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German Pages 438 [440] Year 2009
Thomas Leinkauf Mundus combinatus
Thomas Leinkauf
Mundus combinatus Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ
(1602-1680)
Zweite, durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage
Akademie Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-05-004488-0 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2009 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Ralf Michaelis, Berlin Druck und Bindung: MVR Druck, Brühl Printed in the Federal Republic of Germany
Für Tristan Alexander
Der Verfasser dankt folgenden Bibliotheken und ihren Mitarbeitern für ihr Entgegenkommen und ihre Hilfe: Angelica (Rom), Bayrische Staatsbibliothek (München), Casanatense (Rom), Gregoriana (Rom), Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel), Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Universitätsbibliothek Freiburg i.Br., Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, Vaticana. Dank gilt auch der großzügigen Unterstützung durch Stipendien der HAB (Wolfenbüttel) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ohne die weder die unabdingbaren Reisen zu den Texten noch die Muße von deren Lektüre möglich gewesen wäre. Dank gilt ebenso P.-R. Blum, S. Meier-Oeser, W. Schmidt-Biggemann, den Kollegen und Freunden am Institut für Geschichte der Philosophie (FU Berlin) sowie meinem Lehrer W. Beierwaltes (München), deren Wissen, Rat und Kritik mir immer hilfreich waren und jene Art von unaufdringlicher Präsenz besaßen, ohne welche wir nichts Eigenes zustande bringen und mit der allein wir die ,Ausfahrt' ins gefahrvolle Meer der Interpretation wagen können. Alles dies hätte womöglich nichts geholfen ohne die ganz andere Präsenz meiner Frau, Simone Leinkauf, die mir in all den Jahren half, die für solche wissenschaftlichen Unternehmungen typischen materialen und mentalen Durststrecken durchzustehen. Ihr gebührt daher der ,Schlußstein' dieser Danksagung.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur zweiten Auflage
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Einleitung
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A. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften. Versuch einer Rekonstruktion des Hintergrundes seines philosophischen Naturverständnisses 35 I. Die Natur als ars Dei II. Tota in toto et tota in qualibet parte. Die frühneuzeitliche Präsenz eines spekulativ-metaphysischen Begriffes von Seele III. Die innerweltlichen Spiritus als disiecta membra naturae sive animae . . IV. Kirchers naturwissenschaftliche Leitbegriffe 1. Discors concordia und concordia discors: die universale Einbindung von Differenz und Vielheit in die Identität des Kosmos 2. Omnia in omnibus: die naturphilosophische Relevanz eines zentralen Theologumenons 3. Panspermia: die Evidenz des Naturgrundes als eines absoluten Entfaltungs- und Wirkpotentiales 4. Catena rerum: ein Grundmotiv barocker Kosmologie 5. Coniugium: die metaphorischen Implikationen des antiken ιερός γάμος in Kirchers „neuer Physik"
46 56 67 75 75 83 92 110 123
B. Kirchers Wissensbegriff. Auf der Grenze von Anschauung des Kosmos und moderner Erfahrung 131 I. Vorbemerkung 131 1. Duns Scotus 139 2. Nicolaus Cusanus 143 3. Raimundus Lullus 150
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Inhaltsverzeichnis
II. Kirchers Modell einer scientia universalis als Analogik und Kombinatorik 1. Die Analogik 2. Die Kombinatorik III. Kirchers Umsetzung und Anwendung der Universalwissenschaft. Verschiedene Ausprägungen der scientia universalis 1. Die spekulative Theorie der Zahlen. Zur arithmologischen und geometrischen Grundverfassung des Seins a) Der arithmologische Horizont der Entfaltung von Einheit . . . . b) Der geometrische Grundzug des Seins α) Die Centrosophia aus dem Mundus subterraneus als Rekurs auf die Pancosmia des Patrizi und den Euklid-Kommentar des Proklos ß) Die geometrische Theologie 2. Das sprachliche Sein der Dinge: Identität von forma rerum und significado verborum a) Kirchers Lehre von der Ursprache a) Die prisca sapientia als Ort der esoterischen Überlieferung der adamitischen Ursprache ß) Der platonische Hintergrund b) Die absoluten Zeichen: Kirchers Theorie der Hieroglyphik . . . . IV. Experimentum und experientia. Die applicatio scientiae universalis unter konkreten Forschungsbedingungen. Erfahrung und Anschauung 1. Der ascensus-Charakter der innerweltlichen Erkenntnis 2. Die Klärung der Bedingungen des singulären Ereignisses als Schlüssel für das Verständnis von ganzheitlichen Prozessen a) Causae remotae und causae proximae b) Das „Innere der Dinge" C. Kirchers Gottesbegriff. Zum theologischen Grundzug von Kirchers Denken I. Das spekulative Enthaltensein der Welt in Gott und Gottes in der Welt II. Die ternarische Explikation Gottes in die Welt: die Welt als vestigium Trinitatis 1. Gott als „magnes centralis" 2. Gott als „lux infinita" und Licht als „lux-Triuna" 3. Gott als „supremus harmosta" und die Welt als musikalischer Zusammenhang
161 163 174 191 192 195 211
221 231 235 237 246 254 258 268 274 285 286 298
309 315 324 327 334 342
Inhaltsverzeichnis
III. Die Welt als Schöpfung Gottes. Kircher und die Tradition der Genesis-Exegese
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349
D. Die Stellung des Menschen im Kosmos. Anthropologische Aspekte der Universalwissenschaft Kirchers 377 Literaturverzeichnis 1. Primärliteratur 2. Sekundärliteratur 3. Literatur-Ergänzungen zur zweiten Auflage
399 399 406 417
Personenverzeichnis
421
Sachwortverzeichnis
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Verzeichnis der im Text verwendeten Abkürzungen der Werke Kirchers:
AML AMS AN Ar CI IE Mg MS MUS OP OA PCA PN TB
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= — —
Ars magna lucis et umbrae Ars magna sciendi Arca Noe Arithmologia China illustrata Iter exstaticum Magnes sive de arte magnetica Mundus subterraneus Musurgia universalis Obeliscus Pamphilius Oedipus Aegyptiacus Principis Christiani Archetypon Politicum Polygraphia nova Turris Babel
Vorwort zur 2. Auflage
Seit dieses Buch 1993 erschienen ist, hat nicht nur das Interesse an der Person und am Denken des Jesuiten Athanasius Kircher zugenommen (siehe die Ergänzungsbibliographie), sondern auch insgesamt die Erforschung der Geistesgeschichte der Frühen Neuzeit eine fruchtbare Intensivierung erfahren. Der Autor fühlt sich im Blick auf beide Entwicklungen, hier die fortschreitende Anerkennung der oszillierenden Gestalt des Jesuiten in ihrer paradigmatischen Bedeutung für einen bestimmten mentalen Typus des 17. Jahrhunderts, dort die produktive Abkehr von einer überideologisierten, auf Fortschritt' und ,MathematisierungTechnisierung' festgelegten Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, in seinem Grundansatz und in den Ergebnissen seiner Forschungen bestätigt. Auf Anraten vieler Freunde und Kollegen, das lange vergriffene Buch doch wieder zugänglich zu machen, und mit großzügigem Entgegenkommen des AkademieVerlages wird hier nun eine zweite, durchgesehene und durch eine ausgewählte Bibliographie ergänzte Auflage vorgelegt. Münster-Berlin, im September 2008. Thomas Leinkauf
Einleitung
Wer sich vornimmt, über die eigentümliche Gestalt von Wissenschaft 2u recherchieren, die im späten 16. und dann im ganzen 17. Jahrhundert unter dem zwar verbreiteten und programmatischen Titel scientia universalis bzw. matbesis universalis firmierte, jedoch dieses Programm spezifisch im Rückgriff auf Lulls Kombinatorik, neuplatonisches Denken und die Möglichkeiten der humanistisch-topischen Form von Enzyklopädik einzulösen versuchte 1 , der läuft Gefahr, indem er dem enzyklopädischen, alles mit allem kombinierenden und vernetzenden Duktus einläßlich zu folgen beginnt, in ein unüberschaubares Labyrinth von Fakten, Verweisen, scheinbaren oder wirklichen Willkürlichkeiten, Bruchstücken methodischer Programme und Sammlungen von Exzerpten zu geraten, deren rational nachvollziehbarer Zusammenhang und deren methodische oder inhaltliche Legitimität erst einmal nicht in den Blick kommen2. Die 1
Die bisherigen einschlägigen Untersuchungen zur Universalwissenschaft verstanden diese von vornherein unter der eigentümlichen Gestalt der cartesischen „science universelle" mit ihrer mathematisch-geometrischen Axiomatik oder leiteten sie, mit N. W. Gilbert und J. Randall Jr, direkt aus der Methodendiskussion der Paduaner Schule, vor allem den Abhandlungen J. Zabarellas, ab. Vgl. z.B. H. Schüling, Die Geschichte der axiomatischen Methode im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, Hildesheim 1969; H. Arndt, Methodo scientifica pertractatum, Berlin/New York 1971; W. Risse, Logik der Neuzeit, Stuttgart/Bad Cannstatt 1970, 2 Bde.; R. Kauppi, Art. ,mathesis universalis', in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, ed. J. Ritter/ K. Gründer, Darmstadt 1980, V 937 f; J. Mittelstraß, The philosopher's conception of Mathesis universalis from Descartes to Leibniz, in: Annales of Science 36 (1979). Eine zureichende Rekonstruktion ihrer historischen Voraussetzungen wie ihrer rationalen Struktur muß jedoch auch die unmittelbar zeitgleichen Ausformungen der durch R. Lull, den Piatonismus und den Humanismus beeinflußten Theorien universalen Wissens berücksichtigen. Siehe nächste Anmerkung.
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Eine tiefergehende Analyse des universalwissenschaftlichen Denkens ist seit den Arbeiten von P. Rossi, Clavis universalis. Arti mnemoniche e logica combinatoria da
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Einleitung
häufigsten Reaktionen auf diesen Befund sind einmal die Perhorreszierung solcher wissenschaftlicher Modelle bzw. ihrer Durchführungen als im strengen Sinne unwissenschaftlich und abstrus, als unvermeidliche Aberrationen, die den Königsweg wissenschaftlichen Progresses, das einzig Positive an ihnen, ex negativo beleuchten und bestätigen; oder zum anderen die Plünderung dieser enzyklopädischen Folianten und Oeuvres im Sinne einer Steinbruchmentalität, die die separierten, in sich die vertrauten Kriterien rationaler Argumentation aufweisenden Bruchstücke, ohne Rücksicht auf ein sie vielleicht bestimmendes Ganzes, ihren Interessen dienstbar macht. Beiden, sich oft durchaus verbindenden Reaktionen auf die unabweisbare Faktizität wie auf die zeitgenössische Attraktivität solcher Projekte und Werke eignet eine, ob der quantitativen Dimensionen und der internen Widersprüchlichkeiten verständliche, Berührungsangst und eine daraus resultierende notorische Textunkenntnis, die nur einen distanzierten, ,νοη außen' kommenden Blick mit all seiner Problematik zuläßt. In den hier vorgelegten Untersuchungen soll nun einmal versucht werden, die Gestalt solcher kombinatorischen Universalwissenschaft an einem Beispiel, und vielleicht dem Beispiel größter Zumutung, ,νοη innen' her zu erfassen und zwar im wesentlichen nicht im einfachen linearen Durchgang durch die immensen Textmassen — obwohl dies eine conditio sine qua non ist — , sondern im strukturanalytischen Blick auf die ein solches Oeuvre zusammenbindenden methodologischen und vor allem inhaltlichen Grundannahmen. Es wird also gerade nicht das primäre Faszinans enzyklopädisch-kombinatorischen Denkens, die schillernde und scheinbar unermeßliche Fülle des in ihm und durch es bewegten und bearbeiteten Inhaltes, etwa der ,Durchführung' des Gedankens durch das jeweilge Terrain einzel- und spezialwissenschaftlicher Provenienz, zur Diskussion gestellt werden. Denn erstens überschritte dies bei weitem die Kompetenzen des Verfassers — die Würdigung dessen, was A. Kircher, M. Mersenne, S. Izquierdo oder Ives de Paris in den von ihnen thematisierten Lullo a Leibniz, Milano 1960; F. A. Yates, The art of memory, London 1966; Ramon Lull and John Scotus Erigena, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institute 23 (1967), R. Cenai SJ, La combinatoria de Stefano Izquierdo, Madrid 1974 und W. Schmidt-Biggemann, Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischbarocker Wissenschaft, Hamburg 1983 alleine schon deshalb notwendig geworden, weil immer noch unklar blieb, wie die scientia universalis in ihren Wurzeln sich aus dem Lullismus und den Strömungen des Platonismus entwickelte und wie sie in ihren Entfaltungen und Früchten Einfluß nehmen konnte auf das, was die vollständige, metaphysisch gegründete Kalkulisierung des Seins und des Wissens bei Leibniz genannt werden kann.
Einleitung
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Einzeldisziplinen, etwa der Optik oder der Musiktheorie, geleistet haben, kann nur aus diesen Disziplinen selbst erfolgen3 — und zweitens ist es eine sehr schnell zu machende Erfahrungstatsache, daß es gerade dieses Primär-Faszinierende an solchen Werken ist, dessen Überzeugungskraft von der geringsten Dauer ist und das am ehesten den Eindruck der barocken Schau-Fassade ohne Substanz aufkommen läßt, solange der Begriff fehlt, der einsehbar über die Sinnstruktur solcher Werkgestalt und über den dahinter stehenden Typus von Intellektualität Aufschluß geben kann. Kirchers Denken und das seiner universalwissenschaftlich inspirierten Zeitgenossen ist uns mehr als das anderer zu einem durch und durch historischen und vergangenen geworden und es muß daher in mühevoller, schürfender Kleinarbeit aus den verfestigten Blöcken des historischen Urteils herauspräpariert werden. Dies wird nicht leichter gemacht dadurch, daß das Lebendige der intellektuellen Einstellung und des philosophischen Diskurses hier fast ohne Rückstand in die, wenn man so sagen darf, kontextuelle ,Materie' des Wißbaren überhaupt eingegangen ist. Ein Indiz für die Eigenartigkeit der Universalwissenschaft, die sich in allen Einzelwissenschaften reproduzieren muß. In vorliegenden Analysen soll also versucht werden, den lebendigen Kern dieser eigentümlichen Gestalt europäischen Denkens der frühen Neuzeit schrittweise wiederherzustellen und ihn dadurch erst wieder im tieferen Sinne in jeder Hinsicht Kritik-würdig zu machen, denn sowohl unsere affirmative als auch negative Stellungnahme zu solchen Versuchen menschlicher Positionierung in einer expandierenden, zunehmend unüberblickbar werdenden Welt setzen zumindest ein textlich gesichertes Verständnis von deren geistigen Hintergründen voraus. Die spezifische, dem intellektuellen Ansatz folgende Werkstruktur, die 3
Vgl. z. B. für die Disziplin der Musikwissenschaft und Musikgeschichte die Dissertation von U. Scharlau, Athanasius Kircher als Musikschriftsteller, Marburg 1969. Hierzu erweiternd die Analysen von T. Tornitore, L'origine delle sinestesie. Mersenne, Kircher e le corrispendenze fra suoni e colori, in: Intersezioni. Rivista di storia delle Idee, 7 (1987). Vgl. dazu auch D. Ullmann, Zur Frühgeschichte der Akustik: Α. Kirchers Pbonurgia Nova, in: Wissenschaftliche Zeitschrift (Jena) 27 (1978). Für die Medizingeschichte vgl. Η. B. Torrey, Athanasius Kircher and the progress of medicine, in: Osiris 5 (1938) zu Kirchers Scrutinium physico-medicum contagio sae Luis, quae dicitur Pestis (Romae 1658) und allgemeiner R. Η. Major, Athanasius Kircher, in: Annals of the medical history 1 (1939). Zur Orientalistik und Ägyptologie vgl. etwa J. Janssen, Α. Kircher .Egyptologue', in: Chronique d'Egypte 35 (1943). Zu Kirchers Physik ζ. Β. S. A. Bedini, Seventeenth century magnetic timepieces, in: Physis 11 (1969). J. R. Partington, A history of chemistry, London 1961, II 328 ff. Vgl. auch die Hinweise, die D. Pastine, La nascita dell'idolatria. L'oriente religioso di Athanasius Kircher, Firenze 1978 in seinen meist paraphrastischen Besprechungen der Einzelwerke gibt.
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Einleitung
man im Oeuvre Kirchers konstatieren kann, erzwingt eine Methode der Interpretation, die hier einer kurzen Klärung und Rechtfertigung bedarf. Der kombinatorische Ansatz lullistischer Universalwissenschaft führt notwendig zu einer eigentümlichen .Elementarisierung' der Seins- und Denkformen in dem Sinne, daß — analog etwa zu den dignitates, Subjekten und Frageformen Lulls eine Grundzahl von irreduziblen Einheiten angesetzt wird, deren Zusammengehen als je verschiedene Kombination oder Konstellation allererst sowohl die transempirischen Prinzipien als konfigurative Einheiten von Einheiten, die sich gegenseitig vollständig implizieren, als auch die empirisch vorliegenden und dem experimentellen oder interpretierenden Zugriff unmittelbar zugänglichen Formen konstituiert. Diese komplexe Grundform geht nicht nur in die wissenschaftliche Argumentation in Form von kombinatorischer Dialektik und mathematisch-kombinatorischer Permutationen und Matrizenbildungen (hierzu Kap. Β I-II), sondern auch in die Organisation der Texte selbst ein. Text-Elemente werden als kombinatorische ,Bausteine' in derselben Weise disponibel und der Intention nach universal einsetzbar, wie, in den ontologischen und physikalischen Grundannahmen, bestimmte Natur-Kräfte als kombinatorisch-konstitutive ,Natur-Bausteine' universal fungieren könnte4. Um die zentralen Strukturen dieses Denkens erfassen und darstellen zu können, muß man also die Werke selbst als opera combinata verstehen und daher die .Bausteine' der Argumentation aus dem Ganzen in fiktiver Synchronizität aber sachlicher Homogenität interpretierend auslegen. Es werden daher im Folgenden die Hauptwerke im Blick auf solche zentralen Denkelemente und im zusammenschauenden Zugriff Gegenstand der Analyse werden. Die Intention ist hierbei, daß die Resultate der 4
Hierher gehört auch das Phänomen des iterativen Selbst-Zitates, das nicht Ausdruck der gedankenlosen Wiederholung oder der kalkulierten Arbeits-Ökonomik ist, sondern zur Sache des Denktypus selbst gehört. Es ist Programm und wird als legitim empfunden, in der wissenschaftlichen Argumentation so vorzugehen, wie es der kombinierende Gott bei der Weltkonstitution und wie es die tätige Natur bei der Weltkonservation tun. Zu den Selbstzitaten vgl. ζ. B. Mg (1643) 38-39 = AML (1646) 108-109 bezüglich Deus/Trinitas und mundus/imago Trinitatis; OA II/l, 298-299 = II/2, 134 = III 153; OA I 134f = III 169 zur Analogie ordo rerum/ordo politicus. Zusätzlich legt Kircher ein Netz von Querverweisen durch sein Werk, das sich im Grunde indifferent zur chronologischen Genese des Ganzen verhält und sich als Ganzes immer schon voraussetzt, ähnlich wie im Kreis ein Peripheriepunkt alle anderen impliziert. So wird
im Magnes schon auf den Mundus Subterraneus (Mg 44, 532, 535 u.ö.), auf die Musurgia (Mg 742) oder den Oedipus Aegyptiacus (Mg 22f, 474) verwiesen. Und so wird selbstverständlich im Spätwerk auf die vorhergehenden Untersuchungen als integrierende Teile verwiesen.
Einleitung
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Interpretation den sukzessiven und diskursiven Durchgang durch die Einzelwerke für das Verstehen besser gliedern und diesem sachliche Leitkategorien der Interpretation liefern sollen. Die Indifferenzierung von Sache und Methode gehört zum intrinsischen Problem universalwissenschaftlicher Theorien und deren Umsetzung seit R. Lull, ein Vorgang, der in gewisser Weise dem analog ist, den Nietzsche bezüglich der spezifischen Wesensform der Kunst konstatierte: wie nach Nietzsche für den Künstler die Form des Dargestellten und nicht so sehr das Dargestellte zum Inhalt und zur Sache seiner Anstrengungen wird 5 , so wird hier die dynamische Struktur der Methode vom Organon, das den Zugriff auf etwas von ihm Unterschiedenes eröffnen soll, zum integralen Bestand der Sache selbst. Man könnte dies als die verkehrte Welt' der kombinatorischen universalwissenschaftlichen Metaphysik bezeichnen, wenn es nicht, wie ja auch bei Nietzsche, unklar bliebe, welches denn nun die nicht-verkehrte, also .richtige' Welt sei. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß, wenn es eine ,Verkehrung' im Zusammenhang mit der Entwicklung dessen, was nach Ansicht des Verfassers zum argumentativen Rüstzeug auch der kombinatorischen Universalwissenschaft gehört, gegeben hat, diese etwas zu tun hat mit der Umdeutung des wesentlichen Inhaltes der Wissenschaften von Substanzenzusammenhängen zu Zusammenhängen von Funktionen und Kräften. Die .verkehrte Welt' der kombinatorischen Universalwissenschaft ist die gegen den Augenschein fester raumzeitlicher Dingkonstellationen und deren traditioneller, verstandesmäßiger Sicherung in rational beschreibbaren Satzkonstellationen gerichtete Einsicht in die Substantialität der Dynamik, Agilität und Kombinatorik der Seins- bzw. Naturformen selbst6. Zumindest ist die beharrliche Engführung von Seinsstruktur und methodischer Struktur auf den Spuren (und das ist genuines Erbe schon Lulls) platonischer und neuplatonischer Dialektik, für die eine Trennung von Sache und Methode, von Ontologie und Logik immer ein proton pseudos nicht-spekulativer, limi-
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Der Wille %ur Macht Nr. 818: „Man ist um den Preis Künstler, daß man Das, was alle Nichtkünsder .Form' nennen, als Inhalt, als ,die Sache selbst' empfindet. Damit gehört man in eine verkehrte Welt: denn nunmehr wird einem der Inhalt zu etwas bloß Formalem, — unser Leben eingerechnet".
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Vgl. zu den folgenden Untersuchungen die Beobachtungen E. Cassirers, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Berlin 1906 (ND Darmstadt 1991) I 7 6 f und H. Rombachs, Substanz, Struktur, System, Freiburg 1965, die im Grunde ja ebenfalls Cusanus (allerdings nicht die Implikationen des Lullschen Denkens) als zentralen Ausgangspunkt der Analyse neuzeitlichen Denkens angesetzt haben.
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Einleitung
tierter Rationalität war. Von hier aus erweist sich die Attraktivität, die eine Verschmelzung neuplatonischen Denkens und der Kombinatorik Lulls für manche Autoren im 16. und 17. Jahrhundert ausübte (P. Gregorius Tholosanus, G. Bruno, C. Gemma, J. H. Aisted, J. H. Bisterfeld7) als in der Sache der dynamisch-lebendigen Einheit von Denken und Sein gegründet8. Die „Verflechtung" (συμπλοκή, C. Gemma9, vgl. Piaton Soph. 259 E) von Einheit und Vielheit, von vielheitlichem Sein und einheitlichem Begriff im Nus-Begriff Plotins (VI 2, 21, 55-57; V 1, 4, 26 f; VI 7,13; V, 8 4,4) und des Proklos, und der hiermit zusammenhängende Begriff vom κόσμος νοητός (mundus intelligibilis)10 werden zum Interpretament der absoluten kombinatorischen Durchdringung der göttlichen dignitates und, nach-lullistisch, der Gesamtheit alles Seienden überhaupt11. S. Izquierdo SJ führt in seiner Pbarus scientiarum von 1659 ζ. B. aus, daß für ihn, neben ζ. B. Yves de Paris und F. Bacon, vor allem P. Tholosanus und C. Gemma zu den Protagonisten der „ars mirabilis" Lulls zählen: Potissima vero, ac prestantissima pars eius est Ars illa, quam dicunt mirabilem, Raymundi Lullii, cuius explicationes sunt Syntaxes (...) Petri Tholosani, Digestum (...) Yvonis, et alia huiusmodi. Pars etiam quaedam non contemnenda ... Arte Cyclognomica C. Gemmae contenta est. Aliaque pars quodammodo diversa (!) a praedictis est, quam Francisco de Verulamio in opere ... Instaurado magna, praesertim in secunda parte ..., quam appellat Organum novum videtur praetendisse. Ex quibus ferme partibus tota ars universalis sciendi coalescit (II 231). B Vgl. W. Beierwaltes, Einleitung in: Plotin. Ewigkeit und Zeit, Frankfurt/M 1967, 11-35. E. Früchtel, Weltentwurf und Logos, Frankfurt/M 1970, 26 ff. Gerade der neuplatonisch inspirierte Lullismus will im Sinne Lulls den logisch-intramentalen und metaphysisch-extramentalen Aspekt von Wissenschaft in der ars aufheben, vgl. H. C. Agrippa, In artem brevem Lullii commentarla, Ep. dedicai, (ed. Zetzner, Argentorati 1617, 787f). Hierzu P. Rossi, Enciclopedismo e combinatoria nel secolo XVI, in: Rivista critica di storia della filosofìa 13 (1958). 9 De arte cyclognomica, Antverpiae (Plantini) 1569 III 35 in Verbindung mit dem Enzyklopädie-Begriff und der Umsetzung lullistischer Kreisfiguren, •o Plotin, III 2, 1, 26ff; V 5, 4, 4-6. Proklos, in Parm. 751-756 zum Gedanken der Koinonie des „Alles in Allem" und der noetischen und kosmologischen Relevanz dieses Gedanken; vgl. W. Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt/M 21979, 31 ff. Zum Einfluß neuplatonischen Denkens auf die Naturphilosophie des 16. Jahrhunderts vgl. E. Cassirer, Erkenntnisproblem I 205 ff, der die zentralen Parameter des frühneuzeitlichen Naturbegriffes: Entwicklung, Kraftbegriff, Totalität bzw. Organismus-Modell, und universale Lebendigkeit bzw. Beseelung auf neuplatonische Vorgaben bezieht. 11 Vgl. dazu Th. Leinkauf, Art. ,Lullismus' in: Der Neue Ueberweg Teil 6, Bd. 4: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, § 8. G. Tholosanus, Syntaxes artis mirabilis, Venetiis 7
Einleitung
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Wir werden die wirkungsgeschichtliche Funktion dieser Philosopheme am Beispiel der zentralen Kategorien des omnia in omnibus (πάντα εν πδσιν) und der discors concordia sowie des Topos der Seelenlehre tota in toto et tota in qualibet parte im Eingangskapitel diskutieren. Die Bereitstellung der Texte Plotins durch Ficinos grandiose Übersetzung sowie die kontinuierliche Aufarbeitung anderer neuplatonischer Texte, vor allem des Proklos 12 , verbindet sich mit der Rezeption von Lulls Denken, einer Entwicklung, die vor allem über die französische Lull-Rezeption lief 13 , zu einer fruchtbaren Synthese. Hier wären mit H. C. Agrippa, der die Situation völlig richtig einschätzte, zu nennen: Faber Stapulensis (der Herausgeber der wichtigen
(de Imbertis) 1588, I comm. 262-263 mit dem Zitat des wichtigen Kapitels 31 der Apbormai des Porphyrios: ó θεός πανταχού ότι ούδαμον ... Wird der mundus intelligibilh als ideales Ineinander des Verschiedenen (distinctio sine distinctione) christlich in den praeconceptus Dei von der Welt verlegt, so reflektiert sich diese intelligible Ein-Vielheit als intelligible und als sensible in der Welt nur im Menschen. Dieser wird zur Epitome des Ganzen (vgl. Kap. D) und muß unter Bedingungen der zeitlich-diskursiven Existenz dies ideale, inbegriffliche Ineinander sukzessiv entfalten: omnium rerum cognitionem homini esse necessariam, quin etiam illi fuit imperatum seipsum nosse (...) qmequidem sui notitia, est rerum omnium absolutissima disputatio (1111-112). Hier wird eines der zentralen Argumente für die Notwendigkeit der Universalwissenschaft an die Folgen platonisch-christlicher Vorstellungen vom mundus intelligibilis gebunden, wie sie z. B. markant von Cusanus formuliert waren: non similiter omnia in omnibus intellegenda. Sed proprie se habet ad omnia unius cuiusque essentia: in intellectu quidem intellectualiter, in anima vero rationaliter, in plantis seminarle, in corporibus imaginarle, in eo quod est eodem modo (quod his omnibus superius est) modo quodam intellectuali superessentiali (ebd. 16-17, vgl. Cusanus, de I 5 η. 15, 12 η. 63). Vgl. C. Gemma, De arte cyclognomica, Antverpiae (Plantini) 1569, I 79ff, 87 (mundus intelligibilis); II 41 (Koinzidenz von mundus intelligibilis und forma pantomorpha; vgl. dazu Kap. A I), 50ff mit Rückgriff auf Plotin und Ficino; 113-114 auf Maximus Tyrius. A. Kircher, Oedipus Aegyptiacus II/2, 51 lf versteht den mundus intelligibilis als Ideenwelt, die vom Vater im Sohn hervorgebracht wird als increata, indistinctá und indivisa vom göttlichen Wesen; dagegen der mundus intellectualis die erste geschaffene Welt der engelischen Geister ist. Vgl. auch Iter exstaticum 442. 12
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Zur Renaissance Piatons und des Neuplatonismus in der Renaissance vgl. Michael J. B. Allen, Marsilio Ficino and the Phaedran Charioteer, University of California Press 1981, Introduction 5 ff. J. Hankins, Plato in the Italian Renaissance, Leiden/New York 1990, I 3-26. Th. Leinkauf, Piaton und der Piatonismus bei Marsilio Ficino, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 40 (1992) 735 ff. J. N. Hillgarth, R. Lull and Lullism in 14th century France, Oxford 1971. J. M. Victor, The revival of Lullism at Paris 1499-1516, in: Renaissance Quarterly 28 (1975).
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Einleitung
Pariser Cusanus-Ausgabe von 1514), Carolus Bovillus und Bernhard de Lavinheta 14 . Zugleich wird diese Verbindung entschieden von der Originalität und Genialität eines selbständigen innovativen philosophischen Zugriffes auf den Zusammenhang von Denken und Sein vorangetrieben, durch das Werk des Nicolaus Cusanus 15 . Man kann durchaus sagen, daß alle wichtigen Lullisten und universalwissenschaftlichen Denker des 16. und 17. Jahrhunderts zugleich auch die Rezeptionsgeschichte des Cusaners mitgestaltet haben und daß im Regelfall diese selben Autoren auch im Horizont neuplatonischer Theoreme, die sie meist aus Ficinos Übersetzungen zogen, argumentieren. Man findet folglich eine intensive Verbindung von Prinzipienlehre im Sinne der Einheitsmetaphysik, von Kombinatorik und Mathematik mit der metaphysischen Grundüberzeugung, daß die Strukturen der Welt, selbst wenn sie nur impräzise und konjektural anzunähern sind, dem kombinatorischen Prozedieren des Intellektes entsprechen. Im 17. Jahrhundert entsteht auf dieser Basis und unter dem starken Einfluß der formalen Wissenskodifizierung durch humanistische Topik und P. Ramus 16 die eigentümliche Gestalt von kombinatorischer Enzyklopädik und Pansophie, um die es hier im Folgenden am Beispiel Kirchers gehen soll. Wenn die Pansophie, wofür viel spricht, „der Horizont des Lullismus im 17. Jahrhundert" war (W. Schmidt-Biggemann 17 ), so war sie sicherlich auch der Horizont des platonischen Denkens, das am Gedanken Lulls den spekulativen Gehalt gegen die mächtige Tendenz zur Formalisierung des Methodischen bewahren konnte und das die Universalität der Universalwissenschaft mit den spekulativen Kategorien neuplatonischen und cusanischen Denkens als „Wendung des Vielen zum Einen" verstehen konnte 18 . Diese Wendung des Vielen zum Einen, in der sich neuplatonische επιστροφή und christliche conversio in gegenseitiger Verstärkung verbinden 19 , stabilisiert sich in der Figur des Kreises. ,Enzyklopädik' ist in 14
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In artem brevem Lullii Commentarla, Coloniae (Soter) 1531, ρ. 1. Ebenso sieht es P. Gregorius Tholosanus, Syntaxes artis mirabilis I, comm. c. 7 (171). Vgl. zur wirkungsgeschichtlichen Dimension jetzt S. Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen, Münster 1989. W. J. Ong, Ramus. Method and the decay of dialogue (1958), repr. New York 1974. W. Schmidt-Biggemann, Topica universalis, Hamburg 1983. Topica universalis, 157. C. Gemma, De naturae divinis characterismis, Antverpiae (Plantini) 1575 I 34: Censemus (mit Platon) itaque mundum hunc unum pariter atque multiplicem in mundos plurimos apte distribuì velut artículos, & membra naturae tum similis tum dissimilis, quae ex lite in amicitiam vocant, ex pluralitate infinita rursus in formam unicam redigantur. Vgl. den Kontext mit discors-concordia-Topos unten Kap. A IV 1. Vgl. hierzu P. Aubin, Le problème de la conversion, Paris 1963.
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solchem Kontext ein Terminus, der nicht nur das Ideal des umfassenden Einbeziehens der Disziplinen, sondern zugleich auch das metaphysische Paradigma der Kreis- und Sphärenform in sich begreift (vgl. Kap. Β III b). Anscheinend wurde hierbei auch ein weiterer Grundtext platonischen Denkens einschlägig wirksam, die Sermones sive disputationes XLI des Maximus von Tyros20. Dort heißt es im Sermo XL: Neque aliud est scientia, quam stabilitas rationis iisdem semper vestigiis haerentis, captantis primo cognatas quodammodo res, post distinguentis quicquid in eis viderit dissimile. Quarumque similitudinem servant, invicem comparai, & ut ita dicam, quasi amica connectit: confusa autem ac repugnantia dividit: inordinata in ordinem, dissonantia in consonantiam restituii (ed. Stephanus 304). Im Zusammenhang mit dem neuplatonischen Philosophem von der „actio stabilis intellectus" (C. Gemma 21 , vgl. Plotin V 5, 2, 11-12; VI 7, 8) und Lulls zentralem Diktum aus der Ars maffia generalis ultima, daß die „logica et scientia instabilis sive labilis" sei, „haec autem ars generalis permanens et stabilis" (ed. L. Zetzner, Argentorati 1651, c. 101, p. 538), wurde der Horizont möglichen Wissens in seiner Vollständigkeit als idealer Kreis der in diesem Wissen wißbaren Sachgehalte in ihrer Zuordnung auf das sinnstiftende Zentrum des göttlichen Prinzips gesehen, als ein Kreis, den die menschliche Vernunft in sich als enzyklopädisch-pansophische Entfaltung abzubilden habe (Plotin V 1,7: νοΰς
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Maximi Tyrii Philosophi Platonici Sermones sive disputationes XLI graece et latine, ed. H. Stephanus, Parisiis 1557. Die lateinische Übersetzung in dieser Ausgabe stammt von Cosmus Pacius, der griechische Bezugstext p. 235 lautet: xai ούδέν εϊη άλλο έπιστήμη πλην βεβαιότης λόγου όδεύοντος χατά τά αύτά, ¿κληρωμένου τά συγγενή των πραγμάτων, τε διαχρίνοντος τά ανόμοια xai τά όμοια συγχρίνοντος, χαί τά oixeïa συντι9έντος, κώ τά συγκεχυμένα διαιροϋντος καί τά αλλότρια χωρίζοντας, xai τα άταχτα σοντάττοντος χαί τά άναρμόστα άρμοττομένου. Wir finden diesen Text an zentraler Stelle in den Syntaxes artes mirabilis des G. Tholosanus (I comm. 130), wir finden Bezugnahmen auf Maximus Tyrius bei C. Gemma, De arte cyclognomica II 50, 113-114 und A. Kircher, Ars magna lucis 926-927.
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De arte cyclognomica, Antverpiae (Plantini) 1569 II 53-54 mit Berufung auf „Marsilius (sc. Ficinus)" und dessen „Comm. in I lib. Plot, enneadis 1". Gemma interpretiert die Struktur des plotinischen Nus als in sich feste, in ständiger vollkommener Aktivität befindliche Kreis- und Reflexionsform „secundum accessum recessumque & circuitum" (ebd.), die christlich als Gestalt göttlicher Weisheit zu verstehen sei: etenim quamdiu circa re ipsam volvitur atque in se reflexa continetur, proprissime rationaüs apparet totius conversionis meta, centrum, atque perfectio (53).
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κατά κύκλον καταλαμβάνει22·, Proklos, in Ρ arm. 930, 16-23 mit Bezug auf die einvielheitliche Wissensform). Dieser Kreis des Wißbaren ist die ,Pansophie', von der ζ. Β. A. Comenius sagt, daß sie zugleich und ineins eine .Pantaxia' sei: catena rerum omnium perpetua, nusquam interrupta, uno intuito OMNIA, quae usquam sunt, ea serie qua sunt, et eo modo quo sunt, conspectui exhibens {De rerum humanarum emendatione consultatif) catholica, Pragae 1966, 28). Die universale Ordnung der Dinge als catena und coordinatio des Vielen gemäß proportionaler Verhältnisse ist selbst ein Kreis, den der Kreis der die Wissensinhalte erstellenden und ordnenden Disziplinen in seiner kombinatorischen Struktur adäquat zu reflektieren hat. Die anthropologische Grundvorstellung dieser Zeit, daß der Mensch als ,Mitte', ,Kopula' und ,Auszug' (Epitome) der Welt (vgl. Kap. D) diese Welt betrachtend und denkend in sich einhole, vollendet sich epistemologisch in dem Postulat und dem Versuch der praktischen Umsetzung der Universalwissenschaft23. Paradigmatisch versuchte der Jesuit Athanasius Kircher im 17. Jahrhundert diesen Kreis des Wißbaren in einem umfassenden Oeuvre zu erschliessen, darin den Augen seiner Zeit aber auch der Folgezeit merkwürdig werdend24.
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Vgl. K. H. Volkmann-Schluck, Plotin als Interpret der Ontologie Platons, Frankfürt/M 21966, 123. J. H. Aisted, Physica harmonica, Herbomae Nassoviorum 1616, Praef. ad lect. p. 3: cum homo sit ipsa rerum natura consummata, & veluti copula naturae superioris & inferioris. Panacea philosophica, ibid. 1610, 44 ff zum Zusammenhang von circulus und mathesis universalis; Praecognita philosophica, ibid. 1612, 338: encyclopaedia = circulus philosophicus. Vgl. die Einschätzungen D. G. Morhofs in seinem Polyhistor literarius, philosophicus et practicas, Lubecae (Boeckmannus) 41747, T. I, lib. 2, c. 5 n. 41: „centum ille doctor artium" und die im Index zu Kircher angegebenen Stellen. Kirchers Bekanntheit in späterer, nach-barocker Zeit ist vornehmlich zurückzuführen auf den enzyklopädischkompendienhaften, das Wissen seiner Zeit greifbar versammelnden Duktus seiner Werke sowie auf die dieses immense Oeuvre von Anfang an begleitende Fama ungewöhnlicher, aber auch skurriler Gelehrtheit, die sich von der peniblen naturwissenschaftlichen Analyse magnetischer und optischer Phänomene bis zur ebenso peniblen unerschütterlichen Beschreibung von Drachen und andrer Monstra erstreckt — eine Fama, die, ungewöhnlich, tatsächlich ein fundamentum in re besaß. Ich gebe mir nur meist zufällig bekannt gewordene Hinweise, die sich vermutlich noch erweitern lassen: J. W. v. Goethe, Farbenlehre, § 69 (HA XIII 346, vgl. 531); H. v. Doderer, Ein Umweg, München 1978, 175, 199ff., 244; O. Paz, Sor Juana oder die Fallstricke des Glaubens (1982), Frankfurt/M. 1991, 250f. u.ö.
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Athanasius Kircher wurde am 2. Mai 1602 in Geisa (bei Fulda) geboren25. Väterliche Vorgabe, Johann Kircher war Professor für Theologie in Seligenstadt (OB), später Rat und Amtmann des Fürstbischofes von Fulda in Haselstein und Geisa gewesen, und vermittelte dem Jungen früh Sprach- und Musikkenntnisse, sowie früh präsentes Ingenium ließen ihn die klassische geistliche Ausbildung und Laufbahn, die im gegenreformatorischen Deutschland durchweg in der Hand der Jesuiten lag, schnell und erfolgreich absolvieren: um 1612-18 besuchte er das Jesuitenkollegium zu Fulda mit dem Curriculum der Ratio studiorum und in der Folge das Kolleg zu Mainz, wo er insbesondere philosophische Studien aufnahm. 1617/18 wurde er in Paderborn als Novize in den Orden aufgenommen und verbrachte die nächsten Jahre bis zur Priesterweihe (Mainz, 1628), wie es im Jesuiten-Orden üblich war, an verschiedenen Universitäten und Kollegien (Köln, Koblenz, Heiligenstadt, Aschaffenburg und Mainz). Seine Hauptinteressen lagen schon hier eher im Zusammen der Disziplinen als in ihrer säuberlichen Trennung, wie sie von der Ratio studiorum nahe gelegt wurde, allerdings mit den Schwerpunkten von klassischen Sprachen, Hebräisch, Mathematik (Geometrie) und Philosophie. 1629 beginnt seine auch für damalige Verhältnissse erstaunliche universitäre Karriere mit einer Professur für Ethik, Mathematik und orientalische Sprachen an der Universität Würzburg (1629-31). Vor den Truppen Gustav Adolphs müssen sich die Jesuiten im Oktober 1631 aus Würzburg zurückziehen. Kircher gelangt über Speyer und Lyon nach Avignon (1631-33), das päpstliches Territorium war. Hier lehrt er am renommierten Jesuitenkolleg Mathematik, Philosophie und widmet sich auch Forschungen in Astronomie und Hieroglyphik. Kircher lernt J. Hevelius kennen und wird 1633 durch N. Peiresc und N. C. Fabri in Aix mit Pierre Gassendi bekannt gemacht. Schließlich erhält er das
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Eine deutlichere Präsenz und Wirkung insbesondere im Diskurs des 18. Jahrhunderts zum Problem der „Vielheit der Welten" zeigt Kirchers tychonische, von Cusanus und Bruno beeinflußte Kosmologie, die er in seinem Beitrag zur Itinerar- und Chambrierliteratur lieferte, im Iter exstaticum (1656, 21660). Zur durchaus geteilten, meist jedoch kritischen Resonanz (etwa bei Fontenelle, Huysum, Gottsched) vgl. Karl S. Guthke, Der Mythos der Neuzeit, München 1986, Kap. IV. Zur Vita vgl. Vita (a semetipso conscripta) P. Athanasii Kircheri ed. H. Langenmantel, Augsburg 1684. K. Bricker SJ, P. Athanasius Kircher. Ein Lebensbild, Würzburg 1877. H. Hurter SJ, Nomenciator litterarius theologiae catholicae, T. IV (1660-1763) 1910 (New York 1962). F. Krafft, Art. ,Kircher', in: Neue Deutsche Biographie Bd. XI, Sp. 641 ff. H. Kangro, Art. ,Kircher' in: Dictionnary of scientific biography X (1974) 374-378. D. Pastine, La nascita dell'idolatria, Firenze 1980. J. Fletcher/ G. Römer, Statt eines Lebenslaufs - Zeittafel zu A. Kircher, in: Universale Bildung im Barock: Der Gelehrte Athanasius Kircher, Rastatt 1981, 17 ff.
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doppelte Angebot einer jeweils sehr lukrativen und einflußreichen Bestallung im kaiserlichen Wien Ferdinands II. oder im päpstlichen Rom, jeweils für eine Professur der Mathematik (in Rom zusätzlich für Physik und orientalische Sprachen). Kircher geht 1633, nicht ohne Neigung, jedoch mehr noch unter dem sanften aber bestimmten Druck seiner Ordensoberen, nach Rom, wo er, bis auf kleine Unterbrechungen in Malta (1637-38 als Beichtvater des späteren Kardinales Friedrich von Hessen-Darmstadt) und Süditalien (Neapel, Sizilien) zu Studienreisen, bis zu seinem Tode 1680 bleiben wird. Obwohl die Verpflichtung an den kaiserlichen Hof anfänglich durchaus im Sinne der Kurie und des Ordens war, sind es doch gerade diese vorgeordneten Institutionen, die Kircher noch während seiner Reise .umlenken' und nach Rom ziehen. Hier soll sein mathematisches, vor allem aber sein sprachliches Ingenium im Dienste kurialer und jesuitischer Interessen tätig werden. Sein beeindruckendes Werk26 ist nicht zuletzt auch Produkt der strategischen Ausnahmeposition, die Rom im 17. Jahrhundert einnahm: Kircher wußte die wissenschaftspolitische Präsenz und Dominanz des Ordens mit seinen berühmten Kollegien, den Geldmitteln, vor allem aber seine Funktion als unumgängliche Anlaufstelle für alle missionierenden Ordensbrüder und als Schmelztiegel überhaupt der katholischen Missionspolitik intensiv zu nutzen. Kircher saß jahrzehntelang im Zentrum der Informationsflüsse, die aus aller Welt damals in der Hauptstadt der Christenheit einliefen27. Er präparierte seine missionierenden Ordensbrüder, die allesamt in 26
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Ein vollständiges Werkverzeichnis gibt C. Sommervogel SJ, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus, Nouvelle Edition, Bruxelles/Paris 1960, Tome IV, coll. 10461077 u. Suppl. Bd. IX col. 548. Vgl. auch neuerdings die Werk-Chronologie in: Universale Bildung im Barock. Der Gelehrte Athanasius Kircher, Ausstellungskatalog der Stadt Rastatt, Rastatt 1981, 117-119. So bot Rom, neben der klerikalen Zentralstellung natürlich auch den Vorteil der, neben Wien und Paris, dominierenden kulturellen Stadt des Barock mit ihren Attraktionskräften und mit der einmaligen Sammlung von klassischen aber auch vor allem orientalischen Antiken. Kircher lernt z. B. 1639 den englischen Orientalisten und Astronomen J. Greaves (später Professor in Oxford) kennen, der ihn in Rom besucht. 1640 kommen J. C. Niceron aus Paris, J. Marcus Marci aus Prag und J. F. Gronovius aus Leyden nach. Rom (mit allen drei beginnt Kircher einen intensiven wissenschaftlichen Briefwechsel). 1644 ist J. Evelyn, 1646 A. Gryphius und N. Heinsius zu Gast bei Kircher. Von Rom beginnt Kircher Briefwechsel mit Juan Caramuel y Lobkowitz (vgl. R. Cenai, Juan Caramuel. Su epistolario con Atanasio Kircher SJ, in: Revista di filosofia 44 (1953)) und mit Herzog August d.J.von Braunschweig-Lüneburg. Zu Kirchers Korrespondenz vgl. J. Wicki SJ, Die Miscellanea Epistolarum des Pater Athanasius Kircher SJ in missionarischer Sicht, in: Euntes docete. Commentarla
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Europa unbestritten zu den bestausgebildetsten und intelligentesten Wissenschaftlern oder Kirchenpolitikern gehörten, ihm regelmäßig ihre Eindrücke und Erfahrungen vom kulturellen und wissenschaftlichen Stand in den Ländern Afrikas oder Asiens, von historischen und Quellen-Funden, vor allem aber Nachrichten von der unerschöpflichen varietas rerum, den prodigio und monstra zukommen zu lassen. Ein nicht geringer Teil der Werkgestalt ist unmittelbarer Reflex dieser Vernetzung des Informationsflusses am Collegium Romanum, wir finden seitenlange Auszüge aus Briefmitteilungen und Stellungnahmen von Kollegen oder Ordensbrüdern ebenso wie wir auch seitenlange Auszüge aus den Hauptwerken philosophischer und theologischer Autoritäten finden. Kircher kippt gleichsam seine Zettelkästen in die thematischen Abgründe seiner einzelnen Projekte, Zettelkästen, die jedoch für ihn adäquate Spiegelungen der zu verhandelnden Sache selbst waren. Im Horizont der Universalwissenschaft, die spezifisch „de omni scibile" handelt, wird die Hierarchie der wissenschaftlichen Inhalte, die sich durchaus noch erhält, mit zunehmendem Druck ergänzt und modifiziert durch den Anspruch auf Totalität, der selbst die geringste Sache noch zur Würde einer notwendigen Integrationspartikel erhebt, ohne die das Ganze zusammenbräche. In einem Denken, dessen Kategorik vornehmlich von dem Topos omnia in omnibus bestimmt wird, wird gleichsam auch alles, was überhaupt ist, zum Schlußstein des Ganzen. Denn aus diesem Ganzen ist schlechterdings nichts mehr herauszulösen, ohne daß es sich vollständig auflöste. Solcher Totalitäts- und Kostbarkeitsanspruch war zuvor im Grunde nur schöpfungstheologisch, und d. h. mit Blick auf die konkrete und singuläre Gestalt der Welt christlich, erhoben worden und es nimmt daher nicht wunder, daß die GenesisExegese und Gotteslehre ein wichtiges Moment im Selbstverständnis der Universalwissenschaft dieses Types ausmacht. In diesem Kontext zeugt die Einlagerung autoptischer Berichte und experimentalwissenschaftlicher Mitteilungen in den Zusammenhang der jeweiligen Argumentation von der für das 17. Jahrhundert typischen Dignität des Empirischen und Faktischen, die es ihm zu vermitteln galt mit den axiomatischen Forderungen des sich autonom konstituierenden Verstandes. Das ,Einzelne' wird zum Universum, zum Brennpunkt, der das hochkomplexe Gefüge in sich kontrahiert und Kirchers Werke scheinen genau diesen Status kleiner Universen, in denen alles unter einem bestimmten Aspekt (z.B. dem des Magnetismus) Urbaniana (Rom) 21 (1968). D. Pastine, La nascita dell'idolatria, Firenze 1978, 16 ff. zur Korrespondenz mit den vor allem jesuitischen Missionaren; vgl. die Liste p. 18. J. Fletcher, Athanasius Kircher and his correspondence, in: A. Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, Wiesbaden 1988, 139 ff.
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betrachtet und analysiert wird, selbst noch einmal zu spiegeln, um damit ihre Sachadäquanz, die für die philosophische Kombinatorik so zentrale Koinzidenz von Methode und Sache, deutlich zu machen. Unsere folgenden Analysen beziehen sich im wesentlichen auf die Hauptwerke des Jesuiten und es scheint sinnvoll, diese zuvor kurz in der Reihenfolge ihres Entstehens und ihrer inhaltlichen Durchführung zu skizzieren28: Im Magnes (zuerst erschienen in Rom bei Grignani 1641) versucht Kircher erstmalig seinem Verständnis von Universalwissenschaft eine paradigmatische äußere Gestalt zu geben. Grundgedanke ist hierbei, wie auch in der späteren Ars magna Iuris und der Musurgia, ein zunächst spezielles physikalisches Phänomen, dessen Wirkungsgefüge für das damalige Wissen im Grenzbereich von Sinnlichem und Nicht-Sinnlichem, von Materiellem und Spirituellem anzusetzen ist, durch eine extreme Aufwertung des nicht-sinnlichen, spirituellen Aspektes zu einem universellen und ubiquitären, den gesamten Horizont des innerweltlichen Seins gestaltend durchdringenden Prinzip zu erheben. Im Magnes ist es die Attraktions- und Konnexionskraft des Magnetismus, die zu einer clavis (clavis unica, Prooem.) des Verständnisses aller Natur- und Geistprozesse wird und die, nachdem in einem theorematischen Teil (Mg 32 ff) der Grundzusammenhang von prinzipiell gegensätzlichen, jedoch im Gegensatz das Weltganze erhaltenden Kräften als der Zusammenhang des Magnetischen selbst erwiesen wurde (Mg 40 vis magnetica ist universale Kraft, Mg 61-63 zur magnetischen Kette) und nachdem Grundtheoreme zur Struktur des magnetischen Prozesses aufgestellt wurden (Mg 60 als natürlicher Drang zum bonum conservativum; 73, 114 f a i s instantané, alles durchdringende Kraftentfaltung; 68 als in sich gegenstrebiger Zusammenhang im Sinne der dicors concordia etc.), als solche bestimmte „qualitas immateriata, & quasi spiritualis" (Mg 117) in einem Anwendungsteil (Lib. II Magnes applicatus, 147 ff) als bestimmendes Agens in allen anderen Naturbereichen resp. wissenschaftlichen Disziplinen nachgewiesen wird (Geometrie mit Geodäsie u. Ichnographie, Astronomie, Geographie, Nautik etc.). In einem dritten Teil (Mg 463 ff) wird dann die eigentliche universalwissenschaftliche Konsequenz gezogen, indem Kircher alle Prozesse durch consensus-dissensus oder concordia-discordia bestimmt sein läßt und die lebendige dynamische Vermittlung des Widerstrebenden als Magnetismus erklärt29. Dies betrifft die Bereiche des Urano-Magnetismus, des Stoicheio-Magnetismus, des Geomagnetismus, Phyto28
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Wir werden im Folgenden Kürzel für die Werke Kirchers verwenden. Hierzu sei verwiesen auf das der Einleitung vorangehende Verzeichnis der Abkürzungen. Mg 549: Nihil verius quam omnia in omnibus, satis superque Magnetica hac rerum catena demonstrat, qua omnes ita arete sibi invicem connectuntur, ut etiamsi
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magnetismus, Zoo-Magnetismus, Iatro-Magnetismus, Musicomagnetismus und, abschließend, in der höchsten Potenz der konnektiven universalen Funktion, des Erotomagnetismus30. Die ganze Darstellung, die das Werk im Durchgang durch diese Formen leistet, stellt für Kircher eine wissenschaftliche Reflexion der catena magnetica dar, deren letzter Grund im ,Epilogus' als Magnes centralis bestimmt wird (Mg 791), dieser aber ist Gott selbst. Die naturphilosophische Analyse kulminiert in der theologischen Begründung der ternarischen Prozeßganzheit .Magnetismus' im trinitarischen Gott (vgl. Kap. CH 1). Die für das universalwissenschaftliche Denken typische Koinzidenz von Einzelwissenschaft und Universalwissenschaft (denn auch für die Wissenschaften gilt: omnia in omnibus) wird in diesem Anfangswerk schon vollständig deutlich und ebenso die gleich grundlegende Rückbindung des enzyklopädischen Kosmos an die Einheit des göttlichen Prinzips: Gott ist als magnes centralis zugleich unendlich attrahierendverknüpfend und unendlich ,erstrebt' (terminus desideratus). Der höchste ,Magnetismus' ist folglich der seelische Magnetismus in Form der intellektuellen religiösen Rückwendung zu Gott: per huiusmodi catenam ... coelitus fragilitati nostrae demissam in terram, mens seu anima nostra intellectualis ... ab imis ad media, & per haec extra mundum ad ipsum opificem attracta ascendit & assurgit (Mg 796, vgl. Kap. Β IV 1). Die Ars magna lucis et umbrae (zuerst erschienen in Rom bei Grignani 1646) stellt sich vor als „nova φωτοσοφία" (ad lect. p. 2) und als unmittelbar im Kontext mit der universalen magnetischen Verfassung des Seins stehend: „lux magnes sequitur"(ebd.). Wie im Magnes gliedert Kircher den als universal gültig konzipierten Horizont des Lichtes in zentrale Argumentationsfelder, die jeweils wieder universal diskutiert werden: 1. die Physiologia lucis & umbrae, die sich in die Photosophia, die Analyse des Lichtphänomens (AML 5 ff), die Sciagnomica (53 ff) als Diskussion des ontologischen Status von Schatten, Dunkelheit und Lichtmangel und die Chromatik (65 ff) gliedert; 2. in die Licht-Strahlungs-Lehre (Actinobolismus lucis, 167 ff), in der Kircher allgemein das physikalische Medium aller actio in distans-Phänomene sieht (daher die Verbindung zum Magnetismus); daher wird hier der Interferenzhorizont mit anderen physikalischen Prozessen deutlich, z. B. mit den optischen (159 ff) und akustischen (133 f) Strahlen sowie den, in Analogie zur Lichtradiation gedachten, Bewegungsbahnen, die auf die Zeitfolge verweisen (Ars gnomonica 158 ff). Vor allem dieser
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contrarium sint qualitarum, in unum tarnen latente quadam rerum omnium consensu Magnetico coeant. Vgl. hierzu Th. Leinkauf, Amor in supremi opificis mente residens, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 43 (1989).
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Zusammenhang von Lichtbewegung und Zeitstruktur interessiert Kircher in seinem universalwissenschaftlichen Ansatz (nihil in rerum natura esse, quod quidem aliquam ad tempus relationem habet, quod motu lucis & umbrae perpetuo monstrari non possit, AML 517). Dann geht Kircher die Zusammenhänge von Licht und Wärme bzw. Feuer im Blick auf geokosmische Strukturen wie Klimazonen und Biosphären durch (Ars anacamptica vel astronomia reflexa 565 ff oder etwa die Cosmometria gnomonica 703 ff) und beschäftigt sich in einem ,magischen' Teil (Magia lucis & umbrae, 769 f) mit dem Zusammenhang von Zeitmaß, Bewegung und verborgenen Prozessen. Uhren z. B. repräsentieren in ihrer Konstruktion den ordo universi, das Gemessen-Sein aller Dinge, Spiegel in ihrer reflektorischen Potenz die prinzipielle Abbildbarkeit der gemessenen Dinge aufeinander. Daß Licht zum Index solcher Sachverhalte wird, deutet auf die Präsenz des platonischen Gedankens von der ontologischen Valenz des Lichtes im Sinne eines Indikators für Intelligibilität. Die zahlhafte und proportionale Struktur des Seins ist auch für Kircher in sich lichthaft. Im Epilog (Metaphysica lucis & umbrae, 917 ff) erschließt Kircher wie im Magnes die den ganzen Ansatz durchdringende theologische Basis mit der Gleichsetzung von Gott und lux infinita (vgl. Kap. C II 2) sowie der Ineinanderblendung von intelligibler Lichtsphäre und welthafter Seinssphäre (Sphaera mystica 930 ff). Die Musurgia universalis (zuerst erschienen in Rom bei Grignani 1650) analysiert die physischen (MUS 1 ff), hör- und sprechphysiologischen (37 ff), psychischen und metaphysischen Bedeutungen von ,Musik' als dem zentralen Paradigma der proportional-mathematischen Explikation von Einheit in harmonisch zusammenstimmende Vielheit. Zusätzlich diskutiert Kircher die Erfindung und Geschichte der Musik und ihrer Instrumente (43 ff), sowie die Prinzipien der allgemeinen Musiklehre in arithmetischer Hinsicht im Rückgriff auf Augustinus und Boethius (86 ff). Entscheidend ist sein Versuch eine neue, auf der Kombinatorik gegründete Kompositionstechnik (als ars) zu begründen (Lib. VIII die Musurgia mirifica, Β 1 ff). Auf der Grundlage der Kombinatorik (B 307/8) und der aus der Magnes-Dcbattc gewonnenen universalen Kategorien der discors concordia, die musikalisch als consonus-dissonus-Zusammenhang zentral wird, konstruiert Kircher im 10. Buch einen auf musikalisch-zahlhaften Strukturen gegründeten Weltzusammenhang (Decachordon Naturae, Β 364 ff), in dem wiederum Gott als letztes musikalisches Prinzip, als supremus barmosta, angesetzt wird (vgl. Kap. C II 3.). Die drei Bände des Oedipus Aegyptiacus (erschienen in Rom bei Mascardi von 1651-1655) stellen Kirchers sprachwissenschaftliche und aegyptologische Summe dar, in der er aus den zu seiner Zeit zugänglichen Dokumenten, insbesondere aber aus der einzigartigen Analyse der vor allem an den römischen Obelisken
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überlieferten Hieroglyphen-Schrift eine umfassende Rekonstruktion ägyptischer Theologie, Politik, Kultur und Sprache versucht. Im Geiste der prisca sapientiaTheorie und einer Art Kombinatorik der geistesgeschichtlichen Prozesse, in der bestimmte Text-Stücke, die für präzis bestimmbare theologische, philosophische oder anderweitig wichtige Inhalte stehen, immer wieder wichtig werden und vor allem untereinander, durch arkane inhaltliche Zusammenhänge legitimiert, austauschbar und durch einander interpretierbar werden, läßt Kircher ein beeindruckendes Gebäude ägyptischer Kultur entstehen, das in seiner notwendig idololatrischen Grundsignatur (OA I 164ff) dennoch überwiegend auf die Verwandtschaft mit der christlichen europäischen Kultur verweist und eine Dignität durch die Stabilität seiner Form und die Qualität seiner Hervorbringungen zeigt, die zugleich die Achtung für die „alte Weisheit" steigert. Gerade die Konfrontation der ägyptischen Symbole mit dem Wissensgut der prisca sapientia kann einerseits die Nähe zum christlichen Grundbestand (SS. Triadis mysterium iam tum ab Aegyptiis a primis Mundi Patriarchis successiva traditione acceptum, Π/1, Prooem.) und andererseits die kritisch herauszustellende Distanz zur „recta fidei norma" des Katholischen zeigen (OA 11/1,3-4). Dieser Zugriff auf die Dokumente und aus die in späteren Zeiten verfertigten chronikalen, historischen und aus Reiseerfahrungen gezogenen Berichte gestattet gleichsam einen permanenten ,Übergang' von jedem beliebigen Detail auf den zugrundeliegenden ideologischen Grundzusammenhang31. Die Rekonstruktion der politischen Geographie, der Städtekulturen und Gebietseinteilungen (im Band I) wird bei Kircher immer transparent gemacht auf ein aus spätantiken (Plutarch, Numenios etc.), patristischen (Clemens Alexandrinus), hermetischen und hieroglyphischen Texten (in seiner Interpretation32) kompiliertes spekulatives Interpretationsmuster des „Ägyptischen". D. Pastine vermerkte richtig: „La fiducia neoplatonica di
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So wurde ζ. Β. für die Wiedergewinnung eines integralen Verständnisses der Bedeutung, die der Fluß Nil im ägyptischen lebenspraktischen und vor allem theologischen Bewußtsein hatte, die Tatsache wichtig, daß Kircher die Manuskripte des Pedro Paes in die Hände bekam, der 1618 in Begleitung des äthiopischen Kaisers die Quellbereiche des Nil bereisen konnte (OA I 55-56). Immer wieder versucht Kircher die geographische Situation und die intellektuelle ,Geographie' als Einheit in einem kulturellen Zusammenhang zu verstehen. Dem Oedipus Aegyptiacus gingen wichtige sprachtheoretische Werke voraus, insbesondere der Obeliscus Pamphilius hoc est interpretatio nova hucusque intenta Obelisci hieroglyphici quem non ita pridem ex veteri Hippodrome Antonini Caracallae Caesaris in Agonale Forum transtulit, integritate restituii et in Urbis aeternae ornamentum erexit Innocentius X. Pont. Max., Romae 1650.
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ritrovare nelT intelligenza il fondamento reale del suo oggetto lo mette di fronte ad un modo per defìnitione sempre trasparente agli occhi dell' intelletto" (La nascita dell'idolatria, Firenze 1978, 88). Im Zusammenhang mit solcher spekulativer Rekonstruktion diskutiert Kircher z.B. den Symbol-Begriff (11/1,5ff), allgemeine Sprachtheorie (ebd. 44 ff) und die damit in seinen Augen gewonnene Basis antiker Mythologie und Arkanlehren (123ff, z.B. Orpheus, Zoroaster, Hermes Trismegistos). Es folgen OA Π/1, 210 ff eine intensive Diskussion der „Cabala Hebraeorum" mit deren „geheimer Theologie" (289 f), OA II/2, 3 ff eine umfassende Untersuchung zum Bezug von Hieroglyphik und (spekulativer) Mathematik (mathematica Hieroglyphica), mit Analysen des unitas-Begriffes (5-20), der Konkordanz von Zahlzeichen und Hieroglyphenzeichen (20ff) und schließlich eine analoge Darstellung unter dem Index der Geometrie (II/2, 81 ff). Untersuchungen zur ägyptischen Musik (120 ff), Astrologie (140 ff), Mechanik/Architektur (326 ff), Medizin (346 ff), Alchemie (389 ff) und Magie (437 ff) folgen, immer in der Aufnahme schon in anderen Werken erarbeiteter Argumente. Der zweite Band schließt mit einer Theosophia Metaphjsica seu Theologia Hieroglyphica (II/2, 498 ff), die Kircher als „finis & scopus totius hieroglyphicae doctrinae" gilt (498). Dabei galt es hier paradigmatisch zu untersuchen, was letztlich auch für den ganzen prisca /Aeo/ogrä-Zusammenhang zutrifft: „qua ratione tandem fieri potuerit, ut ad tantam divinorum mysteriorum altitudinem solius luminis naturae fulti subsidio pertingere potuerint" (498). Hierher gehört die Interpretation des Hermes Trismegistos als eines von Gott auserwählten, zur Wahrung der (im Kern christlichen) Überlieferung des ursprünglichen (adamitischen) Wissens bestimmten Menschen (ebd.). Die Diskussion des Zusammenhanges christlicher Gehalte mit der ägyptischen Arkanlehre füllt diese abschließende Abteilung, u. a. wird die Kreisfigur im Sinne der Sphärenmetapher des Liber XXIV philosophorum (OA II/2, 500 ff, vgl. Kap. Β III 1 b) und im Rückgriff auf Cusanus' (ebd. 508 f) Koinzidenz-Lehre aus De docta ignorantia I besprochen. Im dritten Buch, Theatrum hieroglyphicum, kommt Kircher zur eigentlichen „neuen Interpretation" der Obelisken, der er eine allgemeine Abhandlung über Hieroglyphik voranstellt (De Hieroglyphicis in genere, ΙΠ 8ff; De Alphabeto mystico Aegyptiorum, 42 ff etc.). Es folgen Auslegungen zur berühmten Tabula Bembina (79 ff) und den diversen römischen Obelisken, dies macht den quantitativen Hauptteil des dritten Bandes aus. Eine Anacephalaeosis totius operis (ΙΠ 550 ff) gibt nochmals wichtigen Aufschluß über das wissenschaftliche und methodische Selbstverständis, das auch im Blick auf vorliegende Interpretation wichtig ist: ab ineunte aetate, nescio quo instinctu agitatus ... combinavi, singula singulis iuxta combinations
artis regulas scite ab adaptando comparavi, Sc tandem adytis
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reseratis, corticibusque ruptis, nucleum inveni, id est, veram & infalübilem hieroglyphicae significationes veritatem adeptus sum (553).
Leitende Grundannahmen sind 1. die Abgeschlossenheit des Horizontes der hieroglyphischen Symbole, 2. die Idealität ihres semantischen Bezuges (cognitio idealium rerum, 559 f), 3. die virtus und efficacia der Hieroglyphen basiert auf ihrer „mira & occulta connexio" mit transzendenten Prinzipien (563), daher ist Hieroglyphik eine „theologische Wissenschaft" (565) und 4. der Konsens aller Philosophen und Theologen über die Bedeutung der ägyptischen Zeichen. Damit will Kircher die Hieroglyphik in den ,Kreis' der zentralen wissenschaftlichen Disziplinen einholen (vgl. Kap. Β III 2 b). Das Iter exstaticum (zuerst in Rom bei Mascardi 1656, dann mit wichtigen Erläuterungen und theologischen Kautelen von Kirchers Schüler G. Schott SJ 1660 in Würzburg wieder aufgelegt) ist das kosmologische Hauptwerk des Jesuiten 33 und ineins damit eine der faszinierendsten literarischen Inszenierungen des Genus .ekstatische Reise', in der ein entsprechend dem paulinischen raptus-Motiv entrückter Protagonist der Spezies ,homo curiosus & scientificus' (Theodidactus) von einem gottgesandten Führer (Cosmiel) durch die planetarischen Räume der noch geschlossenen Welt des Tychonischen Systems und die sublunar-terrestrischen sowie subterrestrischert Bereiche der Erdsphäre geführt wird (ab infimo Telluris globo usque ad ultima Mundi confinia per fleti raptus integumentum explorata, aus dem Titel). Die ,Reise', in zwei Halbbänden dargestellt, gliedert sich in eine Art Reisegespräche (die einerseits in der Soliloquia-Tradition, andererseits in der des Danteschen Vergil stehen), die wie Protokolle jeweils das Konfinium menschlichen und göttlichen Wissens präsent halten. Denn in jedem Moment der Gespräche wird einerseits gesichertes menschliches Wissen indem es bestätigt wird zugleich als begrenzt erwiesen und andererseits das kühnste hypothetische Extrapolieren (ζ. B. auf der Basis kombinatorischer und analogischer Konjekturen, IE 285-286, 310 f, 316; vgl. Kap. Β II 1), gerade wenn es durch den ekstatischen Einblick als haltbar erscheint, als nur im göttlichen Intellekt sicherbares Wissen und nur durch das Syndrom Offenbarung/Evidenz zugängliches Wissen erwiesen. So lassen die Gespräche gleichsam die Scheidewand zwischen eingeschränkter menschlicher Optik und der Tiefenschärfe des idealen Intellekts auf jeder Gegenstandesebene transparent werden, um, trotz der Bindung an die konjekturale und approximierende Natur des endlichen Wissenkönnens, eine Art adhortado ad scientiam naturalem zum Programm werden zu lassen, denn, dies das Resultat des Werkes, die menschli33
Vgl. jetzt B. Bauer, Copernicanische Astronomie und cusanische Kosmologie, in Athanasius Kirchers „Iter exstaticum", in: Pirckheimer-Jahrbuch 5 (1989/90) 69 ff.
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che Konjektur führt prinzipiell in die richtige Richtung und es lohnt sich, die impraecisio immer näher an diepraecisio heranzuführen (vgl. Kap. Β IV). Im ersten Teil handelt der Dialogus 1 „de coelestis expansi siderumque natura ac proprietatibus" (61 ff) im Durchgang durch die einzelnen planetarischen .Ebenen' (Luna, Venus, Mercurius, Sol, Mars, Iovis, Saturnus, Firmamentum), Dialogus 2 von der schöpfungstheologischen Dimension, die diesen kosmischen Seinsbestand fundiert: „De Providentia Dei in Mundi opificio elucescente" (IE 365 ff; vgl. Kap. C III), mit den Schwerpunkten Weltschöpfung (365 f), Größe und Ordnung der Welt (384 ff), Weltharmonie (391 ff, 414 ff), Struktur des Empyreums, Heilsgeschichte mit incarnatio und finis mundi (451 ff) und Funktion der Kirche (456 f). Im 2. Teil, der sich in drei,Gespräche' auffächert, wird die geokosmische Dimension dargestellt (dial. 1: De elemento Aquae & universali rerum principio, IE 528 ff; dial. 2: De admirandis Geocosmi sive Terrestris Mundi arcanis, 575 ff), dies immer im Blick auf die seit dem Magnes zentralen Kategorien des omnia in omnibus oder der discors concordia (vgl. die von uns analysierten Leitbegriffe Kap. A IV), und abschließend die subterraneische Welt, die eine geradezu inverse raptus-Richtung in die spirituellen Horizonte des .inneren' Weltgefüges aufweist (Iter exstaticum in Mundum subterraneum). Kircher stellt sein Werk explizit in den Dienst der neuzeitlich rehabilitierten und von Gott in diesem Szenario geradezu provozierten curiositas menschlichen Geistes, denn für ihn gilt: Gott hat, im Vergleich insbesondere zur Zeit der Antike, erst in neuerer und neuester Zeit zuvor ungeahnte und neue Weiten der Welt dem Menschen offenbarend eröffnet (aperuit, IE 12), eine varietas rerum exoticarum (11), deren noch verborgene, unzugängliche Gründe es so weit als möglich wisssenschaftlich zu erhellen gelte. Kircher versteht die durch das menschliche Forschen und durch menschliche Exploration zugänglich gemachten Weltstrukturen als providentiell lanziertes Offenbarungsszenario (ostendit, pandit, exprimit), das offensichtlich einen Kapazitätszuwachs des menschlichen Intellektes, also eine menschheitsgeschichtlich exzeptionelle Situation, impliziere (IE 12). Die Durchführung der im Reise- bzw. Raptus-Motiv eingekleideten Untersuchungen zu den verschiedenen kosmischen Bereichen verbindet in intensiver Rezeption patristische GenesisKommentare (IE 42 ff; vgl. Kap. C III), antike Kosmologie und neuzeitliche Forschungsergebnisse zu einer Synthese, deren metaphysisch-theologische Basis vor allem in der Dialektik und Spekulation des Cusanus zu suchen ist34. Die
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Vgl. zum Bezug des Iter exstaticum auf Cusanus jetzt S. Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen. Zur Rezeption der Philosophie des Nicolaus Cusanus v o m 15. bis zum 18. Jahrhundert, Münster 1989, 3 0 6 f f . und B. Bauer (a.a.O. Anm. 33), 9 6 f f .
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gegensätzliche, vollständige Verschränkung der planetarischen Funktionen, die Kircher sich dann in ihrem geozentrischen und letztlich anthropozentrischen Fokus (vgl. Kap. D) bündeln läßt, setzt eine Funktionalisierung und Dynamisierung der auf Kräften basierenden Wirkfaktoren voraus, für die Cusanus entschieden die intellektuelle Vorarbeit geleistet hat. Um seinen kosmologischen Interpretationsansatz sachlich stabilisieren und durch Autoritäten ideologisch absichern zu können, greift Kircher auf zentrale Lehrstücke der Geistmetaphysik und Spekulation zurück: pythagoreisch-platonische Zahlenlehre (72 f), spekulative Geometrie, neuplatonischer Kraft und Geistbegriff. Er versucht damit, in der Fluchtlinie christlicher, sich an der Genesis-Exegese anlehnender Kosmologien (Kap. C III), noch einmal das theatrum mundi (91, 125, 159 u.ö.) als geozentrischen und anthropozentrischen Zusammenhang und d.h. als ein „Buch" zu lesen, dessen Schrift, teils zugänglich, teils ,hieroglyphisch' verschlüsselt, immer jedoch aber grundsätzlich intelligible, auf einen verstehenden Intellekt bezogene Schrift ist. Der Grundschlüssel für die Lektüre dieser ,Schrift' liegt für Kircher in seiner Synthese aus den Methoden von Analogik und Kombinatorik und den spekulativen inhaltlichen Bestimmungen hinsichtlich der Elementarformen, die er aus den skizzierten Traditionen zog. Der Mundus subterraneus (zuerst in Amsterdam bei Janssonius 1665 in 2 Bdn.) setzt gleichsam systematisch da ein, wo das Iter exstaticum endete, in der umfassenden Analyse und Interpretation der unterirdischen Welt'. Kircher erhöht die Dignität des Unterirdischen indem er es einerseits vollgültig in den dispositionalen Horizont der göttlichen Weltökonomie einstellt, als „Organum harmonicum", geordnet nach „numerus, pondus, & mensura" (MS praef. 1, fol. Ir), und indem er es andererseits vom Anlaß her, der autoptisch-experimentellen Erfahrung des Ätna-Ausbruches und eines Erdbebens in Kalabrien im Zusammenhang einer Sizilien-Reise (1638) auf die Tagesordnung des experimentellen λόγον διδόναι seiner Zeit setzt (ebd. fol. lv-2r). Das Durchmessen und Vermessen des Erdinneren als „systasis rerum" und „architectura" wird im ersten Buch durch eine Untersuchung zur Funktion und Substanz des Erdzentrums bzw. der Zentrizität der Erde selbst im Kosmos angegangen (Lib. I Centrographicus quae et centrosophia dicitur, 1 ff, vgl. Kap. Β ΠΙ 1 b). Es folgt im 2. Buch eine theologisch fundierte Bewertung der Erde als einer epitome universi (MS I 56 ff) und eines „parvus Mundus", der in völliger Analogie zum Menschen als Epitome und Mikrokosmos verstanden wird. Aus dieser Entsprechung resultiert für Kircher heilsgeschichtlich die These, daß der Mensch, vermittelt durch Christus, „finis universi mundi machinae" sei, und epistemologisch und pragmatisch die These, daß die Welt in sich vollständig intelligibel und für den Menschen vollständig nutzbar sei (palatium, I 56, 64 f, 110 f). Nach
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dieser Vorgabe untersucht Kircher die globalen Wirkungszusammenhänge des Wärmehaushaltes (Pyrographicus I 168 ff), Wasserhaushaltes (Hydrographia I 85 ff, 121 ff zur natura Oceani) und des Luftaustausches ( I 191 ff). Hauptargument ist dabei die Lehre von einer Art prästabiliertem Gleichgewicht der verschiedenen Funktionen und Kräfte, das auf riesige unterirdische Reservoirs an Elementarstoffen zurückgreifen kann (hydrophylacia, 70 f; pyrophylacia, 75 f etc.; vgl. insbes. I 260). Dieses für den Menschen ob seiner Komplexität nicht durchschaubare aber aus Indizien notwendig zu postulierende Gleichgewicht äußert sich in der Pericyclosis aller Naturprozesse (I 215-217, 240 vergleicht Kircher diese περικόκλωσις dem Blutkreislauf des Menschen nach Harvey, II 374), also von Panspermia, Magnetismus und Prozeßganzheiten wie der Trias SalMercurius-Sulphur (zur Bedeutung von sal vgl. I 295 ff, zur Trias II 167-169). Band 2 fahrt fort mit mineralogischen Ausführungen, beginnend mit De lapidosa telluris substantia (II 1 ff) und einem ausführlichen Abschnitt zu den unterirdischen giftigen und tödlichen ,Früchten' (II 104 ff). Hier geht es dann um die Aufhellung von qualitates occultae als „specificae rerum virtutes, quas plerumque occultas qualitates imperite vocant" (115), die auf die zentrale Trias Sal-Mercurius-Sulphur als deren ableitbare Explikate zurückführbar, d. h. rational darstellbar seien (118). Im Zusammenhang hiermit geht Kircher auf medizinische Thematiken, z.B. die Dyskrasie-Eukrasie-Lehre (II 134ff) ein. Es folgen ein Buch über die Ars metallica (lib. X Metallurgia, II 162 ff) und die Chemie (Chymotechnicus, II 231 ff), beide Disziplinen setzt Kircher explizit gegen magische oder alchemistische Inanspruchnahme ab und versucht überall rationale, wenn auch spekulativ begründete Kriterien als Maßstab für diese traditionell durch Irrationalismus gefährdeten Disziplinen aufzustellen. Den Schlußstein büdet das XII. Buch ΠΟΛΥΜΗΧΑΝΟΣ sive Simia Naturae (II 326ff), in dem Kircher eines seiner naturphilosophischen Hauptlehrstücke, die Theorie der Panspermie (vgl. Kap. A IV 3) abhandelt: quae quidem seminis virtus & proprietas tanta est, ut in nulla alia re huius universi, adeo, omnipotentia Dei, & sapientia quam in hac ipsa elucescat (327). In der primordial anzusetzenden Panspermie ist der lebendige Zusammenhang von vis/virtus und materia, von der Potentialität (Dynamik) strukturierender, formender Kräfte und der ihnen als vollkommenes Substrat dienenden spirituellen Materie ideal antizipiert und jede innerweltliche Entfaltung dieses Zusammenhanges realisiert immer nur diese ideale und universale Einfaltung gleichsam in einem kontrahierten, aber ebenfalls vollständigen Moment. Die Ars maffia sciendi sive combinatoria (zuerst erschienen in Amsterdam bei Janssonius 1669) ist Kirchers lullistisches Hauptwerk, das die spezifische, ontologisch verpflichtete Methodik des Mallorcaners in einem umfassend enzy-
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klopädischen Ansatz diskutiert 35 . In diesem Werk versucht Kircher die in seinem Denken vielfaltig angelegten, in verschiedenen Gebieten durchgeführten universalwissenschaftlichen und enzyklopädischen Ansätze durch einen konstruktiven Rückgang auf die vor ihm liegende Tradition der ars zusammenzufassen (AM S 4-5) und den philosophischen und methodischen Kern derselben zu klären. Die intensivere Auseinandersetzung mit der Lull-Rezeption des 16. und 17. Jahrhunderts komplettiert den spätestens seit dem Magnes (1641) auf breiter, spekulativer wie rational-empirischer Basis angewendeten Grundgedanken der Analogie (Mg 781, AML 532 f, I E 204 f u.ö.) und spezifiziert seinen bis dahin aus anderen (aber den lullschen nicht fremden) Traditionssträngen (z. B. Galens Ars parva) übernommenen Begriff der ars (vgl. AML 921 : verbum enim veritatis ars est absoluta, quae lumen dici potest omnis rationis; MS I 217, 236; II 104) im Sinne der ars magna resp. generalis. Die ars artium (AMS 1) ist universal und im Kern methodisch, d. h. den Intellekt mittels aus der Natur gezogener, weil zu deren Konstitutionskriterien gehörender Strukturen anleitend: per doctrinam scilicet ordinum, circulosque methodicos ad naturae exemplar fabricatos (AMS 1). Unter dem Leitgedanken der Kombinatorik soll das von den einzelnen Disziplinen auszufüllende Gerüst menschlichen Wissens als „absolutissimum humanae mentis aedificium" (ebd.) errichtet werden. Die ars generalis ist in ihrer paradigmatischen, maßgeblichen Urgestalt die das Sein prägende Form, in der Gott bzw. Gottes Weisheit anfanglich die Welt schuf, in ihr und durch sie ist synchron und in absolutem komplexen Ineinander gegeben, was für den Menschen in zwei nur sukzessiv sich komplettierenden intellektuellen Grundoperationen faßbar wird (AMS 50): die absolute Entfaltung des Einen über spezifisch differenzierende Formen ins Viele und die absolute Reduktion des Vielen ins Eine. Im menschlichen Intellekt spiegeln sich diese absoluten Operationen als Kombinatorik und Analogik (AMS 2-3; vgl. Kap. Β II 1-2). Im Buch 3 gibt Kircher seine „neue" Kodifikation der Lullschen ars (AMS 101 ff), indem er ein spezifisch von ihm konzipiertes Zeichensystem mit dem Alphabet der ars verbindet und zwei Typen von Kombinatorik (combinatio expansa als vollständige gegenseitige Abbildung von Zeichen in einer Matrix, combinatio contrada als Abbildung durch schematismos lineares). Wichtig ist, daß für Kircher die ternarischen Korrelativa Lulls ihre trinitätstheologische Valenz behalten. Es folgt eine Verbindung der Kombinatorik mit der Zahl auf der Grundlage von Cusanus' Zahlbegriff als ratio explicata (de coniecturis I ), in der gezeigt wird, daß die theologisch gegründete Zahl das einzige, wenn auch unbegreifliche (inconceptibilis, 158) Medium für die 35
Vgl. zum Folgenden auch Th. Leinkauf, Art. Lullismus, in: Der Neue Ueberweg Teil 6, Bd. 4: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, § 8.
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unendlich großen kombinatorischen Alternativen darstellt (AMS 153 ff). Die formalisierte Anwendung des kombinatorischen Prinzips muß daher immer auf den spekulativen Grund der Einheit und Endlichkeit der kombinierten Formen sehen36; das leichtere und schnellere Zugänglichmachen der rationes omnium scibilium über die Kombination und die Matrizenoptik versucht Kircher dann im Durchgang durch die Wissenschaften (die Lib. V eingeteilt werden, 202 ff) vorzuführen. Dies macht den ganzen zweiten Band aus, den Kircher als „practicus & paradigmaticus" bezeichnet (AMS 251): hier finden sich eine theologia combinata (251 ff), eine kombinatorische Metaphysik (323 ff), Logik und
Dialektik (340 ff), Physik (353 ff), Medizin (365 ff), Ethik und Iurisprudenz (372 ff) und abschließend die kombinierte positive Theologie mit Kontroverstheologie (419 f) und kanonischem Kirchenrecht (437 ff). Damit ist der Horizont des Wissens grob skizziert, den Kircher in diesem enzyklopädischen Werk aufreißt und für dessen zukünftige Realisierung er wohl hiermit den Weg bereitet glaubte.
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AMS 231: Sicuti igitur unitates cuiuscumque multitudinis ad primam omnium unitatem reducuntur, ita entium omnium multitudinem & numerum ad unum primum reduci necesse est; ergo unum, unitasque, principium & causa est omnium numerorum, omnisque multitudinis. 232: Ex his sequitur, ita sese habere & entia, & multitudinem entium ad unum primum, ut se numeri habent ad unitatem & unum suum; omnia ergo entia consequentur unum eo modo, quo numeri consequentur unitatem. Unum ergo illud principium est entium iis omnibus modis, quos nunc exposuimus videlicet. Principium sine quo non, principiúm ordinis, numerorum, productionis, constitutionis, essentiae, materiae & formae, accrementi perfectionis, finis & reditus ad unum qui est Deus laudatus in saecula.
Quia delectasti me, Domine, in factura tua et in operibus tuis (Ps. 91,5).
A. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften Versuch einer Rekonstruktion des Hintergrundes seines philosophischen Naturverständnisses
Vorbemerkung: Mit dem Begriff ,Natur' ist noch im ganzen 17. Jahrhundert, und darin unterscheidet es sich um nichts von der vorausgegangenen Zeit, eine numinose und mysteriöse Aura verbunden 1 . Das ,Mysterium' von natürlichem Seienden als einem ex nihilo gesetzten und in unübersehbarer Komplexion geformten liegt unter anderem eben an dieser seiner im Blick auf menschliche Schöpfungskraft independenten Faktizität2. Nur der transzendente und absolute Grund von Welt kann Sein setzen, menschliche Rationalität kann nur versuchen, sich eine konjekturale Vorstellung von den ,Techniken' des göttlichen demiurgischen Wirkens zu machen, dieses Sein zu strukturieren und es als ein solches, 1
2
Vgl. hierzu insbes. die Aufsätze von W. Pagel, die jetzt in einem Sammelband zugänglich sind: Religion and Neoplatonism in Renaissance Medicine, London 1985 und C. Vasoli, Filosofia e religione nella cultura del rinascimento, Napoli 1988, dort die Abhandlung zu Franciscus Georgius Venetus (Zorzi) (233 ff) und zu Giulio Camillo Delminio (279 ff). Der nicht-antike, spezifisch christliche Gedanke der creado ex nihilo provozierte schon im mittelalterlichen Diskurs die Frage nach den Bedingungen der Erhaltung oder Bewahrung des kontingent (da aus einem göttlichen Willensakt entstandenen) Faktischen gegen die vernichtende Macht des „Nichts" und gegen den, wie es H. Blumenberg formulierte, „Abgrund der Kontingenz"; vgl. H. Blumenberg, Selbsterhaltung und Beharrung. Zur Konstitution neuzeitlicher Rationalität, in: Subjektivität und Selbsterhaltung. Beiträge zur Diagnose der Moderne, ed. H. Ebeling, Frankfurt/M 1976, 155ff. Die Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts, die hier vornehmlich Beachtung finden werden,. insbesondere aber die Vertreter der scientia universalis, gehören, und das ist signifikant, nicht zu den Protagonisten dieser frühneuzeitlichen Diskussion. Es mag sein, daß die Dominanz der antiken und spätantiken Theoreme bei den meisten dieser Autoren eine Konzentration auf die theologischen Probleme der matto continua bzw. conservatio verhinderte. Conservado spielt hier eine hauptsächliche naturtheoretische, in teleologische Muster eingebettete Rolle und wird mit den natürlichen Kräften verbunden. Vgl. H. Blumenberg ebd. 157.
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
d.h. als geordnete Welt, im Sein zu (er)halten. Es ist zu beobachten, daß der manifeste Fortschritt des Bewußtseins von der Autonomie rationaler wissenschaftlicher Methoden und auch der daraus zu gewinnenden Gewißheiten anscheinend ein proportional progredientes Bedürfnis nach Kompensation durch transzendente Letztbegründung mit sich brachte. Insbesondere die zunehmende Kenntnis von der Komplexität natürlicher Zusammenhänge, die durch die Perfektionierung von Teleskop und Mikroskop ungekannte Horizonte astronomischer und mikronomischer Strukturen aufschloß, suchte in Konzepten wie dem der ein vielheitlichen Totalität des Seinszusammenhanges oder dem der vollständigen inneren Regulation des Ganzen durch dynamische Kräftefelder einen archimedischen Punkt, der dem Ganzen die Stabilität und Fundierung verleihen sollte, die man in experimentalen Partikularszenarien, gleichsam durch .Wegschneiden' nicht bewältigbarer Komplexitätsgrade, als durch vernünftiges wissenschaftliches Deduzieren und Induzieren erreicht zu haben glaubte. Bei aller Verschiedenheit der Positionen, die man in dieser gerade für die physikalischen Wissenschaften bewegten und fruchtbaren Periode einnehmen konnte, scheint das Bewußtsein dieser Zeit sich dennoch darin zu gleichen und von einem späteren signifikant zu unterscheiden, daß es auf eine monistische Letztbegründung nicht verzichten wollte oder konnte. Die Theologie steht in gleicher Weise hinter mechanistischen, atomistischen und dynamistischen Grundpositionen3, der Unterschied zeigt sich vor allem darin, in wie weit die spekulative und transzendente Substanz in die Natur hineingenommen oder auf welche Weise sie mit ihr vorsichtig-skeptisch nur noch lose verbunden wird. Wir
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Vgl. zu Descartes: Η. Rombach, Substanz, System, Struktur, Freiburg 1965 I 344 ff; R. Specht, Commercium mentís et corporis, Stuttgart/Bad Cannstatt 1966. Zu Gassendi: H. Jones, Pierre Gassendi 1592-1655. An intellectual biography, Nieuwkoop 1981. Zu Kepler: J. Hübner, Die Theologie J. Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft, Tübingen 1975. Zu F. Bacon: P. Rossi, F. Bacone. Dalla magia alla scienza (1957), Torino 1974. Zu Bruno: W. Beierwaltes, Einleitung in: G. Bruno, Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, ed. P. R. Blum, Hamburg 1977. Zu Galilei: A. G. Wallace, Prelude to Galileo, Dordrecht 1981. Zu Locke: R. Specht, J. Locke, München 1989, 98, 124 ff, 155, 160 f. Zum Konfinium von Naturphilosophie und religiöser Grunderfahrung bei Paracelsus, v. Helinont, Fludd u. a. siehe die Arbeiten von W. Pagel zu Paracelsus und seine Aufsätze Religious motives in the Medical Biology of the XVIIth century (1935), in: Religion and Neoplatonism in Renaissance Medicine, London 1985, Nr. II sowie The religious and philosophical aspects of v. Helmont's science and medicine (1944), ebd. Nr. III. Zu Campanella: E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem 1 1 6 8 f, 268 ff.
Vorbemerkung
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werden in der Folge sehen, daß die mechanistische Reduktion der göttlichen „Nähe" gleichsam auf einen einzigen Punkt der substantialen, regulierenden Verbindung zum Weltganzen (vergleichbar dem punktuellen Bezug, der durch die Zirbeldrüse zwischen Seele und Körperautomat hergestellt wird) in unmittelbarer Konsequenz zur Vorstellung vom vollständig entseelten Weltautomaten führt und daß in signifikantem Unterschied hierzu eine qualitativ-dynamische Option dazu tendiert, die Präsenz Gottes in den Naturkräften durch deren quasioder de facto-Immaterialität zu interpretieren und ihr Weltmodell in organischen Metaphern zu explizieren versucht4. Der eine Weg führt über die französische Aufklärung und bestimmte Positionen des angelsächsischen Empirismus zum Positivismus des 19. und zum Technizismus bzw. technischen Rationalismus des 20. Jahrhunderts, der andere über Leibniz zur spekulativen Naturphilosophie des deutschen Idealismus und der Romantik und von dort zu den verschiedenen geisteswissenschaftlich fundierten Naturkonzepten oder Anthropologien der Gegenwart. Dieser letztere Zusammenhang vor allem, in dem insbesondere auch
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S. K. Hetlinger Jr. hat in seinen aufschlußreichen Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Religionsgeschichte der komplexen pythagoreischen Tradition folgende Ambivalenz des pythagoreisch beeinflußten Gottesbegriffes in ihren historischen Konsequenzen festgehalten: „This image of God as geometer translates the deity as anima mundi from the noncorporeal world of intellect to the extended world of physical objects. We detect here the two dominant concepts of deity in the Pythagorean tradition, both evident in the quotation preserved by Justin Martyr. One postulates the deity as an all-pervasive spirit that infuses the universe but is known only indirectly through its effects, a pantheistic numen that at most may be perceived as 'something ... whose dwelling is the light of setting suns'. It leads to mysticism. The other, in strong contrast, postulates the deity as a workman setting about a concrete taste, ordering the world according to mathematical measure, building with the tangible forms of the regular solids. It leads to empirical science, as we attempt to understand the deity through analyzing his handiwork" (Touches of sweet harmony, San Marino California 1974, 209-210). Die Referenz bei Justinus Martyr ist aus der Exhortatio ad Graecos c. 19. Hetlinger verweist auf die lateinische Übersetzung durch Giov. Francesco Pico della Mirandola, Argentorati 1506. Nun werden wir zu zeigen versuchen, daß die spirituelle praesentische Konzeption Gottes gerade nicht im Kern .pantheistisch' zu denken ist (vgl. A II-III u. C I) und daß sie durchaus konstruktive Verbindung zum Demiurgen-/Architekten-Topos gewonnen hat. Es ist aber plausibel, daß von den beiden zutreffend angeführten Aspekten eines spekulativ monistischen Gottesbegriffes, den man glaubte Pythagoras zuschreiben zu können, der eine des Gott-Architekten eher Affinitäten zum geometrisch-technischen und in bestimmter Hinsicht „empirischen" Weltbegriff aufweist als der .mystische'.
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
die Vermittlung solcher spekulativer Naturphilosophie über J. Böhme und den Pietismus an das 19. Jahrhundert zu diskutieren wäre, ist noch weitgehend unerforscht. Kirchers naturphilosophische bzw. naturwissenschaftliche Position, um die es uns hier einleitend geht, ließe sich nun dahingehend zusammenfassen, daß er die ihm scholastisch vorgegebenen Standards, die die philosophia naturalis - was ihren Ort im Wissenszusammenhang und was ihre spezifischen Gegenstände betrifft — ziemlich eindeutig festlegen 5 , nach zwei Richtungen (häresieverdächtig) überschreitet. Dabei bleibt er jedoch dezidiert im Rahmen des auch aber nicht nur scholastisch zu sehenden Grundgedankens einer theologia naturalis, die als derjenige Modus von Metaphysik zu denken ist, der „Deum intuetur, ut est autor naturae" (M. Mersenne, Quaest. in Genesin, col. 1201-2) 6 und als derjenige Modus von Physik, der „in re creata creaturam (contemplatur)" (G. Pico della Miran-
dola, Conclusiones in Theologia sec. op. propr. η. 12)7. 5
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7
Kircher dürfte mit Sicherheit ζ. B. gekannt haben Petrus Gregorius Tholosanus, Syntaxes artis mirabilis, lib. IV 50-51 oder Franciscus Toletus, Commentario una cum quaestionibus in VIII libros De pbysica auscultatione, Coloniae 1574, hier zit. Venetiis 1600, fol. 2rb, die beide die .Physik' als scientia speculativa bezeichnen (neben Metaphysik und Mathematik), die ausschließlich die res sensibiles resp. naturales nach deren Prinzipien und dem, was aus diesen folgt, zu betrachten habe; dies ist nach W. A. Wallace, Traditional natural philosophy, in: The Cambridge history of renaissance philosophy, 1988, 201ff die hauptsächlich auf Aristoteles basierende Standardeinteilung (210-211). Vgl. auch auf protestantischer Seite B. Keckermann, Praecognita Philosophiae, in: Opera omnia quae extant . . . , Coloniae Allobrogum (Aubertus) 1614 I 32 D-F zur cognitio Dei via causationis „quando ex effectis seu creaturis Dei tanquam eius simulachris et imaginibus mens humana elevatur ad ipsum Deum tanquam causam cognoscendam. Et si autem Philosophia has tres vias nobis liquido monstrat (sc. via negationis, eminentiae, causationis), tamen potissimum triumphat in via causationis ( . . . ) · " Keckermann verweist auch auf den von Kircher geschätzten Basilius, der in seinen Homilía in Hexaemeron die Welt als παιδευτήριον της Θεογνωσίας και ψυχών λογικών διδασάλείον bestimmt habe. Diese Stelle aus Basilius kennt Kircher, der auf sie AMS V 214 hinweist: Est enim Mundus, teste S. Basilio nihil aliud quam DEI Optimi Maximi Schola, in qua homo discipulus, Coelum codex, Terra suggestus, Microcosmus institutiones, singulae partes singuli libri, partium partes singulae, capita. Vermutlich beziehen sich beide auf Horn. I 5 (13 Β): δτε δέ εδει λοιπόν και τον κόσμο ν τοδτον έπει σαχΆήναι τοις οΰσι, προηγουμένως μεν διδασχλεϊον καί παιδεοτήριον τών ανθρωπίνων ψυχών. Op. I 94 von der zweifachen Erkenntnis (cognitio) der beati bzgl. der Schöpfung: quarum altera illative est ex ea qua verbum attingunt, altera secundum quam in re creata creaturam contemplantur.
Vorbemerkung
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1. Unter diesen Prämissen transzendiert er zum einen den am immanenten phänomenologischen Bestand orientierten aristotelischen Physikbegriff in Richtung auf metaphysische, vor allem theologische Prinzipien, man sieht dies an der häufig zu beobachtenden Verquickung von Analysen innerweltlicher natürlicher Vorgänge mit der Genesis-Exegese oder an seiner spezifischen Terminologie (dazu vgl. unsere Diskussion der ,Leitbegriffe' weiter unten); hier insbesondere zeigt sich der tiefgehende Einfluß, den die Auseinandersetzung mit Autoren einer neuplatonisch, kabbalistisch oder hermetisch bestimmten Naturbetrachtung auf Kircher ausübte8. Die insbesondere an patristischen Quellen (Augustinus,^«. litt.·, Basilius, hom. in Hexaem.) anknüpfende Aufwertung von Natur als „Offenbarung" und „Theophanie" intensivierte das Verhältnis Gottes zur Welt, indem sie ihn als „Architekten", „Geometer" und „Baumeister" und indem sie die Natur, gleichsam als seinen verlängerten Arm, zum funktionalen, quasihypostasierten Transmissionsriemen erklärt, der die göttlichen Ideen und Kräfte in Naturprozesse umsetzt9. .Schöpfung' und ,Natur' indifferenzieren sich voll-
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Die Unterscheidung zwischen .naturalism' und ,magic', die William L. Hine für M. Mersenne formuliert (vgl. M. Mersenne: Renaissance naturalism and Renaissance magic, in: Occult and scientific mentalities in the Renaissance ed. B. Vickers, Cambridge UP 1984,165ff): there is a very real difference between the two in his mind, as there should be in ours. Naturalism is neo-Aristotelian, leans towards determinism, will have nothing to do with supernatural powers, and tries to explain away miracles by appealing to natural phenomena. Magic is Neoplatonic, emphasices mans freedom, too readily attributes events to angels or demons, and mixes too much religious language and terminology without a religious purpose (174) und mit der er die terminologische Konfusion eliminieren will, die seiner Meinung nach die Diskussion bis heute beherrscht, verstellt den Blick darauf, daß die Wirklichkeit der intellektuellen Diskussion gerade darin bestand, diese Unterscheidung und säuberliche Trennung großzügig zu ignorieren. Die .Konfusion' also nicht (nur) ein Produkt der Interpretation ist, sondern eine Signatur der Zeit selbst. Die Verbindung von Heterogenem, von Aristotelismus und Magie, von magia naturalis und schwarzer Magie, von Neuplatonismus mit magia naturalis und gemäßigtem Aristotelismus etc., dies treffen wir im wesentlichen im 16. und 17. Jahrhundert an.
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Vgl. H. N. Nobis, Frühneuzeitliche Verständnisweisen der Natur, in: Archiv für Begriffsgeschichte 11 (1967); J. Hübner, Die Theologie Johannes Keplers, Tübingen 1975, 193ff, 210: „Wird die Offenbarungsqualität des .Buches der Natur' ( . . . ) aufgewertet, gerät das Verhältnis dieser Offenbarungsquelle zur Bibel in Fluß. Die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse machen dieses Verhältnis zum Problem, sobald sie traditionellen, bislang als offenbart verstandenen Aussagen der Bibel widersprechen. Die Annahme des kopernikanischen Systems ist der erste Präzedenzfall dieser Art." Es
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
ständig, das metaphysische Sur-plus von Wundern oder Manipulationen intelligibler Wesen ,außer der (natürlichen Prozeß-)Reihe' wird zu einem vollständig in Natur eingelagerten ständigen ,Plus'. Je mehr die Schöpfung als Natur behandelt wird, um so mehr wird Natur selbst toto coelo zum ,Wunder' und zum sakralen „Weltinnenraum". Dies heißt aber für Kircher nur: die einerseits mit der modernen Physik absolut quantifizierbar, berechenbar und dadurch ex hypothesei vollständig intelligibel gewordene Natur ist andererseits de facto von einer solchen über-rationalen ,Rechenkunst' strukturiert worden, daß in jedem ihrer internen Ereignisse die Komplexität der konstituierenden Bedingungen und die Präsenz metaphysischer Kräfte die Kapazität des rekonstruierenden Intellektes überschreiten. Die inneren Geheimnisse der Dinge treten, je tiefer man nach Kircher in den Weltzusammenhang eintritt, um so stärker hervor. Hierin liegt der Grund, daß die experimentierende und forschende Vernunft immer noch im „admirari" und in der jenseits aller Manipulation liegenden „Schau" terminiert10. Die ,Schau' ist jetzt aber nicht mehr die Anschauung idealer Einzelsubstanzen in ihrem idealen Zusammenstehen, sondern die Anschauung einer ungeheuerlichen kombinatorischen und daher im Grunde quantifizierbaren (digitalisierbaren) Komplexität, in deren ideal einsehbarer Permutation die Einzelformen als Ausdruck von Funktionen beziehungsweise Kombinationen von Grundelementen bewahrt sind. Es wird, und darauf war zu achten, für theologisch gebundene Autoren in solchen Denkzusammenhängen schwer, pantheistische Vorstellungen wie sie etwa von G. Bruno differenziert dargelegt wurden, d. h. Vorstellungen, in denen zugleich meist auch zukunftsweisende naturphilosophische Programme steckten, so zu begegnen, daß die häretische Dimension vermieden wurde. Die Entwicklung im 17. Jahrhundert zeigt, daß nahezu alle innovativen Naturinterpretamente theologisch problematisch wurden, vor allem dadurch, daß sie, kurz gesagt, Natur und Gott, Prinzipiiertes und Prinzip, Geschaffenes und Schöpfer zu eng, bis hin zur Indifferenz, zusammenrücken ließen:
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ist deutlich zu erkennen, daß Autoren wie Kircher, Mersenne, Fludd und Ives de Paris diesen Widerspruch mit aller Kraft aufzulösen und eine vermittelnde Position einzunehmen versuchten. Vgl. die Hinweise, die J.-P. Schobinger, Kommentar zu Pascals Reflexionen 309, anfuhrt: Descartes, Principes III 1 (AT IX Β 103): „l'admirable structure de ce monde visible"; Mersenne, La vérité des sciences IV 1 (Paris 1626) 727 und Pascal, De Γ esprit géométrique, ed. Schobinger, Zeile 276f, 288, 529, 567 zu den innerweltlichen quantitativen Unendlichkeiten von Kontinua (unendlich teilbar, unendlich vermehrbar). Vgl. hierzu auch den Abschnitt IV. .Experientia und experimentum' im Kap. B, dort insbes. den Punkt 1: ,Der ascensus-Charakter der innerweltlichen Erkenntnis'.
Vorbemerkung
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„natura autem est Deus ipse aut divina virtus in rebus ipsis manifestata" (G. Bruno) 11 . Spinoza wird die erste gefährlichere Alternative in ein geometrisch kodifiziertes System gießen (natura est Deus ipse); weitaus mehr Autoren, unter ihnen auch Kircher, werden für die zweite Alternative von der Natur als einer „divina virtus" bzw. ars Dei optieren, die sich in den Dingen manifestiere. 2. Zum anderen überschreitet Kircher seine scholastische Vorgabe in Richtung auf eine moderne Intensivierung des methodologisch abgesicherten Erfahrungsund Experimentbegriffes und stellt sich damit unmittelbar in den zeitgenössischen Kontext eines F. Bacon12, R. Descartes, W. Harvey, J. B. v. Helmonts und anderer. Man könnte sagen, daß der von L. Brunschvicg festgestellte spezifische Unterschied des modernen wissenschaftlichen Explikationsverfahrens (explication ,horizontal', par des effets et des causes équivalents, situés au meme niveau de la donnée empirique) von dem historisch älteren (explication ,vertical', réliant les effets visibles a des causes transcendantes) von Kircher zwar deutlich bemerkt, aber der Intention nach noch in einem übergreifenden, den Unterschied als einen nicht wesentlichen begreifenden Ansatz verbunden wird 13 . Daß er, der im Horizont des scholastisch fundierten Naturbegriffes ausgebildet wurde (die für die Jesuitenkollegien verpflichtende ratio studiorum, deren endgültige Fassung 1599 datiert, gestaltete den Physik-Kurs unter dem Index des Aristotelismus 14 ), 11 12
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Summa terminorum metaphysicorum, ed. Gforer 495. In wichtigem Unterschied zu Kircher destruiert jedoch Bacon die begründet wissenschaftliche Reflexion auf Natur im Sinne der theologia naturalis, da er das für diese (und für Autoren wie Kircher) konstitutive Verhältnis Deus/archetypus - natura/ imago, similitudo Dei negiert, vgl. Adavancement of learning (ed. Kitchin) 88-89. Einen Rekurs, wie ihn Kircher immer wieder vollziehen wird, von der Struktur der Dinge auf ihren Ursprung im Sinne eines sachhaltigen Erkennens der Natur dieses Prinzips modo rationis humanae, schließt Bacon kategorisch aus. Für ihn verharrt menschliches Erkennen notwendig an der konkreten Dingsubstanz und an den notwendigen Erkenntnisbedingungen des menschlichen Verstandes. Die Natur bleibt eine absolute Grenze für den menschlichen Intellekt, vgl. Novum Organum 11,4: Homo naturae minister et interpres, tantum facit et intelligit, quantum de naturae ordine re vel mente observaverit: nec amplius seit, aut potest. Vgl. E.-M. Rompe, Die Trennung von Ontologie und Metaphysik. Der Ablösungsprozeß und seine Motivierung bei B.Pereira und anderen Denkern des 16. u. 17. Jhdts., Diss. Bonn 1968, 102ff, 113. P. Rossi, F. Bacone. Dalla magia alla scienza (1957), Torino 1974, 77 ff. Vgl. R. Lenoble, Esquisse d'une histoire de l'idée de nature, Paris 1969, 244/5. Vgl. Ratio studiorum et institutiones scholasticae societatis Jesu, ed. G. M. Pachtler, 4 Voll. (Monumenta Germaniae Paedagogica II,VI,IX,XVI) Berlin 1887-1894. Die für uns wesentlichen Dokumente Bd. II. Ziel dieser Unternehmung war (II 234): omnes
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
diese beiden gegensätzlichen, d. h. transempirischen und verschärft empirischen Entgrenzungsbewegungen in sich vereinigte, gibt allein schon seinem Oeuvre jene eigentümliche Gestalt eines metaphysisch-theologisch begründeten Eklektizismus mit einer spiritualistischen Naturauffassung, die wir auch an anderen Autoren des späten 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts feststellen können (C. Gemma, R. Fludd)15. Das forcierte .Kurzschließen' von transzendentem Grund (Gott) und empirischem experimentell gesichertem Befund 16 (das sich etwa in der gegen die Platoniker, Kabalisten und auch Aristoteles gerichteten Kritik an abstrakten, auf die causae remotae bezogenen Prinzipien zeigt, ζ. B. Mg 466ff, s. u. Kap. Erfahrung und Experiment; oder - noch markanter — in der Reduktion ja Aufhebung der ontologischen Differenz von supra- und sublunarem Bereich seit Aristoteles) macht Natur in allen ihren Manifestationen transparent als Schöpfung und damit als sinnvolle Ordnung, als explicatio und imago Dei (vgl. unsere Ausführungen zu Kirchers Universalwissenschaft, Β ΙΙ-ΠΙ u. zum Gottesbegriff C II). Kircher will damit offensichtlich in einer seit Ende des 15. Jahrhunderts zu beobachtenden Tradition stehend17, die noch unaufgeschlosse-
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disciplinas Instituto nostro congruentes ita proximis tradere, ut inde ad Conditores ac Redemptores nostri cognitionem atque amorem excitentur. W. Risse (Logik der Neuzeit II 349-350) skizziert die Situation in der Schulphilosophie um die Mitte des 17. Jhdts. ähnlich. Wir meinen nur, daß die Grundlagen für dieses Phänomen schon in der Wende vom 15. zum 16. Jhdt. gelegt wurden und nicht schulphilosophischen Autoren wie Gemma, Tholosanus, Patrizi, Fludd u. a. schon normativ vorlagen: „(es) bahnt sich nach der Mitte des 17. Jhdts. allmählich eine eklektische Richtung an, welche die sich immer mehr auflösende Scholastik durch Anleihen modernen Geistes retten will. ( . . . ) Besonders drastisch ist dieser scholastische Eklektizismus in der physica, die nun nicht mehr so sehr die qualitative Naturphilosophie als die quantitativ-mechanischer Naturwissenschaft beinhaltet". Zu Fludd vgl. W. Pagel, Religious motives in the medical biology of the 17th century (1935), in: Religion and Neoplatonism in the Renaissance Medicine, London 1985, Nr. II. L. Cafiero, Robert Fludd e la polemica con Gassendi, in: Rivista critica di storia della filosofia 19 (1969) 367 ff. W. Pagel hat dies treffend schon 1935 formuliert, vgl. Religious motives in the medical biology of the 17th century (s. letzte Anm.) 265: The new conception of nature closely associated piety and experience, and both were regarded as immediately subordinate to the divine creator. Vgl. auch die Analysen Cassirers zu Keplers „Idealismus" in: Das Erkenntnisproblem I 328 ff, bes. 336f zur engen Verknüpfung von Idealismus und Erfahrungsbegriff (338). Z. B. Pico della Mirandola, Heptaplus I 1,5; Oratio 152 (Garin); vgl. A. Ingegno, The new philosophy of nature, in: The Cambridge history of renaissance philosophy, 244-245.
Vorbemerkung
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nen .dunklen' Aspekte von Natur in das ,Licht' göttlicher Ordnungsleistung und Disposition stellen, das, was bislang in mystifizierender, irrationaler Weise als etwa secretum oder miraculum bezeichnet wurde, als Ausdruck für bloßes Nochnicht-Erschlossen-Sein oder für eine die Kapazität menschlicher Vernunft (noch) übersteigende, an sich aber intelligible Komplexität und Varietät des Naturgeschehens denken. Die Welt wird so gleichsam als eine primordiale Kontraktion Gottes gedacht, als ein in principio gemäß dem praeconceptus Dei zu denkender Individuationsvorgang, bei dem zugleich mit der Konstitution einer absolut formbaren Urmaterie schon deren vollständige Prädetermination hinsichtlich der innerweltlichen Naturkräfte, Seinsformen und deren Eigenschaften erfolgte. Jedem Einzelding wurde hierbei ein inneres, unmittelbar der sapientia divina entstammendes Prinzip mitgeteilt, das den Inbegriff dessen spirituell in sich bewahrt (potentia), was naturgeschichtlich aus diesem Einzelding überhaupt entstehen kann: Conditor Mundi ex infinita sua sapientia, cum in primis Mundi incunabilis ex immenso ilio chao innumera mundanorum corporum systemata secrevit, iis virtutibus & proprietatibus ea dotavit, ut tametsi ex una & eadem elementorum miscella condita sint omnia, non tamen ideo in proprietatibus & virtutibus concordent, sed tot diversis qualitatibus & proprietatibus constituía sunt, quot diversa sunt in Mundo, quorum non est numerus, huiusmodi corpora (IE 1Î8). Diese absolute primordiale Spezifikation hatte Konsequenzen für den Naturbegriff aber auch (wie wir in einem anderen Kapitel sehen werden) für den erkenntnistheoretischen bzw. wissenschaftstheoretischen Ansatz Kirchers, der sich in einem den Dingen möglichst adäquaten Konzept von Erfahrung ausdrückt. Wie bei dem historisch vorausgehenden Vorbild Cusanus ist eine Tendenz zur Entsubstantialisierung allgemeiner Größen — wie etwa der Weltseele oder der Universalnatur (causae remotae) — und zur Höherbewertung individueller, kontrakter Naturkräfte (causae proximae) zu erwarten. Bei Kircher allerdings zerbricht die metaphysische Bindekraft z. B. der partizipativen Reihen noch nicht angesichts der Desintegration von substantialen Naturformen zu partikularisierten Einzelphänomenen, die ex post dann wiederum synthetisiert werden müssen. Die Naturkräfte bleiben substantiell, sie ersetzen die aristotelischen formae substantiales durch die, wie man sagen könnte, vis substantialis (resp. vires substantiales), die in sich differenzierte Pro^eßgan^heiten darstellen und den metaphysischen Prinzipienhorizont mit dem innerphysischen Bereich des Prinzipiierten verbinden. Der Begriff „Natur" selbst, ebenso wie die ihn charakterisierenden Leitbegriffe (die weiter unten analysiert werden), markieren bei Kircher deutlich diese
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
, E n g f ü h r u n g ' v o n Transzendenz und Immanenz, die Trennungs- und Verbindungslinie zugleich dieser beiden ontologischen Bereiche. Zusätzlich treffen sich in der Vorstellung dessen, was natura sei, auch die schon skizzierten Traditionsstränge eines echt 1 8 und quasi-hypostasierenden 19 Naturbegriffs, da Kircher einerseits die platonisierenden, durch den Bezug von IVeitseele und natura
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Vgl. Ficino, Comm. in conviv. Plat. VI 7 und der an Plotin orientierte Seelen-Begriff aus De vita coelitus comparando c. 1 (in: De vita libri tres, Venetiis 1498, p. 1 IIIv), wo Ficino eindeutig von der anima mundi spricht, die in der universalen, Intellekt und Körperwelt verbindendene Tätigkeit ad infra als Naturprinzip fungiert: accedit ad haec quod anima mundi totidem saltern rationes rerum seminales divinitus habet quot ideae sunt in mente divina: quibus ipsa rationibus totidem fabricat species in materia. Zu Ficino Ch. Lohr, Metaphysics, in: The Cambridge History of Renaissance Philosophy, 573; H. Fracastorius, Opera omnia . . . , Venetiis 1555, 207ff ( = D e anima dialogue), 208 E, 209 Β; Ο. Crollius, Basilica chymica, s. 1. (Celerius) 1624, 287-288; R. Fludd, Philosophicall Key ed. Debus 43v ff (91 ff): As the Universali Nature, sole mother of this great orbe & every creature therin, is in her self pure simple, transparent & invisible, so hath she in this lower region of the world three especiall & notable Kingdoms compounded of her simple Elements to govern & inhabit, in the wich she hideth, as with mantle of obscurity, hir secrets from the eyes of the unworthy. C. Gemma, De arte cyclognomica I 12; II 57 ff. Zu G. Bruno vgl. P. R. Blum, Matthias Aquarius und die eklektische Scholastik, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 72 (1990) 285 f. Der hypostasierende Naturbegriff ist historisch früh, vermutlich seit Piaton ( Ρhai doη 80 A, Gorgias 483 C, Sophistes 265 C), mit Sicherheit in der Folge des Aristoteles anzusetzen. Vgl. D. Bremer, Von der Physis zur Natur. Eine griechische Konzeption und ihr Schicksal, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 43 (1989) 241 ff, 250. Charakteristisch ist die durch den platonischen Timaios stimulierte Synthese von Naturbegriff und Natur organisierender Weltseele für jede stoisch beeinflußte Kosmologie oder Naturtheorie. Diese Synthese zeigt auch der sogenannte Mittelplatonismus, ζ. B. bei Attikos fr. 8,3 (des Places 66): μία δύναμις έμψυχος. Vgl. SVF II 310.
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Insbesondere die quasi-hypostasierende Verwendung des Begriffes natura ist für die frühe Neuzeit signifikant. Zum Beispiel J . H. Alsted, Praecognitorumphilosophicorum ... Herborn 1612, I c. 23; Physica harmonica, Herborn 1616, Praef. p. 3; I 15; III 62ff. N. Cabaeus S J , Philosophia experimentalis, Romae 1686, I 256 B, 304 A. L. Fromondus, Phtlosophia Christiana de anima libr. IV, Lovanii (Nempaei) 1649, I 66. Die vielfaltigen Personifizierungen oder Subjektivierungen derselben treffen sich in der antiken Vorstellung von Natur als einer Kunst, mehr noch als eines Autors von kunstvoller, d. h. regelhafter Produktion im Bereich des Seienden. Dabei ist zu beobachten, daß scheinbar passivische Bestimmungen etwa als gremium (Schoß) aller Formen, die insbesondere von Vertretern der Magie verwendet wurden, sich nur als a parte hominis verstelltes Bewußtsein von deren eigentlicher Aktivität erweisen. ,Für uns'
Vorbemerkung
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bestimmten Physikkonzeptionen der Cusanus, Ficino, Patrizi, Fludd für sich fruchtbar machen wollte und andererseits sowohl seine .orthodoxe' Position als Exponent des römischen Jesuitenkollegs nicht aufgeben als auch seine Prägung durch die moderne zeitgenössische Wissenschaft (Descartes, Gassendi, Mersenne) nicht verleugnen konnte.
erscheint die Natur in vielen Bereichen noch als dunkler Grund aller der mannigfaltigen Formen, die evident vorliegen. Eine der Hauptfunktionen des Magiers als Wissenschaftlers (d.h. als Repräsentanten einer rationalen magia naturalis) ist die kalkulierte, wissenschafltich bestimmbare Provokation von Aktivitäten eben dieses .dunklen Grundes' und .Schoßes', die allerdings ,an sich', im Innern der Natur, als deren Ordnungsleistung ausdrückende Funktionen schon angelegt und de facto tätig sind. Im animistischen, spirituellen Verständnis von Natur kann die Magie als menschliche Handlungsweise unter solchen Prämissen den Spielraum von Natur adäquat erweitern, indem sie diese Möglichkeiten aus ihr hervorruft. Das .Wunder' der Magie wird zu einem Naturvorgang, der noch nicht Gekanntes präsentiert, nicht aber Außernatürliches. Die Natur bleibt hierbei bestimmende Instanz, der die Magie sich angleichen muß; sie bleibt eine göttliche, beseelte Instanz, in der sich die prinzipiell dem Menschen unzugängliche Unendlichkeit Gottes unter Bedingungen der Endlichkeit zeigt und in allen diesen Manifestationen einen unbegriffenen und unbegreifbaren numinosen Horizont deutlich werden läßt. Autoren wie Pomponazzi richten sich mit ihrer kritisch-nüchternen Naturtheorie genau gegen diese zeitgenössischen Phänomene (vgl. Müller-Jahncke, Astrologisch-magische Theorie und Praxis, 107ff, 109; A. Ingegno, The new philosophy of nature, in: Cambridge Hist. Renaiss. Phil. 242f).
I. Die Natur als ars Dei20 Kircher bestimmt ,Natur' zunächst als „ars Dei" bzw. „ars divina" (Mg 463; MUS Β 365ff,383; IE 51-52,162; MS II 321 mit Berufung auf Piaton: ή φύσις τέχνη τOD θεού [Soph. 265 Œf] 21 und interessanterweise nicht auf die aristotelische Vorgabe, s. o.):
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Vgl. hierzu R. Lenoble, Esquisse d'une histoire de l'idée de nature, Paris 1969, 309ff, der die Transformation der Natur von einer déesse universelle (16. Jhdt.) zu einer machine (17. Jhdt.) mit der auch den Naturbegriff selbst beeinflussenden Konjunktur des Künstler-Ingenieur-Topos in Verbindung bringt. Die Natur selbst wird im Großen zu einem Künsder, das Naturding zum Artefakt: daher wird, wenn „l'art de fabriquer est devenu le prototype de la science" (312), der intellektuelle Zugriff auf deren Wesen selbst ein kunstvoll-herstellender, d. h. experimenteller, und nicht mehr rein kontemplativer. Kirchers Verbindung von Metaphysik (Theologie) und Erfahrung (Experiment) hatte auch in diesem, von Galilei, Descartes und Mersenne (dessen Schriften K. gut kannte) herkommenden Gedanken eine ihrer Wurzeln: „La vérité sur la Nature réside dans ces expériences, non plus dans les raisonnements sur les essences (...). Le physicien du Moyen Age remontait vers Dieu en découvrant les intentions, les finalités de la Nature, les physicien mécaniste s'élève vers Dieu en pénétrant le secret meme de l'Ingenieur divin, en se mettant à sa place pour comprendre avec lui comment le monde a été crée" (313). Der strikt nicht-mechanistische Charakter allerdings von Kirchers physikalischem Denken resultiert daraus, daß er die Intentionalität und Finalität der Naturprozesse nicht negiert, daß er, wie wir sehen, an einem prekären substantiellen Naturbegriff festhält. Weiter zu natura = ars Dei S. Κ. Hetlinger, Touches of sweet harmony, San Marino California 1974, 292.
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Vgl. schon Soph. 265 Ε: τα μψέν φύσει λεγόμενα ποιεΐσΆαι 8εί$ τέχνη und auch allgemein hierzu die Tradition des Piatonismus von Chartres, die in Positionen wie der Kircherschen modifiziert fortgesetzt werden; etwa Wilhelm von Conches, Glosae super Consolationem Boethii p. 128 (Parent): natura rerum, quae est instrumentum divinae operationis; Glosae super Platonem p. 126 (Jeauneau). Hier wurde der platonische Demiurg, in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Timaios und dessen
I. Die Natur als ars Dei
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Est enim Natura rerum nil aliud quam ars Dei, per quam universam Naturae oeconomiam administrât, singulis apta conservationis media distribuendo. Quemadmodum itaque ars non nisi in Opificio idea residet, ita effectus quoque, id est, ideatum necessario ad primum sui exemplar revocari debet, ut ideatum ideae suae undequaque respondeat (IE 162).
Schon in dieser Bestimmung als ars oder auch „instrumentum" (MUS Β 365; vgl. Cusanus ven. sap. c. 9 η. 23: divini praecepti instrumentum ) wird der Natur zwar einerseits die Selbständigkeit und Autonomie einer stoisch verstandenen Physis22 abgesprochen, da sie vollständig als Funktion eines göttlichen ihr übergeordneten Agierens gedacht ist, andererseits lebt in dem Techne-Topos etwas von der sakralen numinosen Aura göttlicher Demiurgik fort, mit der sich personifizierende Attribute wie „sagax natura" (OA 1,63) oder „ministra (Dei)" (Mg 463) verbinden. Das Zitat aus IE 162 scheint aber vor allem deswegen von Bedeutung, weil hier die changierende Stellung von Natur durch die Interpretation der Techne-Analogie aus dem Wesen von Techne selbst abgeleitet wird. Die das .kunstvolle' Herstellen prägende Grundspannung von Tätigkeit-normierender Idee (idea) im Intellekt des Techniten (vgl. zu idea als innergöttlich konzipiertem Urbild, das Gott im Schaffensprozess als Leitform und Instrument zur dispositio eines Sachverhaltes in den spezifischen Seinssphären dient, Ficino Tbeol. Plat. V c. 11; 1,198 M.) und dem durch solche bestimmte Tätigkeit intendierten Produkt qua Ideat wird übertragen auf den Archetyp von Techne überhaupt, auf das Verhältnis Gott-Schöpfer und Welt-Schöpfung 23 . ,Natur'
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lateinischer Kommentierung (Chalcidius), mit dem christlichen Schöpfergott vermittelt. Vgl. J. Moreau, Opifex, id est Creator. Remarques sur le platonisme de Chartres, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 56 (1974) 33 ff. Ficino weist In Philebum Piatonis comm. c. 2 (Op. 1209) die Wendung von der ars Dei dem Dialog Politikos zu: natura enim, ut dicit Plato in Politico, vel Dei ars est, vel artificiosum Dei Organum. Die in der ursprünglichen absoluten Koexistenz von Logos und Materie kein transzendentes bestimmendes Prinzip über sich hat; Physis, Theos, Logos, Äther können terminologisch zur Bestimmung eines solchen immanenten Prinzips koinzidieren, vgl. M. Pohlenz, Stoa und Stoiker. Die Gründer, Panaitios, Poseidonios, Zürich 1950, XII, 57,83 f. F. P. Hager, Art. ,Natur', in: Hist. Wörterb. Bd. 6, 433 f. SVF I 42; II 337, 269, 273. Vgl. den Bezug natura-ars, den Ficino an verschiedenen Stellen der von Kircher immer wieder konsultierten Tbeologia Platonica herstellt, z.B. I c. 3 (1,47 M.); II c. 7 (1,94 M.): ars:natura = natura-.Deus; vor allem aber IV c. 1 (1,146 M.): quid est ars humana? Natura quaedam materiam tractans extrinsecus. Quid natura? Ars intrensecus materiam temperane (genau diesen Textabschnitt gibt als Zitat Ivo Parisiensis in
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
scheint für Kircher dieses den durchgängigen ordnenden Be%ug Gottes %ur Schöpfung ausdrückende Verhältnis selbst sein. Sie ist einerseits, als Aspekt des göttlichen Intellekts, ordnender Grund innerweltlicher Zusammenhänge (gubernare, regere, administran), und andererseits, als Explikation der von diesem Intellekt konzipierten Ideen, dieser geordnete ,natürliche' Seinsbestand selbst, das ideatum24. Dabei ist zu beachten, daß der innerweltliche Horizont von Natur wiederum nicht primär die in je verschiedenen Konstellationen vorliegenden Ein^eldinge (res) meint — diese sind als natura naturata, als momentane vergängliche Explikation gleichsam sekundär, sondern die diesen innerweltlich zu Grunde liegenden, intelligiblen Gesetze und Kräfte (vgl. die folgenden Abschnitte zu den naturphilosophischen Leitbegriffen)25. Letztere sind der transparente, d. h. intelligible Ausdruck der Rückbindung des Ideatum an seine primordiale, im
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seinem Digestum sapientiae, Parisiis 1648, 257 Sp. 2 E) in naturali arte divina quaedam sapientia per radones intellectuales vim ipsam vivificam et motricem ipsi coniunctam naturalibus seminibus imbuit, perque hanc materiam quoque facillime format intrensecus. X c. 4 (2,68-70 M.): strikte Analogie des Verhältnisses Deus-natura zu dem von artifex-ars. Mit den Worten des Cusanus kennzeichnet Kircher einmal seine - bei aller Affinität notwendige - Kritik am platonischen Konzept einer separaten Instanz Weltseele oder Natur, die ja bei seinem Ansatz wegfallen muß (siehe im Text weiter unten): nam tametsi animam Mundi tanquam formam quandam universalem omnem in se formarum multitudinem complicantem concipiant (sc. Orthodoxi), non tarnen eam tamquam formam quandam separatam, sed actu in rebus contracte existentem dicunt: est enim in qualibet re contracta rei forma, ñeque ullum inter contractual & absolutum medium intercedit, uti illi sibi imaginad sunt, qui animam Mundi Mentem dixerunt (OA II/2, 527). Interessant ist, daß hier der platonisch inspirierte Cusanus zum .Orthodoxen' gegen die Platoniker stilisiert wird und zur Legitimation von Kirchers eigener Position verwendet wird. Vgl. hierzu unsere Analyse des Verhältnisses Kirchers zu Cusanus Kap. Β I 3, II 2 und III 1. Es ist hilfreich, sich hier einer zeitgenössischen Unterscheidung zu bedienen, nicht weil sie sprachlich in dieser Form bei Kircher auftauchte, sondern weil, unserer Interpretation zufolge, sachliche Korrespondenz gegeben ist. Vgl. J. H. Aisted, Physica harmonica . . . , Herborn 1616, III 61: nam natura est vel naturane, vel naturata, ut Zanchius ex August, probat, vel ut Latinius dicamus, prima, vel otta. Illa est Deus, haec est vel incorporea, vel corporea. Diese aus einer Duplizität abgeleitete Triplizität von Natur läßt sich zwanglos mit dem im Folgenden zu Kircher Ausgeführten parallelisieren: 1. natura naturans = prima = Deus (Aisted) mens divina architectrix 2. natura naturata incorporea = orta (Α.) lex sive leges naturae 3. natura naturata corporea = orta (Α.) res naturales
I. Die Natur als ars Dei
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ursprünglichen Intellekt bestehende Idee. In ihnen entsprechen (revocari, respondere) sich ideatum und idea in der zeitlosen Koordination von Entfaltung und Rückkehr. Das komplexe Wesen von Natur als Einheit von Künstler (Demiurg) und Werk, von Entfaltung und Rückkehr resultiert aus ihrer Depotenzierung qua hypostatischem selbständigem Kraft-Wesen, ihrer intendiérten endgültigen Ablösung von einem transzendenten Zwischenprinzip wie der Weltseele 26 - diese Stelle nimmt für Kircher die mens architectrix divina ein - und ihrer Potenzierung gegenüber dem konkreten Bestand einzelner Dinge - sie ist, indem sie den
Dabei ist zu beachten, daß Punkt 2 den ambivalenten Status von Natur deutlich werden läßt, denn diese unkörperliche geschaffene Natur ist im geschaffenen Bereich wiederum eine natura naturane, ein Abbild göttlicher Demiurgik gleichsam eine natura naturata naturane. Vergleichbar ist auch die Position des von Aisted beeinflußten A. Comenius, der in seinem umfassenden Werk De rerum bumanarum emendatione consultatio cattolica (das unvollendet blieb und erst 1966 in Prag erschienen ist) im Gradus IVtus der Pansophie, d. h. dem Mundus materialis (285ff), c. 2 eine Konzeption der Mundi Materialis Arcbitectrice Natura, cuius vi fiunt, sunt et operantur omnia vorstellt. In diesen handbuchartigen Ausführungen hat man in nuce alle Komponenten des Kircherschen Konzeptes einer Natur als ars Dei vorliegen, vgl. 301-302, z. B. vis leges ponens rebus nascendi et denascendi, operandique ac cessandi; ars intrinseca, vis innata. J. Cervenka, Die Naturphilosophie des Johann Amos Comenius, Hanau 1970, 80ff, 90 zur Stelle gibt hierzu nichts her. 26
Die Konfundierung von Weltseele und Naturbegriff mußte zwangsläufig auch die insbes. in Plotins Begriff der .Weltseele' angelegte Transzendenz (ύπερίχειν; vgl. IV 8,2,32.8,14; III 9,3,5 f) unter christlichen Vorgaben .verarbeiten' und eine transzendente Hypostasierung der Natur bzw. des in Natur wirkenden Prinzips zu verhindern suchen. Es ist von A. Ingegno richtig gesehen worden, daß ζ. B. bei Ficino die Natur, die dem Universum wie eine umfassende Form einwohnt (inest), als eine „seconda anima mundi" bezeichnet werden kann, die als artifex universalis, ars vivens, medium naturalis unterhalb der intellektualen oder rational-reflexiven Ebene die Impulse und Befehle der getrennten (separata), nicht ein- sondern anwohnenden (adest), intellektuellen Substanz Weltseele umsetzt. A. Ingegno, Cosmologia e filosofia nel pensiero di Giordano Bruno, Firenze 1978, 136 f. Zu Ficino vgl. Comm. in libr. Enneadis secundae (Op. II 1636); Comm. in libr. de natura et contempi, et uno (Op. II 1724). Zu Bruno vgl. W. Beierwaltes, Einleitung, in: G. Bruno, Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, ed. P. R. Blum, Hamburg 1977, XVI-XVII und die schon erwähnte Arbeit von A. Ingegno. Zu R. Fludd vgl. Utrtusque cosmi historia, Oppenheimi 1619,1 tract. 1, 82 und insbes. das Sophiae cum moria certamen ( = App. Medicinae catbolicae Tract. I, Francofurti 1629) lib. 2, 49 ff: mundi animam (quam Mersennus negat esse in rerum natura) praecipuum nostrum in harmonía nostra mundana agens fecimus ect.
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
Zusammenhang der Dinge organisiert, mehr als deren bloße Summe. Es ist klar, daß ihre ,über' den Einzeldingen anzusetzende ontologische Position daher prekär genannt werden muß, und daß Kircher anscheinend keine klare Stellung gegenüber dem skizzierten Problem einer selbständigen Natur einnehmen wollte oder konnte. Man vergleiche ζ. B. Passagen wie folgende aus MUS Β 364-365, in der es nach einer deutlichen Kritik an paganen Konzepten der .Vergöttlichung' des Kosmos (mundus ipse=Deus resp. Daemon) bzw. der Annahme einer anima mundi27 heißt: Nos vero naturaiη rerum eiusque intima penetralia paulo penitius perscrutantes non hanc animam mundi, sive ut Arabas vocant Calchodeam, sed nihil aliud esse, quam Naturar.η ipsam, veram et unicam τεχνήν τοο 9εοΰ id est Dei, omnia per ipsam constituentis, Artem reperimus, cuius vim per omnia permeantem nihil aliud, quam δύναμιν άρμόζοοσαν omnium adaptatricem & concinnatricem, harmonicam videlicet propositionem, qua omnia disponuntur & conservantur, unicam omnium admirandorum in naturae sinu delitescentium effectuum operationumque causam & originem asserimus. ,Natur' wird hier, wie auch an vielen anderen Stellen, %wischen Gott und Welt geschoben als eine ontologisch unbestimmte, halb göttliche, halb innerweltliche Instanz, die in manchem den platonischen Demiurgen beerbt (vgl. ζ. B. MUS Β 366, wo es von dem nach numerus, pondus und mensura (Sap. 8,11) geordneten Schöpfungsvorgang unter Anspielung auf Piaton heißt: die Welt als „perfecta Dei similitudo" impliziere einen harmonisch strukturierten Kosmos, für dessen Entstehen gelte: naturam que Dei artem in omnibus mundanis operationibus ad músicas respexisse proportiones; dazu Tim. 28 Äff 28 , 32 Α-D die Verwendung der
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Zur Kritik der anima mundi-Lehre vgl. auch OA II/2, 527 (vgl. oben Anm. 18). Die orthodoxe Position findet man z. B. in dem Klassiker des Jesuiten Martin Del Rio, Disquisitionum magicarum libri VI quibus continetur accurata curiosarum artium, & vanarum superstitionum confutatio... Venetiis (Junta) 1652, I 35.2 D: Mundi anima quadam, ammari & vivere quaecumque in mundo sunt, est merum figmentum gentilium philosophorum, in Theologorum scholis iampridem damnatum, cum nulla sit mundi anima segregata a formis substantialibus rerum singularum (gegen [Plato] Timaeus u. Plotinus IV 4). Vgl. auch ebd. 40.1 D - 2. E. Ν. Cabaeus SJ, Philosophia experimentalis, Romae 1686,1 304 A ganz analog gegen die .chimärische* Hypostasierung einer virtus formatrix naturae; II 7 Af, 35 B. Diese Autoren machen gleichsam die jesuitischen conditiones sine quibus non für Kircher aus. Der zuvor herausgestellte Doppelaspekt und die damit verbundene unklare ontologische Position von Natur als Teil göttlicher Intelligenz und als innerweltliches
I. Die Natur als ars Dei
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Proportion) und durchaus noch Konnotationen zu der explizit abgelehnten anima mundi-Vorstellung behält. Der prekäre und unbestimmte Status bestimmt nicht nur den Naturbegriff selbst, sondern auch dessen Kontextbegriffe, z.B. den Terminus ,ars Dei': Sicuti universa illa & παντόμορφος29 Natura per omnia mundi membra diffusa, hanc rerum Universitatem certo gubernat ordine, & constantia regit immutabili: ita fieri nequit, ut divina quadam mente Architectatrice, & conservatrice, quae Consilio, & recta ratione omnia prudenter administrai, & Providentia sua tuetur, non utatur, quae quidem mentis Architectatricis ratio nihil aliud est, quam Lex Naturae immutabilis; quam Plato τεχνήν τοΰ θ EOO sc. artem Dei (hier fehlt das Verb, vmtl.: nominai); alii famulam, ministram όργανον τοΰ δημιούργοο instrumentum opificis, quo administrante omnia, existunt atque conservantur singula; quae (sc. ratio = lex) sicuti mundo coaeva, eique a Sapientissimo opifice ineffabili divinae providentiae suae dispositione fatali quadam, ut ita dicam, necessitate alligata est, ita in toto animantium, stirpium mineraliumque genere nihil spectari potest, virtute aliqua particulari imbutum, quod Uli veluti imperatrici suae non subijciatur, hinc quicquid Naturae huius habet imperium, id perpetua constantia, rectaque ratione, & convenienti lege sustinetur, neque a semita sibi praescripta, legeque data deflectit unquam (Mg 463-464). Hier wird in einem kurzen Textabschnitt ,Natur' von dem anfanglich thematisierten innerweltlich (per omnia mundi membra diffusa) organisierenden Prinzip,
29
Strukturprinzip wird von K. Gaiser in ähnlicher Weise für den platonischen Demiurgen vorgeschlagen: einerseits wirke der Demiurg „wie die Idee des Guten", sei ihr aber untergeordnet, dem Nus der Weltseele dagegen übergeordnet. Piatons ungeschriebene Lehre, Stuttgart 2 1968, 194, vgl. 193 ff. Vgl. auch Mg 465: hoc παντόμορφφ Naturae Theatro. .Natura pantamorpha' ist belegt ζ. B. bei C. Gemma, De arte cyclognomica, Antverpiae 1569,1 2; II 41,165, der auch einen echt hypostatischen Begriff von Natur in Verbindung mit der anima mundi kennt, s. o. Anm. 18. Alles deutet auf einen Einfluß des .hermetischen' Asclepius hin, wobei für Kircher die von F. Patrizi edierten Texte einschlägig gewesen sein dürften. Vgl. Asclepius Hermetis Trismegistis Dialogus ab Apuleio Madaurense Platonico in Latinum conversus, Ferrariae 1591, 3v: παντόμορφον fur Jupiter (sol) als das Lebensprinzip, als den Deus omni formis (ebd. 6r in aufschlußreichem Zusammenhang mit den Termini multiformis, varietas, 6v: catena, ordo, connexio, also dem auch für Kircher typischen Begriffsfeld; vergleichbar auch, daß diese Varietät die göttliche Virtus spiegelt). Zu Kirchers Kenntnis des Patrizi vgl. Kap. Β III 1 b I.
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
das sich der göttlichen Ratio bedient (utatur), zu eben dieser Ratio der architektonischen göttlichen Vernunft selbst, d.h. zum ewigen, unveränderlichen .Naturgesetz' (lex naturae), das der Welt nur durch die necessitas fatalis30 verbunden ist und anscheinend nicht in ihr aufgeht. Dieses Naturgesetz ist es,
30
Die dem Terminus necessitas fatalis entsprechende Wendung lex fatalis wurde v.a. durch Ficino als eine Modifikation der „necessitas ipsa" bzw. „absoluta" (=Deus, Ti. Plat. II 12; 1,113) eingeführt (ebd. IV 2; l,63ff). Sie bezeichnet die von einem bestimmten Anfang bestimmt fortschreitende gesetzmäßige Sukzession (ebd. 1,170). Möglicherweise steht Ficino in seiner folgenden Zuordnung dieser necessitas fatalis zur anima mundi (ebd. XVII 3; 3,161-163: necessitas enim anima mundi ideo dicitur, quoniam fatali eius virtute ducitur universum (163)) gemeinsam mit Cusanus in einer Tradition des Piatonismus von Chartres (vgl. W. Haubst, Das Bild des Einen und Dreieinen Gottes nach Nikolaus von Kues, Trier 1952, 117f, der auf Clarenbaldus, Comm. in Boeth. de trin. Janssen 64,11 verweist, wo die necessitas complexionis mit der anima mundi gleichgesetzt wird). Für Cusanus vgl. z. B. dott. igt. II 7: necessitas complexionis „in qua sunt rerum formae in se vere cum distinctione et ordine naturae". Auch Giov. Pico kennt zumindest die traditionelle Verbindung von fatum und natura ipsa, vgl. Disp. adv. astr. divinatritem IV 4 (Garin 448): est autem hoc fad nomen quantum ex veterum colligi monumentis potest, in quadruplicem significationem acceptum, ut fatum vel ipsa natura sit, vel causarum series ordoque nexu necessario cuncta producens, vel siderum constitutio ... Es ist nun aufschlußreich, daß Kirchér im Zuge seiner Analysen der platonisch-neuplatonischen und hermetischen Tradition zumindest die Vorstellung von der Ableitung der lex fati bzw. necessitatis aus dem mundus angelicus kennt (vgl. OA Π/1, 189fï). Die lex fati bzw. necessitatis wird in diesem Zusammenhang explizit als eine „coniunctio omnium animarum in anima mundi" (189) begriffen und als das bestimmende intelligible Prinzip gegenüber der dem mundus sensibilis zugeordneten „leges naturae" (Plural! vmtl. eben eine Ausdifferenzierung der einsförmigeren lex fati), deren strukturierende Wirkung (dispositio corporum, qualitatum etc.) sie dominiert. Wenn der einflußreiche, stark platonisierende H. Fracastorius in seinem kleinen Traktat De anima dialogas (Op. Omnia, Venetiis 1555, 207-224) dann schreiben kann: „si vero quaeras, quid sit hoc trahens (sc. das die Individualseele bzw. den Einzelintellekt bewegende unkörperliche Prinzip), meminisse te arbitror aureae illius catenae, quam Homerus scribit e coelo dependere, & cuncta alligere. Haec autem catena nihil aliud est, quam aut anima mundi, de qua diximus, aut Fatum, aut Dei nutus & voluntas, quae totum per Universum permeai, & cuncta movet, & alligat: movit autem, & trahit pro fine illi primo motori cognito" (220 A). So wird das Ineinanderblenden von Psyche und Naturprinzip als adäquatem Ausdruck göttlichen Willens in der organisch gedachten Welt besonders einprägsam deutlich. Kircher kannte vermutlich auch die Schriften des Fracastorius gut, vgl. MS I 306.
I. Die Natur als ars Dei
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welches das eigentliche Organon Gottes ist, in ihm, einer intelligiblen, ewigen, sich gleichbleibenden Form, subsistieren die durch die Naturdinge partizipierbaren spezifischen Formbestimmungen (vgl. Cusanus' Wendung zur Bestimmung der necessitas complexionis, die ebenfalls eine naturgesetzliche Rolle spielt: in qua sunt rerum formae in se verae cum distinctione et ordine naturae, siehe Anm. 30) und durch es wird in der Natur Gleichbleibendes, Identifizierbares, mithin Intelligibles gesetzt 31 . Diese ontologische (hypostasiertes, personifiziertes Prinzip oder Aufgehen in der Relationalität zwischen den Naturdingen) und funktionale (nicht-selbständiges [=instrumentum] oder selbständiges [=imperium, lex] Prinzip) Ambivalenz bleibt dem Kircherschen Naturbegriff durchgehend erhalten 32 . Solche Ambivalenz ist jedoch nicht gleichwertig, sondern zeigt eine Asymmetrie vor allem, wenn unter dem Index philosophia naturalis diskutiert wird: dann nämlich wird deutlich, daß ,Natur' immer stärker als „a type of internal force" (W. A. Wallace 33 ) begriffen wird, daß ihr immanenter Aspekt im Blick steht. Dabei wird gleichsam der vor allem aus der platonisch-neuplatonischen Tradition kommende metaphysische Horizont, die intelligible, spirituelle Substanz einer .universalen Natur' (Fludd) mit in den heterogenen, empirischen Kontext gezogen und führt dort zu den Inhomogenitäten, die einen quasi-hypostasierenden Gebrauch unseres Begriffes provozieren. Das semantischen Changieren im
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Vgl. MS I 269: natura semper idem ubique agat; eandem amussim omnes naturalium rerum effectus disponat. II 22 dies betrifft auch die ,Regionalnaturen' z. B. die natura lithogenetica, von der gilt: idem in effectibus iuxta Naturae gradus producendis intendisse, quod vegetabilis & sensitiva natura in suo (...). Ebd. II 39; 257: leges immutabilis. AN 181. Ebenso wie z.B. bei Ivo Parisiensis, Dtgestum sapientiae, Parisiis 1648, 383 Sp. 1 A: natura nil est aliud quam lex quaedam rebus omnibus inserta, per quam apte ad fines quosdam feruntur; quod est lex Principis in civitate, hoc est natura in mundo, huius legis dispensatio est miraculum. W. A. Wallace, Causes and forces at the Collegio Romano, in: Prelude to Galileo. Essays on medieval and 16th century sources of Galilei's thought, Dordrecht 1981, 11 Of, der daraufhinweist, daß solche Verbindung von Transzendenz und Immanenz im Naturbegriff schon den status quaestionis spätantiker, neuplatonischer Auseinandersetzung mit der aristotelischen Physik spiegelt, z. B. bei Philoponus. Dieser kam im 16. Jahrhundert ebenfalls zu neuer Wirkung (u.a. durch Patrizi), vgl. Aristoteles, Physicorum libri quatuor, cum ... Philopoöni commentants ... restituit J. B. Rosarius, Venetiis (Scotus) 1558, dort fol. 76 col. b zur Natur: natura est quaedam vita sive vis quae per corpora diffunditur, eorum formatrix et gubernatrix, (und jetzt die aristotelische Stelle aus Phys. 1, 192 b 20-23) principium motus et quietis in eo cui inest per se primo et non secundum accidens.
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
Terminus natura beerbt also noch bei Kircher einen seit der Spätantike34 manifesten Konflikt, den die Eliminierung von ,Zwischenwesen' einerseits und die Integration eines spirituellen Naturbegriffs andererseits aufgeworfen hatten. Gerade ein nicht mechanistisches Verständnis des Naturganzen mußte die relative Eigenständigkeit und damit Substantialität eines organisierenden Prinzips immer wieder betonen und zwar gerade dann, wenn es zugleich galt, eben dieses Prinzip — als instrumentum resp. ars Dei — immer intensiver als innere Kraft zu denken35. Denn als solche innere Kraft mußte sie als ein gegenüber den einzelnen Kraftäußerungen, den konkreten verschiedenen Naturprozessen, ein selbst Nicht-Einzelnes, Allgemeines bleiben36, für das es streng genommen keine ontologische Position mehr gab. Beispielhaft sei eine Passage aus J. H. Alsteds Abhandlung Phjsica Harmonica (Herborn 1616) angeführt. Aisted behandelt dort im Buch IV die letzte, neueste Variante der Physik (nach der mosaischen, hebräischen und aristoteüschen), die phjsica chemica: Natura itaque est spiritus quaedam universalis, qui omnia in omnibus37 virtute & mandato Dei operatur, totum mundum in se complectens. Si placet vocare animam mundi, non repugno. Sed hac phrasis cum grano salis est accipienda. Anima illa mundi est quaedam unica potestas a Deo creata, ex omnibus creaturarum generibus unum reddens systema, media infimis, & supremis harmonico quodam concentu coniungens. Ea pro subiecti & receptaculi diversitate, nunc humana, nunc aurea, nunc vegetabilis vocatur. Haec natura est principium nihil agens frustra. Agit autem, quoties vult ipsius architectus, Deus laudandus in saecula (226).
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Siehe die letzte Anmerkung und den Eingangspassus. Dagegen gilt für ein paradigmatisch mechanistisches Modell wie das des Descartes nach R. Specht, Innovation und Folgelast, 118ff, daß die administrierende Funktion der Weltseele bzw. einer natura naturane als ,zweiter' (Bewegungs-)Ursache (causae secundae) in den Gottesbegriff gezogen wird und eine aller eigenen Ursächlichkeit entblößte natura pura zurückbleibt. Vgl. für Kircher die Anm. 31. Als .Inhalt' zur Besetzung dieses Allgemeinen bot sich daher entweder das absolute Naturprinzip selbst (Gott) an oder zumindest das, was man als dynamisches Wirkpotential, als götdichen Mandatsträger bezeichnen könnte: Natur als ars Dei oder virtus/potestas Dei; vgl. G. Bruno, De immenso VII 9: natura estque nihil nisi virtus insita rebus, et lex qua peragunt proprium cuncta entia cursum. De la causa ... dial. 2 (Aquilecchia 271 f): divina potestas. Hierzu vgl. den Abschnitt zu omnia in omnibus dieses Kap. IV 2.
I. Die Natur als ars Dei
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Das noch präsente Bewußtsein von der klassischen Konnotation .selbständige, prinziphafte, spirituelle Natur - Weltseele' weigert sich, diese Konsequenz noch oder wieder zu ziehen und muß daher notwendig bei der schon konstatierten ambivalenten Rede von Natur stehenbleiben38.
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Vgl. die semantisch problematischen Wendungen des Alsted-Zitates wie spiritus universalis, principium, die aktivischen Ausdrücke reddens, coniungens, agit, operatur. Das ,cum grano salis' markiert zwar die Epoche, klärt aber nicht den Status dieser potestas Dei. Andererseits verweist der Passus zu der Binnendifferenzierung ,pro subiecti & receptaculi diversitate' ebenso deutlich, daß die Natur als .innere Kraft' gedacht wird, die actu nur als je schon unendlich durch die konkreten innerphysischen Bedingungen differenziertes Wirkprinzip existiert, und anscheinend nicht als selbständige Hypostase. Vgl. Aisted, Phys. Harm. 115: natura & organica ordinaria vis a Deo indita rebus creatis; praef. 3: sigillum ... quod impressit.
II. Tota in toto et tota in qualibet parte Die frühneuzeitliche Präsenz eines spekulativmetaphysischen Begriffes von Seele Daß die meisten Autoren, die einen spiritualistischen und zumindest der Tendenz nach metaphysisch begründeten Naturbegriff vertraten, in ihrer christlich motivierten Abstinenz vom Konzept der Weltseele dennoch das Verhältnis einer solchen Natur (als ars resp. virtus resp. potestas Dei) zu ihrem materiellen Substrat (als universum resp. mundus maior/minor resp. res corporales) mehr oder weniger explizit nach dem klassischen Modell der Seele-Körper-Relation dachten, läßt sich gerade am Oeuvre Kirchers paradigmatisch zeigen und ist ein zusätzliches Indiz für unsere These von Kirchers metaphysisch-spiritueller Naturkonzeption. Dieses Modell versucht die Seele als nicht-körperliche Substanz39 in ein umfassendes, den jeweils zugeordneten Körper vollständig organisch durchdringendes Verhältnis zu setzen. Insbesondere der Neuplatonismus mußte seinen metaphysischen Seelenbegriff gegen stoische und gnostische Vorgaben zu klären suchen und den problematischen ontologischen Status fischen1
(με&όριον, Plotin IV 6,3,16 f; vgl. die Theologia Aristotelis
c. 4, ed. Patrizi
4v,25v,36r = V 2,2,21-23)40 dem rein noetischen und dem sinnlichen Sein als in
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Paradigmatisch sei hier nur G. Bruno, als einer der konsequentesten aber auch problematischsten Vertreter innovativen, jedoch zentrale metaphysische, platonische Philosopheme verarbeitenden naturphilosophischen Denkens genannt, ζ. B. De la causa ... dialogo 2 (Aquilecchia 1,252): Dovete dunque saper brevemente che l'anima del mondo e la divinità non sono tutti presenti per tutto e per ogni parte, in modo con cui qualche cosa materiale possa esservi, perché questo è impossibile a quasivolgia corpo e a quasivoglia spirito; ma con un modo, il quale non è facile a displicarvelo altrimente se non con questo. Dovete avvertire che, se l'anima del mondo e forma universale se dicono essere per tutto, non s'intende corporalmente e dimensionalmente; perché tali non sono, e cossi non possono essere in parte alcuna; ma sono tutti per tutto spiritualmente. Vgl. W. Theiler, Porphyrios und Augustinus (1933), in: Forschungen zum Neuplatonismus, Berlin 1966,185 ff. Th. Whittaker, The Neo-Platonists. A Study in the History
II. Tota in to to et tota in qualibet parte
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sich plausiblen Wesenskern dessen, was Seele ist, präzisieren: ëv τε και πολλά μεμερισμένον xaì άμέριστον (Plotin IV 2,l,62f; 2,40f; zur Leben- und Ordnung-
gebenden Funktion V 1,1-2; IV 7,8,47f; 9,6). Vor diesem Hintergrund bestimmt nun der christliche Neuplatoniker Nemesios von Emesa, die Symmikta Zetemata
des Porphyrios vor allem aufnehmend41, Seele als intelligible Substanz, die den Körper δι' όλου κεχώρηκε (Περί ψυχής ανθρώπου § 9; 133,2 Μ.) und, indem sie an
jedem Teil des Teilbaren als selbst Unteilbare und Ungeteilte das Substanz- und Form-Gebende ist, ihre Einheit bewahrt (ebd. άσυγχύτως ήνωται τω σώματι ή ψυχή;
131,4 Μ.) und das Vielheitliche selbst in eine zusammenstimmende Einheit fügt42. Die lokale Ubiquität intelligibler Substanzen (die auch zu den Kriterien des Gottes- und Nus-Begriffes gehörte, vgl. Porphyrios, Aphormai Nr. 2 u. 31), ihr Nicht-Aföziert- Sein von den Bedingungen des Raumes konnte gerade am ontologischen ,Schnittpunkt', den der Bereich der Seele darstellt, besonders markant aufgewiesen werden. Teile ich quantitativ den zugrunde liegenden Körper beliebig oft, so hat dies für die Formqualität Seele, die jeden dieser Teile in gleicher Weise zu einem Beseelten macht, keine Folgen. Nähme die Seele einen Ort in dem von ihr bestimmten Körper ein, wäre sie selbst den Bedingungen der Quantität und Dimensionalität unterworfen43: eine Teilung oder Modifikation
of Hellenism, Cambridge 1928 (ND Hildesheim 1961), 44f zu Plotin. Wirkungsgeschichtlich wichtig wurde, daß ein kanonischer Autor wie Thomas v. Aquin immer wieder diesen platonisch-neuplatonischen Gedanken im Zusammenhang seiner Ausfuhrungen zum ontologischen Status der Seele anfuhrt, vgl. S. tb. 77,2c; in De anima le; Comm. in lib. De causis prop. 2 (ed. Saffrey 16,10f); ScG II 68: die Seele ist quasi quidam horizon et confïnium corporeorum et incorporeorum. 41
Vgl. H. Dörrie, Porphyrios' Symmikta Zetemata. Ihre Stellung in System und Geschichte des Neuplatonismus nebst einem Kommentar zu den Fragmenten, München 1959. Zu Nemesios-Porphyrios bes. 21, D. bezeichnet das Problem πώς ψυχής xaì σώματος άψυχα γίνεται ίνωσις als „eines der brennendsten Probleme der damaligen Wissenschaft" (39). Vgl. Porphyrios, Aphormai Nr. 2 (Lamberz). Bei dem vermutlich christlich beeinflußten alexandrinischen Neuplatoniker Hierokles ließe sich Ähnliches zeigen, vgl. T. Kobusch, Studien zur Philosophie des Hierokles von Alexandrien, München 1976, 130f, vor allem aber bei dem einflußreichsten Vermittler dieses neuplatonischen Denkens für die Neuzeit, bei M. Ficinus, Theol. Plat. III c 2 (l,139ff Marcel) zur selben Grundfrage: sed quomodo (sc. anima) corporibus iungitur?
42
Vgl. Plotin IV 7,2,21f: Oli yàp δτι σύν9ετον, δ,λλ' οι¡δε άπλοΰν αν είη ¿ν τοις οδσιν άνευ ψυχής όασης έν τφ παντί. Vgl. ζ. Β. Ivo Parisiensis, Digestum Sapientiae, Parisiis 1648, 125 Sp. 1 A: anima cum sit extra quantitatis genus, non determinatur ad tangendum aliquam partem quantitatis, sed est tota in qualibet parte: ut tota vox auditus in qualibet parte domus, & centrum
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Α. Der Naturbegriff in Kirchers Schriften
des Körpersubstrates affizierte sie unmittelbar und ein bestimmter Teil ihrer selbst wäre dann je mit einem bestimmten Teil des Körpers verbunden, abgetrennt von ähnlichen, aber nicht identischen beseelten Teilkörpern. Die integrale Gestalt und Einheit der individuellen Seele-Körper-Verbindung wäre zerstört. Soll also trotz der strikten substantiellen Unteilbarkeit der intelligiblen Substanz deren vollgültige identische Präsenz am Teilbaren gedacht werden können, so muß diese in sich als zugleich ungeteilt und geteilt vorgestellt werden „teilbar, sofern sie in allen Teilen des Dinges ist dem sie beiwohnt, und unteilbar, weil sie in allen diesen Teilen als Ganze und in jedem beliebigen Teile als Ganze ist" (Plotin IV 2,1,65-67; Übers. R. Harder). Bei Plotin ist vermutlich der Ursprung dieses Gedankens, der deutlich Pate bei der Ausbildung des in der Scholastik zur Formel kodifizierten (vgl. Anm. 40) und weit verbreiteten Topos von der Seele als tota in toto