Berlin: Urbane Architektur und Alltag 2009–2022 9783955535902, 9783955535896

Das Buch bietet eine architektonische Entdeckungstour durch Berlin und gibt einen eindrucksvollen Einblick in die jüngst

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German Pages 312 [336] Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
Projekte
Berlin ist eine Baustelle
Kultur und Bildung
Vorwort
1 Floating University
2 Futurium Berlin
3 Neues Museum
Essay. Klassizismus und Gegenwart
4 James-Simon-Galerie
5 Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch
6 Park am Gleisdreieck
7 Berlin Metropolitan School
Interview. Experimente, Nischen und urbane Qualitäten
8 Arndt-Gymnasium
9 Staatsbibliothek Unter den Linden
10 Silent green Kulturquartier
Wohnen
Vorwort
11 Wohnregal
12 IBeB
13 Am Lokdepot
Essay. Die Berliner Baugruppen: Stadt für den Eigenbedarf
14 Ausbauhaus Neukölln
15 Baugruppenprojekt BIGyard
16 Glashütte Alt-Stralau
17 Walden 48
Interview. Zentrifugalstadt
18 Haus an der Spree
19 Haus L
20 Einfamilienhaus
Essay. Die Riesen der 1970er-Jahre
Arbeiten
Vorwort
21 Verlagsgebäude der taz
22 Medienhaus Springer
23 Suhrkamp-Verlagsgebäude
Essay. Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt
24 Luisenblock West
25 The Box
26 Büro- und Atelierhaus Ritterstraße 8
27 Büroerweiterung
Interview. Im Dialog mit der Geschichte
28 Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin
29 Lobe Block Terrassenhaus
30 Up! Berlin
Anhang
Architektinnen & Architekten
Impressum & Bildnachweis
Recommend Papers

Berlin: Urbane Architektur und Alltag 2009–2022
 9783955535902, 9783955535896

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Berlin Urbane Architektur und Alltag seit 2009 Florian Heilmeyer, Sandra Hofmeister (Hgg.)

Berlin Urbane Architektur und Alltag seit 2009

Inhalt

Berlin ist eine Baustelle 

Kultur und Bildung ○ ○ ○

 1 Floating University raumlaborberlin  2 Futurium Berlin Richter Musikowski  3 Neues Museum David Chipperfield Architects, Julian Harrap Essay Klassizis­mus und ­Gegenwart Sandra Hofmeister  4 James-Simon-Galerie David Chipperfield Architects Berlin  5 Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch O&O Baukunst  6 Park am Gleisdreieck Atelier Loidl  7 Berlin Metropolitan School Sauerbruch Hutton Interview Matthias Sauerbruch: Experimente, Nischen und urbane Qualitäten  8 Arndt-Gymnasium AFF Architekten  9 Staatsbibliothek Unter den Linden hg merz  10 silent green Kulturquartier Kombinativ

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Wohnen ○ ○ ○

 11 Wohnregal FAR frohn&rojas  12 IBeB ifau + Heide & von Beckerath  13 Am Lokdepot Robertneun Essay Die Berliner Baugruppen: Stadt für den Eigen­bedarf Florian Heilmeyer  14 Ausbauhaus Neukölln Praeger Richter Architekten  15 Baugruppenprojekt BIGyard zanderroth architekten  16 Glashütte Alt-Stralau Eyrich Hertweck Architekten  17 Walden 48 ARGE Scharabi I Raupach Interview Tanja Lincke: Zentrifugalstadt  18 Haus an der Spree Tanja Lincke Architekten  19 Haus L Kersten Kopp Architekten  20 Einfamilienhaus brandt + simon architekten Essay Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

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Arbeiten ○ ○ ○

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 21 Verlagsgebäude der taz E2A Architekten  22 Medienhaus Springer OMA  23 Suhrkamp-Verlagsgebäude Bundschuh Architekten Essay Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar  24 Luisenblock West Sauerbruch Hutton  25 The Box AHM Architekten  26 Büro- und Atelierhaus Ritterstraße 8 BCO Architekturen  27 Büroerweiterung David Chipperfield Architects Berlin Interview David Chipperfield: Im Dialog mit der Geschichte  28 Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin ZRS Architekten Ingenieure  Block Terrassenhaus Brandlhuber+ Emde, Burlon /  29 Lobe  Muck Petzet Architekten  30 Up! Berlin Jasper Architects, Gewers Pudewill

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Anhang

Architektinnen & Architekten Impressum & Bildnachweis

BERLIN Urbane Architektur und Alltag seit 2009

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Bilder © TerraMetrics,Kartendaten © 2022 GeoBasis-DE/BKG (©2009),Google

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Projekte

○ Floating University raumlaborberlin Richter Musikowski ○ Futurium  Museum David Chipperfield ○ Neues 

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Architects, Julian Harrap  4 James-Simon-Galerie David  ­Chipperfield Architects Berlin  5 Hochschule für Schauspielkunst Ernst  Busch O&O Baukunst am Gleisdreieck Atelier Loidl  6 Park   7 Berlin Metropolitan School  Sauerbruch Hutton  8 Arndt-Gymnasium AFF Architekten   9 Staatsbibliothek Unter den Linden  hg merz  10 silent green Kulturquartier Kombinativ   11 Wohnregal FAR frohn&rojas  12 IBeB ifau + Heide & von Beckerath  13 Am Lokdepot Robertneun  14 Ausbauhaus Neukölln Praeger  Richter Architekten  15 Baugruppenprojekt BIGyard zanderroth  architekten  16 Glashütte Alt-Stralau Eyrich Hertweck Architekten

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48 ARGE Scharabi I Raupach ○ Walden  an der Spree Tanja Lincke ○ Haus 

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Architekten Haus L Kersten Kopp Architekten Einfamilienhaus brandt + simon  ­architekten Verlagsgebäude der taz E2A Architekten Medienhaus Springer OMA Suhrkamp-Verlagsgebäude Bundschuh  Architekten Luisenblock West Sauerbruch Hutton The Box AHM Architekten Büround Atelierhaus Ritterstraße 8  BCO Architekturen Büroerweiterung David Chipperfield  Architects Berlin Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin  ZRS Architekten Ingenieure Lobe Block Terrassenhaus  Brandlhuber+ Emde, Burlon /  Muck Petzet Architekten Up!  Berlin Jasper Architects, Gewers Pudewill

Berlin ist eine Baustelle

008 BERLIN Urbane Architektur und Alltag seit 2009

40 Jahre nach der Wiedervereinigung von Ost und West ist die deutsche Hauptstadt weiterhin eine vielschichtige Landschaft aus den unterschiedlichsten urbanen Räumen, Plätzen und Wohnquartieren mit starkem Eigencharakter. Die Vielfalt an Narrativen der neueren Geschichte, die Berlin seit der Industrialisierung ausmacht, wird auch im Stadtraum sichtbar, sie verbindet sich zu einer Einheit aus heterogenen Fragmenten. Diese Heterogenität prägt die deutsche Hauptstadt wie kaum eine andere Metropole in Europa. Manchmal prallen die Stränge der Geschichte ohne Vorankündigung und mit großer Wucht aufeinander, dann wieder fügen sie sich harmonisch zueinander. Im Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner sind sie in tagtäglichen Erfahrungen eng miteinander verwoben. Und das Stadtbild ändert sich fortwährend, da in Berlin ohne Unterlass gebaut wird. Einige Meilensteine des Stadtumbaus, die wie das Regierungsviertel oder der Potsdamer Platz kurz nach der Wiedervereinigung geplant wurden, sind heute längst fester Bestandteil der Stadt. Doch der Umbau geht weiter, und mit ihm verändern sich der Alltag und die Lebensbedingungen in Berlin. Über 100 Jahre nach Karl Schefflers vielzitiertem Satz ist die Stadt immer noch „dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“. Vor 20 Jahren bezeichnete Klaus Wowereit Berlin als „arm, aber sexy“. Fast nebenbei erfand der frühere sozialdemokratische Regierende Bürgermeister damit in einem Interview den am meisten zitierten Slogan für die deutsche Hauptstadt. „Arm, aber sexy“ wurde zu einer Art Leitmotiv. Dank günstiger Mieten war Berlin attraktiv, nicht nur für junge Menschen aus aller Welt, sondern auch für Investoren, die günstige Wohnungen und Immobilien mit hohen Profitaussichten kauften. Die Entwicklung der innerstädtischen Quartiere war nicht mehr aufzuhalten. Die Mieten und Bodenpreise steigen in rasendem Tempo, die Konsequenzen der Gentrifizierung sind omnipräsent – eine Turboentwicklung, gerade so, als ob Berlin im Eiltempo Anschluss suchen würde an Städte wie Paris oder London. Die Tageszeitung taz titelte deshalb schon 2018 provokant: „Und heute? Reich, aber öde!“ Berlin ist eine Baustelle Florian Heilmeyer, Sandra Hofmeister

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Nun gehört es ebenso wie die Heterogenität auch zur Tradition der Stadt, dass Berlin nicht nur eine große Fangemeinde, sondern auch prominente Kritiker hat. „Aber mein Gott, was für eine langweilige, entsetzliche Stadt ist Berlin!“, hält Fjodor Dostojewski 1874 in einem Brief an seine Frau fest. Und Rosa Luxemburg resümiert 1898: „Berlin macht auf mich im allgemeinen den widrigsten Eindruck: kalt, geschmacklos, massiv.“ Es wäre einfach, diese Liste fortzusetzen bis in die Jetztzeit. Auch der gegenwärtige Stadtumbau lässt sehr viel Raum für Kritik. Alles in allem macht die Hauptstadtarchitektur der letzten Jahrzehnte doch recht ratlos. So groß die Chancen und die Hoffnungen auf einen Neuanfang und eine mutige, progressive architektonische Sprache nach dem Fall der Mauer für viele waren, so tief sitzt die Ernüchterung. Die Rekonstruktion des Stadtschlosses Unter den Linden? Eine verpasste Möglichkeit für die zeitgenössische Architektur. Der Potsdamer Platz und seine irgendwie zu klein geratenen Hochhäuser? Eine austauschbare Shoppingmall für den ausufernden Kommerz. Viele haben sich die Architektur der neuen deutschen Hauptstadt anders vorgestellt, sich mehr Vorbildfunktion und mehr Qualität erhofft. Doch Berlin bleibt eine Baustelle. Längst hat der Stadtumbau neue Etappen erreicht und neue Kapitel eingeleitet. Wo aber stehen wir heute? Was macht die aktuelle Architektur Berlins aus, und welche Qualitäten schafft sie? Dieses Buch ist eine Spurensuche und ein Rundgang im Dschungel der zeitgenössischen Architektur Berlins. Es konzentriert sich auf die letzte Dekade und zieht eine Zwischenbilanz seit der Eröffnung des Neuen Museums im Jahr 2009. Doch nicht die schiere Quantität der vielen neu entstandenen Gebäude steht im Mittelpunkt, sondern eine kleine Auswahl an Projekten, die jedes für sich genommen besonders sind und die – bei allen Unterschieden – für ganz besondere architektonische Qualitäten stehen. Die Projekte zeigen erstaunliche Ansätze im Umgang mit dem Bestand oder dem umliegenden Stadtraum, es sind Umnutzungen und Revitalisierungen des Vorhandenen, Stadtparks 010 BERLIN Urbane Architektur und Alltag seit 2009

und Baugruppenprojekte, in denen sich Menschen zusammentun, um selbst ihren eigenen Wohnraum zu erfinden. So steckt dieser Band nicht nur voller ikonischer Bauten, sondern bietet auch viele versteckte architektonische Entdeckungen, die Berlins Lebensqualität ausmachen. In den Essays besuchen wir einige berühmte und berüchtigte Großprojekte wie den Hauptbahnhof oder den neuen Flughafen BER, die andauernde Baustelle der Museumsinsel und das Erbe der architektonischen Riesen aus den 1970er-Jahren wie das ICC oder die Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße. Die Aufteilung der 30 versammelten Einzelprojekte in die drei Kapitel Kultur, Wohnen und Arbeiten scheint uns dabei die Strukturen des gegenwärtigen Berliner Alltags gut zu repräsentieren – auch wenn selbstverständlich die Trennlinien zwischen diesen drei Bereichen immer schwächer werden, wie einige der Projekte zeigen. Da gibt es flexible Wohnungen, deren Grundrisse genauso gut als Büro, Bar oder Galerie genutzt werden könnten; in alten Flaschenfabriken ziehen Wohnungen ein, während in einem früheren Lagerhaus ebenso gearbeitet wird wie in einem ehemaligen DDR-Kaufhaus. Mit dem Park am Gleisdreieck ist eine neuartige Gebrauchslandschaft als Stadtpark mitten in Berlin entstanden, der vielleicht am allerbesten zeigt, wie ein beliebter und belebter Treffpunkt für die heutige Gesellschaft entstehen kann, der gezielt die Spuren der Vergangenheit bewahrt hat – ein bisschen so wie die wieder ins Leben zurückgeführte Ruine des Neuen Museums. „Die Qualitäten jenseits des Kommerzes erhalten? Das ist genau der Kampf, den Berlin derzeit austrägt“, resümiert David Chipperfield im Interview (S. 301) die aktuelle Situation in der deutschen Hauptstadt. „Und ich glaube, dass diese Schlacht noch nicht verloren ist.“ Dieses Buch zeigt Projekte, die mit ihrer Architektur neue Qualitäten im Stadtraum schaffen und den Alltag in Berlin bereichern. Da die Baustelle weiter geht, wird dies nicht die letzte Etappe der Hauptstadtarchitektur sein. Florian Heilmeyer, Sandra Hofmeister Berlin ist eine Baustelle Florian Heilmeyer, Sandra Hofmeister

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Bilder © TerraMetrics,Kartendaten © 2022 GeoBasis-DE/BKG (©2009),Google

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Kultur und Bildung

1 Floating University raumlaborberlin ○ 2 Futurium Berlin Richter Musikowski ○ 3 Neues Museum David Chipperfield Architects, Julian Harrap ○

021 031 041 053 Essay Klassizismus und Gegenwart Sandra Hofmeister 063 James-Simon-Galerie David Chipperfi eld Architects Berlin 4 073 5 Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch O&O Baukunst 083 6 Park am Gleisdreieck Atelier Loidl 091 7 Berlin Metropolitan School Sauerbruch Hutton Interview Matthias Sauerbruch: Experimente, Nischen und urbane Qualitäten 099 107 8 Arndt-Gymnasium AFF Architekten 115 9 Staatsbibliothek Unter den Linden hg merz 121 10 silent green Kulturquartier Kombinativ

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014 KULTUR UND BILDUNG 

Die Neue Nationalgalerie (1968) ist das einzige Gebäude von Mies van der Rohe, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland errichtet wurde. Von 2015

bis 2021 wurde die Ikone durch David Chipperfield Architects Berlin umfassend instand gesetzt.

Neue Nationalgalerie Mies van der Rohe /David Chipperfield Architects Berlin

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016 KULTUR UND BILDUNG

2016 eröffnete die Julia Stoscheck Collection in der Leipziger Straße. Im Gebäude des ehemaligen Tschechi-

schen Kulturzentrums in Mitte sind zeitgenössische Medienkunstwerke der Sammlung ausgestellt.

Julia Stoschek Collection Berlin Meyer-Grohbruegge

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018 KULTUR UND BILDUNG 

Der Park am Nordbahnhof wurde 2010 eröffnet. Das 5 ha große Gelände liegt 3 m über dem Straßenniveau in Mitte. Es streckt sich über stillgelegte Bahn­ gleise und umfasst Teile des ehemaligen

Mauerstreifens. Die Gestaltung von Fugmann Janotta Partner und Atelier Loegler wurde 2022 gemeinsam mit anderen urbanen Landschaftsparks mit dem Carlo Scarpa Preis ausgezeichnet.

Park am Nordbahnhof Fugmann Janotta Partner, Atelier Loegler

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Tragwerksplanung: Buro Happold Fertigstellung: 2018/2019/2021 Fläche: Gebäude ca. 400 m² Nutzung: Kultur, Bildung

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Lilienthalstraße 32, Kreuzberg 🌐 floating-berlin.org @floatinguniversity

raumlaborberlin

Campus im Regenwasserbecken Floating University

Direkt gegenüber vom Tempelhofer Feld, zwischen Sportplätzen und einer Schrebergartenkolonie, liegt seit 2018 Berlins erste Pfahlbau-Universität. Ihre Architektur ist so ungewöhnlich wie der Ort und die neu erfundene Institution der Floating University – die sich aufgrund einer Anordnung des Berliner Senats nicht mehr Universität nennen darf und sich seitdem mit durchgestrichenem University schreibt. Das Gelände sieht aus wie ein vergessener Froschtümpel. Es handelt sich aber um eines der Regenwasserrückhaltebecken, die in den 1930er-Jahren angelegt wurden, um das Flugfeld des Flughafens Tempelhof bei Starkregen zu entwässern. Die Becken funktionieren heute noch: Bei Regen bildet sich ein Teich, der dann langsam in den

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Landwehrkanal abgeleitet wird. Aus Sicherheitsgründen blieb das Gelände über 80 Jahre lang verschlossen, und so entwickelte sich ein einzigartiges Ökosystem mit einer Vielzahl an Pflanzen-, Tier- und Algenarten. Ein Ort voller Paradoxien: seltsam entrückt und doch mitten in der Stadt, vom Menschen geschaffen und von der Natur zurückerobert, irgendwo zwischen dystopischer Zukunftsvision und gegenwärtigem Dschungelparadies. Das Architekturkollektiv raumlaborberlin hat sich schon in der Vergangenheit mit dem gigantischen Freiraum des Tempelhofer Felds und seinen Aneignungsmöglichkeiten beschäftigt und dort unter anderem 2012 eine Do-It-Yourself-Weltausstellung für Kunstschaffende organisiert. So war es auch auf das Wasserbecken gestoßen und entwickelte bis 2018 die Idee einer temporären Nutzung als „Offshore-Campus“ für den Dialog über die Zukunft der Städte. Raumlabor lud Kooperationspartner ein, darunter 25 europäische Hochschulen, und stellte Förderanträge. Dann begann der Bau einer ersten Grundstruktur aus Holzgebäuden, Stegen, Plattformen, Sitz- und Versammlungsgelegenheiten, die sich über das flache Becken erstrecken: offene, teilweise mehrstöckige Holzkonstruktionen, die mit Gerüstbau- und Kunststoffelementen ergänzt wurden, sowie Textilien als Sonnen- und Regenschutz. Halb geplant, halb improvisiert ist eine robuste Rohstruktur entstanden, die sich je nach Können und Wünschen ihrer Benutzer ständig verändert. Jedes Jahr entstehen neue Versionen oder Interpretationen dieser Universität, wie bei einem Song, den andere Interpreten covern. Rasch entwickelte sich ein vielfältiges Programm aus Konzerten, Lesungen, Diskussionen, Workshops, Film-, Grill- und Tanzveranstaltungen, Naturführungen und Sportkursen. Ein Verein wurde gegründet, um aus der temporären eine dauerhafte Einrichtung zu machen. 2021 erhielt die Floating University auf der Architekturbiennale in Venedig die höchste Auszeichnung, den Goldenen Löwen. Das Projekt zeige vorbildlich, wie städtische Resträume mit geringen Eingriffen erobert, aktiviert, mehrfach lesbar und reprogrammiert werden können. Dennoch ist die Zukunft derzeit offen, da die landeseigene Tempelhof Projekt GmbH und der Bezirk die temporären Strukturen lieber wieder entfernt sähen – paradoxerweise scheint gerade sein Erfolg und seine Beliebtheit die größte Bedrohung für das Projekt zu werden. fh

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KULTUR UND BILDUNG

Lageplan Maßstab 1:2000

○1 Floating University raumlaborberlin

Der Bildungscampus hat sich als ständig veränderbare Do-It-Yourself-Struktur über

das ehemalige Regenwasserrückhalte­ becken des Flughafens Tempelhof verteilt.

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024 KULTUR UND BILDUNG

Jahrzehntelang hatte das Regenwasserrückhaltebecken im Dornröschenschlaf gelegen. Dann zeigte eine breite Koalition verschiedener Akteure

○1 Floating University raumlaborberlin

um raumlaborberlin, dass solch ein Un-Ort auch mit geringem Budget zu neuem Leben zu erwecken ist.

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Erdgeschoss

Grundrisse Maßstab 1:500

026 KULTUR UND BILDUNG

Obergeschoss

1 Steg 2 Terrasse 3 Zentrallabor 4 Bar 5 Toiletten 6 Wasser­ schöpfrad

7 Wasserfilter­ anlage 8 Wasserbecken 9 Auditorium (99 Sitzplätze) 10 Bühne als schwimmende Plattform

11 Umgang Auditorium 12 Terrasse 13 Abstellraum 14 Plattformen Wasserfilter­ anlage

15 Spülküche 16 Selbstversorgerküche 17 Lager

In der Floating University finden Ver­ anstaltungen zum Thema statt, wie wir in Zukunft in Städten leben wollen.

○1 Floating University raumlaborberlin

Wenn nötig, können die Bauten rasch verändert werden.

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028 KULTUR UND BILDUNG

○1 Floating University raumlaborberlin

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Bauherr: Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BlmA) Tragwerksplanung: Schüßler-Plan Ingenieursgesellschaft Landschaftsarchitektur: JUCA architektur + landschaftsarchitektur Fassadenplanung: Arup Deutschland Bauphysik: Müller BBM, Werner Sobek WS Green Technologies Fertigstellung: 2017 Fläche: 8000 m² Nutzung: Ausstellungen, Auditorium, Café, Shop

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Alexanderufer 2, Mitte 🌐 futurium.de @futuriumD

Richter Musikowski

Skulptur zwischen den Rechtecken Futurium

Seit der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs 2006 wurde ringsum zwar viel gebaut, bemerkenswerte Architekturen sind jedoch rare Ausnahmen. Eine davon ist das Futurium Berlin. Hinter dem etwas kryptischen Namen verbirgt sich ein Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum für das benachbarte Bundesministerium für Bildung und Forschung – das Ministerium soll es sozusagen als Schaufenster nutzen, um die eigene Arbeit publikumswirksam vorzuführen und generelle Zukunftsfragen zu stellen: Wie wollen wir wohnen? Wie werden wir reisen? Wie können wir überleben? Der Neubau entstand auf einer etwa dreieckigen Brache zwischen dem Ministerium, der Stadtbahntrasse im Norden und der Spree im Süden. Den offenen Architekturwettbewerb gewannen 2012

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spektakulär die jungen Architekten Christoph Richter und Jan Musikowski, beide damals noch wissenschaftliche Mitarbeiter an der Technischen Universität Dresden. Das Futurium wurde zum Startschuss für ihr eigenes Büro. Auf das anonyme Umfeld der stereotypen Büroblöcke reagieren die Architekten mit einer auffälligen skulpturalen Form. Der fünfeckige Grundriss und die vielen Schrägen des Volumens machen das Futurium zum angenehmen Fremdkörper. Die Platzfläche ringsum schafft mit einem schwarzen Asphaltboden und dem Muster aus hellen Punkten zusätzliche Distanz: Das Ufo ist gelandet. Das Gebäude ist ein drastisch geknickter Solitär mit silbrig glänzenden Außenwänden, der sich nach Norden und Süden hebt und so die zwei Eingänge markiert. Vor den Zugängen liegen kleine Vorplätze, darüber spannen weit ausladende Vordächer: Nach Norden beträgt die Auskragung stolze 18 Meter. Die innere Organisation ist von maximaler Klarheit. Im Erdgeschoss befinden sich Foyer, Garderoben, Shop und Café sowie ein Auditorium. Im Untergeschoss liegt das Futurium Lab, eine 6 Meter hohe, introvertierte Ausstellungshalle mit dunkel gefärbten Sichtbetonwänden, schwarzem Gussasphaltboden und einer bemerkenswerten Kassettenlichtdecke als gestalterische Besonderheit. Im Obergeschoss befindet sich die 3000 Quadratmeter große Haupthalle. Der mittige Erschließungskern legt eine Aufteilung in drei Bereiche nahe. Die ansteigenden Raumhöhen machen die geknickte Dachform von innen nachvollziehbar und leiten den Blick zu den riesigen Panoramascheiben am Ende der Wandfluchten. Die Fassade an der Ost- und Westseite besteht aus über 8000 quadratischen Kassettenelementen. Darin liegen unter keramisch bedruckten Glasscheiben unterschiedlich geknickte Metallreflektoren, die je nach Faltung reflektierend, transparent oder transluzent sein können. Insgesamt ergibt das eine vielfältige, uneindeutige und futuristisch schimmernde Gebäudehülle, deren Ausdruck sich mit der Wetterlage ändert. Nach Norden und Süden liegen über den Vordächern große, dunkle Fensterflächen wie Gucklöcher eines Teleskops, die die Gebäudestatik maximal ausreizen: Panoramafenster mit 8 × 28 Metern nach Süden und 11 × 28 Metern nach Norden hängen in einem kräftigen, in die Außenwände integrierten Stahlfachwerk. Der Ausblick wird so zum Teil der Ausstellungen und setzt die dort inszenierten Zukunftsfragen in direkten Zusammenhang zur umgebenden Stadt. fh

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KULTUR UND BILDUNG

Lageplan Maßstab 1:10 000

1 Futurium 2 Bundesminis­ terium für Bildung und Forschung

3 Hauptbahnhof

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2 Futurium Richter Musikowski ○

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034 KULTUR UND BILDUNG

2 Futurium Richter Musikowski ○

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Obergeschoss

1. Zwischengeschoss

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:1000

1 Sonderaus­ stellung 2 Depot 3 Technik 4 Stuhllager

5 Café 6 Foyer 7 Shop 8 Garderobe 9 Konferenzraum

10 Anlieferung 14 Regie 11 Veranstaltungs- 15 Medientechnik saal 16 Luftraum 12 Verwaltung 13 Ausstellung a

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Untergeschoss

2 Futurium Richter Musikowski ○

Erdgeschoss

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2 Futurium Richter Musikowski ○

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Bauherr: Stiftung Preußischer Bodestraße 4, Mitte Kulturbesitz 🌐 smb.museum Tragwerksplanung: IGB Ingenieur­ @neuesmuseum gruppe Bauen Fachplanung/-bauleitung Restaurierung: Pro Denkmal Bauleitung: Lubic & Woehrlin Landschaftsarchitektur: Levin Monsigny Landschaftsarchitekten Bruttogrundfläche: 10 500 m² Fertigstellung: 2009 Nutzung: Dauerausstellungen, temporäre Ausstellungen, Gastronomie, Buchhandlung

3

David Chipperfield Architects London & Berlin, Julian Harrap

Reparatur und Respekt Neues Museum

Jahrzehntelang war die Ruine des Neuen Museums, das im Zweiten Weltkrieg durch Bomben schwer beschädigt und in Teilen völlig zerstört worden war, der Witterung ausgesetzt. 1997 gewannen David Chipperfield Architects und Julian Harrap in einem Gutachterverfahren den internationalen Wettbewerb für den Wiederaufbau des Gebäudes, das ursprünglich nach Plänen von Friedrich August Stüler zwischen 1841 und 1859 errichtet worden war. Das Konzept der britischen Architekten zielte darauf ab, die erhaltenen Teile zu reparieren sowie die ursprüngliche Raumfolge und das ursprüngliche Gebäudevolumen durch Neubauteile zu ergänzen. Gemäß der Charta von Venedig, die seit 1964 die international anerkannte Richtlinie für die Denkmalpflege darstellt,

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wurden die historischen Strukturen in ihrem jeweiligen Erhaltungszustand restauriert. Die Lücken des Bestands bleiben auch weiterhin als solche erkennbar. Sie sind mit schlichten zeitgenössischen Elementen gefüllt, die sich zurückhalten und nicht mit dem Original konkurrieren. Am deutlichsten wird dieses Konzept des respektvollen Dialogs zwischen Alt und Neu im zentralen Treppenhaus des Museums. Die Sichtziegelwände der großen Halle wurden restauriert und die zerstörte dreiläufige Treppenanlage als schnörkelloses Raumvolumen neu errichtet. Wie die neuen Ausstellungsräume ist sie mit großformatigen Fertigteilen aus einem speziell entwickelten Beton aus Weißzement und sächsischem Marmor gefügt. Die nüchternen zeitgenössischen Ergänzungen reflektieren das Verlorene, ohne es zu imitieren. Sie stellen den Rundgang durch das Museum als einen Parcours durch die Geschichte wieder her und machen das Neue Museum zu einem Erinnerungsort. Die Fragmente Stülers, die Die Kriegsruine des historischen Gebäudes war bis in die 1980er-Jahre der Witterung ausgesetzt.

Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, die neuen Ergänzungen und nicht zuletzt die kostbaren Exponate der Sammlungen sind Teile eines Narrativs, die sich in den Museumsräumen verdichten und überlagern. Mit der Eröffnung des Neuen Museums im Jahr 2009 hat sich die Berliner Museumslandschaft nach dem Fall der Mauer neu aufgestellt: Sammlungen aus Ost und West wurden zusammengeführt und unter dem Dach des Neuen Museums auf insgesamt 8000 Quadratmetern Ausstellungsfläche auf vier Ebenen angeordnet. Das Ägyptische Museum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte sind heute hier zu Hause, außerdem die Papyrus- und die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Von außen zeigt sich das Gebäude weitgehend im ursprünglichen städtebaulichen Kontext der Vorkriegssituation. Die großteils erhaltenen Kolonnaden auf der Ost- und der Südseite wurde wiederaufgestellt und ergänzt. Im Westen übersetzt der Neubau der James-Simon-Galerie den klassizistischen Wandelgang Stülers in schlanke Betonpfeiler. Ihr Entwurf stammt ebenfalls von David Chipperfield Architects Berlin und schließt die letzte Lücke auf dem Unesco-Welterbe Museumsinsel. sah 042

KULTUR UND BILDUNG

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Lageplan Maßstab 1:5000

1 Neues Museum 2 Alte National­­ galerie

3 Altes Museum 4 Lustgarten

3 Neues Museum David Chipperfield Architects London & Berlin, Julian Harrap ○

5 James-SimonGalerie

6 Pergamon­ museum 7 Bode-Museum

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044 KULTUR UND BILDUNG

In der großen Treppenhalle des Neuen Museums lassen sich die Schichten der Geschichte deutlich ablesen. Die

Bestandselemente wurden in ihrem jeweiligen Erhaltungszustand restauriert.

3 Neues Museum David Chipperfield Architects London & Berlin, Julian Harrap ○

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046 KULTUR UND BILDUNG

In der großen Treppenhalle sind die nüchternen Ergänzungen aus Beton deutlich erkennbar. Die historische

Zeichnung hingegen zeigt einen prunkvollen eklektizistischen Raum.

Ansicht West

Ansicht, Grundrisse Maßstab 1:1000

1 Haupteingang 2 Vestibül 3 Technik  4 Garderobe 5 Information 6 Museumsshop 7 Westeingang 8 Gräbersaal 9 Mythologischer Saal 10 Hypostyl

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11 Luftraum Ägyptischer Hof 12 Historischer Saal 13 Vaterländischer Saal 14 Luftraum Griechischer Hof 15 Ethnographischer Saal

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16 Pförtner 17 Diensteingang 18 Café 19 Flachkuppelsaal 20 Nordkuppelsaal 21 Niobidensaal 22 Bacchussaal 23 Römischer Saal 24 Südkuppelsaal 25 Appollosaal

26 Plattform Ägyptischer Hof 27 Treppenhalle 28 Mittelalterlicher Saal 29 Griechischer Saal 30 Moderner Saal 31 Bernward-­ Zimmer

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3 Neues Museum David Chipperfield Architects London & Berlin, Julian Harrap ○

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Blick vom Römischen Saal in den Süd­ kup­pel­saal (unten); Die Nofretete-Büste im Nordkuppelsaal (rechts) ist eine der Hauptattraktionen.

048 KULTUR UND BILDUNG

3 Neues Museum David Chipperfield Architects London & Berlin, Julian Harrap ○

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050 KULTUR UND BILDUNG

Blick vom Kolonnadenhof der Alten Nationalgalerie auf die Ostfassade des Neuen Museums

3 Neues Museum David Chipperfield Architects London & Berlin, Julian Harrap ○

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KULTUR UND BILDUNG

Blick über den Kupfergraben auf das Alte Museum, um 1830: Der klassizistische Bau von Karl Friedrich Schinkel ist die

Keimzelle der Museumsinsel. Seine Architektur steht für den neuen Bildungsanspruch Preußens.

Klassizis­mus und ­Gegenwart Die Museumsinsel und das kulturelle Erbe der Stadt

Sandra Hofmeister

BERLIN Urbane Architektur und Alltag seit 2009

053

In der historischen Mitte Berlins versammeln sich auf dem nördlichen Teil der Spreeinsel fünf Museumsgebäude, die durch Gärten und Kolonnaden miteinander verbunden sind und zwischen 1830 und 1930 eröffnet wurden – im Lauf von 100 Jahren. Seit 1999 zählt die Museumsinsel zum Unesco-Welterbe. In den Gebäuden des Alten und des Neuen Museums, der Alten Nationalgalerie, des Bode- und des Pergamonmuseums sind die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin zu Hause. Zu ihren Highlights gehören die Büste der Nofretete und der antike Pergamon-Altar, Gemälde der deutschen Romantik von Caspar David Friederich und impressionistische Werke von Édouard Manet.

Übersicht über die Museumsinsel mit Lustgarten: Die fünf Museumsgebäude

und das Besucherzentrum bilden ein ­historisch gewachsenes Ensemble.

Das 8,6 Hektar große Areal der Museumsinsel, ihre Architektur und ihre Kunstsammlungen zeugen vom kulturellen Selbstverständnis Berlins und seiner Geschichte. Verschiebungen, Brüche und Neuausrichtungen leiten einzelne Kapitel dieser Geschichte ein, die heute keineswegs abgeschlossen ist. Der Repräsentationsanspruch der preußischen Könige und der deutschen Kaiser wird dabei sichtbar, die Spuren des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegsära in der DDR sowie das gegenwärtige Bemühen, das kulturelle Erbe nach dem Fall der Mauer wieder zu vereinen und seine Geschichte durch Modernisierungen fortzuschreiben. Der Masterplan der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von 1999 setzt sich die Grundinstandsetzung aller Gebäude zum Ziel. Sie sollen außerdem durch eine Archäologische Promenade miteinander verbunden werden, die die Besucherströme vom zentralen Eingangsgebäude in alle Häuser lenkt. Heute sind drei der insgesamt fünf Museumsgebäude saniert. Ihre Sammlungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf unterschiedliche Standorte beidseits der Mauer verteilt 054 KULTUR UND BILDUNG

Antike an der Spree: Blick auf die Alte Nationalgalerie und ihren Kolonnadenhof. Im Hintergrund ist das Neue Museum ­erkennbar. Foto ca. 1881

Die Museumsinsel und das ­kulturelle Erbe der Stadt Sandra Hofmeister

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waren, wurden in großen Teilen vereint. Wie an keinem anderen Ort der Stadt verdichtet sich auf der Museumsinsel die Kulturgeschichte Berlins. Schinkels Antikenrezeption und Preußens Bildungsideal Mit dem Alten Museum hat alles begonnen, das klassizistische Gebäude von Karl Friedrich Schinkel ist die Keimzelle der Museumsinsel. Friedrich Wilhelm II. eröffnete sein „Königliches Museum“ 1830. Es war als erstes Museum Preußens für die Öffentlichkeit zugänglich. Schinkels Monument für die Kunst liegt an der Prachtstraße Unter den Linden, die weit gespannte ionische Säulenhalle erhebt sich auf einem hohen Sockel. Seine Hauptfassade richtete der antikisierende Bau zum vorgelagerten Lustgarten in Richtung Stadtschloss aus. Die städtebauliche Position gegenüber dem Schloss der Hohenzollern, zu dem sich der Museumsbau mit einer großen Freitreppe öffnet, sowie die Nachbarschaft des Zeughauses und des Doms machte das neue Selbstverständnis der preußischen Könige sichtbar. Neben der Politik, dem Militär und der Kirche war nun auch die Kunst ein Teil ihres repräsentativen Machtanspruchs. In der zentralen Rotunde des Alten Museums, die für zahlreiche Museumsbauten bis in die Gegenwart Vorbild ist, sollten herausragende Kunstwerke aller Epochen aufgestellt werden, um den Besuchern die Summe des geistigen Erbes als Bildungsziel vor Augen zu führen. Das klassizistische Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört und ab 1958 wiederaufgebaut, um fortan die Gegenwartskunst der Deutschen Demokratischen Republik aufzunehmen. Nach dem Mauerfall gewannen die Architekten Hilmer & Sattler und Albrecht 1993 den Wettbewerb für die Grundsanierung. Heute sind die Kassettendecke der Rotunde und die Freitreppe des Gebäudes restauriert, in dem die Antikensammlung in einem chronologisch gegliederten Rundgang präsentiert wird. Nach dem Abriss des Palasts der Republik ab 2006 – in dem 1976 eröffneten Parlamentsgebäude der DDR hatte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) über Jahrzehnte ihre Parteitage inszeniert – wurde das Stadtschloss mitsamt seiner historischen Fassade Unter den Linden neu errichtet. Deshalb steht das Alte Museum von Schinkel heute in einem neuen städtebaulichen Kontext, der die ursprüngliche historische Situation optisch wiederherstellt. Gleichzeitig hat Schinkels klassizistischer Bau am Lustgarten durch das Humboldt Forum, das 2020 in den Räumen des wiederaufgebauten Stadtschlosses eröffnete, ein museales Gegenüber erhalten.

056 KULTUR UND BILDUNG

Kolonnaden an der Spree 1841 verfügte der preußische König Friedrich Wilhelm IV., die gesamte Spreeinsel für die Kunst und Wissenschaft auszugestalten. An diesen Plan haben sich die Herrscher der wilhelminischen Ära und des Deutschen Kaiserreichs gehalten – bis zum jüngsten historischen Gebäude auf der Insel, dem 1930 eröffneten Pergamonmuseum. Die erste Etappe des Ausbaus der Insel prägte der Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler mit seiner Idee eines neoklassizistischen Arkadiens. Nach seinen Plänen wurde das Neue Museum errichtet und 1859 als zweites Museum auf der Spreeinsel eröffnet. Johann Heinrich Strack, ebenfalls ein Schinkel-Schüler, vollendete nach dem Tod Stülers den Bau der östlich angrenzenden Nationalgalerie. Ihre programmatische Giebelinschrift „Der deutschen Kunst“ sowie die stolze Tempelarchitektur des

Das frühere Kaiser-Friedrich-Museum Fotopostkarte nach 1930 heißt heute Bode-Museum. Der neo­ barocke Prunkbau liegt an der Nordspitze der Museumsinsel.

Die Museumsinsel und das ­kulturelle Erbe der Stadt Sandra Hofmeister

057

Gebäudes zeugen vom neuen patriotischen Selbstbewusstsein der wilhelminischen Ära. Die Nationalgalerie wurde 1876 zum Geburtstag Kaiser Wilhelm I. eröffnet. Nach der Wiedervereinigung und der Zusammenführung der Berliner Museumslandschaft wurde das Gebäude in „Alte Nationalgalerie“ umbenannt, um Verwechslungen mit der nach dem Krieg von Mies van der Rohe errichteten „Neuen Nationalgalerie“ am Kulturforum in West-Berlin zu vermeiden. Heute verwahrt das Stammhaus der Nationalgalerie, deren große Sammlung auf weitere Häuser verteilt ist, auf der Museumsinsel etwa 2000 Gemälde und ebenso viele Skulpturen. Dem Gebäude ist ein Kolonnadenhof vorgelagert, der östlich an das Spreeufer grenzt und von dort bis zum Neuen Museum führt.

Erfrischung nach dem Museumsbesuch? Der Kiosk in der Säulen­halle der Alten ­Nationalgalerie bot S ­ itzmöglichkeiten an. Foto um 1930

058 KULTUR UND BILDUNG

Hatte Schinkel die Humboldt’schen Bildungsideale in die klassizistische Architektur des Alten Museums übertragen, so zeichnen sich die später entstandenen Bauten auf der Museumsinsel durch einen eklektizistischen Historismus aus. Dieser greift Elemente unterschiedlicher Epochen auf, von der Renaissance bis zum wilhelminischen Neobarock in der Palastarchitektur des Bode-Museums. Dessen Rundbau wurde 1904 auf der nördlichen Inselspitze als Kaiser-Friedrich-Museum eröffnet und 1956 nach seinem Gründer Wilhelm von Bode benannt. Mit dem Pergamonmuseum als letztem Baustein war das historische Programm der Museumsinsel 1930 komplett. Der monumentale und reich verzierte Sockelbau am Kupfergraben ist mit einer Brücke über die Spree erschlossen und wird seit 2012 nach den Plänen des Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers saniert. Wiedervereinigt und rekonstruiert Nach dem Mauerfall stand die Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor der Herausforderung, die staatlichen Sammlungen zusammenzuführen und die historischen Gebäude auf der Museumsinsel zu modernisieren. Allerdings war das Neuen Museum ein Problemfall. Der Bau war durch Bomben im Zeiten Weltkrieg stark beschädigt und in Teilen ganz zerstört worden. Erst in den 1980er-Jahren wurde die Ruine gesichert. 1997 gewannen David Chipperfield und Julian Harap das Gutachterverfahren des internationalen Wettbewerbs zum Wiederaufbau. Sie setzten ein Konzept der kritischen Rekonstruktion um, das die historischen Strukturen in ihrem jeweiligen Erhaltungszustand unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten saniert und nüchterne neue Elemente in zeitgenössischer Architektursprache hinzufügt (S. 40ff). 2009 konnte das Neue Museum wieder eröffnet werden. Chipperfield und sein Berliner Team entwarfen auch das sechste und jüngste Gebäude auf der Museumsinsel, die James-Simon-Galerie (S. 63). 2001 entwickelten die Architekten ihr erstes Konzept dazu, das jedoch aus Finanzierungsgründen zurückgestellt wurde. 2007 wurden die Planungen wieder aufgenommen und an den inzwischen erweiterten Masterplan Museumsinsel angepasst. Chipperfields Ergänzung am Kupfergraben gliedert sich an der Stelle eines früheren Packhofs in das Gesamtensemble auf der Museumsinsel ein. Das zentrale Eingangsgebäude wird über die geplante Archäologische Promenade mit allen Häusern auf der Museumsinsel verbunden sein und die Orientierung der Besucher erleichtern. Der Neubau greift zentrale Motive aus der Architektur seiner historischen Nachbarn auf: Er steht auf einem hohen Sockel über der Spree, öffnet seinen Haupteingang mit einer großen Freitreppe und bildet an seiner östlichen Seite zum Neuen Die Museumsinsel und das ­kulturelle Erbe der Stadt Sandra Hofmeister

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Historischer Glamour: Der Schlüterhof barocke Anlage präsentiert sich heute als des Stadtschlosses wurde weitgehend stilechte Herrschaftsarchitektur. ­rekonstruiert. Die einst komplett zerstörte

060 KULTUR UND BILDUNG

Museum einen Hof, der die Gartenlandschaft auf der Insel ergänzt. Die Architektur der James-­Simon-Galerie überträgt die Stüler’schen Kolonnaden in die Gegenwart. Aus den kannelierten ionischen Säulen werden schlanke weiße Betonstützen, die auf der Straßenebene und auf dem Sockelgeschoss über der Spree zu Wandelgängen gereiht sind. Schlossgeschichten Mit der Eröffnung des Humboldt Forums wird das breite Spektrum der Museumsinsel zusätzlich mit Teilen der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst erweitert. Der Deutsche Bundestag hatte 2003 den Wiederaufbau des gänzlich zerstörten Hohenzollernschlosses beschlossen. Seine barocken Höfe und Fassaden stehen heute wieder – in historischem Gewand. Sie machen an prominenter Stelle eine Geschichtshaltung deutlich, die kaum gegensätzlicher ausfallen könnte als Chipperfields Bemühungen auf der Museumsinsel: Während die Geschichte beim Neuen Museum mitsamt ihren Leerstellen sichtbar ist, wird sie beim Humboldt Forum neu erfunden. Denn die Schlossfassade Unter den Linden inszeniert eine Fake-Idylle, die keine Erinnerungsmomente zulässt. Gerade so, als ob es den Zweiten Weltkrieg und die DDR nie gegeben hätte.

Die Museumsinsel und das ­kulturelle Erbe der Stadt Sandra Hofmeister

061

Bauherr: Stiftung Preußischer Kulturbesitz Tragwerksplanung: IGB Ingenieurgruppe Bauen Bauphysik: Müller-BBM Fläche: 10 900 m² Fertigstellung: 2018 Eröffnung: 2019 Nutzung: Museumseingang, Auditorium, Café, Ticket- & Museumsshop, temporäre Ausstellungen

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Bodestraße, Mitte 🌐 smb.museum @staatlichemuseenzuberlin

David Chipperfield Architects Berlin

Unter den neuen Kolonnaden James-Simon-Galerie

Das Eingangsgebäude und Besucherzentrum der Museumsinsel ist nach dem Unternehmer James Simon (1851–1932) benannt. Der deutsche Kunstmäzen und Finanzier archäologischer Grabungen überließ den Staatlichen Museen etwa 10.000 Objekte aus seiner privaten Kunst- und Antikensammlung als Schenkung und Dauerleihgaben, darunter auch die berühmte Nofretete-Büste. Der schmale, kubische Baukörper am Kupfergraben ergänzt das historische Gebäudeensemble auf der Museumsinsel. Er dient bisher als Eingang zum Pergamonmuseum und ist an das Neue Museum angebunden. Mit der kompletten Umsetzung des übergeordneten Masterplans von 1999 wird diese sogenannte Archäologische Promenade

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vom Bode-Museum bis zum Alten Museum reichen; vier der fünf Häuser zwischen Lustgarten, Kupfergraben und Spree werden dann über die James-Simon-Galerie erschlossen. Der Entwurf nimmt architektonische Elemente und historische Motive der benachbarten Museumsbauten auf und interpretiert sie neu. Entlang des Kupfergrabens setzt die James-Simon-Galerie den hohen Sockel des Pergamonmuseums als einen 100 Meter langen monolithischen Unterbau fort. Darauf steht über die gesamte Länge eine Kolonnade mit 92 filigranen Pfeilern. Hoch über dem Wasser überdacht der neue Wandelgang die Aussichtsterrasse auf dem Sockelgeschoss. Von hier öffnet sich eine Blickachse bis hinüber zur Schlossbrücke und zur Kuppel des Humboldt Forums. An seiner schmalen Hauptseite zur Bodestraße öffnet sich der Neubau mit einer großen, einladenden Freitreppe und greift erneut das klassizistische Kolonnadenmotiv von seinem Nachbarn auf. Schlanke Säulen aus Betonfertigteilen übersetzen die historische Säulenarchitektur von Friedrich August Stüler in die Jetztzeit. Das Gebäude von David Chipperfield Architects Berlin schließt die letzte Lücke auf der Museumsinsel, die auf der Liste des Unesco-Welterbe steht. Auf seinem Grundstück befand sich zuvor ein Schinkel-Bau, der 1938 abgerissen wurde. Ihren Charakter als bedachte Ergänzung des historischen Ensembles der Museumsinsel erhält die James-Simon-Galerie auch durch die Natursteinzuschläge im Beton. Sie knüpfen gezielt an die Tonalität und Materialvielfalt aus Sandstein-, Kalkstein- und Putzfassaden der historischen Museumsbauten an. Dagegen üben sich die Innenräume mit glatt geschalten Ortbetonwänden in nüchterner Zurückhaltung. sah

064 KULTUR UND BILDUNG

Am Kupfergraben: Die James-Simon-­ Galerie reiht ihre filigranen Kolonnaden

aus Beton hoch über dem Ufer des Kupfergrabens auf.

Lageplan Maßstab 1:5000

4 James-Simon-Galerie David Chipperfield Architects Berlin ○

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066 KULTUR UND BILDUNG

Freitreppe für die Öffentlichkeit: Das Eingangsgebäude der Museumsinsel

empfängt die Besucher mit einer großen Willkommensgeste.

4 James-Simon-Galerie David Chipperfield Architects Berlin ○

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:1500

068 KULTUR UND BILDUNG

1 Foyer 2 Kasse 3 Übergang Pergamon­ museum

4 Café, Restaurant 5 Terrasse

6 Garderobe 7 Auditorium 8 Museumsshop

9 Wechsel­ ausstellung

Nüchterne Sichtbetonwände und dunkle Holzvertäfelungen wechseln sich in den Innenräumen des Besucherzentrums ab.

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Erdgeschoss

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2. Untergeschoss

4 James-Simon-Galerie David Chipperfield Architects Berlin ○

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070 KULTUR UND BILDUNG

Der jüngste Neubau auf der Museumsinsel verlängert den Kolonnadengang an der Bodestraße. Er überträgt die

historische Struktur mit kanellierten Säulen in filigrane Betonstützen.

4 James-Simon-Galerie David Chipperfield Architects Berlin ○

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Bauherr: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin Tragwerksplanung: fd-ingenieure Frank Dröse Fertigstellung: 2018 Fläche: 16 200 m² Nutzung: Bühne, Cafeteria, Garderoben, Fundus, Verwaltung, Werkstatt, Bibliothek, Seminar-, Probe- und Bewegungsräume

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Zinnowitzer Straße 11, Mitte 🌐 hfs-berlin.de @HochschulefuerSchauspielkunst ErnstBusch

O&O Baukunst

Bitte nach Mitte! Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Wie eine riesige Holzkiste erhebt sich der Bühnenturm der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch etwas zurückversetzt an der Zinnowitzer Straße. Inmitten der anonymen Glas- und Metallfassaden investorenfinanzierter Objekte rund um die Zentrale des Bundesnachrichtendiensts wirkt er in seiner improvisierten Anmutung fast provokant. Bis 2018 waren die vier Sparten der Theaterschule – Schauspiel, Puppenspiel, Regie und Choreografie – auf verschiedene Dependancen in Niederschöneweide verteilt. Um interdisziplinäres Arbeiten zu erleichtern, beschlossen Senat und Hochschule schon 2006, alle Fachrichtungen an einem Ort zusammenzufassen. Als aber immer wieder Kontroversen um steigende Kosten und unterschiedliche favorisierte Standorte den Baubeginn hinauszögerten, besetzten Studierende das Gelände ihrer künftigen Hochschule. Die kreative Protestaktion mit dem Slogan „Bitte nach Mitte“ hatte Erfolg: 2014 konnte endlich mit den Bauarbeiten

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an den ehemaligen Zentralwerkstätten der staatlichen Bühnen Ost-Berlins begonnen werden. Das Architekturbüro Ortner & Ortner Baukunst plante die Sanierung und den Umbau des Funktionsbaus aus den 1950er-Jahren. Sie verlegten dabei den Haupteingang an die Stirnseite im Süden. Er wird jetzt von zwei Neubauten flankiert: Zur Linken liegt die Cafeteria in einem eingeschossigen Quader, der in einen Vorhang aus weißen, gefalteten Lochblechen gehüllt ist. Zur Rechten klinkt sich der 24 Meter hohe Bühnenturm in die Fassade ein. Er ist mit einer vertikalen Lärchenschalung verkleidet. Transluzente Polycarbonatplatten bilden die zweite, thermisch wirksame Fassadenschicht. Direkt dahinter befindet sich der Bühnenumgang der zwei Studiobühnen, die je 100 Zuschauern Platz bieten. Nachts, wenn der Kubus von innen beleuchtet ist, wird das Geschehen hinter der Bühne zum Schattenspiel für Passanten. Die rohe Holzhülle des Turms läuft auch im Inneren Das Bestandsgebäude aus den 1950er-­ Jahren ist ein Stahlskelettbau. In ihm waren früher die Opernwerkstätten untergebracht.

des Bestandbaus weiter, der bis auf die Grundstruktur entkernt wurde. Die Wände sind nur bis zu einer Höhe von 2,30 Metern verputzt und mit Tafellack gestrichen. Darüber ist der rohe Beton mit Farb- und Mörtelreste sichtbar belassen, die Gipskartonplatten sind lediglich an Stößen und Verschraubungen gespachtelt. Auf der breiten inneren Erschließungsstraße gewähren verglaste Flurwände vor den Werkstätten und dem Puppenfundus einen reizvollen Blick hinter die Kulissen. Die neu hinzugefügte Haupttreppe aus Sichtbeton steht wie eine Skulptur im Raum. Sie führt hinauf in die oberen Geschosse mit der zweigeschossigen Bibliothek, Seminarräumen und 20 Probebühnen. Im dritten Obergeschoss sind die Bewegungsräume untergebracht. Um die erforderliche Höhe von mindestens 7 Metern zu erreichen, wurde das Sheddach des Bestands abgerissen und durch eine Stahlkon­ struktion mit Flachdach ersetzt Eine umfangreiche Begrünung der Außenanlagen ließ das Kostenbudget nicht mehr zu. Die angehenden Schauspielerinnen, Regisseure und Puppenspieler haben deshalb selbst Hand angelegt. Jetzt wachsen Salat, Rauke und Kresse auf den unversiegelten Flächen rund um das Hochschulgebäude. bz 074

KULTUR UND BILDUNG

Lageplan Maßstab 1:10 000

5 Hochschule für ­Schauspielkunst Ernst Busch O&O Baukunst ○

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Der 24 Meter hohe Neubau des Bühnenturms ist mit einer Außenhülle aus Lärchenholzlatten verkleidet. Skizze von Manfred Ortner

5 Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch O&O Baukunst ○

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bb Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:1000

1 Eingang 2 Foyer 3 Küche 4 Cafeteria 5 Garderobe / ­Abendkasse

6 Studiobühne 7 Präsenzfundus 8 Fundus 9 Fundus ­Puppenspiel 10 Verwaltung

11 Werkstatt 12 Luftraum 13 Seminarraum 14 Bibliothek 15 Garderobe ­Studierende

16 Probe 17 Bewegung 18 Musik 19 Tanz

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5 Hochschule für ­Schauspielkunst Ernst Busch O&O Baukunst ○

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5 Hochschule für ­Schauspielkunst Ernst Busch O&O Baukunst ○

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Bauherr: Land Berlin, vertreten durch Grün Berlin Fertigstellung: 2014 Fläche: ca. 30 ha Nutzung: Stadtpark

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Möckernstraße 26, Kreuzberg/ Schöneberg/Mitte 🌐 gruen-berlin.de/gleisdreieck @parkamgleisdreieck

Atelier Loidl

Betreten der Wiese strengstens erwünscht Park am Gleisdreieck

Der Park am Gleisdreieck ist zwischen den Bezirken Kreuzberg, Schöneberg und Mitte auf einem über 30 Hektar großen, ehemaligen Bahngelände entstanden. Wie der Name andeutet, war das Gleisdreieck eine ausgedehnte, gewachsene Industrielandschaft aus Gleisen, Schuppen, Lagerhäusern und Werkstätten. Mit der Zerstörung der beiden Bahnhöfe im Zweiten Weltkrieg endete die Nutzung. In der geteilten Stadt wuchsen Birken, Büsche und Gräser über die Gleise, an den Rändern nisteten sich Schrebergärten und Clubs ein. Erst auf Druck einiger Bürgerinitiativen entschied der Senat zur Jahrtausendwende, das Areal in einen Park zu verwandeln. Den Wettbewerb gewannen 2006 die Landschaftsplaner vom Berliner Atelier Loidl mit einer damals radikalen

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Idee: Statt die Industrievergangenheit mit einer lieblichen Landschaft zu überschreiben, machten sie das wild Gewachsene zum Ausgangspunkt ihrer Neugestaltung. Sie schufen einen städtischen Park, der das Vorhandene respektiert und integriert und sich gleichzeitig von den grünen Stadtoasen der Vergangenheit absetzt. Im Park am Gleisdreieck soll die Landschaft nicht mehr primär zum flanierenden Betrachten, sondern zum aktiven Benutzen einladen. Dafür müssen die Landschaften robust sein. Alle neuen Elemente sind aus beständigen Materialien wie Holz, Beton, Metall und Asphalt. Auch bei den Pflanzen fanden besonders widerstandsfähige Sorten Verwendung. Sowohl die architektonischen und technischen Einbauten als auch die neuen Pflanzungen orientieren sich am Vorgefundenen. Viele Relikte der früheren Nutzung sind in der neuen Stadtlandschaft sorgfältig erhalten geblieben und liegen jetzt wie zufällig im Park verstreut: alte Gleise, gepflasterte Flächen, verfallende Backsteinbaracken oder rostige Prellböcke. Ein über 50 Jahre wild gewachsenes Wäldchen wurde nur wenig beschnitten und ist nun als Attraktion umzäunt. Die asphaltierten Wege und die meisten der neu aufgestellten Möbel eigenen sich gut für alles, was Rollen hat. Und so macht das neue Wegenetz den Park nicht nur gut zugänglich, sondern darüber hinaus zum Knotenpunkt in den gesamtstädtischen Fahrradverbindungen. Das Augenmerk der Planung lag auch darauf, den verschiedenen Geschwindigkeiten von Durchgangs- und Freizeitverkehr im Park unterschiedliche Routen mit relativ wenig Schnittpunkten anzubieten. Ebenso sind die Aktivitätsflächen unauffällig nach Lärm sortiert: Kinderspiel- und Sportplätze liegen vor allem um die laut über den Park ratternde Hochbahn im Norden, während im Süden weite Liegenwiesen von erstaunlicher Ruhe zu finden sind. Es sind die vorurteilsfreie Wertschätzung des Vorhandenen und dessen fantasievolle Fortschreibung und Ergänzung, die aus dem Park am Gleisdreieck einen sehr besonderen Ort in der Stadt machen, auf dem gleichzeitig die Qualitäten und der Zauber der alten Brache noch immer zu spüren sind. fh

084 KULTUR UND BILDUNG

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Lageplan

1 U-Bahnhof MendelssohnBartholdy-Park 2 U-Bahnhof Gleisdreieck 3 Deutsches Technikmuseum Berlin

6 Park am Gleisdreieck Atelier Loidl ○

4 S-Bahnhof Yorckstraße 5 U-Bahnhof Yorckstraße 6 Baugruppe Am Möckernkiez 7 Wohnungsbau Am Lokdepot

8 Spiel- und Sportbereich 9 Kinderspielplatz 10 Schöneberger Wiese 11  „Gärten im Garten“ und Marktplatz mit Café

12 Kleingarten­ kolonie 13 Beachvolleyball 14 Skate Park Berlin und Café im Stellwerk 15 Sportplatz mit Tribüne

16 Kreuzberger Wiese 17 Interkulturelle Gärten 18 Dora-DunckerPark

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086 KULTUR UND BILDUNG

Überall auf dem weiten Gelände wurden die Spuren der historischen Nutzung erhalten und mit heutigen Aktivitäten robust ergänzt. Dabei wurden alle

6 Park am Gleisdreieck Atelier Loidl ○

Nutzungen nach Lärmzonen sortiert, sodass sich wunderbar stille Passagen mit lebendigen, lauten Orten abwechseln.

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6 Park am Gleisdreieck Atelier Loidl ○

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Bauherr: Berlin Metropolitan School Tragwerksplanung: Andreas Külich Ingenieurbüro für Tragwerksplanung Landschaftsarchitektur: KRE_TA Kretschmer Tauscher Landschafts­ architekten Innenraumgestaltung Bibliothek: Gonzalez Haase Fertigstellung: 2020 Fläche: 3650 m² Nutzung: Auditorium, Bibliothek, Klassen- und Gruppenräume

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Linienstraße 122, Mitte 🌐 metropolitanschool.com

Sauerbruch Hutton

Die wunderbare Leichtigkeit des Holzbaus Berlin Metropolitan School

Die Berlin Metropolitan School ist eine englischsprachige Privatschule, die 2004 gegründet wurde. Ihr Angebot reicht von der Vorschule bis zur zwölften Klasse. Der Campus für über 1000 Schüler befindet sich in einer vierflügeligen Anlage aus DDR-Plattenbauten, die 1987 – zwei Jahre vor dem Ende der DDR – zwischen Tor- und Linienstraße um einen geräumigen Innenhof in den Altbaubestand eingefügt wurde. Die ständig steigende Nachfrage machte eine Erweiterung des Campus erforderlich. Den Innenhof aber, der sich als Bauplatz geeignet hätte, wollte die Schule als zentralen Treffpunkt und Pausenort nicht verkleinern.

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Sauerbruch Hutton schlugen einen relativ kleinen viergeschossigen Anbau im Süden vor, der eine Baulücke nutzt, und dazu einen ein- bis zweigeschossigen Dachaufbau auf den drei bestehenden Flügeln nach Norden, Westen und Süden. So entstanden insgesamt 3650 zusätzliche Quadratmeter für ein Auditorium, eine Bibliothek sowie neue Klassen- und Gruppenräume. Der komplette Dachaufbau besteht aus einer Holzkonstruktion. Dank deren geringen Gewichts waren für die Lastabtragung keine Veränderungen am statischen System der Altbauten notwendig. Stattdessen konnte eine Besonderheit des Plattenbausystems ausgenutzt werden: Die Fundamente unter den aussteifenden Querwänden sind die gleichen wie unter den tragenden Wänden, sie sind dort also überdimensioniert. So war es möglich, die Lasten aus dem Dachaufbau vollständig über die Aussteifungswände abzufangen, ohne das System aufwendig verstärken zu müssen. Das Konzept kombiniert die Leichtigkeit des Holzbaus mit der Stabilität des DDR-Plattenbaus. Die Holzkonstruktion bot zudem den Vorteil, dass sie in hohem Maße vorgefertigt und aufgrund der geringen Lärmund Staubbelastung in drei Phasen im laufenden Schulbetrieb realisiert werden konnte. Schmale vertikale Kupferbänder umhüllen alle Neubauten und geben ihnen ein fließendes, dynamisches Äußeres. Zu dieser Wirkung trägt auch bei, dass die Aufstockungen leicht zum Hof gekippt sind. So wirken die Gebäude nun wie eine Gruppe Erwachsener, die leicht nach unten blickend um eine Gruppe spielender Kinder steht – eine schützende Geste, die den großen Innenhof intimer wirken lässt. Im Inneren bleibt das Holz größtenteils sichtbar, tragende Teile und Außenwände sind lediglich weiß lasiert. Dank unterschiedlicher Raumgrößen und -qualitäten sind Bereiche für Gemeinschaft, Rückzug, selbstständiges Lernen und Gruppenarbeiten entstanden. Besonders imposant wirkt das zweigeschossige Auditorium unter dem Dach des Anbaus im Süden: Mit 16 Metern Spannweite und einer Empore kann der Saal bis zu 1260 Personen fassen. Bestimmend für die Raumwirkung sind die dreifach geknickten Holzträger des offenen Dachstuhls, die an ein umgedrehtes Boot denken lassen. Hier richtet die Schule alle größeren Versammlungen und Veranstaltungen aus, inklusive der jährlichen Abschlussfeiern, die dank des Aufbaus nun einen würdigen architektonischen Rahmen gefunden haben. fh

092 KULTUR UND BILDUNG

Die dringend benötigte Erweiterung der Schulgebäude konnte als leichter Holzbau vollständig auf den alten Plattenbauten errichtet werden. Die

Leichtigkeit des Holzbaus machte eine Verstärkung des bestehenden Tragwerks unnötig.

Lageplan Maßstab 1:10 000

7 Berlin Metropolitan School Sauerbruch Hutton ○

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094 KULTUR UND BILDUNG

7 Berlin Metropolitan School Sauerbruch Hutton ○

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Die zweigeschossige Halle im Dach­ geschoss mit ihrer auffälligen Dachkon­ struktion wird nun für alle Veranstal­ tungen der Schule genutzt.

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:1000

1 Hinterbühne / Lager 2 Auditorium 3 Foyer 4 Luftraum Auditorium

5 Musikraum 3 6 Klassenzimmer 7 Bibliothek 8 Sportraum Kleingruppen a (Bestand)

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9 Umkleide (Bestand) 10 Sporthalle (Bestand) 6 11 Dachgarten b 12 Bibliothek

13 Präsentation­s­ raum 14 Verwaltung

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Matthias Sauerbruch im Gespräch mit Sandra Hofmeister

Experimente, Nischen und urbane Qualitäten 099

Matthias Sauerbruch setzt sich seit Jahrzehnten für eine umfassend nachhaltige Architektur und Stadtplanung in Berlin ein. Das Bauen im Bestand sowie die Nachverdichtung urbaner Räume zählen zur Expertise seines Architekturbüros Sauerbruch Hutton, das er 1989 gemeinsam mit Louisa Hutton in London gründete und 1993 nach Berlin verlegte. Mit dem heute 120-köpfigen Mitarbeiterteam in den Büroräumen in Mitte konzipieren Sauerbruch Hutton Projekte, die urbane Qualitäten verbessern und gezielte Lösungen vorschlagen, mit denen Architektur auf den Klimanotstand reagiert.

Sie haben die Architektur Berlins über mehrere Jahrzehnte beobachtet. Wie ist Ihr Resümee? Ich kenne West-Berlin seit meiner Studienzeit, und nach einem zwölfjährigen Zwischenspiel in London bin ich 1993 wieder zurück in die Gesamt-Stadt gezogen. Die Jahre unmittelbar nach dem Mauerfall waren großartig – eine sehr dynamische Ära, in der viel gleichzeitig passierte. Die Befreiungsstimmung war spürbar und ansteckend. In leeren Wohnungen und Läden gab es viele unerwartete Pop-up-Aktivitäten und insgesamt unglaublich viele Initiativen – auch von Architektinnen und Architekten in Ost und West. Alle haben zunächst sehr angeregt über die Zukunft der Stadt diskutiert. Dann wurde die Stimmung eher ideologisch aufgeladen, und die Vorgabe der kritischen Rekonstruktion, die der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann forcierte, hat vieles abgewürgt.

liche und architektonische Themen anzuregen. Das hat sie dann auch in einem neuen Baukollegium institutionalisiert. Alles in allem ist Berlin aber eher hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben, die wir uns unmittelbar nach dem Mauerfall vielleicht gewünscht hätten.

Wo stehen wir heute im Städtebau? Die letzte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat versucht, eine andere und neue Kultur zu etablieren und eine offene Diskussion über städtebau-

Freude oder Frust, was überwiegt in der persönlichen Bilanz? Natürlich immer die Freude. Es war ein Privileg, diese einmalige Zeit nach dem Mauerfall zu erleben. Und na ja, den Frust vergisst man

100 KULTUR UND BILDUNG

Wann setzte die Ernüchterung ein? Es gab zu Beginn des 21. Jahrhunderts diverse wirtschaftliche Krisen. Auch Berlin musste sie überwinden, beispielsweise mehrere Immobilienblasen, bei der einige Leute viel Geld verloren haben. Die internationalen Architekturbüros, die sich nach dem Fall der Mauer in Berlin niedergelassen hatten, haben sich Schritt für Schritt wieder zurückgezogen. Teilweise auch, weil sie – wie soll ich das sagen – vielleicht nicht so empfangen wurden, wie sie sich das gewünscht hatten. Berlin wurde deutlich lokaler.

glücklicherweise auch schneller wieder. An Widerständen kann man wachsen, das galt auch für unser Architekturbüro. Zur Stimmann-Zeit mussten wir unsere Präsenz anderswo stärker ausbauen, denn in Berlin haben wir während der Zeit kaum einen Fuß auf den Boden bekommen. Als Konsequenz sind wir jetzt recht international aufgestellt. Unser damaliges Dilemma hat sich im Rückblick auch positiv ausgewirkt.

Sie setzen sich seit vielen Jahren für den respektvollen Umgang mit der Bausubstanz, für die Nachverdichtung und für eine umfassende Art der Nachhaltigkeit in der Architektur ein. Wo steht Berlin heute in diesen Punkten? Es gibt in Berlin noch sehr viele Lücken, die gefüllt werden können. Bestandsgebäude werden nach meiner Beobachtung in geringerem

Das Büro Sauerbruch Hutton ist in der Lehrter Straße. Die Architekten haben das denkmalgeschützte Backsteingebäude in Moabit mit einer Dachaufstockung erweitert.

Matthias Sauerbruch im Gespräch mit Sandra Hofmeister

101

Maße als in anderen Städten abgerissen. London zum Beispiel ist da wesentlich radikaler und kompromissloser. Unser erster Wettbewerb in London war 1989 für den Paternoster Square direkt an der St Paul’s Cathedral. Wir haben damals den Erhalt und Umbau eines Bestandsgebäudes aus den 1960erJahren vorgeschlagen. Das gesamte Quartier wurde dann aber gnadenlos abgerissen und durch eine Architektur im Prinz-Charles-Kitsch-Stil ersetzt. Das Bauen im Bestand hat uns jedoch kontinuierlich begleitet. Es war entscheidend für unser erstes realisiertes Projekt in Berlin, das Hochhaus für die Hauptverwaltung der Wohnungsbaugesellschaft GSW in Kreuzberg, und ist bis heute zentral für unsere Arbeit. In Berlin bietet sich das ja an, denn die Stadt ist wie ein offenes Geschichtsbuch. Wer aufmerksam durch die Stadt geht, findet viele Spuren, beispielsweise Gehsteige, Straßenschilder oder halbe Häuser, die Brüche im Stadtbild zeigen und Geschichte erfahrbar machen. Das macht die Stadt zwar nicht unbedingt schöner, mancherorts gibt es viel Durcheinander und Chaos. Aber genau darin liegt meines Erachtens auch heute noch eine besondere Qualität von Berlin. Für die Architektur ist es eine wichtige Aufgabe, diese Geschichtlichkeit zu erhalten und weiterhin sichtbar zu machen. Vor über 100 Jahren hat der Schriftsteller Theodor Fontane festgehalten, dass es aus ist mit 102 KULTUR UND BILDUNG

der Eleganz, sobald man nach Berlin kommt. Trifft das auch heute zu? Berlin ist jung, und im Grunde ein bisschen wie eine amerikanische Stadt. Wie Chicago oder New York hat auch Berlin einen Boom am Ende des 19. Jahrhunderts erlebt, das spürt man bis heute. Es fehlte an der Spree jedoch an kultureller und auch ökonomischer Substanz, die Stadt hat sozusagen wenig Nährboden. Es gibt keine Eliten, in jedem Sinn des Wortes. Früher einmal gab es den preußischen Adel, aber heute ist nicht viel davon zu spüren. Anders als in England oder auch Frankreich, wo es noch die „grandes familles“ gibt. In Berlin hingegen existieren in dieser Hinsicht verhältnismäßig wenig Klassenunterschied. Das hat einerseits Vorteile. Wer unbedingt an die Spitze möchte, hat es in Berlin wesentlich einfacher als in Paris oder London, wo bestimmte Schwellen nicht überschritten werden können. Andererseits aber fehlt in Berlin die gewachsene Kultur, die sich in anderen Städten über Jahrhunderte etabliert hat.

Moment des Aufflackerns von Kosmopolitismus, der dann jedoch wieder Stück für Stück weniger wurde. Gerade die Architekturszene ist recht introvertiert geworden. Sicherlich gibt es einige Tapfere, die Ausnahmen bilden, doch insgesamt hat der Diskurs in Berlin eher an Interesse verloren.

Einer der symbolischsten Orte ist der Alexanderplatz, er steht für die Geschichte und den Wandel der Stadt. Sauerbruch Hutton plant dort ein Hochhaus. Was wird den Platz in Zukunft auszeichnen? Der Alexanderplatz ist einer der urbansten Orte in Berlin, das wird sich in Zukunft noch steigern. Was den Ort darüber hinaus auszeichnet, ist, dass die Architektur der DDR dort auch heute noch so präsent ist – im Gegensatz zum Beispiel zum Palast der Republik und anderen Orten in der Innenstadt, an denen diese baulichen Spuren soweit wie möglich ausradiert wurden. Die charakteristischen Hochhäuser aus der DDR-Zeit und auch der Fernsehturm markieren einen Maßstabssprung im urbanen Gefüge. Tagsüber ist dort die Hölle Nach dem Mauerfall musste sich los, denn der Alex ist unter anderem Berlin eine neue Identität zulegen eine der wichtigsten Einkaufsdestina– ein Prozess, der vielleicht immer tionen. Nachts hingegen ist der Platz noch nicht abgeschlossen ist. Wie leergefegt. Nach derzeitiger Planung schätzen Sie das Zwischenergeb- wird nördlich und östlich vom Alexanderplatz eine Hochhauszone nis ein? Ein Zwischenergebnis gibt es wahrentstehen, und ich glaube, mit jedem scheinlich schon, aber ich weiß nicht, neuen Projekt wird der Ort interessanob ich über dieses Ergebnis so glückter und dichter. Wichtig ist in meinen lich bin. Berlin hat einen Hang zum Augen, dass dort Menschen wohnen, Provinziellen, das muss man einfach dass der Platz abends belebt ist. Unser sagen. Nach der Wende gab es einen Hochhausprojekt am Alexanderplatz Matthias Sauerbruch im Gespräch mit Sandra Hofmeister

103

treibt diese Veränderung voran, neben Das macht eine wesentliche Qualität den Büros und Einzelhandelsflächen in der Stadt aus. entstehen in dem Komplex auch 350 neue Wohnungen. Welche Rolle spielen die öffentlichen Räume in Berlin? Was passiert mit den BestandsNeben der Funktionsmischung und der Verdichtung der Stadt ist die bauten aus DDR-Zeiten rund um Pflege und Aufwertung von Außenden Alexanderplatz? Die sind ja nun größtenteils unter räumen entscheidend für zukünftige Schutz gestellt worden, und das Haus Entwicklungen. Es gibt in Berlin sehr der Statistik ist meines Erachtens eines gute Landschaftsarchitekturbüros und der interessantesten Projekte derzeit herausragende gebaute Beispiele wie – und vielleicht ein Zukunftsmodell zum Beispiel den Park am Gleisdreiauch für die Erinnerungskultur. eck. Vielleicht werden wir irgendwann Es stand seit 2008 leer und wird noch erleben, dass wir das Auto aus nun saniert, ein gemeinschaftliches dem Straßenraum verbannen und den Straßenraum wieder stärker in Beschlag nehmen können. Ungeplant war dies übrigens im 19. Jahrhundert schon der Fall. Die Stadt war total „Der Alexanderplatz ist einer überfüllt, die Menschen haben sich der urbansten Orte in Berlin, in kleinen Wohnungen gestapelt. Sie das wird sich in Zukunft noch nutzten die Straße und die nächste Kneipe wie ihr Wohnzimmer, auch steigern.“ Berufe wurden teils auf der Straße ausgeübt. In der nachhaltigen Stadt müssen die Außenräume – dann hoffentlich auf einer anderen QualiModellprojekt für Verwaltung, Kultur tätsebene – in Zukunft wieder eine wichtige Rolle spielen im Alltag der und Wohnen. Hier wird ernsthaft experimentiert. Das ist in meinen Menschen. Augen schon mal wirklich gut, auch wenn wir das Ergebnis noch abwarten Sie haben in jüngster Zeit zwei Projekte in Holzbauweise realimüssen. Leider ist diese Kultur des Experiments nach der Wende mehr siert – die Dachaufstockung der und mehr verschwunden. Dass es Metropolitan School und den heute noch Nischen gibt und dass sie Luisenblock mit den Büros der teils mit Unterstützung des Senats und Bundestagsabgeordneten. Welche teils auf Initiative von Bürgerinnen Zukunft hat der Holzbau in Berlin? und Bürgern oder privaten Architek- Wir haben uns als Gesellschaft vorturbüros konkreter werden, wie beim genommen, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Deshalb stehen wir Haus der Statistik, finde ich wichtig. 104 KULTUR UND BILDUNG

alle in der Pflicht, nach Wegen zu suchen, wie wir das schaffen können. Der Bausektor ist, wie wir wissen, hier entscheidend. Zur Vermeidung von Emissionen und zur Bindung von CO2 aus der Atmosphäre ist die Holzbauweise eine Lösung, solange das vernünftig gemacht wird. Auch andere natürliche Baustoffe wie Lehm kommen infrage, ebenso die Wiederverwendung von Abriss- oder recycelten Materialien. Als Architekten müssen wir uns mit diesen Themen auseinandersetzen, daran führt kein Weg vorbei. Insgesamt glaube ich, dass uns die Optimierung von haustechnischen Systemen (zur Betriebsoptimierung) nicht weit genug voranbringen wird. Diese Erfahrung haben wir inzwischen bei einigen Projekten gemacht. Wir müssen die graue Energie in den Griff bekommen. Darüber hinaus müssen wir deutlich mehr auf alternative Energiequellen setzen, wie die Ukraine-Krise zeigt. Eine Abschlussfrage: Haben Sie einen persönlichen Lieblingsort in Berlin? Habe ich, und zwar den Invalidenfriedhof gleich neben dem Europaviertel an der Grenze von Mitte nach Wedding. Es ist ein ehemaliger Militärfriedhof mit Gräbern von preußischen Generälen, darunter auch das Grab von August Neidhardt von Gneisenau, das Karl Friedrich Schinkel gestaltet hat. Die Invalidenstraße ist nach einer Unterkunft für Invaliden der preußischen Armee benannt, und der Friedhof gehörte zu Matthias Sauerbruch im Gespräch mit Sandra Hofmeister

dieser Anlage. Er lag direkt auf der Grenze zwischen Mitte und Tiergarten und damit auf der Trennlinie zwischen Ost und West; der sogenannten Todesstreifen führte mitten über die Gräber. Die Geschichte des Aufstiegs Preußens zur Weltmacht, die Weltkriege und ihre Folgen, die Teilung der Stadt und nun der Wiederaufbau der Berliner Republik, all das ist an diesem Ort gleichzeitig nachvollziehbar. Heute gibt es dort einen Radweg, einen Fußweg und eine Tafel, die das alles erklärt. Auf der anderen Seite des Spreekanals war lange Zeit Baustelle, da lagen Kies- und Sandhaufen. Das war so ein Ort, den es nur in Berlin geben kann – irgendwie banal und doch auch hochdramatisch. Das hat mir gut gefallen. Lange Zeit war der Friedhof menschenleer, mittlerweile ist das Europaviertel gebaut, und es finden viele Menschen den Weg dorthin.

○ ○ Metropolitan 7 Berlin  ↪

School S. 091 West 24 Luisenblock  S. 275



105

Bauherr: Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin Tragwerksplanung: IB Bauart Landschaftsplanung: Birgit Hammer Fertigstellung: 2017 Fläche: 3176 m² Nutzung: Mensa, Bibliothek, IT-Arbeitsplätze, Redaktion Schülerzeitung, Lager/Bühne

8

Königin-Luise-Str. 80–84, Dahlem 🌐 arndt-gymnasium.de

AFF Architekten

Schlauer Knick Arndt-Gymnasium

Für die Erweiterung des Arndt-Gymnasiums in Berlin-Dahlem haben die Brüder Sven und Martin Fröhlich von AFF Architekten einen dreigeschossigen Baukörper entworfen und an die südwestliche Ecke des bestehenden Schulgebäudes angedockt. Das Erdgeschoss ist verglast und leicht zurückversetzt, sodass ein regen- und sonnengeschützter Eingangsbereich entsteht. Die beiden darüberliegenden Stockwerke ragen über diesen Freiraum hinweg und schließen mit ihrer hellgrau verputzten Fassade an den Altbau an. Sowohl im ersten als auch im zweiten Obergeschoss sind die beide Baukörper miteinander verbunden.

107

Die Kubatur des neuen Schulgebäudes folgt keinem starren, rechten Winkel. Sie ist vielmehr polygonal gefaltet, was für eine lockere Erscheinung sorgt. Die Architekten wollten das Haus ursprünglich um einen großen Baum herum bauen, der allerdings während der Bauphase gefällt werden musste. Bündig in eine Betonwand eingearbeitete Intarsien markieren die Stellen, an denen die Zweige des Baums an den Neubau gestoßen wären. Der Knick des Gebäudekörpers wiederholt sich in den Leuchten im Innenund Außenbereich sowie in den Vertikalen der Fensterlaibungen. Im Erdgeschoss verstärkt die beidseitige Verglasung die kommunikative Wirkung der Gemeinschaftsräume. Hier ist die Mensa mitsamt einer Ausgabeküche und Nebenräumen zu finden. Für die Redaktion der Schülerzeitung wurde ein eigener Raum eingerichtet, der an die Bibliothek sowie an ein Zentrum mit IT-Arbeitsplätzen anschließt. Die beiden Letzteren öffnen sich zu einem Außenraum, den die Architekten als Lesegarten konzipiert haben. Variabilität steht bei der Nutzung an vorderster Stelle. So lässt sich der vollkommen schwarz gestrichene Lagerraum neben der Mensa in eine Bühne verwandeln. Die gedoppelten Schiebetüren erfüllen dann die Rolle eines Vorhangs, der zu beiden Seiten geöffnet wird, während die bestuhlte Mensa als Zuschauerraum dient. Auch das Treppenhaus und die Erschließungsebenen sind neu durchdacht. Oberlichter lassen viel Sonnenlicht herein, und Sitzbereiche machen aus den Durchgängen gern genutzte Aufenthaltsbereiche während der Pausen und in den Freistunden. Im Inneren des Gebäudes dominiert das helle Grau von Sichtbeton – ein Material, dessen Robustheit sich für AFF im Schulalltag bewährt hat. Trockenbauwände und akustisch wirksame Verkleidungen sind in einem sandsteinfarbenen Ton mit leichtem Metallglanz gehalten. Sie stellen der Kühle und Nüchternheit der Sichtbetonelemente eine Farbfacette von subtiler Wärme entgegen. Sämtliche Schränke, Regale und Teeküchen haben die Planer als maßgefertigte Einbauten konzipiert, um den im Schulbau nicht seltenen Bruch zwischen Architektur und Interieur zu vermeiden. nk

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KULTUR UND BILDUNG

Lageplan Maßstab 1:2000

1 Bestands­ gebäude

2 Neubau

1

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8 Arndt-Gymnasium AFF Architekten ○

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aa

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Eingang 2 Foyer 3 Mensa 4 Stuhllager 5 Ausgabeküche 6 Anlieferung 7 Technik

8 Bibliothek /  12 Übergang zum Mediathek Altbau 9 IT-Arbeitsplätze 13 Vorbereitungs10 Lesegarten raum 11 Lehreraufent14 Übungsraum halt Physik 15 Informatik

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17

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18

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16 Übungsraum Chemie 17 Übungsraum Biologie 18 Luftraum

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2. Obergeschoss

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Erdgeschoss

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KULTUR UND BILDUNG

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6 6

8 Arndt-Gymnasium AFF Architekten ○

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KULTUR UND BILDUNG

8 Arndt-Gymnasium AFF Architekten ○

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Bauherr: Stiftung Preußischer Kulturbesitz Tragwerksplanung: Werner Sobek Ingenieure Fertigstellung: 2012 Fläche: Hauptlesesaal ca. 9000 m² Nutzung: Lesesäle, Magazine, Arbeitsplätze

9

Unter den Linden 8, Mitte 🌐 staatsbibliothek-berlin.de @sbb_news

hg merz

Würfel aus Licht Staatsbibliothek Unter den Linden

Fast 20 Jahre lang wurde die altehrwürdige Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden instand gesetzt und erweitert. Das neobarocke Gebäude war 1903–1914 nach Plänen von Ernst von Ihne errichtet und während des Zweiten Weltkriegs stark beschädigt worden. Die Rudimente des großen Lesesaals und seiner Kuppel – einer der größten Berlins – wurden 1975 abgerissen. „Dadurch verlor die Staatsbibliothek ihre ideelle und materielle Mitte“, erklärt HG Merz, der den Wiederaufbau des großen Lesesaales, des kleineren Rara-Saals sowie der Tresor- und Freihandmagazine zwischen 2000 und 2012 geplant und umgesetzt hat. Die übrigen Sanierungsarbeiten wurden bis 2019 abgeschlossen.

115

Der Lesesaal befindet sich in einem kubischen Baukörper, dessen Proportionen mit 36 Metern Höhe, 30 Metern Länge und 35 Metern Breite dem historischen Vorbild folgen. Auch die axiale Erschließung des Gebäudes wurde beibehalten. Sie führt von der Straße Unter den Linden kommend durch eine präzise choreografierte Reihenfolge von Räumen: durch eine offene Halle in den Brunnenhof, dann über die große Treppenhalle in das Vestibül mit der Lichtkuppel und von dort in den Lesesaal. Um das Tageslicht, das den Lesesaal am Tag durchströmt, zu filtern, zu verteilen und zu dämpfen, verfügt die gläserne Hülle des neuen Lesesaals über einen mehrschichtigen Aufbau. Die äußere Verglasung besteht aus 12 Millimeter starken Weißglas-Segmenten, die jeweils über vier Punkthalter mit einem windgeschützten Tragwerk im Fassadenzwischenraum verbunden sind. Innen folgt eine geschosshohe Isolierverglasung aus Weißglas, vierseitig von Aluminiumprofilen gefasst, und schließlich eine Schicht aus halbtransparentem, PTFE-beschichtetem Glasfasergewebe. In den Abendstunden aber scheint das künstliche Licht von innen in die umliegenden Höfe. Im unteren Teil dieses Lichtkubus mit halbtransparenter Decke erhebt sich die sogenannte Bücherschale – ein fast drei Geschosse aufragender Raum, der vollständig von Regalen umschlossen ist. Die Regale bestehen ebenso wie die Tische, Tresen und Treppenbrüstungen aus verleimten und in verschiedenen Erlentönen eingefärbten Lagen von Lindenfurnier. Das strukturierte Naturmaterial wirft einen warmen Schimmer in den Raum und korrespondiert mit den orangeroten Teppichen. Die Rücken der 127.000 Bücher verstärken das farbliche Flirren. Sie setzen damit einen sinnlichen Kontrapunkt zur hellen, beinahe immateriell erscheinenden Hülle aus Glas. Nur wenige Öffnungen durchbrechen die Regalwände des Bücherraums. Sie dienen der Erschließung sowohl der oberen Galerien als auch der im Umgang angeordneten Arbeitsplätze. Im äußeren Ring des Lesesaals, eingefasst von vorgefertigten Stahlbetonschotten, sind weitere Regale in einem hellen, fast weißen Farbton platziert. Hier ist die Forschungsbibliothek untergebracht. Insgesamt stehen im Zentrum des Lesesaals sowie im umlaufenden Ring 265 Medien- und Gruppenarbeitsplätze zur Verfügung. Der Rara-Lesesaal mit 48 Arbeitsplätzen markiert den Übergang zwischen Alt- und Neubau. nk

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KULTUR UND BILDUNG

Lageplan Maßstab 1:10 000

9 Staatsbibliothek Unter den Linden hg merz ○

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KULTUR UND BILDUNG

1

aa

Schnitt, Grundriss Maßstab 1:1500

1 Foyer 2 Medienarbeits­ plätze 3 allgemeiner Lesesaal

4 Freihand­ magazin 5 Luftraum Vestibül 6 Lesesaal Musik

7 Lesesaal Kinder- und  Jugendbuch 8 Lesesaal Hand­bibliotek

9 Lesesaal Katalog 10 Lesesaal Karten 11 Festsaal 12 Magazin

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6 a

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2. Obergeschoss

9 Staatsbibliothek Unter den Linden hg merz ○

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Bauherr: silent green Kulturquartier Gerichtstraße 35, Wedding Tragwerksplanung: Michael Beier 🌐 silent-green.net Landschaftsarchitektur: Verde @silentgreenkulturquartier Landschaftsgestaltung Fertigstellung: 2016/2019 Fläche: ca. 6200 m² Nutzung: Ausstellungen, Konzerte, Ateliers, Seminare, Büros, gemeinschaftliche Optionsräume, Filmarchiv, Restaurant, Kiosk

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Kombinativ Büro für Architektur mit Bauplanung.im.Kontext

Kunst im Krematorium silent green Kulturquartier

Bei seiner Inbetriebnahme 1910 war das Krematorium im Wedding das erste Krematorium Berlins. Feuerbestattungen waren damals so neu wie umstritten. Die Anlage lag am Rande des Friedhofs und somit in unmittelbarer Nachbarschaft zur dichten Wohnbebauung ringsum. Architekt William Müller entwarf daher einen gemütlichen, fast mittelalterlichen Gebäudekomplex aus Stein mit tief herabgezogenen Dächern, der sich um einen klösterlichen Innenhof mit Kolonnadengang drängt. Nur der hohe Schornstein verriet etwas über die Nutzung. Wegen seiner Lage – bei bestimmten Wetterverhältnissen soll die Asche auf den Fensterbänken mancher Wohnung zu finden gewesen sein – wurde der Betrieb 2002 eingestellt, die Gebäude standen ein Jahrzehnt lang leer. Dann

121

überzeugte die Initiative Silent Green Kulturquartier – im Wesentlichen getragen von der Kunstgalerie Savvy Contemporary, dem Musicboard Berlin sowie dem Filmarchiv des Kunstkinos Arsenal – den Bezirk und die Stadt von einer kulturellen Umnutzung. Heute sind auf dem Gelände rund 20 Unternehmen und Kollektive aus der Kunst- und Kreativwirtschaft Berlins mit über 100 Mitarbeitern ansässig. Bis zur Eröffnung 2015 wurde als erstes das Hauptgebäude mit der achteckigen, gut 17 Meter hohen Kuppelhalle saniert und umgebaut. Alle Arbeiten fanden in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz statt. Die Gebäude um den Innenhof wurden entkernt, um die Grundrisse für kleinere Studio- und Konferenzräume neu einzuteilen. Diese Räume öffnen sich mit wenigen neuen Öffnungen zum Hof. In der Kuppelhalle wurden die umlaufenden, raumhohen Wandnischen für die Urnen als Zeugen der alten Nutzung sichtbar gelassen und der historische Terrazzoboden liebevoll restauriert. Die Halle ist jetzt ein imposanter, zentraler Veranstaltungsort für alle Nutzenden. Ein Großteil der Ausstellungsbereiche liegt hingegen unter der Erde: Dort verbirgt sich eine 1600 Quadratmeter große Betonhalle, noch in den 1990er-Jahren als vollautomatisches Sarglager mit eigener Zufahrt hinzugefügt. Jetzt ist die Ebene in drei Bereichen geteilt: Bar, Studio-Kino sowie eine große L-förmige Halle. Die Öffnungen, durch die einst die Särge gefahren wurden, sind in der Wand zwischen Bar und Halle erhalten geblieben. Über der inzwischen zugeschütteten Zufahrt entstand bis 2019 ein Neubau, ein schmaler, zweigeschossiger Riegel mit fünf Ateliereinheiten, die wie Reihenhäuser nebeneinanderstehen, jeweils mit Zugang zur gemeinsamen Terrasse. Dieser Atelierriegel orientiert sich zum zentralen Fußweg, der auf das Hauptgebäude zuführt. So ist es tatsächlich gelungen, aus einem Ort der Stille und der Trauer ein quicklebendiges Kulturzentrum zu machen, das die Nachbarschaft nicht mehr mit Asche auf den Fensterbänken belastet, sondern mit Restaurant, Ausstellungen und Veranstaltungen zum Treffen, Denken, Lernen und zum aktiven Miteinander einlädt. fh

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KULTUR UND BILDUNG

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Lageplan Maßstab 1:2500

Das ehemalige Krematorium (hinten) wurde 2015 als vielfältiger Campus zum Arbeiten und für Kulturveranstaltungen

1 Kulturquartier Silent Green im ehemaligen ­Krematorium Wedding

2 Atelierbau 3 Eingang

4 Urnenfriedhof Wedding

neu eröffnet. Der Neubau mit fünf zweigeschossigen Ateliereinheiten (rechts) entstand bis 2019.

10 silent green Kulturquartier Kombinativ Büro für Architektur mit Bauplanung.im.Kontext ○

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Erdgeschoss

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Untergeschoss

Grundrisse, Schnitt Maßstab 1:1000

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124 KULTUR UND BILDUNG

1 Kuppelhalle 2 Innenhof 3 Atelierbau

4 Eingang 5 Archiv- und Nebenräume

6 Kühllager 7 Foyer 8 Galerie

 9 Lounge und Bar 10 Betonhalle, Ausstellungen

zentrale Veranstaltungshalle. Unten: Die zentrale Aussegnungshalle mit Kolumbarium blieb mit den Wandnischen Im ehemaligen Sarglager entstanden die Ausstellungshallen. für die Urnen erhalten. Sie ist heute die

10 silent green Kulturquartier Kombinativ Büro für Architektur mit Bauplanung.im.Kontext ○

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Bilder © TerraMetrics,Kartendaten © 2022 GeoBasis-DE/BKG (©2009),Google

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Wohnen

○ ○ ○

 11 Wohnregal FAR frohn&rojas  12 IBeB ifau + Heide & von Beckerath  13 Am Lokdepot Robertneun Essay Die Berliner Baugruppen: Stadt für den Eigen­bedarf Florian Heilmeyer  14 Ausbauhaus Neukölln Praeger Richter Architekten  15 Baugruppenprojekt BIGyard zanderroth architekten  16 Glashütte Alt-Stralau Eyrich Hertweck Architekten  17 Walden 48 ARGE Scharabi I Raupach Interview Tanja Lincke: Zentrifugalstadt  18 Haus an der Spree Tanja Lincke Architekten  19 Haus L Kersten Kopp Architekten  20 Einfamilienhaus brandt + simon architekten Essay Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

○ ○ ○ ○

○ ○ ○

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128 WOHNEN

Statt die Baulücke zu füllen, baute Roger beiden Ränder. Dazwischen entstand ein Bundschuh mit Block + Void House zwei kleiner städtischer Platz. Die Wohnungen Wohntürme im Miniaturformat an die erhalten extrem viel Licht von drei Seiten.

Block + Void House Bundschuh Architekten

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130 WOHNEN

Am Ufer der Dahme: Der Wohnungsbau von Love architecture + urbanism in

Berlin-Grünau öffnet sich mit Terrassen und Freiräumen zum Wasser.

Steg am Wasser Love architecture + urbanism

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132 WOHNEN 

Auf der gewellten Edelstahlfassade dieses Baugruppenprojekts in Moabit verwandelt sich die reflektierte Nachbarschaft in ein abstraktes, beinahe flüssiges Gemälde.

Das Innere ist stützenfrei, alle Leitungen verlaufen in der Fassadenebene, sodass die Grundrisse vollständig frei einteilbar und jederzeit umbaubar bleiben.

Haus 6 Sauerbruch Hutton

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Tragwerksplanung: IB Paasche Fertigstellung: 2019 Fläche: 1088 m² Nutzung: Wohnen, Büro Anzahl Wohneinheiten: 10

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Emdener Straße 52, Moabit

FAR frohn&rojas

Urbanes Wohnhaus aus Fertigteilen Wohnregal

Wie sich trotz steigender Grundstückspreise kostengünstiger Wohnraum mit architektonischen Ambitionen kombinieren lässt, haben in Berlin in jüngster Zeit einige Akteure auf ganz unterschiedliche Art erprobt. Neben den Baugruppen und Genossenschaften sind darunter Architekturbüros wie Praeger Richter, Brandt + Simon, Zanderroth oder Robertneun. Eine mögliche Antwort ist der gezielte Verzicht auf übliche Ausbaustandards – wie hier bei diesem experimentellen Eckhaus der Architekten Marc Frohn und Mario Rojas Toledo von FAR. Sie nannten das Gebäude Wohnregal und verweisen damit auf das historische gleichnamige Vorbild in Kreuzberg von 1986. Wie jenes reduziert sich auch das Wohnregal von FAR auf die Organisation der Infra­ struktur und die Gestaltung einer robusten Hülle, während der weitere Ausbau den Bewohnenden überlassen bleibt. Dabei zeigt das Haus von

135

FAR extrem offen, wie es gebaut ist: Zur Nordseite sind die Betonfertigteile und -platten ebenso sichtbar wie das puzzleartige Fugenbild und das offene Treppenhaus, das lediglich mit einem dünnen Metallnetz gesichert ist. Die Grundidee: Es werden Betonfertigteile verwendet, aus denen sonst große Lager- und Industriehallen konstruiert sind. Das Wohnregal in Moabit besteht aus teils zweigeschossigen Betonfertigteilstützen mit Konsolen, auf denen die Unterzüge als Betonfertigteile montiert werden. Dazwischen spannen vorfabrizierte TT-Deckenelemente über die gesamte Breite von 13 Metern. Das extrem hohe Maß an Vorfertigung spart beim Bau Zeit und damit Geld, außerdem ermöglicht die Bauweise eine flexible Einteilung der Wohnungsgrundrisse. Schon früh zogen die Architekten den Betonhersteller hinzu und integrierten so die Fertigungs- und Montageprozesse in den Entwurf. Letztlich wurde der gesamte Rohbau in nur sechs Wochen fertiggestellt. Bei dem Experiment wurden die Architekten selbst zu Bauherren, heute nutzen sie das Erdgeschoss als Büro. Darüber liegen auf jeder der fünf Etagen zwei Wohnungen von unterschiedlicher Größe. Vollständig verglaste Vorhangfassaden, die sich durch raumhohe Schiebeelemente komplett öffnen lassen, schließen die offenen Grundrisse nach Osten und Westen ab. Die für Wohnbauten ungewohnte Transparenz belässt die Fertigteilstruktur des ganzen Gebäudes sichtbar. Die Materialien unterstreichen den schroffen Charme: Sichtbare Betonelemente, Glas und hellgrauer Estrich, Steckdosen und Heizkörper liegen offen. Die Absturzsicherungen bestehen aus Rosten aus glasfaserverstärktem Kunststoff, einem industriellen Standardprodukt, verfremdet durch den mintgrünen Anstrich und die vertikale Hängung. So wirken die rohen Etagen eher wie Werkstätten oder Studios und nicht wie Familienwohnungen. Doch das wird sich ändern, wenn die Bewohner eingezogen sind – und es passt besonders gut zu Berlin und zu unserer Gegenwart, in der sich die Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten für viele Menschen längst aufgelöst haben. Das Projekt findet derzeit eine Fortsetzung im deutlich größeren Maßstab: In Berlin-Hellersdorf werden 124 Wohnungen nach einem nur minimal angepassten Konzept entwickelt. fh

136 WOHNEN

Die Stützen und TT-Fertigteildecken, die das Betontragwerk bilden, kommen normalerweise bei Gewerbebauten zum Einsatz. FAR Architekten ­adaptierten das System für den Geschosswohnungsbau und profitierten von der kurzen Bauzeit.

Lageplan Maßstab 1:3000

11 Wohnregal FAR frohn&rojas ○

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138 WOHNEN

aa

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:400

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1 Besprechungsraum 2 Teeküche 12 12 10 3 Büro 10

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4 Technik 5 Zugang Wohn­ungen 6 Einzelbüro

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7 Zugang Büro 8 Zimmer 9 Bad 8 8 10 Wohnraum 9

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11 Küche 12 Loggia 11 11

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8 8 8 8

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3. Obergeschoss

5. Obergeschoss a

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11 Wohnregal FAR frohn&rojas ○

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1. Obergeschoss

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Bauherr: Selbstbaugenossenschaft Berlin Fertigstellung: 2018 Fläche: 12 275 m² Nutzung: Wohnen, Arbeiten, Gewerbe Anzahl Wohneinheiten: 17 Ateliers und 66 Studio-Wohnungen (24–132 m²)

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Lindenstraße 90–91, Kreuzberg 🌐 ibeb.berlin

ifau, Heide & von Beckerath

Lebendige Mischung IBeB – Integratives Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt

Noch vor dem sprunghaften Anstieg der Immobilienpreise in der Hauptstadtregion hatte der Berliner Liegenschaftsfond 2011 einen Modellversuch gestartet. Fünf Baufelder in der südlichen Friedrichstadt wurden nicht an das höchste Angebot veräußert, sondern an Bauherren mit dem besten Konzept. So sollte die urbane Mischung in diesem Teil von Kreuzberg erhalten bleiben, wo Kultureinrichtungen auf Kunstgalerien und Medienunternehmen treffen, umgeben von großmaßstäblichen Zeilenbauten und Wohnhochhäusern des sozialen Wohnungsbaus West-Berlins.

141

Zu den ausgewählten Projekten gehören der Neubau für die taz und ­Landau Media AG, der Wohn- und Gewerbebau Frizz23, der Sitz der Ärztekammer Berlin und das Metropolenhaus am Jüdischen Museum. Auf dem fünften Grundstück erhielten eine Initiative der Architektengemeinschaft ifau (Institut für angewandte Urbanistik) und Heide & von Beckerath in Zusammenarbeit mit der Selbstbaugenossenschaft Berlin den Zuschlag. Das Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt ist gemeinschaftlich konstituiert und setzt auf eine Durchmischung unterschiedlicher Bewohner und Nutzer. Die Ateliers und Studiowohnungen werden teils als Eigentumswohnungen, teils genossenschaftlich zur Miete vergeben, sodass eine soziale Mischung im Gebäude entsteht. Hinzu kommen Raumangebote für einen sozialen Träger und drei Gewerbeeinheiten. „Auf Basis des vergleichsweise niedrigen Grundstückspreises wird eine projektinterne Quersubventionierung von genossenschaftlichen Wohnund Atelierräumen ermöglicht, die so zu einem nachhaltig gesicherten Mietzins angeboten werden können“, erklärt die Selbstbaugenossenschaft. Zur Kostenoptimierung gehört die maximale Ausnutzung der zulässigen Bebauungsdichte. Der 100 Meter lange und 23 Meter tiefe Baukörper verfügt über zwei Treppenhauskerne. Die Zugänge zu den Einheiten erfolgen barrierefrei über drei horizontale Ebenen. Das Erdgeschoss wird umläufig von außen erschlossen. An der Nordseite des Hauses umfassen die zweigeschossigen Atelierwohnungen Erdgeschoss und erstes Obergeschoss, während an der Südseite Erdgeschoss und Untergeschoss miteinander verbunden sind. Im ersten Obergeschoss verläuft eine interne „Straße“, die mehrere Lichthöfe verbindet. Sie erschließt – ganz nach dem Vorbild von Le Corbusiers Unité d’Habitation – die teils mehrgeschossigen Studiowohnungen entlang der Mittelachse des Gebäudes. Auf der vierten Etage betritt man die Wohnungen über den Außenbereich, der ebenso Zugang zu einem Gemeinschaftsraum sowie einem Dachgarten gewährt. Nicht nur die intelligente Nutzungsmischung verdient besondere Aufmerksamkeit. Das Gebäude hebt sich auch durch seine Materialität wohltuend von vielen austauschbaren Berliner Neubauten ab. Die Fassaden sind mit speziell angefertigten dreidimensionalen Keramikelementen mit unregelmäßigem dreieckigen Querschnitt verkleidet, wodurch ein raffiniertes plastisches Muster entsteht, das die Gebäudeoberflächen beständig mit dem Lichteinfall changieren lässt. nk

142 WOHNEN

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7

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4

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1

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2 3

3

Lageplan Maßstab 1:4000

1 IBeB 2 Jüdisches Museum Berlin

3 Libeskind-Bau 4 ANOHA – die Kinderwelt des Jüdischen

Museums in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle

12 IBeB – Integratives Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt ifau, Heide & von Beckerath ○

5 Metropolenhaus 6 Gewerbebaugruppe FRIZZ23 7 Verlagsgebäude der taz

143

Die gemeinschaftliche Dachterrasse bietet auch einen überdachten Gemeinschaftsraum, der jederzeit für private Feiern gebucht werden kann.

144 WOHNEN

Blick in die innere Erschließungsstraße im dritten Stockwerk mit den Lichthöfen.

bb

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

Dachgeschoss

2. Obergeschoss GSPublisherVersion 0.98.100.98

1. Obergeschoss b

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GSPublisherVersion 0.98.100.98

Erdgeschoss

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12 IBeB – Integratives Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt ifau, Heide & von Beckerath ○

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146 WOHNEN

12 IBeB – Integratives Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt ifau, Heide & von Beckerath ○

147

Bauherren: UTB Projektmanagement (Am Lokdepot 1–5, 9, 11–12), Grundstücksverwaltungsgesellschaft Heyden (Am Lokdepot 6), private Baugruppe (Am Lokdepot 7/8 und 10) Tragwerksplanung: ARUP Deutschland, IB-bauArt Berlin, Ingenieurbüro Doliva Landschaftsplanung: Atelier Loidl, Lohrengel Landschaft Fertigstellung: 2017 Fläche: ca. 19 000 m² Nutzung: Wohnen, Ateliers, Gewerbe, Gastronomie Anzahl Wohneinheiten: ca. 220

13

Am Lokdepot 1–6 und 10, Kreuzberg

Robertneun

Farbe bekennen Am Lokdepot

Am südlichen Ende des Parks am Gleisdreieck stand noch in den 2000er-Jahren ein 20.000 Quadratmeter großes Grundstück leer. Es liegt an der Grenze zwischen Schöneberg und Kreuzberg in NordSüd-Richtung entlang einer vielbefahrenen Gleistrasse. Wegen der Lärmbelastung war das Grundstück um die zwei ehemaligen Hallen des Lokdepots – flache Industriebauten aus Stahl und Backstein – als Gewerbegebiet ausgewiesen. Ein Investor bat Robertneun um eine städtebauliche Studie. Auf eigenes Risiko zeichneten die Architekten drei Varianten, eine davon als Wohnungsbau. Sie erkannten das Potenzial dieses Ortes mit einem weiten Blick über die Gleise und die angrenzenden Sportplätze: Ein offenerer Horizont ist in Berlin schwer

149

zu finden. Mit der Wohnvariante konnten sie erst den Investor und dann auch die beiden Bezirke von der nötigen Änderung des Bebauungsplans überzeugen. Robertneun entwickelte städtebauliche Vorgaben für die gesamte Zeile mit 15 Häusern und etwa 220 Wohnungen sowie Gewerbe-, Bar- und Atelierräumen im Sockelgeschoss. Neben klassischen Eigentumswohnungen des Investors wurden zwei Häuser von Baugruppen errichtet. Die Grundstruktur besteht aus Parzellen, die bei gleicher Tiefe 7, 14 oder 21 Meter breit sind; die Architekten sprechen von S, M und L. Durch die verschiedenen Größen sollte ein breites Angebot unterschiedlicher Wohnungstypologien und -größen entstehen. Alle Gebäude bilden einen gemeinsamen urbanen Sockel aus roten Backsteinen, der die Höhendifferenz von bis zu 7 Metern auf der ganzen Länge ausgleicht. Ebenfalls vorgegeben waren die zu verwendenden Materialien sowie die Rottöne für pigmentierten Beton, Metall und recycelte Ziegelsteine, die sich aus dem industriellen Umfeld und vor allem aus der Architektur des alten Lokdepots ableiten. Sieben der 15 Gebäude wurden von Robertneun entworfen. Sie demonstrieren die architektonischen Möglichkeiten innerhalb der Vorgaben: Im Sockelgeschoss zelebrieren die Eingänge die imposante Etagenhöhe mit gewaltigen Eingangstoren und riesigen Hausnummern. Die sechs Etagen darüber bieten auch in den schmalsten Häusern eine große Wohnungsvielfalt: Einzimmerapartments, die bei Bedarf mit benachbarten Maisonetten verbunden werden können, Etagenwohnungen oder Durchsteckwohnungen mit ineinandergesteckten Split-Leveln. Auch die Fassaden zeigen die innere Vielfalt, mal mit einem vor das Haus gestellten Metallregal für tiefe Loggien, mal mit weit aus der Fassade ragenden Balkonen. Übrigens wirkt das kräftige Rot vor Ort nicht wie eine Provokation; es zeigt im Gegenteil eine erstaunliche Selbstverständlichkeit. fh

150 WOHNEN

Die Architekten entwickelten auch den Städtebau: Um eine möglichst große Mischung an Wohnformen zu schaffen, teilten sie die lange Zeile in Parzellen von unterschiedlicher Breite auf: Größe S für mehrgeschossiges Wohnen um

eine zweigeschossige Loggia, Größe M für Etagenwohnungen mit Lastenfahrstuhl und Balkon als zweitem Fluchtweg sowie Größe L mit Mehrspänner-Wohnungen inklusive Wintergarten und vorgeschobenen Balkonen.

L

HAUS L HAUS S

HAUS M S HAUS L HAUS M

M

L

M

S

HAUS S

Typ L Mehrspänner- Wohnen mit Gewächshaus und Laderampe. Typ M Wohnen auf einer kompletten Etage mit Lastenfahrstuhl und Balkon als Fluchtweg. Typ S Wohnen auf mehreren Etagen um eine 2- geschossige Loggia herum.

Typ L Mehrspänner- Wohnen mit Gewächshaus und Laderampe.

Typ M Wohnen auf einer kompletten Etage mit Lastenfahrstuhl und Balkon als Fluchtweg.

Typ S Wohnen auf mehreren Etagen um eine 2- geschossige Loggia herum.

STADT - BLOCK - HAUS - WOHNUNG Je nach Grundstücksgrösse werden charakteristische Wohnungstypen unter der Überschrift "Fabrikwohnen mit Gewächshaus" entwickelt. Die unterschiedliche, aber thematisch verwandten Haustypen werden dann zu dem Block zusammengesetzt. Es entsteht ein atmosphärisches Ganzes, das den Ort mit seinem gewerblichen Charme ebenso wie das zeitgenössische Wohnbedürfnis von Aneignung und Aussenraum zusammenführt.

STADT - BLOCK - HAUS - WOHNUNG

Je nach Grundstücksgrösse werden charakteristische Wohnungstypen unter der Überschrift "Fabrikwohnen mit Gewächshaus" entwickelt. Die unterschiedliche, aber thematisch verwandten Haustypen werden dann zu dem Block zusammengesetzt. Es entsteht ein atmosphärisches Ganzes, das den Ort mit seinem gewerblichen Charme ebenso wie das zeitgenössische Wohnbedürfnis von Aneignung und Aussenraum zusammenführt.

13 Am Lokdepot Robertneun ○

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1. OG

2. OG

Beispielhafte Auf­teilung eines Ober­geschosses 3. OG

a a

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b

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4. OG

a

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Erdgeschoss

1. OG 1. OG 1. OG

5. OG

2. OG 2. OG Am Lokdepot 1: Isometrie, Grundrisse, Wohnungsdiagramme Maßstab 1:400 2. OG

6. OG

3. OG 3. OG 3. OG

GSPublisherVersion 0.98.100.97

3. Obergeschoss

4. OG 4. OG 4. OG

4. Obergeschoss

5. OG 5. OG 5. OG

5. Obergeschoss

6. OG 6. OG 6. OG

6. Obergeschoss

13 Am Lokdepot Robertneun ○

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2. Obergeschoss

Isometrie

1. Obergeschoss

Am Lokdepot 3: Isometrie, Grundrisse, Schnitt Maßstab 1:400

Hochparterre

GSPublisherVersion 0.98.100.97

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Erdgeschoss

13 Am Lokdepot Robertneun ○

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156 WOHNEN

Wohnregal in der Admiralstraße 16, Kreuzberg. Erbaut im Rahmen der IBA 1984 nach Entwürfen von Kjell Nylund, Christof Puttfarken und Peter

Stürzebecher für die Selbstbaugenossenschaft Berlin e. G.

Die Berliner Baugruppen: Stadt für den Eigen­ bedarf Ein Erfolgs- oder ein Auslaufmodell?

Florian Heilmeyer

BERLIN Urbane Architektur und Alltag

Wozu braucht es eigentlich Investoren? Die Berliner Baugruppen haben in den letzten 20 Jahren gezeigt, dass Stadt auch im größeren Maßstab kooperativ, partizipativ, kostengünstig und in höchstem Maße kreativ entstehen kann. Die Krise auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist echt: Um über 150 Prozent sind die Preise für Miet- und Eigentumswohnungen in den letzten zehn Jahren gestiegen. Die Statistik gilt für das gesamte Stadtgebiet, der Preisanstieg in den innerstädtischen Gebieten ist noch einmal höher. Vor allem aber klafft so die Schere zwischen dem, was sich in der deutschen Hauptstadt als Normalgehalt verdienen lässt, und dem, was das Wohnen hier kostet, immer weiter auseinander. Für Haushalte mit mittlerem oder geringem Einkommen ist das Wohnen in Berlin zur existenziellen Frage geworden. Ausverkauf auf dem Wohnungsmarkt Politisch ist diese Krise hausgemacht. Es war der hauptsächlich von der Berliner CDU verursachte Skandal um die Landesimmobilienbank, der nach 2001 ein gewaltiges Loch in das sowieso schon knappe städtische Budget riss. Die CDU wurde abgewählt, und der folgende Senat aus SPD und PDS unter Klaus Wowereit („arm, aber sexy“) entschloss sich zum Verkauf des Tafelsilbers, also der besten städtischen Liegenschaften, darunter auch einige der größeren stadteigenen Wohnungsgesellschaften. So wurden in knapp zehn Jahren etwa 100.000 Wohnungen privatisiert, darunter gestalterische und sozial ambitionierte Schmuckstücke wie die Waldsiedlung Zehlendorf, die Hufeisensiedlung in Britz oder die Wohnstadt Carl Legien im Prenzlauer Berg. Es war die Geburtsstunde von privaten Wohnungseigentümern wie den heute so umstrittenen Unternehmen Deutsche Wohnen, Deutsche Annington oder Akelius. Denn: Es wurden nicht nur städtische Wohnungen en gros verkauft, sondern gleichzeitig wurde auch der Bau neuer Wohnungen in städtischem Eigentum eingestellt. Der Markt wurde vollständig privaten Investoren überlassen. Die real gebauten Ergebnisse dieser Wohnungskrise lassen sich heute überall in Berlin besichtigen, dicht gedrängt vor allem in der Europa-City nördlich des Hauptbahnhofs, im Mercedes-Benz-Viertel entlang der East Side Gallery oder rund um den Park am Gleisdreieck (S. 183ff). Dies war allerdings auch der Beginn einer goldenen Ära für die Berliner Baugruppen. Dabei versteht man in Berlin unter einer Baugruppe einfach den losen Zusammenschluss von Menschen, die sich zusammentun, um gemeinsam ein Grundstück zu erwerben und zu bebauen, meist um selbst darin zu wohnen. Denn vom privatisierten Wohnungsmarkt wurden nicht nur die Geringverdiener immer stärker ausgegrenzt; auch mittelständische Familien fanden ihre Wünsche nach gemeinsamen Wohnformen für alle Arten von Patchwork-Gemeinschaften oder nach umweltverträglicheren Bauweisen von der Privatwirtschaft nicht 158 WOHNEN

erfüllt. Berlin war schon lange vor der Finanzkrise eine Stadt mit einer Vielzahl an selbstbewussten Mieterinnen und Mietern, die sich immer wieder zusammenschlossen und sich aktiv für ihre Rechte engagierten. Diese Geschichte geht weit über die politischen Instandbesetzungen der 1970er-, 80er- und 90er-Jahre hinaus. Man könnte also sagen, dass die Idee der Baugruppe in Berlin auf besonders fruchtbaren Boden fiel. Die Anfänge eines Erfolgsmodells Wo sich Berlins erste Baugruppe zusammenfand, wäre noch zu erforschen. Klar ist, dass sich einige prominente Projekte bereits im Umfeld der Internationalen Bau-Ausstellung (IBA) in West-Berlin 1984/1987 Auch die zwei Ökohäuser von Frei Otto an der Corneliusstraße in Tiergarten entstanden im Rahmen der IBA als Baugruppen. Die Bewohner waren maßgeblich am Ausbau ihrer Etagen beteiligt.

formten, wie die Selbstbauterrassen an der Wilhelmstraße nach den Entwürfen von Dietrich von Beulwitz, das visionäre Wohnregal an der Admiralstraße von Kjell Nylund, Christof Puttfarken und Peter Stürzebecher oder die zwei sogenannten Ökohäuser von Frei Otto am südlichen Rand des Tiergartens. Alle drei genannten Beispiele setzten bereits auf das Prinzip, architektonisch nur einen robusten Rohbau mit sinnvollen Leitungsführungen zu organisieren und den weiteren Ausbau den Nutzern selbst zu überlassen – wie ein Regal, das später erst gefüllt wird. Aus den Erkenntnissen solcher Projekte speisen sich bis heute die innovativsten Konzepte im Berliner Wohnungsbau wie zum Beispiel die Ausbauhäuser von Praeger Richter Architekten (S. 167ff.), das Wohnregal von FAR Frohn&Rojas (S. 135ff.) oder die Neubau-Lofts am Lokdepot von Robertneun (S. 149ff.). Die Kreuzberger Selbstbaugenossenschaft, die im Rahmen der IBA 1984 für die Umsetzung des Wohnregals in der Die Berliner Baugruppen: Stadt für den ­Eigenbedarf Florian Heilmeyer

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Innovative Mischung aus Wohnen und Arbeiten bei der Baugruppe Oderberger Straße 56 von BARarchitekten, 2008

Wohnvielfalt, die in der Fassade sichtbar wird: Baugruppe Pappelallee von BHBVT Architekten, 2008

Fassade mit ausklappbaren Balkonen: Baugruppe Strelitzer Straße 53 von fatkoehl architekten, 2007

160 WOHNEN

Admiralstraße gegründet wurde, hat mittlerweile zehn Häuser in Berlin gebaut und war zuletzt auch wesentlich am Bau und an der Belegung des IBeB beim Jüdischen Museum beteiligt (S. 141ff.). Die erfolgreichen Pionierprojekte sorgten dafür, dass sich in den 2000er-Jahren immer mehr Menschen in Berlin für eine Baugruppe begeisterten. Das Internet erleichterte die Organisation, und einige Architekturbüros spezialisierten sich auf die nicht immer leichte Projektdurchführung mit einer so heterogenen und oft diskussionsfreudigen Gruppe von Bauherren. Die Diskussionen waren sicher oft ermüdend. Aber gerade aus dieser gemeinschaftlichen Entwickelung von höchst individuellen Wohnwünschen entstanden die größten Innovationen im Berliner Wohnungsbau: Die Baugruppe E3 errichtete 2008 das erste siebengeschossige Wohnhaus aus Holz in einer europäischen Innenstadt. Die Architekten Tom Kaden und Thomas Klingbeil arbeiteten für das Mehrfamilienhaus mit dem Holzbauspezialisten Julius Natterer zusammen und entwickelten gemeinsam ein Brandschutzkonzept, das ein Betontreppenhaus als sicheren Fluchtweg vom Holzkörper des eigentlichen Wohnhauses abrückt. Nicht weit entfernt, in der Oderberger Straße 56, errichtete eine andere Baugruppe mithilfe von BARarchitekten ein ebenso bemerkenswertes Stadthaus. Es ist von unauffälliger Gestalt, aber wer sich die Häuser in der Reihe genau anschaut, entdeckt die Unterschiede in der Verteilung und Gestaltung der Fenster: Im Inneren findet sich eine bunte Mischung aus Miet- und Eigentumswohnungen sowie Läden, die alle möglichen Kombinationen von Leben und Arbeiten erlauben. Wieder ein paar Hundert Meter weiter setzte der Architekt Florian Köhl mit einer Baugruppe an der Strelitzer Straße eine seltene technische Innovation um: Jede Wohnung verfügt über einen Minibalkon, der sich aus der Fassade in die Abendsonne drehen lässt. Welcher Investor hätte jemals die Mühen auf sich genommen, für eine solche Spielerei die nötigen Zulassungen zu bekommen? Jenseits der Investorenarchitektur Dies sind nur einige Beispiele für die Originalität, die in vielen Baugruppen entsteht, während der Wohnungsbau der Privatinvestoren und der städtischen Wohnungsbaugesellschaften leider allzu oft in schablonenhaften Grundrissen erstarrt. Dieser Starre setzen die Baugruppen eine überschäumend individuelle Gestaltung entgegen, die zeigt, dass eine Stadt, die von ihren Bewohnern selbst für die Eigennutzung entwickelt wird, eine lebendigere Stadt ist. Dabei sind die Baugruppeprojekte in Berlin über Jahre immer größer geworden. Das BigYard im Prenzlauer Berg von Zanderroth umfasste 2010 45 Wohneinheiten (S. 175ff.), der Die Berliner Baugruppen: Stadt für den ­Eigenbedarf Florian Heilmeyer

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Möckernkiez in Kreuzberg (Baufrösche, Roedig.Schop Architekten, Rolf Disch, Baumschlager Eberle Architekten und Schulte-Frolinde), der bis 2018 am Rande des Park am Gleisdreieck entstand, bestand bereit aus zwölf Häusern mit insgesamt 471 Wohnungen – eine eigene kleine Siedlung. Und das Projekt Holzmarkt Dorf (Hütten und Paläste Architekten, Carpaneto Architekten und Urban Affairs) hat in bester Lage direkt am Spreeufer – inmitten eines ganzen Bands trister Investorenarchitektur der Mediaspree-Planungen – ein 12 000 Quadratmeter großes, selbstorganisiertes urbanes Dorf geschaffen, als offenen Ort der Kultur, zum Arbeiten, Wohnen und für Veranstaltungen. Die Erfahrungen dieser Projekte, die mit einer Vielzahl von Beteiligten umgesetzt werden konnten und die zunehmend nicht nur die unmittelbaren Wünsche ihrer Bewohner erfüllen, sondern auch Räume für ihre Nachbarschaften schaffen, führten wieder zu neuen Projekten wie eine der jüngsten Baugruppen in der Lynarstraße 38–39 im Wedding. Nach Plänen von Schäferwenningerprojekt entstand dort bis 2019 ein großer, innovativer Holzbau, der nicht nur 98 Wohnungen und Clusterwohnungen, sondern auch sieben Gewerberäume und Ladenräume für soziale Einrichtungen und Veranstaltungen umfasst. Am Alexanderplatz hat eine große Initiative das ehemalige Haus der Statistik, einen gewaltigen DDR-Plattenbau, vor Verkauf und Abriss bewahrt und entwickelt ihn derzeit als europäisch gefördertes Pilotprojekt zum gemischten sozialökologischen Musterquartier mit bezahlbaren Wohnund Arbeitsräumen.

 m Alexanderplatz hat eine große Initiative das A ­ehemalige Haus der Statistik, einen gewaltigen ­DDR-Plattenbau, vor Verkauf und Abriss bewahrt.

Gleichzeitig wurde die Idee der Baugruppe auch auf Gewerbebauten angewendet wie etwa bei der Baugruppe für kulturelles Gewerbe – Frizz23 (von Deadline Architekten) oder bei der Übernahme des Ex-Rotaprint-Gebäudes im Wedding durch eine äußerst heterogene Nutzergruppe, die so das historische Betongebäude vor dem Abriss retten konnte. Und wenn der Unternehmer Thomas Bestgen ankündigt, am Anhalter Bahnhof ein 100 Meter hohes Holzhochhaus als vertikalen Kiez mit intensiver Partizipation der kommenden Nutzer 162 WOHNEN

Wohnen und Arbeiten mit großem Gemeinschaftsraum: Baugruppe R50 von Jesko Fezer und ifau – Institut für angewandte Urbanistik, 2013

Die Berliner Baugruppen: Stadt für den ­Eigenbedarf Florian Heilmeyer

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Genossenschaftsprojekt Spreefeld (2013) in Kreuzberg: In den drei Häusern ist ein breites Angebot mit Miniwohnungen (25 m2) bis zu Cluster-Wohnungen (600 m2) entstanden, dazu Werkstätten,

Gemeinschafts- und Veranstaltungs­ räume. Das Grundstück bleibt öffentlich zugänglich. Architektur: Carpaneto Schöningh /Die Zusammenarbeiter, fatkoehl und BAR Architekten

bauen zu wollen, dann ist auch dieses Projekt ein unmittelbarer Nachfahre jener selbstbewussten Bewegung, die jenseits eines auf Rendite orientierten Markts das Wohnen nicht als Ware, sondern als existenzielles Grundrecht für das eigene Wohlbefinden und als Grundlage für eine gemischte, lebendige Stadt versteht. So stehen wir heute vor einer paradoxen Situation: Denn einerseits existiert die typische, kleinere Baugruppe, wie sie in den 2000er- und 2010er-Jahren entwickelt wurde, heute kaum noch. Die Grundstückspreise in der Berliner Innenstadt sind für mittelständische Familien inzwischen viel zu hoch. Diese Art von Baugruppen finden sich inzwischen nur noch weit außerhalb der Innenstadt, in Brandenburg oder auf sonderbaren Rest-, Eck- und Nischengrundstücke, von denen der konventionelle Finanzmarkt lieber die Finger lässt. Gleichzeitig aber könnte in Tegel ein neuer Dimensionssprung bevorstehen. 164 WOHNEN

Denn dort wird auf einem Teil des ehemaligen Flughafens das Schumacher-Quartier mit 5000 Neubauwohnungen geplant, die ausschließlich von städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und Baugruppen gebaut werden sollen. Werden diese Planungen so umgesetzt, wäre das nicht nur eine gewaltige, innovative und absolut zeitgemäße Selbstbau-IBA. Damit hätten die Berliner Baugruppen tatsächlich die Größenordnung eines ganzen Stadtteils erreicht. Und die Frage müsste immer lauter gestellt werden: Wozu braucht es überhaupt Investoren im Berliner Wohnungsbau?

Auch Büro- und Atelierhäuser entstanden als Baugruppe, wie hier die Gewerbebaugruppe FRIZZ23 in Kreuzberg, entworfen von Deadline.

Sichtbarer Holzbau: Das Genossenschaftsprojekt Lynarstraße 38/39 in Wedding bietet 98 Wohnungen sowie Räume für soziale und kulturelle Nutzungen. Entworfen wurde es von schaeferwenningerprojekt, gebaut bis 2019.

Die Berliner Baugruppen: Stadt für den ­Eigenbedarf Florian Heilmeyer

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Bauherr: Baugruppe Ausbauhaus Neukölln Tragwerksplanung: Janitz Ingenieure Haustechnik: Büro Lüttgens Projektsteuerung: Müller Rose Projektsteuerung Fertigstellung: 2014 Fläche: 3500 m² Nutzung: Wohnen Anzahl Wohneinheiten: 24

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Braunschweigerstraße 43, Neukölln 🌐 ausbauhaus-neukoelln.de

Praeger Richter Architekten

Die große Grundrissfreiheit Ausbauhaus Neukölln

Das Ausbauhaus steht auf einem 1400 Quadratmeter großen Eckgrundstück in Neukölln. Nach Norden schaut es zur Braunschweiger Straße, die mit einem Mix aus Gründerzeitgebäuden und Wohnbauten der 1970er-Jahre dicht bebaut ist. Nach Süden öffnet sich ein weiter Ausblick über die angrenzenden Sportfelder und die Gleise der Ringbahn. Entsprechend entwickelten die Architekten Jana Richter und Henri Praeger eine klare Nord-Süd-Ausrichtung mit durchgesteckten, zweiseitig belichteten Wohnungen. Zur Straße ist ein Zwischenraum als kleiner Vorhof mit Fahrradstellplätzen, Sitzbänken und Kinderspielplatz gestaltet, auf der Rückseite liegen die Gärten der vier Erdgeschosseinheiten, von denen aktuell eine als Büro genutzt wird. Zur Nordseite

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zeigt sich das Haus mit einer hellgrau verputzten Lochfassade betont unauffällig. Nach Süden deuten die weit, offenen Terrassen mit ihren raumhohen, silbrig glänzenden Vorhängen bereits an, dass es sich um ein eher ungewöhnliches Wohnhaus handelt. Das Ausbauhaus ist tatsächlich mehr als nur ein weiteres Berliner Baugruppenprojekt. Es ist ein architektonisches Statement und ein Konzept, wie die Bewohnenden im Geschosswohnungsbau deutlich mehr Freiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Wohnungen erhalten können. Die Architekten hatten bereits vor diesem Projekt Erfahrungen mit Baugruppen in Dresden und Berlin gesammelt. Mit dem Konzept des Ausbauhauses sind sie in Neukölln einen Schritt weiter gegangen. Das Gebäude ist als Rohbauregal entworfen mit einer Gebäudehülle, die vom Innenausbau komplett entkoppelt ist. Industriell vorgefertigte Wände aus Halbfertigteilen ermöglichen zusammen mit den Spannbetondecken die stützenfreien Nutzungseinheiten mit einer Tiefe von 10 Metern. Die Decken sind zwar etwas teurer als konventionelle Lösungen, dafür spart das Montagesystem Bauzeit und braucht weniger Bewehrungsstahl, sodass das System insgesamt günstiger ist. Die 20 Quadratmeter großen Loggien konnten fast zeitgleich montiert werden. So entstehen offene, flexibel nutzbare Grundrisse mit hohen Räumen, die durch die Loggia auf der einen und die gleichmäßig verteilten Fenster in der Lochfassade auf der anderen Seite ein Maximum an Aufteilungsvarianten bieten, vom Single-Loft über die Büronutzung bis zur VierZimmer-Familienwohnung. Ein Umbau ist auch später noch mit geringem Aufwand möglich. Die Wohnungen wurden in drei verschiedenen Ausführungen angeboten – Standard Wohnung, Standard Loft und Übernahme Rohbau zum Selbstausbau. Damit wurde auch einkommensschwächeren Haushalten die Teilnahme an der Baugruppe ermöglicht. Man darf hoffen, dass dieses Konzept sich auch wirtschaftlich durchsetzen kann – nicht nur in Berlin. Praeger Richter führen den Ansatz derzeit in einem Folgeprojekt am Südkreuz fort. fh

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Grundriss Erdgeschoss Maßstab 1:400

1 Gemeinschaftlicher Vorplatz 2 Eingang

3 Treppenhaus 4 Große Eckwohnung

5 Wohneinheit 6 Büro

7 Terrasse 8 Gemeinschaftsgarten

GSPublisherVersion 0.98.100.97

GSPublisherVersion 0.98.100.97

14 Ausbauhaus Neukölln Praeger Richter Architekten ○

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Darstellung von verschiedenen ­möglichen Grundrissaufteilungen, Maßstab 1:400

Wohnen und Arbeiten

Kleine Familie, Paar oder Wohngemeinschaft

Single-Wohnung

Wohngemeinschaft oder Familie

Kleine Familie mit offener Küche

Büro

Durch die städtebauliche Figur ist vor dem Haus ein gemeinschaftlicher Vorplatz mit Fahrradstellplätzen und einem kleinen Kinderspielbereich entstanden.

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14 Ausbauhaus Neukölln Praeger Richter Architekten ○

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WOHNEN

14 Ausbauhaus Neukölln Praeger Richter Architekten ○

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Bauherr: Baugruppe Zelterstraße 5 Landschaftsarchitektur: herrburg Landschaftsarchitekten Projektentwicklung: SmartHoming Fertigstellung: 2010 Fläche: 9210 m² Nutzung: Wohnen, Ateliers, Gewerbe, Gemeinschaftsflächen Anzahl Wohneinheiten: 45

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Zelterstraße 5–11, Prenzlauer Berg

zanderrotharchitekten

Big in Berlin Baugruppenprojekt BIGyard

Das Baugruppenprojekt BigYard im Norden von Prenzlauer Berg wurde im Jahr 2007 begonnen und stammt aus der Hochphase der Berliner Baugruppen. Die Grundstückspreise in der Innenstadt waren damals moderat, größere Baulücken waren noch vorhanden, und es gab immer mehr Menschen, die an der Eigenorganisation ihres Wohnungsneubaus interessiert und auch wirtschaftlich dazu in der Lage waren. So wurden die Baugruppen immer größer. Die Baugruppe für BigYard haben die Architekten mit ihrer Projektentwicklungsfirma, die sich auf die Organisation und Betreuung von Baugruppen spezialisiert hat, selbst initiiert. Die Gruppe umfasste in diesem Fall 72 Erwachsene und 50 Kinder. Passenderweise sprechen die Architekten von einem Dorf, das sie zu organisieren und zu gestalten hatten. Das Grundstück war 100 Meter

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lang und gerade 34 Meter breit. Den Hintergrund bildete im Südwesten eine zusammenhängende, 22 Meter hohe Backsteinbrandwand der angrenzenden Mietskasernen – wie ein Bergmassiv, das sich vor die Sonne schiebt. Die Architekten antworteten mit zwei 100 Meter langen Zeilen, zwi­ schen denen ein zusammenhängender, lang gestreckter Wohnhof als Gemeinschaftsfläche entsteht. Zur Straße stehen 23 viergeschossige Reihenhäuser als vorderer Riegel, der hintere Riegel verläuft direkt entlang der Brandwand. Darin befinden sich sechs Obergeschosse mit jeweils zwei Wohneinheiten übereinander: Ein dreigeschossiges Gartenhaus mit direktem Zugang vom Hof, darüber ein ebenfalls dreigeschossiges Penthouse mit großer Wohnküche, Patio und kleinem Dachgarten. Verbunden sind beide Riegel über den gemeinsamen Hof, der keinerlei Zäune hat. Nur die Pflasterung und die P ­ flanzungen geben einigen Flächen eher private, anderen mehr gemeinschaftliche Züge Um den 100 Meter langen, knapp 13 Meter schmalen Hof nicht zu einer dunklen Schlucht zwischen den beiden Wohnriegeln werden zu lassen, verlegten die Architekten ihn in den ersten Stock. Darunter befindet sich ein Sockelgeschoss mit Stellplätzen für Autos und Fahrräder sowie mit Lager- und Technikräumen. So erscheinen die Reihenhäuser zur Straße viergeschossig mit einer streng gegliederten Stadtfassade aus Betonfertigteilen und übergroßen Fenstern mit je einem Lüftungsflügel aus Lärchenholz. Im Inneren sind die Geschosse jedoch als offene Split-Level mit unterschiedlichen Raumhöhen organisiert. Dadurch haben die Häuser zum Hof hin nur noch zwei Geschosse, von denen das untere hofseitig einen Wohn- und Kochbereich von überraschender Höhe und mit viel Licht bietet. Die zehn Gartenhäuser haben ihre Eingänge direkt zum Hof. Ihre drei Etagen sind ebenfalls Split-Level mit hohen Räumen, um die ungünstige Belichtung ein wenig auszugleichen. Die zwölf Penthäuser darüber werden über einen Gang im fünften Obergeschoss erschlossen, ein offener Balkon zum Hof dient auch als zweiter Fluchtweg. In der Kreativität der Typologienmischung und der Freude an verdichteten, innerstädtischen Wohnformen zeigt die Zelterstraße beispielhaft das enorme Innovationspotenzial, das durch die Baugruppen auf dem Berliner Wohnungsbaumarkt entstanden ist. fh

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WOHNEN

Lageplan Maßstab 1:4000

15 Baugruppenprojekt BIGyard zanderroth architekten ○

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Blick aus den Reihenhäusern auf die Zelterstraße

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WOHNEN

Blick aus einem Penthaus in den Gartenhof und auf das Dach der Reihenhäuser entlang der Straße

aa

Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:800

1 Eingang Vorderhaus 2 Lobby

4 Raum für Gewerb­e­ nutzung/ Wohnungs­ eingang 5 Fahrradraum

3 Aufgang zum Hof

6 Müllraum 7 Garage 8 Wohnen 9 Essen/Küche mit ­Freisitz

10 Zimmer 11 Patio mit Aufgang zur Terrasse

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3. Obergeschoss Straßenriegel

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2. Obergeschoss Straßenriegel 3

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1. Obergeschoss Straßenriegel a 7

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Sockelgeschoss

15 Baugruppenprojekt BIGyard zanderroth architekten ○

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180 WOHNEN

Der gemeinschaftliche Gartenhof entstand im ersten Stock zwischen den

beiden Wohnriegeln mit ihren 45 sehr unterschiedlichen Wohneinheiten.

15 Baugruppenprojekt BIGyard zanderroth architekten ○

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Bauherr: Baugruppe Glashütte Alt-Stralau Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Rüdiger Jockwer Projektsteuerung: Andreas Büsching, Tanja Zieske Fertigstellung: 2018 Fläche: 4335 m² Nutzung: Wohnen, Gewerbe Anzahl Wohneinheiten: 25

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Glasbläserallee 11, Friedrichshain

Eyrich Hertweck Architekten

Wohnen in der Flaschenfabrik Glashütte Alt-Stralau

Auf der Halbinsel zwischen Rummelsburger Bucht und Spree liegt das letzte Gebäude der Glashütte Alt-Stralau. Als 1990 nach über 100 Jahren die Produktion von Flaschen für Bier, Sekt und Tafelwasser eingestellt wurde, fielen die meisten Werkstätten der Fabrikanlage der Abrissbirne zum Opfer. Ein Industriebau von 1921, ein mit Backsteinen ausgemauertes Stahltragwerk, überlebte zwar, stand aber jahrzehntelang leer. Der Initiative einer Berliner Immobilienmaklerin ist es zu verdanken, dass sich eine Gruppe privater Bauherren fand, die das Gebäude kaufte und es zu neuem Leben erweckte. 25 individuelle Wohnungen und eine Gewerbeeinheit sind darin entstanden.

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Eyrich Hertweck Architekten haben das historische Gebäude saniert und sein Äußeres wieder der ursprünglichen Gestalt angenähert: Sie öffneten zugemauerte Fenster, legten historisches Mauerwerk frei und ergänzten beschädigte Gebäudeteile. Im Erdgeschoss überspannt ein 39 Meter langer, genieteter Blechträger einen schrägen Einschnitt in der Westfassade. Hier durchquerten früher die Güterzüge das Gebäude. Um Raum für neue Wohnungen zu schaffen, umschließt heute eine dunkle Zinkfassade mit großen Fenstern die ehemalige Freifläche. Auf dem Ostflügel wurde ein neues Dachgeschoss aufgesetzt. Als Reminiszenz an das alte Bitumendach ist auch diese Hinzufügung mit dunklem Zinkblech verkleidet. Die Reste zweier Brückenhäuschen an der Ostseite, die früher das Werkstattgebäude mit der Nachbarbebauung verbanden, ergänzten die Architekten mit je einer Treppe und erschließen damit zwei Wohnungen im ersten Obergeschoss. Die Erschließung der übrigen Einheiten erfolgt über einen inneren Laubengang und die bestehenden Treppenhäuser an der Süd- und Ostseite. In den neu geschaffenen Lofts bewahren hohe Decken, Sichtbeton, das an vielen Stellen sichtbar belassene Stahlskelett und stellenweise roh belassenes Ziegelmauerwerk den Industriecharakter der Glashütte. Niedrige Sanitär- und Serviceboxen, die frei in den hohen, lichtdurchfluteten Wohnetagen stehen, lassen Blickachsen quer durch die Wohnung zu. Auf den Boxen finden zusätzliche Nutzflächen für die Bewohnenden Platz. Fast alle Wohnungen haben einen Balkon, von dem sich ein Ausblick auf das Wasser bietet. Im ersten Obergeschoss wurde dafür ein alter Umgang umgestaltet, in der zweiten Etage sind an der Ost- und Nordseite zwei mit rostigem Stahl verkleidete Kästen vor die Fassade gehängt. Mit Sitzecken, Spielplatz und einer Boulebahn bietet der gemeinschaftliche Außenbereich viel Platz für nachbarschaftliches Miteinander. bz

184 WOHNEN

Lageplan Maßstab 1:10 000

Niedrige Sanitär- und Serviceboxen erlauben weite Durchblicke und verleihen den Wohnungen großzügigen Loftcharakter.

16 Glashütte Alt-Stralau Eyrich Hertweck Architekten ○

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186 WOHNEN 

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750 

1 Schlafzimmer 2 Arbeitszimmer 3 Wohnen /  Essen

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7 Gewerbe 8 Balkon 9 Laubengang

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Dachgeschoss

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2. Obergeschoss

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3 33 3

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3 33 3

1. Obergeschoss a aa a 3 33 3

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1 11

1

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3 33 3

1

1 11 1 4 4 4 4

Erdgeschoss

16 Glashütte Alt-Stralau Eyrich Hertweck Architekten ○

5 5 5 5

1 11

2 3 33 3

2 22 7

7 77

6 6 6 6

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Bauherr: Baugemeinschaft Walden 48 Fertigstellung: 2020 Fläche: 7350 m² Nutzung: Wohnen Anzahl Apartments: 43

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Landsberger Allee 48, Friedrichshain

ARGE Scharabi I Raupach

Ein Stück Natur in der Stadt Walden 48

Gemeinschaftliches Bauen hat in den letzten 20 Jahren in Berlin eine enorme Bedeutung bekommen: als Form der Finanzierung, aber ebenso als Möglichkeit, dem standardisierten Wohnungsmarkt zu entkommen und sich eine Wohnumgebung zu formen, die den eigenen Vorstellungen entspricht. Mit dem Projekt Walden 48 hat eine Baugemeinschaft im Stadtteil Friedrichshain 43 Wohnungen auf einem Randstreifen des Georgen-Parochial-Friedhofs errichtet. Die Kirche hatte das Grundstück eigens in einem Konzeptverfahren vergeben, um Projekten mit sozialem und nachbarschaftlichem Anspruch Vorrang einzuräumen. Der Entwurf stammt von den beiden Berliner Architekturbüros Scharabi Architekten und Anne Raupach. Sowohl Gestaltung als auch Kubatur des Neubaus reagieren deutlich auf den Friedhof im Rücken

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des Gebäudes und die breite, viel befahrene Straße davor. Der zweigeschossige Sockel ist zurückversetzt, sodass hinter der historischen Friedhofsmauer, die direkt an die Landsberger Allee grenzt, eine geschützte Pufferzone entsteht. Darüber erhebt sich ein viergeschossiger Riegel, dessen Fenster locker über die mit graugrünen Schieferschindeln bekleidete Straßenfassade verteilt wurden und in ihrer Breite und vertikalen Positionierung variieren. Einige Fenster treten als kleine Erker hervor und steigern die Plastizität der Gebäudehülle, die durch die subtilen Schattenwürfe der sich zickzackförmig überlagernden Schieferplatten akzentuiert wird. Das gestaffelte Obergeschoss wirkt wie ein Echo auf den zurückgesetzten Sockel. Beide Ebenen warten mit hölzernen Fassaden auf, die die Schieferhülle der dazwischenliegenden Stockwerke wie ein Sandwich einfassen. Der 60 Meter lange, siebengeschossige Baukörper ist ab der Kellerdecke in reiner Holzbauweise ausgeführt. Die Materialität, die im innerstädtischen Kontext noch immer Seltenheit genießt, ist in den Innenräumen und an der Südostfassade sichtbar. Die Aufzugschächte sind ebenso aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gefertigt wie die Treppenläufe. Allein das Treppenhaus besteht aus Brandschutzgründen aus Beton. Für die Geschossdecken kommt eine Holz-Beton-Verbundkonstruktion zum Einsatz. Deckenspannweiten von 7,20 Metern und Raumtiefen von bis zu 13 Metern erlauben eine flexible Nutzung. Erdgeschoss und Dachebene sind gemeinschaftlich genutzte Räume, im Keller wurde ein Fahrradparkhaus eingerichtet. An der Rückseite des Hauses kontrastieren tiefe Loggien die leicht schroffe Erscheinung der Schieferverkleidung. Die Fassaden sind hier auf allen Stockwerken in naturbelassenem Lärchenholz ausgeführt, das eine warme, sinnliche Farbigkeit besitzt. Auch die bodentiefen Fensterrahmen bestehen aus Holz mit lasierter Oberfläche. Beinahe hat man das Gefühl, die Innenräume wären nach außen gedreht, als würde ein Hauch von Sauna-Feeling in den Berliner Stadtraum entsandt. Graugrüne Geländer und Fassadenbleche harmonieren mit der Farbigkeit des Holzes, das über die Jahre im Kontakt mit der Witterung ausbleichen wird. Die Architektur besitzt die Fähigkeit zur Patina – sie wird nicht alt, sondern gewinnt an Reife. nk

190 WOHNEN

Lageplan Maßstab 1:4000

GSPublisherVersion 0.98.100.98

GSPublisherVersion 0.98.100.98

17 Walden 48 ARGE Scharabi I Raupach ○

191

bb

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:400

5 Maisonette­ 1 Hauptzugang 2 Foyer wohnungen durch 3 Gemeinschafts 6 Gemeinschaftshistorische raum garten Friedhofsmauer 4 Rampe zur 7 Privatgärten Fahrrad­ tiefgarage

GSPublisherVersion 0.98.100.98

3. Obergeschoss

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b 7

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Erdgeschoss

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3

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17 Walden 48 ARGE Scharabi I Raupach ○

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Tanja Lincke im Gespräch mit Florian Heilmeyer

Zentrifugalstadt

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Die Architektin Tanja Lincke hat sich gemeinsam mit ihrem Mann Anselm Reyle in Treptow an der Spree einen ganz eigenen Ort zum Leben und Arbeiten geschaffen: Auf dem ehemaligen Gelände der DDR-Wasserschutzpolizei haben sie die alten Bootshallen und Garagen in Ateliers und Werkstätten verwandelt, einen liebevollen Garten angelegt sowie ihr eigenes Wohnhaus und ein Depot hinzugefügt. Das Projekt verrät viel über Linckes grundsätzliches Verständnis von Berlin als komplex gewachsene Geschichtslandschaft. Im Gespräch erzählt sie, wie ihre eigenen Auffassungen von guter Architektur und Städtebau von dem abweichen, was in den letzten 30 Jahren in weiten Teilen Berlins gebaut wurde.

Für junge Künstler steht Berlin in dem Ruf, ein gutes Sprungbrett für die Karriere zu sein. Für junge Architekten gilt das eher nicht. Auch du bist 2007 nicht nach Berlin gezogen, um hier eine Karriere als Architektin zu starten, richtig? Richtig. Ich war nach dem Studium in Aachen zuerst für die Bundesarchitektenkammer (BAK) in Brüssel tätig. Dann gab es das Angebot, bei der BAK in Berlin zu arbeiten, und ich habe mich beworben. Ich wollte vor allem nach Berlin und habe deswegen den Job genommen, nicht umgekehrt. 196 WOHNEN

Warum Berlin? Für mich war Berlin immer eine Stadt mit vielen Möglichkeiten, in der alles noch nicht so fest ist, wie ich es in Brüssel erfahren hatte. Ich empfand Berlin als sehr befreiend und luftig, eine Stadt mit vielen Freiheiten und Freiflächen. Das ist ja wahrscheinlich für viele der Grund, warum sie nach Berlin kommen. Wie bist du dann trotzdem selbstständige Architektin in Berlin geworden? Die Arbeit bei der BAK war gut, trotzdem hat mir etwas gefehlt. Ich wollte wieder anfassen können, was

ich mache. Dann habe ich Anselm [Reyle] kennengelernt, und er hatte gerade dieses große Gelände direkt an der Spree ersteigert. Er hat mich gefragt, ob ich den Umbau zu seinem Atelier übernehmen möchte. Das war schon ein bisschen verrückt. Ich hatte seit meinem Studienpraktikum nie in einem Büro gearbeitet, keine anderen Projekte entworfen. Und dann die Konfrontation mit diesem Gelände hier. Wie war die Konfrontation, und wie hast du diesen sehr speziellen ­Umgang mit dem Gelände entwickelt? Das Gelände hatte für mich zuerst etwas Düsteres und Beklemmendes. Hier hatte die Wasserschutzpolizei der DDR ihren Posten, also auch die DDR-Grenzschutztruppen, die die

„Ich möchte die Vergangenheit nicht abreißen, sondern mit ihr etwas Neues schaffen.“

Tanja Lincke im Gespräch mit Florian Heilmeyer

Sektorengrenze nach West-Berlin überwachten. Anders als Anselm empfand ich das erst einmal nicht als schönen überwachsenen Ort. Anselm kommt ja aus Schwaben, für ihn war das einfach ein herrlich unordentliches Gelände voller Möglichkeiten. Ich stamme aber aus der DDR. Ich war zwar erst zwölf, als die Mauer fiel, aber ich erinnere mich an die DDR als etwas Bedrückendes. Mein Großvater und meine Eltern standen unter Beobachtung, meine Großeltern waren enteignet worden, und mein Onkel hatte die Republikflucht versucht. Man hatte ihn erwischt und in Rostock lange ins Gefängnis gesteckt. Dazu kommt: Ich bin in Bad Liebenstein aufgewachsen, einem schönen kleinen Ort in Thüringen mit einer langen Tradition als Kurort. Wegen seiner Heilquellen ist Bad Liebenstein im 18. und 19. Jahrhundert zum mondänen Kurort ausgebaut worden: mit Theater, Kurpromenade, Wandelhalle, Brunnentempel. Zu DDR-Zeiten war diese Geschichte sehr präsent. Aber nach der Wende wurden rund um die Stadt drei neue Kurzentren gebaut: geschlossene Welten mit Hotel, Restaurant, Schwimmbädern, Friseur etc. Diese Neubauten haben das Leben aus dem Städtchen gesaugt. Die alten Kurhäuser standen leer und verfielen, inzwischen sind fast alle abgerissen. Das hat mich sehr geprägt und ist sicher der Grund, warum ich als Architektin im Umgang mit Altem respektvoll bin. Was einmal weg ist, bekommt 197

man nicht wieder zurück. Und wenn man versucht, solche Eingriffe rückgängig zu machen, indem man nur zurückblickt und rekonstruiert, dann wird alles noch schlimmer. Es kann nur falsch werden. Nur in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist es möglich, im Jetzt voranzukommen. Dann kann ich dieses Projekt hier als architektonisches Statement verstehen? Die umgebauten Bootshallen und Garagen, der Erhalt der Vergangenheit als Ruine und Garten, die zwei Neubauten als gezielte Ergänzungen am Rand. Ist das deine Art, mit der Vergangenheit umzugehen? Es ist ein sehr persönliches Projekt. Dass es viel mit meiner Biografie zu tun hat, war mir anfangs nicht bewusst, wurde mir aber im Prozess immer klarer. Wir arbeiten seit 2009 an und seit 2011 auf diesem Gelände; seit 2017 wohnen wir auch hier. Dass es heute ein Ort ist, an dem ich nicht nur gerne arbeite, sondern auch wohne, das hat sich erst ganz langsam entwickelt. Die Fokussierung auf die baulichen Strukturen hat mir geholfen, dem Ort mit einer guten Distanz zu begegnen. Es ist wichtig, sich nicht in persönlichen Empfindungen zu verheddern, sonst gerät man in die Extreme von Verherrlichung oder Ablehnung der Vergangenheit. Für beides gibt es gerade in Berlin unzähSeit 2009 haben Tanja Lincke und ihr Mann, der Künstler Anselm Reyle, ihre Ateliers auf einem ehemaligen Gelände der Wasserschutzpolizei direkt an der Spree. Die zentrale Bootshalle haben sie

198 WOHNEN

in eine künstliche Ruine mit künstlerischem Garten verwandelt, um dadurch mehr Raum auf dem dicht bebauten, früher vollständig versiegelten Gelände zu schaffen.

lige architektonische Beispiele. Der Abriss des Palasts der Republik und der anschließende Wiederaufbau des Schlosses i st sicher der prominenteste Fall. Insofern kann man wohl sagen, dass dieses Projekt hier meine Auffassung von Architektur ganz gut zeigt: Ich möchte die Vergangenheit nicht abreißen und ihre Spuren nicht auslöschen, sondern mit ihr etwas Neues schaffen. Dazu braucht es manchmal radikale Veränderungen

Tanja Lincke im Gespräch mit Florian Heilmeyer

und Ergänzungen. Mit Nostalgie oder allzu großer Vorsicht kann man nur zum falschen Ergebnis kommen. Wenn man etwas hinzufügt, muss es eine eigene Position haben. Erst wenn ich es schaffe, meine eigenen Befindlichkeiten außen vorzulassen und mich ernsthaft mit dem Ort, dem Raum und dem Jetzt auseinandersetze, erhält das Neue eine Stärke und Kraft. Dann ist es beständig und hält viel aus, weil es uneitel ist.

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Ist es auch das, was du in der Berliner Stadtpolitik der letzten 30 Jahre am meisten vermisst: die Komplexität im Umgang mit dem Bestehenden, auch im größeren Maßstab? Unbedingt. Als ich vor 15 Jahren nach Berlin gekommen bin, hatte die Stadt immer noch etwas sehr Kaputtes. Gleichzeitig gab es diese sogenannte Stadtreparatur wie am Leipziger Platz. Dieser Ansatz sagt mir nichts. Wieso muss das alles

Blick in das Büro von Tanja Lincke Architekten in den ehemaligen Motorenwerkstätten der Wasserschutzpolizei. Die Räume wurden weitgehend bewahrt, die neuen Oberlichter sorgen für mehr

200 WOHNEN

wieder in so einen angeblich heilen, früheren Zustand zurückversetzt werden? Zum Glück waren diese „reparierten“ Bereiche damals noch ein so kleiner Teil von Berlin, dass es gar nicht ins Gewicht fiel. Insgesamt fühlte sich die Stadt immer noch sehr offen und frei an. Aber inzwischen ist sie an einem Punkt angekommen, wo es kippt. Diese stereotypen Viertel wie die Europa-City am Hauptbahnhof, rund um den Ostbahnhof oder

Tageslicht. Die außen liegende Dämmung wurde hinter einer rauen Schale aus industriellen Profilblechen aufgebracht, wodurch der industrielle Charakter des Geländes erhalten bleibt.

am Park am Gleisdreieck breiten sich immer mehr aus. Sie gewinnen die ­Oberhand. Das hat etwas ­Trauriges.

Was kann ich damit machen? Ich finde, dafür steht Berlin eigentlich.

Alle beklagen den Verlust der Brachen und Freiräume in Berlin. Was bleibt, wenn es nicht mehr Was ist schief gelaufen? eine günstige Stadt für junge, Ich bin keine Stadtplanerin. Aber kreative Leute sein kann? ich denke, dass man diese großen Das weiß ich nicht. Natürlich Leerräume in Berlin nicht auf einen Schlag hätte beplanen sollen. werden die Freiräume in der InnenPläne in dieser Größenordnung stadt immer weniger. Aber es gibt sollten sich entwickeln und mit der sie noch, sie liegen nur versteckter Zeit verändern dürfen. Ich habe oder weiter draußen. Als wir angefangen haben, hier zu arbeiten, da haben die Mitarbeiter immer ein bisschen gemosert, wie weit außerhalb das Gelände liegt. Heute „Diese stereotypen Viertel sagt das keiner mehr. Jetzt passiert wie die ‚Europacity‘ breiten ganz viel in den alten Fabrikhallen sich immer mehr aus. in Oberschöneweide. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft Sie ­gewinnen die Oberhand. hat dort schon lange ihren Campus, Das hat etwas Trauriges.“ das weiß nur keiner, weil es für alle immer zu weit weg war. Jetzt gibt es nebenan die Reinbeckhallen, einige namenhafte Künstler haben den Eindruck, die sind nur aus der dort ihre Ateliers. Die Hallen sind ein wichtiger Ort für Berlins KunstVogelperspektive geplant worden, nicht auf menschlicher Augenhöhe. und Kulturwelt geworden. Es findet insgesamt so etwas wie eine ZentriDa geht es vor allem um große Formen und Kubaturen, und wenn fugal-Bewegung statt, bei der die einer mal etwas „gewagt hat“, dann Kreise immer weiter werden – und ist es eine ganz besonders fesche gleichzeitig gibt es in der Innenstadt Geome­trie. Es geht zu selten darum, immer noch ein paar gewachsene wie die Menschen sich in den Stadt- Kunstinstitutionen der Nachwenderäumen oder Gebäuden ausbreiten, zeit wie die Kunst-Werke. Das finde oder wie sie sich Orte und Räume ich eigentlich keinen so schlechten aneignen können. NutzungsstrukZustand. turen und Besitzverhältnisse sollten ↪ eine viel größere Rolle spielen, weniger die Form. Nicht: Wie soll es  18 Haus an der Spree  denn am Ende aussehen? Sondern: S. 202

○ ○

Tanja Lincke im Gespräch mit Florian Heilmeyer

201

Bauherren: Anselm Reyle, Tanja Lincke Baumschulenstraße 1b, Treptow Tragwerksplanung: Pichler Ingenieure (Haus), KLW Ingenieure (Depot) Landschaftsarchitektur: Tanja Lincke mit Anselm Reyle; Das Reservat Gartengestaltung (Harald Jeremias) Fertigstellung: 2017 Fläche: Wohnhaus 376 m², Atelier 702 m², Depot 309 m², Garage 86 m² Nutzung: Wohnen, Atelier, Lager

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Tanja Lincke Architekten

Ruinengarten mit Stelzenhaus Haus an der Spree Es war einmal, in einer Zeit kurz vor dem Immobilienboom, da kauften Künstlerinnen und Künstler überall in Berlin große, gebrauchte Liegenschaften der Stadt: Jonathan Meese ein Pumpwerk im Prenzlauer Berg, Bryan Adams leere Industriehallen in Oberschöneweide, Elmgreen & Dragset ein Wasserpumpwerk in Neukölln und Katharina Grosse einen DDR-Supermarkt im Friedrichshain. Bei den Künstlern kamen diese Häuser in gute Hände, sie nisteten sich mit minimalen Eingriffen ein und ließen die gesamte Geschichte sichtbar. Auch der Künstler Anselm Reyle ersteigerte 2008 einen besonderen Ort: Ein 9000 Quadratmeter großes Grundstück direkt an der Spree, mit allerlei Baracken, Garagen und Hallen bebaut. Die benachbarte Wasserschutzpolizei benötigte das Gelände nicht mehr. Die Architektin Tanja Lincke zeichnete Entwürfe, und 2011 zog Reyles Atelier von Kreuzberg in die ehemaligen Motorenwerkstätten und Garagen am Rande des Geländes. Die flachen, dunklen Garagen erhielten eine neue Fassade mit fast schwarzen Profilstahlplatten und

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einer Außendämmung. Große Glastüren und neue Oberlichter in den alten Dächern ließen helle Ateliers entstehen. Die größte der alten Hallen wurde abgerissen, weil sie baufällig war. Ihre Stirnwand mit dem großen Metalltor zum Wasser blieb allerdings stehen, ebenso der hohe Backsteinkamin mit ein paar Mauerresten und zwei alte Kranbahnen. Um diese selbstgeschaffenen Ruinen legten Lincke und Reyle über Jahre hinweg einen bewusst wild wirkenden Garten an. Die massiven Betonplatten, die das gesamte Areal bedeckten, ließen sie aus dem Boden reißen, einige Bruchstücke wurden zu skulpturalen Haufen getürmt.

Dann fügten sie neue Gebäude hinzu. An die Mauer zur Wasserschutzpolizei kam ein 11 Meter hohes Materiallager. Schwarz gestrichen und komplett geschlossen ist es trotz seiner Größe ein erstaunlich unauffälliges Objekt im Grün des Gartens. Schließlich – Architektin und Künstler waren inzwischen ein Paar mit Kindern – beschlossen sie, sich ein Haus am Wasser zu bauen. Wie das Depot sollte auch das Haus groß und angenehm sein, sich aber dennoch unauffällig zu den Bestandsgebäuden gesellen. Lincke entwarf ein robustes, industriell wirkendes Haus direkt am Wasser, das die Materialien der Umgebung übernimmt: Beton, Glas, Holz und Metall. Der 200 Quadratmeter große und 3,55 Meter hohe Wohnraum liegt wie ein Sandwich zwischen zwei kräftigen Betonplatten, die von einem schmalen Betonkern und sechs schlanken Sichtbetonsäulen eine Etage hoch in die Luft gestemmt werden: Das Haus ist eine schwebende Scheibe mit einem 4,10 Meter hohen Luftraum darunter. Im Betonkern liegen Treppe, Bad und Küche, auf der Dachterrasse öffnet sich der Kern als Pavillon zur Sommerküche. Aus dem Wohnraum geht der Blick über die Ruinen und Hallen hinweg zum Wasser und ins Grüne. Das Haus dominiert das Gelände nicht, sondern wirkt – wie das dunkle Depot –, als wäre es ein Teil davon. Vom Wasser aus, erzählt Lincke, hielten Vorbeifahrende das Haus manchmal für einen schon älteren Teil des Geländes; vielleicht die Kontrollbrücke für die Kranbahnen? Das, sagt sie, finde sie ein schönes Kompliment für das Haus. fh 204 WOHNEN

Lageplan Maßstab 1:1500

18 Haus an der Spree Tanja Lincke Architekten ○

205

8

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Dachgeschoss

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1. Obergeschoss

Grundrisse, Schnitt Maßstab 1:400

1 Eingang und Treppe

2 Luftraum unter dem Haus 3 Wohnen

4 Bad 5 Küche 6 Schlafzimmer

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1

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Erdgeschoss

206 WOHNEN

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7 Dachterrasse 8 Sommerküche

18 Haus an der Spree Tanja Lincke Architekten ○

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18 Haus an der Spree Tanja Lincke Architekten ○

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Fertigstellung: 2019 Fläche: 457 m² Nutzung: Wohnen

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Steglitz-Zehlendorf

Kersten Kopp Architekten

Schwarzer Diamant im Garten Haus L

Das frei stehende Einfamilienhaus befindet sich auf einem Binnengrundstück in einem der ältesten Villenviertel der Stadt in Steglitz-Zehlendorf. Inmitten der herrschaftlichen Wohnhäuser aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stand zuvor ein eingeschossiger Pavillon aus den 1960er-Jahren, doch die neuen Besitzer wünschten sich etwas Größeres für die fünfköpfige Familie. Die Parzelle wirkt fast wie eine Lichtung im Grünen und ist nur über eine schmale Zufahrt erschlossen, Bäume und Büsche bilden einen dichten Sichtschutz. Das machten die Architekten Minka Kersten und Andreas Kopp zum Ausgangspunkt für den Entwurf: Das Haus sollte ebenfalls eine schützende Hülle werden, die sich unauffällig, aber selbstbewusst in die Mitte der Villen stellt.

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Das polygonale, zweigeschossige Wohnhaus steht an der Nordostecke des Grundstücks. Nach Südwesten öffnet sich das Erdgeschoss mit einer weitgehend verglasten Fassade zum Garten, so gelangt die Nachmittagsund Abendsonne tief ins Innere. Zusätzlich wird die Front im Erdgeschoss leicht geknickt, sodass sie sich unter das Obergeschoss zurückzieht und ein kleines Vordach bildet. Darunter liegt die breite Holzterrasse, die die Innenräume zusätzlich mit dem Garten verknüpft. Zur Vorfahrt im Osten formt das Haus eine kleine Einbuchtung um den Eingang. Zusammen mit der deutlich geknickten Form des Dachs und der monochromen Verkleidung aus dunkelgrau lasierten Lärchenholzbrettern entsteht der Eindruck eines vom Menschen behauenen Findlings, der in den Garten gerollt wurde. Die markante Dachform ergab sich aus einer Besonderheit der Vorschriften: Eigentlich durfte der Neubau genau wie sein Vorgänger nur eingeschossig sein. Lediglich ein Dachgeschoss war zulässig. Also hoben die Architekten den südlichen Dachteil über den vier Schlafzimmern etwas an, während sie den nördlichen Teil steil abfallen ließen – die Gauben ragen als vollständige Fenster aus dieser Faltung heraus. Mit polygonalen Ausschnitten sorgen sie im Inneren für viel Licht und einen direkten Ausblick in den Himmel. Dadurch zeigt sich das Haus zum Garten hin zweigeschossig, aber die mittlere lichte Höhe bleibt niedrig genug, um die obere Etage nach Baurecht als Dach auszuweisen. Die Fenster zeigen die Raumaufteilung im Inneren: Im Obergeschoss liegen um den Galerieraum an der Treppe die klar abgetrennten Schlafzimmer und das Elternzimmer mit Loggia. Das Erdgeschoss ist hingegen ein offener Raum mit locker ineinander übergehenden Koch-, Sitz-, Wohn- und Musikbereichen. Der Großraum endet im Norden mit einem kleinen Arbeitszimmer und einem Kinderbereich, die beide mit einer Schiebetür abgeteilt werden können. Überall dominieren helle Oberflächen aus Sichtbeton und geöltem Eichenholz. Durch die große Verglasung nach Südwesten orientiert sich das gesamte Erdgeschoss eindeutig zum Garten; allerdings sorgt ein übergroßes Panoramafenster nach Norden – 3,90 × 2 Meter – dafür, dass der Wohnraum sich in mehrere Richtungen öffnet und man im Grunde mitten im Garten sitzt. Wenn dies ein Findling wäre, dann ein ausgesprochen wohnlicher und poröser. fh

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WOHNEN

Lageplan Maßstab 1:2000

GSPublisherVersion 0.98.100.97 GSPublisherVersion 0.98.100.97

19 Haus L Kersten Kopp Architekten ○

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5 3

a 8

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a 7 4

Erdgeschoss

Grundrisse, Schnitt Maßstab 1:250

1. Obergeschoss

1 Eingang 2 Diele und Treppe

3 Gäste-WC 4 Küche 5 Wohnen 6 Arbeiten

7 Elternschlaf­ zimmer mit Bad und Loggia

aa

214 WOHNEN

8 Kinder­ schlafzimmer 9 Bad

19 Haus L Kersten Kopp Architekten ○

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Tragwerksplanung: Ingenieurbüro für Tragwerksplanung Dr.-Ing. Christian Müller Fertigstellung: 2009 Fläche: 160 m² Nutzung: Wohnen

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Maximilianstraße 10a, Pankow

brandt + simon architekten

Himmel über Berlin Einfamilienhaus

Die Maximilianstraße in Pankow ist zu beiden Seiten dicht gesäumt von den typischen Berliner Mietskasernen der Gründerzeit. An der Nummer 10 jedoch fehlt ein Haus, hier geht der Blick in die Hinterhöfe und zu den Hinterhäusern – und auf ein kleines Gebäude, das sich mit auffallender grüner Ziegelfassade an die Brandwand seiner Nachbarn schmiegt. Die Lücke hat Geschichte: Das Grundstück wurde schon in den 1920er-Jahren von einer Gärtnerei genutzt, das einzige Gebäude war eine zweigeschossige Remise an der Straße. In den 2000er-Jahren wurde das Grundstück verkauft, und die neuen Besitzer ließen von Brandt + Simon Architekten eine Reihe von Entwurfsstudien erstellen. Am meisten überzeugte sie schließlich die ungewöhnlichste Variante: Die Remise

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wurde abgerissen und das gewünschte neue Zuhause für die dreiköpfige Familie stattdessen an die Brandwand der Hinterhauszeile gerückt. So steht das Familienhaus nun tiefer im Grundstück, fast mittig in seinem 850 Quadratmeter großen Garten. Die Lücke zwischen den Vorderhäusern an der Straße bleibt als Reservefläche, sie könnte zu einem späteren Zeitpunkt bebaut werden, auch mit einem fünf- oder sechsgeschossigen Haus – Pläne, die die Besitzer allerdings bislang nicht umgesetzt haben.

Das grüne Gartenhaus ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Da ist zuerst die auffallende bunte Fassade aus Biberschwanzziegeln, exakt 8350 Stück, die sich von unten nach oben von dunklen Grün- zu immer helleren Weißtönen entwickeln – wie das verpixelte Bild eines grünen Gartens unter einem weiten, offenen Himmel. Damit das kleine Haus von den deutlich größeren Nachbarn nicht optisch erdrückt wird, streckten es die Architekten in die Höhe: Entstand ist eine schmale, hohe Figur auf kompakten 65 Quadratmetern Grundfläche, die über drei Etagen verteilt dennoch satte 160 Quadratmeter Wohnfläche zulässt. Während die Räume im Erdgeschoss 3 Meter hoch sind, erreicht das Arbeitszimmer im Dachgeschoss 4,10 Meter Raumhöhe. Ungewohnt ist auch, dass das Haus als Holzbau zwischen die steinernen Mietskasernen gestellt wurde: Betonfundament und Holzrahmenkonstruktion konnten in nur sechs Monaten errichtet werden. Die Fassade aus Dachziegeln ergibt für die darunterliegende Holzkonstruktion eine robuste und dauerhafte Lösung. Zum abwechslungsreichen Bild tragen zuletzt auch die Fenster bei, die in Format, Größe und Reihung variieren und den Charakter der jeweiligen Zimmer widerspiegeln. Der fünfeckige Grundriss des Hauses gibt den Fenstern immer neue Blickrichtungen. Im gefalteten Zinkblechdach liegen fünf sehr unterschiedliche Dachfenster, die Licht von oben in Bibliothek und Arbeitszimmer fallen lassen. So wird zuletzt auch der Himmel über Berlin zum Teil dieses wunderbar ungewöhnlichen Gartenhauses. fh 218 WOHNEN

Lageplan Maßstab 1:2500

20 Einfamilienhaus brandt + simon architekten ○

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220 WOHNEN

aa

bb

1 Eingang 2 Wohnen 3 Küche

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:400

4 Schlafzimmer 5 Bad 6 Arbeiten

7 Bibliothek

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2. Obergeschoss

Dachaufsicht

GSPublisherVersion 0.98.100.97 GSPublisherVersion 0.98.100.97

a

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5 b

b 1

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Erdgeschoss

20 Einfamilienhaus brandt + simon architekten ○

1. Obergeschoss

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Neues Kreuzberger Zentrum: erbaut heute gilt es wieder als ein Beispiel 1969–1974 nach Entwürfen von Wolfgang der dringend notwendigen, innerstädtiJokisch und Johannes Uhl. In den schen Verdichtung. Foto von 2012 1990ern sollte es gesprengt werden,

222 WOHNEN

Die Riesen der 1970erJahre Zur langsamen Wiederentdeckung einer Ära

Text: Florian Heilmeyer Fotos: Andreas Gehrke

BERLIN Urbane Architektur und Alltag seit 2009

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Die Riesen der 1970er-Jahre hatten in Berlin lange Zeit einen schweren Stand. Wer den Flughafen Tegel mochte, konnte das nur hinter vorgehaltener Hand zugeben. Zu alt sei dieser, zu klein und zu verschlissen, um in den Hauptstadtplänen eine Rolle zu spielen, so hieß es. Dass dieses abgewetzte Äußere über dem genialen und weltweit nahezu einmaligen Konzept eines Drive-In-Flughafens lag, und dass dieser Flughafen schon seit vielen Jahren fast zehnmal mehr Fluggäste als geplant versorgen musste, wurde dem Gebäude nur selten zugutegehalten. Die öffentliche Meinung hielt an ihrer Ablehnung fest. Auch als das Internationale Congress Centrum (ICC) 2014 geschlossen wurde, weil seine Betreiberin, die landeseigene Messe Berlin, in einen kostengünstigeren Neubau umzog, fehlte es an lautem Protest. Und im Südwesten hätte die Charité noch 2020 um ein Haar das Hygiene-Institut und die ehemaligen Tierlaboratorien zerstört, zwei der charakterstärksten Gebäude im weitläufigen Besitz der Universitätsklinik. Die Abrissgenehmigung lag bereits vor, als dann doch Proteste von Architekturinteressierten und dem Denkmalschutz auf den hohen Wert dieser Bestandsgebäude hinwiesen. Je kleiner die Stadt, desto größer die Pläne Den meisten Menschen im wiedervereinigten Berlin waren die architektonischen Relikte der längst vergessenen 1970er-Jahre suspekt. Paradoxerweise stammen diese Riesen ja aus einer Zeit, in der die Stadt einerseits durch die Mauer frisch geteilt und somit eigentlich so klein wie selten zuvor schien: 1978 lebten in Ost- und West-Berlin zusammen nur noch knapp drei Millionen Einwohner – das war ein volles Drittel weniger als 1939, als Berlin nach New York und London noch die drittbevölkerungsreichste Stadt der Welt war. Andererseits aber waren just in dieser Zeit in beiden Stadthälften Gedanken von erstaunlicher Radikalität und Größe möglich. Es galt noch immer, die Kriegsschäden zu beseitigen und die Stadt in beiden Hälften wieder aufzubauen. So entstanden die Pläne für große Wohnsiedlungen wie Marzahn und Hellersdorf im Osten, das Märkische Viertel und die Gropiusstadt im Westen. Hinzu kam der Wettkampf der Systeme, der die Stadt zum Schaufenster sowohl des Westens als auch des Ostens machte. Die Interbau 1957 im Hansaviertel im Westteil der Stadt und die Neugestaltung der Stalinallee im Ostteil bildeten nur den Auftakt zu diesem Wettbauen der Systeme. Gerade im Westen machte das Fehlen eines Umlands, in das sich die Stadt ausdehnen konnte, Projekte wie die Überbauung der Stadtautobahn an der Schlangenbader Straße mit 1064 Wohnungen in einem gewaltigen, 600 Meter langen Gebäude möglich. Es zählt bis heute zu den größten zusammenhängenden Wohnkomplexen in Europa. Dabei blieben die Ideen lange vom zwanghaften Vergleich mit der jeweils anderen Stadthälfte bestimmt. Was den Nachbarn beeindrucken würde, das war gerade gut genug, um tatsächlich gebaut zu werden. Für den Kurfürstendamm entwickelten die Architekten Barna von Sartory 224 WOHNEN

Internationales Congress Centrum Berlin Gebäude steht seit 2014 leer und seit (ICC): erbaut 1974–1979 nach Entwürfen 2019 unter Denkmalschutz, die künftige von Ursulina ­Schüler-Witte und Ralf Nutzung ist unklar. Foto von 2021 Schüler. Das riesige denkmalgeschützte

Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

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und Georg Kohlmaier 1968–1970 ein zusammenhängendes System von rollenden Gehsteigen, die mit röhrenförmigen Überführungen auch die Straßen überspannt und den Flaneuren ein entspanntes Dahingleiten ermöglicht hätten. Im Grunewald wollten Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler, die Architekten des ICC und des sogenannten Bierpinsels in Steglitz, 1971 die ehemalige Rennstrecke Avus auf einer Länge von 9,5 Kilometern mit einer Serie von Terrassenhäusern überbauen, jedes davon bis zu 30 Meter hoch und 100 Meter breit. Heute lächelt man vielleicht beim Blick auf diese Ideen, aber damals waren sie reale Vorschläge, die keineswegs unmöglich erschienen. Das ICC war zur Eröffnung 1979 mit Baukosten von knapp einer Milliarde Deutsche Mark das teuerste Gebäude der Bundesrepublik – eine Tatsache, die damals stolz verkündet wurde. Heute würden öffentliche Stellen wohl eher versuchen, die Baukosten künstlich klein zu rechnen. Damals aber war das ICC in der Maßlosigkeit seiner Größe und in seinem ausufernden Erfindungsreichtum eben auch eine Antwort auf den kurz zuvor im östlichen Zentrum errichteten Palast der Republik als Kultur- und Veranstaltungsort – da durfte, ja, da musste es sogar etwas teurer sein. Abrisse im Osten, Vergessen im Westen Im wiedervereinten Berlin kümmerte sich zunächst kaum jemand um die riesigen Relikte der jüngsten Vergangenheit. Während sie in WestBerlin in Vergessenheit gerieten, wurde der Ostteil rasch umgestaltet. Der 145 Meter lange Riegel des ehemaligen DDR-Außenministeriums, der den Marx-Engels-Platz (heute: Schlossplatz) vor dem Palast der Republik nach Westen hin abschloss, wurde 1996 ohne nennenswerten Protest abgerissen. Da war das Hotel Berolina hinter dem Kino International schon ebenso entfernt worden wie das Stadion der Weltjugend und die Großgaststätte Ahornblatt an der Fischerinsel, eine spektakuläre Dachkon­struktion des Ingenieurs Ulrich Müther, die auch der Denkmalschutz nicht vor dem Abbruch retten konnte. 2006 folgte nach langer öffentlicher Debatte der Palast der Republik, an dessen Stelle heute das wiederaufgebaute Berliner Stadtschloss steht – das Humboldt Forum. Selbst um den Ost-Berliner Fernsehturm gab es eine kurze, aber von bestimmter Seite durchaus ernst gemeinte Abrissdiskussion. Schließlich könne doch, so meinten einige, das Stadtbild des wiedervereinten Berlins nicht von einem so großen Triumphspargel des DDR-Regimes überschattet werden. Dieser Abrissfuror im Osten ist den Riesen im Westen im Großen und Ganzen erspart geblieben. Allerdings wurde auch ihnen kaum Wertschätzung entgegen gebracht. Stattdessen ließ man sie vergammeln, oft mit einem möglichen Abbruch und Ersatzneubau im Hinterkopf. So 226 WOHNEN

Plattenbauten in Berlin-Marzahn am S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße, Foto von 2020

Ernst-Thälmannpark, Prenzlauer Berg. Architekten u. a.: Erhardt Gißke und Helmut Stingl. Die Umgestaltung der Gas­ fabrik zum „bewohnten Park“ mit 1332 Wohnungen (1976–1986) war ein Prestige-

projekt der DDR. Um fast alle Plattenbauten gab es nach 1990 wiederholt Abrissdebatten, heute wird ihre Bewahrung kaum noch infrage gestellt. Foto von 2017

Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

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Haus des Reisens: erbaut 1969–1971 nach Entwürfen von Roland Korn, Johannes Brieske und Roland Steiger. Wie die anderen DDR-Hochhäuser um den Alexanderplatz sollte auch dies nach Hans Kollhoffs Masterplan abgerissen werden.

Die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße (1976–1980) in West-Berlin zählt mit insgesamt 1064 Wohnungen, 600 Metern Länge und bis zu 46 Metern Höhe zu den größten Wohngebäuden Europas. Die Entwürfe stammten von den

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Architekten Georg Heinrichs, Gerhard und Klaus Krebs. Lange galt die „Schlange“ als abrissreifes Monster. Heute gibt es Überlegungen, ob angesichts der hohen Bodenpreise weitere Wohnüberbauungen der Autobahn folgen sollten. Foto von 2022

Nach jahrelangem Leerstand wurde es durch temporäre Club-Nutzungen immer beliebter. Die Zukunft des Gebäudes ist ­offen, da die Fassade dringend modernisiert werden muss. Foto von 2001

waren insbesondere die großen Gebäude der sozialen Wohnungsbauprogramme – wie die High-Deck-Siedlung in Neukölln, das Märkische Viertel oder die Graue Laus in Kreuzberg – in West-Berlin immer wieder Ziele populistischer Angriffe. Sie wurden gerne für die vielschichtigen sozialen Probleme in den Sanierungsgebieten verantwortlich gemacht und so zu Negativsymbolen einer fehlgeschlagenen Stadtentwicklung und Sozialpolitik. Das große Umdenken Dass eine gesunde Stadtentwicklungspolitik nicht mit der Dynamitstange umzusetzen ist, ist in Berlin eine Erkenntnis jüngeren Datums. Das große Umdenken begann mit einigen Publikationen und Ausstellungen, die den hohen Wert der großmaßstäblichen Gebäude und Siedlungen der Nachkriegsmoderne betonten. Das, was da ist, soll nun sanfter umgebaut werden, statt mit Abriss und Neubau nur immer wieder das Prozedere zu wiederholen, das man der jeweiligen Vorgängergeneration vorwirft. Dieser Argumentation hilft auch das Umdenken hin zu ökologischeren und

Dass eine gesunde Stadtenwicklungspolitik nicht mit der Dynamitstange umzusetzen ist, ist in Berlin eine Erkenntnis jüngeren Datums. umweltschonenderen Bauweisen. So fordern nun auch Architektenverbände, Anwohnerinitiativen und Bauunternehmen in Berlin, dass mit den bestehenden Gebäuden schonender umzugehen sei: Nicht nur immer energieeffizienteren Neubauten, sondern vor allem auch dem Erhalt soll in allen Förderrichtlinien größtmögliche Unterstützung zukommen. Wer ein bestehendes Gebäude geschickt umzubauen versteht, spart Kosten, Energie und Emissionen. Das schlaue Bauen der Zukunft scheint ein Bauen zu werden, das insgesamt weniger Ressourcen verbraucht. Das kommt unmittelbar auch den Berliner Riesen zugute, die derzeit in eine rosigere Zukunft blicken. Überall werden die in ihnen verbauten Werte wiederentdeckt: Der Flughafen Tegel wird zu einem Hochschulund Forschungsstandort entwickelt, ergänzt durch einen großen neuen Stadtteil, der vorrangig im Holzbau entstehen soll. Für eine Nachnutzung des ICC machen sich einige Initiativen aus der Kunst- und Kulturszene stark, die glauben, dass man den seit 2014 schlafenden Riesen wieder als öffentliches Kultur- und Veranstaltungszentrum reaktivieren kann. Und selbst für den radikal brutalistischen „Mäusebunker“ in Lichterfelde, Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

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Das Projekt Wohnen am Kleistpark entstand von 1974–1977 in Schöneberg nach Entwürfen von Jürgen Sawade, Dieter Frowein, Dietmar Grötzebach und Günter Plessow. Insgesamt entstanden mit diesem sozialen Wohnungsbau 514 Wohnungen, in denen zeitweise über 2000 Menschen lebten. In den 1980er- und 1990er-Jahren gab es hitzige Abrissdiskussionen um den sozialen Brennpunkt. Seit 2001 heißt es offiziell „Pallasseum“, seit 2017 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Die Wohnungen werden stets beliebter und teurer. Foto von 2012

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Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

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Haus der Statistik in Mitte: erbaut 1968–1970 für die Statistische Zentralverwaltung der DDR nach Entwürfen des Architektenkollektivs um Manfred Hörner, Peter Senf und Joachim Härter.

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Nach 1990 wurde der riesige Komplex von die das Gebäude seit 2018 schrittweise verschiedenen Behörden genutzt, seit und partizipativ für soziale Nutzungen 2008 stand er leer. Gegen die Abrisspläne erschließt und umbaut. Foto von 2021 formierte sich eine breite Initative aus Künstler- und Nachbarschaftsgruppen,

der einst die ehemaligen Zentralen Tierversuchslaboratorien der Freien Universität Berlin beherbergte, gibt es eine Bürgerinitiative, die den Abriss verhindern konnte. Ähnlich erfolgreich verspricht eine Bürgerinitiative im Wedding zu sein, die sich für Erhalt und Umbau des leer stehenden Diesterweg-Gymnasiums einsetzt und aus dem wunderschönen Gebäude aus Sichtbeton und knallorangener Kunststofffassade ein Stadtteilzentrum mit kostengünstigen Wohnungen und Atelierräumen machen möchte. Der Kunstunternehmer Johann König hingegen betreibt seine Galerie in der ebenfalls ziemlich brutalistischen und durch Arno Brandlhuber radikal umgebauten Kirche St. Agnes in Kreuzberg. Am Alles-Anders-Platz Das Leuchtturmprojekt dieses Umdenkens aber steht am nordöstlichen Ende des Alexanderplatzes. Hier hat sich ein breites Bündnis gebildet, um den gewaltigen und seit 2008 leer stehenden Komplex der ehemaligen Zentralverwaltung für Statistik der DDR zu einem lebendigen, bunt gemischten Stadtquartier zu entwickeln. Eigentlich sollten die vier riesigen Hochhausscheiben abgerissen und durch Neubauten privater Investoren ersetzt werden. Aber der Bottom-up-Initiative „Haus der Statistik“ gelang es, Schritt für Schritt ein Umdenken bei Senat, Bezirk und Liegenschaftsfonds durchzusetzen. 2018 formte sich eine ungewöhnliche Genossenschaft aus der Bürgerinitiative, dem Bezirksamt, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Wohnen, der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte sowie dem Berliner Immobilienmanagement und kleineren Künstler- und Anwohnerbündnissen. Gemeinsam arbeiten sie nun an einem bundesweiten Modellprojekt zur Umsetzung einer wirklich kooperativen Stadtentwicklung an diesem riesigen Beispiel. Der Komplex soll so weit wie möglich erhalten bleiben. Durch Um- und Anbauten sollen darin das Bezirksrathaus Platz finden, zudem 4000 neue und vorrangig kostengünstige Wohnungen, ein Ämterzentrum, Atelier- und Veranstaltungsräume sowie Räume für soziale Initiativen und Gastronomie. In einem Wortspiel haben die Stadtaktivisten in sehr großen Buchstaben „Allesandersplatz“ auf das Haus geschrieben. Wird dieses Projekt als Pilot einer von unten getragenen Stadtentwicklung tatsächlich den Lauf der Dinge in Berlin dauerhaft ändern können? Es bleibt abzuwarten, ob die viele Arbeit, die noch vor der Genossenschaft liegt, von Erfolg gekrönt sein wird. Internationale Aufmerksamkeit ist ihnen bereits sicher: Auf der 17. Internationalen Architekturbiennale 2021 in Venedig erhielt das Haus der Statistik mit dem Goldenen Löwen die höchste Auszeichnung. Vor 20 Jahren wäre eine so hohe Auszeichnung für ein so pragmatisches Umbauvorhaben unvorstellbar gewesen. Die Riesen der 1970er-Jahre Florian Heilmeyer

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Bilder © TerraMetrics,Kartendaten © 2022 GeoBasis-DE/BKG (©2009),Google

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Arbeiten

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 21 Verlagsgebäude der taz E2A Architekten  22 Medienhaus Springer OMA  23 Suhrkamp-Verlagsgebäude Bundschuh Architekten Essay Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar  24 Luisenblock West Sauerbruch Hutton  25 The Box AHM Architekten  26 Büro- und Atelierhaus Ritterstraße 8 BCO Architekturen  27 Büroerweiterung David Chipperfield Architects Berlin Interview David Chipperfield: Im Dialog mit der Geschichte  28 Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin ZRS Architekten Ingenieure  Block Terrassenhaus Brandlhuber+ Emde, Burlon /  29 Lobe  Muck Petzet Architekten  30 Up! Berlin Jasper Architects, Gewers Pudewill

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236 ARBEITEN

Cube Berlin am Hauptbahnhof: In der gefalteten Glasfassade des zehnge-

schossigen Bürowürfels von 3XN spiegelt sich die Umgebung.

Cube Berlin 3XN

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238 ARBEITEN

Haus am See: In dem früheren Bootshaus aus den 1970er-Jahren ist

nach dem Umbau ein privates Studio untergebracht.

Haus am See David Chipperfield Architects Berlin

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240 ARBEITEN

Das Hochhaus neben dem Hamburger Bahnhof war der erste Baustein des Entwicklungsareals Europacity in Mitte.

Tour total Barkow Leibinger

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Bauherr: Verlagsgenossenschaft der taz, die tageszeitung Tragwerksplanung: Schnetzer Puskas International Fertigstellung: 2018 Fläche: 5400 m² Nutzung: Büros, Restaurant, Shop

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Friedrichstraße 21, Kreuzberg 🌐 taz.de/Neubau/!p4820/

E2A Architekten

Lebendige Fassaden Verlagsgebäude der taz

Der Neubau für die Berliner Tageszeitung (taz) ist Teil des Kreativquartiers Südliche Friedrichstadt. Für dieses Areal hatte der Bezirk 2014 eine Handvoll öffentliche Grundstücke rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle nicht nach Höchstgebot, sondern in einem experimentellen Konzeptverfahren vergeben. Bewerber mussten erklären, welchen städtischen Mehrwert oder sozialen Beitrag ihr Projekt für das Quartier versprach. Im Falle der taz war das leicht: Seit seiner Gründung hatte der alteingesessene Verlag in der nahen Kochstraße am Checkpoint Charlie gesessen. Aufgrund der steigenden Mieten fürchtete die taz ihre „absehbare Verdrängung“ aus dem historischen Zeitungsviertel, wie sie erklärte. Mit dem vergleichsweise günstigen

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Verkauf des Grundstücks konnte der Bezirk den kleinen Verlag dauerhaft in der Nachbarschaft halten. Im Gegensatz zu den beiden anderen großen Verlagsneubauten in Berlin für Springer und Suhrkamp schrieb die taz einen offenen Architekturwettbewerb aus, in dem sich die Schweizer E2A Architekten gegen 312 Konkurrenten durchsetzten. Ihr Entwurf ist ein frei stehender, selbstbewusster Solitär, der sich zwar mit sechs Geschossen an die Berliner Traufhöhe von 22 Metern hält, ansonsten aber ein auffallend ungewöhnliches Gebäude ist. Wie ein Netz legt sich eine weiß lackierte Stahlstruktur um das ganze Haus. Die Diagonalen brechen kraftvoll mit den brav rechteckigen, typischen Berliner Putz- und Lochfassaden in der Umgebung. Der Gestus dieses Gebäudes ist eindeutig großstädtisch. Dadurch, dass das Stahltragwerk noch ein gutes Stück vor der eigentlichen Glasfassade liegt, entsteht eine Hülle von ungewöhnlicher Tiefe. Darin liegen umlaufende Balkone und Terrassen, auf denen die Mitarbeitenden in der Kaffee- oder Zigarettenpause zum Teil des lebhaften äußeren Bilds werden. Im Inneren sind große, robuste Räume entstanden. Das Tragwerk aus Stahlbetonfertigteilen ermöglicht stützenfreie Etagen mit flexibler Einteilung, wie es sich die Bauherrin gewünscht hatte. Die Räume wirken wie große Werkstätten, die gewählten Materialien verstärken diesen Eindruck: farbige Noppenböden, Sichtbeton, Metall und Glas. Der Neubau ist in drei Teilen organisiert, die durch einen deutlichen Rücksprung auch in der äußeren Kubatur deutlich sichtbar werden. Im Süden befindet sich eine schmale Zone mit kleineren, abgeschlossenen Räumen. Dort wird künftig noch ein Nachbargebäude errichtet, daher orientiert sich der taz-Bau stärker nach Norden zum Besselpark. Die offenen Etagen im Nordteil sind gut für offene Bürolandschaften zu nutzen. Dazwischen liegt der zentrale Teil, der im Erdgeschoss das Foyer, den Shop sowie ein großes Auditorium für Vollversammlungen der Mitarbeitenden oder öffentliche Veranstaltungen umfasst. Darüber sind größere, teilweise zweigeschossige Besprechungsräume angeordnet und nach Osten ein Hof mit einem offenen, vierläufigen Treppenhaus, das als Fluchtweg ebenso wie als rasche Abkürzung von Etage zu Etage und von Redaktion zu Redaktion dient. Die Architekten erhoffen sich, durch ihre Gestaltung im Auf und Ab der Menschen an den Fassaden die Geschäftigkeit einer Zeitungsredaktion zeigen zu können – und die Lebendigkeit der taz so auch zum sichtbaren Zeichen im Kiez zu machen. fh

244 ARBEITEN

Lageplan Maßstab 1:10 000

21 Verlagsgebäude der taz E2A Architekten ○

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aa

bb

1 Café 2 Bar 3 Veranstaltung 4 Backoffice

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

5 Küche 6 Foyer / taz.shop 7 Redaktionsraum

8 offenes Büro 9 Besprechung 10 Luftraum Veranstaltung

11 Außentreppe 12 Innentreppe 13 Lager 14 Teeküche b

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1. Obergeschoss

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Erdgeschoss

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21 Verlagsgebäude der taz E2A Architekten ○

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Bauherr: Verlagsgruppe Axel Springer Tragwerksplanung: Arup Energiekonzept: Transsolar Energie­ technik Fertigstellung: 2019 Fläche: 52 204 m² Nutzung: Büros, Besprechungen, Veranstaltungen

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Zimmerstraße 50, Mitte 🌐 axelspringer-neubau.de

OMA

Dunkel leuchtende Felsenkluft Medienhaus Springer

Wie könnte es bei einem Neubau für die Springer-Verlagsgruppe auch anders sein: Natürlich war der gesamte Prozess vom Architekturwettbewerb bis zur Eröffnung ein großes Medienereignis, von der Auswahl der 19 Architekturbüros für den beschränkten Wettbewerb bis zur Vergabe von gleich drei ersten Preisen (an Bjarke Ingels, Ole Scheeren und OMA). Der überdeutliche Wunsch der Bauherrin war von Anfang an ein möglichst spektakulärer Entwurf: Eine zeitgenössische Ikone musste hier entstehen, die es mit dem berühmten goldglänzenden, 78 Meter hohen Springer-Hochhaus von 1966 aufnehmen konnte und dabei auch gleich noch ein „avantgardistisches Medienhaus der Zukunft“ sein sollte, wie es sich Verlagschef Matthias Döpfner wünschte.

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Tatsächlich erfüllt der Entwurf von OMA beide Anforderungen mit Bravour. Hinter das goldene Hochhaus rollten die Architekten einen schwarzen Felsbrocken, der das Baufeld maximal ausfüllt. 48 Meter ragt die glatte Glasfassade in die Höhe, das ist mehr als die doppelte Berliner Traufhöhe. Von dem 10 000 Quadratmeter großen, trapezförmigen Grundstück nimmt der Fels 9100 Quadratmeter in Anspruch und lässt damit kaum Platz für den Bürgersteig. Die Scheiben der äußeren Glashülle sind mit einem camouflageartigen Muster eng bedruckt. Etwa auf halber Höhe des Elfgeschossers lässt die dunkle Hülle eine Lücke, die das Gebäude wie eine Taille in eine obere und eine untere Hälfte teilt. Dieser Einschnitt markiert auch ungefähr die Traufhöhe, wie ein Gruß an die Altbauten auf der anderen Straßenseite. Zur Südwestecke hin, wo der Haupteingang liegt und das Gebäude direkt auf den goldenen Turm zeigt, bricht dieser Einschnitt wie eine Kluft im Felsen immer stärker auf. Dahinter erscheint ein zur Ecke hin immer freier geformtes Tohuwabohu aus Glas und weißen Stahlträgern, gehalten von dahinter deutlich sichtbaren, schlanken dunkelgrauen Betonsäulen. Das gleiche Schauspiel wiederholt sich zur Nordostecke des Gebäudes, wo der zweite Haupteingang liegt. Eigentlich kennt man solche Rauminszenierungen eher von Frank Gehry als von OMA. Doch das dramatische Spiel mit der Oberfläche verweist auf den Berliner Mauerstreifen, der einst über das Gelände führte. Ungefähr auf den Verlauf der Mauer stellt OMA ein zentrales Atrium, das neun Geschosse hoch das gesamte Gebäude aufreißt. Die Etagen bilden im Inneren zu beiden Seiten dieser Schlucht offene Terrassen, manche sind mit Brücken miteinander verbunden. Während entlang der Außenfassaden Büroräume von festgelegter Größe liegen, bleiben die Terrassen offene, flexibel einteilbare Flächen für immer wieder wechselnde Arbeitskonstellationen. Insgesamt ist das Gebäude für mehr als 3000 Mitarbeitende ausgelegt – von denen allerdings nur noch die Minderheit Journalisten sind. Die Mehrheit arbeitet für eine große Preisvergleichsplattform im Internet, die ebenfalls zur Verlagsgruppe gehört und für einen wachsenden Teil von deren Einnahmen zuständig ist. Der Axel-Springer-Neubau ist also in seiner Architektur ebenso avantgardistisch wie, auf eher zynische Art, in seiner Nutzung als Preisvergleichs-Medienhaus. fh

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Lageplan Maßstab 1:4000

22 Medienhaus Springer OMA ○

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Übersicht Terrassen

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Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:2000

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2. Obergeschoss

0.98.100.98

22 Medienhaus Springer OMA ○

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22 Medienhaus Springer OMA ○

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Bauherr: Industriebaugesellschaft am Bülowplatz (IBAU), Suhrkamp Verlag Tragwerksplanung: ifb Frohloff Staffa Kühl Ecker Innenausstattung: Kinzo (Verlagsräume), Ester Bruzkus (Restaurant) Fertigstellung: 2020 Fläche: 7500 m² Nutzung: Büros, Wohnen, Einzelhandel, Kunstgalerie, Gastronomie

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Linienstraße 32–34, Mitte 🌐 suhrkamp.de

Bundschuh Architekten

Offenes Scharnier zur Stadt Suhrkamp-Verlagsgebäude

Für viele Jahre war dieses Grundstück eine der prominentesten Brachen im Bezirk Mitte, unmittelbar hinter der Volksbühne am nördlichen Rand des Rosa-Luxemburg-Platzes. Hier waren 1927–1929 Zeilenbauten nach Entwürfen des Architekten Hans Poelzig entstanden, die den Theaterbau von Oskar Kaufmann und den Platz einrahmten. Die meisten von Poelzigs Bauten haben den Zweiten Weltkrieg überstanden, das dynamisch gerundete Eckhaus am nordwestlichen Ende der Bebauung aber war im Krieg schwer beschädigt und anschließend abgerissen worden. Die Brache blieb bis 2016 als kleine Grünfläche erhalten. Nach der Wende kamen die Bauten und Grundstücke in den Besitz der neu gegründeten Industriebaugesellschaft am Bülowplatz

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(Ibau), wie der Platz bis 1933 hieß. Die Ibau wollte das Viertel um die Volksbühne als „Kreativquartier“ entwickeln. Für die Brache suchte man lange nach einem passenden Nutzer, bis schließlich der Suhrkamp-Verlag ins Gespräch kam, der 2010 nach Berlin gezogen war und dringend eigene Räume suchte. Mit dem Bau wurden Bundschuh Architekten beauftragt, die für die Ibau bereits das einprägsame schwarze, zerklüftete Wohn- und Geschäftshaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite gebaut hatten. Roger Bundschuh kannte das Gelände mit Kiosk, Döner-Imbiss und Trampelpfad bestens, sein Büro liegt direkt vis-à-vis. Er machte die vorgefundene Situation zum Ausgangspunkt seines Entwurfs. Statt einen geschlossenen Block um einen Innenhof zu entwerfen, wie es die Poelzig-­ Bauten vorgemacht hatten, ordnete er das Gebäude in zwei schmalen Flügeln entlang der Ränder an. An die laute Torstraße rückte er einen siebengeschossigen, schlanken Riegel mit den schallgedämmten Büros des Verlags. An die Brandmauer der Poelzig-Zeile setzte er einen schmalen, sechsgeschossigen Turm mit sehr unterschiedlichen kleinen Wohnungen. Das Erdgeschoss wird zur belebten Geschäftszeile: Wo einst der Kiosk stand, ist nun ein Restaurant, an der Stelle des Imbisses liegt ein Fahrradladen, und im Wohnturm zur Linienstraße hin befindet sich eine Kunstgalerie. Auch der Trampelpfad ist noch da: Er führt jetzt als kleine Passage durch das Erdgeschoss des Büroriegels und bietet so immer noch eine Abkürzung zwischen U- und Straßenbahn quer durch das Ensemble und entlang der Läden. Der Neubau formt statt einer geschlossenen Blockkante ein offenes Scharnier in der Stadt, das einen kleinen, baumbestandenen Vorplatz beschirmt. Seine Materialien sind dabei so robust wie die Stadt: hellgrauer Sichtbeton, silbriges Aluminium und übergroße Fenster, die für Transparenz sorgen und aus denen nachts die bunten Buchrücken der schier endlosen Regalreihen in die Stadt hinaus leuchten. Durch die Feinheiten seiner Gestaltung und seiner städtebaulichen Setzung ist das Ensemble sofort zum intensiv genutzten und lebendigen Baustein der Stadt geworden. fh

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1

Lageplan Maßstab 1:4000

23 Suhrkamp-Verlagsgebäude Bundschuh Architekten ○

1 U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz

2 Volksbühne

1

2

2

3

3

3 Rosa-Luxemburg-Platz

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aa

1 Restaurant 2 öffentliche Passage

Schnitt, Grundriss Erdgeschoss Maßstab 1:500

3 Vorplatz 4 Ladenraum

5 Kunstgalerie

a

2 1

4

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a

23 Suhrkamp-Verlagsgebäude Bundschuh Architekten ○

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23 Suhrkamp-Verlagsgebäude Bundschuh Architekten ○

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Der Anhalter Bahnhof in Kreuzberg war einer der wichtigsten Fernbahnhöfe der Stadt. Die Reste des kriegszerstörten

Kopfbahnhofs wurden 1959 abgerissen. Oben: Historischer Fassadenentwurf des Kopfbahnhofs

Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar

BERLIN Urbane Architektur und Alltag

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Berlin ist für die Pannen und Verzögerungen bei seinen infrastrukturellen Großprojekten bekannt: Die Eröffnung des neuen Flughafens BER verspätete sich um zehn Jahre, der Bau sprengte sämtliche Budgets. Kurz nach der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs lösten sich 2007 zwei tonnenschwere Stahlträger aus der Fassade, einer krachte auf eine Treppe vor dem Gebäude. Wie steht es heute um die Infrastruktur, und was geschieht mit den nicht mehr genutzten Gebäuden? Berliner Flughafen-Rochade Wann ich das letzte Mal vom Flughafen Berlin-Tegel abgeflogen bin? Das war kurz nach Ausbruch der Pandemie. Ohne Gepäck und Bordkarte spazierte ich im Mai 2020 durch das legendäre sechseckige Terminal A von TXL. Wegen Corona gab es nur noch ein Dutzend Verbindungen am Tag, die über das Terminal C abgewickelt wurden, eine einst für Air Berlin errichtete Wellblechbude. Das Hauptterminal war bereits stillgelegt, die Räume menschenleer, die Barhocker am Kaffeestand hochgestellt, die Gepäckwagen zusammengeschoben. Der Flughafen stand kurz vor seiner endgültigen Stilllegung Ende 2020. Es war also Zeit, Abschied zu nehmen von einem Gebäude, das die damals sehr jungen Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels 1974 für den fortschrittsgläubigen Lebensstil in der autogerechten, mauergeteilten Stadt entworfen hatten. Die grandiose Geste der Vorfahrt – konzeptionelles Kernstück des Drive-In-Flughafens –, die kurzen Wege vom Parkplatz über die Gepäckaufgabe zum Flugsteig, der auf Erweiterung angelegte sechseckige Grundriss und das alles in poppigem SiebzigerJahre-Design – unnachahmlich. Bis zu meinem ersten Abflug vom BER sollte es aber noch dauern. Das lag allerdings nicht an weiteren Bauverzögerungen – am 31. Oktober 2020 eröffnete der Airport tatsächlich –, sondern an der Pandemie, die nun das Fliegen erschwerte. Ob der neue Flughafen, der ja ebenfalls nach Plänen der Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) errichtet wurde, jemals ähnliche Emotionen wecken kann wie der populäre TXL? Der Neue jedenfalls steht ein Stück jenseits der südöstlichen Stadtgrenze und bietet infrastrukturelle Standardware: zentrale Sicherheitskontrollen, wegelagernde Duty-Free-Shops, lange Gehzeiten, das Übliche. Noch angereichert von überfordertem Personal und planerischen Fehlleistungen: Für die Gepäckaufgabe ist zum Beispiel zu wenig Fläche vorgesehen, und so entstehen lange, sich ineinander verkeilende Passagierschlangen. In der überhohen Säulenhalle – angeblich eine Reminiszenz an Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie – herrscht trotz architektonischer Großzügigkeit im Betrieb nervenaufreibende Enge.

266 ARBEITEN

Seit Frühjahr 2022 wird das Flughafengelände Tegel als Ankunftszentrum für Flüchtlinge aus der Ukraine genutzt.

Das Oktogon wurde zum Markenzeichen des Flughafens TXL.

Rechts: Die Architekten Nickels, Marg und von Gerkan (v.l.n.r.) bei der Eröffnungsparty des Flughafens 1974.

Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar

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Derweil dreht Berlin bereits an seinem nächsten großen Ding: Aus TXL soll die Urban Tech Republic werden. Bereits einen Tag nach der Schließung des Flughafens zeigten die Berliner Busse den hochfliegenden Namen als neue Endstation an – obwohl es natürlich noch Jahre dauern wird, bis die „Technikrepublik“ eröffnet. Immerhin ist das Nachnutzungskonzept ambitioniert. In das Terminal-Sechseck wird nach denkmalgerechter Sanierung und Umbau die Berliner Hochschule für Technik einziehen, mit Seminarräumen, Laboren und dem Cluster „Urbane Technologien“, als zweitem Standort neben ihrem bisherigen Campus im Stadtteil Wedding. Auf dem Vorfeld entsteht ein Forschungs- und Industriepark, dort sollen sich – ähnlich wie bereits im Berliner Südosten in Adlershof erfolgreich praktiziert – Wissenschaft, Lehre und Wirtschaft gegenseitig befruchten. Aktueller Zeitplan: Einzug der Hochschule 2027, Entwicklung des Gesamtprojekts in vier Bauabschnitten bis etwa 2040. Auf dem östlichen Teil des Rollfeld entsteht außerdem das Schumacher-Quartier, ein Viertel mit mehr als 5000 neuen Wohnungen in urbaner Dichte, das komplett in Holzbauweise errichtet werden soll. Gerade eruieren die Planungsteams, ob es möglich ist, die Häuser mit Kiefernholz aus den Berliner Forsten zu bauen. Angestrebter Baustart ist 2025. Während die Zukunft in Tegel also erst beginnt, ist die Gegenwart noch ziemlich präsent. Von Februar 2021 bis Juni 2022 ließ die Stadt im früheren Billigflieger-Terminal C gegen Corona impfen. Zudem werden Geflüchtete aus der Ukraine empfangen, versorgt und registriert. Das sogenannte Ankunftszentrum ist eine Durchgangsstation, bevor die Menschen weiterreisen an andere Orte, in den ehemaligen Terminals A und B stehen dafür Doppelstockbetten bereit. Bilder, die einem bekannt vorkommen mögen. Denn 2015, als die Geflüchteten des syrischen Bürgerkriegs ankamen, richtete Berlin Notunterkünfte in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof ein – nur dass die Menschen aus Syrien länger als ein oder zwei Nächte in den Doppelstockbetten ohne Privatsphäre schlafen mussten. Second Life Viele Infrastrukturbauten in Berlin sind also noch lange nicht obsolet, nur weil sie ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen. Im Gegenteil, sie haben sich gerade in den vergangenen Jahren als wertvolle Flächen- und Raumreserven in einer immer enger werdenden Stadt erwiesen: Ausstellungen, Messen und Musikfestivals finden in den Hangars des ehemaligen Flughafengebäudes in Tempelhof genug Platz, ein Kunstfestival im alten West-Berliner Kongresszentrum ICC, das ebenfalls temporär als Impf- und Geflüchtetezentrum genutzt 268 ARBEITEN

Oben: Ausflug ins Grüne: Das Tempelhofer Feld nimmt die frühere Rollpiste des Flughafens ein. Heute wird die große Freifläche intensiv für Freizeitaktivitäten genutzt.

Rechts: In den 1950er-Jahren ist der Flughafen Tempelhof Anlaufstelle für Flüchtlinge aus dem sowjetischen Sektor der Stadt sowie aus der DDR. Sie werden von hier in die Notaufnahmelager in der Bundesrepublik geflogen.

Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar

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Der neue Hauptbahnhof wurde 2006 eröffnet und ist wie die Flughäfen TXL und BER von gmp Architekten entworfen.

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wurde, Kunst- und Modemessen im einstigen Postbahnhof, und das alte Kaiserliche Postfuhramt an der Oranienstraße war lange ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Fotografie, bis ein Investor es zum Hotel umbaute. Ohne die alten Infrastrukturen wäre wohl weniger los in der Stadt. Mehr noch: Diese üppigen Platzreserven haben den Wandel Berlins seit der Wende oft noch befördert. Das Paradebeispiel dafür ist die „Mutter aller Flughäfen“, wie Norman Foster den zur Zeit des Nationalsozialismus gebauten Airport in Tempelhof einst zu Recht nannte: Nicht nur die Hangars, auch die Freiflächen des ehemaligen Rollfelds sind einziger großer Möglichkeitsraum: Hier werden Hochbeete beackert, Kinder gelüftet und Schafe geweidet, andere lassen Hightech-Drachen steigen oder sausen auf allen nur vorstellbaren Arten von Rädern über die Rollbahnen. Die langfristige Entwicklung des riesigen Gebäuderiegels kommt derweil nicht recht voran. Rund 300 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche sind selbst für Berliner Verhältnisse offenbar etwas zu groß, um dauerhafte Nutzer zu finden. So bleibt im Moment vor allem die beeindruckende architektonische Präsenz des früheren Zentralflughafens im Stadtraum sowie das Gefühl, dass hier noch was ginge. Verschwundene Knotenpunkte Anders die vielen Bahnhöfe, die Berlin einst zum Knotenpunkt gemacht hatten, und von denen heute die meisten verschwunden sind – im Krieg zerbombt, in der Nachkriegszeit abgerissen, die Reste nach der Wende eingeebnet und überbaut. Wie heute noch in Paris oder London legte sich bis zum Zweiten Weltkrieg ein Kranz von Kopfbahnhöfen um das Stadtzentrum, daneben gab es mehrere Güter- und Postbahnhöfe. Der Hamburger Bahnhof dient schon länger als Museum, hinter der Portalruine des Anhalter Bahnhofs soll in den nächsten Jahren ein Exilmuseum nach Plänen der dänischen Architektin Dörte Mandrup entstehen. Andere wie der Potsdamer Bahnhof, der Görlitzer Bahnhof oder der Stettiner Bahnhof sind längst aus dem Stadtbild getilgt und höchstens noch durch Ortsnamen präsent. Ihre Vorfelder – ebenfalls als wertvolle Flächenreserven erkannt – wurden zu Parks umgewandelt oder mit neuen Quartieren bebaut. Auf dem Areal des Lehrter Bahnhofs, einstmals einem der prächtigsten Bahnhöfe, steht heute der 2006 eröffnete Hauptbahnhof, in Sichtweite zu Kanzleramt und Reichstag. Ein mehrgeschossiger Turmbahnhof mit flankierenden Bürogebäuden, in dem sich die Fern- und Regionalverkehrslinien in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung kreuzen. Der Vorgängerbau war noch ein Kopfbahnhof, von dem aus Züge nach Hamburg, Hannover und Lehrte abfuhren. Nach der Wende ordneten die Verkehrsplaner den durch Krieg Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar

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und Teilung fragmentierten Bahnverkehr in Berlin neu. Unter mehreren konkurrierenden Plänen konnte sich das sogenannte Nord-Süd-Pilzkonzept durchsetzen. Der Name rührt von der pilzähnlichen Form des stilisierten Netzplans her. Er integriert bestehende Strecken wie die Stadtbahn und bindet mit den zusätzlichen Fernbahnhöfen Südkreuz und Gesundbrunnen weitere Stadtgebiete besser an den Bahnverkehr an. Pannen, Pech und Verzug Im Zentrum des umgesetzten Konzepts liegt der Knotenpunkt Hauptbahnhof mit dem neuen Nord-Süd-Tunnel. Auch bei diesem neben dem Flughafen BER wohl wichtigsten Infrastrukturprojekt nach der Wende kamen die Architekten von gmp zum Zuge, sie gewannen 1993 den Wettbewerb. Und beinahe wie ein schlechtes Omen für das noch folgende Planungsdesaster am BER lief auch am Hauptbahnhof nicht alles glatt. Das Stahl-Glas-Gebäude wurde wegen Schwierigkeiten mit dem Baugrund vier Jahre später fertig als geplant und das auch nur, weil die Deutsche Bahn das Hallendach über den oberen Bahnsteigen rabiat kürzte. Man wollte unbedingt den Eröffnungstermin zur Fußballweltmeisterschaft 2006 halten. Gespart wurde auch bei den Decken im Tiefgeschoss: Von den Architekten als Gewölbedecke geplant, wurde ohne Absprache mit gmp eine banale Flachdecke eingezogen. Meinhard von Gerkan tat, was Architekten selten tun: Er verklagte seinen Auftraggeber auf Verletzung des Urheberrechts, der Klage wurde stattgegeben, 2008 einigte man sich auf einen Vergleich. Die Deutsche Bahn zahlte ein Summe in unbekannter Höhe an eine Stiftung von gmp zur Förderung des Architekturnachwuchses, die Academy for Architectural Culture. Was nichts daran ändert, dass die Fahrgäste auch heute noch bisweilen im Regen stehen, wenn sie auf den ICE in Richtung Frankfurt oder ins Ruhrgebiet warten. Aber daran haben sich die Menschen längst gewöhnt, so wie sie sich an die unzulängliche Abfertigung im Flughafen BER gewöhnen werden. Det is emd Berlin.

272 ARBEITEN

Im Oktober 2020 wurde der Flugbetrieb Willy Brandt war mehrfach verschoben des BER aufgenommen. Die Eröffnung worden. des neuen Flughafens Berlin B ­ randenburg

Flughäfen und Bahnhöfe – neu sortiert und genutzt Jasmin Jouhar

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Bauherr: Bundesrepublik Deutschland Generalüber- und -unternehmung: Kaufmann Bausysteme mit Primus Developments Fertigstellung: 2021 Fläche: 15 900 m² Nutzung: Büros, Konferenzräume

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Adele-Schreiber-Krieger-Straße, Mitte 🌐 bundestag.de/luisenblock-west-836084

Sauerbruch Hutton

Holzrevolution im Herzen Luisenblock West

Die bautechnische Revolution ist von außen nicht zu sehen. Die Haut aus schimmerndem Recycling-Aluminium und Glas verrät nicht, dass dieses Gebäude zu 75 Prozent aus Holz besteht. Es ist damit das bislang größte Holzbauprojekt in der Berliner Innenstadt – vielleicht wird Werner Hegemanns „steinernes Berlin“ im 21. Jahrhundert zum hölzernen. So fing es an: Weil im Deutschen Bundestag seit Jahren immer mehr Abgeordnete sitzen, benötigte man für diese neue Büros. An der Luisenstraße gab es zwei Grundstücke, die seit den 1990er-Jahren für zusätzlichen Flächenbedarf der Regierung freigehalten worden waren. Das westliche davon wurde nun bebaut, daher der Name Luisenblock West. 2019 schrieb das Bundesbauamt einen Wettbewerb aus für

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Bietergemeinschaften aus Projektentwicklern, Baufirmen und Architekten, die auch eine kosten- und fristgerechte Umsetzung ihres Entwurfs garantieren mussten. Das Budget lag bei 70 Millionen Euro, die größere Herausforderung aber war der Zeitplan: Für die Fertigstellung standen nur 20 Monate bis zur Bundestagswahl 2021 zur Verfügung. Diese Geschwindigkeit setzte einen Modulbau mit einem hohen Maß an Vorfertigung fast zwingend voraus. Zeitnot, beschränktes Budget, Modulbau – nicht nur in Berlin ist aus dieser Melange selten gute Architektur entstanden. Beim Luisenblock verlief die Geschichte anders. Das Konsortium aus Primus Developments, Kaufmann Bausysteme und Sauerbruch Hutton setzte sich mit dem Vorschlag durch, den Bau aus Massivholzmodulen zu errichten. Die drei Firmen hatten bereits zwei Jahre zuvor ein Studentenwohnheim in Hamburg als großen Holzmodulbau errichtet. Zwar sind die Entwürfe grundverschieden, doch die Systematik ähnlich genug, sodass rasch mit der Umsetzung begonnen werden konnte: Die Architekten zeichneten die Ausführungsplanung, während Kaufmann bereits seine Produktionsstraße in Köpenick aufbaute. Im Oktober 2020 begann der Bau, und ab April 2021 wurden pro Tag sechs Büromodule vorfabriziert und am Abend auf der Baustelle montiert. Das Haus blieb im Kostenrahmen und unterschritt den Zeitplan um vier Wochen. Die Architektur setzt die Zwänge hinsichtlich Zeit und Kosten in ein Gebäude von unauffälliger Eleganz um: Der Bau wird bestimmt vom Raster der 470 Büromodule. Die Architekten organisieren diese Zellen in zwei Riegeln mit einem zentralen, nach Süden geöffneten Treppenhaus. So entsteht ein H-förmiger Grundriss, der sich an der lang gestreckten Kammstruktur des gegenüberliegenden Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses von Stephan Braunfels Architekten orientiert und dazwischen einen verbindenden Raum entstehen lässt. Der südliche Hof wird zum Vorhof, der nördliche wird begrünt und von einer gebäudehohen Schallschutzwand vor dem Lärm der Bahntrasse geschützt. Erdgeschoss und Erschließungskerne sind aus Stahlbeton, alle Büro-, Besprechungs- und Nebenräume bestehen aus Massivholzmodulen. Da beim Bau unklar war, wie die Büros genau aufgeteilt werden sollen, blieben die Module vorerst Einzelbüros. Die Trennwände lassen sich aber jederzeit zugunsten einer offeneren Bürolandschaft entfernen. Für die verbauten 5000 Kubikmeter Holz wurden neue Bäume gepflanzt, sodass die gesamte Holzmenge in 15 Jahren nachgewachsen sein wird. fh

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Lageplan Maßstab 1:10 000

Der Luisenblock besteht zum größten Teil aus vorgefertigten Holzmodulen.

24 Luisenblock West Sauerbruch Hutton ○

Die verbaute Holzmenge soll in den nächsten 15 Jahren durch neu gepflanzte Bäume kompensiert werden.

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24 Luisenblock West Sauerbruch Hutton ○

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aa

Die vorgefertigten Holzmodule bilden jeweils ein komplettes Einzelbüro. Allerdings kann die Trennwand entfernt werden, sodass großzügigere Raumzusammenhänge – wo gewünscht – möglich sind.

Aus Brandschutzgründen musste das zentrale Treppenhaus aus Beton gebaut werden. Das Holzfurnier an den Brüstungen ist feuerfest imprägniert.

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1. Obergeschoss

Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Archiv 2 Büro

3 Besprechung / Gruppenbüro

2

4 Umkleide

5 Teeküche / Kopierraum

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Erdgeschoss

24 Luisenblock West Sauerbruch Hutton ○

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Bauherr: ANH Hausbesitz Tragwerksplanung: SFB Saradshow Fischedick Fertigstellung: 2014 Fläche: 7860 m² Nutzung: Büros, Gastronomie

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Gutenbergstraße 4, Charlottenburg

AHM Architekten

Industrieller Charme The Box

Zwischen Landwehrkanal und Spreebogen liegt die Spreestadt Charlottenburg. Bereits seit 1872 hat die Königliche Porzellanmanufaktur (KPM) hier ihren Sitz, doch sonst sind auf dem gesamten Areal nur wenige Gebäude erhalten. Seit den 2000er-Jahren entstanden auf den zahlreichen Brachen neue Bürogebäude, und auch die benachbarte Technische Universität erhält hier neue Räumlichkeiten. Zwischen all den konventionellen Neubauten sticht ein Umbau nach den Plänen von AHM Architekten hervor: Der weitestgehend fensterlose Bau wurde 1969 als Lagerhaus errichtet, ab 1980 wurden dort Kosmetika produziert und abgefüllt. Bis 2012 erlebte das Gebäude eine Berlin-typische Zwischennutzung als Club, dessen Name Box@theBeach in verkürzter

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Form weiterlebt – in neongrünen Leuchtbuchstaben prangt heute „The Box“ an der Frontseite des Gebäudes, das von Büros und Gastronomie genutzt wird. Zuvor sind AHM Architekten dem Gebäude wie mit dem Skalpell zu Leibe gerückt. Sie haben die Vorhangfassaden aus Waschbetonelementen abgenommen und an drei Seiten durch großformatige, teils bodentiefe Fenster ersetzt. Weil zwei Erschließungskerne das Stahlbetonskelett aussteifen, ließen sich einzelne Decken- oder Fassadenelemente ohne Beeinträchtigung der Statik herauslösen. Durch das Öffnen von zwei Deckenfeldern auf jedem Stockwerk entstand ein verglastes Atrium, das das Innere des Gebäudes mit Tageslicht versorgt. Zwei Glasaufzüge und eine repräsentative Treppe im Atrium dienen zur Erschließung der Büroetagen. Das bestehende Dach wurde entfernt und durch eine tragfähige Konstruktion aus Stahlbetonfertigteilen ersetzt. So konnte ein zusätzliches Staffelgeschoss auf dem Bau platziert werden. Dank der Verwendung leichter und weit spannender Deckenelemente war es möglich, auf eine zusätzliche Versteifung der Fundamente zu verzichten. Im Inneren sind die

bestehenden Strukturen des 1960er-Jahre-Baus weiß gestrichen, während die hinzugefügten Komponenten in ihrer Materialität aus Sichtbeton klar erkennbar bleiben. Das Ergebnis ist eine parallele Perspektive: Alt und Neu werden separat betrachtet und doch verbinden sie sich zu einer Einheit. Wie Oberflächen Tiefe gewinnen, zeigt sich an den Fassaden. Horizontal auskragende Wartungsstege aus Metall dienen als Brise-Soleils auf allen Etagen. Sie fangen als Sonnenschutz einen Teil des Sonnenlichts ab. Zudem erweitern die Gitterroste die Büros um begehbare Flächen im Freien. Vor den Stegen spannt sich eine Hülle aus Streckmetall auf. Das filigrane Aluminiumnetz definiert eine zweite Fassade, die den Fenstern und grau verputzen Wänden vorgelagert ist. Im Erdgeschoss ist eine Gastronomiefläche mit überdachtem Außenbereich entstanden. Hier speisen die Gäste auf der Rampe, von der aus einst Lieferwagen beladen wurden. nk 284 ARBEITEN

Lageplan Maßstab 1:10 000

25 The Box AHM Architekten ○

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1 ehemalige Laderampe 2 Eingang

Grundrisse, Schnitt Maßstab 1:500

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8

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3 Atrium 4 Büro 5 Lager

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6 Besprechungsraum 7 Teeküche 8 Dachterrasse

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4. Obergeschoss

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Regelgeschoss 

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5 2 6

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Erdgeschoss

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2

1

1

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25 The Box AHM Architekten ○

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Bauherr: Baugemeinschaft Ritter 8 Tragwerksplanung: neubauer + ernst Fertigstellung: 2019 Fläche: 1762 m² Nutzung: Atelier/Büro/Studio (8 Einheiten), Galerie, Café

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Ritterstraße 8, Kreuzberg

BCO Architekturen

Gewerbebaugruppe im Leichtbetonkleid Büro- und Atelierhaus Ritterstraße 8

Vom ehemaligen Exportviertel zwischen Mehring- und Moritzplatz in Kreuzberg haben die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und die anschließenden Abrisse fast nichts übrig gelassen. In unmittelbarer Nähe zur Berliner Mauer wurden Wohnsiedlungen als lange Zeilenbauten angelegt, ein paar Punkthochhäuser und viel Grün dazwischen. Auch heute noch wirken die Straßenzüge eher verschlafen und suburban, dabei sind es mit dem Fahrrad kaum zehn Minuten bis zum Alexanderplatz. Die Entwicklung am Moritzplatz begann erst vor zehn Jahren mit dem Aufbau-Haus und der Eröffnung der Prinzessinnengärten. Seitdem sind vor allem in der Ritterstraße in kürzester Zeit ein Dutzend neuer Bürogebäude privater Investoren entstanden – manche mit mehr, viele mit weniger architektonischen Ambitionen.

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Eine kleine Gewerbebaugruppe konnte noch kurz vor den Preissteigerungen das Grundstück an der Ritterstraße 8 erwerben. Die meisten Mitglieder der Baugemeinschaft hatten bereits vorher in der Gegend gearbeitet und fürchteten die Verdrängung durch steigende Mieten. Da schien es sinnvoll, sich gemeinsam eigene Büro- und Atelierräume zu bauen. Die Architekten von BCO entwarfen das Gebäude mit starken Bezügen zu den zwei historischen Nachbargebäuden: der Ritterhof von 1906 und das Pelikan-Haus von 1905. Der Neubau ist als zeitgenössische Weiterentwicklung dieser historischen Nachbarn gestaltet: Auch er ist eine robuste Etagenfabrik mit freien Grundrissen und stellt in den Etagenhöhen, Fenstergrößen und Proportionen der Fassade Bezüge zu den Nachbarn her. Jedoch sind die Materialien, das Energiekonzept und die Detaillierung des Neubaus mit einer ungefärbten Betonfassade eindeutig zeitgenössisch. Ein zweites Gebäude im Hof, schmal und lang an der Brandwand zum Nachbarn gelegen, schreibt die städtebauliche Struktur der Gewerbehöfe fort. Beide Häuser werden über ein gemeinsames Treppenhaus im Vorderhaus erschlossen; von dort führen schmale Laubengänge entlang der Brandwand zum Hinterhaus. Um ein Lowtech-Energiekonzept zu erreichen, wurde die Straßenfassade 1 Meter dick aus Leichtbeton gefertigt. Sie weist nach Süden und speichert viel Wärme. Die tiefen Fensterlaibungen zeigen die Stärke der Außenwand, sind gleichzeitig begehbare Loggien und sorgen zudem für eine natürliche Verschattung im Sommer. Die Grundrisse und die robuste Ausstattung der Innenräume ergeben auf jeder Etage offene Grundrisse mit der Möglichkeit einer flexiblen Aufteilung. Anschlüsse für Duschbäder und Küchen machen sogar eine Wohnnutzung vorstellbar, falls diese einmal baurechtlich zugelassen wird. Die außen liegenden Vorhänge ergeben eine lebendige Fassade. Die Hofdurchfahrt ist im Verhältnis zur Grundfläche des Gebäudes ungewöhnlich groß. Das dient nicht nur als historischer Verweis, sondern soll die Nachbarn auch zum Eintreten einladen. Die Durchfahrt wird zum öffentlichen Raum – das Café im Vorderhaus kann dort Tische aufstellen, und an der Wand zum Nachbargebäude wurde ein großes Schaufenster angelegt, das Künstler, Nachbarn, das Café oder die Büros in den beiden Gebäuden bespielen können. Ihr Anspruch sei es, schreiben BCO, dass der Neubau genauso flexibel, robust und langfristig ein gutes Zuhause für die verschiedensten Nutzungen werden kann wie die 100 Jahre alten Nachbargebäude. fh

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Erdgeschoss Maßstab 1:750 1

3

1 Café 2 Durchfahrt

2

3 Kunstgalerie 4 Gartenhof

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1

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26 Büro- und Atelierhaus Ritterstraße 8 BCO Architekturen ○

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1 Büro 2 Treppenhaus

Schnitt, Grundriss Maßstab 1:400

3 Verbindungs­galerie 4 Fahrstuhl

GSPublisherVersion 0.98.100.97

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2

3 4

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3. Obergeschoss

26 Büro- und Atelierhaus Ritterstraße 8 BCO Architekturen ○

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Bauherr: Grundstücksgesellschaft Joachimstraße 11 Tragwerksplanung: Reiner von Pollheim Gebäudetechnik: PIN – planende Ingenieure Landschaftsarchitektur: Wirtz International (Entwurfsplanung), capatti staubach (Ausführungsplanung) Fertigstellung: 2013 Fläche: 1800 m² Nutzung: Büros, Kantine, Ausstellungen und Veranstaltungen, Apartment

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Joachimstraße 11, Mitte 🌐 davidchipperfield.com @dca.berlin

David Chipperfield Architects Berlin

Alltag auf dem Kiez Büroerweiterung

Das Büro von David Chipperfield Architects Berlin liegt nur einen Steinwurf von der Museumsinsel und den Hackeschen Höfen entfernt. Die Räume für die rund 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Joachimstraße verteilen sich über das Bestandsgebäude einer ehemaligen Klavierfabrik sowie auf vier Neubauten, die 2013 hinzukamen und die Büroflächen um 1800 m2 erweitern. Die kubischen Sichtbetonbaukörper ergänzen den fünfgeschossigen Backsteinbau aus der Gründerzeit auf dem rückwärtigen Teil des Grundstücks und bilden ein Ensemble, das in den Hof eingestellt ist. Zur Joachimstraße schließt der viergeschossige Neubau des Vorderhauses die Lücke in der Blockrandbebauung. Er fügt sich in die Reihe seiner historischen Nachbarn ein und greift deren Traufhöhe auf.

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Der elegante Campus aus Bestandsbau und eigenständigen, mehrseitig wahrnehmbaren Neubaukörpern stellt den Zustand vor der Kriegszerstörung wieder her. Er greift die typische Berliner Hofstruktur auf und interpretiert das Blockinnere als fließenden Außenraum neu. Im Vorderhaus befinden sich Ausstellungs- und Veranstaltungsräume sowie ein Apartment. Ein ebenfalls viergeschossiger Mittelbau und das Gartenhaus schließen direkt an den Bestand an und erweitern ihn mit Besprechungs- und Büroräumen. Der zweigeschossige Baukörper im Zentrum des Campus nimmt die Kantine auf. Zusammen mit dem halböffentlichen Gartenhof, der wie alle Außenräume von Peter Wirtz gestaltet wurde, dient sie als Treffpunkt und informeller Begegnungsort. Die monolithischen Außenwände der Baukörper bestehen aus Dämmbeton, dessen ruhige und zurückhaltende Anmutung sowohl den urbanen Raum als auch die Innenräume definiert. Die einschalige Kon­ struktion übernimmt tragende, dämmende und schützende Funktion zugleich. Große Fensteröffnungen, die geschossweise versetzt und bündig in die Fassaden eingelassen sind, erlauben Einblicke und Durchblicke und variieren zudem die einfachen gestapelten Grundrisse. Der reduzierte Innenausbau mit gestrichenem Estrich als Bodenbelag und handlackierten Holzpaneelen für Türen und Einbauten schafft eine ruhige Atmosphäre für den Arbeitsalltag. sah

Lageplan Maßstab 1:2500

1 Vorderhaus 2 Mittelhaus

1

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3 Hofgebäude (Bestand)

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4 Gartenhaus

27 Büroerweiterung David Chipperfield Architects Berlin ○

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Schnitte, Grundrisse Maßstab 1:400

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1 Durchgang 2 Ausstellung

3 Hof 4 Kantine 5 Besprechungsraum

6 Empfang 7 Teeküche 8 Wohnebene

 9 Büro 10 Schlafebene

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2. Obergeschoss

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1. Obergeschoss c c

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Erdgeschoss

27 Büroerweiterung David Chipperfield Architects Berlin ○

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David Chipperfield im Gespräch mit Sandra Hofmeister

Im Dialog mit der Geschichte 301

David Chipperfield eröffnete sein Berliner Büro 1997, und mit den Jahrzehnten ist die deutsche Hauptstadt zur zweiten Heimat für den britischen Architekten geworden. Im Gegensatz zu anderen internationalen Kollegen, die kurzzeitig für einzelne Bauprojekte an die Spree kamen, hat Chipperfield sein Team in Berlin stets weiter ausgebaut. Heute arbeiten etwa 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Büroräumen in der Joachimstraße 11 im Bezirk Mitte in unmittelbarer Nachbarschaft zur Museumsinsel, der sie spätestens 2019 mit dem neuen Eingangsgebäude, der James-Simon-Galerie, ein neues Gesicht gegeben haben. David Chipperfield Architects Berlin steuern internationale Projekte von Zürich bis Seoul.

1997 haben Sie den Wettbewerb für den Wiederaufbau des Neuen Museums gewonnen und kurz darauf Ihr Büro in Berlin gegründet. Das muss eine aufregende Zeit gewesen sein. Das stimmt. In den frühen Jahren nach dem Mauerfall hat sich Berlin neu aufgestellt, und wir haben damals unsere Position dazu entwickelt. Ich kam zu einem günstigen und aufregenden Moment nach Berlin, noch dazu mit einem sehr spannenden Projekt. Das Neue Museum ist in gewisser 302 ARBEITEN

Weise sehr eng mit der Geschichte der Stadt verknüpft. Wir standen vor der Herausforderung, Ost- und West-Berlin als eine geeinte Stadt wiederzuentdecken, und die Museumsinsel war ein symbolischer Ort für diese Aufgabe. Da war einerseits das Gebäude selbst und andererseits die Zusammenführung eines kulturellen Erbes, das bislang auf verschiedene Standorte in beiden Teilen der Stadt verteilt war. Zu den schwierigen architektonischen Fragen kamen noch infrastrukturelle Probleme, die politischen Implikatio-

Alltag in der Joachimstraße: Im Berliner Alexander Schwarz (links) ist einer der Büro von David Chipperfield Architects fünf Partner in der deutschen Hauptadt. werden internationale Projekte gesteuert.

nen und die komplizierte operative Ebene hinzu. Berlin musste in kürzester Zeit Lösungen für wichtige Weichen in der Stadtentwicklung finden. Die Ergebnisse waren nicht immer glücklich, es kam auch zu Fehlern. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wie viele andere europäische Städte musste auch Berlin mit der Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg umgehen – an der Spree hatte diese ein beträchtDavid Chipperfield im Gespräch mit Sandra Hofmeister

liches Ausmaß. Nach dem Mauerfall kam es dabei in gewisser Weise zu einem zweiten Kapitel. Natürlich hatten West- und Ost-Berlin ihren jeweils eigenen Weg im Umgang mit den Kriegsschäden längst festgelegt. Aber nun ging es plötzlich darum, beide Stadthälften wieder zu einem Gesamtbild zu vereinen. Deshalb kamen in den 1990er-Jahren Probleme auf, die eigentlich in den 1940ern ihren Ursprung hatten. Es war, als ob der Vorhang nochmal geöffnet wurde, und wir Fragen des Wiederaufbaus nach 303

dem Weltkrieg nun aus einer anderen Perspektive neu angehen mussten. Es gab damals viele Ideologien. Berlin in den 1990er-Jahren war ein Schmelztiegel für unterschiedliche Meinungen aus verschiedenen politischen Lagern, die alle eine konkrete Vorstellung davon hatten, was den Charakter der Stadt ausmachen sollte. Wer hat sich damals durchgesetzt? Ich glaube, die Frage nach dem Charakter der Stadt ist bis heute offen, und die Auseinandersetzung gibt es immer noch. Berlin hat als Stadt schon immer versucht, sich stets neu zu erfinden. Letztlich ist es eine kontinuierliche Wiedererfindung. Jedenfalls ist auch das Berlin, wie wir es heute kennen, unvollständig. Die Stadt wird sich weiterentwickeln. Architektonische Interventionen wie das Neue Museum schlagen einen Dialog zwischen Alt und Neu vor. Das bedeutet, dass Architektur auch Verantwortung über-

„Persönlich konnte ich mir keinen anderen Weg vorstellen, als den Dialog mit der Geschichte aufzunehmen.“

nimmt gegenüber der Geschichte. Wie also umgehen mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, mit den unterschiedlichen Ideologien auf beiden Seiten der Mauer, mit dem architektonischen Erbe des 19. Jahrhunderts? Haben Sie einen persönlichen Kompass? Die Chance, an Projekten mit kultureller, emotionaler und gesellschaftlicher Bedeutung zu arbeiten, ist eine Herausforderung für uns Architekten, die wir nicht oft haben. Das Neue Museum war so ein Bauvorhaben, auch wenn damals alles recht schwierig und verworren schien. Persönlich konnte ich mir keinen anderen Weg vorstellen, als den Dialog mit der Geschichte aufzunehmen. Trotzdem wurde unser Entwurf für das Neue Museum auch als Provokation verstanden, weil wir darauf bestanden, dass die Geschichte ein Teil des Kontexts ist. Uns war die Verantwortung gegenüber dem originalen Museumsgebäude wichtig, weil die Intention der ursprünglichen Architektur auch Qualitäten vorweisen konnte. Es ging uns nicht um eine didaktische Lehrstunde in Geschichte. Doch ich wollte die vorhandene Bausubstanz nicht als etwas Negatives abwerten, sondern ihr auch etwas Positives abgewinnen. Insofern war das Gebäude für uns so eine Art archäologischer Fund. Ein Neubau hätte in meinen Augen keinen Sinn ergeben. In unmittelbarer Nähe der Museumsinsel befindet sich heute das Humboldt Forum, dessen Architektur eine ganz andere

304 ARBEITEN

Auffassung von Geschichte offenbart. Der Deutsche Bundestag entschied sich für den Abriss des Palasts der Republik und den Wiederaufbau des Stadtschlosses. Disneyland statt behutsamer Stadtreparatur. Wie passt das zum Neuen Museum und der James-Simon-Galerie? Wir hatten damals Glück. Das Neue Museum hatte zwar eine politische Dimension, aber es war anders als das Humboldt Forum nicht auf private Finanzierung angewiesen, sondern die Finanzierung wurde komplett vom Land Berlin und vom Bund

David Chipperfield im Gespräch mit Sandra Hofmeister

übernommen. Das gab uns Schutz vor den großen politischen Diskussionen. Außerdem hat Klaus-Dieter Lehmann, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ein Umfeld geschaffen, das uns die Möglichkeit gab, an einer intellektuellen Idee zu arbeiten und einen Dialog mit den vielen verschiedenen Protagonisten einzuleiten, beispielsweise auch mit dem Denkmalpflegeamt. Ich wollte das Museum unbedingt als ein Gemeinschaftsprojekt umsetzen, es durfte nicht das Werk eines einzelnen Architekten sein. Natürlich gab es auch viele emotionale Reaktionen,

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und ich wurde oft angegriffen. Aber wir konnten insgesamt unter Bedingungen arbeiten, die eine echte Auseinandersetzung zwischen den Institutionen und allen Beteiligten gefördert haben. Deshalb war das Projekt auch nicht Teil jener großen politischen Polemiken, die später beim Stadtschloss aufkamen. Sie haben Ihr Berliner Büro nun schon seit fast 25 Jahren. Sind Sie mit der Zeit ein Berliner geworden? 306 ARBEITEN

Mein Engagement in Berlin war über viele Jahre erheblich. Die Stadt ist ein Teil meines Lebens, und ich fühle mich ihr sehr verbunden. Mit den Jahren habe ich auch ein bestimmtes Verständnis für Berlin entwickelt. Es ist nicht so leicht, Berlin zu mögen, nicht so wie Paris oder Madrid. Die Stadt hat einen starken Eigencharakter, der mich geprägt hat. Und das Neue Museum hat uns viele Dinge gelehrt, nicht nur in der Architektur, sondern auch im Umgang mit Menschen und in der

Zusammenarbeit. Es war eine maß- nem Ethos und dem Nachkriegschagebliche Berufserfahrung in meinem rakter der Stadt. Meiner Erfahrung Leben. nach ist das Unbehagen gegenüber dem Kommerz und dem Konsum Haben Sie einen persönlichen hier sehr groß. Deshalb gibt es eine Lieblingsort in Berlin? rege Diskussion darüber, wie es eine Da ist eine gute Frage. In anderen Stadt für die Menschen bleiben kann. Städten könnte ich einen konkreten Können wir die Mieten einfrieren? Ort nennen, doch in Berlin ist das Den Typen mit dem Kebab-Laden um anders. Die Stadt hat so eine Totali- die Ecke schützen? Die Qualitäten des urbanen Lebensraums jenseits tät, man muss sie als Ganzes verstehen. Wenn ich Besuch bekomme, des Kommerzes erhalten? Das ist mache ich gerne eine Stadtrundfahrt. genau der Kampf, den Berlin derzeit Wir starten in der Karl-Marx-Allee austrägt. In London ist dieser Kampf und fahren die großen Achsen ab – längst verloren, der Konsum ist dort schon seit Langem der Gewinner. Berlin hingegen versucht, seine Qualitäten als guter Ort zum Leben zu erhalten. Ich glaube insgesamt, dass „Ich glaube, Berlin hadert mit unsere Zukunft nicht davon abhängt, seiner Identität und Persönmehr zu konsumieren, sondern mit lichkeit, mit seinem Ethos weniger Geld Qualitäten zu erhalten und neu zu schaffen. Es geht um und dem NachkriegscharakSicherheit und Lebensqualität für so ter der Stadt.“ viele Menschen wie möglich, und ich bin überzeugt davon, dass Städte all dies tatsächlich bieten können. In Berlin ist die Schlacht um diese über den Alexanderplatz und Unter Qualtäten noch nicht verloren. Davor den Linden zum Brandenburger Tor. habe ich großen Respekt. Durch den Tiergarten geht es weiter nach Charlottenburg. Unterwegs werden all diese unglaublichen Schichten der Geschichte offensichtlich. Die ↪ Route zeigt all die völlig unterschiedlichen Räume und historischen Brüche,  3 Neues Museum  die Berlin ausmachen. S. 41 4 James-Simon-Galerie  Wo sehen Sie die zukünftigen S. 63 Herausforderungen für Berlin? in 27 Büroerweiterung  Ich glaube, Berlin hadert mit seiner der Joachimstraße Identität und Persönlichkeit, mit seiS. 295

○ ○ ○ ○

David Chipperfield im Gespräch mit Sandra Hofmeister

307

Bauherr: Tierpark Berlin-Friedrichsfelde Landschaftsarchitektur: hochC Landschaftsarchitektur Fertigstellung: 2019 Fläche: 3556 m² Nutzung: Büros

26

Am Tierpark 125, Lichtenberg 🌐 tierpark-berlin.de

ZRS Architekten Ingenieure

Kluges Update Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin

Als ehemals geteilte Mauerstadt besitzt Berlin von vielen Einrichtungen, die in anderen Städten nur einmal existieren, gleich mehrere. So gibt es auch zwei zoologische Gärten. Als Antwort auf den historischen Zoo in Charlottenburg – im Westen – eröffnete in Ost-Berlin 1955 der Tierpark, der heute mit 160 Hektar größte Landschaftstierpark Europas. Während die Tiergehege und -häuser mit viel Fantasie gestaltet wurden, blieben die Neben- und Verwaltungsgebäude schlichte Zweckbauten. So auch das Hauptverwaltungsgebäude am südwestlichen Rand der Anlage. Obwohl es eines der wenigen Gebäude des Tierparks ist, die an der Straße stehen und damit nach außen sichtbar sind, war das Haus nie eine Visitenkarte des Betriebs, sondern lediglich ein schlichter dreigeschossiger, grauer Büroriegel.

309

Zu Beginn der 2000er-Jahre waren die Arbeitsbedingungen im Gebäude unzumutbar geworden. Der Tierpark verlegte die Verwaltung, und das Gebäude stand ein paar Jahre leer. Erst 2017 wurden ZRS Architekten Ingenieure mit einer Sanierungsstudie beauftragt. Diese erkannten in dem Gebäude einen stabilen, flexiblen und also zukunftsfähigen Betonskelettbau. Mit der Studie belegten sie, dass eine vollständige Modernisierung mit geringen Eingriffen nicht nur möglich war, sondern auch energetisch und ökologisch sinnvoller sowie ökonomisch günstiger als ein potenzieller Ersatzneubau. Im Inneren beschränken sich die Eingriffe auf eine fast vollständige Instandsetzung des Vorhandenen: Die Wandfurniere, Einbaumöbel, Treppengeländer und die abgehängte Gipskassettendecke wurden ertüchtigt,

ergänzt und wiederhergestellt – mit einer Sensibilität fast wie bei der Wiederherstellung des Neuen Museums. Die Sanitärbereiche und alle technischen Anlagen wurden an heutige Standards angepasst, Bodenbeläge erneuert und die Raumstrukturen durch wenige kleine Anpassungen den Bedürfnissen entsprechend verändert. Der Haupteingang wurde auf die Rückseite verlegt und ein außen liegender, verglaster Fahrstuhl hinzugefügt. Die alte Fassade bestand aus Sandwichmodulen aus Gips und Mineralwolle, deren Stahlrahmen mit Ringankern am Gebäude befestigt waren. ZRS entschieden, diese Anker einfach weiter zu verwenden. So mussten die alten Elemente nur ab- und die neuen angehängt werden. Die neue Fassade besteht aus nachwachsenden Baustoffen: Holztafeln mit Zellulosedämmung. Dabei erzeugen die vertikalen, dunkel lasierten Lärchenholzbretter mit dem Fugenmuster ein lebhaftes Bild. In die hellgraue Putzfassade vor dem Treppenhaus sind Nistkästen für Fledermäuse und Haussperlinge integriert. So wurde aus einer zurückhaltenden Altbausanierung eine kluge, höchst ökologische und nachhaltige Visitenkarte für eine Institution, die sich letztlich dem Erhalt aller Lebewesen auf diesem Planeten verschrieben hat. fh

310 ARBEITEN

Lageplan Maßstab 1:4000

26 Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin ZRS Architekten Ingenieure ○

311

Innenansicht der neuen Fassadenelemente

Grundrisse Maßstab 1:500

1. Obergeschoss

Erdgeschoss

312

 ARBEITEN

Erhaltener bauzeitlicher Einbauschrank mit Durchgangstür im Konferenzraum

Konferenzraum nach der Sanierung mit erhaltener Akustikdecke und Einbauschränken

Auch das Treppenhaus konnte fast vollständig im Originalzustand erhalten bleiben

26 Verwaltungsgebäude Tierpark Berlin ZRS Architekten Ingenieure ○

313

Bauherr: Lobe Block / Olivia Reynolds und Elke Falat Tragwerksplanung: Pichler Ingenieure Bauleitung: Muck Petzet Architekten Fertigstellung: 2018 Fläche: 2800 m² Nutzung: Ateliers, Studios, Büros, Restaurant

29

Böttgerstraße 16, Wedding 🌐 lobe.berlin

Brandlhuber + Emde, Burlon, Muck Petzet Architekten

Logik der Unbestimmtheit Lobe Block Terrassenhaus

Der Lobe-Block ist ein fröhliches, neobrutalistisches Betongebirge, das erstaunlich gut in seine heterogene Umgebung in Wedding passt. Die Bauherrin Olivia Reynolds hatte sich an die Architekten Arno Brandlhuber, Thomas Burlon und Markus Emde gewandt mit der Bitte, ein flexibel nutzbares Atelierhaus zu entwerfen, das sie an ausgesuchte Mieter aus der Kreativwirtschaft vergeben wollte. Es sollte über genügend Gemeinschaftsflächen verfügen, um ein kreatives Miteinander entstehen zu lassen, und potenziell auch zum Wohnen nutzbar sein. Dafür hatte Reynolds ein Grundstück in einem Gewerbegebiet gefunden, keine 100 Meter vom Bahnhof Gesundbrunnen entfernt. Die drei Architekten, die mit ihrem Büro b+ gerne projektweise mit externen Partnern kooperieren, arbeiteten hier mit Muck Petzet Architekten zusammen.

315

Gemeinsam entwickelten sie für das tiefe Grundstück die Grundfigur eines Terrassenhauses mit extrem tiefen Etagen, die nur von Norden und Süden belichtet werden. Nach Osten schließt der Neubau an die 40 Meter lange Brandwand des Nachbarn an, nach Westen bildet er eine geschlossene Steilwand aus Beton als neue Brandwand. Die gekurvte Grundstücksgrenze wird dabei zum schroffen Relief mit vertikalen Versprüngen. Vor jeder Etage ließen die Architekten nach Süden 6 Meter breite Terrassen entstehen, die sich durch eine Glasfassade mit raumhohen Schiebetüren fast nahtlos mit dem Innenraum verbinden. Über zwei skulpturale Freitreppen sind diese Terrassen zu einem halböffentlichen Raum zusammengeschlossen. Die Mietenden begegnen sich auf ihrem Weg zum Büro, in der Pause oder bei einer Veranstaltung auf der Terrasse. Bei schlechtem Wetter läuft das Regenwasser über die leicht geneigten Terrassenflächen und die Treppen, dann wird das Gebäude zu einem Felsen, über den ein Wasserfall strömt. Zur Straße im Norden bildet sich die rückseitige Terrassierung als Negativ ab: Das zweigeschossige Erdgeschoss zieht sich 7,50 Meter weit von der Straße zurück, sodass unter den vorspringenden Obergeschossen ein überdachter Vorplatz entsteht. Der Hauptzugang führt durch eine große Durchfahrt zur Gartenseite und dort zu den beiden Freitreppen. Innen wie außen gilt die „Logik der Unbestimmtheit“, so die Architekten. Das Gebäude ist zwar für die vorgeschriebene Gewerbenutzung ausgelegt, aber die offen installierten Leitungen und Leichtbauwände aus Gipskarton- oder Seekieferplatten ermöglichen jederzeit einen problemlosen Umbau zum Wohnhaus. Jede Einheit verfügt über Anschlüsse für Küchen und Bäder, alle baurechtlichen Vorgaben für Wohnungsbauten, etwa der Brandschutz und die Energieeinsparverordnung, wurden bereits berücksichtigt. Im Gebäude verschwimmen die Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten, Innen und Außen, Gemeinschaft und Privatheit. Es ist eine Architektur, die ihre Benutzer auffordert, diese Grenzen nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie individuell zu finden und den Raum entsprechend der eigenen Bedürfnisse zu formen – und immer wieder anzupassen. fh

316 ARBEITEN

Lageplan Maßstab 1:4000

29 Lobe Block Terrassenhaus Brandlhuber + Emde, Burlon, Muck Petzet Architekten ○

317

318 ARBEITEN

aa Schnitt, Grundrisse Maßstab 1:750

1 Vorplatz 2 Coworking Space 3 Küche

4 Restaurant 5 Müllraum 6 Galerie 7 Durchfahrt

15

8 Kinderspielhaus 9 Luftraum 10 Büro 11 Lager 15 15

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9

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9

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10

9

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12 Technik 13 Terrasse 14 Yogastudio 15 Atelier

9

9

Zwischengeschoss

4. Obergeschoss

a

1

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7

a

5

3

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5

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13 8

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15

14

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6 a

Erdgeschoss

1. Obergeschoss

8

8

29 Lobe Block Terrassenhaus Brandlhuber + Emde, Burlon, Muck Petzet Architekten ○ a

13

13

319

Der Typus des Terrassenhauses wurde in Außentreppen fördern Begegnungen von Nutzern und Besuchern. Berlin neu interpretiert: Große Freibereiche vor den Ateliers und zwei

320 ARBEITEN

29 Lobe Block Terrassenhaus Brandlhuber + Emde, Burlon, Muck Petzet Architekten ○

321

322 ARBEITEN

29 Lobe Block Terrassenhaus Brandlhuber + Emde, Burlon, Muck Petzet Architekten ○

323

Bauherr: Signa, Ostbahnhof Immobilien Tragwerksplanung: Bollinger + Grohmann TGA: Ingenieurgesellschaft Meinhardt Fulst Bauphysik: Müller-BBM Landschaftsarchitektur: Yewo Landscapes Fertigstellung: 2021 Fläche: 55 400 m² Nutzung: Büros, Einzelhandel

30

Koppenstraße 8, Friedrichshain @upberlin.online

Jasper Architects, Gewers Pudewill

Canyons für mehr Licht Up! Berlin

In dem gläsernen Kubus hinter der Grünfläche am Herrmann-StöhrPlatz, nördlich vom Ostbahnhof, arbeiten rund 2500 Mitarbeiter eines Onlinehändlers für Kosmetik und Mode auf flexibel nutzbaren Büroflächen. Prismatische Einschnitte an allen vier Seiten lockern das massive Volumen auf und bringen Tageslicht in das Gebäude. An das frühere Warenhaus mit seiner Fassade aus orange- und türkisfarbenen Mosaikfliesen erinnert das sanierte Gebäude heute kaum mehr. 1979 wurde der Bestandsbau für die DDR-Kaufhauskette Centrum errichtet, nach der Wende nutzten weitere Kaufhäuser das Gebäude. Wegen geringer Umsätze wurde das Haus 2016 geschlossen, und die Signa-Gruppe lobte einen Wettbewerb zum Umbau aus. Gesucht war ein zeitgemäßes Nutzungskonzept für den Bau. Mit der Idee,

325

dort Büroflächen für die Berliner Start-Up-Szene unterzubringen, gingen Jasper Architects als Sieger hervor und verwandelten die Kaufhaus-­Ikone in Zusammenarbeit mit Gewers Pudewill in lichtdurchflutete, luftige Arbeitsplätze für das digitale Zeitalter. Die Planerinnen und Planer ließen die Betonfertigteilfassade abtragen und bauten den massiven Block mit einer Grundfläche von 80 × 80 Metern bis auf sein Stahlbetonskelett zurück. Übrig blieben vier Erschließungskerne, Decken und Stützen, die den Grundriss alle 12 Meter rhythmisch unterteilen. 8000 Tonnen CO2 konnten durch den Erhalt der Tragstruktur gegenüber einem Neubau eingespart werden. Um Tageslicht in die tiefen Grundrisse zu bringen, wurden ganze Deckenfelder mit einer Kreissäge entfernt und an den Randbereichen neue Terrassen ergänzt. Je nach Sonneneinfall und Position der Erschließungskerne fallen die Canyons – wie Martin Jasper die prismatischen Einschnitte nennt – in ihrer Breite und Terrassenanordnung unterschiedlich aus. Zwei neue Stockwerke und ein Staffelgeschoss mit Dachterrasse gleichen die Flächen aus, die durch die Einschnitte verloren gingen. Eine geschosshoch verglaste Elementfassade umhüllt das Gebäude. In jedem vierten Feld ist ein Metallpaneel angeordnet, wodurch sich der Anteil der transparenten Außenfläche und damit der Hitzeeintrag in das Gebäude reduziert. Entlang der Fassaden und der begrünten Terrassen sind die Open-Office-Flächen angeordnet. Weiter innen sorgen schallisolierte Raumboxen, Kochinseln und Besprechungsräume, die sich auch in den alten Aufzugsschächten befinden, für ein angenehmes Arbeiten. Im dritten Obergeschoss verteilen sich Garderoben und Fotostudios auf der flexiblen Fläche, denn hier produziert der Mieter die Bilder für seine Webseite. Geschosshöhen von 5,40 Meter, die rohbelassenen Betonoberflächen des Tragwerks und haustechnische Anlagen, die hinter semitransparenten weißen Deckensegeln sichtbar bleiben, geben den Office-Lofts industriellen Charme. Nachts, wenn das Up! von innen leuchtet und die orange- und grünen Bodenbeläge durch die Glasfassade scheinen, erinnert der Bau manchmal doch noch an das ehemalige Warenhaus und an die Mosaikfliesen der früheren Fassade. „Purer Zufall!“, sagen die Architekten. bz

326 ARBEITEN

An allen vier Seiten wurden tiefe Voids in das Gebäudevolumen eingeschnitten. Im Süden ist die Aufweitung am größten. Hier liegt auch der Eingang ins Gebäude.

30 Up! Berlin Jasper Architects, Gewers Pudewill ○

327

328 ARBEITEN

Umbaukonzept für den Gebäudewürfel mit 80 Metern Seitenlänge: Die Herausforderung lag darin, möglichst viel Tageslicht in die introvertierten Räume des Bestands zu lenken, ohne das Volumen zu reduzieren.

30 Up! Jasper Architects, Gewers Pudewill ○

329

330 ARBEITEN

30 Up! Jasper Architects, Gewers Pudewill ○

331

Anhang

333

Architektinnen & Architekten 3XN

Kanonbådsvej 8 DK-1437 København K

🌐 3xn.com @3xnarchitects

AFF Architekten

Hauptstraße 13 10317 Berlin

🌐 aff-architekten.com @aff_architects

8 ○

AHM Architekten

Gutenbergstraße 4 10587 Berlin

🌐 ahm-architekten.de

25 ○

Atelier Loegler

ul. Mazowiecka 84/5 PL-30-023 Kraków

🌐 loegler.pl

Atelier Loidl

Am Tempelhofer Berg 6 10965 Berlin

🌐 atelier-loidl.de @atelier_loidl

6 ○

BCO Architekturen

Mittenwalder Straße 11 10961 Berlin

🌐 bco-architekturen.com

26 ○

Barkow Leibinger

Schillerstraße 94 10625 Berlin

🌐 barkowleibinger.com @barkowleibinger

Brandlhuber + Emde, Burlon

Brunnenstraße 9 10119 Berlin

🌐 bplus.xyz @bplus.xyz

29 ○

brandt + simon architekten

Marienburger Straße 18/19 10405 Berlin

🌐 brandtundsimon.de @brandtundsimon

20 ○

Bundschuh Architekten

Rosa-Luxemburg-Straße 45 10178 Berlin

🌐 bundschuh.net @bundschuh_architekten

23 ○

David Chipperfield ­Architects Berlin

Joachimstraße 11 10119 Berlin

🌐 davidchipperfield.com @dca.berlin

E2A Architekten

Buckhauser­strasse 34 CH-8048 Zürich

🌐 e2a.ch @e2a_book

21 ○

Eyrich Hertweck Architekten

Osloer Straße 16 13359 Berlin

🌐 eharchitekten.de

16 ○

FAR frohn&rojas

Waldenser­straße 25 10551 Berlin

🌐 f-a-r.net @far_frohnrojas

11 ○

Fugmann Janotta Partner

Belziger Straße 25 10823 Berlin

🌐 fjpberlin.de

Gewers Pudewill

Schlesische Straße 27 10997 Berlin

🌐 gewers-pudewill.de @gewerspudewill

gmp Architekten

Hardenbergstraße 4–5 10623 Berlin

🌐 gmp.de @gmp.architects

Heide & von Beckerath

Kantstraße 152 10623 Berlin

🌐 heidevonbeckerath.com @heidevonbeckerath

12 ○

hg merz

Danckelmannstraße 10 14059 Berlin

🌐 hgmerz.com @hg.merz

9 ○

334

↪ S. 236

↪ S. 19

↪ S. 241

3 ○ 4 ○ 27 ○

↪ S. 19

30 ○ ↪ S. 266

ifau – Institut für angewandte Urbanistik

Dresdener Straße 26 10999 Berlin

🌐 ifau.berlin

12 ○

Jasper ­Architects

Spreepalais am Dom Anna-Louisa-Darsch-Straße 2 10178 Berlin

🌐 jasperarchitects.com @jasperarchitects

30 ○

Kersten Kopp Architekten

Rheinstraße 45 12161 Berlin

🌐 kersten-kopp.de @kersten_kopp

19 ○

Kombinativ Büro für Architektur

Plantagen­straße 31 13347 Berlin

🌐 kombinativ.de @kombinativ

10 ○

Love architecture + urbanism

Schönhauser Allee 6–7 10119 Berlin

🌐 love-home.com @lovearchitectureandurbanism

Muck Petzet Architekten

Landwehrstraße 37 80336 München

🌐 muck-petzet.com @muck-petzet

Johanna Meyer-Grohbrügge

Sophienstraße 25 10178 Berlin

🌐 meyer-grohbruegge.com @meyergrohbruegge

O&O Baukunst

Leibnizstraße 60 10629 Berlin

🌐 ortner-ortner.com @ortnerortner

5 ○

OMA

Weena-Zuid 158 3012 NC NL-Rotterdam

🌐 oma.com @oma.eu

22 ○

Praeger Richter Architekten

Florastraße 86a Vorderhaus 1. OG 13187 Berlin

🌐 praegerrichter.de @praegerrichterarchitekten

14 ○

raumlaborberlin

Am Flutgraben 3 12435 Berlin

🌐 raumlabor.net @raumlaborberlin

1 ○

Anne Raupach Architektur

Steinweg 49 34260 Kaufungen

🌐 anneraupach.com

17 ○

Richter Musikowski

Ritterstraße 2 10969 Berlin

🌐 richtermusikowski.com @richtermusikowski

2 ○

Robertneun

Bülowstraße 56/57 10783 Berlin

🌐 robertneun.de @robertneun

13 ○

Sauerbruch Hutton

Lehrter Straße 57, Haus 2 10557 Berlin

🌐 sauerbruchhutton.de @sauerbruchhutton

Scharabi Architekten

Fehrbelliner Straße 91 10119 Berlin

🌐 scharabi.de @scharabi_architects

17 ○

Tanja Lincke Architekten

Baumschulenstraße 1b 12437 Berlin

🌐 tanja-lincke-architekten.com @tanjalinckearchitekten

18 ○

Zanderroth Architekten

Dunckerstraße 63 10439 Berlin

🌐 zanderroth.de @zanderrotharchitekten

15 ○

ZRS Architekten Ingenieure

Schlesische Straße 26, Aufgang A 10997 Berlin

🌐 zrs.berlin @zrsberlin

28 ○

↪ S. 130

29 ○ ↪ S. 12

7 ○ 24 ○

335

Impressum & Bildnachweis Herausgegeben von

Florian Heilmeyer, Sandra Hofmeister

Autorinnen und Autoren

Florian Heilmeyer (fh), Sandra Hofmeister (sah), Jasmin Jouhar (jj), Norman Kietzmann (nk), Barbara Zettel (bz)

Interviews

David Chipperfield, Tanja Lincke, Matthias Sauerbruch

Projektleitung

Sandra Hofmeister

Redaktionelle ­Mitarbeit

Michaela Busenkell, Michelle Grau, Charlotte Petereit, Jasmin Rankl, Marlene Schwemer

Lektorat

Sandra Leitte, Katrin Pollems-Braunfels

Gestaltung

strobo B M (Matthias Friederich, Luis Schneider, Julian von Klier)

Zeichnungen

Lisa Hurler, Barbara Kissinger

Herstellung/DTP

Roswitha Siegler, Simone Soesters

Reproduktion

Ludwig Media, AT–Zell am See

Druck und Bindung

Schleunungdruck GmbH, Marktheidenfeld

Papier

Munken Lynx zartweiß 120 g, Bengali hellgrün 80 g (Inhalt), FLY extraweiß 400 g (Umschlag) © 2022, erste Auflage DETAIL Business Information GmbH, München, detail.de ISBN 978-3-95553-589-6 (Print) ISBN 978-3-95553-590-2 (E-Book) Die für dieses Buch verwendeten FSC-­zertifizierten Papiere werden aus Fasern hergestellt, die nachweislich aus umwelt- und sozialverträglicher Herkunft stammen.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des ­Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Zeichnungen, der Mikrover­filmung oder der Vervielfältigung auf ­anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, ­vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der ­gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich ­vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.  Die Inhalte dieses Fachbuchs wurden nach bestem Wissen und Gewissen sowie mit größter Sorgfalt recherchiert und erar­ beitet. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Beiträge wird keine Gewähr übernommen. Rechtliche Ansprüche können aus dem Inhalt dieses Buchs nicht abgeleitet werden Bildnachweis Adenis, Pierre, S. 28/29 Alberts, Andrew, S. 140–147 Bitter, Jan, S. 16/17, 90–96, 132, 133, 160 oben, 160 unten, 165 oben, 188–193, 274, 277, 278/279, 280 bpk /Berlinische Galerie/­ Hermann Rückwardt, S. 55 bpk /Geheimes Staatsarchiv, SPK, S. 264 oben bpk /Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer/  Willy Römer, S. 58 bpk /Kupferstich Kabinett, SMB /Jörg P. Anders, S. 52 bpk /Stiftung Preußischer ­Kulturbesitz, ART+COM, S. 54 bpk /Zentralarchiv, SMB, S. 42, 46 unten, 57 brandt + simon, S. 218/219 Bredt, Marcus, S. 270, 273 Brundert, Bernd, S. 125 oben Brüning, Verena, S. 194, 200 Castro, Diego, S. 120 Crabbe, Matthew, S. 308–313 Ebener, Marcus, S. 205 Eichner, Tina, Solutions, S. 20 Esch, HG, S. 324, 328, 330/331 FHXB Friedrichshain-­ Kreuzberg Museum © S.T.E.R.N. GmbH, S. 156 Friedel, Andreas, S. 166–173 Gardiner, Rory, S. 242, 245 oben 336

Gehrke, Andreas, S. 222–232 Ghinitoiu, Laurin, S. 128/129, 256 – 263, Ghinitoiu, Laurin courtesy OMA, S. 248–255 Goodwin, Marc, S. 101 Huthmacher, Werner, S. 148, 152–155, 160 Mitte, 210–215, S. 288–292 IMAGO /Jens Schicke, S. 267 oben IMAGO /Günter Schneider, S. 267 unten Koenning, Nils, S. 327 oben, 329 unten Kojima, Yasu, S. 246 Küenzlen, Martin, S. 159 Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (02) Nr. 0025804/Foto: Kiel, Willy, S. 269 unten Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (02) Nr. 0073327/Foto: Sass, Bert, S. 264 unten Lanoo, Julien, S. 82–89 Löffelhardt, Markus, S. 165 unten McMahon, Benjamin, S. 300 Meckel, Dawin, S. 106, 111, 112/113 Meinel, Udo, S. 114, 182–186 Menges, Simon, S. 62, 66/67, 68, 174–181, 294, 297 unten, 298 unten Mørk, Adam, S. 236/237

Müller, Jörg F. (bpk), S. 117/118 Nast, Michael, S. 219–221 Neusser, Peter, S. 284 Norlander, Rasmus, S. 247 Noshe, S. 163, 198/199, 202, 206–209 Obkircher, Philipp, S. 150 Ortner&Ortner, S. 74, 77, 79 oben Overmeer, Erica, S. 318, 320/321 Reyle, Anselm, S. 204 Richter Musikowski, S. 39 Richters, Christian, S. 282, 285 oben, 287 oben Rokitta, Christoph, S. 123 Rose, Corinne, S. 240/241 Sauerbruch Hutton, S. 102 Schink, Hans-Christian, S. 109 Schlegelmilch, Cordia, S. 125 unten Schnepp Renou, S. 30, 33–38, 75/76, 78, 80/81, 317, 322/323 Schöneberg, Marion for ­David Chipperfield Architects, S. 303, 306 Schuller, Jasmin, S. 130/131 Seifert, Daniel, S. 23 unten Stark-Otto, S. 267 Mitte Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss /Foto: Alexander Schippel, S. 60 Thalhofer, Martina, S. 72 Tomaschko, Victoria, S. 24, 27 Uhalde, Cèlia, S. 70/71

Von Becker, David, S. 64, 134, 137/138, 314 Von Bruchhausen, Jörg, S. 46 oben Zanin, Marco, Fabrica, for Fondazione Benetton Studi Ricerche, S. 18/19, 269 oben Zintel, Urban, S. 98 Zscharnt, Ute, S. 164 Zscharnt, Ute for David ­Chipperfield Architects, Cover, S. 40, 43 unten, 44/45, 48, 49, 50/51, 65 oben, 238/239, 297 oben, 298 oben, 305 Alle Fotos und Pläne OMA, S. 249–255: © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 Allen, die durch Überlassung ihrer Bildvorlagen, durch Ertei­­ lung von Reproduktionserlaubnis und durch Auskünfte am Zustandekommen des Buches mitgeholfen haben, sagt der Verlag aufrichtigen Dank. Sämt­ liche Zeichnungen in diesem Werk sind eigens angefertigt. Trotz intensiver Bemühungen konnten wir ­einige Urheber der Abbildungen nicht ermitteln, die Urheberrechte sind aber gewahrt. Wir bitten um dementsprechende Nachricht.