Buches im Rahmen der augusteischen Dichtung s. Rüpke 2009. 394 Prop. IV 1,67 f.: Roma, fave: tibi surgit opus; date candida, cives, / omina; et inceptis dextera cantet avis. 395 S. o. Daher erfüllt die Elegie weit mehr als die Funktion eines herkömmlichen Fremdenführers (dies gegen Weeber 1977: 31 und Syndikus 2010: 299). Zur pietas s. Properz’ Bemerkung über sein Werk: Moenia namque pio coner disponere versu (IV 1,57).

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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Dichtung anruft.396 Das dichterische Ingenium objektiviert nicht nur die Vergangenheit Roms, sondern wird sogar zu ihrem (Nach-) Schöpfer. Mit diesem Selbstverständnis tritt Properz in einen Dialog mit den restaurativen Bemühungen des Princeps, aber ebenso mit anderen Gestalten der zeitgenössischen Literatur in Geschichtsschreibung und Dichtung. Für sein Projekt bot sich auf dem Gebiet der Dichtung weniger das zuletzt von Vergil dominierte Epos an, dessen Nachfolge er mit einem gattungstheoretischen Bekenntnis zurückweist, als die von Kallimachos geprägte aitiologische Elegie. Auf sie beruft er sich konsequenterweise mit der Selbstapostrophierung als „römischer Kallimachos“ und reserviert sich mit der Wahl dieses Vorbilds einen Platz neben den innovativen Dichtern des zeitgenössischen Rom.397 Wie scharf Properz’ thematische Neuausrichtung seines elegischen Schaffens von den bisherigen Büchern absticht, zeigt die Rede des Horos, der ihm eine Abkehr von seiner eigentlichen Bestimmung, der Liebeselegie, vorhält.398 Polemisch wendet Horos sich gegen die Unzuverlässigkeit und Nutzlosigkeit historischen Wissens und deutet Properz’ Modifikation der elegischen Dichtung als einen Verrat an dem einstigen Schirmherrn des Dichters, Apollo, um dann eindringlich vor der 396 Prop. IV 1,55–58: Optima nutricum nostris, lupa Martia, rebus, / qualia creverunt moenia lacte tuo! / Moenia namque pio conor disponere versu: / ei mihi, quod nostro est parvus in ore. S. auch 37 f.: die Wölfin als altrix für Romulus, den Stammvater der Römer. Dass Properz sich konkret sogar als zweiter Aeneas ansieht, wie Hutchinson 2006: 71 vermutet, kann aus dem Gedicht heraus nicht belegt werden. Irreführend ist jedoch die Vorstellung, dass es ein Rom aus Steinen und ein Rom aus Worten gibt, die einander gegenübergestellt werden, wie Welch 2005: 27 behauptet. Denn da die Bedeutung eines Monuments oder Gebäudes erst in einer Interpretation mithilfe von Sprache zutage tritt, kann eine solche Unterscheidung keinen Bestand haben. Allenfalls verschiedene Deutungen, die sich auf ein Gebäude beziehen, können kontrastiert werden. – Bei der Textkonstitution halte ich die übliche Reihenfolge der Disticha ein, die hier in der neuesten, von Heyworth besorgten Ausgabe auseinander gerissen werden. 397 Callimachus Romanus: Prop. IV 1,64. Zur Ablehnung des Epos s. 61 f. Für Properz’ bereitwillige Anerkennung der Leistung Vergils in der Epik s. II 34,61. Zu Properz’ Koketterie mit seiner angeblich mangelnden Eignung als epischer Dichter, die nicht als recusatio politischer Themen in seinem Œuvre missverstanden werden darf, s. bes. Weeber 1977: 32 f.; 39 und Hutchinson 2006: 72 (mit Parallelstellen). Properz’ Suche nach einer thematischen Erweiterung seines Werkes leitet Weeber 1977: 280–283 aus einer inneren Wandlung des Dichters ab, der die systemkritische Elegie angesichts des augusteischen Friedens aufgebe, ohne auf Druck des Princeps oder des Maecenas reagieren zu müssen (so hingegen etwa Stahl 1985: 249–251; 255; 259; 261). Diese autobiographisch inspirierte Erklärung passt jedoch nicht zu den gattungstheoretischen Reflexionen des Dichters im Rest der Sammlung und seiner Offenheit gegenüber politischen Stoffen, s. auch Cairns 2006: 357; ferner 356 zu seinem dichterischen Selbstbewusstsein. Im übrigen sind alle Gedicht-Bücher des Properz in der Post-Actium-Zeit entstanden, als bereits Frieden herrschte und daher eine veränderte Einstellung des Dichters zur Umwelt, anders als bei den eine Generation älteren Dichtern Vergil und Horaz, nicht unbedingt plausibel war. 398 Prop. IV 1,71–150. Zur Rede bes. Syndikus 2010: 305–310 und Coutelle 2015: 126–129. Für Horos’ Ausführungen sieht Günther 2006(a) 364 nicht als ernstzunehmenden Versuch an, Properz’ Bekenntnis zu einem aitiologischen Programm zurückzunehmen. Zur Abkehr von der bisherigen Dichtung Weeber 1977: 8–10; Hutchinson 2006: 8 f.; Günther 2006(a): 355 f.; Syndikus 2010: 298. In Erinnerung gerufen sei allerdings, dass sich Properz’ Bereitschaft zu aitiologischen oder historischen Stoffen schon ab dem II. Buch zu zeigen beginnt; s. B.VII,3,b.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Mühsal und dem Scheitern der aitiologischen Dichtung zu warnen. Nicht ohne Erfolg: Abweichend von seiner ursprünglichen Ankündigung ist das IV. Buch keine rein aitiologisch-historische Sammlung. Teils unterbricht Properz sein neues Programm mit erotischen Gedichten, teils reichert er die aitiologischen Stücke mit Elementen der Liebeselegie an, so dass eine Verknüpfung zwischen den in der Elegie konträren Komplexen Politik und Liebe entsteht.399 In diesen Gedichten setzt sich jedoch die im II. Buch beginnende Distanzierung vom Ideal der elegischen Liebe fort, bis Properz am Schluss dieser Entwicklung, in der letzten Elegie (IV 11), die endgültige Abkehr von der Elegie und deren Welt vollzieht. Den historischen Rahmen, innerhalb dessen die Umsetzung des aitiologischen Programms erst Sinn ergeben kann und auf den es in seinen Einzelheiten bezogen werden muss, konstruiert Properz in der Elegie IV 1. Wie zuvor Vergil im VIII. Buch der Aeneis und Tibull in der Elegie II 5 unternimmt er einen Durchgang durch die römische Geschichte, der sich von der Zeit vor der Gründung der Stadt bis in die Gegenwart erstreckt. Interpretiert wird die römische Geschichte anhand des Paradigmas des Aufstiegs zur Großmacht.400 Die historische Übersicht ist in drei Abschnitte gegliedert: in die Darstellung der Frühphase um die Gründung der Stadt herum (1–38); in den Aufstieg Roms, der Cassandras Prophezeiung von der Vergeblichkeit der Eroberung Troias erfüllte (39–54); und schließlich in die Selbstdarstellung des Properz als Nachfolger des Kallimachos sowie die programmatischen Ankündigungen zum Inhalt des Buches, zur römischen Aitiologie, die durch Roms Sendung gerechtfertigt wird und dadurch ihren dichterischen Rang erhält (55–70). So zerfällt die Thematisierung der Geschichte in einen statischen und einen dynamischen Teil. Die erste Partie dient dem Zweck, durch die Beschreibung der Vergangenheit sowie einen Vergleich den Abstand zwischen dem Rom der Gegenwart und dem Rom der Frühzeit zu evozieren. Erst im zweiten Abschnitt rekapituliert Properz anhand von vier historischen Gestalten, wie das von den Griechen zerstörte Troia in Rom wiederauflebte und die neue Großmacht die einstigen griechischen Widersacher bezwang. Ereignisgeschichtliche Abfolgen und historische

399 Zu den elegischen Elementen s. bes. Becker 1971: passim, bes. aber 473–480, der 478 f. die doppelte Thematik des IV. Buches aus Properz’ Auseinandersetzung mit der entstehenden Aeneis begreift (vgl. Prop. II 34,65 f. mit der rühmenden Ankündigung des Epos); Coutelle 2005: 559; Maltby 2006: 174 und Syndikus 2010: 298 mit der älteren Literatur; 309; Heyworth 2010: 100–104, der das Liebesthema weiterhin dominieren sieht; Schmitzer 2016: 141 f. Allzu biographisch nimmt sich jedoch der Versuch aus, im IV. Buch die Versöhnung zweier Seiten des Dichters zu erblicken, da so die inhaltliche und poetologische Bedeutung der Verknüpfung der Liebesthematik mit der Aitiologie erfasst wird (gegen Günther 2006(a): 356). S. allgemein DeBrohun 2003, die Properz’ Elegien des IV. Buch als „hybrid discourse“ versteht, der von den Wertesystemen der Liebeselegie und der Aitiologie bestimmt wird, so dass letztlich die unvereinbaren Pole arma und amor in einer neuen Konzeption von Roma (n. b. das Anagramm) zusammengeführt werden. 400 Prop. IV 1,1–4: Hoc quodcumque vides, hospes, qua maxima Roma est, / ante Phrygem Aenean collis et herba fuit, / atque ubi Navali stant sacra Palatia Phoebo, / Euandri profugae concubuere boves. Es ging Properz nicht, wie Weeber 1977: 11 f. behauptet, um ein Herantasten an die politische Dichtung auf dem Weg über den Mythos.

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Kausalitäten führt er gemäß der aitiologisch-antiquarischen Methode höchstens ansatzweise vor. Die aitiologisch angelegte Darstellung des frühen Rom ist auf die Beschreibung religiöser und politischer Einrichtungen und teilweise auch deren Entstehung abgestellt, bezieht aber auch den Lebensstil verschiedener Epochen ein und verortet die Stadt in der politischen Topographie Latiums. In Details stimmt Properz’ Beschreibung mit den auch bei anderen zeitgenössischen Autoren angeführten Elementen überein.401 Das Leben im Italien der Frühzeit charakterisiert er, ohne zwischen der Phase vor der Ankunft der Troianer und der Königsherrschaft zu trennen, als primitiv. Eine kulturhistorische Einordnung dieser Epoche – ob sie einem Goldenen Zeitalter oder der Herrschaft Iuppiters angehörte und ob die Bevölkerung einen bißow litoßw führte oder eine bukolische Lebensweise pflegte – nimmt er nicht vor.402 Da Rom als Stadt wegen seines Mangels an politischen wie sakralen Bauten kaum existent war, beginnt Properz bei einem historischen Nullpunkt. Vorhanden waren anfangs lediglich Götterbilder aus Ton und armselige Hütten; die von Romulus und Remus bewohnte Hütte auf dem Palatin verspottet er in Abgrenzung von der tatsächlichen maxima Roma der Gegenwart als maxima regna.403 Der Apollo-Tempel auf dem Palatin rekurriert auf den Komplex der Religion. An seinem späteren Standort hätten damals Rinder geweidet. Nach Properz’ Charakterisierung huldigte die Bevölkerung regionalen Kulten; die Sehnsucht nach fremden Göttern registriert er als Phänomen späterer Zeit.404 Ähnlich wie mit der fehlenden Repräsentanz der Religion im Stadtbild verhielt es sich mit der Politik. Alle politischen Vorgänge spielten sich unter freiem Himmel im sprichwörtlichen Nirgendwo ab. Die topographischen Gegebenheiten der späteren Stadt, etwa der Palatin oder der Tiber, trugen weder eine sakrale noch politische Bedeutung. Auf einer mit einem Zaun begrenzten Weide tagten die Senatoren, wie die Bauern mit Fell bekleidete Männer; inmitten von Schafsherden führte König Tatius seine Regierungsgeschäfte;405 hier feierte Romulus seine Triumphe, befand sich das Hauptquartier Lucumos und traten die ersten drei Tribus zusammen.406 Auch sonst herrschte rustikale Kargheit. Weder gab es mit Sonnensegeln ausgestattete Theater noch ausländische Gewürze, wie sie nach der Expansion Roms in den Osten eingeführt wurden.407 Noch nicht entwickelt war auch die Bewaffnung der Soldaten.408 In außenpolitischer Hinsicht wird die seit der frühesten Zeit vollzogene Entwicklung und Ausdehnung Roms, die Properz bislang mit dem Blick auf die innere Entfaltung der Stadt beschreibt, auch in dem sich wandelnden Verhältnis zu den 401 Für die einzelnen Stellen s. jetzt Rothstein 1924; Maltby 2002(a); Hutchinson 2006: 62–65 und Syndikus 2010: 300 f. Später soll dieses Thema in einem Vergleich des Properz mit den Dichtungen Vergils und Tibulls näher ausgeführt werden. 402 Prop. IV 1,1–8. So auch Rothwell 1996: 845–848. Eine bukolische Lebensweise schildert etwa Tib. II 5. 403 Prop. IV 1,9 f. mit 1,1. 404 Prop. IV 1,17–25. 405 Prop. IV 1,11–14; 25 (Kleidung); 30 (Tatius). 406 Prop. IV 1,29 (Lucumo); 31 f. (Triumphe und Tribus; mit hinc verweist Properz auf die Wiese). 407 Für Details zum Theaterwesen s. Hutchinson 2006: 64. 408 Prop. IV 1,25–28.

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umliegenden latinischen Städten deutlich, die einst mächtige und dicht bevölkerte Konkurrenten Roms waren, aber schon während der Königszeit bezwungen wurden409 und bereits in der Späten Republik als heruntergekommen galten. Bovillae, das Suburbanum der Gegenwart, war in der frühesten Zeit kleiner als eine Stadt, während die nunmehr unbedeutenden Städte Gabii und Alba Longa mächtige oder dicht bevölkerte Konkurrenten Roms waren. Dass damals der Weg nach Fidenae als lange Reise galt, verdeutlicht, dass Rom inzwischen ein starkes Wachstum erfahren hat.410 Fidenae verlor seine Eigenständigkeit bereits unter Romulus, und Alba Longa wurde nach mehreren Kriegen von Servius Tullius zerstört.411 In dieser Partie nennt Properz auch Bauten, die in der Frühzeit noch gefehlt hätten, den IuppiterTempel auf dem Capitol, die Curie, das Theater – eine Anspielung auf das wiederhergestellte Pompeius-Theater oder das neu errichtete Marcellus-Theater. Sie alle waren Bestandteil des augusteischen Restaurations- und Bauprogramms.412 Vor dem Hintergrund dieses historischen Tableaus, das seine Wirkung aus dem teils expliziten, teils impliziten Vergleich mit der Gegenwart bezieht, präsentiert Properz einen panegyrischen Abriss auf die römische Geschichte, der von einer romantischen Sehnsucht nach Rückkehr in die Frühzeit frei ist. In diesem Abschnitt bietet er eine Meistererzählung im Miniaturformat und verleiht der Vielfalt und der Abfolge der historischen Ereignisse einen inneren Zusammenhang. Als Ausgangspunkt wählt er den Untergang Troias. Er begreift ihn nicht als einen schrecklichen Abschluss, der mit der endgültigen Auslöschung des troianischen Volkes einherging, sondern als Voraussetzung für eine bessere Zukunft, die nach der Flucht in Italien mit einer Neugründung beginnen sollte. Durch die Aufnahme der Troianer wurde Italien zur felix terra.413 Die Zerstörung der Stadt Troia war deshalb sogar von positiven Vorzeichen begleitet, die das Geschehen als Teil eines göttlichen Planes offenbarten. Die Geschichte Roms interpretiert er als Fortsetzung der troianischen und deutet sie als teleologischen Prozess, an dessen Abschluss die Erfüllung einer Prophezeiung Cassandras steht, die Rache an Griechenland im Zuge der römischen Weltherrschaft.414 Die Verbindung zwischen beiden Städten knüpften in sakraler Hinsicht die aus dem eroberten Troia geretteten Penaten und die nach Latium ausgewanderten und dort ein neues Reich gründenden Troianer, für die Properz stellvertretend Aeneas nennt.415

409 Gabii: Liv. I 53 f.; Fidenae: Liv. I 14 f.; 27–29; Verg. Aen. VI 773. 410 Zu diesen Städten s. Coutelle 2013: 392–395. 411 Prop. IV 1,34–36. Die genannten Städte galten in der Späten Republik allgemein als heruntergekommen: Cic. Planc. 23; Hor. epist. I 11,7 f.; 15,9; Luc. VII 391–396; Dion. Hal. ant. IV 53,1. Literatur zur Geschichte der Städte bei Hutchinson 2006: 67. Zur Eroberung der Städte s. Liv. I 14 f.; 27–29; Verg. Aen. VI 773; Dion. Hal. ant. II 53,4. Vgl. Prop. III 3,3. 412 Alles Nähere bei Syndikus 2010: 299 f. Zur Geschichte der curia s. Coutelle 2013: 372; Augustus weihte im Jahr 29 die von Caesar begonnene Curie ein. 413 Zum Untergang Troias als Voraussetzung für eine bessere Zukunft s. die prägnanten Verse Prop. IV 1,39 f.: Huc melios profugos misisti, Troia, Penatis, / heu quali vecta est Dardana puppis ave! – Felix terra: 48. 414 Prop. IV 1,41–44; 47 (Troia resurgens). Zur Prophezeiung s. 51–54. 415 Zu den Penaten Prop. IV 1,39 f.; 43 f. (zu den Troianern).

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Am Schluss der Darstellung des frühen Rom erwähnt Properz, um die Einordnung der römischen Geschichte in den weiteren Horizont der troianischen Geschichte zu bewältigen, die Unkenntnis der primitiven Römer über ihre Abstammung und bezeichnet die Wölfin als Amme des Stammvaters der Römer. Der Name „Romulus“ selbst fällt nicht.416 Die Wölfin, mit dem Attribut Martia ausgestattet, ruft er jedoch im abschließenden, programmatischen Abschnitt des ersten Teils der Elegie zur Förderung seines Vorhabens auf.417 Damit ist die Abstammung des Romulus, des Stadtgründers, über die mythische Affäre der Vestalin Rhea Silvia mit Mars konstituiert. Über den König Numitor ergab sich später die Verbindung der in Romulus verkörperten latinischen Tradition mit dem troianischen Geschlecht, das durch Iulus – an ihn, den Sohn des Aeneas, wendet sich Properz persönlich – verkörpert wird. Mit der betonten Einfügung des Iulus, des Stammvaters der Iulier, hebt er die fundamentale Bedeutung der Vorfahren des Augustus und deren göttliche Abkunft hervor.418 Eingeschlossen in Properz’ römische Geschichte ist auch Remus. Seinen Tod lädt die Prophezeiung der Sibylle von Cumae mit Sinnhaftigkeit auf, dient doch die Entsühnung des Landes durch seine Ermordung als eine notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der historischen Rolle Roms.419 Remus’ Tod ist für Properz alles andere als eine Art Ursünde, die für die Zukunft konstitutiv werden sollte und auf die innerrömischen Konflikte und Bürgerkriege hindeutete. Die über Romulus mit Aeneas und Troia verzahnte, auf einem latinischen und einem troianischen Strang beruhende Geschichte der Republik wird in der Elegie von vier führenden Gestalten dargestellt: von den beiden Decii Mures, von L. Brutus, dem ersten Consul, sowie von Caesar, bezeichnet als Abkömmling des troianischen Königshauses, den Venus persönlich unterstützte. Die Erwähnung des Namens „Caesar“,420 die auf den Sieg im Bürgerkrieg und der Wiederherstellung des Friedens anspielt, erinnert noch einmal an die legitimitätsstiftende Zugehörigkeit des Augustus zur iulischen gens und die damit zusammenhängende Verbundenheit mit Venus.421 416 Prop. IV 1,37 f.: Nil patrium nisi nomen habet Romanus alumnus: / sanguinis altricem non putat esse lupam. Der Wortlaut von Vers 37 lässt nur Romulus als Stammvater der Römer zu, nicht auch noch Remus. 417 Prop. IV 1,55 f. 418 Prop. IV 1,47–54, bes. 48. 419 Zu Remus s. Prop. IV 1,49 f. sowie III 9,50 und die Prophezeiung des Helenus bei Verg. Aen. III 433 f. Hierzu insgesamt Wiseman 1995: 117–125. Hutchinson 2006: 70 weist zurecht darauf hin, dass V. 49 die Existenz anderer Deutungen des Todes des Remus suggeriert. 420 S. auch Prop. II 1. Für Augustus plädieren auch Rothstein 1924: 291; Fedeli 1965; Camps 1965: 58 mit dem Hinweis auf Prop. IV 6,37, wo der Princeps als mundi servator gefeiert wird, und Serv. auct. Verg. Aen. I 382. Da Properz erklärt, dass Caesars Waffen von Venus geführt werden (Prop. IV 1,46), erkennt Hutchinson 2006: 69 zu recht eine Parallele zum Beginn der Schildbeschreibung in der Aeneis (Verg. Aen. VIII 608–616). Mehr noch aber ist an die dortige Schilderung des Sieges bei Actium und den Triumph des Augustus mit der Parade der unterworfenen Völker zu denken (Aen. VIII 682–738). 421 In Elegie IV 6 nennt Properz Alba als Herkunftsort des Augustus (6,37). Zu dieser Verbindung s. auch Hutchinson 2006: 162, zumal mit dem treffenden Verweis auf das Augustusforum.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Die genannten Personen, prominente exempla in der römischen Erinnerungskultur,422 in einen übergeordneten Kontext eingeordnet, erfüllen unterschiedliche Funktionen. Brutus war maßgeblich an der Vertreibung der Tyrannen beteiligt und begründete die Freiheit in Rom, auch durch die Hinrichtung seiner Söhne, auf die Properz anspielt.423 Die Decii hingegen, Vater und Sohn, Consuln der Jahre 295 und 279, brachten sich selbst als Opfer in der Schlacht dar, um den Sieg über die Feinde zu sichern.424 Alle drei, die beiden Decii und Brutus, stehen nach innen wie nach außen für die Stabilität und militärische Stärke der res publica. Die Rache für Troia selbst ist, nachdem die Grundlagen für die römische Macht gelegt wurden, Augustus und seinen siegreichen Waffen vorbehalten. Indem er die Prophezeiung Cassandras erfüllt, verkörpert er den Höhepunkt der Geschichte, der in der Gegenwart erreicht wird. In doppeltem Sinn ist die Elegie IV 1 eine Aitiologie Roms. (1) Das Strukturprinzip, das Properz’ Übersicht leitet, ist das Aufstiegs- und Rachemotiv. Dadurch, dass er das historische Geschehen auf einen göttlichen Plan bezieht, zeigt er den immanenten Sinn im Ablauf der Geschichte auf, die damit zu einer Verständnishilfe für die Gegenwart wird. Allein der von der Fixierung auf die Zeitgeschichte abgesteckte Rahmen, innerhalb dessen Properz die Vergangenheit deutet, verleiht der Geschichte Relevanz. Sie bildet keine eigenständige Formation, sondern ist Fortsetzerin und Vollenderin der troianischen Geschichte. Der Aufstieg Roms, den er nachvollzieht, ist in dieser Perspektive kein Selbstzweck. Er gehorcht einem übergeordneten Ziel, der Fortführung des troianischen Krieges, der nicht mit der Eroberung und Zerstörung Troias endet. Zum Instrument für dessen siegreiche Beendigung wurde Rom mit dem Sieg über die griechische Welt. Dies ist das Telos der auf der Überfahrt nach Italien in günstigen Omina verheißenen glorreichen Zukunft. Als Fortsetzerin der troianischen Geschichte war Rom allerdings nicht ein bloßer Annex, sondern ungeachtet des göttlichen, auf Rache für Troia zielenden Heilsplans ein integraler Bestandteil einer ganz neuen Geschichte, die sowohl einen troianischen wie einen latinischen Ursprung besaß. Beide Herkunftsstränge führte Romulus in der Gründung der Stadt zusammen. Natürlicherweise musste deshalb das in Rom wiederauferstandene Troia ein anderes, Altes und Neues verknüpfendes Gebilde sein, zu dem das vernichtete Troia nur einen Teil beisteuerte.425 Properz’ Zugriff auf die Geschichte bedingt, dass der historische Abriss keiner detaillierten Nachzeichnung des geschichtlichen Ablaufs, der Entwicklung der Institutionen oder der vorbildhaften Taten bedeutender Gestalten bedarf. Er verfolgt nicht das Ziel, politische Didaktik mithilfe von Orientierung an der Vergangenheit zu betreiben. Das Bild der Vergangenheit, das er zeichnet, ist deshalb nicht personalisiert. Gegenüber den republikanischen Figuren sind Gründergestalten wie Romulus und die Ahnen des Augustus stärker vertreten. Über sie bindet Properz den Princeps in die Geschichte und spendet ihm dynastische Legitimität. Im Hinblick auf die Rolle Roms für den Erdkreis lässt er die dafür notwendigen Voraussetzun422 423 424 425

Hierzu Bücher 2006, Anhänge II und III. S. o. S. 190. S. o. S. 187. Prop. IV 1,39–45; 47 f.; 53 f.

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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gen von lediglich vier Persönlichkeiten repräsentieren. Deren Leistungen mochten zwar nachahmenswert sein; vor allem sollen sie jedoch die historische Aufgabe Roms und deren Verwirklichung vorführen. Die inneren, durch Verlust der Eintracht entstandenen Konflikte ignoriert Properz weitgehend. Ihm genügt, in der von Brutus niedergeschlagenen Verschwörung gegen die Republik die Gefahr einer Instabilität des Staates beispielhaft darzustellen, ohne den Komplex der inneren Zwietracht im Einzelnen durchzudeklinieren. Selbst die Ermordung des Remus, ihres innenpolitischen Aktualisierungspotentials entkleidet, wendet er ins Positive. Die Erfüllung der Prophezeiung unter Augustus beweist, dass solche Verwerfungen in Vergangenheit und Gegenwart stets überwunden worden waren. Mit welchen Mitteln dies geschah, welche prekären Konstellationen in der Bürgerschaft regelmäßig zu entstehen pflegten und aus welchen Motiven die verschiedenen Akteure, Senat, Volk, Magistrate, Soldaten, handelten, besitzt in Properz’ historischer Optik keine Bedeutung. Brutus fungiert als Prototyp des Augustus; beide verbindet über die Jahrhunderte hinweg, dass sie innere Anschläge auf die Freiheit niederwarfen. Auf der außenpolitischen Ebene wiederum verkörpern die Decii militärische Stärke und Opferbereitschaft, dank derer Rom in zahlreichen Krisensituationen immer den Sieg davongetragen hatte. An diese ruhmvolle, von pietas erfüllte Tradition sieht Properz Augustus, dessen außenpolitische Verdienste ein durchgängiges Motiv der Bücher II bis IV bilden, anknüpfen. Die Gewissheit über diese Stetigkeit mochte den zeitgeschichtlichen Leser nach der Katastrophe des Bürgerkriegs mit Zuversicht erfüllen. Über den konstitutionellen Wandel oder die Politik des Princeps fällt Properz kein Urteil. Da Rom mit der Rache an Griechenland die seine Existenz rechtfertigende Prophezeiung erfüllt und seinen Höhepunkt erreicht hatte, blendet er, anders als etwa Vergil oder Tibull, die Rolle der Römer in der Außenpolitik der Zukunft – etwa die Sicherung eines zivilisationsstiftenden Friedens durch die Weltherrschaft – in diesem Gedicht ebenso aus wie in innenpolitischer Perspektive die Frage nach der Dauerhaftigkeit des Friedens und nach dem Goldenen Zeitalter, das Augustus in der Saecularfeier angekündigt hatte. Eine fortschrittskritische Position bezieht Properz in diesem Gedicht nicht. Indem er einen kontinuierlichen Aufstieg des Staates nachzeichnet, entwirft er ein Szenario, das keinen Ansatz für eine sittenkritische Attitüde bietet. Das Dekadenzmotiv und die Annahme eines Wendepunktes in der Geschichte fehlen. Mit dieser Haltung steht er in Opposition zu gängigen Deutungen der jüngeren römischen Geschichte von Autoren der Späten Republik, aber auch des augusteischen Principats und nicht zuletzt des Augustus selbst. (2) Außer der Behandlung der römischen Geschichte als Folie für die Gegenwart bietet Properz mit seiner Beschreibung der Stadt eine aitiologische Untersuchung. Nicht nur vollzieht er die Formierung Roms nach, sondern rekonstruiert das Stadtbild durch die Integration konstitutiver Bestandteile der politischen und gesellschaftlichen Topographie. Hierzu gehören Institutionen, aber auch Bauwerke, Alltagspraktiken und Mentalitäten. Nach dem kursorischen Überblick über die römische Geschichte gibt dieser Abschnitt einen Einblick in die innere Entwicklung des Staates, die Veränderungen in der Lebensweise und die bestimmenden sakralen und politischen Institutionen. Der Wandel, den er nachvollzieht, reicht bis zur mo-

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

dernen Metropole mit repräsentativen Bauwerken, in der alle rustikalen Sitten abgelegt sind, und die Menschen ein mondänes, von Luxusartikeln geprägtes Leben führten. Einen modernen Überfluss, der in der Dekadenzkritik der Gegenwart als Ursache des Niedergangs angegriffen wurde, nimmt er nicht wahr. Bei allen materiellen Veränderungen in der Lebenswelt geht er, im Gegensatz zu früheren Elegien, in diesem Kontext nicht von einem Wandel in den Sitten aus.426 In Properz’ humorvoll-spöttischen Tonfall klingt kein Bedauern über die Abkehr von der beschaulichen Frühzeit durch.427 Mit der Erwähnung der Bauwerke, die den Kontrast zur bukolischen Anfangsphase der Geschichte markieren, würdigt er die Restaurations- und Baupolitik des Augustus, mit der sich der Princeps in das Stadtbild eingeschrieben hat – seinem Wirken ist die Gestalt der Stadt in der Gegenwart maßgeblich zu verdanken. Stadt und Princeps sind eng aufeinander bezogen. Auch an dem Interesse an auswärtigen Kulten, einem offensichtlich neueren Phänomen, nimmt Properz keinen Anstoß. Anders als Tibull trauert er der Welt der Frühzeit nicht sehnsuchtsvoll oder resigniert nach.428 Der Untergang der primitiven, vorzivilisatorischen Phase war eine notwendige Folge des einer göttlichen Teleologie gehorchenden Aufstiegs, den der Dichter uneingeschränkt bejaht. So dient die Beschreibung der Frühzeit der konkreten Erfassung der römischen Lebenswelt sowohl in tiefster Vergangenheit als auch in der vom Princeps dominierten Gegenwart. In außenpolitischer Perspektive entspricht diesem Teil des Gedichts die im historischen Abriss erklärte und nachvollzogene Entwicklung Roms von der Zerstörung Troias über die eigentliche Gründung der Stadt bis zu ihrem Gipfelpunkt in der Gegenwart, dem augusteischen Principat. Das schicksalhaft determinierte Aufstiegsszenario der Elegie IV 1 bietet den Rahmen für die folgenden, von liebeselegischen Gedichten durchsetzte Reihe aitiologischer Stücke: die Elegie auf den Gott Vertumnus (IV 2), auf Tarpeia (IV 4), auf die Weihe des Apollo-Tempels auf dem Capitol (IV 6), auf den Kampf zwischen Hercules und Cacus und der Begründung der Ara Maxima (IV 9) sowie auf den Tempel des Iuppiter Feretrius (IV 10). Auch diese Gedichte stellen einen unmittelbaren Bezug zwischen Gegenwart und Vergangenheit her, als Kommentar zu politischen Themen der augusteischen Zeit oder zur Selbstdarstellung des Princeps. Sie gehören sehr unterschiedlichen Zeitstufen an: dem Mythos (Hercules), der (fiktiven) römischen Königszeit (Tarpeia, Iuppiter Feretrius) sowie der Zeitgeschichte (Apollo). Keiner Epoche alleine zuzuordnen ist die Vertumnus-Elegie. Die zweite Elegie, gewidmet Vertumnus, dem Gott des Wandels, zeigt die für Properz elementaren Charakteristika der römischen Geschichte: den Glauben an die Ewigkeit Roms und des römischen Volkes sowie die Anerkennung der steten Veränderungen, denen die Stadt unterworfen war. Den beiden Aspekten entsprechen 426 S. die Stellen bei Cairns 2006: 354–356, die jedoch alle aus der Perspektive des frustrierten elegischen Liebhabers kommen und daher bei aller vordergründigen Übereinstimmung mit der Moral des Princeps, anders als Cairns will, in Wirklichkeit das Festhalten an der elegischen Lebensform bekräftigen. 427 Anders Syndikus 2010: 300. 428 Trotz der Luxuskritik in Prop. IV 10,17 (zu dieser Stelle bes. Weeber 1977: 211 und Hutchinson 2006: 221).

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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die Fortexistenz des in seiner Gestalt wandelbaren, chamäleonartigen Gottes sowie die Veränderungen seiner Funktionen und Aufgaben, zu denen er fähig ist.429 Seiner Herkunft nach galt er allgemein für etruskisch.430 Ursprünglich – ein Zeichen für Armut – aus Holz gefertigt, spiegelt er den rasanten Aufstieg Roms wider; schon unter Numa war eine neue Statue aus Bronze für ihn angefertigt worden.431 Er verkörpert den Krieg wie den Frieden.432 Aufgestellt war Vertumnus’ Statue im vicus tuscus, einem vom Unterschichtsmilieu und von Prostituierten frequentierten Viertel,433 das nicht zu den städtebaulichen Vorzeigeprojekten des Princeps gehörte. Vertumnus symbolisiert sowohl die Pluralität bei der Interpretation der römischen Geschichte, bei der Deutung von Personen und Ereignissen, als auch die Fähigkeit Roms, im Zuge der Entwicklung und der Expansion Neues zu integrieren, sowie schließlich die Vielgestaltigkeit der modernen römischen Gesellschaft.434 Als Symbol für die Offenheit und Vielgestaltigkeit der römischen Geschichte rechtfertigt er die Auswahl der historischen Themen im IV. Buch und deren Deutung. An eine nur überraschend abgewendete Eroberung der Stadt durch Verrat aus Liebe und die Spannung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten435 erinnert die Tarpeia-Elegie. Tarpeia, eine Priesterin der Vesta, war in Liebe zu dem Feldherrn der Sabiner, Tatius, entbrannt, der nach dem Raub der sabinischen Frauen Rom belagerte. Ihre Leidenschaft machte sie zu einer mehrfachen Verräterin an ihrer Heimatstadt. Nicht nur brachte sie den Nymphen Blumenopfer dar, damit Tatius im Kampf gegen die Römer, namentlich Romulus, unverletzt bleibe, sondern bemühte sich um seine Gegenliebe und war bereit, gegen ihre sakrale Keuschheitspflicht zu verstoßen und sogar die feindlichen Truppen in die Stadt zu lassen. Ihre Liebe wollte sie auf Verrat gründen und Tatius mit dem militärischen Vorteil, den sie ihm versprach, und der Aussicht auf Rache für sich gewinnen.436 Verwirklicht werden sollte dieser Plan, der zur Einnahme der Stadt geführt hätte, am Parilienfest, dem Grün429 Für eine Analyse der „Transformationsmöglichkeiten“ s. Schrader 2017: 171. 430 Zur Diskussion über die Herkunft des in Rom als etruskisch geltenden Gottes und seinen Status in Rom s. zusammenfassend Schrader 2017: 164–167. 431 Prop. IV 2,59–62. Richtig weist Hutchinson 2006: 87; 98 f. auf die Integrationsfähigkeit und den Wechsel des Materials hin, ebenso Cairns 2006: 287. Zu Vertumnus Hutchinson 2006: 49–54; Syndikus 2010: 311 f. und Coutelle 2015: 149 f.; 154 f.; 156–158. – Der Gott Vertumnus dürfte das erste Beispiel für die Aufnahme fremder Götter oder Religionen in Rom sein, auf die Prop. IV 1,17 anspielt. 432 S. Prop. IV 2,27; 53 f. zum Krieg sowie 11–18; 41–46 zur Fruchtbarkeit mit der Verknüpfung zur Bildersprache der augusteischen Selbstdarstellung bei Schrader 2017: 188. 433 S. hierzu Welch 2005: 38. 434 Vgl. jedoch Welch 2005: 35–55 zum Zweck der Elegie: „With this talking momunent asserting that this meaning is not fixed, even to himself, Propertius challenges his reader to approach Roman monuments with an open mind, and to be wary of what predispositions she might bring to viewing and interpreting the cityscape.“ (14). S. ferner 40 f. für eine koloniale Bedeutung des Gottes, die kriegerische, von Welch als negativ angesehene, „Assimilierung“ fremder Völker in das römische Reich. Für Interpretationen, die auf gesellschaftgeschichtliche Bezüge abzielen und die Elegie im klassischen Themenfeld der Elegie verorten, s. Coutelle 2015: 161 (mit Literatur). 435 S. hierzu jetzt Welch 2015: 173 f.; 175 f. 436 Prop. IV 4,55–60.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

dungstag Roms.437 Als Strafe für ihre Illoyalität ließ ausgerechnet Tatius Tarpeia unter den Waffen seiner Leibgarde begraben, wie Properz zustimmend festhält.438 Die Legende von Tarpeia ist in einer Vielzahl von Varianten überliefert.439 Hier handelt die Vestalin weder aus Berechnung noch plant sie einen Hinterhalt für die Sabiner.440 Ihr Motiv besteht allein in der Liebe, für die sie ihre religiösen Pflichten vernachlässigt und die sie über das Wohl ihrer Heimatstadt stellt. Ihr Handeln versteht sie, ihre Rolle als Frau441 und Priesterin überschreitend, als diplomatische Offensive zur Herstellung des Friedens. Das Gedicht die für das Gemeinwesen mit seinen religiösen Institutionen destruktiven Folgen einer grenzenlos selbstbezogenen Leidenschaft.442 Die Gründung Roms, die am Parilienfest begangen wird, fußt, wie Tarpeias Beispiel zeigt, auf der Präferenz der Pflichterfüllung gegenüber privaten Neigungen. Für sie waren ihre persönlichen Interessen und die Belange des Staates nicht identisch.443 Properz ordnet ihre Tat als Verbrechen ein. Es belegt deshalb die Notwendigkeit der augusteischen Sittenreform, zu denen in den Ehegesetzen auch die historisch orientierte Stabilisierung der Geschlechterverhältnisse und die Regulierung der Familienverhältnisse zählte. Die Bewahrung des mos maiorum im Handeln steht, wie das Datum des Verrats der Tarpeia belegt, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Existenz des Staats. Agieren gemäß den Parametern der Liebeselegie ist keine Alternative. Die Elegie IV 9 erklärt die auf Hercules zurückzuführende Entstehung der Ara Maxima und thematisiert den Einbruch des Heroen in den aktuell, von Livia, restaurierten Bona-Dea-Tempel auf dem Aventin.444 Der zeitgeschichtliche Gehalt 437 438 439 440

441 442

443 444

Zu Parilienfest und Stadtgeburtstag Prop. IV 4,73 f. Prop. IV 4,89 f. Zur Rezeption des Tarpeia-Mythos in Rom s. jetzt bes. Welch 2015 und Coutelle 2015: 175–179. Zu den Varianten: Fabius Pictor FRH 1 F 10 (mit weiterer Literatur p. 96 f.) berichtet von der Habgier Tarpeias, Calpurnius Piso FRH 7 F 7 von dem Vorhaben, die Feinde zu entwaffnen. Dion. Hal. ant. II 38,1–40,3 schließt sich Piso an. Liv. I 11,5–9 + 12,1, der beide Versionen referiert, neigt hingegen Fabius Pictor zu. S. ferner Varro ling. V 41 und Plut. Romulus 17,4–9. Für die griechischen Vorbilder der Geschichte s. Hutchinson 2006: 116 f. Dass Tarpeia an ihrer künftigen Stellung als Königin der Sabiner weniger gelegen ist als an der Liebe des Tatius, zeigt näher Syndikus 2010: 324. Welch 2015: 178–182. Dass Properz Sympathie für Tarpeia empfinden soll (Literatur hierzu bei Janan 1998: 429, Anm. 3), vermag nicht einzuleuchten. Vgl. auch Boucher 1965: 148; Weeber 1977: 101 f.; Hutchinson 2006: 119; 136. Die Rolle Tarpeias als Werkzeug für die Vereinigung der Völker sehen ferner Weeber 1977: 105 f. und Janan 1998: 437 f. als Thema der Elegie an. Für eine esoterische, die Alternativen pro- und antiaugusteisch überwindende Interpretation, die in Anlehnung an L. Irigaray nach einer als feministisch bezeichneten Mittellösung sucht, s. Janan 1998. Diese Absicht erfüllt jedoch für Tarpeia trotz V. 59 nicht den Hauptzweck ihres Handelns. Überhaupt hat Properz die Verbindung der beiden Völker nach dem Verrat nicht behandelt, also andere Akzente setzen wollen; s. auch die scharfe Verurteilung Tarpeias in V. 93 f. – Welch 2005: 62–76 sieht Tarpeia stark unter der Zerrissenheit zwischen der Verpflichtung gegenüber Rom und ihrer Leidenschaft für Tatius leiden. S. hierzu bes. Welch 2015: 174 f. Zur Ara Maxima und zum Bona-Dea-Tempel: Fox 1999: 164 f. (berücksichtigt auch den von Clodius im Jahr 62 verursachten Skandal); Hutchinson 2006: 206. Zu Livia und der Rolle der Frauen im augusteischen Rom s. Purcell 1986 und Herbert-Brown 1994: 131–149.

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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des Aitions liegt darin, dass Augustus seinen Sieg gegen Antonius mit der Niederringung des Cacus parallelisierte, als er im Jahr 29 seinen ersten Triumph am gleichen Tag abhielt, an dem auch ein Fest für Hercules stattfand.445 Was Antonius und Cacus, das dreimäulige Monster, verband, waren ihre verbrecherischen Aktivitäten und der Verstoß gegen die fides.446 Hercules präfiguriert den Princeps447 allerdings nicht nur durch seine friedensstiftende Leistung. Für eine politische Deutung des Gedichts ist auch das Vorgehen nach seinem Sieg relevant: Nachdem Priesterinnen der Bona Dea Hercules untersagt hatten, ihr Heiligtum zu betreten, und er sich mit einer Maskerade als Frau den Einlass hatte erzwingen wollen448, verschaffte er sich den Zutritt mit Gewalt und schloss für die Zukunft den Dienst von Frauen an der von ihm neu errichteten Ara Maxima aus.449 In dreierlei Hinsicht kann diese Szene als Typologie für Augustus gelesen werden, der Hercules für seine Selbstdarstellung450 instrumentalisierte. Zunächst verspottet Properz offen Hercules’ Mannhaftigkeit;451 er zielt damit auch auf das Selbstverständnis des Augustus. Sodann spielt er möglicherweise auf die Rückkehr des Princeps aus dem Bürgerkrieg an. Trifft dies zu, wäre die Schlussfolgerung vorstellbar, dass Augustus anfangs unter falschem Schein vergeblich, danach aber, seine Gewaltmittel einsetzend, eine führende Stellung in der res publica erzwingen wollte, gleichsam als Belohnung für seine Verdienste um das Gemeinwohl.452 Die ausführliche Schilderung, wie Hercules gewaltsam in den für Männer unzugänglichen Bona-Dea-Tempel eindringt, nimmt drittens sicherlich auf Augustus’ Sittenreform Bezug, deren Ziel die Bekämpfung von Verstößen gegen die Geschlechterordnung war.453 Vielsagend könnte auch sein, dass Hercules’ Verdienste um die von

445 Darauf spielt auch Prop. IV 9,3 an. Zur Identifizierung mit Hercules auch Hor. carm. III 14, jedoch mit Bezug auf die Rückkehr des Augustus aus Spanien; Details bei Grimal 1952: 192; Hutchinson 2006: 206; Syndikus 2010: 350. 446 Zu Cacus Prop. IV 9,7 f.; 9; 11; 13. Drei Mäuler: 9,10. 447 So zuletzt etwa bei Mutschler 1996; Harrison 2005; Holzberg 2012. 448 Zum heiteren, jedoch nicht satirischen Tonfall des Gedichts s. DeBrohun 2003: chap. 4; Günther 2006(a): 389 f.; Syndikus 2010: 354 f. Welch 2005: 115–132 deutet das Gedicht daher als Plädoyer für eine elegische Lebensweise. Als ernsthaft nimmt dagegen Weeber 1977: 170–186 die Elegie wahr. Weitere Literatur bei Coutelle 2013: 259. 449 Prop. IV 9,67 f. deutet nur an, dass Hercules der Altar von der Bevölkerung geweiht wurde. Ähnlich Liv. I 7,10–12 und Verg. Aen. VIII 268–272; anders Dion. Hal. ant. I 39,4 und Ov. fast. I 578–582, die berichten, Hercules habe den Altar selbst für sich errichtet. 450 Zu Augustus und der Figur des Hercules in der augusteischen Literatur s. jetzt Welch 2005: 190 und Coutelle 2013: 268 f. sowie S. 183. 451 S. hierzu jetzt Holzberg 2012: 455 f. 452 Denkbar ist in poetologischer Hinsicht auch die These von Mutschler 1996: 122, die besagt, dass Properz auf Augustus’ skrupellose Selbstdarstellung, seine „gewalttätige[] Ordnungsleistung“ und die Omnipräsenz des von ihm geprägten Zeitgeistes anspielt. Daher (128) sei das Gedicht Teil des Abschieds von der elegischen Liebe. 453 Hierzu bes. Fox 1999: 165–167; 171–174, der in Hercules einen Vorgänger des M. Antonius sieht, Augustus’ zwischen Männlich- und Weiblichkeit changierenden Rivalen. Zur Ähnlichkeit des Hercules mit einem exclusus amator, einer klassischen Gestalt der Elegie, s. Fedeli 1994: 118 f.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Cacus terrorisierte Bevölkerung vage bleiben.454 In Hinblick auf den Princeps wäre das eine Entlarvung der Inszenierung des Augustus als selbstlosen Befreier des Staates. Eine solche Interpretation, der zufolge Properz Augustus als anmaßenden und lächerlichen Gewaltherrscher attackiert, steht jedoch im Gegensatz zur historischen Rolle des Princeps in der historischen Teleologie der Elegie IV 1. Auch das Selbstverständnis des Augustus hinsichtlich seiner Funktion in der res publica unterscheidet sich von Hercules. Er war zwar intensiv um die Harmonisierung seiner Stellung mit der republikanischen Tradition bemüht, obwohl sie darüber hinausragte, aber er gab diese Selbstdarstellung nicht auf und mutierte in Anlehnung an Hercules zum Gewaltherrscher. Hinzu kommt, dass Livia zur Abfassungszeit den Bona-Dea-Tempel wiederherstellen ließ und die zuletzt beschädigte Integrität des Kultes455 erneuerte. Statt als Kritik an der Rolle des Augustus lässt sich das Gedicht plausibler als eine Eloge auf den Princeps lesen, der wie Hercules zwar das Vaterland rettet, anschließend aber die sakrale Ordnung nicht antastet, sondern sie schützt und ausbaut. In diesem entscheidenden Aspekt setzt die Elegie den Princeps nicht mit Hercules gleich. Sie kündet vielmehr von einem geschichtlichen, mit Augustus verbundenen Fortschritt. Hatte Hercules seine Heldentat missbraucht, um einen Frevel zu begehen, wahrte der Princeps, obwohl er uneingeschränkte Macht besaß, die Gesetze der Religion und stärkte sie sogar noch. So demonstriert Properz auch in dieser Elegie die Überlegenheit der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit, die hier sogar auf den Mythos zurückgeht. Er überbietet damit noch die Selbstdarstellung des Augustus, der Hercules’ Leistungen als vorbildhaft beschwor. Die Kontinuität im Verlauf der römischen Geschichte thematisiert die Elegie über den Tempel des Iuppiter Feretrius. Unter den aitiologischen Gedichten des IV. Buches tritt hier die Verbindung der Frühzeit zur Gegenwart besonders stark hervor: durch den Bezug auf das Restaurationsprogramm des Augustus, der systematisch die verfallenen Tempel in Rom wiederherstellen ließ und dies in den Res Gestae penibel dokumentierte. Den Tempel des Iuppiter Feretrius ließ er im Jahr 31 erneuern;456 mit dem Gott verbunden war die Dedikation der spolia opima, die höchste militärische Auszeichnung, die persönliche Tapferkeit verbürgte. Nur wenige Jahre vor der Entstehung des IV. Buches waren sie Gegenstand eines anlässlich des Sieges des Crassus über die Bastarner im Jahr 29 Konfliktes mit dem Princeps, der mit antiquarischen Argumenten ausgetragen wurde. Properz stützt die umstrittene Position des Augustus, dass für die Anerkennung der spolia

454 Vgl. Verg. Aen. VIII 200–204. Die Erzählungen bei Ovid, bes. fast. I 581 f., und Livius ähneln in diesem Punkt derjenigen des Properz. 455 S. hierzu Ov. fast. V 149–158. 456 Hierzu Nep. Att. 20,3; Liv. IV 20,7; R. Gest. div. Aug. 19,2. Zum Streit um Crassus’ Dedikation sowie zum historischen Kontext der folgenden Ausführungen Näheres bei Harrison 1989; Miles 1995: 38–47; Flower 2000; Tarpin 2003; Flower 2006: 124 f. Dahingestellt sei, ob, wie Becker 1971: 466 vorschlägt, die Aufnahme der Marcelli in die Heldenschau der Aeneis die Elegie angeregt hat. Für eine augustuskritische, allerdings spekulative Interpretation aus jüngerer Zeit, die auf intertextuellen Bezügen zu Verg. Aen. XII basiert, s. Ingleheart 2007.

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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opima der Feldherr unter eigenen Auspizien gekämpft haben musste.457 Gewürdigt werden in dem Gedicht die einzigen drei römischen Feldherrn, denen der Erwerb der spolia gelungen war, Romulus, A. Cornelius Cossus und M. Claudius Marcellus. Mit ihren militärisch herausragenden Taten stehen sie als exempla stellvertretend für das in der Eingangselegie des IV. Buches skizzierte Aufstiegsszenario des römischen Staates. Für die Zukunft bewahrte Augustus mit der Erneuerung dieses Tempels eine Tradition, die einen wesentlichen Faktor für den Erfolg der Geschichte würdigte, die virtus der Feldherren Roms. Mit zwei der Feldherren, die spolia opima weihen durften, mit Romulus und Marcellus, war er selbst verbunden.458 Künftigen Generationen führt er beispielhaft vor, auf welchen Grundlagen das Imperium errichtet war und auf welche Weise sein Bestand gesichert und erweitert werden musste – ungeachtet der Tatsache, dass der Princeps und seine Nachfolger die Tendenz zeigten, die prestigeträchtigsten militärischen Ehrungen für sich und die domus Augusta zu monopolisieren.459 Das Gedicht fügt sich in den eher abstrakt gehaltenen Abriss der römischen Geschichte in Elegie IV ein und erweckt gleichsam die Vergangenheit zum Leben. Die im Eingangsgedicht verzeichneten historischen Gestalten, L. Brutus und die beiden Decii, hatten mit dem Opfer ihres Lebens oder dem ihrer Angehörigen Stabilität und Stärke der res publica verkörpert. Dagegen durften die Gewinner der spolia opima einen persönlichen Triumph feiern. Zugleich demonstriert Properz die Verbindung zwischen dem militärischen Erfolg Roms und der sakralen Sphäre, die, wie aus der historischen Skizze der Elegie IV 1 bekannt, für sein geschichtsteleologisches Verständnis der Vergangenheit eine konstitutive Bedeutung besitzt. Als Erinnerungsort für glorreiche, im Dienst des Gemeinwohls vollbrachte Taten bildet der Tempel des Iuppiter Feretrius einen Kontrapunkt zum tarpeischen Felsen, dessen Name mit dem Verrat politischer und religiöser Pflichten verknüpft ist. Beides, der Ruhm wie die Schande, besaßen ihren Platz in der Geschichte wie in der topographisch-monumentalen Erinnerungslandschaft der Stadt. Auf die Schirmherrschaft Iuppiters über Rom, die am Schluss des historischen Abrisses in Gedicht IV 1 betont wird,460 bezieht sich Properz sowohl in der Tarpeia- als auch der Iuppiter-Feretrius-Elegie. Denn in der Nacht, als die Vesta-Priesterin ihren Verrat zu begehen sich anschickte, wachte allein Iuppiter über das Schicksal der Stadt.461 Auch die Tempelgründung ging auf die Schutzfunktion Iuppiters zurück, dem Romulus im Kampf gegen den gefürchteten Hercules-Sohn Acron die spolia opima als Weihegeschenk versprach.462 Zugleich trat der IuppiterFeretrius-Tempel in Beziehung zum Apollo-Tempel auf dem Capitol, dem ein eige-

457 Prop. IV 10,46 mit Harrison 1989: 411 f. 458 Hierauf verweist zurecht Cairns 2006: 290; 291 zu Cossus und dessen Verbindungen zur domus Augustus. 459 Für eine überzogene Betonung des von Properz vemeintlich kritisierten Aspektes der Gewalt s. Welch 2005: 132–165. 460 Prop. IV 1,54. 461 Prop. IV 4,89 f. 462 Prop. IV 10,15 f.; 10 (Acron als horror für Rom).

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

nes Gedicht gewidmet ist (IV 6) und mit dem Augustus seinen Dank für die Unterstützung des Gottes in der Schlacht von Actium abstattete. Beide Tempelbauten belegen zusammen die Fürsorge der Götter für Rom und die pietas der Römer gegenüber ihren Schutzmächten. Stellt man den Apollo-Tempel neben den des Iuppiter Feretrius, tritt ein weiterer Bezug zur historischen Sendung Roms zutage. Während die Feldherren, die im Iuppiter-Tempel ihre Opfergabe darbrachten, den Aufstieg der res publica dokumentieren, so steht der ApolloTempel für jenes Ereignis, das Roms geschichtliche Aufgabe vollendet. In den beiden Bauwerken spiegeln sich die Funktionen, die die in den Gedichten IV 1 und IV 10 genannten Principes für die Geschichte übernehmen. Wie den republikanischen Helden eine vorbereitende Rolle zugeschrieben wird, so fällt dem Princeps Augustus der Abschluss des historischen Auftrags zu. Diese Abstufung drückt sich auch in Properz’ aitiologischen Tempel-Elegien aus. Die Elegie IV 6, gewidmet dem im Jahr 28 geweihten Apollo-Tempel auf dem Palatin und den Ludi quinquennales zur Erinnerung an Actium, markiert einen Schlussstein in der bisherigen Geschichte Roms.463 In der Selbstdarstellung des Augustus, der seinen Sieg über Kleopatra und Antonius auch auf die Hilfe Apollos zurückführte, kam dem Tempel, der allerdings schon im Jahr 36 gelobt worden war, als Symbol für die Beendigung des Bürgerkrieges und die göttliche Unterstützung, die dem Princeps zuteil geworden war, enormes Gewicht zu.464 Ausdrücklich klassifiziert Properz, der zunächst als opfernder Priester, später als Teilnehmer einer Siegesfeier auftritt, die Elegie als Huldigung des Princeps,465 die in der Forschung wegen der vermeintlich überbordenden und deshalb absurd wirkenden Panegyrik häufig als Parodie begriffen worden ist.466 Augustus zelebriert das Gedicht als Neugründer Roms. Erst durch den Sieg bei Actium, so Apollo in einer Ansprache an Octavian vor der Schlacht, werde bewiesen, ob die Vorzeichen bei der Gründung Roms tatsächlich günstig gewesen seien. Nach Romulus wird so auch der Princeps zu einer Gründergestalt. Der Sieg bedeutet die Vollendung der Prophezeiung Cassandras. Dass Properz Augustus nicht bloß zum Rächer Troias und Retter des Vaterlandes, sondern der ganzen Welt467 stilisiert, korrespondiert mit der kosmologischen Dimension, die er dem Kampf gegen Kleo-

463 Properz knüpft hier an Elegie II 31, in der er aus der Perspektive des elegischen Liebhabers, nicht des aitiologischen Erklärers auf die Tempelweihung blickt. Zu den Ludi s. Dio LI 19,2; LIII 1,4 f.; LIV 19,8 mit Kierdorf 1995: 175–178 und Syndikus 2010: 331. Zum Tempel Zanker 1987/2009: 90–96; Kienast 2009: 231–235. Zur Verbindung zwischen Augustus und Apollo ausführlich Coutelle 2015: 221–224. 464 S. hierzu Zanker 1987/2009: 90–96; Galinsky 1996: 213–224; Kienast 2009: 231–237. – Gegen die längere Zeit übliche Identifizierung des Augustus mit Apollo überzeugend Kierdorf 1995: 169 sowie 171 f.; 174 zur maßgeblichen Rolle Apollos in der Schlacht. 465 So nennt Properz die Elegie auch Caesaris in nomen […] carmina (Prop. IV 6,13). 466 Als lächerlich bezeichnet die Elegie G. Williams (zit. nach Baker 1983: 153, Anm. 2). S. ferner bes. Stahl 1985: 248–255; 259 und zuletzt Gurval 1995: 167–187. Anders, und überzeugend, jedoch Becker 1971: 450 f.; Cairns 1984; Günther 2006(a): 373–379; Cairns 2006: 356; 363; Syndikus 2010: 331–337. Für die ältere Literatur s. Welch 2005: 78 f. 467 Zum Triumphmotiv s. Petrovic 2008.

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patra und den von ihr verführten Antonius verleiht.468 Die für die Situation der Schlacht anachronistische Anrede „Augustus“, die Apollo verwendet, nimmt das Ergebnis des Kampfes vorweg. Mit der Feststellung, dass bei Actium ein Krieg gegen einen auswärtigen Feind, die Königin von Ägypten, und nicht ein Bürgerkrieg beendet wurde, folgt Properz der Deutung des Princeps.469 In mehrfacher Hinsicht wird die herausragende Rolle des vom consensus universorum gestützten Princeps akzentuiert: als Abkömmling von Alba Longa und als Sohn des vergöttlichten Caesar, der ihm in der Gestalt eines Sternes seine Reverenz erweist und Augustus’ Sieg als Beweis seiner eigenen, Caesars, Göttlichkeit versteht.470 In der Verwandlung vom Gott des Kriegs zum Gott des Friedens ist Apollo das Vorbild des Princeps. Eine Siegesfeier in Rom steht bei Properz für den im Gefolge des Sieges entstandenen Frieden.471 Auf dieser Party werden Themen für eine panegyrische Dichtung auf Augustus erwogen, die den unter seinem Regiment errungenen militärisch-diplomatischen Leistungen der vergangenen Jahre gelten und dezent auf Möglichkeiten für künftige Feldzüge hindeuten.472 Augustus’ Verdienste sind für Properz umfassend: Mit der Erwähnung der Rache für die Niederlage des Crassus bei Carrhae stellt er der Beendigung des Bürgerkriegs, die der Sieg gegen Kleopatra faktisch bedeutete, die Unterwerfung weiterer auswärtiger Feinde an die Seite.473 Zu erledigen bleibt als künftige Herausforderung nur noch die endgültige Niederwerfung der Parther.474 Dass Apollo von seiner Funktion als Kriegsgott in die Rolle als Gott des Gesangs wechselt, und die persona eine Siegesfeier

468 Hierzu bes. Hardie 1986. Für den Vergleich mit Vergil s. Binder 1971: 112–114 sowie die ältere Literatur bei Günther 2006(a): 375 sowie Hutchinson 2006: 155–166; Lieberg 2007: 60 f.; Syndikus 2010: 333 f.; 335. Zur Verführung s. jetzt Reitz-Joosse 2016: 291. 469 S. o. S. 184. 470 Für Apollos Rede s. Prop. IV 6,37–54, hier bes. 37–44, mit Hutchinson 2006: 161 f. für die Topologie; zum consensus: 41 f.; zu Caesar s. 6,59 f.: Ad pater idalio miratur Caesar ab astro: / Sum deus; est nostri sanguinis ista fides. Stahl 1985: 251 f. hält Caesars Worte für einen lächerlichen Wunsch nach Vergöttlichung und Properz’ Verse für einen ‚politischen Lippendienst‘. Eher will der Dichter einerseits den göttlichen Rang Caesars und des Augustus herausstreichen, dabei andererseits auch die größere Bedeutung des Augustus vor seinem Adoptivvater betonen. Zum consensus s. die Einleitung in das augusteische Zeitalter. – Alba Longa: Günther 2006(a): 376. 471 Prop. IV 6,69–86. Für die hier manifeste harmonische Verbindung der Themen Krieg und Frieden in der Elegie s. Günther 2006(a): 377. Die Feier mag, wie Hutchinson 2006: 153 vermutet, am 2. September, dem Feiertag für den Sieg bei Actium, oder am 9. Oktober, dem Jahrestag des Apollo Palatinus, stattgefunden haben. Welch 2005: 96–109 hingegen deutet wohl zu Unrecht die Betonung des Aspekts des Friedens als eine Distanzierung von der kriegerischen Intention, die Augustus mit dem Tempel verfolgt habe, verkennt dabei jedoch die Vielschichtigkeit der Apollo-Gestalt (vgl. nur die Schildbeschreibung Vergils und Tib. II 5 sowie die Rolle des Gottes in den übrigen Elegien dieses Dichters). 472 Prop. IV 6,77–80: gegen die Sugambrer, die Äthiopier und die Parther, deren endgültige Niederringung noch ausstand (80–82). Nach Auffassung von Baker 1983: 173 mit Blick auf Prop. III 1,9 sind dies keine Themen, die Properz selbst in Angriff nehmen möchte. 473 Prop. IV 6,83 f. 474 Prop. IV 6,81 f.

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

evoziert, weist auf den nun beginnenden Frieden voraus, der Gelegenheit für die epische Verarbeitung der jüngeren Geschichte bietet.475 So löst die Elegie IV 6, indem sie die Erfüllung der Prophezeiung behandelt, ein, was in Gedicht IV 1 nur ein Ausblick auf die noch ungewisse Zukunft ist. Mit dem Sieg bei Actium war nun eine Epoche abgeschlossen, deren Ursprung in der Eroberung Troias lag und die ihren Höhepunkt in den Taten des Princeps findet. Insofern füllt auch dieses Gedicht den historischen Rahmen der Eingangselegie zum IV. Buch auf. Anders als Vergil in der Schildbeschreibung rückt Properz den Sieg des Augustus nicht in eine Reihe mit früheren, erfolgreich abgewehrten Bedrohungen Roms. Aus dem welthistorischen Blickwinkel, der schon die Eingangselegie des IV. Buches bestimmt, besitzen innenpolitische Konstellationen keine Bedeutung mehr. Wie im Gedicht IV 1 beabsichtigt Properz eine Inszenierung der vorbildlichen Vergangenheit oder verfolgt didaktischen Ziele, die aus dem römischen Dekadenzdiskurs hervorgehen. Er bestätigt die Teleologie der unter göttlichem Schutz stehenden römischen Geschichte, deren Werkzeug Augustus ist. Seine Vorstellung vom Frieden ist keine Distanzierung vom Princeps. Zwar akzentuiert er, die Siegesfeier imaginierend, die Leichtigkeit und das Vergnügen, die mit dem Ende des Krieges einhergehen. Das Fest liefert aber Inspiration für epische Dichtungen. Auch wenn er die möglichen Themen, die er aufzählt, nicht für sich reserviert, so nimmt er doch an dem bacchischen Gelage teil, das zu dichterischen Produktionen wie den von ihm erwähnten anregt. Zuletzt richtet er den Blick auf die Zukunft. Aus der Ankündigung, dass der Princeps manche militärische Herausforderung nicht selbst in Angriff nehme, sondern seinen Nachfahren überlasse,476 spricht die Überzeugung, dass auch die weitere Geschichte Roms vom gleichen troianisch-latinischen Geschlecht, den Iuliern, geprägt werden wird, das Rom zu seinem bisherigen Höhepunkt geführt hat. So wird Augustus für Properz, lange bevor die Sukzessionsproblematik virulent wurde, auch zum Begründer einer Dynastie. e) Die Bilanz des IV. Buches Die Elegie IV 1 und die Elegien des IV. Buches realisieren zentrale Ideen innerhalb der Elegie gemäß dem Konzept der elegischen Aitiologie. Alle Pläne, die Properz in den Büchern II und III entwirft, zielen auf die Gegenwart ab. Sie ist der Höhepunkt der Geschichte und Augustus die Verkörperung Roms. Diese Sicht auf die historische Entwicklung nimmt Gedicht IV 1 mit seiner Nachzeichnung des Aufstiegs Roms aus dem Nichts bis zur Weltmacht auf. Indes verbreitert sich Properz’ Horizont. Die Entwürfe für Epen sind rein auf eine panegyrische Funktion abgestellt, auf die Verherrlichung des Augustus und seiner Taten, die Roms Vergangenheit in die Schranken weisen. Im Gegensatz dazu umfasst die Aitiologie ein breite475 Prop. IV 6,71–79; 85 f. Die nicht-epischen Aspekte des Schlussteils des Gedichts betont Schrader 2017: 260 f., die in dieser Partie eine „Distanzierung von den aufgeführten augusteischen Themen“ (261) wahrnimmt. Hierzu gleich weitere Einzelheiten. 476 Prop. IV 6,81 f.

3. Elegische Liebe und Aitiologie. Properz

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res thematisches Spektrum. Obwohl sie auf die Zeitgeschichte zielt, ist sie weniger gegenwartsfixiert, weil sie das augusteische Principat organisch (wie in Elegie IV) oder durch punktuelle Berührung (wie in den übrigen Elegien des IV. Buches) aus der Vergangenheit heraus entstehen lässt. Dieses Verfahren konzentriert sich nicht nur auf die alles überragenden Siege und Verdienste des Augustus, sondern schließt, teils im historischen Vergleich, teils durch die Rekonstruktion eines geschichtlichen Prozesses Aspekte wie Architektur, Stadtgeschichte, Religion, kulturelle Praktiken und Mentalitäten ein, so dass, wenngleich in Umrissen, ein Tableau der römischen Geschichte entsteht. Erst die Aitiologie verleiht der Gegenwart eine historische Tiefenschärfe. Abgesehen von der Erweiterung des Themenspektrums differenziert Properz im IV. Buch den in den epischen Projekten umrissenen Komplex der Außenpolitik. Die mit dem Krieg verbundene Gewalttätigkeit kommt in der Elegie über Iuppiter Feretrius zum Ausdruck. Neu ist der Aspekt der Teleologie. Dokumentieren die Projektskizzen, dass Properz mit einem historischen Aufstiegsszenario operiert, deutet die Elegie IV 1 die römische Geschichte als Fortsetzung der troianischen, die ihr Ziel mit dem Sieg über Griechenland gefunden habe. Was die Zeitgeschichte betrifft, nimmt die Bürgerkriegsthematik breiten Raum ein, stilisiert auf den Sieg des Octavian/Augustus hin. Auf aktuelle militärische Kampagnen des Princeps spielt Properz nicht mehr an und formuliert so auch keine damit einhergehenden Erwartungen. Im Rahmen des politischen Programms des IV. Buches zeichnen die Elegie IV 1 und die aitiologischen Gedichte ein vielschichtiges Bild von Rom. Das Eingangsgedicht konstruiert ein Aufstiegsszenario, dessen Höhepunkt die Gegenwart mit der Erringung der Weltherrschaft bildet. Die aitiologischen Elegien greifen nicht nur Themen auf, die an die Elegie IV andocken, sondern zeigen auch andere Facetten Roms. Vertumnus veranschaulicht die Offenheit der Geschichte, aber auch die Vielseitigkeit der römischen Gesellschaft und der Lebensformen, die in ihren verschiedenen Milieus gepflegt werden. In Tarpeia und ihrem Verrat werden das Spannungsverhältnis zwischen privaten Neigungen und den Anforderungen des Staates sichtbar, aber auch die fatalen Konsequenzen, die ein Orientierungsverlust nach sich ziehen kann. Die Actium-Elegie greift den Sieg Octavians auf. Er eröffnet nicht nur eine Periode des Friedens, sondern ist auch Garant angenehmen Lebens, das sich jenseits der Anforderungen des mos maiorum abspielt. Hercules’ Beispiel illustriert die prekäre Stabilität der Sitten einschließlich von Täuschung und Gewalt, hebt aber die Gegenwart positiv vom Mythos ab. Iuppiter Feretrius steht für den Selbstbehauptungswillen Roms, verleugnet jedoch nicht die Gewalttätigkeit, die mit der Verteidigung des Staates wie mit dessen Expansion verbunden waren. f) Zusammenfassung Properz vollzieht in seinem Werk den Wandel von der Liebeselegie zu einer eminent politischen aitiologischen Dichtung. Im II. und III. Buch entwirft er erste Projekte für epische Themen. Zwar handelt es sich hierbei jeweils um Recusatio-Ge-

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

dichte. Allerdings sind diese Pläne bereits in der ideologischen Substanz miteinander verbunden. Alle Sujets marginalisieren die Rolle der republikanischen Geschichte und lassen auch die konstitutive Frühzeit Roms weitgehend außen vor. Beherrscht werden die Themen, die er erwägt, von den Taten des Augustus. Der Fokus sollte offensichtlich auf den militärischen Leistungen des Princeps liegen. Hierzu zählten nicht nur der Sieg im Bürgerkrieg, sondern auch die Erfolge über auswärtige Völker, die er während der 20er Jahre errang. Auch die noch zu verwirklichenden Feldzugspläne des Augustus apostrophiert er als Gegenstand einer möglichen Dichtung. Mit diesen Vorhaben wäre Properz zum Multiplikator der Selbstdarstellung des Augustus geworden und hätte sich direkt in den Dienst von dessen Legitimierungsstrategien gestellt. Indes bleibt es – noch – bei Ankündigungen. Weiterhin dominieren Themen der Liebeselegie. Ein Affront lag in der Verschiebung einer politischen Dichtung jedoch nicht. Schon die Skizzierung möglicher politischer Dichtungen erzielte eine panegyrische Wirkung. Die Pläne für ein Epos oder ein aitiologisches Werk, präsentiert in einem fremden poetologischen Kontext, deuten die Möglichkeit einer Fortentwicklung der Gattung Elegie an. Realisiert wird sie im IV. Buch, erschienen spätestens im Jahr 16, drei Jahre nach der von der Saecularfeier eingeleiteten Zeitenwende. Die römische Geschichte, die Properz im IV. Buch darstellt, konkretisiert die in den Büchern II. und III. angedachten Themen. Sie sind eingebettet in eine geschlossene Konzeption der Vergangenheit. Sie wird in der ersten Elegie präsentiert und die er in fünf weiteren atiologischen Elegien anreichert. Während die Projekte, die er nicht verwirklichte, von der Gestalt des Princeps und dessen Verdiensten für die militärische und außenpolitische Stärke des Reiches bestimmt gewesen, wären, tritt die Person des Augustus im Abriss der Elegie IV 1 in den Hintergrund. Nur in der sechsten Elegie, über den Sieg bei Actium, wird der Princeps zur Hauptfigur. Implizit wird die Gegenwart jedoch von ihm beherrscht. Statt einer offen propagandistischen, biographischen Dichtung, die Augustus’ Laufbahn verfolgt hätte, wählte Properz, wie Vergil mit der Aeneis, eine integrierende Gesamtdarstellung, die den Princeps sublim verherrlichte. In einer linearen Entwicklung läuft die Geschichte auf die Gegenwart zu. Eine Peripetie, wie im Dekadenzdiskurs konstatiert, fehlt diesem Schema. Die Vorstellung eines Goldenen Zeitalters liegt ihm ebenso fern wie die Verherrlichung der Frühzeit. Er rühmt die Errungenschaften der Zivilisation, ohne negative Folgen der Kulturentwicklung wahrzunehmen. Das Narrativ des Aufstiegs ist verkoppelt mit der Familie des Augustus. Wie in den früheren Konzepten einer politischen Dichtung überragt Augustus die Helden der Republik. Durch seinen Sieg im Bürgerkrieg ist er sowohl Friedensbringer als auch Garant der Freiheit. Die Bürgerkriegsproblematik verdichtet die traditionellen Themen der Historiographie. Nach Properz gehören innere Konflikte und Fragen der Verteilung und Ausübung von Macht seit der Frühzeit zu den Charakteristika der römischen Geschichte, wie Remus und L. Brutus beispielhaft belegen. Beendet wurden sie jedoch unter Augustus. Monumentalen Ausdruck fand dies in den Bauten der augusteischen Zeit, die Properz dichterisch nachschafft. Entscheidender als die innenpolitische Perspektive ist die außen-

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politische Machtentfaltung Roms. Der Princeps wird durch die Integration in das Aufstiegsszenario in die republikanische Tradition eingebunden. Dies waren Kernelemente der Selbstdarstellung des Princeps, die Properz aufgreift, kommentiert und weiterentwickelt. Die aitiologischen Elegien füllen verschiedene Aspekte des historischen Konzepts der Eingangselegie. Vertumnus steht für die Wandelbarkeit der Geschichte und für die ärmlich-frivole Lebenswelt der römischen Unterschichten. Das Schicksal der Tarpeia verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen persönlichen Wünschen und den Zwängen der Politik, das schon in der Frühzeit bestand, und das grausame Ende, das Verrat am öffentlichen Interesse heraufbeschwor. Iuppiter Feretrius illustriert die Bedeutung der fortitudo für die Entstehung des Reiches, aber auch die damit einhergehenden Grausamkeiten des Krieges und des Ruhmesstrebens. Die Ara Maxima repräsentiert nicht nur die Restauration der privaten und öffentlichen Moral unter dem Princeps, sondern weist auch die domus Augusta als deren Verteidigerin aus. Der Apollo-Tempel auf dem Palatin ist das Zeichen des von Augustus mit göttlicher Unterstützung errungenen Siegs über die inneren wie äußeren Feinde Roms. Zu den Spezifika des IV. Buchs gehört, dass das Bild, das Properz von Rom und der römischen Geschichte zeichnet, nicht monumental ist, sondern zahllose Nuancierungen enthält, die nicht im Dienst der Selbstdarstellung des Augustus stehen, die dessen Friedenswerk und zivilisatorische Leistung in Politik wie Kultur nicht in Frage stellen. Diese Elemente, wie in der Vertumnus-Elegie oder der Ara MaximaElegie sind aber ebenso Teil des augusteischen Zeitalters. Sie bilden Anknüpfungspunkte zur Thematik der Elegien der drei vorhergehenden Bücher, aber auch zum IV. Buch, zu dem vier Liebeselegien gehören. In diesen Gedichten vollzieht sich der schon lange angekündigte Abschied, der sich im Nachruf auf Cornelia, Ideal der Matrone und Gegenpart zu Cynthia, widerspiegelt. Von Augustus unterscheidet sich Properz hinsichtlich der Funktion der Geschichte. Zwar enthalten die Elegien neben der Würdigung der Gegenwart auch politische Warnungen: vor dem Bürgerkrieg, vor der Vernachlässigung religiöser und bürgerlicher Verpflichtungen, vor der Verführung der Alleinherrschaft, vor der Fragilität des Friedens und der Freiheit. Doch Properz verfolgt kein didaktisches Programm. Sein Ideal ist nicht die traditionell als sittlich intakt gepriesene Frühzeit. Das entscheidende Kriterium für seine Beurteilung der historischen Epochen ist die Entwicklung der Zivilisation. Ihre Kompatibilität mit den Sitten, die im fortschrittskritischen historischen Denken der Späten Republik problematisiert wurde, besitzt für ihn keine Relevanz. Am Diskurs über den Sittenverfall beteiligt er sich nicht. Von der Ausrichtung der Gegenwart an der Vergangenheit emanzipiert er sich: Sie ist für ihn kein orientierungsstiftender Fixpunkt. Der Fortschritt der Zivilisation hat ihm zufolge keine Auswirkungen auf die Politik. So bleiben auch die angerissenen Verwerfungen, die im Bürgerkrieg resultierten, ohne Analyse, wie sie im Peripetiediskurs vorgenommen worden wären. Die Ausdehnung des poetischen Horizonts des Properz, wie biographisch durch den Wandel des Patronatsverhältnisses auch immer beeinflusst, führt nicht zu einem Bruch innerhalb des Gesamtwerks. Durch sein Selbstverständnis als Elegiker in der

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IV. Kulturentwicklungstheorie und historische Abrisse

Nachfolge des Kallimachos, des Verfassers eines facettenreichen Werks, ist er nicht auf Liebesdichtung beschränkt. So sind die recusationes der Bücher II und III denn auch keine politischen Pronunciamentos, die womöglich Properz’ Ablehnung des Regiments des Princeps zum Ausdruck bringen sollen, sondern programmatische Vorüberlegungen für eine dichterische Innovation. Das IV. Buch erweitert jedoch das Themenspektrum und ordnet Augustus in den Gesamtzusammenhang der römischen Geschichte ein. Die Erfahrung des Bürgerkriegs, die nicht gemieden wird, sondern sich vom I. bis zum IV. Buch thematisch durch das Werk zieht, verliert angesichts des in der Gegenwart Erreichten an diskursiver Relevanz. Eine sinnstiftende Funktion übernimmt die Republik nicht mehr. Sie ist ganz in der Gegenwart aufgegangen.

ZWISCHENBILANZ I Deutungen der Geschichte in Kulturentwicklungstheorien, historischen Abrissen und der Historiographie 1. ÜBERSICHT Die Gruppe der durch gemeinsame Konzepte und Topoi sowie einen intertextuellen Austausch verbundenen Dichter, die Abrisse der römischen Geschichte entwerfen und sie vor einem kulturtheoretischen Horizont rücken, bildet keine ideologisch geschlossene Formation. Die Stimmung dieser frühaugusteischen Literatur hatte die Bürgerkriegszeit und deren Ende vorgegeben, das Schwanken zwischen Gegenwartsflucht und Bekenntnis zu den Errungenschaften des Princeps, die Sorge um Frieden und Stabilität. Zu der Debatte um die vielfältigen Aspekte der zeitgenössischen Politik gehörte das Nachdenken über die Natur des Menschen, die Bewertung der Zivilisation und den Sinn der Geschichte, teils um das Verständnis von deren Mechanismen zu gewinnen, teils um eine Prognose für die Zukunft zu wagen. Für derlei Themen boten die Lehren von der Kulturentwicklung einen idealen Anknüpfungspunkt, um die Phänomene der politisch-geschichtlichen Welt auf grundlegende Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen. Zur gleichen Zeit entstand mit Livius’ Ab urbe condita ein monumentales Geschichtswerk, das die Gegenwart vor der römischen Gesamtgeschichte einordnete. Katalogartig sollen hier die wesentlichen Elemente der Kulturentwicklungstheorien und der historischen Abrisse vorgestellt werden, bevor ihre Deutungen mit der Perspektive der augusteischen Historiographie konfrontiert werden, die Livius vermittelt. 2. HISTORISCHE ABRISSE Alle drei Dichter – Vergil, Tibull, Properz – präsentieren ihre Deutung der Geschichte in historischen Abrissen, in Meistererzählungen en miniature. Vergil nimmt in der Aeneis eine Zweiteilung der Menschheitsgeschichte vor. Er gliedert sie in eine Phase, die vor der Entstehung der Kultur lag und in der die Menschen ein barbarisches Leben (bißow jhrivßdhw) führten, und in eine Epoche, die mit der Entstehung einer Siedlung, der Bildung eines mos mithilfe von Gesetzen und ersten ökonomischen Errungenschaften begann. Nicht erst mit den Troianern, sondern mit der Ankunft Saturns verbindet sich für ihn die historische Entwicklung. Nachdem Saturns Herrschaft zuende gegangen war und mit ihr auch das Goldene Zeitalter, brach eine Epoche der entfesselten menschlichen Begierden an, geprägt von Habgier und Krieg. Sie dauerte noch an, als Aeneas nach Latium gelangte. Auch nach der Etablierung der Troianer und ihrer Vereinigung mit den Latinern sollte sie sich über die gesamte folgende Geschichte hinziehen und ihr Ende erst im

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Principat des Augustus finden, dessen Aufgabe die Wiederherstellung des Goldenen Zeitalters Saturns im globalen Maßstab ist. Im Unterschied zu Vergil verfolgt Tibull, wie nach der Landung der Troianer in Italien eine friedlich-pastorale Lebensform ihr Ende fand und ein bis in die Gegenwart sich erstreckendes Zeitalter der Kriege begann, das die unberührte, unschuldige Lebensweise der Menschen sukzessive kontaminierte. Die von ihm angerichteten Zerstörungen wirken bis in die Gegenwart nach. Seine Folgen betreffen nicht nur die „große“ Politik, sondern dringen unmittelbar bis zur Existenz der einfachen Menschen vor. Inwieweit es im Zeichen Apollos gelingt, die an die Frühzeit angelehnte Hoffnung nach Frieden zu erfüllen, bleibt offen. Das Paradigma, das Properz’ Rekonstruktion der Geschichte leitet, ist der Aufstieg Roms zur Weltmacht. Seine historische Übersicht im IV. Buch fußt auf den Epos-Plänen, die er in seinen Recusatio-Gedichten ventiliert. Rache für den Untergang Troias ist für ihn der Motor der Expansion. Die Gegenwart bringt nicht nur den Sieg über alle auswärtigen Kontrahenten, sondern ist auch der Höhepunkt der Zivilisation, die keine Gefährdung durch Dekadenz kennt. Die historischen Abrisse erstrecken sich über unterschiedliche chronologische Horizonte. Über den Fall Troias verkoppeln alle drei Dichter die römische Geschichte mit der troianischen und führen sie bis zur Gegenwart. Bei Vergil initiiert Saturn einen Fortschritt, der eine barbarische Lebensform ablöst. In Tibulls Elegie II 5 gibt es kein Goldenes Zeitalter im traditionellen Sinne. Stattdessen zeichnet er eine Szenerie bukolischer Beschaulichkeit, die er als ideale Lebensform betrachtet. Sie demontiert sich nicht selbst. Der Auslöser des Zusammenbruchs des idyllischen Daseins, ablesbar am Krieg und dem Verfall der reinen Liebe, ist ein Impuls von außen, die Landung der Troianer. Die bukolische Lebensform war in universalgeschichtlicher Perspektive nur eine prekäre Epoche. Properz’ historischer Abriss kommt ohne die Konzeption eines Goldenen Zeitalters aus. Er setzt unmittelbar in der primitiven Frühzeit Italiens ein, ohne den Zeitpunkt des Beginns der Geschichte zu fixieren, und ist bei der Nachzeichnung des Verlaufs der römischen Geschichte ganz auf die Expansion und zivilisatorische Fortentwicklung Roms konzentriert. In der Bewertung von Vergangenheit und Gegenwart stehen Properz und Tibull einander diametral gegenüber. Während Tibull sich für die Gegenwart eine Annäherung an jene Zeit des Friedens unter den Bedingungen der modernen Welt erhofft, feiert Properz die Expansion und den Aufschwung Roms und distanziert sich von elegischen Idealen. 3. POLITISCHE THEMEN Alle dichterischen Abrisse verbindet der Gedanke des Aufstiegs Roms zur Weltmacht. Die Bewertung dieses Status fällt allerdings unterschiedlich aus. Die Prophezeiungen der Aeneis füllen eine historische Zwischenzeit, die mit dem Ende des Goldenen Zeitalters Saturns begann und mit dessen Neubegründung unter Augustus endete. Politische Themen im engeren Sinn sind bei Vergil das Herrschafts- und Ruhmesstreben und der Bürgerkrieg. Für Tibull hingegen ist der Bürgerkrieg eine

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Spätfolge der Landung der Troianer; er ist eine Erscheinung der geschichtlichen Welt. Die Zukunft steht unter der Schirmherrschaft Apollos. Zwar hatte der Gott einst den Siegesgesang über die Niederlage Saturns gegen Iuppiter angestimmt, unter dessen Herrschaft das Eiserne Zeitalter anbrach, und war damit Repräsentant jener Ära geworden, in der die Idylle in Latium zerstört wurde. In der römischen Zeitgeschichte hat er jedoch bei Actium als Unterstützer Octavians, in dessen Selbstdarstellung Apollo eine eminent bedeutsame Funktion zukam, zur Beendigung des Bürgerkrieges beigetragen. Am Beispiel Roms wird hier die ihm innewohnende Ambivalenz, seine doppelte Funktion als Friedens- wie Kriegsgott sichtbar. Mit der in einem Gebet an Apollo formulierten Hoffnung auf Frieden, die im folgenden, letzten Gedicht der Sammlung zumindest für das Privatleben durch einen späten Ausläufer des Einbruchs der geschichtlichen Welt, die ihrer Unschuld verloren gegangenen Liebe, konterkariert wird, verbindet Tibull jedoch keine konkreten politischen Hoffnungen und Erwartungen, die sich in Reflexionen über die Weltherrschaft und die Prinzipien zu deren Ausübung oder über die Gestaltung der römischen Innenpolitik äußern würden. Bei Properz hingegen ist der Aufstiegsgedanke das einzige Charakteristikum seines Überblicks über die eigentliche römische Geschichte. Sowohl für ihn als auch für Vergil ist die römische Geschichte unmittelbar mit dem Fall Troias verknüpft. Er nimmt Bezug auf die Prophezeiung Cassandras mit der Ankündigung der Rache an den Griechen. Das Instrument für diese Rache ist Rom, das mit der Eroberung Griechenlands und der Übernahme der Weltherrschaft seine Aufgabe erfüllt hat. Vergil hingegen verknüpft den Gedanken der Weltherrschaft über die Rache für Troia hinaus mit der Herstellung eines allumfassenden Friedens. Vergils Konzeption vom Goldenen Zeitalter kreist um den Gegensatz von Urzustand und Zivilisation sowie um die Bedingungen einer stabilen politischen Ordnung. Der Urzustand folgt bei ihm dem Konzept des bißow jhrivßdhw. Sein Goldenes Zeitalter ist nicht in einem vorhistorischen Paradies angesiedelt, sondern in der Zivilisation mit den ihr inhärenten Defiziten. Nach der Archäologie Euanders lag Saturns Herrschaft bei der Ankunft der Troianer schon lange zurück. Der Untergang des Ideals vollzieht sich von innen her; er hat seinen Ursprung in einem mentalen und sittlichen Defekt der Menschen. Der Erzählung Euanders zufolge tritt sie, verkörpert von Habgier, als natürliche Folge der Zivilisation in Erscheinung und wird in Heldenschau und Schildbeschreibung in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen konkretisiert. Sie ist ein Bestandteil der bejahten, von Ambivalenzen jedoch nicht freien Zivilisation und wird mit deren Mitteln bekämpft. Anders als in der Historiographie ist die Dekadenz kein Signum einer spezifischen, an imperiale Bedingungen geknüpften Epoche. Die Zukunft ist daher für politische Gestaltung offen. Da Vergil den Beginn des Niedergangs nicht mit einem konkreten historischen Ereignis oder einer politischen Entwicklung verbindet, ist der Sittenverfall eine permanente Bedrohung, die jederzeit aktuell werden kann. Zugleich stehen in der Förderung von Sitten und im Erlass von Gesetzen Mittel zur Bewahrung und auch Wiederherstellung eines Zeitalters Saturns bereit. Die Erfahrung der Dekadenz fehlt in Properz’ Aufstiegsszenario gänzlich. In den Gedichten, die von der elegischen Liebe handeln, formuliert er Zeitkritik ledig-

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lich aus der Perspektive des chancenlosen, verarmten amator. Den Bürgerkrieg der zurückliegenden Jahrzehnte, auf den seine Gedichte immer wieder anspielen, integriert er nicht in den historischen Abriss und feiert in der Actium-Elegie des IV. Buchs nominell nur die Niederringung der äußeren Feinde Roms, die Augustus zu verdanken ist. Auch Tibull arbeitet mit den topischen Ressentiments des elegischen Liebhabers gegenüber dem Materialismus der puella und seines reichen Nebenbuhlers. In Tibulls Auseinandersetzung mit der Welt hingegen bildet der Krieg ein konstitutives Element. Aber erst am Schluss seines historischen Überblicks tritt, wenngleich nur anspielungsweise, der Bürgerkrieg als bedrohlichste Erscheinung der jüngeren, inzwischen jedoch im Zeichen Apollos überwundenen Vergangenheit auf. Er ist Ausfluss, Spätfolge und dramatisches Resultat der Zeitenwende, an deren Anfang der Fall Troias stand. Die Bewertung der Geschichte anhand kulturtheoretischer Schemata, die er vornimmt, hängt von der jeweiligen Lebenssituation der persona ab. Je stärker sie den Anforderungen ihrer Umwelt ausgesetzt ist, desto heftiger steigert sich die Zeitkritik, bis hin zur radikalen Verneinung der Welt. 4. GEGENWART UND ZUKUNFT Von der Zukunft entwerfen die Dichter kein konkretes Bild. Roms Potential sieht Vergil in Marcellus verkörpert. Mochte der Tod auch die Entfaltung seiner Tugenden verhindern, so verkörperte er doch die Möglichkeit, in der Nachfolge des Augustus das neubegründete Goldene Zeitalter fortzusetzen, und diente gleichzeitig, wie Aeneas und Augustus, seinen Zeitgenossen und kommenden Generationen als Vorbild. Wegen der fortschrittsbejahenden Anlage des Goldenen Zeitalters besitzt dessen Erneuerung eine realistische Chance. Ebenso wenig wie die Lebensweise unter Saturn ist die Zukunft automatisch gesichert. Immer wieder benötigt das Ideal seine Fundierung durch politisches Handeln. Properz beendet seinen historischen Abriss mit einer Verherrlichung der Gegenwart, des augusteischen Zeitalters. Da er nicht die Dekadenz als Grunderfahrung der römischen Geschichte teilt, nimmt er anders als Vergil auch keine wiederkehrenden politischen Probleme wahr. Tibulls Blick auf die Geschichte ist von der Suche des Individuums nach Glück in wechselnder, von unterschiedlichen Faktoren bestimmter Umwelt geprägt. Während Vergil die Existenz des von ihm skizzierten und als Vorbild für Augustus betrachteten Goldenen Zeitalters lediglich an abstrakte Voraussetzungen wie Sitten und Gesetze knüpft, ist Tibulls Ideal an historisch ganz konkrete topographische Voraussetzungen und Umstände gekoppelt, ein Hirtenleben, das es im modernen Rom nicht geben kann. Inwieweit sich in der Gegenwart Elemente der Frühzeit verwirklichen lassen, stellt er der Zukunft anheim. Die Saecularfeier des Jahres 17 sollte ein neues Zeitalter in der römischen Geschichte eröffnen. In ihr laufen verschiedene Strömungen des Nachdenkens über Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Sie setzte den Schlussstein unter eine Geschichte des inzwischen durch die segensreiche Herrschaft des Augustus gestoppten sittlichen Niedergangs und versprach eine Zukunft der Prosperität und der imperialen Stärke im Zeichen der Rückkehr zu früherer römischer Tugendhaftig-

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keit. Dem Princeps erschien die Zukunft offen und gestaltbar. Unverkennbare Übereinstimmung besteht zwischen der Feier und der Aeneis Vergils. Augustus’ Ziele und Programm erfüllten die Kriterien des Goldenen Zeitalters, das Saturn in Italien begründet hatte und dessen Erneuerung in universalgeschichtlicher Dimension Augustus prophezeit wurde. Beide Zeitalter waren in der geschichtlichen Welt angesiedelt und gehörten zur Zivilisation. Weil Saturns Herrschaft reproduzierbar war, war sie kein utopisches Konstrukt. Doch dem Goldenen Zeitalter der Aeneis wie dem Principat des Augustus fehlte das Versprechen ewiger Dauer. Beider Bestand musste sich in der politischen Praxis bewähren, beide gründeten auf Sitten und Gesetze, beide wurden mit Waffen gesichert. Da die Vorstellung von einem mythischen, quasiparadiesischen Ideal weder für Vergil noch für Augustus der Fluchtpunkt ihrer Deutung der Geschichte war, stützte die Aeneis den Anspruch des Princeps, eine Form des Goldenen Zeitalters in der geschichtlichen Welt zu realisieren. Anders als Saturn hatte Augustus jedoch ein Erneuerungswerk zu betreiben. Er musste jenen Zustand korrigieren, der nach Saturns Herrschaft entstanden war. 5. KULTURENTWICKLUNGSTHEORIEN UND HISTORIOGRAPHIE Zwischen historiographischen und dichterischen Zugängen zur Geschichte in der Anfangsphase des augusteischen Principats bestehen jenseits gattungsbedingter Differenzen frappierende konzeptionelle Gemeinsamkeiten. Zwar ist in der Geschichtsschreibung die Darstellung der Geschichte in ihren Einzelheiten auf das politische System in Rom und dessen Funktionsweise bezogen und streben die von der longue durée bestimmten Kulturentwicklungstheorien keine genetische Darstellung der Vergangenheit an. Auch beruht für die Dichter die Geschichte auf kulturentwicklungstheoretischen Prämissen, denen zufolge schon in der Frühzeit die grundsätzliche Entscheidung über den Verlauf der Geschichte fällt, während in der Historiographie seit der Späten Republik eine Zweiteilung der Geschichte in eine moralische Hochzeit und in eine Phase der Dekadenz vorherrscht. Mit Sallust und Livius treten allerdings substantielle Veränderungen ein. In ihren Werken, die auf anthropologischen Einsichten beruhen, verliert die Anfangsphase der römischen Geschichte an Vorbildhaftigkeit; für beide Historiker zeigt sich, dass die Motive und Intentionen der politischen Akteure stets die gleichen geblieben sind. Dichtung und Historiographie stimmen insofern überein, dass sie die Existenz des historischen Wendepunkts, der zuletzt gemeinhin an den Fall Karthagos geknüpft wurde, negieren und von einem Kontinuum ausgehen. Die Geschichtsschreibung wurde dabei jedoch besonders stark von einem didaktischen Impetus getragen; sie nahm für sich in Anspruch, konkrete Lösungen auf konkrete Probleme zu liefern. Am nächsten der Geschichtsschreibung verwandt sind die Heldenschau und die Schildbeschreibung in Vergils Aeneis, die zumindest assoziativ historiographische Themen aufgreifen und, was die Schildbeschreibung betrifft, Beispiele mustergültigen und problematischen Verhaltens vorführen, die im Sinne der Parainese Vergils zu einer stabilen Ordnung der Welt beitragen sollen. Tibulls Hoffnungen auf eine Zukunft, die an einem frühzeitlichen bukolischen Ideal

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Zwischenbilanz I

orientiert ist, aber im Zeichen des vieldeutigen Apollo steht, verliert sich hinsichtlich operativer politischer Maßnahmen im Vagen. Die Gemeinsamkeit beider Zugänge zur Geschichte lag in der Benennung der maßlosen Habgier und der ungebremsten politischen Ambitionen als historischem Faktor. Während jedoch für Livius die historische Entwicklung in der Zeitgeschichte den Tiefpunkt erreicht und die Zukunft nur aufgrund der historischen Gesetze hochzurechnen ist, liegt Properz’ und Vergils Dichtungen eine Teleologie zugrunde, die sich in der Gegenwart erfüllt. Auch für Vergil allerdings ist ein fortwährendes Ringen um die Zukunft notwendig. Zusammengefasst eint beide Zugriffe auf die Geschichte ein desillusionierter Blick auf die menschliche Natur und die sich daraus ableitenden politischen Probleme. Beide Stränge der Deutung von Geschichte vereinigte Augustus in seiner Selbstdarstellung. Die politischen Maßnahmen, die er zur Konsolidierung des Staates unternahm, stellte er in den Kontext des historisch bewährten mos maiorum. Mit der Verwirklichung dieses Ideals setzte er in der Saecularfeier zugleich der Realisierung eines neuen Goldenen Zeitalters in eins, das analog zu Euander auf Sitten und Gesetzen beruhte. Zwar kannte die Historiographie ein Goldenes Zeitalter als Bezugsgröße nicht. Aber durch die von Vergil in der Aeneis neu vorgenommene Definition von dessen Substanz und dessen Existenzbedingungen wird die Verwirklichung einer ursprünglich utopischen Konstruktion plötzlich zu einer praktischen Option, die sich auf geschichtliche Kriterien und geschichtliche Evidenz berufen konnte.

V. GESCHICHTE UND ELEGIE NACH DER SAECULARFEIER. OVID 1. OVID UND SEIN WERK IM HISTORISCHEN UND LITERATURGESCHICHTLICHEN KONTEXT Nach Properz und Tibull gehörte Ovid einer neuen Generation der augusteischen Dichter an. Er war der letzte prominente Verfasser elegischer Dichtungen. Seinen beiden Vorgängern, die er als maßgebliche Vertreter der Gattung ansah, wies er einen kanonischen Rang an.1 Die biographischen Parallelen, die Ovid mit ihnen verbindet, sind evident, die Herkunft aus der italischen Provinz, die Abstammung aus einer ritterlichen Familie, die zugunsten des Künstlerdaseins rasch gescheiterten Ambitionen in der Politik.2 Von Properz und Tibull wie auch von Horaz und Vergil, indes unterscheidet er sich, dass ihm, geboren im Jahre 43, die Erfahrung des Zusammensturzes der republikanischen Ordnung und der Bürgerkriege fehlte. Zu den ersten politischen Ereignissen, die er bewusst wahrgenommen haben dürfte, zählte Octavians Sieg über Antonius bei Actium. Diese biographische Differenz bewirkte eine neue politische Akzentsetzung in seinem Werk und eine veränderte Perspektive auf die Stellung der Gegenwart innerhalb der römischen Geschichte. In der Anfangszeit des dritten Triumvirats begann die literarische Produktion von Horaz und Vergil. Beide Dichter begleiteten fortan die Geschichte des unter Octavian wieder konsolidierten Reiches und nahmen teil an der Etablierung des augusteischen Principats und dessen ideologischer Formierung, an der sie selbst mitwirkten. Dem Wandel der Zeitläufte entsprach die Ausrichtung ihrer Œuvres. Ein äußerer Einschnitt war die Saecularfeier des Jahres 17, zu der Horaz das offizielle Festlied beisteuerte. Vergil, dessen Aeneis Augustus als Beitrag zur Unterstützung seines Herrschaftsprogramms verstand, war bereits zwei Jahre zuvor verstorben. Zu den historischen Zufälligkeiten gehört, dass die römischen Liebeselegiker, Gallus, Properz, Tibull, die noch die Ausläufer der Bürgerkriege, die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Octavian und Antonius, erfahren hatten,3 nur die ersten zehn Jahre des Friedens erlebten, nicht aber die zweite, weitaus größere Hälfte des augusteischen Principats, die in den Zeitraum nach der Saecularfeier fiel. Als Ovids liebeselegische Dichtungen entstanden, zwischen den Jahren 15 und 1 v. Chr.,4 war die neue Ordnung im Grundsatz etabliert. Anders als in den 20er Jahren nahm Augustus keine Modifikationen an seinem Principatssystem mehr vor. 1 2 3 4

Für das Zitat s. o. S. 200. Hierzu generell Holzberg 1998: 48–53; 2006: 110–140; White 2005; Knox 2009: 3–7 (mit Literatur); Citroni 2009: 14–17 (mit sozio-politischen Rahmenbedingungen). Zu Ovids Stellung im literarischen Milieu der Zeit s. White 2002. Zur Werkchronologie s. zusammenfassend Holzberg 1998: 41–43.

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V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier

Die charakteristischen Elemente seiner Selbstdarstellung, die er zur Zeit der Saecularfeier entwickelt hatte, prägten weiterhin seine Herrschaft. Zu ihren eindrücklichsten Manifestationen zählte die Ara Pacis, die Livia im Jahr 9 einweihte und die durch ihre Verbindung von Zügen einer quasi-paradiesischen Zeit mit der politischen Wirklichkeit erneut die Friedenskonzeption des Augustus illustrierte. Gesamtdarstellungen der römischen Geschichte aus dieser Phase des augusteischen Principats sind, sieht man von Horaz’ IV. Odenbuch ab, nur von Ovid erhalten. Aus der Perspektive des Liebeselegiker nimmt er in den Amores, der Ars amatoria (weniger deren Pendant, die Remedia amoris) und den Medicamina faciei femineae eine historische Einordnung der Gegenwart vor, die auf Reflexionen zur Kulturentwicklungstheorie basieren.5 Sie ziehen eine erste Bilanz der Verdienste und Versprechungen der bisherigen Regierung des Augustus und formulieren Erwartungen an den Fortgang seiner Amtszeit. 2. ZEITKRITIK EINES PAUPER AMATOR. DIE ELEGIE III 8 Die Amores erzählen Liebeserfahrungen in einer losen Handlung.6 Der Konvention der Liebesdichtung gehorchend, die eine Ablehnung gewichtigerer, politisch-historischer Gattungen verlangte, bekennt Ovid sich zu einer Dichtung des kleinen Segels.7 Mythische Themen weist er ebenso zurück wie politische. Dichterischer Nachruhm ist dennoch sein Ziel. Tätigkeiten in der Politik oder auf dem Forum disqualifiziert er als vergänglich.8 Seinem Werk jedoch, den unmännlichen nequitiae, gebühre bleibende Anerkennung und ein höherer Rang als der Epik.9 Mit den Leiden des pauper amator, der Hauptfigur der Sammlung, hängt das politischste Gedicht der Amores, die Elegie III 8, zusammen. Der Form nach ist es ein Paraklausithyron, angelehnt an Tibulls militärkritische Elegien I 1 und I 2. In einer drastischen Invektive attackiert es, auf Topoi des elegischen Diskurses basierend, die in der Gegenwart vorherrschende Missachtung künstlerischer Brillanz zugunsten materieller Güter und stellt zwei unterschiedliche Lebensentwürfe einander gegenüber, die des armen, nutzlosen Poeten und die des tatkräftigen, finanziell potenten Militärs.10 Mit den Ressourcen, über die sie jeweils gebieten, mit Liebesgedichten und mit Reichtum, werben die Rivalen um eine puella.

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Über einen aktuellen Überblick zu den Liebesdichtungen Ovids s. Thorsen 2013: 20–26. Holzberg 1998: 55–77; Holzberg 2006: 110–140, bes. 110–113; Booth 2009. Ov. ars III 25–28. Hierzu generell Ov. am. I 15. Ov. am. II 1; 3,7–9. McKeown 1998 mit Hinweis auf Prop. I 7 und 9. Booth 1991: 25 zur frivolen Benutzung des recusatio-Motivs, von ihr interpretiert als Ausdruck politischer Unabhängigkeit. Aber dieses Urteil setzt prinzipiell ein Verständnis von der Liebeselegie als regimekritischer Gattung voraus. Ov. am. III 8,25–30. Zum topischen Gehalt der inertia, auf die Ovid in V. 25 anspielt, s. Maltby 2002: 121 und Gibson 2003: 168.

2. Zeitkritik eines pauper amator. Die Elegie III 8

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Als Ursache für seine aussichtslose Situation identifiziert der Liebhaber einen Wertewandel.11 In der Welt Iuppiters habe kein Mittel größere Kraft als Reichtum; mühelos durchbreche er sittliche Standards.12 An dieses Urteil knüpft sich eine Konfrontation der geschichtlichen Welt mit einer idealen Urzeit, eine Beschreibung des Saturnischen Zeitalters (35–44) und eine Anklage gegen die aktuelle Dekadenz (45–66): ein zweiteiliges, auf dramatischen Gegensätzen beruhendes Modell der Kulturentwicklung. Aus dem Dualismus des Gedichtes, der Gegenüberstellung von Saturnischem Zeitalter und Gegenwart, entsteht eine utopische Atmosphäre, der etwas Clownesk-Spielerisches anhaftet. Chronologisch liegt das Zeitalter Saturns vor der Herrschaft Iuppiters und ist nicht, wie in der Darstellung Euanders im VIII. Buch der Aeneis, dessen Bestandteil. Die Skizze des Goldenen Zeitalters ist von einer ebenso radikalen wie topischen Fortschrittskritik getragen. Um die verderbte Gegenwart gegen die reine Frühzeit ausspielen zu können, präsentiert Ovid das Goldene Zeitalter, auf konventionelle Motivik zurückgreifend, in der Spielart des bißow auötoßmatow. Den Anfang des Niedergangs führt er auf die Entdeckung der Edelmetalle zurück. In der Frühzeit führten die Menschen ein Sammlerdasein, dem allen zivilisatorischen Errungenschaften fehlten. Da das Land von selbst Getreide wachsen ließ, mussten die Menschen, denen auch das Eisen für Pflugscharen fehlte, die Erde nicht verletzen. Privatbesitz gab es nicht, und der Fernhandel über See war noch unbekannt.13 Zu Fragen der Gesellschaftsordnung äußert Ovid sich nicht. Der Abriss ist ganz auf ökonomisch-ethische Aspekte konzentriert. Die ebenfalls konventionell angelegte Skizze der Welt Iuppiters, die mit der Entdeckung der Edelmetalle einsetzt, ist eine harsche Anklage an die Gegenwart. Teils besteht sie aus grundsätzlichen rhetorischen Fragen, teils bezieht sie sich konkret auf das augusteische Principat.14 Den Beginn des Verfalls setzt Ovid mit der Entdeckung der Edelmetalle an. Mit dem Gestus des Fortschrittskritikers weist er dem menschlichen Erfindungsgeist die Schuld am Abgleiten in die Dekadenz zu. Die Vorteile kultureller Errungenschaften, wie sie die fortschrittsbefürwortende Tradition registriert, fallen in der radikalen Betrachtungsweise des elegischen Liebhabers weg; sie sind nicht mit dem Konzept vom quasi-paradiesischen Urzustand der Menschheit in Einklang zu bringen. Konkret richtet sich Ovids Anklage, über die Topoi des fortschrittskritischen Denkens hinaus, an Erscheinungen des augusteischen Principats. Denn nicht nur führten die Menschen für Reichtum Kriege, mit denen die Erfindung von Waffen 11 12 13

14

Hierzu insgesamt Ov. am. III 8,1–4, bes. 3 f.: ingenium quondam fuerat pretiosius auro, / at nunc barbaria est grandis habere nihil. S. ferner Ov. am. III 8,9 f.; 11–22. Ov. am. III 8,29–31. Zurecht verweist Kubusch 1986: 190 auf den Bezug zu Verg. ecl. 4,30. Ähnlichkeiten zu Verg. georg. I 125–159 bestehen jedoch nur insofern, als Ovid ein zweiteiliges Schema der Menschheitsgeschichte wählt. Mit dem Zeitalter Iuppiters befasst Vergil sich bei der Darstellung des Übergangs nur in Hinblick auf das Ringen des Menschen um das Überleben in einer widrigen Umgebung sowie auf den Ackerbau. Ov. am. III 8, 45–66. Zur Anrede s. Ov. am. III 8,45: Contra te sollers, hominum natura, fuisti / […].

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V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier

und die Errichtung von Befestigungsanlagen zusammenhingen, und trieben Seehandel. Sie trachteten auch nach dem Himmel, indem sie ihresgleichen zu Göttern erhoben und so die Religion missbrauchten. Als Beispiele figurieren der Gott Bacchus, der mythische Held Hercules, der erste König Roms, Romulus, und Caesar, den Augustus zum Gott erklären ließ. Der von Ovid als maßlos attackierte Besitzanspruch der Menschen erstreckt sich somit nicht nur auf materielle Güter, sondern auch auf die göttliche Sphäre. Außerdem kritisiert er den omnipotenten Einfluss des Geldes auf das politische Leben. Dieser Vorwurf reicht weit über die Befindlichkeiten des in Konkurrenz zu einem vermögenden Rivalen stehenden pauper amator hinaus. Die destruktive Wirkung des Geldes beschränkt Ovid nicht darauf, dass es das Selbstwertgefühl der Menschen definiere. Er erhebt auch den Vorwurf, dass staatliche Akteure und Institutionen bei politischen Entscheidungen korrumpiert und die Justiz gesteuert werde.15 Die sich auf gesellschaftliche Verhältnisse, das Religionswesen und die Politik erstreckende Zeit- und Sittenkritik büßt jedoch durch eine überraschende Wende an Schärfe ein. Denn plötzlich erklärt der amator, die allseits herrschende Korruption in den Bereichen des öffentlichen Lebens hinnehmen zu wollen, solange die von ihm angegriffenen Reichen seine Privatinteressen respektierten, also nicht mit Geschenken seine Bestechungsversuchen zugängliche Geliebte zu erobern suchten.16 Der zeitkritische Impetus des Gedichts, der auf einer kulturgeschichtlichen Reflexion basiert, wird durch diese Volte konterkariert. Es zeigt sich, dass Ovids Urteil über die Gegenwart nicht der Sorge um den Zustand des Gemeinwesens und den traditionellen Normen- und Wertekanon entspringt, dessen Wiederherstellung zu den vorrangigen Zielen des Augustus gehörte. Mit dem elegischen Liebhaber spricht hier vielmehr ein Vertreter jener literarisch stilisierten Décadents, deren Selbstverständnis dem mos maiorum von Grund auf zuwiderlief, auch wenn die verurteilungswürdigen zeitgeschichtlichen Phänomene, die Ovid auflistet, mit der augusteischen Sittenkritik in der Substanz übereinstimmen. So hinterlässt die Zeitkritik in der Elegie III 8 ein ambivalentes Bild. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rom werden zum Ziel einer Attacke, von der Verbindungslinien zum Restaurationsprogramm des Princeps verlaufen. Ovids Angriff verliert jedoch an politischer Durchschlagskraft, weil sie von der Figur des mittellosen Liebhabers vorgetragen wird. Der radikalen Verdammung jeglicher geschichtlichen Entwicklung ist daher keine subversive Kraft zu eigen. Aus den vordergründigen Übereinstimmungen zwischen Dichter und Princeps, besonders hinsichtlich der Kritik an den Auswüchsen des materiellen Reichtums auf die gesellschaftlichen Beziehungen und die Politik, geht andererseits keine Nähe Ovids zu den gesellschaftspolitischen Ansichten und Reformvorhaben des Augustus hervor. Nichts liegt in dieser Elegie ferner als die Vision einer Rückkehr in die Frühe oder Mittlere Republik, der vermeintlich moralischen Hochzeit Roms, zu der sie im Dekadenzdiskurs stilisiert wurde. Während der Princeps die Dekadenz der Gegenwart als ein Bündel zusammengehöriger Elemente betrachtet, zu dem auch die Abweichung des 15 16

Ov. am. III 8,55 f. Ov. am. III 8,59–64. V. 61 f. rückt die Geliebte in die Nähe einer Prostituierten.

3. Liebe und Geschichte. Die Lehrdichtungen

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von einem Elegiker abgelehnten mos maiorum gehörte, setzt Ovid die freie, nicht durch Ehe gebundene Liebe eines Bohémien von den Verfallsphänomenen der Gegenwart ab. Die Existenzform seines Ideals, des amator, sieht er von zwei Seiten her bedroht, vom traditionellen Sittenkodex wie von Verfallserscheinungsformen der Gegenwart, die gleichzeitig dieses Wertegerüst unterminieren. In der römischen Literatur ging die grundsätzliche Ablehnung der Entwicklung der Menschheit seit der Konsolidierung des Reiches unter Augustus stark zurück. Das Goldene Zeitalter, utopischer Züge entkleidet und realpolitisch modifiziert, wurde hauptsächlich als ein praktisch erreichbarer Zustand dargestellt, der durch Reformmaßnahmen möglich wurde. In Ovids Elegie III 8 wurde ein letztes Mal in der erhaltenen Literatur der kulturelle Primitivismus gefeiert, ohne dass damit über zeitkritische Anmerkungen hinaus ein politisches Programm verbunden wäre, das aus persönlichen Einsichten oder Erfahrungen der Bürgerkriegszeit hervorginge. Kurz vor der Entstehung der Liebesgedichte Ovids hat Horaz die Grundlage eines neuen Goldenen Zeitalters im Carmen Saeculare gefeiert und zuvor Vergil in der Aeneis das Konzept eines Zeitalters Saturns mit der politisch-geschichtlichen Welt für vereinbar erklärt. Eine verbindliche Vorstellung vom Goldenen Zeitalter gab es dabei nie. In den Amores vollzieht Ovid jedoch zunächst eine radikale Abkehr von den kompromissbereiten, um Versöhnlichkeit mit der Welt bemühten Gedanken des Epos und setzt ihnen aus elegischer Perspektive eine radikale Alternative entgegen. Konstruiert Vergil ein Goldenes Zeitalter, das gerade durch die Zivilisation definiert wird und auf alle utopischen Ansprüche verzichtet, so bietet Ovid in den Amores ein Goldenes Zeitalter auf, das Vergils Konzeption diametral gegenüberstand. Wo für Vergil Augustus an die Herrschaft Saturns anknüpft, sieht Ovid den Niedergang der Menschheit voranschreiten. 3. LIEBE UND GESCHICHTE. DIE LEHRDICHTUNGEN a) Einleitung Mit den kulturtheoretischen Konstruktionen der Nachfolgedichtungen, der Ars amatoria und den Medicamina faciei femineae, setzt Ovid innerhalb seines Œuvres neue Akzente. Beide Werke, Parodien der Gattungen des Lehrgedichts, gehören einer gemeinsamen Schaffensphase an. Wahrscheinlich stammen sie aus der Zeit um das Jahr 1 v. Chr.;17 die Medicamina sind vor der Ars entstanden. In beiden Werken nimmt Ovid nicht mehr die Perspektive des pauper amator ein, sondern tritt als urbaner Elegant auf. Den Erfahrungsberichten über Liebesaffären – dem Thema der Amores – folgt eine eroto-didaktische Dichtung, die zumindest in einem Spannungsverhältnis zur Sittenpolitik des Augustus stand.18 Hier tritt Ovid als

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Holzberg 1998: 42 f.; 48. In diesen Komplex führen ein Holzberg 1998: 50–53; 119–121 und Knox 2009. S. auch die im Folgenden genannten Forschungsberichte.

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V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier

Lehrmeister der Liebe und als Schönheitsratgeber für Frauen auf.19 Die neue Rolle schlägt sich in einem emphatischen Bekenntnis zu den Leistungen der Zivilisation und zur Gegenwart nieder. Unter die zivilisatorischen Errungenschaften rechnet er auch die Liebe, die Frieden bringt und die ungestümen Leidenschaften des Menschen kontrolliert.20 b) Ars amatoria In der Ars dient Ovid der Ansatz einer Geschichte der Kulturentwicklung, der auf der Beschreibung der Urzeit fußt, zu einer Beschwörung der Macht der voluptas.21 Vordergründig ist es der Zweck des Exkurses, einem mit seiner Geliebten zerstrittenen amator die geradezu historisch begründete Notwendigkeit einer Versöhnung zu erläutern. Gegenüber den Amores wählt er jedoch eine veränderte Perspektive auf die Vergangenheit. Während in den Amores mit dem quasi-paradiesischen Urzustand eine Epoche skizziert wird, deren Struktur die elegische Existenz eines pauper amator begünstigt, preist Ovid in der Ars die zivilisationsstiftende Kraft der Venus, die allein die rasenden Leidenschaften von Tieren wie Menschen zu bändigen und abzukühlen vermöge – eine Vorstellung, für die Lucrez mit seinem Lobpreis auf Venus in De rerum natura Pate steht.22 In die Gegenwart führt die Übersicht indes nicht. Die Besonderheit seines Ansatzes ist, dass der Ablauf der Geschichte durch ein frühes, kulturgeschichtlich entscheidendes Stadium geprägt wird. Für die Darstellung der Urzeit, die auf eine Kosmogonie folgt,23 setzt Ovid eine karge und primitive Lebensweise der Menschen (bißow jhrivßdhw) an.24 Die Elemente, mit denen er diese Epoche konstruiert, besteht aus Versatzstücken fortschrittskritischer Kulturentwicklungstheorie: Vereinzelt irrten die Menschen auf der trostlosen Erde umher. Statt in festen Behausungen lebten sie in Wäldern; intellektuelle Fähigkeiten hatten sie noch nicht ausgeprägt; sie ernährten sich ausschließlich von gesammelten Kräutern. In den Einzelheiten wie in der ideologischen Ausrichtung steht diese Beschreibung der Skizze des Urzustands sowie der Bewertung von Gegenwart und Fortschritt in den Amores entgegen. Dort liegt der Akzent auf den späteren Konsequenzen, die der menschliche Erfindungsreichtum zusammen mit der Entdeckung der 19 20 21 22 23 24

Für Forschungsberichte zur Ars s. Green 2006, bes. 5–11 sowie Watson 2002 (auch zu den Medicamina); zur Politik: 148 f.; 154–157. Grundlegend zu dieser Einsicht Myerowitz 1985. Ov. ars II 467–480. S. zu diesem Aspekt neben Kubusch 1986: 201 v. a. Miller 1997: 387–393 und Steudel 1994: 42–59. Ov. ars II 467–472 nach Lucr. V 925–1027 (Miller 1997: 388). Ov. ars II 473–476, wiederum nach Lucr. V 925; 1014 (Miller 1997: 388). Neben diesem unmittelbaren literarischen Vorbild wichtiger vielleicht noch die Archäologie Euanders und die Beschreibung der menschlichen Existenz vor der Ankunft Saturns in Italien, die sachlich starke Ähnlichkeiten zur Darstellung des Urzustands bei Ovid zeigt, auch in manchen Details (Verg. Aen. VIII 315; 316; 321).

3. Liebe und Geschichte. Die Lehrdichtungen

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Edelmetalle für das Leben zeitigte, der Erfindung des Handels und des Krieges sowie der vulgären Omnipräsenz des Geldes. Erst die Entdeckung der Liebe ist die entscheidende Voraussetzung für eine lebenswerte Welt. Nicht nur können am Erlebnis der Lust außer den Menschen auch die Tiere teilhaben;25 vielmehr vollzog sich die Verwirklichung der voluptas nach dem Schema der Ars sogar schon während des bißow litoßw, der primitiven, von Armut und Not geprägten Urzeit. Den Beginn der Liebe datiert Ovid nämlich in die Phase der Sammlerexistenz, als die Menschen noch in den Wäldern lebten.26 Das Innovative dieses kulturgeschichtlichen Ansatzes ist, dass der Fortschritt nicht mit einem Aufschwung der materiellen Kultur einhergeht. Weder die Entdeckung von Sitten und Gesetzen noch Kulturtechniken wie die Urbarmachung des Bodens, sondern allein die Erfüllung der Lust definiert in der Ars die Grenze, die zwischen einem erfüllten und einem unerträglichen Dasein liegt. Mit diesem Stadium bricht die Skizze der Ars chronologisch ab. Die sich in der Folgezeit herausbildenden Phänomene dieser auf dem Prinzip der Liebe fußenden Konstruktion des Zivilisationsprozesses verfolgt Ovid nicht weiter. Für seine didaktischen Absichten genügt der Nachweis, dass erst mit der Entdeckung der Liebe und der Erfüllung der Lust ein menschenwürdiges Dasein begonnen habe.27 Eine Fortsetzung der Geschichte wäre funktionslos geblieben. Der politische Gehalt der Kulturentwicklungstheorie der Ars liegt in ihrer Positionierung innerhalb des zeitgenössischen Dekadenzdiskurses. Ihre Bedeutung bezieht sie daraus, dass Ovid den Fortschrittsgedanken auf originelle Weise modifiziert und ihn seines ursprünglichen Gehalts entkleidet. Den Grad der Zivilisation misst er nicht mit den herkömmlichen Kategorien. Zum einzigen Maßstab für die Kultivierung erhebt er stattdessen die Erfüllung der Lust und betont die sexuelle Dimension der Liebe.28 Politisch relevant ist, dass er nicht nur das Institut der Ehe ignoriert. Auch kann die Verherrlichung der voluptas als Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die augusteischen Ehegesetze verstanden werden.29 Zu den Besonderheiten dieses Ansatzes gehört überdies, dass der weitere Verlauf der Geschichte, der teils in der republikanischen Geschichtskultur überhöht, teils im Dekadenzdiskurs problematisiert wurde, irrelevant ist und das Schicksal Roms zugunsten einer universalgeschichtlichen Perspektive ausgeblendet wird. Diese Abkehr vom römi-

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Ov. ars II 480–488 und auch 420. Ov. ars II 621–624 nach Lucr. V 955–957; 939 f. (hierzu Steudel 1994: 57). Ov. ars II 477–480. In am. III 10 hatte noch die Entdeckung der Landwirtschaft als Initialzündung des Fortschritts gegolten, worauf Kubusch 1986: 202 f. hinweist. In diesen beiden Punkten weicht Ovid von Lucrez ab: Lucr. V 1011–1113: außer der Ehe noch feste Unterkünfte, Bekleidung und die Entdeckung des Feuers. Steudel 1994: 49–51, der die Bedeutung von Ehe und Familie für Lucrez hervorhebt. Miller 1997: 388 f. Insofern trifft Miller 1997: 387 die Pointe in Ovids Darlegungen nicht vollständig, wenn er von Sex als dem „civilizing agent“ spricht. S. jetzt Gibson 2003: 26 f.; 30 sowie Stroh 2014: 211–213. S. auch die Anspielung in V. 484. Für eine Gegenposition s. Hollis 1977: XIII–XVII, bes. XIII und XVII. Immerhin kann der Hinweis auf die zivilisationsstiftende Kraft der Venus, der über Caesar mit Augustus verbundenen Göttin im Kontext der Ars als ideologisch problematisch gelten.

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V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier

schen Selbstverständnis stellt sowohl den idealisierten Orientierungsrahmen der Politik des Princeps als auch dessen gesellschaftspolitische Initiativen in Frage. Mit dieser Perspektive auf die Geschichte und die Entwicklung der Kultur stimmt auch Ovids Bewertung der Zeitgeschichte überein. Im III. Buch der Ars setzt er zu einem enthusiastischen Lob auf die Gegenwart an30 und übt wie in den Amores eine scharfe Zeitkritik. Gleichzeitig sucht er jedoch die Idealisierung der Vergangenheit als verlogene Konstruktion zu enttarnen und die Unmöglichkeit einer Rückkehr zur Vergangenheit oder eine Orientierung an ihr aufzuweisen. In einer plastischen Demonstration des Abstands zwischen der Vergangenheit des frühen Rom und der Stadt der Gegenwart attackiert er die Ausrichtung des Verfallsdenkens und die Grundüberzeugungen, der Augustus’ Gesellschaftspolitik zugrunde lagen. Waren die historischen Anfänge von rudicitas geprägt, so ist nun, durch den ungeheuren Glanz, in dem die Weltstadt Rom erstrahlt, das Goldene Zeitalter eingetreten. Assoziiert ist mit dem Goldenen Zeitalter traditionell die Wiederherstellung eines Idealzustands, orientiert an den Maßstäben der Vergangenheit. Den Bedeutungsinhalt des Attributs „golden“ verkehrt Ovid jedoch in sein Gegenteil. Gemeint ist hier nicht eine in der Vergangenheit liegende Phase sittlicher Intaktheit, sondern die exquisite Lebenskunst in der Gegenwart. Dass die Verfeinerung traditionell zu den Folgen der Dekadenz zählte und als eine der Ursachen des Bürgerkriegs galt, ist das Frappierende der von traditionellen Schemata abweichenden Konstruktion Ovids. Erst die von Krieg und Zwietracht ungetrübte Erfahrung des Friedens und der Stabilität nach der Beendigung des Bürgerkriegs erlaubt diese Volte, mit der er sich auch von Vergils Kulturtheorie im VIII. Buch der Aeneis mit ihrer Betonung von Moral und Gesetz als Voraussetzung für die Existenz eines Idealzustands innerhalb der Zivilisation absetzt. Die Expansion Roms zum Weltreich galt seit der jüngeren Annalistik als Hauptgrund für die Zerrüttung der Republik, weil der aus dem Osten des Mittelmeerraums nach Rom strömende Luxus die Sitten verdarb und innerhalb der Nobilität den Willen zum Streben nach der Alleinherrschaft beförderte. Für Ovid zählt allein, dass in der Gegenwart die Früchte der Expansion das Leben verschönern, dessen Sicherheit der Princeps garantiert.31 Anchises’ Prophezeiung aus der Heldenschau, die Augustus als Neubegründer eines Goldenen Zeitalters ankündigt, ist in dieser Hinsicht für Ovid Wirklichkeit geworden. Er bejaht, dass das augusteische Rom mit seinen Ursprüngen nichts mehr gemein habe. Mit Spott und Verachtung blickt er auf die von Augustus betriebene Instrumentalisierung der Vergangenheit.

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Ov. ars III 113–128. Hierzu bes. Ov. ars III 113 f. Eigenartig urteilt Kubusch 1986: 206 f. über Ovids Definition des Goldenen Zeitalters, bes. 207, wo es heißt, dies sei die „einzige Stelle in der antike[n] Literatur, wo der Begriff der aurea saecula nicht im traditionellen Sinne, d. h. nicht zur Idealisierung einer Epoche, benutzt wird“. Außergewöhnlich ist bei Ovid doch nur der Gegenstand seiner Idealisierung, die Urbanität der Moderne. Zu Ovid und den Sittengesetzen s. bes. Stroh 1979 für eine kritische Sicht auf das Verhältnis zwischen Dichter und Princeps.

3. Liebe und Geschichte. Die Lehrdichtungen

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Pointiert weist das Motto, nur die Gegenwart passe zu seiner Lebensweise,32 nostalgische Anwandlungen zurück. Diese Haltung ist Ausdruck eines komplexen Bekenntnisses zur Gegenwart jenseits geläufiger Positionierungen. Reichtum und Pracht der Gegenwart – Gold, wertvolle Muscheln, bauliche Exzesse, die Leidenschaft für teure Baumaterialien wie Marmor, die Zurückdrängung der Natur – begreift Ovid nicht als Vorzüge der Zivilisation, sondern in Übereinstimmung mit dem Dekadenzdiskurs von Historiographie und Liebeselegie als zu bekämpfende Erscheinungen des Fortschritts. Diese Überzeugung vereint ihn mit Augustus und dessen auf die Tradition ausgerichteter Gesellschaftspolitik. Was Ovid stattdessen feiert, ist der cultus. Er hat die rusticitas aus den Zeiten der Vorväter zurückgedrängt und steht vulgärem Luxus gleichermaßen fern.33 Die später in den Fasten noch einmal aufgegriffene Verbindung einer Bejahung des Lebensstils der Gegenwart mit Kritik an deren Auswüchsen bedeutet einen Ausbruch aus der deterministischen Mechanik geläufiger Dekadenztheorien, die einen zwingenden Zusammenhang zwischen Luxusgütern, gewählter Lebensweise und dem seit dem 2. Jh. diagnostizierten Sittenverfall annehmen.34 c) Medicamina faciei femineae Eine Geschichte der Zivilisation entwirft Ovid zur gleichen Zeit auch in seiner Einführung in die Kosmetik, den Medicamina. Dieses Werk35 umfasste ursprünglich wohl nur ein einziges Buch; aufgrund starker Überlieferungsverluste bricht es nach den ersten 100 Versen ab; hauptsächlich die Einleitung ist von ihm erhalten geblieben. Wie die Ars parodieren die Medicamina die Gattung des Lehrgedichts.36 Aus politischer Sicht aber barg das Thema, die Schönheitspflege der Frauen, das Potential, vor dem Hintergrund des Dekadenzdiskurses und der umstrittenen Restaurati-

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Ov. ars III 122: Gratulor: haec aetas moribus apta meis / […]. Ov. ars III 122–128. Mit dem verächtlichen Blick auf die Frühzeit ist jedoch keine Distanzierung Ovids vom VIII. Buch der Aeneis verbunden, wie Kubusch 1986: 205 f. behauptet, da Vergils Kulturtheorie, wie gezeigt, grundsätzlich ebenfalls zivilisationsfreundlich ist. Zu den Medicamina. v. a. Holzberg 1998: 47 f. sowie Heldmann 1981, Kubusch 1986: 209 f.; Watson 2001 und Johnson 2016: bes. 8–14 mit einem Überblick zur Körperpflege. Für einen Vergleich mit der Ars s. Nikolaidis 1994. Auf die vieldiskutierte Frage, ob es in Ovids Auffassung des cultus Widersprüche zwischen den Medicamina und der Ars gibt, haben Heldmann 1981: 176, Watson 1982: 239 und Nikolaidis 1994: 102 die zutreffende Antwort gegeben, dass sich Ovid in der Ars (III 113–128) gegen die luxuriösen Exzesse der Gegenwart wendet, die mit wahrem cultus, mit sicherem Geschmack und Stil, wenig gemein haben. Für eine Deutung des Gedichts als Polemik gegen die augusteische Sittenreform s. Cioccoloni 2006. Die These von Watson 2001, Ovid parodiere in den zur Landwirtschaft gehörenden Versen Vergils Georgica, mag auf sich beruhen, weil sie die Komplexität in Vergils Haltung zum Fortschritt und zur Geschichte verkennt.

282

V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier

onsbemühungen des Augustus als eine an den Princeps gerichtete Provokation gedeutet werden.37 Das Ziel der Einleitung mit ihrem Überblick über die Kulturgeschichte ist die Rechtfertigung des gewählten literarischen Gegenstands auf der Basis einer geschichtsphilosophisch begründeten Deutung der zeitgenössischen Gesellschaft und der in ihr geltenden Normen. Gegenwart gegen Vergangenheit ausspielend, demonstriert Ovid die Leistungen der Zivilisation, als deren Ziel er die Verfeinerung der Lebensweise bestimmt. Das charakteristische Merkmal der Kultur ist die ästhetische Ausgestaltung des Alltagslebens, die Zurschaustellung der eigenen Schönheit und die Anlockung von Liebhabern. Im zivilisatorischen Entwicklungsprozess identifiziert Ovid stufenartig aufeinander aufbauende Schlüsselerfindungen. Für die Sicherung des Lebensunterhalts der Menschen war zunächst die Versorgung mit Nahrungsmitteln fundamental. Sie wurde durch das Aufkommen der Landwirtschaft und des Obstbaus sichergestellt. Als letzte zentrale Errungenschaft des cultus benennt Ovid den im römischen Verfallsdenken diskreditierten Luxus, dessen Leistung er an mehreren Beispielen illustriert. So verwandle das Bauen mit kostbaren Materialien Gebäude über die reine Funktionalität hinaus in ein Kunstwerk;38 hinzu kämen extravagante Stoffe, die zur Herstellung eleganter Kleidung dienen, sowie exotischer Schmuck aus fernen Ländern. Die Errungenschaften des Fortschritts gliedert Ovid mit diesem Schema also in zwei Bereiche: in das Nützliche, wie die Garantie der grundlegenden Bedürfnisse des Menschen, und in die zur Verschönerung des Lebens beisteuernden Komponenten. Der Tenor des Überblicks über die Leistungen der Kultur ist, dass schmucklose Funktionalität nicht mehr in die Gegenwart passe. Als abschreckendes Beispiel ruft ein historischer Exkurs, der in das Prooemium eingeflochten ist, die unkultivierten Zeiten des frühen Rom in Erinnerung, verbunden mit einer Attacke auf die rohen Sitten der Sabinerinnen39. Bestimmend ist auch hier die Unterscheidung zwischen dem Notwendigen und dem Schönen. In der archaischen Zeit des frühen Rom habe es zu den Aufgaben der Frauen gehört, an der Bewirtschaftung der Felder mitzuarbeiten, das Vieh zu hüten und ihre eigene Kleidung herzustellen. Seither hätten sich die Verhältnisse jedoch so grundlegend gewandelt, dass bäuerlichen Sitten in direktem Widerspruch zu den aktuellen Lebensumständen stünden. Dass in der Gegenwart die Mädchen teure Kleider und kostbaren Schmuck trügen, ist deshalb für Ovid eine der Gegenwart angemessene Gepflogenheit.40

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40

Zu den Topoi der Kosmetikkritik s. zusammenfassend Johnson 2016: 6 f. Ov. med. 3–8. Zur Kritik am Bauluxus s. Sall. Cat. 12,3; 13,1 sowie Kap. C.III,3 zu Velleius Paterculus. Zu Augustus, der eine ihm von Vedius Pollio vererbte luxuriöse Villa abreißen ließ, um ein Exempel zu statuieren, s. Kienast 2009: 416 sowie allgemein Zanker 1987: 141–144. Ov. med. 11–16. S. ferner am. I 8,39 f. (immundae und spröde) und II 4,15 (rigidae); vgl. jedoch ars I 101 f. (m. 133 f.) zu ihrer Schönheit. Watson 2001: 467 f.; 469 erblickt in Ovids Behandlung der Sabinerinnen eine Verspottung der Matronen des sittenstrengen augusteischen Zeitalters. Ov. med. 23.

3. Liebe und Geschichte. Die Lehrdichtungen

283

Die ersten beiden Etappen des Kulturentwicklungsschemas stehen in einer fortschrittsbefürwortenden Tradition, wie sie in Rom in der landwirtschaftlichen Lehrdichtung sowie Fachliteratur jüngst von Vergil und Varro verkörpert wurde. Doch von den literarischen Vorgängern unterscheidet sich Ovids Kulturgeschichte darin, dass sie nicht auf die Konsolidierung der öffentlichen Moral oder traditioneller, agrarisch geprägter Lebensformen gerichtet ist. Das Ziel der Geschichte bildet in den Medicamina die Verfeinerung des Lebens durch jenen Luxus, der im Dekadenzdiskurs als Ursache des Niedergangs identifiziert und bekämpft wurde. In diesem Gedicht umschließt das Plädoyer für den Fortschritt im Gegensatz zur Ars explizit auch eine materielle Dimension, die mit traditionellen Werten der politischen Kultur Roms unvereinbar ist. Die Verherrlichung des Luxus enthält insofern eine Absage an die Ideologie des gesellschaftspolitischen Restaurationsprogramms des Princeps, die auf der Orientierung an der als sittlich intakt dargestellten Frühzeit basierte und auf einen Bewusstseinswandel zielte. Da Augustus’ rückwärtsgewandte Vorstellungen den Spott und den Widerstand der Senatsaristokratie auf sich zogen,41 ließe sich Ovids offensives Eintreten für eine moderne Lebensform als ein publizistischer Affront verstehen. Bei allem Dissens zur geschichtlichen Ideologie des Augustus stehen die Medicamina in einem ambivalenten Verhältnis zu konkreten Maßnahmen des Princeps. Zwar ruft Ovid nicht zum Verstoß gegen die Kleider- und Luxusgesetzgebung auf, die im Rahmen einer Initiative zur Lösung demographischer Probleme unverheiratete und kinderlose Frauen diskriminierte. Mit dieser Maßnahme instrumentalisierte der Princeps den Kleiderluxus als Anreiz, um seine gesellschaftspolitischen Interessen durchzusetzen.42 Das Skandalon der Medicamina dürfte jedoch darin liegen, dass sich Ovid über die Damenwelt, seinen eigentlichen Adressatenkreis, hinaus auch an eine männliche Leserschaft wendet. Von ihr erwartet er ein gepflegtes Auftreten, das an die Kultiviertheit der Frauen heranreicht. Die feminin anmutende, dem mos maiorum entgegenstehende Neigung der Männer zur Körperpflege konstatiert er nicht nur als Tatsache, sondern erhebt sie zu einer neuen Norm.43 Auch wenn sich Ovids Ratschläge, wie Empfehlungen zur Schönheitspflege des Mannes in der Ars belegen, an zeitgenössischen Konventionen orientieren, die besagten, dass Männer altertümliche Rustikalität zu vermeiden hätten, gleichzeitig aber keinesfalls als manierierte Schönlinge auftreten dürften,44 so setzen seine 41

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In die antike Historiographie fand beispielsweise die Anekdote Eingang, dass während einer Senatssitzung, auf der ihm Widerstand wegen der Ehegesetzgebung entgegenschlug, Augustus sich genötigt sah, Kritik am Auftreten und der Kleidung der Frauen zu äußern und den Senatoren Vorschriften zu erteilen, wie sie ihre Autorität gegenüber ihren Gattinnen durchsetzen sollten (Dio LIV 16,3–5). S. hierzu bes. Baltrusch 1989: 57–60; 154 sowie zusammenfassend S. 49. Die Sittengesetzgebung des Augustus im Rahmen seiner Restaurationspolitik, deren Ziel die moralische Konsolidierung der Bürgerschaft und besonders der Senatsaristokratie war, belebte unmittelbar die Tradition der leges sumptuariae wieder, die von der Mittleren Republik bis zu Caesars Dictatur reichte. Ov. med. 23–25. Da die Maßstäbe der frühen Republik, exemplifiziert in den Statuen bedeutender Staatsmänner, als ein Anachronismus galten, traf Ovid mit seiner Polemik gegen die Lebensweise der Frauen

284

V. Geschichte und Elegie nach der Saecularfeier

Vorstellungen doch ein männliches Rollenbild voraus, das als Ausdruck des sittlichen Niedergangs von Augustus ideologisch und praktisch bekämpft wurde. Vorsorglich versichert Ovid, dass die Sorge um die Schönheit kein Verbrechen sei.45 Nach seinem Verständnis beruht elegantes Auftreten auf dem legitimen Bemühen, Gefallen zu erregen, das nicht nur Frauen, sondern auch Männer erfasse.46 Diese Modifikation der Rollenbilder von Frauen und Männern stellt jedoch integrale Prinzipien des herkömmlichen, von der Erosion bedrohten Sittenkodex in Frage, dessen Stärkung Augustus sich verschrieben hatte. Geprägt ist das männliche Rollenbild in den Medicamina, das eine universale Bedeutung beansprucht, vom elegischen Diskurs. Das Verhalten der Männer wird nicht nach den Maßstäben politisch-militärischer Tugendhaftigkeit beurteilt, sondern nach ihrer sexuellen Ausstrahlung auf Frauen. Maßgeblich dafür ist eine Feminisierung des Äußeren, die traditionellen Schicklichkeitsvorstellungen widerspricht. Als Sittenrichter wird Augustus in dem Gedicht durch die vom Princeps selbst als korrumpiert kritisierte römische Damenwelt abgelöst. So ist das politisch womöglich Anstößige an Ovids Appell die auf die Neuordnung der traditionellen Geschlechterverhältnisse in der römischen Gesellschaft im Zeichen einer modernen Lebensführung abzielende Stoßrichtung. 4. ZUSAMMENFASSUNG Alle drei Gedichte Ovids deuten die Geschichte aus unterschiedlicher Perspektive. In jedem der Werke prägen die Rolle des Lehrmeisters und die Erwartungen der Adressaten die Sicht auf die Welt und deren Implikationen entscheidend mit. So vertreten die Dichtungen politische Positionen, die wesentlich von poetologischen Anforderungen bestimmt sind und nicht umstandslos mit der persönlichen Auffassung des Dichters identifiziert werden können. Allerdings berühren sie Themen der Tagespolitik und sind daher auch Bestandteil eines politischen Diskurses. Da sich Ovid in den Amores in die Pose eines pauper amator wirft, äußert er Zeitkritik stets aus dessen Perspektive. Seine politischen Urteile fällt er, im Lob wie in der Kritik, einzig anhand von elegischen Maßstäben. So beklagt er die Faszination von Reichtum und Luxus auf junge Mädchen, die vermögende Liebhaber favorisieren, und greift dabei auf kulturgeschichtliche Reflexionen zurück. In der Ars hingegen legitimiert er den Gegenstandstand seiner Lehre durch dessen Stellung im Kulturentwicklungsprozess. Die Medicamina wiederum werten den Luxus, der gesellschaftlich umstritten war, als zivilisatorische Notwendigkeit auf. Sowohl die Ars als auch die Medicamina fassen die Geschichte nicht als Dekadenzprozess auf. Zu der Kulturentwicklungstheorie der Ars ergeben sich in den Medicamina nur graduelle Akzentverschiebungen. In der Ars feiert Ovid die Erfüllung der sexuellen Bedürfnisse als zivilisatorische Errungenschaft und Nucleus der 45 46

der Königszeit die allgemeine Stimmung seiner Zeit. Der Text der Verse 27 und 28 ist verderbt; zur Diskussion Johnson 2016: 54. Die zitierte Beteuerung Ovids ist allerdings von der Überlieferungsproblematik unberührt. Ov. med. 23–26 und 7.

4. Zusammenfassung

285

weiteren Entwicklung. Die Liebe ist das Fundament der kulturellen Brillanz und des Lebensgefühls des augusteischen Rom. Die Medicamina verherrlichen dagegen die über nützliche Aspekte hinausreichende materielle Dimension der kulturellen Hausse, die in der Gegenwart eingetreten ist. Das uneingeschränkte Bekenntnis zur Gegenwart heben Ars und Medicamina von Ovids Vorgängern ab. In den Dichtungen des Properz und des Tibull, die mit ihren Zukunftsängsten ein vielschichtiges Verhältnis zur Politik des Augustus unterhalten, hatten sich noch Bürgerkriegserfahrungen niedergeschlagen. Ovid hingegen verficht in der Zeit des gesicherten Friedens, die er erlebt, ein Lebensideal, das den Ansprüchen einer modernen Urbanität genügt. Da er die Gegenwart offensichtlich keinen Gefährdungen ausgesetzt sieht, fehlt ihm die persönliche, biographisch inspirierte Notwendigkeit, die Verwerfungen der jüngeren Geschichte zu thematisieren. Allerdings bestehen Spannungen zwischen den in der Ars und den Medicamina behaupteten Positionen und zentralen Politikfeldern des Princeps. Die Bekämpfung des Luxus, der in den gängigen Dekadenztheorien der Auslöser des Sittenverfalls und der Krise des Staates ist, von Ovid aber gefeiert wird, gehörte ebenso wie die Erneuerung des mos maiorum im Verhältnis der Geschlechter zu den wichtigsten Reformthemen des Augustus. Doch der Versuch, die Sitten der Vergangenheit in der Gegenwart wiederzubeleben, ist für Ovid eine Zumutung für das Lebensgefühl. Nach dem Zivilisationsschema der Medicamina ist die Wiederbelebung der Geschichte auch ein ahistorisches Unterfangen. Seine Deutung der Vergangenheit wird von einem historischen Relativismus geleitet, nach dem jede Epoche aus eigenem Recht bestehe. Das frühe Rom kann darum weder Orientierung noch Maßstab für die Gegenwart bieten. Übereinstimmung zwischen dem Princeps und dem Dichter besteht allerdings dort, wo Ovid die materiellen Exzesse der Gegenwart verurteilt. In dieser Hinsicht harmonisieren, wenngleich mit unterschiedlichen Begründungen und Zielen, der Vertreter der Elegie und der Verfechter des mos maiorum. In einer Verteidigung der eleganten Lebensweise, wie sie die römische Aristokratie seit langem pflegte, gegen unpopuläre Moralvorstellungen und deren juridische Festschreibung, die Augustus als Grundlage für die Restauration der res publica dienten, liegt die politische Substanz der kulturgeschichtlichen Theorien in der Ars amatoria und den Medicamina.

VI. DAS AUGUSTUSFORUM ALS MONUMENTALE MEISTERERZÄHLUNG DER RÖMISCHEN GESCHICHTE 1. EINFÜHRUNG Eine der spektakulären geschichtspolitischen Manifestationen in augusteischer Zeit war das später von Plinius d. Ä. als Weltwunder gerühmte Augustusforum samt dem dazugehörigen Mars-Ultor-Tempel.1 Mit diesem Ensemble, dem gewaltigsten Bauprojekt seiner Herrschaft, bot Augustus eine eigene Deutung des Ablaufs der römischen Geschichte mit den sie bestimmenden Wesensmerkmalen und den ihr inhärenten Kräften und Tendenzen auf, exemplarisch verkörpert durch die großen, in zwei Galerien aufgereihten historischen Persönlichkeiten, von Aeneas bis in die unmittelbare Zeitgeschichte. Die Vergangenheit wurde hier in eine komplexe Ordnung überführt, die chronologische mit gentilizischen Gliederungsprinzipien verschränkte. Augustus fügte seiner Selbstdarstellung mit dem Forum nicht nur eine weitere Facette hinzu, indem er eine Interpretation der Geschichte Roms und seiner eigenen historischen Stellung in monumentalisierter Form präsentierte, sondern er nahm gleichzeitig an dem literarischen, in der Dichtung wie in der Historiographie geführten Diskurs über die römische Geschichte in ihrer Gesamtheit und die daran angeknüpften Themen teil. 1

Weltwunder: Plin. nat. XXXVI 102. – Wichtige Literatur: Für einen Überblick zum Forum, eingebettet in eine Darstellung der Bautätigkeit des Augustus, s. v. a. Kolb 2002: 359–362, aber auch Galinsky 1996: 197–213 und Schneider 2008: 152–154 sowie, mit Schwerpunkt auf Ideologie und Geschichtsdenken, Walter 2004: 417–420 und Kienast 2009: 241–244. Gesamtdarstellungen liefern Zanker 1968; Spannagel 1999; Geiger 2008; s. ferner Anderson 1984: 65– 100. Für einen aktuellen Überblick s. Goldbeck 2015: 22–47. Zur hier weitgehend außen vor bleibenden Architektonik und Baugeschichte s. Ganzert/Kockel 1988 und Ganzert 2000: 46– 53; 54–76; 97–110 (auch zum Marstempel). Zur Rezeption des in die Provinzen „exportierten“ Forums s. Goldbeck 2015. Für eine aktuelle Edition der Inschriften s. jetzt CIL VI 8.3 40938– 41021a mit Kommentaren von G. Alföldy und L. Chioffi. Weitere Erläuterungen bei Spannagel 1999 und Geiger 2008: 117–178. Für die Analyse werden hier auch Statueninschriften aus Arretium einbezogen, die seit dem 19. Jahrhundert allgemein (zustimmend zuletzt Alföldy/ Chioffi; Spannagel 1999: 319 f.; Geiger 2008; s. ferner La Rocca 1995: 81) als geringfügig modifizierte Kopien von Inschriften des Augustusforums gelten, weil sie, wie an besser erhaltenen Exemplaren im Einzelnen nachzuweisen ist, nicht nur in sachlichen Aspekten, sondern auch sprachlich mit diesen nahezu übereinstimmen und darum von Alföldy auch in CIL VI einbezogen werden. S. hierzu auch die grundsätzlichen methodischen Erwägungen Degrassis in InscrIt 13.3, p. 1–8, bes. 7 (hier mit Verweisen auf weitere Parallelüberlieferungen) sowie ferner 37; 57. Generell sind Inschriften hier nur aufgenommen, wenn sie von Degrassi, Alföldy und Spannagel akzeptiert wurden; sehr unkritisch dagegen Geiger 2008. Immer bleibt natürlich der prekäre Zustand der meisten tituli zu beachten und ein gewisser Grad an Unsicherheit, der trotz plausibler Konjekturen nicht beseitigt werden kann. – Zu den prosopographischen Details s. jeweils die Kommentare von Alföldy/Chioffi.

1. Einführung

287

In der Forschung dominiert die Auffassung, dass es Augustus’ Absicht bei der Darstellung der Vergangenheit war, „unerfreuliche Abschnitte zumal der jüngeren Geschichte auszublenden und ein gereinigtes, harmonisches Bild zu präsentieren“2 und die „besondere Tüchtigkeit der Führungselite“3 Roms vorzuführen. Dass frühere Gegner nebeneinander gestanden hätten, darunter auch Widersacher des Augustus, habe den „inneren Frieden“ ausgedrückt,4 der in Rom herrsche. Allerdings ist unbestreitbar, dass der Princeps nicht alle negativen Aspekte der Vergangenheit unterdrückte. Dagegen wird eingewandt, dass er die völlige Irrelevanz der republikanischen Konflikte für die Gegenwart habe demonstrieren wollen5 und dass er durch die Integration einstiger politischer Gegner für eine „nachträgliche Befriedung der republikanischen Geschichte“6 gesorgt habe, deren Durchsetzung das Verdienst seiner Politik sei. Diese Urteile, die Teilfunktionen des Forums benennen, resultieren aus einer stark auf die Architektonik des Bauwerks konzentrierten Forschung. Sie bilden jedoch nicht alle der im Forum eingeschriebenen Zeitvorstellungen und Aspekte der darin enthaltenen Deutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ab. Erst das Zusammenspiel von Bau- und Statuenprogramm mit den rühmenden Elogien, die jede dargestellte Figur würdigten, enthüllt das Geschichtsbild des Princeps in allen seinen Dimensionen. Wie differenziert dessen Rezeption ausfiel, hing von der historischen Bildung und dem sozialen Stand des Betrachters, aber auch von dem Zweck ab, um dessentwillen er das Forum besuchte.7 So differierte die Wahrnehmung des gesamten Programms oder einzelner Elemente nicht nur zwischen verschiedenen Gruppen von Bürgern, sondern auch bei jeder Einzelperson. Augustus’ Intention richtete sich nicht nur auf die Politik der Vergangenheit. Ausdrücklich wandte er seinen Blick auch in die Zukunft. Für künftige Generationen sollten die auf dem Forum vereinten historischen Gestalten als exempla eine Quelle der Inspiration sein. Diese sinnstiftende Funktion der Statuen im Hinblick auf die politische Praxis verknüpft das geschichtliche Rom mit dem zukünftigen. Die Frage, welche Konsequenzen daraus für die im Forum manifestierte Deutung der Vergangenheit folgten und welche potentielle Entwicklung Augustus für Rom voraussah, wird zu den besonderen Schwerpunkten dieser Untersuchung gehören. Ohne eine stärkere Berücksichtigung der Inschriften, deren Interpretation wegen des Überlieferungszustands methodischen Problemen und Unsicherheiten unterliegt, wird sie nicht zu beantworten sein. Seit den 20er Jahren waren mehrere umfängliche oder abrisshafte, chronologisch von der Urzeit bis zur Gegenwart reichende Darstellungen der Geschichte entstanden: in historiographischer Form, eingebettet in epische Narrative oder als Mini-

2 3 4 5 6 7

Walter 2004: 417 f. (Zitat) sowie La Rocca 1995: 82. Goldbeck 2015: 46; s. auch Shaya 2013: 87 („straightforward story of the growth of the empire and the legitimacy of Augustus“). Ganzert/Kockel 1988: 156. Zu den Nachweisen s. u. sowie Anm. 1. Die Zitate bei Goldbeck 2015: 39. Hierzu jetzt ausführlich Shaya 2013.

288

VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

aturen innerhalb einer Gedichtsammlung.8 Auf die Meistererzählungen des Livius, Properz, Tibull oder Vergil reagierte der Princeps mit einer in Form, Substanz und Intention eigenständigen Deutung, die, in das Stadtbild integriert, als Monument einen dominanten Geltungsanspruch erhob. Denn im Gegensatz zu den Texten, mit denen er in einen Dialog eintrat, war diese Interpretation der römischen Geschichte ebenso omnipräsent wie scheinbar autoritativ und nahm unter den unendlich vielfältigen Formen der Selbstdarstellung einen prominenten Platz in der Repräsentation des Princeps ein, die alle Bereiche des öffentlichen Lebens zu durchdringen suchte. Auch dem Mars-Tempel waren Funktionen zugedacht, die unterstrichen, welche ideologische und politische Stellung ihm und dem Forum zugedacht waren. Hier sollte der Senat künftig die Entscheidungen über Krieg und Frieden fällen, ausländische Gesandte empfangen und über die Genehmigung von Triumphen beraten. Außerdem hatten die Provinzstatthalter am Altar des Tempels vor ihrer Abreise in die Provinz ihre Opfer darzubringen. Zu den dort aufgepflanzten Feldzeichen aus dem Heer des Crassus, die Augustus von den Parthern erfolgreich zurückgefordert hatte, sollten sich künftig alle von den Feinden erbeuteten Standarten hinzugesellen. Vorgesehen waren außerdem jährlich am Tag der Tempelweihe abzuhaltende Spiele, die Ludi martiales, die immer wieder das Aition des Gebäudes in Erinnerung riefen.9 An der Tempelfront war eine Aufschrift mit dem Namen des Augustus angebracht; darunter standen Statuen von Roma, Fortuna, Mars und Venus.10 Die Entstehung des Tempels geht auf ein doppeltes Motiv des Princeps zurück. Als Dank für die göttliche Unterstützung bei der Rache an den Mördern seines Vaters und als Ausdruck seiner Pietät soll er ihn bereits nach der Schlacht von Actium gelobt haben11 und setzte so der Überwindung des Bürgerkriegs ein im Stadtbild prominentes Denkmal. Als weiterer Anlass kam später die Rückgabe der unter Crassus bei Carrhae verlorengegangenen Feldzeichen hinzu, die Augustus nach diplomatischen Verhandlungen im Jahr 19 von den Parthern zurückerhalten hatte.12 Den wohl kurz darauf begonnenen Bau weihte der Princeps im Jahr 2, als er den Titel des pater patriae annahm, zusammen mit seinen präsumtiven Nachfolgern C. und L. Caesar in einem Festakt ein, der eine gigantische Prachtentfaltung vorführte13. Das zur Entlastung der beiden anderen Foren, des Forum Romanum und 8

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Zu nennen wären ferner die Exempla-Sammlungen und Galerien des Atticus und Varro, die möglicherweise ein Vorbild für das Augustusforum und seine Präsentation von Geschichte boten (Geiger 2008: 80; 83 f.; 201 f.; Spannagel 1999: 324 f.), allerdings keine narrative Struktur besaßen. Zu den Funktionen des Tempels s. außer den Quellenzeugnissen bei Dio LV 10,2–5 und Suet. Aug. 21,2; 29,1 f. sowie R. Gest. div. Aug. 29,2 (zu den Feldzeichen des Crassus) Anderson 1984: 88–94; 96 f.; Spannagel 1999: 27; 41–59 und Goldbeck 2015: 46. Zur Aufstellung der Standarten s. jetzt die sehr gewagten Thesen von Östenberg 2009(a): 56 f.; 68 f., die hier einen Bezug zu einem eigenwillig interpretierten Konzept des augusteischen Friedens entdeckt. Die Inschrift bezeugt Ov. fast. V 567 f. Galinsky 1996: 198. Ov. fast. V 569–578; Suet. Aug. 29,2. Spannagel 1999: 73 f. hält das, gestützt auf Erkenntnisse St. Weinstocks, für eine Fiktion. Ov. fast. V 579–594. S. hierzu S. 345 f. Zu den Details der Festlichkeiten s. Spannagel 1999: 15–20. S. Kolb 2002: 359 und Schneider 2008: 153 für die Erweiterung des Rachemotivs.

1. Einführung

289

des Forum Iulium, dringend benötigte Augustusforum war bereits geraume Zeit vorher, zwischen 6 und 2, fertiggestellt worden, nachdem etwa im Jahr 17 die Arbeiten am Bau aufgenommen worden sein dürften.14 Sowohl Tempel als auch Forum, beides Manubialbauten, finanziert aus dem Vermögen des Augustus, spiegeln die Eigentümlichkeit der Principatsordnung wider, da sie einerseits auf einem privaten, eigens erworbenen Areal des Princeps errichtet wurden, andererseits jedoch zu einem politisch-sakralen Zentrum der im tiefgreifenden Wandel begriffenen Stadt Rom werden sollten.15 Schon deshalb besaß die Deutung der römischen Geschichte, die Augustus im Statuenprogramm abbilden ließ, keinen privaten Charakter. Sie war eine offizielle, für die gesamte res publica mit ihren gesellschaftlichen Gruppierungen und Institutionen sprechende Interpretation, ohne dass damit alternative Entwürfe der Geschichte in anderen medialen Formen mit autoritärem Gestus unterbunden werden sollten. Das aus exquisitem, vielfarbigem Marmorstein erbaute Forum bestand aus zwei Porticen mit je zwei zweistöckigen Exedren an der Nord-West- und Süd-OstSeite mit insgesamt mindestens 108 Statuen, die die führenden Vertreter aus dem Mythos und der Geschichte Roms zeigten.16 Die Statuen, ebenfalls aus Marmor gefertigt, waren mit einem standardisierten, die politisch-militärische Karriere der Person referierenden titulus sowie einem längeren elogium versehen, das in wenigen Sätzen die Taten und Verdienste der jeweiligen Gestalt würdigte und ihr individuelle Züge verlieh.17 In der hinteren Nord-West-Exedra und ihrer Porticus waren die Latinerkönige sowie die Angehörigen des iulischen Geschlechts und der Familie des Princeps aufgestellt. Während hier das gentilizische Ordnungsprinzip herrschte, fanden auf der gegenüberliegenden Seite, der Süd-Ost-Exedra und der angeschlossenen Porticus, die Vertreter der republikanischen Ära Platz, allerdings wohl nicht in chronologischer Reihenfolge.18 Die genauen Positionen der Statuen in den beiden Galerien können nicht mehr rekonstruiert werden.19 Herausgehoben waren die Gründergestalten Aeneas, der Stammvater der Iulier, und Romulus, der Gründer der Stadt Rom, deren Statuen den Mittelpunkt der Exed14 15

16 17 18 19

Für die Notwendigkeit eines weiteren Forums s. Suet. Aug. 29,1. Zur Berechnung des Datums der Einweihung sowie der Bauzeit s. Spannagel 1999: 16–20 und 70–85. R. Gest. div. Aug. 21,1: Ịṇ privato solo Martis Ultoris templum [f]orumque Augustum [ex ma]n[i]biis feci. Anmaßend wirkende Enteignungen suchte Augustus bei der Bereitstellung des Baugrunds zu vermeiden (Suet. Aug. 56,2). Zu den Manubialbauten s. o. der Verweis auf R. Gest. div. Aug. 21,1. Ob die Baukosten tatsächlich aus der bei Philippi errungenen Beute beglichen wurden, wie Scheid 2007: 61 spekuliert, erscheint zweifelhaft, weil die Arbeit an den Gebäuden erst mehr als zwanzig Jahre nach dem Sieg begann und die Kosten um ein Vielfaches höher gelegen haben mussten. Zum Material und zur Ausstattung: Ganzert/Kockel 1988: 153; 166 f.; Kolb 2002: 360; Galinsky 1996: 202 f.; Schneider 2008: 152. Zur Anzahl der Statuen s. Kolb 2002: 361 sowie die Diskussion bei Spannagel 1999: 328 f. Zur unter Augustus entstandenen Neuerung, in einem geradezu standardisierten Formular die gesamte Karriere inschriftlich zu belegen, s. die bei Geiger 2008: 188 verzeichneten Forschungen W. Ecks. Diese Gliederung belegt auch Ov. fast. V 563–566, wird jedoch bezweifelt von Zanker 1968 und Luce 1990: 126 f. Für einige hypothetische Erwägungen s. Spannagel 1999: 330–333.

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VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

ren bildeten. Von beiden existierte in der Reihe der Latinerkönige noch ein zweites Exemplar, so dass einerseits Aeneas’ historische Funktion als erster König in Latium und andererseits Romulus’ Verankerung in der prärömischen Geschichte unterstrichen wurden.20 Ungesichert ist, ob die römischen Könige vertreten waren.21 Eine Statue Caesars stand in einem Raum in der Verlängerung der Nord-West-Exedra.22 Wie das jüngst entdeckte vordere Paar der Exedren ausgestattet war, muss einstweilen offen bleiben; die ideologische Substanz des Statuenprogramms wird von dieser Einschränkung jedoch nicht tangiert.23 In der Mitte der Anlage befand sich auf einer vom Senat beschlossenen Quadriga eine Statue des wohl als Triumphator, vielleicht auch als Vater des Vaterlandes stilisierten, ebenfalls mit einer Würdigung ausgezeichneten Princeps.24 Für die Zukunft war vorgesehen, dass alle Empfänger von Triumphinsignien mit Bronzestatuen geehrt werden sollten.25 2. KRITERIEN UND GESTALTEN Augustus selbst war an der Auswahl der repräsentierten Personen und ihrer Würdigung maßgeblich beteiligt. Da für die Erstellung der tituli und elogia historisches Detailwissen notwendig war, ist zu bezweifeln, ob er die Würdigungen selbst abgefasst hat. Näher liegt, dass die Entscheidung über die Statuen und die Inschriftentexte in enger Abstimmung und Diskussion mit den Gelehrten in seinem Umfeld getroffen wurde. In jedem Fall dürften Auswahl und Elogium von Augustus mitbestimmt und autorisiert worden sein.26 20 21 22 23 24

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S. ferner Kolb 2002: 361, der umgekehrt die Aufstellung der Romulus-Statue auf der Seite der Principes betont, mit der die Zusammengehörigkeit der gens Iulia und der republikanischen Geschichte illustriert wird. Ihre Statuen werden allzu optimistisch angenommen von Geiger 2008: 126; 137 f. mit Verweis auf die Statuen, die sich auf dem Capitol befanden. Gefunden wurde jedoch bislang nur die Romulus gewidmete Inschrift. Galinsky 1996: 203; 208 vermutet hingegen eine Statue Alexanders d. Gr., die von einer Statue des Augustus nach dessen Tod ersetzt worden sei. Geiger 2008: 107–112 m. weiterer Literatur zu den aktuellen Ausgrabungen. Detaillierte Untersuchungen und Deutungen sind bislang noch nicht erschienen. R. Gest. div. Aug. 35,1. Kein Elogium für den Princeps (anders jedoch Frisch 1980: 94 nach H. Peter) jedoch bezeugt Vell. II 39,2, der hier lediglich feststellt, dass auf der Statueninschrift offenbar Augustus’ Siege über die Ägypter, Spanier und „andere Völker“ registriert wurden. Forschungsthesen zur Repräsentation des Augustus bei Strocka 2009, 21–23, der auch eine Identifizierung der Quadriga versucht (23–55). Dass Augustus in den Res Gestae vermerkt, auf dem titulus der Quadriga habe er die Auszeichnung des pater patriae angegeben, berechtigt nicht zu der Schlussfolgerung (so aber z. B. Luce 1990), der Princeps habe hier vornehmlich als Vater des Vaterlandes figuriert, da doch die Inschrift nicht nur die militärischen Leistungen eines Triumphators (s. o.; die Beschränkung auf den Krieg mag durch die Ausrichtung des Geschichtswerks des Velleius bedingt sein), sondern auch noch weitere Ämter des Augustus verzeichnet haben dürfte. Dio LV 10,3 und Spannagel 1999: 27; Geiger 2008: 85. Zu Augustus als Verfasser bes. Plin. nat. XXXII 13. Zur etwas akademisch anmutenden Frage nach der Abfassung s. Frisch 1980: 94 f. mit der älteren Forschung. Ablehnend zuletzt Galinsky 1996: 206; Geiger 2008: 91 f. (mit wenig überzeugender Argumentation, dass Augustus nicht

2. Kriterien und Gestalten

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Als Kriterium für die Aufnahme historischer Persönlichkeiten in die Galerie galt, wie Sueton berichtet, dass sie einen Beitrag zur Erweiterung und Vergrößerung des Reiches geleistet hatten. Dass unterworfene Völker auf dem Forum sowohl inschriftlich27 als auch – in den sogenannten Karaytiden – des Obergeschosses bildlich,28 repräsentiert waren, unterstrich denn auch, welche Bedeutung die Expansion Roms für die Anlage besaß. Daher trugen die Statuen Triumphgewänder, obwohl nicht alle portraitierten Männer Triumphe gefeiert hatten.29 Neben den militärischen Erfolgen der Principes verzeichneten die Elogien jedoch auch zivile Leistungen und Ämter.30 Augustus selbst hatte in einem Edikt die doppelte, sowohl der Gegenwart als auch der Zukunft geltende Absicht kundgetan, die er mit dem Forum verband.31 Einerseits wollte er sich an dem Erfolg und dem politischen Handeln der die römische Geschichte verkörpernden Gestalten messen lassen. Das sollte seine Stellung legitimieren und durch den Vergleich mit den Vorgängern seine Leistungen hervortreten lassen. Andererseits sollten die Taten und Verdienste der historischen Persönlichkeiten, einschließlich seiner eigenen, symbolisiert durch die in der Mitte des Forums vor dem Tempel placierte Statue, künftigen Principes als Maßstab und Vorbild gelten – mit Principes dürfte er in der Verlautbarung nicht bloß seine Nachfolger, sondern alle führenden Männer der Senatsaristokratie verstanden haben. Da der Galerie nur etwa 30 Personen sicher zugeordnet werden können und eine noch geringere Anzahl an Elogien in aussagekräftigen Fragmenten erhalten geblieben ist, verbieten sich detaillierte Aufschlüsse über das Spektrum der gewürdigten Verdienste und über die Verteilung der Statuen auf die Epochen der römischen Geschichte. Immerhin zeichnen sich Tendenzen ab. Denn es wird deutlich, dass außer der Abwehr militärischer Feinde und der Vergrößerung des Reiches32 auch die Beilegung innenpolitischer Krisen, die Sorge für das Wohlergehen des Volkes, der Ausbau der Infrastruktur und die Errichtung von Tempeln gerühmt wurden. Was Augustus als historisches Verdienst an der res publica verstand, umfasste also mehrere Ebenen politisch-militärischer Betätigung.

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stark in die Konzipierung des Statuenprogramms und der Inschriften involviert gewesen sei); Goldbeck 2015: 36. Auf jeden Fall belegen prosopographische Details, dass Livius’ Ab urbe condita keine oder jedenfalls nicht die Hauptquelle der Inschriftentexte sind, wie Luce 1990 nachgewiesen hat. Für die deutlichen inhaltlichen Konvergenzen s. u. Kap. B.VI,3 und die Zwischenbilanz II. Zur Diskussion s. jetzt Vitale 2017: 78–83. Kolb 2002: 360; Galinsky 1996: 203 f.; Schneider 2008: 154; contra Goldbeck 2015: 27. Suet. Aug. 31,5: […] honorem memoriae ducum praestitit, qui imperium p. R. ex minimo maximum reddidissent. Für das Triumphgewand s. die folgenden, hier nicht mehr zitierten Ausführungen im gleichen Abschnitt. Möglicherweise (skeptisch Goldbeck 2015: 36) ist auch bei Tac. ann. XV 72,1 von den Statuen des Augustusforums die Rede. Dass nicht alle gewürdigten Gestalten Triumphatoren waren, erörtert Itgenshorst 2004; anders Goldbeck 2015: ebd. Es bestand allerdings keine strikte Trennung zwischen militärischen und zivilen Verdiensten, wie Galinsky 1996: 206 suggeriert. Suet. Aug. 31,5: commentum id se, ut ad illorum [---] velut ad exemplar et ipse, dum viveret et insequentium aetatium principes exigerentur a civibus. V. a. hierzu s. die Übersicht bei Spannagel 1999: 333.

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VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

Tatsächlich verfolgte der Princeps mit dem Forum noch weitergehende Absichten als die offiziell anvisierten Ziele. Zum einen leitete er hieraus vielleicht nicht den Herrschaftsanspruch, wohl aber die dominierende Rolle der Iulier, des Geschlechts, dem er seit der Adoption durch Caesar angehörte, in der römischen Geschichte und in der Gegenwart ab. In der Galerie trat das iulische Geschlecht mit seinen vielfach eher mediokren Mitgliedern der versammelten historischen Exzellenz der Republik als gleichwertig gegenüber.33 Da die Iulier ihrerseits mit den latinischen Königen verwandt waren, die über Ascanius in direkter Linie von Aeneas, dem Sohn der Venus, abstammten, war der Anspruch des Augustus, des letzten Nachfahren des troianischen Königshauses, auf eine führende Stellung mit einer historisch-genealogischen Herleitung begründet, die bis in die geschichtliche Urzeit, aber auch in den Mythos und sogar in die göttliche Sphäre hineinreichte.34 Die Berufung auf die iulische Abstammung und der damit einhergehende, Konsens und Homogenität der Senatsaristokratie in Frage stellende Anspruch waren allerdings für den Erwerb von Akzeptanz zweischneidig, denn aufsehenerregend musste gewesen sein, dass die keineswegs selbstverständliche Verschränkung35 der iulischen gens mit den republikanischen Principes erst entstehen konnte, weil die Iulier von den Reihen der glänzendsten Mitglieder der Nobilität separiert wurden – und dies an einem Gebäude, das faktisch keinen privaten, sondern einen staatlichen Charakter besaß. Zum anderen stellte sich der Princeps trotz seiner sichtbaren Sonderrolle, die er an C. und L. Caesar zu übertragen gedachte36, auch in die Tradition der römischen Republik, als eine jener im Forum versammelten Gestalten, auf deren Leistungen Erwerb und Ausbau des römischen Reiches zurückging. Wie notwendig eine solche Legitimation war, zeigte die Ermordung Caesars, ein Schicksal, dessen Wiederholung Augustus zu vermeiden trachtete. Durch den Aufstellungsort seiner Statue in der Mitte der Anlage wurde Augustus weder von der gentilizisch geprägten Ahnenreihe der Iulier und der bis auf Aeneas zurückgehenden Latinerkönige, die auch das monarchische Element der römischen Geschichte symbolisierten, vereinnahmt, noch ging er vollständig auf in der Schar der zur Spitze der Nobilität gehörenden, einander weitgehend ebenbürtigen Principes der Republik. So stand er in einer Verbindung mit allen Gestalten, die im Forum repräsentiert waren – mit den Latinerkönigen, den Iuliern und den großen Gestalten der Republik – und wahrte gleichzeitig Distanz zu ihnen.

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Kolb 2002: 361 bilanziert: „[…] in ihm [Augustus] flossen die Geschichte der Res Publica und der Gens Iulia zusammen.“ Bemerkenswert ist aber, dass Augustus die gens Iulia zunächst einmal aus der Geschichte der Republik gleichsam herausgelöst hat, in die sie doch eigentlich gehörte und in der sie, in den Augen der Nobilität, keine Spitzenstellung beanspruchen konnte. Verwiesen sei jedoch auf die starke Relativierung der Bedeutung von Genealogien in der politischen Kultur der Republik bei Hölkeskamp 1999/2004. Dem Dictator C. Iulius Caesar hatte seine göttliche Abstammung (hierzu Weinstock 1971: passim) keine Akzeptanz in der Nobilität verliehen. Nach einer Formulierung von Kolb 2002: 361. Zum Auftritt der Caesares bei der Einweihung s. Spannagel 1999: 20–40.

2. Kriterien und Gestalten

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Augustus war Teil der monarchischen wie der republikanischen Tradition Roms, deren beide Stränge sich ja auch tatsächlich in der von ihm geschaffenen Principatsordnung ausdrückten und in der Balance gehalten werden sollten, und verkörperte doch etwas Neues, Einzigartiges. In den Res Gestae hat Augustus selbst Bezug auf die Elogien genommen, indem er an sich die gleichen Maßstäbe wie an die historischen Gestalten anlegte, wobei er die Helden der Vergangenheit allerdings in jeder Kategorie bei weitem übertraf. Das galt nicht nur für die Zahl der Triumphe und Consulate, seine militärischen Auszeichnungen sowie seine Stellung in der res publica, als princeps senatus für die Dauer von vierzig Jahren und als pater patriae.37 Ferner war es ihm in seiner Laufbahn gelungen, in der Gesamtheit alle erdenklichen Taten zu vollbringen und Ämter zu bekleiden, die seinen historischen Vorgängern nur jeweils einzeln zugefallen waren. Dass Augustus die geschichtlichen Gestalten allerdings nicht (allein) an seinem Beispiel maß, wenn er ihre Leistungen verzeichnete, sondern traditionelle Auszeichnungen auflistete oder auch Taten registrierte, die sich in der Erinnerung an eine Figur geheftet hatten, illustriert, wie zwanglos er sich in die Tradition der Vergangenheit einzufügen vermochte. Trotz des politischen Systemwandels bestand, das war die Botschaft des Princeps, die Präsenz der bisherigen Geschichte fort und blieb als Maßstab der Politik auch für die Zukunft erhalten. Aus der Perspektive der Zeitgenossen und der Nachwelt musste Augustus als Höhepunkt einer Vergangenheit gelten, die man als ungebrochenes Kontinuum wahrnahm. Im Vergleich zur Instrumentalisierung von Genealogien in der Republik und zur aristokratischen Selbstdarstellung durch Bildnisse und Statuen lag denn auch das Novum des Augustusforums in der Präsentation der römischen Geschichte als göttliches Heilskonzept, als teleologisch ablaufenden Prozess, der in der Gegenwart, im augusteischen Principat, seine einstweilige Vollendung erreicht hatte.38 Durch die Anbindung der Geschichte an den troianischen Ursprung verlieh Augustus der römischen Geschichte und seiner eigenen historischen Funktion den denkbar weitesten Horizont, der nicht zuletzt auch die Republik als einzige Bezugsgröße politischen Denkens und Handelns relativierte. An ihn konnte auch ein weiteres Spektrum von Kriterien der historischen Beurteilung angelegt werden. Der Ruhm der Vertreter einzelner gentes wird hier aus der exemplarischen Isolierung in ein monumentales, durch Anfang und Ende definiertes Narrativ der gesamten römischen Geschichte überführt und mit „nationaler“ Sinnhaftigkeit aufgeladen.39 37

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Hierzu bes. Frisch 1980 nach einem Hinweis J. Gagés (die Details 94 f.) und jetzt Spannagel 1999: 336–344, wenngleich Walter 2004: 415 versichert, dass die „zahlreichen Parallelisierungen“ in augusteischer Zeit „den Zungenschlag eines Vergleichs […] meist mieden“ – auf diese These wird noch einzugehen sein. Sicherlich unrichtig Geiger 2008: 67; 88, der behauptet, die Leistung des jeweils dargestellten princeps sei weniger wichtig gewesen als die bloße Repräsentation des Mannes. Hierzu bes. auch Zanker 1968: 23; Frisch 1980: 95; Walter 2004: 418 und Kienast 2009: 243. Dass die Gestalten nicht für sich, sondern für das geschlossene Bild der Vergangenheit stehen, vermerkt Walter 2004: 420 nach Bleicken; zuletzt wieder Krasser 2011: 237. Der Vergleich des Forums mit der Exemplasammlung des Valerius Maximus, den Weileder 1998: 274–277, Luca-

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VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

Die Konstruktion dieser Deutung von Geschichte war ein Akt beispielloser Autoritätsausübung. Nicht die Nobiles prägten das Profil ihrer Angehörigen, indem sie Formen und Inhalte der Selbstdarstellung auswählten. An ihre Stelle war Augustus getreten. Durch seine Auswahl der Principes und die unter seiner Leitung entstandenen Elogien bestimmte allein er, was die römische Geschichte definieren sollte: welche Themen, welche Personen, welche Leistungen. An Ruhm büßten die großen Männer der Vergangenheit und ihre gentes dabei nicht ein, wurde doch mit den Statuen auf dem Forum, einem Zentrum in der Hauptstadt des Weltreiches, gerade ihr maßgeblicher Einfluss auf die Geschicke Roms verbindlich und in aller Öffentlichkeit dokumentiert. Doch waren die Familien der Nobilität zur Verfügungsmasse des Princeps geworden und erfüllten, was sein Regiment betraf, eine affirmative40 und ihren Rang als Mitglied der classe dirigeante letztlich doch relativierende Funktion, die seiner Selbstdarstellung und Herrschaftslegitimation diente. Abgestellt ist Augustus’ Abriss der Geschichte auf traditionelle Schlüsselthemen der Innen- und Außenpolitik. Den Aufstieg des Staates bewirkten in der Deutung des Princeps, wie aus den erhaltenen Fragmenten zu schlussfolgern ist, jedoch nicht nur religiöse und militärische Tugenden. Mindestens ebenso intensiv setzte er sich mit den innenpolitischen Bedingungen des Erfolgs auseinander. Erst ihr Zusammenspiel setzte die zur Weltherrschaft Roms führende Dynamik frei. Die Siege über die Feinde, die im Krieg errungenen Auszeichnungen und die Anzahl der Triumphe wurden in jedem Fall einzeln vermerkt. Durch die regelmäßige Erwähnung von Tempelbauten, die aus Kriegsbeute finanziert wurden, illustrierte Augustus den Zusammenhang zwischen dem Wohlwollen der Götter und der Prosperität Roms und erinnerte daran, dass die Römer die göttliche Unterstützung mit Manifestationen der pietas zu erhalten hatten. In der Gegenwart, in der Zeitgenossen die Missachtung des Kultes geißelten, handelte Augustus in Übereinstimmung mit den Vorfahren, wenn er mit großem Aufwand systematisch die Restauration verfallener Tempel betrieb und auch die während seines Regiments dienenden Feldherren mit seinem Vorbild anspornte.41 Der zum Komplex des Augustusforums gehörende Mars-Ultor-Tempel war der Gipfel dieser Aktivitäten. Neben den obligatorischen militärischen Erfolgen der großen historischen Gestalten lenkte der Princeps in den Elogien die Aufmerksamkeit auch auf die innenpolitischen Voraussetzungen der Expansion. Die Inschriften thematisieren innenpolitische Konflikte in doppelter Hinsicht: (1) Prägend sind einerseits die sozioökonomischen Verwerfungen und deren politische Auswirkungen, die eine Folge der römischen Gesellschaftsordnung waren. (2) Andererseits misst er den nicht nur angesichts der Zeitgeschichte problematischen Auswüchsen der Konkurrenz innerhalb der Senatsaristokratie Gewicht bei. Beide Themen hatten ihre Relevanz auch im Principat nicht verloren und waren zentrale Faktoren für die Stabilität der politischen Ordnung.

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relli 2007 und Krasser 2011: passim anstellen, sollte trotz deren inneren Zusammenhangs nicht überzogen werden, weil das Forum einer stringenteren narrativen Anlage folgt. Zur Vereinnahmung der Geschichte s. Bleicken 1998: 525 f.; 530–532. Für Kritik an der fehlenden pietas s. bes. Hor. carm. III + IV sowie die Werke des Tibull, Properz und Livius.

2. Kriterien und Gestalten

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(1) Für die Frühe Republik bilden die Ständekämpfe, soweit den Fragmenten zu entnehmen, offenbar ein durchgängiges Thema der Personen, die zu den prominenten Figuren dieser Zeit gehörten. Als Verdienst des Dictators des Jahre 494, M’. Valerius Maximus, rühmte er dessen Einschreiten gegen die Schuldknechtschaft.42 Gegen den Widerstand des Patriziats, das in der Krise der Nahrungsmittelversorgung jener Jahre die Plebs zu domestizieren versuchte, hatte er, ursprünglich eingesetzt um den Widerstand im Volk zu brechen, auf einen Ausgleich gedrungen. Während er wegen seiner fides große Sympathien unter den Plebeiern erwarb, während er sich mit dem radikalen Flügel seiner Standesgenossen überwarf.43 Ihm war auch die Beendigung der 1. Sezession der Plebs zu verdanken, die im Konflikt mit dem Senat und namentlich mit Coriolan die Stadt verlassen hatte, eine der vielen dramatischen Episoden in der Auseinandersetzung um die Freiheit, die häufiger den Zusammenbruch des Staates und die widerstandslose Besetzung durch auswärtige Feinde befürchten ließen.44 Die sozialen Verwerfungen, für die stellvertretend das Problem der Schuldknechtschaft stand, blieben während der gesamten Frühen Republik bestehen und wurden, zumindest in der Wahrnehmung der Historiographie, seit den Reformbemühungen der Gracchen wieder virulent. Sie entfalteten stets ein Konfliktpotential, das den Bestand der Republik gefährdete, und wurden zu den maßgeblichen Faktoren gerechnet, die den Bürgerkrieg auslösten. Diese Zusammenhänge rief das Elogium ins Bewusstsein. Wenngleich es keine detaillierte politische Analyse der Strategie des Patriziats oder der Motive popularer Anführer bieten konnte, so stand doch fest, dass aus der sozialen Desintegration der Bürgerschaft nicht nur die Eroberung durch Feinde, sondern auch innere Umstürze, betrieben von Reaktionären (wie Coriolan oder den Claudiern) oder Demagogen (wie den affectatores regni), folgen konnten. Jedes Mal war dabei die Freiheit der res publica libera bedroht. Für seinen Einsatz um das Gemeinwohl wurde Valerius mit der sella curulis ausgezeichnet und zum princeps senatus ernannt.45 Mit dem Decemvirat des Jahres 449 hängt die Erwähnung eines Vorfahren des Augustus, des C. Iulius Iulus, zusammen, einem nicht weiter profilierten Angehörigen der iulischen gens.46 Nachdem er ein Consulat bekleidet hatte, war er offensichtlich als Decemvir an der Ausarbeitung des Zwölf-Tafel-Gesetzes beteiligt, das ein Ende der Konflikte zwischen Patriziat und Plebs herbeiführen sollte. Das Decemvirat glitt in seiner zweiten Amtszeit unter Führung des App. Claudius zwar in ein Terrorregime ab. Die zwölf Tafeln indes wurden zum Fundament der rechtli42 43 44 45 46

CIL VI 8.3 40920. S. hierzu und zum Folgenden besonders die Rekonstruktionen und Analysen in Kap. B.III,3–5. Zur Überlieferung der Dictatur s. Luce 1990: 137. In Livius’ Geschichtswerk wird diese Rolle Menenius Agrippa zugeschrieben (s. auch Luce 1990: 131; 137), die sicherlich signifikanteste Abweichung von Livius. CIL VI 8.3 40920, Z. 11–16: Sellae curulis locus / ipsi posterisque ad / Murciae spectandi / caussa datus / est. Princeps in senatum / semel lectus est. CIL VI 8.3 40956: [C(aius) Iulius C(ai) f (ilius) Iulu]s co(n)s(ul) b[is] / [Xvir consulari i]mperio / [legibus scribundis]. Zur Datierung der Consulate Spannagel 1999: 293 und Alföldy/ Chioffi sowie Fr. Münzer, RE 10.1, 1917, 654 f.

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VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

chen Ordnung der Republik, die während der ersten fünfzig Jahre nach der Abschaffung der Monarchie nahezu ununterbrochen von Auseinandersetzungen zwischen den Ständen erschüttert wurde. Insofern gebührt auch dem historisch blassen Vorgänger des Augustus aus dem Geschlecht der Iulier der Ruhm, eine conditorGestalt in der römischen Geschichte gewesen zu sein, dessen Werk langfristig zur inneren Befriedung und Konsolidierung des Staates beitrug. Auch wenn Iulius ein Mitglied des II. Decemvirats gewesen war, das sich als Tyrannenherrschaft entpuppte, gehörte er doch zu der Delegation, die die Plebs bewegte, ihre Sezession auf dem Aventin aufzugeben und in die Stadt zurückzukehren, und war persönlich an der Wiederherstellung der Eintracht nach der Beseitigung der Tyrannis beteiligt.47 In doppeltem Sinn hat er sich also, trotz möglicher Verstrickungen, um den Frieden in der Bürgerschaft verdient gemacht. Ebenfalls als Protagonisten eines innenpolitischen Konflikts zeigt Augustus M. Furius Camillus, einen der überragenden Repräsentanten der Frühen Republik.48 Außer für seine vier Triumphe würdigt ihn der Princeps an prominenter Stelle für die in der republikanischen Erinnerungskultur berühmte Verhinderung der Umsiedlung der Römer in das eroberte Veii, die ihn zum Neugründer Roms werden ließ.49 Erst zwanzig Jahre vor der Einweihung des Forums hatte Livius diese Episode zu einer Schlüsselstelle seiner Geschichtsphilosophie ausgestaltet. Verführt vom Reichtum der unterlegenen Veii und geplagt von einer Pestepidemie, verlangten Teile der Bürgerschaft die Aufgabe Roms und die Neugründung der Stadt im eroberten Veii.50 Die avaritia des Volkes, entstanden aus dem kurzfristigen Wegfall des metus hostilis, tadelte Camillus in einer eindrucksvollen Rede, und er attackierte den Verlust der pietas, der die Aufgabe Roms und seiner Götter bedeutet hätte. In der Gegenwart wiederum gehörte die Wiederherstellung der pietas nach dem Sittenverfall zu den wichtigsten Zielen des Princeps. Wie Camillus auf dem Aufbau des nach dem Krieg zerstörten Roms bestand, so verfolgte Augustus ein ambitioniertes Programm der Tempelrestauration. In Camillus und dem Princeps begegneten sich daher zwei in ihrem Bemühen um die Erneuerung konstitutiver Werte oftmals parallelisierte Gestalten, die Einfluss auf das Stadtbild nahmen, auch auf dem Augustusforum.51 (2) Einen anderen Aspekt innenpolitischer Auseinandersetzungen greifen die Elogien für L. Papirius Cursor und Q. Fabius Maximus Verrucosus auf.52 Hier beschäftigt sich Augustus mit dem Problem der übersteigerten Konkurrenz innerhalb der Senatsaristokratie und den Folgen für den Erhalt der militärischen Diszi47 48 49 50 51 52

Liv. II 50,15. CIL VI 1308 m. CIL VI 8.3, p. 4677 f.; akzeptiert bei Spannagel 1999: 334. Walter 2004: 382–407; Späth 2001 und Gärtner 2008 (mit umfangreicher Literatur). CIL 1308 (Forum Romanum, aber Kopie der Inschrift des Augustusforums, Geiger 2008: 140): Veiois post urbem captam commigrari passus non est. Hierzu im Detail Miles 1995 und Feldherr 1998. Eine Parallele zu Augustus könnte auch darin bestehen, dass sich der Princeps als Triumvir gegen die von Antonius betriebene Verlegung der Hauptstadt nach Alexandria wandte (Geiger 2008: 140 f.). Papirius: CIL VI 8.3, p. 4679 = CIL VI 1318, akzeptiert bei Spannagel 1999: 334. Fabius: CIL VI 8.3 40953.

2. Kriterien und Gestalten

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plin, aber auch der Sicherheit Roms. Sowohl Fabius als auch Papirius waren als Dictatoren mit widersetzlichen Magistri equitum konfrontiert, die ihre Befehle verweigerten und in Hoffnung auf einen sicheren Sieg den Feind eigenmächtig angriffen. Beide Fälle unterschieden sich jedoch in Nuancen. Während Fabius, ein Vorfahre des Fabius Maximus Verrucosus, erfolgreich eine günstige Lage ausnutzte, konnte Minucius nur in höchster Not vom Dictator vor einer Katastrophe bewahrt werden.53 Der Ausgang beider Unternehmungen fand in den Elogien jedoch keine Erwähnung. Den Akzent setzt Augustus auf das Verhältnis zwischen Dictator und Magister equitum nach der Missachtung der Anordnungen. Suchte Papirius ein Gerichtsverfahren gegen Fabius anzustrengen und versöhnte sich schließlich nur deshalb mit ihm, weil ihn die gesamte Bürgerschaft zu einem milden Umgang mit seinem uneinsichtigen Untergebenen nötigte, so erkannte Minucius die Superiorität des Fabius an und nannte ihn „Vater“, nachdem er sich vor dem Feldzug – was Augustus vermerkt – von einer Volksversammlung, die von tiefsitzender Unzufriedenheit mit dem Dictator bestimmt war, die gleichen Kompetenzen wie sein Vorgesetzter hatte beschließen lassen.54 Inwieweit die Elogien diese Differenzen im Verhalten der Dictatoren und ihrer Magistri equitum widergegeben haben, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit bestimmen, weil das Papirius-Elogium nur trümmerhaft erhalten ist. Erkennbar bleibt jedoch, welche historischen Lehren der Princeps mit den beiden Episoden verband: die Warnung vor der Missachtung des imperium eines übergeordneten Magistraten, der Hinweis auf die drohenden juristischen und militärischen Konsequenzen eines solchen Fehlverhaltens, die Demonstration der überlegenen Urteilskraft eines herausragenden Feldherrn im Vergleich zu den leicht manipulierbaren Volksmassen, der Beweis der Notwendigkeit einer Rückkehr zur Eintracht und schließlich die Versöhnung, durch die eine Verschärfung des Konflikts vermieden und die militärische Schlagkraft Roms wiederhergestellt wird. Das Moment der Versöhnung könnte auch im Elogium für M. Livius Salinator hervorgehoben worden sein. Nach einer Verurteilung durch das Volk kehrte er, als sich der Krieg gegen Hannibal zuspitzte, aus dem Exil zurück und bekleidete zusammen mit seinem früheren Gegner Claudius Nero das Consulat. Er gewann die Schlacht am Metaurus und feierte gemeinsam mit seinem Collegen einen Triumph, wobei er allerdings eine arrogante Attitüde zur Schau stellte.55 Die höchste Stufe innerer Zwietracht, aber auch die Fähigkeit zur Wiederherstellung der Ordnung symbolisieren von den erhalten gebliebenen Elogien die Bürgerkriegsgegner C. Marius und L. Cornelius Sulla, die postum in der Galerie des Forums vereint sind.56 Allerdings lässt sich nur die Würdigung für Marius hinrei53 54 55 56

Liv. XXI 28 f. Liv. XXII 29,10. Zur Volksversammlung s. 27,4. Zu Augustus als pater patriae s. R. Gest. div. Aug. 35 mit Scheid 2007: 92 f. und Cooley 2009: 272–275. Die Existenz einer Statue, die nicht gesichert ist, sucht Spannagel 1999: 322–324 mit überzeugender Argumentation nachzuweisen. Zu Livius und Claudius und den auch mit ihren Namen verbundenen Konflikten s. Kap. B.III,7. Marius: CIL VI 8.3 40957, problematisiert von Spannagel 1999: 318; 320 gegen Degrassi und Alföldy/Chioffi. Sulla: CIL VI 8.3 40951.

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VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

chend rekonstruieren; von Sullas Statue ist lediglich der titulus erhalten geblieben. Neben der außergewöhnlichen politisch-militärischen Karriere des Marius, für die dieser selbst einen ebenfalls im Elogium erwähnten Tempel für Virtus und Honor errichtete,57 bespricht Augustus ausführlich seine Rolle in der aufgewühlten Innenpolitik der Zeit. Zunächst rühmt er Marius’ Einschreiten gegen den gewaltsamen Umsturzversuch (seditio) des Saturninus und des Glaucia im Jahr 100 und zieht andeutungsweise eine Parallele von hier zu den von Marius niedergeschlagenen auswärtigen Bedrohungen.58 Die fragwürdige Kooperation mit den beiden Aufrührern sowie das spätere zögerliche Vorgehen gegen sie verzeichnet das Elogium natürlich nicht. Für die Leistung, die Rückkehr der res publica turbata zur öffentlichen Ordnung erzwungen zu haben, zeichnet Augustus Marius mit dem Ehrentitel eines vindex aus, den er selbst für die Bekämpfung der factiones und die Wiederherstellung der Freiheit beansprucht hatte.59 Überraschenderweise verschweigt er den gegen Sulla geführten Bürgerkrieg, zu dessen Ausbruch Marius’ Ruhmesstreben erheblich beigetragen hatte, nicht, und ebenso wenig Marius’ anfängliche Flucht nach seiner peinlichen Gefangennahme und die sich anschließende Rückkehr nach Rom.60 Das siebte, wenig ehrenvolle Consulat, das er danach bis zu seinem natürlichen Tod für wenige Tage bekleidete, verzeichnet er ebenso wie das Triumphalgewand und die Patrizierschuhe, die der Plebeier und homo novus zum allgemeinen Missfallen zu tragen pflegte61 und die ihn aus dem Kollektiv der Senatsaristokratie heraushoben. In ähnlicher Weise war auch Augustus, der als Sohn eines Praetors geboren wurde, ein Aufsteiger innerhalb der Nobilität, dem es in vergleichbarer Weise gelang, seine Standesgenossen an Leistungen und Ruhm zu übertreffen. Aber Marius’ Leistungen und Auszeichnungen – die Beauftragung mit dem Krieg gegen Iugurtha auf Beschluss des Volkes (extra sortem), die zahlreichen Consulate, die er allerdings gegen das Verbot der Iteration bekleidete, die Niederschlagung des Saturninus und der als Manubialbau errichteten Tempel für Honor und Virtus – überstrahlen doch deutlich die dunklen Seiten seiner Karriere, die Beteiligung am Bürgerkrieg und die in Rom begangenen Verbrechen. Die von Augustus gewählten Formulierungen verhüllen dezent, wie stark der Bürgerkrieg auf Marius’ übersteigerte Ambitionen zurückging. Dass Marius mit Waffengewalt (armis) nach Rom zurückgekehrt sei, nachdem man ihn vorher in einem Akt des Bürgerkriegs (per arma civilia) vertrieben habe, erweckt den Eindruck, als wohne seinem Vorgehen eine gewisse Berechtigung inne. Die Erwähnung des siebten und letzten Con-

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CIL VI 8.3 40957, Z. 14 f. CIL VI 8.3 40957, Z. 9–12. Die Aufständischen, die mit Waffengewalt das Capitol besetzt hatten ([…] quei armati Capitolium occupaverant […]) mussten ebenso mit militärischen Mitteln bekämpft werden wie die einfallenden Barbarenvölker. Zu Augustus als vindex s. Kap. B.I. CIL VI 8.3 40957, Z. 12–14. CIL VI 8.3 40957, Z. 15 f. Sein Recht, Patrizier zu ernennen, hat Augustus im übertragenen Sinn in diesem Elogium angewendet, indem er die Legitimität der Selbstdarstellung des Marius bekräftigte.

2. Kriterien und Gestalten

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sulats suggeriert, dass anschließend die verfassungsmäßige Ordnung wieder gegolten habe. Auch bei Sulla konzentrierte sich Augustus, soweit dieser Schluss aus der Überlieferungslage zulässig ist, wohl weniger auf die Zerrüttung des Staates als auf den konstruktiven Beitrag Sullas zur öffentlichen Ordnung, wie die Nennung der Dictatur rei publicae constituendae zeigt.62 Es war bekannt, dass die Schaffung dieses Amtes, eine Neuerung in der republikanischen Verfassungsgeschichte, eine unmittelbare Folge eines Siegs im Bürgerkrieg war und dass die Dictatur auch als Rechtsgrundlage für ein Terrorregime diente.63 Genauso klar stand jedoch fest, dass Sulla seine Kompetenzen nicht für die Etablierung einer monarchischen Herrschaft nutzte, sondern dass er um die Wiederherstellung von Stabilität innerhalb der bestehenden republikanischen Ordnung durch konstitutionelle Reformen bemüht war und sich anschließend ins Privatleben zurückzog.64 Darin war ihm Augustus vergleichbar, der nach dem Sieg im Bürgerkrieg die Republik wiederhergestellt zu haben beanspruchte und der sich, trotz der im Triumvirat beschlossenen Proscriptionen, der dabei geübten clementia zu rühmen pflegte.65 Ein anderes Spektrum historischer Leistungen, die Augustus auszeichnete, führen die Elogien für A. Postumius Albus Regillensis und C. Fabricius Luscinus vor. Postumius hatte am Regillus-See einen entscheidenden Sieg über die Etrusker und die Söhne des abgesetzten Königs Tarquinius Superbus errungen, die für ihre Wiedereinsetzung in Rom fochten.66 Nachdem die Republik in mehreren Kriegen seit ihrer Begründung etwa fünfzehn Jahre lang die Restitution des tarquinischen Herrscherhauses zu vereiteln hatte, leistete Postumius’ Erfolg deshalb einen maßgeblichen Beitrag zur Sicherung der Freiheit nach außen. Da erst nach seinem Sieg die Beseitigung der Königsherrschaft wirklich vollendet war, kann man auch Postumius in die Reihe der Gründungsfiguren einordnen, die in typologischer Beziehung zum Princeps standen, weil sie die Existenz der Republik konsolidierten.67 Das Beispiel des Fabricius hingegen bezeichnet die Rettung einzelner Bürger.68 Ihm, einem der prominentesten exempla der republikanischen Erinnerungskultur,69 war es als Gesandter im Krieg gegen Pyrrhus gelungen, die Freilassung römischer Gefangener zu erreichen. Im erhaltenen Teil des Elogiums für den zweifachen Triumphator hat Augustus diesen Erfolg ausdrücklich vermerkt. Vergleichbare Leistungen vollbrachte mehr als einhundert Jahre später P. Scipio Aemilianus, dem für die Rettung des bei Numantia eingeschlossenen Heeres die corona obsidi62 63 64 65 66 67 68 69

CIL VI 8.3 40951, Z. 3. Zur Dictatur und zum Terror sei lediglich verwiesen auf Hölkeskamp 2000: 214–216 und Christ 2002(a): 113–121. S. hier das Dictum Caesars, Sulla sei ein politischer Analphabet gewesen (Suet. Caes. 77). Zur clementia s. Galinsky 1996: 82; 84 f. Immerhin sprechen Diod. XXXVIII 16 sowie Strab. IX 1,20 und XIII 1,27 (hier allerdings nicht gegenüber den Gegnern im Bürgerkrieg, sondern der Bevölkerung von Athen und Ilion) Sulla clementia zu. CIL VI 8.3 40959. Zur Abwehr des exilierten Königs Tarquinius Superbus s. Kap. B.III,5. CIL VI 8.3 37048. Für einen Überblick s. Bücher 2006, Anhänge I und III.

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VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

onalis verliehen wurde,70 ebenso wie L. Licinius Lucullus, der im Jahr 74 seinen in Chalcedon von Mithridates belagerten Collegen M. Aurelius Cotta entsetzte.71 Augustus schließlich konnte sich rühmen, nicht nur einen Bürger, sondern die ganze Bürgerschaft gerettet zu haben. 3. DAS AUGUSTUSFORUM ALS MEISTERERZÄHLUNG DER RÖMISCHEN GESCHICHTE In Augustus’ Überblick über die Vergangenheit verlieren die Brüche und Konflikte der römischen Innenpolitik angesichts des sinnhaften Endes der bisherigen Geschichte, seines Principats, an Dramatik und subversivem Potential. Er hat sie jedoch nicht zugunsten eines harmonischen Bildes gänzlich eingeebnet.72 Zwar verhinderte der teleologische Ansatz, dass es Befremden erregte, wenn die Protagonisten aus Bürgerkriegszeiten nun einträchtig nebeneinanderstehend den Aufstieg Roms zur Weltmacht beeideten – dies war ein Bestandteil des integrierenden, versöhnlich stimmenden Blicks zurück.73 Doch immer wieder brachte der Princeps, an verschiedenen Personen, Themen und Konstellationen verdeutlicht, die von den Zeitgenossen für die römische Geschichte häufig als konstitutiv aufgefasste Zwietracht zur Sprache, die die Republik in der Frühzeit an den Rand des Zerfalls gebracht hatte und die im zurückliegenden Jahrhundert in den Bürgerkrieg gemündet war. Der Mars-Ultor-Tempel selbst war ein fortdauerndes Symbol für die Schrecken der jüngeren Vergangenheit, aber auch deren Überwindung. Errichtet als Monument des Dankes für die Rache an den Mördern Caesars und die Niederlage des Crassus, erinnerte er an die beiden Voraussetzungen für die Stabilität und Prosperität der res publica, den Sieg über die äußeren Feinde wie die Gegner der Eintracht im Inneren. Da die Orientierung an der Vergangenheit nur funktionierte, solange die 70 71 72

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Möglicherweise CIL VI 8.3 40949; hierzu Geiger 2008: 152. Plin. nat. XXII 13 bezeugt, dass die Auszeichnung mit der corona obsidionalis auf dem Elogium der Statue Scipios, die auf dem Augustusforum aufgestellt war, vermerkt worden sei. ILS 60. Wenngleich in Rom keine Statue des Lucullus aufgefunden werden konnte, versichern Chioffi/Alföldy, CIL VI 8.3, p. 4851 dennoch, dass die ihm gewidmete Inschrift einer Statue aus Arretium auch auf dem Forum (haud dubie) wiederholt worden sei. Anders hingegen Walter 2004: 417 f., der feststellt, Augustus’ Ziel sei es gewesen, „unerfreuliche Abschnitte zumal der jüngeren Geschichte auszublenden und ein gereinigtes, harmonisches Bild zu präsentieren.“ Natürlich war trotzdem beabsichtigt, die führenden Gestalten der römischen Geschichte als eine „große Familie“ (Kolb 2002: 361) zu präsentieren (die allerdings, könnte man hinzufügen, in sich noch einmal differenziert war, in die Iulier und den „Rest“, die Nobiles der übrigen gentes). Nicht zutreffend betont Geiger 2008: 156 „the irrelevance now of even the most destructive old Republican conflicts“. Jedenfalls vermied Augustus, bedeutende historische Widersacher gegeneinander auszuspielen, indem er in den Elogien die Gegner des zu Würdigenden meistens nicht namentlich nannte, s. o.). Sicherlich ist die These zu einseitig, dass der Princeps die Gegner aus den Bürgerkriegen nur deshalb aufgenommen habe, um seine Vergangenheit zu rechtfertigen (so Frisch 1980: 97 f. zu Pompeius). Verwiesen sei pauschal auf Augustus’ Förderung seiner früheren Gegner oder von deren Angehörigen. Was die Statuen betrifft, mag ihm sein Adoptivvater Caesar unmittelbar als Vorbild gedient haben, der Statuen Sullas und des Pompeius restaurierte (Polyain. VIII 23,31).

3. Das Augustusforum als Meistererzählung der römischen Geschichte

301

Geschichte nicht vollkommen in der Gegenwart aufgehoben war, sondern noch strukturelle Ähnlichkeit mit ihr besaß, hielt die Darstellung innerer Konflikte und Bürgerkriege, aber auch anderer brisanter Situationen Lektionen für die Zukunft bereit – Lektionen, die mit dem Forum zu vermitteln Augustus’ ausdrückliches Ziel war. Dass Augustus Frieden, Eintracht und Ordnung in Rom wiederhergestellt hatte, erhöhte seine historische Leistung und Wirkung als exemplum für künftige Generationen, zumal verglichen mit Vorgängern wie Camillus, Sulla oder Marius, die ähnliche, im historischen Maßstab allerdings weniger bedeutsame Taten vollbracht hatten. Wollte Augustus die Vergangenheit Roms in seinem Forum als ein bruchloses Kontinuum betrachtet wissen, das unter seiner Herrschaft noch existierte und auch Ausdruck in der Wiederherstellung der Republik fand, so gehörte dazu die Einsicht, dass auch die Strukturen der republikanischen Geschichte mit ihren Problemen aktuell blieben. Vermeintlich unerwünschte Ambivalenzen im Statuenprogramm, verkörpert von ianusköpfigen Personen wie Marius und Sulla, die eine teils destruktive, teils am Gemeinwohl orientierte Politik betrieben, blieben daher neben den unbestreitbar herausragenden Leistungen einiger weniger eindeutig profilierter Principes als Objekte einer historischen Didaktik bestehen. Wenngleich Augustus mit dem Elogienprogramm keine plakative Glorifizierung Roms bezwecken konnte, so zeigt der Aufstieg zur Weltmacht dennoch, dass trotz aller politischer Krisen immer wieder die Erneuerung des republikanischen Systems gelungen war. Zuletzt war eine solche Wende, so suggeriert das Forum, mit seinem Regiment eingetreten. Gerechtfertigt war mit Blick auf das zurückliegende Jahrhundert damit auch Augustus’ Beteiligung am Bürgerkrieg. Insofern war das Forum nicht auf eine bloße Instrumentalisierung der Vergangenheit zu Zwecken der Selbstdarstellung und Legitimitätssicherung beschränkt, sondern es stellte auch wiederkehrende Themen der römischen Geschichte dar und aktualisierte sie für Gegenwart und Zukunft.74 Dass sich militärische virtus, pietas gegenüber den Göttern und das Bemühen um concordia in der Bürgerschaft für die Prosperität der Republik nach innen wie außen stets und immer wieder von neuem bewährt hätten, lautet die zuversichtliche Botschaft der monumental(isiert)en Geschichtsdeutung des Augustus. Augustus’ spektakulärer Beitrag zum historischen Diskurs der Zeit enthielt jedoch keine unumstößliche Kanonisierung, keine endgültige oder alternativlose Deutung der römischen Geschichte.75 Der Princeps blickte mit seiner Galerie nur aus einer limitierten Perspektive auf die Vergangenheit: auf den Aufstieg zur Weltmacht Roms und die dafür notwendigen Voraussetzungen und Taten. Allein in dieser Hinsicht bot das Forum eine geschlossene, für Zusätze unzugängliche Konzeption. Die Annahme wäre irreführend, dass die in den Statuen repräsentierten Gestalten ihr Profil durch die Herausnahme aus dem Kontext einer historischen Erzählung, wie sie etwa die Geschichtsschreibung leistet, verlören oder auf standardi74

75

Womöglich zu weit geht also Walter 2004: 419 mit der teilweise natürlich, wie gezeigt, berechtigten Feststellung, Augustus suche die Nobilität aus dem allgemeinen „Vorstellungshorizont“ zu verdrängen; s. auch Geiger 2008: 82; 199. Für die nachfolgenden Principes avancierte Augustus allerdings in der Tat zum vielbeschworenen Vorbild. Dies gegen Walter 2004: 419 f. und Geiger 2008: 81; 89.

302

VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

sierte Eigenschaften reduziert würden. Das Augustusforum enthält selbst ein Narrativ. Definiert hatte es der Princeps in dem von Sueton zitierten Edikt. Es war eine auf das Paradigma des Aufstiegs konzentrierte Meistererzählung der römischen Geschichte, keine bloße Exemplasammlung. Innerhalb dieses Rahmens übernahmen die Statuen ihnen präzise zugewiesene Funktionen, während andere Facetten der Principes ausgeblendet wurden. Abgesehen von der Aussagekraft der architektonischen Gestaltung des Bauwerks gewinnt die Galerie nicht zuletzt mit den Elogien als Verständnishilfe einen sinnstiftenden Gehalt. Die detaillierte Würdigung in den Inschriften wahrt die Unterscheidbarkeit der jeweiligen Principes und vermag dem (in unterschiedlichem Grad) historisch ohnehin vorgebildeten Betrachter einen Anknüpfungspunkt für die weitere Konsultation von Geschichtswerken, Dichtungen oder rhetorischen Erzeugnissen zu bieten. Gewiss waren die an die Gestalten gekoppelten Aussagen stärker festgelegt als im Medium der Literatur, wo einzelne Persönlichkeiten eine Fülle von Bedeutungsinhalten tragen und in vielfacher Weise als exempla dienen konnten. An der Präsentation einer solchen ebenso komplexen wie nuancenreichen, allerdings auch weniger eindeutigen und zu unerwünschten Interpretationen einladenden, die ideologischen Botschaften jedenfalls verwischenden Geschichte Roms konnte Augustus kein Interesse besitzen. Seine Galerie hingegen trug eine historische Meistererzählung in straffer Form vor, streng an dem vorgegebenen Leitgedanken orientiert – dem unter göttlichen Auspizien und mit maßgeblicher Beteiligung der Iulier vollzogenen Aufstieg des Staates – und um die konsequente Ausschaltung aller nicht damit zusammenhängenden Assoziationen bemüht. Trotzdem konnten in diesen narrativen Rahmen, wie gezeigt, auch historische Aspekte eingewirkt werden, die der Vergangenheit ein tieferes Profil verliehen und plakative Panegyrik von vornherein unterbanden. In der Zukunft ließ sich in der Literatur auch weiterhin die Geschichte mit anderen, in ihrer Anzahl unbegrenzten Paradigmen und Schwerpunkten vollständig oder partiell interpretieren: fixiert auf die Entwicklung des zivilisatorischen Fortschritts oder der staatlichen Ordnung, konzentriert auf die historischen Rollen von Patriziat, Plebs, Magistraten und Soldaten, abgestellt auf einen göttlichen Heilsplan oder orientiert an einem chronikartigen Verzeichnis der Ereignisse, vielleicht auch primär interessiert an aitiologischen Fragestellungen. Mit der Beschränkung des Statuenprogramms auf den Aufstiegsgedanken bewahrte Augustus seiner Deutung der Geschichte im intellektuellen Diskurs eine Offenheit, die mit anderen, alternativen Kategorien folgenden Interpretationsansätzen prinzipiell kompatibel war. Was sonstige Medien an Differenzierungen und Zusätzen vorzuweisen hatten, etwa den Hinweis auf die moralischen Kosten, menschlichen Opfer und Niederlagen, die Roms Aufstieg einschloss, oder ausführlichere Charakterisierungen der exempla, war für die Geltung des reduktionistischen Zugriffs des Princeps irrelevant, solange es nicht dem Zeugnis der tituli und Elogien widersprach. Dies erhöhte die Autorität des Augustus als Interpret der Geschichte. Durch den Verzicht auf die totale Erfassung und Deutung der Vergangenheit konnte die prägnante Darstellung der römischen Geschichte im Statuenprogramm – im Unterschied beispielsweise zu einem Geschichtswerk, das verbindliche Aussa-

4. Die Bedeutung der Geschichte im Augustusforum für Gegenwart und Zukunft

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gen im Detail traf und dessen Wertungen naturgemäß dem Widerspruch ausgesetzt waren – weder angefochten oder widerlegt werden, noch schloss sie andere Interpretationen kategorisch aus, die sonst als anmaßende Herausforderung der Deutung des Princeps oder als Akt der Opposition hätten begriffen werden können. In dieser weitgehenden Vereinbarkeit mit konkurrierenden römischen Geschichten liegen die integrierende Wirkung des Forums und die fortdauernde Gültigkeit seiner Botschaft begründet. Denn unter welchen Gesichtspunkten auch immer Historiker und Dichter auf Roms Vergangenheit blickten – Augustus’ Erzählung von der Herausbildung des römischen Weltreichs behielt ihre eigene unantastbare Wahrheit. 4. DIE BEDEUTUNG DER GESCHICHTE IM AUGUSTUSFORUM FÜR GEGENWART UND ZUKUNFT Außer dem Princeps waren aus der Zeitgeschichte mit Marcellus, Agrippa, Tiberius und Drusus d. Ä. lediglich Männer vertreten, die in Verbindung mit der domus Augusta standen.76 Eine Erweiterung der Galerie in der Zukunft hatte Augustus nicht vorgesehen. Künftig sollten Ehrenstatuen prominenter Gestalten, nicht aus Marmor, sondern aus Bronze gefertigt, auf dem Forum selbst, zwischen den beiden Galerien, placiert werden.77 Den Nachfolgern des ersten Princeps wurde damit ein eigenständiger historischer Rang abgesprochen. Die kommenden Generationen standen zwar weiterhin in der Tradition der Republik, durften jedoch keinen Anspruch erheben, ein formativer Bestandteil dieser noch immer andauernden Geschichte zu sein. Auf den Rang von Epigonen reduziert, kam ihnen keine exemplarische Geltung zu, mit der sie ebenbürtig neben die Figuren der Republik getreten wären. Mit dem Principat des Augustus, so die Botschaft, waren der unüberbietbare Höhepunkt der Geschichte und ihr Telos erreicht. Die Zukunft war nur noch in Kategorien einer Vergangenheit erfassbar, die sich stets erneuern würde. In konstitutioneller Hinsicht bildete das augusteische Principat kein Novum, sondern fügte sich bruchlos in die Tradition ein, ja vollendete sie. Umgekehrt bedeutete diese Aktualisierung der Vergangenheit, dass auch die von Augustus geschaffene Ordnung mit ihrer Orientierung an der Republik den Rahmen bildete, innerhalb dessen politische Themen und Konstellationen zu denken waren. Das Verständnis des Statuenprogramms war deshalb auch ein Mittel zur Kontingenzbewältigung. Was die Zukunft an Konflikten bringen mochte, offenbarte der Blick in die Vergangenheit, der gleichzeitig historisch bewährte, noch immer gültige Lösungsvorschläge enthüllte. So war die Politik künftig ebenso vor76 77

CIL VI 8.3 40318; 40335; 40330. Zu Agrippa Geiger 2008: 136 f. Dio LV 10,3 mit Eck 1984: 142; 145 gegen Geiger 2008: 163–178, bes. 163 f., der Ehrungen mit Statuen nicht nur auf Triumphatoren beschränkt wissen möchte. Genau dies besagt jedoch das Zeugnis Dios, der allerdings sicherlich erwähnt hätte, wenn das Forum in postaugusteischer Zeit um Marmorstatuen erweitert worden wäre. Daher dürften in dem zweiten Exedren-Paar, über dessen Ausstattung bislang nichts Näheres bekannt ist, keine Gestalten gestanden haben, die erst nach dem Tod des Augustus aufgestellt worden sind. Insofern wurde die römische Geschichte auf dem Forum über das augusteische Principat hinaus nicht fortgeschrieben.

304

VI. Das Augustusforum als monumentale Meistererzählung

herzusehen wie zu beherrschen. Augustus’ Deutung der römischen Geschichte beruhte auf der Kontinuität des unter seinem Regiment erreichten Stands und implizierte eine Fortschreibung der Geschichte, die die Vorstellung eines fundamentalen Wandels geradezu negierte. Für immer überwunden waren die Fehlentwicklungen der jüngeren Vergangenheit jedoch nicht. Ungeachtet des panegyrischen Zugs, der zum Augustusforum gehörte, schloss die Repräsentation republikanischer Gestalten und damit auch republikanischer Themen und Probleme, die eine wesentliche Voraussetzung für die didaktische Funktion der Anlage war, die Möglichkeit künftiger Krisen sozialer und politischer Natur und sogar des Bürgerkriegs ausdrücklich ein. Zugleich bewies die Geschichte deren Überwindbarkeit. Andererseits bekräftigte das Forum den Aufstieg Roms zur Weltmacht, der sich unter dem Schutz der Götter vollzogen hatte. So verbindet sich das Lob der Gegenwart und des Princeps mit dem Ausblick auf eine Zukunft, deren Strukturen auf die Vergangenheit verweisen. In das Augustusforum sind deshalb je nach Betrachtungsweise zwei verschiedene, aber komplementäre Vorstellungen von der Zeit und dem Ablauf der Geschichte eingeschrieben. In linearer Perspektive vollzieht es den Weg Roms von seinem Anfang bis zur Gegenwart nach, die in Augustus kulminiert. Was in dieser Hinsicht zählt, ist das historische Resultat; die dargestellten Personen gehören ebenso wie die Ereignisse, auf die in den Inschriften angespielt wird, vollständig der Vergangenheit an. In zyklischer Perspektive hingegen behält die Vergangenheit ihre Aktualität und zeigt eine Bandbreite von Möglichkeiten auf, wie die künftige Geschichte ablaufen könnte. Die gleiche Botschaft wie das Augustusforum vermittelt der Mars-Tempel. Nicht mit einem Rückgriff auf die römische Geschichte und deren exempla, sondern reduziert auf zwei Ereignisse der Zeitgeschichte, die Rache für den Mord an Caesar und die Ausmerzung der außenpolitischen Schmach im Partherkrieg, reflektiert er die von den Principes der Statuengalerie vielfach konkretisierten innen- und außenpolitischen Herausforderungen Roms, die Augustus in der Gegenwart bewältigt hat. Während das Forum vornehmlich die Stellung des Princeps in der Geschichte abbildete, präsentierte der Tempel noch eindrücklicher seine ganz greifbaren Verdienste, die noch den zeitgenössischen Betrachtern unmittelbar gegenwärtig waren. Beide Bauwerke spielten bei der Instrumentalisierung der Geschichte für Augustus’ Selbstdarstellung zusammen. Die doppelte Vorstellung von Zeit reflektiert die beiden Intentionen, die Augustus mit dem Forum verband: die Rekonstruktion der Geschichte, in die er seine Stellung und seine Taten integrierte, und die politische Didaktik, die besagte, dass die republikanischen Gestalten den Maßstab auch für die Politik der Zukunft bilden sollten. Zusammengenommen enthalten beide Aspekte das Versprechen, dass das Imperium allen künftigen Herausforderungen zum Trotz Bestand haben werde, solange die vergangene Politik, verkörpert von den in der Galerie gewürdigten Principes, den Schöpfern des Reiches, stets von neuem Anwendung finde. Darin klingt die Warnung an, dass der Höhepunkt der Geschichte im augusteischen Principat nicht gleichzeitig auch das Ende der Geschichte sein würde und dass die Verteidigung von Frieden und Eintracht eine bleibende Aufgabe für die Nachwelt sei, sowohl für die aus der Senatsaristokratie stammenden Principes wie für die Mitglieder der domus Augusta.

ZWISCHENBILANZ II Das Augustusforum im Diskurs über die Geschichte Die politischen Botschaften des Augustusforums fügen sich schlüssig in das Themenspektrum der Politik sowie der Selbstdarstellung des Princeps ein, der trotz vielfältiger historischer Bezüge und der Instrumentalisierung der Vergangenheit bislang ein Narrativ der römischen Geschichte gefehlt hatte, eine in konzeptionell geschlossener Form vorgetragene Darstellung und Gesamtdeutung des Ablaufs der Geschichte mit deren charakteristischen Zügen und herausragenden Persönlichkeiten. Im Jahr 17 hatte die Saecularfeier den Beginn eines Goldenen Zeitalters des Friedens, der Prosperität und der imperialen Stärke versprochen. Die Erfüllung dieses Versprechens bezeugten die Ara Pacis und das Augustusforum. Im Bildprogramm des Friedensaltars wurde die bis in troianische Zeiten zurückgeführte Familie des Augustus als Garantin der neuen Epoche gezeigt und damit, wenngleich assoziativ und reduktionistisch, eine Vorstellung vom Zusammenhang der römischen Geschichte als eines Prozesses erzeugt. Konkreter aber thematisierte erst das Augustusforum Themen der Politikgeschichte und legte die in ihr waltenden Mechanismen, Tendenzen und Gesetzmäßigkeiten offen. Damit bezog Augustus, auch wenn die Erbauung der Statuengalerie nicht unmittelbar von den publizistischen Erzeugnissen der Gegenwart in Prosa und Dichtung angeregt wurde, eine Position in den Debatten über die Vergangenheit und den Standort der Gegenwart seit den 30er Jahren. Wie nur wenige Beiträge in diesem Diskurs vereinigte das Statuenprogramm mit der Ausstattung des Forums und dem Bezug zum Mars Ultor-Tempel die beiden Stränge historischer Reflexion in jener Zeit, die Darstellung und Analyse der historischen Kausalzusammenhänge in den klassischen Kategorien der Geschichtsschreibung und die Einordnung des römischen Beispiels vor ein universalgeschichtliches, auf mythische Ursprünge zurückgehendes Zeitalterschema. So konnte das Forum den Beginn eines neuen Äons in der Wirklichkeit, der geschichtlichen Welt, verkünden. Der Höhepunkt der Geschichte, in der Gegenwart erreicht und bewahrt von Augustus, entpuppt sich als ein in der Vergangenheit Roms, seines politischen Systems und seiner berühmten Akteure, angelegtes Ziel. In historischer Perspektive nimmt Augustus zwar eine überwältigende Stellung ein, bleibt aber doch in die Tradition eingebettet: als Princeps, der in vollkommener und umfassender Weise vollbringt, was sich in den Taten seiner Vorgänger nur andeutet. Was er erreicht hat, entspricht keiner ahistorischen Utopie, die sich aus den Bürgerkriegserfahrungen der jüngeren Vergangenheit und aus einem eskapistisch-resignativen Affekt gegen die Gegenwart speist, sondern beruht auf dem, was die radikale Kritik an der (römischen) Welt als Kernelemente der Zwietracht und des Krieges klassifiziert, dem militärisch konnotierten mos maiorum, dem Prinzip der Konkurrenz, das in den inschriftlichen Lebensläufen sichtbar wird, und der Weltherrschaft. Es ist, beruhend auf den Grundsätzen der Saecularfeier, ein Goldenes Zeitalter der

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Zwischenbilanz II

Fortschrittsbejahung, in dem ein universaler Frieden mit Waffen und Gesetzen durch die Weltherrschaft Roms gesichert wurde. Das Konzept der Weltherrschaft vereint zwar auch die historischen Abrisse in der Literatur, steht jedoch in teils dramatisch verschiedenen geschichtstheoretischen Kontexten mit den dazugehörigen Erwartungen, Ängsten und Hoffnungen sowie Schlussfolgerungen für die Zukunft. Wie auch die Saecularfeier mit der Geschichtsdeutung in Vergils Aeneis harmonisiert, sowohl mit einzelnen typologischen, Augustus mit der Vergangenheit verbindenden Elementen in den historischen Durchgängen als auch mit der Konzeption des Goldenen Zeitalters, dessen Wiederherstellung unter Augustus in der Gegenwart prophezeit wurde, so entsprechen sich auch die Rekonstruktionen der Geschichte im Epos und Forum. Allen drei Prophezeiungen der Aeneis liegt ein Modell vom Aufstieg Roms zur Weltmacht zugrunde, die mit zivilen wie militärischen Mitteln gesichert werden sollte. Das in Euanders Archäologie skizzierte, fortschrittsbejahende Ideal einer Herrschaftsausübung, das sich auf Gesetze und Sitten stützte, aber auch mit Waffengewalt verteidigt wurde, lässt sich auch auf das Augustusforum übertragen, das Zentrum für alle diplomatischen und außenpolitischen Aktivitäten des römischen Reiches. Nur übertrifft die Gegenwart – und das versinnbildlichten Dimension wie Funktionen des Forums – tatsächlich die mythische Vergangenheit, insofern als sich die römische Herrschaft auf den Erdkreis, nicht bloß auf Latium erstreckt. Diese Ankündigung aus der Heldenschau, bildlich evoziert am Schluss der Schildbeschreibung, hat Augustus eingelöst. Wie in der Heldenschau und der Schildbeschreibung, die eine Zeitphase nach dem Ende des Goldenen Zeitalters bis zu dessen Wiederherstellung in der Gegenwart umfasst, bildet das Augustusforum, bezieht man das in der Saecularfeier formulierte Ziel ein, die römische Geschichte als Etappe zu einem historischen Ziel ab, die notwendigerweise nicht frei von destruktiven oder bedrohlichen Elementen war. Sowohl das Forum wie die Projektionen der Aeneis schließen daher das Phänomen der bis zum Bürgerkriegs reichenden Zwietracht wie der militärischen, existenzgefährdenden Bedrohung nicht aus. Mehr noch als die Heldenschau greift das Forum die klassischen, durch das politische System bedingten Probleme der römischen Geschichte auf und benennt Beispiele für deren Lösung. Naturgemäß bietet es mit der Fülle an Statuen und Inschriften einen breiteren, repräsentativeren Einblick in Geschichte und Politik als die knappen Abrisse Vergils, die auf einer pointierteren Schwerpunktbildung beruhen. In Bezug auf die Innenpolitik konzentrieren sich Heldenschau und Schildbeschreibung auf das Problem des übersteigerten politischen Ehrgeizes, der ambitio. Die Ständekämpfe und damit die soziale Ebene innenpolitischer Auseinandersetzungen bleiben auf eine dunkle Andeutung reduziert, werden aber im Augustusforum gelegentlich aufgegriffen. In der Heldenschau dienen die Söhne des Brutus sowie Caesar und Pompeius als Beispiele für das Streben nach einer Willkürherrschaft, die durch Verschwörung oder im Bürgerkrieg erzwungen werden sollte. Vergleichbare Probleme thematisiert, wie gezeigt, auch Augustus. Am Ende steht jedoch sowohl bei Augustus als auch bei Vergil die Erfüllung der historischen Aufgabe und treten die politischen Verwerfungen in den Hintergrund. Der Princeps wird zu einem universal agierenden Nachfolger Saturns. Inso-

Zwischenbilanz II

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fern bedeutet die Erwähnung düsterer Abschnitte der römischen Geschichte in der Aeneis keine Absage oder Kritik an Rom oder dem Princeps, wie ein ganzer Strang der Vergil-Forschung, die Harvard-School, behauptet. Die offensichtlichen Übereinstimmungen in den Geschichtsbildern von Princeps und Dichter erklären Augustus’ brennendes Interesse an einer postumen Publikation der Aeneis. Nach jenen 17 Jahren, die zwischen Vergils Tod und der Einweihung des Forums vergangen waren, konnte sich Augustus rühmen, die an ihn von unabhängiger Seite und in einem der populärsten Werke der Zeit herangetragenen Erwartungen erfüllt zu haben. Mit seinen Bemühungen um die Restitution von Sitten und Gesetzen erfüllte er die Grundbedingungen des von Euander skizzierten Goldenen Zeitalters, das Saturn begründet hatte. Dieses Ideal war keine utopisch-vorhistorische, sondern eine fortschrittsbejahende Lebensform, die mit zivilisatorischen Mitteln die Anfechtungen der geschichtlichen Welt bekämpfte. Was in der römischen Geschichte nur ganz unvollkommen geschah, wurde unter Augustus zur Vollendung gebracht. Ein komplizierteres Verhältnis besteht jedoch zu den Abrissen in den Dichtungen der Elegiker Properz und Tibull. Auch Properz feiert im IV. Elegienbuch – eine zentrale Botschaft des Forums – den Aufstieg Roms zur Weltmacht. Das sinnstiftende Gerüst hinter seinem Geschichtsmodell ist die von Cassandra vorhergesagte Rache Roms an Troia, nicht die Rückkehr zu einem Goldenen Zeitalter. Auch bei ihm personifiziert Augustus den historischen Höhepunkt. Eine didaktische Funktion ist seinem von bewunderndem Staunen über den Abstand von Gegenwart und Vergangenheit getragenen Überblick nicht zugedacht. Kompensiert wird dies auch durch die teils mythischen, teils religionsgeschichtlichen aitiologischen Elegien des IV. Buches nicht, die sich an den Überblick anschließen und die Abkehr von einer elegischen Lebensform bezeugen. Noch deutlicher sind die Unterschiede zwischen dem Forum und den Elegien Tibulls. Da dessen Abriss überhaupt keine historischen Persönlichkeiten enthält, die als exempla dienen könnten, entfällt jeglicher didaktische Zweck, wie ihn das Augustusforum erfüllen soll. Der historische Überblick in der Elegie II 5 steht im Zeichen des Bedauerns über den Untergang der friedlich-bukolischen Welt vor der Ankunft der Troianer, der Vorfahren des Augustus und der Hoffnung über den Anbruch eines neuen Friedens nach dem Ende der Bürgerkriege. Sie feiert nicht nur den Amtsantritt des Messalinus als Quindecimvir sacris faciundis, sondern zugleich auch den Gott Apollo, der zwar in mythischer Vorzeit an der Vertreibung Saturns auf Seiten Iuppiters beteiligt gewesen ist, jedoch auch zur Überwindung des Bürgerkriegs beigetragen hat. In seinem Zeichen soll, darauf richtet sich Tibulls Gebet, ein neues Zeitalter des Friedens einkehren. Mit seiner doppelten Funktion als Bezwinger Saturns und als Bringer des Friedens eröffnet Apollo die Möglichkeit einer Versöhnung zwischen Tibulls Ideal, das ebenfalls unter der Herrschaft Iuppiters bestanden hat, und der Wirklichkeit, die in diesem Gedicht Messalla und sein Sohn als Politiker und Militärs verkörpern. Mit dieser Wahrnehmung und Deutung von Vergangenheit und Gegenwart sind die Darstellung der Geschichte, die Ziele der Politik des Princeps und die Intentionen, die er mit dem Forum verfolgte, unvereinbar.

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Zwischenbilanz II

Das Augustusforum knüpft zugleich an die klassischen Themen der römischen Geschichtsschreibung an. Zwar dienten, wie sich aus prosopographischen Details ergibt, Livius’ Ab urbe condita unmittelbar gar nicht oder nicht als einzige Quelle bei der Erstellung der Inschriften. Unverkennbar aber stimmen die Auffassungen des Historikers über die Lösung innerer Probleme tendenziell mit jenen des Princeps überein. Auf zwei Feldern stellten sich die Herausforderungen, in der Beseitigung sozialer Notlagen der Plebs und in der Abwehr von Erschütterungen der politischen Ordnung. In beidem lag die Ursache für schwere, sich bis zum Bürgerkrieg steigernde Verwerfungen in der res publica. Der auf Akzeptanz des Volkes wie der Nobilität angewiesene Princeps konnte hier angesichts strukturell über die Jahrhunderte hinweg gleichförmig bleibender Verhältnisse das Credo seiner Herrschaftsausübung ablegen. Der auf Integration der unterschiedlichen Sektoren der Bürgerschaft abgestellten Politik des Princeps entspricht die livianische Vorstellung, dass innere Eintracht durch populare, wenn auch gesetzeskonforme Maßnahmen und Gesetze erreicht werden könne. Diese Strategie, die von kooperationswilligen Patriziern in der Frühen Republik erfolgreich verfolgt worden war, hatte einst zur Sicherung der patrizischen Vormachtstellung gedient. In vergleichbarer Weise war auch der Princeps auf die Zustimmung des Volkes angewiesen, um innenpolitische Turbulenzen zu verhindern und, gerade in der Phase der Etablierung der neuen Ordnung, als die langfristige Dauer des Principats noch nicht absehbar war, um potentiellen Rivalen keine Gelegenheit zum Erwerb von Popularität und zum Aufbau eines Clientels zu geben. Von der realen Gefahr einer solchen Entwicklung kündeten verschiedene Verschwörungen, denen Augustus ausgesetzt war. Wie auch, der historischen Projektion gemäß, in der Frühen Republik gehörte die Sorge um die Nahrungsmittelversorgung und die Schuldenproblematik zu den klassischen Problemfeldern der jüngeren Vergangenheit. Die Binnenverhältnisse in der Nobilität bilden ein zweites gemeinsames Thema von Forum und Ab urbe condita. Neben dem Problem der Einbindung des Volks in die res publica war die Konkurrenz innerhalb der Senatsaristokratie mit ihren schließlich fatalen Konsequenzen ein weiterer charakteristischer Komplex der Innenpolitik. Die kausalen Zusammenhänge der verschiedenen Konflikte, die in den Inschriften aufgegriffen werden, konnte Augustus nicht erörtern. Zusätzlich zu den sozialen Spannungen, die Ausdruck der Konfrontation gesellschaftlicher Gruppierungen waren, treten Individuen auf, die in Konkurrenz um Prestige und Macht zueinander standen. Die von Augustus aufgegriffenen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Dictatoren und Magistri equitum bei der Kriegsführung gehören, wie angedeutet, zu einprägsamen Beispielen in Livius’ Geschichtswerk. Gleiches gilt für das Decemvirat und die Bürgerkriegsgegner Sulla und Marius. Hier weitet sich das Problem des aristokratischen Geltungsanspruchs über das beschränkte Gebiet des Militärischen hinaus und greift auf die Organisation der res publica insgesamt über. Sowohl das Forum als auch die historischen Abrisse der Dichtung, aber ebenso die Ab urbe condita begreifen die römische Geschichte als ein Kontinuum politischer Themen und Konstellationen, während sich in linearer Perspektive der Aufstieg Roms zum Weltreich vollzog. Die innenpolitischen Verhältnisse jedoch blie-

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ben wegen der relativen Stabilität des politischen Systems, der libera res publica, über die Jahrhunderte hinweg die gleichen und besaßen eine fortdauernde Aktualität, die den didaktischen Impetus des Forums, der historischen Abrisse Vergils und der Geschichtsschreibung rechtfertigte und ihre Relevanz für die Zukunft fortschrieb. Dem im römischen Niedergangsdenken oft diagnostizierten Verfall kam in dieser Hinsicht keine Bedeutung zu. Bei aller Ähnlichkeit der Komponenten, aus denen sie bestehen, bilden die verschiedenen Formen der historischen Überblicke ein breites Spektrum an Deutungen, Themen, Intentionen und Darstellungsweisen der Bezüge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

VII. UNIVERSALGESCHICHTE UND KALENDER Die römische Geschichte in Ovids Metamorphosen und Fasten 1. OVIDS DEUTUNGEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN ZEITEN DER KRISE UND DES ÜBERGANGS In der zweiten Hälfte der Herrschaft des Augustus nahmen die Herausforderungen für den Princeps außenpolitisch wie innenpolitisch zu: schwere militärische Niederlagen, Verschwörungen, familiäre Verwerfungen, Naturkatastrophen mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die beschwerliche Regelung der Nachfolgefrage.1 Anders als in dem von Unsicherheit geprägten ersten Dezennium des Principats war die neue Ordnung jedoch inzwischen fest etabliert. Dennoch war diese krisenhafte Situation ein besonderer Leistungstest für das neue Regiment. Der Tod des Augustus, nach dem Ovid mit einer umfassenden Bearbeitung zumindest der Fasten begann, führte zu einem Herrschaftswechsel, der sich unter innenpolitischen Spannungen und unter der Gefahr eines Putsches der Armee vollzog. Mit Tiberius kehrte dann, nach annähernd einem halben von Augustus maßgeblich bestimmten Jahrhundert, ein neuer politischer Stil ein, der schon bald zu Irritationen innerhalb des Senatorenstandes, aber auch der Gesellschaft führte.2 Aber nicht nur wegen des Wandels des historischen Kontexts hatten sich die Rahmenbedingungen für Ovids Spätwerk, die Metamorphosen und die Fasten, geändert. Inzwischen hatte sich der erfolgreiche Dichter aus einer nicht aufzuklärenden Ursache den Zorn des Princeps zugezogen und war nach Tomi, ans Schwarze Meer, relegiert worden.3 Beide Werke waren zuvor nahezu gleichzeitig entstanden. Über die genaueren Umstände der Veröffentlichung ist wenig bekannt.4 Als Ovid das Verbannungsurteil ereilte, im Jahr 2, lagen sie zumindest in einer Rohfassung vor und dürften in seinem Bekanntenkreis zirkuliert haben, bevor sie einen Überarbeitungsprozess durchliefen. Neben literarischen Ambitionen verfolgen sie, wie auch die Briefdichtungen, einen praktischen Zweck: die Rückberufung Ovids aus dem Exil. Ovid selbst charakterisiert sie als Huldigungsgedichte an den Princeps und dessen Politik.5 Da sich historische Themen einer verbindlichen Interpretation entzogen,6 und jede Beschäftigung mit der Geschichte daher zu einem autoritativen Akt wurde, trat er in 1 2 3 4 5 6

Bleicken 1998: 619–668; Kienast 2009: 136–149; Dahlheim 2010: 317–349; Levick 2010: 164–201; für einen Kurzüberblick s. Zimmermann 2014: 217–222. Zu den Details s. u. Kap. C I. Zu diesem Komplex und den Folgen für das Werk s. jetzt bes. Holzberg 1998: 31–37; Williams 2002: 233–245; White 2002: 15–25. Zur Abfassungszeit zusammenfassend Pasco-Pranger 2006: 23–26. Ov. fast. II 10; 17; Pont. I 1,41–48. Zur Problematik des Wahrheitsanspruches s. Pasco-Pranger 2000: 290.

2. Die römische Geschichte in den Metamorphosen

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einen Dialog mit und in Konkurrenz zu den Bemühungen um historische Sinnstiftung, die der Princeps betrieb. Er selbst benennt die ideologische Dimension der Metamorphosen und der Fasten, die er als munera charakterisiert, als eine Dichtung, die der öffentlichen Sphäre angehört,7 und wird zum operosus, der sich einem ernsthaften Sujet widmet, keinem Spiel mehr wie in der Liebesdichtung.8 Auch unter poetologischen Gesichtspunkten sind sie nicht mehr wie die Liebesdichtungen ein exiguum, sondern ein maius opus, beide dem Epos, die Fasten auch der antiquarisch-aitiologischen Lehrdichtung in der Nachfolge des Kallimachos nahestehend.9 Die beiden Dichtungen unternehmen komplementäre, das Phänomen der Zeit aus unterschiedlicher Perspektive erfassende Annäherungen an die Geschichte. Die Metamorphosen wählen einen universalgeschichtlichen Zugriff, der mit der Erschaffung der Welt beginnt und die Geschichte der Menschheit bis zur Zeit des Augustus verfolgt, bevor er schließlich auf die Gegenwart eines jeden Leser ausgreift. Die Fasten beschränken sich auf einen Ausschnitt aus diesem zeitlichen Horizont, auf die römische Geschichte, stellen sie jedoch nicht in einem linearen Narrativ10 dar. Chronologisch überschneiden sie sich mit dem XIV. und dem XV. Buch der Metamorphosen, greifen aber auch auf das Principat des Tiberius aus. So bilden die Metamorphosen den weltgeschichtlichen Rahmen, in den sich das Geschehen der Fasten Platz einordnet. Beide Dichtungen gehören einer Übergangszeit zwischen den Principaten des Augustus und des Tiberius an. Sie sind deshalb ein Dokument für die Veränderungen im historischen Diskurs, der in der Zeit der Saecularfeier seinen Höhepunkt hatte. Zu fragen ist, ob sowohl die Etablierung der Principatsordnung als auch die Verwerfungen der jüngsten Vergangenheit sowie nicht zuletzt das persönliche Schicksal Ovids zu einem Wechsel der Perspektive auf die Geschichte geführt haben. 2. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DEN METAMORPHOSEN a) Einführung Zwischen den Metamorphosen und der Universalgeschichtsschreibung besteht eine enge Verwandtschaft.11 Ovids Dichtung umfasst fünf mythisch-historische Abschnitte: die vier Zeitalter, beginnend mit dem Goldenen, endend mit dem Eisernen, mitsamt der Zerstörung der Welt im Kataklismos; die Neuerschaffung der belebten Natur und des Menschengeschlechts; den Mythos; die historische Epoche und die 7 8 9 10 11

Ov. fast. II 10; 17. Ov. fast. I 101; II 512; III 177; s. auch I 6: cum lusit numeris prima iuventa suis. Mit der Ars amatoria verband die Fasten jedoch die didaktische Absicht. Ov. trist. II 547 f.: Fasten als grandia vela. Fast. II 3 f.; IV 3; 9 f.: kein exiguum, sondern ein maius opus. Hinds 1992: 114, aber auch für den Bezug zur Elegie, 88; 90. Beard 1987: 1; 15. Bes. Ludwig 1965; Otis 1970: 45–90; Wheeler 1995; 1999: 117–139; 194–205. S. ferner Granobs 1997: 9 und Cole 2008. Für Bezüge zur Mythographie s. Cameron 2004: 261–303.

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VII. Universalgeschichte und Kalender

mea tempora. Die letzte Phase endet mit der Ermordung Caesars; lediglich Gegenstand einer Prophezeiung ist das augusteische Principat. Durch die Metamorphose des Dichters im Medium der Literatur liegt der chronologische Endpunkt des geschichtlichen Längsschnitts in der Lebenszeit des jeweiligen Lesers.12 Mit der aetas Ovidiana, nicht dem Regiment des Augustus, enden Werk und Geschichte.13 Die angekündigte Herrschaft des Princeps ist zwar eingetroffen, bildet aber kompositorisch nicht den Höhepunkt der Dichtung. Autonom von der Politik ist das Fortleben Ovids allerdings nicht; gebunden an die lateinische Sprache, bedarf es des Fortbestands des Imperiums.14 Der überwiegende Teil der Metamorphosen jedoch gilt der vorhistorischen Zeitphase, dem Mythos. Erst mit dem Fall Troias betritt Ovid das Feld der Geschichte.15 Auch danach strebt er, mythische Erzählungen16 oder römische Themen in loser Mischung präsentierend, keinen vollständigen Abriss der römischen Geschichte an, sondern behandelt die Vergangenheit – wie es dem Gedicht der Verwandlungen entspricht – nur punktuell, in Apotheosen, und beschränkt auf ein schmales Set an Themen.17 Auch wenn er eine ungebrochene Kontinuität über die Zeitläufe hinweg nicht herstellt,18 schafft er dennoch Zusammenhänge zwischen den vorgestellten Personen, die als Substrat der von Ovid als charakteristisch aufgefassten Elemente der Vergangenheit Roms im Rahmen einer Universalgeschichte dienen und deren Bedeutung bis in die Gegenwart und in die Zukunft hineinwirkt. Anknüpfungspunkte bestehen zu Vergils Aeneis.19 Nicht nur vollzieht Ovid die Reise der Troianer in den Westen mit einer Parodie der Aeneis nach. Was die römische Geschichte betrifft, so bilden die Metamorphosen, beginnend bei der Landung der Troianer in Latium, eine Fortsetzung von Vergils Epos. Alles, was über die Kämpfe des Aeneas hinausging, hat Vergil allenfalls in Prophezeiungen behandelt.20 Anders als bei ihm gibt es in den Metamorphosen kein fatum, das Rom ein Reich ohne Grenzen in Raum und Zeit verheißt.21

12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Vgl. Varros Dreiteilung der Geschichte (bei Cole 2004). Bes. Wheeler 1999. Als Akt der Kritik von Hardie 2002 interpretiert. Ov. met. XV 876–878: […] nomenque erit indelebile nostrum / quaque patet domitis Romana potentia terris, / ore legar populi […]. Hierzu bes. Wheeler 2002. Für den Fall Troias als Beginn der Geschichte s. Myers 2009: 4. Diese Themen hat Schmitzer 1990 für seine Untersuchung der Metamorphosen auf ihre zeitgeschichtlichen Implikationen näher betrachtet. Zu den Auslassungen s. Granobs 1997: 12, zur Chronologie 23–32. Angenommen für die Phase von Troia bis Caesar von Wheeler 2000: 107–154; 143. Eine umfassende Analyse des Verhältnisses zwischen den Metamorphosen und der Aeneis bietet Andreae 2003. Näheres zu den Bezügen zur Aeneis bei Myers 2009: 11–18. An dem hier skizzierten Schema ist allerdings auch prinzipielle Kritik vorgetragen worden; s. Schmidt 1991: 20–24; für eine Kritik an Ludwig und Otis: 89–96. Ihr zufolge ist in der Dichtung keine historische Entwicklung erkennbar und sind die Geschichten nicht auf unterschiedlichen Zeitstufen angesiedelt. „Die Erzählung des Eingangs ist thematisch komponiert, nicht historisch-chronologisch und nicht kausal-prozessual […]“ (Schmidt 1991: 22; s. auch 39: „Der Mensch der ovidischen Metamorphosen hat keine Geschichte.“ – „Er ist unveränderlich, nicht trotz, sondern wegen seiner Verwandlung“).

2. Die römische Geschichte in den Metamorphosen

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Über die ideologische Aussage der historischen Übersicht herrscht Uneinigkeit. Wollen die Metamorphosen die Entwicklung vom Chaos zum Kosmos nachvollziehen22 oder besteht das Chaos fort23? Liefern sie eine dichterische Auseinandersetzung mit der „geistigen Situation der Zeit“ während einer Identitätskrise,24 eine „Weltgeschichte in Verwandlungen“ mit einer „augusteische[n] Geschichtsidee“, eine „naturphilosophische Deutung der Gegenwart“25? Dienen sie der Verherrlichung des Princeps oder enthalten sie subversive Kritik an seinem Regiment26? Strittig ist auch, ob die Welt nach dem Ablauf der vier Zeitalter von einer Teleologie geprägt war, von einer zielstrebig auf ein feststehendes Ende der Geschichte hinlaufenden Entwicklung.27 Hier soll die Frage nach der Meistererzählung Ovids in den Metamorphosen anders gestellt werden. Im Mittelpunkt stehen die Abläufe und Charakteristika der römischen Geschichte. Den Ausgangspunkt bildet die Rekonstruktion der Funktionsweise der Welt, der auch die Geschichte Roms und das Principat des Augustus angehören. Danach werden die von Ovid behandelten historischen Stationen auf ihre politische Thematik und Relevanz hin analysiert. Am Ende steht eine Interpretation der geschichtlichen Dimension des Werkes für eine Deutung der Metamorphosen als politische Dichtung. b) Die Zeitalter und die Neuerschaffung der Welt unter Iuppiter Zum „allerersten Uranfang“ der Welt28, gehörte nicht nur deren Erschaffung, sondern auch die Entstehung und Entwicklung des Menschengeschlechts. Von ihr erzählt Ovid mehrere Versionen. Im Anschluss an die Kosmogonie gibt er einen Überblick über die vier Zeitalter mit der parallel einhergehenden Dekadenz der Bevölkerung. Mit dem blutigen Ende des Kampfes der von Iuppiter schließlich besiegten Giganten, deren Blut eine neue Generation von Menschen erschuf, trat eine nochmalige Verschlechterung der moralischen Substanz ein. Angetrieben durch das Verbrechen Lycaons, der es wagte, Iuppiter eine Mahlzeit aus Menschenfleisch vorzusetzen, entschloss sich das Oberhaupt des Olymps, alles Leben auf der Erde auszurotten. Dazu beschwor er eine gigantische Flut herauf. Nachdem die Überschwemmung abgeebbt war, ließ er Deucalion, der zusammen mit seiner Frau als Einziger die Katastrophe überlebt hatte, aus Steinen ein neues Menschenge-

22 23 24 25 26 27 28

Zinn 1956; Buchheit 1966; Ludwig 1965. Andrae 2003. Fränkel 1945; Zitat Schmidt 1991: 38, zur Diskussion 48–55. Zinn 1956, diskutiert von Schmidt 1991: 38–47; Zitat 37 f. S. hierzu bes. die monographischen Untersuchungen von Lundström 1980; Schmitzer 1990, zu dessen Verdiensten es gehört, zeitgeschichtliche Themen und Konstellationen in mythologischen Episoden aufzuspüren; Andreae 2003; Urban 2005. Keine Teleologie: Wheeler 1999: bes. 32; Tissol 2002. Ov. met. I 3 (primaque ab origine mundi).

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schlecht erschaffen, einen „harten und ausdauernden Menschenschlag“, dessen Charakter dem Material entsprach, aus dem er entstanden war.29 Unverkennbar stellt Ovid zwischen der Zeitgeschichte und den Anfängen der Welt eine typologische Beziehung her, die sowohl die allgemeinen Lebensverhältnisse und Mentalitäten als auch die Herrschaftsausübung der beiden maßgeblichen Gestalten, Iuppiter und Augustus, betrifft.30 Weil zu den zentralen Elementen der Selbstdarstellung und Herrschaftslegitimation des Princeps die Wiederherstellung eines neuen Goldenen Zeitalters gehörte, verleiht die Übersicht der Zeitalter, aber auch die Niederschlagung der Rebellion der Giganten und die anschließende Neuerschaffung der menschlichen, tierischen und pflanzlichen Natur diesem Beginn der Metamorphosen eine politische Dimension. In der Antwort auf die Frage, inwieweit das augusteische Principat tatsächlich das Ideal des Goldenen Zeitalters, über das Saturn gebot, zu erreichen vermochte, ist deshalb eine Positionierung des Dichters zu entdecken, die durch einen sozusagen historischen Vergleich scheinbar objektiv den Wahrheitsgehalt der Herrschaftsrepräsentation überprüft. Für die Darstellung der Abfolge der Zeitalter greift Ovid auf das prominente Vorbild des hesiodischen Zeitaltermythos zurück und operiert also mit einem Dekadenzmodell, das seinem Bekenntnis zum Fortschritt in den früheren Dichtungen zu widersprechen scheint – ein Ausdruck des Wandels seiner Überzeugungen, einer Neugewichtung seiner Bewertung der Welt, einer Wendung zum Pessimistischen, teils durch äußere Ereignisse, teils durch persönliche Erfahrungen bestimmt, die prinzipielle Auseinandersetzung mit dem Regiment des Augustus, dessen Person und Herrschaft er bisweilen satirisch attackiert? Tatsächlich hat man die Zeitalterfolge als eine entlarvende Kritik an den Restitutionsbestrebungen des Augustus gelesen, als eine Absage an die Wiederherstellung eines Goldenen Zeitalters und als Identifizierung der Gegenwart mit dem Eisernen Zeitalter unter Iuppiters Herrschaft.31 Bei der Charakterisierung der Epochen hält sich Ovid, über Hesiod hinaus, eng an die fortschrittskritische Tradition.32 Aus seiner konventionellen Beschreibung eines bißow auötoßmatow stechen nur einige Ergänzungen im Eisernen Zeitalter zu zwischenmenschlichen Beziehungen hervor.33 Die zahlreichen Negativattribute, die Ovid bei der Behandlung des Goldenen Zeitalters verwendet, weisen darauf hin,

29 30

31 32 33

Nach Ov. met. I 414 f.: Inde genus durum sumus experiensque laborum / et documenta damus, qua simus origine nati. Hierzu jetzt Andrae 2003: 114. Einen weiteren Abriss der Kulturentwicklung, der fortschrittskritisch angelegt ist und in ein Plädoyer für die vegetarische Ernährung gehört, enthält die Rede des Pythagoras (hier: XV 96–142). Die These, dass die Eigenarten der Kulturentwicklungstheorie lediglich von literarischen Strategien bestimmt sind („referre idem aliter“), wie Galinsky 1996: 197 behauptet, übersieht die Substanz der mit ihr verbundenen Motive und Argumente im zeitgeschichtlichen Diskurs. Lundström 1980; Schmitzer 1990 (mit der älteren Literatur). S. hierzu die Einführung in die Kulturentwicklungslehren (Kap. B.II,2). Ov. met. I 89–150. Für die Belege im Einzelnen s. Bömer 1969: 47–73; Kubusch 1986: 185; Barchiesi 2005: 166–175. Unnötigerweise hat Bömer 1969: 70 f. in ihnen klassisch römische Themen identifiziert; s. ferner Barchiesi 2005(a): 172.

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dass seine Sicht von späteren Entwicklungsstufen bestimmt ist.34 Diese paradiesartige Frühzeit unterstand der Herrschaft Saturns.35 Weder waren Richter zur Einhaltung der Gesetze notwendig noch gab es überhaupt Gesetze; der Schutz der Menschen hatte keinem vindex anvertraut werden müssen.36 Allein durch ihre fides wahrten sie Rechtschaffenheit. Noch war das Edelmetall unbekannt, niemand verfügte über Privatbesitz. Weil der Ackerbau unbekannt war, hatten die viscera terrae nicht für die Versorgung der Menschen verletzt werden müssen. Von selbst habe die Natur, verkündet Ovid, alles Notwendige bereitgestellt. Auch trieben die Menschen nicht wie später aus Profitgier Fernhandel. Stets herrschte Frühling, eine einzige fruchtbare Jahreszeit, frei von klimatischen Extremen. Das neue Zeitalter, das Silberne, stand unter der Ägide Iuppiters.37 Nunmehr seien die Jahreszeiten entstanden, die das Jahr gliederten. Vor allem aber habe nun die menschliche Zivilisation eingesetzt, eine Erscheinung des Verfalls, weil zuvor die Natur alle überlebensnotwendigen Ressourcen bereitgestellt habe. Zu den neu aufgekommenen zivilisatorischen Erscheinungen zählen die Errichtung fester Behausungen und der Ackerbau mit Unterstützung von Tieren. Nur drei Verse gelten dem Ehernen Zeitalter.38 Als Gegenstück zum Goldenen Zeitalter behandelt Ovid jedoch in gleicher Ausführlichkeit das Ende des Niedergangsszenarios, das Eiserne Zeitalter, den äußersten Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte, dessen Kennzeichen die Entstehung von Kriminalität war.39 Über die zivilisatorischen Vorzüge, die gemäß der Vorlagen Ovids auf dieser Entwicklungsstufe einen hohen Grad erreicht haben müssten, verlautet nichts. Hier herrschten nur noch Verbrechen und Gottlosigkeit; Schamgefühl, Integrität und Zuverlässigkeit waren verschwunden; Intrigen, Gewalt und die „verbrecherische Habgier“ vergifteten das Zusammenleben. Im Eisernen Zeitalter wurden die Edelmetalle entdeckt; sie waren die Voraussetzung für die Erfindung von Waffen und Geld sowie des Privatbesitzes. Die Pleonexie trieb den Menschen zum Fernhandel in Übersee und stiftete Kriege an. Blutige Konflikte herrschten nun sogar zwischen Gastfreunden und innerhalb von Familien. In dieser Phase verließ die Göttin Dike, die Gerechtigkeit, die Erde. Die zeitgenössischen Leser dürften zahllose Merkmale des Eisernen Zeitalters auf die Wirklichkeit des augusteischen Principats übertragen haben.40 Zwar gehörte die geschichtliche Welt nicht zum Eisernen Zeitalter, sondern fiel in die Phase, die nach dem Abebben der Flut begann, doch entsprach sie dem Eisernen Zeitalter, wie angedeutet, in mannigfachen Erscheinungen: so in der Huldigung des Geldes 34 35 36

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Zum Goldenen Zeitalter: Ov. met. I 89–112. Zu den Negationen s. Galinsky 1981: 197 f.; 199 f.; Barchiesi 2005: 167 f. mit Literatur. Ov. met. I 113. Ov. met. I 92 f. Für einen Bezug zu Vergil und der Konzeption des Goldenen Zeitalters des Latinus s. Schmitzer 1990: 41 f. Zum vindex s. bes. R. Gest. div. Aug. 1,1 mit Welwei 1973 sowie Scheid 2007: 28 und Cooley 2009: 107 zur Terminologie und den Münzen, aber zur weiteren Literatur. Ov. met. I 113–124. Über den Herrschaftsantritt Iuppiters lässt Ovid sich nicht aus. Ov. met. I 125–127. Ov. met. I 127; 129–131. Hierzu Schmitzer 1990: 44 f., 46, der sehr stark Bezüge zur zeitgeschichtlichen Dekadenzkritik gegenüber der literarischen Tradition, der Ovid verpflichtet ist, hervorhebt.

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und des Luxus, hinter der sich die Pleonexie des Menschen verbarg; in der Misshandlung der Natur durch Landwirtschaft und Bergbau; und im Bürgerkrieg, der aus den bei Ovid erwähnten Konflikten innerhalb der Familie in neuer Größenordnung entstand. In der Tat war die domus Augusta, als Ovid mit der Abfassung der Metamorphosen begann, mit der Selbstexilierung des Tiberius, dem Tod des L. und des C. Caesar (und Livias vermeintlicher Rolle dabei), der Verschwörung des Iullus Antonius, Iulias dubiosem Agieren sowie der notwendigen Rückberufung des als ehrgeizig geltenden Tiberius in Turbulenzen geraten.41 Tatsächlich aber ist Augustus gegen viele Phänomene, die Eisernes wie augusteisches Zeitalter im Negativen bestimmten, mit seiner Gesetzgebung und der Erneuerung des mos maiorum vorgegangen.42 Die Exzesse im Privatleben der Bürger geißelte er ebenso wie ihre materielle Gier und drang energisch auf die Wiederherstellung des öffentlichen wie privaten Rechts. Bekanntermaßen ging die Konsolidierung des Staates selbst nicht ohne teils umstrittene, teils rechtlich fragwürdige Umstände ab. An der Bemühung um eine Wende zum Besseren konnte kein Zweifel bestehen. Entscheidend aber ist: Die Menschen des augusteischen Principats lebten nicht in jenem Eisernen Zeitalter, von dem Ovid im I. Buch der Metamorphosen spricht.43 Die Flut, die beinahe alles Leben zerstörte, eröffnete eine Phase des Lebens auf der Erde, die anderen Mechanismen gehorcht und ohne einen idealen Urzustand einsetzte. Ähnlich wie im Eisernen Zeitalter bestehen die Menschen von vornherein aus hartem Material, das ihren Charakter widerspiegelt. Fortan folgte die Ordnung der Welt keinen teleologischen Gesetzmäßigkeiten mehr;44 und die Zukunft wird nicht durch übermenschliche Faktoren determiniert. Für die künftige Geschichte besitzt die Zeitalterlehre nach dem Neuanfang keinen Ansatzpunkt als Ideal, der eine Rückkehr ermöglicht. Sie ist der irreversiblen Epochenscheide zwischen dem Zeitalter vor Iuppiter und dem Zeitalter Iuppiters in Vergils Georgica vergleichbar. Beide Welten mit ihrer unterschiedlichen Konditionierung und ihren unterschiedlich bedingten Lebensformen stehen sich beziehungslos gegenüber. Insofern trägt Augustus keine Schuld daran, dass die von ihm beherrschte Gegenwart weniger dem Goldenen als dem Eisernen Zeitalter ähnelt, wie es Ovid konstruiert. Augustus’ Berufung auf das Goldene Zeitalter, das er wiederherzustellen beanspruchte, enttarnt die Kosmogonie nicht als propagandistische Lüge, verstand der Princeps doch unter seinem Ideal keinen Primitivismus, sondern eine Epoche, in der Gesetze und Waffen Wohlstand und Frieden sichern, eine Epoche, die Saturns Goldenem Zeitalter in der Archäologie des Euander in Vergils Aeneis, aber auch Augustus’ eigenen, im Carmen Saeculare formulierten und in der Saecularfeier wie auch sonstigen Formen der Selbstdarstellung öffentlich propagierten Vorstellungen entsprach. Dass auch für den Princeps eine Rückkehr zu jenen Verhältnissen unmöglich blieb, die einst das Goldene Zeitalter in der Welt vor der Flut ausgezeich41 42 43 44

Hierzu Schmitzer 1990: 48 mit weiterer Literatur. Zum Ehrgeiz des Tiberius: Suet. Tib. 11,1; zu Livia: Dio LIII 33,4 f. Hierzu sowie zum Folgenden s. Kap. A.I. Anders Schmitzer 1990: 46. Überzeugender dagegen Bömer 1969, Ludwig 1965: 82 und Wheeler 2002, dass nach dem Eisernen Zeitalter die Geschichte nicht zu Ende sei. Hierzu jetzt Andrae 2003: 70–72.

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net hatten, verboten die Mechanismen der geschichtlichen Welt, die anschließend entstand. Sich über deren Konditionierung hinwegsetzen zu wollen, wäre eine bloße Utopie ohne Chance auf Realisierung gewesen. Die Folge sind gravierende Unterschiede in den Bewertungskategorien der Politik zwischen der Gegenwart und dem Goldenem Zeitalter. Der zur Zeit des Augustus erreichte Zivilisationsgrad war nicht mehr rückgängig zu machen. Allein die Existenz der Jahreszeiten, deren Manipulation nicht in der Macht des Menschen liegt, sowie auch die Bedingungen der Umwelt zwangen den Menschen, Wege des Überlebens zu finden. So ist etwa der bereits im Silbernen Zeitalter entstandene Ackerbau eine Notwendigkeit, und so fruchtbar die Natur in Italien auch sein mochte, so wenig spendete sie dem Menschen Nahrungsmittel von sich aus – sie zwang den Menschen zur Arbeit. Auch die Rückführung der differenzierten menschlichen Gemeinschaft auf das Niveau des Goldenen Zeitalters lag außerhalb der politischen Möglichkeiten. Es ist daher keine Kritik am Regiment des Augustus, wenn Ovid zu den Merkmalen des Goldenen Zeitalters zählt, dass es keinen vindex gegeben habe, während der Princeps sich gerade als ein solcher stilisierte.45 Die Notwendigkeit von Gesetzen war ein integraler Bestandteil der Konsolidierung nach dem Bürgerkrieg. Die selbstlose Gutartigkeit des Menschen existierte lediglich im Goldenen Zeitalter. Gerade die Erfahrungen aus dem Bürgerkriegsjahrhundert und aus der Etablierungsphase des Principats boten Beispiele für die Lehre, dass Gesetze und Waffen den Frieden sichern konnten, auch wenn sie durch ihre schiere Existenz prinzipiell zugleich eine Herausforderung an den Frieden darstellten oder den Kennzeichen des Zeitalters Saturns widersprachen. Ein Vergleich zwischen der Gegenwart, die unter den Bedingungen der geschichtlichen Welt lebt, und der mythischen Vorzeit ist für die Bewertung der Politik des Princeps nicht zulässig. Alles in allem bestand die Leistung des Augustus darin, Frieden und Sicherheit, wie sie im Goldenen Zeitalter des Mythos geherrscht hatten, soweit möglich unter den Bedingungen der geschichtlichen, Eisernen Welt wiederherzustellen und dabei jene Mittel zu nutzen, die diesen Bedingungen entsprachen. Das neue Goldene Zeitalter des Augustus konnte so zu einem würdigen Äquivalent des Goldenen Zeitalters des Mythos werden. Zweifellos bestehen Ähnlichkeiten zwischen Augustus und Iuppiter, jenem Gott, der nicht nur das Goldene Zeitalter Saturns beendet, sondern auch Anschläge auf sich gewaltsam abgewiesen hatte, danach die Menschheit vernichtet und zuletzt eine unvollkommene Neuschöpfung der Welt, in vielem dem Eisernen Zeitalter ähnelnd, in Angriff genommen hatte. Als substantiellste Parallele zwischen ihnen erscheint die Zerstörung der Welt zur Beseitigung des frevelhaften, durch das Blut der Giganten kontaminierten Menschengeschlechts, das Lycaon exemplifiziert. Iuppiter und Augustus vereint lediglich, dass sie zum Durchgreifen gegen die Auswüchse in ihrer jeweiligen Umwelt gezwungen waren. Den Anschlag, den Lycaon auf Iuppiter plante, parallelisiert Ovid mit Anschlägen auf den Princeps,46 womöglich konkret mit der Verschwörung des Iullus 45 46

Deshalb kritisiert Ovid hier nicht die vermeintliche „ideologische Überhöhung“ der Gegenwart (Schmitzer 1990: 43). Ov. met. I 197 f.; 200–203: […] sic [d. h. wie bei den Göttern im Olymp] cum manus inpia aevit / sanguine Caesareo Romanum extinguere nomen, / attonitum tanto subitae terrore rui-

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Antonius, dessen Archetyp Lycaon sein mag.47 Wie Iuppiter der Herrscher über die Götterwelt ist, so verkörpert Augustus den römischen Staat. Mit dem Tod beider soll jeweils eine Herrschaftsform ausgelöscht werden. Beide besiegten ihre Widersacher gewaltsam.48 Aber sie hatten nicht den Konflikt eröffnet, sondern ihn beendet.49 Eine zweite Gemeinsamkeit betrifft die Reaktion auf die Widersacher. Wie der Gott von seinem Umfeld in der Abrechnung mit Lycaon und den Menschen bestärkt wird, so der nachmalige Princeps von seinen Gefährten, die ihn bei der Niederschlagung der Verschwörung unterstützen.50 Was die Unterstützer des Princeps betrifft, mag Ovid an seine Verwandten51 wie die Enkel C. und L. Caesar52 und Tiberius53, nicht minder jedoch an seine engen politischen Freunde, namentlich Agrippa und Maecenas, gedacht haben. Wahrscheinlich steht auch die Götterversammlung, die Iuppiter vor seinem entscheidenden Schlag konsultierte, in typologischer Beziehung zum Senat.54 Anders als der Göttervater riss Augustus die Welt jedoch nicht in einen Abgrund. Nachdem die Republik bei seinem Eingreifen in die Politik darniedergelegen hatte, gelang es ihm, sobald die Bürgerkriege beendet waren, die res publica zu konsolidieren. Aus dem Chaos nach dem Tod des Dictators heraus begründete er, hierin Iuppiter vergleichbar, eine neue Ordnung, schuf aber kein neues, unvollkommenes Menschengeschlecht. Hier endet die Parallele zum Göttervater. Vielmehr hatte er nach der Flut in der neuen Welt, mit den zu ihr gehörenden Mechanismen und Menschen zu agieren. Seine Zeit lief vor einem historischen Horizont ab, den Iuppiter geschaffen hatte und von dem sie nicht abzulösen war. Diese chronologische Subordination verhindert alle Versuche, Iuppiter und Augustus zu parallelisieren. Die Zeit der Bürgerkriege und das Principat in eins zu setzen, entsprechend der Ähnlichkeit von Eisernem Zeitalter und neuer Welt, hätte zudem, bei allen Widrigkeiten, die Augustus abzuwehren und zu bekämpfen hatte, den zeitgeschichtlichen Verhältnissen Hohn gesprochen. In einer so beschaffenen Welt konnte der Princeps nicht an das Goldene Zeitalter des Mythos anknüpfen. Die Mittel, die er anwandte, Gesetze und Waffengewalt, entsprachen der Konditionierung der Welt. Für seine Widersacher, die sich auf die

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nae / […]. Da Ovid den Namen des Augustus nicht nennt, ist prinzipiell nicht ausgeschlossen, dass Caesareo sich auf Caesar, den Dictator, nicht auf dessen Sohn, den Princeps, bezieht. In der Tat ist dies eine Streitfrage in der Ovid-Forschung, hierzu Bömer 1969: 87 und Harrison 1996: 127–133 mit den jeweiligen Positionen. Sollte jedoch nicht Augustus gemeint sein, würde die Parallelisierung an Prägnanz verlieren. Dass Ovid hier auf beide, Vater wie Sohn, zugleich anspielt, wie Barchiesi 2005(a): 188 behauptet, vermag am wenigsten zu überzeugen. Entschieden Schmitzer 1990: 79 f.; 81 f.; 84, der ausführlich die historischen Hintergründe dieser Affären beleuchtet. So auch Buchheit 1966. Gegen Schmitzer 1990: 63. Zur Parallelisierung Iuppiters mit Augustus s. Schmitzer 1990: 53–59. – Ob die pietas tuorum, die ihm dabei zuteil wurde, ironischerweise die skandalgeschüttelte Iulia einschließen soll, wie Schmitzer 1990: 87 annimmt, erscheint fragwürdig. Ov. Pont. III 1,164. Ov. Pont. II 2,73 f. Ov. Pont. II 2,81; IV 9,107 (Stellen bei Bömer 1969: 89). So überzeugend Heinze 1960: 315.

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Verteidigung der Freiheit beriefen,55 aber nach Ovid in Wahrheit das Reich zu zerstören suchten, stehen die Giganten, die Iuppiters Herrschaft aus dem eigenen Streben nach dem Königtum heraus attackierten und den Krieg begannen.56 Dass daher auch die familiären Schwierigkeiten, wie sie im Eisernen Zeitalter bestanden, unter seiner Herrschaft wiederkehrten, überrascht wenig. Pikant war allerdings, dass mit seiner Tochter Iulia eine Angehörige der domus Augusta am Rand in eine Verschwörung verwickelt war.57 Die traditionswidrige Einführung der Familienverhältnisse in das Zeitalterschema, das einen Vergleich zwischen Eiserner Zeit und Gegenwart geradezu herausforderte, legt nahe, dass Ovid hierin, in den prekären Verbindungen, ein Kennzeichen der Gegenwart sieht und dieses Charakteristikum auch bewusst zu nennen beabsichtigt. Aber das weist auf nicht mehr als eine Schwachstelle der Gegenwart und die Notwendigkeit von deren Beseitigung hin, so wie auch die übrigen, für die geschichtliche Welt aber nicht untypischen Elemente des Eisernen Zeitalters Objekte politischen Handelns bezeichnen und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln immer von neuem zurückgedrängt werden müssen. In den denkbaren Parallelen, die sich zwischen Iuppiter und Augustus konstruieren ließen, liegt keine Zeitkritik des Dichters, keine Verneinung von Augustus’ Selbstverständnis als Neubegründer eines Goldenen Zeitalters. Das Ideal des Princeps war, wie dasjenige Vergils, an der geschichtlichen Welt, nicht an einem Mythos vom bißow auötoßmatow ausgerichtet. Sein Bestand war jederzeit gefährdet, weil es der korrumpierenden Wirkung der Zivilisation – dem Besitztum, der Existenz von Waffen und dem Handel – ausgesetzt war und nur mit zivilisatorischen Mitteln wie etwa Gesetzen verteidigt werden konnte. Stets war die Geltung des mos prekär. Augustus’ Goldenes Zeitalter war eine Absage an die Utopie. Seiner Existenz widersprechen die Konflikte innerhalb der domus Augusta, auf die Ovid möglicherweise anspielt, nicht. Allerdings, das zeigt das Beispiel der Giganten, könnten sie Vorboten einer weit ausgreifenden, auch die Machtfrage berührenden Auseinandersetzung werden, die Frieden und Stabilität gefährdet. c) Die römische Geschichte α) Einführung Die römische Geschichte erreicht Ovid im vorletzten, im XIV. Buch und führt sie bis in die Ära des Augustus hinein, ab der Ermordung Caesars jedoch nur als Prophezeiung.58 An den Schluss setzt er seine eigene Verwandlung. Mit diesem Aus55 56 57 58

Für Verschwörungen s. v. a. Suet. Aug. 19; Sen. clem. I 9; Dio LV 4,3; 14–22. Ov. met. I 152: adfectasse ferunt regnum caeleste Gigantas / […]. Zu den Giganten s. Bömer 1969: 70 f. Zum crimen des Strebens nach dem regnum s. fast. VI 185; 643 (zu den drei Usurpatoren der Frühen Republik). S. hierzu S. 310. Wichtige aktuelle Behandlungen in der Forschung: Lundström 1980; Bömer 1986; Schmitzer 1990; Granobs 1997 (mit der Rez. von St. M. Wheeler, CR 1999, 62–64, bes. 63); Andrae 2003. Stark Schmitzer verpflichtet, aber ohne neue Argumente Urban 2005. Für einen ausführlichen

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blick auf das Nachleben, das sich, an die Fortexistenz der römischen Literatur und des Imperiums gekoppelt, bis in die Gegenwart des jeweiligen Lesers erstreckt, endet das Werk. Als kompositorische wie chronologische Brücke, über die Ovid zur Geschichte Roms gelangt, dient eine Parodie auf Vergils Aeneis, die geographisch den Weg der Troianer nach Italien nachvollzieht, dabei aber eine Vielzahl politisch relevanter Elemente der Vorlage wie Prophezeiungen übergeht oder, wie Aeneas’ Besuch in der Unterwelt, ideologisch entkernt und jedenfalls den von Vergil gesetzten narrativen Rahmen vornehmlich mit amourös-erotischen Geschichten auffüllt.59 Anders als das Original kann diese Aeneis en miniature nicht der „nationalen“ Identitätsbildung dienen. Eine Provokation oder ein Affront gegenüber Augustus, dem dezidierten Anhänger des Epos Vergils, muss in dieser spielerisch-unterhaltsamen Umformung der vom Princeps hochgeschätzten Vorlage jedoch nicht liegen.60 Das siegreiche Ende des knapp skizzierten, auf die Grausamkeit des Kampfes reduzierten Kriegs gegen Turnus und die Rutuler war die Voraussetzung für die Etablierung des Reiches der Troianer in Italien unter Aeneas’ Führung.61 Als nächstes handelt Ovid die Latinerkönige ab, deren Stammvater Iulus ist. Über sie leitete Augustus seine Zugehörigkeit und die seines Vaters zur troianischen Herrscherfamilie und zur göttlichen Abstammung von Venus ab und verlieh dieser Verwandtschaftsbeziehung sichtbaren Ausdruck im Augustusforum. Nachdem bereits Properz zumindest vordergründig die Abfassung eines Epos über die Latinerkönige erwogen hatte, hat auch Ovid deren Bedeutung für die Selbstdarstellung des Princeps in den Fasten angeführt.62 Dann geht er zur Herrschaft des Romulus über, die mit dessen Apotheose endet, widmet sich anschließend, im XV. Buch, der Bestellung Numas zum König von Rom und schließt die Frühzeit mit dem freiwilligen Exil des Cipus ab, der die Königsherrschaft von Rom fernzuhalten suchte. Die Geschichte der Republik ist vertreten durch die Aufnahme zweier Götter in den Kult: Aesculap, der aus Kleinasien stammt, und Caesar, dessen Deifizierung sein Nachfolger Augustus veranlasste. Beider Apotheosen wurden durch die Vergöttlichungen des Aeneas und Romulus bereits vorweggenommen. Aus dem Staatsarchiv Roms, das bei den Parzen verwahrt wird, trägt Iuppiter gegenüber Venus die Zeitgeschichte mit den Bürgerkriegen, der Wiederherstellung des Friedens, der inneren

59 60 61 62

Überblick über die ältere Forschung s. Schmitzer 1990, für weitere gegenwärtige Tendenzen Ders., Gymnasium 109, 2002, 143–166; Gymnasium 114, 2007, 149–179. Hierzu s. bes. Myers 2009: 11–19. Für eine Übersicht s. Myers 2009: 18 f. – Für eine Zusammenfassung der Aeneis s. met. XV 771–775 (Klage der Venus über die bevorstehende Ermordung Caesars), für Aeneas’ Ausflug in die Unterwelt XIV 101–128. Politische Deutungen der Aeneis Ovids s. Myers 2009: passim. Die aktuellste augustuskritische Behandlung dieses Komplexes liefert Andrae 2003; s. aber auch Casali 1995. Zur Fixierung Ovids auf die Gewalt s. Quint 1993: 82 f.; Hardie 1993: 25. Ov. met. XIV 609–621. – Prop. III 3,1–4; Ov. fast. IV 19–60. Mit Myers 2009: 160 sei auch auf die pompa funebris des Drusus hingewiesen, in der die Latinerkönige vertreten waren (Tac. ann. IV 9,2). Ob die Auslassung des Aeneas Silvius eine gegen den Princeps gerichtete Spitze ist, wie Brugnoli 1996: 131 f. behauptet, muss offen bleiben, zumal er Silvius als Sohn des Ascanius anführt und nur schwach andeutet, dass, wie eine ältere Version lautete (Cato FRH 3 F 1,11), Silvius auch der Halbbruder des Iulus gewesen sein könnte – so zuletzt Liv. I 3,2; Dion. Hal. ant. I 71,1, v. a. aber Verg. Aen. VI 763–766.

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Konsolidierung Roms, der Etablierung der Weltherrschaft sowie der Errichtung des Principats und der iulischen Dynastie vor. Eingeschaltet in diesen historischen Durchlauf sind mehrere kleinere Erzählungen, religiöse Aitien, erotische Geschichten und die annähernd die erste Hälfte des XV. Buches umfassende Rede des Pythagoras über den Wandel als Strukturmerkmal der Welt.63 Eine detaillierte Rekonstruktion der römischen Geschichte oder gar der republikanischen Epoche enthält der Durchgang nicht. Er ist auf die Gegenwart zugeschnitten und auf jene drei maßgeblichen Figuren konzentriert, die auch bei Properz, im Augustusforum und in Ovids eigenen früheren Werken das Bild von der Vergangenheit bestimmen: die großen Gründergestalten Aeneas, Romulus und Augustus. Die Latinerkönige sowie Aesculap dienen als Verbindungsglieder für die Verkoppelung der troianischen mit der römischen Tradition bzw. der Mittleren mit der Späten Republik und erweitern thematisch mit den drei großen Persönlichkeiten zusammenhängende politische Aspekte. Wenngleich Ovid auf eine Darlegung dessen, was in den Einzelheiten zur römischen Geschichte gehörte, verzichtet, schließt seine Behandlung der wenigen ausgewählten Episoden doch die zentralen politischen Themen Herrschaftsform und Herrschaftspraxis ein. β) Die Auswahl der Stationen der römischen Geschichte Die erste Station in der römischen Geschichte der Metamorphosen bildet die Herrschaft des Königs Romulus. Sie ist mit einer Kaskade von Themen assoziiert. Zunächst beseitigte Romulus mit seinem Bruder Remus die Unrechtsherrschaft des Amulius und setzte seinen Onkel Numitor wieder als König ein.64 Das politisch heikle Thema der Gründung der Stadt streift Ovid nur. Breiten Raum nimmt jedoch der militärische Konflikt mit den Sabinern ein, den er zu einem Bürgerkrieg stilisiert.65 Gemäß dem Friedensschluss wurde die Herrschaft zwischen Romulus und dem Sabinerkönig Tatius geteilt. Nach dessen Tod übernahm Romulus wieder die alleinige Macht. Das Bild des Romulus in den Metamorphosen ist von den Fragen der Legitimität und der Ausübung von Herrschaft bestimmt. Auf die Aktivierung des politischen Potentials des Themas der Stadtgründung, das als Ursprung der Bürgerkriege hätte gedeutet werden können, verzichtet Ovid. So ist Rom nicht schon von seinen Anfängen an mit dem Bürgerkriegsmotiv identifiziert und die Gegenwart nicht historisch oder schicksalhaft vorbelastet. Stattdessen war Romulus’ Handeln ursprünglich von der pietas bestimmt, als er die rechtmäßige Herrschaft seines Onkels Numitor wiederherstellte und den Usurpator vertrieb. Den Komplex des Bürgerkriegs eröffnet Ovid dann mit dem Sabinerkrieg. Die Ursache des Konflikts ist für ihn in dieser Episode irrelevant.66 In den Mittelpunkt 63 64 65 66

Zu den kleineren Erzählungen s. die knappen Ausführungen von Myers 2009: 7 f. Ov. met. XIV 772–774: Proximus Ausonias iniusti miles Amuli / rexit opes, Numitorque senex amissa nepotum / munere regna capit […]. Zu Amulius s. auch fast. III 49 f. Ov. met. XIV 773–777. Zum Raub der Sabinerinnen in den übrigen Dichtungen Ovids s. bes. ars I 101–134 und fast. III 167–234.

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rücken die Eskalation der Auseinandersetzung zu einer Form des Bürgerkriegs und dessen friedliche Lösung, die Vereinigung der beiden Völker und die Teilung der Herrschaft. Weder Tatius noch Romulus gewinnen in der Erzählung Profil. Die Entscheidung, Tatius an der Macht zu beteiligen, stellt er als Initiative des Königs dar. Nicht als Tyrannen portraitiert Ovid Romulus, sondern als gerechten Herrscher.67 Die Erzählung endet mit der von Mars initiierten Apotheose des Königs und dessen Verwandlung in den Gott Quirinus. Romulus’ Aufgabe, die Begründung des Staates, war erfüllt. Rom, so die Begründung des Gottes, ruhte auf einem starken Fundament. Es bedurfte nicht länger des Regiments eines Alleinherrschers.68 An den Namen des Romulus knüpft Ovid mehrere den Charakter Roms beeinflussende Metamorphosen. Mit der Beseitigung des Amulius wurde die Voraussetzung für die Gründung der Stadt geschaffen. Deren Aufschwung beförderte die Integrationsleistung der Sabiner, die Roms Bevölkerung vergrößerte und die frühzeitige Schwächung oder Zerstörung der Stadt im Krieg durch politische Partizipation verhinderte.69 Zwar kehrte Rom nach dem Tod des Tatius wieder zur Alleinherrschaft zurück, doch gefährdete Romulus die Stabilität des Staates nicht durch Missbrauch der Herrschaftsgewalt. Im Gegenteil. Mit seiner Regentschaft sind die Konsolidierung nach innen und der Aufschwung nach außen verbunden. Der Tradition, dass Romulus einer Verschwörung des Senats zum Opfer gefallen sei, folgt Ovid dezidiert nicht.70 Von Romulus aus bestehen deutliche typologische Bezüge zur Gegenwart. Er ist jedoch kein Antipode des Augustus, der ebenfalls einen Bürgerkrieg führte, allerdings als alleiniger Sieger daraus hervorging und anschließend die faktische Alleinherrschaft übernahm, die Ovid als das erkannte, was sie war. Auch Augustus nämlich konnte sein Eingreifen in das politische Geschehen der zerfallenden Republik mit der pietas rechtfertigen, mit der Rache für Caesar, seinen Adoptivvater. Den Bürgerkrieg führte er anders als Romulus zwar bis zu seinem militärischen Ende. Aber die Auseinandersetzungen endeten ebenso wie beim ersten König Roms 67 68

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70

Ov. met. XIV 823. Vgl. Ov. fast. II 475–512; 481 f. (anlässlich der Quirinalien). In beiden Fällen werden Romulus’ Taten gewürdigt (anders Myers 2009: 9 zu met. XIV), in den Metamorphosen eher in innenpolitischer, in den Fasten eher in militärischer Hinsicht. Für Alternativversionen s. Liv. I 16,4–8; Dion. Hal. ant. II 56,3. Zur Stabilität des Staates s. XIV 808 f. (Mars an Iuppiter): Tempus adest, genitor, quoniam fundamine magno / res Romana valet nec praeside pendet ab uno / […] (mit fast. II 483 f.). Zur Apotheose Feeney 1991: 213–216. Ov. met. XIV 801–804: […] generi cruorem / sanguine cum soceri permiscuit inpius ensis / pace tamen sisti bellum nec in ultima [!] tantum / decertare placet Tatiumque accedere regno. Zur Vereinigung der Völker s. 805 (populisque aequata duobus). Die Verwendung von socer und gener mag, wie Myers 2009: 200 vorschlägt, Liv. I 13,2 inspiriert haben; s. auch met. I 145; fast. III 201 f.; 225 f. Zurecht verweist Myers 2009: ebd. darauf, dass mit diesen Begriffen speziell der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius gemeint sein könnte, so auch Verg. Aen. VI 830 f.; Lucr. I 289 f.; Mart. IX 70,3 f. Da beim Krieg zwischen Römern und Sabinern jedoch die gesamte männliche Bevölkerung als Schwiegerväter und Schwiegersöhne involviert war, zeigt die Anspielung auf die Zeitgeschichte, dass dort nicht nur zwei führende Vertreter der Senatsaristokratie einander bekämpften, sondern mit ihnen auch die Bevölkerung, die in den Heeren beider Männer diente. Zu dieser Tradition s. die Literatur auf S. 357, Anm. 272.

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ebenfalls nicht mit der Auslöschung eines Gegners. Überdies hatte es zuvor jahrelange Bemühungen zwischen den Kontrahenten um eine friedliche Lösung gegeben. Doch auch wenn schließlich die Widersacher Octavians ihr Leben im Krieg verloren, so konnte der Princeps darauf verweisen, er habe sich nach seinem Sieg um die Integration der Bürgerschaft verdient gemacht und nicht als Gewaltherrscher erwiesen. Die Romulus-Episode ist kein Verdikt über die Monarchie.71 Mars’ Begründung der Apotheose des Romulus besagt, dass in bestimmten Situationen und Konstellationen zumindest temporär eine Alleinherrschaft notwendig sein kann, um den Staat zu stabilisieren. Romulus’ Rückzug durch die Erhebung zum Gott muss indes keine Vorbildfunktion für Augustus haben. Die Bitte um eine Erhebung unter die Götter richtete Romulus erst an ihn, als seine historische Funktion, die Stabilisierung des Gemeinwesens, beendet war. Augustus’ politische und religiöse Erneuerung des Gemeinwesens hingegen bildete eine fortwährende Aufgabe. Ein anderes Verhältnis zur Herrschaft unterhielt Romulus’ Nachfolger Numa, bei Ovid der Tradition entsprechend ein von pietas erfüllter Mann72. Sein Ziel war nicht die Erringung von Macht, sondern das Streben nach Erkenntnis; auch griff er nicht selbst nach der Position des Königs.73 Das an Krieg gewöhnte römische Volk erzog er zu einer friedlichen Lebensweise.74 Das Wirken des Numa und des Romulus verhalten sich komplementär zueinander. Diesem war die historische Aufgabe gestellt worden, die Tyrannenherrschaft des Amulius zu beseitigen, ein auf Grundlage des Rechts fußendes Gemeinwesen zu begründen, den Fortbestand der Bevölkerung mit der Heiratspolitik zu sichern und den inneren Frieden durch das Arrangement mit Tatius zu errichten. Numa war ein König für die Friedenszeit. Sein Werk fußte auf den von Romulus hinterlassenen Grundlagen. In Augustus’ Principat vereinigten sich beide Zeitphasen, die auf Romulus und Numa verteilt gewesen waren: der Kampf um den Frieden und der Frieden selbst. Augustus vermochte die beiden so unterschiedlichen Herausforderungen zu meistern.75 Das Thema der Usurpation der Königsherrschaft liegt der kaum bekannten Episode des Cipus zugrunde.76 Siegreich war Cipus aus der Schlacht zurückgekehrt und schickte sich an, Rom zu betreten, als ihm, der plötzlich zwei Hörner trug, prophezeit wurde, sobald er in die Stadt einziehe, werde er zum König erhoben. Dieses Schicksal suchte Cipus abzuwenden. Der Unterwerfung Roms unter die Königsherrschaft, erklärte er, werde er die freiwillige Verbannung vorziehen. In einer Rede vor Volk und Senat machte er die Weissagung, dass die Rückkehr der Monarchie bevorstehe, bekannt und rief zur Wachsamkeit auf. Sich selbst präsentierte er 71 72 73 74 75 76

So aber jüngst besonders Lundström 1980: 48 f. und Urban 2005. Ov. met. XV 483. Hierzu und zum Folgenden wie auch für die Literatur s. die Gesamtdarstellung von Deremetz 2013 sowie Schmitzer 1990: 251 f. (mit weiteren Belegen und Literatur) und, zur Münzprägung Gyögi 2013; zu dieser Stelle s. auch Granobs 1997: 115 f. Ov. met. XV 4–7; 481 f. Ov. met. XV 484. So auch schon Vergil in der Heldenschau, s. Kap. B.IV,1 und Walter 2004: 416. S. noch Val. Max. V 6,3, mit dem Unterschied, dass hier Cipus in den Krieg zieht, während er bei Ovid von dort zurückkehrt. Zur Figur des Cipus s. zusammenfassend Guillaumin 2008.

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als Retter, indem er erklärte, er selbst habe den Usurpator abgewehrt, und enthüllte dann, dass die Prophezeiung ihm selbst gegolten habe. Dieses Bekenntnis wurde mit einmütigem Bedauern aufgenommen. Den Lorbeerkranz, mit dem er die Hörner verhüllt hatte, setzte man ihm wieder auf, und man schenkte ihm als Ehrengabe ein gewaltiges Landstück außerhalb der Stadtmauern. Was diese Verwandlungsgeschichte thematisiert, ist die in einem Individuum verkörperte Gefahr für die Freiheit, die von der Mutation eines republikanischen Magistraten in einen, allerdings von den Göttern vorherbestimmten, Monarchen ausgeht. Die Erfüllung der Weissagung wurde jedoch durch die Standhaftigkeit des Cipus verhindert, der eine Vorbedingung nicht erfüllte, den Einzug in die Stadt. So vermochte er dem Ideal eines republikanischen Magistraten treu zu bleiben. In vielen Details, wie der siegreichen Rückkehr aus dem Feldzug, in den Hörnern77 oder im Lorbeer78, stecken unverkennbar Parallelen zur Zeitgeschichte.79 Wie Cipus kehrte Augustus im Jahr 23 von einem erfolgreich beendeten Feldzug in Spanien nach längerer Abwesenheit nach Rom zurück. Anders als Cipus zog er aber in die Stadt ein.80 Auch mit Augustus verbanden Prophezeiungen die Einführung einer Monarchie,81 und er selbst plante ursprünglich, den Beinamen „Romulus“ anzunehmen, um damit die historische Verwandtschaft zum ersten König Roms zu unterstreichen.82 Zwar trifft zu, dass Augustus, wie vor ihm Caesar,83 eine Erhebung zum König zurückwies und sich als Restaurator der republikanischen Ordnung inszenierte. Aber der Lorbeer, Zeichen des Siegs, den im Principat des Augustus eindringlich die Lorbeerbäume vor seinem Haus, auf Münzbildern redupliziert, den zeitgenössischen Betrachtern jederzeit vor Augen führten, verhüllten als Symbol der Monarchie die Hörner, die unter Augustus als allgegenwärtiges Signum des neuen Goldenen Zeitalters dienten. Mit dieser Analogie enttarnt Ovid das Regiment des Augustus, die wiederhergestellte Republik, als verkappte Königsherrschaft.84 In der Entlarvung des Princeps als König hat man weitgehend eine Fundamentalkritik Ovids an Augustus gesehen.85 Tatsächlich zieht er den Vorhang von der Illusion der restituierten res publica libera und stellt Augustus, ungeachtet aller Bekenntnisse zur Freiheit, als faktischen Alleinherrscher dar, der, wie die typologischen Bezüge der Cipus-Episode demonstrieren, auf der Grundlage militärischer Sieghaftigkeit agierte. Nicht erfasst haben solche Interpretationen jedoch eine an77 78 79 80 81 82 83 84 85

Bömer 1986: 403; Schmitzer 1990: 270–272 (mit weiterer Literatur). Hierzu maßgeblich Galinsky 1967: 185; s. aber auch Bömer 1958: 151 f. Das dürfte spätestens seit Schmitzer 1990 als Konsens gelten; s. auch Galinsky 1967. Anders jedoch Bömer 1986: 404 f. Richtig Schmitzer 1990: 263. Suet. Aug. 94,3. Zum augurium Augusti s. Schmitzer 1990: 263. Suet. Aug. 7,2 sowie Kap. B.I. Darauf verweist Fränkel 1945: 226. Das in der Cipus-Episode aufgeworfene Problem liegt allerdings nicht darin, dass Augustus die Alleinherrschaft nicht zurückgewiesen hätte, sondern in den tatsächlichen Machtverhältnissen und deren Drapierung. Für eine negative Deutung, nach der Ovid seine Irreverenz gegenüber Augustus und dessen Idealen ausdrückt, s. Galinsky 1967: 185–187; 190 f. Für augustuskritische Deutungen s. Bömer 1986: 403. Noch immer Hauptvertreter dieser Richtung sind Lundström 1980: 76–79 und Schmitzer 1990.

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dere Analogie, die Cipus und Augustus verbindet: die Hörner, bei Cipus ein Symbol des Königtums, bei Augustus ein Zeichen des Goldenen Zeitalters. Sie spielen nicht nur auf die Monarchie an, zu der Rom unter dem Princeps geworden war, sondern verbinden gleichzeitig das Königtum und den in der Zeitaltervorstellung implizierten Frieden mitsamt seiner Prosperität. Beides, Alleinherrschaft und Verwirklichung eines Idealzustands, fällt in Augustus’ Regiment zusammen und bedingt sich gegenseitig.86 Insofern darf Augustus nicht an den von Cipus aufgestellten Maßstäben gemessen werden.87 Im Verlauf der Universalgeschichte, die Ovid in den Metamorphosen erzählt, hat Cipus eine Tat vollbracht, die keine Vorbildhaftigkeit für einen späteren Zeitpunkt besaß, weder für das Ende der Republik noch das Principat des Augustus. Eine augustuskritische Interpretation der Episode verkürzt deren Gehalt um eine zweite, gleichwertige Dimension. Statt eines Tadels für den Princeps schreibt Ovid die Ambivalenz der Gegenwart in diese Geschichte ein. Unmittelbar nach der Aesculap-Episode geht Ovid nach einem chronologischen Sprung über zwei Jahrhunderte zur Zeitgeschichte über.88 Das Thema, das seine Auseinandersetzung mit dem Komplex der Herrschaft fortsetzt, ist die Vergöttlichung Caesars. Mit diesem Ereignis gelangt zugleich die Universalgeschichte der Metamorphosen an ihr faktisches Ende. Das Principat des Augustus erscheint lediglich als Prophezeiung Iuppiters, die Venus’ Verzweiflung über die Ermordung ihres Verwandten Caesar lindern soll. Doch wenngleich die Vergöttlichung Caesars das letzte politische Ereignis ist, das als Vorlage für eine Verwandlungsgeschichte dient, verkörpert dieser dennoch nicht den Höhepunkt der Geschichte. Seine wahrhaft historische Leistung unter den Taten, die Ovid registriert, sei, dass er Octavian als Sohn „hervorgebracht“ habe, dessen Rang auch Venus, Caesars Seele von der Erde forttragend, anerkennt und so seiner Aufnahme in die iulische Familie per Adoption Legitimität verleiht.89 Dass Caesar seine Vergöttlichung nicht den eigenen Verdiensten, sondern der Initiative seines Sohnes verdankt, unterstreicht die nur sekundäre Bedeutung des ermordeten Dictators. Die panegyrische Würdigung der Leistungen Caesars instrumentalisiert Ovid stattdessen für die Verherrlichung des Augustus, na86 87 88

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Vgl. zur angeblichen Verachtung des Königtums Ovids Lundström 1980: 43–49. Insofern wäre gegen Granobs 1997: 159 f. einzuwenden, dass Cipus kein Vorbild für Augustus darstellt. Dies gegen Lundström 1980: 67–79, bes. 72; 79. In der Geschichte der Überführung von Aesculap nach Rom beschreibt Ovid die Reise des aus Kleinasien stammenden Gottes und schildert, wie sich Aesculap am Schluss in die Tiberinsel verwandelt und so seinen Platz in Rom einnimmt (zum Heiligtum s. Bömer 1986: 419). Der Anlass der Gesandtschaft war eine Pestepidemie im Jahr 293 (Liv. X 47,6 f.) oder 295 (Val. Max. I 8,2). Die Episode ist eine Doublette zur Überführung der Magna Mater während des II. Punischen Krieges 215 (zu den Parallelen Bömer 1986: 418. S. auch Ov. fast. IV 247–348), die Roms Verbindung mit Troia unterstreichen soll. Auch mit Aesculap ist Augustus, der von einer Schlange abstammen soll (Suet. Aug. 94 mit Galinsky 1967: 190), typologisch verbunden. Beide wirken als Retter des Staates (hierzu Schmitzer 1990: 273–278). Sachlich inkorrekte Angaben Ovids sind als kalkuliertes Mittel einer Herabsetzung des Princeps verstanden worden, die Schilderung der Reise der Schlange von Kleinasien als eine groteske, ironische Parodie der Aeneis (Lundström 1980: 83 f.). Tatsächlich jedoch gibt die Erzählung keine näheren Aufschlüsse über eine subversive Kritik an Augustus. Ov. met. XV 850 f.

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mentlich im Verzicht auf außerordentliche Ehrungen und in der Expansion.90 Ovids Aufzählung der Taten Caesars enthält einige faktische Freizügigkeiten und Übertreibungen.91 Sie waren in der Gegenwart, gemessen an den Leistungen des Augustus, bedeutungslos geworden. So werden die Verdienste des Princeps, für den Rezipienten des Werkes überprüfbar, in den Fasten zum zentralen Thema. Die von Venus beklagte Ermordung Caesars, des Pontifex Maximus, dient der Rangerhöhung Octavians. Damit der Princeps dereinst selbst zum Gott werden konnte, musste schon sein Vater zu den Göttern gehört haben. Diese Voraussetzung wurde mit dessen Tod erfüllt. Als Venus die Ermordung Caesars zu verhindern sucht, stößt sie auf den Widerstand Iuppiters, der an die Unüberwindlichkeit des fatum erinnert und die Zukunft Roms vorhersagt, die Gegenwart des Dichters und des zur Zeit der Abfassung noch lebenden Princeps. Diese Prophezeiung hat die Vorhersagen der Aeneis zum Vorbild. Sie gliedert sich in einen außen- und einen innenpolitischen Teil. Zunächst werde Augustus die Mörder zur Rechenschaft ziehen und dann den Bürgerkrieg mit Siegen gegen Sex. Pompeius, M. Antonius und Kleopatra beenden. Er werde die Weltherrschaft erringen und den Frieden in der Welt wiederherstellen. Seine Verdienste würden in der Restauration des Rechts und der Sitten bestehen. Sein Regiment stehe unter dem Prinzip der Gerechtigkeit. Er selbst werde als exemplum dienen. Alle diese Aspekte waren zentrale Elemente der Herrschaftslegitimation des Augustus. Mit seinem Eingreifen in den Bürgerkrieg wurde Octavian zwar selbst zu einem Teilnehmer des Bürgerkriegs. Motiviert wurde er allerdings von dem Motiv der Rache an der Ermordung seines Vaters – ein Akt der pietas, den Augustus sowohl im Tatenbericht als auch im Mars-Ultor-Tempel gewürdigt hatte, und der ihn, so heißt es, auch bei der Sicherung von Caesars Nachruhm leiten wird. Nicht zuletzt dieser Tempel war ein dauerhafter, im Zentrum der Hauptstadt des Weltreichs errichteter Ort der Erinnerung auch an den Bürgerkrieg insgesamt, der nach Caesars Ermordung ausgelöst wurde.92 Zudem legitimierte ihn die Unterstützung der Götter. Mochte Caesar auch für Augustus anders als in dessen Anfangszeit (als Octavian) auch eine weit geringere Rolle spielen, weil die politische Anstößigkeit seiner Person gefährlich war, so blieb richtig, dass Augustus Caesar divinisiert hatte. Als Verdienst des Augustus rühmt Ovid nicht die Wiederherstellung der innenpolitischen Freiheit, sondern die Abwehr eines äußeren Feindes – Kleopatras, die zusammen mit dem zum Staatsfeind erklärten Antonius auf die Annexion Roms abzielte – sowie die Niederringung des Sex. Pompeius.93 Der Fokus liegt auf den 90 91 92

93

Zu Caesars Leistungen kritisch Lundström 1980: 92 f.; 96. S. jetzt bes. Lundström 1980: 69 und Schmitzer 1990: 280 f. Positiv jedoch Bömer 1986: 458. Gegen Schmitzer 1990: 282–284, der in der Betonung der Abstammung des Augustus von Caesar einen Affront gegen den Princeps erblickt. Dagegen Bömer 1986: 458 mit Verweis auf Ov. fast. IV 21. Dort wird allerdings keine körperliche Abstammung suggeriert, sondern die Zugehörigkeit zur iulischen gens über die Adoption erwähnt. Kleopatra wird in Verg. Aen. VIII 688 – wie auch sonst in der Literatur der Zeit (Nisbet/Hubbard 1970: 413) – nicht namentlich genannt; ihren Namen evoziert möglicherweise aber ein Wortspiel in 696 f., wie Chaudhuri 2012 zeigt, der jedoch die politische Bedeutung dieses Manövers offenlässt.

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militärischen Erfolgen und der Herstellung des Friedens. Das Freiheitsmotiv anzuführen verbietet ihm seine Wahrnehmung des Principats als Monarchie. Da die Verteidigung Roms im Bürgerkrieg neben den innenpolitischen Leistungen zu den entscheidenden historischen Leistungen des Augustus gehört, ist es nicht verwunderlich, dass Ovid außer den Namen seiner Gegner auch eine Reihe von militärischen Siegen auflistet, eine Praxis, die an kein Tabu rührte, sondern schon von seinen Vorgängern geübt worden war und auch später, etwa im Geschichtswerk des Velleius Paterculus, angewendet wurde. Ein anderer militärischer Aspekt der Außenpolitik, der nicht mit den Verwicklungen der Bürgerkriege zusammenhing, war die Erringung der Weltherrschaft, die den Barbarenvölkern jenseits der Grenzen den Frieden brachte: auch dies ein Thema, das in Übereinstimmung mit der Selbstdarstellung des Princeps stand. Beides, der Sieg über die Gegner im Bürgerkrieg sowie über auswärtige Völker, bildete den Rahmen des von Augustus geschaffenen Friedens. Im Augustusforum fand dieser Zusammenhang monumentalen Ausdruck. Der zweite Teil der Prophezeiung gilt den innenpolitischen Reformen des Augustus. Als einziges Element wird die Gesetzgebungstätigkeit angeführt. Offensichtlich spielt Ovid auf die Bemühungen des Princeps um die Restitution des mos maiorum an. Auch hier bewegt er sich in Bahnen der augusteischen Selbstdarstellung. Nicht nur agiert Augustus bei der Ehe- und Sittengesetzgebung als iustissimus, sondern er tritt, was seine Lebensführung angeht, selbst als Vorbild auf. Am panegyrischen Ton dieses Abschnitts ändert auch der heftige Widerstand gegen die augusteischen Sittengesetze und Augustus’ eigene notorische Fehltritte nichts. Mochte auch das zeitgenössische Publikum erkennen, dass zwischen der Selbstdarstellung des Princeps und der Wirklichkeit eine Diskrepanz bestand, so darf Ovid, wenn er auf den politischen Ansprüchen und Leistungen des Augustus insistiert, keine subversive Kritik unterstellt werden,94 da er nicht von der augusteischen Propaganda abwich. Andernfalls müsste Augustus, als Erzeuger seines eigenen, idealistisch überhöhten Bildes, selbst als „Anti-Augusteer“ gelten. Vom Feld der Innenpolitik geht Iuppiter zur Ausübung der Herrschaft über. Dass Augustus sich dabei auf die Unterstützung seiner Familie verlassen konnte, wie in der Götterversammlung auf dem Olymp im I. Buch angekündigt, wird deutlich betont bei der Erwähnung des Tiberius, der Augustus in der zweiten Hälfte des Principats als Partner zur Seite stand. Eine Reverenz erweist Ovid noch den ursprünglich ausgewählten präsumtiven Nachfolgern, C. und L. Caesar, die früh verstorben waren.95 Ebenfalls kein subversives Element96 enthält das Attribut „keusch“, mit dem er Livia, die Gattin des Princeps, bedenkt. Sicherlich spielt er nicht auf die anstößigen Umstände ihrer Hochzeit mit Octavian, sondern auf den allgemein akzeptierten Ruf Livias als tugendhafte Frau an, der Augustus freilich – aber das impliziert Ovid hier nicht – kaum die Treue hielt. Das widersprach der Vorbildhaftigkeit des Princeps, die er auf anderen Gebieten des Lebensstils mit seiner Orientierung an der Vergangenheit tatsächlich für sich beanspruchen durfte. In 94 95 96

So jedoch Schmitzer 1990: 290. Gegen Schmitzer 1990: 291. So aber Schmitzer 1990: 290.

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einem Gebet bittet er um ein langes Leben für Augustus, kündigt aber schon dessen cura an, die er auch nach seiner Vergöttlichung, dann nicht mehr körperlich auf der Erde präsent, den Römern zuteilwerden lasse.97 Zuletzt wendet sich Ovid über Iuppiter der weiteren, über die Lebenszeit des Augustus hinausreichenden Zukunft zu. Er erwähnt die bereits verstorbenen Enkel des Princeps und widmet sich dann Tiberius, der als Sohn Livias eingeführt wird. Zunächst werde er Teilhaber der Herrschaft sein und später, nach dem Ableben des Augustus, dessen Stellung einnehmen. Damit endet die Prophezeiung. Ovid setzte jedoch den Vergleich zwischen Augustus und Caesar fort. Mit der Bescheidenheit des Princeps, der seine Taten denjenigen Caesars unterordnet und verbietet, öffentlich mit ihm gleichgestellt zu werden, korrespondiert das allgemeine Ansehen des Augustus, das in der Tat über dem Ruhm Caesars steht. Nur in diesem Punkt, versichert er, gehorche das Volk dem Princeps nicht.98 In dieser Passage wird Ovids Auffassung vom Principat als Monarchie noch einmal plastisch. Wie in den Fasten setzt er Augustus mit Iuppiter gleich. Beide seien patres und rectores. Sie agieren allerdings auf unterschiedlichen Ebenen. Während Augustus die Erde beherrscht, ist Iuppiter der Lenker aller drei Weltteile und des Aethers. Mochte Iuppiter auch die Herrschaft Saturns beendet und damit die Dekadenz der Zeitalter eingeleitet haben, so konnte Augustus bloß in der neu geschaffenen Welt wirken und deren Mängel steuern. Mehrfach unterstreicht Ovid die Macht des Augustus. Ihm, nicht dem römischen Volk, gehorcht die bewohnte Welt, die er unterworfen hat; er, nicht Senat und Volksversammlung, erlässt die Gesetze und verfügt die Vergöttlichung Caesars; er trägt, unterstützt von Tiberius, die Last der Herrschaft; er gebietet, wie Iuppiter über den Olymp, allein über die Welt.99 Bei aller Anknüpfung an die Selbstdarstellung des Augustus folgt Ovid ihm nicht im Anspruch, die res publica libera wiederhergestellt zu haben. Augustus tritt in den Metamorphosen als Monarch auf, und seine Alleinherrschaft markiert den einstweiligen Höhepunkt der römischen Geschichte in einer freilich nichtteleologischen, dem steten, ziellosen Wandel unterworfenen Welt. Mochte auch die Wirklichkeit von der Verherrlichung Ovids abstechen, so war sie dennoch nicht subversiv, solange sie in Übereinstimmung mit der Selbstdarstellung des Augustus stand.100

97 Ein Missverständnis scheint bei Schmitzer 1990: 296 zu Hor. carm. III 5,2 f. vorzuliegen. Dort soll Augustus ein praesens divus sein. Dies bezieht sich jedoch auf Augustus’ Lebzeiten. Ein deus absens ist hingegen Iuppiter, der im Himmel wirkt (5,1). Beide sollen sich ergänzen. Der verstorbene Augustus kann daher, weil er nicht mehr auf der Erde weilt, ein praesens divus sein. Die Fürbitte um ein langes Leben ist topisch (Woodman 1977: 281 f. mit weiteren Stellen) und keine versteckte Kritik an Augustus (gegen Lundström 1980: 103). 98 Ov. met. XV 852 f. 99 Ov. met. XV 858–860; 869. 100 Das gilt auch für die teils bedrohliche außenpolitische Lage (gegen Schmitzer 1990: 289).

2. Die römische Geschichte in den Metamorphosen

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γ) Die Botschaften der Geschichte Über das Motiv der Apotheose hinaus sind die Vertreter der römischen Geschichte in den Metamorphosen auch thematisch eng miteinander verknüpft und verleihen ihr dadurch einen inneren Zusammenhang. Die römische Geschichte enthielt lineare wie zyklische Entwicklungen. Dazu gehört kein Rückgriff auf den spätrepublikanischen Dekadenzdiskurs und den Niedergang Roms im Zeichen des Luxus und des Fortfalls des metus hostilis. Ovids Schwerpunkt bildet das Thema der Herrschaft, ihrer Legitimität und ihrer Praxis, das nach der Etablierung des Principats besondere Aktualität besaß. Deshalb wird die Geschichte auf die markanten, teils umstrittenen Gründer- und Herrschaftsgestalten von der Frühzeit bis zur Gegenwart reduziert und auf Augustus projiziert. Von Romulus bis zu Augustus wird die Entwicklung Roms zum Weltreich nachvollzogen. Sowohl in der Anfangs- wie in der einstweiligen Schlussphase der Geschichte war Rom mit dem Problem des Bürgerkriegs konfrontiert. Wie Romulus vermochte auch Augustus den inneren Frieden wiederherzustellen. Sicherheit und Frieden nach innen wie außen waren fundamentale Leistungen beider Herrscher. Da Augustus’ Principat eine Phase der Zerrüttung des Staates wie der Konsolidierung umfasste, musste er Tugenden aufweisen und Taten vollbringen, die an den beiden ersten Königen Roms Maß nahmen. Dass in der Gegenwart ein Wandel im Vergleich zur republikanischen Geschichte eingetreten und unter Augustus das republikanische System zu Ende gegangen war, illustriert die Geschichte des Magistraten Cipus, der sich einer ihm geweissagten Königsherrschaft entzog, während Augustus eine solche zwar akzeptierte, dafür aber auch das Goldene Zeitalter und eine Epoche des universalen Friedens begründete.101 Anhand der historischen Gestalten, denen allen eine Apotheose zuteilwurde, zeichnet Ovid die Veränderungen nach, die sich von den Anfängen bis zur Gegenwart im politischen System vollzogen, sowohl im Erwerb und in der Ausübung von Herrschaft als auch im Verhältnis der Figuren zur Macht. Die römische Geschichte der Metamorphosen, die sich von Romulus bis zu Augustus erstreckt und deren kompositorisch an die Verwandlungsgeschichte Caesars angekoppeltes Principat nur eine Prophezeiung ist, enthält lineare wie zyklische Entwicklungen. In der ersten Metamorphose wurde die rechtmäßige Herrschaft eines Königs, Numitors, des Onkels des Romulus, die von einem Usurpator an sich gerissen worden war, wiederhergestellt. Dessen Reich löste Romulus mit der Gründung Roms ab. Bereichert wurde der neue Staat nach militärischen Auseinandersetzungen durch die Eingliederung der Sabiner, mit deren König Tatius der von Anfang an alleine regierende König Romulus im Interesse des inneren Friedens die Herrschaft teilte. In der letzten Phase seines Lebens war Romulus jedoch wieder alleiniger Monarch. Seinem kriegerischen Regiment folgte die im Zeichen des Friedens stehende Amtszeit des Königs Numa, der im Gegensatz zu Romulus nicht aus eigenem Antrieb an die Spitze des Staates trat. Es folgte die Transformation von der Monar101 Gegen Schmitzer 1990: 292 und Lundström 1980: 106 (Ovids vermeintlich republikanische Gesinnung).

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chie zur Republik. Eine in der Mittleren Republik bevorstehende Rückkehr des Gemeinwesens zur Königsherrschaft scheiterte am republikanischen Bewusstsein des siegreichen Magistraten Cipus. Außenpolitisch subsumiert Ovid den Aufstieg Roms zur Großmacht mit der Aufnahme Aesculaps in die römische Götterwelt. Mit der Gestalt Caesars bereitet Ovid die Darstellung des Principats des Augustus vor. Mit dem Thema des Bürgerkriegs ist Caesar nur indirekt, über seine Ermordung, verbunden. In Augustus kulminiert die römische Geschichte in mehreren Metamorphosen. Mit ihm ist die Erneuerung sowohl der Monarchie als auch eines Goldenen Zeitalters verbunden. Seine Regierungs- und Gesetzgebungstätigkeit konsolidierte ebenso den Staat wie seine persönliche Lebensweise. Nach einer Phase der alleinigen Ausübung der Herrschaft berief er Tiberius in die Staatsführung und begann mit dem Aufbau einer Dynastie, die in den Metamorphosen ein Novum der römischen Geschichte war. Den Höhepunkt der Geschichte, die Ovid erzählt, bildet das Principat des Augustus, in dessen Einordnung vor dem historischen Horizont und in dessen Würdigung der politische Gehalt der Metamorphosen liegt. Mit allen Gestalten aus der Galerie der Apotheosen ist Augustus typologisch verbunden. Ihnen ist gemein, dass sie sich am Gemeinwohl orientierten und im Interesse Roms zur Ablehnung und Teilung der Macht bereit waren. Die Alleinherrschaft verwirft Ovid nicht, sondern er rechtfertigt sie als legitimes Mittel, den Staat zu stabilisieren. So durfte Romulus erst von der Herrschaft entbunden werden, als feststand, dass Rom auch ohne ihn fortbestehen würde. Wie er wird auch Augustus nicht als Usurpator oder Tyrann portraitiert. Seine Aufgabe ist die Konsolidierung des Staates. Die Weltgeschichte der Metamorphosen gehorcht, wie im letzten Abschnitt des Werkes Pythagoras in Erinnerung ruft, keiner Teleologie. Der historische Wandel war auch in der römischen Geschichte spürbar, abzulesen an den vorgeführten historischen Gestalten und den von ihnen getragenen Botschaften und übergreifenden geschichtlichen Zusammenhängen. Ob Rom die Weltmachtstellung auch nach dem Tod des Augustus würde behaupten können, war nicht absehbar. Iuppiter verkündete nur ein Reich ohne Grenzen, nicht aber dessen Abkoppelung von der Zeit – anders als bei Vergil. Möglicherweise drohte auch Rom der Untergang. Ovid jedoch verbindet sein Fortleben primär nicht mit dem Überdauern der lateinischen Sprache, sondern mit dem des römischen Reiches. Das Ende Roms wäre dann auch das seine. Die Behandlung des Principats spiegelt die Selbstdarstellung des Augustus in zentralen Aspekten wider und ist insofern weder ironisch, noch wird sie durch die vorhergehenden Personen und Ereignisse der Vergangenheit konterkariert. Wollte er, in einem Akt subversiver Kritik, die Bedeutung der römischen Militärmacht relativieren, hätte er damit auch seine eigene Auslöschung einbezogen. Beides, das Imperium und die Kunst Ovids, gehören untrennbar zusammen.

3. Ovid und die römische Geschichte in den Fasten

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3. OVID UND DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DEN FASTEN a) Einführung Der Kalender gehörte zum Kern der römischen Identität.102 Seit jeher war die Manipulation des Kalenders Bestandteil des Instrumentariums der Politik. Schon Caesar hatte nach seinem Sieg im Bürgerkrieg eine Kalenderreform veranstaltet, die im Jahr 45 in Kraft getreten war.103 Auch Augustus ordnete eine Revision an.104 Sie griff, über die Korrektur astronomischer Unregelmäßigkeiten hinausgehend, massiv in die Struktur des Jahres ein. Der Princeps beschränkte sich nicht auf die Umbenennung von Monaten, sondern schuf, auf die Expertise von Antiquaren gestützt, zahlreiche neue Feiertage, die in Verbindung mit anderen Medien seiner Selbstdarstellung standen.105 Wie Augustus in alle Bereiche des öffentlichen Lebens106 eindrang, reflektiert auch Ovids Kalendergedicht.107 Da die Kalender in ihrer ursprünglichen Form als Inschriften nur lapidare Informationen boten, standen sie einer ausführlichen Kommentierung offen. Mit den weiten Interpretationsspielräumen, die er bot, war der Kalender ein ideales Medium für eine integrierende Auseinandersetzung mit der Geschichte. Einerseits diente er der Multiplikation der Vorstellungen des Princeps von der Vergangenheit. Andererseits ließen die dürren Einträge, aus denen er bestand, Raum für divergierende Aitiologien und historische Assoziationen.108 Der Kalender erhob daher im öffentlichen Diskurs keinen exklusiven Anspruch auf eine Deutung der Geschichte, sondern war eine Folie für die Projektion unterschiedlicher Zugänge zur Vergangenheit. Insofern ist die Auffassung, dass Ovid selbst keinen Kalender, sondern nur einen Kalenderkommentar109 verfasst habe, ergänzungsbedürftig. Zwar schuf er in der Tat keine neuartige Kalenderstruktur, sondern operierte auf der Basis der Tradition110 und der jüngst vom Princeps vorgenommenen Modifikationen.111 Durch seine „erzählerische Exegese“112 gewann er jedoch nicht nur Deutungsmacht über den Kalender, sondern auch über die historische Vorstellungswelt des Princeps. Der Mangel an Verbindlichkeit, der im Kalender angelegt war, erzwang geradezu die 102 Formulierung nach Robinson 2011: 9. Zur Bedeutung des Kalenders für die römische Kultur s. Beard 1987; Wallace-Hadrill 1987; Rüpke 1995; 2006. 103 Zu dieser Reform s. jetzt bes. Feeney 2007: 151–158. 104 Für eine detaillierte Übersicht s. Wolkenhauer 2011: 208–258 sowie die auf S. 48 angegebene Literatur. 105 Im Zusammenhang mit dem Kalender s. hierzu generell Pasco-Pranger 2000. 106 Barchiesi 1997: 69 f. 107 Grundsätzlich hierzu Feeney 2007; s. ferner Beard 1987; Wallace-Hadrill 1987; Pasco-Pranger 2006: 15; 17 sowie auch 2002; zusammenfassend Newlands 2002(a): 200 f. 108 Rüpke 1995: 411 f. hingegen betont, dass die unterschiedlichen Deutungsansätze einer offiziellen Sicht entgegenstünden. 109 Für diese Position s. z. B. Barchiesi 1997: 103 f. (keine „reconstruction“); Prescendi 2000: 5; Robinson 2011: 7–9; Chiu 2016: 10. 110 S. hierzu bes. Miller 1991: 9; 18–21; Barchiesi 1997: 74 f.; 78; Robinson 2011: 9. 111 Zur Vorgabe der Themen durch den Kalender s. Barchiesi 1997: 76–78 und Robinson 2011: 9. 112 J. Scheid, zit. nach Prescendi 2000: 27.

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Existenz konkurrierender Modelle113 und eröffnete einen neuen Diskurs über die Geschichte.114 So erklärt Ovid sich zum Romani conditor anni, zum eigentlichen Erschaffer des Kalenders, und etabliert sich mit diesem Anspruch als Konkurrent und Dialogpartner des Princeps.115 Die Fasten weist Ovid als aitiologisches Lehrgedicht116, als der antiquarischen Literatur zugehörig aus.117 Angeblich soll es, der Gliederung des Jahres entsprechend, zwölf Bücher umfasst haben. Von ihnen liegen jedoch nur sechs vor. Wahrscheinlich stellen sie das vollständige Werk dar.118 Als Thema definiert Ovid die Erläuterung der causae und origines der Kalendereinträge sowie der Feiertage der iulisch-claudischen Familie sowie astronomischer Konstellationen.119 Den Anspruch des Antiquarismus auf gesicherte historische Erkenntnis entlarvt er jedoch als chimärische Anmaßung von Wissen. Zwar nennt er als Quellen Annalen, Inschriften und das Studium von Kalendern.120 Tatsächlich ist das Werk ein Konglomerat verschiedener Gattungen und Stile. Zahlreiche Mythen deutet Ovid um. Episches und Ernsthaftes transformiert er in Komik und Frivolität.121 Seine Kompetenz als Erklärer spielt Ovid selbst herunter: sei es, dass er von den Lügen der vates spricht, von seiner Naivität, die ihn zu abwegigen Vermutungen geführt hat, sei es von seiner Verwirrung, die ihn angesichts mehrerer Überlieferungszweige überkommt,122 oder generell von der Fehlbarkeit der Men113 Gegen Barchiesi 1997: 103. 114 Zur Vergangenheit als „Schlachtfeld“ der Deutungen s. Newlands 1995: 26; 52. Für den praktischen Gebrauch allerdings, als Kompendium, bot Ovids Kommentar wegen seiner Aufmachung keinerlei Nutzen (was die Notwendigkeit einer primär literarisch-politischen Interpretation unterstreicht). Zur Eignung des Kalenders für eine auf den Autor zurückgehende thematische Schwerpunktbildung s. Hinds 1992; Feeney 1992; Newlands 1995; Barchiesi 1997. 115 Ov. fast. VI 21 f. 116 Zu den verschiedenen Genres, deren Elemente sich Ovid in den Fasten bedient, s. Robinson 2011: 3–7 mit Literatur. 117 S. hierzu Beard 1987; Prescendi 2000: 6 f.; Pasco-Pranger 2000: 275–293 mit Literatur 283, Anm. 23; 2006: 38–40; Hinds 1992: 87 (als neue Form der Elegie); Prescendi 2000: 9. Zum Aspekt der Wissenserfassung s. Barchiesi 1997: 72 und Graf 2002: 117 f. Zur fragmentierenden Wirkung der Sprecherpositionen s. Newlands 1992; 2002: 205–207. Wenn Ovid sein Thema als Erläuterung des römischen Jahres definiert, so grenzt er sich von der Astronomie mit ihrer Konzentration auf Sternenkonstellationen ab, die verglichen mit der Erläuterung der von Menschen geschaffenen Feiertage eine untergeordnete Rolle in den Fasten spielen, obwohl das Sternensystem, freilich erst im zweiten Vers des Werkes, als zum Thema gehörig angeführt wird (anders Gee 2000). 118 Holzberg 1998: 279 f.; Gegenposition Chiu 2016: 8. Gründe bei Pasco-Pranger 2006: 217–292. Zu zwölf Büchern jedoch Ov. trist. II 549–553. Für mögliche Themen der zweiten Jahreshälfte, die einige besonders ideologisch aufgeladene Feiertage enthielt, s. Barchiesi 1997: 261. 119 Causae: Ov. fast. I 1. Zum didaktischen Aspekt s. VI 693. 120 Pasco-Pranger 2000: 279 f.; Wolkenhauer 2011: 208–258. Vgl. jedoch Green 2004: 13 zu Ov. fast. I 289 und Ovids fehlendem Interesse an Dokumenten. 121 Für Beispiele s. Green 2004: 8 f.; Robinson 2011: 1; 6 sowie jüngst Chiu 2016. 122 Einige Belege für die Unsicherheit des Autors im Querschnitt durch das Werk: Ov. fast. II 53; III 370 f.; 847 f.; IV 533; 783 f.; V 2; VI 257. Zu diesem Komplex s. Newlands 1995: 52; 68; 80; 208 und 79 zu den Informanten. Zu Göttern als Informanten in der Dichtung s. Schrader 2017: 205, Anm. 9.

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schen.123 Den Wahrheitsgehalt des Mythos traktiert er mit Ironie.124 Auch die Götter, die er um Auskunft bittet, treten öfters ratlos auf, und bisweilen überlässt er dem Leser die Wahl, aus einer Reihe von Erklärungsangeboten jene Schlussfolgerung zu ziehen, die ihnen am plausibelsten erscheint. So wird der Kalender zu einem Markt von widersprüchlichen, aber relativen Deutungsangeboten, auf dem keine Verbindlichkeit garantiert ist. Die früher als unpolitisch geltenden125 Fasten verfolgen drei ineinandergreifende Ziele: politische Didaktik durch Aufklärung über die Vergangenheit, die Verherrlichung des Princeps Augustus und der domus Augusta und die Rückberufung aus der Verbannung. Der Widmungsträger der Fasten war ursprünglich Augustus. Nach dessen Tod begann Ovid mit einer sukzessiven Überarbeitung des Werkes. Als Adressaten setzte er jedoch nicht Tiberius, den neuen Princeps, sondern dessen präsumtiven Nachfolger, Germanicus,126 ein. Seine Beziehung zu Tiberius war vermutlich distanziert oder sogar angespannt. Da dieser aber ein enges Verhältnis zu Germanicus unterhielt, plante Ovid möglicherweise, über dessen Einflussnahme seine Rückberufung zu erreichen.127 Angesichts der Bedeutung des Kalenders für die Selbstdarstellung des Princeps besaß das Werk das Potential, als Beitrag zur Legitimierung des Princeps und dessen gerade sich etablierender Dynastie gelesen zu werden. Die Erklärung des Kalenders deklariert Ovid zu einer Variante des Kriegsdienstes.128 Dem Sujet sucht Ovid durch eine poetologische Neuerung gerecht zu werden. Das elegische Versmaß, dem er verpflichtet bleibt, wird zur Ausdrucksform einer von Kallimachos129 inspirierten politischen Dichtung, die im Frieden der Gegenwart die zentralen Verdienste des Princeps feiert.130 Das didaktische Ziel ergibt sich aus der Zugehörigkeit des Werkes zur Aitiologie. Nicht nur stand sie, wie zumeist angenommen, im Dienst der Panegyrik, weil sie den Princeps in die Geschichte Roms einwob. Die Erkundung und Bewusstmachung der Vergangenheit richtete sich auch auf politische Probleme und skizzierte Strategien zu deren Lösung. Ovid verfolgt insofern eine politische Agenda und setzte Handlungsimpulse für die praktische Politik im Medium der Literatur. Er definiert, was die Substanz der Geschichte war, und entwirft Perspektiven für deren Fortschreibung.

123 Ov. fast. VI 235: Lügen der vates. VI 295: Ovid muss als stultus seine Naivität eingestehen. Verwirrung: IV 783 f. Für die Berufung auf die Götter: V 445 f. Ovid als Lernender: I 133; 229. 124 Ov. fast. IV 57–60. 125 Hierzu s. Pasco-Pranger 2006: 11 f. Der politische Gehalt der Dichtung ist heutzutage Konsens. Als Bestandteil eines Diskurses über politische Themen der augusteischen Zeit s. grundsätzlich Pasco-Pranger 2006: 14. 126 Zur Karriere des Germanicus: Hurlet 1997: 163–208. 127 Herbert-Brown 1994: 174 f.; 181–183; 186; Littlewood 2006: XX f. 128 Ov. fast. II 8 f. 129 Herbert-Brown 1994: 173–212. 130 Ovid selbst bezeichnet die Fasten als Alternative zum Kriegsdienst. Für Fragen des Versmaßes sind bes. zu konsultieren: Hinds 1992; Miller 1991: 8–43; Barchiesi 1997: 47–78; Fantham 1998: 4–25; Littlewood 2006: XXXV–XLIII. Zum Problem der Kontinuität des Werkes angesichts der Wahl des Genres s. jetzt Smutek 2015: 55–58.

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Wegen des politischen Stellenwerts des Kalenders ist die Kommunikationssituation zwischen Princeps und Kalendererklärer prekär.131 Die taktische Raffinesse, seine Erläuterungen zumeist nicht aus eigener Autorität vorzutragen, ermöglicht ihm, zu seinem Stoff formal größtmögliche Distanz zu wahren. Indem er Germanicus in den Rang einer Muse erhebt,132 stilisiert er die Fasten zu einer offiziösen Dichtung. Germanicus, Verfasser einer Übersetzung des Arat, auf die Ovid anspielt, verfügt neben göttlicher Macht als gleichsam menschlicher Apollo auch über die fachliche Autorität.133 In dem geläufigen Bild von der Dichtung als Schiff und dem Dichten als Seefahrt, das er bemüht, nimmt Germanicus die Rolle des Steuermannes ein.134 Die Anrufung der Milde des Patrons, der alleine Ovids Angst lindern könne,135 reflektiert das Bewusstsein der heiklen ideologischen Implikationen seines als Huldigung apostrophierten136 Vorhabens, ist doch die Lesart der römischen Geschichte seinem Bekenntnis nach primär von der Perspektive der iulischen Familie bestimmt, so dass beides, die Geschichte des römischen Volkes und diejenige der Familie, zusammenfallen. Ovid, der sich zum conditor anni ernennt, wird so zugleich zu einem Ausführenden der domus Augusta. Die Forschung ist über die politischen Intentionen Ovids und die Botschaft der Fasten in zwei Lager gespalten. Ein erster Forschungszweig akzeptiert die panegyrischen Ziele, zu denen sich der Dichter bekennt.137 Das Lob, das er Augustus spendet, hält er für aufrichtig. In der Beschreibung von Gebäuden, dem Referat kultureller Praktiken oder dem Portrait führender Gestalten werden keine Subversivitäten wahrgenommen. Die Konstruktion des Kalenders Ovids folge ganz den Intentionen des Augustus sowie seiner Selbstdarstellung. Ein zweiter Forschungsstrang nimmt die Fasten als antiaugusteische Dichtung wahr.138 Die Huldigungen an den Princeps würden durch Unernst konterkariert. Zahlreiche Episoden wiesen auf Probleme in der Geschichte hin, die insgesamt von Konflikten geprägt sei. Mehrfach thematisiere Ovid die fehlende Meinungsfreiheit unter Augustus und spiele auf sein Exil an. Augusteische Werte würden zugunsten einer Erotisierung der Geschichte persifliert, Lobeshymnen auf Augustus konterkariert, zentrale Elemente seiner Selbstdarstellung negiert. Die Leistungen des Princeps enttarne Ovid als Illusionen; vordergründige Panegyrik unterlaufe er diskret. Über für Augustus wichtige Themen eile er hinweg; sogar relevante historische Ereignisse seien getilgt worden. Eine dritte Position nimmt die Fasten, analog zu Vergils Aeneis, als

131 132 133 134 135 136 137

Dies spiegelt auch Ov. fast. I 1–26 wider. Ov. fast. I 3 f. Ov. fast. I 26. Zu Germanicus als Herrn des Kalenders s. 25 sowie III 155; IV 19–60. Ov. fast. I 3 f.: timidae derige navis iter. Ov. fast. I 3; 16–18. Ov. fast. I 5; so auch I 15; II 15 f. Göttliche Macht: I 6: numine. Apollo: I 20. Wichtige Vertreter dieser Richtung sind aktuell Herbert-Brown 1994; Fantham 1998; Littlewood 2006; Pasco-Pranger 2006; Stroh 2014: 252–256. Für einen Bericht zur älteren Forschung s. Miller 1991: 149 f. 138 Zu dieser Richtung zählen v. a. Newlands 1995; Barchiesi 1997; Boyle 2003; Green 2004; Pieper 2012; Chiu 2016.

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polyphon wahr,139 als eine Dichtung, deren tatsächliche politische Botschaft vordergründige Prätentionen konterkariere. Diese Untersuchung analysiert die Fasten als politische Dichtung aus der Perspektive ihrer Darstellung der Geschichte. Die Geschichte in den Fasten wird auf drei Ebenen repräsentiert und gedeutet: über eine Einordnung von Vergangenheit und Gegenwart nach Maßstäben der Kulturentwicklung, über Konstruktionen des Gesamtablaufs der Geschichte und über einzelne historische Personen und Ereignisse. Eine Reihe von Feiertagen greift auf die Universalgeschichte aus und bildet den Verlauf der Zivilisationsentwicklung ab. Wie in den Metamorphosen bietet Ovid auch in den Fasten eine Kosmogonie. In einer Rede schildert der Gott Ianus die Entstehung des Landes und des Meeres140 und widmet sich danach der Geschichte Roms, die als Ausschnitt der Weltgeschichte figuriert. Auf spezielle Feiertage zugeschnitten sind dagegen die Verlaufsszenarien der Robigalien, der Cerealien und der Floralien, die je eigene Schwerpunkte abdecken. Ohne ein historischgenetisches Ablaufschema greifen mehrere Festerklärungen einzelne kulturgeschichtliche Aspekte heraus. Die Ereignisgeschichte Rom wird hauptsächlich mit Feiertagen zu Ehren des Augustus verkoppelt. Beabsichtigt ist keine Rekonstruktion aller Aspekte der römischen Geschichte in den Fasten. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach dem Gesamtverlauf der römischen Geschichte, strukturellen Kontinuitäten und der Verortung der Gegenwart vor historischem Horizont. Die Verarbeitung von Mythen wird zur Vervollständigung der historischen Analyse herangezogen. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Ovids Konstruktion der Geschichte. Versucht wird zu eruieren, wie sich seine Ziele in den Fasten niederschlagen und welches Gesamtbild der römischen Geschichte er entwickelt, das vor dem Hintergrund der konstitutionellen Entwicklung eingeordnet werden soll. Die Untersuchung folgt dabei den drei Formen der Repräsentationen der Geschichte in den Fasten: von der Universal- und Kulturgeschichte über die Abrisse der römischen Gesamtgeschichte bis hin zu Einzelproblemen, -personen und -ereignissen. b) Vergangenheit, Gegenwart und die Mechanismen der Zivilisation Der Anlass der Rede des Ianus ist die Frage nach der Gepflogenheit, an seinem Festtag eine Goldmünze zu verschenken. Sein historischer Abriss ist daher auf den Angelpunkt jeder Kulturentstehungs- oder Dekadenztheorie reduziert, die Erfindung und die Wirkung des Geldes. Das Paradigma, das diese Perspektive auf die Geschichte leitet, ist die Pleonexie, deren Entstehungsbedingungen und Wechselwirkungen mit unterschiedlichen Kontexten vom Zeitalter Saturns bis zur Gegenwart er analysiert. Ianus teilt die Geschichte in zwei Hälften. Die Entstehung von Habgier lässt er mit dem Zeitalter Saturns beginnen. Sie sei im Zuge des geschichtlichen Fortgangs analog zur wachsenden Liebe zum Geld stetig angewachsen. Zwar habe es schon 139 S. hierzu z. B. Feeney 1992: 6; Miller 1992; 2002; Toohey 1996. 140 Ov. fast. I 100–144, aber auch IV 785–794.

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seit den frühesten Anfängen ein Streben nach materiellen Gütern gegeben, das dem Mythos einer sittlich makellosen (Früh-)Zeit widerspricht; zuletzt aber habe sich der Stellenwert des Reichtums noch erhöht. Die Pleonexie habe erst mit dem Aufstieg Roms zur Weltmacht eingesetzt. Mit den opes sei die furiosa cupido opum angewachsen – ein Topos der historiographisch-philosophischen Dekadenztheorie – und habe im Zeitalter des Augustus schließlich ihren Höhepunkt erreicht. Ein summum bonum als Ziel kenne die Pleonexie jedoch nicht.141 Die geringere Bedeutung des Geldes in der fernen Vergangenheit korreliert in diesem Erklärungsmodell mit der zu jener Zeit herrschenden Armut. Ianus’ Ansatz basiert auf der Einsicht, dass jede Akquirierung von materiellen Gütern die Pleonexie des Menschen aktiviert. Je höher der Entwicklungsstand einer Gesellschaft ist, umso größer fällt folglich der Verlust an Werten aus. Nach dieser Erklärung bewirken ökonomische Rahmenbedingungen Veränderungen in den Sitten sowie der Mentalität und üben von hier ausgehend einen Einfluss auf die gesamte Gesellschaft aus, wie er sich am römischen Beispiel nach geläufiger Auffassung in der Dekadenz nach dem Fall Karthagos niederschlug. Die Entwicklung, die sich vollzogen hat, illustriert die Rede mit mehreren zum Standardrepertoire der Sittenkritik gehörenden Beispielen, die auf den Gegensatz von Vergangenheit und Gegenwart abheben und die schon in Ovids Liebesdichtungen aus der Perspektive des pauper amator de Bewertung der Gegenwart bestimmten:142 die Häuser und Götterstatuen, die einst aus einfachen Materialien hergestellt worden seien;143 den Ersatz von Laub durch Edelsteine zum Schmuck des Capitols, die Größe von Bauwerken, die, wie die Hütte des Romulus und der Iuppitertempel, einst eng und klein gewesen,144 den früher einfachen Lebenswandel der Senatoren,145 die ihre politische Tätigkeit neben ihrem Dasein als Hirten ausgeübt und die Pflichten als Magistrate nach der Landarbeit versehen hätten.146 Dem Stellenwert des Geldes schreibt er einen dramatischen Wandel zu. Einst habe der Besitz von Münzen aus Edelmetallen als Verbrechen gegolten; jetzt trage die Allmacht des Geldes Freundschaften und Ämter ein.147 Der harschen Zeitkritik folgt jedoch eine frappierende Volte. Ianus nimmt keine restaurative, an der Vergangenheit orientierte Position ein. Nun rechtfertigt er die Sitten der soeben noch getadelten Gegenwart.148 Hatte einst die Münze aus Erz als etwas Wertvolles und als gutes Omen gedient, so nun die Münze aus Gold. Auf das Geld bezogen, führt er aus, dass das Neue das Alte übertroffen habe. Dies sei der Gang der Geschichte, auch wenn das Alte noch immer Sympathien zu wecken vermöge; jede Zeit besitze ihre eigenen Maßstäbe. Trotz des Lobes, das man dem Alten 141 Ov. fast. I 211 f.: Creverunt et opes et opum furiosa cupido, / et, cum possideant plurima, plura petunt. 142 Ov. fast. I 197–210. 143 Ov. fast. I 201 f. 144 Ov. fast. I 199; 201. S. ferner 205 f. 145 Ov. fast. I 205 f. 146 Ov. fast. I 204. 147 Ov. fast. I 208 (et levis argenti lammina crimen erat); 217 f. 148 Ov. fast. I 225 f.: Laudamus veteres, sed nostris utimur annis: / mos tamen est aeque dignus uterque coli.

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zollen könne, müsse man unter den Bedingungen der jeweiligen Gegenwart leben. Beides, die nostalgische Regung wie der realistische Pragmatismus, könne aber miteinander verbunden werden. Diese Schlusswendung verdeutlicht die Intention und die Zielrichtung der Zeitkritik des Ianus. Obwohl die Pleonexie trotz der Reformbemühungen des Augustus ihren Höhepunkt erreicht hat, ist seine Rede kein Ausdruck fundamentaler Ablehnung der Gegenwart. Die Laster der Gegenwart sind, wie aus der Geschichte der Zivilisation hervorgeht, eine natürliche, unausweichliche Erscheinung, die von historischen Rahmenbedingungen determiniert werden. Im Fall Roms ist dies die Expansion. In mehrfacher Hinsicht unterscheidet sich diese Auffassung von der Position des Princeps Augustus. Sie erkennt die Vergeblichkeit der Bemühungen, die sittlichen Verfehlungen der Menschen ausrotten zu wollen. Moralische Vollkommenheit hat weder in der geschichtlichen Welt noch im Mythos existiert. Sie ist eine Utopie. Die Ambivalenz des Fortschritts leugnet Ianus jedoch nicht. Mit Augustus verbindet ihn ein Verständnis für die Sehnsucht nach einer Rückkehr der Vergangenheit, das ihn für eine Berücksichtigung früher geltender mores plädieren lässt. Wie diese im römischen Niedergangsdenken untypische Verbindung tatsächlich zustande kommen soll, bleibt jedoch unausgesprochen. Sowohl Ianus als auch der Princeps hängen keinem deterministischen Geschichtsdenken an. Über der Verherrlichung der Vergangenheit negierte Augustus die Errungenschaften der Gegenwart nicht vollständig. Wie sehr er Exempel gegen den privaten Bauluxus statuierte, so sehr legte er auf das glänzende Erscheinungsbild der Stadt Wert, die unter ihm, wie sein berühmter Ausspruch lautete, von einer Holz- zu einer Marmorstadt mutierte. Gleichzeitig rief er zu einer Orientierung an der traditionellen, dem mos maiorum verpflichteten Lebensweise auf, die von zeitgeschichtlichen Moden und Gepflogenheiten abstach und deren Durchsetzung ihm vielfach Spott eintrug, teils auch wegen seines eigenen inkonsequenten Handelns. Alles in allem suchte er in der Praxis dialektisch zusammenzuführen, was dem Denken in den herkömmlichen historischen Kategorien des spätrepublikanischen Dekadenzdiskurses widersprach: die Verbindung einer Lebensart, die zu den spezifischen Bedingungen der Vergangenheit gehörte, mit den Rahmenbedingungen der Moderne. Die Ianus-Rede setzt auf eine Alternative zu einem strikt auf die Rückkehr zur Vergangenheit orientierten Denken. Die Verherrlichung der Frühzeit erklärt sie zu einer Illusion. Implizit rechnet der Gott mit Vorstellungen von einer sittlich makellosen, zivilisatorisch primitiven Frühzeit ab. Von solchen utopiehaltigen Konstrukten hatte sich Vergil nur langsam abgewandt, in Stufen, die der politischen Ereignisgeschichte folgten, der Zunahme an Stabilität durch die Konsolidierung des Staates unter Augustus. Den Saturn-Mythos Vergils desavouiert die Rede. Sie suggeriert, dass Saturn eine Form der Zivilisation begründet habe, bezieht sie jedoch in seine Gegenwart und Vergangenheit zusammenrückende und damit die Differenz zwischen beiden Zeitphasen aufhebende Kulturkritik ein. Während Vergils kulturtheoretische Skizze besagt, dass Saturn mit seiner Schöpfung den Fortschritt eingeleitet und ein Goldenes Zeitalter begründet habe, das erst später der Dekadenz anheimgefallen sei, vertritt Ovid über Ianus die Position, dass schon zur Zeit Saturns Phänomene aufgetreten seien, die in der Späten Republik als Erscheinungen der Deka-

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denz betrachtet würden. Auch hier begegnet er eher als ein Fortdenker Vergils, weniger als dessen Antipode. Denn unausgesprochen auf traditionellen kulturtheoretischen Axiomen basierend, schloss die Archäologie Euanders ein, dass die Schaffung einer menschlichen Gemeinschaft, wie derjenigen Saturns, selbst die Voraussetzung für den Niedergang enthalte. Ovid hingegen sieht schon die Schöpfung Saturns von sittlichem Fehlverhalten kontaminiert. Allerdings steht Ovids Position vor dem dekadenztheoretischen Dilemma, wie die erhaltenswerten Relikte der Vergangenheit, die sich anachronistisch in der vom Reichtum geprägten Gegenwart ausnahmen, wiederbelebt werden sollten, ohne dass auf die Vorzüge der modernen Welt verzichtet werden müsste. Da Augustus sich einer semantisch wenig festgelegten Bildersprache griff, bedurfte sein Handeln keiner theoretischen Begründung. Für die Praxis ließ sich auf komplexe Geschichtsbetrachtungen verzichten. Bei der literarischen Reflexion über die Geschichte konnte man theoretische Schwierigkeiten nicht umgehen. Auf Ovids Intention, die sich mit seiner Kulturentwicklungstheorie in der IanusRede verbindet, weist der Schluss der Rede hin. Wohl weniger an die Apologeten des Fortschritts als an dessen Kritiker und Verächter gerichtet, will er Gegenwart und Vergangenheit nicht gegeneinander ausgespielt wissen. Durch diesen Appell entzieht er sich den Bahnen geläufiger Niedergangstheorien, deren Radikalität nicht mit der Akzeptanz der positiven Kräfte der Zivilisation in Einklang zu bringen war. Die Antwort auf die Frage, ob nicht das Verhalten der Menschen aus früheren, moralisch besseren Zeiten aktualisiert werden könnte, liegt für ihn in der Handlungsfreiheit des Menschen, die ihm keine historischen Gesetzmäßigkeiten wie das Junktim zwischen materiellem Fortschritt und sittlichem Niedergang verbietet. So unterbreitet Ovid ein intellektuell neuartiges Angebot zur Versöhnung der Gegenwart mit der Vergangenheit und bezieht damit auch eine Position im zeitgenössischen Diskurs über die augusteische Sittengesetzgebung, über die Notwendigkeit zu einer Orientierung der Lebensführung am mos maiorum und den Bekenntnissen zu den Vorzügen der Gegenwart. Die Balance zwischen beidem ist stets neu auszutarieren. Dass in der seit der Begründung des augusteischen Principats entstandenen Dichtung keine Rede mehr von einer Rückkehr zu primitiven, urzeitlichen Lebens- und Gesellschaftsformen ist, zeigt, wie sehr sich ungeachtet aller möglichen Kritik an Augustus und den Sitten der Zeit das Bewusstsein von einem Frieden, der nach dem Jahrhundert des Bürgerkrieges eingezogen ist, in der Literatur verankert hat. Die Kriterien für die Bewertung von Geschichte präzisiert Ovid beim Lupercalienfest. Seiner Darstellung nach vegetierte die Menschheit in ihrem frühen Stadium dahin, der in die Zeit vor der Geburt Iuppiters datiert, eine Phase die traditionell mit der Herrschaft Saturns verbunden war. Ein Kulturschöpfer wirkte jedoch in dieser Ära des Primitivismus nicht. Den Erläuterungen des Kalendererklärers zufolge handelte es sich um eine dem Menschen und seinen Fähigkeiten unwürdige Entwicklungsstufe. Die Lebensweise der Arkader subsumiert er unter dem Attribut „nutzlos“; sie hätten ein Leben wie die wilden Tiere geführt.149 Die Beschreibung dekliniert alle Merkmale des bißow jhrivßdhw durch: fehlende feste Behausungen, 149 Vgl. Ov. fast. IV 402 zum Ackerbau.

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Landwirtschaft, Kleidung und Werkzeuge.150 Die Lebensform der Menschen war ein Sammlerdasein – gemäß gängiger Überzeugungen kam die Jagd erst nach der Erfindung von Waffen auf. Unbekannt waren selbst Schöpfwerkzeuge wie Behälter. Die von Fortschrittskritikern angeprangerten Anstrengungen für die Tiere, die sich aus deren Instrumentalisierung für von Menschen entwickelte Arbeitsprozesse ergab, moniert Ovid nicht.151 Erst später wurden die Landwirtschaft, der Häuserbau und der Privatbesitz erfunden. Die in jener Phase den Menschen zur Verfügung stehenden opes gaben der als antiquus bezeichneten Epoche ihren Namen. Für die Unterscheidung zwischen alt und modern dienen die materiellen Ressourcen als Kriterium. Deren Fehlen bedingte nicht nur mangelnden Komfort, sondern auch eine niedrige Zivilisiertheit. Ovid impliziert, dass es sich um keine Gemeinschaft der Menschen gehandelt habe; sie hätten ohne staatliche Ordnung, ohne ein durch Sitten und Traditionen gebundenes Zusammengehörigkeitsgefühl gelebt. In dem Schema, das an Lucrez angelehnt ist, artikuliert sich eine Bejahung des Fortschritts. Das Zustandekommen einer Gesellschaft begreift Ovid als einen zivilisatorischen Akt. Ex negativo listet er die Mindestanforderungen an eine menschenwürdige, zivilisatorische Existenz auf. Da die Menschen noch keine Künste gekannt hätten, seien sie ein rude volgus gewesen. Mit dem gleichen Attribut pflegt Ovid üblicherweise die Verhältnisse der Frühzeit zu charakterisieren.152 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass zum voll entfalteten Wesen des Menschen die artes gehören, deren Beherrschung erst ein sinnvolles Leben ermöglicht. Zu den Vorgängern bestehen in dieser Schilderung aufschlussreiche Unterschiede, aber auch Vergleichbarkeiten. Wie Ovid seinen eigenen, in den früheren Werken entwickelten Vorstellungen die Treue gehalten hat, so steht er auch weiterhin in Opposition zu Liebeselegikern wie Tibull, mit dem Kalendergedicht sich nun freilich einer anderen Gattung bedienend. Ihm fehlt der eskapistische Blick auf die primitive Vorzeit. Sehr viel Ähnlichkeit besteht aber zu der Kulturentwicklungstheorie in der Archäologie des Euander. In Worten, die mit Ovids Fasten vergleichbar sind, schildert Vergil den Zustand vor dem Beginn der Zivilisation als einen bißow jhrivßdhw. Während er jedoch Saturn die Rolle des Zivilisationsstifters zuschreibt, vermeidet Ovid durch die Formulierung „vor Iuppiters Geburt“ nicht nur die Nennung Saturns, sondern suggeriert, dass erst unter Iuppiter der Fortschritt begann. Damit bezieht er eine Position, die Vergil in den Georgica vertreten hatte, in der Kulturentstehungslehre des I. Buches, als er in einem zweiteiligen Schema den Übergang von der paradiesischen, aber primitiven, „nutzlosen“ Phase zum mühseligen, doch von menschlichem Entwicklungsgeist geprägten Zeitalter Iuppiters erklärt. Zwar gibt sich Vergil dort keinerlei Illusionen über die Ambivalenz der geschichtlichen Zeit hin. Sein Geschichtsdenken folgt jedoch letztlich einem Fortschrittsmodell. Dieses Modell wiederum liegt auch der Archäologie des Euander zugrunde, wird aber mit einer fortschrittskritischen Note versehen, indem Vergil 150 S. hierzu Müller 2003: 401 f. 151 Ov. fast. II 295. 152 Ov. fast. II 291 f.: Vita feris similis, nullos agitata per usus / artis adhuc expers et rude volgus erat.

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Saturn, die traditionelle Landgottheit im italischen Raum, einführt. Ovid hingegen bekennt sich zur Herrschaft Iuppiters, des bei Fortschrittskritikern als Zerstörer der paradiesischen Lebensweise geltenden Gottes. Die destruktiven Seiten der geschichtlichen Welt, zu der Krieg und Handel, aber auch die korrumpierenden Wirkungen der Zivilisation gehören, bleiben in dieser Partie ausgespart. Die Erinnerung an diese Form der Frühzeit wird durch das Fest immer wieder aktualisiert, dem Ovids Dichtung zusätzlich eine dauerhafte, literarisch vermittelte Präsenz verleiht. Das machte dieses Fest für eine Demonstration der Vorzüge der Gegenwart und die Abgrenzung gegenüber einer primitiven Vergangenheit mit barbarischen Ursprüngen attraktiv. Die Darstellung des Lupercalienfestes ist ein Manifest seines Verständnisses einer menschenwürdigen Existenz und ein Kriterienkatalog für die Beurteilung historischer und politischer Verhältnisse. Das Problem der mit kulturellem Fortschritt einsetzenden Dekadenz greift Ovid im Fest der Toren auf. Tendenziell war die Lebensform der frühen Arkader verbunden mit jener der frühen Römer, die anlässlich des Fests der Toren geschildert wird.153 Hier bindet er das Aufblühen des kulturellen Lebens an die Existenz des Friedens. Zwar waren bereits die ersten Schritte in der Zivilisationsgeschichte unternommen und Schwerter wie Pflugscharen erfunden. Doch Kriege mit den in ihrem Gefolge eintretenden hohen Verlusten an Menschen sowie das mit militärischem Erfolg einhergehende Prestige, das alle geistige Aktivität absorbierte, hatten die weitere Entwicklung gehemmt.154 Da die Aussicht auf militärischen Ruhm der entscheidende Impetus für jegliche Betätigung war,155 verblieb die landwirtschaftliche Praxis auf einem primitiven Niveau und brachte der Ackerbau nur bescheidene Erträge ein. Grundlegende Kritik an der politisch-militärischen Welt, verbunden mit einem Lob des mondänen Lebens in Friedenszeiten, hat Ovid bereits in seinen früheren Werken, den Liebesdichtungen, angebracht.156 Hier nähert er sich wieder einer von der Elegie inspirierten Idealvorstellung an, wenngleich auch nicht mit einer Verherrlichung der Annehmlichkeit der Moderne. Im Mittelpunkt steht die Notwendigkeit von geistigen Innovationskräften für Überlebensfragen der Menschen wie der Nahrungsmittelversorgung. Er distanziert sich von Geschichtsbildern, die, wie bei Varro oder Vergils Georgica, das frühe Leben als Ideal feierten, weil dort die Landwirtschaft in Blüte stand und die Grundlage des Staates sicherte,157 oder die, wie etwa bei Sallust, mit einem Plädoyer für die frührömische Lebensweise die sittliche Überlegenheit Roms als Voraussetzung für die Expansion wiedergewinnen wollten.158

153 Ov. fast. II 513–532, bes. 513–524. Zum Fest s. Bömer 1958: 119. 154 Ov. fast. II 515 f.: Non habuit doctos tellus antiqua colonos: / lassabant agiles aspera bella viros. 155 Ov. fast. II 517 f.: Plus erat in gladio quam curvo laudis aratro: / neglectus domino pauca ferebat ager. 156 S. Kap. B.V,2. 157 Zur Landwirtschaft s. auch Robinson 2011: 323 f. 158 Hierzu bes. Sall. Cat. 2,3–6.

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Dieser verklärenden Sichtweise setzt Ovid seine kulturgeschichtlich differenzierte Darlegung entgegen. Ihr zufolge behinderte die kriegerische Mentalität zivile Errungenschaften. In einem offenbar längeren Prozess seien die Menschen durch Erfahrung belehrt worden, nicht aber durch planmäßige Erforschung.159 Für diese habe es – ebenfalls eine Folge der Fixierung auf den Krieg – an notwendiger Bildung gefehlt. So sticht die Gegenwart die Vergangenheit auf dem Feld des Zivilisierungsgrads nicht nur gemäß der Kategorien eines Liebeselegikers aus und wird in Ovids Fasten, im Gegensatz zum römischen Dekadenzdenken, das im Aufkommen der als griechisch verpönten Bildung ein Zeichen des Verfalls erblickte,160 zur Voraussetzung der menschlichen Existenz und staatlicher Lebensformen. Den menschlichen Handlungsspielraum innerhalb der vom zivilisatorischen Fortschritt geprägten Strukturen lotet Ovid in den Cerealien aus.161 Von den Anfängen der Menschheit ausgehend, betrachtet er die historische Entwicklung unter dem Aspekt der Ernährungsweise. Er entwirft die konventionelle Skizze eines bißow litoßw – seine Perspektive ist bestimmt von der Bejahung der kulturellen Entwicklung. In der Frühzeit gab es weder Landwirtschaft noch Jagd. Die Grundlage für das Überleben bot das Sammeln von Kräutern oder Laub. Die Entdeckung des Ackerbaus, die Ceres den Menschen vermittelt habe, war eine Epochenscheide, durch die die menschliche Existenz eine neue Qualität gewann. Bei aller Bejahung des kulturellen Fortschritts162 wirft Ovid das Problem der Ambivalenz auf, die mit den später zu kriegerischen Zwecken missbrauchten Edelmetallen beim Ackerbau zusammenhängt. Zu Beginn der Kulturgeschichte sei der Ackerbau noch mit bronzenen Geräten betrieben worden; erst später habe man das Eisen entdeckt.163 Da zwischen beidem kein kausaler Zusammenhang besteht, musste die Einführung der Landwirtschaft, die am Anfang des Zivilisationsprozesses steht, nicht zwangsläufig zur Dekadenz führen, die sich durch die Entdeckung von Edelmetallen und die aus ihr folgende Aktivierung der menschlichen Pleonexie ergab. Insofern entsteht durch den Ausruf, nie hätte das Eisen entdeckt werden mögen,164 kein Widerspruch zu Ovids Plädoyer für den Fortschritt, den Ackerbau mit aus Bronze gefertigten Gerätschaften. Passend dazu lässt er bei der Erklärung der Robigalien einen Flamen des Quirinus ein Friedensgebet vortragen, das um den Erhalt der Ackergeräte bittet, gleichzeitig aber auch um die Zerstörung von Waffen durch Rost.165 So erliegt Ovid trotz der Existenz des Eisens keinem Fatalismus. Die Entscheidung über Krieg oder Frieden hängt seiner Auffassung nach allein vom politischen 159 Ov. fast. II 519–524; usibus: 521. 160 Zusammenfassend hierzu Scholz 2011: 127–129. 161 Ov. fast. IV 393–620. Zur Gliederung s. Bömer 1958: 240. Für die Kulturentstehung s. 396– 416. – Zum Fest s. Fantham 1998: 167 f. 162 Zu Unrecht, mit wenig aussagekräftigen Belegen, spricht Bömer 1958: 242 Ovid in diesem Punkt eine sich über die Dichtung zeihende konzeptionelle Geschlossenheit ab. 163 Ov. fast. IV 405 f. 164 Ov. fast. IV 406: Eheu, perpetuo debuit illa [sc. Chalybeia massa] tegi. Bei den Chalybern wurde erstmals Eisen verarbeitet; Belege bei Bömer 1958: 243. 165 Ov. fast. IV 911–932.

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Willen ab.166 Die Gestaltung der Gegenwart insgesamt und die Wahrung des Friedens ist für ihn also ein Produkt des menschlichen Willens, nicht des unentrinnbaren Zwangs durch unbeeinflussbare übergeordnete Faktoren, die aus universal- und zivilisationsgeschichtlichen Zusammenhängen erwachsen. c) Historische Überblicke in den Fasten α) Die Prophezeiung der Carmentis Das Schicksal Roms referiert Carmentis, die Mutter Euanders, bei der Ankunft der Arkader in Italien in einer Prophezeiung, die Ovid in die Erläuterung der Carmentalien einfügt.167 Ihre Übersicht ruht auf einer von jener Frühzeit bis ins augusteische Principat reichenden Kontinuität. Wie Iuppiter in der Aeneis sagt Carmentis Rom die Weltherrschaft voraus. Ein angedeuteter Vergleich der Großmacht mit der noch unbesiedelten, geschichtslosen Gegend, in der die Arkader anlanden, und das Staunen über die gewaltige Entwicklung, die sich vollziehen wird, bilden den Ausgangspunkt einer immanenten Teleologie.168 In diesem Überblick zählen allein Beginn und Höhepunkt der historischen Entwicklung. Maßgebliche historische Etappen sind die Ankunft der Troianer, die durch den Streit um Lavinia ausgelösten Kriege in Latium und das Principat des Augustus; ein Ausblick auf die Herrschaft des Germanicus bildet den Schluss. Die republikanische Epoche fehlt gänzlich. Das historische Personal der eigentlichen römischen Geschichte seit der Gründung der Stadt bleibt auf Augustus und die domus Augusta beschränkt. Die römische Geschichte deutet Carmentis als Fortsetzung der troianischen: In Rom ersteht Troia neu. Die Laren stellen eine sakrale Verbindung zwischen beiden Städten her.169 Die Sinnhaftigkeit der Geschichte erblickt sie in der Weltmachtstellung Roms, die Troias Zerstörung aufhebt.170 Wie Properz den Tod des Remus als Bestandteil des göttlichen Heilsplans versteht und damit Romulus sowie die Geschichte Roms entlastet, so verleiht Ovid der von Vergil mit Empathie geschilderten Tötung des Pallas dadurch Sinn, dass diese Tat von Aeneas, dem vindex, gerächt werde.171

166 Ov. fast. IV 407 f.: Pace Ceres laeta est; et vos orate, coloni, / perpetuam pacem pacificumque ducem. 167 Ov. fast. I 509–536. 168 Ov. fast. I 515–518; zur Gegenwart als Endpunkt 537 f.: Talibus ut dictis nostros descendit in annos / substitit in medio praescia lingua sono. 169 Ov. fast. I 527 f.: Iam pius Aeneas sacra et, sacra altera, patrem / adferet: Iliacos accipe Vesta, deos. 170 Ov. fast. I 523–526: Victa tamen vinces eversaque, Troia, resurges: / obruit hostiles ista ruina domos. / Urites victrices Neptunia Pergama flammae: / num minus hic toto est altior orbe cinis? Zu Euanders Haltung gegenüber dem drohenden Tod des Pallas in der Aeneis s. Barchiesi 1997: 201. 171 Ov. fast. I 521 f.: Care nepos Palla, funesta quid induis arma? / Indue: non humili vindice caesus eris. Durch die Verbindung, die Pallas, als Enkel der Carmentis apostrophiert, zwischen

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Über typologische Bezüge stellt Ovid als impliziter Autor eine Verbindung zwischen Augustus und Aeneas her. Das Epitheton vindex spielt auf die doppelte Rolle des Princeps als Beschützer des vom Bürgerkrieg befreiten Roms sowie des Erdkreises an,172 dessen Geschicke Augustus als universaler Herrscher lenkt. Die Aufgabe, die Ovid Rom zuschreibt, die Sicherung des Friedens und des Rechts, steht in der Tradition römischer Imperialismuskonzeptionen, wie sie auch Augustus, literarisch unterstützt von Horaz und Vergil, verfocht.173 Die pietas stellt eine weitere typologische Verbindung zu Aeneas her. Wie dieser seine pietas unter Beweis stellte, als er die Laren aus Troia mit nach Latium brachte,174 wird Augustus von Ovid beim Opfern und als Beschützer der Laren gezeigt, bevor er nach Ablauf seines Lebens selbst zum Gott erhoben werden wird.175 In mehrfacher Hinsicht verkörpert daher die Person des Augustus den einstweiligen Höhepunkt der Geschichte. Dies sowie der Ausschluss der republikanischen Helden aus der historischen Übersicht trägt nicht nur zur Verkoppelung des Augustus mit der Vergangenheit bei, sondern bewirkt zugleich eine Identifizierung der Geschichte Roms mit dem Princeps und seiner Familie, die auch für die Zukunft gilt. Die Kontinuität der Herrschaft, die Aeneas und Augustus in der Prophezeiung verkörpern, werden Angehörige der domus Augusta fortsetzen. Die Übernahme der Aufgaben, die der Princeps erfüllt, deutet Ovid als Berufung der von ihm begründeten Dynastie.176 In der Garantie des Friedens liegen für ihn die Notwendigkeit und Legitimität einer solchen letztlich doch monarchischen Herrschaft. Dass er sich der Problematik dieser Vorstellung in einem Zeitalter der vorgeblich wiederhergestellten Republik selbst bewusst war, zeigt seine Bemühung, die iulische Dynastie aus der Geschichte heraus zu rechtfertigen. Nicht nur verwendet er das recusatio-Motiv, um den künftigen Princeps von jener Machtanmaßung freizusprechen, die seine Akzeptanz beim Senat gefährdet hätte. Vielmehr deutet er die Übernahme der Herrschaft auch als einen Akt der pietas in der Nachfolge des Aeneas.177 Beiden ist gemeinsam, dass sie eine väterliche Last übernahmen. Bei der Flucht aus dem eroberten Troia hatte Aeneas seinen Vater auf den Schultern getragen. Diese Pflichterfüllung eines Sohnes gegenüber seinem Vater transferiert Ovid auf die politische Sphäre. In der Nachfolge des Augustus in der Position des

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Arkadern und Troianern herstellt, wird den Arkadern eine Rolle in der römischen Geschichte zugewiesen und dadurch die Aufnahme eines Festes für Carmentis in den Kalender erklärt. Ov. fast. I 529–532: Tempus erit, cum vos orbemque tuebitur idem, / et fient ipso sacra colente deo, / et penes Augustos patriae tutela manebit: / hanc fas imperii frena tenere domum. Ov. fast. I 515 f.: Fallor, an hi fient ingentia moenia colles, / iuraque ab hac terra cetera terra petet? S. hierzu die Einleitung in das augusteische Zeitalter und die Interpretation der historischen Projektionen der Aeneis. Zur Expansion Roms und zum Weltherrschaftsgedanken s. auch V 93–96; 639–642). Zu Augustus s. o. S. 50; 54, zu Vergil S. z. B. 182–184. Ov. fast. I 527 f., in 527 auch die Anrede als pius Aeneas und ferner IV 729 (pietas Aeneia). Ov. fast. I 530. Ov. fast. I 531 f.: Et penes Augustos patriae tutela manebit: / hanc fas imperii frena tenere domum. Ov. fast. I 533 f.: Inde nepos naturaque die, licet ipse recuset, / pondera caelesti mente paterna feret, / […]. Die übertragene Bedeutung von pondus wird auch durch fast. V 564 gerechtfertigt, wo Ovid die Flucht aus Troia erwähnt.

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Princeps und des pater patriae ist es die Verpflichtung seiner Nachfolger, den Schutz für Rom und den Weltkreis zu gewährleisten. Durch die Aktualisierung der typologischen Leistung des Aeneas in einer größeren Dimension wird erneut der Zusammenhang zwischen troianischer und römischer Geschichte deutlich. Strategien der Legitimitätssicherung, die Augustus angewandt hatte und die in der Literatur der Zeit reflektiert wurden, schreibt Ovid annähernd vierzig Jahre nach der Saecularfeier und unter den Bedingungen einer konsolidierten Herrschaft für die Zukunft fort, in der sich die Kontinuität des neuen Systems beweisen musste. β) Mars Ultor-Tempel und Augustusforum Mit dem Jahrestag der Einweihung des Mars Ultor-Tempels, die in das Jahr 2. v. Chr. datiert, nimmt Ovid sich eines der prestigeträchtigsten Bauprojekte des Princeps, eines Kernstücks der augusteischen Erinnerungspolitik, an.178 Der Tempel mitsamt dem dazugehörigen Augustusforum enthielt eine monumentalisierte Deutung der gesamten römischen Geschichte, die einzige, die Augustus in geschlossener Form präsentierte. Es war die Antwort des Princeps auf die literarischen Konstruktionen der Vergangenheit Roms, die in Prosa und Poesie in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten entstanden waren. Ovids Ekphrasis, die einzige nachweisbare Auseinandersetzung mit dem so stark ideologisch aufgeladenen Bauwerk, bietet einen unmittelbaren Kommentar zum Vergangenheitsverständnis des Princeps. Dabei rückt er Tempel und Forum in einen neuen Kontext, den seine Dichtung, die Fasten, umschreibt, und verwandelt die augusteische Meistererzählung seinen eigenen literarisch-politischen Zwecken an. Zwar schafft er keine vollkommen eigenständige Rekonstruktion der Vergangenheit, doch schlägt sich seine Auffassung von Vergangenheit und Gegenwart in der Interpretation des Gebäudes nieder. Die Beschreibung des Tempels in den Fasten ist keine „authentische“ Übersetzung des Monuments in das Medium der Literatur, sondern Ovids mimetische Nach- und Neuschaffung des Bauwerks. Der Kalendererklärer nimmt bei der Beschreibung des Gebäudes den Blickwinkel des Gottes Mars ein,179 liefert jedoch selbst die Erläuterung der beiden Aitien. Als Anlass für den Tempel nennt er die Rache für den Mord an Augustus’ Adoptivvater Caesar und für die Niederlage des Crassus im Jahr 53 gegen die Parther. Der Kalendereintrag ist in zwei Teile gegliedert: in eine Beschreibung des Gebäudes mit seinen architektonischen Details und in die historische Erläuterung der beiden Motive für die Weihung des Tempels.180 Das Augustusforum und dessen Galerien mit den principes viri rechnet Ovid zu dem Komplex hinzu; er erwähnt auch die Elogien, die auf der Basis der jeweiligen Statue angebracht sind.181 Von den administrativen Funktionen, die Augustus dem Tempel zugedacht hatte, führt er die Entscheidungen über Krieg und Frieden an, die der Senat künftig dort treffen werde. Trotz der waf178 Ov. fast. V 545–598. 179 Näheres bei Barchiesi 2002: 7. 180 Ov. fast. V 553–568 und 569–594. Zum Rachemotiv s. Pasco-Pranger 2006: 275–283, 283 mit Blick auf die Lemurien. Wie Ovids Darstellung Mars lächerlich macht, zeigt Chiu 2016: 99 f. 181 Ov. fast. V 552; 563–568.

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fenstarrenden Ausstattung, die von der militärischen Stärke Roms kündet, definiert seine Beschreibung die res publica nicht als imperialistischen Staat, sondern als friedensstiftende Ordnungsmacht, die in allen Regionen der Welt eingreift, die Garantin einer pax Augusta, wie der Princeps sie propagierte.182 Dass Ovid die Größe des Tempels erwähnt und Mars als einen Bewohner Roms anspricht,183 demonstriert die Präsenz des Krieges als ein charakteristisches Moment des auf Expansion gerichteten römischen Staats. Die Ausrichtung der ganzen Anlage wie der Geschichte auf Augustus bezeugt die von Mars mit Befriedigung wahrgenommene Aufschrift auf der Tempelfront, die aus den Wörtern „Augustus“ und „Caesar“ besteht.184 Die Erläuterungen des Aitions, die Niederringung der Caesarmörder und die Rückerstattung der Feldzeichen des Crassus, zeigen zwei Dimensionen der Verdienste des Princeps auf: nach innen die Befriedung des Staates und nach außen die Sicherung der Grenzen. In doppelter Hinsicht erweist sich Augustus als – allerdings nicht so bezeichneter – tutor der res publica.185 Zunächst würdigt Ovid die Rolle Octavians als Rächer Caesars, seines im Namen der Freiheit ermordeten Vaters. Indem er im Einklang mit dem Selbstverständnis des Augustus den miles iustus Octavian, den coniurati gegenüberstellt, rechtfertigt er die historische Rolle Caesars und kriminalisiert dessen Mörder, die im Namen des Staates zu handeln beansprucht hatten.186 Das Gelübde, mit dem Octavian den Tempel gelobte, zitiert Ovid wörtlich. Motiviert wird der Bürgerkrieg durch die Rache nicht nur für Caesar, sondern auch für dessen göttliche Ahnin, Venus.187 Mit der Feststellung, dieser Akt der Pietät habe den Grundstein der politischen Laufbahn des Princeps gelegt,188 evoziert Ovid das Leitmotiv, unter dem er die Regierung des Princeps stehen sieht. Da Octavian tatsächlich aus dem Bürgerkrieg als Sieger hervorgegangen war, durfte er sich auf die Rechtmäßigkeit seines Handelns berufen, stattete er doch mit dem Tempel Mars für dessen göttliche Unterstützung seinen Dank ab.189 Mit dem zweiten Aition wendet sich Ovid der Rückgewinnung der von Crassus verlorenen Feldzeichen zu.190 Damit kam dem Princeps das außerordentliche Verdienst zu, die lange Zeit währende Schande der Niederlage von Carrhae gegen ei182 Ov. fast. V 556; 557 f.: seu quis ab Eoo nos impius orbe lacesset, / seu quis ab occiduo sole domandus erit. S. auch 562. Tempel und Forum als Monument des Militarismus hingegen Barchiesi 2002: 14 f.; 19. 183 Ov. fast. V 553 f. 184 Ov. fast. V 567 f. 185 Ov. fast. V 569–578. Barchiesi 2002(a) hingegen betont umgekehrt die Gewalttätigkeit, die sich hier wie auch anderswo in den Fasten zeige und die Ovid als charakteristisches Element der römischen Geschichte verstanden habe. 186 Ov. fast. V 571 f. 187 Ov. fast. V 573–577. 188 Ov. fast. V 569 f.: voverat hoc iuvenis tum, cum pia sustulit arma: / a tantis princeps incipiendus erat. S. auch 569. 189 Die Leistung des Mars bestätigt Ov. fast. V 595 f. Zu Mars’ angeblicher Freude am Bürgerkrieg s. Barchiesi 2002: 19. Derselbe betont die Ambivalenz des Gebäudes wegen der Erinnerung an den Bürgerkrieg, die es wachhalte. Doch fasst eine solche Interpretation den Bürgerkrieg als historisches Ereignis zu einseitig auf. Zwar war er Symbol für den drohenden Ruin der res publica. Augustus’ Sieg stellte jedoch Frieden und Ordnung wieder her. 190 Ov. fast. V 579–594.

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nen gefährlichen Feind wettzumachen. Das begründet für Ovid die Ausnahmestellung des Augustus.191 Die Offensive, die Augustus seit dem Jahr 20 gegen die Parther vorbereitet hatte, wurde jedoch nicht umgesetzt. Seine Ziele erreichte der Princeps stattdessen mit einer diplomatischen Lösung. Obwohl die auf diesem Weg durchgesetzte Rückgabe der verlorengegangenen Feldzeichen192 ihm keine militärischen Meriten eintrugen, ist es dennoch kein subversives Lob, wenn Ovid die Parther als Geschlagene bezeichnet, da sie doch offensichtlich der Überlegenheit Roms nachgegeben hatten.193 Die Fixierung der ganzen Anlage auf Augustus spiegelt sich auch in der Skizze des Forums, in der Galerie der clari viri, der führenden Gestalten der römischen Geschichte, wider.194 Das Ensemble der Gestalten ist, in jeweils einem Vers, auf drei Einzelpersonen reduziert: Aeneas, dessen Statue ihn offensichtlich mit seinem Vater auf dem Rücken bei der Flucht aus Troia zeigt, die iulische gens und Romulus. Ein weiterer Vers gilt dann den republikanischen Helden. Ausgelassen sind die Latinerkönige.195 Den Höhepunkt dieser Reihe bildet Augustus mit der, wie erwähnt, von Mars mit Genugtuung betrachteten Inschrift auf der Tempelfront. Die Abfolge, in der Ovid die Personen der Galerien anführt, entspricht der architektonischen Anlage des Forums, auf dem Aeneas und die Iulier auf der Nord-West-Seite den Republikanern mit Romulus auf der Süd-Ost-Seite gegenüberstehen. Schon in dem Bauwerk selbst, der monumentalen Vorlage des Kalendereintrags, waren die Iulier, was ihre Anzahl und Leistungen betraf, im Vergleich zu den Helden der Republik überrepräsentiert.196 Diese Tendenz verstärkt Ovid in seiner Beschreibung der Galerie so, dass die republikanischen principes, summarisch aufgelistet, fast ganz aus der Gesamtgeschichte Roms herausfallen. Konzentriert ist der Abriss vornehmlich auf die historischen Gründergestalten. Die Zerstörung Troias, symbolisiert durch den auf der Flucht dargestellten Aeneas, löste den Aufbruch der Troianer nach Latium und den dortigen Neuanfang aus. Der auf der Statue mit Waffen ausgestattete Romulus steht für die eigentliche Gründung der Stadt und ihren frühen Aufschwung. Wie beide Traditionen zusammenlaufen, die troianische und die römisch-latinische, zeigt Ovid in der Prophezeiung der Carmentis. Im Bauwerk des Princeps geschah dies durch die Quadriga des Princeps, die im Zentrum der Anlage zwischen den beiden Galerien placiert war. Diese Aufgabe übernimmt in den Fasten die Tempelinschrift. 191 Schande: Ov. fast. V 585 (die decus belli, die Feldzeichen, gingen verloren) 589 (dedecus); 594 (pudor). Gefährlichkeit der Parther: V 581–584; 591–594. Ausnahmestellung: V 587 f.: isque pudor mansisset adhuc, nisi fortibus armis / Caesaris Ausoniae protegerentur opes. 192 Dass Ovid zuvor die militärische Stärke des Augustus würdigt, ist angesichts der friedlichen Lösung des Konflikts keine subtile Beleidigung, sondern muss so gedeutet werden, als hätten die Parther aus Angst vor einer Niederlage schon vor dem Beginn eines Krieges kapituliert. 193 Ov. fast. V 593 f. 194 Streng genommen spricht Ovid nur von den clara acta der viri (Ov. fast. V 566). 195 Ov. fast. V 563–566: Hinc videt Aenean oneratum pondere caro / et tot Iuleae nobilitatis avos / hinc videt Iliaden umeris ducis arma ferentem, / claraque dispositis acta subesse viris. In Anbetracht der zahlreichen durchschnittlichen Gestalten aus der Familie der Iulier muss man nobilitas als eine schmeichlerische Reverenz des Dichters vor den Ahnen des Princeps bewerten. 196 Für die legitimationsstiftende Erwähnung des Romulus s. Pasco-Pranger 2006: 49 f.

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Die vielfache Beziehung des Augustus zu seinen Vorgängern stellt Ovids Rekonstruktion einerseits über dessen Vorfahren, die Iulier und Aeneas, andererseits über die republikanischen Helden mit Romulus, dem ersten König Roms, her. Indem er die Iulier unmittelbar mit den Troianern verbindet, deren Nachkommen er sie nennt, huldigt er der für die Fasten charakteristischen, von Augustus’ Selbstdarstellung beförderten Idee einer Dynastie, die Rom wie schon in der entferntesten Vergangenheit nun auch wieder in der Gegenwart regiert. Zugleich verkörpern Aeneas und Romulus zwei unterschiedliche Eigenschaften, über die beide der Princeps gebietet: Aeneas die religiös bestimmte pietas, Romulus die militärisch definierte virtus. Wie Augustus sie verwirklicht, mit der Rache für den Mord an seinem Vater und mit der Rache an einem auswärtigen Feind, führt Ovid in der Erläuterung der beiden Aitia der Tempelgründung vor. Der ganze Gebäudekomplex, geschildert aus der Perspektive des Kriegsgottes Mars, wird durch das göttliche Wohlgefallen legitimiert. Stärker noch als im Augustusforum marginalisiert Ovid mit seiner literarischen Nachbildung des Monuments die Bedeutung der republikanischen Geschichte. Er zielt ganz auf die überragende Position des Princeps in Gegenwart und Vergangenheit. Seine Taten, die mit Forum und Tempel gewürdigt werden, die Rache an Caesar und die Demütigung der Carrhae, weisen ihn als die Personifizierung von pietas und virtus aus. Sie begründen seine Stellung im politischen System. Wie im Augustusforum trägt die Konstruktion von Kontinuität bei Ovid trotz des in den Fasten noch massiver herausgestrichenen Rangs des Princeps zur Legitimierung des Principats bei. Dies geschieht nicht über Augustus’ Verankerung in der Republik; stattdessen tritt er in Beziehung zu eher monarchisch konnotierten Persönlichkeiten. Aus dem Vergleich mit ihnen rechtfertigt sich seine Stellung in der römischen Geschichte. Der veränderten Perspektive entspricht, dass die politischen Probleme der Republik, die Augustus in den Elogien behandelte, in den Fasten ihre Relevanz einbüßen. Der Panegyrik Ovids steht die historische Didaktik des Augustus gegenüber, der die Vergangenheit keineswegs als abgeschlossen betrachtete, sondern die republikanische Geschichte mit ihren Spezifika noch immer als Lehrmeisterin für Gegenwart und Zukunft ansah. Ovid hingegen hält offenbar mit der Beendigung des Bürgerkriegs und der damit einhergehenden Herausbildung der Dynastie innenpolitische Verwerfungen in der Zukunft für ausgeschlossen. Die Vergangenheit dient bei ihm nicht als Arsenal für geschichtspädagogische Einsichten. So ist Ovids Kalendereintrag noch stärker als Augustus’ Bauwerk auf die Gegenwart ausgerichtet. In ihm verliert die Vergangenheit an Bedeutung. Für Ovid vermag die Erinnerung an die Republik keinen Sinn und keine Orientierung mehr zu stiften. Sie war für das Verständnis der Zeitgeschichte, dem von ihm vielfach gerühmten zivilisatorischen Gipfel, irrelevant geworden. Der Wegfall der historisch-didaktischen Funktion des Forums in den Fasten reduziert das Gefüge der in das Bauwerk eingeschriebenen Zeitschienen um eine Dimension. Bei aller sonstigen Vereinbarkeit der Beschreibung und Interpretation von Forum und Tempel mit der Selbstdarstellung des Augustus bietet Ovids Kalendereintrag deshalb eine alternative Deutung dessen an, was nach dem Willen des Princeps ein Zentrum Roms und des Weltreichs sein sollte.

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γ) Die Titel „Augustus“ und pater patriae Die gegenüber den großen Gründergestalten Aeneas, Romulus und Augustus untergeordnete historische Funktion der Republik illustrieren auch zwei weitere Feiertage, die Verleihung des Namens „Augustus“ an Octavian im Jahr 27 und die Auszeichnung des Princeps mit dem Titel pater patriae im Jahr 2.197 Ovid nutzt den Anlass, um Zeitgeschichte und Vergangenheit auf je verschiedene Weise in Beziehung zueinander zu setzen. Anknüpfend an die Bedeutung des Namens „Augustus“ würdigt Ovid den Princeps im Rahmen der Carmentalien-Erzählung198 durch einen Vergleich mit herausragenden Gestalten der Republik, die ebenfalls durch einen Beinamen geehrt wurden.199 Als historischer Horizont dient dem Kalendererklärer, der suggeriert, als schreite er im Stil eines Antiquars die Atrien der Mitglieder der Nobilität mit ihren Wachsmasken ab,200 die gesamte römische Geschichte. Die in der Erinnerungskultur omnipräsenten Figuren, von denen möglicherweise nicht nur einige, sondern sogar alle auf dem Augustusforum vertreten waren, rühmt er ausschließlich für ihre Feldherrenqualitäten. Ovid reiht die Gestalten in zwei Gruppen auf: in jene Gestalten, deren Beinamen Auskunft über die Kriegsschauplätze geben, an denen sie dienten (Scipio Africanus, Servilius Vatia Isauricus, Metellus Creticus, Metellus Numidicus, Scipio Africanus Minor, Drusus Germanicus)201, und in jene, deren Beinamen an eine bestimmte Demonstration von virtus (Manlius Torquatus, Valerius Corvus) oder an ihre allgemein herausragende Rolle (Pompeius, Caesar, Fabius Maximus)202 erinnern. Vertreten sind über diese Personen, vielleicht in Anlehnung an die Heldenschau, die für Roms Aufstieg formativen Kriege. Für den Kalendererklärer unterscheidet sich Augustus von diesen Figuren in doppelter Hinsicht. Als Maßstab dient ihm einmal ein militärisches, einmal ein politisches Kriterium. Zum einen hätten sich die republikanischen Gestalten ihren Beinamen durch einen einzigen Erfolg verdient; Augustus hätte jedoch, gemessen an seinen Siegen, eine ganze Reihe dieser Namen, nach jedem Volk der Erde, tragen müssen. So steht die Republik für partikulare Erfolge, das Principat hingegen für die Weltherrschaft.203 Die Singularität des Augustus liegt jedoch nicht in seinem überwältigenden Beitrag zur Expansion. Entscheidend ist für ihn die Rückgabe des

197 Ov. fast. I 567–616. Zu den Titeln des Augustus s. die Einleitung in das augusteische Zeitalter sowie die Behandlung des Augustusforums. 198 Für diese Beobachtung s. Barchiesi 1997: 92 f. 199 Zur Identität des Augustus mit Caesar in V. 598 und zu hic in 608 jetzt überzeugend Green 2004: 272. Für die hier nicht eigens referierten Details zu den Gestalten, mit denen der Princeps verglichen wird, s. bes. Green 204: 274–278. 200 Ov. fast. I 591 f. 201 Ov. fast. I 593–598. 202 Ov. fast. I 599–606. 203 Ov. fast. I 599 f. Zur Identifizierung des hier erwähnten Caesar mit Augustus s. Green 2004: 272; 274; mit Blick auf den Dictator C. Iulius Caesar, den Adoptivvater des Princeps, hingegen Herbert-Brown 1994: 122.

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Staates an das Volk, die Wiederherstellung der Freiheit.204 Sein überragendes Verdienst liegt auf dem Feld der Innenpolitik, der Integration der Bürgerschaft und der Wiederherstellung der politischen Ordnung nach dem Bürgerkrieg. Erst diese Leistung rechtfertigt im Unterschied zu den angeführten exempla die Aufnahme Octavians in den Kalender unter dem ihm verliehenen Beinamen, der, selbst die lexikalische Unübertrefflichkeit des Beinamens „Maximus“ überflügelnd, eine numinose Kraft bezeichnet und Augustus in die Nähe Iuppiters rückt, wie Ovid mit einer etymologischen Analyse der Begriffe augustum und augurium205 belegt. Der Kalendereintrag sucht Augustus’ eigentümlicher Stellung als Princeps zwischen Republik und Monarchie gerecht zu werden. Durch den Vergleich mit den republikanischen Gestalten ordnet Ovid ihn in die republikanisch dominierte Geschichte ein. Andererseits hebt er ihn durch sein göttliches Charisma und die göttliche Legitimation, die ihm zuteil wird, in eine eigene Dimension. Auf beides zielten auch die Legitimationsstrategien des Augustus. Die Gestalten der Vergangenheit verhalten sich zu ihm sowohl vergleichbar206 als auch unvergleichbar207. Die Leistung der Republik relativiert Augustus so stark, dass sie als sinn- und legitimationsstiftender Bezugspunkt an Bedeutung einbüßt.208 In der Erinnerung an die Verleihung des Ehrennamens „Augustus“ bindet der Feiertag Kontinuität und Diskontinuität in der (jüngeren) Geschichte zusammen. Solange der Princeps selbst die Fiktion von der wiederhergestellten Republik aufrechterhielt, konnte Ovids Kalendereintrag nicht anstößig sein. Relevant für die praktische Politik jedoch ist, dass er verdeutlicht, mit welchen Erwartungen die Namensverleihung einherging und welche Ansprüche an den Princeps sich daraus ergeben. Auch wenn der Kalendererklärer Iuppiter künftig um Schutz für Augustus und dessen Regiment bittet, wirbt er für die Leistungsstärke und fördert die Akzeptanz des Principats.209 Im Zeichen der Ausdehnung des dynastischen Prinzips in die Zukunft erfasst Ovid Germanicus, den Adressaten der zweiten Fassung der Fasten. Auch auf ihn überträgt er die monarchische Vorstellung von der Verbindung des Schicksals Roms und des Erdkreises mit dem Bestand der Dynastie. So weist er allen künftigen Augusti das onus orbis als politische Betätigungsfeld zu. Der Jahrestag der Verleihung des Namens Augustus zeigt, dass für Ovid die Zukunft Roms nicht im Rückgriff auf die republikanische Vergangenheit liegt. Augustus ist jetzt zum Maßstab geworden. Die Tendenzen, die in der im Augustusforum monumentalisierten Deutung angelegt sind, arbeitet Ovid noch schärfer heraus. Auch in der Perspektive auf die Zukunft fokussiert er sich auf die domus Augusta. Nur sie wird die von Augustus 204 Ov. fast. I 589: redditaque est omnis populo provincia nostro. Insofern stimmt nicht, dass Augustus keine spezifischen Verdienste errungen haben soll, wie Barchiesi 1997: 95 behauptet. 205 Ov. fast. I 607–612 mit der bei Green 2004: 279 f. angegebene Literatur. 206 So z. B. zustimmend Green 2004: 273. 207 So z. B. negativ wertend Boyle 2003: 31; 216. 208 Der Bruch mit der Tradition, den Boyle 2003: 31; 216 als subtile Kritik am Princeps begreifen möchte, ist daher und auch wegen Ovids Bejahung einer iulischen Dynastie unproblematisch. 209 Deshalb enthält die Würdigung des Augustus keinen bloß „leeren Ruhm“ (so aber Barchiesi 1997: 99; s. auch 94). Zum Gebet Pasco-Pranger 2006: 189 f.

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durch unerreichbare Verdienste erworbene Vormachtstellung künftig behaupten. Die Pläne des Princeps für das Augustusforum sahen immerhin noch die Integration weiterer Mitglieder der Senatsaristokratie vor.210 Auch wenn der Tag der Namensverleihung notwendigerweise auf die Person des Augustus zugeschnitten ist, so unterstreichen der Anlass und seine Darstellung doch den monarchischen Zug, den Ovid der Gegenwart verleiht, und die Zurückdrängung der Vergangenheit, die er viel entschiedener vorantrieb als der Princeps in seiner Selbstdarstellung. Anlässlich des Jahrestages von Augustus’ Auszeichnung als pater patriae211 wechselt Ovid die Perspektive auf die Vergangenheit. Er zieht keinen Vergleich zwischen dem Princeps und den Gestalten der Republik, sondern konfrontiert den Vollender der römischen Geschichte mit dem Gründer Roms.212 In jeder Hinsicht stellt er Augustus, als Herrscher über die Welt das Pendant zu Iuppiter, dem Herrscher über den Olymp, seinem Vorgänger gegenüber als überlegen dar, militärisch wie als politisch.213 Der Vergleich mit dem umstrittenen und auch bei Ovid oftmals despektierlich portraitierten ersten König ist keine versteckte Kritik am Princeps. Immerhin hatte Augustus nach dem Sieg im Bürgerkrieg die Idee, den Beinamen Romulus anzunehmen, rasch wieder aufgegeben214 und sich trotz epochaler Gemeinsamkeiten, der Gründung bzw. Neugründung Roms, vom ersten König distanziert. Vielmehr zeigt der Kalendererklärer den gewaltigen Wandel, den Rom seit seiner Entstehung vollzogen hat, auf und hält damit erneut ein Plädoyer für die Vorzüge der Gegenwart, das sich diesmal auf eine politische Begründung stützt. Deshalb würdigt Ovids Rückgriff auf die romulusfeindliche Tradition215 Augustus nicht herab.216 Als Kriterien dienen ihm die Sicherheit und Ausdehnung Roms sowie Aspekte der Lebensführung und Machtausübung. All dies steht in offenkundiger Übereinstimmung mit der Selbstdarstellung, der außen- und innenpolitischen Vorstellungswelt und den legislatorischen Initiativen des Princeps.217 210 S. o. S. 290. 211 Ov. fast. II 119–144. Für die Deutung der Partie als augustuskritisch s. bes. Wallace-Hadrill 1987: 228 f.; Hinds 1992: 132–141; Newlands 1995: 188 f.; Barchiesi 1997: 81; Boyle 2003: 200; Robinson 2011: 139. Entscheidend für diese Interpretation ist die Annahme einer zumindest partiellen Identität, die Ovid zwischen Augustus und dem negativ portraitierten Romulus herstelle, sowie die Unterstellung, Ovid habe einen gezielt ungeeigneten Vergleichskandidaten herangezogen, um den Preis des Augustus als lächerlich zu enttarnen. Anders hingegen Herbert-Brown 1994: 43–63; Prescendi 2000: 96–99. Zur Verbindung zwischen Romulus und Augustus s. Scott 1925; Gagé 1930 sowie zusammenfassend Robinson 2011: 150. 212 Zur Innovation des direkten Vergleichs mit Romulus s. Herbert-Brown 1994: 43–63, Littlewood 2006: XVI f.; Robinson 2011: 138. 213 Ov. fast. II 131 f.: Hoc tu per terras, quod in aethere Iuppiter alto, / nomen habes: hominum tu pater, ille deum. 214 Littlewood 2006: XXV. 215 Hierzu Näheres bei Herbert-Brown 1994: 49–52. 216 So jedoch Hinds 1992: 131; 142. Fragwürdig ist auch das Urteil von Barchiesi 1997: 81: „To diminish the figure of Romulus is not the best way of serving the Augustan cause“. 217 Zunächst hat es den Anschein, als wolle er sich mit einer recusatio seiner Aufgabe entziehen. Als Erstes bemüht der Dichter den Bescheidenheitstopos. Daran schließt sich eine gattungstheoretische Überlegung an: Auch das elegische Versmaß vermöge die Last der Herausforderung nicht zu tragen (Ov. fast. II 119–125; 125 f.). Ovid inszeniert sich als Dichter der Elegie, der

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In allen Kategorien des Vergleichs – der Projektion von Sicherheit, der Herstellung von Sittlichkeit und Recht, dem Modus der Herrschaftsausübung und der Nähe der politischen Führung zu den Göttern – übertrifft nach Ovids Bilanz die Gegenwart, personifiziert durch den Princeps, die von Romulus verkörperte Frühzeit. Während Augustus die Stadt zu verteidigen und zu sichern verstanden hat, musste Romulus hinnehmen, dass sein Bruder Remus die neu errichteten Stadtmauern übersprang.218 Romulus hatte nur die Städte in der unmittelbaren Umgebung Roms besiegen können, Augustus hingegen gebot über den Erdkreis.219 Romulus raubte, einem elegischen amator vergleichbar, die Sabinerinnen und richtete das Asylum ein, während unter Augustus die Geltung der Rechtsordnung durchgesetzt wurde.220 Romulus, dem Gewaltherrscher,221 steht Augustus, der Schützer der Gesetze, gegenüber.222 Jener war ein dominus, den Ovid des Mordes an Remus, seinem Bruder, bezichtigt,223 dieser ein Princeps, der nach dem Bürgerkrieg seine Feinde nicht verfolgte, sondern ihnen verzieh.224 Schließlich wurde Romulus von seinem Vater, dem Kriegsgott Mars, zum Gott erhoben, während Augustus, selbst kein Gott, seinen Vater, den ermordeten Dictator Caesar, unter die Götter aufnehmen ließ.225 In der Summe bestehen die Gemeinsamkeiten nur in ihrer jeweiligen Rolle als Gründerfiguren,226 die sie vollkommen unterschiedlich ausfüllten. Trotz der bis kürzlich von Gewalt beherrschten Zeitgeschichte und der mit dem Restaurationsprogramm einhergehenden Turbulenzen sind vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Princeps und Romulus nicht subversiv. Zwar widersprach die Promiskuität des Augustus seinen eigenen gesetzlichen Maßnahmen. Doch obwohl seine Verfehlungen öffentlich bekannt waren, inszenierte sich der Princeps als Erneuerer der Sitten. Diesem Anspruch gehorcht Ovid. Vom Vorwurf der Tyrannis, der in der Späten Republik häufig gegen Romulus erhoben wurde,227 spricht er Augustus frei. Wenngleich er den Princeps in die republikanische Tradition einbindet, unterstreicht er doch dessen Rolle, die ihn von dieser Vergangenheit abhebt, und befürwortet sogar die Bildung einer Dynastie durch die iulische gens. Auch der Vorwurf der Gewalt gegen Romulus lässt sich nicht auf Augustus projizieren. Er hatte zwar vielfach in seiner Laufbahn, gerade zu deren Beginn, mit der Beteiligung am Bürgerkrieg, dem II. Triumvirat und den Proscriptionen gegen das Recht versto-

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vermeintlich unpolitischen, jedenfalls nicht für Panegyrik geeigneten Gattung. Ausdrücklich erkennt er den geringen poetologischen Rang der Gattung seines Kalenders an (II 122). Nun kann man nicht nur die recusatio selbst als panegyrisch betrachten. Ov. fast. II 133 f. Ov. fast. II 135–138. Ov. fast. II 139 f. Stark betont bei Hinds 1992: 141. Ov. fast. II 142 f. Für andere Darstellungen des Verhältnisses zwischen Romulus und Remus in den Fasten s. u. S. 356 f. Ov. fast. II 143. Ov. fast. II 144. Zu stark betont bei Barchiesi 1997: 144. S. hierzu bes. Classen 1962 und Ver Eecke 2008.

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ßen.228 Ovid gewichtet jedoch die Stabilisierung der res publica während seines Principats höher. Tatsächlich hatte Augustus nach der Rechtlosigkeit der Bürgerkriegsjahre wieder eine rechtliche Ordnung in Rom etabliert. Auch dass Augustus seinen Feinden verzieh, statt sie zu verfolgen, ist ein berechtigter Hinweis auf seinen großzügigen Umgang mit den meisten der ehemaligen Bürgerkriegsgegner und deren Familien.229 Davon stach Romulus in der Tat mit dem Mord an seinem Bruder ab, einer Tat, von der ihn allerdings spätere Partien der Fasten freisprechen.230 Für Ovid tritt die Erinnerung an das Leid der Bürgerkriegsära hinter den Errungenschaften der Gegenwart zurück. Auf die Vergangenheit Roms verklärend und nostalgisch zurückzublicken, hat Ovid, wie der Kalendereintrag zeigt, keinen Anlass. Zurecht trägt Augustus den Ehrennamen eines Vaters des Vaterlandes. Im Unterschied zu Romulus kann er sich auf den consensus universorum stützen: auf die Senatoren, die Plebs und auch die Ritter, die ihm alle übereinstimmend diesen Titel verliehen hatten.231 Wenn er erklärt, schon durch die Geschichte habe der Princeps diesen Titel erlangt, und schon längst sei er sogar der Vater des Erdkreises gewesen, so spielt er keineswegs auf den heiklen Erwerb seiner Macht im Bürgerkrieg an,232 sondern differenziert lediglich zwischen der faktisch im Interesse des Vaterlandes ausgeübten Herrschaft und der formellen Verleihung des Titels ein Vierteljahrhundert nach der Rückgabe der res publica an Senat und Volk.233 Auch die Episode demonstriert eine doppelte Haltung zur Vergangenheit: Nicht nur unterstützt Ovid die Selbstdarstellung des Princeps; er formuliert auch die mit seinem Regiment zusammenhängenden zentralen Voraussetzungen und Erwartungen. δ) Schlaglichter in die Geschichte In den Erläuterungen zu weiteren Feiertagen vertieft Ovid in Form einzelner Episoden die Themenkomplexe der gegenwarts- und augustuszentrierten Kalendereinträge. Entweder durch direkte Erwähnung oder durch Bezüge zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind Augustus und die Dynastie omnipräsent. Konsequent minimiert Ovid die Bedeutung republikanischer Gestalten.234 Vorherrschend sind die Panegyrik, die auf die Legitimität der Dynastie abzielt, sowie die Didaktik, die auf strukturelle Probleme der Zeitgeschichte anspielt. Was Augustus betrifft, unterstreicht der Erklärer immer wieder dessen bis auf Troia zurückreichende genealogische Verbindung mit der troianisch-römischen Geschichte und hebt vor der Folie 228 229 230 231 232 233 234

S. o. S. 49 mit der dort verzeichneten Literatur. S. o. S. 49 f. sowie Kienast 2009: 78 f. Hierzu gleich Näheres. Ov. fast. II 127 f. Ov. fast. II 129 f. S. auch Ov. fast. IV 673–677 zur Verleihung des Imperatorentitels an Augustus. Für diese Verfahrensweise s. den Eintrag zum Tempel des Hercules Musarum (Ov. fast. VI 797–812) und die Hervorhebung des L. Marcius Philippus auf Kosten des M. Fulvius Nobilior (Newlands 1995: 230 f.; Barchiesi 1997: 259–272).

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historischer Krisensituationen auf die Leistungsfähigkeit des Princeps ab, die er in den Einträgen zum Augustusforum und zur Verleihung des Titels pater patriae bündelt.235 Regelmäßig kehrt das Motiv der früh erkennbaren Größe Roms wieder.236 Das aktuelle zivilisatorische Niveau, auf das in weit zurückliegender Vergangenheit bereits Numa, ein früher Reformer des Kalenders, vorausweist,237 spielt Ovid gegen den zumeist von Romulus repräsentierten Primitivismus der Vergangenheit aus238 und betrachtet militärische Aktivitäten und Erfolge geringschätzig.239 Das Leitmotiv der Einträge, die Fragen der politischen Ordnung gelten, ist die Problematik des Machterwerbs und der Machtausübung. In ihnen treten sowohl die von der Vergangenheit abzugrenzenden Leistungen der Gegenwart als auch die weiterhin bestehenden Herausforderungen zutage. Zu den zentralen Leistungen des Princeps und seiner Familie zählt die Garantie des Friedens, wie ihn die Ara Pacis veranschaulicht.240 Den Festtag nutzt Ovid zu einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krieg. Seine Position steht einerseits konträr zum traditionellen Wertesystem Roms; andererseits entspricht sie Maximen des augusteischen Principats.241 Die von ihm empfohlenen Grundsätze der Außenpolitik korrespondieren mit den Prinzipien der Herrschaftsausübung aus der Parainese der Heldenschau, der Abschreckung von Feinden und der Fürsorge für die Unterworfenen.242 In einer spektakulären Abkehr vom mos maiorum plädiert Ovid jedoch für eine Präferenz ziviler Werte gegenüber politisch-militärischen. Als Kriterium für den Erwerb von Ruhm sollten nicht militärische Verdienste gelten, keine die Niederringung von feindlichen Mächten bezeugenden Triumphe.243 Allenfalls Verteidigungskriege sollten künftig noch geführt werden.244 Hinter diesen Forderungen verbirgt sich die Hoffnung auf einen funda235 Zur Genealogie s. z. B. Littlewood 2001: 916 f. sowie Newlands 2002(a): 213 (mit Literatur) zur Magna Mater. Für die Behandlung von Problemen in anderen gentes s. z. B. Fabre-Serris 2013 zu den Fabii. 236 Ov. fast. III 167–258. Die Ärmlichkeit der Anfänge Roms zeigt auch das Aition der Vestalien (Ov. fast. VI 249–298, bes. 259–266). Ruditas: Ov. fast. I 27–30; 131; II 513–532, bes. 515: Unbildung der Alten (Hinds 1992: 126), harte Kriegsführung, Ruhm durch Krieg, nicht Landwirtschaft. Zu diesem Motiv in Ovids Dichtungen auch Labate 1984 und 2006. 237 Wolkenhauer 2011: 63 f., Deremetz 2013: 233 f.; Stroh 2013: 164. S. jedoch Littlewood 2002: 194–197, die Numa mit dem unglücklichen Schicksal des Servius Tullius und so auch mit dem Thema innerfamiliärer Zwietracht verbindet. 238 S. z. B. Ov. fast. I 29–32; 38; II 20; 30; 155 f.; III 179–196; V 93–96; 639–642; VI 261–264; 401–412. Zur Genealogie s. Allen 1922: 253–255. Zu Romulus s. auch Fox 1996: 188; Hinds 1992: 123; Wolkenhauer 2011: 61 f. 239 Den Krieg mit den Sabinern beendeten die von Hersilia angeführten Frauen, nicht die Waffengewalt der von Mars angestachelten Römer: hierzu s. Chiu 2016: 103. 240 Ov. fast. I 709–722. Für ausführliche Behandlungen des Altars und nähere Literatur s. bes. Zanker 1987/2009: 111 f.; 126–132 und Galinsky 1996: 141–155. 241 Für eine entschieden andere Sicht s. Green 2004(a). 242 Ov. fast. I 717 f.: Horreat Aeneadas et primus et ultimus orbis: / siqua parum Romam terra timebat, amet. 243 Ov. fast. I 713 f. 244 Dies geht aus Ov. fast. II 18 hervor. Zu einer vergleichbaren Einschätzung hinsichtlich des Friedens gelangt auch Vergil in der Aeneis. Eine subversive Kritik Ovids oder einen mangelnden Überarbeitungsstand dieser Passage anzunehmen (Robinson 2011: 69), ist nicht notwendig.

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mentalen Mentalitätswandel. Nicht nur steht er zu Vergils Parainese im Widerspruch; er interpretiert auch das Bildprogramm der Ara Pacis und Augustus’ auf militärischer Sicherheit beruhende Friedenskonzeption einseitig.245 Der Kalendereintrag will den Princeps auf ein alternatives Programm festlegen. Die an die Priester gerichtete Aufforderung zum Gebet weist wieder auf den überragenden Rang der auf der Ara Pacis dargestellten Iulier zurück. Ovids Aufforderung zum Gebet gilt nicht nur dem Erhalt des Friedens, sondern auch der Familie des Princeps.246 In der Erinnerung an Actium liegt zugleich die Mahnung zu innerer Eintracht als Voraussetzung dieses nie völlig ungefährdeten Friedenszustandes, den Augustus geschaffen hat. Eine wichtige Bedingung für künftige Prosperität ist nicht nur die Existenz der Dynastie, sondern ihr Zusammenhalt, der unter Augustus wie Tiberius stets gefährdet war.247 Die Schranken zwischen den einzelnen Familien, aus denen das römische Volk besteht, hebt Ovid auf. Augustus oder Germanicus erscheinen als Oberhaupt des gesamten populus, als Garanten der Eintracht in Familie und Staat. Germanicus fordert Ovid zur Unterstützung des Tiberius bei der Sicherung des Friedens zu Lande und zu See auf.248 Für alle, die den Frieden sichern, bittet er um ein langes Leben; zu ihnen gehört auch Germanicus mit seinen militärischen Erfolgen in Germanien.249 Die umfassende Macht des Princeps über Krieg und Frieden zeigt die Feststellung, dass von ihm alleine die Öffnung des Ianus-Tempels verfügt werden könne.250 Neben der kulturellen Höhe gehört so auch die Existenz des Friedens durch die römische Weltherrschaft zu den Vorzügen der Gegenwart, die von der Familie des Princeps gesichert werden.251 Mit der Porticus der Livia und ihrem die eheliche Eintracht bekundenden Concordia-Schrein, die Augustus’ Leistungen als Zensor und dessen vorbildhafte sittliche Integrität feiern,252 greift Ovid das Thema der Herrschaftsstabilität auf. Als Exempel gegen den grassierenden Luxus riss der Princeps das ihm vererbte, luxuriöse Haus des Vedius Pollio ab und errichtete an dessen Stelle den architektonisch bescheidenen Schrein.253 Die Gefahr, die von der Prachtentfaltung für die Moral ausging, vergleicht Ovid mit der Bedrohung durch die Umsturzversuche der affectato245 Zum Stolz des Augustus auf militärische Siege s. R. Gest. div. Aug. 3,1; 26,2; 27,1; 30. S. o. S. 48; 50 zur Bedeutung der Sieghaftigkeit. 246 Ov. fast. I 721: utque domus, quae praestat eam, cum pace perennet. 247 Möglicherweise spielt Ovid deshalb auch unmittelbar auf Spannungen innerhalb der Familie an, wie Robinson 2011: 392; 398 vermutet. Hierzu s. u. S. 355 f. Zur Pietätlosigkeit von Familienzwisten s. Miller 1991: 91–98. 248 Ov. fast. I 67 f. 249 Ov. fast. I 285–288. 250 Ov. fast. I 281 f. 251 Ov. fast. I 67 f.; 85 f.; 285 f.; 709–722; Rom und der Weltkreis als Einheit: II 683 f. 252 Ov. fast. VI 637–648. Zum historischen Ereignis s. Littlewood 2006: 184–186 sowie zur Ausstattung Kellum 1990: 277; weitere Literatur, auch zur eminent wichtigen Rolle Livias, bei Newlands 2002: 225. 253 Ov. fast. VI 641; 644 f. Zum historischen Kontext s. die bei Littlewood 2006: 186–188 versammelten Informationen. Für Augustus’ Beziehung zu Vedius Pollio s. Bleicken 1998: 424 f.; Newlands 2002: 231–234, die jedoch betont, dass Ovid das als anstößig empfundene Verhalten des Vedius nicht ausführt. Erklären ließe sich dies jedoch damit, dass sich der Princeps erst anlässlich des Erbfalls durch den Abriss der Villa von seinem Bekannten öffentlich distanzierte.

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res regni. Wie nach dem Tod zweier dieser Aufrührer, des Sp. Cassius und des M. Manlius Capitolinus, deren Häuser niedergerissen wurden,254 so zerstörte Augustus das Erbe, das Vedius ihm hinterlassen hatte, und wurde zum idealen Zensor, der seinen eigenen moralischen Anforderungen genüge tut.255 Mit der Bekämpfung des, wie die Rückblende auf die Usurpatoren zeigt, destabilisierenden Luxus256 stilisiert Ovid ihn, ganz im Sinne des Princeps, zum Bewahrer des Staates. Gleichzeitig war die Episode eine Machtdemonstration, die Verschwörern und Usurpatoren mit der Auslöschung von Leben und Besitz drohte und die Ovid über den einmaligen Akt hinaus literarisch dokumentierte und möglicherweise unter dem Eindruck aktueller innenpolitischer Instabilität als bleibende Lektion für die Erinnerung sicherte.257 Den mit Augustus verbundenen Wandel der politischen Verhältnisse reflektiert auch der 10 n. Chr. eingeweihte Concordia-Tempel.258 Der erste Tempel war in der Frühen Republik von einem Prototypen des Augustus,259 von Camillus, dem Sieger über die Gallier, errichtet worden. Ihm war es gelungen, nach der Rückgewinnung Roms im Jahr 367 die Auseinandersetzungen um das sextisch-licinische Gesetz beizulegen und einen der gravierendsten sozialen Konflikte der Geschichte zu beenden.260 Eine Restaurierung des Bauwerks hatte L. Opimius nach der Ermordung der Gracchen unternommen, deren Reformpläne ebenfalls innenpolitische Turbulenzen verursacht hatten.261 Bei der Erläuterung des neuen Grunds für den Bau des Tempels kontrastiert Ovid wiederum die Vergangenheit mit der als einstweiligem Höhepunkt der Geschichte aufgefassten Gegenwart. Der Anlass für die Erneuerung waren diesmal die Siege des Tiberius und Drusus über die Germanen.262 Der Tempel symbolisierte die – in der zweiten Hälfte des augusteischen Principats vielfach strapazierte – Eintracht innerhalb der domus Augusta263. Als Ausdruck dieser Form der concordia feiert er nicht die Beilegung innerer Konflikte wie in der Republik.264 Vielmehr rühmt er den gemeinsamen Sieg, den 254 Diesen typologischen Bezug erkennt Bömer 1958: 379 nicht an; anders jedoch Pasco-Pranger 2006: 260 f. 255 Ov. fast. VI 647 f.: Sic agitur censura et sic exepla parantur, / cum vindex, alios quod monet, ipse facit. 256 Weniger wird hier als typologischer Bezug die Hybris thematisiert, so aber Littlewood 2006: 189. 257 Zur politischen Bedeutung prächtiger Häuser, deren zur Schau gestellter Reichtum die politischen Ambitionen ihrer Besitzer reflektiert, s. Pasco-Pranger 2006: 274 f. Zu erinnern ist allerdings daran, dass Vedius nicht zu den Gegnern des Augustus gehörte. 258 Ov. fast. I 637–650. Zum Tempel s. Herbert-Brown 1994: 164 f. (mit Literatur); vornehmlich zur Ausstattung Kellum 1990: 277 f. 259 S. hierzu bes. Gärtner 2008; weitere Literatur bei Farrell 2013: 63, Anm. 22. 260 Ov. fast. I 644 f. mit Green 2004: 291 f. 261 Plut. C. Gracchus 17,6; App. civ. I 26 mit Kolb 2002: 245–247. 262 Herbert-Brown 1994: 164 weist zurecht darauf hin, dass Ovid, um Tiberius’ Verdienste stärker hervortreten zu lassen, Drusus nicht erwähnt wird, obwohl sein Name ebenfalls an der Tempelfront stand (Dio LVI 25,1). 263 Prägnant Kolb 2002: 357 f. Zu Livias Rolle s. Herbert-Brown 1994: 166–171. S. ferner Newlands 2002: 228; 248 zum entschieden didaktischen Ton Ovids, der unterstreicht, welche Bedeutung die concordia in der Dynastie für ihn besitzt. 264 Unumstritten war der Nachruhm des Camillus und des Opimius nicht. Zu Camillus s. o. S. 188; 296; zu Opimius s. u. S. 395 f. Zur Bedeutung des concordia-Begriffs seit der Zeit der Bürger-

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Mitglieder des Herrscherhauses errungen hatten.265 Im Verhältnis von deren Mitgliedern zueinander lag, gleichsam als Variante zur Vergangenheit, das Potential für eine Neuauflage innenpolitischer Zerwürfnisse, die dann allerdings in einer gänzlich anderen Konstellation ausgefochten werden würden. Nach der Ablösung der Republik durch die Dynastie der Iulier sind künftig allenfalls Auseinandersetzungen innerhalb der Familie des Princeps zu erwarten, nicht mehr zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen der Bürgerschaft. Der Tempel erinnert allerdings an die potentielle Aktualität der in der Vergangenheit bis zum Bürgerkrieg gesteigerten, von offenen Machtfragen ausgelösten Zwietracht. An die Gegner des Princeps und der Dynastie, von denen auch in der zweiten Hälfte des augusteischen Principats Umsturzversuche ausgingen, sendet er die Botschaft, dass alle bisherigen Usurpationen gescheitert seien.266 Dass gerade während der Abfassung der Fasten die Familie des Princeps über die Frage der Nachfolge und persönliche Ambitionen in mehrere schwere Krisen geraten war,267 illustriert, dass Ovid nicht auf mögliche Gefahren anspielt,268 sondern die politische Praxis reflektiert. Insofern bestand trotz des Wandels des Systems und des einstweiligen Friedens ein Band der Kontinuität zwischen Republik und Principat, war die Vergangenheit über alle Veränderungen, die sich zugetragen hatten, nicht vollkommen aufgehoben. So unterstreicht der Kalendererklärer die Verbundenheit der Iulier, die einen ehrwürdigen Tempel der Republik erneuern und sich in eine althergebrachte Tradition stellen, mit der Vergangenheit, legitimiert die Fortschreibung der von Augustus begründeten Dynastie in die Zukunft, weil sie die Kontinuität außenpolitischer Stärke sichere, und weist gleichzeitig auf künftige innere Gefahren hin, die nicht von sozio-politischen Konflikten zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen, sondern von der Konkurrenz innerhalb der domus Augusta herrühren. Die Gefahren innerfamiliärer Probleme, deren zeitgeschichtliche Aktualität Ovid nicht expliziert, aber auch die Festigkeit und Legitimität der Dynastie beherrschen die Einträge zu früheren Konfliktfällen, die sich in den troianisch-iulischrömischen Herrscherfamilie zugetragen hatten, wie zur Ermordung des Remus und Caesars. Die erste Auseinandersetzung bildete die Tötung des Remus.269 Allerdings spricht Ovid Romulus auch von persönlicher Mitschuld frei und eliminiert damit die vermeintlich konstitutive Ursünde der römischen Geschichte.270 Wegen Remus’

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kriege, der einen wirklichen inneren Frieden signalisieren soll, aber auch seiner Ambivalenz, die in den Fällen s. Camillus und des Opimius zutage tritt, s. Levick 1978: 218–220. Zwar ist richtig, dass auch Camillus ein Sieger über auswärtige und sogar als barbarisch wahrgenommene Feinde war, wie Farrell 2013: 69 festhält. Im Mittelpunkt steht bei Ovid jedoch eher die innenpolitische Dimension des Tempelbaus. Pasco-Pranger 2006: 266 sieht hier einen Bezug zu Piso; vgl. jedoch Littlewood 2006: 60–62. S. o. S. 310 sowie 315–317. So aber tendenziell Farrell 2013: 86 f. Ov. fast. V 445–492 (Fest der Lemuren). Vgl. jedoch Pasco-Pranger 2006: 282 f. zu Romulus’ Versagen. Hinds 1992: 146 f. nimmt Romulus’ Trauer über den Tod seines Bruder als geheuchelt wahr. Barchiesi 1997: 159–164 schätzt diese Version als nicht überzeugend ein. Zu den herkömmlichen Versionen s. Wiseman 1995: 103–128; Fantham 1998: 242 und bes. FRH 15 F 4 mit vir. ill. 1,4 mit Wiseman 1995:

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Streben nach Herrschaft bewertet er die Tat als Ergebnis einer Form des Bürgerkriegs.271 Auch vom Makel, ein Tyrann zu sein, befreit Ovid Romulus und weist die Theorie, der König sei von den Senatoren ermordet worden, strikt zurück.272 Familiärem Machtstreben und einem gegen ihn geschmiedeten Komplott fiel dann später auch König Servius Tullius zum Opfer.273 Im Kontrast zu diesen Verwerfungen stehen vordergründig der von Tiberius renovierte Concordia-Tempel sowie der Concordia-Schrein der Livia. Doch die Betonung der Notwendigkeit der innerfamiliären Eintracht und die Abgrenzung von der Frühzeit dokumentieren nicht nur die positiven Verhältnisse der Gegenwart, sondern insinuieren auch deren Fragilität. Caesars Ermordung, die schon in den Metamorphosen, anlässlich der Apotheose bedeutender Römer, aufgegriffen wird, übergeht der Kalendererklärer auf Wunsch der Göttin Venus nicht mit Schweigen.274 Weniger für Caesar selbst, der in den Metamorphosen im Mittelpunkt stand, als für Augustus, den Sohn und Nachfolger des Dictators, ergreift die Episode Partei. Ganz im Sinne des Princeps brandmarkt sie die Mörder als Verbrecher.275 Mit der Rache für seinen Vater legte Augustus den Grundstein seiner Laufbahn, eine Tat, die Ovid als einen Akt der Pietät versteht.276 Nicht nur den Priester der Venus hat er gerächt, sondern – hier unterscheiden sich die Fasten von den Metamorphosen – auch den eigenen Vater.277 Inzwischen sind die Ursachen des Bürgerkrieges für Ovid offenbar überwunden, wie die Begegnung mit einem Veteran Caesars belegt.278 Probleme der Vergangenheit, die Ovid anhand von Einträgen zu Ereignissen ohne direkten Zeitbezug thematisiert, betreffen Fragen der Machtverteilung und Partizipation auf gesellschaftlicher Ebene. Konkrete Gefahren gehen von einem mangelnden Willen zum Konsens, Rigorosität bei der Durchsetzung der Sittengesetze und fehlender Integration der Bürgerschaft aus. Anlässlich des Festes der Anna von Bovillae und der Floralien ruft Ovid die sozio-ökonomischen und politischen Konflikte zwischen den Ständen auf,279 die erst durch die Sezession der Plebs und die Kapitulation der Patrizier gelöst wurden. Ihm zufolge begann damals ein Denken in der Kategorie des Rechtes des Stärkeren.280 Was die Auseinander-

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10 f. zu Celer. Zu Remus als notwendigem Opfer s. Littlewood 2001: 917; 925–928; 934, zur Versöhnlichkeit in dieser Episode Deremetz 2013: 242 f. Ov. fast. V 467. Ausgeblendet wird hier der Konflikt, der sich vor dem Tod des Remus abspielte, der Streit mit dem Bruder über die korrekte Auslegung der Auspizien. Ov. fast. II 475–512. S. hierzu Pasco-Pranger 2006: 284 f. und Barchiesi 1997: 115. Über das Bild des Romulus informiert Ver Eecke 2008: 222–39. Für Parallelen s. Dion. Hal. ant. II 56,4; Plut. Rom. 27 f.; Liv. I 16,4. S. hierzu Barchiesi 1997: 1997: 229; Pasco-Pranger 2006: 267–270; Littlewood 2006: 30 sowie 187 (zur Porticus der Livia und deren Concordia-Schrein). Als erotisierte Erzählung missverstanden von Newlands 1995: 43–50. Zum epischen Stil, den Ovid in diesen Versen verwendet, s. Littlewood 1980: 320. Ov. fast. III 697–710. Ov. fast. III 710. Ov. fast. IV 376–386. So auch Herbert-Brown 1994: 115. Keinen triumphierenden Unterton hat die Erwähnung der Schlacht bei Munda (IV 625–628). Ov. fast. III 657–674. Ov. fast. V 285 f.

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setzungen um den Landbesitz, der in der Frühen Republik die Verhältnisse bestimmte, löste, war nicht Waffengewalt, sondern die Dialogbereitschaft, die Mitglieder der Publicier zu vindices des Volkes und damit zu Vorgängern des Princeps werden ließ281. Erst über einen Konflikt wurde auch die Rücknahme der lex Oppia erreicht.282 Nach dem Entzug der ihnen in Krisenzeiten zugebilligten Vorrechte drohten die Frauen mit Abtreibung und sexueller Abstinenz, die damit eine demographische Katastrophe heraufbeschworen hätten. Die Geschlechterverhältnisse verkehrend, probten die Frauen den Aufstand. Erst unter Druck lenkten die Senatoren im Rahmen eines Aushandlungsprozesses ein. Zutage traten die problematischen Folgen interner Auseinandersetzungen für den Bestand des Staates. Die Konfliktlinien verliefen zwischen Männern und Frauen. Ovid lehnt die Bereitschaft beider Gruppen zur Gewalt und Kompromisslosigkeit ab283. Wie die Thematisierung der moralistischen Vorwürfe gegen Claudia Quinta284 spielt Ovid auf die potentiell desintegrativen Folgen der Implementierung von Sittengesetzen auf die Gesellschaft an. Die Vergangenheit ist in didaktischer Hinsicht nicht irrelevant geworden. Zwar lassen sich für Ovid die historischen Verhältnisse nicht unmittelbar auf die Gegenwart übertragen. Damit aber die von Augustus inaugurierte Hochphase der Geschichte anhalten kann, ist es notwendig, Defizite der republikanischen Ära nicht in die Gegenwart gelangen zu lassen. Nicht immer sind seine Ansichten mit der Programmatik des Princeps konform. Über die Machtfrage hinaus, in der sich der Dualismus von Romulus und Remus in der domus Augusta wiederholen kann, wird in den Episoden zu den Ständekämpfen und der Gesellschaftsgeschichte der Mittleren Republik das Konfliktpotential deutlich, das sich auch in der Gegenwart aktualisieren kann. Bei aller Zustimmung zum Regiment des Princeps spricht Ovid Warnungen vor einer Politik aus, die in ihrer Orientierung an der Vergangenheit mit Positionen kollidiert, die seit den frühesten Dichtungen zum ideologischen Kern des Werkes Ovids gehören. Wenn er über mythische Beispiele auf das Problem der Meinungsfreiheit anspielt,285 dann steht schließlich sogar sein eigenes Schicksal auf dem Tapet.

281 Hierzu s. Ov. fast. V 290: vindicibus laudi publica cura fuit. Bömer 1958: 309. 282 Ov. fast. I 619–636. Zur lex Oppia s. o. S. 142 m. Anm. 328. 283 S. auch Ov. am. II 4,19 f. (zu den Frauen) sowie hier V. 621; 625 (zu den Männern). Zur Einordnung in den Geschlechterdiskurs s. Milnor 2005: 154–179 sowie Chiu 2016: passim. Ein Affront gegen Augustus muss hierin nicht liegen, so aber Barchiesi 1997: 92–99; Green 2004: 286. 284 Ov. fast. IV 305–344. Hierzu jüngst umfassend Chiu 2016: 40. Die These, dass die Gestalt der Claudia Quinta nach der skandalumwitterten Clodia modelliert sei (Newlands 2002[a]: 210 f., mit weiterer Literatur), hat den Nachteil, dass die von Ovid als unfair kritisierte Haltung des Senats ihr gegenüber plausibler erscheint, als es im Sinne des Dichters sein kann. 285 Tacita (Ov. fast. II 561–616) mit Feeney 1992 und Newlands 1995: 147–174; Arion und der Delphin (II 79–118) mit Newlands 1995: 175–208. Chiu 2016: 126–129; Aquarius (II 145– 148) mit Robinson 2011: 157 f.

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d) Zusammenfassung Die Fasten behandeln die Geschichte Roms aus unterschiedlichen Perspektiven. Kulturhistorische Überblicke bilden einen universalhistorischen Rahmen für die Ereignisgeschichte, die in mehreren Abrissen, der Prophezeiung der Carmentis, dem Augustusforum sowie anlässlich der Namensverleihung „Augustus“ und pater patriae zusammengefasst wird. Das Bild der Vergangenheit vervollständigen separate Einträge zu historischen Ereignissen und Persönlichkeiten. Die Geschichte stellt Ovid als einen kontinuierlichen, unter dem Schutz der Götter stehenden Prozess dar. Zentrale Kategorien der Bewertung historischer Ereignisse und Personen sind für ihn der Frieden und zivilisatorische Errungenschaften. Im Fokus stehen, teleologisch aufeinander bezogen, die mythischen Anfänge und die von der domus Augusta geprägte Gegenwart. Die Republik nimmt nur geringen Raum ein. Während Ovid in den Metamorphosen die Universalgeschichte als eine regellose Abfolge von Epochen und Figuren beschreibt, hält er in den Fasten an der Zielgerichtetheit fest, wie sie auch die historischen Reflexionen in Tibulls, Properz’ und Vergils Werken bestimmt. Sie holen die weit zurückliegende, sehr fremd wirkende Vergangenheit in die Gegenwart, die als zivilisatorischer und politischer Höhepunkt gefeiert wird.286 Die Episoden knüpfen unmittelbar an die Reflexionen über die Kulturentstehung in der Ars amatoria und den Medicamina an. Nirgends wird eindringlicher sichtbar, dass Ovid keine Erwartungen an die republikanische Geschichte mehr hat, sondern seine Hoffnungen für Rom nunmehr auf eine Dynastie setzt,287 von deren Wohlwollen auch sein persönliches Schicksal abhängt. Als Urbeginn der römischen Geschichte betrachtet Ovid im Trend der Zeit – den Dichtungen seiner Zeitgenossen und der Selbstdarstellung des Princeps – die Eroberung Troias und die anschließende Flucht der Troianer unter der Führung des Aeneas, die zur Gründung der Stadt Rom und später zum endgültigen Sieg über den einstigen Widersacher Griechenland führen. Auch wenn er eine kausale Verbindung zwischen der Expansion Roms und der Entstehung des Luxus zieht, teilt er die Geschichte nicht, wie im Niedergangsdenken topisch, in eine Phase des Aufstiegs und eine Phase des Verfalls ein und idealisiert die Frühzeit in eskapistischer Manier. Die 286 Hier sollen nur einige zentrale Elemente der Geschichte betrachtet werden. Für ein vollständiges Verzeichnis der Stellen zur römischen Geschichte s. Prescendi 2000. 287 Ein weiteres Mal reflektiert Ovid im Proeemium des IV. Buches mit gattungstheoretischen Überlegungen über sein Vorhaben. Auch dort stellt er die Kalendererklärung als größere Gattung der Liebeselegie gegenüber, der er vorher gehuldigt hatte (Ov. fast. IV 3; 10.). In einem Zwiegespräch mit Venus betont er erneut den inneren Zusammenhang seines literarischen Œuvres. Auch jetzt noch bleibe die Göttin seine Muse, ja, Ovid selbst bekennt sich als Dichter, der ihr gehöre und der ihr sein ganzes künstlerisches Dasein gewidmet habe (Ov. fast. IV 7 f.; 14). Wie Venus die Göttin der Liebe ist, so verbindet sie mit dem römischen Staat, dass die Iulier von ihr abstammen. Wiederum bemüht sich Ovid, den Abstand zwischen Liebesdichtung und politischer Dichtung, den er keinesfalls verleugnet, sondern sogar ausdrücklich erwähnt, so abzumildern, dass die Verbindung zwischen beiden nicht von vornherein als Widerspruch aufgefasst werden muss. Mit Anreden an die Adressaten ruft er immer wieder sein darstellerisches Ziel und die ihm innewohnende Perspektive auf die römische Geschichte in Erinnerung (Ov. fast. IV 19–22).

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Ärmlichkeit des frühen Italien bildet einen scharfen Kontrast zur Gegenwart. Unkultiviertheit, wie sie Romulus personifiziert, erfährt seine Verachtung. Da er die Neigung zu materiellen Gütern als anthropologische Konstante begreift, sind die Luxuserscheinungen der Gegenwart für ihn kein neuartiges Dekadenzphänomen, sondern Produkt eines langfristigen und kontinuierlichen Prozesses. Wie in den Liebesdichtungen aus der Perspektive des elegischen pauper amator kritisiert er jedoch die aus übermäßigem Luxus und Reichtum herrührende Geschmacklosigkeit, die in der Gegenwart ihren Höhepunkt erreicht habe. Die Ianus-Rede zeigt, dass diese Haltung zur Geschichte mit dem Programm des Princeps kompatibel ist. Der Erneuerung der positiven Seite der Vergangenheit ist sie zugänglich; fremd bleibt ihr die Restitution historischer Verhältnisse. Ovids historische Logik wehrt sich gegen einen strikten Determinismus zwischen den Sitten und der Machtstellung eines Staates, der im römischen Dekadenzdenken bislang unumstößliche Geltung besaß. Stattdessen unterbreitet er ein Angebot zur Versöhnung von Elementen traditioneller und moderner Lebensformen. Die Geschichte Roms ist in der Darstellung der Fasten eine Geschichte der Expansion (in außenpolitischer Sicht) sowie gesellschaftlicher wie persönlicher Konflikte (in innenpolitischer Perspektive). Die Probleme, die Ovid identifiziert, betreffen das Ringen um die Macht in verschiedenen Konstellationen, Auseinandersetzungen zwischen den Ständen und die zerstörerische Gewalt von Wertekonflikten. Zwar respektiert er die herausragenden Taten prominenter Einzelpersönlichkeiten; an die Verdienste des Augustus reichen sie jedoch nicht heran. Die Ära der Republik verliert für die künftige Politik ihren Vorbildcharakter. Im augusteischen Principat ist für Ovid die römische Geschichte in eine Phase der Konsolidierung getreten und die Zeit auch des äußeren Friedens angebrochen. Alle Hoffnungen Ovids für die Zukunft ruhen auf dem Princeps und seiner Familie, der domus Augusta. Von der Monarchie, die sie bilden, erwartet er Frieden und Prosperität. Einzig durch das Ruhmesstreben der Feldherrn, die ihre Heere in die Schlacht gegen Roms Feinde schicken, befürchtet Ovid eine Störung der Ruhe.288 Wegen des Wandels des politischen Systems von der Republik zum Principat, zu einer von Augustus dominierten Zeitgeschichte, bedarf es keiner Vermittlung von Orientierung durch die Vergangenheit mehr. In der Dynastie der Iulier erblickt Ovid die schicksalsbestimmte Zukunft Roms. Neuartige Konflikte drohen allerdings durch die destruktive Wirkung der Zwietracht. Künftige Verwerfungen werden nicht mehr zwischen den Ständen oder anderen gesellschaftlichen Gruppierungen verlaufen, sondern innerhalb der domus Augusta. Strategien der Stabilisierung, basierend auf historischer Didaktik, entwickelt Ovid nicht, auch wenn er die Auseinandersetzungen an den Verhältnissen aus den Ständekämpfen und der Späten Republik spiegelt. Umso plastischer tritt jedoch hervor, dass die strukturellen Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit abgerissen sind, da die modifizierte Ordnung mit ihren neuen Akteuren auch neue Interessenkollisionen erzeugt. So schwört Ovid anlässlich verschiedener Festtage die Akteure auf die Wahrung der Harmonie ein. 288 S. hierfür Ov. fast. I 709–722 zur Ara Pacis.

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Die Fasten sind als Panegyrik angelegt. Ursprünglich dienten sie der Verherrlichung des Augustus. Sofern die Schlussfolgerung anhand der vorliegenden Fassung zulässig ist, hätte das Werk zur Legitimierung seines Regiments in einer historischen Situation beigetragen, in der der Princeps angesichts zahlreicher gravierender innen- wie außenpolitischer Krisen unter größtem Druck stand, die Leistungsfähigkeit seiner Herrschaft unter Beweis zu stellen. Inwieweit ihm dies bereits vorher gelungen war, belegen die Feiertage zu seinen Ehren, die mit ambitioniert gestalteten Einträgen gewürdigt werden. Als Ovid nach dem Tod des Augustus die Fasten umschrieb und die neue Version Germanicus dedizierte, änderte sich auch die Funktion der Dichtung. Ihr Ziel war jetzt, der domus Augusta und Germanicus, auf den er seine persönlichen Hoffnungen setzte, durch die Verbindung mit dem alles bisher Dagewesene übertreffenden Augustus die Herrschaftsberechtigung zu sichern. Die Gestaltung des Themenspektrums zeigt Ovids politischen Zugriff ebenso wie seine pragmatischen Interessen. Aspekte, auf die Augustus Wert legte, verbindet er mit eigenen Präferenzen. Mit dem Insistieren auf der Freiheit unterstreicht er die republikanischen Ambitionen des Tiberius, auch wenn seine Panegyrik der Erfahrungswelt der Zeitgenossen widersprechen mochte. Das Verdikt über Romulus unterstreicht, welche Züge Ovid am Regiment des Augustus als Grundlage der politischen Ordnung ansieht. In den Einzelheiten unterscheidet er sich von wichtigen Vorstellungen des Princeps, hinsichtlich des Friedens und der Sitten sowie des materiellen Wohlstands. Den militärischen Friedensbegriff des Augustus modifiziert Ovid zu einem pazifistischen Ideal. Kriegführung zur Förderung des Prestiges lehnte er ab. Er plädiert für einen neuen Friedensbegriff und definiert den Ruhmesbegriff neu. Dessen Maßstab ist für ihn nicht mehr, wie im mos maiorum, mit militärischer Gewalt erworbene gloria, sondern der Verdienst um die Zivilisation. Von Augustus trennt ihn auch die Überzeugung, dass Sitten, wie sie in der Vergangenheit geherrscht hätten, trotz der Dekadenz auch in der Gegenwart möglich seien. So negiert er die Notwendigkeit einer Orientierung an der rustikalen Frühzeit, die zentral für das Programm des Augustus war. Eine Rückkehr in die von der Gegenwart qualitativ völlig verschiedene Vergangenheit ist nach Ovid weder möglich noch erstrebenswert. Wie auch schon in seinen früheren Dichtungen hängt er keinem Kulturpessimismus an. Mit der Umwidmung der Fasten ist auch eine protreptische Intention verbunden. Über mythologische Figuren und Geschehnisse spielt er auf Defizite in der Herrschaftspraxis des Augustus an. Sich selbst stilisiert er indirekt zum Opfer der Zensur. Diese Passagen waren zu dem Zeitpunkt, als er die Dichtung abschloss, keine gesuchte Konfrontation. Sie hätte seinem Ziel, der Rückberufung nach Rom, entgegengestanden. Auch war der Princeps, gegen den sich Ovids Beschwerden richten, inzwischen verstorben. Eher implizierten sie die Bitte an den Widmungsträger, das Verbannungsurteil zu revidieren. Vor der römischen Bürgerschaft, die zu den Lesern der Dichtung gehörte und die Ovids Botschaften verstanden hätte, hätte sich Germanicus so in die Tradition der Leistungen des Augustus stellen und ihn sogar übertreffen können. In Lob drapiert, ließen sich, über Ovids persönliches Schicksal hinausgehend, auch tatsächlich bestehende oder potentielle Missstände in

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der domus Augusta diskret adressieren, wie es Ovid mit seinen Appellen zur Eintracht unternimmt, ohne dass der Vorrang der Gegenwart vor der Vergangenheit in Zweifel stünde. Die Geschichte, die in der Gegenwart ihren Höhepunkt erreicht hat, ist nach der Konstruktion der Fasten stets von Auseinandersetzungen um Macht geprägt gewesen. Teils spielten sie sich im Herrscherhaus ab, teils verliefen die Fronten quer durch die Gesellschaft. Gefahren drohen von zwei Richtungen: aus der Familie des Princeps im Ringen um Einfluss, das sogar Rückwirkungen auf die außenpolitische Stabilität nach sich ziehen könnte, sowie in der Innenpolitik, der wegen umstrittener Reformmaßnahmen Verwerfungen drohen. Im Herausstreichen der Leistungen des Princeps liegt der panegyrische Zweck der Dichtung. Mit ihr ist Ovids didaktische Zielsetzung eng verbunden. Sie stützt sich auf ein desillusioniertes Bild der römischen Geschichte und überträgt deren strukturelle Probleme, die den Systemwandel überstanden haben, auf eine Gegenwart, deren Stabilität in Frage steht. 4. BILANZ. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IN DEN METAMORPHOSEN UND DEN FASTEN Die Metamorphosen und die Fasten operieren auf zwei Ebenen: der universalen Geschichte der Kulturentwicklung und der römischen Geschichte. Den Metamorphosen liegt ein Zeitalterschema zugrunde, das nach Hesiod modelliert ist. Die geschichtliche Welt, die nach der Flut beginnt und in der sich auch die römische Geschichte abspielt, gehorcht, wie er zeigt, ihren eigenen Gesetzen. Ein Maßstab für die Gegenwart kann das Goldene Zeitalter des Mythos nicht sein. Insofern laufen Vergleiche zwischen dem augusteischen und dem Eisernen Zeitalter, die Aufschluss über Ovids vermeintlich oppositionelle Haltung geben sollen, ins Leere.289 Als vergeblich bewertet er in den zivilisationsgeschichtlichen Partien der Fasten eine forcierte Rückwendung zu frührömischen Sitten, wie sie rigorose Zeitkritiker und der Princeps verfochten. Gedanken zur Kulturtheorie durchziehen Ovids Werke, zunächst die Liebesdichtung, in der er auf seine Vorgänger reagiert, und dann die beiden intensiv von der Geschichte durchdrungenen Großdichtungen, die Fasten und die Metamorphosen. Wie in den erotischen Lehrdichtungen, ausgenommen die situationsgebundene, eskapistische Attitüde der Elegie III 8, dominiert die Befürwortung des Fortschritts, der Vorbedingung für ein menschenwürdiges Dasein, und das Lob der Gegenwart, die Ovid als Höhepunkt der Zivilisation ansieht. Nach Ovids fundamentaler Einsicht existiert in der römischen Geschichte, wie die Fasten zeigen, ein Wechselverhältnis zwischen moralischen Werten und dem sittlichen Zustand der Bürgerschaft sowie den historischen Zeitumständen und Rahmenbedingungen, wie er es in den Medicamina noch provozierend ignoriert. Den Fatalismus dieser aus römischem Niedergangsdenken stammenden Position modifiziert er, wenn er die Rede des Ianus in den Fasten mit der Mahnung schließen 289 Schon Vergil behandelt übrigens im I. Buch der Georgica den Übergang von einem bißow auötoßmatow zum Zeitalter Iuppiters und demonstriert dabei die Verschiedenheit beider Welten.

4. Bilanz. Die römische Geschichte in den Metamorphosen und den Fasten

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lässt, sowohl die Sitte des Saturnischen Zeitalters als auch die gegenwärtigen Lebensgewohnheiten müssten gleichermaßen gewürdigt werden. Die Entrücktheit des für den Diskurs über die Kulturentwicklung bedeutsamen Saturnischen Zeitalters entlarvt er, indem er an Vergils Archäologie des Euander anschließt, der berichtete, wie Saturn die in einer Zivilisation entstehenden Elemente des Niedergangs mithilfe von Gesetzen bekämpfte und einzudämmen vermochte. Wenngleich in allen Werke Ovids eine Kritik an den Auswüchsen der Gegenwart präsent ist, ohne dass er für eine Sittenpolitik augusteischen Zuschnitts plädiert, löst er damit, ebenso wie Vergil, die Verkoppelung eines Idealzustandes mit einer bestimmten, unwiederbringlich verlorenen Epoche in der Vergangenheit auf, wie sie in Varros Res rusticae, Vergils Georgica oder in der Annalistik vorherrscht. Einer für die Stabilität des Staates in den Augen vieler Zeitgenossen notwendigen Orientierung an der Vergangenheit zieht er eine Aneignung von Werten der Frühzeit bei gleichzeitiger Respektierung der Annehmlichkeiten einer modernen Lebensweise vor. Für das geschichtlich basierte politische Denken in Rom eröffnet Ovid mit der sich aus Ianus’ Rede eröffnenden Option, Vergangenheit und Moderne zu verbinden, einen neuen Spielraum. Von utopischen Erwartungen an die Wiederherstellung eines mythischen Goldenen Zeitalters entlastet er den Princeps und entwickelt gleichzeitig eine Strategie, die in Augustus’ Reformprogramm immanenten Spannungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufzulösen. Eine zweite Ebene historischer Reflexion jenseits der universalhistorischen, von Kategorien der Kulturgeschichte geprägten Dimension ist die römische Geschichte. Ihr widmet er sich im Schlussteil der Metamorphosen mit einer Reihe von Verwandlungsgeschichten prominenter Gestalten der Vergangenheit Roms, die um das Verhältnis zwischen der Einzelperson und der res publica mit ihren gesellschaftlichen Gruppierungen und Institutionen sowie die Form und den Zustand des Staates kreisen. Die Vergangenheit, auf nur auf wenige ausgewählte Szenen reduziert und dadurch stofflich verkürzt, stellt er nicht als genetischen Prozess dar und klärt daher auch nicht über historische Kausalitäten auf, die in ihr wirkten. Zwar greifen auch die Fasten nicht alle klassischen historischen Themenkomplexe auf und bilden die Geschichte vollständig ab. Aber sie kommentieren ein öffentliches, von Augustus und der domus Augusta usurpiertes Medium der öffentlichen Sinnstiftung, den Kalender, der einen weitgehend allgemeinverbindlichen Kanon der für die römische Gesellschaft erinnerungswürdigen und damit konstitutiven Ereignisse aufstellt, und entwickeln in historischen Übersichten geschlossene Narrative. Während die Metamorphosen mit der Ermordung Caesars enden und das Principat des Augustus, auf das die römische Geschichte zusteuert, in einer Prophezeiung evozieren, ist Augustus mit seinen Verdiensten in den Fasten zwar allgegenwärtig, doch richten sich Ovids Hoffnungen und Erwartungen schon auf seine Nachfolger. Obwohl beide Dichtungen, wie rudimentär auch immer, historische Durchläufe enthalten, bieten nur die Fasten eine historische Meistererzählung, eine Präsentation der Geschichte Roms, basierend auf einem Set grundlegender Paradigmen, die in einigen historischen Abrissen wie der Prophezeiung der Carmentis und dem Augustusforum Anwendung finden oder auf diese bezogen werden müssen.

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VII. Universalgeschichte und Kalender

Die Metamorphosen beleuchten das Wirken von Romulus, Numa, Caesar und Augustus, auf denen das historische Gerüst des geschichtlichen Abrisses beruht, als die entscheidenden Gestalten ihrer Zeit. Romulus und Augustus eint, dass sie interne Konflikte austrugen und Kriege führten, aber nicht von privaten Ambitionen geleitet waren. Anschließend stellten sie den Frieden wieder her. Die Beseitigung einer Krisensituation erforderte ihre Alleinherrschaft. Caesar dient hauptsächlich als genealogisches Verbindungsglied und als Objekt des Vergleichs für die Leistungen des Princeps. Unter Augustus erreicht die Geschichte dann ihren Höhepunkt. Die Cipus-Episode zeigt den institutionellen Wandel des Herrscherideals in Rom an. Galt Cipus als vorbildhafter Magistrat, der zugunsten der Republik auf das ihm geweissagte Königtum verzichtete, so wurde Augustus, wie Ovid suggeriert, zwar zum König, als er im Jahr 23 nach seinem Feldzug in Rom einzog, etablierte dadurch jedoch ein Zeitalter des Friedens und der äußeren Stärke. Während die Metamorphosen sich in ihren der römischen Geschichte gewidmeten Partien auf Zerfall und Erhalt politischer Ordnungen konzentrieren, sind die Fasten, mit typologischen Beziehungen operierend, hauptsächlich auf einen Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit ausgerichtet. Die beiden gundverschiedenen Abschnitte der Geschichte vertreten exemplarisch Romulus und Augustus. Nachdem Ovid sich in mehreren kulturtheoretischen Ausführungen als Fortschrittsbefürworter erwiesen hat, deutet er immer wieder auf den zivilisatorischen Höhepunkt der Gegenwart hin, die sie so sehr von der Frühzeit unterscheide. In der Rede des Ianus konstatiert er auch die Pleonexie und die trotz der Reformbemühungen des Augustus weiterhin grassierende Geldgier. Aber er misst ihr im Unterschied zu den Dekadenztheoretikern im römischen Verfallsdenken keine Bedeutung als Auslöser für die Bürgerkriege der Späten Republik zu. Die Dekadenz, die Ianus in seiner Rede behandelt und die in den Metamorphosen ganz ausgespart ist, bringt er in keinen Zusammenhang mit den geschichtlichen Themen und historischen Gestalten, von denen die Fasten handeln. Allein das Resultat der Geschichte interessiert ihn, die kulturelle Höhe der Gegenwart und der weltweite Frieden unter römischer Herrschaft. Während Ovid in den Metamorphosen Augustus in eine typologische Beziehung zu anderen monarchischen Gestalten der Geschichte rückt, grenzt er in den Fasten den ersten Princeps von den Helden der Republik ab, die er auf allen Feldern der Politik übertrifft. In beiden Dichtungen verliert die Republik ihre traditionell kanonische, über exempla vermittelte didaktische Bedeutung. Zugleicht legitimiert Ovid die von Augustus etablierte Form der Alleinherrschaft teils durch ihre Notwendigkeit, teils durch ihre Leistungsfähigkeit als eine historisch zwingende Einrichtung. So ist das historische Thema der Metamorphosen wie der Fasten der Abschied von der Republik und der Rechtfertigung der Monarchie, als die er das Principat entgegen der Inszenierung des Augustus ohne die Absicht der Skandalisierung, sondern ihre Überlegenheit und Notwendigkeit unterstreichend charakterisiert. Über diese Demonstration hinaus vermitteln die Fasten auch politische Lektionen. Stets soll das Agieren des Herrschers an das Gemeinwohl gebunden sein, dessen Förderung ihn erst rechtfertigt. Das Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit und dem Nutzen der Monarchie illustriert die Cipus-Episode. Konflikte werden auch in der Zukunft nicht ausbleiben. Einerseits nennt er explizit die harmonischen Verhält-

4. Bilanz. Die römische Geschichte in den Metamorphosen und den Fasten

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nisse innerhalb der domus Augusta als Voraussetzung für inneren Frieden, der früher von Ständegegensätzen bedroht war. Andererseits verweist er über historische Vergleiche auf gesellschaftliche Probleme, die aus einer rigorosen Umsetzung der augusteischen Reformpolitik resultieren könnten und zu denen er eine Alternative bietet. So fördern die beiden Dichtungen die neue Ordnung und stabilisieren sie zugleich gegen eine potentiell destruktive Politik des Princeps und der Dynastie. Auch in der Exildichtung, die er als publica carmina versteht,290 betreibt Ovid eine Auseinandersetzungen über die politischen, ihn teilweise persönlich tangierenden Themen der Metamorphosen und der Fasten, über die Rang der Meinungsfreiheit, über das Wechselverhältnis zwischen Literatur und Politik, über den Zustand des Reiches. Augustus begegnet er mit einer Mischung aus Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit, List und Verschlagenheit, Subversivität und trotziger Selbstbehauptung, die auf der eigenen Unabhängigkeit insistiert und stellenweise sogar Züge einer Widerstandshandlung annimmt. Den Princeps ruft er als Garanten des Friedens und der Sicherheit aus.291 Er habe auf ewig die Furcht vor einem Bürgerkrieg beseitigt, und auf den Prinzipien Milde, Strafe und Furcht fuße sein Regiment.292 Unter Augustus habe Rom den Aufstieg zur Weltmacht vollzogen und sei zu einer bisher nie erreichten Blüte gelangt.293 An der politischen Ordnung des Staates auch in der Zukunft hat Ovid keinen Zweifel. In ganz Rom, so versichert er, werde für die ewige Herrschaft des iulischen Hauses gebetet, und die Familie des Augustus werde seine ruhmreichen Taten auch in der Zukunft fortsetzen, wie schon jetzt die Taten des Germanicus bewiesen. Monarchie und Dynastie würden die hergebrachte Republik ablösen, deren Nichtexistenz er in aller Klarheit feststellt.294 Eine Restauration der traditionellen Ordnung liegt außerhalb der Reichweite seines Vorstellungsvermögens, das selbst von den wechselhaften, mitunter krisenhaften Ereignissen der Zeitgeschichte, die Augustus’ Principat trafen, nicht erschüttert wird. Sicherlich ist diese Form der Verherrlichung auch von strategischen Überlegungen, der Hoffnung auf Rückkehr nach Rom, bestimmt. Tatsächlich aber setzt sie die bereits in den Fasten vorgenommene Würdigung der Leistung des Augustus und dessen historischer Stellung fort, auch wenn er den Vorwurf des Machtmissbrauchs und der fehlenden Meinungsfreiheit erhebt, die Ovids Ruhm und Talent zerstörten.295 Über die Konsequenzen des Machtmissbrauchs und der Despotie, die er Augustus vorwirft, für die Akzeptanz und Stabilität des Herrschaftssystems, schweigt er sich jedoch aus. So gehört zur Panegyrik und historischen Einordnung des Principats in den Metamorphosen und den Fasten auch, dass Ovid zwischen seinem persönlichen Schicksal und der historischen Entwicklung Roms differenziert und, an seinem Schicksal exemplifiziert, auch die möglicherweise systemischen Schwächen der neuen Ordnung offenlegt. 290 291 292 293 294 295

Ov. trist. V 1,23; s. auch Pont. III 9,45–56. Ov. trist. II 157. Ov. Pont. I 2,123–126. Ov. Pont. II 2,67–84. Ov. trist. II 157; IV 2,10. S. z. B. Ov. trist. III 1,68; 3,73 f.; 7,47 f.; 14,45 f.; IV 8,51 f.; V 1,45.

ZWISCHENBILANZ III Die Deutungen der römischen Geschichte im augusteischen Zeitalter Im Jahr 14 n. Chr., etwa vier Jahrzehnte nach der Begründung des Principats, wurde in Rom der Leichenzug für den verstorbenen Augustus abgehalten.1 Zwei Neuerungen an diesem Ritual symbolisieren den politischen Wandel, der sich seit der Ermordung Caesars vollzogen hatte, aber auch die Grundzüge der Herrschaftsauffassung und der Selbstdarstellung des Augustus. In der pompa wurden außer den Mitgliedern der iulischen gens zahllose führende Gestalten der römischen Geschichte vorgeführt, und die Maske des Augustus bildete nicht, wie es dem Herkommen entsprach, den Abschluss der Prozession, sondern führte sie an. Aus den beiden Modifikationen sprach das eigentümliche, mit der Epoche der Bürgerkriege und der Principatsordnung zusammenhängende Verhältnis der Gegenwart zur Geschichte. Die dominierende Rolle des Princeps in der res publica spiegelte seine Position in der pompa wider. Zwar blieb er in den Bezugsrahmen der Vergangenheit eingeordnet. Gleichzeitig trat er aber aus dem Kollektiv der überragenden, die Entwicklung Roms prägenden Gestalten heraus. Mit ihrem Rang im kulturellen Bewusstsein Roms verliehen sie ihm historische Größe und Autorität. Aber mehr noch behauptete Augustus sich aus eigenem Recht vor dem Horizont der Geschichte und wurde wie im Augustusforum selbst zum Maßstab, an dem Vergangenheit und Zukunft gemessen werden sollten – als Vertreter seiner Familie wie des gesamten Staates, den er für sich vereinnahmte. Wie sich Augustus als Princeps einerseits in die Tradition der römischen Geschichte stellte, diese andererseits durch seine exzeptionelle Stellung verminderte, reflektierte die Grundzüge des von ihm geschaffenen Systems, das aus republikanischen wie nichtrepublikanischen Komponenten bestand. Die Epoche, die er verkörperte, stand mit ihm in unmittelbarem Zusammenhang. Zusammen mit ihm war sie, die Vergangenheit übertreffend, der Höhepunkt der Geschichte. Nach einer fragilen Anfangsphase hatte das neue Regiment nach mehreren Modifikationen bis zum Jahr 19 seine bleibende Form erhalten und war seither konstant geblieben. Doch unumstritten waren die Reformanstrengungen und Errungenschaften des Augustus in diesem Zeitraum nicht. Auch hernach entstanden neuere Konflikte im Inneren, ausgehend sowohl von der Senatsaristokratie wie von seinem familiären Umfeld, und gelangten, nach der beeindruckenden Machtdemonstration gegen die Parther, regelmäßig Hiobsbotschaften von den Kriegsschauplätzen nach Rom. Im Rückblick auf das augusteische Principat hat Tacitus die Zeitstimmung nach dem Tod des Augustus im Jahr 14 n. Chr. zu erfassen versucht. Während die Motive des Princeps unterschiedlich gedeutet wurden, bestand dennoch Konsens über sein Verdienst, die res publica stabilisiert zu haben.2 Auch die erhaltenen Deutungen der 1 2

Dio LVI 34,3. Zur Trauerfeier s. Dahlheim 2010: 363–365; Levick 2010: 239 f. Tac. ann. I 9–11.

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Zwischenbilanz III

römischen Geschichte, die während der Herrschaft des Augustus entstanden waren, reflektierten diese zentralen Verdienste des Princeps, die mit der Beendigung der Epoche des Bürgerkriegs zusammenhingen. In der Selbstdarstellung und Propaganda operierte Augustus mit zweierlei Kategorien von Vergangenheitsbezügen. Indem er sein Principat und seine Reformmaßnahmen in die Tradition der Republik einordnete, legte er an sich die Kriterien an, die auch der Geschichtsschreibung zugrunde lagen. Andererseits überhöhte er seine Herrschaft in mythische Dimensionen und stellte sich nicht nur mit den Göttern auf eine Ebene, sondern verortete seine Herrschaft im Spannungsfeld der Extreme eines Goldenen und eines Eisernen Zeitalter. Aus den Konstruktionen der Geschichte, die in dieser Zeit entstanden, spricht das Bewusstsein von der herausragenden Rolle des Augustus, die gleichwohl, weil die republikanische Ordnung nicht als Referenzrahmen diente, als Bestandteil einer kontinuierlichen Entwicklung, eines teleologischen Prozesses gedeutet wurde. Augustus war vor allem Projektionsfläche von Hoffnungen und Erwartungen. Erst Ovid benannte in den Metamorphosen und den Fasten die Existenz eines Systemwandels, den er ausdrücklich als Notwendigkeit begrüßte. Im Laufe des augusteischen Principats fielen aus der Bürgerkriegszeit gespeiste Unsicherheiten und Befürchtungen weg, die sich in Utopien niedergeschlagen hatten. Die relativ wenigen erhaltenen Dichtungen reflektieren den Wandel in ihrer Deutung der Geschichte. Sehr früh tat dies der im Umfeld des Princeps wirkende Vergil. Nach der Abkehr von verschiedenen Versuchen, die er in seinen frühen Werken unternommen hatte, um ein Bekenntnis zu Rom mit einem frühzeitlichen Idealzustand zu verbinden, war er auf eine Konzeption des Goldenen Zeitalters eingeschwenkt, die sich in der Gegenwart auch tatsächlich verwirklichen ließ und, wie die Prophezeiungen der Aeneis zeigten, sinnfällig am Ende einer historischen Entwicklung standen. Die Schaffung eines neuen Goldenen Zeitalters mit den traditionellen Mitteln der politischen Kultur Roms war denn auch das Ziel des Augustus. Zwischen der Geschichtsschreibung und den Kulturentwicklungstheorien, den beiden wirkmächtigen Formen historischer Reflexion, bestanden allerdings Unterschiede. Kulturentwicklungstheorien und auf ihnen basierende Abrisse erfassten die Bedingungen der geschichtlichen Welt nur im Grundsätzlichen. Während sie politische Zusammenhänge in ihrer Perspektive der longue durée auflösten und einzelne markante Ereignisse wie den Bürgerkrieg als Ausfluss universaler Gesetzmäßigkeiten betrachteten. Die Geschichtsschreibung setzte dagegen unmittelbar bei der politischen Geschichte an. Trotz klar fixierter Gesetzmäßigkeiten menschlichen Verhaltens in der Politik durfte er Hoffnungen auf die Verwirklichung seiner Didaktik der Politik setzen, weil sein Narrativ die Zweiteilung der Geschichte in eine Phase des Aufstiegs und des Verfalls negierte und allein sich rasch wandelnde historische Rahmenbedingungen, aber auch der Einfluss menschlichen Handelns, wie es von den duces seiner Geschichte repräsentiert wird, in greifbaren politischen Situationen Entscheidungen immer wieder neu bestimmte. In der Frage der Kontinuität unterscheiden sich die dichterischen Überblicke über die Geschichte von der Historiographie. Während jene die Geschichte als großen Zusammenhang auffassen, angesiedelt in einer von bestimmten Rahmenbedin-

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gungen geordneten Welt, in der sich als lineare Entwicklung nach dem Fall Troias der Aufstieg Roms vollzog, folgt die Geschichtsschreibung anderen Paradigmen. Zwar kennt auch sie den Aufstiegsgedanken, die Entwicklung Roms von der Hütte des Romulus an bis zum Weltreich. Aber schon das annalistische Schema führte zu einer Akzentuierung zyklischer Bewegungen und einer Konzentration auf Themen und Probleme, die in der Struktur der politischen Ordnung und Kultur angelegt waren. Mit den Eigenarten der römischen Geschichtsschreibung hing deshalb auch die Wahrnehmung von Brüchen zusammen, die sich unmittelbar aus den annalistischen Themen ergaben, jedoch zu kleinteilig für universalhistorisch-mythische Betrachtungsweisen waren. So konnte die Geschichtsschreibung etwa Wendepunkte wie die Vertreibung der Könige, die Beendigung des Ständekampfes oder den Fall Karthagos als wichtige Einschnitte registrieren, während sie in kulturgeschichtlicher Perspektive nur prinzipiell vorhersehbare Ereignisse bestimmter Komponenten der Weltordnung waren, wie etwa der Natur des Menschen und sein Verhalten in der Zivilisation. In der Aeneis konnte es schon deshalb keine Dekadenzerfahrung geben, weil die römische Geschichte zu einer Art Eisernem Zeitalter gehörte, jener Epoche, die nach Saturns Tod angebrochen und noch immer nicht beendet war. So standen Bürgerkriege am Anfang wie am Schluss. Heldenschau und Schildbeschreibung verzichteten folglich auf das in der Geschichtsschreibung konstitutive Modell vom Sittenverfall, das mit einer Heilsgeschichte und Augustus als deren Höhepunkt prinzipiell kompatibel gewesen wäre. Den Metamorphosen hingegen liegt keine teleologische Geschichtsauffassung zugrunde. Das Ideal der Verwirklichung eines Goldenen Zeitalters des Mythos ist seit der Neuerschaffung des Menschengeschlechtes ausgeschlossen. Zwar existiert auch eine lineare Entwicklung in dieser Dichtung. Aber sie erreicht kein vorherbestimmtes Ziel, mag auch der einstweilige Höhepunkt der römischen Geschichte, von Iuppiter angekündigt, unter Augustus erreicht sein. Allerdings greift Ovid Themen wie das Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen sowie Fragen der Herrschaftsorganisation und Herrschaftsausübung auf. Im Mittelpunkt stehen die königsähnlichen Gestalten der Geschichte. Die Republik wird von Cipus, dem verhinderten König, repräsentiert. Die Irrelevanz der republikanischen Ära und ihrer Gestalten gehört auch zu den bestimmenden historischen Einsichten der Fasten, die gleichzeitig entstanden waren und noch stärker auf die römische Geschichte Bezug nahmen. An Fragen nach der Staatsform rührt Ovid allerdings in seinen Überblicken über die römische Geschichte und deren universalhistorischen Horizont. In den Metamorphosen wie den Fasten findet Ovid in der Monarchie eine praktikable Herrschaftsform vor. Sie wird bestätigt durch die herausragenden Leistungen, mit denen Augustus, wie die Fasten zeigen, die führenden Gestalten der Republik übertrifft. In den Metamorphosen, in der Cipus-Episode, wird seiner Herrschaft indirekt die Verwirklichung des Goldenen Zeitalters zugeschrieben. In den Fasten wird von Festtagserklärung zu Festtagserklärung immer wieder die Leistung des Princeps vorgebracht: die Blüte von Kultur und Wissenschaft in einer Zeit des Friedens, wenngleich sie von der Pleonexie angegriffen ist. Die Relevanz historisch-annalistischer Themen beschränkt sich nicht nur auf die Geschichtsschreibung, sondern ist auch in einigen historischen Abrissen prä-

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sent, so etwa in Vergils Heldenschau. Thematisiert wurden hier die Faktoren für Instabilität und das ideale Verhalten in der res publica. Dies gilt aber eben nicht für Tibulls und Properz’ Dichtungen. In der Aeneis ist das Problem die Verstöße des Einzelnen gegen die politische Ordnung. Sie lässt sich zurückführen auf materialistische Neigungen des Menschen, die bereits zum Untergang des Goldenen Zeitalters führten, jedoch – wenngleich durch Sitten und Gesetze eingedämmt – bestanden, seit die Menschen in einer Form der Zivilisation zusammenlebten. In der römischen Geschichte konkretisieren sie sich im popularen Handeln aus politischem Ehrgeiz, der Hypostasierung des Ruhmes und schließlich des (Bürger-)Kriegs. Dieser führt Rom kurz vor der Übernahme der Weltherrschaft im neuen Goldenen Zeitalter des Augustus noch einmal in die früheste Vergangenheit zurück, als das Goldene Zeitalter Saturns in militärischen Konflikten zerfiel. Das Augustusforum, das als Bestandteil des Dialogs über die Geschichte eine Antwort auf die literarischen Deutungen der Vergangenheit war, bespricht, analog zur Aeneis, Gefahren, die sich aus dem politischen System der Republik ergaben. Anders als Vergil in seinen Prophezeiungen thematisiert es nicht nur die Problematik großer Individuen, sondern bezieht auch andere politische Aspekte, die gleichfalls eine Bedrohung für das System bedeuteten. Seine thematische Ausrichtung umfasste nahezu alle wichtigen im engeren Sinne politischen Themenfelder der annalistischen Geschichtsschreibung. Mit dem Geschichtswerk des Livius stimmt es in wichtigen Fragen überein. Beide erkennen die Notwendigkeit der sozialen Integration der Bürgerschaft und der Verhinderung eines Bürgerkriegs, der in der Monarchie münden würde. Damit unterstreicht Augustus sein Selbstverständnis als Republikaner und kann so auch seine popularen Maßnahmen rechtfertigen, die allerdings die Ausnahmestellung, die er erworben hatte, absichern sollte. Natürlich erstrecken sich die Bezüge des Forums im historischen Diskurs über die Literatur hinaus auch auf andere Formen der Selbstdarstellung des Princeps und knüpfen an deren Botschaften an. Insofern darf die Geschichtsdarstellung des Augustusforums nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist sie ein aussagekräftiges Element eines zu verwirklichenden Ideals, wie es die Saecularfeier mit Horaz’ Festgedicht angekündigt hatte. Indem es zugleich die von der Geschichtsschreibung gezogenen Grenzen aufgab und nicht nur Verbindungen zum Mythos herstellte, sondern Augustus und auch das römische Volk an die Sphäre der Götter anband, synthetisierte es alle im Frühen Principat umlaufenden Formen von Geschichtsdeutungen und bekräftigte die 15 Jahre vor der Einweihung des Forums angekündigten Versprechungen und registrierten Leistungen, die Anlass für die Ausrufung einer neuen Zeit waren. Die meisten der in der Saecularfeier gesetzten Ziele, imperiale Stärke, innerer Frieden und Prosperität, wurden trotz der äußeren und inneren Katastrophen, die sich während des Principats des Augustus ereigneten, erfüllt und in der Literatur gewürdigt. Allein unter den nicht mehr erhaltenen und später als eher unbedeutend eingeschätzten Autoren fanden sich Kritiker des Princeps, am populärsten unter ihnen Cremutius Cordus, die die Abschaffung der Republik beklagten. Inwieweit dieser Gesichtspunkt einen Historiker wie Livius bewegte, der angeblich die Publikation des letzten Teils seines Werkes für die Zeit nach dem Tod des Augustus aufgeschoben hatte, ist hochspekulativ und muss eine ungelöste Frage bleiben.

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Außenpolitisch war das Imperium ungeachtet fortbestehender Bedrohung und schwerer militärischer Niederlagen nach der Demütigung der Parther, von denen Augustus die Feldzeichen des Crassus erfolgreich zurückverlangte, weiterhin die unbestrittene Weltmacht. In der Schildbeschreibung erklärt Vergil die noch ausstehende Unterwerfung widerspenstiger Völker zur Aufgabe für das Goldene Zeitalter unter Augustus und benennt damit ein Tätigkeitsfeld, dessen noch ausstehende Erfüllung kein prinzipieller Widerspruch zur Existenz eines Goldenen Zeitalters in der Gegenwart war. Problematischer verhielt es sich mit der sittlichen Regeneration. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Erscheinen der Aeneis moniert Ovid den trotz der Sittengesetze noch immer bestehenden Materialismus, der in seiner drastischen Ausprägung ein Ergebnis der römischen Expansion war und seinen Gipfel in der Gegenwart erreichte, obwohl Augustus die Erneuerung des mos maiorum zu seinen wichtigsten Vorhaben rechnete. Auf dem Feld der Historiographie beklagt Livius noch Mitte der 20er Jahre die Aporie der Gegenwart, die Unfähigkeit zu einer Erneuerung bei gleichzeitiger Unfähigkeit, ohne Korrekturen fortzufahren. Für ihn ist zu Beginn der Arbeit an seinem Geschichtswerk, als Augustus noch ein fatalis dux im Stil eines Camillus gewesen sein mochte, die künftige Entwicklung des augusteischen Regiments nicht absehbar. Kompetenzen und Handlungsspielräume der „großen“, über das Kollektiv der Senatsaristokratie hinausragenden Männer steckt er in den Ab urbe condita ab. Utopische Vorstellung wie sie unter dem Eindruck des Bürgerkrieges und der Instabilität während des II. Triumvirats ventiliert wurden, waren schon in den 20er Jahren nicht nur von Vergils Georgica, sondern auch von der Liebeselegie abgelöst worden. Relikte überdauerten in der Dichtung Tibulls, wo sie aber zum Sinnbild des Scheiterns weltabgewandter Zukunftsentwürfe wurden, oder in satirischer Form, wie in Ovids frühen Liebesdichtungen, die gleichwohl auf eine vermittelnde Position zwischen Gegenwartsflucht und Zeitkritik hinausliefen, vielmehr nach einer Verbindung der positiven Elemente beider Epochen strebten. Dies wurde dann in den Fasten zum Gegenstand historischer Reflexion. In den kulturhistorisch fundierten Abrissen ist die Vorstellung von einer Dekadenz innerhalb der römischen Geschichte nur in den Dichtungen Tibulls und Ovids präsent. Für Tibull markiert die Ankunft der Troianer in Italien die historische Trennlinie, ab der auf unterschiedlichen Sektoren der Gesellschaft ein von Krieg und dessen Folgen indizierter Verfall eintritt. Ovid bezieht sich in der Rede des Ianus, die am Paradigma der Pleonexie, orientiert ist, auf einen auf die Expansion zurückzuführenden Veränderungsprozess innerhalb der römischen Geschichte, dessen Malaise in der Gegenwart keineswegs beseitigt, vielmehr ihren Höhepunkt erreicht hat. Er spricht ihr jedoch nicht jene zerstörerische Wirkung zu, die sie der Geschichtsschreibung zufolge als Hauptfaktor des Niedergangs und des Bürgerkriegs besessen hat. Für ihn ist trotz des desolaten Zustands der Sitten die Gegenwart der Höhepunkt der geschichtlichen Entwicklung. In den überragenden Verdiensten des Augustus liegt seiner Ansicht nach denn auch die Notwendigkeit der Monarchie und der Bildung einer Dynastie des iulischen Hauses. Der Fall Karthagos, der zu den standardmäßigen Requisiten der Historiographie des 1. Jh.s gehört, ist in diesen Konstruktionen keine Ursache für den Niedergang.

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Livius hingegen sieht die Voraussetzung für innere und äußere Stärke in der Eintracht der Bürgerschaft. Sie entsteht durch moderatio und modestia eines populus, der in eine classe dirigeante und eine classe dirigée gegliedert war. In einem solchen Gemeinwesen, so sein Ideal, wird die periodisch auftretende Dekadenz, verkörpert durch ambitio, durch überzogenes Ruhmesstreben und bedenkenlose Gier nach Ämtern, Oberkommanden und Triumphen, wegen der hohen Kohärenz der am Gemeinwohl und den Interessen auch der Plebs ausgerichteten patrizischen bzw. senatorischen Führungsschicht hoch genug ist. Ihm zufolge wird aber gerade wegen der menschlichen Pleonexie eine Alleinherrschaft keine Stabilität bringen, sondern im schlimmsten Fall ein Terrorregime erzeugen, wie es mehrfach in den Ab urbe condita beschrieben wird. Trotz ihrer Übereinstimmung in der Analyse des sittlichen Zustands der Gegenwart weichen Livius und Ovid in der Frage nach der optimalen Organisation der Herrschaft voneinander ab. Mit Vergil wiederum vereint Ovid, dass sie beide an die Verwirklichung einer Form des Goldenen Zeitalters oder jedenfalls eines Ideals in der Gegenwart glaubten. Nur partiell stimmten jedoch ihre Kriterien überein. Vergil sieht als entscheidende Gefahr die zur Destabilität des Gemeinwesens führenden Leidenschaften der Menschen angesehen, die von Sitten und Gesetzen eingehegt werden sollten, eine Sicht, die ihn auch mit Livius verband. Bei Ovid verliert der Sittenverfall die existentielle Bedeutung, die er einst für die Angehörigen der Bürgerkriegsgeneration besessen hatte. Stattdessen preist er die Entwicklung der Zivilisation. Mit diesen Vorstellungen weicht er zumindest partiell von dem in Kategorien des mos maiorum denkenden Princeps. Ob Augustus in der Saecularfeier tatsächlich die Rückkehr eines neuen Goldenen Zeitalters angekündigt hatte, ist nicht unumstritten.3 Sein Principat verstand er jedoch nie als ein quasi-paradiesisches Idyll, fern von der Geschichte im Mythos liegend. Realisiert werden sollte es unter seiner Führung in der Gegenwart. Diesem Anspruch liefen die während seiner Herrschaft entstandenen Reflexionen über die römische Geschichte tendentiell nicht zuwider, sondern untermauerten ihn eher. Wie Gegenwart und Zukunft gestaltet werden sollte, darin unterschieden sich aber ihre Entwürfe, die auf historische Argumente zurückgriffen.

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Galinsky 1996: 91; Barker 1996; Schnegg-Köhler 2002.

C. DAS PRINCIPAT DES TIBERIUS

I. DAS PRINCIPAT DES TIBERIUS1 Am 19. August des Jahre 14 n. Chr. starb in Nola der Princeps Augustus. Seine letzten Lebensstunden verbrachte er mit Tiberius, seinem Teilhaber an der Herrschaft in den vergangenen zwölf Jahren, der auf die Nachricht vom baldigen Ableben seines Adoptivvaters vom Kriegsschauplatz in Illyrien herbeigeeilt war.2 Dort soll Augustus, so tiberiusfreundliche Deutungen, im sicheren Vertrauen auf eine erfolgreiche Herrschaft Tiberius das Reich anvertraut haben.3 Innerhalb kurzer Zeit traf Tiberius, assistiert von Livia, der Witwe des Augustus, eine Reihe von Maßnahmen zur Absicherung der bevorstehenden Machtübernahme. In den beiden Senatssitzung, die auf die Vorbereitung des Herrschaftsantritts folgten, traten dann die bislang so virtuos überspielten Probleme der Principatsordnung in schonungsloser Offenheit zutage und zeichneten sich die künftigen Konfliktlinien zwischen Princeps und Senat ab, als Tiberius, kürzlich auf zehn weitere Jahre mit der tribunicia potestas und einem imperium proconsulare ausgestattet, in einer dramatischen, der strapazierten Chimäre einer fortbestehenden res publica libera verpflichteten recusatio die Herrschaft zurückwies, über seine künftige Rolle wie über die Aufgabenverteilung im Staat debattieren ließ und Vorschläge zur Einrichtung eines Senatsregiments unterbreitete.4 Zu dem zerrütteten Verhältnis zwischen Princeps und dem Senat, dessen Ursprung in dieser Sitzung lag, gesellten sich im Verlauf der folgenden beiden Dezennien schwerwiegende Auseinandersetzungen innerhalb der domus Augusta hinzu, die ebenfalls aus Macht- und Prestigefragen herrührten, das von Argwohn bestimmte Verhältnis zu seinem Adoptivsohn, dem erfolgreichen, beim Volk überaus beliebten Feldherrn, und später, nach dessen Tod, der von gegenseitigem Misstrauen geprägte Umgang mit der Witwe, Agrippina, und deren Söhnen, Drusus und Nero.5 In Amtsverständnis und Herrschaftspraxis folgte Tiberius den von Augustus vorgezeichneten Bahnen, die wohl auch mit seinen persönlichen Vorstellungen von der Rolle eines Princeps und der Stellung des Senats in der res publica koinzidierten.6 In einer Rede vor dem Senat, in der er die zwischen Princeps und Senat herrschenden Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnisse skizzierte, führt er aus, wie sehr er sich als Diener des Gemeinwohls verstand, eingesetzt vom Senat und 1 2 3 4 5 6

Maßgebliche Literatur: Kornemann 1960; Downey 1975; Grant 1975: 83–107; Schrömbges 1986; Baar 1990; Shotter 1992; Levick 1999; Seager 2005. Vell. II 123; Suet. Aug. 98. Gesichert ist dies allerdings nicht: eher ablehnend Dio LVI 31,1; unentschieden Tac. ann. I 5,3. Zur Diskussion Levick 1999, 68–81. Vell. II 123,2. Hierzu Timpe 1962, 40–56; Levick 1999, 75–81 und Seager 2005, 42–47 sowie speziell Huttner 2004. Grundlegende Analysen zur Entstehung des Tiberius-Bildes sind Baar 1990 und Vout 2011. Schrömbges 1986, 88; 93; 111; Levick 1999, 82; Yavetz 1999, 179. Zu den Gedenkmünzen an Augustus s. Downey 1975, 97.

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I. Das Principat des Tiberius

lediglich diesem sowie dem Volk bei der Ausübung seines Amtes verpflichtet.7 Zwar artikulierte er ein Bewusstsein von der herausgehobenen Position, die er innehatte.8 Aber er akzentuierte doch die dienende Funktion, die er als Bürger9 im Namen des in seiner Freiheit nicht eingeschränkten Senats ausfüllte. So hielt er die Illusion aufrecht, die Augustus im Jahre 27 erzeugt hatte, als er die res publica der Verfügungsgewalt von Senat und Volk übertrug, sich anschließend aber mit außerordentlichen Kompetenzen ausstatten ließ und mit diesem Akt dokumentierte, dass er seine Stellung offiziell der freien Entscheidung des Senats verdankte. In der Eingliederung in das System der res publica und die Unterordnung unter das Gemeinwohl lagen Rechtfertigung und Akzeptanz des Princeps begründet. Die dezidiert an die charakteristische Form der Herrschaftsausübung des Augustus anknüpfende Amtsführung des Tiberius, der auch seine Selbstdarstellung an den Prinzipien des Vorgängers ausrichtete,10 war gekennzeichnet von einem in der späteren Historiographie als heuchlerisch denunzierten Bemühen um die Pflege republikanischer Konventionen, Praktiken und Verfahrensweisen, der über die Konzessionsbereitschaft des Augustus noch hinausging. In einer Bilanz über die erste Hälfte seines Principats würdigt Tacitus die Behandlung wichtiger Angelegenheiten im Senat, seinen Einsatz für die Meinungsfreiheit und das Ansehen der Magistrate, die meritokratische Besetzung von Ämtern bei gleichzeitiger Wertschätzung für die Senatsaristokratie, die Verachtung für Intriganten, die angemessene Anwendung der Gesetze, die Großzügigkeit und Vermeidung zu hoher Steuerlasten sowie die Anrufung der öffentlichen Gerichtsbarkeit in Privatangelegenheiten.11 Tatsächlich war Tiberius um die politische Partizipation des Senats bemüht. Er übertrug Angelegenheiten der Provinzialverwaltung, aber auch weitaus unbedeutendere Sachfragen den Senatoren,12 erwies den Magistraten gestisch seine Reverenz, sorgte für Unabhängigkeit in der Justiz und war peinlich darauf bedacht, den Spielraum des Senats zu beachten und seine eigene Stellung nur zurückhaltend auszuüben.13 Indes empfanden die Zeitgenossen die republikanischen Prätentionen des Tiberius angesichts der ihm zu Gebote stehenden Machtmittel als species libertatis.14 Im gleichen Maß, wie Tiberius die Senatoren in den politischen Entscheidungsprozess einzubeziehen suchte, stieg die Furcht vor der Überwachung durch den Princeps. Die Atmosphäre des Misstrauens und der Angst steigerten die Majestätsprozesse und ließen alle Bemühungen des Princeps um Verständigung mit dem Se-

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8 9 10 11 12 13 14

Suet. Tib. 29: Dixi nunc et saepe alias, p. c., bonum et salutarem principem, quem vos tanta et tam libera potestate instruxistis, senatui servire debere et universis civibus saepe et plerumque etiam singulis; neque id dixisse me paenitet, et bonos et aequos et faventes vos habui dominos et adhuc habeo. Tac. ann. III 53,3 (maius aliquid). Zu Tiberius als civis s. die einschlägigen Stellen bei Schrömbges 1986: 130. Hierzu Barr 1990: 176–180, zu Tacitus 180–183; Levick 1999: 82. Tac. ann. IV 6,2; s. auch Suet. Tib. 29. Suet. Tib. 30. Heuß 1960/2003: 325 („ängstliche Korrektheit“); Grant 1975: 106 f.; Yavetz 1999: 169–186; Christ 2002: 181; zur Partizipation des Senats Schrömbges 1986: 90–92. Suet. Tib. 30.

I. Das Principat des Tiberius

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nat und dessen Partizipation an der Politik als Heuchelei erscheinen.15 Ihrerseits verschärften die Senatoren die Verachtung, die Tiberius ihnen gegenüber zunehmend hegte, indem sie sein Angebot zur Kooperation so hilflos aufnahmen, dass der Princeps sich brüskiert fühlte und die Befindlichkeiten des Senats mit Unverständnis registrierte. Seine Zurückhaltung, die auf mangelnde Resonanz stieß, führte allmählich zu einem Vakuum in den politischen Entscheidungsprozessen, in das Seian, sein Praetorianerpraefect, vorstieß und es noch vergrößerte. Womöglich war Tiberius, der im Alter von 54 Jahren das Principat übernahm, durch biographische Konstellationen, den Zeitpunkt seiner Geburt, die in das Jahr 42 fiel, sowie durch die Abstammung aus der gens Claudia den republikanischen Traditionen noch stärker verhaftet als die Mehrzahl der Senatoren seiner Zeit, die größtenteils Profiteure der verschiedenen lectiones unter Augustus waren und eine neue Elite bildeten.16 Hinzu kam das Denken in Kategorien der Republik, eine Uneinsichtigkeit in die Komplexität der Principatsordnung und mangelnde Gewandtheit im Umgang, die Tiberius trotz seiner Partnerschaft in der Herrschaft zusammen mit Augustus seit jeher zu eigen war.17 Zur negativen Färbung der Herrschaft des Tiberius als einer Tyrannis trugen massiv die in seinem Principat wieder aufgenommenen Majestätsprozesse bei. Die Konflikte waren zwar Ausfluss von Verschiebungen innerhalb der römischen Gesellschaft, weil im Zuge des Übergangs von der Republik zum Principat das multipolare System der Freundschaften und Abhängigkeiten durch ein unipolares, mit dem Princeps im Zentrum, ersetzt und ein heftiges Werben um dessen Gunst ausgelöst wurde.18 Auch begleitete Tiberius die Prozesse anfangs nur zögerlich. Den Zeitgenossen erschienen sie jedoch als Methode zur Domestizierung des Senats und zu einer Unterdrückung der Freiheit, die alle vorher unter Augustus erlebten Repressionen übertrafen. Beeinträchtigt wurde das Tiberius-Bild ebenfalls durch das spannungsreiche Verhältnis des Princeps zu seinem Adoptivsohn Germanicus,19 mit dessen Tod einer der größten Skandale des Frühen Pincipats, der Piso-Prozess, verbunden war. Nicht nur galt weithin als sicher, dass Tiberius der Drahtzieher der Ermordung des Germanicus war. Vielmehr wurde der Prozess als ein Symptom verstanden, als Aus15 16 17

18 19

Zu dieser Einschätzung Baar 1990: 169. Zu den Auswirkungen dieses Prozesses s. Kap. C.III. Befeuert wurden die kommunikativen Schwierigkeiten von einem Naturell, das ihn wahlweise als verschlossen, schwerfällig, unzugänglich, resignativ und unberechenbar erscheinen ließ. Seine psychologische Disposition rührte wohl nicht nur aus dem familiären Erbe her, der Zugehörigkeit zur gens Claudia (s. hierzu den Überblick bei von Ungern-Sternberg 2006[a]), sondern auch aus seinem gespannten Verhältnis zu Augustus, der ihn erst nach dem Scheitern etlicher Bemühungen um seine Nachfolge aus dem selbstgewählten Exil in Rhodos zurückgerufen hatte, gewissermaßen als „Notlösung“ (Heuß 1960/2003: 325), ihn, dessen erste Ehe er bereits zerstört hatte, zur Adoption eines weiteren Nachfolgers zwang, damit auf lange Zeit hinaus der Herrschaftsanspruch der iulischen Familie, die Augustus zu einer Dynastie auszubauen trachtete, gesichert bleibe. Grundlegend hierzu Rutledge 2001: bes. 46; 87; zu Tiberius 90–103; ferner Seager 2005: 125– 138. Christ 2002: 196 f.; 197 f.

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I. Das Principat des Tiberius

druck des Kampfes gegen die aufbrechende Zwietracht im Staat verstanden. Mit dem Mord des Piso und seiner angeblichen Ambition auf die Alleinherrschaft schienen die Schwierigkeiten aus der Zeit der Bürgerkriege wiederaufgelebt zu sein. Nicht mehr, so war zu befürchten, waren die durch den Princeps garantierte Stabilität des Reiches garantiert und seine Alleinherrschaft, das Resultat der Bürgerkriege und damit verbunden die Machtfrage, unangefochten. Ausdrücklich rühmt der Senat in seinem Urteil über Piso die Tugenden und das göttliche Charisma des Tiberius, das in dieser Affäre den Frieden gesichert habe.20 Das jedoch permanenten Irritationen ausgesetzte Verhältnis zwischen Princeps und Senat verschärfte noch der Aufstieg Seians21 und die damit einhergehende, immer weiter ausgedehnte Abwesenheit des Tiberius von Rom, bis er sich schließlich in eine skandalumwitterte Abgeschiedenheit nach Capri begab.22 Von hier sollte er ab dem Jahr 27 nicht mehr nach Rom zurückkehren. Die Regierungsgeschäfte erledigte er über die Vermittlung Seians und später, nach dessen Tod, des neuernannten Praetorianerpaefecten Macro. Inwieweit Tiberius den von ihn beförderten Seian in innenpolitischen Angelegenheiten steuert oder eher von ihm gelenkt wurde, war schwerlich abzuschätzen. In den 20er Jahren mehrten sich zugleich die Auseinandersetzungen in der kaiserlichen Familie, verbunden mit dem Aufstieg Seians, der als eine der wenigen Vertrauenspersonen des Tiberius und schon seit dem Jahre 14 Praefect der Praetorianer-Garde, zusehends an Einfluss auf den Princeps und die Herrschaft gewann, zumal seit dem Rückzug des Tiberius nach Capri. Langfristig zielten seine Ambitionen trotz eines empfindlichen Rückschlags, der von Tiberius selbst verhinderten Einheiratung in die domus Augusta, wohl zuletzt auf das Principat, auf eine Usurpation. Systematisch suchte er alle tatsächlichen und potentiellen Rivalen und Widersacher, die seinen Plänen im Weg standen, zu beseitigen. Als erster fiel Drusus, der Sohn des Princeps, der wohl die weitreichenden Hoffnungen Seians durchschaute, im Jahr 23 einem Mordanschlag des Praetorianer-Praefecten zum Opfer.23 Zugleich wusste er die Spannungen zwischen Tiberius und der Familie des Germanicus zu nutzen. Die Witwe des Germanicus, Agrippina, getrieben von Hass, Ressentiments und politischem Ehrgeiz, überwarf sich schließlich so sehr mit Tiberius. Sie und ihre Söhne Drusus und Nero, die Tiberius nach dem Tod seines leiblichen Sohnes adoptiert hatte, wurden in Prozessen verurteilt und starben, teils in der Verbannung, teils unter Folter und Hunger einen demütigenden Tod im Kerker. Den Höhepunkt seines Einflusses erreichte er im Jahr 31, als er zusammen mit Tiberius das Consulat bekleidete und anschließend ein proconsularisches imperium erhielt. Dann ereilte ihn der tiefe Sturz von der Position eines Aspiranten des Principats zum Hochverräter, der in seiner Hinrichtung, der Auslöschung seiner Familie und der Abrechnung des Princeps mit seinen Freunden und Partnern endete.24 Mit

20 21 22 23 24

Hierzu s. u. S. 380. Hennig 1975. Zu seinem Aufenthalt dort s. Champlin 2008 und 2011. Seager 2005: 154–158. Rutledge 2001: 97–99.

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diesem Datum endet die zeitgenössische literarische Überlieferung zum Principat des Tiberius. Alle diese Konflikte, die Auseinandersetzungen mit dem Senat, der Tod des Germanicus, die Turbulenzen in der domus Augusta, der Aufstieg Seians und dessen gewaltsamer Fall, galten weithin als Anzeichen für die Instabilität des Staates und evozierten die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs. Auch der den Kategorien der Geschichte der Republik verpflichtete Princeps sah seine Zeit im Niedergang begriffen. Die Ursache dieses Prozesses sah er in den fortgesetzten Sittenverfall. In einer Senatsrede erregte er sich im Sinne spätrepublikanischer Dekadenzszenarien über die durch außenpolitische Erfolge eingetretene Verschwendungssucht, die um sich gegriffen habe, und über Italiens Verlust an Autarkie und Lebensfähigkeit.25 Zugleich war er von einem unerschütterlichen Glauben in die Wirksamkeit von Gesetzen zur Bändigung der menschlichen Natur überzeugt.26 Für die Last der Regierungsgeschäfte erfand er angesichts der deprimierenden Situation, in der er das Reich vorzufinden glaubte, das dämonisierende Bild vom Principat als einer wilden Bestie.27 In der Erzeugung und Sicherung von tranquillitas im Privatleben wie in der res publica erblickte er folgerichtig sein vorrangiges Ziel.28 Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit, seine Machtausübung und die Anwendung von auctoritas zu begrenzen,29 war er sich seiner herausragenden Position als Princeps bewusst30 und sah die in ihr liegende Verbindung zwischen seiner Person und der res publica.31 Seinem Naturell, aber auch dem nüchternen Pflichtbewusstsein32, das er besaß, waren zwar hochfliegende Manifestationen der Selbstdarstellungen fremd. So lehnte er göttliche Ehrungen prinzipiell ab,33 und ließ sich allenfalls Autorität und Legitimität durch die Konsekration des Augustus verleihen, auf die er in Münzprägungen Bezug nahm.34 Auch den Titel eines pater patriae wies er zurück.35 Verglichen mit dem augusteischen Principat vollbrachte er wenig Spektakuläres in der Baupolitik.36 In seiner Selbstdarstellung griff er das vorherrschende Krisenbewusstsein auf. Dennoch war er ein aktiver Propagator seiner Tugenden und suchte angesichts der bewegten Innenpolitik damit sein Regiment zu legitimieren.37 Allein das numen 25 26 27 28 29

30 31 32 33 34 35 36 37

Tac. ann. III 54,4 f. Levick 1999: 85. Zu den Gesetzen bes. Tac. ann. III 69,7. Suet. Tib. 24,1. Tac. ann. IV 38,3. Für einige Beispiele s. Tac. ann. II 8 (lehnt Vater des Vaterlandes und dominus ab); III 35,1 (beklagt sich, dass ihm alle Probleme vom Senat zugeschoben würden); 47,4 (weist billigen Triumph zurück); 59,2 (Ehrung für Drusus wider den mos); IV 38 (Ablehnung von Ehrungen, Selbstverständnis); s. ferner Levick 1999: 85. Levick 1999: 85. Tac. ann. IV 8,8. Levick 1999: 17 f.; Seager 2005: 119 f. Tac. ann. IV 38,1. Levick 1999: 82. Downey 1975: 97. Levick 1999: 202. Hierzu bes. Kolb 2002: 269–371. Tac. ann. VI 46,4.

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und die Tugenden des Princeps sorgten, wie das Senatus Consultum über Piso verlautet, für die Verhinderung eines Bürgerkrieges, als dessen Initiator Piso ausgemacht wurde. Die Erinnerung an die Möglichkeit eines Bürgerkriegs blieb damit jedoch präsent. Als Haupttugenden des auf seiner statio38 das Reich lenkenden Princeps, der die Gefahren abgewehrt hatte, gab der Senatsbeschluss clementia, iustitia, magnitudo animi an.39 Sie und vergleichbare Eigenschaften bestimmten auch künftig die Herrschaft des Tiberius, der sich als salutaris princeps feiern ließ,40 bei seinen Bemühungen um Frieden und Stabilität.41 Zentral für die Botschaften der unter Tiberius geprägten Münzen war ein Bewusstsein für die Unsicherheit und die Gefahren, die der Stabilität des Staates drohten.42 Schon das Senatus Consultum über Cn. Piso hatte von einem Aufflackern des Bürgerkriegs gesprochen. Die stetigen innenpolitischen Unruhen, bedingt durch die Majestätsprozesse, die Verhältnisse in der domus Augusta, das Wirken Seians und schließlich die Abrechnung mit dessen Anhängern bildeten den Hintergrund für die Verbreitung von Münzen mit den für Tiberius’ Herrschaftsausübung fundamentalen Tugenden clementia und moderatio, die er für den Umgang mit seinen Gegnern prägen ließ.43 Der Concordia wurde nach der Aufdeckung der Verschwörung Libos geopfert,44 und in der Zeit nach der Beseitigung der Anhänger Seians, in den Jahren 35 bis 37, veranlasste er Münzprägungen mit Abbildungen des Concordia-Tempels.45 Salus war ein Thema, das zu den Motti der Jahre 22 und 23 gehört, wie auch pietas,46 während Salus perpetua Augusta auf Inschriften im Jahr nach dem Tod Seians erscheint.47

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SC 129 f. mit Griffin 1997: 257. Ferner Seager 2005: 94–100 und Eck/Caballo/Fernández 1996: passim sowie die Beiträge im AJPh 120, 1999 (Sonderheft). SC 90 ff. S. hierzu die Besprechung der Werke des Velleius Paterculus und des Valerius Maximus. Zu seiner tutela s. SC 165. So auch die treffende Einsicht von Levick 1999: 91. Moderatio in den Jahren 16; 22/23; 33; 34–37; im Jahr 28 Ara Clementiae. Schrömbges 1986: 238; Cowan 2009: 480–483. Levick 1999: 86. Schrömbges 1986: 96 f.; Levick 1999: 16. Levick 1999: 87. Levick 1999: 86, Anm. 17.

II. HISTORISCH-POLITISCHE LITERATUR UNTER TIBERIUS Wenige Abschnitte der römischen Geschichte jenseits der Mittleren Republik sind so spärlich mit zeitgenössischen Quellen dokumentiert wie das Principat des Tiberius, das ohnehin quantitativ nur wenig Literatur hervorgebracht zu haben scheint.1 Die Hervorbringnisse der senatorischen Geschichtsschreibung der Zeit sind fast vollständig verlorengegangen. Die erhaltenen Informationen über die Werke der Zeit reichen kaum über die Namen der Verfasser hinaus und geben selbst zu Titeln und Umfang kaum nähere Aufschlüsse. Tiberius selbst war seit seiner Jugend ein begeisterter Anhänger der Literatur. Neben dem Interesse an Malerei und Bildhauerei besaß er besondere Kenntnisse in Recht und Geschichte. Seine philosophischen Überzeugungen wiesen ihn als Anhänger einer mit stoischem Determinismus kompatiblen Astrologie aus.2 Er selbst verfasste Memoiren, die er noch zu seinen Lebzeiten veröffentlichte.3 Bis zu der Phase des Principats des Tiberius, als sich das innere Klima zu verschärfen begann, fand Tiberius selbst bei in der historiographischen Tradition des 1. Jh.s stehenden Kritikern wie Tacitus und Sueton für seine Verdienste Anerkennung.4 In der Tradition wurde dann die Zweiteilung des der Herrschaft in eine gute und eine zur Tyrannis entartende Phase üblich. Erklärt wurde die Dekadenz des Tiberius mit seiner charakterlichen Disposition.5 Die Leistungen, die Tiberius in der Verwaltung des Reiches erbracht hatte, traten hinter den Versäumnissen, der Vernachlässigung der Regierung und der Duldung des autokratischen Regimes Seians, und dem vermeintlichen Terrorregiment nach der Beseitigung des Praetorianerpraefecten zurück. Das Urteil der Zeitgenossen ist weitgehend dramatischen Überlieferungsverlusten zum Opfer gefallen. Was die Geschichtsschreibung betrifft, so sind immerhin einige Autoren und Titel erhalten oder rekonstruierbar, die einige Umrisse von der Gestalt historiographischer Literatur unter Tiberius vermitteln. Nachdem mit Livius’ Ab urbe condita eine moderne, höchsten Ansprüchen genügende Gesamtgeschichte erschienen waren, deren Abschluss mit dem Tod des Augustus zusammenfiel, kam unter den Autoren der tiberischen Zeit ein Trend zur Zeitgeschichte auf, die, wie es auch den Lebensläufen der älteren Generation um den Princeps entsprach, noch die 1

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S. Schanz/Hosius 1935: 580–653, für die verlorengegangenen Autoren bes. 643–653; Bardon 1956: 123–175 und Wilkes 1972 zur iulisch-claudischen Epoche im Allgemeinen, von Albrecht 2003, jetzt auch Wiegand 2013. Problematisch jedoch das Verständnis der Historiker als systemkritisch bei Klingner 1979(a). Zur Bildung: Suet. Tib. 70; Plin. ep. V 3,5; Tac. ann. XIII 3,2; Gespräche über Literatur: Suet. Tib. 70,3; zu Astrologen: Tac. ann. VI 50,3; Suet. Tib. 14,4; 56; 62,3 sowie Levick 1999: 16–18. Zu erschließen aus Suet. Tib. 61; s. auch Dom. 20; hierzu HRR 2, CXVIIII. Vgl. jedoch Tac. ann. II 34,4; Suet. Tib. 26,1; Dio LVII 11,3. Hierzu im Detail Baar 1990.

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II. Historisch-politische Literatur unter Tiberius

Endphase der Republik mit dem Bürgerkrieg einschloss, sich dann allmählich aber auch auf das Principat fixierte. So war Bruttedius Niger, ein früherer Delator, in den Wirren nach dem Sturz Seians ums Leben gekommen, Autor eines Werks, das noch den Tod Ciceros behandelte.6 Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus, Consul des Jahre 26 und Angehöriger des Zirkels um Tiberius, verfasste offensichtlich ein Epos über die Bretonen, wohl eine Darstellung der Feldzüge des Germanicus.7 Sicher ist, dass er einen Beitrag zur Zeitgeschichte lieferte, entweder ein historiographisches Werk oder aber – wahrscheinlicher – eine Biographie über den jungen Caligula.8 Aufidius Bassus, von dessen Lebensdaten allein überliefert ist, dass er nur wenig älter war als der Historiker Servilius Nonianus, der Consul des Jahres 35, und dass er im Jahr 59 sterbenskrank war, schrieb eine Zeitgeschichte. In dieses Werk war möglicherweise eine Behandlung der Germanenkriege integriert,9 die auch als eigenständiger Titel überliefert ist. Mit einem 21 Bücher umfassenden Werk setzte Plinius d. Ä. dann Aufidius Bassus fort10 und führte seine Zeitgeschichte vielleicht bis 71, das Jahr des Triumphs Vespasians. Zuvor hatte er bereits eine zwanzigbändige Geschichte der Germanenkriege fertiggestellt, an denen er unter Germanicus teilgenommen hatte. Für die Zeitspanne, die Aufidius’ und Plinius’ Werke umfassten, existieren nur wenige Anhaltspunkte; den Tod Ciceros hat Aufidius jedenfalls noch behandelt.11 An Asinius Pollio kann er deshalb nicht unmittelbar angeschlossen haben. Unsicher ist auch die Identifizierung des Schlusspunktes, den Cassiodor zwar mit dem Jahr 31 angibt, sich dabei jedoch auf den christlichen Historiker Victorius von Aquitanien stützt.12 Infolgedessen lässt sich auch der Beginn der Zeitgeschichte des Plinius nicht mit Sicherheit bestimmen. Ebenfalls unter Tiberius fasste der Seneca d. Ä., noch zu Lebzeiten Ciceros geboren, sein bis auf ein einziges, allerdings aufschlussreiches Fragment verlorengegangenes Geschichtswerk ab, das mit dem Beginn der Bürgerkriege einsetzte und bis in die unmittelbare Zeitgeschichte reichte.13 Die geschichtstheoretische Basis seines Narrativs bildet ein komplex konstruierter Lebensaltervergleich.14 Als Paradigmen für die Konstruktion des Ablaufs der römischen Geschichte dienen die Herrschaftsverhältnisse im Inneren und die Expansion Roms, zwei Gesichtspunkte, die im römischen Geschichtsdenken traditionell miteinander verwoben waren. Die römische Geschichte betrachtet Seneca als Abfolge zweier Lebenszyklen. Im Fall Karthagos sieht Seneca den Wendepunkt, auf den zunächst innenpolitische Krisen, dann die Bürgerkriege folgten. Wie in einem Kreis kehrte Rom nach der ersten Kindheit unter Romulus’ unbegrenzter Herrschaft nun zu einer zweiten Kindheit und einer zweiten Alleinherrschaft zurück, in der es keine Freiheit gab. Dann, so 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Bardon 1956: 162. Angezweifelt von Bardon 1956: 126 f., dort auch die Belege; Wilkes 1972: 185 f. Bardon 1956: 126; 161. So Mommsen, anders Bardon nach Nipperdey (hierzu Bardon 1956: 164). HRR 2, CXXXXVII. Überliefert bei Sen. suas. VI 18. HRR 2, CXXV; akzeptiert bei Klingner 1979(a): 491. HRR 2, CXXVIIII; Sen. Helv. 17,3 f.; s. Wilkes 1972: 184. HRR CXXVIIII F 1 = Lact. inst. VII 15,14.

II. Historisch-politische Literatur unter Tiberius

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deutet Seneca an, habe sich der neue Lebenszirkel beschleunigt. Analog zur Vertreibung des Königs Tarquinius sei es mit der Ermordung Caesars zu einer zweiten Freiheit gekommen. Wie aber die Dekadenz nach dem Sieg über Karthago das Alter eingeläutet hatte, so trat die zweite Phase des Alters mit der Errichtung des Principats ein, das Seneca als Königtum definiert. Einen phänomenalen Nachruhm erwarb sich Cremutius mit seinem Geschichtswerk, das ihm im Jahr 25 einen Majestätsprozess eintrug.15 Noch vor der wahrscheinlichen Verurteilung wählte der Historiker den Freitod, der später zu einem Fanal der Meinungsfreiheit stilisiert wurde. Tatsächlich dürfte er das Opfer unglücklicher Umstände, seiner Ungeschicklichkeit und einer unzeitigen Konfrontation mit Seian, geworden sein. Über den vermeintlich republikanischen Charakter des Werkes ist kaum Näheres bekannt. Es schloss jedenfalls die Proscriptionen des II. Triumvirats, die er, auch wegen des Mords an Cicero, heftig tadelte, und die Bürgerkriege ein und äußerte sich despektierlich über Augustus’ innenpolitische Maßnahmen, die Senatslectio des Jahres 18 v. Chr. Von seinem Verfasser, dessen Freimut Quintilian rühmt,16 wurde es öffentlich vorgetragen. Zweifelhaft ist, ob er in seinem Werk oder bei anderer Gelegenheit Brutus und Cassius die letzten Römer nannte, jenes Dictum, das seinen Untergang einleitete.17 Aus dem dürftig dokumentierten Principat des Tiberius sind ansonsten nur zwei Werke zur Geschichte überliefert, von Valerius Maximus und Velleius Paterculus. Sie sind scheinbar völlig konträren Zuschnitts: hier die Exemplasammlung, die, aus der Literatur kompiliert, eine Aufstellung der großen Männer Roms, nach Eigenschaften geordnet, präsentiert und zugleich auch die griechische Welt, von der römischen separiert, umfasst, dort die Universalgeschichte, die sich freilich immer stärker auf Rom verengt, darin der Geschichtsauffassung des Polybios vergleichbar. Wirkte Velleius immerhin als Militär im Umfeld des Tiberius, dessen persönlicher Protektion er sich erfreuen durfte, so war Valerius Maximus offenbar ein Mann völlig unbedeutender Herkunft. Dass er seine Sammlung dem Princeps widmete, mag indes ein Indiz für eine persönliche Bekanntschaft mit Tiberius sein. Beide Werke vereint, dass sie unmittelbar auf die Gegenwart ausgerichtet sind: Valerius durch die Praefatio mit ihrer Betonung des didaktischen Zwecks des Werkes, Velleius durch die Widmung an Vinicius und die dadurch entstehende Verkoppelung von historischen Ereignissen und der Gegenwart, so dass die Geschichte auch unter dem Consulat des Vinicius im Principat des Tiberius noch Sinn zu stiften vermag. Wird bei Valerius die Geschichte mit dem Paradigma des Nutzens auf die Gegenwart ausgerichtet, so bildet das Consulat des Vinicius bei Velleius einen Fluchtpunkt, auf den für den Historiker relevante Ereignisse aus der Vergangenheit verbunden sind. Einen didaktischen Impuls enthält auch das Werk des Velleius, der

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Zu ihm jetzt die überzeugenden Darlegungen von Timpe 1987 und Meier 2003(a) gegen die traditionellen Deutungen von Klingner 1979(a): 487–490 und Flach 1998: 165 f., denen jetzt wieder McHugh 2004 folgt. Quint. X 1,104. Hierzu Meier 2003.

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II. Historisch-politische Literatur unter Tiberius

auch Einfluss auf die Struktur der Erzählung gewinnt: das Vorführen nützlicher exempla.18 Eine Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Ort des Principat des Tiberius in der römischen Geschichte hat sich notgedrungen auf diese beiden Autoren, auf Velleius Paterculus und Valerius Maximus, zu konzentrieren; allenfalls am Rand mag aus dem Geschichtswerk Senecas das einzige überlieferte Fragment herangezogen werden, das zumindest eine Vorstellung von seiner Deutung der Vergangenheit gibt und mit seiner Periodisierung dem Principat, also auch der Gegenwart, eine spezifische historische Funktion zuschreibt. Einer Gegenüberstellung mag augenscheinlich ihr unterschiedlicher Zuschnitt entgegenstehen. Dennoch zielen sie auf eine Erfassung des Politischen über die Geschichte und die Geschichtsschreibung ab und verfolgten dabei auch politische Absichten. Am schwersten wiegt sicherlich, dass Valerius keine Darstellung der Zeitgeschichte unternahm, wie Velleius es tat, sondern sich nur auf wenige programmatische Einwürfe beschränkt, die allerdings, ähnlich wie bei Seneca, den annähernd 1000 exempla, die er bespricht, inneren Zusammenhang und einen Bezug zu übergeordneten historischen Einsichten verleiht, die in einem Geschichtswerk wie dem des Velleius ausbuchstabiert werden. An beide Autoren werden die gleichen Fragen gerichtet wie an die Vertreter des augusteischen Principats. Ein Vergleich zwischen den Erkenntnissen, Interessen, Absichten und Zielen des Velleius und des Valerius soll Übereinstimmungen und Divergenzen innerhalb von Geschichtsdeutungen in der Zeit des Tiberius aufzeigen. Über eine Konfrontation mit ihren Vorgängern soll außerdem versucht werden, den Wandel innerhalb des Principats nachzuvollziehen. Dies soll schon bei der Besprechung zentraler Aspekte ihrer Werke in den jeweiligen Kapiteln geschehen.

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Vell. II 116,5.

III. ROM IN DER UNIVERSALGESCHICHTE Die Historia Romana des Velleius Paterculus 1. VELLEIUS UND DER PRINCEPS Das Geschichtswerk des Velleius Paterculus steht im Zeichen der beginnenden Epitomisierung von Historiographie, die ebenso bedeutende wie umfängliche Geschichtswerke für einen praktikablen Gebrauch zugänglich machte und auf ganz unterschiedliche Leserkreise zuschnitt. So entstanden im ersten Jahrhundert, nachdem bereits in der Endphase der Republik mehrere Überblicksdarstellungen erschienen waren, eine Reihe von Kompendien zu monumentalen Geschichtswerken, etwa von den Ab urbe condita des Livius oder den Antiquitates des Dionysios von Halikarnassos.1 Als Anlass diente Velleius vorgeblich das Consulat des Vinicius im Jahr 30. Offenbar war das Werk, dessen Anfang verlorengegangen ist, Vinicius gewidmet.2 Ihm war der Autor, der unter dessen Vater Kriegsdienst geleistet hatte, persönlich verbunden.3 Die Abfassungszeit des im Jahr 30 abgeschlossen vorliegenden Werks ist nicht mehr rekonstruierbar. Womöglich hat Velleius an dem Werk gearbeitet, seit die Ernennung des Adressaten zum Consul feststand.4 Velleius stammte aus einer municipalen, zumindest seit dem II. Punischen Krieg loyal zu Rom stehenden Familie, die später Verbindungen zur Senatsaristokratie knüpfte. Sein Großvater diente als Chef der Pionierabteilung unter Pompeius, sein Vater war Kommandeur einer Reitereinheit unter Augustus. Die Karriere des Velleius selbst, geboren 20/19 v. Chr., nahm durch einen frühen persönlichen Kontakt mit dem aus Rhodos zurückgekehrten Tiberius ihren Aufschwung, unter dem er in der gleichen Position wie sein Vater in den Feldzügen am Rhein diente und an dessen anschließendem Triumph er teilnahm.5 Im Jahr 6 n. Chr. wurde er Quaestor, im Jahr 15 Praetor. Weitere biographische Nachrichten fehlen. Über die Veröffentlichung des Geschichtswerks hinaus, für dessen Rezeption nennenswerte Spuren fehlen,6 ist über Velleius nichts weiter bekannt.

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Elefante 1997: 26. Zum Vergleich mit Livius s. Gowing 2005: 35 f. Zu Vinicius s. Schmitzer 2000: 39. Vell. II 101,3. So Steffen 1954: 2; Woodman 1975: 275–282. Alle Erwägungen zur Frage des Abfassungszeitraums bleiben jedoch wegen fehlender aussagekräftiger Indizien reine Hypothesen. Die wiederholt als Grund für eine vermeintlich oberflächliche Behandlung des Stoffes vorgegebene Eile ist allerdings wohl weniger ein Anzeichen für eine Abfassung erst im Jahr 29 (so Sauppe 1896: 45; Dihle 1955: 640 f.; Sumner 1970: 285; 287), als dass er damit auf den handbuchartigen, von der mehrfach angekündigten ausführlichen Darstellung abzusetzenden Charakter des Werkes hinwies (richtig Starr 1981: 170). Vell. II 103,3. Schanz/Hosius 1935: 568–588.

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III. Rom in der Universalgeschichte

Die Intentionen, die Velleius mit der Historia Romana verfolgte, sind wegen der Überlieferungslage unklar. Seine programmatischen Vorstellungen hat er höchstwahrscheinlich in einem verlorengegangenen Prooemium dargelegt.7 Außer Frage steht der panegyrische8 und propagandistische9 Impetus, Tiberius’ Politik im Medium der Geschichtsschreibung zu legitimieren und seine Leistungen zu feiern. Ausrichtung und Ton des Geschichtswerks sind von dem persönlichen Verhältnis zwischen dem Princeps und dem Autor sowie dessen Bewunderung10 für die politischen und militärischen Verdienste seines Oberkommandierenden und Förderers geprägt. Zu gewinnen waren nicht nur die Angehörigen der etablierten, bis in republikanische Zeiten zurückreichenden Familien, sondern auch die aus Aufsteigerfamilien stammenden Senatoren, denen Wissen über das politische System und die Geschichte Roms vermittelt werden musste. Zur Senatsaristokratie unterhielt Velleius, der Praetorier und Protegé des Princeps, enge persönliche Kontakte. Dass sie das gesellschaftliche Umfeld bildete, in dem er sich bewegte, bekundet auch die Bekanntschaft zu Vinicius. Wahrscheinlich hat Velleius darauf gesetzt, dass Vinicius für eine Zirkulation des Werkes in der Nobilität sorgen würde. Vieles spricht dafür, dass die Senatskreise zu seinen vorrangigen Adressaten gezählt haben dürften. Der Anlage nach gehört die Historia Romana der Gattung der Universalgeschichte an.11 Velleius setzt bei mythischen Ursprüngen ein, behandelt anschließend die Weltreiche und synchronisiert griechische und römische Geschichte. Mit der anwachsenden Bedeutung Roms für die Weltgeschichte verengt sich die Erzählung auf die römische Geschichte, in deren Darstellung sie nach dem Sieg über Karthago und der Übernahme der Weltherrschaft aufgeht. Ihr Ziel erreicht die Weltgeschichte in der Gegenwart mit dem Principat des Tiberius. Gemäß den methodischen Ansprüchen an eine moderne Historiographie, wie sie im späten 2. und frühen 1. Jahrhundert formuliert wurden,12 ist das Werk mit kulturwissenschaftlichen Exkursen – zu den Provinzen oder zu nicht im engeren Sinne politikgeschichtlichen Themen wie der Literaturgeschichte – sowie Portraits der maßgeblichen Gestalten

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Zum Prooemium s. jetzt Rich 2011: 73–76 mit der Forschungsdiskussion. Hierzu bereits Abraham 1885: 5–9. S. ferner Steffen 1954: 29–78; Dihle 1955: 646; Syme 1973; Woodman 1975: 290 („eulogistic light“); de Vivo 1984: 251; Kuntze 1985: Gowing 2005 und 2009. Hellegouarc’h 1964: 683 f. sieht in Velleius einen écrivain de cour. Zur sachlichen Berechtigung des Lobs s. Woodman 1975: 293–295; Hellegouarc’h 1980: 168; 183; Manuwald 1990: 20; anders Steffen 1954: 60 und Syme 1973. Schmitzer 2000: 287 f. dagegen hält Vinicius für den einzigen Adressaten des Werks. So die These von Lana 1952; vgl. jedoch Paladini 1953: 478. Dihle 1955: 647; 652 Manuwald 1990: 20. Zu vermeintlich kritischen Aspekten s. Woodman 1983: 53 f.; Kuntze 1985: 136–146; Manuwald 1990: 21 f.; 25 („in Einzelfällen sogar ein distanzierter Beobachter“). Sumner 1970: 282 („a kind of miniature universal history“); Woodman 1975(a): 2; Starr 1981: 174 („miniature universal history“) sowie 164 f.; Kuntze 1985: 13 („Universalgeschichte in Zusammenfassung“); Schultze 2010: 116. Zur Tradition der römischen Universalgeschichte s. Cornell 2010 und Starr 1981: 167 f. S. Kap. B.II,1.

1. Velleius und der Princeps

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der Politik wie etwa Pompeius oder Caesar durchsetzt.13 Regelmäßig zieht Velleius dessen Amtszeit zur Datierung historischer Ereignisse heran und konstruiert so, wie vage auch immer, eine Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart.14 Die oftmals als Entschuldigung für die hastige Behandlung von Themen und Personen angeführte brevitas und der Hinweis auf ein zweites, ausführliches Werk weisen die Historia Romana als ein Kompendium15 aus, das von der annalistischen Form der Historiographie abzugrenzen ist.16 Diese Gattung bot Velleius drei Vorteile. Am meisten zählte sicherlich, dass eine Zusammenfassung für das anvisierte Publikum zugänglicher war als die iusta volumina17 der annalistischen Geschichtsschreibung.18 Hinzu kam, dass er sich als Universalhistoriker inszenieren konnte, ohne ein solches Geschichtswerk tatsächlich zu schreiben,19 und dieser Prestigegewinn seine Autorität im Konkurrenzkampf um die historiographische Deutungshoheit stärkte. Zuletzt erlaubte ihm das Genre, sein Profil als Historiker zu schärfen, weil er das Narrativ auf die für ihn relevanten Paradigmen zuschneiden konnte. Das annalistische Schema, die Gliederung der Darstellung nach Jahren und den Wechsel von inneren und äußeren Angelegenheiten, hebt Velleius zugunsten der Darstellung von Geschehenszusammenhängen in klar umrissenen Einheiten auf.20 Lange Zeit galt das Werk als lose gefügte, vom Biographischen21 dominierte Folge von Einzelszenen,22 geprägt von rhetorischem Kolorit23 und verfasst in panegyri-

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Zu den Exkursen Gowing 2005: 44. S. hierzu Wiegand 2013: 128 f. Zum Genre noch immer am besten Woodman 1975: 282–288. Als Kompendium akzeptiert von Sumner 1970: 280 f.; Starr 1981: 172; 174; Manuwald 1990: 22, zu Velleius’ Schwerpunktsetzungen bereits Steffen 1954: 12–14; 25–27; Schultze 2010: 116 zur Notwendigkeit von historischen Vorkenntnissen beim Leser für die Lektüre der Historia Romana. S. hier Velleius’ implizite Vergleiche mit iusta volumina (II 48,5; 114,4; 119,1) und einem opus iustum (II 89,1; 99,3 f.). Sie bedeuten allerdings nicht, dass der Autor sein Werk als „a little odd, a little out of the ordinary“ (Starr 1981: 166) empfand. Vielmehr soll dadurch dessen abrisshafte Form als transcursus (II 86,1) in Erinnerung gerufen werden. Zu dieser Charakteristik des Werkes s. die in Anm. 16 angegebenen Stellen. Die oftmals als Entschuldigung für die hastige Behandlung von Themen und Personen angeführte brevitas und der Hinweis auf ein zweites, ausführliches Werk weisen die Historia Romana als eine Epitome aus. S. zum Genre v. a. Woodman 1975: 282–288 sowie Sumner 1970: 280 f.; Gowing 2005: 34 f. und jetzt Rich 2011: passim sowie 84–87; Starr 1981: 172; 174; Manuwald 1990: 22. Lobur 2007 erörtert die ästhetischen und strategischen Implikationen, die Velleius’ Bekenntnis zur Kürze besitzen. Zum Vergleich mit Livius s. Gowing 2005: 35 f. S. Schultze 2010: 116 zur Notwendigkeit von historischen Vorkenntnissen des Lesers für das Verständnis des Werks. So Lobur 2008: 97. Starr 1980: 295 zu den „single units“, in die Velleius’ Narrativ zerfällt. Sauppe 1896; Paladini 1953: 474–454; Dihle 1955: 640 f.; Starr 1980: 292; De Vivo 1984: 249; Hellegouarc’h 1984: 419 f.; 421 f.; Kuntze 1985: 16. Sauppe 1896: 57; Dihle 1955: 640 f. Allerdings musste aufgrund der Gesellschaftsstruktur und der politischen Kultur Roms eine historische Erzählung notwendig eine starke Tendenz zur Personalisierung von Geschichte besitzen. Diesen Zug teilt das Werk des Velleius mit seinen Vorgängern, hierzu Elefante 1997: 33. Hierzu Weiteres bei Elefante 1997: 32 f., Anm. 1.

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III. Rom in der Universalgeschichte

scher24 oder propagandistischer25 Absicht mit zahlreichen Beschönigungen, die immerhin politische und kulturgeschichtliche Aufschlüsse über das Principat des Tiberius vermittle26. Im Autor selbst, in Velleius, sah man einen laudator temporis acti und Sittenkritiker.27 In der Geschichte der römischen Historiographie, soweit sie überliefert ist, kommt Velleius’ Historia Romana eine Schlüsselstellung zu. Als einziges erhaltenes Geschichtswerk behandelt er den Beginn der Institutionalisierung des Principats unter Augustus sowie die Zeit nach dem ersten Herrscherwechsel. Es beschreibt und analysiert die Politik im Übergang von der Republik zum Principat, stellt das Gemeinsame und Trennende zwischen beiden Systemen und der jeweiligen politischen Praxis heraus, erläutert die übergreifenden historischen Entwicklungen und stiftet Sinnzusammenhänge28. Das Principat ordnet er vor dem Horizont der Gesamtgeschichte Roms ein. Zu den entscheidenden Fragen an Velleius’ Werk gehört deshalb, inwieweit er dem Niedergangsdenken zur Späten Republik folgt, ob er die Krise, die Augustus zu beseitigen für sich in Anspruch genommen hatte, für beendet oder fortwirkend hält und welche Verbindungslinien für ihn zwischen Republik und Principat verlaufen, ob also mit dem Principat ein gänzlich neuer Abschnitt in der römischen Geschichte beginnt oder ob sich die Geschichte im Sinne der Figur von der wiederhergestellten Republik auch unter Augustus und Tiberius in den traditionellen Bahnen bewegt, welches überhaupt die bestimmenden Kräfte und politischen Konstellationen sind und wie sich die prekären Beziehungen zwischen Princeps und Senat im Urteil des Velleius entwickeln. Es stellt sich die Frage, ob Tiberius für Velleius tatsächlich den Idealzustand der römischen Geschichte markiert und welches die Kernelemente seiner Herrschaft sind.29 Das Werk schließt mit einer Wendung zur Zukunft, einem Gebet an die Götter Iuppiter Capitolinus, Mars und Vesta.30 Ihnen trägt er auf, für den Fortbestand des Staates und des Friedens sowie für das Wohlergehen des Princeps zu sorgen. Mit diesen Wünschen benennt Velleius, was er als die fundamentalen Ziele der Politik versteht und was die tragenden Paradigmen des Narrativs sind.31

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S. hierzu bereits Abraham 1885: 5–9; Dihle 1955: 646; Syme 1973; Woodman 1975: 290 („eulogistic light“); De Vivo 1984: 251. Es wäre jedoch ein Missverständnis, einen Panegyrikus als Huldigung zu verstehen und deshalb auf diese Charakterisierung für Velleius’ Werk zu verzichten: so aber Hellegouarc’h 1964: 683 f., der in Velleius einen écrivain de cour sieht, wie er aus dem Absolutismus bekannt ist. Zur sachlichen Berechtigung des Lobs s. Woodman 1975: 293– 295; Hellegouarc’h 1980: 168; 183; Manuwald 1990: 20; anders Syme 1973. Lana 1952. Vgl. jedoch Paladini 1953: 478. Sumner 1970; Woodman 1975(a); Kuntze 1985; Schmitzer 2000. Elefante 1997: 35. Keineswegs lieferte er eine bloße Stoffsammlung ohne jede didaktische Absicht, so aber Starr 1981: 173. So jedenfalls Steffen 1954: 10; Hellegouarc’h 1964: 768. Vell. II 131. Ebd.

2. Die römische Geschichte im II. Buch

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2. DIE RÖMISCHE GESCHICHTE IM II. BUCH Das II. Buch reicht vom Beginn des Niedergangs nach dem Sieg über Karthago bis in die unmittelbare Zeitgeschichte, das Consulat des Vinicius. Es eröffnet mit einem Wendepunkt in der römischen Geschichte, der Erlangung der Weltmacht. Zugleich annonciert dieses Ereignis eine Phase des Verfalls. Im Schlussteil, dem von Augustus begründeten und von Tiberius fortgeführten Principat, steht die Konsolidierung des Staates. Die ursprüngliche Ausrichtung des Werkes bleibt in der Fixierung auf Rom als historische Potenz, als Mittelpunkt eines universalgeschichtlich ausgerichteten Narrativs, erhalten. Weitgehend bestimmen Außenpolitik und Kriegsgeschichte die Erzählung, die den Wachstumsprozess des Reiches nachvollzieht. Einen zweiten Erzählstrang bildet die Innenpolitik, deren Themen, Konflikte und Konstellationen Velleius anhand bisweilen detaillierter Portraits zentraler Akteure aufschlüsselt. So nimmt die Komposition die Form einer chronologischen Reihe nur lose miteinander verknüpfter Einzelszenen an, die leitmotivisch miteinander verbunden sind. Vorangetrieben wird die geschichtliche Entwicklung von Einzelpersonen; sie repräsentieren die spezifischen Abschnitte der Geschichte und die in ihr wirkenden Mechanismen. Langfristige Entwicklungen verfolgt Velleius in politik- und kulturgeschichtlichen Exkursen, die er regelmäßig in den Erzählfluss einschiebt. Nach dem Epochenjahr 146 folgt Station für Station die Transformation der Republik, die im Principat mündet. Das erste einschneidende Ereignis sind die Reformen der Gracchen. Darauf folgen der Aufstand des Saturninus und Glaucia sowie das Tribunat des M. Livius Drusus, von dem aus Velleius zum Bundesgenossenkrieg übergeht. Als nächstes schließt sich eine breite Behandlung der Bürgerkriege an, deren bedeutendste Protagonisten für Velleius zunächst Marius und Sulla, dann Caesar und Pompeius waren. Vom Sieg Caesars leitet er ohne eingehende Darstellung von dessen Dictatur umstandslos zur zweiten Phase des Bürgerkriegs über, die auf Caesars Ermordung folgte. Dem sich mit wechselhaften Fronten und Bündnissen ausgetragenen Bürgerkrieg, der sich am Schluss auf eine Auseinandersetzung zwischen Octavian und Antonius verengte, ist ein Großteil des Buches gewidmet. Den Bericht von der Wiederherstellung des Friedens nach der Ausschaltung des Antonius und der Kleopatra beschließt eine Reflexion über den Wandel, der sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zugetragen hatte. Die Principate des Augustus und des Tiberius leitet jeweils ein kaleidoskopartiger Überblick, der aktuelle Herausforderungen skizziert und die Verdienste der Principes bei ihrer Reformtätigkeit würdigt. Weiterhin dominieren außenpolitische und militärische Themen die Erzählung. Die Innenpolitik ist mit gelegentlichen Skandalen und Unruhen vertreten. Den letzten Teil des Werkes nimmt das Principat des Tiberius ein, das Velleius zum Höhepunkt der Geschichte stilisiert.32 Das Buch schließt mit einer Wendung zur Zukunft: mit einem Gebet, das vordergründig um die fortgesetzte Unterstützung der Götter bittet, aber auch ein Schlaglicht auf

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Woodman 1977: 234.

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III. Rom in der Universalgeschichte

die Gegenwart wirft, auf die Rolle des Princeps und der Bürgerschaft, auf die fundamentalen Ziele der Politik und die Mittel zu ihrer Erlangung.33 3. DAS DEKADENZSZENARIO Mit der Analyse des Niedergangs nach dem Sieg über Karthago im Prooemium des II. Buches positioniert sich Velleius in der weitverzweigten Debatte, die in der Publizistik und Historiographie seit dem Ende des 2. Jh.s über die Persönlichkeiten und historischen Tendenzen des Zeitalters der Bürgerkriege ausgetragen wurde.34 Die Parameter, die Roms Geschichte in der Späten Republik bestimmen und das historische Narrativ leiten sollen, definiert er in der äußerst knapp gefassten Skizze eines Dekadenzszenarios. Den Beginn des Niedergangs datiert Velleius auf den Erwerb der Weltherrschaft, der mit dem Sieg des P. Scipio Aemilianus über Karthago abgeschlossen worden sei. Der Fall Karthagos bildet dieser Darstellung nach jedoch lediglich den Schlusspunkt einer längerfristigen Expansion. An deren Beginn setzt Velleius ebenfalls einen Scipio, P. Cornelius Scipio Maior, der Karthago im II. Punischen Krieg als Großmacht ausgeschaltet und damit den Weg zur Entstehung des römischen Weltreichs gebahnt habe. Die endgültige Zerstörung Karthagos habe dann den Weg zum Luxus geebnet, der ungehindert in Rom eingedrungen sei. Über die Familie der Scipionen stellt Velleius assoziativ einen Zusammenhang dieser beiden Entwicklungen her. Mit ihr verbinden sich die Ausdehnung des Reiches und deren Rückwirkungen auf die Gesellschaft und die Innenpolitik. Den dramatischen inneren Wandel, der sich seither vollzogen habe, charakterisiert Velleius durch eine epigrammatische Gegenüberstellung der römischen Tugenden mit den Phänomenen des Niedergangs. Aus unermüdlichem Eifer sei Schlafsucht geworden; auf militärische Betätigung (arma) sei die Befriedigung der Lüste (voluptates) gefolgt; Tätigkeit (negotia) habe sich in Müßiggang (otium) verwandelt. Der Verfall vollzog sich dieser Diagnose zufolge nicht schrittweise, sondern abrupt und mit aller Heftigkeit.35 Bereits im I. Buch nennt Velleius Vorboten dieser Entwicklung, die er offenbar auf die außenpolitische Stärkung Roms zurückführt: die baulichen Vorhaben der 160er und 150er Jahre36 sowie die Kunstliebhaberei, die sich nach der Einnahme Korinths entwickelt habe37. Was die Infizierung der res publica mit Luxus betrifft, differenziert er zwischen öffentlichem und privatem Luxus, zwei Spielarten des Verfalls, die nach dem II. 33 34 35 36 37

Vell. II 131. Für eine ausführliche Diskussion des Materials s. Bringmann 1977, für eine Einordnung in die Memorialkultur der Späten Republik Walter 2004: 319–329. Vell. II 1,1: […] non gradu, sed praecipiti cursu a virtute descitum, ad vitia transcursum. Vell. I 11,3; 5 (magnificentiae vel luxuriae princeps fuit); II 1,2. S. hierzu auch Schmitzer 2000: 106 f. S. die Bewertung der langfristigen Folgen der Eroberung Korinths durch Mummius bei Vell. I 13,5. S. hierzu Schmitzer 2000: 103 f.; Hillard 2011: 230; Pitcher 2011: 254–256; Steel 2011: 267 f.

3. Das Dekadenzszenario

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Punischen Krieg unmittelbar nacheinander aufgekommen seien.38 Den daraufhin einsetzenden Prozess des Niedergangs hält er für determiniert.39 Gemessen am Anstieg des Privatvermögens und des Konsums, mit dem auch Verschiebungen der sozio-politischen Verhältnisse zusammenhingen, erreicht die Dekadenz für ihn den Höhepunkt in der Gegenwart.40 Bei der Konstruktion des Dekadenzszenarios bedient sich Velleius aus dem Motivarsenal des Niedergangsdiskurses. Die Expansion Roms während des 2. Jh.s41 und das Verschwinden des metus hostilis hatten sich in der römischen Historiographie zum klassischen Erklärungsansatz des Sittenverfalls entwickelt,42 und auch die Verfallserscheinungen, die er aufzählt, besitzen topischen Charakter.43 Bei der Fixierung der Entwicklung setzt er allerdings eigene Akzente. Das Verlaufsschema von Aufstieg und Niedergang verliert in den Narrativen des Sallust und des Livius, die Velleius als herausragende Exponenten der jüngeren Historiographie würdigt,44 zugunsten eines dynamischen Modells an Relevanz, das in der römischen Geschichte stets die gleichen Kräfte, Mechanismen und Prozesse wirken sieht, lediglich mit je nach Epoche verschiedener Intensität.45 Die Vorstellung von einer moralisch intakten Frühzeit ersetzt Sallust durch ein auf anthropologischen Einsichten und unveränderlichen Mechanismen der Politik beruhendes Bild von der Geschichte, das für die Frühe Republik analoge Verhältnisse zum Jahrhundert der Bürgerkriege diagnostizierte. Auch in der geschichtsphilosophisch programmatischen Praefatio zu Livius’ Ab urbe condita fehlt eine Berufung auf den Fall Karthagos. Zwar preist er dort die Frühe Republik als eine Zeit der intakten Sittlichkeit und führt den Niedergang auf das erst kürzlich eingetretene Verschwinden einer von Austerität geprägten Lebensweise zurück.46 Tatsächlich hängt die moralische Integrität Roms in seiner Darstellung jedoch stets von kontingenten Umständen ab, und ist der Ablauf der Geschichte eher von struktureller Kontinuität gekennzeichnet. Mit der Expansion Roms in den Osten trat nach Livius kein prinzipieller, radikaler Wandel in den Lebensbedingungen und in den innenpolitischen Verhältnissen ein. Von beiden Vorgängern setzt sich Velleius mit dem an prominenter Stelle eingefügten Rekurs auf die Zerstörung Karthagos ab. Mit der Rückkehr zu einem klar benennbaren Wendepunkt, nach dem sich seiner Auffassung nach der Niedergang unmittelbar einstellte, teilt er die Geschichte in zwei scharf voneinander geschiedene Hälften. Diese Datierung hebt sich in zweierlei Hinsicht von seinen Vorgän38 39 40 41 42 43 44 45 46

Vell. II 1,2: […] publicamque magnificentiam secuta privata luxuria est. Vell. II 3,4. Vell. II 10,1. S. z. B. Sall. Cat. 10,1: Sed ubi labore atque iustitia res publica crevit […]. Die gleiche Einschätzung lässt sich, wie Mineo 2006: 293–336 demonstriert, ab der III. Dekade für Livius belegen. Zum metus hostilis in der römischen Historiographie s. Earl 1966: 47, Anm. 5; Bonamente 1975; Samotta 2009: 151–157; Kapust 2011; speziell zu Velleius Woodman 1969: 787. S. hierzu die von Woodman 1969 gesammelten Belege. Vell. II 36,3. Für Sallust s. v. a. hist. I 7; 11; 12. Für Livius s. die Forschungsdiskussion und die Analysen bei Steffensen 2009: 121–124 sowie Miles 1995: 75–136 und Levene 2006: 283–286. Liv. praef. 11 f.

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III. Rom in der Universalgeschichte

gern ab. Sie gingen zum einen von einer längerfristigen, im Verlust des metus hostilis kulminierenden Entwicklung aus. Zum anderen hatten sie unterschiedliche Vorstellungen vom Ablauf des Verfalls, der mit der Zerstörung Karthagos begann. Während sich für Sallust der Niedergang erst mit der Zeit Sullas beschleunigt,47 operiert Livius in der Praefatio mit einer mehrstufigen Entwicklung.48 Reduktionistisch sind Velleius’ Auswahl und Einordnung der Krisenphänomene. In Sallusts und Livius’ Werken spielen moralphilosophisch und anthropologisch begründete Kausalzusammenhänge und daraus abgeleitete politische Tendenzen eine fundamentale Rolle. Zentral für das Verständnis der Dekadenz, das sie artikulieren, ist das wechselseitige Verhältnis von materiellen und politischen Interessen (avaritia und ambitio).49 Velleius dagegen vertraut bei seiner Diagnose auf die assoziative Wirkung von rhetorisch effektvoll aufgereihten Schlagwörtern.50 Habgier und politischen Ehrgeiz führt er als Paradigmen der historischen Erzählung und Basis einer Analyse hier nicht an. Der Faktor, der Roms Entwicklung nach dem Fall Karthagos prägt, soll vielmehr – der programmatischen Ankündigung gemäß – der Zusammenbruch des bürgerlichen Engagements in Politik und Militär durch die korrumpierenden Kräfte der Muße sein, nicht aber deren fatale, den Bürgerkrieg entfesselnde Intensivierung. Am Ende bleibt, im Gegensatz zu Velleius’ Vorgängern, in der Einleitung unkonkret, welche Konsequenzen sich aus der Weltherrschaft für die politische Entwicklung ergeben. Entscheidend ist, dass mit dem dramatischen, pointierten Prooemium eine historische Weichenstellung markiert werden soll, die im historischen Denken zuletzt – so die These – an Bedeutung verloren hatte. Bei Velleius erhält sie ihre Relevanz zurück. Dies wirkt sich auf seine Konstruktion der gesamten römi47

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Sall. hist. I 16 Maur.: Ex quo tempore maiorum mores non paulatim ut antea, sed torrentis modo praecipitati […]. Dieser Ansatz stimmt trotz der Modifikationen in Sallusts Geschichtsbild noch mit Cat. 10,6 und 11,4–7 überein; hier beschreibt Sallust den Verfall als einen ungleichmäßig voranschreitenden Prozess mit retardierenden Phasen, der entscheidend durch die Rückkehr des von Sulla kommandierten Heeres aus dem Osten verschärft wurde. Liv. praef. 9; 11. Für die jüngere Geschichtsschreibung s. bes. Sall. Cat. 10,3 und Liv. II 1. Zu deren Vorläufern gehörten Polybios und Poseidonios: Pol. VI 57,5; ferner 18,5; XXI 25,3–7; für Polybios’ Vorbilder s. Walbank 1957: 744 f. Poseid. FGrH 87 F 112 = 178 Th = Diod. XXXIII/XXXIV 33,1–8, hier bes. 5 f. (nach der Zerstörung Karthagos); F 211b Th = Diod. XXXVII 3,1–5, bes. 1 f. (nach dem Cimbernkrieg und vor dem Bundesgenossenkrieg; für die Einordnung des Fragments s. Bringmann 1977: 39 und Malitz 1983: 385–387) und F 211a Th = Diod. 37,2,1 f. – Dass Velleius den topischen Aspekt der ambitio in seine Darstellung des Niedergangs nicht eingebaut hat, ist kein Unikum in der römischen Historiographie, sondern könnte sich an die Praefatio des Livius anlehnen. In dem Geschichtsmodell der Praefatio beschränkt sich Livius auf die Zusammenhänge von ökonomischen Rahmenbedingungen sowie den Zustand der Moral und konzentriert sich dabei auf den Beginn des Verfallsprozesses, ohne dessen Fortgang weiter zu verfolgen. So verbleibt er bei der Feststellung, dass sich die Lebensumstände gewandelt hätten, und überlässt die Nachzeichnung der sich abspielenden Entwicklung in der Ereignisgeschichte seiner Erzählung. Schmitzer 2000: 106 betont allerdings die Eigenständigkeit des Velleius in den Formulierungen. Zurecht verweist Lobur 2008: 117 auf das konkrete Beispiel der Gesetzgebung Lycurgs (Vell. I 6,1–3), an dem Velleius die Grundlagen eines prosperierenden Staates zeigt.

4. Das Jahrhundert des Bürgerkriegs

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schen Geschichte, aber auch auf den historischen Standort des Principats in seinem Werk aus. Vergangenheit und Gegenwart bilden für ihn kein Kontinuum. Offenbar konnte die Konsolidierung der res publica unter Augustus und Tiberius den Trend, der mit der Zerstörung Karthagos einsetzte, nicht umkehren. Im Gegenteil. Für Velleius wirkt er ungebrochen fort. So verleiht er der Epochenscheide des Jahres 146 auch noch eine für die Gegenwart geltende Fortwirkung und Aktualität. Die Akteure und Mechanismen ungenannt lassende Kritik an den aktuellen Verhältnissen stimmt mit Tiberius’ Bewertung der Gegenwart und seiner Wahrnehmung von Krisenphänomenen überein. In Velleius’ Geschichtswerk werden sie zu Spätfolgen von 146. Die Probleme der Gegenwart sowie die Rolle des Princeps werden so, zunächst indirekt, zu Fragen von säkularem Rang. 4. DAS JAHRHUNDERT DES BÜRGERKRIEGS a) Einführung In einer engen Verbindung zum Sittenverfall standen die politische Ereignisgeschichte und die Konflikte des Dekadenzzeitalters, die Velleius erzählt, jedoch nicht. Tatsächlich stellt er die Phase des Niedergangs als eine Eskalation der Verhältnisse in mehreren Stufen dar. Zum ersten Mal traten die Tendenzen, die Rom in einen permanenten Ausnahmezustand versetzen sollten, im Ringen um die gracchischen Reformen auf. Die friedliche Austragung und Beilegung von Konflikten sei durch das Gewaltprinzip ersetzt, die Macht der Gesetze durch das Recht des Stärkeren gebrochen worden.51 Für das Narrativ wird das Problem des Rechtsverstoßes zum beherrschenden Motiv des Velleius. Immer wieder problematisiert er den Einsatz von Gewalt in der Innenpolitik zur Durchsetzung politischer Ziele und die Legitimation des Notstandsrechts zur Wiederherstellung der Ordnung. Unter den Consuln Marius und Cinna, deren Amtszeit für Velleius den bisherigen Gipfel an Grausamkeit markiert,52 wurde die senatorische Elite durch systematische Verfolgung dezimiert.53 Einen neuen Tiefpunkt bildete kurz darauf das Regiment Sullas, dessen Proscriptionen das Rachebedürfnis des Dictators stillten und seine Anhänger bereicherten.54 Als Maßstab der angeblichen Schuld der Opfer habe ihr Vermögen hergehalten, weniger ihre politische Positionierung.55 Marius und Sulla verkörpern bei Velleius die Perversion des Konkurrenzgedankens, der Rom früher ausgezeich51 52 53 54 55

Vell. II 3,3: Hoc initium in urbe Roma civilis sanguinis gladiorumque impunitatis fuit. Inde ius vi obrutum potentiorque habitus prior, discordiaeque civium antea condicionibus sanari solitae ferro diiudicatae bellaque non causis inita, sed prout eorum merces fuit. Vell. II 22,1: Nihil illa victoria fuisset crudelius, nisi mox Sullana esset secuta. S. auch 23,1. Vell. II 22,2: […] neque licentia gladiorum in mediocris saevitum, sed excelsissimi quoque atque eminentissimi civitatis viri variis supplicorum generibus adfecti. Vell. II 28,2 f. Vell. II 22,5 im Hinblick auf die in 28,4 geschilderten Ereignisse: Postea id quoque accessit, ut saevitiae causam avaritia praeberet et modus culpae ex pecuniae modo constitueretur et qui fuisset locuples, fieret is nocens, suique quique periculi merces foret, nec quidquam videretur turpe, quod esset quaestuosum.

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III. Rom in der Universalgeschichte

net habe: Nach dem Wettstreit um die Tugend, der früher geherrscht habe, sei nun um die Schlechtigkeit gefochten worden.56 Die in diesen Jahren dem Zerfall entgegeneilende Republik57 stürzte nach Velleius’ Deutung das Triumvirat mit dem Bürgerkrieg schließlich in den Abgrund,58 weil alle drei Bündnispartner, Pompeius, Caesar und Crassus, gegeneinander gerichtete vitale Interessen verfolgten und ihr Abkommen nicht als Instrument der Konfliktbeilegung59 verstanden. Zusammengefasst, wurde das historische Geschehen von den Macht- und Prestigekämpfen der bedeutenden Persönlichkeiten der Zeit dominiert, die bei ihren politischen Zielen von der Irrationalität ihrer Leidenschaften erfasst waren, mit Maßlosigkeit agierten und von furor getrieben wurden.60 Hier soll nachvollzogen werden, wie sich die Interessen der Akteure im Laufe der Krise der Republik darstellten und welche Konsequenzen nach Velleius aus den Konflikten der Epoche und dem Zusammenhang der Ereignisse für die künftige Ordnung Roms abzuleiten waren. b) Aufruhr und Konterrevolution I. Die Gracchen Velleius’ Darstellung der Gracchen beherrscht das Thema der politischen Instabilität und der Legitimation konterrevolutionärer Maßnahmen. Das Ackergesetz und die Verleihung des Bürgerrechts stehen für ihn konträr zum Ideal der Politik eines „guten Bürgers“. Die katastrophale Lage, in die Gracchus den Staat manövriert habe, resultiert seiner Auffassung nach hauptsächlich aus der überzogenen Anwendung der lex Hortensia und der Kontinuation des Tribunats. Die Substanz der Programme der beiden Brüder ist für ihn von ephemerer Bedeutung.61 Auch die Motive der Tribunen bleiben unbeleuchtet. Dass Ti. Gracchus nach der Königsherrschaft gestrebt haben soll, wie in Publizistik und Historiographie behauptet wurde,62 greift er nicht auf. C. Gracchus versteht Velleius als Wiedergänger seines Bruders, dessen Pläne er in größerem Maßstab aufgriff.63 Historisch relevant sind für Velleius im Wesentlichen die von den Tribunen ausgelösten Erschütterungen des Staates,64 die 56 57 58 59 60 61

62 63 64

Vell. II 26,2. Vell. II 22,5. Vell. II 44,1. Zum Triumvirat als Topos für die Datierung des Untergangs der Republik s. Woodman 1983: 63. Zu den Zielen und der Taktik der Triumvirn, bes. des Pompeius, s. Kap. C.III,4,f. Zum furor s. Vell. II 6,1; 12,6; 47,3; 60,4; 66,1; 80,2; 89,3; 111,4; 112,7. Verhältnis: Vell. II 6,2. Beurteilung: 6,4: […] prava cupientem […]. Zur Problematik der einzelnen Reformen äußert sich Velleius nur ansatzweise, nämlich zur Gründung von Kolonien außerhalb Italiens, die er mit einer universalhistorischen Begründung ablehnt (II 7,6 f.). Mit Verweis auf griechische Beispiele führt er aus, dass Kolonien dazu neigten, ihre Mutterstädte an Bedeutung in den Schatten zu stellen. Hierzu Martin 1965: 123 f. und von Ungern-Sternberg 1970: 17 f. mit den wichtigsten Belegen. Vell. II 6,1 f. Aus Gracchus’ umfangreichem Reformkatalog führt er die Bürgerrechtsverteilung, die lex agraria, die Festsetzung einer Obergrenze für Landbesitz, die Reform der Gerichtsbarkeit und das Frumentargesetz an. Zu Ti. Gracchus s. Vell. II 2,3: […] omnibus statum concupiscentibus, summa imis miscuit et in praeruptum atque anceps periculum adduxit rem publicam. Zu C. Gracchus s. 6,3: […] nihil immotum, nihil tranquillum, nihil quietum, nihil denique in eodem statu relinquebat […].

4. Das Jahrhundert des Bürgerkriegs

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Ergebnisse des furor von Einzelpersonen sind. Die Verwendung des Krisenvokabulars der Späten Republik signalisiert das Gewicht, das er diesem Aspekt beimisst.65 Ob die gewaltsame Niederschlagung der Gracchen legitim war, gehörte zu den vieldiskutierten Streitfragen in der Späten Republik.66 Nach Velleius handelten Scipio und Opimius, die führenden Gegner der Gracchen, nicht auf Anordnung des Senats, sondern aufgrund eigener Initiative.67 In der antipopularen Tradition wurde die Rechtmäßigkeit der Tötung, die gegen eines der fundamentalen Freiheitsrechte der Republik, die Provocation, verstieß, stets strikt verteidigt, und sowohl Scipio als auch Opimius wurden für ihre Verdienste um das Vaterland beim Widerstand gegen die Aufrührer in einem Bürgerkrieg gerühmt.68 Die weitgehend verlorengegangene populare Schiene hingegen würdigte Gracchus als Vorkämpfer für die Freiheit der Plebs.69 Velleius fällt in dieser Frage ein differenziertes Urteil. Den Tod des Ti. Gracchus interpretiert er als historisch einschneidendes Ereignis, weil damals zum ersten Mal das Blut von Bürgern ungestraft vergossen worden und seither die Gewalt in die römische Politik Einzug gehalten habe.70 Die Verantwortung für diese Entwicklung schreibt er allerdings nicht allein den Mördern um den von ihm hochgelobten Scipio Nasica zu. In seiner Darstellung ruft Scipio weder zum Mord an Gracchus auf noch wird seine Beteiligung an der Tötung selbst berichtet. Vielmehr stellte er erfolgreich einen consensus ordinum her.71 Zugleich schildert er, wie der Tribun, als man gegen ihn zu den Waffen griff, in einer Volksversammlung die Menge aufwiegelte, die ihm widerrechtlich ein zweites Tribunat verschaffen sollte.72 In der Summe verließen beide Seiten den Boden der res publica: der auf einen Umsturz der Ordnung abzielende Ti. Gracchus und seine Gegner, die ihn ohne Gerichtsurteil töteten, um einen Umsturz abzuwenden, damit aber ein Beispiel für künftige innenpolitische Auseinandersetzungen gaben. Auch den Tod des C. Gracchus verurteilt Velleius nicht. Allerdings kritisiert er das Vorgehen des Opimius und von dessen Freunden, weil es von persönlichen Rachegelüsten geleitet war.73 Zu65 66

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Vell. II 1,1: […] praecipiti cursu a virtute descitum […]. Zu der gleich nach dem Tod des Ti. Gracchus einsetzenden Debatte s. von Ungern-Sternberg 1970: 21–25, aber auch Nippel 1988: 74–94 sowie Martin 1994: 129 f., die sich auch mit der Umformung der frührepublikanischen Figur des Sp. Maelius, eines ebenfalls unter Berufung auf den Notstand getöteten Aufrührers, in der auf zeitgeschichtliche Aktualität setzenden Geschichtsschreibung befassen – eine Modifikation, die offenbart, dass die durch geltendes Recht nicht gedeckten Ermordungen Anstoß erregten. Historisch korrekt war allerdings, dass sich Opimius auf ein senatus consultum ultimum stützen konnte. Näheres hierzu bei von Ungern-Sternberg 1970: 55–67, zu den Umständen, unter denen das scu beschlossen wurde und die für Velleius’ Erzählung keine Rolle spielen, s. 58–61; Lintott 1968: 164; 167 f.; Nippel 1988: 73–75; Martin 1982: 130 f. Cic. Planc. 70 (über Opimius): […] qui praetor finitimo, consul domestico bello rem publicam liberarat? So auch Sest. 140; Pis. 95. Zur antigracchischen Tradition s. Martin 1982: 128 f. Verwiesen sei nur auf Sall. Iug. 42, bes. 1; Plut. Ti. Gracchus 15,2; 16 f.; 20,2 f.; 21,4 f. S. auch Auct. ad Her. IV 68; Cic. Verr. II 4,108; Val. Max. II 2,17. Vell. II 3,3 (s. o.). Vell. II 3,2. Vell. II 3,2. Vell. II 6,4; implizit auch 5.

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stimmend zitiert er dabei die angeblich im Volk verbreitete Auffassung, dass es Opimius in Wahrheit nicht um die Rettung des Staates gegangen sei. Die von Cicero als politisch motiviert klassifizierten74 Verurteilungen, die Opimius sowie Rupilius und Popilius Laenas später trafen, würdigt er als angemessen.75 Die Stilisierung und thematische Gestaltung der Episode ist für das Werk von fundamentaler Bedeutung. Hier präsentiert Velleius das für seine Konstruktion der Geschichte und die Deutung des Geschehens zentrale Kriterium für das Funktionieren des politischen Systems: die Stabilität. Bei der historischen Einordnung von Akteuren und Ereignissen durchzieht sie leitmotivartig das Narrativ der Bürgerkriegszeit und des Principats. Das Dilemma, das Velleius in seiner Darstellung der Gracchen herauspräpariert, liegt in dem Wechselverhältnis von Gewalt und Gegengewalt der maßgeblichen Akteure beider Konfliktparteien. Unterstrichen wird der von ihm gesetzte, traditionelle Interpretationen der Gracchen um eine neue Facette erweiternde Schwerpunkt durch die Ausblendung vermeintlicher Sachfragen, die mit der Reform verbunden sein könnten. Das in der Historiographie der ausgehenden Republik debattierte Problem, ob den Aktionen der Gracchen Legitimation zuzubilligen sei, kann für seine eigene Deutung keine Kategorie sein. Entscheidend ist, dass ihr Verstoß gegen die politische Ordnung nicht zu rechtfertigen ist. Unabhängig von der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Tribune ist die Bewertung von deren Gegnern. Während Scipio zum Schutz der res publica handelte, war Opimius von privaten Interessen geleitet und glich in dieser Hinsicht seinen Gegnern. Die Konflikte um die gracchischen Reformen waren in Velleius’ Konstruktion auf beiden Seiten von persönlichen Zielen und Animositäten bestimmt. Paradoxerweise führte die Methode, die kurzfristig zur Rettung des Staates beigetragen hatte, die Gewalt, langfristig zum Bürgerkrieg und zum Ende der Freiheit.

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Zunächst war Opimius in einem Prozess vom Vorwurf der rechtswidrigen Hinrichtung von Bürgern freigesprochen worden; hierzu von Ungern-Sternberg 1970: 68–71. Verurteilt wurde er in einem zweiten Verfahren im Zusammenhang mit den von Iugurtha ausgelösten Korruptionsprozessen. Cic. Sest. 140: Atque hunc tamen flagrantem invidia propter interitum C. Gracchi semper ipse populus Romanus periculo liberavit: alia quaedam civem egregium iniquii iudici procella pervertit. So auch Brut. 128. Anders über die Einstellung des Volkes gegenüber Opimius Plut. C. Gracchus 18,2. Die Verurteilung des Opimius hat Cicero häufiger getadelt: Planc. 70; 88; Pis. 95; rep. I 6. Positiv auch Mil. 83 sowie Val. Max. III 2,17. Zur Rechtfertigung und zur Kritik s. Vell. II 6,5: Id unum nefarie ab Opimio proditum [gemeint ist, dass Opimius ein Blutgeld für C. Gracchus’ Tod ausgesetzt hatte] […]. 6,7: […] mira crudelitate virorum […]. 7,3: Crudelesque mox quaestiones in amicos clientesque Gracchorum habitae sunt. Zum Rachefeldzug: 7,6; zu den Verurteilungen s. 7,3 f.

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c) Aufruhr und Konterrevolution II. Die Volkstribunen Saturninus und Glaucia76 Das Thema der Durchsetzung politischer Ziele mit Gewalt beherrscht auch die von Saturninus und Glaucia verursachten innenpolitischen Erschütterungen am Ende der Karriere des Marius. Für die Anwendung von vis dienten beide Gestalten als Musterexemplare.77 Velleius’ Erzählung blendet die mit der spektakulären Politik des Saturninus und des Glaucia zusammenhängenden Konflikte sowie die Zielsetzungen der Revolutionäre aus. Die im Senat heftig angegriffenen Acker- und Frumentargesetze sowie die Reform der Gerichtshöfe, die in antipopularen Kreisen als Teil einer revolutionären Politik galten und zu den umstrittenen Politikfeldern der Späten Republik gehörten, besaßen für seine Darstellung der römischen Geschichte keine sachliche Relevanz und Aktualität. Im Mittelpunkt stehen der Verstoß gegen das Verbot der Kontinuation und die Militarisierung der Innenpolitik, vor denen Saturninus und Glaucia nicht zurückschreckten. Beides wertet er als eine Störung des Friedens und einen Angriff auf die res publica.78 Erneut stellt sich für Velleius die Problematik des Notstandsrechts. Auch die Vorstellung verbreitet war, dass die Tötung der Aufrührer für den Erhalt des Staates notwendig war,79 war ihre Neutralisierung mit dem Einsatz von Gewalt verbunden, die, wie das Beispiel der Gracchen zeigte, für ihn das Potential zur Eskalation politischer Konflikte besaß. Dieser Fall war jedoch anders gelagert. Anders als im Fall der Gracchen waren es bei Saturninus und Glaucia nach Velleius keine ungeordnete Menge oder Privatpersonen, die angesichts eines Rechtsbruchs Selbstjustiz übten. Sein Marius handelte als Magistrat, der Aufständische bekämpfte.80 Dass er mit Gewalt die Tribunen ausschaltete, ist für Velleius legitim, da sie das Verbot der Kontinuation missachtet und bewaffnet die Wahlcomitien gesprengt hatten. Insofern war, so suggeriert Velleius, Marius’ Reaktion angemessen und keine die innenpolitische Situation verschärfende kriminelle Maßnahme. Die rechtliche Grundlage, auf der Marius operierte, das in der Späten Republik nicht unumstrittene sena76

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Vell. II 12,6. Die Quellen sind verzeichnet bei E. Klebs, RE 2.1, 1895, 261–269, s. v. L. Appuleius Saturninus (29); Fr. Münzer, RE 2 A 2, 1923, 1796–1798, s. v. C. Servilius Glaucia (64) und Weynand 1935: 1397–1404. Für eine Übersicht zur Politik von Saturninus und Glaucia s. Bringmann 2002: 238–242; Heftner 2006: 108–114 sowie die Spezialuntersuchungen van Ooteghem 1964: 232–253; Cavaggioni 1998. Liv. perioch. LXIX; Cic. Rab. perd. 28; Val. Max. IX 7,2 f.; Plut. Marius 29 f.; App. civ. I 128–133; 136; Oros. V 17,1–10. S. ferner Lintott 1968: 136–140; Nippel 1988: 75–78, bes. 75 f. Vell. II 12,6: […] rem publicam lacerantium […]. Zur Verurteilung der Politik: Cic. Rab. perd. passim, bes. 19–21; har. resp. 41; 43; 51; dom. 82; Liv. perioch. LXIX 14. Für die Berechtigung der Liquidierung beider Aufrührer: Cic. leg. agr. 2,14; Cat. 1,4; 29; Brut. 224; leg. III 20; Phil. 8,15; Val. Max. III 2,18; Flor. II 4,6, wohl nach Liv. (Tötung nicht durch die Patrizier, sondern das Volk). In der dritten, vor dem Volk gehaltenen Rede gegen Catilina meldet Cicero jedoch Vorbehalte gegen die Anwendung des Notstandsrechts auch auf Glaucia an, der im senatus consultum nicht erwähnt war (Cat. 3,15). Zu Saturninus als exemplum des tribunus seditiosus s. Bücher 2006: 281–296, bes. 284 f. Vell. II 12,6: […] consul armis compescuit […].

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tus consultum ultimum,81 benennt er deshalb ebenso wenig, wie er die genauen Umstände des Todes der Aufrührer erzählt. Die von Saturninus und Glaucia entfesselten Konflikte präsentiert Velleius ihres politischen Inhalts entkernt und auf den Dualismus von Stabilität und Unordnung reduziert. Politisch virulent sind für sein Narrativ die Entgrenzung der Konkurrenz und die gewaltsame Durchsetzung der Interessen von Privatmännern. Beide Herausforderungen wurden zwar gewaltsam, aber innerhalb des Rahmens der res publica durch einen autorisierten Amtsträger gelöst. Marius’ Eintreten für die Ordnung würdigt Velleius daher als Ruhmestat.82 d) Senatorische Inflexibilität und Gewalt. Das Tribunat des Livius Drusus83 Eine neue Form der innenpolitischen Konflikte markiert bei Velleius das Tribunat des Livius Drusus. Die Auseinandersetzungen dieses Jahres illustrieren die Inflexibilität der Nobilität bei der Wahrnehmung ihrer Interessen und die damit verbundene Destabilisierung der Republik. Drusus portraitiert er als senatsfreundlichen Reformer. Dessen Programm reduziert er auf zwei Kernelemente: die Reform der Gerichtshöfe und die Verleihung des Bürgerrechts an die Bundesgenossen84. Für Velleius sind dies keine peripheren Themen. Aus senatorischer Perspektive wurden die Gerichtshöfe von den Rittern politisch missbraucht, seit ihnen die gracchischen Reformen dort Zutritt verschafft hatten. An diesen Punkt knüpft Velleius bei der Motivation des Drusus an. In der Unzufriedenheit der Bundesgenossen, denen seit langem ihre Forderung nach dem Bürgerrecht verweigert worden war, und den Versäumnissen des Senats sieht er die Ursache des für Rom ruinösen Bundesgenossenkriegs. Für beide Komplexe wird Drusus als Problemlöser aufgeboten.85 Sein Ziel war nicht die Schwächung, sondern die Stärkung des Senats.86 Als Grund für das Zerwürfnis zwischen dem Tribunen und dem Senat führt Velleius nicht die zumeist gegen Drusus erhobenen Vorwürfe an, die ihm den Ruf

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Zum scu s. von Ungern-Sternberg 1970: 71–73. Vell. II 12,6 (gloria). Vell. II 13 f. Zur Einführung: Bringmann 2002: 243–248; Heftner 2006: 118–121. Quellenüberblick: Münzer 1926. Vell. II 14,1: Tum conversus Drusi animus, quando bene incepta male cedebant, ad dandam civitatem Italiae. Für eine andere Chronologie s. Liv. LXXI perioch. 2–4, der in der Unruhe der Italiker, bedingt durch das Scheitern der Bürgerrechtsfrage, erst den Grund für die Entfremdung zwischen Drusus und dem Senat sieht. Zu den Vorhaben s. bes. Cic. Cluent. 153; Rab. perd. 16; Liv. perioch. LXX 10–LXXI 11; App. civ. I 155–164; Flor. II 5. S. Vell. II 13 f., dass Drusus tatsächlich die Stärkung des Senats beabsichtigt hatte, war unstrittig; s. hierzu z. B. Cic. de or. I 24; Liv. perioch. LXX 10; LXXI 1. App. civ. I 157 hingegen behauptet, Drusus habe das zerrüttete Verhältnis von Senat und Ritterschaft bereinigen und neue Eintracht stiften wollen.

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eines in der Nachfolge der Gracchen stehenden87 tribunus seditiosus88 eingetragen hatten: die Anwendung von Gewalt bei Abstimmungen,89 die rechtswidrige Form der Verabschiedung der Gesetze,90 die Bürgerrechtsverleihung an die Italiker91 sowie den Verstoß gegen das Sakralrecht bei der Einholung von Auspizien. Entscheidend war nach Velleius vielmehr die Verteilung von largitiones, die seiner Politik Auftrieb verleihen sollte,92 sowie die Instrumentalisierung der Bundesgenossen für die Durchsetzung der zunächst gescheiterten Reformvorhaben. Der Senat nahm dies als Angriff auf seine Stellung in der res publica wahr und sah sich dadurch gezwungen, so bilanziert Velleius, jene Kräfte zu unterstützen, die seine faktische Vorrangstellung im Gefüge der politischen Ordnung der res publica einzuschränken suchten. Mit der positiven Interpretation des Tribunats des Drusus reichert Velleius die Darstellung der seit der Übernahme der Weltherrschaft konfliktreichen römischen Innenpolitik um eine neue Perspektive an. In Verkennung seiner Interessen reagierte der Senat reflexhaft auf die von Velleius als harmlos, aber taktisch raffiniert eingestufte Politik des Drusus und beschädigte damit die Stabilität der Republik. Wie die Niederschlagung der in Gewaltexzesse mündenden Reformbewegungen der Gracchen sowie des Saturninus und des Glaucia die Zustimmung des Velleius finden, weil dadurch die innere Ordnung wiederhergestellt wurde, so kritisiert er am Vorgehen gegen Drusus, dass mit dem Widerstand gegen dessen Rogationen eine friedliche Fortsetzung jener Politik unterbunden wurde, die die res publica konsolidierte. Zum Anlass des für Rom wie Italien ruinösen Bundesgenossenkriegs wurde für Velleius deshalb Drusus’ vom Senat betriebenes Scheitern.93 Für diese Darstellung des Tribunats durften die rechtlichen Verstöße und die gewalttätigen Ausschreitungen, die Drusus zu verantworten hatte, nicht thematisiert werden. Die Bedeutung des Reformprogramms liegt in Velleius’ auf das Ringen konkurrierender Gruppen und Institutionen abgestellter Erzählung nicht in den sachlichen Problemen und Zielen, die ihm zugrunde lagen, sondern in ihrer Position im Dekadenzprozess. Dieser Einzelfall demonstriert, dass die Instrumentalisierung popularer Initiativen wie des Ackergesetzes im Rahmen einer senatsfreundlichen Politik ausdrücklich die Zustimmung des Velleius finden kann, ohne dass damit bei ihm grundsätzlich Sympathie für eine populare Programmatik verbunden wäre, die er als einen Umsturz der traditionellen politischen Ordnung verstanden hätte.

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Zum Vergleich mit den Gracchen und Saturninus s. z. B. Cic. Vat. 23; dom. 41; leg. II 14; 31; Sen. brev. 6,1. Cic. Cluent. 153; Ascon. Cornel. 61; Val. Max. IX 5,2; Plut. Cato Minor 1,1; Flor. II 6,3; Dio XXVIII 96,1; weitere Stellen bei Münzer 1926: 871 f. Liv. per. LXXI 1; Val. Max. IX 5,2; Flor. II 5,7 f. Cic. dom. 41; Vat. 23; leg. II 14; 31. Andeutungsweise auch Diod. X 3; Flor. II 5,7. Liv. perioch. LXXI 4; Plin. nat. XXV 52; Flor. II 5,1 f.; 6,3; s. auch Sen. brev. 6,1. Liv. perioch. LXX 10: […] ut vires sibi adquireret, perniciosa spe largitionum plebem concitavit. Flor. II 5,6: Exstat vox ipsius, nihil se ad largitionem ulli reliquisse, nisi si quis aut caenum dividere vellet aut caelum. So explizit Vell. II 15,1; 16,4.

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e) Von innenpolitischen Verwerfungen zum ersten Bürgerkrieg Eine neue Intensität und neuartige Krisenphänomene in Velleius’ Darstellung des Dekadenzzeitalters erreichten die innenpolitischen Auseinandersetzungen in dem Komplex, der in den Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla mündete.94 Den Anlass für die innenpolitischen Verwerfungen bildeten Konflikte um Prestige und Einfluss und die Zuteilung von militärischen Oberkommenden. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen, die damit begannen, dass der Feldzug gegen Mithridates Sulla entzogen und Marius übertragen wurde, schildert Velleius, wie der die Entwicklung vorantreibende Volkstribun Sulpicius eine Reihe von Gesetzen einbrachte, die er als schädlich und freiheitswidrig klassifiziert.95 Eine Steigerung der innenpolitischen Konflikte trat nach Velleius ungeachtet der Racheaktionen Sullas mit dem Regiment des wegen seiner Maßlosigkeit als Wiedergänger des Sulpicius eingeordneten Cinna ein,96 als dessen wichtigstes Vorhaben die Manipulation von Wahlen durch die Verteilung der Neubürger auf die Tribus angeführt wird. Kräfte, die Velleius als optimatisch identifiziert, zwangen ihn, die Stadt zu verlassen, bevor ihn ein Senatsbeschluss des Amtes enthob. Mit den Auseinandersetzungen innerhalb der Senatsaristokratie, zwischen der Senatsmehrheit und einem Magistraten, stellt sich Velleius erneut dem Problem der angemessenen Konfliktlösung. Zwar hält er die Verhinderung der Pläne Cinnas für notwendig, weil sie eine Zerrüttung der öffentlichen Ordnung zufolge gehabt hätten.97 Dennoch räumt er die Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens des Senats ein.98 Über den konkreten Fall hinaus schreibt er der Verletzung der Immunität eines Magistraten eine exemplarische Bedeutung zu, ließ sie doch eine irreguläre Amtsenthebung aus politischen Gründen auch in der Zukunft als gerechtfertigt erscheinen.99 Die Episode zeigt die konkreten Folgen dieses Wechselspiels von Aktion und Reaktion. Dem Verstoß gegen ein fundamentales Prinzip der res publica entsprach eine ebenfalls rechtswidrige Antwort Cinnas, der ein Heer auf sich als Privatmann vereidigte. Dieses Vorgehen wertet Velleius als Bürgerkriegsakt.100 Auch wenn er ausdrücklich Cinna als Urheber der Eskalation benennt, war es die Grenzüberschreitung beider Seiten, hier die Amtsenthebung eines Consuln, dort die Aushebung von 94 Vell. II 20–28. 95 Vell. II 18,6: […] aliasque leges perniciosas et exitiabiles neque tolerandas liberae civitati tulit. Hierbei handelte es sich um Regelungen zur Rückkehr der Verbannten, zum Ausschluss von Senatoren aus dem Senat und zur Zusammensetzung der Tribus, mit deren Reform er die Volksversammlung zu dominieren suchte – allesamt klassische Beispiele für eine Gesetzgebung, die in der Publizistik der Späten Republik als popular firmierte. Die Skizze des Unrechtsregimes des Sulpicius erreicht den Höhepunkt mit dem Hinweis auf zwei politische Morde, die er in Auftrag gegeben hatte (ebd.). 96 Vell. II 20,2: Non erat Mario Sulpicioque Cinna temperatior. 97 Hierzu Vell. II 20,2 f. mit 2,2 f.; 6,2; 14,1. 98 Vell. II 20,3: Haec iniuria homine quam exemplo dignior fuit. 99 Positiv urteilt Velleius über die Tötung des Clodius (Vell. II 47,5). 100 Vell. II 21,4: […] patriae bellum intulit […]; 21,1: Dum bellum autem infert patriae Cinna […]. S. auch 28,1: belli civilis mala.

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Truppen, die die Republik in den Ausnahmezustand versetzte. Die Lösung dieses Schwebezustands beurteilt Velleius als desaströs. Ein Gesetz zum Schuldenerlass war für ihn ein Vorbote des Untergangs101 und an den Abgrund führte die Republik seiner Einschätzung nach ein innenpolitisches Novum, die systematische Abrechnung mit persönlichen Gegnern, in deren Verlauf die Elite des Staates beseitigt wurde. Von hier schlägt Velleius eine Brücke zur Schreckensherrschaft Sullas, die Marius’ Grausamkeit noch übertroffen habe. Maßstab der Schuld war nicht mehr die politische Positionierung der Opfer, sondern lediglich deren Vermögen. In Sullas Dictatur nahmen die Auswüchse der Gewalt eine neue Intensität an und enthielten auch eine konstitutionelle Neuerung.102 Die Ursache für Sullas Eingreifen in die Konflikte war die Aberkennung des Oberbefehls für den Krieg gegen Mithridates, deren Rücknahme er mit seinem Heer erzwang, sowie die anschließende Verfolgung seiner politischen Verbündeten während des Feldzugs. Das Hauptziel, das Sulla mit der Dictatur verfolgte, ist für Velleius nicht die Rettung des Staates. Vielmehr interpretiert er das Amt als Instrument des Missbrauchs, für das Ausleben von Sullas Grausamkeit und die Sicherung der Loyalität seiner Anhänger. So rangiert die Dictatur denn auch als Höhepunkt der Schrecken des Bürgerkriegs.103 Die Rache an den Bürgerkriegsgegnern verurteilt Velleius deshalb als Perversion des Konkurrenzgedankens, der Rom früher ausgezeichnet hatte: Nach dem Wettstreit um die Tugend, der früher geherrscht habe, sei nun um die Schlechtigkeit gefochten worden.104 Alle Konflikte dieser Phase der republikanischen Geschichte verbindet für Velleius eine Gemeinsamkeit: die Extensivierung der Konkurrenz und eine auf Desintegration zielende Gesetzgebung. Den Anlass der Konflikte bildete die Auseinandersetzung um Machtfragen und um Rangstreitigkeiten innerhalb des Senats. Zum Einsatz kamen rechtswidrige Manöver wie der Entzug von Kommanden, die Korrumpierung der Bürgerschaft durch gesetzlich verankerte, aber illegitime Vermögensverteilungen im Rahmen von Schulderlassen oder die Beeinflussung von Wahlen. Der Einsatz von Gewalt hatte bereits in dieser Phase von Velleius’ Geschichtserzählung seine höchste Intensitätsstufe erreicht, den Bürgerkrieg. Damit lieferte er das Vorbild für die künftigen Konflikte, die Kriege zwischen Pompeius und Caesar sowie zwischen Octavian und Antonius. f) Das I. Triumvirat und der Bürgerkrieg Caesar – Pompeius Die geschichtliche Rolle des Triumvirats, des „dreiköpfigen Ungeheuers“,105 das seit der Republik als historischer Wendepunkt galt, ist auch bei Velleius unheilvoll: für seine Mitglieder, die alle bei der Verfolgung ihrer Interessen zugrunde gingen,

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Vell. II 23,2. Vell. II 28. Vell. II 28,1. Vell. II 26,2. Den Titel dieser Satire Varros erwähnt App. civ. II 9.

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wie für das Reich insgesamt, das in den Bürgerkrieg gestürzt wurde.106 Als treibende Kräfte sieht er, anders als etwa Livius107 und Cassius Dio108, nicht allein Caesar, sondern alle Triumvirn gleichermaßen.109 Mit einer Aufschlüsselung der strategischen Motive und Ziele der Bündnispartner legt er die Sprengkraft der Übereinkunft offen. Bei allen Unterschieden in den konkreten Zielen war das Triumvirat nach Velleius für alle drei Bündnispartner ein Instrument des Strebens nach der Führungsposition110, nicht der Konfliktbeilegung111. Gegen die mit der dignitas aequalis zusammenhängenden und diese garantierenden Regeln der republikanischen Ordnung wurde seit dem Beginn des Niedergangs gemäß Velleius’ Darstellung permanent verstoßen, weil herausragende Einzelpersönlichkeiten die Homogenität der Senatsaristokratie in Frage stellten. Dies galt auch für die Triumvirn. Pompeius, der in einem Konflikt mit der Senatsmehrheit stand, war nach Velleius um eine permanente Etablierung seiner Ausnahmestellung bemüht. Caesar und Crassus hingegen, die bislang über ein geringeres Ansehen verfügten, forcierten den Ausbau ihres bisherigen Rangs. Als schwächster der drei Bündnispartner figuriert Crassus, der mit der Autorität des Pompeius und dem Einfluss Caesars seinen Anspruch auf eine Spitzenstellung durchzusetzen suchte. An seinem Schicksal demonstriert Velleius die Gefahr maßloser Ambitionen. Das desaströse Ende des Feldzugs gegen die Parther, in dem er den Oberbefehl führte, rangiert als zweitschlimmste Niederlage der römischen Geschichte nach der Schlacht im Teutoburger Wald,112 verursacht durch unmäßige Ruhmesbegierde und Habgier. Crassus’ Tod bewertet er deshalb als nützlich für Rom.113 In der Galerie der markanten Gestalten der Späten Republik ragt Pompeius in der Erzählung wegen seiner politischen Ambitionen heraus. Mit einem ausgedehnten biographischen Abriss und wiederholt in den Gang der Erzählung eingeschobenen Kommentaren wird er zu einer zentralen Figur der Epoche aufgebaut. Als sein Motiv für den Eintritt ins Triumvirat führt Velleius lediglich die Bestätigung der von ihm während des Mithridates-Kriegs im Osten getroffenen Maßnahmen an.114 Dennoch exemplifiziert sich in ihm die Übersteigerung des Konkurrenzgedankens, ein unbegrenztes, beispielloses Streben nach dignitas. Das Portrait der Pompeius-Figur ist eng an die historische Überlieferung angelehnt. Seine zahlreichen positiven Aspekte115 werden durch die Beurteilung des Pompeius als Machtpolitiker konterkariert. Als Pompeius’ wesentlichen Charakterzug begreift Velleius sein überdimensioniertes dignitas-Streben, das in der Nobili106 Zu den historischen Hintergründen s. Bringmann 2002: 310–319; Christ 2004: 106–108; Dahlheim 2005: 88–95. Zum Triumvirat als Gemeinplatz für die Datierung des Untergangs der Republik s. Woodman 1983: 63. 107 Liv. perioch. CIII. 108 Dio XXXVII 56,1–4. 109 So auch Plut. Caesar 13,2 f.; Crassus 14,2; Pompeius 47,1; Flor. II 13,10–12. 110 S. auch Flor. II 13,11, bei Luc. I 84 f. als Ursache aller Übel. 111 Dies die Deutung von Plut. Crassus 14,1 f.; Pompeius 47,1; anders jedoch Caes. 13,2 f. 112 Vell. II 119,1. 113 Vell. II 46,3. 114 Vell. II 65,1. 115 Für das Portrait s. Vell. II 29, für den Nachruf II 53,3.

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tät auf Misstrauen und Widerstand stieß.116 Die Gestaltung dieses Komplexes ist von Caesars Bellum civile inspiriert. Aus dessen Versuch, die Eröffnung des Bürgerkriegs zu legitimieren, übernimmt er nahezu wörtlich ein Dictum, das in der Pompeius-Rezeption einen topischen Charakter gewinnen sollte: Pompeius habe es nicht ertragen können, dass jemand mit seiner dignitas gleichziehe.117 Darin habe sein größter Fehler gelegen. Pompeius’ Einstellung zu den Rangverhältnissen innerhalb der Senatsaristokratie verknüpft Velleius mit der Bewahrung der libera res publica vor dem Zusammenbruch, verursacht durch die maßlosen Machtansprüche einzelner Nobiles. Unter diese Gestalten reiht er dezidiert auch Pompeius ein, dessen Prestigedenken die Grundfesten einer freien, auf der rechtlichen Gleichheit beruhenden Gesellschaft beschädigt habe.118 Dieses Urteil zielt auf das grundsätzliche Problem, das Pompeius darstellte, die Inkompatibilität der überragenden Persönlichkeit mit der res publica. Den Wettkampf innerhalb der Senatsaristokratie um die dignitas119 begreift auch Velleius120 als Motor des Aufstiegs Roms zur Weltmacht. Dignitas, die in von der Bürgerschaft121 für Verdienste um das Gemeinwesen122 verliehenen Ehrungen und Ämtern123 Ausdruck fand, bildete stets ein Rangverhältnis zwischen Individuen ab, das sich allein nach der Leistung bemaß.124 Eine Einschränkung der Freiheit war mit der Existenz verschiedener gradus dignitatis125 nicht verbunden,126 sofern die öffentliche Ordnung unangetastet blieb.127 Allerdings bestand zwischen der digni116 Zum zeitlebens wechselvollen Verhältnis des Pompeius zum Senat s. die biographischen Zugänge von Gelzer 1984/2005; Christ 2004; Baltrusch 2011. Für weitere Einzelheiten sowie Informationen zu den Autoren zwischen Republik und Principat s. Heller 2006 mit Literatur. 117 Vell. II 29,4: […] in civitate libera […] indignari […] quemquam aequalem dignitate conspicere. Vgl. hiermit Caes. civ. I 4,4: […] neminem dignitate secum aequari volebat […]. Zum Machtbewusstsein s. auch II 33,2. Caesar fährt fort, dass Pompeius, auch wenn er nicht auf eigene Initiative den Bürgerkrieg eröffnet habe, sondern von seinen politischen Freunden dazu gedrängt worden sei (ebd.), in seinem Verhältnis zu Caesar dennoch stets von Neid und Eifersucht geleitet gewesen sei, während er, Caesar, dessen Ansehen befördert habe (I 7,7). Zu Caesars Interpretation der Ursachen des Bürgerkriegs und deren politischer Intention s. Raaflaub 1974: bes. 149–152 zur verweigerten dignitas und 2010, außerdem Collins 1972; Batstone/Damon 2006; Grillo 2012. Zu Caesars Pompeius-Bild s. bes. Heller 2006: 10–15 und Raaflaub 1974: 120–125. 118 Für das Zitat s. o. Anm. 63. 119 Zur dignitas allgemein s. Wegehaupt 1932: 24–34; Hellegouarc’h 1963: 406–408; Meier 1964, LIX–LXV; Meier 1966/1997: 297–299; Pöschl 1989. 120 Vell. II 26,2. 121 Zum Konstruktionscharakter von dignitas s. Wegehaupt 1932: 10; 12 f.; Hellegouarc’h 1963: 391; 398–406; Pöschl 1989: 11 f.; 13. 122 Für die Verbindung zwischen dignitas und virtus s. die Belege bei Wegehaupt 1932: 34 f. und Hellegouarc’h 1963: 398 f. 123 Für Belege s. Wegehaupt 1932: 21–23, zustimmend Wirszubski 1950: 35–37, mit Gegenpositionen S. 36, Anm. 1; Hellegouarc’h 1963: 401 sowie 365–424 zu den Komplexen laus, gloria, honos und dignitas. 124 Arena 2012: 67. Für eine Problematisierung der Gleichheit s. z. B. Cic. rep. I 43. 125 Näheres hierzu bei Hellegouarc’h 1963: 400 m. Anm. 7. 126 Wirszubski 1950: 15. 127 Aequum ius, aequa libertas und aequae leges sind insofern Synonyme (Wirszubski 1950: 11). Zur Gebundenheit der Freiheit an die Gesetze s. Wirszubski 1950: 7–9; Brunt 1988: 296 sowie

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tas und der libertas aufeinander bezogener Individuen oder Gruppen immer ein Wechselverhältnis.128 Als problematisch galt die übermäßige Akkumulation von dignitas; kein Bürger dürfe so weit hervorragen, dass für ihn die Gesetze nicht mehr gälten und die aequa libertas aufgehoben werde.129 Es existierte ein Bewusstsein für die Gefahr, dass das Ringen um dignitas zu einer übersteigerten Rivalität130 führen und den Gleichheitsgrundsatz aushebeln werde,131 weil die Konkurrenten ihre Ansprüche verabsolutierten und die Bindung der dignitas an das Gemeinwohl ignorierten132. Zu den Kernelementen des Dekadenzdiskurses der Späten Republik, eines Reflexes auf die Desintegration der Nobilität, zählte denn auch, dass durch den Sittenverfall nach der Übernahme der Weltherrschaft der Wettbewerbsgedanke pervertiert und zu einer selbstzerstörerischen Kraft geworden sei, der selbst den Einsatz von Gewalt rechtfertige.133 Für Velleius repräsentiert Pompeius das Problem der überdimensionierten Konkurrenz. Sein Anspruch auf den Vorrang in der dignitas hebelte das aequum ius aus und schränkte die Freiheit seiner Standesgenossen ein, die ebenso das Recht auf einen Zugang zur höchsten Stufe der dignitas besaßen. Rasch galt Pompeius als größer und bedeutender als die übrigen Bürger. Dieser einhelligen Auffassung trat er nicht entgegen, sondern er verstärkte sie, wie Velleius zeigt, durch sein Auftreten und seine Forderungen noch.134 Konkurrenz zu akzeptieren war er nicht länger bereit: Immer wollte er der Erste und Einzige sein.135 Die Motivation, die ihn leitete, war, jederzeit eine seinen Verdiensten gemäße Stellung zu erhalten.136 Dieser Anspruch reichte angesichts seiner Leistungen über die legitime Position eines republikanischen princeps137 weit hinaus. In das republikanische System ließ Pompeius sich nach Velleius nicht mehr integrieren. Er war maior cive geworden.138 Erstmals in Velleius’ Konstruktion der römischen Geschichte arbeitete ein Mitglied der Senatsaristokratie damit auf die faktische Außerkraftsetzung zentraler Mecha-

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zu den Bürgerrechten Wirszubski 1950: 8 m. Anm. 5. Zur Bedeutung der Freiheit in der politischen Ordnung s. jetzt v. a. Arena 2012. Besonders plastisch hat Liv. VII 33,3 diesen Sachverhalt ausgedrückt. Liv. XXXVIII 50,8 f. mit der Interpretation von Wirszubski 1950: 11 f., sowie ferner Cic. Planc. 33 und off. I 124. Weitere Belege zum Zusammenhang von libertas und ius bei Hellegouarc’h 1963: 546–548. Cic. off. I 26. Cic. off. I 64. Wegehaupt 1932: 37–41; Hellegouarc’h 1963: 393; Pöschl 1989: 13–15. Wegehaupt 1932: 36 f. mit Caes. civ. I 7 und 9. Vell. II 40,2. Vell. II 33,3: […] et in quibus rebus primus esse debebat, solus esse cupiebat […]. Vell. II 29,3: […] potentiae, quae honoris causa ad eum deferretur, non vi ab eo occuparetur, cupidissimus […]. In der Historia Romana bezeichnet der Terminus principatus in den zur republikanischen Geschichte gehörenden Teilen in der Regel nur eine führende Position in Rom, die zu erstreben legitim war. Den republikanischen princeps grenzt Velleius vom Inhaber der regalis potentia ab (Vell. II 6,2). Literatur zum Wortgebrauch in Anm. 156. Vell. II 31,1: […] per omnia maior cive habebatur. Ähnlich 40,2: […] suoque et civium voto maior […]. S. in diesem Zusammenhang auch: […] per omnia fortunam hominis egressus. S. auch Vell. II 31,3: Quo scito paene totius terrarum orbis imperium uni viro deferebatur.

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nismen der Republik hin. Als er siegreich aus dem Feldzug gegen Mithridates zurückgekehrt sei, habe sein alles überragender Rang endgültig festgestanden.139 Es habe keinen Zweifel daran gegeben, so zitiert Velleius die Zeitstimmung, dass er das politische System aus den Angeln zu heben fähig war.140 Davon unberührt bleibt, dass Pompeius seine Interessen nicht mit Waffengewalt verfolgte, sondern auf freiwillige Konzessionen des Senats setzte. Weil er Ämter und Ehrungen monopolisieren wollte, verhinderte er, dass die Angehörigen der Senatsaristokratie ihr Potential an virtus141 aktivieren konnten. Insofern war Pompeius’ Haltung unvereinbar mit der freiheitlichen Ordnung in Rom,142 auch wenn Velleius ihm bescheinigt, dass er in allen Ämtern, die er bekleidete, seine Macht selten missbraucht habe,143 wenngleich er seine Konkurrenten mit anrüchigen Manövern und illegalen Mitteln im Wettstreit um Ämter und Kommanden ausschaltete.144 Damit benennt er die Ursache, die seiner Auffassung nach zum Bürgerkrieg führte, und seine Perspektive auf die Mechanismen und Zusammenhänge in der Entwicklung der jüngeren Geschichte. Nicht an den revolutionären oder kriminellen Protagonisten der Innenpolitik seit 146, sondern am Verteidiger des Senats im Bürgerkrieg macht er die Krise der Republik fest. Pompeius’ Selbstverständnis gewann für Velleius aber erst mit dem Aufstieg eines ebenbürtigen Konkurrenten, mit Caesar, eine fatale Bedeutung. Nach Crassus’ Tod lief alles auf ein Duell zwischen Pompeius und Caesar zu. Dass er Caesar nicht als gleichrangig akzeptierte, störte die legitime und legale Konkurrenz innerhalb der res publica und setzte eine Dynamik in Gang, die in den Bürgerkrieg führte. Mit ostentativem Unverständnis mokiert sich Velleius darüber, dass Pompeius, der mehrfach außerordentliche Kommanden erhalten und in Rom höchste Ehren erlangt hatte, Anstoß an der Sondergenehmigung für Caesar nahm, sich in Abwesenheit um ein zweites Consulat zu bewerben.145 So liefen in Velleius’ Geschichtswerk die verschiedenen Versuche in der Zeit der Dekadenz, dignitas durch Überschreitung des republikanischen Systems zu akkumulieren, ungeachtet der Unterschiede in den Zielen und bei der Anwendung der Mittel auf die Zerstörung der Republik hinaus.146 Die Existenz von Stabilität, die 139 140 141 142

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Vell. II 40,2. Vell. ebd. Die Befürchtungen traten allerdings nicht ein. Arena 2012: 60. Zur Bedeutung von libertas in den Ständekämpfen s. Oakley 1997: 534 f. für eine Fülle an Belegen und Literatur sowie allgemein Brunt 1988. Zur Freiheit und ihren Bestandteilen s. bes. Cic. rep. I 43; off. I 53; Liv. II 1; Sall. hist. I 55,4 Maur. mit Brunt 1988: 291 f. und Wirszubski 1950: 17–24. Vell. II 29,4: potentia sua numquam aut raro ad inpotentiam usus […]. Vell. II 33,1 (instrumentalisiert den als korrupt dargestellten Manilius, ihm den Oberbefehl gegen die Piraten zu verschaffen); 33,3 (Zerwürfnis mit Lucullus); 34,2 (macht Metellus den Ruhm für die Eroberung Kretas streitig); 40,5 (invidia seiner Gegner und einer pars optimatium); 46,1 (keine ordnungsgemäße Bewerbung um das zweite Consulat, keine korrekte Amtsführung). Vell. II 30,3. S. bes. die Bedeutung, die Vell. II 7,1 dem civilis dignitatis modus für die Überlebensfähigkeit des Staates zuspricht.

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in den verschiedenen Episoden des Bürgerkriegsjahrhunderts durch die Interessen Einzelner erschüttert wurde, war, solange die Senatsaristokratie bestand, unauflöslich an die Wahrung der Freiheit geknüpft, die im Widerspruch zur Vormacht eines Einzelnen stand. Wann immer das aequum ius bedroht war, das illustriert Velleius’ Darstellung der Konflikt-Episoden, formierte sich eine Opposition in der Nobilität, die neue innenpolitische Verwerfungen heraufbeschwor. Der Kulminationspunkt dieser Entwicklung war mit Pompeius erreicht. Von politischen Ambivalenzen, wie sie die Figur des Pompeius kennzeichnen, ist Velleius’ Caesar frei.147 Im Vordergrund stehen die Stationen seiner Karriere und seine überwältigenden charakterlichen Vorzüge. Nach Velleius war das Ziel, das Caesar mit dem Triumvirat zu erreichen suchte, in Konkurrenz zu Pompeius seinen Ruhm zu vergrößern und seine Macht zu festigen.148 Er rechnete damit, dass er von dem Unmut auf Pompeius’ Machtstellung im Senat profitieren werde.149 Die Verbesserung seiner Stellung sollte auf der Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Senat und Pompeius beruhen. Das Verhältnis Caesars zum Senat skizziert er als rein instrumentell. Velleius suggeriert allerdings nicht, dass Caesar die Grenzen der republikanischen Ordnung zu überschreiten gedachte. Im Gegensatz zu Pompeius verlangte er nicht eine inoffizielle, aber unantastbare singuläre Stellung an der Spitze der Senatsaristokratie. Was er beanspruchte, war lediglich, ein princeps im Rahmen der res publica libera zu sein. Deshalb problematisiert Velleius seine Politik auch nicht mit jener Intensität wie Pompeius’ Agieren. Dass Caesar keinen Höherrangigen über sich dulden konnte, wie Caesars Gegner urteilten, unterstellt er ausdrücklich nicht. Unausgesprochen bleibt, dass Caesars legale Strategie auf der Voraussetzung beruhte, eine drohende Bürgerkriegskonstellation für seine Zwecke auszunutzen und zu verschärfen. An einer Beilegung der inneren Spannungen, die auf dem Konflikt zwischen Pompeius und dem Senat beruhten, war ihm nicht gelegen. In der Schuldfrage des Bürgerkriegs spricht er keinem der beiden Protagonisten eine Berechtigung für die Eröffnung des Konflikts zu. Gemäß seiner Einschätzung der Motive Caesars und des Pompeius, die er beide von dem Streben nach Macht geleitet sah, erklärte er es zu einem Gebot der Rechtmäßigkeit, dass beide ihre Heere hätten entlassen sollen.150 Zugleich ist Velleius um eine Entlastung der beiden Antagonisten bemüht151 und weist die Verantwortung für den Ausbruch des Konflikts einer umstrittenen Figur aus der zweiten Reihe zu.152 147 Vell. II 41–43. 148 Vell. II 44, 2: […] Caesar autem, quod animadvertebat se cedendo Pompei gloriae aucturum suam et invidia communis potentiae in illum relegata confirmaturum vires suas […]. 149 Bestätigt von Cic. off. III 82; anders Dio XXXVII 56,1. Missverstanden bei Elefante 1997: 318 f.: Mit invidia ist nicht der Neid des Pompeius auf Caesar gemeint, sondern das Unbehagen des Senats über die herausragende Stellung eines Einzelnen. 150 Vell. II 48,1. 151 Vell. II 49,4 und ferner Caes. civ. I 1–11; Cic. Att. VIII 9,4; Dio XLI 5. Zur Suche nach Kompromissen zu Beginn des Jahres 49 s. Christ 2004: 140. Für Pompeius’ Interesse am Frieden s. App. civ. II 107–111. 152 So z. B. C. Curio (Vell. II 48,5 mit Woodman 1983: 78 f.; Elefante 1997: 327) und Pompeius’ Verbündete im Senat, darunter der Consul Lentulus ([…] Lentulus vero salva re publica salvus esse non potest [II 49,4]). Näheres bei Lobur 2008: 117 f.

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Unterschiedlich bewertet Velleius jedoch die Frage nach der Legitimität von Caesars und Pompeius’ Vorgehen, deren Positionen er in einem kontrapunktartig angelegten Vergleich gegenüberstellt. Während er bei Pompeius die causa melior erblickte, so bei Caesar die causa firmior; Pompeius’ Glanz kontrastierte mit Caesars Macht; stützte sich Pompeius auf den Senat, so Caesar auf sein Heer.153 Nach Velleius’ Urteil schien eher Pompeius in Übereinstimmung mit dem Recht und der Tradition zu handeln – ihm würden die viri antiqui et graves folgen. Während Pompeius bei allen Ambitionen und der Durchsetzung seiner Ansprüche legalistisch operiert hatte, war es Caesar, der mit Waffengewalt den inneren Frieden zerstörte. Apologetisch führt Velleius zwar Caesars intensive Bemühungen um eine Verständigung sowie den Starrsinn der Pompeianer ins Feld. Der Selbstdarstellung Caesars aber, der seinen Gegnern die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen absprach, folgt er nicht.154 Die Loyalität zu Tiberius dürfte bewirkt haben, dass Velleius über Caesar kein Verdammungsurteil spricht. Auch wenn Caesar für ihn eine erhebliche Mitschuld am Bürgerkrieg trug, bestand sein ganz im republikanischen Sinne formuliertes Ziel ursprünglich allein darin, kraft seiner dignitas als princeps anerkannt und Pompeius ebenbürtig zu werden155. Die Stärke, die auf seiner Persönlichkeit und seiner Streitmacht beruhte, stellt Velleius der Legalität gegenüber, die Pompeius als Verteidiger der Senatsaristokratie verkörperte.156 Am Ende war Pompeius’ Einsatz für die res publica aber doch überlagert von dem Willen, Caesar auszuschalten. Caesars Verstoß gegen die republikanische Ordnung wird insofern implizit als Reaktion auf die von Velleius offen als antirepublikanisch qualifizierten Ziele des Pompeius verstanden, wenn nicht gerechtfertigt. Die Quintessenz der Pompeius-Figur des Velleius ist es, dass er bei aller grundsätzlichen Bereitschaft, die republikanische Ordnung nicht zu zerstören, deren Mechanismen nicht anerkannte. Sein Ziel war eine faktische Alleinherrschaft. Ein solches langfristiges Ziel hatte bislang niemand sonst in der Erzählung der Dekadenzepoche verfolgt. Velleius’ Caesar hingegen plante keine Überwindung der republikanischen Ordnung und strebte im Gegensatz zu Pompeius keine singuläre Stellung an der Spitze der Senatsaristokratie an. Er wollte nichts anderes sein als ein princeps im Rahmen der res publica libera, auch wenn der Bürgerkrieg, den er zur Durchsetzung seiner republikanischen Ansprüche auf dignitas eröffnete, zur vollständigen Auflösung der Republik führte. 153 Vell. II 49,1 f.: Alterius ducis causa melior videbatur, alterius firmior: (2) hic omnia sperciosa, illic valentia: Pompeius senatus auctoritas, caesarem militum armavit fiducia. Zum Vokabular s. Woodman 1983: 82, wobei Cic. fam. VIII 14(97),3 nicht zur Aufhellung beiträgt, weil er die Attribute firmio und melior synonym verwendet, Velleius jedoch mit dem einen Pompeius’, mit dem anderen Caesars Lage charakterisiert. 154 Anders als Velleius urteilt sein Zeitgenosse Valerius Maximus; für die Belege s. Heller 2006: 141. Zum Ausbruch des Bürgerkriegs und Velleius’ differenzierten Urteilen, die hier nicht näher besprochen werden müssen, s. Heller 2006: 134–141 und Seager 2011: 294–296; 301 f. 155 An der Legitimität dieses Vorhabens ändert nichts, dass Caesars Plan vorsah, Pompeius zu schwächen (Vell. II 44,2). Den Schluss, dass Caesar niemanden über sich ertragen konnte, zieht Velleius ausdrücklich nicht. 156 Vell. II 49,1 f.

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Insofern waren Pompeius und Caesar bei Velleius allen politisch opportunen Relativierungsbemühungen zum Trotz aus unterschiedlichen Motiven zwei Totengräber der Republik. Zwar war die Verletzung des Rechts durch Caesar für ihn unbestreitbar. Aber die Geschichte beurteilte er nicht bloß aus legalistischer Sicht. Der Vertreter des Rechts, Pompeius, der auf Seiten des Senats die traditionelle Ordnung verfocht, hatte durch sein entgrenztes dignitas-Streben die Stabilität des politischen Systems unterminiert. Im Gegensatz zu Caesar hebt Velleius diesen unrepublikanischen Habitus immer wieder als Kennzeichen der Politik des Pompeius hervor. Für die Eskalation der Innenpolitik, die, wie er feststellt, im Zerfall des Reiches mündete, lag hier offenbar der Ursprung. Die Nachwehen der von Pompeius entfesselten Problematik waren noch in der Gegenwart, im Verhältnis zwischen Senat und Tiberius, spürbar. g) Der republikanische Dictator und sein republikanischer Rächer Die Dictatur Caesars, deren Deutung wegen ihrer systemverändernden Auswirkung auf die politische Ordnung bis in das Principat hinein umstritten war, bildet in Velleius’ Narrativ nur eine Übergangsepisode. Im Mittelpunkt stehen Caesars militärische Erfolge und seine politische Sensibilität: die fünf Triumphzüge, die er aus Anlass seines Sieges veranstaltete,157 und die Milde, die er gegenüber den im Bürgerkrieg Unterlegenen walten ließ.158 Mit der Stellung Caesars innerhalb der res publica und deren Wandel sowie mit den vom Dictator initiierten Reformen befasst Velleius sich nicht. Wie er Caesar historisch einordnet, illustriert eine Anekdote zu dessen persönlichem Regiment. Zwar tadelt er die Herrschaft des Dictators als dominatio; er tadelt aber die Volkstribunen Epidius Marullus und Casetius Flavus für den Missbrauch der Freiheit, Caesar der Errichtung einer Königsherrschaft zu beschuldigen. Caesars Reaktion widerlegte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Denn als er gegen die Tribunen vorging, bediente er sich nicht seiner dictatorischen Kompetenzen, die von seinen Gegnern als Verstoß gegen republikanische Prinzipien aufgefasst wurden, sondern enthob sie ihrer Ämter, indem er ihnen eine zensorische Rüge erteilte.159 Dass er dieses zurückhaltende Vorgehen nicht nur mit seiner Natur, sondern auch mit seiner Würde für unvereinbar hielt, wie Velleius vermerkt, soll demonstrieren, wie penibel er die republikanischen Regeln beachtete und seine Person hinter ihnen zurücksetzte. Statt die republikanische Ordnung zu überwinden, fügte er sich in sie ein. Mit diesem Beispiel relativiert Velleius den an Caesar gerichteten Vorwurf der Tyrannis. Entscheidend für die Beurteilung Caesars im Rahmen des Dekadenzprozesses der Republik war aber die Ausgestaltung dieser irregulären, schrankenlosen Herrschaftsstellung. Durch Caesars Selbstbeschränkung entartete sie nicht zu einem Willkürregiment, sondern blieb am Rechtsrahmen der Republik orientiert. So ist für Velleius denn auch die Ermordung des Dictators nicht gerechtfertigt. 157 Vell. II 56. 158 Vell. II 56,1 (fides); 56,3 (clementia); s. auch 52,4–6 und 68,5. 159 Vell. II 68,3 f.

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Über den historischen Einzelfall Caesars hinaus bleibt die grundsätzliche Einsicht, dass mit dem Verlust der politischen Freiheit und der Etablierung einer dominatio nicht zwingend eine unbegrenzte, von Recht und sittlichen Maßstäben abgekoppelte Herrschaft verbunden war. Für die Herrschaftspraxis entscheidender als die formale Organisation des Staates war das Rollenverständnis des Machthabers, wenngleich die Darbietung der Königskrone an Caesar demonstrierte, dass zu seiner Zeit die Haltung der Senatsaristokratie zur Freiheit ein Gradmesser für politische Beliebtheit war. In der Retrospektive relativiert Caesars Dictatur, wie Velleius sie deutet, die libertas als zentralen Wert. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Interpretation von politischem Opportunitätsdenken beeinflusst ist, von Velleius’ Bindung an Tiberius, seinen Kontakten in die Senatsaristokratie oder einer denkbaren Furcht vor Repressalien. Für das Urteil, das er über das Principat und die Principes Augustus und Tiberius fällt, ist diese Verschiebung der Maßstäbe jedoch von fundamentaler Bedeutung. Der Bürgerkrieg, der nach Caesars Ermordung ausbrach und den er wie alle Konfrontationen der zurückliegenden Jahrzehnte als Auseinandersetzung mehrerer konkurrierender Personen und deren jeweiligen Anhangs versteht,160 ist für Velleius, nicht nur bemessen an der Anzahl der Getöteten, der Höhepunkt in den Kämpfen um potentia seit den Reformbemühungen der Gracchen.161 Nach seiner Überzeugung musste am Ende dieses Konflikts die republikanische Ordnung zugunsten des Regiments eines einzelnen Princeps abgelöst werden.162 Offenbar manifestierte sich für ihn, dass die Desintegration der Senatsaristokratie, die seit dem Fall Karthagos zusehends die innere Geschichte Roms geprägt hatte, nach dem Ende der Dictatur Caesars ohne Aussicht auf Konsolidierung der res publica fortbestand. Als Octavian nach seinem Sieg über Antonius in Ägypten zurückkehrte, war, so bilanziert Velleius, der Bürgerkrieg beendet.163 Die Alleinherrschaft wird so zur Voraussetzung für das erneute Zusammenwachsen des Reiches erklärt. Das Principat des Augustus begann.164 Bei der Darstellung der Verhältnisse im Bürgerkrieg und der Rolle Octavians ist Velleius der Version des nachmaligen Princeps Augustus in den Res Gestae verpflichtet. Von seinem ersten Auftreten an wird Octavian als Heilbringer, als Retter Roms und des Erdkreises eingeführt. Omina begleiten sein Eingreifen in die Politik.165 Die von ihm geführten Kriege stilisiert Velleius zu einem Akt aufopfernder Pflichterfüllung. Im Gegensatz zu den anderen Protagonisten des Bürgerkriegs verkörperte Octavian die Legalität und die Liebe zum Vaterland.166 Mit der Stilisierung 160 Pompeianer: Vell. II 65,1; 73,2; Antonianer: 74,3; 84,2; 86,3; für weitere Gruppierungen s. die folgenden Anmerkungen. 161 Vell. II 72,1. 162 Vell. II 72,2. S. auch die Ambitionen des Salvidienus Rufus 76,4. 163 Vell. II 89,3. 164 Vell. II 90,1. Zu Actium als Zäsur s. 86,1. 165 Vell. II 60,1: […] sed adserebant salutaria rei publicae terrarumque orbis fata conditorem conservatoremque Romani nominis. S. ferner 59,6 zur Begrüßung Octavians und dem Strahlenkranz, den die Sonne über seinem Kopf bildet; hierzu Woodman 1983: 121. 166 Vell. II 83,1.

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Octavians zum Verteidiger der Republik befreit Velleius’ Darstellung den späteren Princeps Augustus vom Odium des Bürgerkrieges und legitimiert dessen Regiment. Die Erlangung der Herrschaft gibt er nicht als Octavians ursprüngliches Ziel aus. Nach der Ermordung Caesars hatten vielmehr die beiden Consuln Antonius und Dolabella eine nefanda dominatio anvisiert167 und das Reich unter sich aufgeteilt.168 Der hilflose Senat suchte dann seine Zuflucht bei Octavian.169 Zwar war auch dieser auf die Verteidigung seiner dignitas bedacht.170 Aber von den prägenden Gestalten der Späten Republik unterschied ihn, dass er sein persönliches Prestige mit den Interessen der res publica verband. Seine Selbstlosigkeit konfrontiert Velleius mit der Undankbarkeit des Senats. Trotz seiner Verdienste wurde er nach den ersten Erfolgen und der zeitweiligen Vertreibung des Antonius auf Initiative der Anhänger des Pompeius von den Senatoren fallengelassen, deren Furcht vor einer Alleinherrschaft des Antonius er mit seinen Siegen beseitigt hatte.171 Erneut demonstriert Velleius so die Unfähigkeit des Senats zur Verteidigung des Gemeinwohls. Nachdem alle Caesarmörder gestorben waren, hatte Octavian seine pietas gegenüber dem Vater erfüllt.172 Dies war zusammen mit der Verteidigung des Staates das Motiv für sein Eingreifen in die Politik. Potentia hat er, das ist die Quintessenz von Velleius’ Behandlung dieses Zeitabschnitts, trotz seiner Beteiligung am Bürgerkrieg und am Triumvirat im Gegensatz zu seinen von ambitio und furor getriebenen Gegnern für sich nicht gesucht.173 Aus Velleius’ Darstellung der letzten Episode des Krisenjahrhunderts ergibt sich eine unvermutete Konstellation. Caesar, der nach Velleius ursprünglich nicht die Zerstörung der Republik beabsichtigt hatte, wurde zwar Dictator. Doch Ängste, 167 168 169 170 171 172 173

Vell. II 60,4. S. auch R. Gest. div. Aug. 1,1. Vell. II 60,5. Vell. II 61,1. Vell. II 60,1. Vell. II 62,1; 5. Vell. II 87,3. Konventionell urteilt Velleius über die Caesarmörder (Vell. II 56,3; 58,2; 72,1 f.). Für Velleius waren sie Usurpatoren der Freiheit, die ein widerrechtliches, erst nachträglich vom Senat bestätigtes Militärregiment in den Provinzen des Ostens errichteten (II 62,2 f.). Bei der ausführlichen Schilderung der Proscriptionen, die Velleius mit dem Terrorregiment Sullas in eins setzt, werden wiederum Octavians Versuche hervorgehoben, auf seine vom furor infizierten Partner einzuwirken (II 66 f. Zu Sulla s. 66,1: […] instauratum Sullani exemplum malum, proscriptio.). Als Verantwortliche der exzesshaften Proscriptionen identifiziert Velleius Antonius und Dolabella (II 66). Sex. Pompeius, der mit einem Kommando des Senats ausgestattet war, trug dadurch zum Zerfall der staatlichen Ordnung bei, dass er mit Piraterieaktionen das Mittelmeer unsicher machte (II 72,3) und trotz des Friedensabkommens von Misenum mit seinen Rüstungsanstrengungen auf eine Wiederaufnahme von militärischen Aktivitäten hinarbeitete (II 79,1). Mit übersteigerten Ambitionen erklärt Velleius schließlich den Untergang der Triumvirn Lepidus und Antonius (Lepidus: II 80; bes. 2: […] sibi iunxerat inflatusque amplius XX legionum numero in id furoris processerat, ut […]. Antonius: II 82). Als Antonius’ vitia durch Macht, Willkür und Schmeichelei freigesetzt wurden (II 82,4) verleitete ihn dies trotz des verheerenden Ausgangs seiner letzten Expedition zum Bürgerkrieg. In ihm war so ganz unmittelbar verkörpert, woran die Republik insgesamt krankte, seit sie die Weltherrschaft übernommen hatte, die Dekadenz, nicht nur politisch, sondern auch sittlich, als Folge einer Position der Stärke. Was für Staaten galt, übertrug sich bei Antonius auf das Individuum.

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dass damit eine Schreckensherrschaft beginnen würde, wie sie andere Aspiranten auf die alleinige Machtstellung ausgeübt hatten, erfüllten sich nicht. Der Missbrauch der Freiheit lag für Velleius allein in dem Vorwurf, Caesar strebe eine Tyrannis an. Stattdessen stellte der Dictator in republikanischer Manier seine dignitas hinter dem Allgemeinwohl zurück. Wie sehr eine Alleinherrschaft notwendig war, zeigt Velleius in der Wiederaufnahme des Bürgerkriegs, der Caesars Ermordung folgte. Seine Mörder verfolgten gemäß der Darstellung der Historia Romana die illegalen Ziele, die sie Caesar unterstellt hatten, die Übernahme der Alleinherrschaft. Erst die Intervention Octavians, des Erben des Dictators, stellte die Ordnung wieder her, während der Senat nach Velleius’ Erzählung nicht nur bei der Verteidigung der res publica scheiterte, sondern sich schließlich auch gegen seinen Retter wandte. Vermeintliche Gegner der Republik erwiesen sich so als Beschützer der traditionellen Ordnung, Verteidiger der Republik als Usurpatoren. Velleius’ Schilderung dieser Phase verfolgt mehrere Ziele. Zum einen ist seine Darstellung der Dictatur eine Apologie Caesars. Auch wenn er sein zumindest partiell illegales Vorgehen im Bürgerkrieg gegen Pompeius nicht verschweigt, ist er dennoch um seine Rehabilitation bemüht. Dies gilt nicht nur für die Auseinandersetzungen mit Pompeius, sondern auch für die sich anschließende Dictatur. Zum anderen rechtfertigt er Augustus’ Teilnahme an den Bürgerkriegen, die zur Errichtung des Principats führten. Diese Deutung Caesars und Octavians ergibt sich aus politischen wie persönlichen Zwängen, denen Velleius unterworfen ist. Gleichzeitig erfüllt sie einen darüber hinausreichenden Zweck: die Einordnung und Legitimierung des Tiberius und seines Principats. Es ist auch ein Resultat der dysfunktional gewordenen Republik. h) Bilanz des Bürgerkriegsjahrhunderts In der Einleitung zum II. Buch deutet Velleius den Sieg über Karthago als einen Wendepunkt in der römischen Geschichte. Die Erzählung bietet jedoch ein hiervon unabhängig anmutendes Bild. Sie ist stark auf die Wiedergabe und Analyse politikgeschichtlicher Ereignisse konzentriert, die nicht mit einem Sittenverfall in Zusammenhang stehen. Auch die Abfolge und der innere Zusammenhang des Geschehens weichen von der Ankündigung der Einleitung ab, die behauptet, der Niedergang sei sofort, wie ein punktuelles Ereignis, eingetreten und habe sich nicht als ein Prozess vollzogen, der in zunehmender Geschwindigkeit und Intensität abgelaufen sei. Vorangetrieben wird das Geschehen hauptsächlich von den Machtinteressen herausragender Persönlichkeiten. Dieser Wettbewerb nahm bei Velleius unterschiedliche Formen an und richtete sich auf unterschiedliche, zumeist jedoch begrenzte Ziele. Ti. Gracchus trachtete nicht nach der Königswürde, sondern suchte lediglich sein ruiniertes Ansehen zu erneuern. An der Zerschlagung der republikanischen Ordnung soll er kein Interesse besessen haben.174 Ob das Reformprogramm 174 Vell. II 2,2. So bereits Cic. har. resp. 41; 43; Brut. 103. Für Ti. Gracchus als Vorkämpfer plebeischer Freiheit sei nur auf Auct. ad Her. IV 68; Cic. Verr. II 4,108; Sall. Iug. 42, bes. 1; Val. Max. II 2,17 sowie später Plut. Ti. Gracchus 15,2; 16–18; 20,2 f.; 21,4 f. verwiesen.

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des C. Gracchus wiederum auf das Bedürfnis nach Rache für das Schicksal seines Bruders oder auf den Wunsch nach Alleinherrschaft zurückgeführt werden müsse, entscheidet er nicht.175 Ungenannt bleiben die Motive des Saturninus und des Glaucia. Velleius begnügt sich mit der Feststellung, dass sie der res publica durch Verstoß gegen das Verbot der Kontinuation Schaden zugefügt und die Wahlcomitien mit Waffengewalt gesprengt hätten.176 Die Tragik des Drusus war, dass er sein Amt nutzte, um die labile Vormachtstellung des Senats zu festigen, dabei jedoch der Beschränktheit der Senatoren, der Zielgruppe seiner Reformen, zum Opfer fiel. Mit einem Wettstreit um Ämter hingegen begründet Velleius die sich um Marius und Sulla rankenden Konflikte. Die Eskalation lässt er in drei Stufen auftreten: zunächst im ersten regelrechten Bürgerkrieg, den Sulpicius, Marius und Cinna entfachten, dann in der umfassenden Eliminierung innenpolitischer Gegner während Cinnas und Marius’ dominatio und schließlich in den Proscriptionen Sullas. Marius wirkte am Vorabend des Mithridates-Krieges an dem unrechtmäßigen Vorhaben mit, Sulla seines Kommandos gegen Mithridates zu entbinden, das er selbst übernehmen wollte.177 Sulla wiederum hatte nach Velleius anfangs keine Ansprüche auf eine Form der Alleinherrschaft; sein Ziel war vorerst, Oberbefehlshaber zu bleiben.178 Erst bei der Rückkehr aus dem Osten strebte er eine Dictatur an. Als Motiv führt Velleius Rachsucht und hemmungslose Grausamkeit an, nicht aber Herrschaftswillen.179 Nach Velleius diente die Dictatur nur vordergründig der Restauration der republikanischen Ordnung, in Wirklichkeit jedoch der Rache und der hemmungslosen Ausübung von Grausamkeit. Die Triumvirn überschritten für die Erfüllung ihrer Ambitionen kalkuliert die Grenzen der res publica. Besonders Pompeius verstand Velleius als Prototyp für unbegrenztes dignitas-Streben und die Übersteigerung des Konkurrenzgedankens. Auf eine Ideologisierung der Politik verzichtet Velleius weitgehend. Die beherrschenden Themen der Geschichtsschreibung waren die Kontroversen um die Verwirklichung von libertas sowie der Konkurrenzkampf führender Persönlichkeiten gewesen.180 Der konzeptionelle Rahmen, in dem Innenpolitik erzählt und gedeutet wurde, war für die Späte Republik der Dualismus von Senat und Volk, der von Einzelnen zur Durchsetzung eigener Ziele forciert und instrumentalisiert 175 Vell. II 6,2. S. für eine pro-gracchische Interpretation der Motive v. a. Sall. Iug. 42,1; Plut. Ti. Gracchus 8,9. 176 Vell. II 12,6. Die innenpolitischen Ziele thematisieren u. a. Cic. Rab. perd. 28; Liv. perioch. LXIX; Val. Max. 9,7,2 f.; Plut. Marius 29 f.; App. civ. 1,128–133; 136. Zur Berechtigung der Liquidierung beider Aufrührer s. schon Cic. leg. agr. 2,14; Cat. 1,4; 29; Brut. 224; leg. III 20; Phil. 8,15; sowie Val. Max. III 2,18. Zu Saturninus als exemplum des tribunus seditiosus s. Bücher 2006: 281–296, bes. 284 f. 177 Vell. II 18,6. 178 Vell. II 19,1. 179 Vell. II 28,1 f. sowie 22,1. 180 Zur Struktur der innenpolitischen Konfliktlinien s. jetzt die grundlegenden Analysen von Mouritsen 2001; Morstein-Marx 2004 und Robb 2010, die ältere Vorstellungen von einem Antagonismus von Optimaten und Popularen relativieren. Die Annahme einer popularen Ideologie ist damit jedoch nicht unvereinbar (Ferrary 1997; Arena 2012).

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wurde. Bei Velleius ist die Ereignisgeschichte jedoch auf die Interessen von Individuen zugespitzt. Nur selten motiviert er das Handeln der Akteure mit ideologischen Positionen oder Überzeugungen; Kollektivbezeichnungen meidet er. Antirevolutionäre, die überkommene Ordnung verteidigende Kräfte bezeichnet er gelegentlich als boni oder optimates,181 die Termini popularis und populares verwendet er nie. Das zentrale Kriterium in historischen Urteilen über Individuen oder politische Maßnahmen und Gesetze ist für Velleius die Stabilität. Maßnahmen wie Schuldenerlasse, Landreformen und Bürgerrechtsverleihungen lehnt er ab, weil sie in Besitzstände eingreifen und innere Konflikte hervorbringen. Im Widerspruch zum Prooemium, das einen sofortigen und vollständigen Zusammenbruch der Sitten nach dem Fall Karthagos konstatiert, spiegelt die Erzählung eine drastische Zunahme der Gewalt im Verlauf der Auseinandersetzungen wider.182 Ausgeübt wurde sie nicht nur zur Durchsetzung von Individualinteressen gegen den Konsens in der Bürgerschaft. Zur Eskalation der Innenpolitik und zur um sich greifenden Rechtlosigkeit trug auch der Einsatz von Gewalt bei, die zur Verteidigung der rechtmäßigen Ordnung angewandt wurde, setzte sie doch grundlegende, in den Ständekämpfen erfochtene Bürgerrechte außer Kraft. Willkürjustiz löste Rechtssicherheit ab. Das Durchgreifen mit Waffengewalt speiste sich auch aus persönlichen Motiven. Im Gegensatz zu Scipio Nasica verurteilt Velleius die von L. Opimius angeführten Gegner des C. Gracchus, weil dessen brutale Tötung allein auf Emotionen, auf Hass gegründet war. Anders wiederum verhielt es sich mit dem Fall des Saturninus und des Glaucia. Als sie, wie Velleius es darstellt, auf Marius’ Anordnung hin getötet wurden, war dieses Vorgehen rechtmäßig, da der Senat zuvor ein consultum ultimum beschlossen hatte. In den Bürgerkriegen zwischen Marius und Sulla sowie zwischen Caesar und Pompeius fochten dann alle maßgeblichen Persönlichkeiten für die Durchsetzung ihrer eigenen Ziele. Über die Stellung und Bedeutung der Freiheit reflektiert Velleius in seinem Urteil über die Person und Politik des Pompeius. Er gelangt zu der grundlegenden Einschätzung, dass dessen Vorstellung von einem Principat in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den Prinzipien der republikanischen Freiheit gestanden habe. Die Angriffe auf die Freiheit besaßen indes unterschiedliche Formen. Pompeius forderte für sich kein Königtum, sondern eine informell anerkannte Führungsstellung, die ihn aus dem Kollektiv der Nobilität hervorheben sollte. Ihn darin abzulösen, war, so deutet Velleius bei der Beschreibung des I. Triumvirats an, das Ziel Caesars. Die Absicht, ein Principat als Alleinherrschaft einzurichten, unterstellt er jedoch ausdrücklich Crassus. Während die Ambitionen der Triumvirn faktisch eine Abschaffung der von einer homogenen Senatsaristokratie mit potentiell gleichrangigen Mitgliedern gelenkten Republik zur Folge gehabt hätten, bewegten sich die übrigen bedeutenden Gestalten der römischen Innenpolitik mit ihren Interessen in181 Vell. II 3,2; 20,2; 31,4; 40,5; 47,3. S. hierzu Robb 2010: 116–121. 182 Obwohl auch gegen Ti. und C. Gracchus von führenden Senatoren das Notstandsrecht geltend gemacht wurde, waren es erst Saturninus und Glaucia, die mit Waffen ihre Ziele zu erreichen suchten. Die Konflikte zwischen Marius und Sulla wurden dann schon in der Dimension eines Bürgerkrieges geführt. Um die Vorherrschaft in der res publica selbst ging erst der Waffengang, den Caesar und Pompeius austrugen.

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nerhalb der überkommenen Ordnung. Aber sie beschworen auch mit ihrem politischen Handeln, das gegen konstitutive Grundsätze der res publica libera – die sacrosanctitas des Volkstribunen, das Verbot der Kontinuation – verstieß und zuletzt die Waffengewalt einschloss, den Ausnahmezustand herauf. So liefen die verschiedenen Versuche in der Zeit nach 146, potentia zu akkumulieren, nach Velleius’ Auffassung ungeachtet der Unterschiede in den Zielen und bei der Anwendung der Mittel auf eine Zerstörung der Republik hinaus. Zur Botschaft des Velleius gehört deshalb, dass die Existenz von Stabilität, die in den verschiedenen Episoden des Bürgerkriegsjahrhunderts durch maßlose Ambitionen einzelner Figuren und deren Niederringung erschüttert wurde, solange die Senatsaristokratie bestand, unmittelbar an die Wahrung der Freiheit geknüpft war, die im Widerspruch zur Vormacht eines Einzelnen stand. Wann immer die aequa civilitas bedroht war, formierte sich eine Opposition in der Nobilität. Wie sich die Verhältnisse am Ende der Bürgerkriege wandelten, aus denen ein unbestrittener Sieger hervorgegangen war, wird noch zu verfolgen sein. Die Fixierung auf den Einzelnen war bereits in den Deutungen zeitgenössischer Autoren wie Cicero und Sallust angelegt. Ihren Ansatz verfolgt Velleius konsequent weiter und zieht das, was sich hinter der ideologischen Draperie der spätrepublikanischen Politik befand, auf die Vorderbühne. Da er den Ausgang der Verwicklungen der römischen Geschichte seit dem Jahr 146 kannte, den Sieg eines Bürgerkriegsführers, konnte er den inzwischen bedeutungslos gewordenen Dualismus von Popularen und Optimaten außen vor lassen und sich auf die Reihe prominenter Antagonisten konzentrieren, an deren Ende Augustus, eher aber noch Tiberius stand. Im Mittelpunkt der Geschichtsschreibung des Velleius steht die Dialektik von Gewalt und Gegengewalt, von Partikularinteresse und Gemeinwohl, von Stabilität und Chaos. Die Wiederherstellung der Ordnung ist für ihn vorrangig mit der Lösung der Machtfrage verbunden. Auf den Aspekt des Parteigegensatzes verzichtend, hat er die politische Sprache modifiziert, denen in Analysen zur Späten Republik bislang eine wichtige Rolle zukam. Alles in allem findet die Analyse des Verfallsprozesses in der Einleitung zum II. Buch dem Wortlaut nach nur schwachen Niederschlag im Narrativ der Bürgerkriegszeit. Velleius rekurriert zwar mit der Wahl der Epochengrenze und dem Urteil über die beiden Scipiones Africani auf das Konzept der Dekadenz durch Übernahme der Weltherrschaft und die damit einhergehenden moralischen und politischen Verwerfungen. Die Verurteilung der sittlichen Exzesse, die sich nach dem Fall Karthagos zugetragen haben sollen, signalisiert vorrangig Velleius’ Anschluss an die spätrepublikanische Historiographie, die das Jahr 146 als Wendepunkt der römischen Geschichte kanonisiert hatte. Das Leitmotiv der ganzen Epoche war der Antagonismus von Stabilität und Aufruhr, verursacht durch das Streben nach potentia und Prestige sowie durch die Militarisierung der Innenpolitik.

5. Das Principat

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5. DAS PRINCIPAT a) Übersicht Die Principate183 des Augustus und Tiberius, deren Darstellung etwas mehr als ein Drittel des II. Buches einnehmen, sind der Höhepunkt der römischen Geschichte in der Historia Romana. Die Zäsur, die sie im Narrativ und in Velleius’ Geschichtsdenken markieren, illustriert eine Zusammenfassung des historischen Verdienstes des augusteischen Principats. Velleius zeichnet ein umfassendes, innen- und außenpolitische Themen kombinierendes Bild des Wandels. Parallel zur Konsolidierung des Systems vollzog sich die Reintegration des nach dem Tod Caesars auf wechselnde Gruppen und Personen aufgeteilten Reichs und die Rückkehr zu dessen außenpolitischer Stärke. Die maßgebliche Gestalt der Darstellung des augusteischen Zeitalters ist indes Tiberius, dessen politische und militärische Leistungen das Narrativ strukturieren. Von seiner Herrschaft zeichnet Valerius analog zum Principat des Augustus ein umrisshaftes, auf die wichtigsten Züge komprimiertes Bild (124–130). Die Umstände der Herrschernachfolge zeigen Tiberius als Retter in einer krisenhaften Situation. Im Anschluss an die Übernahme der Macht resümiert eine dreiteilige, sich auf die Einzelheiten erstreckende Synthese seine Verdienste als Princeps. Zunächst widmet sie sich den allgemeinen Verhältnissen in der res publica unmittelbar nach dem Tod des Augustus und in der Anfangsphase des tiberischen Principats (126); dann bespricht sie die Bedeutung der anderen, Tiberius unterstützenden Principes, deren bedeutendster Vertreter Seian war, und stellt diese Form der Kooperation in die Tradition der Republik (127 f.); zuletzt rühmt sie die persönlichen Tugenden und Verdienste des Tiberius (129 f.). b) Das Principat des Augustus. Die Konsolidierung des Staates α) Einleitung Die Gesamtübersicht über das augusteische Principat trägt Züge eines Panegyrikus.184 In einer Einleitung, die einen Dank an die Götter vorträgt185 und Augustus als deren Instrument darstellt, hebt Velleius die derart legitimierte Person des Princeps über das gewöhnliche menschliche Maß hinaus und akzentuiert so den Einschnitt in die römische Geschichte, der für ihn mit der Konsolidierung der res publica nach den Verwerfungen des Zeitalters der Dekadenz verbunden ist.186 Die Bilanz des Regiments des Augustus, deren Elemente aufeinander aufbauen und die bei Velleius dem Bericht über die Herrschaft selbst vorausgeht, ist in vier Teile ge183 Vell. II 89,6; 129,1. Velleius selbst verwendet den Terminus principatus. 184 Vell. II 89,6: […] universam imaginem principatus eius oculis animisque subiecimus. Zur Form s. die Analyse von Ramage 1982: 266. 185 Vell. II 89,2. Zum Friedensgedanken s. die Einleitung in das augusteische Zeitalter (B. I). 186 Zum Frieden s. R. Gest. div. Aug. 13; 34,1.

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gliedert (89,3–90,1). Als erstes wendet er sich der Innenpolitik zu (89,3–6). Hier behandelt er zunächst die Rückkehr der verfassungsmäßigen, in den zurückliegenden Jahrzehnten stark gestörten Ordnung (89,3). Dann listet er die segensreichen Auswirkungen dieser Erneuerungsbemühungen miteinigen Bemerkungen zu den grundsätzlichen Zügen der augusteischen Politik auf (89,4) und charakterisiert die eigentümliche Stellung des Princeps, deren Konformität mit dem republikanischen System er herausstreicht (89,5). Von der Innenpolitik geht er schließlich zur von Augustus gleichzeitig betriebenen Zusammenführung des zuletzt unter die Bürgerkriegsgegner aufgeteilten Reiches über (89,6–90,1). β) Die Restitution der republikanischen Ordnung Die sich sachlich aufeinander beziehenden Reformmaßnahmen nach der Beendigung des Krieges subsumiert Velleius als Wiederherstellung der überkommenen Staatsform, der althergebrachten Republik (antiqua rei publicae forma).187 Sie implizierte die Wiederherstellung des Friedens, der Geltung des Rechts und der Autorität der Gerichtshöfe, des Ansehens des Senats und der Reorganisation der Magistraturen.188 Der Entwicklung, die nach Velleius bereits seit der Übernahme der Weltherrschaft eingesetzt hat, wurde damit ein Ende gesetzt. Die Ursache des Niedergangs des Senats, dem Augustus entgegentrat, führt Velleius auf die Ausdehnung der imperia zurück. Zu Augustus’ Verdiensten gehört deshalb für ihn ihre Reduktion auf das übliche Maß.189 Das Ringen um Macht, das im Zentrum der römischen Innenpolitik stand, hatte zur Folge, dass nicht mehr, wie bei Ti. und C. Gracchus, eine Senatsopposition, deren Anführer damals teils von privaten Motiven geleitet wurden, einem Außenseiter der Nobilität gegenüberstand und ihn auszuschalten versuchte, sondern dass einzelne „große Männer“ in Konkurrenz zueinander traten. Velleius’ Erzählung zeigt, wie der Senat in diesen Rivalitäten seine Bedeutung als zentrale Institution der Republik verlor und wie die außerordentlichen Kommanden sowie die jenseits der konstitutionellen Ordnung stehenden Bündnisse wie die beiden Triumvirate den Einfluss des Senats auch formell beschränkten. Während des Bürgerkrieges wurde schließlich militärische Stärke zur wichtigsten politischen Ressource. Die Beschränkung der Ämter auf ihre ursprünglichen Kompetenzen zog ebenfalls die Konsequenzen aus einer Entwicklung, die nach Velleius’ Analyse mit dem Jahr 133 begonnen hatte. Zahlreiche Episoden aus der Krise der Republik von den Gracchen über Saturninus und Glaucia sowie Sulla und Marius bis zu den beiden Triumviraten illustrieren die zerstörerische Wirkung von Machtanmaßung und unkontrolliertem Machtgebrauch. Zudem hatte gleichzeitig die Anzahl der imperia extraordinaria, deren potentielle Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der Freiheit Vel187 Vell. II 89,3. 188 Vell. II 89,3: […] restituta vis legibus, iudiciis auctoritas, senatui maiestas, imperium magistratuum ad pristinum redactum modum. 189 Vell. II 89,3: […] imperium magistratuum ad pristinum redactum modum […]. S. auch R. Gest. div. Aug. 34.

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leius wiederholt thematisiert, stark zugenommen. Nach Caesars Ermordung verloren die herkömmlichen Ämter jegliche Bedeutung. Die Geltung des Ämtersystems war, wie die Untersuchung der Motive der Caesar-Mörder demonstriert, der militärischen Potenz der Bürgerkriegsgegner gewichen. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit der Aufteilung des Reiches in Interessenssphären. In diesen Tendenzen fand das Streben der führenden Gestalten der Zeit nach einer mit dem republikanischen System notgedrungen unvereinbaren potentia seinen Ausdruck auf einer institutionellen Ebene. Schon der Verstoß gegen fundamentale Regeln der politischen Ordnung, die Velleius den Gracchen vorwirft, führte zu ersten gewaltsamen Ausschreitungen. Der Bürgerkrieg, in dem sich der Kampf der Partikularinteressen niederschlug, war schließlich nach Velleius die zwingende Folge eines Prozesses, in dem verschiedene Protagonisten selbst den Besitz der consularischen Amtsgewalt als zu begrenzt empfanden. Mit der damit einhergehenden Einschränkung von Freiheit und bürgerlicher Gleichheit, zwei Konstanten der res publica libera, auf denen die Stabilität des Ganzen gegründet war, geriet die Balance des Staates in Gefahr. Das Ende des zwanzigjährigen Bürgerkriegs, den Velleius – wie Livius190, Augustus191 und Manilius192 – als eine geschlossene historische Phase begriff, war für den Historiker deswegen mehr als nur der Abschluss einer Episode der Zeitgeschichte. Die jüngere Vergangenheit war vielmehr nur der Kulminationspunkt einer langfristigen Entwicklung, die Velleius auf die Übernahme der Weltherrschaft zurückführte: die Zerstörung der inneren Eintracht durch entgrenzte Konkurrenz. Was Augustus – seiner Selbstdarstellung nach und im Geschichtswerk des Velleius – mit seinen Restaurationsbemühungen zu erreichen suchte, war der Anschluss an die Blütezeit Roms vor dem Beginn der Dekadenz, die Rückkehr aus dem Ausnahmezustand in den Normalzustand. Indes: Die historischen Rahmenbedingungen, Weltherrschaft und Dekadenz, in der Einleitung zum II. Buch als die entscheidenden Kräfte der Politik diagnostiziert, blieben freilich bestehen. Innerhalb des Narrativs des Velleius entsteht deshalb ein logischer Bruch. Es erhebt sich die Frage, inwieweit die Konsolidierung des Systems von Dauer sein kann, da doch die destruktiven Kräfte der Geschichte nicht gebannt sind. Tatsächlich hat dieses Problem Velleius’ Konstruktion der Mechanismen der republikanischen Geschichte und der Zeitgeschichte geprägt. In der Darstellung des Principats des Tiberius wird es virulent. γ) Augustus und die wiederhergestellte Republik Die Restitution der Republik, die Velleius in Abgrenzung von der Zeit der Dekadenz und des Bürgerkrieges skizziert, war die Voraussetzung für die Konsolidierung. Von der Stabilisierung der politischen Verhältnisse hing unmittelbar die Sta190 Liv. perioch. CXXXIII. 191 R. Gest. div. Aug. 34,1. 192 Manil. I 906–921 mit Woodman 1983: 78.

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bilisierung in den übrigen Sektoren der res publica ab. Unerwähnt bleibt Augustus’ spektakuläre Rückgabe der res publica an Senat und Volk im Jahr 28. Namentlich bezieht Velleius sich auf die Landwirtschaft, die religiösen Kulte, die allgemeine Sicherheit und den Schutz des Eigentums. Augustus selbst hat seine Leistungen auf diesen Politikfeldern gerühmt und sie als zentrales Verdienst und als Grundlage der Akzeptanz seines Regiments verstanden. In den Details, die er auswählt, orientiert sich Velleius an der Selbstdarstellung des Augustus und an dessen eigener Herrschaftsbilanz, den Res Gestae.193 Dass gerade in den gewalttätigen Auseinandersetzungen der jüngeren Vergangenheit regelmäßig die Rechtssicherheit und die Garantie des Privatbesitzes tangiert wurden, enthüllt das II. Buch in einer Fülle von Beispielen, beginnend mit der Tötung der Gracchen. Das Werk zeigt: Wer im Streben nach potentia reüssierte und die Widerstände überwunden hatte, die die res publica libera gegen die unkontrollierte Machtausübung eines Einzelnen errichtet hatte, den hielten auch bei der Durchsetzung seiner politischen Ziele keine rechtlichen Schranken auf.194 Die securitas gehört deshalb in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Existenz des einst bestehenden republikanischen Systems. Der Verlust der Freiheit als zentraler Bestandteil der Republik wirkte sich darum auch auf alle anderen Bereiche der Staatlichkeit aus. Zur darniederliegenden Landwirtschaft trugen neben der langen Dauer der Kriegsdienste der Bauern auch die Verwüstungen des Bürgerkriegs bei, zuletzt aber auch die Enteignungen, die auch Octavian zur Versorgung seiner Veteranen vornahm, die Velleius aber ausblendet.195 Die Wiederherstellung geordneter Besitzverhältnisse und der Aufschwung der Agrarwirtschaft bekundeten die Rückkehr des Friedens.196 Der Schluss des innenpolitischen Teils des Überblicks ist dem heikelsten Aspekt des neuen Regiments gewidmet, Augustus’ Stellung innerhalb der res publica und seinem Verhältnis zum Senat. Heikel ist er deshalb, weil Velleius die Wiederherstellung der Republik, wie sie vor der nach 146 einsetzenden Desintegration der Bürgerschaft und den Machtkämpfen führender Nobiles bestanden hatte, zur Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Staates erklärt. Hierzu rechnet er nicht nur die Beschränkung der imperia, sondern vermerkt auch eigens die Neuerung, dass die Zahl der Praetoren von acht auf zehn gestiegen war. Augustus’ „staatsrechtliche“ Stellung und seine Kompetenzen erörtert Velleius jedoch nicht. In Übereinstimmung mit den Res Gestae suggeriert er, dass der Princeps seinen Einfluss informell ausübte, nicht über Anordnungen, die auf Befugnissen oder mi193 Für die Belege im Einzelnen Hellegouarc’h/Jodry 1980, die zurecht die Res Gestae als Velleius’ Inspirationsquelle auffassen, die Material für eine eigenständige Bearbeitung des Historikers liefert, sowie Elefante 1997: 425–430. 194 Zur Wiederherstellung der Gesetze s. R. Gest. div. Aug. 34,1 und 8,5. Hellegouarc’h/Jodry 1980: 811 f. werten diesen Aspekt als einen Topos, nicht als eine intendierte Bezugnahme des Velleius auf den Princeps. 195 Zur Landwirtschaft s. R. Gest. div. Aug. 3,3; 16,1 sowie die Einleitung in das augusteische Zeitalter. 196 Zugleich gehört landwirtschaftliche Prosperität zur Topik von Friedensdarstellungen, auch im augusteischen Principat. Hierauf verweist auch Woodman 1983: 255.

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litärischer Gewalt beruhten. So informiert Velleius, dass Augustus den anderen herausragenden Principes in der res publica bloße Empfehlungen ausgesprochen habe.197 Seine Zurückhaltung reicht so weit, dass nicht einmal die vielfältige, bisweilen heftig umstrittene Gesetzgebungstätigkeit oder die Senatsreform ausdrücklich mit dem Namen des Princeps verbunden werden. Bei der Erwähnung der Senatslectio, die Augustus in seiner Herrschaftszeit dreimal, in den Jahren 29, 18 und 11,198 veranstaltete, leugnet Velleius den außerordentlichen Einfluss des Princeps, der mit censorischen Kompetenzen operierte, indes nicht. Die Maßnahmen, die Verstimmungen innerhalb der Nobilität hervorgerufen und das Verhältnis der Senatoren zum Princeps belastet hatten,199 verteidigt er. Indem er festhält, dass der Austausch der Senatoren zwar nicht ohne Strenge, zugleich aber ohne überzogene Härte abgelaufen sei, stellt er den Princeps einerseits als Verfechter des mos maiorum dar, hebt ihn andererseits aber von jenen grausamen und rechtlosen Figuren ab, die seine Darstellung des Verfalls beherrschen.200 Umso ausführlicher dagegen berichtet er, an die Selbstdarstellung des Princeps angelehnt,201 von Augustus’ Distanz gegenüber den eigentlich abgeschafften außerordentlichen Ämtern und Kompetenzen. Die Praxis allerdings stand zu diesen Bekundungen partiell im Widerspruch. Gerechtfertigt wird dieses Paradox mit dem Druck von Senat und Volk, der Augustus dazu veranlasst habe, eine über die strengen Grundsätze der freiheitlichen Ordnung hinausgehende Sonderrolle zu beanspruchen. So bekleidete er, wenngleich widerwillig, wie hervorgehoben wird, elfmal das Consulat. Zugute gehalten wird ihm, dass er die ihm vom Volk wiederholt angetragene Dictatur abgelehnt habe.202 Insofern kann Velleius plausibel behaupten, die verfassungsmäßige Ordnung sei trotz des Verbots der Iteration immer noch gewahrt geblieben. Mit dieser Rolle des Augustus, stilisiert als mit der republikanischen Tradition vereinbar, korrespondiert das hier grob skizzierte erkennbare Verhältnis des Princeps zur Senatsaristokratie. Nicht nur verzichtet Velleius darauf, Augustus als alleinigen Initiator der staatlichen Erneuerung zu präsentieren, sondern er streicht auch dessen Bemühungen um die Integration der Nobilität heraus. Der Princeps selbst forderte die herausragendsten Principes, Triumphatoren und Consulare zur Beteiligung an dem Transformationsprozess auf, dem er Rom mit seinem Bauprogramm unterzog.203 Mit diesem Kooperationsangebot, so Velleius, erkannte er die Mitglieder der Senatsaristokratie also als prinzipiell gleichrangig an und suchte ihr Prestige noch zu erhöhen, ohne in ihnen potentielle Konkurrenten zu sehen, deren öffentliche Aktivitäten er zur Festigung seines Ranges hätte unterbinden müssen. 197 Vell. II 89,4: […] adhortatu principis […]. 198 Dio LII 42,1–3; LIV 13 f.; 35,1. S. auch R. Gest. Div. Aug. 8,2 (wahrscheinlich mit Hellegouarc’h/Jodry 1980: 811 als eher zufällige Parallele zu betrachten). 199 Hierzu sei verwiesen auf die knappen Ausführungen in Kap. B.I. 200 Vell. II 89,4: senatus sine asperitate nec sine severitate lectus. 201 R. Gest. div. Aug. 34. 202 S. o. Vell. II 89,5. 203 Vell. II 89,4: Principes viri triumphisque amplissimis honoribus functi adhortatu principis ad ornandam urbem inlecti sunt.

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Die Ambivalenz der Principatsordnung und damit auch der Stellung des Princeps, die unter Tiberius zu Konflikten mit dem Senat führte, unterdrückt Velleius’ Résumé204. An Augustus rühmt er die exakte Wiederherstellung der traditionellen politischen Ordnung, der res publica libera, und minimiert die Widersprüche zwischen der Herrschaftsausübung des Princeps und dem republikanischen Ideal. Die tatsächlich von Augustus vorgenommene, die Principatsordnung charakterisierende Trennung von Kompetenzen und Ämtern wäre ein Element gewesen, das eine gefährliche Kontinuität der in den zurückliegenden Jahrzehnten dominierenden Verhältnisse signalisiert hätte, eines Jahrhunderts, in dem Machtansprüche von Nobiles, über den geltenden Ordnungsrahmen hinaus erhoben, auf massiven Widerstand in der Nobilität stießen und in gewalttätige Konflikte, schließlich sogar in den Bürgerkrieg mündeten. Umso größeres Gewicht für die Festigkeit des Gemeinwesens kam der Homogenität innerhalb der Senatsaristokratie zu. Jeder Verstoß dagegen barg den Keim künftiger Instabilität in sich, die Velleius als zentrales Problem der römischen Geschichte der jüngeren Vergangenheit erkannt hatte. Dass Velleius die Herrschaft des Augustus als Wiederherstellung der Republik ausgibt, entspricht daher nicht nur der offiziellen, auf legitimatorische Zwecke abzielenden Selbstdarstellung des Augustus, sondern auch der historischen Analyse der Krise, die seinem Werk zugrundeliegt. Die neue Prosperität und der Frieden werden unmittelbar aus den konstitutionellen Reformen und ihrer Orientierung an der Zeit vor 146 erklärbar. c) Das Principat des Tiberius α) Einleitung Analog zur Behandlung des Principats des Augustus eröffnet Velleius auch die Darstellung der Herrschaft des Tiberius, des Höhepunkts sowohl der römischen Geschichte als auch des Werks, mit einem Gesamtüberblick.205 Die historische Stellung, die er ihm einräumt, zeigt, dass schon das Gelingen des augusteischen Principats im militärischen wie im zivilen Sektor maßgeblich den Verdiensten des Tiberius zugeschrieben wird. Von seiner Adoption durch Augustus an wird das Narrativ von den Leistungen dominiert, die er als Kriegsherr wie als Administrator erzielte.206 Zur Gestaltung der Erzählung passt, dass Tiberius für Velleius sogar seit dem Jahr 23, als er die Quaestur bekleidete, die Rolle des Garanten des Reiches sowohl in Kriegs- wie Friedenszeiten inne gehabt haben soll.207 Insofern hätte sich das Principat des Tiberius als eine Epoche ungebrochener Kontinuität darstellen lassen 204 Hierzu gleich Näheres. 205 Hierauf weist Velleius bereits anlässlich einer Bürgerkriegsepisode hin. S. auch Hellegouarc’h 1964: 679; Christ 2001: 181. 206 Zur Tiberius-Gestalt in den zeitgeschichtlichen Partien des Werkes Hellegouarc’h 1980; Kuntze 1985; Christ 2001 (referierend); Gowing 2009. 207 Die wichtigsten Stellen versammeln Hellegouarc’h 1980: 168–177 und Ramage 1982: 268. S. auch Merker 1968: 12.

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können. Aber der Tod des Augustus war ein für Velleius’ Vorstellung von der historischen Entwicklung seit dem Eintreten der Dekadenz aufschlussreicher Einschnitt, der panegyrischen wie konzeptionellen Erfordernissen gerecht wurde. Angesichts der Stabilisierung der res publica, die der Darstellung zufolge unter Augustus eingetreten war, wartet Velleius für die Phase unmittelbar nach dem Tod des ersten Princeps mit dem Panorama einer bedrohlichen Krisenstimmung auf, die erst durch Tiberius’ Machtübernahme beseitigt wurde. Er allein brachte die allseitige Befürchtung von einem Weltuntergang zum Erliegen und verhinderte eine, so Velleius nebulös, militärische, bürgerkriegsartige Auseinandersetzung.208 Zum Anlass dieser Episode nimmt er offenbar den Aufstand der germanischen Legionen, von dessen Niederschlagung er kurz darauf berichtet.209 Erstaunlich mutet angesichts der Erfolge des Augustus jedoch nicht nur die Instabilität der Verhältnisse an. Im Überblick über Tiberius’ Principat zeichnet Velleius das Bild eines krisengeschüttelten Staates, in dem bei Senat und Volk, gespeist aus den ungesicherten Zukunftsaussichten, größte Angst herrschte210 und der einer grundlegenden Reformierung bedurfte. Das überrascht, weil Velleius zuvor ausführlich darstellt, wie Augustus ein knappes halbes Jahrhundert früher die res publica neu geordnet hatte.211 Für Velleius’ Geschichtsauffassung stellt sich deshalb die Frage, ob der Herrschaftswechsel einen Bruch in seinem Narrativ markierte oder Tiberius lediglich das Werk des Augustus fortsetzte. Die plötzlich aufgekommenen Verwerfungen, die Tiberius’ Herrschaftsantritt begleiteten, inszeniert Velleius als drohenden Rückfall in die Existenzkrise der Republik, der allein durch die Fortsetzung des Principats und die Person des Tiberius abgewendet wurde.212 Zwar hatte Augustus, wie Velleius in seiner Eloge versichert, nach seinem Sieg die traditionelle Staatsform, die prisca illa et antiqua rei publicae forma, wiederhergestellt,213 und eine Art Tatenbericht, offensichtlich inspiriert von den Res Gestae, der am Anfang der Behandlung des augusteischen Zeitalters eingeschaltet ist,214 listet zahlreiche Krisenphänomene auf, deren Beseitigung Augustus gelang. Die Neuordnung beruhte, soweit sie das politische System betraf, auf der Restitution und Ausbalancierung der wichtigsten Institutionen der Republik, der Magistrate, des Senats und der Gerichtshöfe.215 Doch mit einer annähernd identischen Übersicht216, die sich in den Grundzügen wie in den Details thematisch und kompositorisch eng an den Leistungskatalog des Augustus anlehnt, sich aber zugleich an den historischen Fakten orientiert,217 eröff208 Vell. II 124,1. 209 Vell. II 125. 210 Vell. II 124,1: Quid tunc homines timuerint, quae senatus trepidatio, quae populi confusio, quis urbis metus, in quam arto salutis exitiique fuerimus confinio […]. 211 Vell. II 126. 212 Vell. II 124. 213 Vell. II 89,3. 214 Zu den Bezügen s. Hellegouarc’h/Jodry 1980. 215 Für die Einzelheiten s. Woodman 1983: 250–261. 216 Velleius’ Ausdruck hierfür lautet universa principatus Ti. Caesaris forma (Vell. II 129,1). 217 Die Details sind verzeichnet bei Woodman 1975.

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net Velleius auch das Zeitalter des Tiberius.218 Als Anknüpfungspunkt dient ihm wahrscheinlich der Aufstand der germanischen Legionen, dem er sich später219 ausführlicher zuwendet. Im Überblick über Tiberius’ Principat entsteht jedoch das Bild eines insgesamt krisengeschüttelten Staates, in dem tiefe Sorge vor der Zukunft herrschte.220 Neu aufgekommen waren politische Spannungen221 und ein Verfall der öffentlichen Moral222. Mit dieser Formung des historischen Materials suggeriert Velleius, dass die res publica erneut jener grundlegenden Reformierung bedurfte, die Augustus ein knappes halbes Jahrhundert zuvor in Angriff genommen hatte.223 Die Bilanz der Verdienste des Tiberius gilt zumeist als Herrschaftspanegyrik, die nicht auf eine Abrechnung mit Augustus abzielt und keinen Einschnitt in der Entwicklung der römischen Geschichte markiert.224 Sicherlich dient die düstere Grundierung des historischen Horizonts auch der Apologie des Princeps. Über alle vordergründigen Verherrlichungsabsichten hinaus existieren jedoch thematische Verbindungslinien zum Krisendiskurs der Späten Republik und zu Velleius’ Narrativ der jüngeren Vergangenheit. Denn die sich auf das politische System beziehenden Maßnahmen, die er registriert und die auf das Regierungshandeln des historischen Tiberius zurückgingen, gehören in den Kontext der Fragen von Macht und Stabilität, die Paradigmen, die in Velleius’ Geschichte Roms seit dem Jahr 146 dominierten. Offensichtlich enthüllt die Schilderung des Herrschaftsantritts ambivalente Beziehungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

218 Vell. II 126–128. Für Differenzen zur Zusammenfassung des Principats des Augustus s. bes. Woodman 1977: 222 f.; 225–227; 237–239; 1983, 250–256; Ramage 1982: 268 f.; Cowan 2009: 472; 477–479. 219 Vell. II 125. 220 Vell. II 24,1: Quid tunc homines timuerint, quae senatus trepidatio, quae populi confusio, quis urbis metus, in quam arto salutis exitiique fuerimus confinio […]. Zur kollektiven Sorge angesichts des ersten Herrscherwechsels im Principat s. bes. Timpe 1962, 29–31 sowie Schmitzer 2011: 190, der zurecht darauf hinweist, dass sich neben den Umständen des Regierungsantritts des Tiberius auch die schwierigen letzten Jahre des augusteischen Zeitalters im Gedächtnis festgesetzt und insofern eine plausible Grundlage für Velleius’ düstere Darstellung der politischen Szene abgegeben hätten; s. auch Schmitzer 2000: 107 für die Probleme, die noch in augusteischer Zeit bestanden. 221 Vell. II 126,2: Revocata in forum fides, summota e foro seditio, ambitio campo, discordia curia […]. 222 Ebd.: […] sepultaeque ac situ obsitae iustitia, aequitas, industria civitati redditae. 223 Vell. II 126. 224 Diese Position von Woodman 1975 und 1977: 238 f. (dort auch Gegenmeinungen), der Steffen 1954: 40 f.; 53 f.; 55 vorweg ging, hat sich weitgehend durchgesetzt, hierfür s. etwa Hellegouarc’h 1982: 277 f.; Ramage 1982: 269–271; Kuntze 1985: 155–168; Elefante 1997: 215 f.; 222–225; Gowing 2005: 34–48 und 2009, bes. 411 (Velleius „bridges and even masks the transition from republic to principate“; „antidote to the dark cynism of the later Tacitus“) 412–414 für die panegyrische Würdigung des Tiberius; (mit Einschränkungen, aber zumindest mit Bezug auf das politische System) Wiegand 2013: 138–141; 143. Schmitzer 2000: 301 allerdings vermutet eine „vorsichtige Distanzierung“ des Velleius von Augustus, die mit Tiberius’ Haltung zu seinem Vorgänger übereinstimme. Einen Bruch zwischen Republik nimmt auch Cogitore 2009: 64 an.

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Die Ansätze des neuen Princeps betrafen die im Dekadenzzeitalter zusehends dysfunktional gewordenen Institutionen der res publica.225 Mit der Reform des Wahlmodus’ durch Verlegung der Wahlen von den Centuriats- und Tributcomitien in den Senat sowie die commendatio verhinderte Tiberius den Konkurrenzkampf, der sich in der Späten Republik zum Bürgerkrieg gesteigert hatte.226 Zugleich bemühte er sich um die Partizipation des Senats, indem er die Beteiligung der Senatsaristokratie an der operativen Politik nach dem Bedeutungsverlust der Magistraturen unter Augustus227 verstärkte, und setzte die Bemühungen seines Vorgängers um Stärkung des Senats fort. Er wertete auch dessen Prestige wie dasjenige einzelner in Not geratener Senatoren auf. Mit der Erhöhung der Kreditsicherheit unterband er populare Agitation, die seit jeher als Ursache von Aufständen galt.228 Überdies schritt er gegen im Theater ausbrechende Unruhen ein, die ein Relikt des augusteischen Principats waren.229 Generell betrieb er eine Wiederbelebung verlorengegangener Werte: die iustitia, die auf seinen Einsatz für das Rechtswesen verweist,230 die aequitas231 und die industria, deren Verlust Velleius im Prooemium als Dekadenzphänomen interpretiert232. Die Bedingungen, die Tiberius bei seinem Herrschaftsantritt vorfand, inszeniert Velleius als Wiederkehr der Verhältnisse, die in der Endphase der Republik, vor dem Sieg des Augustus im Bürgerkrieg, geherrscht hatten. Verändert hatte sich allerdings der politische Kontext. Als Tiberius’ Principat begann, unternahm kein 225 Das Thema dieses Essays erlaubt es, weitere Aspekte der Erneuerung des Staats unter Tiberius, die nicht unmittelbar das politische System betreffen, hier unberücksichtigt zu lassen. Das schließt die Divinisierung des Augustus (Vell. II 126,1) ebenso ein wie sitten- und gesellschaftspolitische Ansätze (126,3 f.), aber auch die Sozialpolitik sowie die Außenpolitik, die im Zeichen der pax Augusta stand (126,4). Hinzu kommt noch die Würdigung der adiutores des Princeps, deren Einsatz Velleius als geläufige Praxis aus der Republik charakterisiert (127 f.). 226 S. hierzu bes. Woodman 1975: 293 f. und Woodman 1977: 237 f.; Hellegouarc’h 1982: 278; Schmitzer 2011: 189 f. Zur Reform Talbert 1984: 14–16 sowie Levick 1999: 96 f. und Seager 2005: 105 f. Zum Einfluss des Princeps auf die Herstellung von Eintracht im Senat s. etwa die grundsätzlichen Ausführungen bei Tac. dial. 40,4. 227 Kienast 2009: 176–181. Für einen Überblick über Tiberius’ Bemühungen s. die Zusammenfassung bei Suet. Tib. 30,1 mit Seager 2005: 104–114 sowie Merker 1968: 108; Woodman 1975: 294 f.; Woodman 1977: 237. 228 S. bes. Cic. Marc. 23 zur Verschwörung des Catilina: Armis et castris temptata est res est ab omni genere hominum et ordine. S. ferner z. B. leg. agr. 1,23; 2,8 sowie für den ideologischen Hintergrund Meier 1964; Kaster 2006 zur Sestiana; Robb 2010; Arena 2012. 229 Für Details s. Steffen 1954: 100; Merker 1968: 110 f.; Kienast 2009: 201–203. 230 Zur Tradition und Bedeutung der iustitia für Tiberius: Sutherland 1951: 98; Syme 1958: 755; Hellegouarc’h 1963: 265–267; Merker 1968: 108 f.; Weinstock 1971: 247; Woodman 1977: 238; Kuntze 1985: 110–112; 114 f.; Levick 1999: 89. 231 Hier wird aequitas in einem weiteren Sinn verstanden, für den Hellegouarc’h 1963: 150 f. einige Belege liefert. Auf Münzen ist sie erst ab Vespasian belegt; für die Nachweise der Münzen und Inschriften s. Woodman 1977: 239. Als wichtige Herrschertugend begegnet sie unter Traian bei Plin. paneg. 77,3. 232 Wörtlich ist dort allerdings nicht von der industria, sondern von vigilia, arma und negotia die Rede, die im Zuge des nach Rom eindringenden Luxus verschwanden (Vell. II 1,1). Industria impliziert jedenfalls Aktivität und Dynamik bei jedweden Tätigkeiten und ist Ausweis von virtus, Hellegouarc’h 1963: 254; 481.

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aufrührerischer Volkstribun einen Umsturzversuch oder erschütterte ein ambitionierter Nobilis, der mit Gewalt seine Machtinteressen durchsetzte, die Balance der res publica. Vielmehr war es der Tod des Princeps, der Furcht vor Umwälzungen auslöste. Velleius’ Schilderung des Herrschaftsantritts demonstriert, wie fragil das Fundament, auf dem der Staat ruhte, trotz der Reformen des Augustus noch immer war. Damit kann Velleius, die Veränderungen in der Innenpolitik unter Augustus’ Nachfolger integrierend, Tiberius als Endpunkt einer historischen Entwicklung einführen. Während er Augustus noch für die Wiederherstellung der republikanischen Ordnung rühmt, verdeutlicht er hier, dass sich mit dem Principat doch ein Wandel vollzogen hatte, der sich in konstitutionellen Kategorien fassen ließ. Die Illusion der wiederhergestellten Republik, die die von Augustus konstruierte ideologische Basis der Principatsordnung war, gibt er auf.233 An die tatsächlichen historischen Ereignisse anknüpfend, lässt er Tiberius diese Position vor der Übernahme der Macht zunächst ablehnen, weil sie mit der republikanischen Ordnung unvereinbar sei: Er wolle lieber, erklärte Tiberius, ein aequalis civis sein als ein eminens princeps.234 Damit gesteht Velleius ein, dass der Grundsatz der Gleichheit, über deren konstitutive Bedeutung für das republikanische System er in seinem Portrait des Pompeius reflektiert, im Principat allen Beschwörungen der Freiheit zum Trotz ausgehebelt ist. Den historischen Wandel, der sich in der modifizierten Definition des Principats manifestiert, lässt Velleius auch in den Begleitumständen des Herrschaftsantritts sichtbar werden. Dass Tiberius schließlich doch das Principat annahm, das er lange Zeit vehement abgelehnt hatte, führt er auf dessen Pflichtgefühl zurück, nicht auf die damit verbundene Ehre, wie andere sie beansprucht hatten.235 Der einzige Kampf, den Tiberius gegen Senat und Volk ausgefochten habe, so resümiert Velleius, habe 233 Dieser Feststellung sei der Vollständigkeit halber eine Ergänzung angefügt. Velleius schreibt, Tiberius habe die Stellung seines Vaters angetreten (Vell. II 124,2: […] ut stationi paternae succederet […]). Daraus ließe sich die Schlussfolgerung ziehen, dass auch Augustus für Velleius ein eminens princeps gewesen sei und deshalb mit dem Herrschaftsantritt des Tiberius kein Wandel eingetreten sei. Selbstverständlich war den Lesern die überragende Stellung des Augustus wie auch die Veränderung der politischen Praxis nach dem Jahr 27 bewusst. Allerdings war der erste Princeps – anders als Tiberius – relativ erfolgreich mit seinen Bemühungen, die republikanische Inszenierung seiner Herrschaft beinahe ein halbes Jahrhundert lang aufrechtzuerhalten. Der Text des Velleius reflektiert seine Selbstdarstellung, auch wenn Augustus nach dem Sieg im Bürgerkrieg (zusammen mit Tiberius) in das Zentrum der Erzählung rückt. Daher ist nicht nur von der prisca et antiqua forma rei publicae die Rede, sondern hervorgehoben wird auch, dass Augustus stets die Übernahme der Dictatur abgelehnt und stattdessen das Consulat bekleidet habe, allerdings insgesamt lediglich elfmal, und das teilweise auch nur widerwillig (89,5). Davon sticht ab, wie offensiv Velleius die formal keineswegs mehr rein republikanische Stellung des Tiberius im politischen Gefüge thematisiert. Dass beide die gleiche statio innehatten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Velleius mit Tiberius etwas Neues im Verhältnis des Princeps zum Senat beginnen lassen möchte. Über die historiographischen und politischen Absichten, die Velleius mit dieser Modifikation verfolgt, gleich weitere Einzelheiten. 234 Vell. II 124,2: […] ut potius aequalem civem quam eminentem liceret agere principem. 235 Vell. II 124,2: Tandem magis ratione quam honore victus est, cum quidquid tuendum non suscepisset, periturum videret […].

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das Ziel gehabt, die Ablehnung der ihm hartnäckig angetragenen Herrschaft durchzusetzen.236 Verglichen mit ihren republikanischen Vorgängern vertauschten Tiberius und der Senat in der Machtfrage, dem Kernproblem in Velleius’ Konstruktion der römischen Geschichte, ihre Positionen. Während in der Republik die Ambitionen Einzelner auf den erbitterten Widerstand der Senatsaristokratie gestoßen waren, zögerte nun die gleiche Elite nicht, Tiberius ein Principat anzutragen. Den Abstand zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterstreicht Velleius’ Anmerkung, dass eine über den Rang eines Senators herausgehobene Stellung, wie Tiberius sie zurückwies, andere früher mit Waffengewalt zu erobern versucht hätten.237 Das einst von der Senatsaristokratie verteidigte aequum ius war so freiwillig preisgegeben worden. Nicht Tiberius schränkte die Freiheit ein oder setzte ihr gar ein Ende, als er das Principat übernahm, sondern die Nobilität selbst, die ihn gegen seinen ursprünglichen Willen um den Antritt der Herrschaft bat. Dass Velleius’ Tiberius schließlich doch das Principat übernahm, war nur den geschichtlichen Umständen geschuldet. Aber diese Entscheidung soll ihm nicht sein Wille zur Macht diktiert haben, wie dem Princeps während seiner Herrschaft aus den Reihen des Senats tatsächlich immer wieder vorgehalten wurde, sondern die ihm von Velleius unterstellte Einsicht in das politisch Notwendige. Insofern war Tiberius der gleichsam letzte, wenn auch erfolglose Verteidiger der res publica libera, der sich in die ihm zugedachte Aufgabe, die Übernahme der tutela des Reiches, nur aus Pragmatismus fügte.238 Ohne ihn hätte nämlich Velleius zufolge das Imperium nicht fortbestanden.239 Diese Schlussfolgerung ist in Beziehung zu seiner Behandlung der Späten Republik zu setzen: Damals hatten gerade Versuche, ein Principat zu errichten, wie sie als Erster Pompeius unternahm, den Ruin des Staates herbeigeführt. Velleius’ Eingeständnis, dass das Principat letztlich keine wiederhergestellte Republik sein konnte, signalisiert eine Diskontinuität in der römischen Geschichte. Zugleich leitet sich aus seiner Einsicht in die Notwendigkeit des Principats eine Kontinuität ab, die jüngere Vergangenheit und Gegenwart miteinander verband: die mangelnde Überlebensfähigkeit des republikanischen Systems. Die Erzählung belegt, dass die Möglichkeit einer stabilen Ordnung in einem republikanischen Rahmen seit dem Beginn der Weltherrschaft und der Dekadenz dauerhaft verlorengegangen war. Die Ursachen der in Bürgerkriege mündenden Instabilität waren nicht vergangen, sondern drohten sich nach dem Tod des Augustus erneut Ausdruck zu verschaffen. Im Unterschied zu früheren Zeiten, namentlich zu jenen Caesars, des Dictators auf Lebenszeit, dessen Machtfülle Neid und Undankbarkeit erregt hatte,240 herrschte jetzt Konsens über die Unabdingbarkeit eines Princeps.

236 Ebd.: Una tamen veluti luctatio civitatis fuit, pugnantis cum Caesare senatus populique Romani, ut statione paternae succederet […]. 237 Ebd.: […] solique huic contigit paene diutius recusare principem, quam, ut occuparet eum, alii armis pugnaverat. 238 Ebd.: Tandem magis ratione quam honore victus est, cum quicquid tuendum non suscepisset, periturum videret […]. 239 Ebd. 240 Vell. II 56,3 (D. Brutus, Cassius, Trebonius).

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Anlässlich des Herrscherwechsels von Augustus zu Tiberius definiert Velleius den Princeps und seine Stellung in der res publica neu. Augustus hatte er emphatisch für die vollständige Wiederherstellung der Republik gerühmt, die im Zuge der permanenten Grenzüberschreitungen in Konflikten der Senatsaristokratie und nach der Verletzung des aequum ius aus den Fugen geraten war. Doch sowohl Velleius’ Tiberius als auch die Senatoren zweifelten nicht an der Unvereinbarkeit der Stellung eines Princeps mit dem republikanischen Prinzip der Gleichheit. Ein eminens princeps bedeutet für Velleius jedoch den Gegenentwurf zum aequalis civis.241 Der Verzicht auf eine Wiederherstellung der Republik war nach dem Tod des Augustus, so die Botschaft des Velleius, eine allgemein anerkannte Voraussetzung für die Fortexistenz Roms geworden. Die gesamte, vom Principat in ihren politischen und gesellschaftlichen Ansprüchen betroffene Nobilität, die zuvor jede Beeinträchtigung des aristokratischen Gleichheitsgrundsatzes notfalls mit Waffengewalt bekämpft hatte, lässt er zu der Erkenntnis gelangen, dass eine res publica traditionellen Zuschnitts den Untergang des Staates nach sich ziehe. So verlangte die Senatsaristokratie bei Velleius sogar inständig die Fortsetzung des unter Augustus etablierten Regiments. Die Einsicht in das historische Erfordernis eines Principats teilt Velleius. β) Das Reformwerk des Tiberius Wie bei Augustus fasst Velleius das in seinen Einzelheiten als bekannt vorausgesetzte242 Principat des Tiberius ebenfalls in Form eines Überblicks zusammen.243 Auch in der Substanz ähneln die Leistungen und Verdienste des Tiberius denen seines Vorgängers trotz mancher neuer Akzentsetzungen stark.244 Der implizite Vergleich beider Principes reflektiert Tiberius’ Bemühen um Kontinuität und Legitimität, die er in seiner Selbstdarstellung, aber auch in der praktischen Politik zu erreichen suchte, indem er demonstrativ den Anschluss an Augustus245 suchte. Zugleich verherrlicht Velleius die historische Bedeutung der Herrschaft des Tiberius, das Ziel der römischen Geschichte, und stellt sie noch über dessen als Maßstab herangezogenen Vorgänger.

241 Aus dem Dargelegten geht hervor, dass die Bedeutung der aequalitas in Velleius’ Geschichtsdenken und seine Sicht auf das Principat nicht relativiert werden sollten, wie dies etwa bei Gowing 2009: 412 geschieht, der feststellt, dass Tiberius nicht der Princeps gewesen sei, sondern nur ein „exceptional“ princeps. Ich teile daher auch die Auffassung nicht, dass die Verwendung von principatus in Vell. II 124,1 f. im republikanischen Sinn zu verstehen sei („[…] clearly denoting simply a position of leadership in the state […]“; „[i]n the Velleian view Tiberius’ position is not different from that of many who have gone before […]“), wie Gowing 2005: 40 erläutert; s. auch 48. Vgl. jedoch außerdem bes. Vell. II 129,2 zu Tiberius’ Auftreten im Libo-Prozess: […] ut senator et iudex, non ut princeps […]. 242 Vell. II 126,1. 243 Vell. II 126. 244 Steffen 1954: 81 hält die Konsekration des Augustus, die Velleius eingangs erwähnt, für einen Hinweis auf die Kontinuität. 245 Zu Augustus als Vorbild des Tiberius s. Kap. C.1.

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Was die ideologische Ebene, die Geschichtsdeutung und das Geschichtsverständnis des Velleius, betrifft, deuten die fundamentalen, sich auf zentrale politische Bereiche erstreckenden Reformbemühungen auf eine tiefersitzende Instabilität des Staates hin.246 So beklagt Velleius die Kreditunsicherheit,247 das daniederliegende Gerichtswesen, Wahlunruhen, Korruption und den Autoritätsverlust von Senat und Magistraten sowie einen Niedergang der Sitten.248 Logisch fügen sich diese Niedergangsphänomene nicht in die Historia Romana ein. Ihre Erwähnung ist durch die panegyrischen Absichten des Velleius bedingt, der bei seiner Darstellung der Herrschaft des Augustus keinen Verfallsprozess schildert, jetzt aber die Notwendigkeit einiger Korrekturmaßnahmen249 einflechten muss. Auch historisch ist diese Zustandsbeschreibung nur teilweise korrekt. Bereits die Wahlunruhen in den Jahren 19 v. Chr. und 7. n. Chr. hatten in Augustus den Plan reifen lassen, die Wahlen in den Senat zu verlegen. Dieses Vorhaben wurde dann unter Tiberius beschlossen.250 Mit der Wiederherstellung der auctoritas des Senats sind wohl Tiberius’ Bemühungen um die Beteiligung des Senats gemeint. Aequitas und iustitia251 waren gängige Elemente der Selbstdarstellung des Tiberius. Diese Tugenden bildeten den Kontrast zum letzten Jahrhundert der Republik. Die industria hingegen, die Velleius ihm zuspricht, setzt den Kontrapunkt zum Verfall, den das Prooemium des II. Buches beklagt,252 und stellt den Princeps in die Tradition der ruhmreichen Phase der Republik. Fast alle diese Krisenerscheinungen waren bereits Elemente des desolaten Zustands der res publica nach Octavians Sieg im Bürgerkrieg und wurden von ihm, wie die Zusammenfassung seines Principats zeigt, im Zuge seiner Konsolidierungsbemühungen beseitigt. Wie Augustus wirkte auch Tiberius als Reformer, als Beseitiger von Missständen, als Erneuerer einer zwischenzeitlich verlorengegangenen besseren Zeit.253 Während Velleius zum Abschluss des Kapitels über Tiberius’ Principat noch eine Reihe von Einzelmaßnahmen aufzählt, mit denen sich der Princeps um einzelne Gruppen in der res publica verdient machte, betrifft der Beginn des Überblicks den Zustand des Staates und seiner Institutionen sowie die 246 Zu Unrecht führt Woodman 1977: 239 diesen Eindruck auf das angeblich von Velleius gewählte Mittel zur Verherrlichung des Tiberius zurück, dessen Verdienste mit Begriffen der Erneuerung oder Wiederherstellung zu rühmen. Die angegebenen Parallelen aus augusteischer Zeit besitzen kaum Aussagekraft, da unter Augustus die Erneuerung des Staates tatsächlich der zentrale Aspekt seiner Reformpolitik war. Allerdings lag, wie noch zu zeigen sein wird, in Velleius’ Anmerkungen zu den gefährlichen Entwicklungen nach Augustus’ Tod keine Kritik am Princeps. Vielmehr zeigte sich, wie sehr ein Princeps für die Stabilität Roms notwendig war und die res publica in ihrer früheren Form nicht mehr restituiert werden konnte. 247 Woodman 1977: 236 zu Vell. II 126,2 (revocata in forum fides). 248 Vell. II 126,2. 249 Ramage 1982: 269. 250 Woodman 1977: 237. 251 S. auch Kuntze 1985: 110–116. 252 Woodman 1977: 239 verkennt den Rückbezug auf die Glanzzeit der republikanischen Ära in Velleius’ Würdigung des Tiberius. Hellegouarc’h/Jodry 1980: 813 hält fest, dass Velleius nur zwei der Tugenden des clupeus erwähnt. 253 Vell. II 126,2: revocata; sepultaeque ac situ obsitae […] civitati redditae. Hierzu bes. Woodman 1977: 238; Ramage 1982: 267.

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sittliche Verfassung der Bürgerschaft. In der Darstellung des Tiberius ist dies die Schlüsselstelle für die historische Einordnung. Augustus hatte bereits auf vergleichbaren Gebieten Reformanstrengungen unternommen. Dass es hier erneut zu Problemen gekommen war, war keine Kritik am verstorbenen Princeps,254 der nach Velleius schon während seiner eigenen Herrschaft im Schatten des Tiberius, der eigentlichen Stütze des Reiches, stand255. Vielmehr stellt Velleius, indem er die Aktivitäten sowohl des Augustus als auch des Tiberius auf ähnlichen Feldern skizziert, die unbedingte, von den Senatoren beim Herrschaftsantritt des Tiberius anerkannte Notwendigkeit eines Principats heraus, ohne dass zentrale Institutionen der res publica ihre Funktionsfähigkeit verlören und der sittliche Verfall der Bürgerschaft einträte oder zunähme. Analog zur Einbeziehung der Nobilität in die Politik und zur Beteiligung am Reformwerk, die Augustus nach Velleius praktiziert hatte, ist die Senatsaristokratie auch insofern in die Herrschaft des Tiberius eingebunden, als der Historiker den Princeps als exemplum hinstellt, der mehr durch seine Vorbildhaftigkeit als durch seine Kompetenzen wirkt.256 Nachdem Tiberius ursprünglich seinen Verzicht auf das Principat erklärt hatte, erfüllte er nun die in ihn gesetzten Hoffnungen, die von seiner Herrschaft positive Effekte erwarteten. Dazu bedurfte es nicht einmal des Einsatzes seiner außerordentlichen Befugnisse. Das Regiment des Princeps zielte auf eine sittliche Erneuerung ab. Bei der Abstellung des Fehlverhaltens, das zu den Krisenphänomenen führte, wirkte Tiberius, den Velleius als exemplum einführt, teils pädagogisch, teils mit Zwang operierend.257 Übereinstimmend mit der Selbstdarstellung des Tiberius zeigt Velleius den Princeps nicht nur als Reformer, sondern auch als tutor der römischen Bevölkerung sowie der Provinzen. Namentlich erwähnt er die niedrigen Getreidepreise,258 die liberalitas des Princeps bei Naturkatastrophen, den Einsatz gegen Misswirtschaft in der Provinzverwaltung259 und die Verhinderung bandenmäßiger Kriminalität.260 Was die römische Außenpolitik betraf, erreichte die pax Augusta unter Tiberius ihren Höhepunkt.261 Aus dem Überblick über das Principat hebt Velleius in panegyrischer Absicht262 noch einzelne innen- wie außenpolitische263 Aspekte der Herr254 So aber Ramage 1982: 269–271. Anders Steffen 1954: 90; Woodman 1975: 291; 1977: 234. 255 Tiberius, nicht Augustus als Vorbild: Gowing 2009: 12. Dass Tiberius Augustus übertraf, steht schon bei Sauppe 1896: 60–62. 256 Vell. II 126,5. Die Bemühungen um den Senat entsprachen den historischen Tatsachen (s. Kap. C.1 und Tac. ann. IV 6,3; Suet. Tib. 30; Dio LVII 7,1–11,3). 257 Vell. II 126,2: […] recte faciendi omnibus aut incussa voluntas aut imposita necessitas. 258 Vell. II 126,2 mit Woodman 1977: 241. 259 Vell. II 126,3 mit Woodman 1977: 241 und Kuntze 1985: 117–123. 260 Kuntze 1985: 187–198. 261 Vell. II 126,3. 262 Paladini 1953: 476; Elefante 1997: 534; ihrer Charakterisierung ist zuzustimmen: „[…] una serie di frasi in forma esclamativa che contengono vaghi accenni a eventi disparati, espressi senza ordine cronologico, secondo i moduli stilistici di un panegirico“. Zum panegyrischen Zug in Velleius’ Werk, besonders eindringlich von Lana 1952 verfochten, s. o. 263 Zur Darstellung seiner diplomatischen Fähigkeiten s. Steffen 1954: 114–116 und Elefante 1997: 535 mit den historischen Hintergründen, zur Kriegführung Woodman 1977: 269 f. oder

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schaft des Tiberius und von dessen Person heraus,264 die ihn als idealen Herrscher ausweisen.265 Hierzu zählt er besonders die Großzügigkeit gegenüber Senatoren, die Bestandteil seiner Bemühungen um die Wiederherstellung der maiestas des Senats war.266 Diese Aufzählung zeigt Tiberius nicht nur als einen idealen Staatsmann, indem sie konkrete Beispiele für die im ersten Teil der Würdigung nur abstrakt angeführten Verdienste benennt, sondern sucht auch ihm später zur Last gelegte Schwächen in seiner Herrschaftspraxis zu widerlegen.267 Umso tragischer und unverständlicher muten Velleius die Schicksalsschläge und die sogar bis in die domus Augusta hineinreichenden Widerstände an, auf die Tiberius – wie einst Augustus268 – gelegentlich stieß, und bei deren Darstellung269 Velleius entschieden für Tiberius Partei ergreift. Jeder Versuch, die Position des unabkömmlichen Princeps zu destabilisieren, bedeutet für Velleius ein Risiko für den Bestand des Staates. γ) Tiberius’ Herrschaftspraxis Bei der Übernahme des Principats erkannte Velleius’ Tiberius die Unmöglichkeit einer Wiederherstellung der res publica libera an. Stärker noch als an Augustus, der die prominentesten Mitglieder der Nobilität in das von ihm betriebene Reformwerk einbezogen hatte, zeigt er an Tiberius’ Regiment grundsätzliche Züge seiner Herrschaftspraxis im Umgang mit der Senatsaristokratie auf. Die sachliche Notwendigkeit dafür lag auf der Hand: Das prekäre Verhältnis zwischen Princeps und Senat zählte zu den dramatischen Problemen der Tiberius-Zeit. Von Velleius wird Tiberius als ein Anhänger des meritokratischen Prinzips porträtiert. Als größtes Vorbild für politisches Handeln fühlte er sich allen herausragenden Männern nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Geschichte verbunden.270 Gerade deshalb war seine Personalpolitik, die elementare Aspekte des Freiheitsgedankens berührte, weil sie Wettbewerb und Wahl im traditionellen Sinn faktisch abschaffte, für Velleius kein Element einer autokratischen Herrschaft. Die republikanischen Neigungen des Tiberius, wie sie die historische Person wohl tatsächlich besaß, stellt er im Zusammenhang mit dem Herrschaftsantritt heraus. Durch seine Darlegung der

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zur pietas Kuntze 1985: 124–129 sowie zur Baupolitik Woodman 1977: 270 f.; anders Elefante 1997: 539 (für Tiberius’ Zurückhaltung auf diesem Gebiet s. Tac. ann. VI 45,1 und Suet. Tib. 47 mit Woodman 1977: 270 sowie Kolb 2002: 369–371). Dass Velleius sich auf die Außenpolitik konzentriere, wie Woodman 1977: 263 behauptet, ist bloß eine Äußerlichkeit. Für die Details grundlegend Kuntze 1985. S. auch Vell. II 129,3. Woodman 1977: 267; Elefante 1997: 536 f. Hierzu: Tac. ann. II 37,1; Dio LVII 10,3 sowie Tac. ann. II 42,1; 48,1–3; III 29,3; Suet. Tib. 54,1. S. hierzu die Rekonstruktion des Tiberius-Bildes in der Geschichtsschreibung bei Baar 1990 und Kap. C.I. Vell. II 93,1; 100,3–5. Angeordnet sind sie in einer Klimax: Steffen 1954: 146. So vermerkt Velleius anlässlich des Wiederaufbaus des Pompeius-Theaters (II 130,2): Qui quidquid umquam claritudine eminuit, id veluti cognatum censet tuendum.

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Herrschaftspraxis widerlegt er den Vorwurf, Tiberius habe in den Senatssitzungen nach dem Tod des Augustus nur seine Machtinteressen verbergen und seine senatorischen Gegner bloßstellen wollen. En detail zeichnet er deshalb die Einbindung des Senats in die operative Politik der Folgezeit nach. Mit der Bekräftigung, dass Tiberius die Exzellenz herausragender Gestalten nicht als Konkurrenz empfand, die es zu beseitigen galt, beweist er, dass sich der Princeps tatsächlich in eine republikanische Tradition stellte. So kann Velleius behaupten, dass mit Tiberius dem Senatorenstand durch die Berufung nur der besten Männer zu neuem Ansehen verholfen wurde. Denn bei der Vergabe galt, wie er hervorhebt, allein die Befähigung des Kandidaten, nicht seine Herkunft.271 Als Kriterien lagen seinen Beurteilungen aequitas und virtus, nicht gratia und ambitio zugrunde.272 Weder persönliche Verbundenheit wirkte sich auf die Besetzung von Posten aus, noch konnten unwürdige Gestalten durch Antichambrieren oder Bildung von Seilschaften auf politischen Einfluss hoffen. Unmissverständlich zeigt Velleius, dass über Einfluss und die Bekleidung von Ämtern nicht mehr Wahlen entschieden, in denen prinzipiell gleichrangige Mitglieder der Senatsaristokratie in Konkurrenz zueinander standen. Da im Principat die Freiheit in ihrem ursprünglichen Umfang nicht wiederhergestellt werden konnte, wurde nunmehr die Wahl der geeignetsten Amtsträger vom Princeps statt vom Volk vorgenommen. Zugleich betont Velleius, dass, auch wenn die volle Freiheit nicht zu gewährleisten und die aristokratische Gleichheit der Nobilität verloren waren, die Chancen auf politische Teilhabe unter Tiberius ausdrücklich gefördert wurden. Mit der Benennung von Kandidaten und Magistraten durch den Princeps wurde zugleich die exzessive Konkurrenz, die Hauptursache der Bürgerkriege, verhindert. Niemand vermochte demagogisch die innenpolitische Stabilität zu erschüttern oder seine Ansprüche mit Waffengewalt durchzusetzen. Die Gerechtigkeit des Tiberius garantierte die Qualität der Ämterbesetzung. Der Konkurrenzgedanke, der vor seiner Pervertierung im Zeitalter der Dekadenz nach Velleius ein elementarer Faktor des Aufstiegs gewesen war, wurde erneuert. Im Unterschied zur republikanischen Zeit wurden politische Karrieren im Wettbewerb um das Wohlwollen des ausschließlich am Leistungsprinzip orientierten Tiberius entschieden.273 Der Princeps knüpfte auf diesem Gebiet an die Zeiten vor dem Beginn des Sittenverfalls an und korrigierte Fehlentwicklungen aus der Endphase der Republik, als zahlreiche von Velleius als inkompetent, vor allem aber charakterlich deformiert gezeichnete Persönlichkeiten zu maßgeblichem Einfluss gelangen konnten. Velleius’ Erörterung der Personalpolitik des Tiberius besitzt zwei Implikationen. Einerseits demonstriert er, dass mit der Integration der profiliertesten Mitglieder des Senats die Effizienz der Herrschaft verbessert wurde. Andererseits kann er belegen, dass Tiberius, nachdem er die Durchsetzung und Verteidigung von Machtansprüchen, die gegen das republikanische System verstießen, beendet hatte, nun 271 Vell. II 128,3. 272 Vell. II 126,4. 273 S. hierzu Vell. II 126,4: […] honor dignis paratissimus […].

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nach objektiven Kriterien dem Streben der Aristokratie nach Ruhm und Macht Genüge tat. Der Gedanke der Kooperation knüpfte unmittelbar an die Republik an und verringerte die Asymmetrie im Verhältnis zwischen Princeps und Senatoren, die allerdings an der Einflussnahme des Princeps auf aristokratische Karrieren sichtbar blieb. Doch durch die gerechte Auswahl der Kandidaten für Führungspositionen verhinderte Velleius’ Princeps die Entstehung von Kritik an einer etwaigen Willkürherrschaft. Seine republikanische Haltung war nach Velleius keine Attitüde, wie dem Princeps im Senat unterstellt wurde, sondern zählte zu seinen Handlungsprinzipien. Anlässlich des Portraits Seians, eines der engsten Vertrauten des Princeps, erläutert Velleius ein charakteristisches Element der Herrschaftspraxis des Tiberius, die Auskünfte über das historische Verhältnis der Republik zum Principat und über die Ziele der Politik in der Zeitgeschichte gibt. Im Principat des Tiberius war Seian eine umstrittene Gestalt.274 Als Ritter stieß er auf starkes Misstrauen der Senatsaristokratie. Die Verlobung seiner Tochter mit Drusus, dem ältesten Sohn des späteren Princeps Claudius, und seine eigenen Hoffnungen auf eine Ehe mit Livilla wurden im Senat und im Volk als Zeichen seiner Ambitionen auf das Principat verstanden.275 Er galt als Urheber der Anklagen gegen Agrippina und Nero, die Witwe und den Sohn des beliebten Germanicus, im Jahr 29.276 Die Spannungen zwischen Tiberius und Seian einerseits und dem Senat andererseits bilden den Hintergrund für die außergewöhnliche Würdigung und die legitimationsstiftende Historisierung der politischen Stellung Seians, die in die Darstellung des tiberischen Principats eingebettet ist. Zu den Gegnern Seians zählt Velleius nicht.277 Die Stellung Seians, von Velleius als adiutor des Tiberius eingeführt, betraf in zwei Punkten empfindlich das Selbstverständnis der Senatsaristokratie: ihre traditionelle, auf der libertas gründende Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen und ihre Empfindlichkeit gegenüber Aufsteigerkarrieren. Schon die Gestalt des Princeps hatte den Einfluss des Senats drastisch reduziert. Nun aber nahm zusätzlich ausgerechnet der Ritter Seian eine exklusive Stellung beim Princeps ein. Auf diese beiden problematischen Aspekte, die sich in Seian vereinigten und auch an die Akzeptanz der Principatsordnung allgemein rührten, antwortet Velleius in seinem Würdigung, deren Bedeutung die Einbettung in die Skizze des Principats des Tiberius signalisiert und über den Einzelfall Seians hinausreicht.278 Deshalb schließt dieser Abschnitt unmittelbar an Velleius’ Bemerkungen zur didak274 Zu Seian grundlegend Hennig 1975; für bibliographische Ergänzungen Elefante 1997: 528 f. Über Velleius’ Haltung zu Seian s. die Forschungsmeinungen bei Hellegouarc’h 1982: 280 f. 275 Tac. ann. III 29,4; IV 39 f. 276 Tac. ann. V 4,2 f. 277 So aber apologetisch Abraham 1885: 11 (Velleius als Gegner der Anhänger Seians); Steffen 1954: 194 f.; Dihle 1955: 640; Sumner 1970: 288 f.; 292 und v. a. unter Berufung auf stilistische Kriterien und den Duktus des Abschnitts Woodman 1975: 296–303. Richtig dagegen Hellegouarc’h 1980(a) und Hellegouarc’h 1984: 430, dass in diesem Kapitel des Werkes weder Reserve zu finden sei noch sein Wechsel des Tonfalls. 278 Insofern besitzt die Partie nicht oder nicht vorrangig den Charakter eines politischen Pamphlets (so aber Woodman 1977: 247; Elefante 1997: 526).

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tischen Wirkung der Person und des Handelns des Princeps auf die Aristokratie und die Gesellschaft an.279 Gewürdigt wird Seian, der engste Vertraute des Princeps in den 20er Jahren, als Archetyp des adiutor und als Exponent des Principats.280 Velleius ist bemüht, den Eindruck abzuwenden, die Einbindung von adiutores in die Herrschaftspraxis sei eine politische Neuerung. Bereits vor dem Aufstieg Seians hätten Augustus und Tiberius ihr Regiment mit Partnern an der Macht (wie Agrippa, Germanicus und Drusus) geteilt und sich auf einen Kreis von Freunden gestützt. Bereits Pompeius hatte für seine Kriege adiutores berufen (ohne dass Velleius diesen Begriff allerdings benutzte).281 Augustus stellte Tiberius dessen Bruder Drusus als adiutor für die Germanienkriege zur Seite.282 Mit der Einordnung Seians in die Reihe der adiutores untermauert Velleius die Legitimität der herausgehobenen, dabei aber in ein Kollektiv bedeutender Vertreter der Senatsaristokratie eingebundenen Stellung des Princeps und stärkt mit der Berufung auf die Vergangenheit die Akzeptanz Seians, des Aufsteigers, bemüht, damit aber auch Tiberius’ Entscheidung für ihn rechtfertigt. Das meritokratische Prinzip, von dem Tiberius sich nach Velleius leiten ließ, galt auch bei der Auswahl der Adiutoren. Sein Grundsatz für die Einbindung von Männern mit Kompetenz und Ambitionen lautete, dass Befähigung und Auszeichnung einander entsprechen müssten.283 Das hatte Auswirkungen in mehrfacher Hinsicht. Einerseits setzte Tiberius mit der Befolgung dieses Prinzips einen Anreiz für die Aristokratie, sich am Staatsdienst und am Funktionieren des Principats zu beteiligen. Die Senatoren wurden so in das neue System eingebunden. Andererseits sicherte er damit die Akzeptanz seiner mit hohen Aufgaben betrauten Unterstützer. Dass die Senatoren den herausgehobenen Status der von Tiberius geförderten Männer akzeptierten, führt Velleius auf zwei Gründe zurück: dass der Princeps nur die am besten Geeigneten berief und dass Männer wie Seian ihren Pflichten gerecht zu werden vermochten.284 So schreibt Velleius die Fähigkeit zur Lösung großer Aufgaben allein bedeutenden adiutores zu.285 Gerade Leistungsbereitschaft (labor) und Kompetenz (capacitas) waren Kennzeichen von homines novi286 wie Seian oder Agrippa. Im Unterschied zu den vielen Gestalten, die während der Späten Republik im Hintergrund wirkten, entfalteten sie keine eigenen politischen Ambitionen. Ihr Handlungsradius blieb darauf reduziert, die Aufträge des Princeps zu erfüllen. 279 Anders Woodman 1977: 247 („[…] the opening sententia follows abruptly and illogically after 126.5“); 261. Contra, wenngleich mit anderer Begründung, Hellegouarc’h 1982: 280. 280 Aber wohl nicht vorrangig wegen seiner Hingabe an Tiberius (so die etwas unpolitisch anmutende Einschätzung von Hellegouarc’h 1980(a): 151). 281 Vell. II 32,4. 282 Vell. II 95,1. 283 Vell. II 128,2: […] in cuiuscumque animo virtus inesset, ei plurimum esse tribuendum. 284 Grundlegend hierzu Vell. II 128,3 am Beispiel Seians: Haec naturalis exempli imitatio ad experiendum Seianum Caesarem, ad iuvanda vero onera principis Seianum propulit senatumque et populum Romanum eo perduxit, ut quod usu optimum intellegit, id in tutelam securitatis suae libenter advocet. 285 Vell. II 127,2. 286 Hellegouarc’h 1982: 283.

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Die tatsächlich in Senatskreisen als anstößig geltende Ausnahmestellung der Adiutoren verteidigt Velleius. Zum einen bedürften sie einer herausragenden dignitas, weil es ihnen sonst an der notwendigen Autorität mangele287, zum anderen fehlte ohne solche Auszeichnungen einem Adiutor der Anreiz, die Last seiner Aufgaben zu tragen.288 Indem er das optimum mit dem nobilissimum in eins setzt,289 um Ehrungen für die adiutores zu begründen, stellt er sie in die Tradition der Senatsaristokratie, die sich über ihre Leistungen für das Gemeinwesen definierte. Der Unterschied zur Republik bestand nach Velleius’ Darstellung lediglich darin, dass die Magistrate gewählt wurden, während die Adiutoren besonders eng mit dem Princeps verbunden waren. Für Velleius kommt der Effizienz der Regierung Priorität gegenüber dem Modus der Herrschaftsausübung zu, steht die Wahrung der mit der res publica libera zusammenhängenden politischen Gleichheit der Senatsaristokratie hinter Sachzwängen zurück. Das maßgebliche Kriterium für die Zustimmung der nicht unmittelbar an der Ausübung von Macht beteiligten Einzelpersonen, Institutionen, politischen Gruppierungen und handelnden Akteure ist für Velleius die securitas, die nach den Bürgerkriegen der ausgehenden Republik im Principat die libertas als Maßstab eines funktionierenden Systems ablöste. Die Erzählung vom Herrschaftsantritt zeigt die Bedingungen, unter denen sich der Senat auf die Beseitigung der res publica libera und die Bestellung eines ihnen übergeordneten Princeps eingelassen haben soll. Nur solange der Princeps den Anforderungen genügte, die an ihn gestellt wurden, namentlich die Garantie der Sicherheit, wurde verhindert, dass seine neuartige Position nicht in Frage gestellt wurde. Die Ausführlichkeit, mit der sich Velleius der Organisation der tiberischen Herrschaft widmet, ist ein Indiz dafür, dass er von noch immer geltenden grundlegenden Problemen ausging, die aus dem Jahrhundert der Bürgerkriege resultierten. Velleius’ Reflexionen stehen mit den Paradigmen seines Narrativs, Sicherheit und Stabilität, in einem unauflöslichen Zusammenhang. Am Beispiel der adiutores, deren Existenz er auch in der Republik nachzuweisen trachtet, will er zeigen, dass die Akzeptanz eines politischen Systems in der Fähigkeit liegt, die Stabilität des Staates zu sichern. Die Geltung der Freiheit muss in seiner Deutung des Principats hinter der Effizienz des Regiments zurücktreten. Velleius rechtfertigt die Stellung Seians, des über die Senatsaristokratie herausgehobenen Verwaltungschefs des Princeps, auch über dessen Abstammung. Die in der Senatsaristokratie verbreitete Kritik an Seians Herkunft widerlegt er mit historischen Beispielen aus der Zeit der Republik.290 Insofern, das ist seine Botschaft, folgt die öffentliche Verehrung, die Seian für seine Verdienste genoss, wie auch dessen von Velleius gerechtfertigte Berufung einer langgeübten Praxis und ist keine revolutionäre Neuerung.291 Als Beleg führt er, chronologisch bis in das 3. Jh. zu287 288 289 290 291

S. Anm. 285. Hierzu gleich Näheres. Woodman 1975: 300; Hellegouarc’h 1982: 284. Vell. II 127. So Vell. II 128,1 mit Nachdruck: […] neque novus hic mos senatus populique Romani est putandus, quod optimum sit, esse nobilissimum.

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rückgreifend, eine Reihe prominenter homines novi an, die die höchsten zu vergebenden Ämter, auch außerhalb der Ordnung, bekleidet und bedeutende Auszeichnungen erworben hatten. Sie alle waren geläufige exempla für den sozialen Aufstieg. Dazu gehörte auch Cicero. Ihm gelang es sogar, wie Velleius behauptet, zum Mittelpunkt eines Netzwerks zu werden und mit seinem Einfluss die Karrieren anderer Aspiranten zu befördern.292 Als Aufsteiger aus der jüngeren Vergangenheit führt er Agrippa und Statilius Taurus293 an. Die Wertschätzung des Tiberius für die Kompetenz, ungeachtet der Herkunft, ist historisch belegt.294 Bereits in der Republik war die Kluft zwischen der Herkunft aus der Nobilität und den aus diesen exklusiven Kreisen ausgeschlossenen, in Wahrheit jedoch weitaus fähigeren Angehörigen niedrigerer Klassen wie dem Ritterstand ein Topos in politischen Auseinandersetzungen. Ursprünglich fußte der Herrschaftsanspruch der Nobilität auf ihren Verdiensten um das Gemeinwohl. Velleius’ Insistieren auf der virtus als Hauptqualifikationsmerkmal für die Übernahme öffentlicher Ämter war deshalb mit der Tradition zwanglos vereinbar. Sicherlich trifft zu, dass Velleius’ Erwägungen zu Seian und dessen Herkunft nicht primär auf die Verteidigung der von Tiberius gepflegten Praxis abzielen, homines novi an der Administration zu beteiligen.295 Abgesehen von der apologetischen Absicht296, die Bestellung Seians zu rechtfertigen, ist für Velleius’ Verständnis der historischen Rolle des Principats entscheidend, dass seit dem irreparablen Scheitern der Republik das Principat zu einer Notwendigkeit geworden war. Diese Einsicht, um deren Verbreitung Velleius sich bemüht, unterstreicht die Existenz von Adiutoren, auch von rangniedrigen. Für den Bestand des Staates bedurfte es nicht nur eines Einzelnen an der Spitze, sondern auch eines Kreises von Vertrauten, die der Princeps in seine Umgebung berief. Dass sie weder durch Wahlen noch durch ihre soziale Herkunft akzeptiert und legitimiert waren, ist für Velleius unproblematisch. Zwar begrenzte Tiberius’ Adiutoren-Regiment die republikanische Freiheit in ihrem ursprünglichen Umfang. Aber dies stellt Velleius als Preis für die Entwicklung des letzten Jahrhunderts der Republik heraus, an deren Ende weder Augustus die Republik hatte herstellen können noch Tiberius von den Senatoren die Rückkehr zur traditionellen Ordnung gestattet wurde, wie die Darstellung des Amtsantritts des Tiberius illustriert. Betrachtet man die tatsächlichen historischen Verhältnisse, so traten im Principat die Senatoren immer weniger in Konkurrenz zum Princeps. Vielmehr rangen sie im Wettstreit um Ämter und Auszeichnungen um dessen Gunst. Vor diesem Hintergrund ist auch Velleius’ Seian-Darstellung zu lesen. Es wirbt um Verständnis für 292 Namentlich nennt Velleius außer Cicero: Ti. Coruncianus, den ersten plebeischen Pontifex Maximus, Sp. Carvilius, den Erbauer eines Schreins für die besonders von Plebeiern verehrte Gottheit Fors Fortuna (hierzu Woodman 1977: 259, nach R. Syme), M. Porcius Cato Maior, L. Mummius Achaicus, C. Marius und As. Pollio. Näheres bei Elefante 1997: 531–533; für weitere Stellen s. Bücher 2006: Anhang III. 293 Elefante 1997: 528. 294 Woodman 1977: 256. 295 Bes. Lana 1952. 296 Hellegouarc’h 1964: 679; Woodman 1977: 258.

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Tiberius’ umstrittene personalpolitische Entscheidung, die die ohnehin reduzierte Freiheit der Nobilität weiter zu minimieren schien. Umso wichtiger ist es für ihn aufzuzeigen, dass das meritokratische Prinzip, das für die Akzeptanz des Princeps galt, die Übertragung von Aufgaben an kompetente Männer und deren öffentliche Auszeichnung für die dabei erworbenen Verdienste um den Staat, Republik und Principat miteinander verband. Velleius ist nicht um die gezwungene Konstruktion von Kontinuität in der römischen Geschichte bemüht und sucht nicht das Principat als Republik auszugeben.297 Seine Darstellung des Principats verfolgt, was Stellung und Amtsführung des Princeps, aber auch die Adiutoren betraf, eine Doppelstrategie: einerseits den Wandel der Zeitverhältnisse, die auf Veränderungen des politischen Systems ausstrahlten, zu verdeutlichen und andererseits, trotz der Notwendigkeit von Veränderungen, die weitmögliche Orientierung von Herrschaftsform und Herrschaftspraxis an der Republik zu demonstrieren. So verbindet er die Verteidigung des nach dem Zerfall der Republik im Bürgerkriegszeitalter notwendig gewordenen Führungsanspruchs des Princeps, dessen Akzeptanz in der Senatsaristokratie mit zunehmender Herrschaftsdauer sank,298 mit dessen Orientierung an der republikanischen Tradition der Partizipation des Senats in wesentlichen wie nebensächlichen Fragen der Politik299. 6. ZUSAMMENFASSUNG Im Jahr des Consulats des Vinicius war aus politischer Perspektive die Zeit für eine aktualisierte Gesamtgeschichte Roms günstig. Das bislang ambitionierteste historiographische Projekt, Livius’ Ab urbe condita, lag seit dem Ende des augusteischen Principats abgeschlossen vor, und unter den seither erschienenen Werken dominierte die Zeitgeschichte. Der Herrscherwechsel von Augustus zu Tiberius aber brachte tiefgreifende Veränderungen für die politische Praxis mit sich. Gleichzeitig setzte sich der personelle Erneuerungsprozess im Senat fort. Eine neue Nobilität entstand, die zahlenmäßig die etablierten gentes immer stärker zurückdrängte, jedoch nicht über das Selbstverständnis und das kollektive, historisch geprägte Wissen der republikanischen Senatsaristokratie verfügte.300 All dies bot Velleius die Chance, das Principat des Tiberius in ein vollständiges Panorama der römischen Geschichte einzuordnen, mit Paradigmen und Schwerpunkten, die der jüngsten Entwicklung angepasst waren. Nicht nur konnte er ältere 297 So aber Wiegand 2013: passim. 298 Suet. Tib. 30. S. o. S. 376–379. 299 Zur Herrschaftspraxis des Tiberius und sein beflissenes Bemühen um die Einbindung des Senats s. o. S. 376, Anm. 13. 300 Zur Bildung und zum Wissen der Senatsaristokratie s. Walter 2004: bes. 42–83; 408–426; Scholz 2011: bes. 13–31; Wallace-Hadrill 2008: bes. 35–37; 213–258; zu Tiberius bes. Bloomer 1992 und Gowing 2005: 1–34. Für die sozialen Veränderungen in der Zusammensetzung des Senats seit Augustus s. Syme 1939; Kienast 2009: 151–157; Levick 1999: 96–99; Seager 2005: 106–109.

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Darstellungen aktualisieren. Durch die Wahl der Gattung schuf er außerdem eine lesbare Kurzfassung, die sich als Alternative zur überbordenden Annalistik ideal für didaktische Zwecke eignete.301 Das Sinnstiftungspotential der republikanischen Ära war noch nicht erschöpft. Zu den drängenden zeitgeschichtlichen Fragen, die Velleius’ Werk beantworten konnte, zählte, welche Verbindungslinien zwischen Republik und Principat verliefen, ob mit dem Principat ein gänzlich neuer Abschnitt in der römischen Geschichte begonnen oder ob sich die Geschichte im Sinne der wiederhergestellten Republik unter Augustus und Tiberius in den traditionellen Bahnen fortbewegt habe. Dabei ließen sich auch die maßgeblichen Kräfte und politischen Konstellationen in der Gegenwart bestimmen und einordnen. Zuletzt hatte er die Gelegenheit, dem Regiment des Tiberius innerhalb des Principats wie der Gesamtgeschichte Roms den ihm gebührenden Platz anzuweisen. Der Bezug auf die Gegenwart führt Velleius zu einer Modifikation bekannter Meistererzählungen. Für ihn bedeutet das Jahr 146 im Unterschied zu Sallust und Livius tatsächlich eine Epochengrenze. Zwar knüpft er in der Praefatio an historische Erklärungsmodelle für den Niedergang an. Sein Narrativ entwickelte jedoch bestehende historiographische Strukturen weiter. Entgegen seinen Ankündigungen besaß der Sittenverfall keine prägende Funktion für seine Darstellung und Erklärung des Krisenjahrhunderts. Das Movens der Geschichte war vielmehr die sich verschärfende Konkurrenz innerhalb der Senatsaristokratie um Macht und Prestige. Klassische ideologische Positionen, wie sie in der Publizistik der Späten Republik bezogen wurden, spielen für ihn nur eine untergeordnete Rolle – so der ohnehin je nach Kontext und Autor variierende Gegensatz von Optimaten und Popularen. Der Maßstab für die Beurteilung politischen Handelns war dessen Auswirkung auf die Stabilität des Gemeinwesens. Populistische Maßnahmen kritisiert er ebenso wie überzogene Reaktionen. Der Verfall trat nach Velleius nicht, wie im Prooemium angekündigt, mit einem Schlag ein, sondern vollzog sich in mehreren Stufen, auf denen sich die Intensität des Einsatzes von Gewalt in politischen Auseinandersetzungen steigerte, bis sie die Schwelle zum Bürgerkrieg überschritt. Das durch den Fall Karthagos bestimmte Epochenjahr dient nicht nur der Einhaltung von historiographischen Konventionen, sondern erfüllt auch eine kompositorische Aufgabe: Es zeigt markant einen historischen Wendepunkt an. Ohne die mit dem Reformprogramm der Gracchen einsetzende Spirale der Gewalt war Tiberius’ Herrschaft nicht erklärbar. Für Velleius ist das Leitmotiv der politischen Entwicklung der zerstörerische Antagonismus von Gemeinwohl und Partikularinteresse, von Stabilität und Chaos, verursacht durch das maßlose Streben führender Mitglieder des Senats nach dignitas.302 Die Zerrüttung des republikanischen Systems war nach dem II. Triumvirat so weit fortgeschritten, dass eine Wiederherstel301 Interessant ist der Hinweis von Lobur 2007: 219 f.; 227 f., der soziale Aufsteiger Velleius habe mit dem Geschichtswerk seinen Anspruch auf Zugehörigkeit zur Senatsaristokratie bekräftigen wollen, indem er unter Beweis stellte, dass er offensichtlich über das notwendige historischpolitische Wissen der Führungsschicht verfügte. Zur Didaktik s. außerdem Starr 1981: 173 f. 302 Steel 2011 stellt ebenfalls die Diskrepanz zwischen Proemium und Erzählung fest. Ihre Erklärung dieses Phänomens unterscheidet sich von der hier vorgetragenen. Als Folge des Epochenjahrs nimmt sie eine Spannung zwischen den hervorragenden Qualitäten der Akteure und den

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lung der Republik außer Reichweite lag. Zwar feiert er Augustus noch in Übereinstimmung mit dessen Selbstdarstellung als einen restitutor rei publicae. Doch die politischen Alltagsprobleme des Tiberius entlarvten diese Konstruktion als Chimäre. Offen formuliert er die Unvereinbarkeit von Republik und Principat, vermeidet aber einen Eklat. Die Erinnerung an Augustus tastet er nicht an. Andererseits enthüllt er die tatsächlichen Verhältnisse der Gegenwart, liefert dabei aber eine Deutung, die zur Stabilisierung des um Legitimität bemühten Princeps beitrug. Die Figur des Pompeius zeigt die komplexen strukturellen Beziehungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Tiberius und Pompeius verband, dass sie ihre Standesgenossen im Senat in Rang und Verdiensten um die res publica übertrafen und nicht mehr mit den Maßstäben eines civis gemessen werden konnten. Beider Intentionen und Handeln riefen jedoch denkbar unterschiedliche Reaktionen hervor. An den Figuren des Pompeius und des Tiberius offenbarte sich der historische Wandel zwischen Republik und Principat. Mit der Etablierung des Principats unter Augustus war weder die Restauration der traditionellen res publica noch ein Goldenes Zeitalter, wie es die Saecularfeier beschworen hatte, verbunden. In Velleius’ Geschichte demonstrieren dies die plötzliche Krise unmittelbar nach dem Tod des Augustus und die fundamentalen Reformbemühungen, die Tiberius unternahm. Die Ursache der kontinuierlichen Instabilität ist die zum Beginn des II. Buches thematisierte Übernahme der Weltherrschaft und der Wegfall des metus hostilis. Die neue Ordnung sieht Velleius in letzter Instanz als notwendige Folge einer stringenten Entwicklung an. Der Verlust der bürgerlichen Gleichheit und Freiheit musste, wie die innenpolitische Situation bei Tiberius’ Herrschaftsantritt bewies, zur Aufrechterhaltung der Stabilität zementiert werden. Mit diesem Ansatz konstruiert er einen inneren Zusammenhang in der römischen Geschichte seit dem Jahr 146. Dass die destruktiven Kräfte, die damals aktiviert wurden und sich in entgrenzter Konkurrenz niederschlugen, weiterwirkten, illustriert das Gebet, mit dem Velleius das Werk beschließt.303 Tiberius rang in Velleius’ Werk mit den Ausläufern einer Entwicklung, die am eindringlichsten Pompeius verkörperte. Mit dem Jahr 146 begann eine noch unabgeschlossene Epoche der römischen Geschichte. Sie enthielt jedoch mit der Transformation der Republik ins Principat eine innere Entwicklung. Der dargestellte Wandel verlangte nach einer neuen Bewertung von politischem Handeln. Die republikanische Vergangenheit war, das demonstriert der Historiker, an anderen Kriterien zu messen als die Gegenwart. Unter Tiberius verkomplizierte sich das Verhältnis zwischen Princeps und Senat. In dieser von politischer Unsicherheit geprägten Zeit unternahm Velleius’ Geschichtsschreibung den Versuch einer aktuellen Definition der Rollen von Princeps und Senat mitsamt dem jeweiligen Selbstverständnis und Handlungsspielraum. Die Komplikationen, die Tiberius’ Herrschaftsausübung erzeugte, erforderten eine Modifikation und Anpassung der Illusion der res publica restituta an die politischen Realitäten. Zur Legitimation des Principats leistete Velleius einen doppelten Beikatastrophalen Konsequenzen ihres Handelns wahr. Velleius wolle zeigen, dass die Lösung dieses Problems nur im Principat gelingen könne. 303 Vell. II 131,1. Dass hinter dem Gebet die Angst vor dem Bürgerkrieg lauere, stellt zu Recht Gowing 2010: 256 fest.

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trag: Sowohl gegenüber den Senatoren als auch gegenüber dem skrupulösen Tiberius begründete er die Vorrangstellung des Princeps mit der Krise der Senatsherrschaft. Die Behandlung des Pompeius benannte die Verantwortlichkeit für die Entwicklung, die ins Principat mündete. Die Schuld an der Einschränkung der Freiheit trug nicht Tiberius. Auf eine gleichberechtigte Partizipation an der operativen Politik konnte die Senatsaristokratie nach Velleius im Principat nicht rechnen. Er erinnerte sie daran, dass – zumindest seiner Darstellung nach – Tiberius’ Herrschaftsantritt vom Senat ausging. Insofern war das Principat ein Produkt des Scheiterns der Nobilität. Aber Velleius widerlegte auch die Klage der Senatoren über die vermeintliche Unterdrückung durch den Princeps. Sein Überblick über die Herrschaft des Tiberius wies nach, dass die Substanz des republikanischen Systems gewahrt blieb. Selbst die Bestellung von adiutores, an ihrer Spitze Seian, vermochte er auf republikanische Konventionen zurückzuführen.304 Die Zweifel des Senats am republikanischen Habitus des Tiberius, die die innenpolitische Atmosphäre vergifteten, wurden dadurch abgeschwächt, dass Velleius die Grundlagen der neuen Ordnung, in deren Mittelpunkt ein eminens princeps stand, offen benannte und sie nicht hinter einer unglaubwürdig gewordenen republikanischen Draperie verhüllte. Im Unterschied zur Republik, als enthemmte Konkurrenzkämpfe die Innenpolitik bestimmten, hing unter Tiberius, einem Anhänger des meritokratischen Prinzips, die dignitas der Bürger allein von ihren Verdiensten ab. Als größtes Vorbild für politisches Handeln fühlte Tiberius sich allen herausragenden Männern nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Geschichte verbunden.305 Gerade deshalb war seine Personalpolitik, die elementare Aspekte des Freiheitsgedankens berührte, weil sie den Wettbewerb im traditionellen Sinn faktisch abschaffte,306 kein Element einer autokratischen Herrschaft, wie sie nach Velleius’ Erzählung der Späten Republik so oft zu inneren Konflikten geführt hatte. Den Gegensatz zwischen Freiheit und Stabilität, der im Herrscherwechsel sichtbar wurde, verleugnet Velleius dabei nicht. Weil der eminens princeps die Auswüchse der Freiheit verhinderte, wie sie Pompeius’ Agieren hervorbrachte, waren libertas und Principat im Geschichtswerk des Velleius unvereinbar. Velleius’ Darstellung des Verhältnisses von Princeps und Senat stimmte mit Tiberius’ eigenen Vorstellungen überein. Auch wenn sich der Princeps an der Republik orientierte, leugnete er nicht, dass ihn seine statio über die Bürger hinaushob. Die in einer Senatsdebatte vorgetragene Selbsteinschätzung, mit seiner Aufgabe sei maius aliquid verbunden, reflektierte die Formel eminens princeps. Indes ist nicht auszuschließen, dass Velleius auch eine Botschaft an Tiberius sandte. Denn zur 304 Vell. II 127 f. 305 Vell. II 130,2: […] qui quicquid umquam claritudine eminuit, id veluti cognatum censet tuendum. Dass es auch im Principat eine Vielzahl herausragender Persönlichkeiten in Politik und Militär gab, zeigen im Detail Abraham 1885: 9–16; Sauppe 1896: 63 f.; Sumner 1970: 292; Kuntze 1985: bes. 254–267; Hillard 2011: 226–230; Wiegand 2013: 125–128; s. außerdem die einschlägigen Erläuterungen in Woodman 1977 sowie Gowing 2005: 41. 306 Vell. II 130,3 zeigt, dass über den Grad der dignitas, den ein Bürger erreichte, allein der Princeps entschied.

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Verschärfung der innenpolitischen Atmosphäre trug auch die Enttäuschung des Princeps über die von ihm als Servilität verurteilte Zurückhaltung des Senats das Ihre bei. Velleius’ Deutung des Herrscherwechsels war eine indirekte Warnung: Als Princeps stand Tiberius über dem Senat. Mochte sein innenpolitischer Kurs, der auf die politische Integration des Senats setzte, auch eine Voraussetzung für die Wahrung der Eintracht bedeuten, so durfte er die Beteiligung des Senats dennoch nicht zu weit treiben. Ein zu hohes Maß an Einbindung in die Politik hatten nach seiner Darstellung die Senatoren im Jahr 14 ja gerade abgelehnt, als sie Tiberius baten, das Principat zu übernehmen. Er war der Garant des Reiches. Von ihm erwartete Velleius deshalb politische Führung.307 Am Stellenwert der Freiheit in der politischen Praxis und im politischen System waren Velleius’ Vorstellungen von der Entwicklung der römischen Geschichte ablesbar. Gegen die herrschende Meinung besagt eine der hier vertretenen Thesen, dass Velleius das Principat des Tiberius als einen neuen Abschnitt in der römischen Geschichte verstanden habe, der allerdings eng mit dem Versagen des republikanischen Systems zusammenhing. Die römische Geschichte seit 146 kannte für ihn verschiedene Facetten. Mit der Eroberung Karthagos begann der Sittenverfall, dessen Folgen, das Auseinanderbrechen der res publica, bis in das Principat des Tiberius hinein anhielten. Innenpolitisch erlebte Rom zuerst den Zerfall, dann die Wiederherstellung der Republik in ihrer prisca et antiqua forma unter Augustus. Nach dem außenpolitischen Aufstieg fiel das Imperium im Bürgerkrieg auseinander. Erst Augustus gelang es, die Glieder des Reiches wieder zu vereinen. Seine Herrschaft und die seines Nachfolgers Tiberius waren von innen- und außenpolitischer Prosperität bestimmt. Für kurze Zeit drohte nach Augustus’ Tod allerdings eine erneute Katastrophe. Der Herrschaftsantritt des Tiberius, eines eminens princeps, der über der aequalitas civilis stand, verabschiedete jedoch die Illusion von der vollständig wiederhergestellten Republik. Zwar schildert Velleius, wie eng Tiberius an republikanische Traditionen anknüpfte. Dennoch trat ein Systemwechsel ein. Den politischen Umschwüngen zum Trotz setzte sich gleichzeitig der von Velleius teils als zwiespältig empfundene, teils mit Stolz registrierte Aufschwung der Kultur ungebrochen fort.308 Alle diese vielschichtigen Entwicklungen halten die zahlreichen Verweise auf das Consulat des Vinicius wie eine Klammer zusammen.309 Eine Kontinuität bildete aber nur der stets gefährdete Fortbestand der römischen Geschichte selbst.310 In Velleius’ Politikgeschichte erweist sich das enthemmte dignitas-Streben, das gegen die traditionelle, von der Freiheit bestimmte Ordnung gerichtet ist, als zent307 S. Hillard 2011: 237 f., der im Gebet des Velleius ein Patron-Clienten-Verhältnis zwischen Princeps und der res publica erkennt. 308 S. bes. Elefante 1997: 200 f.; Schmitzer 2000: 72–100; Gowing 2005: 43 f.; Wiegand 2013: 109–113; 143; vgl. jedoch Schwindt 2000: 139–152, bes. 151 f. Zu Velleius’ Haltung s. bes. die Diskussion des Vergleichs zwischen Scipio und Mummius in Vell. I 13,2–5. Hierzu s. o. S. 390. 309 Zu den Ereignissen weitere Details bei Woodman 1975: 275 und Rich 2011: 75 f. 310 Kuntze 1985: 160; 163–165 und Gowing 2005: 34 f. merken die republikanischen Anklänge im Terminus princeps an. Das ist sicherlich zutreffend. Fest steht aber auch, dass der Begriff eminens princeps an dem Wandel, der im Jahr 14 eintrat, keinen Zweifel lässt.

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rales Thema und Problem. Die Gefahr des Bürgerkriegs existiert noch im Principat latent fort. Als Republik gibt Velleius die Herrschaft des Tiberius nicht aus. Seine Darstellung des Principats verfolgt, was Stellung und Amtsführung des Princeps betrifft, eine Doppelstrategie: Einerseits illustriert er den Wandel der Zeitverhältnisse und die Konsequenzen, die sich aus der Dekadenz und der Krise der Republik für die Herrschaftsausübung in Rom ergaben. Andererseits unterstreicht er die aufrichtige Orientierung des Princeps am mos maiorum und am traditionellen, aber überlebten politischen System. Die Gegenwart trennt von der Vergangenheit, dass das Principat keine wiederhergestellte Republik sein kann, weil ihm deren Kernelement, die Freiheit, fehlt. Salus, quies, pax und tranquillitas für Menschen jeglicher Herkunft und sozialer Stellung – Werte, die zur Principatsideologie im Allgemeinen wie zur Selbstdarstellung des Tiberius im besonderen gehören – erhebt Velleius zu den Maßstäben für die Bewertung von Politik.311 Aus ihnen spricht die Erleichterung über die Bewältigung der Krise des Bürgerkriegsjahrhunderts, aber ebenso die Sorge vor deren Wiederholung. Zugleich definiert er die Rolle des Princeps und der Bürgerschaft. Nicht primär vom Senat und vom Volk ist die Zukunft abhängig, sondern vom Princeps. Diese Paradigmen, ihr Fehlen und ihre Verwirklichung in der Geschichte, liegen dem Narrativ des Werkes zugrunde und erhellen das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart, das er konstruiert. Als politischer Autor war er nicht bloß ein Propagandist der Legitimität und der Leistungen des Princeps, sondern mindestens ebenso ein Erklärer der Politik, der Senat wie Princeps die Funktionsweise des Principats erläuterte und so durch das Schreiben von Geschichte die Gegenwart mitprägte.

311 Vell. II 103,5.

IV. EIN ALTERNATIVES GESCHICHTSWERK Die Exemplasammlung des Valerius Maximus 1. VALERIUS MAXIMUS UND SEINE EXEMPLASAMMLUNG ALS ALTERNATIVES GESCHICHTSWERK Über das Leben1 des Valerius Maximus hat sich kein aussagekräftiges Zeugnis erhalten. Er selbst überliefert, dass er in einem Pompeius, möglicherweise dem Consul des Jahres 14 n. Chr.,2 einen frühen Förderer besaß3 und mit ihm im Jahr 25 oder 27 in Athen weilte.4 Weder verfügte er nach eigenem Bekenntnis über materiellen Reichtum5 noch gehörte er wahrscheinlich zur renommierten gens der Valerii6 und war auch sonst kein Mitglied der Senatsaristokratie.7 Aus seinem Privatleben ist lediglich bekannt, dass er zu seinem Bruder ein beispielhaft intimes Verhältnis unterhalten habe.8 Entstanden ist die Exemplasammlung, der eine nachhaltige Rezeption beschieden war,9 zwischen 27 und 32 n. Chr.10 In der Praefatio legt Valerius über die Intentionen, die er mit seinem in der Tradition der Exemplaliteratur stehenden11 Werk verband, den Gegenstand und die Methodik Rechenschaft ab. Da er, dem Prinzip der Orientierung des politischen und privaten Lebens an der Vergangenheit folgend, in der Phase vor dem Sittenverfall das Ideal erblickte, an dem er die Gegenwart maß und dessen Wiederbelebung er verfocht, besaß für ihn auch im Principat die römische Geschichte trotz allen faktischen Wandels jene Aktualität und Relevanz, ohne die seiner Sammlung ein Sinnstiftungspotential gefehlt hätte und ohne die seine Bemühungen auf einen unpolitischen Antiquarismus reduziert worden wären. Anstatt im Atrium aufgestellt zu werden, sollten die imagines nun in Buchform vorliegen.12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Hierzu s. bes. Combès 1995: 7–11 und Weileder 1998: 26–28; problematisch Skidmore 1996: 113–117. So vermutet von Albrecht 2003: 852. Die Zuschreibung des Consulats setzt die Identität mit dem bei Ov. Pont. IV 1; 4; 5; 12 genannten Pompeius voraus. Val. Max. IV 7,ext. 2b. Val. Max. II 6,8. Näheres bei Weileder 1998: 27. Val. Max. IV 4,1. Saddington 2000: 167 gegen Skidmore 1996: XV; 115 f. Zu dessen Fehldeutung von Val. Max. V 5,pr. s. Weileder 1998: 26, Anm. 123. Bloomer 1992: 149; Weileder 1998: 26. Val. Max. V 5,pr. Schanz/Hosius 1935: 591–595; von Albrecht 2003: 856 f.; zur Renaissance Weileder 1998: 9 f. Zur Datierung Schanz/Hosius 1935: 588 f.; von Albrecht 2003: 852. Ganz unplausibel die Annahme der Entstehung für die Jahre 14–16 bei Bellemore 1989, ähnlich Combès 1995: 10. Für weitere Datierungsvorschläge s. Wardle 2000: 479. Grundlegend Skidmore 1996: 44–52. Val. Max. IV 6,pr.; IX 3,pr.; 11,pr. Hierzu auch Gowing 2005: 56.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

Als ein Breviarium, das 636 römische und 320 auswärtige Beispiele umfasst, soll Valerius’ Werk die über die Literatur weit verstreuten historischen Informationen bündeln und, nach Rubriken geordnet, dem praktischen Gebrauch zugänglich machen.13 Gegenstand sind die facta und dicta der Römer wie der auswärtigen Völker,14 die alle Zeiträume abdecken sollen,15 um die Erinnerung sowohl an würdige Individuen als auch an Institutionen zu bewahren oder zu stiften16. Mit positiven wie negativen Einzelfällen sollen alle Aspekte des menschlichen Lebens erfasst werden.17 Wenngleich er annimmt, dass Laster durch Verschweigen zunehmen könnten und ihre Behandlung umgekehrt als eine „Anleitung zum Hassen“ diene, die als Kontrastbild dem Lob der Tugend nütze,18 so fühlte er sich doch auch gezwungen, das Vergessen walten zu lassen, um widrige oder brisante Themen wie den Bürgerkrieg zu übergehen.19 Als wahrscheinlich gilt, dass sich die Sammlung an Angehörige der Senatsaristokratie20 und Aufsteiger,21 möglicherweise speziell aus der Ritterschaft oder den Eliten italischer Landstädte,22 gerichtet hat. Die Vergangenheit dient vorrangig als Arsenal für Tugenden, die zwar nicht in systematischer Reihenfolge angeordnet, aber dennoch vielfältig aufeinander bezogen sind. Valerius’ Interesse gilt nicht dem Verständnis der chronologischen Abfolge und den kausalen Zusammenhängen historischer Ereignisse. Zum Charakteristikum des Werkes, das vorgeblich keine panegyrischen Ziele verfolgt, sondern auf das schlichte Registrieren von exempla beschränkt sein soll, ernennt er die Kürze.23 Es wendet sich nicht als ein Rhetorikhandbuch24 vorrangig oder gar allein an Redner,25 sondern erfüllt – abgesehen von dem Lesevergnügen, das es zu bieten beansprucht26 – angesichts einer tiefreichenden Krise der Gegenwart, die Valerius 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Val. Max. praef; II 7,5; IV 1,12 (augustus ambitus; keine laudes, sondern bloße recordationes); VII 2,ext.1a. Zum Zweck der Sammlung jetzt die Forschungsübersicht bei Lucarelli 2007: 15–23. Val. Max. praef.: urbis Romae exterarumque gentium facta simul ac dicta memoratu digna […]; domesticae peregrinaeque historiae […]. Val. Max. praef.: omnis aevi. Val. Max. VIII 11,pr.: Memoratu dignae res lucido in loco reponentur. II pr.; II 7,6. Val. Max. VI 2,pr. (humanae vitae partes persequi propositum est); IX 11,pr. (vitae humanae cum bona tum etiam mala substitutis exemplorum imaginibus persequimur). Zum „moral universe“ und den didaktischen Absichten s. Gowing 2005: 55; 57. Val. Max. V 2,ext. 4; Val. Max. IX 4; 6. Val. Max. III 3,2. Skidmore 1996: 105–107. Bloomer 1992: 259; s. auch 186 f. gegen die These, dass Valerius ein sklavischer Verehrer des Princeps sei. Saddington 2000: bes. 172. Val. Max. praef.; II 7,5; IV 1,12 (augustus ambitus; keine laudes, sondern bloße recordationes); VII 2,ext. 1a. So aber noch etwa Honstetter 1977: 78 und noch Bloomer 1992: 7; 9; Lehmann 1998: 19. Dagegen bes. Skidmore 1996: 53–82, grundsätzlich 53 f. und Lucarelli 2007: 18 f. So aber Lehmann 1998: 19. Bezeichnend ist, dass der rhetorisch-didaktische Zweck von der moralisch-politischen Ebene der Sammlung getrennt wird (19 f.). Zu einigen wichtigen Stellen s. Loutsch 1998: 31.

1. Valerius Maximus und seine Exemplasammlung als alternatives Geschichtswerk

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diagnostiziert, hauptsächlich einen politischen, moralisch-didaktischen27 Zweck: die Restitution der von ihm als Grundlage des Staates angesehenen römischen Tugendhaftigkeit nach dem Vorbild der Vergangenheit. Sein Appell richtet sich an alle Schichten der Bürgerschaft.28 Besonders dürfte er aber auf die politische Führungsklasse zielen, die sich in ihrer Zusammensetzung gewandelte Senatsaristokratie.29 Selbstbewusst versteht Valerius sich als laboriosus et diuturnus sapientiae miles.30 Wie zwei Generationen vor ihm Cicero31 und Sallust32 sieht er sein literarisches Werk explizit als einen Dienst am Vaterland an, als Alternative zum traditionellen Militärdienst, diesem jedoch in seiner Nützlichkeit für das Gemeinwesen vergleichbar. Dass aus dem überbordenden Material eine Auswahl getroffen werden muss, bedingt eine Subjektivität der Präsentation, die unmittelbar von Valerius’ ideologischen Absichten bestimmt war. Der Autor tritt nicht hinter dem Material zurück, sondern prägt sich ihm ein.33 Er allein entscheidet über die Maßstäbe und Kriterien der Relevanz von erinnerungswürdigen Themen, Ereignissen und exempla, durch deren Anordnung er den Blick seiner Zeit auf die Vergangenheit prägt und eine Tradition formiert, und übt so gleichsam ein Censoramt34 aus. Trotz des systematischen Ordnungsprinzips fügt sich, was Valerius an einzelnen Epocheneinschnitten und Wendepunkten angibt, zu einer in sich geschlossenen Konzeption von historischen Tendenzen und Kräften, da er einem Dekadenzschema folgt, das auf rudimentären philosophischen Einsichten über die menschliche Natur und die Politik basiert.35 Seinen Einfluss als Autor spielt er herunter. Dadurch, dass er den Eindruck erweckt, als sprächen seine berühmten Vorläufer36, an deren Können und Ruhm er nicht heranzureichen vorgibt,37 verleiht er seinem Werk in literarischer 27 28 29 30 31 32 33

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36 37

Skidmore 1996: 53–82; Lehmann 1998: 19 f.; Lucarelli 2007: 20–22. Nicht nur an Ritter (Saddington 2000) oder Provinziale (Bloomer 1992). Combès 1995: 18–20; David 1998(a): 17 sowie generell Weileder 1998. Für die patres familiae der Oberschicht Skidmore 1996. Val. Max. VIII 7,ext. 5. Hierzu jetzt generell Baraz 2012. Sall. Cat. 3,1; 4,2; Iug. 4. S. hierzu die Formulierungen aus der Praefatio: electa digerere; nec mihi cuncta complectendi cupido incessit. Dass Valerius seine Tätigkeit als digerere (Val. Max. praef. und auch VIII 11,pr.; zu Valerius’ Arbeitsweise s. bes. Fleck 1974 [gegen eine rein kompilatorische Methode] und Bloomer 1992: 59–146) beschreibt, das historische Material also zer- und verteilt, ist ein Indiz dafür, dass er seinem Werk eine innere Ordnung verleiht, die den historischen Ereignissen, Personen und Taten einen Sinn zuweist. So werden in der Sammlung Ereignisse ihrem Zusammenhang entnommen und thematisch neu gegliedert. Val. Max. V 2,pr. Valerius selbst geht von einem inneren Zusammenhang seiner Exemplasammlung aus. So erläutert er z. B. zu Beginn des Abschnitts über die Beispiele für exzentrische Kleidersitten, rückblickend auf das vorherige Kapitel, dass seine Themenwahl auf einem periculosum iter voranschreite (processerim) (Val. Max. III 6,pr.). Ebd. (illustres autores). Zur Wahl der Gattung und zum mäßigen Umfang des Werks s. Val. Max. praef. modicum volumen; breviter cognoscere, ebenso zum Bescheidenheitstopos, mit dem er seinen Verzicht auf ein Geschichtswerk rechtfertigt. Zu Valerius’ dennoch vorhandenen literarischen Absichten

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

wie sozialer Hinsicht Legitimation.38 Das Ergebnis ist eine aktualisierte Deutung der Geschichte für die Gegenwart, das Principat des Tiberius.39 Unabhängig von diesen Versicherungen ist es jedoch Valerius’ Absicht, in Konkurrenz zu den ehrfurchtsvoll angeredeten Vorgängern, aus deren Werken er sein Material bezog, zu treten, da sein praktikables, benutzerfreundliches Kompendium die umfangreichen Geschichtswerke früherer Zeit, deren methodische Grundsätze er teilweise befolgt,40 für den konkreten politischen Gebrauch ersetzen sollte.41 Für Valerius verkörpern die römischen exempla wegen ihrer Anwendbarkeit praktische Bildung, die sich von der griechischen unterscheidet; sie wollen keine philosophische Belehrung bieten, keine vagae disputationes sein, sondern konkrete Einsichten in die menschliche Natur42 und daraus abzuleitende Lehren aufzeigen43. Die exempla sollen im Sinne einer didaktischen Geschichtsschreibung Mut stiften, Zweifel löschen und Hoffnung schaffen.44 Sinnvolles Lernen aus der Vergangenheit bedeute jedoch keine sklavische Nachahmung, sondern eine aktualisierte Anwendung der Prinzipien, die hinter den konkreten Handlungen der exempla standen, auf die gegenwärtigen Verhältnisse.45 Die Befolgung der Sitten der Vorfahren hält er selbst im Kleinen für notwendig.46 Ausdrücklich formuliert er seine Hoffnung auf einen politischen, öffentlichen Nutzen des Werkes.47 Durch die Erinnerung an die Vergangenheit vollzieht sich die sittliche Erneuerung, wird die Mentalität, in der Gegenwart korrumpiert, neu geschaffen.48 Die häufige Verwendung des Verbs commemorare zeigt nicht nur den zeitlichen Abstand zwischen den verzeichneten Ereignissen und der Gegenwart, sondern auch die Intensität des

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s. Skidmore 1996: 31; 56; Römer 1990: 106 f.; Weileder 1998: 20. Valerius’ stilistisch-kompositorische Techniken bezieht stets ein Lucarelli 2007. Passend dazu stilisiert Valerius, dem es nach eigenem Bekunden an stilistischen, kompositorischen und rhetorischen Fähigkeiten mangelt, die Selbstbeschränkung kokettierend als einen Ausdruck des Respekts (parvitas). Zur rhetorischen Aufbereitung, die dennoch Valerius’ Sammlung durchzieht, s. Skidmore 1996: 31; Loutsch 1998: 31; skeptisch Bloomer 1992: 254. Weileder 1998: 23 f. mit der älteren Literatur geht hingegen zwar davon aus, dass sich ein geschlossenes Geschichtsbild des Valerius rekonstruieren lassen könne, betont jedoch die Unterschiede zur Historiographie. Cura und studium: Val. Max. IV 3,pr.; fides: VI 2,pr.; größtmögliches Bemühen um Objektivität: VIII 11,pr. So sieht er denn auch in der Kürze der Sammlung den entscheidenden Vorzug seines Unternehmens; s. hierzu Val. Max. I pr.; II 7,5; IV 1,12. Val. Max. II 4,ext. 1. Den Schwerpunkt legt Valerius deshalb auch auf die römischen Beispiele, denen ein höheres Mobilisierungspotential innewohnt als auswärtigen exempla, s. Val. Max. VI 9,ext. 1; IX 2,ext. 1. Val. Max. VI 9,pr.; VII 5,pr. Val. Max. VI 4,pr.; IV 3,12. Val. Max. II 6,7 + 9. Val. Max. VIII 11,pr. Gegen einen Verwendungszweck als Nachschlagewerk wendet sich auch Thurn 2001: 79 f. Anders jedoch Bloomer 1992: 1; 3 u. ö. Neben den politischen Zielen bietet, wie Skidmore 1996: 74–82 zeigt, die Sammlung auch Orientierung in lebenspraktischen Fragen (für weitere Literatur s. Weileder 1998: 21, Anm. 97). Val. Max. IV 4,11: exsurgams potius animis pecuniaeque aspectu debilitatos spiritus pristini temporis memoria recreemus.

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Rückgriffs auf die Vergangenheit, das Bemühen, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen.49 Zeitkritische Bemerkungen in den verschiedenen Kapiteln unterstreichen die didaktisch-politischen Zwecke der Vergangenheitsdarstellung und belegen, dass Valerius von der Möglichkeit einer sittlichen Besserung überzeugt war.50 Die Forschung zu Valerius teilt sich hauptsächlich in drei Richtungen. Traditionell konzentriert sie sich auf Fragen der Werkstruktur oder in hauptsächlich quellenkritischer Absicht auf die Untersuchung einzelner historischer Persönlichkeiten.51 Ein zweiter Strang widmet sich der Analyse einzelner Tugenden im Sinne einer Werteforschung. Relativ neu sind Bemühungen, Valerius’ Kenntnisse über verschiedene Epochen der Geschichte aus den exempla zu destillieren;52 im Mittelpunkt steht dabei jedoch die Entwicklung des historischen Wissens und der Geschichtskultur im Übergang von der Republik zum Principat. Es herrscht Konsens, dass die iulisch-claudische Familie im Zentrum des Werkes53 steht. Unbestritten sind die panegyrischen Ziele des Valerius;54 vorgebracht wurde sogar die These, dass seine Geschichte teleologisch auf das Principat zuführe.55 In dieser Untersuchung sollen die historischen Mechanismen und Prozesse im Mittelpunkt stehen. Sie werden durch das Verständnis der römischen Geschichte in der longue durée, soweit sie aus den Beispielen rekonstruiert werden kann, und durch die Analyse der politischen Tugenden freigelegt.56 Der Anspruch, Valerius’ Sammlung in allen Facetten zu erfassen, soll dabei nicht erhoben werden. Ob er ein geschlossenes ereignispolitisches Bild der Epochen hat, denen er seine exempla entnimmt, ist nicht nur fraglich, sondern auch von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend für den Zweck der Sammlung ist die Aufschlüsselung der Geschichte nach sachlichen Kategorien, nicht die Darstellung von historischer Prozesshaftigkeit. Den Ausgangspunkt bildet Valerius’ Deutung der Gegenwart vor dem Horizont der Vergangenheit. Anschließend sollen die konkreten Erscheinungsformen des Verfalls analysiert werden, die er seit dem Ende der Späten Republik beobachtet. Daran schließt sich eine Übersicht seiner Vorstellungen von den Grundlagen einer intakten politischen Ordnung sowie den dazugehörigen politischen Tugenden an. Zum Schluss soll dargelegt werden, welche Botschaft die Sammlung des Valerius aussendet und wie sie auf die charakteristischen Probleme ihrer Zeit antwortet.

49 50 51 52 53 54 55 56

Zum Wandel der Bedeutungen von exempla s. Lucarelli 2007: 14. Val. Max. V 4,ext. 5; VII 5,2; IX 1,pr. Für ein Beispiel s. VI 9,3 zu Valerius Flaccus; VI 9,4 zu Q. Fabius Maximus Allobrogicus und VI 9,5 zu Q. Catulus. Zur umstrittenen Frage der Gliederungsprinzipien, die hier nicht eigens erörtert werden muss, s. Honstetter 1977: 26–51; Römer 1990; Bloomer 1992: 17–58; Thurn 2001 (Lebensalter). Zum Punischen Krieg: Coudry 1998; Chassignet 1998; zu den Bürgerkriegen: Freyburger 1998; zur Späten Republik: David 1998(b). Wardle 2000: 482 f. Zur Forschung s. Weileder 1998: 14 f. Cogitore 2003. Bloomer 1992: 186 f. Zum Bereich der Sozialbeziehungen s. jetzt umfassend Lucarelli 2007.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

2. AMBIVALENTE ZEITDIAGNOSTIK a) Verherrlichung und Kritik der Gegenwart Vom Rom im Zeitalter des Tiberius entwirft Valerius ein ambivalentes Bild. Einerseits herrscht unter ihm in Rom ein glückliches Leben, dessen Bestandteile die republikanischen instituta der Vergangenheit sind: politische Einrichtungen, kulturelle Praktiken und Mentalitäten.57 Eng orientiert er sich an der Selbstdarstellung des Princeps.58 Tiberius trägt die alleinige Verantwortung für den Staat; ihm obliegt die tutela des Reiches,59 übernommen in der schärfsten Krise des Staates.60 In der Nachfolge des Augustus, der ebenfalls die tutela terrarum innehatte,61 den er jedoch übertrifft, weil er sich nicht nur auf einen consensus der Menschen, sondern auch der Götter stützt,62 garantiert er den weltweiten Frieden, die Gesetze und die öffentlichen wie privaten Sitten.63 Wie Caesar und Augustus, in deren familiärer wie politischer Nachfolge Tiberius verortet wird,64 schreibt Valerius ihm eine numinose Kraft zu und setzt ihn mit Iuppiter gleich.65 In der Förderung seiner dynastischen Beziehungen verkörpert er für Valerius die pietas.66 Im Sinne einer meritokratischen Herrschaftsausübung zeichnet er Verdienste unabhängig von der Herkunft aus.67 In einem Spannungsverhältnis zur Verherrlichung der Gegenwart steht allerdings Valerius’ Zeitkritik. Zwar herrschen momentan größtmögliche tranquillitas und felicitas.68 Gefährdet aber sind sie durch den immer wieder betonten maroden Zustand der Gegenwart, besonders durch libido und avaritia.69 Tiberius’ Handeln konkretisiert Valerius nur selten;70 hauptsächlich würdigt er dessen heilsame Wirkung. Den Sturz dieses salutaris princeps71 vergleicht er nur mit den schlimmsten Niederlagen in der römischen Geschichte und einer Weltkatastrophe. 57 58 59 60 61 62 63 64

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Val. Max. II pr.: […] priscis ac memorabilibus institutis: opus est enim cognosci huiusce vitae, quam sub optimo principe felicem agimus, quaenam fuerint elementa, ut eorum quoque respectus aliquid prasentibus moribus prosit. Für die Belege s. Weileder 1998: 47–49; 54 f. Val. Max. IX 11,ext. 4. Zur Legitimität der Weltherrschaft, die auf römischer virtus und iustitia beruht, s. Weileder 1998: 61–71. Val. Max. VII 6,6. Val. Max. VII 6,6 (zum Management der Phraates-Krise). S. hierzu Weileder 1998: 45 f. Val. Max. I pr.; IX 11,ext. 4 (sincerus privati ac publici officii tenor). S. hierzu im Zusammenhang mit Val. Max. V 5,3 und der Anrede als princeps parensque noster bes. Wardle 2002: 234–237. Für eine positive Sicht auf Caesar auch im Bürgerkrieg s. Cogitore 2003: 257–261 sowie detailliert Bloomer 1992: 204–229. Zur Kritik an den Caesarmördern s. Weileder 1998: 33–35. Zu diesem Abschnitt der Einleitung in die Sammlung s. im Detail Wardle 2000: 491 f. und Cogitore 2003: 362 f. S. Wardle 2002. Val. Max. VII 8,6. Val. Max. VIII 13,pr.; vgl. jedoch VII 2,1. Val. Max. IV 3,pr. Hierzu im Detail Wardle 2000: 489–493. Val. Max. VIII 13,pr. Zu Valerius und dem Princeps. s. Honstetter 1977: 74–78; Maslakov 1984: 446; 450 f.; 452; Wardle 2000; 2002; Weileder 1998: 32.

2. Ambivalente Zeitdiagnostik

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In Gegenüberstellungen bringt Valerius immer wieder die Aktualität der Vergangenheit in Erinnerung. Seiner Deutung der Geschichte nach war die Kontinuität abgebrochen, seit im 2. Jh. der Sittenverfall eingekehrt war;72 die Anknüpfung an die Vergangenheit empfindet er als eine Notwendigkeit. Der von ihm gestellten Diagnose zufolge sind die elementa des glücklichen Lebens, die er im II. Buch erläutert, in der Gegenwart in Vergessenheit geraten.73 Nur auf den institutionellen und mentalen Grundlagen, die aus der Vergangenheit stammen, kann jedoch seiner Überzeugung nach die Gegenwart prosperieren. Der einzige Garant der aktuellen Hochphase ist der sogar im historischen Maßstab überragende Princeps. Eine moralische Konsolidierung der korrumpierten Gesellschaft steht für Valerius jedoch noch aus. Trotz der fundamentalen Kritik an der sittlichen Integrität der Senatsaristokratie und trotz des Umstands, dass allein der Princeps Sicherheit und Prosperität gewährleistet, bildet die Gegenwart den Höhepunkt der römischen Geschichte und übertrifft selbst die so vorbildhafte, als Maßstab jeglichen Handelns in Politik und Privatleben gerühmte Frühzeit, die vetustas felicitas.74 Nicht ohne Optimismus blickt Valerius in die Zukunft: Ungeachtet einer langen Reihe von Kritikpunkten ruft er zur Zuversicht auf und dokumentiert, dass er eine Wende, eine Rückkehr der Vergangenheit für möglich hält.75 Selbst in dem seit etwa zwei Jahrhunderten andauernden Verfallsprozess sind für Valerius die Beharrungskräfte offenbar noch so groß, dass Rom die Weltherrschaft innehabe76 und sein Einfluss sich weiterhin auf alle Mächte erstrecke.77 Noch immer kann Rom eine Fülle positiver exempla aufbieten,78 ist trotz der tiefgreifenden Krise auch in der Gegenwart noch die tugendhafteste aller Städte79 und gilt weiterhin als Musterbeispiel für die fides publica80, in manchen Tugenden sogar als Schule der Welt81. Trotz der moralischen Depravation, die Anlass für die Zusammenstellung der Sammlung ist, ist Valerius von der Ewigkeit Roms überzeugt.82 Selbst im IX. Buch, das passend zum Zustand der Gegenwart hauptsächlich sittliche Verfehlungen thematisiert, bietet er eine Apologie auf, nach der Rom selbst auf dem Tiefpunkt, auf dem es sich befinde, besser handele als andere Völker.83 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

S. u. Näheres. Val. Max. II pr.: quaenam elementa fuerint (Perfekt!), ut eorum quoque respectus aliquid praesentibus moribus prosit (Präsens!). Val. Max. VIII 13,pr. Val. Max. VI 9,pr. Val. Max. I pr.; II 8,pr.; IX 3,2. Val. Max. IX 15,ext. 2. Val. Max. IV 1,12, hier zur moderatio. Val. Max. VI 5,pr. Val. Max. VI 6,pr. Val. Max. VI 3,ext. 1 (instrui; hier bezogen auf die severitas). Valerius empfindet außerdem Stolz auf Roms munificentia, dessen Herrschaft besser durch Verzicht auf selbst die reichsten Gegenden Asiens ist im Bewusstsein von deren korrumpierender Wirkung (Val. Max. IV 8,4.). Val. Max. V 3,pr. Val. Max. IX 3,2.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

Valerius’ Zeitdiagnostik enthält eine paradoxe Botschaft. Einerseits ist die Gegenwart eine Epoche des Glücks nach dem Vorbild der Vergangenheit und ungeachtet vieler fundamentaler Defizite der Höhepunkt der Geschichte. Andererseits sind die Grundlagen dieses Zustands, die religio84, die disciplina85 und zahlreiche andere Normen des Privatrechts und Privatlebens, die er im II. Buch geschlossen darstellt, in der Gesellschaft weggebrochen und in Vergessenheit86 geraten. Anders als früher hätten selbst Gesetze keine bindende Wirkung mehr und würden erst recht nicht mehr verteidigt.87 Eine dramatisierende Rhetorik suggeriert den nahenden Untergang des Gemeinwesens, obwohl Valerius sich von der Dauerhaftigkeit Roms überzeugt gibt. Unter diesen Umständen mahnt Valerius eine Rückkehr zur Frühzeit, zu den pristina tempora, an.88 Was die Gegenwart seiner Auffassung nach konkret an Vorzügen zu bieten hat, sind zivilisatorische Annehmlichkeiten. Entscheidend jedoch ist für ihn, dass sie hinter die armseligen Verhältnisse der Frühzeit zurückfällt, die alle Voraussetzungen für die im traditionellen Normen- und Wertesystem Roms von der Aristokratie angestrebten politischen Ziele bot: Consulate, Triumphe und Dictaturen. Aktuell sei die moralische Perversion, durch die Gier nach Reichtum zum Ausdruck gebracht, noch dadurch gesteigert worden, dass die Menschen ihre Geschäfte besonders dann genössen, wenn sie mit Gewalt zustande kämen.89 Da Individuum und res publica unauflöslich verbunden sind, wirken die vitia, die Valerius beschreibt, zwangsläufig auf den Staat zurück. Valerius’ Analyse beruht auf konstitutiven Elementen historiographischer Meistererzählungen.90 Armut und Frugalität sind ihm zufolge die Voraussetzungen intakter Sitten, von denen politischer, besonders militärischer, Erfolg abhängt. Die so erlangte, durch Siege abgesicherte Ruhe und der damit einhergehende Wohlstand beschwören jedoch einen Sittenverfall herauf, der sich durch Exzesse in der Politik wie im Privatleben auswirkt. Die Ambivalenz, die Valerius’ Bewertung der Gegenwart innewohnt, beruht auf mehreren Faktoren. Zunächst unterstreicht die Diagnose von Verfallsphänomenen die Notwendigkeit einer Exemplasammlung, wie Valerius sie vorlegt. Die düstere Beurteilung der Gegenwart ist ein essentieller Bestandteil seiner Rechtfertigungsstrategie als Autor. Doch um eine bloße literarische Strategie handelt es sich nicht. Wäre Valerius nicht von der Sinnhaftigkeit seines Vorhabens überzeugt gewesen, das eine moralische Wende in Rom verlangte, hätte er ein anderes Genre als Gegenstand einer politischen Publizistik ausgewählt. Beeinflusst ist Valerius offensichtlich durch den Peripatiediskurs der Späten Republik, der die Bahnen vorgab, in denen noch immer in Rom über Geschichte und Politik reflektiert wurde. Andererseits bewies Roms hegemoniale Stellung tatsächlich die Leistungsfähigkeit des rö84 85 86 87 88 89 90

S. z. B. Val. Max. I 1,1b; 9 (implizit); II 1,12. S. z. B. Val. Max. II 1,7. Von manchen Bräuchen seien als einzige Relikte immerhin noch die Namen übriggeblieben, räumt Valerius ein (II 1,1). Val. Max. V 2,8. Val. Max. IV 4,11. Val. Max. IV 7,3. Hierzu s. o. S. 51 f.

2. Ambivalente Zeitdiagnostik

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mischen Volkes und der römischen Politik. Hinzu kommt, dass sich Valerius’ Deutung der Zeitgeschichte mit der Überzeugung des Tiberius deckt. Tiberius operierte ebenfalls mit den Kategorien des Verfalls, von dem er seine Zeit erfasst sah.91 Zugleich war er von seiner überragenden Rolle in der römischen Politik überzeugt. Diese Selbsteinschätzung des Princeps greift Valerius auf: Rom verdankt seine Stabilität allein dem Wirken des Tiberius. So ist die widerspruchsvolle Gegenwartsdiagnose, die er vornimmt, ein Produkt aus der Anbindung an eine Tradition des politisch-historischen Diskurses sowie aus der Berücksichtigung aktueller Verhältnisse. In ihr fließen zwei Intentionen zusammen, die panegyrische und die didaktische. Mit der Legitimierung des Princeps fällt die Unterstützung von dessen Bemühung um eine Ausrichtung der Gesellschaft an den von ihm, Tiberius, präferierten republikanischen Idealen zusammen. Insofern drängte es sich geradezu auf, ein Bild von der Gegenwart zu entwerfen, das sie von der Dekadenz korrumpiert zeigt, den Weltmachtstatus Roms aber nicht negiert. b) Dekadenzmodelle Valerius entwickelt in seiner Sammlung neben isolierten allgemeinen anthropologischen Einsichten und politischen Mechanismen auch ein allgemeines Dekadenzmodell, das auf einem Dictum des App. Claudius Caecus aus dem Jahr 31292 basiert. Abgeleitet hat Claudius es aus dem historischen Beispiel anderer Reiche. Es besagt, dass in Großmächten Herausforderungen zur Ausbildung von Tugend beförderten, während Ruhe zu Untätigkeit und Müßiggang einlade. Daher sei negotium den Annehmlichkeiten der tranquillitas vorzuziehen.93 Claudius selbst appliziert diesen Zusammenhang unmittelbar auf die Politik und die Verhältnisse in Rom: Negotium habe den Zustand der Sitten bewahrt; von der quies seien sie dann mit vitia durchtränkt worden; die Laster verursachten eine Störung der mens und führten zu einem Verlust von consilium und ratio.94 Claudius’ Theorie, die Valerius zitiert und sich zu eigen macht, greift auf traditionelle Argumentationsformen zurück. Über die Formulierung praepotentia imperia nimmt er den Zusammenhang zwischen der Entstehung der Dekadenz und außenpolitischer Macht95 auf. Die Wahrnehmung destruktiver Auswirkungen des Friedens und die Erfahrung der Dekadenz sind offenbar nicht an spezifische Epo91 92 93

94 95

S. o. S. 379. Val. Max. VII 2,1. Diese Episode ist anderweitig nicht belegt. Ebd.: App. Claudium crebro solitum dicere accepimus negotium populo Romano melius quam otium committi, non quod ignoraret quam iucundus tranquillitatis status esset, sed quod animadverteret praepotentia imperia agitatione rerum and virtutem capessendam excitari, nimia quiete in desidiam resolvi. Für einen Vergleich zwischen Valerius und dem entsprechenden Elogium des Augustusforums s. Weileder 1998: 239 f. Val. Max. II 5,6; III 3,ext.; 4,ext. 1; 8,pr.; 8; IV 1,pr; 3,pr.; 4,2; V 1,3; 2,4; 3,2a; 3; VI 1,8; 5,1; VII 2,2; 2,ext. 1; 5,6; 8,2; VIII 7,ext. 4; 14,ext.; 15,12; IX 1,pr.; 3;ext. 4; 2,ext. 5; 8,pr; 9,pr.; 11,ext. 1;ext. 4. Für eine Rekonstruktion der Expansion anhand über das Werk verstreuter exempla s. Weileder 1998: 167–195.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

chen der römischen Geschichte wie die Späte Republik gebunden. Es handelt sich folglich um Phänomene, deren Kräfte grundsätzlich die Politik bestimmen können. Für das Einsetzen und den Verlauf des Niedergangs ist nach Valerius die Übernahme der Weltherrschaft keine Voraussetzung. Nicht eigens erwähnt er in diesem Zusammenhang das Eindringen von Luxus und Reichtum, das üblicherweise mit diesem Prozess verbunden wird.96 Den Niedergang leitet er lediglich aus dem Einschlafen der nicht mehr von Herausforderungen aktivierten Tugend ab. Welche Folgen das otium zeitigt, etwa die nicht länger nach außen, sondern nun nach innen gerichtete Konkurrenz, führt er hier nicht aus. Auch nennt er kein Datum für den Wendepunkt der Geschichte. Entscheidend ist für ihn die Abhängigkeit der Stabilität und der Prosperität von äußeren Einflüssen; eine natürliche Tugendhaftigkeit des römischen Volkes setzt er nicht voraus.97 Aus den Folgen von pax und otium in Politik wie Privatleben leitet Valerius einen Appell zur Tätigkeit ab. Wegen der Verbreitung von Lastern durch die außenpolitischen Ruhephasen ergibt sich ein Zwang, die virtus permanenten Bewährungsproben auszusetzen. Mehrfach verficht er deshalb die Vorstellung von der unbequemen Übung der Tugend.98 Da das Glück nur durch Unannehmlichkeiten entstehe, dürfe man nicht in friedlicher tranquillitas verharren, sondern müsse die Widrigkeiten des negotium akzeptieren. Näher definiert er die negotia nicht. Im Umkehrschluss und orientiert an der historiographischen Tradition99 dürfte er auf das Führen von Kriegen abheben.100 Den gesellschaftlichen Nutzen von militärischer Betätigung hebt Valerius denn auch oft hervor.101 Schon die Historiker der Späten Republik hatten jedoch vor dem Problem gestanden, dass nach dem Sieg über Karthago die verbleibenden außenpolitischen Herausforderungen als gering galten und sich die Möglichkeiten einer militärischen Bewährung erschöpft hatten.102 Innerhalb dieser Tradition bewegt sich offenbar auch Valerius. Zwar war auch das Principat des Tiberius, eines herausragenden Feldherrn, von Kriegen geprägt. Dennoch scheint Valerius in ihnen kein Potential für eine heilsame Störung der tranquillitas gesehen zu haben.

96 Für die Einzelheiten s. Kap. B.II,1; III,2. 97 Zu erinnern ist hier an Sallusts Formulierung vom amor iustitiae, den es in der römischen Geschichte nicht gegeben habe (hierzu S. 90; 153 f.). S. auch die Besprechung von Livius’ Praefatio (Kap. B.III,2) und der Einleitung zum II. Buch der Historia Romana des Velleius (Kap. C. III). 98 S. z. B. Val. Max. II 2,5 (horrida virtus als stabilimentum). 99 So auch die Generalthese von Weileder 1998, der Krieg als das beherrschende Thema der Sammlung auffasst. 100 Dies ist Weileders 1998: 195–199 Begründung für die These, Valerius sei grundsätzlich von Optimismus erfüllt und habe Dekadenzphänomene nur als oberflächlich und leicht zu beseitigen wahrgenommen. Nicht weiterführend ist die Thematisierung des Verhältnisses zwischen Sallust und Valerius bei Jacquemin 1998(a): bes. 103–110. 101 S. o. S. 448 u. ö. 102 Zur offenen Thematisierung dieses Sachverhalts in Horaz’ Dichtungen und seine Perspektive auf den Krieg als Mittel der gesellschaftlichen Konsolidierung s. Bringmann 1977: 49.

2. Ambivalente Zeitdiagnostik

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Für den in der Historiographie umstrittenen Ablauf des Verfalls macht Valerius über das Werk hinweg mehrere historische Ereignisse namhaft.103 Noch im Jahr 168 habe ein Höchstmaß an Tugend im Staat geherrscht.104 Als Maßstab dienen ihm die Geringschätzung von Privatbesitz und die gleichzeitige völlige Ausrichtung des Einzelnen auf das Gemeinwohl, wozu für ihn namentlich die Expansion gehört. Der Höhepunkt des Niedergangs sei im 1. Jh. als Folge des Wegfalls des metus hostilis eingetreten.105 Mit dem Zwang zur Behauptung des Staates gegen äußere Feinde seien zugleich auch die Leistungen der maiores in Vergessenheit geraten. Valerius lässt jedoch die politischen Komponenten des Verfalls außer Acht und konzentriert sich allein auf die destruktive Wirkung der materiellen Vorzüge, die als klassische Folgen der Weltherrschaft galten: den korrumpierenden Luxus, der von Asien aus nach Rom eingedrungen sei. Bereits vor dem II. Punischen Krieg setzt Valerius eine Phase ohne metus hostilis an. Erst Hannibals Aggressionen aktivierten die bereits eingeschlafenen Kräfte. Nach dem Fall Karthagos und dem Ende der äußeren Bedrohung drohten sie erneut zu verschwinden.106 Die Bedeutung des metus hostilis illustriert auch Valerius’ Wiedergabe der Debatte über die Abschaffung der lex Oppia. Diesem Ereignis schreibt er über den vordergründigen Anlass hinaus eine tiefere Bedeutung zu und setzt es unmittelbar in Bezug zum sittlichen Verfall, der Rom damals zu erfassen begann.107 Von hier aus gesehen waren es die Siege zunächst über Karthago, dann über den Makedonenkönig Philipp, die zu einer licentior vita einluden und das Aufkommen des bislang in Rom unbekannten Luxus beförderten. Nachdem die frühere Armut Korruption verhindert und der virtus die ihr gebührende Geltung verschafft hatte, kehrten sich im Zeitalter der Dekadenz die Verhältnisse um, so dass gerade die sichtbaren Zeichen von virtus wie militärische Kommanden der Käuflichkeit verfielen.108 Am Beispiel des Privatlebens der Frauen, das auf die Politik übertragbar ist, zeigt sich für Valerius, dass das Fehlen von Aufgaben oder Herausforderungen zu mentaler Korruption und einer fatalen Intensivierung des (politischen) Wettbewerbs führt.109 Die Konkurrenz um eine herausgehobene Stellung wird nicht mehr nach außen, sondern untereinander ausgetragen. Die dabei entstehenden Auseinandersetzungen besitzen eine desintegrierende Wirkung und lösen Konflikte aus. Gemäß historiographischen Konventionen äußern sie sich für Valerius in zwei Formen, in licentia und politischem Ehrgeiz. Unter licentia versteht er beinahe ausnahmslos die Zügellosigkeit in der Lebensweise,110 nur in einem Fall die willkürliche Herr103 Dass die Ansetzung eines frühen Zeitpunktes überraschend sei, wie Weileder 1998: 251 f. behauptet, hängt nur mit dessen Fixierung auf Sallusts Monographien zusammen, ist aber keine „Eigenart dieses Autors“. 104 Val. Max. IV 4,9. 105 Val. Max. IX 1,4 f. 106 Val. Max. VII 2,3. 107 Val. Max. IX 1,3. 108 Val. Max. IV 4,11. 109 Fehlen von gravia opera und Schwäche der mens führen zu: omne studium ad curiosorem sui cultum und Verlust an continentia. 110 Val. Max. I 8,ext. 18; II 6,7; III 6; 7,pr.; VI 2,12; VII 3,10; IX 1,3; 11,2.

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schaftsausübung, die Gefahr laufe, eine Machtposition instabil werden zu lassen.111 Politischen Ehrgeiz (ambitio) gebraucht er nur selten als Terminus112, allerdings stets mit negativer Konnotation. Das Streben nach Consulaten oder Oberkommanden ist für ihn aber ein Signum der tugendhaften Frühzeit. In der Historiographie galt ambitio als zweischneidig: So sehr ihre Bedeutung als Motor des Aufstiegs anerkannt war, so sehr wurde ihre Pervertierung zu einer Ursache des Verfalls erklärt.113 Das gleiche Prinzip liegt dem aus dem Privatleben der Frauen für die Politik abgeleiteten exemplum zugrunde. Fallen äußere Herausforderungen weg, richten sie die kompetitiven Kräfte nach innen. Zu den Folgen des Friedens zählt nach Valerius jedoch nicht nur, dass politische Ziele mit übermäßigen und illegitimen Mitteln angestrebt wurden, sondern auch, dass die Nobilität sich ins Privatleben zurückzog, statt Politik zu gestalten. Das Thema der Gewalt- und Willkürherrschaft114 behandelt Valerius fast ausschließlich an auswärtigen Beispielen, in deren Mittelpunkt jeweils Tyrannen und deren Umgebung, gelegentlich auch Staaten oder Städte stehen.115 Im römischen Kontext verfolgt er es bei der Etablierung der Republik durch die Vertreibung des Königs Tarquinius Superbus und deren Verteidigung gegen Usurpatoren wie die Söhne des Brutus oder Sp. Cassius, deren Umsturzversuche sogar die Intervention ihrer Väter rechtfertigte.116 Für die Späte Republik dient Sulla als Beispiel für einen bis in den Bürgerkrieg reichenden Ehrgeiz, weil er das Regime Cinnas beendete und dessen Partner Marius ins Exil zwang.117 Die Prachtentfaltung bei den Spielen und die Ablösung der religio gehörten ebenfalls zu den Folgen der zunehmenden Größe Roms.118 Auch in anderen Staaten konstatiert Valerius den Niedergang, vorab die Schwächung der militärischen Stärke, durch den Verfall der Sitten, durch Luxus und Trägheit, und bekräftigt mit diesen Beispielen die allgemeine Gesetzmäßigkeit seiner die Topoi des Niedergangsdenkens bedienenden Einsichten.119 111 Val. Max. IV 1,ext. 8. 112 Ambitio als negative Eigenschaft: Val. Max. II 7,2; 10,8 (Catos Haus bleibt für ambitio verschlossen); VII 2,ext. 12; VIII 15,11; IX 7,mil. 2. Für eine neutrale Verwendung im Sinne von politischer Laufbahn s. VII 5,pr., im Sinne von Streben nach Popularität s. VIII 15,11. 113 In seinem Überblick zur Expansion stellt Weileder 1998: 131–167 eine Reihe von Motiven der Kriegführung und Ursachen der Siege vor, diskutiert jedoch nicht den Aspekt des Wettbewerbs. 114 Nur selten bezeichnet dieser Terminus die Herrschaft eines Königs (I 7,ext. 5; IX 11,ext. 2; 13,ext. 4) oder den Machtbereich eines Staates (VI 3,ext. 2; 5,ext. 2). Im übertragenen Sinn hat Valerius damit auch ausnahmsweise den beherrschenden Einfluss einer Verhaltensweise auf den Menschen bezeichnet (IV 3,ext. 2, Sexualtrieb). 115 Val. Max. III 2,ext. 5 (Herrschaft Thebens); 3,ext. 2 (Phalaris); 3,ext. 5: Herrschaft eines Tyrannen (Hieronymus); V 6,ext. 2 (Regime der Dreißig in Athen); VI 2,ext. 2 (Dionysios von Syrakus). 116 Val. Max. V 8,1 (Tarquinius und die Bruti); VI 3,1 (Sp. Cassius). Die beiden anderen affectatores regni werden nicht ausdrücklich mit dem Vorwurf der dominatio belegt. 117 Val. Max. VI 9,6. 118 Val. Max. II 4,6. 119 Val. Max. IX 1,ext. 1. Für Beispiele s. Tarent (II 2,5), das Heer Hannibals in Kampanien (IX 1,ext. 1), die Volsinier (ext. 2), das Perserreich und Xerxes, der Belohnungen für die Erfinder neuer Vergnügen aussetzte (ext. 3), König Ptolemaios (ext. 5), die Cyprioten (ext. 7); s. ferner

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Erst die Einbeziehung dieser Beispiele vervollständigt Valerius’ Verständnis der während des Niedergangs ablaufenden Prozesse. Claudius’ Dictum erfasste nur einen Aspekt der in der Dekadenz ablaufenden Prozesse, den Verfall der Ausübung von Tugenden. In den weiteren exempla, die Valerius anführt, treten partiell noch die topischen Wirkungen des Luxus, das Aufkommen von ambitio und avaritia, hinzu. Bei ihrer Entstehung nimmt er – wie vor ihm Sallust – keine zeitliche Differenzierung vor. Vor allem von diesen beiden Faktoren geht der Verfall der politischen Kultur, aber auch der Sitten insgesamt aus – wenngleich Valerius den letzteren Aspekt nur an einem Beispiel aus dem Privatleben erläutert und ihn damit entschärft. c) Die Krisenphänomene. Themen des IX. Buches Den Erscheinungsformen des Verfalls widmet sich hauptsächlich das IX. Buch. Die chronologische Einordnung der hier aufgebotenen Beispiele zeigt, dass die Dekadenz für Valerius ungeachtet der Entwicklungen des 2. Jh.s wohl doch erst im 1. Jh. durchschlug. Oft entstammen die Beispiele der Späten Republik, der traditionell die Entfaltung des Niedergangs zugeschrieben wurde, oder sogar dem Frühen Principat. Explizit auf den Zusammenhang zwischen der Expansion Roms und dem Eintreten des sittlichen Verfalls hebt der Eintrag zur lex Oppia ab, deren Abschaffung 195 im Rückblick den Beginn einer historischen Entwicklung markierte,120 der gesetzlichen Legitimierung des Luxus. Zu erkennen ist der Sittenverfall an einer Vielzahl von Neuerungen. Die klassischen Kernelemente der Dekadenztheorie, ambitio, luxuria und libido, bilden, wenngleich nicht immer namentlich so etikettiert, auch bei Valerius die Grundlage aller mit ihnen in Zusammenhang stehenden vitia. Sie beziehen sich entweder auf die Zerrüttung der militärischen Disziplin und der inneren Ordnung durch einzelne Magistrate und das Volk sowie auf Veränderungen in Lebensweise und Mentalität. Den Verfall vollzieht Valerius auf drei Ebenen nach. Er beginnt mit Exzessen im Privatleben, widmet sich dann strukturellen Herausforderungen der öffentlichen Ordnung und geht schließlich zum Bürgerkrieg über. Als Erscheinungsformen der Dekadenz behandelt Valerius zunächst eine Reihe nicht genuin politischer, im Peripetiediskurs jedoch topischer Themen. Im Bauluxus, der sich in einem monströsen Überbietungswettbewerb manifestiert habe,121 sowie in exorbitanten Tischsitten122 nimmt er einen Bruch mit der vom metus hostilis geprägten Vergangenheit wahr. Militärische Konsequenzen zeitigte dieser Wandel im Kommando des Metellus Pius in den späten 80er und 70er Jahren in

ext. 4 (Antiochos rüstet seine Armee prächtig aus, ohne ihre Kampfbereitschaft zu stärken) und ext. 6 (die Ägypter verweigern das Bauen von militärischen Anlagen). Für einige Ergänzungen s. Weileder 1998: 242 f. 120 Val. Max. IX 1,3. Für Literatur s. o. S. 142. 121 Val. Max. IX 1,1; 4. Zu diesem Komplex s. o. S. 390 f. 122 Val. Max. IX 1,2.

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Spanien.123 Dieser gab eine für die Senatsaristokratie repräsentative Familientradition auf und vernachlässigte seine Pflichten, weil er sich während seines Einsatzes vom Luxus bei Spielen, Dinners und in der Raumausstattung beeindrucken ließ. Dass trotz der militärischen Gefahren die Funktionsweise des metus hostilis versagte, beweist die Anfälligkeit des Menschen für Korruption. Für die 60er Jahre ergänzt Valerius den Transformationsprozess am Beispiel des leichtfertigen Umgangs der Curiones mit Geld und Schulden,124 während der Bona-Dea-Skandal als Exempel für Bestechung in Gerichtsverfahren dient, die sogar bei schwerwiegenden sakralrechtlichen Vorwürfen wie gegen Clodius erfolgreich gewesen sei.125 Den sexuellen Aspekt der sittlichen Verfehlungen steuern die Einrichtung eines Bordells bei einer Party für den Consul Metellus Scipio und die Volkstribunen im Jahr 52126 sowie Catilinas Mord an seinem Sohn bei, den er für seine Geliebte verübte, eine kriminelle Form der libido, die Valerius auch auf die Politik überträgt.127 Die Krise der Späten Republik berührt Valerius mit dem Stichwort Grausamkeit. Ihre schlimmsten Auswüchse erreichte sie in den Konflikten zwischen Marius und Sulla, die beide abwechselnd die Oberhand gewannen und ihre Macht zur Bestrafung und Liquidierung ihrer politischen Gegner nutzten128. Als Ursache der Entstehung von Konflikten identifiziert Valerius Zorn und Hass,129 die sich aus der Dynamik des Wettbewerbs ergaben. Die erste Gruppe von Beispielen hat Reaktionen auf Wahlentscheidungen und politische Urteile in Gerichtsverfahren zum Gegenstand, die zur Desintegration der Gesellschaft beitragen. Dass Livius Salinator nach seiner ungerechten Verurteilung noch im Krieg gegen Hannibal den Zorn auf das Volk, das ihn schuldig gesprochen hatte, mit sich herumtrug, drohte sich im II. Punischen Krieg als fatal zu erweisen, weil er sich aus Verbitterung weigerte, ein ihm in einer Gefahrensituation angetragenes Consulat zu übernehmen.130 Ein anderer problematischer Aspekt des Zorns ist für Valerius fehlende Akzeptanz von enttäuschenden Wahlentscheidungen. Dieses Verhalten stellt ein essentielles Element der politischen Ordnung in Frage. Die Verbitterung über Niederlagen konnte sowohl von unterlegenen Kandidaten ausgehen131 als auch von Gruppierungen,

123 Val. Max. IX 1,5. S. auch 1,6 (consimilis mutatio). Zu Metellus s. auch Sall. hist. II 70 sowie Plut. Pompeius 17,2; 18,2; Sertorius 13,1. 124 Val. Max. IX 1,6; s. bes.: Itaque eodem tempore et in iisdem penatibus diversa saecula habitarunt, frugalis. 125 Val. Max. IX 1,7. Hierzu jüngst Bringmann 2010: 106–108. 126 Val. Max. IX 1,8. 127 Val. Max. IX 1,9. S. bes.: Eodem deinde animo civem gerens quo patrem egerat, filii pariter manibus et nefarie attemptatae patriae poenas dedit. Vgl. Cic. Cat. 1,14. 128 Val. Max. IX 2,1 f. Hinzu kommen ihre Anhänger wie der Sullaner Damasippus und Munatius Flaccus, ein Unterstützer des Pompeius, die ihre Gegner mit erschreckender Grausamkeit bekämpften (IX 2,3 f.). 129 Val. Max. IX 3,pr. 130 Val. Max. IX 3,1. Zu den inneren Konflikten, auf die Valerius hier anspielt, s. Levene 2010: 167 f.; 187 f. 131 Val. Max. IX 3,2.

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die ihre Interessen durch missliebige Wahlgewinner gefährdet sahen.132 Doch politische Eignung und gesellschaftlicher Rang sind nach Valerius keine Garantie für Erfolge bei Wahlen. In beiden Fällen droht als Konsequenz aus der wechselseitigen Anerkennung politischer Gegner ein Rückzug aus der Beteiligung an der Politik und eine Eskalation der politischen Auseinandersetzungen in gewalttätigen Konflikten oder im Bürgerkrieg. Die zweite exempla-Gruppe demonstriert die desintegrierende Kraft emotionaler Aufheizung, resultierend aus der fehlenden Hinnahme von Entscheidungen von Amtsträgern oder von politischen Beschlüssen. Zwischen den älteren und den jüngeren Angehörigen der Bürgerschaft herrschte Uneinigkeit über die Berechtigung der Hinrichtung des jungen Manlius Torquatus durch seinen Vater, mit der die Autorität des Feldherrn bestätigt werden sollte.133 Einen militärischen Sieg wiederum verhinderte der Zorn des Heeres auf den Consul Fabius, den entschiedenen Gegner einer lex agraria, dessen Aussichten auf einen Triumph die Soldaten aus Rache zunichte zu machen trachteten.134 In diesen beiden Beispielen aus den Bereichen Politik und Militär zeigt Valerius die nachteiligen Folgen für das Prestige der wegen ihres Handelns umstrittenen Persönlichkeiten auf. Für die mangelnde Akzeptanz von Herrschaft führt Valerius Beispiele für Konflikte zwischen Ständen, aber auch innerhalb gesellschaftlicher Gruppierungen an. So wurde im Jahr 495 die Einweihung des Mercur-Tempels einem Centurio übertragen, weil ein Consul, App. Claudius, eine Lösung in der Verschuldungsproblematik verhindert, der andere, Servilius, nur einen vermeintlich halbherzigen Kompromissvorschlag unterbreitet hatte.135 Als Musterbeispiel für Missgunst zwischen Einzelpersonen des gleichen Standes dient Valerius die Konkurrenz innerhalb der Nobilität, die dazu führte, dass Kontrahenten136 eine Schwächung der römischen Militärmacht in Kauf nahmen. Fehlende Achtung gegenüber Institutionen der res publica in technischen Verfahrensfragen, die mit der Substanz der freiheitlichen Ordnung sowie den Regeln der politischen Praxis zusammenhingen, steht auch im Mittelpunkt des Kapitels über Arroganz und Anmaßung. Die hier verzeichneten Fälle berühren das Spannungsverhältnis zwischen Individualinteressen und dem Gemeinwohl. Als Ausdruck einer tyrannischen Gesinnung wertet Valerius, dass sich der Consul M. Fulvius Flaccus im Jahr 125 bei seinen Reformvorhaben über die einhellige Meinung des Senats hinwegsetzte.137 Dieses Fehlverhalten überbot das exemplum des Volkstribunen M. Drusus, der einen Consul in der Volksversammlung mit Gewalt abdrängte und bei einer anderen Gelegenheit den Senat zwang, zu ihm, dem Tribu-

132 Val. Max. IX 3,3. 133 Val. Max. IX 3,4. Zu dieser Episode und der in der Erinnerungskultur positiv beurteilten Entscheidung des Manlius s. o. S. 181, 188. 134 Val. Max. IX 3,5. 135 Val. Max. IX 3,6. 136 Val. Max. IX 3,8. Ein kurioses Beispiel steht am Schluss des Abschnittes: Sulla soll durch einen Wutanfall ums Leben gekommen sein (ebd.). 137 Val. Max. IX 5,1.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

nen, zu kommen, als er aufgefordert wurde, sich zum Senat zu begeben.138 Die beiden Episoden weisen den Senat als zentrale Instanz aus. Die Magistraten versuchten, die Rangfolge zu vertauschen. Die Ordnung wurde aber nicht nur in politischen Fragen, sondern auch in rechtlichen Konflikten herausgefordert, durch Interventionen in Prozessen zugunsten von Verwandten. Hier galten die Interessen der Familie mehr als das Gemeinwohl.139 Der Eskalation der römischen Innenpolitik widmet sich Valerius in einem Kapitel über Gewalt und Rebellion anlässlich von Ausschreitungen des Volkes gegenüber Magistraten und dem Senat. Hinter allen Episoden stehen die Konfliktlinien des Ständegegensatzes und die Problematik der gesellschaftlichen Spaltung der Stadt. Aufgestachelt von sozialpolitischen Erwartungen befreite eine Volksmasse L. Equitius, der sich als Sohn des Ti. Gracchus ausgab und plötzlich zu einem Hoffnungsträger wurde, aus der Haft.140 Außerdem reagierte es mit dem Versuch von Lynchjustiz auf Bemühungen wie von Censor Q. Metellus, der der Degeneration der Nobilität durch Männer niedrigen Standes vorzubeugen und das Ansehen des Senats zu stärken gedachte. Valerius tadelt die Attacken auf die beiden Magistrate hart.141 Dass der Wettbewerb um Ämter zu Mord führte, demonstrierte der Fall des Nunnius, den eine Volksmenge tötete, um Saturninus, dem Kandidaten der Plebs, das Consulat zu sichern.142 Bürgerkriegsähnliche Situationen behandelt das Kapitel dicta improba et facta scelerata. Thematisiert werden Exzesse Einzelner, die sich zumeist aus politischen Gegensätzen speisten. Den Höhepunkt bildet in diesem Kreis ein Beispiel aus der Gegenwart: Seian, dessen Grausamkeit sogar den römischen Staat zu ruinieren und die Leistungen des Princeps aufzuheben drohte.143 Hier gewann die Grausamkeit eine hochpolitische, den gesamten Staat erfassende Dimension. Mit der Geltung der Gesetze und der öffentlichen Ordnung, herausgefordert aus politischem Kalkül, geriet der Frieden in Gefahr. d) Zusammenfassung Mit seinem Modell knüpft Valerius an das auf dem metus hostilis basierende Dekadenzschema an, das im 1. Jh. gängig war. Alle politischen Konflikte reduziert er auf den Sittenverfall und die ihm inhärenten Phänomene und Konsequenzen. Anders als bei seinem Zeitgenossen Velleius wird sein Dekadenzschema wie überhaupt seine Erklärung der Politik stark von philosophischen Einsichten geleitet. Mit der endgültigen Fassung des sallustianischen Geschichtsdenkens, wie sie die Historien repräsentieren, sind Valerius’ Vorstellungen teilweise kompatibel. Sallust hatte den Niedergang Roms keiner späten Phase der römischen Geschichte zugewiesen, son138 139 140 141 142 143

Val. Max. IX 5,2. Für die Einzelheiten und Belege s. o. S. 398 f. Val. Max. IX 5,3. Val. Max. IX 7,1. Vgl. zu diesem Vorfall Cic. Rab. perd. 20 und Flor. II 4,1. Val. Max. IX 7,2. Zu Saturninus s. o. S. 298; 397 f. Val. Max. IX 7,3 besonders mit Liv. perioch. LXIX und Plut. Marius 29,1. Val. Max. IX 11,ext. 4. Zur Problematik um Seian s. o. S. 378 f. sowie S. 430–433.

2. Ambivalente Zeitdiagnostik

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dern ein zyklisches Modell entwickelt, das Phasen des Niedergangs und des Aufschwungs zu jeder beliebigen Zeit zulässt und nicht die Weltherrschaft voraussetzt. Valerius verbindet diesen Ansatz mit Komponenten eines traditioneller angelegten Geschichtsbildes, das besagt, dass mit der Expansion in den östlichen Mittelmeerraum die Verfeinerung des Lebens in Rom stetig zunahm. Als Wendepunkt setzt er nicht das Jahr 146 mit der Niederlage Karthagos an.144 Stattdessen beginnt er mit einem Dictum des Appius Claudius Caecus, das etwa 200 Jahre zuvor geprägt wurde. In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten habe sich dann der Luxus in Rom stetig gesteigert und in der Späten Republik einen Höhepunkt erreicht. Entscheidend war aber auch bei ihm nicht das Motiv der Weltherrschaft, sondern das der relativen militärischen Übermacht. Innere Schwächephasen traten so vor und nach dem II. Punischen Krieg ein. Auch in der Motivation des politischen Handelns legt Valerius eine andere Analyse zugrunde als Sallusts anthropologisch grundierte Historien. Laster sind für ihn eine Perversion der menschlichen Natur – bei Sallust gehören sie zur natürlichen Anlage des Menschen.145 Weitere Übereinstimmungen bestehen zum Überblick über die römische Geschichte im Catilina, in der Sallust die Ursachen für den Aufschwung, aber auch den Niedergang erläutert und einige typische Entwicklungen dieser Abschnitte skizziert. Zu den auffälligen Bezügen gehört die Einsicht, dass in der Phase des Sittenverfalls die vorher nach außen gerichteten Energien sich nach innen wenden und Konkurrenzkämpfe innerhalb der Bürgerschaft auslösen146 ferner, dass virtus nicht länger das Kriterium für dignitas ist, sowie schließlich, dass virtus sich leichter in Luxus verwandle als umgekehrt. Valerius nimmt jedoch keine zeitliche Differenzierung bei der Analyse der Entstehung der Laster vor (wie Sallust mit dem Verhältnis von ambitio und avaritia). Livius’ Geschichtsbild folgt der eher zyklisch angelegten Geschichtsdeutung der Historien Sallusts und hält nur in der Praefatio an der traditionellen Zweiteilung der Geschichte fest. Bei Livius wirken sowohl Luxusphänomene als auch der metus hostilis als Faktoren der Politik. Mit seiner Epochengliederung und der Koordination zyklischer wie linearer Elemente schließt sich Valerius, der von einem schrittweisen Verfall im 2. Jh. ausgeht, ihm an. Bei beiden Autoren existiert keine strenge Trennung zwischen dem Aufkommen von ambitio und avaritia. Diese Phänomene gehören für Livius zusammen, wenngleich sich zuerst die avaritia äußerte, als nach dem Tod des vertriebenen Königs Tarquinius die inneren Konflikte in Rom begannen. Der Gesichtspunkt der Konkurrenz ist jedoch in Livius’ auf Konsens und Eintracht ausgerichtetem Geschichtswerk negativ konnotiert. Livius’ Ideal ist gerade die Vermeidung von Politik und Wettstreit in der Bürgerschaft, und er stilisiert den Senat und ausgewählte herausragende duces zu den Trägern des Aufstiegs. Insofern verbinden beide lediglich Grundzüge in der Periodisierung und auch in Handlungsanweisungen, die in die gleiche Richtung zielen, die Unterordnung der Interessen der einzelnen Bürger unter die res publica. 144 Andeutungen jedoch in Val. Max. IX 1,3. 145 So jedenfalls Sall. hist. I 7. 146 S. auch Val. Max. VIII 1,absolv. 12: Man focht keine Kriege vor Gericht, sondern lieber mit auswärtigen Feinden.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

3. DIE RES PUBLICA DES VALERIUS MAXIMUS a) Grundlagen des Staates α) Einleitung Die Grundlagen des Staates, die sein System der Tugenden aufspannen, benennt Valerius in zahlreichen separaten, über die Sammlung verstreuten Einsichten sowie im II. Buch. Zu den Fundamenten des Gemeinwesens erklärt er die Sitten und die instituta, das Handeln der Bürger in ihren jeweiligen Funktionen und die politisch-gesellschaftlichen Einrichtungen.147 Das glückliche Leben, die felix vita, besteht für Valerius aus einer privaten und einer öffentlichen Komponente. Beides ist aufeinander bezogen: Stadt und res publica gründen auf der Familie, in der sich ihr jeweiliger Zustand widerspiegelt. Ohne Integrität der Familie kann der Staat keinen Bestand haben.148 Eine große Bedeutung fällt deshalb – und nicht zuletzt das rechtfertigt Valerius’ Werk – dem Charakter und den Fähigkeiten der Individuen zu. Die Einbettung des politischen Handelns in die innere Ordnung folgt bei Valerius traditionellen, in der politischen Kultur verankerten Vorstellungen. Geschichtliche Größe bemisst sich bei ihm nach dem Nutzen einer Handlung für den Staat.149 Als Kriterium der dignitas bestimmt er die virtus.150 Daraus ergibt sich der Dreiklang Tugend – Tätigkeit – Erfolg: Studium und industria erlauben militärische Leistungen sowie rednerischen Ruhm und befördern alle weiteren studia.151 Das utile und das honestum sind identisch.152 Dass wahrer Lohn auf virtus, nicht auf Geld, beruhe und Talent entscheidend für die öffentliche Betätigung, für Kommanden, politische Macht und Einfluss sein solle, ist ein historiographischer Topos, der in allen Narrativen vom Aufstieg Roms bemüht wird.153 Zum Allgemeingut gehört außerdem, dass virtus mit äußerlichen Ehrungen ausgezeichnet werden müsse. Diesen Anreiz für ein im Interesse des Gemeinwesens stehendes politisches Engagement erklärt Valerius zu einem Naturgesetz.154 Stets bleibt jedoch die Beachtung der mores die Vorbedingung des Ruhmesstrebens. Das Postulat, dass die Tugend jedermann zugänglich sei, dient als Grundlage für das Ideal eines meritokratischen Gesellschaftsmodells, dessen Ziel es ist, den Nutzen des Wettstreits um Tugend und öffentliche Anerkennung für den Staat zu maximieren.155 Ruhmesstreben besitzt also für Valerius einen förderlichen Effekt nicht nur auf das Individuum, sondern auch auf die res publica. Reichtum hingegen 147 Val. Max. II pr. 148 Val. Max. V 6,pr.; ferner: IV 3,pr.; 5,pr. S. auch II 2,1. 149 Val. Max. IV 4,2. Zu diesem Topos in der politischen Literatur s. ausführlich Skidmore 1996: 61. 150 Val. Max. III 2,6b. 151 Val. Max. VIII 7,pr. 152 Val. Max. VI 5,pr. 153 Val. Max. IV 4,9. Für die Belege s. o. S. 51 f. m. Anm. 47. 154 Val. Max. III 2,6b. 155 Val. Max. III 4,pr.; ferner III 8,7; IV 6,5; VI 1,1; VIII 15,3. V 6,ext. 4 zur Unsterblichkeit der virtus.

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wirkt für ihn gemäß den Theorien des Dekadenzdiskurses156 korrumpierend, weil er die geistigen und seelischen Kräfte abschwächt. Mit diesen Einsichten antwortet Valerius auf zwei politische Probleme der Vergangenheit und Gegenwart: wie die Voraussetzungen für Stärke und Größe ohne jene negativen Auswirkungen auf die innere Balance des Staates geschaffen werden können, die nach allgemeingültiger Überzeugung in den Bürgerkrieg geführt hatten, und wie es möglich ist, das notwendige republikanische Bürgerbewusstsein im Principat des Tiberius wiederzubeleben. Korrigiert wird der Irrtum, dass Macht und Ehre auch gegen die res publica gewonnen werden können.157 Für die Zukunft steht fest, dass solche Unternehmungen geächtet sind. Fehlgeleiteten Ambitionen vorzubeugen zählt zu Valerius’ zentralen Zielen. Seine Gegenwartskritik unterstreicht die Notwendigkeit, destabilisierende Entwicklungen nicht nur zu bekämpfen, sondern von vornherein zu verhindern. Andererseits akzentuiert er die Bedeutung von Ruhmesstreben als ausschlaggebend für die Prosperität des Staates. Allein durch honores würden herausragende Leistungen möglich. Im Principat hatte sich nach den exzessiven Konkurrenzkämpfen der Nobilität die Frage der Einbindung des Senats neu gestellt. Aktuell, während der Abfassung der Sammlung, war die Kommunikation zwischen Princeps und Nobiles wegen der republikanisch orientierten Vorstellungen des Tiberius tief gestört. Valerius’ Auffassungen sind daher eine publizistische Initiative zugunsten der Bemühungen des Princeps. Sie erinnerten an die Umstände des Aufstiegs Roms und suchten sie für die Gegenwart zu erneuern. Die Innenpolitik der Gegenwart war eine Gratwanderung zwischen der Eskalation der Auseinandersetzungen innerhalb der Aristokratie und der Reaktivierung ihrer Ambitionen. In der Sammlung weist Valerius dem II. Buch die Besprechung der für ein prosperierendes Leben der Bürger notwendigen fundamenta zu. Sie bestehen aus den Institutionen, Konventionen und Werten der römischen Geschichte, der Valerius konstitutive Bedeutung beimisst. Das Thema, die Erforschung der elementa, causae und origines römischer Institutionen,158 steht in der Tradition der antiquarischen Literatur.159 Unter den Institutionen versteht Valerius außer staatlichen Einrichtungen auch kulturelle Bräuche und Mentalitäten. Im sechsten Abschnitt zieht er einen Vergleich zwischen Rom und anderen Staaten. Explizit stellt er das Buch in den Dienst seines didaktischen Ziels, der Orientierung an den mores der Vergangenheit als den Garanten des glücklichen, vom Princeps gesicherten Lebens der Gegenwart.160 Da die Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit des Erneuerungsprogramms dessen Notwendigkeit ist, zieht sich gerade durch dieses Buch leitmotivar156 Val. Max. IV 4,11. 157 Beispiele hierfür bietet aus der Zeitgeschichte Velleius’ Darstellung der Krise der Republik; s. hierzu besonders die Figur des Pompeius bei Velleius Paterculus, S. 402–406. 158 Val. Max. II 4,4. 159 S. o. S. 50; 331 f. 160 Val. Max. II pr.: opus est enim cognosci huiusce vitae, quam sub optimo principe felicem agimus, quaenam fuerint elementa, ut eorum quoque respectus aliquid praesentibus moribus prosit. – Im Folgenden wird auf die Angabe von realienkundlichen Informationen zu den Sitten und Einrichtungen, die Valerius bespricht, weitgehend verzichtet, da sie in dem ausführlich dokumentierten Kommentar von Themann-Steinke 2008 einzusehen sind.

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tig das Bewusstsein der Dekadenz, des gewaltigen Abstands zwischen dem Ideal der Vergangenheit und dem Zerfall in der Gegenwart. Streng disponiert ist das Buch nicht. Im ersten Teil konzentriert sich Valerius auf verschiedene Aspekte des Privatlebens, namentlich auf die Rolle der Frau in der Familie, den Respekt vor dem Alter und das Lernen aus der Geschichte, wie sie in den auf Gastmählern vorgetragenen Heldenliedern präsentiert wird. Mit der Familie skizziert er die Keimzelle des Staates. Darauf folgt ein Überblick über die politische und soziale Stratifikation von res publica und Bürgerschaft. Der zweite Abschnitt ist dem Senat gewidmet. Ihm stellt er in der dritten und vierten Partie das Volk gegenüber, das sich im militärischen und zivilen Bereich konstituiert, im Kriegsdienst und im Theater – jeweils unter dem Blickwinkel der Kommunikation zwischen Senatoren, Magistraten und Feldherren. Der fünfte Teil gilt einigen in der Vergangenheit beschlossenen Neuerungen. Nach dem sechsten Abschnitt, der die charakteristischen Einrichtungen auswärtiger Staaten referiert, wendet Valerius sich den Voraussetzungen für die Stabilität des Staates zu, zunächst im militärischen Bereich der Disziplin, dann, anlässlich des censorischen Tadels, im zivilen Sektor, und ergänzt zur Amtsführung der Censoren im zehnten Kapitel die censorische Wirkung, die von Privatpersonen mit beträchtlicher maiestas ausgeht. β) Das II. Buch Valerius’ Ausführungen im ersten Teil gelten der Familie, dem Kern der staatlichen Gemeinschaft. Die Verschiebungen, die sich hier im Lauf der Geschichte ergeben hatten, betrafen vornehmlich das Rollenverständnis der Frau, die Instabilität in die familiären Beziehungen brachte. Die sakrale Aura der Ehe spiegelt sich in den Auspicien, die vor einer Heirat eingeholt wurden, einer Sitte, die trotz des abnehmenden Bedeutungsverlusts des Weissagungswesens immerhin noch in der als verkommen geschilderten Gegenwart praktiziert wurde. Daneben hatte die mythologisch begründete, im staatlichen Bereich nicht mehr gepflegte Sitte überlebt, dass Frauen ihre Speisen zusammen mit den Männern, analog zu Iuno und Iuppiter, auf einem Sofa einnähmen.161 Dass Frauen, die nur einmal geheiratet hatten, einst mit der corona pudicitiae ausgezeichnet wurden, soll belegen, dass eine Scheidung als Zeichen von intemperantia galt, deren Legalisierung verpönt war162 und die auch ein Verstoß gegen die eheliche fides war.163 Die Bedrohung für die weibliche Ehre, die von Männern ausging, wurde durch das strikte Verbot für Männer, Frauen zu berühren, und umgekehrt durch das für Frauen geltende Verbot, Wein zu trinken, in Schach gehalten.164 In der Gegenwart hingegen verhielt sich nach Valerius dies alles anders. Die gegenseitige Reverenz, die zwischen Ehepartnern herrschte, belegte für ihn der Tempel der Viriplaca, der „Hüterin des täglichen und häuslichen Frie161 162 163 164

Val. Max. II 1,2. S. hierzu Serv. Aen. VII 176. Val. Max. II 1,3 mit Themann-Steinke 2008: 123. Val. Max. II 1,4. Val. Max. II 1,5a+b; s. auch Pol. VI 11a,4; Cic. rep. IV 6; Dion. Hal. ant. II 25,6. Allerdings war der Gebrauch von Kosmetika nicht verboten.

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dens“, an dem sie ihre Streitigkeiten beilegten,165 die Karistien der Konfliktlösung und der Wiederherstellung von Eintracht im weiteren Familienkreis galten.166 Analog zu den Verhältnissen in der Ehe erfüllte der Respekt der Jugend vor dem Alter eine wichtige politische Funktion.167 Die jungen Angehörigen der Senatsaristokratie begleiteten die Altvorderen in den Senat und geleiteten sie anschließend wieder nach Hause und bereiteten sich so auf die Übernahme öffentlicher Pflichten vor. Eine herausragende Rolle weist Valerius den auf Gastmählern vorgetragenen historischen Heldengesängen zu. Die Jüngeren erwiesen dabei dem Alter ihre Ehrfurcht, und die Lieder übten eine protreptische Wirkung auf sie aus. Dies war für ihn eine Lektion in gelebter Philosophie, nicht in jener l’art pour l’art, wie sie die Griechen praktizierten. So wurden bis zur Gegenwart, bis zu Tiberius, die großen Stützen des Reiches wie Camillus, die Scipionen, die Fabricii, die Marcelli und die Fabii hervorgebracht.168 Die Episode belegt Valerius’ Glauben an die Kraft der durch exempla vermittelten Geschichte. Von der privaten geht Valerius zur öffentlichen Sphäre über, von der Familie, der Grundlage des Staates, zum Senat, dem politischen und gesellschaftlichen Zentrum Roms. Getragen war der Senat von der caritas patriae.169 Als erstes Beispiel dienen ihm die Verschwiegenheit unter den Senatoren im Umgang mit Staatsgeheimnissen und die Sanktionierung selbst von unabsichtlichen Verstößen gegen die fides. Sie diente der Wahrung der Geschäftsfähigkeit des Hauses. Außerdem wurde die Repräsentation der maiestas des römischen Volkes im Senat dadurch sichergestellt, dass auswärtigen Gesandten keine Antworten auf Griechisch erteilt wurden.170 Dies geschah nicht aus einem Mangel an Gelehrsamkeit, wohl aber aus Ablehnung der spezifisch griechischen Form der Bildung, die Valerius für ein Phänomen der Dekadenz hielt171 und der seiner Auffassung nach in der Frühzeit – anders als in der Gegenwart – die Würde des Reiches nicht geopfert wurde.172 Dazu passt, dass Valerius die rusticitas des Marius verteidigt, die allerdings schon, wie er einräumt, zu dessen Lebzeiten als antiquiert galt.173 Der Umschwung zur aktuellen Praxis begann,174 als mit dem Redner Molo erstmals ein Grieche ohne Übersetzer 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174

Val. Max. II 1,6. Val. Max. II 1,8. Zu den Details s. Ov. fast. II 617–638. Val. Max. II 1,9. Val. Max. II 1,10. Cic. Tusc. I 3; IV 3 (nach Cato); de or. III 197; Brut. 75; Varro vpr. 84; Hor. carm. IV 15, 25–32. Zum Verfall der Ehrerbietung s. für spätere Zeiten z. B. Tac. ann. III 31,3 f.; Plin. ep. VIII 23,2 f. Val. Max. II 2,1a. Es herrschten salubritas und fides. Val. Max. II 2,2. In diesem Sinne auch Val. Max. I 6,ext. 3; III 2,ext. 7; IV 3,6; VI 4,ext. 2; VIII 7,ext. 2; Cic. Verr. II 4,147; Flacc. 62; Brut. 173; 332; de or. I 13. S. auch Kap. C.III,3. zum Dekadenzszenario des Velleius. Val. Max. II 2,2: […] indignum esse existimantes illecebris et suavitati litterarum imperii pondus et auctoritatem donari. Dass dies in der tiefen Vergangenheit gängige Praxis gewesen ist, zeigt Valerius’ Formulierung von den magistratus vero prisci. Val. Max. II 2,3. Val. Max. II 2,3: Quis ergo huic consuetudini, qua nunc Graecis actionibus aures curiae exsurdantur, ianuam patefecit.

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im Senat angehört wurde, eine Situation, die Valerius mit den Verdiensten des Rhetors, der Lehrer Ciceros war, für die lateinische Literatur entschuldigt.175 Ebenso wie der Senat wurde die Würde der Magistrate, wie etwa beim Consul, durch ein striktes Protokoll geschützt, das Auswirkungen auf die privaten Beziehungen und den privaten Umgang der Magistrate besaß.176 Das unbedingte Festhalten der Senatoren am mos maiorum in der glorreichen Zeit Roms kontrastiert Valerius pathetisch mit der Dekadenz und dem Hochmut Tarents, das von seiner Prosperität korrumpiert worden war und in einem Akt irrwitziger Ignoranz die Schlagkraft der römischen Streitkräfte unterschätzte.177 Die gegenwärtigen Praktiken setzt er als vom Luxus korrumpiert von der unerbittlichen Strenge früherer Zeiten ab. Damals warteten die Senatoren nicht die schriftliche Einladung zu einer Senatssitzung ab, sondern begaben sich umgehend von selbst zum Tagungslokal, weil sie glaubten, die Pflichten eines Bürgers verlangten Eigeninitiative.178 Die persönliche Bescheidenheit der Senatoren in ihrem Auftreten korrespondierte mit der Verehrung der Götter. Zugleich sorgte der Senat für die Würde der nicht korrumpierten, ehrenhaft agierenden Mitglieder, damit sie durch ihre unbescholtene Amtsführung keinen Schaden nähmen, wenn sie in Armut fielen.179 Vom Senat grenzt Valerius zwei andere Stände ab, die Volkstribunen und das Volk sowie die Ritter. Einen Wandel vermerkt er auch bei der Stellung der Volkstribunen. Ursprünglich war es ihnen nicht gestattet, im Plenum des Senats Platz zu nehmen. Die Sphären zwischen Volkstribunen und Senatoren waren, ungeachtet der Funktionen des Tribunats, klar voneinander geschieden. Auch wandten sich die Tribunen nicht prestigeträchtigen Rangabzeichen der Senatoren zu und trugen so, als ob zu ihren Aufgaben die Kontrolle des Senats im Interesse des Volkes gehörte, zur Stärkung der Autorität der Senatoren bei. Dass ein Q. Fabius den Beinamen Maximus erhielt, als er während seiner Censur die Stadtbevölkerung in fünf Tribus einteilte, um den Einfluss der untersten Bevölkerungsschichten bei den Wahlen zu brechen, lobt Valerius als eine wichtige Tat.180 Die Ritterschaft bleibt bei ihm hingegen ohne schärferes Profil. Die militärische Schlagkraft sicherte die verecundia des trotz Mühen und Gefahren zum Kriegsdienst bereiten Volks.181 Lange Zeit verhinderte sie, dass die nach Valerius wegen ihrer Armut als unzuverlässig geltenden Bürger capite censi zum Kriegsdienst einberufen werden mussten. Die Abkehr vom traditionellen System vollzog C. Marius, von Valerius als Gegner alles Alten apostrophiert. Ihn leiteten allerdings nicht strategische oder militärpolitische Einsichten, sondern die Ressentiments eines Aufsteigers. Er fürchtete, die Stigmatisierung der besitzlosen Bür175 Val. Max. II 2,3. 176 Val. Max. II 2,4. 177 Val. Max. II 2,5. Zu dieser Episode auch Pol. I 6,5; Liv. perioch. XII; Dion. Hal. XIX 5. Das erwähnte Pathos der Stelle ergibt sich aus Valerius’ unmittelbar an die Stadt Tarent gerichteter und diese damit personifizierender Anrede. 178 Val. Max. II 2,6. 179 Val. Max. II 2,8. 180 Val. Max. II 2,9b. 181 Val. Max. II 3,1.

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ger würde auf ihn, den zum General avancierten homo novus, übergehen. Dieser Gefahr suchte er durch die Abschaffung des Census als Kriterium für die Aufnahme ins römische Heer entgegenzuwirken. Somit war ein persönliches Motiv, das Ruhmesstreben des Marius, die Ursache für einen Wandel im politischen System. Die anderen beiden Reformen, die Valerius verzeichnet, auf dem Feld der Ausbildung und in der Bewaffnung182, gingen nicht auf politische Opportunitätserwägungen zurück, sondern wurden zur Verbesserung der Kampfkraft entwickelt. Das innerstädtische Gegenstück zum Feldlager ist für Valerius das Theater. Die Entwicklung von dessen Funktion seit der Gründung bis in die Späte Republik zeichnet er hier als einen Dekadenzprozess nach, der in der Gewalttätigkeit der Vorführungen begründet lag und die beiden mit der Einrichtung von Theatern verbundenen Ziele beeinträchtigte, die Götterverehrung und die Unterhaltung.183 Um der Verweichlichung keinen Vorschub zu leisten, war ursprünglich das Sitzen bei Gladiatorenkämpfen verboten.184 Verändert wurde die Sitzordnung, als Scipio Africanus die Trennung von Sitzen für Senatoren und das einfache Volk vorschlug und dies zu Unmutsbekundungen führte.185 Ausführlich referiert Valerius in einem antiquarischen Exkurs die aus pietas im Jahr 364 oder 361 eingerichtete Institution und widmet sich auch eigens den Saecularspielen.186 Seit dem 1. Jh. verlor die religiöse Dimension der Vorführung an Bedeutung, während gleichzeitig deren Unterhaltungscharakter zunahm. Als Ursache für diese Entwicklung gibt Valerius den zunehmenden Reichtum Roms an. Ihn spiegelt die Ausstattung der Theater wider, die zwischen 99 und 58 zusehends prachtvoller und verschwenderischer wurde. Diese Entwicklung korrelierte mit der außenpolitischen Lage Roms, der Epoche des Friedens, und ist, so suggeriert Valerius, wenn nicht deren Produkt, so doch ein Phänomen, das einen Schatten auf sie wirft, und gehört deshalb in einen weiteren historischen Horizont, den sittlichen Niedergang Roms als Folge des korrumpierenden Wegfalls auswärtiger Bedrohungen.187 Das siebte Kapitel des II. Buches ist der militärischen Disziplin gewidmet, der Grundlage des Reiches und damit auch der außenpolitischen Ruhe und des Friedens in der Gegenwart.188 Erst sie ermöglichte, wie Valerius erklärt, die von der Hütte des Romulus ausgehende Expansion des Staates.189 So wird der Krieg, personifiziert durch Mars, zur Grundlage des Imperiums.190 Trotz des allgemeinen sittli182 Val. Max. II 3,2 f. 183 Den Kontrast hierzu bildet die Funktion des Theater bei Ov. ars I 89–134 und Prop. II 16,33 f.; 22,4–10. 184 Val. Max. II 4,2. 185 Val. Max. II 4,3. 186 Val. Max. II 4,5 f. 187 Val. Max. II 4,1. Die Theater waren auf cultus und delectatio abgestellt. Zur Dekadenz: […] non sine aliquo pacis rubore voluptatem et religionem civili sanguine scaenicorum portentorum gratia macularunt. 188 Val. Max. II 7,pr. […] praecipuum decus ad stabilimentum Romani imperii, salutari perseverantia ad hoc tempus sincerum et incolume servatum, militaris disciplinae tenacissimum vinculum, in cuius sinu ac tutela serenus tranquillusque beatae pacis status acquiescit. 189 Val. Max. II 8,pr. 190 Val. Max. II 7,7.

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chen Niedergangs erkennt Valerius jedoch keine Einbuße in der Disziplin. Zur Sühne von Verletzungen der Disziplin, die er mit einer sakralen Aura versieht, hält er drastische Maßnahmen, wie sie die exempla widerspiegeln, ausdrücklich für angemessen: die Maßregelung von Verwandten, die Hinrichtung von Söhnen oder die Amtsenthebungen von Consuln, die bei der Kriegsführung versagen.191 Am Beispiel Scipios, der vor Numantia das desolate Heer des Mancinus übernahm, es zum Sieg führte und danach selbst mit einem Triumph ausgezeichnet wurde, demonstriert Valerius die Folgen vernachlässigter Disziplin ebenso wie die positiven Folgen, wenn sie bewahrt werde.192 Überzogener Ehrgeiz, der Feldherren zur Anbiederung bei den Soldaten veranlasste, mit dem Ziel, ihre Beliebtheit zu fördern, wird hingegen als Ursache des Verfalls der militärischen Schlagkraft ausgemacht.193 Im Interesse des Staates hat sich für Valerius die Disziplin auch über familiäre Bindungen hinwegzusetzen.194 Ausführlich würdigt er A. Postumius Tubertus und T. Manlius Torquatus, die ihre herausragenden und erfolgreichen Söhne hinrichten ließen, weil sie während des Kriegsdienstes entgegen ihrer ausdrücklichen Befehle gehandelt und so die Autorität ihrer Feldherren, die zufälligerweise ihre Väter waren, beschädigt hatten.195 Hinter der Durchsetzung der militärischen Disziplin stand die Überzeugung, dass eine Notlage das am besten geeignete Mittel zur Überwindung der menschlichen Schwäche sei.196 Deshalb seien auch die härtesten und geradezu unmenschlichsten Strafen nützlich für die Wahrung der Disziplin.197 Neben den Feldherren und Magistraten ist auch der Senat ein Hüter der militärischen Disziplin. So akzeptierte er nicht, dass sich der Militärtribun L. Marcius, der nach dem Tod der Feldherren P. und Cn. Scipio im II. Punischen Krieg von seinen Truppen einstweilen mit dem Kommando betraut worden war, auf das Votum der Soldaten stützend, als Propraetor titulierte, da die Verleihung des Oberbefehls ihm, dem Senat, oblag.198 Die politische Führung über das Militär blieb so gewahrt und Usurpationsversuche wurden verhindert. Die Kompetenz zur Ernennung von Befehlsstellen sicherte der Senat auch gegen Anmaßungen ab, die von den Soldaten ausgingen. Als im Jahr 282 eine in Süditalien stehende Armee nach dem Tod des Feldherrn einen Schreiber zum Anführer wählte und unrechtmäßig die Stadt Regium besetzte – ein Akt, den Valerius als bellum iniustum bezeichnet –, wurden trotz des Einspruchs eines Volkstribunen wider den mos maiorum alle Sol-

191 Val. Max. II 7,7: His […] piaculis, Mars, […], ubi aliqua ex parte a tuis auspiciis degeneratum erat, numen tuum propitiabatur, adfinium et cognatorum et fratrum nota, filorum strage, ignominiosa consulum eiuratione. 192 Val. Max. II 7,1. 193 Val. Max. II 7,2. 194 Val. Max. II 7,3–5. Sehr deutlich 3,6: […] satius esse iudicans patrem forti filio quam patriam militari disciplina carere. 195 Val. Max. II 3,6. Für Einzelheiten s. o. S. 188. 196 Val. Max. II 7,10. 197 Val. Max. II 7,14: […] aspero enim et absciso castigationis genere militaris disciplina indiget, quia vires armis constant; quae ubi a recto tenore desciverint, oppressura sunt nisi opprimantur. 198 Val. Max. II 7,15a.

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daten zum Tode verurteilt.199 Außerdem sanktionierte er mit Degradierung, demonstrativen Gesten der Demütigung und Geldstrafen die Feigheit der Soldaten und stärkte deren Kampfkraft.200 Eine Konsequenz der militärischen Ausrichtung und des militärischen Erfolgs Roms war das Triumphalrecht. Sein Ziel war die Begrenzung unwürdigen Prestigestrebens. Tatsächlich gehörten die Auseinandersetzungen um die Genehmigung von Triumphen zu den schweren Konflikten innerhalb des Senats. Die Bedeutung der Triumphe für das Ansehen rückt Valerius zurecht. Nicht durch die Anzahl, sondern durch die Bedeutung von Triumphen erwerbe ein Feldherr Ruhm. Der Triumph wurde deshalb auch trotz militärischer Erfolge verweigert, wenn sie nicht zur Vergrößerung des Reiches beigetragen hatten.201 Das traf sogar hochverdiente und prominente Männer, Stützen des Staates. In der Gegenwart würden hingegen unbedeutende Taten ausgezeichnet.202 Die eigentliche Entscheidung über den Triumph war für Valerius idealerweise nicht ein politischer Beschluss, sondern das Resultat militärischer Operationen. Für die Feldherren sollte der Anreiz daher nicht, wie in der Praxis üblich, in der Organisation von Mehrheiten liegen. Vielmehr sollten sie sich auf die optimale Erfüllung ihrer militärischen Aufgaben konzentrieren. Bei Beschlüssen über Triumphe wurde der Senat, das weist Valerius energisch zurück, nie von invidia, von Ressentiments und Animositäten, geleitet.203 In den Triumphdebatten war es allerdings selten um anderes gegangen. Insofern entsteht auch auf diesem Gebiet ein Kontrast zur Gegenwart. Dass allerdings Cn. Fulvius Flaccus auf einen Triumph verzichtete und anschließend in einem Prozess wegen Verstoßes gegen die religio verurteilt wurde,204 zeigt die religiöse Dimension der Zeremonie des Triumphs an und die enge Beziehung, die zwischen der militärischen Sphäre, der Integrität der Feldherren und dem Aufstieg Roms zur Großmacht bestand. Ebenfalls wurden keine Triumphe oder anderweitige Auszeichnungen für Siege in Bürgerkriegen beschlossen. Sogar manche Sieger selbst hätten, wie Valerius an einigen Beispielen belegt, ihre Freude gemäßigt, andere ließen zwar ihrer Grausamkeit freien Lauf, verzichteten jedoch darauf, ihren Erfolgen mit einem Triumph göttliche Weihen zu verleihen oder die Unterlegenen sichtbar zu demütigen.205 Umgekehrt jedoch zeichnete der Senat jene aus, die sich, wie Augustus, der als Kontrast zur Reihe der Bürgerkriegsprotagonisten aufgeführt wird, um das Leben von Bürgern verdient machten und so „ewigen Ruhm“ verdienten. Mit der Censur wendet Valerius sich dem zivilen, innenpolitischen Pendant der militärischen Disziplin zu.206 Wie diese im Krieg, so sichert jene in Friedenszeiten 199 Val. Max. II 7,15f. 200 Val. Max. II 7,15b–d. Der Senat verweigerte im II. Punischen Krieg auch den Austausch von Gefangenen (15e). 201 Val. Max. II 8,4. 202 Val. Max. II 8,5. 203 Val. Max. II 8,4. 204 Itgenshorst 2005: 55 f. zu unwürdigen Triumphen. 205 Val. Max. II 8,7. 206 Hierzu und zum Folgenden Val. Max. II 9,pr.

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den Bestand des Staates und bewahrt, was Rom mit militärischen Mitteln und durch seine herausragenden Generale an Macht erworben hatte. Sie ist eine pacis magistra custosque. Mit einem eindringlichen Bild beschwört Valerius die Sinnlosigkeit von Eroberungen, wenn sie auf keinem stabilen innenpolitischen Fundament ruhten.207 Unter den Bestandteilen eines solchen Fundaments versteht er zwei Aktionsfelder der Politik, das Forum und den Senat. Von der sittlichen Integrität, die hier herrscht, hängt die Politik in Friedenszeiten entscheidend ab. Der kausale Zusammenhang, den Valerius zwischen den beiden Zuständen, dem Krieg und dem Frieden, herstellt, geht teilweise auf das gerade in der Historiographie gepflegte und auf griechischen Theorien von Aufstieg und Verfall basierende Dekadenzdenken in Rom zurück. Im Krieg sind nach Valerius’ Auffassung die Sitten nicht in Gefahr, im Frieden jedoch fehlt die disziplinierende Wirkung des Militärdienstes. Der Vorstellung, dass militärischer Erfolg an sich zusammen mit den materiellen Gewinnen in seinem Gefolge eine korrumpierende Wirkung auf die Bürgerschaft ausübe, hängt er hier nicht an, sondern er scheint vielmehr von einer permanenten destruktiven Tendenz des Menschen, einem Hang zur Maßlosigkeit, auszugehen, die mit Sanktionen oder deren Androhung eingehegt werden müsse. Diese Aufgabe würde dann der Censur zufallen. Wenngleich Valerius auf die Weltmachtstellung Roms anspielt, so herrscht doch kein Zweifel, dass er den von ihm skizzierten Zusammenhang für prinzipiell jederzeit gültig hält, unabhängig von der Ausdehnung des Staates. Zugleich wendet er sich gegen die Annahme, die Größe und Bedeutung der Eroberungen oder gar die Weltherrschaft besäßen eine stabilisierende Wirkung auf die Innenpolitik, so dass eine mentale Krise erst in Zeiten des Misserfolgs eintrete. Hinter seinen Ausführungen steht die traditionelle Einsicht, dass ein Reich mit den gleichen Tugenden bewahrt werden müsse, mit denen es erobert worden sei.208 Einer Aufspaltung der Tugendhaftigkeit der Bürger in Disziplin beim Heer und Zügellosigkeit im zivilen Leben erteilt er eine Absage. In der Innenpolitik, deren Bedeutung für den Zustand des Staates auch im Principat dieses Kapitel unterstreicht, sollte maßvolles Agieren jederzeit eine Notwendigkeit bleiben. Insofern kann Valerius behaupten, dass der im zivilen Sektor erbrachten Leistung des Censors der gleiche Ruhm wie einem Feldherrn zukomme. γ) Zusammenfassung Valerius’ II. Buch liefert eine unkonventionelle Zusammenstellung konstitutiver Bereiche und Aspekte des öffentlichen wie privaten Lebens in Rom. Alle Einrichtungen dienen der Integration der Bürgerschaft und der Vorbeugung des Sittenverfalls, dessen zersetzende, auf alle Bereiche ausstrahlende Wirkung er auch als Problem der Gegenwart wahrnimmt. Unter den politischen Problemen hebt er Korruption und Machtstreben hervor. Beide Phänomene, die nach der Dekadenztheorie 207 Val. Max. II 9,pr: […] nisi foro et curiae officium ac verecundia sua constiterit, partarum rerum caelo cumulus aequatus sedem stabilem non habebit. 208 S. z. B. Sall. Cat. 2,3–6.

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den Untergang der Republik herbeigeführt hatten, waren für ihn auch im Principat des Tiberius trotz aller Konsolidierungsleistungen aktuell. Valerius’ Beurteilung seiner Zeit deckt sich mit der Kritik des Princeps, der um eine Einbindung der Senatsaristokratie in die operative Politik bemüht war. In seinem prononciert altrepublikanischen Auftreten waren ihm Korruption und eine ineffektive Verwaltung zuwider. Überdies berührte das von Valerius diagnostizierte Machtstreben der Senatoren nicht nur ideologisch die Stabilität des Systems. Auch wenn in der geschichtlichen Wirklichkeit der Princeps der Adressat und die entscheidende Instanz in der aristokratischen Konkurrenz war, waren die Verwerfungen innerhalb des Senats durchgängig eine Belastung der Innenpolitik unter Tiberius. Andererseits erkennt Valerius in der Instrumentalisierung der Streitkräfte durch ihre Befehlshaber eine Gefährdung für die innere Sicherheit. Nicht nur drohte durch Korruption ein Verfall der militärischen Schlagkraft; auch gegen die Herrschaft des Princeps ließen sich die Truppen einsetzen. Insofern hatte die Etablierung der Disziplin für ihn eine integrale Bedeutung. Mit der Fixierung der Maßstäbe für einen Triumph, der seit Augustus vom Princeps monopolisiert wurde, strebt Valerius eine Entpolitisierung dieser Auszeichnung an. In der Familie als der Grundlage der res publica herrscht, wie auch im Staat selbst, die Orientierung an der Vergangenheit – was die fides-Verhältnisse, die Rolle der Frau und die Verehrung älterer Senatoren betrifft – als Leitbild der Zukunft vor. Das Kapitel über die Soldaten zeigt die Gefahr für die Kampfkraft durch Korruption und die Bedeutung eines straffen Oberbefehls, dessen Ausübung sogar vor familiären Beziehungen keinen Halt machte. Als Probleme identifiziert Valerius die Käuflichkeit und sittliche Verkommenheit von Soldaten, aber auch die demagogische Anbiederung von Feldherren, die sich durch Vernachlässigung der Disziplin die Gunst der Soldaten erwarben. Zudem bestand die Gefahr des Nepotismus, wenn der Kommandierende das Fehlverhalten von ihm unterstellten Verwandten deckte. Dagegen stellt Valerius die Notwendigkeit der Autorität von Feldherren. Die Censur wahrte in ziviler wie militärischer Hinsicht den Bestand des Staates, indem sie das Ideal der Ehe verteidigte und das seit den Ehegesetzen des Augustus besonders sichtbar gewordene Problem der Kinderlosigkeit anging. Zum anderen hatten erfolglose Feldherren bei ihrer Rückkehr mit einer Untersuchung der Censoren zu rechnen. Diese versahen ihr Amt mit einer Konsequenz und Unnachgiebigkeit, die sich sogar gegen ihre Collegen richten konnte. Ihre Funktion, so ist impliziert, nimmt der Princeps wahr, dessen Spektrum an Handlungsoptionen Valerius skizziert und legitimiert. Der censorische Tadel diente nicht nur der Bestrafung und Bloßstellung von Fehlverhalten, sondern er übte eine protreptische Wirkung sogar auch auf die Opfer aus. Im Abschnitt über das Triumphalrecht zeigt sich die Möglichkeit einer Fehlentwicklung des ansonsten förderlichen militärischen Ehrgeizes. In Vergleichen anderer Staaten mit Rom legt Valerius den Schwerpunkt auf zentrale Aspekte von Staatlichkeit und Lebensform, die zu den Koordinaten seines Geschichts- und Weltbildes zählen. Er verortet nicht nur Rom im Konzert der Poleis und Mächte der Oikoumene, sondern demonstriert auch die universale Geltung der von ihm gelehrten politischen wie historischen Zusammenhänge. Lob spricht er den Spartanern wegen ihrer gravitas, in der sie nur den Römern nachstanden, und ihrer

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severissimae leges aus und hebt ihre militärischen Sitten hervor.209 Am Beispiel Asiens thematisiert er die korrumpierende Wirkung des Luxus auf Mentalität und Lebensform210 und bemüht in Anspielung auf die Entwicklung der römischen Geschichte seit der Expansion den bereits für Sallusts Geschichtsauffassung wichtigen Gesichtspunkt, dass sich virtus leichter in Dekadenz verwandele als eine luxuriöse Lebensform in Tugendhaftigkeit. Gerade Athen verkörpert für Valerius die Korruption der Sittlichkeit durch eine verfeinerte Lebensweise. Was sie auszeichnete, waren die typischen Folgen des Friedens: Tatenlosigkeit, Verweichlichung und Schwäche sowie selbstzerstörerische Neigungen.211 Vergleichbar mit den Spartanern waren hingegen die Massilier. Auch bei ihnen herrschte eine sittenstrenge Lebensform, die verlangte, selbst in relativ unbedeutenden Angelegenheiten den alten Tugenden zu folgen.212 Die Cimbern und Kelten rühmte er für ihre unbedingte Treue zum Vaterland und in der Freundschaft, die sie über ihr Leben stellten.213 Für ihre Einsicht benötigten sie keine Bildung, die Valerius öfter als Produkt griechischer, speziell athenischer Verweichlichung schmäht, weil sie wussten, dass die dulcedo vitae, eine Folge des Sittenverfalls, zu schändlichen Handlungsweisen veranlasste.214 b) Politische Leittugenden α) Einleitung Es ist die erklärte Absicht des Valerius, exempla aller Zeiten und aller Lebenssituationen in seiner Sammlung vorzuführen, um ein möglichst vollständiges Bild des privaten und politischen Lebens in unterschiedlichen Kontexten zu erzeugen und auf alle vorstellbaren Konstellationen mit Handlungsoptionen vorzubereiten. Bei weitem nicht alle Persönlichkeiten, die er verzeichnet, verkörpern daher militärische oder im engeren Sinn politische Tugenden. Sie repräsentieren auch Aspekte des privaten Bereichs und der in der römischen Gesellschaft geltenden Sozialbeziehungen.215 Angesichts der Vielfalt der Situationen und Beispiele, die einen ganzen Kosmos sozialer und politischer Praktiken und Handlungsanweisungen umfassen, sollen hier nur die unmittelbar auf politische Zusammenhänge Bezug nehmenden exempla zur Sprache kommen, und auch nur insoweit, als sie die übergeordneten Fragestellungen dieser Studie beantworten helfen. Die Tugenden stehen in enger Verbindung zu Valerius’ Ansichten über die Funktionsweise der Politik und zu seinem Dekadenzmodell. Ihre Funktion ist die Sicherung der rechtmäßigen Ordnung und der Stabilität. Für Valerius ist die Furcht 209 210 211 212

Val. Max. II 6,2. Val. Max. IX 1,15. Val. Max. II 6,3. Als Folgen des Friedens nennt er inertia, languor, facinorosa culpa. Val. Max. II 6,7; 9: nämlich disciplinae gravitas und prisci moris observantia sowie caritas populi Romani. 213 Val. Max. II 6,11; s. auch die Treue der indischen Frauen 6,14, von denen beispielsweise die Punierinnen negativ abstachen (6,15). 214 Val. Max. II 6,12. S. auch II 6,13; 16 f. 215 Dieses Feld ist vorbildlich erschlossen worden von Lucarelli 2007.

3. Die res publica des Valerius Maximus

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vor dramatischen inneren Auseinandersetzungen und einer Wiederholung des Bürgerkrieges omnipräsent. Die im republikanischen Peripetiediskurs zentralen Leidenschaften, auf die im IX. Buch das Verzeichnis der vitia rekurriert, bilden den Anlass, die Tugenden aus dem vorbildhaften Abschnitt der römischen Geschichte zu verzeichnen. Die Bücher sind aufeinander bezogen. Das Themenspektrum reicht von Fragen der Vergabe und Bekleidung von Ämtern, der Verhinderung von Machtmissbrauch und Korruption über die Einhegung des politischen Wettbewerbs, die Definition des Ruhmes und das Interesse des Staates bis zur Absicherung der inneren Eintracht und zu Sanktionsmöglichkeiten für deviante Verhaltensweisen. β) Konkurrenz und Konsens Eine schwere Bedrohung für die res publica erblickt Valerius in der Akkumulation von Macht. Die Bereitschaft zur ihrer Aufteilung fällt in den Bereich der moderatio,216 die traditionell der Verhinderung von Machtmissbrauch diente. Diese Funktion erfüllt sie hauptsächlich auch bei Valerius.217 Sie hilft, den Verheißungen eines pervertierten Ruhmesbegriffes zu widerstehen. Die meisten Beispiele gelten der Annahme und Ausübung von hohen Ämtern. Zugleich zeigt Valerius, wie die moderatio der Magistrate auch ihre Unterwerfung unter die Autorität des Senats regelte und die Austragung persönlicher Feindschaften milderte.218 Dezidiert gilt seine Sorge dem Aufkommen monarchischer Tendenzen, der Übernahme des maximum imperium durch eine einzige Familie. Schon kurz nach der Begründung der Republik erhöhte die Begrenzung des am Königtum orientierten consularischen imperium die Akzeptanz der neuen Ordnung und festigte die Freiheit, weil sie Sorgen vor einer Dekadenz zur Tyrannis zerstreute.219 Für die Übertragung außerordentlicher Gewalten ist für Valerius die Befugnis des Senats entscheidend. Da diese es ihrem Inhaber ermöglichten, den Rahmen der res publica zu sprengen, war es zwingend notwendig, sie mit größtmöglichem Konsens zu verleihen. Für dieses Verfahren ist der Senat für Valerius die einzige Autorität, dessen unangefochtene Entscheidung die Voraussetzung für die Wahrung des inneren Friedens war. Als exemplarisch sieht er es auch an, wenn Kandidaten Ämter ablehnten, um die Verstetigung von Macht durch Iteration zu verhindern220 oder um eine innenpolitische Konfrontation zu entschärfen.221 Sogar vom Senat genehmigte, rechtlich aber problematische Kandidaturen oder Ämterverleihungen lehnt Valerius unter Berufung auf Beispiele ab, bei denen sich Kandidaten aus Re-

216 217 218 219

Val. Max. IV 1,5. Val. Max. IV 9,5: Die moderatio verhindert impotentia; s. ferner 9,8 zur temeritas. Val. Max. IV 1,10b–12. Val. Max. IV 1,1. Als Beispiel dient der Consul Valerius Poplicola, der die Anzahl der Fasces reduzierte, die Äxte aus den Rutenbündeln entfernen ließ, die Provocation einführte und sein Haus abriss, das als Indiz für seine vermeintlich herrschaftlichen Ambitionen galt. 220 Val. Max. IV 1,3. 221 Val. Max. IV 1,4.

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spekt vor den republikanischen Regeln von der Ämterbewerbung zurückzogen222 und so den Konkurrenzdruck minderten oder unbegrenzte Dictaturen und außergewöhnliche Ehrungen zurückwiesen.223 Notwendig für das Bestehen des Staates konnte auch die Überwindung persönlicher, aus politischem Wettbewerb resultierender Feindschaften werden,224 um die militärische Schlagkraft Roms durch Kooperation führender Persönlichkeiten aufrechtzuerhalten, selbst wenn dies Gesten auf Kosten des eigenen Prestiges verlangte. Alle Beispiele, die Valerius anführt, zielen auf die Verteidigung des Grundprinzips der Republik: die Entstehung von Bürgerkrieg in einer hochkompetitiven Gesellschaft durch eine unter den Mitgliedern der Senatsaristokratie rotierende Bekleidung der öffentlichen Ämter zu verhindern.225 Übermäßiger Ehrgeiz für das Streben nach einem Amt ist Valerius suspekt. Machtkonzentration besitzt für ihn das Potential, einen Bürgerkrieg auszulösen. Persönliches Zurückstecken hingegen wirkt vorbildlich und kann auf die gesamte Bürgerschaft ausstrahlen.226 Größte Bedeutung hat für ihn die strikte Einhaltung von Verfahren der Ämterbesetzung. Nur so kann, das zeigen die Beispiele, Stabilität unter den Bedingungen eines dynamischen Wettbewerbs entstehen. Der Pervertierung des in eine übersteigerte Konkurrenz führenden Ruhmesbegriffs, der Prestige nicht mehr mit dem Nutzen für das Gemeinwesen verband und zur Überschreitung von Grenzen verführte, setzt Valerius die Verbindung individueller Interessen mit dem Gemeinwohl entgegen. Er belegt, dass der Verzicht auf Ämter fast mit deren Bekleidung gleichgesetzt wurde, und dass die Zurückweisung von Ehrungen zu größerem Ruhm gereichen konnte als deren Annahme.227 Die bloße Anhäufung von Macht ist daher keine Voraussetzung für den Erwerb von gloria.228 Die Erkenntnis, dass ein durch moderatio errungener Sieg über sich selbst schwieriger sei als Siege über Feinde, verweist jedoch auf die Anziehungs-

222 223 224 225 226

Val. Max. IV 1,14. (a.54). Val. Max. IV 1,6a. Val. Max. IV 2,2: salus der res publica. Val. Max. IV 1,5: gegen das maximum imperium in una familia. Eine ausführliche Erzählung dieser Episode, jedoch mit anderen Schwerpunkten, liefert auch Livius (III 19–21): Als Cincinnatus, zum Consul gewählt, einen harten Umgang mit der Plebs ankündigte, geriet die Menge in solche Furcht, dass nach einem Ausweg aus der Krise gesucht wurde. In diesem Zusammenhang erklärte der Senat, dass künftig die Kontinuation von Ämtern auf der Seite der Patrizier wie der Plebeier untersagt sein solle. Nachdem die Plebs den bisherigen Tribunen dennoch eine weitere Amtszeit verschafft hatte, planten die Senatoren, Cincinnatus ebenfalls erneut zum Consul zu wählen. Cincinnatus lehnte dies jedoch mit dem Verweis auf die einem solchen Vorgehen innewohnende licentia ab, derer sich bereits die Plebs, die turba inconsulta, schuldig gemacht hatte. Größeren Ruhm als durch ein zweites Consulat beziehe er aus dessen Zurückweisung und vermeide so auch den Hass, den er sich unweigerlich zuziehen werde. Der Cincinnatus des Livius war zwar ebenfalls von moralischen Erwägungen, der Demonstration von Standfestigkeit und der Einhaltung der vereinbarten Regelungen geleitet, er konnte jedoch nur noch auf die Senatoren einwirken, da die Tribunen bereits gewählt waren, und ist stärker von seinem eigenen Ruhm als vom Gemeinwohl geleitet als bei Valerius. 227 Val. Max. IV 1,9. S. hierzu auch Liv. XXVIII 9,7–16. 228 Val. Max. IV 1,1.

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kraft Ämter und im Umkehrschluss auf das damit verbundene Problem der Maßlosigkeit, die zu bezwingen eine herausragende Leistung sei.229 Nach der Erfahrung des Zusammenbruchs des republikanischen Systems in der Zeit der Bürgerkriege, in denen alle Grenzen im Machtkampf der großen Einzelgestalten gefallen waren, war bei der Konsolidierung der res publica im Principat die Begrenzung von Ämtern ein zentrales Element. Nach der Wahlrechtsreform fiel die Zuteilung von Ehren jetzt Tiberius zu und war anders als zu republikanischen Zeiten kein Gegenstand von Wahlen mehr.230 Der Princeps konnte einerseits nicht zulassen, dass Mitglieder der Senatsaristokratie überbordendes politisches Kapital akquirierten, und musste andererseits die Erfüllung des senatorischen Prestigestrebens zur Ämterverteilung sicherstellen. Das exemplum lässt sich daher als Unterstützung für den Princeps und dessen Wahlreform lesen, die sich auf republikanische Gepflogenheiten beruft, um Probleme in einem neuen politischen Kontext zu regulieren. Als nächstes Problem stellt sich die Frage nach der Ausübung von Macht. Zur Verhinderung von Auswüchsen wie Unrecht, Gewalt und Krieg sind für Valerius abstinentia und continentia relevante Tugenden.231 Sie besitzen private wie politische Dimensionen. Einerseits schließen sie den Verzicht auf Exzesse im Liebesleben sowie das Streben nach Geld ein – Laster, die Valerius für eine todbringende Krankheit des menschlichen Geschlechts hält; andererseits dienen sie auch der Verhinderung des Missbrauchs von Ämtern durch sittliche wie finanzielle Korruption.232 Weil die beiden Tugenden vitia wie licentia und avaritia bekämpfen, die Folgen des Wegfalls (außen-)politischer Probleme waren, stehen sie in einem engen thematischen Zusammenhang mit dem Dekadenzdiskurs. Korruption thematisiert Valerius an außen- wie innenpolitischen Beispielen. Die Konsequenz von Bestechlichkeit ist ihm zufolge seelische wie politische Unterwerfung,233 weil sie mit Abhängigkeiten verbunden ist. Machtausübung und Selbstbereicherung stellt er deshalb als unvereinbar gegenüber. Auch berechtigte Privilegien in Anspruch zu nehmen kritisiert Valerius.234 Belohnung für die Ausübung öffentlicher Ämter sollten nicht Geldgeschenke, sondern Anerkennung sein.235 Zur continentia gehörte folgerichtig auch die strikte Trennung von privatem und öffentlichem Vermögen.236 Als positives Beispiel gelten Feldherren, die ihre Beute zum Nutzen des Staates und der Bürger einsetzen, aber nicht persönlich von ihr profitieren.237 Nicht divitiae sind das Kriterium für Ruhm, sondern Leistungen.238 Beispiele zeigen, dass Bescheidenheit für Valerius trotz herausragender Er229 230 231 232 233 234 235 236 237 238

Val. Max. IV 1,2. S. o. S. 376 f. Hierzu und zum Folgenden Val. Max. IV 3,pr. Val. Max. IV 3,11. Val. Max. IV 3,5a. Val. Max. IV 3,5b. Val. Max. IV 3,9. Val. Max. IV 3,10. Val. Max. IV 3,8. Val. Max. IV 3,6a.

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folge nicht verschwinden muss.239 Auch ist er überzeugt, dass politische und militärische Leistungen durch Bescheidenheit noch großartiger wirken und damit entgegen einer oberflächlichen, in der Dekadenz aufgekommenen Auffassung Prestige und Ansehen einer Person sogar vergrößern. Umgekehrt ist die Armut für Valerius eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung der Tugend.240 Die Relevanz der paupertas für das öffentliche Leben liegt in ihrer Umdeutung zu wirklichem Reichtum.241 Weder stellt Reichtum einen Wert an sich dar, noch ist er eine Garantie für ein glückliches Leben. Die entscheidenden Faktoren für die Bekleidung von Ämtern sind für Valerius Persönlichkeit und Kompetenz. In der, wie er suggeriert, vom Reichtum geprägten Gegenwart könne die Erinnerung an die früheren Zeiten motivierend wirken.242 Gerade die in Armut lebenden Männer früherer Zeiten hätten glänzende Consulate, Dictaturen und Triumphe vorzuweisen. Weil sie die Entfaltung von virtutes fördert, wird Armut geradezu zu einer unabänderlichen Bedingung für historischen Ruhm. Am Ende steht das prononcierte und drastische Bekenntnis zu Verhältnissen, wie sie in den primitiven Anfängen der Geschichte geherrscht hätten. Armut fördert so nicht nur den Ruhm eines Individuums, sondern nutzt auch dem Staat. Trotz ärmlicher Begräbnisse blieben herausragende politische Verdienste in Erinnerung, wie die Sicherung des Bestands des Systems und der maiestas des römischen Volkes243 oder die Integration der res publica in bürgerkriegsähnlichen Situationen.244 Die Beispiele aus der Frühen Republik, die den Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit unterstreichen, diskreditieren den Reichtum als politische Kategorie. Weder körperliche Arbeit245 noch Landbesitz entscheiden über historische Größe, sondern der Ruhm und der Dienst am Gemeinwesen,246 da die Verteilung von zivilen, militärischen und religiösen247 Ämtern sowie von Einfluss und Ansehen von charakterlicher Gesinnung und Kompetenz abhänge. Dieses meritokratische Prinzip belegt er mit Aufsteigern, die trotz eines geringen Familienvermögens in der Politik reüssierten,248 und mit notwendigen Ausgaben des Senats für seine herausragenden, Dienst am Staat leistenden Mitglieder.249 Auf dieser Einsicht hatte nach traditioneller Sicht, eindringlich vertreten auch in der Geschichtsschreibung, der Aufstieg Roms zur Weltmacht gefußt. Während des Zeitalters der Dekadenz war sie jedoch verlorengegangen. In den Theorien und Skizzen des Verfalls wurde das Streben nach Reichtum als ein zentrales Phänomen 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249

Val. Max. IV 3,12 f. Val. Max. IV 4. Hierzu und zum Folgenden Val. Max. IV 4,pr. Hierzu und zum Folgenden Val. Max. IV 4,11. Val. Max. IV 4,1. Val. Max. IV 4,2. Val. Max. IV 4,4; 6. Val. Max. IV 4,7. Val. Max. IV 4,9. Val. Max. IV 4,11. Val. Max. IV 4,10. Scipio verlangte seine Abberufung vom Kriegsschauplatz in Spanien, damit er eine Mitgift für seine Tochter beschaffen konnte, eine Aufgabe, die in diesem wie auch anderen Fällen der Senat übernahm.

3. Die res publica des Valerius Maximus

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des Wertewandels begriffen und der materielle Besitz als wichtigste Ressource für politischen Einfluss und politische Auseinandersetzungen aufgefasst. Die Zurücknahme der Interessen des Individuums und die völlige Konzentration auf das Gemeinwohl drückt für Valerius die Tugend der verecundia aus.250 Sie unterstreicht, dass wahrer Ruhm keiner Abzeichen bedürfe, sondern dass dignitas von den Menschen instinktiv erkannt werde.251 Was die Besetzung mit Ämtern angeht, so steht das Beispiel Varros für den Nutzen, der dem Staat aus der Ablehnung einer Dictatur erwachsen kann.252 Als Leistung kann daher nicht, wie es naheliegt, die Amtsführung als Dictator auf einer Inschrift vermerkt werden, sondern die Ablehnung dieser Position. Der Gewinn an Prestige, den ein Amt üblicherweise mit sich bringt, wird durch einen Verzicht erlangt. Vergleichbares gilt für die Wahrung von Standesgrenzen durch Einhaltung traditioneller Verhaltensregeln oder den Verzicht auf Kandidaturen, damit die dignitas Höherrangiger gewahrt bleibt. Auch die Bedeutung des materiellen Einsatzes verzeichnet Valerius als nützlich für das Gemeinwesen. Nicht nur prominente Personen253 der Geschichte stellten dem Staat ihre Mittel zur Verfügung, sondern auch Frauen254. Die genannten Beispiele drehen sich um den Freikauf von Kriegsgefangenen und die Pflege von Verwundeten, dank derer die römische Kampfkraft gestärkt und der Untergang abgewehrt werden konnten, oder um die Herstellung innenpolitischer Ruhe durch die Wahrung des sozialen Friedens,255 der mit dem Verzicht auf privatrechtliche Forderungen erlangt wurde. γ) Stabilität Eine zweite Reihe von Tugenden dient der Stabilisierung des Staates. Zur Verhinderung von Umstürzen empfiehlt Valerius die humanitas. Gerade die auswärtigen Beispiele zeigen, wie sie sich im Umgang der Alleinherrscher mit ihren Untertanen in clementia und moderatio äußerte.256 Das minderte keineswegs die Position dieser Potentaten, sondern sicherte ihnen Ruhm und Anerkennung. Andernfalls hätten sie sich womöglich dem Verlust ihrer Akzeptanz ausgesetzt gesehen. Sie besteht besonders darin, das Leben und die dignitas der Untertanen zu wahren und mäßigt im Sieg den Hochmut, der ein Vorbote der Dekadenz ist, verhindert göttliche Anmaßung und schärft das Bewusstsein für die Grenzen der eigenen Menschlichkeit. Sie besiegt alle negativen Affekte eines Herrschers. Für diese Aspekte führt Valerius allerdings keine Beispiele aus der römischen Geschichte an – vielleicht fürchtete er, den Princeps zu kompromittieren, entweder als Alleinherrscher, der er gemäß der Ideologie von der wiederhergestellten Republik nicht sein durfte, oder weil 250 251 252 253 254 255 256

Val. Max. IV 5,pr. Val. Max. IV 5,1. Val. Max. IV 5,2. Val. Max. IV 8,1. Val. Max. IV 8,2. Val. Max. IV 8,3. So z. B. Val. Max. V 1,ext. 3.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

er ihm Ratschläge erteilt hätte, die ein fragwürdiges Licht auf Tiberius’ Herrschaftspraxis werfen mochten. Eine Reihe von Beispielen führt humanitas des Senats gegenüber Feinden257 und Verbündeten258 vor, bevor Valerius zu römischen Einzelpersonen übergeht.259 Eine letzte Kategorie, bestehend aus zwei Beispielen, bildet humanitas in Zeiten des Bürgerkrieges. Zu ihnen zählt, dass tote Gegner betrauert sowie mit einem Begräbnis gewürdigt werden und ihre Vermögensverhältnisse unangetastet bleiben260, wie es im letzten Bürgerkrieg der Republik auf allen Seiten geschah.261 Entscheidend ist für Valerius, dass mit dem militärischen Ende des Bürgerkriegs die Konflikte nicht fortgesetzt, sondern durch die Ehrung der Unterlegenen bereinigt wurden, so dass anschließend ein stabiler Frieden eintreten konnte. Der Stabilisierung des Staates dient die Festigung von Beziehungen im privaten wie im öffentlichen Bereich durch die pietas.262 Da nach dem Untergang der Stadt, also des staatlichen Rahmens, auch die Penaten vernichtet würden, also dem Privatleben und dessen konstitutiver Basis, der Familie, die religiöse Grundlage entzogen würde, kommt seiner Auffassung nach der Loyalität gegenüber dem Vaterland eine größere Bedeutung zu als der Verehrung der Eltern. Die Bedeutung der pietas gegenüber dem Gemeinwohl spiegelt sich darin, dass sie als wichtigste Handlung das Opfer des eigenen Lebens im Interesse des Staates verlange. Eindringlich führt Valerius vor, wie die pietas mehrfach im Krieg den Bestand Roms sicherte: durch persönliche Opfer, durch die Wiederherstellung des Kampfgeistes und durch den Verzicht auf finanzielle Ansprüche gegen den Staat. Nur durch das Opfer des Brutus, der im Jahr nach der Begründung der Republik die Freiheit gegen die Tarquinier verteidigte und deren Restitutionsbestrebungen abwehrte, konnten überhaupt erst eine republikanische Geschichte und der Aufstieg Roms entstehen.263 In vergleichbarer Weise retteten die Decii Mures, Vater und Sohn, durch ihre Devotion in der Schlacht den Bestand Roms.264 Nach einer bereits eingetretenen Niederlage, bei Cannae, trug wiederum P. Scipio, der nachmalige Africanus, zur Wiederherstellung des Kampfgeistes bei, als er die defaitistischen Bestrebungen des Q. Metellus vereitelte und die Männer einen Eid auf ihre Bereitschaft leisten ließ, den Krieg fortzusetzen.265 Im gleichen Krieg trugen auch viele Gruppen in der res publica, von den Steuerpächtern über die Soldaten bis hin zu den Sklaven, durch den Verzicht auf finanzielle Ansprüche gegen den Staat zur Abwehrbereitschaft Roms bei. Als sichtbares Beispiel für den Zusammenhang zwischen persönlichem Opfer und dem Nutzen für den Staat nennt Valerius einen be-

257 258 259 260 261 262 263 264 265

Val. Max. V 1,1a–c. Val. Max. V 1,1d–f. Val. Max. V 1,2–9. Val. Max. V 1,10. Val. Max. V 1,11. Hierzu und zum Folgenden Val. Max. VI pr. Val. Max. V 6,1. Val. Max. V 6,5 f. Val. Max. V 6,7.

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rühmten Erinnerungsort, den lacus Curtius,266 demzufolge Roms entscheidende Stärke seine Militärmacht ist. Pietas gegenüber dem Vaterland schlägt sich bei Valerius aber auch innenpolitisch im Verzicht auf Herrschaftsansprüche nieder.267 Bei ihm fällt die pietas gegenüber dem Vaterland also in zwei Kategorien. In militärischer Hinsicht erforderte sie den Einsatz des Lebens in der Schlacht und Maßnahmen zur Gewährleistung der Verteidigungsfähigkeit. Auf diese Weise wurde zunächst der Bestand des Staates gesichert, dann dessen Expansion ermöglicht. Die Unterordnung des Individuums unter das Gemeinwohl erfuhr im Beispiel von Feldherren, die sich selbst im Interesse des Staates gleichsam als Menschenopfer darbrachten, ihre höchste Zuspitzung. Zwar dominiert bei Valerius die pietas im Krieg. Dass ihr aber auch eine Dimension zukommt, die in den zivilen Bereich gehört, illustrieren die exempla des Brutus und des Cipus, die zeigen, dass sie sich nicht bloß auf die Verteidigung der Existenz des Staates, sondern auch auf dessen politisches System beziehen kann, in den zitierten Fällen durch die Abwehr eines Umsturzes im Inneren sowie durch einen Verzicht auf den Besitz einer Machtstellung, die im Widerspruch zum mos maiorum stand. Die Verteidigung der res publica konnte aber auch durch Repressionen notwendig werden. Innerhalb von Familien reagierten Familienväter mit Sanktionen bis hin zum Tod der Kinder auf schwerwiegende Verstöße gegen die politische Ordnung und die militärische Disziplin, sowohl durch befehlswidriges Handeln aus Ruhmesstreben als auch durch Feigheit268 oder die Beteiligung an bürgerkriegsartigen Handlungen.269 266 Val. Max. V 6,2: […] interpretatus urbem nostram virtute armisque praecipue excellere. 267 Val. Max. V 6,3 f. 268 So waren die Aufdeckung der Verschwörung, die zum Ziel hatte, die Monarchie wiederherzustellen, und die Bestrafung der Verschwörer durch Brutus, der seine eigenen Söhne hinrichtete, Teil des Gründungsakts der Republik (Val. Max. V 8,1), ebenso wie die Tötung des Sp. Cassius, der angeblich mit einem Ackergesetz einen Umsturz einzuleiten trachtete, den Fortbestand der Republik sicherte. Nicht um die Freiheit, sondern um die militärische Disziplin sorgte sich T. Manlius Torquatus, als er seinen Sohn hinrichten ließ, der, wenn auch erfolgreich, so doch befehlswidrig eine Schlacht gewagt und dadurch die Autorität des militärischen Befehlshabers, seines Vaters, in Frage gestellt hatte (8,3). Militärisches Versagen seines Sohnes sanktionierte auch M. Scaurus. Dessen Fehler aber hatte nicht in undisziplinierter Tapferkeit, sondern in Feigheit vor dem Feind bestanden. Hier jedoch trat der Vater nicht als Richter auf. Als er erfuhr, dass sich sein Sohn unter den Flüchtenden befand, ließ er ihm ein Schreiben zukommen, das dessen Verhalten als schlimme Schande rühmte. Besser als das Leben durch eine Flucht zu retten, wäre der Tod im Feld gewesen. Der Sohn indes gewann seine Reputation zurück, als er sich nach Erhalt des Briefes selbst den Tod gab und dabei jenen Mut zeigte, der ihm in der Schlacht gefehlt habe (8,4). 269 Val. Max. V 8,5: Militärische Einsatzbereitschaft anderer Art brachte A. Fulvius während der Verschwörung des Catilina den Tod. Als A. Fulvius dem zum Staatsfeind erklärten Catilina ins Feldlager nacheilte, um an dessen Seite gegen die consularischen Heere zu kämpfen, ließ ihn sein Vater zurückbringen und hinrichten. Als Begründung führte er den hochverräterischen Akt des Sohnes an. Dessen Pflicht sei es gewesen, die res publica gegen Catilina zu verteidigen, nicht aber mit Catilina die Republik zu bekämpfen. Dazu jedenfalls sei er gezeugt worden. Mit der Entscheidung für die falsche Seite, so die Schlussfolgerung aus dieser Episode, hatte er sein Existenzrecht verwirkt. Eindringlich zeigt Valerius hier die enge Verbindung zwischen dem Individuum und dem Staat auf.

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Das Pendant zur väterlichen Strenge ist die severitas von Staats wegen zur Bekämpfung von Usurpationen. Sie erfüllte eine wichtige Funktion bei der Abwehr von Usurpationen, wie die drei affectatores regni sowie die beiden Gracchen zeigen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Umsturzversuche und ihres Strebens nach einer monarchischen Position für sich im Namen der Freiheit, die sie abzuschaffen gedachten, hingerichtet wurden.270 Die Verteidigung des republikanischen Systems, zu dessen Schutz die Bürgerschaft die harten Strafen gegen die teils hochverdienten Revolutionäre verhängte, steht bei diesen Episoden im Mittelpunkt.271 In weniger dramatischen Fällen diente sie auch außenpolitisch der Demonstration der Stärke Roms bei militärisch-diplomatischen Versagen,272 der Unterstreichung des Anspruchs, Vorbild des Weltkreises zu sein,273 sowie innenpolitisch der Bestrafung von Kriegsdienstverweigerern274 und der Stärkung der Autorität von Magistraten.275 Sie konnte sich schließlich aber auch im Sinne der Verteidigung der Sitten gegen von Frauen begangene Sittenverstöße und Straftaten richten.276 Zu den Topoi des Dekadenzdenkens gehört der Verlust der pudicitia. Auch bei Valerius figuriert sie als eine grundlegende Tugend für das sittliche Verhalten von Männern wie Frauen.277 Die ihr in der Gegenwart innewohnende politische Dimension stellt Valerius an den Anfang des Abschnitts, der ihre Bedeutung für Rom und die domus Augusta zusammenbringt und den Gedeih der Familie des Princeps mit der Prosperität des Staates in eins setzt. Den Reigen der exempla eröffnen zwei klassische Beispiele, Lucretia und Verginia. Lucretia gab sich selbst den Tod und löste mit ihm den Umsturz aus, der zur Einrichtung der Republik führte,278 während Verginia von ihrem Vater getötet wurde, nachdem App. Claudius, der Decemvir, ihr gegenüber seine Amtsgewalt missbraucht hatte.279 Beide Fälle vereint, dass Übergriffe von Tyrannen durch die pudicitia seiner Opfer sittlich gerächt oder verhindert wurden und dass damit der Untergang der jeweiligen Schreckensherrschaft eingeleitet wurde. Umgekehrt führt Valerius mehrere Fälle an, in denen die Frauen, nicht nur die Liebhaber, wegen eigener Verstöße gegen die Sittlichkeit von ihren Vätern getötet wurden.280 Die Verteidigung der pudicitia vermochte sogar, die tribunicia potestas faktisch außer Kraft zu setzen281, wurde in Volksversammlungen

270 271 272 273 274 275 276 277 278

Zu den Gracchen s.o.S. 394 f. Val. Max. VI 3,1a–1d. Hierzu 3,3a: Libertatis adhuc custos et vindex severitas […]. Val. Max. VI 3,3a. S. nur beispielsweise Val. Max. VI 3,ext. 1. Val. Max. VI 3,4. Val. Max. VI 3,5. Val. Max. VI 3,6–12. Val. Max. VI 1,pr. (praecipuum firmamentum). Val. Max. V 1,1, bes.: […] causamque tam animoso interitu imperium consulare pro regio permutandi populo Romano praebuit. 279 Val. Max. VI 1,2. 280 Val. Max. VI 1,3; 6; s. auch 5 (Bestrafung eines Sohnes durch einen Censor). Für getötete oder bestrafte Liebhaber s. auch 4. 281 Val. Max. VI 1,7.

3. Die res publica des Valerius Maximus

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und im Senat beachtet,282 richtete sich selbst gegen Kriegshelden,283 war Anlass für Prozesse284 und rechtfertigte sogar Selbstjustiz.285 Als Wächterin von angemessenem oder rechtmäßigem Verhalten thematisiert Valerius die iustitia.286 Obwohl er sie als eine zentrale Tugend einführt, widmet er ihr jedoch nur wenige Beispiele, die überdies alle aus der Sphäre der Gerichtsbarkeit stammen:287 Die Truppen unterstützen ihren in einem politischen Prozess von Volkstribunen angeklagten Feldherrn, der sich im Einsatz bewährt hatte; angeklagte Magistrate lassen sich nicht im Prozess auseinanderdividieren; die Ausnutzung politischer Kompetenzen für rechtswidrige Privatinteressen steht im Widerspruch zur Gerechtigkeit; trotz erbitterter Feindschaft akzeptierten Ankläger keine unehrenhaft herbeigebrachten Beweise, sogar Sulla rächte den Tod eines seiner proscribierten Widersacher, der von einem Sklaven verraten worden war. Alle Fallbeispiele enthalten eine politische Komponente: Sie wenden sich gegen das Eindringen der Politik sowie gegen deren Instrumentalisierung in Rechtsfragen. Durch die Einhaltung des Prinzips der Gerechtigkeit auch gegen persönliche, widerstreitende Interessen wird die Eintracht in Rom gewahrt. Zweimal verzeichnet er die politisch motivierte Anklage oder Verfolgung, einmal während des inneren Friedens, einmal in Zeiten des Bürgerkriegs. Eine andere Dimension des politischen Prozesses zeigt die Kooperation unter Angeklagten gegen die Ankläger. Außerdem wird die Gefahr der Korruption vor Gericht aufgegriffen. Für die Binnenverhältnisse in der von Konkurrenz geprägten Nobilität besitzt die außergerichtliche Einigung besondere Wichtigkeit, weil sie deeskalierend auf Beziehungen wirkt, die sich, wie die Geschichte der Späten Republik zeigte, bis zum Bürgerkrieg steigern konnten. Insofern ist dieses Beispiel ein Seitenstück zum Kapitel über die Versöhnung. δ) Bilanz Alle Anwendungsfälle dieser politischen Tugenden beziehen sich auf geschichtliche, mit den Theorien des Aufstiegs und der Dekadenz zusammenhängende Einsichten des Valerius. Ihr Ziel ist die Sicherung der Stabilität und der Leistungsfähigkeit Roms. Gefahren erblickt er in verschiedenen Erscheinungsformen von avaritia und ambitio. Auf falsche Handlungsweisen reagiert er mit einem sich in den exempla widerspiegelnden System von Anreizen und Sanktionen. Einen neuen Wertekodex errichtet er nicht. Seine Vorschriften beziehen sich vielmehr auf das traditionelle senatorische Ethos und den Erwerb von Ruhm. Der normative Rahmen der Republik bleibt so auch in der Gegenwart des Valerius, dem Principat des Tiberius, gültig.

282 283 284 285 286 287

Val. Max. VI 1,8; 9. Val. Max. VI 1,11; 12. Val. Max. VI 1,13. Val. Max. VI 1,12. Für Bezüge zur Selbstdarstellung des Princeps s. Weileder 1998: 54 f. Val. Max. VI 5,pr.; die Beispiele: 5,2–6.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

Das Spektrum der Probleme, das sich aus Valerius’ Überblick der Tugenden rekonstruieren lässt, umfasst in der Politik sowohl den Wettbewerb um Ämter als auch die Ausübung von Ämtern. In beiden Bereichen drohen legitime Ansprüche von Konkurrenten verletzt und eine Eskalation des Wettbewerbs initiiert zu werden. Die moderatio diente der Herstellung von politischer Akzeptanz und der Verhinderung von übersteigerter Konkurrenz, die zu Konflikten innerhalb der Nobilität führte. Gerade diese Tugend bezog sich auf Fälle, in denen politische Interessen des Individuums mit dem Rahmen der res publica kollidierten. Hier hebt Valerius besonders auf das Prinzip der Annuität und die Problematik widerrechtlich bekleideter Ämter sowie die Einhaltung von Regeln bei der Ämterbewerbung ab. Er beweist, dass selbst in Ausnahmesituationen nicht gegen geltende Richtlinien verstoßen wurde. Zur moderatio gehörte auch die Vermeidung politischer Feindschaften, die ebenfalls Aspekte der Privatsphäre mit dem Gemeinwohl zusammenbrachten. Nicht nur die Beachtung des politischen Regelwerks sicherte den Staat, sondern auch der informelle Ausgleich innerhalb der Nobilität, die in der Republik an ambitio, an exzessiver Konkurrenz, zerbrochen war – ein Problem, das Tiberius als aktuell ansah. Ebenso regulierte die verecundia die Verhältnisse zwischen Einzelpersonen wie Gruppen der res publica und den politischen Wettbewerb. An den ausgewählten Beispielen zeigt Valerius, wie durch die Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen und die Beachtung etablierter Rollenverhältnisse Friktionen in der Bürgerschaft und die mit ihnen einhergehende Destabilisierung vermieden werden konnten. Humanitas trug ebenfalls zur Befriedung der innenpolitischen Lage durch die Schaffung von Akzeptanz von Herrschaft bei. Innenpolitisch schlug sich diese Tugend in Integrationsbemühungen und einem Ausgleich konkurrierender oder verfeindeter Gruppierungen nach politischen Auseinandersetzungen nieder. Am Beispiel auswärtiger Machthaber weist Valerius jedoch auch auf eine dem Princeps stets drohende Gefahr hin, den Umsturz von innen. Um ihn abzuwenden, darf der Princeps keiner Dekadenz der Macht verfallen. Was für den Staat seit der Übernahme der Weltherrschaft in seiner Gesamtheit gilt, trifft auch auf den einzelnen Herrscher zu. Aktuelle Belege für eine strukturelle Bedrohung des Princeps lieferten in der jüngeren Vergangenheit die Ermordung Caesars sowie diverse Rebellionen und Verschwörungen gegen die Principes Augustus und Tiberius. Gegen Inkompetenz, Ausschweifungen und Usurpationen wandte sich zuletzt die severitas. Sie ist eine Variante der pudicitia, die Valerius im Zusammenhang mit der Überschreitung von Kompetenzen behandelt. Nicht dem Bereich des politischen Wettbewerbs, sondern der Amtsausübung galt die continentia, die verschiedene Situationen zeigte, in denen ein verantwortungsvoller Umgang mit der Beute demonstriert wurde. Dies sollte nicht nur der Unterbindung von Bestechlichkeit dienen, sondern auch der Entspannung innerer Konkurrenzverhältnisse. Dass wiederum Armut (paupertas) kein Hindernis für herausragende Leistungen war, illustriert eine Reihe von Beispielen, zu denen auch legendäre Gestalten, gleichsam Gründungsfiguren der Republik, gehören. Attackiert wird mit diesem Themenkomplex eines der beiden Grundübel im Dekadenzdiskurs, die avaritia. Umgekehrt wird die Freigebigkeit als Tugend gerühmt. Die

3. Die res publica des Valerius Maximus

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neben der moderatio wohl wichtigste Tugend ist die pietas, die Aufopferung für das Gemeinwesen. Die Unterordnung des Bürgers unter die res publica erreicht hier ihren höchsten Grad, weil sie den Einsatz des Lebens in der Schlacht verlangen kann. Die Erinnerung an diese Tugend gehorcht einer Notwendigkeit: der allgemeinen Lage der res publica im Zeichen des vorherrschenden Sittenverfalls. Gerade politische Probleme spielen auch unter dem Principat noch eine Rolle, wie die Aktualität der Beispiele für moderatio illustriert. Die Konkurrenz als ein Phänomen der Weltherrschaft ist hier ganz unmittelbar.288 Tatsächlich sorgt Valerius sich hier um die Eindämmung von vitia, wie er sie auch im IX. Buch aufgreift.289 In der Summe entwirft Valerius das Bild einer meritokratischen Gesellschaft, deren Ruhmesbegriff auf das Gemeinwesen bezogen ist. Die zerstörerische Kraft einer dignitatis contentio hatte sich im Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius gezeigt. Valerius wirbt für ein Verständnis von Prestige, wie es nach historiographischer Auffassung in der älteren römischen Geschichte vor dem Fall Karthagos existiert habe. Auch in seiner Sammlung entstammen die entscheidenden exempla, von Ausnahmen abgesehen, nicht der Späten Republik. Die Notwendigkeit, die registrierten Tugenden wiederzubeleben, ist kein Zeichen eines prosperierenden Staates.290 Valerius’ exempla bilden den Kontrapunkt zu den Sitten der Gegenwart. In Übereinstimmung mit seiner Dialektik von Innen- und Außenpolitik und seinen zeitkritischen Kommentaren, dass auch unter Tiberius noch keine Restauration der Sitten eingetreten sei, demonstrieren die Leittugenden die Defizite seiner Zeit. Angesichts der veränderten Verhältnisse im Principat lassen sich die Beispiele nicht unmittelbar rezeptartig auf die Gegenwart anwenden. Die Besetzung von Ämtern entschied nicht mehr ein Wahlverfahren, sondern die Gunst des Princeps. So war der Wettbewerb nicht verschwunden, sondern er hatte sich neu ausgerichtet. Valerius’ Vorstellungen von der moderatio dienen daher der Entlastung des Princeps, der nicht allen Ambitionen gerecht werden konnte, aber trotzdem die Konkurrenz kanalisieren musste. Mit der Vorrangstellung des Princeps hängt auch zusammen, dass moderatio bei Valerius nicht die Mäßigung bei der Ausübung von Amtsgewalten bedeutet, sondern die Zurückhaltung bei der Bewerbung um Ämter. Direkt anwendbar waren die anderen virtutes. Auch der Princeps war abhängig von einer korrekten Amtsführung der Magistrate und von der adäquaten Wahrnehmung von Rollenbildern. Das belegen die Verwerfungen seiner Herrschaft. Politisch stimmt Valerius mit der Zeitdiagnose sowie dem Politikverständnis des Princeps überein. Beide sind von einem Verfall der Sitten überzeugt. Auch Tiberius setzte bei der Verwaltung auf meritokratische Prinzipien, besaß eine Präferenz für an der Vergangenheit orientierte Tugenden und pochte auf eine Erneuerung der mores. Diese Aufgabe war noch nicht abgeschlossen. Angesichts der korrumpierenden Wirkung der tranquillitas blieb die Aktualität der Sammlung des Valerius hoch.

288 Daher falsch Lucarelli 2007: 265, dass Konkurrenz keine Rolle spiele. 289 Zu einem Beispiel auch Lucarelli 2007: 267 (widersprüchlich). 290 Gegen Lucarelli: 2007: 266; 271.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

4. ZUSAMMENFASSUNG Die Geschichte des Principats steht für Valerius in struktureller Kontinuität zur Republik und behält deshalb ihre sinnstiftende Relevanz. Den Wandel, der sich spätestens seit dem Principat des Augustus vollzogen hatte, negiert Valerius. Die Krise Roms, die auch für ihn im 2. Jh. begann, war auch im Principat noch nicht beendet. Ausweislich der in Buch IX. verzeichneten Laster und der sich durch das gesamte Werk ziehenden Zeitkritik war trotz aller Verdienste weder Augustus noch Tiberius eine Konsolidierung des Staates dauerhaft gelungen. Valerius registriert das Wirken des Tiberius nicht als Neugründung des Staates. Das Principat bedeutet für Valerius zwar einen Einschnitt: Nur der Princeps verhindert das Auseinanderbrechen des Reiches. Doch wird er die Konsolidierung des Staates nicht alleine bewältigen können. Er ist angewiesen auf die Kooperation der in der res publica agierenden Einzelpersonen, Gruppierungen und Institutionen. Der Staat ist für Valerius nach wie vor auf vielen Ebenen vom Engagement der Bürger abhängig. Angesichts vergleichbarer Probleme behalten auch die Tugenden ihre Geltung in der Politik. Insofern dürfte er seinem Werk einen wichtigen Stellenwert für die Stabilisierung und Verbesserung der Gesellschaft zugemessen haben. Die gegenwärtige Situation führt vor dem Hintergrund der Geschichte in ein Dilemma. Das Principat steht angesichts der Gesetzmäßigkeiten, die Valerius in seinem Dekadenzmodell darlegt, vor einer permanenten Herausforderung. Tätigkeit und Konkurrenz hält Valerius für die entscheidenden Faktoren für den Aufstieg des Staates. Unter der Bedingung militärischer Bedrohung besaßen sie lange Zeit für die Entwicklung Roms positive Kraft, verkehrten sich allerdings in der Zeit des Niedergangs in ihr Gegenteil, weil sie begannen, ihre Kräfte nach innen zu richten. Beide Seiten des Konkurrenzgedankens stimmten mit Sallusts Einschätzungen im Catilina überein. In den Historien allerdings veränderte Sallust seinen Zugriff auf die römische Geschichte der Mittleren, vor allem aber der Frühen Republik. Nun wird die dem Menschen innewohnende Dynamik zum größten Hindernis einer friedlichen, stabilen Ordnung. Gegen diese grundsätzliche Einsicht behauptet Valerius ein positiveres Menschenbild. Er glaubt, mit Appellen an die Moral die destruktiven Kräfte des Menschen eindämmen zu können, indem er die Orientierung an der Vergangenheit, vermittelt durch exempla, propagiert und so den fehlenden metus hostilis auszuhebeln sucht. Beide Autoren teilen sich jedoch die Gemeinsamkeit, dass sie die historische Entwicklung nicht als linear, sondern als wechselhaft wahrnehmen: als von Phasen der Besserung durchzogen, auf die wieder Zeiten stärkerer Dekadenz folgten. Erst in der Späten Republik mit den Bürgerkriegen zwischen Marius und Sulla spitzte sich die Situation nach einem längeren und sanften Niedergang dramatisch zu.291 Nicht allein für das Principat, sondern für jede Epoche enthält Valerius’ Geschichtsdenken ein Dilemma, das auch für das Principat gilt. Es besteht darin, dass nur durch negotia der Sittenverfall aufgehalten werden könne und Tugend ihrer ständigen Erprobung und Erhaltung durch Übung bedürfe. Der ständige Zwang zu 291 Val. Max. VIII 1,absolv. 12.

4. Zusammenfassung

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Tätigkeit führt allerdings permanent zu Erfolgen, die in Friedenszeiten prinzipiell verderbliche Auswirkungen auf den moralischen Zustand des Staates haben. So entsteht ein Kreislauf, der unablässiges militärisches Handeln und militärischen Erfolg erzwingt. Niemals darf die Dynamik zum Stillstand kommen, wenn nicht der Niedergang einsetzen soll. Darin liegt eine Variante des metus hostilis-Gedankens. Er ist rationalisiert und wirkt nicht als emotionaler Affekt. Das Dilemma lautet, dass Lasten des Krieges getragen oder gesucht werden müssten, um das Einschlafen der Tugend zu verhindern. Außerdem erklärt Valerius die Alleinherrschaft zu einem potentiellen Problem. Warum sollte eine Dynastie – und eine solche scheint er in seinem Werk vorauszusetzen – der prinzipiell drohenden Dekadenz widerstehen? Ernsthaft konnte er die Frage aus pragmatischen Erwägungen natürlich kaum stellen, da das Werk keine versteckte Kritik an der domus Augusta beabsichtigt. Immerhin verkündet er, dass fehlende sittliche Festigkeit, die Tiberius natürlich fehlte, den Machtmissbrauch befördere.292 Augustus und vor allem Tiberius waren allerdings die Garanten der Tugendhaftigkeit in Rom. Nicht sie fallen der Dekadenz anheim, sondern ihr sind im Wesentlichen Volk und Nobilität verpflichtet. Die Principes wirken als Censores und Beförderer der Sitten, von ihnen allein hängt das Gelingen der Gegenwart ab. Von dieser Fragilität des Glückes der Gegenwart rühren die pädagogischen Intentionen des Buches her. Eine erfolgreiche Restauration, derer sich etwa Augustus rühmte, ist im Rom des Tiberius nicht gelungen, woran dieser allerdings, wie erwähnt, keine Schuld trägt. Außer in den Leistungen der Principes unterscheidet sich die Gegenwart nicht substantiell von der Vergangenheit. Veränderungen haben sich nach Valerius in der Bürgerschaft nicht vollzogen. Die unablässige Beschwörung der krisenhaften Lage des Staates belegt, dass die Dekadenz fortexistierte. Mit dieser Einschätzung berührt er ein zeitgeschichtliches Problem. Quies war eines der bedeutsamsten Schlagwörter für Tiberius.293 In Friedenszeiten aber entfaltete sie nach Valerius eine korrumpierende Wirkung. Viele politische Situationen, die Valerius als Referenz für mustergültiges Verhalten auflistet, besaßen im Principat keine Bedeutung mehr, da Augustus und Tiberius die Kontrolle über die politischen Vorgänge und Machtressourcen behielten. Republik und Principat waren allerdings durch das Problem der politischen Konkurrenz, die die innere Balance des Staates gefährdete, miteinander verbunden. Um die Stabilität kreisen auch die meisten der politischen exempla des Valerius. Die Auswahl der Magistrate, die Modalitäten des Amtsantritts und die Amtsführung unterlagen den Entscheidungen des Princeps. Der Erwerb des Ruhmes bedingte das Wohlwollen des Princeps und konnte nicht mit grenzüberschreitenden Handlungen vergrößert werden. Möglicherweise gehört auch Tiberius zu den Adressaten des Werkes. Einerseits informiert Valerius ihn über typische Probleme, Konstellationen und Gefahren aus der Geschichte, die sich im Principat wiederholen. Andererseits zeigt Valerius ihm ein Spektrum an Maßnahmen auf, die sich historisch in Krisensituationen bewährt 292 Val. Max. IV 2,3. 293 S. Kap. C I.

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IV. Ein alternatives Geschichtswerk

haben. Die Sammlung stimmt in der Gegenwartsdiagnose mit Tiberius überein. Der Princeps hatte selbst in einer Rede vor dem Senat analysiert, dass sich die Gesellschaft in einem prekären Zustand befinde. In Reaktion darauf gehörte er während seiner Herrschaft zu den entschiedenen Verfechtern republikanischer Moralvorstellungen, deren Verschwinden er befürchtete. Seine Forderung nach einer höheren Beteiligung der Senatsaristokratie an der Politik prägte das gesamte Principat und belastete nachhaltig sein Verhältnis zum Senat. Dass sich jedoch eine Regierungspraxis, die sich an der Republik orientiert hätte, im Principat nicht mehr verwirklichen ließ, löste tiefgreifende Konflikte zwischen Tiberius und der Nobilität aus, deren jeweiliges Selbstverständnis unvereinbar war. In dieser für das Funktionieren des politischen Systems essentiellen Frage bezog Valerius Position auf Seiten des Princeps. Die Sammlung lieferte ideologische Munition für die Re-Republikanisierung der Politik, die Tiberius betrieb. Die vom Princeps forcierte Renaissance der republikanischen Praxis korrespondiert mit der Fiktion der Kontinuität der Republik, die Valerius aufrechterhielt. Zu Valerius’ Zielen gehörte folgerichtig ebenfalls die Förderung einer aktiven Beteiligung an der Politik. Beide, der Autor wie der Princeps, waren von der Notwendigkeit überzeugt, die Senatsaristokratie politisch zu integrieren. Zugleich klärte er die neue Nobilität, die unter Augustus entstanden war, über die ihnen traditionsgemäß obliegenden Pflichten und Verhaltensweisen auf. So bot sich ihm auch die Chance, nach dem Abtreten der alten Eliten an der Konstitution einer neuen Führungsschicht teilzunehmen. Möglicherweise wird er darin die Verwirklichung seines Anliegens als besonders aussichtsreich empfunden haben. Valerius war weniger ein Verherrlicher des Princeps als dessen Partner in der Ausgestaltung des von Augustus übernommenen, aber als reformbedürftig empfundenen Principats.

V. ZWEI DEUTUNGEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IM PRINCIPAT DES TIBERIUS Velleius Paterculus und Valerius Maximus im Vergleich – und ein Seitenblick auf Seneca d. Ä. 1. DIE WERKE Den Werke des Velleius Paterculus und des Valerius Maximus besitzen bei allen gattungsbedingten Unterschieden gemeinsame charakteristische Züge.1 Beide sind als Kompendien angelegt, die Historia Romana als ein universalgeschichtlicher Überblick von der mythischen Vorzeit bis in die vom römischen Reich dominierte Gegenwart, die Facta et dicta memorabilia als Handbuch zur Vermittlung historischer Lektionen. Während Velleius die Geschichte als einen genetischen Prozess versteht, enthalten Valerius’ exempla Botschaften von überzeitlichem Wert, die zwar der Geschichte entnommen sind, aber allgemeine Gültigkeit, zumindest für Rom, in Anspruch nehmen, weil sie die gesamte condicio humana zu erfassen trachten. Beide aber streben nach einer historischen Gesamtdeutung. Ihre Werke sind von der Gegenwart her konzipiert. Beide sind in einer Zeit des Wandels mit Demut vor der Vergangenheit auf eine Aktualisierung des historischen Wissens ausgerichtet. Sie peilen eine Neukonstitution des Erinnerungsraumes an und suchen damit auf das unter dem Einfluss politischer Veränderungen stehende Geschichtsdenken einzuwirken. Angesichts des fortdauernden labilen Zustands des Staates fußen sie auf der Annahme, dass es trotz der überragenden Rolle des Princeps im Staat und seiner Vorbildhaftigkeit der Mitwirkung der Bürger oder zumindest herausragender Persönlichkeiten bei der Konsolidierung des Gemeinwesens bedürfe. Nach der proklamierten Wiederherstellung der Republik und der Erneuerung der Sitten unter Augustus war es an ihnen, den einzigen aus dem Principat des Tiberius erhaltenen Geschichtswerken, die Geschichte fort- oder umzuschreiben: als ungebrochenen Prozess des Niedergangs, der nahezu allen Deutungen der Vergangenheit seit dem 2. Jahrhundert zugrunde lag, oder als eine Epoche der Umkehr, der gelungenen Reformierung der Bürgerschaft. Eng mit dieser Richtungsentscheidung ist verbunden, inwieweit sie mit den Kernelementen der Selbstdarstellung des Tiberius und dessen politischen Ansichten und Überzeugungen konform gingen. Schließlich zählte zu den andauernden Problemen des zweiten Princeps, die sich in kommunikativen Schwierigkeiten mit dem Senat in den alltäglichen Fragen des Regierungshandelns äußerten, die als überzogen und heuchlerisch empfundene Orientierung an republikanischen Herrschaftsprinzipien sowie die Unsicherheit über die Ausgestaltung seiner Stellung in der res publica. In der Tat stimmen sowohl

1

Wenig hilfreich ist die Gegenüberstellung von Jacquemin 1998.

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V. Zwei Deutungen der römischen Geschichte im Principat des Tiberius

Velleius als auch Valerius mit dem Princeps2 in den grundlegenden Leistungen eines funktionierenden Gemeinwesens überein, der Sicherung von Frieden, Eintracht und Stabilität. Die Freiheit hat als Paradigma der Politik für sie ausgedient. Eine Umkehrung der bisherigen Tendenzen der jüngeren Vergangenheit postuliert tatsächlich Seneca der Ältere mithilfe des Lebensaltervergleichs3. Durch die stabilisierenden Kräfte der Alleinherrschaft habe die res publica zu jener Stärke zurückgefunden, die sie einst in der Republik besessen habe. Zwar gibt er die Illusion der wiederhergestellten Republik, die Augustus zur Sicherung seiner Legitimität propagiert hatte, auf, billigt jedoch der neuen, von ihm als Monarchie apostrophierten Ordnung zu, die Regeneration Roms erreicht und die Hoffnungen erfüllt zu haben, die sich an das Regiment des Augustus und des Tiberius geknüpft hatten. In einem Gegensatz zu Seneca stehen, soweit die Überlieferung ein solches Urteil zulässt, die Werke des Velleius und des Valerius. Beide denken die Politik von den Maßstäben und Kategorien der Republik her und plädieren für den Anschluss an die ruhmreiche, in jüngerer Zeit zugrunde gegangene Glanzphase der Geschichte, die entgegen den Verlautbarungen der Principes, zumindest des Augustus, trotz aller Bemühungen noch immer nicht wiederhergestellt war. Tiberius, dem Princeps, schreiben sie die maßgebliche Rolle in der res publica zu, dessen förderliches Wirken auf alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen und privaten Lebens ausstrahlt. Bei Valerius garantiert die Orientierung an den instituta und mores der Vergangenheit die Prosperität auch der Gegenwart. Trotz der Vorbildhaftigkeit des Tiberius, den er zu einem unübertrefflichen exemplum stilisiert und der als Censor der gesamten Bürgerschaft wirkt, dauern nach seiner Analyse Dekadenz und Korruption in Rom jedoch fort. Allein der Princeps steht für die Traditionen der Republik. Obgleich er, womöglich weniger aus sachlicher Überzeugung als bedingt durch literarische Konventionen, Tiberius und die Gegenwart als Höhepunkt der Geschichte feiert, beruht der Fortbestand des weiterhin schwer erschütterten Staates seiner Ansicht nach auf den Bürgern und ihrer Verinnerlichung und Anwendung des historischen Lehrstoffes. Velleius’ Behandlung der Geschichte ist mehr auf die sich während des Bürgerkriegsjahrhunderts wandelnden Machtverhältnisse und die politischen Probleme als auf eine Sittengeschichte konzentriert. Aus dieser Perspektive erkennt er, dass sich die Republik in ihrer traditionellen Form nach Octavians Sieg bei Actium nicht wiederherstellen ließ. Nur annäherungsweise kann, so sieht er es, der Princeps an einzelne Elemente und Grundsätze der einst bewährten, unter dem Einfluss überindividueller Rahmenbedingungen jedoch verlorengegangenen Ordnung anknüpfen. Die Zukunft gehört für ihn dem Principat, bestehend aus einer unangefochtenen Gestalt an der Spitze des Reiches mit außergewöhnlichen, republikanische Maßstäbe überschreitenden Kompetenzen, der zugleich um die Einbindung der Senatsaristokratie in die politischen Entscheidungsprozesse bemüht ist, sich – wie auch republikanische Nobiles vor ihm – auf einen Kreis kompetenter Adiutoren stützt, und sich nicht von seiner Machtfülle zu Gewaltexzessen verleiten lässt. Valerius 2 3

Coudry 1998(b): 187 f. über den Enthusiasmus beider für Tiberius. Zu Seneca s. o. S. 382 f.

2. Princeps und Bürger

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hingegen bezieht, der republikanischen Tradition entsprechend, alle Schichten und Institutionen der res publica in sein Konsolidierungsprogramm ein. 2. PRINCEPS UND BÜRGER Beide Autoren unterstützen die Stabilisierungsbemühungen des Tiberius. In Velleius’ Werk steht der Princeps als operativer Lenker der Regierungsgeschäfte wie des gesamten politischen Systems im Zentrum des Narrativs. Valerius, der sich für eine Erneuerung der republikanischen Zeit einsetzt, führt Tiberius nur in vereinzelten Fällen als vorbildhaftes Beispiel an, besonders in der Praefatio und in einer Bilanz der Gegenwart, zumeist aber ohne näheren Bezug zu den im engeren Sinn politischen Themen. An vielen Bemerkungen der Dicta et facta memorabilia lässt sich ablesen, dass Valerius einer Alleinherrschaft ablehnend gegenübersteht. Seine Orientierung an der Republik gilt nicht nur den dort herrschenden Sitten, sondern auch der politischen Ordnung. Er zielt darauf ab, dem segensreichen Wirken des Princeps eine an der Politik partizipierende Bürgerschaft zur Seite zu stellen, weil erst so die in der Republik gelegten fundamenta stabil seien. Velleius ist dagegen von der Unabdingbarkeit des Principat als Institution überzeugt, die eine Folge des grenzenlosen Macht- und Prestigestrebens der Bürgerkriegszeit ist, wenngleich er die Rolle herausragender Mitglieder der Senatsaristokratie würdigt. Aber sein Werk enthielt anders als die Exemplasammlung des Valerius kein Plädoyer für eine Aktivierung der vermeintlich existentiell notwendigen „Bürgergesellschaft“ mit einer maßgeblichen Rolle des Senats4. In der Bewertung der Gegenwart vor dem Horizont der Geschichte ähneln sich ihre Positionen, auch wenn sie nicht völlig kongruent sind. Beide halten sie zwar die sittliche und politische Situation unter Tiberius für fragil. Velleius registriert in der Gegenwart jedoch eher positive Züge, abzulesen an den hervorragenden Adiutores, deren Leistungen in der Tradition der Republik stehen, während Valerius die augenblickliche Prosperität, die er vordergründig rühmt, allein auf das Wirken des Princeps zurückführt, von der Bürgerschaft jedoch ein desolates Bild zeichnet. Sowohl Velleius als auch Valerius orientieren sich bei der Analyse des Niedergangs, mit dem sie operieren, an den klassischen, jedoch, wie das Beispiel des Livius und des Sallust zeigt, im Einzelnen stark individuell geprägten Dekadenzszenarien. Bei allen Ähnlichkeiten divergieren auch die beiden Autoren aus tiberischer Zeit. Zwar weisen sie unisono dem metus hostilis eine bestimmende Wirkung zu. Doch bei Velleius ist der Beginn des Niedergangs untrennbar an Roms Übernahme der Weltherrschaft geknüpft. Die damit verbundenen, angeblich mit voller Wucht eintretenden, sich tatsächlich aber steigernden Auswirkungen auf die Innenpolitik, namentlich die exzessive Konkurrenz innerhalb der Nobilität, hielten bis in die Gegenwart an und würden angesichts der Rahmenbedingungen, der weithin unbestrittenen Stellung Roms, auch in Zukunft nicht verlorengehen. Bei der Erzählung des Verfalls folgt Velleius den von seinen Vorgängern vorgezeichneten Bahnen, ver4

Zum Senat bei Valerius s. auch Coudry 1998(a): 132.

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V. Zwei Deutungen der römischen Geschichte im Principat des Tiberius

zichtet dabei jedoch auf die Darstellung der ideologischen Konflikte, den Dualismus zwischen Popularen und Optimaten, und bietet für die Einordnung der geschilderten Ereignisse auch weitgehend keine moralisierenden Erklärungen an. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf die Machtinteressen der Akteure. Valerius hingegen vertritt ein dynamisches Modell von Niedergang und Regeneration. Er ist nicht an eine Epoche oder konkrete Daten der politischen Geschichte gebunden. Sein Konzept des metus hostilis sieht vor, dass zu jeder Zeit, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, eine sittliche Erschlaffung durch Friedensperioden eintreten kann, die sich dann allerdings in Phasen einer erneuten auswärtigen Bedrohung wieder zurückbildet. Bei Velleius ist eine Rückkehr zu den Verhältnissen, wie sie vor der Weltherrschaft existiert hatten, ausgeschlossen. Der Besprechung der exempla legt Valerius, der umfassender das Handeln der Bürger mit seinen politischen Implikationen und Konsequenzen erschließt als Velleius’ auf die bedeutenden Einzelpersönlichkeiten reduzierte Geschichte, keine auf bloße Topoi der Sittenkritik beschränkte Deutung zugrunde. Die politischen Beispiele kreisen vielmehr um das Verhältnis zwischen dem Individuum und der res publica und den Konfliktsituationen, die sich aus politischen Interessen ergeben. Hinter alledem steht weniger der Trend zur Alleinherrschaft, wie er das II. Buch des Velleius bestimmt, als vielmehr die generelle Anfälligkeit des politischen Systems, die virulent wird, wenn einzelne Bürger ihre Erwartungen über das Gemeinwohl stellen. Ungeachtet des Aufstiegs Roms aus dem Nichts zur Weltmacht, von dem beide Autoren ausgehen, nimmt Velleius einen strikt linearen Verlauf der Geschichte an, während sie sich bei Valerius, mag sie sich augenblicklich auch auf einem Tiefpunkt befinden, zyklisch fortbewegt und darum auch zu einer Erholung fähig ist. Beide Werke enden mit ihren Dekadenzszenarien aber nicht in einer Aporie. Das verhindert nicht nur die Offenheit der Zukunft bei Valerius. Auch bei Velleius droht der Untergang Roms solange nicht, wie das Principat überdauert und kompetent ausgestaltet wird. So vermag er auch zu begründen, dass die Gegenwart nicht prinzipiell hinter der Vergangenheit zurückstehe. 3. GEGENWART UND ZUKUNFT Gegenwart und Zukunft sind bei beiden Autoren prekär. Velleius zeigt, dass ohne einen Princeps der Fortbestand des Reiches in akuter Gefahr ist, weil der Senat nicht über die nötige Geschlossenheit und Schlagkraft verfügt, Zerfallserscheinungen zu bändigen, wie sie etwa nach dem Tod des Augustus aufgekommen waren. Umgehend kehrten damals die gleichen Verwerfungen zurück, die Augustus nach dem Sieg im Bürgerkrieg beseitigt hatte, so dass sich die Geschichte zu wiederholen schien. Insofern bestand die im letzten Jahrhundert mit dem Aufkommen der Dekadenz entfesselte krisenhafte Situation fort. Die von Augustus angestrebte Restauration war nicht vollständig gelungen. Zugleich droht, wie das Gebet am Schluss des Werks demonstriert, auch für den Fall eines Todes des Tiberius ein erneuter Ausbruch innenpolitischer Konflikte. So bittet er für den Fortbestand des Principats, aber auch für ein langes Leben des erprobten Princeps. Von beidem, der

3. Gegenwart und Zukunft

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Institution wie der Person, hing die Stabilität des Staates ab. Auch bei Valerius ist die Krise des Staates wegen des anhaltenden moralischen Niedergangs nicht beendet. Allein dem Princeps mit seiner an der Vergangenheit orientierten Politik, der Voraussetzung für die Prosperität in der Gegenwart, ist, wie Valerius formulierte, der vorherrschende Zustand des Glücks zu verdanken. Für die innere Festigung des Gemeinwesens ist jedoch die Beteiligung aller Bürger an der Politik notwendig. Weil sie nicht ohne Orientierung am mos maiorum möglich ist, richtete sich seine Sammlung daher vor allem an sie. Insgesamt folgt daraus bei Valerius Maximus, der trotz aller Verfallserscheinungen die Ausnahmestellung Roms unter den Völkern der Oikoumene rühmt, eine skeptischere Aussicht auf die Zukunft. Anders als bei Velleius hängt sie seiner Ansicht nach nicht alleine an der Institution des Principats und den Fähigkeiten des jeweiligen Amtsinhabers. Als Orientierungsmarke für politisches Handeln und die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse hat die Republik bei Velleius stark an Relevanz verloren. So sehr er die Kontinuität zwischen Principat und Republik herzustellen bemüht ist, wie es seit Augustus Konsens war, gesteht er ein, dass nach dem Bürgerkrieg die Freiheit in althergebrachter Form keine Zukunftschance mehr habe. Deutlich wurde dies am Tag des Herrschaftsantritts des Tiberius, der sich überrascht und unwillig von den Senatoren belehren lassen musste, dass die Alleinherrschaft unumgänglich sei. Mit der Tendenz zur Alleinherrschaft, die für die Epoche der Bürgerkriege, geschildert von Velleius als Kette von Auseinandersetzungen bedeutender Nobiles um die Macht, bestimmend gewesen war, stand die Einrichtung des Principats in Übereinstimmung, ja, sie bildete den Schlusspunkt einer sich zwingend vollziehenden Entwicklung und war das Resultat nicht der Herrschsucht der Principes, sondern deren Vorgänger, der Staatsmänner von den Gracchen über Sulla bis zu den Mitgliedern des I. Triumvirats sowie schließlich Sex. Pompeius, M. Aemilius Lepidus und M. Antonius. Der Verzicht auf eine Sittenkritik bringt mit sich, dass Velleius dem moralischen Zustand der Bürgerschaft im Principat keine besondere Aufmerksamkeit widmet. Eine zentrale Figur ist für ihn der Princeps, dem zahlreiche Adiutoren, Männer, deren Tugenden an die herausragenden exempla der römischen Geschichte anknüpfen, bei seinen Regierungsgeschäften und der Kriegsführung zur Seite stehen. Insofern ist die Gegenwart, wie Velleius ausdrücklich festhält, der Vergangenheit sogar ebenbürtig. Der Geschichte des zurückliegenden Jahrhunderts – eine Entwicklung, deren Beginn sich auf den II. und III. Punischen Krieg zurückführen ließ – unterlegt Velleius einen linearen Verlauf, der im Ergebnis mit dem Principat etwas gänzlich Neues hervorbrachte. Mit seiner Einsicht in die historische Notwendigkeit des Principats vermeidet Velleius ein Problem, das bei Valerius’ widersprüchlicher Zeitdiagnose irritiert, wie es nämlich möglich sein kann, dass Tiberius als Princeps zwar eine prosperierende Gegenwart garantiert, gar den Höhepunkt der Geschichte repräsentiert. Der Wunsch nach Verherrlichung des Tiberius steht hier der historischen Analyse und dem politischen Wunschdenken des Autors entgegen. Beide Werke spiegeln mit ihrer Analyse der Gegenwart die Erfahrung der Epoche wider. In den diversen innenpolitischen Konflikten, die Tiberius’ Herrschaft durchzogen, war die Gefahr des Bürgerkriegs stets präsent, wie die Selbstdarstel-

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V. Zwei Deutungen der römischen Geschichte im Principat des Tiberius

lung des Princeps anzeigt, auch wenn die historischen Ursachen andere waren als in der moralisch-didaktischen Geschichtsschreibung diagnostiziert. Immerhin standen hinter den Konflikten, wie sie Tiberius mit Seian und seinen Familienangehörigen, aber auch der Senatsaristokratie ausfocht, Machtfragen, die in der antiken Historiographie mit sittlichen Defekten erklärt zu werden pflegten. Politische Instabilität war ein Kernelement des Principats des Tiberius. Nicht nur demonstrierten beide Autoren dem Publikum die notwendige und segensbringende Einrichtung des Principats und der Amtsführung des umstrittenen Tiberius. Sie schufen auch einen Kontrast zwischen dem herausragenden Princeps und der sittlich darniederliegenden Bürgerschaft. Auch diese stand in der Pflicht, ihren Beitrag zum Gedeih der Gegenwart zu leisten. In dieser Hinsicht sind die Historia Romana und die Dicta et facta memorabilia auch Verteidigungsschriften des Tiberius und würdigen seine Leistungen im Rahmen der gesamten römischen Geschichte. In der Charakterisierung des Volkes und der Senatoren trafen sie mit Tiberius’ eigener Einschätzung zusammen, der an der Inaktivität und Moral der Senatoren verzweifelte und in einer Senatsrede darauf hinwies, dass die Regierungsverantwortung nicht allein auf ihm liegen sollte.

D. DIE KONSTRUKTIONEN DER RÖMISCHEN GESCHICHTE IN DER FORMIERUNGSPHASE DES PRINCIPATS

I. EINLEITUNG Im Jahr 19 v. Chr. hatte Augustus mit der Saecularfeier ein neues Goldenes Zeitalter angekündigt. Die Verwerfungen der Vergangenheit sollten überwunden werden und Frieden und Prosperität herrschen. Diese Botschaft kommunizierte der Princeps über alle ihm zur Verfügung stehenden Medien. In der Bildsprache verband er Komponenten eines paradiesischen Ideals mit Elementen, die ein Goldenes Zeitalter in der geschichtlichen Welt verorteten, einer Welt, die von Sitten und Gesetzen geordnet und von Waffen geschützt wurde. Als Tiberius am 16. März 37 n. Chr. auf Capri eines dubiosen Todes starb, lag die Saecularfeier mehr als ein halbes Jahrhundert zurück.1 Der stets unpopuläre Princeps hatte spätestens seit der blutigen Abrechnung nach dem Sturz Seians, die Zeitgenossen an einen Bürgerkrieg erinnerte, als Inkarnation eines Tyrannen gegolten, obwohl seine Herrschaft aus Überzeugung und Familientradition an republikanischen Prinzipien ausgerichtet war. Sein Scheitern verdeutlicht den Wandel, der durch die Errichtung des Principats als Restitution der alten Ordnung im politischen System und in der politischen Praxis Einzug gehalten hatte. Auf die faktischen Veränderungen in der staatlichen Ordnung hat die literarische Auseinandersetzung mit der Geschichte als eine integrale Komponente der Erinnerungskultur kommentierend, unterstützend, kritisierend und inspirierend reagiert. Eine kanonische Anzahl an Formen und Themen wurde zur Grundlage einer Fülle konvergierender wie divergierender Deutungen der Vergangenheit. Beinahe alle der in diesem Buch analysierten Autoren befanden sich im Umkreis des jeweiligen Princeps oder nahmen eine herausragende Stellung im literarischen Diskurs ihrer Zeit ein. In der Epoche der Etablierung und Institutionalisierung der neuen Ordnung unter den ersten beiden Principes, die einer Phase des dramatischen Zerfalls folgte, dominierten drei verschiedene Formen historischer Reflexion: die Geschichtsschreibung mit den traditionellen Themen und Topoi der Annalistik, die auf das römische Beispiel angewandte Kulturentwicklungslehre und der historische Abriss, der auf wenige Dutzend Verse reduzierte, hauptsächlich in Dichtungen integrierte Überblick. Hier soll eine Bilanz der Deutungen der Geschichte in dieser Epoche gezogen werden. Eine Übersicht bündelt zunächst die zentralen Ergebnisse, die zu den einzelnen Autoren erzielt wurden. Anschließend wird die Entwicklung im politischhistorischen Denken systematisch nachvollzogen, zunächst für das augusteische Zeitalter, dann für das Principat des Tiberius. Den Abschluss bilden eine Bestimmung der charakteristischen Züge der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Formierungsphase des Principats und ihre Einordnung in die Geschichte dieser Zeit.

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Levick 1999: 219 f.; Seager 2005: 206–208.

II. ÜBERSICHT DER ERGEBNISSE In der Dichtung waren die römische Geschichte und das Motiv des Goldenen Zeitalters seit zwanzig Jahren ein zentrales Thema. Vergil entwirft in der Aeneis, die er statt eines zeitgeschichtlichen Epos verfasste, eine komprimierte und fragmentierte Deutung der Gesamtgeschichte Roms. Die Forschung ist über der Interpretation seines historischen Ansatzes in zwei Lager gespalten: in die Optimisten, die von einer positiven Bewertung der Vergangenheit und einer Unterstützung des Princeps ausgehen, und in die Vertreter der Harvard School, die eine kritische Beurteilung von Geschichte und Gegenwart bei Vergil postulieren. Diese Untersuchung hat die Prophezeiungen, anhand derer Vergils Sicht auf die Geschichte für gewöhnlich rekonstruiert wird, in einen universalhistorischen Horizont gestellt, den Euanders Archäologie umreißt. Bislang wurde sie hauptsächlich als aitiologischer Exkurs aufgefasst. Tatsächlich bietet sie aber auch einen Zugriff auf die noch im Mythos angelegten Wendepunkte in der Weltgeschichte, die herrschenden ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Gesetzmäßigkeiten und die Fluchtlinien der Teleologie Vergils. Auf der Basis dieser Rahmenbedingungen wurden anschließend die in den Prophezeiungen enthaltenen historischen Abrisse interpretiert, die Vergils Konzeption der Gesamtgeschichte Roms enthalten. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Analyse seiner Wahrnehmung der Gegenwart, der politischen Didaktik, die er mit seiner Geschichte beabsichtigt, und der verschiedenen denkbaren Zukunftsperspektiven, die er eröffnet. Die universalhistorische Zeitschiene erstreckt sich vom Goldenen Zeitalter Saturns in Italien bis zur dessen vom fatum vorherbestimmter Wiederherstellung unter Augustus, der Rom zur Weltherrschaft führte. Das Goldene Zeitalter war kein bißow auötoßmatow, sondern eine Zivilisation, die auf Gesetzen, Sitten und militärischer Stärke ruhte und durch die Zerstörung dieser Komponenten zerfiel. An eine spezifische historische Epoche ist diese Form des Goldenen Zeitalters nicht gebunden. Die Voraussetzungen für Stabilität ebenso wie die Ursachen der Auflösung einer solchen Ordnung besitzen eine überzeitliche Geltung und sind damit auch in der Gegenwart reproduzierbar. Die römische Geschichte füllt das Intervall zwischen den beiden Goldenen Zeitaltern. Die sich in ihr abspielenden Ereignisse sind geprägt von dem Verlust von mores und leges, den bestimmenden Elementen der Herrschaft Saturns. Einen inneren Zusammenhang stiften die von Vergil aufgereihten Gründergestalten, die Roms Aufstieg repräsentieren. Eine Dekadenzerfahrung, ausgelöst durch den topischen Sittenverfall nach dem Untergang Karthagos, wirkt nicht auf den Verlauf der Geschichte ein. Als Zwischenzeit ist sie das Bindeglied in einem teleologischen Prozess vom Zerfall bis zur Erneuerung des Goldenen Zeitalters. Durch die Rahmenbedingungen, von denen sie bestimmt wird, stellt sie sich zugleich als Kontinuum dar. Diese Deutung nimmt, soweit die Schlussfolgerung angesichts der Quellenlage zulässig ist, eine andere Perspektive auf die Geschichte ein als die historiographi-

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schen Narrative der Späten Republik, der Bürgerkriegszeit und der Anfangsphase des augusteischen Principats und setzt sich auch von der Haltung des Augustus gegenüber der Vergangenheit ab. Mit der Aufgabe der Zweiteilung der Geschichte entfällt bei Vergil einerseits die Verherrlichung der Vergangenheit. Orientierte sich die Erinnerungskultur an der sittlich intakten Frühzeit, so ist Vergils Maßstab das Goldene Zeitalter, das bei der Gründung der Republik schon längst vergangen war. Andererseits teilt er den Pessimismus angesichts der dekadenzgeschüttelten innenpolitischen Entwicklung seit dem Sieg über Karthago nicht. Nach der Ankunft der Geschichte an ihrem vorherbestimmten Ziel hängt die Zukunft für Vergil von der Ausrichtung der Politik an den Prinzipien Saturns ab. Das Principat des Augustus soll die Abkehr von den (Fehl-)entwicklungen aus der Zwischenzeit nach dem Zerfall der Herrschaft Saturns durch die Restitution seines Goldenen Zeitalters leisten. Die Bedingungen der Stabilität, die Vergil Euander darlegen lässt, stimmen substantiell mit zentralen Elementen des augusteischen Reformprogramms überein. Eine subversive Kritik am Princeps bringt Vergil daher nicht vor; er unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit des von Augustus gewählten Ansatzes, von dem seine Konsolidierungsbemühungen ausgingen. Gemäß Vergils Definition war der Anspruch auf Wiederherstellung des Goldenen Zeitalters, das über Italien hinaus sogar eine weltweite Dimension erlangen sollte, keine Utopie, sondern eine mit politischen Instrumenten zu erreichende Vision. Die Geschichte ist jedoch mit Augustus’ Herrschaft nicht an ihr Ende angelangt. Vor dem Schicksal, das Saturn ereilt, ist der Princeps nicht sicher. Nach Vergil steht die Zukunft vielfältigen Entwicklungen offen. Ohne unablässige Bemühungen um die Aufrechterhaltung des Goldenen Zeitalters droht eine neue Phase des Verfalls. Diese Studie plädiert für eine dritte Position in der zwischen Optimisten und Pessimisten ausgetragenen Debatte um Vergils Deutung der Geschichte. Durch die Einbeziehung der Archäologie Euanders verändern sich die Rahmenbedingungen für die Interpretation der Prophezeiungen. Die problematischen Aspekte der römischen Geschichte, die unter dem Einfluss des zerfallenen Goldenen Zeitalters steht, verhindern zwar eine Glorifizierung der Vergangenheit. Aber Vergils Ansatz ermöglicht erst, von der Vergangenheit und den Argumentationssträngen des Peripetiediskurses befreit, die Gegenwart als Chance für eine Erneuerung wahrzunehmen. Nicht mehr die Geschichte ist der alleinige Bezugspunkt für politisches Handeln, sondern die Ausrichtung an Prinzipien, die nicht epochenspezifisch sind. Als Instrument für ihre Verwirklichung ist nach Vergil der Princeps vorgesehen. Getragen werden muss die Neuausrichtung des Gemeinwesens aber auch von der gesamten Bürgerschaft, an die sich das Epos richtet. Während der 20er Jahre bis zur Saecularfeier entstanden auch die Gedichtsammlungen zweier Elegiker, die sich erhalten haben: Tibull und Properz. Beide Werke blicken aus der Perspektive von Außenseitern auf die Geschichte, deren Lebensentwürfe sich vom mos maiorum abkehren. Tibulls zweibändige Elegiensammlung erzählt romanhaft von einer persona, deren Ziel die Verbindung dreier unterschiedlichen Sphären zuzuordnender Lebensformen ist: die Beschaulichkeit einer Existenz in ländlicher Zurückgezogenheit, die Freundschaft zu dem Politiker und Feldherrn Messalla und die Liebe zu

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einer puella. Konkrete politische Zusammenhänge oder Probleme der politischen Geschichte Roms kommen nur beiläufig auf. Die Kontroverse um die politische Bedeutung seines Œuvres, die dennoch geführt wird, knüpft an die Einbindung seines Patrons Messalla in die poetische Handlung und an die fehlende Präsenz des Augustus in den Gedichten an. Die Situationen, in denen sich das elegische Ich befindet, verkoppelt Tibull mit kulturgeschichtlichen Reflexionen und Überblicken. Die historischen Konstruktionen, die er immer wieder neu entwirft, richten sich nach den Chancen oder Schwierigkeiten der persona. Von den sich verändernden Aussichten, ihre Hoffnungen zu erfüllen, hängt stets aufs Neue ab, welche Haltung sie zur Gegenwart bezieht. Auf die Gefahr des Todes im Krieg antwortet Tibull mit einem fortschrittskritischen Plädoyer für einen paradiesischen Primitivismus. Außer dem Krieg führt auch die Aussichtslosigkeit im Wettbewerb gegen vermögende Rivalen um eine puella oder einen Knaben zu heftiger Zeitkritik, verbunden mit fortschrittsfeindlichen Vorstellungen zur Kulturgeschichte. Im Unterschied zu solchen radikalen Ansätzen entwickelt er jedoch auch fortschrittsbefürwortende Überblicke, die sich für einen Zugang zur Realität öffnen. Mehrfach ist er um eine Einbindung Messallas, der für ihn den Krieg verkörpert, bemüht und deutet dessen militärische Tätigkeiten und Leistungen so um, dass sie mit seinen persönlichen Präferenzen kompatibel werden. All dies basiert jedoch auf fragwürdigen Prämissen, utopischen Annahmen oder konzeptionellen Leerstellen. Die Ideale der persona erweisen sich als Utopie. Eine geschlossene Wahrnehmung und Ausgestaltung der Geschichte steckt hinter den Gedichten nicht. Einen Überblick über die römische Geschichte gibt Tibull in der vorletzten Elegie der Sammlung (II 5). Sie gliedert sich in drei Abschnitte: in ein ländliches Idyll vor der Ankunft der Troianer in Italien, in die eigentliche römische Geschichte und in die Gegenwart. Zwar zeigt sich, dass die Unschuld der Frühzeit nicht zurückkehren kann. Die destruktiven Kräfte, die sich in der Geschichte manifestiert haben, sind jedoch in der Gegenwart ausgeschaltet. Der letzte entscheidende Schritt ist der Sieg des namentlich nicht genannten Octavian mit der Hilfe Apollos, der zu einem Zeitalter des Friedens hinüberleitet. In der Elegie fällt das Bekenntnis zu Rom mit der Kritik an den Verfallserscheinungen zusammen. Für die Entwicklung Roms ist der im Geschichtsdenken topische Sieg über Karthago irrelevant. Messalinus, dem Sohn Messallas, ist es vorbehalten, die Prosperität in die Zukunft fortzuschreiben. Ob die Stabilisierung des Friedens unter Apollo gelingt und die Dynamik der historischen Entwicklung kanalisiert werden kann, bleibt offen. Dass der amator seine Ideale nicht verwirklichen kann, nimmt der kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit Krieg und Materialismus, ihre Durchschlagskraft. Eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen ist ebenso ausgeschlossen wie die Isolierung von der Welt. Als politische Dichtung bezieht die Sammlung eine differenzierte Position zur Gegenwart und der Politik des Princeps. Mit Tibulls einseitigen Vorstellungen vom Frieden, seiner Haltung zum Krieg und Ruhm sowie zum Privatleben ist das auf den mos maiorum setzende Programm des Princeps unvereinbar. Sie konvergieren jedoch, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven, in ihrer Ablehnung des materiellen Reichtums. Ungeachtet des Ausblicks

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auf die Zukunft in der Elegie II 5, die sich bei allen ihr innewohnenden Ambivalenzen als optimistisch charakterisieren lassen könnte, leistet Tibulls Werk durch das experimentelle Scheitern der persona in unterschiedlichen Kontexten gerade einen Beitrag zur Akzeptanz des Princeps und der ihn tragenden Ideologie: Zur Welt und den Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie funktioniert, gibt es keine Alternative. Realisierbar erscheinen höchstens Korrekturen auf einzelnen Sektoren. Sollte Tibulls amator der Stimmung eines Teils der vom Bürgerkrieg traumatisierten Gesellschaft Ausdruck verleihen, so raubt er ihr die Illusion, dass sich ein Bruch mit der römischen Wertewelt vollziehen lasse. Zeitgleich zum Œuvre Tibulls entstand Properz’ vier Bücher umfassende Sammlung. In ihr vollzieht sich parallel zu den Erfahrungen des amator eine Entwicklung von der Liebeselegie zur Aitiologie. Die politische Aussage des Œuvres ist hochumstritten. Sowohl die erotischen als auch die politischen Gedichte gelten jeweils teils als pro-, teils als antiaugusteisch. Kontrovers werden nicht nur angeblich kritische Äußerungen zur Politik und aktuellen Verhältnissen aufgefasst, sondern auch vermeintlich subversive Unterstützungsbekundungen gegenüber dem Princeps. Dieses Buch hingegen erfasst Properz als politischen Dichter anhand seiner Deutungen der römischen Geschichte. Zunächst analysiert es die Skizzen für politische Dichtungen in den Büchern II und III hinsichtlich historischer Themen und Intentionen, die Properz mit ihnen verfolgen könnte. Anhand der Eingangselegie zum IV. Buch rückt sein die gesamte Geschichte umfassender Abriss in den Fokus. Properz’ Bild der Vergangenheit wird dann in einen Zusammenhang mit den übrigen aitiologischen und elegischen Gedichten des IV. Buches gestellt. Auf dieser Basis soll auf die Frage nach Properz’ politischem Profil aus einer gegenüber der bisherigen Forschung veränderten Perspektive eine neue Antwort gegeben werden. Bei den Entwürfen für Epen im II. und III. Buch handelt es sich um RecusatioGedichte, um nie zur Realisierung vorgesehene Projekte. Sie gehören dennoch dem zeitgenössischen historischen Diskurs an. Das dezidierte Ziel dieser Dichtung wäre die Verherrlichung des Princeps gewesen, der zum Höhepunkt der Geschichte stilisiert worden wäre. Die Vergangenheit diente nur noch zum Vergleichsmaßstab und verlöre ihren Rang als maßstabsetzende Instanz. Das thematische Spektrum von Geschichte und Politik würde Properz auf militärische Leistungen verengen. Das IV. Buch erfüllt, zumindest partiell, ein aitiologisches Programm. In einer linearen, ununterbrochenen Entwicklung lässt Properz in der ersten Elegie die Geschichte auf die Gegenwart zulaufen. Das Dekadenz-Motiv spielt für diese Auffassung der Vergangenheit keine Rolle. Den Aufstieg Roms verbindet er, bis in den Mythos zurückgehend, mit der iulischen Familie, der Augustus angehört. Der Princeps ist durch die Beendigung des Bürgerkriegs, in dem eine seit Beginn der römischen Geschichte virulente Tradition innerer Zwietracht gipfelt, sowohl Friedensbringer als auch Garant der Freiheit. All dies, die Verbindung der domus Augusta mit der Geschichte sowie die Leistungen des Princeps für Rom, dient offenkundig der Legitimierung des Princeps. In der Nachschaffung der Stadt im Medium der Literatur demonstriert Properz, Vergangenheit und Zeitgeschichte kontrastierend, den Fortschritt in der Stadtentwicklung, der sich in politischen und religiösen Institutionen, aber auch in zivilisatorischen Annehmlichkeiten widerspiegelt. Die

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Frühzeit idealisiert er nicht, sondern verspottet sie. Die Aitiologie verfolgt kein didaktisches Programm in sittenkritischer Manier; für Properz ist nur die Gegenwart maßstabsetzend. Die weiteren aitiologischen Elegien des IV. Buches bauen diese Themen aus. An Strukturen der Liebeselegie anknüpfend, die trotz des Bekenntnisses zur Aitiologie nicht passé ist, zeigt Properz, dass Rom städtebaulich wie gesellschaftlich ein vielschichtiges Gebilde ist, und richtet die Aufmerksamkeit des Lesers auch auf die mit dem Aufstieg verbundenen Nebeneffekte wie Gewalt oder die Spannung zwischen politischen Anforderungen und privaten Neigungen. Trotz der Erweiterung des thematischen Spektrums verändert sich die politische Haltung des Properz, soweit sie aus den vorhergehenden Büchern abzuleiten ist, nicht. Die Recusatio-Gedichte erweisen sich als programmatische Vorüberlegungen, die in abgewandelter Form im IV. verwirklicht werden. Zur Selbstdarstellung des Augustus verhält sich Properz’ Deutung der Geschichte ambivalent. Die prominente Einbindung der Iulier unterstützt unmittelbar die Legitimierungsbemühungen des Princeps. Was die Bewertung der Gegenwart betrifft, decken sich beider Vorstellungen. Ist die Vergangenheit jedoch für Augustus der Maßstab der Gegenwart und beruht auf dieser Prämisse sein Restaurationsprogramm im Geist des mos maiorum, so ist Properz die Vorstellung eines Sittenverfalls, der bekämpft werden müsse, fremd. Politisch-gesellschaftliche Probleme, die er in der Geschichte wahrnimmt, sind nicht von der Dekadenz induziert. Seine Verachtung eines frühzeitlichen Primitivismus dürfte ein Relikt seiner poetologischen Entscheidung für die Gattung Elegie sein. Auch der elegische Einfluss auf die übrigen aitiologischen Elegien des IV. Buches erweitert und modifiziert Augustus’ Interpretation der Geschichte. Properz bejaht das vom Princeps gesicherte Rom der Gegenwart und befördert mit diesem Bekenntnis zur Akzeptanz von dessen Regiment. Zur Unterstützung der augusteischen Sittenreform indes kann die Sammlung keinen Beitrag leisten. Von Augustus unterscheidet sich Properz in der Wahrnehmung der Funktion der Geschichte. Zwar enthalten die Elegien neben der Würdigung der Gegenwart auch politische Warnungen: vor dem Bürgerkrieg, vor der Vernachlässigung religiöser und bürgerlicher Verpflichtungen, vor der Verführung der Alleinherrschaft, vor der Fragilität des Friedens und der Freiheit. Das entscheidende Kriterium für Properz’ Beurteilung der historischen Epochen ist jedoch die Entwicklung der Zivilisation. Am Diskurs über den Sittenverfall nimmt er nicht teil. Von der Ausrichtung der Gegenwart an der Vergangenheit emanzipiert Properz sich. Der Fortschritt der Zivilisation bleibt nach Properz, der keinem der klassischen Dekadenzszenarios folgt, ohne Auswirkungen auf die Politik. Auf dem Feld der Geschichtsschreibung lieferte Livius mit seinen Ab urbe condita die einflussreichste Meistererzählung, die während des augusteischen Principats verfasst wurde. Das Bild der Ab urbe condita in der Forschung ist traditionell stark von der Selbstdarstellung des Historikers in der Praefatio geprägt, von seinem Eskapismus, von der Intention, die Vergangenheit zu glorifizieren. Diese Untersuchung hat sich um eine Relativierung und Modifikation dieser Sicht bemüht. Sie hat das in der Praefatio entworfene Verlaufsschema der römischen Geschichte mit dem

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Narrativ konfrontiert. Anthropologische Einsichten des Livius sollten einen fundamentalen Einblick in die Prinzipien seines politischen Denkens, in seine Vorstellungen von den Motiven und Zielen menschlichen Handelns sowie deren Auswirkungen auf die operative Politik eröffnen. Verschiedenen Aussagen über optimales Regieren sowie dem Prooemium zum II. Buch wurde seine Konzeption einer ideal geordneten res publica entnommen. Angesichts der Veröffentlichungen des Livius auf dem Gebiet der Philosophie wurden diese Vorstellungen mit Positionen der politischen Philosophie abgeglichen. Aus seiner Analyse der Geschichte wurden Maßstäbe für die Bewertung von Politik im Allgemeinen, aber auch, trotz des Verlusts der zeitgeschichtlichen Partien des Werkes, der Gegenwart entwickelt und Rückschlüsse auf seine Haltung zum Principat wie zur Zukunft gezogen. Innerhalb der römischen Historiographie wurde eine Neuverortung der Ab urbe condita unternommen. Unter dem Eindruck des nach dem Ende des Bürgerkriegs konsolidierten Staates bietet das Werk eine Aktualisierung gängiger Modelle vom Verlauf und Niedergang der römischen Geschichte. Die Praefatio kündigt zwar, Datierungen und Analysen der Historiographie der Mitte des 2. Jh.s aufgreifend, eine konventionelle Darstellung an, der zufolge auf eine Phase des Aufstiegs ab einem ungenannt bleibenden Punkt ein mehrstufiger Abstieg gefolgt sei. Tatsächlich relativiert das Narrativ die Bedeutung eines Wendejahres. Seit dem Beginn der Republik, ja seit der römischen Geschichte insgesamt, waren Dekadenzphänomene wie Habgier und Herrschsucht die bestimmenden Faktoren der Politik. Auch wenn sie erst in der jüngsten Vergangenheit den Bürgerkrieg entfesselten, brachten sie die res publica regelmäßig an den Rand des Zusammenbruchs. Als Triebkraft des Handelns begreift Livius, sicherlich von Sallust, möglicherweise auch von Thukydides inspiriert, die Pleonexie, die auf politische wie ökonomische Ziele gerichtet ist. Seine Analyse transzendiert die Grenzen einer popularen oder optimatischen Perspektive. Innere Auseinandersetzungen verliefen seiner Darstellung nach nicht entlang gesellschaftlicher Trennlinien. Sie wurden ausgetragen als Kampf jedes gegen jeden. Die Integration der Bürgerschaft leistete im Wesentlichen der metus hostilis. In der Abwehr von äußeren, aber auch inneren Gegnern fanden die Akteure zum Konsens. Die disziplinierende Wirkung der Furcht vor dem Feind ließ jedoch regelmäßig fast unmittelbar nach der Überwindung der Gefahrensituation nach. An einen längerfristigen Ausgleich waren nach Livius nur wenige maßgebliche Gestalten interessiert. In der römischen Geschichtsschreibung hatte das Konzept des metus hostilis zuletzt den Monographien Sallusts ihren charakteristischen Zug verliehen. Wie in den Historien prägt es auch in den Ab urbe condita die gesamte römische Geschichte, die beide Historiker als Kontinuum auffassen. Ein Unterschied zu Sallust könnte darin bestehen, dass es bei Livius auch eine Geltung für rein innenpolitische Konflikte zwischen Gruppierungen und Einzelpersonen besitzt, die ihre Politik je nach Erfordernissen an Freund-Feind-Verhältnissen ausrichten. Eine konstruktive Wirkung attestiert Livius dem vielfältigen Konfliktpotential in der römischen Gesellschaft und Politik nicht. Zur Stabilisierung der Verhältnisse ist nach Livius allein ein die sozialen Interessen der Bevölkerung berücksichtigendes, die Bürgerschaft integrierendes Senats-

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regime in der Lage. Einem dominierenden Einfluss der breiten Masse des Volkes auf die Politik steht er ablehnend gegenüber. In mehreren Episoden zeigt er die Bereitschaft des einfachen Volkes, senatorische Führung anzuerkennen. Er erkennt aber die Notwendigkeit, das Instrumentalisierungspotential des einfachen Volkes zu neutralisieren, und empfiehlt deshalb eindrücklich die Anwendung popularer Maßnahmen, die in diesen Fällen den Interessen der res publica dienen. Die Vorstellungen, die er für die zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen herrschende Dynamik, aber auch für eine ideale senatorische Politik entwickelt, lassen sich auf Platon und den von ihm bewunderten Cicero zurückführen. Indes wurde eine solche Politik, wie das Narrativ zeigt, allenfalls punktuell praktiziert. Nicht umsonst stehen Livius’ Idealvorstellungen in Spannung zu seinen Einsichten in die Mechanik der Politik. Angesichts der anthropologischen fundierten Funktionsweise der Politik behält die Vergangenheit trotz der Lösung der Machtfrage im Bürgerkrieg auch im Principat des Augustus ihre Relevanz. Mit dem Programm des Princeps verbanden Livius ideologische, durch die Orientierung an der Vergangenheit bedingte Gemeinsamkeiten. Substantieller waren seine politikwissenschaftlichen Erkenntnisse. Ihnen zufolge würde der Erfolg des Princeps davon abhängen, ob es ihm gelingen würde, eine Dekadenz zur Tyrannis zu vermeiden und seine Rivalen aus der Senatsaristokratie ebenso wie die Bürgerschaft durch politische und soziale Integration zu domestizieren und Konflikte, an denen er nicht beteiligt war, zu kanalisieren. Vor allem aber schwebte Livius ein Senatsregime vor. Ob er das Principat als dauerhafte Einrichtung ansah, ist fraglich; temporäre Vormachtstellung von fatales duces hatte er häufig selbst beschrieben. Seine Adressaten waren daher auch die Mitglieder des Senats. Nach den Wechselfällen der römischen Geschichte und der Reorganisation der res publica boten ihnen die Ab urbe condita die Chance auf einen Neuanfang. Livius’ Darstellung der Geschichte ist nicht frei von Brüchen. Weder bietet sie eine harmlose Verklärung der Vergangenheit noch reflektiert die Darstellung das in der Praefatio skizzierte Verlaufsschema. Im Widerspruch zu seinen anthropologischen und politischen Analysen gibt er sich immer wieder romantisierenden Urteilen hin. Die sittlich intakte Zeit, die er beschwört, hat es jedoch seiner eigenen Darstellung zufolge niemals gegeben. Immer wieder von neuem aktualisieren sich die Friktionen innerhalb der Bürgerschaft und zwischen Individuen. Desillusionierung und Autosuggestion sowie Didaktik und Selbstvergewisserung sind in den Ab urbe condita, dem Produkt einer Zeit der Krise und des Neubeginns, unauflöslich miteinander verbunden. Seine Hoffnung für die Gegenwart beruhte auf der Perpetuierung der von ihm diagnostizierten momentanen Eintracht. Zu deren Stabilisierung sollte die Lektüre seines Werkes einen Beitrag leisten. Diese Untersuchung hat die Widersprüchlichkeiten in Livius Haltung zur Geschichte herausgearbeitet und sein Profil als Analytiker der Politiker geschärft. Nicht nur hat sie die bislang nicht untersuchten Fundamente seiner politischen Vorstellungswelt untersucht, sondern auch sein Ideal einer stabilen Ordnung erstmals systematisch rekonstruiert. Der oft vorgenommenen Charakterisierung des Livius als Konservativen oder Optimaten hat dieses Portrait eine differenzierte Sicht entgegengesetzt. Die zyklischen Tendenzen in den Ab urbe condita haben zuletzt stär-

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kere Beachtung gefunden. Hier wurden jedoch grundlegende Erklärungen für diese Entwicklungen geboten und angesichts der komplexen Dynamik der politischen Verhältnisse von einer Hochrechnung der Geschichte in feststehende Zyklen abgeraten. Das Ziel war es, Livius als widersprüchlichen Historiker einer wechselvollen Geschichte, verfasst in der fragilen Zeit eines Umbruchs, darzustellen. Im letzten Jahrzehnt des 1. Jh.s v. Chr. wurde Ovid zu einem der prominentesten Protagonisten des römischen Literaturbetriebs. In seinen kleineren elegischen Dichtungen präsentiert er drei kulturgeschichtliche Abrisse der römischen Geschichte. Die Amores äußern Zeitkritik aus der Perspektive des pauper amator. Dessen persönliche Interessen sind der Maßstab für die von ihm vertretenen Ansichten zur Geschichte und zur Politik. Gestützt auf kulturgeschichtliche Reflexionen, verurteilt er, der Gescheiterte, Reichtum und Luxus, die eine unwiderstehliche Faszination auf die puellae ausüben. In der Ars hingegen dient die Skizze eines Kulturentwicklungsprozesses dem Ziel, den Gegenstand des Gedichts, die Liebe, zu legitimieren. Ovids Narrativ endet allerdings schon in der Frühzeit und ist abgekoppelt von der römischen Geschichte, so dass die Konfrontation des von Ovid gewählten Ansatzes mit den Periodisierungen und ideologischen Axiomen der Historiographie ausbleibt. Noch radikaler tritt Ovid in den Medicamina auf. Hier erhebt er den umstrittenen Luxus zu einer zivilisatorischen Notwendigkeit. In einem Vergleich mit der Frühzeit schneidet die Gegenwart positiv ab. Als Gemeinsamkeiten der Dichtungen ergeben sich, dass sowohl die Ars als auch die Medicamina die Geschichte unter das Zeichen des Fortschritts stellen. In dieser Perspektive harmonisieren sie mit den Amores, in denen sich allerdings der für die Liebe korrumpierende Einfluss des Geldes als eine Errungenschaft des Fortschritts erweist. Zwischen den Positionen der amatores und des poeta doctus und zentralen Elementen des augusteischen Reformprogramms bestehen Spannungen. Zwar treffen sich der Princeps und Ovids amator in der Bekämpfung des Luxus. Beide verurteilen die materiellen Exzesse ihrer Zeit. Ihre Motive indes sind unterschiedlich. Sucht der Princeps den Staat im Sinne des mos maiorum zu konsolidieren, steht Ovid für jenes Verhältnis der Geschlechter, wie es die Liebeselegie repräsentiert. Die rustikalen Sitten der Frühzeit sind für ihn nicht Vorbild, sondern eine Negativfolie für die Gegenwart. Auch zeigt das Zivilisationsschema der Medicamina, dass die Rückkehr zur Frühzeit ein ahistorisches Unterfangen ist. So dienen die kulturgeschichtlichen Theorien in der Ars amatoria und den Medicamina der Verteidigung der Moderne gegen einzelne Bestandteile des restaurativen Programms des Princeps, das sie als anachronistisch und wirkungslos decouvrieren. Auch Augustus entwarf eine Gesamtdarstellung der römischen Geschichte. Als Medium wählte er nicht die Literatur, sondern das Monument. Sein Augustusforum bietet einen themenzentrierten Abriss der Geschichte in epigraphischen Elogien. In der Forschung gelten als ideologische Hauptfunktion des Bauwerks die Verherrlichung der Herrschaft des Augustus und die Legitimierung seiner über republikanische Standards herausgehobenen Position. Allerdings erfüllt es auch einen didaktischen Zweck, den Augustus selbst formuliert hat: Die Statuen sollten künftigen Generationen als Vorbild dienen. Die Auswirkungen dieses Dictums auf die Repräsentation der Geschichte, ihrem Zusammenhang mit Gegenwart und Zukunft und

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die Folgen für die Politik wurden bislang nicht konsequent verfolgt. Hier setzte diese Studie an. Ihre These lautet, dass das Forum durch die Art, wie es die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet, eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen beiden Zeitformen postuliert. Das Principat des Augustus steht folglich vor vergleichbaren Herausforderungen wie die Republik. Zur Panegyrik tritt daher, vermittelt über die exempla, die politische Didaktik hinzu. Das Forum bildet die römische Geschichte in zwei Schienen ab. In linearer Hinsicht vollzieht es den Aufstieg Roms unter dem Schutz der Götter nach. Die kommenden Generationen sollten nicht in Marmor-, sondern in Bronzestatuen repräsentiert sein. Dies zeigt, dass das augusteische Principat das Telos darstellen soll, gleichzeitig aber auch integraler Bestandteil der republikanischen Tradition ist. Alle weiteren Epochen wären nur in den Kategorien der bisherigen, als konstitutiv und abgeschlossen interpretierten Geschichte zu fassen gewesen. In zyklischer Perspektive behält die republikanische Vergangenheit von den Anfängen bis zur Zeitgeschichte trotz der faktisch veränderten politischen Verhältnisse ihre Bedeutung als Referenzrahmen der Politik, innerhalb dessen sich auch künftig politische Konstellationen und Probleme bewegen. Soziale und ökonomische Verwerfungen sind für Augustus ebenso Varianten der Zukunft wie der Bürgerkrieg. Weil die künftige Politik in Grundzügen vorherzusehen ist, dient das Forum auch der Kontingenzbewältigung. Der Blick auf die in Statuen verewigten exempla verleiht die Zuversicht, dass alle anstehenden Herausforderungen zu bewältigen seien. Das destruktive Potential der Geschichte, das sich in der jüngsten Vergangenheit gezeigt hat, stellt der Princeps auch als eine in der Zukunft latent vorhandene Kraft dar. Die beiden Dimensionen der Zeit, die in das Augustusforum eingeschrieben sind, vermitteln zusammengenommen die optimistische Botschaft, dass Rom über das Principat des Augustus hinaus alle politischen Wechselfälle meistern werde, solange die in den Statuen monumentalisierten exempla als handlungsleitende Instanzen Gültigkeit behalten werden. Das Bauwerk ist aber auch eine Mahnung. Wenngleich der Princeps mit seiner Herrschaft die Eröffnung eines neuen Goldenen Zeitalters feiert, so betont er dennoch, dass das Ende der Geschichte nicht erreicht ist und die Sicherung von Frieden und Prosperität eine bleibende Herausforderung für alle ihm nachfolgenden Principes ebenso wie die Mitglieder der Senatsaristokratie sein werde. Gegen Ende des augusteischen Principats entstanden zwei große Dichtungen, Ovids Metamorphosen und seine Fasten, die sich umfassend der Geschichte zuwandten. In der Forschung werden sie in der Regel entweder als panegyrisch oder als augustuskritisch eingeordnet. Diese Untersuchung versuchte, Ovids Darstellung des Augustus vor universalgeschichtlichem bzw. römischem Horizont sowie seine Zukunftsvisionen zu rekonstruieren und so sein Verhältnis zum Princeps zu präzisieren, das wegen seiner Hoffnung auf eine Rückberufung aus dem Exil immer auch eine persönliche Dimension besaß. Während die Metamorphosen die Geschichte von der Entstehung der Welt bis zu Caesars Ermordung und dem in einer Prophezeiung angekündigten Principat des Augustus führen, enthalten die Fasten im Rahmen von Jahrestagen überblicksweise Kurzdarstellungen der römischen Geschichte sowie Würdigungen einzelner Ereignisse oder Persönlichkeiten. In den

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Metamorphosen operiert Ovid mit einem an Hesiod orientierten Zeitalterschema, das weithin als Augustuskritik gedeutet wird. Doch weder bietet das Eiserne Zeitalter einen Spiegel der Gegenwart, noch ist das Goldene Zeitalter, als bißow auötoßmatow konstruiert, eine Blaupause für das Principat. Nach einer Flutkatastrophe entsteht zwar eine neue Welt, die in Details dem Eisernen Zeitalter entspricht. Hierbei handelt es sich aber um eine Epoche, die ihren spezifischen Mechanismen gehorcht, nicht um eine Phase des Verfalls. Die Vorstellung einer Rückkehr zum Goldenen Zeitalter des Mythos wäre utopisch. Eine zweite Ebene historischer Reflexion jenseits der Universalhistorie ist die römische Geschichte. Da die Grundlage für Ovids Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine Reihe von Verwandlungsgeschichten historischer Figuren im XIV. und XV. Buch bildet, vollzieht er die Geschichte zwar im Grundsatz chronologisch nach, reduziert sie aber auf wenige ausgewählte Szenen. Zu den zentralen Themen zählen das Verhältnis zwischen der Einzelperson und der res publica mit ihren gesellschaftlichen Gruppierungen und Institutionen sowie die Form und den Zustand des Staates. Den institutionellen Wandel des Herrscherideals in Rom zeigt die Cipus-Episode an. Galt Cipus als vorbildhafter Magistrat, der zugunsten der Republik auf das ihm geweissagte Königtum verzichtete, so wurde Augustus, so suggeriert Ovid, zwar zum König, als er im Jahr 23 nach seinem Feldzug in Rom einzog, etablierte dadurch jedoch eine universale Friedensordnung. Sein Principat bildet den Höhepunkt der Geschichte. Mit allen Gestalten aus der Galerie der Apotheosen ist Augustus typologisch verbunden. Ihnen ist gemein, dass sie im Interesse Roms zur Ablehnung und Teilung der Macht bereit waren. Die Alleinherrschaft verwirft Ovid nicht, sondern rechtfertigt sie als legitimes Mittel, den Staat zu stabilisieren. So durfte Romulus erst von der Herrschaft entbunden werden, als feststand, dass Rom auch ohne ihn fortbestehen würde. Wie er wird auch Augustus nicht als Usurpator oder Tyrann portraitiert, sondern als Stabilisator des Staates. Ein breiteres Themenspektrum umfasst die Behandlung der Geschichte in den Fasten. Sie kommentieren ein öffentliches, von Augustus und der domus Augusta usurpiertes Medium der öffentlichen Sinnstiftung, den Kalender, der einen Kanon der für die römische Gesellschaft erinnerungswürdigen und damit konstitutiven Ereignisse aufstellt. Aus Übersichten zur Zivilisationsgeschichte geht hervor, dass Ovid eine Rückwendung zu frührömischen Sitten, wie sie im Dekadenzdiskurs verlangt wurde und wie sie integraler Bestandteil der Reformpolitik des Augustus war, für vergeblich hält. Er konstatiert zwar einen Zusammenhang zwischen den Sitten sowie den historisch bedingten Zeitumständen, verlangt aber gleichzeitig, dass die modernen Lebensgewohnheiten ihr Recht besäßen und nicht gegen die Vergangenheit ausgespielt werden sollten. Statt einer Orientierung an früheren Epochen, deren Primitivismus er verabscheut, hält er eine Verbindung von Altem und Neuem für erstrebenswert, ohne aber die Details dieses Ansatzes zu erklären. Die Darstellung der Geschichte in den Fasten konzentriert sich auf drei Felder: die Zeit vor der Gründung Roms, die Königszeit und die Gegenwart. Durch den permanenten Vergleich von Frühzeit und Gegenwart sind die historischen Themen vorrangig auf die Gegenwart abgestellt. Während er in den Metamorphosen die Universalgeschichte als einen ungeordneten, regellosen Prozess beschrieb, ist die in

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den Fasten behandelte troianisch-römische Geschichte teleologisch strukturiert. Ovids Ziele sind einerseits die Verherrlichung des Augustus und der domus Augusta, andererseits die Kommentierung und Beeinflussung der operativen Politik. Die Republik hat ihre normative Bedeutung verloren. Alle Hoffnungen für die Zukunft ruhen auf dem Princeps und seiner Familie, der domus Augusta. Von ihrer Herrschaft erwartet er Frieden und Prosperität. Politische Probleme sieht er jedoch in familiären Konflikten drohen. Potentiell wird die innenpolitische Stabilität durch Fehlentwicklungen innerhalb des Herrscherhauses gefährdet. Die Vergangenheit hält keine konkreten Handlungsanweisungen für die Gegenwart bereit. Mit Verve verteidigt er den zivilisatorischen Fortschritt. Unabhängig von konkreten Konstellationen zieht sich jedoch seiner Ansicht nach das Problem des Konflikts um Macht durch die römische Geschichte. Die Ianus-Rede zeigt, dass Ovids Haltung zur Geschichte mit dem Programm des Princeps insofern kompatibel ist, als er der Erneuerung der positiven Seite der Vergangenheit zugänglich ist, wenngleich ihm eine Restitution historischer Verhältnisse fremd ist. Ovids historische Logik wehrt sich gegen einen strikten Determinismus zwischen den Sitten und der Machtstellung eines Staates, der im römischen Dekadenzdenken unumstößliche Geltung besaß, und unterbreitet ein Angebot zur Versöhnung von Elementen traditioneller und moderner Lebensformen. In politischen wie gesellschaftlichen Fragen, beispielsweise dem Ruhm-Begriff oder der Geschlechterordnung, verteidigt Ovid jedoch Ansichten, die Augustus’ politischer Vorstellungswelt fremd waren, zeigt Alternativen zum Programm des Princeps auf und warnt mit Beispielen aus der republikanischen Geschichte vor Fehlentwicklungen, die sich in veränderten Konstellationen wiederholen könnten. Hierzu zählen – anspielungsweise – auch Gefahren für die Meinungsfreiheit. Beide Dichtungen, die Metamophosen und die Fasten, reflektieren und benennen den politischen Systemwandel in Rom. Sie bejahen aus der Geschichte heraus offen eine Realität, wie sie Augustus aus Respekt vor der Vergangenheit verhüllte. Nicht die Republik, sondern die Monarchie verkörpert für Ovid die Zukunft. Ihre Legitimität zu untermauern und an ihrer Ausgestaltung mitzuwirken dienen die panegyrischen, aber auch didaktischen, auf Defizite und Probleme verweisenden Züge der großen Dichtungen Ovids, der zwischen seinem persönlichen Schicksal, der von Augustus verhängten Verbannung, und den politischen Leistungen des Princeps hier wie auch in der Exildichtung stets differenziert. Aus dem Principat des Tiberius haben sich nur zwei Werke zur Geschichte erhalten: Velleius Paterculus’ universalhistorischer Überblick und die ExemplaSammlung des Valerius Maximus. Die Forschung sah in Velleius lange Zeit nur den Verfasser einer Epitome sowie einen Propagandisten des Tiberius. Tatsächlich steht fest, dass die Herrschaft des zweiten Princeps den Höhepunkt der Historia Romana bildet. Doch diese konsensfähige Erkenntnis besagt wenig über die komplexen politischen Ziele des Velleius und die Funktion, die seine Deutung der Geschichte erfüllt. Diese Studie setzte daher die Gegenwart des Autors zu Velleius’ Darstellung und Analyse der jüngeren Vergangenheit. Zunächst untersuchte sie die Bedeutung, die Velleius in der Einleitung zum II. Buch dem in der Historiographie topischen Wendejahr 146 für den weiteren Verlauf der Geschichte beimisst, und verglich diese geschichtsphilosophi-

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schen Ausführungen mit dem Geschehen, wie Velleius es tatsächlich in der Erzählung darstellt. Anschließend werden die Principate des Augustus und des Tiberius in den Gesamtzusammenhang der römischen Geschichte eingebunden. Die Spezifika ihrer Regierungspraxis wurden mit den aus langfristigen historischen Entwicklungen resultierenden Zwängen erklärt. Analysiert wurde, wie Velleius’ Darstellung von Geschichte und Principat von ideologischen Präferenzen und seiner Unterstützung für Tiberius bei der Legitimierung von dessen Herrschaft und bei der Lösung operativer Fragen bedingt ist. Aus dieser Analyse wurden zuletzt Schlussfolgerungen für die Rekonstruktion des Profils des Velleius als Historiker gezogen. Innerhalb der römischen Geschichte identifiziert Velleius zwei gegenläufige Entwicklungen. Einerseits vollzog sich im 2. Jh. der Aufstieg zum Weltreich, anderseits begann in diesem Zeitraum die Entfaltung der Dekadenz. Zwischen beiden Phänomenen etabliert er, historiographischen Konventionen folgend, eine kausale Beziehung. Seine Rekonstruktion des Verfalls basiert jedoch nicht auf einer Nachzeichnung des Sittenverfalls, sondern ist weitgehend auf Aspekte des Machtkampfes zwischen Individuen konzentriert. Velleius’ Sicht des Krisenjahrhunderts ist von den Problemen des Principats des Tiberius geprägt. Für ihn bedeutet die Einrichtung des Principats keine Wende, kein Beginn eines neuen Goldenen Zeitalters. Nicht einmal Augustus konnte die Republik gegen die Beharrungskräfte der Krisenphänomene langfristig absichern. Am Ende seiner Herrschaft, in Übereinstimmung mit der Selbstdarstellung des Princeps als vollkommen wiederhergestellte Republik ausgegeben, drohten die zentrifugalen Kräfte der Bürgerkriegszeit sich wieder Roms zu bemächtigen. Als Antwort auf diese Herausforderungen wurde Velleius’ Tiberius zum Begründer des Principats. Für Velleius hat sich diese Herrschaftsform von der Republik gelöst; ausdrücklich führt er sie als eine Form der Alleinherrschaft ein, deren Praxis aber den Anschluss an republikanische Konventionen sucht. In der Öffentlichkeit wurde die Herrschaft des Tiberius hingegen als Tyrannis gedeutet. Velleius unterstreicht jedoch gerade die monarchische Herrschaftsausübung des Princeps und verabschiedet die Formel von der wiederhergestellten Republik, die es wegen des fortgesetzten Einflusses der mit der Weltherrschaft einhergehenden Faktoren nicht geben konnte. Das Werk vermittelt in zweierlei Hinsicht die historische Legitimität des Principats. Dass eine Wiederherstellung der Republik aus strukturellen Gründen ausgeschlossen war, liegt für Velleius nicht in der Verantwortung des Tiberius. Vielmehr hätten die Senatoren ihn zur Übernahme einer Alleinherrschaft gedrängt. Gleichzeitig stützt Velleius bei der Schilderung der Regierungspraxis Tiberius’ Stilisierung als Republikaner. Die an Tiberius gerichteten Vorwürfe greift er offensiv auf. In der Tat sei das Principat nicht mit der Republik vereinbar. Diese Einsicht ist eine notwendige Folge aus den Ereignissen zum Herrschaftsbeginn des Tiberius, wie er sie schildert. Insgesamt mochte Velleius zwar die Selbstdarstellung des Princeps in zahllosen Details reflektieren. Weit davon entfernt, eine kompilatorische Panegyrik zu sein, liefert seine Darstellung eine eigenständige, über die bisherige Annalistik und die offizielle Selbstdarstellung des Tiberius hinausgehende Verortung der Gegenwart in

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der Geschichte. Die Topoi der republikanischen Historiographie aktualisiert er für das Principat. Deutungskategorien der Republik haben in einem von ihm offen so benannten Systemwechsel ihre Bedeutung nicht verloren. Gegenwart und Vergangenheit werden eng zusammengebunden. Welche politischen Ziele Velleius mit seinem Werk, gewidmet dem Consul des Jahres 30, zu erreichen beabsichtigte, ist wegen der Überlieferungsverluste nicht bekannt. Diese Untersuchung vertritt die These, dass die Historia Romana als Sprechakt zwei zentrale Botschaften verfolgt: die Senatoren von der historisch bedingten Notwendigkeit einer Alleinherrschaft zu überzeugen und dieses Regiment durch seine gleichzeitig bestehende Verbindung zur Republik zu legitimieren sowie den oft zögernden, als tyrannische Parodie des Republikaners wahrgenommenen Tiberius in der entschlossenen Wahrnehmung seiner Rolle als entscheidende Instanz der neuen Ordnung zu bestärken. Valerius Maximus stellt die römische Geschichte nicht in einer geschlossenen Erzählung, sondern in einer Exemplasammlung dar. Sie gilt in der Forschung, die sich mit ihrer politischen Dimension befasst, als eine Apologie des Tiberius. In diesem Buch wurde nicht der Versuch unternommen, isolierte exempla in ein Epochenschema zu zwängen und ein zusammenhängendes Bild von der römischen Geschichte zu konstruieren. Es ist fraglich, ob Valerius überhaupt ein in den Einzelheiten homogenes Panorama der Vergangenheit anstrebt. Möglicherweise erzielen die Erkenntnisse, die sich aus solchen Versuchen erheben, hauptsächlich quellenkritische Einsichten über die Arbeitsweise des Autors. Stattdessen war es das Ziel, von Valerius’ Zeitkritik ausgehend den Standort der Gegenwart in der Geschichte zu bestimmen, den sie seiner Auffassung nach besaß, und in Hinblick auf die Konsolidierung des Staates die Zusammenhänge und Wirkungsweisen politischer Haltungen wie Aktionen zu eruieren. Der didaktische Zweck der Sammlung besitzt für Valerius eine imminente Bedeutung. Wenngleich es dem Princeps gelingt, die staatliche Integrität Roms zu wahren, so steht für ihn außer Frage, dass die dauerhafte Konsolidierung des Gemeinwesens nur durch die Partizipation der Bürgerschaft gelingen könne. In Übereinstimmung mit der Tradition des Peripetiediskurses begann der Niedergang für Valerius im 2. Jh. Nach seiner Diagnose reicht die in dieser Epoche einsetzende Entwicklung bis in die Gegenwart. Wie das Buch IX. mit seinem Verzeichnis der Laster und die über das ganze Werk hinweg eingestreute Zeitkritik demonstriert, hatten weder Augustus noch Tiberius ungeachtet aller Erfolge eine Trendwende durchsetzen können. Zwischen der Republik und dem Principat besteht nach Valerius’ Ansicht eine strukturelle Kontinuität. Umgekehrt behalten deshalb auch die traditionellen Tugenden trotz der offensichtlichen Veränderung in der Staatsorganisation ihre angestammte Bedeutung. Tiberius bleibt auf die zentralen Akteure und Institutionen der res publica libera angewiesen. Historiographischen Erklärungsmustern entspricht auch, dass nach Valerius Tätigkeit und Konkurrenz die maßgeblichen Faktoren für den Aufstieg Roms sind, dass diesen Tugenden aber auch ein ambivalentes Potential innewohnt. Solange in der Geschichte der metus hostilis wirksam war, wirkten sie als Motor für die äußere Entwicklung. Wann immer jedoch Ruhephasen in den äußeren Beziehungen eintraten, entfalteten sie eine destruktive Energie, die sich nach innen richtete. Diese

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Gesetzmäßigkeit beschränkt Valerius nicht auf den Fall Karthagos; sie besitzt für ihn Allgemeingültigkeit. Im Verzicht auf einen dezidierten Wendepunkt orientiert sich Valerius, selbst wenn auch für ihn die spätrepublikanische Epoche die Phase des dramatischen Verfalls war, an einer spätrepublikanischen Tendenz, die nach den Erkenntnissen dieser Arbeit Livius von Sallust aufgriff und auf die Struktur seiner Gesamtdarstellung übertrug. Zugleich unterscheidet sich sein Ansatz von der Periodisierung seines Zeitgenossen Velleius Paterculus, der an der geradezu klassischen Zweiteilung der Geschichte festhält. Valerius’ Sammlung setzt darauf, durch historische Didaktik die Einflüsse der politischen Rahmenbedingungen zu steuern. Literarisch vermitteltes Wissen, das die Orientierung an der Vergangenheit sicherstellt, soll den fehlenden metus hostilis ersetzen. Valerius’ Ansatz entgeht jedoch nicht einem Dilemma. Da der Sittenverfall nur durch negotia gestoppt werden kann, die die Tugend durch permanente Bewährung in Form halte, erringt die vorrangig militärisch begriffene Tätigkeit Erfolge, die zu den auf die sittlichen Verhältnisse innerhalb der Bürgerschaft verderblich wirkenden Friedensphasen führen. So entsteht ein Kreislauf aus unablässigen militärischen Erfolgen und dem Zwang zu neuen Kriegen. Erschöpft sich diese Dynamik, beginnt der Niedergang einzutreten. Mit dieser produktiven Einbindung des metus hostilis-Konzepts in das Stadium der Weltherrschaft, die Rom erlangt hat, rationalisiert Valerius die Klage über die Gegenwart, der in der spätrepublikanischen Historiographie mit moralischen Appellen oder Hilflosigkeit begegnet wurde. So stützt Valerius die Re-Republikanisierung der Politik, die Tiberius während seiner Herrschaft vorantrieb, persönlichen Präferenzen folgend und das Beispiel des Augustus überziehend. Die Förderung einer aktiven Bürgerschaft ist das zentrale Ziel seiner Sammlung. Wie der Princeps geht auch er von der Notwendigkeit aus, die Senatsaristokratie politisch zu integrieren. Die neue Nobilität, die inzwischen entstanden war, unterrichtet er über ihre Rolle in unterschiedlichen sozialen und politischen Kontexten, und ist so, über das Medium der Literatur, an der Konstituierung der neuen Führungsschicht beteiligt. Die Interpretation, er habe die Selbstdarstellung des Princeps gespiegelt, was er sicherlich auch tat, greift daher zu kurz. Tatsächlich wirkte er als Partner des in Dimensionen der Republik denkenden Princeps bei der Gestaltung des Principats mit.

III. GESAMTBILANZ Die Konstruktionen der Geschichte in den Principaten des Augustus und des Tiberius bilden keine einheitliche Formation. In den Modifikationen, die sich in den Deutungen der Vergangenheit abzeichnen, spiegelt sich die institutionelle Entwicklung der neuen Ordnung wider. Mit der Sehnsucht nach einer Rettergestalt in der als Epoche der Dekadenz wahrgenommenen Phase der Desintegration der Nobilität und des Bürgerkriegs richtete sich der Blick in der Kulturentwicklungstheorie auf eine Einordnung der Gegenwart vor einem universalgeschichtlichen, sich bis zum Mythos erstreckenden Horizont und suchte nach der Beantwortung existentieller Fragen über die Zusammenhänge der Welt, verbunden mit der politischen Ereignisgeschichte. Der universalgeschichtliche Rahmen, der von den augusteischen Dichtern aufgespannt wird, ist von Parametern der Kulturentwicklungstheorie und teilweise der Figur des Goldenen Zeitalters bestimmt. Die Geschichte verläuft für sie grundsätzlich linear, von den Anfängen Roms als Kleinstadt bis zum Weltreich.1 Was sie trennt, sind die Bewertungsmaßstäbe, die sie an die nachgezeichnete Entwicklung anlegen. Während Tibull einem urzeitlichen Bauern- und Hirtenideal nachhängt, das frei von politischen Einflüssen ist und paradiesähnliche Züge trägt, verspottet Properz die Enge und Primitivität des frühen Rom, das er mit den zivilisatorischen Errungenschaften der Gegenwart vergleicht. Jener korreliert den Niedergang der Sitten mit dem Aufstieg Roms, dieser die kulturelle Entwicklung mit der Expansion. Später sind für Ovid die Hochkultur der Ära des Augustus sowie der Modus der Herrschaftsausübung die entscheidenden Kriterien für die Verachtung, die er der Vergangenheit entgegenbringt. Vergils Entwurf eines Goldenen Zeitalters, das Saturn in lokaler Dimension begründet hat und das unter Augustus in globalem Maßstab erneuert werden soll, löst sich von dem traditionellen Axiom der Abhängigkeit des sittlichen Zustands einer Gesellschaft von historischen Rahmenbedingungen zugunsten eines praktisch realisierbaren und jederzeit reproduzierbaren Ideals. Das Problem des Sittenverfalls in der Späten Republik, das ein Leitmotiv der Annalistik ist, spielt aus der Perspektive von Epos und Elegie keine beherrschende Rolle. Allen Dichtern, deren Schaffenszeit in die Anfangsphase des augusteischen Principats fällt, ist gemeinsam, dass ihnen die Vorstellung einer in der jüngeren Vergangenheit hervorgerufenen Zweiteilung der Geschichte und eines moralischen Verfalls als Folge der Übernahme der Weltherrschaft fehlt. Namentlich Tibull und Ovid betonen jedoch die sukzessive bemerkbaren Auswirkungen der Expansion auf 1

Diffizil verhält es sich mit Vergil: Innerhalb dieses Rahmens liegt eine zweite lineare Zeitschiene, die markiert wird von der Zerstörung Troias, dem eigentlichen Beginn der Geschichte, bis zur Weltherrschaft. Beide Zeitschienen fallen in der Gegenwart zusammen. Sollte auch dieses Goldene Zeitalter scheitern, würde eine zyklische Bewegung entstehen.

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die Gesellschaft und die politische Kultur, die durch Krieg und wachsenden Reichtum entstehenden ethischen, politischen und ökonomischen Dekadenzphänomene. Für sie sind diese Erscheinungen Produkte einer kontinuierlichen Entwicklung, deren Ursprung Tibull schon in der Frühzeit ansetzt und die ihn zu einer letztlich als ausweglos erkannten Abwendung von der Gegenwart bewegt, die hingegen bei Ovid in den ideengeschichtlich innovativen Versuch mündet, sittlich intakte Verhaltensweisen auch in der Gegenwart, und zwar ohne traditionalistische Orientierung an der Vergangenheit, zu installieren. Auf einem dynamischen Modell basiert auch Livius’ Geschichtswerk. In der Ab urbe condita stechen Narrativ und Analyse von dem prätendierten Eskapismus angesichts einer desolaten Zeitgeschichte ab, dem er sich hinzugeben ankündigt. Aus seinen historischen Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten der Politik und in die Anthropologie ergibt sich eine strukturelle Instabilität der Gegenwart. Velleius und Valerius blickten auf diese Epoche aus Sicht der vermeintlich wiederhergestellten Republik. Aus einer Distanz ließen sich leichter die Unebenheiten und Brüche einer Vergangenheit glätten, die unter Tiberius tatsächlich schon abgeschlossen war, während Livius in seiner Jugend noch ein Zeitgenosse der Protagonisten des Bürgerkriegszeitalters gewesen war. Inzwischen hatte sich der Erfahrungshorizont geändert. Die Frage nach der Realisierung eines Goldenen Zeitalters war angesichts der Selbstdarstellung des Princeps ein ernsthaftes theoretisches Problem. Vergil entwirft ein Konstrukt, das nicht an eine spezifische Epoche gebunden ist, sondern auf aktualisierbaren Bedingungen beruht. Verschiedene Idealvorstellungen, deren Gestalt von der spezifischen Situation der persona abhängt, präsentiert Tibulls Elegiensammlung. Die meisten lässt er an der Wirklichkeit scheitern. Vage Ideen eines Zeitalters des Friedens knüpft er an den Beginn der neuen, von Apollo verkörperten Epoche. Keine Rolle spielt das Goldene Zeitalter bei Properz. Die kleinen Dichtungen Ovids sind fortschrittsbejahend; sie messen die Geschichte am jeweiligen Stand der Zivilisation. Kritik üben sie an den Folgen ökonomisch bedingter Korruption und negieren die Sinnhaftigkeit einer Rückkehr zur Vergangenheit. In den Metamorphosen führt Ovid auf universalhistorischer Basis vor, dass ein Goldenes Zeitalter als Ideal kein Bezugspunkt für die römische Geschichte sein kann und die Gegenwart strukturell Gesetzmäßigkeiten gehorcht, die dem Eisernen Zeitalter ähneln, während er in den Fasten sowohl in Hinblick auf das Regierungshandeln wie den zivilisatorischen Grad die bislang beste Phase der Geschichte erreicht sieht. Die Republik übernimmt in den dichterischen Konstruktionen der Geschichte unterschiedliche Funktionen. Im Bereich der Didaktik bleibt sie nur bei Vergil der Bezugspunkt im Sinne der Tradition der römischen Memorialkultur. Als Epoche zwischen zwei Goldenen Zeitaltern illustriert sie Konsequenzen des Fehlens von Gesetzen und Sitten, die als Folge von ungebremstem Machtstreben in innere Konflikte bis hin zum Bürgerkrieg münden, und entwirft eine vergangenheitsbasierte Zukunftsperspektive für den Fall, dass die Erneuerungsbemühungen des Augustus langfristig ebenso scheitern wie die Herrschaft Saturns. Die Botschaft der Prophezeiung richtet sich nicht nur an den Princeps, sondern auch an die Angehörigen der Senatsaristokratie. Das Fortbestehen zentraler Mechanismen der Republik ist ungeachtet der Position des Princeps und des dynastischen Prinzips, das Marcellus d. J.

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repräsentiert, die Prämisse von Vergils Deutung der Geschichte. In den Elegienbüchern des Properz und Tibull sind die konkreten innenpolitischen Themen der Republik weitgehend irrelevant. Ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte verläuft hauptsächlich über die Konfrontation des mos maiorum mit einem alternativen Wertesystem. Wichtige Persönlichkeiten repräsentieren bei Properz lediglich Stadien auf dem Weg zur Vollendung der römischen Geschichte und dienen im Vergleich der Profilierung des Princeps. Nicht mit Fragen der Staatsform befasst sich Tibull. Die Folgen von Ruhmesstreben und Korruption für die Politik reflektiert er nur in Bezug auf den amator, aber nicht auf das politische System. Das Zeitalter des Augustus besitzt für ihn das Potential, eine Wende einzuleiten. Messalla und sein Sohn verkörpern jedoch die Kontinuität der von ihm angegriffenen traditionellen Politik. Trotz der Beschwörung Apollos ist die Zukunft offen. Ovids großformatige Dichtungen, die Metamorphosen und die Fasten, reflektieren die veränderten Verhältnisse des letzten Abschnitts des Augustus und des Beginns der Herrschaft des Tiberius. In ihrem Fokus steht ganz der Princeps. Für ihn wurde die Republik von einer Form der Monarchie abgelöst. Strukturell von der Gegenwart verschieden, hat sie, weil die domus Augusta zum Zentrum der Politik geworden ist, keine konkreten politischen Lehren mehr zu bieten. Durch den Systemwandel erfüllt die Republik bei Properz, Vergil und Ovid jedoch eine panegyrische Aufgabe. Als eine Kontrastfolie beleuchtet sie die historisch überragenden Verdienste des Princeps, mit denen sich die Vergangenheit nicht messen kann. Zwar repräsentieren die republikanischen Heldengestalten den Aufstieg Roms zum Weltreich, der sich ihrer virtus verdankt. Alle ihre Taten übertrifft Augustus jedoch um ein Vielfaches. Überall erscheint er in außenpolitischer Perspektive als Vollender des Weltreiches, während er in innenpolitischer Hinsicht jene Befriedung der Gesellschaft bewirkt, die seine Vorgänger zerrüttet haben. Die um die Saecularfeier herum entstandenen Werke formulieren eine positive Bewertung der Gegenwart. Vergil sieht die Restauration eines neuen Goldenen Zeitalters bevorstehen; Properz wähnt mit der Übernahme der Weltherrschaft das Ziel der römischen Geschichte erreicht; Tibull, dessen Auseinandersetzung mit dem mos maiorum eine Alternativwelt als Utopie enttarnt, setzt seine Hoffnungen auf ein Zeitalter Apollos, des Schutzgottes des Augustus, das zwar die politischen Realitäten anerkennt, aber möglichst viele Elemente seiner elegischen und bukolischen Idealvorstellungen erfüllen kann. Der Princeps selbst erhebt in den verschiedenen Medien seiner Selbstdarstellung keinen Anspruch auf eine Wiederherstellung des Goldenen Zeitalters nach mythischen Maßstäben. Seine über die Geschichte vermittelten ideologischen Positionen, Überzeugungen und Botschaften stimmen in charakteristischen Elementen mit dem Zeitalter Saturns, wie Euander es schildert, und mit ihrem Bekenntnis zur geschichtlichen Welt überein. Das Augustusforum schließt die Möglichkeit künftiger Krisen aufgrund seiner didaktischen Anlage, der Warnung vor inneren Unruhen durch soziale und politische Probleme, gerade ein. Mit den verschiedenen Konstruktionen der Geschichte verbindet sich ein ganzes Spektrum von Erwartungen an die Gegenwart und an den Princeps, zu den Paradigmen wie Gesetz und Sitte, kulturelle Entfaltung und Weltherrschaft, Frieden und Orientierung an der Frühzeit gehörten. Als Ovid in der zweiten Hälfte des au-

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gusteischen Principats mit seinen Dichtungen hervortritt, sieht er ideale Bedingungen verwirklicht, die er auf die Monarchie des Augustus zurückführt. Die Lösung aller innen- wie außenpolitischen Probleme stellt er der domus Augusta anheim, deren Handlungsfähigkeit auf Harmonie beruht. Probleme und Lösungsstrategien aus mythischer Zeit sowie der Republik warnen vor Fehlentwicklungen in der Rechts- und Wirtschaftspolitik, aber auch vor einer rigorosen Durchsetzung von Reformmaßnahmen, die gesellschaftliche Konflikte heraufbeschwören. Von den Vorzügen des neuen Regiments scheint er seine persönliche missliche Situation zu abstrahieren. Angesichts der Herausforderungen, die er innerhalb der Dynastie wahrnimmt, ist seine Verherrlichung des Princeps und dessen Familie Legitimation, Beschwörung und Mahnung zugleich. Im Unterschied zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den Dichtungen des augusteischen Zeitalters nimmt sich die Geschichtsschreibung, deren einziger erhaltener Vertreter Livius ist, in traditioneller Manier der mit dem politischen System und der politischen Kultur Roms zusammenhängenden Phänomene an. Für ihn ist der sittliche Verfall nur nominell ein bestimmendes Motiv. Tatsächlich fasst er, auf anthropologische Einsichten zurückgreifend, die Geschichte als einen permanenten Kampf zwischen Individuen um die Steigerung von Macht und finanziellen Ressourcen auf, die sich beim Fehlen äußerer Herausforderungen prompt aktualisiert. Das vermeintliche Epochenjahr 146, der Fall Karthagos, besaß nur eine eingeschränkte Bedeutung. Die Zweiteilung der Vergangenheit in eine Phase des Aufstiegs im Zeichen frugaler Tugendhaftigkeit und in eine Epoche der Dekadenz, verursacht durch den nach der Expansion in den östlichen Mittelmeerraum nach Rom eindringenden Luxus, gibt er zugunsten eines prinzipiell zyklischen Verlaufs auf. Durch die Chance, die sich eröffnet, das republikanische System durch Kontrollmechanismen zu stabilisieren, bleiben Gegenwart und Zukunft für ihn gestaltbar. Wie die kulturtheoretische Konzeption Vergils für ein Goldenes Zeitalter ist somit auch Livius’ historiographischer Zugang zur Geschichte an Augustus’ Ziele anschlussfähig. Von einer Überhöhung des Zustands der Gesellschaft und des politischen Systems wie unter Augustus ist unter Tiberius wenig geblieben. Im Principat des Tiberius ist nur einer jener dichterischen Abrisse erhalten, die auf Kulturentwicklungslehren beruhen. Sie stammt von Tiberius’ Adoptivsohn Germanicus und feiert in den Kategorien der Fortschrittsbejahung den Antritt des neuen Herrschers als Schritt zu einer Vertiefung der Zivilisation, der Rechtlichkeit, des Handels und der Prosperität unter dem Schutz des Princeps. Die politische Situation gab aus historischer Perspektive zu keiner optimistischeren Sicht Anlass. In ihren Werken steht die unverändert krisenhafte Lage der res publica für Kontinuität. Trotz Differenzen in der Periodisierung folgen sie ähnlichen Dekadenzszenarien, die auf dem Konzept des metus hostilis sowie der Annahme fortdauernder exzessiver Konkurrenz innerhalb der Senatsaristokratie beruhen, ziehen aber unterschiedliche Schlussfolgerungen für die politische Praxis. Bei Valerius ist der Verlust der Furcht vor dem Feind nicht an ein Epochenjahr gebunden. Vielmehr tritt er, abhängig von außenpolitischen Konstellationen, periodisch auf. Daraus folgt die prinzipielle Möglichkeit einer Rückkehr zu der gefeierten

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Frühzeit und wird der große zeitliche Abstand beider Phasen zu einem kontingenten Umstand. Deutlich spricht er die Erkenntnis aus, dass die Sitten auch weiterhin in Kriegen gestählt werden müssten und dass der Friede, der ein zentrales Element der Selbstdarstellung im Principat von dessen Anfängen an war, unweigerlich zur Dekadenz führe. Trotz der Verdienste des blass bleibenden Princeps beruht die Zukunft auf der traditionellen Bürgergesellschaft. Velleius hingegen setzt den Verfall mit der Eroberung Karthagos an. Bei ihm dient die Diskussion der Machtfrage nicht der politischen Didaktik, sondern der Erklärung der Entstehung des Principats. Den Übergang von der Republik zum Principat und innerhalb des Principats von Augustus zu Tiberius deutet er als einen folgerichtigen, aus der Ereignisgeschichte resultierenden Prozess und bekennt sich zu der geschichtlichen Notwendigkeit einer Alleinherrschaft, die immerhin an republikanischen Maßstäben ausgerichtet ist. Einzig dem Wirken des Princeps gelang die Verhinderung des Zusammenbruchs des Staates. Unter den bekannten Autoren nimmt lediglich Seneca eine substantielle Verbesserung der politischen Lage wahr. Der Alleinherrschaft, die er rühmt, spricht er mit seinem Lebensaltervergleich emphatisch eine den Staat vitalisierende Funktion zu. Velleius hingegen nimmt die Aufgabe der Monarchie als Notwendigkeit wahr, das Reich zu sichern, während bei Valerius dem Princeps zwar eine herausragende Rolle zukommt, der Fortbestand der res publica aber vorrangig eine Aufgabe der Bürger bleibt. Insofern registrieren diese Autoren den Aufbruch zu etwas ganz Neuem, das in Augustus’ Zeiten als Bedrohung empfunden worden wäre und den Verlust an Legitimität nach sich gezogen hätte. Nachdem in der Republik die Gestalt eines Monarchen undenkbar gewesen war, schlug sich unter Tiberius, nach über einem halben Jahrhundert Principat, ein Wandel nieder, der von einem Arrangement mit den kontinuierlich ausgebauten monarchischen Elementen der Principatsordnung zeugte, ein Arrangement, das bereits beim Herrschaftsantritt des Tiberius offen zutage trat und paradoxerweise zu Konflikten mit dem auf Partizipation der Senatsaristokratie bedachten Princeps führte. Bei den Formen historischen Nachdenkens über Rom, die aus unterschiedlicher Perspektive und mit unterschiedlicher Tiefenschärfe Analysen der strukturellen Ursachen historischer Prozesse vornahmen und Rahmenbedingungen für eine stabile Ordnung ausloteten, zeichnen sich mehrere Tendenzen ab: Wahrgenommen wurde die Geschichte als linearer wie auch als zyklischer Prozess. Die Linearität betraf die äußere Entwicklung Roms, den Aufstieg zur Großmacht. Die augusteischen Dichter setzten das Telos der Geschichte in der Gegenwart an, unterschieden sich jedoch je nach historischem Standort in den Erwartungen und Hoffnungen, die sie in die Zukunft setzen. Zur Zeit der Saecularfeier schien die Restitution einer Epoche des Friedens und der Prosperität unmittelbar bevorzustehen. Mit der Betonung der Dynastie zog Ovid die Konsequenzen nicht aus der tatsächlich bestehenden Führungsrolle des Princeps, sondern auch aus den Legitimierungsbemühungen seiner Vorgänger, die Augustus in Übereinstimmung mit dessen eigener Selbstdarstellung über die Iulier in der troianisch-römischen Geschichte verankerten. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus unterschiedlichen Motiven galt jedoch das Zeitalter des Augustus als Höhepunkt. Die Geschichtsschreibung ging entweder (wie Livius und

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Valerius) von einem Kontinuum, einer prinzipiell zyklischen Kette von Auf- und Abschwüngen, die von kontingenten, der Veränderung unterworfenen außen- wie innenpolitischen Rahmenbedingungen bestimmt war, aus oder blieb bei der traditionellen Zweiteilung der Geschichte mit dem Fall Karthagos als Wendemarke, die einen Verfallsprozess einleitete (Velleius). In der Historiographie wurde die Epoche deshalb, soweit aus der erhaltenen Literatur erkennbar, nicht als drastischer Einschnitt empfunden, was die grundlegenden politischen Kräfte angeht, die die operative Politik beeinflussen. Anders verhielt es sich mit der Einordnung des politischen Systems, das bald andeutungsweise, bald explizit als eine Form der Monarchie verstanden wurde. Im Horizont der politischen Analyse, die die Autoren vornehmen, unterscheiden sich der universalhistorische vom annalistischen Ansatz. Die maßgeblichen Probleme waren jedoch stets das Ringen um Macht und Prestige. Sie bleiben auch im Principat virulent. Zu ihrer Bekämpfung entwickeln die Autoren unterschiedliche Strategien: Vergil die Fixierung auf Sitten und Gesetze, Livius die politische Analyse von Konfliktszenarien, basierend auf anthropologischen Einsichten, Valerius Maximus den Rückgriff auf den republikanischen Tugendkanon, Tibull die Berücksichtigung nicht-politischer Dimensionen des Lebens, Ovid und Velleius Paterculus die Einführung einer Alleinherrschaft, die republikanischen Konventionen verpflichtet ist. Die Hoffnungen aus der Aeneis, die Vergil als bleibenden, sich stets erneuernden und zu bewältigenden Auftrag verstand, erfüllten sich, gemessen an den historischen Reflexionen der Folgezeit, zumindest nicht langfristig. Von Livius, der Augustus’ Principat bis zu dessen Ende historiographisch begleitete, sind die zeitgeschichtlichen Partien der Ab urbe condita verloren gegangen. Zu den Lektionen seiner Interpretation der Vergangenheit gehörte jedoch unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der öffentlichen Ordnung die Abschwächung der Dynamik der von Pleonexie angetriebenen Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft durch eine integrative Politik. Weil die strukturellen Bedingungen der republikanischen Politik unter der Monarchie zerfallen waren, deklarierte Ovid die Machtkämpfe innerhalb der domus Augusta zum wahrscheinlichsten innenpolitischen Konfliktfeld der Zukunft. Das Zeitalter des Tiberius, repräsentiert von Velleius Paterculus und Valerius Maximus, indes postulierte die Fortexistenz gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, wie sie zum traditionellen Bestand der römischen Geschichtskultur gehörten. Alles in allem kannte die römische Geschichtsschreibung, zumindest seit der Späten Republik, mit ihren Dekadenzszenarien keine Ausweglosigkeit, die aus dem pessimistischen Blick zurück resultierte,2 sondern hielt, von Sallust bis Valerius, konzeptionell die Zukunft für das Handeln der Menschen offen, während für Velleius die Einführung des Principats der Ausweg aus den strukturellen Aporien der Republik im Zeitalter des Verfalls war. Aus der Perspektive der Historiker des Zeitalters des Tiberius, die dessen Klagen über die Dekadenz der Gegenwart aufnehmen, erwies sich das Programm einer moralischen Erneuerung in der Saecularfeier, die nach der Beseitigung der inneren Verwerfungen eine neue Zukunft einläuten sollte, offensichtlich als noch nicht er2

So aber Walter 2004: 329.

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füllt. Für sie blieb die Gefahr des Bürgerkriegs virulent. Als nicht überwunden galten die Fehlentwicklungen der Vergangenheit. Die Geschichte war offen. Trotz der auch später immer wieder aufgegriffenen Formel von der wiederhergestellten Republik reflektiert die Analyse der erhaltenen Konstruktionen der Geschichte in der Formierungsphase des Principats die Periodisierung der modernen Forschung. Sukzessive war die Republik zur Chimäre geworden, sei es, weil nur eine Alleinherrschaft dem Verfall entgegengesetzt werden konnte, sei es, weil Augustus und seine Familie das Ziel der Geschichte bildeten. Diese beiden Deutungen der Geschichte waren Folgen der Erfahrung des Bürgerkriegs und dessen Beendigung mitsamt den individuellen Konsequenzen für jeden der Autoren, die ein neues Bild der weiterwirkenden Vergangenheit entwarfen, um Sinn für die Gegenwart zu stiften. Umgekehrt bildete eine Form der Alleinherrschaft kein Anathema mehr im Diskurs. Unabhängig von anderen Entwicklungen, die sich in den Principaten des Augustus und des Tiberius niederschlugen, belegen die Deutungen der Geschichte in dieser Zeit das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der sich der Prozess der Institutionalisierung des Principats vollzog. Im Bereich der Kultur, die Gegenstand der Neuen Politikgeschichte oder der Kulturgeschichte des Politischen ist, reflektieren sie parallel zur Ereignisgeschichte. Stets waren die Konstruktionen der Geschichte bei allen Differenzen mit der Selbstdarstellung der Principes oder deren zentralen Aspekte kompatibel. Aus unterschiedlichen Motiven und auf unterschiedliche Weise wirkten zumindest die aus dieser Zeit erhalten gebliebenen Autoren an der Etablierung der neuen Ordnung mit: durch einen Beitrag zur Legitimierung des Princeps durch Flankierung und Multiplikation seiner Selbstdarstellung oder durch politische Didaktik, die sich an die Principes oder die Angehörigen der senatorischen Führungsschicht richtete. Wer die besondere Stellung des Princeps akzentuierte, strebte keine Diskreditierung seiner Person an. Die Notwendigkeit des Systemwandels leiteten sie aus der Fortexistenz traditioneller Probleme ab, die bereits Gegenstand der historischen Analyse des Späten Republik waren. Aus der Kontinuität der Rahmenbedingungen folgte die faktische Diskontinuität der Ordnung, teilweise abgemildert durch die Verbindung der domus Augusta mit dem troianischen Gründungsmythos Roms. Die Reaktionen auf den Tod des Tiberius fielen begeistert aus. Dezidiert schloss sein Nachfolger Caligula an die Traditionen des Augustus an. Der Beginn seiner Herrschaft und das Ende des Tiberius illustrieren so die zyklischen Elemente und die beharrenden Kräfte in der Geschichte des Principats, die Rückbesinnung auf die althergebrachten Programme republikanischer Provenienz und deren problematische Umsetzung im Gefüge der Principatsordnung. Unter dem dritten Princeps, einem zynischen Kenner der Macht, sollten dann die Machtverhältnisse und praktischen Herausforderungen im Principat so deutlich offen gelegt werden wie noch nie zuvor. Für die Zeitgenossen hatte schon Tiberius das auf Frieden und Prosperität gerichtete Ideal des Augustus verspielt. „Solange Du am Leben bist“, lautet nicht ohne bedrohlichen Unterton das Urteil eines anonymen Dichters, „werden immer Eiserne Zeitalter sein.“3 3

Suet. Tib. 59: Aurea mutasti Saturni saecula, Caesar: / incolumi nam te ferrea semper erunt.

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Literaturverzeichnis

Zimmermann 2014: M. Zimmermann, [Kapitel zur Geschichte des augusteischen Zeitalters], in: von den Hoff/Stroh/Zimmermann 2014. Zinn 1956: E. Zinn, Die Dichter des alten Rom und die Anfänge des Weltgedichts, A&A 5, 1956, 7–26. Zwierlein 1999: O. Zwierlein, Die Ovid- und Vergil-Revision in tiberischer Zeit, Bd. 1: Prolegomena, Berlin-New York 1999.

ALLGEMEINES REGISTER Das Allgemeine Register verzeichnet wichtige historische und literarische Personen, moderne Wissenschaftler, Orte, Sachbegriffe und Realien in Auswahl. Die Namen römischer Personen sind nach dem nomen gentile angeordnet, Principes und Mitglieder der domus Augusta jedoch nach ihrem Rufnamen. Nicht verzeichnet sind die omnipräsenten Principes Augustus und Tiberius. Die Protagonisten des Buches, die maßgeblichen Autoren der Späten Republik und des Frühen Principats, die über die römische Geschichte schreiben, sind im Stellenregister aufzufinden. Actium: 19, 22 f., 35, 47 f., 50, 52 f., 66, 71–75, 184 f., 187, 192–196, 201, 207 f., 240, 243, 247, 251, 260–264, 269 f., 273, 288, 354, 409, 484 Aelius Gallus: 243 Aelius Seianus, L.: 377–380, 381–383, 415, 431–434, 438, 456, 488, 491 Aelius Tubero, Q.: 59 Aemilius Paullus, L.: 140, 144, 150, 244 Aemilius Lepidus, M. († 152): 147 Aemilius Lepidus, M. (90–12): 410, 487 Aeneas: 35, 163, 165 f., 172 f., 178, 181 f., 184, 187, 191, 197, 199, 223–229, 245, 247, 250 f., 267, 270, 286, 289 f., 292, 312, 320 f., 342–344, 346–348, 359 Aeneas Silvius: 186, 320 Aesculap: 320 f., 325, 330 affectatores regni: 295, 452, 476 Agrippina (14 v. Chr.–33 n. Chr.): 375, 378, 431 Alba Longa: 186, 225, 227, 244, 250, 261 Alexander d. Gr.: 42, 156, 161, 183–185, 290 Amulius: 321–323 Anaxagoras: 61 Anna von Bovillae: 357 Annaeus Lucanus, L.: 22, 152 Anchises: 166, 178, 181 f., 196, 280 Ancus Marcius: 188, 190 Antonius, I.: 316–318 Antonius, M.: 47, 88, 156, 166, 178, 184 f., 189, 192–196, 201, 228, 243 f., 257, 260 f., 273, 296, 326, 389, 401, 409 f., 487 Apollo: 53, 185, 204, 223–230, 232, 234, 244, 247, 260 f., 268–270, 272, 307, 334, 494, 507, 508 Apollo-Tempel: 249, 254, 259 f., 265 Appuleius Saturninus, L.: 298, 389, 397–399, 412 f., 416, 456 Aquarius: 358

Ara Pacis: 36, 50, 54, 68 f., 217, 274, 305, 353 f., 360 Aratos von Soloi: 65, 68, 176, 334 Arion: 358 Aristoteles: 61, 101 Arkader: 165 f., 338, 340, 342 f. Armut: s. paupertas Ascanius: 165, 227, 292, 320 Asinius Pollio, C.: 85, 382, 434 Aufidius Bassus: 382 Augustusforum: 36 f., 68–70, 251, 286–304, 305–308, 320 f., 327, 344, 347–350, 353, 359, 363, 367, 370, 449, 499 f., 508 Aurelius Cotta, C.: 147 Aurelius Cotta, M.: 300 Aurelius Cotta Maximus Messalinus, M.: 201, 206, 223, 226, 228, 230, 232, 307, 494 ambitio: 52, 54, 73, 87 f., 103, 131, 138 f., 142 f., 148 f., 153–155, 306, 371, 402, 410, 430, 452, 453, 457, 477 f. avaritia/Habgier: 52, 77, 83–87, 102 f., 142–144, 148, 153 f., 157, 171, 176 f., 199, 208, 215 f., 226, 231, 237, 239, 256, 267, 269, 272, 296, 292 f., 315, 335, 392, 402, 446, 453, 457, 471, 477 f., 497 Bacchus: 206, 212, 218, 276 Baebius, Q.: 144 Baebius Tamphilus, M.: 150 Bastarner: 258 Bellen, H.: 24 Begierde: s. cupido Biesinger, B.: 43 bißow auötoßmatow: 65, 167 f., 177, 180, 209, 227, 275, 314, 319, 362, 492, 501 bißow jhrivßdhw: 65, 173, 175, 177 f., 267, 269, 278, 338 f. bißow litoßw: 64, 67, 220 f., 232, 249, 279, 341 Bleicken, J.: 20

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Allgemeines Register

Bona Dea: 256–258, 454 Burck, E.: 76 Burckhardt, J.: 23 Bracher, K.D.: 40 f., 60, 64 Cacus: 166, 254, 257 f. Caecilius Metellus, Q.: 456 Caecilius Metellus Creticus, Q.: 348 Caecilius Metellus Numidicus, Q.: 348 Caecilius Metellus Pius Scipio, Q.: 454 Caligula: 32, 382, 512 Calpurnius Piso, Cn.: 377 f., 380, 396 Calpurnius Piso Frugi, L.: 57, 81, 141, 144 Cannae: 135, 138, 474 Capua: 84, 132 Carmentalien: 342, 348 Carmentis: 342 f., 346, 359, 363 Carrhae: 261, 268, 345, 347 Carvilius Maximus Ruga, Sp.: 434 Casetius Flavus, L.: 408 Cassandra: 248, 250, 252, 269, 307 Cassius Dio, L.: 152 Cassius Longinus, C.: 425 Cassius Vecellinus, Sp.: 110, 355, 452, 475 Castritius, H.: 24 Cerealien: 335, 341 Ceres: 206, 218, 228, 341 f. Chalcedon: 300 Christ, K.: 24 Cilnius Maecenas, C.: 74 f., 162, 235–237, 241, 242 f., 247, 318 Cimbern: 85–87, 242, 392, 468 Cipus: 320, 323–325, 329 f., 364 f., 369, 475, 501 Claudia Quinta: 358 Claudius Caecus, App.: 449 f., 453, 457 Claudius Crassus, App.: 295, 476 Claudius Drusus: 431 Claudius Marcellus, M. (268–208): 134 f., 139, 147, 182, 189, 197, 259 Claudius Marcellus, M. († 177): 150 Claudius Marcellus, M. (42–23): 182, 197 f., 250, 270, 303, 507 f. Claudius Nero, T.: 135, 297 Claudius Quadrigarius, Q.: 59 Claudius Sabinus Regillensis, App.: 109, 455 Claudius Sabinus Regillensis, C.: 112 Coelius Antipater, L.: 58 f. concordia/Eintracht: 21, 34, 54, 71, 89 f., 95, 99, 104, 106 f., 113 f., 116 f., 122, 125, 127 f., 133, 135, 137 f., 154, 157, 159, 161, 167 f., 189, 215, 226, 230, 296 f., 300 f., 304, 308, 353–355, 357, 362, 372, 380, 398, 423, 439, 457, 461, 469, 477, 484, 488

consensus (universorum, ordinum): 48, 184, 194, 196, 261, 352, 396, 446 Cornelius Balbus, L.: 185 Cornelius Cinna, L.: 393, 400 f., 412, 452 Cornelius Cossus, A.: 187, 197, 259 Cornelius Gallus, C.: 67, 201, 235 f., 239, 273 Cornelius Lentulus, Cn.: 137, 147 Cornelius Lentulus Gaetulicus, Cn.: 382 Cornelius Merula, L.: 145 f. Cornelius Scipio, Cn.: 132, 464 Cornelius Scipio, P.: 132, 135 f., 464 Cornelius Scipio Aemilianus, P.: 58, 152, 188 f., 299 f., 348, 390, 439 Cornelius Scipio Africanus, P.: 131, 135, 137, 147, 148 f., 160, 188 f., 348, 390, 463, 474 Cornelius Scipio Asiaticus, L.: 150, 189 Cornelius Scipio Nasica, P.: 145, 149 Cornelius Scipio Nasica Serapio, P.: 395 f., 413 Cornelii Scipiones: 132, 180, 461 Cornelius Sisenna, L.: 58 Coruncianus, T.: 434 Cornelius Sulla, L.: 58, 85, 88, 144, 152, 297–301, 308, 389, 392–394, 401, 410, 412 f., 416, 452, 454 f., 477, 480, 487 Cornelius Tacitus, P.: 22, 367, 376, 381 Cremutius Cordus, A.: 370, 383 Cumae: 105, 251 cupido/Begierde: 98–100, 117, 161, 190 f., 267, 336, 402, 407, 443 Dahlheim, W.: 24 Decii Mures: 171, 180, 187 f., 251–253, 259, 474 Dekadenz/Dekadenzdiskurs/Verfall: 21 f., 26, 34, 36, 38, 43, 51 f., 58–60, 65 f., 71–73, 77 f., 81–90, 97, 106, 115, 118, 131, 138, 141–143, 149, 152, 154 f., 159, 167 f., 173, 176–180, 186, 188 f., 198 f., 206, 208, 211–213, 215, 217, 221 f., 227, 230, 239, 253 f., 258, 264 f., 268–271, 275 f., 279 f., 281–285, 294, 296, 309, 313–315, 328 f., 335–338, 340 f., 359–361, 364, 368–372, 379, 381, 383, 389–393, 399 f., 404 f., 407 f., 410 f., 414 f., 417, 419, 421 f., 423, 425, 427 f., 430, 434, 436, 439, 441, 445, 447–453, 456 f., 459–463, 464, 466–469, 471–482, 480, 484–487, 492–498, 501–503, 505–507, 509–512 Demokrit: 61 Dench, E.: 42 dignitas: 96, 110, 402–405, 407 f., 410–412, 433, 436, 438 f., 467 f., 473 Dikaiarch: 168 Diodotos: 102

Allgemeines Register Dionysos: 183 disciplina: 82, 84, 110 f., 192, 463 f., 468 discordia/Zwietracht: 22 f., 94 f., 108, 113 f., 117, 123, 133, 136–139, 153–155, 157, 163, 240, 253, 280, 297, 300, 305 f., 353, 356, 360, 378, 422, 495 Domitian: 22 Domitius Marsus: 201 domus Augusta: 20, 259, 265, 303 f., 316, 319, 333 f., 342 f., 349, 355 f., 358 f., 360–365, 375, 378–380, 429, 476, 481, 495, 501 f., 508 f., 511 f. Drusus (Drusus Iulius Caesar), Sohn des Germanicus: 375 Drusus d.Ä. (Nero Claudius Drusus): 188, 348, 355, 432 Drusus d.J. (Tiberius Drusus Iulius Caesar): 320 Epochenjahr 146: 81, 85 f., 88, 157, 389, 393, 405, 414, 418, 420, 422, 436 f., 439, 457, 502, 509 Eder, W.: 24 Ehe- und Sittengesetze: 49, 53, 157, 256, 279 f., 327, 357, 371, 467 Eigler, U.: 42 Eintracht: s. concordia Ennius, Q.: 82, 173, 244 f. Epidius Marullus, C.: 408 Equitius, L.: 456 Euander: 35, 165–167, 172–174, 176–179, 186, 272, 307, 316, 339, 363, 493, 508 Eutrop: 152 Fabii: 160, 353, 461 Fabius Labeo, Q.: 146, 150 Fabius Maximus Allobrogicus, Q.: 445 Fabius Maximus Verrucosus, Q.: 133–137, 139, 148 f., 188 f., 296 f., 348 Fabius Pictor, Q.: 57 Fabius Vibulanus, Q.: 150 Fabricius Luscinus, C.: 299 Falernum: 119 Fannius, C. 81, 90 Fest der Toren: 357 Fidenae: 250 Flaig, E.: 24 Flaminius, C. (280–217): 135–137, 146, 149 Flaminius, C. († nach 181): 150 Floralien: 335, 357 Florus: 152 Fortschritt, fortschrittsfreundlich, -bejahend: 34, 41, 60–65, 166, 168 f., 171–176, 178, 183, 208 f., 212–214, 216, 218, 221, 231 f., 253, 258, 265, 268, 270, 275, 278 f.,

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281–283, 302, 306 f., 314, 337–341, 362, 364, 494 f., 496, 499, 502, 507, 509 Fortschrittskritik/fortschrittsfeindlich,-kritisch: 64, 166, 168, 208, 209, 212 f., 216, 221, 231, 253, 265, 275, 278, 314, 339 f., 494 Freiheit: s. libertas Fufetius Mettus: 187, 192 f., 195 Fulvius Flaccus, Cn.: 465 Fulvius Flaccus, M.: 455 Fulvius Nobilior, M.: 147, 149 f. Furcht: 92 f., 99, 100–102, 114, 123, 129, 157, 210, 216, 365, 376, 409 f., 424, 468–470 Furius Camillus, M.: 77, 118, 159 f., 187 f., 191, 296, 301, 355 f., 371, 461 Furius Purpureo, L.: 145, 147, 149 f. Gabii: 250 Gärtner von Tarent: 170, 208 Galinsky, K.G.: 47 f. Gallia, A.B.: 42 Garzetti, A.: 24 Germanicus: s. Iulius Caesar Germanicus, C. Gowing, A.M.: 43, 426 Habgier: s. avaritia Hannibal: 119, 133–135, 137 f., 140, 297, 454 Häußler, R.: 41 Helvius Blasio, M.: 147 Hercules: 183, 254, 256–259, 263, 276, 352 Hersilia: 353 Hesiod: 60, 176, 314, 362, 501 Heuß, A.: 24, 40 Hochmut: s. superbia Horatius Barbatus, M.: 114 f. Horatius Cocles: 159 Hortensius, L.: 144, 148 Hose, M.: 42 Hostilius Mancinus, C.: 464 Ianus: 71, 157, 335–338, 354, 360, 362–364, 371, 502 Iulier, iulisch: 19–24, 25 f., 40 f., 162, 182 f., 197, 251, 262, 289 f., 292, 295 f., 300, 302, 321, 325 f., 332, 334, 343, 346 f., 349, 351, 354, 356, 359 f., 365, 367, 371, 377, 381, 445, 495 f., 510 Iulius Caesar, C. (100–44): 10, 73 f., 88, 152–154, 156, 183 f., 188–190, 196, 250 f, 261, 276, 279, 292, 300, 304, 312, 318, 320, 322, 324–326, 328, 330 f., 344 f., 347 f., 351, 357, 361, 387, 389, 394, 401–411, 413, 417, 446, 479 Iulius Caesar, C. (20 v. Chr.–4. n. Chr.): 288 Iulius Caesar Germanicus, C.: 68, 333 f., 342, 349, 354, 361, 365, 377–379, 382, 431 f., 509

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Allgemeines Register

Iulius Caesar Germanicus, Nero, Sohn des Germanicus: 375 Iulius Caesar, L.: 288 Iulius Hyginus, C.: 68, 97 Iulius Iulus, C.: 295 Iulus: 183, 251, 320 Licinius Brutus, D.: 425 Iunius Brutus, L.: 157, 188, 189–191, 251–253, 259, 264, 306, 452, 474 f. Iunius Brutus, M.: 156, 187, 190, 383, 425 Iuppiter: 35, 70, 167, 170, 179, 181 f., 185 f., 194, 196, 208 f., 212, 224 f., 227 f., 244, 249 f., 254, 258–260, 263, 265, 269, 275, 307, 313–320, 322, 325–328, 330, 226, 338–340, 342, 349 f., 362, 369, 388, 446, 460 Kallimachos: 242, 247 f., 266, 311, 333 Karthago: 37, 52, 82, 85–89, 106, 133, 137, 151 f., 154 f., 199, 242, 271, 336, 369, 371, 382 f., 386, 389–393, 409, 411, 413 f., 436, 439, 450 f., 457, 479, 492–494, 505, 509–511 Kelten: 144, 187, 468 Kersting, W.: 99 Kienast, D.: 24 Kleopatra: 184 f., 193–196, 243, 260 f., 243, 260 f., 326 Klingner, Fr.: 145 Korkyra: 101, 205, 208 Korinth: 188, 390 Kronos: 172 f., 227 Laren: 51, 206, 208, 215, 222, 232, 342 f. Lars Porsenna: 103, 113, 184, 193, 195 Latiner, latinisch, Latinerkönige: 35, 108, 118, 163, 165, 181, 250–252, 262, 267, 289, 290, 292, 320 f., 346 Levick, B.: 24 lex Hortensia: 394 lex de imperio: 20 lex Iulia de adulteriis: s. Ehe- und Sittengesetze lex Iulia de maritandis ordinibus: s. Ehe- und Sittengesetze leges Liciniae Sextiae: 98 f., 109, 142, 355 lex Oppia: 131, 142, 358, 451, 453 libertas/Freiheit: 22, 43, 48 f., 52, 71, 91–96, 100, 103–105, 107–115, 116–118, 122–129, 140, 156 f., 160, 184, 187–197, 201, 243, 252 f., 264 f., 295, 298 f., 319, 324, 326 f., 334, 338, 345, 349, 358, 361, 364 f., 376 f., 382 f., 395 f., 400, 403–406, 408–414, 416–419, 425, 429–431, 433–435, 437–440, 455, 469, 474–476, 484, 487, 495 f., 502

libido: 84, 148, 446, 453 f. licentia /Willkür: 93, 95, 103, 108, 110, 121, 131, 144 f., 147, 149, 157, 160, 188, 306, 393, 408, 410, 413, 431, 451 f., 470 f. Licinius Crassus Dives, M.: 88, 188, 200, 244, 261, 288, 300, 344–346, 371, 394, 402, 405, 413 Licinius Crassus, M. (* ca. 60): 258 f. Licinius Crassus, P.: 144, 148 Licinius Lucullus, L.: 85, 300, 405 Ligurer: 171 Livia: 51, 256–258, 274, 316, 327, 354, 375 Livilla: 431 Livii Drusi: 187 f., 398 Livius Drusus, M.: 389, 398 f., 412, 455 Livius Salinator, M.: 135, 188, 297, 404 Lupercalien: 338–340, 356 Luce, T.J.: 158 Lucretia: 159, 210, 476 Lucretius Gallus, C.: 144, 148 Verginia: 476 luxus/luxuria: 52, 64 f., 77, 81, 83 f., 106, 141–143, 177, 210, 221, 233, 254, 280–285, 316, 329, 337, 354 f., 358–360, 390 f., 423, 450–457, 462, 468, 499, 509 Lutatius Catulus, Q.: 445 Lycaon: 313, 317 f. Mäckel, I.: 42 Maelius, Sp.: 395 Mäßigung: s. moderatio Manilius, M.: 38, 68, 417 Manlius Acidinus, L.: 145, 147, 149 Manlius Capitolinus, M.: 187, 194–196, 355 Manlius Imperiosus Torquatus, Ti.: 181, 187–190, 348, 464, 475 Manlius Torquatus, Ti. († 202): 117 f. Manlius Vulso, Cn.: 141, 144, 150 Mann, G.: 7 Marcius Coriolanus, Cn.: 111, 124, 130, 295 Marius, C.: 88, 152, 171, 242, 297–299, 301, 308, 389, 393 f., 397 f., 400 f., 412 f., 416, 434, 452, 454, 461–463, 480 Mars: 225, 229, 251, 286, 288, 294, 300, 304 f., 322 f., 326, 344–347, 351, 353, 388, 463 f. Marser: 171 Messalinus: s. Aurelius Cotta Maximus Messalinus, M. Metaurus: 133, 138, 187 f., 297 metus hostilis: 85, 89 f., 92 f., 105–107, 112, 114, 123, 132–134, 138 f., 153–155, 157, 160 f., 196, 329, 391 f., 421 f., 437, 451, 453 f., 456 f., 480 f., 485 f., 497, 504 f., 509

Allgemeines Register Miles, Gary B.: 77 Mineo, B.: 77 Minucius Rufus, M.: 135–137, 297 Minucius Rufus, Q.: 149 moderatio/Mäßigung: 92, 94, 95 f., 100, 105, 108, 122 f., 126, 128, 130, 372, 380, 447, 469 f., 473, 478 f. modestia: 122, 372 Molo: 461 f. Mommsen, Th.: 24 Montesquieu, Ch.-L. de Secondat, Baron de La Brède et de: 22 f. mos (maiorum), mores: 36, 47 f., 52 f., 57, 73, 82–84, 87, 89 f., 110 f., 135 f., 138, 142 f., 145, 147, 149–151, 154 f., 166, 173–175, 177, 179, 183, 188, 191 f., 203 f., 206, 209–211, 213, 217, 233 f., 239, 256, 263, 267, 272, 276 f., 283, 285, 305, 316, 319, 327, 336–338, 353, 361, 371 f., 379, 392, 419, 433, 440, 458 f., 462, 646, 475, 479, 484, 487, 492–494, 496, 499, 508 Mummius Archaicus, L.: 188, 390, 434, 439 Munatius Flaccus: 454 Mytilene: 102 Naevius Cordus Sutorius Macro, Q.: 378 Nero: 22 f., 32, 40, 431 Niebuhr, B.G.: 23 f. Numa: 181, 255, 320, 323, 329, 353, 364 Numantia: 58, 299, 464 Numitor: 252, 321, 329 Opimius, L.: 355 f., 395 f., 413 Osgood, J.: 42 Pales: 206, 228 Pallas: 342 Papirius Cursor, L.: 296 f. Parilien: 223, 226, 228–230, 232, 250, 255 f. parsimonia: 83 f., 87 pax/Frieden: 21, 34, 47, 50, 52–55, 61, 66–68, 71, 81, 88 f., 102–104, 108, 122 f., 118 f., 127, 129, 134, 154, 157 f., 167, 174–176, 178, 180, 182–185, 196 f., 199 f., 203–206, 209, 211 f., 214–217, 219 f., 224, 226–233, 237, 244, 253, 262 f., 265, 267–269, 272, 285, 287, 304, 305–307, 317, 319, 325–327, 329, 333, 338, 340, 343, 345, 353–356, 359–361, 370, 380, 388 f., 407, 419 f., 423, 428, 440, 446, 450, 456, 463, 468 f., 486, 491, 494–496, 500–502, 508–510, 512 paupertas/Armut: 83–85, 102, 107, 121, 206 f., 225, 239, 255, 279, 336, 448, 451, 462, 472, 478 Peripetie, Peripetiediskurs: 61, 78, 81–83, 199, 221, 264 f., 453, 469, 493, 504

557

Perusinum: 156, 195 Platon: 65, 101, 120–122, 159, 176, 498 Plautius Venox, L.: 119 Pleminius, Q.: 138, 148 f. Pleonexie: 64, 100 f., 116, 153, 157, 160, 215 f., 230, 315 f., 335–337, 341, 364, 369, 371 f., 497, 511 Polybios: 52, 59, 81, 84, 86–90, 97, 121, 126, 130 f., 182, 383 Pompeius Magnus, Cn.: 22, 47, 58, 88, 127, 152–154, 156, 183, 188–190, 250, 300, 306, 322, 348, 385, 387, 389, 394, 401–408, 410–413, 424 f., 429, 432, 437 f., 441, 459, 479 Pompeius Magnus Pius, Sex.: 156, 326, 410 Pomponius Atticus, Ti.: 68, 126, 288 Popilius Laenas, C.: 145, 149 Porcius Cato Maior, M.: 81, 85, 131, 142, 148 f., 151, 171, 187, 189, 434, 452 Porcius Cato Minor, M.: 187, 189, 190, 196 Poseidonios: 52, 63, 81–90, 173, 175, 218, 392 Postumius Albus Regillensis, A.: 299 Postumius Megellus, L.: 145 Postumius Tubertus, A.: 464 Protagoras: 61 Pyrrhus: 152, 292 Pythagoras: 314, 321, 330 Quinctius Capitolinus, T.: 109, 113–115, 158 Quinctius Flamininus, L.: 148 f. Quinctius Flamininus, T.: 141, 145, 148 f. recusatio: 55, 206, 242, 245, 247, 266, 274, 343, 350 f., 375 Remus: 187, 189, 255, 242–244, 246, 249, 251, 253, 264, 321, 342, 351, 356–358 Rhea Silvia: 225, 229, 251 Robigalien: 335, 341 Romulus: 50, 52 f., 170, 187, 189, 192, 195–197, 225, 246 f., 249–252, 255, 259, 260, 276, 289 f., 320–324, 329 f., 336, 342, 346–348, 350–353, 356–358, 360, 364, 369, 382, 463, 501 Rutilius Rufus, P.: 58 Sabeller: 171 Sabiner, sabinisch: 114, 171, 192, 192, 195 f., 255 f., 325, 329 f., 351, 353 Saecularfeier: 34 f., 47–56, 67 f., 71, 133, 181, 200, 202, 223 f., 230, 232, 236, 253, 264, 270, 272–274, 277, 305 f., 311, 316, 344, 370, 372, 437, 463 Sagunt: 135 Samniten: 152 Saturn/saturnisches Zeitalter: 35, 52, 165–167, 169–189, 191, 198–200, 204, 209 f., 224,

558

Allgemeines Register

227–229, 232, 267–271, 275, 277 f., 306 f., 314–317, 328, 335–340, 363, 369 f., 492 f., 506–508, 512 Schmidt, E.A.: 29, 31 Scribonius Curio, C.: 406 Scythen: 170, 185 Sehlmeyer, M.: 42 Sempronius Asellio: 58, 97 Sempronius Gracchus, C.: 23, 52, 57, 88, 152, 155, 189, 295, 355, 389, 394–397, 399, 409, 412 f., 416–418, 436, 476, 487 Sempronius Gracchus, Ti. († 154): 145 f. Sempronius Gracchus, Ti. (162–133): 23, 52, 57, 88, 152, 155, 189, 295, 355, 389, 394–397, 399, 409, 411, 413, 416–418, 436, 456, 476, 487 Sempronius Longus, Ti.: 135–137, 145 Sergius Catilina, L.: 187, 196, 475 Servilius Glaucia, C.: 289, 389, 397 f., 399, 412 f., 416 Servilius Geminus, Cn.: 135 f. Servilius Nonianus, M.: 382 Servilius Priscus, P.: 455 Servilius Vatia Isauricus, P.: 348 Servius Tullius: 77, 250, 353, 357 Sion-Jenkis, K.: 43 spolia opima: 197, 258 f. Statilius Taurus, T.: 434 Strobel, K.: 42 Suetonius Tranquillus, C.: 291, 302, 381 Sulpicius Rufus, P.: 400, 412 superbia/Hochmut: 92 f., 103, 105, 144, 157, 473 Syme, R.: 47 Syrakus: 102, 131 f., 142 f., 148, 155, 189, 452 Tacita: 358 Tarent: 131 Tarpeia: 254–256, 259, 263, 265 Tarquinius Superbus: 92, 154, 156 f., 188, 190 f., 193–195, 299, 383, 452, 457 Tatius: 187, 195 f., 249, 255 f., 321–323, 329 Terentilius Harsa, C.: 109 Terentius Varro, C.: 135–137 Terentius Varro, M.: 36, 66–68, 97, 166–169, 176, 179, 283, 288, 321, 340, 363, 401, 473 Thukydides: 101–103, 130, 497 Traian: 40, 423 Trasimenischer See: 135 f., 138 Trebia: 135 Trebonius, C.: 425 Troia/Troianer/troianische Geschichte/ troianischer Krieg: 50, 53 f., 59, 162 f., 165, 170, 172, 181, 184, 186, 193, 198, 223,

225, 227, 229, 232, 248–252, 254, 260, 262 f., 267–270, 292 f., 305, 307, 312, 321, 325, 342–344, 346 f., 352, 356, 359, 369, 371, 494, 502, 506, 510, 512 Tullius Cicero, M.: 66, 85, 88, 92, 99, 121, 123–128, 159 f., 382 f., 396 f., 414, 434, 443, 462, 498 Tullius Cicero, Q.: 126 f. Tullus Hostilius: 187, 192 f., 235, 239, 250 Valerii: 160 Valerius Antias: 59 Valerius Catullus, C.: 66 Valerius Corvus, M.: 348 Valerius Messalla Corvinus, M.: 74, 201 f., 204–208, 211–214, 217–220, 223, 228, 230–234, 307, 493 f., 508 Valerius Potitus, L.: 114 Vedius Pollio, P.: 282, 354 f. Venus: 181 f., 215, 220–222, 251, 278 f., 288, 292, 320, 325 f., 345, 357, 359 Verfall: s. Dekadenz(diskurs) Vertumnus: 254 f., 263, 265 Vespasian: 382, 423 Vesta: 255, 342, 353, 388 Vestalien: 353 Vinicius, M.: 383, 385 f., 389, 435, 439, 383, 385 f., 389, 435, 439 Vipsanius Agrippa, M.: 74 f., 295, 303, 318, 432, 434 virtus/Tugend/Tugendhaftigkeit: 50, 53, 83 f., 90, 92, 106, 122, 157, 164, 167 f., 171, 190 f., 199, 250, 284, 298, 301, 347 f., 401, 403, 423, 430, 434, 424, 443, 446, 449–451, 457 f., 466, 468, 472 f., 476–481, 505, 508 f. vitium/Laster, Fehler: 72, 82, 135, 154, 337, 390, 410, 442, 449, 453, 457, 469, 471, 479 f., 504 Vitruvius Pollio, M.: 67 Volcacius Tullus: 235 Volscer: 171 Walter, U.: 76, 160 Weiler, I.: 24 Weltgedicht: 65 f., 203 Weltmacht: 48, 81, 162, 170, 178, 180, 190, 211, 225 f., 229, 242, 262, 268, 300 f., 304, 306 f., 330, 336, 342, 365, 371, 389, 403, 449, 466, 472, 486 Wiegand, I.: 43 Willkür: s. licentia Winterling, A.: 24 Witschel, Chr.: 42 Xenophon: 61

Allgemeines Register (Pseudo-)Xenophon: 120 f. Zama: 138 Zeitalter: – Ehernes: 315 – Eisernes: 65, 167, 172, 180, 215, 220 f., 224, 269, 311, 314–319, 362, 368 f., 501, 507, 512

559

– Goldenes: 35 f., 53, 65–67, 69, 164–179, 180–186, 191, 196–200, 203 f., 208–211, 215, 220 f., 224, 227, 229 f., 249, 253, 264, 268–272, 275, 277, 280, 305–307, 311, 314–319, 324 f., 329 f., 337, 362, 368–372, 437, 491–493, 500 f., 503, 506–509 Zinn, E.: 65

STELLENREGISTER 1. LITERARISCHE QUELLEN Appian civ. I 26: 355 I 128–133: 397, 412 I 136: 397 I 155–164: 398 II 9: 401 II 107–111: 406 IV 4: 226 IV 38: 228

34: 48, 49, 415, 416, 417, 418, 419 35: 290, 297

Lib. 69: 88

Gall. VII 77,3–16: 143

Asconius Pro Cornelio 61: 399

Calpurnius Piso FRH 7 F 7: 256 FRH 7 F 26: 57 FRH 7 F 37: 141 FRH 7 F 41: 85

Auctor ad Herennium IV 68: 395, 409 Augustinus civ. XVIII 15: 172 Augustus R. Gest. div. Aug. 1: 47, 49, 315, 410 3,1: 354 3,3: 51, 418 8: 49, 418, 419 13: 49, 415 16,1: 418 19–21: 50 21,1: 289 22,2: 53 25 f.: 183 26 f.: 50 26,2: 354 27,1: 354 29: 50 29,2: 288 30: 354 31–33: 185

Caesar civ. I 1–11: 406 I 4,4: 403 I 7,7: 403 III 91,2: 96

Cassius Dio IV 17,6–12: 106 V 18,2–6: 106 VII 35,11: 119 XIV 57,24: 137 XXVIII 96,1: 399 XXXVII 56,1–4: 402, 406 XLI 5: 406 XLV 17,5: 226 XLVIII 50,3: 171 L 10,1: 228 LI 19,2: 260 LII 42,1–3: 419 LIII 1,4 f.: 260 LIII 2,3: 51 LIII 26,1: 197 LIII 28,3: 197 LIII 30,5: 197 LIII 31,2: 197 LIII 33,4 f.: 316 LIV 13 f.: 419 LIV 16,3–5: 283 LIV 18,2: 53 LIV 19,8: 260 LIV 35,1: 419

LV 4,3: 319 LV 10,2–5: 288 LV 10,3: 290, 303 LV 14–22: 319 LVI 25,1: 355 LVI 31,1: 375 LVI 34,3: 367 LVI 44,1: 195 LVII 7,1–11,3: 428 LVII 10,3: 429 LVII 11,3: 381 Cato Maior FRH 3 F 1,11: 320 FRH 3 F 2,14: 136 FRH 3 F 2,22: 171, 192 FRH 3 F 3,9: 171 FRH 3 F 4,10: 171 FRH 3 F 5,3: 85 Catull 64: 66 Cicero Att. VIII 9,4: 406 Brut. 75: 461 103: 411 128: 396 173: 461 224: 397, 412 332: 461 Cat. 1,4: 397, 412 1,14: 454 1,29: 397, 412 3,15: 397 Cato 11: 136

562

Stellenregister

Cluent. 153: 398, 399

Mil. 83: 396

Sest. 140: 395, 396

de or. I 13: 461 I 24: 398 I 171: 148 III 135: 148 III 197: 461

Mur. 31: 150

Tusc. I 3: 461 IV 3: 461

dom. 41: 399 49: 235 82: 397

off. I 16 f.: 119 I 26: 404 I 53: 405 I 64: 404 I 124: 404 II 27–29: 143 III 82: 406

inv. I 2,2: 173, 175 fam. VIII 14(97),3: 407 fin. I 23: 190 Flacc. 62: 461 har. resp. 41: 397, 411 43: 397, 411 51: 397 leg. agr. 1,23: 423 2,8: 423 2,14: 397, 412 leg. II 14: 399 II 31: 399 III 10: 126 III 12: 126 III 15–17: 126 III 17: 127 III 19–22: 127 III 20: 136, 397 III 23–26: 127 III 26: 126 III 28: 128 III 30 f.: 126 Marc. 23: 423

nat. II 159: 215 III 69 f.: 214

rep. I 34: 126 I 43: 403, 405 I 51–53: 128 II 1: 148 II 27: 126 II 50: 128 II 53–59: 128 II 62: 128 IV 6: 460 VI 2: 141 VI 9: 146 Phil. 5,47: 142 8,15: 397, 412 Pis. 95: 395, 396 Planc. 23: 250 33: 404 70: 395, 396 88: 396 Quint. frat. I 1,23: 119 Rab. perd. 16: 398 19–21: 397 20: 456 28: 397, 412

Vat. 23: 399 Verr. II 4,108: 395, 411 II 4,147: 461 Claudius Donatus Verg. Aen. VI 798 ff. p. 609,25–610,3: 185 VI 801 ff. p. 610,4–11: 183 VI 824 f. p. 612,12 ff.: 187 VI 825 p. 612,14 ff.: 190 VIII 317 p. 159,23–26: 174, 175 VIII 317 p. 160,2–4: 175 VIII 321 p. 160,14 f.: 174 VIII 321 p. 160,16: 173 VIII 322 p. 160,18 f.: 173, 174 VIII 322 p. 160,21: 173, 174 VIII 325 p. 160,27: 173 VIII 325 p. 161,3: 173 VIII 326 p. 161,14 f.: 176 Cornelius Nepos Att. 20,3: 258 Cat. 2,3–3,2: 148 Dikaiarch Frg. 55: 168 Diodor I 8: 214 I 15,8: 212 I 17,1: 212 I 19 f.: 218 I 20,4: 212 III 64,1: 218 IV 1,16 f.: 212 XXVIII 13: 141

563

Stellenregister XXVIII 14: 140 XXXI 24: 85 XXXVIII 16: 299 Dionysios von Halikarnassos Ant. I 10,1 f.: 173 I 36: 171 I 38,1: 172 I 39,4: 257 I 71,1: 320 I 77: 225 II 25,6: 460 II 38,1–40,3: 256 II 56,3: 322 II 56,4: 357 III 30,7: 193 IV 53,1: 250 V 1,2: 91 V 53,2: 105 VI 22–24: 106 VI 22,1: 105 XI 53–61: 109 XI 54: 112 XIV 13: 119 XIX 5: 462 Donatus Vita Verg. 31: 163 39 f.: 163 41: 163 Ennius 214 Va: 173 500 Va.: 82 Euripides Bacc. 279: 218 Fabius Pictor FRH 1 F 10: 256 FRH 1 F 30b: 136 FRH 1 F 32: 136

II 4,1: 456 II 4,6: 397 II 5: 398, 399 II 6,3: 399 II 13,10–12: 402

I 15,9: 250 II 1,258–60: 242

Herodot II 42: 212 II 144 f.: 212

epod. 2: 34 3: 66 7,17–20: 170 9,11: 184 16: 34

Hesiod op. 150 f.: 215 233: 218

serm. I 3,99–117: 34, 66 I 4,109 f.: 201 II 1,12–15: 242

Homer Il. III 171–242: 181

Iustin XXIX 3,1: 143 XXX 1,1–2,6: 140 XXXVIII 4–7: 143 XLIII 1,3: 174

Horaz ars 391–399: 34, 66 carm. I 6,5–12: 242 I 12: 34, 69, 180, 187 I 37: 184 II 1,1 f.: 85 II 1,24: 187 II 15,10–20: 34 III: 294 III 3: 170 III 4,49–80: 228 III 5,2 f.: 328 III 14: 257 III 21,7 f.: 213 III 24,9–24: 170 III 24,47–50: 171 IV: 294 IV 5,29 f.: 219 IV 15: 50 IV 15, 25–32: 461

Festus 202 L.: 172

carm. saec. 29–32: 53 37–44: 53 58 f.: 53 67 f.: 53

Florus I 20,4: 136 I 22,24: 134 I 23,2–5: 140

epist. I 4,2: 201 I 11,7 f.: 250 I 12: 50

Iuvenal 7: 55 13,57: 218 14,182–184: 218 Livius Ab urbe condita Praef. 1 f.: 87 Praef. 2: 72, 74 Praef. 3: 86 Praef. 4: 71, 74, 86 Praef. 9: 72, 82, 87, 392 Praef. 10: 73, 83 Praef. 11: 85, 392 Praef. 11 f.: 83, 391 Praef. 12: 83, 84, 85 I 1 f.: 173 I 3,2: 320 I 4,2: 225 I 7,10–12: 257 I 11,5–9: 256 I 12,1: 256 I 13 f.: 192 I 13,2: 322 I 14 f.: 250 I 16,4: 357 I 16,4–8: 322 I 17,3: 96 I 18,4: 82, 192 I 19,3: 71, 157 I 23,1: 192 I 27–29: 250

564 I 27,1 f.: 192 I 28,4–9: 192 I 28,11: 192 I 32,4: 123 I 53 f.: 250 I 56,2: 157 I 57,9: 210 II 1: 392, 405 II 1,1: 91 II 1,2: 93 II 1,7: 91 II 1,9: 103 II 1,10: 125 II 2,2: 96 II 2,4–7: 96 II 3–5: 190 II 4,1–4: 112 II 7,11: 96 II 8,5–8: 193 II 9,1–4: 96 II 9,2–4: 103 II 9,6: 104 II 9,8: 104 II 10,8: 96 II 15,2–4: 96 II 21,5 f.: 105 II 21,6: 87, 105, 106 II 22,2: 107 II 23,2 f.: 108 II 23,3–7: 106 II 27,10: 111 II 27,11: 111 II 29,9: 110 II 30,1: 123 II 30,2: 100 II 32,9: 84 II 34: 110 II 34,10: 111 II 41,2: 109 II 41,3: 110 II 42,6: 109 II 44: 109 II 44,2–6: 112 II 47,10 f.: 150 II 50,15: 296 II 52,2: 107 II 54,1 f.: 107 II 54,2: 108 II 54,10: 112 II 55,1: 112 II 55,2: 108 II 57,3: 115 II 64,3: 112

Stellenregister III 9,1: 108 III 10,8: 108 III 10,10: 110 III 10,14: 110 III 11,13: 109 III 13,6: 123 III 14,5: 112 III 14,6: 112 III 16,4: 107 III 19–21: 470 III 28,2 f.: 96 III 37,1 f.: 110 III 37,5: 108 III 39,2: 108 III 39,4: 104 III 39,7 f.: 96 III 39,8–10: 114 III 53,8 f.: 116 III 53,8–10: 110 III 55,2: 110 III 55,4: 108 III 56,1: 108 III 56,6: 108 III 59,3: 124 III 59,4: 110 III 63,7–10: 146 III 63,10: 116 III 66,6: 113 III 67,7–10: 114 III 67,10: 158 III 68,3: 114 III 68,3 f.: 114 III 68,6: 113 III 68,6–8: 114 III 68,10: 113 IV 1,1: 109 IV 1,4: 112 IV 2,2–4: 110 IV 2,4: 111 IV 2,7 f.: 112 IV 2,11: 111 IV 3,1–3: 109 IV 3,2–17: 118 IV 3,8 f.: 109 IV 5,2: 108 IV 5,5: 108 IV 6,1: 112 IV 6,6 f.: 112 IV 6,10: 96 IV 7,8 f.: 125 IV 8,2: 82 IV 15,6: 110 IV 16,2 f.: 109

IV 20: 155 IV 20,7: 258 IV 25,1: 109 IV 25,9: 107, 109 IV 25,13–26,11: 116 IV 35,5–36,2: 109 IV 44,5: 108 IV 48,7: 112 IV 54,4 f.: 109 IV 56 f.: 116 IV 58,12: 108 IV 60,1 f.: 109 V 2,12: 108 V 6,17: 110, 111, 116 V 8 f.: 116 V 12,7–13: 109 V 12,8: 108 V 20: 109 V 22: 107 V 23,11: 109 V 29,6 f.: 109 VI 2,13: 109 VI 8: 112 VI 12,2: 97 VI 17,1 f.: 109 VI 18,12: 108, 109 VI 19,1: 96 VI 21,5: 112 VI 27,7 f.: 108 VI 35,6: 99 VI 36,8 f.: 109 VI 37,2: 108 VI 37,11: 108 VI 38,5: 109 VI 39,5–12: 109 VI 40,7: 110 VI 41,4–11: 112 VI 41,10: 125 VI 42,8: 146 VII 1,7: 108 VII 7,5: 125 VII 12,4: 107 VII 13,11: 120 VII 17,6–9: 112 VII 17,7: 96 VII 19,4–6: 109 VII 21,4: 109 VII 21,5–8: 125 VII 22,2: 109 VII 22,7: 125 VII 25,6: 108 VII 29,2: 86 VII 33,3: 404

Stellenregister VII 38,5: 84 VIII 4,3: 108 VIII 7,14–8,2: 190 VIII 7,16: 82 VIII 12,4–13: 116 VIII 13,3: 123 VIII 13,11–18: 118 VIII 20,10–21,10: 119 VIII 21,2: 119 VIII 21,6 f.: 119 VIII 28,1: 108 VIII 31–35: 116 VIII 32,7: 82 VIII 40,4 f.: 79 IX 12,4: 107 IX 16,9: 82 IX 17–19: 161 IX 17,6: 156 IX 20,10: 82 IX 29,5–8: 119 IX 45,5: 119 IX 45,10–13: 107 X 9,3: 109 X 9,4: 129 X 15,10: 123 X 37,6–12: 145, 146 X 46,6: 109 X 47,6 f.: 325 XXI 1,1–3: 131 XXI 16,2–6: 135 XXI 10: 135 XXI 25,10: 131 XXI 28 f.: 297 XXI 46,9: 131 XXI 50,4: 131 XXI 52 f.: 135 XXI 53,3–7: 136 XXI 53,8–11: 136 XXI 57,1 f.: 133 XXI 57,8: 131 XXI 63: 136 XXII 1,5–20: 136 XXII 3: 136 XXII 4,4–7: 136 XXII 4,11: 134 XXII 5,7: 131 XXII 7,6–14: 133 XXII 12,6 f.: 136 XXII 13,9–11: 119 XXII 13,11: 135 XXII 23,1–3: 136 XXII 23,3: 131 XXII 25: 134, 136

XXII 25,12: 133, 134 XXII 25,17: 133, 137 XXII 25,18–26,1 f.: 137 XXII 27,4: 297 XXII 29,4–6: 131 XXII 29,10: 297 XXII 34,2: 137 XXII 40,1–3: 133 XXII 41,1: 131 XXII 60,1 f.: 133 XXII 61,2: 135 XXIII 8,6: 84 XXIII 18,10–16: 84 XXIII 25,1 f.: 133 XXIII 25,1–3: 134 XXIII 31,13: 134 XXIII 49,3: 134 XXIV 5,5: 84 XXIV 18,14: 134 XXIV 21,3: 84 XXIV 39,6 f.: 131 XXV 3,19: 134 XXV 4,4 f.: 134 XXV 6,3–23: 135 XXV 7,1–4: 135 XXV 14,1–10: 131 XXV 19,15: 131 XXV 23,1: 131 XXV 31,9: 131 XXVI 6,1: 131 XXVI 9,6–8: 133 XXVI 19,1: 134 XXVI 21,1–10: 147 XXVI 22: 117 XXVI 22,14 f.: 76 XXVI 24,11–14: 134 XXVI 26,5–9: 135 XXVI 35: 134 XXVI 35,4–7: 133, 134 XXVI 36,2–9: 134 XXVI 46,10: 131 XXVII 1,11: 131 XXVII 5,15–18: 134 XXVII 6,1–12: 134 XXVII 8,1–3: 134 XXVII 15,9–16: 131 XXVII 16,6–8: 131 XXVII 20,9–21,5: 134 XXVII 35,7–10: 135 XXVII 40,8 f.: 135 XXVII 44,1–10: 134 XXVII 45,7: 134 XXVII 51,10: 138

565 XXVIII 9,7–16: 470 XXVIII 20,6 f.: 131 XXVIII 23,4: 131 XXVIII 26,11–29,12: 131 XXVIII 27,12: 82 XXVIII 38,2–5: 147 XXVIII 38,12: 138 XXVIII 40,1: 137 XXVIII 40,2: 138 XXVIII 45,7: 134 XXIX 6,3: 131 XXIX 8,6–9: 148 XXIX 11–14: 133 XXIX 16,4–18,20: 148 XXIX 14,2–4: 134 XXIX 17,4: 148 XXIX 17,18: 84, 148 XXIX 19–22: 148 XXIX 37,18: 134 XXX 2,1 f.: 141 XXX 6,4: 131 XXX 17,5: 134 XXX 25,1–3: 131 XXX 27,2: 137 XXX 28,1–9: 134 XXX 40,7: 137 XXXI 1,1 f.: 140 XXXI 1,6: 140 XXXI 4,1–3: 144 XXXI 6,2–6: 145 XXXI 7,2–15: 145 XXXI 15,10 f.: 141 XXXI 20: 147 XXXI 20,1–7: 145 XXXI 31,17: 84 XXXI 49,4 f.: 144 XXXI 49,10: 147 XXXII 1,6: 144 XXXII 7,4: 145, 147 XXXII 7,9–11: 145 XXXII 12,7: 148 XXXII 21,21: 84 XXXII 28,1–8: 145 XXXIII 9,6–11: 140 XXXIII 20,1–10: 145 XXXIII 22 f.: 145, 146 XXXIII 25,4–7: 145 XXXIII 30,1 f.: 141 XXXIII 32,10: 84 XXXIII 34,1–35,12: 141 XXXIII 35,8: 146 XXXIII 37,10–12: 150 XXXIV 1,1–8,3: 142

566 XXXIV 4,3–5: 131 XXXIV 10,3–5: 147 XXXIV 22,4: 141 XXXIV 41,3: 141 XXXIV 45,1–5: 144 XXXIV 49,11: 141 XXXIV 51,4–6: 141 XXXIV 53, 1–3: 144 XXXV 4 f.: 147 XXXV 8: 145 XXXV 10,1–11: 142 XXXVI 3,4–6: 145 XXXVI 6,2: 82 XXXVI 11,2–4: 84 XXXVI 17,14–16: 140 XXXVI 31,5: 141 XXXVI 39,6–40,10: 145 XXXVII 47,1 f.: 144 XXXVII 52–54: 141 XXXVII 57: 142 XXXVII 58,6–59,6: 150 XXXVII 60,2–7: 150 XXXVII 60,6: 145, 146 XXXVIII 17: 84 XXXVIII 17,12: 82 XXXVIII 35,6: 141 XXXVIII 36,7–9: 144 XXXVIII 37: 141 XXXVIII 43,1–44,6: 147, 148 XXXVIII 45 f.: 144 XXXVIII 47,1: 144 XXXVIII 47,5: 145, 146 XXXVIII 50,3: 147 XXXVIII 50,8 f.: 404 XXXIX 3,2 f.: 144 XXXIX 4: 147 XXXIX 4,3–5,5: 145, 146 XXXIX 5,2–5: 145 XXXIX 5–7: 141 XXXIX 6,6–9: 141 XXXIX 8,6: 84 XXXIX 8,8–12: 148 XXIX 8,12: 148 XXXIX 25,11: 141 XXXIX 32,5–13: 142 XXXIX 33 f.: 141 XXXIX 39: 142 XXXIX 40: 151 XXXIX 40 f.: 142 XXXIX 42,5–43,5: 148, 149 XXXIX 44,10: 144 XXXIX 48,5: 141 XXXIX 55,5 f.: 144

Stellenregister XL 20: 141 XL 29,1 f.: 144 XL 29,3–13: 146 XL 29,12: 144 XL 38: 150 XL 43,1: 144 XL 44,1: 142 XL 59,1–3: 150 XLI 1–5: 149 XLI 7,4–10: 149 XLI 6,1–3: 144, 145 XLI 13,5: 144 XLI 17,6–10: 141 XLI 20,11: 84 XLI 25: 141 XLII 1,6: 141 XLII 3: 148 XLII 4,3: 144 XLII 7,4–9: 148 XLII 8: 148 XLII 19,1: 141 XLII 21 f.: 145 XLII 22,4–7: 149 XLII 38,6: 141 XLIII 1,4–12: 149 XLIII 2: 148 XLIII 2,2: 144 XLIII 2,12: 148 XLIII 4: 144, 149 XLIII 4,5 f.: 145, 148 XLIII 5: 144 XLIII 6: 144 XLIII 7,4: 144 XLIII 7,7–8,10: 145, 148 XLIII 7,8: 144 XLIII 11,2: 148 XLIII 16: 146 XLIII 16,2–16: 141 XLIV 1,9–12: 140 XLIV 9,4: 141 XLIV 14,1–15,8: 141 XLIV 18,8: 141 XLIV 19,6–14: 141 XLIV 24,1: 96 XLV 8,1–6: 140 XLV 13: 141 XLV 17 f.: 141 XLV 20,4–25,13: 141 XLV 21: 146 XLV 26,11–15: 141 XLV 29: 141 XLV 29 f.: 141 XLV 32,10: 141

XLV 35: 147 XLV 39,13: 84 XLV 42,1–4: 141 XLV 44,4–21: 141 perioch. XII: 462 XX: 136 XLIII: 144, 148 LVIII: 152 LIX 8: 157 LXIX: 397, 412, 456 LXX 10–LXXI 11: 398, 399 LXXX: 152 LXXXVIII: 152 CIII: 152, 402 CVIII 1: 156 CVIII 2: 156 CXVII: 156 CXX 3: 156 CXXIII: 156 CXXVI: 156 CXXXIII 2: 72, 417 Lucan I 1–77: 22 I 33–66: 22 I 84 f.: 402 II 286–323: 22 VII 391–396: 250 IX 190–214: 22 Lucrez I 289 f.: 322 V 14 f.: 218 V 598–620: 173 V 795–800: 171 V 939 f.: 279 V 955: 168 V 955–957: 279 V 965: 218 V 966 f.: 215 V 975: 215 V 982–987: 214 V 1011: 168, 218 V 1011–1113: 279 V 1014–1017: 215 V 1028–1090: 214 V 1105–1113: 215 V 1255–1261: 215 V 1283–1285: 215 V 1379–1381: 218 V 1448–1457: 214

Stellenregister Lukian conscr. hist. 45: 159 Macrobius sat. I 7: 172 I 10,19: 172 II 4,18: 187 Manilius I 758–926: 69 I 906–921: 417 Martial I 76: 55 V 16: 55 VIII 55: 55 IX 70,3 f.: 322 X 58: 55 XI 3: 55 Obsequens 68: 156 Orosius IV 20,11: 142 V 17,1–10: 397 Ovid am. I 8,39 f.: 282 I 15: 274 I 15,27 f.: 201 II 1: 274 II 3,7–9: 274 II 4,15: 282 II 4,19 f.: 358 III 8,1–4: 275 III 8,9–22: 275 III 8,25–30: 274 III 8,45–66: 275 f. III 8,47 f.: 168 III 10: 279 III 10,7–10: 218 ars I 89–134: 463 I 101 f.: 282 I 101–134: 321 I 133 f.: 282 II 467–480: 278 II 477–480: 279

II 480–488: 279 II 621–624: 279 III 25–28: 274 III 113–128: 280, 281 III 333 f.: 201 III 535–538: 201 fast. I 1: 332 I 1–26: 334 I 6: 311 I 27–32: 353 I 38: 353 I 67 f.: 354 I 85 f.: 354 I 100–144: 335 I 101: 311 I 131: 353 I 133: 333 I 197–226: 335 I 229: 333 I 281–288: 354 I 289: 332 I 509–538: 342, 343 I 567–616: 348, 349 I 578–582: 257 I 581 f.: 258 I 609–663: 358 I 644 f.: 355 I 675 f.: 218 I 709–722: 353, 354, 360 I 721: 354 II 3 f.: 311 II 8 f.: 333 II 10: 310, 311 II 15 f.: 334 II 17: 310, 311 II 18: 353 II 20: 353 II 30: 353 II 53: 332 II 79–118: 358 II 119–144: 350, 351, 352 II 145–148: 358 II 155 f.: 353 II 291 f.: 339 II 295: 339 II 329: 218 II 475–512: 322, 357 II 512: 311 II 513–532: 340, 353 II 519–524: 341 II 561–616: 358

567 II 617–638: 461 II 637 f.: 219 II 683 f.: 354 II 741–746: 210 III 21 f.: 225 III 49 f.: 321 III 167–234: 321 III 167–258: 353 III 177: 311 III 179–196: 353 III 183 f.: 168 III 201 f.: 322 III 225 f.: 322 III 370 f.: 332 III 657–674: 357 III 697–710: 357 III 847 f.: 332 IV 3: 311, 359 IV 7 f.: 359 IV 9 f.: 311 IV 10: 359 IV 14: 359 IV 19–22: 359 IV 19–60: 320 IV 21: 326 IV 32–35: 210 IV 57–60: 333 IV 247–348: 325 IV 376–386: 357 IV 393–620: 341 IV 401–404: 218 IV 402: 335 IV 405 f.: 341 IV 407: 217 IV 407 f.: 342 IV 533: 332 IV 625–628: 357 IV 673–677: 352 IV 783 f.: 332, 333 IV 785–794: 335 IV 911–932: 341 V 2: 332 V 93 f.: 168 V 93–96: 343, 353 V 149–158: 258 V 285 f.: 357 V 290: 358 V 341 f.: 218 V 445 f.: 333 V 445–492: 356, 257 V 545–598: 344, 345, 346 V 563–566: 289 V 564: 343

568 V 569–578: 288 V 579–594: 288 V 639–642: 343, 353 VI 21 f.: 332 VI 235: 333 VI 249–298: 353 VI 257: 332 VI 261–264: 353 VI 295: 333 VI 401–412: 353 VI 637–650: 354, 355 VI 693: 332 VI 797–812: 352 med. 3–8: 282 7: 284 11–16: 282 23: 282 23–25: 283 23–26: 284 met. I 3: 313 I 89–112: 315 I 89–150: 314, 315 I 121 f.: 218 I 138–142: 171 I 144: 322 I 197–203: 316 I 414 f.: 314 IV 14: 218 XIV 101–128: 320 XIV 609–621: 320 XIV 772–777: 321 XIV 801–805: 322 XIV 808: 322 XIV 823: 322 XV 4–7: 323 XV 96–142: 314 XV 481–484: 323 XV 771–775: 320 XV 850 f.: 325 XV 852 f.: 328 XV 858–860: 328 XV 869: 328 XV 876–878: 312 Pont. I 1,41–48: 310 I 2,123–126: 365 II 2,67–84: 365 II 2,73 f.: 318

Stellenregister II 2,81: 318 III 1,164: 318 III 9,45–56: 365 IV 1: 441 IV 4: 441 IV 5: 441 IV 9,107: 318 IV 12: 441 rem. 763–766: 201 trist. II 157: 365 II 445–468: 201 II 547 f.: 311 II 549–553: 332 III 1,68: 365 III 3,73 f.: 365 III 7,47 f.: 365 III 14,45 f.: 365 IV 2,10: 365 IV 8,51 f.: 365 IV 10,51–54: 201 V 1,23: 365 V 1,45: 365 Platon Gorg. 456d–457c: 214 polit. 247b–f: 214 Plinius Maior V 18,4: 214 V 36: 185 VII 199: 218 XXV 52: 399 XXXII 13: 290, 300 XXXIV 139: 194 XXXVI 102: 286 Plinius Minor epist. III 21,3: 55 V 3,4 f.: 202 V 3,5: 381 VIII 23,2 f.: 461 paneg. 77,3: 423

Plutarch Caesar 13,2 f.: 402 Cato Maior 15,1–16,8: 148 27,3 f.: 88 Cato Minor 1,1: 399 Crassus 14,1 f.: 402 Fabius 2,4: 136 14,1 f.: 137 25,1: 137 Flamininus 2,1: 145 12: 141 13,1–3: 141 C. Gracchus 17,6: 355 18,2: 396 Ti. Gracchus 1,1: 146 8,9: 412 14,3: 146 15,2: 395, 411 16 f.: 395 16–18: 411 20,2 f.: 395, 411 21,4 f.: 395, 411 Marcellus 4,2–4: 136 Marius 29 f.: 397, 412 29,1: 456 mor. 974a: 218 Pompeius 47,1: 402 qu. R. 42: 172

569

Stellenregister Romulus 17,4–9: 256 27 f.: 357 Polyain VIII 23,31: 300 Polybios I 6,5: 462 II 21,8: 136 II 70,1–8: 136 III 90: 119, 120 V 11 f.: 118 VI 11a,4: 460 VI 18,5: 87, 392 VI 57,4–9: 88 VI 57,5: 87, 392 XVIII 42,2–4: 145 XVIII 47 f.: 141 XVIII 50,5–9: 140 XXIX 2,1–4: 141 XXXI 25,3–7: 87 Poseidonios F 178 Th: 85, 87, 88, 392 F 211a Th: 87, 89, 392 F 211b Th: 87, 89, 392 F 211c Th: 85 F 216 Th: 88 Properz I 1: 239 I 4,3 f.: 241 I 6: 239 I 7: 242, 274 I 9: 242, 274 I 11: 210 I 12,19 f.: 241 II 1: 251 II 1,17–35: 242 II 1,19–22: 242 II 1,27–34: 243 II 1,39–42: 242 II 7: 236 II 9,47–56: 244 II 10,11 f.: 243 II 10,21–26: 242 II 10,25 f.: 243 II 15,41–48: 240 II 16: 242 II 16,33 f.: 463 II 16,37–42: 243 II 22,4–10: 463

II 25: 240 II 30: 241 II 31: 260 II 34: 240, 241 II 34,32: 242 II 34,61: 247 II 34,65 f.: 248 II 34,71: 225 II 34B,55–94: 239 II 34B,94 f.: 242 III 1: 242 III 1,9: 261 III 1,17 f.: 237 III 2,5 f.: 237 III 3,1–4: 320 III 3,3: 250 III 3,5 f.: 244 III 3,16 f: 244 III 3,37–50: 244 III 4,21 f.: 244 III 5: 240 III 5,1–6: 237 III 6,15–18: 210 III 9,4: 242 III 9,43 f.: 242 III 9,50: 251 III 9,52: 242 III 10: 242 III 11: 243 III 11,29–56: 184 III 12: 210 III 13: 240 III 13,25–34: 239 III 13,27–32: 225 III 13,47–50: 239 III 13,59: 235 III 13,59–66: 239 III 14: 239, 240 III 22: 239 IV: 50 IV 1,1–4: 248 IV 1,1–10: 249 IV 1,6: 168 IV 1,11–31: 249 IV 1,17: 255 IV 1,34–36: 250 IV 1,37 f.: 251 IV 1,39–45: 252 IV 1,39 f.: 250 IV 1,41–54: 250 IV 1,47–56: 251 IV 1,47 f.: 252 IV 1,53 f.: 252

IV 1,54: 259 IV 1,55–58: 247 IV 1,57: 246 IV 1,59–64: 242 IV 1,61–70: 245 IV 1,61 f.: 247 IV 1,64: 247 IV 1,67 f.: 246 IV 1,69: 246 IV 1,71–150: 247 IV 1,97: 237 IV 1,133 f.: 242 IV 2,11–18: 255 IV 2,27: 255 IV 2,41–46: 255 IV 2,53 f.: 255 IV 2,59–62: 255 IV 3: 210 IV 4,55–60: 255 IV 4,73 f.: 256 IV 4,89 f.: 256, 259 IV 6,13: 260 IV 6,22 f.: 184 IV 6,37: 251 IV 6,37–54: 261 IV 6,59 f.: 261 IV 6,69–86: 261, 262 IV 8: 210 IV 9,3–13: 257 IV 9,67 f.: 257 IV 10,10–15: 259 IV 10,17: 254 IV 10,46: 259 IV 11: 236, 238, 241 Quintilian VIII 3,53: 159 X 1,93: 201 X 1,104: 383 Sallust Cat. 2,3–6: 340, 466 3,1: 443 4,2: 443 6,1: 173 6,2: 108 7: 94 7,6: 89 9,1: 108 9,5: 118 10–13: 88 10,1: 86, 391

570 10,3: 87 10,6: 392 12,1–3: 83 12,3: 282 13,1: 282 36,4–39,5: 88 36,4: 85 hist. I 7: 89, 153, 391, 457 I 11: 87, 89, 90, 153, 155, 391 I 12: 86, 88, 155, 391 I 16: 88, 89, 155, 392 I 17: 155 I 55,4: 405 III 72,1: 194 IV 69: 143 Iug. 4: 443 10,6: 108 31,1–4: 86 41,2 f.: 108 41,5: 97, 102 41 f.: 88 42: 395, 411, 412 81,1: 143 102,6: 118 Seneca Maior contr. IX 1,13: 125 IX 2,26: 125 Seneca brev. 6,1: 399 clem. I 9: 319 epist. 14,13: 22 90: 173, 175 90,7: 218 90,41: 214 100,9: 76 Helv. 17,3 f.: 382 nat. V 18,4: 152

Stellenregister Servius Aen. Prooem.: 163 I 273: 225 I 712: 197 IV 58: 174 VI 752: 163 VI 799: 185 VI 802 f.: 183 VI 818: 190 VI 823 f.: 190 VI 824 f.: 187 VI 842: 189 VI 843: 190 VII 670: 187 VIII 271: 185 VIII 310: 213 VIII 321: 174 Strabon IX 1,20: 299 XIII 1,27: 299 Sueton Aug. 7,2: 52, 324 14–17: 163 19: 319 19,2: 258 21,2: 288 28,2: 49 29,1: 289 29,1 f.: 288 30: 214 31–33: 185 31,1: 163, 223 31,4: 53 31,5: 291 43,1: 197 50: 184 56,2: 289 63,1: 197 85,1: 187 89: 55 94: 325 94,3: 324 95: 156 98: 375 Caes. 77: 299

Claud. 4,1: 155 21,2: 53 Dom. 20: 381 Tib. 11,1: 316 14,4: 381 24,1: 379 26,1: 381 29: 376 30: 376, 423, 428 47: 429 54,1: 429 56: 381 59: 513 61 f.: 381 70: 381 Tacitus Agr. 3,1: 22 ann. I 1,1: 22 I 2,1: 22 I 3,1: 22 I 5,3: 375 I 9–11: 367 II 8: 379 II 34,4: 381 II 37,1: 429 II 42,1: 429 II 48,1–3: 429 III 29,3: 429 III 29,4: 431 III 31,3 f.: 461 III 35,1: 379 III 47,4: 379 III 53,3: 376 III 54,4 f.: 379 III 59,2: 379 III 69,7: 379 IV 6,2: 376 IV 6,3: 428 IV 8,8: 379 IV 9,2: 320 IV 32: 22 IV 33: 22 IV 34: 155 IV 38,1: 379

Stellenregister IV 38,3: 379 IV 39 f.: 431 V 4,2 f.: 431 VI 45,1: 429 VI 46,4: 379 VI 50,3: 381 XI 11: 53 XIII 3,2: 381 XV 72,1: 291 hist. I 1,1: 22 Tertullian apol. 10,8: 172 Theokrit 16: 55 11,42–49: 207 65 f.: 207 Thukydides III 45,4: 102 III 82–85: 101 III 82,5: 102 III 82,6: 102 III 82,8: 102 VI 39,2: 103 Tibull I 1: 201 I 1,15 f.: 217 I 1,19–42: 206 I 1,27–36: 207 I 1,35 f.: 223 I 1,73 f.: 207 I 1,58: 207 I 3,34: 207 I 3,35 f.: 228 I 3,35–50: 227 I 3,43: 168 I 3,57–66: 209, 210 I 3,81 f.: 209 I 3,83–88: 210 I 3,94 f.: 210 I 7,5–22: 211 I 7,9: 211 I 7,35 f.: 218 I 7,55–57: 213 I 10,1–4: 214 I 10,2: 215 I 10,7–10: 215

I 10,9: 168 I 10,15: 207 I 10,31 f.: 215 I 10,33: 215 I 10,49 f.: 215 II 1: 229 II 1,4: 217 II 1,33–36: 219 II 1,37: 219 II 1,37 f.: 218 II 1,60: 207 II 1,67–79: 220 II 3,69: 218 II 3,37–63: 218 II 3,39–50: 221 II 3,63 f.: 220 II 4,15–26: 222 II 4,51–54: 222 II 4,54: 207 II 5: 185, 249, 261 II 5,3 f.: 223 II 5,5: 228 II 5,9 f.: 228 II 5,20: 207 II 5,25 f.: 224 II 5,26: 168 II 5,35 f.: 225 II 5,42: 207 II 5,43–45: 225 II 5,45 f.: 228 II 5,55–60: 228 II 5,55–64: 225 II 5,57: 227 II 5,61 f.: 226 II 5,65 f.: 228 II 5,67–78: 226 II 5,83 f.: 228 II 5,83–88: 226 II 5,105–112: 226 II 5,113–120: 227 III: 202 IV: 202 Valerius Antias FRH 15 F 4: 356 Valerius Maximus praef.: 442, 443 I pr.: 444, 446, 447 I 1,1b: 448 I 1,9: 448 I 6,ext. 3: 461 I 7,ext. 5: 452

571 I 8,2: 325 I 8,ext. 16: 451 II pr.: 442, 446, 447, 458, 459 II 2,1a: 461 II 1,1: 448 II 1,1–5: 460 II 1,6: 461 II 1,8–10: 461 II 1,12: 448 II 2,1: 458 II 2,2: 461 II 2,3: 461 II 2,3–9: 462 II 2,5: 450, 452 II 2,17: 395, 411 II 3,1: 462 II 3,2 f.: 463 II 3,6: 464 II 4,1: 452, 463 II 4,3: 463 II 4,4: 459, 463 II 4,5: 52, 463 II 4,ext. 1: 444 II 5,6: 449 II 6,2: 468 II 6,3: 468 II 6,7: 444, 451, 468 II 6,8: 441 II 6,9: 444, 468 II 6,11: 468 II 6,12 f.: 468 II 6,14: 468 II 6,16 f.: 468 II 7,pr.: 463 II 7,1: 464 II 7,2: 452, 464 II 7,3: 464 II 7,4: 464 II 7,5: 442, 444, 464 II 7,6: 190, 442, 464 II 7,7: 463, 464 II 7,10: 464 II 7,14: 464 II 7,15a: 464 II 7,15b–f: 465 II 8,pr.: 447, 463 II 8,4 f.: 465 II 8,7: 465 II 9,pr.: 465, 466 II 10,8: 452 III 1,ext.: 449 III 2,6b: 458 III 2,17: 396

572 III 2,18: 397, 412 III 2,ext. 5: 452 III 2,ext. 7: 461 III 3,2: 442 III 3,ext. 2: 452 III 4,pr.: 458 III 4,4: 137 III 4,ext. 1: 449 III 6: 451 III 6,pr.: 443 III 7,pr.: 451 III 7,7: 148 III 8,pr.: 449 III 8,7: 458 IV 1,pr.: 449 IV 1,1: 117, 469, 470 IV 1,2: 471 IV 1,3 f.: 469 IV 1,5: 469, 470 IV 1,6a: 470 IV 1,9: 470 IV 1,10b–12: 469 IV 1,12: 444, 447 IV 1,14: 470 IV 1,ext. 8: 452 IV 2,2: 470 IV 2,3: 481 IV 3,pr.: 444, 446, 449, 458, 471 IV 3,5a + b: 471 IV 3,6: 461 IV 3,6a: 471 IV 3,8–10: 471 IV 3,11: 471 IV 3,12: 444, 472 IV 3,13: 472 IV 3,ext. 2: 452 IV 4: 472 IV 4,pr.: 472 IV 4,1: 441, 472 IV 4,2: 449, 472 IV 4,4: 472 IV 4,6 f.: 472 IV 4,9: 451, 458, 472 IV 4,10: 472 IV 4,11: 444, 448, 451, 459, 472 IV 5,pr: 473 IV 5,1 f.: 473 IV 5,4: 458 IV 6,pr.: 441 IV 7, ext. 2b: 441 IV 7,3: 448

Stellenregister IV 8,1–3: 473 IV 8,4: 447 IV 9,5: 469 IV 9,8: 469 V 1,1: 476 V 1,1a–f: 474 V 1,2–9: 474 V 1,3: 449 V 1,10: 474 V 1,11: 474 V 1,ext. 3: 473 V 2,pr.: 443 V 2,4: 449 V 2,8: 448 V 2,ext. 4: 442 V 3,pr.: 447 V 3,2a: 449 V 3,3: 449 V 4,pr.: 447 V 4,5: 136 f. V 4,ext. 5: 445 V 5,pr.: 441 V 6,pr.: 458 V 6,1: 474 V 6,2: 475 V 6,3: 323, 475 V 6,4: 475 V 6,5–7: 474 V 6,8: 134 V 6,ext. 2: 452 V 6,ext. 4: 458 V 8,1: 190, 452, 475 V 8,3: 475 V 8,5: 475 VI 4,ext. 2: 461 VI 1,pr.: 476 VI 1,1: 458 VI 1,2: 476 VI 1,3 f.: 476 VI 1,6 f.: 476 VI 1,8: 449 VI 1,8 f.: 477 VI 1,11–13: 477 VI 2,pr.: 442, 444 VI 2,12: 451 VI 2,ext. 2: 452 VI 3,1: 452 VI 3,1a–d: 476 VI 3,3–12: 476 VI 3,ext. 1: 447, 476 VI 3,ext. 2: 452 VI 4,pr.: 444 VI 4,ext. 2: 461

VI 5,pr.: 447, 458, 477 VI 5,1: 449 VI 5,2–6: 477 VI 5,3: 141, 146 VI 5,ext. 2: 452 VI 6,pr.: 447 VI 9,pr.: 444, 446 VI 9,3: 445 VI 9,5: 445 VI 9,6: 452 VI 9,ext. 1: 444 VII 2,1: 446, 449 VII 2,2: 449; VII 2,3: 451 VII 2,ext. 1: 442, 449 VII 2,ext. 12: 452 VII 3,10: 451 VII 5,pr.: 444, 452 VII 5,2: 445 VII 5,6: 449 VII 6,6: 446 VII 8,2: 449 VIII 1,absolv. 12: 457, 480 VII 8,6: 446 VIII 7,pr.: 458 VIII 7,1: 148 VIII 7,ext. 2: 461 VIII 7,ext. 4: 449 VIII 7,ext. 5: 443 VIII 11,pr.: 442, 444 VIII 13,pr.: 446, 447 VIII 14,ext.: 449 VIII 15,12: 449 VIII 15,3: 458 VIII 15,11: 452 IX 1,pr.: 445; 449 IX 1,1: 453 IX 1,2: 453 IX 1,3: 142, 451, 453, 457 IX 1,4: 453 IX 1,4 f.: 451 IX 1,5: 454 IX 1,6: 454 IX 1,7: 454 IX 1,8: 454 IX 1,9: 454 IX 1,15: 468 IX 1,ext. 1: 452 IX 1,ext. 2: 452 IX 1,ext. 3: 452 IX 1,ext. 4: 449, 453 IX 1,ext. 5: 452 IX 1,ext. 6: 453

Stellenregister IX 1,ext. 7: 452 IX 2,1 f.: 454 IX 2,3 f.: 454 IX 2,ext. 1: 444 IX 2,ext. 5: 449 IX 3,pr.: 441, 454 IX 3,1: 454 IX 3,2: 447, 454 IX 3,3: 455 IX 3,4: 455 IX 3,5: 455 IX 3,6: 455 IX 3,8: 455 IX 4: 442 IX 5,1: 455 IX 5,2: 399, 456 IX 5,3: 456 IX 6: 442 IX 7,1: 456 IX 7,2 f.: 397, 412, 456 IX 7,mil. 2: 452 IX 8,pr.: 449 IX 9,pr.: 449 IX 11,pr.: 441, 442 IX 11,2: 451 IX 11,ext. 1: 449 IX 11,ext. 2: 452 IX 11,ext. 4: 446,449, 456 IX 13,ext. 4: 452 IX 15,ext. 2: 447 Varro ant. rer. hum. 11: 171 ling. V 41: 256 rust. I 2,3–7: 171 II 1,1: 173 II 1,4: 218 III 1,3: 168, 175 vpr 84: 461 Velleius Paterculus I 6,1–3: 392 I 13,2–5: 439 I 13,5: 390 II 1,1: 82, 390, 395, 423 II 1,2: 390, 391

II 2,2: 411 II 2,3: 394 II 3,2: 413 II 3,2 f.: 395 II 3,3: 393 II 3,4: 391 II 6,1–4: 394 II 6,2: 404, 412 II 6,4: 395 II 6,5: 395, 396 II 6,7: 396 II 7,1: 405 II 7,3 f.: 396 II 7,6: 394, 396 II 7,7: 394 II 10,1: 391 II 11,3: 390 II 11,5: 390 II 12,6: 394, 397, 412 II 13 f.: 398 II 14,1: 398 II 15,1: 399 II 16,4: 399 II 18,6: 400, 412 II 19,1: 412 II 20–28: 400 II 20,2: 413 II 22,1 f.: 393, 412 II 22,5: 393, 394 II 23,2: 401 II 24,1: 422 II 26,2: 394, 401, 403 II 28: 401, 412 II 28,2: 393 II 28,4: 393 II 29: 402, 403, 404, 405 II 30,2 f.: 405 II 31,1: 404 II 31,3: 404 II 31,4: 413 II 32,4: 432 II 33,1: 405 II 33,2: 403 II 33,3: 404, 405 II 34,2: 405 II 36,3: 391 II 39,2: 290 II 40,2: 404, 405 II 40,5: 405, 413 II 41–43: 406 II 44,1: 394 II 44,2: 406 II 46,3: 402

573 II 47,3: 394, 413 II 48,1: 406 II 48,5: 387, 406 II 49,1 f.: 407 II 49,4: 406 II 52,4–6: 408 II 53,3: 402 II 56: 408, 410 II 56,3: 425 II 58,2: 410 II 59,6: 409 II 60,1: 409, 410 II 60,4: 394 II 60,4 f.: 410 II 61,1: 410 II 62,1: 410 II 62,2: 410 II 62,5: 410 II 63,3 f.: 408 II 65,1: 402, 409 II 66 f: 410 II 66,1: 394 II 68,5: 408 II 72,1: 409 II 72,1 f.: 410 II 72,3: 410 II 73,2: 409 II 74,3: 409 II 76,4: 409 II 79,1: 410 II 80,2: 394, 410 II 82: 410 II 83,1: 409 II 84,1: 228 II 84,2: 409 II 86,1: 409 II 86,3: 409 II 87,3: 410 II 89,1: 387 II 89,2: 415 II 89,3: 394, 409, 416, 421 II 89,4: 419 f. II 89,6: 415 II 90,1: 409 II 93,1: 329 II 95,1: 432 II 99,3 f.: 387 II 100,3–5: 429 II 101,3: 385 II 103,3: 385 II 111,4: 394 II 112,7: 394 II 114,4: 387

574 II 116,5: 384 II 119,1: 387, 402 II 123: 375 II 124,1: 421, 426 II 124,2: 424, 425, 426 II 125: 421, 422 II 126: 421, 426, 427, 428, 430 II 126–128: 422, 423 II 127: 433 II 127 f.: 438 II 127,2: 432 II 128,1: 433 II 128,2: 432 II 128,3: 430 II 129,1: 415 II 129,2: 426 II 129,3: 429 II 130,2 f.: 438 II 130,5: 440 II 131: 388, 390 II 131,1: 437 Vergil Aen. I 1–7: 163 I 21 f.: 163 I 229–253: 186 I 278–282: 182 I 291: 182 III 13–68: 177 III 387: 175 III 433 f.: 251 V 724–740: 182 VI: 50 VI 626–629: 181 VI 716–718: 182 VI 760–807: 186 VI 763–766: 320 VI 773: 250 VI 788–807: 182 VI 791–797: 166 VI 801: 183 VI 804: 183 VI 805 f.: 183 VI 809: 181 VI 818–825: 187 VI 823: 190 VI 824: 181

Stellenregister VI 830 f.: 322 VI 834 f.: 181 VI 841: 181 VI 842: 189 VI 842 f.: 190 VI 845: 181 VI 846–853: 182 VI 855 f.: 197 VI 858 f.: 197 VI 867: 197 VI 868: 197 VI 870 f.: 198 VI 882 f.: 181 VI 884: 197 VIII 200–204: 258 VIII 268–272: 257 VIII 314–327: 166 VIII 315 f.: 278 VIII 316 f.: 174 VIII 316–318: 173 VIII 321: 173, 174, 278 VIII 321–323: 175 VIII 325: 174, 176 VIII 327: 177 VIII 328: 176 VIII 355: 175, 176 VIII 356: 176 VIII 357: 175, 176 VIII 369–386: 182 VIII 608–616: 182, 251 VIII 616–625: 182 VIII 635–638: 192 VIII 642 f.: 193 VIII 648: 193 VIII 654: 168 VIII 678–680: 184 VIII 682–738: 251 VIII 688: 326 VIII 696 f.: 326 VIII 714–719: 185 VIII 720–728: 185 VIII 729–731: 182 VIII 794–797: 186 X 11 f.: 163 ecl. 2,28–38: 207 4,7: 167 4,9: 167

4,30: 275 4,32 f.: 168 georg. I 7–9: 218 I 8: 218 I 125–159: 275 I 148: 218 I 159: 218 I 463–497: 226 I 498–514: 170 II 136–154: 170 II 136–176: 171 II 167–172: 189 II 173 f.: 170 III 10–39: 162 III 393–383: 170 IV 116–148: 170 [Vergil] Cat. 9: 202 De viris illustribus 1,4: 356 47,6: 142 57,3: 141 Vitruv II 1,1–3: 66 II 1,2: 218 II 1,5: 168 VI 1,10: 171 Xenophanes Frg. 2: 55 Zonaras VII 19: 109 VIII 20: 136 VIII 25: 136 IX 1: 137 IX 5: 117 IX 15: 140 IX 17: 142 Zosimos II 1–3: 52 II 4,2: 53

575

Stellenregister

2. INSCHRIFTEN CIL VI 1308: 296 VI 1318: 296 VI 8.3 37048: 299 VI 8.3 40318: 303 VI 8.3 40330: 303 VI 8.3 40335: 303 VI 8.3 40920: 295 VI 8.3 40949: 300 VI 8.3 40951: 297, 299

VI 8.3 40953: 296 VI 8.3 40956: 295 VI 8.3 40957: 297, 298 VI 8.3 40959: 299 ILLRP I 312, 2–5: 198 ILS 60: 300

3. MÜNZEN BMCRE I 74, 431: 53

RIC I2 50, 138 f.: 53

Senatus consultum de C. Pisone Patre ed. Eck/ Caballos/Fernández 90 ff.: 380 129 f.: 380 165: 380

Politische Umbrüche verändern den Blick auf die Vergangenheit. In Rom brachte der Bürgerkrieg des 1. Jh. v. Chr. eine jahrhundertelang bestehende Ordnung zum Einsturz. Der Zerfall der Republik und die Konsolidierung des Staates im Principat forderten die römische Gesellschaft zu neuer Selbstvergewisserung auf. Nils Steffensen widmet sich den Debatten über die Neuorientierung in einer Zeit des dynamischen Wandels, zwischen der Ausrichtung an der Vergangenheit und der Anpassung an neue Realitäten. Gegenstand seiner Untersuchung sind die unter Augustus und Tiberius entstande-

nen Versuche, die Gegenwart über Konstruktionen der Geschichte literarisch einzuordnen und diskursiv mitzugestalten. Im Mittelpunkt der Analysen von zeitgenössischen Historikern, Epikern, Elegikern, Fachschriftstellern und Handbuchautoren steht die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten, nach strukturellen Problemen und Lösungsstrategien in der römischen Geschichte. Vermochte der Systemwechsel tatsächlich die Verwerfungen der jüngsten Vergangenheit zu überwinden und das von Augustus annoncierte Goldene Zeitalter zu verwirklichen?

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-12136-1

9

7835 1 5 1 2 1 361