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German Pages [299] Year 2020
Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik
Band 22
Herausgegeben im Auftrag der Konferenz für Geschichtsdidaktik vom Vorstand: Michele Barricelli, Martin Lücke, Monika Fenn, Markus Bernhardt und Christine Gundermann
Johannes M. Knoblach
Museum und Migrationserfahrungen Empirische Erkundungen zu den Interessen Jugendlicher im Freilandmuseum
V&R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gefördert durch die Konferenz für Geschichtsdidaktik e.V. Dissertation, Universität Erlangen-Nürnberg, 2019 © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Roostler, Verzahnung, [o. J.], Adobe Stock (Bild-ID: 47375100, https://stock.adobe.com/de/images/verzahnung/47375100?asset_id=47375100) Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5391 ISBN 978-3-7370-1225-6
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung . . . . . . 1. Problemstellung . 2. Forschungsstand 3. Zielsetzung . . . 4. Umsetzung . . .
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13 13 16 34 36
A. Forschungsdesign . . . . . . . . . . 1. Bedingungen und Anforderungen 2. Design-Based Research . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . .
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39 39 41 45
B. Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Museen als außerschulische Lernorte . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zum Begriff »außerschulisch« . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Strukturelle Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Lernen mit allen Sinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 »Ort und Hort der Dinge« . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Anknüpfungspunkte und Potentiale für Deutschklassen 1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untersuchungsgegenstand: Interesse . . . . . . . . . . . . . 2.1 Bedingungen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . 2.2 Im Allgemeinen: die Person-Gegenstands-Theorie . . . 2.3 Im Besonderen: Geschichtsbewusstsein und historische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Prozesse der Individualisierung . . . . . . . . . . . 2.3.2 Sinnbildung durch narrative Akte . . . . . . . . . . 2.3.3 Genese im Sozialisationsprozess . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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47 47 48 49 50 52 55 61 63 63 64
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66 67 70 72 74
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Inhalt
3. Exkurs: Multiperspektivität und Fremdverstehen . . . . . . . . . . 4. Empirische Forschung zu Geschichtsbewusstsein . . . . . . . . . . 4.1 Standortbestimmung geschichtsdidaktischer Empirie . . . . . . 4.2 Empirischer Zugang zu den Prozessen historischer Sinnbildung 4.3 Impulse und Anhaltspunkte für die vorliegende Arbeit . . . . . C. Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Bedingungen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Systematische Perspektiven-Triangulation . . . . . . . . 1.1.2.1 Verbale Ebene: Gruppendiskussion und fokussiertes Interview . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2.2 Nonverbale Ebene: teilnehmende Beobachtung . 1.2 Aufbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Bedingungen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Dokumentarische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untersuchungsort: das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Vorbereitung und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Hauptuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Präzisierung der Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Analyse und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Thematischer Verlauf und formulierende Interpretation 4.3.1.1 Gruppe A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.2 Gruppe B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.3 Gruppe C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Reflektierende Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.1 Orientierungen der Kategorie 1: fallübergreifende Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.2 Orientierungen der Kategorie 2: tendenzielle Einzelfallspezifik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.3 Orientierungen der Kategorie 3: absolute Einzelfallspezifik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 78 78 81 89
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91 91 91 91 92
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Inhalt
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167 167 169 176
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196 200 203
D. Einordnung der empirischen Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Im Allgemeinen: die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse als Bedingung von Interesse . . . . . . . . . 1.2 Im Besonderen: die Überwindung von Alteritätserfahrung und Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur als Zieldimension historischer Sinnbildung . . . . . . . . . . . . . 2. Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Phase 1: Standortbestimmung und eigene Perspektivität . . . . 2.1.1 Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Phase 2: Perspektivwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Desiderata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.3.3 Kommunikative Validierung . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.1 Methodik und Durchführung . . . . . . . . 4.3.3.2 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen . . . . 4.3.4 Komparative Analyse und Typenbildung . . . . . . 4.3.4.1 Vergleichende Betrachtung der Einzelfälle je Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2 Vergleichende Betrachtung der abstrakten Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.3 Basistypik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Güte der empirischen Befunde . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang A (Empirisches Ausgangsmaterial) und Anhang B (Analyse und Interpretation) sind verfügbar unter: http://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/knoblach_museum (unter Downloads), Passwort: CK4BqCqKLS
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219 234 240 241 242 243 248 248 249 250 253 257
Vorwort
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die aktualisierte Fassung der 2018 unter gleichem Titel eingereichten und 2019 von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg angenommenen Dissertation. Die so genannte »Flüchtlingskrise« des Jahres 2015 hat vieles verändert. Die nötigen engagierten Debatten wären besser bereits deutlich früher geführt worden. In vielen Bereichen ist die Praxis der Wissenschaft einige Schritte voraus, so auch in mehreren Handlungsfeldern des Bildungsbereichs. Die Museumslandschaft will einen Beitrag zur Integration leisten. Doch die museale Vermittlungsarbeit stellt die berechtigte Frage nach dem Wie – und erhält bislang keine zufriedenstellende Antwort. Dieses Dissertationsprojekt will zur Klärung der Frage beitragen, welche Rahmenbedingungen museumspädagogische Anstrengungen kennzeichnen, die sich an den Interessen Jugendlicher mit eigener Migrationserfahrung orientieren. Kern der Arbeit ist daher eine empirische Studie. In einem qualitativ-rekonstruktiven Ansatz nähert sich diese den Strukturen und Mustern von Interessenhandlungen im Verständnis der »Münchener Interessentheorie« im Allgemeinen und den Prozessen historischer Sinnbildung aus geschichtsdidaktischer Perspektive im Besonderen an. Sie entwickelt daraus Impulse, die für die museale Vermittlungspraxis wie für weitere Forschung anschlussfähig sind. Die Früchte dieses Projektes ernten zu können, bedeutet auch, denen Dank zu sagen, die den Forschungsprozess begleitet und die Arbeit erst ermöglicht haben: Dank gilt allen voran der Inhaberin des Lehrstuhls für Didaktik der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Frau Prof. Bühl-Gramer für die Betreuung und Förderung dieser Arbeit. Dank gilt ebenso Herrn Prof. Weber für seine Bereitschaft, als zweiter Gutachter tätig zu werden sowie Frau Prof. Michalak als drittem Mitglied in der Prüfungskommission der Disputation. Eine wertvolle Hilfe waren zudem die Gespräche und Diskussionen im gemeinsamen Doktorandenkolloquium der Universitäten Erlangen, Augsburg und Passau. Nicht durchführbar gewesen wäre das
10
Vorwort
Projekt ohne die Studienteilnehmer. Besonderer Dank gilt daher den Schülerinnen und Schülern der Übergangs-Klasse (Schuljahr 2016/2017) der Mittelschule Bad Windsheim für ihre Bereitschaft, diese Arbeit durch ihre engagierte Teilnahme zu unterstützen. Zu danken ist auch dem Schulleiter Herrn Müller sowie den beiden Fachlehrern Herrn Platzöder und Herrn Vogel für die in allen Phasen sehr freundliche und zuvorkommende Unterstützung der Studie. Dank gilt auch der Leiterin des Staatlichen Schulamtes Neustadt a. d.Aisch-Bad Windsheim Frau Limbacher für ihr Vertrauen und die wohlwollende Genehmigung der Untersuchung. Nicht unerwähnt bleiben dürfen Frau Jeremias, Herr Zillig sowie ihre Schülerinnen und Schüler der sechsten Jahrgangsstufe der Realschule Rothenburg ob der Tauber und Frau Zeller vom Schullandheim Bad Windsheim für ihre Unterstützung im Rahmen einer Voruntersuchung. Um mit dieser Arbeit einen echten Mehrwert zu schaffen, war von Beginn an der Austausch mit der museumspädagogischen Praxis ein zentraler Eckpfeiler. Großer Dank gilt dem Direktor des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim Herrn Dr. May, der stellvertretenden Direktorin und Leiterin der Museumspädagogik Frau Dr. Partheymüller sowie den Mitarbeitern Frau Papini und Herrn Ackermann für ihre Impulse und kritischen Rückfragen, die Möglichkeit zur Durchführung der Studie im Fränkischen Freilandmuseum sowie auch für die tatkräftige Unterstützung im Rahmen der Erhebungen selbst. Für sein Lektorat und seinen kritischen Blick auf diese Arbeit ist Hadrian Mattern sehr zu danken. Und schließlich gebührt auch ein großer Dank meiner Familie, die in den Jahren dieses Projekts stets verständnisvoll war, wenn die Arbeit daran oftmals Priorität vor anderen Dingen genoss. Erlangen, im November 2020
Johannes Knoblach
Abkürzungen
DBR I FS L M O1 OT Sf1 Sm1 T U UT
Design-Based Research Interpretation Forschungssubjekt(e) Lehrkraft Museumspädagogin Orientierung bzw. Orientierungsmuster 1 (Nummerierung entsprechend, die Begriffe werden synonym verwendet) Oberthema Sprecherin/Teilnehmerin 1 (Nummerierung entsprechend) Sprecher/Teilnehmer 1 (Nummerierung entsprechend) Transkript Untersuchungsleiter Unterthema
Einführung
1.
Problemstellung
Familiennachzug, Arbeitsmigration, Fluchtmigration und irreguläre Migration – die Forschung differenziert im Wesentlichen diese vier Hauptformen von Migration.1 Es handelt sich um ein globales Phänomen. Es gibt kein Land, das nicht grenzüberschreitende Zu- und Abwanderungen oder Wanderungsbewegungen im Landesinneren verzeichnen würde. 20182 lebten in Deutschland ca. 19.64 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund im engeren Sinn, davon ca. 8.37 Millionen Ausländer3 mit eigener Migrationserfahrung.4 Von letzteren waren wiederum ca. 0.98 Millionen Kinder und Jugendliche, die sich noch in der schulischen Ausbildung befanden bzw. noch nicht schulpflichtig waren.5 In den Jahren nach 2015 beschäftigte Europa die so genannte »Flüchtlingskrise«. Unter diesem Begriff werden die als krisenhaft bewerteten Zustände und Entwicklungen im Zusammenhang mit globalen Flucht- und Migrationsbewe1 Vgl. Hamburger, Franz u. a.: Migration. Geschichte(n), Formen, Perspektiven, Schwalbach/ Ts. 1997; Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht, Weinheim/München 32003; Currle, Edda/Lederer, Harald W.: Migration in Europa. Daten und Hintergründe, Stuttgart 2004; Han, Petrus: Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, politische Konsequenzen, Perspektiven, Stuttgart 3 2010; Möllers, Martin H. W./Ooyen, Robert Christian van: Migration. Bedingungen, Formen, Steuerung, Frankfurt a. M. 22013. 2 Stand August 2019. 3 Verwendet als generisches Maskulin, sind hier wie im Folgenden stets Ausländerinnen wie Ausländer gemeint. Ausländer hier als Bezeichnung für Menschen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit. 4 Statistisches Bundesamt: Bevölkerung in Privathaushalten nach Migrationshintergrund Insgesamt, (online) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelke rung/Migration-Integration/Tabellen/liste-migrationshintergrund-geschlecht.html (aufgerufen am 28. 01. 2020). 5 Statistisches Bundesamt: Bevölkerung in Privathaushalten nach Migrationshintergrund. Höchster allgemeiner Schulabschluss, (online) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesell schaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/migrationshintergrund-schul abschluss.html (aufgerufen am 28. 01. 2020).
14
Einführung
gungen und offensichtlichen Unzulänglichkeiten im europäischen Flüchtlingssystem subsummiert.6 Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im engeren wie weiteren Sinne ist nicht nur politisches Aufgabengebiet und mitunter Projektionsfläche disparater Paradigmen über das Ob und Wie, sondern vor allem eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. »Entschieden wird über Gelingen oder Scheitern der Integration […] letzten Endes auf dem Arbeitsmarkt und in der Zivilgesellschaft. Alle einschlägigen Untersuchungen zeigen, dass die Ausübung einer bezahlten Tätigkeit […] die wichtigste Voraussetzung von Integration ist.«7
Der Schlüssel für den Zugang zum Arbeitsmarkt ist Bildung. Sprach- und Integrationskurse für das Gros der Menschen mit Migrationshintergrund stellen ein wichtiges Instrument dar. Aber sie alleine sind keineswegs ausreichend. Eine erfolgreiche Integration mit langfristiger Perspektive, die Herausforderungen annimmt, Konflikte und Spannungen überwindet, beginnt früher: in der Schule.8 In speziell dafür eingerichteten Klassen sollen schulpflichtige Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Muttersprache in den Grund- und Mittelschulen in Bayern auf den Unterricht in einer Regelklasse vorbereitet werden. Für den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 bildete die »Übergangsklasse« (Ü-Klasse) das gültige Konzept.9 Ab dem Schuljahr 2018/2019 wurde jenes vom modifizierten Konzept der »Deutschklasse« (D-Klasse) abgelöst.10 Es steht aber außer Frage, dass Schulen die Anstrengung der Integration nicht ausschließlich bewältigen können. Demzufolge sind auch außerschulische Bil6 Vgl. Lehmann, Julian: Ein Rückblick auf die EU-»Flüchtlingskrise« 2015, In: Aus Politik und Zeitgeschichte 52 2015, S. 7–11; Luft, Stefan: Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen, München 2016. 7 Münkler, Herfried: Politische Wege aus der Flüchtlingskrise. Über einen Masterplan für Integration, In: Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte 3 2016, S. 12–14, hier S. 13. 8 Kneip, Winfried: Das Curriculum des Unwägbaren. Über den Wert von ästhetischer Bildung für Schule und Gesellschaft, In: Bilstein, Johannes/Dornberg, Bettina/Kneip, Winfried (Hg.): Curriculum des Unwägbaren. I. Ästhetische Bildung im Kontext von Schule und Kultur, Oberhausen 2007, S. 19–27, hier S. 19. 9 KM Bayern: Deutschförderung an bayerischen Grund- und Mittelschulen, (online) https:// www.km.bayern.de/ministerium/schule-und-ausbildung/foerderung/sprachfoerderung.html (aufgerufen am 28. 01. 2020). 10 § 10 MSO: Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache, In: Schulordnung für die Mittelschulen in Bayern, (online) http://www.gesetze-bayern.de/Con tent/Document/BayMSO-10 (aufgerufen am 28. 01. 2020). Vgl. dazu analog § 8 GrSO. Der Ansatz der Untersuchung sowie deren Erkenntnisse sind auf beide Konzepte gleichermaßen übertragbar. In den weiteren Ausführungen wird auf das seit September 2018 gültige Konzept D-Klasse Bezug genommen. Ausgenommen davon sind Bereiche, in denen jenes Konzept noch nicht weit genug entwickelt ist und Informationen fehlen. In solchen Fällen wird auf Informationen zum Konzept Ü-Klasse zurückgegriffen; das betrifft beispielsweise den Lehrplan (vgl. Abschnitt B, Kapitel 1.5). Ausgenommen sind ferner Fälle, in denen sich die Forschungsliteratur explizit auf das Konzept Ü-Klasse bezieht.
Problemstellung
15
dungseinrichtungen in der Pflicht, einen Beitrag hierfür zu leisten. Neben dem Erwerb von Sprache und Grundkenntnissen wie Lesen, Schreiben und Rechnen, deren Vermittlung beinahe ausnahmslos im schulischen Kontext stattfinden kann, gibt es Bereiche, für die eine außerschulische Lernumgebung geradezu prädestiniert scheint. Eines der zentralen Prinzipien des historischen Lernens ist das Fremdverstehen. »Es wird dort vor allem verstanden als das Verstehen von Handlungen und Denkweisen, die Logiken und Prinzipien folgen, die unseren fremd sind […] Auch der interkulturelle Aspekt spielt hier bereits eine konstitutive Rolle. Ziel des auf Fremdverstehen zielenden multiperspektivischen Geschichtsunterrichts ist es, auch im späteren Kontakt mit anderen Menschen anzuerkennen, dass und warum sie Dinge anderes sehen und beurteilen […]«.11
Das historische Lernen birgt durch dieses Prinzip des Fremdverstehens ein nicht zu vernachlässigendes Potential zum beiderseitigen Verstehen – sowohl für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung als auch die der Residenzgesellschaft.12 In diesem Kontext bietet es sich an, kulturhistorische Museen13 als außerschulische Lernorte einzubeziehen.14 Im Zuge des Integrationsprozesses bildet die Auseinandersetzung mit der (fremden) Kultur der Residenzgesellschaft 11 Körber, Andreas: Interkulturelles Lernen im Geschichtsunterricht – eine Einleitung, In: Körber, Andreas (Hg.): Interkulturelles Geschichtslernen. Geschichtsunterricht unter den Bedingungen von Einwanderung und Globalisierung. Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze, Münster 2001, S. 5–25, hier S. 19. 12 Auch oder gerade deshalb, weil die Schule die zentrale Sozialisationsinstanz für den Erwerb historischer Kenntnisse bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund darstellt, muss diese die dadurch entstehende Verantwortung wahrnehmen und den Jugendlichen entsprechende Identitätsangebote bereitstellen. Vgl. Hintermann, Christiane: Dissonante Geschichtsbilder? Empirische Untersuchung zu Geschichtsbewusstsein und Identitätskonstruktion von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Wien, Wien 2007, S. 64, 138. Vgl. ebenso Bade, Klaus J.: Migration und Integration als Herausforderung an Gesellschafts- und Bildungspolitik, In: Körber, Andreas (Hg.): Interkulturelles Geschichtslernen. Geschichtsunterricht unter den Bedingungen von Einwanderung und Globalisierung. Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze, Münster 2001, S. 39–48. 13 Wenn unter der »Kultur einer Epoche die Summe all der Lebensformen, durch die Menschen ihrem Verhältnis zur außermenschlichen Natur, zur menschlichen Umwelt und zur überirdischen Welt Gestalt gegeben haben, [verstanden wird,] dann haben die kulturgeschichtlichen Museen die Aufgabe, alle wichtigen Zeugnisse der Vergangenheit zu sammeln, in denen jene Lebensformen einen Ausdruck gefunden haben.« Böhner, Kurt: Museen der Kulturgeschichte und Kunst, In: Auer, Herman (Hg.): Denkschrift Museen. Zur Lage der Museen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), Boppard 1974, S. 83–140, hier S. 83. 14 Auch das historische Lernen in kulturhistorischen Museen will u. a. Fremdverstehen und einen multiperspektivischen Blick fördern. Vgl. Sauer, Michael: Historisches Lernen in Ausstellungen. Kompetenzen im Umgang mit Geschichte als Ziel und Voraussetzung, In: Popp, Susanne/Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen (Schriften zur Geschichtsdidaktik Bd. 25), Idstein 2009, S. 81–93, hier S. 86–90.
16
Einführung
einen wesentlichen Faktor der eigenen Identitätsbildung.15 Die in kulturhistorischen Museen präsentierten Identitätsangebote können, entsprechend aufbereitet, die Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung bei den individuellen Identitätskonstruktionsprozessen unterstützen. Ein prosperierender museumspädagogischer Sektor verfolgt das Ziel, das museale Identitätsangebot zielgruppengerecht aufzubereiten und zu präsentieren. Hierdurch soll eine multisensorische Begegnung mit Geschichte ermöglicht werden, die eine deutlich intensivere Auseinandersetzung mit dem Gegenstand erlaubt und dadurch Fremdverstehen umfassender fördert, als es in einem Klassenzimmer möglich ist.
2.
Forschungsstand
Für die Zielgruppe Kinder und Jugendliche der deutschen Residenzgesellschaft – hierunter seien in diesem Kontext diejenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit verstanden und auch diejenigen mit einer anderen Staatsangehörigkeit, die in Deutschland aufgewachsen sind oder zumindest eine lange Phase der Sozialisation durchlaufen haben – existiert bereits eine elaborierte museumspädagogische Forschungsgrundlage, die vielfältige Ansatzpunkte für die museale Praxis bietet. Exemplarisch seien hier einige wenige Beispiele genannt. Im »Handbuch museumspädagogischer Ansätze«16 werden in verschiedenen Beiträgen sowohl theoretische Überlegungen zum Museumsbegriff und Aspekten der Museumspädagogik als auch neue Formen der Ausstellungsdidaktik zusammengeführt. Wagner und Dreykorn17 wenden sich explizit dem Thema Museum und Schule zu. Die Autoren des Bandes beschäftigen sich einerseits mit aktuellen Diskursen zu Themen wie Ganztagsschule, Interkulturalität, politische Bildung, Partizipation, Gender oder Iconic Turn und diskutieren neben erprobten Methoden innovative Modelle der Vermittlung. Zudem wird der Fokus der empirischen Forschung beleuchtet. Dauschek und John18 gebrauchen einen Imperativ und fordern ihre Rezipienten auf, Museen neu zu denken. Die Perspektive auf mögliche Zielgruppen weitet sich. Im Fokus steht das Museum unter dem Paradigma des lebenslangen Lernens. In den Beiträgen setzen sich die 15 Benedetti, Maria De: Schulische und soziale Integration von Schülern mit starken Bildungsdefiziten, in: Allemann-Ghionda, Christina/Pfeiffer, Saskia (Hg.): Bildungserfolg, Migration und Zweisprachigkeit. Perspektiven für Forschung und Entwicklung, Berlin 22010, S. 85–92, hier S. 86. 16 Fast, Kirsten (Hg.): Handbuch der museumspädagogischen Ansätze, Opladen 1995. 17 Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007. 18 Dauschek, Anja/John, Hartmut (Hg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008.
Forschungsstand
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Autoren mit der Museumskultur für alle – 2.0, Ansprüchen an das Museum und Strategien der Vermittlung, der Zukunft des Museums und den Museen im Kontext des gesellschaftlichen Wandels auseinander. Eine Publikation des Deutschen Museumsbundes e.V. und des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V.19 fragt nach Qualitätskriterien für Museen im Kontext der Bildungs- und Vermittlungsarbeit und präsentiert einen Leitfaden, der Inhalte der Vermittlung, Zielgruppen, Methoden der Vermittlung, qualifiziertes Personal, Partner und Rahmenbedingungen für Bildungs- und Vermittlungsarbeit in Museen umfasst. Auch bei Kunz-Ott, Kudorfer und Weber20 wird deutlich, dass Kinder und Jugendliche nicht als die für die Museumspädagogik ausschließlich relevante – wenngleich besonders wichtige – Zielgruppe betrachtet werden dürfen. Die Beiträge dieses Bandes setzen sich mit Aneignungsprozessen und Vermittlungsformen auseinander und diskutieren Praxisbeispiele. Wiederum explizit auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgerichtet ist das Handbuch zur Museumspädagogik von Czech, Kirmeier und Sgoff.21 Im Rahmen einer Zielgruppenanalyse werden die unterschiedlichen (vor-)schulischen Entwicklungsstufen – vom Kindergarten bis hin zur Berufsschule – und die konkreten Möglichkeiten einer museumspädagogischen Anknüpfung eruiert. Auf den Beitrag von Schönicke,22 die das Museum als außerschulischen Lernort für Deutschlernende identifiziert, wird an anderer Stelle eingegangen. Die weiteren Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich dezidiert mit konkreten Vermittlungsstrategien, Methoden und Formaten museumspädagogischer Arbeit. Ein abschließender Teilbereich untersucht mögliche Problemfelder und Schwierigkeiten bei der Vermittlungsarbeit im Museum. Das Handbuch zur Museumspädagogik von Commandeur, KunzOtt und Schad23 stellt im Gegensatz zu dem von Czech, Kirmeier und Sgoff weniger eine Methodiksammlung zu museumspädagogischem Handeln in konkreten Vermittlungssituationen dar, sondern greift all die Fragen auf, welche die Prozesse im Vorfeld einer spezifischen Vermittlungssituation kennzeichnen. Die Autoren nehmen eine Standortbestimmung der Museumspäda19 Deutscher Museumsbund e.V./Bundesverband Museumspädagogik e.V. (Hg.): Qualitätskriterien für Museen. Bildungs- und Vermittlungsarbeit, Berlin 2008. 20 Kunz-Ott, Hannelore/Kudorfer, Susanne/Weber, Traudel (Hg.): Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse, Vermittlungsformen, Praxisbeispiele, Bielefeld 2009. 21 Czech, Alfred /Kirmeier, Josef/Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik – Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014. 22 Schönicke, Dorothee: Zum Thema Integration: Das Museum als außerschulischer Lernort für Deutschlernende, In: Czech, Alfred/Kirmeier, Josef, Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik – Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014, S. 167–173. 23 Commandeur, Beatrix/Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016.
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gogik vor und diskutieren grundlegende Theorien und relevante Bezugsdisziplinen. Einen Schwerpunkt bilden die Fragen, was Museumspädagogik macht, wie, für wen und mit wem und letztlich wer museumspädagogisch handelt und wie sich das Berufsprofil fassen lässt. In weiteren Beiträgen werden zentrale Handlungsfelder museumspädagogischer Forschung beleuchtet und ein Blick über den Tellerrand ins deutschsprachige Ausland gewagt. Abschließend sei noch auf die Fachzeitschrift »Standbein Spielbein. Museumspädagogik aktuell« des Bundesverbandes Museumspädagogik hingewiesen. Diese drei Mal jährlich erscheinende Publikation stellt ein wichtiges Format und Forum für den wissenschaftlichen Diskurs in der Museumspädagogik dar. Hinsichtlich der Zielgruppe24 der Kinder und Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung bzw. mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne weist der museumspädagogische Forschungsdiskurs jedoch eindeutig Defizite auf.25 Dies erfordert eine differenzierte und ausführlichere Betrachtung. Das Thema Migration als solches findet bereits seit vielen Jahren Eingang in Museen und Ausstellungen. Thematisiert werden Einwanderung, Auswanderung, Flucht und Vertreibung. Im Hinblick auf eine solche Differenzierung ist die Frage nach der Grenze zwischen Mobilität und Existenzbedrohung relevant. Zu berücksichtigen gilt es ferner, ob und inwiefern sich ein Land als Einwanderungsland versteht. Beispielsweise gründen die nationalen Narrative der USA,
24 Mörsch verwehrt sich gegen den Begriff der »Zielgruppe« (kultureller Bildung), weil er ihrer Ansicht nach die betreffenden Personen marginalisiere und damit Ausgrenzung erst ermögliche. Sie schlägt stattdessen vor, kulturelle Bildung über das Handlungsziel: Freiheit von Rassismus zu perspektivieren. Mörsch, Carmen: Refugees sind keine Zielgruppe, In: Ziese, Maren/Gritschke, Caroline (Hg.): Geflüchtete und kulturelle Bildung. Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld, Bielefeld 2016, S. 67–74.Van der Zee schlägt hier einen Mittelweg zwischen »diverser Besucherschaft« und »Zielgruppe« vor. Vgl. Zee, Pauline van der: Diverse Audiences or a Single Target Public: The Ethnographic Collections of Ghent University in Belgium and its Interdependency with Diverse Ethnic Cultural Audiences, In: Golding, Viv/Walklate, Jen (Hg.): Museums and Communities. Diversity, Dialogue and Collaboration in an Age of Migrations, Cambridge 2012, S. 171–189. Mörsch ist insofern Recht zu geben, als dass es das Ziel kultureller Bildung sein sollte, zu verbinden, statt zu trennen. Aber für diese Untersuchung scheint der Begriff der »Zielgruppe« dennoch gegenstandsadäquat zu sein. Denn Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung bilden nur einen Teilaspekt des Konstrukts »Zielgruppe« dieser Untersuchung. Es wird als weiterer wesentlicher Aspekt die Verknüpfung zum Konzept D-Klasse hergestellt, deren Lernende als Adressaten von (kultureller) Bildung durchaus als Zielgruppe zu bezeichnen sind. 25 Der Kulturbranche stellt Allmanritter ein schlechtes Zeugnis aus und kritisiert, das die Bemühungen um Menschen mit Migrationshintergrund – lobenswerte Best-Practice-Beispiele ausgenommen – oftmals mehr Theorie denn Praxis wären. Vgl. Allmanritter, Vera: Audience Development in der Migrationsgesellschaft. Neue Strategien für Kulturinstitutionen, Bielefeld 2017, S. 10f.
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Kanadas oder Australiens auf einem Einwanderungsmythos.26 International hat sich ein völlig neuer Museumstyp, der des Migrationsmuseums entwickelt.27 Wonisch sprich gar von einem »Migrationsausstellungsboom« und begründet dies damit, dass »[die] klassischen nationalen Gedächtnisorte- und -rituale […] für Immigranten meist nicht anschlussfähig [sind]«.28 Die Bildung von Spezialmuseen berge allerdings auch die Gefahr, dass sich die großen und etablierten Häuser (z. B. Nationalmuseen) aus der Verantwortung ziehen könnten.29 Deuser setzt sich in ihrer vergleichenden Studie, in der sie sich auf die »Cité nationale de l’historie de l’immigration« in Frankreich und das »Ellis Island Immigration Museum« in den USA bezieht, mit den Ambivalenzen der in diesem Museumstyp ausgedrückten Inklusionspolitik kritisch auseinander.30 In New York als einem ehemals zentralen Anlaufpunkt für Einwanderer in die USA existieren drei solcher (Im-)Migrationsmuseen.31 Das »Ellis Island National Museum of Immigration«32 erstreckt sich seit 1982 über das Gelände und die Liegenschaften der einstigen Immigration Station auf der gleichnamigen Insel im Hudson River. Zwischen 1892 und 1924 befand sich hier der zentrale Knotenpunkt für ca. zwölf Millionen Einwanderer in die USA.33 Das 1994 eröffnete »Lower East Side Tenement Museum«34 befindet sich in einem 150 Jahre alten Mietshaus (tenement building) des überwiegend von Einwanderern geprägten Viertels in Manhattan. Die Einrichtung geht auf eine Initiative zur Förderung der Toleranz. Mit der Geschichte chinesischer Einwanderer setzt sich das »Museum 26 Vgl. Wonisch, Regina: Museum und Migration. Einleitung, In: Wonisch, Regina/Hübel, Thomas (Hg.): Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen, Bielefeld 2012, S. 9–32, hier S. 9f. 27 Vgl. Schlutow, Martin: Das Migrationsmuseum. Geschichtskulturelle Analyse eines neuen Museumstyps (Geschichtskultur und historisches Lernen Bd. 10), Berlin 2012; bzw. exemplarisch Migration Museum Project: A migration museum for Britain, (online) http://mi grationmuseum.org/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 28 Wonisch: Museum, S. 16. 29 Vgl. ebd., S. 18 30 Deuser, Patricia: Grenzverläufe. Migration, Museum und das Politische (Studien zu visuellen Politik Bd. 10), Berlin 2016. 31 Vgl. Baur, Joachim: Standpunkte oder Standorte. »Points of Departure« in drei New Yorker Immigrationsmuseen, In: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. 16. Tagung der Arbeitsgruppe Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Ulm 7.-9. 10. 2004 (Europäische Ethnologie Bd. 5), Münster 2005, S. 71–82. 32 Ellis Island National Museum of Immigration: The Immigrant Experience Comes Alive, (online) http://www.libertyellisfoundation.org/immigration-museum (aufgerufen am 28. 01. 2020); Yans-McLaughlin, Virginia/Lightman, Marjorie: Ellis Island and the peopling of America. the official guide, New York 1997. 33 Vgl. Auch Bauer, Joachim: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009, S. 79–198. 34 Lower East Side Tenement Museum: About Us. Our Story, (online) https://www.tene ment.org/about-us/ (aufgerufen am 28. 01. 2020).
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of Chinese in America«35 auseinander. Seinen Ursprung hat die Einrichtung im 1980 gegründeten »New York Chinatown History Projekt«. Wenngleich hier die Migration weit weniger konstitutiv für nationale Narrative ist, sind vergleichbare Ansätze auch diesseits des Atlantiks zu finden. Noch in der Entstehungsphase des »Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée«36 in Marseille entstand eine präfigurierende Ausstellung »Parlez-moi d’Alger« (»Erzähle mir von Algier«), zu sehen 2003 bis 2004. Im Vordergrund stand, »den Besucher zu ›destabilisieren‹, ihm ein Gefühl von Verlassensein zu vermitteln […]«.37 Auf sehr plastische und eindringliche Weise konnten diese nacherleben, wie es sich anfühlt, als Immigrant38 ein neues Land (in diesem Fall Frankreich) zu betreten: Die Besucher waren beispielsweise dazu angehalten, Formulare in einer für sie fremden Sprache auszufüllen, sich in eine Warteschlange einzureihen, unverständliche Gesten zu interpretieren, sich fremdländischen Aufsichtspersonen unterzuordnen, Sprachkorrekturen zu erdulden, Identitätskontrollen über sich ergehen zu lassen, die Herkunft des Familiennamens preiszugeben oder die geographische Verbreitung der Familie darzulegen.39 In Deutschland hat das Thema Migration bereits in den späten 1970er Jahren Eingang in die Museumsfachwelt gefunden.40 In ihrem Aufsatz setzt sich Fast mit dem Museum als Treffpunkt zwischen den Kulturen auseinander. Gegenstand und Bezugspunkt ihrer Reflexion sowie sämtlicher Forschungsbemühungen bis in das frühe 21. Jahrhundert hinein sind beinahe ausnahmslos Migranten (»Ausländer«) in Gestalt der ab Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland zugezogenen Gastarbeiter und ihrer Familien. Es wird festgestellt, dass Integration zu wenig wechselseitig begriffen und zu oft mit Anpassung gleichgesetzt werde. Der Apell lautet: Koexistenz der Kulturen. Ausländer sollen in ihrem kulturellen Selbstbewusstsein gestärkt und (kulturelle) Partizipation ermöglicht werden. Fast kritisiert, dass Kulturangebote »fast nie auf die Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerungsschichten abgestimmt, sondern entsprechend den deutschen Vorstellungen über ausländische Bedürfnisse«41 gestaltet werden. 35 Museum Of Chinese in America: About, (online) http://www.mocanyc.org/about/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 36 Mucem: The Mucem. A museum for the Mediterranean, (online) https://www.mucem.org/ en/the-mucem (aufgerufen am 28. 01. 2020). 37 Homo-Lechner, Catherine: Wie kann ein Museum Migration vermitteln? Einige Überlegungen zum Projekt des MuCEM (Marseille), in: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. 16. Tagung der Arbeitsgruppe Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Ulm 7.-9. 10. 2004 (Europäische Ethnologie Bd. 5), Münster 2005, S. 65–70, hier S. 67. 38 Verwendet als generisches Maskulin, sind hier wie im Folgenden stets (Im)Migratinnen wie (Im)Migranten gemeint. 39 Ebd. 40 Vgl. Fast: Museumspädagogische Ansätze. 41 Ebd., S. 178.
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Auch nach Ansicht des Deutschen Museumsbundes stellt die museale Besucherforschung, die mit statt über Migranten spricht, ein Desiderat dar.42 Initiativen des Museums für Völkerkunde in Hamburg sowie des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart in den späten 1970er Jahren bildeten frühe Leuchtturmprojekte, bei denen Migranten nicht nur als Zielgruppe definiert, sondern partizipativ in die Projekte, Kulturwochen sowie Ausstellungen und Führungen, eingebunden waren.43 »Leitgedanke […] war das Bemühen, durch den Filter der eigenen Kultur diejenige des Gastlandes begreifen zu können.«44 Toeppner nimmt eine Analyse der Musealisierung von Migration in Deutschland vor und erkennt für den Zeitraum ab den 1990ern vor allem temporäre Ausstellungen als Triebkräfte der Musealisierung von Migration: Migration würde vorwiegend als Einwanderungsgeschichte in der Nachkriegszeit verstanden, aus interkultureller Perspektive und im Kontext der Konstruktion von Fremdbildern und Identitäten betrachtet werden, die Neusichtung bestehender Sammlungen bedeuten und könne nur im Modus der Partizipation erfolgen.45 Als Graswurzelbewegung könnte man die 1990 von Migrantinnen und Migranten ins Leben gerufene Initiative »Dokumentationszentrum und Museum über Migration aus der Türkei« (DOMiT) bezeichnen. Katalysator war die Feststellung, dass zu diesem Zeitpunkt die Geschichte der Einwanderer weder in der Geschichtswissenschaft noch in Archiven oder Museen besonders berücksichtigt würde.46 Infolge einer Öffnung, sich nicht nur Migration aus der Türkei, sondern mit Migration allgemein auseinanderzusetzen, firmiert die Initiative seit 2007 unter »Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V.« (DOMiD).47 Einen zentralen Tätigkeitsschwerpunkt bildet die Sammlungstätigkeit vor dem Hintergrund der Frage, wie Migration in Objekten gefasst und ausgestellt werden kann. Ziel ist es, durch Ausstellungen einen 42 Deutscher Museumsbund e.V. (Hg.): Museum, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichungen für die Museumsarbeit, Berlin 2015. 43 Vgl. Fast: Museumspädagogische Ansätze, S. 183–190. 44 Ebd., S. 190. 45 Vgl. Toepper, Marie: Temporäre Ausstellungen als Triebkräfte der Musealisierung von Migration in Deutschland seit 1990, In: IMIS-Beiträge 51 2017 (Themenheft Szenographie der Migration), S. 17–42, hier S. 37–41. Eine Ist-Stands-Analyse der Musealisierung von Migration in Deutschland nehmen zudem Tanyeri-Erdemir und Yücel vor: Tanyeri-Erdemir, Tug˘ba/Yücel, Gözde Çerçiog˘lu: Migrant Memories on Display. Migration Museums and Exhibitions in Germany, In: Whitehead, Christopher u. a. (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe, London/New York 2016, S. 233–252. 46 Vgl. Eryılmaz, Aytaç: Migrationsgeschichte und die nationalstaatliche Perspektive in Archiven und Museen, In: Wonisch, Regina/Hübel, Thomas (Hg.): Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen, Bielefeld 2012, S. 33–48. 47 DOMiD: Die Gründungsgeschichte des Vereins. Von der Garage zum Archiv: Wie alles begann, (online) https://www.domid.org/ueber-uns/geschichte/ (aufgerufen am 28. 01. 2020).
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Perspektivwechsel zu evozieren. 1998 in Kooperation mit dem Ruhrlandmuseum Essen in zwei Sprachen realisiert, bildete die multiperspektivische Ausstellung »Fremde Heimat. Geschichte der Einwanderung aus der Türkei« ein erstes Resultat dieser Bemühungen.48 Neben Ausstellungen49 stellen Projekte (z. B. FotoInterview-Projekte, Film-Projekte, Online- und Social-Media-Kampagnen oder Bildungskooperationen), Veranstaltungen oder Publikationen weitere Formate der Arbeit von DOMiD dar.50 Einen zeitlich sehr weiten Bogen spannt »Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde. Schlaglichter von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart«.51 Die Beiträge des Bandes und der gleichnamigen Ausstellung des Museumsdorfes Cloppenburg, des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart, des Altonaer Museums – Norddeutschen Landesmuseums, des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg setzen sich mit einer großen Bandbreite an Einzelaspekten des Themas Migration auseinander. Die Autoren beschäftigen sich beispielsweise mit Fremde und Erfahrungen des Fremden in der Geschichte, die Entwicklung vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland, die Flüchtlinge des Jahres 1945 und Flucht im späten 20. Jahrhundert. Weitere Themen sind: das fahrende Volk, Glaubensflüchtlinge, Wanderarbeit, Handel, Markt und Messe, Nationalismus, Rassenwahn oder Paradoxien in der BRD. Zu den Projekten, die sich nicht nur auf eine theoretische Reflexion von Migration und Migrationsgeschichte beschränken, sondern – wie bei DOMiD – konkrete Handlungsoptionen vorstellen und selbst praktizieren, zählt »Meine Stadt – meine Geschichte«52, ein Sammlungsprojekt zu städtischer Migrationsgeschichte.53 Die konkrete Handlungsnotwendigkeit sieht Dauschek darin 48 Eryılmaz: Migrationsgeschichte, S. 37; Jamin, Mathilde: Deutschland braucht ein Migrationsmuseum. Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus einem Ausstellungsprojekt, In: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. 16. Tagung der Arbeitsgruppe Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Ulm 7.-9. 10. 2004 (Europäische Ethnologie Bd. 5), Münster 2005, S. 43–50, hier S. 43. 49 Eine weitere beschreibt Eryılmaz, Aytaç: 40 Jahre Heimat. Einwanderung aus der Türkei in Köln, Köln 2001. 50 Vgl. Kolb, Arnd: DOMiD. Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft, In: Mecking, Sabine (Hg.): Migration – Kulturtransfer – Erinnerungskultur, Essen 2017, S. 125–137. 51 Meiners, Uwe/Reinders-Düselder, Christoph (Hg.): Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde. Schlaglichter von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart, Cloppenburg 1999. 52 Meine Stadt – Meine Geschichte: Migrationsgeschichte[n] sammeln und zeigen, (online) http://www.migrationsgeschichte.de/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 53 Überlegungen zu einer Sammlungsorganisation von Objekten der Migration stellt auch Aysel an: Vgl. Aysel, Aslıgül: Objekte der Migration. Überlegungen zu einer Sammlungsorganisation, In: IMIS-Beiträge 51 2017 (Themenheft Szenographie der Migration), S. 173– 191.
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begründet, dass zu wenige Museen gesellschaftliche Vielfalt abbildeten, weder in Ausstellungen noch im Publikumsprofil noch in ihren Sammlungen. Eine in die Stadtgeschichte integrierte Geschichte der Migration wäre sehr selten; ein positives Beispiel bilde das Museum Neukölln.54 Motte und Ohliger konzedieren, dass es im Gedächtnis der Einwanderungsgesellschaft an geteilten Erinnerungen fehle.55 »Meine Stadt – Meine Geschichte« verfolgt eine städteübergreifende Sammlungsstrategie. Die Gliederung der Objektsammlung erfolgt nach Epochen und Themen.56 Konkrete Resultate präsentiert die Initiative beispielsweise im neu konzipierten und im April 2018 neu eröffneten57 Stadtmuseum Stuttgart.58 Die Migrationsgeschichte bildet einen in die Stadtgeschichte integrierten Teil.59 Pate dieses konkreten Projekts war der Fußballspieler Serdar Tas¸çi. Die Verantwortlichen haben den aktiven Dialog mit den Bürgern und die Partizipation insbesondere Kinder und Jugendlicher explizit gefördert.60 Ausdruck findet dieser Ansatz beispielsweise in einer Kooperation mit Lernenden der Elise-von-König-Schule in Stuttgart-Münster.61 Eine ähnliche Kooperation wurde auch zwischen Schulen und den historischen Museen und Instituten Frankfurts durchgeführt, das den Zugang zur Frankfurter Stadtgeschichte durch die Folie Einwanderung sucht.62 Am Münchener Stadtmuseum wurde 2015 ein Projekt mit vier Jahren Laufzeit gestartet, dessen Ziel es ist, »Migration zu einem Bestandteil der Geschichtsarbeit über München zu machen.«63 Über die Dauer 54 Vgl. Dauschek, Anja: »Meine Stadt – meine Geschichte«. Ein Werkstattbericht zur Sammlung städtischer Migrationsgeschichte, In: Wonisch, Regina/Hübel, Thomas (Hg.): Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen, Bielefeld 2012, S. 49–67, hier S. 50f. 55 Motte, Jan/Ohliger, Rainer: Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Einführende Betrachtungen, In: Motte, Jan/Ohliger, Rainer (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen 2004, S. 7–49, hier S. 13. 56 Dauschek: Meine Stadt, S. 53f. 57 Gebel, Silvia: Ein Museum für die Menschen der Stadt. Teilhabeprozess beim Aufbau des Stadtmuseums Stuttgart, In: Standbein Spielbein 109 2018, S. 39–44, hier S. 39. 58 StadtPalais Museum für Stuttgart: Home, (online) https://www.stadtpalais-stutt gart.de/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 59 Gebel: Museum, S. 40–42. 60 Gebel, Silvia: Von Kulturforschern, Stadtentdeckern und Ausstellungsmachern. Partizipation von Kindern und Jugendlichen im künftigen Stadtmuseum Stuttgart, In: Standbein Spielbein 92 2012, S. 23–25. 61 StadtPalais Museum für Stuttgart: Kooperationspartner. Migrationsgeschichte, (online) https://www.stadtpalais-stuttgart.de/ueber-uns/kooperationspartner/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 62 Liepach, Martin: Museen, Migranten, Moderne. Zugänge und Hürden, In: Georgi, Viola B./ Ohliger, Rainer (Hg.): Crossover Geschichte. Historisches Bewusstsein Jugendlicher in der Einwanderungsgesellschaft, Bonn 2009, S. 194–209, hier S. 198–209. 63 Bayer, Natalie/Maischein, Hannah: Migration als Querschnittsthema. Auf dem Weg zum postmigrantischen Museum?, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 49–57, hier S. 51–56.
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der eigentlichen Ausstellung hinaus sucht das Projekt »Movements of Migration. Neue Perspektiven auf Migration in Göttingen« den Dialog mit der Gesellschaft: Nachhaltiges Resultat ist u. a. ein Online-Wissensarchiv, in dem Quellen, Bilder, Audiodaten etc. zur Vertiefung bereitgestellt werden und offen für neue Beiträge sind.64 Im Hinblick auf den konkreten Anwendungsbezug, wie in Ausstellungen und Museen mit Migration umgegangen werden müsse, fazitiert Dauschek, dass der erste basale Schritt darin bestehe, die Fragestellung zu ändern und die eigene Sammlung vor dem Hintergrund Migrationsgeschichte zu befragen. Als wichtige Quellen benennt sie u. a. Migrantenkulturvereine, den öffentlichen Raum, aber auch Verwaltungen und Behörden.65 Dogramaci sieht ein Problem in der gegenwärtigen Musealisierung von Migration darin, dass sie vielfach darauf reduziert wird, Dinge lediglich zu personalisieren und anhand von Objekten einzelne migrantische Biographien nachzuvollziehen. Ein Ziel könne es vielmehr sein, migrantische Gegenstände in ein übergeordnetes Narrativ einzuflechten.66 Heese bringt, was bereits implizit angeklungen ist, auf den Punkt und stellt die Frage, ob Stadtgeschichte heute (nur noch) als »lokale Weltgeschichte« ausgestellt werden könne bzw. müsse?67 Als besonderen Aspekt bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Migration, der auch bei Dauschek zum Tragen kommt, betont Welsch den der Transkulturalität, dass insbesondere Migranten oft mehr als eine Heimat haben können und zwischen Ländern, Sprachen und Lebensformen pendeln.68 Dieser Einschätzung stimmt Neuland-Kitzerow zu. Sie stellt fest, dass viele Migranten Heimat als einen Plural erleben.69 Sie referiert hierbei auf das EU-Projekt »Migration, Work and Identity. A European history told in museums«, das im 64 Bayer, Natalie/ Fröhlich, Marie: Movements of Migration. Verunsichtbarte Geschichten ausstellen, In: IMIS-Beiträge 51 2017 (Themenheft Szenographie der Migration), S. 63–80, hier S. 80. 65 Vgl. Dauschek: Meine Stadt, S. 55–63. 66 Hierbei vird vor allem auf Stadtmuseen Bezug genommen. Vgl. Dogramaci, Burcu: Migration findet Stadt(museum). Repräsentationen von Einwanderungsgeschichte. Mit einem Exkurs zu Orhan Pamuks ›Museum der Unschuld‹, In: IMIS-Beiträge 51 2017 (Themenheft Szenographie der Migration), S. 43–62, hier S. 61. 67 Heese, Thorsten: Glokalgeschichte ins Museum! Kann/muss Stadtgeschichte heute als lokale Weltgeschichte ausgestellt werden?, In: IMIS-Beiträge 51 2017 (Themenheft Szenographie der Migration), S. 127–152. 68 Vgl. Welsch, Wolfgang: Transkulturalität. Lebensformen nach Auflösung der Kulturen, In: Luger, Kurt/Renger, Rudi (Hg.): Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien, Wien/St. Johann im Pongau 1994, S. 147–169. 69 Neuland-Kitzerow, Dagmar: »Diese fremden sind von hier,« Innensichten auf das EUProjekt »Migration, Work and Identity«, in: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. 16. Tagung der Arbeitsgruppe Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Ulm 7.-9. 10. 2004 (Europäische Ethnologie Bd. 5), Münster 2005, S. 53–63, hier S. 56.
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Rahmen des »Culture 2000 Programme«70 durchgeführt wurde. Hierbei waren Partner aus Dänemark, Schweden, Großbritannien, Deutschland und Österreich dazu aufgefordert, vor Ort Konzepte für die Erforschung und Darstellung von Migration im Museum zu entwickeln.71 Das Projekt war ethnologisch ausgerichtet. Im Fokus standen gesellschaftliche Fragen, beispielsweise wer zu einer Gesellschaft gehört, welche Momente bestimmen, wer dazugehört und akzeptiert wird oder welche Bedeutung Arbeit als sinnstiftendes Element aufweist.72 Zielsetzung des Projektes waren Ausstellungen in den jeweiligen Partnerländern mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Eine jener Einzelausstellungen sei an dieser Stelle exemplarisch erwähnt: »Geteilte Welten – mitgeteilte Welten – miteinander geteilte Welten« im Museum der Arbeit (MdA) in Hamburg hat den von Motte und Ohliger angeführten Terminus der »geteilten Erinnerungen«, hier »Welten« besonders hervorgehoben.73 Das zentrale Erkenntnisinteresse galt der »Lage, Erfahrungen und Sichtweisen von Arbeitsmigranten und ihren Nachfahren sowie von Flüchtlingen und Asylbewerbern.«74 Dem Besucher sollten »Begegnungen eher mit Menschen als mit re-präsentablen oder kostbaren Dingen und politisch-korrekten Grundaussagen«75 ermöglicht werden. Das finale Resultat des Gesamtprojekts bildete die gemeinsame internationale Wanderausstellung aller beteiligten Partner »Crossing Borders. An international exhibition on migration in Europe«, eröffnet am Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin im Jahr 2004.76 An den Begriff »Hyperdiversität«77 und das Konzept des »Socially Purposeful Museum«78 anschließend, bot das MEK 2016 zudem einem Projekt der Initiative »KUNSTASYL« »Friendly Occupied« Raum. Das Resultat bildete die Ausstellung »daHeim. Einsichten in flüchtige Leben«, die die Themen Flucht, Vertreibung und Emigration aus der Perspektive der Ge-
70 European Commission: Culture 2000 Programme, (online) https://ec.europa.eu/program mes/creative-europe/previous-programmes/culture-2000_de (aufgerufen am 28. 01. 2020). 71 Neuland-Kitzerow: Innenansichten, S. 53. 72 Ebd., S. 55. 73 Vgl. Ellermeyer, Jürgen: Geteilte Welten – mitgeteilte Welten – miteinander geteilte Welten? Sonderausstellung zur Geschichte und Gegenwart der Einwanderung nach Hamburg, in: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. 16. Tagung der Arbeitsgruppe Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Ulm 7.-9. 10. 2004 (Europäische Ethnologie Bd. 5), Münster 2005, S. 85–97. 74 Ebd., S. 85. 75 Ebd. 76 MEK: MigrationsGeschichte(n) in Berlin, (online) https://www.smb.museum/museen-undeinrichtungen/museum-europaeischer-kulturen/ausstellungen/detail/migrationsgeschich ten-in-berlin.html (aufgerufen am 28. 01. 2020). 77 Dieser Begriff spielt vor allem in niederländischen Diskurs eine große Rolle. 78 Geprägt vom Research Centre for Museums and Galleries der University of Leicester.
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flüchteten erzählt hat.79 Einen zusammenfassenden Überblick zu Ausstellungsprojekten zum Thema Migration, sowohl auf nationaler wie auch auf lokaler Ebene, im Zeitraum von 1990 bis 2012, liefert Osses,80 auf den an dieser Stelle nur verwiesen sei. Eine ältere Ausgabe von Standbein Spielbein widmet sich in Theoriediskursen und Praxisberichten ausführlich dem Thema Migration und Integration.81 Eine weitere jüngeren Datums setzt sich darüber hinaus als Resultat einer Tagung dezidiert mit dem Thema der Fluchtmigration, dem transkulturellen Dialog, theoretischen Diskursen und gegenwärtigen wie vergangenen Museumsprojekten dazu auseinander.82 In Zeiten, in denen unverhohlen an der Stabilität und Zukunft des Projektes Europa gezweifelt wird, scheint es, als ob diese europäische Idee zunehmend von der Museumsfachwelt aufgegriffen und als Imperativ an die Öffentlichkeit getragen wird. Zwischen 2012 und 2016 hat sich unter Federführung der Universität Augsburg das Forschungsprojekt »EuroVision Museums Exhibiting Europe« (EMEE)83 mit der zentralen Frage beschäftigt, wie durch eine Änderung der Fragestellung die »Idee Europa« in Ausstellungen repräsentiert werden kann: »The ›EuroVision – Museums Exhibiting Europe‹ (EMEE) project explores an innovative inter-disciplinary approach for national and regional museums to re-interpret their objects in a broader context of European and transnational history.«84
Es wurden eine theoretische sowie eine praktische Komponente in einem interdisziplinären, internationalen Rahmen entwickelt, umgesetzt und evaluiert. Neben unterschiedlichen Teilprojekten in Kooperation mit sieben Partnerinstitutionen bilden sechs Toolkits für die praktische Museumsarbeit den zentralen Outcome.85 Hannig greift den Begriff der »Social Arena« des EMEE-Projekts heraus und diskutiert anhand von Beispielen wie dem Museum für Kunst- und Kulturgeschichte Dortmund, dem Stadtmuseum Aarau oder dem Stadtmuseum
79 Vgl. Meijer-van Mensch, Léontine: Das Konzept des »Socially Purposeful Museum«, In: Standbein Spielbein 107 2017, S. 25–31, hier S. 25–28. 80 Osses, Dietmar: Perspektiven der Migrationsgeschichte in deutschen Ausstellungen und Museen, In: Wonisch, Regina/Hübel, Thomas (Hg.): Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen, Bielefeld 2012, S. 69–87. 81 Standbein Spielbein 65 2003. 82 Standbein Spielbein 107 2017. 83 EMEE: About the Project, (online) http://www.museums-exhibiting-europe.de/emeeproject/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 84 Ebd. 85 Vgl. Schilling, Susanne u. a. (Hg.): European perspectives on museum objects. Selected examples on the change of perspective, Wien 2016.
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Kaufbeuren, wie dieses Konzept in der musealen Praxis gewinnbringend realisiert werden kann.86 Als ein Resultat des von der EU-Kommission geförderten Projekts »European Museums in an Age of Migrations« (MeLa) präsentieren Whitehead u. a. in ihrem Sammelband »Museums, Migration and Identity in Europe«87 Beiträge unterschiedlichen disziplinären Zugriffs auf das Thema »Museum und Migration in Europa«. Whitehead u. a. gelangen beispielsweise zu der Erkenntnis, dass aufgrund der kulturellen Spezifität von Orten und der Vielfalt der mit ihnen verbundenen kulturellen Erfahrungen deshalb auch von einer Mehrzahl von mit jenen verbundenen – auch konfligierenden – Identitäten gesprochen werden muss.88 Anhand konkreter Beispiele gehen weitere Beiträge z. B. auf die Perspektiven spezifischer Disziplinen wie der Ethnologie oder Soziologie ein89 oder diskutieren, inwiefern das Thema »Migration« als Werkzeug dienen kann, um Identitäten in Museen zu de- und zu rekonstruieren.90 Eine dagegen vornehmlich theoretische Perspektive auf das Museum als Praxisfeld der Europäisierung vermitteln Kaiser, Krankenhagen und Poehls.91 Von einer »neue[n] Museologie«92 sprechen Kamel und Gebrich. Ihr Leitmotiv ist das der Inklusion. Sie fordern eine
86 Hannig, Miriam: Stadtmuseum verstanden als »Social Arena«. Ansätze für eine innovative Museumsarbeit aus dem EMEE-Projekt, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 58–64. 87 Whitehead, Christopher u. a. (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe, London/ New York 2016. 88 Vgl. Whitehead, Christopher u. a.: Place, Identity and Migration and European Museums, In: Whitehead, Christopher u. a. (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe, London/New York 2016, S. 1–59, hier S. 54. 89 Kockel, Ullrich: Re-Placing Europe. An Ethnological Perspective on Frontiers and Migrants, In: Whitehead, Christopher u. a. (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe, London/New York 2016, S. 81–100; Wildt, Annemarie de: From Multiculturalism to (Super)diversity. Examples from the Amsterdam Museum, In: Whitehead, Christopher u. a. (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe, London/New York 2016, S. 207–232. 90 Parby, Jakob Ingemann: The Theme of Migration as a Tool for Deconstructing and Reconstructing Identities in Museums. Experiences from the Exhibition Becoming a Copenhagener at the Museum of Copenhagen, In: Whitehead, Christopher u. a. (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe, London/New York 2016, S. 123–147. Das Phänomen der Europäisierung(en) im musealen Feld beleuchtet auch: Früh, Anja: Europäisierungen im musealen Feld. Zur Transformation der ethnografischen Museen in Basel, Berlin und Marseille (2000–2015), In: Brait, Andrea/Früh, Anja: Museen als Orte geschichtspolitischer Verhandlungen. Ethnografische und historische Museen im Wandel (Itinera 43 2017), S. 141– 155. 91 Kaiser, Wolfram/Krankenhagen, Stefan/Poehls, Kerstin: Europa ausstellen. Das Museum als Praxisfeld der Europäisierung, Böhlau 2012. 92 Kamel, Susan/Gerbich, Christine (Hg.): Experimentierfeld Museum. Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion, Bielefeld 2014, S. 23.
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»Zugänglichkeit, Repräsentation und Partizipation derer, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Bildungsgrades, ihrer Gesundheit oder ihrer sozialen Herkunft marginalisiert werden«.93
Die einzelnen Beiträge dieses Bandes setzen sich mit unterschiedlichen Aspekten des Museums als Experimentierfeld auseinander: u. a. das Museum als integrativer und inklusiver Ort, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit, experimentelles Ausstellen und Interagieren, Art und Weise der Vermittlung in der Migrationsgesellschaft oder transnationale Museumswissenschaften.94 In ähnliche Richtung denkt Sternfeld, die das Museum der Zukunft als ein »radikaldemokratisches Museum« versteht und dabei an Grundmustern des Denkens rüttelt, wenn sie beispielsweise fragt, was ein Museum wäre, wenn es kein westliches Konzept wäre.95 Einen Paradigmenwechsel verheißen zudem die Beiträge ´ ski und Sternfeld auf.96 Sie beleuchdes Bandes von Bayer, Kazeem-Kamin ten aus unterschiedlichen Perspektiven das Kuratieren als antirassistische Praxis. Ausgangspunkt ist es, »postkoloniale, feministische und repräsentationskritische Bezüge aus früheren Buchund Kunstprojekten mit Ansätzen einer neueren kritischen Migrationsforschung zusammenzuführen.«97
Projekte mit einem vergleichbaren Ausgangspunkt seien eher die Ausnahme; vielmehr erkennen die Autorinnen, dass sich in der Ausstellungspraxis »Rassismus als ein wirkungsvoller Differenzierungs-, Ausgrenzungs- und Normalisierungsapparat [zeigt]«.98 Stärker auf den Begriff der Migration fokussiert ist hingegen der Band von Johansson und Bevelander: Die Beiträge setzen sich mit unterschiedlichen Aspekten des Themenfeldes Museum und der Transformation des Museumsbegriffs in der Gegenwart auseinander. Sie thematisieren dabei erstens die Rolle des Museums in einer Zeit der Migration und des gesellschaftlichen Wandels, 93 Ebd. 94 Dem Thema Inklusion wendet sich auch der Band von Maul und Röhlke zu; allerdings in einem sehr engen Verständnis – ausschließlich bezogen auf Menschen mit körperlicher wie geistiger Behinderung sowie kognitiv verminderten Fähigkeiten. Maul, Bärbel/Röhlke, Cornelia (Hg.): Museum und Inklusion. Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe, Bielefeld 2019. 95 Vgl. Sternfeld, Nora: Das radikaldemokratische Museum (curating. ausstellungstheorie & praxis Bd. 3), Berlin/Boston 2018. ´ ski, Belinda/Sternfeld, Nora (Hg.): Kuratieren als anti96 Bayer, Natalie/Kazeem-Kamin rassistische Praxis (curating. ausstellungstheorie & praxis Bd. 2), Berlin/Bosten 2017. 97 Bayer, Natalie/Kazeem-Kamin´ski, Belinda/Sternfeld, Nora: Vorwort der Herausge´ ski, Belinda/Sternfeld, Nora (Hg.): Kuraber*innen, In: Bayer, Natalie/Kazeem-Kamin tieren als antirassistische Praxis (curating. ausstellungstheorie & praxis Bd. 2), Berlin/Bosten 2017, S. 17–21, hier S. 17. 98 Ebd., S. 18.
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zweitens die Repräsentation von Migration und Ethnizität, drittens neue Denkansätzen für das Anlegen und Erschließen musealer Sammlungen und viertens den Aspekt Kooperation und Inklusion.99 Mit den Herausforderungen des Ausstellens und Vermittelns im Museum der Gegenwart befasst sich auch der Band von Mörsch, Sachs und Sieber. Die Perspektiven der Beiträge richten sich auf Ausstellen und Vermitteln als eine Erweiterung des Displays, als Erweiterung des Museums, als gesellschaftliche Intervention und als Dekolonialisierung des Museums.100 Anstelle des Begriffs »Dekolonialisierung« stellen Bayer und Maischein den des »postmigrantischen« Museums und beleuchten am Beispiel des Projekts »Migration bewegt die Stadt«, wie das Münchener Stadtmuseum das Thema Migration integrativ in seiner Arbeit bei den Arbeitsschwerpunkten »Ausstellungs- und Vermittlungsformate«, und »Sammlung« berücksichtigt.101 Dabei zeigen die Autorinnen auch auf, wie das Museum am Beispiel der NSU-Morde und dem Einzelschicksal des Müncheners Theodoros Boulgarides als Ort gesellschaftlicher Debatten fungieren und diese verantwortungsvoll mitgestalten kann.102 Sie plädieren dafür, Migration als »Querschnittsthema und somit als selbstverständliche[n] Teil der gesellschaftlichen Realität erkennbar [zu machen], nicht jedoch als Sonderbereich [zu thematisieren].«103 Unter dem Titel »Museums and Communities« des Bandes von Golding und Walklate104 setzen sich die Beiträge mit einer großen Bandbreite von Themen im Kontext Migration auseinander: Rein thematisiert beispielsweise die immer noch gängigen Praxis vorwiegend ethnographischer Museen, andere Kulturen, die sich von jener der Residenzgesellschaft unterscheiden, pauschal als »die Anderen« zu betiteln und auf diese Wise unsichtbar zu machen. Sie erkennt dabei das Potential von Museen, als »sozialer Resonanzraum« Menschen (unterschiedlicher Kultur) an einem friedvollen, geschützten Ort zusammenzubringen. Statt eine Differenzierung in ein »Uns« und »die Anderen« schlägt sie
99 Johansson, Christina/Bevelander, Pieter (Hg.): Museum in a time of migration. Rethinking museum’s roles, representations, collections and collaborations, Lund 2017. 100 Mörsch, Carmen/Sachs, Angeli/Sieber, Thomas (Hg.): Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart, Bielefeld 2017. Die Aufzählung von Arbeiten, die sich mit der Transformation des Museumsbegriffs auseinandersetzen, ließe sich fortsetzen, soll aber mit dem letztgenannten Band als hinreichend dargestellt und abgeschlossen betrachtet werden. 101 Bayer, Natalie/Maischein, Hannah: Migration als Querschnittsthema. Auf dem Weg zum postmigrantischen Museum, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 49–57, hier bes. S. 51–54. 102 Vgl. Ebd., S. 54–56. 103 Ebd., S. 57. 104 Golding, Viv/Walklate, Jen (Hg.): Museums and Communities. Diversity, Dialogue and Collaboration in an Age of Migrations, Cambridge 2012.
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ein verbindendes »Wir« vor.105 Van der Zee diskutiert am Beispiel der ethnographischen Sammlung der Universität Gent die für Museumsmarketing wie Kuratoren und Ausstellungsmacher relevante Frage, ob besser von einer diversen Besucherschaft und eher einzelnen Zielpublika zu auszugehen wäre.106 Eindeutig wird diese Frage nicht beantwortet: »[W]e need to include visitors of all descents, of all ages, of all personalities, and foster their curiosity. We need to play along with their preferences and prejudices […].«107
Racˇicˇ und Mencin geben einen umfassenden Einblick, wie im Slovene Ethnographic Museum (SEM) mit Migration um- und auf die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 eingegangen und Stereotypen wie Vorverurteilungen begegnet wird; sei es in Ausstellungen oder sie flankierenden Programmen für Asylsuchende oder einem Thementag »Human Rights Day«.108 Eine gänzlich andere Perspektive, nämlich die von Kulturmarketing und -management, hat Allmanritter auf das Thema Museum und Migration bzw. allgemeiner gefasst das Audiance Development im Kulturbereich.109 In einer empirischen Studie110 ergründet sie das Kulturnutzungsverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund. Sie geht dabei der Frage nach, inwieweit »für eine erfolgreiche Ansprache von Menschen mit Migrationshintergrund als Kulturpublikum an erster Stelle Hintergrundinformationen zu deren Zugehörigkeit zu einzelnen sozialen Milieus [Anm.: gemeint sind sogenannte Sinus-Migranten-Milieus] oder zu deren individuellem Migrationshintergrund«111
erforderlich sind. Sie gelangt u. a. zu der Erkenntnis, dass bei dem untersuchten Milieu Interesse an kulturellen Angeboten »aus aller Welt«, d. h. auch die eigene Herkunftskultur betreffend und »Cross-Culture-Formaten« besteht. Kulturelle 105 Rein, Anette: The Vanisching Category of »The Others«? Refugees, Life Stories and Museums, In: Golding, Viv/Walklate, Jen (Hg.): Museums and Communities. Diversity, Dialogue and Collaboration in an Age of Migrations, Cambridge 2012, S. 120–137, hier S. 121. Staudinger geht noch einen Schritt weiter und stellt fest, dass sich die im Museum traditionell repräsentierten »Wir-Identitäten« bereits aufgelöst hätten. Staudinger, Barbara: moving museum. Bewegung in die Wissensordnung bringen, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 72–77, hier S. 72. 106 Zee: Diverse Audiences. 107 Ebd., S. 188 ˇ eplak: Refugees are in Fromt of Our Doors! Endeavours by the 108 Racˇicˇ, Mojca/Mencin, Ralf C Slovene Ethnographioc Museum towards the Deconstruction of Stereotypes and Prejudice, In: Viv/Walklate, Jen (Hg.): Museums and Communities. Diversity, Dialogue and Collaboration in an Age of Migrations, Cambridge 2012, S. 216–229. 109 Allmanritter: Audience Development. 110 Zugrunde liegt ein Mixed-Methods-Design, bestehend aus qualitativen Interviews und Fragebogenerhebungen. 111 Allmanritter: Audience Development, S. 18f.
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Bildung in der Kindheit, gastronomische Infrastruktur, Medien als Informationsquelle oder die Preisgestaltung sind einige weitere Kategorien, die Allmanritter berücksichtigt.112 Die Erkenntnisse einschränkend ist jedoch anzumerken, dass diese Arbeit wenig dazu beitragen kann, bisherige Nicht-Besucher (mit Migrationshintergrund) für Kulturangebote zu gewinnen, da sie dezidiert das kulturaffine »Intellektuell-kosmopolitische Milieu«113 in Bezug auf dessen Kulturnutzungsverhalten untersucht hat.114 An dieser Stelle ist abermals auf eine Aussage von Fast einzugehen: Es wäre u. a. eine Aufgabe von Museen, Ausländer in ihrem »kulturellen Selbstbewußtsein« zu stärken und ihnen eine kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.115 Diese Aussage ist jedoch insofern zu kurz gegriffen, da es auch andere von Migration betroffene kulturelle und gesellschaftliche Minderheiten gibt, die nicht zwangsläufig im juristischen Sinne »Ausländer« sein müssen. Exemplarisch seien hier die nach 1945 zwangsmigrierten oder nach 1990 spätausgesiedelten deutschen Minderheiten aus Gebieten Ost- und Ostmitteleuropas genannt. Als Behörde mit öffentlichem Auftrag auf Basis des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) ist beispielsweise das Haus des Deutschen Ostens (HDO) als Institution durch Kultur- und Bildungsarbeit und -förderung wesentlich an der Stärkung des kulturellen Selbstbewusstseins dieser Bevölkerungsgruppe(n) mit Migrationshintergrund beteiligt.116 Dieses Engagement hat in Sonderausstellungen auch museal Ausdruck gefunden. In »Mitgenommen – Heimat in Dingen«117 bildeten aus der Heimat mitgeführte Habseligkeiten und Gegenstände von nach 1945 Geflüchteten und Vertriebenen die Projektionsfläche der damit verbundenen Migrationsgeschichte. Die Ausstellung »Kann Spuren von Heimat enthalten«118 thematisierte den gesellschaftlich und kulturell integrativ wirkenden Aspekt von Essen und Trinken als Ausdruck der eigenen Identität und Kultur. Das HDO untersucht und beleuchtet – wie bei letztgenannter Ausstellung – damit auch für die Identitätsfindung konstitutive Prozesse, die nicht 112 Vgl. ebd., S. 286–295. 113 Allmanritter: Audience Development, S. 19. 114 Ebenso können die Erkenntnisse von Allmanritter nicht dazu herangezogen werden, aufgrund scheinbarer Schnittmengen einzelne Erkenntnisse dieser Arbeit zu stützen, da die Stichprobe der vorliegenden Arbeit nicht mit jener von Allmanritter verglichen werden kann. 115 Fast: Museumspädagogische Ansätze, S. 187. 116 HDO: Über uns. Aufgaben und Ziele, (online) https://www.hdo.bayern.de/ueber/aufgaben/ index.php (aufgerufen am 28. 01. 2020). 117 Weber, Andreas Otto/Steinert, Brigitte/Erkenberg, Patricia (Hg.): Mitgenommen – Heimat in Dingen. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, München 2015. 118 HDO: Kann Spuren von Heimat enthalten. Eine Ausstellung über Essen und Trinken, Identität und Integration der Deutschen des östlichen Europa, In: HDO Journal 15 2016, S. 2–10, (online) https://www.hdo.bayern.de/imperia/md/content/hdo/hdo-journal_15_201 6.pdf (aufgerufen am 28. 01. 2020).
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einzig mit dem Begriff Migration – im Sinne einer räumlichen Veränderung – zu fassen sind. Dies entspricht einer Einschätzung von Glass, dass bei der musealen Auseinandersetzung mit dem weiten Themenfeld der Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa der Begriff Migration selbst – als Wanderung verstanden – eine wichtige, aber keine ausschließliche Kategorie bilden kann, um andere identitätsstiftende Prozesse, die von der Migration unabhängig existieren, nicht auszublenden.119 In Anbetracht des eben Dargestellten ist kaum mehr zu urteilen, dass das Thema Migration, Multi- und Interkulturalität – Stand 2019 – in der Museumslandschaft keine Lobby habe. Gleichwohl muss man festhalten, dass die vorgestellten Beiträge und Projekte lobenswerte Best-Practice-Beispiele darstellen und keineswegs die Regel sind.120 Doch es existiert ein reger fachlicher und interdisziplinärer Diskurs. Im Laufe der Jahre wandelte sich die Terminologie von »Ausländer« hin zu »Migrantinnen und Migranten«. Die Political Correctness des Jahres 2019 erfordert die Bezeichnung »Menschen mit Migrationshintergrund«. Der Bezugspunkt entwickelte sich von den Gastarbeitern und ihren Familien, über Asylbewerber hin zu jedweder Form von Migration. Vom Reden über Migranten wurde ein Reden mit Migranten. Die monoperspektivische Darstellung von Migration als ausschließlichem Thema wurde zur multiperspektivischen Darstellung der multi- und interkulturellen Gesellschaft. Die Betonung des Trennenden, von Unterschieden und Alleinstellungsmerkmalen entwickelte sich zur Perspektive auf das Verbindende, Gemeinsamkeiten – geteilte Welten, geteilte Erinnerungen. Trotz all der als positiv zu betrachtenden Entwicklungen darf eines nicht unberücksichtigt bleiben: Bei den vorgestellten Beispielen handelte sich ausnahmslos um mindestens ein-, in der Regel jedoch mehrjährige Projekte mit entsprechendem Budget und Fachpersonal. Auch die Leitfäden, Handbücher und Toolkits, welche die Autoren den Museumsschaffenden an die Hand geben, sind kaum dazu geeignet, um kurzfristig zu reagieren, sondern erfordern mindestens eine mittelfristige Planung und Umsetzung in der jeweiligen Einrichtung. Weitestgehend unberücksichtigt bleibt der Aspekt: Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe auch kurzfristigen museumspädagogischen Handelns. Die Fragen eines Museumspädagogen,121 wenn sich beispielsweise im 119 Vgl. Glass, Christian: Migration. Eine taugliche Kategorie für die Museen zur Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa?, In: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. 16. Tagung der Arbeitsgruppe Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Ulm 7.-9. 10. 2004 (Europäische Ethnologie Bd. 5), Münster 2005, S. 109–117. 120 Zu dieser Einschätzung gelangt auch Allmanritter: Audience Development, S. 10f. 121 Verwendet als generisches Maskulin, sind hier wie im Folgenden stets Museumspädagoginnen wie -pädagogen gemeint.
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Kontext der so genannten »Flüchtlingskrise« ein Helferkreis oder eine Schulklasse mit Kindern und Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung für ein museumspädagogisches Programm anmelden, müssen zum gegenwärtigen Zeitpunkt weitgehend unbeantwortet bleiben. In der frühen Museumspädagogik werden »Randgruppen« als Kollektiv lediglich als mögliches zukünftiges Handlungsfeld der Museumspädagogik genannt.122 Schönicke123 setzt sich zwar mit dem Museum als außerschulischem Lernort für Deutschlernende auseinander. Im für Ü-Klassen in Bayern geltenden Lehrplan identifiziert sie zahlreiche Anknüpfungspunkte und begründet damit die Eignung von Museen als außerschulische Lernorte für diese Schülergruppe. Jedoch belässt sie es hierbei und nennt lediglich mögliche Problemfelder und Herausforderungen für Museumspädagogen. Konsequenzen für die Praxis und konkrete Handlungsoptionen und -möglichkeiten, beispielsweise in Gestalt von evaluierten Maßnahmen und Programmen oder Praxisberichten bleibt sie ihren Rezipienten jedoch schuldig. Ausgewählte Best-Practice-Beispiele über die Kooperation zwischen Schulen und Museen unter dem Aspekt Interkulturelle Kompetenz finden sich bei Wagner und Dreykorn.124 Ziese125 nimmt konkret die Gruppe der Geflüchteten in den Blick und beleuchtet das Thema vorwiegend aus einer politisch-rechtlichen Perspektive. Sie präsentiert all die Fragen, politische, rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, mit denen sich ihrer Ansicht nach Kulturschaffende im Allgemeinen und Museumspädagogen im Besonderen auseinandersetzen sollten. Als Schlüssel zu erfolgreicher und nachhaltiger Arbeit identifiziert Ziese die Partizipation. Als besonders wichtig erachtet sie hierbei die »Nachfrage nach den Wünschen und Erwartungen der Beteiligten […].«126 Dies entspricht auch der Einschätzung von Gross, dass man keine »›migrantenspezifischen‹ Methoden [braucht], es geht vielmehr darum, die bewährten Aktivierungsmethoden auch bei Zuwanderern ernsthaft und zielgruppenadäquat anzuwenden und dabei an ihren Interessen und ihrer Lebenswelt anzusetzen.«127 122 Rohmeder, Jürgen: Methoden und Medien der Museumsarbeit. Pädagogische Betreuung der Einzelbesucher im Museum, Köln 1977, S. 25, 55. 123 Schönicke: Integration. 124 Wagner/Dreykorn: Museum. 125 Ziese, Maren: Geflüchtete und Vermittlung in Museen, In: Commandeur, Beatrix/KunzOtt, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 295–299. 126 Ebd., S. 297. 127 Gross, Thorsten: Multikulturell – Interkulturell – Transkulturell (Interview), In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – Innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 55–58, hier S. 57. Zudem kann sich der Lebensweltbezug förderlich auf den Spracherwerbsprozess auswirken. Vgl. Rudnicki, Gabi/Theil, Susanne: Komm, wir lernen Deutsch im Museum. Herausforderung und Bereicherung von museumspädagogischen Programmen zur Sprachförderung, In: Wenrich, Rainer/Kirmeier; Josef (Hg.): Migration im Museum. Museumsbesuche für Menschen mit
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Einführung
Um der Bedarfslage der museumspädagogischen Praxis nachzukommen, hat von institutioneller Seite der Deutsche Museumsbund e.V. eine Handreichung zu »Museum, Migration und kulturelle Vielfalt«128 veröffentlicht. In sehr knapp gefassten Übersichten wird hier jedoch auch nur auf bereits bekannte Fragen eingegangen, wie etwa bestehende Sammlungen vor dem Hintergrund Migrationsgeschichte neu befragt, wie Migration und kulturelle Vielfalt ausgestellt werden können oder welche neuen Chancen der Vermittlung es gibt. Jedoch gründen diese Darstellungen auf vornehmlich theoretischen Überlegungen. Im Hinblick auf künftige Untersuchungen wird darauf hingewiesen, dass die Besucherforschung deutlich intensiviert werden müsse, um valide Informationen darüber zu erhalten, welche Interessen potentielle Besucher mit einem Museum verbänden. Damit wird der Finger in die Wunde gelegt, dass empirische Untersuchungen zu dieser Frage ein Desiderat darstellen und Forschungsbemühungen in diese Richtung aus wissenschaftstheoretischer Perspektive mehr als notwendig sind.129
3.
Zielsetzung
An diesem Punkt will dieses Forschungsvorhaben ansetzen. Damit Museumspädagogen ihre Ausstellungen und Sammlungen in der Art aufbereiten und präsentieren können, dass eine multisensorische Begegnung mit Geschichte ermöglicht wird und ein Raum für Fremdverstehen entsteht, ist es neben einer elaborierten theoretischen Grundlage unabdingbar, über Erkenntnisse über die Interessen der jeweiligen Zielgruppe zu verfügen. Auch aus pädagogischer Sicht muss eine starke zielgruppenspezifische Orientierung erfolgen. Für ein historisches Lernen, das nicht monoperspektivisch von einem normativen Curriculum historischer Wahrheiten ausgeht, sondern auf Multiperspektivität und Fremdverstehen bei Reflexion des eigenen Standpunkts zielt, ist die Frage nach den Fluchthintergrund (Kommunikation, Interaktion, Partizipation. Kunst und Kulturvermittlung im Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts Bd. 2), München 2017, S. 97–115, hier S. 104. Die Museumsfachwelt betrachtet inzwischen den Lebensweltbezug nicht nur hinsichtlich der Zielgruppe ›Menschen mit eigener Migrationserfahrung‹, sondern grundsätzlich als elementaren Pfeiler ihrer Arbeit. Vgl. Pellengahr, Astrid: Einführung. Stadtmuseen: Spiegel der Stadtkultur. Seismografen gesellschaftlicher Veränderung, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 10–17, hier S. 11; Rudigier, Andreas: Geschichte anders erzählen. Grundhaltungen im Umgang mit dem vorarlberg museum, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 34–48, hier S. 45 128 Deutscher Museumsbund e.V.: Migration. 129 Rohmeder: Methoden, S. 56, 60.
Zielsetzung
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Interessen – und damit dem Standpunkt – der Lernenden die erste elementare Aufgabe.130 Eingebettet in einen notwendigen Theorierahmen, steht daher eine empirische Untersuchung im Fokus des Projekts. Die zentralen Fragen lauten: Welche Erkenntnisse lassen sich über die Struktur der Interessen von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung im Kontext der Auseinandersetzung mit der Ausstellung eines kulturhistorischen Museums gewinnen? Die Ermittlung von konkreten und greifbaren Interessen, beispielsweise im Sinne eingrenzbarer Themenfelder, ist dabei nur der erste Schritt. Solche Informationen wären sicherlich für das betreffende Museum oder den übergeordneten Museumstyp hilfreich. Die Untersuchung hätte damit allerdings eine geringe Reichweite und wäre nur bedingt anschlussfähig. Stattdessen sollen die den Interessen zugrundeliegenden allgemeinen Strukturen und Orientierungen und der diese verbindende konjunktive Erfahrungsraum zutage gefördert werden. Die in diesem Prozess zu ermittelnde Basistypik lässt wiederum Rückschlüsse auf das Interessenkonstrukt im Allgemeinen zu. Auf Grundlage dieser Einordnung können Überlegungen angestellt werden, wie sich die Erkenntnisse in die museumspädagogische Praxis implementieren lassen. Der Untersuchungsort wird das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim sein. Die Gründe für diese Entscheidung werden an anderer Stelle erläutert. Diese Arbeit entstand unter dem Eindruck der so genannten »Flüchtlingskrise« und dem daraus akut entstandenen Handlungsbedarf. Geflüchtete Jugendliche bildeten einen großen Anteil der Lernenden in den D-Klassen.131 Diese Entwicklung schlägt sich auch in der Zusammensetzung der Stichprobe nieder. Diese Eingrenzung kann durch die akute Bedarfslage gerechtfertigt werden; zumal diese Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund, die über eigene Migrationserfahrung verfügen, eine besonders große Herausforderung für museumspädagogisches Personal in der Vermittlung darstellt. Weitere Gruppen (z. B. in Deutschland geborene und sozialisierte Jugendliche der zweiten oder dritten Generation oder die Betroffenen von Flucht und Vertreibung nach 1945 bzw. deren Nachkommen) werden von dieser Untersuchung nicht erfasst. Die Untersuchungsgruppe bilden folglich nicht-deutsche Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung, die über eine erst kurze Sozialisation in Deutschland verfügen und in D-Klassen beschult werden, d. h. sich in der Spracherwerbsphase befinden. Gleichzeitig sind die Aspekte des Spracherwerbs und der Sprachförderung als solche nicht Gegenstand der Untersuchung. 130 Vgl. Lucas, Friedrich J.: Geschichte als engagierte Wissenschaft. Zur Theorie einer Geschichtsdidaktik, Stuttgart 1985, S. 49; Bergmann, Klaus: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, Schwalbach/Ts. 22008, S. 14–24. 131 Den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 betreffend.
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Einführung
Im Ergebnis soll die Arbeit einerseits anschlussfähig für weitere Forschungen sein, welche die erhobenen und ausgewerteten empirischen Daten als Grundlage neuer Theorien und Konzepte museumspädagogischen Handelns in der Arbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung heranziehen können. Andererseits soll das Resultat direkt anschlussfähig für Museumsschaffende sein, die daraus unmittelbar Rückschlüsse für die eigene Praxis ziehen können. Gleichwohl muss betont werden, dass die Untersuchung keinen Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Repräsentativität erheben kann. Gemäß dem qualitativen Paradigma, das der Untersuchung zugrunde liegt, beruhen die Erkenntnisse auf einer komparativen Analyse von Einzelfällen. Repräsentative bzw. verallgemeinerbare Aussagen, wie beispielsweise bei größeren quantitativen Erhebungen, stellen daher nicht das Ziel dieser Untersuchung dar. Darüber hinaus ist die Thematik Migration als solche bereits überaus heterogen und muss auf die eben genannten Aspekte reduziert werden. Aber auch die Erhebung der empirischen Daten in einem Museum wird von zahlreichen Faktoren – vom Typus des Museums, der thematischen Eingrenzung bis hin zur Gestaltung der Ausstellung und der damit einhergehenden impliziten oder expliziten Lenkung der Besucher – bedingt. Alle denkbaren Variablen zu berücksichtigen ist nicht möglich. Die Herausforderung also ist, einen präzisen Rahmen zu konzipieren und klare Grenzen zu benennen.
4.
Umsetzung
Jedwede empirische Untersuchung verfügt über einen strukturgebenden Rahmen, das Forschungsdesign, mit dem die forschungspraktische Ausrichtung der Untersuchung, theoretische wie methodologische Eckpfeiler festgelegt werden. Abschnitt A wird die Frage beantworten, welches Forschungsdesign dieser Untersuchung zugrunde liegen soll. Hieran schließt sich in Abschnitt B der Teilbereich an, der den notwendigen wissenschafts-theoretischen Rahmen aufspannt. Hierzu zählt die Frage, was Museen als außerschulische Lernorte auszeichnet und worin die Anknüpfungspunkte und Potentiale in der Arbeit mit D-Klassen liegen. Im Weiteren wird der Untersuchungsgegenstand »Interesse« in Form eines zweiteiligen Interessenkonstrukts näher beleuchtet. Der erste Teil bezieht sich im Allgemeinen auf die pädagogisch-psychologische Interessenforschung. Der zweite ergründet im Besonderen, auf welche Weise »Interesse« mit den Kategorien und Konzepten der Geschichtsdidaktik zugänglich gemacht werden kann. Ein kurzer Exkurs wird die Begriffe Multiperspektivität und Fremdverstehen aufgreifen. Abschließend wird ein Überblick über die empirische Forschung zu Geschichts-
Umsetzung
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bewusstsein und mögliche anknüpfbare Traditionen oder Anhaltspunkte für die vorliegende Arbeit gegeben. Mit Abschnitt C erfolgt der Übergang in den empirischen Teil der Untersuchung. In einem ersten Schritt wird die Methodologie der Erhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsverfahren konzipiert. Anschließend gilt es, den Untersuchungsort, das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim, und die Frage nach dessen Eignung für das Vorhaben zu beleuchten. Eine empirische Arbeit, die zu validen Ergebnissen gelangen will, erfordert es, die entworfene Methodologie vor der Hauptuntersuchung einer Voruntersuchung zu unterziehen, um gegebenenfalls noch Anpassungen vornehmen zu können. Diese Voruntersuchung ist daher der nächste Schritt. Im Anschluss daran beginnt die Phase der Hauptuntersuchung. Zunächst wird die Stichprobe präsentiert. Sowohl der theoretische wie auch der empirischmethodische Rahmen entwickeln den zu Anfang formulierten Forschungsgegenstand weiter und nehmen Einfluss auf diesen. Daher ist es nötig, vor diesem Hintergrund die Fragestellung abschließend zu präzisieren und die daraus resultierenden Forschungsfragen zu formulieren. Im Anschluss erfolgen die Analyse und Auswertung des empirischen Materials. Den Abschluss der Empirie bildet die Beschreibung der aus dem Analyseprozess resultierenden Basistypik. Die Basistypik bildet Ausgangspunkt und Grundlage für die Einordnung der empirischen Befunde im Abschnitt D. Dabei wird zu explizieren sein, welche allgemeinen und besonderen Erkenntnisse sich über das Interessenkonstrukt gewinnen lassen. Zudem sollen Ideen skizziert werden, wie sich die Ergebnisse der Untersuchung in der museumspädagogischen Theorie wie Praxis implementieren ließen. Abschließend wird ein Ausblick auf offenbleibende Fragen und Desiderata gegeben.
A.
Forschungsdesign
1.
Bedingungen und Anforderungen
Ehe die Konzeption der Studie, der theoretische Überbau und die zur Anwendung kommenden Methoden und Verfahren ausgearbeitet werden können, muss zunächst die Frage geklärt werden, welches Forschungsdesign den Rahmen der Untersuchung bilden soll. Dafür ist es nötig, sich das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit vor Augen zu führen: Aus der Fülle des Materials sollen Aussagen über die Strukturen der Interessen von Jugendlichen eigener Migrationserfahrung – genauer gesagt Lernende aus D-Klassen – im Kontext der Auseinandersetzung mit der Ausstellung eines kulturhistorischen Museums gewonnen werden. Aus geschichtsdidaktischer Perspektive soll der Gegenstand »Interesse« durch die historische Identität als Teilaspekt des Geschichtsbewusstseins zugänglich gemacht werden.132 Identifiziert werden sollen Schlaglichter in den historischen Identitäten der Lernenden im konkreten Bezug zu Museum, Ausstellung und Objekt, um die dahinterliegenden Orientierungen und deren konjunktiven Erfahrungsraum zu ermitteln. Die Erhebung soll mit den Forschungssubjekten133 vor Ort im Museum, in Unmittelbarkeit zu Ausstellung und Objekt erfolgen.134 Daraus lässt sich die Notwendigkeit eines vorwiegend qualitativen Forschungsdesigns ableiten. Dessen zentralen Erkenntnisbereich bilden insbesondere subjektive Bedeutungszuschreibungen, soziale Milieus und latente Sinnstrukturen.
132 Hierzu ausführlich in Abschnitt B, Kapitel 2.2. 133 Im Weiteren mit FS abgekürzt. 134 Auch Kohler hält bei seiner qualitativen Erhebung die Unmittelbarkeit von Ausstellung und Objekt als Stimulus für unbedingt notwendig. Vgl. Kohler, Christian: Schülervorstellungen über die Präsentation von Geschichte im Museum. Eine empirische Studie zum historischen Lernen im Museum (Geschichtskultur und historisches Lernen Bd. 16), Münster 2016, S. 85.
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Forschungsdesign
Im Zentrum stehen die Perspektiven, Deutungsmuster, Wertbilder und Handlungsorientierungen der FS.135 Ein qualitatives Experiment136 scheidet als Forschungsdesign aus, weil die empirischen Erhebungen im Museum sowie deren Analyse nicht mit der Intention erfolgen, den Untersuchungsgegenstand seinem Grenzbereich zuzuführen und dadurch dessen Strukturen im Sinne von Verhältnissen, Relationen oder Abhängigkeiten zu ermitteln.137 Vielmehr wird das empirische Ausgangsmaterial die Grundlage einer theoriegeleiteten, interpretativen Typenbildung auf Basis der dokumentarischen Methode138 darstellen. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass ein Experiment impliziert, den Gegenstand sowohl vor als auch nach Durchführung des experimentellen Eingriffs zu untersuchen,139 kommt dieses nicht als Forschungsdesign in Betracht. Die historische Identität als Zugang zum Untersuchungsgegenstand »Interesse« soll ausschließlich im Kontext Museum untersucht werden und nicht a priori. Des Weiteren ist es möglich, über eine Annäherung auf der methodologischen Ebene die Frage nach dem Forschungsdesign weiter einzugrenzen. Die Artikulation von Interessen im Verständnis dieser Arbeit kann sich auf zweierlei Arten äußern: in sprachlichen Handlungen sowie in beobachtbarem Verhalten und sozialen Interaktionen. Deswegen werden zwei Ebenen als zentral erachtet: die verbale und die nonverbale. Um den unterschiedlichen Bezugs- und Zugangspunkten dieser beiden Ebenen zum Untersuchungsgegenstand Rechnung zu tragen, wird eine systematische Perspektiven-Triangulation aus Gruppendiskussion und fokussiertem Interview sowie teilnehmender Beobachtung zur Anwendung kommen.140 Mit Blick auf die Erhebungsverfahren, die unter dem qualitativen Paradigma dem Untersuchungsgegenstad mit größtmöglicher Offenheit begegnen, liegt der Schluss nahe, die Untersuchung im Design der Feldforschung anzulegen. Allerdings lassen sich beim kritischen Blick die Rahmenbedingungen der Feld-
135 Baacke, Dieter: Pädagogik, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitativer Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 44–46, hier S. 45. 136 Zur Definition des (qualitativen) Experiments vgl. Klauer, Karl Josef: Das Experiment in der pädagogisch-psychologischen Forschung. Eine Einführung, Münster u. a. 2005, S. 27; Greenwood, Ernest: Das Experiment in der Soziologie, In: König, René (Hg.): Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, Köln/Berlin 51967, S. 171–220, hier S. 177. 137 Vgl. Kleining, Gerhard: Das qualitative Experiment. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38 1986, S. 724–753, hier S. 724ff. 138 Vgl. Abschnitt C, Kapitel 1.3.2. 139 Vgl. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zum qualitativen Denken, Weinheim/Basel 52002, S. 58–60. 140 Vgl. hinsichtlich der Methodologie Abschnitt C, Kapitel 1.1.
Design-Based Research
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forschung141 nicht mit dem geplanten Untersuchungskonzept vereinbaren. Das explizite Ausschließen jedweden Eingriffs durch den Forschenden bildet den neuralgischen Punkt, dem dieses Forschungsprojekt zwangsläufig zuwiderliefe. Vielmehr gilt es festzustellen, dass diese Untersuchung nicht ohne Eingriffe in die Untersuchungssituation seitens des Forschenden stattfinden kann. Die notwendige Genehmigung durch die zuständigen Schulaufsichtsbehörden142 erfordert eine präzise, detaillierte Planung des gesamten Untersuchungsablaufs.143 Ferner stellt auch der Unterrichtsgang in das Museum selbst einen Eingriff dar. Und letzten Endes wird auch die Untersuchungssituation selbst nicht frei von Eingriffen sein; beispielsweise, wenn der Forschende an einem bestimmten Punkt die soziale Interaktion unterbricht und eine Gesprächssituation anregt, um Erkenntnisse über mögliche Interessen der FS in diesem Kontext zu gewinnen. Verkürzt man das eben Dargestellte auf seine Kernaussagen, so muss das Forschungsdesign zweierlei zu leisten imstande sein: Einerseits muss es experimentelle Eingriffe in den Untersuchungsgegenstand zulassen, ohne dass das methodologische Vorgehen eines (qualitativen) Experiments erforderlich ist. Andererseits ist es erforderlich, dass das Forschungsdesign größtmögliche Flexibilität auf der methodologischen Ebene gewährt. Um möglichst viele Aspekte und Facetten des Untersuchungsgegenstandes zu erfassen, soll eine systematische Perspektiven-Triangulation erfolgen, die Verfahren unterschiedlicher Methodologien kombiniert.
2.
Design-Based Research
Explizit für die Lehr-/Lernforschung entwickelt, erscheint daher Design-Based Research144 das geeignete Forschungsdesign darzustellen. Ziel dieses Ansatzes ist es, wissenschaftliche und praktische Maßnahmen zu kombinieren, um so z. B. den Nutzen neuer Lernumgebungen oder Lernarrangements zu untersuchen.145 141 Vgl. dazu Fischer, Hans: Zur Theorie der Feldforschung, In: Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich/Stagl, Justin: (Hg.): Grundfragen der Ethnologie. Beiträge zur gegenwärtigen Theorie-Diskussion, Berlin 1981, S. 63–78, hier S. 65; Legewie, Heiner: Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 189–193, hier S. 189; Mayring: Einführung, S. 55. 142 Vgl. BayScho: Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen in Bayern, (online) http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BaySchO2016/true, 2016 (aufgerufen am 28. 01. 2020). 143 Dazu zählt auch die notwendige Vorbereitung der FS auf die Untersuchung. 144 Im Weiteren mit DBR abekürzt. 145 Vgl. Baumgartner, Eric u. a.: Design-Based Research. An Emerging Paradigm for Educational Inquiry. In: Educational Researcher 32 2003, S. 5–8; Barab, Sasha/Squire, Kurt:
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Forschungsdesign
Das Ziel ist die Verbindung von Theorie, Empirie und Praxis.146 Fischer, Waibel und Wecker verorten DBR daher zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und der Praxis.147 DBR richtet seinen Fokus dabei nicht nur auf die Lernumgebung Klassenzimmer, sondern nimmt auch explizit andere (Lern-) Kontexte in den Blick.148 Das Design-Based Research Collective fordert und verspricht »new research approaches that speak directly to problems of practice«.149 Dieser Anspruch darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass DBR keine ausgewiesene eigene Methodologie zugrunde liegt.150 Barab und Squire beschreiben es als »series of approaches«.151 Kelly beschäftigt sich mit ebendieser Frage, welche Schritte zu nötig wären, um eine eigene DBR-Methodologie zu entwickeln,152 die bislang nicht existiert. In der methodischen Offenheit – ein Kritiker mag es Beliebigkeit nennen – liegt eines der wesentlichen Argumente begründet, weshalb sich DBR als Forschungsdesign für diese Untersuchung anbietet. Zumal das nicht heißen soll, dass DBR im gänzlich unkontrollierten Raum stattfindet und der Willkürlichkeit preisgegeben wird. Sieben zentrale Aspekte werden für diesen Ansatz in der Forschungsliteratur übereinstimmend als konstitutiv hervorgehoben:
146 147 148
149 150 151 152
Design-Based Research. Putting a Stake in the Ground, In: Journal of Learning Science 13/1 2004, S. 1–14; Reimann, Gabi: Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den DesignBased-Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung, In: Unterrichtswissenschaft 33 2005, S. 52–59; Euler, Dieter: Design-Research. A paradigm under development, In: Euler, Dieter/Sloane, Peter F. E. (Hg.): Design-Based Research (Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 27), Stuttgart 2014, S. 15–41, hier S. 17; Brahm, Tanja/Jenert, Tobias: Wissenschafts-Praxis-Kooperation in designbasierter Forschung. Im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Gültigkeit und praktischer Relevanz, In: Euler, Dieter/Sloane, Peter F. E. (Hg.): Design-Based Research (Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 27), Stuttgart 2014, S. 45–63, hier S. 47. Dede, Chris: Why Design-Based Research Is Both Important and Difficult. In: Educational Technology 45/1 2005, S. 5–8, hier S. 5. Vgl. Fischer, Frank/Waibel, Mira/Wecker, Christof: Nutzenorientierte Grundlagenforschung im Bildungsbereich, In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 8/3 2005, S. 427–442, hier insb. S. 433–437. Fishman, Barry J. u. a.: Design-Based Implementation Research. An Emerging Model for Transforming the Relationship of Research and Practice, In: Fishman, Barry J. u. a. (Hg.): Design-Based Implementation Research. Theories, Methods, and Exemplars (Yearbook of the National Society for the Study of Education 112/2), New York 2013, S. 136.–156, hier S. 140. The Design-Based Research Collective: Design-Based Research. An Emerging Paradigm for Educational Inquiry, In: Educational Researcher 32 2003, S. 5–8, hier S. 5; vgl. ebenso Euler: Design-Research, S. 17. The Design-Based-Research-Collective: Design-Based Research, S. 7. Barab/Squire: Design-Based Research, S. 2. Kelly, Anthony: Design Research in Education. Yes, but Is It Methodological?, In: Journal of Learning Science 13/1 2004, S. 115–128, hier S. 118.
Design-Based Research
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1) Die Relevanz der Forschungsbemühungen ist entsprechend wissenschaftstheoretisch zu begründen.153 2) Eine sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützende Gestaltung der Lernumgebung stellt einen zentralen Teil der Untersuchung dar. Das Museum als außerschulischer Lernort wird dabei bereits als neue Lernumgebung begriffen.154 3) Teil des Forschungsprozesses ist der kommunikative Austausch mit der Fachwelt. Eine enge Kooperation mit der Fachwelt (repräsentiert durch die Mittelschule und das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim) bildet den Ausgangspunkt und ist handlungsleitend für dieses Projekt.155 4) Die Forschungsbemühungen sollen auch Interaktionen fokussieren, um das Verständnis von Lernen und Lernprozessen zu verbessern. Dieses Kriterium wird insbesondere durch die systematische Perspektiven-Triangulation auf methodologischer Ebene realisiert.156 Allerdings muss ausdrücklich betont werden, dass keine Lernprozesse im eigentlichen Sinne untersucht werden, da kein spezifischer Lerngegenstand (z. B. Spracherwerb im Museum), sondern dezidiert die Lernumgebung an sich und die Interessen der Untersuchungsgruppe daran thematisiert werden. 5) Die Verbindung der Prozesse und Ergebnisse der Forschungsbemühungen muss auch auf der methodologischen Ebene impliziert werden. Diese Intention begründet die zur Anwendung kommenden Erhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsverfahren.157 6) Eine erforderliche Prämisse bilden die so genannten »naturalistic contexts« bzw. das »Real-Life-Setting«. DBR grenzt sich damit von (Labor-)Experimenten ab. Die von Beginn dieser Untersuchung an handlungsleitende Kooperation mit der Praxis ist Garant für ein natürliches Untersuchungssetting.158 7) Schließlich ist für DBR ein zyklischer Ablauf charakteristisch. Die Durchführung einer Maßnahme mündet in der Evaluierung und Theoriebildung. Diese soll wiederum die Praxis verbessern und zur Durchführung einer neuen, verbesserten Maßnahme führen usw. In diesem Punkt ist eine ge153 Diese Begründung wird in der Einführung und insbesondere in Abschnitt B vorgenommen. 154 Es wird daher kein Design oder gestalterischer Eingriff in die museale Ausstellung erfolgen. Daher wird auch kein Einfluss von Variablen auf den Gegenstand (des Design-Experiments) untersucht. Vgl. diesbezüglich Brahm/Jenert: Wissenschafts-Praxis-Kooperation, S. 48; Colins/Joseph/Bielaczyc: Design Research, S. 20f.; Dede: Design-Based Research, S. 6. Auf das Museum als außerschulischen Lernort für D-Klassen wird dezidiert in Abschnitt B, Kapitel 1 eingegangen. 155 Vgl. insbesondere Abschnitt C. 156 Vgl. Abschnitt C, Kapitel 1.1.2. 157 Vgl. Abschnitt C, Kapitel 1. 158 Vgl. insbesondere Abschnitt C.
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Forschungsdesign
ringfügige Einschränkung notwendig, um den Rahmen des in dieser Arbeit Möglichen nicht zu sprengen. Konkret heißt das, dass sich die Forschungsbemühungen auf die Erhebung von Daten zu den Interessen der Untersuchungsgruppe in und an einer »neuen« Lernumgebung und die Auswertung des empirischen Materials sowie eine Einordnung der Befunde beschränken. Ein zyklischer Ablauf bleibt insofern gewährleistet, als dass die gesamte Stichprobe aus mehreren Einzelgruppen besteht und mit jeder dieser Gruppen eine eigene Erhebung stattfindet. Zwischen den Erhebungen erfolgt eine Reflexion, zudem eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung des Settings. Allerdings wird keine Theorieentwicklung im Sinne von DBR möglich sein.159 Damit kann eine weitere Frage empirischer Forschung beantwortet werden, inwiefern die Ergebnisse generalisierbar sind und welchen konkreten Generalisierungsanspruch ein DBR-Ansatz formuliert.160 Während beispielsweise in der quantitativen Sozialforschung Generalisierung auf Basis eines statistischen Zusammenhangs zwischen der Stichprobe und der Grundgesamtheit der Untersuchungsgruppe erfolgt, wird dieses Merkmal bei DRB durch die komparative Analyse von Einzelfällen und daraus ableitbaren allgemeinen Strukturen gewährleistet.161 Lediglich hingewiesen sei an dieser Stelle auf Kelly, der neben der Ebene der beteiligten Subjekte bzw. Einzelfälle noch zwei weitere, die der Verhaltensweise (der FS) und die des Kontextes hinsichtlich der Generalisierung von Befunden aus DBR-Ansätzen identifiziert.162 Das vorwiegend in der quantitativen empirischen Forschung geforderte Gütekriterium der Replizierbarkeit kann in DBR-Ansätzen nicht erfüllt werden. Die Untersuchungssituationen stellen einmalige und komplexe (soziale) Kontexte dar.163 Barab und Squire betonen ausdrücklich, dass diese Bedingungen durch 159 Vgl. bezüglich der sieben Kriterien: The Design-Based-Research-Collective: DesignBased Research, S. 5ff.; Barab/Squire: Design-Based Research, S. 5–12; Collins, Allan/ Joseph, Diana/Bielaczyc, Katerine: Design Research. Theoretical and Methodological Issues, in: The Journal of Learning Science 13/1 2004, S. 15–42, hier S. 18, 20f., 33–39; Dede: Design-Based Research, S. 5f.; Euler: Design-Research, S. 17f.; Brahm/Jenert: Wissenschafts-Praxis-Kooperation, S. 46; Fischer/Waibel/Wecker: Grundlagenforschung, S. 434; Sloane, Peter F. E.: Wissensgenese in Design-Based Research Projekten. In: Euler, Dieter/Sloane, Peter F. E. (Hg.): Design-Based Research (Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 27), Stuttgart 2014, S. 113–139, hier S. 114f., 117–125. 160 Vgl. Euler, Dieter: Design Principles als Kristallisationspunkt für Praxisgestaltung und wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung, In: Euler, Dieter/Sloane, Peter F. E. (Hg.): Design-Based Research (Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 27), Stuttgart 2014, S. 97–112, hier S. 98. 161 Ebd., S. 105. 162 Kelly: Design-Research, S. 120f. 163 Colins/Joseph/Bielaczyc: Design Research, S. 20f.
Zusammenfassung
45
den Forscher nicht manipuliert werden dürfen, sodass eine Wiederholung theoretisch denkbar wäre. Diese Nicht-Kontrollierbarkeit auf der Ebene der Replizierbarkeit formulieren die Autoren als Offenheit – ein Hauptmerkmal von DBRAnsätzen.164 Ein weiteres, für den Forschungsprozess wesentliches Element stellt die Kommunikation dar. Die Wissensgenese in DBR erfolgt auf der Basis von Textproduktion und -interpretation.165 Eine Weiterentwicklung von DBR, DesignBased Implementation Research (DBIR), sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnt, jedoch nicht explizit behandelt.166
3.
Zusammenfassung
Explizit für die Lehr-/Lernforschung entwickelt, erweist sich Design-Based Research (DBR) als das geeignete Forschungsdesign. Es zielt auf die Kombination wissenschaftlicher und praktischer Maßnahmen, um den Nutzen neuer Lernumgebungen bzw. Lernarrangements zu untersuchen. Kennzeichnend ist seine methodische Offenheit, die auch darin begründet liegt, dass bislang keine ausgewiesene eigene Methodologie existiert. Für den Forschungsprozess und die zur Anwendung kommenden Methoden und Verfahren werden im Wesentlichen sieben Bedingungen formuliert, die erfüllt werden müssen: 1) die wissenschaftstheoretische Begründung der Forschungsbemühungen; 2) eine sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützende Gestaltung einer Lernumgebung; 3) der kommunikative Austausch mit der Praxis; 4) eine über die Dokumentation von Ergebnissen hinausgehende Erfassung und Analyse von Interaktionen im Forschungsprozess zum besseren Verständnis von Lernen und Lernprozessen; 5) die Implikation der Verbindung von Prozessen und Ergebnissen auch auf methodologischer Ebene; 6) die Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten; 7) ein zyklischer Forschungsablauf bestehend aus Design, Evaluierung, Theoriebildung, Re-Design etc. Es allerdings ist notwendig, diesen idealtypischen Aufbau eines DBR-Ansatzes in einigen Punkten geringfügig den Rahmenbedingungen dieser Untersuchung anzupassen. Dies betrifft Punkt 2) insofern, als dass in die Lernumgebung Museum kein gestalterischer Eingriff erfolgt, da das Museum als solches bereits als neuer Lernort verstanden wird. Da ausschließlich die Lernumgebung selbst im 164 Vgl. Barab/Squire: Design-Based Research, S. 8. 165 Vgl. Sloane: Wissensgenese, S. 132–135. 166 Hierbei handelt es sich weniger um ein Forschungsdesign, als vielmehr um einen Ansatz der Organisation von Forschung und Entwicklung. DBR kann als ein Teilaspekt verstanden werden. Vgl. Fishman u. a.: Design-Based Implementation Research; DBIR: Design-Based Implementation Research, (online) http://learndbir.org/ (aufgerufen am 28. 01. 2020).
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Forschungsdesign
Fokus steht, wird zudem keine spezifische Maßnahme (z. B. Spracherwerb im Museum) in ein Design-Experiment überführt. Daraus resultiert, dass hinsichtlich Punkt 4) Interaktionen zwar erfasst werden; allerdings nur solche, die für einzelne Aspekte des Untersuchungsgegenstandes »Interesse« von Bedeutung sind. Lernen und Lernprozesse werden in Ermangelung eines zu untersuchenden Lerngegenstandes nicht untersucht. Zuletzt muss der in Punkt 5) geforderte zyklische Ablauf insofern eingeschränkt werden, als dass er sich auf einen Zyklus von Erhebungsphasen und dazwischenliegenden Phasen der Reflexion und gegebenenfalls Überarbeitung des Settings beschränkt. Design und Theoriebildung entfallen.
B.
Theorie
Um das Ziel der Untersuchung nicht aus dem Blick zu verlieren, soll der theoretische Rahmen fokussiert und präzise zugespitzt auf die Fragestellung hin ausgerichtet sein. Die Ausführungen sind dahingehend konzipiert, die Relevanz der Forschungsbemühungen – entsprechend des ersten Aspekts des DBR-Ansatzes und aufbauend auf dem in der Einführung identifizierten Desiderat im Forschungsdiskurs – wissenschaftstheoretisch zu begründen und zu untermauern. Auf eine erneute Feststellung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, kann in Anbetracht einer sehr großen Zahl an Arbeiten, die dies nahelegen, verzichtet werden.167 Daher führt der Weg direkt zu den aus geschichtsdidaktischer Perspektive relevanten Theoriekomplexen:
1.
Museen als außerschulische Lernorte
Außerschulisches Lernen ist dann zielführend, wenn es einen Mehrwert über die reine Wissensvermittlung schulischer und konventionell-unterrichtlicher Natur hinaus bietet und über alternative Formate und Methoden andere Zugänge zu Themenkomplexen ermöglicht. Welche Aspekte hierfür konstitutiv sind, welche strukturellen Bedingungen den Rahmen für außerschulisches Lernen im Mu167 Vgl. u. a. Schiffer, Harald: Bundesrepublik – Einwanderungsland?! Dokumentation einer Fachtagung über Migration und Fremdenfeindlichkeit, Saarbrücken 1992; Weber, Albrecht: Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union. Gestaltungsauftrag und Regelungsmöglichkeiten, Osnabrück 1997; Fischer/Stade: Deutschland; Storz, Henning/Reißlandt, Carolin (Hg.): Staatsbürgerschaft im Einwanderungsland Deutschland. Handbuch für die interkulturelle Praxis in der sozialen Arbeit, im Bildungsbereich, im Stadtteil, Opladen 2002; Hasel, Margarete: Verhaltenes Willkommen. Einwanderungsland Deutschland, Frankfurt a. M. 2013; Meier-Braun, Karl-Heinz (Hg.): Deutschland Einwanderungsland. Begriffe, Fakten, Kontroversen, Stuttgart 2013; Bertels, Ursula (Hg.): Einwanderungsland Deutschland. Wie kann Integration aus ethnologischer Sicht gelingen?, Münster 2014; Citron: Immer bunter; Spielhaus, Riem: Wandel der Gesellschaft – gesellschaftlicher Wandel, In: Standbein Spielbein 107 2017, S. 32–36, hier S. 32.
48
Theorie
seum bilden, worin der Mehrwert von Museen als außerschulischen Lernorten liegt und warum besonders kulturhistorische Museen auch für D-Klassen eine attraktive Lernumgebung darstellen, soll im Folgenden expliziert werden.168 Damit wird der zweite Aspekt des DBR-Ansatzes – in angepasster Form – erfüllt, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützende Darstellung einer (neuen) Lernumgebung.
1.1
Zum Begriff »außerschulisch«
Ehe Antworten auf diese Fragen gesucht werden, ist zunächst der Begriff des »außerschulischen Lernorts« erklärungsbedürftig. Plessow differenziert in eine »schulbezogene« und eine »schulkomplementäre« Verwendung des Begriffs. Erstere verweist auf von der Schule verantwortete Lernaktivitäten außerhalb des Klassenraums, letztere nimmt das Engagement nicht-schulischer Bildungsakteure in den Blick.169 Im Rahmen dieser Arbeit wird von der erstgenannten Verwendung ausgegangen. An anderer Stelle verweist PLessow darauf, dass bei der schulkomplementären Verwendung die außerschulischen Aktivitäten in der Freizeit der Schüler stattfinden, währen bei der schulbezogenen Verwendung explizit die reguläre Unterrichtszeit genutzt wird.170 Hof unterscheidet in formale (innerhalb des formalen Bildungssystems stattfindende) und non-formale (außerhalb des formalen Bildungssystems stattfinde) Lernvorgänge bzw. -arrangements.171 Unter den Vertretern der Geschichtsdidaktik wird mehrheitlich auf eine schulbezogene Verwendung des Begriffs »außerschulisch« zurückgegriffen.172 Je nach Betrachtungsweise und konkretem Fallbezug kann ein Muse168 Die folgenden Ausführungen sind in zentralen Aspekten für das außerschulische Lernen im Museum allgemein gültig. Wo sie typspezifisch sind und konkret das historische bzw. kulturhistorische Museum betreffen, wird dies entsprechend deutlichgemacht. 169 Plessow, Oliver: »Außerschulisch«. Zur Bedeutung eines Begriffs aus geschichtsdidaktischer Sicht, In: Karpa, Dietrich/Overwien, Bernd/Plessow, Oliver (Hg.): Außerschulische Lernorte in der politischen und historischen Bildung (Erfahrungsorientierter Politikunterricht Bd. 8), Immenhausen b. Kassel 2015, S. 17–32, hier S. 17. Grunert differenziert in formelles und informelles Lernen, bezeichnet damit aber im Wesentlichen dasselbe wie Plessow. Grunert, Cathleen: Außerschulische Bildung, in: Reinders, Heinz/Ditton, Hartmut/Gräsel, Cornelia /Gniewosz, Burkhard (Hg.): Empirische Bildungsforschung. Gegenstandsbereiche, Wiesbaden 2011, S. 137–148, hier S. 140f. 170 Vgl. Plessow, Oliver: Vom Rand in die Mitte der Disziplin: historisches Lernen in der nonformalen beziehungsweise »außerschulischen« Jugendbildung und sein Stellenwert in der Geschichtsdidaktik, In: Arand, Tobias/Seidenfuß, Manfred (Hg.): Neue Wege – neue Themen – neue Methoden? Ein Querschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Göttingen 2014, S. 135–152, hier S. 139–141. 171 Hof, Christiane: Lebenslanges Lernen. Eine Einführung, Stuttgart 2009, S. 68f. 172 Vgl. u. a. Sauer, Michael: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, Seelze 102012, S. 139–149; Pleitner, Berit: Außerschulische historische Lernorte,
Museen als außerschulische Lernorte
49
um auch als ein Hybrid von schulbezogener oder schulkomplementärer Verwendung von »außerschulisch« verstanden werden, da sich ihre pädagogischen Angebote zwar überwiegend, aber eben nicht ausschließlich an Schulen richten.173
1.2
Strukturelle Bedingungen
Mit Hinblick auf gesellschaftliche Herausforderungen unserer Gegenwart, auf Migration und Identität, stellt Kneip fest, »dass Schule mit dem herkömmlichen Fächerkanon alleine dieser Herausforderung nicht gerecht werden kann [und dass] [k]ulturelle und soziale Lernziele […] verstärkt in den Mittelpunkt [rücken]«.174
Wenngleich nicht explizit benannt, kann dennoch angenommen werden, dass außerschulische Lernorte im Allgemeinen, unter diesen auch Museen im Besonderen, als Ergänzung des herkömmlichen Fächerkanons Teil der Lösung der hier aufgeworfenen Problematik darstellen können. Dreykorn spricht sich explizit für vielfältige Bildungskooperationen auf kultureller Ebene aus.175 Zudem könnten die infrastrukturellen Voraussetzungen kaum besser sein: »Keine Zivilisationsepoche zuvor hat solche Anstrengungen intellektueller, auch materieller Art unternommen wie unsere gegenwärtige Epoche, Vergangenes gegenwärtig zu halten«.176
Für Bayern gibt das zuständige Staatsministerium für Bildung, Kultus, Wissenschaft und Kunst eine Dichte von »mehr als 1.250 Einrichtungen«177 sowohl unter öffentlicher als auch privater Trägerschaft an und spricht von »knapp 19 Mil-
173 174 175 176 177
In: Barricelli, Michele/Lücke, Martin (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts Bd. 2, Schwalbach/Ts. 2012, S. 290–307; Mayer, Ulrich: Außerschulische Lernorte, In: Mayer, Ulrich u. a. (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Ts. 22009, S. 27–29; Bergmann, Klaus/Rohrbach, Rita: Chance Geschichtsunterricht. Eine Praxisanleitung für den Notfall, für Anfänger und Fortgeschrittene, Schwalbach/Ts. 2005, S. 94–98. Plessow: Außerschulisch, S. 24. Kneip: Curriculum, S. 19. Vgl. Dreykorn, Monika: Vernetzung und Bildung von Kooperationen in der Museumspädagogik, In: Commandeur, Beatrix/Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 64–169. Lübbe, Hermann: Der Fortschritt von gestern. Über Musealisierung als Modernisierung, In: Borsdorf, Ulrich/Grütter, Heinrich Theodor/Rüsen, Jörn (Hg.): Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 13–38, hier S. 13. KM Bayern: Vielfältige und lebendige Museumslandschaft, (online) https://www.stmwk. bayern.de/kunst-und-kultur/museen.html (aufgerufen am 28. 01. 2020). Erfasst sind alle Typen von Museen.
50
Theorie
lionen Museumsbesuchern jährlich«.178 Lübbe vergleicht die Zahl der Museumsbesucher mit der von Fußballspielen und sieht das Museum klar an der Spitze.179 Gleichzeitig ist ein kontinuierlicher Anstieg der Beschäftigten in der Museumspädagogik zu verzeichnen. Erhebungen des Instituts für Museumsforschung belegen, dass sich die Zahl der in der im Bereich Bildung Vermittlung auf Honorarbasis Beschäftigter zwischen 1997 und 2007 fast verdoppelt hat. Parallel erhöht sich beständig der Einsatz Ehrenamtlicher. Mit ca. 61 % bilden Schulen den wichtigsten Partner museumspädagogischer Arbeit unter den ca. 3.800 befragten Museen.180 Einrichtungen wie der Bundesverband Museumspädagogik mit seinen Landesvertretungen, die Bayerische Museumsakademie, das Museumspädagogische Zentrum (MPZ) in München oder das Kunstund Kulturpädagogische Zentrum der Museen in Nürnberg (KPZ) – um nur einige wenige Beispiele herauszugreifen – gewährleisten die Aus- und Weiterbildung qualifizierten Personals, einen fachlichen Diskurs und die professionelle Umsetzung oder Unterstützung museumspädagogischer Arbeit vor Ort und in der Fläche. Über die umfangreiche Datenbank museumbildet.de181 kann zudem nach vor Ort oder in der näheren Umgebung verfügbaren museumspädagogischen Programmen für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung und Lernende aus D-Klassen gezielt gesucht werden.
1.3
Lernen mit allen Sinnen
Der besondere Blick auf den schulischen Kontext zeigt, dass eine Verbindung verschiedener Lernumgebungen (z. B. Schule und Museum) dazu beiträgt, dass Lernende eigene Bildungsziele identifizieren und Lernbereiche mitgestalten und erweitern.182 »Die unmittelbare Anschauung und Erfahrung auf nicht nur medialem und kognitivem Wege vermeidet oder verringert die ansonsten übliche und unumgängliche Abstraktion.
178 Ebd. 179 Lübbe: Fortschritt, S. 13. 180 Hagedorn-Saupe, Monika: Museumspädagogik in Zahlen. In: Commandeur, Beatrix/ Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 362–368, hier S. 363 181 KulturGut vermitteln. Museum bildet!, (online) http://www.museumbildet.de/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). 182 Kahre, Angela: Wandertag – nein danke?! Gedanken zu Begegnungen zwischen weiterführenden Schulen und Museen, In: Karpa, Dietrich/Lübbecke, Gwendolin/Adam, Bastian (Hg.): Außerschulische Lernorte. Theorie, Praxis und Erforschung außerschulischer Lerngelegenheiten, Immenhausen b. Kassel 2015, 132–138, hier S. 136.
51
Museen als außerschulische Lernorte
Unmittelbare haptische, visuelle, auditive und/oder sensitive Zugänge bereichern reines Lernen durch Erleben und ermöglichen damit Lernen (auch) durch Erleben«,183
präzisiert Diehl die Chancen und Potentiale außerschulischen Lernens. Wichtig scheint hierbei die Verbindung zwischen der Lebenswelt der Lernenden und Themen und Fragen, die sich zunächst außerhalb ihres Erfahrungsraumes befinden. Museen können hierbei die Lernenden befähigen, selbstbestimmt zu leben und zu lernen, kreative Potentiale fördern, identitätsstiftend wirken, die Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben ermöglichen sowie die persönliche Entwicklung stärken.184 Kulturhistorische Museen zeigen die Wurzeln historisch gewachsener kultureller Identität. Sie erlauben eine sinnliche, intuitive oder reflexive Auseinandersetzung. Und sie fördern die Ausbildung interkultureller Kompetenz.185 Gunter fasst den Mehrwert des Lernorts Museum gegenüber bzw. in Ergänzung zum schulischen Lernen in sechs Punkten zusammen: Schule Texte, Rekonstruktionen, Modelle Kontexte, Zusammenhänge, Überblick
Museum Originale Lernen am konkreten Fall
prozess- und zielorientiert (Ziele, Zeit, Lehrpläne, Curricula)
Angebot, über dessen Annahme oder Ablehnung der Besucher alleine entscheiden kann Blick auf das Besondere
Blick auf das Allgemeine, Exemplarische
lehrgangsmäßiges Lernen überwiegend im diskontinuierliches Lernangebot Frontalunterricht Phänomene und Erfahrungen auf den Be- Nachdenken und Einsicht auf der Grundgriff bringen lage sinnlicher Erfahrungen Mehrwert des außerschulischen Lernorts Museum186
183 Diehl, Thomas: Vom Nutzen und Nachteil außerschulischen Lernens für das Leben, In: Karpa, Dietrich/Lübbecke, Gwendolin/Adam, Bastian (Hg.): Außerschulische Lernorte. Theorie, Praxis und Erforschung außerschulischer Lerngelegenheiten, Immenhausen b. Kassel 2015, S. 123–131, hier S. 124. 184 Ebd. 185 Wagner, Ernst: Potenziale: Museen und Schulen. Warum sie füreinander interessant sind, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 13–15, hier S. 13. 186 Gunter, Otto: Schule und Museum. Unterschiede und Gemeinsamkeiten an zwei Lernorten, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 15–18, hier S. 15f. Eine vergleichbare Differenzierung wie Gunter nimmt auch Kolb vor. Vgl. Kolb, Peter: Museum und Schule, In: Czech, Alfred/Kirmeier, Josef/Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik. Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014, S. 110–123.
52 1.4
Theorie
»Ort und Hort der Dinge«
Konstitutiv für Museen ist, dass sie »ein Ort und Hort der Dinge«187 sind, dass sie über Realien, originale Objekte »von herausragender Qualität und von höchster sinnlicher Präsenz«188 verfügen. Selbstredend ist nicht alles, was sich in einem Museum befindet, original; es kommen auch Duplikate, Replikate, Rekonstruktionen oder Modelle zum Einsatz, wo die Präsentation eines Originals nicht möglich ist. Dessen ungeachtet kann der »Kunstraum Geschichtsmuseum mit seinen faszinierenden, fremdartigen, ästhetisch ansprechenden oder auch alltäglich-banalen Sachzeugnissen« als Ergänzung zum schulischen Lernen dazu beitragen, »eine aktive, interessengeleitete und selbständige Geschichtsaneignung [zu] fördern«.189 Die Kernaufgaben eines Museums werden im Allgemeinen laut Artikel drei der Statuten des International Council of Museums (ICOM) unter den Begriffen: Sammeln, Bewahren, Erforschen und Präsentieren/Vermitteln subsummiert.190 Urban weist besonders auf die Vermittlung als Teilaspekt des Präsentierens hin.191 Zwei Begriffe bzw. Konzepte finden in einer nur kurzen Darstellung keinen angemessenen Rahmen, dürfen in diesem Kontext allerdings nicht unerwähnt bleiben: Erstens das Museumsding als Zeichenträger (Semiopohor), das durch den Vorgang der Musealisierung seine Bedeutung verändert oder erst erhält.192 Und zweitens der von Walter Benjamin geprägte und vor allem in der Kunst rezipierte Begriff der Aura (des Kunstwerks) und die daran anschließende Frage, ob diese im Zeitalter der Reproduzierbarkeit verloren ginge oder erst durch den Akt der Reproduktion entstehe.193 In der »Aura des 187 Korff, Gottfried: Vom Verlangen, Bedeutung zu sehen, In: Borsdorf, Ulrich/Grütter, Heinrich Theodor/Rüsen, Jörn (Hg.): Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 81–104, hier S. 81. 188 Wagner: Potentiale, S. 13. 189 Urban, Andreas: Geschichtsvermittlung im Museum, In: Mayer, Ulrich/Pandel, HansJürgen/Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 42013, S. 370–388; hier S. 370. Den Wert von Sachquellen hebt auch Schneider hervor. Vgl. Schneider, Gerhard: Sachüberreste und gegenständliche Unterrichtsmedien, In: Mayer, Ulrich/Pandel, Hans-Jürgen/Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 42013, S. 188–207, hier S. 196f. 190 Art. 3: Definition of Terms, In: International Council of Museums: Statutes, (online) https://icom.museum/wp-content/uploads/2018/07/2017_ICOM_Statutes_EN.pdf (aufgerufen am 28. 01. 2020); vgl. ebenso Nicke, Wiebke: Das Museum als erlebnispädagogischer Lernort, In: Ziegenspeck, Jörg (Hg.): Das Museum als erlebnispädagogischer Lernort. Museumspädagogik in den Museen der Freien und Hansestadt Hamburg und ihrer näheren Umgebung, Lüneburg 1997, S. 15–30, hier S. 20f. 191 Urban: Geschichtsvermittlung, S. 370. 192 Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988. 193 Vgl. Benjamin, Walter/Lindner, Burkhardt (Hg.): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Berlin 2013; Grojs, Boris: Topologie der Kunst, München/ Wien 2003.
Museen als außerschulische Lernorte
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Rätselhaften, des Besonderen, des Einzigartigen«194 sieht Kolb eines der zentralen Alleinstellungsmerkmale der pädagogischen Arbeit mit musealer Überlieferung.195 Korff beschreibt das Museum als eine »Zeige und Versuchswelt, eine Merkwelt«.196 Kunz-Ott und Kolb heben besonders die Potentiale einer intensiven kognitiven und sinnlichen Auseinandersetzung im Museum hervor.197 KunzOtt betont, dass »Museen […] ästhetische Werte [vermitteln], […] den Zugang zu vergangenen Epochen und zu fremden Kulturen [eröffnen] und […] unseren Blick auf unsere Welt und Umwelt [schärfen]«.198
Fuchs ergänzt, dass der Begriff ästhetisch bestenfalls für diejenigen Museen gelten könne, »die es mit Kunst im weitesten Sinne zu tun haben«.199 Er schlägt eine präzisere Differenzierung vor und nennt ergänzend den Begriff »aisthetische« Bildung, der für sein Dafürhalten stärker auf den griechischen Ursprung »aisthesis« (sinnliche Wahrnehmung) referiere und sich daher besser eigne, um der »Museumspädagogik weitere Anschlussmöglichkeiten an das kulturpädagogische Feld [zu eröffnen]«.200 Ob nun ästhetisch oder aisthetisch, beiden Lesarten gemein ist die Absicht, durch multisensorische, sinnliche Wahrnehmungen und Erfahrungen dem Rezipienten Möglichkeit und Raum zu geben, sich in eine Situation hineinzuversetzen und Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Auf diese Weise knüpft der Erfahrungsraum Museum unmittelbar an einem der Grundprinzipien und einer der zu fördernden basalen Kompetenzen zeitgemäßen historischen Lernens an: Multiperspektivität und die Fähigkeit zum Fremdverstehen in der Auseinandersetzung mit historischer Überlieferung.201 Etwas kritisch zugespitzt formuliert, bedeutet dies gleichwohl, dass das, was Museumsdinge leisten können, nicht überbewertet werden darf und stets kritisch hinterfragt werden muss. Als Überlieferungen eines spezifischen Kontextes, als Träger von Zeichen und bestimmter Informationen, repräsentieren sie immer nur bestimmte Perspek194 195 196 197 198 199 200 201
Kolb: Museum, S. 121. Ebenso Sauer: Historisches Lernen, S. 82. Korff: Verlangen, S. 102. Vgl. Kunz-Ott, Hannelore: Schule und Museum. Zum Bildungsauftrag der Museen, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 19–20; Kolb: Museum, S. 121. Kunz-Ott: Schule, S. 19. Fuchs, Max: Ästhetische Bildung und Kulturelle Bildung, In: Commandeur, Beatrix/ Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 109–112, hier S. 111. Ebd. Urban: Geschichtsvermittlung, S. 371; Sauer: Historisches Lernen, S. 86–90. Zu Multiperspektivität und Fremdverstehen vgl. Abschnitt B, Kapitel 3.
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Theorie
tiven auf Vergangenheit und »produzieren […] ein bestimmtes Verhältnis des Besuchers zu dieser Vergangenheit«.202 Von Borries stellt grundsätzlich fest, »dass Museen nicht überschätzt und überfordert werden dürfen«.203 So würden Objekte erst durch die museale Inszenierung und den Prozess der Symbolbildung zu Semiophoren. Auch stünden die Objekte zunächst ausschließlich für sich selbst; die Menschen als handelnde Subjekte und Träger der Geschichte seien nur indirekt greifbar. Zudem wären Exponate nur oberflächlich und würden lediglich eine primäre Wirklichkeit, aber keine Tiefenstrukturen und Hintergründe verkörpern, um exemplarisch nur einige der Kritikpunkte von Borries zu nennen. Er kommt daher zu dem Schluss, dass ein Lernen im Museum auch zwangsläufig an ein Lernen über das Museum gebunden sein muss.204 Das museumspädagogische Personal ist daher in der Pflicht, die Rezipienten seiner Angebote und Programme für den kritischen und aufmerksamen Umgang mit musealer Überlieferung zu sensibilisieren.205 Die beiden zentralen Pfeiler museumspädagogischer Arbeit bilden daher einerseits das multisensorische Erleben und Eintauchen in Geschichte und fremde Welten, andererseits aber auch eine kritische Reflexion der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung. Kenkmann sieht in Museen primär die große Chance, durch die »Verschränkung von Narration, Inszenierung und Objektpräsentation in die Geschichte vorzudringen«.206 Im Fokus museumspädagogischer Bemühungen stehen daher handlungsorientierte, interaktive und partizipative Formate.207 Nicke konzediert, dass »[i]nsbesondere erlebnisorientierte Aktionen im Museum […] aufgrund der Präsenz musealer Objekte, welche auf entfernte Wirklichkeit […] verweisen, zur Entwicklung
202 Schnädelbach, Anna: Materielle Kultur im außerschulischen Lernort Museum. Ein Lehrangebot im Bereich Didaktik der Geschichte an der Universität Kassel, In: Karpa, Dietrich/Overwien, Bernd/Plessow, Oliver (Hg.): Außerschulische Lernorte in der politischen und historischen Bildung (Erfahrungsorientierter Politikunterricht Bd. 8), Immenhausen b. Kassel 2015, S. 186–192, hier S. 187. 203 Borries, Bodo von: Präsentation und Rezeption von Geschichte im Museum. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48/5–6 1997, S. 337–343, hier S. 337. 204 Vgl. ebd., S. 337–341. 205 Urban: Geschichtsvermittlung, S. 371. 206 Kenkmann, Adolf: Kompetenzförderung im Museum. In: Staupe, Gisela (Hg.): Das Museum als Lern- und Erfahrungsraum. Grundlagen und Praxisbeispiele, Köln/Wien 2012, S. 111–117, hier S. 14. 207 Vgl. Busse, Klaus-Peter: Museumspädagogik an der Schnittstelle von Museum und Schule. Aktuelle Paradigmen der Museumspädagogik, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 25–28; Urban: Geschichtsvermittlung; Kolb: Museum; Piontek, Anja: Partizipative Ansätze in Museen und deren Bildungsarbeit, in: Commandeur, Beatrix/Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 198–205.
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neuer Zeitperspektiven, Raumperspektiven und neuer Sinnzusammenhänge anregen [können].«208
Für ein ästhetisch-kulturelles Lernen, das »das Subjekt als eigenverantwortlich und kompetent […] in den Mittelpunkt des Geschehens [stellt] und […] auf Selbstklärung, Selbstbewusstwerdung, kritische Reflexions- und Urteilskompetenz [zielt]«,209
formulieren Braun und Schorn zehn Prinzipien kulturpädagogischen Handelns, auf die an dieser Stelle nur verwiesen sei.210
1.5
Anknüpfungspunkte und Potentiale für Deutschklassen
Die möglichen inhaltlichen Anknüpfungspunkte bei der Kooperation zwischen Regelklassen und Museen ergeben sich aus den jeweiligen Fachlehrplänen. Bei DKlassen können ebenfalls Lehrpläne als Referenz dienen. Jedoch muss die Antwort etwas differenzierter ausfallen. In D-Klassen211 sollen Quereinsteiger in das (bayerische) Bildungssystem mit nichtdeutscher Muttersprache in Grund- und Mittelschulen auf den Unterricht in einer Regelklasse vorbereitet werden.212 »Deutschklassen eröffnen eine intensive Deutschförderung in allen Fächern mit der Möglichkeit der zeitweisen Differenzierung für nichtalphabetisierte Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus bieten sie ›Kulturelle Bildung und Werteerziehung‹ sowie weiterführende ›Sprach- und Lernpraxis‹ in Angeboten für den ganzen Tag.«213
Eine differenziertere Spracherwerbsförderung mit anwendungsbezogenen praktischen Lernphasen wie auch eine fest verankerte Zusammenarbeit mit externen Partnern sind positiv zu bewerten. Beides ist ein Mehrwert für nachhaltiges Lernen und erleichtert die Einbeziehung z. B. kulturhistorischer Museen als 208 Nicke: Museum, S. 20. 209 Braun, Tom/Schorn, Brigitte: Ästhetisch-kulturelles Lernen und kulturpädagogische Praxis, In: Commandeur, Beatrix/Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 113–120, hier S. 116. 210 Vgl. ebd., S. 116–119. 211 In anderen Bundesländern heißen diese beispielsweise Integrations-, Willkommens- oder Internationale Klassen. 212 § 8 GrSO sowie § 10 MSO. 213 Zitiert aus einem nichtpublizierten, internen Schreiben des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus Bernd Sibler MdL an die Regierungen, staatlichen Schulämter sowie die staatlichen Grund- und Mittelschulen. Sibler, Bernd: Weiterentwicklung der Deutschfördermaßnahmen Deutschklassen, DeutschPLUS und Vorkurse für Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Muttersprache an Grund- und Mittelschulen (internes, nichtpubliziertes Schreiben des Bayerischen Kultusministeriums), München 2018, S. 2. Vgl. auch KM Bayern: Deutschförderung.
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Theorie
außerschulischen Lernorten. Auf der anderen Seite hat es aber Anschein, dass das Konzept D-Klasse in seiner grundsätzlichen Ausrichtung noch im Denken der so genannten »Ausländerpädagogik« verhaftet ist. Jene geht vom Gesellschaftsmodell einer homogenen Kultur aus und betrachtet Ausländer in erster Linie als »defizitär« (z. B. hinsichtlich Sprache oder Kultur). Ihre Anstrengungen richtet sie daher primär auf die Behebung jener »Defizite«.214 Die D-Klasse hat zwar das Ziel, die Lernenden auf den Unterricht in einer Regelklasse vorzubereiten und verfolgt somit indirekt inklusive und an den Prinzipien interkulturellen Lernens orientierte Absichten.215 Vor diesem Hintergrund ist es aber zumindest zu hinterfragen, ob die Separation ohne gemeinsame Lernphasen Lernender aus D-Klassen und jener aus Regeklassen am Beginn des Integrationsprozesses besonders integrationsförderlich ist.216 Gleichwohl soll damit keine Aussage über Wirksamkeit des Konzepts D-Klasse getroffen werden, ehe es gänzlich in die Praxis überführt ist. Erst die Erprobung im Unterrichtsalltag wird zeigen, was das Konzept zu leisten imstande ist. Inwiefern das Lernen im kulturhistorischen Museum anschlussfähig für den Unterricht in D-Klassen ist, zeigt ein Blick auf die zugrundeliegende Stundentafel.217 Diese enthält im Wesentlichen den Fächerkanon der Regelklassen und ist darüber hinaus um d-klassen-spezifische Fächer (Deutsch als Zweitsprache und Kulturelle Bildung und Werteerziehung) ergänzt. Dezidiert historisches Lernen 214 Vgl. Wenning, Norbert: Migration und Ethnizität in pädagogischen Theorien, Münster/ New York 1993, S. 10; Nieke, Wolfgang: Zur Theorie interkultureller Erziehung. Kulturrelativismus als Herausforderung für die Pädagogik, Essen 1990, S. 30–32; Diehm, Isabell/ Radtke, Frank-Olaf: Erziehung und Migration. Eine Einführung (Grundriß der Pädagogik 3), Stuttgart/Berlin/Köln 1999, S. 127. 215 Vgl. Over, Ulf: Die interkulturell kompetente Schule. Eine empirische Studie zur sozialen Konstruktion eines Entwicklungsziels, Münster/New York/München/Berlin 2012, bes. S. 40f.; Sternecker, Petra/Treuheit, Werner: Ansätze interkulturellen Lernens, in: Otten, Hendrik/Treuheit, Werner (Hg.): Interkulturelles Lernen in Theorie und Praxis. Ein Handbuch für Jugendarbeit und Weiterbildung, Opladen 1994, S. 31–56, hier S. 44f.; Diehm/Radtke: Erziehung, S. 128–132. Zur Problematik des Begriffs der interkulturellen Erziehung, der in gewisser Weise suggeriert, soziokulturelle Probleme gründeten ausschließlich in kultureller Verschiedenheit vgl. Nieke: Kulturrelativismus, S. 32f., 53–55; Hamburger, Franz: Abschied von der interkulturellen Pädagogik. Plädoyer für einen Wandel sozialpädagogischer Konzepte, Weinheim/München 2009, bes. S. 22, 67, 108. 216 Besonders für den Abbau von Vorurteilen und um Konflikte nicht erst entstehen zu lassen, wäre ein möglichst frühes, gemeinsames Lernen sinnvoll. Vgl. dazu Over: Die interkulturell kompetente Schule, S. 40f. Zum Problem der Konstruktion von Gleichheit im deutschen Bildungssystem vgl. Gogolin, Ingrid. Kulturelle und sprachliche Heterogenität in der Schülerschaft, in: Liesner, Andrea/Lohmann, Ingrid (Hg.): Gesellschaftliche Bedingungen von Erziehung und Bildung. Eine Einführung, Stuttgart 2010, S. 113–125. Vgl. auch Hamburger, Franz: Pädagogik der Einwanderungsgesellschaft, Frankfurt a. M. 1994, bes. S. 62– 66 bzw. S. 92–109; Diehm/Radtke: Erziehung, S. 128. 217 Anlage 2 zu § 11 MSO: Stundentafel für die Deutschklassen, (online) https://www.gesetzebayern.de/Content/Document/BayMSO-ANL_2 (aufgerufen am 28. 01. 2020).
Museen als außerschulische Lernorte
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findet im Rahmen des Fächerverbundes Physik/Chemie/Biologie/Erdkunde/ Geschichte/Sozialkunde bzw. Natur und Technik/Geschichte/Politik/Geographie statt. Für den Fächerverbund sind in den Jahrgangsstufen fünf und sechs fünf und in den Jahrgangsstufen sieben bis neun sechs Unterrichtsstunden pro Woche vorgesehen. Grundlage bildet der reguläre Lehrplan Plus, der die Fächer Geschichte/Politik/Geographie integriert abbildet.218 Dieser besteht je Jahrgangsstufe aus den vier Lernbereichen 1) »Lebensraum und Erde«, 2) »Zeit und Wandel«, 3) »Politik und Gesellschaft« und 4) »Lebenswelt«,219 die alle je nach Sammlungsschwerpunkt eines Museums für das Lernen im kulturhistorischen Museum prinzipiell anschlussfähig sein können. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass historisches Lernen aufgrund seiner spezifischen thematischen Gegenstände auch prädestiniert für fächerübergreifendes Lernen ist.220 Prinzipiell ist es das Ziel der D-Klasse, die Lernenden in allen Fächern auf den Unterricht in Regelklassen vorzubereiten. Eine herausgehobene Bedeutung nimmt hierbei der Spracherwerb im Rahmen des Fachs »Deutsch als Zweitsprache«221 sowie integrativ in den übrigen Fächern ein. Kulturhistorische Museen eignen sich in besonderer Weise zur Förderung des Sprachgebrauchs im Unterrichtsfach Geschichte – besonders für Lerner von Deutsch als Zweitsprache: Der zentrale Gegenstand der Geschichtswissenschaft – die Quelle – wird im Museum in Gestalt der Museumsobjekte gegenständlich greifbar. Aber ein Museum ist mehr als ein begehbares Depot. Zentral für museale Ausstellungen ist die Verschränkung von Objektrepräsentation und Inszenierung. Die Museumspädagogik will eine Auseinandersetzung mit den Objekten ermöglichen, die über die optische Wahrnehmung hinausgeht. Die multisensorische Erlebbarkeit von Geschichte ist förderlich für den Sprachgebrauch, da sie als Stimulus reale und authentische Kommunikationssituationen auslösen und ein integriertes Fachund Sprachlernen ermöglichen kann.222 218 Lehrplan Plus Mittelschule: Geschichte/Politik/Geographie, (online) https://www.lehr planplus.bayern.de/schulart/mittelschule/fach/gpg/inhalt/fachlehrplaene (aufgerufen am 28. 01. 2020). 219 Ebd. 220 Beispielsweise kann in den sechsten Jahrgangsstufe im Lernbereich 2 »Zeit und Wandel« beim Thema »Reformation« der Anschluss an Religionslehre gesucht werden. Weitere Berührungspunkte gibt es u. a. mit den Fächern Kunst (z. B die Architektur mittelalterlicher Bauwerke in der Jahrgangsstufe sechs, Barock in der Jahrgangsstufe sieben etc.), Musik (z. B. der Zusammenhang zwischen Motiven klassischer Werke und Bedingungen der Zeit, Lebenssituation des Komponisten in Jahrgangsstufe sechs) oder Werken und Gestalten (z. B. im Lernbereich 2 im Rahmen der Auseinandersetzung mit verschiedenen Materialien). 221 Zehnstündig in allen Jahrgangsstufen. 222 Vgl. Kniffka, Gabriele/Siebert-Ott, Gesa: Deutsch als Zweitsprache. Lehren und Lernen, Paderborn 32012, S. 94; Schmölzer-Eibinger, Sabine u. a.: Sprachförderung im Fachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen, Stuttgart 2013, S. 22f, 32f.; Leisen, Josef:
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Theorie
Die Ausstellung bündelt unterschiedliche Medien (z. B. Objekte, Texte, Bilder, Filme etc.) und kann als Unterstützungssystem herangezogen werden, um die sprachlichen Strukturen des Unterrichtsfachs Geschichte zu erschließen. Ein Beispiel ist die in der Geschichtswissenschaft wichtige Differenzierung zwischen Quelle und Darstellung. Was im Geschichtsunterricht oftmals eine abstrakte Begrifflichkeit bleiben muss, wird in den Objekten und z. B. den sie flankierenden Texten greifbar.223 Museumstexte sind wissenschaftlich fundiert, aber gleichzeitig zum besseren Verständnis semantisch optimiert. Auf diese Weise wird überdies die Lesekompetenz auf einem für Zweitsprachlerner bewältigbaren Anforderungsniveau gefördert.224 Die in der Geschichtsdidaktik zentralen Prinzipien Multiperspektivität und Fremdverstehen, die ein Museumsbesuch in besonderem Maße fördern kann, unterstützen überdies den situationsangemessenen Sprachgebrauch, da »höhere kognitive Fähigkeiten zur Perspektivübernahme zu einer besseren Adressatenorientierung […] führen.«225 Durch die Erlebnisdimension ist eine Steigerung der Motivation gegenüber dem herkömmlichen Geschichtsunterricht zu erwarten, was einen positiven Effekt auf einen situationsangemessenen Sprachgebrauch hat.226 Die erfahrungsbezogene Auseinandersetzung mit Geschichte und ein Vermittlungsansatz, der die Lernenden mit ihren eigenen Geschichten ernst nimmt, fördert zudem in besonderem Maße den Entwurf eigener Narrationen. Das trägt zum einen zur Ausbildung des Geschichtsbewusstseins bei. Zum anderen fördert es das Verständnis geschichtswissenschaftlicher Kommunikation und regt dazu an, eigene historische Fragen zu formulieren, sich über geschichtswissenschaftliche Sach-
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Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis. Grundlagenteil, Stuttgart 2017, S. 6f. Z. B. Hinsichtlich der Erarbeitung der lexikalischen Strukturen und gezielter Wortschatzarbeit benennen Michalak, Lemke und Goeke acht Merkmale. Vgl. Michalak, Magdalena/Lemke, Valerie/Goeke, Marius: Sprache im Fachunterricht. Eine Einführung in Deutsch als Zweitsprache und sprachbewussten Unterricht, Tübingen 2015, S. 149. Viele der von Michalak, Lemke und Goeke genannten Kriterien für die Auswahl von Sachtexten für Zweitsprachlernende treffen auch auf Museumstexte grundsätzlich zu. Vgl. Michalak/Lemke/Goeke: Sprache im Fachunterricht, S. 95. Merkmale schwacher Leser wie z. B. Schwierigkeiten bei basalen Wahrnehmungsmustern (Blickbewegungsmuster), der Worterkennung oder der syntaktischen und semantischen Integration auf Satzebene können durch entsprechend optimierte Museumstexte leichter überwunden werden. Vgl. Leisen: Handbuch Sprachförderung, S. 127. Michalak, Magdalena: »Die machen Musik aber so wie ich« – Adressatenorientierung in Grafikbeschreibungen, In: Rösch, Heidi/Webersik, Julia (Hg.): Deutsch als Zeritsprache – Erwerb und Didaktik. Beiträge aus dem 10. Workshop »Kinder mit Migrationshintergrund«, 2014, Stuttgart 2015, S. 109–125, hier S. 113. Vgl. Kniffka/Siebert-Ott: Deutsch als Zweitsprache, S. 155.
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verhalte auszutauschen und begründete Meinungen zu geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen zu formulieren.227 Kniffka und Siebert-Ott erkennen im Lernen im Museum folglich das Potential, fachliches und sprachliches Lernen zu integrieren und durch die Verbindung mit einem außerschulischen Lernort die Motivation der Lernenden nachhaltig zu steigern und zu erhalten.228 Behning hebt besonders die synergetische Verbindung von Spracherwerbsförderung und ästhetischer Bildung als Alleinstellungsmerkmal von Museen als außerschulischen Lernorten für Deutschlernende hervor.229 Wie bereits angedeutet, ist ein integraler Bestandteil des Konzepts D-Klasse der Bereich »Kulturelle Bildung und Werteerziehung.«230 Erweitert wird dieser Bereich durch obligatorische Nachmittagsangebote in »Sprach- und Lernpraxis«, die eine »flexible Sprach- und Lernförderung und weitere Angebote zur kulturellen Bildung«231 umfassen. Es wird explizit gefordert, hierfür »externe Kräfte bzw. Kooperationspartner«232 zu suchen. In dieser Verbindung sprachlicher und kultureller Bildungsziele drängt es sich geradezu auf, das kulturhistorische Museum als einen möglichen Kooperationspartner einzubeziehen. Das bedeutet zusammenfasend, dass museumspädagogische Anstrengungen in der Arbeit mit Lernenden aus D-Klassen nicht ausschließlich die Sprachförderung als Ziel ihrer Maßnahmen formulieren müssen. Schönicke erkennt, dass Museen insbesondere bei Themenfeldern wie Brauchtum, Geschichte oder Kultur, deren Behandlung im Unterricht oftmals sehr abstrakt bleiben muss, eine sehr anschauliche, plastische und sinnlich-ästhetische Begegnung mit dem Unterrichtsgegenstand ermöglichen.233 Im Museum hätten Kinder »die Chance, kulturelle Bildung […] als Freizeiterlebnis, fern von schulischen Zwängen,
227 Gleichzeitig erkennt jedoch Oleschko richtigerweise, dass bislang kein Konsens herrscht, was im Kontext des historischen Lernens typisch für eine zu erbringende Sprachleistung ist und dass der Geschichtsunterricht zudem über wenig standardisierte Textsorten und Schreibhandlungen verfügt. Vgl. Oleschko, Sven: Zur Bedeutung der Sprache im gesellschaftswissenschaftlichen Lernprozess, In: Michalak, Magdalena (Hg.): Sprache als Lernmedium im Fachunterricht. Theorien und Modelle für das sprachbewusste Lehren und Lernen, Baltmannsweiler 22017, S. 134–153, hier S. 139–141, 147. 228 Ebd., S. 154f. 229 Behning, Jens: Ein Fokus auf Sprache im Museum für Lernende mit Deutsch als Zweitsprache und Kreatives Schreiben zu Kunstexponaten, In: Wenrich, Rainer/Kirmeier; Josef (Hg.): Migration im Museum. Museumsbesuche für Menschen mit Fluchthintergrund (Kommunikation, Interaktion, Partizipation. Kunst und Kulturvermittlung im Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts Bd. 2), München 2017, S. 43–60, hier S. 43. 230 Mit vier Unterrichtsstunden pro Woche in jeder Jahrgangsstufe. 231 Anlage 2 zu § 11 MSO: Stundentafel für die Deutschklassen. 232 Sibler: Weiterentwicklung, S. 3. 233 Schönicke: Integration, S. 140.
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[kennenzulernen]«.234 Besondere Programme für D-Klassen bieten, um nur zwei Beispiele zu nennen, u. a. das MPZ in München235 sowie das KPZ in Nürnberg236 an. Allerdings besteht auch berechtigterweise Kritik an diesem gängigen museumspädagogischen Ansatz, der als Grundlage seiner Anstrengungen das Beheben von Defiziten (z. B. Sprache, Kultur etc.) in den Vordergrund stellt. Es wird dabei übersehen, dass es sich um Menschen mit Kompetenzen, Stärken und Ressourcen handelt, die nicht lediglich auf ihre Herkunft und mögliche Defizite reduziert werden dürfen. Das Ziel muss es stattdessen sein, ihre Selbstbestimmung zu stärken.237 Neben dem Museum als Vermittlungsort sind daher auch die Aspekte des Begegnungsortes und des Schutzraumes (insbesondere in der Arbeit mit Menschen mit Fluchterfahrung) entscheidend und zu berücksichtigen. Im Zuge des Integrationsprozesses bildet die Auseinandersetzung mit der (fremden) Kultur der Residenzgesellschaft einen wesentlichen Faktor der eigenen Identitätsbildung.238 Die in kulturhistorischen Museen präsentierten Identitätsangebote können, entsprechend aufbereitet, die Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung bei den individuellen Identitätskonstruktionsprozessen unterstützen. »Am Anfang eines […] [museumspädagogischen] Projekts sollte stets die Nachfrage nach den Wünschen und Erwartungen der Beteiligten stehen«.239 Auch Busse und Rohmeder betonen die Zielgruppenorientierung als eines der zentralen Paradigmen der Museumspädagogik.240 Aus dieser Forderung lässt sich unmittelbar die Notwendigkeit und die Begründung für die vorliegende Arbeit ableiten, dass es unerlässlich ist, sich intensiv mit den Interessen und Bedürfnissen der Zielgruppe auseinanderzusetzen.241
234 Kolb: Museum, S. 110. 235 Vgl. MPZ: Programm für Deutschklassen, (online) http://www.mpz-bayern.de/vielfalt-immuseum/ue-klassen/index.html (aufgerufen am 28. 01. 2020). 236 KPZ: Schulen und Jugendgruppen. Angebote für Übergangs-/Deutschklassen, (online) http://www.kpz-nuernberg.de/kpz/_angebote_schulen_multikulti.shtml (aufgerufen am 28. 01. 2020). 237 Ziese, Maren: Geflüchtete und Vermittlung in Museen, In: Commandeur, Beatrix/KunzOtt, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 295–299, hier S. 295f. 238 Benedetti: Integration, S. 86. 239 Ebd., S. 297. 240 Busse: Museumspädagogik, S. 25; Rohmeder: Methoden, S. 56, 60. 241 So auch Rudnicki/Theil: Deutsch im Museum, S. 104. Zudem erkennt Rohlfs im Rahmen seiner quantitativen Untersuchung, dass schulischer Unterricht etwa ein Drittel der Lernenden hinsichtlich ihres Interesses nicht erreicht. Rohlfs, Carsten: Bildungseinstellungen. Schule und formelle Bildung aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern, Wiesbaden 2011, S. 201. Das zeigt, dass Interessenorientierung vielfach nur ein Lippenbekenntnis denn ein ernstgenommener Maßstab zu sein scheint.
Museen als außerschulische Lernorte
1.6
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Zusammenfassung
Im vorliegenden Kontext erweist sich ein schulbezogenes Verständnis des Begriffs »außerschulisch« als zielführend. Die Einbindung außerschulischer Lernorte in einen schulischen und unterrichtlichen Rahmen wird als zwingend notwendig angesehen. Da verstärkt kulturelle und soziale Lernziele in den Mittelpunkt rücken, können diese Lernorte, beispielsweise Museen, eine sinnvolle Ergänzung des herkömmlichen Fächerkanons darstellen. Die infrastrukturellen Voraussetzungen können im Hinblick auf die Museumsdichte mit über 1.250 Einrichtungen allein in Bayern als überaus günstig bezeichnet werden. Ein institutionell und personell kontinuierlich wachsender museumspädagogischer Sektor gewährleistet zudem die Aus- und Weiterbildung qualifizierten Personals, einen fachlichen Diskurs und die professionelle Umsetzung oder Unterstützung museumspädagogischer Arbeit vor Ort und in der Fläche. Außerschulisches Lernen zeichnet sich dadurch aus, dass Wissensvermittlung und Kompetenzförderung nicht nur auf mediale und kognitive Aspekte und Prozesse beschränkt sind, sondern durch unmittelbare multisensorische Zugänge unter dem Aspekt des Lernens durch Erleben begleitet und gestaltet werden. Museen können hierbei die Lernenden befähigen, selbstbestimmt zu leben und zu lernen, kreative Potentiale fördern, identitätsstiftend wirken, die Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben ermöglichen sowie die persönliche Entwicklung stärken. Letztgenannte Aspekte gelten besonders für kulturhistorische Museen. Das Hauptalleinstellungsmerkmal des Museums liegt dabei in seinen zentralen Aufgaben: Sammeln, Bewahren, Erforschen und Präsentieren/Vermitteln. Ausdruck findet dies in der Arbeit an und mit Objekten musealer Überlieferung, Realien, Dingen, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinreichen. Die Museumsdinge können als Medium fungieren, den Rezipienten einen Zugang zu komplexen Themen, zu Vergangenem und Fremdem auf einer sinnlichen, ästhetisch-wahrnehmbaren und erlebbaren Ebene zu ermöglichen. Grundlegende Intention ist es, Multiperspektivität und Fremdverstehen bei der Auseinandersetzung mit der Überlieferung zu fördern. Handlungsorientierte, interaktive und partizipative Formate stehen daher im Zentrum museumspädagogischer Anstrengungen. Auch für D-Klassen bilden Schule und (kulturhistorisches) Museum eine fruchtbare Verbindung. Inhaltlicher Bezugspunkt sind die Stundentafel sowie die jeweiligen Fachlehrpläne. Anschlussfähig sind jene Museen zunächst im Bereich des historischen Lernens als Teil des Fächerverbundes Physik/Chemie/Biologie/ Erdkunde/Geschichte/Sozialkunde bzw. Natur und Technik/Geschichte/Politik/ Geographie. Darüber hinaus ergeben sich Anknüpfungspunkte im Bereich des fächerübergreifenden Lernens z. B. bei den Fächern Kunst, Musik oder Werken und Gestalten. Als Vorbereitung auf den Unterricht in Regelklassen nimmt in D-
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Theorie
Klassen der Spracherwerb eine herausgehobene Stellung ein. Dies geschieht in erster Linie im Fach Deutsch als Zweitsprache. Jedoch sind für einen integrativen Ansatz grundlegende Prinzipien von Deutsch als Zweitsprache für jedes Unterrichtsfach relevant. Als Ausdruck des kommunikativen Ansatzes des Spracherwerbs, der weniger eine linguistische denn eine kommunikative Kompetenz als Lernziel formuliert, sind drei Prinzipien grundlegend: 1) natürliche Erwerbsund echte Kommunikationssituationen, 2) entdeckendes Lernen und 3) authentische Lerngegenstände. Das Lernen im (kulturhistorischen) Museum kann diesen Prinzipien Rechnung tragen. Schließlich kann eines der Grundprinzipien des historischen Lernens, Multiperspektivität und Fremdverstehen, eine wertvolle Unterstützung für den Spracherwerb darstellen, da die Fähigkeit zur Perspektivübernahme eine wichtige Voraussetzung für adressatenorientiertes Kommunizieren darstellt. Neben dem Spracherwerb bildet die »kulturelle Bildung« einen integralen Bestandteil des Konzepts D-Klasse. Folglich müssen bzw. können museumspädagogische Anstrengungen in diesem Zusammenhang nicht auf Spracherwerb beschränkt bleiben. Im Unterricht nur sehr abstrakt behandelbare Themen (wie Geschichte und Kultur) können im kulturhistorischen Museum plastisch und anschaulich vermittelt werden. Eines muss sich die Museumspädagogik bei der Arbeit mit D-Klassen stets vergegenwärtigen: Ihre Arbeit darf nicht davon geleitet sein, die Lernenden als defizitär (z. B. im Hinblick auf Sprache, Kultur etc.) zu betrachten. Sie muss die Menschen mit ihren Stärken, Ressourcen und Kompetenzen in den Vordergrund stellen und sie nicht auf ihre Herkunft reduzieren. Das kulturhistorische Museum ist in diesem Zusammenhang in erster Linie als ein Begegnungsort zu verstehen, an dem es Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung ermöglicht werden kann, die ihnen fremde Kultur der Residenzgesellschaft in einem »geschützten Raum« kennenzulernen und die dort präsentierten Identitätsangebote für die eigene Identitätskonstruktion heranzuziehen. Die Sprach- oder Kompetenzförderung können in diesen Rahmen sinnvoll integriert werden, sollten jedoch nicht an erster Stelle stehen. Unabhängig davon, welche Ziele mit einem Museumsbesuch einer D-Klasse verfolgt werden, in jedem Fall muss die erste Frage die nach den Bedürfnissen und Interessen der Zielgruppe sein.
Untersuchungsgegenstand: Interesse
2.
Untersuchungsgegenstand: Interesse
2.1
Bedingungen und Anforderungen
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Die entscheidende Größe dieser Arbeit wurde bislang nicht hinreichend behandelt, der Untersuchungsgegenstand: Interesse. Die bisherigen Ausführungen lassen bereits vermuten, dass die Untersuchung einen rekonstruktiven Charakter haben wird. Es geht nicht um die Überprüfung zuvor aufgestellter Hypothesen, sondern um die empirische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand in einem spezifischen Kontext. Es wäre daher fatal, versuchen zu wollen, dem Gegenstand Interesse einen mehr oder weniger engen Rahmen zu setzen, d. h. vorab zu definieren, welche Strukturen und Muster das Interesse der FS in einem spezifischen Kontext aufweist und welche nicht. Dies würde die Aussagekraft rekonstruktiver Forschung bereits im Ansatz signifikant schwächen, da ihr Erkenntnissinteresse genau darin besteht, sich durch den Forschungsprozess dem Untersuchungsgegenstand und seiner Struktur – in dieser Arbeit: den darin zutage tretenden Orientierungen und deren konjunktivem Erfahrungsraum – anzunähern. Was die einzelnen FS in der Auseinandersetzung mit einer musealen Ausstellung interessant finden, dürfen und sollen sie selbst entscheiden. Es ist anzunehmen, dass die FS nicht alle über dasselbe Konzept von Interesse verfügen. Daher muss darauf vertraut werden, dass das aus den Erhebungen resultierende empirische Material über eine entsprechende Struktur verfügt, die es erlaubt, allgemeine Aussagen zu gewinnen. Dem rekonstruktiven Charakter der Untersuchung zum Trotz bedarf es nichtsdestoweniger geeigneter Begrifflichkeiten, um das, was die FS als interessant artikulieren, beschreiben zu können. Die Frage lautet daher, auf Basis welches allgemeinen Konstrukts und durch welche geschichtsdidaktische Kategorie ein empirischer Zugang zum Untersuchungsgegenstand »Interesse« in diesem speziellen Kontext möglich ist. Ein zentrales Merkmal der Untersuchungsgruppe ist, dass D-Klassen – beispielsweise hinsichtlich der Faktoren Altersstruktur, Bildungssozialisation, Bildungsstand oder Fortschritt des Spracherwerbs – äußerst heterogen sind.242 Diese Heterogenität darf jedoch keinen nennenswerten Auswirkungen haben. Der Untersuchungsgegenstand muss, selbstredend in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität, aber dennoch prinzipiell unabhängig solcher oder andere Faktoren auf einem niedrigschwelligen Reflexionsniveau präsent und messbar sein. Mit dem Verband einer D-Klasse bildet die soziale Gruppe (im Unterschied zu Erhebungen mit Einzelpersonen) ein weiteres Merkmal der Untersuchung. Nichtsdestoweniger stellt auch in diesem spezifischen Setting auf einer Mikroebene die Auseinandersetzung eines einzelnen FS mit einem mu242 Vgl. KM Bayern: Deutschförderung.
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Theorie
sealen Gegenstand die kleinste zu betrachtende Einheit dar, selbst wenn das Interesse letztlich auf der Ebene des Kollektivs der (sozialen) Gruppe betrachtet wird. Für den allgemeinen Zugang gilt demzufolge, dass er auf Beziehungen zwischen einzelnen Individuen und einem Gegenstand basiert; für den geschichtsdidaktischen hingegen, dass er empfänglich für subjektive Bedeutungszuschreibungen und latente Sinngehalte sein muss. Weitere notwendige Bedingungen werden mit Blick auf das geplante (methodische) Setting der Untersuchung ersichtlich. Der Untersuchungsgegenstand muss sich auf einer verbalen Ebene in narrativen Strukturen und auf einer nonverbalen Ebene in beobachtbarem Verhalten erfassen lassen. Nicht zuletzt ist auch der Zeitpunkt der Erhebungen von Bedeutung. Es muss gewährleistet sein, dass der Untersuchungsgegenstand im Moment der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung zutage tritt und gemessen werden kann.
2.2
Im Allgemeinen: die Person-Gegenstands-Theorie
Der Blick auf die empirische pädagogisch-psychologische Interessenforschung zeigt, dass der Begriff Interesse keineswegs einheitlich definiert wird.243 Todt und Schreiber versuchen zwar, eine integrative und umfassende Definition zu geben. Diese ist jedoch so weit gefasst, dass mehrere Subkategorien nötig sind, um Interesse im konkreten Fall beschreiben zu können.244 Nichtsdestoweniger greift ihre Eingrenzung wesentliche Aspekte auf, die auch Krapp als Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Ansätze identifiziert: Interesse als relationales Konstrukt und als Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstand.245 Die so genannte »Person-Gegenstands-Theorie« oder auch »Münchener Interessenkonzeption«246 bildet, unter Verweis auf die oben genannten Kriterien und Anforderungen, das geeignete Interessenkonstrukt zur Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes auf einer allgemeinen Ebene.
243 Krapp, Andreas: Die Bedeutung von Interesse und intrinsischer Motivation für den Erfolg und die Steuerung schulischen Lernens, In: Schnaitmann, Gerhard W. (Hg.): Theorie und Praxis der Unterrichtsforschung. Methodologische und praktische Ansätze zur Erforschung von Lernprozessen, Donauwörth 1996, S. 87–110, hier S. 92. 244 Vgl. Todt, Eberhard/Schreiber, Susanne: Development of Interests, In: Hoffman, Lore u. a. (Hg.): Interest and Learning. Proceedings of the Seeon Conference on Interest and Gender, Kiel 1998, S. 25–40. 245 Krapp: Bedeutung, S. 92. 246 Krapp, Andreas: Intrinsische Lernmotivation und Interesse. Forschungsansätze und konzeptionelle Überlegungen, In: Zeitschrift für Pädagogik 45/3 1999, S. 387–406, hier S. 396.
Untersuchungsgegenstand: Interesse
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Ausgangspunkt dieses Konzepts ist die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan.247 In deren Zentrum stehen der Begriff des »Selbst« sowie die angeborenen psychologischen Grundbedürfnisse und grundlegenden Fähigkeiten und Interessen des Individuums. Die Theorie postuliert einen engen Zusammenhang zwischen Interesse und der Ausbildung intrinsischer Motivation. Dieser Annahme liegt das Konzept der Intentionalität zugrunde, d. h. dass Individuen dann als motiviert gelten, wenn sie etwas erreichen wollen.248 Auf den Zusammenhang zwischen der Befriedigung von psychologischen Grundbedürfnissen, den so genannten »basic needs« und der Entstehung von Interesse, wird im Rahmen der Einordnung der empirischen Befunde im Abschnitt D dezidiert einzugehen sein. Diese werden, wie sich zeigen wird, eine konstitutive Rolle für den Untersuchungsgegenstand spielen. Für den Moment soll jedoch der Fokus zurück auf das Interessenkonstrukt, die Person-Gegenstands-Theorie von Krapp gerichtet werden. Den einen Bestandteil bildet die »Person«, die physische Seite des abstrakten »Selbst« von Deci und Ryan. Im Rahmen einer Interessenhandlung tritt diese in Relation zu einem Gegenstand, dem Objekt der Interessenhandlung. Krapp spricht von »Gegenstandsspezifität«.249 Der Gegenstand ist faktisch objektiv vorgegeben, wird jedoch im Rahmen der Interessenhandlung aus subjektiver Sicht konstruiert. Für diese identifiziert Krapp im Weiteren eine emotionale Merkmalskomponente, d. h. die Verbindung mit positiven Gefühlen und einer gewissen Erlebnisqualität sowie eine wertbezogene Merkmalskomponente, d. h. eine herausgehobene subjektive Bedeutung des Interessengegenstandes für die Person.250 Über die reine Person-GegenstandsBeziehung hinaus nimmt auch der übergeordnete Kontext, die Umwelt, eine wesentliche Rolle ein. Es wird postuliert, dass im Rahmen einer Interessenhandlung Person und Umwelt eine »funktionale Einheit«251 bilden. Auf der Ebene des Interesses differenziert Krapp zwischen zwei Ansätzen: 1) Interesse als »persönlichkeitsspezifisches Merkmal des Lerners«:252 individuelles oder persönliches Interesse und 2) Interesse als »einmalige[r], situationsspezifische[r], 247 U. a. Deci, Edward L./Ryan, Richard M.: Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik, In: Zeitschrift für Pädagogik 39/2 1993, S. 223–238. 248 Vgl. ebd., S. 223–225. 249 Krapp: Intrinsische Lernmotivation, S. 397. 250 Ebd., S. 398f. 251 Krapp, Andreas: Das Konzept der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse. Ein Erklärungsansatz für die positiven Effekte von Wohlbefinden und intrinsischer Motivation im Lehr-Lerngeschehen, In: Zeitschrift für Pädagogik 51/5 2005, S. 626–641, hier S. 630. 252 Krapp, Andreas: Konzepte und Forschungsansätze zur Analyse des Zusammenhangs von Interesse, Lernen und Leistung, In: Krapp, Andreas/Prenzel, Manfred (Hg.): Interesse, Lernen, Leistung. Neuere Ansätze der pädagogisch-psychologischen Interessenforschung (Arbeiten zur sozialwissenschaftlichen Psychologie Bd. 26), Münster 1992, S. 9–52, hier S. 11f.
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Theorie
motivationale[r] Zustand, der aus den besonderen Anreizbedingungen einer Lernsituation […] resultiert«:253 situationales Interesse. Die konkrete Interessenhandlung kann wiederum aus beiden Ansätzen resultieren. Schließt sie an bereits bestehende, individuelle Interessen an, handelt es sich um »aktualisierte[s] Interesse«;254 beruht sie lediglich auf situationsspezifischen Anreizen bzw. Stimuli, so greift wiederum die Bezeichnung »situationales Interesse«.255 Das Ziel muss es folglich sein, eine Lernumgebung mit solchen Merkmalen auszustatten, die als Stimulus eine Interessenhandlung der Lernenden auslösen. Je nachdem, ob dieser Stimulus an ein bereits bestehendes, individuelles Interesse des Lernenden anschließt, oder die Interessantheit lediglich aus der Situation resultiert, entsteht ein aktualisiertes oder situationales Interesse. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet das, dass versucht werden muss, zur Ebene des aktualisierten Interesses der FS vorzudringen, um dessen Struktur ergründen zu können. Die Objekte und Kontexte der musealen Ausstellung bilden zunächst die Stimuli, die ein situationales Interesse der FS auslösen können. Mit den in Abschnitt C, Kapitel 1 zu konzipierenden Erhebungsmethoden werden diese situationalen Interessen weiter vertieft. Die Analysemethode muss es leisten können, von diesem Schürfen an der Oberfläche in die Tiefe zum konjunktiven Erfahrungsraum und damit dem aktualisierten Interesse, d. h. einem übergeordneten individuellen bzw. kollektiven Interesse vorzudringen. Gesucht wird nach dem gemeinsamen Nenner, der die einzelnen, situationalen Interessen verbindet und damit generalisierbare Aussagen über den Untersuchungsgegenstand zulässt.
2.3
Im Besonderen: Geschichtsbewusstsein und historische Identität
Eine Antwort auf die oben genannten Bedingungen und Anforderungen kann in geschichtsdidaktischer Hinsicht die Kategorie der historischen Identität liefern. Sie steht jedoch nicht für sich alleine, sondern muss in dem ihr übergeordneten Zusammenhang betrachtet werden: Das Geschichtsbewusstsein gilt als eine oder wenn nicht gar die »Fundamentalkategorie« der Geschichtsdidaktik.256 Die 253 Krapp: Konzepte, S. 11. 254 Krapp, Andreas: Das Interessenkonstrukt. Bestimmungsmerkmale der Interessenhandlung und des individuellen Interesses aus der Sicht einer Person-Gegenstands-Konzeption, In: Krapp, Andreas/Prenzel, Manfred (Hg.): Interesse, Lernen, Leistung. Neuere Ansätze der pädagogisch-psychologischen Interessenforschung (Arbeiten zur sozialwissenschaftlichen Psychologie Bd. 26), Münster 1992, S. 297–330, hier S. 309. 255 Ebd. 256 Vgl. Rohlfes, Joachim: Geschichtsbewußtsein. Leerformel oder Fundamentalkategorie?, In: Becher, Ursula A./Bergmann, Klaus (Hg.): Geschichte – Nutzen oder Nachteil für das Leben? Sammelband zum 10jährigen Bestehen der Zeitschrift »Geschichtsdidaktik«, Düs-
Untersuchungsgegenstand: Interesse
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zentrale Aufgabe der Geschichtsdidaktik müsse es nach Jeismann sein, nach der Systematik des Geschichtsbewusstseins zu fragen. Historisches Lernen sei als Vermittlung von Geschichtsbewusstsein in intentionalen Prozessen zu begreifen.257 Wenngleich sich die unterschiedlichen Ansätze in ihrer Intention unterscheiden, liegt ihnen dieselbe semantische Annahme zugrunde: Geschichtsbewusstsein als Bewusstsein über die Geschichtlichkeit und Zeitlichkeit menschlichen Lebens und Handelns – kurz: gesellschaftliche Veränderung.258 Damit ist ein ausgebildetes Geschichtsbewusstsein eine notwendige Bedingung für Multiperspektivität und Fremdverstehen. Unterschiede, Veränderungen und Andersartigkeit müssen erkannt werden, bevor eine reflektierte Auseinandersetzung mit diesen erfolgen kann.259 An dieser Stelle soll kein spezifisches Konzept von Geschichtsbewusstsein herausgegriffen und ausschließlich betrachtet werden. Vielmehr erweist es sich als zielführend, unterschiedliche Konzepte miteinander in Verbindung zu setzen und im Hinblick auf die Kategorie der historischen Identität zu vergleichen.260 2.3.1 Prozesse der Individualisierung Die historische Identität erfüllt, wie Meyer-Hamme konzediert, die »kulturelle Funktion historischen Denkens »261 für die Konstruktion von Wir-Gruppen und für Prozesse der Individualisierung. Die Fähigkeit des Menschen zur historischen Sinnbildung sowie die zeitliche Ausdehnung seines kulturellen Orientierungsrahmens erkennt Rüsen als den Kern des Wesens der historischen Identität.262 In
257 258 259 260 261 262
seldorf 1986, S. 92–95; Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewußtsein als zentrale Kategorie der Geschichtsdidaktik, In: Schneider, Gerhard (Hg.): Geschichtsbewußtsein und historisch-politisches Lernen (Jahrbuch für Geschichtsdidaktik Bd. 1), Pfaffenweiler 1988, S. 1– 24; Sauer, Michael: Historisches Denken und Geschichtsunterricht, In: Zeitschrift für Pädagogik 54 2008, S. 213–217; Schönemann, Bernd: Geschichtsbewusstsein – Theorie, In: Barricelli, Michele/Lücke, Martin (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts Bd. 1, Schwalbach/Ts. 2012, S. 98–111. Jeismann: Geschichtsbewußtsein 1988, S. 2. Vgl. Schönemann: Geschichtsbewusstsein. Vgl. Sauer: Historisches Lernen, S. 86–90. Dieser Teilbereich soll einen theoretischen Überblick vermitteln. Eine weitere Auseinandersetzung unter dem Gesichtspunkt empirischer geschichtsdidaktischer Forschung erfolgt in Abschnitt B, Kapitel 4. Meyer-Hamme, Johannes: Historische Identitäten in einer kulturell heterogenen Gesellschaft, In: Barricelli, Michele/Lücke, Martin (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts Bd. 1, Schwalbach/Ts. 2012, S. 89–97, hier S. 89. Rüsen, Jörn: Lebendige Geschichte. Grundzüge einer Historik III: Formen und Funktionen des historischen Wissens, Göttingen 1989, S: 93; vgl. ebenso Bergmann, Klaus: Identität, In: Bergmann, Klaus u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Düsseldorf 31985, S. 29–36, hier S. 32; Bergmann, Klaus: Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens, Schwalbach/Ts. 22000, S. 94.
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jener manifestiert sich nach Jeismann der »Zusammenhang zwischen Vergangenheitswahrnehmung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive«.263 Von Borries spezifiziert, dass sich die im Geschichtsbewusstsein manifeste individuelle Ich-Identität in einem »Ausgleich zwischen ›personaler Identität‹ […] und ›sozialer Identität‹«264 herausbildet. Er erkennt ferner die enge Koppelung und das Wechselverhältnis von Wir- und Ich-Identitäten.265 Aufgrund dieser stark an individuellen Prozessen orientierten Genese existiere eine Fülle unterschiedlicher, häufig divergenter und rudimentärer Formen von Geschichtsbewusstsein.266 Daran anknüpfend spricht Pandel nicht von dem einen, normativ zu greifenden Geschichtsbewusstsein, sondern von einer Fülle unterschiedlicher Ausprägungen von Geschichtsbewusstsein. Obwohl die Sprache nur den Singular, das Geschichtsbewusstsein, kenne, existiere es faktisch nur in einem Plural, als jeweilige individuelle Aktualisierung aus einem Gesamtpotential der möglichen kategorial verfassten Strukturen. Daraus ließe sich die Perspektivität von Geschichtsbewusstsein ableiten, dass Geschichte(n) in jedem (Re-)Produktionsakt anders oder um-erzählt würden.267 »Identität« kann in diesem Kontext wie bei Mollenhauer als der »durch Sprache dem Bewußtsein verfügbar gemachte Ort der einzelnen Person in einem sozialen Beziehungssystem«268 verstanden werden. Bergmann269 lokalisiert die historische Identität wie von 263 Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewußtsein, In: Bergmann, Klaus u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Düsseldorf 1985, S. 42–44, hier S. 42. 264 Borries, Bodo von: Alltägliches Geschichtsbewußtsein. Erkundung durch Intensivinterviews und Versuch von Fallinterpretationen, In: Geschichtsdidaktik 5 1980, S. 243–262, hier S. 254. 265 Ebd., S. 257. 266 Vgl. Jeismann, Karl-Ernst: Didaktik der Geschichte. Das spezifische Bedingungsfeld des Geschichtsunterrichts, In: Behrmann, Günther C./Jeismann, Karl-Ernst/Süssmuth, Hans (Hg.): Geschichte und Politik. Didaktische Grundlegung eines kooperativen Unterrichts, Paderborn 1978, S. 50–76, hier S- 52–55; Jeismann, Karl-Ernst: »Geschichtsbewußtsein«. Überlegungen zur zentralen Kategorie eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik, In: Süssmuth, Hans (Hg.): Geschichtsdidaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, Paderborn 1980, S. 179–222, hier S. 187. 267 Vgl. Pandel, Hans-Jürgen: Dimensionen des Geschichtsbewußtseins, ein Versuch, seine Struktur für Empirie und Pragmatik diskutierbar zu machen, In: Geschichtsdidaktik 12 1987, S. 130–142, hier S. 131. Auch Whitehead u. a. erkennen, dass aufgrund der kulturellen Spezifität von Orten und der Vielfalt der mit ihnen verbundenen kulturellen Erfahrungen deshalb auch von einer Mehrzahl von mit jenen verbundenen – auch konfligierenden – Identitäten gesprochen werden muss. Vgl. Whitehead u. a.: Place, Identity and Migration, S. 54. 268 Mollenhauer, Klaus: Theorien zum Erziehungsprozess, München 1972, S. 86. Die interkulturelle Pädagogik ergänzt, dass Identität »ein stabiles Muster der Selbstwahrnehmung und zugleich der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Einheiten« darstellt. Kritisiert wird aber auch der Wandel des Begriffs zur diffusen Allerweltsformel. Vgl. Hamburger: Abschied, S. 68, 70. 269 Bergmann: Geschichtsdidaktik, S. 94.
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Borries270 als einen Bestandteil der Ich-Identität, »die zugleich Freiheit und Individuierung des einzelnen in komplexen Rollensystemen sichert«.271 Einen wesentlichen Bestandteil der Ich-Identität bildet die Fähigkeit, die eigene Lebensgeschichte sinnvoll zu gestalten und ein stimmiges soziales Verhalten in unterschiedlichen Situationen und gegenüber unterschiedlichen sozialen Erwartungen zu entwickeln.272 Für Rüsen und Bergmann steht fest, dass die Konstruktion der historischen Identität durch Affirmation und Identifikation erfolgt.273 Jeismann erkennt drei in einem Wechselverhältnis miteinander und aufeinander wirkender Dimensionen des Verhältnisses zu Geschichte, die mitbestimmt seien durch »konkrete Interessenlagen [der Subjekte] oder durch deren Interpretationen«.274 Er bezeichnet sie als Analyse, Sachurteil und Wertung.275 Diesen stellt Rüsen mit Erfahrung, Deutung und Orientierung vergleichbare Operationen bzw. Dimensionen des Lernens gegenüber.276 Das Geschichtsbewusstsein stellt dabei jedoch nicht lediglich eine »Hülse für wechselnde Inhalte« dar, sondern beleuchtet das Verhältnis zwischen »erkennendem Subjekt und zu erkennendem Gegenstand, also zwischen Mensch und Geschichte«.277 Die historische Identität erfüllt somit die erste wichtige Bedingung, dass sie als individuelle, mentale Struktur und verantwortlich für Prozesse der Individualisierung empfänglich für latente Sinngehalte und subjektive Bedeutungszuschreibungen ist, da sie sich durch diese erst konstituiert. Dabei spielen die Aspekte der Identifikation und Affirmation eine wichtige Rolle. Auf diese Weise kann auch die Verbindung zum Interessenkonstrukt von Krapp hergestellt werden, der u. a. eine wertbezogene Komponente der Interessenhandlung betont, worin die persönliche subjektive Bedeutung für das Individuum, die Identifikation mit dem Gegenstand dokumentiert wird. Geschieht die Interessenhandlung in einem historischen Kontext, ist eine Relation zu Anknüpfungspunkten in der jeweiligen historischen Identität zu vermuten.
270 Borries: Alltägliches Geschichtsbewußtsein, S. 254. 271 Habermas, Jürgen: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?, In: Habermas, Jürgen/Heinrich, Dieter (Hg.): Zwei Reden, Frankfurt a. M. 1974, S. 23–84, hier S. 32; zit. nach Bergmann: Geschichtsdidaktik, S. 93. 272 Bergmann: Identität, S. 29. 273 Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 40; Bergmann: Identität, S. 32. 274 Jeismann: Didaktik, S. 60. 275 Jeismann: Geschichtsbewußtsein 1980, S. 27. 276 Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 99. 277 Jeismann: Geschichtsbewußtsein 1988, S. 9.
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2.3.2 Sinnbildung durch narrative Akte Meyer-Hamme wie auch Rüsen betonen die Notwendigkeit des Erzählens historischer Narrationen und die darin enthaltenen Akte der Sinnbildung über Zeiterfahrung für die Genese des Geschichtsbewusstseins und der historischen Identität.278 Die besondere Qualität besteht nach Rüsen darin, dass diese narrativen Sinnbildungsprozesse keinen Abschluss finden, sondern durch in den Lebensprozess einfließende Erfahrungen einem steten Aktualisierungs- und Umbildungsprozess unterliegen. Die Erzählung bildet die formale Struktur der historischen Erkenntnis. Historisches Denken findet als erzählendes Denken statt. Die Erfahrung von Zeit, von Veränderung, gewissermaßen von Kontinuität wie Diskontinuität, ist hierbei ein zentraler Gesichtspunkt.279 Rüsen differenziert im Wesentlichen vier Formen des historischen Erzählens: 1) Traditionales Erzählen fokussiert die Ursprünge, die gegenwärtige Lebensverhältnisse bedingen. Identität konstituiert sich durch die Affirmation vorgegebener Identitätsdefinitionen. 2) Exemplarisches Erzählen greift auf Sachverhalte der Vergangenheit zu, welche die Regeln gegenwärtiger Lebensverhältnisse konkretisieren. Identität entsteht durch die Generalisierung von Zeiterfahrungen zu Handlungsregeln. 3) Kritisches Erzählen konzentriert sich auf Sachverhalte der Vergangenheit, von denen ausgehend gegenwärtige Lebensverhältnisse infrage gestellt werden können. Identität konkretisiert sich durch die Negation identitätsbildender Deutungsmuster der Zeiterfahrung. 4) Genetisches Erzählen hebt qualitative Veränderungen in der Vergangenheit hervor, die andere und fremde Lebensverhältnisse in eigene und vertraute münden lassen. Identität manifestiert sich durch die Vermittlung von Dauer und Wandel.280 Rüsen wie auch Pandel geben dem Geschichtsbewusstsein nicht nur den Stellenwert eines Produkts von Bewusstseinsprozessen, sondern den einer »narrativen Kompetenz.«281 Es bildet eine individuelle mentale Struktur, ein kognitives Bezugssystem, das im narrativen Prozess und erst mit dem Sprachlernen gebildet wird.282 Als Bestandteile dieser Struktur schlägt Pandel ein System sieben aufeinander verweisender Doppelkategorien vor, auf das an dieser
278 Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2012, S. 94; Rüsen, Jörn: Historisches Erzählen, In: Bergmann, Klaus u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Düsseldorf 31985, S. 44–50, hier S. 45. 279 Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 93f.; Rüsen, Jörn: Geschichtstheoretische Konsequenzen aus einer erzähltheoretischen Historik, In: Quandt, Sigfried/Süssmuth, Hans (Hg.): Historisches Erzählen. Formen und Funktionen, Göttingen 1982, S. 129–170, hier S. 135f. 280 Vgl. diesbezüglich Rüsen: Geschichtstheoretische Konsequenzen, S. 141–145; Ders: Historisches Erzählen, S. 46f.; Ders: Lebendige Geschichte, S. 39–56. 281 Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 93; Pandel: Dimensionen, S. 131. 282 Pandel: Einführung, S. 99.
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Stelle jedoch lediglich verwiesen sei.283 Die historische Identität ist nicht nur einer von Pandels Dimensionen zuzuordnen, sondern ist stets durch mehrere oder alle Dimensionen bedingt.284 Von Borries identifiziert im Erzählen historischer Narrationen eine der Hauptfunktionen des Geschichtsbewusstseins: die der Legitimation. Beispielsweise in der Legitimation ganzer Epochen in Abgrenzung zu früheren, »wesentlich schlechteren« Epochen erfolge eine Legitimation des eigenen Selbst, der eigenen Lebensweise, Herkunft etc.285 Der Auftrag von Geschichtswissenschaft wie Geschichtsdidaktik müsse es daher sein, historische Entwicklungen nicht als zwangsläufig alternativlos zu betrachten, um »falscher« Legitimation entgegenzuwirken. Neben der Legitimation durch Geschichte erkennt von Borries auch die Legitimation trotz Geschichte, der die kritische Haltung zugrunde liegt, ob eine Legitimation trotz gewisser Ereignisse und Geschehnisse in der Vergangenheit noch möglich sei.286 Resultierend aus diesen Schlüssen entwirft von Borries ein Modell der Erscheinungsformen historischer Legitimation und präsentiert vier Kategorien, denen sich die unterschiedlichen Ausprägungen zuordnen lassen sollen: minimale Verwendung,287 affirmative Verwendung288 destruktive Verwendung289 und reflexive Verwendung.290 Durch diese differenzierte Graduierung und Abstufung der Ausprägung bzw. Erscheinungsform der historischen Identität erweitert von Borries den Begriff um eine Dimension, die in den Konzepten von Jeismann, Pandel und Rüsen nicht enthalten ist. Die historische Identität als Aspekt des Geschichtsbewusstseins ordnet von Borries diesem weniger auf funktionaler, als eher auf struktureller Ebene »als den verschiedenen Verwendungsweisen von ›Geschichtsbewußtsein‹ übergeordnet, d. h. als die psychosoziale Erscheinungsweise von ›Geschichtsbewußtsein‹ beim Aufbau der Persönlichkeit selbst«291
283 Vgl. diesbezüglich Pandel: Dimensionen, S. 132–138; Pandel.: Einführung, S. 99. 284 Augenscheinlich dem Identitätsbewusstsein. 285 Vgl. Borries, Bodo von: Legitimation aus Geschichte oder Legitimation trotz Geschichte? Zu einer Hauptfunktion von Geschichtsbewußtsein. In: Geschichtsdidaktik 8 1983, S. 9–21; Borries, Bodo von: Geschichtsbewußtsein, Lebenslauf und Charakterstruktur. Auswertung von Intensivinterviews, In: Schneider, Gerhard (Hg.): Geschichtsbewußtsein und historisch-politisches Lernen (Jahrbuch für Geschichtsdidaktik Bd. 1), Pfaffenweiler 1988, S. 163– 181; Borries, Bodo von: Geschichtslernen und Geschichtsbewußtsein. Empirische Erkundungen zu Erwerb und Gebrauch von Historie, Göttingen 1988. 286 Vgl. Borries: Legitimation, S. 9–14. 287 Legitimation ohne Geschichte, geschichtslose historische Identität. 288 Legitimation durch Geschichte, ungebrochene historische Identität. 289 Legitimation gegen Geschichte, negative historische Identität. 290 Legitimation angesichts Geschichte, balancierte historische Identität. Vgl. bezüglich der vier Kategorien Borries: Legitimation, S. 15. 291 Borries: Legitimation, S. 19.
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zu. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Figur, mit der von Borries sein Konzept von Geschichtsbewusstsein beschreibt. Anhand einer Pyramide skizziert er auf vier Ebenen die Kriterien der Begriffsverwendung und die Grade der Intensität und Bewusstheit von Geschichte. Diese betreffen die Grade der intellektuellen Durchdringung, die der erkannten Betroffenheit, die tiefenpsychologische Anerkenntnis und die lebenspraktische Handlungsrelevanz von Geschichte.292 Somit kann ein weiteres Kriterium als erfüllt betrachtet werden, dass sich der Untersuchungsgegenstand in narrativen und damit durch die Erhebungsinstrumente erfassbaren Strukturen äußert. Diese verweisen somit auch auf den relationalen Charakter des Interessenkonstrukts von Krapp, der einen wechselseitigen »Dialog« zwischen Interessengegenstand und Person postuliert. In den narrativen Strukturen kommt folglich die Ebene der Beziehung zwischen Person und Gegenstand, d. h. zwischen FS und musealem Objekt zum Ausdruck. Schütze geht so weit und stellt fest, dass sich (historische) Identitäten ausschließlich aus narrativen Texten – narrativen Interviews – rekonstruieren ließen.293 Allerdings muss diese Untersuchung in diesem Punkt insofern abweichen, als dass die durch die Erhebungen produzierten Texte keine wie von Schütze intendierte Struktur aufweisen können. Dies wäre einzig bei in Einzelsituationen geführten narrativen Interviews der Fall. In dieser Untersuchung ist jedoch der Rahmen der Gruppe ein entscheidender Faktor. Während der Untersuchungssituation im Museum bei der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung narrative Einzelinterviews zu führen, ist ausgeschlossen. Bei entsprechenden Interviews im Rahmen einer Reflexion der Museumsbegehung im Nachhinein würde der unmittelbare Bezug zum konkreten Objekt oder Kontext fehlen, weshalb auch dies keine zufriedenstellende Lösung darstellen kann. Daher erweist sich die bereits angesprochene Methodologie als akzeptabler und gangbarer Mittelweg, um sowohl der Untersuchungssituation mit einer Gruppe im Museum als auch den für die Rekonstruktion einer historischen Identität konstitutiven narrativen Strukturen Rechnung zu tragen. 2.3.3 Genese im Sozialisationsprozess Bergmann stellt heraus, dass die historische Identität in sozialen Gruppen, Schichten und Klassen bereits angelegt ist und nicht erst durch den Geschichtsunterricht gebildet werden muss.294 Jeismann ergänzt, dass die Bildung 292 Vgl. ausführlich Borries: Legitimation, S. 18–20; Borries: Geschichtslernen, S. 151–168. 293 Vgl. Schütze, Fritz: Biographieforschung und narratives Interview, In: Neue Praxis 3 1983, S. 283–293. 294 Bergmann: Geschichtsdidaktik, S. 94.
Untersuchungsgegenstand: Interesse
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eines geschichtlichen Bewusstseins kein explizit und aktiv vom Individuum selbst gesteuerter Prozess ist bzw. sein muss, sondern von Erkenntnisbedingungen und -interessen beeinflusst wird, die implizit auf das Individuum und diesen Prozess wirken.295 Als wesentliche Einflussfaktoren nennt er latente Faktoren wie Sprache, soziale und politische Faktoren, ferner manifeste Faktoren wie Belehrung, Agitation, Medien oder die Ebene der institutionell-intentionalen Vermittlung als geschichtsbildende Kraft. Pandel schließt sich dieser Meinung an und nennt alltägliche, vorschulische, schulische sowie außerschulische Faktoren als maßgebend für die Genese der historischen Identität und des Geschichtsbewusstseins.296 Die wesentliche Aufgabe der Geschichtsvermittlung müsse demnach darin bestehen, zum kritischen Umgang mit der Deutung der Vergangenheit zu befähigen.297 Auch Bergmann identifiziert den Geschichtsunterricht als denjenigen Ort, an dem eine »kritisch kontrollierte Identitätsbildung erfolgen kann und soll«.298 Die Formen, Inhalte und Reflexionsgrade des jeweiligen Verhältnisses und Sich-Auseinandersetzens mit Geschichte treten von Person zu Person, von Gruppe zu Gruppe in höchst unterschiedlichem Ausmaß zutage.299 Letztlich trägt Jeismann in seinem Konzept auch der Tatsache Rechnung, dass die Auseinandersetzung mit Geschichte nur auf der Ebene einer deutenden Rekonstruktion möglich ist. Das Geschichtsbewusstsein verkörpert die einzige Art und Weise der Vergegenwärtigung der Vorstellungen von sowie Erkenntnisse über die Vergangenheit.300 Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass auch bei der Untersuchungsgruppe, bedingt durch ebengenannte Faktoren, ein historisches Selbstverständnis, ganz gleich in welcher Ausprägung, prinzipiell vorhanden ist und eine individuelle Positionierung innerhalb dieser sozialen Gruppe stattfindet. Als soziale Gruppe und auch als soziales Milieu kann die Untersuchungsgruppe aufgrund wesentlicher gemeinsamer und übereinstimmender Merkmale betrachtet werden; hierzu zählen die Migrationserfahrung, mögliche Erfahrungen von Marginalisierung, Prozesse der Integration in der sie aufnehmenden Gesellschaft, die Mitgliedschaft im Klassenverband einer D-Klasse oder das – zumindest unterstellte – gemeinsame Ziel des Spracherwerbs und des Bestreitens einer schulischen Laufbahn. Ein Bezug zu ähnlichen Strukturen im Interessen295 Vgl. Jeismann: Didaktik, S. 65–70; Jeismann, Karl-Ernst: Grundfragen des Geschichtsunterrichts, In: Behrmann, Günther C./Jeismann, Karl-Ernst/Süssmuth, Hans (Hg.): Geschichte und Politik. Didaktische Grundlegung eines kooperativen Unterrichts, Paderborn 1978, S. 76–107, hier S. 78. 296 Pandel: Dimensionen, S. 131. 297 Vgl. Jeismann: Didaktik, S. 65–70; Jeismann: Geschichtsbewußtsein 1980, S. 185. 298 Bergmann: Identität, S. 33. Als besonders identitätsfördernd bewertet Bergmann einen multiperspektivisch ausgerichteten Geschichtsunterricht. 299 Jeismann: Geschichtsbewußtsein 1985, S. 40. 300 Jeismann: Geschichtsbewußtsein 1980, S. 198–200.
74
Theorie
konstrukt von Krapp ist auch in diesem Aspekt zu erkennen. So wie die Ausbildung der historischen Identität bzw. des Geschichtsbewusstseins im Allgemeinen wesentlich durch soziale Gruppen bzw. Milieus mitbestimmt wird, so ist auch für die Person-Gegenstands-Beziehung der übergeordnete Kontext, d. h. die Umwelt ein wichtiger Faktor, mit dem die Person im Rahmen der Interessenhandlung eine funktionale Einheit bildet.
2.4
Zusammenfassung
Für den Zugang zum Untersuchungsgegenstand »Interesse« auf einer allgemeinen Ebene erweist sich die Person-Gegenstands-Theorie von Krapp als geeigneter Zugang. Ausgangspunkt ist die Theorie der Selbstbestimmung von Deci und Ryan. In deren Zentrum stehen der Begriff des »Selbst« sowie die angeborenen psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit sowie grundlegenden Fähigkeiten und Interessen des Individuums. Die Theorie der Selbstbestimmung postuliert einen engen Zusammenhang zwischen Interesse und der Ausbildung intrinsischer Motivation. Den ersten Bestandteil der Person-Gegenstands-Theorie bildet die Person, die physische Seite des abstrakten »Selbst«. Im Rahmen einer Interessenhandlung tritt jene in Relation zu einem Gegenstand, dem Objekt der Interessenhandlung. Differenziert wird in individuelles Interesse als ein persönlichkeitsspezifisches Merkmal – im Rahmen der Interessenhandlung entsteht ein aktualisiertes Interesse – und in situationales Interesse als ein einmaliger, situationsspezifischer motivationaler Zustand – im Rahmen der Interessenhandlung entsteht ein situationales Interesse. Für die Untersuchung bedeutet das, dass versucht werden muss, zum aktualisierten Interesse der FS vorzudringen, um dessen Struktur ergründen zu können. Die Objekte und Kontexte der musealen Ausstellung bilden zunächst die Stimuli, die ein situationales Interesse der FS auslösen können. Mit den später zu konzipierenden Erhebungsmethoden werden diese situationalen Interessen weiter vertieft. Die Analysemethode muss es leisten können, von diesem Schürfen an der Oberfläche in die Tiefe zum konjunktiven Erfahrungsraum und damit dem aktualisierten Interesse, d. h. einem übergeordneten individuellen bzw. kollektiven Interesse vorzudringen. Der geschichtsdidaktische Begriff der historischen Identität als Teilbereich des Geschichtsbewusstseins bildet den adäquaten Zugang Untersuchungsgegenstand »Interesse« im Besonderen. Wesentliche Prozesse der Individualisierung und der selbstidentifikatorischen Standortbestimmung – sowohl von Individuen als auch von Gruppen – finden auf der Ebene der historischen Identität statt und schlagen sich in ihr nieder. Akte der Sinnbildung durch den Entwurf historischer Narrationen führen zu einer Bestimmung der eigenen kulturellen Identität und
Exkurs: Multiperspektivität und Fremdverstehen
75
einer Differenzierung zwischen »Uns« und »den Anderen«. Selbstbestimmungen auf Ebene der Gruppen und der Individuen darin finden per se statt und müssen nicht vorsätzlich initiiert werden. Dies gewährleistet, dass auch bei den FS, unabhängig ihrer jeweiligen Sozialisation, von der Genese einer historischen Identität – selbstredend in unterschiedlicher Intention und Ausprägung – auszugehen ist. Die unmittelbare Erfahrung von Alterität in der Konfrontation mit historischen Kontexten im Museum provoziert eine selbstidentifikatorische Standortbestimmung – sei es in Annahme, Ablehnung oder Gleichgültigkeit – in Relation zu diesen Kontexten. Diese Untersuchung wird daher unmittelbar einen Punkt im Prozess der Konstruktion historischer Identitäten von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung beleuchten. Es handelt sich um jenen Punkt, an dem der narrative Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Geschichten und damit unterschiedlichen Sinnbildungen eine durch die Migration bedingte neue Dimension erfährt. Daher bildet die historische Identität als Teilbereich des Geschichtsbewusstseins die geeignete geschichtsdidaktische Kategorie, um durch sie einen adäquaten Zugang zum Untersuchungsgegenstand »Interesse« zu erhalten und die dahinterliegenden Orientierungen sowie deren konjunktiven Erfahrungsraum zu ermitteln.
3.
Exkurs: Multiperspektivität und Fremdverstehen
Die beiden Bestandteile des Begriffspaares Multiperspektivität und Fremdverstehen sind in der Geschichtsdidaktik beinahe untrennbar miteinander verbunden. In ihrer Einheit gelten sie als eines der fundamentalen Prinzipien zeitgemäßen historischen Lernens.301 Mit Blick auf diese Arbeit ist das zugrundeliegende Konzept insofern relevant, als dass es ein Ziel darstellt, auf das sich die Forschungsbemühungen ausrichten. Gleichwohl liegt dieses Ziel außerhalb und damit im Bereich der Anschlussfähigkeit der Untersuchung. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll die empirische Grundlage geschaffen werden, die mit dazu dienen kann, eine Theorie der auf Multiperspektivität und Fremdverstehen ausgerichteten museumspädagogischen Arbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung zu entwickeln. Dieses Konzept kann auf der Ebene der Weiterverarbeitung der Erkenntnisse dieser Arbeit als Folie dienen, um daraus Konzepte für die museumspädagogische Praxis abzuleiten. Wenngleich dies die Aufgabe weiterer, an diese Arbeit anschließender Untersuchungen ist, scheint es dennoch geboten, auch auf dieses Konzept im Rahmen der theoretischen Überlegungen in einem kurzen Exkurs einzugehen: 301 Vgl. Bergmann, Klaus: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, Schwalbach/Ts. 2 2008.
76
Theorie
Bergmann beschreibt das Konzept als Ausgangspunkt einer »neuen« Form von Geschichtsunterricht in Abgrenzung zur »traditionellen« Monoperspektivität.302 »Der traditionelle Geschichtsunterricht war ein Belehrungsunterricht und zugleich ein Gesinnungsunterricht. […] Der Lehrer und das Schulbuch waren die Sprachrohre einer ›historischen Wahrheit‹, die als unbezweifelbar galt und doch nur eine ideologische Konstruktion war«.303 Im Zentrum einer neuen Auffassung von Geschichtsunterricht steht das Moment der Perspektivität – im Sinne von sozialer Perspektivität:304 Einerseits der Gestalt, dass die eigene Perspektivität anerkannt wird und vor dem Hintergrund einer historischen Narration eine Reflexion des eigenen Standpunkts erfolgt. Andererseits mit Blick auf die historische Narration als solche, dass auf möglichst alle Standpunkte und Perspektiven der in der historischen Narration beteiligten Akteure eingegangen wird und diese in der Interpretation und Bewertung berücksichtigt werden.305 Intention dieses Prinzips ist es, ein Verständnis für Handlungen und Denkweisen zu entwickeln, die den unseren fremd sind.306 »Das Konzept der Multiperspektivität beansprucht, wesentlicher Bestandteil eines neuen historischen Lernens zu sein, in dem die Kategorie ›Perspektivität‹ – Perspektivität in den Zeugnissen der historisch Beteiligten und Betroffenen, […] der später Betrachtenden, Deutenden und Urteilenden […] und Perspektivität in den Orientierungen, die sich aus der Auseinandersetzung mit Geschichte ergeben […] – eine wesentliche Rolle spielt«.307
Aufgrund dieser elementaren Bedeutung sieht sich auch die Museumspädagogik dazu aufgefordert, »den multiperspektivischen Blick und die Fähigkeit zum Fremdverstehen bei der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung zu fördern.«308 In der Anerkennung dass Geschichte stets perspektivisch ist, wird durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven die Subjektivität
302 Vgl. u. a. Bergmann, Klaus: Multiperspektivität, In: Bergmann, Klaus u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Bd. 1, Düsseldorf 1979, S. 216–218; Ders: Geschichtsdidaktik; Bergmann: Multiperspektivität 2008, S. 14; ebenso Lücke, Martin: Multiperspektivität, Kontroversität, Pluralität, In: Lücke, Martin/Barricelli, Michele (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts Bd. 1, Schwalbach/Ts. 2012, S. 281–288, hier S. 281. 303 Bergmann: Multiperspektivität 2008, S. 14. 304 Bergmann, Klaus: Multiperspektivität. In: Mayer, Ulrich/Pandel, Hans-Jürgen/Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2007, S. 65–77, hier S. 65; Lücke: Multiperspektivität, S. 284. 305 Vgl. Bergmann: Multiperspektivität 2008, S. 1–53. 306 Körber: Interkulturelles Lernen, S. 19. 307 Ebd., S. 24. 308 Urban: Geschichtsvermittlung, S. 371; ebenso Sauer: Historisches Lernen, S. 86–90.
Exkurs: Multiperspektivität und Fremdverstehen
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historischer Erkenntnis gleichzeitig zu ihrem konstitutiven Element.309 Bezugnehmend auf das vorige Kapitel, ist zudem festzuhalten, dass durch ebenjene Auseinandersetzung mit der eigenen Perspektive und der anderer, das multiperspektivisch ausgerichtete historische Lernen in besonderer Weise identitätsfördernd ist.310 Aus dieser Fähigkeit zur Perspektivübernahme in einem konkreten unterrichtlichen Kontext können Lernende im Weiteren die Kompetenz des Fremdverstehens in einem idealerweise beliebigen Kontext entwickeln, um »auch im späteren Kontakt mit anderen Menschen anzuerkennen, dass und warum sie Dinge anderes sehen und beurteilen […]«.311 Insbesondere dann, wenn im schulischen Unterricht, aber auch in außerschulischen Kontexten unterschiedlichste Standpunkte und Interessen durch unterschiedliche Herkünfte von Lernenden oder allgemein Gesellschaftsmitgliedern unmittelbar präsent sind, ist eine multiperspektivische und mehrebenenanalytische Ausrichtung pädagogisch-didaktischen Handelns unbedingt geboten.312 Im Sinne eines multiperspektivisch ausgerichteten historischen Lernens liegt der Schluss nahe, dass eine Auseinandersetzung mit einer anderen, fremden – oder zumindest in gewisser Hinsicht als fremd wahrgenommenen – Kultur und Geschichte nicht nur möglich, sondern notwendig ist, um die implizite Differenzierung in ein »Wir« und »die Anderen« vornehmen und eine eigene historische Identität ausbilden zu können. Demzufolge können Museen, die selbst für Angehörige desselben Kulturkreises eine fremde, weil vergangene Welt darstellen, einen idealen Ort für Menschen mit Migrationshintergrund bzw. eigener Migrationserfahrung repräsentieren, um diese Gruppe im Prozess des Aufbaus ihrer historischen und kulturellen Selbstbestimmung zu unterstützen. Die Hürde ist für diese Zielgruppe insofern höher, da für sie die Auseinandersetzung mit einer musealen Ausstellung eine doppelte Alteritätserfahrung bedeutet: eine a) fremde und b) fremde vergangene Kultur. Umso wichtiger ist es, sich mit den Bedürfnissen und Interessen dieser Zielgruppe vertraut zu machen und zu untersuchen, welche historischen Sinnbildungsprozesse im Kontext der Erfahrung von zweifacher Alterität zutage treten.
309 Lücke: Multiperspektivität, S. 283; vgl. ebenso Rüsen, Jörn: Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I. Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1983, S. 58–64. 310 Bergmann: Identität, S. 34. 311 Körber: Interkulturelles Lernen, S. 19. 312 Lange, Hermann: Interkulturelle Kompetenz als Forderung der Gesellschaft an die Schule – auch im Fach Geschichte, In: Körber, Andreas (Hg.): Interkulturelles Geschichtslernen. Geschichtsunterricht unter den Bedingungen von Einwanderung und Globalisierung. Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze, Münster 2001, S. 27–38, hier S. 30.
78
Theorie
4.
Empirische Forschung zu Geschichtsbewusstsein
4.1
Standortbestimmung geschichtsdidaktischer Empirie
In der Einführung wurde der Forschungsstand, der sich mit dem Aspekt Museum und Migration befasst, ausführlich dargestellt. Darin wurde das Desiderat identifiziert, dem sich diese Untersuchung zuwendet: ein Defizit in der Erforschung der Erwartungen und Interessen von ( jugendlichen) Museumsbesuchern – insbesondere jener mit eigener Migrationserfahrung. Der wissenschaftstheoretische Rahmen der ebenfalls in der Einführung formulierten empirischen Untersuchung liegt mit Abschnitt B zugrunde. Darin wurde auch der Zugang zum Untersuchungsgegenstand »Interesse« mit der historischen Identität als Teilaspekt des Geschichtsbewusstseins näher spezifiziert und konkretisiert. Vor dem empirischen Abschnitt C muss darauf eingegangen werden, an welche Tradition empirischer Forschung zu Geschichtsbewusstsein diese anschließen kann. Genauso wenig wie in der klassischen Geschichtswissenschaft gibt es auch in der Geschichtsdidaktik keine ausgewiesene, konsistente empirische Tradition. Gleichwohl kann eine stete Zunahme empirischer Untersuchungen festgestellt werden.313 Kölbl leitet die Zunahme empirischer Forschung in vielen erziehungs-, gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen vom so genannten »PISASchock« und von damit einhergehender Intensivierung der Forschung zu Kompetenzmodellen und Bildungsstandards ab.314 Der geschichtsdidaktischen Empirie attestiert Hasberg allerdings ein Dasein im Schatten von Theorie und Pragmatik. Merkmale seien Inkohärenz der Forschungsinteressen, Disparität der Methoden und eine Diffusion der Befunde. Außerdem mangle es an der Ausbildung von Forschungssträngen.315 Ein Desiderat erkennt Kölbl ferner in der multi-, interund transdisziplinär betriebenen Geschichtsbewusstseinsforschung.316 Diese Arbeit betritt insofern ein bislang wenig bearbeitetes Gebiet, als dass sie das Geschichtsbewusstsein zwar in Verbindung, aber räumlich herausgelöst aus dem institutionellen Rahmen Schule in Bezug zu einem außerschulischen Lernort untersucht. 313 Vgl. Günther-Arndt, Hilke/Sauer, Michael (Hg.): Geschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen, Berlin 2006; Henke-Bockschatz, Gerhard/Bernhardt, Markus (Hg.): Geschichtsdidaktische empirische Forschung (ZfGD), Schwalbach/Ts. 2007. 314 Kölbl: Zugänge, S. 476f. 315 Vgl. Hasberg, Wolfgang: Im Schatten von Theorie und Pragmatik. Methodologische Aspekte empirischer Forschung in der Geschichtsdidaktik, In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 6 2007, S. 9–40. 316 Kölbl: Zugänge, S. 478.
Empirische Forschung zu Geschichtsbewusstsein
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Die nachfolgenden Ausführungen werden keinen zweiten Forschungsstand präsentieren. Stattdessen werden exemplarisch Beispiele herausgegriffen, die Impulse und Anhaltspunkte für die vorliegende Arbeit versprechen. Herangezogen werden Forschungen, in denen die historischen Sinnbildungsprozesse der Lernenden, deren Perspektiven auf, Vorstellungen zu oder Interessen an Historie im Zentrum der Bemühungen stehen. Nicht näher eingegangen wird auf Untersuchungen, die das Geschichtsbewusstsein tendenziell als ein »Objekt« oder »Produkt« (eines Prozesses) verstehen und stärker Faktoren und Rahmenbedingungen fokussieren und das Geschichtsbewusstsein lediglich in Abhängigkeit davon untersuchen. Hierzu zählt beispielsweise die immense Zahl an Untersuchungen zu einzelnen Aspekten des Geschichtsunterrichts bzw. allgemein der Geschichtsvermittlung wie ihrer Wirksamkeit317 sowie der Kompetenzmessung oder -förderung.318 Überdies unberücksichtigt bleiben Untersuchungen, die sich 317 Vgl. u. a. Friedeburg, Ludwig von/Hübner, Peter: Das Geschichtsbild der Jugend (Überblick zur wissenschaftlichen Jugendkunde Bd. 7), München 21970; mehrere Beiträge in Fürnrohr, Walter/Kirchhoff, Hans Georg (Hg.): Ansätze empirischer Forschung im Bereich der Geschichtsdidaktik, Stuttgart 1976; Schmidt, Ralf/Keuffer, Josef: Musteranalyse einer Unterrichtssequenz im Fach Geschichte, In: Meyer, Meinert A./Schmidt, Ralf: Schülermitbeteiligung im Fachunterricht. Englisch, Geschichte, Physik und Chemie im Blickfeld von Lehrern, Schülern und Unterrichtsforschern (Schule und Gesellschaft Bd. 22), Opladen 2000, S. 143–176; Hollstein, Oliver u. a.: Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht. Beobachtungen unterschiedlicher Kommunikation, Frankfurt a. M. 2002; Moser, Daniel V./Wiher, Pit: Historisches und politisches Wissen von Jugendlichen. Am Ende der obligatorischen Schulzeit, In: Gautschi, Peter (Hg.): Geschichtsunterricht heute. Eine empirische Analyse ausgewählter Aspekte, Bern 2007, S. 211–262; Borries, Bodo von: Three Generations of History Lessons. Qualitative-Empirical Research on Learning and Teaching on the Basis of Lesson Protocols, In: Köster, Manfred/Thünemann, Holger/ZülsdorfKersting, Meik (Hg.): Researching History Education. International Perspectives and Disciplinary Traditions (Geschichtsunterricht Erforschen Bd.4), Schwalbach/Ts. 2014, S. 263–300; Becher, Andrea/Gläser, Eva: Historisches Denken und Kompetenzentwicklung im Elementar- und Primarbereich (HisDeKo). Ein Projektbericht, In: Waldis, Monika/ Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 13. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 13«, Bern 2015, S. 41–51; Bertram, Christian: Entwicklung standardisierter Testinstrumente zur Erfassung der Wirksamkeit von Geschichtsunterricht, In: Thünemann, Holger/Zülsdorf-Kersting, Meik (Hg.): Methoden geschichtsdidaktischer Unterrichtsforschung (Geschichtsunterricht Erforschen Bd. 5), Schwalbach/Ts. 2016, S. 63–88; Klingler, Felicitas I.: Die Relevanz »authentischer Objekte« in der museumspädagogischen Geschichtsvermittlung, In: Waldis, Monika/Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 15. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 15«, Bern 2017, S. 72–86. 318 Vgl. u. a. Neber, Heinz: Aktives Lernen durch epistemisches Fragen. Generieren versus Kontrollieren im Kontext des Geschichtsunterrichts, In: Zeitschrift für pädagogische Psychologie 13/4 1999, S. 212–222; Popp, Susanne/Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen (Schriften zur Geschichtsdidaktik Bd. 25), Idstein 2009; Martens, Matthias: Implizites Wissen und kompetentes Handeln. Die empirische Rekonstruktion von Kompetenzen historischen Verstehens im Umgang mit Darstellungen von Geschichte (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Bd. 1), Göttingen 2010; Körber,
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Theorie
vornehmlich entwicklungspsychologischen Aspekten der Genese und Entwicklung des Geschichtsbewusstseins widmen.319 Zielführend ist die Auswahl der heranzuziehenden Untersuchungen nach diesen Kriterien deshalb, da auch in dieser Untersuchung das Geschichtsbewusstsein selbst und die Lernenden – Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung – als Träger des Geschichtsbewusstseins im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen. Zwar wird mit dem außerschulischen Lernort des kulturhistorischen Museums ein spezifischer Kontext geschaffen, der selbstredend auch einen Einflussfaktor auf das Geschichtsbewusstsein der FS darstellt. Allerdings stehen weder der Lernort noch dessen konkreter Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein selbst im Fokus. Das würde implizieren, einen Vergleichshorizont heranzuziehen, z. B. andere außerschulische historische Lernorte. Es geht jedoch ausschließlich darum, Erkenntnisse über die Struktur des Interesses der Untersuchungsgruppe, geschichtsdidaktisch gefasst mit dem Begriff der historischen Identität und damit Teil des Geschichtsbewusstseins, im Kontext museal präsentierter Historie zu Andreas/Meyer-Hamme, Johannes: Kompetenzen historischen Denkens messen? Herausforderungen – Lösungsansätze – fachdidaktische Implikationen, In: Waldis, Monika/ Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 15. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 15«, Bern 2017, S. 248–264. 319 Vgl. u. a. Borries, Bodo von: Geschichtsbewußtsein bis zur Pubertät. Empirische Befunde aus Befragung und Interviews, In: Goebel, Klaus u. a. (Hg.): »Am Gespräch des menschlichen Geistes über die Jahrhunderte teilzuhaben…«. Festschrift für Hans Georg Kirchhoff zum 60. Geburtstag, Bochum 1990, S. 21–33; Borries, Bodo von/Lehmann, Rainer H.: Geschichtsbewußtsein Hamburger Schülerinnen und Schüler 1988, In: Borries, Bodo von/ Pandel, Hans-Jürgen/Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein empirisch, Pfaffenweiler 1991, S. 121–220; Borries, Bodo von: Empirische Befunde zu Gestalt und Genese von Geschichtsbewußtsein bei Kindern und Jugendlichen, In: Hinrichs, Ernst/Jacobmeyer, Wolfgang (Hg.): Bildungsgeschichte und historisches Lernen. Symposium anlässlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. Karl-Ernst Jeismann (Studien zur Internationalen Schulbuchforschung Bd. 67), Frankfurt a. M. 1991, S. 119–156; Mirow, Jürgen: Geschichtswissen durch Geschichtsunterricht? Historische Kenntnisse und ihr Erwerb innerhalb und außerhalb der Schule. Eine empirische Untersuchung, In: Borries, Bodo von/Pandel, HansJürgen/Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein empirisch, Pfaffenweiler 1991, S. 53–109; Lehmann, Rainer H./Mirow, Jürgen: Ein Erklärungsmodell: Hintergründe außerschulischer Geschichtsinteressen und schulischer Geschichtskenntnisse, In: Borries, Bodo von/ Pandel, Hans-Jürgen/Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein empirisch, Pfaffenweiler 1991, S. 110–120; El Darwich, Renate: Zur Genese von Kategorien des Geschichtsbewußtseins bei Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren, In: Borries, Bodo von/Pandel, Hans-Jürgen/Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein empirisch, Pfaffenweiler 1991, S. 24– 52; Kölbl, Carlos/Straub, Jürgen: Historical Consciousness in Youth. Theoretical and Exemplary Empirical Analyses, In: Forum Qualitative Social Research 2/3 2001, Art. 9, (online) http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/904 (aufgerufen am 28. 01. 2020); Kübler, Markus u. a.: Historisches Denken bei 4- bis 10-jährigen Kindern. Was wissen Kinder über Geschichte?, In: Waldis, Monika/Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 13. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 13«, Bern 2015, S. 26–40.
Empirische Forschung zu Geschichtsbewusstsein
81
gewinnen. Daher besteht vornehmlich Interesse am empirischen Zugang zu den Prozessen historischer Sinnbildung von Lernenden.320
4.2
Empirischer Zugang zu den Prozessen historischer Sinnbildung
Die Aussage der Geschichtsdidaktik, dass sich historische Sinnbildung in erster Linie in narrativen Strukturen manifestiert321 und die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass sich Erkenntnisse über diese daher vornehmlich aus narrativen Texten (z. B. Aufsätzen oder narrativen Interviews) gewinnen ließen,322 legen die Vermutung nahe, dass zumindest auf der Ebene der Erhebungsinstrumente ein qualitativer Zugang erfolgen sollte. In einer frühen Arbeit stellt Radkau 1976 Überlegungen zur empirischen Erforschung des Interesses an Geschichte und möglichen Zielen und Methoden einer Erhebung mittels Umfragen an.323 Die Umfrage in Gestalt eines halbstandardisierten Interviews mit Bezug zu konkreten (historischen) Situationen scheint ihm daher das geeignete Verfahren, da es auch unartikulierte, halbbewusste Geschichtsinteressen und gleichzeitig Lebenszusammenhänge des Geschichtsinteresses aufspüren könne.324 In einer Erkundung zum Geschichtsinteresse von PH-Studenten wendet Radkau ein in der Erhebung teils quantitatives, teils qualitatives, in der Auswertung jedoch rein quantitatives Design an.325 Von Borries schlägt 1982 vor, dass die Annäherung an das Geschichtsbewusstsein (nur) mit einem »offeneren, flexibleren Verfahren«326 möglich sei. Im 320 Der Faktor der Interkulturalität soll bei der zu treffenden Auswahl Berücksichtigung finden; er stellt jedoch kein Ausschlusskriterium für Untersuchungen dar, die diesen Aspekt nicht enthalten. 321 Rüsen: Historisches Erzählen, S. 45. 322 Vgl. Schütze: Biographieforschung. 323 Radkau, Joachim: Zur empirischen Erforschung des Interesses an Geschichte. Vorüberlegungen über mögliche Ziele und Methoden einer Umfrage, In: Fürnrohr, Walter/Kirchhoff, Hans Georg (Hg.): Ansätze empirischer Forschung im Bereich der Geschichtsdidaktik, Stuttgart 1976, S. 260–277. 324 Vgl. ebd., S. 262–272. 325 Radkau, Joachim: Geschichtsinteresse von PH-Studenten. Ergebnisse zweier Umfragen, In: Fürnrohr, Walter/Kirchhoff, Hans Georg (Hg.): Ansätze empirischer Forschung im Bereich der Geschichtsdidaktik, Stuttgart 1976, S. 245–275. Der Erschließung der Relevanzvorstellungen von Lernenden zur Auswahl von Lehrinhalten, d. h. letztlich des Schülerinteresses, nähert sich Hesse sogar ausschließlich quantitativ. Vgl. dazu Hesse, Horst: Relevanzvorstellungen von Schülern der 9. Klasse zur Auswahl von Lehrinhalten für den Geschichtsunterricht, In: Fürnrohr, Walter/Kirchhoff, Hans Georg (Hg.): Ansätze empirischer Forschung im Bereich der Geschichtsdidaktik, Stuttgart 1976, S. 38–45. 326 Borries, Bodo von: Zum Geschichtsbewußtsein von Normalbürgern. Hinweise aus offenen Interviews, In: Bergmann, Klaus/Schörken, Rolf (Hg.): Geschichte im Alltag – Alltag in der Geschichte (Studien Materialien Geschichtsdidaktik Bd. 7), Düsseldorf 1982, S. 182–209,
82
Theorie
Rahmen der Untersuchung des Geschichtsbewusstseins von »Normalbürgern« erkennt er in »Intensivinterviews mit lockerem Leitfaden«327 das Potential, Erkenntnisse über Geschichtsbilder und allgemeine Strukturen des Geschichtsbewusstseins zu gewinnen. Rüsen u. a. setzen sich 1991 in einer Arbeit zum Geschichtsbewusstsein von Abiturienten im Ruhrgebiet vor allem mit der Frage nach der Ermittlung eines Forschungsinstrumentariums zur empirischen Erforschung des Geschichtsbewusstseins auseinander. Das Ziel sei die Verbindung der geschichtswissenschaftlichen wie -didaktischen Theorie und der Psychologie.328 Dem Schülerinteresse messen Rüsen u. a. vor allem deshalb eine besondere Bedeutung zu, da das Geschichtsbewusstsein nicht nur ein Gefäß sei, das mit Geschichte befüllt werde, sondern eine »Produktionsstätte, in der historisches Wissen […] hervorgebracht wird«.329 Bei ihrer Erkundung eines Instrumentariums wählen Rüsen u. a. ein qualitatives Design. Aus den Befunden explorativer Befragungen sollen ergiebige Fragestellungen (Items) ermittelt und ein System zur Auswertung der Antworten der Befragten erarbeitet werden. Neben offenen, wenig standardisierten Fragebögen kommen auch essayistisch zu beantwortende Fragen zur Anwendung.330 Neben der Entwicklung von Items, die für den Kontext dieser Arbeit nicht von Relevanz sind und daher nicht thematisiert werden, kommen auch Rüsen u. a. zu dem Schluss, dass »narrative Texte«331 einen geeigneten Zugang zur Untersuchung der Struktur des Geschichtsbewusstseins darstellen. 1992 präsentiert von Borries eine weitere empirische Arbeit, die insofern auch eine interkulturelle Dimension aufweist, als dass sie kindlich-jugendliche Geschichtsverarbeitung in West und Ostdeutschland im Jahre 1990 untersucht.332 Von Borries entscheidet sich wie in der Pilotuntersuchung von 1988333 für einen rein quantitativen Zugang, sowohl mit Blick auf die Erhebung als auch auf die Auswertung. Die Analyse der geschlossenen Fragebögen (N=1950) erfolgt
327 328 329 330 331 332 333
hier S. 183. Denselben Zugang thematisiert Borries auch 1988 in Borries: Geschichtsbewusstsein. Borries: Zum Geschichtsbewußtsein, S. 183. Rüsen, Jörn u. a.: Untersuchungen zum Geschichtsbewußtsein von Abiturienten im Ruhrgebiet, In: Borries, Bodo von/Pandel, Hans-Jürgen/Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein empirisch, Pfaffenweiler 1991, S. 221–344, hier S. 222. Ebd., S. 223. Vgl. Rüsen u. a.: Untersuchungen, S. 265–271. Ebd., S. 243. Borries, Bodo von: Kindlich-jugendliche Geschichtsverarbeitung in West- und Ostdeutschland 1990. Ein empirischer Vergleich (Geschichtsdidaktik Studien, Materialien Bd. 8), Pfaffenweiler 1992. Eine Untersuchung zum Geschichtsbewusstsein Hamburger Schülerinnen und Schüler. Vgl. Borries/Lehmann: Geschichtsbewußtsein. Die Fortsetzung dient der Vertiefung von Vermutungen und Hypothesen u. a. im Bereich der Deutungsmuster und Dimensionen.
Empirische Forschung zu Geschichtsbewusstsein
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überwiegend deskriptiv-statistisch. Es werden Häufigkeiten, Mittelwerte und Standardabweichungen angegeben. Darüber hinaus werden neben Item- und Varianz- auch Faktoren-, Pfad-, Cluster- oder Diskriminanzanalysen vorgenommen.334 Bezugnehmend auf die zuvor diskutierten Untersuchungen, unternimmt von Borries zwei weitere Erkundungen (eine davon zusammen mit Körber) zum ( jugendlichen) Geschichtsbewusstsein.335 Da die Studien jedoch keine neuen Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit versprechen, seien diese lediglich erwähnt.336 In den zuvor diskutierten Arbeiten ist die Forschungsperspektive auf das Geschichtsbewusstsein in erster Linie eine geschichtsdidaktische, wenngleich deutlich wird, dass auf der Ebene der methodischen Annäherung weitere Disziplinen wie Psychologie, Pädagogik und empirische Sozialforschung beteiligt sind. Explizit dem empirisch-psychologischen Zugang zum Geschichtsbewusstsein von Kindern wendet sich Billmann-Mahecha 1998 zu.337 Sie untersucht Kinder im Alter zwischen zwei und neun Jahren. Bei ihren Ansätzen – abhängig vom Alter der FS experimentelle Designs, teilstandardisierte Leitfadeninterviews, Bilderfragebögen, teilnehmende Beobachtung oder Gruppendiskussion – handelt es sich im Wesentlichen um solche qualitativer und interpretativer Natur. Auf diese Weise will sie sich den für das Geschichtsbewusstsein konstitutiven individuellen Deutungsmustern ihrer FS annähern. Theoretisch lässt sie sich vom Konzept der Typen historischen Sinnbildung nach Rüsen leiten.338 Einen chronologischen Überblick zu psychologischen Zugängen und Forschungsten334 Vgl. Borries: Kindlich-jugendliche Geschichtsverarbeitung, S. 4–21. Eine ausführliche Darstellung der gesamten Untersuchung findet sich bei Borries, Bodo von: Das Geschichtsbewußtsein Jugendlicher. Eine repräsentative Untersuchung über Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen von Schülerinnen und Schülern in Ost- und Westdeutschland, München 1995. 335 Borries, Bodo von: Verknüpfung der Zeitebenen im Geschichtsbewußtsein? Zur Vergangenheitsdeutung, Gegenwartswahrnehmung und Zukunftserwartung ost- und westdeutscher Jugendlicher 1992, In: Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein. Psychologische Grundlagen, Entwicklungskonzepte, empirische Befunde, Köln 2001, S. 281–315 sowie Borries, Bodo von/Körber, Andreas: Jugendliches Geschichtsbewußtsein im zeitgeschichtlichen Prozeß – Konstanz und Wandel. Eine Stabilitätsmessung zu Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen von Lernenden aus 9. Klassenstufen und ihren Lehrenden 1992 und 1994, In: Rüsen, Jörn (Hg.): Geschichtsbewußtsein. Psychologische Grundlagen, Entwicklungskonzepte, empirische Befunde, Köln 2001, S. 317–404. 336 Es handelt sich jeweils um ein quantitatives Design mit geschlossenen, standardisierten Fragebögen. Auch die Analyse folgt demselben Muster wie die der Vorläuferuntersuchungen. 337 Billmann-Mahecha, Elfriede: Empirisch-psychologische Zugänge zum Geschichtsbewußtsein von Kindern, In: Straub, Jürgen (Hg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte (Erinnern, Geschichte, Identität I), Frankfurt a. M. 1998, S. 266–297. 338 Vgl. ebd., S. 268.
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denzen zu historischem Denken und Geschichtsbewusstsein präsentiert Wineburg 1998, auf den jedoch nur verwiesen sei.339 Aufschlussreich ist hingegen die so genannte »YOUTH and HISTORY« Studie der 1990er Jahre.340 Hierbei handelt es sich um eine breit angelegte, internationale, kulturvergleichende Untersuchung, die sowohl politologische, geschichtstheoretische, geschichtsdidaktische wie auch komparatistische Fragestellungen verfolgt.341 Zielgruppe der Untersuchung sind jugendliche Lernende im Alter von ca. 15 Jahren, die in Klassen im Pflichtschulwesen beschult werden (N=31.611).342 Bei der Erhebung im Rahmen der Hauptuntersuchung kommt für jede der intendierten Fragestellungen derselbe quantitative Zugang in Form von geschlossenen, standardisierten Fragebögen zum Einsatz.343 Neben einer Pilotuntersuchung344 werden als Grundlage der Hauptuntersuchung auch die Erkenntnisse qualitativer Erkundungen zum jugendlichen Geschichtsbewusstsein auf der Basis von Unterrichtsprotokollen345, Autobiographien, Essays und Intensivinterviews herangezogen.346 Für die Analyse werden Zufallsstichproben von 800 bis 1200 Jugendlichen pro Land gezogen. Die Auswertung erfolgt rein quantitativ in Gestalt von Item-, multivariaten Daten- und Faktorenanalysen.347 Einen Kontrast zu den zuvor diskutierten Arbeiten bildet auf der thematischen wie methodischen Ebene die von Georgi 2003 präsentierte Untersuchung, in der sie sich mit den Geschichtsbildern junger Migranten in Deutschland
339 Wineburg, Samuel S.: Die psychologische Untersuchung des Geschichtsbewußtseins, In: Straub, Jürgen (Hg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte (Erinnern, Geschichte, Identität I), Frankfurt a. M. 1998, S. 298–337. 340 Borries, Bodo von: Jugend und Geschichte. Ein europäischer Kulturvergleich aus deutscher Sicht (Schule und Gesellschaft Bd. 21), Opladen 1999. 341 Durch ihre breite Ausrichtung berührt die Studie auch Teilaspekte der empirischen Geschichtsbewusstseinsforschung wie die Wirksamkeit des Unterrichts, die wie oben geschildert, an dieser Stelle nicht näher diskutiert werden sollen. Aber sie stellt auch Fragen nach Sinnbildungsprozessen, Tiefenstrukturen oder der Kulturabhängigkeit geschichtlicher Vorstellungen, weshalb es dennoch von Bedeutung sein kann, den empirischen Zugang zu diesen Fragen zu beleuchten. Auf die Ergebnisse wird an dieser Stelle jedoch kein Bezug genommen. 342 Neben Lernenden zählen auch Lehrende zu den Teilnehmenden (N=1.273). 343 Bei derart großen Stichproben dürfte ein überwiegend oder ausschließlich qualitatives Setting auch schwer zu realisieren sein. Das liegt einerseits am erheblichen zeitlichen wie personellen Aufwand und andererseits an der nicht zu gewährleistenden Validität der Ergebnisse qualitativer (d. h. auch interpretativer) Auswertungsverfahren bei großen, heterogenen Forscherteams. 344 Zur Erprobung des Fragebogens (N=900). 345 D. h. als Methode vermutlich teilnehmende Beobachtung. 346 Vgl. dazu z. B. die oben im Überblick bereits zitierten Arbeiten insbesondere von von Borries. 347 Vgl. bzgl. des Untersuchungsdesigns Borries: Jugend und Geschichte, S. 18–36.
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auseinandersetzt.348 Sie stellt die Frage, welche Bedeutung der Nationalsozialismus für junge Migranten hat, ob eine Adaption des kollektiven Gedächtnisses der Aufnahmegesellschaft erfolgt, die Geschichte des Herkunftslandes den Bezugspunkt bildet oder ein »geschichtsloser Raum«349 festzustellen ist. Georgi konfrontiert die FS ihrer Studie damit, sich mit einer sehr konkreten und greifbaren Form der Alteritätserfahrung in Gestalt eines Themas, das in sehr breiten gesellschaftlichen Diskursen eine Rezeption und auch Transformation erfährt, auseinander und sich selbst dazu in Beziehung zu setzen. Damit beleuchtet sie einen konkreten Punkt der Konstruktion der historischen Identität der jeweiligen FS, indem sich diese als Ich-Identität bzw. Wir-Gruppe zu Rezeption und Verarbeitungsformen einer Sie- bzw. Ihr-Gruppe im Kontext des Themas Nationalsozialismus positionieren müssen. Georgi verfolgt in ihrer Arbeit einen ausschließlich qualitativen Ansatz. Ihre Daten gewinnt sie aus offenen, narrativ orientierten bzw. episodischen Interviews. Diese sind biographisch orientiert und problemzentriert. Die Stichprobe bilden Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung im Alter zwischen 15 und 20 Jahren (N=55) unterschiedlicher Schulformen. Der Analyse nach dem Verfahren der Grounded Theory werden 32 Interviews des Gesamtsamples unterzogen. Basis der Typenbildung ist die komparative Analyse verschiedener Einzelfälle.350 Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt auch die hier vorliegende Arbeit, indem sie untersucht, welche historischen Sinnbildungsprozesse Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung in Situationen konkreter Alteritätserfahrung in der Auseinandersetzung mit historischen Kontexten in einem Museum vollziehen. Der Unterschied zu Georgi besteht zum einen darin, dass zwar kein konkretes Thema vorgegeben wird, jedoch die museale Ausstellung einen thematischen Rahmen definiert und zum anderen darin, dass der unmittelbare Bezug zum Interesse der FS hergestellt wird. Mit einem vergleichbaren Ansatz arbeitet auch Kölbl 2004.351 Seine Erkenntnisse zu Tiefenstrukturen des Geschichtsbewusstseins gewinnt er aus Gruppendiskussionen und offenen Einzelinterviews mit einer vergleichsweise kleinen Stichprobe (N=24), die er auf Basis der Grounded Theory auswertet.352 Die kleine Stichprobe ist dabei nicht als Kritikpunkt zu verstehen, sondern un348 Georgi, Viola B.: Entliehene Erinnerung. Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland, Hamburg 2003. 349 Ebd., S. 11f. 350 Hinsichtlich des Designs vgl. Georgi: Entliehene Erinnerung., S. 106–120. Ergebnisse der Arbeit von Georgi werden an dieser Stelle nicht referiert. 351 Kölbl, Carlos: Geschichtsbewußtsein im Jugendalter. Grundzüge einer Entwicklungspsychologie historischer Sinnbildung, Bielefeld 2004. Trotz der oben genannten Eingrenzung soll die Arbeit von Kölbl in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben, da sie die Plausibilität von Georgis Ansatz untermauert. 352 Vgl. ebd., S. 190–214.
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terstreicht vielmehr ein Charakteristikum qualitativer Settings: Die Validität ihrer Ergebnisse und Befunde gründen auf der intensiven und tiefgehenden (komparativen) Analyse von tendenziell deutlich weniger Einzelfällen als bei quantitativen Verfahren. Dass Georgi und Kölbl auf qualitative Verfahren zurückgreifen, ist nicht nur darin zu sehen, dass sie im konkreten Fall den größeren Erkenntnisgewinn versprechen, sondern auch darin, dass für solche spezifischen Fragestellungen noch keine operationalisierten Messinstrumente mit entsprechenden Items existieren, um solche Aspekte quantitativ erkunden zu können. Ein ähnliches Erkenntnisinteresse wie bei Georgi liegt auch der Forschung von Hintermann 2007353 zugrunde. Untersucht werden Geschichtsbewusstsein und Identitätskonstruktion Jugendlicher mit Migrationshintergrund in Wien. Gefragt wird, welche historischen Narrative im Bewusstsein Jugendlicher im Allgemeinen und jener mit Migrationshintergrund im Besonderen präsent sind. Im Weiteren wird erkundet, welche Bedeutung im Unterricht tradierte Narrative für die Identitätskonstruktion Jugendlicher mit Migrationshintergrund haben.354 Im Unterschied zu den beiden vorigen Arbeiten nutzt Hintermann ein quantitatives Design. Als Messinstrument dienen standardisierte Fragebögen, die von Untersuchungsgruppen (mit Migrationshintergrund) und Kontrollgruppen (ohne Migrationshintergrund) bearbeitet werden (N=1.332). Der Datenauswertung liegen erkenntnisleitende sowie Subhypothesen zugrunde. Die Analyse erfolgt ebenfalls in einem rein quantitativen, statistischen Verfahren.355 Die heterogene, durch Einwanderung geprägte Gesellschaft ist gleichermaßen Bezugspunkt der Erkundungen zu Geschichtsbewusstsein von Meyer-Hamme 2009.356 Er stellt die Frage »nach dem Zusammenhang zwischen historischen Identitäten in der durch Einwanderung geprägten Gesellschaft und historischem Lernen in der Schule.«357 Meyer-Hamme arbeitet weder mit operationalisierten Messinstrumenten noch mit konkret vorgegebenen historischen Themen. Der 353 Hintermann: Dissonante Geschichtsbilder. 354 Ebd., S. 21. 355 Vgl. ebd., S. 36–51. Die Ähnlichkeit des methodischen Vorgehens der Arbeit von Hintermann mit dem der »YOUTH and HISTORY«-Studie ist beabsichtigt, da beiden ein sehr ähnliches Erkenntnisinteresse zugrunde liegt und von Borries Arbeit auf bereits empirisch erprobten Verfahren aufbaut. 356 Meyer-Hamme, Johannes: Historische Identitäten und Geschichtsunterricht. Fallstudien zum Verhältnis von kultureller Zugehörigkeit, schulischen Anforderungen und individueller Verarbeitung, Idstein 2009. 357 Ebd., S. 14. Auch wenn sich diese Arbeit außerhalb des zuvor skizzierten Rahmens befindet, da Meyer-Hamme insofern die Wirksamkeit des Geschichtsunterrichts untersucht, als dass er dessen Stellenwert bei der Konstruktion historischer Identitäten beleuchtet, soll sie dennoch in diesem Kontext behandelt werden, da sie Einsichten in die methodische Erschließung von Tiefenstrukturen des Geschichtsbewusstseins (bzw. dessen Teilaspekts der historischen Identität) erlaubt, wie sie auch in der vorliegenden Arbeit beabsichtigt wird.
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Grad an Standardisierung ist niedrig, der an Offenheit hoch. Sein rekonstruktives, hypothesengenerierendes Untersuchungsdesign erlaubt es den FS, Relevanzen zu setzen und eigene Bedeutungszuschreibungen vorzunehmen. Während Georgi einzig danach fragt, welche Bedeutung der Nationalsozialismus als spezifisches Thema für Jugendliche mit Migrationshintergrund hat, setzt Meyer-Hamme einen Schritt früher an und fragt, was, d. h. welche historischen Narrationen eine individuelle Bedeutung für die FS haben; und erst davon ausgehend, welche Bedeutung dies ist. Die Stichprobe setzt sich aus Lernenden einer 13. Klasse eines Gymnasiums (N=8) zusammen. Die Datenerhebung erfolgt mittels narrativer Interviews und im intervieworientierten Diskurs (lautes nachträgliches Denken) über videographierte Unterrichtssequenzen. Bei der Analyse orientiert sich Meyer-Hamme an der dokumentarischen Methode, durch die er die subjektiven Bedeutungszuschreibungen, latenten Sinngehalte und kollektiven Orientierungen der FS rekonstruieren will.358 Von ähnlichen Erkenntnisinteressen wie von Borries oder Hintermann sind auch Schroeder u. a. 2012 geleitet.359 Im Zentrum ihrer Arbeit steht eine repräsentative (N=4.627) Untersuchung zu Geschichtsbildern und Urteilen, subsummiert unter dem Begriff des zeitgeschichtlichen Bewusstseins von Zehntklässlern aller Schularten aus fünf Bundesländern. Neben weiteren Faktoren wird auch die Rolle von Gedenkstätten360 bei der Ausbildung des Geschichtsbewusstseins einbezogen.361 Der Zugang zum Untersuchungsgegenstand
358 Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 105–131. Lediglich hingewiesen sei an dieser Stelle auf die Arbeit von Yildirim aus dem Jahr 2015. Yildirim, Lale: Transkulturelles oder doppeltes semi-historisches Bewusstsein? Untersuchung zum Geschichtsbewusstsein von Jugendlichen mit Migrationshintergrund der »dritten Generation«, In: Waldis, Monika/Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 13. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 13«, Bern 2015, S. 86–97. Mit einem Mixed-Methods-Design nähert sie sich der Frage, ob Jugendliche der dritten Generation, die weder in der Kultur des Herkunftslandes ihrer Vorfahren, noch in der deutschen vollständig sozialisiert sind, demzufolge auch ein doppeltes semi-historisches Bewusstsein ausbilden. Als Erhebungsinstrumente dienen Fragebögen, Gruppendiskussionen, Einzelinterviews und Textproduktionen. Die Auswertung erfolgt statistisch und auf Basis der qualitativen Inhaltsanalyse. 359 Schroeder, Klaus u. a.: Später Sieg der Diktaturen. Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin Bd. 17), Frankfurt a. M. 2012. 360 Damit wird ein außerschulischer (historischer) Lernort als Faktor in die Untersuchung einbezogen. Darüber hinaus weisen (institutionalisierte) Gedenkstätten (z. B. KZ-Gedenkstätten) oftmals eine ähnliche Struktur wie Museen auf. 361 Dabei schließen die Autoren an eine eigene Vorläuferuntersuchung zum DDR-Bild von Lernenden aus Ost und West an. Vgl. Deutz-Schroeder, Monika/Schroeder, Klaus: Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, München 2008.
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erfolgt rein quantitativ über standardisierte, überwiegend geschlossene Fragebögen, die einer statistischen Analyse unterzogen werden.362 In dieser Diskussion darf die Arbeit von Paufler-Gerlach (bzw. Gerlach) 2014363 nicht unberücksichtigt bleiben. Auch und insbesondere deshalb, weil sie nach Schülervorstellungen zum außerschulischen Lernort Museum fragt. Ihr Interesse gilt nicht der Erfolgsevaluation von Bildungskooperationen zwischen Schule und Museum, sondern Motivation, Erwartungen, Interessen und Vorwissen der Lernenden. Diesem Gegenstandsbereich nähert sie sich in einem quantitativen wie qualitativen Verfahren. Die Erhebung erfolgt mittels offener mündlicher wie schriftlicher Befragungen (offen und geschlossen) (N=75) bzw. Gruppendiskussionen (N=49) in der Schule, vor und nach Museumsbesuchen. Der Auswertung liegt der Ansatz der Grounded Theory zugrunde. Die Stichprobe bilden eine achte bzw. neunte Klasse einer Essener Gesamtschule.364 Dem Lernort Museum wendet sich ebenfalls Kohler 2016 zu.365 Ihn interessieren das Vorwissen der Lernenden bezogen auf die Institution Museum sowie deren Erfahrungen mit Geschichte. Seine Erkenntnisse gewinnt er aus einer explorativen Studie, der ein Mixed-Methods-Design zugrunde liegt. Als quantitativer Zugang dient eine hypothesenprüfende Fragebogenerhebung in der zehnten Jahrgangsstufe zweier Gymnasien (N=165). Auf der qualitativen Ebene nähert sich Kohler dem Untersuchungsgegenstand in Einzelinterviews, einem leitfadenorientierten Hybrid aus episodischem und fokussiertem Interview mit ausgewählten FS derselben Gesamtstichprobe (N=11). Bei der Analyse entscheidet er sich für das Verfahren einer strukturierten Inhaltsanalyse; die Fragebögen werden zunächst statistisch ausgewertet.366
362 Vgl. Schroeder u. a.: Später Sieg, S. 273–289. 363 Paufler-Gerlach, Stefanie: So nah und doch so fern: Schülervorstellungen zum (Lernort) Museum. Methodologische Überlegungen und ausgewählte Beispiele zum Dissertationsprojekt. In: Arand, Tobias/Seidenfuß, Manfred (Hg.): Neue Wege – neue Themen – neue Methoden. Ein Querschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Beiheft zu Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Bd. 7), Göttingen 2014, S. 99–116; Gerlach, Stefanie: »Es ist meistens eigentlich was für Historiker (…)« Schülervorstellungen zum (Lernort) Museum. Eine empirische Studie zur Wahrnehmung einer Bildungskooperation zwischen Schule und kulturhistorischem Museum (Dissertation), Aachen 2015, (online) http://publications.rwth-aachen.de/record/689310/files/689310.pdf (aufgerufen am 28. 01. 2020). 364 Zum Design vgl. Paufler-Gerlach: Schülervorstellungen, S. 108f. bzw. Gerlach: Schülervorstellungen, S. 117–125. 365 Kohler: Schülervorstellungen 2016 sowie Kohler, Christian: »Es ist halt mehr so da«. Schülervorstellungen über die Darstellung von Geschichte im Museum, In: Waldis, Monika/Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 13. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 13«, Bern 2015, S. 63–73. 366 Hinsichtlich des Designs vgl. Kohler: Schülervorstellungen 2016, S. 71–93.
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Im Gegensatz zu Paufler-Gerlach und Kohler befassen sich Mathis und Gollin 2017 mit den Deutungen und Vorstellungen von Lernenden im Kontext eines einzelnen, konkreten Museumsobjekts.367 Sie entscheiden sich für einen qualitativen Zugang über Gruppendiskussionen (N=27), die mittels der dokumentarischen Methode analysiert werden.368 In diesem bewusst chronologisch dargestellten Überblick über die empirischen Zugänge zu den Sinnbildungsprozessen, Deutungen, Vorstellungen und Interessen von Lernenden im Kontext der Auseinandersetzung mit Historie zeichnen sich hinsichtlich der Methodologie trotz eines heterogenen Gesamtbefunds gewisse Forschungstendenzen ab, aus denen sich Impulse und Anhaltspunkte für die vorliegende Arbeit gewinnen lassen.
4.3
Impulse und Anhaltspunkte für die vorliegende Arbeit
Bei der Öffnung des Blicks von der einzelnen Untersuchung hin zur Gesamtdarstellung fallen zwei Aspekte auf: erstens ein Wandel von quantitativen hin zu mehrheitlich qualitativen oder Mixed-Methods-Designs – insbesondere in der jüngeren Forschung – und zweitens eine zunehmende Fokussierung der Fragestellungen auf einzelne Aspekte des Geschichtsbewusstseins oder einen sehr konkreten Zusammenhang. Zudem ist eine Korrelation zwischen diesen beiden Aspekten festzustellen. Untersuchungen, die sich dem Gesamtkomplex Geschichtsbewusstsein zuwenden, nutzen vermehrt quantitative (hypothesenprüfende) Designs.369 Der Vorteil solcher Ansätze ist, dass mit großen Stichproben gearbeitet werden und dadurch ein vergleichsweise hoher Grad an Repräsentativität der Ergebnisse erreicht werden kann. Gleichzeitig schränken sie den möglichen Erkenntnisbereich durch die Operationalisierung und Standardisierung ein, da sie nur das erfassen können, wonach sie explizit fragen. Latente Sinngehalte oder subjektive Bedeutungszuschreibungen der FS bleiben solchen 367 Mathis, Christian/Gollin, Kristine: »… zuoberst ist der Winkelried«. Das Stanser Winkelried-Denkmal in der Deutung von Schülerinnen und Schülern, In: Waldis, Monika/ Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 15. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 15«, Bern 2017, S. 87–98. 368 Vgl. ebd., S. 92. Für die dokumentarische Methode entscheidet sich auch Spieß 2014 in seiner Arbeit zum Kompetenzerwerb im Umgang mit Quellen. Das besondere Potential der Methode erkennt er darin, dass durch sie »die verschiedenen simultanen Verhältnisse unterrichtlicher Interaktion zueinander in Bezug gesetzt werden können.« Spieß, Christian: Quellenarbeit im Geschichtsunterricht. Die empirische Rekonstruktion von Kompetenzerwerb im Umgang mit Quellen (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Bd. 8), Göttingen 2014, S. 90. Ein ähnlich multidimensionales Untersuchungssetting wie es Spieß beschreibt, liegt auch der vorliegenden Untersuchung zugrunde. 369 Hierzu zählen beispielsweise die Arbeiten von Radkau 1976, Borries 1988, 1992, 1999, Hintermann 2007 oder Schroeder u. a. 2012.
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Ansätzen weitgehend verborgen. Vielen quantitativen Arbeiten muss jedoch zugutegehalten werden, dass die quantitativen Messungen oft auf Erkenntnissen qualitativer Erkundungen zum Untersuchungsgegenstand aufbauen. Im Gegensatz dazu zeigt sich bei Studien zu einzelnen Teilaspekten des Geschichtsbewusstseins oder solchen, die einen tendenziell engen Rahmen der Fragestellung aufweisen und Mikrostrukturen untersuchen, eine vermehrte Hinwendung zu überwiegend qualitativen (hypothesengenerierenden) Designs.370 Ihr Vorteil ist, dass sie sowohl dem Untersuchungsgegenstand wie auch den FS mit der größtmöglichen Offenheit begegnen und letzteren die Freiräume für eigene Relevanzsetzungen und die Artikulation subjektiver Bedeutungszuschreibungen gewähren. Repräsentativität im Verständnis quantitativer Designs, deren Maßstab und Garant eine große Stichprobe ist, lässt sich mit qualitativen Designs aufgrund der kleinen Stichproben nicht erreichen. Ihre Repräsentativität gewinnen solche Untersuchungen einerseits aus der tiefgehenden, komparativen Analyse von Einzelfällen, die allgemeine Strukturen zutage fördert und andererseits aus einem methodisch streng kontrollierten und vor allem transparenten Vorgehen, das die intersubjektive Überprüfbarkeit aller Schritte der Analyse ermöglicht. In der vorliegenden Arbeit erfolgt daher ein qualitativ-rekonstruktiver und hypothesengenerierender Zugriff auf den Untersuchungsgegenstand. Mit der Erschließung der Interessensstruktur der FS an museal präsentierter Historie wird auch die Frage nach deren subjektiver Bedeutsamkeit für die FS gestellt und welchen Stellenwert diese für den Prozess der individuellen Identitätskonstruktion einnehmen kann. Folglich wird mit der historischen Identität ein Aspekt des Geschichtsbewusstseins in seiner Tiefenstruktur untersucht. Ein rein quantitativer Zugang muss auch deswegen ausscheiden, da für solche Fragestellungen noch keine hinreichend erprobten operationalisierten Messinstrumente existieren. Es wäre allenfalls vorstellbar, dass die Erkenntnisse dieser Untersuchung dazu herangezogen werden, ein solches Instrumentarium zu entwickeln.371 Die starke gegenstandsspezifische Ausrichtung qualitativer Designs hat zur Folge, dass es keinen einheitlichen Ansatz zur Untersuchung von Tiefenstrukturen des historischen Bewusstseins gibt. Vielmehr steht dem Forschenden ein breites Methodenspektrum zur Verfügung, das eine individuelle Anpassung an die jeweilige Untersuchungssituation erlaubt und erfordert. Darin liegen Potential und Herausforderung zugleich. Dem nachfolgenden Kapitel muss es daher gelingen, den passenden Rahmen zu finden, ohne den Erkenntnisbereich unnötig einzuengen, aber auch nicht methodisch beliebig zu wirken.
370 Vgl. die Arbeiten von Georgi 2003, Meyer-Hamme 2009 oder Paufler-Gerlach 2014. 371 Ähnlich dem Vorgehen von von Borries oder Rüsen.
C.
Empirie
1.
Methodologie
1.1
Erhebung
1.1.1 Bedingungen und Anforderungen Die genannten strukturellen Defizite bisheriger empirischer geschichtsdidaktischer Forschung führen dazu, dass sie sich in ihrer Praxis, mangels fachspezifischer eigener, der Methoden anderer Disziplinen wie Psychologie, Pädagogik und Soziologie bedienen muss. Es kommt das gesamte methodische Spektrum empirischer Sozialforschung zur Anwendung.372 Der Zugang zum Untersuchungsgegenstand »Interesse« erfolgt erster Linie über narrative Strukturen. Die zentralen Erkenntnisse werden über einen qualitativen Zugang zu ermitteln sein.373 Das Ziel qualitativer Designs und auch das der vorliegenden Arbeit ist es, allgemeine Strukturen in einzelnen Fällen zu entdecken.374 Um die Sinnhaftigkeit der ausgewählten Erhebungsverfahren zu unterstreichen, soll diesen eine Skizze des geplanten Untersuchungsablaufs im Museum vorangestellt werden: Mit mehreren Kleingruppen von jeweils sechs Lernenden aus einer D-Klasse375 sollen unabhängig voneinander Museumsbesuche unter372 Vgl. Kölbl, Carlos: Qualitative und quantitative Zugänge in der Erforschung historischen Lernens. Potenziale und Grenzen, In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 61/9 2010, S. 476–487, hier S. 480; Kölbl, Carlos: Geschichtsbewusstsein – Empirie, In: Barricelli, Michele/Lücke, Martin (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts Bd. 1, Schwalbach/Ts. 2012, S. 112–120, hier S. 112; Borries: Geschichtslernen, S. 7. 373 Zu den Postulaten und Säulen qualitativen Denkens vgl. Mayring: Einführung, S. 19; Flick, Uwe: Stationen des qualitativen Forschungsprozesses, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 147–173, hier S. 149. 374 Baacke: Pädagogik, S. 45. 375 Für den Untersuchungszeitraum bildete Ü-Klasse das gültige Konzept. Allerdings wird auch in den folgenden Ausführungen der seit dem Schuljahr 2018/2019 gültige Begriff der Deutschklasse (D-Klasse) verwendet.
92
Empirie
nommen werden. Damit wird, zumindest soweit es im Rahmen dieser Untersuchung möglich ist, die im Aspekt sieben des DBR-Ansatzes geforderte zyklische Vorgehensweise gewährleistet.376 Es wird kein zuvor erarbeitetes museumspädagogisches Programm mit festgelegten Inhalten oder Aktivitäten geben. Stattdessen erhalten die FS den Auftrag, sich eigenständig und von ihren Interessen geleitet durch das Museum zu bewegen. Den Ausgangspunkt bildet der Eingangsbereich des Museums. Der weitere Weg wird sich nach den Interessen der jeweiligen Gruppe und ihrer Mitglieder richten. Diese Offenheit kann zur Folge haben, dass – und das wird nicht nur zugelassen, sondern gewollt – verschiedene Untersuchungsgruppen auch verschiedene Wege durch das Museum finden. Bei allen Ausstellungsbereichen und konkreten Objekten, die das Interesse der FS wecken, sollen diese das entsprechend artikulieren. 1.1.2 Systematische Perspektiven-Triangulation Bei diesem Setting erweist sich eine Kombination aus mehreren Erhebungsmethoden als zielführend. Es wird eine systematische Perspektiven-Triangulation vorgenommen. Eine solche Vorgehensweise besteht darin, »daß gezielt Forschungsperspektiven und Methoden miteinander kombiniert werden, die geeignet sind, möglichst unterschiedliche Aspekte eines Problems zu berücksichtigen«.377
Flick betont, dass eine Triangulation nicht als Validierungsstrategie angewandt werden dürfe, um eine möglichst objektive Wahrheit anzustreben – insbesondere bei einem qualitativen Zugang ist Objektivität im engeren Sinne keine entscheidende Kategorie –, sondern um der »Analyse mehr Breite und Tiefe zu verleihen«.378 Die Methodologie muss imstande sein, sowohl das Geschehen auf der verbalen Ebene in den Gesprächssituationen, als auch die Interaktionen und Handlungen auf der nonverbalen Ebene zu erfassen. Damit wird einerseits der Tatsache Rechnung getragen, dass der Zugang zum Untersuchungsgegenstand, der historischen Identität vorzugsweise über narrative Strukturen erfolgt. Andererseits bietet ein Museum wie das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim vielfältige Möglichkeiten des multisensorischen Zugangs zur musealen Überliefe376 Auf die notwendige Vorbereitung in der Klasse wird in Abschnitt C, Kapitel 4.1 eingegangen. 377 Flick: Stationen, S. 154; vgl. ebenso Denzin, Norman K.: The research act. A theoretical introduction to sociological methods, New York u. a. 21978, S. 291. 378 Fielding, Nigel G./Fielding, Jane L.: Linking data (Qualitative research methods Bd. 4), Beverly Hills 1986, S. 33; zit. Nach Flick, Uwe: Triangulation, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 432–434, hier S. 433.
Methodologie
93
rung, die in einer solchen Untersuchung als Erkenntnisquelle nicht ausgeklammert werden dürfen. Zumal bei der Stichprobe der Hauptuntersuchung – Lernende in der Spracherwerbsphase – mit gewissen Verständigungsschwierigkeiten gerechnet werden muss, weshalb die Berücksichtigung nonverbaler Interaktionen auch als Brücke dienen kann, Verständigungsschwierigkeiten zu kompensieren. Mehrperspektivische Ansätze vermögen es zwar nicht, die jeweilige Reichweite und Präzision unterschiedlicher Untersuchungsinstrumente exakt aufeinander abzubilden. Aber ein mehrperspektivisches Panorama generiert durch die Verbindung unterschiedlicher Ebenen – es wechseln sich beispielsweise Introspektion, Nahaufnahme oder Verallgemeinerung ab – eine wesentlich höhere Dichte und Breite des empirischen Materials.379 Durch den im Folgenden zu explizierenden methodologischen Zugang wird nicht zuletzt dem Aspekt vier des DBR-Ansatzes, der sich auch unter dem Begriff Mehrperspektivität subsummieren ließe, Rechnung getragen. 1.1.2.1 Verbale Ebene: Gruppendiskussion und fokussiertes Interview Als Methode, die den Zugang zu narrativen Strukturen erlaubt, aber gleichzeitig für die Arbeit mit einer Gruppe infrage kommt, wird die Gruppendiskussion gewählt.380 Lamnek bezeichnet sie als eine »spezifische Form des Gruppeninterviews«.381 Für Dreher und Dreher bildet die Gruppendiskussion die Sonderform der Befragung einer Mehrzahl von Personen und »Gruppe« bezeichnet lediglich den »Ort« der Befragung.382 Es handelt sich um eine rekonstruktive Methode der Datensammlung, die eine »mikroskopisch genaue Analyse«383 erlaubt. Das Ziel der ermittelnden Gruppendiskussion besteht darin, die Meinungen und Einstellungen der einzelnen FS sowie die der gesamten Gruppe zu ermitteln, gruppenspezifische Verhaltensweisen und Gruppenprozesse zu erforschen, die zugrundeliegenden Bewusstseinsstrukturen zu erkunden sowie kollektive Orientierungsmuster384 zu identifizieren.385 Bezugnehmend auf Mannheim 379 380 381 382
Baacke: Pädagogik, S. 46. Mayring: Einführung, S. 78. Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, Weinheim/Basel 52010, S. 372. Dreher, Michael/Dreher, Eva: Gruppendiskussionsverfahren, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 186–188, hier S. 186. 383 Flick: Stationen, S. 165. 384 Empirisch bereits in einer frühen Arbeit von Mangold untersucht. Mangold, Werner: Kollektive Orientierungen in Gruppen von Jugendlichen, Erlangen 1988. 385 Vgl. Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 376f.; Przyborski, Anja/Wohlrab-Sahr, Monika: Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch, München 42014, S. 93; ebenso Bohnsack, Ralf: Gruppendiskussion, In: Flick, Uwe/Kardoff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbeck bei Hamburg 2000, S. 369–384;
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sprechen Loos und Schäffer von einem so genannten »konjunktiven Erfahrungsraum«.386 Mangold fügt hinzu, dass sich Gruppenmeinungen zwar im Moment und im Kontext der Diskussion zeigen und erfassen lassen, sich aber realiter unter den Mitgliedern des entsprechenden Kollektivs bereits vorher ausgebildet haben.387 Das führt zu einer gewissen Diskrepanz, dass die Befunde der Untersuchung hinsichtlich ihrer Reichweite einerseits auf der Ebene des Individuums auf den Kontext der Untersuchungssituation beschränkt sind, andererseits aber auf der Ebene dahinterliegender Gruppenmeinungen verallgemeinerbare Aussagen zulassen können.388 Bezogen auf die vorliegende Untersuchung stellt das im Kontext der musealen Überlieferung als interessant identifizierte Objekt den Grundreiz dar. In der Diskussion sollen die FS präzisieren, warum das Objekt ihr Interesse geweckt hat. Die individuellen Meinungen und Einstellungen werden mit den geschichtsdidaktischen Begriffen der historischen Identität und dem Geschichtsbewusstsein erfasst. Von der Ebene des Individuums ausgehend, sollen ein Transfer auf die Gruppenebene erfolgen und verallgemeinerbare Aussagen gewonnen werden.389 Überdies verspricht die Diskussion in der Gruppe insofern fruchtbar zu sein, als dass die FS die jeweiligen Äußerungen anderer durch eigene Anmerkungen oder Fragen ergänzen können und durch wechselseitige Stimulation das wesentlich Gemeinte zur Sprache bringen.390 Historische Identitäten manifestieren sich in einer Differenzierung zwischen einem »Wir« und »die Anderen«. Durch die Diskussion kann diesem Merkmal in mehrfacher Hinsicht Raum gegeben werden: Einerseits, weil die einzelnen FS eine Differenzierung zwischen sich
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Bohnsack, Ralf: Gruppendiskussionsverfahren und Milieuforschung, In: Freibertshäuser, Barbara/Prengel, Annedore (Hg.): Handbuch Qualitativer Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim/München 2003, S. 492–502. Loos, Peter/Schäffer, Burkhard: Das Gruppendiskussionsverfahren. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendung, Wiesbaden 22017, S. 28. Mangold, Werner: Gruppendiskussion, In: König, René (Hg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung Bd. 2, Stuttgart 1973, S. 228–259, hier S. 240. In diesem Punkt widerspricht Lamnek Nießen, der der Gruppendiskussion beinahe keinerlei Potential einräumt, einen Transfer der Befunde vorzunehmen und verallgemeinerte Aussagen zu treffen. Vgl. Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 389; Nießen, Manfred: Gruppendiskussion. Interpretative Methodologie, Methodenbegründung, Anwendung, München 1977, S. 63. Im museumspädagogischen Kontext wurde die Gruppendiskussion bereits erfolgreich im Kontext einer Untersuchung des Lernwerkstatt-Ansatzes eingesetzt – allerdings nur mit Museumspädagogen und nicht mit Besuchern bzw. Lernenden. Vgl. Richter, Sabine G. u. a.: Der Lernwerkstatt-Ansatz als innovatives Modell für die Museumspädagogik. Entwicklung und Implementation von Lernwerkstätten in Museen – Bericht zum Forschungsprojekt NaWiLT, In: Standbein Spielbein 102 2015, S. 37–44, hier S. 39–42. Kölbl: Zugänge, S. 481f.; Krüger, Heidi: Gruppendiskussion. Überlegungen zur Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit aus der Sicht der Betroffenen, In: Soziale Welt 34 1983, S. 90– 109, hier S. 93; Dreher/Dreher: Gruppendiskussionsverfahren, S. 186.
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selbst, ihrer (kulturellen) Identität und der musealen Überlieferung vornehmen und andererseits, weil die FS – im diskursiven Austausch – auch eine Differenzierung untereinander mit Blick auf die verschiedenen vorhandenen (kulturellen) Identitäten vornehmen können. Ein Problem der Gruppendynamik besteht allerdings darin, ob und inwieweit die Äußerungen tatsächlich die Meinungen und Einstellungen der Gruppenmitglieder abbilden. Individuelle Meinungen entstehen vorwiegend in Realgruppen, d. h. Gruppen, die nicht eigens für die Untersuchung gebildet werden.391 Mit dem Verband einer D-Klasse liegt eine solche Realgruppe vor. Für eine zielführende und fruchtbare Gruppendiskussion schlägt Mangold eine Gruppengröße von sechs bis zehn Mitgliedern vor.392 Damit die FS ihre individuellen Standpunkte zu einem spezifischen Thema im Rahmen der Diskussion austauschen können, müssen sich diese ihres eigenen Standpunkts bewusst sein. Es ist also ein gewisses Maß an Reflexionsfähigkeit vonnöten. Mit Blick auf die hier konkret vorliegende Situation sei hinzugefügt, dass die FS nicht nur imstande sein müssen, sich ihres eigenen Standpunkts bewusst zu werden, sie müssen diesen auch entsprechend artikulieren können. Ob und inwiefern mögliche Schwierigkeiten, sich adäquat verbal auszudrücken, diesen Prozess beeinträchtigen, kann nur vermutet, aber an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Umso mehr lautet daher ein Appell an den Forschenden, dem Geschehen der Untersuchungssituation höchste Aufmerksamkeit zuzuwenden, um die FS bei Schwierigkeiten in den Gesprächssituationen durch Impulse und gezieltes Nachfragen zu unterstützen. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass diese keinen suggestiven Charakter aufweisen, um nicht implizit Annahmen des Forschenden zu bestätigen. Es ist daher ein besonders hohes Maß an Selbstkontrolle erforderlich.393 Durch die notwendige behutsame, nondirektive Gesprächsführung, die nichtsdestoweniger stärker in die Gesprächssituation eingreift, als bei einer Gruppendiskussion üblich, bedeutet das in letzter Konsequenz, dass nicht von einer solchen in Reinform gesprochen werden kann. Auf das Fünf-394 bzw. SechsPhasen-Modell395 einer idealtypischen Gruppendiskussion sei daher nur hingewiesen. Es erfolgt vielmehr eine Kombination mit Elementen des fokussierten Interviews, das beispielsweise auch bei Kohler als Teil des Methodensettings Anwendung findet.396 Kennzeichnend ist die Ausrichtung an einem spezifischen 391 Dreher/Dreher: Gruppendiskussionsverfahren, S. 186; Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 388 Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 95. 392 Mangold: Gruppendiskussion, S. 210. 393 Vgl. Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 406. 394 Hagen, Volker von: Integrationsphänomene in Diskussionsgruppen, Frankfurt a. M. 1954. 395 Nießen: Gruppendiskussion. 396 Kohler: Schülervorstellungen 2016, S. 87–90.
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Gesprächsgegenstand (z. B. einem musealen Objekt).397 Zugrunde liegt ein flexibler Gesprächsleitfaden. Dadurch ist das fokussierte Interview freier und offen für assoziative Stellungnahmen als beispielsweise das (teil-)standardisierte Interview.398 Przyborski und Wohlrab-Sahr heben das Kriterium der Spezifität hervor, dass eine Situation nicht nur in der Erinnerung der FS präsent ist, sondern dass die jeweilige Situation auch eine persönliche Bedeutung für diese hat.399 Im fokussierten Interview erkennt Kölbl einen effektiven Zugang zu narrativen Strukturen bei der Geschichtsbewusstseinsforschung, wenn es so angelegt ist, dass es Interviewpartner dazu ermutigt, über historische Phänomene zu sprechen, die von besonderem Interesse für sie sind.400 Allerdings wird auch dieses Verfahren nicht in Reinform zur Anwendung kommen. Die Gesprächssequenzen sollen in Unmittelbarkeit zu einem spezifischen Gegenstand erfolgen und nicht im Nachhinein.401 Außerdem ist das fokussierte Interview nicht empfänglich für diskursvive Elemente. Es sieht auf Gruppenebene ausschließlich eine Interaktion zwischen dem Forschendem und jeweils einem FS vor und nicht zwischen FS. Dieser diskursive Austausch bildet jedoch, wie zuvor dargestellt, eine wichtige Erkenntnisquelle. In der Verbindung von Gruppendiskussion und fokussiertem Interview liegt ein Mehrwert, über den andere Verfahren, beispielsweise narrative Interviews im Hinblick auf diese Untersuchung nicht verfügen.402 Die Gesprächssequenzen werden mittels eines Audioaufnahmegerätes für die weitere Bearbeitung gesichert. 1.1.2.2 Nonverbale Ebene: teilnehmende Beobachtung Neben den sprachlichen Äußerungen der FS darf das nonverbale Geschehen nicht vernachlässigt werden. Die Unmittelbarkeit zum Objekt und die Möglichkeiten der multisensorischen Begegnung mit ebendiesem sollen gezielt genutzt und als Erkenntnisquelle in die Untersuchung einbezogen werden. Als zweiter Bestandteil der Triangulation dient daher in Ergänzung zu Gruppendiskussion und fokussiertem Interview: die teilnehmende Beobachtung.
397 Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 134. 398 Hopf, Christel: Qualitative Interviews in der Sozialforschung, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 177–182, hier S. 178f. 399 Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 139f. 400 Kölbl: Zugänge, S. 481. 401 Vgl. Hopf: Qualitative Interviews, S. 179. 402 Vgl. Herrmanns, Harry: Narratives Interview, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 3 1995, S. 182–185; Hopf: Qualitative Interviews, S. 179.
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Es handelt sich hierbei um ein Verfahren, das vorwiegend in der Feldforschung zur Anwendung kommt.403 Merkmale sind nach Fischer die Forschung im Lebensraum der Gruppe sowie »natürliche« Untersuchungsbedingungen.404 Das Ziel ist die Untersuchung der Verhaltensweisen der FS.405 Eine qualitative wissenschaftliche Beobachtung kann verdeckt oder offen, unstrukturiert oder strukturiert, teilnehmend oder nicht-teilnehmend, direkt oder indirekt erfolgen.406 Aus dem bereits explizierten Kontext der Untersuchungssituation kristallisiert sich eine offene, wenig strukturierte, (nicht-)teilnehmende, direkte Beobachtung heraus. Konkret bedeutet das: Der Forschende gibt sich als solcher zu erkennen und kommuniziert seine Forschungsabsichten gegenüber den FS. Vage formulierte Richtlinien und Kategorien geben eine gewisse Strukturierung und Orientierung bei der Beobachtung.407 Der Forschende ist selbst nicht (bzw. nur bedingt) Teilnehmer des Geschehens im Feld und beobachtet dieses von außen. Eine radikale Rollenzuweisung, entweder als Teilnehmer oder als NichtTeilnehmer, ist für diese Untersuchung nicht zielführend. Präziser formuliert, soll der Forschende die Rolle des Beobachters als Teilnehmer wahrnehmen. Er ist primär Beobachter und sekundär Teilnehmer und nur bedingt in das Geschehen integriert. Der Forschende ist als Beobachter selbst vor Ort anwesend. Der Fokus soll vor allem auf beobachtbarem Verhalten, Handlungen und Interaktionen
403 Vgl. Kluckhohn, Florence: Die Methode der teilnehmenden Beobachtung, In: König, René (Hg.): Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, Köln/Berlin 51967, S. 97–114; Legewie: Feldforschung; Lueger, Manfred: Grundlagen qualitativer Feldforschung, Wien 2000; Lamnek: Qualitative Sozialforschung; Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung. 404 Fischer: Feldforschung, S. 65. 405 Kluckhohn: Methode, S. 97. 406 Vgl. Girtler, Roland: Methoden der Feldforschung, Wien/Köln/Weimar 42001, S. 60–77; Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 499, 509–512, 555–557; Przyborski/WohlrabSahr: Qualitative Sozialforschung, S. 42. 407 Beispiele wären: Teilnehmer (viele/wenige, aktiv/passiv); Folgen der Interaktion zwischen Teilnehmern (gemeinsames Ziel/verschiedene Ziele); Mittel der sozialen Interaktion (Sprache, Handlungen); Stimuli der Handlungen; Anreize, Motivation der Teilnehmer; Schranken der Interaktion, gesellschaftliche Normen; Zusammenhang, Kontext der Situation; Regelmäßigkeiten, Wiederholungen; Zeitdauer der Interaktion; Bedeutsame Unterlassungen; Abweichungen von dem in der Situation üblichen Verhalten oder Widersprüchlichkeiten. Vgl. diesbezüglich Jahoda, Marie/Deutsch, Morton/Cooks, Stuart: Beobachtungsverfahren, In: König, René/Heintz, Peter (Hg.): Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, Köln 1972, S. 77–96. Die bei den Autoren genannten Elemente bilden lediglich Beispiele und sollen während der Beobachtungen und insbesondere bei der Erstellung der Protokolle eine gewisse Orientierung bieten. Das qualitative Paradigma verbiete es, hierin starre Kategorien zu sehen.
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liegen. Inwiefern eine präzise Erfassung des hochkomplexen Aspekts der Körpersprache möglich ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.408 Das Gespräch ist ein zentrales Merkmal; es kann keine Teilnahme ohne verbalen Austausch erfolgen und umgekehrt.409 In dialogischen Phasen treten Beobachter und Beobachtete in eine unmittelbare gemeinsame Reflexion des zuvor beobachteten Geschehens ein.410 Diese dialogische, diskursive Ebene markiert ebenjene strukturierende Trennung zwischen Beobachtungs- und Gesprächssequenzen und damit auch den Übergang zwischen Phasen unterschiedlicher Methoden. Kölbl betrachtet die (teilnehmende) Beobachtung im Kontext der Geschichtsbewusstseinsforschung anhand unterrichtlicher Situationen oder auch anhand von Unterrichtsgängen (z. B. in Museen) als sehr gewinnbringend.411 Die Analyse- und Interpretationsgrundlage der teilnehmenden Beobachtung bilden Beobachtungsprotokolle, die der Forschende im Nachhinein möglichst zeitnah zur Beobachtungssituation anfertigt.412 Zur Anwendung kommen sollen chronologische Beobachtungsprotokolle, welche die Erhebungs- und Beobachtungssituation unter Berücksichtigung möglichst vieler Aspekte und Feinheiten rekonstruieren. Eine inhaltliche Struktur – Kennzeichen systematischer Protokolle – wird insofern implizit in die Protokolle einfließen, als dass die Erhebungen durch die unterschiedlichen Bereiche und Themen des Museums bereits eine gewisse Struktur aufweisen. Damit handelt es sich bei der teilnehmenden Beobachtung um ein rekonstruktives Verfahren der Datensammlung.413 Im Vorfeld dieses Prozesses muss sich der Forschende eine wichtige Frage stellen: wie er auf seine im Rahmen der Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse beim Erstellen des Beobachtungsprotokolls zurückgreifen kann. Zunächst bildet das eigene, subjektive Erinnerungsvermögen die wichtigste Ressource.414 Doch umso komplexer die Beobachtungsituation ist und umso länger der Abstand zwischen Beobachtung und Erstellung des Protokolls ist, desto mehr Erkenntnisse können verloren gehen oder durch Verzerrungen falsch wiedergegeben
408 Vgl. dazu Walbott, Harald G.: Analyse der Körpersprache, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitativer Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 232–236. 409 Legewie: Feldforschung, S. 189. 410 Becker, Howard S.: Problems of Interference and Proof in Participant Observation, In: American Social Review 23/6 1958, S. 652–660, hier S. 652. 411 Kölbl: Zugänge, S. 482. 412 Vgl. Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 564; Lueger: Grundlagen, S. 117; Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 49–53. 413 Flick: Stationen, S. 156. 414 Vgl. Girtler, Roland: Methoden der qualitativen Sozialforschung. Anleitung zur Feldarbeit, Wien/Köln/Graz 1984.
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werden.415 Daher ist es überdies möglich, dass der Forschende während der Beobachtung so genannte Feldnotizen zur Dokumentation wichtiger Erkenntnisse oder Tagebücher anfertigt.416 Bei den geplanten Beobachtungssituationen ist von einer sehr hohen Dichte an relevanten Vorgängen und Eindrücken auszugehen, die äußerst flüchtig und nur im Moment ihres Vollzugs greifbar sind. Tagebücher scheiden wegen des zu großen zeitlichen Abstands zwischen Beobachtung und schriftlichem Festhalten aus. Folglich kann auf Feldnotizen – oder besser gesagt »Feld-Memos« – nicht verzichtet werden. Diese werden nicht in schriftlicher Form erfolgen, um die Probleme der Künstlichkeit und Unterbrechung zu vermeiden. Das in den Gesprächssequenzen verwendete Audioaufnahmegerät kann auch hier zweckdienlich genutzt werden, um während der Beobachtungssituation sprachliche Memos festzuhalten. Bei einer ausschließlichen Beobachtung als problematisch angesehen, hält Lamnek die Tonaufzeichnung in der Kombination mit ohnehin stattfinden Gesprächssequenzen als legitimes Mittel der Dokumentation von Beobachtungen und Eindrücken.417 Die spezifischen Anforderungen an einen wissenschaftlichen Beobachter werden in der Forschungsliteratur nur sehr vage beschrieben.418 Przyborski und Wohlrab-Sahr messen der Selbstreflexion des Beobachters eine wichtige Bedeutung zu. Nichtsdestoweniger können hochkomplexe Situationen den Beobachter überfordern; wichtige Erkenntnisse können übersehen, vergessen oder durch Verzerrungen falsch rekonstruiert werden.419 Aus diesem Grund soll ein zweiter, paralleler Beobachter zum Einsatz kommen. Durch die Erkenntnisse zweier Beobachter sollen die Reliabilität und Validität des Verfahrens erhöht werden. Der zweite Beobachter wird ein Mitglied des Teams der Museumspädagogen des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim sein. Eine entsprechende Expertise in Vermittlungssituationen und insbesondere im Hinblick auf den Untersuchungsort ist damit gewährleistet. Auf die Aufgabe des Beobachters wird der oder die Museumspädagoge/in im Vorfeld entsprechend vorbereitet. Die Erkenntnisse des zweiten Beobachters werden im Anschluss an die Erhebungssituation durch ein fokussiertes Interview festgehalten.420 415 Vgl. Lueger: Grundlagen, S. 92–95, 100, 116; Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 537, 558. 416 Flick: Stationen, S. 160; Mayring: Einführung, S. 82. 417 Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 559. 418 Heyns, Roger W./Lippitt, Ronald: Systematic Observational Techniques, In: Lindzey, Gardner (Hg.): Theory and Method (Handbook of Social Psychology. Bd. 1), Reading/ London 1954, S. 370–404, hier S. 371. 419 Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 46f. 420 Dieser Untersuchung liegt der Forschungsansatz Design-Based Research zugrunde. Diese Tatsache bleibt davon unberührt, dass mit der teilnehmenden Beobachtung ein Element des Ansatzes der Feldforschung angewandt wird. Es wird nur dieser eine Aspekt der Untersuchungsmethode herausgegriffen. Weitere Merkmale und Charakteristika der Feldforschung,
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Empirie
Aufbereitung
Ehe die erhobenen Daten der Auswertung und Interpretation zugeführt werden können, müssen sie zunächst aufbereitet werden. Dies betrifft in erster Linie die Audioaufnahmen der Gruppendiskussionen bzw. fokussierten Interviews. Wenngleich keine linguistische Analyse des Materials angestrebt wird, ist dennoch eine Transkriptionsform zu wählen, welche die gesamte Breite und Dichte an Informationen und Sinngehalten der Audioaufnahmen erfasst und abbildet. Denn um in einer rekonstruktiven Interpretation zu subjektiven Bedeutungszuschreibungen, latenten Sinngehalten und Bewusstseinsstrukturen vordringen zu können, muss das sprachliche Material in einer Art und Weise vorliegen, die das sprachliche Produkt möglichst präzise reproduziert. Das bedeutet, dass keine Glättung des Stils oder eine Übertragung in normales Schriftdeutsch erfolgen soll. Es wird stattdessen eine buchstäbliche Transkription gewählt, die auch mundartliche Phänomene oder – mit Blick auf die Untersuchungsgruppe Jugendlicher mit eigener Migrationserfahrung eher zu erwarten – Ungenauigkeiten lexikalischer oder grammatikalischer Natur erfasst. Zur Anwendung wird das Verfahren »Talk in Qualitative Social Research« (TIQ) wie bei Przyborski und Wohlrab-Sahr kommen.421 Es handelt sich um ein Verfahren, das bei der Arbeit mit Gruppendiskussionen und im Rahmen der Entwicklung der dokumentarischen Methode der Interpretation entstanden ist. Der Feinheitsgrad entspricht nicht den Anforderungen einer linguistischen Analyse; es handelt sich aber um ein Verfahren, das sich für rekonstruktive Forschung eignet. Diese können den eigenen Anforderungen angepasst werden, um beispielsweise die Feinheit der Transkription zu erhöhen. Aus arbeitspraktischen Gründen werden die Transkriptionsregeln nicht an dieser Stelle präsentiert, sondern dem empirischen Ausgangsmaterial im Anhang unmittelbar vorangestellt.422 Bei der Art und Weise des Ablaufs der teilnehmenden Beobachtung ist mit der Ausarbeitung der Beobachtungsprotokolle bereits der Schritt der Aufbereitung Teil der Erhebung und Datengewinnung. Es werden chronologische, lediglich durch die Untersuchung selbst strukturierte Protokolle angefertigt. Rekonstruiert werden in erster Linie das nonverbale Geschehen und die Interaktionen. Wenn es für den Kontext erforderlich ist, werden auch sprachliche Elemente in beispielsweise die unterschiedlichen Phasen der Feldarbeit, werden daher nicht weiter expliziert. Vgl. Kluckhohn: Methode; Weinberg, Martin S./Williams, Collin J.: Soziale Beziehungen zu devianten Personen bei der Feldforschung, In: Friedrichs, Jürgen (Hg.): Teilnehmende Beobachtung abweichenden Verhaltens, Stuttgart 1973, S. 83–108; Flick: Stationen; Legewie: Feldforschung, S. 91f.; Lueger: Grundlagen; S. 51–69; Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 539, 596–581. 421 Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 167–170. 422 Zu Anhaltspunkten hinsichtlich der Transkriptionsregeln vgl. ebd., S. 169.
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indirekter Rede wiedergegeben. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sprachliche Interaktionen beobachtet werden, die nicht unmittelbar Teil einer Gruppendiskussion oder eines fokussierten Interviews sind.
1.3
Auswertung
1.3.1 Bedingungen und Anforderungen Ein geeignetes Auswertungsverfahren muss folgende Dinge leisten können: Erstens muss es eine Antwort auf die Fragestellung zu liefern imstande sein. Gefragt wird nach den Interessen der FS in einem spezifischen musealen Kontext. Ermittelt werden sollen die diesen Interessen zugrundeliegenden Orientierungen und deren konjunktiver Erfahrungsraum. Das bedeutet einerseits, dass das Ausgangsmaterial in der Art und Weise ausgewertet und am Ende reduziert werden muss, dass sich Typen bilden lassen, die dieses Erkenntnisinteresse adäquat abbilden. Die Untersuchung der Interessen der FS erfolgt neben einem Zugang im Allgemeinen durch die historische Identität und das Geschichtsbewusstsein im Besonderen. Folglich muss das Auswertungsverfahren mit diesen Strukturen umgehen und die dahinterliegenden subjektiven Bedeutungszuschreibungen und latenten Sinngehalte herausarbeiten können. Zweitens muss sich das Auswertungsverfahren auf das empirische Ausgangsmaterial anwenden lassen und mit den Erhebungsverfahren kompatibel sein. Es ist zudem eines der Kernkriterien des DBR-Ansatzes, dass die Prozesse und Ergebnisse der Forschungsbemühungen auf methodologischer Ebene stringent verbunden werden. Im Rahmen einer Triangulation berücksichtigen die Erhebungsinstrumente sowohl eine verbale Ebene als auch eine nonverbale Ebene. Weniger die verbale, aber besonders die nonverbale Ebene zeichnet sich durch interpretative und damit Auswertungsschritte bereits im Zuge der Erhebung aus. Somit muss das Auswertungsverfahren empirisches Material unterschiedlicher Provenienz verarbeiten, einem Ergebnis zuführen und dabei unterschiedliche Interpretationsgrade berücksichtigen können. Naheliegende Methoden wie beispielsweise eine typologische Analyse423, die Grounded Theory424 oder die objektive Hermeneutik425 können jedoch nicht in Betracht gezogen
423 Vgl. Mayring: Einführung, S: 130–132. 424 Vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 190–223; Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L.: Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung, Bern 2010. 425 Vgl. Overmann, Ulrich u. a.: Die Methodologie einer »objektiven Hermeneutik« und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften, In: Soeffner, Hans-Georg (Hg.): Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften, Stuttgart
102
Empirie
werden, da sich entweder ihr zentrales Erkenntnisinteresse in entscheidenden Punkten von dem dieser Untersuchung unterscheidet426 oder weil ihr Einsatz aus forschungspraktischen Gründen nicht möglich ist.427 1.3.2 Dokumentarische Methode Die genannten Bedingungen und Anforderungen kann die dokumentarische Methode erfüllen. Es handelt sich um ein interpretatives Verfahren, das sich bei der Auswertung von Interviews, Gruppendiskussionen und teilnehmender Beobachtung bewährt hat.428 Als eine der Standardmethoden in den empirischen Sozial- und Erziehungswissenschaften wurde sie vor allem von Bohnsack429 auf Basis der Arbeiten von Mannheim430 und Garfinkel431 vorangetrieben. Ihren Ausgangspunkt nimmt die Methode in der Erkenntnis der Unmöglichkeit, fremden, gemeinten Sinn vollständig zu erfassen und der daraus resultierenden Vorläufigkeit alltagsweltlicher Sinndeutungen.432 Das Potential der Methode besteht darin, dass die verschiedenen »simultanen Verhältnisse,«433 die auch für diese Untersuchung konstitutiv sind, zueinander in Bezug gesetzt werden können. Sie besetzt die Mittelposition zwischen einem rein subjektivistischen und
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427
428 429
430 431 432 433
1979, S. 352–434; Kölbl: Geschichtsbewusstsein 2012, S. 113; Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 246–277. Die typologische Analyse fragt beispielsweise in erheblichem Maße nach zu identifizierenden Quantitäten als Grundlage der Typenbildung. Die Grounded Theory zielt tendenziell eher auf die Aufdeckung sozialer Prozesse und Phänomene denn auf Bedeutungszuschreibungen etc. Bei der Grounded Theory erfordert das Wechselspiel zwischen Erhebung und Reflexion eine hohe Zahl von Erhebungen und eine entsprechend große Stichprobe, um zu validen Ergebnissen zu gelangen. Die objektive Hermeneutik ist deutlich zu zeit- und personalintensiv. Für die Analyse von nur einer Seite Protokoll würde eine Gruppe aus fünf Forschern jeweils etwa 30 Stunden Arbeitszeit investieren müssen und im Ergebnis eine ca. 50-seitige Interpretation anfertigen. Vgl. Overmann u. a.: Methodologie, S. 293. Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 278. Erfolgreich wurde die Methode auch bereits im museumspädagogischen Kontext bei einer Untersuchung des Lernwerkstatt-Ansatzes eingesetzt. Vgl. Richter u. a.: Lernwerkstatt-Ansatz, S. 39–42. Vgl. Bohnsack, Ralf: Dokumentarische Methode, In: Hitzler, Roland/Honer, Anne (Hg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung, Wiesbaden 1997, S. 191–212; Bohnsack, Ralf: Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung, Opladen 92010; Kölbl, Carlos: Zum Nutzen der dokumentarischen Methode für die Hypothesen- und Theoriebildung in der Geschichtsbewusstseinsforschung, In: Günther-Arndt, Hilke/Sauer, Michael (Hg.): Geschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen, Berlin 2006, S. 29–48, hier S. 30. Mannheim, Karl: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk (Hg. Wolff, Kurt H.), Berlin 1964. Garfinkel, Harold: Studies in Ethnomethodology, Cambridge 1967. Vgl. Schütz, Alfred: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Frankfurt a. M. 1974. Spieß, Christian: Quellenarbeit, S. 90.
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einem rein objektivistischen Zugang.434 Die dokumentarische Methode will als »wissenssoziologisch fundierte Verfahrensweise« einen »adäquaten Zugang zu fremden Erfahrungsräumen und Deutungsschemata«435 ermöglichen. Schmitt ergänzt, es handle sich um fremde, geteilte Erfahrungsräume, die sich in (sozialem) Handeln metaphorisch und atheoretisch ausdrücken.436 Im Zentrum des Verfahrens steht somit das methodisch kontrollierte Fremdverstehen.437 Durch die Ermittlung des indexikalischen Gehalts einer Aussage, auf den diese verweist,438 sollen habitualisierte Orientierungen und Sinnstrukturen »jenseits des wörtlichen oder referenziellen Sinngehalts, aber auch jenseits der kommunikativen Absicht der Beteiligten«439 zutage gefördert werden. Dies impliziert, dass nicht nur die Diskurse selbst, sondern auch die Diskursorganisation als Erkenntnisquelle dienen kann.440 Die dokumentarische Methode erfüllt die grundlegende Voraussetzung, dass sie einen Erfahrungsraum auf der Ebene von sozialen Gruppen, Milieus fokussiert, der sich erst durch die Summe und die Wechselwirkungen der Erfahrungsräume der einzelnen Mitglieder des Milieus konstituiert. Dies entspricht damit dem analytischen und interpretativen Grundverständnis dieser Untersuchung, dass zunächst das Individuum mit seinen Erfahrungen und subjektiven Deutungen und Sichtweisen im Vordergrund steht. Dies erfolgt jedoch im Kontext der Gruppe, des Milieus, dem das Individuum angehört, sodass in der komparativen Einzelfallanalyse die milieuspezifischen Erfahrungsräume herausgearbeitet werden können. Gruppendiskussionen in einer natürlichen Gruppe haben dabei den Vorteil, dass die Äußerungen des Einzelnen innerhalb eines gewohnten sozialen Kontexts stattfinden und dadurch das Erkenntnispotential erhöht wird.441 Der Erkenntnisgenese setzt Bohnsack voraus, dass zudem eine Auseinandersetzung mit dem erlebnismäßigen Kontext erfolgt, in dessen Rahmen die 434 Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 281. 435 Bohnsack: Dokumentarische Methode, S. 210. 436 Schmitt, Rudolf: Von der Schwierigkeit, Verstehen zu verstehen. Rezensionsaufsatz (Art. 44) zu: Hitzler, Roland/Honer, Anne (Hg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung, Opladen 1997, In: Forum Qualitative Social Research 1/3 2000, S. 5, (online) http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1066/2310 (aufgerufen am 28. 01. 2020). 437 Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 413. 438 Sowohl der Begriff Orientierung als auch Orientierungsmuster finden in diesem Zusammenhang Anwendung. In dieser Arbeit werden sie synonym gebraucht. 439 Bohnsack: Gruppendiskussion, S. 378. 440 Bohnsack, Ralf/Schäffer, Burkhard: Gruppendiskussionsverfahren, In: Hug, Theo (Hg.): Einführung in die Forschungsmethodik und Forschungspraxis (Wie kommt die Wissenschaft zu Wissen Bd. 2), Baltmannsweiler 2001, S. 324–341, hier S. 334f. 441 Bohnsack: Rekonstruktive Sozialforschung 2010, S. 22; Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S. 413.
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spezifischen Äußerungen erfolgen.442 Ein Zugang zu fremden Bedeutungswelten ist laut Bohnsack vorzugsweise über Passagen mit besonders hoher metaphorischer Dichte möglich.443 Es werden mehrheitlich folgende Stufen der Interpretation und Rekonstruktion differenziert: 1) Thematischer Verlauf: Der eigentlichen Interpretation voran geht die Auswahl der zu analysierenden Passagen aus der Gesamtheit des empirischen Materials. In diesem Zuge erfolgt auch eine Strukturierung nach Themen bzw. thematischen Wechseln. Von Interesse sind solche Passagen, die sich formal vom Rest des Diskurses unterscheiden; Passagen, die über eine hohe interaktive und metaphorische Dichte verfügen. Bohnsack spricht von so genannten Fokussierungsmetaphern. 2) Formulierende Interpretation: In diesem Schritt wird eruiert, welche Themen und Unterthemen im Diskursverlauf und innerhalb der ausgewählten Passagen angesprochen werden, ohne hierbei auf Kontextwissen zurückzugreifen. Es erfolgt eine zusammenfassende Formulierung des wörtlich Mitgeteilten. Es wird nach dem Was des Diskurses gefragt. Intention ist es, das Sinnverstehen intersubjektiv überprüfbar zu machen. 3) Reflektierende Interpretation: Hier sollen eine spezifische Weichen- und Problemstellung bei der Behandlung des Themas und der für das Thema ausschlaggebende Orientierungsrahmen sichtbar gemacht werden. Im Fokus steht der dokumentarische Sinngehalt. Es wird gefragt, was sich über den Fall zeigt, welche Bestrebungen oder Abgrenzungen impliziert sind. Ferner gilt es zu ergründen, welches Prinzip einer konkreten Äußerung zugrunde liegt und welches Prinzip verschiedene, thematisch unterschiedliche Äußerungen als Ausdruck desselben ihnen zugrundeliegenden Sinngehalts verständlich machen kann. Ziel ist die Rekonstruktion von Handlungsorientierungen und Habitusformen. Dieser Schritt zeichnet sich durch ein sequenzanalytisches Vorgehen aus. Die Rekonstruktion der Diskursorganisation findet ebenfalls in diesem Schritt statt. Es wird das Wie der Kommunikation betrachtet. 4) Komparative Analyse und Typenbildung: Es wird zunächst nach weiteren Orientierungsrahmen in unterschiedlichen Passagen desselben Diskurses gesucht. Zudem findet ein Vergleich eines jeden Orientierungsrahmens mit anderen Fällen statt, um zu ermitteln, ob es sich bei einer Orientierung nur um eine fallspezifische Besonderheit oder um eine allgemeine Struktur handelt. Nach dem Prinzip des minimalen Kontrasts wird nach thematisch ähnlichen Passagen gesucht. Ziel ist die Ermittlung des konjunktiven Erfahrungsraums und die Abstraktion zu einer Basistypik. Es wird nach dem Tertium Comparationis, dem gemeinsamen Dritten gesucht. Es soll versucht 442 Bohnsack: Dokumentarische Methode, S. 195. 443 Bohnsack: Rekonstruktive Sozialforschung 2010, S. 100f.
Methodologie
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werden, diese Orientierungsfigur auch in anderen Themen desselben Falles und in Vergleichsfällen zu identifizieren. Von dieser sinngenetischen Typenbildung ausgehend erfolgt im letzten Schritt eine soziogenetische Typenbildung. Durch die Abgrenzung der Basistypik(en) von anderen soll eine spezifische Milieutypik ermittelt werden. Je genauer sich eine Typik von einer anderen abgrenzen lässt, desto valider ist sie.444 Im letzten Schritt offenbart sich, wie sorgfältig und methodisch kontrolliert die vorangegangenen Schritte ausgeführt wurden und ob die bestehende Kritik am Erkenntniswert qualitativ gebildeter Typen berechtigt ist. Denn es ist zu kurz gegriffen, von einem Einzelfall unreflektiert auf die Allgemeinheit zu schließen. Besonders wichtig sind daher die fallkontrastierenden Stufen der Analyse. Die Typenbildung muss als letzter analytischer Schritt verstanden werden, der identifizierte und herausgearbeitete Differenzen zwischen Einzelfällen in Gestalt der Typik einer abschließenden Beschreibung und Erklärung zuführt.445 Wenngleich in der Literatur zur dokumentarischen Methode nicht explizit gefordert, soll nichtsdestotrotz eine kommunikative Validierung der Ergebnisse durchgeführt werden. Diese soll zielführend nach der reflektierenden Interpretation durchgeführt werden, wenn das gesamte Spektrum unterschiedlicher Orientierungsmuster vorliegt. Dieses »Zwischenergebnis« ist noch vergleichsweise greifbar und konkret und daher besser für eine Validierung mit den FS geeignet als die sehr abstrakten, finalen Ergebnisse der komparativen Analyse und Typenbildung, von denen aus keine direkte Verbindung mehr zu den untersuchten Einzelfällen hergestellt werden kann. Diese Verbindung ist jedoch wichtig, da die Erinnerungen der FS an die Erhebungen und die Verbindung mit den Einzelfällen der bestimmende Faktor der Validierung sind. Um den Ansprüchen des qualitativen Paradigmas und der darin geforderten intersubjektiven Überprüfbarkeit gerecht zu werden, soll die Analyse nicht unmittelbar in der Präsentation der Ergebnisse aufgehen und den Interpretationsprozess als exklusives Wissen vorenthalten. Zwar wird dieser Prozess keine durchgehend kohärente argumentative Struktur aufweisen. Da jedoch die finalen Ergebnisse nicht aufgrund von Messbarkeiten im quantitativen Sinne leicht nachvollzogen werden können, scheint es überaus wichtig und auch als Zeichen der Verantwortung gegenüber dem Rezipienten geboten, den Interpretations444 Vgl. hinsichtlich der Interpretationsschritte Lamnek: Qualitative Sozialforschung, S: 416f.; Bohnsack, Ralf: Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, Opladen/Toronto 92014, S. 35–58; Przyborski/Wohlrab-Sahr: Qualitative Sozialforschung, S. 292–304. 445 Vgl. Gerhardt, Uta: Typenbildung, In: Flick, Uwe u. a. (Hg.): Handbuch qualitativer Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, Weinheim 31995, S. 435–439.
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Empirie
prozess transparent und nachvollziehbar zu gestalten und die entsprechenden Schritte unmittelbar in die Ausführungen einfließen zu lassen. Einzelne Schritte (z. B. die reflektierende Interpretation) werden in ihrem Gesamtumfang dem Anhang beigefügt. Im Hauptteil wird stattdessen eine verkürzte und konzentrierte Darstellung erfolgen, die für Rezipienten, die sich nicht tief in das empirische Material einarbeiten, leichter nachzuvollziehen ist. An dieser Stelle ist es als letzter Punkt geboten, einer späteren Entwicklung der Interpretation vorzugreifen und auf eine Besonderheit des analytischen Vorgehens hinzuweisen. Der Erhebung wird ein mehrperspektivischer Ansatz zugrunde liegen, der auf methodischer Ebene unterschiedliche Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand kombiniert. In der Analyse wird es jedoch nicht möglich sein, das empirische Ausgangsmaterial dieser unterschiedlichen Provenienzen bereits zu Beginn der Interpretation und in jedem einzelnen Teilschritt gleichermaßen in den Erkenntnisprozess einzubeziehen. Ursächlich dafür ist, dass sich das unterschiedliche Ausgangsmaterial durch unterschiedliche Abstraktionsniveaus auszeichnet, die sich nur bedingt miteinander vergleichen lassen. Das Material der Gruppendiskussionen bzw. fokussierten Interviews mit den FS ist sehr konkret, spezifisch und detailreich. Die Protokolle der teilnehmenden Beobachtung sowie die fokussierten Interviews mit den Museumspädagoginnen sind hingegen deutlich abstrakter und bilden weniger einzelne Details denn übergeordnete Zusammenhänge und Strukturen ab. Daher wird es erst in einem späteren Analyseschritt, der ein ähnliches Abstraktionsniveau aufweist, möglich sein, das Material der teilnehmenden Beobachtung zielführend einzusetzen.446
1.4
Zusammenfassung
Um die Aussagekraft der Erkenntnisse dieser qualitativen Untersuchung zu steigern, wird eine systematische Perspektiventriangulation vorgenommen. Durch die Kombination und Ergänzung unterschiedlicher Verfahren und Forschungsperspektiven in einer Methodologie erhält die Analyse mehr Breite und Tiefe. Zudem wird durch die Konzeption der Methodologie die für den DBR-Ansatz charakteristische Verbindung der Prozesse und Ergebnisse der Forschungsbemühungen auf methodologischer Ebene gewährleistet. Der Zugang zu den narrativen Strukturen erfolgt durch einen Hybrid aus Gruppendiskussion und fokussiertem Interview. Das Element der Gruppendiskussion bildet der Bezugsrahmen der Gesprächssequenzen, die Gruppe. Es soll 446 Die Triangulation auf der Ebene der Analyse wird erst im Rahmen der komparativen Analyse erfolgen.
Methodologie
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erreicht werden, dass die FS durch den gemeinsamen Diskurs über einen spezifischen musealen Kontext in der unmittelbaren Erfahrung von Alterität Sinnund Bedeutungsebenen erzeugen, über die sich einerseits individuelle Interessen, vor allem aber kollektive Gruppen-Orientierungen erschließen lassen. Insbesondere unter Rücksichtnahme auf mögliche sprachliche Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem musealen Kontext, werden allerdings stärkere Eingriffe in den Diskursverlauf nötig sein, als bei einer Gruppendiskussion üblich. Daher werden die Gesprächssequenzen Elemente des fokussierten Interviews – beispielsweise in Form von gezielten Nachfragen oder Paraphrasierungen des Gesagten zur Verständnisüberprüfung – enthalten. Ziel bleibt dessen ungeachtet eine möglichst behutsame, nondirektive Gesprächsführung, die den FS allen nötigen Freiraum gewährt. Die Gesprächssequenzen werden mittels eines Audioaufnahmegeräts gesichert. In der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung ist von einer sehr hohen Interaktionsdichte während der Erhebungen auszugehen. Diese Interaktionen auf der nonverbalen Ebene sollen als Erkenntnisquelle nicht vernachlässigt werden. Daher wird in Ergänzung als weiteres Element der Triangulation eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt werden. Während der Beobachtungen werden akustische Memos mittels des Audioaufnahmegeräts festgehalten. Im Anschluss an die Beobachtungen werden Beobachtungsprotokolle angefertigt. Um die Erkenntnisse dieser hochsubjektiven Methode auf eine breitere Basis zu stellen, wird ein Mitglied aus dem Team der Pädagogen des Museums als zweiter Beobachter zum Einsatz kommen. Mit diesem zweiten Beobachter wird im Anschluss an die Erhebung ein fokussiertes Interview über dessen Eindrücke und Beobachtungen geführt. Durch das Anfertigen der Beobachtungsprotokolle ist die Aufbereitung der Daten bei der teilnehmenden Beobachtung bereits integraler Bestandteil der Erhebung. Die Aufbereitung der Gruppendiskussionen und fokussierten Interviews erfolgt in Form einer buchstäblichen Transkription nach dem Verfahren Talk in Qualitative Social Research (TIQ). Dies gewährleistet eine möglichst exakte Rekonstruktion der gesamten Breite und Tiefe der sprachlichen Äußerungen – Voraussetzung für eine fundierte Analyse. Die Interpretation der empirischen Daten erfolgt auf Basis der dokumentarischen Methode. Entwickelt im Rahmen der Ausarbeitung des Gruppendiskussionsverfahrens, ist diese Methode prädestiniert für die Auswertung empirischen Materials aus ebendiesem Verfahren, aber auch aus dem teilnehmender Beobachtung. Es ergibt sich die Besonderheit, dass das Einbeziehen des Materials der teilnehmenden Beobachtung jedoch erst in einem späteren Schritt der Analyse, der über ein Abstraktionsniveau verfügt, das die Triangulation zulässt, möglich sein wird. Die dokumentarische Methode besetzt die Mittelposition zwischen einem subjektivistischen und einem objektivistischen Zugang. Ihr
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Empirie
Hauptaugenmerk liegt in der Differenzierung und Analyse des immanenten und des dokumentarischen Sinngehalts des empirischen Materials. Diese Differenzierung spiegelt sich in den einzelnen Interpretationsschritten wider. Der zentrale Erkenntnisgewinn resultiert aus der komparativen Analyse von Einzelfällen. Intention ist, die den Äußerungen zugrundeliegenden Orientierungen und deren konjunktiven Erfahrungsraum in einer abschließenden Typenbildung herauszuarbeiten. In ebendieser Intention liegt das große Potential, das die dokumentarische Methode gegenüber anderen Verfahren für diese Untersuchung so attraktiv macht. Würden beispielsweise in einer reinen Inhaltsanalyse die quantitativ gemessen fünf beliebtesten und als am interessantesten empfundenen musealen Kontexte präsentiert werden, so wäre dies sicher ein hilfreiches Ergebnis für dieses eine Museum, in dem die Erhebungen durchgeführt werden oder allenfalls noch für einen bestimmten Museumstyp. Aber durch die Ermittlung der den Interessen zugrundeliegenden kollektiven Orientierungen der Untersuchungsgruppe, kann die Reichweite der Ergebnisse und die Anschlussfähigkeit der Untersuchung über den konkreten Fall hinaus erhöht werden.
2.
Untersuchungsort: das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim
An nicht wenigen Stellen in den vorangegangenen Kapiteln wurde der Untersuchungsort mit dem Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim als quasi gesetzt betrachtet und nicht weiter hinterfragt. Wie andere muss aber auch die Entscheidung für den Untersuchungsort entsprechend wissenschaftstheoretisch begründet werden. Das Freilandmuseum447 lässt sich als Typus unter der übergeordneten Kategorie der kulturhistorischen Museen subsummieren.448 Laut ICOM-Deklaration handelt es sich um »Sammlungen ganzheitlich dargestellter Siedlungs-, Bau-, Wohn- und Wirtschaftsformen unter freiem Himmel.«449 Doch weshalb eignet sich das Freilandmuseum besonders gut, nicht nur für diese Untersuchung, sondern als außerschulischer Lernort für Lernende aus D-Klassen im Allgemeinen? 447 Freilandmuseum und Freilichtmuseum werden hier synonym verwendet. 448 Zippelius, Adelhart: Neufassung der ICOM-Deklaration, In: Verband europäischer Freilichtmuseen (Hg.): 25 Jahre ICOM-Deklaration über Freilichtmuseen. Tagungsbericht Ungarn 1982, Szentendre 1984, S. 91–102, hier S. 93; Edeler, Ingrid: Zur Typologie des Kulturhistorischen Museums, Freilichtmuseums und kulturhistorischer Räume (Europäische Hochschulschriften Bd. 79), Frankfurt a. M. 1988, S. 52. 449 Zippelius: ICOM-Deklaration, S. 93.
Untersuchungsort: das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim
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Zahlreiche Empfehlungen für Schüleraktivitäten im Konzept D-Klasse, wie der Spracherwerb und Kompetenzen entwickelt und gefördert werden können, lassen sich unter dem Paradigma der Handlungsorientierung subsummieren.450 Piontek hebt die große Relevanz partizipativer und handlungsorientierter museumspädagogischer Formate insbesondere in der Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund hervor.451 Gleichwohl muss betont werden, dass Piontek, wenn sie von Repräsentation und Selbstartikulation spricht, einen breiteren Horizont aufspannt, der über konkrete Vermittlungsarbeit hinausgeht und den Bereich der Musealisierung (von Migration) im Allgemeinen berührt. Überdies sehen viele der Schüleraktivitäten eine »Bewegung im Raum/einer Umgebung« vor.452 Aus diesen und den zuvor genannten Gründen verfügen Freilandmuseen über ein großes Potential für die Arbeit mit Lernenden aus D-Klassen. Oftmals besteht Handlungsorientierung darin, dass sich die Lernenden interaktiv oder kreativ mit Themen, Objekten auseinandersetzen (z. B. etwas gestalten, etwas an Modellen ausprobieren usw.). Eine gewisse Distanz und Mittelbarkeit zum Thema und vor allem zum Objekt wird hierbei fast immer bestehen bleiben. Freilandmuseen verfügen über Qualitäten und bieten Möglichkeiten, die darüber hinaus gehen: »Mit der ›ganzheitlichen‹ Darstellungsweise streben die Freilichtmuseen ein historisch zutreffendes Bild von den örtlichen und funktionalen Beziehungen der Museumsobjekte zueinander und zu ihrem jeweiligen natürlichen kulturellen Milieu an.«453 Angestrebt wird eine »Präsentation der Objekte in einer dem Ursprung nahekommenden räumlichen und funktionalen Umgebung«.454 Das bedeutet, dass der Schritt der Rekontextualisierung, der von Rezipienten angeleitet vom fachkundigen Museumspersonal zu leisten ist, im Freilandmuseum eine geringere Hürde darstellt, als in Ausstellungen, in denen jedweder Kontext mühsam erschlossen werden muss. Die Objekte in einem Freilandmuseum – im Regelfall Gebäude – werden zwar transloziert, der Wiederaufbau in den Ensembles im Museumsgelände455 wird jedoch den ursprünglichen Bedingungen nachempfunden.456 Die ICOM-Deklaration spricht 450 Auf die große Bedeutung echter Kommunikationssituationen, authentischer Lerngegenstände und des Prinzips des forschend-entdeckenden Lernens für den Spracherwerb sowie den integralen Bestandteil »kultureller Bildung« im Konzept D-Klasse sei an dieser Stelle nur verwiesen. 451 Piontek: Ansätze, S. 200. 452 Beispielsweise im Rahmen der Zusammenarbeit mit externen Kooperationspartnern im Bereich »Sprach- und Lernpraxis«. 453 Zippelius: ICOM-Deklaration, S. 93. 454 Edeler: Typologie, S. 58. 455 Dessen Wahl stellt für sich auch eine Form der Interpretation und Gestaltung dar, strebt jedoch laut ICOM-Deklaration an, ein historisch zutreffendes Bild abzugeben. 456 Vgl. Bedal, Konrad: Suchen und Finden – ein Museum entsteht. Konzept, Aufbau, Eröffnung, In: May, Herbert/Rauschenbach, Ute/Scheffold, Juliane: Groß geworden. 25 Jahre Fränkisches Freilandmuseum in Bad Windsheim, Bad Windsheim 2007, S. 12–23.
110
Empirie
sogar wörtlich von einem höheren Grad an »greifbarer historischer Realität«457 als in anderen Museumstypen.458 Die Museumspädagogik findet hier oft den günstigen Fall vor, dass das Objekt selbst als Gegenstand und Teil der handlungsorientierten Lernaktivität dienen und multisensorisch erlebt und erfahren werden kann.459 Im Hinblick auf diese Arbeit ist insbesondere der Punkt der Unmittelbarkeit und des wenn überhaupt nur behutsamen gestalterischen Eingriffs ausschlaggebend. Wenn nach Interessen an einer Museumsausstellung gefragt wird, können eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen. Dazu zählen selbstredend die objektimmanenten Faktoren, aber auch die Art und Weise der Präsentation, die Gestaltung der Ausstellung etc.460 Der Faktor Ausstellungsgestaltung – z. B. ob Objekte frei oder in Vitrinen stehen, der Ausstellungsraum hell oder dunkel gehalten ist, ob er weit und ausladend oder eher beengt ist etc. – darf jedoch in dieser Untersuchung keine nennenswerte Rolle spielen. Die Objekte sollen aus sich heraus interessant oder uninteressant wirken. Diesem Kriterium wird das Konzept Freilandmuseum wegen seines allenfalls behutsamen gestalterischen Eingriffes selbstredend nicht vollends, jedoch annäherungsweise gerecht. Der Kritiker mag einwenden, dass Freilandmuseen vornehmlich den ländlichen Raum thematisch erfassen würden und damit nicht repräsentativ
457 Zippelius: ICOM-Deklaration, S. 100. 458 Sasse argumentiert dagegen und spricht von einer einzigen Inszenierung und den allermeisten Freilandmuseen die historische Authentizität ab. Sasse, Werner: Handlungsorientiertes Lernen an Freilichtmuseen, In: Standbein Spielbein 62 2002, S. 6–8, hier S. 6. 459 Vgl. Witte, Antje: Das Freilichtmuseum am Kiekeberg. Ein erlebnispädagogischer Lernort an der Peripherie Hamburgs, In: Ziegenspeck, Jörg (Hg.): Das Museum als erlebnispädagogischer Lernort. Museumspädagogik in den Museen der Freien und Hansestadt Hamburg und ihrer näheren Umgebung, Lüneburg 1997, S. 65–83; Kraft, Anne: Ein Hof für Jung und Alt!, In: Standbein Spielbein 92 2012, S. 30–32; Jockers, Inge: »Auch wenn es nur ein bäuerlicher Fußboden ist«. Museumspädagogik an Freilichtmuseen, In: Standbein Spielbein 62 2002, S. 2–5; Sasse: Handlungsorientiertes Lernen sowie weitere Beiträge der Ausgabe Standbein Spielbein 62 2002. 460 Auf das Thema Ausstellungsgestaltung bzw. -design soll nicht explizit eingegangen werden. Vgl. daher u. a. Müller-Rieger, Monika: Ausstellungsdesign. Eine Brücke zum Besucher, In: Schreiber, Waltraud u. a. (Hg.): Ausstellungen anders anpacken. Event und Bildung für Besucher. Ein Handbuch (Bayerische Studien zur Geschichtsdidaktik Bd. 8), Neuried 2004, S. 43–62; MacDonald, Sharon: Museumsbesuch und Ausstellungsdesign. Wechselseitige Verbindung und Austausch, In: Harrasser, Doris u. a. (Hg.): Wissen spielen. Untersuchung zur Wissensaneignung von Kindern im Museum, Bielefeld 2011, S. 237–259; OberHeilig, Nadine/Bekmeier-Feuerhahn, Sigrid: Das gebaute Museumserlebnis. Erlebniswirksame Architektur als strategische Schnittstelle für Museumsmarken, Wiesbaden 2015. Zum Wahrnehmungsverhalten von Lernenden im historischen Museum vgl. auch: Röttele, Hannah: Mensch, Objekt, Objektbegegnung. Eine empirische Studie zum Wahrnehmungsverhalten von Schülerinnen und Schülern bei einem Besuch im Historischen Museum, In: Waldis, Monika/Ziegler, Béatrice (Hg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 15. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 15«, Bern 2017, S. 111–123.
Untersuchungsort: das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim
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wären.461 Aber diesen Anspruch kann letztlich kein Museum erfüllen, da jede Ausstellung eine spezifische thematische Ausrichtung hat. Überdies ist die für diese Arbeit relevante und durch den Bezug zur so genannten »Flüchtlingskrise« bedingte Zielgruppe von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung nicht ausschließlich im urbanen Raum wohnhaft. Gemäß den Bestimmungen der Asyldurchführungsverordnung462 erfolgt eine festgelegte Verteilung nach einem spezifischen Schlüssel, der die regionalen und lokalen Einwohnerzahlen zum Maßstab hat, über das gesamte bayerische Staatsgebiet – einschließlich des ländlichen Raumes.463 Die empirische Untersuchung dieses exemplarischen Falls und die zu ermittelnde Basistypik werden zeigen, dass diese keineswegs nur in Freilandmuseen, sondern auch in anderen Ausstellungs- und Themenkontexten Relevanz haben können. Für diese Untersuchung wurde diesbezüglich der Kontakt zum Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim gesucht. Erste Gespräche fanden bereits im ersten Quartal 2016 mit dem Direktor des Museums Herrn Dr. May und der stellvertretenden Direktorin und Leiterin der Museumspädagogik Frau Dr. Partheymüller statt. Im Laufe der ersten drei Quartale 2016 konnten eine tragfähige Kooperation aufgebaut sowie die Rahmenbedingungen der Untersuchung abgestimmt werden. Wichtig hierbei war, dass sich die Zusammenarbeit nicht darauf beschränkt hat, dass das Museum lediglich seine Ressourcen für die Durchführung der Erhebungen zu Verfügung stellt. Es wurde – wie im dritten Aspekt des DBR-Ansatzes vorgesehen – auch der fachliche Diskurs gesucht. Die Impulse aus der Praxis haben nicht unwesentlich zur Konkretisierung und Zuspitzung der Fragestellung beigetragen. Durch die enge Zusammenarbeit wurde zudem das in Aspekt sechs des DBR-Ansatzes postulierte Real-Life-Setting, eine möglichst natürliche Untersuchungssituation, gewährleistet. Im ersten Quartal 2017 erfolgt die terminliche und organisatorische Feinabstimmung der Untersuchungsphasen. Den Verantwortlichen Herrn Dr. May und Frau Dr. Partheymüller sowie der Museumspädagogin Frau Papini ist für die Unterstützung dieses Projekts sehr zu danken. Das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim zählt mit nur 34 Jahren zu den jungen seiner Art. Ein Beschluss des Bezirkstages von 1976 bildete die Basis für die konkrete Planung und Umsetzung. Das Museum befindet sich auf einem ca. 40 ha großen Areal nahe der historischen Altstadt. Die drei regionalen Baugruppen464 sowie die Baugruppe Mittelalter spiegeln die gesamtfränkische 461 Davon abgesehen existieren auch vereinzelt, wenn auch wenige, städtische Freilandmuseen. Zippelius: ICOM-Deklaration, S. 93f. 462 DVAsyl: Asyldurchführungsverordnung, (online) http://www.gesetze-bayern.de/Content/ Document/BayDVAsyl/true, 2016 (aufgerufen am 28. 01. 2020). 463 § 3 DVAsyl. 464 West/Frankenhöhe, Ost/Regnitzfranken/Frankenalb und Süd/Altmühlfranken.
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Empirie
Ausrichtung wider. Das Terrain und das Gelände wurden sukzessive im Rahmen von Bautätigkeiten und unter historischen Vorgaben entwickelt. Der Sammlungsschwerpunkt entwickelte sich von anfänglich ausschließlich handwerklich hin zu industriellen Produkten der Alltagskultur. Hauptaugenmerk gilt dem Abbau und Wiederaufbau historischer, aussagefähiger Gebäude. Bezeichnend ist hierfür auch die Anwendung historisch überlieferter Bautechniken.465 Der Bereich Bildung und Vermittlung besetzt im Selbstverständnis des Museums eine wesentliche Position. »Im Gegensatz zu reinen Kunstmuseen, deren Ausrichtung meinst spezielle Kultur- und Geschichtsbereiche fokussiert, ist in einem Freilandmuseum alles, was Geschichte gewordenes Leben und die unmittelbare Umwelt betrifft, relevant. Alle Ebenen des früheren Alltags werden dargestellt. Es geht um Wohnen, Arbeiten und Wirtschaften der ländlichen Bevölkerung. Aber nicht nur um das. Gerade auch die sie beeinflussenden Geschichte, Politik, Kultur, das ›Drumherum‹ ist wesentlich«.466
3.
Voruntersuchung
Es ist bislang lediglich Theorie, zwar entsprechend begründet, aber nichtsdestoweniger unerprobt, dass die für diese Untersuchung entworfene Methodologie imstande ist, das zu messen und zu erfassen, was die Fragestellung impliziert und als Anforderungen an die Methodologie heranträgt. Auf dieser Grundlage unmittelbar mit den empirischen Erhebungen der Hauptuntersuchung zu beginnen, birgt die Gefahr, dass trotz präziser Ausarbeitung Fehler auftreten können, die die Qualität des Materials mindern oder die Gültigkeit der Erhebungen infrage stellen. Werden solcher Fehler erst während der Hauptuntersuchung identifiziert, gibt es nahezu keine Möglichkeiten mehr, diese zu beheben, ohne dass die Untersuchung an Aussagekraft verliert. Hierfür sind im Wesentlichen zwei Gründe zu nennen: Erstens ist es ausgeschlossen, inmitten einer Erhebung die Methodologie anzupassen. Dies wäre zwar praktisch motiviert und begründet, allerdings nicht theoretisch abgesichert. Zudem kann es den FS nicht abverlangt werden, sich während einer Erhebung auf eine veränderte Methodologie einzustellen. Es bliebe letztlich fraglich, wie vor diesem Hintergrund das aus der Erhebung resultierende Material zu analysieren und zu interpretieren wäre.
465 Vgl. Bedal: Suchen. 466 Rauschenbach, Ute/Scheffold, Juliane: Geschichte zum Anfassen. Museumspädagogik im Freilandmuseum, In: May, Herbert/Rauschenbach, Ute/Scheffold, Juliane: Groß geworden. 25 Jahre Fränkisches Freilandmuseum in Bad Windsheim, Bad Windsheim 2007, S. 50–55, hier S. 50.
Voruntersuchung
113
Zweitens ist die Stichprobe der Hauptuntersuchung genau so groß, dass es möglich ist, drei Gruppen zu bilden. Dadurch kann eine wie im Auswertungsverfahren geforderte komparative Einzelfallanalyse durchgeführt werden. Müsste einer dieser Einzelfälle aufgrund identifizierter methodologischer Fehler aus der Analyse ausgeschlossen werden, würde keine hinreichende Materialgrundlage mehr existieren. Dass sich die Wiederholung einer Erhebung mit einem Einzelfall aufgrund ermittelter und behobener methodologischer Fehler verbietet, muss nicht näher erläutert werden. Aus den genannten Gründen ist es also notwendig, die Methodologie vor der Hauptuntersuchung einer Voruntersuchung zu unterziehen, um mögliche Fehler frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
3.1
Vorbereitung und Durchführung
Da im Umkreis des Untersuchungsorts, des Fränkische Freilandmuseums Bad Windsheim, nur wenige D-Klassen existierten, wurde für die Voruntersuchung keine weitere D-Klasse, sondern eine Regelklasse ausgewählt. So wurde sichergestellt, dass für den Fall einer zweiten Erhebungsphase, sofern das Material aus der ersten und zunächst einzigen Erhebungsphase keine ausreichende Analysegrundlage darstellen sollte, (eine) weitere D-Klasse(n) im Umkreis vorhanden gewesen wäre(n). Dass deswegen die Stichprobe der Voruntersuchung nicht in allen Aspekten mit jener der Hauptuntersuchung verglichen werden kann, wurde einkalkuliert. Welche Konsequenzen sich hieraus für die Aussagekraft der Voruntersuchung erben, wird in der später folgenden Reflexion entsprechend expliziert. Eine Kooperation mit Schulen und Schulklassen kann ausschließlich innerhalb der regulären Unterrichtszeit stattfinden. Es war deshalb wichtig, einen Rahmen zu schaffen, der den regulären Unterrichtsbetrieb in möglichst geringem Ausmaß beeinträchtig. Es wurde daher eine Kooperation mit einer Schule und konkret einer Klasse gesucht, die ohnehin einen Besuch und die Teilnahme an einem Programm des Freilandmuseums plante und dadurch keine weiteren Anstrengungen auf sich nehmen musste. Durch Vermittlung – diesbezüglich ist Frau Dr. Partheymüller vom Freilandmuseum und Frau Zeller vom Schullandheim Bad Windsheim zu danken – entstand Kontakt zu Frau Jeremias von der Oskar-von-Miller-Realschule in Rothenburg ob der Tauber. Frau Jeremias organisierte für mehrere Klassen MINT-Projekte im Schullandheim Bad Windsheim, in deren Rahmen auch die Teilnahme an Programmen des Freilandmuseums vorgesehen war. Die Kooperation gestaltete sich sehr freundlich und unkompliziert. Aus der sechsten Jahrgangsstufe haben sich zwei Schülerinnen und vier Schüler im Alter
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Empirie
zwischen 12 und 13 Jahren freiwillig zur Teilnahme an der Voruntersuchung (N=6) gemeldet. Die Einwilligung der Erziehungsberechtigten wurde eingeholt. Die Voruntersuchung fand am 22. März 2017 vormittags statt. Vor der Museumsbegehung erfolgte eine Vorstellung durch den Forschenden, eine Einführung in das Projekt sowie die Aufgabenstellung für die FS. Jene bestand darin, dass die FS eigenständig und interessengeleitet das Museum erkunden und entdecken sollten. Sie wurden explizit dazu aufgefordert, sich das anzusehen und das auszuprobieren, woran sie interessiert seien. Hieran schloss sich die ca. 60minütige Museumsbegehung in Begleitung eines Lehrers, Herrn Zillig, an. Es wurde darauf geachtet, dass möglichst dieselben Bedingungen wie bei der Hauptuntersuchung gelten. Dass das nicht immer möglich ist, wird anschließend dargelegt und erklärt. An dieser Stelle erfolgt keine ausführliche, protokollarische Schilderung der gesamten Voruntersuchung. Stattdessen wird in einer Reflexion punktuell auf zentrale Aspekte eingegangen. Die inhaltliche Ebene wird nur insofern berührt, als dass sich daraus Rückschlüsse oder Konsequenzen für die Methodologie ergeben. Da weder die Datengewinnung noch die Thesen- oder Theoriebildung Ziel einer Voruntersuchung sind, d. h. keine Auswertung und Interpretation empirischen Materials erfolgt, liegen der Reflexion keine analysefähigen Daten in Form von Protokollen oder Interview-Transkripten, sondern lediglich temporäre sprachliche Memos (mittels Audioaufnahmegerät aufgenommen) zugrunde, die dieser Arbeit nicht eigens beigefügt sind.
3.2
Reflexion
Es wurde bereits angedeutet, dass die FS der Voruntersuchung, Lernende einer Regelklasse, nicht in allen Aspekten mit denen der Hauptuntersuchung, Lernende einer D-Klasse, zu vergleichen sind. Dies liegt zum einen daran, dass die der Regelklasse anders als die der D-Klasse nicht über unmittelbare Migrationserfahrung verfügen. Zum anderen existieren bei erstgenannten keine sprachlichen und Verständigungsdefizite. Im Hinblick auf die Hauptuntersuchung ergeben sich folgende Konsequenzen: Zum einen wird der Zugang zur musealen Überlieferung des Freilandmuseums für die Lernenden der D-Klasse ein anderer sein als für die der Regelklasse. Für Jugendliche der Residenzgesellschaft ist die museale Überlieferung bereits fremd, weil sie eine vergangene »eigene Geschichte« erzählt. Für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung ist die Überlieferung in zweifacher Hinsicht fremd, weil sie eine vergangene »fremde Geschichte« erzählt. Zum anderen wird es weniger einfach sein, am konkreten Museumsobjekt, dem beispielsweise viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, eine
Voruntersuchung
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Gesprächssituation zu initiieren, um den Zusammenhang mit einem möglichen Interesse zu analysieren und zu vertiefen. Die Voruntersuchung verliert durch diese Feststellungen nicht an Aussagekraft. Es handelt sich lediglich um Faktoren, die mit Blick auf die Hauptuntersuchung beachtet werden müssen. Für die Intention zu überprüfen, ob mit der entworfenen Methodologie die Messung und Erfassung des Untersuchungsgegenstandes möglich ist, ist es letztlich unerheblich, welche Nähe oder Distanz die FS zur musealen Überlieferung haben und auf welchem Sprachniveau sie sich befinden. Durch die Triangulation kann die teilnehmende Beobachtung mögliche Schwierigkeiten auf der verbalen Ebene bei der Verbalisierung von Interessen kompensieren. Eine wichtige Erkenntnis konnte unmittelbar zu Beginn der Museumsbegehung gewonnen werden. Im Eingangsbereich des Museums befindet sich eine Informationstafel mit einem Geländeplan. Dieser Ort bildete den Ausgangspunkt. Die FS haben sich selbständig einen Überblick über das Areal und die unterschiedlichen Themenfelder verschafft und gemeinsam entschieden, welcher Weg zunächst einzuschlagen wäre. In Anbetracht der Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit einem durchaus komplexen Geländeplan eine fortgeschrittene Sprach-, Lese- und Interpretationskompetenz erfordert, werden in der Hauptuntersuchung den Lernenden der D-Klasse an dieser Stelle durch den Forschenden eine Hilfestellung und Einführung in das Gelände gegeben und die verschiedenen Bereiche und Themen vorgestellt, sofern sich die FS mit dem Geländeplan auseinandersetzen wollen. Eine gezielte Hinführung zum Geländeplan soll nicht erfolgen. Im Rahmen der Vorbereitung war zu überlegen, an welchem Punkt es sinnvoll wäre, aus der Interaktion heraus Gesprächssituationen zu initiieren, um den Zusammenhang zwischen einem konkreten Teil der musealen Überlieferung und einem möglichen Interesse zu ermitteln. Auf der theoretischen Ebene konnte keine zufriedenstellende Antwort gefunden werden. In der Praxis hat es sich als zielführend herausgestellt, den FS die Zeit einzuräumen, einen Bereich (d. h. in der Regel ein Gebäude) zu erkunden und Gesprächssequenzen erst dann zu initiieren, wenn sie selbst eine gewisse Gesprächsbereitschaft zeigten. Dies war beispielsweise dann der Fall, wenn sie etwas entdeckt hatten und z. B. eigene Erfahrungen und Kenntnisse mitteilen wollten oder wenn konkret Fragen zu einem als interessant identifizierten Bereich bestanden. Die Erkundungsphasen waren von einer so hohen Dynamik gekennzeichnet, dass das Erkenntnispotential der teilnehmenden Beobachtung erheblich gemindert worden wäre, wären diese Phasen an einigen Stellen bewusst unterbrochen worden. Auf diese Weise hat sich ein Rhythmus aus Erkundungsphase und Gesprächsphase etabliert – wie sich herausgestellt hat, eine zuträgliche Strukturierung, da den FS der Untersuchungsverlauf insofern berechenbar wird, dass zunächst genug Zeit
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Empirie
besteht, einen Bereich zu erkunden und erst anschließend auf die dort gewonnenen Eindrücke vertiefend einzugehen. Gleichzeitig erfordert das eine stärkere Gesprächsführung durch den Forschenden. Um die FS zur Reflexion einzelner Abschnitte der Erkundungsphase anzuregen, ist es wichtig, Impulse zu setzen. Der teilnehmenden Beobachtung kommt dadurch ein noch höheres Gewicht zu. Der Forschende muss höchste Aufmerksamkeit auf das Geschehen und die Interaktionen während der Erkundungsphase richten, um anschließend entsprechende Impulse setzen zu können. Dies bedingt zudem ein erhebliches Maß an Selbstkontrolle und -reflexion des Forschenden. Es bestehen zwei Gefahren: Erstens ist auch die Wahrnehmung eines Beobachters selektiv und kann nicht alles erfassen. Deswegen ist es wichtig, dass mit einer begleitenden Museumspädagogin des Museums ein weiterer Beobachter existiert, der Fehler in der Wahrnehmung des anderen Beobachters ausgleichen kann. Zweitens besteht die Gefahr, dass der Forschende bei der Setzung der Impulse suggestiv vorgeht, um implizit eine Bestätigung seiner Beobachtung zu erhalten. Diese Gefahr kann nur durch strikte Selbstkontrolle zwar nicht verhindert, aber zumindest reduziert werden. Die Forschungsliteratur empfiehlt zwar mehrheitlich, während einer Beobachtungsphase auf die Anfertigung von Feldnotizen zu verzichten, um nicht in die Natürlichkeit der Situation einzugreifen. Die Beobachtungsphasen der Voruntersuchung waren allerdings durch eine so hohe Komplexität und Dichte an Eindrücken gekennzeichnet, dass es nicht möglich ist, auf Notizen oder Memos in irgendeiner Form zu verzichten. Ein gangbarer Weg wurde darin gefunden, sprachliche Notizen mittels des ohnehin mitgeführten Audioaufnahmegeräts aufzuzeichnen. Drei Gründe sprechen dafür, auf diese Weise zu verfahren: Erstens ist die Erzeugung sprachlicher Memos ökonomischer und weniger zeitaufwendig als das Anfertigen schriftlicher Notizen. Zweitens können infolgedessen sprachlich deutlich mehr Eindrücke festgehalten werden als schriftlich. Es wird die Gefahr gemindert, dass Ereignisse übersehen werden. Und drittens findet die Erzeugung des Memos unmittelbarer zur Beobachtung eines Ereignisses statt, da der Zwischenschritt der schriftlichen Ausarbeitung eines sprachlich gefassten Gedankens entfällt. Die Motivation der FS war während der gesamten ca. 60-minütigen Museumsbegehung gleichbleibend hoch. Die FS der Voruntersuchung befanden sich tendenziell im mittleren Bereich des Altersdurchschnitts jener der Hauptuntersuchung. Es ist daher möglich, dass es in der Hauptuntersuchung schwieriger sein wird, die Motivation hoch zu halten. Andererseits findet die Untersuchung in einem Format statt, das den FS die Freiheit einräumt, die Geschwindigkeit der Untersuchung selbst festzulegen und ihren Bedürfnissen und Kapazitäten anzupassen. Die Hauptuntersuchung wird mit ca. drei Stunden deutlich länger
Voruntersuchung
117
dauern als die Voruntersuchung. Es empfiehlt sich daher, an gegebener Stelle eine Pause einzulegen. Erkenntnisreich war die Voruntersuchung auch auf der Ebene gruppendynamischer Prozesse. Die Stichprobe der Voruntersuchung zeichnete sich durch eine hohe Kohäsion aus. Es bildete sich eine Struktur heraus, in der beinahe alle Mitglieder der Gruppe gleichermaßen an den Interaktionen der Gruppe partizipierten und dieses mitgestalteten. Die Kohäsion stellt einen Faktor dar, der im Rahmen einer solchen Untersuchung nicht hinreichend kontrolliert werden kann und darf. Regulierende Eingriffe durch den Forschenden in gruppendynamische Prozesse sollen im Hinblick auf die Hauptuntersuchung nicht erfolgen; nicht zuletzt auch deshalb, weil solche Prozesse möglicherweise Erkenntnispotential bergen. Falls die Gruppen der Hauptuntersuchung weniger kohäsiv sind und sich beispielsweise ein hierarchisches Gefälle aus eher anführenden und eher folgenden Gruppenmitgliedern herausbildet, darf nicht manipulierend eingegriffen werden. Solche Aspekte müssen erfasst und in der Analyse und Interpretation berücksichtigt werden.
3.3
Zusammenfassung
Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die entworfene Methodologie imstande ist, das zu messen und zu erfassen, was die Fragestellung impliziert und als Anforderungen an die Methodologie heranträgt. Es wurde im Rahmen der Voruntersuchung keine Auswertung und Analyse von Daten vorgenommen. Über die Schritte der finalen Interpretation und Generierung von Befunden können keine Erkenntnisse gewonnen werden. Es gibt aber berechtigte Anhaltspunkte, dass eine entsprechende analyse- und interpretationsfähige Grundlage an empirischem Ausgangsmaterial generiert werden kann. Es hat sich in der Voruntersuchung eine auch durch die FS motivierte Strukturierung der Untersuchung, ein Wechsel aus Erkundungsphase und Gesprächsphase, herausgebildet, die in der Hauptuntersuchung so Anwendung finden soll. Die Länge der Erkundungsphasen wird nicht vorgegeben, sondern durch die FS selbst definiert. In der Gesprächsphase kann durch gezielte, aber stets reflexiv-kontrollierte und mit Bedacht gesetzte Impulse eine hohe Dichte verbalen Materials generiert werden. Dabei darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass sich die Lernenden der D-Klasse auf einem geringeren Sprachniveau befinden als die der Regelklasse. Da sich die FS der Stichprobe der Hauptuntersuchung aber gesichert auf einem Niveau zwischen A1 und A2467 befinden, ist nichtsdestoweniger ge467 Vgl. GER: Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen, (online) http://www. europaeischer-referenzrahmen.de/ (aufgerufen am 28. 01. 2020).
118
Empirie
währleistet, dass Gespräche zumindest auf diesem Niveau möglich sind. Dadurch kommt der teilnehmenden Beobachtung eine große Bedeutung zu. Die Qualität des Ausgangsmaterials, konkret der Beobachtungsprotokolle wird dadurch gesteigert, dass während der Beobachtungsphasen sprachliche Memos mittels Audioaufnahmegerät erzeugt werden. Diese ermöglichen die Erfassung einer großen Dichte an Eindrücken in Unmittelbarkeit zu diesen und sind zudem ökonomischer als schriftliche Notizen. Die Geschwindigkeit der Untersuchung wird durch die FS bestimmt und nimmt auf deren Bedürfnisse und Kapazitäten Rücksicht, um eine möglichst gleichbleibende Motivation zu gewährleisten. An entsprechender Stelle wird eine Pause eingelegt. Da gruppendynamische Prozesse selbst auch Erkenntnispotential bergen, darf in diese nicht regulierend eingegriffen werden. Einzelne Aspekte (z. B. Gruppenkohäsion) müssen erfasst und in Analyse und Interpretation berücksichtigt werden.
4.
Hauptuntersuchung
4.1
Stichprobe
Die Art und Weise der Untersuchung erfordert ein Sampling nach mehr oder minder festgelegten Kriterien. Wesentliche Merkmale, welche die Stichprobe erfüllen muss, sind bereits an unterschiedlichen Stellen genannt worden. Bei den FS muss es sich um Jugendliche handeln, die über eine eigene, unmittelbare Migrationserfahrung und eine erst möglichst kurze Sozialisation in der deutschen Residenzgesellschaft verfügen. Ferner müssen sie schulpflichtig sein und zum Zeitpunkt der Untersuchung in einer D-Klasse auf den Unterricht in einer Regelklasse vorbereitet werden. Aus zwei Gründen bietet es sich an, mit einer Schule aus der näheren Umgebung des Untersuchungsortes zu kooperieren: Einerseits ist es organisatorisch von Vorteil, wenn keine längere Anfahrt notwendig ist und der Untersuchungsort bestenfalls fußläufig zu erreichen ist. Andererseits sollte der Untersuchungsort insofern eine Relevanz für die einzelnen FS haben, als dass er sich – als kulturhistorisches Museum – mit Aspekten von Gesellschaft und Kultur jener Gegend, in der die Jugendlichen in Deutschland leben und beschult werden, auseinandersetzt und dadurch mögliche Anknüpfungs- und Identifikationspunkte bietet. Als Schulen, welche die ebengenannten Kriterien erfüllen, kommen in erster Linie Mittelschulen in Frage. Für die Durchführung der in dieser Untersuchung intendierten Erhebungen bildet § 24 BaySchO den entsprechenden rechtlichen Rahmen. Grundprämisse ist die Zustimmung der zuständigen Schulaufsichtsbehörde. Der Untersuchungsort befindet sich im Zuständigkeitsbereich des Staatlichen Schulamts im Landkreis Neustadt a. d.Aisch-Bad Windsheim. In te-
Hauptuntersuchung
119
lefonischen wie persönlichen Gesprächen mit der Leiterin Frau Limbacher konnte im dritten Quartal 2016 eine tragfähige Kooperation aufgebaut werden. Durch ihre Vermittlung entstand der Kontakt zu Herrn Müller, dem Schulleiter der Mittelschule Bad Windsheim. In weiteren Gesprächen mit ihm und dem Lehrer der dortigen D-Klasse,468 Herrn Platzöder, konnte die Kooperation ausgebaut und konkretisiert werden. Der fachliche Austausch mit der schulischen Praxis – nach Aspekt drei des DBR-Ansatzes – hat sich insbesondere bei der wissenschaftstheoretisch-didaktischen Begründung der Forschungsbemühungen sowie der konkreten Planung und Durchführung der Untersuchung als sehr fruchtbar erwiesen. Durch die enge Zusammenarbeit wurde zudem das in Aspekt sechs des DBR-Ansatzes postulierte Real-Life-Setting, eine möglichst natürliche Untersuchungssituation, gewährleistet. Frau Limbacher, Herrn Müller, Herrn Platzöder und Herrn Vogel (Begleitung bei einer der Erhebungen) ist für die Bereitschaft, diese Untersuchung zu unterstützen, sehr zu danken. Aufbauend hierauf wurden alle notwendigen Maßnahmen in Absprache eingeleitet und umgesetzt. Am 29. März 2017 wurde die notwendige Vorbereitungssequenz mit der D-Klasse vor den Erhebungen der Hauptuntersuchung durchgeführt. Die Agenda für die Doppelstunde umfasste fünf Punkte: Erstens wurden das Projekt, sein Hintergrund und seine Intention vorgestellt. Der Begriff des Museums wurde erklärt als ein Ort, an dem es möglich sei, eine Zeitreise in die Vergangenheit zu unternehmen und die Gegend, in der man lebt und wie es hier früher aussah, entdecken und erkunden zu können.469 Im Zuge dessen wurde auch erfragt, ob die FS das Fränkische Freilandmuseum bereits kennen würden. Zwei bejahten dies; sie könnten sich aber an nicht mehr viel erinnern, da der Besuch bereits einige Zeit zurückliege. Für die übrigen FS handelt es sich um eine Erstbegegnung. Für die Durchführung der Erhebungen ergeben sich hieraus keine nennenswerten Konsequenzen. Zweitens wurde die Bereitschaft der FS erfragt, an dieser Studie teilzunehmen. Um zu validen Ergebnissen zu gelangen, ist es eminent wichtig, dass sich die FS aus freien Stücken zur Teilnahme entscheiden. Alle haben ihre Teilnahmebereitschaft bekundet. Ferner wurde eine schriftliche Einwilligungserklärung zur Teilnahme an der Studie verteilt und besprochen. Eine Studienteilnahme ist nur dann möglich, wenn das Einverständnis der Erziehungsberechtigten bzw. des 468 Es sei darauf hingewiesen, dass für den Untersuchungszeitraum Ü-Klasse das gültige Konzept darstellte, jedoch im Folgenden dennoch weiterhin von D-Klasse gesprochen wird. 469 Eine solche Begriffserklärung ist auch Bestandteil von Schülervorstellungen, die Kohler in seiner empirischen Arbeit im Rahmen der Typenbildung identifiziert. Vgl. Kohler: Schülervorstellungen 2016, S. 230. Daher wird davon ausgegangen, dass diese Beschreibung des Museums auch für die FS der Stichprobe greifbar und nachvollziehbar ist, die mehrheitlich noch keine Berührung mit dem Museum hatte.
120
Empirie
gesetzlichen Vormundes vorliegt. Dies ist der Fall; sämtliche Rücklaufabschnitte liegen ordnungsgemäß ausgefüllt und unterschrieben vor. Drittens galt es, organisatorische Fragen zu klären. Dies betraf im Wesentlichen die Termine der Erhebungen und den Untersuchungsablauf im Museum. Viertens wurde die Einteilung der FS in die drei Gruppen A, B und C vorgenommen. Das bedeutet, dass Samplingeinheit (N=18) und Beobachtungseinheit (N=6) nicht identisch sind. Diese Einteilung ist erforderlich, da einerseits aufgrund des Untersuchungssettings eine Datenerhebung mit der gesamten Stichprobe nicht möglich und auch nicht zielführend ist. Andererseits ist die Einteilung in drei Beobachtungsgruppen sogar sinnvoll, da durch die getrennten Erhebungen die für die komparative Analyse notwendigen Vergleichsfälle entstehen. Die Einteilung erfolgte durch den Lehrer Herrn Platzöder unter dem Gesichtspunkt einer ausgewogenen Zusammensetzung. Das bedeutet, dass eine Gruppe beispielsweise nicht ausschließlich aus »besten Freunden« bzw. dem Gegenteil davon besteht, dass weibliche FS nicht alleine in einer Gruppe mit nur männlichen FS, sondern mindestens zu zweit sind oder dass kein zu starkes Gefälle zwischen eher dominanten und eher zurückhaltenden FS besteht. Es kann kritisiert werden, dass diese Gruppeneinteilung dem in der Methodologie postulierten Kriterium der Natürlichkeit der Gruppe zuwiderlaufe. Allerdings ist diese Einteilung nur in jener Hinsicht künstlich, als dass sich die FS nicht selbständig zu diesen Gruppen zusammengefunden haben. Im Schulalltag kommt es sehr häufig vor, dass Lehrer Gruppen zu Unterrichtszwecken bilden oder die Sitzordnung im Klassenraum festlegen.470 Da also im Kontext des unterrichtlichen Alltags, der selbst Gegenstand einer (qualitativen) Untersuchung sein könnte, die durch den Lehrer vorgenommene Einteilung der Lernenden in Gruppen nichts Außergewöhnliches darstellt, sondern es sich nach wie vor um Realgruppen handelt, kann auch in dem vorliegenden Fall von Natürlichkeit im Sinne der Methodologie gesprochen werden. Fünftens wurde ein Fragebogen zur statistischen Erfassung und Beschreibung der Stichprobe besprochen und durch die FS bearbeitet. Der Fragebogen hat die Gruppe, das Alter, das Geschlecht, die Religionszugehörigkeit, die Erwerbstätigkeit der Eltern im Herkunftsland, das Herkunftsland, die Heimatstadt (zur Einordnung als ländlicher oder urbaner Umgebung), die Dauer des Aufenthalts in Deutschland und die Bildungssozialisation (Dauer des Schulbesuchs im Herkunftsland und Dauer des Schulbesuchs in Deutschland) erfasst. Die Erfassung jener Aspekte dient nicht zur Ableitung von Thesen. Für solche Schlussfolgerungen ist die Stichprobe deutlich zu klein und zu wenig repräsentativ.
470 Z. B. die ersten drei und die letzten drei Reihen oder die Hälfte an der Fensterseite und die Hälfte an der Wandseite etc.
121
Hauptuntersuchung
Vielmehr soll sich der Rezipient dieser Arbeit ein möglichst präzises Bild von der Stichprobe machen können, um daraus eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Teilnehmer
Gesamt (18)
Gruppe A (6)
Gruppe B (6)
Gruppe C (6)
12 Jahre 13 Jahre
11,11 % 5,56 %
– 16,67 %
16,67 % –
16,67 % –
14 Jahre 15 Jahre
55,56 % 16,67 %
66,67 % 16,67 %
50 % 33,33 %
50 % 33,33 %
Geschlecht männlich
Alter
77,78 %
66,67 %
66,67 %
100 %
weiblich Religionszugehörigkeit
22,22 %
33,33 %
33,33 %
–
christlich muslimisch
22,22 % 61,11 %
16,67 % 66,67 %
16,67 % 50 %
33,33 % 66,67 %
jesidisch 16,67 % Erwerbstätigkeit der Eltern im Herkunftsland
16,67 %
33,33 %
–
Vater Mutter
66,67 33,33 %
83,33 % 33,33 %
66,67 % 33,33 %
50 % 33,33 %
Herkunftsland Irak
27,78 %
33,33 %
50 %
–
Syrien Kasachstan
44,44 % 5,56 %
50 % –
33,33 % 16,67
50 % –
Rumänien Aserbaidschan Heimatstadt (Einwohner) 0 bis 50 Tsd.
16,67 % 5,56 %
16,67 % –
– –
33,33 % 16,67 %
11,11 %
33,33 %
–
–
50 Tsd. bis 100 Tsd. 100 Tsd. bis 500 Tsd.
16,67 % 27,78 %
– 16,67 %
33,33 % 16,67 %
16,67 % 50 %
500 Tsd. Bis 1 Mio. über 1 Mio.
5,56 % 38,89 %
– 50 %
– 50 %
16,67 % 16,67 %
Aufenthalt in Deutschland (Jahre) Schulbesuch im Herkunftsland (Jahre)
1,20 6,06
1,13 6,17
1,39 5
1,08 6,5
0,84
0,83
0,96
0,72
Schulbesuch in Deutschland (Jahre) Stichprobe
122 4.2
Empirie
Präzisierung der Forschungsfragen
Die in der Einführung zunächst vage formulierte Fragestellung – Welche Interessen verbinden Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung mit einem Museum? – wurde durch die bisherigen Ausführungen spezifiziert und unter verschiedenen Gesichtspunkten modifiziert und den Rahmenbedingungen angepasst. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die bisherigen Erkenntnisse in eine abschließende Präzisierung der Fragestellung münden zu lassen. Es kristallisieren sich drei aufeinander aufbauende Forschungsfragen heraus. Forschungsfrage 1: In welchen Kontexten des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheims nehmen die FS Interessenhandlungen vor? Der geplante Ablauf der Erhebungen wurde an anderer Stelle bereits grob umrissen. Nichtsdestoweniger soll dieser hier in seinen zentralen Elementen rekapituliert werden. Die FS – drei Gruppen á sechs Lernende einer D-Klasse der Mittelschule Bad Windsheim im Alter zwischen 12 und 15 Jahren – sollen geleitet von ihren Interessen selbstständig das ebengenannte Museum erkunden. Es ist möglich und zu erwarten, dass diese Erkundungen nicht planmäßig erfolgen, sondern in der Spontanität der Erfahrung von Alterität und der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung Interessen oder Desinteresse zutage treten. Diese Auseinandersetzungen mit der musealen Überlieferung sowie die Interaktionen zwischen den FS sollen mit der entworfenen Methodologie – Gruppendiskussion bzw. fokussiertes Interview und teilnehmende Beobachtung – erfasst werden. Die erste Forschungsfrage und referiert unmittelbar auf die ersten beiden Schritte der Analyse des empirischen Materials. In der Frage nach dem Was sollen der immanente Sinngehalt, die Themenfelder der Auseinandersetzung je Diskurs471 rekonstruiert werden. Für die weitere Analyse sind solche Diskurse von Relevanz, die über eine hohe Dichte verfügen und das Ermitteln von Orientierungen
471 Der Begriff »Diskurs« wird für die übergeordnete verbale Seite der zu untersuchenden Einzelfälle verwendet. In anderen Untersuchungen (z. B.: Georgi: Entliehene Erinnerung) konstituiert das empirische Material im Wesentlichen ein einziger Diskurs (nämlich über Nationalsozialismus). In dieser Untersuchung jedoch werden sich die FS mit den unterschiedlichsten Kontexten, Themen und Objekten im Museum auseinandersetzen. Daraus resultiert die Verwendung des Plurals »Diskurse«. Wenn von »Diskursen« gesprochen wird, so bezieht sich dies ausschließlich auf das im Anhang beigefügte transkribierte verbale Ausgangsmaterial. Die Diskurse können wiederum analytisch in Passagen, Sequenzen und Züge unterteilt werden. Wegen der relativen Kürze der einzelnen Diskurse wird in dieser Untersuchung überwiegend die Aufschlüsselung nach Sequenzen und Zügen relevant sein. Die Begriffe des »Falls« oder »Einzelfalls«, die später häufig verwendet werden, werden als Bezeichnung für den jeweils analysierten Diskurs verwendet. »Einzelfall« bezieht sich demnach nicht mehr ausschließlich und in erster Linie auf die verbale Ebene, sondern umfasst alles, von der verbalen Ebene, über das jeweilige Resultat der reflektierenden Interpretation sowie die Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtung.
Hauptuntersuchung
123
wahrscheinlich werden lassen. In der Terminologie der dokumentarischen Methode gesprochen, werden so genannte Fokussierungsmetaphern gesucht. Forschungsfrage 2: Worin beruhen die Spezifika der einzelnen Fälle und welche Orientierungen treten in ihnen fallspezifisch und fallübergreifend zutage? Referierend auf den dritten und vierten Schritt der Analyse, will diese zweite Forschungsfrage den dokumentarischen Sinngehalt der Äußerungen in den Diskursen ermitteln. Ergänzt durch ein sequenzanalytisches Vorgehen, gilt es, zunächst die Spezifika der einzelnen Fälle herauszuarbeiten. Es soll ermittelt werden, welche Orientierungen der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung in den einzelnen Fällen zugrunde liegen. In einem zweiten Teilschritt, einer komparativen Analyse, sollen diese Orientierungen diskurs- und themenübergreifend verglichen werden. Ziel ist es, zu analysieren, ob es sich lediglich um Fallspezifika oder um allgemeine Strukturen handelt. Im letzten analytischen Schritt sollen die identifizierten Phänomene zu einer milieuspezifischen Basistypik abstrahiert werden, die den konjunktiven Erfahrungsraum beschreibt. Forschungsfrage 3: Welche Erkenntnisse lassen sich aus den empirischen Befunden über das Interessenkonstrukt gewinnen? Und welche Folgerungen ergeben sich hieraus für die museale Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung? Bezugnehmend auf den explizierten theoretischen Rahmen, sollen Überlegungen angestellt werden, in welcher Art und Weise sich die Befunde der empirischen Untersuchung in diesen einordnen lassen. Dabei muss erstens die Frage beantwortet werden, welche Erkenntnisse sich über das Interessenkonstrukt im Allgemeinen gewinnen lassen. Aufbauend darauf ist zu ergründen, wie die Befunde in das Interessenkonstrukt im Besonderen einzuordnen sind, d. h. welche Prozesse historischer Sinnbildung sich im Kontext der Interessenhandlungen der FS beobachten lassen. Und letztlich sollen Impulse vorgestellt und diskutiert werden, wie sich diese Erkenntnisse in der museumspädagogischen Praxis implementieren ließen. Diese Frage wird nicht abschließend beantwortet werden können. Es werden Fragen offenbleiben und Desiderata zu formulieren sein, welche die Grenzen dieser Untersuchung aufzeigen.
4.3
Analyse und Interpretation
Entsprechend des in den vorangegangenen Ausführungen explizierten Untersuchungskonzepts, wurden die empirischen Erhebungen vorbereitet und durchgeführt. Die Erhebungen mit den Gruppen A, B und C fanden zu unterschiedlichen Terminen am 10., 18. und 19. Mai 2017, jeweils vormittags in der Zeit zwischen ca. 09.00 Uhr und 12.00 Uhr statt. Neben dem Forschenden haben
124
Empirie
jeweils ein Lehrer der Mittelschule Bad Windsheim und ein Mitglied aus dem Team der Museumspädagogen des Fränkischen Freilandmuseums die Erhebungen begleitet. 4.3.1 Thematischer Verlauf und formulierende Interpretation Im ersten analytischen Schritt gilt es nun, in der Gesamtheit des empirischen Ausgangsmaterials bei jeder der drei Gruppen diejenigen Diskurse entsprechend den zuvor genannten Kriterien zu ermitteln, die der weiteren Analyse und Interpretation unterzogen werden sollen. Gesucht wird nach so genannten »Fokussierungsmetaphern«, d. h. Diskursen mit einer hohen interaktiven Dichte, in denen die Auseinandersetzung mit einem musealen Gegenstand maßgeblich durch die FS gestaltet wird. Auszuschließen sind folglich diejenigen Diskurse,472 in denen die FS eine tendenziell passive Rolle einnehmen und der Fortgang des jeweiligen Diskurses zu stark von Eingriffen Dritter473 abhängt und sich die Beteiligung der FS beispielsweise auf »Ja-Nein-Antworten« beschränkt. Ausgenommen davon sind selbstredend die nötigen Impulse oder Nachfragen durch Dritte. Wichtig ist, dass die Motivation für eine Auseinandersetzung aufseiten der FS liegt. Unter wiederholtem Verweis auf das Kriterium der intersubjektiven Überprüfbarkeit, wird ein geringfügig arbeitsintensiverer Weg beschritten. Bereits vor diesem Schritt wurde das gesamte Material transkribiert; die Auswahl erfolgt auf Basis dieser Transkripte, die sämtliche im Anhang A474 vorliegen. Auf diese Weise wird die Transparenz und Nachvollziehbarkeit dieses ersten wichtigen Schrittes, der den gesamten Prozess der Analyse und letztliche die Ergebnisse determiniert, gewährleistet. Grundlage dieser Auswahl bilden die Transkriptionen der Gruppendiskussionen bzw. fokussierten Interviews mit den FS. Die ausgeschlossenen Diskurse sind im Anhang durch einen helleren Grauwert der Schrift kenntlich gemacht. Die entsprechenden Kriterien, warum ein Diskurs aufgenommen wird und warum ein anderer ausgeschlossen wird, wurden oben bereits genannt. Es wird keine Begründung im Einzelfall erfolgen, um die zwangsläufigen Wiederholungen von Formulierungen zu vermeiden. Neben der Explikation des thematischen Verlaufs und der Auswahl der Diskurse soll überdies die formulierende Interpretation, d. h. die Aufschlüsselung nach Oberthemen (OT) und Unterthemen (UT) in diesen ersten Schritt integriert werden. Da das analytische Vorgehen in 472 In wenigen Einzelfällen werden nicht gesamte Diskurse, sondern lediglich einzelne Passagen ausgeschlossen. Dies ist dann der Fall, wenn sich ein Diskurs aus mehreren für sich stehenden, abgeschlossenen Passagen besteht und einzelne Passagen die Kriterien nicht erfüllen. 473 Z. B. des Untersuchungsleiters, einer Museumspädagogin oder einer begleitenden Lehrkraft. 474 In der Reihenfolge der Gruppen A (S. 304), B (S. 335) und C (S. 363).
125
Hauptuntersuchung
den beiden Schritten vergleichbar ist, biete es sich aus arbeitsökonomischen Gründen an, auf diese Weise zu verfahren, um unnötigen Doppelstrukturen zu vermeiden. Dieser Schritt folgt dem Muster (Beispiel): A1 Name des Diskurses (Gruppe + lfd. Nr.) (220–254 Zeilen, über die sich der Diskurs im Anhang erstreckt, Bauernhof aus Seubersdorf übergeordneter Museumskontext/Scheune untergeordneter Museumskontext) 222–250 Zeilen OT Oberthema Bauernhof und Landwirtschaft sind bekannt Explikation des OT 222–228 UT Unterthema Der eigene Großvater hat einen Bauernhof gehabt… Explikation des UT
4.3.1.1 Gruppe A A1 (220–254, Bauernhof aus Seubersdorf/Scheune) 222–250 OT Bauernhof und Landwirtschaft sind bekannt. 222–228 UT Der eigene Großvater hat einen Bauernhof gehabt. Von dort sind viele Geräte bekannt – »gleiche so wie diese Sache auch«. 229–241 242–248 249–251 252–254
UT Der Pflug wird von Pferden gezogen. Damit kann man »Gras weg« machen (umpflügen). UT Auch die Kutsche wird von Pferden gezogen. UT Der Großvater hat auch eigene Tiere, Hühner, Kühe und Schafe, besessen. UT Auf dem Bauernhof mitgearbeitet wurde nicht; das ist »ganz schwierig« und »weil bin ich klein«.
A2 (294–322, Bauernhof aus Seubersdorf/Schweinepferch) 294–332 OT Merkmale und das Verhalten von Schweinen 194–299 UT Das Schwein hat »große Zähne«, mit denen es »beißen« kann. 300–302 303–305
UT Es gibt auch Schweine, die besonders »klein« sind. UT Das Schwein muss »viel gegessen« haben, weil es sehr dick ist und »nicht aufstehen« kann.
303–313
UT Vor Schweinen, die auf einen zulaufen, kann man »Angst« haben; aber vor »fünf kleine[n]« Ferkeln hat man keine Angst. UT Auch bei Schweinen gibt es Männlein und Weiblein, die Namen haben. »Siggi« (die Sau) klingt fast wie »Sergey« – das ist lustig.
314–322
126
Empirie
A3 (323–341, Bauernhof aus Seubersdorf/Brotbackofen) 323–341 OT Brotkonsum durch Eigenherstellung oder durch Einkauf 323–325 326–329
UT Am »Wochenende« wird selbst Brot gebacken. UT An anderen Wochentagen wird Brot »im Supermarkt« eingekauft.
330–332 333–339
UT Es gibt »alte Männer«, für die (bzw. mit denen?) das Brot selbst gebacken wird. UT Aber man selbst isst eher »Brot aus dem Supermarkt«.
340–341
UT Wie viele Brote selbst hergestellt werden, kann nicht genannt werden.
A4 (342–374, Bauernhof aus Seubersdorf/Keller) 342–347 OT Gemauerte Keller sind bekannt. 342–344 UT »Im Irak« gibt es auch solche Keller; in diesen ist es »sehr kalt«. 345–347 348–374
UT Mehrere FS kennen solche Keller. OT Gegenstände im Keller und die Funktion des Kellers sind bekannt.
348–353
UT Eine Maschine dort (eine kleine Mühle) braucht man z. B. zum »Brot machen«; aber auch Tierfutter kann darin gemahlen werden (durch U erklärt). UT Solche Maschinen gibt es auch im Herkunftsland (z. B. Syrien, Irak); es ist eine Mühle, mit der auch Mehl hergestellt wird.
354–366 367–374
UT In einem Keller lagern auch Lebensmittel, »so Sachen«, z. B. Fleisch und Schlachtereierzeugnisse, »wir machen großes Töten und rein«.
A5 (375–389, Bauernhof aus Seubersdorf/Sattelkammer) 375–389 OT Sättel, Geschirr und andere Objekte werden wiedererkannt. 375–381 382–389
UT Die Sättel und das Geschirr kann man »for Pferde« und »for Kuhe auch« verwenden. UT Das in seinem Zweck einer »Taschenlampe« ähnliche Objekt, ist eine »Öllampe«; solche gibt es auch in Syrien.
A6 (399–411, Bauernhof aus Seubersdorf/Schlafzimmer) 399–411 OT In diesem Haus gibt es weder fließend Wasser noch Strom. 399–405 405–411
UT Vor hundert Jahren gab es »kein[en] Strom« z. B. für Mobiltelefone oder Fernsehgeräte. UT Dass es auch »keine Wasserleitung« gab, überrascht hingegen.
Hauptuntersuchung
127
A7 (412–455, Bauernhof aus Seubersdorf/Küche) 412–431 OT Das Küchengerät Waage 412–425 426–431
UT Eine Waage gibt es nicht nur in der Küche, sondern z. B. auch im »Supermarkt«. Man kann wiegen, wie schwer etwas – z. B. »von Gemuse« – ist. UT Der Raum ist eine Küche, das kommt von kochen.
432–435 436–440
UT Solche Waagen gibt es »in Syrien auch«. UT Man kann damit Obst oder Gemüse – »Tomate oder so« – wiegen.
441–455
UT Es gibt analoge Waagen mit Gewichten und digitale Waagen.
A9 (497–507, Bauernhof aus Seubersdorf/Raum für Brotzubereitung) 497–507 OT Ein Raum für die Brotteigzubereitung, kein Badezimmer 497–502 UT Es muss sich um eine »Dusche« (ein Badezimmer) handeln. 503–507
UT Hier wird »Brot« zubereitet; in der großen Wanne wird der »Teig« geknetet; das ist »kein Bad«.
A10 (508–530, Mühle aus Unterschlauersbach/Küche) 508–530 OT Räuchern, Kochen – Arten der Fleischverarbeitung 508–511 512–515
UT Hier wird Fleisch vom »Schwein« verarbeitet, aber nicht »[ge]koch[t]«. UT Das Fleisch ist über mehrere Wochen der »Wärme« ausgesetzt, dann »kann man [es] essen«.
516–519
UT Durch das Räuchern (Begriff wird durch U erklärt) »schmeckt [das Fleisch] anders so«. UT Das Produkt nennt man Schinken (Begriff wird durch U erklärt).
520–525 526–530
UT Der Prozess des Räucherns ist aus der Heimat weniger bekannt; dort wird das Fleisch eher »gekocht«.
A11 (531–565, Mühle aus Unterschlauersbach/Mahlraum) 531–565 OT Arten der Mehlherstellung 531–539 UT »Mutter und Vater« machen das (Mehl mahlen) auch. 540–542 543–555
UT In Syrien gibt es auch »große Maschine mit diese Steine«. UT Mehlmühlen werden »mit der Hand« oder mit »Motoren« betrieben, aber nicht mit »Tieren« oder »Wasser«.
556–560 561–565
UT An der Mehlherstellung sind »alle von Dorf« beteiligt. UT Den kleinen Mühlstein zum Mahlen von Hand muss man in eine bestimmte Richtung – »so rum« – drehen.
128
Empirie
A13 (589–615, Mühle aus Unterschlauersbach/Getreidesorten) 589–615 OT Getreide und Möglichkeiten der Verwendung 589–591 592–605
UT Das Getreide Emmer gibt es auch im Herkunftsland. UT Man kann es z. B. über dem »Feuer« zubereiten wie bzw. »mit Reis« und »mit Sauce« essen.
606–615
UT Andere Getreidesorten werden vorwiegend als Tierfutter z. B. für »Schafe« verwendet.
A15 (622–641, Mühle aus Unterschlauersbach/Toilettenhäußchen im Außenbereich) 622–641 OT Es gibt verschiedene »Arten« von Toiletten. 622–627 UT Manche Toiletten bestehen nur aus einem Loch »auf dem Boden«. 628–632 633–641
UT Auf manchen Toiletten sitzt, auf anderen kniet man. UT Es gibt auch »modern[e]« Toiletten, aus Material »wie Erde«, »Porzellan«.
A17 (663–721, Landwirtschaft) 663–689 OT Anbau von Feldfrüchten 663–668 UT Mit einer »Hacke« wurde das Feld bestellt. 669–689 690–721
UT Angebaut wurden »Gurken«, »Tomaten« und »Paprika« und eine weitere Feldfrucht, deren Name nicht bekannt ist. OT Feldarbeit als gemeinschaftliches Werk der Familie
690–695 696–703
UT Man selbst hat auf dem Feld von »Morgen bis Mittag« mitgearbeitet. UT Es gab keine »Tiere« oder technische Hilfsmittel; die Arbeit erfolgte »mit [einer] Hacke« von Hand.
704–711
UT Neben einem selbst haben auch der »Opa« und der »Onkel« auf dem Feld gearbeitet. UT Die geernteten Feldfrüchte wurden »verkauft«.
712–721
A19 (728–737, Jagdschlösschen aus Eyerlohe/Federwild) 728–737 OT Federwild 728–733 734–737
UT Solch Federwild wie das dort ausgestellte gibt es heute noch. UT Es erinnert an Gänse. Die genaue Bezeichnung ist nicht bekannt. Das Federwild wird heute auch noch verzehrt.
A21 (763–776, Jagdschlösschen aus Eyerlohe/Federwild) 763–776 OT Pfaue sind farbenprächtiges Federwild. 763–767 UT Das ausgestellte Federwild ist echt und hat einst gelebt. 768–776
UT Pfaue sehen ähnlich aus, sind aber sehr bunt, »mit ganz viel Farbe«.
Hauptuntersuchung
129
A22 (777–833, Weinanbau) 777–800 OT Wein als Essen 777–782 783–790
UT Im Herkunftsland wird auch Wein angebaut. Verzehrt werden z. B. auch die »Weinblätter« (gefüllt) »mit Reis«. UT Man kann die Weinblätter auch »mit Fleisch« füllen.
791–796 797–800
UT Auch »in Rumänien« gibt es Weinanbau. UT Weinanbau und –verzehr zum »[E]ssen« gibt es auch in anderen Kulturkreisen.
801–816 801–801
OT Wein als alkoholisches Genussmittel UT »Wein so; sehr viel; vier bis fünf Liter oder so«
802–810
817–833 817–820
UT Man selbst hat auch bereits beim Weinanbau mitgearbeitet und die »Trauben« geerntet. UT Die geernteten Trauben werden dann zu »Wein« vergoren und dieser getrunken. OT Wein als nichtalkoholisches Getränk UT Im Herkunftsland wird Wein »hoch« (weit oben) angebaut.
821–826 827–833
UT Dieser Wein wird zu »Saft« verarbeitet. UT Dieser Saft wird in Fässern aus Holz gelagert.
811–816
A23 (834–843, Bauernhaus aus Kleinrinderfeld/Dach) 834–843 OT Unterschiedliche Dachformen bei Häusern 834–837 838–841
UT »In Irak« sieht das »Dach« anders aus. UT Man kann auf die Dächer »hoch gehen«.
842–843
UT Es sind »flache Dächer«.
A24 (844–853, Bauernhaus aus Kleinrinderfeld/Boiler) 844–853 OT Boiler zum Erhitzen von Wasser 844–848 849–850
UT »In Syrien« gibt es »bis jetzt« Boiler wie »diese«. UT Aber diese sind »anders so«, »so groß«.
851–853
UT Sie sind z. T. »in d[ie] Wand« integriert.
A25 (854–869, Bauernhaus aus Kleinrinderfeld/Stube im Obergeschoss) 854–869 OT Brauchtum bei der Heirat 854–865 UT Bei der ersten Begegnung nach dem »Heiraten« zerbrechen »Frau und Mann« gemeinsam Porzellan-Gegenstände – »machen das kaputt«. 865–869
UT Die Kinder erhalten »Schokolade und Süßigkeiten« und dürfen diese aufklauben und »nehmen«.
130
Empirie
A26 (870–942, Kräutergarten) 870–902 OT Rosmarin als Gewürzpflanze 870–876 877–880
UT Rosmarin wächst draußen »i[m] Wald« oder auch »im Garten«. UT Mit Rosmarin wird »Essen« gewürzt.
881–895
UT »Sesam und Rosmarin« können als Aufstrich auf »Brot« verzehrt werden. OT Salbei und seine Verwendungsmöglichkeiten
903–921 903–909 910–915
UT Salbei verbessert das Raumklima – »gibt gute Luft«. UT Man kann den Salbei auch zum Würzen von Speisen – »oben drauf« – verwenden.
916–921 922–942
UT Salbei kann auch als Arznei z. B. bei »Erkältung« verwendet werden. OT Direkter Verzehr von Kräuterpflanzen
922–934 935–938
UT Von dieser Pflanze (Name unbekannt) kann man den Stängel – »Stange« – bzw. das »weiß[e]« Innere »essen«. UT Das wird pur und unverarbeitet – »das nur so« – gegessen.
939–942
UT Der Geschmack ist nicht süß.
A27 (943–960, Schmiede aus Westheim) 943–960 OT Das Schmiede-Handwerk 943–950 UT In der Schmiede wird mit »Eis-«, Eisen bzw. »Metall« gearbeitet. 951–951 952–954
UT Das ist wie im Technik-Unterricht (Einwand von L). UT Hier werden z. B. »Messer« (hergestellt, geschliffen).
955–957 958–960
UT Solche Schleifsteine gibt es auch »in Syrien«. UT Diese werden allerdings »mit [einem] Motor« betrieben.
A28 (961–977, Schmiede aus Westheim/Blecheimer) 961–977 OT Tätigkeiten im Haushalt obliegen Frauen (und Kindern). 961–966 UT Mittels eines Blecheimers und Wasser kann man den Boden »sauber machen«. 967–970 970–977
UT Geputzt wird durch die »Mama« und einen selbst. UT Die »Männer arbeiten nicht« im Haushalt.
Hauptuntersuchung
131
A29 (978–1010, Schulhaus aus Pfaffenhofen) 978–990 OT Schulische Grundkenntnisse 978–984 985–990 991–1010 991–1001
UT Das in Sütterlin geschriebene ABC ist schwer zu lesen – »verstehe nicht das«. UT Der Abakus ist eine Rechenhilfe »von Mathematik« zum »Zählen«. OT Eine Funktion des historischen Schultisches UT Die rechteckige Vertiefung in der Mitte der Vorderkante des Schultisches ist weder für Zigaretten, noch für Kaugummis und auch nicht als Steckdose für Strom vorgesehen.
1002–1005 UT Es ist auch nicht für Spitzer. Geschrieben wurde früher mit einer Flüssigkeit: (wie) »Wasser«. 1006–1011 UT Es ist eine Halterung für »Tinte« (bzw. ein Tintenfass). A30 (1012–1058, Milchverarbeitung) 1012–1058 OT Milchgewinnung und -verarbeitung 1012–1018 UT »In Syrien« wurden »Milch, Joghurt, Butter und Käse« selbst hergestellt; manchmal »auch [hier] in Deutschland«. 1019–1025 UT Man kann »Bohnen« (in Milch) »kochen«. 1026–1034 UT »In Syrien« wurde die Milch von eigenen Schafen und »Kühe[n]« gewonnen. 1035–1039 UT Die Tiere waren nicht »in Damaskus«, sondern bei »ein[em]« Haus« »in Aleppo«. 1040–1040 UT Früher war man »jede[n] Sommer« dort gewesen. 1041–1045 UT Es waren ca. »fünfzehn« Kühe und rund »dreihundert« Schafe. 1046–1049 UT Die Milchwirtschaft betrieben hat der »Onkel«, »Bruder von meiner Mama«. 1050–1058 UT Achtgeben musste man, dass die Schafe nicht von »viel Wolfe« gefressen wurden.
4.3.1.2 Gruppe B B2 (1411–1437, Hopfenbauernhaus aus Eschenbach/Backraum) 1411–1437 OT Gegenstände für die Brotzubereitung zeigen sich nicht unmittelbar als solche. 1411–1418 UT Ein länglicher Holztrog könnte als Tränke (z. B. für Tiere) – »trink trink« – dienen. 1419–1425 UT Brot wurde früher auf einem »Brotgehänge« zum Schutz vor Schädlingen gelagert. 1426–1432 UT Im Trog »wird Teig geknetet«, da kommen keine »Steine« hinein. 1433–1437 UT Die Nummer auf den Objekten ist eine Inventarnummer zur Zuordnung derselben.
132
Empirie
B3 (1438–1486, Hopfenbauernhaus aus Eschenbach/Stube im Obergeschoss) 1438–1486 OT Körperpflege ohne und mit fließendem Wasser 1438–1441 UT Hieraus (eine Porzellan-Schüssel) kann man »Wasser […] trinken«. 1442–1446 UT Oder man kann das Wasser in den »Kühlschrank« stellen und zum »[K]ochen« verwenden. 1447–1448 UT Das ist »zum Waschen«; man kann »die Kleidung« waschen. 1449–1454 UT Man wäscht damit das Gesicht; In diesem Haus gibt es kein fließendes Wasser – »alte gibt keine diese«. 1455–1471 UT Auch in Syrien gibt es solche alte Häuser; auch dort wäscht man sich mit Wasser aus einer Waschschüssel. 1472–1486 UT Auch in Kasachstan kennt man Waschschüsseln, wenn es z. B. nur einen Wasserhahn im ganzen Haus gibt. B4 (1487–1563, Hopfenstadel aus Thalheim) 1487–1505 OT Hopfenanbau 1487–1493 UT Diese Spritzvorrichtung ist »von Blumen«, damit macht man »Tiere weg«. 1494–1497 UT Das ist auch für »Bäume« geeignet. 1498–1502 UT Der Hopfen ist eine »Pflanze« zum »Bierbrauen«. 1502–1505 UT Diese Spritzvorrichtung ist gegen »Tiere, […] Insekten […] [oder] Pilze«. 1506–1534 OT Alkoholkonsum im muslimisch geprägten Kulturkreis 1506–1507 UT Ob Hopfen im arabischen Raum angebaut wird, ist nicht bekannt. 1508–1511 UT Bier kann gekauft und getrunken werden. 1512–1517 UT Auch Muslime können Alkohol trinken. 1518–1518 UT Hierüber herrscht keine Einigkeit – »Hääää? Häää?« 1519–1524 UT »Wenn trinken Alkohol, danach nicht (mehr) Moslem«. 1525–1531 UT Alkohol »Biere« werden verkauft, dürfen »aber nicht [getrunken]« werden. 1532–1534 UT Es gibt aber sowohl andersgläubige Menschen, die auch keinen Alkohol trinken, so wie es auch Muslime gibt, die »Alkohol« »trinken«. 1535–1542 OT Prozesse beim Bierbrauen 1535–1538 UT Hopfen kommt als Zutat ins Bier – »auch Bier mit das auch«. 1539–1542 UT Beim Gärvorgang entsteht »Gas«, Kohlensäure. 1543–1563 OT Zubereitung und Verzehr von Hopfen 1543–1553 UT Die Hopfendolden »kann man […] essen«, z. B. als »Salat«. 1554–1563 UT Wenn man das »kocht« und »die Schale weg« macht, kann man damit »Bier« machen.
Hauptuntersuchung
133
B5 (1564–1605, Bauernhof aus Seubersdorf/Tiere) 1564–1575 OT Tiere als Nutztiere 1564–1567 UT In »Syrien« hat man auch selbst Tiere, z. B. »Kuh und so« besessen. 1568–1571 UT In Kasachstan hat man selbst »keine Tiere« besessen. 1572–1575 UT »In Syrien« nutzt man Kühe zur Gewinnung von »Milch«. 1576–1605 OT Man kann Schafe und Ziegen verwechseln. 1576–1581 UT Die Tiere in dem einen Stall sind »Schafe«. 1582–1584 UT Es sind aber keine Schafe. 1585–1595 UT Die genaue Bezeichnung ist nicht bekannt. 1596–1603 UT Es handelt sich um »Ziegen«. 1604–1605 UT Man selbst hat aber »Schaf gesagt«, »wo gibt es Schwein?« B7 (1615–1667, Bauernhof aus Seubersdorf/Pferdestall) 1615–1661 OT Pferde als wertvolle und mächtige Tiere 1615–1620 UT So ein schwarzes (bzw. braunes) Pferd ist »sehr teuer«. 1621–1634 UT Das Pferd ist sehr »groß[…]«. Es muss so groß sein, damit es schwere Wagen ziehen kann. Das weibliche Pferd nennt man Stute, das Kind Fohlen. Das andere Pferd ist der Wallach (durch M expliziert). 1635–1647 UT Ein so großes Pferd ist furchteinflößend – »hab ich Angst«, »das machen kaputt?«, »Mensch auch?«. Aber es wird niemandem Schaden zufügen. 1648–1653 UT Besucher dürfen die Pferde »nicht füttern«; das »muss der Museumsdienst« machen. 1654–1656 UT Pferde sind »sehr groß«, aber auch »sehr gutmütige« Tiere. 1657–1661 UT Der Wallach hat seine physische Männlichkeit verloren. 1662–1667 OT Pferde als Nutz- und Reitsporttiere 1662–1664 UT Pferde als Reitsporttiere »rennen mit Pferde so« sind bekannt. 1665–1667 UT Pferde als Nutztiere z. B. auf dem Feld sind nicht geläufig. B9 (1698–1721, Bauernhof aus Seubersdorf/Sattelkammer) 1698–1721 OT Geschirr für Pferde und andere Nutztiere 1698–1703 UT Zum Pferdegeschirr gehören z. B. Scheuklappen, »vom Pferd und so von Auge nicht schauen« und Zaumzeug, »und hier auch vom Kopf vom Pferd«. 1704–1704 UT Sporen benötigt der Reiter »machen so mit Fuß«. 1705–1711 UT Solches Geschirr gibt es nicht nur für Pferde, sondern z. B. für »Kühe auch«. 1712–1715 UT Die Scheuklappen sind da, damit Pferde nicht »auf die Seite sehen« können. 1716–1721 UT Für Kühe gibt es z. B. Marken in den Ohren 2wo die des Kuhe«; aber das ist modern.
134
Empirie
B10 (1722–1794, Bauernhof aus Seubersdorf/Schweinepferch) 1722–1756 OT Anatomie der Schweine ist durch Allah (Gott) determiniert. 1722–1735 UT »Schweine kann nicht Kopf nach oben«, »nur so am Boden«. 1736–1744 UT Es gibt »rosa« Schweine und andere Rassen, z. B. »Wildschwein«. Aber das hier ist »kein Wildschwein«. 1745–1756 UT »Allah weißt du«. »Machen das kann nicht oben zeigen; weil das ist haram in Syrien, dass Muslime; nicht gut. […] schauen in den Himmel; nur so am Boden schauen«. 1757–1771 OT Physische Merkmale der Schweine 1757–1759 UT Das sind »keine Wildschweine«, sondern eine »alte Rasse« (durch L expliziert). 1760–1763 UT Das Schwein hat große »Zähne so«. 1764–1771 UT Hier gibt es kein »rosa Schwein«, nur diese »Rasse«. 1772–1794 OT Sozialverhalten der Schweine 1772–1778 UT Die Schweine (Sau, Eber und Ferkel) konkurrieren um den Zugang zum Wassertrog – »Wenn Vater will trinken; Sohn, Sohn nicht trinken«. 1779–1783 UT Die Schweine sollten nicht angefasst werden. 1784–1790 UT Bei der Konkurrenz um Futter und Wasser gewinnt der Stärkere – »die Schwächere […] zieht […] wieder den Kürzeren«. 1791–1794 UT Die Ferkel liegen im Wassertrog; das ist lustig. B11 (1795–1818, Mühle aus Unterschlauersbach/Pfau) 1795–1818 OT Pfaue 1795–1801 UT Wenn man sich »ruhig« verhält, präsentiert der Pfau vielleicht sein »Rad«, um seiner Frau zu »imponieren«. 1802–1805 UT Die Laute des Pfaus klingen wie ein »Auto«. Und der Pfau »will Musik singen«. 1806–1814 UT In Syrien gibt es Pfauen in einem »Park«. 1815–1818 UT Diese laufen nicht frei herum, sondern »[g]ehören« jemandem. B12 (1819–1828, Mühle aus Unterschlauersbach/Küche) 1819–1828 OT Alkoholische Getränke in Deutschland sind Biere. 1819–1820 UT Das muss »Bier« sein. 1821–1822 UT Das ist »kein Bier«, sondern »Apfelmost«. 1823–1823 UT »Apfelbier«. 1824–1828 UT »Apfelmost«.
Hauptuntersuchung
135
B13 (1829–1855, Mühle aus Unterschlauersbach/Erbauungsjahr) 1829–1855 OT Bestimmung des Alters des Gebäudes 1829–1832 UT Diese Ziffern sind »[n]icht Arabisch«. 1833–1837 UT Die Zahl beginnt mit »Eins« und »Fünf«. 1838–1849 UT Das kann keine »Sieben« sein; aber auch keine »Zwei«. 1850–1853 UT Das Gebäude ist »nicht zweihundert«, sondern »fünfhundert Jahre alt« (durch L expliziert). 1854–1855 UT Ob zweihundert oder fünfhundert, das ist »egal«. B15 (1880–1897, Jagdschlösschen aus Eyerlohe) 1880–1897 OT Armut und Reichtum spiegeln sich auch in Bauwerken wider. 1880–1887 UT Dieses Haus ist »besser«, »[n]eu« als die anderen. 1888–1892 UT Dieses Haus ist nicht »neuer«; es hat Menschen gehört, die »reich« waren. 1893–1897 UT »Jetzt auch gibt arm und reich«. B16 (1898–1922, Jagdschlösschen aus Eyerlohe/Hirschgeweih) 1898–1922 OT Original oder Replik eines Hirschgeweihs 1898–1903 UT Das Geweih ist von einem »echte[n] Hirsch«. 1904–1906 UT Auch der »Kopf« (die Schädelplatte) ist echt. 1907–1914 UT Es wirkt, als wäre die Schädelplatte »mit Kleber so« repariert. 1915–1922 UT So ein Geweih kann gefährlich sein, »macht der dich kaputt«. B18 (1932–1971, Jagdschlösschen aus Eyerlohe/Ofen) 1932–1971 OT Öfen zur Raumbeheizung 1932–1940 UT Vergleichbare Öfen gibt es heute auch noch in Syrien, »aber nicht so alte«. 1940–1952 UT Womit diese betrieben werden, kann nicht genau gesagt werden, möglicherweise mit »Diesel«. 1953–1956 UT Mit solchen Öfen erzeugt man Wärme, »macht auch Feuer«. 1957–1960 UT Im Herkunftsland gibt es solche Öfen, aber nicht so groß, »wir haben kleine«. 1961–1963 UT Es gibt nicht nur einen Ofen, sondern »[w]ie viel du willst«, dann ist es »aber sehr warm«. 1964–1971 UT Man kann diese mit »Holz« oder »gleiche Benzin« betreiben.
136
Empirie
B19 (1972–2009, Weinbauernhaus aus Retzstadt) 1972–1994 OT Alkoholische Getränke 1972–1977 UT Hier werden »Bier«, »Saft und Alkohol« hergestellt. 1978–1979 UT Das ist kein Bierfass, »nicht Bier hier«. 1980–1989 UT Solche Fässer hat man bereits »[i]n Fernsehen« und »gleiche das; Ipsheim« gesehen. 1990–1994 UT In diesen Fässern ist »so Saft« drin. 1995–2009 OT Hilfsmittel bei der Weinherstellung 1995–2000 UT Dieses Gerät ist nicht genau bekannt, »weiß ich ned«. 2001–2003 UT Das scheint eine Art »Pumpe« zu sein. 2004–2009 UT Wenn man es ausprobiert, »die Pumpe pumpt Luft«. B23 (2074–2085, Amtshaus aus Obernbreit /Schlafgemach) 2074–2085 OT Das Bett 2074–2076 UT In diesem Bett, »hier schlafen« vermutlich Kinder. 2077–2085 UT In diesem Bett haben früher »zwei« (erwachsene) Menschen drin geschlafen. B24 (2086–2098, Amtshaus aus Obernbreit/Amtsstube) 2086–2098 OT Sichere Aufbewahrung wichtiger Dinge 2086–2092 UT In dieser Truhe wurden wichtige »Dokumente« und »Papiere« sicher aufbewahrt (Explikation von M); »Papier is das vom Pass«. 2093–2098 UT Die Truhe ist schwer und sicher verschlossen. B25 (2099–2130, Wagnerei aus Ergersheim) 2099–2109 OT Eine Werkstatt für den Bau von Schiffsteilen 2099–2099 UT Das ist »wie in Technik«, hier wird »mit Holz« gearbeitet. 2100–2104 UT Das muss etwas »vom Schiff« sein. 2105–2109 UT Das kann »nicht vom Schiff« sein. 2110–2130 OT Eine Werkstatt für den Bau von Autoteilen 2110–2118 UT Das muss etwas vom »Auto« sein. 2119–2130 UT Am fertigen Produkt sieht man, dass das z. B. für einen »Handwagen« ist. B26 (2131–2146, Scheuer aus Marktbergel/Holzschuhwerkstatt) 2131–2146 OT Herstellung von Kleidung 2131–2136 UT Mit dieser Maschine, »ein Nadel […] machen Kleidung«. 2137–2138 UT Das ist für »dicke[s] Leder, für die Schuhe« (Explikation durch L). 2139–2143 UT Damit kann man »voll Kleidung machen«. 2144–2146 UT Diese Maschine wird mit »dem Fuß« angetrieben.
Hauptuntersuchung
137
B27 (2147–2156, Schafscheuer aus Weiltingen) 2147–2156 OT Relation zwischen dem Aussehen von Maschinen und ihrer Funktion 2147–2147 UT Mit diesem Traktor, »machen mit tot«, kann man jemanden töten. 2148–2156 UT Dieser Traktor erinnert wegen seiner »Ketten« an »Panzer« aus »Syrien«. B28 (2162–2199, Baugruppe Mittelalter) 2162–2199 OT Früher waren Fenster nicht mit Glasscheiben verschlossen 2162–2164 2165–2167 2168–2173 2174–2178
UT UT UT UT
Das ist »nicht äh Glas«. Es ist auch »[k]ein Plastik«. Es hat auch nichts mit »Biene[n] zu tun. Wenn man »dagegen drück[t]«, kann es »kaputt« gehen.
2178–2181 UT Es kann »nicht äh Glas« sein. 2182–2183 UT Es ist zum Schutz, damit »Biene kann nicht kommen«. 2183–2188 UT Es ist kein »Glas«, kein »Plastik«. 2189–2191 UT Es ist wie ein »Ballon«. 2191–2199 UT Es handelt sich um »die Blase« von einem Tier.
4.3.1.3 Gruppe C C3 (2500–2542, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Kleintierstall) 2500–2523 OT Kleintierhaltung für den eigenen Bedarf zum Verzehr 2500–2509 UT Es ist »in Syrien« in »kleine Dorfe« üblich, selbst Kleintier wie »Hühnchen, Hasen und so« zu halten. 2510–2512 UT Wenn man eines zum Verzehr benötigt, »man macht auf und dann können raus essen«. 2513–2517 UT Dort im Dorf hat »jede Familie« so einen Stall. 2518–2523 UT Neben »Hasen« und »Hühnchen« hatte man selbst auch »Schafe« in Syrien besessen. 2524–2542 OT Kleintierhaltung nicht für den Verzehr 2524–2528 UT In Rumänien hat man selbst Tiere wie »Kühe«, »Hase« und »Hühner« besessen. 2529–2535 UT Diese wurden nicht für den Verzehr gehalten. 2536–2542 UT Außerdem hat man einen »Hund« und eine »Hundhaus« besessen.
138
Empirie
C4 (2543–2563, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Stube) 2543–2563 OT Einrichtung der Stube 2543–2546 UT In solche Schubladen kann man »Sachen rein« tun, z. B. »Schlüssel von […] Zimmer hier liegen«. 2547–2552 UT Solche Öfen »so wie diese« gibt es auch im Herkunftsland. Die sind aber »nicht so groß, bisschen kleiner«. 2553–2556 UT Diese werden mit »Holz« befeuert; wenn es keines gibt, »dann Plastik, Blätter und so«. 2557–2563 UT Manchmal werden Öfen auch mit »Diesel«, »von Erdöl« befeuert. Aber »in Syrien oder arabische Länder viel teuer ist Erdöl; wenn man hat kein so viel Geld, in ein Zimmer einfach; und dann so, so geht«. C5 (2564–2581, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Brotbackofen) 2564–2581 OT Brot selbst backen nur ältere Generationen 2564–2570 UT Dieser Ofen »man Feuer und dann man macht Brot, oder kann andere Sachen kochen« ist »[w]ie in Syrien«. 2571–2573 UT Die Wärme kann »gefährlich« sein. 2574–2576 UT In Syrien »bis jetzt gibt äh Brot […] machen so wie die diese Ofen«. 2577–2581 UT Aber es sind nur ältere Generationen »Oma und Opa«, die so Brot backen. »Junge so wie ich« kaufen das Brot vom »Bäcker«. C6 (2582–2602, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Dach) 2582–2602 OT Das Dach in Syrien und in Deutschland 2582–2586 UT »In Syrien« hat »jedes Haus« einen Dachboden »so wie diese«. 2587–2590 UT In Syrien haben die Häuser »flache« Dächer, »Nicht so wie die, diese in Deutschland«. 2591–2599 UT Auf den Dächern ist oft ein »Tank von Wasser«. 2600–2602 UT Die Platzierung auf dem Dach ist kein Diebstahlschutz, »in Syrien gibt viele Wasser, man muss nicht äh klauen«. C7 (2603–2613, vgl. Bauernhaus aus Unterlindelbach/Pflanzenbewässerung) 2603–2613 OT Hilfsmittel zur Pflanzenbewässerung 2603–2605 UT Mit diesem Gerät kann man »Wasser geben«. 2606–2613 UT Aber »in Syrien« sind diese »nicht so wie diese«, sondern »wie kleine Schwimmbad« mit einem »Schlauch«, »das besser als diese«. C8 (2614–2636, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Mahlwerk) 2614–2636 OT Mühlen und ihr Betrieb 2614–2616 UT Das wird für die Herstellung »von Brot« benötigt. 2617–2623 UT In »Syrien« gibt es auch Mühlen »so wie diese«; »kleine, nicht so große; auch mit Steine«. 2624–2629 UT »Jetzt macht Maschine; und früher war mit Tiere und mit Hand«. 2630–2636 UT Als Tiere dienen »nicht äh Pferd; äh Kuhe […] Bison heißt«.
Hauptuntersuchung
139
C9 (2637–2645, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Korb) 2637–2645 OT Körbe als Transportmittel 2637–2645 UT »[I]n Syrien […], [w]enn ich habe viele Hühnchen, […] ich kann nehmen, und dann Eier rein«. C10 (2646–2652, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Saftpresse) 2646–2652 OT Pressen finden in verschiedenen Gebieten Anwendung 2646–2648 UT Hierbei handelt es sich um eine Presse, »um Saft zu machen« (durch U expliziert). 2649–2650 UT Man kann damit auch »Honig sauber machen«. 2651–2652 UT Honig wird z. B. in »kleinen Dorfen« hergestellt. C11 (2653–2669, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Bett) 2653–2669 OT Früher waren Betten (Matratzen) aus anderem Material. 2653–2655 UT In »Syrien« gibt es so etwas auch. 2656–2657 UT »[M]ein Oma hat eine«. 2658–2659 UT Die Oma sagt, wenn man »will kaufen neue«, »das besser«. 2660–2665 UT Diese Matratzen sind (vermutlich) mit Heu – »wenn Sonne kommt auf diese Blume und Blume tot« – gefüllt. 1666–2669 UT Ob diese Matratzen bequem sind, kann nicht beantwortet werden, »habe noch nicht probiert«. C12 (2670–2683, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Holztruhe) 2670–2683 OT Truhen als Aufbewahrungsorte für Wertvolles 2670–2674 UT In der Truhe müssen »Kleider« oder »Gold« drin sein. 2675–2679 UT In »alte[n] [Filmen] in Syrien« gibt es solche Kisten für »Kleidung, […] Gold« oder Waffen, »Zeug von äh Tiere töten«. 2680–2683 UT Heute verwendet man (in Syrien) für Kleidung »Schränke«. C13 (2684–2697, Bauernhaus aus Unterlindelbach/Reisigbesen) 2684–2697 OT Reisigbesen als übliches Haushaltsutensil 2684–2691 UT »[I]n Syrien gibt’s« Besen »so wie diese«. 2692–2697 UT Die Herstellungsweise »mit Baum«, vielen kleinen Ästen, Reisig, ist geläufig.
140
Empirie
C15 (2705–2736, Bauernhof aus Seubersdorf/Küche) 2705–2736 OT Gemeinsamkeiten und Unterschiede alter und moderner Küchen 2705–2710 UT Wagen z. B. zum »wägen« (wiegen) von »Mehl« sind bekannt. 2711–2715 UT Heute sind diese allerdings modern »mit Strom«. 2716–2724 UT »Löffel« oder »Töpfe« zum Kochen sind als gegenwärtige Objekte bekannt. 2725–2732 UT Heute sind die Töpfe z. B. aus »Eisen« oder »von Tefal«, das ist »sehr gut«. 2733–2735 UT Das »Waffeleisen« ist nicht bekannt, aber interessant »Oh«. 2736–2736 UT »Früher war nicht schön in die Häuser«. C16 (2737–2758, Bauernhof aus Seubersdorf/Stube) 2737–2758 OT Die Einrichtung und Gegenstände in der Stube 2737–2742 UT Sofas sind bekannt, aber »nicht so, andere«, aus Leder »mit äh Tier«. 2743–2748 UT Der Ofen ist »sehr groß«, da kann man »Feuer machen«. 2749–2750 UT So ein Ofen braucht »viel Holz«. 2751–2753 UT In »Syrien« muss man »bis jetzt Holz kaufen«, weil man Holz nicht selber machen kann. 2754–2758 UT Der Krug ist für Bier; Bier als alkoholisches Genussmittel ist aus dem Herkunftsland bekannt. C21 (2808–2815, Köblerhaus aus Schwimmbach/Wasserpumpe) 2808–2815 OT Fortschritt in der Wasserförderungstechnik 2808–2809 UT Heute gibt es solche Brunnen »nicht« (mehr). 2810–2815 UT Früher wurde Wasser in »Eimer« gepumpt; »aber jetzt gibt [es] Maschinen«. C22 (2816–2829, Köblerhaus aus Schwimmbach/Nähmaschine) 2816–2829 OT Fortschritt in der Textilherstellung 2816–2820 UT So eine »Schneidermaschine«, »gleiche«, ist aus dem Herkunftsland bekannt. 2821–2825 UT Früher wurde diese von »Hand« bedient, aber heute »mit Strom«. 2826–2829 UT Die eigene »Oma« hat auch mit so einer Maschine Kleidung »selber« Kleidung hergestellt.
Hauptuntersuchung
141
C23 (2830–2867, Köblerhaus aus Schwimmbach/Küche und Wirtschaftsraum) 2830–2836 OT Kaffeeherstellung 2830–2833 UT Mit dieser Mühle kann man »machen Kaffee (mahlen) 2834–2836 UT »Zuhause« wurde der Kaffee auch selber gemahlen. 2837–2867 OT Technische Entwicklung von Bügeleisen 2837–2841 UT Das ist ein mit »Strom« betriebenes Bügeleisen; aber hier gibt es gar keinen Strom; »[g]ibt andere Haus«. 2842–2849 UT Das Bügeleisen ist sehr »schwierig« (schwer) und es ist am Regal festgemacht. 2850–2867 UT Früher wurden Bügeleisen nicht mit Strom, sondern mit »Kohle« betrieben. C24 (2868–2877, Köblerhaus aus Schwimmbach/Arbeitsraum) 2868–2877 OT Werkzeug für die Holzbearbeitung 2868–2871 UT Das Werkzeug ist »von Holz«, ein »Meißel« (bzw. ein Stemmeisen). 2872–2874 UT Das ist eine »Axt«, »bis jetzt gibt in Syrien«. 2875–2877 UT »Und auch diese«, ein Schraubenschlüssel ist aus Syrien bekannt. C25 (2878–2886, Köblerhaus aus Schwimmbach/Wasserpumpe) 2878–2886 OT Wasserförderung über Brunnen 2878–2879 UT »In Haus auch gibt äh«; so etwas ist bekannt. 2880–2884 UT Das ist aber keinen »Brunnen«, bei dem man pumpt, sondern mit einem Eimer Wasser schöpft und dann »trinken«. 2885–2886 UT Wasser geschöpft hat man selbst, der »Vater«, die »Schwester« »und so«. C26 (2887–2926, Landwirtschaft) 2887–2926 OT Arbeit in der Landwirtschaft 2887–2893 UT Wenn man »Gurke«, »Gemüse oder so« pflanzen will, braucht man »wie diese Maschine«, einen Pflug. 2894–2900 UT Den Pflug kann man mit Tieren, »mit Pferd«, mit »Kuh«, »Bison« oder mit Maschinen, »Traktor« ziehen. 2901–2904 UT »Traktor is besser«. 2905–2917 UT In »Syrien« hat man selbst in einer Art »Garten« Gemüse, »Tomate«, »Erdbeere«, »Kartoffel«, »Knoblauch«, »Zwiebel« angebaut. Neben einem selbst hat dort auch der »Onkel« gearbeitet. 2918–2923 UT Der »Opa« hat Gemüse, »[n]ur Tomaten und so« angebaut. 2924–2926 UT Er hat einen Esel gehabt, »aber Esel langsam; geht nicht«.
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Empirie
C27 (2927–2957, Mühle aus Unterschlauersbach/Mahlraum) 2927–2957 OT Unterschiede zwischen Mühlen in Syrien und in Deutschland 2927–2935 UT Das ist eine Mühle von »Mehl und Brot«. 2936–2942 UT Es »gibt diese« Mühlen, aber nicht in der »Familie«; das ist wie in »syrische Filme […] ja alte«. 2943–2943 UT »Frauen machen das (Mehl mahlen). 2944–2944 UT In »Syrien« gibt es »gleich des«, aber »größer als diese Haus«. 2945–2955 UT Diese Mühle dreht sich mit Wasser (durch U expliziert); das ist »wie in Syrien; aber in Syrien groß«. 2956–2957 UT Aber sie werden »mit äh Strom auch« betrieben. C28 (2958–2994, Mühle aus Unterschlauersbach/Küche) 2958–2979 OT Verarbeitung und Haltbarmachung von Fleisch 2958–2963 UT Hier befindet sich »Fleisch«, »Wurst«. 2964–2968 UT Das hat man »in Syrien […] früher auch so [gemacht]. Weil keine Kühlschrank«. Diese Zubereitung ist »voll lecker«. 2969–2972 UT Das bleibt »viele Wochen« so im »Rauch«. 2973–2979 UT Das macht man heute auch noch so, wenn es z. B. in einer »Stadt keine Strom« gibt oder »mit Sonne (trocknen). 2980–2994 OT Zubereitete Getränke und Speisen 2980–2981 UT Das ist »Saft trinken« »mit Alkohol (Most). 2983–2986 UT Das ist »Schmalz« (durch U expliziert). 2987–2994 UT Der Most kann käuflich erworben werden, »kannst du kaufen«; aber »nicht trinken«, weil er Alkohol enthält. C29 (2995–3007, Mühle aus Unterschlauersbach/Wärmflasche) 2995–3007 OT Wärmflaschen sahen früher anders aus 2995–2997 UT Das ist »for Diesel« und sieht aus »wie Lampe«. 2998–3004 UT Es handelt sich um eine »Wärmflasche« (durch L expliziert). 3005–3007 UT Heute sind die »aber aus Plastik«. C31 (3013–3036, Wagnerei aus Ergersheim) 3013–3036 OT Wagner-Handwerk 3013–3021 UT Hier arbeitet ein »Mechaniker«; wie ein »Technikraum«; »er macht […] reparieren«. 3022–3028 UT Das ist »von Pferd […] der hinter Pferd«, Kutschen und Wagen (von U expliziert) werden hier gebaut. 3029–3036 UT Mit dem Schleifstein kann man z. B. eine »Axt« »schleifen«.
Hauptuntersuchung
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C35 (3058–3113, Baugruppe Mittelalter/Bauernhaus aus Höfstetten) 3058–3097 OT Archäologische Funde im Museumsobjekt 3058–3063 UT Mit »Knochen«, »fünf kleine so«, »[k]leine Steine« kann man »sehr gut spielen«. 3064–3071 UT Das spielt man mit den »Geschwistern« und den »Eltern auch«. 3072–3077 UT Das sind Knochen vom »Hund«, »Hirsch« und »Schwein«. 3078–3084 UT Das Haus ist etwa sechshundert Jahre alt; diese Dinge hat man hier gefunden (expliziert durch U). 3085–3097 UT In »Syrien« sucht man in so einem »alte[n] Haus«, ob es da »drin gibt Gold«. 3098–3113 OT Archäologische Keramikfunde 3098–3102 UT Einen Tonkrug im »Boden« füllt man »mit Wasser und dann kalt«. 3103–3107 UT Die »Oma« hat das in »große[n]« Krügen so gemacht. 3108–3113 UT In solchen Krügen hat man »Saft […] und Wasser« gekühlt.
4.3.2 Reflektierende Interpretation Auf Grundlage der im vorigen Kapitel getroffenen Auswahl an zu untersuchenden Einzelfällen erfolgt in diesem Schritt die reflektierende Interpretation. Bei dieser gilt es, den dokumentarischen Sinngehalt und die in den Diskursen zutage tretenden Orientierungsmuster herauszuarbeiten. Entscheidend sind hierfür die Fragen nach dem Warum und nach dem Wie. Das Vorgehen besteht darin, jeden Diskurs einzeln und als abgeschlossene Einheit zu betrachten, keine Relationen zu anderen Diskursen herzustellen und daraus auch keine Schlussfolgerungen abzuleiten, selbst wenn diese geradezu offensichtlich erscheinen. Zudem ist zu betonen, dass den Erkenntnissen dieses Schritts lediglich ein vorläufiger Status einzuräumen ist. Erst nach Abschluss der kommunikativen Validierung und der komparativen Analyse wird von endgültigen Befunden zu sprechen sein. Aufgrund der Fokussierung auf die Einzelfälle und der sich je Diskurs wiederholenden Anwendung des Analyseschemas der dokumentarischen Methode, verfügt die Niederschrift dieses Schrittes über keine stringente Argumentationsstruktur. Infolgedessen und weil in der komparativen Analyse auf wesentliche Gesichtspunkte der reflektierenden Interpretation rekurriert wird, wird an dieser Stelle nicht die vollständige Niederschrift des aktuellen Analyseschritts präsentiert.475 Stattdessen werden die zentralen und vorläufigen Zwischenerkenntnisse vorgestellt auf denen die nachfolgenden Analyseschritte aufbauen. 475 Diese findet sich, um die intersubjektive Überprüfbarkeit zu gewährleisten, in Anhang B in der Reihenfolge der Gruppen A (S. 383), B (S. 403) und C (S. 418).
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Empirie
Eine dieser Erkenntnisse betrifft die Materialgrundlage, die der reflektierenden Interpretation zugrunde liegt. Diese Frage konnte erst nach der probeweisen Analyse einiger Diskurse abschließend beantwortet werden und hat zu einer Anpassung des analytischen Vorgehens geführt. Die Materialgrundlage bilden die Transkripte der Gruppendiskussionen bzw. fokussierten Interviews mit den FS.476 Berechtigterweise ist die Frage erlaubt, wie es sich mit den Transkripten der fokussierten Interviews mit den begleitenden Museumspädagoginnen, die als zweite teilnehmende Beobachter eingesetzt wurden, bzw. mit den Protokollen der teilnehmenden Beobachtung selbst verhält. Immerhin wird in den Ausführungen zur Methodologie eine systematische Perspektiventriangulation als notweniger Bestandteil einer fundierten qualitativ-empirischen Arbeit benannt. Dabei wird es auch bleiben. Allerdings kann das Material dieser beiden Provenienzen an anderer Stelle zweckdienlicher eingesetzt werden als bei der reflektierenden Interpretation. Durch die Verbindung von diskurs- und sequenzanalytischen Elementen arbeitet dieser Schritt sehr nah an einem einzigen Haupttext (den Transkripten der Gruppendiskussionen bzw. fokussierten Interviews mit den FS) und wird durch diesen maßgeblich strukturiert. Ein weiterer Text, so hat sich bei ersten probeweisen Analysen herausgestellt, der den Untersuchungsgegenstand aus einer zusätzlichen Forschungsperspektive beleuchtet, kann nicht zielführend in diese Struktur integriert werden, ohne dass dies a) nicht sehr bemüht aussähe und b) den Erkenntnisprozess aufgrund eines überaus unstrukturierten Resultats nicht erheblich erschweren würde. Außerdem ist auf dieser kleinsten Analyseebene, der Sequenz, kein Zugewinn an Erkenntnis durch die teilnehmende Beobachtung erkennbar. Daher erscheint es sinnvoll, die Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtung bei der komparativen Analyse einzubeziehen, wenn übergeordnete Strukturen und Zusammenhänge beleuchtet werden. Ähnlich verhält es sich mit den Transkripten der fokussierten Interviews mit der jeweils begleitenden Museumspädagogin. Das ist einerseits damit begründet, dass diese die Rolle eines zweiten teilnehmenden Beobachters einnehmen. Andererseits liegt dies auch an der Art der Rolle, die in den Interviews zum Vorschein kommt. Es ist erkennbar, dass die Museumspädagoginnen nicht die Rolle eines vergleichsweise »objektiven« Beobachters einnehmen, der eine möglichst große Bandbreite an Eindrücken möglichst unkommentiert reproduziert. Vielmehr zeigt sich, dass die Museumspädagoginnen die Beobachtungsphasen explizit in der Rolle einer Museumspädagogin wahrnehmen und ihre Erkenntnisse und Beobachtungen dementsprechend beschreiben und auch kommentieren und bewerten. Daher ist es auch in diesem Fall sinnvoll, das Material dieser Provenienz an späterer Stelle bei der komparativen Analyse
476 Anhang A ab S. 304.
Hauptuntersuchung
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einzusetzen, wenn übergeordnete Strukturen und Zusammenhänge im Fokus stehen. Nach dieser methodischen Einordnung des aktuellen Analyseschritts hinsichtlich des ihm zugrundeliegenden empirischen Materials, werden im Folgenden die eigentlichen Erkenntnisse, die identifizierten Orientierungsmuster behandelt. Wie bereits beschrieben, liegt die ausführliche Diskurs für Diskurs, Einzelfall für Einzelfall betrachtende Analyse im Anhang B vor.477 Es werden daher an dieser Stelle nicht nochmals alle Einzelfälle, aber alle unterschiedlichen ermittelten Orientierungsmuster unter Verweis auf einen exemplarisch herausgegriffenen Einzelfall, in dem sich diese nachweisen lassen, beleuchtet. Die Beschränkung auf einen Einzelfall als Beleg wird damit begründet, dass bei diesem Analyseschritt der komparativen Analyse nicht vorgegriffen und unnötige Doppelungen vermieden werden sollen. Im Übrigen muss darauf hingewiesen werden, dass die einzelnen Analyseschritte auch mit damit einhergehenden Abstraktionsniveaus des behandelten Gegenstandes einhergehen. Da in den folgenden Ausführungen die ermittelten Orientierungen anhand eines für sie typischen Einzelfalls charakterisiert werden, gewissermaßen als Idealtypen, die möglichst viele bis alle für eine Orientierung charakteristische Indikatoren und Merkmale enthalten,478 findet auch auf dieser Binnenebene innerhalb der reflektierenden Interpretation bereits eine gewisse Abstraktion statt. Mögliche Abweichungen und Differenzen zwischen der ausführlichen Analyse in Anhang B und den nachfolgenden Darstellungen sind mit dieser Abstraktion zu erklären. Konkret heißt das, dass das Material in Anhang B das gesamte Spektrum an Orientierungen sehr konkret und plastisch in seiner Breite darstellt, im Folgenden jedoch bereits ein Schritt der Abstraktion und eine Konzentration von Phänomenen und damit bereits eine Darstellung der Tiefe unternommen wird, die zielgerichteter zur komparativen Analyse hinführt. Des Weiteren wird eine erste systematische Einordnung der Orientierungen als notwendige Vorbereitung für die weiteren Schritte erfolgen. Wenngleich es nicht die Intention dieser Untersuchung ist, zentrale Erkenntnisse über ihren Gegenstand aufgrund von Quantifizierungen zu gewinnen, so ist es in diesem Fall nicht nur hilfreich, sondern auch notwendig, eine auch auf Quantifizierung beruhende Einordnung vorzunehmen. Konkret wird eine rein mathematische Antwort auf die Frage gegeben, in wie vielen unterschiedlichen Diskursen, einerseits je Gruppe und andererseits im Gesamten, sich eine spezifische Orientierung nachweisen lässt. Diese Einordnung ist deshalb so wichtig, um daraus ableiten zu können, ob einer Orientierung lediglich einzelfallspezifische oder
477 In der Reihenfolge der Gruppen A (S. 383), B (S. 403) und C (S. 418). 478 So arbeitet auch Martens: Implizites Wissen, S. 125.
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Empirie
fallübergreifende, allgemeine Strukturen zugrunde liegen. Dementsprechend werden die Orientierungen in die folgenden drei Kategorien eingeordnet: 1) O. mit fallübergreifender Struktur, die sich in mindestens vier Einzelfällen nachweisen lässt 2) O. mit tendenzieller Einzelfallspezifik, die sich in mindestens zwei, maximal drei Einzelfällen nachweisen lässt 3) O. mit absoluter Einzelfallspezifik, die sich in lediglich einem Einzelfall nachweisen lässt Des Weiteren werden neben der quantifizierenden Einordnung auch die sich hinter den Zahlen verbergenden Einzelfälle anhand ihrer Diskurs-Nummer, mittels der sie den zugehörigen Transkript-Passagen im Anhang A479 zugeordnet werden können, angegeben. Indirekt proportional zur Zahl der Fälle, in denen sich eine Orientierung nachweisen lässt, wird sich auch der bis zu diesen Punkt erreichte Grad der Abstraktion ändern. Konkret heißt das: In umso mehr Fällen sich ein Orientierungsmuster nachweisen lässt, desto höher ist der Grad der Abstraktion. Und in umso weniger Fällen der Nachweis möglich ist, desto konkreter und weniger abstrakt ist die Orientierung. Erst in der komparativen Analyse wird es möglich sein, ein einheitliches Abstraktionsniveau zu erreichen. Dieser systematischen Einordnung folgen eine Charakterisierung und Beschreibung der zentralen Merkmale der jeweiligen Orientierung unter Verweis auf einen exemplarisch herausgegriffenen Einzelfall. Insgesamt liegen der Analyse 68 im vorigen Schritt ausgewählte von insgesamt 96 erfassten Einzelfällen bzw. Diskursen zugrunde. Auf Gruppe A entfallen 24 (35,29 %), auf Gruppe B 20 (29,41 %) und auf Gruppe C 24 (35,29 %).480 4.3.2.1 Orientierungen der Kategorie 1: fallübergreifende Struktur Orientierung 1 »Erfahrungen, Kompetenzen, Vorkenntnisse, Assoziationen, Vermutungen zur Erschließung eines spezifischen (unbekannten bzw. fremden) Kontextes«
Gesamt: Gruppe A: 31 (45,59 %) 8 (33,33 %)
Gruppe B: 11 (55 %)
Gruppe C: 12 (50 %)
Diskurse: A5, A9, A10, A19, A21, A22, A26, A29, B2, B3, B4, B5, B9, B13, B23, B25, B26, B27, B28, C4, C7, C8, C10, C23, C24, C26, C27, C28, C29, C31, C35
Der Kern der Orientierung 1 besteht in der Beobachtung, dass sich die FS deshalb mit einem musealen Kontext auseinandersetzen, weil sie es können. Es kommt das Muster zum Ausdruck, dass sie über die entsprechenden Anlagen und 479 Ab S. 304. 480 Eine Übersicht zu den in jenen Diskursen ermittelten Orientierungen sowie die Diskursorganisation findet sich in Anhang B in der Reihenfolge der Gruppen A (S. 436), B (S. 442) und C (S. 447).
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Voraussetzungen verfügen, sich den betreffenden Kontext (eigenständig) erschließen zu können und das auch zum Ausdruck bringen wollen, womit auch der positive Horizont benannt ist. Die Bezeichnung der Orientierung nennt als Indikatoren hierfür Erfahrungen, Kompetenzen, Vorkenntnisse, Assoziationen und Vermutungen. Erfahrungen drücken sich darin aus, dass die Äußerungen der FS auf dahinterliegende eigene Erlebniskontexte verweisen. Kompetenzen zeigen sich weniger in der abstrakten Auseinandersetzung, als vielmehr im unmittelbaren Umgang mit dem Objekt. Vorkenntnisse dokumentieren sich auf der Ebene der Annäherung an das Objekt. Ähnlich verhält es sich mit Assoziationen und Vermutungen, die ebenfalls auf der Ebene der Annäherung eine Rolle spielen, aber im Unterschied zu den Vorkenntnissen tendenziell wage sind und entweder eine latente Unsicherheit des jeweiligen FS sichtbar machen oder trotz Sicherheit zu unzutreffenden Schlussfolgerungen führen. Für den Nachweis des Orientierungsmusters ist es nicht zwingend notwendig, dass alle fünf Indikatoren erkennbar sind. Ebenso kann keine Mindestzahl an Indikatoren angegeben werden. Diese wäre rein willkürlich und ließe sich nicht plausibel begründen. Es kann nur im konkreten Einzelfall nach reiflicher Analyse und Beleg durch entsprechende Anhaltspunkte entschieden werden, ob sich das Orientierungsmuster feststellen lässt. Auch die Identifikation eines expliziten negativen Gegenhorizonts ist nur fallspezifisch möglich. Die komparative Analyse wird hierüber Aufschluss geben und die unterschiedlichen Ausprägungsformen dieser Orientierung untersuchen. Der Nachweis der Orientierung 1 soll exemplarisch anhand des Diskurses A26481 erfolgen. Den thematischen Kontext bildet ein Kräutergarten. Die Auseinandersetzung der FS mit dem Kontext ist von hoher interaktiver Dichte. Dies spiegelt sich im Diskurs in der regen Sprecherbeteiligung und der sich darin dokumentierenden intensiven Auseinandersetzung mit dem Diskursgegenstand wider. Dabei sind die einzelnen Sequenzen des Diskurses von einem sich durchziehenden Orientierungsmuster geprägt. Dessen positiven Horizont bilden eigene Vorkenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen zur Erschließung und Deutung des Kontextes. Mit »[d]as geht in Wald« (870)482 bringt Sm1 seine eigenen Vorkenntnisse zum Ausdruck. In einem weiteren Zug erzählt er, dass er und noch weitere Personen (»wir«) mit dem Auto in den Wald fahren und dort Rosmarin ernten würden (875–876) und ergänzt damit seine persönlichen Erfahrungen. Auch Sm2 artikuliert seine Vorkenntnisse, dass er Rosmarin vornehmlich als Pflanze aus dem »Garten« (874) kenne. Ihre gegenstandsspezifi481 Das zugrundeliegende Transkript (T) befindet sich im Anhang A (870–942), die ausführliche reflektierende Interpretation (I) im Anhang B (3853–3927). 482 In Klammern gesetzte Ziffern markieren die jeweiligen Zeilennummern (z. B. eines Zitats) im Anhang.
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Empirie
schen Kompetenzen bringen Sm1 und Sm2 darin implizit zum Ausdruck, indem sie bestätigen, Rosmarin als Gewürz bei der Zubereitung von Speisen zu kennen (878–879). Hierfür geben sie auch konkrete Beispiele und berichten von der Zubereitung mit Sesam (881–887) oder mit Fleisch und Kartoffeln (899), womit sie abermals auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Das Muster, sich aufgrund von Vorkenntnissen, Erfahrungen und Kompetenzen mit einem Gegenstand auseinanderzusetzen, zeigt sich auch in der weiteren Auseinandersetzung mit dem Kräutergarten und sich darin befindenden Pflanzen, auf die jedoch nur verwiesen sei (910–942), da sich die bereits beschriebenen Strukturen lediglich wiederholen und keine neuen Aspekte erkennbar sind. Eine widersprüchliche Haltung bzw. ein negativer Gegenhorizont sind nicht nachzuweisen. In der Beschaffenheit vieler Äußerungen dokumentiert sich ein hohes Maß an Souveränität bei der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Orientierung 2 »Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) hinsichtlich eines spezifischen Kontextes«
Gesamt: Gruppe A: 31 (45,59 %) 7 (29,17 %)
Gruppe B: 5 (25 %)
Gruppe C: 19 (79,17 %)
Diskurse: A1, A4, A7, A11, A15, A22, A25, B3, B4, B5, B11, B18, C3, C4, C5, C6, C7, C8, C9, C11, C12, C13, C15, C16, C21, C22, C23, C24, C25, C27, C28
Der Orientierung 2 liegt die Annahme zugrunde, dass es die Intention der FS ist, ihr Herkunftsland positiv darzustellen. Dass die FS zum Ausdruck bringen und explizit betonen, dass ihr Herkunftsland hinsichtlich eines spezifischen Kontextes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) vergleichbar ist – von »ähnlich« bis »genauso«, rückt dabei in den positiven Horizont. »Positiv« wird demnach nicht im Sinne von »besser« verstanden, sondern markiert die Mitte zwischen den Extrema »besser« und »schlechter«. Es ist eine »Parität« suggerierende Auseinandersetzung beobachten. Dieser Begriff scheint als Versuch, die »neutrale« Mitte zwischen Über- und Unterlegenheit auf einer horizontalen Ebene ausdrücken zu wollen, das einzig adäquate zu sein, um herauszustellen, dass die Beschäftigung mit dem musealen Kontext in einer Haltung der nicht wertenden, sondern eher feststellenden Vergleichbarkeit bzw. Parität erfolgt. Dabei dienen hinsichtlich des Herkunftslandes sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit als Referenzpunkte. Das bedeutet, dass die FS einen musealen Kontext in Relation zu ihrem Herkunftsland entweder auch in dessen Vergangenheit verorten oder als etwas heute noch Existentes und Gebräuchliches beschreiben. Wenn in der Bezeichnung der Orientierung von der Vergleichbarkeit »mit Deutschland« gesprochen wird, so wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die FS in der Situation der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen musealen Kontext diesen als zweiten Vergleichspunkt neben ihrem Herkunftsland pars pro toto für Deutschland betrachten. Diese Haltung kommt je nach Ein-
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zelfall entweder explizit – »wie Deutschland« (z. B. 418) – oder implizit zum Ausdruck. Dessen ungeachtet ist den FS, auch durch die entsprechende Vorbereitung im Vorfeld der Erhebungen bekannt, dass das Museum nur einen kleinen, vergangenen Ausschnitt von Deutschland abbildet. Aufgrund des Abstraktionsgrads, der sich auch auf die Bezeichnung der Orientierung auswirkt und – auch aus arbeitspraktischen Gründen – nicht zulässt, jedwede Ausprägung und Differenzierung darin abzubilden, wird die Bezeichnung der Vergleichbarkeit »mit Deutschland« zusammen mit dem in Klammern stehenden Zusatz beibehalten. Möglicherweise entstandene Unklarheiten oder Missverständnisse sollten durch die vorige Schilderung hinreichend geklärt sein. Ein negativer Gegenhorizont lässt sich nicht allgemeingültig, sondern allenfalls fallspezifisch feststellen. Wie und worin sich das Muster der Orientierung 2 dokumentiert, soll exemplarisch am Bespiel des Diskurses C5483 verdeutlicht werden. Gegenstand der Auseinandersetzung ist ein Brotbackofen im Inneren des Bauernhauses aus Unterlindelbach. Sm2 stellt dabei fest, dass das ein Ofen »[w]ie in Syrien« (2569) sei und markiert mit dieser Äußerung den positiven Horizont der Orientierung. Gleichzeitig differenziert Sm2 mit Blick auf das offene Feuer, das den Ofen beheizt, dass diese Form der Lebensmittelzubereitung (z. B. Brotbacken) »gefährlich« (2571) sei. In weiteren Zügen erzählt Sm2, dass man in Syrien zwar »bis jetzt« (2575) Brot »machen so wie […] diese Ofen« (2576), dass dies allerdings nur »Oma und Opa« (2578) machen würden. Angehörige der jüngeren Generation »so wie ich« (2578) würden das Brot dagegen in einer »Bäckerei« (2581) kaufen. In diesen Äußerungen kommen zwei wichtige Aspekte zum Ausdruck. Erstens wird diese Art des Brotbackens auch bezogen auf das Herkunftsland implizit in dessen Vergangenheit als etwas Historisches verortet, da nur noch Angehörige einer lebensälteren Generation, die aufgrund eben ihres hohen Lebensalters quasi aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinreichen, dies praktizieren. Zudem wird explizit betont, dass die Angehörigen einer jüngeren Generation ihr Brot kaufen würden. Damit wird zweitens indirekt zum Ausdruck gebracht, dass Syrien eine ähnliche Entwicklung (wie Deutschland, bezogen auf den musealen Kontext) durchlaufen hat und auch heute ein vergleichbarer Standard gilt – genauso modern und genauso »sicher«. Denn die Angehörigen der jüngeren Generation, die in eine Bäckerei gehen, müssen nicht mehr den tendenziell »gefährlichen« Weg des Selber-Backens im mit Feuer geheizten Ofen gehen. Die Intention einer Parität suggerierenden Darstellung tritt in diesem Beispiel in wechselnder Intensität von explizit bis hin zu eher latent und unterschwellig zutage. Ein negativer Gegenhorizont lässt sich nicht dokumentieren. Es ist, wie sich an diesem Beispiel zeigt, nicht einziger Anhaltspunkt, aber die 483 T: 2564–2581, I: 4848–4883.
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Empirie
Summe der Einzelaspekte, die eine Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) und eine in dieser Haltung implizit intendierte Positiv-Darstellung des Herkunftslandes belegt. Orientierung 3 »Bedeutung sozialer Bezugssysteme«
Gesamt: 7 (10,29 %)
Gruppe A: 5 (20,83 %)
Gruppe B: 0 (0 %)
Gruppe C: 2 (8,33 %)
Diskurse: A3, A11, A13, A17, A30, C26
Die Orientierung 3 zeichnet sich dadurch aus, dass die FS eine besondere Bedeutung sozialer Bezugssysteme (z. B. die Familie oder die dörfliche Gemeinschaft) im positiven Horizont zum Ausdruck bringen, ohne die die für den Diskurs maßgebliche Narration nicht stattfinden könnte. Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass solche Bezugssysteme zwangsläufig positiv (oder negativ) konnotiert werden. In den untersuchten Fällen geht die Herausstellung einer besonderen Bedeutung zumeist ohne explizite Wertung einher. Zudem ist abermals zu betonen, dass das hier dargestellte Orientierungsmuster ein Abstraktum, einen Idealtypus darstellt, der faktisch in unterschiedlichsten Ausdrucksformen zutage tritt. Sozialen Bezugssystemen kommt beispielsweise eine subsidiäre Funktion zu, d. h. sie sind für die Bewältigung alltäglicher Aufgaben unabdingbar. Oder sie sind, um den anderen Pol dieses Spektrums zu benennen, ein Ort der Brauchtums- oder Traditionspflege, also weniger nutzenorientiert, sondern eher in einer identitätsstiftenden Funktion. Ein negativer Gegenhorizont ist nur fallspezifisch festzustellen und meist darin zu suchen, dass soziale Bezugssysteme ein Garant für etwas sind, eine persönliche Relevanz haben und die Exklusion aus diesen persönliche, negative Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Als ein Diskurs, in dem die beiden genannten Aspekte zutage treten, soll A30484 beispielhaft dazu dienen, das Orientierungsmuster 3 anschaulich zu beleuchten. Auslöser des Diskurses ist nicht ein konkreter musealer (historischer) Kontext; vielmehr beobachten die FS ein in der Nähe stattfindendes museumspädagogisches Programm, bei dem die teilnehmenden Kinder den Prozess der Milchgewinnung und -verarbeitung kennenlernen. Darauf bezugnehmend erzählt Sm1: »machen wir in Syrien mit dem Milch Joghurt, Butter und Käse; hier auch in Deutschland« (1015). Zweierlei Dinge werden in dieser Äußerung und dem darin markierten positiven Horizont zum Ausdruck gebracht. Einerseits benennt Sm1 ein zunächst unspezifisches soziales Bezugssystem »wir« (vermutlich die Familie), innerhalb dessen mit der Milchverarbeitung die Herstellung von Lebensmitteln erfolgt. Damit ist der Indikator eines subsidiären Systems gegeben; sei es, dass die Lebensmittel dem eigenen Verzehr oder zum 484 T: 1012–1058, I: 4014–4074.
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Hauptuntersuchung
Verkauf und damit für den finanziellen Lebensunterhalt dienen. Zweitens wird der Aspekt der Traditionspflege damit benannt, dass Sm1 diese Tradition in Deutschland ähnlich wie in seinem Herkunftsland Syrien fortführt. Ob die sozialen Bezugsysteme in Syrien wie in Deutschland dieselben sind, ist nicht bekannt. Fest steht jedoch, dass sie eine gewisse Kontinuität und damit »Berechenbarkeit« spezifischer Aspekte gewährleisten. Dass es sich bei dem Geschilderten nicht nur um die Erfahrung und Haltung eines Einzelnen handelt, dokumentiert sich in der ratifizierenden Äußerung von Sm2, einem doppelten »Wir auch; wir auch« (1018). In weiteren Sequenzen des Diskurses wird – mit Bezug auf das Herkunftsland Syrien – besonders der Aspekt der Subsidiarität des Bezugssystems Familie hervorgehoben. Sm2 erzählt, dass seine Familie zehn bis fünfzehn Kühe und an die dreihundert Schafe besessen habe (1043). In weiteren Zügen dokumentiert sich, dass die Pflege und der Unterhalt der Tiere eine gemeinsame Anstrengung der Familie und nicht nur eines Einzelnen ist (1046– 1049). In den negativen Gegenhorizont rücken implizit externe, nicht-kontrollierbare Einflussfaktoren (z. B. wilde Tiere), die das soziale Bezugssystem Familie, konkret deren Existenzgrundlage die Milchwirtschaft, gefährden können (1050–1058). Betrachtet man den gesamten vorliegenden Diskurs, so sind darin nicht nur einzelne Aspekte, sondern auch eine Entwicklung der Funktion des sozialen Bezugssystems Familie erkennbar: von der subsidiären Funktion im Herkunftsland Syrien zur Bewältigung des landwirtschaftlichen Alltags, hin zur Funktion der Traditionspflege in Deutschland. Orientierung 4 »Das Herkunftsland ist (hinsichtlich eines spezifischen Kontextes) besser als Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung)«
Gesamt: 6 (8,82 %)
Gruppe A: 3 (12,5 %)
Gruppe B: 0 (0 %)
Gruppe C: 3 (12,5 %)
Diskurse: A23, A24, A27, C3, C7, C27
Das Muster der Orientierung 4 stellt, ohne damit der komparativen Analyse vorgreifen zu wollen, gewissermaßen einen Spezialfall der Orientierung 2 dar. Es gelten im Wesentlichen dieselben Prinzipien und Indikatoren zur Ermittlung der Orientierung: ein spezifischer Museumskontext (als pars pro toto für Deutschland) wird mit einem analogen Kontext im jeweiligen Herkunftsland der FS verglichen. Die Besonderheit der Orientierung 4 und damit deren positiver Horizont liegen darin, dass das Herkunftsland explizit als »besser« (in qualitativer oder quantitativer Hinsicht) als Deutschland dargestellt wird. In den negativen Gegenhorizont rückt implizit die im Museum dargestellte Situation, die sich im durch die FS präsentierten Narrativ nicht mit ihrem Herkunftsland messen lassen kann.
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Empirie
Anhand des Diskurses A24485 soll die Orientierung 4 beispielhaft beleuchtet werden. Den musealen Kontext bildet das Bauernhaus aus Kleinrinderfeld. In einem Wirtschaftsraum des Hauses befindet sich ein freistehender Boiler zum Erhitzen von Wasser. In der Auseinandersetzung mit diesem erzählt Sm1 zunächst, dass es in »Syrien bis jetzt (.) diese« (847) Boiler gebe. Festzustellen ist damit zunächst, dass die beiden Bezugspunkte der Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland in der Vergangenheit Deutschlands, aber in der Gegenwart des Herkunftslandes liegen. Im Wissen darum, dass Boiler wie im Museum heutzutage in der Regel in Deutschland nicht mehr verwendet werden, weil es modernere Systeme zur Wassererhitzung gibt, versuchen Sm1 und Sm2 dennoch, ihr Herkunftsland im Vergleich zum musealen Kontext – und zur angenommenen Wirklichkeit im heutigen Deutschland – als positiv bzw. besser darzustellen. Denn die Boiler in Syrien seien im Grunde ähnlich, aber »ander[e]« (849 Sm2 und 850 Sm1). Diese seien nämlich »so::: gro::ß« (850), womit der positive Horizont der Orientierung hervorgehoben wird. Neben der offensichtlichen lexikalischen Ebene drückt sich die Positiv-Darstellung auch darin aus, wie stark die zentrale Aussage gedehnt wird. Außerdem seien die Boiler in Syrien nicht wie im musealen Kontext frei im Raum stehend, sondern »(in) der Wand« (851 Sm2 und 852 Sm1) verbaut. Diese den Diskurs abschließenden Äußerungen bilden somit ein weiteres Indiz für die Darstellung des Herkunftslandes als explizit besser im Vergleich zu Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung). Dass sich der museale Kontext (stellvertretend für Deutschland) nicht mit dem Herkunftsland messen lassen kann, bildet implizit den negativen Gegenhorizont der Orientierung. Orientierung 5 »Positiv-Konnotation des Neuen und (technischer) Entwicklung (als Indikator für Wohlstand)«
Gesamt: 5 (7,35 %)
Gruppe A: 0 (0 %)
Gruppe B: 1 (5 %)
Gruppe C: 4 (16,67 %)
Diskurse: B15, C11, C15, C21, C26
In den einzelnen Diskursen des empirischen Ausgangsmaterials setzen sich die FS mit musealen Kontexten auseinander, die sich u. a. auch hinsichtlich ihres Alters (älter, jünger) und hinsichtlich des sich in ihnen ausdrückenden Wohlstandsniveaus (arm, reich) differenzieren lassen. Den Kern und positiven Horizont der Orientierung 5 bildet die Feststellung, dass in vielen Fällen das Neue oder neu erscheinende innerhalb der Museumsausstellung explizit positiv konnotiert wird. Als »neu« lässt sich ein museales Objekt in der Auseinandersetzung der FS dann eingrenzen, wenn es aufgrund seines jüngeren Alters im Vergleich zu einem anderen faktisch neuer ist, oder wenn es aufgrund des in ihm präsenten 485 T: 844–853, I: 3809–3827.
153
Hauptuntersuchung
Wohlstandes neuer (im Sinne von besser, schöner) wirkt. Neben dieser Art der Positiv-Konnotation des Neuen, die sich in einer Differenzierung von alt und neu innerhalb der Museumsausstellung ausdrückt, wird als weitere Ausdrucksform dieses Orientierungsmusters in Einzelfällen auch der moderne (neue) Gegenwartszustand eines Kontextes im Vergleich zum im Museum präsenten historischen (alten) Zustand explizit positiv konnotiert. Der negative Gegenhorizont ist in der Abgrenzung gegenüber dem Vergangenen und Alten unter dem Gesichtspunkt des noch nicht eingesetzten Fortschritts zu suchen. Exemplarisch und sehr plakativ zeigt sich dieses Muster beispielsweise in Diskurs C26.486 Den thematischen Kontext bildet die Landwirtschaft. Auslöser des Diskurses ist ein am Rande eines Weges stehender Pflug, mit dem sich die Sm intensiv beschäftigen. So beschreibt Sm1, dass er beim Anbau von z. B. Gemüse einen solchen benötigen würde, um das Feld zu bestellen (2887–2893). Ferner beschreiben sie, dass solch ein alter Pflug von einem Tier, z. B. einem »Pferd« (2895–2896 Sm3), einer »Kuh« oder einem »Bison« (2898 Sm1) gezogen werden müsse. Im Gegensatz dazu könne man heutzutage jedoch moderne Maschinen wie einen »Traktor« (2900) einsetzen. Dieser sei, fügt Sm1 hinzu, explizit »besser« (2901). In einem späteren Zug wiederholt Sm1 diese Einschätzung nochmals fast wörtlich (2904). In der letzten Sequenz des Diskurses beschreibt Sm4, dass man auch »Esel« (2924) in der Landwirtschaft einsetzen könne. Allerdings wären »Esel langsam; geht nicht« (2924). Damit bringt Sm4 wie Sm1 zum Ausdruck, dass das Alte und die Vergangenheit unter dem Gesichtspunkt des noch nicht eingetretenen Fortschritts, konkret: die beschwerliche Arbeit auf dem Feld mit zu langsamen Tieren, implizit in den negativen Gegenhorizont rücken. Demgegenüber bilden das Neue und der Fortschritt, die explizit positiv konnotiert werden, den positiven Horizont – auch weil sie ein Indikator dafür sind, dass man sich diesen Fortschritt leisten kann, d. h. über einen gewissen Wohlstand verfügt. Somit spielt auch das Prestige, das in diesem Narrativ mit dem Neuen einhergeht, eine gewisse Rolle. Orientierung 6 »Stereotype, Schemata und Dogmen zur Annäherung an und Erschließung eines spezifischen Kontextes«
Gesamt: 4 (5,88 %)
Gruppe A: 1 (4,17 %)
Gruppe B: 3 (15 %)
Gruppe C: 0 (0 %)
Diskurse: A10, B10, B12, B19
Das die Orientierung 6 konstituierende Merkmal besteht in der Feststellung, dass sich die FS mit einem musealen Objekt offensichtlich von Stereotypen, Schemata und Dogmen geleitet, die sie im betreffenden Kontext bestätigt und erfüllt sehen, auseinandersetzen. Diese rücken damit in den positiven Horizont. Indikator 486 T: 2887–2926, I: 5337–5393.
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Empirie
hierfür ist, dass eine bestimmte Gruppe von Objekten mit einem bestimmten als Stereotyp identifizierten Themenkomplex assoziiert wird und andere auch naheliegende und plausible Alternativen nicht in Betracht gezogen oder anscheinend wissentlich ausgeblendet werden. Diese rücken damit implizit in den negativen Gegenhorizont. Es ist festzustellen, dass die FS in ihren Äußerungen die Deutungshoheit bezogen auf die Erschließung und Deutung eines spezifischen Kontextes in den betreffenden Fällen für sich reglementieren. Diese finden unter der Prämisse statt, dass die Stereotype etc. vermeintlich einfache und allgemeingültige Aussagen über bestimmte Kontexte präsentieren und daher Äußerungen zu einem Kontext in dieser Logik zwangsläufig zutreffen. Diese Haltung ist auch bei den FS in den untersuchten Fällen zu beobachten – selbstredend in unterschiedlicher Intention und Ausprägung. Um diese Aussage zu untermauern, ist jedoch eine vergleichende Betrachtung mindestens zweier Fälle unbedingt geboten. Ein einzelner Fall liefert zwar Indizien und Anhaltspunkte. Ein schlüssiges Gesamtbild der Orientierung 6 wird jedoch erst die komparative Analyse geben können. Nichtsdestoweniger soll an dieser Stelle anhand eines Falles exemplarisch das bzw. ein Erscheinungsbild der Orientierung 6 betrachtet werden. Ausgewählt wird hierfür der Diskurs B19.487 Den thematischen Kontext bildet der Keller des Weinbauernhauses aus Retzstadt, in dem Weinfässer gelagert werden. Wichtig ist zu betonen, dass sich die FS unmittelbar davor auch mit dem Weinberg im Außenbereich beschäftig haben und daher bereits über erste Informationen zu Weinanbau und -verarbeitung verfügen. Gleich in den ersten Zügen des Diskurses formuliert Sm1 eine als vorsichtige Frage formulierte These, dass »Bier auch hier?« (1973) hergestellt würde. L hakt nach: »Was?« (1974). Und auch Sm2 verfolgt diesen Gedankengang »[m]achen Bier?« (1975). Sm1 versucht der Reaktion von L zuvor zu kommen und erwidert »[ j]a des auch« (1976). Bereits in diesen ersten Zügen wird der positive Horizont deutlich, dass die Auseinandersetzung von einem Stereotyp bedingt ist, dass in Deutschland (viel) Bier hergestellt und konsumiert wird. Das dokumentiert sich auch auf der immanenten inhaltlichen Ebene der Äußerungen. Bei bloßem Interesse hätten die Sm schlicht fragen können, was dort hergestellt (bzw. gelagert) werde. Stattdessen versehen sie ihre Fragen jedoch mit einer impliziten These, dass es sich um Bier handeln könne (oder müsse?). Nicht zuletzt die Aussage von Sm1 (1976) bestätigt die ersten Vermutungen über das Vorliegen der Orientierung 6. Verwunderlich ist zudem, dass die Sm nicht in Betracht ziehen, dass die Fässer mit dem zuvor besichtigten Weinberg und den sich in der näheren Umgebung befindenden Gerätschaften (z. B. Weinpressen) zu tun haben könnten. L erklärt, dass es sich durchaus um Bierfässer handeln könne, jedoch im konkreten Fall nicht (1978) 487 T: 1972–2009, I: 4596–4626.
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Hauptuntersuchung
und gibt damit den Hinweis, dass die Sm ihre These überdenken sollten. In weiteren Zügen berichtet Sm1, dass er solche Fässer schon einmal gesehen habe (1981) und zwar im »Fernsehen« (1985). Weiter führt er aus, dass er im Fernsehen ähnliche, aber kleinere Fässer in einem Beitrag über die Ortschaft »Ipsheim« gesehen habe (1987). Erst in diesen Zügen auf Basis des richtigstellenden Impulses von L, dass es sich nicht um Bierfässer handle, beginnen die Sm, konkret Sm1, ihre These zu überdenken. Sm1 verfolgt nun den richtigen Gedanken und erklärt »[g]ibt äh so Saft« (1990). Allerdings nähert er sich dem Ziel nur an und erreicht es nicht ganz. Sm1 wiederholt auf die Frage von L, was sich in den Fässern befände (1991), ein zweites Mal »Saft« (1992) und bestätigt dies abschließend zum dritten Mal (1994). Es ist jedoch naheliegend, dass Sm1 das Richtige meint, ihm jedoch aufgrund lexikalischer Schwierigkeiten der Begriff »Wein« nicht einfällt. Die Bearbeitung des Orientierungsmusters 6 wird an dieser Stelle abgebrochen und in den verbleibenden Sequenzen nicht weiterverfolgt. Erst in der Gesamtbetrachtung des Diskurses fällt auf, dass nicht nur die erste Annäherung an den Kontext auf der Basis von Vermutungen erfolgt, die ein Stereotyp bilden. Dass ein Überdenken der Plausibilität des Stereotyps erst nach explizitem Hinweis auf die Fehlannahme erfolgt, unterstreicht zudem das Muster der Orientierung 6. Ein negativer Gegenhorizont lässt sich wie oben beschrieben lediglich implizit darin sehen, dass durch das Festhalten an Stereotypen Alternativen nicht selbständig in Betracht gezogen werden. Orientierung 7 »Diskrepanz zwischen eigenen Vorstellungen und der vorgefundenen Wirklichkeit hinsichtlich eines spezifischen Kontextes«
Gesamt: 4 (5,88 %)
Gruppe A: 1 (4,17 %)
Gruppe B: 1 (5 %)
Gruppe C: 2 (8,33 %)
Diskurse: A6, B16, C16, C23
Eine wesentliche Prämisse für das Feststellen des zugrundeliegenden Musters der Orientierung 7 ist die Beobachtung, dass sich FS mit einem Kontext auseinandersetzen in der Annahme, dass sie alle notwendigen Kenntnisse über diesen Kontext besitzen und ihnen nichts verborgen oder unschlüssig ist. Das zentrale Moment und der positive Horizont der Orientierung beruhen in unerwarteten Widersprüchen hierzu, in der Diskrepanz zwischen eigenen Vorstellungen und der vorgefundenen Wirklichkeit. Oder verkürzt dargestellt, ist es ein Moment des Überrascht-Seins, das sich in der Auseinandersetzung dokumentiert. In den negativen Gegenhorizont rückt implizit die absolute Plausibilität und Schlüssigkeit bei der Erschließung eines Kontextes. Ohne damit der komparativen Analyse vorgreifen zu wollen, bedeutet das zwangsläufig auch, dass die Orientierung 7 nicht ausschließlich einen Diskurs konstituiert, sondern in Kombination mit einer anderen Orientierung auftritt, die die genannte Prämisse zum
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Empirie
Ausdruck bringt. Nichtsdestotrotz soll bei der Beschreibung der wesentlichen Merkmale und Indikatoren anhand eines exemplarisch auszuwählenden Diskurses einzig die Orientierung 7 selbst im Fokus stehen. Diese Beschreibung erfolgt am Beispiel des Diskurses C23.488 Den übergeordneten thematischen Rahmen bilden die Küche bzw. ein Wirtschaftsraum im Köblerhaus aus Schwimmbach. In diesem Kontext setzen sich die Sm u. a. mit einem historischen Bügeleisen auseinander. Das Moment des Überrascht-Seins und damit der positive Horizont der Orientierung drücken sich unmittelbar zu Beginn des Diskurses aus. Die Sm erkennen, dass das Gebäude selbst noch nicht elektrifiziert ist. Umso verwunderter ist Sm1, als er feststellt »aber schau mal, des aus Strom« (2838). Diesen offensichtlichen Widerspruch versucht sich Sm1 dadurch zu erklären, dass es möglicherweise »andere Haus« (2840) mit einem Stromanschluss gibt. Hervorzuheben ist, dass dieser Verwunderung eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zugrunde liegt. Zudem versucht sich Sm1 an einer sachlichen Erklärung dieses offensichtlichen Widerspruchs auf Basis seiner Kenntnisse über den konkreten, aber auch über den übergeordneten musealen Kontext. Dieser Aspekt wird von den Sm nicht weiterverfolgt. Stattdessen fokussiert Sm2 einen anderen Gesichtspunkt desselben Objekts – und ist dabei ähnlich überrascht. Er versucht das Bügeleisen in die Hand zu nehmen und stellt verwundert fest »O::::h so oh schwierig des« (2842) und meint damit, dass es unerwartet schwer ist. Anschließend versucht sich auch Sm3 daran, das Bügeleisen aufzunehmen (2844) – ebenfalls vergebens. L klärt daraufhin auf, dass das nicht am Gewicht des Objekts liege, sondern dass es direkt am Regal befestigt sei (2844). Sm3 und Sm1 bestätigen die Erklärung ihrer Verwunderung jeweils mit einem parallelen »A::h« (2846–2847). Sm2 wiederholt zum Verständnis »Alles fest« (2848). Danach wird das Muster der Orientierung 7 im weiteren Verlauf des Diskurses nicht wiederaufgenommen. Den negativen Gegenhorizont zu diesem Orientierungsmuster bildet implizit die erfolgreiche Erschließung und Deutung eines spezifischen Kontextes auf der Basis von Vorkenntnissen und eigenen Vermutungen ohne das Moment des Überrascht-Seins. Auch wenn sich diese beiden Sequenzen demselben Orientierungsmuster zuschreiben lassen, so sind dennoch auf der Ebene der Binnenstruktur feine Unterschiede auszumachen. Der erste Fall bewegt sich auf einer rein kognitiven Ebene. Die FS setzen sich betrachtend und unter Rückgriff auf ihre Vorkenntnisse mit dem Gegenstand auseinander und erkennen einen Widerspruch, der sie verwundert. Auf derselben kognitiven Ebene suchen sie nach einer möglichen Erklärung. Im zweiten Fall geht eine motorische Operation, das versuchte Aufheben des Objekts voraus. Dies führt zu der Äußerung, dass es schwer sei. Eine kognitive Auseinandersetzung und die Suche nach einer weiteren Erklärung 488 T: 2830–2867, I: 5254–5304.
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Hauptuntersuchung
finden nicht statt. Die Unterschiede dieser beiden Fälle noch tiefer zu untersuchen, würde zu weit führen. Festzuhalten ist vielmehr, dass auch die Orientierung 7 kein einheitliches Erscheinungsbild aufweist, sondern je Einzelfall individuell zu betrachten ist. Weiteren Aufschluss wird die komparative Analyse geben. 4.3.2.2 Orientierungen der Kategorie 2: tendenzielle Einzelfallspezifik Orientierung 8 »geschlechterspezifische Rollenverteilung«
Gesamt: 3 (4,41 %)
Gruppe A: 2 (8,33 %)
Gruppe B: 0 (0 %)
Gruppe C: 1 (4,17 %)
Diskurse: A17, A28, C27
Für die Orientierung 8 ist die Beobachtung konstitutiv, dass die FS die Vorstellung einer geschlechterspezifischen Rollenverteilung von Frau und Mann zum Ausdruck bringen, die damit in den positiven Horizont rücken. Dies dokumentiert sich in Narrationen, in denen insbesondere Arbeitsfelder entweder vorwiegend mit einem der Geschlechter assoziiert oder eindeutig damit verbunden werden. Beispielsweise werden körperlich anstrengende Tätigkeiten tendenziell eher Männern und haushaltsnahe Arbeiten eher Frauen zugeordnet. Interessant ist zudem, dass diese Vorstellungen sowohl aus der Perspektive von Sm als auch aus der von Sf geäußert werden. Ein negativer Gegenhorizont ist nicht explizit und allgemeingültig, sondern allenfalls fallspezifisch darin zu sehen, dass aus einem solchen Rollenverständnis individuelle Konsequenzen (Einschränkungen) resultieren können. Eine entscheidende Frage, auf die an dieser Stelle jedoch keine abschließende Antwort gegeben werden kann, ist: ob diese Vorstellungen tatsächlich die Überzeugung der FS wiederspiegeln oder ob sie daher rühren, dass die FS aufgrund entsprechender Erfahrungs- und Erlebnishorizonte (aus ihren Herkunftsländern), in denen eine solche geschlechterspezifische Rollenverteilung faktisch vorherrscht, diese zwar annehmen und akzeptieren, jedoch nicht aus Überzeugung teilen? Nichtsdestoweniger soll versucht werden, anhand des Diskurses A28489 exemplarisch die wesentlichen Merkmale und Charakteristika der Orientierung 8 zu beschreiben und zu belegen. Den thematischen Kontext bildet ein kleiner umzäunter Garten, der sich zwischen der Schmiede aus Westheim und dem Bauernhaus aus Burgbernheim befindet. Auf der Seite des Bauernhauses hängen an mehreren Zaunlatten Blecheimer und -kannen. Sf1 beschreibt, dass man in diese »Wasser« (961) fülle, um das dann »auf ähm (.) Bode- und dann« (963) »[s]auber machen« (965). Sf2 bestätigt diese Äußerung (966). Der zentrale Orientierungsgehalt und damit der positive Horizont erschließen sich erst in weiteren Zügen auf die Frage von L, wer denn saubermache (967). Sf1 erwidert, dass 489 T: 961–977, I: 3950–3973.
158
Empirie
sie »ich und mei Mama« (968) dies täten. Auf die Frage nach den Männern entgegnet sie in einem weiteren Zug lachend gesprochen »@Männer arbeiten nicht@« (971) – gemeint ist, nicht im Haushalt (972). Sf1 muss nochmals lachen (973) und Sf2 bestätigt ebenfalls lachend gesprochen »@Männer arbeiten nicht; @« (974–975). Sf1 äußert ein abschließendes validierendes »Ja« (976). Als ein möglicher Indikator der Orientierung 8 sind in dem Diskurs der persönliche Erfahrungs- und Erlebnishorizont der beteiligten Sf erkennbar, auf denen die Vorstellungen von einer geschlechterspezifischen Rollenverteilung von Mann und Frau zu gründen scheinen. Dass es sich bei dieser Narration aber nicht nur um das distanzierte und reflektierte Berichten über eigenes Erleben, sondern auch um eine bis zu einem gewissen Grad internalisierte Überzeugung bzw. Orientierung handelt, dokumentiert sich in zwei Aspekten: Die genannte Haushaltstätigkeit Saubermachen wird in der Narration erstens explizit Frauen (Mutter und Tochter) zugeschrieben. In der Art und Weise der Reaktion auf die Nachfrage nach der Beteiligung von Männern an dieser Tätigkeit dokumentiert sich zweitens ein Anhaltspunkt für die persönliche Überzeugung der Sf. Denn die Beschreibung, dass Männer diese Tätigkeit nicht ausüben würden, wird im Gegensatz zu den Äußerungen zuvor weniger sachlich und mit einer gewissen Distanz vorgetragen. Durch das stark ausgeprägte lachende Sprechen in der betreffenden Sequenz wird der eigentliche Gehalt der Äußerung – Männer beteiligen sich nicht an Haushaltstätigkeiten – durch die Verbindung mit einer widersprüchlichen eindeutig positiv-emotionalen Haltung heruntergespielt. Denn erwartbar in einer distanzierten und eher sachlichen Beschreibung wäre eine neutrale oder zumindest Enttäuschung, Ärger oder Resignation zum Ausdruck bringende Haltung, dass Männer sich der Haushaltsarbeit verweigern. Aber stattdessen wird diese Aussage ins Lustige gezogen. Die Äußerung erhält dadurch eine sarkastische Note und macht eine auf einer persönlichen Überzeugung gründende Orientierung umso plausibler. Durch die Äußerungen der Sf entsteht der Eindruck einer Selbstverständlichkeit bzw. Normalität, mit der sie die betreffenden Rollenbilder vertritt. Allerdings, dass muss nochmals betont werden, lassen sich die Art und Weise und der Grad einer möglichen Internalisierung dieser Orientierung mit den angewandten Instrumenten nicht messen. Diese Einschätzung bleibt daher vage. Ein negativer Gegenhorizont ist nicht explizit dokumentierbar, liegt jedoch implizit in den aus diesem starren Rollenverständnis heraus resultierenden (persönlichen) Einschränkungen. Orientierung 9 »Positiv-Konnotation des Spielens«
Gesamt: 3 (4,41 %) Diskurse: B19, C28, C35
Gruppe A: 0 (0 %)
Gruppe B: 1 (5 %)
Gruppe C: 2 (8,33 %)
Hauptuntersuchung
159
Im Fokus des Musters der Orientierung 9 steht das Spielen. Es zeigt sich, dass dieses in der Auseinandersetzung des FS mit einem musealen Gegenstand eindeutig positiv konnotiert wird und folglich den positiven Horizont markiert. Dabei muss der semantische Horizont des Begriffs weiter gefasst werden. Das bedeutet, dass in den untersuchten Fällen beispielsweise konkret das Spielen eines Spieles (als soziales Ereignis) positiv konnotiert wird. Zudem dokumentiert sich diese Orientierung auch auf der Ebene der Auseinandersetzung mit dem Objekt, nämlich in einer spielerischen Herangehensweise. Eine ausführliche vergleichende Betrachtung, die den beschriebenen Indikatoren besonders Raum gibt, erfolgt in der komparativen Analyse. Ein fallübergreifend gültiger negativer Gegenhorizont ist nicht festzustellen. An dieser Stelle soll exemplarisch anhand des Diskurses C35490 eine der möglichen Ausprägungen der Orientierung 9 betrachtet werden. Den übergeordneten Kontext bildet das Bauernhaus aus Höfstetten in der Baugruppe Mittelalter. In einem Teil des Gebäudes befindet sich eine Ausstellung mit in Vitrinen präsentierten archäologischen Funden vom originalen Bauplatz des Hauses. Darunter befinden sich u. a. Tonscherben und Tierknochen. Letztere werden von einigen Sm eingehend betrachtet. Eine Ansammlung kleinerer »Knochen« (3058) erkennt Sm1 wie selbstverständlich »na klar« (ebd.) als solche, mit denen man »spielen« (ebd.) kann. Er fährt weiter fort und präzisiert, dass man zum Spielen »fünf (.) kleine so« (3058) benötige. In den in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommenden Wissensbeständen von Sm1 um das Spielen mit kleinen Tierknochen dokumentiert sich zugleich, dass dieses von gewisser Bedeutung für Sm1 sein muss, womit der positive Horizont der Orientierung sichtbar wird. Sm2 nimmt unmittelbar anschließend auf Sm1mit »[k]leine Steine« (3059) bestätigend Bezug. Sm3 kennt die Verwendung von kleinen Tierknochen zum Spielen und bestätigt ebenfalls »[ j]a spielen« (3060). Sm2 und Sm3 bekräftigen jeweils ein zweites Mal das Spielen mit Knochen (3061–3062). Und Sm1 betont »[s]ehr gut spielen« (3063). In weiteren Zügen fährt Sm1 fort und nimmt auf eine Nachfrage von U (3064) Bezug, dass er das Spiel aus seinem Herkunftsland Syrien kenne und zusammen mit seinen Geschwistern – »die Brudern, (.) die Schwestern« (3065) gespielt habe. Auf eine Rückfrage von U (3068) bestätigt Sm1, dass die »Eltern auch« (3069) mitgespielt hätten. Das Spiel mit kleinen Tierknochen scheint also vergleichbar einem Gesellschaftsspiel, das nicht alleine, sondern zu mehreren Personen (z. B. der Familie) gespielt wird. Es erfüllt damit auch eine Gemeinschaft konstituierende Funktion. Dass das Spielen, wie sich beispielhaft am konkreten Fall zeigt, für die beteiligten Sm eine wichtige Funktion hat und positiv konnotiert wird, zeigt sich auch mit Blick auf die Diskursorganisation: Die Sm sind in diesem Passus des Diskurses sehr en490 T: 3058–3113, I: 5530–5585.
160
Empirie
gagiert. Die Entwicklung des Diskurses wird beinahe ausschließlich, von zwei kurzen Zwischenfragen abgesehen, durch die Sm selbst gestaltet. Zudem treten in der Diskursorganisation keine Widersprüche z. B. in Form von Divergenzen zu tage; das Orientierungsmuster wird von den Sm wechselseitig elaboriert und validiert. Ein negativer Gegenhorizont lässt sich nicht dokumentieren. Orientierung 10 »Beobachtung, Beschreibung, Analyse und Kontrolle tierischer Verhaltensweisen«
Gesamt: 3 (4,41 %)
Gruppe A: 1 (4,17 %)
Gruppe B: 2 (10 %)
Gruppe C: 0 (0 %)
Diskurse: A2, B10, B11
Kennzeichnend für das Muster der Orientierung 10 ist die Feststellung, dass sich die FS mit Tieren in der Art und Weise auseinandersetzen, dass sie auf eine erforschende und entdeckende Art ihre Verhaltensweisen beobachten, beschreiben und analysieren und ihrer Meinung nach zugrundeliegende Strukturen und Muster erkennen. Das Beobachten, Beschreiben und Analysieren tierischer Verhaltensweisen – wie ein Forscher – bildet damit den positiven Horizont der Orientierung. Gleichzeitig ist als weitere Indikator auch ein Moment der Kontrolle über die Situation darin zu erkennen, dass die FS die Tiere zu nach ihrer Ansicht für das jeweilige Tier typischen und damit adäquaten Verhaltensweisen bewegen wollen. Ein negativer Gegenhorizont tritt implizit darin zutage, wenn die tatsächlichen Verhaltensweisen der Tiere die FS nicht in ihren Rollen als Forscher bestätigen, weil sie abweichen oder ausbleiben. Exemplarisch lässt sich dieses Orientierungsmuster anhand des Diskurses B10491 nachweisen. Ein im Außenbereich des Bauernhauses aus Seubersdorf liegender Schweinepferch bildet den Kontext des Diskurses. Schweinegrunzen im Hintergrund steht am Anfang des Diskurses. In einem Stimmengewirr, an dem mehrere FS beteiligt sind und aus dem keine einzelnen Äußerungen separiert und zugeordnet werden können, ist zumindest zu erkennen, dass die FS das Verhalten der Ferkel und der Sau kommentieren (1773). Dem geht zwangsläufig eine Phase der Beobachtung voraus und/oder findet parallel statt. L bestätigt, dass das Ferkel wohl trinken wolle (1774). Sm1 nimmt darauf Bezug und schließt »[ j]a wenn wenn Vater gehen-« (1775), wird jedoch von L unterbrochen. Hier ist bereits ein erstes Indiz des positiven Horizonts erkennbar, dass Sm1 zunächst – mit den übrigen FS – das Verhalten der Schweine beobachtet, anschließend beschreibt und in seinem letzten Zug daraus den Schluss zieht, dass die Ferkel nur zusammen mit ihren Eltern trinken gehen. Allerdings beobachtet Sm1 auch, dass der Vater kein zweites Schwein neben sich beim Trinken duldet und die Ferkel beiseite schubst: »Wenn Vater will trinken; Sohn, Sohn nicht trinken« 491 T: 1722–1794, I: 4352–4424.
161
Hauptuntersuchung
(1777). L bestätigt diese Schlussfolgerung, dass zuerst die Eltern an der Reihe wären (1778). In einer späteren Sequenz beobachtet Sm1 das Sozialverhalten der elterlichen Schweine untereinander und stellt mit einem kritischen Unterton fest, »[w]arum Mann schlafen und Mutter so arbeiten? Nicht=gut« (1784). Sm1 bewegt sich damit von der reinen Beobachtung, Beschreibung und Analyse des Verhaltens weg zu einer Ebene der Bewertung dessen. L löst die Situation auf, dass die Mutter nicht arbeite, sondern trinke (1786–1787). M fügt hinzu, dass die Mutter mehr Bedarf an Wasser hat, aber als das schwächere Schwein oft den Kürzeren ziehe (1788–1789). Anschließend bewegt sich Sm1 wieder zurück auf die Ebene der Beobachtung und Beschreibung, als er Streitigkeiten und Rivalitäten und den Ferkeln beim Zugang zum Wasser – »er will das Wasser allein« (1791) – erkennt. L stimmt dem zu 1793). Sm2 bestätig dies abschließend mit einem lachend gesprochenen »@Ja@« (1794). Unbedingt festzuhalten ist, dass dieses Orientierungsmuster maßgeblich durch nur einen Sm gestaltet wird. Die übrigen FS bringen sich nur zu sporadisch ein. Daher kann die Frage nicht beantwortet werden, ob diese die Orientierung mittragen oder nicht. Zumindest ist jedoch keine offenkundige Opposition hierzu erkennbar, die sich auf der Ebene der verbalen Äußerungen dokumentieren würde. Auch der negative Gegenhorizont, der in der Breite der Ausprägungsformen des Orientierungsmusters zutage tritt, lässt sich in diesem Diskurs nicht nachweisen. Orientierung 11 Gesamt: »wertvolle Dinge müssen si2 (2,94 %) cher aufbewahrt und geschützt Diskurse: werden« B24, C12
Gruppe A: 0 (0 %)
Gruppe B: 1 (5 %)
Gruppe C: 1 (4,17 %)
Kennzeichnend für das Muster der Orientierung 11 ist das Moment des Entdeckens, das sich bei den jeweiligen FS beobachten lässt. Zwar ist dieses auch in vielen anderen Kontexten festzustellen, ohne hierbei spätere Erkenntnisse der komparativen Analyse vorwegnehmen zu wollen, jedoch bei dieser Orientierung in einer besonderen Form. Die FS erschließen sich einen Kontext, in dem sie etwas Besonderes zu entdecken glauben wie bei einer Schatzsuche, etwas Wertvolles, weil sie das konkrete museale Objekt ihrer Auseinandersetzung mit dem Verbergen und Schützen wertvoller Dinge assoziieren. Die Haltung, dass wertvolle Dinge sicher aufbewahrt und geschützt werden müssen, bildet den positiven Horizont. Ein fallübergreifend gültiger negativer Gegenhorizont ist nicht festzustellen. In den untersuchten Fällen zeigt sich, dass die Zugangsweise zu den Objekten und damit die Ausprägung der Orientierung sich fallspezifisch unterscheiden – von eher abstrakt und distanziert bis hin zu persönlich betroffen.
162
Empirie
Eine dieser Ausprägungsformen soll exemplarisch am Beispiel des Diskurses C12492 untersucht werden. Den Kontext bildet ein zunächst unscheinbarer Raum im Bauernhaus aus Unterlindelbach. In diesem setzen sich die FS mit einer großen, schweren Holztruhe auseinander. Der Diskurs beginnt unmittelbar mit einer Äußerung von Sm1, der in der »Kiste Kleider« (2670) vermutet. Kleider können bereits etwas sehr Wertvolles sein. Sm2 steigert die Aufzählung des möglichen Inhalts und vermutet »Gold« (2671) darin. Sm1 stimmt Sm2 zu und wiederholt »Gold« (2672). In diesen ersten Zügen dokumentiert sich der positive Horizont und das bereits beschriebene Moment des Entdeckens, das dadurch bedingt wird, dass die Sm in der Truhe eine Art Schatztruhe für wertvolle Dinge sehen. In der anschließenden Sequenz klärt sich sodann, wo die Vorstellungen der Sm herrühren. Sm4 erzählt, dass es »Filme […] so wie alte in Syrien gibt so diese von Kleidung; […] wen ich habe (.) Gold, […] kann hier liegen« (2675– 2676). Außerdem könne man auch Schlachterzeugnisse in einer solchen Truhe aufbewahren (2677). Davon abgesehen, dass Sm4 nochmals den möglichen wertvollen Inhalt einer solchen Truhe aufzählt, ist es wichtig festzuhalten, dass er hierbei auf in alten syrischen Filmen präsentierte Narrative zurückgreift, die sein Bild einer Schatztruhe maßgeblich prägen. Die anderen Sm nehmen auf die Ausführungen von Sm4 nicht direkt Bezug, jedoch ist es wahrscheinlich, dass bei ihnen ähnliche Narrative präsent sind. Bei der hohen Interaktionsdichte des Diskurses wäre andernfalls ein offener Widerspruch der Sm zu erwarten gewesen. Die sich versichernde Nachfrage von L, ob es sich um eine Schatztruhe voller »Geld und Gold« (2678) handele, wird von Sm3 abschließend bejaht (2679). Abschließend ist der Einordnung wegen festzuhalten, dass die Ausprägung der Orientierung 11 in diesem Fall wegen ihrer Grundlage, in Filmen transportierte Narrative, eher abstrakter Natur ist. Ein negativer Gegenhorizont lässt sich nicht dokumentieren. Orientierung 12 »Achtung und Ehrfurcht vor großen, starken Tieren«
Gesamt: 2 (2,94 %)
Gruppe A: 0 (0 %)
Gruppe B: 2 (10 %)
Gruppe C: 0 (0 %)
Diskurse: B7, B16
Ein außergewöhnliches Erscheinungsbild hat die Orientierung 12. In dieser dokumentiert sich im Rahmen der Auseinandersetzung mit großen, starken Tieren der positive Horizont in Gestalt der Achtung und Ehrfurcht vor diesen. Das Außergewöhnliche beruht darin, dass Bewunderung auf der einen und Respekt vor dem Tier auf der anderen Seite sehr eng beieinanderliegen. Aussehen (z. B. die Farbe) und Größe lassen sich dabei als Indikator für den Wert des Tieres 492 T: 2670–2683, I: 5044–5076.
163
Hauptuntersuchung
ausmachen und rufen Achtung und Bewunderung hervor. Die Größe des Tieres – zusammen mit möglichen körpereigenen Waffen – ist aber gleichzeitig auch Indikator für die Kraft und potenziell Gewalt, die von dem Tier ausgehen kann. Diese rücken damit implizit in den negativen Gegenhorizont. Exemplarisch zeigt sich dieses Muster in Diskurs B7.493 Den Kontext des Diskurses bildet ein Stall im Bauernhaus aus Seubersdorf. Fokus der Auseinandersetzung sind darin befindliche Pferde. Im ersten Zug des Diskurses beschreibt Sm1 »[d]iese schwarze Pferd ist sehr teuer« (1616). Auch Sm2 und Sm3 wiederholen jeweils, dass das Pferd »[t]euer« (1618–1619) sei. In einem etwas späteren Zug hebt Sm1 hervor, dass das Pferd »so große« (1622) sei. In diesen Zügen dokumentiert sich bereits der positive Horizont in Gestalt einer gewissen Bewunderung für und Achtung vor dem Pferd, weil es groß und schwarz ist – zumindest für schwarz gehalten wird. M klärt auf, dass die Farbe ein sehr dunkler Braunton sei (1621). Die Ehrfurcht vor dem Pferd und der implizite negative Gegenhorizont dokumentiert sich in einer späteren Sequenz. Sm1 äußert »hab ich Angst« (1635) und Sm3 ergänzt zustimmend »[ j]a so Kopf groß« (1636). Die Größe des Tieres wird hier eindeutig als Indikator für daraus möglicherweise resultierende Kraft und Gewalt gesehen. Auf das Tor der Box verweisend, fragt Sm1, ob das Pferd »das machen kaputt?« (1638). M beschwichtigt, dass das Pferd das zwar könne, wenn es »unbedingt raus will« (1643–1644), dass es das aber nicht machen würde, »[n]ei:::n; nein« (1640). Sm1 scheint jedoch an dieser Überzeugung festzuhalten und fragt weiter: »Macht alle kaputt? Mensch auch?« (1645). M reagiert unmittelbar »[n]ein; nein« (1646) und auch L beruhigt »[n]ein; nein, machen nicht« (1647). Dieser Diskurs zeigt sehr plastisch und eindrücklich, wie dicht Achtung vor und Bewunderung für ein Tier und Ehrfurcht vor der Kraft und Gewalt des Tieres beieinanderliegen können. Wobei der positive Horizont und die Bewunderung zu überwiegen scheinen, da in einer späteren Sequenz des Diskurses, in denen dieses Muster jedoch nicht mehr unmittelbar weiterbearbeitet wird, Sm1 darum bittet, das Tier füttern zu dürfen, was jedoch untersagt wird (1648–1653). 4.3.2.3 Orientierungen der Kategorie 3: absolute Einzelfallspezifik Orientierung 13 »Negativ-Konnotation der Verrichtung schwerer Arbeit durch kleine Kinder«
Gesamt: 1 (1,47 %)
Gruppe A: 1 (4,17 %)
Gruppe B: 0 (0 %)
Gruppe C: 0 (0 %)
Diskurs: A1
Den Kern der Orientierung 13 bildet die Feststellung, dass das Verrichten schwerer Arbeit durch kleine Kinder negativ konnotiert wird, die damit den 493 T: 1615–1667, I: 4268–4327.
164
Empirie
positiven Horizont bildet. Dieser beruht auf der Kausalität, dass die Eigenschaft eines Kindes »klein« im Sinne von »jung« als Grund angeführt wird, warum es nicht schwer arbeiten darf. Entsprechend wird das Verrichten schwerer Arbeit durch Kinder, fände sie gemäß dieser Kausalität statt, negativ konnotiert. Ein negativer Gegenhorizont ist nicht festzustellen. Gleichzeitig findet jedoch die Auseinandersetzung, in der sich dieses Muster dokumentiert, mit einer gewissen Unbekümmertheit statt, als wäre es selbstverständlich, dass Kinder keine schwere Arbeit verrichten (müssen). Dieses Muster tritt in Diskurs A1494 zutage. Den thematischen Kontext des Diskurses bildet eine Scheune, die Teil des Ensembles des Bauernhofes aus Seubersdorf ist. In dieser werden zahlreiche landwirtschaftliche Geräte und Fahrzeuge ausgestellt. Zudem befinden sich Hühner in der Scheune. Das Orientierungsmuster 13 kommt erst in der letzten Sequenz des Diskurses nach einer bereits intensiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zum Vorschein. Kontext und Vorbedingung ist eine Erzählung von Sm1, dass sein Großvater Pferde, Hühner, Kühe und Schafe besessen habe (250). Daraufhin fragt U nach, ob Sm1 auch bei der Arbeit auf dem Hof des Großvaters geholfen habe (252). Darauf reagiert Sm1 mit einer Äußerung, die die bereits skizzierte Kausalität beinhaltet und den positiven Horizont formuliert: »Nein, weil das ganz @schwierig@ und weil bin ich klein« (254). Hervorzuheben ist, dass der Bestandteil der Äußerung, der die Arbeit als schwer (»Schwierig«) klassifiziert, lachend gesprochen wird. Die Aussage gewinnt dadurch eine lustige, humorvolle Note und die Orientierung selbst büßt dadurch etwas an Prägnanz und Schärfe ein, als wenn die Aussage mit einer tendenziell ernsten emotionalen Haltung vorgetragen würde. Die oben genannte Unbekümmertheit tritt hierin besonders hervor. Orientierung 14 Gesamt: »liberale, eigenverantwortliche 1 (1,47 %) Auslegung muslimischer VorDiskurs: schriften« B4
Gruppe A: 0 (0 %)
Gruppe B: 1 (5 %)
Gruppe C: 0 (0 %)
Der Rahmen der Orientierung 14 spannt sich in einem Feld auf, für das kulturelle Besonderheiten konstitutiv sind. Die Ausprägungen dieser Besonderheiten und die Haltung zu diesen können dabei ebenso vielfältig und individuell sein, wie es beteiligte Akteure gibt. Für Außenstehende kann es daher schwer sein, mit diesem heterogenen Gesamtbild umzugehen. Eine Folge kann die Ausbildung von Stereotypen sein, die de facto komplexe Sachverhalte vermeintlich leicht erklären. Über den muslimischen Kulturkreis existiert die weit verbreitete Annahme 494 T: 220–254, I: 3156–3204.
Hauptuntersuchung
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von einer sehr strengen Durchsetzung religiöser Vorschriften. In der Orientierung 14 dokumentiert sich das Gegenteil: den positiven Horizont bildet eine liberale, eigenverantwortliche Auslegung muslimischer Vorschriften, der eine »unaufgeregte«, rationale Haltung zum Ausdruck bringt. Fokussiert wird dabei ein bestimmter Kontext, der Alkoholkonsum. Dass es sich um einen kontroversen Themenkomplex handelt, zeigt sich auch darin, dass die Haltung zu dieser Orientierung, bis hin zu einer fundamentalen Opposition dazu, stark differiert. Eine Synthese und gleichzeitig einen negativen Gegenhorizont bildet die Haltung, dass eine individuelle liberale Handhabung muslimischer Vorschriften durchaus denkbar ist, jedoch mit dem Verlust des gesellschaftlichen Status und dem Ausschluss aus der (muslimischen) Gemeinschaft einhergehen kann. Dieses breite Spannungsfeld, in dem sich die Orientierung 14 bewegt, zeigt sich in Diskurs B4.495 Den thematischen Kontext bildet der Hopfenstadel aus Thalheim. Die FS setzen sich mit Hopfenanbau und -verarbeitung auseinander und dass es sich dabei um eine Zutat für das Bierbrauen handelt. In einer späteren Sequenz des Diskurses bestätigt Sm2 eine Frage von L (1508), dass man in seinem Herkunftsland Bier kaufen könne (1509). Auch das man es trinken könne (1510), wird von Sm2 mit »Ja« (1511) bestätigt. Auf die etwas stutzende Nachfrage von L, ob Muslime Alkohol trinken dürften, bestätigen sowohl Sm2 als auch Sm1 nacheinander und doppelt mit »Ja« (1513–1514, 1516–1517). In diesen Äußerungen, selbst wenn sie rein bestätigend sind, dokumentiert sich bereits der positive Horizont der Orientierung 13. Würden die Sm eine andere Haltung einnehmen, könnten sie das auch ausdrücken. Das zeigt sich auch darin, dass es anschließend Sf1 ist, die mit einem doppelten entrüsteten »Hä::::?« (1518) in Opposition zu dieser Orientierung tritt. Sm3 nimmt hingegen wieder die Haltung von Sm1 und Sm2 ein und stimmt zu »gibt […] Muslime trinken Alkohol« (1520). L fragt nochmals ungläubig nach (1521). Danach verbindet Sm3 in seiner Äußerung Synthese und negativen Gegenhorizont: »Wenn trinken Alkohol, danach nicht (mehr) Moslem« (1522). In dieser Äußerung dokumentiert sich, dass eine liberale, eigenverantwortliche Auslegung und Handhabung muslimischer Vorschriften zum Ausschluss aus der muslimischen Glaubensgemeinschaft und damit zwangsläufig auch mit gesellschaftlicher Ausgrenzung einhergehen kann. Gleichzeit zeichnet sich diese Äußerung durch ein hohes Maß an Rationalität und auch Reflexion aus. In einem weiteren Zug fügt Sm3 daher hinzu »[i]n Syrien gibt […] Verkäufere Biere, aber nicht trinken« (1526) und beschreibt darin die offensichtlich herrschende Praxis, um diesem Ausschluss zu entgehen. Abschließend äußert Sm2, gleichsam in einer Konklusion, dass es auch andere Glaubensrichtungen mit ähnlichen Vorschriften den Alkoholkonsum betreffend gebe, dass es allerdings genauso auch »gibt Muslime, trinken Alkohol« (1532). In 495 T: 1487–1563, I: 4159–4228.
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Empirie
diesem Zug werden die möglicherweise strengen muslimischen Vorschriften relativiert, da es ja auch andere Religionen gibt, in denen ähnliches gilt. Und gleichzeitig kommt nochmals eine liberale Haltung zu den muslimischen Vorschriften zu Ausdruck, da wie selbstverständlich und ohne Wertung, fast schon beiläufig, erwähnt wird, dass es auch Alkohol trinkende Muslime gibt. Abschließend bleibt festzuhalten, dass von einer Mehrheit der am Diskurs beteiligten FS die Orientierung 14 mitgetragen wird. Einzig eine Sf tritt in Opposition hierzu. Die Synthese besteht darin, dass eine individuelle, liberale Auslegung und Handhabung muslimischer Vorschriften möglich sind, aber mit dem Ausschluss aus der muslimischen Glaubensgemeinschaft und möglicherweise gesellschaftlicher Ausgrenzung einhergehen kann. Es lassen sich jedoch keine Erkenntnisse hierüber gewinnen, welche Tragweite ein solcher Ausschluss haben kann, d. h. ob er eher formaler Natur ist und faktisch wenig Konsequenzen für den Einzelnen nach sich zieht oder ob er mit weitreichenden Konsequenzen verbunden ist. Diese Frage muss unbeantwortet bleiben. Orientierung 15 »Negativ-Konnotation der Situation im Herkunftsland im Vergleich zu Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) hinsichtlich eines spezifischen Kontextes«
Gesamt: 1 (1,47 %)
Gruppe A: 0 (0 %)
Gruppe B: 0 (5 %)
Gruppe C: 1 (4,17 %)
Diskurs: C16
Während es in den Orientierungen 2 und 4, ohne hierbei der komparativen Analyse vorgreifen zu wollen, den FS darum geht, das eigene Herkunftsland möglichst positiv, d. h. mit Deutschland vergleichbar oder besser darzustellen, tritt in der Orientierung 15 die gegenteilige Haltung zutage: der positive Horizont besteht darin, dass hinsichtlich eines spezifischen Kontextes die analoge Situation im Herkunftsland im Vergleich zu Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) explizit negativ konnotiert wird. Das Muster ist dabei derart aufgebaut, dass sich die Sm zunächst mit einem Kontext auseinandersetzen, ohne hierbei einen Vergleich zwischen Deutschland (dem Museum) und ihrem Herkunftsland vorzunehmen. Erst bei genauerer Betrachtung stellen sie jedoch fest, dass das Herkunftsland gegenüber Deutschland hinsichtlich dieses Kontextes schlechter gestellt ist und z. B. Defizite oder einen Mangel an etwas aufweist. Die Auseinandersetzung findet also nicht deswegen statt, weil eine erkannte Diskrepanz zwischen Deutschland und dem Herkunftsland näher beleuchtet werden soll, diese Erkenntnis stellt sich erst im Laufe des Diskurses ein. Die Abgrenzung gegenüber Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung), das in dem betreffenden Kontext gegenüber dem Herkunftsland im Vorteil (überlegen) ist, bildet implizit den negativen Gegenhorizont.
Hauptuntersuchung
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Dieses Muster dokumentiert sich ausschließlich in Diskurs C16.496 Den thematischen Kontext bildet die Stube im Erdgeschoss des Bauernhauses aus Seubersdorf. Eines der Objekte, mit denen sich die Sm in dieser auseinandersetzen, ist ein Ofen zum Beheizen der Stube und der angrenzenden Räume. Sm1 beginnt die Sequenz, in der das Orientierungsmuster zutage tritt, mit der Äußerung, dass es (vermutlich in den Museumshäusern) »[v]iele Ofen« (2743) gebe. Sm2 nimmt darauf Bezug und stellt fest, dass dieser Ofen »sehr groß« (2745) sei. Daraus schlussfolgert Sm3 wiederum: »Dieser Ofen braucht viel Holz« (2749). U bestätigt diese Einschätzung (2750). Diese Erkenntnis veranlasst Sm3 zu der Frage: »Und früher war Holz so, kann ich nehmen oder kaufen oder?« (2751). U führt daraufhin aus, dass Bauern oftmals selbst Wald besessen und so ihren Bedarf an Brennholz auch selbst hätten decken können (2752). Erst die darauffolgende Äußerung ist als diejenige zu identifizieren, in der das Muster der Orientierung 15 erstmalig und ausschließlich zutage tritt. Sm3 äußert zunächst ein missmutiges »Mhm« (2753). Nach einer etwa dreisekündigen Pause fährt er fort: »in Syrien bis jetzt Holz kaufen« (2753). Den positiven Horizont bildet somit die Erkenntnis, dass das eigene Herkunftsland gegenüber Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) schlechter gestellt ist. Der identifizierte Mangel wird darin ausgemacht, dass die Versorgung mit Brennholz von dem widrigen Umstand begleitet wird, dass dieses bis heute eingekauft werden muss und offensichtlich keine Möglichkeit erkannt wird, sich dieses z. B. durch die Pacht von Wald selbst zu beschaffen. In dieser Abgrenzung rückt Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung), das gegenüber dem Herkunftsland im Vorteil ist, implizit in den negativen Gegenhorizont. Allerdings bleibt es bei dieser einen missmutigen Äußerung von Sm3. Das Muster wird weder von ihm noch von den anderen Sm weiterbearbeitet. 4.3.3 Kommunikative Validierung 4.3.3.1 Methodik und Durchführung Als wesentlicher Bestandteil qualitativ-empirischer Forschungsdesigns wurde eine kommunikative Validierung der Befunde (der reflektierenden Interpretation) durchgeführt. Der zeitliche Abstand zwischen der Hauptuntersuchung im Mai und der Validierung im November 2017 betrug sechs Monate. Von den ursprünglich 18 FS der Untersuchung standen für die Validierung noch 17 FS zur Verfügung. Ein Sm der Gruppe C hatte die Schule inzwischen verlassen.
496 T: 2737–2758, I: 5144–5198.
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Empirie
Von den 15 ermittelten Orientierungen wurden sechs stichprobenartig überprüft. Es handelte sich dabei einerseits um die Orientierung 1497 und O2, die zum einen eine stark fallübergreifende Struktur aufweisen und auf die sich zum anderen weitere Orientierungen mit tendenzieller bis absoluter Einzelfallspezifik bei weiterer Abstraktion reduzieren lassen und die damit die beiden zentralen Orientierungen bilden. Andererseits wurden exemplarisch die O3 und O5 (fallübergreifende Struktur) sowie die O6 und O8 (tendenzielle Einzelfallspezifik) für die Validierung herangezogen, da sie: a) mit Blick auf die Hauptuntersuchung und die bisherigen Analyseschritte aus der Gesamtheit der Orientierungen als besonders markant und präzise abgrenzbar hervortreten und b) für das Spektrum unterschiedlicher Orientierungen als repräsentativ gelten können und damit auch Rückschlüsse auf die nicht im Rahmen der Validierung überprüften Orientierungen erlauben. Die Validierung wurde nach dem folgenden Ablaufplan durchgeführt: Je Orientierung wurde für jede der Gruppen, bei der sich selbige nachweisen lässt, mindestens ein Ausstellungskontext des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim ausgewählt, den die Gruppe bei der Hauptuntersuchung besucht hat und bei deren Auseinandersetzung mit diesem die jeweilige Orientierung zutage getreten ist. Dabei wurde darauf geachtet, insgesamt möglichst wenig unterschiedliche Kontexte auszuwählen, d. h. nach Möglichkeit solche, bei denen sich mehrere Orientierungen nachweisen lassen. So wurde eine intensivere Auseinandersetzung gewährleistet, als wenn zwangsläufig nur oberflächlich eine große Zahl unterschiedlicher Kontexte betrachtet worden wäre. Um die Reflexion zu erleichtern, wurden Fotos dieser Ausstellungskontexte via Beamer präsentiert. Im ersten Schritt rekapitulierte U sodann die jeweilige Situation der Hauptuntersuchung und paraphrasierte den in der Auseinandersetzung mit dem musealen Gegenstand entstandenen Diskurs der entsprechenden Gruppe. Im zweiten Schritt präsentierte U die den referierten Diskursen gemeinsame und aus diesen ermittelte Orientierung in einer abstrahierten und für die FS nachvollziehbaren Form. Im dritten Schritt moderierte U, unterstützt durch L, die reflexive Auseinandersetzung der FS mit den jeweiligen Einzelfällen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen. Die skizzierten drei Schritte wiederholten sich bei jeder der exemplarisch zu validierenden Orientierungen. Der dritte Schritt wurde mittels eines Audioaufnahmegerätes festgehalten. Da keine linguistisch-präzise Analyse erfolgt, wurde auch kein Transkript angefertigt. Das Protokoll wurde durch das Abhören der Aufzeichnungen rekonstruiert; die Sprecherbeiträge sind in indirekter Rede wiedergegeben.
497 Im Folgenden O1, fortlaufende Nummerierung entsprechend der jeweiligen Orientierung.
Hauptuntersuchung
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4.3.3.2 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen Das Protokoll der kommunikativen Validierung liegt im Anhang B498 vor. An dieser Stelle werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse und die im Prozess der Validierung beobachteten Phänomene beschrieben und mit Blick auf die weitere Analyse schlussfolgernd eingeordnet. In Bezug auf letztere war im Rahmen der Validierung festzustellen, dass es den FS zu Beginn schwerfiel, sich auf einer abstrakten Ebene mit konkreten Situationen der Erhebungen auseinanderzusetzen, sich also nicht mehr darüber auszutauschen, was bei der Erhebung als interessant empfunden wurde, sondern warum, wie sich das geäußert hat und welche Orientierungen darin zutage treten. Folglich nahm der Einstieg in die Reflexion bei den jeweiligen Einzelfällen etwas mehr Zeit und Anstrengung in Anspruch. Nach einer Eingewöhnungsphase konnte jedoch mit einer strukturierten Validierung nach dem oben beschriebenen Muster fortgefahren werden. Durch gezielte Nachfragen und Impulse war es möglich, das für die Validierung nötige Abstraktionsniveau zu erreichen. Das Protokoll setzt an dieser Stelle ein und gibt ausschließlich die Auseinandersetzung der FS mit den dargebotenen Kontexten wieder. Die zwei zentralen Erkenntnisse daraus werden im Folgenden dargelegt: Erstens wurden die Orientierungsmuster, die für die Validierung exemplarisch ausgewählt wurden, von den FS im Wesentlichen als zutreffend bestätigt. Um sich zu vergewissern, dass mit der komparativen Analyse auf Basis der reflektierenden Interpretation fortgefahren werden kann, ist dies die grundlegende Prämisse. Denn bis einschließlich des Schritts der reflektierenden Interpretation beruhen sämtliche Schlussfolgerungen trotz aller methodischen Präzision und Kontrolle auf dem subjektiven Urteilsvermögen des Forschenden. Erst die Validierung fördert zutage, ob die bis dahin als vorläufig zu betrachtenden Ergebnisse der Analyse entweder deckungsgleich mit den Intentionen und Absichten der FS sind oder mit diesen eine zumindest ausreichend große Schnittmenge besitzen, um Aussagekraft und Reichweite der Erkenntnisse zu stützen. Der Blick in das Protokoll zeigt, dass diese Bedingung als erfüllt betrachtet werden kann. Die O1 wird von mehreren Sm und einer Sf unabhängig voneinander bestätigt: Sie hätten Kontexte interessiert, die ihnen bekannt seien und zu denen sie etwas gewusst hätten (5586–5597). Neben dieser abstrakten Bestätigung nimmt ein Sm auch sehr konkret Bezug auf einen Einzelfall, eine Küche und beschreibt, was er darin kenne und weswegen er den betreffenden Kontext interessant fände (5588– 5589). Auf eine differenzierte Haltung zur O1, die sich ebenfalls in der Validierung dokumentiert, wird im zweiten Punkt näher einzugehen sein.
498 Ab S. 455.
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Empirie
Die Validierung der O2 dokumentiert sich weniger explizit. Die FS bestätigen zunächst nicht auf einer abstrakten Ebene, dass sie Kontexte als interessant empfunden hätten, in denen eine Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) zutage tritt. Vielmehr verifizieren mehrere Sm und eine Sf die O2 indirekt, indem sie konkret auf die zu besprechenden Einzelfälle (z. B. eine Getreidemühle, einen Backofen oder Öfen zum Heizen) eingehen und erklären, dass ihnen bestimmte Kontexte aus ihrem jeweiligen Herkunftsland bekannt wären. Diese seien dort entweder früher auch so gewesen oder sind dies heute noch (5598–5611). Erst in der weiteren Auseinandersetzung bestätigen die FS die O2 auch auf abstrakter Ebene (5612–5620). Differenzierte Ansichten zur O2 werden später eingehend beleuchtet. Die Validierung der O3 folgt einem ähnlichen Muster wie die der O2. Die Bedeutung sozialer Bezugssysteme wird zunächst indirekt anhand konkreter Einzelfälle bestätigt. So berichten ein Sm und eine Sf bezugnehmend auf einen gemauerten historischen Backofen, dass zu Feiern und besonderen Anlässen die Zubereitung von Speisen gemeinsam in der Familie Tradition habe (5621–5624). Ein weiterer Sm berichtet davon, dass es ihm Freude bereite, gemeinsam mit der Familie Dinge zu bewerkstelligen (5626–5628). Erst in einer abschließenden Stellungnahme reflektiert ein Sm die O3 auch abstrakt, dass es nicht möglich sei, alle Aufgaben alleine zu bewältigen, dafür brauche es z. B. eine Familie, die zusammenhilft (5629–5630). Der Blick auf die Validierung der O5 zeigt, dass die Reflexion der PositivKonnotation des Neuen durch die FS sehr differenziert vorgenommen wird. Diese Aspekte werden allerdings, wie oben beschrieben, erst im zweiten Punkt näher beleuchtet. Für den Moment ist festzuhalten, dass auch die O5 als im Wesentlichen zutreffend bestätigt wird. Manches, erklärt ein Sm, könne man mit alten wie neuen Dingen gleich gut tun, aber neue Dinge wären oft schöner und die Arbeit wäre einfacher und komfortabler (5636–5637). Es müsse auch finanziell und mit Blick auf den Nutzen abgewogen werden; wenn jedoch nichts dagegenspreche, wäre etwas Neues schon besser, fügt ein Sm hinzu (5639–5640). Die Validierung der O6 findet überwiegend auf einer konkreten Ebene statt. Ein Sm beschreibt, dass ein ihm bekanntes Stereotyp, nicht nur über Deutschland, sondern über Europa allgemein, sei, dass dort viel Bier konsumiert werde (5641–5642). Zunächst abstrakt äußert ein anderer Sm, dass noch andere Vorstellungen das Bild von Deutschland determinieren würden. Konkret nennt er, dass es viele ältere, aber nur wenige junge Menschen gebe (5643). Mehrere Sm und Sf nennen weitere Vorstellungen über Deutschland, die sie bereits in ihren Herkunftsländern gehabt hätten (5645–5648). Es zeigt sich, dass es für die meisten FS zu komplex und schwierig war, sich mit der O6 auf einer ausschließlich abstrakten Ebene auseinanderzusetzen. Nichtsdestoweniger wird diese von den Sm insofern als zutreffend bestätigt, indem sie einige ihnen be-
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kannte Stereotype (Über Deutschland) aufzählen, die folglich auch die Auseinandersetzung mit einem musealen Kontext, der einen vergangenen Ausschnitt von Deutschland abbildet, bedingen können. Was hier exemplarisch für Stereotype überprüft wird, kann gleichermaßen auch für Dogmen Schemata gelten. Die letzte beispielhaft zu validierende Orientierung bildet die O8, in der eine geschlechterspezifische Rollenverteilung (von Frau und Mann) zum Ausdruck gebracht wird. Deren Reflexion fördert wiederum ein differenziertes Bild zutage, was, wie oben angedeutet, erst im zweiten Punkt näher beleuchtet wird. Bestätigt wird die O8 in mehreren teils abstrakten, teils eher konkreten Äußerungen. Eine Sf urteilt, dass es typische Frauen- und Männeraufgaben gebe und das auch sinnvoll sei (5651–5652). Ein Sm stimmt dem zu und nennt mit häuslicher Arbeit und Kindererziehung Aufgabenbereiche, die tendenziell Frauen zuzuordnen seien (5653–5654). Eine Sf bejaht diese Haltung (5655). Wenngleich die Thematik, wie anschließend noch zu zeigen sein wird, von den FS differenziert betrachtet wird, kommen ein Sm und eine Sf zu dem Schluss, dass es definitiv so sei, dass Männer in bestimmten Aufgabenfeldern besser aufgehoben seien als Frauen und umgekehrt (5659–5662). Zweitens ist bei vier von sechs der Validierung unterzogenen Orientierungen eine deutlich differenzierte und reflektierte Haltung der FS zu ihren im Rahmen der Erhebung getätigten Äußerungen festzustellen. Diese werden in den exemplarisch beleuchteten Fällen konsequent relativiert, von mindestens einem, oft jedoch mehreren FS. Hinter dem als »Relativierung« bezeichneten Phänomen lässt sich eine den betrachteten Einzelfällen bzw. Diskursen gemeinsame Struktur identifizieren. Dadurch ist eine präzisere Beschreibung dieses Phänomens möglich. Das Konzept der so genannten »social desirability«, vor allem durch die Arbeiten von Edwards grundlegend erforscht,499 beschreibt das Spezifikum, »daß Befragte generell dazu neigen, sich bei der Beantwortung von Fragen selbst solche Eigenschaften zuzuweisen, die die im normativen System ihrer Bezugswelt als ›sozial erwünscht‹, d. h. als Zugangskriterien für Gratifikationen gelten«.500 Reinecke gibt dieser »Tendenz des Befragten […], sich günstig zu präsentieren«,501 den Status einer Persönlichkeitseigenschaft. Ähnlich betrachten es auch Schnell, Hill und Esser, die in diesem Verhalten die Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung sehen. Sie räumen aber ein, dass das sozial erwünschte Antworten auch eine »situationsspezifische Re-
499 Vgl. Edwards, Allen L.: The Social Desirability Variable in Personality Assessment and Research, New York 1957. 500 Esser, Hartmut: Soziale Regelmäßigkeiten des Befragtenverhaltens (Kölner Beiträge zur Sozialforschung und angewandten Soziologie Bd. 19), Meisenheim a. Glan 1975, S. 323f. 501 Reinecke, Jost: Interviewer- und Befragtenverhalten. Theoretische Ansätze und methodische Konzepte (Studien zur Sozialwissenschaft Bd. 106), Opladen 1991, S. 27.
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aktion auf die Datenerhebung«502 darstellen könne, »wobei aufgrund bestimmter Konsequenzbefürchtungen die tatsächlichen Sachverhalte verschwiegen oder beschönigt werden«.503 Sie differenzieren daher in eine »kulturelle soziale Erwünschtheit« (z. B. internalisierte Rollenerwartungen) und eine »situationale soziale Erwünschtheit« (durch Stimuli der Untersuchungssituation).504 Edwards geht davon aus, dass das »social desirability continuum«505 die wichtigste Einzeldimension sei, um Persönlichkeitsaussagen zu lokalisieren. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das vorwiegend im Kontext der quantitativ-empirischen Forschung zur Anwendung kommt; beispielsweise beim Design von Fragebögen, bei dem abzuwägen ist, in welchem Maße ein Fragebogen sozial erwünschtes Antworten bedingen kann und wie dem vorzubeugen ist.506 Nichtsdestoweniger erscheint es das geeignete Konzept zu sein, auch das im Zuge der kommunikativen Validierung beobachtbare Phänomen zu beschreiben. Denn die Situation der Validierung ist durchaus mit der einer Befragung (mit vorgegebenen Antworten) zu vergleichen: Die FS werden zu einem spezifischen Museumskontext mit ihrer eigenen in diesem Zusammenhang geäußerten Orientierung konfrontiert und müssen sich zu dieser – ähnlich wie zu Antworten einer Frage – positionieren. Zwei Antwortmöglichkeiten, Zustimmung und Ablehnung, sind gewissermaßen vorgegeben. Die differenzierte Betrachtung zwischen diesen Polen, die bildlich auch als die beiden Extremwerte einer Skale betrachtet werden können, bildet die dritte, freie Antwortoption. Es zeigt sich, dass sich die FS in den betreffenden Fällen dieser Tendenz zur Mitte annähern, worin sich ein in erster Linie sozial erwünschtes Antworten dokumentiert. Bei der O1 bildet die Haltung der FS, dass Kontexte dann als interessant empfunden werden, wenn es möglich ist, sich diese eigenständig erschließen zu können, d. h. an in irgendeiner Form Bekanntes anzuknüpfen, den einen Extremwert einer gedachten Skala. Diesem vorbehaltlos zuzustimmen, würde konsequenterweise bedeuten, dem Fremden und Unbekannten ablehnend gegenüberzustehen. Das hieße, bezogen auf den Untersuchungskontext, auch einen Großteil der musealen Ausstellung als nicht interessant zu klassifizieren. Die in der Validierung eingenommene Haltung der FS bewegt sich dagegen diplomatisch in der Mitte und kann als »sozial erwünscht« eingestuft werden: Der O1 wird zwar prinzipiell zugestimmt (5586–5591), jedoch mit der Einschränkung, dass nicht ausschließ-
502 Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Esser, Elke: Methoden der empirischen Sozialforschung, München/Wien 72005, S. 255. 503 Ebd. 504 Ebd. 505 Edwards: Social Desirability, S. 3. 506 Vgl. Bortz, Jürgen/Döring, Nicola: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, Heidelberg 42006, S. 231–236.
Hauptuntersuchung
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lich das Bekannte interessieren würde, sondern dass auch Offenheit gegenüber dem Fremden, Unbekannten bestünde (5591–5597). In einem ähnlichen Muster wird auch die O2 differenziert betrachtet. Deren Intention ist es, das eigene Herkunftsland positiv darzustellen und – als den einen Extremwert einer gedachten Skala – vorwiegend Kontexte als interessant zu empfinden, in denen eine Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) gegeben ist. Ausschließlich oder vorwiegend Gemeinsamkeiten zu fokussieren, bedeutet gleichzeitig, Unterschiede auszublenden und das Fremde, das Andere als tendenziell weniger oder uninteressant einzustufen. Daher kann auch die im Rahmen der Validierung kommunizierte Haltung der FS zur O2 als »sozial erwünscht« betrachtet werden. Ein Sm erklärt, es hätten ihn im Museum Objekte interessiert, in denen er einerseits eine auf Gemeinsamkeiten beruhende Vergleichbarkeit seines Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) festgestellt, andererseits aber auch Unterschiede erkannt hätte (5614–5615). Ein weitere Sm folgt dieser Betrachtung, dass es ihm wichtig gewesen sei, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken (5616–5618). Bei der O5 stellt die differenzierte Betrachtung ebenfalls einen wesentlichen Bestandteil der Reflexion dar. Den Kern der Orientierung – und den einen Extremwert einer gedachten Skala – bildet die Haltung, dass das Neue und (technische) Entwicklung explizit positiv konnotiert werden. Das Alte und die Vergangenheit unter dem Gesichtspunkt des noch nicht erfolgten Fortschritts werden in dieser Logik tendenziell negativ bewertet und abgelehnt. Demzufolge würde eine vorbehaltlose Validierung der O5 bedeuten, dass auch das Konzept »historisches Museum« als solches und ein Großteil der dort ausgestellten Objekte eine ablehnende, negativ-konnotierte Klassifizierung als weniger oder uninteressant ereilen würde. Die in der Validierung durch die FS zum Ausdruck gebrachte Haltung zur O5 kann daher ebenfalls als »sozial erwünscht« eingestuft werden. Es werden zahlreihe Argumente genannt, warum das Neue nicht zwangsläufig besser sei. So wären neue Dinge stets mit Anschaffungskosten verbunden, beschreibt ein Sm (5631–5632). Ein weitere Sm belegt diese Äußerung mit einem Beispiel aus dem Bereich Landwirtschaft (5633–5635). Zwei andere Sm fügen hinzu, dass alte Dinge oftmals genauso gut seien wie neue oder sogar besser (5636–5638). Dieser Haltung zum Trotz, wird auch die O5 als zutreffend bestätigt, allerdings ausschließlich von einer differenzierten Betrachtung ausgehend: Nur, wenn alte Dinge ausgedient hätten und es nutzenorientiert und finanziell sinnvoll wäre, seien neue alten Dingen vorzuziehen. Als letzte im Rahmen der Validierung wird die O8 von den FS differenziert betrachtet. Mit der geschlechterspezifischen Rollenzuweisung von Frau und Mann als dem einen Extremwert einer gedachten Skala, bildet die O8 geradezu ein Paradebeispiel für sozial erwünschtes Antworten – insbesondere in dem
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interkulturellen Setting der Untersuchung. FS, die in einem Kulturkreis sozialisiert sind, dessen Rollenverständnis von Frau und Mann tendenziell von dem westlich-europäischen abweicht, werden durch ihre Migration bedingt in dem Kulturkreis der Residenzgesellschaft abermals sozialisiert. Dementsprechend ist es nur verständlich und plausibel, dass bei der reflexiven Auseinandersetzung zu diesem heiklen Gegenstand tendenziell sozial erwünschte Antworten gegeben werden, um die soziale Anerkennung des neuen, aufnehmenden Kulturkreises zu steigern. So urteilt ein Sm, dass eine geschlechterspezifische Rollenverteilung z. B. bei der Arbeit nicht immer sinnvoll sei (5649–5650). Es ist allerdings eine Sf, die dem widerspricht und von typischen Männer- und Frauenaufgaben ausgeht (5651–5652). Diese Reaktion scheint weniger sozial erwünscht als durch die Sf internalisiert. Die differenzierte Betrachtung eines anderen Sm folgt dem Narrativ, dass eine geschlechterspezifische Rollenverteilung zwar nicht zu leugnen, diese jedoch ein Phänomen früherer Zeiten sei; heute seien Frauen und Männer gleichberechtigt (5656–5657). Zwei weitere Sm stimmen dieser Einschätzung zu (5658). Die Synthese der beiden extremen Positionen kommt darin zum Ausdruck, dass eine Gleichberechtigung von Frau und Mann zwar implizit angenommen wird, allerdings mit der Einschränkung, dass es gewisse Bereiche gebe, in denen entweder Frauen oder Männer schlicht eine bessere Arbeit machen würden (5659–5662). Damit wird die Ursache dieser Orientierung in quasi empirisch überprüfbaren, aber nicht näher spezifizierten Fakten gesucht – es sei eben so, daran könne man auch nichts ändern. Erstaunlich ist, dass bei der Reflexion der O8 insbesondere die Sm zu sozial erwünschten Antworten neigen. Mit Blick auf das im Rahmen der Validierung beobachtete Phänomen ist festzuhalten, dass es sich überwiegend um eine »situationale soziale Erwünschtheit« zu handeln scheint, die durch die Untersuchungssituation selbst bedingt ist. In drei der vier Fälle ist das sozial erwünschte Antworten dadurch bedingt, dass auf diese Weise nicht implizit der Gesamtkontext »Museum und historisches Lernen« tendenziell ablehnend und als uninteressant betrachtet wird. Stattdessen wird durch das sozial erwünschte Antworten die grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Anderen, dem Fremden zum Ausdruck gebracht. Einzig im letzten betrachteten Fall, der Reflexion der O8, handelt es sich höchstwahrscheinlich um »kulturelle soziale Erwünschtheit«, mit der die FS zum Ausdruck bringen, dass sie sich mit den im normativen System ihrer Bezugswelt als gemeinhin anerkannten und sozial erwünschten Verhaltenseigenschaften auseinandersetzen. Auch diese Haltung ist positiv einzuschätzen, da sie, von der Auseinandersetzung mit der Umwelt ausgehend, ebenfalls eine Offenheit gegenüber dem Fremden, dem Anderen dokumentiert. Wie ist nun die kommunikative Validierung abschließend zu bewerten und welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die weitere Analyse? Die zweifelsohne wichtigste Erkenntnis der Validierung besteht darin, dass die exemplarisch
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der Reflexion unterzogenen Orientierungen im Kern als zutreffend bestätigt sind. Das gibt die Gewissheit, dass die bisherigen Schritte methodisch präzise und kontrolliert durchgeführt sind und mit diesem Ansatz fortgefahren werden kann. Allerdings werden von dieser grundsätzlichen Bestätigung abgesehen einige der untersuchten Fälle und die sich darin dokumentierenden Haltungen kritisch und differenziert betrachtet. Ursächlich dafür scheint jedoch in den meisten Fällen die Situation der Reflexion an sich. Die Konfrontation und Auseinandersetzung mit der in einem spezifischen Kontext zutage getretenen eigenen Haltung gleicht dem Konzept einer Befragung: Die möglichen Antwortkategorien bestehen in der Zustimmung, Ablehnung oder differenzierten Betrachtung dieser Haltung. Die Haltung selbst bildet gewissermaßen den einen Extremwert auf einer gedachten Skala, zu dem es sich zu positionieren gilt. Das in diesem Zusammenhang zu beobachtende Phänomen lässt sich mit dem Konzept der »sozialen Erwünschtheit« beschreiben. Denn die differenzierte Betrachtung und eine Tendenz zur Relativierung ist bei all den Fällen festzustellen, bei denen eine vorbehaltlose Zustimmung zur eigenen Haltung negative Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Die differenzierte Betrachtung bringt dagegen eine Haltung zu dem Betreffenden Gegenstand zum Ausdruck, die im normativen System der Bezugsgruppe als »sozial erwünscht« gilt. Dabei lassen sich in den konkreten Fällen zwei Ausprägungsformen dieses Phänomens feststellen: Einerseits eine »situationale soziale Erwünschtheit«, deren Intention die Bekundung der Offenheit gegenüber dem Fremden und Anderen darstellt. Und andererseits eine »kulturelle soziale Erwünschtheit«, in der sich explizit die affirmative Auseinandersetzung der FS mit den »Werten« der Residenzgesellschaft und implizit ebenfalls die Offenheit gegenüber dem Fremden und Anderen dokumentiert. Im Gegensatz dazu werden diejenigen Orientierungen vorbehaltlos validiert, die vergleichsweise »unkritisch« sind, weil durch sie keine negativen Konsequenzen befürchtet werden müssen. Hinsichtlich des »sozial erwünschten Antwortens« bleibt damit festzuhalten, dass die betreffenden Orientierungen durchaus durch Stimuli in einer musealen Ausstellung hervorgerufen werden können – und diese Tatsache durch die FS nicht geleugnet wird –, jedoch eine reflexive Auseinandersetzung mit den sich darin dokumentierenden Haltungen möglich ist, womit eine zentrale Prämisse für interkulturelles Lernen und auf Multiperspektivität und Fremdverstehen zielendes historisches Lernen gegeben ist. Wie oben beschrieben, wurden für die Validierung solche Orientierungen exemplarisch ausgewählt, die in der Art und Weise das Spektrum unterschiedlicher Orientierungen abbilden, dass von deren Validierung ausgehend auch Rückschlüsse auf die nicht der Reflexion unterzogenen Orientierungen und eine Einschätzung der reflexiven Haltung der FS zu diesen möglich ist. Davon ausgehend, ist anzunehmen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit auch die O7, O9,
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O10, O11, O12 und O13 relativ vorbehaltlos validiert werden dürften, da die sich in diesen Orientierungen dokumentierende Haltung entweder als unkritisch zu betrachten ist oder im normativen System der Bezugsgruppe bereits als positiv bewertet angesehen werden kann, d. h. keine Steigerung der »sozialen Erwünschtheit« möglich ist. Hingegen ist bei den O4, O14 und O15 ebenfalls von einer differenzierten Betrachtung mit Tendenz zum »sozial erwünschten Antworten« und einer Relativierung der eigenen Haltung auszugehen, da es wahrscheinlich ist, dass die sich in diesen Orientierungen ausdrückenden Haltungen aus den Perspektiven unterschiedlicher Akteure unterschiedlich bewertet und damit im Zweifelsfall als tendenziell »kritisch« zu betrachten sind. In welcher Weise sich die Erkenntnisse der kommunikativen Validierung in der weiteren Befundung niederschlagen und zu welchen Ergebnissen dies führt, wird im nachfolgenden letzten analytischen Schritt aufzuzeigen sein. 4.3.4 Komparative Analyse und Typenbildung Die Herausforderung dieses Schrittes ist es, die einzelnen Fragmente und Puzzleteile der bisherigen Analyse, die jeder für sich wenig erkenntnisreich sind, zusammenzufügen und in ein valides empirisches Ergebnis zu überführen. Drei Aspekte sind hierfür von zentraler Bedeutung: Erstens gilt es, die in der reflektierenden Interpretation ermittelten Orientierungen vergleichend zu betrachten und den ihnen zugrundeliegenden konjunktiven Erfahrungsraum herauszuarbeiten; einerseits auf der Ebene jeder einzelnen Orientierung und der Einzelfälle, in denen diese zutage tritt und andererseits auf der Ebene der abstrakten Orientierungen. Zweitens ist dies der entscheidende Schritt, in dem auch das bislang nicht berücksichtigte empirische Ausgangsmaterial zielführend in die Analyse integriert werden kann und muss: die Protokolle der teilnehmenden Beobachtung sowie die fokussierten Interviews mit den Museumspädagoginnen über deren Beobachtungen. Die Einbeziehung des Materials dieser Provenienz wird ab dem Schritt der komparativen Analyse der abstrakten Orientierungsmuster erfolgen. Denn erst in diesem Schritt wird ein Abstraktionsniveau erreicht sein, das Zusammenhänge und Relationen in einer Weise beleuchtet, wie es auch die teilnehmende Beobachtung vermag. Und drittens sind bei der komparativen Analyse der abstrakten Orientierungen und der Bildung der Basistypik die Erkenntnisse der kommunikativen Validierung zu berücksichtigen. Mit diesen Schritten wird die letzte Stufe der Abstraktion und Reduktion der Phänomene erreicht, wodurch sich die folgende Darstellung noch deutlicher als bisher von dem in den Anhängen bereitgestellten Material abheben wird. Um diesen letzten Schritt dennoch so nachvollziehbar wie möglich zu gestalten, wird er dem folgenden Muster folgen: Zunächst werden die sich in den Einzelfällen dokumentierenden Ausprägungen der Orientierungen in Relation zu der in der
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reflektierenden Interpretation als Idealtypik präsentierten Orientierung miteinander in Verbindung gesetzt und verglichen, um daraus den konjunktiven Erfahrungsraum jeder Orientierung zu ermitteln. Dieser Schritt wird sowohl für die Orientierungen mit fallübergreifender Struktur als auch für jene mit tendenzieller Einzelfallspezifik durchgeführt. Bei denen mit absoluter Einzelfallspezifik kann auf eine erneute Darstellung verzichtet werden. Anschließend erfolgt derselbe Schritt auf der Ebene aller abstrakten Orientierungen, geleitet von der Frage, ob sich ein allen Orientierungen gemeinsamer konjunktiver Erfahrungsraum und ein diesem zugrundeliegender kollektiver Habitus ausmachen und schließlich in Form einer Basistypik darstellen lässt. 4.3.4.1 Vergleichende Betrachtung der Einzelfälle je Orientierung Orientierung 1. Die Erschließung eines musealen Kontextes auf der Basis von Erfahrungen, Kompetenzen, Vorkenntnissen, Assoziationen oder Vermutungen bildet den Kern der O1. Der Fall A5507 zeigt das Muster der am häufigsten auftretenden Ausprägung der O1: eine auf Vorkenntnissen und Erfahrungen beruhende Auseinandersetzung der FS mit einem musealen Gegenstand führt zu zutreffenden Schlussfolgerungen. Beim Blick in eine Sattelkammer entdecken die FS entsprechende Objekte für Zug- und Reittiere, die sie aufgrund ihrer Vorkenntnisse benennen und beschreiben können. Derselbe thematische Kontext wird auch im Fall B9508 behandelt. Es zeigt sich dasselbe Muster wie bei Gruppe A. Der einzige erkennbare Unterschied beruht darin, dass die FS der Gruppe B mehr Vorkenntnisse in den Diskurs einbringen als die der Gruppe A und zudem auf Kontexte außerhalb des im Museum dargestellten verweisen. Eine Auseinandersetzung nach diesem Muster zeigt sich gleichfalls im Fall A10.509 In diesem setzen sich die FS in der Küche der Mühle aus Unterschlauersbach mit dem Räuchern als Art der Haltbarmachung und Zubereitung von Fleisch auseinander und demonstrieren, dass sie gemeinsam und in der Summe über genügend Vorkenntnisse verfügen, um sich, wie bei einem Puzzle, den Kontext sukzessive eigenständig erschließen zu können. Im Fall C4510 überwiegen Vorkenntnisse, die auf Erfahrungen der FS aus ihrer eigenen Lebenswirklichkeit in ihren Herkunftsländern beruhen. Durch diese erschließen sich die FS einzelne Einrichtungsgegenstände und deren Funktion und Zweck in der Stube des Bauernhauses aus Unterlindelbach.511 507 508 509 510 511
T: 375–389, I: 3320–3344. T: 1698–1721, I: 4328–4351. T: 508–530, I: 3469–3516. T: 2543–2563, I: 4811–4847. Das anhand der vorigen Fälle dargestellte Muster der O1, in dem belastbare Vorkenntnisse und Erfahrungen überwiegen, ist auch bei den Fällen A19 (T: 728–737, I: 3682–3699), A21 (T: 763–776, I: 3700–3715), A22 (T: 777–816, I: 3716–3786), C7 (T: 2603–2613, I: 4916–4936), C8
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Empirie
Im Fall B23512 bilden vorwiegend eigene Erfahrungen der FS den Zugang zum Kontext, einem Schlafgemach im Amtshaus aus Obernbreit. Dass diese zu unzutreffenden Schlussfolgerungen führen, kann jedoch nicht den FS und einer möglicherweise übersteigerten Souveränität und Selbstsicherheit angelastet werden. Die Ursache ist vielmehr darin zu sehen, dass die Schlussfolgerungen zwar für ihre Erfahrungen mit Bezug auf das Herkunftsland Gültigkeit besitzen (können), nicht jedoch für den spezifischen im Museum dargestellten Kontext. Das bedeutet, dass auch in diesem Fall die oben beschriebene Ausprägung der O1 vorliegt. Überwiegend Erfahrungen und Vorkenntnisse sind auch für den Fall B27513 konstitutiv. In diesem werden auf Ketten fahrende Traktoren irrtümlicher Weise, in der Logik der Schlussfolgerung jedoch richtig, für aus dem Krieg in den Herkunftsländern bekannte Panzer gehalten. Ein vergleichbares Muster zeigt sich ebenso im Fall B26.514 Geräte in der Schuhwerkstatt werden zwar richtig als Nähmaschinen erkannt, jedoch für solche zum Nähen von Kleidung gehalten, anstatt zum Verarbeiten des starken Leders von Schuhen.515 Anders hingegen verhält es sich bei dem Fall A9,516 in dem eine weitere, von den oben behandelten Fällen abweichende Ausprägung der O1 zutage tritt: eine auf Vermutungen und Assoziationen beruhende Erschließung eines Kontextes führt zu unzutreffenden Schlussfolgerungen. In einem Raum für die Zubereitung für Brotteig im Bauernhaus aus Seubersdorf kennen sich die FS nur scheinbar aus. In einem Trog für die Zubereitung des Teiges wähnen sie zunächst eine Badewanne (bzw. eine Dusche) und halten demnach den Raum für ein historisches Badezimmer. Erst die Explikation von M kann diesen Irrtum aufklären. Nach einem vergleichbaren Muster erfolgt auch die Auseinandersetzung mit dem musealen Gegenstand im Fall B2.517 Kontext ist ebenfalls ein Raum für die Zubereitung von Brotteig und die Lagerung von Brot. Ein Trog für die Teigzubereitung wird irrtümlicher Weise mit einer Tränke für Tiere assoziiert. Hervorzuheben ist, dass ein Gehänge für Brot von den FS nicht eigenständig erschlossen werden kann, weil es ihnen unbekannt ist und in der Folge auch nicht weiter beachtet wird; sie wenden sich stattdessen anderen Objekten des Raumes zu, die
512 513 514 515 516 517
(T: 2614–2636, I: 4937–4954), C23 (T: 2830–2867, I: 5254–5304), C24 (T: 2868–2877, I: 5305– 5320), C26 (T: 2887–2926, I: 5337–5393), C28 (T: 2958–2994, I: 5442–5486), C31 (T: 3013– 3036, I: 5506–5529) und C35 (T: 3058–3113, I: 5530–5585) festzustellen, die an dieser Stelle lediglich aufgezählt und nicht einzeln beleuchtet werden. T: 2074–2085, I: 4627–4643. T: 2147–2156, I: 4724–4740. T: 2131–2146, I: 4706–4723. Dasselbe Muster der O1 mit ähnlichen Konsequenzen in der Erschließung eines Kontextes ist auch im Fall C10 (T: 2646–2652, I: 4984–5000) festzustellen. T: 497–507, I: 3446–3468. T: 1411–1437, I: 4075–4112.
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ihnen bekannt vorkommen. Deutlich erkennbar ist, dass im Fall B3518 dieselbe Ausprägung der O1 zum Vorschein kommt. Eine Kanne und eine Waschschüssel werden zwar zunächst mit dem Element Wasser in Verbindung gebracht. Jedoch wird von den FS vermutet, dass dies lediglich Gefäße sind, um Wasser z. B. in einem Kühlschrank zu lagern. Im Weiteren wird gemutmaßt, dass damit Kleidung gewaschen würde; erst durch Hilfestellungen erkennen sie, dass es sich um Utensilien für die Körperhygiene handelt. Der Fall B5519 lässt sich ebenfalls dieser Erscheinungsform der O1 zuordnen; mit dem einzigen Unterschied, dass in diesem Fall auch sprachliche Schwierigkeiten der FS dazu beitragen, dass eine auf Assoziationen und Vermutungen basierende Annäherung an den Kontext – Tiere des Bauernhofes, Ziegen werden für Schafe gehalten – zunächst zu irrtümlichen Schlussfolgerungen führt.520 Besonders hervorzuheben ist der Fall B13.521 Die Erschließung des Kontextes – das auf einer Außenmauer der Mühle aus Unterschlauersbach angebrachte Erbauungsjahr – findet vorwiegend auf der Basis von Vermutungen statt, wie welche Ziffer lauten könnte. Auf die Hilfestellungen und Korrekturen unzutreffender Vermutungen durch M und L, ist die Reaktion eines FS Gleichgültigkeit, dass es sinngemäß nicht wichtig sei, zu einem richtigen Ergebnis zu gelangen. Zudem wird diese Haltung durch die anderen beteiligten FS nicht sanktioniert, sondern stillschweigend hingenommen. An der Schnittstelle der beiden skizzierten Ausprägungen der O1 befindet sich der Fall B4.522 Kontext ist der Hopfenstadel aus Thalheim, in dem Hopfenanbau und -verarbeitung ausgestellt werden. Es findet zwar eine vorwiegend auf Assoziationen und Vermutungen beruhende Erschließung des Kontextes statt, jedoch scheinen diese im Vergleich zu anderen Fällen eine belastbare Grundlage zu haben und führen daher zu mehrheitlich zutreffenden Schlussfolgerungen der FS. Das zeigt sich beispielsweise bei der Beschäftigung mit einer Spritzvorrichtung für das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln oder im Zusammenhang mit der Verwendung des Hopfens beim Bierbrauen. Das gleiche Muster zeigt sich auch bei dem Fall C27.523 Als Hybrid kann der Fall A29524 betrachtet werden. In diesem lassen sich die beiden Ausprägungen gleichermaßen nachweisen. Den musealen Kontext bildet das Schulhaus aus Pfaffenhofen. In einer ersten Passage des Falles setzen sich die 518 T: 1438–1486, I: 4113–4158. 519 T: 1564–1605, I: 4229–4267. 520 Weitere Fälle, in denen sich diese Ausprägung der O1 nachweisen lässt, sind B25 (T: 2099– 2130, I: 4670–4705), B28 (T: 2162–2199, I: 4741–4765) und C29 (T: 2995–3007, I: 5487–5505). 521 T: 1829–1855, I: 4465–4491. 522 T: 1487–1563, I: 4159–4228. 523 T: 2927–2957, I: 5394–5441. 524 T: 978–1011, I: 3974–4013.
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FS mit Unterrichtsgegenständen (z. B. einer Tafel mit dem Alphabet und einem Abakus) auseinander, deren Begrifflichkeiten sowie deren Ziel und Zweck im Unterricht sie sich souverän erschließen, weil sie über entsprechende Vorkenntnisse verfügen. Erst in einer weiteren Passage tritt die Ausprägung der O1 zutage, bei der Vermutungen und Assoziationen überwiegen. Eine Aussparung in den Tischen für Tintenfässer wird so zunächst irrtümlich für einen Aufbewahrungsort für Zigaretten, Kaugummis, Anspitzabfall oder einen Stromanschluss gehalten. Zusammenfassend ergibt sich das Bild, dass die O1 im Wesentlichen in zwei Ausprägungsformen zutage tritt: 1) Eine auf Vorwissen und Erfahrungen beruhende Erschließung eines musealen Kontextes führt zu zutreffenden Schlussfolgerungen. 2) Eine vorwiegend auf Vermutungen und Assoziationen beruhende Erschließung führt zu unzutreffenden Schlussfolgerungen. Auf einer Mikroebene lasen sich weitere Abstufungen zwischen diesen Polen feststellen, dass Vorwissen und Erfahrungen lediglich für das Herkunftsland Gültigkeit besitzen, nicht jedoch für den musealen Kontext, dass Vermutungen und Assoziationen eine so belastbare Grundlage haben, wodurch sie zutreffenden Schlussfolgerungen sehr nahekommen, oder dass ein Hybrid vorliegt, in dem beide Ausprägungen gleichermaßen vorliegen. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Ausprägungen der O1 ein Ausdruck der Souveränität und Kompetenz bei der Erschließung eines (unbekannten oder fremden) Kontextes, ganz gleich, ob dieser profundes Wissen und Vorkenntnisse oder lediglich Vermutungen und Assoziationen zugrunde liegen. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass es für die FS zweitrangig ist, ob sie bei der Erschließung eines Kontextes diesen völlig durchdringen und zu zutreffenden Schlussfolgerungen gelangen. Vielmehr erscheinen – und darin ist auch der konjunktive Erfahrungsraum zu sehen – ein rein subjektives Erleben von Kompetenz, Souveränität und Kontrolle zur Schaffung von Struktur und Orientierung entscheidend zu sein. Von dieser Annahme ausgehend, ein Museum zu erkunden, bedeutet, thematisch vergleichsweise unstrukturiert und ohne Konzept vorzugehen. Eine eher und unstrukturierte Museumserkundung gewährt die nötige Sicherheit, bei der Einschränkung dieses Bedürfnisses jederzeit den musealen Kontext wechseln zu können. Orientierung 2. Das Muster der O2 zeichnet sich dadurch aus, dass die Erschließung eines musealen Kontextes auf der Basis eines mit dem Herkunftsland angestellten Vergleichs erfolgt. Im Fall A1525 dokumentiert sich die überwiegend auftretende Ausprägung der O2: im Vergleich des Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) kommt die persönliche Relevanz für die FS zum Vorschein, das eigene Herkunftsland positiv im Sinne 525 T: 220–254, I: 3156–3204.
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von »gleich« wie bzw. »gleichgestellt« mit Deutschland darzustellen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass lediglich Gemeinsamkeiten herausgestellt werden. Es werden auch Unterschiede beleuchtet, jedoch einzig unter der Prämisse, dass das Parität suggerierende »Gleichgewicht« aufrechterhalten bleibt und keine Wertung im Sinne von »besser oder schlechter als« vorgenommen wird. Bezugspunkt sind das eigene Erleben, die eigene Vergangenheit der FS. Daraus folgt, dass der im Museum präsentierte historische Kontext für die FS nur insofern »historisch« ist, als dass er auf einen vergangenen Zeitpunkt vor ihrer Migration nach Deutschland referiert, ansonsten jedoch für ihre eigene Lebenswirklichkeit real und existent ist. Kontext des konkreten Falles ist eine Scheune mit landwirtschaftlichen Geräten neben dem Bauernhaus aus Seubersdorf. Bereits die ersten Züge der FS zielen darauf, darzustellen, dass es solche Geräte auch in den Herkunftsländern der FS gebe und dass deren eigene Familien solche besessen hätten. Dieses Muster zieht sich durch den gesamten Fall und wird von mehreren FS getragen. In einem vergleichbaren Kontext und demselben Muster findet auch der Fall C3 statt.526 Die FS setzen sich mit der Viehund insbesondere Kleintierhaltung in ländlichen Gebieten auseinander. In den ländlichen Regionen ihrer Herkunftsländer (z. B. Syrien und Rumänien) sei es üblich, dass jede Familie Kleintiere für Verzehr und Lebensmittelversorgung und möglicherweise auch größere Tiere für die Arbeit besitze. Ein großer Ofen zur Raumbeheizung bildet den Auslöser des Falles B18.527 Teilweise erkennen die FS in diesem einen mit denen in ihren Herkunftsländern identischen Ofen. Für andere wiederum bildet der Ofen einen Stimulus, um davon ausgehend unterschiedliche in ihren Herkunftsländern existente Ausführungen (z. B. hinsichtlich der zu verwendenden Brennstoffe oder der Größe) zu beschreiben. Ähnlich verhält es sich auch im Fall C16.528 Ein museales Objekt – ein Ledersofa in einer Stube des Bauernhauses aus Seubersdorf – bildet den Stimulus, von dem ausgehend Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zu solchen in den Herkunftsländern der FS beleuchtet werden. Im Fall A4529 bildet ein gemauerter, sich unter einem Hügel befindender Keller, in dem einige Geräte gelagert werden, den Kontext der Auseinandersetzung. Diesen erkennen die FS einerseits als einen solchen wieder, der ihnen abstrakt aus ihren Herkunftsländern bekannt ist und konkret auch mit eigenen Erinnerungen (z. B. der kühlen Lagerung von Fleischprodukten) verbunden wird. Dasselbe Muster zeigt sich auch im Fall A7.530 In der Küche des Bauernhauses aus Seubersdorf fokussieren die FS eine analoge
526 527 528 529 530
T: 2499–2542, I: 4766–4809. T: 1932–1971, I: 4554–4595. T: 2737–2758, I: 5144–5198. T: 342–374, I: 3293–3319. T: 412–455, I: 3371–3445.
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Küchenwaage, die sie als eine exakt solche wiedererkennen, wie es sie beispielsweise heute noch in den Supermärkten ihrer Herkunftsländer gebe.531 Eine geringfügige Abwandlung der ersten beschriebenen Ausprägung der O2 zeigt sich darin, dass weniger das persönliche Erleben und Erfahrungen der FS Bezugspunkt des Vergleichs sind, sondern auf einer eher abstrakten Ebene auf »allgemein Bekanntes« in Bezug auf das jeweilige Herkunftsland referiert wird. Dieses Muster dokumentiert sich im Fall B11.532 Zu einem sich im Umfeld der Mühle aus Unterschlauersbach aufhaltenden Pfau stellen die FS lediglich fest, dass es solche Tiere auch in Syrien – etwa in Parkanlagen – gebe, ohne dies jedoch näher zu konkretisieren. In vergleichbarer Art und Weise setzen sich im Fall B5533 die FS mit der Tierhaltung und -nutzung auseinander und sehen beispielsweise in der Milchwirtschaft Analogien zwischen ihren Herkunftsländern und Deutschland. Ebenso lässt sich diesem Muster auch der Fall C7,534 in dem – im Bauernhaus aus Unterlindelbach – Hilfsmittel für die Pflanzenbewässerung und -pflege als solche mit dem Herkunftsland vergleichbare wiedererkannt werden, ohne jedoch einen persönlichen Bezug herzustellen. Ein Unterschied zum zuvor betrachteten Fall besteht darin, dass von der Ähnlichkeit ausgehend auch die Unterschiede beleuchtet werden, jedoch ohne dass eine Wertung in »besser« oder »schlechter« vorgenommen wird.535 Eine zweite von der vorigen zu differenzierende Erscheinungsform der O2 zeigt sich dagegen im Fall A15.536 Der historische Kontext des Museums wird in diesem Fall in Bezug auf das Herkunftsland mit einem ebenfalls historischen Kontext verglichen. Hierbei wird auf eher abstrakte allgemeine Bezugspunkte denn auf persönliches Erleben referiert. Es wird besonders zum Ausdruck gebracht, dass beide Bezugspunkte – das Herkunftsland und Deutschland – eine vergleichbare Entwicklung durchlaufen haben (müssen) und sich in der Gegenwart bezogen auf den spezifischen Kontext auf einem ähnlichen bzw. gleichen Niveau befinden. Darin dokumentiert sich wiederum der Ausdruck der Parität, der das Gleichgewicht zwischen den beiden Bezugspunkten des Vergleichs zum Ausdruck bringt. Im konkreten Fall bildet diesen Kontext ein hölzernes Toilettenhäuschen im Außenbereich der Mühle aus Unterschlauersbach. Früher hätten diese im Herkunftsland (z. B. im Irak) ähnlich ausgesehen, heute wären diese 531 Dieselbe Ausprägung der O2 zeigt sich auch in den Fällen A11 (T: 531–565, I: 3517–2550), A22 (T: 777–833, I: 3716–3786), B4 (T: 1487–1563, I: 4159–4228), C4 (T: 2543–2563, I: 4811– 4847), C7 (T: 2582–2602, I: 4884–4915), C9 (T: 2637–2645, I: 4970–4983), C13 (T: 2684–2697, I: 5077–5093), C23 (T: 2830–2867, I: 5254–5304) und C25 (T: 2878–2886, I: 5321–5336). 532 T: 1795–1818, I: 4425–4455. 533 T: 1564–1605, I: 4229–4267. 534 T: 2603–2613, I: 4916–4936. 535 Dieses Muster zeigt sich ebenso in den Fällen C24 (T: 2868–2877, I: 5305–5320) und C27 (T: 2927–2957, I: 5394–5441). 536 T: 662–641, I: 3584–3616.
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aber auch modern wie in Deutschland aus Keramik (bzw. Porzellan). Ein ähnliches Muster ist auch im Fall B3537 festzustellen. Den Kontext bilden Utensilien für die Körperhygiene (z. B. eine Kanne und eine Waschschüssel) in einer Stube im Obergeschoss des Hopfenbauernhauses aus Eschenbach. Diese erkennen FS als solche wieder, wie es sie auch früher in alten Häusern ihrer Herkunftsländer (z. B. in Syrien oder Kasachstan) vor der Wasserversorgung über Leitungen gegeben habe. Im Fall C5538 ist es ein Brotbackofen im Bauernhaus aus Unterlindelbach, der auch in Bezug auf das Herkunftsland als etwas Historisches betrachtet wird, in dem allenfalls noch Angehörige einer älteren Generation backen würden; die der jüngeren hingegen würden beim Bäcker einkaufen. Gleiches gilt auch für den Fall C8.539 Die Getreidemühle (aus Unterschlauersbach) wird als ein Anknüpfungspunkt zwischen dem Herkunftsland und Deutschland gesehen; jedoch wird die Antriebsart (z. B. mit Wasser- oder Tierkraft) ebenso als »historisch« betrachtet. Heute würden auch in den Herkunftsländern Mühlen mit Strom betrieben werden. Eine Besonderheit stellen die Fälle C12540 und C27541 dar. In diesen beruht der Anhaltspunkt für die Verortung eines spezifischen musealen Objekts als »historisch« – ebenso bezogen auf das Herkunftsland – in alten Filmen, welche die FS als Referenz ihrer Einschätzung angeben.542 Eine dritte und einmalig auftretende Ausprägung der O2 dokumentiert sich im Fall A25.543 Die Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland zeichnet sich nur indirekt ab. Dabei bildet der historische museale Kontext lediglich den Stimulus, durch den auf eine weitere dahinterliegende Ebene verwiesen wird, in der Anknüpfungspunkte zwischen dem Herkunftsland und Deutschland gesehen werden. Im konkreten Fall bildet eine Stube im Obergeschoss des Bauernhauses aus Kleinrinderfeld den musealen Kontext. In dieser fokussieren die FS ein Bereich, in dem ein Kreuz mit einer Christusfigur, Votivbilder von Maria und verschiedenen Heiligen sowie mehrere Porzellangegenstände in einem Ensemble arrangiert sind. Dessen kulturell-religiöse Ausrichtung wirkt auf die FS als Stimulus, durch den sie den Bezug zu ebenfalls religiös-orientiertem Brauchtum ihres Herkunftslandes herstellen. So würden im Rahmen von Hochzeiten Porzellangegenstände zu Bruch gebracht, weil man sich
537 538 539 540 541 542
T: 1438–1486, I: 4113–4158. T: 2564–2581, I: 4848–4883. T: 2614–2636, I: 4937–4969. T: 2670–2683, I: 5044–5076. T: 2927–2957, I: 5394–5441. Das Muster dieser zweiten Ausprägung der O2 ist überdies in den Fällen C11 (T: 2653–2669, I: 5001–5043), C15 (T: 2705–2736, I: 5094–5143), C21 (T: 2808–2815, I: 5199–5219), C22 (T: 2816–2829, I: 5220–5253) und C28 (T: 2958–2994, I: 5442–5486) nachzuweisen. 543 T: 854–869, I: 3828–3852.
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davon Glück für die Ehe verspreche. Zudem würde der Bräutigam Süßigkeiten an die Kinder verteilen, womit vermutlich auf eigene Erinnerungen referiert wird. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass für das Muster der O2 im Wesentlichen zwei bzw. drei Ausprägungsformen zu differenzieren sind: 1) Im Gegensatz zum historischen musealen Kontext bezieht sich der Vergleich mit dem Herkunftsland der FS auf einen in der Lebenswirklichkeit der FS präsenten, noch existenten »gegenwärtigen« Kontext. 2) Auch für das Herkunftsland wird der jeweilige Kontext als etwas »Historisches« in der Vergangenheit verortet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die beiden Bezugspunkte des Vergleichs auch eine vergleichbare Entwicklung durchlaufen hätten, d. h. sich gegenwärtig auf einem vergleichbaren Niveau befinden. Dabei referiert der Vergleich auf persönliches Erleben und Erfahrungen der FS, allgemeine Zustände, aber auch auf in historischen Filmen präsentierte Narrative. 3) Lediglich einmalig kommt die Ausprägung zum Vorschein, dass der museale Kontext lediglich als Stimulus dient, der in der Wahrnehmung der FS auf eine weitere, dahinterliegende Ebene verweist, in der sie Anknüpfungspunkte zwischen ihrem Herkunftsland und Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) entdecken. Konkret geht es hierbei um (religiös orientiertes) Brauchtum. Bei allen Ausprägungen variiert der Grad der Nähe bzw. Distanz zum musealen Objekt – von der persönlichen Betroffenheit bis hin zur abstrakten Beschreibung allgemeiner Zustände. Gemein ist ihnen zudem, dass nicht ausschließlich Gemeinsamkeiten beleuchtet werden. Von diesen ausgehend findet auch eine Auseinandersetzung mit den Unterschieden statt – jedoch nur insofern, als dass ein Gleichgewicht aufrechterhalten bleibt, d. h. keine Wertung in »besser« oder »schlechter« vorgenommen wird. Ein den unterschiedlichen Ausprägungen und Einzelfällen der O2 gemeinsamer konjunktiver Erfahrungsraum kann schlussendlich folgendermaßen beschrieben werden: Die FS setzen sich mit musealen Kontexten auseinander, in denen sie ihnen – in welcher Art und Weise auch immer – auf ihre Herkunftsländer referierende bekannte Strukturen und Zusammenhänge wiedererkennen. Diese geben ihnen ein entsprechendes Maß an Orientierung und Sicherheit bei der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstand. Dafür ist es unerheblich, ob diese auf persönlichen Erfahrungen, eher allgemeinbekannten Zuständen oder beispielsweise filmischen Narrativen beruhen. Entscheidend sind die mit dem eigenen Herkunftsland vergleichbaren oder ähnlichen Strukturen, die ein Bedürfnis nach Struktur und Orientierung befriedigen können. Orientierung 3. Den Kern der O3 bildet die Feststellung, dass sozialen Bezugssystemen eine besondere Bedeutung zugemessen wird. Im Fall A11544 dokumentiert sich eine der beiden Erscheinungsformen der O3. Dem sozialen Bezugssystem »Dorf« kommt darin eine subsidiäre Funktion zu. Den musealen 544 T: 531–565, I: 3517–3550.
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Kontext bildet die Mühle aus Unterschlauersbach. Durch das Dorf und die Summe der Familien des Dorfes wird gewährleistet, dass Getreide zu Mehl gemahlen wird und somit die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sichergestellt ist. Der Fall A13545 schließt unmittelbar daran an. Die FS setzen sich mit unterschiedlichen Getreidesorten auseinander. Das Muster des vorigen Falles bleibt fortbestehen, indem die FS berichten, wie sie (in der Familie bzw. im Dorf) welche Getreidesorten wofür verwenden, sei es zur Zubereitung von Speisen oder als Tierfutter. Diese Ausprägung der O3 dokumentiert sich auch im Fall A17.546 In diesem Fall besetzt die Landwirtschaft die Position, wofür die Familie eine essentielle subsidiäre Funktion erfüllt, um die in diesem Bereich anfallenden Aufgaben zu bewältigen. Gleiches gilt auch für den Fall C26.547 Die zweite identifizierte Ausprägung der O3 – soziale Bezugssysteme in der Funktion der Traditionspflege – zeigt sich hingegen im Fall C5.548 Den Kontext bildet abermals ein Brotbackofen. Jedoch wird dem Brotbacken in diesem Fall keine subsidiäre Funktion, sondern lediglich die der Traditionspflege – praktiziert durch eine lebensältere Generation – zugeschrieben. Von den beiden unterschiedlichen in der O3 angelegten Ausprägungen kommt im Fall A3549 in gewisser Weise ein Hybrid zum Vorschein. Kontext ist das Brotbacken in einer sozialen, vermutlich dörflichen Gemeinschaft. Das Brotbacken erfüllt hier einerseits eine zum Teil subsidiäre Funktion, weil es die Versorgung mir Grundnahrungsmitteln gewährleistet. Gleichzeitig wird die Funktion der Traditionspflege insofern erfüllt, als dass dieses Brotbacken traditionell nur in bestimmten Kontexten, z. B. am Wochenende und zusammen mit nicht näher spezifizierten alten Männern erfolgt. Gleiches gilt auch für den Fall A30.550 In diesem kommt die subsidiäre Funktion der Familie in der gemeinsamen Bewältigung von Arbeiten in der Landwirtschaft zum Ausdruck. Die Funktion der Traditionspflege zeigt sich indirekt darin, dass bestimmte Dinge (z. B. die Butterherstellung), ähnlich wie im Herkunftsland zusammen mit der Familie, auch in Deutschland praktiziert werden. Es bleibt festzuhalten, dass die O3 im Wesentlichen in zwei Ausprägungen zum Vorschein kommt. Sozialen Bezugssystemen kommt dabei entweder eine subsidiäre Funktion oder die der Traditionspflege zu. In Einzelfällen ist ein Hybrid beider Erscheinungsformen festzustellen. Anders als bei den bereits sehr abstrakten O1 und O2 ist der konjunktive Erfahrungsraum der Einzelfälle der O3 weniger offensichtlich. Durch Narrationen, für die sozialen Bezugssysteme 545 546 547 548 549 550
T: 589–615, I: 3551–3583. T: 663–721, I: 3617–3681. T: 2887–2926, I: 5337–5393. T: 2564–2581, I: 4848–4883. T: 323–341, I: 3249–3292. T: 1012–1058, I: 4014–4074.
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konstitutiv sind, erschließen sich die FS den jeweiligen Kontext. Als Anhaltspunkt zu damit verbundenen Erinnerungen an bestimmte soziale Ereignisse und Aktivitäten bilden sie dabei das Medium. Der konjunktive Erfahrungsraum beruht folglich darin, dass im Kern die Erinnerungen an soziale Ereignisse und Aktivitäten einen zunächst abstrakten und für die FS nur bedingt einordenbaren musealen Kontext greifbar und zugänglich machen. Es zeigt sich, dass sich die FS in den betreffenden Fällen mit Kontexten auseinandersetzen, die das sich in diesem Erfahrungsraum dokumentierende Bedürfnis nach Ordnung und Strukturierung befriedigen. Das erklärt auch die zu beobachtende Souveränität, da durch die Erinnerungen der zunächst fremde zu einem in gewisser Hinsicht vertrauten Kontext wird. Orientierung 4. Das Muster der O4 kann als ein Spezialfall der O2 betrachtet werden. Abermals steht die Vergleichbarkeit des Herkunftslandes mit Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) im Fokus der Auseinandersetzung. Anders jedoch als bei der O2, ist es bei der O4 die Intention der FS, das Herkunftsland als »besser« als Deutschland darzustellen. Dabei wird allerdings in der Regel dem historischen musealen Kontext in Bezug auf das Herkunftsland ein gegenwärtiger Kontext – aus der Lebenswirklichkeit der FS – gegenübergestellt. Im Fall A23551 tritt dieses Muster in einer nur sehr schwachen Ausprägung geringer Intensität zum Vorschein. Kontext ist die Bauweise von Hausdächern am Beispiel des Bauernhauses aus Kleinrinderfeld. Durch die FS wird ausgeführt, dass die Dächer der Häuser ihrer Herkunftsländer betreten werden könnten, im Gegensatz zu diesem. Damit verfügt das Dach des Museumshauses über einen Mangel hinsichtlich des Merkmals »Begehbarkeit«. Die Bauweise der Dächer des Herkunftslandes wird folglich implizit positiv bewertet und dieses latent als »besser« dargestellt. Wie bereits angemerkt, ist die Ausprägung der O4 in diesem Fall jedoch nur vergleichsweise schwach. Ein ähnliches Muster kommt ebenfalls im Fall A27552 zum Vorschein. Die Schmiede aus Westheim bildet den thematischen Kontext. Bezugnehmend auf einen historischen, handbetriebenen Schleifstein wird durch FS herausgestellt, dass es solche in ihrem Herkunftsland (Syrien) auch gebe, allerdings seien diese motorbetrieben. Es wird folglich der bessere technische Entwicklungsstand des Herkunftslandes – allerdings im Vergleich zu einem historischen Objekt – herausgestellt. Der Fall C3553 zeigt eine implizite Ausprägung der O4, die darin besteht, dass – in Bezug auf die ländliche Viehhaltung – der individuelle Reichtum von Familien herausgestellt wird.
551 T: 834–843, I: 3787–3808. 552 T: 943–960, I: 3928–3949. 553 T: 2499–2542, I: 4766–4809.
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Anders verhält es sich im Fall A24.554 Kontext ist ein Boiler in demselben Bauernhaus wie im vorigen Fall. Die »Überlegenheit« des Herkunftslandes wird dadurch explizit zum Ausdruck gebracht, dass durch die FS betont wird, dass die Boiler dort viel größer seien – und zudem nicht freistehend, sondern hinter einer Wand verbaut wären. Eine explizite Darstellung dokumentiert sich ebenso im Fall C7.555 In diesem wird – im Bauernhaus aus Unterlindelbach – bezugnehmend auf eine für die Pflanzenbewässerung und -pflege nötige technische Spritzvorrichtung das entsprechende Pendant aus dem Herkunftsland (Syrien) explizit als besser dargestellt als das im Museum befindliche Objekt. Im Fall C27556 wird die Überlegenheit des Herkunftslandes abermals dadurch markiert, dass das entsprechende Pendant im musealen Kontext, der Mühle aus Unterschlauersbach, als wesentlicher größer als dieser dargestellt wird. Gleichzeitig kommt das Muster implizit darin zum Vorschein, dass durch die FS betont wird, dass die Mühlen des Herkunftslandes – im Gegensatz zu der des Museums – mit Strom, also fortschrittlicher betrieben würden. Es lassen sich zusammenfassend zwei Ausprägungen der O4 differenzieren: Das Herkunftsland wird entweder implizit oder explizit als »besser« im Vergleich zu Deutschland (bezogen auf die museale Ausstellung) dargestellt. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass – und darin ist auch der den Einzelfällen gemeinsame konjunktive Erfahrungsraum zu sehen – die Darstellung des eigenen Herkunftslandes als »besser« nicht zwangsläufig die Intention der FS, sondern vielmehr das Produkt eines Prozesses, einer Strategie ist, sich den musealen Kontext auf der Basis von aus dem Herkunftsland bekannten Strukturen und Zusammenhängen zu erschließen. Oder anders formuliert: Das Ziel ist das Verständnis des musealen Kontextes. Den Zugangspunkt bildet die zunächst erkannte Vergleichbarkeit mit dem Herkunftsland. Die davon ausgehende Darstellung desselben als »besser«, sei es implizit oder explizit, ist somit lediglich der Ausdruck von identifizierten Unterschieden, die das Produkt eines Verarbeitungsprozesses der FS darstellen, durch den der museale Kontext für sie greifbar und verständlich wird. Folglich fokussieren die FS in den betreffenden Fällen vornehmlich solche Kontexte, die einem Bedürfnis nach Struktur und Orientierung zuträglich sind. Orientierung 5. Das Muster der O5 zeichnet sich dadurch aus, dass das Neue (bzw. der technische Fortschritt) positiv konnotiert werden. Im Fall C11557 ist eine Ausprägung der O5 nachzuweisen, bei der konkret das Neue positiv konnotiert wird. Kontext ist eine strohgefüllte Matratze im Bauernhaus aus Unterlindel554 555 556 557
T: 844–853, I: 3809–3827. T: 2603–2613; I: 4916–4936. T: 2927–2957, I: 5394–5441. T: 2653–2669, I: 5001–5043.
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Empirie
bach. Mehrere FS bringen zum Ausdruck, dass sie selbst – im Gegensatz beispielsweise zu ihren Großmüttern – eher neue Matratzen bevorzugen würden, also implizit das Neue positiver bewerten als das Alte, Vergangene. Ein ähnliches Muster ist ebenfalls im Fall C15558 zu erkennen. Den musealen Kontext bildet die Küche des Bauernhauses aus Seubersdorf. Implizit wird das Neue dadurch positiv bewertet, dass neuere Küchengeräte und -utensilien im Vergleich zu denen des Museums positiv hervorgehoben werden. Zudem wird auch ein moderner Markenname von Küchengerät (Tefal) ganz explizit positiv dargestellt. Ein FS bringt die Positiv-Konnotation des Neuen schließlich darin zum Ausdruck, dass es früher in den Häusern nicht schön gewesen wäre. Im Fall C21559 wird – am Beispiel einer Wasserpumpe beim Köblerhaus aus Schwimmbach – der O5 dadurch implizit Ausdruck verliehen, dass die Wasserförderung früher von Hand erfolgt sei, es jetzt aber Maschinen für diese Arbeit gebe. Gleiches gilt auch für den Fall C26.560 In diesem Fall wird das Neue im Sinne des technischen Fortschritts in der Landwirtschaft (z. B. Traktoren) explizit positiv bewertet. Im Fall B15561 tritt eine zweite Erscheinungsform der O5 zutage, in der nicht unmittelbar das Neue, sondern das für neuer Gehaltene positiv konnotiert wird. Das bedeutet, dass die FS (für sich) eine gewisse Anzahl an Merkmalen als Indikator für etwas Neues festlegen. Den Kontext des Falles bildet das Jagdschlösschen aus Eyerlohe. Konkret ist es der in dem Schloss zum Ausdruck kommende Wohlstand, der – im Vergleich zu anderen Museumsgebäuden – dieses nach außen hin sichtbar abhebt. Dem Narrativ, das diese Äußerungen der FS bedingt, liegt folglich eine Gleichsetzung der Attribute »schöner/reicher« und »neu« zugrunde. Erst durch entsprechende Hinweise erkennen die FS die unzutreffende Schlussfolgerung, dass »schöner/reicher« nicht konsequenterweise auch »neuer« bedeutet (1886–1894). Die O5 tritt in zwei Ausprägungen zum Vorschein: entweder werden das Neue bzw. technischer Fortschritt oder das für neu Gehaltene (aufgrund von Indikatoren wie »schöner/reicher«) positiv konnotiert. Diese Haltung lässt sich sowohl explizit als auch implizit nachweisen. Den Einzelfällen gemeinsam ist, dass das Neue in den Explikationen der FS überwiegend auf deren eigene Lebenswirklichkeit referiert. Das Vergangene, Alte – wie es im Museum dargestellt wird – ist dagegen eine Kategorie, welche die FS nicht mich sich und ihrer Lebenswirklichkeit in Relation setzen. Es wird deutlich, dass es jeweils die auf der Lebenswirklichkeit der FS aufbauende Narration ist, durch die der museale Kontext erschlossen wird. Die Positiv-Konnotation des Neuen findet innerhalb dieser 558 559 560 561
T: 2705–2736, I: 5094–5143. T: 2808–2815, I: 5199–5219. T: 2887–2926, I: 5447–5393. T: 1880–1897, I: 4492–4513.
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Narration statt und ist gewissermaßen ein Produkt dieses Erkenntnisprozesses, aber nicht das eigentliche Ziel. Dieses besteht vielmehr darin, dass durch die positiv aufgeladene Verbindung mit der eigenen Lebenswirklichkeit der museale Gegenstand an Abstraktheit und Fremdheit verliert und dadurch tendenziell leichter begreifbar und verständlich wird. In der Intention, auf diese Weise Struktur und Orientierung in der Auseinandersetzung mit dem musealen Gegenstand zu schaffen, ist folglich auch der konjunktive Erfahrungsraum der O5 zu sehen. Orientierung 6. Die in der Beschreibung der O6 genannten Kategorien wie Stereotype, Schemata und Dogmen ermöglichen es, schnelle – mal mehr mal weniger zutreffende – Aussagen über einen Gegenstand zu treffen. In einer vergleichsweise moderaten Ausprägung zeigt sich dieses Muster im Fall A10.562 Den Kontext bildet die Küche der Mühle aus Unterschlauersbach. Im Kamin hängen Wurst- und Fleischprodukte zum Räuchern. In der Reaktion der FS hierauf kommt ein Stereotyp (über Deutschland) zum Vorschein, dass dort viel Schweinefleisch verarbeitet wird. Das lässt sich einerseits mit der Unmittelbarkeit der diesbezüglichen Äußerung zur Objektbegegnung belegen und andererseits damit, dass nicht auf den beispielsweise naheliegenden Begriff »Fleisch« zurückgegriffen wird. Exakt dasselbe Muster liegt auch dem Fall B12563 zugrunde. Der thematische Kontext entspricht dem vorigen. Die FS setzen sich mit einem Krug voller Apfelmost auseinander. Die unmittelbare Reaktion hierauf, in der sich das zugrundeliegende Stereotyp zeigt, ist, dass es sich um Bier handeln müsse. Es werden sowohl die Aufschrift »Apfelmost« ignoriert als auch keine anderen Möglichkeiten in Betracht gezogen. Selbst Hinweise und Richtigstellungen fruchten nicht. Dann müsse es sich eben um Apfelbier handeln, versuchen sich die FS dem alkoholhaltigen Genussmittel anzunähern. Ein vergleichbarer thematischer Kontext findet sich im Fall B19.564 Im Weinbauernhaus aus Retzstadt wird die aufgrund des Kontextes offensichtliche und naheliegende Möglichkeit, dass sich in den Holzfässern Wein befinden könnte, ausgeschlossen. Stattdessen wird abermals das Bier als Lösung genannt. Erst durch mehrere Hilfestellungen überdenken die Sm ihre Schlussfolgerungen. Besonders auffällig ist der Fall B10.565 Im Kontext des Schweinepferchs in der Nähe des Bauernhauses aus Seubersdorf kommt die der O6 zweifach zum Vorschein. Im ersten Fall ähnelt das Muster dem der vorigen. Mehrere FS aktivieren das Schema »Schwein«. Demzufolge sind Hausschweine rosa. Ein Schwein, das nicht rosa ist, muss ein Wildschwein sein. Dadurch kommen die FS zu dem Schluss, dass es sich bei den 562 563 564 565
T: 508–530, I: 3469–3516. T: 1819–1828, I: 4456–4464. T: 1972–2009, I: 4596–4626. T: 1722–1794, I: 4352–4424.
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sich im Pferch aufhaltenden Tieren um Wildschweine handeln muss. Selbst der Hinweis, dass es sich um eine andere (ältere) Rasse von Hausschweinen handle, wird ignoriert. Dasselbe Schema wird in unterschiedlichen Passagen mehrfach aktiviert. Im zweiten Fall, in dem sich die O6 nachweisen lässt, sind religiöse Dogmen für die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand maßgebend. Denen zufolge ist die Anatomie des Schweines durch seinen Stellenwert in der Hierarchie der Lebewesen bestimmt: Schweine sind niedere Lebewesen – haram – und können ihren Kopf nicht heben, da sie nicht zu Allah (Gott) aufschauen dürfen. Dass die Beweglichkeit des Kopfes eines Schweines eingeschränkt ist, ist durchaus möglich. Im betreffenden Fall wählen die FS einen jedoch ausschließlich einen religiös-dogmatischen Erklärungsansatz. Alternativen werden nicht nur nicht in Betracht gezogen. Der gewählte Erklärungsansatz wird mit Nachdruck und Ausdauer verteidigt. Der Versuch anderer Erklärungen wird kategorisch abgelehnt. Es zeigt sich, dass die O6 in drei verschiedenen Erscheinungsformen zutage tritt: 1) In Stereotypen äußern sich vorgefasste Meinungen der FS (vorwiegend über Deutschland). 2) Schemata dienen der Erschließung allgemeiner Zusammenhänge. 3) Religiöse Dogmen bieten gültige und nicht anzuzweifelnde Erklärungsansätze. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Ansätzen und Zugängen zur Erschließung musealer Kontexte, dass sie von den FS weder reflektiert noch hinterfragt werden, sondern als unanzweifelbar und allgemeingültig betrachtet werden. Es entsteht der Eindruck, dass nicht das Resultat des Erschließungsprozesses im Vordergrund steht, sondern der Prozess an sich, d. h. die Möglichkeit, einen Gegenstand durch die genannten Ansätze in irgendeiner Weise zu strukturieren, in der Annahme, zu validen Aussagen zu gelangen. Der konjunktive Erfahrungsraum der O6 ist demzufolge in einem Bestreben nach Struktur und Orientierung zu sehen, das durch die gewählten Ansätze, die auf Stereotypen, Schemata und Dogmen beruhen, gestillt wird. Orientierung 7. Der Kern der O7 beruht in einem Moment des ÜberraschtSeins, der dadurch hervorgerufen wird, dass die im Museum vorgefundene Wirklichkeit eigenen Vorstellungen widerspricht. Das zeigt sich im Fall A6.566 Im Kontext eines Schlafzimmers des Bauernhauses aus Seubersdorf sind einige FS sichtlich verwundert, dass es in diesem Gebäude weder Strom noch fließend Wasser gegeben hat. Somit könnten dort auch weder Mobiltelefone, noch Fernsehgeräte betrieben werden. Im Fall B16567 kommt das für die O7 konstitutive Element darin zum Vorschein, dass im Jagdschlösschen aus Eyerlohe die Echtheit eines Hirschgeweihs angezweifelt wird. Die FS sind sichtlich überrascht, dass von einem vormals lebendigen Tier dessen echtes Geweih dort ausgestellt 566 T: 399–411, I: 3345–3370. 567 T: 1898–1922, I: 4514–4553.
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werde. Im Fall C16568 beruht die Überraschung darin, dass die FS in der Stube im Bauernhaus aus Seubersdorf nicht mit einem derart großen Ofen zur Raumbeheizung gerechnet hätten. Dieser ihrer Ansicht nach überdimensionierte Ofen würde, schlussfolgern sie, sicher viel Holz benötigen. Letztlich zeigen sich die FS auch davon überrascht, dass es in den Häusern des Museums insgesamt so viele Öfen gebe. Im Fall C23569 zeigt sich – im Kontext der Küche bzw. eines Wirtschaftsraumes im Köblerhaus aus Schwimmbach – das Muster der O7 zunächst darin, dass eine vermeintliche Unstimmigkeit in der Ausstellung identifiziert wird: ein scheinbar mit einem Stromkabel ausgestattetes Bügeleisen in einem Gebäude ohne Stromanschluss. Dieser offensichtliche Widerspruch sorgt zunächst für Verwunderung und Überraschung, kann jedoch aufgeklärt werden. Ein weiteres Moment der Verwunderung stellt sich ein, als ein FS versucht, das Bügeleisen aufzuheben – erfolglos. Die Reaktion: das müsse außerordentlich schwer sein. Die beiden Verwunderung auslösenden Aspekte werden darin aufgeklärt, dass das Bügeleisen mittels einer stabilen Schnur an der Wand befestigt und vor unerlaubter Entfernung geschützt ist. Es ist festzuhalten, dass sich für die O7 keine signifikant unterschiedlichen Ausprägungsformen differenzieren lassen. Den Einzelfällen ist gemeinsam, dass Diskrepanzen zwischen eigenen Vorstellungen und der im Museumskontext vorgefundenen Wirklichkeit bei den FS Überraschung bzw. Verwunderung auslösen. Das bedeutet, dass die Anwendung von den FS geläufigen Schemata und die dadurch intendierte Strukturierung eines Gegenstandes fehlschlägt. Das Besondere daran ist, dass die FS die betreffenden Indikatoren nicht ausblenden, sondern vergleichsweise reflektiert mit der Situation umgehen und nach alternativen Lösungswegen entweder selbst suchen oder diese durch entsprechende Hilfestellungen erkennen und nachvollziehen. Der konjunktive Erfahrungsraum beruht folglich darin, dass ein Bedürfnis nach der Strukturierung eines Gegenstandes in einem reflektiert-kritischen, lösungsorientierten Erkenntnisprozess befriedigt werden kann. Orientierung 8. Kennzeichnend für die O8 ist eine – insbesondere auf den Arbeitsbereich fokussierte – geschlechterspezifische Rollenzuweisung von Frau und Mann. Implizit dokumentiert sich dieses Muster im Fall A17.570 Im Kontext der Landwirtschaft werden die – naturgemäß schweren – Arbeiten auf dem Feld tendenziell Männern zugewiesen, während Frauen dort nicht zu finden sind. Das Muster drückt sich in einer Narration der FS aus, in der sie ihnen geläufige Zustände beschreiben. Inwiefern folglich diese Rollenzuweisung auch die eigene individuelle Haltung der FS wiederspiegelt, geht aus den Äußerungen nicht 568 T: 2737–2758, I: 5144–5198. 569 T: 2830–2867, I: 5254–5304. 570 T: 663–721, I: 3617–3681.
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Empirie
hervor. In ähnlicher Weise zeigt sich dieses Muster ebenfalls im Fall C27.571 In diesem Fall wird die Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse – konkret das Mahlen von Getreide zu Mehl – als Aufgabenbereich den Frauen zugewiesen. Im Unterschied zu dem vorigen Fall erfolgt diese Zuweisung jedoch explizit und bestimmter. In anderer Form kommt das Muster der O8 dagegen im Fall A28572 zum Vorschein. Mit Bezug auf Haushaltstätigkeiten – konkret die Gebäudereinigung – geben die beteiligten FS an, dass dies explizit der Aufgabenbereich von Frauen sei. Männer würden sich nicht an Haushaltstätigkeiten beteiligen. Die Art und Weise, wie die O8 mit einer Selbstverständlichkeit in diesem Fall zum Ausdruck gebracht wird, erweckt den begründeten Eindruck, dass darin auch tatsächlich die Haltung der FS zum Ausdruck kommt. Eine geschlechterspezifische Rollenzuweisung erfolgt demnach sowohl in einer impliziten als auch einer expliziten Form. Der jeweilige Grad der Abstufung erlaubt zudem Rückschlüsse darauf, inwiefern in dieser Rollenzuweisung tatsächlich eine individuelle Haltung zum Ausdruck kommt oder lediglich eine distanzierte Zustandsbeschreibung erfolgt. Gleichwohl ist zu betonen, dass dies lediglich Anhaltspunkte sind; eine letztgültige Antwort auf diese Frage vermag diese Analyse nicht zu finden. Deutlich und fallübergreifend zu erkennen ist jedoch, dass die Rollenzuweisungen als Element der Narrationen der FS ihnen bekannte oder geläufige Strukturen verkörpern, mit deren Hilfe der abstrakte museale Gegenstand greifbar und zugänglich wird. Die Rollenzuweisung als ein Bestandteil des Erkenntnisprozesses scheint somit rein vordergründig ein Kernbestandteil der Auseinandersetzung zu sein. Vielmehr ist sie jedoch – und darin ist auch der konjunktive Erfahrungsraum zu sehen – lediglich Anhaltspunkt im Prozess der Erschließung des musealen Kontextes, um einem Bedürfnis nach Struktur und Orientierung gerecht zu werden. Orientierung 9. Das grundlegende Charakteristikum der O9 besteht in der Positiv-Konnotation des Spielens. Im Fall C35573 dokumentiert sich das auf eine implizite Art. Im Bauernhaus aus Höfstetten bilden Tierknochen – Funde archäologischer Grabungen – den Stimulus, durch den die FS Narrationen erzählen, in denen das Spielen implizit positiv konnotiert wird. Es geht hierbei um das gemeinsame Spielen als soziales Ereignis. Auf eine andere Weise präsentiert sich das Muster dagegen im Fall B19574 – im Kontext des Weinbauernhauses aus Retzstadt. In diesem Fall ist das Muster nicht auf einer immanent-inhaltlichen Ebene in den Äußerungen der FS nachzuweisen, sondern vielmehr auf der Ebene der Auseinandersetzung mit dem Kontext selbst. Es wird nicht über das Spielen 571 572 573 574
T: 2927–2957, I: 5394–5441. T: 961–977, I: 3950–3973. T: 3058–3113, I: 5530–5585. T: 1972–2009, I: 4596–4626.
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als soziale Aktivität kommuniziert, sondern es wird als eine solche konkret vollzogen in der Erschließung eines musealen Objekts, das sich nach einigem Probieren als eine Pumpe herausstellt, mittels derer Wein aus Fässern gepumpt werden kann. In derselben Weise präsentiert sich die O9 auch im Fall C28.575 Kontext ist die Küche der Mühle aus Unterschlauersbach. Darin setzen sich die FS mit auf einem Tisch zum Verkauf und Verzehr angebotenen Produkten (z. B. Schmalzbrote und Apfelmost) auseinander. Diese erfolgt, das dokumentiert sich auch in den Äußerungen der FS, auf eine spielerische Art und Weise – beispielsweise spielen einige FS, als würden sie diese Produkte kaufen, andere als wollten sie diese feilbieten. Da das Spielen selbst Teil der Auseinandersetzung ist, wird es folglich auf diese Weise indirekt positiv konnotiert, da es eine erfolgreiche Strategie darstellt, einen Kontext zu erschließen. Festzuhalten bleibt, dass die Positiv-Konnotation des Spielens auf zwei Arten erfolgt: 1) entweder durch Narrationen, in denen das Spielen als soziale Aktivität beschrieben wird oder 2) in der Auseinandersetzung mit einem Gegenstand selbst, die im Modus des Spielens stattfindet. Gemeinsam ist den betreffenden Einzelfällen, dass die soziale Aktivität Spielen den musealen Gegenstand für die FS begreifbarer macht und Distanz abbaut. In den Narrationen wird dieser in einer für die FS verständlichen Art und Weise kontextualisiert. Bei der spielenden Auseinandersetzung ist es der Vorgang selbst, der die Distanz zum Objekt überbrückt, dieses – auch multisensorisch – begreifbar macht und so den Gesamtkontext strukturiert. In diesem Schaffen von Struktur und Orientierung ist folglich der konjunktive Erfahrungsraum der O9 auszumachen.576 Orientierung 10. Als ein Hauptmerkmal der O10 ist anzusehen, dass die FS gewissermaßen die Rolle eines Forschenden einnehmen, wenn sich das Muster, die Beobachtung, Beschreibung, Analyse und Kontrolle tierischer Verhaltensweisen feststellen lässt. Im Fall A2577 ist dies bei der Auseinandersetzung mit einem Schweinepferch beim Bauernhaus aus Seubersdorf und den sich dort aufhaltenden Tieren zu beobachten. Die FS beschäftigen sich intensiv in er oben beschriebene Weise mit den Tieren. Dabei sind ein starkes kooperatives Element und eine vergleichsweise hohe Sprecherbeteiligung festzustellen. Gemeint ist damit, dass sich sehr viele FS gemeinsam mit einem Gegenstand (bzw. Schwein) beschäftigen und wechselseitig aufeinander Bezug nehmen und aufmerksam den Äußerungen der jeweils anderen FS folgen – im Gegensatz zu anderen Fällen, bei denen sich die Auseinandersetzung mit einem Gegenstand mitunter eindimen575 T: 2958–2979, I: 5442–5486. 576 Anhaltspunkte über den spielerischen und multisensorischen Zugang zu musealen Objekten hält vor allem die teilnehmende Beobachtung bereit, die allerdings erst bei der vergleichenden Betrachtung der Orientierungen und der Bildung der Basistypik als Erkenntnisquelle hinzugezogen wird. 577 T: 294–322, I: 3205–3248.
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sional zwischen jeweils einem FS und dem Gegenstand gestaltet. Dasselbe Muster zeigt sich auch im Fall B10,578 der sich zudem mit demselben musealen Kontext wie der vorige Fall auseinandersetz. Es dokumentiert sich eine hohe Beteiligung unterschiedlicher FS, die sich mit dem Verhalten der Tiere auseinandersetzen, indem sie diese beobachten, ihre Beobachtungen beschreiben und analysieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen, beispielsweise welche Verhaltensweisen zu erwarten sind. Im Fall B11579 bleibt das Muster im Wesentlichen unverändert; es wechselt lediglich der Bezugspunkt der Auseinandersetzung. Kontext ist ein Pfau, der sich im Umfeld der Mühle aus Unterschlauersbach aufhält. Was an diesem Fall besonders auffällt und sich von den anderen unterscheidet, ist der Aspekt der Kontrolle, der sich daran festmachen lässt, dass die FS durch ihr Verhalten – verbal wie nonverbal – versuchen, den Pfau dazu zu bewegen, sein Rad zu schlagen. Die O10 betreffend lassen sich keine nennenswert unterschiedlichen Ausprägungen differenzieren. Den Einzelfällen ist gemein, dass es für die FS offensichtlich eine besondere Form der Bestätigung und Genugtuung darstellt, wenn sie die Verhaltensweisen von Tieren beobachten, beschreiben und analysieren und daraus Schlussfolgerungen (z. B. über zu erwartendes Verhalten) ziehen können. Sie nehmen hierbei gewissermaßen die Rolle eines Forschenden ein. Es entsteht der Eindruck, dass, wenn die FS in ihrer Rolle als Forschender bestätigt werden, d. h. ihre Schlussfolgerungen zutreffen, sie dadurch die Situation für sie strukturieren und kontrollieren. Darin ist letztlich auch der konjunktive Erfahrungsraum zu sehen, dass die FS durch die Art und Weise der Auseinandersetzung mit den Tieren das Gefühl der Kontrolle und damit letztlich der Sicherheit vermittelt bekommen. Orientierung 11. Das Muster der O11 stellt sich als das mit am schwersten greifbare heraus. Gleichsam in einem Modus des Entdeckens stehen wertvolle Dinge und deren Schutz im Zentrum der O11. Dies zeigt sich im Fall B24580 – im Kontext der Amtsstube des Amtshauses aus Obernbreit. Eine schwere, eisenbeschlagene Truhe bildet den Fokus der Auseinandersetzung. In dieser werden ein Schatz oder zumindest wertvolle Dinge vermutet, die es zu entdecken gilt. Es wird expliziert, dass dort beispielsweise wichtige Dokumente verwahrt wurden. Mit diesen wird durch ein FS sofort der Pass, d. h. das Ausweisdokument assoziiert, dem eine besonders hohe Wichtigkeit zugeschrieben wird. Es zeigt sich, dass in diesem Fall die eigene – vermutlich durch die Migration bedingte – Lebenserfahrung des FS eine zentrale Rolle bei der Erschließung des Kontextes spielt. Durch sie und die aus ihr resultierenden Erkenntnisse – zum Schutz wichtiger 578 T: 1722–1794, I: 4352–4424. 579 T:1795–1818, I: 4425–4455. 580 T: 2086, I: 4644–4669.
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Dokumente – wird der Gegenstand der Auseinandersetzung strukturiert und kontextualisiert. In ähnlicher Weise zeigt sich dieses Muster auch im Fall C12.581 Gegenstand der Auseinandersetzung ist eine schwere Holztruhe im Bauernhaus aus Unterlindelbach. Mit dieser assoziieren die FS ebenfalls eine Schatztruhe, in der sie wertvolle Dinge wie Kleider oder Gold vermuten. Der Unterschied zum vorigen Fall besteht im Ursprung dieser Assoziationen. Diesen bilden nicht eigene Erfahrungen und Erkenntnisse, sondern filmische Narrative. Konkret wird berichtet, dass solche »Schatztruhen« mit wertvollem Inhalt aus alten syrischen Filmen bekannt seien. Von diesem Unterschied abgesehen lassen sich hinsichtlich des Musters der O11 keine weiteren Unterschiede zwischen den Einzelfällen feststellen. Diesen gemeinsam ist, dass die FS den musealen Gegenstand aufgrund von Erkenntnissen und Wissensbeständen unterschiedlicher Provenienz mit eigenen Narrationen verbinden und dadurch den Gegenstand in einer für sie nachvollziehbaren Weise strukturieren und kontextualisieren. Die dadurch gewonnene Struktur und Orientierung bildet somit den konjunktiven Erfahrungsraum der O11. Orientierung 12. Wie die O10 tritt zwar auch die O12 im Kontext des Umgangs mit Tieren zutage. Da jedoch zwei verschiedene Muster zugrunde liegen, müssen die Orientierung auch zunächst getrennt betrachtet werden. Für die O12 sind zwei Aspekte konstitutiv, wie sich am Fall B7582 zeigt. Darin kommt einerseits die Bewunderung für und Achtung vor einem großen, dunklen Pferd zum Ausdruck; dieses müsse sehr teuer sein. Gleichzeitig stellen die FS jedoch fest, dass sich das Verhalten des Tieres in seiner Box im Stall des Bauernhauses aus Seubersdorf nicht vorhersagen und kontrollieren lässt. Dieser Aspekt der mangelnden Kontrolle über die Situation flößt den FS Ehrfurcht und Respekt vor dem Tier und der möglicherweise von ihm ausgehenden Gewalt ein. Die FS mutmaßen, ob es wohl möglich wäre, dass das Pferd seine Box durchbricht und auch Menschen Schaden zufügt. Obwohl expliziert wird, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, ist dennoch eine latente Unsicherheit und Unbehaglichkeit hinsichtlich der Situation bei den FS festzustellen. Anders hingegen zeigt sich das Muster im Fall B16.583 In diesem setzen sich die FS nicht mit einem lebendigen Tier auseinander. Kontext ist ein Hirschgeweih im Jagdschlösschen aus Eyerlohe. Aber selbst bei diesem Objekt nehmen die FS die durch das Geweih immer noch präsente Größe und Gewalt, über die das Tier zu seinen Lebzeiten verfügt haben könnte, wahr. Untereinander äußern die FS, dass der Hirsch mit diesem Geweih ernsthaft Schaden zufügen könnte. 581 T: 2670–2683, I: 5044–5076. 582 T: 1615–1661, I: 4268–4327. 583 T: 1898–1922, I: 4514–4553.
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Die beiden Fälle, in denen die O12 zutage tritt, unterscheiden sich hinsichtlich des unmittelbaren Erlebens in den jeweiligen Situationen. Während im ersten Fall die mangelnde Kontrolle über die Situation für die FS unmittelbar wahrnehmbar ist, so ist diese im zweiten Fall ein rein hypothetisches Konstrukt. Gemeinsam ist den Fällen hingegen, dass sich in ihnen einerseits eine Bewunderung für und Achtung vor großen starken Tieren dokumentiert. Gleichzeitig kommt auch Ehrfurcht vor diesen und der von ihnen möglicherweise ausgehenden Kraft und Gewalt zum Ausdruck. Es entsteht der Eindruck, dass in der Wahrnehmung der FS dieser Aspekt überwiegt; weniger im zweiten, sehr ausgeprägt jedoch im ersten Fall. Das durch diesen Aspekt das Bedürfnis nach Kontrolle der Situation und Sicherheit empfindlich penetriert wird, kann folglich als der konjunktive Erfahrungsraum beschrieben werden. 4.3.4.2 Vergleichende Betrachtung der abstrakten Orientierungen Die vergleichende Betrachtung der Einzelfälle hat aufgezeigt, welche Ausprägungsformen sich je Orientierung differenzieren lassen und worin deren konjunktiver Erfahrungsraum besteht. Dabei haben sich bereits Tendenzen, die auf eine Basistypik hindeuten, abgezeichnet. In dem folgenden Schritt, der die letzte Stufe der Abstraktion und Reduzierung der Phänomene darstellt, gilt es nun, diese Tendenzen in ein valides Ergebnis zu überführen. Hierfür werden die abstrakten Orientierungen einer vergleichenden Betrachtung unterzogen, um durch die Beschreibung der Gemeinsamkeiten nach dem Prinzip des minimalen Kontrasts das »Tertium Comparationis« zu ermitteln und durch die Abgrenzung zu den Unterschieden die Trennschärfe zu anderen Phänomenen herauszuarbeiten. Zudem ist an dieser Stelle ein Abstraktionsniveau erreicht, die in der Methodologie eingeforderte systematische Perspektiventriangulation auch auf der analytischen Ebene zu realisieren und die Befunde der teilnehmenden Beobachtung, sowohl die Beobachtungsprotokolle als auch die Transkripte der fokussierten Interviews mit den Museumspädagoginnen, zu integrieren. Die Reihenfolge, in der die Orientierungen im Folgenden behandelt werden, folgt dabei keinem, sei es aus der Methodologie oder dem Gegenstand resultierenden und zwingenderweise notwendigen Muster. Wie bereits im vorigen Schritt angedeutet, zeigen sich weitreichende Übereinstimmungen zwischen der O2 und O4 – aber auch der O13, O14 und O15. In der O2 und O4 stellt der museale Gegenstand einen Stimulus dar, von dem ausgehend die FS zum eigenen Herkunftsland parallele Strukturen erkennen. Durch diese ist es ihnen möglich, den Gegenstand zu kontextualisieren sowie Struktur und Orientierung zu schaffen. Gleiches gilt auch für die O15. Dieses Prinzip liegt auch der O13 zugrunde, in der die Orientierung letztlich nur Ausdruck und Produkt einer Narration ist, in der eine im Herkunftsland durch die FS selbst erlebte Situation den Zugang für die Auseinandersetzung mit dem mu-
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sealen Gegenstand darstellt. Die O14 fügt sich insofern auch in das Schema, als in dieser weniger in einem konkreten Gegenstand, als vielmehr in einer Situation ähnliche Strukturen identifiziert werden. Die Haltung einer liberalen und eigenverantwortlichen Auslegung muslimischer Vorschriften bezüglich Alkoholkonsums wie in B4 bringt zum Ausdruck, dass die Situation und Möglichkeit des Alkoholkonsums sowohl im Herkunftsland als auch in Deutschland vergleichbar wären. Gemeinsam ist diesen Orientierungsmustern folglich, dass den FS der Bezug zu ihrem Herkunftsland die Orientierung und Sicherheit gibt, einen musealen Kontext erschließen zu können. Diese Erkenntnis wird insofern durch die teilnehmende Beobachtung gestützt, als sich in den Protokollen – analog zu den Gesprächssequenzen in den Transkripten – ein hohes Maß an Souveränität im Umgang mit dem musealen Gegenstand erkennen lässt, d. h. die Distanz zum Objekt merklich abnimmt. Überdies dokumentiert sich in den Protokollen in vielen Fällen eine außerhalb der Diskurse stattfindende Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Die Bedeutung des Zugangs zu einem musealen Gegenstand über Parallelen zum Herkunftsland spiegelt sich auch in den Beobachtungen einer Museumspädagogin wieder, die feststellt: »wie froh sie [die FS] immer waren, wenn sie irgendwas entdeckt ham, das sie gekannt haben, […] da haben sie sich dann irgendwie heimelig g’fu¨ hl- g’fu¨ hlt.«584 In einigen Fällen überwiegt allerdings nicht diese positive emotionale Reaktion, sondern das Gefühl des Heimwehs.585 Der einzige Unterschied zwischen den Orientierungen besteht lediglich auf der inhaltlichen Ebene in der Art, wie die FS den Bezug zu ihrem Herkunftsland darstellen: entweder als (mit Deutschland bzw. dem musealen Kontext) identisch (O2), überlegen bzw. besser (O4) oder unterlegen bzw. schlechter (O15). Gemeinsamkeiten weisen die O3, O9 und O11 auf. Bei den O3 und O9 sind es Erinnerungen der FS an soziale Aktivitäten bzw. eine Annäherung im Modus einer sozialen Aktivität, die einen musealen Gegenstand strukturieren und kontextualisieren und die Distanz zu diesem abbauen. Der Unterschied besteht darin, dass bei der O3 soziale Bezugssysteme (z. B. die Familie, das Dorf) in diesen Erinnerungen eine herausgehobene Stellung einnehmen, mit denen soziale Aktivitäten verbunden werden. Bei der O9 sind es umgekehrt die Assoziationen mit der sozialen Aktivität Spielen, die in den Narrationen der FS auf soziale Bezugssysteme referieren. Bei der O9 kommt zudem zum Vorschein, dass auch das Spielen selbst als Modus einen Zugang zum musealen Kontext darstellt. Damit dokumentiert sich in diesem Fall explizit auf der Diskursebene, was darüber hinaus eine zentrale Erkenntnis der teilnehmenden Beobachtung darstellt: die spielerische und multisensorische Auseinandersetzung mit den musealen Kon584 T: 1155–1157. 585 T: 1157–1160.
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Empirie
texten, durch die die Distanz zu den Objekten unmittelbar gebrochen wird. Auch wenn diese Art der Erschließung besonders wichtig scheint, merkt nichtsdestoweniger eine Museumspädagogin unter Referenz auf ihre Beobachtungen an, dass dennoch die »Achtsamkeit […] [den] Objekten gegenüber«586 dem nicht untergeordnet werden dürfe. Die Parallele zur O11 drückt sich darin aus, dass bei dieser das Moment des (spielerischen) Entdeckens – sowohl auf der verbalen als auch auf der nonverbalen Ebene – eine konstitutive Rolle einnimmt. Im Weiteren lassen sich zwischen den O6, O7 und O8 Übereinstimmungen feststellen. Faktisch können die drei Orientierungen unter der O6 subsummiert werden. Bei dieser dienen Stereotype, Schemata und Dogmen als Medium, den musealen Gegenstand zu strukturieren und zu kontextualisieren. Gleiches gilt für die O8 – geschlechterspezifische Rollenbilder sind letztlich auch ein Ausdruck dieses Musters bzw. ein Spezialfall davon. Bei genauer Betrachtung kommt dasselbe Muster auch in der O7 zur Anwendung, wenn die FS den Versuch unternehmen, einen musealen Gegenstand auf der Basis von Schemata zu erschließen. Der einzige Unterschied zur O6 bzw. O8 besteht darin, dass die FS eine Diskrepanz zwischen ihren auf den Schemata beruhenden Vorstellungen über den musealen Gegenstand und der im Museum vorgefundenen Wirklichkeit erkennen. Die O7 zeichnet sich dadurch aus, dass die FS weniger stark an ihren Schemata festhalten, sondern die Bereitschaft zeigen, sich reflektiert mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen. Bei den O6 und O8 blenden sie solche Widersprüche aus. Aus der teilnehmenden Beobachtung lassen sich keine speziell dieses Muster betreffenden Erkenntnisse gewinnen. Miteinander vergleichbare Muster weisen überdies die O1 und O10 auf. Die O1 zeichnet sich dadurch aus, dass die FS in der Auseinandersetzung mit dem musealen Gegenstand eigene Erfahrungen, Kompetenzen, Vorkenntnisse, Assoziationen oder Vermutungen zur Anwendung bringen können. Im Unterschied zu den übrigen Diskursen werden nur bedingt Verbindungen zu anderen Kontexten (z. B. aus dem Herkunftsland bekannte Strukturen etc.) hergestellt. Das subjektive Erleben von Kompetenz und Souveränität in der Auseinandersetzung mit einem musealen Gegenstand beschränkt sich vornehmlich auf diesen – beispielsweise kann beschrieben werden, was etwas ist oder wie etwas funktioniert. Dasselbe Muster ist auch bei der O10 festzustellen. Bei dieser Orientierung bilden Tiere des Museums die Projektionsfläche dieses Ausdrucks von Kompetenz und Souveränität. Die FS beobachten das Verhalten von Tieren und beschreiben dieses und glauben, so scheint es, daraus Rückschlüsse auf deren zu erwartenden Verhaltensweisen ziehen, d. h. die Situation in dieser Hinsicht kontrollieren zu können. Besonders auf der Ebene der teilnehmenden Beobachtung dokumentiert sich ein vergleichsweise großes Engagement, eine rege 586 T: 2280–2281.
Hauptuntersuchung
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Beteiligung der FS an den jeweiligen Situationen. Gemeint ist damit, dass nicht nur diejenigen FS, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in Gestalt verbaler Äußerungen in den Diskurs einbringen, sondern auch die verbleibenden FS dem Geschehen aufmerksam Folgen und die Situation mitgestalten. Es zeigt sich folglich ein ausgeprägtes kooperatives Element im Kontext der O10. Hinsichtlich der O1 sind die nonverbalen Interaktionen ebenfalls stark ausgeprägt, allerdings in geringerer Intensität als bei der O10. Charakteristisch für die Erkenntnisse aus der teilnehmenden Beobachtung hinsichtlich der O1 ist hingegen die hohe Dynamik, mit der museale Kontexte von den FS »bearbeitet« und gewechselt werden. Das fügt sich in das Bild der Beobachtungen einer Museumspädagogin, die feststellt, dass die Beschäftigung der FS mit den musealen Gegenständen und auch die Auswahl derselben wenig zielgerichtet und »durchstrukturiert«, sondern eher »zufällig« scheint.587 Diese unstrukturierte Museumserkundung gewährt die nötige Flexibilität, in wenigen Augenblicken zu entscheiden, ob ein Gegenstand dieses Bedürfnis nach Kontrolle, Struktur und Sicherheit befriedigen kann oder nicht. Eine themenorientierte Begehung würde hingegen das Risiko bergen, im Zusammenhang mit dem ausgewählten Thema die Kontrolle über die Situation, wenn sie sich nicht sofort erschließt, u. U. aufgeben zu müssen. Einen starken Kontrast zu den bisher behandelten Orientierungsmustern bilden die O7 und O12. Einzelne Aspekte des Musters der O7 wurden oben bereits behandelt: Ausgangs- bzw. Zugangspunkt der Erschließung eines musealen Gegenstandes bilden Schemata, die jedoch in den betreffenden Fällen Widersprüche hervorrufen und mit der im Museum vorgefundenen Situation nicht vereinbar sind. Im Kontrast zu den anderen Orientierungen erleben die FS Situationen, die sie mit den von ihnen gewählten – und in anderen Situationen erfolgreich angewandten – Strategien nicht bewältigen können. Sie erkennen, dass ihr Bedürfnis nach Struktur und Orientierung bzw. Sicherheit in diesen Momenten nicht befriedigt werden kann. In den Fällen der O7 zeigen sich die FS jedoch – unterstützt durch entsprechende Hilfestellungen – zur Reflexion der Situation bereit. Dieser Aspekt wird später von Bedeutung sein, dass die FS eine kritisch-reflektierte Auseinandersetzung nicht eigenständig vornehmen, sondern einzig durch Impulse Dritter. Dieses Grundmuster ist auch in der O12 festzustellen. In einem Fall (B7) wollen sich die FS mit den Tieren in einem Stall auseinandersetzen. Die Begegnung mit den Tieren – die FS befinden sich außerhalb der Box eines Pferdes mit seinem Fohlen – ist zunächst unproblematisch: Die FS beschäftigen sich mit den Pferden und folgen den Explikationen einer Museumspädagogin. Allerdings zeigen die Tiere ein für die FS unerwartetes Verhalten (beispielsweise treten sie mit den Hufen gegen das Tor etc.). Ab diesem Moment zeigt sich bei den FS das oben beschriebene Erleben einer nicht kon587 T: 2235–2237.
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Empirie
trollierbaren Situation in einer besonders starken Ausprägung. Obwohl von den Tieren in diesem Moment keinerlei Gefahr ausgeht, empfinden die FS eine Situation, auf die sie keinen direkten Einfluss nehmen können, offensichtlich als bedrohlich. Das dokumentiert sich sowohl auf der Diskursebene als auch in den Befunden der teilnehmenden Beobachtung. Einigen FS scheint dieser Aspekt der Nicht-Kontrollierbarkeit bereits im Vorfeld bewusst zu sein, da sie der Begegnung mit den Tieren von vornherein fernbleiben. In einem weiteren Fall (B16) tritt das Muster der O12 in einer abgeschwächten Ausprägung zutage. In diesem wird die Nicht-Kontrollierbarkeit einer Situation bei der Begegnung mit einem Tier nicht durch unmittelbares Erleben, sondern in gedanklichen Vorstellungen – »Was wäre, wenn…?« – nachvollzogen.588 Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich die jeweils für die O7 und O12 beschriebenen Erfahrungsräume voneinander unterscheiden: Im Fall der O7 besteht das Erleben der Nicht-Kontrollierbarkeit einer Situation in der erfolglosen Anwendung von Strategien zur Erschließung eines Kontextes. Jedoch können die FS die Situation kraft eigenen Bemühens – und unterstützt durch Hilfestellungen – selbst lösen. Im Fall der O12 besteht dieses Erleben hingegen darin, dass auf die betreffende Situation faktisch kein Einfluss genommen werden kann und diese nur durch das Verlassen der Situation gelöst werden kann. Werden diese Differenzen von der Gesamtbetrachtung der O7 und O12 subtrahiert, so verbleibt als deren konjunktiver Erfahrungsraum nichtsdestotrotz: das Erleben der Nicht-Kontrollierbarkeit einer Situation. Dass es sich hierbei um eine belastbare Schlussfolgerung handelt, zeigt sich nicht zuletzt mit Blick auf die sich hiervon kontrastreich absetzenden anderen Orientierungen. Denn in diesen zeigen sich ein Bedürfnis und Erleben von Strukturierung, Orientierung und letztlich auch Kontrollierbarkeit der Situation in vergleichbaren Konstellationen. 4.3.4.3 Basistypik Der vorige Schritt hat – als letzte Stufe der Abstraktion – zutage gefördert, worin die Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Orientierungsmustern bestehen, welches »Tertium Comparationis« sich daraus ableitet und wie sich dieses trennscharf zu anderen Mustern abgrenzen lässt. Folglich ist es nun möglich, den übergeordneten »globalen« konjunktiven Erfahrungsraum und die finale Basistypik zu beschreiben: Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung artikulieren Interesse bei der Auseinandersetzung mit musealer Überlieferung, wenn diese ein Bedürfnis nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit befriedigt. Dies ist dann der Fall, wenn die selbst588 Ein Hirschgeweih bildet den Stimulus, durch den sich die FS mit dem einstigen Träger des Geweihs, dem Hirsch auseinandersetzen und Gedankenexperimente anstellen, welche Gewalt und auch Gefahr von einem solchen Tier ausgehen könne.
Hauptuntersuchung
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gesteuerte Entwicklung eines rezipientenspezifischen Deutungsansatzes des musealen Objekts möglich ist.
Was sich als vage Tendenz bereits abgezeichnet hat, kann an dieser Stelle als begründete und belastbare Erkenntnis bezeichnet werden. Durch das konsequente und kontrollierte Durchführen der einzelnen Analyseschritte der dokumentarischen Methode ist es möglich, diese Typik als Grundlage jeder Orientierung und wiederum deren Einzelfälle zu ermitteln. Über den Untersuchungsgegenstand, das Interesse von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung im Kontext des außerschulischen Lernens in historischen Museen ergibt sich damit das folgende Bild: Die FS der Stichprobe empfinden solche musealen Gegenstände und Kontexte als interessant, die ein Bedürfnis nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit befriedigen können.589 Das ist in solchen Fällen feststellbar, die Anhaltspunkte bieten, auf Basis derer sich die FS den jeweiligen Gegenstand – zumindest in Teilen – selbst erschließen können oder zumindest meinen, dies zu können. Es ist für die FS folglich bedeutsam, sich mit einem musealen Gegenstand nicht in erster Linie durch den im Museum präsentierten Kontext, sondern durch eine individuelle Kontextualisierung auseinanderzusetzen.590 Dabei scheint es zweitrangig zu sein, ob die dadurch gewonnenen Erkenntnisse über den Gegenstand auch für den musealen Kontext zutreffen oder nicht. Für diese durch die FS vorgenommene Kontextualisierung sind vier zentrale Phänomene zu benennen: 1) Die Kompetenz im anwendungsbezogenen Umgang mit dem musealen Gegenstand bringen die FS einerseits auf der verbalen Ebene zum Ausdruck, indem sie den Gegenstand beschreiben (beispielsweise Bezeichnung, Funktion, Zweck). Auf der nonverbalen Ebene findet dies in einer souveränen bis selbstverständlichen multisensorischen Annäherung an den Gegenstand seinen Niederschlag. 2) Die Verbindung mit der eigenen Lebenswirklichkeit dokumentiert sich in Narrationen, in denen die FS einen individuellen, persönlichen Bezug zum Gegenstand herstellen, der vor allem auf eine gegenwärtige Lebenswirklichkeit referiert.591 3) Die Verbindung mit dem eigenen Herkunftsland kommt in Narrationen zum Vorschein, in denen explizit Paral589 Im Verständnis der Psychologie ist ein Bedürfnis der Ausdruck eines Mangelzustandes, eines Defizits an etwas, das durch die Bedürfnisbefriedigung behoben wird. Vgl. Trimmel, Michael: Einführung in die Psychologie. Motivation, Emotion und Lernprinzipien (Einführungen Psychologie Bd. 2), Wien 2015, S. 31. 590 Das bestätigt auch die Untersuchung von Meyer-Hamme zu historischen Identitäten und Geschichtsunterricht. Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 287. Vgl. auch die Prinzipien kulturpädagogischen Handelns bei Braun/Schorn: Ästhetisch-kulturelles Lernen, S. 116–118. 591 Ähnliches beobachtet auch Kohler in seinem Typus 1 der Schülervorstellungen zum Lernort Museum, in der ein alltagsgeschichtlicher und damit tendenziell lebensweltlicher Zugang zu Geschichte überwiegt. Vgl. Kohler: Schülervorstellungen 2016, S. 230.
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Empirie
lelen zwischen diesem und dem musealen Gegenstand592 aufgezeigt werden, die sowohl auf gegenwärtige als auch vergangene Zustände (das Herkunftsland betreffend) referieren.593 4) Die Verbindung mit Stereotypen, Schemata und Dogmen strukturiert einen Gegenstand für die FS auf vermeintlich einfache Weise, führt faktisch jedoch zu Diskrepanzen und Widersprüchen, die von den FS allerdings vielfach ausgeblendet werden. Erwartungsgemäß beschreiben diese Phänomene keine absoluten, realtypisch vorliegenden Zustände, in denen trennscharf entweder das eine oder andere Phänomen zum Vorschein kommt. Zudem existieren Abstufungen derselben. In den meisten Fällen lässt sich eine Kombination mehrere Phänomene feststellen. Die hier beschriebenen Phänomene bilden die konzentrierte Quintessenz des gesamten in den Einzelfällen vorliegenden Spektrums an Merkmalen, die sich nach dem Prozess der Abstraktion und Reduzierung auf dem Weg der Analyse herauskristallisieren. Ein wesentliches und bereits mehrfach genanntes Merkmal einer Basistypik ist ihre Trennschärfe, d. h. heißt die Abgrenzung zu anderen Mustern. Die komparative Analyse hat hierfür bereits erste Indizien und Anhaltspunkte geliefert. Diese Abgrenzung zeigt sich besonders deutlich in den Fällen, in denen sich eine Situation der Kontrolle der FS entzieht, d. h. diese auf die jeweilige Situation keinen unmittelbaren Einfluss nehmen können. Dazu zählen erstens solche Fälle, in denen sich zwar im Kern die oben genannten Phänomene im Rahmen der Kontextualisierung eines musealen Gegenstandes nachweisen lassen, die Strategien der FS jedoch erfolglos bleiben, d. h. sich der Gegenstand nicht ihren Vorstellungen entsprechend kontextualisieren lässt. Erst Hilfestellungen, welche die von den FS erlebte Unkontrollierbarkeit der Situation überwinden, ermöglichen eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Zweitens fallen darunter Fälle, in denen die FS aus ihrer Perspektive keine Möglichkeit haben, die
592 In vielen Fällen als pars pro toto für Deutschland betrachtet. 593 Die Phänomene zwei und insbesondere drei verdeutlichen die Relevanz der eigenen Kultur als Medium des Verständnisses der fremden Kultur und Strukturelement der eigenen Identität. Vgl. Möhring, Peter: Zum psychoanalytischen Verständnis von Migration und Interkultureller Begegnung, in: Büttner, Christian u. a. (Hg.): Brücken und Zäune. Interkulturelle Pädagogik zwischen Fremdem und Eigenem (Psychoanalytische Pädagogik Bd. 4), Gießen 1998, S. 53–74. Georgi nennt es »Analogiebildungen« und erkennt ebenso in der Herstellung von Bezügen zur eigenen Lebenssituation und -wirklichkeit ein wichtiges Kriterium für die Anschlussfähigkeit von Geschichte für junge Migranten. Vgl. Georgi: Entliehen Erinnerung, S. 300, 303f. Zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt auch MeyerHamme, der feststellt, dass junge Migranten ihr Verständnis von Geschichte sowohl auf ihr Herkunftsland als auch ihre Lebenssituation in Deutschland bezögen. Vgl. Meyer-Hamme, Johannes: »Dieses Kostüm ›Deutsche Geschichte‹«. Historische Identitäten Jugendlicher in Deutschland, In: Georgi, Viola B./Ohliger, Rainer (Hg.): Crossover Geschichte. Historisches Bewusstsein Jugendlicher in der Einwanderungsgesellschaft, Bonn 2009, S. 75–89, hier S. 84.
Hauptuntersuchung
203
Situation zu gestalten und zu beeinflussen, außer sie verließen die Situation.594 Eine Perspektive auf diese Thematik eröffnen auch die Erkenntnisse der kommunikativen Validierung. In dieser distanzieren sich die FS zwar von einer »extremen« Haltung, sich in einem Museum lediglich mit ihnen bekannten Dingen befassen zu wollen. Allerdings positionieren sie sich auch nicht aufseiten des Gegenteils, d. h. völlig unbekannten Situationen, die sich nicht kontrollieren und kontextualisieren lassen. Vielmehr formulieren sie eine Haltung der »Mitte« zwischen diesen Polen, sich auch mit nicht bekannten Gegenständen auseinandersetzen zu wollen, jedoch ausgehend von ihnen bekannten Anhaltspunkten. Zur Bedingung einer als interessant empfundenen Auseinandersetzung mit einem musealen Gegenstand wird folglich dessen – zumindest ansatzweise – selbst vorgenommene Kontextualisierung anhand bekannter Anhaltspunkte. Insofern stellt die Abgrenzung von der erlebten Unkontrollierbarkeit und erfolglosen Kontextualisierung von Situationen eine ebenfalls stichhaltige Erkenntnis des Analyseprozesses dar.
4.4
Güte der empirischen Befunde
Bevor jedoch die Empirie als abgeschlossen betrachtet werden kann, muss noch die selbstkritische Frage gestellt werden, inwiefern die Untersuchungsinstrumente das gemessen haben, wofür sie konzipiert wurden, inwiefern das Untersuchungsdesign selbst das Untersuchungsergebnis determiniert und wie dieses folglich einzuordnen ist. Im Rahmen der Erhebungen der Hauptuntersuchung waren die FS dazu aufgefordert, das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim geleitet von ihren eigenen Interessen zu erkunden. Da es sich um einen rekonstruktiven Forschungsansatz handelt, der Erkenntnisse über den Gegenstand »Interesse« gewinnen will, wurden den FS für die Museumserkundung keine Einschränkungen erteilt. An den Stellen, an denen durch die FS ein Interesse artikuliert wurde, wurde dies durch Gesprächssequenzen – ein Hybrid aus Gruppendiskussion und fokussiertem Interview – vertieft und eruiert. Eine Triangulation in Gestalt einer parallel durchgeführten teilnehmenden Beobachtung mit zwei Beobachtern, sollte eine weitere Perspektive auf den Gegenstand gewähren. Es war nicht die Absicht, in erster Linie herauszufinden, was (z. B. welche Themenkomplexe) die 594 Schließlich wäre auch auf all diejenigen Fälle zu verweisen, die nicht der vollständigen Analyse unterzogen wurden. Was unter dem Terminus der mangelnden interaktiven Dichte als Ausschlusskriterium galt, markiert letztlich diejenigen Situationen, in denen es den FS nicht gelingt, den musealen Kontext auf die oben beschrieben Weise zu strukturieren und zu erschließen, weshalb keine Interessenhandlungen entstehen und auch keine Beziehungen zu den musealen Objekten aufgebaut werden (können).
204
Empirie
FS als interessant empfinden. Diese Befunde wären über den konkreten Untersuchungsfall hinaus wenig anschlussfähig. Um daher die Reichweite der Erkenntnisse zu erhöhen, sollten mithilfe der dokumentarischen Methode auf dem Weg der Analyse die den Interessen zugrundeliegenden Orientierungen und der diesen gemeinsame konjunktive Erfahrungsraum ermittelt werden. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Methodologie und der Frage nach deren Umsetzung im Rahmen der Erhebungssituation wurde bereits im Rahmen der Voruntersuchung beleuchtet. Auf diesen Aspekt muss daher nicht in allen Details eingegangen werden. Es hat sich rückblickend als die richtige Entscheidung herausgestellt, die Auseinandersetzung der FS mit ihren Interessen vor Ort in Unmittelbarkeit zum musealen Gegenstand stattfinden zu lassen. In der Mehrheit der Fälle war die Präsenz des Gegenstandes als Stimulus entscheidend. Das zeigt sich sowohl in den Diskursen, aber auch und vor allem in der teilnehmenden Beobachtung, die eine intensive, multisensorische Annäherung an den Gegenstand dokumentiert. Es darf allerdings auch nicht verschwiegen werden, dass trotz dieser Unmittelbarkeit die Erhebung nicht frei von Schwierigkeiten war. Es waren oftmals Impulse und Nachfragen nötig, um die Auseinandersetzung mit einem musealen Gegenstand und Interesse daran zu vertiefen. Allerdings fand diese Impulssetzung so kontrolliert und behutsam statt, dass dadurch die Zielrichtung der Auseinandersetzung nicht nennenswert verändert wurde. Die Impulse und Nachfragen wurden vorwiegend dann gesetzt, wenn Äußerungen der FS zu unspezifisch waren, um aus diesen Erkenntnisse gewinnen zu können: beispielsweise ein unkonkretes »wir«, das infolge einer Nachfrage mit »Mein Opa […] [und] der Bruder von meiner Mutter« greifbarer wird.595 Dass selbst die Auseinandersetzung in Unmittelbarkeit zum musealen Gegenstand nicht frei von möglichen Schwierigkeiten ist, zeigt, dass eine solche in Distanz zum Objekt, beispielsweise in Einzel- oder Gruppengesprächen nach einer Museumsbegehung, in denen die FS einzig auf ihre Erinnerungen und ggfs. fotografische Abbildungen hätten zurückgreifen können, höchstwahrscheinlich nur wenig ertragreich gewesen wären – auch weil die besonders wichtige Möglichkeit der nonverbalen Auseinandersetzung gefehlt hätte. Die teilnehmende Beobachtung wurde als Instrument installiert, um den Untersuchungsgegenstand »Interesse« aus einer zweiten Perspektive zu beleuchten und weitere Aspekte dieses Gegenstandes zu erfassen. Dieses Ziel konnte erreicht werden, allerdings auf einer anderen Ebene als bei der Konzeption der Methodologie intendiert. Die Protokolle rekonstruieren den Prozess der Erhebung kleinschrittig und versuchen, eine möglichst große Bandbreite und Aspekte in ihrer Tiefe zu erfassen. Die Erhebungssituationen waren jedoch von einer hohen Dynamik gekennzeichnet. Das hat dazu geführt, dass die Erfassung 595 A30, T: 1043–1049.
Hauptuntersuchung
205
von Phänomenen im Rahmen der Beobachtung nicht so präzise möglich war, dass diese konkreten Äußerungen in den Diskursen zugeordnet werden können. Vielmehr zeichnen sich in den Beobachtungsprotokollen die übergeordneten Strukturen und Muster der Auseinandersetzung auf einer Makroebene ab. Dieses Resultat hat auch Auswirkungen auf die Analyse. Es war daher nicht möglich, die teilnehmende Beobachtung bereits im Schritt der reflektierenden Interpretation zielführend einzusetzen. Dieser Teilbereich der Analyse arbeitet sehr eng an einem primären Text, den Transkripten der Gruppendiskussionen bzw. fokussierten Interviews. Die Transkripte und die Beobachtungsprotokolle betrachten den Untersuchungsgegenstand von unterschiedlichen Abstraktionsniveaus, der untersten Mikro- und einer Makroebene aus. Es musste festgestellt werden, dass sich diese beiden Ebenen nicht schlüssig in einem Schritt vereinen lassen. Den Abstraktionsgrad der teilnehmenden Beobachtung zu senken, wäre in diesem Untersuchungsdesign nur schwer möglich gewesen. Eine Erhöhung der Beobachterzahl wäre in den z. T. beengten Platzverhältnissen des Museums nicht möglich gewesen und hätte die Erhebungssituation empfindlich gestört. Auch der Einsatz von Videobeobachtern wäre unter den gegebenen Bedingungen nicht durchführbar gewesen. Daher war der Einbezug der Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtung erst im Rahmen der komparativen Analyse möglich, die den Untersuchungsgegenstand in einem mit der teilnehmenden Beobachtung vergleichbaren Abstraktionsniveau betrachtet. In diesem Schritt konnte sodann aufgezeigt werden, dass sich sowohl auf der Ebene der Diskurse als auf jener der teilnehmenden Beobachtung ähnliche Strukturen abzeichnen und somit die Erkenntnisse der vorigen Analyseschritte stützen und untermauern. Schließlich ist noch zu fragen, inwiefern das Untersuchungsdesign selbst das Untersuchungsergebnis determiniert? Die FS werden im Rahmen der Erhebungssituation dazu aufgefordert, ein Museum, geleitet von ihren Interessen, zu erkunden. Führt das folglich nicht zwangsläufig dazu, dass sie vorwiegend museale Kontexte fokussieren, die ein Bedürfnis nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit befriedigen und sich einer rezipientenspezifischen, selbstkontrollierten Kontextualisierung unterziehen lassen? Diese Schlussfolgerung wäre nicht unbegründet. Ist es doch wahrscheinlich, dass Teilnehmer einer interkulturellen Situation, wie sie auch die Erhebung darstellt, in der die FS im Museum mit der Überlieferung einer für sie zumindest fremden Kultur konfrontiert werden, besonders die Gemeinsamkeiten zu betonen versuchen. Aber selbst, wenn das Ergebnis der Untersuchung durch diesen Aspekt zumindest in Teilen mit bedingt wäre, so würde es den Wert und die Aussagekraft desselben nicht beeinträchtigen, wäre es doch lediglich Ausdruck dessen, dass die FS nichtsdestoweniger stärker daran interessiert sind, Gemeinsamkeiten anstatt Unterschiede zu fokussieren. Überdies wurde den FS während der gesamten Erhebung Raum gegeben, sich mit allen Kontexten, auch den unbekannten bzw.
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Empirie
fremden zu beschäftigen. Solche Fälle liegen auch im empirischen Material vor und haben Eingang in die Analyse gefunden. Es handelt sich dabei um Situationen, wie oben dargestellt, in denen sich mit dem Erleben der Unkontrollierbarkeit der Situation ein Muster und ein Erfahrungsraum dokumentieren, von denen sich die entworfene Basistypik präzise abgrenzen lässt. An dieser Stelle sei nochmals auf das Resultat der kommunikativen Validierung Bezug genommen, das für die Bewertung und Einordnung der Untersuchungsergebnisse nicht unwesentlich ist. Die »Relativierung«, die sich in der Auseinandersetzung der FS mit den Befunden der reflektierenden Interpretation und den darin zutage tretenden Haltungen und Orientierungen dokumentiert, erlaubt mit Blick auf die Basistypik folgende Schlussfolgerung und Einordnung: Es können im Rahmen der selbstgesteuerten Kontextualisierung eines musealen Gegenstandes Orientierungen und Haltungen der FS zutage treten, die sich konzentriert in den obengenannten Phänomenen wiederspiegeln, die für die FS jedoch nur Teil bzw. Produkt der Strategie der Erschließung des jeweiligen Kontextes sind. Im Modus der Reflexion dieser Orientierungen und Haltungen, zeigt die kommunikative Validierung, ist auch eine über die selbstgesteuerte Kontextualisierung hinausgehende Auseinandersetzung mit einem musealen Gegenstand und dessen Kontext möglich. In dieser folglich bestehenden prinzipiellen Offenheit für das Fremde und Unbekannte beruht eine wesentliche Voraussetzung für ein interkulturelles und auf Multiperspektivität und Fremdverstehen ausgerichtetes historisches Lernen. Der nachfolgende letzte Teilbereich dieser Arbeit, die Einordnung der empirischen Befunde in den übergeordneten thematischen Kontext, wird u. a. auf diesen Aspekt genauer eingehen. Es kann abschließend festgehalten werden, dass im Prozess des empirischen Forschungsteils dieser Arbeit die Potentiale und Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns in dem Maße ausgeschöpft wurden, dass ein valides und belastbares Ergebnis erzielt werden konnte. Durch den rekonstruktiven Ansatz konnten Erkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand »Interesse« gewonnen werden, deren Reichweite über den konkreten Einzelfall und die Erhebungssituation hinausreicht und sowohl für die museumspädagogische Praxis sowie weitere Forschung anschlussfähig sind.
D.
Einordnung der empirischen Befunde
Es wäre möglich, von der im vorigen Kapitel dargestellten Basistypik und den Erkenntnissen der empirischen Untersuchung ausgehend, weitere Forschungsvorhaben durchzuführen oder diese in praktischen Maßnahmen umzusetzen und damit bereits an dieser Stelle das Erreichen der nötigen Anschlussfähigkeit zu erklären. Allerdings gewähren selbst diese Ergebnisse noch Raum für Auslegungen und Interpretationen. Es bestünde folglich die Gefahr, dass die bisherigen Erkenntnisse z. T. missverständlich ausgelegt und letztlich falsche Rückschlüsse gezogen werden. Bis jetzt ist lediglich bekannt, dass für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung die Befriedigung des Bedürfnisses nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit durch die selbstgesteuerte, rezipientenspezifische Deutung musealer Objekte wesentlich das Entstehen von Interesse beim außerschulischen Lernen in kulturhistorischen Museen bedingt. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, daraus beispielsweise ein Ausschlusskriterium für bestimmte Ausstellungsformen abzuleiten oder zu schlussfolgern, das Anforderungsniveau museumspädagogischer Programme auf ein Minimum zu reduzieren und einzig Themen und Objekte zu behandeln, die sich den Rezipienten völlig erschließen. Dabei läge eine Fehleinschätzung vor, da auch für das Entstehen von Interesse ein gewisses Anforderungsniveau essentiell ist.596 Solche oder ähnliche Deutungsansätze sind nicht die Intention dieser Arbeit. Vorgebeugt werden kann dem nur, indem eine Einordnung der empirischen Befunde in den im Abschnitt B aufgespannten und übergeordneten theoretischen Kontext erfolgt. Zugleich wird auf diese Weise einem der zentralen Kriterien des BDRAnsatzes genüge getan, der eine wissenschaftstheoretische Begründung und Untermauerung sämtlicher Schritte des Forschungsprozesses fordert. Dies gilt konsequenter Weise auch für die Ergebnisse und Befunde. Unter Verweis auf Abschnitt B sind für die Einordnung der empirischen Befunde zwei Fragen zentral: Welche Erkenntnisse lassen sich über das Interessenkonstrukt, sowohl im Allgemeinen wie auch im Besonderen gewinnen? Und 596 Vgl. Krapp: Interessenkonstrukt, S. 312f.
208
Einordnung der empirischen Befunde
welche Folgerungen ergeben sich hieraus für ein interessenorientiertes museumspädagogisches Handeln im Umgang mit (in D-Klassen beschulten) Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung? Ehe diese Einordnung vorgenommen wird, muss jedoch betont werden, dass sie in Bezug auf die beiden genannten Punkte unterschiedliches zu leisten imstande ist. Hinsichtlich der Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt im Allgemeinen ist es möglich, unter Referenz auf Thesen und Befunde der pädagogisch-psychologischen Interessenforschung valide Aussagen zu treffen. Bei der Einordnung in das Interessenkonstrukt im Besonderen, d. h. mit Blick auf das Geschichtsbewusstsein und die historische Identität sollen die Befunde hingegen auf Grundlage etablierter geschichtsdidaktischer Positionen zu diesen Konzepten beschrieben und bewertet werden. Die Aussagen, die sich auf diese Weise treffen lassen, sind teilweise sehr belastbar; teilweise lassen sich jedoch auch nur Tendenzen erkennen. Am wenigsten konkret werden jedoch die Schlussfolgerungen hinsichtlich der Implementierung der Befunde in der Praxis sein. Im Rahmen dieser Arbeit ist es lediglich möglich, Ideen zu entwickeln und zu diskutieren, in welche Richtung diese Implementierung zielen kann. Um solche Ideen in belastbare und valide Aussagen zu überführen, wäre es nötig, wie im DBR-Ansatz vorgesehen, eine elaborierte Theorie zu entwickeln, anhand derer eine entsprechende Lernumgebung zu konzipieren und deren Wirksamkeit in einer weiteren empirischen Untersuchung zu evaluieren usw. Dennoch erhebt die folgende Einordnung der empirischen Befunde den Anspruch, nicht nur Grundlage weiterer Forschungsbemühungen, sondern auch ein Gewinn für die museale Praxis zu sein.
1.
Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt
1.1
Im Allgemeinen: die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse als Bedingung von Interesse
Die Einordnung der empirischen Befunde in das Interessenkonstrukt im Allgemeinen ist insofern in besonderer Weise erkenntnisreich, als dass sie einen mit einem qualitativen Ansatz erzielten Beleg für eine bereits bestehende Hypothese der pädagogisch-psychologischen Interessen- und Motivationsforschung liefert, die bislang ausschließlich mit quantitativen Methoden zu beweisen versucht wurde. Bezugnehmend auf die Arbeiten von Nuttin sowie Deci und Ryan postuliert Krapp, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit, subsummiert unter dem Begriff »Wohlbefinden« und der Entstehung und Entwicklung von Interesse und intrinsischer Motivation beste-
Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt
209
hen muss.597 Die Erkenntnisse der empirischen Untersuchung legen den Schluss nahe, dass dies im Besonderen für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung im Kontext des außerschulischen Lernens in kulturhistorischen Museen gilt. Denn die Erfahrung von Alterität in zweifacher Weise – die Auseinandersetzung mit fremder, vergangener Kultur – stellt besondere Anforderungen an jene Gruppe von Lernenden. Doch bevor diese erste These näher beleuchtet wird, soll zunächst anhand des allgemeinen Interessenkonstrukts von Krapp die Frage geklärt werden, wie sich die im empirischen Teil ermittelte Basistypik darin einordnen lässt und welchem Begriff von Interesse sie wie Gestalt gibt. Zur Wiederholung seien nochmals die zentralen Aspekte der »Münchener Interessentheorie« skizziert: Bei Interesse handelt es sich um ein relationales Konstrukt, das sich in der Beziehung einer Person zu einem Gegenstand im Rahmen einer Interessenhandlung konstituiert.598 Es wird zwischen situationalem Interesse, das durch einen situationsspezifischen Stimulus ausgelöst wird und individuellem Interesse, das sich in überdauernden Neigungen oder Vorlieben einer Person ausdrückt, differenziert.599 Je nachdem, auf welcher dieser Interessenausprägungen eine Interessenhandlung beruht, handelt es sich im ersten Fall um situationales und im zweiten Fall, wenn auf ein individuelles Interesse Bezug genommen wird, um aktualisiertes Interesse.600 Mit Blick auf diese Klassifizierung von Interesse kann als das implizite Ziel der empirischen Untersuchung gelten, durch die Auseinandersetzungen der FS mit musealen Gegenständen und Themen und durch die darin zutage tretenden Orientierungen und deren konjunktivem Erfahrungsraum zu einem übergeordneten, »globalen« individuellen Interesse vorzudringen, das im Rahmen von Interessenhandlungen aktualisiert wird. Da der Anspruch erhoben wird, Erkenntnisse über die Interessen von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung im Allgemeinen zu gewinnen, wäre statt »individuellem« der Begriff »kollektives« Interesse zutreffender. Es zeigt sich, dass die im Museum präsentierte Themen, Kontexte und Objekte an sich einzig Stimuli darstellen, die aufgrund von situationsspezifischer Interessantheit situationales Interesse auslösen. Weder auf der Ebene einzelner FS, noch auf der der gesamten Stichprobe lassen sich Themen, Kontexte oder Objekte identifizieren, die auf ein durch sie aktualisiertes individuelles bzw. kol597 Nuttin, Joseph: Motivation, Planning, and Action. A Relational Theory of Behavior Dynamics, Leuven 1984; Deci/Ryan: Selbstbestimmungstheorie; Krapp, Andreas: Basic needs and the development of interest and intrinsic motivational orientations, In: Learning and Instruction 15 2005, S. 381–395; Krapp: Konzept 2005; Rohlfs: Bildungseinstellungen, S. 183–191. 598 Krapp: Intrinsische Lernmotivation, S. 397. 599 Krapp, Konzepte, S. 11. 600 Krapp: Interessenkonstrukt, S. 309.
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Einordnung der empirischen Befunde
lektives Interesse hinweisen. Selbst bestimmte Objektgattungen können in diesem Zusammenhang nicht genannt werden. Diese Erkenntnis hängt im Wesentlichen mit zwei Faktoren zusammen: Erstens wurde nicht explizit nach aktualisierten Interessen in Gestalt konkret greifbarer Themen, Kontexte oder Objekte gesucht. Stattdessen war es das Ziel, durch die Ermittlung der dahinterliegenden Orientierungen und des ihnen gemeinsamen, konjunktiven Erfahrungsraums die Reichweite und Anschlussfähigkeit der Erkenntnisse über den Einzelfall hinaus zu erhöhen. Aber selbst auf der Ebene der einzelnen Orientierungen sind noch keine aktualisierten Interessen, sondern lediglich situationsspezifische Aspekte zu erkennen. Zweitens hätten, selbst wenn nicht ausdrücklich nach solchen Formen von aktualisierten Interessen gesucht wurde, dennoch einzelne Schritte der Analyse (z. B. die formulierende, aber auch die reflektierende Interpretation) eben diese konkret greifbaren Interessen zutage gefördert, wären sie im empirischen Ausgangsmaterial nachweisbar. Stattdessen war in den betreffenden Analyseschritten festzustellen, dass von den FS beispielsweise häufig solche Themen, Kontexte und Objekte fokussiert wurden, die neben situationsspezifischen anderweitigen Anreizen im Museum wiederholt auftauchen.601 Der Blick auf die Einzelfälle legt den Schluss nahe, dass hierfür das Wiedererkennen als solches und nicht ein aktualisiertes Interesse im Verständnis des Krapp’schen Interessenkonstrukts ausschlaggebend sind. Außerdem führen solche rein auf Quantitäten beruhenden Schlussfolgerungen im qualitativen Paradigma nicht zu belastbaren, validen Aussagen und verfügen daher über keinen relevanten Erkenntniswert. Eine spezifische Form von aktualisiertem individuellem bzw. kollektivem Interesse zeigt sich dagegen auf der Ebene eines Abstraktionsniveaus, das in der komparativen Analyse und Typenbildung erreicht wird. Der den einzelnen Orientierungen gemeinsame, konjunktive Erfahrungsraum und die daraus abgeleitete Basistypik verkörpern eine Form von individuellem bzw. kollektivem Interesse, das sich mit den Begriffen von Krapp nicht ausschließlich greifen lässt und weiter gefasst betrachtet werden muss. Kennzeichnend wären erstens, wie oben bereits genannt, spezifische Vorlieben, die sich im Laufe der Entwicklung herausbilden und in einem Person-Gegenstands-Bezug zutage treten. Charakteristisch wäre zweitens eine »zunehmend ausdifferenzierte Wissensstruktur über diesen Gegenstand (deklaratives Wissen) und die mit ihm realisierbaren Handlungsmöglichkeiten (prozedurales Wissen)«.602 601 Wenn in diesem wie in den folgenden Fällen Einzelfälle angeführt werden, so handelt es sich lediglich um exemplarische Belege, die keine Vollständigkeit garantieren. In diesem Fall z. B. eine Küche (A7, A10, C5, C15, C28), Tiere (B5, B7, B10, B11), ein Ofen (C4, C5, C16, C29). 602 Krapp: Konzept 1992, S. 13.
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Das erstaunliche an der im Rahmen der Analyse identifizierten Interessenstruktur ist, dass der letztgenannte Aspekt hinsichtlich des deklarativen und prozeduralen Wissens sogar sehr markant hervortritt, sich jedoch in der Auseinandersetzung der FS mit dem musealen Gegenstand in keinem Fall eine überdauernde Vorliebe für diesen erkennen lässt, die über eine Interessantheit aufgrund situationsspezifischer Anreize hinausgeht. Oder anders formuliert, gilt die Vorliebe als persönlichkeitsspezifisches Merkmal nicht in erster Linie dem Gegenstand der Interessenhandlung an sich, sondern vielmehr der Tatsache, dass die jeweiligen FS über die nötigen individuellen Fähigkeiten verfügen, sich mit dem Gegenstand eigenständig und in einer für sie als sinnstiftend erlebten Art und Weise auseinandersetzen zu können.603 Das individuelle bzw. kollektive Interesse, das in den jeweiligen Interessenhandlungen aktualisiert wird, beruht folglich im Herstellen einer aktuellen Person-Gegenstands-Beziehung und resultiert nicht aus einem bereits bestehenden Person-Gegenstands-Bezug. Das bedeutet, dass die Begriffe individuelles (bzw. kollektives) und aktualisiertes Interesse in diesem Zusammenhang einen breiteren semantischen Horizont aufspannen, als von Krapp intendiert. Er setzt diesen einen sehr engen Rahmen und versteht darunter beispielsweise die Vorliebe für eine bestimmte Musikrichtung oder einen bestimmten literarischen Autor, die sich bei der Rezeption der entsprechenden Musik auf einem Konzert oder des neuesten Werks des Autors in einem aktualisierten Interesse äußert. Im vorliegenden Fall fehlen jedoch diese konkret benennbaren Vorlieben. Stattdessen fungieren die musealen Themen, Kontexte und Objekte lediglich als Stimuli und situationsspezifische Anreize. Das so entstehende situationale Interesse richtet sich vordergründig auch auf diese. Doch das aktualisierte Interesse manifestiert sich auf einer tieferen Ebene und entfaltet sich erst in einem weiteren, außerhalb des Objekts liegenden bzw. mit diesem in einer wechselseitigen Beziehung stehenden Erlebnis- und Erfahrungshorizont der FS, in dessen Fokus das Herstellen und Gestalten einer aktuellen Person-Gegenstands-Beziehung stehen. Das individuelle bzw. kollektive und im Rahmen der Interessenhandlung aktualisierte Interesse dokumentiert sich in erster Linie nicht in dem Zusammenhang, den die museale Kontextualisierung und Deutung vorgibt, sondern in dem, den die FS durch das Herstellen der Person-Gegenstands-Beziehung selbst eröffnen.604 Eine wichtige Erkenntnis, die an dieser Stelle abermals aufgegriffen werden soll, resultiert aus der kommunikativen Validierung: Diese Interessenstruktur markiert keinen feststehenden, endgültigen Zustand, über den hinaus eine 603 Diese Merkmale treffen letztlich auf alle Fälle zu, in denen sich die Basistypik nachweisen lässt, weshalb darauf verzichtet werden kann, bestimmte Fälle exemplarisch zu nennen. 604 Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt auch Meyer-Hamme, wenn er feststellt, dass es Lernenden für ein nachhaltiges Lernen gelingen muss, dem Lerngegenstand eine eigene Bedeutung geben zu können. Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 287.
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Einordnung der empirischen Befunde
Auseinandersetzung mit dem musealen Gegenstand ausgeschlossen ist. Vielmehr haben die FS im Rahmen der Validierung implizit zum Ausdruck gebracht, dass für sie diese Struktur, die in der Basistypik auf den Punkt gebracht wird, als Grundlage und Ausgangspunkt eine große Relevanz hat, von der aus sie jedoch offen für und interessiert an einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dem musealen Gegenstand sind. In ebendieser Konstellation liegen die Potentiale, aber auch möglichen Schwierigkeiten einer Implementierung der Erkenntnisse in der museumspädagogischen Praxis, worauf an späterer Stelle eingegangen wird.605 Im folgenden letzten Teilbereich der Einordnung der empirischen Befunde in das Interessenkonstrukt im Allgemeinen, wird auf die zu Eingang des Kapitels in den Raum gestellte These eingegangen, dass die ermittelte Interessenstruktur einen Beleg für den Zusammenhang zwischen der Befriedigung grundlegender psychologischer Bedürfnisse und der Entstehung und Entwicklung von Interesse (und intrinsischer Motivation) darstellt. Ausgangspunkt bildet wiederum die Theorie der Selbstbestimmung von Deci und Ryan.606 Von »besonderer Bedeutung«607 seien demnach für intrinsisch motivierte und interessenbestimmte Handlungen grundlegende psychologische Bedürfnisse. Es werden drei so genannte »basic needs« genannt: 1) Competence, »to feel efficacious, to have an effect on one’s environment«, 2) Autonomy, »to feel volitional, to be self-initiating« und 3) Relatedness, »to feel connected to others.«608 Hinsichtlich der Phänomenologie intrinsisch motivierter Handlungen erkennt Ryan, dass diese als »autonomous and unconflicted expressions of the self«609 erlebt werden. Folglich ist die Befriedigung dieser Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung intrinsisch motivierter Handlungen.610 Ryan vermutet die Ursache dieses Zusammenhangs darin, dass Personen dazu neigen, selbst der Ursprung ihres eigenen Verhaltens zu sein, anstatt von Faktoren außerhalb des eigenen Selbst reguliert und kontrolliert zu werden.611 Das Resultat der Befrie605 606 607 608
Abschnitt D, Kapitel 2. Deci/Ryan: Selbstbestimmungstheorie. Ebd., S. 229. Deci, Edward L.: The Relation of Interest to Motivation and Human Needs. The SelfDetermination Theory Viewpoint, in: Hoffmann, Lore u. a. (Hg.): Interest and learning. Proceedings of the Seeon-Conference on interest and gender, Kiel 1998, S. 146–162, hier S. 152. 609 Ryan, Richard M.: Psychological Need and the Facilitation of integrative Processes, In: Journal of Personality 63/3 1995, S. 397–427, hier S. 405. Vgl. ebenso Ryan, Richard M.: Agency and organization. Intrinsic motivation, autonomy and the self in psychological development, In: Jacobs, Janis E. (Hg.): Developmental perspectives on motivation (Nebraska symposium on motivation Bd. 40), Lincoln 1993, S. 1–56. 610 Vgl. Deci: Relation, S. 157. 611 Ryan: Psychological Need, S. 409.
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digung der drei psychologischen Grundbedürfnisse wird übereinstimmend als »well-being«, also Wohlbefinden bezeichnet.612 Zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Deci und Ryan gelangt auch Nuttin, der ebenfalls einen Zusammenhang zwischen »needs« – er differenziert zwischen physiological und psychological needs – und intrinsischer Motivation vermutet.613 Anders jedoch als Deci und Ryan, die von einer starken Stellung des Selbst ausgehen, das proaktiv auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse hinwirkt, entsteht bei Nuttin der Eindruck, dass das Individuum stärker von externen Faktoren und spezifischen Objekten abhängig ist, die diese Bedürfnisse befriedigen können.614 Krapp verbindet die Ansätze und Überlegungen von Deci und Ryan bzw. Nuttin mit der Person-Gegenstands-Theorie. Ausgehend von der Annahme, dass eine hohe Korrelation zwischen Interesse und intrinsischer Motivation besteht,615 folgert er, dass die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse nicht nur eine Voraussetzung für intrinsische Motivation, sondern auch für Interesse sein muss.616 Trotz dieses engen Zusammenhangs sind die Befriedigung dieser Bedürfnisse, subsummiert unter dem Begriff »Wohlbefinden« und intrinsische Motivation bzw. Interesse, als eigenständige Strukturen zu betrachten.617 Das bedeutet, dass kein Automatismus besteht, dass die Befriedigung der Bedürfnisse zwangsläufig zu Interesse und intrinsischer Motivation führt.618 Krapp misst dabei insbesondere der kognitiv-rationalen und der emotionalen Komponente eine wesentliche Bedeutung für diesen Prozess zu.619 Grundlage der eben dargestellten Ansätze sind neben theoretischen vor allem auch empirische Erkenntnisse aus in erster Linie quantitativen Designs, wie beispielsweise Laborexperimenten und Feldstudien620 oder Interview- und Fragebogenuntersuchungen.621 Eine weitere Perspektive auf diesen Themenkomplex gewährt Maslow, der jedoch bei den genannten Autoren keine Beachtung findet.622 Aber nichtsdestoweniger sollten seine Erkenntnisse nicht unerwähnt bleiben, stellen sie doch ein weiteres – und von den oben genannten Autoren unabhängig entstandenes – Indiz für die Plausibilität des Zusammenhangs zwischen der Be612 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622
Vgl. Krapp: Konzept 2005; Ryan: Psychological Need, S. 411f. Nuttin: Motivation. Vgl. ebd., S. 140. Krapp: Konzept 2005, S. 31. Krapp: Interessenkonstrukt, S. 303f. Vgl. Krapp: Konzept 2005, S. 626. Selbstredend in Anhängigkeit von situationsspezifischen Faktoren, kann von einer mehr oder weniger hohen Wahrscheinlichkeit dieser Kausalität ausgegangen werden. Krapp: Interessenkonstrukt, S. 383. Deci/Ryan: Selbstbestimmungstheorie. Krapp: Konzept 1992; Krapp: Basic needs; Krapp: Konzept 2005. Möglicherweise ist das – rein spekulativ – der Tatsache geschuldet, dass ihm die empirische Grundlage fehlt?
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Einordnung der empirischen Befunde
friedigung psychologischer Grundbedürfnisse und intrinsischer Motivation bzw. Interesse dar.623 Ausgehend von der Annahme, dass das menschliche Ziel die Selbstverwirklichung darstellt, entwirft er eine Hierarchie aufeinander aufbauender Grundbedürfnisse, an deren Spitze dieses Ziel steht. Genannt werden: physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Liebe, Bedürfnisse nach Achtung und die Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung.624 Wie die anderen genannten Autoren, geht auch Maslow von einem Zusammenhang zwischen der Befriedigung dieser Bedürfnisse und der Entstehung und Entwicklung intrinsischer Motivation (respektive Interesse) aus, die eine notwenige Komponente der Selbstverwirklichung darstellt.625 Die skizzierte Hierarchie stellt dabei keine feste, starre Ordnung dar; je nach Individuum können die Bedürfnisse und die Notwendigkeit ihrer Erfüllung unterschiedlich gewichtet werden.626 Es ist offensichtlich, dass zwischen Maslows theoretischen Überlegungen und den auch auf empirischen Befunden beruhenden Erkenntnissen von Deci und Ryan, Nuttin oder Krapp Übereinstimmungen bestehen, welche die jeweiligen Schlussfolgerungen und Konzepte untermauern. Die Reihe von Untersuchungen, die – teils empirisch, teils »nur« theoretisch begründet – einen Zusammenhang zwischen der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse und der Entstehung und Entwicklung intrinsischer Motivation bzw. Interesse feststellen, kann begründeter Weise mit der vorliegenden Arbeit fortgesetzt werden. Die Erkenntnisse, die über diesen Zusammenhang getroffen werden können, betreffen jedoch ausschließlich das Interesse als Untersuchungsgegenstand. Auf Basis der empirischen Befunde wird vor dem zuvor aufgespannten wissenschaftstheoretischen Horizont die erste These aufgestellt: Die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit stellt eine elementare Voraussetzung für ein interessenbestimmtes, nachhaltiges Lernen dar. Das gilt im Besonderen für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung im Kontext des außerschulischen Lernens in kulturhistorischen Museen. Denn die Erfahrung von Alterität in zweifacher Weise – die Auseinandersetzung mit einer fremden, vergangenen Kultur – stellt besondere Anforderungen an diese Gruppe von Lernenden.
623 Als Vertreter der humanistischen Psychologie in Abgrenzung zur behavioristischen Tradition, setzt sich Maslow in seinen Überlegungen auch mit menschlichen Bedürfnissen und Motivationen auseinander. Vgl. u. a. Maslow, Abraham H.: The Farther Reaches of Human Nature, New York 1971; Maslow, Abraham H.: Motivation und Persönlichkeit, Reinbeck bei Hamburg 1981. 624 Vgl. Maslow: Motivation, S. 62–74. 625 Vgl. Maslow: Farther Reaches. 626 Maslow: Motivation, S. 79–82.
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Die Plausibilität dieser ersten These soll aus inhaltlich-theoretischen Gesichtspunkten folgendermaßen begründet werden:627 Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet die Annahme, dass das außerschulische Lernen in kulturhistorischen Museen wegen eines der Grundprinzipien des historischen Lernens – Multiperspektivität und der intendierten Förderung von Fremdverstehen in der Erfahrung von Alterität – eine sinnvolle Ergänzung zum schulischen Lernen für in D-Klassen beschulte Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung darstellen kann. Es wird ihnen dabei ermöglicht, sich im »geschützten« Raum Museum mit der für sie fremden Kultur auseinanderzusetzen und diese kennenzulernen. Wichtig festzustellen ist jedoch, dass es sich bei diesem Lernen um ein Erfahren von Alterität im doppelten Sinne handelt. Zum einen beschäftigen sich die Lernenden628 mit der Kultur der sie aufnehmenden Gesellschaft – die erste Alteritätserfahrung. Und zum anderen setzen sie sich im Museum nicht mit der gegenwärtigen, sondern der vergangenen, historischen Kultur auseinander – die zweite Alteritätserfahrung. Sowohl Krapp als auch Deci und Ryan erkennen, dass ein optimales Erregungs- bzw. Anforderungsniveau wesentliche Voraussetzungen für die Entstehung und Entwicklung von Interesse sind.629 Es lässt sich sowohl theoretisch wie auch empirisch begründet schließen, dass die Anforderungen an Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung durch die zweifache Alteritätserfahrung ungleich höher als an Lernende ohne eigene Migrationserfahrung sind. Es ist daher anzunehmen, dass für Lernende aus der Residenzgesellschaft die genannten psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit in einem Museum unmittelbarer und leichter befriedigt werden können und daher das Defizit-Erleben für diese Lernenden vergleichsweise gering sein dürfte, d. h. die Bedürfnisbefriedigung nicht in deren unmittelbarem Fokus steht. Anders verhält es sich jedoch bei Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung. Es ist wahrscheinlich, dass die betreffenden Lernenden bei der Auseinandersetzung mit einem in zweifacher Hinsicht fremden musealen Gegenstand ein größeres Defizit mit Blick auf die psychologischen Grundbedürfnisse wahrnehmen und ihre Anstrengungen auf die Befriedigung derselben fokussieren.630 627 Eine notwendige Begründung aus methodischen Gesichtspunkten erfolgt an späterer Stelle im Anschluss an die Einordnung der Befunde in das Interessenkonstrukt im Besonderen, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden. 628 Wenn im Weiteren von Lernenden gesprochen wird, so sind damit jugendliche Lernende mit eigener Migrationserfahrung gemeint. 629 Krapp: Interessenkonstrukt, S. 312f.; Deci/Ryan: Selbstbestimmungstheorie, S. 231. 630 Davon unabhängig erkennt Gerlach, dass der Wunsch nach Autonomie bei der Rezeption einer Museumsausstellung durch Jugendliche im Allgemeinen eine große Bedeutung zukommt. Vgl. Gerlach: Schülervorstellungen, S. 218. Dies entspricht auch den Prinzipien Partizipation bzw. Erfahrung von Selbstwirksamkeit des kulturpädagogischen Handelns bei Braun/Schorn: Ästhetisch-kulturelles Lernen, S. 117f.
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Einordnung der empirischen Befunde
Maslow erkennt hinsichtlich des Bedürfnisses nach Sicherheit, dass unvertraute und fremde Situationen und Kontexte Unbehagen auslösen und ein besonders starkes Verlangen nach der Befriedigung dieses Bedürfnisses hervorrufen und daher prinzipiell das Bekannte dem Unbekannten vorgezogen wird.631 Ähnlich wie Nuttin misst Maslow jedoch Individuen lediglich den Handlungsspielraum zu, sich gegen eine Unbehagen auslösende und für eine bedürfnisbefriedigende Situation zu entscheiden. Demgegenüber ist das »Selbst« bei Deci und Ryan in der Lage, proaktiv auf die Bedürfnisbefriedigung hinzuwirken, da insbesondere die Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie neben einer passiven Erlebnis- auch eine starke aktive Handlungskomponente aufweisen und folglich das Selbst zur eigenständigen Befriedigung dieser Grundbedürfnisse befähigen.632 Diese Erkenntnis dokumentiert sich auch in den der Basistypik zugrundeliegenden Fällen. In diesen führt eine zunächst ausschließlich situationsspezifische Interessantheit der musealen Objekte dazu, dass sich die FS diesen annähern. Eine eingehende Auseinandersetzung findet dann statt, wenn es den FS gelingt, selbständig eine Person-Gegenstands-Beziehung herzustellen und dadurch die genannten Grundbedürfnisse zu befriedigen.633 Situationen, die sich diesem Zugang entziehen, werden von den FS entweder gemieden oder schnell verlassen und markieren diejenigen Einzelfälle, von denen sich die Basistypik abgrenzen lässt.634 Es wurde an anderer Stelle bereits darauf eingegangen, dass ein Kennzeichen von Interessenhandlungen ist, dass sich Person und Umwelt wechselseitig aufeinander beziehen und eine funktionale Einheit bilden.635 In den untersuchten Einzelfällen kommt zum Ausdruck, dass nicht nur der museale Kontext des 631 Maslow: Motivation, S. 66–69. 632 Vgl. Ryan: Psychological Need; Deci: Relation. 633 Kohler gelangt insofern zu ähnlichen Schlussfolgerungen, wenn er feststellt, dass für Jugendliche (ohne hierbei Migrationserfahrung als Variable zu berücksichtigen) ein Museumsbesuch dann interessant ist, wenn es möglich ist, sich aktiv (auch interaktiv) und selbständig mit der Ausstellung auseinandersetzen zu können. Vgl. Kohler: Schülervorstellungen 2016, S. 230f. bzw. Kohler, Christian: »Wo Geschichte näherrückt«. Schülervorstellungen über die Konstruktion von Geschichte im Museum, In: Arand, Tobias/Seidenfuß, Manfred (Hg.): Neue Wege – neue Themen – neue Methoden? Ein Querschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Bd. 7), Göttingen 2014, S. 83–97, hier S. 94. Gerlach erkennt ebenfalls, dass »Eigenständigkeit« beim Besuch eines Museums für die Lernenden von zentraler Bedeutung ist – nicht nur bezogen auf das Interagieren, sondern auch auf den inhaltlichen Zuschnitt der Programme. Vgl. Gerlach: Schülervorstellungen, S. 185–188. 634 Solche liegen insbesondere in denjenigen Einzelfällen vor, die nicht der vollständigen Analyse unterzogen wurden. Das was unter dem Terminus der fehlenden interaktiven Dichte als Ausschlusskriterium für die Analyse benannt wurde, kennzeichnet letztlich die Situationen, in denen es den FS nicht gelungen ist, eine Person-Gegenstands-Beziehung aufzubauen. 635 Vgl. Krapp: Konzept 2005, S. 629.
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Interessengegenstandes, sondern in herausgehobener Weise auch der soziale Kontext diese Umwelt konstituieren. Gemeint ist damit die Bedeutung des Bezugssystems »Gruppe«. Wenngleich sich eine Person-Gegenstands-Beziehung zunächst ausschließlich zwischen einer einzelnen Person und einem Gegenstand ausbildet, d. h. Interesse in jedem Fall in seinem Kern eine personenspezifische und keine ein Kollektiv betreffende Struktur ist, hat sich dennoch im Rahmen der Untersuchung herausgestellt, dass die wechselseitigen Beziehungen zwischen Personen einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung der individuellen Person-Gegenstands-Beziehungen leisten. Es lässt sich kein Einzelfall ausmachen, bei dem sich eine Interessenhandlung lediglich zwischen einer Person und einem musealen Objekt entwickelt hätte. Es sind immer mehrere Personen beteiligt, die sich zwar jeder für sich mit dem Gegenstand auseinandersetzen, aber auf den oder die jeweils anderen als Teil der selbst wahrgenommenen Umwelt in ihre Auseinandersetzung einbeziehen.636 Diese Personen sind in der Hauptsache »Peers«, also andere FS bzw. Gruppenmitglieder. Aber auch andere Personen, welche die Erhebungen begleitet haben,637 waren Adressaten der FS und als Teil deren jeweiliger Umwelt in die Auseinandersetzungen mit den Gegenständen eingebunden. Daraus lässt sich schließen, dass sich das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit nicht nur in der Beziehung zwischen der Person und dem Gegenstand konstituiert, sondern maßgeblich auch durch die Umwelt und deren Beziehung zum Gegenstand. Oder frei formuliert: Je stärker sich auch andere Personen mit dem Gegenstand der eigenen Interessenhandlung identifizieren, eine Beziehung zu jenem aufbauen und in diesem Prozess ähnliche Handlungen vollziehen, desto höher sind die erlebte eigene Bestätigung und die wahrgenommene soziale Eingebundenheit und die Befriedigung der Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie.638 Krapp erkennt in diesem Zusammenhang den Wunsch nach Akzeptanz und Anerkennung und dass sich Personen umso stärker mit einem Interessengegenstand identifizieren und die Situation der Interessenhandlung als »angenehm« empfinden, je reibungsloser die Person-UmweltInteraktion abläuft und je stärker die erlebte Wertschätzung durch die jeweiligen Bezugspersonen ist.639 Nuttin beschreibt das als »need for social interaction«.640 Maslow spricht von den Bedürfnissen nach »Zugehörigkeit und Liebe« bzw. »Achtung«.641 Von den untersuchten Einzelfällen weisen vor allem diejenigen eine hohe interaktive Dichte auf und zeugen von einer starken Identifikation der 636 Besonders deutlich wird dies u. a. bei den Fällen A1, A2, A11, A22, A26, B3, B4, B5, B10, B28, C8, C12, C15, C16, C22, C23, C26, C28, C35. 637 Z. B. Lehrkraft, Museumspädagogin oder Untersuchungsleiter. 638 Vgl. auch Ryan: Psychological Need, S. 419. 639 Krapp: Konzept 2005, S. 634–636. 640 Nuttin: Motivation, S. 109–120. 641 Maslow: Motivation, S. 71–73.
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Einordnung der empirischen Befunde
FS mit dem jeweiligen musealen Gegenstand, in denen infolge des Aufbaus der einzelnen Person-Gegenstands-Beziehungen die so aufgespannten Horizonte und Kontexte Überschneidungen aufweisen, d. h. die FS Gemeinsamkeiten mit anderen FS entdecken. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es belastbare Erkenntnisse und Anhaltspunkte für die These gibt, dass die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse nicht nur im Allgemeinen, sondern für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung im Kontext des außerschulischen Lernens in kulturhistorischen Museen im Besonderen wegen der Erfahrung von Alterität in zweifacher Weise eine elementare Voraussetzung für ein interessenbestimmtes, nachhaltiges Lernen darstellt. Die Auseinandersetzung mit einer a) fremden und b) fremden, vergangenen Kultur stellt an diese Zielgruppe ungleich höhere Anforderungen als beispielsweise an Lernende der Residenzgesellschaft. Die empirischen Befunde legen den Schluss nahe, dass Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung vorwiegend an solchen musealen Themen, Kontexten und Objekten interessiert sind, die es ihnen ermöglichen, ein Defizit-Erleben hinsichtlich der Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit zu überwinden. Die musealen Objekte lösen in diesem Prozess als Stimuli aufgrund situationsspezifischer Interessantheit situationales Interesse bei den Lernenden aus. Ein überdauerndes individuelles bzw. auf der Ebene der Zielgruppe kollektives Interesse, das im Rahmen der Interessenhandlung aktualisiert wird und den konjunktiven Erfahrungsraum markiert, ist nicht in objektimmanenten Faktoren zu suchen. Es können keine bereits bestehenden Person-GegenstandsBezüge identifiziert werden. Jenes besteht vielmehr darin, dass es den Lernenden gelingt, eine aktuelle Person-Gegenstands-Beziehung herzustellen und dadurch das Objekt, aus dem musealen Kontext herausgelöst, einer eigenen Kontextualisierung zuzuführen. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, die zweifache Alteritätserfahrung zu bewältigen. Der sozialen Eingebundenheit als einem der Grundbedürfnisse kommt dabei insofern eine besondere Bedeutung zu, als dass für den jeweils einzelnen Lernenden die anderen Lernenden – als Teil der situationsspezifischen Umwelt des einzelnen und durch die wechselseitige Bezugnahme aufeinander – eine wesentliche Rolle für den Aufbau der individuellen Person-Gegenstands-Beziehungen einnehmen. Die funktionale Einheit von Person und Umwelt erfüllt den individuellen Wunsch nach Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung. Das Resultat der kommunikativen Validierung untermauert die These, da darin zum Ausdruck kommt, dass die den Einzelfällen der Untersuchung zugrundeliegenden Orientierungen keinen feststehenden Zielzustand markieren, sondern lediglich Bestandteil der Strategien der Lernenden sind, die jeweiligen Situationen zu strukturieren und zu kontrollieren. Von dieser Grundlage ausgehend zeigen sich die Lernenden offen für und in-
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teressiert an einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dem jeweiligen musealen Gegenstand. Nach dieser Einordnung im Allgemeinen, wird im folgenden Kapitel die Frage zu klären sein, welche Erkenntnisse sich aus den empirischen Befunden über das Interessenkonstrukt im Besonderen, d. h. über das Geschichtsbewusstsein bzw. die historische Identität gewinnen lassen und welche Formen historischer Sinnbildung den konjunktiven Erfahrungsraum kennzeichnen.
1.2
Im Besonderen: die Überwindung von Alteritätserfahrung und Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur als Zieldimension historischer Sinnbildung
Konstitutiv für die interessengeleitete Auseinandersetzung mit einen historischen, musealen Gegenstand ist das Moment der Identifikation mit diesem.642 Bei Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung erfolgt eine vornehmlich (positiv-)affirmative Verwendung von Geschichte.643 Das ist auch vor dem Hintergrund wenig überraschend, wurden Affirmation und Identifikation auch als die zentralen Merkmale einer Interessenhandlung im Allgemeinen herausgearbeitet. Gleichwohl sollen diese Feststellungen nicht als reine »Nebenbefunde« und weniger wichtig betrachtet werden. Das Erkenntnispotential beruht darin, vor diesem Hintergrund die im Rahmen der Interessenhandlung stattfindenden Prozesse historischer Sinnbildung zu beleuchten und diese Erkenntnisse mit denen zum Interessenkonstrukt im Allgemeinen in Beziehung zu setzen.644 Es ergibt sich das Bild, dass die Prozesse historischer Sinnbildung auf eine Zieldimension ausgerichtet sind, die in der Überwindung von Alterität besteht und ihren Ausdruck in der Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur findet. Doch bevor diese zweite These näher beleuchtet wird, soll zunächst anhand der zentralen Merkmale von Geschichtsbewusstsein und historischer Identität herausgearbeitet werden, wie sich die im empirischen Teil ermittelte Basistypik darin einordnen lässt. Das Geschichtsbewusstsein gilt als die Fundamentalkategorie der Geschichtsdidaktik. Auf der Ebene der historischen Identität erfolgen
642 Vgl. Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 40; Bergmann: Identität, S. 32. 643 Vgl. Borries: Legitimation, S. 15. 644 Es wird dabei wohl berücksichtig, dass es sich bei beiden Bestandteilen des Interessenkonstrukts um die Konzepte zweier verschiedener Disziplinen handelt, die auf der wissenschaftstheoretischen Ebene in keiner Verbindung zueinanderstehen. Auf der empirischen Ebene erweisen sich die vergleichende Betrachtung und Beziehung der Befunde aufeinander jedoch als gewinnbringend.
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Einordnung der empirischen Befunde
die Konstruktion von Wir-Gruppen sowie Prozesse der Individualisierung.645 Ausdruck findet die historische Identität in narrativen Akten, in denen sich das Subjekt in Beziehung zum historischen Gegenstand setzt.646 Diesem Merkmal verdankt diese Arbeit ihre Erkenntnisse, da über die narrativen Akte der Zugang zum Untersuchungsgegenstand möglich ist.647 Eine der Hauptfunktionen der historischen Identität sei die der Legitimation.648 Historische Identität wird durch das (historische) Lernen nicht eigens neu angelegt; Individuen werden vielmehr in das historische Selbstverständnis sozialer Gruppen und Milieus hineingeboren und in diesen sozialisiert.649 Daraus ergibt sich die Chance, in der Herausarbeitung allgemeiner Fallstrukturen auch zu milieuspezifischen Strukturen und Orientierungen und einem konjunktiven Erfahrungsraum vordringen zu können.650 Für die Konstruktion von Wir-Gruppen ist es erforderlich, dass das jeweilige Individuum einen notwendigen Gegenpart, ein »sie« oder »die Anderen« erkennt. Der museale Gegenstand fungiert dabei als Medium, diese Differenzierung vorzunehmen, indem er entweder als das Fremde bzw. Andere wahrgenommen wird, von dem sich das Selbst bzw. die Wir-Gruppe abgrenzt oder indem er selbst zum Teil der Wir-Gruppe, der eigenen Identität wird. In der Analyse der Einzelfälle zeigt sich eine auffällige Vermischung dieser Ebenen, die im Konzept der Kategorie »historische Identität« getrennt betrachtet werden. In der Mehrheit der Fälle setzen sich die FS interessengeleitet mit solchen musealen Kontexten auseinander, in denen jene die Position des »Wir« bzw. »Ich« besetzen, d. h. in den Narrationen der FS implizit als Bestandteil der eigenen (historischen) Identität benannt werden.651 In den betreffenden Objekten erkennen die FS Kontexte, die ihnen aus ihrer eigenen Lebenswirklichkeit und/oder aus ihrem 645 Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2012, S. 89. 646 Rüsen, Jörn: Historisches Erzählen, S. 45; Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2012, S. 94. 647 Besonderes Augenmerk wird an späterer Stelle auf die Formen der historischen Sinnbildung gerichtet, die sich in den Auseinandersetzungen der FS mit der musealen Überlieferung feststellen lassen. 648 Borries: Legitimation, S. 9–21. 649 Bergmann: Geschichtsdidaktik, S. 94; Jeismann: Didaktik, S. 65–70. 650 Gleichwohl bedeutet das nicht, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund als homogene Gruppe betrachtet werden. Hinsichtlich vieler Faktoren ist sie überaus heterogen und schwer zu fassen. Da jedoch in der vorliegenden Untersuchung der Aspekt der Alteritätserfahrung untersucht wird, der jedem Angehörigen der Grundgesamtheit – in unterschiedlicher Ausprägung – zu eigen ist, wird dennoch angestrebt, diesbezüglich allgemeine, milieuspezifische Strukturen zutage zu fördern. 651 Wenn in diesem wie in den folgenden Fällen Einzelfälle angeführt werden, so handelt es sich lediglich um exemplarische Belege, die keine Vollständigkeit garantieren. In diesem Fall z. B. Geräte in einer Scheune (A1), ein Backofen (A3, C5), Getreidesorten (A13), eine Schmiede (A27), Tiere (B5, B7, C3), ein Kachelofen (B18), ein Mahlwerk (C8), eine Wasserpumpe (C21, C25), eine Küche (C23).
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Herkunftsland bekannt sind. Die Objekte fungieren dabei als Medium, die durch das Museum »aufgezwungene« Erfahrung von Alterität beherrschbar zu machen und zu überwinden. Diese Objekte verhelfen damit den Kriterien der Basistypik zu ihrer Geltung und befriedigen das Bedürfnis der FS nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit. Eine Besonderheit dieser Form liegt in denjenigen Fällen vor, in denen das museale Objekt zwar als Bestandteil der WirGruppe benannt wird, gleichzeitig aber dahingehend differenziert wird, dass der Kontext des »Eigenen«, auf den das Objekt in der Narration der FS verweist, qualitativ oder quantitativ betrachtet »besser« ist als der Kontext des »Fremden«, den die museale Ausstellung repräsentiert. Oder anders formuliert, wird in der Narration eine Aufwertung des »Eigenen« gegenüber dem musealen Kontext vorgenommen, ohne dass dieser explizit dem »Anderen« zugeordnet wird.652 In den übrigen Fällen dieser Ausprägung werden beide Kontexte, auf die das museale Objekt in den Narrationen der FS verweist, der »eigene« sowie der museale »fremde« Kontext als »gleichwertig« dargestellt.653 Auf der anderen Seite artikulieren die FS aber auch Interesse an solchen musealen Kontexten, die in den Narrationen der FS nicht Bestandteil der eigenen (kulturellen) Ich- oder Wir-Identität bzw. -gruppe sind und dem Gegenpart, dem »Anderen« zugeschrieben werden.654 Aber auch diese Kontexte scheinen den Kriterien der Basistypik genügen zu können. Darin zeigt sich, dass Alterität in diesem Zusammenhang nicht einzig auf eine kulturelle Dimension reduziert werden darf. Denn trotz der offensichtlichen kulturellen Fremdheit der betreffenden musealen Objekte, beziehen die FS diese in ihre Identitätskonstruktion ein. Es tritt in diesen Fällen das besondere Phänomen der Basistypik zutage, dass die FS durch ihre Interessenhandlung zum Ausdruck bringen, dass sie über die nötigen individuellen Fähigkeiten verfügen, sich eigenständig damit auseinandersetzen zu können. Zugleich zeigen die FS, dass sie sich hinsichtlich der betreffenden Kontexte bereits mit der für sie fremden deutschen Residenzgesellschaft auseinandergesetzt haben, d. h. über bestimmte »Sachverhalte« »Bescheid wissen«. Sie demonstrieren somit eine Form der »Zugehörigkeit«. Teilweise greifen die FS dabei auf Stereotype, Schemata oder Dogmen zurück, durch die in einem spezifischen Kontext zwar unzutreffende Schlussfolgerungen gezogen 652 Eine Küche (A7), eine Getreidemühle (A11, C27), eine Schmiede (A27), private Nutztierhaltung (C3), Pflanzenbewässerung (C5), ein Bett (C11). 653 In einem Einzelfall, einer Bauernstube (C16) tritt das Gegenteil zutage, nach anfangs vermuteter Vergleichbarkeit, stellen FS fest, dass das Herkunftsland gegenüber dem musealen Kontext »schlechter« gestellt ist. Daraufhin wird die Auseinandersetzung mit dem Kontext abgebrochen und kein Interesse mehr artikuliert. Daher lässt sich dieser Fall trennscharf von der Basistypik abgrenzen. 654 Ein Schweinepferch (A2, B10), Erzeugnisse aus Schweinefleisch (A10), das typische Dach eines fränkischen Bauernhauses (A23, C6), Bierherstellung (B4), ein Hirschgeweih (B16), landwirtschaftliches Gerät (C26).
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werden,655 was jedoch für die »wahrgenommene« Zugehörigkeit zweitrangig zu sein scheint.656 Alteritätserfahrung, die ausschlaggebend für eine Interessenhandlung der FS ist, dokumentiert sich folglich nicht ausschließlich oder in erster Linie in einer kulturellen Dimension, sondern auch in einer kognitiven. Setzen sich die FS mit einem musealen Objekt auseinander, das bereits Bestandteil ihr eigenen (kulturellen) historischen Identität ist, finden sich darin selbstredend beide Dimensionen wieder. Im Rahmen des historischen Sinnbildungsprozesses und der Konstruktion von Wir-Gruppen treten spezifische Formen der historischen Sinnbildung zutage. Diese sollen im Folgenden herausgearbeitet werden. Als geeignete Grundlage erweist sich hierfür das Konzept von Rüsen, der vier idealtypische Formen historischer Sinnbildung (bzw. des historischen Erzählens) differenziert: 1) Traditionale Sinnbildung fokussiert die Ursprünge, die gegenwärtige Lebensverhältnisse oder Normen bedingen; betont werden Kontinuitäten, Veränderungen hingegen ausgeblendet. Identität konstituiert sich durch die Identifikation mit und die Affirmation von vorgegebenen Identitätsangeboten. 2) Exemplarische Sinnbildung greift auf Sachverhalte der Vergangenheit zu, welche die Regeln gegenwärtiger Lebensverhältnisse konkretisieren. Während sich Lebensverhältnisse oder Normen ändern können, bleiben zugrundeliegende Regeln und Prinzipien davon unberührt. Identität entsteht durch die Generalisierung von Zeiterfahrungen zu Handlungsregeln. 3) Genetische Sinnbildung fokussiert das Moment der zeitlichen Veränderung und stellt eine gerichtete Entwicklung über die Zeit bis in die Gegenwart dar. Daraus resultiert die Absehbarkeit einer künftigen Entwicklung. Identität konkretisiert sich in der Verortung des Selbst in der Entwicklung und der Anerkennung einer Richtung der Entwicklung. 4) Kritische Sinnbildung bestreitet die Plausibilität einer vorhandenen Sinnbildung und die darin manifeste Kontinuitätsvorstellung.657 Identität konkretisiert sich in der Abgrenzung bestimmter Orientierungs- bzw. Identitätsangebote.658 655 Mathis und Gollin stellen hinsichtlich der Wahrnehmungsfähigkeit von Lernenden bei der Auseinandersetzung mit Historie fest, dass sich jene historische Objekte (z. B. Denkmäler) tendenziell erratend und geleitet von subjektiven Alltagserfahrungen denn durch genaue Betrachtung erschlössen. Vgl. Mathis/Gollin: Winkelried, S. 92f., 96. Diese selektive Wahrnehmung kann durchaus auch zur Verbindung mit Stereotypen etc. führen, da diese eine vermeintlich einfache Erklärung liefern, die keiner genauen Betrachtung bedarf. 656 Die Anatomie des Schweines (B10), Alkoholkonsum in Deutschland (B12, B19), die Authentizität eines Hirschgeweihs (B16), eine Wärmflasche (C29). 657 Dies geschieht, wenn: 1) Vergangenheitspartikel der Narration widersprechen, 2) Normen der Narration nicht mehr mit denen der Subjekte kompatibel sind, 3) der Zusammenhang zwischen den erzählten Einzelheiten und den zugrundeliegenden Normen nicht mehr plausibel scheint. 658 Vgl. diesbezüglich Rüsen: Geschichtstheoretische Konsequenzen, S. 141–145; Rüsen: Historische Vernunft, S. 76–83, 98–108; Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 40–55 sowie Borries: Geschichtslernen, S. 59–62.
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Die bisherigen Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass im Rahmen der Interessenhandlungen der FS eine überwiegend traditionale Sinnbildung stattfinden müsste, um die Basistypik zu bestätigen. Der Blick auf die Einzelfälle gibt dieser Vermutung teilweise recht. Allerding lassen sich auch die Formen der genetischen wie exemplarischen Sinnbildung sowie hybride Konstrukte herausarbeiten, die Aspekte mindestens zweier Formen historischer Sinnbildung enthalten. Die Frage ist, ob sich hinsichtlich der Formen der historischen Sinnbildung gewisse Strukturen, Regelmäßigkeiten oder Relationen zu anderen Erkenntnissen (z. B. der Art und Weise der Wir-Gruppenbildung) erkennen lassen. Die Herausforderung dabei ist, zu berücksichtigen, welche Zeitebenen die FS in ihren Narrationen im Einzelfall verbinden. Die Kontinuitätsvorstellung als zentrales Merkmal der traditionalen Sinnbildung impliziert, dass diese nicht nur in der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart hergestellt, sondern auch auf die Zukunftserwartung übertragen wird. Gleiches gilt für die genetische wie exemplarische Sinnbildung, die ebenfalls konkrete Vorstellungen über die Zukunft implizieren. Dieser notwendige Zusammenhang ist insofern schwer zu erfassen, als dass die FS in ihren Narrationen selten explizit auf eine Zukunftserwartung eingehen. Diese Ebene muss daher indirekt erschlossen werden. Das Prinzip der traditionalen Sinnbildung ist insbesondere in denjenigen Fällen dokumentierbar, in denen vom historischen musealen Gegenstand659 ausgehend in den Narrationen der FS eine direkte Verbindung zu gegenwärtigen Lebensverhältnissen hergestellt und somit eine Kontinuitätsvorstellung zum Ausdruck gebracht wird. Das sind besonders die Fälle, in denen die FS darstellen, dass gegenwärtige eigene Lebensverhältnisse und solche in den jeweiligen Herkunftsländern mit den im Museum dargestellten Kontexten vergleichbar sind.660 Es handelt sich um Fälle, in denen der museale Gegenstand bei der Konstruktion der historischen Identität Teil der eigenen Wir-Gruppe ist. Inwiefern eine mögliche Zukunftserwartung auch das Moment der Kontinuität enthalten könnte, kann nur spekuliert werden. Es sind beispielsweise einige Fälle nachzuweisen, in denen diese Kontinuitätsvorstellung sehr eng an eine Form der Traditionspflege gekoppelt ist, sodass unter diesem Gesichtspunkt die Vermutung naheliegt, dass auch die Zukunftserwartung mit dieser Kontinuitäts-
659 Durch die entsprechende Vorbereitung sowie Hinweise im Rahmen der Erhebung, waren die FS während der gesamte Erhebungsphasen im Bewusstsein darüber, dass im Museum nicht gegenwärtige, sondern vergangene Verhältnisse dargestellt werden. 660 Landwirtschaftliches Gerät (A1, C10), Zaumzeug und Geschirr in einer Sattelkammer (A5, B9), Mehlherstellung (A11), Getreidesorten (A13), Weinanbau (A22), ein Boiler (A24), die Verwendung von Kräutern (A26), Milchverarbeitung (A30), Hopfenanbau und -verarbeitung im arabischen Raum (B4), Nutztierhaltung (B5, B7, C3), Öfen zur Raumbeheizung (B18, C4), die Nutzung von Dachböden (C6), Reisigbesen (C13), Wasserpumpe (C21, C25).
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vorstellung einhergeht, um eine spezifische Tradition aufrechtzuerhalten.661 Gleichzeitig wird über die Traditionspflege hinaus ein Horizont aufgespannt, in dem zum Ausdruck gebracht wird, dass sich die realen Lebensverhältnisse davon unterscheiden und sich die Kontinuitätsvorstellung somit auf lediglich einen Teilbereich des jeweiligen Kontexts erstreckt. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass die Fälle der Traditionspflege nicht immer trennscharf von denen der Beschreibung faktisch existenter gegenwärtiger Lebensverhältnisse unterschieden werden können und es Überschneidungen gibt. Eine Ausnahme bilden Fälle, in denen die FS auf (vermeintliche) Vorkenntnisse, Assoziationen oder Vermutungen zurückgreifen und in den Narrationen Kontinuitäten herstellen, wo faktisch keine existieren.662 Korrekturen solcher unzutreffenden Schlussfolgerungen nehmen die FS zwar zur Kenntnis, vollziehen jedoch keine eigene kritische Sinnbildung. In den anderen Fällen mit konkret benanntem Vergleichshorizont bezieht sich die Kontinuitätsvorstellung explizit und ausschließlich auf die Gegenwart und betont einen Status quo. Mit Blick auf den Gesamtbefund und Vergleichsfälle ist davon auszugehen, dass in diesen Fällen die Zukunftserwartung tendenziell eher die Vorstellung von Wandel und Veränderung kennzeichnet denn von Kontinuität. Das wird besonders in der Gruppe von Fällen deutlich, in denen ein hybrides Konstrukt festzustellen ist, das auch Aspekte der genetischen Sinnbildung aufweist. Konkret bedeutet das, dass die FS auf zwei Ebenen referieren. Auf der eines übergeordneten Zusammenhangs erkennen sie die Kontinuität zwischen dem musealen Objekt und gegenwärtigen Lebensverhältnissen. Bei der Fokussierung von einzelnen Details und spezifischen Aspekten heben sie jedoch das Moment der Veränderung und den (zeitlichen) Wandel hervor. In solchen Fällen wird eine Zukunftserwartung greifbarer, da die FS ein Bild der Veränderung und der Entwicklung, eigene Lebensverhältnisse bzw. ihr Herkunftsland betreffend, zeichnen.663 Von genetischer Sinnbildung ist überdies in der Gruppe von Fällen zu sprechen, in der auf der Zeitebene dem historischen musealen Gegenstand ein ebenfalls in der Vergangenheit liegender Vergleichshorizont, eigene Lebensverhältnisse und solche das Herkunftsland betreffend, gegenübergestellt wird. Von diesem grenzen sich die gegenwärtigen Lebensverhältnisse durch zeitlichen
661 Das gemeinsame Brotbacken in einem mit Holz befeuerten Steinofen (A3, C5), Mehlherstellung (A11), Hochzeitsbräuche (A25), Milchverarbeitung (A30), Öfen zur Raumbeheizung (B18). 662 Gebäudeinfrastruktur wie Wasser und Strom gab es auch früher (A6), Assoziation eines Kettenschleppers mit einem Panzer (B27). 663 Küchen- und Haushaltsgeräte (A7, C15, C23), Toiletten (A15), Typen von Hausdächern (A23, C6), das Schmiedehandwerk (A27).
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Wandel und Veränderung ab.664 Folglich ist auch die implizite Zukunftserwartung von Veränderung gekennzeichnet.665 Auch in den eben genannten Gruppen von Fällen wird der museale Gegenstand der Wir-Gruppe zugeordnet. Anders verhält es sich in den Fällen, in denen die FS keinen konkreten Vergleichshorizont benennen, sondern in erster Linie ihr Wissen, Vorkenntnisse, Assoziationen oder Vermutungen den musealen Kontext betreffend und ihre (anwendungsbezogene) Kompetenz diesbezüglich zum Ausdruck bringen. Das museale Objekt ist hier zunächst dem »Anderen« zuzuordnen. Gleichzeitig eröffnen die FS durch ihre Auseinandersetzung einen weiteren Bedeutungshorizont, durch den der Kontext um eine Dimension des »Eigenen« ergänzt wird. Somit ist die Differenzierung in ein »Wir« und »die Anderen« in diesen Fällen nicht ohne Weiteres trennscharf möglich und bedarf einer genauen Betrachtung im Einzelfall. Davon abgesehen liegt auch in diesen Fällen eine Form der genetischen Sinnbildung vor. Das »Wissen« um frühere Lebensverhältnisse in Relation zu den gegenwärtigen impliziert die Vorstellung von Wandel und Veränderung über die Zeit und lässt auch eine auf die Zukunft gerichtete Erwartung von Veränderung wahrscheinlich erscheinen.666 Dabei ist es zweitrangig, ob dieses »Wissen« die FS bei ihrer Auseinandersetzung zu validen Erkenntnissen führt oder ob daraus unzutreffende Schlussfolgerungen resultieren. Entscheidend ist allein die Vorstellung davon.667 Etwas vorausgreifend zeigt der Blick in die Praxis, dass hierin ein großes Potential liegt, im Rahmen von museumspädagogischen Programmen Entwicklungsprozesse zu betrachten.668 Neben traditionaler und genetischer lassen sich auch Fälle mit überwiegend exemplarischer Sinnbildung herausarbeiten. Es handelt sich dabei um solche, in denen die FS im musealen Gegenstand eine Bestätigung eigener Annahmen hinsichtlich spezifischer gesellschaftlicher Muster, Regeln oder Strukturen erkennen, die unter sich verändernden Lebensverhältnissen Bestand haben. Diese Fälle lassen 664 Bei Meyer-Hamme tritt die genetische Sinnbildung in expliziter Abgrenzung zur traditionalen zutage. Meyer-Hamme: Kostüm, S. 85. 665 Versorgung mit Wasser in Gebäuden (B3), die materielle Beschaffenheit von Betten (C11), der Antrieb von Nähmaschinen (C22), Mehlherstellung (C27), Fleischverarbeitung (C28). 666 Zubereitungsarten von Fleisch (A10), Lern- und Unterrichtsmaterialien (A29), Spritzvorrichtung zur Pflanzenpflege (B4, C7), eine Truhe zur Verwahrung wertvoller Dinge (B24, C12). 667 Assoziation eines Trogs für die Brotteigzubereitung mit einer Tiertränke (B2), Entschlüsseln des Erbauungsjahrs eines Gebäudes (B13), Assoziation eines Wagenrads mit dem Steuerruder eines Schiffs (B25), Material von Fenster-»Scheiben« (B29), Assoziation einer Wärmflasche mit einer Öllampe (C29). 668 Büchert, Gesa: Dialog der Kulturen. Museen als Lernorte für Berufsintegrationsklassen, In: Wenrich, Rainer/Kirmeier; Josef (Hg.): Migration im Museum. Museumsbesuche für Menschen mit Fluchthintergrund (Kommunikation, Interaktion, Partizipation. Kunst und Kulturvermittlung im Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts Bd. 2), München 2017, S. 117–130, hier S. 121.
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sich besonders den bereits genannten Stereotypen, Schemata und Dogmen zuordnen.669 Wie zuvor können die musealen Objekte auch in diesen Fällen sowohl die Position des »Eigenen« als auch die des »Anderen« besetzen. Hinsichtlich der im Rahmen der Interessenhandlung zutage tretenden Formen historischer Sinnbildung ergibt sich ein auf den ersten Blick heterogenes Gesamtbild: Es lassen sich sowohl die Formen der traditionalen, genetischen wie auch der exemplarischen Sinnbildung sowie hybride Konstrukte aus traditionaler und genetischer Sinnbildung nachweisen. Es ist insofern eine Struktur zu erkennen, als dass sich die einzelnen Formen gewissen Gruppen von analysierten Einzelfällen sowie spezifischen Konstruktionen von Wir-Gruppen zuordnen lassen.670 Darüber hinaus eint die Fälle weniger das, was in ihnen festzustellen ist, als vielmehr das, was sich nicht feststellen lässt: kritische Sinnbildung. Es existieren Fälle, in denen bestimmte Sinnbildungsformen zu unzutreffenden Schlussfolgerungen der FS führen. Daraus resultiert jedoch keine kritisch-reflexive Auseinandersetzung. Hinweise und Korrekturen seitens dritter an der Erhebung Beteiligter671 werden zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht weiterverarbeitet. Höchstwahrscheinlich ist hierfür nicht mangelnde selbstreflexive, kritische Einsicht ursächlich; vielmehr bewegt sich die historische Sinnbildung in den analysierten Fällen auf eine Zieldimension zu, der kritisch-reflexive Sinnbildungsprozesse zumindest teilweise zuwiderlaufen würden. Diese Zieldimension soll als Überwindung von Alteritätserfahrung und Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur bezeichnet werden. Von Borries benennt als eine der Hauptfunktionen des Geschichtsbewusstseins die der Legitimation. Durch die Legitimation vergangener Lebensverhältnisse in Relation zu gegenwärtigen – »so war es früher auch…« – würden eine gegenwärtige Lebensweise, das eigene Tun und Handeln legitimiert werden.672 Wenngleich der Begriff »Legitimation« in diesem Zusammenhang nicht passend erscheint, erweist sich das dahinterliegende konzeptionelle Gerüst als geeignet, die Überlegungen zu dieser Zieldimension zu konkretisieren. Von den vier Formen der Legitimation, die von Borries differenziert, findet sich in den empirischen Befunden die (positiv-)affirmative Verwendung von Geschichte wieder, die Stolz, Bestätigung oder Überlegenheit zum Ausdruck bringen kann. Es erfolgt eine Legitimation durch Geschichte. Von Borries
669 Konsum von Schweinefleisch (A10), geschlechterspezifische Rollenverteilung (A28, C27), Erklärung der Anatomie des Schweins anhand religiöser Dogmen (B10), Alkoholkonsum (B12, B19), Differenzierung von Wohlstand anhand äußerer Merkmale (B15). 670 Gleichwohl bedarf eine präzise Bestimmung immer einer Prüfung je Einzelfall. 671 Untersuchungsleiter, Lehrkraft oder Museumspädagogin. 672 Vgl. Borries: Legitimation, S. 9–14.
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spricht von einer ungebrochenen historischen Identität.673 Der Zuschnitt dieser Form der Legitimation deckt sich mit den bisherigen Erkenntnissen: Die FS setzen sich in ihren Interessenhandlungen mit solchen musealen Kontexten auseinander und nehmen sie in ihre Identitätskonstruktion auf, die ebendiese Art von Bestätigung bzw. Legitimation gewährleisten. Bei der Analyse der Einzelfälle ist aufgefallen, dass die FS stets abstrakt z. B. von der Vergleichbarkeit ihres Herkunftslandes (Syrien, Irak, Afghanistan etc.) mit Deutschland sprechen. Wenngleich durch die entsprechende Vorbereitung der Untersuchung und Hinweise während der Erhebungsphasen wiederholt verdeutlicht wurde, dass das Museum die kulturelle Vergangenheit eines nur einen sehr kleinen Ausschnitts von Deutschland abbildet und sich die FS sicherlich der Tatsache bewusst waren und sind, dass auch ihre Herkunftsländer nicht einheitlich greifbar sind, haben sie sich dennoch stets dieses »pars pro toto«-Stilmittels bedient, um ihre Überlegungen zu konkretisieren. Das verdeutlicht auch die faktisch vorhandene Relevanz der Kategorien Staat und Nation als Merkmale der Identitätsbildung.674 Auch Kölbl gelangt zu der Erkenntnis, dass insbesondere in der Adoleszenz, er bezieht sich dabei auf Jugendliche im Allgemeinen, solche Kategorien eine wichtige Rolle spielen; er beschreibt es als Trend vom Allgemeinen zum Partikularen.675 Von diesen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen abgesehen, entsteht der Eindruck, als wollten die FS durch die Herstellung von (kulturellen) Bezügen zwischen ihrer eigenen Lebenswirklichkeit und der ihres Herkunftslandes zu Deutschland eine positive Beziehung zur fremden Kultur (Deutschlands) zum Ausdruck bringen. Das Ziel der historischen Sinnbildung ist daher die Überwindung von Alteritätserfahrung und bringt damit die zweite These hervor: Im Rahmen der Interessenhandlung bauen Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung eine Beziehung zum musealen Objekt auf. Die im Zuge dessen stattfindenden Prozesse historischer Sinnbildung sind gekennzeichnet von einer ausschließlich positiv-affirmativen Verwendung von Geschichte. Die Überwindung von Alteritätserfahrung und die Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur bilden die Zieldimension dieses Prozesses.
Die Plausibilität der zweiten These soll ebenfalls aus zunächst inhaltlich-theoretischen Gesichtspunkten begründet werden: Anders als bei der Einordnung der 673 Minimale, affirmative, destruktive und reflexive Verwendung von Geschichte. Vgl. ebd., S. 15. 674 Vgl. Borries, Bodo von: Interkulturalität beim historisch-politischen Lernen. Ja sicher, aber wie?, In: Körber, Andreas (Hg.): Interkulturelles Geschichtslernen. Geschichtsunterricht unter den Bedingungen von Einwanderung und Globalisierung. Konzeptionelle Überlegungen und praktische Ansätze, Münster 2001, S. 39–48, hier S. 87f.; Meyer-Hamme: Kostüm, S. 78. 675 Kölbl: Geschichtsbewußtsein 2004, S. 348.
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Einordnung der empirischen Befunde
empirischen Befunde in das Interessenkonstrukt im Allgemeinen, steht an dieser Stelle weniger das Problem der doppelten Alteritätserfahrung im Vordergrund, das zu einem Defiziterleben hinsichtlich der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse führen kann. Im Zentrum stehen die Frage nach dem Umgang mit Alteritätserfahrung und mit Historie, die Frage nach den Formen der historischen Sinnbildung sowie die Erkenntnis, dass diese auf eine Zieldimension zulaufen. Identifikation und Affirmation sind die beiden Begriffe, die sich als roter Faden durch die Ausführungen zur Einordnung der empirischen Befunde in das Interessenkonstrukt im Besonderen ziehen und von elementarer Bedeutung sind. Sie bilden nicht nur ein zentrales Merkmal der Konstruktion der historischen Identität, sondern auch des Gegenstands »Interesse« in der PersonGegenstands-Theorie.676 Wenn dieser Kernbefund, dass die Interessenhandlungen der FS von Identifikation und Affirmation geprägt sind, dazu herangezogen wird, die Plausibilität beider Bestandteile des Interessenkonstrukts zu bestätigen, so ist dies im konkreten Fall im Ergebnis richtig. Jedoch bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Denn das Verständnis dieser beiden Begriffe unterscheidet sich bei PersonGegenstands-Theorie und historischer Identität in semantischer Hinsicht. Das Konzept der historischen Identität kennt bei genauer Betrachtung mehrere Abstufungen des Begriffspaars hinsichtlich seiner »Intensität« – bildlich gesprochen auf einer Skala beidseits des Null-Werts im Plus- und Minus-Bereich: von der positiven Identifikation und Affirmation, über die Geschichtslosigkeit, die ausbalancierte, kritisch-reflexive, bis hin zur negativen, ablehnenden Verwendung von Geschichte.677 Dagegen nimmt Krapp bei seiner Interessenkonzeption keine, weder explizite noch implizite Differenzierung hinsichtlich einer die »Intensität« abstufenden Verwendung des Begriffspaars vor. Die Interessenhandlung der Person-Gegenstands-Theorie kennt ausschließlich die positive Identifikation und Affirmation.678 Von diesem Punkt ausgehend lautet die logische Schlussfolgerung, dass Interessenhandlungen679 im Kontext der Auseinandersetzung mit Historie eine positive Form der Identifikation und Affirmation zugrunde liegen und somit auf der Ebene der historischen Sinnbildungsprozesse die – in von Borries Worten – affirmative (z. B. Stolz, Bestätigung oder Überlegenheit ausdrückende) Verwendung von Geschichte vorliegen muss. Ein Zu676 Rüsen: Lebendige Geschichte, S. 40; Bergmann: Identität, S. 32; Krapp: Intrinsische Lernmotivation, S. 396. 677 Vgl. Borries vier Formen der Legitimation. 678 Selbstredend gibt es auch hier eine situationsspezifische Abstufung der Intensität (beispielsweise abhängig davon, ob situationales oder aktualisiertes Interesse vorliegt), allerdings keinen Ausschlag ins Negative. 679 Bezogen auf die Untersuchung handelt es sich um Interessenhandlungen von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung.
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sammenhang, der aus wissenschaftstheoretischer Perspektive logisch und plausibel erscheint, wird durch die empirischen Befunde dieser Untersuchung verifiziert. Ausgehend davon, dass jede Geschichte einen Identitätsentwurf impliziert und ein Identitätsangebot an einen Adressaten formuliert, nehmen die FS als Adressaten solche Identitätsangebote an, die eine möglichst hohe Kongruenz mit bereits bestehenden Strukturen und Mustern der Identitätskonstruktion aufweisen.680 Was den herausgearbeiteten Aspekt der Überwindung von Alterität anbelangt, lässt sich in diesem Punkt nicht ohne Weiteres eine Bestätigung einzelner Merkmale des Konzepts der historischen Identität feststellen. Im Gegenteil: Die Konstruktion von Wir-Gruppen zielt auf eine Benennung der Alterität und die Abgrenzung vom »Anderen«. Diese lassen sich in den analysierten Einzelfällen nicht unmittelbar beobachten, sondern nur indirekt erschließen. Die vorigen Ausführungen zur Konstruktion der Wir-Gruppen haben gezeigt, dass sich die FS sowohl mit musealen Kontexten interessengeleitet auseinandersetzen, die sie in Relation zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit oder der ihres jeweiligen Herkunftslandes setzen können als auch mit solchen, die keine diesbezüglichen Anhaltspunkte bieten, aber den FS aufgrund individueller, persönlicher Fähigkeiten681 zugänglich sind bzw. erscheinen. Das bedeutet, dass selbst in den Fällen, in denen eine theoretische Form der Alteritätserfahrung vorliegt, diese aufgrund anderer die Auseinandersetzung determinierender Faktoren682 überwunden und daher nicht explizit herausgestellt wird. Es wird deutlich, dass die Überwindung von Alteritätserfahrung und die Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur die Zieldimension der interessengeleiteten Auseinandersetzung der FS mit den musealen Objekten darstellt. Die Abgrenzung vom »Anderen« und Alterität ist folglich nur indirekt und implizit und unter gewissen Bedingungen in denjenigen musealen Kontexten zu vermuten, welche die FS nicht zu einer Interessenhandlung motivieren. Allerdings wäre es ebenso falsch, das Fremde und Alterität mit Desinteresse gleichzusetzen, um die genannten Bedingungen zu konkretisieren. Der Blick auf das Resultat der kommunikativen Validierung kann diesen vermeintlichen Widerspruch auflösen: Im Rahmen derer bringen die FS zum Ausdruck, dass ihr Interesse keineswegs ausschließlich z. B. aus ihrem Herkunftsland und der eigenen Lebenswirklichkeit bekannten Dingen gelte, sondern sie auch offen dafür
680 Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2012, S. 89. Damit hängt auch die Erkenntnis von Meyer-Hamme zusammen, einem Lerngegenstand eine eigene Bedeutung geben zu wollen. Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 287. 681 Vorkenntnisse, Assoziationen, den Gegenstand betreffende anwendungsbezogene Kompetenzen etc. 682 Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 287.
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wären, fremde Dinge kennenzulernen, d. h. Alteritätserfahrung zuzulassen.683 Was für sich genommen den Verdacht des sozial erwünschten Antwortens nahelegt,684 verschafft erst bei der Betrachtung des Gesamtzusammenhangs einen belastbaren Erkenntnisgewinn: Dass sich eine positive Beziehung zur fremden Kultur nicht ausschließlich in (kulturellen) Gemeinsamkeiten manifestieren muss, sondern auch das (kulturell) Fremde als Anhaltspunkt dienen kann, drückt sich besonders in denjenigen Fällen aus, in denen sich die FS auf Grundlage individueller Fähigkeiten statt identifizierter Gemeinsamkeiten interessengeleitet mit einem musealen Objekt auseinandersetzen. Es kann gefolgert werden, dass Desinteresse aus der Unmöglichkeit der Überwindung von Fremdheit und Alteritätserfahrung resultiert und das »Andere« somit dann Interesse hervorrufen kann, wenn es den FS möglich erscheint, Fremdheit und Alteritätserfahrung zu überwinden. Sowohl der Blick auf die zugrunde liegende Basistypik als auch auf die Erkenntnisse über die PersonGegenstands-Theorie zeigt, dass für diesen Prozess das individuelle und selbstgesteuerte Handeln der FS von zentraler Bedeutung ist.685 Das psychologische Grundbedürfnis nach Autonomie, dass Individuen ihr Handeln als selbst- und nicht als fremdbestimmt erleben wollen, verleiht dem besonderen Ausdruck. Zudem erweist sich die bereits im Kontext Person-Gegenstands-Theorie festgestellte Bedeutung des Faktors »soziale Eingebundenheit« bei der Auseinandersetzung mit der musealen Überlieferung auch hinsichtlich der Prozesse historischer Sinnbildung als zuträglich: Eine wechselseitige Stimulierung, die dadurch entsteht, dass mehrere Individuen eine Beziehung zu demselben Interessengegenstand aufbauen, trägt auf der Ebene des Krapp’schen Interessenkonstrukts dazu bei, dass die Situation an sich und die individuelle Interessenhandlung als »angenehm« und daher sinnstiftender empfunden werden. Die Analyse der Einzelfälle hat gezeigt, dass dieser Aspekt für die FS eine herausragende Bedeutung einnimmt. Für die Prozesse der historischen Sinnbildung ist dieser Umstand nur förderlich. Durch die dadurch begünstigte Ausgestaltung eines konjunktiven Erfahrungsraums werden zudem die Rahmenbedingungen der Konstruktion von Wir-Gruppen sowie die Prozesse der Individualisierung positiv beeinflusst. Vor den Hintergrund, dass es sich bei den Verbänden von D683 Georgi beschreibt aber auch die Fälle, in denen die FS ihrer Studie so sehr in (familienbiographischen) tradierten Vergangenheitsdeutungen verstrickt sind, dass ein »Perspektivwechsel unmöglich erscheint.« Georgi: Entliehene Erinnerungen, S. 304. 684 Die Bestätigung, dass ausschließlich bereits bekannte Dinge interessant wären, würde bedeuten, große Teile der musealen Ausstellung explizit als uninteressant darzustellen, was dem Herstellen einer positiven Beziehung zuwiderlaufen würde. Zu kommunizieren, dass aber auch diese Dinge als interessant empfunden würden, wäre daher ein möglicherweise sozial erwünschtes Antworten. 685 Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 287.
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Klassen in kultureller wie ethnischer Hinsicht um heterogene Gruppen handelt, kann der Faktor »soziale Eingebundenheit« als eine Bedingung von als sinnstiftend empfundenen Interessenhandlungen zudem dazu beitragen, den Verband D-Klasse als solchen zu stärken. Es kann folglich Fremdverstehen auf zweierlei Ebenen gefördert werden: erstens auf der Ebene der Auseinandersetzung mit der Kultur der fremden (aufnehmenden) Gesellschaft (z. B. Deutschland) sowie zweitens auf der des (kulturellen) Verständnisses der Gruppenmitglieder untereinander. Als letzter Punkt der inhaltlich-theoretischen Auseinandersetzung mit der zweiten These soll noch deren Bestandteil der Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur diskutiert werden. Die Beschreibung als Herstellung einer »positiven Beziehung« wird aus zwei Gründen gewählt: Erstens findet auf der Ebene der Prozesse der historischen Sinnbildung eine ausschließlich positivaffirmative Verwendung von Geschichte statt. Es erfolgt eine Identitätskonstruktion durch Geschichte im Gegensatz zu solchen Formen, bei denen eine explizite Abwendung von Historie erfolgt (z. B. NS-Zeit). Und zweitens findet auf der Ebene der Wir-Gruppen-Konstruktion keine Auszeichnung des Eigenen gegenüber einer Abwertung des Fremden statt.686 In ihren Narrationen behandeln die FS diese beiden Pole »gleichrangig«. Ein ähnliches Phänomen beobachtet auch Georgi: Sie weist der »Zugehörigkeit« den Stellenwert einer »Schlüsselkategorie« hinsichtlich der Herstellung von Geschichtsbezügen durch junge Migranten zu. Inwiefern die Geschichte der Residenzgesellschaft für diese Gruppe anschlussfähig ist, hängt, so schildert Georgi, in hohem Maße von der »Selbst- und Fremdpositionierung im gesellschaftlichen und politisch-historischen Raum der Aufnahmegesellschaft« ab.687Diese Beobachtung deckt sich mit den Erkenntnissen der vorliegenden Untersuchung. Es wird dann eine Interessenhandlung aufgebaut, wenn durch die Herstellung der Geschichtsbezüge eine Form der Zugehörigkeit, eine positive Beziehung zur fremden Kultur zum Ausdruck gebracht werden kann. Diese Zieldimension bildet den Brennpunkt, in dem sich die bisherigen Erkenntnisse zu den Prozessen historischer Sinnbildung im Kontext von Interessenhandlungen bei der Auseinandersetzung mit Historie bündeln.688 686 Kölbl gelangt zu ähnlichen Erkenntnissen. Kölbl: Geschichtsbewußtsein 2004, S. 347. 687 Georgi: Entliehene Erinnerung, S. 299. Anders formuliert heißt das: Umso »zugehöriger« sich junge Migranten zur aufnehmenden Gesellschaft fühlen, desto stärker werden Geschichtsbilder und historische Narrative für die eigene Identitätskonstruktion adaptiert. Gleichzeitig muss jedoch auch Georgis Erkenntnis mit Vorsicht behandelt werden, da sie auf einer Untersuchung mit einer vergleichsweise kleinen Stichprobe beruht. Die Repräsentativität für die Grundgesamtheit muss daher zumindest kritisch hinterfragt werden. 688 Interessant ist diese Erkenntnis auch für das Feld der Diversity- und Intersectionality Studies. Denn in diesem Fall wird eine soziale Differenzierung, die den Gegenstand solcher Studien bildet, aktiv zu überwinden versucht und einer möglichen Ungleichheit vorgebeugt.
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Einordnung der empirischen Befunde
Es kristallisieren sich im Wesentlichen zwei Wege heraus, auf denen die FS diese positive Beziehung herstellen: Erstens indem sie zwischen dem (kulturellen) Kontext, den das museale Objekt aufspannt und der eigenen Lebenswirklichkeit bzw. der des jeweiligen Herkunftslandes eine Schnittmenge erkennen, d. h. das Verbindende, Gemeinsame betonen. Oder zweitens, indem sie den »direkten Weg« zur fremden Kultur »gehen«, wenn sie sich den musealen Kontext aufgrund individueller Fähigkeiten erschließen, obwohl der Kontext als solcher keine weiteren Anknüpfungspunkte (z. B. Gemeinsamkeiten) aufweist. Als »positiv« soll diese Beziehung deswegen genannt werden, da sie im Kontext einer von Affirmation geprägten Interessenhandlung stattfindet, d. h. Ursache und Gegenstand der Beziehung positiv konnotierte Identifikationsobjekte für die FS bilden. Auch Meyer-Hamme erkennt, dass das Herausstellen kultureller Zugehörigkeiten für die Identitätskonstruktion von elementarerer Bedeutung ist. Und wenn im Kontext der kulturell heterogenen Gesellschaft auf diese Weise durch entsprechende Identitätsangebote eine positive Beziehung zwischen der »eigenen« und der »fremden« Kultur hergestellt werden kann, werden dadurch auch Prozesse der Integration positiv beeinflusst.689 Hinsichtlich der Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt im Besonderen ergibt sich abschließend das folgende Bild: Auf der Ebene der Differenzierung in ein »Wir« und »die Anderen« als Bestandteil des Konstruktionsprozesses der historischen Identität besetzen die musealen Objekte beide Positionen: die des »Eigenen« und die des »Fremden«. Dennoch verbinden die FS mit beiden Interessenhandlungen. Die Alteritätserfahrung, die die FS in deren Rahmen zu überwinden versuchen, konstituiert sich nicht ausschließlich in einer kulturellen Dimension. »Kultur« stellt eine mögliche, aber keine notwendige Kategorie dar. Alteritätserfahrung überwinden die FS auch in den Kontexten, in denen es ihnen gelingt, sich einen Kontext auf Grundlage individueller Fähigkeiten zu erschließen, auch wenn er keine weiteren Anknüpfungspunkte bietet. An Formen der historischen Sinnbildung lassen sich die der traditionalen, exemplarischen wie auch der genetischen Sinnbildung, aber auch hybride Konstrukte feststellen. Eine Struktur ist insofern zu erkennen, als dass sich die einzelnen Formen gewissen Gruppen von analysierten Einzelfällen sowie spezifischen Konstruktionen von Wir-Gruppen zuordnen lassen. Nicht festzustellen ist hingegen die Form der kritisch-reflexiven Sinnbildung. Ausgehend davon, dass jede Geschichte einen Identitätsentwurf impliziert und ein Identitätsangebot an einen Adressaten formuliert, nehmen die FS als Adressaten solche Identitätsangebote an, die Vgl. Lücke, Martin: Diversität und Intersektionalität als Konzepte der Geschichtsdidaktik, in: Lücke, Martin/Barricelli, Michele (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts Bd. 1, Schwalbach/Ts. 2012, S. 136–146. 689 Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten, S. 95.
Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt
233
eine möglichst hohe Kongruenz mit bereits bestehenden Strukturen und Mustern der Identitätskonstruktion aufweisen. Die Prozesse der historischen Sinnbildung laufen auf eine Zieldimension zu, die in der Überwindung von Alteritätserfahrung und der Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur ihren Ausdruck findet. Gleichwohl bedeutet das nicht, dass Alterität als solche zwangsläufig Desinteresse nach sich zieht. Es zeigt sich, dass Desinteresse aus der Unmöglichkeit der Überwindung von Fremdheit und Alteritätserfahrung resultiert und das »Andere« somit dann Interesse hervorrufen kann, wenn es den FS möglich erscheint, Fremdheit und Alteritätserfahrung zu überwinden. Die festgestellte große Bedeutung des Faktors »soziale Eingebundenheit« erweist sich auch in diesem Zusammenhang als zuträglich. Sie ermöglicht die Förderung von Fremdverstehen auf zwei Ebenen: auf der der Auseinandersetzung mit der fremden Kultur sowie auf der der Auseinandersetzung der FS untereinander als Teil der (sozialen) Gruppe »Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung.« Die Struktur der Interessenhandlungen verfügt durch diese Zieldimension bereits über ein eigenes integratives Potential, das durch entsprechende Vermittlungsformen weiter ausgeschöpft werden kann. Doch ehe daraus ableitbare Impulse für die Praxis der musealen Vermittlungsarbeit diskutiert werden können, ist es notwendig, die zwei Thesen zu den Erkenntnissen über beide Bestandteile des Interessenkonstrukts auch aus methodischen Gesichtspunkten zumindest kurz zu begründen. Beide Thesen bilden das Resultat eines methodisch-kontrollierten Analyseund Interpretationsprozesses. Gemäß dem qualitativen Paradigma und dem rekonstruktiven Forschungsansatz wurde die empirische Untersuchung nicht mit dem Ziel der Überprüfung einer zuvor aufgestellten Hypothese, durchgeführt, sondern ergebnisoffen und mit der Absicht, Erkenntnisse über die Struktur des Untersuchungsgegenstandes »Interesse« zu gewinnen.690 Aussagekräftig und plausibel ist das Analyseergebnis auch deshalb, weil Krapp feststellt, dass ein »direkter empirischer Zugang zur Klärung dieser Frage [Anm.: nach dem Zusammenhang zwischen der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse und der Entstehung von Interesse] [ausscheidet], da das postulierte System […] nicht direkt beobachtet, sondern nur indirekt erschlossen werden kann«.691 Oder anders formuliert, scheidet ein hypothesenprüfender Zugang, der diesen Zusammenhang voraussetzt und konkret danach fragt, aus. Valide Ergebnisse 690 Zur methodischen Absicherung dieses Vorgehens sei angemerkt, dass auch die eigene Auseinandersetzung mit dem wissenschafts-theoretischen Hintergrund, der die Grundlage der Einordnung der Befunde darstellt, erst nach dem Ermitteln der finalen Basistypik erfolgte und somit die mögliche Fehlerquelle ausgeschlossen werden kann, dass das latente, unterbewusste Wissen um diesen Zusammenhang den Analyseprozess in diese Richtung negativ beeinflusst haben könnte. 691 Krapp: Konzept 2005, S. 631.
234
Einordnung der empirischen Befunde
können vielmehr nur mit einem Ansatz erzielt werden, der diesen Zusammenhang in einem rekonstruktiven Prozess zutage fördert. Das positive Resultat der kommunikativen Validierung trägt sein Übriges dazu bei, die These zu erhärten. Dieser methodisch notwendige Schritt hat gezeigt, dass die Muster und Strukturen, welche die Orientierungen der untersuchten Einzelfälle kennzeichnen, keine absoluten, feststehenden Zielzustände markieren, sondern lediglich Teil der Strategien der FS sind, den musealen Gegenstand zu erschließen, zu kontextualisieren, eine Person-Gegenstands-Beziehung aufzubauen und letztlich die genannten drei psychologischen Grundbedürfnisse auf diese Weise zu befriedigen. Ist dieser Zustand erreicht, haben die FS im Rahmen der Validierung zum Ausdruck gebracht, wären sie offen für und interessiert an einer weiteren Auseinandersetzung mit dem jeweiligen musealen Gegenstand. Folglich können die empirischen Befunde als valide und methodisch abgesichert gelten. Die empirische Studie hat den Versuch unternommen, sich der Struktur und den Mustern des Interesses Jugendlicher mit eigener Migrationserfahrung im Kontext der Auseinandersetzung mit in (kulturhistorischen) Museen präsentierter Historie anzunähern. Die vorigen beiden Kapitel haben dargestellt, welche Erkenntnisse sich aus dem empirischen Ausgangsmaterial über das Interessenkonstrukt dieser Untersuchung gewinnen lassen. Die wichtige abschließende Frage lautet nun: Welchen Nutzen versprechen diese Erkenntnisse für die museale Vermittlungsarbeit? Das nachfolgende Kapitel will einige Impulse diskutieren.
2.
Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens
Gemäß dem qualitativen Paradigma, das die Allgemeingültigkeit seiner Erkenntnisse darauf stützt, dass im Rahmen einer komparativen Analyse aus fallspezifischen Strukturen fallübergreifende, allgemeine Strukturen herausgearbeitet werden, erhebt auch diese Arbeit den Anspruch, allgemeine Aussagen über ihren Gegenstand treffen zu können. Die Reichweite der Untersuchung beschränkt sich somit nicht ausschließlich auf die Stichprobe der empirischen Studie, sondern will für die Grundgesamtheit, Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung, anschlussfähig sein.692 Darüber hinaus wird behauptet, dass die Reichweite auch nicht exklusiv auf den Untersuchungsort, das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim, beschränkt ist, sondern sich allgemein auf den Typ des kulturhistorische Museums erstreckt. In der Ein692 Dass dennoch eine Erhöhung der Reichweite durch eine Anschlussuntersuchung möglich und auch nötig ist, werden die Desiderata zeigen.
Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens
235
führung sowie in Abschnitt B, Kapitel 1 wurde dargelegt, weshalb sich besonders kulturhistorische Museen als außerschulischen Lernorte für in D-Klassen beschulte Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung eignen: Diese Lernenden werden vor allem durch intensive Spracherwerbsförderung auf den Unterricht in Regelklassen vorbereitet. Als Ergänzung des schulischen Unterrichts können (kulturhistorische) Museen einen wichtigen Beitrag leisten. Die Auseinandersetzung mit der für sie fremden Kultur bildet einen wichtigen Bestandteil des Integrationsprozesses. Neben der Unterstützung des Spracherwerbs durch praktische Sprachanwendung693 können kulturhistorische Museen eine niedrigschwellige Auseinandersetzung mit der fremden Kultur in einem »geschützten Raum« ermöglichen. Die dort präsentierten Identitätsangebote können, entsprechend aufbereitet, die Jugendlichen bei ihren eigenen Identitätskonstruktionsprozessen unterstützen.694 Der Typus des Freilandmuseums bildet eine Form des kulturhistorischen Museums. Das bezieht sich einerseits auf die inhaltliche Ausrichtung, vorwiegend den ländlichen Raum museal zu erschließen695 und andererseits auf die Präsentationsform, bei der ganze Gebäude samt Objekten unterschiedlicher Gattungen in Ensembles originalgetreu aufgebaut und präsentiert sind. Dass der Anspruch erhoben wird, dass die Erkenntnisse für das kulturhistorische Museum im Allgemeinen anschlussfähig sind, soll folgendermaßen begründet werden: Im Zentrum der Untersuchung stehen nicht die Unterschiede des Freilandmuseums zu anderen Typen von kulturhistorischen Museen. Einige dieser Unterscheidungsmerkmale sind zwar Argumente für das Fränkische Freilandmuseum als Untersuchungsort. Aber sie bilden nicht den Untersuchungsgegenstand. Eine Untersuchung dieser Merkmale wäre im Rahmen einer Studie denkbar, die konkrete Vermittlungsansätze und deren Wirksamkeit in Freilandmuseen im Unterschied zu anderen Typen von kulturhistorischen Museen beleuchtet. Im Zentrum dieser Untersuchung stehen dagegen ausschließlich die Prozesse der historischen Sinnbildung in der Auseinandersetzung mit musealen Objekten. 693 Dieser Aspekt wird in dieser Arbeit nicht berücksichtigt. Sprachförderung bildet das Handlungsfeld von Disziplinen wie z. B. Didaktik des Deutschen als Zweit- oder Fremdsprache. 694 Die Untersuchung von Hintermann zur Konstruktion von Geschichtsbewusstsein Jugendlicher mit Migrationshintergrund in Wien zeigt als Resultat einer quantitativen, repräsentativen Untersuchung, dass die Schule die zentrale Institution für die Vermittlung historischer Inhalte darstellt. Dementsprechend ist die Schule – auch in Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungseinrichtungen wie Museen – in der Pflicht, den Prozess der Identitätskonstruktion zu unterstützen und entsprechende Angebote zu schaffen. Vgl. Hintermann: Dissonante Geschichtsbilder, S. 64, 138. 695 Vor dem Hintergrund, dass Jugendlichemit eigener Migrationserfahrung sowohl im urbanen wie auch im ländlichen Raum leben, ergibt sich aus der thematischen Ausrichtung keine Einschränkung hinsichtlich der Reichweite, da letztlich kein Museum als absolut repräsentativ gelten kann.
236
Einordnung der empirischen Befunde
Die Merkmale des Freilandmuseums können selbstredend den Zugang zu musealen Objekten in erster Instanz in bestimmter Weise bedingen (z. B. erleichtern), aber unmittelbaren Einfluss auf die Prozesse historischer Sinnbildung nehmen sie nicht. Zudem wird bei den nachfolgend zu diskutierenden Impulsen keine offensichtliche Unvereinbarkeit mit anderen Typen kulturhistorischer Museen (z. B. Stadtmuseen von Großstädten) zutage treten. In rein hypothetischen Gedankenexperimenten werden sich diese Impulse auch in solchen Museen unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen realisieren lassen.696 Diese Untersuchung kann keine abschließende Antwort auf die Frage geben, wie eine interessen- und bedürfnisorientierte museale Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung »erfolgreich« gestaltet werden kann. Gleichwohl soll dazu ermutigt werden, die hier diskutierten Impulse praktisch zu erproben und weiterzuentwickeln. Die Arbeit legt daher auch die Grundlage für weitere Forschungen, die zwingend notwendig sind, um diese Frage und die inbegriffenen Teilaspekte weiter ergründen zu können. Es ist daher ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese Impulse aufgrund notwendiger weitere Forschungsbemühungen unter Vorbehalt und als vorläufig zu betrachten sind. Sie werden daher entsprechend offen formuliert und in keinen erschöpfenden Theoriediskurs eingebettet. Die nachfolgende Ideenskizze ist auf das zuvor bereits explizierte Ziel hin ausgerichtet, das mit der Durchführung eines museumspädagogischen Programms mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung697 verfolgt werden soll: ein möglichst niedrigschwelliges Kennenlernen der fremden Kultur in einem »geschützten« Raum.698 Die Förderung des Fremdverstehens als notwendige Voraussetzung, sich mit »fremden« Identitätsangeboten auseinandersetzen zu können, bildet folglich das implizite Ziel des museumspädagogischen Handelns. An dieser Stelle werden jedoch keine Strategien oder Maßnahmen zur Kompetenzförderung entworfen.699 Der Mehrwert dieser Untersuchung besteht darin, die Rahmenbedingungen zu skizzieren, die ein (auf Kompetenzförderung ausgerichtetes) museumspädagogisches Programm erfüllen sollte, um die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppe zu berücksichtigen. Eine der grundlegenden Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines museumspädagogischen Programms stellt, ist: was bzw. welche Bereiche der Ausstellung Gegenstand des Programms sein sollen. Zwar lassen 696 Gleichzeitig sei auf die Desiderata verwiesen, die die Grenzen dieser Aussagen aufzeigen. 697 Im Weiteren: Lernende. 698 Auf Spracherwerbsförderung wird aus den an anderer Stelle bereits genannten Gründen nicht eingegangen. 699 Vgl. dazu die in Abschnitt B, Kapitel 4 genannten empirischen Untersuchungen zu Kompetenzerwerb- und -förderung.
Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens
237
sich aus den empirischen Befunden gewisse Rückschlüsse hierauf ziehen. Aus noch zu explizierenden Gründen soll diese Frage jedoch zu den Desiderata verschoben werden. Die Antwort hierauf ist zudem weit weniger drängend, als es den Anschein haben mag. Die zentrale Erkenntnis dieser Untersuchung besteht darin, dass eine interessen- und bedürfnisorientierte museale Vermittlung in diesem Fall700 weniger eine Frage des Was, als eine des Wie ist. Zwar kann das Was, ein konkretes museales Objekt, dazu dienen, aufgrund situationsspezifischer Interessantheit als Stimulus eine Interessenhandlung auszulösen. Allerdings zeigen die Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt und die Zieldimension der Interessenhandlung, dass (situationsspezifische) Interessantheit zwar ein, aber nicht der ausschlaggebende Faktor ist. Auf der dokumentarischen Ebene stellt sich über das Muster der Interessehandlungen und die Struktur des Interesses heraus, dass die Auseinandersetzung mit musealer Überlieferung in erster Linie ein Bedürfnis nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit befriedigen muss, um als interessant beschrieben zu werden. Den Lernenden muss es gelingen, selbstgesteuert einen individuellen Deutungsansatz des musealen Objekts entwickeln zu können.701 Es zeigt sich eine hohe Korrelation zwischen der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit und der Entwicklung von Interesse.702 Auf der Ebene der Prozesse der historischen Sinnbildung ist festzustellen, dass Historie in den Narrationen der Lernenden eine ausschließlich positiv-affirmative Verwendung findet. Die Zieldimension dieses Prozesses bilden die Überwindung von Alterität und die Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur. Alteritätserfahrung als solche ist dabei kein Indikator für mögliches Interesse bzw. Desinteresse. Den Kern der Interessenhandlung bildet der Aufbau der Beziehung zwischen einer Person und einem (musealen) Gegenstand und weniger das, was sich an möglichen Handlungen daran anschließen kann. Als interessant beschrieben wird die Auseinandersetzung mit Historie dann, wenn der Aufbau der Person-Gegenstands-Beziehung selbstgesteuert erfolgt und die Lernenden das museale Objekt durch ihre Handlungen, d. h. im Wesentlichen in ihren Narrationen, einer eigenen Kontextualisierung zuführen und einen weiteren (eigenen) Bedeutungshorizont über den musealen hinaus aufspannen können. Im Zentrum dieses Beziehungsaufbaus steht somit ganz die Perspektive der jeweiligen Lernenden und deren Deutung des musealen Kon700 Bezogen auf Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung (bzw. die konkrete Stichprobe, zur Reichweite vgl. die Desiderata). 701 Auch Meyer-Hamme erkennt, dass es von zentraler Bedeutung ist, dass Lernende dem Lerngegenstand eine eigene Bedeutung zuschreiben können, damit ein nachhaltiges Lernen zustande kommen kann. Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten 2009, S. 287. 702 Vgl. auch Gerlach: Schülervorstellungen, S. 185–188.
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Einordnung der empirischen Befunde
textes. Vor dem Hintergrund, dass ein auf Fremdverstehen ausgerichteter auch zwangsläufig ein multiperspektivischer Vermittlungsansatz ist, ergibt sich daher hinsichtlich der zu erfüllenden Rahmenbedingungen die folgende Schlussfolgerung und dritte These: Ein an den Interessen und Bedürfnissen von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung ausgerichteter museumspädagogischer Vermittlungsansatz ist im Kern in zwei Phasen aufgebaut: In der ersten Phase fokussiert er die Rezipientenperspektive und erlaubt die selbstgesteuerte Entwicklung eines individuellen Deutungsansatzes des musealen Objekts. In der zweiten Phase führt er an den Perspektivwechsel vor dem Hintergrund des musealen Deutungsansatzes heran. Bei beiden Schritten bildet »Perspektivität« das Leitmotiv.
Dieses »Zwei-Phasen-Modell« ist bewusst simpel gehalten und spiegelt lediglich die unmittelbar aus der Empirie gewonnen Erkenntnisse wider.703 Die zwei Phasen illustrieren plastisch, worum es im Kern geht: Es soll vermieden werden, dass die Lernenden bei einem multiperspektivischen Ansatz704 unvorbereitet an den Perspektivwechsel herangeführt werden, das Moment der Alteritätserfahrung als unüberwindbar wahrnehmen und folglich keine Interessenhandlung entstehen kann. Die erste Phase dient der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit. Sie erlaubt den Lernenden Entwicklung eines eigenen Deutungsansatzes des musealen Objekts.705 Die zweite Phase dient der stärker inhaltsorientierten Vermittlung und Heranführung an den Perspektivwechsel.706 Die Heranführung
703 Es wird nicht angestrebt, an dieser Stelle eine Beziehung zu einem der gängigen Lehr-LernModelle der Geschichtsdidaktik herzustellen bzw. einzelne Aspekte für das vorliegende Modell-Konzept zu adaptieren. 704 Diesen betrachtet Witte als grundlegend für interkulturelles Lernen. Witte, Rolf: Interkulturelles Lernen. Orientierungshilfen für eine »inter-kulturpädagogische« Praxis, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 59–61, hier S. 59. 705 Auch Alavi, Gritschke und Terfloth erkennen die Bedeutung der Entwicklung individueller Bedeutungszuschreibungen im Rahmen museumspädagogischer Programme. Allerdings geben sie jenen lediglich den Stellenwert eines Resultats anstatt diese an den Anfang der Auseinandersetzung mit einem musealen Objekt zu stellen. Vgl. Alavi, Bettina/ Gritschke, Caroline/Terfloth, Karin: »Hier muss man nicht nur rumstehen!« Objektzentriertes Geschichtslernen im historischen Museum für SchülerInnen aus Förderschule, In: Standbein Spielbein 102 2015, S. 16–19, hier S. 17. 706 Nach Kölbl ein essentieller Bestandteil eines »interkulturell aufgeklärte[n] Geschichtsbewusstseins[s]«. Kölbl, Carlos: Mit und ohne Migrationshintergrund. Zum Geschichtsbewusstsein Jugendlicher in der Einwanderungsgesellschaft, In: Georgi, Viola B./Ohliger, Rainer (Hg.): Crossover Geschichte. Historisches Bewusstsein Jugendlicher in der Einwanderungsgesellschaft, Bonn 2009, S. 61–74, hier S. 71.
Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens
239
an Alteritätserfahrung muss behutsam erfolgen. Aus psychologischer Sicht ist diese aber eine notwendige Erfahrung im Integrationsprozess.707 Bezugnehmend auf Georgi muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass es immer Einzelfälle von Lernenden geben wird, bei denen ein »Perspektivwechsel unmöglich erscheint«,708 weil sie zu stark in tradierte Vergangenheitsdeutungen verstrickt sind, von denen sie sich nicht lösen können. Gerlach erkennt eine Gleichzeitigkeit der Über- und Unterforderung Jugendlicher im Museum. Überforderung wird u. a. durch die museale Kontextualisierung und den fehlenden Lebensweltbezug hervorgerufen, Unterforderung u. a. durch fehlende Autonomie und eine Nichtmiteinbeziehung der Lernenden bei der Themenauswahl.709 Büchert beschreibt eine weitere Form der Unterforderung, bei der umgekehrt der Lebensweltbezug für die Lernenden zu trivial ist, weil gewisse museale Kontexte in den jeweiligen Herkunftsländern noch zu alltäglich und daher unattraktiv wären.710 Einem Best-Practice-Beispiel aus der Kunstpädagogik, einer Workshopreihe der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen für Lernende aus internationalen Klassen (dem Pendant zu D-Klassen) liegt ein ähnlicher Ansatz zugrunde, der die Interessen, Orientierung und Lebenswelten der Lernenden sowie eine eigenständige, Stärken betonende Auseinandersetzung in das Zentrum der Bemühungen stellt.711 Auch Programme des KPZ Nürnberg für Berufsintegrationsklassen zielen unter anderem auf das Herstellen von Lebensweltbezügen ab.712 Diese Erkenntnisse aus Theorie wie Praxis unterstützen den Ansatz des »Modells«, das es den Lernenden ermöglicht, an der Themenfindung mitzuwirken, ein optimales Anforderungsniveau gewährleistet und die Eigenständigkeit der Lernenden stärkt.713 Überdies kann es den zehn Prinzipien kulturpädagogischen Handelns, insbesondere: Handlungsorientierung, Partizipation, Lebensweltorientierung, Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Stärkenorientierung, selbstgesteuertes Lernen (in Gruppen) und Offenheit für Vielfalt zur Geltung 707 Vgl. Rohr, Lilo: Das Fremde im Eigenen. Sozialkritisch-psychoanalytische Überlegungen, In: Büttner, Christian u. a. (Hg.): Brücken und Zäune. Interkulturelle Pädagogik zwischen Fremdem und Eigenem (Psychoanalytische Pädagogik Bd. 4), Gießen 1998, S. 107–120. 708 Georgi: Entliehene Erinnerung, S. 304. 709 Vgl. Gerlach: Schülervorstellungen, S. 189–206. Davon abgesehen, betrachtet auch Witte den Lebensweltbezug als einen zentralen Pfeiler interkulturellen Lernens. Witte: Interkulturelles Lernen, S. 59. 710 Büchert: Dialog, S. 127. 711 Hagenberg, Julia: Fragen statt Antworten. Internationale Klassen in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, In: Ziese, Maren/Gritschke, Caroline (Hg.): Geflüchtete und kulturelle Bildung. Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld, Bielefeld 2016, S. 345–351. 712 Büchert: Dialog, S. 118. 713 Dem stimmt im Grunde auch Urban zu, wenn er die »Bedeutung von Methoden, die eine aktive, interessengeleitete und selbständige Geschichtsaneignung fördern«, betont. Urban: Geschichtsvermittlung, S. 370.
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Einordnung der empirischen Befunde
verhelfen.714 Mit dieser Gesamtausrichtung des Modells wird überdies Bezug genommen auf Grundprämissen der pädagogischen Arbeit mit Migranten- und Flüchtlingskindern.715 Bildlich gesprochen verlässt das Modell »global betrachtet« die Ebene des Konkreten und betrachtet den musealen Kontext von einer übergeordneten, abstrakten Ebene aus, von der ausgehend wiederum in den beiden Phasen die unterschiedlichen Perspektiven auf den Gegenstand nachvollzogen werden. Um zu einem in der Breite anschlussfähigen und praktikablen Modell zu gelangen, ist eine differenzierte und fundierte Ausarbeitung dieses einfachen Ansatzes erforderlich. Hierfür bedarf es jedoch weiterer Erkenntnisse, die im Rahmen der anschließenden Desiderata skizziert werden. Für den Moment wird daher dieser »einfache« Ansatz als ausreichend betrachtet, um die dahinterliegende Vorstellung darzulegen.
2.1
Phase 1: Standortbestimmung und eigene Perspektivität
Die erste Phase ist gleichbedeutend mit dem Aufbau einer Person-GegenstandsBeziehung. Im Zentrum stehen die Lernenden mit ihren Deutungen des jeweiligen musealen Objekts. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, ihren eigenen Standpunkt in Relation zum Objekt zu entwickeln, sich ihrer eigenen Perspektivität bewusst zu werden und dem Objekt durch den Aufbau einer individuellen Beziehung eine persönliche Bedeutung und Relevanz zu geben. Das Ziel dieser Phase ist es, den Lernenden die Möglichkeit zur Gestaltung einer Situation zu geben, welche die Grundlage einer Interessenhandlung bildet und die psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit befriedigt.716 Drei Aspekte sind hierbei besonders zu beachten: erstens die Rolle des Museumspädagogen, zweitens der Umgangs mit dem Objekt auf der inhaltlichen Ebene und drittens der methodischen Zuschnitts des Vermittlungsansatzes. 714 Vgl. Braun/Schorn: Ästhetisch-kulturelles Lernen, S. 116–118. 715 Vgl. Adam, Hubertus/Inal, Sarah: Pädagogische Arbeit mit Migranten- und Flüchtlingskindern. Unterrichtsmodule und psychologische Grundlagen, Weinheim/Basel 2013, insb. S. 42, 49, 55. 716 Zugleich kann ein Ansatz, der insofern ein geringes Anforderungsniveau aufweist, als dass er keine konkreten zu erreichenden Ziele formuliert, sondern den Lernenden größtmögliche Freiheit in der Gestaltung der Situation gewährt, dem Spracherwerbsprozess zuträglich sein, indem er eine selbständige Sprachanwendung ohne unmittelbaren schulischen Leistungsund Zeitdruck ermöglicht. Behning nennt vier Hauptprobleme als Herausforderungen für Lernende in der (Zweit-)Spracherwerbsphase, denen auf diese Weise Raum zur Behebung gegeben werden kann. Auch den von ihm genannten sieben Prinzipien der Sprachförderung im Museum kann auf diese Weise Gestalt gegeben werden. Vgl. Behning: Sprache im Museum, S. 46f., 51–53.
Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens
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2.1.1 Rollen Erstens ergibt sich aus diesem Ansatz im Rahmen der personalen Vermittlung717 auch ein bestimmtes Rollenmuster für den Museumspädagogen. Dieser nimmt in jener Phase die Rolle eines Moderators ein, der nicht primär instruiert, sondern den Prozess non-direktiv begleitet.718 Zudem versucht er, in das Gruppengeschehen nur behutsam steuernd einzugreifen und der Gruppe stattdessen Freiraum für Interaktionen innerhalb derselben zu gewähren. Dieser Freiraum darf jedoch nicht mit dem konservatorischen Auftrag des Museums kollidieren, d. h. der Museumspädagoge darf und muss klare Grenzen benennen.719 Selbstredend ist die Möglichkeit hierzu u. a. abhängig vom Grad der Gruppenkohäsion und -dynamik und besonders auch von der Gruppengröße.720 Außerdem kann zu viel Freiraum auch das Gegenteil bewirken, wenn die Lernenden weder Struktur noch Orientierung erkennen und sich nicht dazu angehalten sehen, sich mit dem musealen Objekt auseinandersetzen zu müssen. Gruppeninteraktionen in einer kontrollierten Art und Weise mit klar definiertem Rahmen und Grenzen nicht nur zuzulassen, sondern gezielt zu fördern, wird als besonders wichtig angesehen. Die empirischen Befunde verdeutlichen, wie elementar der Faktor der sozialen Eingebundenheit und damit einhergehend jener der sozialen Interaktion für eine als »angenehm« bzw. »sinnstiftend« erlebte Interessenhandlung ist.721 Zudem können Gruppeninteraktionen dazu beitragen, die Grundlage für die in der zweiten Phase intendierte Perspektivübernahme zu legen, indem Gruppen717 »In der personalen Vermittlung im Museum interagieren Personen, die mit einem Mandat zur Information und Vermittlung ausgestattet sind, im unmittelbaren Kontakt mit den BesucherInnen«, Nettke, Tobias: Personale Vermittlung in Museen. Merkmale, Ansätze, Formate und Methoden, In: Commandeur, Beatrix/Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 173– 183, hier S. 173. Da nahezu keine Museumsausstellung explizit für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung bzw. Lernende in der Spracherwerbsphase hin ausgerichtet ist, ist eine personale Vermittlung unabdingbar. Außerdem verspricht eine solche einen wesentlich höheren Mehrwert für die Lernenden als der autarke, ohne qualifiziertes Personal betreute Museumsbesuch. 718 Zur Rolle des Museumspädagogen im Kontext explorativer Methoden vgl. Nettke: Personale Vermittlung, S. 175; Richter u. a.: Lernwerkstatt-Ansatz, S. 38. 719 Vgl. Brosch, Astrid: Vom Umgang mit Exponaten und musealen Objekten. Zwischen Besucherbedürfnis und konservatorischem Auftrag, In: Czech, Alfred/Kirmeier, Josef/ Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik – Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014, S. 296–305. 720 Bei kleineren Gruppen wie bei den Erhebungen ist es leichter möglich, diesem Prinzip zu folgen als bei deutlich größeren Gruppen. 721 Umso stärker sich auch andere Personen mit dem Gegenstand der eigenen Interessenhandlung identifizieren, eine Beziehung zu jenem aufbauen und in diesem Prozess ähnliche Handlungen vollziehen, desto höher sind die erlebte eigene Bestätigung und die wahrgenommene soziale Eingebundenheit und desto eher werden auch die psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie befriedigt.
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Einordnung der empirischen Befunde
mitglieder im Rahmen einer »natürlichen« Interaktion die Perspektiven der jeweils anderen kennenlernen. Die Hürde der späteren Perspektivübernahme vor dem Hintergrund des musealen Deutungsansatzes wird somit verringert. 2.1.2 Inhalte Zweitens ist ein besonderer Umgang mit der Historie auf der inhaltlichen Ebene der Vermittlung erforderlich. Dass die Perspektiven der Lernenden im Zentrum der ersten Phase stehen, bedeutet, dass der museale Deutungsansatz zugunsten jener zunächst zurückgestellt werden muss.722 Im Aufbau der Person-Gegenstands-Beziehung gestalten die Lernenden selbst den Kontext und entwickeln einen eigenen Deutungsansatz.723 Es ist möglich, dass dieser weitgehend kongruent mit dem musealen Deutungsansatz ist. Aber ebenso können gegensätzliche bzw. als »abwegig« erscheinende Entwürfe entstehen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Lernenden ihre Auseinandersetzung mit Stereotypen, Schemata oder Dogmen verbinden, die sie im musealen Gegenstand vermeintlich repräsentiert sehen.724 Die Aufgabe des Museumspädagogen ist es, diese nicht als »falsch« abzuwerten, sondern gezielt den Aspekt zu fokussieren, der den Schnittpunkt zwischen den Stereotypen etc. und dem musealen Kontext bildet.725 An diesem Beispiel wird ersichtlich, warum »Perspektivität« als Leitmotiv des Modells benannt wird. Den Lernenden muss von Beginn des museumspädagogischen Programms an verdeutlicht werden, dass im Zentrum desselben steht, dass verschiedene Menschen unterschiedliche Sichtweisen auf ein und denselben 722 Hoins und von Mallinckrodt stellen grundsätzlich die traditionelle Legitimation der Deutungsmacht heutiger Sammlungsinstitutionen infrage und plädieren dafür, dass u. a. Museen ihre tradierten Wissensordnungen hinterfragen und deren Systematiken transparent machen und möglicherweise neu ausrichten und so auch andere Deutungsansätze zulassen. Vgl. Pellengahr: Einführung, S. 13. Eine vergleichbare Haltung liegt auch dem Projekt »moving museum« der Stadt Wien zugrunde. Vgl. Staudinger: moving museum, S. 74–76. Zur Neugestaltung des Wien Museums vgl. auch Gleis, Ralph: Geschichte für die Zukunft. Zur Neukonzeption des Wien Museums, In: Pellengahr, Astrid (Hg.): Der Spiegel der Stadtkultur. Stadtmuseen vor neuen Herausforderungen, München 2016, S. 82– 87. 723 Diese »anderen« Perspektiven auf das museale Objekt nicht nur zuzulassen, sondern gezielt zu fördern, spiegelt auch eines der Grundprinzipien des interkulturellen Geschichtslernens wider. Vgl. Körber: Interkulturelles Lernen. 724 Zur selektiven Wahrnehmung von Lernenden bei der Auseinandersetzung mit Historie vgl. Mathis/Gollin: Winkelried, S. 92f., 96. 725 Auch Bernhardt erkennt die Gefahr, dass Museumspädagogen u. U. suggestiv vorgehen, um zu einer von ihnen intendierten und implizit als »richtig« wahrgenommenen Deutung durch die Rezipienten zu gelangen. Bernhardt, Markus: »Wer sieht was auf historischen Gemälden?« Eine explorative Studie zur Bildwahrnehmung Alter Meister, In: Popp, Susanne/Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen (Schriften zur Geschichtsdidaktik Bd. 25), Idstein 2009, S. 121–132, hier S. 125.
Impulse für die Vermittlungsarbeit im Museum: zwei Phasen des Fremdverstehens
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Gegenstand haben können. Das Kennenlernen dieser unterschiedlichen Sichtweisen muss als Ziel des Programms klar benannt werden. Ferner ist zu betonen, dass bei dieser Betrachtung der eigenen und der fremden Sichtweise keine Differenzierung in ein »richtig« und »falsch« intendiert wird, sondern dass diese Sichtweisen gleichberechtig nebeneinander existieren.726 Interkulturelles Lernen muss dabei auch so tolerant und flexibel sein, dass es Widersprüche zulässt.727 2.1.3 Methoden Und drittens setzt die erste Phase auch einen spezifischen methodischen Zuschnitt voraus. Die besondere Qualität museumspädagogischer Programme besteht darin, das Museum als Erfahrungsraum zu präsentieren und den »Lerngegenstand« multisensorisch und handlungsorientiert erlebbar zu machen. Die Rezipienten aktivierende museumspädagogische Methoden, die diesen Zugang ermöglichen, haben auch in diesem Modell ihre Berechtigung. Allerdings ist in der ersten Phase ein »behutsamer« Methodeneinsatz ratsam. Das liegt an dem Modus, in dem der Aufbau der Person-Gegenstands-Beziehung überwiegend erfolgt. Zwar setzen sich die Lernenden durchaus interaktiv mit dem musealen Objekt auseinander, indem sie beispielsweise dessen Funktion ausprobieren, demonstrieren oder simulieren. Aber die Entwicklung eines eigenen Kontextes und Deutungsansatzes erfolgt auf einer größtenteils diskursiven Ebene und findet ihren Ausdruck in narrativen Strukturen.728 Die Lernenden entwickeln Narrationen, die sie entweder unspezifisch oder konkret, beispielsweise an andere Gruppenmitglieder oder begleitende Museumspädagogen, adressieren. Die besondere Relevanz des Aspektes der sozialen Eingebundenheit wird auch in diesem Punkt deutlich. Darüber hinaus manifestiert sich auch die Befriedigung der Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie in narrativen Akten. Die empirischen Erkenntnisse vermitteln den Eindruck, dass die Lernenden dem eine besondere Bedeutung beimessen, zu den jeweiligen Objekten eine eigene
726 Zurecht stellt Ziese fest, dass bei der museumspädagogischen Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund nicht eine Defizithypothese handlungsleitend sein darf, die den Ausgleich eines »kulturellen Defizits« verlangt, sondern dass jene Menschen gleichberechtigte Partner in einem Dialog auf Augenhöhe sind. Vgl. Ziese: Geflüchtete, S. 295f.; ebenso Witte: Interkulturelles Lernen, S. 59. 727 Ebd., S. 60. 728 Um Missverständnissen entgegenzuwirken: Hiermit wird nicht auf die Diskurse Bezug genommen, die zur Erhebung empirischen Materials bewusst initiiert wurden. Referenz dieser Erkenntnis sind zum einen die Diskurse, die sich aus der Gruppendynamik heraus selbst entwickelt haben, sowie diejenigen, die als »Nebenschauplätze« außerhalb von Erhebungssituationen als Erkenntnisse in die teilnehmende Beobachtung eingeflossen sind.
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Einordnung der empirischen Befunde
»Geschichte« erzählen zu können und mit dieser ernst genommen zu werden.729 Die als Zieldimension der Prozesse der historischen Sinnbildung herausgearbeitete Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur spiegelt sich darin wieder. Es empfiehlt sich daher ein Methodenansatz, der sich explorativer, offener, assoziativer und die Gruppe aktivierender Formate730 nach den Prinzipien des entdeckenden Lernens731 bedient und der verbalen Ebene besonderes Gewicht gibt.732 Im Kontext seines Typus 2 der Schülervorstellungen zum Lernort Museum gibt auch Kohler dem entdeckenden Lernen besonderen Stellenwert.733 Im Zentrum explorativer Formate steht das selbstbestimmte Entdecken und Untersuchen von Dingen.734 Schönicke favorisiert implizit explorative Methoden für Lernende in der Spracherwerbsphase, da sie die »natürliche Neugier« der Lernenden aktivieren.735 Überdies trägt entdeckendes Lernen dazu bei, die psychologischen Grundbedürfnisse zu befriedigen sowie Gruppenprozesse zu fördern.736 Ausubel, Novak und Hanesian betonen richtigerweise, dass sich entdeckendes Lernen und eine Gewichtung verbaler Formen der Kommunikation nicht ausschließen, sondern die verbale Ebene ein integraler Bestandteil des
729 Schönicke hebt hervor, wie wichtig – auch in der Vermittlungsarbeit mit Lernenden in der Spracherwerbsphase – eine objektzentrierte Vermittlung ist, die es ermöglicht, die Vorstellungen der Lernenden »mit Leben zu füllen«. Schönicke: Integration, S. 170. Das bedeutet zwangsläufig auch, dass die Lernenden mit ihren Vorstellungen ernst genommen werden müssen und es ihnen ermöglicht werden muss, auch ihre »eigene Geschichte« zu den Objekten erzählen zu können. 730 Zur Bedeutung und Fruchtbarkeit des Gruppenbezugs vgl. auch Hagenberg: Fragen statt Antworten, S. 349. Auch bei den MPZ-Programmen für Geflüchtete bilden Interaktionen zwischen den Teilnehmenden einen wesentlichen Bezugspunkt. Vgl. Bacher-Göttfried, Ilona u. a.: Ferne Welten – nahe Welten. MPZ-Programme für Geflüchtete, In: Wenrich, Rainer/Kirmeier; Josef (Hg.): Migration im Museum. Museumsbesuche für Menschen mit Fluchthintergrund (Kommunikation, Interaktion, Partizipation. Kunst und Kulturvermittlung im Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts Bd. 2), München 2017, S. 131–139, hier S. 133, 135. 731 Synonym für: forschendes Lernen. Vgl. Richter u. a.: Lernwerkstatt-Ansatz, S. 37. Eine geringfügige Differenzierung kann allenfalls darin gesehen werden, dass entdeckendes Lernen bereits bestehende Erkenntnisse (neu) entdeckt und forschendes Lernen neue Erkenntnisse gewinnt. Im vorliegenden Zusammenhang ist diese Differenzierung jedoch nicht von Relevanz. 732 Das ist selbstredend abhängig vom sprachlichen Niveau der Lernenden. Bei Lernenden ohne jedwede (deutsche) Sprachkenntnis wird es unumgänglich sein, auf einer nonverbalen Ebene zu kommunizieren. Verfügen die Lernenden jedoch über ein Niveau zwischen A1 und A2 wie im Fall der Untersuchung, ist ein auf diskursive Elemente ausgerichteter Vermittlungsansatz zielführend einsetzbar. 733 Kohler: Schülervorstellungen 2016, S. 230f. 734 Vgl. Nettke: Personale Vermittlung, S. 174f. 735 Vgl. Schönicke: Integration, S. 169. 736 Vgl. Büchert: Dialog, S. 122; Richter u. a.: Lernwerkstatt-Ansatz, S. 38.
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Entdeckungsprozesses ist.737 Gesser und Kraft erklären das entdeckende Lernen, das »Kinder zu Forschern«738 werden lässt, zu einem der pädagogischen Grundprinzipien des von ihnen beschriebenen Museumstyps des Kinder- und Jugendmuseums. Zudem ist es der Entwicklung von Interesse und Motivation zuträglich. Auch Büchert bestätig dies als ein in der Praxis bewährtes Konzept.739 Es ist aber auch zu beachten, dass erfolglose Entdeckungsversuche exakt das Gegenteil bewirken können.740 Entdeckendes Lernen kann überdies zur Optimierung vorhandener Schemata beitragen.741 Auf der Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung und der Entwicklung des eigenen Deutungsansatzes kann dies einen positiven Einfluss haben und möglichen »Fehlinterpretationen« vorbeugen. Gleichwohl ist einschränkend einzuräumen, dass sich das Gesamtpotential entdeckenden Lernens in technisch-naturwissenschaftlichen Kontexten besser entfalten kann als in »klassischen« kulturhistorischen Themenbereichen.742 Ein großer Teil des Spektrums museumspädagogischer Vermittlungsformen scheint daher, zumindest für die erste Phase, wenig gewinnbringend einsetzbar zu sein. Ansätze, die beispielsweise die genaue Wahrnehmung fordern und fördern (z. B. Detailfokus), sich dem Objekt spielerisch annähern (z. B. Puzzle, Memo-Spiele),743 sich gestalterisch mit dem Thema auseinandersetzen (z. B. rekonstruieren/nachbilden, dekonstruieren/collagieren) oder auf Performanz ausgerichtet sind (z. B. Szenen nachstellen/nachspielen),744 erlauben zwar in begrenztem Rahmen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten und dadurch eine individuelle Auseinandersetzung; allerdings führen sie die Lernenden in relativ feststehenden Strukturen und bereits zu stark an den Perspektivwechsel heran. Der Aufbau einer Person-Gegenstands-Beziehung würde sich darin er737 Vgl. Ausubel, David P./Novak, Joseph D./Hanesian, Helen: Psychologische und pädagogische Grenzen des entdeckenden Lernens, In: Neber, Heinz (Hg.): Entdeckendes Lernen, Weinheim/Basel 31981, S. 30–44, hier S. 31f. 738 Gesser, Susanne/Kraft, Heike: Anschauen – Vergleichen – Ausprobieren. Historisches Lernen in Kinder- und Jugendmuseen, Schwalbach/Ts. 2006, S. 49. 739 Büchert: Dialog, S. 121. 740 Gesser/Kraft: Anschauen, S. 41f. 741 Rumelhart, David E./Norman, Donald A.: Faktensammeln, Schemaoptimierung und Umstrukturierung: 3 Arten des Lernens, In: Neber, Heinz (Hg.): Entdeckendes Lernen, Weinheim/Basel 31981, S. 132–150, hier insb. S. 143–149. 742 Exemplarisch deutlich wird das beispielsweise bei einem paläontologischen Workshop im Senckenberg Naturmuseum. Höfling, Christina u. a.: Forschendes Lernen im Museum. Ein paläontologischer Workshop, In: Standbein Spielbein 107 2017, S. 96–101. 743 Zum spielerischen Lernen vgl. Nettke: Personale Vermittlung, S. 175f. 744 Vgl. Czech, Alfred: Methodische Vielfalt in der personalen Museumsvermittlung, In: Czech, Alfred/Kirmeier, Josef/Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik – Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014, S. 198–224, hier S. 203– 217; Spanier: Kunst- und Kulturvermittlung, S. 180–186.
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Einordnung der empirischen Befunde
schöpfen, etwas zu »tun« und dem Paradigma Handlungsorientierung gerecht zu werden, allerdings entstünde dadurch noch kein anschlussfähiger, rezipientenspezifischer Kontext oder Deutungsansatz. Ebenso wenig eignet sich die klassische Führung mit ihrer starren Rollenverteilung in Führungsperson und Teilnehmende. Eine Führungsperson, die ausschließlich das Geschehen bestimmt, würde auch dem oben skizzierten Rollenmuster widersprechen. Wesentlich zielführender und gewinnbringender verspricht hingegen eine Verbindung explorativer Formate mit der Methode des Führungsgesprächs bzw. -dialogs zu sein. Es gibt eine nur grobe Struktur vor, gewährt individuellen Freiraum und erlaubt eine situationsspezifische Entwicklung.745 Führungsgespräch- und -dialog haben das Potential, das akzeptierte und bekannte, jedoch in seiner monologischen Form heute nicht mehr tragfähige Konzept der Führung mit zeitgemäßen pädagogisch-didaktischen Ansätzen zu verbinden.746 Beispiel Museumserkundung und Führungsgespräch: Bereits die Erkundung des Museums als Raum kann als Methode des »Sich-Orientierens«, als »WindowShopping« ohne konkrete Themenorientierung gewinnbringend eingesetzt werden, um Neugier und Interesse zu wecken.747 Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich auch in einem Praxisbeispiel der Kunstpädagogik, in dem bei der Arbeit mit Geflüchteten keine konkrete Themenvorgabe erfolgt, sondern den aktuellen Bedürfnissen und Interessen Raum gegeben wird, d. h. situationale Interessantheit den Stimulus einer eingehenden Auseinandersetzung bildet.748 Je nach Größe der Ausstellung böte es sich an, die Erkundung zunächst auf einen Ausstellungsbereich zu beschränken. Die Lernenden können durch verschiedene »Sub-Methoden« aktiv in die Erkundung eingebunden werden. Beispielsweise erhalten sie durch das Spiel »Ich sehe was, was Du nicht siehst«749 die Möglichkeit, einen Aspekt ihrer Wahl zu fokussieren.
745 Vgl. Czech, Alfred: Führung – Führungsgespräch – Dialog, In: Czech, Alfred/Kirmeier, Josef/Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik – Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014, S. 225–231; Czech, Alfred: Führung – Führungsgespräch – Gespräch, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 161–162. 746 Vgl. Spanier, Lisa: Kunst- und Kulturvermittlung im Museum. Historie – Bestandsaufnahme – Perspektiven, Düsseldorf 2014, S. 271–174. 747 Vgl. Czech: Methodische Vielfalt, hier S. 202f. 748 Vgl. Wiechell, Wybke: »Kunst ist ein Grundbedürfnis«. Ein Praxisbericht der Hamburger Kunsthalle über die Arbeit mit Geflüchteten, In: Ziese, Maren/Gritschke, Caroline (Hg.): Geflüchtete und kulturelle Bildung. Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld, Bielefeld 2016, S. 337–343, hier S. 340. 749 Czech, Alfred: Kunstspiele. Spielend Kunst verstehen lernen. Für Kinder und Erwachsene, Schwalbach/Ts. 2012, S. 27–30. Czech schränkt den Einsatz allerdings insofern ein, als dass er es besonders für jüngere Kinder geeignet hält.
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Ein solches Vorgehen nähme auch an Gerlachs Erkenntnis Anschluss, dass Lernende unter »Eigenständigkeit« im Museum auch verstehen, selbst an der Themenauswahl mitwirken zu können.750 Wie wichtig die Mitentscheidungsmöglichkeit insbesondere auch bei Sachquellen sein kann, verdeutlicht ebenso Schneider, da längst nicht jede Sachquelle, die z. B. für einen Museumspädagogen eine Bedeutung hat, auch für die Lernenden eine solche entfalten kann.751 Dabei bietet sowohl der Prozess des Erratens durch andere Lernende als auch die Phase nach dem Erraten die Möglichkeit, diesen Aspekt mit einer eigenen Narration zu verbinden und auf diese Weise eine individuelle Person-GegenstandsBeziehung herzustellen. Zudem werden auf diese Weise Gruppenaktivitäten gefördert, welche die erlebte soziale Eingebundenheit stärken können.752 Im Modus des Führungsgesprächs kann der Museumspädagoge diesen Prozess moderieren und anleiten, ohne jedoch zu stark in das Gruppengeschehen eingreifen zu müssen. Überdies kann sich die Art und Weise der inhaltlichen Vertiefung in dieser Phase an den Bedürfnissen der Lernenden orientieren.753 Die Fruchtbarkeit dialog- bzw. gesprächsorientierter Formate zeigt sich auch beim Blick in die Praxis: Ein wesentlicher Bestandteil der KPZ-Programme für Berufsintegrationsklassen besteht darin, den Lernenden Raum zu geben, die persönliche Relevanz des musealen Themas für sich zu entdecken und Bezüge zur eigenen Lebenswelt – bezogen auf Gegenwart wie Vergangenheit – herzustellen.754 Als weiteres Best-Practice-Beispiel verdeutlich z. B. auch das Programm »Ferne Welten – nahe Welten« des MPZ München, dass ein solches offenes und flexibles Konzept Früchte trägt.755 Beispiel Magnetische Gegenstände: In der Vorbereitung des Museumsbesuchs werden die Lernenden dazu aufgefordert, zum Museumsbesuch einen zum Thema passenden Gegenstand mitzubringen. Mit diesem suchen sie in der Ausstellung ein dazu passendes, »magnetisches« Objekt. Diese Methode scheint prädestiniert, um einen Lebensweltbezug herzustellen und den Lernenden die Möglichkeit zu geben, eine eigene Geschichte zu einem Objekt zu entwickeln. Zudem existieren auf diese Weise Anknüpfungspunkte, auf die das weitere Programm Bezug nehmen kann.756 750 Vgl. Gerlach: Schülervorstellungen, S. 185–188. 751 Vgl. Schneider: Sachüberreste, S. 188. 752 Auch das gegenseitige Kennenlernen unter den Lernenden wird so gefördert. Vgl. Hagenberg: Fragen statt Antworten, S. 348. 753 Beispielsweise auch daran festzumachen, ob die Lernenden ihre eigenen Narrationen mit Fragen verbinden oder ob den Kontext keinen Fragebedarf evoziert. 754 Vgl. Büchert: Dialog, S. 120f. 755 Vgl. Bacher-Göttfried: MPZ-Programme. 756 Dreykorn, Monika: Methoden im Museum, In: Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hg.): Museum – Schule – Bildung. Aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007, S. 169–179, hier S. 175.
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Einordnung der empirischen Befunde
Ein solcher Methodeneinsatz verlangt vom Museumspädagogen insofern ein hohes Maß an Flexibilität, als dass er das Ziel dieser ersten Phase, den Kontext, den die Lernenden entwickeln, nicht im Detail kennen und planen kann757 – im Gegensatz beispielsweise zur Formulierung konkreter inhaltlicher Vermittlungsziele.758 Der Museumspädagoge muss sich auf die Dynamik der Situation einlassen und daraus aus einer Reihe von Möglichkeiten den nächsten Schritt des Programms, die zweite Phase initiieren.
2.2
Phase 2: Perspektivwechsel
An welchem spezifischen Punkt die Einleitung der zweiten Phase durch den Museumspädagogen sinnvoll ist, kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Letztendlich ausschlaggebend ist die subjektive Einschätzung des Museumspädagogen, ob und wann es der jeweiligen Gruppe oder zumindest einem möglichst großen Teil derselben gelungen ist, eine Beziehung zum musealen Objekt aufzubauen. Als vager Anhaltspunkt kann möglicherweise gelten, wenn der in der zweiten Phase vorgesehene Perspektivwechsel eine nur noch möglichst geringe Hürde mit Blick auf die damit einhergehende Alteritätserfahrung darstellt, d. h. wenn erkennbar ist, dass sich der Deutungsansatz der Lernenden mit dem musealen in einer zumindest kleinen Schnittmenge vereinen lässt und die Distanz zwischen beiden Entwürfen überbrückbar scheint. Diese Schnittmenge und das sich daraus ergebende »Tertium Comparationis« bilden den Ausgangspunkt für das weitere Programm. Witte hebt hervor, dass interkulturelles Lernen Gemeinsamkeiten betont, »ohne vorhandene Unterschiede zu ignorieren.«759 2.2.1 Rollen Dem Museumspädagogen muss es gelingen, die »Brücke« zwischen diesen beiden unterschiedlichen und möglicherweise stark differierenden Deutungsansätzen zu bauen bzw. die Lernenden darin anleiten, diese selbst bauen zu können.760Abhängig vom Methodeneinsatz bewegt sich seine Rolle weiterhin zwi757 Ein Prinzip des entdeckenden Lernens ist, dass Lernwege und Ergebnis prinzipiell offenbleiben. Richter u. a.: Lernwerkstatt-Ansatz, S. 38. 758 Auch Nettke betont, dass den Lernenden ein Einfluss auf das Programm hinsichtlich seiner Inhalte und Interaktionen zugestanden werden muss. Vgl. Nettke: Personale Vermittlung, S. 173. 759 Witte: Interkulturelles Lernen, S. 59. 760 Bernhardt beschreibt das – auch in seiner Sicht – negative Gegenbeispiel, dass Deutungen von Lernenden (Schülerinnen und Schülern) nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie
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249
schen der eines Moderators eines selbstgesteuerten Prozesses, aber auch der eines Wissensvermittlers, der die im Museum präsentierten Deutungsansätze und Narrative zielgruppenspezifisch adäquat aufbereitet und kommuniziert. In dieser Phase darf und muss der Museumspädagoge stärker steuernd in das Geschehen eingreifen und die Lernenden in von ihm geplanten Teilschritten instruieren. Sofern sich in der ersten Phase eine gewisse dem Programm zuträgliche Gruppendynamik und ein gemeinsamer, konjunktiver Erfahrungsraum entwickelt haben, ist es sinnvoll, an diese Strukturen in der zweiten Phase anzuschließen. 2.2.2 Inhalte Auf der inhaltlichen Ebene verfolgt die zweite Phase das Ziel, die Lernenden vor dem Hintergrund ihres eigenen Deutungsansatzes und der zu dem musealen Objekt aufgebauten Beziehung an den Perspektivwechsele, den musealen Deutungsansatz und die im Museum präsentierten Narrative heranzuführen. Diese Phase darf jedoch nicht den Charakter einer »Belehrung« haben, die nach dem eigenen den »richtigen« und »offiziellen« Deutungsansatz präsentiert. Verwiesen sei auf das Leitmotiv »Perspektivität«. Es muss zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich bei dem musealen lediglich um einen weiteren Deutungsansatz neben dem eigenen handelt und beide gleichberechtigt nebeneinanderstehen.761 Das bedeutet, dass der Übergang in diese Phase keinen radikalen Einschnitt darstellen darf, der zwar aus der ersten Phase resultiert, aber die Verbindung zu jener abbricht und deren »Ertrag« nicht weiter berücksichtigt. Vielmehr bildet der Kontext, den die Lernenden aufgespannt haben, den steten Bezugspunkt, von dem ausgehend oder auf den referierend der Perspektivwechsel vollzogen wird. Es muss gelingen, auf dieser Grundlage das im jeweiligen Ausstellungskontext präsentierte Identitätsangebot in der Art und Weise für die Lernenden zugänglich zu machen, dass es einen Mehrwert für die jeweils eigenen Identitätskonstruktionen hat. Dabei wird keinesfalls intendiert, dass ein Identitätsangebot nur gewinnbringend ist, indem es adaptiert wird. Auch in Form von Ablehnung als Resultat einer kritisch-reflexiven Auseinandersetzung kann eine Nutzung eines Identitätsangebotes liegen. Der in der zweiten Phase vorgesehene Perspektivwechsel soll den Lernenden Möglichkeiten präsentieren, keine Verbindlichkeiten; er formuliert ein Kann, kein Muss.
die vom Museumspädagogen vorgedachte Interpretation wiederspiegeln. Bernhardt: Bildwahrnehmung, S. 124. 761 Vgl. Ziese: Geflüchtete, S. 295f.; Witte: Interkulturelles Lernen, S. 59.
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Einordnung der empirischen Befunde
2.2.3 Methoden Was den methodischen Zuschnitt anbelangt, sind dieser Phase weniger Grenzen gesetzt als der ersten. Zu bevorzugen sind Methoden, die weiterhin die Gruppe als Bezugsgröße haben, um an die in der ersten Phase entstandenen Strukturen auf Gruppenebene anschließen zu können, sofern sich diese gebildet haben. Eher mit Vorsicht eingesetzt werden sollten daher sowohl Methoden, die die einzelnen Lernenden bei ihren Handlungen isolieren, also Gruppeninteraktionen hemmen, als auch solche, die keine Beziehung zum »Ertrag« der ersten Phase herstellen. Eingesetzt werden können in der zweiten Phase auch Verfahren, welche die Lernenden tendenziell enger führen, d. h. eine Anpassung an für die Methode charakteristische Strukturen erfordern.762 Dabei ist stets darauf zu achten, dass die Wahl der Methoden die Lernenden nicht dahingehend überfordert, dass sie eine Form der Alteritätserfahrung erzeugt, welche die Lernenden als nicht überwindbar erleben. Das Prinzip des entdeckenden Lernens kann auch in dieser Phase einen Aspekt der Methodenwahl darstellen. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass es die Fähigkeit zur Problemlösung fördere.763 Ausgehend davon, dass eine zu überwindende Alteritätserfahrung und der Perspektivwechsel im weitesten Sinne ein »Problem« darstellen, kann das entdeckende Lernen eine geeignete Strategie darstellen, sich dem Komplex anzunähern. Ausgehend vom eigenen Deutungsansatz wäre es beispielsweise vorstellbar, sich über Details tiefergehend mit dem Objekt auseinanderzusetzen und dem musealen Deutungsansatz anzunähern.764 Beispiel »Chinesischer Korb«: Lernende nehmen sich aus einem so genannten »Chinesischen Korb« einen Gegenstand, der einen Detailaspekt des jeweiligen musealen Kontextes darstellt oder mit einem solchen in Beziehung steht. Die Lernenden stellen Assoziationen her und vertiefen so die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und lernen dadurch andere Perspektiven auf diesen kennen.765
762 Auch dem Prinzip der kalkulierten Überforderung als Aspekt des Spracherwerbsprozesses kann darin Gestalt gegeben werden, wenn Lernende tendenziell weniger »frei« als in der ersten Phase sind und konkrete Sprachprodukte gebildet werden müssen. Behning: Sprache im Museum, S. 52. 763 Vgl. Ausubel/Novak/Hanesian: Grenzen, S. 35f.; Richter u. a.: Lernwerkstatt-Ansatz, S. 37. 764 Es könnte sich hierbei sowohl um Details handeln, die von den Lernenden zwar in ihren eigenen Narrationen aufgegriffen wurden, allerdings in einem vom musealen Kontext abweichenden Zusammenhang, als auch um solche, die Lernenden bislang nicht berücksichtigt haben. 765 Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch ein Suchspiel, bei dem z. B. Teile eines Objekts abgedeckt und durch die Lernenden erraten werden müssen. Vgl. Rudnicki/Theil: Deutsch im Museum, S. 105.
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Anschließen an die spielerische Suche könnten sich die Methoden Detailfokus oder Argusauge: Das Ziel beider ist es, Details zu fokussieren, zu beschreiben und dadurch eine intensive, eigenständige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Objekt zu fördern. Gleichzeitig gewähren sie den Lernenden großen Freiraum bei der Ausgestaltung dieses Weges. Ergänzen ließe sich dieser Ansatz auch mit einem Fünf-Sinne-Check, der neben den visuellen auch andere Sinneseindrücke einbindet.766 Beispiel Museumsdetektive: Der Methode liegt ein ähnliches Prinzip wie dem Detailfokus zugrunde. Die Lernenden erhalten z. B. eine Abbildung mit dem Detail eines Objekts, das sie dann suchen müssen.767 Auch können spielerisch-gestalterische Methoden an dieser Stelle deutlich zielführender eingesetzt werden als in der ersten Phase. Beispiel Puzzle: Das Puzzle muss sich nicht ausschließlich auf die Rekonstruktion von Bildern beschränken. Es ist auch eine Adaption des Konzepts möglich, bei der den Lernenden zu einem musealen Kontext eine Reihe von Objekten präsentiert werden, die sie in den Kontext einordnen und entsprechende Bezüge herstellen müssen.768 Beispiel Cluster: Verwandt mit dem Puzzle, jedoch wesentlich »freier« und assoziativer ist die Bildung von Clustern.769 Büchert beschreibt eine Verbindung mit dem Konzept des entdeckenden Lernens, bei der die Lernenden (z. B. historische) Alltagsgegenstände zunächst »erforschen« (z. B. Verwendungszweck, Funktion etc.) und dann Gruppen bilden.770 Beispiel Werkstattprogramm: Viele Museen verfügen zur Durchführung insbesondere gestalterischer Methoden über entsprechend ausgestattete Werkstatträume. Methoden können beispielsweise das Malen oder Basteln (z. B. Collagieren) sein, um über den Weg der sinnlichen Erfahrung das jeweilige museale Objekt mit anderen Augen zu sehen.771 Aber der Anspruch von Werkstattprogrammen muss sich nicht zwangsläufig mit dem Malen und Basteln an sich begnügen.772 Abhängig vom Thema des 766 Ebd., S. 170f. Unterstützt werden könnte die betrachtende Erschließung eines Kontextes beispielsweise auch durch so genannte Visual Thinking Strategies. Vgl. Hamann, Matthias/ Kollar, Elke: Zwischen den Welten. Dokumentation des Bar Camps, In: Standbein Spielbein 107 2017, S. 71–84, hier S. 72. 767 Dreykorn: Methoden, S. 169. 768 Rudnicki/Theil: Deutsch im Museum, S. 106. 769 Czech: Methodische Vielfalt, S. 208f.; Dreykorn: Methoden, S. 177. 770 Büchert: Dialog, S. 125. 771 Vgl. Rudnicki/Theil: Deutsch im Museum, S. 107. 772 Im Gegenteil: Gestalterische Formate getrennt von Ausstellung und Objekt in separaten Räumen stattfinden zu lassen – und das würde ein derart ausgerichtetes Werkstattprogramm bedeuten –, wird in der Forschung auch kritisch betrachtet. Vgl. Spanier: Kunstund Kulturvermittlung, S. 178. Gleichwohl muss zugestanden werden, dass viele gestalte-
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Einordnung der empirischen Befunde
Programms ist auch eine Verbindung mit experimentellen und wissenschaftlichentdeckenden Ansätzen denkbar, beispielsweise wenn Lernende zum Thema Zeitmessung Sonnenuhren basteln und lernen, damit selbst die Zeit zu messen.773 Ohne es explizit zu benennen, schließt Kolb damit auch an das Prinzip des entdeckenden774 Lernens an: Die Lernenden machen selbst die »wissenschaftliche Entdeckung«, wie Zeit gemessen wird.775 In diesem Prozess wird auch die Fähigkeit zur Problemlösung weiterentwickelt, was auch dem Umgang mit Alteritätserfahrung und der Förderung von Fremdverstehen zuträglich ist. Dieses »Modell zweier Phasen des Fremdverstehens« erhebt nicht den Anspruch, eine Blaupause für ein idealtypisches museumspädagogisches Programm für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung zu sein. Das Ziel ist es vielmehr, damit gewisse Rahmenbedingungen zu skizzieren, die für ein solches Programm als grundlegend erachtet werden, wenn es die Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe zu berücksichtigen will. Dabei konzentriert sich die erste Phase auf die Rezipientenperspektive und erlaubt den Aufbau einer PersonGegenstands-Beziehung und die Entwicklung eines individuellen Deutungsansatzes. Erst die zweite Phase führt an den Perspektivwechsel vor dem Hintergrund des musealen Deutungsansatzes heran. Die Konsequenzen, die sich daraus hinsichtlich der Rolle des Museumspädagogen sowie hinsichtlich des Umgangs mit der Historie auf der inhaltlichen Ebene ergeben, sollten nachvollziehbar sein und keine weiteren Fragen aufwerfen. Was jedoch den Einsatz der Vermittlungsmethoden je Phase anbelangt, könnte der Eindruck entstehen, die zweite Phase verlange eine intensivere Vorbereitung als die erste. Denn es zeigt sich, dass dem Museumspädagogen in der zweiten Phase ein weitaus größeres Methodenspektrum zur Verfügung steht als in der ersten. Das bedeutet, dass auch eine präzisere Feinplanung der zweiten Phase möglich ist. Dennoch sollte sich der Museumspädagoge bei seiner Planung der ersten Phase nicht minder akribisch zuwenden. Dass in der ersten Phase die Rezipienten mit ihren Perspektiven und Deutungen im Vordergrund stehen, schränkt den Methodeneinsatz dahingehend ein, dass Methoden, welche die Lernenden in zu engen Strukturen und zu stark an den Perspektivwechsel heranführen, zu vermeiden sind. Der Weg zum Ziel der ersten Phase ist daher von einem hohen Maß an Offenheit geprägt und deutlich rischen Aktivitäten zum präventiv-konservatorischen Schutz der Objekte nicht in deren unmittelbarer Umgebung durchgeführt werden können, um nur eine Einschränkung dieser Kritik zu nennen. 773 Zum Thema Werkstattprogramme vgl. Kolb, Peter: Mehr als nur malen oder basteln. Anregungen zu Museumswerkstätten und ihren Programmen, In: Czech, Alfred /Kirmeier, Josef/Sgoff, Brigitte (Hg.): Museumspädagogik – Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2014, S. 255–264, hier insb. S. 260. 774 Im konkreten Fall genauer: forschendes Lernen. 775 Vgl. Simon. Herbert A.: Wissenschaftliche Entdeckung und die Psychologie des Problemlösens, In: Neber, Heinz (Hg.): Entdeckendes Lernen, Weinheim/Basel 31981, S. 104–125.
Desiderata
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weniger strukturiert planbar als die Phase zwei. Das bedeutet jedoch nicht, die Vorbereitung der ersten Phase weniger ernst zu nehmen. Vielmehr ist es die Herausforderungen für den Museumspädagogen, sich auf eine Vielzahl möglicher Szenarien776 einzustellen und entsprechend flexibel reagieren zu können. Die in den vorigen Ausführungen als Beispiele angeführten Methoden sollen auch nur als solche verstanden werden. Über die genannten hinaus sind noch viele weitere denkbar.777 Neben diesen empirisch-theoretischen Gesichtspunkten hängt der Methodeneinsatz selbstredend auch vom Museum, dem Thema des Programms, der Größe der Gruppe, den zur Verfügung stehenden Ressourcen etc. ab. Auch bilden die aufgeführten Methoden keine im Rahmen der Empirie selbst erprobten Best-Practice-Beispiele. Sie erscheinen lediglich aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse als zielführend einsetzbar. Die Intention ist vielmehr die, anhand der Beispiele das Konzept des »Modells« anschaulich und greifbar darzustellen. Stärker ins Detail sollen und können die Ausführungen an dieser Stelle nicht gehen. Das »Modell« muss unvollkommen bleiben und sich auf die vorige Ideenskizze beschränken. Denn es sind zwingend weitere Fragen zu klären, die diese Arbeit nicht beantworten kann und die daher weitere Forschungsbemühungen erfordern. Im nachfolgenden letzten inhaltlichen Kapitel dieser Arbeit werden deren Grenzen aufgezeigt und Desiderata benannt.
3.
Desiderata
Die Anschlussfähigkeit dieser Arbeit und die Vorläufigkeit der zuvor präsentierten Erkenntnisse und Impulse für die museale Vermittlungsarbeit erstreckt sich auf drei Teilaspekte: die Reichweite der Erkenntnisse, die Einordnung dieser Untersuchung in einen übergeordneten Forschungsprozess sowie unmittelbar aus den Ergebnissen resultierende zusätzlicher Aufklärungsbedarf. Im Folgenden wird skizziert, welche weiteren Anstrengungen ausgehend von dieser Untersuchung mindestens erforderlich sind, um die Frage nach einem »erfolgreichen« interessen- und bedürfnisorientierten museumspädagogischen Handeln mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung weiter erhellen zu können. Die Frage der Reichweite der Erkenntnisse resultiert im Wesentlichen aus dem Grad an Repräsentativität, den die Untersuchung für einen spezifischen Geltungsbereich beanspruchen kann. Die Grundgesamtheit dieser Untersuchung 776 Beispielsweise welche Objekte eines Ausstellungsbereichs bei den Lernenden situationales Interesse wecken; welche Narrationen die Lernenden entwerfen; welche möglicherweise vom musealen Deutungsansatz stark differierenden eigenen Deutungsansätze die Lernenden entwickeln etc. 777 Vielfältige Impulse und Anregungen vor allem zur Entwicklung didaktischer Materialien, Methoden und Formate zum Selbstentdecken finden sich in Standbein Spielbein 96 2013.
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Einordnung der empirischen Befunde
bilden Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung. Im Jahr 2018778 lebten in Deutschland ca. 8.37 Millionen Ausländer mit eigener Migrationserfahrung,779 davon ca. 0.98 Millionen Kinder und Jugendliche, die sich noch in der schulischen Ausbildung befanden bzw. noch nicht schulpflichtig waren.780 Diese Studie wurde mit einer Stichprobe von N=18 (bzw. unter Einbeziehung der Voruntersuchung N=24) 781 durchgeführt. Die Diskrepanz hinsichtlich des Verhältnisses dieser Werte zueinander ist offensichtlich. Sie wird dadurch etwas entschärft, dass ein qualitativer Ansatz gewählt wurde, der seine Erkenntnisse stets aus kleineren Stichproben gewinnt. Die Ergebnisse der Untersuchung beanspruchen daher im Rahmen der Reichweite qualitativer Settings Gültigkeit, die darin besteht, dass von einzelfallspezifischen Strukturen ausgehend in einer komparativen Betrachtung allgemeine Strukturen herausgearbeitet werden. Wenngleich sich daraus eine solide Arbeitsgrundlage (z. B. für eine Theoriebildung) ergibt, ist es dennoch möglich und in diesem Kontext auch überaus sinnvoll, die Reichweite der Erkenntnisse weiter zu erhöhen. Denn eine empirische Arbeit wird dem Gegenstand Migrationserfahrung nicht gerecht, sofern sich die Stichprobe auf einen nur sehr kleinen Ausschnitt der Grundgesamtheit erstreckt. Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung bilden als Untersuchungsgruppe zwar rein nominell ein Kollektiv, doch sind sie faktisch nicht als homogene Gruppe zu greifen. Um realen Verhältnissen und Strukturen näherzukommen und diese in den Ergebnissen repräsentativ abzubilden, wäre daher eine quantitative Untersuchung mit einer entsprechend großen, repräsentativen Stichprobe nötig. Das Potential qualitativer Ansätze besteht darin, dass sie Hypothesen hervorbringen. Hypothesen bilden wiederum die notwendige Voraussetzung quantitativer Untersuchungen. Die aus einem qualitativen Ansatz wie dem vorliegenden gewonnenen Hypothesen können daher als Voraussetzung dienen, eine quantitative, repräsentative Untersuchung durchzuführen, die diese Hypothesen anhand einer entsprechend großen Stichprobe verifiziert oder falsifiziert. In der geschichtsdidaktischen Empirie lassen sich Vorbilder finden, teilweise auch im Kontext Migration bzw. Interkulturalität, die auf diese Weise verfahren, sei es, dass sie auf bereits bestehende Hypothesengerüste und operationalisierte Items zurückgreifen oder dass sie diese qualitative Vorarbeit selbst leisten.782 Es wäre zu überprüfen, ob für die Fragestellung dieser Untersuchung operationalisierte Messinstrumente bereits existieren und nutzbar gemacht werden könnten. Und 778 779 780 781
Stand August 2019. Statistisches Bundesamt: Migrationshintergrund Insgesamt. Statistisches Bundesamt: Höchster allgemeiner Schulabschluss. Wobei bei der Voruntersuchung die eigene Migrationserfahrung kein ausschlaggebendes Kriterium war. 782 Vgl. Rüsen: Untersuchungen; Borries: Jugend und Geschichte; Hintermann. Dissonante Geschichtsbilder.
Desiderata
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die Durchführung sowohl einer qualitativen wie einer quantitativen Untersuchung hätte den Rahmen des innerhalb dieses Projekts Möglichen bei Weitem überstiegen. Daher wird als erstes Desiderat formuliert, die in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse und aufgestellten Hypothesen einer quantitativen, repräsentativen Erkundung zu unterziehen. Der Forschungsprozess, als Teil dessen sich diese Untersuchung versteht, erstreckt sich nicht nur über die Arbeit und ihre Ergebnisse selbst. Selbst eine quantitative, repräsentative Untersuchung zur Verifizierung der Hypothesen bildet noch nicht den Abschluss. Die Untersuchung wurde als Teil eines DesignBased-Research-Ansatzes (DBR) entwickelt. DBR sucht die Verbindung von Theorie und Praxis bei der Entwicklung von Unterrichts- bzw. Lehr-/Lernkonzepten: Auf wissenschaftstheoretischer Grundlage wird eine neue Lernumgebung entwickelt (designt). Mittels eines Designexperiments wird die Wirksamkeit dieser Lernumgebung mit empirischen Methoden evaluiert. Abhängig vom Ergebnis der Evaluierung wird das Design der Lernumgebung weiterentwickelt, wieder evaluiert etc. Die vorliegende Untersuchung versteht sich als initialer Teil eines solchen Forschungszyklus. Die Untersuchung dient nicht der Entwicklung einer Lernumgebung; sie ergründet empirisch wesentliche Faktoren und Rahmenbedingungen, die für eine solche Entwicklung nötig sind. Das bedeutet, dass zentrale Schritte des DBR-Forschungszyklus erst im Anschluss an diese Arbeit erfolgen. Das zweite Desiderat wird daher folgendermaßen formuliert: Aufbauend auf den empirischen Erkenntnissen sowie einer möglichen quantitativen Verifizierung derselben, erfolgt als nächster Schritt die Entwicklung einer entsprechenden Lernumgebung. Konkret: die Konzeption eines museumspädagogischen Programms für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung in einem kulturhistorischen Museum. Das Ziel des Programms muss es sein, entsprechend der erarbeiteten Kriterien für eine Interessenhandlung einen Vermittlungsansatz zu konzipieren, der das im Museum präsentierte Identitätsangebot für die Lernenden gewinnbringend nutzbar macht. Auch die zuvor skizzierten Impulse hinsichtlich eines zwei Phasen umfassenden Vermittlungsansatzes des Fremdverstehens fließen in diese Konzeption ein und werden im Rahmen des Forschungszyklus weiterentwickelt. Es folgt die praktische Umsetzung, d. h. empirische Evaluierung desselben, die Überarbeitung des Konzepts etc. Der Forschungsprozess als solcher kann nach diesen weiteren Maßnahmen abgeschlossen werden. Möglicherweise ergeben sich aus den einzelnen Schritten Fragen, die eine eigenständige Untersuchung verlangen. Davon abgesehen haben jedoch die Ergebnisse dieser Untersuchung selbst eine Frage aufgeworfen, die diese nicht beantworten kann und die daher außerhalb des eigentlichen Forschungsprozesses weitere Anstrengungen verlangt. Zu Beginn der Ausführungen zu den Impulsen für die museale Vermittlungsarbeit wurde die Frage nach dem
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Einordnung der empirischen Befunde
Was gestellt, d. h. welche Museen, Ausstellungsbereiche, Objekte etc. sich am besten für ein solches museumspädagogisches Programm eignen würden. Die Untersuchung hat zwar die Frage nach den Interessen der Zielgruppe gestellt, allerdings mit der Intention, Aufschluss über die Struktur des Interesses und das Muster der Interessenhandlungen zu erhalten. Eine belastbare Erkenntnis besteht darin, dass Auslöser für die Interessenhandlungen keine überdauernden, individuellen und im Rahmen der Interessenhandlung aktualisierten Interessen sind. Vielmehr basieren jene ausschließlich auf der situationsspezifischen Interessantheit des jeweiligen musealen Objekts oder Kontextes. Die für die museale Vermittlung relevante Frage lautet daher, welche Kontexte dieses situationale Interesse auslösen können. Aus dem empirischen Material ließen sich zwar auch Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Kontexte (z. B. besonders häufig) eine Interessenhandlung auslösen und welche Merkmale jene aufweisen. Allerdings würden solche Befunde auf einer reinen Quantifizierung beruhen, die jedoch im qualitativen Paradigma zu keinen validen Ergebnissen führt. Das dritte Desiderat besteht folglich darin, sei es empirisch oder theoretisch zu untersuchen, wie bzw. durch was bei der Zielgruppe Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung im Rahmen eines museumspädagogischen Programms situationales Interesse ausgelöst werden kann. Eine Antwort auf diese Frage kann nur interdisziplinär gefunden werden. Erforderlich sind nicht nur die Erkenntnisse von Geschichtswissenschaft, Geschichtsdidaktik sowie möglicherweise die Methoden der empirischen Sozialforschung. Unverzichtbar ist auch die Perspektive der Ethnologie, deren zentraler Untersuchungsgegenstand das kulturell Fremde darstellt.783 Denn insbesondere bei der Frage nach situationales Interesse auslösenden Dingen oder Kontexten dürfen die unterschiedlichen (z. B. auch kulturspezifischen) Hintergründe der Gruppe Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung nicht ausgeblendet werden.784 Insbesondere die jüngere Forschung erschließt sich das Themenfeld um Begriffe wie: Ethnizität, Migration oder Transnationalismus.785 Dabei kann bereits auf einer soliden Grundlage aufgebaut werden. Die Thematik Museum und Migration wird bereits in einem breiten Forschungsdiskurs – vor allem vor dem Hintergrund der Musealisierung von Migration – bearbeitet, 783 Kohl, Karl-Heinz: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung, München 1993, S. 25–28. Ihrerseits erkennt auch die Ethnologie die Fruchtbarkeit interdisziplinärer Forschungsansätze. Vgl. Gingrich, Andre: Erkundungen. Themen der ethnologischen Forschung, Wien u. a. 1999, S. 253–260. 784 Allemann-Ghionda, Christina: Zweisprachigkeit und Bildungserfolg der Migrantenkinder vor dem Hintergrund europäischer Mehrsprachigkeit. Thesen und Forschungsbedarf, In: Allemann-Ghionda, Christina/Pfeiffer, Saskia (Hg.): Bildungserfolg, Migration und Zweisprachigkeit. Perspektiven für Forschung und Entwicklung, Berlin 22010, S. 23–44, hier S. 23. 785 Vgl. Heidemann, Frank: Ethnologie. Eine Einführung, Göttingen 2011, S. 213–227.
Zusammenfassung
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wie die Darstellung des Forschungsstandes in der Einführung bereits verdeutlicht hat.786 Strukturelle Anknüpfungspunkte bietet zudem die Kommission »Sachkulturforschung und Museum« der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, die auch das Thema Migration und Museum bearbeitet.787 Überdies beschäftigt sich ein Arbeitsbereich der Ethnologie mit materieller Kultur.788 Umgekehrt hat das Thema Ethnologie auch bereits Eingang in die Museumspädagogik gefunden.789 Die Voraussetzungen für eine interdisziplinäre Perspektive sind also in beiden Wissenschaften vorhanden. Die vorliegende Untersuchung beantwortet die Frage nach den gemeinsamen Strukturen und Mustern hinsichtlich Interesses und Interessenhandlung der Jugendlichen. Die Forschungsbemühungen, die als drittes Desiderat benannt werden, müssen hingegen zutage fördern, worin die Unterschiede liegen.790
4.
Zusammenfassung
Die Einordung der empirischen Befunde blickt einerseits zurück auf den theoretischen Rahmen der Untersuchung und beschreibt die Erkenntnisse, die sich über das Interessenkonstrukt im Allgemeinen wie im Besonderen gewinnen lassen. Und sie blickt andererseits nach vorne und skizziert darauf aufbauend Impulse für eine interessen- und bedürfnisorientierte Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung im kulturhistorischen Museum. These 1 zu den Erkenntnissen über das Interessenkonstrukt im Allgemeinen: Die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit stellt eine elementare Voraussetzung für ein interessenbestimmtes, nachhaltiges Lernen dar. Das gilt im Besonderen für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung im Kontext des außerschulischen Lernens in kulturhistorischen Museen. Denn die Erfahrung von Alterität in zweifacher Weise – die Auseinandersetzung mit einer fremden, vergangenen Kultur – stellt besondere Anforderungen an diese Gruppe von Lernenden. 786 Vgl. u. a. Kamel/Gerbich: Experimentierfeld; Wonisch: Museum; Hampe: Migration; DOMiD: Vereinsgeschichte; Meine Stadt – meine Geschichte: Migrationsgeschichte; Stadtmuseum Stuttgart: Mitmachen; Schilling u. a.: European perspectives. 787 Deutsche Gesellschaft für Volkskunde: Kommissionen. Sachkulturforschung und Museum, (online) https://www.d-g-v.de/netzwerk/kommissionen/sachkulturforschungund-museum/ (aufgerufen am 28. 01. 2020). Vgl ebenso: Hampe: Migration. 788 Feet, Christian F.: Materielle Kultur, In: Beer, Bettina/Fischer, Hans (Hg.): Ethnologie. Einführung und Überblick, 82013, S. 255–270. 789 Die gesamte Ausgabe Standbein Spielbein 105 2016 widmet sich diesem Thema. 790 Beispielsweise in welchen Objekten und Kontexten zwar Jugendliche aus dem Nahen und Mittleren Osten eine situationsspezifische Interessantheit entdecken, Jugendliche aus dem afrikanischen Raum hingegen nicht oder umgekehrt etc.
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Einordnung der empirischen Befunde
Bei der Analyse der Interessenhandlungen anhand des Krapp’schen Interessenkonstrukts lassen sich keine individuellen Interessen in Form von überdauernden Person-Gegenstands-Bezügen feststellen, die im Rahmen der Interessenhandlungen aktualisiert werden. Stattdessen resultieren diese ausschließlich aus der situationalen Interessantheit eines musealen Kontextes. Über die Kriterien und Merkmale der situationalen Interessantheit lassen sich keine näheren Erkenntnisse gewinnen, die über das, was sich in der Basistypik niederschlägt, hinaus gehen. Vielmehr zeigt sich, dass im Kern der Interessenhandlung das Herstellen einer Person-Gegenstands-Beziehung selbst steht, die gewissermaßen das aktualisierte (kollektive) Interesse bildet. Daraus und unter Verweis auf die Basistypik lässt sich eine besondere Bedeutung der Befriedigung der genannten psychologischen Grundbedürfnisse als Bedingung von Interesse ableiten. Einen zentralen Faktor dabei bildet die doppelte Alteritätserfahrung für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung: die Auseinandersetzung mit einer fremden und fremden vergangenen Kultur. Dadurch ist bei diesen Jugendlichen ein Defizit-Erleben hinsichtlich der Grundbedürfnisse wahrscheinlicher als bei Jugendlichen ohne das Merkmal der eigenen Migrationserfahrung (bzw. weiter gefasst Migrationshintergrund). Eine herausgehobene Stellung – so legen die Befunde nahe – nimmt das Grundbedürfnis der sozialen Eingebundenheit ein. Umso stärker sich auch andere Personen mit dem Gegenstand der eigenen Interessenhandlung identifizieren und auseinandersetzen, desto sinnstiftender wird die eigene Interessenhandlung wahrgenommen. In diesem Fall betrifft das einerseits den (diskursiven) Austausch mit anderen Jugendlichen der Gruppe, die ähnliche Narrationen entwerfen, Erfahrungen teilen etc.; andererseits ist das (museumspädagogische) Begleitpersonal als Adressaten der Narrationen der Jugendlichen betroffen. Es zeigt sich das Bedürfnis, mit der »eigenen Geschichte« ernst genommen zu werden. These 2 zu den Erkenntnissen über das Interessenkonstrukt im Besonderen: Im Rahmen der Interessenhandlung bauen Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung eine Beziehung zum musealen Objekt auf. Die im Zuge dessen stattfindenden Prozesse historischer Sinnbildung sind gekennzeichnet von einer ausschließlich positiv-affirmativen Verwendung von Geschichte. Die Überwindung von Alteritätserfahrung und die Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur bilden die Zieldimension dieses Prozesses. Die Analyse der im Rahmen der Interessenhandlungen stattfindenden Prozesse historischer Sinnbildung will ermitteln, welche Bedeutungszuschreibungen in diesem Zusammenhang vorgenommen werden, welche Formen der historischen Sinnbildung vorliegen und welchen Stellenwert die jeweilige museal präsentierte Historie bei der eigenen Identitätskonstruktion einnimmt. Interessant ist hierbei zunächst die Art der Konstruktion von Wir-Gruppen. Bei der dafür
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notwendigen Differenzierung in ein »Wir« und »die Anderen« zeigt sich, dass die musealen Kontexte nicht eindeutig einer der Kategorien zuzuordnen sind. Sie markieren teilweise das »Eigene«, teilweise das »Andere«. Bei ersterem geschieht dies vor allem bei der Verbindung mit der eigenen Lebenswirklichkeit oder dem Herkunftsland. Bei letzterem stellt diese Form der Alteritätserfahrung, wenn keine direkte Verbindung zum »Eigenen« hergestellt und der Kontext dem »Anderen« zugeordnet wird, jedoch dann keine Hürde dar, sofern eine selbstgesteuerte Erschließung des musealen Kontextes auf Basis individueller Fähigkeiten möglich ist. Es treten die Formen der traditionalen, genetischen wie exemplarischen Sinnbildung zutage. Die traditionale Sinnbildung zeigt sich, wenn in den Narrationen vom musealen Kontext ausgehend eine direkte Verbindung zu gegenwärtigen eigenen Lebensverhältnissen oder gegenwärtigen Verhältnissen in den jeweiligen Herkunftsländern der Jugendlichen hergestellt wird. Von genetischer Sinnbildung ist dann zu sprechen, wenn auf der Zeitebene dem historischen musealen Gegenstand ein ebenfalls in der Vergangenheit liegender Vergleichshorizont der eigenen Lebensverhältnisse und/oder jener des Herkunftslandes gegenübergestellt wird. Von diesem grenzen sich die gegenwärtigen Lebensverhältnisse durch zeitlichen Wandel und Veränderung ab. Es sind auch hybride Konstrukte traditionaler und genetischer Sinnbildung festzustellen, bei denen auf einer übergeordneten Ebene Kontinuitäten, beim Herausgreifen von Details jedoch Veränderungsprozesse herausgearbeitet werden. Exemplarische Sinnbildung ist dann erkennbar, wenn im musealen Gegenstand eine Bestätigung eigener Annahmen hinsichtlich spezifischer gesellschaftlicher Muster, Regeln oder Strukturen erkannt wird, die, während sich die Verhältnisse und Rahmenbedingungen ändern, Bestand haben. Dies ist besonders bei der Verbindung mit Stereotypen, Schemata und Dogmen festzustellen. Es findet eine ausschließlich positiv-affirmative Verwendung von Geschichte statt: Historische Sinnbildung und Identitätskonstruktion erfolgen durch Geschichte im Zuge einer positiven Annahme derselben und nicht in Abgrenzung von Geschichte. In den Interessenhandlungen dokumentiert sich eine Haltung des Sich-zurecht-Findens, der »Zugehörigkeit«. Im Zentrum steht eine eigene Geschichte, welche die Brücke zum musealen Objekt und dem dahinterliegenden Kontext »baut«. Die Überwindung von Alteritätserfahrung und die Herstellung einer positiven Beziehung zur fremden Kultur bilden die Zieldimension des Prozesses der historischen Sinnbildung. These 3 zu den Impulsen für die museale Vermittlungsarbeit: Ein an den Interessen und Bedürfnissen von Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung ausgerichteter museumspädagogischer Vermittlungsansatz ist im Kern in zwei Phasen aufgebaut: In der ersten Phase fokussiert er die Rezipientenperspektive und erlaubt die selbstgesteuerte Entwicklung eines individuellen Deutungsan-
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Einordnung der empirischen Befunde
satzes des musealen Objekts. In der zweiten Phase führt er an den Perspektivwechsel vor dem Hintergrund des musealen Deutungsansatzes heran. Bei beiden Schritten bildet »Perspektivität« das Leitmotiv. Die Erkenntnisse über das Interessenkonstrukt im Allgemeinen wie im Besonderen verdeutlichen, dass die Entstehung einer Interessenhandlung wesentlich davon abhängt, eine Beziehung zum musealen Gegenstand herstellen, ihn mit einer eigenen Geschichte verbinden zu können. Museumspädagogische Vermittlungsprogramme wollen einen Gegenstand und den dahinterliegenden Kontext aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und Fremdverstehen fördern. Vor diesem Hintergrund ist darauf zu achten, den zweiten Schritt nicht vor dem ersten zu gehen, d. h. nicht zu früh an den Perspektivwechsel heranzuführen, ehe die eigene Perspektive entwickelt ist. Daher erscheint ein Vorgehen in zwei Phasen sinnvoll. Die erste Phase widmet sich ausschließlich der Rezipientenperspektive und erlaubt den Aufbau der Person-Gegenstands-Beziehung. Sie dient der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse. Der Museumspädagoge nimmt die Rolle eines Moderators ein, der den Prozess non-direktiv und weniger instruierend begleitet und versucht, Gruppeninteraktionen zu fördern. Auf der inhaltlichen Ebene wird daher die Vermittlung des musealen Deutungsansatzes des jeweiligen Kontextes zugunsten der Entwicklung eines rezipientenspezifischen Deutungsansatzes zurückgestellt, selbst wenn beide möglicherweise stärker voneinander abweichen; dies ist beispielsweise bei der Verbindung mit Stereotypen, Schemata oder Dogmen möglich, die im musealen Kontext ihre Bestätigung zu finden scheinen. Die Aufgabe des Museumspädagogen ist es, die Schnittpunkte der beiden Deutungsansätze zu fokussieren. Es eignet sich ein Zugang über offene, explorative Formate und Methoden nach den Prinzipien des entdeckenden Lernens, der der verbalen Ebene besonders Gewicht gibt. Ein solcher ergebnisoffener und flexibler Methodenansatz vermag es, die natürliche Neugier von Lernenden zu wecken, Interesse und Motivation zu fördern und Gruppenprozesse zu stärken. Es muss jedoch auch hier ein optimales Anforderungsniveau gewährleistet sein, denn erfolglose Entdeckungsversuche können exakt das Gegenteil bewirken. Von der Grundlage ausgehend, dass die Lernenden eine Beziehung zum jeweiligen Gegenstand hergestellt haben, sich ihrer eigenen Perspektive bewusst sind und eine Interessenhandlung entstanden ist, kann durch den Museumspädagogen in die zweite Phase eingeleitet werden. Sie dient der Heranführung an den Perspektivwechsel vor dem Hintergrund des musealen Deutungsansatzes. Der Museumspädagoge fokussiert die Schnittmenge zwischen beiden Deutungsansätzen und leitet die Lernenden an, die Brücke zwischen beiden zu »bauen«. In seiner Rolle ist der Museumspädagoge Moderator eines selbstgesteuerten Prozesses, aber auch Wissensvermittler, der stärker anleitet und instruiert, Strukturen vorgibt. Anders als in der ersten kann er in der zweiten Phase
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ein klar definiertes Ziel verfolgen. Auf der inhaltlichen Ebene werden die Lernenden daran herangeführt, sich mit den im Museum präsentierten Narrativen und dem musealen Deutungsansatz auseinanderzusetzen. »Perspektivität« bildet daher explizit das Leitmotiv, da es ein Ziel der Vermittlung sein muss, dafür zu sensibilisieren, dass es mehrere nebeneinander gleichberechtigte Perspektiven auf einen Gegenstand geben kann und es keine Differenzierung in »richtig« und »falsch« gibt. Die Wahl der geeigneten Methoden und Formate soll diesen Prozess unterstützen. Dem Methodeneinsatz sind weniger Grenzen gesetzt als in der ersten Phase. Die Gruppe aktivierende Methoden nach den Prinzipien des entdeckenden Lernens haben auch in dieser Phase ihre Berechtigung. Es ist hier jedoch möglich und sogar erwünscht, auch Methoden zu wählen, welche die Lernenden tendenziell enger und somit behutsam an den Perspektivwechsel heranführen, indem sie gewisse Strukturen vorgeben. Zugleich darf aber auch keine Situation der Überforderung geschaffen werden, die eine Hürde in Gestalt einer scheinbar unüberwindbaren Alteritätserfahrung darstellt. Handlungsorientierte Formate und beispielsweise so genannte Werkstattprogramme können in dieser Phase verstärkt in den Fokus rücken. Die genannten Impulse müssen jedoch in gewisser Hinsicht als vorläufig und unter Vorbehalt betrachtet werden. Denn es sind zwingend weitere Fragen zu klären, um eine Antwort darauf geben zu können, wie eine interessen- und bedürfnisorientierte Arbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung im kulturhistorischen Museum zielführend und »erfolgreich« gestaltet werden kann. Dies betrifft erstens die Reichweite der Untersuchung. Aufgrund des qualitativen Paradigmas beansprucht diese Arbeit, allgemeine Aussagen über ihren Gegenstandsbereich treffen zu können. Jedoch ist es möglich und auch sinnvoll, im Rahmen eines quantitativen Ansatzes, die hier entworfenen Thesen als Hypothesen in einer Studie mit operationalisierten Messinstrumenten und mit einer entsprechend großen, repräsentativen Stichprobe zu überprüfen. Zweitens versteht sich diese Arbeit als ein Bestandteil eines weitergehenden Forschungszyklus. Entsprechend des DBR-Ansatzes ist es erforderlich, die zuvor genannten Impulse in eine umfassende Theorie münden zu lassen, daraus eine museale Lernumgebung zu entwickeln, diese empirisch zu evaluieren, die Theorie anzupassen etc. Und drittens ist die Frage nach dem situationalen Interesse noch ungeklärt, wie es dem Museumspädagogen gelingen kann, dieses bei den Lernenden zu wecken, d. h. entsprechende museale Objekte bzw. Kontexte zu finden. Diese Untersuchung liefert hierfür nur Indizien. Daher ist ein interdisziplinärer Ansatz notwendig, der unter Einbeziehung der Ethnologie dieser Frage nachgeht. Erst wenn die zuvor skizzierten Desiderata wissenschaftlich ergründet sind, wird es möglich sein, eine umfassende Antwort auf die aufgeworfene Frage geben zu können, wie eine interessen- und bedürfnisorientierte Arbeit mit Jugendli-
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Einordnung der empirischen Befunde
chen mit eigener Migrationserfahrung im kulturhistorischen Museum »erfolgreich« gestaltet werden kann. Diese Arbeit versteht sich als initialer Teil dieses Forschungszyklus. Gleichwohl soll dazu ermutigt werden, die Erkenntnisse dieser Arbeit bereits jetzt in die Praxis zu tragen. Durch den Erfahrungsreichtum der museumspädagogischen Praxis können einige der noch vorhandenen Schwächen kompensiert oder überwunden und die Arbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung sicher nicht vollkommen fehler- und konfliktfrei, aber zumindest besser gestaltet werden.
Fazit und Ausblick
Im September 2018 fand ein mehrjähriger Forschungsprozess seinen Abschluss. Das Ziel der Arbeit war es, Erkenntnisse über die Interessen von in Deutschklassen (D-Klassen) beschulten Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung im Kontext des außerschulischen historischen Lernens in kulturhistorischen Museen zu gewinnen. Notwendig ist diese Forschung, da in der Vergangenheit tendenziell mehr über diese Jugendlichen gesprochen wurde denn mit ihnen. Zur Frage, wie Migration museal repräsentiert werden kann, existiert bereits ein breiter Forschungsdiskurs. Das Desiderat, dem sich diese Arbeit zugewandt hat, resultiert dagegen aus der mangelnden Kenntnis über die Bedürfnisse und Interessen Jugendlicher mit eigener Migrationserfahrung als Zielgruppe museumspädagogischer Vermittlungsarbeit. Die Arbeit wurde als erster Baustein eines Design-Based-Research-Forschungszyklus angelegt, der empirisch wesentliche Faktoren und Rahmenbedingungen einer interessen- und bedürfnisorientierten Vermittlung in der Lernumgebung »kulturhistorisches Museum« ergründet hat. Leitend für die Arbeit war die Annahme, dass sich kulturhistorische Museen in besonderem Maße als außerschulische Lernorte für D-Klassen eignen: Im »geschützten Raum« Museum ist es den Lernenden möglich, sich mit der fremden Kultur der Residenzgesellschaft auseinanderzusetzen, diese kennenzulernen und in diesem Zuge auch den Spracherwerbsprozess durch praktische Sprachanwendung zu unterstützen. Der Zugang zum Untersuchungsgegenstand erfolgte über ein zweiteiliges Interessenkonstrukt. Auf einer allgemeinen Ebene wurde hierzu die so genannte »Münchener« Interessen- oder Person-Gegenstands-Theorie herangezogen. Im Besonderen wurde nach einem geschichtsdidaktischen Zugang zum Interesse gesucht; dieser wurde im Geschichtsbewusstsein bzw. dessen Unterkategorie »historische Identität« gefunden. Resultierend aus den theoretischen Erkenntnissen fiel die Entscheidung für einen rekonstruktiven, qualitativen, (hypo-)thesengenerierenden Forschungsansatz, der es ermöglicht hat, zu subjektiven Bedeutungszuschreibungen und
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Fazit und Ausblick
latenten Sinngehalten vorzudringen und darin allgemeine Strukturen zu erkennen. Die Erhebungsinstrumente bildeten ein Hybrid aus Gruppendiskussion und fokussiertem Interview sowie eine teilnehmende Beobachtung mit zwei Beobachtern. Die Analyse erfolgte auf Basis der dokumentarischen Methode. Als Untersuchungsort diente das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim. Das Freilandmuseum, das als Typ dem kulturhistorischen Museum zugeordnet wird, erwies sich als besonders geeignet für diese Untersuchung, da es eine unmittelbare, multisensorische Auseinandersetzung mit den musealen Objekten und mit Historie ermöglichte und der u. U. für Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung schwierige Schritt der Rekontextualisierung nicht erforderlich war, da die Objekte in ihrem ursprünglichen Kontext und Verwendungszusammenhang präsentiert werden. Im Vorfeld der Hauptuntersuchung wurde eine Voruntersuchung (N=6) durchgeführt, um zu ermitteln, ob das Messinstrumentarium das zu leisten imstande ist, was es verspricht. In dieser Hinsicht verlief die Voruntersuchung positiv. Es ließen sich zudem Schlüsse darüber ziehen, wie der Prozess der Erhebungen der Hauptuntersuchung hinsichtlich Ablauf und Struktur optimal zu gestalten war. Noch gewinnbringender hätte die Voruntersuchung allerdings durchgeführt werden können, hätte ein größeres Zeitfenster zur Verfügung gestanden, das es ermöglicht hätte, nicht nur das Erhebungsinstrumentarium selbst, sondern auch dessen Zusammenspiel mit der Analysemethode in einer beispielhaften Fallanalyse intensiv zu erproben. Durch die gewählte Verfahrensweise ist zwar kein Nachteil hinsichtlich Hauptuntersuchung und Analyse entstanden. Allerdings hätte mit dem Wissen um gewisse Faktoren der Prozess von Hauptuntersuchung und Analyse noch effizienter und zielführender gestaltet werden können. Die Hauptuntersuchung (N=18) setzte sich aus Erhebungen mit drei Einzelgruppen A, B und C ( je N=6) zusammen. Bei zwei der Erhebungen wurden diese zudem durch eine Museumspädagogin des Museums in der Rolle als zweite Beobachterin der teilnehmenden Beobachtung unterstützt. Bei einer der Erhebungen war dies nicht möglich. Die Museumspädagoginnen wurden jeweils auf ihre Rolle theoretisch vorbereitet. Aus den Erhebungen resultierten insgesamt 96 Einzelfälle, d. h. Subjekt-Objekt-Interaktionen. Von den 96 Einzelfällen wurden 68 Fälle, welche die nötige interaktive Dichte aufwiesen, der Analyse zugeführt. Diese erfolgte in drei Schritten. Die formulierende Interpretation, vergleichbar einer niedrig inferenten Kodierung, diente dem Sinnverständnis und der Aufschlüsselung der Diskurse in Ober- und Unterthemen. Die reflektierende Interpretation jedes Einzelfalls bzw. -diskurses hat die jeweils zugrundeliegenden Strukturen und Muster zutage gefördert. Eine an diesen Schritt anschließende kommunikative Validierung diente dem Austausch mit den Subjekten der Stichprobe über die Zwischenergebnisse. Diese hat im
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Kern den gewählten Interpretationsansatz und die vorläufigen Befunde bestätigt und die Weichen für den letzten Teilschritt gestellt. In der komparativen Analyse und Typenbildung wurden die fallübergreifenden Strukturen und Muster herausgearbeitet und zu einer Basistypik abstrahiert, die den gemeinsamen konjunktiven Erfahrungsraum abbildet. Trotz der im Ergebnis sehr zufriedenstellenden Resultate und Befunde war die Analyse von gewissen Unwägbarkeiten begleitet, die eine geringfügige Anpassung des Prozesses erforderten. Die systematische Perspektiventriangulation aus den genannten Erhebungsinstrumenten hatte das Ziel, verschiedene Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand synergetisch zu verbinden, die unterschiedlichen Aspekte oder Phänomene zutage fördern sollten. In der Analyse hat sich jedoch herausgestellt, dass das Material aus den Gruppendiskussionen und fokussierten Interviews sowie das aus der teilnehmenden Beobachtung in unterschiedlichen Abstraktionsniveaus vorlag. Dadurch war es nicht möglich, das Material dieser beiden Provenienzen von Beginn der Analyse an in allen Schritten je Fall parallel als Erkenntnisgrundlage zu nutzen. Das war erst möglich, als in der komparativen Analyse und Typenbildung ein Abstraktionsniveau erreicht war, das auch dem der teilnehmenden Beobachtung entsprach. Folglich erfüllte die Triangulation die Funktion, bis zu diesem Punkt gewonnene Erkenntnisse zu bestätigen oder zu ergänzen. Einen völlig neuen Blick auf den Untersuchungsgegenstand gewährte sie jedoch nicht. Eine intensivere Voruntersuchung hätte dieser Unwägbarkeit bedingt entgegenwirken können. Allerdings wäre eine alternative Durchführung der teilnehmenden Beobachtung, beispielsweise durch videographische Aufzeichnung, im Rahmen dieser Studie personell wie zeitlich nicht durchführbar gewesen. Daher hätte ein Wissen um diesen Umstand lediglich den Prozess vereinfacht, nicht jedoch die Ergebnisse signifikant verändert. Die Befunde, die sich in der Basistypik konkretisieren sowie deren Einordnung in das Interessenkonstrukt legen den Schluss nahe, dass eine an den Bedürfnissen und Interessen der Zielgruppe Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung ausgerichtete museale Vermittlungsarbeit keine Frage des Was, sondern eine des Wie ist. Es konnte gezeigt werden, dass Interessenhandlungen vorwiegend in musealen Kontexten entstehen, die ein Bedürfnis nach Struktur, Orientierung, Kontrolle und Sicherheit befriedigen und die selbstgesteuerte Entwicklung eines eigenen Deutungsansatzes erlauben. Im Rahmen der Interessenhandlungen treten im Wesentlichen vier Phänomene, häufig in Kombination, zutage: Die Kompetenz im anwendungsbezogenen Umgang mit dem musealen Gegenstand, die Verbindung mit der eigenen Lebenswirklichkeit, die Verbindung mit dem eigenen Herkunftsland oder die Verbindung mit Stereotypen, Schemata oder Dogmen.
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Fazit und Ausblick
Über das Interessenkonstrukt im Allgemeinen ließ sich feststellen, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit und der Entstehung und Entwicklung von Interesse bestehen muss. Im Kontext einer doppelten Alteritätserfahrung, der Auseinandersetzung mit einer nicht nur fremden, sondern fremden vergangenen Kultur, erleben Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung ein tendenziell höheres Defizit dieser Grundbedürfnisse als z. B. Jugendliche der Residenzgesellschaft. Folglich werden Anstrengungen, die zu einer Interessenhandlung führen sollen, primär dieses Defiziterleben zu überwinden versuchen. Für die museale Vermittlungsarbeit bedeutet das, dass mit der richtigen Methodenwahl, die diese Grundbedürfnisse zu befriedigen vermag, der Zugang zu Interessenhandlungen möglich und damit nicht primär abhängig vom Gegenstand selbst ist. Als Stimulus für Interessenhandlungen konnte im Rahmen der Untersuchung ausschließlich die situationale Interessantheit eines Objekts identifiziert werden; überdauernde, individuelle Interessen waren nicht zu erkennen. Das Herstellen der Person-Gegenstands-Beziehung konnte als der eigentliche Kern der Interessenhandlung ausgemacht werden. Zum Interessenkonstrukt im Besonderen konnte aufgezeigt werden, dass die im Rahmen der Interessenhandlungen stattfindenden Prozesse historischer Sinnbildung eine ausschließlich positiv-affirmative Verwendung von Geschichte kennzeichnet. Die Überwindung von Alteritätserfahrung und das Herstellen einer positiven Beziehung zur fremden Kultur bilden die Zieldimension dieses Prozesses. Die positiv-affirmative Verwendung findet darin ihren Ausdruck, dass eine Sinnbildung durch Annahme von Geschichte, anstatt einer solchen gegen und in Distanz zu Geschichte (z. B. NS-Zeit) stattfindet. Der Aufbau einer Interessenhandlung ist nicht davon abhängig, ob Alteritätserfahrung vorliegt oder nicht, sondern davon, ob eine selbstgesteuerte Überwindung jener Alteritätserfahrung möglich ist. Das Herstellen einer positiven Beziehung zur fremden Kultur dokumentiert sich darin, dass in den Narrationen, die im Rahmen der Auseinandersetzung mit einem musealen Objekt entstehen, der museale Kontext gegenüber dem eigenen Vergleichshorizont nicht explizit abgewertet wird, sondern dass stets ein verbindendes Element gesucht wird. Auf Grundlage dieser Befunde und Erkenntnisse kann zwar nicht die Frage beantwortet werden, wie eine museale Vermittlungsarbeit mit in D-Klassen beschulten Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung »erfolgreich« gestaltet werden kann. Aber es können Impulse gegeben werden, welche Rahmenbedingungen erfüllt werden müssen, um die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppe zu berücksichtigen. Es erscheint zielführend, dass eine solche Vermittlungsarbeit im Kern in zwei Phasen aufgebaut ist: Die erste Phase fokussiert die Rezipientenperspektive und erlaubt die selbstgesteuerte Entwicklung eines eigenen Deutungsansatzes des musealen Objekts. Sie dient der Befriedigung der
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psychologischen Grundbedürfnisse, dem Aufbau der Person-Gegenstands-Beziehung und der Entwicklung einer eigenen Perspektive auf den Gegenstand. Erst die zweite Phase führt vor dem Hintergrund des musealen Deutungsansatzes an den Perspektivwechsel heran. Bei beiden Phasen bildet Perspektivität das Leitmotiv. Sowohl der rezipientenspezifische als auch der museale Deutungsansatz bilden »lediglich« zwei unterschiedliche Perspektiven auf denselben Gegenstand, die aber gleichberechtigt nebeneinander existieren. Die museale Vermittlung muss Toleranz und Offenheit dafür entwickeln, dass sie keine alleinige Deutungshoheit besitzt, sondern auch andere Sichtweisen möglich und berechtigt sind. Für beide Phasen erscheint ein Methodenansatz nach den Prinzipien des entdeckenden Lernens als zielführend. In der ersten Phase eignen sich explorative, offene Formate, die kein definiertes Ziel vorgeben, sondern eine flexible Ausgestaltung nach den Bedürfnissen der Rezipienten erlauben. Zudem sollten die Methoden und Formate Gruppeninteraktionen fördern und der verbalen Ebene ein besonderes Gewicht geben. Instruktion und Heranführung an den musealen Deutungsansatz treten erst in der zweiten Phase in den Fokus, wenn der Perspektivwechsel eingeleitet wird. Hierfür eignen sich Methoden, welche die Rezipienten tendenziell enger führen; beispielsweise das breite Spektrum handlungsorientierter, interaktiver Formate, die gewisse Strukturen vorgeben und daher den Perspektivwechsel erleichtern. Sämtliche explizierten Beispiele sollen ausdrücklich nur als Ideen und Anregungen verstanden werden. Anschlussfähig sind diese Erkenntnisse unmittelbar für die Praxis. Die museale Vermittlungsarbeit soll dazu ermutigt werden, die Befunde über Struktur und Muster von Interessenhandlungen sowie die skizzierten Impulse in ihre Arbeit einfließen zu lassen und zu erproben. Die Ausführungen zu den Impulsen haben gezeigt, dass sich einige der gewonnenen Erkenntnisse und präsentierten Ideen auch mit der einschlägigen museumspädagogischen Literatur und Berichten über Best-Practice-Beispiele belegen lassen und sich deren Wirksamkeit folglich auch bereits praktisch bewährt hat. Überdies beansprucht diese Arbeit auf Basis der Grundsätze des qualitativen Paradigmas, über den konkreten Fall und die konkrete Stichprobe hinaus für in D-Klassen beschulte Jugendliche mit eigener Migrationserfahrung Gültigkeit zu besitzen. Die Erkenntnisse resultieren aus einer komparativen Analyse von Einzelfällen, die fallübergreifende, allgemeine Strukturen zutage gefördert hat. Auch über den spezifischen Untersuchungsort, das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim bzw. den Typ Freilandmuseum hinaus können kulturhistorische Museen allgemein von der Arbeit profitieren. Die Art und Weise der Präsentation von Historie im Freilandmuseum hat sich als für den Forschungsprozess günstig erwiesen. Aber es wurden nicht explizit diese Spezifika des Freilandmuseums an sich untersucht. Es wird davon ausge-
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gangen, dass sich der Typ des Freilandmuseums zwar in besonderer Weise für die Vermittlungsarbeit eignen dürfte, da er eine multisensorische, sehr unmittelbare und niedrigschwellige Auseinandersetzung mit Historie erlaubt. Aber letztlich betrifft dies nur die Art und Weise der Annäherung an das museale Objekt. Die im Rahmen der Auseinandersetzung erfolgenden Prozesse historischer Sinnbildung dürften sich hingegen in anderen Typen von kulturhistorischen Museen nicht wesentlich von denen im Freilandmuseum unterscheiden. Folglich wird angenommen, dass in anderen Typen von kulturhistorischen Museen zwar andere und möglicherweise größere Anstrengungen erforderlich sind, um die Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe in der Vermittlung zu berücksichtigen, aber prinzipiell das Potential hierfür in allen diesen Museen vorhanden ist. Ein solcher Ausblick kommt jedoch nicht umhin, neben einer Handlungsaufforderung an die Praxis auch die Handlungsfelder für Theorie und Empirie zu benennen, die sich durch diese Untersuchung aufgetan haben. Erstens ist es nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll, die Reichweite der Arbeit und ihrer Erkenntnisse durch eine Untersuchung mit einer repräsentativen Stichprobengröße zu erhöhen. Möglich wäre dies, wenn die hier gebildeten Thesen als Hypothesen den Ausgangspunkt einer quantitativen Untersuchung bilden, die diese günstigstenfalls verifiziert. Zu prüfen ist in diesem Kontext auch, ob bereits operationalisierte Messinstrumente mit entsprechenden Items existieren, die für einen solchen Ansatz nutzbar gemacht werden könnten oder ob diese ebenfalls erst gebildet werden müssten. Zweitens hat diese Arbeit die Grundlage geschaffen, den begonnenen Design-Based-Research-Zyklus fortzusetzen. Konkret würde das bedeuten, die hier gewonnenen Erkenntnisse in eine Theorie der musealen Vermittlungsarbeit mit in D-Klassen beschulten Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung münden zu lassen. Diese wäre sodann in praktischen Maßnahmen, der Gestaltung einer entsprechenden Lernumgebung zu erproben und empirisch zu evaluieren etc. Darüber hinaus ist der Untersuchungsgegenstand »Interesse« noch nicht hinreichend untersucht. Es konnten Erkenntnisse über Struktur und Muster von Interessenhandlungen gewonnen werden. Im Zuge dessen wurde festgestellt, dass ausschließlich die situationale Interessantheit eines Gegenstandes als Stimulus Interessenhandlungen auslöste. Ein überdauerndes, individuelles Interesse im engeren Sinn konnte nicht ermittelt werden. Über das situationale Interesse kann diese Untersuchung jedoch keine weiteren belastbaren Aussagen treffen. Daher bedarf es eines interdisziplinären, d. h. beispielsweise auch die (Kultur-)Ethnologie einbeziehenden Ansatzes, um das situationale Interesse weiter zu ergründen und der musealen Vermittlungsarbeit Erkenntnisse darüber zu verschaffen, wie sie bei Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung zu einem solchen Interesse gelangen kann. Erst wenn auch diese Fragen geklärt sind, können genauere Aussagen darüber getroffen werden, wie eine interessen-
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und bedürfnisorientierte museale Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung erfolgreich gestaltet werden kann. Abgesehen davon, dass der geschichtsdidaktische Forschungsdiskurs um das Themenfeld Museum und Migration von den Erkenntnissen dieser Untersuchung profitieren wird, soll abschließend noch die Frage in den Raum gestellt werden, ob nicht auch andere Handlungsfelder der Geschichtsdidaktik Nutzen aus diesen Erkenntnissen ziehen können. Denn aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, kann ein Erfolg der Untersuchung auch darin gesehen werden, dass es – wie beabsichtigt – durch das Medium Freilandmuseum, durch die Art und Weise der Präsentation von Historie in diesem Museumstyp gelungen ist, Interessenhandlungen bei Jugendlichen mit eigener Migrationserfahrung auszulösen. Es ist gelungen, sie zu einer intensiven und unmittelbaren Auseinandersetzung mit musealen Objekten anzuregen und zu den Prozessen historischer Sinnbildung sowie deren Strukturen und Mustern vorzudringen. Es konnte festgestellt werden, dass trotz der Hürde der doppelten Alteritätserfahrung, trotz mancher Verständigungs- oder Verständnisschwierigkeiten die Auseinandersetzung mit »begreifbaren« musealen Objekten zu einer vielschichtigen und überaus produktiven Auseinandersetzung nicht nur mit der Historie selbst geführt hat. Die Jugendlichen haben sich durch das Medium der »begreifbaren« Musealie auch mit sich selbst, ihrer eigenen Lebenswirklichkeit, anderen Gruppenmitgliedern, ihrer Umwelt und weiteren Horizonten, worauf die Musealie in ihren Narrationen indexikalisch verweist, auseinandergesetzt. Es haben sich darin Schlaglichter gezeigt, wie museal präsentierte Geschichte in den Prozess der eigenen Identitätskonstruktion eingebunden wird. Und wenn das möglich ist, darf vorsichtig die Frage gestellt werden: Ist nicht noch viel mehr mit dem Freilandmuseum möglich? Historisches Lernen will spezifische Kompetenzen fördern und zu einer kritisch-reflektierten Urteilsbildung befähigen. Der schulische Geschichtsunterricht muss wegen seiner strukturellen Rahmenbedingungen in Vielem abstrakt und unnahbar bleiben. Das »klassische« kulturhistorische Museum stößt bei der Unmittelbarkeit und Kontextbezogenheit der Auseinandersetzung mit Geschichte schnell an die Grenzen des Machbaren. Es wäre ein Trugschluss, daher das Freilandmuseum als den idealen Ort historischen Lernens zu bezeichnen. Die einseitig ländlichbäuerliche, alltagsgeschichtliche Ausrichtung des Freilandmuseums setzt thematisch einen vergleichsweisen engen Rahmen. Und nicht zuletzt die für viele Schulklassen schwierige Erreichbarkeit des jeweils regionalen Freilandmuseums erschwert die Einbeziehung als außerschulischen Lernort. Solche oder andere einschränkende Faktoren müssen berücksichtigt werden, wenn die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Freilandmuseums als außerschulischem Lernort gestellt wird. In thematischer Hinsicht kann die Entscheidung für oder gegen das Freilandmuseum immer nur eine Einzelfallentscheidung sein.
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Von den Erkenntnissen und Beobachtungen dieser Arbeit und der Tatsache ausgehend, dass diese dezidiert zielgruppenspezifisch sind, ist es jedoch die Überlegung wert, ob und wie die Potentiale des Freilandmuseums noch besser für das historische Lernen in anderen zielgruppenspezifischen Kontexten nutzbar gemacht werden können. Zu denken ist beispielsweise an das tagesaktuelle Handlungsfeld der Inklusion. Vielleicht finden Lernende, denen sich Geschichte in den konventionellen Formaten historischen Lernens z. B. aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht erschließt, in der multisensorischen Begegnung mit Geschichte im Freilandmuseum ihren eigenen Zugang zu jener? 791 Die museale Praxis setzt sich bereits mit dieser Frage auseinander: Im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim wie auch im Fränkischen Freilandmuseum Fladungen oder im Freilichtmuseum Glentleiten wurden in den vergangenen Jahren einzelne Ausstellungsbereiche für Menschen mit Sehbehinderung inklusiv aufbereitet. Tagungen zur Thematik verdeutlichen, dass der Handlungsbedarf über jene Einzelfälle hinaus erkannt wird.792 Aber wie beim Themenfeld Museum und Migration zeigt sich, dass der Forschungsdiskurs über die Grenzen einzelner Disziplinen hinweg der tatsächlichen Entwicklung hinterherhinkt. Und so begrüßenswert die Initiativen der genannten Museen sind, Inklusion erschöpft sich nicht darin, Ausstellungen barrierefrei zu gestalten. Im Gegenteil, es ist auch ein Aspekt des Fremdverstehen fördernden historischen Lernens, zu erfahren, mit welchen Barrieren sich Menschen in früheren Zeiten konfrontiert sahen. Das Handlungsfeld Inklusion mit einem Fokus auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen muss in einem breiten interdisziplinären wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext diskutiert werden: unter Beteiligung der Ausstellungsgestaltung, der Museumspädagogik bzw. der Fachdidaktiken793 sowie Vertretern von Gesellschaft und 791 Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass sich Inklusion nicht ausschließlich auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen bezieht, sondern auf alle Gruppen, die in ihrer Teilhabe eingeschränkt sind bzw. bestimmte Teilhabeanforderungen adressieren. Diese Überlegungen beziehen sich jedoch ausschließlich auf die erstgenannte Gruppe als Zielgruppe musealen Schaffens. 792 Z. B. »Freilichtmuseum und Inklusion« der Bayerischen Museumsakademie oder »Mit allen Sinnen – das inklusive Museums« des Historischen Museums Frankfurt, beide 2016. Zudem beschäftigte sich die Fachgruppe »Freilichtmuseen« des Deutschen Museumsbundes im Rahmen ihrer Jahrestagung 2016 »Kulturelle Bildung und gesellschaftliche Verantwortung im Freilichtmuseum« mit inklusiven Ansätzen der Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit. Ebenso waren Verschiedenheit, Inklusion und Exklusion ein Thema der Tagung »Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung« der XXII. Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik 2017. 793 Zu den Fragen und Herausforderungen eines mit Blick auf körperliche Beeinträchtigungen inklusiven historischen Lernens bzw. Geschichtsunterrichts existiert innerhalb der Geschichtsdidaktik bereits eine engagierte Debatte, an die ein interdisziplinärer Forschungs-
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entsprechender Interessenverbände, um von Beginn an die Erwartungen und Bedürfnisse der Zielgruppe zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird Inklusion im Freilandmuseum dann umso mehr Früchte tragen, wenn ihre Umsetzung nicht separiert in »Inklusionsbesucher« und »Normalbesucher«, sondern wenn es ihr gelingt, ein gemeinsam nutzbares Angebot zu schaffen, das auch dazu beiträgt, Barrieren zwischen gesellschaftlichen Gruppen abzubauen.
ansatz anschließen kann. Vgl. dazu z. B. die Beiträge in: Barsch, Sebastian/Hasberg, Wolfgang: Inklusiv – Exklusiv. Historisches Lernen für alle, Schwalbach/Ts. 2014 oder Kühberger, Christoph/Schneider, Robert (Hg.): Inklusion im Geschichtsunterricht. Zur Bedeutung geschichtsdidaktischer und sonderpädagogischer Fragen im Kontext inklusiven Unterrichts, Bad Heilbrunn 2016. Profitieren kann der wissenschaftliche Diskurs zudem von den theoretischen und konzeptionellen Vorstellungen der Diversity- und IntersectionalityStudies. Vgl. Winker, Gabriele/Degele, Nina: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009 bzw. Lücke: Diversität.
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