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German Pages 320 Year 2014
Carsten Ruhl (Hg.) Mythos Monument
Carsten Ruhl (Hg.)
Mythos Monument Urbane Strategien in Architektur und Kunst seit 1945
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Inhalt
Vorbemerkungen des Herausgebers Carsten Ruhl | 7
Mythos Monument Zwischen Memoria und objektiviertem Diskurs Carsten Ruhl | 9
1. A RCHITEKTUR /S TRASSE /S TADT Das Monumentale als symbolische Form Zum öffentlichen Auftritt der Moderne in den Vereinigten Staaten Ákos Moravánszky | 37
Monumente der unmittelbaren Zukunft Laurent Stalder | 63
Louis Kahn’s Monumentality: Theory and Practice Kathleen James-Chakraborty | 77
»I AM A MONUMENT« Zur Phänomenologie des Monumentalen in der amerikanischen Architekturtheorie der 1960er Jahre Martino Stierli | 99
Die Stadt als Monument Von Rossi zur städtebaulichen Denkmalpflege und zurück Wolfgang Sonne | 123
2. U TOPIEN /N ICHT -O RTE /A NTIMONUMENTE Leben im Continuous Monument oder das Nachleben der Moderne als Monument im Bild Annette Urban | 145
Robert Smithsons Reiseberichte: Nicht-Orte und die Überreste der Monumente Samantha Schramm | 183
Gordon Matta-Clarks »non-uments« als Resonanzbildungen zum urbanen Raum Christian Hammes | 207
Originalkopien Wilfried Kuehn | 231
3. Ö FFENTLICHER R AUM /O RTSSPEZIFIK »Exchange« Über die Antwort der Künstler auf das Verschwinden von Monumenten Sylvia Martin | 249
»A pause in the city« Rachel Whitereads Reflexionen des Monuments Gerald Schröder | 267
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas Modifikationen des Entwurfs im Horizont des Monumentalen Maike Mügge | 289
Autorinnen und Autoren | 313
Vorbemerkung des Herausgebers
Der vorliegende Band geht auf eine internationale Tagung zurück, die im Januar 2010 am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum unter dem Titel Mythos Monument. Urbane Strategien in Architektur und Kunst seit 1945 stattgefunden hat. Ermöglicht wurden Veranstaltung und Publikation durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Ruhr-Universität Bochum sowie durch das bemerkenswerte Engagement vieler Mithelfer, die mit dem Kunstgeschichtlichen Institut verbunden sind. Zu erwähnen sind neben den studentischen Hilfskräften des Instituts Frau Dr. Iris Poßegger, die als Kuratorin der Situation Kunst – Für Max Imdahl in Bochum Weitmar den Tagungsraum zur Verfügung stellte, sowie Frau Petra Labahn, die stets verlässlich und mit einer gesunden Portion Humor die bürokratischen Unwägbarkeiten der Vorbereitungsphase gemeistert hat. Den Autoren möchte ich für die vielen anregenden Diskussionen während der Tagung sowie für die schnelle und verlässliche Bereitstellung der darauf aufbauenden Schriftfassungen danken. Zuguterletzt gilt mein besonderer Dank Frau Nadja Görz, ohne deren stets gewissenhafte und umsichtige Redaktionsarbeit der Tagungsband wohl nie in dieser Form und Qualität zustande gekommen wäre.
Carsten Ruhl, Weimar
Mythos Monument Zwischen Memoria und objektiviertem Diskurs Carsten Ruhl
In den 1990er Jahren stellte die früh verstorbene Künstlerin Susanne Mahlmeister eine Reihe von Werken aus, die sie unter dem schlichten Titel Monumente zusammenfasste (Abb. 1).1 An den Wänden des Ausstellungsraumes waren Schwarz-Weiß-Fotografien zu sehen. Auf dem Boden davor befanden sich abstrakte, in makellosem Schwarz gehaltene monolithische Blöcke, die an Werke der Minimal Art erinnerten. Die Gemeinsamkeit beider Exponate bestand darin, dass sie dasselbe historische Bauwerk darstellten. Umso mehr musste irritieren, dass sich keine Ähnlichkeiten zwischen Bild und Plastik erkennen ließen. Denn Mahlmeisters Monumente präsentierten Ansichten, die einander ausschließende Perspektiven voraussetzten. Während die Fotografie an der Wand Fassaden leicht identifizierbarer Inkunabeln der Architekturgeschichte zeigte, dürften sich die abstrakten Blöcke davor kaum auf den ersten Blick erschlossen haben. Mit jener intermedialen Anordnung provozierte Mahlmeister zweifelsohne eine grundsätzliche Reflexion über das Verständnis des Monuments und den damit verbundenen Sehgewohnheiten. Denn in aller Überspitztheit zeigen uns die fotografischen Dokumentationen dieser Arbeiten, dass ihre Monumente aus einer bedenkenswerten Einschränkung des Blickes hervorgehen. Sie sind Produkte eines sich im Bild manifestierenden Selektionsprozesses: Während die Fotografie allein das 1 | Die Arbeiten sind in folgender Publikation dokumentiert: Marc Mer/Thomas Feuerstein/Klaus Strickner (Hg.): Translokation. Der ver-rückte Ort. Kunst zwischen Architektur, Wien 1994, S. 38 ff.
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Abbildung 1: Susanne Mahlmeister, Monumente, 1991 Quelle: Marc Mer/Thomas Feuerstein/Klaus Strickner (Hg.): Translokation. Der ver-rückte Ort. Kunst zwischen Architektur, Wien 1994, S. 42. Monument ohne Rücksicht auf den stadträumlichen Kontext darstellt, erwachsen die abstrakten Großformen am Boden aus Stadtplänen, in denen die Grundformen der wichtigsten Sehenswürdigkeiten farblich hervorgehoben sind, um die Aufmerksamkeit des nach Orientierung suchenden Touristen auf sich zu lenken. Die so gewonnene Form vergrößert Mahlmeister zu einer nun vollständig isolierten Bodenplastik, die nicht mehr auf einen realen Ort rückführbar ist, die aber als blow-up-work im Gegensatz zur Fotografie eine neue materielle und räumliche Präsenz im Ausstellungsraum herstellt. Die zum Kunstobjekt aufgeblasenen Grundrisse der ausgestellten Referenzbauten emanzipieren sich so von ihrer Architektur und ihrem realen Ort, um uns als kritisches Antimonument den Spiegel vorzuhalten. Dies geschieht unter der Voraussetzung, dass die zitierten architektonischen Monumente keineswegs mehr als harmlose »strumenti di piacere« zu betrachten sind.2 Mahlmeister be2 | »I Tempi, i Palazzi, i Mausolei, gli Archi trionfali, le Piazze, i Teatri, le Fontane, i Giardini, e tanti altri consimili strumenti di piacere sono i più stabili monumenti, che richiamano l’universale attenzione, e trasportano alla più
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tont vielmehr, dass die Opazität ihrer Monolithen die Unzugänglichkeit der gezeigten Bauwerke als Orte der Machtpräsenz vor Augen führt.3 Dabei wird deren monumentaler Charakter im Ausstellungsraum sowohl negiert als auch bestätigt. Ersteres, indem die historische Funktion eines Monuments als Medium der Machtdemonstration und Herrschaft über den Raum durch das Bild gebändigt wird. Zweiteres, indem jetzt aus politischen Räumen autonome Kunstkörper erwachsen, die sich ihrerseits als Reflexionen über das Monumentale verstehen und damit im auratischen Raum des Museums zwangsläufig dazu beitragen, dass aus einem Instrument politischer Mythenbildung selbst ein Mythos wird. Damit führt Mahlmeister in situ vor Augen, was sich über Jahrhunderte in einem langen historischen Prozess entwickelt hat. Die Bestimmung des Monumentalen liegt nicht mehr allein darin, der mythologischen Rede Glaubwürdigkeit und ihrem Erzähler Autorität zu verleihen. Es ist nun der Mythos des Monuments selbst, der in den Fokus der Kunst gerät und zur Analyse, Dekonstruktion oder gar zur Kritik seiner topischen Formen Anlass gibt. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Versuch, die damit benannte Inversion des Monumentalen in ihrer historischen Dimension nachzuzeichnen. Angesichts der heute inflationären und bisweilen äußerst unkritischen Verwendung des Monument-Begriffes4 erscheint es zunächst ratsam, auf seinen etymologischen Ursprung zurückzugehen. Monumentum leitet sich von dem lateinischen Verb monere ab und bezeichnet damit einen Gegenstand, der eine konkrete memoriale Funktion zu erfüllen hat. Im Frühchristentum werden die Begriffe memoriae und monumenta daher zuweilen synonym verwendet.5 Die eigentlichen Probleme lagen von Anfang an in der Frage begründet, welches Medium als geeigneter Träger der Erinnerung zu betrachten war. Denn während in einem spätantiken Cicero-Kommentar schlicht alle Dinge, remota posterità la grandezza, la potenza, la dignità, le virtù, i pregi di chi gli ha eretti.« Francesco Milizia: Principj di Architettura Civile, Bassano 1804, S. 21. 3 | Vgl. Susanne Mahlmeister: »Interview«, in: Marc Mer/Thomas Feuerstein/ Klaus Strickner (Hg.), Translokation (1994), S. 38-48, hier S. 38. 4 | Etwa in folgendem Essay: Niklas Maak: »Die weggeduckte Demokratie. Mit dem Berliner Kanzleramt ist die Politik in die Gesellschaft zurückgekehrt. Eine Streitschrift für architektonische Größe«, in: du 755 (2005), S. 62. 5 | Vgl. hierzu Ingo Herklotz: ›Sepulcra‹ e ›Monumenta‹ del Medioevo. Studi sull’arte sepolcrale in Italia, 2. Auflage, Rom 1990, S. 218.
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die Erinnerung an irgendetwas hervorrufen,6 Monumente genannt werden, entbrannte um das Prädikat des Monumentalen zugleich eine Art Wettstreit unter den Künsten. So betont Horaz, dass er mit seiner Dichtkunst etwas Dauerhafteres als Erz und etwas Höheres als die Pyramiden erbaut habe.7 Dabei mag der Dichter zu dieser Auffassung gelangt sein, weil poetische Gedanken – vorausgesetzt sie werden von Generation zu Generation tradiert – im Unterschied zur bildenden Kunst nicht an vergängliche Materialien gebunden sind. Im Horizont dieses Verständnisses stellt noch Ferdinand von Feldegg zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest, dass das Monumentale keineswegs mit dem Schönen noch mit den bildenden Künsten oder gar der Baukunst identisch sei.8 Vielmehr sei es »psychisch tiefer, primärer gelagert«9 und umfasse dementsprechend neben geistigen Werken wie Beethovens Eroica, Kants Kritik der reinen Vernunft, Goethes Faust oder Helmholtz’ Tonlehre einen bisher kaum beachteten, populären Sprachgebrauch, der sich auf alle Gegenstände menschlicher Hervorbringungen beziehen ließe, die den Mechanismus des Vergessens zumindest zeitweise außer Kraft zu setzen vermögen.10 Albert Hofmann betrachtet in seiner wenige Jahre später entstandenen Enzyklopädie zum Denkmal gar »ein in den Stamm geritztes Zeichen« als Erinnerungsmahl und damit als monumentum.11 6 | »Omnia monumenta dicuntur, quae faciunt alicuius recordationem«, zit. n. Michael Petzet/Gert Mader: Praktische Denkmalpflege, Stuttgart/Berlin/Köln 1993, S. 24. 7 | »Exegi monumentum aere perennius, regalique situ pyramidium altius«, Horaz: Carmina (Gedicht III, 3), in: Die Gedichte des Horaz, übers. u. hg. v. Rudolf Helm, Stuttgart 1954, S. 87. 8 | Ferdinand von Feldegg: »Monumentalität und moderne Baukunst«, in: Der Architekt 9 (1903), S. 27-29; zit. n. http://www.tu-cottbus.de/theoriederarchi tektur/Archiv/Autoren/Feldegg/Feldegg1903b.htm vom 25.06.2010, S. 1-8. 9 | Ebd., S. 7. 10 | »Nämlich, daß sie sich auf etwas Bleibendes, die Zeit Überdauerndes beziehen, daß in ihnen das Gedenken über das Vergessen obsiegt und, in monimentarius, daß, diesen Sieg ausdrücken, ein Sinnbild gesetzt wird. Kurz gefaßt also ließe sich Monument mit Merkzeichen des Dauernden, des Überzeitlichen definieren, monumental aber bedeutete darnach das solchem Überzeitlichen eigentümliche Wesen.« Ebd., S. 2. 11 | »Das Denkmal (Monumentum = Erinnerungszeichen, Denkmal, Andenken – von moneo, monui, monitum, monere = an etwas denken, erinnern, mahnen)
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Es versteht sich von selbst, dass mit jener äußerst allgemeinen Bestimmung die Charakterisierung des Monumentalen nicht einfacher, sondern komplizierter wurde. Nicht zu Unrecht wird daher bisweilen betont, dass die Geschichte des Monument-Begriffes »vielschichtig und kompliziert« sei.12 Dies ist selbst dann der Fall, wenn man sich – wie in dem vorliegenden Band – im Wesentlichen auf den Bereich der Architektur und Kunst beschränkt. Bereits in Leon Battista Albertis Traktat De Re Aedificatoria (ca. 1485) besteht das klassische Spektrum des Monumentalen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Medien. Den »monumenti commemorativi«13 subsumiert er »colonne, altari, tempietti, statue, iscrizioni, trofei«, wobei er den Statuen in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung einräumt.14 Nimmt man noch die traditionelle Gattung des Grabmonumentes hinzu und berücksichtigt, dass zuweilen auch Gemälde als Monumente bezeichnet wurden, erscheint das Monumentale als Wesensmerkmal ganz unterschiedlicher Kunstgattungen. Ein gemeinsames Fundament haben sie allein in der memorialen Funktion: Sie tragen jeweils auf ihre Weise zur fama ihres Schöpfers oder Stifters bei, dem sie durch die topische Wiederholung immer gleicher Motive ein wenig von der Ewigkeit des göttlichen Mythos zu verleihen suchen.15 Im Monument materialisiert sich damit eine universale kulturelle Praxis, der ungeachtet aller damit verbundenen ideologischen und politischen Wirkungsabsichten, ein menschliches ist ein Mal, ein Zeichen des Gedenkens, einer Begebenheit, eines Ereignisses, ein Erinnerungsmal. In seiner einfachsten Form und in seiner schlichtesten Bedeutung ist es im Walde ein geknickter Zweig, den Weg zu bezeichnen, ein in den Stamm geritztes Zeichen; ein Erdhaufen, ein einzelner auffallender Stein oder zu Haufen geschichtete Steine.« Albert Hofmann: Denkmäler II, Handbuch der Architektur (8. Halbbd., H. 2b), Stuttgart 1906, S. 301. 12 | Susanne von Falkenhausen: KugelbauVisionen. Kulturgeschichte einer Bauform von der Französischen Revolution bis zum Medienzeitalter, Bielefeld 2008, S. 33. 13 | Leon Battista Alberti: L’Architettura [De Re Aedificatoria], lat./ital., übers. v. Giovanni Orlandi, Mailand 1966, S. 648. 14 | »Eccellente tra turri – se non erro – era l’impiego delle statue. Esse infatti sono adatte del pari ad ornare edifici sacri e profani, pubblici e privati, e a tramandare mirabilmente il ricordo sia di persone che di fatti.« Ebd., S. 654. 15 | Vgl. Jan Assmann: »Stein und Zeit. Das monumentale Gedächtnis der altägyptischen Kultur«, in: Jan Assmann/Tonio Hölscher (Hg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1988.
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Grundbedürfnis zugrunde zu liegen scheint, das nicht auf die trennende Vernunft abzielt, sondern auf intuitive Totalität. In diesem Sinne verwandelt die monumentale Konstruktion des Mythos Geschichte in Natur.16 Der Mythos ist weder nur ein Objekt noch eine Idee oder ein Begriff. Er ist ein semiologisches System, das medial indifferent ist.17 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Alois Riegl zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr von den Monumenten selbst, sondern von der Annahme eines sich wandelnden Denkmalkultes ausgeht.18 Er nimmt einen paradigmatischen Bruch zwischen der Frühen Neuzeit und der Moderne an. Ein neues Geschichtsbewusstsein versuche im Gegensatz zu früheren Konzeptionen des Monuments die überlieferten Artefakte in eine lineare historische Abfolge einzusortieren, die sich je nach subjektiver Perspektive unterschiedlich gestaltet. Denn was in diesem Zusammenhang als Denkmal zu betrachten war – ein Begriff, der seit Martin Luthers Bibel-Übersetzung im deutschen Sprachraum synonym mit Monument verwendet wurde – entschieden nicht Auftraggeber, Herrscher oder Stifter, sondern die retrospektiven Betrachtungen des Historikers. Symptomatisch für die hier aufgezeigte Entwicklung ist bereits der Umgang mit historischen Artefakten im Kontext der Französischen Revolution.19 Das 1793 gegründete Musée des Monuments Français translozierte nach der Enteignung feudaler und geistlicher Güter zahlreiche historische Artefakte wie königliche Grabmäler, Skulpturen, Fassadenornamente, mittelalterliche Baufragmente, Gemälde und Reliefs und fügte sie im ehemaligen Pariser Kloster der Petits-Augustins zu einer chronologisch geordneten galleria progressiva der französi16 | Vgl. Dietrich Harth: »Revolution und Mythos. Sieben Thesen zur Genesis und Geltung zweier Grundbegriffe historischen Denkens«, in: Dietrich Harth/ Jan Assmann (Hg.), Revolution und Mythos, Frankfurt a.M. 1992, S. 9-35. 17 | Vgl. Roland Barthes: Mythen des Alltags, Frankfurt a.M. 1964, S. 85ff. 18 | Vgl. Alois Riegl: »Der moderne Denkmalkultus, sein Wesen und seine Entstehung« (1903), in: A. Riegl, Gesammelte Aufsätze, Berlin 1995, S. 144-194. 19 | Vgl. hier zu Max Adolf Vog t: »Das architek tonische Denkmal – seine Kulmination im 18. Jahrhundert«, in: Hans-Ernst Mittig/Volker Plagemann (Hg.), Denkmäler im 19. Jahrhundert, München 1972, S. 27 ff. Darüber hinaus Achim Preiss: »Die Grab- und Denkmalbauten Terragnis. Die Bedeutung des Monuments für die Entwicklung der Architektur im 20. Jahrhundert«, in: Stefan Germer/Archim Preiß (Hg.), Giuseppe Terragni. 1904-43. Moderne und Faschismus in Italien, München 1991, S. 125-150.
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schen Nationalgeschichte. Inszeniert wurde jenes Panorama von dem bis dahin erfolglosen Künstler Alexandre Lenoir, der ein historisches und chronologisches Museum anstrebte, in dem die Gestaltung der Ausstellungsräume in einer aufsteigenden Entwicklungslinie den heroischen Weg der französischen Geschichte, vom finsteren Mittelalter bis zur hell erleuchteten Aufklärung, sinnlich nachvollziehbar machen sollte.20 Dies entsprach weitestgehend den seit 1792 unternommenen Bemühungen, die Symbole der absolutistischen Herrschaft in einen ornamentalen Ausdruck des republikanischen Gleichheitsprinzips zu verwandeln.21 Lenoirs historische Konstruktion, die Architekturen und Artefakte nicht mehr als Medium der Herrschaftsrepräsentation, sondern allein noch als Stationen einer heroischen Kulturgeschichte zu präsentieren suchte, steht dementsprechend für ein völlig neues Verständnis des Monumentalen, was bereits in der zeitgenössischen Kritik durchaus erkannt wurde. So bemängelt etwa François René de Chateaubriand zu Beginn des 19. Jahrhunderts die museale Entkontextualisierung der ausgestellten Monumente: »Was die Wirkung dieser Denkmäler betrifft, so spürt man zu sehr, dass sie zerstört sind. Auf wenig Raum zusammengedrängt, unterteilt nach Jahrhunderten, ihrer Harmonie mit dem Altertum der Kirchen und des christlichen Kultes beraubt, dienen sie nur noch der Kunstgeschichte und nicht derjenigen der Sitten und Religion, indem sie noch nicht einmal ihren Staub behielten, sprechen sie weder die Imagination noch das Herz an.« 22
Was bei Chateaubriand indessen noch Anlass zur Sorge gibt, stellt sich 100 Jahre später bereits als eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit dar, die nicht nur den Blick auf das einzelne Monument verändern 20 | Vgl. L. Regazzoni: »Il Musée des Monuments français. Un caso di costruzione della memoria nazionale francese«, in: Storicamente 3 (2007); http:// www.storicamente.org/05_studi_ricerche/regazzoni.htm vom 12.05.2010, S. 1-4, hier S. 3. 21 | Vgl. ebd., S. 1. 22 | François de Chateaubriand: Le Génie du Christianisme ou Beautés de la religion chrétienne, Paris 1802; zit. n. René Alice von Plato : »Von Menschen und Göttern verlassene Leichname. Totenkult im ›Musée des Monuments Français‹ (1791-1816)?«, in: zeitenblicke 3 (2004); http://zeitenblicke.historicum. net/2004/01/plato/index.html vom 09.06.2004.
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Abbildung 2: Édouard Baldus, Porte Saint-Denis, Paris, ca. 1856 Quelle: Cervin Robinson/Joel Herschman: Architecture Transformed. A History of the Photography of Buildings from 1839 to the Present, 2. Auflage, Cambridge, Mass./London 1988, S. 7, Abb. 3. sollte. Die Musealisierung translozierter Denkmäler prägt nun auch in einer Art Rückkopplungseffekt die Wahrnehmung der Orte, denen jene Monumente entnommen wurden. Hierfür symptomatisch ist die Musealisierung historischer Stadtzentren. Bauliche Überreste wurden nunmehr als monumentale Kondensate vergangener Epochen verstanden, die es jenseits ihrer ursprünglichen Funktion um einer nationalen Kulturgeschichte willen zu erhalten galt. So initiierte die 1837 ins Leben gerufene Commission des Monuments Historiques, die erste staatliche Denkmalpflegebehörde Frankreichs, ein aufwändiges Projekt zur Dokumentation aller als wichtig erachteten Nationaldenkmäler. Dabei waren derartige Initiativen von Anfang an eng mit dem neuen Medium der Fotografie verknüpft. Die 1851 ins Leben gerufene Mission Héliographique etwa machte es sich zur Aufgabe, eine lange Liste zuvor ausgewählter Monumente fotografisch zu dokumentieren und so den Bürgern Frankreichs den kulturellen Reichtum ihrer Nation vor Augen zu führen.23 Die 23 | Vgl. Christine M. Boyer: »La Mission Héliographique: architectural photography, collective memory and the patrimony of France 1851«, in: Joan M. Schwartz (Hg.), Picturing place: photography and the geographical imagination, London 2003, S. 35. Vgl. hierzu auch Rolf Sachsse: Bild und Bau. Zur Nutzung technischer Medien beim Entwerfen von Architektur, Braunschweig/ Wiesbaden 1997, S. 36 ff.
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fotografische Inventarisierung der Architekturmonumente diente daher letztlich der imperialen Imagebildung.24 Dabei lässt sich durchaus eine Entwicklung in der Art und Weise feststellen, wie die Monumente dargestellt wurden. Während zu Beginn das größte Interesse dem städtischen Kontext sowie besonderen Details und Strukturen der aufgenommenen Bauten galt, zeigt etwa das Werk Édouard Baldus’ die zunehmende Tendenz zur Heraushebung des Monuments aus seinem urbanen Umfeld durch zentrierte Frontalansichten der Fassaden (Abb. 2).25 Die Aufnahmen der Porte Saint-Denis, der Maison carrée oder des Pont du Gard wirken daher wie Porträtaufnahmen, denen – der frühneuzeitlichen Malerei nicht unähnlich – das urbane oder ländliche Umfeld lediglich noch als Kulisse dient.26 Wie bereits Riegl im Rückblick auf die skizzierte Entwicklung richtig feststellte, ist die strikte Unterscheidung zwischen »gewollten« und erst durch den Fotografen oder Historiker nachträglich zu Monumenten erklärten Artefakten, die mit Blick auf ihre historischen Entstehungsbedingungen der Gruppe der »ungewollten« Denkmäler zugeordnet werden müssten, nicht mehr notwendig. Was einstmals eine pragmatische Funktion zu erfüllen hatte, die jenseits jedes monumentalen Anspruches lag, wird wie die klassische Konfiguration von Platz und Monument27 nun ebenso zu einem erhaltenswerten Artefakt der nationalen Kunst- und Kulturgeschichte erklärt.28 24 | Vgl. Ausst. Kat. Metropolitan Museum of Art, New York/Canadian Centre for Architecture, Montreal: The Photographs of Édouard Baldus, hg. v. Daniel Malcolm, New York 1994, S. 111. 25 | Vgl. Cervin Robinson/Joel Herschman: Architecture Transformed. A History of the Photography of Buildings from 1839 to the Present, 2. Auflage, Cambridge, Mass./London 1988, S. 2-10. 26 | Rolf Sachsse schreibt zu diesem Punkt: »Photographisch kam es in ihnen nicht mehr auf die exakte Detailschilderung an, sondern auf die Stimmungsvermittlung, da die aufgenommenen Objekte den meisten Betrachtern unbekannt gewesen sein werden; das Interesse am Bildermachen hatte sich von der restaurierungstechnischen Abbildungshilfe zum medialen Instrument öffentlicher Aufmerksamkeit verschoben.« R. Sachsse: Bild und Bau, Braunschweig/Wiesbaden 1997, S. 39. 27 | Vgl. Erich Brinckmann: Platz und Monument, Berlin 1908, Reprint, Berlin 2000. 28 | »Indem sich die Klassenfrage an die Bilder in eine Frage der nationalen Identität einebnet, werden die ›monuments‹ als abstrakter Besitz aller Bürger
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Dies führt indessen nicht nur zur Monumentalisierung ganzer Städte, sondern hat letztlich die Architektonisierung des MonumentBegriffs selbst zur Folge. Entgegen der Auffassung Albertis, in dessen Architekturbüchern der Baukunst zumindest nicht explizit ein Platz im Kanon monumentaler Medien zugebilligt wurde, spricht man ihr jetzt ganz offensiv den Rang einer monumentalen Kunst par excellence zu. Dies geschieht gleichwohl unter der Voraussetzung, dass man in ihr schon zur Zeit der Französischen Revolution ein geeignetes Medium des neuen revolutionären Kollektivgeistes betrachtete. Durch die öffentliche Präsenz und formale Abstraktheit schien sie mehr als jede andere Kunst die angestrebten bürgerlichen Ideale zu repräsentieren. Die visionären Entwürfe Nicholas-Claude Ledoux’ und Etienne-Louis Boullées haben hierin ihre Vorbedingung, wenn anstelle einer eindeutigen personenbezogenen Ikonografie mit jedem öffentlichen und privaten Bauwerk die Absicht verbunden wird, mittels abstrakter, vom decorum befreiter Elementarformen die égalité der Masse zu symbolisieren. In Boullées Essai sur l’art kann die Architektur daher kurzerhand mit dem Monument gleichgesetzt werden, weil sie im Namen des nationalstaatlichen Kollektivs die Repräsentation aller übernimmt. Die Erosion des bis dahin gültigen Sinngefüges der Welt wird durch historische Traditionsbildungen sowie durch die Adaption der christlichen Liturgie kompensiert. So entwirft Boullée ein Monument zur Feier des Fronleichnamfestes, das als Stadtkrone konzipiert ist, die, auf dem Mont Valerien oder dem Montmartre platziert, ganz Paris und die gesamte französische Nation monumental überhöht (Abb. 3). Die im Titel genannte religiöse Funktion des Bauwerks kommt hierbei nicht zur Sprache, weil sie nur noch formale Attitüde ist. An ihre Stelle tritt die vergleichsweise unbestimmte Erfahrung kollektiven Einvernehmens unter der Führung der Architektur.29 Wenngleich Boullées Monumentalisierung der Architektur keineswegs eine neue Entwicklung der Architekturgeschichte darstellte, sondern mit Blick auf die Mausoleen und Pyramiden der Antike sogar eine lange Tradition hat, ist die Radikalität mit der dies geschieht dennoch nun zum Medium nationaler Versöhnung.« Horst Bredekamp: Monumentale Theologie: Kunstgeschichte als Geistesgeschichte, in: Ferdinand Piper, Einleitung in die monumentale Theologie, Mittenwald 1978, S. 11. 29 | Vgl. Étienne-Louis Boullée: Architecture. Essai sur l’art, Paris ca. 1790; zit. n. Etienne-Louis Boullée: Architektur. Abhandlung über die Kunst, hg. v. Beat Wyss, Zürich/München 1987, S. 61 f.
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Abbildung 3: Etienne-Louis Boullée, Monument zur Feier des Fronleichnamfestes, 1793 Quelle: Etienne-Louis Boullée: Architektur. Abhandlung über die Kunst, hg. v. Beat Wyss, Zürich/München 1987, S. 61, Abb. 14. bemerkenswert.30 Boullées Monumente sind nicht nur Solitäre, die als poetische Kunstwerke keine anderen Bauten neben sich tolerieren, weil sich hier der Genius des Architekten im freien Zusammenspiel mit der Größe der Nation zu vorher undenkbaren Höhen aufgeschwungen hat. Vor allem werden damit die figürlichen Darstellungsmodi des Monuments, wie sie Alberti kanonisierte, in ihre Schranken verwiesen. Der Architekt selbst hingegen steigt im Bewusstein über die Wirkmächtigkeit vergangener Bauwerke zum Konstrukteur einer zukünftigen Geschichte der Nation auf, die, so die Hoffnung, von nicht geringerer Bedeutung sein wird als die darin zitierten historischen Vorbilder.31 Aus diesem neuen Selbstbewusstsein heraus, tritt die Architektur selbst dann in unmittelbare Konkurrenz zu den klassischen Medien des Monumentalen, wenn die Aufgabe nicht in der Repräsentation des Kollektivs, sondern in der Erinnerung an einen verstorbenen Herrscher besteht. Die Symptomatik und Paradoxie jener Entwicklung zeigt sich bereits in dem 1796 ausgerufenen Wettbewerb für ein Denkmal, das 30 | »Der Denkmalkult der zweiten Hälfte des 18.Jh.s ist eine Art geraffte Wiederholung alles dessen, was aus der Antike und Vorzeit damals bekannt gewesen ist an architektonischen Monumenten. Im Laufe weniger Jahrzehnte, ja sogar weniger Jahre, wird alles das auf dem Papier wiederholt, was einst zur Realisierung Unsummen an Arbeitsaufwand und an Materialaufwand gefordert hatte.« A. Vogt: »Das architektonische Denkmal«, in: H.-E. Mittig/V. Plagemann (Hg.), Denkmäler im 19. Jahrhundert (1972), S. 38. 31 | Dies wird etwa an folgendem Zitat Charles Garniers deutlich: »Les architectes qui costruisent les monuments doivent se considerer comme les écvrivains de l’histoire future; [...].« Zit. n. Christopher Curtis Mead: Charles Garnier’s Paris Operà. Architectural Empathy and the Renaissance of French Classicism, New York 1991, S. 7.
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Friedrich dem Großen gewidmet war. Während zahlreiche Künstler kurz nach dem Tod des preußischen Königs im Jahr 1786 noch Entwürfe für Herrscherstandbilder in Gestalt römischer Caesaren oder Pyramiden mit Inschriften vorschlugen, präsentierte Friedrich Gilly, offensichtlich beeinflusst durch die französische Revolutionsarchitektur, 1796 einen hochaufgesockelten, weitestgehend schmucklosen Tempel, der von Obelisken und Torbauten gerahmt wurde und in dieser Kombinatorik aus griechisch-klassizistischen und ägyptischen Formen nicht zuletzt einen städtebaulichen Anspruch formulierte (Abb. 4).32 Dabei scheinen in der abstrakten Gestalt des Architekturmonuments die Grenzen zwischen traditionellem Herrscherkult, nationalstaatlicher Repräsentation und städtebaulichem embellissement dermaßen in Fluss geraten zu sein, dass das Prädikat des Monumentalen nunmehr allein noch dazu dient, den besonderen Anspruch des Gebauten zum Ausdruck zu bringen.33 So verbindet etwa Karl Friedrich Schinkel in einem Kommentar aus dem Jahr 1817 mit seinem Entwurf für die Neue Wache in Berlin den »Charakter eines Monuments«, das sich gegen die umstehenden Bauten behauptet. Denn, so heißt es in einem weiteren Zitat des Architekten, ein »Kunstwerk […] wenn es nicht auf irgendeine Weise Monument ist und sein will, ist kein Kunstwerk.«34 Die damit benannte Metamorphose des Monuments von der figürlichen Darstellung zur architektonischen Form prägt das gesamte 19. Jahrhundert. Auf dieser Grundlage kann etwa Hegel in seiner Berliner Ästhetik-Vorlesung des Sommersemesters 1826 von einer symbolischen Architektur sprechen, die, der Skulptur ähnlich, »Bedeutung an sich selbst« hat und sich so von der bloßen Idee des zweckbestimmten und raumumschließenden Hauses qualitativ deutlich unterscheidet.35 32 | Vgl. Fritz Neumeyer: »Einleitung«, in: Ders. (Hg.), Friedrich Gilly. Essays zur Architektur 1796-1799, Berlin 1997, S. 63. 33 | »Selbstverständlich hat der Denkmalkult des 18. Jh.s, sei es in den Riesenentwürfen der Revolutionsarchitekten, sei es in den Folies der Gartenarchitekturen, das Denkmal zugleich auch ad absurdum geführt.« A. Vogt: »Das architektonische Denkmal«, in: H.-E. Mittig/V. Plagemann (Hg.), Denkmäler im 19. Jahrhundert (1972), S. 46. 34 | Beide Zitate von Karl Friedrich Schinkel: Bauwerke und Baugedanken, München/Zürich 1981, S. 94-95. 35 | Vgl. Georg Wilhelm Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826, hg. v. Annemarie Gethmann-Siefert/Jeong-Im Kwon/Karsten Berr, Frankfurt a.M. 2005, S. 178.
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Abbildung 4: Friedrich Gilly, Entwurf für ein Denkmal Friedrichs II., 1797 Quelle: Datenbank: bpk – Bildportal der Kunstmuseen, Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Wenngleich Hegel damit die Bedeutung der klassischen Baukunst für das Monumentale zu relativieren suchte, erlangte das antikisierende architektonische Monument im 19. Jahrhundert dennoch eine zuvor ungekannte Bedeutung. So artikuliert Ludwig von Bayern kurze Zeit nach Gillys Entwurf für Friedrich den Großen den Wunsch zu einem architektonischen Nationaldenkmal in Gestalt eines Pantheons der Deutschen (Abb. 5). Das nach langen Kontroversen und Intrigen 1830 tatsächlich begonnene Bauwerk oberhalb der Donau stellt sich dementsprechend als ein dorischer Peripteros dar, der durch einen 35 m hohen, mit Dolomitquadern verkleideten Sockel weithin sichtbar aus der Landschaft herausgehoben ist. Die Ringhalle selbst besteht aus 9 m hohen Säulen, während die kostbar mit Marmor ausgekleidete cella den Typus der Wandpfeilerkirche zitiert. Dabei steht der vergleichsweise strenge Klassizismus des Außenbaus in denkbar großem Gegensatz zur dekorativen Ausgestaltung des ikonografischen Programms im Innern. Der Absicht des Monuments entsprechend, dem König als ersten Diener des Staates und den Heroen einer noch zu konstruierenden Geschichte der deutschen Nation ein Denkmal zu setzen, spannt sich der historische Bogen von der Schlacht im Teutoburger Wald über die ostgotischen Könige der spätrömischen Zeit bis zu Ludwig selbst. Im Monument vermengen sich so heidnische und christliche Wurzeln zu einer neuen Religion der Nation. Mit der Besteigung der Tempelanlage verbindet sich daher nicht nur der Übergang vom Tod zur Unsterblichkeit, sondern auch der politische Aufstieg Deutschlands.36 Dies 36 | Vgl. Winfried Nerdinger: »›Das Hellenische mit dem Neuen verknüpft‹. Der Architekt Leo von Klenze als neuer Palladio«, in: Ausst. Kat. Architekturmuseum der TU München, Leo von Klenze. Architekt zwischen Kunst und Hof 1784-1864, hg. v. Winfried Nerdinger, München/London/New York 2000, S. 37.
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Abbildung 5: Leo von Klenze, Walhalla in Donaustauf, 1830-1842 Quelle: Jörg Traeger: Der Weg nach Walhalla, Denkmallandschaft und Bildungsreise im 19. Jahrhundert, Regensburg 1987, S. 8, Abb. 1. im Bewusstsein, interpretiert Albert Hofmann in seinem opulenten Werk über die Denkmäler derartige Monumente als Ausdruck eines weltgeschichtlichen Reifungsprozesses, der sich von der »Ruhmsucht« der althergebrachten Darstellungsmodi positiv abgrenzt. In Ludwigs Entschluss zu einem Ehrendenkmal für das deutsche Volk erkennt er gar den »erhabensten Idealismus«,37 während die Nationaldenkmäler der Walhalla sowie der Befreiungshalle bei Kelheim insgesamt als Symptom einer tugendhaften »Selbstverleugnung«38 ihrer Auftraggeber interpretiert werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die zahlreichen gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Bismarck-Denkmäler nicht mehr als letztes Aufbäumen des klassischen Monument-Verständnisses beschreiben.39 In ihnen wird vielmehr der Wandel vom figürlichen Standbild zum architektonischen Monument der Moderne gleichsam augenfällig. In Wilhelm Kreis’ Entwurf eines Bismarck-Denkmals auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück (1910) verschwindet die Figur Bismarcks gar vollständig aus dem Blickfeld 37 | A. Hofmann: Denkmäler, Handbuch der Architektur, Bd. II, S. 801. 38 | A. Hofmann: Denkmäler, Handbuch der Architektur, Bd. I, S. 23. 39 | Vgl. Jörg Schilling: Distanz halten. Das Hamburger Bismarckdenkmal und die Monumentalität der Moderne, Göttingen 2006.
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Abbildung 6: Wilhelm Kreis, Bismarck-National-Denkmal am Rhein, 1910 Quelle: Datenbank: Pictura Paedagogica Online, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, Berlin. des Betrachters, um sich im Innern des Mausoleums niederzulassen (Abb. 6).40 Die Monumentalisierung der Architektur und die museale Entkontextualisierung historischer Monumente blieb nicht ohne Einfluss auf die Architektur und Kunst des frühen 20. Jahrhunderts. Denn bei aller Kritik am Historismus des 19. Jahrhunderts sowie der programmatischen Beschwörung eines voraussetzungslosen Neubeginns, verdankt sich das moderne Verständnis des Monuments letztlich der zuvor geleisteten Neutralisierung historischer Artefakte.41 An die Stelle einer spezifischen Ikonografie tritt jetzt die abstrakte Form wie sie August Schmarsow 1905 in Grundbegriffe der Kunstwissenschaft beschrieben hatte: »Gewaltsame Fassung in kubische Formen ist die erste Maßregel dieses monumentalen Bestrebens, sowie sich das Bewußtsein aufdringt, daß es sich nicht um Nachahmung von Wirklichkeit handelt, nicht um Darstellung der Lebewesen in ihrem Tun und Treiben, in ihrem Zusammenhang mit der Natur, sondern im Gegenteil um eine Abstraktion des Konstanten, um eine Verdichtung ins
40 | Seinen vorläufig monumentalsten Abschluss fand jene Entwicklung zweifellos in Bruno Schmitz’ Leipziger Völkerschlachtdenkmal aus dem Jahr 1913. 41 | Vgl. Johannes Langner: »Denkmal und Abstraktion. Sprachregelungen der monumentalen Symbolik im 20. Jahrhundert«, in: Ekkehard Mai/Gisela Schmirber (Hg.), Denkmal-Zeichen-Monument, München 1989, S. 58-67.
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Unbewegliche, Starre, Kalte und Undurchdringliche, um eine Neuschöpfung in anderer eben unorganischer Natur.« 42
Was Schmarsow hier mit Blick auf die Kunstgeschichte formuliert, wird in der zeitgenössischen Architekturdiskussion schon bald zum zentralen Problem. Die Frage, wie sich angesichts der rapiden industriellen und technischen Entwicklung die baukünstlerische Monumentalität vergangener Tage überhaupt noch herstellen lasse, evozierte zahlreiche Auseinandersetzungen mit diesem Thema. Dabei tritt der Gegenstand selbst immer weiter hinter eine äußerst vage Bestimmung des Monumentalen zurück. So beantwortet etwa Peter Behrens die Frage nach der Wesensbestimmung des Monumentalen mit dem besonderen kollektiven Geist, der notwendig sei, um eine Kunst zu erschaffen, »die man nicht lieb haben und ans Herz drücken kann, vor der man niedersinkt, die uns erschauert, uns durch ihre Größe seelisch überwältigt.«43 Walter Gropius zitiert in einem seiner frühen Vorträge neben Riegl Behrens’ Neubestimmung des Monumentalen und versucht sie, vielleicht unter dem Eindruck der monumentalen AEG-Turbinenhalle (1909), mit dem modernen Industriebau zu versöhnen.44 Die Aufgabe der monumentalen Kunst, so heißt es hierin geheimnisvoll, bestehe nunmehr in der »Darstellung höherer transcendentaler Ideen mit materiellen Ausdrucksmitteln, die der sinnlichen Welt des Raums und der Zeit angehören.«45 Dabei werde der von Menschenhand geschaffene Kunstkörper zum zivilisatorischen Triumph »im Kampf mit dem Naturobjekt.«46 Die größte Herausforderung sieht Gropius in diesem Zusammenhang darin, der »enthüllenden Wesenlosigkeit«47 von Eisen und Glas eine monumentale Wirkung zu entlocken, die selbst noch dem Fabrikarbeiter eine Ahnung
42 | August Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, Leipzig/Berlin 1905, S. 234. 43 | Peter Behrens: »Was ist monumentale Kunst?«, in: Kunstgewerbeblatt, Neue Folge, 20 (1908-1909), S. 15. 44 | Vgl. Walter Gropius: »Monumentale Kunst und Industriebau«, (Vortrag vom 10. April 1911 im Folkwang-Museum Hagen), in: Hartmut Propst/Christian Schädlich (Hg.), Walter Gropius, Bd. 3: Ausgewählte Schriften, Berlin 1988, S. 28-51. 45 | Ebd., S. 28. 46 | Ebd., S. 29. 47 | Ebd.
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Abbildung 7: Antonio Sant´Elia, Città Nuova, 1913-1915 Quelle: Datenbank: Diathek online, Technische Universität Dresden, Institut für Kunstgeschichte, Dresden. »von der Würde der gemeinsamen großen Idee, die das Ganze treibt«,48 zu vermitteln vermöge. Die Umsetzung jenes anspruchsvollen Ziels gestaltete sich höchst unterschiedlich. Beeindruckende Visionen der von Gropius geforderten monumentalen Überhöhung der Industriearchitektur lieferte etwa der italienische Futurismus. Das 1914 erschienene Manifest der Architettura Futurista49 enthält bekanntermaßen die zentralen Gedanken zu einer kommenden Baukunst in monumentalen Dimensionen. Ihr Autor, der 1888 in Como geborene Architekt Antonio Sant’Elia, bekannt durch seine Città Nuova (Abb. 7), eine in fantastischen und expressiven Zeichnungen dargestellte urbanistische Vision, begrüßte das neue Maschi-
48 | Ebd., S. 31. 49 | Vgl. Antonio Sant’Elia: »L’ Architettura Futurista« (Mailand 1914), in: Ausst. Kat. Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt a. M., Antonio Sant’Elia. Gezeichnete Architektur, hg. v. Vittorio Magnago Lampugnani, München 1992, S. 214-215.
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nenzeitalter gleichsam mit einem monumentalen Feuerwerk. Kraftwerke, Bahnhöfe, Flughäfen und Stadtautobahnen werden darin als neue titanische Bauaufgaben, die Architektur selbst als eine aus den Funktionen und maschinellen Abläufen abgeleitete Gestalt betrachtet, die sich im Gegensatz zum Historismus jeder historischen Assoziation entledigen soll. Die einzige Ausnahme stellt bezeichnenderweise das 18. Jahrhundert dar, bevor ein »unglaubliches Gemisch der verschiedensten Stilelemente, mit denen man das Skelett des modernen Hauses verkleidet«50 hat, zum Niedergang geführt habe. Dieser stilistischen Präferenz entsprechend, handelt es sich bei Sant’Elias neuer Stadt weniger um eine ins Futur gewendete Monumentalbaukunst denn um eine Reminiszenz an die Megalomanie der französischen Revolutionsarchitektur. Dabei geht es, ähnlich wie dies Johannes Langner bereits im Zusammenhang mit Wladimir Tatlins berühmtem Denkmal für die III. Internationale (1919-20) feststgestellt hat, nicht um eine Funktion und Technik entnommene Gestalt.51 Die abstraktsymbolhafte Sprache der neuen Monumente ist vielmehr als Mimikry der technischen Rationalität denn als deren Verwirklichung zu begreifen.52 Für den amerikanischen Architekturhistoriker Lewis Mumford stellt der Funktionalismus der modernen Architektur daher ein Mythos dar, der in keinster Weise mit der Realität übereinstimme.53 Allenfalls müsse in diesem Kontext von einer Fetischisierung der Maschine gesprochen werden. Der moderne Rationalismus sei daher im Grunde seines Wesens ein Stil, der sich ebenso wie andere Stile in die Kunstgeschichte einordne und daher nicht für alle Zeiten verabsolutiert werden könne.54 Das Ringen um eine moderne Monumentalbaukunst reduzierte sich allerdings zumindest in seinen Anfängen kaum auf den monierten Rationalismus. Die grenzenlose Technikeuphorie mancher 50 | Ebd., S. 214. 51 | Vgl. J. Langner: »Denkmal und Abstraktion.«, in: E. Mai/G. Schmirber (Hg.), Denkmal-Zeichen-Monument (1989), S. 58-67. 52 | Auf diesen Umstand wies bereits Lewis Mumford in seiner Kritik der modernen Architektur hin: L. Mumford: »Monumentalism, Symbolism and Style«, in: The Architectural Review (April 1949), S. 173-180. 53 | Vgl. ebd. 54 | »Consciously or unconsciously, they gave to their buildings the stamp of the factory, as their predecessors had given to their buildings that of the Church, or those in the Baroque period that of a Palace.« Ebd., S. 176.
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Abbildung 8: Bruno Taut, Alpine Architektur, 1919 Quelle: Matthias Schirren: Bruno Taut. Alpine Architektur – Eine Utopie, München/Berlin/London/New York 2004, S. 69. Positionen evozierte zugleich die romantische Vorstellung des Monuments als naturwüchsige Verkörperung eines wie auch immer gearteten kollektiven Gestaltwollens, das sich programmatisch jeder pragmatischen Bauaufgabe verschloss. Wo Sant’Elia Monumente des Industriezeitalters imaginiert, entstehen mit den Expressionisten um Bruno Taut Architekturvisionen, die sich nicht kontrastreicher hiervon abheben könnten. Die Überwindung der von Gropius konstatierten »Wesenlosigkeit« von Glas und Stahl bei gleichzeitiger Verkörperung transzendentaler Ideen mittels neuer monumentaler Formen war im Unterschied zum Futurismus von literarisch-poetischen Assoziationen beeinflusst, die sich in ihrer Opulenz der Darstellung technischer Rationalität gleichsam verschlossen. Noch während des Ersten Weltkrieges vollendete Taut die aus dreißig Tuschezeichnungen bestehende Bildfolge Alpine Architektur, mit der er den Betrachter in eine Bergwelt entführt, deren funkelnde Kristallarchitekturen offensichtlich von Wenzel August Habliks einige Jahre zuvor entstandenen Visionen beeinflusst sind (Abb. 8). Unter dem Eindruck von Friedrich Nietzsches Zarathustra werden die Abkehr von der unvollkommenen Gesellschaft
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und die gleichzeitige Zuwendung zur schöpferischen Natur imaginiert. Dies geschieht allerdings keineswegs im Sinne einer neuen Bescheidenheit: Steigt der Mensch doch zum titanischen Überwesen auf, dessen Werk der göttlichen Schöpfung erst die Krone aufsetzt. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass Taut seine Monumente einer neuen Zeit in eine Reihe mit ihren angenommenen historischen Vorläufern stellt. Explizit wird dies in seiner 1919 veröffentlichten Stadtkrone55 deutlich. Angeregt durch die Gartenstadtbewegung des späten 19. Jahrhunderts, entwirft er darin eine ganze Idealstadt. Sie erhebt sich über einem kreisförmigen Grundriss mit einem Durchmesser von 7 km, in dessen Mitte sich ein Komplex befindet, der eher an absolutistische Schlossarchitektur, denn an visionäre Utopien denken lässt (Abb. 9). Das massive Fundament der hiermit vorgestellten Stadtkrone wird von vier achsensymmetrisch angeordneten Kulturbauten gebildet, die ein alles überragendes Kristallhaus einfassen, das in rot-gelblichem Glas ausgeführt werden soll. Bevor Taut allerdings seinen eigenen Entwurf näher erläutert, führt er eine ganze Reihe »alter Stadtbekrönungen« als historische Referenzen an, darunter etwa die Akropolis oder die Piazza del Duomo in Pisa. Dies geschieht allerdings nicht, um sie zu Vorbildern auf der Suche nach gestalterischen Lösungen zu erklären. Sie dienen vielmehr dazu, die überzeitliche Notwendigkeit des von Taut entworfenen kristallinen Monuments als schöpferische Gemeinschaftsleistung einer zukünftigen Gesellschaft aufzuzeigen, die irgendwann einmal gestärkt aus den chaotischen Verhältnissen der Nachkriegszeit hervorgehen soll. Derart enthistorisiert, wird das Monumentale zu einem Wert an sich, der über jede Instrumentalisierung durch Einzelne erhaben scheint. Es ist als Verkörperung einer nicht weiter benennbaren, kollektiven Idee gedacht, die »wie ein glitzernder Diamant über allem«56 thront und hierin letztlich »mehr als gewöhnliche Materie«57 sein will. Die hiermit verbundene Rhetorik einer neuen Religiosität speist sich dementsprechend nicht aus dem Christentum, sondern aus der Beschwörung eines 55 | Vgl. Bruno Taut: Die Stadtkrone, Jena 1919, Reprint, Nendeln/Liechtenstein 1977. Zum Gesamtwerk Tauts vgl. Winfried Nerdinger et al.: Bruno Taut. 1880-1938. Architekt zwischen Tradition und Avantgarde, München 2001. Zu Taut im größeren Kontext des Expressionismus vgl. Wolfgang Pehnt: Die Architektur des Expressionismus, Ostfildern-Ruit 1998. 56 | Ebd., S. 69. 57 | Ebd., S. 67.
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Abbildung 9: Bruno Taut, Stadtkrone, 1919 Quelle: Wolfgang Pehnt: Die Architektur des Expressionismus, Stuttgart 1973, Abb. 40. »Sozialismus im unpolitischen, überpolitischen Sinne, fern von jeder Herrschaftsform«.58 Die Bedeutung, die dem Architekten in diesem Zusammenhang beigemessen wird, könnte nicht größer sein: Er gilt als Erleuchteter, der einen undefinierten Glauben in das neue Gesamtkunstwerk aus Stein, Glas und Eisen überführt.59 Dies vor Augen, ruft Taut etwa zeitgleich einen Geheimbund ins Leben, der als Gläserne Kette60 bereits im Namen die innige Verschworenheit der Beteiligten sowie das Programm einer gläsernen Architektur trägt. Der hierin vertretenen Gleichsetzung des Entwurfes mit religiöser Emphase entspricht die Form der Auseinandersetzung. In der Spontaneität des Briefwechsels und der Flüchtigkeit skizzierter Imaginationen sollte die intuitiv erspürte Wahrhaftigkeit des Kristallinen seinen angemessenen Ausdruck finden. »Seien wir mit Bewusstsein imaginäre Architekten!«, heißt es dementsprechend in Tauts Aufruf vom 24. November 1919.61 Den entwerferischen Anfang macht ein Brief Tauts, der unter dem Pseudonym Glas ein gigantisches Monument des neuen Gesetzes zur Diskussion stellt (Abb. 10). Am Kuppelansatz eines von einer kristallinen Spitze bekrönten Kristallmassivs kragen sieben wie Blütenblätter angeordnete gläserne Schrifttafeln aus. Auf ihnen befinden sich als Lebensweisheiten verstandene Zitate Luthers, Liebknechts, Nietzsches und Scheerbarts, die tagsüber durch das Sonnenlicht und nachts durch den Kristall illuminiert werden und sich so ganz buchstäblich als monumentale Projektionen in die Gesellschaft einschreiben. Referenz ist 58 | Ebd., S. 59. 59 | Vgl. B. Taut: »Architektur neuer Gemeinschaft«, in: Alfred Wolfenstein (Hg.), Die Erhebung. Jahrbuch für neue Dichtung und Wertung: Zweites Buch, Berlin 1920, S. 272-273. 60 | Vgl. Iain Boyd Whyte/Romana Schneider (Hg.): Die Briefe der Gläsernen Kette, Berlin 1986. 61 | B. Taut: »Brief vom 24. November 1919«, in: ebd., S. 18.
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Abbildung 10: Bruno Taut, Monument des neuen Gesetzes, 1919 Quelle: Datenbank: Diathek online, Technische Universität Dresden, Institut für Kunstgeschichte, Dresden. hier nicht die industrielle Revolution, sondern eine organisch aus den Massen emporschießende Form, die nicht nur Raum und Zeit transzendiert. Sie sprengt darüber hinaus die Gattungsgrenzen zwischen Architektur und Skulptur und wendet damit die conditio sine qua non des Monuments endgültig in ihr Gegenteil. Gropius’ Denkmal für die Märzgefallenen in Weimar (1921) und Mies van der Rohes Denkmal für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (1926) in Berlin kommt aus dieser Perspektive eine symptomatische Bedeutung zu (Abb. 11 und 12). Jede figurative Geste wird darin vermieden, um jenseits konkreten Erinnerns das Kollektive und Universale zu petrifizieren. Von hier aus gesehen kann das Monumentale kaum noch als Widerpart der Moderne betrachtet werden. Als von seiner »kultischreligiösen«62 Funktion befreite »Abstraktion des Konstanten« ist es vielmehr integrativer Bestandteil einer seitdem weitestgehend indif-
62 | Vgl. Ludwig Hilberseimer: Großstadt Architektur, Stuttgart 1927, 2. Auflage, Stuttgart 1978, S. 98.
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Abbildung 11: Walter Gropius, Denkmal für die Märzgefallenen, Weimar, 1921 Quelle: Rainer Budde (Hg.): Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Westdeutsches Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. XLIV, Köln 1983, S. 297, Abb. 6.
Abbildung 12: Mies van der Rohe, Denkmal für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Berlin, 1926 Quelle: Der Spiegel 12 (18.03.2002), S. 206.
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ferenten Verwendung des Monument-Begriffes.63 Die hiermit verbundene Hoffnung auf eine autonome Kunst, die sich jeder eindeutigen Semantik zu entziehen vermochte, entpuppte sich allerdings schon bald als sorgsam gepflegte Illusion. Die italienischen Rationalisten der 1920er und 1930er Jahre forderten im Einklang mit dem Ewigkeitsstreben der Faschisten eine »ordine superstorico«,64 während Friedrich Tamms, willfähriger Architekt Adolf Hitlers, im Monumentalen das harte Gesetz der Baukunst erkannte, mit dessen Hilfe sich das angestrebte Tausendjährige Reich wirkungsvoll in Szene setzen lassen sollte. Dabei beschwor er noch zu einem Zeitpunkt, als die imperialen Pläne der Nationalsozialisten bereits im Widerspruch zur militärischen Realität standen, das Monumentale als »Verschwendung im Materiellen«, die »aus der Fülle des Herzens einer großen Idee Form und Sinnbild schafft.« Denn, so heißt es weiter: »[es] muß im praktischen Sinne zwecklos, dafür aber Träger einer Idee sein. Es muß etwas Unnahbares in sich tragen, das die Menschen mit Bewunderung, aber auch mit Scheu erfüllt. Es muß unpersönlich sein, weil es nicht das Werk eines einzelnen ist, sondern Sinnbild einer durch ein gemeinsames Ideal verbundenen Gemeinschaft. Es wird daher immer dann am ehesten in Erscheinung treten, wenn diese Gemeinschaft jung ist und mit noch heißem Herzen neuentdecktes Land zu erobern sich anschickt.« 65
63 | So unterstellt der Kunsthistoriker Johannes Langner dem modernen Monument eine gewisse Beliebigkeit wohingegen Rosalind Krauss die Betrachtung der modernen Skulptur als unaufhaltsamen Triumph der Kunstgeschichte kritisiert. Aus dem Blick gerate dabei, dass die Autonomie des Monuments um den Preis seiner Selbstaufgabe erkauft worden sei. Rosalind Krauss: »Maßstab und Monumentalität als Problem der modernen Plastik«, in: Margit Rowell (Hg.), Skulptur im 20. Jahrhundert. Figur – Raumkonstruktion – Prozeß, München 1986, S. 228-233. »Anders gesagt: das Monument existiert in der Geschichte der Moderne nur noch als Kehrseite dessen, was seine frühere Bedingung ausmachte.«, S. 229. 64 | Gruppo 7: »Architettura (IV). Una Nuova Epoca Arcaica« (March 1927), in: Michele Cennamo (Hg.), Materiali per l’Analisi dell’Architettura Moderna, Neapel 1973, S. 65-69, hier S. 66. 65 | Friedrich Tamms: »Das Große in der Baukunst«, in: Die Kunst im deutschen Reich, 1944; zit. n. Werner Durth: Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900-1970, 2. Auflage, Braunschweig/Wiesbaden 1987, S. 243.
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Es ist somit nur ein schmaler Grat zwischen dem Pathos des Kollektiven und der religiösen Überhöhung von Nation, Rasse und Volk.66 Entsprechend widersprüchlich stellen sich die noch während des Zweiten Weltkrieges unternommenen Versuche zur Rettung des modernen Monument-Begriffes dar. Sie bewegen sich zwischen der programmatischen Abgrenzung von den faschistischen und nationalsozialistischen Regimen bis hin zur trotzigen Behauptung künstlerischer Autonomie. Das Monument gilt als unantastbar in seiner künstlerischen Integrität und grundsätzlichen Bedeutung für den Menschen. Als ginge es darum, das seit der Französischen Revolution etablierte Verständnis des architektonischen Monuments als Verkörperung des Kollektiven wieder der jüngeren Geschichte zu entreißen und so den Prozess einer korrigierten Moderne mit aller Macht zu vollenden. Gelingen konnte dies nur unter der Voraussetzung, dass der Autonomie-Anspruch der ästhetischen Moderne auf die gesamte Geschichte rückprojiziert und damit die historische Funktion der monumentalen Form als Medium der Repräsentation vollständig negiert wurde. An die Stelle der instrumentalisierten Form tritt so die permanente Evokation einer der Realität selbst nicht zu entnehmenden ästhetischen Autonomie. Begrifflich zeigt sich jene maximale Annäherung der heteronomen Architektur an die vermeintlich autonome Kunst bereits in Schmarsows Rede vom Monumentalbau, »der doch in die Plastik ausläuft und mit dem Denkmal, als kompakte Masse ohne Innenraum für Lebewesen, schon gar nicht mehr zur Architektur gehört […].«67 Unübersehbar sind damit die gegenseitigen Anverwandlungen, auf deren Grundlage sich spätestens seit den 1980er Jahren ein Diskurs über das Monument im Medium der »ArchitekturSkulptur«68 entwickelte. Architekten und Künstler bedienen sich darin gleichermaßen urbaner Strategien, die zuweilen als objektivierte Beiträge zu einer Debatte über die Bedeutung des Monumentalen gelesen werden 66 | Vgl. Werner Durth: »Utopie der Gemeinschaft. Überlegungen zur Neugestaltung deutscher Städte 1900-1950«, in: Ausst. Kat. Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt a. M., Moderne Architekten in Deutschland 1900 bis 2000. Macht und Monument, hg. v. Romana Schneider/Wilfried Wang, Ostfildern-Ruit 1998, S. 135-163, hier S. 140-141. 67 | A. Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft (1905), S. 183-184. 68 | Symptomatisch für diese Entwicklung ist folgende Publikation: Klaus Jan Philipp: ArchitekturSkulptur. Die Geschichte einer fruchtbaren Beziehung, Stuttgart/München 2002.
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können. Dabei entfaltet sich die Konfrontation nicht allein im öffentlichen Raum als körperliche Gegenüberstellung von architektonischer Plastik und plastischer Architektur. Wie das eingangs erwähnte Beispiel Mahlmeisters zeigt, ist die Auseinandersetzung mit dem Monument längst zu einem ausstellungswürdigen und medial differenzierten Thema geworden. Angesichts einer derartigen Entgrenzung von Gattungen und Medien versteht sich der vorliegende Band als eine analytisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Mythos Monument unter Berücksichtigung höchst unterschiedlicher Diskurse. Letzteres erscheint deshalb so wichtig, weil der gattungsübergreifenden Diskussion des Monumentalen in der Moderne bisher eine eigentümliche disziplinäre Trennung gegenüberstand, die von der Urbanistik und Denkmalpflege über die Architekturtheorie- und geschichte bis zur Kunstgeschichte reicht. Mit der Frage nach der Bestimmung, Kritik und Diskussion des Monumentalen im Spannungsfeld von Architektur, Straße, Stadt, Utopie, Nicht-Orten, Antimonumenten sowie öffentlichem Raum und Ortsspezifik wird der Versuch zu einer grundsätzlichen Erweiterung der Perspektive unternommen. Dies geschieht in der Hoffnung, damit zu einem besseren Verständnis einer zentralen Kategorie der ästhetischen Nachkriegsmoderne beizutragen.
1. Architektur/Straße/Stadt
Das Monumentale als symbolische Form Zum öffentlichen Auftritt der Moderne in den Vereinigten Staaten Ákos Moravánszky
Die Geschichte der Monumentalitätsdiskussion der 1940er Jahre in den Vereinigten Staaten wurde in monographischen Arbeiten über Architekten wie Josep Lluis Sert oder Louis I. Kahn bereits von mehreren Autoren zusammengefasst: so von Joan Ockman, Eric Mumford und Sarah Williams Goldhagen.1 Diese Betrachtungen sind vergleichbar, was ihren Grundton betrifft: Der Zweck der Monumentalitätsdiskussion war in den USA vor allem die Anpassung des Programms und der Ästhetik der modernen Architektur an die aktuelle Suche nach den Werten und der adäquaten Ikonografie der demokratischen Nachkriegsgesellschaft. Die Frage der Abgrenzung von anderen Monumentalitäten der Zeit (bereits ein Anliegen der Protagonisten) bleibt dabei ein ungelöstes Problem; in der Architektur Osteuropas wird ja gerade die Abkehr von der Monumentalität des Sozialistischen Realismus als eine Wende weg vom Stalinismus nach mehr Demokratie gesehen. Vielleicht die enthüllendste Interpretation der Monumentalitätsdiskussion und ihrer lange anhaltenden Wirkung ist das Buch des damals im Exil lebenden irakischen Autors mit dem Pseudonym Samir al-Khalil (Kanan Makiya) mit dem Titel The Monument: Art, Vulgarity and Responsibility in Iraq. 1 | Vgl. Joan Ockman: »The War Years in America: New York, New Monumentality«, in: Xavier Costa/Guido Hartray, Sert: Arquitecto en Nueva York, Barcelona 1997, S. 22-47; Eric Mumford: The CIAM Discourse on Urbanism, Cambridge, Mass. 2000; Sarah Williams Goldhagen: Louis Kahn’s Situated Modernism, New Haven/London 2001.
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Al-Khalil erklärt den kolossalen Triumphbogen von Saddam Hussein in Bagdad – zwei Unterarme, die Schwerter erheben – mit der Rezeption der amerikanischen Monumentalitätsdiskussion in Irak und der postmodernen Ästhetik: »The time had come to crystallize political facts and goals within the public realm in great architecture and lasting monumental art; to translate the collective force of the Iraqi people, as that leading theoretician of the modern movement Sigfried Giedion would have put it, into symbols.«2 Es wäre falsch, dies als eine Fehlinterpretation abzulehnen: Der Autor zeigt Robert Venturis durchaus positive Rezeption in Saddam Husseins Irak und den Beitrag des Büros Venturi, Rauch und Scott Brown zum Wettbewerb für die Staatsmoschee von Bagdad (1983) als Beweis, dass von der Monumentalitätsdiskussion der 1940er Jahre über die Pop-Monumentalität von Andy Warhol, Claes Oldenburg und Venturi ein klarer Weg zu dem Denkmal in Bagdad führt. Das Wort monument hat in der amerikanischen Kultur eine spezifische Bedeutung: National Monuments heißen jene Naturschutzgebiete, welche – im Unterschied zu den National Parks – durch die föderale Regierung unter Schutz gestellt wurden. Die Suche nach einer amerikanischen Identität führte zur Idee der Naturlandschaft als eine Entsprechung der historischen Denkmäler Europas, wie es auch die Namen von berühmten Felsen in den Nationalparks wie Cathedral Rock, Cathedral Spires bestätigen. Mount Rushmore (1927-1941), das wohl amerikanischste Monument in seiner Monströsität, ist genauso ein hybrides Natur-Kunstdenkmal, wie das Ames Monument von Henry Hobson Richardson, das aus einem abgetragenen und pyramidenförmig wieder aufgebauten Fels, Reeds Rock, entstanden ist. Die europäische Monumentalitätsdiskussion hat diesen starken Naturbezug, oder besser gesagt, die Motivation, der Natur eine Form aufzuzwingen, nicht. Dass aber Monumentalität ein komplexes, in jedem historischen Augenblick neu bewertetes System von verschieden Variablen ist, hat Alois Riegl bereits 1903 in seiner Studie Der moderne Denkmalkultus gezeigt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde dann das Thema der Monumentalität mit wechselnder Intensität diskutiert. Das Jahr 1937 scheint diesbezüglich ein besonders wichtiges Datum zu sein. Es gibt keine bessere Zusammenfassung der verschiedenen Positionen als die Ansicht der Pariser Weltausstellung, wie sie 1937 in der August-Ausgabe von L’Illustration veröffentlicht wurde (Abb. 1). 2 | Samir al-Khalil: The Monument: Art, Vulgarity and Responsibility in Iraq, London 1991, S. 22.
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Abbildung 1: Ansicht der Pariser Weltausstellung aus der Zeitschrift L’Illustration, August 1937 Quelle: L’Illustration (August 1937). Die beleuchteten Pavillons Deutschlands und der Sowjetunion zeigen das Denkmal der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, den Tour Eiffel von Gustave Eiffel, flankiert von zwei Monumenten der modernen Diktaturen: dem Kultbau mit dem bronzenen Reichsadler von Albert Speer und der aus Stahlplatten zusammengeschweissten Figurengruppe des Fabrikarbeiters und der Kolchosbäuerin von Boris Michailowitsch Iofan und Wera Ignatjewna Muchina. Sigfried Giedion, der den Eiffelturm in seinem Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton (1928) noch mit großer Anerkennung beschrieb, bezeichnete den Klassizismus in seinen sozialistisch-realistischen und nationalsozialistischen Ausprägungen als Pseudomonumentalität. Seine Begeisterung galt einer anderen Form der Monumentalität, dem Feuerwerk im Zentrum des Bildes, dessen Einprägsamkeit mit der steinernen, bronzenen oder stählernen Dauerhaftigkeit nichts gemeinsam hat. Die politischen Spannungen, die Richtungsstreite in der Kultur, welche in diesem Bild emblematisch zusammengefasst sind, machen sich auch innerhalb der Avantgarde bemerkbar. Im Jahr der Pariser Weltausstellung erschien in London eine Anthologie der konstruktiven Kunst mit dem Titel CIRCLE: International Survey of Constructive Art, herausgegeben von Leslie Martin, Ben Nicholson und Naum Gabo. In diesem Band haben neben einem reichhaltigen Bildmaterial die Vertreter der europäischen und der amerikanischen Avantgarde ihre programmatischen Texte veröffentlicht. Naum Gabo betont in seiner Einführung die getrennten Wege des Wissens in Kunst und Wissenschaft, kritisiert jedoch den Formalismus in der Kunst: Die »konstrukti-
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Abbildung 2: Monuments versus Buildings: Doppelseite aus Lewis Mumfords Buch »The Culture of Cities«, 1938 Quelle: Lewis Mumford: The Culture of Cities, San Diego 1970, S. 356-357. ve Idee« betrachtet Form und Inhalt als identisch.3 Deshalb überrascht es nicht, dass der abschließende Beitrag von Lewis Mumford den Titel The Death of the Monument trägt, ein Ausschnitt aus seinem damals noch nicht erschienenen Buch The Culture of Cities4 (Abb. 2). Mumford kontrastiert zwei Typen von zeitlichen Kontinuitäten: einerseits organic reproduction, d.h. Fortpflanzung des Lebens, andererseits die Beständigkeit des Denkmals, dessen Dauerhaftigkeit untrennbar vom Tod ist, dem es sich zu entziehen sucht. Wie Louis Henry Sullivan und Frank Lloyd Wright zuvor, findet auch Mumford »in the germ plasm and in the social heritage«5 die Energie, welche die Grundlage der organischen Entwicklung sei, im Kontrast zu den leeren (»hollow«6) Denkmälern der Vergangenheit, wie das Victor Emmanuel-Denkmal in Rom oder selbst die New York Public Library, wo er einige seiner Bücher geschrieben hatte. Monumentalität widerspreche den modernen Prinzipen von Flexibilität und Adaption. Im antiken Rom waren die Infrastrukturen wie Straßen, Wasserleitungen und Kanalisationen 3 | Vgl. Naum Gabo: »The Constructive Idea in Art« (1937), in: John Leslie Martin/Ben Nicholson/N. Gabo (Hg.), CIRCLE, Reprint New York 1971, S. 1-10. 4 | Lewis Mumford: The Culture of Cities, New York 1938. 5 | L. Mumford: »The Death of the Monument«, in: J.L. Martin/B. Nicholson/ N. Gabo (Hg.), CIRCLE (1971), S. 263-270, hier S. 264. 6 | Ebd.
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monumental, aber: »the more the energies of a community become immobilized in such material structures, the less ready is it to adjust itself to new emergencies.«7 Mumford bringt es auf den Punkt: »The very notion of a modern monument is a contradiction in terms: if it is a monument, it cannot be modern, and if it is modern, it cannot be a monument.«8 Mumfords Dilemma war, dass er eine Diskrepanz zwischen der fortgeschrittenen Gestaltung der technischen Geräte und der eher »rückständigen« Ästhetik der Architektur diagnostizierte, andererseits aber den Funktionalismus Le Corbusiers und Gropius’ mit wachsender Skepsis betrachtete. Seit der Mitte der 1920er Jahre stand die Schöpfung der symbolischen Form im Zentrum von Mumfords Theorie der Kultur. Symbole sollten durch ihre Lesbarkeit in der Erneuerung von community life auf neue Möglichkeiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens hinweisen. Mumfords Monumentalitätskritik bedeutete also keinesfalls sein Einverständnis mit vielen in dem genannten Band vertretenen Äusserungen. Auch Le Corbusiers Beitrag The Quarrel with Realism ist ein Dokument des Richtungsstreits, dessen politische und gesellschaftliche Wurzel die Pariser Weltausstellung so deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Wilhelm Worringers Unterscheidung folgend, hat er die französische Kunst als konkret-realistisch bezeichnet: »At the basis of international production is French art, which, abstract in name, is really concrete. It is essentially concrete. It contains realism. […] Perhaps the Nordic races – the Anglo-Saxons or the Germanic peoples – allowed themselves to indulge in abstractions.«9 Fernand Léger zitierend, sah Mumford deshalb in der Monumentalität durchaus einen Wert und hob die von ihm lange ersehnte Synthese der Künste als Vorbedingung hervor: »In the collaboration […] mural painting and sculpture with the architecture, restraint is necessary, special qualities of monumentalism and careful preparation.«10 Eine besonders geistvolle, auf einer kritischen Betrachtung sowohl des Funktionalismus der CIAM11 wie auch auf der eines neuen Historismus basierende Theorie der neuen Monumentalität wurde von dem Schweizer Architekturkritiker Peter Meyer ausgearbeitet. 7 | Ebd., S. 268. 8 | Ebd., S. 264. 9 | Le Corbusier: »The Quarrel with Realism, the Destiny of Painting«, in: J.L. Martin/B. Nicholson/N. Gabo (Hg). CIRCLE (1971), S. 67-74, hier S. 70. 10 | Ebd., S. 73. 11 | Congrès Internationaux d’Architecture Moderne.
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Im Anschluss an die Besprechung der Wettbewerbsbeiträge zum Kongresshaus in Zürich (Das Werk 3/1937) hat Meyer einen Beitrag mit dem Titel Monumentale Architektur? geschrieben, in dem er das »Architekturelend der letzten hundert Jahre« mit dem verlorenen Instinkt der Bauherren und Architekten begründet. Diese wüssten nicht mehr, »wo monumentale Bauten am Platz sind und wo nicht.« Die »feierlich erhabene Tonart der Monumentalität« sei immer »von einer gewissen sakralen Würde umwittert«, verliere jedoch ihre Kraft, wenn sie überall verwendet werde.12 Auf den ersten Blick scheint Meyer eine von Mumford abweichende Position einzunehmen, aber eine genauere Betrachtung zeigt wichtige Ähnlichkeiten: Meyer hat Mumfords Buch Vom Blockhaus zum Wolkenkratzer bereits 1926 mit großer Anerkennung rezensiert13 und betrachtete Mumfords distanzierte Haltung sowohl gegenüber einem historisierenden Neoklassizismus als auch gegenüber der Maschinenästhetik der Avantgarde mit großer Sympathie. Der Kritiker musste seine Position noch genauer und nuancierter formulieren, als im Jahr 1940 in der Schwedischen Architekturzeitschrift Byggmästaren ein Aufsatz über Monumentalität erschien. Der Autor Gunnar Sundbärg nahm Meyers Position zum Anlass, sich kritisch mit dem Problem auseinanderzusetzen. In seiner Antwort, die mit dem Titel Diskussion über Monumentalität in der Zeitschrift Werk publiziert wurde, beschäftigt sich Meyer auch mit der Frage des so genannten Staatspathos. Er stellt fest, dass der Staat von seinen Bürgern als Metaphysicum empfunden wird: »[…] als ein Symbol, in dem sich das Zusammengehörigkeitsbewusstsein seiner Angehörigen in einer spontanen und unreflektierten Art bewusst wird. Dieses Staatsbewusstsein braucht gar nicht primär machtbetont zu sein, es kann sich auf jede Art von Andersartigkeit gegenüber den Nachbarn aufbauen, auf Gemeinsamkeit der Sprache, des Herkommens, der geographischen Lage, der Religion usw.«14
12 | Peter Meyer: »Monumentale Architektur?«, in: Das Werk 24 (1937), S. 66-73, hier S. 66f. 13 | Vgl. P. Meyer: »Lewis Mumford, Vom Blockhaus zum Wolkenkratzer. Eine Studie über amerikanische Architektur und Zivilisation« (1926), in: Schweizerische Bauzeitung 87 (1926), S. 250. 14 | P. Meyer: »Diskussion über Monumentalität«, in: Das Werk 27 (1940), S. 189-195, hier S. 191.
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Abbildung 3: Hans Leuzinger, Portalbau (Pavillon »Bauen und Wohnen«) an der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich, 1939 Quelle: Das Werk (Juni 1939), S. 172. Die von Sundbärg vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Staatspathos und Volkspathos hält Meyer für fragwürdig. Das Staatspathos, welches in der Monumentalität zum Ausdruck kommt, braucht gar nicht unbedingt »auf Zerknirschung, Einschüchterung, kurz auf stilisierte Brutalität hinauszulaufen […] sondern es enthält auch die Möglichkeiten des Erhebenden, Festlichen, der Vergeistigung und Formung des Kollektivgefühls.«15 Das Staatspathos verspreche auch Teilnahme, ist keine einseitige Ausstrahlung von Macht, sondern beruhe auf Gegenseitigkeit. Meyer hält es für einen Irrtum, dass man »aus modernen Brücken, Stadien usw. eine neue Monumentalität entwickeln« könne.16 Er sah in der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich (1939) die Verwirklichung seines Programms, wo rigide Symmetrieachsen vermieden und monumentale Gesten auf gewisse Innenräume (wie »Rütlischwur« oder »Wehrwesen«) beschränkt wurden (Abb. 3).
15 | Ebd., S. 191. 16 | Ebd., S. 195.
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Ein paar Jahre später werden diese Themen in der amerikanischen Diskussion über New Monumentality zu wichtigen Elementen eines Geflechts von Psychologie, Ästhetik und politischer Ideologie. Die von Meyer als Metaphysicum bezeichnete Quasi-Religiosität war in den Äußerungen amerikanischer Politiker präsent; selbst Präsident Eisenhower betonte: »Our government makes no sense unless it is founded on a deeply felt religious faith – and I don’t care what [ faith] it is.«17 Diese unverbindliche Religiosität der Nachkriegszeit hieß Spiritualität, ein Begriff, dessen Verschwommenheit erlaubte, politische, kulturelle und religiöse Sphären zu verbinden. Das erste Manifest der New Monumentality war der 1943 verfasste Text Nine Points on Monumentality von Josep Lluis Sert, Fernand Léger und Sigfried Giedion, der erst 1958 im Band Architecture You and Me veröffentlicht wurde.18 Über die Entstehung dieses Dokuments berichtete Sigfried Giedion: »1943 saßen eines Tages in New York Fernand Léger, der Maler, José Luis Sert, der Architekt und Städtebauer und spätere Dekan der Architekturabteilung der Harvard-Universität, und ich zusammen. Dabei stellte es sich zufällig heraus, daß alle drei von der Vereinigung ›American Abstract Artists‹ eingeladen worden waren, bei einer ihrer Veröffentlichungen mitzumachen. Wir fanden, es sei im Grunde interessanter, wenn wir alle das gleiche Thema behandelten, der Maler, der Städtebauer und der Historiker, jeder von seinem Gesichtspunkt aus. Wir einigten uns, die Frage einer neuen Monumentalität zu berühren. Schließlich fassten wir unsere Stellungnahme in neun Punkten zusammen […] [Herv. i.O.]« 19
Die Monumente sind in diesem Text als »human landmarks«, »expression of man’s highest cultural needs« beschrieben, welche die Menschen als Symbole für ihre Ideale schüfen.20 Die so genannten Monumente von heute seien »empty shells«, welche mit dem kollektiven Geist der modernen Zeit nichts zu tun hätten. Nach dem Krieg werde das gemeinschaftliche Leben in den Städten neu organisiert: »The people 17 | Zit. n. S. W. Goldhagen: Louis Kahn’s Situated Modernism, S. 89. 18 | Vgl. José Luis Sert/Fernand Léger/Sigfried Giedion: »Nine Points on Monumentality«, in: S. Giedion, Architecture You and Me: The Diary of a Development, Cambridge, Mass. 1958, S. 48-51. 19 | S. Giedion: Architektur und Gemeinschaft. Tagebuch einer Entwicklung, Hamburg 1956, S. 25. 20 | J.L. Ser t/F. Léger/S. Giedion: »Nine Points on Monumentality«, in: S. Giedion, Architecture You and Me (1958), S. 48-51, hier S. 48.
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want the buildings that represent their social and community life to give more than functional fulfillment. They want their aspiration for monumentality, joy, pride and excitement to be satisfied.«21 Die neue Monumentalität entstehe aus der Zusammenarbeit von Urbanisten, Architekten, Malern, Bildhauern und Landschaftsplanern, sie brauche Bewegung und Leichtigkeit, neue Materialen und Farben. Giedion hat diese Gedanken bald weiterentwickelt und einen Beitrag mit dem Titel The Need for a New Monumentality für den von Paul Zucker herausgegebenen Band Architecture and City Planning: A Symposium22 (1944) veröffentlicht, gefolgt von anderen Beiträgen zum Thema Monumentalität von George Nelson (Stylistic Trends in Contemporary Architecture), Louis I. Kahn (Monumentality), Philip L. Goodwin (Monuments) und Ernest Fiene (Figurative Arts and Architecture: Mural and Architectural Sculpture) (Abb. 4-6). Dem Architekturhistoriker mussten die Argumente Meyers bekannt gewesen sein – selbst wenn er Meyer, der ihn oft angegriffen hat, kritisch gegenüberstand. Der Gesinnungswandel Giedions zeigte sich zu dieser Zeit auch in seinem Humanisierungsprogramm,23 das Revisionen seiner früheren Position verlangte. 1938 nahm er seine Lehrtätigkeit an der Harvard Universität auf, also gerade um die Zeit, als Meyer als Chefredakteur von Werk (und manchmal im Widerspruch zur Position des Schweizerischen Werkbundes, dessen Zeitschrift Das Werk war24) seine Beiträge zur Frage der neuen Monumentalität veröffentlichte. In den Jahren 1938 und 1939 hielt Giedion jene Charles-Eliot-Norton-Vorlesungen, welche im Jahre 1941 in überarbeiteter Form in dem Kunst und Architektur integrierenden Buch Space, Time and Architecture erschienen. In den USA fand diese Revision eine aufmerksame Audienz. Die viel beachtete MoMA-Ausstellung Modern Architecture im Jahre 1932 und vor allem die daran beteiligten einflussreichen Persönlichkeiten bereiteten den Boden für jene Architekten, Professoren und Kritiker vor, denen die Aufgabe zukam, die Vereinigten Staaten als die leitende Macht der modernen Architektur der Nachkriegszeit zu positionieren. 21 | Ebd., S. 49. 22 | Paul Zucker (Hg.): New Architecture and City Planning: A Symposium, New York 1944. 23 | Vgl. Sokratis Georgiadis: Sigfried Giedion: Eine intellektuelle Biographie, Zürich 1989, S. 188. 24 | Peter Meyer hat im Heft 4 (1941) von Werk auch einen Essay über die »Situation der Architektur 1940« veröffentlicht und damit eine weitere Diskussion ausgelöst: Vgl. Werk 28 (1941), S. 111-114.
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Abbildung 4: Paul Zucker, »New Architecture and City Planning: A Symposium«, 1944 Quelle: Paul Zucker (Hg.): New Architecture and City Planning: A Symposium, New York 1944.
Abbildung 5: Doppelseite aus Sigfried Giedions »The Need for a New Monumentality«, 1944 Quelle: Sigfried Giedion: »The Need for a New Monumentality«, in: Paul Zucker (Hg.), New Architecture and City Planning: A Symposium, New York 1944. Es waren allerdings auch hier ideologische Korrekturen notwendig. Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson haben zur Zeit der Ausstellung betont, dass die Meister des Internationalen Stils alles andere als Funktionalisten waren. Während der Jahre der Great Depression (1929-1941) wurde jedoch für die moderne Architektur in den USA mit Argumenten der Funktionalität und Wirtschaftlichkeit geworben.
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Abbildung 6: Seite aus Sigfried Giedions »The Need for a New Monumentality«, 1944 Quelle: Sigfried Giedion: »The Need for a New Monumentality«, in: Paul Zucker (Hg.), New Architecture and City Planning: A Symposium, New York 1944. Die meisten amerikanischen Beiträge zur Ausstellung waren auf Einfamilienhäuser und Industriebauten beschränkt, moderne öffentliche Bauten gab es noch kaum. Es wurde früh erkannt, dass eine solche Beschränkung für die Popularität der Moderne in den optimistischen Nachkriegsjahren nachträglich wäre. Man suchte nach einer Neudefinition der modernen Architektur, welche diese mit den Wünschen der Nachkriegsgesellschaft verbindet, um ihr auf diese Weise in den USA zu einem Auftritt im öffentlichen Raum zu verhelfen. Diese Wünsche wurden von dem 1937 in die USA emigrierten Architekten und Kunsthistoriker Zucker in einer Reihe von Essays analysiert. In dem Themenheft Art in a Post War World des Journals of Aesthetics and Art Criticism (1944) hat Zucker über die Rolle der Architektur in den kommenden Jahren geschrieben25 (Abb. 7). Einführend betonte er, dass die Zukunft der Architektur weniger von dem Entwerfer als von dem Konsumenten abhängig sei: »The consumer, the general public, will decide precisely what it is going to consume, whether for them the architectural values are primarily of a technical, an aesthetic, or a social character.«26 Zucker kommentierte die Popularität der Weißen Stadt der Chicago-Ausstellung 25 | Vgl. P. Zucker: »The Role of Architecture in Future Civilization«, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism (Themenheft Art in a Post War World) 3 (1944), S. 30-38. 26 | Ebd., S. 30.
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Abbildung 7: Themenheft »Art in a Post War World« der Zeitschrift Journal of Aesthetics and Art Criticism, 1944 Quelle: Journal of Aesthetics and Art Criticism, Themenheft Art in a Post War World 3 (1944). von 1893 als eine unglückliche Abweichung von der Entwicklung der functional school von Sullivan und Wright, als eine Rückkehr zum »standardized style of pseudo-monumental architecture«.27 Genauso kritisch sah Zucker den technischen Funktionalismus der Gegenwart und schlug selbst einen neuen sozialen Funktionalismus vor, der die gesellschaftliche Entwicklung nicht bloß ausdrückt, sondern sie beeinflusst: »[…] the job of building that lies before us must become widely recognized as a combination of technical, social, and truly spiritual tasks. The avalanche composed of technical cause and social effect, of social effect and spritual influence, of spiritual influence and creative expression, will, when it begins to move, develop an attraction and momentum of its own. [Herv. i.O.]« 28
Zucker, dessen Interesse bereits vor seiner Emigration der Frage des Raums in der Kunst und Architektur galt, veröffentlichte 1951 im Jour27 | Ebd., S. 32. 28 | Ebd., S. 38.
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nal of the Society of Architectural Historians eine längere Studie über The Paradox of Architectural Theories at the Beginning of the ›Modern Movement‹,29 in welcher er einen Unterschied zwischen den Interessen der ästhetischen Theorie und der Architektur, eine Diskrepanz zwischen den Raumtheorien Adolf von Hildebrands, Worringers oder Paul Frankls einerseits und der Funktionsbesessenheit der Architekten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts andererseits feststellte. Die zentrale Bedeutung des Raums in Giedions Space, Time and Architecture diente Zucker als Bestätigung für eine neue Übereinkunft. Die Organisation des imaginären Symposiums,30 dessen Schlussfolgerungen in Richtung der neuen Monumentalität zielten, kann man deshalb als einen Versuch verstehen, die Erwartung Zuckers bezüglich der Wirkung der Einfühlungstheorien und der Raumwahrnehmung umzusetzen: »It will be up to the architects of the second half of our century to express in their creations those ideas which were the intrinsic problems of the theoreticians of the first decades of our century.«31 Einen weiteren Verbindungsfaden zwischen Kunsttheorie und Monumentalitätsdiskussion müssen wir hier erwähnen: Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen. Diese Theorie entfaltete in den USA eine große Wirkung, obwohl Cassirer dort weniger als Neukantianer in der Tradition der Marburger Schule als ein Philosoph des Späthistorismus wahrgenommen wurde. Der amerikanische Pragmatismus hat eine semiotische Theorie der Sprache als symbolische Form entwickelt, während Cassirer jedoch Semiotik als eine Untersuchung der bloß konventionellen Aspekte des Zeichens kritisierte.32 Er sprach von drei Funktionen des Symbols: Ausdruck, Darstellung und reine Bedeutung. Er bezeichnete den Ausdruck als die primordiale Bedeutung des Zeichens, die nicht kulturell vermittelt wird (wie sie die Semiotik untersucht), sondern die erste Stufe der körperlichen Wahrnehmung ist: 29 | Vgl. P. Zucker: »The Paradox of Architectural Theories at the Beginning of the ›Modern Movement‹«, in: Journal of the Society of Architectural Historians 10 (1951), S. 8-14. 30 | Ob das Symposium tatsächlich stattfand, konnte bisher nicht nachgewiesen werden. 31 | P. Zucker: »The Paradox of Architectural Theories at the Beginning of the ›Modern Movement‹«, in: Journal of the Society of Architectural Historians 10 (1951), S. 13. 32 | Vgl. John Michael Krois: Cassirer: Symbolic Forms and History, New Haven 1987, S. 5.
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»Denn alle Wirklichkeit, die wir erfassen, ist in ihrer ursprünglichen Form nicht sowohl die einer bestimmen Dingwelt, die uns gegenüber- und entgegensteht, als vielmehr die Gewißheit einer lebendigen Wirksamkeit, die wir erfahren. Dieser Zugang zur Wirklichkeit aber ist uns nicht in der Empfindung, als sinnlichem Datum, sondern allein in dem Urphänomen des Ausdrucks und des ausdrucksmäßigen ›Verstehens‹ gegeben. [Herv. i.O.]« 33
Cassirers Philosophie der symbolischen Formen hat, von Kunsthistorikern wie Ernst Panofsky oder Paul Oskar Kristeller bis zum Theologen Paul Tillich, viele Denker, die in den 1940er Jahren in Amerika lebten, beeinflusst. Für uns ist die amerikanische Philosophin Susanne K. Langer, die mit Cassirer in persönlichem Kontakt stand, besonders wichtig, weil sie Cassirers Philosophie der symbolischen Formen mit amerikanischen Untersuchungen von Anthropologen wie Franz Boas, Ruth Benedikt oder Bronislaw Malinowski über das so genannte Primitive verband. Für Langer war die symbolische Logik bis zum Ende der 1930er Jahre das zentrale Instrument der Philosophie. 1942 erschien unter dem Titel Philosophy in a New Key: A Study in the Symbolism of Reason, Rite and Art ihr wichtigstes Buch.34 Die in diesem Werk getroffene Unterscheidung zwischen diskursiver und präsentativer Symbolisierung hat Langer auch im deutschen Sprachraum bekannt gemacht.35 Die Eigenschaft der sprachlichen Symbolisierung ist Diskursivität, schreibt Langer, unsere Ideen werden in der sprachlichen Kommunikation nacheinander aufgereiht, »so wie Kleidungsstücke, die übereinander getragen werden, auf der Wäscheleine nebeneinander hängen. Diese Eigenschaft des verbalen Symbolismus heißt Diskursivität; ihretwegen können überhaupt nur solche Gedanken zur Sprache gebracht werden, die sich dieser besonderen Ordnung fügen […].«36 Der Symbolismus jedoch, welcher der visuellen Wahrnehmung entspringt, ist »nichtdiskursiv, er ist besonders geeignet für den Ausdruck von Ideen, die sich der sprachlichen ›Projektion‹ widersetzen. […] Das Verständnis des Raumes, das wir dem Gesichts- und Tastsinn verdanken, könnte mit gleich detaillierter Bestimmtheit aus 33 | Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. 3. Teil: Phänomenolo gie der Erkenntnis, Darmstadt 1972, S. 86. 34 | Susanne K. Langer: Philosophy in a New Key: A Study in the Symbolism of Reason, Rite and Art, Cambridge, Mass. 1942. 35 | Vgl. S.K. Langer: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt a.M. 1965. 36 | Ebd., S. 88.
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Abbildung 8: Doppelseite aus Susanne K. Langers »Feeling and Form: A Theory of Art Developed From Philosophy in a New Key«, 1953 Quelle: Susanne. K. Langer: Feeling and Form: A Theory of Art Developed From Philosophy in a New Key, New York 1953, S. 112-113. einer diskursiven Kenntnis der Geometrie niemals entwickelt werden.«37 Langer verstand unter symbolischer Form kein ikonografisches Material, das gelesen werden kann, sondern eine Form, die eher mit einem Gefühl (feeling) als mit einer Bedeutung korrespondiert. Genau dies bezeichnete Cassirer mit dem Begriff Ausdruck. In ihrem der Erinnerung an Cassirer gewidmeten Buch Feeling and Form (1953) wollte Langer die Ergebnisse von Philosophy in a New Key zur Begründung einer neuen Kunsttheorie verwenden (Abb. 8). Die Architektur betrachtete sie als eine plastische Kunst, deren erstes Ergebnis immer eine Illusion ist: »something purely imaginary or conceptual translated into visual impressions«.38 Langers Kritik des Funktionalismus ist die Folge dieser Betrachtung: »Architecture creates the semblance of that World which is the counterpart of a Self. It is a total environment made visible. Where the Self is collective, as in a tribe, its World is communal; for personal Selfhood, it is the home. And as the actual environment of a being is a system of functional relations, so a virtual ›environment‹, the created space of architecture, is a symbol of functional existence. This does not mean, however, that signs of important 37 | Ebd., S. 99. 38 | S.K. Langer: Feeling and Form: A Theory of Art Developed from Philosophy in a New Key, New York 1953, S. 93.
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activities – hooks for implements, convenient benches, well-planned doors – play any part in its significance. In that false assumption lies the error of ›functionalism‹ – lies not very deep, but perhaps as deep as the theory itself goes. Symbolic expression is something miles removed from provident planning or good arrangement. It does not suggest things to do, but embodies the feeling, the rhythm, the passion of sobriety, frivolity or fear with which any things at all are done. That is the image of life which is created in buildings; it is the visible semblance of an ›ethnic domain‹, the symbol of humanity to be found in the strength and interplay of forms. [Herv. i.O.]« 39
Diese These hat die Monumentalitätsdiskussion wie auch die Architekturtheorie im Allgemeinen inspiriert und provoziert – Reyner Banham nahm dieses Zitat von Langer noch ein Jahrzehnt später zum Anlass einer kritischen Entgegnung.40 Lewis Mumford seinerseits registrierte Langers Stellungnahme mit Anerkennung: »Seltsam, daß man erst in unseren Tagen durch die Werke von George Mead, Ernst Cassirer, W.M. Urban und Susanne Langer in der Philosophie die Aufmerksamkeit der konstanten Rolle zugewandt hat, die des Menschen Neigung, seine Erfahrung zu symbolisieren, spielt und im besonderen der dynamischen, die Natur des Menschen enthüllenden und darüber hinaus verwandelnden Rolle des ästhetischen Symbols.« 41
Es war ja Mumford, der früher das Architektur-Establishment der Ostküste in ihrer eigenen Zeitschrift, der The New Yorker, provoziert hatte, indem er 1947 vom Verrat seiner Protagonisten berichtete: »The very critics, such as Henry-Russell Hitchcock, who twenty years ago were identifying the ›modern‹ in architecture with Cubism in painting and with a general glorification of the mechanical and the impersonal and aesthetically puritanic have become advocates of the personalism of Frank Lloyd Wright. […] Sigfried Giedion, once a leader of the mechanical rigorists, has come out for the monumental and the symbolic, and among the younger people an inclination to 39 | Ebd., S. 98f. 40 | Vgl. Reyner Banham: »Convenient Benches and Handy Hooks: Functional Considerations in the Criticism of the Art of Architecture«, in: Marcus Whiffen (Hg.), The History, Theory and Criticism of Architecture. Papers from the 1964 AIA-ACSA Teacher Seminar, Cambridge, Mass. 1970, S. 91-105. 41 | L. Mumford: Kunst und Technik, Stuttgart 1959, S. 22.
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Abbildung 9: Umschlag der Publikation »What Is Happening to Modern Architecture: A Symposium at the Museum of Modern Art«, 1948 Quelle: »What Is Happening to Modern Architecture: A Symposium at the Museum of Modern Art«, in: The Museum of Modern Art Bulletin, New York XV (1948). play with the ›feeling‹ elements in design – with color, texture, even painting and sculpture – has become insuppressible. […] The rigorists placed the mechanical functions of a building above its human functions; they neglected the feelings, the sentiments, and the interests of the person who was to occupy it. Instead of regarding engineering as a foundation for form, they treated it as an end […].« 42
Der MoMA-Kreis fühlte sich angesprochen und organisierte im Februar 1948 ein Symposium mit dem Titel What Is Happening to Modern Architecture?, zu dem sie einerseits Mumford (mit einer entwaffnenden Höflichkeit als Präsidenten), andererseits die damaligen Organisatoren der berühmten Ausstellung einluden (Abb. 9). Alfred Barr hat die von 42 | L. Mumford: »The Sky Line: Status Quo (Bay Region Style)«, in: The New Yorker vom 11.10.1947, S. 104-110. Wieder abgedruckt in: What Is Happening to Modern Architecture: A Symposium at the Museum of Modern Art. The Museum of Modern Art Bulletin XV (1948), S. 2.
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Abbildung 10: Umschlag der September-Ausgabe von The Architectural Review, 1948 Quelle: The Architectural Review 104 (1948), Titelblatt. Mumford unterstützte Moderne der San Francisco Bay Area, vertreten von Architekten wie William Wurster, als Neue Gemütlichkeit und International Cottage Style verspottet: »Indeed, I think what we might call this kind of building the International Cottage Style, for it appears to be […] a kind of neue Gemütlichkeit with which to supersede the neue Sachlichkeit of the 1920’s. [Herv. i.O.] «43 Zwischen den Polen eines modernen Rigorismus und einer ebenso modernen Alltäglichkeit der Bay Area erschien moderne Monumentalität als eine Art tertium datur, mit Giedion als seinen Propheten. Giedion hatte inzwischen die Debatte nach Europa zurück gebracht, als er bereits im Juli 1946 am Royal Institute of British Architects in London eine leicht revidierte Fassung seines zwei Jahre früher geschriebenen Beitrags The Need for a New Monumentality vortrug. Er schloss seinen Vortrag mit einem Plädoyer für spektakuläre öffentliche Ereignisse, das wegen seiner zeitlichen Nähe zu den Stimmungsarchitekturen und monumentalen politischen Spektakeln stutzig stimmen sollte: 43 | Ebd., S. 8.
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»Let me finish with the conviction that everybody is susceptible to symbols. Our period makes no exception. But those who govern must know that spectacles, which will lead the people back to community life, must be re-incorporated into civic centres, those very centres which our idolatry of production has always regarded as unessential. Not haphazard world’s fairs, which in their present form have lost their old significance, but newly created civic centres should be the site for collective emotional events, where the people play as important a role as the spectacle itself, and where a unity of the architectural background, the people and the symbols created by artists, will arise again.« 44
Diese Position musste eine Debatte wert erscheinen, jedenfalls bot sich die führende englische Architekturzeitschrift The Architectural Review für die Diskussion an, zu der sie neben Giedion Gregor Paulsson, Henry-Russell Hitchcock, William Holford, Walter Gropius, Lucio Costa und Alfred Roth einlud (Abb. 10). Im Spiegel ihrer Beiträge erschien der Begriff Monumentalität noch weniger greifbar, bei Hitchcock etwa schließt er viele Eigenschaften ein: »Abstracted from its original links with the concept of the ›monument‹, we may grant ›monumentality‹ to many buildings because of their large scale, their solidity, their weight, their dignity and their unity […].«45 Die kritischste Stimme war jene des schwedischen Kunsthistorikers Gregor Paulsson, der in der Organisation der Stockholmer Ausstellung von 1930 eine führende Rolle gespielt hatte. Er lehnte den Ruf zur neuen Monumentalität mit der Begründung ab, dass diese mit den demokratischen Grundsätzen der modernen Architektur unvereinbar sei. Den Ruf selbst hielt er für ein Symptom der Unzufriedenheit mit der modernen Architektur der Zeit, aber diese Unzufriedenheit sollte man nicht mit der Rückkehr zu alten Positionen, sondern mit einer Erweiterung der Aufgaben lösen: »Architecture has aimed at satisfying human life, but to this life too few dimensions have been given. […] The next step for the modern architect is something much more important than the search for the expression of a strong emotional impact, call it monumentality or not. It is to find out the secret of the natural
44 | S. Giedion: »In Search of a New Monumentality: A Symposium«, in: The Architectural Review 104 (1948), S. 117-128, hier S. 126. 45 | Henry–Russell Hitchcock: »In Search of a New Monumentality«, in: The Architectural Review 104 (1948), S. 123-125, hier S. 124.
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area, the growing conditions of the region and to give the millieu with the power of resistance to detrimental social influences.« 46
Der Aufsatz Monumentalism, Symbolism and Style von Mumford wurde als eine Art Schlussfolgerung zur Monumentalitätsdebatte 1949 in der Architectural Review veröffentlicht (Abb. 11-14). Mumford sah in Giedions Programm eine Anzahl von Forderungen an die Architekten, die Gefahr liefen, missverstanden zu werden – Anforderungen wie Symbolik, sichtbare hierarchische Ordnung, künstlerischer Ausdruck und »civic dignity«. Die beste Umformulierung der These Giedions, behauptete Mumford, wäre die Feststellung, dass es nicht ausreiche, wenn ein modernes Gebäude funktioniere, es müsse diese Funktion auch ausdrücken können: »Modern architects have mastered their grammar and vocabulary and are ready to speak.«47 Mumford warf dem International Style nicht Internationalismus, sondern Imperialismus vor: »In the current conception of the International Style one discovers, not internationalism, but the covert imperialism of the world’s great Megalopolises, claiming to dominate the culture of their time, and rejecting all forms of art except those which have been created by the few to whom it has been given the stamp of approval.«48 Er kritisierte, dass in der ganzen Monumentalitätsdiskussion kaum Hinweise auf neuere Bespiele gemacht worden seien und zeigte als Beispiel für eine moderne Monumentalität die halbkreisförmige Stützmauer der Siedlung von Ernst Mays Frankfurter Römerstadt: »The first thing to note is the very fact of impressiveness: the retaining wall boldly separates the community itself, on the upper level, from the orderly arrangement of small garden plots and tool sheds below.«49 Solche Lösungen könnten mit Argumenten der Wirtschaftlichkeit und des Existenzminimums nicht unterstützt werden: »Such a monumental treatment of the landscape and city implies a greater amount of wealth, a greater amount of leisure, indeed perhaps a greater capacity for aesthetic enjoyment than the actual inhabitants of Römerstadt ever possessed.«50 (Abb. 15) 46 | Gregor Paulsson: »In Search of a New Monumentality«, in: The Architectural Review 104 (1948), S. 122-123, hier S. 123. 47 | L. Mumford: »Monumentalism, Symbolism, and Style«, in: The Architectural Review 105 (1949), S. 173-180, hier S. 173. 48 | Ebd., S. 177. 49 | Ebd, S. 180. 50 | Ebd.
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Abbildung 11: Umschlag der April-Ausgabe von The Architectural Review, 1949 Quelle: The Architectural Review 105 (1949), Titelblatt.
Abbildung 12: Bildseite aus Lewis Mumfords Beitrag »Monumentalism, Symbolism and Style«, 1949 Quelle: Lewis Mumford: »Monumentalism, Symbolism and Style«, in: The Architectural Review 105 (April 1949), S. 175.
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Abbildungen 13, 14: Bildseite mit und ohne Deckblatt aus Lewis Mumfords Essay »Monumentalism, Symbolism, and Style«, 1949 Quelle: Lewis Mumford: »Monumentalism, Symbolism and Style«, in: The Architectural Review 105 (April 1949), S. 176.
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Abbildung 15: Ernst May, Carl-Hermann Rudloff u.a., Siedlung Römerstadt, Frankfurt a.M., 1928-1929; Illustration zu Lewis Mumfords Beitrag »Monumentalism, Symbolism, and Style«, 1949 Quelle: Lewis Mumford: »Monumentalism, Symbolism, and Style«, in: The Architectural Review 105 (April 1949), S. 180. Die Unterschiede zwischen den Auffassungen Giedions und Mumfords, die früher der Monumentalität kritisch gegenüberstanden, erscheinen also doch nicht gravierend. Beide Protagonisten haben ihre früheren Positionen modifiziert und arbeiteten an einem Monumentalitätsbegriff, der Ausdruck und öffentlichen Raum einbezieht. Trotzdem waren es nicht Giedion, Mumford oder die von Mumford unterstützte Architektur der kalifornischen Bay Area, die den Diskurs um den öffentlichen Raum in den USA beeinflusst haben. Im Jahre 1952, als amerikanische Kultur schon als Propagandawaffe des Kalten Krieges eingesetzt wurde, schrieb Henry Hope Reed jr. im ersten Heft der Architekturzeitschrift der Yale-Universität, Perspecta, einen Beitrag mit dem Titel Monumental Architecture, or, The Art of Pleasing in Civic Design. Reed deklarierte stolz neue Ziele: »We are but lately come to the estate of the most powerful nation in the world. We are new and we are rich whether we like it or not. We may announce to the
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Abbildung 16: Eero Saarinen, Botschaftsgebäude der USA, London, 1962 Quelle: Antonio Román: Eero Saarinen: An Architecture of Multiplicity, New York 2003, S. 195. world ten thousand times a day that we are plain simple folk like the rest, but the world will persist in thinking that we are more fortunate. […] We have found glory in war and in the sciences but we have failed miserably to achieve glory in the arts because we have not even considered them as an instrument of state. […] Let us recognize at once that the arts are the only lasting measure of a nation’s glory and that in civic design only the monumental is glorious and that, in designing the monument, all means are valid if the visual end is gained.« 51
Monumentalität wurde also als Staatspathos der Pax Americana verstanden. Es war wieder Mumford, der die Ergebnisse dieser imperialistischen Rhetorik kritisierte, z.B. indem er die kalte Monumentalität der US-Botschaft am Grosvenor Square in London 1962 als frozen-faced Embassy bezeichnete: »At the moment the State Department is urging people to smile in their passport photographs, our London embassy presents a cold, unsmiling face, a face unfortunately suggesting national arrogance and irresponsive power.«52 (Abb. 16) Und weiter: 51 | Henry Hope Reed jr.: »Monumental Architecture, or, The Art of Pleasing in Civic Design«, in: Perspecta 1 (1952), S. 51-56, hier S. 56. 52 | L. Mumford: »The Frozen-Faced Embassy«, in: Ders., The Highway and the City, New York 1963, S. 161-170, hier S. 169.
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»But to me the whole style and message of the building seem as ominous as the depersonalized style of thinking that comes out of our Air Force research centers. It has the dehumanized nonchalance of a thermonuclear Kahn. By the very perfection of its technique and the emptiness of its performance it seems to say – as, indeed, our newer technologies often seem to say – that, quite apart from possible nuclear catastrophes, our civilization has come close to a dead end.« 53
Der Weg von hier zu den monumentalen Pop-Objekten von Oldenburg und Warhol, zu dem I am a Monument-Billboard von Venturi und Scott Brown und weiter zum Triumphbogen in Bagdad ist der Weg einer drastischen Vereinfachung und Verflachung. Die monumentale Form wird zunehmend entsymbolisiert, ihre tiefere, quasi-sakrale Bedeutung wird – wie Roland Barthes feststellt54 – zur simulakren Oberfläche. Die Diskursivität, die früher von Langer der sprachlichen Symbolisierung zugeschrieben wurde, wird zur Eigenschaft einer neuen, passionslosen, selbstgefälligen Ordnung der Monumente. Die kritischen Aspekte, die am Anfang noch Teil des Monumentalitätsdiskurses waren – auch als Kritik an der Moderne –, wurden aufgegeben und damit auch jene nichtdiskursiven Elemente, welche eine Unbestimmtheit, Offenheit und Vielfalt von sich widersprechenden Interpretationsmöglichkeiten erlaubten. Statt der Flüchtigkeit und Vielschichtigkeit des Feuerwerks, wie von Giedion verlangt, wird Monumentalität zum reinen Spiel der Zeichen, zur Herrschaftssymbolik der frozen-faced embassy.
53 | Ebd. 54 | Vgl. Roland Barthes: »The Eiffel Tower«, in: Ders., The Eiffel Tower and Other Mythologies, New York 1979, S. 3-17.
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Monumente der unmittelbaren Zukunft Laurent Stalder
Als die englische Fachzeitschrift The Architectural Review 1948 einige führende Vertreter der modernen Architektur, darunter Henry Russel Hitchcock, Walter Gropius und Sigfried Giedion, zu einem Symposium mit dem Titel In Search of a New Monumentality einlud, herrschte zwar über die Notwendigkeit einer Überholung vergangener Repräsentationsformen Einigkeit, doch gingen die konkreten Vorstellungen von der Bedeutung des Monuments in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und seinen Typen – Regierungsviertel, Infrastrukturanlagen, Maschinen oder Feuerwerke – weit auseinander.1 Genauso unbestimmt wie der Blick auf die Monumente der Zukunft war auch – bedingt durch den geforderten Bruch mit der Geschichte – die Einstellung gegenüber denjenigen der Vergangenheit. Es ist somit kein Zufall, dass gleichzeitig mit der Suche nach einer neuen Monumentalität auch eine umfassende Auseinandersetzung um das historische Denkmal begann. Beispielhaft in dieser Hinsicht ist etwa eine Abfolge von Artikeln in The Architectural Review, die in den 1950er Jahren unter dem Titel The Functional Tradition erschienen, und in denen die Bauten des Handels, der Eisenbahn oder auch der Ölindustrie als Ausdruck ihres Zeitalters gepriesen und entsprechend 1 | Vgl. Sigfried Giedion: »In Search of a New Monumentality«, in: The Architectural Review 104 (1948), S. 117-128. Zur Debatte über die Monumentalität in den Kriegsjahren und in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. Joan Ockman (Hg.): Architecture culture 1943-1968: a documentary anthology, New York 1993, S. 27-28 sowie den Überblick von Christiane C. u. George R. Collins: »Monumentality: A critical Matter in Modern Architecture«, in: The Harvard Architecture Review (Monumentality and the City) 4 (1984), S. 15-35.
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auf die gleiche Stufe wie Burgen und Kirchen gestellt wurden.2 Diese erhebliche Ausweitung der Kategorie des Monuments auf anonyme Bauten hatte ihren institutionellen Vorläufer in dem 1944 verabschiedeten Inventargesetz.3 Die daraus entstandene Inventarliste wiederum sollte Nikolaus Pevsner – mit Pioneers of the Modern Movement, einer der Vorkämpfer der modernen Architektur in der Zwischenkriegszeit – als Grundlage nehmen für das, was man gemeinhin als die umfassendste wissenschaftliche Aufarbeitung der Architektur in England bezeichnen kann, die von 1951 bis 1974 herausgegebene Buchreihe The Buildings of England.4 Diese breite Würdigung anonymer Artefakte ist durchaus ambivalent, impliziert doch die Auszeichnung immer neuer Bauten notwendigerweise die gleichzeitige Entwertung anderer. Ein sich gegen den Fluss der Zeit auflehnendes Verständnis des historischen Monuments, wie es etwa in einer Inventarliste festgemacht ist, war seinerseits 2 | Ihren Ursprung findet die Artikelreihe 1938 in einem Text von John Piper: »The Nautical Style«, in: The Architectural Review 83 (1938), S. 1-14. Vgl. dazu Robert Elwall: »The functional tradition of Eric de Maré«, in: Royal Institute of British Architects Journal 98 (1991), S. 34-36, sowie James. M. Richards: »Foreword«, in: Ders./Eric de Maré: The functional tradition, London 1958, S. 7-8. In der Nachkriegszeit erscheinen folgende Titel in The Architectural Review: o.A.: »The functional tradition«, in: The Architectural Review 107 (1950), S. 3-67 (Sondernummer); J.M. Richards: »The functional tradition as shown in early industrial buildings«, in: The Architectural Review 122 (1957), S. 5-75 (Sondernummer; ebenfalls als Buch: J.M. Richards/E. de Maré: The functional tradition, London 1958); o.A.: »Functional tradition on the railways«, in: The Architectural Review 123 (1958), S. 137-139; E. de Maré: »The functional tradition exemplified in new structures of the Oil and Steel industries«, in: The Architectural Review 130 (1961), S. 36-42. 3 | Vgl. Angus Acworth/Anthony Wagner: »25 years of listing«, in: The Architectural Review 148 (1970), S. 308-310, hier S. 309. 4 | Zur Entstehung der Buildings of England vgl. Nikolaus Pevsner: »Some Words of Completion of the Buildings in England«, in: Ders. (Hg.), Staffordshire, London 1974, S. 14-18. In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung Pevsners auf S. 17 interessant: Im Band zu Northamptonshire habe er eine Abbildung eines historischen Gebäudes für eine der Autobahn M1 geopfert. Vgl. weiter Simon Bradley/Bridget Cherry (Hg.): The buildings of England: a celebration, Beecles 2001 sowie Robert Harbison: »With Pevsner in England«, in: The Architectural Review 176 (1984), S. 58-61; o.A.: »Buildings of England: Sir Nikolaus Pevsner’s mighty edifice«, in: Architects’ Journal 160 (1974), S. 2-5.
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Abbildung 1: James M. Richards und Eric de Maré, »The Functional Tradition«, 1957-1958 Quelle: »The functional tradition as shown in early industrial buildings«, in: The Architectural Review 122 (1957), Titelblatt. in Fluss geraten. Diese Ambivalenz wurde schon bald mit den ersten Neuplanungen der Nachkriegszeit und den damit verbundenen Zerstörungen erkannt und sollte sich in neuen Strategien im Umgang mit dem architektonischen Erbe niederschlagen.5 1960, zwölf Jahre nach dem Symposium zum Monument, fassten Alison und Peter Smithson in einem Aufsatz unter dem Titel Fix in The Architectural Review diese Fragestellung treffend zusammen. Als Fixes bezeichneten sie zuerst die historischen Bauten, die gewöhnlich 5 | Vgl. dazu Dario Gamboni: »Démolitions expiatoires et ›dévalorisations instantanées‹: lumière sur la face cachée du patrimoine«, in: Uta Hassler/Catherine Dumont D’Ayot (Hg.), Bauten der Boomjahre, Zürich 2010, S. 226-239. Vgl. dazu auch Françoise Choay: L’allégorie du patrimoine, Paris 1996, S. 16-21. Choay umschreibt diese Entwicklung als Übergang vom »Monument« zum »historischen Monument«. Letzteres wird nach Choay a posteriori durch den Blick des Amateurs oder Historikers geschaffen. Es ist ein historischer Zeuge (im Gegensatz zum »gewollten« Monument).
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Abbildung 2: Alison und Peter Smithson, »Fix«, 1960 Quelle: Alison und Peter Smithson: »Fix«, in: The Architectural Review 128 (1960), S. 438. als dauerhaft betrachtet würden, dann aber auch öffentliche Bauten, wie Justizgebäude oder Rathäuser, deren Funktionen dauerhaft seien, und schließlich Kraftwerke oder Anlagen der Schwerindustrie, deren Investitionen, so die Autoren, viel zu hoch seien, um häufigen Veränderungen unterzogen zu werden. Nach einem kurzen Exkurs zu den vergänglichen Bauten und der Erläuterung des Unterschiedes im formalen Ausdruck zwischen einem Fix, wie z.B. der Crown Hall von Mies van der Rohe am Illinois Institute of Technology, und einem Transcient, dem Eames House in Pacific Palisade, beendeten sie ihren Aufsatz mit einem beachtlichen Bogen zu dem, was sie als die aktuellsten Fixes betrachteten: die großen Autobahnkreuzungen. Das Mixmaster in Los Angeles oder die Rampe zur Oakland Bay Bridge des San Francisco Skyway müssten weniger als reine Verkehrsträger, sondern eher zur Kategorie der traditionellen Fixes gezählt werden und könnten dort, wo sie historische Zentren umschließen würden, gar mit den architectural fixes assoziiert werden.6 Vor dem Hintergrund der damaligen Planungen in London, die alle nicht 6 | Vgl. Alison u. Peter Smithson: »Fix«, in: The Architectural Review 128 (1960), S. 437-439.
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besonders zurückhaltend mit der historischen Substanz der Stadt umgingen, muss diese Interpretation der Straße als Monument erstaunen. Die offiziellen Planungsvorschläge, wie der London Street Plan (1959),7 oder die Studien, die der damalige Berater im Verkehrsministerium Colin Buchanan für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur von London (1963) ausarbeitete,8 oder die damaligen Projekte der Avantgarde, etwa der Berliner Hauptstadtentwurf von Alison und Peter Smithson mit Peter Sigmonde mit seinen doppelten Verkehrsebenen und austauschbaren Türmen (1957) oder der Plug-In-City-Vorschlag von Archigram für Paddington Center East (1966),9 scheinen in der Tat auf den ersten Blick viel eher einem zukunftsgerichteten, technisch-infrastrukturellen Verständnis von Architektur zu entspringen. Doch die Situation ist komplexer. Beispielhaft in dieser Hinsicht ist die Debatte, die 1968 um die Zerstörung der Euston Arch entbrannte, jenem 1837 erstellten Eingangsportikus zum Bahnhof der London, Midland & Scottish Railway, und für deren Erhalt Architekten und Historiker gemeinsam kämpften. In einem von den Smithsons in Buchform herausgegebenen Nachruf auf den zerstörten Bau hat Pevsner die Bedeutung des Euston Arch im »Style der Zeit des Perikles« als »das größte Monument des vergangenen Eisenbahnzeitalters«, der Zeit der größten Macht und Prosperität Englands, bezeichnet. Diese Zeitspanne habe sich von 1825, als die erste Bahnlinie zwischen Stockton und Darlington gebaut wurde, bis zur Gründung von Daimler 1896 erstreckt, als die Eisenbahn – als Epoche machendes Verkehrsmittel – durch das Auto verdrängt wurde.10 Deutlich kommt in diesen Beispielen ein der 7 | Vgl. dazu o.A.: »Results and Apraisal of the London Roads Competition«, in: The Architects’ Journal 130 (1959), S. 741 u. 756 sowie A. u. P. Smithson: »London Road Study«, in: Oscar Newman (Hg.), CIAM ’59 in Otterlo: Arbeitsgruppe für die Gestaltung soziologischer und visueller Zusammenhänge, Dokumente der modernen Architektur Bd. 1, Zürich 1961, S. 72-79. 8 | Vgl. dazu den so genannten »Buchanan Report«: Great Britain Ministry of Transport (Hg.): Traffic in Towns. A study of the long term problems of traffic in urban areas. Reports of the Steering Group and Working Group appointed by the Minister of Transport [Chairman of Working Group, Colin Buchanan], London 1963. 9 | Vgl. Simon Sadler: Archigram: architecture without architecture, Cambridge, Mass. 2005, S. 18-19. 10 | Vgl. N. Pevsner: »Foreword«, in: A. u. P. Smithson, The Euston Arch and the growth of the London, Midland & Scottish Railway, London 1968, o.S.
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Abbildung 3: Alison und Peter Smithson, Science Museum, 1957 Quelle: Berlinische Galerie (Hg.): Hauptstadt Berlin: Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb 1957/58, Berlin 1990, S. 97.
Abbildung 4 A-B: Alison und Peter Smithson, Euston Arch, 1968 Quelle: Alison und Peter Smithson: The Euston Arch and the growth of the London, Midland & Scottish Railway, London 1968, o.S.
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Moderne und der Nachkriegsmoderne inhärenter Widerspruch im Umgang mit der Geschichte zum Vorschein. Mit der Forderung nach einer Architektur als Ausdruck einer spezifischen und zeitgenössischen Lebensform wurde mit jedem neuen Artefakt zugleich ein neues historisches Denkmal geschaffen. Zur gleichen Zeit wie die Bauten des Autoverkehrs zu einer gestalterischen Herausforderung wurden, wurden die vom Abriss bedrohten Eisenbahnbauten zur Inventarisierung freigegeben. Während die Neo-Avantgarde, die sich als Nachfolgerin der unterdessen heroisierten Vertreter der Moderne verstand, sich dem neuen Artefakt zuwandte, waren die Historiker mit der Konservierung des gerade Überholten beschäftigt. So widersprüchlich auf den ersten Blick das gleichzeitige Einstehen der Smithsons für die Aufwertung der Autobahninfrastrukturen und für den Schutz des Euston Arch erscheinen mag, so fügt es sich doch nahtlos in ihre lebenslange Auseinandersetzung mit den Folgen der Mobilität für Architektur und Städtebau ein, die sie in einer Reihe von Publikationen – angefangen bei ihren Aufsätzen zu mobilen und nicht mobilen Wohnformen bis zu ihren Studien zur Reorganisation historischer Stadtzentren – verfolgt haben.11 Auch wenn hier ein Eisenbahnbau im Vordergrund stand, ging es viel umfassender darum, als »Historiker der unmittelbaren Zukunft«12 vorausschauend tätig zu sein. Und wenn eine Straße als Monument betrachtet werden konnte, so war es auch nur folgerichtig, die Straße als Gestaltungsaufgabe zu interpretieren, bei der Fragen des Rhythmus oder der Proportionen zu berücksichtigen sind. Das lässt sich an zahlreichen Beispielen der Zeit belegen: Sei es, dass die Straße als Bau verstanden wurde, wie etwa in Louis Kahns Studie zur Stadtentwicklung Philadelphias, welche in England spätestens durch die Publikation der Smithsons im Architects’ Yearbook von 1960 bekannt war. Diese sahen die Beispielhaftigkeit der Studie darin, dass sie eine »Ordnung der Bewegungen«, eine »räumliche Ordnung für gegebene Abläufe« liefere, wie sie seit jeher die Stadtplanung geprägt habe.13 Sei es, dass die Straße als Bildabfolge 11 | Vgl. dazu A. u. P. Smithson: »Mobility. Road System«, in: Architectural Design 28 (1958), S. 385-388; dies.: Urban Structuring, London 1967; A. Smithson: AS in DS. An Eye on the Road, Delft 1983. 12 | Der Ausdruck stammt von Reyner Banham: »The history of the immediate future«, in: Royal Institute of British Architects Journal 68 (1961), S. 252-257. 13 | A. u. P. Smithson: »Louis Kahn«, in: Architects’ Yearbook 9 (1960), S. 102-118, hier S. 102 u. 108-109.
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Abbildung 5: Louis Kahn, Municipal Garages, 1953 Quelle: Alison und Peter Smithson: »Louis Kahn«, in: Architects’ Yearbook 9 (1960), S. 111. wahrgenommen wurde und entsprechend gestaltet werden konnte, wie es in England die Vertreter der Townscape Bewegung postulierten,14 oder sei es, dass der Blick aus der Straße thematisiert wurde, wie in der kleinen Studie der Smithsons von 1972 AS in DS, in der die Umwelt als Infrastrukturlandschaft von Landstraßen oder sechsspurigen Autobahnen betrachtet wurde, die durch Brücken, Tunnel, Kurven, Kreuzungen oder Kreisel rhythmisiert ist.15 Die Konsequenzen dieses Verständnisses des Monuments sind beachtlich. Aus einer Perspektive, welche die Architektur als Ausdruck einer zeitgenössischen Lebensform mit ihrer eigenen Technologie versteht, ist es nicht mehr die Dauerhaftigkeit eines Bauwerks, seine repräsentative Funktion, seine Massivität oder einfach seine Größe, die es als Monument auszeichnet, sondern der Stellenwert, den ihm die jeweilige Zeit zuordnet. Auch in dieser Hinsicht ist der Fall der Euston Station 14 | Vgl. z.B. o.A.: »Outrage«, in: The Architectural Review 117 (1955 (Son dernummer). 15 | Vgl. A. Smithson: AS in DS. An Eye on the Road, Delft 1983.
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beispielhaft. Spätestens seit den Antiquaren des 17. Jahrhunderts gilt das Artefakt als sicherste Spur der Geschichte. Es übertrumpfte dabei vermeintlich alle anderen Formen der Erinnerung wie Bild oder Text.16 Doch bei der Euston Station ist diese Hierarchie auf den Kopf gestellt. Es ist nicht mehr der Bau, der zählt, sondern sein Beleg, wurde der Euston Arch doch erst durch eine äußerst reich bebilderte und dokumentierte Publikation zum Monument gemacht. Wie Alison Smithson penibel in ihrem Buch aufführt, wurden zwar verschiedene Szenarios zur Erhaltung des Bauwerks durchgespielt, etwa die Unterschutzstellung oder gar die Verschiebung des Monuments, doch letztlich sollte der Bau einzig und allein im Spiegelbild des Buches als Monument bestehen. Das hatte auch Pevsner so empfunden. Das Buch der Smithsons, wie Pevsner in der Einleitung feststellte, sei der visuelle Beweis, dass der Euston Arch das größte Monument des vergangenen Eisenbahnzeitalters sei.17 Deutlich zeigt sich hier der inhärente Widerspruch zwischen Denkmalkultus und Reproduktion, der die Diskussion um das Monument im Laufe des 20. Jahrhunderts begleiten sollte. Das Monument wird von nun an nicht nur durch sein Inventar belegt, sondern das Inventar – wie im Fall der Euston Arch – ersetzt es. Wie Mark Wigley aufgezeigt hat, hatte John McHale, wie die Smithsons Mitglied der Independent Group, diesen Zusammenhang 1966 in einem Aufsatz unter dem Titel Der Plastik Parthenon präzis erfasst und dabei die Rolle der Massenmedien wie Film, Fernsehen, Radio, Zeitschriften oder Tageszeitungen in dieser Entwicklung unterstrichen. McHale hatte seine Argumentation auf der Differenz zwischen dem Besitz eines Gutes (dem Haben) und der Information (dem organisierten menschlichen Wissen über dieses Gut), durch die jenes ersetzt worden sei, aufgebaut. Es bestehe somit in einer industriellen Gesellschaft kein »Anlaß mehr, daß die Gesellschaft weiterhin auf einer Wirtschaft der Seltenheit der Güter« basiere.18 Wäh16 | Vgl. Mark Wigley: »The architectural Cult of Synchronization«, in: October 94 (Fall 2000), S. 433. Auf Wigleys These des »Cult of Synchronization« baut das nachfolgende Argument auf. 17 | Vgl. A. u. P. Smithson: The Euston Arch and the growth of the London, Midland & Scottish Railway, o.S. 18 | John McHale: »Der Plastik Parthenon«, in: Gillo Dorfles, Der Kitsch, Tübingen 1969, S. 97-110, hier S. 97-99. Erstpublikation in: Dotzero Magazine 3 (1967), S. 4-11. McHale präsentierte seine These bereits 1961 vor der Independent Group. Vgl. dazu M. Wigley: »The architectural Cult of Synchronization«, in: October 94 (Fall 2000), S. 431.
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Abbildung 6: John McHale, »Italy?…No…New York State«, 1967 Quelle: John McHale: »Der Plastik Parthenon«, in: Gillo Dorfles, Der Kitsch, Tübingen 1969, S. 96. rend vor der Industrialisierung, so McHale, der Gegenstand einmalig gewesen sei und den Menschen dadurch überdauert habe, habe sich durch die Mittel der Reproduktion die Situation umgekehrt. Indem nun der Gegenstand zum Gebrauchsgut geworden sei, sei der Mensch oder sein Wissen hingegen einmalig. So könnten die meisten gotischen Kathedralen heute, wenn sie zerstört würden, dank der detaillierten fotogrammetrischen Abbildungen wiederaufgebaut werden. Und was dies – zu Ende gedacht – für die Architektur bedeuten konnte, zeigte Reyner Banham, ebenfalls Mitglied der Independent Group, wenige Jahre später, 1972 in einem Film der BBC über Los Angeles.19 In einer Szene in einem Drive-in mit Ed Ruscha und dem Kunstkritiker Mike Salisbury hatte er die Tankstelle zum typischen Monument von Los Angeles erkoren – mit der Begründung, dass man den gleichen Bau an 900 verschiedenen Orten besuchen könne. Und 19 | Reyner Banham loves Los Angeles, auf BBC 2, 1972. Vgl. dazu Edward Dimendberg: »The kinetic icon: Reyner Banham on Los Angeles as Mobile Metropolis«, in: Urban History 33 (2006), S. 106-125.
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dabei, so fügte Ruscha verschmitzt hinzu, sei man nie sicher, ob man denselben Bau ein Jahr später an derselben Stelle wiederfinden könne. Im Zeitalter der Reproduktion hatte auch hier die Möglichkeit des Nachbaus des gleichen Tankstellentypus über die Bedeutung des realen Baus die Überhand gewonnen. Was McHale in seinem Essay propagierte und Banham, Ruscha und Salisbury für die Autostadt Los Angeles feststellten, war bezeichnenderweise die Radikalisierung von bereits erprobten denkmalpflegerischen Techniken. 1938 hatte die so genannte Georgian Group, eine privat organisierte Denkmalvereinigung, bei der britischen Regierung für ein Verzeichnis der historischen Bauten plädiert, inklusive der Wohnbauten. Doch erst mit dem Luftkrieg sollten die Gefahren der Zerstörung bewusst werden, so dass 1941, nach den ersten Angriffen auf England, das National Buildings Record gegründet wurde, um mit Hilfe von Fotografien die architektonisch wichtigsten Bauten – beginnend mit den vom Krieg am meisten bedrohten Gebieten – aufzunehmen.20 Die Wahrnehmung der Vergänglichkeit des Artefakts hatte dessen Inventarisierung zur Folge gehabt. Genau dieses Phänomen hat McHale 25 Jahre später polemisch als Ersatz des Artefakts durch dessen Information beschrieben. Von nun an konnte das Artefakt durch seine Reproduktion definiert werden. Sein Wert wuchs entsprechend seiner Präsenz in den Medien und war weniger durch seine Dauerhaftigkeit oder gar Einmaligkeit determiniert.21 Auch wenn sich das Argument McHales in seiner pointierten Formulierung an der Dimension und Festigkeit von Architektur aufreiben musste, so steht es für einen wesentlichen Paradigmenwechsel im Denken von Architektur und Städtebau in den 1950er und 1960er Jahren. In der Tat, wenn die Straße als das dauerhafteste Element im modernen Städtebau betrachtet werden konnte, so konnten und mussten im Umkehrschluss andere Bauwerke vergänglicher sein. Die Bestimmung eines Bauwerks aufgrund seiner Geschichte, seines öffentlichen Charakters, seiner Dimension oder eben aufgrund seines symbolischen Charakters als Monument oder als urbaner Fix hob es aus dem Zersetzungsprozess der Zeit heraus. Mit der Fixierung weniger Elemente, wie die Smithsons in ihrem Aufsatz ausführten, seien die 20 | Vgl. A. Acworth/A. Wagner: »25 years of listing«, in: The Architectural Review 148 (1970), S. 308. 21 | Vgl. J. McHale: »Der Plastik Parthenon«, in: G. Dorfles, Der Kitsch (1969), S. 106.
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Abbildung 7: Robert Harbison, »With Pevsner in England«, 1984 Quelle: Robert Harbison: »With Pevsner in England«, in: The Architectural Review 176 (1984), S. 58. vergänglichen Elemente der Stadt nicht mehr länger eine Bedrohung für die städtische Struktur oder die Gesundheit der Stadtbewohner, sondern sie würden im Gegenteil die kurzfristigen Bedürfnisse und Launen widerspiegeln. Mit transcient oder vergänglicher Architektur bezeichneten sie die kleinen Bauten – Läden und Häuser –, die in kurzen Veränderungszyklen immer wieder ergänzt, verändert oder gar ganz neu gebaut werden. Und unter den vergänglichsten Artefakten schließlich – als »increasingly transcient« – fassten sie das zusammen, was sie als die nicht architektonische Umgebung betrachteten: die Poster, die Lichtreklamen, die Schaufenster, aber auch die Modemagazine, die sich laufend in unterschiedlichen Zyklen ablösen.22 Was sich im Rahmen der Diskussion um das historische Monument abspielte, entsprach viel umfassender einer konzeptuellen Verlagerung im Verständnis von Architektur im Laufe der 1950er Jahre: vom Objekt hin zum Gebrauch, von der Form zum Prozess. Wenn um 1960 die Frage des Fix so intensiv diskutiert wurde, so zeugt dies weniger von einem 22 | A. u. P. Smithson: »Fix«, in: The Architectural Review 128 (1960), S. 437.
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besonderen Interesse für denkmalschützerische Aufgaben, sondern vor allem und zuerst von einem neuen Verständnis von Städtebau in seiner zeitlichen Dimension und Veränderbarkeit. Der Wunsch nach einer Fixierung der Architektur hatte unbemerkt und im Umkehrschluss zur offensichtlichen Enttarnung ihrer Vergänglichkeit geführt.
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Louis Kahn’s Monumentality: Theory and Practice Kathleen James-Chakraborty
In 1993 Joan Ockman published the influential collection Architecture Culture: 1943-1968.1 She opened the anthology of examples of architectural theory with a manifesto penned in 1943 by Sigfried Giedion, José Luis Sert and Fernand Léger. Entitled Nine Points on Monumentality, it defended a kind of architectural ambition that had been anathema to most interwar advocates of the New Building.2 Such architects had focused by necessity on commercial and residential architecture; major civic commissions typically went, regardless of the political complexion of the government involved, to figures such as Jacques Carlu, Wilhelm Dudok or Herbert Baker whose buildings, whether or not they quoted historical precedent, had palpable dignity (fig. 1). As a counterpoint to Nine Points, Ockman included as the third essay in her volume a short piece by the American architect Louis Kahn. The Problem of a New Monumentality was written in 1944 and published in a volume edited by the German émigré art historian Paul Zucker entitled New Architecture and City Planning: A Symposium.3 In it Kahn described the capacity of skeletal metal framing to produce a new, almost ethereal monumentality that contrasted with what he saw as the weight of Gothic cathedrals (fig. 2). Since its republication by Ockman, Kahn’s essay has become 1 | Joan Ockman: Architecture Culture: 1943-1968, New York 1993. 2 | J. Ockman, Architecture Culture, pp. 27-30. 3 | Louis I. Kahn: »Monumentality«, in: J. Ockman, Architecture Culture (1993), pp. 47-54. For the original publication see Paul Zucker (ed.): New Architecture and City Planning, New York 1944, pp. 577-588.
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Figure 1: Herbert Baker, North Block, Secretariat, New Delhi, India, 1912-1927 Source: Robert Grant Irving: Indian Summer: Lutyens, Baker and Imperial Delhi, New Haven 1981, p. 281, fig. 192.
Figure 2: Louis Kahn, Illustration for Monumentality, 1944 Source: Sarah Williams Goldhagen: Louis Kahn’s Situated Modernism, New Haven 2001, p. 31, fig. 1.13. one of the most familiar examples of American architectural theory from the period.4 There is no evidence, however, that it had any impact at the time. Nor do I agree with those who have read into it a prophecy 4 | The two most thoughtful discussions of the essay and the context in which it was written are Sarah Williams Goldhagen: Louis Kahn’s Situated Modernism, New Haven 2001, pp. 24-33, and Eric Mumford: Defining Urban Design: CIAM Architects and the Formation of a Discipline, 1937-1969, New Haven 2009, pp. 46-61.
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of the degree to which Kahn would eventually develop an original and influential approach to civic architecture. Despite its focus on the integrity of construction, it also fails to predict the way in which Kahn and many of his European counterparts, especially the architects of Team 10, later emphasized modular planning in buildings in which, in Kahn’s case at least, rigorous order is tempered by lighting that is often experienced as spiritual. Moreover his celebration of the lightness and sculptural flexibility of frames crafted of new materials contrasts with the palpable weight and primal geometries of his subsequent architecture. In addition to exposing the rupture between Kahn’s essay and two very different examples of his mature design, the Kimbell Museum in Fort Worth, Texas, and his projected Memorial to the Six Million Jewish Martyrs for New York, this essay identifies Kahn’s mature architecture as a key precedent for divergent approaches to monumentality (figs. 3 and 4).5 Work on both the museum, one of Kahn’s most celebrated buildings, and the haunting but never realized memorial began in 1966 and ended in 1972. Nothing in Kahn’s essay foreshadows the poetry of either scheme. While the decorous Kimbell is one of the most overtly classical of Kahn’s compositions, the ethereal Memorial is instead one of the rare designs of its day that presaged the wave of memorials that followed the success of Maya Lin’s Vietnam War Memorial. If the museum and the memorial led others in sharply different directions, they nonetheless shared a focus upon the interplay between natural light, formal order, and social flexibility. The most unusual thing about Kahn’s essay on monumentality is not its content but that he wrote it. Most of Kahn’s theory consists of transcriptions of lectures he delivered once he was relatively well known; in these he often assumed the air of a genial prophet, whose 5 | A basic introduction to the two projects can be found in David B. Brownlee/ David G. De Long (eds.): Louis I. Kahn: In the Realm of Architecture, New York 1991, pp. 396-403, and in Robert McCarter: Louis I. Kahn, London 2005, pp. 340-366, 404-411. For more on the Kimbell see Patricia Cummings Loud: The Art Museums of Louis I. Kahn, Durham/London 1989, pp. 100-171, Michael Benedikt: Deconstructing the Kimbell: An Essay on Meaning and Architecture, New York 1991, and Luca Belinelli: Louis I. Kahn: The Construction of the Kimbell Art Museum, Milan 1999. Perceptive discussions of the Memorial design appear in Kent Larson: Louis I. Kahn: Unbuilt Masterworks, New York 2000, pp. 110-123, and Mark Godfrey: Abstraction and the Holocaust, New Haven 2007, pp. 113-140.
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Figure 3: Louis Kahn, Kimbell Art Museum, Fort Worth, Texas, 1966-1972 Source: Patricia Cummings Loud: The Art Museums of Louis I. Kahn, Durham/ London 1989, p. 153, fig. 3.74.
Figure 4: Louis Kahn, Model of Final Version, Memorial to the Six Million Jewish Martyrs, project for New York, 1966-1972 Source: Romaldo Giurgola/Jaimini Mehta: Louis I. Kahn, Boulder 1975, p. 159. architecture was refreshingly divorced from mundane considerations (some of this rhetorical pose was probably modeled loosely on the one assumed in his last years by Frank Lloyd Wright).6 The essay, on the other hand, is confidently and clearly written. Although its basic premise – that architecture was rooted in construction – was one that Kahn would adhere to for the rest of his life, there are many passages that would undoubtedly have appalled the countercultural guru, who lectured two decades later to packed audiences of enraptured students. An optimistic excitement about new materials prevails as Kahn lauds »steel, 6 | I owe the observation about the high percentage of Kahn’s theory that is in fact oral transcription to Daniel Friedman.
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the lighter metals, concrete, glass, laminated woods, asbestos, rubber and plastics« as »emerging as the prime building materials of today.«7 Moreover, the sketches, that accompany the article, are for lattices that Kahn conceived as contemporary equivalents for the vaults of Beauvais Cathedral but which appear to have little beyond a decorative function. Between 1944, the year in which Monumentality was published, and 1966, when he began work on the Kimbell and the Memorial to Six Million, Kahn was inspired, largely by voyages to Europe, Africa, and Asia, to move away from the position he outlined as World War II drew to a close.8 In 1950-51 Kahn had a fellowship at the American Academy in Rome, from which he traveled to see the single most influential response to Giedion, Sert, and Léger’s call for monumentality, Le Corbusier’s Unité d’Habitation in Marseilles.9 In response Kahn became America’s most enthusiastic brutalist. In particular the tetrahedronal ceiling of his breakthrough building, the Yale University Art Gallery, displays a palpable sense of heft characteristic of Le Corbusier’s mature work, and which is entirely at odds with Kahn’s own earlier championing of lightweight artificial materials »for domes and vaults« (fig. 5).10 A decade later, in 1960, a tour of Central African colonial capitals in connection with a project for an American consulate in Luanda sparked Kahn’s fascination with the poetry of natural light.11 The weight of his later earthbound forms would be increasingly neutralized through the deft manipulation of daylight. Next, the conditions of the commission he received in 1962 for the Indian Institute of Management in Ahmedabad encouraged him to reduce his engagement with innovative construction technology and building materials.12 His Indian clients demanded 7 | L.I. Kahn: »Monumentality«, in: J. Ockman, Architecture Culture (1993), p. 53. 8 | Kathleen James-Chakraborty: Architecture of the Cold War. Louis Kahn and Edward Durrell Stone in South Asia, in: Anke Köth/Kai Krauskopf/Andreas Schwarting (eds.), Building America: Eine große Erzählung, vol. 3, Dresden 2008, pp. 169-182. 9 | D.B. Brownlee/D.G. De Long (eds.): Kahn (1991), p. 52. 10 | L.I. Kahn: »Monumentality«, in: J. Ockman, Architecture Culture (1993), p. 52. 11 | L.I. Kahn: »Interview«, Perspecta 7 (1961), pp. 9-18. 12 | Amit Srivastava: Encountering Materials in Architectural Production: The Case of Kahn and Brick at llM, PhD thesis, University of Adelaide, 2009, and D.B. Brownlee/D.G. De Long (eds.): Kahn (1991), p. 486.
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Figure 5: Louis Kahn, Ceiling, Yale University Art Gallery, New Haven, Connecticut, 1951-1953, as photographed in 1953 by Lionel Freedman Source: P.C. Loud: Art Museums, p. 90, fig. 2.49. low-tech construction, so that the cost of the buildings would largely benefit local semi-skilled laborers. Kahn would continue to experiment, including in the Kimbell and the Memorial to Six Million, with up to date engineering and materials, but only as a means towards a formal end. A final significant shift in his work, linked to his 1944 essay only by an enduring interest in promoting community, was his early adoption, not least in his own Art Gallery for Yale, of a more modular approach to design. Balancing a strong formal order with a degree of choice about how to proceed through communal spaces sustained, Kahn came to believe, civic institutions. All four of these characteristics – palpable weight, poetic daylight, low-tech materials, and anti-hierarchical plans – can be found in Kahn’s otherwise very different designs for the Kimbell and the Memorial for Six Million. Although this new definition of monumentality takes very different form in the Kimbell and the Memorial, both buildings promote an engagement with looking as a means of encouraging contemplation. The impact of the Kimbell on later museum design is well known, but the Memorial to the Six Million was an equally key precedent for many later memorials.13 13 | Prominent examples include Henry Cobb of I. M. Pei & Partner’s Portland Museum of Art, in Portland, Maine, completed in 1978; Arata Isozaki’s Los Angeles Museum of Contemporary Art, opened in 1986; Peter Busmann & Godfrid Haberer’s Wallraf-Richartz and Ludwig Museum in Cologne, completed in the same year; Renzo Piano’s De Menil Museum in Houston, Texas, opened
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The driving force behind the Kimbell was the museum’s founding director Richard Brown. Brown’s specific requests offered the kind of strong guidance that repeatedly elicited Kahn’s best work. The »total experience of a visit to a museum,« he wrote, »should be one of warmth, mellowness, and even elegance.«14 And yet even as he explicitly encouraged Kahn to create an environment appropriate for genteel works of art, he shared Kahn’s commitment to an architecture of availabilities, in which the civic realm expanded the opportunities of ordinary citizens, as they had those of Kahn himself, when he was an impoverished immigrant child in Philadelphia.15 Interviewed in 1972, Brown declared that the Kimbell »was not a monument.« Instead, he said, »it serves the people who are trying to get at the message that individual works of art have to give.«16 The most salient differences between the Kimbell and Kahn’s earlier conception of monumentality involve the choice of materials and the way in which he deployed them in tandem with natural light (fig. 6). Although the Kimbell is framed in concrete, the infill material is travertine, a far more enduring choice than the »new wall products of transparent, translucent, and opaque material with exciting textures and color […] suspended or otherwise fastened to the more delicate forms of the minor members« for which Kahn called in 1944.17 Together with oak floors and lead roofs these pre-modern materials imbue the museum with a subtle sense of traditional grandeur. This is simultaneously reinforced by the innovative day-lighting and undercut by the relatively open floor-plan (as opposed to the highly structured roofscape). The organization of the building as a series of rows of identically barrel vaults (in fact paired arched cantilevers) undoubtedly owed a great deal to Kahn’s firsthand in 1987, and James Stirling, Michael Wilford and Associate’s Clore Gallery extension of the Tate Britain, which also opened in 1987. 14 | Richard F. Brown: »Pre-Architectural Program«, in: Kimbell Art Museum, In Pursuit of Quality: The Kimbell Art Museum, Fort Worth 1987, pp. 319-327, p. 319. 15 | For Kahn’s use of the term availabilities see Louis I. Kahn: letter to James Keough, 6 August 1973, copy in »Rabat 2«, Box LIK 106, Louis I. Kahn Collection, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission, Philadelphia (hereafter cited as Kahn Collection). 16 | R.F. Brown: »Kahn’s Museum: An Interview with Richard F. Brown«, in: Art in America 80 (1972), pp. 44-48, p. 48. 17 | L.I. Kahn: »Monumentality«, in: J. Ockman, Architecture Culture (1993), p. 52.
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Figure 6: Louis Kahn, Interior, Kimbell Art Museum, Fort Worth, Texas, 1966-1972 Source: P.C. Loud: Art Museums, p. 154, fig. 3.75. experiences of Le Corbusier’s Villa Sarabhai in Ahmedabad, which he often visited while working on the Indian Institute of Management.18 Natural light enters the building from above through a split vault-like shell and is then reflected back onto the interior surfaces of that shell. The end wall of each bay is separated from this roof structure by a void, that provides another distinctive entrance for daylight as well as a dramatic demonstration that these are screen walls, liberated from the necessity of supporting the roof, which floats above them. More than almost any other American building of its day, the Kimbell evoked classical precedent while rejecting its decorative trimmings. The basic U-shaped plan echoed that of two more buildings familiar to the architect. Kahn watched a pair of Beaux Arts museums, the University of Pennsylvania Museum of Archeology and Anthropology and the Philadelphia Museum of Art, being built, and he continued to see them on a nearly daily basis for the rest of his life (fig. 7).19 Moreover 18 | P.C. Loud: The Art Museums of Louis I. Kahn, p. 107. For details of the structural solution see Luca Bellinelli: Louis I. Kahn: The Construction of the Kimbell Art Museum, Milan 1999. 19 | For the University Museum (Cope and Stewardson: 1893-1926), see George E. Thomas and D.B. Brownlee: Building America’s First University: an historical and architectural guide to the University of Pennsylvania, Philadelphia 2000, pp. 226-230 and for the Philadelphia Art Museum (Borie, Trumbauer and Zantzinger, opened 1928), D.B. Brownlee: Making a Modern Classic: The Architecture of the Philadelphia Musuem of Art, Philadelphia 1997.
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Figure 7: Borie, Trumbauer, and Zantzinger, Philadelphia Museum of Art, Philadelphia, Pennsylvania, 1928 Source: David Brownlee: Building the City Beautiful: The Benjamin Franklin Parkway and the Philadelphia Museum of Art, Philadelphia 1989, p. 114, fig. 116. the Kimbell is typically entered, like the Philadelphia Museum of Art, through a parking lot at what feels like the back rather than the more ceremonial approach in front. This consists at the Kimbell of pools of flowing water flanking a courtyard filled with small trees. These are usually experienced as a garden interlude to the galleries. Kahn proved at the Kimbell, however, that architectural order could be entirely uncoupled from expressions of political authority or social hierarchy associated by many before and since with almost all forms of classicism, not least the Beaux Arts museums, typically set like the Kimbell in ample parkland, erected across the United States in the late 19th and early 20th centuries.20 Grand gestures, such as monumental stair halls, are entirely absent. Instead, light imparts endless variety to the clearly defined organization of space, through which one can freely wander along multiple possible paths. At the Kimbell Kahn synthesized Beaux Arts precedent and modernist abstraction in a design that dealt a deathblow to the contemporary enthusiasm for museums conceived as strongboxes, in which works of art were displayed with increasing disregard for the sensual properties of the environments for which they had been made.21 In comparison to the Kimbell’s understated decorum, moreover, earlier classically infused efforts by American architects such as Philip Johnson, whose Amon Carter Museum sits in the same park, seemed relatively insubstantial 20 | Carol Duncan: Civilizing Rituals: Inside Public Art Museums, London 1995. 21 | For a discussion of the strongbox see Helen Searing: New American Art Museums, Berkeley 1982, pp. 56-62.
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Figure 8: Philip Johnson, Amon Carter Museum, Fort Worth, Texas, 1961 Source: Frank D. Welch: Philip Johnson & Texas, Austin 2000, p. 96. and overly decorative (fig. 8).22 The Kimbell triggered a wave of experimentation, which continues to this day, with innovative roofscapes as a way of allowing carefully filtered natural light back into galleries while creating distinctive architectural profiles. Classical partis followed not far behind. For more than a generation almost every subsequent museum building of note, whether postmodern or modern in style, was indebted to its example. Kahn struck a similar balance between formal order and informal pathways and between tangible materials and intangible light in his project for a Memorial to the Six Million Jewish Martyrs (fig. 9). In English the adjective monumental is directly derived from the noun monument. Paradoxically Kahn’s most noteworthy attempt to build a monument, the Memorial to the Six Million Jewish Martyrs, was in many ways his least overtly monumental mature work. More specifically, although known for manipulating light to appear to dissolve the overbuilt heft of his buildings, Kahn chose to construct his monument out of that least monumental of materials: glass. 22 | Frank D. Welch: Philip Johnson & Texas, Austin 2000, pp. 76-108.
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Figure 9: Louis Kahn, Perspective view of Final Version, Memorial to the Six Million Jewish Martyrs, 1966-1972 Source: Kent Larson: Louis Kahn: Unbuilt Master works, New York 2000, p. 118, fig. 140. Although New York is host to the world’s largest Jewish community, both the city government and the local Jewish community have always been ambivalent about the importance of marking the Holocaust architecturally.23 In part this ambivalence has been fueled by the uncertainty that modern architecture or art, or indeed any art or architecture at all, is capable of representing such horrific loss. Eric Mendelsohn’s design for a memorial on Riverside Drive was never built, not least because many fellow Jews felt that the money would be better spent on supporting survivors (fig. 10).24 Similar failures of will dogged Kahn’s project. The varied leadership of the consortium of Jewish groups behind the project disa23 | James E. Young: The Texture of Memory: Holocaust Memorials and Meaning, New Haven 1993, pp. 29-94. 24 | K. James-Chakraborty: Memory and the Cityscape: The German Architectural Debate about Postmodernism, in: German Politics and Society 17 (1999), pp. 71-83.
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Figure 10: Eric Mendelsohn, Monument to the Six Million Jews, project for New York, 1951 Source: Arnold Whittick: Eric Mendelsohn, New York 1956, p. 74. greed about whether or not the abstraction upon which Kahn insisted was appropriate. Abraham Duker, who was on the faculty of Yeshiva University, captured the dilemma when he wrote the architect: »To convey the monstrosity of the Holocaust through purely universalist symbolism would not center the attention of the visitor on the Jewish catastrophe. To express it in only Jewish terms or symbolism is unfashionable, and may also be inadequate and parochial.«25 Meanwhile, in the context of the general social unrest of the period, Kahn’s acquaintance Jesse Reichek, a Jewish abstract expressionist painter, who was a professor of design at the University of California, Berkeley, questioned the architect’s professed desire that the result not be accusing and indeed whether he should focus on the Holocaust alone. Reichek commented:
25 | Abraham Duker: letter to Kahn, 13 November 1967, LIK 36, Kahn Collection, University of Pennsylvania and Pennsylvania Historical and Museum Commission, Philadelphia.
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»It wants to be accusing. The 6 million Jews, 9 million Palestinian refugees, 25 million blacks in Rhodesia, 30 million blacks in South Africa, the millions of American Indians, millions of slave laborers in Russian camps, millions of Vietnamese, millions killed in Dresden, Regensburg etc., half a million killed in two days in Hiroshima and Nagasaki, and the 12 thousand arrested in Washington in two days want it accusing. They want our – yours, mine and the whole world’s, which stood by and did and is still doing nothing – wounds to be left open, raw and continuing to bleed […] You have, through your work, instructed us as to the meaning of the humane, you must now attempt to instruct us as to the meaning of the inhumane.« 26
The question here is not whether or not such a memorial should have been built, but rather how Kahn defined monumentality in this context and the impact that definition had on later Holocaust memorials. From the beginning Kahn conceived of the monument as a series of glass towers, set upon a series of plinths that featured dramatic views out over the harbor and towards the Statue of Liberty. The number of the towers changed over time, from nine to six, arranged in the later case around a central chapel. Kahn had as well to forego for technological reasons his original hope of constructing them out of solid glass, for which he eventually substituted glass blocks.27 Nonetheless, the basic experience of moving around partially transparent cubes of more than double human height remained constant. The geometric order that governs the two arrangements of the cubes is entirely abstract, devoid of a relationship to any phase of classicism’s long history. The documentary record, letters as well as sketches, provides ample evidence of Kahn’s engagement in how the cubes would be made, but the expression of construction so central to the 1944 essay was never the major story here. Instead it is the play of form and light that would have created what Kahn believed to have been an appropriately contemplative memorial atmosphere, one that was neither accusing nor necessarily even somber rather than literally reflective, albeit in an entirely unspectacular way. Much has been made of the fact that Kahn had to abandon his original design for nine cubes because of the number’s inappropriate associations
26 | Jesse Reichek: letter to Kahn, 1 February 1972, LIK 36, Kahn Collection. 27 | D.B. Brownlee/D.G. De Long (eds.): Kahn (1991), pp. 400-402 for the design process.
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to some observant Jews. Some have drawn the conclusion that Kahn, who was certainly not observant himself, was consequently detached from the particulars of the commission, which they define as specifically religious. This is unlikely to have been the case, however, for someone who had immigrated from what was then imperial Russia as a small child and returned to Estonia and Latvia in the late 1920s, where he must have met many relatives and friends of the family who later perished in the Holocaust.28 Moreover Kahn was an ardent Zionist, whose strong support for Israel co-existed with a warm regard for Muslims.29 Kahn’s design was an anomaly in the 1960s, a decade in which monumentality more often was defined in terms of brutalist buildings than ethereal memorials. In many ways it was closer to the fine art of the period. In the early 1950s Kahn was fascinated by the art of Wilhelm de Kooning, but the tone of the memorial seems closer to the work of two Jewish abstract expressionists, Mark Rothko and Barnett Newman, who were his almost exact contemporaries.30 Rothko was born only 200 odd miles away from Kahn, and his life in America followed a similar trajectory from urban poverty to the Ivy League to eventual acceptance by a still largely Protestant establishment.31 Using entirely different means, Kahn evoked the almost inner radiance
28 | Annd Griswold Tyng (ed.): Louis Kahn to Anne Tyng: The Rome Letters 1953-1954, New York 1997, p. 10. 29 | For perceptive accounts of Kahn’s Judaism see Susan G. Solomon: Louis I. Kahn’s Trenton Jewish Community Center, New York 2000, and the same author’s: Louis I. Kahn’s Jewish Architecture: Mikveh Israel and the Midcentury American Synagogue, Waltham 2009. Kahn was very popular among architects in Bangladesh and Iran, if not always in Pakistan. Throughout his process of working as a consultant for the city of Jerusalem following the 1967 war, he was careful to highlight its Arab inhabitants. Teddy Kollek: letter to Kahn, 29 August 1968, recognized the politically provocative character of Kahn’s design for the Hurvah synagogue in an account of the debate it had ignited, but Kahn, in a letter to Kollek, 4 June 1969, described a vision of how Israel could improve the lives of both Arab and Jewish inhabitants of Jerusalem. Both letters are in LIK Box 39, Kahn Collection. 30 | S.W. Goldhagen, Kahn, pp.48-62, for his interest in De Kooning. I am grateful to David Anfam for suggesting to me the parallels with Rothko. 31 | James Breslin: Mark Rothko: A Biography, Chicago 1993.
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Figure 11: Barnett Newman, Broken Obelisk, as installed in front of the Rothko Chapel, Houston, Texas, 1963-1969 Source: F.D. Welch: Philip Johnson, Johnson & Texas, p. 67. of Rothko’s paintings, which from the beginning many have experienced as spiritual. It would be interesting to know whether Kahn ever visited the Rothko room established at the Phillips Collection in Washington in 1960.32 It must have been familiar to the chief patron of the memorial project, the insurance executive and art collector, David Kreeger, himself a Washingtonian. Newman provided a cast of his sculpture, the Broken Obelisk, for another ensemble of Rothko canvases, the Rothko Chapel in Houston. Although made earlier, it came to serve in Houston as a memorial to Martin Luther King (fig. 11).33 Aspects of Kahn’s design also parallel the work of the next generation of American sculptors, minimalists such as Donald Judd. Their work
32 | He certainly eventually was aware of the Rothko Chapel, dedicated in Houston in 1971, as the following year he was approached by its patrons, the de Menils, to design a museum beside it. See D.B. Brownlee/D.G. De Long (eds.): Kahn (1991), p. 136-137. 33 | F.D. Welch: Philip Johnson & Texas, p. 67.
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Figure 12: Gallery 5, Primary Structures exhibition as installed in the Jewish Museum, New York, 1966, with Donald Judd, Untitled, 1966, in center Source: James Meyer: Minimalism: Art and Polemics in the Sixties, New Haven 2001, p. 19, fig. 14. was the subject of a major exhibition at the Jewish Museum in New York in 1966 (fig. 12).34 The minimalists argued for the site specificity of their work, but only with the arrival of Earth Art, such as Robert Smithson’s Spiral Jetty, did their concern with the staging of their work and with the details of how it was constructed equal Kahn’s architectural specificity (fig. 13).35 Kahn has been more often associated, in the United States at least, with the revival of classicism than with modern art. Newman’s Broken Obelisk aside, modern art was not often understood in the United States in the 1960s to be monumental. Only after the success of Lin’s Vietnam War Memorial, itself inspired by Earth Artists, did American architecture re-engage abstraction and did memorials return after an absence of many decades to the center of American art and architectural practice (fig. 14).36 Kahn’s Memorial to the Six Million Jewish Martyrs 34 | James Meyer: Minimalism: Art and Polemics in the Sixties, New Haven 2001, pp. 13-30. R. McCarter, Kahn, p. 406, for Kahn’s admiration for Newman. 35 | Lynn Cooke and Karen Kelly (eds.): Robert Smithson: Spiral Jetty, Berkeley 2005. 36 | Daniel Abramson: »Maya Lin and the 1960s: Monuments, Time Lines, and Minimalism«, in: Critical Inquiry 22 (1996), pp. 679-709 offers an important alternative view of Lin’s relationship to minimalism.
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Figure 13: Robert Smithson, Spiral Jetty, Great Salt Lake, Utah, 1970 Source: Jack Flam: Robert Smithson: The Collected Writings, Berkeley 1996, frontispiece. was an unacknowledged grandparent to this new monumentality. While Lin may have known Kahn’s project, it is inconceivable that Stanley Saitowitz, Daniel Libeskind, and Peter Eisenman, the designers of subsequent memorials for Boston and Berlin, were unaware of it. Substantially older than Lin, all were Jewish, and Eisenman knew Kahn personally.37 Saitowitz’s New England Holocaust Memorial, which opened in Boston in 1995, although clearly inspired in part by Kahn’s example, also demonstrates how far away Kahn’s purely architectural approach was from the literalness of subsequent strategies for creating both mo37 | Eisenman reminisced about Kahn in remarks made at the Engaging Louis I. Kahn: A Legacy for the Future symposium held at Yale University in New Haven in January 2004. The project was included in the first substantial posthumous account of Kahn’s work, Romaldo Giurgola and Jaimini Mehta: Louis I. Kahn, Boulder 1975, pp.158-159, the standard work on the architect until Brownlee and De Long’s catalogue. See also Heinz Ronner with Sharad Jhaveri and Alessandro Vasella: Louis I. Kahn: The Complete Works 1935-1974, Basel 1977, pp. 336-338.
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Figure 14: Maya Lin, Vietnam War Memorial, Washington, D.C., 1981-1982 Source: http://photo2.si.edu/legacy/legacy3.html
Figure 15: Stanley Saitowitz, New England Holocaust Memorial, Boston, Massachusetts, 1995 Source: www.nehm.com numents and memorials (fig. 15).38 Consisting of six glass pillars in a single line marooned on a traffic island in the middle of the busy street separating Boston’s City Hall from the popular Fanueil Hall Marketplace, its design diverges in crucial ways from Kahn’s. First, the six million numbers tattooed into the glass, along with other inscriptions, impart the narrative qualities Kahn forsook. Secondly, the pillars consciously
38 | Stenley Saitowitz, Natoma Architects Inc.: Buildings and Projects, New York 2005, pp. 290-299. See also the memorial’s own website http://www. nehm.com/design/, consulted 24 May 2010.
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evoke chimneys; they even emit smoke. Finally, the symbolism of the number six, which stands for the six million or the six major death camps is clearly established here. Although largely abstract, the memorial is nonetheless legible in ways that divert attention from Kahn’s relentless focus upon materials, light, and space. The two Berlin memorials, the Garden of Exile at Libeskind’s Jewish Museum and the Memorial to the Murdered Jews of Europe, on which Eisenman originally collaborated with the sculptor Richard Serra, are equally literal, but in a different way (figs. 16 and 17).39 The two deconstructivist architects depend on a skewed ground plane to physically disturb visitors to their grids of pillars or stelaes. Moreover the comparative solidity of the pillars creates a sense of confinement at odds with the transparency of Kahn’s design. At the same time that the relative lack of attention Libeskind and Eisenman paid to expressing how these pillars were constructed detracts from the particularity that was so crucial to Kahn once he settled on glass bricks. These more diagrammatic designs are intended to be more disturbing, although whether they are always experienced as such is another matter. Kahn consciously chose not to evoke the horror of the event he was marking, but to create a specific place where individuals could come to think about it within the context of a larger community. Of all the designers of these memorials, Kahn in his design and in his design philosophy placed the greatest faith in humanity and in human institutions. Scholars and critics often exaggerate the degree of continuity across Kahn’s career. They read back from the apparent timelessness of his mature work an enduring respect for classicism or forward from his early activism an all-encompassing social engagement.40 The shifting character of the architect’ s work over the course of a five decade-long engagement with architecture belies both assumptions. Moreover, although Kahn often did, especially in the last dozen years of his life, adapt ideas from one project to another, he was also capable, as his simultaneous design of the Kimbell and the Memorial makes clear, of
39 | The literature on these two works is enormous. A useful introduction to the issues involved is found in James E. Young: At Memory’s Edge: After-Images of the Holocaust in Contemporary Art and Architecture, New Haven 2000. 40 | The process began with Vincent Scully: Louis I. Kahn, New York 1962, in which Scully identifies a classicism that arguably was not yet present in the architect’s work.
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Figure 16: Daniel Libeskind, Garden of Exile, Jewish Museum, Berlin, 1989-1999 Source: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Garden_of_Exile.jpg
Figure 17: Peter Eisenman, Memorial to the Murdered Jews of Europe, Berlin, 1997-2005 Source: Mark Godfrey: Abstraction and the Holocaust, New Haven 2007, p. 238, fig. 139.
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concurrently developing entirely unrelated schemes appropriate to their individual purpose.41 Kahn’s ideas about monumentality changed over time. From an emphasis in 1944 on the capacity of new materials to create buildings that appeared to float free of gravity while fulfilling civic purposes, he shifted his attention to more clearly legible forms, constructed with equal integrity out of more obviously permanent materials and washed over with natural light. These provided appropriately dignified but flexible backdrops for diverse activities, not least by encouraging contemplation. Although commonly associated with a return to ancient Roman, neoclassical, and/or Beaux Arts classical decorum, Kahn’s monumentality remained, in its reliance on abstract surfaces and relatively open plans, resolutely modern. Moreover it overlapped with and in some cases undoubtedly inspired an approach to the creation of environments more often associated with sculptors like Smithson and Serra than with postmodern architecture. Indeed it is precisely the modernity of Kahn’s monumentality that has made it such a key, if largely unacknowledged, precedent for the role played by architects in creating some of the most important public art of the subsequent decades.
41 | One of the most fascinating examples of his transferring forms from one project to another is the debt that his monumental unbuilt Hur vah S ynagogue project for Jerusalem (1967-74) owes to his earlier project for a president’s estate in Islamabad (1963-66). Compare the model photographs on R. Giurgola/J. Mehta: Kahn, p. 55 and p. 154.
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»I AM A MONUMENT« Zur Phänomenologie des Monumentalen in der amerikanischen Architekturtheorie der 1960er Jahre Martino Stierli
E INLEITUNG In der jüngeren Architekturgeschichte gelten die 1960er Jahre gemeinhin als Moment der Krise. Die spätmoderne Baukunst war mit ihren aus der heroischen Periode der modernen Architektur ererbten Konzepten in eine Sackgasse geraten, und die allenthalben erstellten Betontrutzburgen und urbanen Erneuerungsprogramme großen Stils wurden mehr und mehr als schwere städtebauliche Hypotheken denn als Katalysatoren einer zukünftigen Entwicklung wahrgenommen. Reformfreudige Kräfte waren von den Heilsversprechungen der Avantgarde zusehends desillusioniert, ohne dabei aber das Projekt der Moderne grundlegend in Frage stellen zu wollen. Statt einen formalistischen, als elitär empfundenen Diskurs weiterzuführen, der die spätmoderne Architekturdebatte beherrschte, forderten sie eine Öffnung und Sensibilisierung der Disziplin für soziologische und kommunikationsbezogene Gesichtspunkte ein. Von dieser grundlegenden Neuausrichtung wurden auch der Begriff der Monumentalität und die Vorstellung von monumentaler Architektur erfasst. Hatte die Avantgarde die Pseudomonumentalität der historistischen und neoklassizistischen Architektur des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts scharf angegriffen, so bemühte sich Sigfried Giedion als Sprachrohr der Moderne gemeinsam mit dem Architekten José Luis Sert und dem Künstler Fernand Léger angesichts der sich abzeichnenden großen gesellschaftlichen Aufgaben
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der Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg bereits seit den 1940er Jahren um eine »neue Monumentalität.«1 Auf der Suche nach einem passenden Ausdruck für die kollektiven Werte der Gemeinschaft wiesen sie Architekten und Künstlern eine zentrale Rolle zu, sollten diese doch gemeinsam in Richtung einer Erneuerung des Monumentalen hinarbeiten. Diese Aufbruchstimmung war jedoch bis in die 1960er Jahre der Ernüchterung gewichen. Insbesondere von Seiten einer soziologisch befeuerten Städtebaukritik wurden zusehends Zweifel an der Fähigkeit der zeitgenössischen Architektur artikuliert, die Werte der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. In der amerikanischen Debatte meldete sich eine jüngere Architektengeneration zu Wort, die angesichts von neuen urbanen Phänomenen wie dem Urban Sprawl und der zunehmenden Automobilisierung der Gesellschaft den traditionellen Monumentalitätsbegriff in Frage stellte und nach dessen grundlegender Erneuerung suchte. Die Wortführer dieses für die folgenden Debatten prägenden Diskurses waren der kalifornische Architekt und Theoretiker Charles Moore sowie das Architektenpaar Robert Venturi und Denise Scott Brown. Für ihren Monumentalitätsbegriff wurde der Versuch bestimmend, Stadtbild und Automobilität zu verknüpfen und als Leitkategorie städtebaulichen und stadtsoziologischen Denkens zu begreifen.
M ONUMENTALITÄT DURCH Z USCHREIBUNG : D AS M ODELL DES DEKORIERTEN S CHUPPENS Wenn es darum geht, die Architekturauffassung Robert Venturis und Denise Scott Browns schlagkräftig zu illustrieren, wird immer wieder eine vielfach reproduzierte Zeichnung aus der Hand Venturis bemüht (Abb. 1).2 Sie entstammt dem zweiten, architekturtheoretischen Teil der 1972 publizierten Studie Learning from Las Vegas, in der die Architekten 1 | Vgl. José Luis Sert/Fernand Léger/Sigfried Giedion: »Neun Punkte über: Monumentalität – ein menschliches Bedürfnis« (1943), in: Sigfried Giedion, Architektur und Gemeinschaft. Tagebuch einer Entwicklung, Hamburg 1956, S. 40-42. Zu den Debatten zur Monumentalität in der unmittelbaren Nachkriegszeit siehe auch den Beitrag von Ákos Moravánszky im vorliegenden Band. 2 | Die folgenden Ausführungen entstammen teilweise der Publikation von Martino Stierli: Las Vegas im Rückspiegel. Die Stadt in Theorie, Fotografie und Film, Zürich 2010.
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Abbildung 1: Robert Venturi, »I am a Monument«, ca. 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia. gemeinsam mit ihrem Partner Steven Izenour und einer Gruppe von Studierenden der Yale University die Form und Ästhetik der scheinbar planlos gewachsenen auto-orientierten amerikanischen Stadtform und deren mögliche Implikationen für die zeitgenössische Architekturproduktion untersuchten.3 Die Skizze deutet mit wenigen Filzstiftstrichen vor tiefem Horizont ein mehr oder weniger eigenschaftsloses, quaderförmiges Gebäude mit regelmäßig verteilten Fensteröffnungen an. Blickfang ist nicht der Baukörper selbst, sondern eine auf dem Flachdach mit zwei mächtigen Stützen befestigte Werbetafel, auf der der Schriftzug »I AM A MONUMENT« zu lesen ist. Dass es sich dabei um einen lichttechnisch erzeugten, blinkenden Effekt handelt, wird durch eine Reihe von Strichen angedeutet, die die Werbetafel im Sinne einer Aureole rahmen. Ihrer Zweidimensionalität zum Trotz gewinnt die Tafel aufgrund ihrer gewaltigen Dimensionen selbst monumentale Präsenz, stützt sie sich doch, den riesigen Werbetafeln entlang der amerikanischen Freeways vergleichbar, auf eine eindrucksvolle Konstruktion, die sich als eigenständiger Baukörper und nicht als lediglich appliziertes, flächiges Dekor erweist (Abb. 2). Die Zeichnung bringt 3 | Vgl. Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour: Learning from Las Vegas, Cambridge, Mass./London 1972, S. 100.
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Abbildung 2: Die Werbetafel als »monumentale« Konstruktion. Foto: Learning from Las Vegas Research Studio, 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia. einen zentralen Aspekt der Architekturauffassung Venturis und Scott Browns signethaft zur Darstellung: Sie zeigt ein Gebäude, das aus zwei deutlich voneinander getrennten Bereichen besteht, denen jeweils eine spezifische Funktion zukommt. Der eigentliche Baukörper im unteren Bereich der Skizze ist auf die grundlegende Aufgabe jeder Architektur reduziert, eine Behausung für menschliche Aktivitäten zu schaffen. Das Volumen lässt neben den funktionalen Bedürfnissen geschuldeten Fensteröffnungen keine ästhetischen oder gestalterischen Eigenheiten erkennen, die über das Zweckhafte hinausgehen; es steht in der vitruvianischen Terminologie mithin für firmitas und utilitas. Im Gegensatz dazu erscheint die Werbetafel, die die obere Hälfte des Gebäudes bildet, unarchitektonisch und zu einer bildhaften, scheinbar zweidimensionalen Fläche reduziert. Die Tafel funktioniert als Kommunikationsträgerin und gibt dem mitzudenkenden Betrachter vor dem Gebäude zu erkennen, worum es sich bei diesem Bau handelt: um ein Monument, präziser, um ein Gebäude mit monumentaler Qualität und Funktion. Die überdimensionierte Schrifttafel steht an Stelle einer ansonsten abwesenden, baukünstlerisch gestalteten Fassade; sie verkörpert damit die venustas. Mit der charakteristischen Zweiteilung des Gebäudes in einen funktionalen Baukörper und in eine davon sichtbar abgetrennte, sprechende Schauseite steht Venturis Zeichnung idealtypisch für das Konzept des dekorierten Schuppens, das Venturi und Scott Brown in Learning from Las Vegas entwickeln und für die Architektur der Gegenwart als Modell propagieren (Abb. 3). Für
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Abbildung 3: Robert Venturi, »Dekorierter Schuppen« versus »Ente«, ca. 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia. diese Konzeption ist von Bedeutung, dass die Architektur auf architektonischen Ausdruck und baukünstlerisches Formenvokabular im engeren Sinne verzichtet und sich stattdessen, um zu kommunizieren, ganz auf konventionelle, referenzielle Zeichen und Symbole stützt, die jedem Mitglied der Gesellschaft sofort verständlich sind. Das auf Venturis Zeichnung skizzierte Monument erfüllt das Kriterium der Monumentalität nicht, weil es gewisse, damit traditionell konnotierte architektonische Eigenschaften (Säulenstellungen, Freitreppen, edle Materialien wie Marmor und dergleichen mehr) besäße, sondern einzig deshalb, weil es als solches angeschrieben ist. Es ist eine architecture parlante im engeren Sinne (Abb. 4), indem es sich auf die Kodifizierung von Information beruft und diese mit sprachlichen Mitteln denotiert. Architektonische Monumentalität beruht gemäß Venturi und Scott Brown nicht auf formalen Eigenschaften von Bauwerken, sondern auf einer Zuschreibung, wörtlich, einer Beschriftung. Sie ist demgemäß keine Funktion architektonischer Gestaltung, sondern einer – sprachlich kodierten – gesellschaftlichen Konvention und daher in erster Linie kein baukünstlerisches Problem, sondern ein soziologisches und kommunikatives.
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Abbildung 4: Henri Labrouste, Bibliothèque Sainte-Geneviève als Architecture parlante, Paris, 1850 Quelle: ETH Zürich, Institut gta (Datenbank: Archiv gta, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur).
K RITIK DER M ONUMENTALITÄT Die Sprengkraft der Zeichnung Venturis für den Architekturdiskurs der Nachkriegszeit ist nur vor dem Hintergrund einer in den 1960er Jahren geführten Debatte zu Wesen und Funktion von Monumentalität in der Gegenwartsarchitektur zu begreifen, auf die die Skizze direkt anspielt. Nicht zufällig erscheint die Zeichnung innerhalb von Learning from Las Vegas im Unterkapitel Megastructures and Design Control (Abb. 5). Darin geht es um zwei Erscheinungen des Architekturdiskurses der Zeit, gegen die die Autoren der Studie offen polemisieren: gegen die architektonische Großform (beziehungsweise Megastruktur) auf der einen Seite sowie gegen eine von oben aufoktroyierte Stadtplanung auf der anderen. In dem erwähnten Abschnitt setzen sich die Autoren gegen ein ganz konkretes Beispiel der jüngeren gebauten Architektur ab: »The Boston City Hall and its urban complex are the archetype of enlightened urban renewal. The profusion of symbolic forms that recall the extravagances of the General Grand period and the revival of the medieval piazza and its palazzo pubblico [sic!] are in the end, a bore. It is too architectural. A conventional loft would accommodate a bureaucracy better, perhaps with a blinking sign on top saying I AM A MONUMENT.« 4
4 | R. Venturi/D. Scott Brown/S. Izenour: Learning from Las Vegas, S. 99.
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Abbildung 5: Robert Venturi, Kritik an der Megastruktur, ca. 1968 Quelle: Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour: Learning from Las Vegas, Cambridge, Mass./London 1972, S. 109. Das neue Rathaus von Boston (Abb. 6), von den Architekten Gerhard M. Kallman, Michael McKinnell und Edward Knowles 1963 erbaut, gilt als Paradebeispiel eines Urban-Renewal-Programms, anhand dessen die Stadtentwicklung und -reparatur in den USA der Nachkriegszeit mithilfe groß angelegter Bauvorhaben vorangetrieben werden sollten, oftmals, wie Kritiker bemängelten, auf Kosten einer bestehenden historischen Bebauung.5 Venturi, Scott Brown und Izenour zitieren den Neubau in Learning from Las Vegas als eigentlichen Gegenentwurf zu der von ihnen vertretenen Haltung, was die Frage des zeitgemäßen Monumentalbaus betrifft. Die Boston City Hall nämlich vereint sämtliche Eigenschaften einer Megastruktur auf sich, denen ihre Kritik in erster Linie gilt (Abb. 7). Oppositionspaare wie »ugly and ordinary«, »heroic and original«, »symbols in space« versus »forms in space«, »mixed media« versus »pure architecture« oder »vital mess« versus »total design«, mit denen die Autoren von Learning from Las Vegas argumentieren, sind aufschlussreich, um ihre Haltung zu illustrieren.6 Ihre Kritik haben sie in dem eben angeführten Zitat auf einen prägnanten Nenner gebracht: Das Rathaus sei zu architektonisch. Der Auffassung Venturis und Scott Browns nach bildet ein Gebäude, das sich in Form und Material in erster Linie auf architektonischen Ausdruck stützt, keine angemessene Repräsentation der pluralistischen Gesellschaft der Gegenwart, weil sein Totaldesign einen selbstbezüg5 | Der Klassiker dieser Kritik ist Jane Jacobs: The Death and Life of Great American Cities, New York 1961. 6 | Die Kritik an der Großform bzw. Megastruktur hat Scott Brown in verschiedenen theoretischen Beiträgen wiederholt formuliert. Vgl. insbesondere D. Scott Brown: »Little Magazines in Architecture and Urbanism«, in: Journal of the American Institute of Planners 34 (1968), S. 223-233.
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Abbildung 6: Kallman, McKinnell und Knowles, Boston City Hall, 1963 Quelle: www.preservationwayne.org
Abbildung 7: Tabellarische Gegenüberstellung einer Megastruktur mit der Architektur des »Urban Sprawl« gemäß »Learning from Las Vegas« Quelle: Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour: Learning from Las Vegas: The Forgotten Symbolism of Architectural Form, revised edition, Cambridge, Mass./London 1977, S. 118.
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lichen und architekturimmanenten Diskurs pflege und damit die Kreativität des (angeblich) genialen Baukünstlers ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft feiere. Erneut kommt hier die stark soziologische Dimension in Bezug auf die Frage der Monumentalität zum Ausdruck, die dem architektonischen Denken der Autoren zugrunde liegt: »Total design is the opposite of the incremental city that grows through the decisions of many; total design promotes the messianic role for the architect as corrector of the mess of urban sprawl, that is, for the city dominated by pure architecture.«7 Die Kritik am Architekten als Korrektor der Gesellschaft nimmt Michel Foucaults in Überwachen und Strafen wenige Jahre später artikulierte Analyse der modernen Architektur und Gesellschaft als System der Repression vorweg.8 Der Widerstand gegen Megastruktur und Totaldesign zugunsten eines pluralistischen Monumentalitätsbegriffs ist eine grundlegende kritische Operation im Sinne Foucaults: als Aufruf, »nicht dermaßen regiert zu werden.«9 Was das Zitat aus Learning from Las Vegas zur Boston City Hall im Grunde anspricht, ist die Frage, welche Eigenschaften ein zeitgenössisches Bauwerk aufweisen muss, um die kollektiven Werte einer Gesellschaft zu repräsentieren, d.h. eine monumentale Funktion zu übernehmen. Wie Venturi und Scott Brown ausführen, lautet die traditionelle Antwort der Architekten auf diese Frage: Ein Gebäude muss Monumentalität aufgrund seiner Dimensionen, seiner Lage im Stadtplan, seiner Materialität, seiner Raumwirkung und seiner architektonischen Formensprache zum Ausdruck bringen.10 Monumentalität ist mit anderen Worten eine Eigenschaft der Architektur, die mit physischen Mitteln der Gestaltung durch den Baukünstler erzeugt werden kann. Die skulpturale Form der Boston City Hall ist aufgrund ihrer prominenten Lage im Stadtzentrum Bostons, mehr 7 | R. Venturi/D. Scott Brown/S. Izenour: Learning from Las Vegas, S. 99. 8 | Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, übers. v. Walter Seitter, Frankfurt a.M. 1994 (frz. Originalausgabe Paris 1975). 9 | Vgl. M. Foucault: Was ist Kritik?, übers. v. Walter Seitter, Berlin 1992 (frz. Originalausgabe Paris 1990), S. 12. 10 | Vgl. dazu das von David Crane entworfene Modell urbaner Kommunikation, das für Venturi und Scott Brown ebenfalls prägend war. David Crane: »The City Symbolic«, in: Journal of the American Institute of Planners 26 (1960), S. 280-292.
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Abbildung 8: Sigfried Giedion, Pseudomonumentalität in Plastik und Architektur, 1956 Quelle: Sigfried Giedion: Architektur und Gemeinschaft, Hamburg 1956, Tafeln 8-11. noch aber wegen ihrer expressiven Formensprache und Materialisierung, ein prägnantes Beispiel für diese Haltung. Mit der Betonung der individuellen Entwurfsgeste des Architekten und der (bau-)künstlerischen Expressivität knüpft die Boston City Hall an die eingangs erwähnten, 1943 von Giedion, Sert und Léger verfassten Neun Punkte über Monumentalität an (Abb. 8).11 Darin postulierten die Autoren als vordringliche städtebauliche Aufgabe für die Zeit nach dem Krieg die Schaffung von öffentlichen Plätzen und Monumenten, die die Werte der Gesellschaft in architektonischer Form symbolisch zum Ausdruck bringen sollten. Dem Künstler kam in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung zu. In Bezug auf die Bauaufgabe der so genannten civic centers, wofür die Boston City Hall exemplarisch steht, heißt es etwa bei Giedion, Sert und Léger: »Und wenn es sich um civic centers handelt, so bedarf es der Zusammenarbeit aller künstlerischen Kräfte, um im Publikum wieder die alte Liebe für Feste, für gemeinsame Erlebnisse zu stärken. [Herv. i.O.]«12 Selbst wenn hier ausdrücklich auf eine kollektive Erfahrung verwiesen wird, kommt dem Architekten (sekundiert vom Künstler) als Interpreten und Formgeber gesell11 | Vgl. J.L. Sert/F. Léger/S. Giedion: »Neun Punkte über: Monumentalität«, in: S. Giedion, Architektur und Gemeinschaft (1956), S. 40-42. 12 | Ebd., S. 35.
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Abbildung 9: Wallace K. Harrison, Max Abramovitz, Philip Johnson u.a., Lincoln Center, New York, 1962-1966 Quelle: Victoria Newhouse: Wallace K. Harrison, Architect, New York 1989, S. 234. schaftlicher Bedürfnisse eine zentrale Rolle zu. Diese paternalistische Grundhaltung war einer der zentralen Kritikpunkte Venturis und Scott Browns nicht nur an der modernistischen Architektur, sondern auch an einem Verständnis von Monumentalität, wie es von Giedion vertreten und in der amerikanischen Planungspraxis der Nachkriegszeit zur Maxime entwickelt worden war. Die Autoren von Learning from Las Vegas bezweifelten, gerade angesichts solcher problematischer und aus ihrer Sicht gescheiterter Projekte wie der Boston City Hall oder dem New Yorker Lincoln Center (Abb. 9), dass Gemeinschaft bzw. kollektive Werte durch Architektur von oben verordnet werden können. Ihre Bestandsaufnahme des kommerziellen Strip von Las Vegas war im Gegenzug der Versuch, die kollektiven Werte dort zu suchen und zu dokumentieren, wo sie sich in der Realität zeigten: im urbanen Alltag Amerikas. Besonders Scott Brown hat immer wieder betont, in welchem Maße solche soziologischen Überlegungen im Zentrum von Learning from Las Vegas standen.13 Venturi und Scott Brown lehnen die Vorstellung einer ausschließlich auf physischen architektonischen Eigenschaften beruhenden Mo13 | Vgl. etwa D. Scott Brown: »Learning from Pop«, in: Casabella 35 (1971), S. 15-23. Der Referenzbezug von Pop ist hier durchaus zweideutig: Auf der einen Seite ist die Pop Art als Vorbild für die Architektur gemeint, auf der anderen Seite die amerikanische (urbane) Populärkultur im weiteren Sinne.
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numentalität ab, eine Tatsache, die in ihrem Fazit It is too architectural schlagend zum Ausdruck kommt. Ihre Zweifel an einem traditionellen architektonischen Monumentalitätsverständnis haben die Autoren von Learning from Las Vegas wie folgt formuliert: »[O]ur monuments are not the occasional tour de force of an Astrodome, a Lincoln Center, or a subsidized airport. These merely prove that big, high spaces do not automatically make architectural monumentality. […] [W]e rarely achieve architectural monumentality when we try; our money and skill do not go into the traditional monumentality that expressed cohesion of the community through big-scale, unified, symbolic, architectural elements.« 14
Monumentalität kann gemäß Venturi und Scott Brown weder erzwungen noch durch architektonische Eingriffe in herkömmlicher Weise herbeigeführt werden. Überdies sei monumentale Wirkung nicht an ein spezifisches architektonisches Formenrepertoire gebunden, sondern könne sich ebenso auf wenig repräsentative Bauten beziehen. Die Autoren führen dies an ihrem Beispiel, dem Strip von Las Vegas, anhand der großflächigen, niedrigen Innenräume der Kasinos aus, in denen die künstliche Beleuchtung eine new monumentality for the low space schaffe (Abb. 10). Monumentalität bestehe hier, so die Autoren, im zwar individuell wahrgenommenen, aber von allen geteilten, quasi-rituellen Zeremoniell des Casino-Besuchs anstatt in der architektonischen Form und Gestaltung. Sie ist demnach eher eine Frage der Rezeptionssituation denn der Produktion. Eine zeitgemäße Theorie architektonischer Monumentalität muss sich daher für Venturi und Scott Brown verstärkt mit Fragen der Wirkung und der Wahrnehmung der gebauten Umwelt befassen. In der Folge Kevin Lynchs15 und anderer Theoretiker machen sie sich für einen phänomenologischen Ansatz in der Architektur stark, der auch die Frage der Monumentalität berührt. 14 | R. Venturi/D. Scott Brown/S. Izenour: Learning from Las Vegas, S. 46. 15 | Vgl. Kevin Lynch: The Image of the City, Cambridge, Mass. 1960. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das von Lynch und Gyorgy Kepes gemeinsam geleitete Forschungsprojekt The Perceptual Form of the City zu erwähnen, das 1954 bis 1959 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) durchgeführt wurde. Vgl. dazu M. Stierli: »Las Vegas Studio«, in: Ders./Hilar Stadler (Hg.), Las Vegas Studio. Bilder aus dem Archiv von Robert Venturi und Denise Scott Brown, Zürich 2008, S. 29-31.
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Abbildung 10: »Alte« versus »neue« Monumentalität gemäß »Learning from Las Vegas« Quelle: Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour: Learning from Las Vegas. Cambridge, Mass./London 1972, S. 106. Venturis und Scott Browns Ansinnen, architektonische Monumentalität neu zu denken, geht von einer Fundamentalkritik an tradierten Monumentalitätskonzepten aus. So argumentieren sie, dass die Versuche ihrer Architektenkollegen, wie im Fall des New Yorker Lincoln Center oder der Boston City Hall, Monumentalität durch architektonische und städtebauliche Interventionen zu schaffen, lediglich in eine Art von Pseudo-Öffentlichkeit mündeten. In diesen künstlich geschaffenen urbanen Räumen treffe zwar unter Umständen eine Vielzahl von Individuen aufeinander, ohne dass aber eine tatsächliche Begegnung zwischen ihnen stattfinde, geschweige denn ein Bewusstsein um die physische Präsenz eines Bauwerks entstehe, das Identität und gesellschaftlichen Zusammenhalt stiftet. Monumentalität verorten Venturi und Scott Brown stattdessen in der immateriellen und kollektiven Wahrnehmung eines (nächtlichen) Stadtbildes: »You are no longer in the bounded piazza but in the twinkling lights of the city at night.«16 16 | R. Venturi/D. Scott Brown/S. Izenour: Learning from Las Vegas, S. 46.
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Abbildung 11: Stardust Hotel and Casino, Frontfassade. Foto: Learning from Las Vegas Research Studio, 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia. (Abb. 11) Es sind jene blinkenden Lichter, die auch in der eingangs besprochenen Zeichnung Venturis aufscheinen. Bei diesen ephemeren Erscheinungen ließe sich wiederum an die Ausführungen Giedions zu Feuerwerken als temporären Realisierungen von Monumentalität in der abendländischen Festkultur denken, aber auch an die zeitgleich zu Venturi und Scott Brown vom englischen Architekturtheoretiker Reyner Banham beschworenen Lichtarchitekturen von Las Vegas.17 Monumentalität, so ist zu schließen, beruht auf Erscheinung und Ereignis.
17 | Vgl. S. Giedion: »The Need for a new Monumentality«, in: Paul Zucker (Hg.), New Architecture and City Planning, New York 1944, S. 549-568. Banham beschrieb das nächtlich erleuchtete Las Vegas als »one of the great works of collective art in the Western World.« R. Banham: The Architecture of the Welltempered Environment, Chicago 1969, S. 269. Bernhard Tschumi betont in seinen theoretischen Schriften das Ereignis (event) als zentrales Element des Urbanen. Dem Feuerwerk kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Vgl. B. Tschumi: Architectural Manifestoes, London 1978 sowie ders.: Event-Cities (Praxis), Cambridge, Mass./London 1994, S. 16-37.
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M ONUMENTALITÄT UND U RBANITÄT Die oben angeführte Textstelle zur Boston City Hall umfasst auch eine Polemik gegen die Piazza als städtische Leitkategorie. Diese Vorstellung entstammt, wie Venturi und Scott Brown ausführen, einem traditionellen, von der alten europäischen Stadt geprägten Urbanitätsbegriff. Ihre Kritik richtet sich nicht gegen diesen selbst, sondern gegen die unreflektierte Übernahme dieser historischen Leitvorstellung über die Stadt in die Städtebautheorie der Nachkriegszeit, insbesondere im Zusammenhang der amerikanischen Urban-Renewal-Programme. Die Vorstellung der Stadt als einer physisch geschlossenen Einheit für Architekten und Planer sei zwar nach wie vor bestimmend, sie lasse sich aber mit Blick auf die städtebaulichen Entwicklungen der Nachkriegszeit im Zeichen von Automobilisierung, Dezentralisierung und Urban Sprawl nicht länger rechtfertigen. Venturi und Scott Brown schließen diesbezüglich implizit an die Theorien des kalifornischen Stadtplaners Melvin Webber an, der im amerikanischen Architekturdiskurs der 1960er Jahre eine Gegenposition zu den stark an der traditionellen europäischen Stadt ausgerichteten Idealvorstellungen einnahm, indem er Los Angeles, und damit die auto-orientierte Stadt des amerikanischen Westens par excellence, als urbanes Leitmodell der Gegenwart propagierte.18 In seinem Beitrag The Urban Place and the Nonplace Urban Realm stellte Webber zwei fundamental verschiedene Stadtkonzepte einander gegenüber.19 Der urban place stand dabei für eine Form der Stadt, die auf einer räumlich geschlossenen und klar abgrenzbaren physischen Einheit beruht: »Our traditional emphasis has been upon the physical city, conceived as artifact; upon the spatial 18 | Scott Brown hatte sich bereits im Rahmen ihres Studiums an der University of Pennsylvania mit den Schriften Melvin Webbers zum zeitgenössischen Städtebau auseinandergesetzt. D. Scott Brown: Persönliche Mitteilung an den Verf., 23.08.2003; vgl. auch dies.: »Between Three Stools: A Personal View of Urban Design Pedagogy«, in: Dies., Urban Concepts, Architectural Design Profile 83, London/New York 1990, S. 9-20, hier S. 16. Webbers Beitrag The Urban Place and the Nonplace Urban Realm war auch in der Bibliografie des Learning from Las Vegas Research Studio von 1968 an der Yale University aufgeführt. 19 | Vgl. Melvin M. Webber: »The Urban Place and the Nonplace Urban Realm«, in: Melvin M. Webber/John W. Dyckman/Donald F. Foley et.al.: Explorations into Urban Structure, Philadelphia 1964, S. 79-153.
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arrangement of activity locations, conceived as land-use pattern; and upon the urban settlement, conceived as a unitary place.«20 Nach Webber neigten Architekten aufgrund ihres naheliegenden Interesses an der physischen Form der Stadt dazu, diese als einen Selbstzweck zu betrachten.21 Für ihn handelte es sich dabei jedoch um ein historisch bedingtes Phänomen. So sei etwa die geschlossene Form der mittelalterlichen europäischen Stadt aus der Notwendigkeit eines zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt notwendigen Verteidigungsdispositivs zu erklären. Weil sich dieses infolge der militärtechnischen Entwicklung längst überlebt habe, stellte Webber die Frage, ob die darauf zurückzuführende räumliche Nähe und Dichte auch in der Stadt der Gegenwart weiterhin notwendig und sinnvoll seien. Dabei kritisierte er die tradierte Gleichsetzung der Stadt mit einer räumlich geschlossenen Form. Seiner Auffassung nach lag das Wesentliche der Idee der Stadt nicht in ihrer Dichte, sondern in ihrer Fähigkeit, einen hohen Grad an sozialer Interaktion zu ermöglichen, wofür die physische Form lediglich einen funktionalen Behälter zur Verfügung stelle.22 Für Webber war die Stadt also in erster Linie ein meta-physisches, die physische Form transzendierendes Kommunikationssystem. Der traditionelle urban place, die physisch klar umgrenzte Zentrumsstadt, sei in der Nachkriegszeit durch das so genannte nonplace urban realm abgelöst worden, durch einen Interaktions- und Kommunikationsraum also, dessen Ausdehnung grundsätzlich offen und unbegrenzt zu denken sei und der sich den jeweiligen Aktivitäten und Bedürfnissen der Menschen anpasse. Kritische Kommentatoren, wie etwa Kenneth Frampton, warfen Webber vor, das Verschwinden des öffentlichen Raumes in der auto-orientier20 | Ebd., S. 93. 21 | Vgl. ebd., S. 100. 22 | »I would contend […] that the paramount function of the physical plant is to accommodate the kinds of activities performed there and to accommodate the interactions among individuals and groups who conduct those activities. The physically well-designed metropolis is one having a spatial arrangement of channels and adapted spaces that facilitates the individual users’ interactions and locations.« Ebd., S. 100f. Es ist anzumerken, dass mit Lewis Mumford auch ein dezidierter Kritiker der Automobilkultur und ihrer Auswirkungen auf die Stadtform die Stadt in erster Linie als sozialen Interaktionsraum begriff; vgl. insbesondere sein Modell der Invisbile City. Vgl. L. Mumford: The City in History: Its Origins, Its Transformations, and Its Prospects, New York 1961, S. 563-567.
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Abbildung 12: Die kommerzielle Straße als Kommunikationskanal: Blick auf den Strip von Las Vegas. Foto: Learning from Las Vegas Research Studio, 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia. ten Stadt der Nachkriegszeit unverhohlen schönzureden.23 Framptons Kritik bezog sich damit an vorderster Stelle auf die Kategorie des öffentlichen Raumes: Das nonplace urban realm diene gerade nicht der sozialen Vernetzung, sondern verhindere diese, weil es, abgesehen von Autoschnellstraßen, keinerlei öffentliche, der gesellschaftlichen Interaktion förderlichen Räume mehr zur Verfügung stelle. Auf Autostraßen aber könne kein gesellschaftlicher Austausch stattfinden; dieser sei an Plätze und Orte gebunden, die den direkten physischen Kontakt der Mitglieder einer Gesellschaft ermöglichen. Zurecht machte Frampton darauf aufmerksam, dass Webbers Stadtkonzeption zwar großes Gewicht auf Mobilität und Interaktion lege, dabei jedoch Aspekten wie dem Sichaufhalten und der zufälligen Begegnung keinerlei Beachtung schenke, die beide maßgeblich zur Qualität des öffentlichen urbanen Raumes beitragen. In einer frühen Entgegnung verwahrte sich Scott Brown gegen Framptons Versuch, ihre städtebaulichen Theorien in die Nähe von Webbers meta-physischer Stadtkonzeption zu rücken.24 23 | »[Webber’s] ideological concepts of community without propinquity and the nonplace urban realm are nothing if not slogans devised to rationalize the absence of any true public realm in the modern motopia.« Kenneth Frampton: »Towards A Critical Regionalism: Six Points for an Architecture of Resistance«, in: Hal Foster (Hg.), Postmodern Culture, London/Sydney 1985, S. 16-30. 24 | »I don’t agree with Webber […] in his negation of the importance of physical concerns − although I find his arguments highly instructive.« D. Scott Brown: »Reply to Frampton«, in: Casabella 35 (1971), S. 41-46, hier S. 43.
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Indes ist nicht zu übersehen, dass Venturi und Scott Brown die von Frampton angepriesenen städtebaulichen Konzepte für gescheitert erachteten und sich mit dem Commercial Strip von Las Vegas und dem Urban Sprawl jenen protourbanen Phänomenen zuwandten, die auch in Webbers Konzeption im Vordergrund standen. Damit ging eine implizite Kritik am Begriff des Monumentalen einher, die eng mit der Revision des Vorstellungsbilds der Stadt verwoben ist: Monumentalität, also der architektonische Ausdruck kollektiver Werte, war angesichts der jüngeren städtebaulichen Entwicklungen nicht länger im traditionellen städtischen Platz, beziehungsweise in räumlich eng gefassten urbanen Kristallisationspunkten oder in den von Giedion stark gemachten civic centers zu suchen, sondern in den Kanälen von Mobilität und Kommunikation, die der auto-orientierten Stadtform zugrunde liegen (Abb. 12).
M ONUMENTALITÄT UND DER MOBILISIERTE B LICK AUF DIE S TADT Die Frage der Monumentalität ist für Venturi und Scott Brown eng mit dem öffentlichen Raum sowie mit dessen kollektiver Wahrnehmung und Erfahrung verbunden. Für ihre Auffassung prägend war der Aufsatz You Have to Pay for the Public Life des amerikanischen Architekten und Theoretikers Charles Moore aus dem Jahr 1965 (Abb. 13), in dem das Verhältnis von Öffentlichkeit und privatem Bereich in der zeitgenössischen amerikanischen Stadt diskutiert wurde.25 Offensichtlich an Melvin Webbers Ausführungen zu Los Angeles, zum Städtebau an der amerikanischen Westküste und zum nonplace urban realm anschließend, reflektierte Moore am Beispiel von Kalifornien die auto-orientierte Stadt der Gegenwart sowie die Phänomene Sprawl, Strip und Roadtown.26 25 | Der Aufsatz war in der Bibliografie des Learning from Las Vegas Research Studio verzeichnet. Vgl. dazu auch die Reminiszenzen D. Scott Browns: »At Berkeley, I came across Charles Moore’s writings on California and found these interesting and relevant. Moore had obviously been more receptive to Webber at Berkeley than architects had been to planners at Penn.« D. Scott Brown: »Between Three Stools: A Personal View of Urban Design Pedagogy«, in: Dies., Urban Concepts (1990), S. 16. 26 | Vgl. Charles Moore: »You Have to Pay for the Public Life«, in: Perspecta: The Yale Architectural Journal 9/10 (1965), S. 57-106. Scott Brown hat sich
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Abbildung 13: Doppelseite aus Charles Moores Beitrag »You Have to Pay for the Public Life«, 1965 Quelle: Charles Moore: »You Have to Pay for the Public Life«, in: Perspecta 9/10 (1965), S. 82f. Die Begriffe öffentlicher Raum, Urbanität und Monumentalität sind für ihn eng miteinander verknüpft: »The process of achieving an urban focus is the same as that of achieving monumentality: it starts with the selection, by some inhabitants, of a place which is to be of particular importance, and continues when they invest that place with attributes of importance, such as edges or some kind of marker […]. In the city, that is to say, urban and monumental places, indeed urbanity and monumentality themselves, can occur only when something is given over by people to the public.« 27
Urbanität und Monumentalität sind in dieser Konzeption weitgehend identisch und bedingen einander. Gegenüber einem traditionellen architektonischen, auf physischer Gestaltung beruhenden Begriff von Monumentalität lässt sich diese gemäß Moore (wie auch gemäß Venturi und Scott Brown) nicht an der gebauten Form der Stadt und ihrer Architektur festmachen. Stattdessen basiert sie auf einem gesellschaftlichen Konsens über die spezielle Bedeutung eines spezifischen Ortes:
an anderer Stelle ausführlich zu Moores Artikel geäußert; vgl. D. Scott Brown: »Team 10, Perspecta 10, and the Present State of Architectural Theory«, in: Journal of the American Institute of Planners 33 (1967), S. 42-50, hier S. 46f. 27 | C. Moore: »You Have to Pay for the Public Life«, in: Perspecta: The Yale Architectural Journal 9/10 (1965), S. 58.
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»Monumentality […] is not a product of compositional techniques […], of flamboyant forms, or even of conspicuous consumption of space, time, or money. It is rather, a function of the society’s taking possession of or agreeing upon extraordinarily important places on the earth’s surface, and of the society’s celebrating their pre-eminence.« 28
Daher könnten auch Orte monumental sein, die über keinerlei architektonische Gestaltung verfügten und denen nur durch eine (materiell nicht greifbare) gesellschaftliche Übereinkunft ein besonderer symbolischer Rang zugesprochen werde. Monumentalität wäre demzufolge eine Funktion einer gesellschaftlichen Konvention. Moore untersuchte die Frage des öffentlichen Raumes in Kalifornien anhand einer Reihe von Beispielen, wozu neben dem Universitätscampus sowie Disneyland insbesondere die großen Verkehrsinfrastrukturbauten wie Brücken und Freeways der suburbanisierten Stadtlandschaft gehören. Er maß diesen ein besonderes Potenzial zu, für die zeitgenössische Stadtform monumentale Bedeutung und Funktion zu übernehmen (Abb. 14): »The freeways could be the real monuments of the future, the places set aside for special celebrations by people able to experience space and light and motion and relationships to other people and things at a speed that so far only this century has allowed. Here are structures big enough and strong enough, once they are regarded as part of the city, to re-excite the public imagination about the city. This is no shame to be covered by suburban bushes or quarantined behind cyclone fences. It is the marker for a place set in motion, transforming itself to another place.« 29
Diese Infrastrukturbauten erfüllen für Moore in verschiedener Hinsicht das Kriterium der Monumentalität: Sie verfügen über augenfällige Dimensionen sowie eine starke physische Präsenz und bieten der Bevölkerung eine Projektionsfläche für die kollektiven Werte der Gesellschaft, also insbesondere der individuellen Mobilität. Einerseits operiert Moore hier wiederum mit traditionellen Kategorien, andererseits verknüpft er die Idee der Monumentalität in entscheidendem Maß mit dem Aspekt der Automobilität. Die Freeways sind nach Moores Auffassung nicht nur die Kanäle für soziale Interaktion und Kommunikation, sie sind auch Orte, an denen sich die Gesellschaft kollektiv repräsentiert und 28 | Ebd. 29 | Ebd.
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Abbildung 14: Seite zum Thema der (städtischen) Freeways aus Charles Moores Beitrag »You Have to Pay for the Public Life«, 1965 Quelle: Charles Moore: »You Have to Pay for the Public Life«, in: Perspecta 9/10 (1965), S. 95. dadurch Monumentalität hervorbringt. Dabei – und dieser Aspekt ist von zentraler Bedeutung – spielt nicht allein die erhabene Größe der ingenieurtechnischen Meisterleistungen des Brücken- und Straßenbaus eine Rolle, sondern ebenso wichtig ist das sequenzielle Bild der Stadt, das sich dem mobilisierten Blick des Autofahrers bei der Benutzung dieser Bauten eröffnet. Monumentalität bezieht sich also auch entscheidend auf die Frage der Wahrnehmung und Erfahrung von Architektur und Raum, auf ihre Sichtbarkeit. Diesen Gedanken führt er am Beispiel von San Francisco aus: »Much of the public excitement about San Francisco’s small dramatic skyline is a function of the capacity to see it, a capacity which is greatly enhanced by the bridges […], by the freeways that lead to them […]. Indeed, in San Francisco as in few places, the view which gives a sense of the whole city is one of the most valuable parts of the public realm, one of the parts that is most frequently attacked and must be most zealously defended.« 30 30 | Ebd., S. 95.
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Abbildung 15: Der Strip von Las Vegas als zeremonieller Raum. Kartografische Darstellung: Learning from Las Vegas Research Studio, 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia. Diesen Ausführungen zufolge ist der öffentliche Raum in der amerikanischen Stadt der Nachkriegszeit zum Bild geworden; jenem Bild, das sich dem Autofahrer von der Straße aus präsentiert. Monumentalität liegt demnach im Blick des automobilisierten Betrachters auf die Stadt. Sie wird erzeugt in der rituellen Er-Fahrung und Wahrnehmung der Stadt aus dem Auto. Der mobilisierte Blick des Autofahrers auf die Stadt beruht auf einem technischen Dispositiv und das Auto wird zu einer Maschine für eine neue Wahrnehmung der Stadt, einer vision in motion. Es dient als eine Prothese des menschlichen Auges. Diese Überlegungen bildeten einen wichtigen Anknüpfungspunkt für Venturi und Scott Brown. Ausgehend von Moores Analyse begriffen sie den Commercial Strip von Las Vegas und die auto-orientierte Form der Stadt als angemessene (sinnbildliche) Ausformulierung der amerikanischen Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit. Das Wahrnehmungsbild des Strips stiftete just jenen gesellschaftlichen Zusammenhalt, dessen Verlust die Kritiker dieser paraurbanen Siedlungsstruktur beklagten. Sie interpretierten Monumentalität als Resultat einer zwar individuellen, aber von allen gleichermaßen geteilten Er-Fahrung der Stadt und deren Verdichtung zu einem einprägsamen Bild, bzw. einer Bildsequenz. Diese Form der visuellen Aneignung verwandelt die Stadt in einen zeremoniellen Raum: Sie vollzieht sich in einem rituellen, einer Prozession vergleichbaren Ablauf (Abb. 15). Eine Erfahrung, die gemäß Venturi und Scott Brown soziale Kohäsion und Identität spendet: Das Stadtbild des automobilisierten Betrachters wird zum Ort zeitgemäßer
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Abbildung 16 A-D: Bildsequenz, Upper Strip, Fahrtrichtung Nord, Las Vegas. Fotos: Learning from Las Vegas Research Studio, 1968 Quelle: © Venturi, Scott Brown and Associates, Inc., Philadelphia.
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Monumentalität (Abb. 16). Diese beruht auf einer ephemeren und dynamischen Wahrnehmungssituation, in der sie dem Betrachter bildlich aufscheint. Dies bedeutet eine radikale Abkehr von der traditionellen Auffassung des Monumentalen, die sich als Kind ihrer Zeit präsentiert: Die optimistische Bejahung der individuellen Automobilität – selbst unter dem Gesichtspunkt der akuten Bedrohung des öffentlichen Raumes – ist nur vor dem historischen Horizont der 1960er Jahre zu begreifen. Diese Überlegungen werfen jedoch die grundsätzliche Frage auf, inwiefern einprägsame Stadtbilder überhaupt eine zeitgemäße Form von Monumentalität evozieren können.
Die Stadt als Monument Von Rossi zur städtebaulichen Denkmalpflege und zurück Wolfgang Sonne
Das Verhältnis von Monument und Stadt ist prekär. Mitte des 19. Jahrhunderts schien die Sache klar: Das monumentale Bauwerk wurde fein säuberlich von der Stadt getrennt, Freistellung galt als Ideal sowohl bei historischen Bauten wie bei der Freilegung des Ulmer Münsters als auch bei Neubauten wie der auf dem Präsentierteller des Wiener Glacis errichteten Votivkirche (Abb. 1). Das Monument wurde gleichsam als Bild im Rahmen der Stadt präsentiert. Schon Ende des 19. Jahrhunderts stellte man diese gängige Praxis in Frage: Charles Buls forderte 1893 in Esthétique des villes die Erhaltung des städtebaulichen Kontextes von Monumentalbauten und Camillo Sitte propagierte 1889 in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen auch bei Neubauten die Einbettung in eine Straßen- oder Platzwand (Abb. 2).1 Damit wurde der Übergang zwischen Monument und Stadt verwischt. Die Umgebung oder das ambiente, wie es Gustavo Giovannoni 1913 nannte,2 erhielt einen Anteil am Monument, wurde Teil eines ausdrucksfähigen Memorialgebildes – und damit selbst Monument. Der Rahmen wurde gleichsam Teil des Bildes. 1 |Vgl. Charles Buls: Esthétique des villes, Brüssel 1893; Camillo Sitte: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889. 2 | Vgl. Gustavo Giovannoni: »Vecchie città ed edilizia nuova. Il quartiere del Rinascimento in Roma«, in: Nuova Antologia 995 (1913), S. 449-472; G. Giovannoni: »Il ›diradamento edilizio‹ dei vecchi centri. Il quartiere della Rinascenza in Roma«, in: Nuova Antologia 997 (1913), S. 53-76.
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Abbildung 1: Heinrich von Ferstel, Votivkirche, Wien, 1856-1879 Quelle: Renate Wagner-Rieger (Hg.): Die Wiener Ringstraße. Bild einer Epoche, Wien 1969. Doch inwieweit lässt sich die Stadt tatsächlich als Monument auffassen? Welche Implikationen hat das Verständnis der Stadt als Monument für Entwurf und Weiterbau von Städten – den Städtebau – sowie für die Erhaltung von Städten – die städtebauliche Denkmalpflege? Kann ein Stadtbild als Monument ebenso integer bewahrt werden wie ein einzelnes monumentales Denkmal oder Bauwerk? Aldo Rossi kommt der Verdienst zu, als Kritiker der funktionalistischen Stadtauffassung, in der sich das Gebaute der Stadt durch die sich stets wandelnden Funktionen verflüssigte und in seinem Anspruch als künstlerisch Bleibendes gar verflüchtigte, der Architektur der Stadt wieder eine eigenständige und konstitutive Rolle im Städtebau zugewiesen zu haben. Gleichwohl ist bei ihm nicht alle Architektur in der Stadt gleichberechtigt, nicht alles Gebaute ist ein Monument. In L’architettura della città unterscheidet er 1966 zwischen den eigentlichen Monumenten als den primären Elementen einer Stadt, die auch in ihrer Materialität erhalten blieben, und der Wohnbebauung, die sich zwar im Laufe der Jahrhunderte materiell verändere, aber geistig – in ihrem Typus – bewahrt bliebe und auch
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Abbildung 2: Camillo Sitte, Vorschlag für eine städtebauliche Einbindung der Votivkirche, Wien, 1889 Quelle: Camillo Sitte: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889, S. 163, Abb. 110. im Entwurf prägend sein solle. Die entscheidende Passage seines einflussreichen Textes lautet: »Aufgrund all dieser Überlegungen können wir die Stadt als eine Architektur deuten, die aus verschiedenen Komponenten, insbesondere den Wohngebieten und den primären Elementen, besteht. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass die Wohngebiete den größten Teil der Stadtfläche bedecken. Da ihre jeweilige Bebauung von relativ kurzer Lebensdauer ist, soll in die Untersuchung der Wohnviertel auch die ihrer Grundstücke einbezogen werden. Im Gegensatz zu ihnen sind die primären Elemente für die Gestaltung und Konstitution einer Stadt von entscheidender Bedeutung, die häufig mit ihrer Permanenz zusammenhängt. Eine besondere Rolle spielen dabei die Baudenkmäler.« 3
3 | Aldo Rossi: Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen, Düsseldorf 1973, S. 45.
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Abbildung 3: Le Corbusier, Plan Voisin, Paris, 1925 Quelle: Le Corbusier: Urbanisme, Paris 1925. Nicht die gesamte Stadt sei Monument, sondern sie setze sich aus bleibenden Monumenten und sich wandelnder Wohnbebauung zusammen, wie es Rossi auch noch einmal an anderer Stelle seines Buches prägnant zum Ausdruck bringt: »Vielmehr erhalten die primären Elemente oder Monumentalbauten, in denen sich die öffentliche Sphäre repräsentiert, zwangsläufig einen immer komplexeren Charakter und verändern sich deshalb nicht ohne weiteres, während die Wohngebiete, weil sie unmittelbar von dem Leben ihrer Bewohner abhängen, dynamischer sind und deshalb direkt von dem gesellschaftlichen System einer Stadt beeinflusst werden.« 4
Während die Monumente eine materielle Permanenz aufwiesen, sei die Wohnbebauung zwar einem materiellen, nicht aber zwangsläufig auch einem formalen Wandel unterworfen: »Weder historische Analysen noch Beschreibungen der heutigen Situation geben Anlass dazu, Wohnviertel als etwas Amorphes zu betrachten, das ohne weiteres zu verändern ist. Vielmehr ist die Gestalt der Wohnbauten ein wichtiger Bestandteil der Stadtgestalt.«5 Das Bleibende in der Wohnbebauung sei der Typus, dem er ebenfalls eine hohe Permanenz zusprach: »Ich neige der Auffassung zu, dass die Typen des Wohnbaus sich seit der
4 | Ebd., S. 80. 5 | Ebd., S. 57.
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Abbildung 4: Saverio Muratori, »Studi per una operante storia di Venezia«, Phasenpläne des Quartiere di S. Zulian, 1959 Quelle: Saverio Muratori: Studi per una operante storia urbana di Venezia, Rom 1959. Antike bis heute nicht verändert haben.«6 Der materiellen Permanenz der Monumente ist also die immaterielle Permanenz der Typen bei der Wohnbebauung zur Seite gestellt. Das Spezielle an Rossis Theorie lässt sich leicht durch eine Gegenüberstellung mit Le Corbusiers Plan Voisin von 1923 fassen (Abb. 3). Es ist keineswegs so, dass der Modernist Le Corbusier die gesamte Stadt abreißen und der Postmodernist Rossi diese gänzlich erhalten will. Beide bewahren die gesellschaftlich anerkannten Monumente der Stadt und beide bauen die Wohnhäuser jeweils zu ihrer Zeit neu, wobei sie sich in ihrer Umsetzung entscheidend voneinander unterscheiden. Le Corbusier bricht mit der Tradition und entwirft neue, ideale Typenhäuser. Rossi plädiert für die Fortsetzung von Traditionen und entwirft
6 | Ebd., S. 28.
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Abbildung 5: Pier Luigi Cervellati u.a., Sanierung eines Blocks in der Altstadt von Bologna, ab 1969 Quelle: Pier Luigi Cervellati/Roberto Scannavini/Carlo De Angelis: La nuova cultura delle città, Mailand 1977. analog zu bestehenden Haustypen. Ideell erhält damit die gesamte Bebauung der Stadt Monumentalcharakter. Auch die Wohnbebauung ist ein bewahrenswerter, aussagekräftiger Bestandteil – aber eben nur ideell als Typus, nicht materiell als Substanz. Rossis Auffassung konnte auf den Forschungen Saverio Muratoris aufbauen – ein Umstand, auf den er ungern verwiesen wurde und ihn auch nicht erwähnte, da jener als Parteigänger der Christdemokraten ihm als Kommunist politisch entgegenstand. Muratori hatte die städtebauliche Bedeutung der städtischen Normalbebauung in den typologischen Studien einer »urbanistica ambientale« in seinen Studi per una operante storia urbana di Venezia (1959) auch plangraphisch herausgearbeitet.7 Alle Gebäude der Stadt werden in seinen Plänen gleichberechtigt mit ihren Grundrissen abgebildet, doch in der zeitlichen Abfolge der Pläne zeigt sich die größere Varianz der Wohnbauten (bei gleich bleibender Typologie) und die größere Konstanz der öffentlichen Bauten (Abb. 4). Scheinbar war mit dieser Theorie ein praktikables Instrumentarium zum Umgang mit bestehenden, wertvollen Stadtbildern gegeben, 7 | Vgl. Saverio Muratori: Studi per una operante storia urbana di Venezia, Rom 1959, S. 5.
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Abbildung 6: Pier Luigi Cervellati u.a., Typologische Studien zur Altstadtsanierung von Bologna, ab 1969 Quelle: Pier Luigi Cervellati/Roberto Scannavini/Carlo De Angelis: La nuova cultura delle città, Mailand 1977. das für ihre gleichzeitige Revitalisierung und Bewahrung geeignet war. Sie lag beispielsweise der bahnbrechenden Restaurierung der Innenstadt von Bologna zu Grunde, die durch den piano regolatore von 1969 unter Pier Luigi Cervellati eingeleitet wurde. Dabei wurde das gesamte historische Stadtzentrum als ein »organismo urbanistico unitario« angesehen, den es als Ganzen zu erhalten und zu entwickeln galt.8 Für die praktische Handhabung wurde eine Klassifizierung nach typologischen Gesichtspunkten eingesetzt, die vor allem zwischen »edilizia monumentale e minore« unterschied.9 Während für die edilizia monumentale, Rossis primäre Elemente, das klassische denkmalpflegerische Substanzerhaltungsgebot galt, konnte die edilizia minore, Rossis Wohnviertel, materiell verändert werden. Die Veränderungen mussten 8 | Vgl. Pier Luigi Cervellati/Roberto Scannavini/Carlo De Angelis: La nuova cultura delle città, Mailand 1977, S. 103. 9 | Vgl. ebd., S. 106. Vgl. auch P.L. Cervellati/R. Scannavini (Hg.): Bologna: politica e metodologia del restauro nei centri storici, Bologna 1973.
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Abbildung 7: Aldo Rossi, »L’architettura della città«, Permanenz des römischen Amphitheaters im Stadtgrundriss von Florenz, 1966 Quelle: Aldo Rossi: Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen, Düsseldorf 1973. jedoch den bestehenden Typen der Bebauung folgen, die in aufwändigen typologischen Studien ermittelt wurden (Abb. 5 und 6). Doch erweist sich die scheinbar saubere Trennlinie zwischen öffentlichen Monumenten und privaten Wohnbauten bei genauerer Sicht als problematisch. Schon Rossi selbst hatte mit seinen berühmten Beispielen der materiell bleibenden Amphitheater eine ambivalente Spur gelegt: Waren sie als öffentliche Monumentalbauten tatsächlich materiell erhalten geblieben, so waren sie in dieser Erhaltung doch zu privaten Wohnbauten mutiert (Abb. 7). Bedeutete dies nun, dass man sie auch abreißen und analog ihrer Typologie neu errichten konnte? Auch in Muratoris Plänen ist keineswegs ausgemacht, was materiell erhaltenswürdiges Monument und potentiell disponible Baumasse ist. Die meisten privaten Wohnpaläste Venedigs gelten zweifellos als erhaltenswerte Monumente. Dies trifft selbst auf die venezianische architettura minore der Frühen Neuzeit zu. Dieses sich ausweitende Verständnis von der Monumentenfähigkeit der Stadt lässt sich an Entwicklungsschüben der Plangraphik ablesen, die das besonders Geschätzte bildlich heraushebt. Dabei ist immer wieder die Tendenz zu beobachten, dass das öffentliche Interesse von den eigentlichen Monumentalbauten auf Teile der Wohnbebauung oder auf die Gesamtstadt übergeht. Während etwa in den mittelalterlichen Darstellungen Roms die Stadt einzig aus öffentlichen Monumenten besteht (Abb. 8), wird in der bahnbrechenden Barbari-Vogelschau Venedigs von 1500 die Gesamtstadt mit ihren Palästen und einfachen
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Abbildung 8: Jean Malouel, Vogelschau von Rom im Stundenbuch des Duc de Berry, um 1415 Quelle: Virgilio Vercelloni: Europäische Stadtutopien. Ein historischer Atlas, München 1994.
Abbildung 9: Jacopo de’ Barbari, Vogelschau von Venedig, 1500 Quelle: Virgilio Vercelloni: Europäische Stadtutopien. Ein historischer Atlas, München 1994. Wohnbauten repräsentationswürdig (Abb. 9). Während die üblichen Plandarstellungen des 17. Jahrhunderts die Blöcke der Stadt in undifferenziertem Grau wiedergeben, werden im berühmten Nolli-Plan von Rom (1748) auch die Innenräume der öffentlichen Bauten in ihrem
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Abbildung 10: Giovanni Battista Nolli, Plan von Rom, 1748 Quelle: Virgilio Vercelloni: Europäische Stadtutopien. Ein historischer Atlas, München 1994. Grundriss wie die Straßen- und Platzräume dargestellt (Abb. 10). Im Jaillot-Plan von Paris (1775) erlangen ebenfalls die Privatpaläste diesen Status des öffentlichen Interesses und werden wie die öffentlichen Bauten im Grundriss dargestellt (Abb. 11). Diese Ausweitung des Monumentenstatus auf Teile der Wohnbebauung, genau in dem Maße wie sie der Jaillot-Plan zeigt, war Grundlage des einflussreichen städtebaulichen Denkmalpflegeprojekts der Sanierung des Marais-Viertels in Paris. Um der Gefahr eines drohenden Flächenabrisses zu entgehen, erließ der französische Kulturminister André Malraux 1962 die später Lex Malraux genannte Richtlinie, die es erlaubte, ganze Stadtviertel als secteurs sauvegardés (geschützte Bereiche) auszuweisen. Innerhalb dieser Bereiche galten nicht allein die wertvollen öffentlichen Bauten, sondern auch die bedeutenden Privatpaläste als Denkmäler. Auf der Basis des von Louis Arretche, Michel Marot, Bernard Vitry und Maurice Minost 1965-1967 erstellten Konservierungsplans teilte die 1966 gegründete SOREMA (Société d’économie mixte de restauration du Marais) die Bauten des Quartiers bei der Durchführung der Sanierung in drei Kategorien ein: erstens
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Abbildung 11: Jaillot, Plan von Paris, 1775 Quelle: Virgilio Vercelloni: Europäische Stadtutopien. Ein historischer Atlas, München 1994. in Paläste, die unter Denkmalschutz standen und erhalten bzw. rekonstruiert wurden, zweitens in Bauten ohne künstlerischen Wert, aber mit qualitätvoller Substanz, die erhalten und angemessen instandgesetzt wurden, und drittens in Bauten von minderer Qualität, die abgerissen werden konnten (Abb. 12).10 In diesem differenzierten Umgang mit der bestehenden Bausubstanz sahen die Autoren des Plans eine Antwort auf die von ihnen folgendermaßen formulierte Gretchenfrage städtebaulicher Denkmalpflege: »N’y a-t-il donc pas d’autre alternative pour un centre historique que d’etre inaccessible parce que propriété privée ou définitivement mort parce que musée?«11 Die Ausweitung des Monumentenstatus auf Teile der Privatbebauung schützte diese zwar intensiv vor der historischen Veränderung, doch die Freigabe der Neubauten ohne die von Rossi vorgeschlagene typologische Bindung 10 | Vgl. o.A.: »Stadterneuerung: Beispiel Marais?«, in: Deutsche Bauzeitung 9 (1972), S. 937-950; Maurice Minost: »le sectuer sauvegardé du marais«, in: L’architecture française 34 (1973), S. 80-84; Roger Kain: »Conservation Planning in France: Policy and Practice in the Marais, Paris«, in: Urbanism Past & Present 7 (1978), S. 22-34. 11 | Louis Arretche/Michel Marot/Bernard Vitry/Maurice Minost: »rénovation urbaine: le marais«, in: L’Architecture d’Aujourd’hui 138 (1968), S. 87. Deutsche Übersetzung: »Gibt es keine andere Alternative für ein Altstadtviertel als unzugänglich zu sein, weil es in Privatbesitz ist, oder endgültig tot zu sein, weil es ein Museum ist?«
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Abbildung 12: Louis Arretche, Michel Marot, Bernard Vitry und Maurice Minost, Phasenpläne des Marais-Viertels, Paris, 1968 Quelle: Louis Arretche/Michel Marot/B. Vitry/M. Minost : »rénovation urbaine: le marais«, in: L’Architecture d’Aujourd’hui 138 (1968), S. 87.
Abbildung 13: Michel und Nicole Autheman, Neubauten neben restaurierten Altbauten im ersten Renovierungsbereich des Marais, 1968 Quelle: Michel und Nicole Autheman, »le marais. étude de rénovation du premier secteur opérationnel«, in: L’Architecture d’Aujourd’hui 138 (1968), S. 88-89.
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Abbildung 14: Titel der Zeitschrift Monumente, 2001 Quelle: Monumente. Magazin für Denkmalkultur in Deutschland 11 (2001), Titelblatt. führte zur Einfügung kontrastierender Formen, die einen sichtbaren Gegensatz von historisch und modern inszenierten (Abb. 13).12 Wenn wir uns auch spätestens seit dem europäischen Denkmalschutzjahr 1975 und der Einführung des Programms für städtebauliche Denkmalpflege 1990 daran gewöhnt haben, die Gesamtstadt als Monument aufzufassen (Abb. 14), so bleibt doch das Grundproblem bestehen, dass die Stadt kein Kunstwerk wie ein Werk der bildenden Kunst ist, das in seiner Integrität erhalten werden kann. Sie ist noch komplexer als ein einzelnes Bauwerk, bei dem in der Praxis zumeist Abstriche in seiner materiellen Erhaltung gemacht werden müssen. In einer Stadt sind – selbst wenn wir sie für denkmalwürdig halten und damit als Monument auffassen – Veränderungen notwendig, sonst müssten auch die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Aspekte der Stadt unter Denkmalschutz gestellt werden, womit die
12 | Vgl. Michel u. Nicole Autheman: »le marais. étude de rénovation du premier secteur opérationnel«, in: L’Architecture d’Aujourd’hui 138 (1968), S. 88-89.
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Abbildung 15: »Verlust von Erkennbarkeit des Neuen« aus dem Aufsatz »Neues Bauen in Berlin-Mitte. Eine Analyse von Kontextualität in der Spandauer Vorstadt« Quelle: Jahrbuch des Lehrstuhls Denkmalpflege der BTU Cottbus (2009/10). Stadt in ein Museum verwandelt werden würde, wie es die Autoren der Marais-Sanierung befürchteten. Wenn also Veränderung auch in einer als Denkmal geschätzten Stadt möglich sein muss, so stellt sich die Frage, wie mit dieser Veränderung umgegangen werden kann, welche Art von Veränderung angemessen ist. Ein sofort einsichtiges Grundprinzip ist, dass Veränderung in einer Weise stattfinden muss, die das Bewahrenswerte nicht zerstört. Unter der Voraussetzung, dass in einer Stadt insbesondere das Stadtbild, die Silhouette, das Straßenbild als ein bewahrenswerter Aspekt gilt, dürfen Anbauten und Neubauten ebendieses Stadtbild nicht stören. Hier jedoch liegt ein spezielles Problem unserer Zeit, das paradoxerweise von der Denkmalpflege oftmals noch verschärft wird. Tief im modernistischen Glauben verwurzelt, dass jede Zeit ihre eigenen Formen haben müsse, diktiert heute das Dogma des Zeitgemäßen das Baugeschehen – und es ist gleichermaßen unter Architekten, Denkmalpflegern und Historikern verbreitet. Ja, Denkmalpfleger haben eine besondere Anfälligkeit, da sich dieses
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Abbildung 16: »Den Höhepunkt bei der Interpretation von historischen Fassaden bzw. Fassadenbauteilen bilden Gebäude, bei denen viele der eingangs erwähnten Eigenschaften der Altbauten aufgenommen und in eine zeitgenössische Gestalt übersetzt worden sind.« Aus dem Aufsatz »Neues Bauen in Berlin-Mitte. Eine Analyse von Kontextualität in der Spandauer Vorstadt« Quelle: Jahrbuch des Lehrstuhls Denkmalpflege der BTU Cottbus (2009/10). Dogma aus einer kunsthistorischen Stilgeschichte speist, die nicht nur die Einheitsstile von Epochen propagierte, sondern auch die Historisierung aller Formen betrieb. Notwendig muss sich aus dieser Geschichtskonzeption der Stil jeder Gegenwart vom Vergangenen unterscheiden. Falls dann doch einmal ein Neubau im historischen Kontext in passenden Formen errichtet wurde, so wird ihm gerne Geschichtsfälschung oder zumindest eine Verunklärung der Ablesbarkeit von Geschichte vorgeworfen (Abb. 15). Doch gibt es für dieses Geschichtsbild des notwendigen formalen Wandels keinerlei hinreichende rationale Begründung. Vielmehr verkennt es grundlegende Eigenschaften von Architektur und Städtebau, die – im Unterschied zur politischen, sozialen, ökonomischen, technischen und kulturellen Geschichte – gerade keinem historischen Wandel unterworfen sind wie die Wirkungen der Schwerkraft oder die Dimensionen des menschli-
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Abbildung 17: Verlust der geschätzten städtebaulichen Qualität durch die Forderung nach zeitgenössischer Gestalt, Fotomontage Katja Schlisio, 2010 Quelle: Lehrstuhl gta, TU Dortmund. chen Körpers, oder ausgesprochen langfristig und damit keiner Epoche zuzuordnen sind wie etwa grundlegende Mauerwerkstechniken oder Blockkonfigurationen. So ist unsere zwanghaft innovative, den historischen Kontext notwendig kontrastierende architektonische und städtebauliche Entwurfshaltung die Folge eines modernen Glaubens, der für die Denkmalpflege beispielsweise im Artikel 12 der Charta von Venedig 1964 mit der Forderung kodifiziert wurde, dass sich Zubauten zu Denkmalen von diesen formal absetzen müssten, um nicht die Geschichte zu verfälschen: »Replacements of missing parts must integrate harmoniously with the whole, but at the same time must be distinguishable from the original so that restoration does not falsify the artistic or historic evidence.«13 Die absurden Konsequenzen dieser Auffassung für unsere Augen werden deutlich, wenn man sich ein analoges Vorgehen für unsere Ohren konstruiert. Man stelle sich vor, die Denkmalpflege habe bei der 13 | http://www.icomos.org/venice_charter.html vom 17.05.2010.
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Abbildung 18: Demetri Porphyrios, Wohnhaus in Cottesmore Gardens, Kensington, London, 1987 Quelle: Demetri Porphyrios: Selected Buildings and Writings, London 1993. notwendigen Restaurierung einer Silbermannorgel darauf bestanden, die neuen Teile von den alten erkennbar abzusetzen. Deshalb seien nun alle neu eingebauten Register einen Halbton höher gestimmt als die bestehenden, was ein unmittelbares Erkennen von alt und neu ermögliche. Was wir uns akustisch nie zumuten würden, ist jedoch optisch heute gängige Doktrin. Wenn wir in manchen Fällen die Harmonie des Ganzen schätzen, wenn wir also Städte als Ganzes oder ganze Stadtteile als Monumente schätzen, so müssen wir Bauhaltungen entwickeln, die ebendieses Gesamtbild nicht zerstören und doch gleichzeitig die notwendigen Veränderungen erlauben. Dafür müssen wir uns vom Dogma des notwendig formal Anderen befreien. Denn selbst wenn es sich nicht um das brachial Andere handelt, sondern um die sophisticated version einer zeitgenössischen Interpretation des historischen Kontextes, so zeigt sich die begrenzte Ortsangemessenheit dieses auf notwendiger Differenz bestehenden Ansatzes, wenn man die vorgeblich subtil eingefügten Neubauten im historischen Kontext vervielfältigt: Die beschworene Qualität des Ortes ist verloren (Abb. 16 und 17).
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Abbildung 19: Aldo Rossi, Friedhof San Cataldo, Modena, 1971-1984 Quelle: Aldo Rossi: Architect, London 1994. Wir müssen lernen, den formal gleichen oder ähnlichen Entwurf als etwas ebenfalls Zeitgenössisches anzuerkennen. So war es nicht Demetri Porphyrios’ Absicht, 1987 beim Bau eines Wohnhauses in Kensington, London, mit der Rezeption des klassischen Townhouse einen historischen Eindruck zu erwecken, sondern vielmehr, den Neubau passend in die Umgebung der mit Terraced Houses bebauten Straße einzufügen, um genau die gestalterische Qualität zu erhalten, die überhaupt erst den Grund für diesen Auftrag bildete (Abb. 18). Auch die Bebauung am Dresdner Neumarkt, die sich in ein kulturell langfristig geprägtes Bild ebendieses Ortes einfügt, ist dann keine Geschichtsfälschung mehr, sondern eine zeitgenössische Leistung, die nicht nur die Frauenkirche, sondern auch die sie umgebende Stadt als ein schätzenswertes Monument erachtet. Als zeitgenössische Leistung steht sie allerdings der Architekturkritik offen, wie jedes andere Architekturprodukt auch. Für das zeitgemäße Weiterbauen am Monument Stadt reicht es keinesfalls, sich allein auf abstrakte Typologien zu beziehen, wie Rossi vorschlug, und den konkreten Formenreichtum des Überlieferten zu ignorieren. Das Monument Stadt ist immer konkret, seine Bauten
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Abbildung 20: Aldo Rossi, Block Schützenstraße, Berlin, 1994-1997 Quelle: Aldo Rossi: Architect, London 1994. haben immer eine spezifische Erscheinungsform und im Kontext des Bestehenden muss auch das Detail, ja sogar das Ornament des Neuen stimmen. Der notwendige Neubau muss sich zum Kontext stimmig verhalten, um den Klang des Gesamtmonuments zu unterstützen. Mir scheint, dass Aldo Rossi im Laufe seines Lebens selbst zu dieser Erkenntnis gelangt ist und diese auch baulich verwirklicht hat. Seine früheren Bauten und Entwürfe sind in ihrer geometrischen Reduktion, ihrer formalen Abstraktion und ihrer Kontextlosigkeit verzweifelte Versuche, die Kontingenz des historischen formalen Wandels durch die Errichtung des Typus selbst zu überwinden, und so gleichsam, indem das Gesetz der Geschichte und nicht nur dessen Folgen realisiert werden (Abb.19), aus der Geschichte herauszutreten. Dies hätte ihm im Rahmen seiner Typologietheorie eigentlich als unmöglich erscheinen müssen, entsprach aber vollständig dem Geschichtsüberwindungswillen des Modernismus. In seinen späteren Bauten dagegen hat er die erforderliche Geschichtlichkeit anerkannt und damit auch die Vielfalt konkreter historischer Detailformen neben dem ideellen und damit notwendig abstrakten historischen Typus (Abb. 20). In diesem Sinne ist sein Block in der Berliner Schützenstraße von 1991 weder postmoderne Formenspielerei eines Architekten noch architektonischer Zynismus gegenüber einem auf das Bild der Parzellierung festgelegten Bauherrn, sondern der Versuch eines angemessenen Weiterbauens am Monument Stadt: Neubau da, wo es die vitalen Be-
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dürfnisse dieses Monuments erfordern, alte bzw. passende Formen da, wo es die ästhetische Stimmigkeit der Stadt erfordert, um überhaupt Monument sein zu können. So vermag Rossis Unterscheidung von primärem Element, das materiell überlebt, und normalem Stadthaus, das ideell im Typus überlebt, hilfreich für eine heutige städtebauliche und stadtdenkmalpflegerische Haltung sein, die gleichzeitig Offenheit für eine Entwicklung der Stadt und Bewahrung des geschätzten Stadtbildes ermöglicht. Der gestaltende Städtebau kann zwanglos – ohne die Notwendigkeit, es heute anders machen zu müssen – auf historische Erfahrungen zurückgreifen, die bewahrende städtebauliche Denkmalpflege muss sich nicht auf die Substanz beschränken, sondern kann auch das Bild mit einbeziehen.
2. Utopien/Nicht-Orte/ Antimonumente
Leben im Continuous Monument 1 oder das Nachleben der Moderne als Monument im Bild Annette Urban
Die Versöhnung von moderner Architektur und Monumentalität erscheint als ein bis heute dringliches,2 aber weiter zwiespältiges und ungelöstes Projekt: Denn sofern das Monument nicht – wie exemplarisch von Lewis Mumford – wegen mangelnder Lebendigkeit und Veränderlichkeit grundsätzlich als anti-modern abgelehnt worden ist,3 ist das Monumentale, schon um der Verstrickung mit der jeweiligen Herrschaftsideologie zu entkommen, in der Moderne endgültig formal geworden. Weitestgehend entsemantisiert, wird es primär als Wirkung definiert.4 Mit dieser Autonomie der Form rückt die Architektur, die 1 |Der italienische Titel des Projekts lautet Il Monumento Continuo. Für ihre internationalen Auftritte hat die Architekten-Gruppe Superstudio die Projekte mit englischen Titeln und englischen oder zweisprachigen Texten versehen, so auch das Storybord zum Continuous Monument von 1971 (siehe Anm. 17 und 24). 2 | Vgl. Alexander D’ Hooghe: »Monumental Turn. Auf dem Weg zu einer Architektur der öffentlichen Form«, in: Arch+ 174 (2005), S. 86-89. 3 | Vgl. Lewis Mumford: »The Death of the Monument«, in: Ders. (Hg.), The Culture of Cities, Reprint London/New York 1997 [1938], S. 433-440. 4 | Grundlegend hierfür sind Wilhelm Worringers auf August Schmarsow gestützte Definition des Monumentalen als »Abstraktion des Konstanten« (vgl. Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung, München 1921, S. 114) sowie Peter Behrens: »Was ist monumentale Kunst?« Aus einem Vortrage, in: Kunstgewerbeblatt 20 (1909), S. 46-48.
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sich nicht umsonst immer skulpturaler gestaltet, in enge Beziehung zur modernen Kunst. Gleichzeitig aber wird das architektonisch Monumentale durch diese Analogie um seine Bedeutung für den öffentlichen Raum und den städtebaulichen Kontext gebracht, auch wenn Sigfried Giedion, José Luis Sert und Fernand Léger in ihren Nine Points on Monumentality (1943) das Freistellen der Monumente auf leeren Flächen nicht als Hindernis, sondern als Voraussetzung für städtebauliche Relevanz ansehen.5 Mit solchen Solitären innerhalb der Stadtlandschaft aktivieren sie den lang etablierten Zusammenhang von Monument und Landschaft, die das eigentlich geschichtliche, jedoch Überzeitlichkeit reklamierende Monument naturalisieren hilft.6 Gerade diese Selbstisolierung der Architektur wird seit den 1950er Jahren zum Ansatzpunkt der Kritik, die sich sowohl von Seiten einiger radikaler Architekten wie von urbanistisch interessierten Künstlern erhebt und daher für neuartige Grenzgänge zwischen Architektur und Kunst sorgt. Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist die Beobachtung, dass sich die aktuelle Reflexion der Moderne7 in der Gegenwartskunst in erster Linie an der Architektur entzündet. In diesen Re-Inszenierungen kehrt die vergangene Architekturmoderne, wie jüngst in verschiedenen Ausstellungen und Publikationen zum Thema gemacht,8 häufig als Ruine wieder, was deutlich das Vergehen, das nicht mehr Intakte, aber Erinnerungswürdige markiert. Daneben aber, so die 5 | Vgl. José Luis Ser t/Fernand Léger/Sigfried Giedion: »Nine Points on Monumentality« (New York 1943), in: S. Giedion, Architecture, You and Me, Cambridge, Mass. 1958, S. 48-52; http://www.apha.pt/boletim/boletim1/ pdf/NinePointsOnMonumentality.pdf vom 01.05.2010. 6 | Vgl. James E. Young: »Memory/Monument«, in: Robert S. Nelson/Richard Shiff (Hg.), Critical Terms for Art History, 2. Auflage, Chicago/London 2003, S. 234-247, hier S. 237. 7 | Vgl. Ausst. Kat. Museu d’ Art Contemporani de Barcelona: Modernologies. Contemporary Artists Researching Modernity and Modernism, hg. v. Sabine Breitwieser, Barcelona 2009. Die hier präsentierte künstlerische ModerneForschung schließt zwar viele Architekturbeispiele ein, die Rolle der Architektur wird jedoch nicht eigens in einem der Essays untersucht. 8 | Vgl. Ausst. Kat. Generali Foundation, Wien: Die Moderne als Ruine. Eine Archäologie der Gegenwart, hg. v. Sabine Folie, Nürnberg 2009; Kai Vöckler: Die Architektur der Abwesenheit oder die Kunst, eine Ruine zu bauen, Berlin 2009 sowie die Beiträge von Samantha Schramm und Christian Hammes zu Robert Smithson und Gordon Matta-Clark im vorliegenden Band.
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Beobachtung, wird dieses Gedächtnis gegenwärtig beschworen, indem die ursprünglich anti-monumentale Architekturmoderne ausgerechnet als Monument in Bild und Skulptur neu ersteht. Aufschluss über diese unmögliche Monumentalität soll hier indirekt im Rückblick auf die Architektur- und Stadtvisionen der 1950er bis 1970er Jahre gewonnen werden, denen ein ähnlicher Konflikt innewohnt und die die Moderne einerseits überwinden wollten, sie andererseits aber fortgeschrieben haben.9 Angetreten mit dem Versprechen, die immer noch hierarchische moderne Repräsentationsarchitektur und mit ihr die planerische Verfügungsgewalt abzubauen, entwickelten diese Architekturvisionen ein Systemdenken, das selbst zu megalomanen Großstrukturen neigt. Hat diese neuerliche Größe die problematische Monumentalität nun hinter sich gelassen oder lebt jene in den Megastrukturen, die schon Reyner Banham als »Dinosaurier der Modernen Bewegung«10 bezeichnete, fort? Wie der Modernismus erwachen auch die Megastrukturen derzeit zu einem Nachleben in zeitgenössischer Kunst und im Kunstbetrieb.11 Die Präsenz der Stadtutopien von Constant und Yona Friedman auf Kunstausstellungen wie der documenta 11 (2002) und der Kunst-Biennale in Venedig (2009) muss hier als Hinweis genügen. Auf solchen Visionen, die wie die New Babylon-Entwürfe des niederländischen Malers und temporären Situationisten Constant oder wie das Continuous Monument der italienischen Architekten-Gruppe Superstudio architekturhistorisch nur im weiterem Sinn den Megastrukturen zuzurechnen sind,12 dafür aber enge Berührungspunkte mit der Kunst 9 | Vgl. Jan Maruhn: »Le Corbusier und seine revolutionären Kinder: Von der Ville radieuse nach New Babylon«, in: Ausst. Kat. Ehemalige Staatliche Münze, Berlin, Megastructure reloaded. Visionäre Stadtentwürfe der sechziger Jahre reflektiert von zeitgenössischen Künstlern, hg. v. Sabrina van der Ley/Markus Richter, Ostfildern 2008, S. 33-43. 10 | Reyner Banham: Megastructure. Urban Future of the Recent Past, London 1976, S. 7. 11 | Vgl. Ausst. Kat.: Megastructure reloaded (2008) und darin den einleitenden Essay von Sabrina van der Ley/Markus Richter: »Megastructure reloaded: Vom Spaceframe zur Raummonade und zurück«, S. 14-18. Die theo retische Reflexion beschränkt sich indes auf die Architekturgeschichte der Megastrukturen, die Positionen zeitgenössischer Künstler sind unkommentiert als Plug-in beigegeben, ohne dass der Transfer in die Kunst beleuchtet würde. 12 | Marie Theres Stauffer liest das Continuous Monument von Superstudio einerseits als Kritik an Megastrukturen, die aus den theoretisch-historischen
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aufweisen, soll im Folgenden der Fokus liegen. Parallel wird mit Claes Oldenburg ein Beispiel aus der bildenden Kunst einbezogen, in der das Monument in der Moderne ebenfalls problematisch geworden ist und gleichzeitig produktive Maßstabsverschiebungen und Wechselspiele zwischen Architektur und Skulptur initiiert werden.
C ONSTANTS S EK TOREN Z WISCHEN WELTUMSPANNENDEM N E T Z VON M EGASTRUK TUREN UND MEGALOMANER G ESTE Wegweisend für die künstlerische Auseinandersetzung mit Urbanismus und Architektur sind die Schriften, Projekte und Interventionen der Lettristischen und besonders der Situationistischen Internationale um Guy Debord. Ihre Kritik richtet sich in erster Linie auf die Stadt- und Lebenswelt ihrer Gegenwart, also auf den Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre unübersehbar gewordenen Siegeszug einer international etablierten, zum Einheitsstil verfestigten Architekturmoderne. Zielscheiben sind die gesichtslose Stadtmodernisierung sowie die neu errichteten Retorten- und Trabantenstädte, die eine typisch modernistische, jedoch nur vordergründige Versöhnung von Stadt und Landschaft vorspiegeln. Doch auch die alte Stadt gerät ins Visier der Kritik, sofern sie die Herrschaftszeichen der Mächtigen ausstellt. Hier trifft es das Monument in seiner klassischen Form als Denkmal oder Siegessäule. In der lettristischen Phase war man noch surrealistisch-verfremdend mit den Denkmälern von Paris verfahren, indem man sie entorten und in einer weiten Ebene zu einer Kavallerie dislozierter Reiter-Standbilder formieren wollte. Die Situationisten machen sich dagegen die radikale Geste der Sprengung zu Eigen, freilich in vermittelter Form, indem sie mit einer Fotografie der zerstörten Vendôme-Säule in ihrer Zeitschrift13 Herleitungen des eigenen Projekts ausgespart blieben. Andererseits zieht sie eine Verbindung der früheren Arbeiten der Mitglieder zu der Anfang der 1960er Jahre an der Florentiner Architekturfakultät diskutierten »nuova dimensione«, der »neuen Dimension«, und spricht von einer »Faszination für prägnante Großformen und den Pathos des Monumentalen«. Vgl. M.T. Stauffer: »Kritik der reinen Struktur. Archizoom und Superstudio«, in: Ausst. Kat., Megastructure reloaded (2008), S. 193-210, hier S. 195 u. 197. 13 | Vgl. Situationistische Internationale 7 (1962), in: Situationistische Internationale 1958-1969. Gesammelte Ausgaben des Organs der Situationistischen
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Abbildung 1: Das Viertel einer traditionellen Stadt – Eine grüne Stadt – Prinzip einer bedeckten Stadt – Illustrationen zu Constants Eine andere Stadt für ein anderes Leben, in: Situationistische Internationale 3 (1959) Quelle: Situationistische Internationale 1958-1969, Bd. 1, 1976, S. 112/113. die revolutionäre Tradition der (künstlerischen) Opposition gegen Repräsentationen staatlicher Macht zitieren. Der anti-monumentale, geschichtsfeindliche Impetus, den sie letztlich mit der Moderne teilen, entlädt sich hier in anarchischer Zerstörung. Der Traditionen überwindende, egalisierende Gegenentwurf der Moderne freilich zieht ebenso harsche Kritik auf sich, gerade wegen seiner vermeintlichen Neutralität, die gleichmacherisch die weiterhin wirksamen Herrschaftsverhältnisse nur verschleiert und deren Rationalität der Form nur Monotonie erzeugt. Paradigmatisch steht dafür das Regime des Rechten Winkels, wie es für die Situationisten von Le Corbusier als Feindbild verkörpert wird. Dem traditionellen und modernistischen Internationale, übers. v. Pierre Gallisaires, hg. v. Hanna Mittelstädt, Bd. 2, Hamburg 1977, S. 265.
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Abbildung 2: Constant, Gele Sector (Gelber Sektor), Detail, 1958 Quelle: Jean-Clarence Lambert (Hg.): New Babylon. Constant. Art et Utopie. Textes situationnistes, Paris 1997, S. 107. Modell von Stadt, dargestellt durch das ausschnitthafte Diagramm der grünen Stadt mit der angesprochenen Isolierung der Gebäudeeinheiten, stellt der niederländische Situationist Constant einen alternativen Urbanismus gegenüber, und zwar eine Raumfiguration, die noch ein Raster aufweist, dies aber um Diagonalen ergänzt (Abb. 1). Diese sorgen in der bedeckten Stadt für Überlappung, Verdichtung und größere räumliche Komplexität. Das Resultat von Diagonalführung und Überlappung sind bewusst kleinteilige Strukturen, deren individuelle Nutzbarkeit und Flexibilität gegenüber der Modulbauweise modernistischer Zellen noch weiter gesteigert ist. Am Beispiel von Constants Stadtutopie New Babylon, die er von 1956 bis in die 1970er Jahre in zahlreichen Skizzen, Plänen, Modellen und Zeichnungen entworfen hat, zeigt sich deren Binnenräumlichkeit einerseits im Koordinatensystem eines Steckrasters verankert (Abb. 2, 3), zugleich sind die einzelnen Wandelemente mobilisiert. Dass diese Struktur tatsächlich vom Raster unterfüttert ist, belegen die nur wenige Jahre zuvor entstandenen Tafelbilder und Reliefs (Abb. 4). Exemplarisch veranschaulichen auch andere Beispiele aus dieser Zeit, darunter die Raumstädte von Friedman und Eckhard Schultz-Fielitz, wie sich das zugrundeliegende System immer weiter auf eine filigran dienende Rahmenstruktur zurückzieht, die vorwiegend Behälter für flexibilisierte und individualisierte Binnenelemente ist. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu Louis Kahn, der die neue, spätmoderne
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Abbildung 3: Constant, Rode Sector (Roter Sektor), Aufsicht, 1958 Quelle: J.-C. Lambert (Hg.): New Babylon. Constant (1997), S. 99. Monumentalität auch aus der Struktur entwickelt, die aber skulpturalen Eigenwert als Form gewinnt.14 Gleichzeitig bilden die zurückgenommenen Strukturen ihrerseits größere Einheiten aus, bei den Situationisten Sektoren genannt (Abb. 5), die sich zueinander gruppieren und im Großen die Binnenstruktur im Kleinen wiederholen, um die Idee eines dezentral-vernetzten Stadtgefüges zu verwirklichen. Die mit verzweigten Linien übersäte Grundplatte, auf der Constant die mit ebensolchen Einkerbungen versehenen Sektoren arrangiert, verdeutlicht, dass der Zusammenhang unter den Elementen hier aus der Bewegung bzw. vom Verkehr her gedacht ist. Was bei Aldo van Eycks paradigmatischem Entwurf für ein Waisenhaus (1955-60) eine klar modularisierte Logik der Progression aufweist, formt sich bei den Clusters von Peter und Alison Smithson wie in einer Präsentation für CIAM 9 (1953) zu rhizomartigen Gebilden und beinahe gebärdenhaft ausgreifenden Strukturen aus (Abb. 6). Die Sektoren von Constants bedeckter Stadt schließlich verraten, zumal wenn sie bildhaft aus der Vogelperspektive und in die Landschaft eingebettet in ihrer Erstreckung bis zum Horizont dargestellt sind (Abb. 7), endgültig die Tendenz zur raumgreifenden megalomanen Geste. Die Sektoren wirken nun eher als geschlossene Gebäudeeinheiten mit regelmäßig aufgerasterten Fassaden. Ihre Stützen prägen teils 14 | Vgl. Louis I. Kahn: »Monumentality«, in: Paul Zucker (Hg.), New Architecture and City Planning, Reprint Freeport 1971 [1944], S. 577-588, hier S. 585.
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Abbildung 4: Constant, Komposition mit 158 Quadratchen, 1953 Quelle: Ausst. Kat. Museum Haus Lange, Krefeld: Constant – New-Babylon. Imaginäre Stadtlandschaften, Krefeld 1964, Umschlag.
Abbildung 5: Constant, Groep sectoren (Gruppen von Sektoren), Aufsicht, 1959 Quelle: Ausst. Kat. The Drawing Center, New York: The Activist Drawing. Retracing Situationist Architecture from Constant’s New Babylon to Beyond, hg. v. Mark Wigley/Catherine de Zegher, New York 2001, S. 32.
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Abbildung 6: Alison und Peter Smithson, Urban Reidentification Grid, Detail, CIAM 9, Aix-en-Provence, 1953 Quelle: Eric Mumford: The CIAM Discourse on Urbanism, 1928-1960, Cambridge, Mass./London 2000, S. 233. eine kolossale Größe und einschüchternde Monumentalwirkung aus (Abb. 8), die gezielt zur Instrumentierung des Übergangs, der Initiation in die Welt New Babylons eingesetzt werden. Daneben wird Monumentalität übersteigert zur Gigantomanie einer sich über den gesamten Erdball erstreckenden Architektur, die nicht mehr als Monument Orte markiert, sondern den Globus insgesamt territorialisiert, auch wenn unbebaute Boden- und Restflächen freigehalten werden. Die alte Welt mit ihren Städten und Landschaften wird zugunsten einer von Menschen gemachten Lebenswelt zurückgelassen, d.h. anstelle der ersten muss eine zweite Erde geschaffen werden. Obwohl eine Keimzelle von New Babylon mit Constants Entwurf für ein Zigeunercamp (Ontwerp voor Zigeunerkamp) (1956) in der kaum Spuren hinterlassenden nomadischen Zeltarchitektur liegt, gelangt er schließlich zur mächtigen Geste einer Totalbebauung, die neben sich nur leere Landschaft und vereinzelt historische Bausubstanzen duldet. Erst in dieser endlosen Durchgangsarchitektur wird die neue, permanent mobile und dadurch veränderliche Lebensweise der situationistischen Dérive, des ununterbrochenen Umherschweifens, möglich. Insofern steht auch hier die Architektur als Monument für das Ideal einer Gesellschaft, ist deren Ausdruck und zugleich deren Voraussetzung. Die staatenlos-egalitäre
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Abbildung 7: Constant, Vogelflucht groep sectoren I (Vogelperspektive auf eine Gruppe von Sektoren I), 1964 Quelle: Ausst. Kat. Gemeentemuseum, Den Haag: New Babylon, hg. v. J. L. Locher, Den Haag 1974, S. 105.
Abbildung 8: Constant, Ondersteuning van een sector (Tragpfeiler eines Sektors), 1960 Quelle: Ausst. Kat. Witte de With Center for Contemporary Art, Rotterdam: Constant´s New Babylon. The Hyper-Architecture of Desire, hg. v. Mark Wigley, Rotterdam 1998, S. 128. Weltgesellschaft,15 die im Umherziehen die Binnenarchitekturen beständig verändert, setzt sich quasi ihr eigenes Denkmal, ohne dass der 15 | So schon von Constant selbst formuliert in: »New Babylon: Esquisse d´une culture« (1974/75), wieder abgedruckt in: Jean-Clarence Lambert (Hg.): New Babylon. Constant. Art et Utopie. Textes situationnistes, Paris 1997, S. 43-99, hier S. 64 u. S. 90.
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Widerspruch zur machtvoll-singulären ersten Setzung der Megastrukturen reflektiert würde. Die Gedächtnisfunktion ist in einer explizit erinnerungslosen, weil sich permanent verändernden Gesellschaft16 hinfällig, dennoch taugt New Babylon als Monument der herrschenden endlosen Gegenwart. Die planetarische Dimension ist dementsprechend Ausdruck des angestrebten kulturellen Universalismus und erweitert monumentale Maßstäbe auf eine die Menschheit als Ganze umfassende, nur von einem Standpunkt außerhalb einzunehmende, quasi extra-terrestrische Perspektive. Zusammen mit der verabsolutierten Mobilität liegt hier der Grund für das neue Streben nach Größe.
D AS KONTINUIERLICHE M ONUMENT BEI S UPERSTUDIO Auch von den radikalen Architekten der italienischen Gruppe Superstudio werden Megastrukturen als eine Form von Verstädterung verstanden, die nicht nur die Stadt in einem einzigen Gebäudekomplex zusammenfasst, sondern sich auf dem gesamten Erdball ausbreitet: Architektonisches Modell einer totalen Urbanisation/Un Modello Architettonico di Urbanizzazione totale lautet der Titel des begleitenden Manifests zu ihrem später als Storyboard in der Zeitschrift Casabella publizierten Projekt von 1969-71.17 Wie sich bereits die ersten Megastrukturen mit Verkehrsaterien verklammerten und ihren Verzweigungen folgten,18 so haben sich diese Architekturen endgültig typologisch Brücken, High16 | Vgl. ebd. 17 | Öffentlich gemacht wurde das Projekt zuerst als Wettbewerbsbeitrag für die Grazer Biennale Trigon 1969. Es umfasste eine Rauminstallation als Ausstellungs- sowie einen Katalogbeitrag bestehend aus einem deutschsprachigen Manifest (mit dem zitierten deutschen Titel), Fotomontagen des Projekts und Fotografien von historischen Monumentalbauten. Darauf folgten kürzere Versionen in den Architekturzeitschriften Domus (unter dem Titel Discorsi per immagini) und Architectural Design. 1971 wurde eine Weiterentwicklung des Continuous Monument unter dem Titel Deserti naturali e artificiali als Storyboard in der Zeitschrift Casabella veröffentlicht. Vgl. M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen. Theoretische Projekte von Archizoom und Superstudio, München/Berlin 2008, S. 54f. 18 | So z.B. das Lower Manhattan Expressway Project (1970) von Paul Rudolph, das Reyner Banham als Beispiel einer »mainstream megastructure« nennt (R. Banham: Megastructure, S. 13). Darüber hinaus sind auch in seiner
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ways (Abb. 9) und ähnlichen Verkehrsbauten anverwandelt. Schon Peter und Alison Smithson hatten vorgemacht, dass sich Infrastrukturen wie beispielsweise Autobahnkreuze als die eigentlich fixen Strukturen und zeitgenössischen Monumente denken lassen.19 Nun lösen diese bei Superstudio alle anderen Architekturformen ab, schließlich sollen auch sie ein nomadisches Leben initiieren (Abb. 10). Die totale Verstädterung wandelt sich in der Folge bei Superstudio aber paradoxerweise in das Gegenteil: in eine Abschaffung von Architektur überhaupt. Die linearen Strukturen, die u.a. analog zu Highways konzipiert sind (Abb. 9) und mithin eine weitere Form der Straßenstadt darstellen, schließen sich in dem späteren Projekt La Vita/ Supersuperficie20 immer mehr zusammen (Abb. 10). Sie verflachen zu einer einzigen, alles überziehenden Oberfläche, die architektonischbauliche Körper und geschlossene Innenräume eliminiert. In der Supersurface zeigt sich – nach dem Tod der Architektur – das Leben als einzige verbleibende »Umgebungskunst«. »Life as only environmental art«21 genügt sich selbst und bedarf nur mehr der regelmäßig in der Fläche verteilten Versorgungsstationen (Abb. 11). Diese Plug-ins, die in den Megastrukturen für die Adaptability der Einzelmodule sorgen, sind abgesehen von der grundierenden Supersurface allein noch von den Großstrukturen übrig geblieben: Sie versorgen mit Energie, Essen, Informationen und machen so Häuser und Dinge überflüssig. Das Super im Namen der Florentiner Architektengruppe lehnt sich nicht nur an den gleichnamigen Comic-Helden an, sondern will mit dem Abbau von Konsumgütern und den genuin modernistischen Bandarchitekturen als riesigem Wohnungsbauprojekt auch auf anVorgeschichte der Megastrukturen Verkehrsbauten wie der Ponte Vecchio in Florenz oder die Old London Bridge wichtige Beispiele (S. 13/14). 19 | Vgl. den Beitrag von Laurent Stalder in diesem Band. 20 | Superstudio: »La Vita/Supersuperficie«, in: Casabella 367 (1972), S. 15-26, wiederabgedruckt bei M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 291-301. Publiziert sind hier unter dem Titel »Vita, Educazione, Cerimonia, Amore, Morte. Cinque Storie del Superstudio« Fotocollagen und ein italienischer Text zu »Gli Atti fondamentali« sowie das englischsprachige Storyboard zu dem Film Life or the Public Image of Truly Modern Architecture. Supersurface. An alternative Model of Life on Earth, der im Zusammenhang mit der Ausstellung Italy. The New Domestic Landscape 1972 im MoMA realisiert wurde. 21 | So der letzte Satz des Storyboards zu La Vita/Supersuperficie, ebd. S. 301.
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Abbildung 9: Superstudio, Continuous Monument, Motorway, 1969 Quelle: Peter Lang/William Menking: Superstudio. Life without objects, Mailand 2003, S. 125.
Abbildung 10: Superstudio, A Journey from A to B, 1969, wieder publiziert in »La Vita«, Teil 1 von »Gli Atti Fundamentali«, 1971-1973 Quelle: Martin van Schaik/Otakar Má č el (Hg.): Exit Utopia. Architectural Provocations 1956-76, München u.a. 2005, S. 200. dere Super-Phänomene wie Überbevölkerung und Überproduktion reagieren. Die Großgeste ist nicht zuletzt dadurch motiviert, dass sie sich den Bedingungen der Massengesellschaft und des globalen Bevölkerungsanstiegs stellt. Aber diese Bandarchitekturen sind nicht nur als Vorstufe des Rasters relevant, das sich mit letzter Konsequenz als reine Oberfläche verwirklicht und einen seiner Ursprünge dementsprechend in konzeptualistischen Papierarbeiten wie den Typoskripten des Konkurrenzunternehmens Archizoom hat (Abb. 12). Wenngleich sich die Bandarchitekturen
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Abbildung 11: Superstudio, Life or The Public Image of Truly Modern Architecture. Supersurface: an alternative model of life on Earth, 1971, Fotomontage zu dem Environment von Superstudio auf der Ausstellung »Italy: The New Domestic Landscape«, MoMA, 1972 Quelle: M. van Schaik/O. Má č el (Hg.): Exit Utopia (2005), S. 97. vorwiegend als gigantisches, stadtgewordenes System von Highways darstellen, verfügen sie dennoch über einen Bezug zu vorhandener Architektur. Zuerst mag es so scheinen, als gingen die Megastrukturen – im Sinne der zutiefst modernen Idee der aufgeständerten, vom Boden gelösten Zweit-Stadt – über alles bereits Dagewesene hinweg. Auch bedeutsame historische Architekturmonumente wie das Rockefeller Center und das Taj Mahal verleiben sie sich dem Anschein nach unterschiedslos ein. Doch ist diese Vereinnahmung durchaus als Fortführung und die weltumspannende Geste damit als Verbindung gemeint. Das modulare, kleinteilige Raster ist so anpassungsfähig, dass es die historische Bausubstanz z.B. des Erechtheions oder des Kolosseums (Abb. 13, 14) nicht nur überdeckt, sondern auf ihre formale Gestalt zu reagieren vermag. In diesem Sinne fungiert die Struktur als Vollendung bzw. als übersteigernde Wiederherstellung der Baudenkmäler und versteht sich selbst als ein einziges großes Monument, als Continuous Monument eben.
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Abbildung 12: Archizoom/Branzi, Vorstudien zu No-Stop City, 1968 Quelle: Marie Theres Stauffer: Figurationen des Utopischen. Theoretische Projekte von Archizoom und Superstudio, München/Berlin 2008, S. 47. Die Anmutung der formal wie funktional unspezifischen und unterdeterminierten Rasterarchitektur, die in der Abschaffung dessen gipfelt, was bisher unter Architektur verstanden wurde, täuscht leicht darüber hinweg, dass das Continuous Monument selbst aus der Auseinandersetzung mit historischer Monumentalarchitektur entstanden ist. Superstudio reaktiviert das Monument nicht nur seiner sublimen Wirkungsästhetik wegen, um monumentale Sepulkralarchitektur (Abb. 15) als wesentliche Referenz der eigenen Architekturvision zu markieren und die eigene Gruppe absichtsvoll mystifizierend als Totengräber der Architektur in Szene zu setzen. Schon in seiner Abschlussarbeit an der Florentiner Architekturfakultät hat sich der Superstudio-Gründer Adolfo Natalini von Louis Kahns Thesen zur Monumentalität beeinflussen lassen.22 Zu den ersten Arbeiten der Gruppe gehören dann in theoretisch verstandenen Bilderreihen, in so genannten Discorsi per Immagini (1969)23 (Abb. 16) und später in Deserti naturali e artificiali.
22 | Natalini wurde im Zuge seiner 1964 bei Leonardo Savioli begonnenen Abschlussarbeit, des Entwurfs für ein Kunstzentrum in Florenz (Palazzo dell’Arte), auf Kahn aufmerksam und vertiefte sich daraufhin in die Geschichte der Monumente. Weiter ausgearbeitet wurde das Konzept der 1966 beendeten Abschlussarbeit in dem Wettbewerbsbeitrag für die Fortezza da Basso von 1967. Vgl. Peter Lang/William Menking: »Only Architecture will be our Lives«, in: Dies., Superstudio. Life without objects, Mailand 2003, S. 11-29, hier S. 16. 23 | Als Zeitschriftenartikel publiziert: Superstudio (Adolfo Natalini, Cristiano Toraldo di Francia, Piero Frassinelli, Roberto Magris): »Superstudio: Discorsi per Immagini«, in: Domus 481 (1969), S. 44/45, wieder abgedruckt bei M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 262.
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Abbildung 13: Superstudio, Continuous Monument, Erechtheion, 1969 Quelle: M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 62.
Abbildung 14: Superstudio, Continuous Monument, Kolosseum, 1969 Quelle: M. van Schaik/O. Má č el (Hg.): Exit Utopia (2005), S. 136. Il monumento continuo. Storyboard per un film (1971)24 (Abb. 17) entfaltete Überlegungen zur Architektur des Monuments in zumindest fragmenthaft historischer Perspektive: Kultorte wie Stonehenge oder die Kaaba in Mekka figurieren darin einträchtig neben Pyramiden und Tempeln als Baudenkmäler im engeren Sinn, aber auch Ingenieursbauten wie Aquädukte, Basisstationen der Raumfahrt (Abb. 16) oder der Kristallpalast finden sich darin. Das Monument wird jenseits seines säkularisierten Symbolwerts auf eine religiös-kultische Bedeutung zurückgeführt. Selbst das Vertical Assembly Building in Cape Canaveral, Mitte der 1960er Jahre die Speerspitze des technologischen Fortschritts und Eingangstor ins Weltraumzeitalter, wird mit seinem Griff nach den Sternen auf eine kosmische Dimension hin, auf die Verbindung von 24 | Unter diesem Titel wurde die erweiterte Fassung als Storyboard in Ca sabella 358 (1971), S. 18-22 veröffentlicht, wieder abgedruckt bei M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 273-276.
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Abbildung 15: Superstudio, Pyramid Poster, 1968 Quelle: P. Lang/W. Menking: Superstudio, S. 20. Himmel und Erde, umgedeutet. Es reiht sich so in dasselbe Feld mit prähistorischen Steinmalen, muslimischen Pilgerstätten und mittelamerikanischen Pyramiden ein. Das Monumentale ist Resultat der monolithischen Gestalt, die den »elementaren festen Körpern«25 wie der Pyramide und bevorzugt dem Würfel zu eigen ist, oder ergibt sich wie bei den Mauern, Aquädukten und Wällen aus seriellen Reihungen mit ihrer Tendenz ins Unendliche. Analog zu New Babylon wird auch in einigen Bildern des Storyboards (Abb. 17, Bild 57-60) eine planetarische Dimension, eine Vermessung des Erdballs erreicht und Monumentalität zur horizontalen Markierung umgedeutet, zu einem Zeichen auf der Erdoberfläche,26 sichtbar nur aus der Luftperspektive. Die zeitliche 25 | Im Text des aus 80 Einzelbildern bestehenden Storyboards wird mehrfach und im Rückgriff auf Kepler auf »elementary solids« verwiesen. Vgl. ebd., S.273, Bild 1 u. 13. 26 | Im vorausgegangenen Text des Storyboards heißt es entsprechend schon zu den Bildern 13-14, die ein Aquädukt und die chinesische Mauer zeigen: »Then, when human signs are not elementary solids, they are long continuous
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Abbildung 16: Superstudio, Discorsi per immagini, in: Domus 481 (1969), S. 44/45 Quelle: M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 262. Kontinuität, die Monumente in Rückbindung an die Vergangenheit als Ausdruck der Dauerhaftigkeit beglaubigt, hat sich damit gewissermaßen in den Raum, in eine räumliche Kontinuität übertragen, mit der das kontinuierliche Monument durch die Zeiten hindurch verschiedene Baudenkmäler verbindet. Es stützt sich dabei auf eine ansatzweise historisch und typologisch argumentierende Genealogie, die teils die Form einer regelrechten Genesis oder Schöpfungsgeschichte annimmt, wie sie Superstudio in imaginären Reiseberichten, in Zeitschriftenartikeln, in Storyboards für Filme sowie in suggestiven Collagen entfaltet. Explizit wird das Monument von Superstudio demnach als Mythos vorgestellt (Abb. 17, Bild 17-24), indem seine Geschichte im Storyboard als eine weniger historische als mythologische Erzählung präsentiert wird, die von ersten und letzten Dingen, von quasi-göttlichen Erscheinungen handelt und in der die Geometrie als Hauptfigur einer Fiktion lines, a theory of elements, the expression of the same will to sign and measure.«, wiederabgedruckt bei M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 273.
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Abbildung 17: Superstudio, Deserti naturali e artificiali. Il monumento continuo. Storyboard per un film, in: Casabella 358 (1971), S. 18-22 Quelle: M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 273-276. auftritt. Damit aber vollzieht sich der Rekurs auf das Monument in der bewussten Ambivalenz, einerseits diese Qualität der Architektur wiedergewinnen zu wollen, dies andererseits jedoch in die Sphäre des uneinholbar Mythischen zu entrücken. Dergleichen gilt für die Resakralisierung des Monuments, wenn es zum einen in einem Weiterdenken rein funktionalistischer Needs und analog zu Giedions, Serts und Légers Nine Points on Monumentality zum Resultat eines grundlegenden Bedürfnisses und mithin zu einer anthropologischen Konstante erklärt wird: Derart wird zwar die interkulturelle Dimension
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des Continuous Monument, das als endloses Band alle Monumente der Weltkultur vereint (Abb. 13), nochmals untermauert. Zum anderen aber geht damit unvermeidlich eine Essentialisierung von Architektur als universalistisches, gleichgeschaltetes Monument der Vernunft einher. Dem entspricht das Höchstmaß an Formalisierung, das sich in der Gleichförmigkeit des regelmäßig gerasterten Continuous Monument manifestiert, dessen bereinigte Oberfläche und Neutralität die endlose Weite von Himmel und Landschaft spiegeln und das sich so selbst unsichtbar macht. Schon Fumihiko Make hatte in seiner grundlegenden Definition der Megastruktur deren Anverwandlung an landschaftliche Formationen hervorgehoben.27 Die Formalisierung wird im Text zu Discorsi per immagini eher beiläufig als Konsequenz der globalen Uniformierung begründet, wie sie ohnehin durch Technologie und Kultur vonstatten gehe und die nichts anderes als Imperialismus sei.28 Relativ freimütig wird in dieser auf den ersten Blick bloß affirmierenden Haltung doch der eigene Imperialismus offengelegt, der dem Continuous Monument in seiner rigorosen Landnahme und seinem kulturimperialistisch-hegemonialen Sendungsbewusstsein inhärent ist, so dass sich dessen Anspruch relativiert. Zugleich wird die allumfassende Formalisierung in einer Sequenz des Storyboards als Streben nach Klarheit und Verwirklichung der reinen Vernunft deklariert, zu deren vollkommenstem Ausdruck das Raster bzw. der Würfel stilisiert werden. Dies geschieht in einem transhistorischen Verweisgeflecht unter Berufung auf eine allgemeine Ideengeschichte der Geometrie elementarer Körper, die das Vermessen mithilfe von Gitterlinien als eine rationalisierende Weltsicht zur Erzeugung distinkter Einheiten favorisiert. Als Synthese stehen am Ende Würfel und Raster, die wieder jenes einheitsstiftende Symbol liefern, auf das sich das Monument traditionell gründet. Zweiter Referenzhorizont ist die Architekturgeschichte des Rationalismus seit der Aufklärung, dem Enlightenment (Abb. 17, Bild 33-40), dessen Lichtmetaphorik ironisierend mit der Lichtwerdung über der uranfänglichen Wüste in der Schöpfungsgeschichte amalgamiert wird: Dieses aufge27 | Vgl. Fumihiko Maki: »Investigations on Collective Forms« (1964), zit. n. R. Banham: Megastructure, S. 8. 28 | Vgl. den Text zu Discorsi per immagini, engl. in: P. Lang/W. Menking: Superstudio, S. 122. »[…], we move towards the ›continuous monument‹: a form of architecture all equally emerging from a single continuous environment: the world rendered uniform by technology, culture and all the other inevitable forms of imperialism.«
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Abbildung 18: Superstudio, Histograms, 1969 Quelle: P. Lang/W. Menking: Superstudio, S. 107. hende Licht lässt sowohl phantasmagorische »Traum-Architektur«29 entstehen, sobald es sich zum Pop Ambiente glühender Neonröhren transformiert, als auch Monumente des technischen und sozialutopischen Fortschritts wie den Kristallpalast, die »Falansterien« oder die heroischen Bauten der Moderne sichtbar werden. Kulminationspunkt ist nicht von ungefähr Étienne-Louis Boullées Newton-Kenotaph als paradigmatisches Monument eines Rationalismus, der sich noch mit dem Kosmischen zu versöhnen versteht und dabei die symbolkräftige Wirkung von Elementarformen reaktiviert. So verschränkt sich bei Superstudio ein hochgradig idiosynkratischer Gründungsmythos der neuen bzw. »wiederzuentdeckenden«,30 d.h. geschichtszugewandten 29 | Dieses und die nachfolgenden Stichworte werden explizit im Text des Storyboards genannt: »When the sun goes down, the tubes begin to glow intermittently, and the flashes of light images of dream architecture appear, radiant horizons with a wisp of smoke, free time, maisons pour le week-end, images of happiness through architecture, airy buildings, ordered cities, green spaces ... . In the growing light, one can see the monuments of science and technology (the Crystal Palace) and utopias (Falanstery, ... New Harmony, Philadelphia) and the heroic buildings of the age of rationalism (Weissenhof, Bauhaus, Ville Radieuse): ... .«, wiederabgedruckt bei M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 274. 30 | Vgl. den Text zu Discorsi per immagini in Domus 481 (1969), wiederabgedruckt bei M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 262, in engl. Übersetzung bei P. Lang/W. Mengking: Superstudio, S. 122: »We believe in
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Abbildung 19: Superstudio, Histograms, 1969 Quelle: P. Lang/W. Menking: Superstudio, S. 108. Architektur mit dem Hohen Lied auf die elementar-geometrische Vernunft als harmonische Weltordnung. Dies ist aus dem Modernismus nur allzu vertraut, wird hier allerdings mit mythologischen und damit deutlich karikierenden Zügen unterlegt. Wiederholt wird die Architekturvision von Superstudio in den Texten als »Reich der Vernunft«31 und als Ausgeburt allumfassender Ordnung angesprochen. Entsprechend ist auch ihr Verständnis des Monuments über die angesprochene Kultfunktion und monolithische bzw. seriellkontinuierliche Gestalt hinaus spezifiziert: Monumente wie die Vorhalle
a future of ›rediscovered architecture‹, in a future in which architecture will regain its full power, abandoning all ambiguity of design and appearing as the only alternative to nature.« 31 | Der Rekurs auf die Vernunft ist zentral sowohl für den Text zu Discorsi per immagini wie für das Storyboard. Dort ist zum einen – ironisch gebrochen – von einer »journey into the realms of reason« (Bild 29, M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 274), zum anderen von »architecture« als »understanding of the world and knowledge of oneself« (Bild 64, ebd., S. 276) die Rede.
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des Erechtheion (Abb. 13) oder der Palazzo Pitti sind in dieser Sicht gekennzeichnet als Architekturen formaler Ordnung, die die rationale Ordnung der Gesellschaft widerspiegeln. Und die in der Größe anpassbaren Rasterfelder vermögen mit ihrem Gitterwerk das Gliederungssystem dieser Bauwerke prägnant zum Vorschein zu bringen, auch wenn das Continuous Monument selbst auf solche differenzierte Binnengliederung verzichtet. Jegliches Ordnungsgefüge des Gliederbaus wird auf eine letztlich modulare Systemlogik zurückgeführt, wie umgekehrt die würfelförmigen Modulbausteine des Continuous Monument im Storyboard als Resultat von Zergliederung bzw. Teilung eines uranfänglichen Blocks präsentiert werden (Abb. 17, Bild 25-28). Das Raster als geistige Abstraktion, die jede körperhafte Architektur schlussendlich in eine plane Oberfläche bannt, und der demgegenüber archaisch-monolithische, monumenthafte Kultstein oder Würfel stehen daher nicht antithetisch gegeneinander. Schon in den vorbereitenden Histograms von 1969 (Abb. 18) zeigt sich, dass die basalen Volumen im Grunde nichts als Auffaltungen eines Rasterpapiers und ins Dreidimensionale erweiterte Diagramme32 sind. Geschichte reduziert sich in diesen Histograms zu einer zugleich evolutionären und reversiblen Formentwicklung, die sich am besten diagrammatisch darstellen lässt. Wie in diesem Musterkatalog angedeutet, erlaubt das Raster als Einheitsdesign die quasi automatische Erzeugung aller möglichen Gebilde, was Superstudio als Designer in die konkrete Dinglichkeit von Mobiliar umsetzen und was gleichzeitig die Notwendigkeit professioneller architektonischer Gestaltung tendenziell überflüssig macht. Auch die Teile des Blocks, der sich in immer kleinere Würfel zergliedert, tragen eine solche generische Systemlogik in sich. In diesem Sinn ist das Raster zunächst einmal Werkzeug, wie es ein bereits in die Länge gezogenes, verräumlichtes Grundmodul als Körperextension veranschaulicht (Abb. 19). Umgekehrt mag die Verschmelzung von Stab und Hand zu einer einzigen Geste andeuten, dass es sich um eine autonome, erst- bzw. letztgültige Setzung handelt.
32 | So heißt es in einem rückblickenden Text von 1972, in engl. Übersetzung wiederabgedruckt in P. Lang/W. Menking: Superstudio, S. 114: »We prepared a catalogue of three-dimensional, non-continuous diagrams, a catalogue of architectural histograms with reference to a grid interchangeable into different areas or scales for the construction of a serene and immobile Nature in which finally to recognize ourselves.«
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Entsprechend werden im Storyboard Geschichten von Steinen, die vom Himmel fallen, und Würfeln, die aus Wolken geboren werden, imaginiert (Abb. 17, Bild 19-21). Hier wird die gerade nicht fließend-kontinuierliche, sondern immobile Qualität des Blocks als in sich ruhende, abgeschlossene Entität, kurzum als monumentales Monument, bedeutsam. Als schwarze Würfel sind die Bodenstation der Nasa und die Kaaba vereint, die selbst durch die hinzugefügte, ironisch-minimalistische Untergliederung (Abb. 16, 17, Bild 69) nicht entzaubert wird. Gleichzeitig kann das Vertical Assembly Building, das Banham wegen der »singleness of function and image« gerade als Gegenteil einer Megastruktur wertet,33 in einen Kontext mit dem linearen Continuous Monument gestellt werden. Ausgerechnet das Raster, dem die Modernismuskritik den Kampf angesagt hatte, um an dessen Stelle komplexere Megastrukturen zu entwickeln, mutiert bei Superstudio am Endpunkt der Architektur mit seinen isotropen, maximal anpassungsfähigen Eigenschaften zur Megastruktur par excellence. Dies allerdings nur um den Preis, durch die Hintertür den abstrakt-kartesianischen Raum wieder einzuführen, der bei aller Ironie des gesamten Projektes und trotz des betont spielerisch-nomadischen Lebens als ultimative Umgebungskunst ein unerbittliches Regime ausübt. Marie Theres Stauffer liest Superstudios Visionen dementsprechend als ironisch-kritisches Kenntlichmachen des Ist-Zustandes und nicht als Zukunftsentwurf.34
33 | Vgl. R. Banham: Megastructure, S. 7. »Megastructures in their time were all large buildings – but not all large buildings of the time were megastructures. If there is a single large work that marked this distinction, it was the Vertical Assembly Building at Cape Canaveral, Florida […]. Though it contained the largest single room ever built by men – big enough to contain its own whether as well as fully assembled space rockets upright on their transporters – the scholarly query as to whether it was a megastructure always brought the baffled but decisive answer ›No‹.« 34 | Vgl. M.T. Stauffer: »Kritik der reinen Struktur«, in: Ausst. Kat., Megastructure reloaded (2008), S. 193 sowie M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 20.
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D IE R ÜCKKEHR DES K OLOSSALEN INS S TADTBILD – C L AES O LDENBURGS P ROPOSALS FOR C OLOSSAL M ONUMENTS Parallel zu den Megastrukturen und ihren Ausläufern und Übersteigerungen in den 1970er Jahren, denen Monumentalität und megalomane Größe zur Neudefinition von Architektur als totale Lebensumwelt dienen, ist ein Seitenblick auf die Skulptur der 1960er Jahre aufschlussreich. Dort wird Monumentalisierung ebenfalls als eine Strategie genutzt, um Skulptur wieder gezielt im urbanen Kontext zu integrieren. Auf der einen Seite bedienen sich also architektonische Großformen der Gestaltqualitäten von Objekten, Maschinen, Geräten etc. – man denke neben Superstudios Stadt als endloses Brückenmonument an die noch einprägsameren Beispiele wie Hans Holleins Flugzeugträgerstadt aus den 1960er Jahren (Abb. 20, 21). Auf der anderen Seite wird die Objekthaftigkeit auch für die Skulptur wichtig, die sich umgekehrt an Architektur zu orientieren beginnt. Dass dies nicht nur auf dem Weg des Minimalismus und der Reduktion auf stereometrische Kuben bzw. selbstbezügliche Objekte geschieht, belegt das Werk von Claes Oldenburg aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Ähnlich wie Megastrukturen mitunter Maschinen auf die Größe von Gebäude bringen,35 wird bei Oldenburgs Strom-Adapter als Haus (Abb. 22) das Ding nicht nur zum Monument vergrößert, sondern sogar in Architektur verwandelt. Archigrams Vorstellung der Wohneinheit als Plug-in erscheint damit buchstäblich Ding geworden und entgegen der offenen Struktur eines Plug-in-Systems in dieser Dinghaftigkeit monumentalisiert. Oldenburgs Fixierung auf Konsumobjekte bekundet eine anti-modernistische PopHaltung, von der auch Superstudio und Archizoom (Abb. 23) beeinflusst waren. Der Umschwung in die Askese eines Lebens ohne Objekte in der Supersurface aber ist ihm fremd. In der unmittelbaren Nachkriegszeit musste Monumentalität auch und gerade in der Skulptur unweigerlich diskreditiert erscheinen, so dass neben Mahnmalen und singulär-figürlichen Menschenbildern unhierarchische, vielteilig abstrakte Gebilde dominierten und Skulptur am ehesten als dienende Kunst am Bau die Verbindung zu Architektur und Lebenswelt suchte. Manche Museumsstücke wurden einfach maßstabsvergrößert in den Stadtraum transferiert, wo sich 35 | R. Banham: Megastructure, S. 17-25. Er nimmt u.a. Holleins Flugzeugerträgerstadt als Beispiel und nennt sie »a powerful megasilhouette«, S. 21.
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Abbildung 20: Hans Hollein, Flugzeugträgerstadt in Landschaft, 1964 Quelle: Ausst. Kat. Schirn Kunsthalle, Frankfurt a.M./Matilda McQuaid, Visionen und Utopien. Architekturzeichnungen aus dem Museum of Modern Art, New York/London u.a. 2003, S. 146-147.
Abbildung 21: Claes Oldenburg, Proposed Colossal Monument for Lower East Side, NYC: Ironing Board, 1965 Quelle: Claes Oldenburg: Proposals for Monuments and Buildings 1965-69, Chicago 1969, S. 53.
Abbildung 22: Claes Oldenburg, Building in the Form of an English Extension Plug, 1967 Quelle: C. Oldenburg: Proposals for Monuments and Buildings, S. 115.
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Abbildung 23: Archizoom, Fotomontaggio urbano: Utopia della qualità, 1968-1969 Quelle: M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 50. abstrakt-autonome Skulpturen dann nicht selten als Drop-Sculptures ohne Beziehung zur Umgebung wiederfanden. Dass sich die Maßstabsverschiebung auch anders einsetzen lässt, führt Oldenburg mit seinen Proposals for Colossal Monuments ab 1965 vor: Monumentalisierung wird als eine Möglichkeit begriffen, Skulptur auch im Stadtraum nicht länger als autonomes Werk zu isolieren, sondern einen Konnex zur städtischen Umgebung wiederzugewinnen, indem Skulptur selbst auf eine städtebauliche Dimension gebracht wird. Ausgangspunkt von Oldenburgs Kolossalskulpturen sind deswegen nicht zufällig Skizzen, die deren Einbettung in die Stadtsilhouette bildhaft imaginieren (Abb. 21). Sicherlich wird die Rückkehr zu kolossalen Ausmaßen dadurch erleichtert, dass es sich um eine in sich gebrochene Monumentalität handelt. Schließlich werden gerade anti-monumentale, alltäglich-banale Dinge zu Monumenten aufgeblasen. Diesen Monumentalformen sind die Inversion und damit die Ironisierung der alten Würdeformeln unübersehbar eingeschrieben. Sofern Oldenburg Konsumartikel des modernen Haushalts zu Monumenten erhebt, erfährt der Stadtraum eine Art Verhäuslichung. Mit der Monumentalisierung geht demnach
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Abbildung 24: Claes Oldenburg, Proposed Colossal Monument for Central Park NYC: Moving Pool Balls, 1967 Quelle: C. Oldenburg: Proposals for Monuments and Buildings, S. 111. teilweise der gegenläufige Effekt einer Miniaturisierung der Stadt einher: Explizit spricht Oldenburg von seiner Stadt New York als seinem Zimmer bzw. seiner Spielwiese, die er mit Lieblingsdingen und sogar mit Spielzeug bestückt.36 Abgesehen von gigantischen Teddybären aber bringt diese großmaßstäbliche Sicht auch neue Ansätze hervor, wie Skulptur die Stadt zu ihrem Terrain macht und Raum in die Anlage der Skulptur miteinbezogen wird. Hier liegt der Gedanke an die bekannten überdimensionierten Billardkugeln nahe (Abb. 24). Die situationistische Idee der Stadt als Spielambiente (Abb. 25) scheint darin nochmals auf. Nur erwächst es hier nicht aus einer künstlichen Umgebungskonstruktion, sondern definiert die vorhandene Lebenswelt der Stadt in diesem Sinne um und reibt sich dabei an der Realität. Dementsprechend hat Oldenburg ähnliche Kugeln nicht nur für parkähnliche, per se eher spielerische Frei- und Grünflächen projektiert. In einer anderen Skizze rollen übergroße Kugeln in der zentralperspektivischen Straßenflucht der Park Avenue direkt auf den Betrachter zu. Unmissverständlich zeigt sich damit der durchaus bedrohliche Cha36 | Paul Carroll: »The Poetry of Scale. Interview with Claes Oldenburg« (1968), in: Claes Oldenburg, Proposals for Monuments and Buildings 1965-69, Chicago 1969, S. 11-36, hier S. 16: »New York was my favorite ›room‹, my main plaything. I made toys for it, my city of cities.«
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Abbildung 25: Constant, Ambiance du Jeu (Spielgelände), 1956 Quelle: Ausst. Kat.: Constant – New-Babylon (1964), Abb. 4. rakter, der den Dingen zu Eigen ist, sobald sie nicht mehr handlich und den Menschen untertan sind. Solch eine Konnotation begründet Oldenburg beinahe ortsspezifisch, insofern Straßen mit ihrem großstädtischen Verkehr ähnlich menschenbedrohlich wirken. Hiermit setzt der Künstler seine Vorstellung vom »monument as obstacle«37 um, das eben nicht nur Räume kanalisiert und zentriert, sondern ebenso als Hindernis verstopft. Auch dies ist ein überaus situationistischer Gedanke. Gleichzeitig können die Billardkugeln als Musterbeispiel dafür gelten, wie stark das skulpturale Denken bei Oldenburg trotz aller ostentativen Gegenständlichkeit von der Form her bestimmt ist. So reduziert er Alltagsobjekte auf das in ihnen verborgene symmetrisch-geometrische Formvokabular und arbeitet bevorzugt mit Elementarformen. Die Floatings Balls (1967), die als mobile und verzeitlichte Monumente den Tidenhub der Themse dank ihrer monumentalen Größe gut sichtbar im Stadtbild anzeigen, sind dann eben nicht nur von WC-Schwimmern inspiriert. In der gezeichneten Frontalansicht wird deutlich, warum Oldenburg auch Boullée und Claude-Nicolas Ledoux als Inspirationsquellen angibt38 und wie er die höchst profane Dinglichkeit mit einer sublimen Sonnen-Symbolik überblendet. Bei aller Profanisierung sind Oldenburgs zeitgenössische Kolossalskulpturen nicht einfach Negationen von klassischen Denkmälern. Sie treten vielmehr teils buchstäblich an deren Stelle und entstehen somit in durchaus ernsthafter Auseinandersetzung mit deren Monumentcharakter. Das bekannte Lippenstift-Monument ist u.a. für den 37 | Ebd., S. 25. 38 | Vgl. ebd., S. 14.
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Londoner Piccadilly-Circus projektiert worden, wo es die allegorische Statue des Eros ersetzen sollte. Und der Steuerknüppel, den Oldenburg anstelle des Nelson-Denkmals am Trafalgar Square39 zu errichten plante, greift durch Formanalogie die Senkrechte des Säulenmonuments auf und weiß diese Würdeformel zugleich signifikant in Schieflage zu bringen. Ganz abgesehen davon sind die ausgewählten Ersatz-Objekte nicht einfach Anti-Monumente, sondern verfügen unbestreitbar über affektiven Symbolwert als Ikonen von Technik, Konsum und modernem Lebensstil, der sie ebenfalls zu mythischen Objekten, wenn auch des Alltags, macht. Anstatt die standfest-repräsentative Vertikale zu betonen, aktiviert Oldenburg mit den Billardkugeln Strömungslinien der städtischen Dynamik, lässt säulenähnliche Monumente bedrohlich kippen oder einen Autoscheibenwischer auf städtische Parklandschaften niederfahren (Abb. 26). Zumal wenn Oldenburg derart zur Großdimension der Stadtsilhouette bzw. zu wichtigen Prospekten übergeht und den Himmel über der Stadt mit dem gigantischen Scheibenwischer als Teil des Stadtbildes sichtbar macht, versteht man, dass er mit seinen kolossalen Monumenten vor allem darauf zielt, die Stadt bildhaft neu zu komponieren. Als wichtigster Prospekt der Stadt hat sich in der Moderne die Skyline herausgebildet. In ihr nehmen selbst die eher abstrakt-nüchternen, in ihrer Höhe unanschaulichen Rasterarchitekturen der Wolkenkratzer zusammengenommen doch bildhaften Signet-Charakter und Symbolwert für die Stadt an. Paradigmatisch kann Superstudios Vision des New New York veranschaulichen, wie das Continuous Monument als neue Stadt mit seinen klar orthogonalen Strukturen perfekt als Rahmung funktioniert, die die alte Stadt als Bild (ein)fasst. Diese bildhafte Ansicht kommt, wenn nicht in den zahlreichen Schrägaufsichten auf das neue New York aus der Perspektive der Planer, so überdeutlich in einer Collage (Abb. 27) zum Ausdruck: Denn hier ist die dazugehörige Betrachterposition und Blickeinstellung gleich mit ins Bild gesetzt. Das alte New York mit seinen vertikal zentrumsmarkierenden Hochhäusern ist, zu einem großen Monument gebündelt (Abb. 30), selbst pittoresk geworden. Eingefriedet von den betont 39 | Für denselben Platz schlägt Oldenburg außerdem ein RückspiegelMonument vor: C. Oldenburg: Rear View Mirror in Place of Nelson’s Column, Trafalgar Square, London 1966 (Notebook Page), Abb. bei Éric Valentin: Claes Oldenburg, Coosje van Bruggen: Le grotesque contre le sacré, Paris 2009, S. 129.
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Abbildung 26: Claes Oldenburg, Proposed Colossal Monument for Grant Park, Chicago: Windshield Wiper (Foto-Montage), 1967 Quelle: C. Oldenburg: Proposals for Monuments and Buildings, S. 123.
Abbildung 27: Superstudio, Continuous Monument, New New York, 1969 Quelle: M.T. Stauffer: Figurationen des Utopischen, S. 58. horizontalen Bändern der neuen Bebauung, ist es nur noch für den touristischen Blick konserviert. Schon Oldenburg hat im Zusammenhang seiner zahlreichen Skizzen und bildhaften Ansichten zu den Proposals for Colossal Monuments darauf hingewiesen, dass die Stadt selbst schließlich ein altmodisch-traditionelles Konzept sei: Die Behandlung als Bild mit den traditionellen Mitteln der Komposition sei
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Abbildung 28: Claes Oldenburg, Proposal for Skyscraper for Michigan Avenue, Chicago, in the Form of Lorado Taft’s Sculpture »Death«, 1968 Quelle: C. Oldenburg: Proposals for Monuments and Buildings, S. 151.
Abbildung 29: Constant, New Babylon/Amsterdam, 1963 Quelle: M. van Schaik/O. MáÏel (Hg.): Exit Utopia (2005), S. 111.
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Abbildung 30: Superstudio, New York Redevelopment, Extension of Central Park, 1969 Quelle: P. Lang/W. Menking: Superstudio, S. 118.
Abbildung 31: Yona Friedman, Paris spatial: La Seine, la tour Eiffel, une structure suspendue, 1960 Quelle: Ausst. Kat. Ehemalige Staatliche Münze, Berlin: Megastructure reloaded. Visionäre Stadtentwürfe der sechziger Jahre reflektiert von zeitgenössischen Künstlern, hg. v. Sabrina van der Ley/Markus Richter, Ostfildern 2008, S. 119.
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Abbildung 32: Dan Graham, Pink Kitchen Trays In Discount House, Bayonne, N.J., 1966; Low Income Public Housing, Bronx, New York, 1967 Quelle: Ausst. Kat. Witte de With, Center for contemporary art, Rotterdam/ Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster/Whitney Museum of American Art, New York: Walker Evans & Dan Graham, hg. v. Jean-François Chevrier/Allan Sekula/Benjamin H.D. Buchloh, New York/ Rotterdam 1992, S. 169. ihr insofern nur angemessen.40 Wenn bei Superstudio nun die einst hochmoderne Hochhaus-Architektur der amerikanischen Metropole derart museal ausgestellt wird, ist die moderne Architektur eindeutig zum Monument und damit endgültig historisch geworden. Selbst die spätmodernen, in Binnenstruktur und als Baukörper wenig differenzierten Hochhäuser mit ihren gesichtslosen Rasterfassaden zeigen schließlich eine Affinität zum Monument. Dafür spricht nicht nur die in diesen Himmelsarchitekturen fortlebende Turmsymbolik. Abgesehen von ihrer monumentalen Vertikalität ist 40 | P. Carroll: »The Poetry of Scale«, in: C. Oldenburg, Proposals for Monuments and Buildings (1969), S. 20: »Proposing monuments is like composing with a city. [...] Restoring esthetic balance like this is an old-fashioned idea; but then, an city is an old-fashioned painting.«
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Abbildung 33: Dan Graham, Two-Way Mirror Glass Office Building, Los Angeles, Ca., 1975; View Through Office Building, Toronto, Ontario, Canada, 1976 Quelle: Ausst. Kat.: Walker Evans & Dan Graham (1992), S. 166. ihnen mitunter eine Gestaltqualität zu Eigen, die sie weiter mit Monumenten und Denkmälern vergleichbar macht. Diese nicht allein formale Analogie hat Oldenburg wiederum beschäftigt, wenn er zwei Chicagoer Hochhausbauten, das Hancock und das Playboy Building, mit einer figurativen Sepulkralskulptur von Loredo Taft überblendet (Abb. 28)41: Die Analogie schließt also sogar eine anthropomorphe Gestalthaftigkeit und die Memorialfunktion von Toten-Monumenten ein, die – wie dann bei Superstudio – im Unterschied zu Mumfords Verdikt gegen eine solche mortifizierende, anti-moderne Stasis nicht länger negiert wird. Schon Constants Pläne zu New Babylon haben trotz ihres Bruchs mit der Vergangenheit mitunter, wie im Fall von Amsterdam (Abb. 29), auf historische Stadtstrukturen Rücksicht genommen. Während sich die Sektoren den konzentrischen Ringen der Grachtenstadt strukturell anpassen, legen sich die Bänder des Continuous Monument als monumentales Koordinatenkreuz über den selbst rasterähnlichen Grundriss von New York und widmen die restliche alte Stadt zum Park um (Abb. 30). Nur Downtown Manhattan wird wie ein nostalgisches Reservat der Historie ausgespart. Auch in einer Version von Yona Friedmans Ville Spatiale über Paris (Abb. 31) präsentiert sich das 41 | Vgl. P. Carroll: »The Poetry of Scale«, in: C. Oldenburg, Proposals for Monuments and Buildings (1969), S. 23/24 u. S. 32/33 sowie zu dem Aspekt »Le gratte-ciel et la mort« auch É. Valentin: Claes Oldenburg, Coosje van Bruggen, S. 145-152.
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Abbildung 34: Thomas Struth, Tour Beaugrenelle, Beaugrenelle, Paris, 1980 Quelle: Ausst. Kat. Museum Bochum/Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig: Ansicht, Aussicht, Einsicht. Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff, Thomas Struth. Architekturphotographie, hg. v. Monika Steinhauser in Zusammenarbeit mit Ludger Derenthal, Düsseldorf 2000, S. 71. offene Tragwerk als Rahmen, der anstelle von individuell-modularen Wohneinheiten Fragmente historischer Baudenkmäler einfasst. Dieses Beispiel stützt nicht nur die Beobachtung, dass die Stadtutopien der 1960/70er Jahre Monumente der Vergangenheit partiell durchaus einbeziehen und ihren Erinnerungswert reflektieren. Es führt sogar das Raster der Megastruktur als geeignetes System einer solchen musealen Archivierung vor. Drei abschließende Positionen mögen diesen Wandel nochmals schlaglichtartig aus der Perspektive der Kunst beleuchten: Dan Graham zielt in seinen Fotografien von Hochhaus-Architekturen aus den 1960/70er Jahren noch vorwiegend auf die Kritik der modernistischen, letztlich nur camouflierenden und separierenden Transparenz sowie auf die ebenso falsche Egalität von Modul- und Rasterbauweise ab (Abb. 32, 33). Bei Thomas Struth und Isa Genzken hingegen zeigt sich seit den 1980/90er Jahren ein verändertes Bild: Hier erscheinen die Tour Beaugrenelle (Abb. 34) und generalisierte Hochhausbauten (Abb. 35)
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Abbildung 35: Isa Genzken, New Buildings for Berlin 4, 2001 Quelle: Ausst. Kat. documenta/Museum Fridericianum, Kassel: Document 11, Plattform 5, Ostfildern-Ruit 2002, S. 299. in Bild und Skulptur wieder deutlich monolithisch als Monumente der (post)modernen Architektur. Insbesondere die Fotografie neigt in der zeitgenössischen Kunst häufig der Architekturfotografie zu. David Campany sieht diese Tendenz darin begründet, dass die Fotografie im Wettlauf mit den neueren Medien ihr altes Paradigma des Moments verloren und in nun bewusster Nachzeitigkeit gegen das des Monuments eingetauscht hat.42 Zugleich mag darin eine Erklärung für die auffallende Affinität von Fotografie und Modellbau liegen. Aus dem Rückblick auf Allianzen von Kunst und Architektur in den 1960/70er Jahren haben sich einige Hinweise darauf ergeben, warum ausgerechnet die Architektur zum Brennpunkt der derzeitigen Moderne-Reflexion in der Kunst werden konnte. Auch wenn herausragende Merkmale moderner Architektur, wie ihre Gleichförmigkeit, Unanschaulichkeit und weitgehende Gestaltlosigkeit der Ausbildung von Monumenten und Monumentalität eigentlich entgegenstehen, bietet sie doch verschiedene Ansatzpunkte für die Neuinterpretation als 42 | Vgl. David Campany: Photography and Cinema, London 2008, S. 44.
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Monument. Im Rekurs auf ein gleich doppelt prekäres, architektonischskulpturales Monument-Konzept ist es möglich, den derzeitigen Status der unwiederbringlich verlorenen, ihrer Utopien wegen aber weiter faszinierenden Moderne, kurz der Moderne als Mythos, in bildlich intakter, monumenthaft entrückter Weise zu reflektieren. Dieser Ausblick auf die aktuelle Re-Inszenierung der Moderne als Architekturmonument eröffnet aber ein neues Thema.
Robert Smithsons Reiseberichte: Nicht-Orte und die Überreste der Monumente Samantha Schramm
Zwischen 1967 und 1969 unternahm Robert Smithson Exkursionen nach Passaic, New Jersey und zur mexikanischen Halbinsel Yucatán, deren Eindrücke er in den Reiseberichten Fahrt zu den Monumenten von Passaic, New Jersey und Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatán verarbeitete. Smithsons Reiseberichte und die während den Exkursionen entstandenen Bilder verdeutlichen sein Verständnis der Monumente. In Passaic bezeichnet Smithson jene Objekte als Monumente, die als industrielle Überreste oder als unfertige, geplante Bauvorhaben auf die Zukunft hinweisen. Auf seiner Reise durch Yucatán sind es die Ruinen der Kulturen der Azteken und Maya, die zwar als Mythen präsent sind, jedoch nicht gezeigt werden und vielmehr eine abwesende Vergangenheit repräsentieren. Smithsons Interesse gilt nicht den Monumenten an sich, sondern er beschäftigt sich mit den Überresten der Monumente und ihren Bildern, indem die Fotografie eine entscheidende Rolle bei der Konzeption und der Wahrnehmung der Projekte spielt. Seine Reiseberichte sind konzeptuelle Hybride von Texten, Bildern und Filmen.1 Die Fotografie hat für Smithson eine wichtige Funktion, indem sie als Bildmedium seine Wahrnehmung der Monumente seinem Publikum vermittelt und damit neue Rezeptions1 | Robert Sobieszek bezeichnet Smithsons Arbeiten folgerichtig als »pictoideophotographic-filmic text«. Robert Sobieszek: »Smithson and Photography«, in: Ausst. Kat. Los Angeles County Museum of Art, Robert Smithson. Photo Works, Albuquerque 1993, S. 16-18, hier S. 16.
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möglichkeiten schafft. Bereits Walter Benjamin hat in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935) die Möglichkeiten der Fotografie zur Distribution des Originals hervorgehoben: »[Die technische Reproduktion] kann, beispielsweise, in der Photographie Aspekte des Originals hervorheben, die nur der verstellbaren und ihren Blickpunkt willkürlich wählenden Linse, nicht aber dem menschlichen Auge zugänglich sind […] Sie kann zudem […] das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. Vor allem macht sie ihm möglich, dem Aufnehmenden entgegenzukommen […] Die Kathedrale verläßt ihren Platz, um in das Studio des Kunstfreudes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exekutiert wurde, läßt sich in einem Zimmer vernehmen.« 2
Die Bilder lösen für Benjamin die Objekte nicht nur aus ihrer Tradition, aus ihren rituellen und öffentlichen Funktionen heraus, sondern reproduzieren und vervielfältigen sie. Damit sind die Kategorien von Originalität und Authentizität nicht mehr anwendbar, sondern vielmehr die der Reproduktion und Distribution. Smithsons Reiseberichte zeigen die Möglichkeiten der Reproduktionen als transportable Trägermedien. Zum einen sind seine Bilder und Beschreibungen zum Ort der Rezeption ortsspezifischer Projekte geworden, zum anderen entsprechen Smithsons Bildtheorien seiner Auffassung von Monumenten. Ausgehend von seinen auf den Reisen entstandenen Fotografien kritisiert er, wie gezeigt werden soll, die Verweisfunktion der Fotografie, indem er die Reproduktionen zu leeren Überresten stilisiert und damit letztendlich auch die Bedeutung der Monumente dekonstruiert.
D IE Ü BERRESTE DER M ONUMENTE : FAHRT ZU DEN M ONUMENTEN VON PASSAIC »Was gibt es in Passaic zu sehen, das es nicht auch in Paris, London oder Rom gibt? Sehen sie selbst! Entdecken Sie (wenn Sie es wagen) den atemberaubenden Passaic River und die zeitlosen Monumente an seinen bezaubernden Ufern. Fahren Sie mit Rent-a-Car-Komfort in das Land, das die Zeit vergessen
2 | Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 2003, S. 12-13.
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hat. Nur wenige Minuten von New York. Robert Smithson führt Sie zu dieser berühmten Serie von Orten […] vergessen Sie Ihre Kamera nicht!« 3
Smithsons erster Reisebericht A Tour of the Monuments of Passaic, New Jersey4 geht zurück auf seine Exkursion nach Passaic am 30. September 1967 und wurde im Dezember 1967 in Artforum veröffentlicht.5 In diesem Essay beschreibt Smithson die Bilder, die ihm in Passaic begegnen, und nennt seine fotografischen Aufzeichnungen Monumente. Der Begriff des Monuments ist dabei nicht zufällig gewählt, denn Smithsons Wahrnehmung von Passaic entstand in Auseinandersetzung mit den römischen Ruinen und Monumenten, die er während einer Reise nach Rom im Jahr 1961 besichtigt hatte: »Die Rückkehr nach Passaic ist […] insofern eine Rückkehr nach Rom, als dessen mythische und symbolische Dimension wie durch eine monströse Anamorphose auf den Ballungsraum New Jersey projiziert
3 | Robert Smithson: »Besuchen Sie die Monumente von Passaic, New Jersey« (1967), in: Eva Schmidt/Kai Vöckler (Hg.), Robert Smithson. Gesammelte Schriften, Köln 2000, S. 67-102, hier S. 102. 4 | Im Folgenden wird der deutsche Titel Fahrt zu den Monumenten von Passaic verwendet. 5 | Smithsons Bericht seiner Fahrt nach Passaic geht der Aufsatz »The Crystal Land« voraus, der in Auseinandersetzung mit dem Besuch eines Steinbruchs in New Jersey stand und den Smithson im Mai 1966 in Harper’s Bazaar veröffentlichte. Vgl. R. Smithson: »Das Kristall-Land« (1966), in: E. Schmidt/ K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 25-26, hier S. 26. Smithsons Exkursionen in Passaic können auch als Hommage an William Carlos Williams’ Gedicht über die in New Jersey gelegene Stadt Paterson aufgefasst werden. Smithson hatte Williams zwischen 1958 und 1959 in Rutherford besucht: »Es war die Gegend um Paterson, in der ich soviel mit Steinbrüchen zu tun hatte [...] Und die spielen natürlich eine große Rolle in Paterson. Als ich das Gedicht las, hat mich das interessiert, vor allem die Stelle, in der all die Erdschichten unter Paterson aufgezählt werden. Das ist eine Art proto-konzeptueller Kunst, könnte man sagen. Später schrieb ich über Passaic, einer Stadt am Passaic River, südlich von Paterson. In gewisser Hinsicht beschreibt er dieses ganze Gebiet. Williams hatte ein Gespür für diese spezielle Landschaft in New Jersey. [Herv. i.O.]« R. Smithson zit. n. »Interview mit Robert Smithson für die Archives of American Art/Smithsonian Institution« (1972), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 274-296, hier S. 287.
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wird.«6 Passaic, das Jean-Pierre Criqui auch als »postmodernes Rom einer Zivilisation«7 bezeichnet, ist der Ort von Smithsons Kindheit und wird zum Experimentierfeld seiner Orts- und Bildkonzeptionen. Der Aufsatz Fahrt zu den Monumenten von Passaic ist als Reisebericht aufgebaut, in dessen Zentrum Smithsons Beschreibung seiner Wahrnehmung der Orte steht.8 Zunächst beginnt der Bericht mit der Busfahrt von New York nach Passaic. Als Smithson das erste Monument, eine Brücke über dem Passaic River (Abb. 1), erblickt, verlässt er den Bus und taucht in die Wahrnehmung des Ortes ein. Er bewegt sich dabei zu Fuß durch Passaic und schildert seine Seheindrücke.9 Die von Smithson ausgewählten Monumente in Passaic sind keine Zeugnisse vergangener Kulturen, sondern scheinbar belanglose industrielle Überreste oder Ruinen von unabgeschlossenen oder zukünftigen Bauvorhaben, welchen der Künstler durch den Titel den Status von Monumenten zuschreibt. Dabei untergräbt er den Begriff des Monuments indem dieses nicht als kulturelles Objekte aufgefasst wird, das an bestimmte Ereignisse erinnert. Vielmehr könnte in Smithsons Essay alles durch die Bezeichnung zum Monument ernannt werden. Denn erst durch seinen Verweis auf die einzelnen Monumente in seinen Beschrei-
6 | Jean-Pierre Criqui: »Umgekehrte Ruinen. Einführung zu Robert Smithsons Fahrt zu den Monumenten von Passaic«, in: Trivium 1 (2008), http://trivium. revues.org/index364.html vom 09.10.2009. Smithsons Aufsatz wurde zunächst unter dem Titel »The Monuments of Passaic. Has Passaic replaced Rome as the Eternal City?«, durch den Smithson bereits auf den Vergleich zwischen Passaic und Rom anspielt, in Artforum veröffentlicht. Vgl. R. Smithson: »The Monuments of Passaic. Has Passaic replaced Rome as the Eternal City?«, in: Artforum 4 (1967), S. 48-51. 7 | J.-P. Criqui: »Umgekehrte Ruinen«, in: Trivium 1 (2008), http://trivium. revues.org/index364.html vom 09.10.2009. 8 | Bereits Lawrence Alloway bezeichnet Smithsons Projekt als eine Art Reiseführer, der Überlegungen zur Zeit und den Monumenten beinhaltet. Vgl. L. Alloway: »Robert Smithson’s Development«, in: Artforum 11 (1972), S. 5261, hier S. 58. 9 | Auch wenn Smithson in Passaic an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt, ist es nicht die Erinnerung an die Vergangenheit, die den Aufsatz prägt, vielmehr bewegt sich Smithson als Tourist durch den urbanen Raum von Passaic. Zum Verhältnis von Tourismus und urbanem Raum vgl. Martin Selby: Understanding Urban Tourism: Image, Culture and Experience, London 2004.
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Abbildung 1: Robert Smithson, Das Brücken-Monument, Blick auf den hölzernen Fußweg, 1967 Quelle: Ausst. Kat. Museum of Contemporary Art, Los Angeles/Dallas Museum of Art/Whitney Museum of American Art, New York: Robert Smithson, Berkeley, Calif./London 2004, S. 134. bungen und Fotografien wird den Objekten der Status von Monumenten zugeschrieben. Die Fahrt zu den Monumenten von Passaic zeigt zugleich Smithsons Verhältnis zur Medialität und Bildhaftigkeit des Urbanen. Doch werden die im urbanen Raum sichtbaren Elemente – Straßen, Parkplätze, Rohrleitungen oder begonnene Bauabschnitte – nicht als visualisierte Metaphern oder Bildlandschaften, die Imagination erzeugen, verstanden.10 Smithsons Beschreibungen und Fotografien in Passaic zeichnen sich durch die augenscheinliche Beliebigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Gezeigten aus. Durch den Verzicht auf das Imaginäre wird die Abwesenheit des Ortes deutlich.11 10 | Zur Imagination im urbanen Raum vgl. Alev Cinar: Urban Imaginaries. Locating the Modern City, Minneapolis 2007; Sallie Westwood: Imagining Cities. Scripts, Signs, Memory, London 1997. 11 | R. Sobieszek bezieht sich auf die Abkehr von Smithsons Fotografien von der Tradition der Landschaftsfotografie, indem er anführt, dass Smithson nicht von außerhalb auf den Ort blickt, sondern sich innerhalb der Landschaft
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N ICHT -O RTE Die von Smithson in Passaic ausgewählten Orte können auch als NichtOrte bezeichnet werden. Edward Relph unterscheidet in Place and Placelessnes zwischen der persönlichen Erfahrung an einem Ort und der abstrakten Wahrnehmung von außerhalb. Sich innerhalb eines Ortes zu befinden heiße zu ihm zu gehören, sich mit ihm zu identifizieren und dem Ort damit seine Authentizität zu verleihen. Im Gegensatz dazu bedeute die Sicht von außen auf einen Ort eine Entfremdung des Ortes: »An inauthentic attitude to place is essentially no sense of place, for it involves no awareness of the deep and symbolic significance of places and no appreciation of their identities.«12 Diese so genannte unauthentische Auffassung der Orte werde vorwiegend medial vermittelt: »An inauthentic attitude towards places is transmitted through a number of processes, or perhaps more accurately, ›media‹, which directly or indirectly encourage ›placelessness‹.«13 In ähnlicher Weise charakterisiert Marc Augé die Orte moderner Zivilisation als so genannte Nicht-Orte, die sich durch ihre Flüchtigkeit, Mobilität und Austauschbarkeit auszeichnen:14 »Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit.«15 Die Nicht-Orte wiesen keinen Bezug zur Geschichte auf und seien weder identitätsstiftend noch beziehungsstifpositioniert: »Traditional landscape photographers tend to view the landscape from a vantage point exterior to the scene and are customarily satisfied with one or perhaps a few highly selected, tightly framed views that represent the landscape’s entirety. Smithson explored landscapes with his Instamatic in a far more radical manner; instead of simply photographing landscapes from a external position, he was much more prone to placing himself inside them, picturing them from within, looking through them to other sections, and focusing ever inward on their details.« R. Sobieszek: »Sequences, Absorption, and the Infinite Camera«, in: Ausst. Kat., Robert Smithson. Photo Works (1993), S. 28-32, hier S. 32. Allerdings übersieht Sobieszek Smithsons Gleichgültigkeit gegenüber dem Gezeigten und die augenscheinliche Belanglosigkeit seiner Fotografien. 12 | Edward Relph: Place and Placelessnes, London 1976, S. 82. 13 | Ebd., S. 90. 14 | Vgl. Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, übers. v. Michael Bischoff, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1994. 15 | Ebd., S. 121.
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tend. Vielmehr besäßen sie spezielle Zugangsregeln und zeichneten sich durch eine eigene Form der Kommunikation aus. Während Relph und Augé sich mit dem Begriff der Nicht-Orte insbesondere auf die Massenkommunikation, den Tourismus und die Musealisierung von Orten beziehen, verwendet Smithson den Begriff der non-sites nicht für den Ort an sich, sondern für die Galerieinstallationen und fotografischen Reproduktionen, die auf einen Ort verweisen. Dennoch erscheinen die von Smithson in Passaic ausgesuchten Orte als Nicht-Orte wie Augé sie definiert hat, die weder Vergangenheit noch Identität besitzen. Der Land Artist vertritt eine weitgehend pessimistische Auffassung der Monumente von Passaic, die als industrielle Versatzstücke weder eine Vergangenheit noch eine wirkliche Zukunft besitzen. Erst der Blick durch die Kameralinse prägt Smithsons Blick auf die Monumente und schreibt den einzelnen Objekten den Status von Monumenten zu. Für die Bedeutung der Monumente erscheint es dementsprechend notwendig, die Eigen- und Wirkungslogiken der medialen Träger, die sie repräsentieren, zu untersuchen.
D IE B EDEUTUNG DER F OTOGR AFIE FÜR DIE M ONUMENTE VON P ASSAIC Smithsons Fotografien von Passaic sind ein entscheidender Aspekt für die Wahrnehmung der Monumente und die Konzeption der Orte geworden.16 Der Künstler bevorzugt Schwarz-Weiß-Fotografien in Schnappschussqualität, die häufig unscharf, überbelichtet oder schlecht entwickelt sind.17 Ihre Bedeutung liegt vorwiegend darin, dass sie (scheinbar) auf ein Objekt verweisen. Auf seinem Weg durch Passaic ist Smithsons Blick auf die jeweiligen Monumente die meiste Zeit durch die Schnappschuss-Kamera, seine Instamatic 400, gerichtet. Bereits bei dem Brücken-Monument (Abb. 1) weißt er auf die Bedeutung der Kamera für seine Wahrnehmung 16 | R. Sobieszek bezieht sich auf die Bedeutung der Kamera für Smithsons »Fahrt zu den Monumenten von Passaic«, allerdings ohne bildtheoretische Überlegungen mit einzubeziehen. Vgl. R. Sobieszek: »Sequences, Absorption, and the Infinite Camera«, in: Ausst. Kat., Robert Smithson. Photo Works (1993), S. 28-32. 17 | Ann Reynolds: Robert Smithson. Learning from New Jersey and Elsewhere, Cambridge, Mass./London 2003, S.110.
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Abbildung 2: Robert Smithson, Das Sandkasten-Monument (Die Wüste), 1967 Quelle: Ann Reynolds: Robert Smithson: Learning from New Jersey and Elsewhere, Cambridge, Mass./London 2003, S. 119. des Monuments hin: »Ich war völlig beherrscht von der Instamatic (oder was die Rationalisten eine Kamera nennen). Die glasige Luft von New Jersey definierte die Strukturteile des Monuments, während ich Schnappschuss um Schnappschuss machte.«18 Smithson geht davon aus, dass das Monument bereits selbst als Bild erscheint, noch bevor er es mit seiner Kamera einfängt: »Der mittägliche Sonnenschein kinoisierte den Ort, verwandelte Brücke und Fluß in ein überbelichtetes Bild. Das mit meiner Instamatic 400 zu fotografieren war wie eine Fotografie zu fotografieren. Die Sonne wurde zu einer gigantischen Lampe, die eine Serie von einzelnen ›Stills‹ durch die Instamatic in mein Auge projizierte. [Herv. i.O.]« 19
Smithson adressiert das Gesehene als Bild und stellt damit die Hierarchie zwischen Objekt und Repräsentation infrage: »If reality itself 18 | R. Smithson: »Fahrt zu den Monumenten von Passaic« (1967), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 98. 19 | Ebd.
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appears to be already constituted as image, then the hierarchy of object and representation […] is collapsed.«20 Indem Smithson den Ort als Bild bezeichnet, rechnet er mit dem Mythos ab, dass Fotografien die Kontrolle über ein Objekt ermöglichen und es zugänglicher für das Bewusstsein machen würden: »Smithson deflates the myth that photographs are a means of gaining mastery and control over objects, of rendering them more accessible to consciousness […] he raises serious doubts about their capacity to convey anything but a sense of loss, of absence. [Herv. i.O.]«21 Bei der Betrachtung der Fotografien bleibt lediglich das Gefühl der Abwesenheit des Objektes zurück. Das letzte Monument in Passaic ist ein Sandkasten (Abb. 2), den Smithson in seinem Essay in Verbindung zur Vergessenheit des Ortes bringt und der damit Aufschluss über Smithsons Auffassung von den Überresten der Fotografie gibt: »Unter dem toten Nachmittagslicht von Passaic wurde die Wüste zu einer Landkarte des unendlichen Zerfalls und Vergessens […] Jedes Sandkorn war eine tote Metapher der Zeitlosigkeit, und durch die Entzifferung dieser Metaphern käme man auf die andere Seite des falschen Spiegels der Ewigkeit. Dieser Sandkasten war in gewisser Weise zugleich auch ein offenes Grab – ein Grab, in dem Kinder ihre fröhlichen Spiele spielen.« 22
Smithson bezieht das Sand-Box-Monument nicht nur auf Tod, Zerfall und Vergessenheit, sondern auch auf die Fotografie, denn der Sandkasten dient Smithson als Ausgangspunkt für die Erläuterung eines entropischen Prozesses: »Ich würde jetzt gerne mit einem trivialen Experiment zum Nachweis der Entropie die Irreversibilität der Ewigkeit beweisen. Stellen Sie sich vor Ihrem geistigen Auge vor, daß dieser Sandkasten jeweils zur Hälfte auf der einen Seite mit weißem Sand und auf der anderen Seite mit schwarzem Sand gefüllt wäre. Nun nehmen wir ein Kind und lassen es einige hundert mal im Uhrzeigersinn durch den Sandkasten laufen, bis der Sand sich vermischt und grau wird; danach lassen wir es gegen den Uhrzeigersinn laufen, was aber nicht 20 | Craig Owens: »Photography en abyme«, in: October 5 (1978), S. 73-88, hier S. 88. 21 | Ebd., S. 86. 22 | R. Smithson: »Fahrten zu den Monumenten von Passaic« (1967), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 101-102.
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zur Wiederherstellung der ursprünglichen Teilung führen wird, sondern zur Vermehrung des Graus und zur Zunahme der Entropie.« 23
Dieses Beispiel für Entropie steht in Bezug zum Verdunkeln des lichtempfindlichen Fotopapiers und verweist auf Smithsons Konzept der Irreversibilität des fotografischen Prozesses. Nachdem die Fotografie aufgenommen wurde, wird die Bedeutung des Bildes in Bezug auf das Objekt sowie der fotografische Akt der Aufnahme zunehmend ungewiss. Smithson geht sogar davon aus, dass ein Riss zwischen dem, was dagewesen ist, und dem, was in den Bildern sichtbar bleibt, entstehe. Dementsprechend untergräbt er den Bezug zwischen der Fotografie und dem Objekt, das von der Kamera festgehalten wurde. Den Hintergrund zu Smithsons Umgang mit den Reproduktionen bildet die Debatte um die Indexikalität der Fotografie. Durch den indexikalischen Bezug zu ihrem Gegenstand wird die Fotografie gemeinhin als technisches Dispositiv verstanden, das abbildlich strukturiert ist. Nach Charles S. Peirce steht ein Index für sein Objekt »kraft einer wirklichen Verbindung mit ihm oder weil es den Geist dazu zwingt, sich mit diesem Objekt zu befassen.«24 Anstelle einer ikonischen Ähnlichkeit zwischen zeichenhaftem Bild und seinem Gegenstand treten die Begriffe der Spur oder des Abdrucks, die auf die physische Beziehung zwischen dem Zeichen und seinem Referenten hinweisen. Die Fotografie bezeugt die Existenz des Objektes, so dass sich nicht leugnen lässt, »daß die Sache dagewesen ist. [Herv. i.O.]«25 In der Kunsttheorie der 1960er Jahre wird die Bedeutung der Indexikalität der Fotografie allgemein hervorgehoben. Rosalind Krauss bezeichnet die Orte der Land Art als markierte Orte und bezieht sich dabei nicht allein auf die physischen Manipulationen, sondern auch auf »andere Formen des Markierens. Diese können durch das Anbringen temporärer Markierungen vorgenommen werden […] oder durch die Verwendung von Fotografie.«26 In Bezug auf Peirce definiert Krauss 23 | Ebd., S. 102. 24 | Charles S. Peirce: Semiotische Schriften, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1986, S. 206. 25 | Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, übers. v. Dietrich Leube, Frankfurt a.M. 1989, S. 86. 26 | Rosalind Krauss: »Skulptur im erweiterten Feld«, in: Herta Wolf (Hg.), Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam/ Dresden 2000, S. 331-346, hier S. 343.
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die Fotografie sowohl im Sinne einer Ähnlichkeit also auch als physischen Abdruck des Gegenstands oder Objekts: »Die Fotografie ist also eine Form des Ikons, d.h. einer visuellen Ähnlichkeit, die eine indexikalische Beziehung zu ihrem Gegenstand hat.«27 Als Besonderheit der Fotografie gilt der durch das technische Dispositiv bedingte Wirklichkeitsbezug.28 Die automatische Entstehung der Fotografie und die physische Beziehung zu ihrem Referenten galt lange Zeit als Garant für die Objektivität der Fotografie: »Welche kritischen Einwände wir auch immer haben mögen, wir sind gezwungen, an die Existenz des repräsentierten Objekts zu glauben, des tatsächlich re-präsentierten, das heißt, des in Zeit und Raum präsent gewordenen. Die Fotografie profitiert aus der Übertragung der Realität des Objektes auf seine Reproduktion.«29 In der Theorie der Fotografie wird die Indexikalität auf widersprüchliche Weise charakterisiert. Einerseits wird sie immer wieder betont, andererseits aber darauf hingewiesen, dass die Fotografien die Wirklichkeit nicht neutral abbilden.30 27 | R. Krauss: »Anmerkungen zum Index. Teil 1«, in: H. Wolf (Hg.), Die Originalität der Avantgarde (2000), S. 249-264, hier S. 257. Peirce spricht auch von der Ähnlichkeit der Fotografie mit ihrem Gegenstand, die davon abhängig ist, »daß Photographien unter Bedingungen entstehen, die sie physisch dazu zwingen, Punkt für Punkt dem Original zu entsprechen.« C.S. Peirce: Semiotische Schriften, S. 193. 28 | Auch in der neueren Fototheorie wird die Indexikalität der Fotografie hervorgehoben. Beispielsweise betont Philippe Dubois die Referenz der Fotografie und ihre Bedeutung für die Bilderfahrung: »Das Foto gilt als eine Art notwendiger und zugleich ausreichender Beweis, der unzweifelhaft die Existenz dessen, was er zu sehen gibt, bezeugt.« P. Dubois: »Der Fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv«, in: H. Wolf (Hg.), Schriftenreihe zur Geschichte und Theorie der Fotografie, Bd. 1, Amsterdam 1998, S. 29. 29 | André Bazin: »Ontologie des fotografischen Bildes«, in: Ders., Was ist Kino? Bausteine zu einer Theorie des Films, Köln 1975, S. 21-27, hier S. 24. 30 | Martina Dobbe hat folgerichtig darauf hingewiesen, dass die Indexikalität unter gleichzeitiger Relativierung des neutralen Abbildungsverhältnisses besonders in den Bildwissenschaften betont wird: »Paradox scheint dieser Ausgangspunkt deshalb, weil eben die Tatsache der Abbildlichkeit der Fotografie für die philosophisch geprägte Bildwissenschaft stets nur der erste Hinweis auf die mittlerweile fast unisono vertretene Einsicht ist, das Abbildlichkeit/ Ähnlichkeit keine hinreichende Bedingung darstellt.« M. Dobbe: »Perspective Corrections. Die konzeptuelle Fotografie im Spannungsfeld von Kunstgeschichte
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Mit seinen fotografischen Strategien kritisiert Smithson die Debatte um die Indexikalität der Fotografie, indem er die Referenz der Fotografie verunklärt. Darüber hinaus stellt er die Frage, was von den Monumenten übrig bleibt, wenn das Gesehene bereits als Bild erscheint. Smithsons Wahrnehmung von Passaic handelt von der Zeit, in der er die Monumente als umgekehrte Ruinen, die in der Zukunft existieren könnten, beschreibt: »Dieses Null-Panorama war offenbar voller umgekehrter Ruinen – die hier einmal hingesetzt werden würden. Umgekehrte Ruinen sind das Gegenteil von ›romantischen Ruinen‹, denn diese Bauten zerfallen nicht in Trümmer, nachdem sie gebaut wurden, sondern erheben sich zu Trümmern, bevor sie gebaut werden. Diese anti-romantische Inszenierung verweist auf die diskreditierte Idee der Zeit und viele andere ›veraltete‹ Dinge. Aber in den Vorstädten gibt es keine rationale Vergangenheit und keine großen historischen Ereignisse. Es gibt vielleicht ein paar Statuen, eine Inschrift oder einige Sehenswürdigkeiten, aber keine Vergangenheit – nur das, was als die Zukunft gilt. [Herv. i.O.]« 31
Die Monumente von Passaic werden zu Erinnerungsspuren einer verlassenen Zukunft: »Passaic scheint voller ›Löcher‹ zu sein […] und diese Löcher sind gewissermaßen die Leerstellen, die unbeabsichtigt die Erinnerungsspuren einer verlassenen Zukunft nachzeichnen. Eine Zukunft, wie man sie in zweitklassigen Science-Fiction-Filmen findet und wie sie dann in den Vorstädten imitiert wird.«32 Durch diese Verkehrung der zeitlichen Dimension, indem die Monumente nicht die Vergangenheit repräsentieren, sondern auf die Zukunft verweisen, revidiert Smithson auch den Status der Indexikalität der Fotografie. Indem das Bild nicht als Erinnerung an eine Vergangenheit gesehen wird, sondern sich als Ruine auf eine Zukunft bezieht, wird auch Barthes Diktum »Es-ist-so-gewesen«,33 das er als das Noema der Fotografie bezeichnet, in Frage gestellt.
und Bildwissenschaft«, in: Dies., Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte, Paderborn/München 2007, S. 231-256, hier S. 234. 31 | R. Smithson: »Fahrten zu den Monumenten von Passaic« (1967), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 100. 32 | Ebd. 33 | R. Barthes: Die helle Kammer, S. 87.
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Smithson zufolge haben die Monumente von Passaic weder eine Vergangenheit noch eine wirkliche Zukunft. Sie scheinen vielmehr in einem Zustand der Zeitlosigkeit zu verharren: »Dann ging ich zurück nach Passaic, oder war es das Jenseits? Soweit ich das ausmachen konnte, hätte diese einförmige Vorstadt auch eine plumpe Ewigkeit sein können, ein billiger Abklatsch der Stadt der Unsterblichen. [Herv. i.O.]«34 Durch die scheinbare Belanglosigkeit der Fotografien – in Passaic könnte eigentlich alles als Monument bezeichnet werden, sofern es Smithson als solches ausweist – wird auch die Bedeutung der Monumente dekonstruiert. Smithsons Projekte zeichnen sich letztendlich durch einen Zustand der Indifferenz und der Lethargie aus, der auch im Ton seines Aufsatzes mitschwingt. Die Monumente von Passaic zeigen das, was noch nicht ist und zugleich schon vergangen ist, da es möglicherweise nie sein wird. Von den beschriebenen und fotografierten Monumenten waren bereits 1973, wie Lawrence Alloway bemerkte, lediglich die Brücke und der Sandkasten erhalten.35 Die meisten der Monumente sind dementsprechend ausschließlich durch die Fotografien von Smithson erhalten, die selbst zu fragwürdigen Überresten geworden sind.
34 | R. Smithson: »Fahrten zu den Monumenten von Passaic« (1967), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 101. Philip Ursprung vertritt die These, dass Smithsons Arbeiten der mittleren 1960er Jahre sowie seine Reiseberichte von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Minimal Art geprägt sind, indem beispielsweise Smithsons Betonung der zeitlosen Gegenwärtigkeit von Passaic als ironischer Kommentar auf die Gegenwärtigkeit der Minimal Art gelesen werden kann. Vgl. P. Ursprung: Grenzen der Kunst. Allan Kaprow und das Happening, Robert Smithson und die Land Art, München 2003, S. 211 f., hier besonders S. 234. 35 | Vgl. L. Alloway: »Robert Smithson’s Development«, in: Ders., Topics in American Art Since 1945, New York 1975, S. 229.
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D IE V ERSE T ZUNG DER F OTOGR AFIE : D IE M IRROR D ISPLACEMENTS IN Y UCATÁN »Die Erinnerung an das, was nicht ist, kann besser sein als das Vergessen dessen, was ist.« 36
Zwei Jahre nach seinem Reisebericht zu den Monumenten von Passaic veröffentlicht Smithson den Aufsatz Incidents of Mirror-Travel in Yucatan,37 in dem er seine Reise durch Mexiko sowie die neun SpiegelInstallationen, die an unterschiedlichen Orten in Yucatán ausgeführt und vor Ort fotografiert wurden, beschreibt.38 Smithsons Essay wurde vorwiegend in Bezug zur Geschichte, Anthropologie und Kultur der Maya und Azteken untersucht, das Verhältnis zur Smithsons Auffassung der Fotografie wurde bisher vernachlässigt.39 Trotz der Tatsache, dass die Monumente von Passaic und die Mirror Displacements im Kontext von Reisefotografien ausgeführt wurden, unterscheiden sich die Produktion und die Funktion der Bilder voneinander. Während Smithson in Passaic in der Umgebung existierende Objekte – die Monumente – fotografiert, zeigen die Fotografien der Mirror Displacements den Blick auf seine Spiegel-Installationen in Yucatán. Smithson fotografiert nicht, was sich bereits dort befindet, sondern arrangiert die Spiegel, deren Installation er dann mit seiner 36 | R. Smithson: »Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan« (1969a), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 144-154, hier S. 153. 37 | Im Folgenden wird der deutsche Titel Begebenheiten auf einer SpiegelReise in Yucatan verwendet. 38 | Die Bedeutung des Textes von Smithson für das Konzept der Mirror Displacements betont Robert Linsley: »[T]he article became another piece of art of glances presented in the canonical form of the review but enriched by its articulation with other literary genres.« R. Linsley: »Mirror Travel in the Yucatán: Robert Smithson, Michael Fried, and the New Critical Drama«, in: Anthropology and Aesthetics 37 (2000), S. 7-30, hier S. 10. 39 | Vgl. Rebecca Anne Butterfield: Colonizing the Past. Archaic References and the Archaeological Paradigm in Contemporary American Earth Art, Dissertation, University of Pennsylvania 1998, S. 14-83; Jennifer L. Roberts: Mirror Travels. Robert Smithson and History, New Haven/London 2004; J.L. Roberts: »Landscapes of Indifference. Robert Smithson and John Lloyd Stephens in Yucatán«, in: The Art Bulletin 82 (2000), S. 544-567.
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Kamera festhält. Die eigentlichen, in der Nähe der Spiegel-Installationen gelegenen Monumente, die Ruinen der Maya und Azteken, bleiben dagegen unsichtbar. Die Fotografien der Mirror Displacements zeigen die Verteilung der Spiegel an den neun unterschiedlichen Orten in Yucatán. Dabei wählt Smithson für jedes Bild einen anderen Blickwinkel der Kamera. Dennoch haben die Fotografien in erster Linie keinen dokumentarischen Charakter, indem sie etwa Auskunft über die topologischen Gegebenheiten des Ortes geben würden. Vielmehr erscheinen einige der Fotografien eher wie abstrakte Farbfelder. Die teilweise im Erdboden oder in Bäumen angebrachten Spiegel reflektieren das Licht des Himmels, das in den meisten, nach oben gewendeten Fotografien fast weiß erscheint. Der Betrachter der Fotografie erfährt eine Bildverdoppelung, indem die Reflexion im Spiegel durch die Kamera als rechteckiges Bild in der fotografischen Aufnahme eingefangen wird. Doch weit über die bloße Text-Illustration hinaus, transportieren die Fotografien ihre eigene Bedeutung, denn zuweilen erlebt der Leser des Essays einen Bruch zwischen Smithsons Text und den beigefügten Bildern. Im Folgenden sollen die spezifische Bedeutung des Mediums der Fotografie, ihr Bezug zu den archäologischen Stätten der Azteken und Maya sowie zu den ortsspezifischen Installationen anhand von Smithsons Text und anhand der beigefügten Bilder erläutert werden.
D IE M Y THEN DER F OTOGR AFIE Auf einer Karte von Yucatán (Abb. 3), die Smithson seinem Essay hinzugefügt hat, sind alle neun Orte der Spiegelinstallationen markiert. Sie befinden sich in der Nähe von historischen Orten der Maya und Azteken, darunter die bekannten Ruinen von Palenque und Uxmal. Smithsons Projekt in Yucatán kann als Revision der archäologischen Untersuchungen John Lloyd Stephens’ gesehen werden, der die Ruinen der Maya im 19. Jahrhundert untersucht hatte.40 Während Stephens die Erschließung der Ruinen anstrebt, vermittelt Smithsons Konzept vielmehr ihre Unsichtbarkeit. Zwar sind die Mythen der Maya und 40 | Mit seinem Projekt in Yucatán bezieht sich Smithson auf Stephens Buch Incidents of Travel in Yucatán von 1843. Zu Smithsons Bezügen zu dem Reisebericht von Stephens siehe J.L. Roberts: Mirror Travels, S. 87-98; R.E. Butterfield: Colonizing the Past, S. 51-60.
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Abbildung 3: Robert Smithson, Die Gebiete der neun Spiegelverschiebungen, 1969 Quelle: Robert Smithson: »Incidents of Mirror-Travel in the Yucatan« in: Artforum VIII (September 1969), S. 28-33, hier S. 28. Azteken präsent, die Ruinen ihrer Bauten werden von Smithson aber bewusst ausgeklammert. Zu Beginn seines Aufsatzes zitiert der Künstler eine Passage aus dem letzten Kapitel aus Das wilde Denken von Claude Lévi-Strauss: »Das wilde Denken ist seinem Wesen nach zeitlos; es will die Welt zugleich als synchronische und diachronische Totalität erfassen, und die Erkenntnis, die es daraus gewinnt, ähnelt derjenigen, wie sie Spiegel bieten, die an einander gegenüberliegenden Wänden hängen und sich gegenseitig (sowie die Gegenstände in dem Raum, der sie trennt) spiegeln, ohne aber exakt parallel zu sein.« 41
Der Vergleich von wildem Denken und einander gegenüberliegenden Spiegeln – die leicht voneinander versetzt sind – bezieht sich auch auf Smithsons dialektisches Konzept von Spiegelungen, in dem die 41 | R. Smithson: »Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan« (1969a), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 144-154, hier S. 144. Vgl. auch C. Lévi-Strauss: Das wilde Denken, Frankfurt a.M. 1968, S. 302-303.
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Spiegel am Ort ein Bild reflektieren, das durch die Fotografien eingefangen wird. Doch kann sich der Betrachter nicht sicher sein, ob das, was auf den Fotografien sichtbar ist, auch der Wahrnehmung des Ortes entsprochen hätte. Vielmehr geht Smithson von einer Differenz aus zwischen dem, was dagewesen ist, und dem, was in der zurückbleibenden Fotografie sichtbar ist. Darüber hinaus verbindet er die Konzeption der Fotografien mit den Mythen der Maya und Azteken und versteht die Kamera als ein Instrument, das seine eigene Macht über das Objekt ausübt. Zwischen den Beschreibungen der einzelnen Spiegel-Installationen und den Hinweisen auf die Geschichte Yucatáns erscheinen in Smithsons Bericht Götter aus den Mythen der Maya und Azteken.42 Der aztekische Gott Tezcatlipoca hat eine besondere Bedeutung für ihn. Der Name Tezcatlipoca bedeuteutet Rauchender Spiegel und bezieht sich auf einen magischen Spiegel, auf den Seher starren bis sie in Trance fallen und dabei im Spiegel die Zukunft sehen. Smithson sah sich selbst als Personifikation von Tezcatlipoca, dessen Erfahrungen ihn auf seiner Reise durch Yucatán begleiten sollten.43 In seinem Essay erscheint Tezcatlipoca zum ersten Mal auf der Autofahrt: »Im Rückspiegel erschien Tezcatlipoca – der Demiurg des ›rauchenden Spiegels‹. ›Alle diese Bücher sind nutzlos‹, sagte Tezcatlipoca. ›Du musst dich dem Zufall anvertrauen, wie die ersten Maya; du läufst Gefahr, dich im Dschungel zu verirren, aber nur so kann man Kunst machen‹.«44 Smithson setzt den Spiegel von Tezcatlipoca in Beziehung zu seinen Spiegeln, die den Ort reflektieren und durch die Fotografie repräsentiert werden. Darüber hinaus bezieht sich der Künstler in der Beschreibung seines Second Mirror Displacement (Abb. 4) explizit auf eine Verbindung von Tezcatlipoca und den Fotografien der Mirror Displacements, indem er von einer Warnung des Gottes vor der Tod bringenden Macht der Kamera berichtet: »In der Nähe einer kleinen Kalksteinwand wurden die Spiegel zwischen aufgehäufte Erdklumpen gesteckt und von oben aus fotografiert. Wieder sprach Tezcatlipoca: ›Denke daran, die Kamera ist ein tragbares Grab‹.«45 42 | Zur Verwendung der Götter der Maya und Azteken bei Smithson vgl. auch R.E. Butterfield: Colonizing the Past, S. 23-38. 43 | Vgl. A. Reynolds: Robert Smithson, S. 174. 44 | R. Smithson: »Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan« (1969a), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 145. 45 | Ebd., S. 146.
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Abbildung 4: Robert Smithson, Second Mirror Displacement, 1969 Quelle: Ausst. Kat. Los Angeles County Museum of Art: Robert Smithson. Photo Works, Albuquerque 1993, S. 130. In seinem Aufsatz Kunst durch das Kameraauge von 1971 bezeichnet Smithson sich als Künstler, der »seit vielen Jahren in der Wildnis der mechanischen Reproduktionen umherirrt« und nimmt eine ambivalente Haltung gegenüber der Kamera ein: »Kameras haben etwas Beängstigendes, denn sie sind imstande, viele Welten zu erfinden.«46 Smithson schreibt der Kamera quasi-magische Eigenschaften und eine Macht über das Objekt zu: »Eine Kamera ist in jedermanns Hand wild; daher muß man Grenzen setzen. Aber Kameras führen ihr eigenes Leben. Kameras kümmern sich nicht um Kulte und Ismen. Sie sind indifferente mechanische Augen, stets bereit, alles, was in Sichtweite kommt, zu verschlingen. Sie sind Linsen der unbegrenzten Reproduktionen. Man kann sie verabscheuen, weil sie, ähnlich wie Spiegel, imstande sind, unsere individuellen Erfahrungen zu duplizieren.«47
46 | R. Smithson: »Kunst durch das Kameraauge« (1971), in: E. Schmidt/ K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 170-173, hier S. 170. 47 | Ebd.
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Auch wenn sich Smithson auf die Fotografie als Apparat bezieht, der Bedeutung unabhängig von dem Objekt generiert, bleibt er gegenüber der Macht der Fotografie über das Objekt ambivalent. Trotz der Erwartungshaltung, die der Betrachter beim Lesen des Textes gegenüber den Fotografien entwickelt, sind die Bilder eher eine Enttäuschung hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Mirror Displacements und die Sichtbarkeit der Orte. In den meisten Fotografien ist selbst die Reflexion des Ortes in den Spiegeln nicht zu sehen. Trotz der Assoziationen und Bedeutungen, die Smithson ihnen in seinem Essay zuschreibt, sind die Fotografien zu leeren Überresten einer vergangenen Aktion geworden.
D ISPL ACEMENTS : D IE V ERSE T ZUNG DER F OTOGR AFIE Smithson nutzt in seinen Mirror Displacements die Möglichkeiten der Fotografie, auf den Ort zu verweisen und diesen in Form des rechteckigen Formates von der Umgebung abzutrennen: »Und meistens ergibt sich ein Rechteck, wenn man es mit der Kamera fokussiert. Die Zufälligkeit ist für mich immer ziemlich präzise, eine Art von Scharfstellen.«48 Der Künstler gibt allerdings bewusst keine klaren Aussagen über die Orte der Installationen und versetzt vielmehr den Ort der Fotografie. Obwohl er seine Mirror Displacements auf der Karte (Abb. 3) mit den Nummern eins bis neun versieht, ist es dennoch unmöglich zu sagen, an welchen Orten Smithson seine Installationen ausführte, denn der Maßstab der Karte von Yucatán ist zu groß um eine genaue Positionierung zu ermöglichen. In gleicher Weise bleiben Smithsons Beschreibungen der Orte seiner Installationen ungenau. Zum Beispiel wurde First Mirror Displacement (Abb. 5) »[i]rgendwo zwischen Umán und Muna«49 oder Second Mirror Displacement (Abb. 4) in »einem Vorort von Uxmal, das heißt nirgendwo«,50 realisiert. Smithson weißt damit nicht auf den Ort hin, sondern bevorzugt die Aura einer Ungewissheit für die wirklichen Begebenheiten und den Ort der Spiegel-Installationen. Er bemerkt in Bezug auf die Mirror Displacements, dass der Spiegel 48 | R. Smithson zit. n. »Fragmente einer Unterhaltung« (1969b), bearb. v. William C. Lipke, in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 228-230, hier S. 228. 49 | R. Smithson: »Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan« (1969a), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 145. 50 | Ebd., S. 146.
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Abbildung 5: Robert Smithson, First Mirror Displacement, 1969 Quelle: Ausst. Kat.: Robert Smithson. Photo Works (1993), S. 129. als »Versetzung, als Abstraktion« agiert, die den Ort in einer »sehr konkreten Weise« reflektiert.51 Darüber hinaus ist es auch die Fotografie, die an dem Prozess der Versetzung teilnimmt. Smithson versetzt nicht nur den Ort, sondern auch den Betrachter, der sich in dem Spiel von leeren Bezügen verliert und mit der Unmöglichkeit konfrontiert wird, seine Wahrnehmung mit dem fotografischen Raum in Übereinstimmung zu bringen. Denn Smithson konstruiert den Raum nicht vom Standpunkt eines möglichen Betrachters, sondern bevorzugt eine Vogelperspektive oder Froschperspektive. Darüber hinaus werden die Fotografien leicht durch die Tatsache verzerrt, dass in den meisten Fotografien kein eindeutiger Fluchtpunkt vorhanden ist. Stattdessen reflektieren die Spiegel den Fluchtpunkt und werfen ihn zurück auf den Betrachter. Die Fotografien der Mirror Displacements sind zu leeren Überresten geworden, die letztendlich ihre eigene Existenz verspotten: »Die gespenstischen fotografischen Überreste sind ausgezehrte Erinnerungen, eine scheinhafte Realität des Zerfalls.«52 51 | R. Smithson: »Fragmente einer Unterhaltung« (1969b), in: E. Schmidt/ K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 229. 52 | R. Smithson: »Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan« (1969a), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 150.
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Abbildung 6: Robert Smithson, Hotel Palenque, 1969 Quelle: Ausst. Kat.: Robert Smithson (1993), S. 112. Zentral für Smithsons Auffassung der Fotografie und ihren Bezug zu den Monumenten der Maya und Azteken ist das Bild eines Fensters des Hotel Palenque (Abb. 6), ein in ständigem Umbau befindliches Hotel in Palenque.53 Über diese Fotografie berichtet Smithson: »Hier haben wir eines der interessanteren Fenster im Hotel. Es gewährt Ausblick auf, […] man kann es eigentlich nicht richtig sehen, weil die Einheimischen das tropische Laufwerk (sic!) abbrennen, damit sie das Land bebauen können, und dabei steigen unglaubliche Rauchwolken auf […]. Aber wenn Sie durch den Nebel hindurchsehen könnten, würden Sie in der Ferne ein Bruchstück der Palenque-Ruinen erkennen, die Tempel, die Maya-Observatorien und andere Wunderwerke vorspanischer Indianer […]. Dieses Fenster hier gewährt eigentlich Ausblick auf die Dinge, derentwegen wir dorthin gegangen sind, aber Sie werden im Rahmen dieses Vortrags keinen solchen Tempel zu Gesicht bekommen.« 54 53 | Hotel Palenque wurde ursprünglich am 24. Januar 1972 an der Universität Utah vorgetragen. Der Vortrag, der erst in Smithsons Schriften zum ersten Mal publiziert wurde, weißt zahlreiche Anspielungen auf die Monumente der Maya und Azteken auf, ohne dass diese gezeigt werden. 54 | R. Smithson: »Hotel Palenque« (1972), in: E. Schmidt/K. Vöckler (Hg.), Robert Smithson (2000), S. 256-267, hier S. 258.
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Die Fotografie bezieht sich auf etwas, das gerade nicht sichtbar ist. In Smithsons Reiseberichten weisen die Fotografien nur vage auf die Orte hin und erscheinen als eingefrorene Bilder einer vergangenen Aktion oder beziehen sich auf vergessene Monumente.
D IE Ü BERRESTE DER F OTOGR AFIE UND DIE A BWESENHEIT DER O RTE Smithsons Reiseberichte handeln von der Zeit, oder genauer, von einem Zustand der Zeitlosigkeit, den er in seinen Essays beschreibt. Während die Reise zu den Monumenten von Passaic oder Hotel Palenque jene Monumente adressiert, die eine verlassene Zukunft aufweisen und sich bereits in der Gegenwart im Zustand des Zerfalls befinden, so fasst Smithson die Ruinen in Yucatán als Monumente einer vergessenen und mittlerweile sinnlos gewordenen Vergangenheit auf. Smithson löst diesen Widerspruch nicht auf, sondern verstärkt vielmehr das Konzept einer Zeitlosigkeit in seinen Reiseberichten. Dementsprechend oszillieren die Fotografien zwischen zeigen und nicht-zeigen, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen phänomenologischer Wahrnehmung und Konzept. Indem Smithson auf die leeren Überreste der Fotografien hinweist, versucht er ihren dokumentarischen Status und den Anspruch auf wahrheitsgetreue Repräsentation der Realität auszulöschen. Stattdessen entwickelt er Strategien der Versetzung der Fotografien, indem er die Frage nach der Vergessenheit der Fotografie und damit auch der Vergessenheit der Monumente stellt. Am Ende ist es die Abwesenheit des Ortes, die Smithson betont, indem er den Wahrheitsanspruch der Fotografie durch den Prozess der Abstraktion in den Mirror Displacements und durch die Verschleierung eines klaren Referenzpunktes der Monumente von Passaic dekonstruiert. Die urbanen Orte werden somit zu Nicht-Orten und zu vergessenen Monumenten, deren Bedeutung vielfach nicht oder nur bruchstückhaft erschlossen werden kann. Smithson geht davon aus, dass ein Riss zwischen dem dagewesenen und dem in den Bildern sichtbaren entsteht. Dementsprechend untergräbt er den Bezug zwischen der Fotografie und dem Objekt, das von der Kamera festgehalten wurde. Die Fotografien agieren als Bilder einer vergangenen Aktion oder eines verlassenen Monuments, deren Ortsbezug und Funktion vage geworden ist. Smithsons Fotografien sind damit nicht nur Überreste der Vergangen-
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heit, sondern sind auch zu leeren Metaphern geworden, die nur wenig Aufschluss über die vergangene Aktion oder die Monumente geben. Sie beziehen sich auf ein perzeptuelles anderswo und sind zu Zeugnissen erloschener Bedeutungen und der Abwesenheit des Ortes geworden.
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Gordon Matta-Clarks »non-uments« als Resonanzbildungen zum urbanen Raum Christian Hammes
Unter den Künstlern seiner Generation, die den Kunstdiskurs auf einen architektonischen und urbanistischen Diskurs hin öffneten, stellt Gordon Matta-Clark in gewisser Weise einen Sonderfall dar. Der Sohn des surrealistischen Malers Roberto Matta, der in den 1930er Jahren selbst in Le Corbusiers Atelier gearbeitet hatte, war ausgebildeter Architekt. Studiert hatte er von 1962 bis 1968 an der Cornell University. Diese Ausbildung zum Architekten unterscheidet ihn etwa von Dan Graham oder Robert Smithson, die wie Matta-Clark die Frage nach der kulturellen Position der Kunst durch und als eine Kritik gebauter Ideologie reflektierten. Und trotz Matta-Clarks wiederholt geäußerter Aversion gegen den Architekturunterricht und die dort vermittelte Vorstellung von Architektur, blieb diese während seiner gesamten Karriere eine, wenn nicht die durchgängige Bezugsgröße seines Schaffens. Am bekanntesten ist Matta-Clark für seine building cuts, in denen er bestehende Gebäude mit einfachen Mitteln auseinanderschnitt. In Arbeiten wie Splitting wandte sich Matta-Clark typischen Strukturen mit einer erkennbaren historischen und kulturellen Identität zu, die für eine unmittelbar verständliche soziale Form stehen konnten, den Lebens- und Wohnformen in der Vorstadt mit all ihren sozialen, ökonomischen und politischen Implikationen. Matta-Clark schnitt durch diese architektonischen Gemeinplätze, um einerseits die Vorstellung einer Gebrauchsbestimmtheit von Architektur aufzubrechen, andererseits um Architektur in eine Form von Skulptur zu transformieren, die man begehen konnte und die den Orientierungssinn der Rezipienten tiefgreifend störte. Auf diese Weise bezweckte er, eine Ambiguität in
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einem strukturellen oder räumlichen Zusammenhang zu generieren, die zugleich den Wahrnehmungsapparat der Rezipienten auf eine Probe stellte wie auch auf ein Bewusstmachen dessen zielte, welche manipulativen und sozial konditionierenden Momente sich auch und gerade in den, wie Matta-Clark sich ausdrückt, nonumentalen Gebäudetypen manifestieren, die er manipulierte.1 Das cutting-Verfahren war dabei nicht in erster Linie darauf angelegt, Modelle der Skulptur auf Architektur zu übertragen, sondern eher darauf, Skulpturen mit architektonischen Mitteln zu realisieren, um so beide Bereiche in einer Weise engzuführen, dass einerseits weder ein skulpturales Objekt entstand, anderseits die vorgefundene räumliche Situation und ihre strukturellen Komponenten so grundlegend modifiziert wurden, dass ihre herkömmliche architektonische Funktion fragwürdig werden musste. Dennoch funktionieren seine Arbeiten auch architektonisch, aber sie besetzen den Begriff der Funktion neu, indem sie durch das Suspendieren der gewohnten Funktionsweisen eines Gebäudes zugleich auch die Frage nach möglichen alternativen Verwendungsmöglichkeiten implizieren. Dies bringt Matta-Clarks Definition für den Unterschied zwischen Architektur und Skulptur zum Ausdruck: »One of my favourite definitions of the difference between architecture and sculpture is whether there is plumbing or not. So, although it is an incomplete definition, it puts the functionalist aspect of past due Machine Age Moralists where it belongs – down some well-executed drain. […] what I mean is that the very nature of my work with buildings takes issue with a functionalist attitude to the extent that this kind of self-righteous vocational responsibility has failed to question, or reexamine, the quality of life being serviced.« 2
In den building cuts verbindet Matta-Clark so einen Kunstdiskurs mit einem architektonischen Diskurs und darüber hinaus beide über den 1 | »I seek typical structures which have cer tain kinds of historical and cultural identities. But the kind of identity for which I am looking has to have a re cognizable social form. One of my concerns here is with the Non.u.mental, that is, an expression of the commonplace that might counter the grandeur and pomp of architectural structures and their self-glorifying clients.« Gordon Matta-Clark zit. n. Donald Wall: »Gordon Matta-Clark’s Building Dissections. An Interview by Donald Wall«, in: Corinne Diserens, Gordon Matta-Clark, London 2003, S. 181-186, hier S. 183. 2 | Ebd., S. 182.
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Begriff des Nonumentalen, als Ausdruck einer manifesten historischen, sozialen und kulturellen Identität, mit einem urbanistischen Diskurs. Während Anbindungsmöglichkeiten von Matta-Clarks künstlerischen Aktivitäten an unterschiedliche Kunsttraditionen und an urbanistische Debatten lange Zeit ein besonderes Interesse der Forschung bildeten,3 steht deren Positionierung in zeitgenössische architekturtheoretische Auseinandersetzungen erst in ihren Anfängen.4 Ziel dieses Aufsatzes ist es, anhand eines signifikanten Beispiels der künstlerischen Praxis Matta-Clarks, Überlegungen zu seiner Auseinandersetzung mit architektonischen Konzepten anzustellen, und dabei insbesondere auf Begriffe und Modelle einzugehen, die Matta-Clark während seines Studiums an der Cornell University vermittelt worden sein dürften, um verstehen zu können, wie er diese zu destabilisieren und umzudeuten versuchte. Im August 1974, in dem Jahr, in dem auch Splitting entstand, konnte Matta-Clark auf Einladung von Art Park, einer örtlichen Initiative für Kunst im öffentlichen Raum, ein Projekt in Niagara Falls durchführen, das unter dem Titel Bingo bekannt geworden ist (Abb. 1).5 Die lokalen 3 | Vor allem Bezüge zur Minimal Ar t, zur Land Art, aber auch zum Kubismus und Surrealismus sowie zur Situationistischen Internationale sind in der Forschung diskutiert worden. Vgl. exemplarisch Thomas Crow: »Gordon Matta-Clark«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 7-132 sowie Pamela M. Lee: Object to Be Destroyed. The Work of Gordon Matta-Clark, Cambridge, Mass./ London 2000. Zu einer Lesart, die Matta-Clark in den Kontext der Situationistischen Internationale stellt, siehe James Attlee: »The Matta-Clark Situation« in: Ders./Lisa Le Feuvre, Gordon Matta-Clark. The Space Between, Tucson/ Porchester 2003, S. 25-43. 4 | Vgl. Philip Ursprung: »Living Archaeology. Gordon Matta-Clark und das New York der 1970er-Jahre«, in: Sabine Folie (Hg.), Die Moderne als Ruine. Eine Archäologie der Gegenwart, Nürnberg 2009, S. 18-25, der Matta-Clarks Arbeiten vor dem Hintergrund der urbanen Krise im New York der 1970er Jahre und als radikale Kritik an der Idee architektonischer Autonomie liest, sowie grundlegend Anthony Vidler: »›Architecture-To-Be‹. Notes on Architecture in the Work of Matta and Gordon Matta-Clark«, in: Ausst. Kat. San Diego Museum of Art, Transmission. The Art of Matta and Gordon Matta-Clark, San Diego 2006, S. 59-73. Mein Dank gilt der Terra Foundation for American Art, die meine Recherchen in einer frühen Phase großzügig unterstützt hat. 5 | Alternative Projekttitel waren Bingo X Ninths, Been Gone By Ninth, Binggo. ne by Ninths and Days.
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Abbildung 1: Gordon Matta-Clark, Bin-go-ne by 1/9THS, 1974 Quelle: Ausst. Kat. Whitney Museum of American Ar t, New York: Gordon Matta-Clark. You are the measure, hg. v. Elisabeth Sussmann, New Haven/ London 2007, S. 117. Behörden genehmigten einen engen Zeitraum von zehn Tagen für eine künstlerische Intervention an einem zweigeschossigen, rot gestrichenen Gebäude, das Matta-Clark als »›typical‹ American small-town home that was to be demolished for urban-renewal«6 charakterisierte. Schritt für Schritt entfernte Matta-Clark – wie in einer Umkehrung des populären Lotteriespiels – quadratische Flächen aus der Fassade 6 | G. Matta-Clark: »The Earliest Cutout Works«, in: Gloria Moure (Hg.), Gordon Matta-Clark. Works and Collected Writings, Madrid 2006, S. 136-137, hier S. 136. Das ursprüngliche Vorhaben, die Fassadenteile in einer strikt sequentiellen Reihenfolge zu entfernen, musste aufgrund der technischen Komplexität des Unterfangens aufgegeben werden. Vgl. hierzu D. Wall: » Gordon Matta-Clark’s Building Dissections«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 184.
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Abbildung 2: Gordon Matta-Clark, Bingo, 1974 Quelle: Ausst. Kat.: Gordon Matta-Clark (2007), S. 211. des Hauses, die er zuvor in neun Felder unterteilt hatte, bis allein das mittlere Feld übrig war. Matta-Clarks Konzeption sah vor, dieses zentrale Feld stehen zu lassen und ein Pendant hierzu auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses herauszuschneiden; die herannahende Abbruchkolonne verhinderte diesen letzten Schritt des Projekts und damit die Komplettierung der Aktion. Die entnommenen Fassadenteile wurden in maßgefertigte Kisten verpackt und entgegen ersten Überlegungen, die Fassade in unmittelbarer Nähe wieder zu errichten, teilweise auf dem abschüssigen Gelände von Art Park wie Müll auf einer Deponie abgeladen, »to be gradually reclaimed by the Niagara River Gorge«7 (Abb. 2). Neben dieser entropischen Rückführung oder ›Vollendung‹ des Werks im Geiste Robert Smithsons gelangten drei weitere Teile als Ausstellungsstücke in die Galerie von John Gibson, wo sie im Herbst 1974 zusammen mit Fragmenten von Splitting ausgestellt wurden.
7 | G. Matta-Clark: »Bingo X Ninths«, in: G. Moure (Hg.), Gordon Matta-Clark (2006), S. 138.
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Bei Entropie handelt es sich um ein Schlüsselkonzept Smithsons. Dieser bezog es in Entropy and the New Monuments auf Kunsttendenzen der 1960er Jahre, vor allem auf die seriellen Arbeiten der Minimal Art. Darüber hinaus sah er in ihr eine aller Materie und allen Prozessen inhärente Eigenschaft, die er in seinen Arbeiten nicht illustrierte, sondern vielmehr als auflösende und nivellierende Kraft selbst als künstlerisches Material einsetzte. Konstruktion und Destruktion waren so bei Smithson untrennbar aufeinander verwiesen. Dies zeigt sich etwa in Smithsons Inversion des Ruinenbegriffs in seinen Monuments of Passaic: In den aktuellen, jedoch noch unabgeschlossenen Infrastrukturmaßnahmen der Kleinstadt Passaic erkannte er »ruins in reverse, that is […] the opposite of the ›romantic ruin‹ because the buildings don’t fall into ruin after they are built but rather rise into ruin before they are built. [Herv. i.O.]«8 Auf architektonischem Feld stellte Entropie für Smithson die unterdrückte Bedingung der Architektur dar, gegen die sich Architekten aufgrund ihrer Fokussierung auf eine auf Dauerhaftigkeit angelegte Struktur stemmen mussten. Diese Ausrichtung auf architektonische Beständigkeit entstammt für Smithson einem idealistischen Denken, welches die Rollen des Zufalls und der entropischen Desintegration als Gegenkräfte zum absichtsvoll Geplanten bewusst ausklammern musste.9 Architektur als Material oder Gegenstand künstlerischer Arbeit rückte bei Smithson jedoch erst relativ spät in den Fokus. Von einer Reise nach Mexiko brachte er 1969 Fotografien eines heruntergekommenen Hotels in Palenque mit, welches zu zerfallen schien und an dem gleichzeitig Um- und Neubauarbeiten vorgenommen wurden.10 Vor allem diese Doppelung von entropischem Verfall und konstruktiven Ansätzen an demselben Gebäude zog die Aufmerksamkeit Smithsons an sich. Hierin sah er eine Technik im Gang, die er mit dem Begriff
8 | Robert Smithson: »A Tour of the Monuments of Passaic, New Jersey«, in: Jack Flam (Hg.), Robert Smithson. The Collected Writings, Berkeley/Los Angeles 1996, S. 68-74, hier S. 72. 9 | Vgl. R. Smithson im Interview mit Alison Sky: »Entropy Made Visible«, in: J. Flam (Hg.), Robert Smithson (1996), S. 301-309. 10 | Smithson verwendete dieses Material einige Jahre später für seinen Diavortrag Hotel Palenque, den er vor Architekturstudenten hielt, die von ihm etwas über die Ruinen Yucatáns hören sollten, stattdessen aber eine minutiöse und gleichzeitig parodistische Analyse des Hotels geliefert bekamen.
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einer entropic architecture oder de-architecturization11 belegte. Für Partially Buried Woodshed ließ Smithson Erde von einem Kipplaster auf das Dach eines alten Holzschuppens am Rande des Campus der Kent State University ausladen bis der zentrale Balken des Schuppens angebrochen war. Dem Künstler kam es vor allem darauf an, dass das Gebäude zwar nicht in sich zusammenbrach, aber der Prozess des Zerfalls, der durch das Beladen mit Erde initiiert worden war, irreversibel war. Smithson wollte diesen Zustand gleichsam konservieren, indem er es im Schenkungsvertrag mit der Universität zur Bedingung machte, dass nichts an dem Gebäude verändert werden dürfe. Anders als Smithson, dem Matta-Clark 1969 bei der Ausstellung Earth Art am White Art Museum der Cornell University assistierte12 und der später einer der Mentoren des jüngeren Künstlers werden sollte, akzeptierte Matta-Clark den völligen Zusammenbruch und machte ihn zu einem konstitutiven Element seiner nonumentalen Arbeitsweise. Er arbeitete ausschließlich mit Gebäuden, die zum Abbruch vorgesehen waren, auch wenn er später beklagte, dass ihm zeitlebens kein Gebäude überlassen wurde, das er dauerhaft verändern konnte. Für Bingo und weitere Projekte war grundlegend, dass die Häuser, die er transformierte, zu Abfällen in einem urbanen Gefüge geworden waren, die es zu beseitigen galt. Die wenn auch bescheidene Architektur des Vorstadthauses in Niagara Falls war als nicht mehr nutzenswert erachtete Behausung nicht nur Abfall. Abfall konnte in der Sicht Matta-Clarks ebenso gut Architektur werden: 1970 baute Matta-Clark eine Wand aus Abfällen, die durch Mörtel und Teer gefestigt wurden, mit dem Titel Garbage Wall als Modell für provisorische Behausungen, die sich Obdachlose selbst schaffen konnten. Diese besondere Affinität Matta-Clarks zu Abfällen – als dem Komplementären des Produkts –, zu Methoden des Recycelns und zu entropischen Prozessen, in denen der Abbruch des Werks selbst zum integralen Bestandteil innerhalb des Werkprozesses wird, unterscheidet Matta-Clarks Entropiekonzept von dem Smithsons und zieht notwendigerweise Auswirkungen auf den Werkcharakter seiner Arbeiten
11 | R. Smithson: »Entropy Made Visible«, in: J. Flam (Hg.), Robert Smithson (1996), S. 304. 12 | Der Einfluss der Earth Art-Ausstellung auf Matta-Clarks Praxis ist nicht zu unterschätzen. Unter anderem assistierte Matta-Clark auch bei Dennis Oppenheims Beebe Lake Cut, für das Oppenheim eine Linie durch die Eisdecke des Sees schnitt.
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nach sich.13 Bewusst offen bleibt daher, wie man mit den einzelnen Versionen, Produkten und Überbleibseln von Bingo umgehen soll, welchen Status man den heute noch existierenden Fassadenfragmenten zuschreiben soll und wie sie mit dem ›eigentlichen‹ Eingriff in die Fassade zusammenhängen. Ob eher ihr dokumentarischer Charakter betont werden soll oder ob ihnen ein eigener Werkstatus zugesprochen werden kann oder ob sie selbst eher als Abfallprodukte des künstlerischen Prozesses anzusehen sind, lässt Matta-Clark nicht zufällig offen. Auf eine besondere Verbindung von nonumentalen Strukturen bzw. Arbeitsweisen und einer Architekturkritik im engeren Sinne im Denken Matta-Clarks weist bei Bingo die Beschäftigung mit der Oberflächenstruktur des Hauses hin, der in neun Segmente unterteilten und anschließend entfernten Wand. In einem Interview rekapituliert der Künstler seine Erfahrungen an der Architekturfakultät in Cornell und grenzt seinen Umgang mit architektonischen Strukturen zugleich hiervon ab: »[…] the things we studied always involved such surface formalism that I had never the sense of the ambiguity of a structure, the ambiguity of a place, and that’s the quality I’m interested in generating in what I do.«14 Matta-Clarks scheinbar simple Auseinandersetzung mit der Wandfläche in Bingo kann als eine direkte und scharfsinnige Beschäftigung mit architekturtheoretischen Positionen im Cornell der 1960er Jahre aufgefasst werden. Matta-Clark dekonstruiert nicht nur vordergründig den surface formalism der Hauswand durch sukzessives Entfernen,15 er rekurriert zudem durch die Unterteilung der Wand in neun Segmente auf ein Muster aus neun quadratischen Rechtecken, das eng mit den Reformbemühungen der Architektenausbildung im Amerika der 1960er Jahre verbunden war und unter dem Namen The Nine Square Grid Problem bekannt wurde.
13 | Pamela M. Lee hebt dagegen die Gemeinsamkeiten zwischen MattaClarks und Smithsons Entropie-Verständnis hervor. Vgl. P.M. Lee: Object to Be Destroyed, S. 38-46. 14 | G. Matta-Clark: »Splitting the Humphrey Street Building. An Interview by Liza Bear«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S.163-169, hier S. 167. 15 | Auf die Transposition von Colin Rowes signature motif von neun Rechtecken auf eine Fassade hat zuerst Thomas Crow hingewiesen, ohne jedoch die weitreichenden Implikationen dieser Transposition zu berücksichtigen. Vgl. T. Crow: »Gordon Matta-Clark«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), insbesondere S. 92.
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Cornell besaß in den 1960er Jahren eine renommierte Architekturfakultät, bekannt für ihre fortschrittlichen Lehrmethoden und anerkannt als einflussreicher Ort für Architekturtheorie.16 Unter den Lehrstuhlinhabern und Gastdozenten waren mit Colin Rowe, Robert Slutzky, John Hejduk, Werner Seligmann und anderen viele Mitglieder der so genannten Texas Rangers, die in den 1950er Jahren an den Reformbemühungen an der University of Texas beteiligt waren.17 Der Ansatz, der in Cornell sowohl auf architekturtheoretischem Feld wie auch in Fragen der Architektenausbildung verfolgt wurde, ist untrennbar verbunden mit Colin Rowe, der bei Rudolph Wittkower am Warburg Institute studiert hatte. Wittkowers Forschungen zur Rolle der Geometrie bei Alberti und Palladio, die er 1949 in Architectural Principles in the Age of Humanism zusammenfasste, fanden starken Nachhall in Rowes Essay Mathematics of the Ideal Villa.18 Hatte Wittkower herausgearbeitet, dass die Symmetrien und proportionalen Verhältnisse der Villen Palladios an humanistische Vorstellungen der menschlichen Natur gekoppelt waren, und somit auf die soziale Dimension der architektonischen Proportionslehren aufmerksam gemacht, stattete nun Rowe in seiner Darstellung der Villen Le Corbusiers die Architektur der Moderne mit einem ethischen Fundament aus, indem er formale und konzeptuelle Ähnlichkeiten zwischen der Architektur Palladios und der Le Corbusiers aufzeigte. Eng verbunden mit der formalistischen und zugleich humanistischen Auffassung von Architektur, die an der Cornell University gelehrt wurde, ist das Nine Square Grid Problem als elementarer Bestandteil der dortigen Architektenausbildung (Abb. 3). Die klassische Formulierung hatte das Nine Square Grid Problem bereits Mitte der 1950er Jahre an der University of Texas gefunden, wo es von John Hejduk, dem Maler und Architekturtheoretiker Robert Slutzky und Lee Hirsche entwickelt wurde. Hejduk beschreibt es wie folgt:
16 | Zur Architektenausbildung an der Cornell University vgl. Kenneth Frampton/ Alessandra Latour: »Notes on American Architectural Education. From the End of the Nineteenth Century until the 1970s«, in: Lotus International 27 (1980), S. 5-39, insbesondere S. 27-31. 17 | Vgl. Alexander Caragonne: The Texas Rangers. Notes from the Architectural Underground, Cambridge, Mass./London 1995. 18 | Vgl. Colin Rowe: »The Mathematics of the Ideal Villa«, in: Ders., The Mathematics of the Ideal Villa and Other Essays, Cambridge, Mass./London 1976, S. 1-27.
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Abbildung 3: The Nine Square Grid Problem Quelle: Raphael Moneo: »The Work of John Hejduk or the Passion to Teach. Architectural Education at Cooper Union.« In: Lotus International 27 (1980), S. 65-81, hier S. 65. »The Nine Square Grid Problem is used as a teaching device to introduce new students to architecture. By working on this problem, the student begins to discover and to understand the elements of architecture: lattice, grid, pile, beam, flooring, centre, periphery, field, edge, line, plane, column, extension, compression, tension, translation, etc… The student begins to become aware of the meaning of plans, elevations, sections and details. He learns to draw. He begins to assimilate the relationships between two-dimensional drawings, axonometric projections and three-dimensional shapes (models). He studies and designs his scheme in plan and axonometry, looking for its three-dimensional implications in the model. In this way he arrives at an understanding of the elements. He begins to get an idea of how to build. [Herv. i.O.]«19 19 | John Hejduk: »Education of an Architect: A Point of View«, in: Ausst. Kat. Museum of Modern Art, New York, Cooper Union School of Art and Architecture, New York 1971, S. 7; zit. n. Raphael Moneo: »The Work of John Hejduk or the Passion to Teach. Architectural Education at Cooper Union«, in: Lotus International 27 (1980), S. 65-81, hier S. 65. Zum Nine Square Grid vgl. auch Timothy
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Ausgangspunkt der Aufgabe ist ein Quadrat, das in neun kleinere Quadrate unterteilt ist. Innerhalb dieses Rasters können dann, je nach Aufgabe, andere Architekturelemente hinzugefügt und arrangiert werden. Der Rahmen des Quadrats begrenzt dabei nicht nur den Raum denkbarer architektonischer Operationen, sondern beschneidet zugleich auch mögliche Kontexte der Bauaufgabe. Es ist ein neutrales Spielfeld, das ein Architekturverständnis fördert, welches Architektur als abstrakte Sprache ansieht, deren syntaktische Relationen durch die Fixpunkte des Rasters – die Punkte und Linien im Raster, die als Pfeiler und Wand gelesen werden – bestimmt werden. Grund- und Aufriss werden ausschließlich durch Modulation dieser Basiseinheiten gestaltet, der entstehende architektonische Körper ist Resultat einer abstrakten, modularen Unterteilung eines vorgegebenen Quadrats. Vermittelt wurde so durch das Nine Square Grid ein Architekturverständnis, dessen Bestandteile rein formaler Natur waren und dessen vorrangiges Ziel die Bewältigung einer Kompositionsaufgabe war. Funktionale Aspekte der Architektur traten dagegen in den Hintergrund. Auch als Mittel, durch das eine soziale Umwelt gestaltet und geprägt werden konnte, kam Architektur nicht in den Blickpunkt. Die Verhältnisse, die bearbeitet wurden, waren rein syntaktischer und formaler Natur. Soziale Verhältnisse dagegen wurden bewusst ausgeklammert. Eine praktische Demonstration der Lehrprinzipien, die in den USA bald zum Standardrepertoire der Architektenausbildung gehören sollten, lieferte Hejduk selbst. In seiner Serie 7 Houses, die er zwischen 1954 und 1963 entwarf, erkundete er die Möglichkeiten des Nine Square Grid und variierte es bis in die feinsten Verästelungen (Abb. 4). Das Potential einer aus rein geometrischer Formensprache entwickelten Architektur wurde von Hejduk bezeichnenderweise gerade am Thema des Wohnhauses entwickelt und hier so weit getrieben, dass »aus der Rationalität und Durchsichtigkeit der Geometrie […] die Irrationalität und Unübersichtlichkeit [einer] hochkomplizierten Struktur«20 entstehen konnte. Auch andere Mitglieder der New York Five – neben Hejduk Peter Eisenman, Richard Gwathmey, Richard Meier und Michael Graves –
Love: »Kit-of-Parts Conceptualism. Abstracting Architecture in the American Academy«, in: Harvard Design Magazine 19 (2003/4), S. 1-5. 20 | Heinrich Klotz: Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart, 1960-1980, Braunschweig/Wiesbaden 1984, S. 320.
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Abbildung 4: John Hejduk, Seven Houses Quelle: Raphael Moneo: »The Work of John Hejduk or the Passion to Teach. Architectural Education at Cooper Union.« In: Lotus International 27 (1980), S. 74. erkundeten das Wohnhaus als Spielfeld.21 Die New York Five hatten nicht nur als Absolventen oder in der Lehre enge Beziehungen zur Cornell University, die Gruppe, in der einige Kritiker bald eine neue New York School sehen wollten, wies auch die Vorstellung zurück, Architektur sei ein soziales Werkzeug und zog sich auf das für sie grundlegendste aller Architekturprobleme zurück: das Herstellen einer Form jenseits der Anforderungen bloßer Funktionalität. Im Vorwort zum Katalog Five Architects verteidigt Arthur Drexler diese Haltung:
21 | Michael Graves etwa entwickelte das Wohnhaus Hanselman in Fort Wayne/Indiana (1967) auf Basis einer freien Grundriss- und Fassadengestaltung, Richard Meier errichtete das Smith House (1965) auf quadratischem Grundriss und Peter Eisenman entwarf in den Houses I-IV eine Serie von Einfamilienhäusern als Folge analytischer Transformationen einer rechteckigen Box, frei von Kriterien der Nutz- und Bewohnbarkeit, basierend auf der Idee, Architektur als Sprache mit einer eigenständigen Grammatik, unabhängig von äußeren Faktoren wie Bedeutung und Funktion, zu verstehen.
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»We are all concerned, one way or another, with social reform. But the concern for reform has flavoured all discussion and criticism of anything that claims to be architecture first and social reform second. […] An alternative to political romance is to be an architect, for those who actually have the necessary talent for architecture. The young men represented here have that talent […] and their work makes a modest claim: it is only architecture, not the salvation of man and the redemption of the earth. For those who like architecture that is no mean thing. [Herv. i.O.]« 22
Architektur als Selbstzweck zu verstehen, steht in antithetischem Verhältnis zum Anliegen Matta-Clarks, die Regeln des Lebens und Wohnens, welche den Menschen von der Architektur vorgeschrieben werden, neu zu verhandeln. Für ihn sind Architektur, Stadtplanung und Skulptur von jeher aufs engste mit der Regulierung von Raum- und Machtverhältnissen verknüpft, und der Prozess der Raumherstellung, gerade auch in der basalen Form des Wohnhauses, mit einer Formierung tief verwurzelter »attitudes that determine containerization of useable space«23 – mit der Herstellung von Zellen, die eine passive und psychophysisch manipulierende Haltung begünstigen. Die (Selbst-)Abschließung in einer Behausung, die zu einer Selbstabschließung ihrer Bewohner führt oder diese zumindest begünstigt, stellt für ihn keine Notwendigkeit dar, sondern ein Dispositiv, das seitens der Industrie entwickelt wurde, um einen passiven und isolierten Konsumenten zu erhalten. Matta-Clark formuliert dies folgendermaßen: »By undoing a building there are many aspects of the social conditions against which I am gesturing: first, to open a state of enclosure which had been preconditioned not only by physical necessity but by the industry that profligates suburban and urban boxes as a context for ensuring a passive, isolated consumer – a virtually captive audience.« 24
22 | Arthur Drexler: »Preface«, in: Ausst. Kat. Museum of Modern Art, New York, Five Architects. Eisenman, Graves, Gwathmey, Hejduk, Meier, New York 1975, S. 1. 23 | G. Matta-Clark: »Splitting the Humphrey Street Building. An Interview by Liza Bear«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S.163-169, hier S. 164. 24 | G. Matta-Clark zit. n. D. Wall: »Gordon Matta-Clark’s Building Dissections«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 182.
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Seine Perspektive auf die Wohnhausarchitektur entspricht der Georges Batailles, für den Architektur mit Herrschaftsarchitektur als Ausdruck des »ideale[n] Wesen[s] der Gesellschaft«, als Ausdruck »desjenigen, das mit Gewalt gebietet und verbietet«,25 gleichzusetzen ist. Für beide symbolisiert Architektur nicht nur Ordnung, sie ist erst Garant dieser Ordnung. Matta-Clark nennt sie auch »the janitor of civilisation«,26 der zu reguliertem und submissivem Verhalten gebietet. Matta-Clarks Methode, eine (sub)urban box aufzuschneiden oder auseinander zu nehmen, ist daher nicht allein eine Umkehrung und Unterminierung eines architektonischen Formalismus, wie er im Nine Square Grid vorformuliert wurde, sie ist darüber hinaus sowohl ein Statement gegen eine profitorientierte und rationalisierte Praxis des Massenwohnungsbaus der Architekturindustrie als auch eine Kritik an der der Wohnhausarchitektur inhärenten monumentalen Struktur. Mittels dieser werden für Matta-Clark nicht nur Macht- und Herrschaftsmechanismen durch eine Regulierung der Codes von Öffentlichkeit und Privatheit sowie durch eine damit einhergehende Atomisierung der suburbanen Bevölkerung internalisiert. Sie liefert darüber hinaus auch Vorbedingungen von psychosozialen Entfremdungszuständen, die mit urbanen oder suburbanen architektonischen Strukturen identifiziert werden können. Die Oberfläche eines Hauses zu durchschneiden ist daher eine Methode, offenzulegen, wie diese als soziale Demarkationslinie fungierende uniforme Oberfläche geschaffen wird, die mit einer »conventional notion of living space« assoziiert wird, und diese jenseits von Nutzbarkeitskriterien zu verändern – »to alter it beyond use.«27 Die Schnitte bleiben dabei potentiell funktional und verweisen so darauf, dass Matta-Clarks Arbeiten zwar nicht architektonisch in einem strikten Sinn aufzufassen sind, aber als »an alternative to what’s normally considered architecture«28 architektonische Implikationen besitzen. 25 | Georges Bataille: »Architektur«, in: Rainer Maria Kiesow/Henning Schmidgen (Hg.), Kritisches Wörterbuch. Beiträge von Georges Bataille, Carl Einstein, Marcel Griaule, Michel Leiris u.a., Berlin 2005, S. 7-8, hier S. 7. Siehe auch Dennis Hollier: Against Architecture: The Writings of Georges Bataille, Cambridge, Mass./London 1989. 26 | G. Matta-Clark zit. n. D. Wall: »Gordon Matta-Clark’s Building Dissections«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 183. 27 | G. Matta-Clark: »Splitting the Humphrey Street Building. An Interview by Liza Bear«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 168. 28 | Ebd., S. 164.
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Obwohl seine building cuts nicht dazu angelegt sind, tatsächlich bewohnt zu werden, betont er: »There’s no reason why one shouldn’t be able to live in that place. […] It would change your perception for a while, and it would certainly modify privacy a great deal.«29 Das Spezifische von Matta-Clarks Ansatz, die Frage aufzuwerfen, welche architektonischen Formen einen adäquaten Ausdruck für eine nicht-restriktive Gestaltung der menschlichen Umgebung darstellen könnten, liegt einerseits darin, Antworten nicht in neuen architektonischen Formen zu suchen, sondern diese Frage mittels skulpturaler Praktiken zu stellen, anderseits darin, hierbei von bereits existierenden architektonischen Formen auszugehen. Diese nonumentale Methode, nicht selbst zu bauen, sondern etwas von einer gebauten Struktur abzuziehen, um dieser potentiell neue Verwendungsweisen zu eröffnen, entzieht sich der gängigen Logik von Entwerfen, Bauen und Nutzen gemäß den bereits im Entwurf festgelegten Dispositionen und platziert sich so, wie Dan Graham betont, in kapitalismuskritischer Absicht außerhalb eines »cycle of production and consumption«.30 Dass Matta-Clark hierfür in Bingo mit einem Einfamilienhaus gerade die archetypische Gebäudeform aufgreift, die auch die New York Five besonders intensiv bearbeiten, ist sicherlich keine zufällige Wahl. Als ironische Variante des Nine Square Grid Problem macht Bingo aus dem dezidiert zweckfreien architektonischen Spiel der New York Five eine Lotterie. Statt Kontexte abzuschneiden, eröffnet Bingo neue Kontexte. Für Matta-Clark ist das Raster kein Ausgangspunkt für ein architektonisches Planen und Entwerfen. Wichtig sind für ihn vielmehr transformatorische und aleatorische Momente, die einer »containerization of usable space«31 entgegengesetzt werden könnten: Beim Bingospiel ruft ein Conferencier, der per Zufall aus einer Trommel Kugeln mit aufgedruckten Zahlen zieht, so lange die gezogenen Zahlen aus, bis der erste Teilnehmer alle Zahlen auf seinem Los ausstreichen kann. Wie in einer populären Variante des Nine Square Grid gilt es in der amerikanischen Variante des Bingospiels, zuvor festgelegte Muster zu legen. Zu diesen recht komplexen Aufgaben gehören etwa, die vier Ecken auf den 5 x 5 Felder umfassenden Spielkarten zu besetzen, eine, 29 | Ebd., S. 165. 30 | Dan Graham: »Gordon Matta-Clark«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 199-203, hier S. 201. 31 | G. Matta-Clark: »Splitting the Humphrey Street Building. An Interview by Liza Bear«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S.163-169, hier S. 164.
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Abbildung 5: Gordon Matta-Clark, Zeichnung aus Notebook 1264, ca. 1974-1975 Quelle: Estate of Gordon Matta-Clark on deposit at the Canadian Centre for Architecture, Montreal. zwei oder drei Linien auszufüllen oder ein zentrales Kreuz, ein beliebiges Quadrat von 3 x 3 Feldern (roving square), eine Raute (roving kite) oder l-, t- oder y-förmige Figuren zu legen.32 Dass bei Matta-Clarks Bingo das zentrale Feld stehen bleibt, hat einen Hintersinn, der jedem mit dem populären Glücksspiel vertrauten US-Amerikaner bekannt gewesen sein dürfte. In der amerikanischen Bingovariante ist das zentrale Feld nicht mit einer Zahl versehen, sondern als free space markiert und gilt als bereits ausgefüllt – was man, auf Matta-Clarks Architekturkonzeption bezogen, durchaus als eine programmatische Formulierung auffassen kann. Seine ursprüngliche Absicht, das zentrale Feld der geöffneten Hausseite stehen zu lassen und als Pendant hierzu auf der anderen Seite ein Stück der Fassade zu entfernen (Abb. 5), hätte das Projekt zu einem komplexen Kommentar zum Thema des freien Raums werden lassen: Ob freier Raum ein Loch in einer Fassade oder ein völlig freigestelltes Fassadenelement meint, bleibt letztendlich im Spiel von positiven und negativen Wandflächen unentscheidbar. 32 | Für Matta-Clark ist sicherlich auch der Gemeinschaftseffekt des Bingospiels ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Beim Bingo sitzen die Teilnehmer, anders als bei anderen Lotterien, in einem Raum; die Erlöse werden oft für Wohltätigkeitszwecke verwendet.
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Vordergründig eine rein formale Operation, agiert Matta-Clarks Bingo im realen Raum und bearbeitet ein tatsächlich existierendes Wohngebäude in Form eines »subtraction game«.33 Zu den Resonanzbildungen, die Matta-Clark zum urbanen Raum hin etabliert, gehört neben der Referenz auf alltägliche und mit einem Urlaubsort wie Niagara Falls assoziierte Formen populärer Unterhaltung und der offensichtlichen Öffnung des Hauses auf seine unmittelbare Umgebung hin auch, dass sich die entropische Qualität von Bingo, die sich sowohl in der Wahl eines zum Abbruch stehenden Hauses als auch in MattaClarks Umgang mit den Resten seiner Architekturintervention zeigt, auf eine lokales Müllproblem beziehen lässt. Das Haus von Bingo lag in einer toxisch verseuchten Stadt. Niagara Falls geriet 1978 durch einen unter dem Namen Love Canal Desaster bekannt gewordenen Müllskandal in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass in der Stadt eine der größten illegalen Giftmülldeponien der Vereinigten Staaten lag.34 In dem Kanal von nur einer Meile Länge hatten die United States Army und die Hooker Chemical Company tonnenweise teils krebserregende Chemikalien entsorgt. Dieser Kanal wurde in den 1950er Jahren mit einer dünnen Erdschicht abgedeckt und an das Niagara Falls Board of Education für den symbolischen Preis von einem (US-)Dollar verkauft, das auf dem Gelände eine Schule und Wohnhäuser errichtete. Auch wenn der Skandal erst 1978 aufgedeckt wurde, hatten sich bereits Jahre zuvor Klagen über giftigen Gestank und Substanzen, die ihren Weg durch den Untergrund an die Oberfläche gefunden hatten, gehäuft. Missbildungen Neugeborener und eine auffällige Häufung von Leukämie und anderen Krebserkrankungen beunruhigten die Bevölkerung. Berichte der Künstlerwitwe Jane Crawford legen nahe, dass Matta-Clark hiervon Kenntnis hatte.35
33 | D. Wall: »Gordon Matta-Clark’s Building Dissections«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 184. 34 | Vgl. Elizabeth D. Blum: Love Canal Revisited. Race, Class, and Gender in Environmental Activism, Lawrence 2008. 35 | »Teachers and homeowners complained to the town authorities that there were noxious smells and substances coming up through the soil. Hooker Chemical Company, the US Army and the town all denied that this was happening. I remember reading about this going on for years and years.« Jane Crawford: »Gordon Matta-Clark: In Context«, in: Lorenzo Fusi (Hg.), Gordon Matta-Clark, Mailand 2008, S.105-121, hier S. 114-118.
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Als doppelt codierte Ruine, die den Blick hinter eine normalerweise verschlossene Oberfläche freigibt und auf eine unter die Erde gekehrte Umweltkatastrophe reagiert, etablierte Bingo so ein Modell eines Antimonuments, welches nur in nonumentaler Form denkbar ist – als durch und durch entropische Form, die architektonischen urban trash als Material so bearbeitet, dass hieraus keine dauerhafte Form entstehen konnte, und deren Produkte wiederum wie Müll behandelt werden. Bingo verändert, zerlegt und beeinträchtigt so nicht nur das einzelne Haus, sondern die gesamte Umgebung. Es löst Resonanzbildungen zum näheren urbanen Raum aus, indem es die Beziehung des Hauses zu seinem sozialen Umfeld thematisiert und nicht zuletzt auch den Standpunkt des möglichen Betrachters als konstitutives Element einbezieht. All dies macht Bingo mit Grahams Alteration to a Suburban House (1978) vergleichbar, für das Graham die Vorderfront eines typischen Vorstadthauses entfernte und durch eine transparente Glasscheibe ersetzte, der eine parallel angebrachte Spiegelwand im Hausinnern korrespondierte. Jeff Wall hat darauf aufmerksam gemacht hat, dass das kritische Potential von Grahams Alteration vor allem in seinem Modellcharakter liegt.36 Als historische Kritik, so Wall, verweist Grahams Alteration auf das Scheitern der auf den urbanen Raum bezogenen interventionistischen Strategien der Konzeptkunst und kann darauf nur in Form eines »Anti-denkmalartigen Mahnmal[s]«37 verweisen, um seine eigene Kritik nicht demselben Vorwurf auszusetzen. Diese negative Dialektik zwingt Graham dazu, seinen Vorschlag nicht zu bauen, sondern nur modellhaft vorzustellen. Wall nennt Grahams Alteration-Projekt daher »eine erste Ruine für den Bau einer neuen Konzeptkunst«.38 Ähnliches ließe sich für Matta-Clarks Bingo in Anschlag bringen, nur dass hier der Modellcharakter durch einen nonumentalen, entropischen Zugriff ersetzt ist, der auch bestimmte historische Aspekte einer urbanen Situation in den Blick rückt. 36 | Reziprok betont Graham auch den Modellcharakter von Splitting, durch den die Repräsentation eines konkreten Gebäudes in einen abstrakten, allgemeinen Kontext gesetzt wird, »suggesting the spatial condition which existed around the house and indicating its relationship to a larger system of division and terrain in a larger scale.« D. Graham: »Gordon Matta-Clark«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 201. 37 | Jeff Wall: »Dan Grahams Kammerspiel«, in: Ders., Szenarien im Bildraum der Wirklichkeit. Essays und Interviews, hg. v. Gregor Stemmrich, Amsterdam/ Dresden 1997, S. 89-187, hier S. 185. 38 | Ebd., S. 187.
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Abbildung 6: Gordon Matta-Clark, Conical Intersect, 1975 Quelle: Ausst. Kat.: Gordon Matta-Clark (2007), S. 215. Die historische Perspektivierung bestimmter historischer wie sozialer Aspekte in den Arbeiten Matta-Clarks ist am offensichtlichsten bei Conical Interesect (1975), einem kegelförmigen Schnitt durch zwei ebenfalls zum Abriss freigegebene Pariser Häuser aus dem 17. Jahrhundert in der Nähe des gerade neu entstehenden Centre Pompidou (Abb. 6). Der Fokus des teleskopartigen Lochs auf das Centre Pompidou macht deutlich, dass sich Matta-Clark sehr bewusst war, wie sehr das Gebiet, in dem er arbeitete, historisch und stadtpolitisch aufgeladen war, einerseits durch die kulturpolitischen Kontroversen um den Abriss und die neue Bebauung des nahegelegenen Hallenviertels, einem Zentrum der politischen Linken, andererseits durch die Kontroversen um die Architektur des neu geplanten Kulturzentrums. In Conical Intersect verband Matta-Clark zwei Wohngebäude durch Ausrichtung und Form des kegelförmigen Schnitts mit einem Monument nationaler Selbstdarstellung, bei dem die Allianz von zeitgenössischer Architektur und den diversen modernen Kulturformen, die das Centre Pompidou beherbergen sollte, darauf angelegt war, eine Orientierung auf die Zukunft hin zu symbolisieren, welche auf der anderen Seite den Abriss historischer Stadtquartiere erforderte. Conical Intersect, das er als »non-monumental counterpart to the grandiose bridge-like skeleton of the Center just behind«39 bezeichnete, greift die Struktur von Richard Rogers’ und Renzo Pianos Bau auf, das System der Infrastruktur des Gebäudes nach außen zu kehren und ablesbar zu 39 | o.A.: »Interview with Gordon Matta-Clark, Antwerp, September 1977«, in: C. Diserens: Gordon Matta-Clark (2003), S. 187-190, hier S. 190.
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machen, um sie zu invertieren. Matta-Clarks Schnitte legen nicht nur die bislang verborgenen konstruktiven Schichten einer gewöhnlichen Architektur offen, sondern zugleich auch die historischen Schichtungen des Gebäudes, an denen sich die Geschichte seiner Bewohner ablesen lässt. Symbolisch bedeutsam wird der Bruch mit der Alltagsgeschichte durch eines der Grands Projets durch die Destruktion der beiden Wohnhäuser selbst. Der Künstler doppelt in Conical Intersect diese Destruktion und gibt ihr eine der situationistischen Strategie des détournement vergleichbare Wendung, wenn er bereits im Werkprozess die Gebrauchsbestimmtheit von Gebäuden, die ohnehin zerstört werden sollen, vordergründig zerstört und so schon prospektiv eine Form der Erinnerung an deren definitive und auf einen größeren gesamtkulturellen Zusammenhang verweisende Demontage etabliert. Eine ähnliche historische Perspektivierung lässt sich auch für Bingo, wenn auch über einen kürzeren historischen Raum hinweg, in Anschlag bringen. Herleiten lässt sie sich aus Matta-Clarks Architekturstudium bei Rowe, insbesondere aus dessen auch für akademischen Unterricht verbürgter Vorliebe für eine obsessive formale Analyse von Fassaden und Grundrissen.40 In seinem Aufsatz Transparency: Literal and Phenomenal plädierte Rowe zusammen mit Robert Slutzky für ein weitergehendes Verständnis von Transparenz, indem er der relativ simplen buchstäblichen Auffassung von Transparenz, d.h. ein Element durch ein anderes hindurch sehen zu können sowie licht- und luftdurchlässig zu sein, eine komplexere räumliche Auffassung von Transparenz gegenüberstellte, in der es möglich sein sollte, zwei räumliche Situationen oder Lagen eines Gebäudes – als eine seiner architektonischen Organisation bewusst eingeschriebene Eigenschaft – simultan sehen zu können. Über das rein optische Phänomen hinaus impliziere diese phänomenale Transparenz »eine umfassendere räumliche Ordnung. Transparenz bedeutet eine gleichzeitige Wahrnehmung von verschiedenen räumlichen Lagen«, die sich »gegenseitig durchdringen, ohne sich optisch zu vernichten.«41 Als Beispiel phänomenaler Transparenz analysierten die Autoren die übereinandergeschichteten Fassadenlagen von 40 | Diese Einschätzung folgt den Erinnerungen Anthony Vidlers an Rowes Unterricht in Cambridge. Siehe A. Vidler: »›Architecture-To-Be‹«, in: Ausst. Kat., Transmission (2006), S. 68-69. 41 | C. Rowe/R. Slutzky: Transparenz. Kommentar und Addendum von Bernhard Hoesli, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Basel/Boston/Berlin
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Abbildung 7: Colin Rowe und Robert Slutzky, »Transparenz« Quelle: Colin Rowe/Robert Slutzky: Transparenz. Kommentar und Addendum von Bernhard Hoesli, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Basel/Boston/ Berlin 1989 (Schriftenreihe Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der Eidgenössisch Technischen Hochschule 4), S. 23. Le Corbusiers Villa Stein (Abb. 7) im Verhältnis zu Gropius’ Dessauer Bauhaus. Während Gropius die lichtdurchlässigen Eigenschaften der Glaswand betone, hebe Le Corbusier die flächige Qualität des Glases hervor. Die Glasflächen könnten, so Rowe und Slutzky, hinter den Wandflächen weitergeführt sein: »Glas […] scheint auf Le Corbusier kaum eine derartige Faszination ausgeübt zu haben, und obwohl man natürlich durch seine Fenster sehen kann, ist nicht in dieser Tatsache die Transparenz seines Bauwerks zu finden.«42 Le Corbusier entwickelt für die Autoren vielmehr ein System räumlicher Schichtungen, deren Elemente keiner dieser Ebenen eindeutig zuzuordnen seien, sondern je unterschiedliche Aufmerksamkeiten an sich binden und Ansatzpunkte für vielfältige Lesarten der Fassade liefern, bei denen 1989 (Schriftenreihe Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der Eidgenössisch Technischen Hochschule 4), S. 10-11. 42 | Ebd., S. 25.
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sich die unterschiedlichen Ebenen zwar gegenseitig durchdringen, sich optisch aber nicht vernichten. Ziel der Fassaden- und Grundrissanalyse von Rowe und Slutzky und ihres Transparenzbegriffs ist es, die Mehrfachdeutbarkeit von Formbeziehungen herauszustreichen, um so auf die »ununterbrochene Veränderung der Interpretation«43 einer komplexen Oberflächengestaltung hinzuweisen. Die von Rowe und Slutzky beschriebenen Kipp- oder Ambivalenzeffekte liefen zwar unter dem Signum der Transparenz, basierten jedoch auf Untersuchungen opaker Oberflächen. Sie verdankten sich dem nicht aufzulösenden Widerstreit rivalisierender Gestaltwahrnehmungen und beschrieben so letztlich vor allem Wahrnehmungsleistungen der Betrachter oder das Interpretationsvermögen des Architekturhistorikers beziehungsweise des Architekten in Ausbildung. Was bei Rowe und Slutzky nicht in den Blick kommt, ist die Möglichkeit, dass Fassade und Grundriss in Le Corbusiers Villa reale und körperlich erfahrbare Räume repräsentieren. Symptomatisch für ihren auch auf der Grundlage einer Analyse kubistischer Gemälde entwickelten Transparenzbegriff, lesen Rowe und Slutzky Le Corbusiers Fassade eher als eine Serie von Bildern. Matta-Clark, selbst Schüler Rowes, geht dessen Unterscheidung zwischen einer literal transparency und einer phenomenal transparency nicht weit genug. Er wischt sie zwar nicht mit einem Federstrich hinweg – eher vielleicht mit der Motorsäge –, aber er zeigt, was Transparenz in einem Gebäude wirklich bedeuten könnte. Phänomenale Transparenz realisiert er durch das tatsächliche Öffnen einer geschlossenen Oberfläche und überführt so den Begriff vom Bereich rivalisierender Wahrnehmungseindrücke in den Bereich der Mehrdeutigkeit physisch erfahrbarer Räume, in eine Aufhebung oder zumindest Durchdringung der Gegensätze von geschlossen und offen, innen und außen oder Erinnerung und Gegenwart. Matta-Clark macht aus dem von ihm inkriminierten surface formalism eine »ambiguity of a place […]. To some degree that’s the aspect I think of as sculptural, a vigorous transformation process that starts to redefine the given.«44 43 | Ebd., S. 29. 44 | G. Matta-Clark: »Splitting the Humphrey Street Building. An Interview by Liza Bear«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 167. Matta-Clarks Anspielung auf Rowes »formalism of the surface« hat zuerst Vidler bemerkt: A. Vidler: »›Architecture-To-Be‹«, in: Ausst. Kat., Transmission (2006), S. 69. Allerdings zog er darin keine Verbindung zu Rowes Transparenz-Begriff.
G ORDON M ATTA -C LARKS » NON - UMENTS «
Das Gegebene neu zu definieren und die Vieldeutigkeit eines Ortes offenzulegen, bedeutet zugleich auch, auf eine bestimmte Art und Weise mit dem historischen Gedächtnis eines Ortes umzugehen, es, um mit Walter Benjamin zu sprechen, so zu aktivieren, dass »das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt.«45 Das Zusammentreffen von Vergangenheit und Gegenwart zu einer bildhaften Dialektik im Stillstand, die bei Matta-Clarks Intervention zur Lesbarkeit im Sinne einer benjaminschen »Bewegung in ihrem Inneren«46 gelangt, ist als ein weiteres Moment seiner Transformation von Rowes Transparenzbegriff aufzufassen, den er um eine historische Dimension erweitert.47 Matta-Clarks Gebäudeschnitte legen vielschichtige Lagen von Geschichtlichkeit nicht nur des bearbeiteten Gebäudes, sondern implizit des gesamten mit ihm verbundenen Raum- und Lebensgefüges offen. Obwohl seine skulpturalen Interventionen selbst nur ephemeren Charakter besaßen, liegt in ihrer eigentümlichen Verschränkung von Aktualität und Aktivierung von Erinnerungspotentialen an die ehemaligen Nutzungen der von ihm verwendeten Gebäude ein schwaches utopisches Potential und dies gerade dadurch, dass seine Arbeiten den Blick auf ein vielfältig verdrängtes Gewesenes lenken, das sich an bestimmte urbane oder suburbane Wohnformen bindet, und zwar in einer Form, in der nicht »das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft«, sondern »worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt.«48 Dass in dieser dialektischen Bildlichkeit eine weitere 45 | Walter Benjamin: »Das Passagenwerk. Konvolut N«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. V.I., Frankfurt a.M. 1982, S. 576. 46 | Ebd, S. 578. Zum Zusammenhang von Erinnerung und dialektischem Bild bei Benjamin vgl. Detlev Schöttker: »Erinnerung«, in: Michael Opitz/ Erdmut Wizisla (Hg.), Benjamins Begriffe, Bd. 1, Frankfurt a.M. 2000, S. 260298, insbesesondere S. 276-281. 47 | Den Einfluss Walter Benjamins betont Matta-Clark selbst gegenüber Donald Wall: »More recently I have enjoyed a term used in reference to Walter Benjamin, ›Marxist Hermeneutics‹. This phrase helps me to think about my activities which combine the inwardly removed sphere of Hermetics and interpretation with the material dialectics of a real environment.« D. Wall: »Gordon Matta-Clark’s Building Dissections«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 182. 48 | W. Benjamin: »Das Passagenwerk«, in: Ders., Gesammelte Schriften (1982), S. 578. Vgl. auch G. Matta-Clark: »[What I’m doing] is taking a situ-
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Konsequenz seines Durchbrechens von Rowes Oberflächenformalismus lag, war ihm dabei genau bewusst. In einem Interview mit Donald Wall, in dem er auf seine eigene Vorstellung von Komplexität zu sprechen kommt, die sich von der Komplexität der Fassadenlektüren Rowes herleitet, deren Bildhaftigkeit jedoch durch Aspekte der Räumlichkeit und Geschichtlichkeit ersetzt, verwendet er die Terminologie Rowes teilweise wortwörtlich, um ihr jedoch eine eigene Wendung zu geben: »The act of cutting through from one space to another produces a certain complexity, involving depth perception. Aspects of stratification probably interest me more than unexpected views which are generated by the removals – not the surface, but the thin edge, the severed surface that reveals the autobiographical process of its making. There is a kind of complexity which comes from taking an otherwise completely normal, conventional, albeit anonymous situation and redefining it, retranslating it into overlapping and multiple readings of conditions past and present.« 49
ation at the last minute and trying to put it back into an alternative sort of expression.« G. Matta-Clark: »Dilemmas. A Radio Interview by Liza Bear«, in: C. Diserens, G. Matta-Clark (2003), S.175-177, hier S. 176. 49 | G. Matta-Clark zit. n. D. Wall: »Gordon Matta-Clark’s Building Dissections«, in: C. Diserens, Gordon Matta-Clark (2003), S. 184.
Originalkopien Wilfried Kuehn
»Nothing was ever a problem again, because a problem just meant a good tape. […] An interesting problem was an interesting tape. Better yet, the people telling you the problems couldn’t decide any more if they were really having the problems or if they were just performing.«1
1 | Andy Warhol: The Philosophy of Andy Warhol (From A to B and Back Again), New York 1975, S. 91.
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Abbildung 2: Stefan Wewerka, Haus in Bad Karlshafen, Ansicht, 1978 Quelle: Bildarchiv Axel Bruchhäuser. 1964 erhielt Andy Warhol ein Tonbandgerät. Seitdem schnitt er sein tägliches Leben mit, zeichnete seine Umgebung kontinuierlich auf und fotografierte sie zusätzlich. Das permanente Abbilden erzeugt nicht allein eine Flut sekundärer Bilder. Das Abbilden wirkt sich auch auf die abgebildete Situation selbst aus: Kommunikative Rückkoppelung führt zur Veränderung des performativen Moments, das sich in Beziehung zum laufenden Mikrofon und zur fokussierenden Kamera anders entwickelt. Die Kopie verändert das Original. Warhol stellte bald fest, dass Models unglücklich sind, weil sie nie so gut aussehen wie ihr Foto – »and so you start to copy the photograph«.2 Die Kopie, so zeigt sich, beeinflusst das Original nicht nur, sie ist sogar besser. Monumentalität lässt sich spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr mit Größe identifizieren, sondern allein mit Medialität und Reproduzierbarkeit: Die Bilder dominieren ihre Motive, das Monument der Moderne ist die Reproduktion, die das Original in den Schatten stellt. Entscheidend für die Kraft der Reproduktion ist ihre Fähigkeit zur Autonomie, die im Akt der performativen Wiederholung entsteht. Sie ist, was Jacques Derrida in der Verbindung von iter (nochmals) und itara (anders) als Iterabilität beschreibt.3 Wie sieht eine Architektur der performativen Wiederholung aus?
2 | Ebd., S. 63. 3 | Vgl. Jacques Derrida: Limited Inc., dt. Erstausgabe, hg. v. Peter Engelmann, Wien 2001, S. 24.
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Abbildung 3: Mies van der Rohe, 50-by-50-Haus, Modellaufnahme, 1951 Quelle: Ludwig Hilberseimer: Mies van der Rohe, Chicago 1956, S. 74.
L ANDSCAPE OF THE MIND Die Smithsons in Bad Karlshafen »My own debt to Mies is so great that it is difficult for me to disentangle what I hold as my own thoughts, so often have they been the result of insights received from him. […] And we feel we have a natural right, both as apprentices-by-proxy and as being members of the family who design-by-thinking-of-the-making, to inherit as a landscape of the mind the thoughts and the ways of putting things together of Mies van der Rohe.« 4
1978 wird in Bad Karlshafen ein Wohnbau eingereicht, dessen Entwurfsverfasser laut Bauantrag Mies van der Rohe ist, ein eingeschossiger Bau in Stahlkonstruktion auf Beton- und Natursteinsockel mit Flachdach und Travertinboden. Das Baugrundstück ist eine Hanglage am Fluss. »Von Mies gibt es fantastisch ausgereifte Entwürfe. Warum sollte man die heute nicht bauen?«5 so Stefan Wewerka, Projektbearbeiter und Unterzeichner des Bauantrags. Das Projekt, das hier bearbeitet wird, ist Mies’ Fifty-by-Fifty-Entwurf von 1951. Ohne konkreten Ort oder Auftraggeber von Mies entwickelt, handelt es sich um ein Modell-Projekt, vergleichbar mit Mies’ abstrakten Hofhausstudien der 1930er Jahre und den ebenso abstrakten Glas- und Betongebäude-Entwürfen um 1922. Das kreuzweise gespannte Dach des Fifty-by-Fifty-Hauses, das sich auf zentralen außen liegenden Stützen über einem quadratischen Grundriss erhebt, wird von Mies weiterentwickelt und schließlich in einem gänzlich anderen Zusammenhang gebaut: in der Berliner Neuen Nationalgalerie. 4 | Alison u. Paul Smithson: »Mies’ Pieces«, in: Dies., Changing the Art of Inhabitation, London/Zürich/München 1994, S. 14 u. 30. 5 | Stefan Wewerka: »Interview von M. Kasiske«, in: Die Tageszeitung vom 04.05.2002, S. 31.
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Abbildung 4: Mies van der Rohe, Haus in den Alpen, Ansicht, 1934 Quelle: Ausst. Kat. Whitney Museum of American Art, New York/Canadian Centre for Architecture, Montreal/Museum of Contemporary Art, Chicago: Mies van der Rohe in America, hg. v. Phyllis Lambert, New York 2001, S. 174.
Haus in den Bergen Neben dem Bauantrag gibt es eine Reihe von Handzeichnungen Wewerkas, die das projektierte Haus am Hang in deutlich exponierter Stellung zeigen. Es steht auf einem künstlichen Natursteinsockel, der, ähnlich dem rudimentären Mies-Entwurf von 1934 für sein eigenes Haus in den Tiroler Bergen, wie ein Felsvorsprung aus dem Hang wächst. Im gleichen Jahr skizzierte Mies ein weiteres Haus in den Bergen, das als Stahlkonstruktion ambitioniert auskragt. Die Zeichnung wurde durch Philip Johnsons MoMA-Retrospektive 1947 bekannt und Wewerka reproduziert sie in einem Katalog über einer eigenen Erdarchitektur-Skizze.6 Johnson verschafft der Skizze noch größere Bekanntheit, indem er sie 1956 ohne Umschweife kopiert und originalgetreu in Long Island unter eigenem Namen baut. Wewerkas Fifty-by-Fifty-Haus in den Bergen verbindet den Pavillon mit dem Felsvorsprung, eine Mies fremde Montage, die zeigt, dass das Projekt hier in der Aktualisierung liegt. Die Fundamente in Bad Karlshafen sind bereits gegossen, als das Bauamt den Antrag ablehnt. Der Bauherr zieht in ein kleines Fachwerkhaus mit Satteldach, das bereits auf dem weitläufigen Grundstück steht. Durch Wewerka lernt er kurze Zeit später Alison und Peter Smithson kennen. 6 | Vgl. Galerie Fred Jahn (Hg.): Stefan Wewerka. Drawings earth architecture watercolours. 1955-1958, München 1984.
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Abbildung 5: Mies van der Rohe, Stefan Wewerka, Zeichnungen Quelle: Galerie Fred Jahn (Hg.): Stefan Wewerka. Drawings earth architecture watercolours. 1955-1958, München 1984, S. 28.
Gittergerüst In Analogie zu drei Generationen des Rinascimento – Filippo Brunelleschi, Leon Battista Alberti und Francesco di Giorgio – sehen sich die Smithsons als Mies-Enkel: »Wir können eine vergleichbare Veränderung bei den drei Generationen der Moderne verfolgen, z.B. bei der diagonal-aussteifenden Strebe. Sie kommt durch Mies’ Skizze für ein Glashaus am Hang von 1934 spät in die Sprache der ersten Generation; sie existiert im Eames-Haus, 1949 – zweite Generation; das Thema der diagonal-aussteifenden Strebe wurde in den Studien von Myron Goldsmith (Assisten von Mies beim Farnsworth House) weiterentwickelt – dritte Generation – und wurde am auffallendsten beim Hancock Building verwirklicht. Gegen Ende der sechziger Jahre wurde die diagonal-aussteifende Strebe in unserer eigenen Architektur von einem Konstruktionsausdruck in ein ›Gitter‹ transformiert und hatte eine völlig neue Bedeutung angenommen, die mit Schichttiefe, dem Gefühl des Geschütztseins zu tun hat, die Empfindungen von Privatheit und Phantasie nutzend, die das Gittergerüst erzeugt. [Herv. i.O.]« 7 7 | A. u. P. Smithson: »Drei Generationen«, in: Dies., Smithson, Italienische Gedanken, Brunswick/Wiesbaden 1996, S. 14-29, hier S. 28.
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Abbildung 6: Alison und Peter Smithson, Three Generations’ Image, 1980 Quelle: Alison Smithson: The charged void: Architecture. Alison and Peter Smithson, Bd. 1, New York 2001, S. 378.
Zwischenraum In Bad Karlshafen erhalten die Smithsons den Auftrag, das alte Haus so zu verändern, dass die Wahrnehmung der Landschaft eine andere wird. Sie planen eine Ausstülpung, durch die das bestehende Fenster aus der alten Hauswand in eine neue Veranda zur Landschaft verschoben wird. Ein Zwischenraum wird aufgespannt, der weder Innen noch Außen ist, in Beziehung zu den umgebenden Bäumen tritt und die Wahrnehmung des alten Hauses selbst verändert. Ganz so wie es die Smithsons im Lucas Headquarter-Projekt 1973 thematisieren, mit dem sie sich selbst als Mies-Enkel ausweisen: »Almost without exception Mies’ buildings seem to have the space around them within them already.«8 Mies’ erstes Projekt in Amerika wurde durch zwei Collagen bekannt, die eine ideelle Innenwandansicht zeigen: freistehende Stahlstützen, zarte Metallprofilrahmen, dahinter ein Schwarz-Weiß-Landschaftsfoto. In einer der Collagen ist ein farbiger Vordergrund aus einer stark gemaserten Holzoberfläche und einem rahmenlosen Paul-Klee-Bild zu sehen. Das Landschaftsfoto wird in Mies’ Montage zum Bild wie der Klee und die Holztextur. Resor House ist das Modell des Mies-Pavillons nach 1950, der die Landschaft zu einem tektonischen Ereignis macht. 8 | A. u. P. Smithson: »Mies’ Pieces«, in: Dies., Changing the Art of Inhabitation (1994), S. 56.
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Abbildung 7: Alison und Peter Smithson, Hexenhaus, Brücke, Bad Karlshafen, 2002 Quelle: Bildarchiv Johannes Kuehn.
Abbildung 8: Alison und Peter Smithson, Hexenhaus, Riverbank Window, Blick auf die Weser, Bad Karlshafen, 1990 Quelle: Karl Unglaub (Hg.): Alison und Peter Smithson. Italienische Gedanken, weitergedacht, Basel/Boston/Berlin 2001, S. 197. Räumliche Tiefe ist nicht mehr Perspektive, sondern eine transparente Schichtung. Den Wahrnehmungsfilter des Rahmenwerks entwickeln die Smithsons zum Gitterwerk. In Bad Karlshafen schaffen Holzgitterwerke hinter zahlreichen in das alte Haus geschnittenen Löchern eine Schichtung, die Landschaft als räumliche Tiefe erlebbar macht.
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Abbildung 9: Alison und Peter Smithson, The Yellow House at an Intersection, 1976 Quelle: Alison Smithson: The charged void: Architecture. Alison and Peter Smithson, Bd. 1, New York 2001, S. 394.
Landschaft Die vorletzte Erweiterung des alten Hauses in Bad Karlshafen ist ein Hochstand, der Hexenbesenraum. Über eine Brücke erreichbar und auf hohen Stelzen gebaut, schwankt er zwischen den schlanken Bäumen ganz leicht im Wind. Er verlegt den Bewohner nach außen in ein Studiolo, das durch seine prekäre Anmutung ein besonderes Schutzgefühl vermittelt, gerade weil es keine Festung ist. Im Yellow House-Projekt der Smithsons erscheint der Modellfall: quadratischer offener Grundriss, kreuzweise gespanntes Dach, außen stehende Stützen, gitterförmiges Stabwerk um die transparente Außenhaut geschichtet, einseitig auf eine Mauer gestützt, an einer Wegecke zwischen alten Bäumen. Ein differenziertes Modell des beschützten Privatraums, der nicht in Gegnerschaft zur öffentlichen Sphäre entsteht, sondern in Beziehung zu ihr, und eine ideelle Version des gebauten Upper Lawn-Pavilions, den die Smithsons für sich selbst errichten und auch auf einer Mauer großzügig zur Landschaft öffnen. Die langen Mauern bilden Hofsituationen innerhalb einer räumlichen Anlage, die beides ist: intim und ausladend. Alison Smithson sagte einmal: »Upper Lawn Pavilion ist das neobrutalistische Enkelkind des Barcelona Pavillons.«9 9 | Zit. n. Ausst. Kat Design Museum, London: Alison and Peter Smithson – from the House of the Future to a house of today, hg. v. Dirk van den Heuvel/ Max Risselada, Roterdam 2004, S. 152.
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Abbildung 10: Peter Fischli und David Weiss, Raum an der Hardturmstraße, 1990-1992 Quelle: Ausst. Kat. Kunstmuseum Wolfsburg: Peter Fischli, David Weiss: Arbeiten im Dunkeln, Ostfildern 1997, S. 52.
R EENACTMENT Der Kuehn-Malvezzi-Entwurf für das Berliner Schloss Ohne Bilbao-Effekt: Ein Museumswettbewerb, der keinen originellen Baukörper sucht, ist eine Befreiung. Gefordert ist ein Ausstellungshaus, das seine Neuheit statt überraschender Kubaturen dem Umgang mit den bekannten Barockfassaden Andreas Schlüters verdankt. Was ist das Neue im Fall einer Replik? Das Readymade Marcel Duchamps macht den bekannten Gegenstand durch räumliche De- und Rekontextualisierung zum neuen Kunstwerk. Anders das Schloss, dessen Translozierung sich nicht räumlich, sondern zeitlich ereignet: Obwohl am selben Ort, dekontextualisiert es sich in der Rekonstruktion durch eine zeitliche Lücke. Die Stadt, in der es jetzt Platz haben soll, ist nicht mehr jene, aus der es vor einem halben Jahrhundert entfernt wurde, die Gebäudenutzung nicht mehr jene, die es damals aufwies. Und die Fassade als Rekonstruktion ohne Originalmaterial ist möglicherweise eher ein simuliertes Readymade,10 wie Boris Groys es in den Polyurethan-Repliken der Künstler Peter Fischli und David Weiss erblickt. 10 | Vgl. Boris Groys: »Simulierte Ready-Mades von Peter Fischli/David Weiss«, in: Parkett 11 (1994), S. 24–37.
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Abbildung 11: Fassadenelement für das Berliner Schloss Quelle: Förderverein Berliner Schloss e.V.: Wiederaufbau Berliner Schloss, 3. Katalog der Fassaden- und Schmuckelemente, o.O. 2009, S. 23.
Ornament Seit vielen Jahren schon werden Steinornamente für das Berliner Schloss hergestellt. Von Privatleuten finanziert, werden einzelne Elemente von Steinmetzen nach historischen Plänen gefertigt. Ein Vorteil für den Architektenwettbewerb: Die Ornamentfassade ist nicht Entwurfsaufgabe, sondern wird vorausgesetzt. Die Aufgabe ist dadurch nicht nur einfacher, sondern auch herausfordernder. Die virtuelle Barockfassade bedarf eines Halts wie ein museales Exponat einer Exponatrücklage. Ein weiterer Vorteil: Jedermann kann zum Bauherrn des Schlosses werden und in partizipativer Form darüber abstimmen, wie die Barockornamente wieder sichtbar werden, denn die Fassadenteile müssen käuflich erworben werden. Großspender können ganze Portale stiften, bürgerliche Spender verewigen sich mit einem kleinen Kapitell. Konsequent werden existierende Originalteile der Schlossfassade, wie das Karl-Liebknecht-Portal im DDR-Staatsratsgebäude, nicht Teil der neuen Fassade, die als Reenactment kein Relikt, sondern etwas Neues ist. Wir erleben das Gegenteil eines Architekturmu-
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Abbildung 12: Oswald Mathias Ungers, Berlin morgen. Das neue Berlin, 1990 Quelle: Ausst. Kat. Wallraf-Richartz-Museum, Köln: O. M. Ungers, 10 Kapitel über Architektur. Ein visueller Traktat, Köln 1999, S. 833. seums und einen Paradigmenwechsel des Denkmalschutzes: Alois Riegls Alterswert verschwindet hinter der immer jungen Replik. Im Gegensatz zum nahen Pergamonmuseum, dessen Architekturexponate originale Relikte sind, ist das Schloss eine vollständige Wiederholung. Sind im Pergamonmuseum alle zur Präsentation der Originalteile hinzugefügten Elemente identifizierbar, findet im Schloss umgekehrt die Illusion der Nahtlosigkeit ihren Ausdruck. Die so entstehende Fassade ist keine Barockarchitektur, sondern deren dreidimensionales Bild. Statt eines materiellen Denkmals ein konzeptuelles, eine überfällige benjaminsche Überwindung der Aura auch in der Architektur: Ein Bauwerk kann als Reproduktion Autonomie gegenüber dem Original gewinnen und Authentizität ohne Einmaligkeit beanspruchen. Ein Schloss wie von Schlüter, nur anders.
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Abbildung 13: Kuehn Malvezzi, Berliner Schloss/Humboldtforum, 2008 Quelle: Kuehn Malvezzi.
Kontexte Ein iterables Zeichen wird nicht nur zitiert, sondern angeeignet, verwendet, neu konzeptualisiert und rekontextualisiert. Das architektonische Zeichen hat weder Ursprung noch Originalzustand. Es befindet sich als Sprache in ständig differenter Wiederholung und wird dadurch laufend verändert. Das Schloss wird in Form einer doppelten Einschreibung Teil der heutigen Stadt: als Museumsgebäude ist es Teil der gebauten Stadt. Doch ist das Schloss, indem es selbst musealisiert wird, gleichzeitig Teil der Stadt als Ausstellung, wie Oswald M. Ungers sie in seinem Stadtarchipel 1977 und seinem Beitrag für Berlin Morgen 1990 entworfen hat. In dieser Ausstellung kann das musealisierte Schloss neben Rekonstruktionen ungebauter Entwürfe für Berlin, wie Mies’ Hochhaus an der Friedrichstrasse, und unrealisierter ortsfremder Entwürfe, wie Adolf Loos’ Tribune Tower, zu einem herausragenden Exponat werden, wenn es als Architekturmodell im Maßstab 1:1 neue Kontexte schafft. Anders als das Homogenisieren vorgefundener Brüche, wie es die (un) kritische Rekonstruktion seit der Internationalen Bauausstellung 1984 in Berlin mit der Chimäre der Europäischen Stadt versucht, schlägt Ungers im Gegenteil ein dialektisches Stadtmodell vor, in dem aus der Unvereinbarkeit der Elemente der Entwurf selbst folgt: als heterogene Kontextkonstruktion analog zu einer kuratorischen Praxis.
Display Sieht man das Schloss als Teil einer Ausstellung, stellt sich die museologische Frage nach Rahmen und Sockel, oder allgemeiner, nach dem physischen Ausstellungskontext. Wo endet das Exponat und wo beginnt dessen
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Abbildungen 14-16: Kuehn Malvezzi, Berliner Schloss/Humboldtforum, 2008 Quelle: Kuehn Malvezzi.
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Abbildung 17: Leon Battista Alberti, Sant’ Andrea, Mantua, ca. 1470 Quelle: Franco Borsi: Leon Battista Alberti. L’opera completa, Mailand 1989, S. 254. Display? Eine Konzeption des Schlosses als Ausstellungsobjekt macht es in Schichten lesbar, die vom Bild über das Modell zum Inhalt reichen. Die Wettbewerbsaufgabe ist der Entwurf eines Displays, das die Rücklage der Ornamentschicht bildet und zugleich als autonome Struktur sowie als äußerer Abschluss des neuen Museumsgebäudes im Stadtraum erscheint. In dieser Form ist das Bauwerk ein 1:1-Architekturmodell, das seinen Platz in der Stadt durch die aktualisierte Beziehung zu dem urbanen Kontext erhält, vor allem im Verhältnis zu Karl Friedrich Schinkels provokanter, historisch unbeantworteter Öffnung des Alten Museums zum früheren Schloss. Welche Physis kann dieses Modell haben, wie kann es als autonomer Körper zwischen musealer Stadt und musealem Innenraum stehen?
Modell Ein fertiger Rohbau erscheint modellhaft im Stadtraum. In massiver Sichtziegelkonstruktion ist das Bauwerk ein Perimeter, der autonom zwischen Museum und Ornamenthülle steht. Während er auf der Ostseite eng mit dem Museumsbau verbunden ist und sich auf den historischen Schlüterhof sowie die verbindenden drei Portale ausdehnt, löst sich der Ziegelperimeter auf der Westseite des Bauwerks von der asymmetrischen Grundrissfigur des Innenraums und bildet schließlich eine freistehende perforierte Wand, die als Entrée Teil des
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Stadtraums wird: Eine große öffentliche Halle am Ort der ehemaligen klassizistischen Kuppel, die ein neues Gegenüber zu Lustgarten und Altem Museum schafft. Als Display kann das Ziegelmodell des Schlosses prozesshaft verkleidet werden, ohne je unfertig zu sein. Die Debatte über das Ausmaß der Ornamentrekonstruktion kann in der Logik partizipativer Auftraggeberschaft über lange Zeiträume geführt werden. Der Ausgang ist ungewiss und gerade deshalb von Interesse. In der ständigen Aktualisierung ist das Schloss nicht nur ein museales Exponat, sondern eine Architektur, die ihre eigene Entstehung auszustellen vermag.
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3. Öffentlicher Raum/Ortsspezifik
»Exchange« Über die Antwort der Künstler auf das Verschwinden von Monumenten Sylvia Martin
Im Sommer 2009 war ein junges Künstlerduo aus Puerto Rico, Jennifer Allora (geboren 1974 in Philadelphia, USA) und Guillermo Calzadilla (geboren 1971 in Havanna, Kuba), im Museum Haus Esters in Krefeld eingeladen, eine Einzelausstellung zu realisieren. In diesem Zusammenhang entstand eine neue filmische Arbeit mit dem Titel How To Appear Invisible, in der sich die beiden Künstler mit dem Abriss des Palastes der Republik in Berlin auseinandersetzten. Deimantas Narkevičius (geboren 1964 in Utena, Litauen) stammt aus Litauen und beschäftigt sich in seinen videografischen Arbeiten immer wieder mit der osteuropäischen Geschichte, deren Utopien, Idolen und kollektiven Aspekten. In dem Video Once in the XX Century aus dem Jahr 2004 widmet er sich dem Phänomen der Demontage von sozialistischen Denkmälern, wie es seit der Öffnung und politischen Neuorientierung osteuropäischer Staaten in den 1990er Jahren an vielen Orten zu beobachten war. Anhand dieser beiden Werke soll aufgezeigt werden, wie sich junge Künstler aktuell mit dem Thema des Denkmals im öffentlichen Raum auf medialer Basis auseinandersetzen, ohne den materiell bereits vorhandenen Monumenten ein weiteres hinzuzufügen. Es geht vielmehr um die technische Reproduktion von Monumenten und damit um die Transformation eines materiellen Denkmals herkömmlicher Vorstellung in einen immateriellen Status. Dabei stellen sich die Fragen, welche Gehalte des Modells Denkmal bei der Übersetzung in ein Abbild übernommen werden, und ob neue Bedeutungsebenen entstehen?
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Abbildung 1: Robert Filliou, COMMEMOR, Nachbildung der OriginalFotocollagen, 1970/2003 Quelle: Ausst. Kat. museum kunst palast, Düsseldorf/Museu d’art Contemporani de Barcelona/Musée d’art moderne Lille Métropole: Robert Filliou. Genie ohne Talent, Düsseldorf u.a. 2003, S. 112. Dass die künstlerische Perspektive dabei weit von den Bestrebungen fotografischer Denkmälerarchive, in denen seit dem 19. Jahrhundert fotografisch vermessene Monumente gesammelt werden, entfernt ist, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung.1 Dennoch kommt dem Dokumentarischen allein durch das technische Verfahren auch in der Bildenden Kunst eine zentrale Rolle zu. Vor dem Hintergrund der Nachwehen des Zweiten Weltkrieges und mit einem Bekenntnis zum Pazifismus hat der französische Fluxusund Konzept-Künstler Robert Filliou (1926-1987) 1970 unter dem Titel COMMEMOR (Gemischtes Komitee zum Austausch von Kriegerdenkmälern) (Abb. 1) ein Konzept zum Länder übergreifenden Austausch von Denkmälern entwickelt. So sollten Kriegerdenkmäler, die im na1 | Vgl. Herta Wolf: »Das Denkmälerarchiv Fotografie«, in: Dies. (Hg.), Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt a.M. 2002, S. 349-375.
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tionalen Andenken an die Gefallenen errichtet worden waren, aus der deutschen Stadt Aachen und der belgischen Stadt Fonck untereinander ausgewechselt werden. In seinem Konzeptpapier heißt es über die Zielsetzung der Aktion unter anderem »[…] – kommenden Generationen das Unsinnige und mörderisch Öbszöne aller Nationalismen zum Bewusstsein zu bringen.«2 Filliou visualisierte sein Konzept mit diesem schriftlichen Vorschlag sowie mit Fotocollagen, in denen er aus gefundenem, dokumentarischem Fotomaterial Denkmäler ausgeschnitten und verschoben hatte. Eine weitere Fotocollage zeigt einen potentiellen Austausch zwischen der holländischen Stadt Sittard und der belgischen Stadt Verviers.3 Das Denkmal des rücklings fallenden Soldaten, das im Stadtraum von Sittard auf Bodenniveau in einer von Passanten belebten Straße aufgestellt wurde, erhält durch den konzeptuellen Transfer eine weitere Bedeutungsebene: Durch den Ortswechsel nach Verviers befindet es sich plötzlich auf einem Sockel. Der Betrachter sollte eigentlich innehalten, aufschauen und dem Anlass entsprechend stolz und ehrfurchtsvoll der Liberté gedenken. Die Figur des Soldaten droht nun jedoch von dem Podest herunter, dem Betrachter entgegen zu stürzen. Trotz des ernsthaften Erinnerungsanlasses entbehrt diese Pose nicht der Komik. Für Filliou ist eine solche humorvolle Verunglimpfung typisch, denn in seinem Werk bilden der spielerische Umgang mit Alltagsgegenständen – in diesem Fall mit gefundenen Fotografien – und das Finden absurder Gegenstandskonstellationen eine charakteristische Konstante. Mit COMMEMOR wird kein neues materielles Monument in der und für die Öffentlichkeit erhoben, auch verschwindet es nicht oder wird auf andere Weise sinnentleert. Durch die Bearbeitung von dokumentarischem Fotomaterial überführt Filliou die Dauerhaftigkeit und Statik eines Denkmals in einen aktiven Modus. Denn wider ihre eigentliche Funktion als aktive Erinnerungsmäler verwandeln sich viele Monumente nach ihrer Aufstellung zu unscheinbarem Beiwerk im öffentlichen Raum und versinken in Bedeutungslosigkeit. Ihre dauerhafte, gewohnte Präsenz lässt ihre Zielsetzung oftmals in Vergessenheit geraten. Fillious Konzept, das in der Durchführung tatsächlich materielle Denkmäler mobilisiert hätte, bewirkt eine Revitalisierung des Denkmals – doch leider 2 | Ausst. Kat. museum kunst palast, Düsseldorf/Museu d’art Contemporani de Barcelona/Musée d’art moderne Lille Métropole: Robert Filliou. Genie ohne Talent, Düsseldorf u.a. 2003, S. 112-125, hier S. 115. 3 | Vgl. ebd., S. 116.
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Abbildung 2: AL (Alfred) Hansen, Memorial For All Soldiers, 1972 Quelle: Ausst. Kat. Kunst- und Museumsverein Wuppertal: Monumente durch Medien ersetzen…, Wuppertal 1976, o.S. wurde das Projekt nie realisiert. Der ersten Intention des materiellen Monuments, der nationalen Erinnerung an Kriegsgefallene, fügt der Künstler eine zweite hinzu: die einer internationalen Völkerverständigung als Grundlage für einen dauerhaften Frieden. Im Jahr 1972 hat der amerikanische Fluxus-Künstler Al (Alfred) Hansen (1927-1995) mit fotografischen Mitteln ein Denkmal für alle Soldaten, Memorial For All Soldiers (Abb. 2), geschaffen. In 15 filmisch aneinander gereihten Aufnahmen zeigt er einen mit einem Tuch verhüllten Menschen. In jeder Einstellung verändert sich die Haltung des Kopfes und mit ihr der Faltenwurf des Tuches: In manchen Aufnahmen zeichnet sich die Physiognomie des Gesichts deutlich unter der Verdeckung ab, in anderen verschwindet sie nahezu gänzlich und in wiederum anderen dringt das Tuch in die Mundhöhle ein und hinterlässt ein unheimliches, klaffendes Loch. Die Menschen, die Soldaten, werden in einem geisterhaften Zustand dargestellt. Dieses fotografische Denkmal realisiert zwei Bildstrategien: Die Einzelfotografie, also die Momentaufnahme, und die Reihung der Fotografien, die den Eindruck fließender Zeit aufkommen lässt. Jedes Einzelbild zeigt ausschnitthaft eine mit einem Tuch bedeckte Gestalt. Der Faltenwurf und das unter ihm Verborgene, nur Erahnbare, forcieren den emphatischen Gehalt, der für die Produktion von Anteilnahme (Mahnmal) und Bewunderung (Heldendenkmal, Idole) nicht nur bei Denkmälern von zentraler Bedeutung ist.
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Im 17. Jahrhundert hat beispielsweise Giovanni Lorenzo Bernini (1598-1680) in seinen bildhauerischen Werken, in Porträtbüsten, Grabmälern und Heiligenfiguren, Körper verhüllende und umspielende Draperien als Instrument der Emotionalisierung und Dramatisierung von Figuren und Szenen perfektioniert. Bernini schuf dreidimensionale Skulpturen aus Marmor, die textile Stofflichkeit simulieren. Die Fotografien von Hansen hingegen simulieren durch das Ablichten von Stofflichkeit eine skulpturale Wirkung. Für ein herkömmliches Denkmal ist eine skulpturale Präsenz typisch und selbstverständlich. Mit der gleichzeitigen Reflexion von zwei unterschiedlichen Gattungen, Fotografie und Skulptur, bewegt sich Hansen in einem intermedialen Bereich, wie ihn Martina Dobbe in ihren theoretischen Erläuterungen über Fotografie und Skulptur beleuchtet hat.4 Die Frage nach der materiellen und konstitutionellen Beschaffenheit eines Denkmals ist damit offen. Die einzelnen Fotografien hat der Künstler zudem in einer blockhaften Reihung angeordnet. Da jede der 15 Fotografien einen anderen Zustand der verhüllten Gestalt dokumentiert, setzt unwillkürlich der so genannte Muybridge-Effekt ein: Der Betrachter versucht, die unterschiedlichen Posen zu einer einheitlichen Bewegungssequenz zu verbinden. Die Frage stellt sich, ob die abgelichtete Realität eine Aktion war, wie sie typisch für Fluxus Kunst gewesen wäre, oder ob jede einzelne Pose für die Kamera inszeniert wurde. Eine endgültige Entscheidung kann anhand des Kunstwerks nicht getroffen werden, so dass auch hier eine Unentschiedenheit entsteht und von einer Mediendifferenz gesprochen werden kann – neben der Differenz zwischen den Medien Skulptur und Fotografie zeigt sich also eine weitere zwischen Fotografie und Film. In dem fotografisch geschaffenen Denkmal Memorial For All Soldiers verkehrt Hansen zentrale Aspekte, die ein traditionelles Denkmal ausmachen. Monumentalität und Dauerhaftigkeit werden durch die Momentaufnahmen und ihren Bezug zum Film – als zeitlichen Realitätsausschnitt – dekonstruiert. Der materiellen und damit räumlichen Präsenz eines Denkmals begegnet Hansen mit einer Simulation von skulpturaler Dreidimensionalität, eingebettet in einen ortlosen, schwarzen Raum. Memorial For All Soldiers ist nicht bloß ein von der Kamera zur Erscheinung gebrachtes Denkmal, sondern ein durch die Mittel der Fotografie in den Zustand der kritischen Reflexion versetztes 4 | Vgl. Martina Dobbe: »Anonyme Skulpturen. Fotografie als Medium der Intermedialität«, in: Dies., Fotografie als theoretisches Objekt, München 2007, S. 101-126.
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Monument. D.h. die Arbeit stellt auch die Frage, was ein Monument eigentlich ausmacht, und ob Erinnerung als mentale Leistung überhaupt der materiellen Verfestigung bedarf. Die Arbeit von Hansen war 1976 ein Exponat der Ausstellung Monumente durch Medien ersetzen … im Kunst- und Museumsverein Wuppertal.5 Radikal wurden hier Kunstwerke grundsätzlich zu Monumenten erklärt. In dieser Zeit hielten Concept und Land Art wie auch Aktionskunst den zu Beginn des 20. Jahrhunderts u.a. durch Marcel Duchamp formulierten Anspruch aufrecht, Kunst und Leben ineinander aufgehen zu lassen. Die Schwierigkeiten, diese Vision zu verwirklichen, blieben den Künstlern in den 1970er Jahren jedoch erhalten. Mit dem Aufkommen und der Etablierung der neuen Massenmedien und der gleichzeitigen Medialisierung von Kunst, d.h. vor allem der fotografischen, filmischen und videografischen Dokumentation von künstlerischen Aktionen, erkannte man die Möglichkeit, diesen Traum in die Realität umzusetzen. Alltag und Kunst sollten im Netzwerk von Kommunikation und Information zusammenfließen. Gerry Schum, Videopionier und Verfechter eines demokratischen Kunstverständnisses, gelang es tatsächlich, zwei der von ihm konzipierten Fernsehausstellungen, LAND ART und IDENTIFICATIONS, über öffentlich-rechtliche Sender im Abendprogramm auszustrahlen. Doch bereits Anfang der 1970er Jahre musste er erkennen, dass seine Vision einer Auflösung von Kunst im realen Leben nicht von den Sendeanstalten geteilt wurde.6 Monumente – so fragwürdig die grundsätzliche Gleichsetzung von Monument und Kunstwerk an sich ist – wurden in den 1970er Jahren nicht durch Medien ersetzt. Mit der Vision Monumente durch Medien zu ersetzen wäre auf sehr radikale Weise auch das materielle Denkmal als solches flächendeckend verschwunden.7 Weniger utopisch, aber dennoch konsequent fällt das 5 | Vgl. Ausst. Kat. Kunst- und Museumsverein Wuppertal: Monumente durch Medien ersetzen..., hg. v. Kunst- und Museumsverein Wuppertal, Wuppertal 1976, S. 32. 6 | Vgl. Ausst. Kat. Kunsthalle Düsseldorf: Ready to Shoot. Fernsehgalerie Gerry Schum, videogalerie schum, hg. v. Ulrike Groos/Barbara Hess/Ursula Wevers, Köln 2003/2004. 7 | Eine andere Vision, die das Monument zum Verschwinden gebracht hätte, lieferte in den 1920er Jahren die russische Avantgarde. El Lissitzky und Gustav Klucis entwarfen als Ersatz für Denkmäler multifunktionale Rednertribünen, die die Massen integrieren und aktivieren sollten. Idolisierende Denkmäler
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Abbildung 3: Maya Ying Lin, Vietnam Veterans Memorial, Washington, D.C., 1982 Quelle: Archiv Martin. Denkmal bei der amerikanischen Fotografin Judith Joy Ross (geboren 1946) aus dem Bild heraus. 1981 hatte die junge Kunststudentin Maya Ying Lin den Wettbewerb um die Errichtung eines Vietnam Veteranen Denkmals in Washington D.C. gewonnen (Abb. 3). Ihr Entwurf war abstrakt, den Nachwirkungen von Land und Concept Art geschuldet, und wurde bis 1983 auf einer freien Rasenfläche realisiert. Eine zu den Enden auslaufende Eckform durchschneidet die Parklandschaft und gestaltet einen deutlichen Niveausprung im Gelände. In dem polierten schwarzen Granit sind die Namen aller in Vietnam gefallenen Soldaten in chronologischer Ordnung ihres Todesdatums aufgelistet. Fügt sich der schwarze Granit optisch eher unscheinbar in die Grünzone der Stadt ein, so muss die Wirkung seiner polierten Oberfläche aus der Nähe auf den Besucher einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Denn diese Fläche ist gleichzeitig Schrifttafel wie auch Spiegel, in dem der Lesende durch sein Abbild immer auch auf sich selbst zurückverwiesen wird.8 Dieses Phänomen mag für Ross Anlass gewesen sein, allein die Menschen im Moment ihrer emotionalen Betroffenheit in einer Serie lehnten diese Künstler ab. In den Rednertribünen waren Leinwände zur Projektion von dokumentarischem Filmmaterial integriert. Vgl. Hubertus Gaßner: »Sowjetische Denkmäler im Aufbau«, in: Michael Diers (Hg.), Mo(nu)mente. Formen und Funktionen ephemerer Denkmäler, Berlin 1993, S. 153-178. 8 | Vgl. Elizabeth Hess: »A Tale of Two Memorials«, in: Art in America 4 (1983), S. 120-127.
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Abbildung 4: Judith Joy Ross, Vietnam Veterans Memorial, Washington, D.C., 1983-1984 Quelle: Ausst. Kat. Josef Albers Museum, Quadrat, Bottrop: Judith Joy Ross. Living With War – Portraits, hg. v. Heinz Liesbrock, Göttingen 2008. von Porträtaufnahmen festzuhalten. Sie fotografierte die Menschen überwiegend en face und im Brustporträt. Das eigentliche Denkmal tritt in den Fotografien – mit nur einer Ausnahme – nicht in Erscheinung. Allein die emotionale und mentale Spur des Monuments wird durch die Fotografien sichtbar und nur durch den Titel der Serie Portraits at the Vietnam Veterans Memorial, Washington, D.C. (1983/84) (Abb. 4) kann der Betrachter Rückschlüsse auf die Situation ziehen, in der sich der Porträtierte befand. Das Kameraauge rückt hier scheinbar an die Stelle des Spiegels. Als Instrument der Selbstreflexion übernimmt es eine Funktion des Denkmals. In den Abzügen ist das materielle Monument, der Ausgangspunkt für das fotografische Konzept, nun verschwunden. Es wird durch die Abbildung seines Empathiegehalts ersetzt. Damit hat sich das künstlerische Interesse am Denkmal auf ein kontextuelles Phänomen, die Wirkung auf den Menschen, verschoben.9 9 | Vgl. Ausst. Kat. Josef Albers Museum, Quadrat Bottrop: Judith Joy Ross. Living With War – Portraits, hg. v. Heinz Liesbrock, Göttingen 2008, S. 16-49.
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Die Werkbeispiele von Filliou und Ross haben gezeigt, dass das technische Abbilden von materiellen Denkmälern Möglichkeiten schafft, das Modell Monument zu vitalisieren, zu erweitern und Einzelfunktionen und -aspekte zur Anschauung zu bringen. Hansen wiederum stellte die Beschaffenheit des Denkmals grundsätzlich zur Diskussion und schuf als Monument eine Denkfigur. Konzeptualisierung und Kontextualisierung sind dabei, wie in den Gattungen Skulptur und Malerei auch, zwei Wege, um die Funktionspalette über die Aspekte Gedenken und Verherrlichen hinaus zu führen. Die fotografischen Positionen, die sich mit dem Monument beschäftigen, ließen sich ohne weiteres ergänzen: Jeff Wall hat die inszenierte Fotografie zu The Holocaust Memorial in the Jewish Cemetery (1987) in einen illuminierten Schaukasten gebannt,10 Candida Höfer setzte sich in einer Fotoserie mit den zwölf Güssen der Bürger von Calais (1886) von August Rodin und ihren diversen räumlichen Präsentationsmodi auseinander11 und unlängst erklärte Thomas Demand die Heldenorgel von Kufstein für bildwürdig – ein performatives Denkmal, das die Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges durch das Spielen eines Liedes am Berg wach halten soll.12 Denkmäler sind aber nicht immer darauf angewiesen, durch künstlerisches Hinzufügen in einen Aufmerksamkeitsmodus überführt zu werden. Ein Denkmal wird im öffentlichen Raum errichtet und kann aus unterschiedlichen Beweggründen auch wieder demontiert werden. In der Dauer seiner Präsenz kann es aus verschiedenen Motiven zu einem verstärkten öffentlichen Interesse kommen: Es kann z.B. einen Treffpunkt an Gedenktagen bilden, Vandalen zum Opfer fallen, umgewidmet oder transloziert werden.13 Aufstellung und Abbau sind dabei die Eckpunkte im Leben eines Denkmals, die einen hohen Grad 10 | Vgl. Ausst. Kat. Westfälischer Kunstverein, Münster: Jeff Wall, hg. v. Westfälischer Kunstverein, Münster 1988, S. 43. 11 | Vgl. Ausst. Kat. Museum Morsbroich: Candida Höfer. Projects: Done, hg. v. Markus Heinzelmann/Doreen Mende, Leverkusen 2009. 12 | Vgl. Holger Liebs: »Sumpfblüten der Erinnerung. Der Künstler Thomas Demand baut Gedächtnisbilder aus Pappe – und fotografiert sie dann«, in: Die Süddeutsche Zeitung vom 16.09.2009, S. 15; siehe auch Ausst. Kat. Museum of Modern Art, New York: Thomas Demand, hg. v. Museum of Modern Art, New York 2005. 13 | Vgl. Berthold Hinz: »Denkmäler. Vom dreifachen Fall ihrer ›Aufhebung‹«, in: M. Diers, Mo(nu)mente (1993), S. 299-312.
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Abbildung 5, 6: Deimantas Narkevičius, Once In The XX Century, 2004 Quelle: Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. an Beachtung erzeugen – eine Beachtung, die oftmals durch mediale Kommunikation, Fernsehen, Internet zusätzlich befeuert wird. Es sind gerade solche Momente der Aufmerksamkeit, häufig einer internationalen und medialen Präsenz, die eine Diskussion um die soziokulturelle, gesellschaftliche, politische und geographische Bedeutung eines Denkmals provozieren. Vieles wird dabei in machtvollen Bildern, sei es in der Fotografie oder im Film, kommuniziert. Deimantas Narkevičius versteht das Verhältnis zwischen Monument und Film wie folgt: »[…] everything around the monument is of significance, except the monument itself. And that’s interesting in relation to film in general. It’s not documenting the story or filming the
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Abbildung 7: Deimantas Narkevičius, Once In The XX Century, 2004 Quelle: Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin. story you have, it’s documenting the process of how you deal with it. That is the monument, not the object itself.«14 Für Narkevičius besteht das eigentliche Monument also vor allem aus seinem Kontext und darin, wie der Künstler denselben mit filmischen Mitteln lesbar werden lässt. In dem achtminütigen Video Once in the XX Century (2004) (Abb. 5-7) wird die Erhebung einer Lenin-Statue im öffentlichen Stadtraum unter Anteilnahme eines begeisterten Publikums gezeigt. So hat es zumindest den Anschein, wenn das gewaltige bronzene Idol auf einem LKW zum Aufstellungsort transportiert und mittels eines Krans durch die Luft auf seinen Platz gewuchtet wird. Hier entsteht ein kurzer Moment der Irritation: Die Beine, die offensichtlich bereits vorinstalliert waren, und der Rumpf der Figur finden auf magische Weise wie durch magnetische Anziehungskraft zueinander. Und noch etwas verwundert: Vereinzelt wird immer wieder eine Flagge geschwenkt, die gelb-grün-rote Flagge Litauens, die das Land seit seiner Loslösung von der Sowjetunion 1989 führt. Diese Flagge und die Aufrichtung der Lenin-Statue zur Propagierung des real existierenden Sozialismus können nicht in Einklang gebracht werden.
14 | »Interview Deimantas Narkevi ius mit Hans Ulrich Obrist«, http://www. undo.net/cgi-bin/undo/features/features.pl?a=i&cod=44 von Januar 2010.
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Tatsächlich hat Narkeviþius Filmmaterial eines litauischen Fernsehsenders, das die Demontage des Lenin-Monuments zeigt, und weiteres Bildmaterial zum gleichen Ereignis für seine Arbeit verwendet. Der Künstler hat dieses found footage neu geschnitten, so dass die Bilder nun phasenweise rückwärts laufen. Das Verschwinden sozialistischer Denkmäler aus dem öffentlichen Raum, wie es in vielen zur Selbstständigkeit gelangten osteuropäischen Ländern seit Ende der 1980er Jahre zu beobachten war, wird vom Künstler rückgängig gemacht. Aus dem Sturz wird in Once in the XX Century die Errichtung eines Idols. Wird damit unweigerlich aus einem Ikonoklasmus eine neuerliche Heldenverehrung? Der Künstler hat das found footage zu starken, bildhaften Einzelsequenzen aufgebaut, wenn beispielsweise die Einstellungen des durchaus entspannt wirkenden Publikums sich zum Eindruck einer Massenbewegung ausdehnen oder wenn die Lenin-Statue vor dem blauen Himmel schwebt und sich darin Assoziationen von Utopie und Sozialismus verdichten. Die Reinstallation eines bereits gestürzten Denkmals vollzieht sich hier nicht in tradierten Mustern, d.h. in Form einer tatsächlichen Wiedererrichtung der Heldenskulptur, sondern mit Hilfe von historischem Filmmaterial. Durch die Montage des dokumentarischen Materials können sich die Erhebung, der Sturz und die Reinthronisierung eines Denkmals zu einem Wirklichkeitsausschnitt verdichten, der historische Visionen in die Jetztzeit des Betrachters überführt. Der rückwärts laufende Film steht dabei synonym für das Erinnern selbst, sofern man die Verkehrung der Situation mittels Schnitttechnik erkannt hat. Narkevičius führt mit neuen filmischen Mitteln alte Formen des Denkmals vor. Er propagiert damit gerade nicht, dass die alte Form des Sozialismus unreflektiert wieder installiert werden soll, sondern fordert dazu auf, dass mit den Mitteln der Gegenwart der Sozialismus neu und produktiv interpretiert werden möge.15 Mit How To Appear Invisible (2009) (Abb. 8-11) reagieren Allora und Calzadilla auf den Abriss des Berliner Palastes der Republik – sozusagen ein Monument ohne Zulassung, denn das Gebäude besaß 15 | Vgl. Ausst. Kat. Museo Nacional Centro de Art Reina Sofia, Madrid/Van Abbe Museum, Eindhoven/Kunsthalle Bern: Deimantas Narkevi þ ius. The Unanimous Life, Madrid 2008/2009. Zur Thematik der Demontage von sowjetischen Denkmälern siehe Hans-Ernst Mittig: »Ostberliner Denkmäler zwischen Vergessen und Erinnern«, in: Kai-Uwe Hemken (Hg.), Gedächtnisbilder. Vergessen und Erinnern in der Gegenwartskunst, Leipzig 1996, S. 329-343.
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Abbildung 8-11: Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla, How To Appear Invisible, 2009 Quelle: Sammlung Kunstmuseen Krefeld.
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nicht den offiziellen Status eines Baudenkmals, genoss jedoch in der Gesellschaft der DDR einen herausragenden politischen und kulturellen Stellenwert.16 Auf einer trostlosen Baustelle inmitten der Großstadt streunt ein Deutscher Schäferhund umher. Die Arbeiten sind in vollem Gange: Ein Bauarbeiter flext, im Erdreich stehend, einen massiven Stahlträger durch, so dass die Funken sprühen. Bagger knabbern an den Resten eines Gebäudes. Turmruinen ragen gegen den Himmel auf. Es sind die letzten vier Treppentürme des ehemaligen Palastes der Republik, den die sozialistische Regierung der DDR 1973-76 im Stil des Neuen Bauens errichtet hatte. In der Zeit nach der Wende fand man das Gebäude mitten in Berlin wieder, denn es wurde genau an dem Ort errichtet, wo bis 1950 das alte Berliner Stadtschloss gestanden hatte. Im Film verorten unterschiedliche Kameraeinstellungen die Ruine des Palastes der Republik immer wieder in ihrem geografischen und städtebaulichen Kontext. Der unerwartete Auftritt des Deutschen Schäferhundes auf dem Abrissgelände gibt Anlass zum Schmunzeln, trägt er doch eine Halsmanschette mit dem knallroten Emblem einer der größten amerikanischen Franchise-Systemgastronomien, Kentucky Fried Chicken. In rastloser Bewegung läuft der Hund über die triste Baustelle. Eine kapitalistische Welt mit ihrem Glauben an Mythen, Macht und Symbole scheint auf der Suche nach den Resten einer untergegangenen Utopie zu sein. Die Trostlosigkeit des Ortes und die unaufhörliche Suche des Hundes bezeichnen die Leere, die das Verschwinden des architektonischen Monuments hinterlässt. Der Schäferhund mit seiner Halskrause trägt ein so absurdes wie humorvolles Moment in den Film hinein. Ohne den Hund wäre die Baustelle nur eine Baustelle. Mit ihm wird die Situation symbolträchtig: Der Deutsche Schäferhund steht für Treue, Verlässlichkeit und Achtsamkeit, für deutsche Tugenden und Traditionen, deren Glaub- und Fragwürdigkeit. Allora und Calzadilla haben für diesen Film einen professionellen Kameramann damit beauftragt, vor Ort und nach nur wenigen Vorgaben zu drehen. Sie verwendeten also kein found footage, wie es Narkevičius bevorzugt einsetzt. Allein das Erscheinen des Hundes ist inszeniert. Die Künstler sind folglich von dokumentarischem und inszeniertem Material ausgegangen und haben erst in der Postproduktion 16 | Zur Diskussion um den Abriss des Palastes der Republik siehe Philipp Misselwitz/Hans Ulrich Obrist/Philipp Oswalt (Hg.): Fun Palace 200X. Der Berliner Schlossplatz. Abriss, Neubau oder grüne Wiese?, Berlin 2005.
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Abbildung 12: Gruto parkas, Litauen (Nähe Vilnius) Quelle: www.grutoparkas.lt/index-en.htm. ausgewählte Sequenzen so geschnitten, dass sich ein beeindruckendes Gesamtbild eines nahezu vollständig verschwundenen Monuments ergibt. Dieses Gesamtbild setzt sich aus einzelnen, bildhaft aufgeladenen Passagen zusammen, die als Metaphern des Erinnerns gelesen werden können: Die Ruinenlandschaft als ein Sprung in eine vergangene Zeit, die Suche des Hundes als Spurensuche nach vergangenem Leben, das Graben im Erdreich als das Abtragen von historischen Schichten und der Funke als ein Element, das die Reste der Erinnerung neu entfachen soll.17 In How To Appear Invisible wird das reale Verschwinden des Palastes der Republik also zu einem bestimmten Zeitpunkt ausschnitthaft dokumentiert, inszeniert und zu metaphorischen Sequenzen verdichtet. Diese formale Mischung lässt den Anlass und den Ort des Geschehens erkennen und visualisiert zugleich eine Zeitlosigkeit in Form von Metaphern, die das Erinnern selbst thematisieren. Auf unterschiedliche Weise bedienen sich die Künstler in den beiden Videoarbeiten Once in the XX Century und How To Appear Invisible des Dokumentarischen, das mittels des technischen Zugriffs auf die Realität immer auch Gegenstand der Betrachtung einer fotografischen oder filmischen Arbeit ist. Allora und Calzadilla verwendeten Filmmaterial, dessen Aufzeichnung sie selbst beauftragt und beeinflusst hatten. Narkeviþius hat mit found footage, mit selbst schon historischen Aufnahmen einer medialen Berichterstattung gearbeitet. Dieses doku17 | Vgl. Aleida Assmann: »Zur Metaphorik der Erinnerung«, in: K.U. Hemken (Hg.), Gedächtnisbilder (1996), S. 16-46.
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Abbildung 13: Gustav Eberlein, Kaiser Wilhelm I, 1898-1999, Krefeld, ca. 1968 Quelle: Archiv Kunstmuseen Krefeld. mentarische Ausgangsmaterial wurde verändert, visuell transkribiert und neu interpretiert. Dabei zielen die Künstler auf einen gewandelten historischen Gehalt des reproduzierten Motivs ab. Allora und Calzadilla fügen den Aufzeichnungen des Ortes inszenierte Einstellungen hinzu und lassen durch die Kameraführung – in Form von Schwenks und längeren Kamerafahrten – bildhafte Prospekte entstehen. Narkevičius führt eine zeitliche Rückläufigkeit vor, die dem filmischen Medium selbst diametral entgegensteht. In beiden Fällen wird der selbstverständliche, kontinuierliche Fluss der Zeit ausgehebelt und stattdessen werden zeitlose Metaphern aufgebaut. Für das Motiv des verschwundenen oder fast verschwundenen Monuments bedeutet dies zweierlei: Zum einen werden ein figürliches Denkmal und ein Baudenkmal in dem Moment, in dem sie aufgrund konkreter Handlungen höchste Aufmerksamkeit erfahren und ein diskursives Feld entfalten, durch ein Abbild der Aktion ersetzt, ausgetauscht. Das Monument wird damit in Form eines Abbildes vor dem Verschwinden bewahrt. Zum anderen erfolgt diese Konservierung als Interpretation von dokumentarischem Material. Das zeitbasierte immaterielle Medium Video bietet dabei die Möglichkeit, durch den Aufbau und die Struktur von zeitlosen Metaphern den Wert der Dauerhaftig-
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keit, der dem Monument eigentlich inhärent ist, mit neuen Formen aufrecht zu erhalten. Der mit filmischen Mitteln erzeugte Eindruck von Dauerhaftigkeit beinhaltet dabei nicht nur den Blick zurück in die Vergangenheit, sondern sensibilisiert den Betrachter auch für die Gegenwart und die Zukunft: Bieten der Leninismus bzw. der Sozialismus Ansätze, die es zu revitalisieren lohnt? Welches Geschichtsbild propagiert eine symbolisch motivierte Architekturpolitik, die unliebsam gewordene Vergangenheit einfach negiert? Anders als materielle, herkömmliche Monumente werden Videoarbeiten wie Once in the XX Century und How To Appear Invisible nicht zu Demonstrationszwecken im öffentlichen Raum installiert, sondern (zumeist) im musealen oder institutionellen Kontext gezeigt. Ihre ursprüngliche räumliche und zeitliche Verortung bringt der dokumentarische Anteil der filmischen Strukturen zum Ausdruck. Da die tatsächlichen Monumente, die sie thematisieren, im Augenblick der filmischen Projektion bereits verschwunden sind, liegt eine ihrer Funktionen darin, die Erinnerung an das jeweilige Denkmal wieder zu erwecken. Erinnerung wird hier also durch eine Art Wiedererweckung hervorgerufen. Im Film wird keine stringente Geschichte erzählt, sondern ein Geschichtsbild konstruiert, an dem sich ein neuerliches Interesse entzünden soll. Die filmischen Mittel machen einen Zeitsprung möglich. Die materiellen Denkmäler können eine solche Wendung in die Gegenwart nicht vor und erst recht nicht nach ihrer Demontage erbringen, selbst dann nicht, wenn sie im musealen Kontext wieder installiert werden. So wurde beispielsweise im Süden Litauens von einem Unternehmer der Grutas-Park eingerichtet, in dem zahlreiche gestürzte Idole und Denkmäler gesammelt und verwahrt werden (Abb. 12). Die bronzenen Riesen stehen verloren in der bewaldeten Parklandschaft und haben jegliche Anbindung an ihre eigentlichen Kontexte verloren, inklusive ihres Massenpublikums.18 Ein anderes, näher liegendes Beispiel ist die Statue Kaiser Wilhelms I., die in Krefeld 1897 aufgrund einer Bürgerinitiative in einem Gebäude, das ein explizites Denkmal und zugleich auch Museum war, zur Ehrung der Monarchie errichtet wurde. Ende der 1960er Jahre entfernte man den skulpturalen Teil des Denkmals, die Statue Kaiser Wilhelms I., aus dem Gebäude und stellte die Figur des Kaisers an einem unscheinbaren Ort, seitlich neben dem Museum unter Bäumen, wieder auf (Abb. 13). Obwohl dieses Denkmal 18 | Vgl. http://www.grutoparkas.lt/index-en.htm von April 2010.
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seinen Weg vom Museum in den öffentlichen Raum genommen hat, dabei demontiert, verschoben und reinstalliert wurde, wirkt es an seinem derzeitigen Aufstellungsort ohne ablesbaren Kontext bedeutungslos. Nur hin und wieder erfährt die Statue durch Sprayattacken neuerliche Aufmerksamkeit. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Film und Video aufgrund ihrer Mittel vermögen, Monumente zu erhalten, neu zu interpretieren und zu aktualisieren. Monumente können also von Neuen Medien durchaus ersetzt werden. Film, Video wie auch Fotografie bleiben aber Medien, die immer nur in der Lage sind, bereits Vergangenes abzubilden. Sobald der Auslöser gedrückt wird, ist der festgehaltene Moment bereits Geschichte. Daher verhandeln technische Medien nicht nur Geschichte und ihre Monumente neu, vielmehr tragen sie per se einen hohen Grad an Denkmalhaftigkeit in sich.
»A pause in the city« Rachel Whitereads Reflexionen des Monuments Gerald Schröder
Trafalgar Square – wir kennen diesen Ort im Zentrum Londons, selbst wenn wir noch nie dort gewesen sind (Abb. 1). Und auch wenn wir bereits dort waren, kannten wir den Ort schon vorher; vielleicht weil wir als Kind eine Postkarte aus London erhalten haben, Filme aus der Zeit des Swinging London oder zu Neujahr Fernsehbilder der Sylvesterparty auf dem Trafalgar Square gesehen oder weil wir vor unserem ersten Besuch in London in den Reiseführer geschaut haben. Schließlich gehört Trafalgar Square zu den wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt und ist bei Touristen aus aller Welt wohl auch wegen seiner zentralen Lage – positioniert am Straßenkreuz von Strand, Whitehall, The Mall und Charing Cross – so beliebt. Dementsprechend turbulent geht es an diesem Platz auch zu. Noch bis vor wenigen Jahren brauste der Verkehr an allen vier Seiten der weiträumigen Platzanlage vorbei, bevor man 2003 die etwas erhöht liegende Straße vor der National Gallery zum Fußgängerbereich umgestaltet hat. Die Bürger Londons nehmen Trafalgar Square wohl eher en passant wahr, auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen, als Fußgänger oder vom Auto, Taxi oder Bus aus. Zum Ort des Verweilens wird der Platz für sie nur, wenn sie hier einen Treffpunkt mit Freunden verabredet haben oder eines der hier stattfindenden Kino- oder Comedy-Festivals besuchen. Sporadisch wird der Platz allerdings auch zum Ort einer politischen Öffentlichkeit, die hier auf Demonstrationen ihren Protest gegen die Regierung artikuliert, sei es gegen die Steuergesetze von Margaret Thatcher oder gegen die Beteiligung englischer Truppen am Irakkrieg unter der Regierung von Tony Blair.
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Abbildung 1: Trafalgar Square Quelle: http://londonleben.wordpress.com. Von diesen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, wird das alltägliche Leben auf dem Platz doch stark von den Touristen bestimmt, die staunend vor der Monumentalsäule des Denkmals für Admiral Nelson stehen oder vor allem in den Sommermonaten auf den Umfassungen der beiden großen Brunnenbecken sitzen, um ihr Mittagssandwich mit den Tauben zu teilen, bevor es dann weiter zur National Gallery oder zum Buckingham Palace geht. Ein Blick in den Baedecker oder die Ansprache des Reiseführers mag sie zwar über den Denkmalcharakter dieser Platzanlage aus dem 19. Jahrhundert belehren, die an den Sieg der englischen Marine über die spanisch-französische Seeflotte Napoleons vor Kap Trafalgar am 21. Oktober 1805 erinnert, doch wirklich beeindrucken wird dieses Wissen die Touristen wohl heute kaum noch, weil die einstige Größe des englischen Empires und seine Stärke als Seemacht nur noch wenig mit der heutigen politischen Situation des Landes zu tun haben. Beeindrucken wird die Touristen zu Beginn des 21. Jahrhunderts weniger der Erinnerungswert der hier aufgestellten Monumente als vielmehr ihre reine Monumentalität, mithin ihre schiere Größe, die frei von jeglicher historischen Bedeutung als körperliche Präsenz erfahren werden kann: Wie eben die Monumentalität der Nelson Column, die mit ihren 55 m im Reiseführer als größte korinthische Säule der Welt gepriesen wird, oder die Weitläufigkeit der Platzanlage, die mit den sie rahmenden klassizistischen Fassaden sowie den Sichtachsen in die Straßenfluchten ein spezifisches Bild von Londons großstädtischer Urbanität gibt. Gerade weil man diesen Ort durch mediale Vermittlung unterschiedlichster Art schon kannte, möchte man ihn als Tourist aufsuchen, um seine diffuse Aura nun auch körperlich wahrnehmen zu können, was wiederum durch Foto und Video vorrangig für andere dokumentiert wird: Auch ich war am Trafalgar Square! Allerdings werden auch die meisten Bürger Englands in den Monumenten des Platzes kaum mehr ein Gefühl nationaler Identität ver-
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Abbildung 2: Mark Wallinger, Ecce Homo, Trafalgar Square, London, 1999 Quelle: Alexandra Gerstein (Hg.): Display and displacement: sculpture and the pedestal from Renaissance to post-modern, London 2007, S. 143. ankern können, selbst wenn alljährlich am 21. Oktober die Erinnerung an den Sieg der englischen Flotte durch eine Parade des Sea Cadet Corps noch einmal performativ vergegenwärtigt wird. Mag Admiral Nelson den Engländern als historische Persönlichkeit noch ein Begriff sein, so werden wohl die wenigsten noch etwas mit den Generälen Henry Havelock und Charles James Napier anzufangen wissen, die Anfang des 19. Jahrhunderts für das Empire in Indien gekämpft haben und deren Bronzedenkmäler die Nelsonsäule flankieren, um den Platz an seinen südlichen Ecken abzuschließen. Im Norden der Platzanlage befinden sich als Pendant zwei weitere Sockel. Den östlichen schmückt ein Reiterstandbild Georgs IV., während der westliche Sockel leer ist, was wohl den wenigsten Besuchern des Platzes sofort auffallen wird. Ursprünglich war hier ein Reiterstandbild von Wilhelm IV. vorgesehen, das allerdings nie realisiert worden ist.1 1 | Zur Baugeschichte der Platzanlage siehe v.a. Rodney Mace: Trafalgar Square: emblem of empire, London 1976.
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Abbildung 3: Bill Woodrow, Regardless of history, Aufstellung der Plastik in Goodwood, 2000 Quelle: A. Gerstein (Hg.): Display and displacement (2007), S. 142. Um diesen leeren Sockel – die so genannte Fourth Plinth – geht es nun im Folgenden. Denn der Sockel rückte seit 1998 wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses, seitdem die in der Nähe des Platzes ansässige Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (RSA) ein Projekt ins Leben gerufen hat, das vorsah, den Sockel nacheinander mit unterschiedlichen Skulpturen zu schmücken, um auf der Basis konkreter ästhetischer Erfahrung eventuell eine dauerhafte Lösung für diese Leerstelle zu finden, die das symmetrische Gleichgewicht der Platzanlage störe.2 Zum Wettbewerb eingeladen wurden ausschließlich englische Künstler und Künstler, die zumindest in England arbeiten, was den nationalen Charakter des Unternehmens unterstreicht. Schließlich ging es der RSA darum, an prominenter Stelle vor dem Nationalmuseum die Leistungen der 2 | Zum Projekt siehe v.a. Sue Malvern: »The Fourth Plinth or the Vicissitudes of Public Sculpture«, in: Alexandra Gerstein (Hg.), Display and displacement: sculpture and the pedestal from Renaissance to post-modern, London 2007, S. 130-150.
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Abbildung 4: Rachel Whiteread, Monument, Trafalgar Square, London, 2001 Quelle: Chris Townsend (Hg.): The Art of Rachel Whiteread, London 2004, S. 186. zeitgenössischen englischen Kunst einem internationalen Publikum vor Augen zu führen. Aus den eingereichten Projekten wurden letztlich drei ausgewählt und nacheinander als jeweils temporäre Installationen realisiert: Nach der figurativ-konzeptuellen Arbeit Ecce Homo von Mark Wallinger (Jahrgang 1959) (Abb. 2) und dem allegorischen Bronzeguss Regardless of history von Bill Woodrow (Jahrgang 1948) (Abb. 3) wurde im Juni 2001 Rachel Whitereads (Jahrgang 1963) Arbeit als dritter Beitrag für den leeren Sockel auf dem Trafalgar Square enthüllt.3 Sie trägt den Titel Monument und war bis November 2001 zu sehen, als mit den genannten Umbaumaßnahmen vor der National Gallery begonnen wurde (Abb. 4). Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Arbeiten von Wallinger und Woodrow ist das Werk Whitereads nicht figurativ und ortsspezifisch, indem es die strenge klassizistische Form des Sockels aus dem 19. Jahrhundert wiederholt und invertiert, mithin spiegelverkehrt
3 | Vgl. ebd.
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aufsetzt.4 Dabei wiederholt Whiteread jedoch nicht den kompletten Unterbau, sondern nur den oberen Bereich, dessen Volumen maßgeblich aus zwei großen Quadern gebildet wird. Denn nur dieser obere Bereich ragt über die Brüstung der angrenzenden höher gelegenen Terrasse hinaus und ist somit im eigentlichen Sinne als Sockel zu begreifen, während der untere Teil stärker mit der architektonischen Rahmung der Platzes verbunden ist und den Höhenunterschied zwischen dem Platz und dem Bereich vor der National Gallery ausgleicht. Mit der Wiederholung und formalen Spiegelung des Sockels erzielt Whiteread einerseits eine formale Einheit, indem Sockel und Aufbau sich optisch zu einer symmetrischen Form zusammenschließen, andererseits hebt sich der Aufbau aber auch radikal vom Sockel ab, weil die Künstlerin dafür ein völlig anderes Material verwendet hat. Denn im Unterschied zum grauen und opaken Granit des Sockels besteht der Aufbau aus einem hellen Kunstharz, dessen Transparenz die rückwärtige Profilierung der stereometrischen Körper durchscheinen lässt. Darüber hinaus gibt der Aufbau den Blick – je nach Standpunkt des Betrachters – auch auf die Gebäude, die Platzanlage und ihre Monumente im Hintergrund frei oder auf den Himmel und seine Wolkenstimmung. Dabei erscheinen die Gegenstände hinter der Folie des Kunstwerks allesamt leicht verschwommen, weil das massiv gegossene Kunstharz im Unterschied zum völlig transparenten Glas eine größere Dichte besitzt: Es ist transparent und opak zugleich. Wird der steinerne Sockel also einerseits zum integralen Bestandteil der künstlerischen Arbeit, was noch durch die mimetische Übernahme der Steinfugen unterstrichen wird, die am massiven Körper aus Kunstharz nur noch einen formalen und keinen technisch-praktischen Zweck mehr erfüllen, so macht die beschriebene Differenz zwischen Sockel und Aufbau andererseits deutlich, dass es Whiteread mit dieser Arbeit darum ging, eine gleichsam dialektisch vollzogene Transformation des Sockels vor Augen zu führen. Mit anderen Worten, es werden bestimmte Aspekte des Sockels aufgegriffen und in ihr Gegenteil verkehrt. Was für die formale Komposition im Ganzen gilt, trifft auch auf weiter differenzierte Aspekte zu: In der Wiederholung bestimmter Eigenschaften des Sockels werden diese zugleich invertiert. So erscheint die Plastik trotz ihrer monumentalen Größe von 9 x 5,1 x 2,4 m überraschend 4 | Zu Monument siehe Chris Townsend: »Lessons from what’s poor. Monument and the Space of Power«, in: Ders. (Hg.), The Art of Rachel Whiteread, London 2004, S. 173-196.
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Abbildung 5: Rachel Whiteread, Monument, Trafalgar Square, London, 2001 Quelle: C. Townsend (Hg.): Rachel Whiteread (2004), S. 174. unauffällig, weil sie sich kaum vom Hintergrund abhebt, sondern aufgrund ihrer Transparenz mit diesem optisch verschmilzt. Gleiches gilt für das Gewicht der Plastik, die mit ihren mehr als elf Tonnen durchaus die vermeintliche Schwere des Sockels aufgreift, diese jedoch wiederum wegen der Transparenz des Materials leicht erscheinen lässt. Wie bereits erwähnt, scheint die Opazität des Sockels im massiven Guss aus Kunstharz noch einmal auf, wird jedoch zugleich in ein transparentes Medium überführt. Auch die Starre und Unbeweglichkeit des Sockels wird durch das künstliche Material noch einmal aufgegriffen, dessen flüssiger Aggregatzustand hier buchstäblich erstarrt ist und nicht von ungefähr an gefrorenes Wasser erinnert. Zugleich verflüssigt sich diese materielle Starre aber in optischer Hinsicht, weil sich das Licht im Kunstharz bricht, so dass sich die Plastik je nach Licht- und Wetterstimmung vor den Augen des Betrachters zu verändern scheint: Die Starre wird gleichsam dynamisch und löst sich auf im Ephemeren. Je nach Helligkeitsgrad der Umgebung erscheint die Plastik fast so dunkel wie der untere Sockel oder erstrahlt wie immateriell im gleißenden Licht der Sonne (Abb. 5).
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Von Whiteread selbst existieren keine programmatischen Schriften zu ihrer künstlerischen Arbeit. Zu Monument hat sie sich jedoch – wie zu anderen ihrer Werke auch – in Interviews geäußert und dabei metaphorisch von einer Pause gesprochen: »After spending some time in Trafalgar Square observing the people, traffic, pigeons, architecture, sky and fountains, I became acutely aware of the general chaos of Central London life. I decided that the most appropriate sculpture for the plinth would be to make a ›pause‹: a quiet moment for that space.«5 Wie ist diese Beschreibung als Pausenzeichen zu verstehen? Die These, die ich an dieser Frage anknüpfen und entfalten möchte, geht davon aus, dass unter dieser Pause keine bloß kompensatorische Funktion zu verstehen ist, als böte die Plastik einen Ort kontemplativer Versenkung und Ruhe als Heilmittel gegen den Lärm und die Hektik großstädtischen Lebens. Stattdessen möchte ich die Pause, von der hier die Rede ist, als Moment reflexiven Innehaltens begreifen. Denn wie bereits der Titel dieser künstlerischen Arbeit nahelegt, ist Monument ein Monument über das Monument. Mit ihrer Reflexion des Monuments greift Whiteread auf postmodernistische Konzepte der Ortsspezifität zurück, wie sie sich ausgehend von der Minimal Art als Kritik an der vermeintlich autonomen und ortlosen Skulptur des Modernismus entwickelt haben. Dabei bringt sie die postmodernistischen Konzepte eines ortspezifischen Monuments in einen Dialog mit dem vormodernistischen Konzept des ortsgebundenen Denkmals. Schließlich handelt es sich ja bei Trafalgar Square um eine Platz- und Denkmalanlage aus dem 19. Jahrhundert. Mit den formalen Mitteln minimalistischer Skulptur reflektiert Whiteread auf ihre Weise die altbekannte Krise des traditionellen Denkmals, wobei sie neben dem phänomenologischen Diskurs der Minimal Art auch an daran anschließende Diskurse der Institutionskritik erinnert und das Feld der Skulptur neben einer Verbindung zur Architektur nochmals erweitert, indem sie auch das Fotografische zu einem skulpturalen Wert macht. Doch besitzt der Dialog zwischen postmodernistischer Ortsspezifität und vormodernistischer Ortsgebundenheit noch eine andere Stoßrichtung, denn Whiteread nutzt auch die formalen und diskursiven Bestimmungen des Denkmals aus dem 19. Jahrhundert, um bestimmte Aspekte der Minimal Art und ihrer diskursiven Rahmung kritisch zu beleuchten. 5 | Zit. n. S. Malvern: »The Fourth Plinth or the Vicissitudes of Public Sculpture«, in: A. Gerstein (Hg.), Display and displacement (2007), S. 144.
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M ONUMENT IN DER TR ADITION DER M INIMAL A RT Als ein Werk, das für einen bestimmten Ort geschaffen wurde und nur an diesem Ort funktioniert, steht Monument in der Tradition ortspezifischer Arbeiten, die in den 1960er Jahren mit der Minimal Art ihren Anfang genommen haben.6 Nicht von ungefähr erinnert die Plastik auch formal an die strengen stereometrischen Formen dieser Kunstrichtung. Spielt Whiteread mit anderen ihrer Arbeiten unverkennbar auf Werke von Carl Andre an, so sind es bei Monument die so genannten specific objects Donald Judds wie beispielsweise seine halbtransparente Box aus Plexiglas und Stahl (Abb. 6).7 Programmatisch ging es Judd mit diesen Objekten bekanntlich darum, das traditionelle Konzept von Skulptur außer Kraft zu setzen: An die Stelle der optischen Wahrnehmung eines illusionistischen Raumes soll die Erfahrung des realen dreidimensionalen Raumes treten.8 Dabei sollte alles vermieden werden, was traditionellerweise einen solchen illusionistischen Raum in der Kunst mit hervorgebracht hat, wie eine gegliederte Komposition, vor allem wenn sie als Resultat eines subjektiven Ausdrucks erscheint oder im Sinne eines Biomorphismus suggeriert, dass sich ihre Form den Kräften eines unsichtbaren inneren Kerns verdanke.9 Wie der Vergleich mit Judds Box aus dem Jahr 1966 deutlich macht, verzichtet auch Whiteread mit ihrer Arbeit für Trafalgar Square ganz im Sinne des minimalistischen Konzepts eines specific object darauf, 6 | Zur Kategorie und Geschichte der Ortsspezifität siehe v.a. Miwon Kwon: »One Place after another: Notes on Site Specifity«, in: Erika Suderburg (Hg.), Space, Site, Intervention. Situating installation art, Minneapolis 2000, S. 38-63. 7 | Zur Rezeption der Minimal Art bei Whiteread siehe Lynn Zelevansky: »Sense and Sensibility: Women Artists and Minimalism in the Nineties«, in: Ausst. Kat. Museum of Modern Art, New York, Sense and Sensibility: Women Artists and Minimalism in the Nineties, New York 1994, S. 26-29; Malin Hedlin Hayden: Out of Minimalism. The Referential Cube.Contextualising sculptures by Antony Gormley, Anish Kapoor and Rachel Whiteread, Uppsala 2003, S. 119-150; Melanie Marino: »Moving on«, in: C. Townsend (Hg.), Rachel Whiteread (2004), S. 85-106. 8 | Siehe Donald Judd: »Spezifische Objekte« (1965), in: Gregor Stemmrich (Hg.): Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel 1995, S. 59-73. 9 | Vgl. Rosalind E. Krauss: Passages in Modern Sculpture, Cambridge, Mass./ London 1977, S. 243-288.
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Abbildung 6: Donald Judd, Ohne Titel, 1966 Quelle: Ausst. Kat. Tate Modern, London: Donald Judd, hg. v. Nicholas Serota, Köln 2004, S. 187. einen illusionistischen Raum zu schaffen, indem sie anstelle einer anthropo- oder biomorphen eine streng stereometrische Form wählt, deren Transparenz zudem noch auf das Fehlen eines inneren Kerns im Sinne einer Form gebenden Kraft aufmerksam macht. Im Unterschied zur schlichten Box von Judd weist Monument zwar eine Profilierung und somit eine gewisse Gliederung auf, allerdings erscheint die Form trotzdem als Einheit, ganz wie Judd dies mit der Kategorie der singleness gefordert hat: Das Objekt erscheint aus einem Guss, selbst wenn es sich um zwei separat gegossene Blöcke handelt.10 Auch werden Material, Form und Farbe im Sinne der singleness als Einheit begriffen. Ferner ist die Gliederung des Körpers auch deswegen nicht als Komposition im traditionellen Sinn zu verstehen, weil sie sich keiner subjektiven Geste verdankt, sondern der Abformung eines vorgefundenen Objektes. Judd hatte auf das ready-made als wichtigen Bezugspunkt für die Objektivität seiner specific objects hingewiesen und dabei auch die Abgüsse vorgefundener trivialer Objekte von Jasper Johns erwähnt.11 Doch während Johns noch auf traditionelle künstlerische Materialien 10 | Vgl. D. Judd: »Spezifische Objekte«, in: G. Stemmrich (Hg.), Minimal Art (1995), S. 62. 11 | Vgl. ebd., S. 65/66.
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Abbildung 7: Robert Morris, One-Person-Show, 1964 Quelle: Nena Tsouti-Schillinger: Robert Morris and Angst, Athen/New York 2001, S. 72. wie Bronze zurückgriff, verwendet Whiteread wiederum ganz im Sinne Judds industrielles künstliches Material. Die Ortspezifität von Monument geht freilich weit über Judds Konzept des specific object hinaus, so dass Whiteread mit ihrer Arbeit nicht nur das Raumkonzept der Minimal Art reflektiert, sondern auch die Verschiebungen des Konzepts in der Nachfolge dieser Kunstrichtung. Im Anschluss an Judd hatte bekanntlich zunächst Robert Morris das Raumkonzept der Minimal Art weiterentwickelt, indem er nicht nur die Objekte selbst als realen dreidimensionalen Raum begriff, sondern von ihnen aus auch den umgebenden Raum erfahrbar machen wollte (Abb. 7).12 Gerade weil die einfachen stereometrischen Körper als unitary forms keine relationale Gliederung aufweisen, wird die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht mehr durch das einzelne Objekt gebunden, sondern auf die Beziehung des Objekts zum Umraum gelenkt. Die ästhetischen Bestimmungen liegen mithin nicht mehr im Objekt selbst, sondern sind abhängig von den physikalischen Eigenschaften des räumlichen Kontextes, seinen Proportionen und seiner Beleuchtung.13 Ganz maßgeblich für die räumliche Erfahrung der künstlerischen Arbeit ist aber für Morris die körperliche Verortung des Betrachters selbst. Seine körperliche Größe und perspektivische Sicht auf das Objekt, die sich 12 | Siehe Rober t Morris: »Anmerkungen über Skulptur« (1966/67), in: G. Stemmrich (Hg.), Minimal Art (1995), S. 92-120. 13 | Vgl. ebd., S. 108.
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durch seine Bewegung im Raum verändert, sind entscheidend dafür, wie die Objekte räumlich wahrgenommen werden. Raum ist somit keine physikalische, sondern eine phänomenologische Größe. Damit der Betrachter aber zur Reflexion der körperlichen Fundierung seiner Wahrnehmung angeregt wird, müssen die Objekte laut Morris eine bestimmte Größe besitzen, die den Betrachter auf räumliche Distanz zu ihnen bringt. Denn nur in dieser räumlichen Distanzierung kann der Raum zwischen Betrachter und Objekt in den Blick geraten und als konstitutiv für die phänomenologische Bestimmung des Objekts wahrgenommen werden. Objekte, die dank ihrer Größe diese Funktion erfüllen, werden von Morris Monument genannt und im Unterschied zur intimen Nahsichtigkeit, die kleinformatige Objekte fordern, mit der Kategorie der Öffentlichkeit in Zusammenhang gebracht.14 Auch erschließen sich Monumente in diesem Begriffsverständnis Morris’ nicht einem singulären Blick, sondern erfordern eine kinästhetische Wahrnehmung. Mit anderen Worten, ihre Form erschließt sich nur sukzessive, indem der Betrachter das Objekt körperlich umschreitet, wobei sich das Objekt von Perspektive zu Perspektive in phänomenologischer Hinsicht zu verändern und seine feste Form zu verlieren scheint. Whitereads Monument erinnert an dieses phänomenologische Konzept des Monuments im Sinne der Minimal Art und geht dabei noch einen Schritt über Morris hinaus.15 Denn während Morris vorrangig den white cube der Galerie oder des Museums als räumlichen Kontext im Blick hatte, ist es bei der Arbeit von Whiteread ein ganz spezifischer urbanistischer Raum. Doch wiederum ganz im Sinne der programmatischen Schriften von Morris besitzt Monument eine Größe, die den Betrachter auf Distanz hält und in diesem Sinne einen öffentlichen Raum schafft. Auch macht Monument insofern auf die phänomenologischen Prämissen unserer Wahrnehmung aufmerksam, als es die Veränderung seiner Erscheinungsweise je nach Lichtstimmung und Betrachterperspektive geradezu zelebriert. Morris hatte besonders diesen Aspekt als Qualitätsmerkmal neuerer Skulptur hervorgehoben: »Einige der besten neuen Arbeiten sind im Hinblick auf die Oberflächenbeschaffenheit offener und neutraler und daher empfänglicher für die wechselnden Kontexte des Raums und des Lichts, in denen sie existieren. Sie spiegeln 14 | Vgl. ebd., S. 102. 15 | Zum Verhältnis der Arbeiten Whitereads zur Phänomenologie MerleauPontys siehe Karina Pauls: Erlebte Räume – im Alltag und in der Kunst. Rachel Whiteread und Gregor Schneider, Oberhausen 2009, S. 187-224.
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nachhaltiger diese beiden Eigenschaften und werden merklicher von ihnen verändert.«16 Auch Monument provoziert eine kinästhetische Betrachtungsweise, selbst wenn aufgrund seiner Transparenz die Rückseite sofort sichtbar wird. Denn die opake Transparenz des Materials führt eben auch dazu, dass der urbanistische Raum im Hintergrund zum integralen Bestandteil der künstlerischen Arbeit wird, so dass sich die Plastik je nach Betrachterstandpunkt nicht nur aufgrund ihrer wechselnden perspektivischen Verkürzung zu verändern scheint. Dass für Whiteread gerade die Minimal Art zur wichtigen Referenz ihrer künstlerischen Arbeit wurde, hat sicherlich auch mit dem Diskurs der Kunstkritik und Kunstgeschichte seit den späten 1970er Jahren zu tun, wie sie im Umfeld der US-amerikanischen Kunstzeitschrift October formuliert worden ist. Bekanntlich lässt Rosalind Krauss ihre einflussreiche Geschichte zur modernen Skulptur – Passages in Modern Sculpture (1977) – mit der Minimal Art als Kulminationspunkt der Moderne und zugleich als Wendemarke hin zu einer postmodernistischen Kunstauffassung enden.17 Ausgehend von der Minimal Art habe sich eine neue Syntax der Skulptur herausgebildet, die sie etwas später an anderer Stelle als »sculpture in the expanded field« beschrieben hat.18 Lassen sich die minimalistischen Objekte von Morris nach dieser Lesart nur noch negativ als Nicht-Architektur und Nicht-Landschaft bestimmen, so habe sich mit diesen Ausschlusskriterien doch in struktureller Hinsicht ein größeres Feld skulpturaler Arbeit eröffnet, das radikal mit traditionellen Vorstellungen der Skulptur bricht: Eine Verbindung von Architektur und Landschaft sei nun ebenso möglich wie die Verbindung von Landschaft und Nicht-Landschaft oder Architektur und Nicht-Architektur. Letztere Position werde unter anderen von Richard Serra eingenommen und auch Whitereads Monument erinnert an dieses erweiterte Verständnis von Skulptur, indem sie sich ganz konkret in die Architektur des Platzes und seines urbanistischen Umfeldes einschreibt und dabei gerade den Sockel aufgreift, der als architektonische Form doch nicht ganz zur Architektur gehört.
16 | R. Morris: »Anmerkungen über Skulptur«, in: G. Stemmrich (Hg.), Minimal Art (1995), S. 106/107. 17 | Vgl. R. E. Krauss: Passages in Modern Sculpture, S. 243-288. 18 | Siehe R. E. Krauss: »Sculpture in the Expanded Field« (1979), in: Dies., The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, Cambridge, Mass./London 1985, S. 277-290.
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M ONUMENT ALS K RITIK AM TR ADITIONELLEN D ENKMAL Interessant ist nun gerade im Hinblick auf die Reflexion des Monuments, dass Whiteread nicht nur auf Formen und Diskurse der Minimal Art zurückgreift, sondern diese in einen Dialog mit der vormodernistischen Konzeption des Denkmals bringt. Dabei kann dieser Dialog zunächst als Kritik am traditionellen Denkmal, oder besser, als Reflexion seiner Wahrnehmung unter zeitgenössischen Bedingungen verstanden werden. Im Unterschied zu den umgebenden Bronzedenkmälern von Trafalgar Square verzichtet Whiteread ganz bewusst auf eine figürliche Darstellung. Ihr Monument erinnert an kein historisches Ereignis und hebt kein Individuum auf den Sockel, dessen Handeln für die Gesellschaft ein moralisches Vorbild abgeben könnte. Im Vorfeld der Überlegungen zur Fourth Plinth war durchaus im Gespräch, hier beispielsweise ein Standbild von Nelson Mandela oder Florence Nightingale zu errichten.19 Gegenüber einer solchen Beredsamkeit des Leibes, die sich traditionellen Mustern der Rhetorik und Physiognomik verdankt, erscheint das Monument von Whiteread überraschend still: Es scheint zunächst nichts zu erzählen und besitzt keine Bedeutung, die sich mit ikonografischen Mitteln entschlüsseln ließe. An die Stelle des beredten traditionellen Monuments mit seinem Erinnerungswert als Denkmal setzt Whiteread ein Monument im Sinne der Minimal Art, das primär phänomenologisch als Körper im Raum erfahren wird. Implizit macht Whiteread damit aber auch auf die semantische Entleerung der umgebenden Denkmäler auf Trafalgar Square aufmerksam, deren Inhalte heute nur noch von wenigen verstanden werden. Auch sie werden – etwas zugespitzt formuliert – von den meisten Besuchern eher im Sinne eines minimalistischen Monuments rezipiert, wie die anfängliche Schilderung des Treibens auf dem Platz deutlich macht: So beeindruckt die Nelson Column heute weniger wegen ihres Denkmalwertes, sondern eher aufgrund ihrer monumentalen Größe, die auch nicht mehr semantisch als Apotheose des Helden verstanden wird, sondern bei den meisten Betrachtern wohl eher ein diffuses Gefühl großstädtischer Urbanität hinterlässt. Die unmittelbare Verbindung mit der Architektur, die Whitereads Monument im Rückgriff auf postminimalistische Strategien einer Skulptur im erweiterten Feld herstellt, ist im Kontext der Denkmalanlage von 19 | Siehe S. Malvern: »The Four th Plinth or the Vicissitudes of Public Sculpture«, in: A. Gerstein (Hg.), Display and displacement (2007), S. 139.
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Trafalgar Square zugleich ein kritischer Kommentar auf den Sockel des traditionellen Monuments.20 Indem Whiteread den Sockel noch einmal wiederholt und als formale sowie materielle Verkehrung seiner selbst auf den Sockel hebt, macht sie ihn erst richtig sichtbar, wobei die Transparenz der aufgesetzten Form zugleich auf die ursprüngliche Leere des Sockels hinweist, die durch das Skulpturenprojekt der RSA ja gerade behoben werden sollte. Monument macht den Sockel selbst zum Thema und zwar in einem durchaus ideologiekritischen Sinn, weil es seine ursprüngliche Funktion in der Wiederholung buchstäblich invertiert: Dazu gehört eben auch und sogar ganz entscheidend, dass der Sockel überhaupt so prominent ins Sichtfeld gerückt wird. Denn gerade die hier vorgefundene äußerst schlichte Form eines Sockels verleiht ihm eigentlich eine rein deiktische Funktion im Hinblick auf das zu errichtende Denkmal, zu dessen Gunsten er optisch völlig zurücktreten sollte. Was also als bloßer Kontext im Unterschied zur eigentlichen Geschichte kaum wahrgenommen werden sollte, wird von Whiteread nun hervorgekehrt und dabei auch in seiner ideologischen Funktion deutlich markiert. Denn so unscheinbar der Sockel zunächst wirkt, so wichtig ist er doch für die Konstituierung der ursprünglich angestrebten Bedeutung. Der Sockel gibt die Hierarchie von unten und oben vor, hebt das Denkmal hervor, isoliert es von der Umgebung und verleiht ihm Stabilität, wobei diese zunächst rein formalen Kriterien zugleich auf die Konstituierung gesellschaftlicher und politischer Werte zielen. So demonstrieren ja gerade die Denkmäler auf Trafalgar Square militärischen Mut und Opferbereitschaft für die Monarchie als verbindliche gesellschaftliche Werte, adressiert an die englische Nation. Whitereads Monument setzt dem keinen anderen Wert entgegen, sondern dekonstruiert die Konstitution normativer Werte durch das Monument ganz allgemein. Denn ihr aufgesetzter Sockel invertiert – wie schon mehrfach betont – ja gerade die vorgefundene Form aus dem 19. Jahrhundert. Während sich die klassizistische Form des Sockels nach oben hin verjüngt und somit von unten nach oben zeigt, kehrt Whiteread diese Hierarchie um. Auch isoliert ihr Monument nicht mehr von einer als profan verstandenen städtischen Umgebung, sondern macht diese zum integralen Bestandteil, indem die Stadt optisch mit 20 | Zum Umgang und zur Konzeption des Sockels in Denkmälern seit dem 19. Jahrhundert siehe v.a. Peter Springer: »Rhetorik und Standhaftigkeit. Monument und Sockel nach dem Ende des traditionellen Denkmals«, in: WallrafRichartz-Jahrbuch 48/49 (1988), S. 365-408.
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Abbildung 8: Daniel Buren, Photo-souvenir: Manifestation, Arbeit in situ, Detail, Januar-März 1971 Quelle: Markus Pilgram: Kritik und Wahrnehmung im Werk von Daniel Buren. Vom unmittelbaren Sehen des unauffällig Aufdringlichen, Berlin 2005, S. 81. der transparenten Plastik verschmilzt. Und anstelle der Stabilität des vorgefundenen Sockels, der den repräsentierten Werten den Charakter von Ewigkeit verleihen sollte, setzt Whiteread eine Form, die sich stets zu verändern, ja regelrecht aufzulösen scheint und dabei auch ihre eigene zeitlich begrenzte Dauer reflektiert. Denn die zeitliche Begrenzung des Projekts auf wenige Monate stand ja von vornherein fest. Indem Whiteread auch auf die ursprünglich ideologische Funktion des Sockels und damit des traditionellen Monuments aufmerksam macht, erweitert sie noch einmal das zuvor skizzierte Raumkonzept der Minimal Art. Monument ist nicht nur in dem Sinne ortsspezifisch, als es den umgebenden Stadtraum als physikalischen Raum phänomenologisch erfahrbar macht, sondern begreift diesen auch als ideologischen und d.h. als einen von verborgenen Machtstrukturen hervorgebrachten und bestimmten Raum. Wir werden durch die Plastik mithin nicht nur körperlich adressiert, sondern auch dazu angeregt, die ideologischen Bedingungen unserer Wahrnehmung kritisch zu befragen. Die Künstlerin greift damit implizit auf institutionskritische Strategien von site specifity zurück, wie sie ebenfalls in der Nachfolge der Minimal Art aber auch der Conceptual Art entstanden sind.21 So markierte bekanntlich 21 | Siehe Benjamin Buchloh: »Von der Ästhetik der Verwaltung zur institutionellen Kritik. Einige Aspekte der Konzeptkunst von 1962-1969«, in: Ausst. Kat. Kunsthalle Düsseldorf, um 1968. konkrete utopien in kunst und gesellschaft, hg. v. Marie Luise Syring, Köln 1990, S. 86-99.
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Daniel Buren den räumlichen Kontext traditioneller Kunstwerke, um dadurch auf die ausgeblendeten ideologischen Rahmenbedingungen künstlerischer Institutionen wie Galerie oder Museum aufmerksam zu machen (Abb. 8). Whitereads Monument markiert hingegen die Stadt und speziell Trafalgar Square als ideologischen Raum und zeigt dabei zugleich, dass die Ideologie, zumindest in ihrer ursprünglichen Form aus dem 19. Jahrhundert, heute nicht mehr funktioniert. Die Denkmäler auf Trafalgar Square adressieren und formieren heute kaum noch eine nationale Öffentlichkeit, die sich in den hier repräsentierten Werten als homogene Gruppe widerspiegeln kann. So stellt Whitereads Monument nicht nur die zuvor erwähnte Entsemantisierung der Denkmäler aus dem 19. Jahrhundert bloß, sondern thematisiert auch den mit ihnen verbundenen Verlust gesellschaftlich verbindlicher Werte. Gerade in Anbetracht eines höchst heterogenen und internationalen Publikums auf Trafalgar Square zielt Monument nicht mehr auf Identitätsstiftung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Im Gegenteil: Monument reflektiert eher die Auflösung gesellschaftlich verbindlicher Werte und traditioneller Machtstrukturen.
M ONUMENT ALS K RITIK AN DER M INIMAL A RT Wie schon thesenartig formuliert, ist der Dialog zwischen postmodernistischen Konzepten von Ortsspezifität und einer vormodernistischen Auffassung von Ortsgebundenheit, den Whiteread mit ihrer Arbeit Monument initiiert, nicht nur als Kritik am traditionellen Denkmal in Anbetracht heute verbreiteter Rezeptionsweisen zu begreifen. Denn auch die Minimal Art selbst, auf die Whiteread hier in differenzierter Art und Weise anspielt, wird in gewisser Hinsicht einer kritischen Revision unterzogen, indem sie mit Formen und Konzepten des traditionellen Denkmals konfrontiert wird. Wenn Whiteread hier quasi ein specific object im Sinne Donald Judds auf den Sockel hebt und auch in seinen Größenverhältnissen monumentalisiert, kann dies einerseits als ironischer Kommentar auf die bereits erwähnte prominente Stellung dieser Kunstrichtung in der Kunstkritik und Kunstgeschichtsschreibung seit den 1970er Jahren verstanden werden. Andererseits konterkariert Whiteread damit aber auch ein ganz zentrales Anliegen der Minimal Art und der ortspezifischen Strategien in ihrer Nachfolge. Denn ganz entscheidend ging es diesen gerade darum, den Sockel als Element traditioneller und modernistischer Skulptur zu verbannen. Wie schon
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die angeführte Box aus Stahl und Plexiglas von Judd deutlich machte, standen die Objekte ohne Sockel direkt auf dem Boden. Schließlich sollte der idealistische Raum von Fiktionalität und Repräsentation, den der Sockel traditionellerweise eröffnet, durch den realen dreidimensionalen Raum ersetzt werden, auf dessen Boden auch der Betrachter steht. Indem Whiteread mit Monument das minimalistische Objekt wieder mit dem idealistischen Raum über einem traditionellen Sockel in Beziehung setzt, scheint sie implizit auf die potentielle Assoziationskraft solcher Objekte hinzuweisen, die sie entgegen der programmatischen Behauptung einer buchstäblichen Erfahrung von Raum, Körper und Wahrnehmung trotz allem besitzen. Es war vor allem Anna Chave, die – seitens einer feministisch orientierten Kunstkritik – mit ihrem im Arts Magazine erschienenen Artikel Minimalism and the Rhetoric of Power (1990) kritisch auf ein solches Assoziationspotential hingewiesen und dabei die Nähe der Minimal Art zu männlich-sexueller Dominanz und Technokratie herausgestellt hat: »[…] diese Kunst projiziert das nackteste, stählernste Gesicht der Gesellschaft, das unpersönliche Gesicht von Technologie, Industrie und Kommerz, das unnachgiebige Gesicht des Vaters: ein Gesicht, das für gewöhnlich weitaus attraktiver maskiert ist.«22 Whiteread hebt in ihren Interviews ihre durchaus ambivalente Haltung gegenüber der Minimal Art hervor, die sie einerseits als wichtigen Bezugspunkt nennt, von der sie sich aber andererseits auch distanziert. Selbst wenn ihr die Formulierung nicht sehr gefällt, bezeichnet sie ihre eigene künstlerische Arbeit doch als einen »Minimalismus mit Herz« und unterstreicht ihre »weibliche Sensibilität für Materialien und Farben.«23 Auch bezieht sie sich neben den männlichen Protagonisten der Minimal Art explizit auf die Vorreiterinnen feministischer Kunst wie Eva Hesse und Louise Bourgeois.24 Betrachtet man ihr künstlerisches Oeuvre als Ganzes, fällt in der Tat auf, dass ihre Werke immer wieder auf den menschlichen Körper in seiner Fragilität und Vergänglichkeit Bezug nehmen, wobei – wie bei Eva Hesse – die affektive Wirkung der verwendeten Materialien eine zentrale Rolle spielt. Objekte unserer alltäglichen Lebenswelt wie Matratzen, Badewannen oder auch ganze Wohnräume 22 | Anna C. Chave: »Minimalismus und die Rhetorik der Macht«, in: G. Stemmrich (Hg.), Minimal Art (1995), S. 647-677, hier 657/658. 23 | Zit.n. Rachel Whiteread: »Transient Spaces«, in: Ausst. Kat. Deutsche Guggenheim Berlin, Transient Spaces, hg. v. Marga Taylor, Ostfildern-Ruit 2001, S. 55. 24 | Vgl. ebd.
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und Häuser werden zu Stellvertretern des menschlichen Körpers und in ihrer Erscheinung – oftmals durch Inversion der ursprünglichen Raumverhältnisse von Innen und Außen – so verfremdet, dass die eigentlichen Lebensräume zu Räumen des Todes werden und nicht von ungefähr an Särge, Sarkophage oder Mausolen erinnern. Whiteread selbst spricht davon, dass sie mit Ausgüssen von Wohnräumen in Beton »die Luft in einem Raum mumifizieren will.«25 So verleiht sie ihren Werken, die oftmals auf die Minimal Art anspielen, ganz bewusst ein assoziatives Potential, das sie zugleich von der Programmatik der Minimal Art unterscheidet. Dabei ist jedoch wichtig hervorzuheben, dass die existentielle Dimension ihrer künstlerischen Arbeit nicht ikonografisch im Sinne einer Allegorie des Memento mori semiotisch und kognitiv zu entschlüsseln ist, sondern als psychophysische Verunsicherung und Bedrohung leibhaftig erfahren wird. Whiteread fällt somit nicht hinter die Programmatik der Minimal Art zurück, sondern möchte die phänomenologische Reflexion einer körperlich fundierten Wahrnehmung durch die genannte psychophysische Erfahrung erweitern, die den Objekten wieder eine inhaltliche Dimension verleiht. Dies gilt letztlich auch für ihre Arbeit Monument, die gerade im Kontext der übrigen Werke von Whiteread auch an einen gläsernen Sarg erinnert. Bereits zwei Jahre vor dem Auftrag für Trafalgar Square hatte sich Whiteread mit dem Thema des Sockels beschäftigt wie ihre Arbeiten Untitled (Rubber Plinth) und Untitled (Rubber Double Plinth) – beide aus dem Jahr 1996 – demonstrieren (Abb. 9).26 Ausgangspunkt war der Abdruck einer Leichenbahre aus der Pathologie, die seit 1991 immer wieder im Werk von Whiteread auftaucht. Die unmittelbare indexikalische Verbindung von Tod und Sockel, die in diesen Arbeiten anklingt, gewinnt mit der Arbeit Untitled (Elongated Plinth) (1998) noch stärkere Prägnanz: Denn mit ihrer länglichen Form erinnern diese Sockel ganz dezidiert an Särge (Abb. 10). Wenn Monument also assoziativ als monumentaler gläserner Sarg wahrgenommen werden kann, dann reflektiert die Künstlerin auf diese Weise nochmals die Funktion des traditionellen Denkmals und speziell des Sockels. Schließlich zielte ja das traditionelle Denkmal darauf ab, den Toten zu gedenken und ihnen mit der künstlerischen Repräsentation ihres Körpers Unsterblichkeit zu verleihen, ähnlich den gläsernen Schreinen, welche die Körper der Heiligen konservie25 | Ebd., S. 52. 26 | Vgl. C. Townsend: »Lessons from what’s poor. Monument and the Space of Power«, in: Ders. (Hg.), Rachel Whiteread (2004), S. 181-182.
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Abbildung 9: Rachel Whiteread, Untitled (Rubber Plinth), 1996 Quelle: C. Townsend (Hg.): Rachel Whiteread (2004), S. 182.
Abbildung 10: Rachel Whiteread, Untitled (Elongated Plinth), 1998 Quelle: Charlotte Mullins: Rachel Whiteread, London 2004, S. 86. ren, oder dem Glassarg im Lenin-Mausoleum, von dem Whiteread bei ihrem Besuch in Moskau so beeindruckt gewesen ist.27 In gewisser 27 | Zum Besuch in Moskau siehe Charlotte Mullins: Rachel Whiteread, London 2004, S. 26. Zum Bezug der Arbeiten Whitereads zum Tod und zu Bestattungsräumen siehe ebd., S. 115-123.
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Weise greift Whiteread also durchaus das Konzept des vormodernistischen Denkmals auf und aktualisiert es zugleich, wie schon herausgestellt, im Rückgriff auf postmodernistische Konzepte von site specifity und skulpturaler Raumerfahrung. Denn Monument erinnert an keinen bestimmten Toten, sondern ganz allgemein an die Vergänglichkeit menschlicher Existenz, verbunden mit dem Wunsch, dieser Vergänglichkeit ein Stück Unsterblichkeit entgegen zu setzen. Ganz im Sinne der Beobachtung eines zeitgenössischen Kunstkritikers: »Here, there is nothing to remember except our own passing.«28 Für ihr Memento mori findet Whiteread eine Form, die jenseits kultureller und speziell religiöser sowie nationaler Unterschiede prinzipiell jeden Besucher auf Trafalgar Square ansprechen kann; auch ist nicht unbedingt eine kunsthistorische Bildung vonnöten, um das fragile Gleichgewicht und den dialektischen Umschlag von materieller Stabilität in optische Auflösung der Form leiblich erfahren und existentiell deuten zu können.
F OTOGR AFISCHE A SPEK TE Nicht zuletzt wegen seiner möglichen Funktion als Totengedenken besitzt Monument eine gewisse Nähe zur Fotografie, deren kategoriale Aspekte auch in anderen Arbeiten von Whiteread eine wichtige Rolle spielen. Vor allem das Abdruckverfahren, mit dem die Künstlerin fast durchgehend arbeitet, kann mit der medienspezifischen Indexikalität der Fotografie verglichen werden.29 Nun gehört Monument zwar zu den wenigen Arbeiten Whitereads, die gerade nicht auf einem Abdruck basieren, so dass hier auch die semiotische Kategorie des Indexes nicht greift, und doch besitzt Monument insofern Aspekte des Fotografischen, als es mit der Wiederholung des Sockels die Reproduzierbarkeit einer Form zum Thema macht.30 Aufgrund der Spiegelverkehrung 28 | Adrian Searle: »Whiteread’s reminder of modernist ideals defies sentimentality«, http://www.Guardian.co.uk vom 05.06.2001. 29 | R. E. Krauss: »X Marks the Spot«, in: Ausst. Kat. Tate Gallery, Liverpool, Shedding Life, hg. v. Fiona Bradley, Liverpool 1996, S. 74-81. 30 | Zur Kategorie des Fotografischen siehe R. E. Krauss: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände (1990), München 1998, S. 14-17; Martina Dobbe: Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte, München 2007.
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und der Inversion der Helligkeitswerte erscheint Monument als ein ins Dreidimensionale gewendetes fotografisches Negativ, das mit der Lichthaltigkeit des Kunstharzes noch zusätzlich auf die Lichtschrift des technischen Mediums anspielt. Auch steht das fotografische Einfrieren der Zeit in Analogie zum Erstarren des Kunstharzes. Der Bezug zum Fotografischen führt zu einer erneuten Erweiterung des skulpturalen Feldes und ist in Bezug auf die künstlerische Reflexion des Monuments deswegen besonders interessant, weil damit auf die Ablösung des traditionellen Denkmals durch die Fotografie aufmerksam gemacht wird. Vor allem Roland Barthes hat in seiner Studie zur Fotografie Die helle Kammer darauf hingewiesen: »Die Gesellschaften früherer Zeiten wussten es so einzurichten, dass die Erinnerung, Ersatz für das Leben, ewig wurde und dass wenigstens das, was den Tod zum Ausdruck brachte, selbst Unsterblichkeit erlangte: das DENKMAL. Indem die moderne Gesellschaft aber die – sterbliche – PHOTOGRAPHIE zum allgemeinen und gleichsam natürlichen Zeugen machte, ›was gewesen ist‹, hat sie auf das DENKMAL verzichtet. [Herv. i.O.]« 31
In der modernen Gesellschaft übernimmt die Fotografie die Funktion, die traditionellerweise das Denkmal erfüllt hat. Whiteread lässt das Fotografische in ihre Arbeit mit einfließen, weil sie von Anfang an weiß, dass ihr Monument nur als Fotografie fortleben wird. Auch reflektiert sie damit noch einmal die heutige Rezeptionsweise von Trafalgar Square, von der eingangs die Rede war und die stark von der fotografischen Praxis und Vermittlung geprägt ist. Doch vor allem zeugt gerade der fotografische Aspekt von Monument davon, dass die Geschichte des Monuments bereits vergangen ist. Wie ein Foto erinnert Monument an diese Geschichte des traditionellen Denkmals und wie ein Foto macht es diese Vergangenheit mit den Mitteln ortspezifischer Strategien der Kunst nach 1960 aber auch wieder gegenwärtig. Doch wie auf einem Foto ist diese Gegenwart gespenstisch.
31 | Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie (1980), Frankfurt a.M. 1985, S. 104.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas – Modifikationen des Entwurfs im Horizont des Monumentalen Maike Mügge
E INLEITUNG Am 10. Mai 2005 wurde in Berlin das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in einem Festakt feierlich eingeweiht. Zu dieser Veranstaltung waren 1200 Personen geladen. Neben hochrangigen Politikern waren der Architekt Peter Eisenman, Repräsentanten der Initiatorengruppe, Lagerüberlebende und deren Angehörige, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Paul Spiegel, Vertreter jüdischer Gemeinden aus unterschiedlichen europäischen Ländern und eine Reihe weiterer Personen des öffentlichen Lebens versammelt. Mehr als 650 Journalisten berichteten über das Ereignis. Der gesamte feierliche Akt wurde in Bild und Ton aufgezeichnet und dokumentiert. Drei Fernsehsender – ARD, ZDF und Phoenix – berichteten live von dieser Einweihung, so dass der Veranstaltung neben der exklusiven Versammlungsöffentlichkeit auch ein breites Fernsehpublikum Live and Remote beiwohnte – eine mediale Strategie, die auf den Effekt der Vergemeinschaftung der dem Ereignis beigelegten Werte und Prinzipien setzt (Abb. 1).1
1 | Zur Theorie des Medienereignisses siehe die nach wie vor grundlegende und aufschlussreiche Untersuchung von Daniel Dayan/Elihu Katz: Media Events – The Live Broadcasting of History, Cambridge, Mass./London 1992. Zur
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Abbildung 1: Fotografen während der Eröffnungsfeier, Berlin, 10. Mai 2005 Quelle: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hg.): Eröffnung Denkmal für die ermordeten Juden Europas – 10. Mai 2005 – Reden und Fotos, o.A., S. 4. Zwei Tage später, am 12. Mai 2005, wurde das Denkmal dann der Öffentlichkeit übergeben. Seit diesem Tag verfügt die Berliner Republik über ein an zentraler Stelle gelegenes Denkmal, das der Erinnerung an den Völkermord an mindestens 5,6 bis 6,3 Millionen Menschen, die das nationalsozialistische Regime als Juden definierte, gewidmet ist. Dieser Eröffnung war eine Vorgeschichte des Denkmals vorausgegangen, die sich über insgesamt 17 Jahre hinzog. Ausgehend von einer Initiative der beiden Fernsehjournalisten Lea Rosh und Eberhard Jäckel war die Idee für ein zentrales Denkmal der BRD zur Erinnerung an die ermordeten Juden zum ersten Mal 1988 öffentlich diskutiert worden. Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung zum Umgang mit dem PrinzAlbrecht-Gelände forderte Rosh die Errichtung eines Denkmals für die deutschen jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Durch manchmal mehr, manchmal weniger geschickte, aber immer hartnäckige Öffentlichkeitsarbeit und durch den Einfluss auf mächtige Personen des öffentlichen Lebens gelang es der Bürgerinitiative um Rosh und Jäckel, diese Idee zu einem von einem breiten Unterstützerkreis getragenen Anliegen mit öffentlicher Aufmerksamkeit zu machen. Vier Jahre später, im April 1992, erklärte die Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten, dass Bund und Land willens seien, Träger einer solchen Gedenkstätte zu sein. Mit dieser Zusage seitens des Landes und des Bundes erreichte die Bürgerinitiative ein von Beginn an erklärtes Ziel des Denkmalprojektes: die Beteiligung politischer Institutionen. Es folgte 1994 die Ausschreibung und Durchführung eines bundesweiten offenen Wettbewerbs, der im April 1997 ohne Ergebnis als abgeschlossen erklärt wurde. Zu einem zweiten – diesmal geschlossenen – Wettbewerb luden die Auslobenden 1997 25 internationale Künstler ein (Abb. 2). Als sich in Folge dieser Funktion der Vergemeinschaftung von Ereignissen, Werten und Prinzipien dort besonders S. 195-205.
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Abbildung 2: Peter Eisenman und Richard Serra, Modell der Wettbewerbseinreichung, 1994 Quelle: Peter Eisenman/Hanno Rauterberg/Hélène Binet: Holocaust Memorial Berlin, Baden 2005, o.S. Ausschreibung und der eingereichten Entwürfe ein mit dem ersten Wettbewerb vergleichbares Debakel um die Auswahl eines zu realisierenden Entwurfs ereignete, wurde die Entscheidung schließlich dem Bundestag überantwortet und am 25. Juni 1999 durch das Parlament entschieden. Ein als Eisenman II bezeichneter Entwurf sollte, kombiniert mit einem okumentationszentrum, realisiert werden. Außerdem entschied der Bundestag, dass das Denkmal von einer öffentlich-rechtlichen Stiftung getragen werden solle. Dieser Stiftung wurden auch der weitere Verlauf der Realisierung und die Bauherrschaft übertragen. Bei dem als Eisenman II bezeichneten Entwurf handelte es sich um eine überarbeitete Fassung der Wettbewerbseinreichung von Richard Serra und Peter Eisenman. Die Kategorie des Monumentalen spielte in der langwierigen Debatte um die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas eine wichtige Rolle. Bereits in der Folge des ersten Wettbewerbs für das Denkmal von 1994/95 thematisierten sowohl die Expertenöffentlichkeit der von den Auslobenden veranstalteten Beratungen und Prüfungen2 2 | Siehe dazu etwa Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.): »Pressemitteilung vom 17. März 1995 – Zwei erste Preise beim Wettbewerb
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als auch der Feuilleton3 den Konnex aus Monumentalität und Denkmal. Dass das geplante Denkmal alles nur nicht monumental sein dürfe und Monumentalität rigoros auszuschließen sei, ist allerdings erst in der Folge des zweiten Wettbewerbs im Rahmen der Diskussion um den Entwurf von Peter Eisenman und Richard Serra zu beobachten.4 Um zu zeigen, dass sich im Rahmen der Debatte um das Denkmal Vorstellungen des Monumentalen modifizierend auf den ursprünglich eingereichten Entwurf auswirkten, sollen im Folgenden markante Unterschiede zwischen der Wettbewerbseinreichung und dem gebauten Denkmal herausgearbeitet werden. In einem zweiten Schritt wird dann diskutiert, ob das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als monumental beschreibbar ist. Diesen Überlegungen liegt im Sinne einer Forschungsperspektive die Annahme zu Grunde, dass das Monumentale auf einer formal-ästhetischen Ebene als maßstabslose, isolierte Form, die in einer Raumerfahrung eine einprägsame Beziehung zum Betrachtenden herstellt, fassbar ist. Dem wird zunächst eine Beschreibung des Denkmals in seiner stadträumlichen Position vorangestellt.
Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, in: Ute Heimrod/Günter Schlusche/Horst Seferens (Hg.), Der Denkmalstreit – Das Denkmal? Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« – Eine Dokumentation, Berlin 1999, S. 269f. 3 | Als direkte Reaktion auf den Wettbewerb z.B. Jens Jessen: »Die Bewältigungsprofis – Vorschau auf einen großen Streit: Das Berliner HolocaustDenkmal«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.03.1995, S. 33. Darüber hinaus Micha Brumlik: »›Die Kunst des Gedenkens‹ – Paradoxie aller Ästhetik: Jedes Mahnmal muss an der Nichtdarstellbarkeit des Holocaust scheitern«, in: Die Tageszeitung vom 01.04.1995, S. 19. Als Reaktion auf die 1997 veranstalteten Kolloquien, in deren Rahmen die Ausschreibung eines neuen »engeren Auswahlverfahrens« beschlossen wurde, siehe Heinz Dieter Kittsteiner: »Die Stunde der Dilettanten – Die zweite Anhörung im Berliner Denkmalsstreit«, in: Neue Züricher Zeitung vom 25.02.1997, Fernausgabe, S. 33. 4 | Der ursprünglich eingereichte Entwurf entstand in einer Gemeinschaftsarbeit zwischen dem Künstler Richard Serra und dem Architekten Peter Eisenman. Als sich abzuzeichnen begann, dass der Entwurf nur stark modifiziert realisiert werden würde, stieg Richard Serra im Mai 1998 aus dem Projekt aus und überließ Peter Eisenman alle Rechte. Im Folgenden ist für die Zeit von Oktober 1997 bis Mai 1998 vom Entwurf Richard Serras und Peter Eisenmans die Rede, ab Mai 1998 vom Entwurf Peter Eisenmans.
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D AS D ENKMAL – B ESCHREIBUNG UND S TANDORT Auftraggeber des Wettbewerbs, aus dem der Eisenman-Entwurf hervorging, waren die Bundesrepublik Deutschland, die Bürgerinitiative Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas und das Land Berlin (Abb. 3).5 Mit dem Bundestagsbeschluss von 1999 wurde die Einrichtung einer Stiftung beschlossen, die am 22. März 2000 per Gesetz als Trägerin des Denkmals eingesetzt wurde.6 Die symbolische Grundsteinlegung fand am 27. Januar 2000 – seit 1996 ist dies der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus – in Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, des Bundestagspräsidenten und etwa 100 Bundestagsabgeordneten statt.7 Die Baukosten von insgesamt 27,6 Millionen Euro stammten aus Mitteln des Bundeshaushaltes und wurden etwa paritätisch für das oberirdische Denkmal und das unterirdische Dokumentationszentrum, den Ort der Information, ausgegeben.8 Das oberirdische Denkmal erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 19.073 m2 und liegt in Berlin Mitte. Das trapezförmige Gelände wird von vier umgebenden Straßen eingefasst und liegt fußläufig zu weiteren repräsentativen Bauten und Anlagen des Bundes, der Länder und der Stadt Berlin: Reichstagsgebäude, Band des Bundes, Bundeskanzleramt, Brandenburger Tor, Pariser Platz, Botschaften, Ländervertretungen, dem Ehrenmal der Bundeswehr, dem im Bau befindlichen Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, der Topographie des Terrors und des Jüdischen Museums. Es ist den ermordeten Juden Europas gewidmet, eine Widmung, die im Laufe der Diskussionen um das Denkmal zwar immer wieder in Frage stand, die Auftraggeber wichen jedoch nie von diesem Motiv des Gedenkens ab. Semantisch 5 | Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur (Hg.): Denkmal für die ermordeten Juden Europas – Engeres Auswahlverfahren – Aufgabenbeschreibung und Rahmenbedingungen, Berlin 1997, S. 12. 6 | Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode: Plenarprotokoll 14/48, S. 4138A. 7 | Vgl. dazu Claus Leggewie/Erik Meyer: ›Ein Ort, an den man gerne geht‹ – Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989, München/Wien 2005, S. 245-249. 8 | Vgl. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hg.): Tätigkeitsbericht 2000-2002, Berlin 2002, S. 46.
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Abbildung 3: Peter Eisenman, Nord-West Ecke des Denkmals, mit Reichstag und Brandenburger Tor im Hintergrund, 2008 Quelle: Mügge.
Abbildung 4: Peter Eisenman, Eisenman, Blick durch das Raster in westliche Richtung, 2008 Quelle: Mügge.
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Abbildung 5: Peter Eisenman, Blick vom Point of View auf das Denkmal, 2008 Quelle: Mügge. definiert diese Widmung eine Opfergruppe und einen Tathergang: Juden und Ermordung. Der Zeitraum der Ermordung und die Gruppe der Täter bleiben in der Widmung unbestimmt. Dennoch stand das Denkmal seit der ersten Forderung der Bürgerinitiative im Kontext des NS-Gedenkens (Abb. 4). 2711 Quader, die aus selbstverdichtendem Beton gefertigt wurden, sind in einer gerasterten Komposition auf der gesamten Fläche positioniert. Jeder Quader hat eine Grundfläche von 95 x 238 cm und ist mit einem Abstand von 95 cm zum nächsten Quader montiert, so dass das Gelände von einem gleichförmigen, geordneten Wegenetz aus Rasterlinien durchzogen ist. Modifikationen der monotonen Komposition und der sich wiederholenden Grundform treten mit einem variierenden Neigungswinkel, unterschiedlichen Höhen der Einzelformen und einer Grundfläche, die am tiefsten Punkt 2,5 m unter das umgebende Straßenniveau abgesenkt ist, auf. Durch diese unregelmäßig verlaufende Absenkung durchziehen die streng gerasterten Wegenetze das Denkmal als ondulierende Hebungen und Senkungen. Die Variation der Neigungswinkel von 0º bis 3º lassen die Quader gering vor und hinter die Achsen des Rasters zurückspringen. Die Höhen der Quader reichen von 0 cm, die als ebenerdige Quaderplatten hauptsächlich am Straßenrand verlegt sind, bis zu 4,70 m. Innerhalb dieser Komposition lassen sich zwei horizontal verlaufende Flächen ausmachen: Zwischen der Grundfläche des Geländes und der oberen Grundfläche der Quaderformen spannen sich zwei Flächen mit Hebungen und Senkungen
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auf, zwischen denen sich die vertikalen Kanten der Quader erstrecken. Eisenman, der Architekt des Denkmals, bezeichnet diese Flächen als »topography of the site« einerseits und als »top plane of the field of concrete pillars« andererseits (Abb. 5).9
M ODIFIK ATION 1: D ER O RT DER I NFORMATION In der südöstlichen Ecke des Geländes ist der Ort der Information, das zum Denkmal gehörende Dokumentationszentrum, untergebracht. Der unterirdische Bau mit einer Gesamtfläche von 2116 m2 beherbergt Ausstellungsräume, Vortragsräume, einen Buchladen und einen Arbeitsbereich für die Angestellten der Stiftung. Der Appendix eines Dokumentationszentrums war nicht Bestandteil des ursprünglich eingereichten Denkmalentwurfs von Eisenman und Serra. Er ist eine Modifikation, die per Bundestagsbeschluss verfügt wurde. Der unterirdische Bau und das oberirdische Quaderfeld sind über zwei Treppenauf- bzw. Abgänge, die am Rand des Denkmals liegen, miteinander verbunden. Zusätzlich bietet ein oberirdischer Pavillon einen barrierefreien Zugang, vier weitere Treppenhäuser, die weiter im Inneren des Denkmals liegen, stehen als Fluchtwege zur Verfügung. Der Besuch des Ortes der Information ist kostenlos und an sechs Tagen in der Woche das ganze Jahr über möglich (Abb. 6).10 Bereits das Eingangstreppenhaus weist deutlich aus, dass es sich bei dem Gebäude, das die Besuchenden sich anschicken zu betreten, um das Untergeschoss des Denkmals handelt: Drei Betonquader, die in ihrer Positionierung die Rasterstruktur aufnehmen, durchbrechen die Treppe und suggerieren eine formale Fortsetzung der oberirdischen Struktur unterhalb des Straßenniveaus. Die Ausstellung des Dokumentationszentrums ist in narrativ-metaphorisch11 gegliederte Räume aufgeteilt: Nach dem Passieren des Eingangsbereiches beginnt die als Rundgang konzipierte Ausstellung mit 9 | Peter Eisenman: Feints, hg. v. Silvio Cassarà, Mailand 2006 (die ital. Ausgabe erschien 2005 anlässlich der Ausstellung: Peter Eisenman – Contropiede, 18. Juni - 17. Juli 2005, Modena, Auditorium G. Monzani), S. 152. 10 | Vgl. http://www.stiftung-denkmal.de/besucherservice vom 09.06.2010. 11 | Narrativ ist die Erzählstruktur der Ausstellung deshalb, weil sie nach einer einleitenden Chronologie motivisch strukturiert ist. Metaphorisch bezeichnet den Bezug, mit welchem die erzählenden Motive (Dimension, Familie, Name,
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Abbildung 6: Peter Eisenman, Eingangsbereich zum Ort der Information, 2007 Quelle: Mügge.
Abbildung 7: Peter Eisenman, Ort der Information, Auftakt, 2007 Quelle: Mügge. einem als Auftakt betitelten Raum (Abb. 7). Dieser lange und schmale Korridor, dem als Motto das Primo Levi-Zitat »Es ist geschehen, und Ort) die historischen Ereignisse strukturieren und in Kategorien einordnen, die den Besuchenden vertraut und bekannt sind.
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Abbildung 8: Peter Eisenman, Ort der Information, Raum der Dimensionen, 2008 Quelle: Mügge. folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben« vorangestellt ist, präsentiert auf an die Wand applizierten, von hinten beleuchteten Glastafeln einen Zeitstrahl der NS-Geschichte. Reproduktionen von Fotografien und diesen Abbildungen zugeordnete Textzeilen liefern in knappen, leicht verständlichen Sätzen und hoch emotionalen Darstellungen von Gewalt einen Überblick über die Geschichte des Massenmordes an den europäischen Juden zwischen 1933 und 1945. An der Stirnseite des Raumes sind sechs überlebensgroße Reproduktionen von Porträtfotografien angebracht. Wie schon der Zeitstrahl scheinen diese Bilder auf einem Grund aus Licht vor der Wand zu schweben. Links abbiegend und damit dem Weg der Ausstellung folgend, betreten die Besuchenden den Raum der Dimensionen (Abb. 8). Hier sind im Boden eingefasste Leuchttafeln Träger des informierenden Materials. Fragmente erhaltener Tagebücher, Abschiedsbriefe oder Notizen stehen beispielhaft für erhaltene Selbstzeugnisse von ermordeten Menschen. Demgegenüber wird ein den Raum umlaufendes Band gestellt, das textlich über die Opferzahlen der Länder, die unter nationalsozialistischer Herrschaft standen, informiert. Die schon im Raum Auftakt emotionalisierte Lichtführung wird hier gesteigert: Die über die gesamte Bodenfläche gleichmäßig verteilten Leuchttafeln erzeugen Hell-Dunkel-Kontraste mit starken Verschattungen im Raum. Rief schon die Vielzahl der beleuchteten Bodenplatten ein Gefühl von Enge hervor, so wird dies im anschließenden Raum – dem Raum der Familien – zusätzlich verstärkt
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Abbildung 9: Peter Eisenman, Ort der Information, Raum der Familien, 2008 Quelle: Mügge. (Abb. 9). Hier ragen Kästen, die in Form und Farbe den oberirdischen Quadern entsprechen, als Träger von der Decke. Auf diesen eng an eng hängenden Displays wechseln transluzide Bereiche mit opaken Partien und eine Kompilation aus reproduzierten Fotografien und Dokumenten, Texten und Schaubildern berichtet über 15 jüdische Familien, deren Geschichten mit nationalsozialistischer Vertreibung und Vernichtung verbunden sind. Alle Quader sind auf der Unterseite mit Leuchtkörpern versehen, so dass rechteckige Lichtfelder auf den Boden des Raumes geworfen werden und die Quader gleichsam über dem Boden zu schweben scheinen. Der Enge dieses Raumes schließt sich eine fast leere Zone an (Abb. 10). Lediglich drei rechteckige Sitzbänke möblieren den nächsten Raum, den Raum der Namen, an dessen vier Wänden jeweils gleichzeitig Name, Geburts- und Sterbejahr eines ermordeten Menschen projiziert sind; parallel zu dieser Projektion wird akustisch die entsprechende Kurzbiographie eingespielt. Mit dem nächsten Raum, dem Raum der Orte, endet der Kernbereich der Ausstellung (Abb. 11). Hier sind die dokumentierenden Materialien – reproduzierte Fotografien, Gemälde und Zeichnungen, Texte, Filme, Dokumente, Tonmaterial und didaktisch aufbereitete Karten – auf quaderförmigen Trägern entlang der Wände aufgebracht. Man verlässt die Ausstellung über einen weiteren Korridor, der das so genannte Gedenkstättenportal beherbergt. Rechnerplätze mit Zugang zu einer Datenbank, die Verweise auf weitere Gedenkstätten bietet, und weitere Computerstandorte, die individuelle Recherchen in
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Abbildung 10: Peter Eisenman, Ort der Information, Raum der Namen, 2007 Quelle: Mügge. der Namensdatenbank von Yad Vashem12 und in der Datenbank des Bundesarchivs13 ermöglichen, stehen hier zur Verfügung. Eine – allerdings aus kunsthistorischer Sicht problematische – Befragung unter 800 Schülerinnen unterschiedlicher Schulformen ergab 2006, dass der Besuch des Denkmals überwiegend als positiv bewertet wurde, dass jedoch der Ort der Information als eindrücklicher und lehrreicher empfunden wurde als das Denkmal selbst. Angesichts der Besucherzahlen des Ortes der Information ist davon auszugehen, dass ein Besuch des Denkmals in der Regel beides umfasst: Quaderfeld und Ort der Information.14 12 | Es handelt sich um die so genannten Gedenkblätter. 13 | Hier ist von dem Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945 die Rede. 14 | Vgl. Christian Saehrendt: »Umfrage zum Besuch des Denkmals für die ermordeten europäischen Juden«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58, 12/07, S. 744-757. Problematisch ist die Studie aus kunsthistorischer Sicht, weil die gestellten Fragen zum Teil Deutungen beinhalten, die formal und formalästhetisch nicht schlüssig sind. Siehe dazu etwa die siebte Frage der Studie: »Deutschland ist die einzige Nation, die in ihrer Hauptstadt ein Denkmal ›zur Erinnerung an die eigene Schande‹ bauen ließ. Ist dies ein Zeichen der Schwäche oder Stärke?« Eine Einordnung des Denkmals in den Typ des Schandmals ist angesichts der Auslassung der Themen Schuld und Täterschaft nicht schlüssig.
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Abbildung 11: Peter Eisenman, Ort der Information, Raum der Orte, 2008 Quelle: Mügge. Dass dem Denkmal ein Dokumentationszentrum zur Seite gestellt ist, war Bestandteil des Bundestagsbeschlusses von 1999.15 Mit der Errichtung des Ortes der Information wurde dem ungegenständlichen oberirdischen Baukörper ein von Bildern dominierter Andachtsraum mit dem Anspruch der Dokumentation hinzugefügt.16 Thematisch steht die Ausstellung den großen Holocaust-Ausstellungen in Washington und Yad Vashem nahe. Die zunächst chronologische Erzählung entlang eines Zeitstrahls, die narrative Herauslösung von Einzel- und Familienschicksalen und die Exposition des ermordeten Individuums mit Namen, Geburts- und Sterbetag und einem biografischen Kontext entsprechen den Erzählmustern dieser beiden großen Museen.17 Eine entscheidende Differenz ist jedoch im Einbezug von authentischen Objekten zu sehen. Während Washington und Yad Vashem 15 | Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode: Plenarprotokoll 14/48, S. 4135B. 16 | Zur Konzeption des Baus und der Ausstellung sowie zur Organisation und Arbeit der Stiftung vgl. Sibylle Quack (Hg.): Auf dem Weg zur Realisierung – Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas – Architektur und historisches Konzept, Stuttgart/München 2002; Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hg.): Tätigkeitsbericht 2000-2002, Berlin 2002. 17 | Zur Architektur des Museums in Jerusalem vgl. Moshe Safdie: Yad Vashem, Baden 2006. In Washington: Adrian Dannatt: United States Holocaust Memorial Museum – James Ingo Freed, London 1995. Und zu einem Vergleich
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exponierte Relikte, beispielsweise Schuhe, Brillen, Kleidung, aber auch Eisenbahnwaggons und Architekturfragmente präsentieren, beruht die Berliner Ausstellung auf Reproduktionen.18 Die Stiftung verfügt über keine eigene Sammlung und kein historisches Archiv. Alle gezeigten Artefakte sind Reproduktionen von Leihgaben aus unterschiedlichen Quellen. Der Status der Reproduktion wird in der Präsentation nicht verborgen oder kaschiert. Vielmehr stellen sich alle gezeigten Exponate als Reproduktionen aus und suggerieren so eine unbegrenzte Verfügbarkeit und prinzipielle Ortlosigkeit visueller und dokumentarischer Darstellungen des Massenmordes.19 Ebenfalls markant ist, dass alle exponierten Materialien in ihre Träger eingebettet sind: Eine weitere Bearbeitung des Ausgestellten ist ohne umfangreiche bauliche Maßnahmen nicht möglich. Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas stellt so mit der Konzeption der Ausstellung und der Architektur des Ortes der Information aus, dass ein ausreichender Wissenskonsens über die angemessene Repräsentation des Massenmordes bestehe. Allerdings ergänzt ein regelmäßiges Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Publikationsangebot das Gedenkprogramm des Denkmals in dieser Hinsicht. Aus historiografischer Sicht ist auffällig, dass die Ausstellung auf Ereignisse und Zusammenhänge zwischen 1933-45 fokussiert ist. Zwar beleuchtet der Raum der Familien auch deren Lebensumstände vor der Machtübertragung der Regierungsgewalt in Deutschland an die NSDAP, über die Lebensumstände der Überlebenden nach 1945 wird jedoch nichts gesagt. Die Tatsache, dass heute noch mehr als eine halbe Million jüdischer NS-Opfer leben – und das oft in Armut, gezeichnet von physischen, psychischen und sozialen Folgen der Erfahrungen der Ausstellungen: Matthias Haß: Yad Vashem, das U.S. Holocaust Memorial Museum und die Stiftung Topographie des Terrors, Frankfurt a.M. 2002. 18 | Andere Kriterien der Untersuchung müssen an Orte gestellt werden, an welchen die NS-Verbrechen tatsächlich stattfanden – also Konzentrationsund Vernichtungslager, Gefängnisse, Massengräber, Hinrichtungsanlagen und andere Stätten der Folter und des Mordens. 19 | Interessanterweise folgte die Initiatorin Lea Rosh im Rahmen der feierlichen Einweihung ihrem Bedürfnis das Denkmal mit Relikten emotional aufzuladen und kündigte an, sie wolle einen David-Stern und einen Zahn aus dem ehemaligen Vernichtungslager BełĪec in einem der Betonquader einlagern. Nach heftigen Reaktionen u.a. von Überlebenden Verbänden gab sie den Plan auf und brachte den Zahn zurück auf das ehemalige Lagergelände.
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extremster Gewalt –, könnte ein Argument sein, auch über das Jahr 1945 hinaus zu dokumentieren.20 An diese Auslassung geknüpft bleibt die Aussparung einer expliziten Selbstreflexion auf 60 Jahre deutschdeutsche Gedenk- und Gedenkstättengeschichte und die politische Entwicklung und Positionierung der postfaschistischen BRD in Bezug auf die Frage nach Schuld und Verantwortung.21 Gleichwohl wird die Geschichte des Denkmals selbst ins Bild gesetzt: Ein Computerterminal im Foyer ermöglicht Einblick in Dokumente und in die Presseberichterstattung der Debatte. Nicht nur die Eingangssituation und die Gestaltung der Schautafeln, sondern die gesamte Architektur des unterirdischen Baus wird bestimmt durch den Versuch der formalen Einbettung in das oberirdische Quaderfeld: Die ebenfalls aus Sichtbeton gefertigten Raumdecken nehmen beispielsweise die wellenförmigen Höhenverschiebungen der Grundfläche des Geländes auf und sind in quaderförmige Kassetten gegliedert. Dass diese formale Verbindung einer typischen Raumarchitektur gefügter, durch Wände, Böden und Decken konstituierter Räume und der Rasterstruktur des Quaderfeldes an ihre Grenzen stößt, wird spätestens in den Raumecken sichtbar und als intendierte Einbettung deutlich (Abb. 6-11). Insgesamt sind die Architektur des Baus und die Szenografie der Ausstellung darauf angelegt, den Ort der Information als höchst emotional aufgeladenes Kellergeschoss des Denkmals zu inszenieren: Eine nicht existierende Fortsetzung des oberirdischen Quaderfeldes unterhalb des Straßenniveaus wird suggeriert, christliche Trauerrituale und – traditionen22 werden aufgerufen und eine explizite, lückenlose Darstellbarkeit – und damit einhergehend eine umfassende und abgeschlossene Erforschung des historischen Ereignisses – werden ausgestellt. 20 | Siehe dazu das aktuelle Standardwerk über Entschädigung und Nichtentschädigung von Constantin Goschler: Schuld und Schulden – Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005. 21 | Im Akt der Errichtung setzt sich die Bundesrepublik Deutschland in einen Bezug zum Massenmord, der auf der Ebene einer staatlichen Repräsentation eine erinnernde Verantwortung übernimmt. Da jedoch die Täterperspektive in der Ausstellung nicht eingenommen wird, bleibt dieser Bezug über die Errichtung und den Betrieb des Denkmals hinaus ungenannt. 22 | Markant hierfür sind die im Boden eingelassenen Schautafeln, die eine Rezeption mit nach unten geneigtem Kopf vorgeben, eine Körperhaltung, die Trauer und Andacht ausdrückt.
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So fügt das Denkmal für die ermordeten Juden Europas zwei einander in der Idee der Darstellbarkeit des Völkermordes widersprechende Bereiche zu einem Gedenkensemble zusammen: Konsequente Ungegenständlichkeit, industriell gefertigtes Kompositmaterial, Rasterkomposition und aus mathematischen Operationen hervorgehende Einzelformen verweigern oberirdisch jede in einem semantischen Sinne exakte Zuschreibung und behaupten eine Undarstellbarkeit; unterirdisch dagegen zeigen eine Bilderflut, eine hohe Informationsdichte, eine auf Dramatisierung setzende Lichtregie und eine baulich fest integrierte Ausstellungsarchitektur eine lückenlose Darstellbarkeit. Auf diese Weise bildet das Denkmal eine widerspruchsvolle Schnittstelle zwischen dem Rückgriff auf die Vorstellung der Undarstellbarkeit einerseits und der Annahme einer lückenlosen, expliziten Darstellbarkeit andererseits und führt als »zentrale Holocaust-Gedenkstätte Deutschlands«,23 diese Verbindung als gegenwärtig adäquate Darstellung des Massenmordes vor. Damit bedient es zwei Extrempositionen gegenwärtiger Darstellungsmodi und stellt diese, ohne ihre Widersprüchlichkeit zu reflektieren oder zu synthetisieren, nebeneinander.24 Die strukturierte Informationsvermittlung 23 | Zitat der Stiftung. 24 | Die Extrempositionen gegenwärtiger Darstellungsmodi sind einerseits mit dem Schlagwort der Americanization of the Holocaust als umstandslose und explizite Darstellung des Massenmordes und andererseits als darzustellende Undarstellbarkeit zu bezeichnen. Jüngere Forschungen zu sekundären Darstellungsformen, bildwissenschaftliche Untersuchungen und philosophische Auseinandersetzungen fokussieren zunehmend nicht mehr die Frage, ob der Völkermord darstellbar ist, sondern wie er darstellbar ist und dargestellt wird. Bildtheoretisch interessant sind die Auseinandersetzungen um die Ausstellung mémoire des camps – photographies des camps de concentration et d’extermination nazis (1933-1999), 2001, Paris, Winterthur, Barcelona und Reggio Emilia. Vgl. dazu Ausst. Kat.: Mémoire des camps – Photographies des Camps de Concentration et d’extermination nazis (1933-1945), hg. v. Clément Chéroux, Paris 2001 und die Reaktionen von Gérard Wajcman, Elisabeth Pagnoux und Georges Didi-Hubermann: Gérard Wajcman: »De la croyance photographique«, in: Les temps modernes 56 (2001), S. 47-83; Elisabeth Pagnoux: »Reporter photographe à Auschwitz«, in: Les temps modernes 56 (2001), S. 84-108; Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem, München 2007. Jüngst erschienen: Slavoj Žižek: »›Beschreibung ohne Ort‹ – Über den Holocaust und die Kunst«, in: Tobias Huber/Marcus Steinweg (Hg.), Inaesthetik – Theses
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tritt neben das richtungslose individuelle Erleben einer begehbaren Großform. 25
M ODIFIK ATION 2: V OM M ONUMENT ZUR P L AT Z ARCHITEK TUR Die Hinzufügung eines dokumentierenden Denkmal-Appendix ist die wohl am leichtesten zu fassende Veränderung, der der Entwurf in den acht Jahren zwischen Wettbewerb und Eröffnung unterzogen wurde. Schwieriger fassbar sind die formalen Modifikationen der oberirdischen Großskulptur, zumal eine problematische Quellenlage den Zugang zu aufschlussreichen Dokumenten versperrt. Dass das Berliner Denkmal der ermordeten Juden nicht monumental gedenken dürfe, war ein Topos, der die Feuilletondebatten von Beginn an beschäftigte. So titelte Arno Lustiger,26 ein Lager-Überlebender, in der Berliner Zeitung im November 1997, gut einen Monat nach dem Eingang der Entwürfe des zweiten Wettbewerbs, dass den ermordeten Juden nicht monumental und namenlos gedacht werden dürfe. Im Dezember 1997 diagnostizierte Rüdiger Schaper27 in der Süddeutschen Zeitung, dass Eisenman und Serra auf das Monumentale setzten und Bauminister
on Contemporary Art (Politics of Art) 1 (2009), S. 141-161. Für eine Rezeptionsgeschichte des Darstellungsverbotes und eine historische Sicht auf das Darstellungsproblem in Deutschland vgl. Stefan Krankenhagen: Auschwitz darstellen – Ästhetische Positionen zwischen Adorno, Spielberg und Walser, Wien/Köln/Weimar 2001. 25 | Das Denkmal wird dabei, in Abgrenzung zu den primären Darstellungen der Überlebenden, als sekundäre Darstellungsform verstanden. Primäre Darstellungsformen bedürfen bezüglich ihrer Form und ihres Inhalts anderer Kriterien der Untersuchung. 26 | Vgl. Arno Lustiger: »Ein Erinnerungsort mit menschlicher Dimension. Nachdenken über Wege, der ermordeten Juden nicht monumental und namenlos zu gedenken«, in: Berliner Zeitung vom 19.11.1997, abgedruckt in: U. Heimrod/G. Schlusche/H. Seferens (Hg.), Der Denkmalstreit – das Denkmal? (1999), S. 950-951. 27 | Vgl. Rüdiger Schaper: »Vollkommen bis zur Absurdität. Eisenman/Serra setzen auf das Monumentale«, in: Süddeutsche Zeitung vom 10.12.1997, abgedruckt in: ebd., S. 968.
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Abbildung 12: Peter Eisenman und Richard Serra, fotografische Abbildung des eingereichten Modells, 1994 Quelle: P. Eisenman/H. Rauterberg/H. Binet: Holocaust Memorial Berlin (2005), o.S. a.D. Oscar Schneider28 konstatierte in der Welt im Januar 1998, dass die Entwürfe das Monumentale ins Absurde verkehrten (Abb. 12 und 13). Auch und besonders der Entwurf von Eisenman und Serra wurde wiederholt als monumental charakterisiert und den überarbeiteten Entwurf Eisenman II begrüßten die Feuilletons dann als zurückgenommene, weniger monumentale Lösung. So schreibt Bernhard Schulz am 26. August 1998 im Tagesspiegel zur Überarbeitung: »Die beiden Haupteinwände der überstarken Monumentalität und der mangelnden Einbindung in den Stadtraum hat Eisenman damit berücksichtigt.«29 Am zehnten Dezember 1998 erwidert Eisenman im einem Interview mit Hanno Rautenberger für die Zeit auf die Frage nach dem Vorwurf der Monumentalität: »Aber es ist nicht monumental. Es ist nicht maßlos.«30 Begründet wurde 28 | Vgl. Oscar Schneider: »Das Monumentale verkehrt sich ins Absurde. Betrachtungen von Bauminister a.D. Oscar Schneider über die Schwierigkeit, ein angemessenes Holocaust-Denkmal zufinden«, in: Die Welt vom 07.01.1998, abgedruckt in: ebd., S. 978-979. 29 | Bernhard Schulz: »Wogen der Erinnerung – Peter Eisenman hat seinen Entwurf für das Holocaust-Denkmal überarbeitet: weniger Stelen, weniger Monumentalität, weniger Fremdkörper in der umgebenden Stadt«, in: Der Tagesspiegel vom 26.08.1998, S. 23. 30 | P. Eisenman im Interview mit Hanno Rautenberger: »Peter Eisenman: Erfahrung am eigenen Leib – Der Architekt Peter Eisenman über die WalserDebatte und die neue Kritik an seinem Entwurf für das Holocaust-Mahnmal«, in: Die Zeit vom 10.12.1998, S. 51f.
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Abbildung 13: Peter Eisenman, fotografische Abbildung des überarbeiteten Modells, 1998 Quelle: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hg.): Materialien zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 2005, S. 10. die Diagnose des Monumentalen bzw. der zurückgenommenen Monumentalität von Kritikern und Befürwortern stets mit zwei Aspekten: mit der schieren Größe des Grundstücks und mit der Anzahl und Größe der Quader. Ein Vergleich der beiden Entwürfe, also der Einreichung und der später baulich realisierten, als Eisenman II bezeichneten Fassung, zeigt, dass die Eingriffe gravierend waren. Die bauliche Realisierung ist nicht lediglich als ein den baulichen Notwendigkeiten angepasster Entwurf beschreibbar, sondern unterscheidet sich in grundsätzlichen Aspekten vom Wettbewerbsbeitrag unter der gemeinsamen Feder von Eisenman und Serra: Zunächst einmal wurde die Einbettung des Denkmals in den umgebenden Stadtraum verändert. Während der erste Entwurf noch vorsah, dass über 2 m hohe Quader direkt an der Grenze zu den umgebenden Straßen positioniert sein sollten, steigen nun die Quader in ihrer Höhe erst allmählich zum Inneren des Denkmals hin an. Der sich vom umgebenden Stadtraum nähernde Besuchende steht am Rand der Skulptur nicht mehr vor überlebensgroßen Einzelformen, sondern wird erst allmählich zum Inneren des Denkmals hin von den Einzelquadern überragt (Abb. 5). Die zur Ebertstraße weisende Seite des Denkmals ist zudem mit Bäumen bepflanzt, so dass eine organische Brücke zum Grün des angrenzenden Tiergartens geschlagen sein soll (Abb. 3). Das Denkmal ist dem umgebenden Stadtraum nicht klar abgegrenzt gegenüber gestellt, sondern durch abgesenkte Randzonen und einen durchlässigen Übergang in ihn eingefügt.
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Des Weiteren wurde die Höhe der Quader wesentlich reduziert. Auch dies ist eine Modifikation, die seitens des Architekten, der beteiligten Institutionen und der Presseberichterstattung einstimmig angegeben und positiv bewertet wurde. Sah der ursprüngliche Entwurf noch eine maximale Quaderhöhe von 7,5 m vor, so erreichen heute nur noch drei Prozent der Einzelformen eine maximale Höhe von 4,5 m. Nur etwa die Hälfte der Quader ist höher als 2 m. Die Einsenkung des Geländes zur Mitte blieb bestehen, wurde jedoch wesentlich reduziert: von maximal 5 m unter Geländeniveau auf maximal 2,5 m. Was jedoch nicht verändert wurde, ist die Anzahl der Quader. Zwar sprechen sowohl der Architekt selbst, als auch der Feuilleton, die politischen Akteure und wissenschaftliche Untersuchungen einhellig von einer Verringerung der Anzahl der Einzelformen und begrüßen diese als stark zurückgenommene Monumentalität.31 Vergleicht man den eingereichten Entwurf jedoch mit dem gebauten Denkmal, so zeigt sich, dass bezüglich der Anzahl der Quader keine Modifikation vorgenommen wurde. Zwar spricht der gemeinsam mit dem Entwurf eingereichte Text von Eisenman und Serra von ca. 4000 mit einem Abstand von 92 cm zu errichtenden Einzelformen mit den Maßen 92 x 230 cm, im Kontext des für die Errichtung ausgeschriebenen Grundstücks wird diese Zahl jedoch unplausibel. Das 20.000 m2 große Gelände hätte maximal Raum für 3161 Quader dieser Maße bieten können. Eine Aufstellung von 4000 Quadern auf dem ausgeschriebenen Grundstück wäre also gar nicht möglich gewesen. Bedenkt man zusätzlich die im Ausschreibungstext eingeforderte Verlängerung der Französischen Straße und die geforderte Einbindung in Bewegungsströme auf der Ost-West-Achse – de facto eine Forderung nach der weiteren Erschließung durch eine Straße –, so war schon auf der Grundlage der Ausschreibung zu erwarten, dass sich die Größe des Geländes verringern musste, sich also der für die Quader zur Verfügung nen Grundstück wäre also gar nicht möglich gewesen. Bedenkt man zusätzlich die im Ausschreibungstext eingeforderte Ver31 | Siehe dazu beispielhaft P. Eisenman: »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, in: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hg.), Tätigkeitsbericht 2000-2002 (Berlin), S. 26; Holger Thünemann: Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas – Dechiffrierung einer Kontroverse, Münster/Hamburg/München 2003, S. 73-75; Heinrich Wefing: »Triumph über den Kleinmut – Friedhof einer ermordeten Kultur: Eisenmans überarbeiteter Entwurf des Holocaust-Mahnmals«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.08.1998, S. 35.
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längerung der Französischen Straße und die geforderte Einbindung in Bewegungsströme auf der Ost-West-Achse – de facto eine Forderung nach der weiteren Erschließung durch eine Straße –, so war schon auf der Grundlage der Ausschreibung zu erwarten, dass sich die Größe des Geländes verringern musste, sich also der für die Quader zur Verfügung stehende Raum noch einmal reduzieren würde.32 Die oberirdischen Einschnitte für die Erschließung des ursprünglich nicht geplanten Ausstellungsbaus verringerten den zur Verfügung stehenden Raum noch weiter und so erscheint die Anzahl von 2711 Quadern auch für die Komposition und das Raster des ursprünglichen Entwurfs plausibel. Das Bemühen, die wohl an populärster Stelle von Martin Walser33 und im Vorfeld der Bundestagswahl von 1998 von Michael Naumann vorgetragene Anklage des Monumentalen34 zu entkräften, floss in Bezug auf die Anzahl der Einzelformen in eine Schein-Debatte im Schatten des Monumentalen und behauptete eine De-Monumentalisierung auch dort, wo tatsächlich keine stattfand.
A BSCHIED VOM M ONUMENT Die populäre Zahlendreherei zeigt ein deutliches Bestreben und eine politische Notwendigkeit, den Vorwurf des Monumentalen abschwächen. Da, wo keine Verkleinerung vorgenommen wurde, wurde sie lautstark behauptet, während die tatsächlichen Reduzierungen, die mit Blick auf den skulpturalen Charakter des Baus von entscheidender Bedeutung sind, als eher nebensächlich behandelt und in ihrem Effekt nicht erfasst wurden. 32 | Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur (Hg.): Denkmal für die ermordeten Juden Europas – Engeres Auswahlverfahren – Aufgabenbeschreibung und Rahmenbedingungen, Berlin 1997. 33 | Im Rahmen seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche im Oktober 1998 bezeichnete er den Entwurf als »fußballfeldgroßen Alptraum« und als »Monumentalisierung der Schande« und löste damit heftige Kontroversen aus. 34 | In einem Interview mit dem Tagesspiegel bezeichnete Michael Naumann den Begriff »zentrales Holocaust-Mahnmal« als etwas »Albert-Speer-haft-Monumentales«. Siehe dazu Michael Naumann: »Berlin braucht das Stadtschloß«, Interview mit Michael Naumann, in: Der Tagesspiegel vom 21.07.1998, S. 2.
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Abbildung 14: Hinweistafel zum Point of View, 2008. Der Point of View ist tatsächlich ein zum Denkmal gehörender Aussichtspunkt und befindet sich auf dem Dach eines Funktionsbaus an der Ostseite des Denkmals. Dass den Besuchenden ein Ort angeboten wird, an dem die Perspektive des Fernblicks eingenommen wird, bezeugt die bildliche Qualität des räumlichen Denkmals. Quelle: Mügge. Die grundsätzliche Reduzierung der Quaderhöhen und der Absenkung des Geländeniveaus, die erst sukzessiv zum Inneren des Denkmals ansteigende Höhe, die Durchbrechung des Rasters durch Baumpflanzungen und die Zugänge zum Untergeschoss transformierten den Entwurf einer monumentalen Großskulptur, die einen psychophysischen Erfahrungsraum für die Besuchenden eröffnet hätte, in eine Platzarchitektur, die ihre Maßstäblichkeit selbst im Inneren, an den Stellen, an denen die Besuchenden von überlebensgroßen Einzelformen umgeben sind, nicht verliert. Die monumentale, geschlossene Form, die in einer Raumerfahrung eine einprägsame Beziehung zum Betrachtenden herstellt, ist im Prozess der Modifikationen zugunsten einer durchlässigen und transparenten Form verloren gegangen. Parallel zu diesem Verlust bewirkt die Bearbeitung eine Stärkung der bildlichen Qualitäten des Objekts (Abb. 14). Die erst zum Inneren in
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Abbildung 15 (links): Werbeanzeige von Berlin Tourismus in Kooperation mit der Bahn, Frühjahr 2008 Quelle: Bahn Mobil, 04 (2008), o.A. Abbildung 16 (rechts): Lesezeichen mit dem Motiv des Denkmals. Erhältlich in Berliner Souvenir-Geschäften und im Buchladen im Ort der Information, käuflich erworben im Frühjahr 2007. Quelle: Mügge. wellenförmigen Modulationen ansteigende Höhe offenbart dem distanzierten Blick auch aus der Perspektive der Ansicht auf durchschnittlicher Augenhöhe das Innere des Denkmals. Die bis tief in das Innere des Denkmals sichtbaren vertikalen Kanten und die ansteigende Höhe der Einzelformen erzeugen eine Transparenz des Baus, die ihn dafür prädestiniert, im Bild erschließbar und repräsentiert zu sein. Dass die stereotypisierte bildliche Darstellung des Denkmals bereits fünf Jahre nach dessen Eröffnung zur ungegenständlichen, ortlos in der massenmedialen Bilderfluktuation kursierenden Chiffre des bundesrepublikanischen Holocaust-Gedenkens geworden ist, weist diese Strategie als erfolgreiche Popularisierung des Denkmals aus (Abb. 15, 16 und 17).35 35 | Dass eine erfolgreiche Etablierung des Denkmals als Symbol in der politischen Repräsentation bereits ein Jahr nach der feierlichen Einweihung statt-
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Abbildung 17: Modefotografie im Denkmal. Diese Fotografie ist Teil einer Modestrecke, die 2009 in der Novemberausgabe des Bordmagazins der Fluggesellschaft easyJet veröffentlicht und noch im selben Monat zurückgerufen wurde. Neben dem Denkmal bildeten weitere bekannte und markante Bauten in Berlin die Kulisse der Fotos, mit denen Mode von Berliner Designern präsentiert wurde. Quelle: easyJet Traveller, 11 (2009), S. 62. gefunden hat, weist eine Verwendung des Zeichens in der politischen Rede aus. So bezog sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vom 4. Mai 2006 vor dem American Jewish Committee in Washington und in ihrer Rede vom 18. März 2008 vor der Knesset in Jerusalem auf das Berliner Denkmal. Die Reden im Wortlaut unter: http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/ DE/Archiv/Reden/reden.html vom 10.06.2010. Auch die kontextlose bildliche Referenzierung des Denkmals in Werbung, Souvenirhandel und Modefotografie verweisen auf eine erfolgreiche und wirkmächtige Verwendung des Zeichens. Siehe dazu die Werbeanzeige der Agentur Berlin Tourismus in Kooperation mit der Bahn im Frühjahr 2008, in: Mobil, 04 (2008), o.A., Abb. 14. Zur Reproduktion einer fotografischen Abbildung des Denkmals als Lesezeichen siehe Abb. 15, zur Modefotografie im Denkmal siehe die Novemberausgabe 2009 des Bordmagazins der Fluggesellschaft easyJet: easyJet Traveller, 11 (2009), S. 62, Abb. 16. Nachdem die Abbildungen dieser Inszenierung Proteste hervorgerufen hatten, zog easyJet das Magazin noch im November 2009 zurück.
Autorinnen und Autoren
Christian Hammes, 1997-2003 Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Heidelberg und an der FU Berlin; 2003-2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB Kulturen des Performativen in einem altgermanistischen Teilprojekt; 2007 Stipendiat der Terra Foundation und des DAAD in Washington; Seit 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunsthistorischen Institut der FU Berlin Kathleen James-Chakraborty, 1978-1982 Studium der Kunstgeschichte an der Yale University; 1985-1990 Promotion zur Architektur Erich Mendelsohns an der University of Pennsylvania; 1990-1992 Assistenzprofessorin für Architektur an der University of Minnesota; 1992-1997 Assistenzprofessorin für Architektur an der University of California, Berkeley; 1997-2005 Privatdozentin für Architektur an der University of California, Berkeley; 2006 Professur für Architektur, University of California, Berkeley; Seit 2007 Professorin für Kunstgeschichte am University College Dublin Wilfried Kuehn, 1986-1995 Studium der Architektur am Politecnico di Milano, Italien und der Universidade de Lisboa, Portugal; 1995-2001 Projektleitung in Wien, Österreich; Seit 2001 Kuehn Malvezzi mit Johannes Kuehn und Simona Malvezzi; Seit 2006 Professur an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Sylvia Martin, 1998 Promotion in Kunstgeschichte an der Universität Köln; 1998-2000 Volontariat Kunstmuseum Düsseldorf; 2000-2002 Kuratorin museum kunst palast Düsseldorf; 2002-2004 freiberufliche Kuratorin und Autorin (Ausstellungen für den Palazzo delle Papesse in Siena und die Kunsthalle zu Kiel); Seit 2005 Stellv. Direktorin der Kunstmuseen Krefeld; Publikationen über Kunst des 20. Jahrhunderts,
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u. a. Anonyme Skulpturen. Video und Form in der zeitgenössischen Kunst (2010), Allora & Calzadilla (2009), Der große Wurf. Faltungen in der Gegenwartskunst (2008), Ceal Floyer. Construction (2007), Video-Art (2006) Ákos Moravánszky, 1969-1974 Studium der Architektur an der TU Budapest mit anschließender Tätigkeit als Architekt in Budapest; Ab 1977 Studium der Kunstgeschichte und Denkmalpflege als Herder-Stipendiat an der TU Wien; Promotion 1980 zum Dr. techn; 1983-1986 Chefredakteur der Architekturzeitschrit Magyar Épitőművészet; 1986-1988 Gastforscher am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München als A. von Humboldt-Stipendiat; 1989-1991 Research Associate am Getty Center for the History of Art and the Humanities in Santa Monica; 1991-1996 Visiting Professor am Massachusetts Institute of Technology (Cambridge, Mass.); Seit 1996 Professor für Architekturtheorie am Institut gta der ETH Zürich; 2003-2004 Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst in Budapest als Szent-Györgyi Fellow Maike Mügge, 1995-2005 Studium der Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum; 20062009 Stipendiatin des DFG-Graduiertenkollegs Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart an der Justus-Liebig Universität Giessen mit einem Dissertationsprojekt zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin; Seit 2010 freiberufliche Kunsthistorikerin Carsten Ruhl, 1988-1992 Studium der Architektur an der Universität Dortmund; 1992-1997 Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum; 1998 Stipendiat des DAAD in London; 1998-2000 Stipendiat der Gerda-Henkel-Stiftung; 2001 Promotion zur englischen Architektur des 18. Jahrhunderts; Seit 2003 Juniorprofessor für Architekturgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum; März 2008 Grant der Getty Research Library (Los Angeles); Oktober 2009 SOKRATES-Gastprofessor der School of Art History and Cultural Policy, UCD; Seit 2010 Professor für Theorie und Geschichte der modernen Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar Samantha Schramm, 1996–2000 Studium der Kunstgeschichte, Soziologie und Pädagogik an der Universität Stuttgart; 2000-2002 Fulbright Stipendium an der University of Kansas, Kansas, USA; 2003–2005 Stipendiatin am Graduiertenkolleg Bild, Medium, Körper. Eine anthro-
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pologische Perspektive an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe mit einem Dissertationsprojekt zur Land Art; Mai-Juli 2008 Fellow an der Terra Summer Residency in Giverny, Frankreich; Seit 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Medienwissenschaft an der Universität Konstanz Gerald Schröder, 1989-1995 Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie an den Universitäten in Bonn, Parma, Köln und Bochum; 2000 Promotion zur Kunsttheorie der Frühen Neuzeit; 19911998 Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes; 1998-2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum; 2008 Habilitation über Darstellungsformen von Trauma und Schmerz in der Kunst der 1960er Jahre; Seit 2008 Akademischer Oberrat am Kunstgeschichtlichen Institut der RuhrUniversität Bochum Wolfgang Sonne, 1987-94 Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie in München, Paris und Berlin; 2001 Dissertation an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich; 1994-2003 Assistent, Oberassistent und Dozent an der Professur für Geschichte des Städtebaus sowie dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich; 1998-1999 Stipendiat des Collegium Helveticum der ETH Zürich; 1998 Gastdozent an der Graduate School of Design der Harvard University in Cambridge, Mass.; 1998-1999 und 2002-2003 Gastdozent am Kunsthistorischen Institut der Universität Wien; 20032007 Lecturer und Senior Lecturer für Geschichte und Theorie der Architektur am Department of Architecture der University of Strathclyde in Glasgow; Seit 2007 Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund; Publikationen zur Architektur- und Städtebaugeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Laurent Stalder, 1996 Architekturdiplom an der ETH Zürich; 1996-1997 Stipendiat am Institut für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo; 2002 Doktorat an der Architekturabteilung der ETH Zürich; 2002-2005 Assistenzprofessor am Departement für Geschichte an der Université Laval, Canada; Seit Februar 2006 Assistenzprofessor für Architekturtheorie (tenure-track) an der ETH Zürich; Forschungsund Publikationsschwerpunkte sind Architekturgeschichte, -kritik und -theorie des 19. bis 21. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika;
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Wichtigste Publikationen: Hermann Muthesius - Das Landhaus als kulturgeschichtlicher Entwurf (2008), Valerio Olgiati (2008), Der Schwellenatlas (2009) Martino Stierli, 1995-2003 Studium der Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich; 2003-2007 Mitglied des Graduiertenkollegs Stadtformen – Bedingungen und Folgen des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich; 2005-2006 Visiting Scholar an der Columbia University, New York, sowie an der University of Pennsylvania, Philadelphia, mit einem Forschungsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds SNF; 2006-2007 Stipendiat der Janggen-Pöhn-Stifung, St. Gallen; 2007 Promotion an der ETH Zürich; 2007-2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter als Postdoc im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts Bildkritik (Eikones) an der Universität Basel; Ab 2008 Ko-Kurator der internationalen Wanderausstellung Las Vegas Studio (mit Katalog); 2008/2009 Theodor-FischerPreisträger mit Forschungsaufenthalt am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München; 2010 Publikation von Las Vegas im Rückspiegel (gta Verlag, Zürich); Ab 2011 Oberassistent am Institut gta der ETH Zürich Annette Urban, 1993-2001 Studium der Kunstgeschichte, Komparatistik und Romanistik an der Ruhr-Universität Bochum und der Université de Poitiers; komparatistische Magisterarbeit zum Text-Bild-Verhältnis bei Michel Butor; 2007/2008 Promotion zu Interventionen im ›public/ private space‹. Studien zur Situationistischen Internationale und zu Dan Graham; 2001-2006 freie Mitarbeiterin der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang Essen, zwischen 2005 und 2007 Mitarbeit an Forschungsprojekten von Prof. Beate Söntgen zum Interieur; 2008-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen; 2009-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin des DFG-Forschungsprojekts Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik. Konvergenzen filmischer und realer Räume in Kunstinstallationen und inszenierter Fotografie von Prof. Ursula Frohne/Universität Köln, weiterhin assoziiert; Seit 2010 Juniorprofessorin für Kunstgeschichte der Moderne mit dem Schwerpunkt Fotografie/Neue Medien an der Ruhr-Universität Bochum
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