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German Pages 295 [296] Year 1973
Lorenz Krüger Der Begriff des Empirismus
W G DE
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Band 6
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1973
Der Begriff des Empirismus Erkenntnistheoretische Studien am Beispiel John Lockes
von Lorenz Krüger
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1973
ISBN 3 1 1 0 0 4133 2 Library of Congress Catalog Card Number 7 2 - 9 6 7 8 1 © 1973 by Walter de Gruyter Si Co., vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung · J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner · Veit tc Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Redite, insbesondere das der Obersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drude: Walter Pieper, Würzburg
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Sommer 1971 abgeschlossen und im Wintersemester 1971/72 von der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen als Habilitationsschrift angenommen worden. Sie ist aus ursprünglich breiter angelegten Studien hervorgegangen, die der Frage gewidmet waren, ob und in welcher Weise trotz der mittlerweile Gemeingut gewordenen Kritik am logischen Empirismus ein philosophisches Verständnis der modernen Wissenschaften noch von einer empiristischen Einstellung aus gewonnen werden könne. Obwohl diese Untersuchungen schließlich an den Anfang der neuzeitlichen empiristischen Philosophie des Wissens und der Wissenschaften zurückgeführt haben, sind sie doch in systematischer Absicht und nicht primär um der Interpretation der Philosophie John Lockes willen entstanden. Es schien daher nicht angebracht, die bisherigen Forschungen zur Erkenntnistheorie Lockes im ganzen in die Betrachtung einzubeziehen — ein Versuch, der angesichts der mehrere hundert Titel umfassenden Sekundärliteratur ohnehin wenig für sich gehabt hätte. Es sollte jedoch erwähnt werden, daß drei systematisch einschlägige Bücher erst nach dem Abschluß dieser Arbeit zugänglich wurden und darum leider nicht mehr berücksichtigt werden konnten: J. W. Yolton, Locke and the Compass of Human Understanding (Cambridge 1970); J. Bennett, Locke, Berkeley, Hume — Central Themes (Oxford 1971); R. S. Woolhouse, Locke's Philosophy of Science and Knowledge (Oxford 1971). Insbesondere das Fehlen einer Auseinandersetzung mit dem Buch von Woolhouse ist bedauerlich, da dieses sich thematisch mit dem hier vorgelegten Buch in großen Teilen überschneidet, zu etlichen Punkten vergleichbare oder gar gleichartige Überlegungen enthält, bei einigen wichtigen je* doch zu anderen Ergebnissen gelangt. Die Gemeinsamkeiten beider Bücher ergeben sich daraus, daß es beidemale das Ziel ist, Lockes Beitrag zu einer Philosophie der Wissenschaften herauszuarbeiten; die Divergenzen andererseits beruhen vornehmlich darauf, daß sich Woolhouse in erster Linie am vierten Buch des „Essay" orientiert und wohl deshalb dazu kommt, Locke
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Vorwort
als einen Rationalisten zu sehen, während meine Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit ausgerichtet ist, das vierte Buch über Wissen in den vom zweiten Buch über die Ideen aufgespannten theoretischen Rahmen einzufügen, wobei die rationalistischen Züge zwar ausdrücklich gemacht, aber doch in ihrer Bedeutung relativiert, nämlich in einen empiristischen Kontext gestellt werden. Hierbei ist ein besonders strittiger Punkt, der sowohl in der Locke-Interpretation wie auch in der heutigen wissenschaftsphilosophischen Debatte gleichermaßen Aufmerkamkeit verlangt, der Status gewisser „notwendiger Wahrheiten", seien es nun durch Farbsätze wie „nichts ist zugleich ganz rot und ganz grün" ausgedrückte Aussagen, mathematische Theoreme oder auch besonders allgemeine Naturgesetze. Woolhouse hält hier an der verbreiteten Vorstellung fest, daß derartige Aussagen zu zwei verschiedenen Klassen gehören: zum einen zu den notwendigen Aussagen, deren Notwendigkeit auf nichts anderem beruht als der korrekten Verwendung von Zeichen (S. 176) und die daher erkenntnistheoretisch nicht in einem interessanten Sinne verschieden sind von unmittelbar aus Definitionen oder logischen Gesetzen hervorgehenden Aussagen (S. 1 5 1 ) ; zum anderen zu den kontingenten Aussagen, die im Gegensatz zu den erstgenannten von der außersprachlichen Wirklichkeit handeln und deren sogenannte „Notwendigkeit", soweit ihnen eine solche überhaupt zugeschrieben wird, völlig anderer Art ist, nämlich auf nicht mehr hinauskommt als die Möglichkeit, eine naturwissenschaftliche Erklärung dafür zu liefern, warum es sich so verhält, wie diese Aussagen behaupten. Da diese Erklärung ihrerseits jedoch wieder auf kontingente Erklärungsgründe zurückgreifen muß, ist die auf sie gegründete „Notwendigkeit" von echter logischer Notwendigkeit wesentlich verschieden (S. 138 f.). Diese Konzeption rettet nach dem Vorbild des logischen Empirismus den empiristischen Grundansatz um den Preis einer konventionalistischen Theorie der (angeblich) von der Erfahrung unabhängigen Anteile unseres anerkannten Wissens. Wer sich ihr anschließt, muß folgerichtig Lockes abweichende Auffassung von notwendigen Wahrheiten kritisieren: nämlich einerseits den nichtlinguistischen, sondern synthetischen Charakter der nicht logisch-definitorischen Ausagen, z.B. der Farbsätze oder der mathematischen Theoreme (Woolhouse, § 25), andererseits die Möglichkeit notwendiger, aber als soldier unerkennbarer Sachverhalte (§26). Im Gegensatz zu einer solchen Auffassung von Notwendigkeit unternehme ich den Versuch, aus dem empiristischen Ansatz von Locke die Folgerung abzuleiten, daß bei allen Aussagen außer den explizit deflatorischen, also bei allen, die eine Erkenntnis im eigentlichen Sinne ausdrücken,
Vorwort
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gleichermaßen von Notwendigkeit nicht oder allenfalls in einem relativierten Sinne gesprochen werden kann. Dann besteht jedoch kein Anlaß und keine Möglichkeit mehr, den synthetischen Charakter etwa der Farbsätze oder mathematischer Aussagen zu bestreiten, noch läßt sich der für Woolhouse's Darstellung charakteristische Dualismus von Wissen a priori und Wissen a posteriori im Hinblick auf Locke festhalten. Und entsprechend ändert sich auch die Stoßrichtung der Kritik an Locke: nicht so sehr gegen die Art, wie er zwei Sorten menschlicher Kenntnisse unterscheidet, als vielmehr gegen die Tatsache, daß er diese Unterscheidung trifft, richten sich die wichtigsten Einwände. Hierzu nun stimmt der Umstand, daß es Locke nicht gelungen ist, eine Abgrenzung zwischen empirischen und notwendigen Aussagen klar durchzuführen, auch und gerade nicht mittels eines seiner entscheidenden begrifflichen Instrumente, nämlich des Begriffspaares ,Substanz' — ,Modus' (Woolhouse S. 144; hier § 17 Ende). Zur Diskussion eben dieses Punktes hat Woolhouse in den Kapiteln IV bis V I I seines Buches Analysen beigesteuert, die in ihrer Gründlichkeit und Originalität derzeit unübertroffen sind und daher jedem Leser, insbesondere im Zusammenhang mit § 17 des vorliegenden Buches, nur wärmstens empfohlen werden können. Anders als Woolhouse ziehe ich allerdings im Zusammenhang mit dem Mißlingen des Lockeschen Unterscheidungsversuches nicht die Konsequenz, auf die vom neueren Empirismus her gewohnte Gestalt des Dualismus von zweierlei Aussagen zurückzugehen, sondern vielmehr die Fragwürdigkeit dieses Dualismus zu untersuchen, sofern er ein Bestandstück, ja der Eckstein einer erkenntnistheoretischen Position sein soll, die zu Recht und ohne Einschränkungen „empiristisch" genannt werden kann (§§ 1 7 — 1 9 ) . Die „Notwendigkeit" bestimmter (z.B. mathematischer) Aussagen wird dann zu einer erkenntnistheoretisch bloß relativen; ihre Interpretation als linguistisch würde ferner den durch sie gekennzeichneten Aussagen gerade ihren empirisch zu begründenden Sinn und damit ihre Realität und ihren Erkenntnischarakter nehmen (SS 15-16). Im Rahmen eines Vorwortes müssen statt einer eingehenderen Würdigung diese wenigen Bemerkungen zur neueren Literatur wohl oder übel genügen; sie haben ihren Zweck erfüllt, wenn sie den Leser auf wichtige Titel und Kontroverspunkte hinweisen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Vorarbeiten zu dem vorliegenden Buch in einer frühen Phase durch ein Forschungsstipendium großzügig unterstützt, wofür ihr auch an dieser Stelle nochmals aufrichtiger Dank gesagt sei. Erhard Scheibe und Günther Patzig haben zahlreiche Verbesse-
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Vorwort
rungen für die Druckfassung des Manuskriptes vorgeschlagen; dafür und für die Fülle philosophischer Anregungen, die meiner Arbeit im Laufe der Jahre zugute gekommen sind, bin ich ihnen in Dankbarkeit verbunden. Werner Diederidi und Wolfgang Carl haben Teile des Manuskripts gelesen; Diskussionen mit ihnen haben mir in verschiedenen Punkten größere Klarheit verschafft. Günther Krug gilt mein Dank für seine unermüdliche Hilfe bei den Korrekturen und der Beseitigung etlicher Irrtümer. Hermann Ströbel und Peter Schröder haben dankenswerterweise beim Zusammenstellen der Register, Frau Renate Werner beim Herstellen des Manuskriptes geholfen. Göttingen, September 1972
Lorenz Krüger
Inhaltsverzeichnis Vorwort Bemerkungen über die Verwendung von Quellentexten und Sekundärliteratur Einleitung
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung § 1:
Der Ansatz Lockes: Erkenntnistheorie und die neue Wissenschaft § 2: Ziel und Methode der Untersuchung: die Frage nach dem „optimalen" Empirismus § 3: Zur Einteilung der Untersuchung: Empirismus der Ideen und Empirismus der Aussagen
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Teil II: Der Empirismus der Ideen § § § § §
4: 5: 6: 7: 8:
Über die Erfahrungsbasis: Probleme und Inkonsistenzen . . Neuer Versuch zur Bestimmung der Erfahrungsbasis . . . Die innere Erfahrung und das Problem der Reflexion . . . Empirismus und Sensualismus: ein Exkurs über Condillac . Näheres zur Abgrenzung der Erfahrungsbasis und zum Begriff der einfachen Idee § 9: Beschreiben und Erklären
19 25 40 56 68 86
Teil III: Der Aufbau des Ideensystems S 10: §11:
Über die Bildung komplexer Ideen Probleme des Ideensystems und der Übergang zum Empirismus der Aussagen
104 124
Teil IV: Der Empirismus der Aussagen $ 12:
Der Begrifi der Wahrheit
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§13: §14: §15: §16: §17: § 18: § 19:
Inhaltsverzeichnis
Der Begriff des Wissens Die Erkenntnis einfachster Ideenrelationen: das Problem empirischer Begriffe Die Erkenntnis komplexer Ideenrelationen: Lockes Theorie der Mathematik Wahrheit durch Übereinkunft? Probleme der Abgrenzung zwischen notwendigen und empirischen Aussagen Die Erkenntnis von Koexistenz und Existenz: Lockes Theorie des empirischen Wissens Der Dualismus von Wissen und wahrscheinlicher Kenntnis: empirische Allgemeinheit und das Induktionsproblem . . .
146 159 176 205 226 237 253
Bibliographie
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Namenverzeichnis
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Sachverzeichnis
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Stellenverzeichnis
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Bemerkungen über die Verwendung von Quellentexten und Sekundärliteratur
1. Der für die vorliegende Arbeit bei weitem wichtigste Text ist Lockes „Essay Concerning Human Understanding". Er wird fast ausschließlich nach der Ausgabe von A. C. Fräser, Oxford 1894 (Nachdruck New York 1959) zitiert; auf diese — und zwar, soweit nichts anderes vermerkt ist, auf den Text der 4. Auflage von 1700 — beziehen sich alle Stellenangaben, bei denen der Verweis auf einen Autor oder ein bestimmtes Werk fehlt. Sie werden von der besonderen Ausgabe unabhängig auf Lockes Gliederung nach Büchern (große römische Zahlen), Kapiteln (kleine römische Zahlen) und Paragraphen (arabische Zahlen) bezogen; bei längeren Abschnitten ist gelegentlich Fräsers Seitenzahl hinzugefügt. Da J. W . Yolton bei seiner Ausgabe des „Essay" (Everyman's Library, London/New York 1961, rev. ed. 1965) die 5. Auflage von 1706 mit Korrekturen Lockes zugrundegelegt sowie eine neuerliche sorgfältige Sichtung der Quellenlage vorgenommen hat, ist sein Text im Prinzip als der bessere anzusehen. Aber leider hat er keine kritische Ausgabe veröffentlicht, so daß ich es (einige eigens angemerkte Gelegenheiten ausgenommen) vorgezogen habe, Fräsers Text zu benutzen; für gewisse Argumente (ζ. B. in § 8) war es nötig, zwischen verschiedenen Auflagen des „Essay" zu unterscheiden, wozu Yolton keine Möglichkeit bietet. 2. Die Entwürfe zum „Essay" werden nach den Editionen von Aaron/Gibb und Rand zitiert, wie in den Anmerkungen zu § 15 angegeben. 3. Alle anderen Schriften Lockes werden nach folgender Ausgabe zitiert: The Works of John Locke, A New Edition, Corrected, in Ten Volumes, London 1823; sie ist als Nachdruck verfügbar: Aaalen 1963. 4. Alle sonst verwendete Literatur wird mit dem Namen des Verfassers und dem Jahr des ersten Erscheinens zitiert; die Bibliographie spezifiziert, falls notwendig die Ausgabe, nach der Seitenzahlen angegeben werden. In die Bibliographie sind ausschließlich Arbeiten aufgenommen, auf die explizit
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Bemerkungen
verwiesen wird. Ein Überblick über die relevante Literatur wurde nicht angestrebt. Auf eine gewisse Vollständigkeit abzielende Bibliographien der Sekundärliteratur zu Locke liegen bis in die neueste Zeit hinein vor: a) H. O. Christophersen: A Bibliographical Introduction to the Study of John Locke, Oslo 1930. b) R. Hall und R. Woolhouse: Forty Years of Work on John Locke (1929—1969), A Bibliography, The Philosophical Quarterly 20 (1970) 258—268. c) Addenda zu b), Philos. Quarterly 20 (1970), 394—396. d) Weitere bibliographische Nachrichten in: The Locke Newsletter, ed. by R. Hall, York; No. 1 , Autumn 1970; No. 2, Summer 1971; No. 3, Spring 1972. 5. Alle Übersetzungen im Textteil stammen von mir; Hervorhebungen von mir habe ich im Text nicht eigens kenntlich gemacht, da zu jedem Zitat der Urtext im Anmerkungsteil vollständig angegeben ist, und zwar mit den Hervorhebungen des Originals, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vermerkt wird.
Einleitung Mit der zunehmenden Bedeutung der Wissenschaften für unser Leben wird auch der Philosophie der Wissenschaft ein stets weiter wachsendes Interesse zuteil. Und wie es dem Entwicklungsstande der Wissenschaften relativ zueinander entspricht, besteht eine Neigung vieler Philosophen, sich beim Nachdenken über Wissenschaft vornehmlich, wenn nicht ausschließlich an den Naturwissenschaften zu orientieren. Diese sind allem Anschein nach von überlegener Überzeugungskraft und Auswirkung. Und beides — ihr Einfluß auf das praktische Leben durch die Technik und auf das theoretische Denken durch die Sicherheit ihrer Methoden und Ergebnisse— wird man maßgeblich dem Umstände zuschreiben wollen, daß sie auf Beobachtung und Experiment gegründet sind, das heißt: auf unabweisbare Erfahrungen, also auf etwas, im Hinblick worauf man nicht diese oder jene Meinung oder Neigung haben kann, sondern was man zur Kenntnis nehmen muß. Es kann daher nicht verwundern, wenn viele Naturwissenschaftler und mit ihnen wohl nicht wenige Bewohner der von Technik und Wissenschaft geprägten Welt, soweit Fragen des Wissens und der wissenschaftlichen Erkenntnis im allgemeinen und in philosophischer Hinsicht in Betracht stehen, der Überzeugung anhängen, daß hierbei die Erfahrung das erste und das letzte Wort zu sprechen habe, oder zumindest doch, daß unabhängig von ihr von einem begründeten Wissen über die Welt sicherlich nicht die Rede sein könne. Diese Überzeugung ist von den logischen Empiristen zur Grundlage eines umfassend und gründlich angelegten Versuches gemacht worden, eine allgemeine Theorie der modernen Wissenschaften (und zugleich des Wissens überhaupt) auszuarbeiten, mit dem Ergebnis, daß von den gegenwärtig vorliegenden wissenschaftstheoretischen Untersuchungen die meisten und die diflerenziertesten vom Empirismus oder zumindest von der ausdrücklichen Auseinandersetzung mit dem Empirismus geprägt sind. Dieser Sachlage haben wir zu einem guten Teil die Kohärenz und das erfolgreiche Fortschreiten wissenschaftstheoretischer Forschung zu verdanken. Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, daß darum die Wissenschaftstheorie eine bereits ebenso gefestigte Disziplin wäre wie die von ihr analysierten
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Einleitung
Wissenschaften. Dieses Ziel einer Theorie der Wissenschaft, die von gleicher Wissenschaftlichkeit ist wie die (Natur-)Wissenschaften selbst, ist nicht erreicht worden. Vielmehr haben die letzten Jahrzehnte eine zunehmende Auflösung der ursprünglichen Konzeption einer geschlossenen wissenschaftlichen Philosophie der Wissenschaften mit sich gebracht. Die Argumente gegen deren Grundlage, den philosophischen Empirismus, kamen dabei sowohl von innen wie von außen: sie ergaben sich zum einen aus der genaueren Konfrontation mit der in Gestalt der faktisch vorhandenen Wissenschaften vorliegenden Erfahrung wie auch der konsequenten Verfolgung der ursprünglichen Ansätze, und sie wurden zum anderen durch die Probleme der Geistes- und Sozialwissenschaften angeregt, in denen schon „Erfahrung" etwas anderes zu bedeuten schien als in den Naturwissenschaften. So zeichnet sich heute unter den Nachfolgern der logischen Empiristen die Tendenz ab, die allgemeinen philosophischen Ansprüche der früheren Jahrzehnte aufzugeben oder dahingestellt sein zu lassen und sich allein der Analyse konkreter Wissenschaften einschließlich deren historischer Entwicklung zuzuwenden. Und gerade von dieser Ausrichtung der Forschungsarbeit darf man sich mit Recht viel und — gemessen an der jeweiligen Zielsetzung — mehr als von anderen erwarten. Trotzdem wird man die Auseinandersetzung mit allgemeineren und weitergehenden philosophischen Thesen zur Wissenschaft nicht aufgeben können. Denn daß sie aus der im engeren Sinne wissenschaftlichen Erforschung der Wissenschaften nicht sauber und ein für allemal zu eliminieren sind, ist gerade eines der Ergebnisse der Diskussion um den logischen Empirismus gewesen. Im übrigen und vor allem wird man die Fragen nach der Natur und den Grenzen des menschlichen Wissens — und das heißt zugleich und vorzüglich auch: der Wissenschaft — nicht zum Schweigen bringen wollen und können. Abgesehen von der Bedeutung, die sie für sich genommen haben, sind diese Fragen auch in eine Aufgabe verwickelt, deren Bearbeitung gegenwärtig ansteht, nämlich in die Analyse der Nicht-Naturwissenschaften: Hier möchte und müßte man wissen, was sich von der bisher geleisteten wissenschaftsphilosophischen Arbeit, die maßgeblich an den Naturwissenschaften orientiert und vom Empirismus inspiriert war, auf andere Wissenschaften übertragen läßt, und wie das Verhältnis der ersteren zu den letzteren beschaffen ist. Der Stand der Dinge ist also dadurch gekennzeichnet, daß es von Bedeutung wäre, die Lage der Wissenschaftsphilosophie im ganzen möglichst treffend einschätzen zu können. Ist diese Lage nun in beträchtlichem Maße durch den Empirismus bestimmt und ist dieser während der letzten Jahrzehnte in seinem Sinn immer unsicherer und in seiner Haltbarkeit immer fragwürdiger
Einleitung
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geworden, so darf man sich eine gewisse Klärung der Situation von der Antwort auf Fragen folgender Art erwarten: Was ist Empirismus? Oder auch: Was könnte der Empirismus für die Philosophie der Wissenschaft günstigstenfalls leisten? Welchen Beitrag darf man sich von empiristischer Seite zur Theorie der verschiedenen Wissenschaften und der Erkenntnis im allgemeinen erhoffen? Diese Fragen nötigen dazu, über eine Bestandsaufnahme der heutigen wissenschaftstheoretischen Diskussion hinaus- und in deren Vorgeschichte zurückzugreifen. Die Beurteilung einer bestimmten philosophischen Position im ganzen wird jedenfalls um so begründeter und ausgewogener sein können, je deutlicher ihr philosophisches Umfeld und ihre Entwicklung vor Augen liegen. Ungenutzte Möglichkeiten und nicht mehr als solche erkannte Vorentscheidungen der gegenwärtigen Diskussion können beim historischen Rückgriff zu Bewußtsein gelangen, vorausgesetzt nur, er werde im Hinblick auf die sachlichen Probleme unternommen, deren Bearbeitung man sich vorgenommen hat. Was den philosophischen Empirismus der Neuzeit angeht, ist eine notwendige Bedingung hierfür erfüllt: die Problemkontinuität ist dadurch gegeben, daß seit seinen Anfängen die Theorie der Erkenntnis im Hinblick auf diejenigen Wissenschaften betrieben wurde, die auch noch heute der Philosophie der Wissenschaft im wesentlichen ihr Gepräge geben. Will man über deren gegenwärtige Lage zu größerer Klarheit gelangen, darf man sich darum einen Nutzen auch von Studien erwarten, die eine historisch zurückliegende Gestalt der empiristischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie zum Gegenstand haben. Es wäre gewiß wünschenswert, diese Studien unter Wahrung der historischen Kontinuität auf die gesamte Geschichte des neuzeitlichen Empirismus zu erstrecken und schließlich zu verfolgen, wie diese in die heutige Situation einmündet. Eine vollständige Darstellung der Geschichte des Empirismus, sei es auch nur seiner Beiträge zur Wissenschaftsphilosophie, würde jedoch ein Unternehmen beträchtlichen Umfanges sein. Wie die vorliegende Arbeit zeigen soll, ist es indes auch ohne sie möglich, die Anfänge dieser Geschichte in mancherlei Weise auf gegenwärtig diskutierte Fragen zu beziehen und, so hoffe ich, den einen oder anderen Gesichtspunkt zum besseren Verständnis dieser Fragen und ihrer Hintergründe beizutragen. Der als Einleitung in die detaillierteren Studien der Erkenntnistheorie Lockes anzusehende Teil I dieser Arbeit weist darauf hin, wie schon Locke mit eben den Problemen zu tun hatte, die auch die Empiristen unseres Jahrhunderts beschäftigen, und in welcher Weise deren Behandlung schon bei ihm auf eine Auffassung hinauskommt, die, wie ich meine, allein die Aussicht eröffnet, einen haltbaren Be-
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Einleitung
griff von Empirismus zu entwickeln, wenn dies denn überhaupt möglich sein sollte. Diese Auffassung, von der ich mich in der vorliegenden Studie leiten lasse, besagt, daß schon die einfachsten Erfahrungen des Menschen sprachlich gestaltet sein müssen, falls sie zum Fundament dessen dienen sollen, was man zu Recht Wissen oder Erkenntnis nennen kann. Der Empirismus kann dann in einer ersten Annäherung durch die These gekennzeichnet werden, daß alle Erkenntnis, weil sie sprachlich oder symbolisch ausgedrückt werden muß, letztlich auf jene einfachen sprachlich artikulierten Erfahrungen gegründet werden könne und müsse. Im Einklang mit diesen vorläufigen Vorstellungen über die Eigenart menschlicher Erfahrung und die These des Empirismus wird der Versuch unternommen, aus Lockes Essay über den menschlichen Verstand zu lernen, wie ein tragfähiger Begriff der Erfahrungsbasis im einzelnen konzipiert sein kann, einer Basis nämlich, die nicht aus bloßen „Sinnesdaten" besteht und die nicht durch eine reine „Beobachtungssprache" wiederzugeben ist (Teil II). Die erkenntniskritische Absicht des Empirismus schlägt sich in der Forderung nieder, die Bedeutung aller zur Formulierung von Wissen und Wissenschaft tauglichen Ausdrücke durch den Bezug auf diese Basis auszuweisen. Sie begegnet — von Locke wie von der heutigen Diskussion aus gesehen — jenen schwer lösbaren Problemen, die sich aus dem Ausmaß der netzartigen Verflechtung der Bestandteile unserer gewöhnlichen Sprache und aus dem Theorie-Charakter der Wissenschaften ergeben, so daß sich nicht mehr als eine bestimmte methodische Einstellunng bei der Analyse und der Rechtfertigung von Wissensansprüchen abzeichnet (Teil III). Eine gewisse Verdeutlichimg kann diese Einstellung immerhin bei der Betrachtung einzelner Typen von Aussagen erfahren (Teil IV). Dabei geht es sowohl um die Beurteilung allgemein als empirisch anerkannter Aussagen in ihrem eigenen Recht auf den Status, Inhalt eines Wissens oder auch einer Gewißheit zu sein, wie auch um die Rechtfertigung der sogenannten notwendigen oder apriorischen Aussagen, oder — wenn man lieber will — umgekehrt um die Rechtfertigung des Empirismus angesichts dieser Aussagen. Wie zu erwarten, erweist sich auch bei Locke die Mathematik und ihr Verhältnis zum empirischen Wissen als ein Prüfstein des erkenntnistheoretischen Konzepts. Es ist eines der Ziele dieser Arbeit zu zeigen, in welcher Weise von Lockes empiristischem Ansatz her der Anschluß der Formalwissenschaften an die Erfahrung konsequent zu konzipieren wäre. Ließe sich in der angedeuteten Richtung eine haltbare Theorie der formalen Wissenschaften entwickeln, so könnte man darauf verzichten, neben der Erfahrung eine weitere
Einleitung
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eigenständige Quelle von Erkenntnissen anzunehmen: die von aller Erfahrung zwar anregbare, aber doch letztlich unabhängige, gewissermaßen abstrakte Vernunft. Stattdessen könnte man die Vorstellung ins Auge fassen, daß man es mit dem einheitlichen Erkenntnisprozeß eines konkreten Lebewesens zu tun hat, das nicht neben, sondern in der Ausübung seiner physischen Vermögen Vernunft beweist.
Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung § i: Der Ansatz Lockes: Erkenntnistheorie und die neue Wissenschaft Lockes Erkenntnistheorie im „Essay concerning Human Understanding" kann als ein Versudi verstanden werden, die empirischen Grundlagen der erfolgreichen neuen Naturwissenschaft als die Basis menschlichen Verstehens und Wissens überhaupt zu erweisen. Wie die Wissendiaft als kritische Instanz der Tradition entgegentritt, so soll allgemein die Bindung an die Erfahrung der Unbestimmtheit und Leere des Redens ebenso wie falschen Ansprüchen auf Wissen ein Ende setzen.
Eines der wichtigsten Kennzeichen des Beginns der Neuzeit ist ohne Frage dieses, daß unsere heutige Art von Wissenschaft gegenüber der Schultradition mittelalterlichen Wissensbetriebes immer mehr in den Vordergrund trat und sich schließlich durchsetzte. Dabei ging die Überzeugungskraft von zwei schon anfänglich durchaus verbundenen, aber doch höchst verschiedenen Zügen der neuen Wissenschaft aus: zum einen von der systematischen Kraft und unwiderleglichen Evidenz der Mathematik, zum andern von der ebenso selbstverständlichen Gewißheit eigener Beobachtungen gegenüber der bloßen Überlieferung früherer Lehre. Beide hatten dies gemeinsam, daß sich auf sie ein neuartiges Vertrauen in die natürliche und autonome Leistung des Menschen, sei es seiner Vernunft, sei es seiner Wahrnehmungsfähigkeit, und damit ein neues Selbstbewußtsein gründen ließ. Dies wiederum brachte unvermeidlich eine Konfontration mit der vorwiegend theologisch bestimmten Tradition mit sich. In dieser Lage konnte es nicht ausbleiben, daß zusammen mit der Entwicklung der Naturwissenschaften auch neue philosophische Entwürfe entstanden, die bis zur Diskussion theologischer Fragen reichten, die aber allemal von einer Untersuchung der Grundlagen menschlicher Vernunfttätigkeit und Erkenntnis ausgingen. In ihnen zeichnete sich allgemein für jede Art von Überzeugung und für alles vernünftige Denken die Ablösung vom schulmäßig erstarrten traditionellen Begriffsapparat und die Orientierung an den neuen wissenschaftlichen Methoden ab. Wie eng die Entwicklung der neuen Wissenschaft und der neuen Philosophie miteinander verbunden waren, ist im einzelnen ein Gegenstand für
§ 1 Der Ansatz Lockes
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fast unerschöpfliche und stets lohnende Untersuchungen, auf die ich mich hier jedoch nicht einlassen will. Es soll mir zunächst genügen, auf die Tatsache der Verknüpfung von neuzeitlicher Philosophie und Wissenschaft hinzuweisen: für die Zwecke der nachfolgenden Untersuchung gibt sie den Bezugspunkt an, über den zahlreiche der zu diskutierenden historischen Einzelfragen aus der Entwicklung des philosophischen Empirismus mit systematischen Fragestellungen unserer heutigen Philosophie der Wissenschaft verbunden werden können und sollten. Was insbesondere die Verflechtung von Philosophie und Wissenschaft bei John Locke betrifft, so fallen zeitliche Koinzidenzen, programmatische Äußerungen und biographische Daten sogleich ins Auge: So ist ζ. B. sein Hauptwerk, der „Essay concerning Human Understanding" im Jahre 1690 erschienen1, also nur wenige Jahre nach dem Hauptwerk der neuen Physik, den „Principia Mathematica Philosophiae Naturalis" Newtons. Locke versteht sich selbst als einen „untergeordneten Arbeiter" in der Gelehrtenrepublik, die er durch die Namen von Boyle, Sydenham, Huyghens und den des „unvergleichlichen" Newton, also durch die Namen großer Naturforscher und Ärzte, bezeichnet2. Und seine Biographie im ganzen zeigt deutlich, welche Rolle für ihn schon frühzeitig neben aller damals selbstverständlichen sprachlichen und literarischen Bildung, die Beobachtung und Erklärung von Naturphänomenen spielte 3 . Seine Neigung zur Chemie und mehr noch zur Medizin, auf die lange Zeit seine Bemühungen gerichtet waren 4 , hielt ihn zunächst von jenen in einem engeren Sinne philosophischen Arbeiten ab, deren Ergebnisse in dem wichtigsten Werk seines Lebens niedergelegt sind, und bereitete doch zugleich den Durchbruch zu einer neuen Denkweise vor, durch die er berühmt und bis heute wirksam geworden ist. Bei diesem auch im Falle Lockes zu beobachtenden Zusammenspiel von wissenschaftlicher Forschung und allgemeinem philosophischen Denken haben die eingangs erwähnten beiden Züge der Wissenschaft eine unterschiedliche Funktion gehabt: Die Mathematik scheint vornehmlich die Rolle gespielt zu haben, die autonome menschliche Vernunft sich selbst vertrauens1 Genauer im Dezember 1689, vgl. Cranston 1 9 5 7 , S. 3 2 7 . 2 Epistle to the Reader, S. 14. 3 Cranston 1 9 5 7 , S. 39 f., 74 ff., 1 1 7 , bes. Kap. 8. 4 Cranston 1 9 5 7 , bes. Kap. 8 und S. 1 3 8 ; vor allem vergleiche man Dewhurst 1963, der die medizinischen Studien Lockes in einer ausführlichen Monographie gebührend herausstellt und ihre Bedeutung dahin einschätzt, daß Lockes „lange Erfahrung in Medizin und Naturwissenschaft" es war, „die einen beständigen Brennpunkt für das Entstehen seines Empirismus darbot" (S. V I I I ) und daß seine „medizinische Ausbildung ihm dabei half, die gesamte empirische Bewegung der modernen Philosophie zu beginnen" (S. X I ) .
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung
würdig und ihrer selbst gewiß werden zu lassen. Der Philosoph der mathematischen Methode ist wohl nicht zufällig auch der des Selbstbewußtseins gewesen. Während die von ihm ausgehende rationalistische Tradition maßgeblich unter dem Eindruck der m a t h e m a t i s c h e n M e t h o d e stand, trat besonders in England neben diesem Eindruck 5 die Einsicht in den Vordergrund, daß auch die e m p i r i s c h e G r u n d l a g e der neuen Wissenschaften philosophisch ernst genommen werden müsse, daß es notwendig sei, die Besinnung auf den Boden der Wahrnehmungen in der N a t u r p h i l o s o p h i e zum Anlaß für eine umfassende Revision a l l e r menschlichen Erkenntnisleistungen zu nehmen. Die Bedeutung dieser Wendung scheint zunächst vornehmlich die gewesen zu sein, gegen die starr und leer gewordenen Traditionen der Schulen mit ihren wortreichen, aber sacharmen Disputationen die jedem selbst erlebbare Wirklichkeit wieder zur Geltung zu bringen. Locke jedenfalls empfand sogleich zu Beginn seines Studiums in Oxford überaus deutlich den Gegensatz zwischen tradierter verbaler Bildung und Ausbildung einerseits und selbständiger Erforschung der realen Natur andererseits. Zu lange schon hatten seiner Meinung nach „vage und bedeutungslose Reden und Mißbrauch der Sprache" als „Geheimnisse der Wissenschaft" gegolten, während sie doch in Wahrheit nur „Deckmantel der Unwissenheit und Hindernis wahrer Erkenntnis" sind 6 . Die Frage nach dieser Erkenntnis bedeutet für Locke zugleich den Einbruch in das „Heiligtum der Eitelkeit und Ignoranz" 6 ; und sie ist es, die hinter der Überzeugung steht, 5
Obwohl die Differenzierung der Aufklärungsphilosophie in die beiden Positionen des Rationalismus und des Empirismus ohne die Projektion auf den Hintergrund der neuen Wissenschaften nicht angemessen verständlicht werden kann, wäre es andererseits verfehlt, die Zuordnung von Rationalismus zu Mathematik und von Empirismus zu den Erfahrungswissenschaften zu überspitzen. Insbesondere wird im folgenden der Umstand eine Rolle spielen, daß die Mathematik auf empiristischer Seite ständig eine ausgezeichnete Sonderstellung innegehabt hat. Man denke etwa an den berühmten Sdiluß von Humes „Enquiry concerning Human Understanding": bei der fingierten Verwüstung der Bibliotheken wollte er neben den experimentellen Argumenten über Tatsachen audi noch die abstrakten Argumente über Quantität und Zahl der Nachwelt aufbehalten. Und für Locke ist die Mathematik sogar der unbezweifelbare Orientierungspunkt für eine projektierte, freilich nie ausgeführte Wissenschaft von den Prinzipien der Moral gewesen. Gerade aus einer derartigen Einschätzung heraus ergibt sich ein großer Teil der Probleme, die die Ausführung des empiristischen Grundansatzes schwierig gestalten, d.h. von Problemen, die einer einfachen und haltbaren Bestimmung von .Empirismus' entgegenstehen und um deretwillen die vorliegende Untersuchung unternommen wird.
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„Vague and insignificant forms of speech, and abuse of language, have so long passed for mysteries of science..., that it will not be easy to persuade either those who speak or those who hear them, that they are but the covers of ignorance, and hindrance of true knowledge. To break in upon the sanctuary of vanity and ignorance will be, I suppose, some service to human understanding; . . E p i s t l e to the Reader, S. 14.
§ 2 Ziel und Methode der Untersuchung
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daß „es die Mühe nicht lohnt, sich mit den Reden und Gedanken dessen abzugeben, der nur so redet und denkt, wie er von anderen angewiesen wird" 7 . Aus dem Selbstverständnis audi noch des heutigen Empirismus wohlvertraute Motive: leeren Worten Sinn zu geben, die Quelle wahrer Erkenntnis unmittelbar zu erschließen, den Umfang menschlichen Wissens abzustecken, um damit kritisch allen falschen Ansprüchen auf Erkenntnis den Boden zu entziehen — dem allem soll durch die Zuwendung zur E r f a h r u n g genügt werden: „Woher hat (der Geist) all das Material der Vernunft und der Erkenntnis? Hierauf antworte ich mit einem Wort, aus ERFAHRUNG. Auf sie ist all unser Wissen gegründet, und aus ihr wird es letztlich abgeleitet."8 Aber was heißt hier „Erfahrung" ? Was also ist mit dem eben zitierten Satz und Ansatz Lockes behauptet? Worin besteht sein „Empirismus" ? Das, was Locke „mit einem Wort" zusammenfaßte, läßt sich allenfalls mit vielen Worten auseinanderlegen; eine Antwort auf die eben gestellten Fragen erfordert einigermaßen weitläufige Untersuchungen.
§ 2: Ziel und Methode der Untersuchung: die Frage nach dem „optimalen" Empirismus Als Kern des Empirismus kann die Behauptung angesehen werden, daß ein von der Spradie ablösbares reines „Gegebenes" die einzige legitime Grundlage des Wissens sei. Im Gegensatz dazu kann aber audi die Vorstellung zugrundegelegt werden, daß schon die Erfahrungsbasis des Menschen sprachlich gestaltet sei. Von der zweiten Annahme bei der Interpretation des Lockeschen „Essay" auszugehen, wird dadurch nahegelegt, daß Locke der Spradie in der Erkenntnistheorie eine ausgezeichnete Rolle zuerkennt. Es ist überdies nicht das Ziel dieser Untersuchung, eine begrifflich bereits zu Anfang umrissenr Position, genannt „Empirismus", auf ihre Haltbarkeit hin zu überprüfen, sondern vielmehr einen möglichst überzeugenden Begriff des Empirismus e*3t zu erarbeiten. Daher wird das Studium Lockes hier darauf angelegt, über mehr vordergründige Probleme seiner Darstellung hinweg eine sachlich möglichst konsistente Interpretation derjenigen Phänomene des menschlichen Erkennens zu entwickeln, die auch Locke vor Augen hatte. Die Absicht besteht nicht darin, über den Empirismus zu entscheiden, sondern Gesichtspunkte zur Ausgestaltung eines heute noch diskutablen Empirismus aufzusuchen. 7
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„ . . . it is not worth while to be concerned what he says or thinks, who says or thinks only as he is directed by another." Epistle to the Reader, S. 8. Dies ist eine der typischen Formeln, die Locke als „Aufklärer" ausweisen. „Whence has it (sc. the mind) all the m a t e r i a l s of reason and knowledge? To this I answer, in one word, from EXPERIENCE. In that all our knowledge is founded; and from that it ultimately derives itself." II. i. 2.
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung
Die Frage nach dem Begriff des Empirismus, gerade audi im Zusammenhang mit Locke als dessen Begründer, ist neuerdings von Kambartel behandelt worden 1 . Da das seinem Buch zugrundeliegende Interesse an der „Frage nach der Möglichkeit des Empirismus"2 mit den Motiven dieser Studie eng verwandt ist, werden sich seine und diese Darlegungen über Locke teilweise überschneiden. Aber dank des im folgenden zu beschreibenden verschiedenartigen Vorgehens werden sie sich, wie ich hoffe, auch ergänzen und damit die erneute Behandlung Lockes, jedenfalls was die Intention angeht, als gerechtfertigt erscheinen lassen. Kambartel weist eingangs — vollkommen überzeugend — darauf hin, daß die üblichen Auskünfte der philosophischen Lexika zum Begriff „Empirismus" unzulänglich sind, und schließt daran eine neue Bestimmung an, die zum Zwecke seiner Untersuchung als adäquater Maßstab dessen genommen werden kann, was in Lockes Philosophie den Empirismus ausmacht oder ausmachen könnte. Sie wird durch die beiden folgenden „Grundpostulate des Empirismus" gegeben3: „ i . Es läßt sich ein unmittelbar Gegebenes vom Unterscheidungsund Aussageapparat der natürlichen Sprache wie der Wissenschafts· spräche rein ablösen. 2. Nur diejenigen Termini und Begriffe sind wissenschaftlich gerechtfertigt, deren Bedeutung bzw. Inhalt sich auf der Basis dieses Gegebenen konstruieren läßt." Der mit diesen Postulaten umrissene Begriff des Empirismus ist von Kambartel offenkundig im Hinblick darauf konzipiert, daß er eine gemeinsame Kennzeichnung bieten möge, die die „empiristische" Tradition von Locke bis zu Carnaps „Der logische Aufbau der Welt" von 1928 nicht nur als einen historischen Zusammenhang, sondern auch als systematisch zusammengehörig auffassen läßt. Uberspitzt gesagt wird Locke hier also daraufhin betrachtet, wie er sich als Vorläufer Carnaps darstellt; und dem systematisch interessierten Leser wird dementsprechend geraten, die Lektüre des KambartePschen Buches mit dem Carnap-Kapitel zu beginnen 4 . Ich kenne keine Begriffsbestimmung des Empirismus, die in ähnlicher Kürze und Deutlichkeit dieser besonderen systematischen Absicht besser dienen könnte, als die oben zitierte. 1
Kambartel 1968, Kap. 1. 2 ebda., S. 12. 3
ebda., S. 2 1 ; vgl. auch S. 12.
* ebda., S. 12.
§ 2 Ziel und Methode der Untersuchung
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Trotzdem ist sie wie alle knappen Formeln angesichts sowohl der historischen wie der systematischen Vielfalt eines philosophischen Grundproblems notwendigerweise einseitig, so daß es sinnvoll erscheint, die von dieser Formel aus erschließbaren und erschlossenen Überlegungen von anderen Gesichtspunkten aus (die wiederum ihre eigene Einseitigkeit haben werden) neu zu beleuchten und zu ergänzen. Dabei mag jenes Grundproblem ganz vage durch die Frage angegeben sein, was unser Wissen mit Erfahrung zu tun habe. Das Problematische des zitierten Empirismusbegrifles wird man wohl von vornherein in der Vorstellung einer Isolation „reiner" Erfahrungsdaten von jeglicher sprachlicher oder begrifflicher Verarbeitung dieser Daten sehen; und die eigentümlichen Konsequenzen und Mißlichkeiten dieser Annahme sind denn auch ein leitendes Thema der Analysen Kambartels und eine ergiebige Quelle von Argumenten für die Unhaltbarkeit des Empirismus. Demgegenüber werde ich in dieser Studie von der Vorstellung ausgehen, daß schon die Erfahrungsbasis durch sprachliche Artikulation ausgezeichnet ist. Eine solche Annahme wird sich natürlich auf die gesamte Auffassung, die man von „Empirismus" gewinnen kann, auswirken; wenn man nämlich in einem ersten noch unscharfen Vorbegrifi den Empirismus so verstehen darf, daß er den Versuch einschließt, das gesamte menschliche Wissen im Hinblick auf seine Beziehung zur Erfahrungsbasis zu analysieren und zu begründen. Eine Untersuchung darüber, was den „Empirismus" Lockes ausmacht, wird dann konsequenterweise die Rolle der S p r a c h e besonders hervorheben. Dies ist bei Locke keineswegs unangemessen. Schon die Tatsache, daß Locke ein ganzes seiner vier Bücher den Wörtern gewidmet hat, ist hierfür ein deutliches Indiz. Seine Begründung lautet so: „... bei näherem Zusehen finde ich, daß eine so enge Verknüpfung zwischen Ideen und W ö r t e r n besteht und daß unsere abstrakten Ideen und allgemeinen Wörter eine so beständige Beziehung zueinander haben, daß es unmöglich ist, klar und deutlich von unserem Wissen, das ganz in Aussagen besteht, zu sprechen, ohne zuerst die Natur, den Gebrauch und die Bedeutung der Sprache zu betrachten; dies muß daher die Aufgabe des nächsten Buches sein."5 5
upon a nearer approach, I find that there is so close a connexion between ideas and WORDS, and our abstract ideas and general words have so constant a relation one to another, that it is impossible to speak clearly and distinctly of our knowledge, which all consists in propositions, without considering, first, the nature, use, and signification of Language; which, therefore, must be the business of the next book." II. xxxiii. 19. Vgl. eine ganz ähnliche Formulierung in III. ix. 21.
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung
Weiterhin sah sich Locke nicht nur durch das Ziel seiner Untersuchung, nämlich die Natur und die Grenzen des menschlichen Wissens zu klären, sondern audi schon durch deren Anlaß genötigt, den Wörtern genauere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Anlaß bestand ja zumindest teilweise darin, daß Locke, wie er sagt, „das Gelände ein wenig säubern und etwas von dem Unrat, der auf dem Wege zum Wissen liegt, wegräumen" 6 wollte. Das schlimmste Hindernis auf dem Wege zum Wissen ist aber vermeintliches Wissen, das durch einen Wall von bedeutungslosen Reden geschützt ist, durch den „großen Wald der Wörter" 7 . Locke ist von folgendem überzeugt: „ . . . der größte Teil der Fragen und Kontroversen, die die Menschheit verwirren, (ist) abhängig vom zweifelhaften und unsicheren Gebrauch von Wörtern oder (was dasselbe ist) unbestimmten Ideen, für die jene stehen sollen."8 Indem sich in dieser und ähnlichen Äußerungen bestätigt, daß man Locke zu Recht als Stammvater für das sprachkritische Programm des Empirismus unseres Jahrhunderts in Anspruch nimmt, ergibt sich ein zusätzliches Motiv dafür, seine neue Methode der Ideen insbesondere auch als einen Versuch zu verstehen, die Rolle der Sprache in der menschlichen Erkenntnis zu klären. Obwohl man sich also berechtigt finden wird, den sprachlichen Aspekt der Erkenntnistheorie bei der Interpretation Lockes hervorzukehren, so muß man doch von vornherein darauf gefaßt sein, daß dies nicht leicht ohne eine gewisse einseitige Verzeichnung seines Werkes im ganzen möglich sein wird. Denn Locke macht selbst darauf aufmerksam, daß ihm die Rolle der Sprache erst verspätet klar geworden ist: „Ich muß . . . gestehen, daß ich, als ich zuerst diese Erörterung über den Verstand begann, und noch etliche Zeit danach nicht im geringLocke beschreibt seine eigene Aufgabe so: „to be employed as an under-labourer in clearing the ground a little, and removing some of the rubbish that lies in the way to knowledge". Epistle to the Reader, S. 14. 7 „the great wood of words", IV. iii. 30. 8 „the greatest part of the questions and controversies that perplex mankind depending on the doubtful and uncertain use of words, or (which is the same) indetermined ideas, which they are made to stand for"; Epistle to the Reader, S. 23. — Eine programmatische Äußerung dafür, daß seine Erkenntnistheorie zugleich kritische Analyse des Redens sein soll, lautet so: „ . . . I hope I shall be pardoned if I have in the Third Book dwelt long on this subject (sc. words), and endeavoured to make it so plain, that neither the inveterateness of the mischief, nor the prevalency of the fashion, shall be any excuse for those who will not take care about the meaning of their own words, and will not suffer the significancy of their expressions to be inquired into." Epistle, S.15. 6
§ 2 Ziel und Methode der Untersuchung
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sten daran dachte, daß irgendeine Betrachtung über Wörter überhaupt dazu notwendig wäre."9 Angesichts dieses Eingeständnisses ist es nicht verwunderlich, daß viele Überlegungen Lockes noch nicht im Einklang mit der neuen Einsicht konzipiert und formuliert worden sind. Gleichwohl erscheint es nicht unangemessen, sie auf diese Einsicht hin zu interpretieren, wo immer dies der Sache nach angezeigt ist. Zumindest liegt es nicht in meiner Absicht, den wörtlich niedergelegten historischen Bestand im engeren Sinne nicht zu überschreiten, sobald dies dem Verständnis der Sache, um die es Locke ging, dienlich werden könnte. Es wird jedoch nicht nur der eben genannte inhaltliche Akzent sein, durch den sich die folgende Arbeit von der Kambartels unterscheidet; sie steht überdies unter einer anderen Zielsetzung und befolgt eine andere Methode. Kambartel stellt, wie oben zitiert, einen bestimmten Begriff des Empirismus an den Anfang und fragt dann, ob die durch diesen Begriff bestimmte erkenntnistheoretische Position haltbar, ob der Empirismus möglich sei. Demgegenüber möchte ich darauf verzichten, mehr als relativ vage und vorläufige Formeln dessen, was man sich unter Empirismus vorzustellen habe, voranzuschicken; und auch diese Formeln sollen für nicht mehr gelten denn für Hypothesen, deren Brauchbarkeit, ja schon deren genauere Bedeutung sich erst im weiteren Verlauf der Untersuchung erweisen kann. Das Ziel besteht demnach nicht so sehr darin, eine im Prinzip umrissene erkenntnistheoretische Position zu beurteilen, als vielmehr darin, erst einmal zu erkunden, worin sie überhaupt bestehen könnte. Anders gesagt: es geht mir darum zu untersuchen, welche Möglichkeiten in dem Ansatz verborgen sind, der vage durch das Stichwort „Empirismus" bezeichnet wird; es handelt sich sozusagen um die Suche nach dem „optimalen Empirismus". Bei einer Untersuchung, die sich in dieser Weise gewissermaßen noch alle Wege offen halten will, kann man sich etwas davon versprechen, daß man einen Autor genauer betrachtet, der am Anfang einer Tradition steht, also an einer Stelle, an der manche späteren Vorstellungen noch nicht eingewurzelt und manche Vorentscheidungen späterer Diskussionen noch nicht selbstverständlich geworden sind. Sie wird aber vornehmlich dann Aussicht auf eine Belehrung zur Sache bieten, wenn die genannte Zielsetzung mit einem methodischen Verfahren verbunden wird, das man als eine harmonisierende und optimistische Interpretation beschreiben kann. Damit ist ge9 I must confess, then, that, when I first began this Discourse of the Understanding, and a good while after, I had not the least thought that any consideration of words was at all necessary to it." III. ix. 21.
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung
meint, daß es mir nicht so sehr darauf ankommen wird, die zweifellos zahlreichen Inkonsistenzen und Inkohärenzen der Darstellung Lockes genauer zu analysieren, als vielmehr darauf, die Phänomene des Erkenntnisprozesses, von denen ich meine, daß Locke sie im Auge gehabt habe, so zu erläutern, wie es nach meinem Verständnis der Versuch Lodkes im ganzen nahelegt. Wenn überhaupt, dann möchte es so am ehesten möglich sein, aus der Philosophie Lockes wenigstens so etwas wie das Programm eines heute noch diskutablen Empirismus herauszuziehen. Die angedeutete Untersuchungsmethode wie auch das erstrebte Ziel gebieten zunächst Zurückhaltung bei der Beantwortung der Fragen, was denn nun eigentlich den Empirismus Lockes ausmache, ob Locke überhaupt zu Recht ein Empirist genannt werden könne, und schließlich auch der letztlich allein wichtigen Frage, ob der Empirismus (in der Version Lockes und überhaupt) angesichts unserer heutigen wissenschaftlichen Situation eine mögliche oder sogar eine akzeptable erkenntnistheoretische Position bietet. Erst mit fortschreitender Abrundung des Bildes, das aus dem Studium Lockes hervorgeht, wird ihm so viel innerer theoretischer Zusammenhang zuwachsen, daß eine Kritik nicht nur an Einzelheiten der Lockeschen Argumentation und vor allem der Darstellungsweise, sondern auch an tiefer liegenden Annahmen oder Voraussetzungen seiner Erkenntnistheorie sinnvoll möglich ist. Solche Kritik wird sich im großen und ganzen auf die aus seiner Epoche einfließenden rationalistischen Elemente seiner Philosophie beziehen; sie wird in dem Sinne gerechtfertigt werden, daß sie Punkte bezeichnet, an denen Locke seinen eigenen Ansatz nicht voll ausschöpft oder gegen ihn verstößt. Als „sein" Ansatz wird dabei gelten, was gegenüber der vorangehenden Philosophie, besonders der Descartes', als neuartig gelten kann und was in dem Rahmen unterzubringen ist, den Locke durch das zweite Buch seines „Essay" abgesteckt hat. Die für den Philosophen entscheidende Frage, ob der Empirismus eine haltbare Erkenntnistheorie liefert, wird in dieser Studie nicht beantwortet werden. Diese ist vielmehr dazu bestimmt zu zeigen, daß die Erkundung der Möglichkeiten, die in einem empiristischen Ansatz stecken, noch nicht weit genug getrieben worden ist. Das hier vorgelegte Ergebnis wird also — neben einer möglichst einheitlichen Darstellung der Stärken und gewisser Schwächen der Erkenntnistheorie Lockes — nur darin bestehen, programmatisch bestimmte Gesichtspunkte für die Ausgestaltung eines Empirismus zu nennen, der in der heutigen Lage nach dem fortschreitenden Zerfall des Konzepts aus der Zeit des Wiener Kreises noch diskutabel sein könnte.
§ 3 Einteilung der Untersuchung
§ y.
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Zur Einteilung der Untersuchung: Empirismus der Ideen und Empirismus der Aussagen
Lockes „Essay" gibt Anlaß, den Empirismus in zwei Schritten zu betrachten: zunächst die Behauptung, daß die Bedeutung aller wissenschaftlich zulässigen Ausdrücke in Beziehung auf die Erfahrungsbasis zu bestimmen ist, sodann die Behauptung, daß die Prüfung der Wahrheit aller Aussagen unter Rückgriff auf die Erfahrung vorzunehmen sei.
Auch bevor eine genauere Bestimmung des Begriffs „Empirismus" angegeben ist, läßt sich bereits eine erste Differenzierung einführen, die den Bereich der Entitäten betrifft, bezüglich deren ein Empirismus relevant sein könnte, d. h. bezüglich deren Behauptungen von der Art, daß wir etwas „aus Erfahrung" oder „nur aus Erfahrung" haben oder gewinnen, sinnvoll aufgestellt werden könnten. Die gesuchte Differenzierung soll, statt einen Begriff vom Empirismus vorauszusetzen, vielmehr umgekehrt als ein erster Schritt, mit dem wir uns an jenen Begriff gleichsam herantasten, ausgenutzt werden. Den Weg zu ihr zeichnet Locke selbst deutlich vor. Schon der Titel des ersten Buches seines „Essay" enthält die Unterscheidung, auf die hier angespielt wird. Er lautet. „Weder Prinzipien noch Ideen sind angeboren." Locke teilt also seine polemische These, deren Verteidigung er das ganze erste Buch widmet, sogleich in zwei Thesen auf, deren erste die Angeborenheit für Grundsätze, deren zweite sie für Vorstellungen bestreitet. Welcher Zusammenhang besteht zwischen beiden Thesen? Locke spricht ihn so aus «... wenn die I d e e η , die zum Aufbau jener Wahrheiten (sc. der Prinzipien) dienen, nicht angeboren wären, so wäre es unmöglich, daß die aus ihnen aufgebauten P r o p o s i t i o n e n es sein könnten, oder daß unser Wissen von ihnen mit uns geboren würde. Denn, wenn die Ideen nicht angeboren sind, gab es eine Zeit, zu der der Geist ohne jene Prinzipien war; und dann wären sie nicht angeboren, sondern von irgendeinem anderen Urbild abgeleitet. Denn wo die Ideen selbst nicht sind, da können über sie auch kein Wissen, keine Zustimmimg und keine gedachten oder sprachlich formulierten Propositionen sein." 1 „... if the i d e a s which made up those truths (sc. the principles) were not, it was impossible that the p r o p o s i t i o n s made up of them should be innate, or our knowledge of them be born with us. For, if the ideas be not innate, there was a time when the mind was without those principles; and then they will not be innate, but be derived from some other original. For, where the ideas themselves are not, there can be no knowledge, no assent, no mental or verbal propositions about them." I. iii. i; vgl. auch I. i. 18; I. iii. 20.
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung
Behauptungen und Argument dieses Zitats bedürfen wohl kaum des Kommentars, so daß ich sogleich zu gewissen Folgerungen übergehen möchte, die in die Problematik dessen, was Empirismus bei Locke alles heißen könnte, hineinführen. Dazu sei gefragt, ob ein ähnliches Theorem wie das eben über die Eigenschaft „angeboren" zitierte auch über die Eigenschaft „aus Erfahrung stammend" gültig wäre. Das obige Theorem lautet kurz so: Wenn Propositionen angeboren sind, dann auch die in sie eingehenden Ideen; oder kontraponiert: wenn die in eine Proposition eingehenden Ideen nicht angeboren sind, dann auch nicht die Proposition. Eine intuitiv plausible Hypothese ist nun die, daß „nicht angeboren" ein zu „aus Erfahrung stammend" äquivalentes Prädikat ist. Denn, so möchte man wohl sagen, wenn ein Mensch einen Verstandesinhalt nicht von Geburt her mitbringt, später aber irgendwann besitzt, muß er ihn erworben haben; und wenn wir dabei von übernatürlichen Quellen absehen, so muß er wohl aus Erfahrung stammen. Dann aber folgt aus obigem Theorem bzw. seiner Kontraposition sofort ein Theorem, das unmittelbar die Struktur des Empirismus betrifft, die wir vielleicht bei Locke erwarten sollten: Wenn die in eine Proposition eingehenden Ideen aus Erfahrung stammen, dann auch die Proposition 2 . Hiernach würde es genügen, über den empirischen Ursprung der Ideen positiv zu entscheiden, um einen Empirismus auch aller Aussagen, d. h. des gesamten theoretischen Wissens, zu begründen. Tatsächlich ist die Lage keineswegs so einfach. Trotz jenes zitierten Theorems aus dem ersten polemischen Buch des Essay bietet sich die eigene konstruktive Theorie Lockes in den weiteren Büchern verwickelter dar. Schon im ersten Buch selbst deutet sich dies an 3 : Locke betrachtet dort den Begriff der „Evidenz" von Aussage im Verhältnis zur Angeborenheit. Evidente Aussagen, nämlich solche, die jeder, sobald er sie nur verstanden hat, als wahr zugestehen muß, gibt es in großer Zahl, ζ. B. in Mathematik, Naturwissenschaft oder Logik. Eine besondere (noch zu besprechende) Klasse unter ihnen sind die Aussagen über die Verschiedenheit zweier Ideen, d. h. solche vom Typ „weiß ist nicht schwarz"; derartige Aussagen lassen sich aber über je zwei ganz beliebig gewählte Ideen machen. Wäre also ihre (für Locke) offenkundige Evidenz ein Kriterium ihrer Angeborenheit, so müßten laut obigem Theorem a l l e Ideen angeboren sein, was unsinnig ist. Damit 2 Genauer wäre natürlich noch festzulegen, ob jeweils alle oder nur einige Ideen aus Erfahrung stammen müßten. Lockes Argument wäre ofienbar dahin zu präzisieren, daß die Angeborenheit einer Proposition die aller eingehenden Ideen zur notwendigen Bedingung hat. Entsprechend würde der empirische Charakter auch nur einer in eine Proposition eingehenden Idee bereits hinreichen, um diese empirisch zu machen. 3 I. i. 18, vgl. auch I. i. 21.
§ 3 Zur Einteilung der Untersuchung
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sind von Locke Aussagen angenommen, die obwohl nicht angeboren, doch keiner besonderen Berufung auf die Erfahrung bedürfen, um als wahr gelten zu können. An einem anderen Typ von Aussagen erläutert Locke ebenfalls schon im ersten Buch die von ihm hier ins Auge gefaßte Situation noch etwas näher: Die Ideen stammen aus Erfahrung (was immer dies heißen mag), jedenfalls werden sie erst mit der Zeit und unter geeigneten Umständen erworben; so z.B. auch die Ideen „Anbetimg"4 und sogar die Idee „Gott", von der man doch am ehesten annehmen sollte, daß er selbst sie uns von Geburt her eingeprägt habe 5 . Zu einer diese beiden Ideen betreffenden Aussage gelangen wir dann aber ohne weiteres, insbesondere ohne weitere Erfahrung, ja sogar ohne Rücksicht darauf, daß wir die Ideen aus Erfahrung gewonnen haben: „wie auch immer die Ideen zustandgekommen sind, die Zustimmung zu Worten, die die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung derartiger Ideen ausdrücken, wird notwendigerweise folgen. Jeder, der eine wahre Idee von G o t t und A n b e t u n g hat, wird der Aussage zustimmen, ,Daß Gott anzubeten ist', wenn sie in einer ihm verständlichen Sprache ausgedrückt wird." 6 Hiermit ist deutlich gesagt, daß zumindest für Aussagen „nicht angeboren" keineswegs äquivalent mit „aus Erfahrung stammend" ist. Und damit ist auch klar, daß, was immer Lockes Empirismus ausmachen mag, dieser nicht einfach als Leugnung der Existenz angeborener Verstandesinhalte bestimmt werden darf; vielmehr ist er offenbar eine speziellere und komplexere Theorie, die die Ablehnung angeborener Prinzipien und Ideen lediglich als eine notwendige Bedingung enthält. Und es zeichnet sich ab, daß diese Theorie für I d e e n einerseits und A u s s a g e n andererseits Verschiedenes besagen wird. Denn die Komplikation, auf die wir hier gleich zu Anfang gestoßen sind, hat offenbar mit der unterschiedlichen Rolle von Ideen und Aussagen in unserer Erkenntnis zu tun. Wörter, die Ideen bezeichnen, können und müssen hinsichtlich ihrer Bedeutung bestimmt werden; die Aussagen bedürfen dagegen nicht nur einer Klärung ihres Sinnes, sondern darüberhinaus einer Bewahrheitung oder Widerlegung. Aus dieser Bemerkung ergibt sich sogleich eine weitere Unterscheidung im Bereich dessen, worauf sich eine empiristische These beziehen kann: einerseits auf die * I. iii. 7. 5 I. iii. 8—18, bes. 8 und 18. 6 „... however the ideas came there, the assent to words expressing the agreement or disagreement of such ideas, will necessarily follow. Every one that has a true idea of G o d a n d w o r s h i p , will assent to this proposition, ,That God is to be worshipped,' when expressed in a language he understands; . . I . iii. 20.
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Teil I: Gegenstand und Methode der Untersuchung
E r k l ä r u n g d e r B e d e u t u n g der Bausteine unserer Erkenntnis (Wörter bzw. Ideen sowohl wie Aussagen bzw. gedachten Propositionen7), andererseits auf die B e g r ü n d u n g d e r W a h r h e i t von Aussagen. Es sieht nun so aus, als ob Locke zwar einen „Empirismus der Bedeutung" , nicht aber einen „Empirismus der Wahrheit" vertreten habe. Jedenfalls ist seine Annahme evidenter Aussagen, wie es ja naheliegt, verbreitet als ein Verstoß gegen den Empirismus bzw. als nicht empiristisches Element seiner Erkenntnistheorie verstanden worden 8 . Und wenn dann bei näherer Analyse seiner Auffassungen etwa die Mathematik, aber auch die Moral und die natürliche Religion, woher das letzte Beispiel genommen war, als sowohl nicht-empirische wie auch „synthetische" (d. h. nicht allein Wortbedeutungen betreffende) Erkenntnis eingeordnet werden muß, liegt tatsächlich der Schluß nahe, daß die eigentliche Pointe des Locke'schen Empirismus in seiner These über den Ursprung der Ideen liegt und nicht in seiner Lehre von den verschiedenen Arten wahrer Aussagen 9. Jedenfalls wird man sich nach diesen vorgreifenden (im folgenden noch näher zu besprechenden) Beobachtungen gezwungen sehen, Lockes Empirismus bezüglich der Ideen einerseits und bezüglich der Aussagen andererseits in zwei getrennten Schritten zu betrachten. Dabei sei unter „Empirismus der Ideen" vorerst vage die Behauptung verstanden, daß alle Bedeutungen von Wörtern mit Rückgriff auf Erfahrung zu erläutern seien, bzw. — in Lockes Sprache ausgedrückt — daß alle unsere Vorstellungen aus der Erfahrung entstehen, und unter „Empirismus der Aussagen", daß die Begründung der Wahrheit aller Aussagen nur unter Berufung auf Erfahrung möglich sei.
7 Locke unterscheidet wie zwischen „word" und „idea", so auch zwischen „verbal propositions" und „mental propositions", IV. ν. 2. s Hierfür seien aus älterer und neuerer Zeit als Beispiele herausgegriffen: Reid 1785, Essay VI. Chap. V I I . S. 465—467; Hamilton 1841, § 6, No. 5 1 ; Pap 1958, Kap. 3, bes. S. 54, 58—61. 9 So hat sich ζ. B. Pap geäußert: „Was seine (sc. Lockes) Epistemologie von der der Rationalisten Leibniz und Kant abhebt, ist nicht die Leugnung synthetischer Erkenntnis a priori . . . , sondern die Behauptung, daß alle einfachen Ideen aus Sinneswahrnehmung und/oder „Reflexion" (d. h. Introspektion) stammen." Pap 1958. S. 62 f.
Teil II: Der Empirismus der Ideen 5 4:
Über die Erfahrungsbasis: Probleme und Inkonsistenzen
Grundlage der empiristischen Erkenntnistheorie ist eine Bestimmung der Erfahrungsbasis. Als eine solche kann bei Locke weder die Menge der „einfachen" nodi die Menge der „partikulären" Ideen angesehen werden, ohne daß sich ernste Unstimmigkeiten mit anderen Stücken seiner Erkenntnistheorie ergeben. Es sieht so aus, als ob die Frage nach der Basis nicht nur keine Antwort finde, sondern sogar auf Widersprüche führe.
In diesem Abschnitt beginne ich mit der Behandlung des „Empirismus der Ideen", d. h. mit der Behauptung, daß wir die Vorstellungen, die wir mit den Wörtern uns bekannter Sprachen verbinden, aus der Erfahrung gewinnen; oder, etwas weniger genau an die Sprechweisen Lockes angelehnt: daß wir die Bedeutungen der Wörter unter Verweis auf bzw. im Kontext von Erfahrungssituationen erlernen bzw. vermitteln müssen. Obwohl bei einer empiristischen These dieser Art von Aussagen und ihrer Begründung oder Widerlegung bereits abgesehen ist, ist sie doch immer noch sehr allgemein. Andererseits sollte man anmerken, daß ihre Allgemeinheit hinter dem zurückbleibt, was — streng genommen — für eine Locke-Interpretation diskutiert werden müßte. Denn bei Locke steht „Idee" für „jegliches Objekt des Verstandes, wenn ein Mensch denkt"; der Terminus wird von ihm für all das verwendet, „was mit Phantasievorstellung gemeint ist, mit Begriff, Art, oder was es sonst immer sein mag, womit der Geist beim Denken beschäftigt sein kann" 1 . Diese Umschreibung stellt z.B. nicht sicher, daß alle Ideen einen sprachlichen Ausdruck finden können, ja dies ist nach Lockes Meinung unmöglich2. Aber schon in dem engeren, nämlich sprachlich repräsentierten, Bereich der Denkinhalte lassen sich alle Überlegungen und Unterscheidungen anbringen, an denen wir im Rahmen einer Erkenntnis1
„ . . . idea . . . being that term which, I think, serves best to stand for whatsoever is the o b j e c t of the understanding when a man thinks, I have used it to express whatever is meant by p h a n t a s m , n o t i o n , s p e c i e s , or w h a t e v e r i t i s w h i c h t h e m i n d c a n b e e m p l o y e d a b o u t i n t h i n k i n g " , Introduction § 8. 2 I I I . iii. 2 — 3 ; Epistle to the Reader, S. 23.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
theorie oder Wissenschaftsphilosophie sinnvollerweise interessiert sein können; und innerhalb dieses Rahmens soll, wie angekündigt, die Frage nach dem Empirismus im folgenden gehalten werden. Tatsächlich — und das wird sich im einzelnen noch deutlich zeigen — hält sich Locke selbst innerhalb dieses Rahmens, wodurch diese im folgenden bevorzugte Akzentuierung der Locke-Interpretation veranlaßt und gestützt wird. Schon dieser Bereich geht nun offenkundig immer weit über alle unmittelbare Erfahrung hinaus: Die Ideen von Mensch und von Pferd mögen zwar allein der Erfahrung entnommen sein, die Phantasiegestalt des Kentauren ist in ihr nicht aufweisbar. Und es mag zwar so sein, daß wir „rot" und „Holz" allein ostensiv definieren3 können, der Begriff „rotes Holz" läßt sich jedoch schon durch Verweis auf seine Bestandteile verstehen bzw. definieren und auch ohne vorherige Erfahrung gegebenenfalls anwenden. Er ist mithin womöglich nur indirekt auf Erfahrung bezogen. Daraus ergibt sich für eine systematische Rekonstruktion der Herkunft aller Ideen bzw. Bedeutungen aus der Erfahrung die Nötigung zu einer weiteren Differenzierung zwischen den bloß mittelbar und den unmittelbar auf Erfahrung bezogenen Vorstellungen. Die letzten seien die Basisideen oder kurz die Basis genannt4. Es ist dann zu fragen: Welche Ideen gehören zur Basis? Oder auch: welche Wörter gehören zur Basis? Da in Kambartels schon zitierter Präzisierung von „Empirismus" (s. o. § 2) die Existenz einer isolierbaren Basis konstitutiv ist, hat er u. a. auch Locke betreffend gerade dieses Problem ausführlich erörtert, so daß ich seine Darstellung voraussetzen und im folgenden mit Vorteil daran anknüpfen kann. Kambartel ist bei seiner Analyse des Locke'schen Empirismus auf eine Zweideutigkeit der Abgrenzung zwischen Erfahrungsbasis und Verstandesarbeit gestoßen. Wie er im einzelnen ausführt und begründet, kann diese Grenze gesehen werden. (1) Zwischen den von Locke „einfach" und den von ihm „komplex" genannten Ideen; (2) zwischen den „besonderen" (particular) und den „allgemeinen" oder „abstrakten" Ideen 5 . Bei der Abgrenzung nach (1) kann man sich darauf berufen, daß alle einfachen Ideen nach Locke ausschließlich aus der Erfahrung entnommen werden können, wobei keinerlei Möglichkeit einer aktiven Beeinflussung, Gestaltung oder Umgestaltung durch den menschlichen Verstand besteht6, und daß nur sie diese 3 Zum Begriff ,ostensive Definition' vgl. Anm. 2 1 zu § 5. Locke spricht vom „groundwork", auf das alle unsere übrigen auf natürliche Weise erreichbaren „notions" gebaut sind. II. i. 24. 5 Kambartel 1968, 2. B. S. 36 mit Anm. 56. 6 Vgl. ζ. Β. I I . i. 25, I I . ii. 2.
§ 4 Uber die Erfahrungsbasis: Probleme und Inkonsistenzen
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Eigenschaft haben 7 . Bei der Abgrenzung nach (2) wird man auf die ausführliche Darstellung Lockes von seiner Abstraktionstheorie in Buch I I I , Kapitel iii verweisen, derzufolge wir bei der Bildung von Ideen zunächst von den Vorstellungen individueller Gegenstände, etwa Personen, ausgehen. Als Basis jeder Abstraktion werden dort die „besonderen komplexen Ideen von . . . besonderen existierenden Dingen"8 angegeben; diese erscheinen also auch als Ausgangspunkt für die Bildung einfacher Ideen und damit letztlich aller Ideen des Verstandes, also als die eigentliche Basis. Bei genauerem Zusehen wird man nun sagen müssen, daß sich die Bestimmung der Erfahrungsbasis nach (1) für Locke aus verschiedenen Gründen verbieten sollte: a) Seine Methode ist die von ihm so genannte „historische, einfache Methode"9, d. h. die schlichte Berichterstattung über Beobachtungen des Erkenntnisvorgangs bzw. der Verstandestätigkeit beim Menschen. Dabei richtet sich das Augenmerk auf das empirische Zustandekommen der Ideen, den biographischen Weg eines jeden Menschen zu seinen Ideen und Erkenntnissen. Von dieser Ausrichtung auf die Genese des Wissens her, die den ganzen „Essay" prägt, muß jedoch das jeweils einzelne Ereignis des Empfangs und der Bildung von Vorstellungen an den Anfang gestellt werden. Daher kann an diesem Anfang nicht schon eine allgemeine Idee stehen, sondern jeweils nur gewisse einzelne „Eindrücke" 10 , die nach Lockes Vorstellungen von jeweils besonderen existierenden Gegenständen herrühren und dementsprechend k o m p l e x sein werden n . b) Komplexe Ideen direkt aus der Erfahrung entnehmen zu können, ist eine notwendige Bedingung menschlicher Erkenntnis. In aller Naturerkenntnis, die Locke, noch von traditioneller philosophischer Lehre abhängig, einschränkend als Erkenntnis der Koexistenz von Qualitäten in Substanzen bestimmt, bedürfen wir der unmittelbaren und simultanen Beobachtung von Ideenkomplexen. Diese können nach Locke (jedenfalls für uns Menschen) 7 Da alle komplexen Ideen ausschließlich aus unwillkürlich gegebenen einfachen Ideen bestehen (II. xii. 1 Anfang), kann jede einzelne von ihnen, ob sie nun de facto aus Erfahrung stammt oder nicht, mindestens a u c h durch aktive Operationen des Verstandes zustande kommen, die er bezüglich aller einfachen Ideen ausüben kann. 8 „particular complex ideas of several particular existences", III. iii. 9. Auf diese Stelle beruft sich auch Kambartel (Kambartel 1968, S. 33), dessen sorgfältige Darstellung idi hier kurz zusammenfasse. 9 „historical, plain method", Introduction § 2. Der Ausdruck „impression", den erst Hume zum systematischen Terminus erhoben hat, findet sich in diesem Zusammenhang verschiedentlich auch schon bei Locke:
II. i. 23—2y, II. ix. 15; II. x. 3; II. xxi. 1.
11 Vgl. Anm. 8.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
nicht indirekt (etwa aus einem einsehbaren Zusammenhang einfacher Ideen) erschlossen werden; die direkte Kenntnisnahme komplexer Ideen als Daten der Basis ist demnach unentbehrlich. Entsprechend betrachtet Locke gelegentlich erfahrene und gemachte Ideenkomplexe nebeneinander n . Also koinzidiert die Grenze zwischen Erfahrungsbasis und Verstandesprodukten nicht mit derjenigen zwischen einfachen und komplexen Ideen, sondern läuft mitten durch den Bereich der komplexen Ideen hindurch. Man kann den beiden Punkten a) und b) hinzufügen, daß abgesehen von Lockes Meinung die Sachlage eben die ist, daß uns die Wahrnehmung u η m i t t e l b a r komplexe Phänomene an die Hand gibt, die einer weiteren Analyse zugänglich und bedürftig sind. c) Schließlich ist es nicht nur so, daß nicht alle komplexen Ideen aus der Basis ausgeschlossen werden können, sondern überdies gehören alle einfachen Ideen nicht zu ihr. Nach Locke sind nämlich alle allgemeinen oder abstrakten Ideen ein Erzeugnis des Verstandes: „Universalia, ob Ideen oder sprachliche Ausdrücke, sind gemacht."13 Nun sind aber gerade auch die einfachen Ideen wie ,weiß' und ,rund* usw. a b s t r a k t , d. h. ihre Namen sind Prädikate bzw. Bezeichnungen von Klassen und keine Eigennamen. Locke spricht davon zwar nur beiläufig 14 ; aber seine Verwendung des Beispiels ,weiß' in I I . xi. 9, das dem obigen Zitat unmittelbar vorangeht, belegt eindeutig, daß er sich über diese offenkundige Konsequenz seiner Abstraktionstheorie im Klaren war. Auf Grund der Punkte (a)—(c) scheint keine andere Auskunft mehr übrig zu bleiben als die, daß Locke die Abgrenzung der Erfahrungsbasis nach (2) beabsichtigt hat. Aber auch diese Annahme ist nicht ohne Schwierigkeiten: a') Bei den „besonderen Ideen" (particular ideas) muß es sich, wie oben unter (a) begründet wurde, um die jeweils für eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen komplexen Vorstellungen handeln, die zwar von einem einzelnen Gegenstand herrühren, aber nie mit der Vorstellung von einem in der Zeit beständigen Gegenstand, also von einem Ding 12 I I . xii. 1 . 13 „ . . . universals, whether ideas or terms, are made". II. xi. 9. Eine besonders deutliche Stellungnahme gegen den Universalienrealismus ist das folgende Fazit, mit dem Lodce seine Abstraktionstheorie abschließt: „It is plain, by what has been said, that g e n e r a l and u n i v e r s a l belong not to the real existence of things; but are the inventions and creatures of the understanding, made by it for its own use, and concern only signs, whether words or ideas." I I I . iii. 1 1 . 1+ Zwei Stellen (II. xxxi. 12, I I I . iv. 2) werden von Kambartel 1968, S. 26, Anm. 3 1 angegeben.
§ 4 Über die Erfahrungsbasis: Probleme und Inkonsistenzen
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im üblichen Sinn dieses Wortes, identisch sein können, da die Benennung eines Dinges mit einem zeitüberbrückenden Namen bereits einer Überschreitung des jeweils einzelnen Bewußtseinsdatums und einer Integration vieler solcher (wirklicher und möglicher) Daten bedarf 1 5 . Sollte Locke also wirklich mit der Bestimmung der Basis nach (2) Ernst machen wollen, so ergäbe sich für seine Theorie folgende Mißlichkeit: Er könnte die Ideen der Basis nicht namhaft machen; sein Aufbau des menschlichen Wissens hinge gewissermaßen über einem unsicheren Boden in der Luft. Und das wäre im wesentlichen auch dann noch der Fall, wenn (was streng genommen nicht sein dürfte) die Idee eines Einzeldinges, und nicht nur eine jeweilige einzelne Idee direkt erfahren werden und damit zur Basis gehören könnte. Denn selbst dann ließe sich diese Basis nur durch „endlos" viele Namen 16 namhaft machen und wäre, wie auch Locke nachdrücklich klarmacht17, für jegliche Erkenntnis, in der es immer um Allgemeines geht, gänzlich nutzlos. An dieser Stelle liegt der Kernpunkt der Kritik Kambartels, die darauf hinauskommt, daß die „Basiserfahrung, konsequent durchdacht, vollkommen unbestimmt und unbestimmbar bleibt" 18 . Ich kann mich auf seine ausführlichere Begründung hierzu berufen, wenn ich für diesen Punkt der Argumentation den Schluß ziehe, daß eine nicht sprachlich faßbare Erfahrungsbasis nicht geeignet ist, als explizit greifbares Fundament eines weiteren explizit angebbaren Aufbaus der Ideen und Erkenntnisse, d. h. eben als eine „Basis", verwendet zu werden. Gerade eine solche explizite Darstellung aber hat Locke geben wollen und gegeben. Mithin kann die Abgrenzung dessen, was ihm dabei de facto als Basis diente, auch nicht nach (2) festgelegt gewesen sein 19 . 15
16 17 is 19
Locke hat zwischen der „particular idea" als einer, wie er sagt, „particular existence" in jedermanns eigenem Bewußtsein (IV. xvii. 8) und der „particular idea" als adäquater Repräsentation eines „particular object" nie sauber unterschieden. Zwar wählte er stellenweise vorsichtige Formulierungen wie „particular ideas received from particular objects" (II. xi. 9), die jenen Unterschied zu machen erlauben; aber andererseits beginnt er die ausführliche Darstellung seiner Abstraktionstheorie an Hand von Beispielen sogleich bei „particular ideas" von (zeit- und aspektinvarianten) Einzelgegenständen, nämlich Personen, für die er Namen sinnvoll einführen kann bzw. zur Verfügung hat. Namen sind natürlich auch für ihn Bezeichnungen nicht von zeitlich und persönlich gebundenen Impressionen, sondern von Dingen, oder allenfalls intersubjektiven Ereignissen. II. xi. 9. III. iii. 2—4, bes. § 4. Kambartel 1968, S. 30. Ich übergehe hier die Schwierigkeiten, die sich nicht nur bei Lodce, sondern grundsätzlich in der konsequenten Fortführung dieses Ansatzes ergeben, und berufe midi hierfür wiederum auf die überzeugende Darlegung dieser Probleme bei Kambartel. Eine ähnliche Diagnose hat neuerdings auch Mittelstrass gestellt (1970; § 11.5).
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
b') Aus der Bemerkung, daß Locke de facto explizite Angaben über Basis und Aufbau der Erkenntnis macht, ergibt sich sogleich eine zweite Schwierigkeit der Bestimmung der Basis nach (2): Locke führt eben die einfachen Ideen ausdrücklich als irreduzible Produkte der Erfahrung an und beginnt von ihnen ausgehend den Aufbau des Ideenvorrats. Ebensowenig wie dieser faktische Aufbau der Erkenntnistheorie läßt die Deutlichkeit der These zu wünschen übrig, daß einfache Ideen „Kopien" 20 seien; ζ. B. heißt es: „Ebensowenig wie ein Spiegel die Bilder oder Ideen, die davor gestellten Gegenstände in ihm erzeugen, zurückweisen, abändern oder auslöschen kann, kann der Verstand die einfachen Ideen zurückweisen, wenn sie dem Bewußtsein dargeboten werden, oder abändern, wenn sie eingedrückt werden, oder sie auslöschen und selbst neue machen."21 Der Verstand ist beim Zustandekommen einfacher Ideen „bloß passiv" 72 ; „ . . . bei einfachen Ideen ist der Geist gänzlich beschränkt auf die Einwirkung der Dinge auf ihn, und kann sich selbst keine einfache Idee machen über diejenigen hinaus, die er empfangen hat" 23 . Diese Formulierungen drängen erstens wieder zurück in Richtung auf eine Bestimmung der Basis nach (1), und, schlimmer noch, bringen zweitens in Zusammenhang damit einen Widerspruch in Lockes Ideenlehre markant zum Vorschein: denn oben unter (c) fanden wir klar ausgesprochen und an dem Beispiel der einfachen Idee ,weiß' belegt, daß die einfachen Ideen „gemacht" sind. Auch ,weiß gehört zu den „Standards zur Einordnung real Daß Locke, und daß eine empiristisciie Philosophie, die sich auf Lodce stützen möchte, notwendig auf die hier gesehenen Schwierigkeiten fixiert werden muß, wird allerdings in der gesamten folgenden Untersuchung in Frage gestellt. 20 I I . xxxi. 12. 21 „These simple ideas, when offered to the mind, the understanding can no more refuse to have, nor alter when they are imprinted, nor blot them out and make new ones itself, than a mirror can refuse, alter, or obliterate the images or ideas which the objects set before it do therein produce." I I . i. 25. Eine gleichartige These formuliert Lodce übrigens auch bezüglich der sprachlichen Bezeichnungen von Ideen, im Hinblick auf die wir wohl Lockes Theorie der Ideen ohnehin zu interpretieren geneigt sein werden: „ . . . those (sc.names) o f s i m p l e i d e a s a r e perfectly taken from the existence of things, and are not arbitrary at all." I I I . iv. 1 7 . (Natürlich meint Lodce hier nicht, daß die Wörter selbst naturbestimmt wären, wohl aber, daß wir bei der Angabe ihrer Bedeutung, sofern diese einen einfachen Charakter von Erscheinungen bzw. eine einfache Idee betrifft, durch die erfahrenen Dinge völlig festgelegt sind.) 22 I l . i . 25, I l . x i i . 1. 23 „ . . . in simple ideas . . . the mind is wholly confined to the operation of things upon it, and can make to itself no simple idea, more than what it has received." I I . xxx. 2.
§ 5 Neuer Versuch zur Bestimmung der Erfahrungsbasis
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existierender Dinge in Arten (sorts)"24; und „das Sortieren von Dingen ist das Werk des Verstandes, der abstrahiert und jene allgemeinen Ideen macht"25. Bezüglich einfacher Ideen werden also von Locke dem Verstände in widersprüchlicher Weise sowohl Aktivität als auch Passivität zugeschrieben. Die bisherigen Überlegungen scheinen zu zeigen, daß es Locke nicht gelungen ist, eine Erfahrungsbasis anzugeben. Weder die einfachen noch die besonderen Ideen können die Basis ausmachen, so daß kein Vorschlag zu deren Bestimmung übrig bleibt. Schlimmer noch: dieses Ergebnis hängt, wie sich aus den angeführten Argumenten ergibt, unmittelbar mit w i d e r s p r ü c h l i c h e n Tendenzen Lockes bei der Festlegung der Basis zusammen: die einfachen Ideen sollten einmal unabänderlich g e g e b e n , dann aber als abstrakte Ideen audi wieder vom Verstände g e m a c h t sein; und die für den empiristischen Standpunkt Lockes charakteristische genetische Betrachtungsweise der Erkenntnis schloß eine explizit angebbare Basis aus, während Locke doch einen expliziten Aufbau des Begriffsapparates auf einer explizit angegebenen Basis wenigstens stückweise vorführt. Mit solchen Inkonsistenzen belastet scheint das Fundament der Lockeschen Theorie, das sie als „empiristisch" (wenigstens im Sinne eines „Empirismus der Ideen") ausweisen sollte, vor unseren Augen zu zerfallen, derart, daß schon der Ausgangspunkt jenes neuen Weges der Erkenntnistheorie im Dunkeln bleibt und ihre weitere Durchführung günstigenfalls gewissermaßen in der Luft hängt. Will man sich damit nicht zufrieden geben, so muß man versuchen, die genannten Widersprüche zu vermeiden und eine neue Bestimmung der Basis anzugeben.
§ 5: Neuer Versuch zur Bestimmung
der
Erfahrungsbasis
Obwohl die Formulierungen Lockes durch die in § 4 besprochenen Widersprüche belastet sind, lassen sie doch die von ihm gesehene Sache erkennen: Als Erfahrungsbasis läßt sich die Menge derjenigen Ideen auffassen, deren Vermittlung nur im Zusammenhang mit jeweils eigenen Erfahrungen möglich ist. Als intersubjektiv konstanten Anteil enthält sie die einfachen Ideen, als variablen, aber nicht verschwindenden Anteil die Ideen von einzelnen Dingen oder Ereignissen. Daß eine Idee „einfach" ist, besagt nicht, daß ein bestimmter psychischer Inhalt oder die mit der Idee gemeinte Sache keiner weiteren Analyse fähig oder bedürftig sei.
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„standards to rank real existences into sorts", II. xi. 9. „ . . . the sorting of things is the workmanship of the understanding that abstracts and makes those general ideas." III. iii. 12.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
Da es nicht plausibel ist, daß einem Denker vom Range Lockes (und dazu noch seinen kritisch eingestellten und scharfsinnigen Lesern 1 ) ein simpler und offenkundiger Widerspruch entgangen sein sollte, werde ich im folgenden einen neuen Versuch machen, die Frage nach der Basis und Lockes zugehörige Antwort zu interpretieren, um damit wenigstens einen konsistenten Ansatz des Empirismus der Ideen sichtbar zu machen. Dabei werde ich zunächst den unter (b') gegen Ende des vorigen Paragraphen angeführten Widerspruch hinsichtlich der einfachen Ideen aufzulösen versuchen, um anschließend von da aus zu einer neuen sowohl von (i) wie (2) in § 4 abweichenden Bestimmung der Basis zu gelangen. Ich beginne also mit der Behauptung: Die beiden Aussagen Lockes, einfache Ideen seien passiv aus der Erfahrung abzulesen und sie seien vom Verstände durch Abstraktion erst herzustellen, sind nur dem Wortlaut nach unverträglich, bilden aber, was die gemeinte Sache angeht, keinen Widerspruch. Zur Begründung dieser These ist zunächst eine Mehrdeutigkeit im Begriff des „Machens" (to make) zu betrachten, auf die Locke keine Aufmerksamkeit verwandt oder gelenkt hat: (1) Wenn vom „Machen" von Ideen die Rede ist, kann dies auf das Herstellen gänzlich neuer, über alle bisherige Erfahrung und vielleicht überhaupt über alle Erfahrung hinausliegender Ideen bezogen werden; so ζ. B. bei der Bildung von Phantasiegestalten wie „Kentaur". Maßgeblich dabei ist jene Fähigkeit, die Locke „Zusammensetzen" („compounding", „composition" ) nennt, worunter auch das wiederholte Zusammenfügen derselben Ideen („enlarging") gehört2. Dies mag kurz „synthetisches Machen" heißen. (2) „Madien" von Ideen oder „Operieren des Geistes" ist aber auch das Abstrahieren. Hierbei ist die Willkür des Verstandes auf einschneidende Weise dadurch eingeschränkt, daß eine oder mehrere (woher auch immer stammende) komplexe Ideen vorgegeben sind. Die Tätigkeit des Geistes beschränkt sich auf das „Weglassen" („leaving out" 3 ) von Teilideen aus dem Ideenkomplex. Wenn Kinder die Idee „Mensch" bilden, heben sie auf das Gemeinsame der Ideen ab, die sie von den ihnen bekannten Menschen haben; sie lassen aus den komplexen Ideen von Peter, Jakob, Maria usw. das jeder einzelnen Eigentümliche weg und behalten das allen Gemeinsame bei. „Dabei machen sie nichts Neues", 1 Leibniz bestreitet zwar allgemein die Passivität des Geistes bezüglich einfadier Ideen, zunächst für Ideen der Reflexion (Leibniz ca. 1700, I l . i . 25), dann allgemein (II. xxx. 3); aber audi er argumentiert nicht mit der Inkonsistenz der Lockeschen Theorie der einfachen Ideen. 2 I I . xi. 6. 3 I I I . iii. 7, 8, 9; I I I . ix. 14.
§ 5 Neuer Versuch zur Bestimmung der Erfahrungsbasis
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sagt Locke wörtlich 4. Diese Art des Machens mag „analytisches Machen" genannt werden. Ob alle Verstandestätigkeit eindeutig unter (i) oder (2) eingeordnet werden kann, ist angesichts der groben Einteilung, die zunächst nur das Augenmerk auf die Vagheit des Terminus „Machen" lenken sollte, allerdings unklar, kann aber für das weitere Argument auch offen bleiben. Für die Aufklärung der Inkonsistenz, um die es in diesem Abschnitt geht, ist weiterhin die Abstraktion noch näher zu betrachten. Das Verfahren des Weglassens erlaubt immer noch, ganz verschiedene Ideen aus einer oder mehreren gegebenen Ideen zu bilden; und hierin scheint völlige Willkür zu herrschen, das Moment der Aktivität des Verstandes zu dominieren: die Produkte der Abstraktion sind „die Erfindungen und Geschöpfe des Verstandes, für ihn zu seinem eigenen Gebrauch gemacht"5. Diese und vergleichbare Bekenntnisse Lockes zum Nominalismus oder Konzeptualismus müssen aber mit einer gewissen Vorsicht gelesen und mit anderen Äußerungen konfrontiert werden, die erkennen lassen, wie sich im einzelnen die Beschränkung durch vorgegebenes Material beim „analytischen Machen" auswirkt. Zunächst läßt sich an einem sehr komplex zu denkenden Material besonderer Ideen die Aufmerksamkkeit freilich nach Gutdünken auf verschiedenste Merkmale richten, und das in verschiedenen Stufen zu gliedernde 6 Gefüge der Abstraktionen kann sowohl zum Allgemeinen wie zum Besonderen hin an beliebiger Stelle abgebrochen werden. Locke veranschaulicht diese Beliebigkeit z.B. an technischen Produkten: auch der Uhrmacher als Kenner der feinen Unterschiede des inneren Aufbaus von Uhren ist nicht von der Sache her genötigt, bestimmte Gruppen von Uhren als eine Art zusammenzufassen und gegen andere Gruppen als unterschiedene Arten abzugrenzen; die Bildung dieser oder jener, mehr oder auch weniger allgemeiner Arten erfolgt erst durch die Benennung der einzelnen Gruppen und die Verfügung darüber, was unter diesen Benennungen jeweils zu befassen sei. Und dasselbe gilt nach Locke auch für natürliche Dinge: je nach Art der Abstraktion und Sprachbildung entscheide sich, ob ein Schwachsinniger ein Mensch sei oder nicht7. Aber gerade bei natürlichen Substanzen kann wiederum nicht beliebig verfahren werden: unsere Unkenntnis ihrer „realen Essenzen" (d. h. ihres inneren Aufbaus aus kleinsten Teilen) zwingt zwar dazu, eine Art „Wherein they make nothing new; but only leave out of the complex idea they had of Peter and James, Mary and Jane, that which is peculiar to each, and retain only what is common to them all." III. iii. 7. 5 Vgl. Anm. 13 von § 4; eine andere scharfe Formulierung lautet: „ . . . g e n e r a l i d e a s are fictions and contrivances of the mind . . . " IV. vii. 9, p. 274. 6 vgl. III. iii. 7—8. 7 III. vi. 39, Vgl. III. vi., passim.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
durch eine Auswahl ihrer für uns auffälligeren oder wichtigeren Merkmale zu definieren8; aber die Artenbildung erfolgt doch so, daß der Verstand „die Ähnlichkeit, die er zwischen ihnen (den Dingen) beobachtet, zum Anlaß nimmt, abstrakte, allgemeine Ideen zu machen"9. Und dieser „Anlaß" ist natürlich nicht gleichgültig oder beiläufig (wie der Terminus suggerieren könnte), sondern verpflichtend: Im Kapitel über die „Abhilfen gegen den Mißbrauch der Wörter" spricht sich Locke über die „richtige", nämlich dem Erkenntniszwecke dienliche, Bestimmung der Bezeichnungen für wirkliche Dinge so aus: „ . . . um ihre Namen r i c h t i g zu definieren, muß man die Naturgeschichte erforschen, und ihre (sc. der Dinge) Eigenschaften mittels sorgfältiger Prüfung herausfinden"10. Entscheidend jedoch sind nicht derartige Äußerungen zur Naturerkenntnis, die das ausgewogenere Urteil Lockes neben jenen scharf nominalistischen Thesen wieder zur Geltung bringen, als vielmehr die in seiner Theorie der Abstraktion gelegene s y s t e m a t i s c h e Voraussetzung, daß sie „nichts Neues" erzeugt. Sie ist vielmehr, wie ich sagte „analytisch", d. h. ein Verfahren, das in einem gegebenen Ausgangsmaterial Unterschiede aufweisen und ausnutzen muß. Voraussetzung dafür aber ist, daß diese Unterschiede vorhanden, bzw. für den wahrnehmenden Menschen erfaßbar sind; eine „analytische" Verstandestätigkeit kann sie nicht erzeugen. Und hier wird nun ein Umstand wichtig, den Locke als b e o b a c h t e t e s P h ä n o m e n in Anspruch nimmt: Das Material der Analyse h a t n i c h t überall Unterschiede an sich; oder vorsichtiger gesagt: mit den menschlichen Sinnen (den äußeren wie dem „inneren" 11 ) sind Unterschiede nicht mehr überall zu fassen. Es gibt so etwas wie eine „einheitliche einförmige Erscheinung oder Vorstellung im Bewußtsein", in der sich nicht mehr verschiedene Ideen unterscheiden lassen 12 . Locke denkt hierbei natürlich u. a. an so etwas wie die Vorstellungen von homogenen Farbflächen. Solche elementare sinnesspezifische Daten werden zwar erst durch Abstraktion bewußt und benennbar, und insofern werden diese Ideen „gemacht". Aber bei ihnen e n d e t die « III. vi. 29. 9 III. in. 13. 1° „ . . . to define their names (sc. the names of things) right, natural history is to be inquired into, and their properties are, with care and examination, to be found out." III. xi. 24, p. 161. 11 II. 1.4. 1 2 „ . . . simple ideas; which, being each in itself uncompounded, contains in it nothing but o n e u n i f o r m a p p e a r a n c e , o r c o n c e p t i o n i n t h e m i n d , and is not distinguishable into different ideas." II. ii. 1.
§ 5 Neuer Versuch zur Bestimmung der Erfahrungsbasis
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Abstraktion 13 ; daß gerade bei ihnen und nicht bei anderen Ideen die Möglichkeit weiterer Abstraktion abbricht, ist aber nicht in der Gewalt des Verstandes, sondern liegt in der Natur des gegebenen Materials bzw. der gegebenen Wahrnehmungsfähigkeit, ist bestimmt durch die von den Dingen herrührenden Eindrücke, und insofern ist der Verstand bezüglich der einfachen Ideen passiv 14 . Die Bezeichnung „passiv" verweist hier also keineswegs auf Untätigkeit im wörtlichen Sinne, sondern auf die epistemologisch relevante Passivität desjenigen, der hinnimmt, was er nicht abweisen kann (ζ. B. in einer Wahrnehmung), er mag dabei in anderem Sinne so aktiv sein, wie er will (z.B. sich angestrengt auf eine Beobachtung konzentrieren). Damit ist zunächst ein Widerspruch in den Formulierungen Lockes als vordergründig herausgestellt: Das „Machen" der Ideen steht unter gewissen nur „passiv" hinzunehmenden Randbedingungen, die sich beim Erreichen 13 Oberbegriffe zu einfachen Ideen können zwar gebildet werden; aber nicht mehr durch Abstraktion mittels „Weglassen". Dazu vgl. man das folgende. 14 Daß Locke an dieser Stelle aus systematischen Gründen zur Annahme einer eigentümlichen Verbindung von aktiven und passiven Zügen des Abstrahierens gedrängt wurde, kann auch die von Aaron (1937, S. 197 ff.) hervorgehobenen Unterschiede in Lockes verschiedenen Formulierungen der Abstraktion erklären: (1) Abstrahieren besteht im „Weglassen" oder „Abtrennen"; so durchweg Buch I I I . Kap. iii. Hierin tritt das Moment der tätigen Herstellung der Teilideen ganz in den Vordergrund. (2) Abstrahieren ist das Verallgemeinern einer besonderen Idee, ihre Wahl als die eines Repräsentanten für alle Dinge, die die gleiche oder eine gleichartige Idee mit sich bringen; so in I I . xi. 9 und besonders deutlich in Draft C des Essay von 1685 (abgedruckt bei Aaron 1937, S. 64 f.). In dieser Darstellung wird sichtbar, daß die zum Repräsentanten verallgemeinerte Idee vorgegeben ist. Die Möglichkeit des Weglassens nach (1) stützt sich auf die Gegebenheit von Ähnlichkeiten ( I I I . iii. 13) bzw. Gleichartigkeiten, wie dies in der Version (2) beschrieben wird. Da beide Züge der Abstraktionstheorie für Lockes Gesamtkonzept wichtig sind, scheint es mir irreführend, bei Locke (1) als eine fortgeschrittene Version gegenüber (2) anzusehen. Anders als Aaron (1937, S. 198) bin ich geneigt anzunehmen, daß Locke mit (2) niemals unzufrieden war, was den auch von Aaron angemerkten, aber unerklärt gelassenen Umstand, daß Locke (2) in den Essay übernommen und niemals kritisiert hat, verständlich machen würde. Sowohl (x) wie (2) kann man allerdings als Darstellungen des Abstrahierens insofern unbefriedigend nennen (Aaron, 200 f.), als das danach erreichbare Endprodukt der Abstraktion kein Universale in einem strengen Sinne ist, da ihm die Partikularität des anfänglich vorliegenden Ideenmaterials weiterhin anhängt. Dieser Mangel wird nach Aaron (S. 201 f.) erst dadurch überwunden, daß Locke in der Lehre von der „Essenz" als einer präzisen und ewig unveränderten Bedeutung (meaning) das Produkt des Abstrahierens noch einmal neu auf eine dritte Weise bestimmt. Reese (1961) bestreitet eine eigenständige Bedeutung dieser dritten Auffassung von Abstraktion und damit Aarons Verteidigimg des Lockeschen Konzeptualismus gegen Berkeley. Daß in der Tat ernste Probleme damit verbunden sind, wenn Begriffe innerhalb von Lockes empiristischen Ansatz in dieser Weise als schlechthin universell und eindeutig angesprochen werden, kann am besten im Zusammenhang mit dem Empirismus der Aussagen betrachtet werden; dazu vgl. man unten die §§ 14 und bes. 19.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
von einfachen Ideen manifestieren. Aber mit dieser Bemerkung ist noch kein solider Boden und, wie ich glaube, noch nicht der sachliche Kern des Lockeschen Empirismus der Ideen erreicht. Das mag man schon daraus abnehmen, daß, was die Abstraktion anlangt, bei den einfachen Ideen nur scheinbar ein Endpunkt erreicht ist. Auch Locke weiß, daß es zu einfachen Ideen wie ,rot' Oberbegriffe gibt, z.B. ,Farbe'. Seine Auskunft ist nun die, daß derartige zusammenfassende Oberbegriffe nicht durch die übliche Abstraktion, nämlich durch Weglassen von Teilideen aus ,rot', ,weiß' usw. gewonnen werden können (und in d i e s e m Sinne kommt die Abstraktion bei einfachen Ideen zu einem Ende), sondern durch Reflexion auf die Art und Weise, wie die einfachen Farbeindrücke ins Bewußtsein gelangen. Folgerichtig meint Locke, daß das Wort ,Farbe* „nichts weiter bezeichnet als solche Ideen, die im Geiste ausschließlich durch den Gesichtssinn hervorgerufen werden und nur durch die Augen Zugang finden"15. Abgesehen von anderen Mängeln dieser Erklärung 16 , zeigt sie deutlich, daß in der Bedeutung des Wortes ,rot', soll sie voll verstanden werden, eben so etwas enthalten sein muß wie der Umstand, daß diese Qualität mit den Augen aufgenommen wird; und ebenso sollte man — in Lockes Sprache sprechend — annehmen, daß niemand die Idee ,rot' vorstellen kann, ohne zu wissen, daß sie die eines Gesichtseindrucks ist; und in diesem Sinne ist ,rot' keine einfache Idee. Kurz gesagt: wenn der Gesichtspunkt der Abstraktion gestatten sollte, einfache Ideen als solche auszuzeichnen, müßten diese oberste Genera sein; und das sind sie nicht. Was den Kern der Sonderstellung der einfachen Ideen bei Locke ausmacht, läßt sich daher nicht von der Abstraktionstheorie her endgültig klären; diese brauchten wir freilich, um den gemachten und doch in anderem Sinne wieder unwillkürlichen Charakter der einfachen Ideen zu verstehen. Das hinter den von Locke dabei angeführten in sich homogenen Bewußtseinsdaten steckende Phänomen zeigt sich jedoch erst richtig von einem für den Empirismus grundlegenden Gesichtspunkt her: nämlich der Frage nach dem Sinn sprachlicher Ausdrücke. Die Homogenität, d.h. der Mangel innerer Unterschiede hat nämlich nach Locke zur Folge, daß einfache Ideen nicht „definiert" werden können: . . die N a m e n e i n f a c h e r I d e e n u n d n u r d i e s e k ö n n e n n i c h t d e f i n i e r t w e r d e n . Der Grund dafür ist dieser: Da die ver15
„ . . . when white, red, and yellow are all comprehended under the genus or name colour, it signifies no more but such ideas as are produced in the mind only by the sight, and have entrance only through the eyes." I I I . iv. 16. 16 Sie läßt ζ. Β. keinen Raum mehr für andere Oberbegriffe zu den einzelnen Farben wie .Mischfarbe', ,reine Farbe' usw. Vgl. Leibniz ca. 1700, I I I . iv. 16, p. 278.
§ 5 Neuer Versuch zur Bestimmung der Erfahrungsbasis
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schiedenen Ausdrücke einer Definition verschiedene Ideen bedeuten, können sie alle zusammen keinesfalls für eine Idee stehen, die überhaupt keine Zusammensetzung aufweist." 17 Nun darf man hier nicht an beliebige Definitionen denken, die möglicherweise „objektiv" zutreffend festlegen könnten, was ζ. B. ,rot' bedeutet; es muß sich vielmehr um solche handeln, die das mit einem bestimmten Wort gekennzeichnete Phänomen, eben die zugehörige Vorstellung, die „Idee", bei einem Hörer unmittelbar hervorrufen können. Was mit diesem Unterschied gemeint ist, erläutert Locke an Hand des Wortes ,Licht': Es mag zwar so sein, daß Licht aus nichts anderem besteht als einer großen Zahl kleiner Kugeln, die auf den Grund des Auges treffen (modern gesprochen: dem Strom der Lichtquanten, die auf der Netzhaut eintreffen); aber diese (nach Voraussetzung zutreffende) Umschreibung von ,Licht' verschafft niemandem die Vorstellung davon, um welches Phänomen unserer Wahrnehmungswelt es sich dabei handelt; sie gibt uns nicht „die Idee des Lichtes selbst . . . . Denn die Ursache einer Sinneswahrnehmung und die Sinneswahrnehmung selbst sind bei allen einfachen Ideen eines einzelnen Sinnes zwei Ideen, und zwar so verschieden und getrennt voneinander, wie zwei Ideen nur sein können"18. Wie es sich hier mit der Einschränkung auf Ideen nur e i n e s Sinnesgebietes verhalten mag, sei dahingestellt 19 ; uns soll es auf den Gedanken ankommen, daß eine noch so perfekte Erklärung der Dinge unverständlich bleiben müßte ohne den Anschluß an die Phänomene menschlicher Erfahrung, die erst den Gegenstand bekannt machen bzw. festlegen, von dem die Rede ist. Es sind also nicht irgendwelche Erklärungen gesucht, sondern solche, die von den jedem zugänglichen eigenen Wahrneh17 „ . . . t h e n a m e s o f s i m p l e i d e a s , a n d t h o s e o n l y , a r e i n c a p a b l e o f b e i n g d e f i n e d . The reason whereof is this, that the several terms of a definition, signifying several ideas, they can all together by no means represent an idea which has no composition at all . . I I I . iv. 7. Vgl. die ausführlichen Überlegungen in III. iv. 11. 1 8 „ . . . granting this explication of the thing (sc. die Erklärung des Lichtes als eines Stroms kleiner Kugeln) to be true, yet the idea of the cause of l i g h t . . . would no more give us the idea of light itself, as it is such a particular perception in us, than the idea of the figure and motion of a sharp piece of steal would give us the idea of that pain which it is able to cause in us. For the cause of any sensation, and the sensation itself, in all the simple ideas of one sense, are two ideas; and two ideas so different and distant one from another, that no two can be more so." I I I . iv. 10; vgl. audi II. viii. 2. 19 Die Einschränkung hängt mit Lockes Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten zusammen, die ein interessantes aber weitläufiges Sonderproblem darstellt und die Diskussion des Basisproblems hier nur verwirren würde. Die Sonderrolle der primären Qualitäten wird in den §•§ 9, 15 und 18 behandelt.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
mungen her unmittelbar verständlich sind. Und im Sinne d i e s e r Zielsetzung, der ein Empirist für gewisse Basisphänomene genügen muß, gibt es von einfachen Ideen keine Definitionen. Es nützt dem mit der Farbe ,weiß' nicht Vertrauten nichts, ihm 2x1 erklären, es handele sich um eine Farbe der und der Art: das Verständnis des Gemeinten ist nur durch „ostensive Definition" zu verschaffen. Daß Lockes Auszeichnung der einfachen Ideen letztlich auf solchen Überlegungen beruht, hat er an Beispielen drastisch klargemacht: „Die einfachen Ideen, die wir besitzen, sind so, wie sie uns die Erfahrung lehrt; aber wenn wir versuchen, sie darüber hinaus durch Worte im Geiste klarer zu machen, werden wir nicht mehr Erfolg damit haben, als wenn wir uns daran machten, die Finsternis in eines blinden Mannes Innerem durch Reden aufzuhellen und die Vorstellungen von Licht und Farben in ihn hineinzureden."20 Und wenn uns nun Lockes Begriffsbestimmung der einfachen Ideen als der „einheitlichen, einförmigen Erscheinungen im Bewußtsein" zu vage und ungreifbar erscheint, können wir seine eben besprochene Aussage über sie zum Kriterium erheben, das uns die einfachen Ideen festlegt: Sie sind als genau die Klasse von Vorstellungen zu bestimmen, deren zugehörige Bezeichnungen nichts anders als ostensiv, d. h. durch Verknüpfung des Wortes mit einer unmittelbaren Erfahrimg verständlich gemacht werden können 21 . Wenn nun aber die Behauptung zu Recht besteht, daß es wenigstens einige solcher explizit angebbarer einfacher Ideen gibt (ζ. B. der Farben), dann ist 20 „The simple ideas we have, are such as experience teaches them us; but if, beyond that, we endeavour by words to make them clearer in the mind, we shall succeed no better than if we went about to clear up the darkness of a blind man's mind by talking; and to discourse into him the ideas of light and colours". II. iv. 4, S. 1 5 7 . Vgl. audi I V . xviii. 3; I I I . iv. 1 1 ; I I I . xi. 14. 21
Für einen nicht zu engherzigen Begriff von ostensiver Definition oder Erklärung vgl. man ζ. B. Russell 1948, part II, chap. I I . Es kommt aber im Zusammenhang mit den hier durchzuführenden grundsätzlichen Überlegungen zur empirischen Basis nicht darauf an, sich auf eine bestimmte Theorie von ostensiver Definition oder Bedeutung festzulegen, etwa darauf, daß jedes ostensiv eingeführte Wort etwas nach der Art eines Namens bezeichne — eine Auffassung, gegen die Wittgenstein überzeugend polemisiert hat (1953, §§ 9 ff.) So braucht ζ. B. das Wort ,oder' nicht etwas zu beschreiben, etwa den Zustand der Unsicherheit oder des Zauderns, in dem sich derjenige befindet, der eine Aussage mit .oder' macht (Russell 1948, II, chap. IX). Trotzdem könnte es so sein, daß ,oder' nur im Kontext von Erfahrungssituationen erlernt werden kann, z.B. dadurch, daß man an einer Straßengabelung sagt: „Jetzt können wir rechts o d e r links weiter gehen". Worauf es in Bezug auf das Argument des Textes bei der Frage, ob das Wort ,oder' ein Basiswort sei oder nicht, allein ankäme, wäre die Frage, ob seine Bedeutung durch r e i n v e r b a l e Erklärungen an die Bedeutung anderer Wörter angeschlossen werden kann oder nicht.
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ein erster Schritt zur Rekonstruktion der oben unter der Last verschiedener Argumente zerfallenden Basis getan. Ihre Bestimmung nach dem Vorschlag (i) aus § 4 hat einen neuen Sinn gewonnen: diese muß nämlich nicht mehr als Konkretisierung jener Abtrennung des schlechthin passiv Gegebenen von den Produkten jeglicher Verstandestätigkeit angesehen werden, sondern ist jetzt als Angabe der passiv hinzunehmenden und insofern grundlegenden Randbedingung der reflektierenden und tätigen Analyse der zur Beschreibung von Erfahrungen notwendigen Wortbedeutungen zu verstehen. Kurz: Zur Basis gehören alle Wörter, deren adäquate Verwendung nur durch ostensive Einführung erlernt werden kann 22 . Das eben Gesagte läßt noch nicht erkennen, wie die so bestimmte Erfahrungsbasis mit dem genetischen Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie, der zur Basisbestimmung nadh (2) führte, in Einklang gebracht werden kann. Dazu wird es nötig sein, den Zusammenhang von Sprache und Erfahrung weiterhin auszunützen. Es hatte sich bereits gezeigt, daß die unter genetischem Gesichtspunkt streng genommen primären Daten solche besonderen Ideen sein sollten, die allenfalls mit komplexen Sinnesdaten, nicht aber mit den Ideen besonderer Gegenstände identisch sind; andererseits begann Locke seine Darlegung der Gewinnung allgemeiner Ideen immer schon bei den letzteren. Wahrscheinlich machte ihm die Verfügbarkeit von Namen für sie dieses Vorgehen selbstverständlich. Jedenfalls ging Locke, auch was die besonderen Ideen angeht, de facto von den sprachlich greifbaren, ζ. B. durch Personennamen fixierbaren, unter ihnen aus und entzog sich eben dadurch jenem von Kambartel erörterten und bis zu Carnap hin verfolgten Problem der Beliebigkeit bzw. Unbestimmbarkeit der Basis: nicht ganz zu Recht freilich, insofern ihn seine Auffassung der Ideen als konkreter biographischer Ereignisse, sein „Psychologismus", dabei hätte stören müssen. An dieser Stelle scheint es mir daher nötig, wiederum von jener anderen Komponente seiner Theorie Gebrauch zu machen: von den Wörtern. Betrachtet man demnach die besonderen Ideen, soweit sie sprachlich faßbar werden, so handelt es sich um abgrenzbare, erinnerbare, wiedererkennbare Individuen oder Ereignisse, ζ. B. um Personen, einen Blitz usw. Sprachliche Ausdrücke für solche Ideen können nun offenbar, zwar in etwas anderer Weise als die für einfache Ideen, aber ebenfalls durch den Hinweis auf gewisse Erfahrungen bzw. durch Verknüpfung mit gewissen Erfahrungssituationen eingeführt werden; sie können also in dem eben erläu11
In weldiem Maße diese Basis eindeutig bestimmt ist, kann vorerst offen bleiben (s. dazu den folgenden Text); hier muß zunächst nur angenommen werden, daß sie nicht leer ist.
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terten Sinne zur Basis gehören. Freilich unterscheiden sie sich von den Bezeichnungen einfacher Ideen dadurch, daß die Vermittlung der Bedeutung in jedem einzelnen vorgegebenen Fall zwar ostensiv geschehen kann, aber nicht muß; denn jede komplexe Idee eines Individuums kann wenigstens im Prinzip durch eine genügend ausführliche und damit eindeutige Beschreibung vermittelt werden, im Gegensatz zu dem, was wir etwa für die Farbe Rot angenommen haben. Aber dieses Verfahren kann doch nicht für alle Eigennamen zugleich eingeschlagen werden. Dafür spricht schon — unbeschadet eines theoretischen Interesses an eigennamenfreien Sprachen — der offenkundige Umstand, daß keine zur Beschreibung von Erfahrungen faktisch verwendete Sprache von Eigennamen frei ist, ferner auch die plausible Vermutung, daß eine Sprache ohne Eigennamen nicht praktikabel sein würde. Vom empiristischen Standpunkt Lockes aus entscheidend müßte jedoch eher die Betrachtung der Genese aller Wortbedeutungen — auch der einfachen Ideen — sein. Keine Bedeutung kann vermittelt werden, ohne daß zunächst in jeweils einzelnen Erfahrungssituationen mehr oder minder komplexe Eindrücke mit einem Wort verknüpft werden; in diesem Sinne wäre es möglich zu sagen, daß die Bedeutung eines einführenden Wortes der Basis anfänglich immer etwas Einzelnes, eine „particular idea", sei. Dies heißt nun keineswegs, daß der Aufbau einer Sprache nur von Eigennamen im üblichen Sinne ausgehen könnte, oder daß alle in eine Sprache eingeführten Wörter zunächst immer nur als Eigennamen verstanden werden könnten. Zutreffender scheint mir die Vorstellung zu sein, daß die Funktion einer neu eingeführten Bezeichnung bezüglich der logischen Unterscheidungen zwischen Eigennamen, Prädikaten und irgendwelchen weiteren Arten von Zeichen im ersten Schritt noch gar nicht festgelegt sein kann. Erst die weitere Verwendung derselben Bezeichnung in anderen Situationen kann klären und schließlich entscheiden, ob ein Wort als Merkmal einer Klasse in einer bestimmten Hinsicht gleichartiger Individuen, also als Prädikat, oder ob es bloß auf eine derartig eingeschränkte Klasse von Erfahrungen angewendet wird, daß man davon sprechen kann, es bezeichne ein (durch die Zeit andauerndes und immer wieder auftauchendes) einzelnes Individuum, oder schließlich ob es ausschließlich — was gewiß selten, aber durchaus möglich ist — eine einzelne Erscheinung bezeichnet, ein Ereignis, das relativ zum Benennungsvorgang so kurzlebig ist, daß man es nicht gern ein „Ding" im üblichen Sinne nennen möchte23. 23 Von den anderen Arten der Bedeutungsvermittlung bei Basiswörtern (wie sie etwa für synkategorematiscfae Wörter anzunehmen ist) sehe ich hier der Einfachheit halber ab und beschränke midi auf die Fälle, in denen die Wortbedeutung eine „idea" im
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Ein Blitz könnte ebenso gut einen Namen erhalten wie ein Hurricane. Wird in Verbindung mit einem Blitz das Wort ,Blitz' vorgebracht, so könnte es jemand als die Bezeichnung eben dieser einen und sogleich wieder vergangenen Erscheinung verstehen; wird beim Auftauchen des nächsten Blitzes wiederum .Blitz' gesagt, so könnte er meinen, es handle sich um den Eigennamen eines individuellen Dinges, etwa einer bestimmten feurigen Schlange, die heimlich wieder hinter den Wolken emporgekrochen sei und sich nunmehr zum zweiten Male herabstürze; er kann jedoch auch an Hand der weiteren Erfahrungen mit Blitzen und der Verwendung des Wortes .Blitz' zu der Überzeugung gelangen, daß dieses Wort eine Klasse von individuellen Ereignissen oder Dingen bezeichne, die in einer bestimmten Hinsicht einander ähnlich sind. Für die soeben skizzierte Situation der Einführung von Wortbedeutungen ist nun charakteristisch, daß die verschiedenen Weisen, die Bedeutungen zu präzisieren bzw. nach logischen Typen zu unterscheiden, gleichwertig nebeneinanderstehen. Von daher zeigt sich Lockes auf den ersten Blick verwirrendes Nebeneinander von einfachen und besonderen Ideen als durchaus motiviert. Und man kann sich an dieser Stelle daran erinnern, daß die gegenwärtig übliche Konstruktion logischer Sprachen normalerweise von der als selbstverständlich angesehenen Voraussetzung ausgeht, daß sowohl Eigennamen wie auch Prädikate zur Verfügung stehen. Beide können im Sinne eines empiristischen Aufbaus ebenso viel bzw. ebenso wenig u n m i t t e l b a r e Beziehung auf die Erfahrungsbasis haben. Wenn wir also die Frage nach der Basis nicht sogleich durch ein psychologisierendes Postulat punktueller reiner Bewußtseinsinhalte, bloßer namenloser Sinnesdaten, belasten, sondern nach den W ö r t e r n der Basis fragen, bzw. nach den mit ihnen verbundenen Vorstellungen, nach ihrer Bedeutung (in Lockes Terminologie also: nach den zugehörigen Ideen)24, dann erweist sich, daß die Antwort weder in der Abgrenzung der Basis nach (i) noch nach (2) gegeben werden kann. Vielmehr lassen sich nicht zufällig b e i d e Bestimmungen, die durch Einfachheit u n d die durch Partikularität der Sinne Lockes (III. vii. 1) ist. Diese Einschränkung ist jedoch nicht notwendig; s. Anm. 21. 24 Ryle hat in seinem bekannten Aufsatz (1933) die Mehrdeutigkeit des Terminus „Idee" bei Locke sorgfältig untersucht und insbesondere die Bedeutung des realen Etwas, das sich im Geist (mind) ereignet und von ihm abhängig ist, als inakzeptabel von anderen epistemologisch akzeptablen Bedeutungen geschieden. „Idee" in der hier einschlägigen, auf Wörter bezogenen Verwendung gehört zur zweiten Bedeutungsgruppe und enthält nur so viel „Psychologie", wie eben in der konkreten Situation steckt, in der Wörter gebraucht und verstanden werden.
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Ideen, aus Lockes Darlegungen herauslesen. Ihnen liegen zwei verschiedene Phänomene zugrunde: erstens können wir sprachliche Zeichen bzw. ihre Bedeutungen nur im Ausgang von jeweils besonderen Gegenständen oder Erfahrungssituationen einführen, und diese Bindung an das Einzelne schlägt sich — eine gewisse Stabilität der Eindrücke vorausgesetzt — in dem elementaren Charakter der Eigennamen nieder; zweitens treten beim abstrahierenden und verallgemeinernden Überschreiten der einzelnen Gegebenheit gewisse einfache Begriffe auf, deren Bedeutung nicht durch Umschreibung mit zuvor eingeführten anderen Begriffen verständlich gemacht werden kann. Beiden Phänomenen ist das, was sie zum Ausgangspunkt einer Bestimmung der empirischen Basis werden läßt, gemeinsam, daß sie nämlich Bereiche markieren, in denen das Wissen aus immittelbarer eigener Bekanntschaft mit den Dingen maßgeblich ist 25 . Irreduzibilität einfacher und Unentbehrlichkeit partikularer Ideen sind das, was die Ideen der empirischen Basis auszeichnet. Damit ist der Versuch abgeschlossen, gegen die in § 4 dargestellten scheinbaren Widersprüche eine Interpretation dessen zu stellen, was Locke der Sache nach im Auge gehabt hat, als er den Aufbau seines Ideensystems von gewissen im Sinne dieses Aufbaus elementaren Ideen aus unternahm. Abschließend möchte ich die Interpretation der Basis durch einige Bemerkungen ergänzen, die sie gegen gewisse Einwände oder Mißverständnisse absichern sollen. Die erste betrifft die Angemessenheit des Gesagten an die Rolle der einfachen Ideen im „Essay", die weiteren die sachliche Glaubwürdigkeit der Annahme einfacher Ideen. Einer weitergehenden Verdeutlichung der Basis sind die folgenden Abschnitte (§§ 6—9) gewidmet. Eine Interpretation der Basis, in der eine weitgehende Gleichstellung von besonderen und einfachen Ideen vertreten wird, setzt sich den Fragen aus, woher das offenkundige Übergewicht der einfachen Ideen in der Darstellung Lockes rührt und ob es irgendeine Berechtigung hat. Sollte sich auf diese Fragen keine Antwort finden lassen, würde die hier vorgeschlagene Interpretation erheblich an Glaubwürdigkeit verlieren. Eine Lösung läßt sich gewinnen, wenn man überlegt, in welchem Maße die nach den bisherigen Vorstellungen umrissene Basis eindeutig bestimmt ist. Genau in ent25 Was einfache Ideen anlangt, weist übrigens auch Kambartel (1968, S. 27 f.) darauf hin, daß sie nur dadurch mitteilbar sind, daß man sie durch ein Wort „im Gesprächspartner hervorruft", nicht aber durch Beschreibungen. Diese Bemerkung nutze ich aus, um die Erfahrungsbasis allgemein als das zu bestimmen, was man nicht durch Beschreibungen vermitteln kann, um dadurch den einheitlichen Hintergrund der vordergründig inkonsistenten und aporetischen Aspekte der Darstellung Lockes zu erschließen.
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sprechendem Ausmaß nämlich wird sie von Locke e x p l i z i t zum Aufbau seiner Erkenntnistheorie benutzt werden können. Von den besonderen Ideen ist klar, daß sie mit Ort, Zeitpunkt und Person des Erkennenden insgesamt oder zu einem Teil variieren werden. Invariant ist für alle Erkennenden nur die allgemeine Tatsache, daß in jedem Falle besondere Ideen zur Erfahrungsbasis gehören und zur Festlegung des Sinnes der insgesamt zur Beschreibung der Erfahrungen verwendeten Sprache unentbehrlich sind. Genau so weit, nämlich bis zur Erörterung dieser Tatsache, geht Locke in der Besprechung der besonderen Ideen. Von den e i n f a c h e n Ideen ist dagegen zu erwarten, daß sie, zumindest in gewissem Umfang, unabhängig von Zeit und Ort für alle Erkennenden invariant sind; denn als Mitglieder der Gattung Mensch stimmen diese in der Art, wenn auch nicht in dem Ausmaß ihrer Wahrnehmungs-, Erlebnis- und Denkfähigkeiten weitgehend überein. Locke bringt die Unausweichlichkeit unserer einfachen Ideen mit der besonderen natürlichen Ausstattung des Menschen ausdrücklich in Zusammenhang 26. Gestützt auf eine gewisse Kenntnis dieser Ausstattung versucht er — über die Erörterung der allgemeinen Tatsache, daß einfache und abstrakte Ideen unentbehrlich sind, hinaus — ein Stück weit den Aufbau unseres Ideenvorrats i n h a l t l i c h und im einzelnen vorzuführen. Dabei sind die Einzelheiten insofern nicht entscheidend, als der Epistemologe keine empirische Forschung treiben, sondern sich auf sie nur stützen will; er könnte seine Argumente auch bei anderen Ergebnissen der empirischen Forschung über die Wahrnehmungsorgane des Menschen aufrechterhalten 27 . Wichtig ist nur, daß er unter gewissen Voraussetzungen über die intersubjektiv konstanten und allgemeinen Erkenntnisfähigkeiten des Menschen die Bindung aller Erkenntnis an die Basis exemplarisch vorführen kann. Durch die Begründung auf natürliche Fähigkeiten des Menschen und die detaillierte Ausführung eines Systems von einfachen Ideen wird jedoch — so könnte man nun sachlich gegen die Behauptung einfacher Ideen argumentieren — die zutreffende Behauptung, von der Notwendigkeit allgemeiner und abstrakter Ideen 28 in unzulässiger Weise verschärft. Da Erfahrung und Forschung immer neue und immer feinere Züge der wirklichen Welt zutage fördern, erscheint es völlig verfehlt, gewisse letzte und einfachste Eigenschaften überhaupt anzunehmen; vielmehr ist zu erwarten, daß allenthalben noch Unterscheidungen innerhalb des zunächst als einfach und ununterscheidbar Angesehenen nötig sein werden. Diese Vorstellung 26 II. ii. 2—3. II. ii. 3, Ende. 28 III. iii., Anfang, bes. §§ 3—4; vgl. auch II. xi. 9.
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einer prinzipiellen Vorläufigkeit und Offenheit der Erfahrung steht jedoch nicht im Widerspruch zu der oben vorgeschlagenen Deutung einer Basis aus einfachen Ideen. Z . B . erscheint es möglich, beliebig viele Nuancen von Rot zu unterscheiden und dazu noch Begriffe einzuführen, die diese (evtl. mit anderen Farben) in neuer Weise klassifizieren, ohne daß etwas an der Tatsache geändert wird, daß die Erläuterung der Bedeutung von ,rot' des unmittelbaren Hinweises auf Erfahrung bedarf, in welchem Sinne Rot (jede Nuance von Rot) eine einfache Idee bleiben würde. In Lockes Beispiel: dem Blinden könnten mittels verfeinerter Unterscheidungen die Farben nicht leichter eingeredet werden als mittels einer primitiveren Begrifflichkeit. Natürlich muß man wegen der Abhängigkeit der inhaltlichen Behauptungen einer philosophischen Theorie der Basis von der empirischen Forschung darauf gefaßt sein, daß gewisse scheinbar irreduzible Vorstellungen in einer unerwarteten Weise indirekt erschlossen werden könnten29. An welchen Stellen und in welchem Ausmaß in dieser Weise auch an der Basis die Weltbeschreibung abgeändert werden könnte, wird davon abhängen, ob und wie der ursprüngliche Erfahrungsbereich in neuer Weise bezeichnet und abgegrenzt werden kann. In dieser Hinsicht scheinen jedoch der menschlichen Erkenntnis in der Tat relativ enge Grenzen gezogen zu sein. So könnte man etwa für einen Blinden einen Spektralapparat bauen, mit dessen Hilfe er Farben unterscheiden kann; aber die Aufgabe, die er dabei löst, muß zunächst gestellt, das Phänomen, um das es geht, muß erst einmal bekannt gemacht und umrissen werden. Und insofern man nicht bereit oder fähig ist, die Phänomene des Sichtbaren als einigermaßen weitläufigen theoretischen Überbau anzusehen, der seinen Sinn in der Korrelation der taktilen Daten des Blinden an seinem Apparat hat und in sonst nichts, macht eine indirekte Bestimmung von Basiserfahrungen deren unmittelbare Vermittlung nicht entbehrlich. Es scheint mir darum aber nicht weniger eine Überspitzung in umgekehrter Richtung zu sein, wenn man den Sinn der Theorie Lockes von der Basis in einem sensualistischen Atomismus sehen will. Zwar hat die weitere Wirkungsgeschichte Lockes gezeigt, daß man diese Position aus seinem „Essay" herauslesen kann 30 ; aber die bei diesem Verständnis Lockes vernachlässigte, 29
Nähere Betrachtungen zum Verhältnis von einfachen Ideen und theoretischer Erklärung enthält § 9. 30 Das Hervortreten der einfachen Ideen im Essay ist von älteren Interpreten (vgl· Fräsers Ausgabe, Bd. I, S. 210, Anm. 2) zugunsten eines sensualistischen Atomismus gedeutet worden, wozu sie in Hume, besonders aber in Condillac ein Vorbild sehen konnten (vgl. audi § 7). Abgesehen von den in § 4 dargelegten Argumenten gegen die einseitige Bevorzugung der einfachen Ideen als Basis und über Fräsers Überlegungen hinaus kann darauf hingewiesen werden, daß Locke selbst an der wichtigsten Stelle, an der er über die Rolle der einfachen Ideen in seinem Aufbau reflektiert
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von ihm selbst jedoch so stark akzentuierte Rolle der Wörter im Erkenntnisprozeß zeigt, wie einseitig diese Auffassung ist. Jedenfalls erlaubt es die Berücksichtigung des Zusammenhanges von Sprache und Wahrnehmung, das sonst so befremdliche und störende „atomare" Element der Erkenntnistheorie an die Wörter zu knüpfen, und zwar so, daß damit nichts in Richtung einer (ziemlich unglaubwürdigen) These über die diskrete Stückelung der psychischen Ereignisse präjudiziert ist. Sowohl die Rolle, die Locke selbst den Wörtern zuschreibt (s. § 2), wie auch die sachlichen Probleme motivieren diese Wendung der Interpretation. Sie ist es auch, die die Bedenken auszuräumen erlaubt, die sich mit jeder Behauptung eines materiell Einfachen ergeben müßten. Die einfachen Ideen sind nichts dieser Art; sie sind letztlich nicht als reale psychische Komplexe zu verstehen, die keiner weiteren Analyse mehr zugänglich wären, sondern als die Bedeutungen von Wörtern, die sich nicht durch die Umschreibung mit anderen Wörtern hinreichend vermitteln lassen, ohne daß dabei der in Rede stehende Gegenstand in dem Sinne, wie wir ihn aufzufassen gewohnt sind, ganz oder teilweise verloren geht 31 . Daß dieser Gegenstand einer eingehenderen und detaillierteren Analyse und Beschreibung fähig ist, daß insbesondere auch seine Existenz bzw. sein Zustandekommen aus einem anderen Wissen erklärt werden kann, bleibt davon unberührt. Die These von der Notwendigkeit einer Basis der Erfahrungen hat ihren Sinn vielmehr darin, uns an eine prinzipielle Grenze jedes naiven Objektivismus zu erinnern: Es kann nicht gelingen, von einer allein die G e g e n s t ä n d e unserer Erfahrung betreffenden Theorie aus diese Erfahrung selbst vollständig zu erfassen und zu „erklären"; denn die Sprache, die wir in jener gedachten Theorie verwenden müßten, kann allein dadurch verständlich werden, daß wir einige ihrer Bestandteile auf die Situationen beziehen, in denen wir Erfahrungen machen. (II. xi. 14), keine prinzipiellen, sondern nur Gründe der Darstellung zugunsten des Beginns bei, und des Hervorhebens von einfachen Ideen vorbringt. Zwar sagte er, einige der Fähigkeiten des Geistes würden „zunächst hauptsächlidi bezüglich einfacher Ideen" ausgeübt. Vermudich denkt er jedoch hier bloß an das Vergrößern und Vergleichen, ausgeübt bezüglich soldier Ideen wie .Einheit', .Ausdehnung' oder .Dauer' beim Aufbau unserer Vorstellungen von Zahl, Raum und Zeit: diese Fälle behandelt er jedenfalls anschließend als erste unter allen komplexen Ideen, und sie sind als Ideen primärer Qualitäten besonders vernunftnah und für alle Erkenntnis besonders wichtig. Und zu Eingang des Paragraphen hatte er schon gesagt, daß alle Fähigkeiten des Geistes „allgemein bezüglich aller seiner Ideen" ausgeübt werden. Eine prinzipielle Sonderstellung der einfachen Ideen läßt sich gerade auf diesen Abschnitt, in dem Locke selbst sich auf sein Vorgehen methodisch besinnt, nicht gründen. 31 Nähere Ausführungen zur Einfachheit der „einfachen" Ideen enthält § 8; sie wird dort im Gegensatz zu einer „anschaulichen" als „funktionale" Einfachheit bestimmt.
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§ 6:
Die innere Erfahrung und das Problem der Reflexion
Neben die Ideen der äußeren Wahrnehmung treten bei Locke die Ideen der inneren Selbsterfahrung. Sie sind ein unentbehrlicher Teil der Erfahrungsbasis. Wird die Lockesche „Reflexion" von einer Erfahrungsquelle zu einer Erkenntnisinstanz höherer Ordnung umgedeutet, so ergibt sich eine Verfälschung des empiristisdien Ansatzes in Richtung auf einen materialen oder transzendentalen Idealismus. Dies ist an verschiedenen früheren Interpretationen Lodces ablesbar.
Bisher haben wir den Aufbau eines Systems von Ideen bzw. Bedeutungen auf einer Erfahrungsbasis nur an Hand der äußeren, durch unsere Sinne vermittelten Erfahrungen verfolgt und veranschaulicht. Nun ist aber bekanntlich ein Charakteristikum des Lockeschen Versuches dieses, daß er von vornherein neben diese Art von Erfahrungen eine zweite unabhängige Art von Erfahrungen stellt: solche, die wir sozusagen in einer Rückwendung auf uns selbst machen, von denen Locke daher mit einem in der damaligen Schulphilosophie geläufigen Terminus sagt, sie würden durch „Reflexion" erworben. Diese vermittelt uns die Kenntnis der in uns stattfindenden seelischen Vorgänge, von denen die äußeren Sinnesorgane nichts berichten können. Die im vorangehenden Paragraphen dargelegte Interpretation hat nun den Vorteil, daß sie eben diese Erweiterung der Basis als ziemlich unproblematisch und selbstverständlich erscheinen läßt; ja sie macht es sogar möglich, die problematische Position des cartesischen Dualismus von Körper und Geist, die auch Locke stark beeinflußt hat, in gewissem Grade aus der Grundlegung des Empirismus herauszuhalten. Es ist jedenfalls zum ersten Verständnis der weiteren Schritte Lockes noch nicht nötig, sich auf eine ontologische These über die verschiedenen Typen von Substanzen einzulassen. Es genügt zuzugeben, daß wir zur Beschreibung unserer Erfahrungen außer den Ausdrücken, die sich auf äußere Gegenstände beziehen, auch solche verwenden, mit denen wir anderen über unsere Empfindungen, Gedanken, Ansichten usw., also über seelische Phänomene in einem umfassenden Sinne dieses Wortes, Auskunft geben. Nimmt man nun ferner an, daß dieser zweite Teil unseres Vokabulars nicht verständlich gemacht werden kann, ohne daß eine Teilmenge der in ihm enthaltenen Ausdrücke jedem Benutzer in Zusammenhang mit eigenen Erfahrungen erläutert wird, so muß es offenbar gewisse einfache Bedeutungen bzw. Ideen geben, die jeder selbst zu erwerben hat, wenn er den Zugang zu den Vorstellungen dieses Erfahrungsbereiches finden will. Gemäß einer gewissen, auch hier vorauszusetzenden intersubjektiven Invarianz der seelischen Struktur des Menschen, kann Locke, gestützt auf eine (freilich noch nicht weit entwickelte) Psychologie oder auch auf eine deskriptive Epistemologie, auch als Philosoph einiges explizit über den Auf-
§ 6 Die innere Erfahrung und das Problem der Reflexion
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bau des Vorrats an Reflexionsideen sagen. Aus dieser Auffassung wird dann audi klar, daß diese Ideen in enger Analogie zu den Ideen der Sinneswahrnehmung als echte Wahrnehmungen bzw. Beobachtungen anzusehen sind, also als (in dem in § 5 besprochenen Sinne) unwillkürlich und passiv aufzunehmende Vorstellungen 1 . Daher nennt Locke die „Reflexion" als die Quelle derartiger Ideen auch durchaus zu recht einen „inneren Sinn" 2 , obwohl er kein besonderes Organ innerer Selbstbeobachtung vorweisen kann. Insoweit auch die Erlebnisse unseres Seelenlebens hingenommen und erfahren werden müssen, und insoweit alle Rede über seelische Phänomene ihre Bedeutung daher nimmt, daß sie sich auf diese Erlebnisse bezieht, ist audi für die „inneren" Erfahrungen dem Prinzip einer empiristischen Erkenntnistheorie genügt. Diese wenigen Bemerkungen können vielleicht schon plausibel machen, daß die Annahme zweier Quellen der Erfahrung nicht mit einer Inhomogenität der empirischen Basis im epistemologischen Sinne verbunden ist, und daß sie erst recht nicht bestimmte ontologische Vorstellungen impliziert, die Locke de facto mit ihr verbunden hat. Der Empirismus als These über unsere Erkenntnismöglichkeiten hat nichts mit der cartesischen Ontologie zu tun, in deren Kraftfeld er sich entwickelt. In welcher Weise bei Locke an einigen kritischen Stellen ontologische von epistomologischen Fragen abgegrenzt werden müssen, wird im weiteren Verlauf dieses Paragraphen noch etwas deutlicher werden. In erster Linie soll jedoch das folgende dazu dienen, epistomologische Bedenken und Einwände gegen die Einführung der Reflexion zu besprechen. Eine Ontologie verschiedener Substanzen scheint mir nämlich weniger relevant und kritisch für die Lehre vom erkennenden Verstände zu sein als Bedenken und Einwände, die ihrerseits ebenfalls auf dem Felde der Erkenntnistheorie liegen. Solche nun ergeben sich aus Problemen, die das Zusammenbestehen oder auch Zusammenwirken von Sensation und Reflexion, also der „Mechanismus" des Erkennens selbst aufgibt. Sie können sowohl 1 Die Reflexion als Erfahrungsquelle umschreibt Locke in II. i. 4 als „the p e r c e p t i o n of the operations of our own mind within us" (Hervorhebung von mir); es handelt sich darum, Handlungen des Geistes in uns selbst zu b e o b a c h t e n („observing in ourselves"). Und für „Wahrnehmung" gilt: „ . . . in bare naked perception, the mind is, for the most part, only passive; and what it perceives, it cannot avoid perceiving." (II. ix. 1). Das „for the most part" bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf jenen oben besprochenen Anteil aktiver Abstraktion, der auch in die passive Aufnahme einfacher Ideen eingeht, sondern auf die über das bloße Einwirken des Objektes auf den Wahrnehmenden hinaus in jeder Wahrnehmung nodi nötige Aufmerksamkeit; dafür spricht der folgende Text: II. ix. 3. 2 ILL4.
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daran geknüpft werden, daß — anders als bei der äußeren Wahrnehmung — für die Reflexion kein besonderes Organ der Introspektion aufweisbar ist, wie auch daran, daß die zweite Erfahrungsquelle speziell als „Reflexion" bestimmt wird. Im ersten Falle kann man konsequenterweise bis zur völligen Leugnung der Reflexion als gesonderter Quelle der Erfahrung gelangen; dies ist die Position des Sensualismus, der im Anschluß an Locke weite Verbreitung gefunden hat. Da er jedoch, anders als im 18. Jahrhundert, heute schwerlich mehr geradezu als Interpretation Lodkes aufgefaßt werden wird, soll seine Betrachtung in der Art eines Exkurses einem eigenen Abschnitt (dem folgenden § 7) vorbehalten bleiben. Dieser wird zu zeigen haben, in welcher Weise die sensualistische Verschärfung des Empirismus diesen, wie ich ihn hier zu verstehen versuche, statt ihn konsequent fortzusetzen, vielmehr verfälscht. Der zweite Fall betrifft Interpretationen Lockes, die seine Wirkungsgeschichte von den frühesten zeitgenössischen Reaktionen bis in die neueste Zeit begleiten. Zum Thema „Reflexion" werden dabei untereinander noch vielfältig variierende Überlegungen angestellt, die darauf hinauslaufen, oder auch eigens angestellt werden, um zu zeigen, daß Berkeleys Idealismus oder Kants transzendentaler Idealismus bzw. ein Apriorismus in der Erkenntnistheorie Lockes bereits angelegt sei. Solche Interpretationen mögen in manchem Falle Motivationen der Entwicklung philosophischer Gedanken zu Tage fördern und darin von beträchtlichem Nutzen sein. Andererseits erkaufen sie diesen Vorzug durch Einseitigkeiten oder Mißverständnisse in der Darstellung Lockes, die den Zugang zum Verständnis des mit dem Stichwort „Empirismus" angezeigten Ansatzes versperren — eines Ansatzes, mit dem Locke der Philosophie einen neuen Weg eröffnet hat, von dem ich in dieser Untersuchung annehme, daß wir ihn noch nicht genau genug kennen und noch nicht weit genug gegangen sind. Es wird also nützlich sein, einen Blick auf gewisse Interpretationen der Reflexion und ihres Verhältnisses zur Sensation zu werfen. Eine Vorstufe bzw. eine noch schwache Form der zu betrachtenden Fehlinterpretation findet sich bei Gibson ausgesprochen: Er bringt Bedenken gegen eine Gleichstellung von äußerer und innerer Erfahrung vor und begründet sie mit dem Hinweis auf Lockes repräsentationalistische Wahrnehmungstheorie 3 . Diese Theorie stellt Locke an einer wichtigen Stelle folgendermaßen dar: 3 Gibson, 1917, part I, chap. III. § 6.
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„Da keines der Dinge, die der Geist betrachtet, ausgenommen er selbst, im Verstände anwesend ist, muß notwendigerweise etwas anderes als ein Zeichen oder eine Darstellung der betrachteten Dinge dort anwesend sein; und das sind Ideen." 4 Diese Äußerung Lockes hat immer wieder Schwierigkeiten bereitet 5 , weil sie mit der Wendung „ausgenommen er selbst" das Universum der Ideen, in das alle Erkenntnisse eingeschlossen bleiben sollen, an einer Stelle durchbricht. Der erkennende Geist bedarf keiner Vermittlung zu sich selbst, sondern ist — es scheint nicht anders sein zu können — sich selbst unmittelbar gegenwärtig. Dies müßte dann auch, so möchte man meinen, für alle seine Zustände und Tätigkeiten gelten. Und daher meint Gibson, daß hiermit ein wichtiger und durchgängiger Unterschied zwischen Sinneswahrnehmung und Reflexion markiert ist: die erste erfolgt durch Darstellung der wahrgenommenen Gegenstände vermittels der Sinnesorgane und genügt somit dem Prinzip des Repräsentationalismus; die zweite bedarf keines Organes (wie denn ja auch ein solches nicht angebbar ist), sie ist unmittelbar und von ganz eigener Art. Locke eine ausgereifte Theorie des inneren Sinnes zuzuschreiben, wie sie später von Kant dazu benutzt wurde, um gegen die Unmittelbarkeit der inneren Erfahrung zu argumentieren, hält Gibson für abwegig. In der Folge dieser Auffassung gelangt er dann dazu, „Reflexion" als Erkenntnisquelle auf einen „speziellen Akt der Aufmerksamkkeit" zu reduzieren 6. Diese Formulierung ist aber gan2 unbefriedigend, weil erstens ein spezifischer Akt der Aufmerksamkkeit von Locke auch für die sinnliche Wahrnehmung verlangt wird: auch diese ist durch die bloße Einwirkung von Gegenständen auf die Sinnesorgane noch keineswegs gegeben. Sie bedarf der psychischen Leistung des Zur-Kenntnis-Nehmens 7 ; Wahrnehmung ist im allgemeinen Sinne dieses Wortes ein „Denken", eine „cogitatio"8, und denken, ohne sich des Denkens bewußt zu sein, ist nach Locke ein Widerspruch 9 . Nun könnte die Aufmerksamkeit im Falle der inneren Wahr* „ . . . since the things the mind contemplates are none of them, besides itself, present to the understanding, it is necessary that something else, as a sign or representation of the thing it considers, should be present to it: and these are i d e a s . " IV. xxi. 4. 5 Man vgl. etwa Fräsers Anmerkung zur eben zitierten Stelle. 6 „A special act of ,notice' or attention is, however, required to enable us to form definite ideas of specific operations, and it is this which constitutes Reflection." Gibson
1917. S. 57.
7 II.ix.3. 8 II. vi.; man vgl. den verallgemeinernden Sprachgebrauch Descartes' in dieser Hinsicht. 9 II. i. 19.
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nehmung im Prinzip natürlich noch verschieden sein von der für die äußere Wahrnehmung erforderlichen; aber da beide mindestens das Zur-KenntnisNehmen (taking notice of) im Sinne des Sich-Bewußt-Werdens (to be conscious of) gemeinsam haben müßten, wäre diese Annahme einigermaßen leer und künstlich. Hinzu kommt aber zweitens der Umstand, daß auch Gibson zugeben muß und will, daß es gewisse Ideen der Selbsterkenntnis gibt, die i n h a l t l i c h von den Ideen der Sinneswahrnehmung verschieden sind. In ihnen drückt sich eben aus, daß wir etwas Wohlbestimmtes nicht nur über die Außenwelt, sondern auch über uns selbst wissen können, gleichgültig ob diese Ideen eine repräsentierende Funktion haben oder nicht. Man ist also genötigt, über die genannte Bestimmung der Reflexion als einer besonderen Aufmerksamkeit präzisierend hinauszugehen und sie durch die Bestimmung zu ergänzen, daß es sich um eine Fähigkeit handelt, gewisse besondere Gegebenheiten, nämlich die des eigenen psychischen Lebens beobachtend zur Kenntnis zu nehmen. Hat man diesen Standpunkt einmal erreicht, so ist leicht zu sehen, worauf es Locke zusätzlich noch ankam: nämlich auf die Behauptung, daß diese Selbstbeobachtung Inhalte des gleichen epistemologischen Charakters an die Hand gibt wie die äußere Wahrnehmung, also solche, die nicht mehr und nidit weniger die Grundlage zu gewisser oder auch nur wahrscheinlicher Erkenntnis abgeben können als die durch die Sinne vermittelten Ideen. Tatsächlich muß man ja zugeben, daß unser Wissen von unseren inneren Zuständen und Tätigkeiten, sofern es nicht nur um deren Existenz, sondern um deren inhaltliche Beschaffenheit, also um jeweils besondere Ideen davon, geht, eher unsicherer und unvollkommener ist als das Wissen von einfachen äußeren Sachverhalten, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Dies ist einer der Gründe, die es berechtigt erscheinen lassen, daß Locke seine repräsentationalistische Theorie der Wahrnehmung offenbar auf die Reflexion übertragen wollte; er sagt. „Unter Reflexion . . . möchte ich die Kenntnisnahme des Geistes von seinen eigenen Operationen verstanden wissen, und die Eigenart dieser Operationen, vermöge welcher Ideen von ihnen im Verstand zustande kommen."10 Eine derartige Formulierung ist nicht gerade besonders klar, läßt aber erkennen, daß das, was der Verstand, also der Geist als kognitive Instanz, erfaßt, Ideen sind und nicht die Operationen selbst. Der Sache nach ließe 10
„By reflection . . . I would be understood to mean, that notice which the mind takes of its own operations, and the manner of them, by reason whereof there come to be ideas of these operations in the understanding." II. i. 4.
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sich dies, etwa im Sinne der Analysen von William James, auch so verstehen, daß wir immer nur einen psychischen Vorgang als Erkenntnisgegenstand vor uns haben können, den wir nicht jetzt ausführen, sondern schon ausgeführt haben oder antizipieren; der also gerade nicht unmittelbar anwesend, sondern nur durch die Erinnerung oder die Vorstellungskraft repräsentiert ist. So kann man verstehen, daß Locke gerade bei der programmatischen Einführung der Reflexion, der das letzte Zitat entnommen ist, auf den durchgängigen Repräsentationscharakter allen Wissens Wert legt. Anders als Gibson hat daher auch Aaron diese Absicht Lockes ausdrücklich anerkannt; er hat jedoch kritisch eingewandt, daß Locke in seinen detaillierteren Ausführungen über einzelne Reflexionsideen seine repräsentationalistische Erklärung de facto nicht berücksichtigt habe, indem er den Ideen der Reflexion in unberechtigter Weise eine Exaktheit zugesprochen habe, die nur aus einer unmittelbaren und nicht ideen-vermittelten Kenntnis unserer geistigen Operationen verständlich sein würde. Schließlich gelange er ja auch in Buch IV dazu, sich zu einer direkten Kenntnis des Geistes von sich selbst zu bekennen, womit sich Aaron ebenfalls auf die von Gibson zitierte Kernstelle (Anm. 4) bezieht. Und auch in Buch I I sei schließlich nicht mehr als der Anschein des Repräsentationalismus festzustellen 11 . Was zunächst die Aaron verdächtige Exaktheit betrifft, die Locke den Reflexionsideen angeblich zuschreibt, so sehe ich nicht, worauf man sich hierbei im Text berufen könnte. Lockes Behauptungen in dieser Sache brauchen nur ebenso selbstverständlich und gewiß genommen zu werden wie jene anderen über die einfachen Strukturen unserer äußeren Wahrnehmung auch; in beiden Fällen handelt es sich gleichermaßen um Beobachtungen, die jeder nach Lockes Meinung bei sich selbst machen kann und muß, wenn er verstehen will, was Locke sagt. Ihre Klarheit und Deutlichkeit mag von Locke überschätzt werden, aber dies dann gleichermaßen für a l l e einfachen Ideen. Es bleibt jedoch die Frage offen, wie man das Programm des Repräsentationalismus mit jener von Gibson wie Aaron herangezogenen Stelle aus IV. xxi. 4 vereinbaren soll, in der der erkennende Geist selbst aus dem Universum ideen-vermittelter Erkenntnis herausgenommen wird. Sie steht in einem offenkundigen Gegensatz zu der Redeweise, die Locke bei der Einführung der Reflexion in II. i. 4 gewählt hat. Die Ausnahme, die Locke an dieser Stelle macht, zeigt andererseits eine deutliche Verwandtschaft zu der Sonderstellung, die er der Erkenntnis der eigenen Ε χ i s t e η ζ gegenüber 11 Aaron 1937, II. IV. i; Paperback-Ausgabe 1965, S. 130.
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aller sonstigen Erkenntnis von Existenzen zuschreibt. Wenn man von der Existenz Gottes absieht, deren Erkenntnis lediglich an die des eigenen Ichs angeknüpft wird, gilt für alles übrige Wissen über Existenz, daß es nicht mit dem höchsten, sondern nur mit einem der Sinneswahrnehmung eigenen minderen Grade von Gewißheit erlangt werden kann; es ist sensitive, nicht intuitive Erkenntnis n . Allein die eigene Existenz wird durch Intuition erfaßt und ist unzweifelbar gewiß; „in dieser Sache erreichen wir den höchsten Grad der Gewißheit" 13 , wie er nämlich sonst nur für die Einsicht in evidente Ideenrelationen einfachster Art reserviert ist. In der Tat scheint das bloße Wissen von der eigenen Existenz in einer Weise einfach und unmittelbar zu sein, die es jedem Wissen über besondere Beschaffenheiten des eigenen Inneren überlegen sein läßt 14 . Es ist also der Sache nach wenigstens plausibel, einerseits physikalische und psychologische Erkenntnis einander gleichzustellen, wie das durch den einheitlichen Repräsentationalismus in II. i. 4 geschieht und andererseits das Bewußtsein der eigenen Existenz durch seine unmittelbare und einfache Gewißheit aus allem möglichen anderen Wissen herauszuheben. Jedenfalls scheint es genau dieses zu sein, was Locke unter dem Einfluß von Descartes hat tun wollen, aber nicht mehr; denn es fehlt bei ihm der Versuch, dieses Wissen als Grundlage, als „fundamentum inconcussum", für anderes Wissen (ausgenommen das Wissen von der Existenz Gottes) auszunützen und von daher den Status unseres sonst bloß wahrscheinlichen Wissens über die reale Welt zu verändern. Daß die höhere Gewißheit, die hier für einen Fall des Reflexionswissens beansprucht wird, auf das Wissen von Existenz beschränkt werden soll, geht noch aus einer anderen Stelle hervor, die immer wieder zugunsten einer prinzipiellen Überlegenheit der Reflexion über die Sensation angeführt wird. 12 I V . ii. 1 4 ; IV. xi. 3. I V . ix. 2 — 3 , insbes. § 3 Ende. 1 4 Mit der Behauptung intuitiven Wissens von eigener Existenz, insbesondere wenn sie zu Recht mit dem „besides itself "aus I V . xxi. 4 in Zusammenhang gebracht werden kann, ist natürlich für die Lockesche Erkenntnistheorie ein besonderes Problem verbunden; denn intuitives Wissen ist wie jedes andere Wissen bestimmt als „Wahrnehmung der Verknüpfung von Ideen" ( I V . i. 2 ) . Daher ist der Sinn einer dem Repräsentationszwang durch vermittelnde Ideen enthobenen Ausnahme, der unmittelbaren Präsenz von etwas im Verstände, in dem von Locke bereitgestellten theoretischen Rahmen einigermaßen unklar. Für eine Diskussion dieses Problems kann ich auf Aaron 1937, II. V I I . § iii verweisen. Dabei ist aber anzumerken, daß dieses Problem auf die intuitive Erkenntnis von E x i s t e n z lokalisiert werden kann; es darf nicht mit jenem allgemeinen Problem verwechselt werden, das jede intuitive Erkenntnis, also audi die von I d e e n r e l a t i o n e n , für eine empiristische Erkenntnistheorie aufwirft und das noch ausdrücklich zu besprechen sein wird (§§ 1 4 — 1 6 ) . Die intuitive Gewißheit der eigenen Existenz wird in § 18 kritisch betrachtet.
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Locke sagt dort, daß jede Sinneswahrnehmung sowohl auf das wahrgenommene Objekt wie auch auf den Wahrnehmenden verweise, aber so, daß „mit g r ö ß e r e r Gewißheit" erkannt werde, daß eine wahrnehmende Instanz in mir als daß ein Ding außer mir da sei 15 . Der Wortlaut beschränkt sich ausdrücklich auf die Existenz der Dinge außer mir bzw. der wahrnehmenden Instanz in mir. Es ist also unberechtigt, diese Stelle als Äußerung zum Verhältnis von Reflexion und Sensation überhaupt anzusehen; sie hat vielmehr die Aufgabe, die menschliche Erkenntnisleistung bereits mit ontologischen Fragen nach der Existenz bestimmter Arten von Substanzen, wie sie sich im Wirkungsbereich der cartesischen Philosophie ergeben, in Zusammenhang zu bringen. Weder diese Stelle noch die von Locke in I V . ix und IV. xxi. 4 vorgesehenen Ausnahmen kann man daher gegen die ausdrückliche Charakterisierung der Reflexion als einer zweiten unabhängigen, im epistemologischen Sinne weder bevorzugten noch benachteiligten Erfahrungsquelle heranziehen. Für den Versuch, zu verstehen, worin bei Locke der „Empirismus" besteht, ist es wichtig, die Bedenken und Einwände gegen die Nebenordnung von Sensation und Reflexion zu widerlegen. Denn zum einen kann die Annahme einer Kenntnis des eigenen Geistes, die der Vermitdung durch Ideen enthoben ist, leicht dazu führen, die Vorstellung eines transzendentalen Erkenntnisbereiches zu entwickeln, in dem das erkennende Bewußtsein unabhängig von der Erfahrung sich selbst vollständig und zweifelsfrei bekannt werden kann, etwa in der Art, in der Kant sagt, daß man nach der ausführlichen Kenntnis der Vernunft und ihres reinen Denkens nicht weit um sich suchen müsse, weil man sie in sich selbst antreffe 16 . Zum anderen zieht die Umbildung der Reflexion zu einem bloßen Teilmoment jeder bewußten Tätigkeit den Verlust einer eigenen Quelle für die psychologischen und speziell auch epistemologischen Ideen nach sich; solche Ideen müssen dann entweder aus Ideen der Sinneswahrnehmung konstruiert bzw. auf diese reduziert werden, was der Annahme eines Sensualismus gleichkommt, oder sie müssen ohne jede Reduktion auf eine Erfahrungsbasis verständlich sein, was wiederum auf einen Apriorismus der Reflexionsideen hinauslaufen würde, der in eine transzendentale Erkenntnistheorie hineinführt. Zu dieser letzten Interpretationstendenz stellen die bisher besprochenen Bemerkungen über die Reflexion eine sachliche Vorstufe dar. Von Gibson habe ich die Bestimmung der Reflexion zitiert, derzufolge sie ein „besonderer Akt der Aufmerksamkeit" sein soll. Einen Schritt weiter is II. xxiii. 15; s. audi Anm. 29 und zugehöriger Text. 16 Kant 1781, S. X I V .
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
in diese Richtung war bereits Fräser in seinem Buch über bzw. Kommentar zu Locke gegangen; er formuliert: „Lockes ,Reflexion' ist intensiviertes Selbstbewußtsein und nur dem Grade nach von dem in die Sinneswahrnehmung und in jeden bewußten Zustand als solchen eingehenden Selbstbewußtsein verschieden."17 Von religiösen Motiven inspiriert18 und der Annahme einer „universalen Vernunft" 19 oder auch eines „Übernatürlichen oder Metaphysischen"20 in der Weltordnung bestimmt versucht er allenthalben in Lockes Darstellung die unausgesprochene Anerkennung einer „inneren Vernunftnotwendigkeit"21 bei der Bildung unserer Ideen herauszulesen und auf die Folgerung hinzuführen, daß in den von der Reflexion bzw. dem Selbstbewußtsein entdeckten Operationen keine Erfahrung, sondern eine rationale Erklärung von Erfahrung zutage tritt 22 , und insbesondere daß von Locke implizit „in der ,Reflexion* mehr als ein empirischer innerer Sinn anerkannt" werde 23 . In dieser Stellungnahme wird Fräser dadurch bestärkt, daß er im reinen Empirismus Skepsis und Unwissenheit angelegt sieht, denen potentielle Allwissenheit und transzendentaler Idealismus gegenüberstehen24. Er empfindet angesichts der Wirkungsgeschichte Lockes die empiristische Einstellung eher als „analytisch und desintegrierend", denn als „konstruktiv und bewahrend"25. Fräsers Beispiel zeigt, wie auch ein hervorragender Kenner Lockes, unter dem Einfluß einer wie gebannt auf den Sensualismus und Materialismus blickenden Interpretationstradition stehend, dazu gedrängt wird, den von Locke entwickelten Begriff des Empirismus schon bei der Betrachtung der Erfahrungsbasis zu eng zu fassen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird es nützlich sein, die sensualistische Version des Empirismus in § 7 noch näher zu betrachten. Zunächst einmal soll jedoch unabhängig von dem Seitenblick auf die sensualistische „Gefahr" untersucht werden, in welchem Maße, insbesondere im Begriff der Reflexion, transzendentalphilosophische Züge, etwa der kantischen Erkenntnistheorie, in Lockes „Essay" vorgeprägt oder impliziert sind. Genau unter dieser Fragestellung steht die vorzügliche DarAnmerkung 1 zu II. vi. in Fräsers Ausgabe des „Essay", is Fräser 1890, ζ. B. S. 207.
19 a. a. O., S. 212. 20 a. a. O., S. 120 f. 21 a. a. O., S. 146. 22 a. a. O., S. 138 f. 23 a . a. O., S. 146. 24 a. a. O., S. 280 f. 25 a . a. O., S. 282.
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Stellung, die Alois Riehl von Lockes Erkenntnistheorie gegeben hat 26 , so daß ich mit Nutzen an sie anknüpfen kann. Zum einen stellt Riehl heraus, daß die Reflexion von Locke als sinnliches Vermögen gemeint sei, das uns die Tätigkeiten und Zustände unseres Geistes zum Bewußtsein bringt, und daß die dabei gebildeten Vorstellungen empfangen, nicht erzeugt werden. Er hebt weiterhin hervor, daß nach Locke die Reflexion der Sensation zeitlich nachgeordnet ist. Schließlich drittens übersieht er nicht, daß Locke auch für Reflexionsideen ein Repräsentationsprinzip festhalten wollte, daß er also durchaus etwa zwischen der Lust und der Idee der Lust unterschieden habe 27 . Eine im bereits angedeuteten Sinne kritische Umbildung des Begriffes der Reflexion wird jedoch in eben diese Darstellung hineingeflochten. Riehl schreibt: „Folgt also auch die Reflexion der Sensation nach, so könnte doch diese selbst nicht eintreten, ohne die Operationen, welche jene entdeckt und die zum Zustandekommen schon der einfachsten Empfindung erforderlich sind. Veränderungen im Körper könnten erfolgen, Eindrücke unsere Organe erregen, reichen sie nicht zu unserem Geiste, oder nehmen wir nicht innerlich von ihnen Kenntnis, so gäbe es von ihnen keine Wahrnehmung.' Jede äußere Wahrnehmung ist ein Akt des Bewußtseins, und kann als solcher Gegenstand der inneren Wahrnehmung werden. Sensation und Reflexion wirken notwendig zusammen, wie zwei einander ergänzende Momente eines einheitlichen Vorganges . . . ." 28 Hier wird zunächst klar unterschieden zwischen Operationen des Geistes und deren Wahrnehmung, und es wird zu Recht gesagt, daß die Sensation allerdings jener Operationen bedarf (ja, sie besteht geradezu in solchen); im letzten Satz jedoch wird eine Folgerung formuliert, von der nicht klar ist, wie sie sich aus dem vorausgehenden Gedankengang ergibt, und die gerade jenen Unterschied wieder verwischt: Reflexion selbst wird zum „Moment" jeder Wahrnehmung umgebildet. Das Wort wird hier doppeldeutig: es bezeichnet nicht mehr nur eine Quelle von Ideen, sondern zugleich eine Fähigkeit des Verstandes, in bestimmter Weise tätig zu sein. Für diese Interpretation beruft sich Riehl auf eine Äußerung Lockes, die folgendermaßen lautet: 26 Riehl 1908, Buch I, Kap. 1. 27 Alle Punkte dieser Erörterung bei Riehl 1908, S. 37 f. 28 a. a. Ο.; II. ix. 3 und 4 enthalten die Wendungen, aus denen der wie ein Zitat aus Locke gegebene Satz zusammengestellt ist.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
„Jeder Akt der Sinneswahrnehmung, gebührend betrachtet, eröffnet gleichermaßen einen Blick auf beide Teile der Natur, den körperlichen und den geistigen. Denn indem ich durch Sehen oder Hören usw. weiß, daß dort außerhalb meiner ein körperliches Wesen ist, das Objekt meiner Wahrnehmung, weiß ich mit größerer Gewißheit, daß in mir ein geistiges Wesen ist, das sieht und hört." 29 Es ist jedoch schon oben (im Zusammenhang mit Anmerkung 1 5 ) darauf hingewiesen worden, daß es an dieser Stelle, wie die Formulierungen und ebenso der Fundort — ein Kapitel über Ideen von Substanzen — ausweisen, um das Dasein, die Existenz von zweierlei Arten von Substanzen geht, also gewissermaßen um die Anwendung der Erkenntnistheorie auf vorausgesetzte ontologische Bedingungen, nicht aber um die Analyse des erkennenden Verstandes. Charakteristisch für die Riehl'sche Interpretationsabsicht ist die von ihm gewählte Übersetzimg30 von „both p a r t s of nature" durch „beide S e i t e n der Natur". Die von Locke empfohlene „gebührende Betrachtung" eines Wahrnehmungsaktes muß natürlich audi Reflexionen einschließen, wenn sie zur Klärung des Zusammenhanges von ontologischen und epistemologischen Verhältnissen beitragen soll; ein notwendiges Zusammenspiel von Sensation und Reflexion bei jeglicher Perzeption ist dagegen eine völlig andere Sache, und diese betreffend betont Locke gerade den Umstand, daß es an der Reflexion allzu oft fehlt 3 1 . An das Theorem der Verknüpfung von Sensation und Reflexion als Momente eines einheitlichen Vorganges schließt Riehl nun aber die kantianisierende Auffassung an, daß auch schon bei Locke in allen Ideen das Element der rezeptiven Empfindung mit dem der Aktivität des Verstandes verknüpft ist, so daß dieser nach s e i n e n Prinzipien den Ideenvorrat mitgestaltet, eben weil der Mensch reflektiert und sich seiner geistigen Operationen bewußt werden kann. Nun ist es audi in der von mir in § 5 vorgeschlagenen Interpretation richtig, schon bei den „passiv" hinzunehmenden Basisideen ein Zusammenwirken von Verstandestätigkeit und Wahrnehmung gelten zu lassen, und insoweit halte ich die Interpretation Riehls für hilfreich, insbesondere auch um eine zu einfache Kritik an der empiristischen Vorstellung des „Gegebenen" auszuschließen. Bedenklich scheint mir jedoch die 29 „Every act of sensation, when duly considered, gives us an equal view of both parts of nature, the corporeal and spiritual. For whilst I know, by seeing or hearing, etc., that there is some corporeal being without me, the object of that sensation, I do more certainly know, that there is some spiritual being within me that sees and hears." I I . xxiii. 1 5 . 30 Riehl 1908, S. 38. 31 I L L 8.
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(auch sonst in der Locke-Interpretation verbreitete) Verwischung des Unterschiedes von Aktivität des Verstandes und Reflexion. Denn nur wenn beides unterschieden wird, kann in dem Schema der epistemologischen Begriffe, mit dem Locke arbeitet, deutlich gemacht werden, daß wir von dieser Aktivität in keiner anderen Weise wissen können als von äußeren Dingen audi, nämlich nach der Art der Wahrnehmung und mit jeweils nur empirischer Gewißheit; vorsichtiger gesagt: die Bedeutung der Operationen, die der Geist ausführt, kann nicht aus dem reinen Verstände gezogen werden, sondern allein aus der Beobachtung ihres jeweiligen Vollzuges. „Metaphysische" Argumente im Sinne Kants stehen nicht zu Gebote, um den vollständigen Uberblick möglicher Verstandesleistungen zu verschaffen; und Beobachtung, nicht Wissen a priori definiert, was sinnvolle Vorstellungen sind und was aus ihnen erwachsende mögliche Erfahrung. Natürlich hat Riehl recht damit, daß auch der Verstand neben den Sinnen in gewisser Hinsicht eine weitere Quelle von Ideen ist 32 , insofern er nämlich Ideen zusammensetzen kann; in diesem Sinne kommen „zu den Objekten der Sinne .. . Objekte des Verstandes hinzu"33. Aber diese Gegenüberstellung von Sinn und Verstand führt auch wieder fehl, weil der Verstand bei a l l e n Ideen (verstanden nämlich als Bedeutungen von Wörtern) mitwirkt, auch bei den einfachen, ζ. B. wenn sie abstrakt sind. Unberechtigt wie die Gegenüberstellung ist dann Riehls Kritik 34 an Kants Behauptung 35, Locke habe die Verstandesbegriffe „sensifiziert". Kant sagt an dieser Stelle ganz richtig, daß Locke diese Begriffe „für nichts als empirische oder abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte". Wenn Reflexion nicht nur als Wahrnehmungsquelle, sondern zugleich als Prinzip der Verstandestätigkeit begriffen wird, dann könnten freilich jene Begriffe audi dem Verstände selbst entstammen und „intellektuelle" sein, wie sie Riehl offenbar aufgefaßt wissen will, indem er Kants Darstellung bemängelt. Sein leitender Gesichtspunkt bei der Interpretation Lockes kommt klar in dem Satz zum Ausdruck: „Lockes Essay ist die englische Kritik der reinen Vernunft." 36 Diese Auffassung ist aber nur so lange unbedenklich, als man das Wort „Kritik" hervorhebt und auf die gemeinsame Aufgabenstellung Lockes und Kants hinweisen will (worauf Riehl natürlich auch Wert legt): nämlich eine Abgrenzung des menschlichen Erkenntnisvermögens zu liefern. Irreführend 32 33 34 35 36
Riehl 1908, S. 38. a. a. O., S. 99. a. a. O., S. 100. Kant 1781, S. 271, bzw. 1787, S. 327. Riehl 1908, S. 99.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
wird sie, sobald man auf den Titelbestandteil „reine Vernunft" abhebt und die Parallele zwischen beiden Philosophen hinsichtlich der besonderen Rolle der Vernunft bzw. des Verstandes im Erkenntnisprozeß verschärfen will, insbesondere, wenn man dabei die Spontaneität des Verstandes von der „Reflexion" nicht mehr hinreichend trennt; Kant sagt zu Recht, daß Locke nur „eine Physiologie des menschlichen Verstandes" habe geben wollen 37 , nämlich eine im Sinne der „historical, plain method" deskriptive Darstellung seiner Funktionsweise und Struktur. In dieser ist die Bedeutung der Verstandesoperationen (und damit auch der in ihnen hergestellten komplexen Ideen) nicht dem Verstände, sondern der Erfahrung von der Ausübung des Verstandes zu entnehmen (siehe auch § 10). Es bleibt daher von der bisherigen Entwickung einer Erfahrungsbasis her ein (noch zu besprechendes) Problem, wie es zu „Objekten des Verstandes" in einem Sinne kommen könnte, der es erlaubt, auf sie „eine zwar ihrer Entstehung nach mit der Erfahrung zusammenhängende, ihrer Bedeutung nach aber von der Erfahrung unabhängige Erkenntnis" zu begründen38. Die Einführung der Reflexion als Quelle unserer Kenntnis auch von epistemologisch relevanten Tätigkeiten unseres Geistes muß jede von Erfahrung unabhängige Bedeutung zweifelhaft machen. In jedem Fall läßt sich erst dann, wenn ein Unterschied zwischen Verstandestätigkeit und Erfahrung von ihr gemacht wird (wie ja auch Kant den inneren Sinn von Apperzeption unterscheidet), die Frage des sachlichen Zusammenhanges beider stellen, das Problem der epistemologischen Priorität von Verstandesspontaneität oder reflexiver Selbstbeobachtung aufrollen und damit eine Alternative zwischen kantischem Apriorismus und Lockeschem Empirismus sichtbar machen. Aus der Auflösung der Eigenständigkeit von Sensation und und Reflexion auf der von Gibson, Fräser und Riehl eingeschlagenen Linie läßt sich schließlich auch ein Idealismus Berkeleyscher Prägung als Konsequenz des Lockeschen Empirismus gewinnen. Für einen derartigen Gedankengang kann man aus der neueren Locke-Literatur Alfred Klemmt 39 anführen, der im übrigen durch Riehl und damit wiederum durch Kant beeinflußt ist. Er sagt. „Zweifellos sind wir berechtigt, Reflexion und Bewußtsein bei Locke grundsätzlich gleichzusetzen...". Der „entscheidende Punkt" ist dabei für ihn, „daß a l l e Ideen, gleichviel welcher Art auch immer, nach Locke i m m a n e n t e Größen sind und als solche folgerichtig der Reflexion zu ihrer Erfassung bedürfen". Er stützt sich in diesem Zusammenhang darauf, daß 37 Kant 1781, S. IX. 38 Riehl 1908, S. 99. 39 Klemmt 1952; die folgenden Zitate finden sich auf S. 49 f.
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Locke verallgemeinernd nicht nur Operationen des Geistes, sondern auch aus ihnen entspringende Passionen des Geistes, ζ. B. Gefühle der Lust und Unlust, unter die Ideen der Reflexion zählt; von da zur Einbeziehung aller Ideen überhaupt, die ja alle auch nur innere Zustände sind, sei es „nur noch ein Schritt". Klemmt findet dementsprechend eine „erkenntnistheoretische Vorordnung der Reflexion vor die Sensation" und daraus resultierend einen „reinen Spiritualismus" in Lockes Werk begründet 't0. Derartige Folgerungen sind übrigens schon vor Berkeley betrachtet worden; sie erscheinen bereits in den frühesten Kritiken und Kommentaren zu Lockes Essay 41 . Das entscheidende Bedenken gegen die scheinbar konsequente Verallgemeinerung dessen, als was die „Reflexion" bei Locke zunächst erscheint, ergibt sich aus dem Verlust einer E r f a h r u n g s i n s t a n z , die einen g e s o n d e r t e n S a c h b e r e i c h „innerer" Vorgänge und Zustände erschließt. Die Identifikation von Reflexion und Selbstbewußtsein (die Riehl übrigens vorsichtigerweise nicht ausgesprochen hat) nimmt der Reflexion ihr Spezifikum und entzieht der Lockeschen Theorie mit den Reflexionsideen gewisse einfache Erfahrungen, für die es im empiristischen Rahmen dann keinen Ersatz gibt. Denn die Sinneswahrnehmung mag wohl die Grundlage zu dem Urteil abgeben: (a) dort steht ein Baum; in diesem Sinne vermittelt sie die Idee ,Baum'. Die Reflexion gibt dagegen die Grundlage zu dem davon ganz verschiedenen Urteil ab: (b) ich sehe einen Baum; sie vermittelt die Idee ,sehen' oder auch ,wahrnehmen'. Im zweiten Fall sind die Inhalte einer Wahrnehmung, also gewisse Ideen der Sensation, wie Locke ja auch erläutert, schon vorausgesetzt; sie gehen also in die Reflexion ein. Aber dieser Umstand spricht natürlich nicht gegen die Auffassung, daß wir zwar den Baum nicht sehen können, ohne zu sehen, wohl aber ohne darauf zu reflektieren, daß wir eine gewisse Fähigkeit besitzen, die man ,sehen' nennen könnte. Es setzt bereits eine bestimmte Theorie des Bewußtseins voraus, wenn man behauptet, eine zu (a) führende Erfahrung sei nicht als bewußt anzusehen (also im Sinne Lockes gar keine Erfahrung), wenn sie nicht auch (b) veranlaßt, oder wenn man gar den Unterschied von (a) und (b) leugnet. Beides wollte Locke nicht tun, schon gar nicht das zweite. Es scheint mir also verfehlt, einen Idealismus (sei es nun ein transzendentaler oder das, was Kant den „materialen" genannt hat) aus einem Ver4° a.a.O., S. 55. 41 Schon Norris 1690 weist auf skeptische Konsequenzen hin. Lee 1702 identifiziert bereits Reflexion und Bewußtsein und verbindet eine sensualistische Interpretation mit einer skeptischen. Über diese und andere zeitgenössische Kritiken Lockes berichtet Yolton 1956, wovon besonders Kap. I I I einschlägig ist.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
hältnis von Sensation und Reflexion abzuleiten, das Locke nie behauptet hat 4 2 . Die Nebenordnung beider Erkenntnisquellen zeigt, daß man umgekehrt Locke eher eine „realistische" Erkenntnistheorie zuschreiben sollte (falls denn überhaupt das Begriffspaar Realistisch — idealistisch' verwendet werden soll), d.h. eine solche, die von der Beobachtung realer Erkenntnistätigkeit ausgeht, sei diese audi besonderer Art, nämlich introspektiv oder, wie Locke sagt, „reflexiv". Mit dieser Stellungnahme soll nicht gesagt sein, daß die „Reflexion" nicht zu weiteren Problemen führen könnte, insbesondere zu denen des Bewußtseins oder Selbstbewußtseins. Diese haben im Gegenteil bei Locke zu Bemerkungen Anlaß gegeben, die das von mir bisher verteidigte Konzept in Frage zu stellen scheinen, so daß ich sie noch kurz besprechen möchte. Klemmt hat sich ζ. B. für die Gleichsetzung von Reflexion und Selbstbewußtsein unabhängig von der oben schon wiedergegebenen Überlegung, auf Lockes Worte berufen können 43 . Zum einen sagt dieser: „Bewußtsein ist die Wahrnehmung dessen, was in eines Menschen eigenem Geist geschieht."44 Zum anderen führt er die Reflexion ein als „die Wahrnehmung der Operationen unseres eigenen Geistes in uns" 45 . Da diese Formulierungen nahezu übereinstimmen, scheint hier ein direkter Beweis für die behauptete Identifikation aus dem Text vorzuliegen. Die damit gegebene Schwierigkeit halte ich jedoch nicht für ein Indiz auf eine latente Veränderung des bisher geschilderten empiristischen Ansatzes, sondern für die Folge von Lockes Bemühung um einen befriedigenden Begriff des Bewußtseins, die auch nach Vollendung des „Essay" weiterging.
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Mit diesen Bemerkungen soll die Frage des Idealismus insgesamt natürlich nicht erledigt sein. Denn sie kann ganz unabhängig von Theorien über die Reflexion aus dem Repräsentationalismus des „way of ideas" entwickelt werden, ist dann freilich noch allgemeiner und nicht viel mehr als ein leeres Stüde metaphysischer Sorgen. Gegen diese wären Lockes Argumente im einzelnen zu betrachten, wobei neben den etwas dürftigen Bemerkungen aus I V . iv vor allem einige Äußerungen aus I V . xi. 3 , 8 und analoge aus I V . ii. 14 und I V . x. 2 Beachtung verdienten. Aus ihnen geht die p r a g m a t i s c h e Überzeugung hervor, daß die idealistische Skepsis künstlich ist, daß umgekehrt unsere Erkenntnisfähigkeiten unseren Lebensbedürfnissen angemessen sind und daß wir uns jenseits unseres Glücks und Leids weder um Wissen noch um Sein zu kümmern brauchen. Die für einen heutigen Empiristen nächstliegende Frage, ob der Kontroverse zwischen Idealismus und Realismus im Rahmen seiner Erkenntnistheorie überhaupt ein Sinn zugesprochen werden kann, tritt in dieser Form be\ Locke nidit auf. « Klemmt 1952, S. 49. ** „Consciousness is the perception of what passes in a man's own mind." I I . i. 19. 45
„the perception of the operations of our own mind within us", I I . i. 4.
§ 6 Die innere Erfahrung und das Problem der Reflexion
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Diese Bemühung wurde Locke dadurch nicht gerade erleichtert, daß er zugleich den Versuch machte, sich von der cartesischen Schule mit ihrem Begriff der denkenden Substanz zu lösen, wovon seine Formulierungen in II. 1 . 1 9 mitbestimmt sind, und die Identität der „Person" mit Hilfe des Bewußtseinsbegriffes ganz neu zu bestimmen46. Lockes Versuch wird daher neue Probleme aufwerfen; klar scheint indes zu sein, daß er gemäß der empiristischen Methode, die von einfachen Beobachtungen auszugehen hat, woran er die Cartesianer verschiedentlich erinnert 47 , eine elementare Erfahrung der Reflexion bereits v o r a u s s e t z t , eben die Fähigkeit des Menschen, seine eigenen Gedanken und Fähigkeiten ausdrücklich zum Gegenstand seiner Betrachtungen und Aussagen zu machen. Entsprechend ist ein Unterschied von „perception" im allgemeinen, das synonym ist mit „having ideas" 48 , und „reflexion" als dem Haben ganz b e s t i m m t e r Ideen festzuhalten. Erst auf der Grundlage der inneren Erfahrung kann eine im empiristischen Sinne verständliche und begründete Theorie des Bewußtseins gegeben werden. Der Sinn, in dem bei einer Analyse von ,Bewußtsein' von reflexiven Strukturen die Rede ist oder sein kann, ist gewiß nicht unabhängig von dem Sinn, den .Reflexion* als Erfahrungsquelle hat, aber doch auch nicht damit zu verwechseln. Die Analyse Lockes soll vielmehr gegen eine Spekulation über die denkende Substanz, in der das Geschäft einfach durch Definition erledigt wird 4 9 , einen e r f a h r b a r e n Begriff der Person zu setzen gestatten, aus dem begründeterweise praktische Konsequenzen für die menschliche und göttliche Rechtssprechung gezogen werden können 50 . Es mag zwar Lockes Ergebnis, daß niemand wahrnehmen kann, ohne wahrzunehmen, daß er wahrnimmt, und daß eben dies die Wahrnehmungen zu seinen eigenen macht 51 , dem kantischen Prinzip des „ich denke" gleichkommen; aber es bliebe doch für Locke unmöglich, dieses zum Ausgangspunkt oder Angelpunkt der Erkenntnistheorie zu machen. Gegen den Gedanken, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwürfe hervorbringt 52 , setzt er die Autorität der Erfahrung auch für die Theorie der Erfahrung. Wie schon weiter oben bemerkt, bekommt man jedoch eine Alternative dieser Art, die zwischen der Transzendentalphiloso4* II. xxvii. V 2. B. II. i. 1 0 , 1 8 , 1 9 . 48 II. i. 9; vgl. audi II. xix. 1. 49 II. i. 19 so II. xxvii. 22, 26 51 Auf eine derartige Auffassung scheinen mir jedenfalls Lockes Überlegungen hinauszukommen, wenn u. a. II. i. 19 und II. xxvii. 24 im Zusammenhang gesehen werden. 52 Kant 1787, S. X I I I .
Teil II: Der Empirismus der Ideen
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phie Kants und dem Empirismus Lockes ansteht, nur dann zu Gesicht, wenn man nicht von vornherein mit der Identifikation von Bewußtsein und Reflexion Gedanken späterer Philosophie an Locke heranträgt. Zwar bietet seine Theorie des Bewußtseins, wie man zugeben muß, Handhaben dafür, aber doch keine besonders guten, insofern die Bewußtseinstheorie, die Locke in ihrem entscheidenden Teil übrigens erst auf fremde Anregung hin 53 zur zweiten Auflage seines „Essay" hinzugefügt hat, ein besonderes inhaltlich begrenztes Lehrstück darstellt, während die Lehre von der Reflexion als Erfahrungsquelle zu den Grundlagen des Werkes gehört.
§ 7: Wird geleugnet, erkennen, nicht, wie fälscht.
Empirismus und Sensualismus: ein Exkurs über Condillac
die „Reflexion" nicht umgedeutet, sondern als selbständige Erfahrungsquelle ergibt sich eine sensualistische Position. Am Beispiel Condillacs läßt sich in welcher Weise eine sensualistische Interpretation den Empirismus Lockes es ihrer Intention entspricht, konsequent weiterführt, sondern vielmehr ver-
So wenig es Lockes Absicht und der von ihm gemeinten Sache gerecht wird, die Probleme des Nebeneinanderbestehens und Zusammenwirkens von Sinneswahrnehmung und Reflexion dadurch zu lösen, daß man die Reflexion aus der Stellung einer Quelle empirischer Ideen herausrückt und im Sinne nachfolgender Philosophen uminterpretiert, ebeno wenig ist es berechtigt, und — wie sich zeigen wird — möglich, diesen Problemen dadurch aus dem Wege zu gehen, daß man die Reflexion als ein eigenes Prinzip der Gewinnung von Erkenntnis einfach abstreitet. Für eine derartige sensualistische Stellungnahme lassen sich jedoch zunächst starke Motive anführen: Ein Organ der Selbstbeobachtung ist nicht aufweisbar; die Sinneswahrnehmungen besitzen eine offenkundige zeitliche (und vielleicht auch kausale) Priorität auf dem von jedem Individuum zu durchlaufenden Weg zur Erkenntnis; sie haben eine einzigartige Sonderstellung inne, was die Vermittlung von neuem, dem Subjekt fremdem Material und damit von Erfahrungen in einem engeren Sinne dieses Wortes betrifft. Derlei Bemerkungen sind geeignet, den Sensualismus als die eigentlich erst empirisch-reale Version und die konsequente Weiterführung des empiristischen Ansatzes erscheinen zu lassen. Tatsächlich ist der Sensualismus sowohl von Vertretern wie von Kritikern als ein radikalerer Empirismus verstanden worden 53 Locke an Molyneux am 23. 8. 1693 und 8. 3. 1695, W W 9, S. 326 und 350. 1 Das war ohne Frage die Auffassung Condillacs; auch ein Kritiker der Sensualisten
§ 7 Empirismus und Sensualismus: ein Exkurs über Condillac
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Obwohl also der Sensualismus eine sachlich naheliegende und historisch außerordentlich wirksam gewordene Interpretation dessen ist, was .Empirismus' bedeuten könnte, beruht er doch auf einem grundlegenden Mißverständnis einerseits Lockes, andererseits auch der von ihm gemeinten Sache, der empiristischen Erkenntnistheorie. Daher wird es vielleicht nützlich sein, in diesem Abschnitt einen historischen Exkurs zu machen und den Sensualismus zu betrachten. Der dabei gebotenen Kürze halber werde ich mich nahezu ausschließlich auf Condillac als dessen bei weitem wichtigsten und originellsten Vertreter beschränken. Obwohl daher das Folgende als Darstellung des Sensualismus im ganzen völlig unzureichend bleiben muß, wird es jedoch, wie ich hoffe, möglich sein, trotz der stofflichen Beschränkung einige wichtige Punkte des behaupteten Mißverständnisses zu markieren und so zum besseren Verständnis der hier im ganzen vorzutragenden Interpretation des Empirismus vom Lockeschen Typ beizutragen. Condillac läßt sich in mancherlei Hinsicht als Anhänger, Nachfolger und Fortsetzer Lockes ansehen. Als Anhänger weisen ihn etliche Stellen aus, in denen er unter allen Philosophen Locke als denjenigen hervorhebt, der als erster und einziger in der Philosophie überhaupt oder bei der Behandlung einzelner ihrer Probleme den richtigen Weg eingeschlagen hat 2 . Nachfolger ist er dabei in verschiedenen Punkten: Er besteht (entgegen den unten noch zu erörternden rationalistischen Zügen seiner Philosophie) auf der Erfahrung als der Grundlage jeder philosophischen und wissenschaftlichen Me-
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wie Cousin 1819 scheint die ganze sensualistische Schule unter diesem Aspekt zu sehen, wenn er sie als Entfaltung des empiristischen Systems Lockes darstellt und diesen nur deshalb anders (und höher) einschätzt als seine Nachfolger, weil er als kluger und liberaler Geist allenthalben gegen die Konsequenzen seines Ansatzes verstoßen habe. Ζ. B. hebt Condillac im „Essai sur l'origine des connaissances humaines" von 1746, seinem ersten philosophischen Werk, sogleich in der Einleitung Locke als den einzigen Philosophen hervor, der sich in der Metaphysik in der gebotenen Weise, nämlich auf das Studium des menschlichen Geistes, beschränkt habe und dadurch über Vagheit, Sinnlosigkeit und Irrtum zu klaren Vorstellung und zu einem Erfolg durdigedrungen sei (1746, Introduction, 3 a 31-b 14). In der Zusammenfassung seines charakteristischsten Werkes, im „Extrait raisonne" von 1755 des „Traitd des sensations" von 1754, gesteht er zwar Aristoteles das Verdienst zu, als erster die Herkunft unseres Wissens aus der Wahrnehmung bemerkt zu haben; aber dieses Prinzip führe jener nirgends in den uns erhaltenen Werken aus. Alle übrigen Philosophen außer Locke seien in dieser Sache zu vernachlässigen: „Immediatement apres Aristote vient Locke." (1755 a, 323 b 40 — 324 a 9; man vgl. audi 324 a 31 — b lo und 1746, Introd. 5 a 13—28). — Alle Zitate aus Condillac nach: Oeuvres philosophiques de Condillac, hrsg. von Georges LeRoy, 3 Bde., Paris 1947; auf Bd. 1 hiervon sind die Seiten-, Spalten-, und Zeilenangaben bezogen; die Jahreszahlen bezeichnen dabei die einzelnen Werke, wie aus dem Literaturverzeichnis zu ersehen ist.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
thode 3 . Et hebt ferner wie Locke die entscheidende Bedeutung der Sprache für die Analyse unseres Wissens hervor 4 . Überdies folgt er in vielen Einzelheiten seiner Theorie des mensdilichen Verstandes dem Lockeschen Essay: so etwa in der Ablehnung eingeborener Ideen wie überhaupt der cartesischen Schule, in etlichen Details des Ideensystems usw. Obwohl derart in vielfacher Weise deutlich wird, daß sich Condillac auf Locke stützt und diese Abhängigkeit auch ausdrücklich anerkennt, ist es nun ebenso wichtig zu sehen, daß er das Werk seines Vorgängers in wichtigen Punkten als mangelhaft ansah; und zwar im wesentlichen deshalb, weil Locke den Weg, auf dem er nach Condillac die ersten klaren Schritte getan hatte, nicht bis zu Ende gegangen war, mit anderen Worten: weil er seinen neuartigen Ansatz nicht konsequent und radikal genug durchgeführt hatte. Im einzelnen setzt Condillacs Kritik an den folgenden Punkten an. 1. Locke hat seine Untersuchung über die Herkunft unseres Wissens zwar auf die Ideen erstreckt, nicht aber auf die Operationen bzw. die Fähigkeiten unseres Geistes; die letzteren erscheinen bei ihm vielmehr geradezu als angeboren5. 2. Locke hat — obwohl er doch mit der neuen Wissenschaft die zugehörige wissenschaftliche Philosophie hätte verbinden müssen —, nicht hinreichend versucht, seine Beobachtungen über den menschlichen Verstand in ein System zu bringen und von einer obersten Erfahrung abzuleiten. Dagegen will Condillac mit seinem Empirismus unmittelbar die Anordnung 3 Eine besonders deutliche Stelle unter etlichen anderen, die von 1746 stammt und in den „Cours d'etudes pour I'instruction du prince de Parme" von 1 7 7 5 unverändert übernommen ist, lautet: „Notre unique objet doit etre de consulter l'exp^rience, et de ne raisonner qu'apnes des faits que personne ne puisse r^voquer en doute". ( 1 7 4 6 , 1 . 1 . 1 . § 8, 8 a 1 8 — 2 1 ) . Lockes einzigartige Überlegenheit über andere Philosophen sieht Condillac u.a. audi darin begründet, daß er nicht den mos geometricus verwendet (1746, II. II. I V . § 52, 1x7 b 42—46). Man vgl. ferner 1749, I, 1 2 3 a 1 — 2 und 1 2 4 a 1 1 — 1 3 ; 1 7 5 5 b, 1 . 1 . , 340 b 3 5 — 3 4 1 a 3 und 3 4 1 a 3 4 — 3 5 . * Das wird schon dadurch belegt, daß etwa ein Drittel des „Essai" von 1746 der Sprache bzw. den Zeichen gewidmet ist. Diese Ausführlichkeit ist von Condillacs Überzeugung motiviert, daß der Gebrauch der Zeichen das Prinzip sei, das den Keim aller unserer Ideen zur Entfaltung bringe (1746, Introduction 5 b 4 3 — 4 5 ) . Und wiederum gilt ihm Locke als derjenige, der als erster und einziger Philosoph die Rolle der Zeichen erkannt hat (1746, Introd. 5 b 3 6 — 3 8 und I. I V . I. § 10, b 43 1 6 — 1 7 ) . 5 1746, Introd. 5 b 20—23; II. II. I I I . § 39, 1 1 4 b 1 8 — 2 3 ; vor allem aber: 1 7 5 5 a, 324 a 9 — 1 9 ; 3 2 5 b 4 8 — 3 2 6 a 9. 6
„Nur auf dem Wege der Beobachtung können wir diese Untersuchung (sc. über den menschlichen Verstand) mit Erfolg ausführen, und wir müssen allein darauf aus sein, eine erste von niemandem bezweifelbare Erfahrung zu entdecken, die zur Erklärung aller anderen ausreicht." (1746, Introd., 4 a 4 1 — 4 6 ; vgl. 4 b 7 — 1 4 ) .
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des Wissens in einem deduktiven System verbinden6, wobei ihm zweifellos Newton als Vorbild vorschwebte7. 3. Locke hat die Rolle der Zeichen bzw. der Sprache zu spät und nicht in vollem Ausmaß erkannt8. 4. Locke hat zu Unrecht die Reflexion als ein zweites unabhängiges Prinzip der Erkenntnis neben die Sinneswahrnehmung gestellt9. Dieser letzte Kritikpunkt, der es überhaupt erst rechtfertigt, Condillac einen Sensualisten zu nennen, tritt erst im „Traite des sensations" von 1754 klar hervor, was die Darstellung einiger Autoren stützt, die zwei Phasen im Werk Condillacs unterscheiden: eine von Locke abhängige erste und eine selbständige zweite 10 . Tatsächlich aber liegt der neuartige Ansatz Condillacs schon nach seinem Werk von 1746 fest, wie auch Le Roy überzeugend darstellt 11 ; er bedarf allerdings der weiteren Entfaltung und Klärung, zu der der „Traite des sensations" bzw. dessen Zusammenfassung von 1 7 5 5 das meiste beiträgt. Im Sinne dieser letzten Behauptung soll jetzt betrachtet werden, wie der Punkt (4) sich als Konsequenz der Kritikpunkte (1) und (2) ergibt. Dabei kann nämlich am besten deutlich gemacht werden, inwiefern der Sensualismus (zumindest der Condillacs) aus einer Veränderung des Grundkonzeptes der empiristischen Auffassung hervorgeht. Diese Abweichung vom ursprünglichen Ansatz Lockes spiegelt sich ebenfalls deutlich in einer hinter dem Kritikpunkt (3) stehenden veränderten Auffassung von der Rolle, die der Sprache im Erkenntnisprozeß zukommt. Obwohl Condillac ganz wie Locke einfache Ideen als undefinierbar annimmt 1 2 und infolgedessen keinen Versuch macht, derartige Ideen irgendwie aus anderen zu entwickeln oder abzuleiten (ein Verfahren, das in der Tat höchst unplausibel hätte erscheinen müssen), ist er nicht bereit, gewisse innere Erfahrungen, also Reflexionsideen im Sinne Lockes, als ebenso irreduzibel anzusehen. Auf diese veränderte Einstellung hin führen zwei ganz verschiedenartige, aber in die gleiche Richtung wirkende Motive: 7 Condillac denkt daran, daß Newton in der Gravitation so etwas wie eine allgegenwärtige E r f a h r u n g als ein oberstes E r k l ä r u n g s p r i n z i p erkannt habe (1749, I., 122 b 29—34; vgl. auch XVI, 210 a 26 fl.) 8 1746, Introd. 5 a 41—48; I. IV. II. § 27, 48 a 25—b 18; vgl. auch die Fußnote zu § 25 auf S. 47. 9 1755 a. 3 2 5 b 36—44· 10 Cousin 1819, S. 48 f.; G. Klaus in der Einleitung zu: Condillac, Die Logik, Die Sprache des Rechnens, Berlin 1959, S. XXIX. 11 Einführung zur in Anm. 2 genannten Ausgabe der Werke Condillacs, S. XVII ff. 12 1746, I. III. § 10, 38 b 25—31.
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a) Unter dem Eindruck Newtons (und — trotz aller Gegnerschaft — vermutlich auch Descartes') entsteht das Bedürfnis nach höchstmöglicher deduktiver Geschlossenheit einer Theorie. Condillac folgt dabei der Maxime, daß „ein System umso vollkkommener ist, je weniger Prinzipien es besitzt: ja, man muß wünschen, sie auf ein einziges zu reduzieren"13. Er versucht insbesondere in seiner Philosophie des menschlichen Verstandes diese Reduktion auf ein einziges oberstes Prinzip durchzuführen: „Meine Absicht ist, alles, was den menschlichen Verstand betrifft, an ein einziges Prinzip zu knüpfen", sagt er bereits in der Einleitung seines ersten Werkes 14 ; und an Locke tadelt er, daß jener seiner Lehre von den Reflexionsideen wegen „die Prinzipien" seiner Philosophie nicht habe entwickeln, speziell „das Prinzip" unserer geistigen Tätigkeit nicht habe entdecken können 15 . b) Gefördert von jener schon erwähnten Zweideutigkeit der Frage nach dem „Ursprung" des Wissens (die sowohl epistemologisdi wie biographisch bzw. naturhistorisch verstanden werden kann) ergibt sich eine (in Condillacs Verständnis von der empirischen Methode unterstellte) Identifikation der Analyse des Wissens mit der Untersuchung seines faktischen Zustandekommens. Was bei Locke in der Schwebe blieb, ist bei Condillac entschieden: er versteht die Frage „woher" unsere Ideen bzw. Erkenntnisse stammen, nicht semantisch oder erkenntnistheoretisch, sondern beantwortet sie durch Betrachtung der faktischen Entwicklung eines Erkennenden. Gegen Locke gewendet sagt er: „Es steht fest, daß wir in der Kindheit Empfindungen gehabt haben, längst bevor wir aus ihnen Ideen zu gewinnen wußten. Da also die Seele nicht schon vom ersten Augenblick an alle ihre Operationen ausüben konnte, war es, u m d e n U r s p r u n g u n s e r e r E r k e n n t n i s s e b e s s e r z u e n t w i c k e l n , wesentlich zu zeigen, wie sie diese Ausübung erwirbt und wie deren Verbesserung vor sich geht." 16 Es tritt hier deutlich hervor, daß die Frage nach der Herkunft unseres Wissens unter einen biographischen Gesichtspunkt gerät. Im Einklang damit ist υ 1749, I· 1 2 1 a Σ 3 — l f > ; „ . . . le systeme est d' autant plus parfait, que les principes sont en plus petit nombre: il est meme ä souhaiter qu'on les reduise ä un seul." 1 4 „On voit que mon dessein est de rappeler ä un seul principe tout ce qui concerne l'entendement humain . . ( 1 7 4 6 , Introd. 4 b 7—9). 15
1 7 5 5 a, 325 b 36—48, 326 a 3—4. 16 „ . . . il est constant que, dans l'enfance, nous avons eprouvi des sensations, long-temps avant d'en savoir tirer des idees. Ainsi, l'äme n'ayant pas, des le premier instant, l'exercice des toutes ses operations, il etait essentiel, pour developper mieux l'origine de nos connaissances, de montrer comment eile acquiert cet exercice, et quel en est le progres." (1746, Introd. 5 b 1 1 — 2 0 ) .
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ganz allgemein eine Akzentverschiebung zugunsten der genetischen Betrachtung zu vermerken: Locke hat seine Darstellung des menschlichen Wissens nicht grundsätzlich und insgesamt unter den Gesichtspunkt des Ursprungs gebracht: in der Formulierung seines Programms treten neben die Frage nach dem „original" unseres Wissens auch jene anderen nach Gewißheit und Grenzen des Wissens sowie nach den Gründen und Graden der bloß wahrscheinlichen Überzeugungen17. Condillac dagegen nennt sein erstes Werk bereits in charakteristischer Umbildung des Lockeschen Titels „Essai sur l ' o r i g i n e des connaissances humaines". Für Locke ergibt sich bei der Betrachtung des Verstandes und des Wissens im ganzen als eine unabweisbare Frage auch die, wie wir zu den Ideen kommen, die wir besitzen; sie ist innerhalb des Werkes motiviert durch die Aufgabe, Dogmatismus und sinnleeren Scholastizismus als Pseudowissen zu entlarven. Für Condillac, den Schüler, der die Leistung des Meisters schon für selbstverständlich nehmen kann, gilt von vornherein als ausgemacht, daß jene Frage nach dem Ursprung die eine Frage der Erkenntnistheorie schlechthin sei. So gerät Lockes Gesichtspunkt, daß wir eine besondere Wahrnehmungsquelle, den „inneren Sinn", annehmen müssen, um überhaupt die Seelenoperationen als solche kennen zu lernen 18 , in den Schatten der im übrigen ganz richtigen, aber epistemologisch nicht einschlägigen Beobachtving, daß die Fähigkeiten unseres Geistes nicht von Geburt an fertig da sind. Daß ihre faktische Entwicklung nicht eo ipso ihre erkenntnistheoretische Reduzibilität zur Folge hat, sieht Condillac nicht mehr. Hierin wird er nun von seinen unter (a) genannten rationalistischen Neigungen bestärkt. Seine anti-metaphysische, daher an Locke anknüpfende Einstellung verbindet sich mit seiner Vorliebe für die an Newton bewunderte deduktive Methode der mathematischen Naturwissenschaft. Ohne selbst Naturwissenschaftler zu sein und das durchaus eigenartige Zusammenwirken von Deduktion und Empirie zu kennen, bringt nun Condillac seine Vorbilder zu einer allzu einfachen Deckung, indem er die Erforschung empirisch-faktischer Genese mit der Erkenntnis eines deduktiv-systematischen Zusammenhangs identifiziert. Hierauf beruht der Ansatz seiner, wie er zu Recht meint, neuartigen 19 Behandlung der Erkenntnistheorie. Formelhaft zusammengefaßt findet sich jene ihm zugrundeliegende Gleichsetzung als Kritik an Locke so ausgesprochen: 17 Introduction § 2. 18 Nach Locke führt die Reflexion den Verstand auf eine neue Menge von Ideen, „which could not be had from things without". II. i. 4; vgl. ζ. Β. audi II. ix. 2. 19 Man vgl. ζ. B. 1746, Introd. 5 b 23—28.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
„Ferner begnügt sich dieser Philosoph damit, anzuerkennen, daß die Seele wahrnimmt, denkt, zweifelt, glaubt, Schlüsse zieht, weiß, will, reflektiert; daß wir von der Existenz dieser Operationen überzeugt sind, weil wir sie in uns selbst vorfinden, und daß sie zum Fortschritt unserer Erkenntnis beitragen: aber er hat die Notwendigkeit nicht bemerkt, ihr P r i n z i p u n d i h r E n t s t e h e n aufzudecken . . ."2Q Das „und" in der von mir hervorgehobenen Wendung muß man in Ansehung des gesamten Vorgehens Condillacs als explikatives verstehen. Er glaubte daran, dem oben genannten Kritikpunkt (2) gegen Locke, also dem Vorwurf mangelnder wissenschaftlicher Systematik, eben dadurch selbst zu entgehen, daß er im Sinne des Kritikpunktes (1), also der Forderung nach umfassender Durchführung des genetischen Gesichtspunktes, über Locke hinausging und dabei, wie er meinte, dessen Werk nur konsequent zu Ende führte. Dabei sah er nicht jenen Unterschied von Vermittlung einer Idee und Einsicht in deren Zustandekommen. Er hätte daher konsequenterweise das naive Hinnehmen einfacher Ideen auch bei der Sinneswahrnehmung zugunsten einer Analyse der Wahrnehmung verlassen, etwa — wie im Empirismus unseres Jahrhunderts vielfach üblich — zu sogenannten Sinnesdaten vorstoßen müssen. Tatsächlich wendet er seine Frage nach der biographischfaktischen bzw. kausalen Genese nur auf die Operationen des Geistes an. Die Tendenz ist jedoch audi so deutlich: Der Sensualismus ist nur vermeintlich eine konsequente Verschärfung des Empirismus, in Wahrheit jedoch eine philosophische Theorie ganz anderen Gepräges, die mehr schon metaphysische Spekulation als Epistemologie ist. Während Locke noch betonte, er wolle „sich nicht mit der physischen Betrachtung des Geistes befassen" 21 , nimmt die sensualistische Theorie Condillacs überwiegend die Gestalt einer kausalen, naturhistorischer) Betrachtung an. In eben diesen Zusammenhang ordnet sich nun auch der Kritikpunkt (3) ein: Condillac erkennt zwar die wesentliche Rolle der Sprache für alle Erkenntnis, und dies sogar, wie er — durch Locke belehrt — sich rühmen kann, nicht erst im Laufe seiner Untersuchungen und daher verspätet wie dieser 22 , sondern von vornherein, so daß er die Verknüpfung von Ideen durch Zeichen geradezu als ein „Prinzip" allen menschlichen Erkennens zum 20 „Aussi ce philosophe se contente-t-il de reconnoitre que l'äme aper^oit, pense, doute, croit, raisonne, connoit, veut, reflechit; que nous sommes convaincus de l'existence de ces operations, parce que nous les trouvons en nous-memes, et qu'elles contribuent aux progres de nos connaissances: mais il n'a pas senti la necessite d'en ddcouvrir le principe et la generation . . ( 1 7 5 5 , 325 b 48—326 a 4). 21 Introduction § 2. 22 So gesteht Locke selbst ein: I I I . ix. 2 1 .
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Leitfaden seiner Untersuchungen machen kann 23 . Aber er setzt die Sprache deshalb doch keineswegs als selbständiges und steuerndes Element seiner Erkenntnistheorie dem Gesichtspunkt der faktischen Genese des Wissens entgegen, sondern ordnet sie diesem ganz und gar unter. Während Locke als Motiv seiner Behandlung der Wörter deren Zusammenhang mit dem Aussage- und Wahrheits-Charakter des Wissens nennt 24 und in der ersten Exposition dieses Themas zu Beginn des dritten Buches außer auf die soziale Bestimmung des Menschen sogleich auf Probleme wie Abstraktion, Negation und Aussage-Struktur der Erkenntnis zu sprechen kommt, beginnt Condillac den entsprechenden Teil seines Werkes (Teil II des „Essai" von 1746) mit der Fiktion eines Menschen-Paares in der Wüste nach der Sintflut, das unter dem Zwang der äußeren Verhältnisse zur Kooperation beginnt, eine Zeichensprache zu entwickeln. Zwar übernimmt er im weiteren zahlreiche Einzelheiten aus Lockes Sprachtheorie, so etwa die Begründung der Einführung genereller Ausdrücke; aber im ganzen liegt die Funktion aller derartiger Beobachtungen für ihn doch darin, das zu vervollständigen, was er selbst eine „Geschichte" nennt 25 . Diese könnte man, wie er sagt, fast für einen Roman halten; ihr historischer Wahrheitsgehalt wird jedoch durch den lükkenlosen Anschluß eines Stadiums der Sprachgeschichte an das nächste gesichert. Und der innere Zusammenhang dieser als faktisch verstandenen Entwicklung ist für Condillac zugleich wieder der einer logischen Ableitung: „. .. es ist nur das geschehen, was geschehen mußte."26 Daß die Sprache von Condillac in der eben angedeuteten Weise in die genetisch-deduktive Neufassung einer empirisch-philosophischen Wissenschaft vom Verstände einbezogen wird, ist nun von Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob die sensualistische Grundposition sinngemäß mit einem methodischen Abgehen vom empiristischen Ansatz verbunden ist. Ein oberflächlicher Blick auf Condillacs erstes Werk scheint eher für das Gegenteil zu sprechen: Der „Essai" von 1746 ist im ganzen so disponiert, daß zwei Versuche zur Analyse unserer Erkenntnis parallel zueinander durchgeführt werden: der erste ausgehend von der Sinneswahrnehmung als oberstem Prinzip, der zweite bei der Urform der Sprache, der „Sprache des Handelns" („language d'action") ansetzend. Dementspechend besteht das Buch aus genau zwei Teilen, welchen Aufbau Condillac ausdrücklich erläutert73. 23 24 25 26 27
1746, Introd. 4 b 7—26. III. ix. 21. 1746, II. I. XV. § 163, 103 b 44. „... il n'est arrive que ce qui devait arriver" (1746, II. I. XV. § 163, 104 a 4—5). Introd., 1746, 4 b 15—47.
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
Mit der Sprache wird nun die Reflexion aufs engste verbunden: beide fördern sich wechselseitig28; der Gebrauch von Zeichen eröffnet überhaupt erst den Weg zur Reflexion 29 und setzt seinerseits Reflexion voraus 30 . Eine Ableitung aus der Sinneswahrnehmung scheint daher nicht nahezuliegen; in der Tat schließt sich Condillac in der ersten Exposition seines Themas eng an Locke an und stellt Sensation und Reflexion scheinbar gleichberechtigt nebeneinander31. Andererseits aber wird dann doch, wie die oben schon besprochenen methodischen Prinzipien Condillacs es verlangen, eine Ableitung der Reflexion aus der Sensation vorgetragen: Nachdem aus der Sinneswahrnehmung zunächst Einbildungskraft und Gedächtnis abgeleitet wurden, heißt es weiter: „. . . man sieht deutlich, wie die Reflexion aus der Einbildungskraft und dem Gedächtnis entsteht." 32 Eine frühere Stufe zwischen Sensation und Einbildungskraft ist die Aufmerksamkeit, die wiederum als „Ursache" bezeichnet wird, von der u. a. auch die Reflexion abhängt 33 . Zusammenfassend spricht Condillac seine Absicht so aus: „Ich habe mich in diesen Analysen darum bemüht, die Abhängigkeiten der Operationen der Seele sichtbar zu machen, und zu zeigen, wie sie alle aus einer ersten hervorgehen." Und diese erste ist „eine einfache Wahrnehmung" 34 . Über diese erste Fassung seiner Ableitung scheint Condillac jedoch keine endgültige Klarheit erlangt zu haben. In einem Zusatz, den er gegen Ende seines Lebens für die Ausgabe seiner Werke (die 1 7 9 8 posthum erschien) dem „Essai" hinzugefügt hat, finden sich — relativ zur Entwicklung von der Sensation aus — überraschende Wendungen etwa der folgenden Art: das Schlußvermögen („raison"), welches eine s p ä t e Stufe der Seelenfunktionen ist, „bringe" die Reflexionen „hervor", diese wiederum „erzeuge" die Aufmerksamkeit und „veranlasse" das Gedächtnis usw. 3 5 . Die Reihen28 29 30 31 32
1746, I. II. V . § 49—50, bes. 22 b 8 — 1 2 . i 7 4 6 , 1 . I I . I V . § 46; I. II. V . § 47. a. a. O., § 49, 22 b 1 3 — 1 6 . 1746, 1 . 1 . 1 . §§ 3 — 5 ; man vgl. diesen Text mit Locke II. i. 1 — 5 und 7. „ . . . on voit sensiblement comment la reflexion nalt de Pimagination et de la memoire." 1 7 4 6 , 1 . I I . V . § 48. 33 1746, I. II. V . § 53, 23 a 46—48; zur Annahme eines ursädilidien Zusammenhangs vgl. man auch I. I I . I I I . § 28 und I. I I . V . § 54. 34 „Je me suis attache dans ces analyses ä faire voir la dependence des operations de l'äme, et comment elles s'engendrent toutes de la premiere." (1746, I. II. V I I I . § 74, 28 a 33—36). „II s'agit d'en developper les progres, et de voir comment elles (les operations de l'äme) s'engendrent toutes d'une premiere qui n'est qu'une simple perception." (1746, I. I I . 10 b 27—30). 35 „On est capable de plus de reflexion ä proportion qu'on a plus de raison. Cette derni£re faculty produit done la reflexion. D'un oote, la reflexion nous rend maitres de
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folge der Abhängigkeiten erscheint hier geradezu umgekehrt, wenn man sie mit der für den sonstigen Text maßgeblichen Abfolge d e s E n t s t e h e n s vergleicht; es handelt sich offenbar um (wiederum kausal aufzufassende) Abhängigkeiten der Seelentätigkeiten im E n d s t a d i u m , d. h. nach dem Abschluß ihrer Entwicklung. Und offenbar erst in diesem Stadium kommt das nach Condillac grundlegende Prinzip der menschlichen Erkenntnis voll zur Geltung: die Verknüpfung von Ideen vermöge des Gebrauchs von Zeichen; genau an die Hervorhebung dieses Prinzips schließen sich die eben zitierten Bemerkungen über die zur Genese gegenläufigen Abhängigkeiten der Seelenoperationen an. Nun war sich Condillac offenbar bewußt, daß durch die Kombination der zueinander geläufigen Reihenfolgen für sein Programm eines deduktiven Systems der Verstandesstruktur ein Problem entstand; jedenfalls in dem einen Fall des wechselseitigen Einflusses von Zeichengebrauch und Reflexion erwähnt er es ausdrücklich und verspricht es aufzulösen. Die Auflösung findet sich in Teil I I über die Sprache und bringt eben die Entscheidung, die vom oben geschilderten methodischen Konzept der Koinzidenz von Deduktion und Analyse der faktischen Genese gefordert ist: Der Zeichengebraudi geht der Reflexion voran; die zunächst "natürlichen" 36 Zeichen (ζ. B. Schreie aus Hunger) werden durch häufige Wiederholung auch unabhängig vom Anlaß erinnerbar, was den ersten Schritt zur bewußten Rückwendung auf innere Zustände und zum freien Disponieren über Bewußtseinsinhalte eröffnet: also (nach Condillac) „Reflexion" erzeugt 37 . Schon hier also in der ersten Exposition des Systems geht Lockes empiristische Einsicht in die Irreduzibilität gewisser Materialien der Erkenntnis
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notre attention; eile engendre done l'attention: d'un autre oote, eile nous fait lier nos idees; eile occasionne done la memoire. De lä nalt l'analyse, d' oü se forme la reminiscence, ce qui donne lieu ä l'imagination . . . " (I. II. X I . § 1 0 7 ) . Um die Umkehrung der Abhängigkeiten von der Seelenfähigkeit zu sehen, braucht man nur mit der Abfolge von attention, imagination usw. bis hin zur raison im vorangehenden Teil des Buches zu vergleichen. Zu Condillacs Einteilung der Zeichen vgl. man 1746, I. II. IV. § 35. II. 1.1. § 3, 6 1 a 33—45. Bemerkenswert ist die Doppeldeutigkeit der Reflexion bei Condillac: sie ist (1) eine Quelle von Ideen wie bei Locke (ζ. Β. 1 . 1 . 1 . §§ 4—5; I . V . § 7 , 5 o b 37—39), (2) die Fähigkeit, über seine Gedanken frei zu disponieren (z.B. I. II. V. § 48; I . I I . XI. § 107, 36 b 41—42 und 37 a 3—4; man vgl. ferner Wendungen wie „die Reflexion unterscheidet, vergleicht usw.", I. II. VIII. § 74, 28 a 51—53). Es liegt dann wohl nahe, sich nur an die zweite Bedeutung zu halten und sie auch auf Locke zu übertragen (so ζ. B. Cousin 1819, 3. Ιεςοη, S. 84); hieraus erhalten wiederum jene im vorigen Paragraphen besprochenen Fehlinterpretationen Nahrung, die an einem kantianisierenden Erkenntnismodell von rezeptiver Sinnlichkeit und n i c h t - e m p i r i s t i s c h zu verstehender Spontanität des Verstandes orientiert sind.
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und damit der Sinn der Erkenntnisinstanz „Reflexion" verloren; stattdessen stützt sich Condillac auf eine, wie sowohl aus der Begrifflichkeit als audi aus ihren Anwendungen deutlich geworden sein dürfte, höchst bedenkliche methodische Vorstellung von Systematik und Deduktion in der empirischen Wissenschaft. Diese Vorstellung ist es letzten Endes, die den Ausschlag für eine endgültige Klärung der Positionen zugunsten des Sensualismus gibt und zur expliziten Äußerung des Kritikpunktes (4) führt. Im „Traite des sensations" wird schließlich unmißverständlich ausgesprochen, was im Ansatz des „Essai sur l'origine des connaissances humaines" und des „Traite des syst£mes" bereits angelegt war. Eine Hauptthese lautet nunmehr so: „Urteil, Reflexion, Wünsche, Leidenschaften usw. sind nichts als die Sinnesempfindung selbst, die sich in verschiedener Weise transformiert." 38 Die in dieser Formulierung enthaltene Identifikation der Sinnesempfindung mit allen sonstigen Vermögen des Gemüts als ihren abgeleiteten Erscheinungsformen ist Ausdruck einer verschärften Auffassung von systematischer Deduktion, die an der algebraischen Behandlung von Gleichungen orientiert ist 39 . Diese Methode steckt hinter jener zunächst mysteriös anmutenden Sprechweise des Typs „die Sensation wird also schließlich die Reflexion selbst"40 oder „Verlangen, Leidenschaften, Liebe, Haß, Hoffnung, Furcht, Wille — das alles ist bloß die Sinnesempfindung in verwandelter Gestalt"41. Die klassische Formulierung des Sensualismus im „Traite des sensations" ist das Ergebnis des Systemzwanges einer rationalistisch inspirierten deduktiven Wissenschaft vom menschlichem Verstände, die z u g l e i c h eine Erfahrungswissenschaft sein soll. Sie ist nunmehr in ihrer anti-empirischen Tendenz erkennbar und kann daher verschiedene mögliche Fehlinterpretationen des Versuches von Locke veranschaulichen: i . Die Frage nach der Herkunft des Wissens darf nicht in einem naturalistischen Fehlschluß naturhistorisch uminterpretiert werden. Sie soll zwar „Le jugement, la reflexion, les desirs, les passions, etc., ne sont que la sensation meme qui se transforme differemment." 1754, Dessein de cet ouvrage, 222 b 1—4; vgl. audi 1755 a, Precis de la premiere partie, 325 b 40—41, 326 a 21 ff. Hierzu vgl. man die Einführung von G. LeRoy in seiner Ausgabe der Werke Condillacs, Bd. 1, S. X X V I I I , und die dort zitierten Stellen aus den späteren Werken Condillacs. — Schon im „Essai" von 1746 treten übrigens identifizierende Aussagen in Konkurrenz zu genetischen oder kausalen, ζ. Β. I. II. I. § 16; I. II. IV. § 36, 19 a 49—50. 1755 a, 327 a 28—31. „Or du desir naisserrt les passions, Pamour, la haine, l'espdrance, la crainte, la volonte. Tout cela n'est done encore que la sensation transform^e." ( 1 7 5 5 a, 327 b 43—46).
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nach Locke in einer Art Selbstapplikation seiner philosophischen Theorie im Sinne der „einfachen, historischen Methode" behandelt werden; aber die analytische Beschreibung des Verstandes und des Erkenntnismaterials muß deshalb nicht biographisch-historisch sein. Im Gegenteil wird dadurch der analytische Charakter der Untersuchung gerade zugunsten einer kausalen Betrachtung (die mit der Analyse zwar verträglich sein muß, sie aber nicht ersetzen kann) verdrängt. 2. Der Wunsch, der Erkenntnistheorie einen wissenschaftlichen und systematischen Charakter zu geben, berechtigt nicht dazu, sie a priori nach dem Modell einer bestimmten Wissenschaft, und sei diese auch im Sinne eben dieser selben Erkenntnistheorie die „ideale" (ζ. B. die Mathematik), zu formen. Die enge Verschränkung von Objektwissenschaft und ihrer Metatheorie, wie sie bei Locke vorliegt und wie sie möglicherweise für einen (hier gesuchten) „optimalen" Empirismus charakteristisch sein könnte, kann nicht durch den Vorgriff auf eine Musterwissenschaft von der Seite der Objekttheorie her einseitig aufgerollt werden. 3. Es mag zwar stets wünschenswert sein, die Zahl der irreduziblen Bestandteile einer Theorie zu vermindern. Aber hinsichtlich der e m p i r i s c h e n B a s i s steht dem gerade ihre Unwillkürlichkeit bzw. (wie oben interpretiert wurde) ihre semantische Irreduzibilität und Unentbehrlichkeit entgegen. Und dabei hat Lockes Hinweis auf die Unmittelbarkeit „innerer" Erfahrungen sich einstweilen als plausible Anerkennung von gegebenen Phänomenen erwiesen, wogegen sich Condillacs Konstruktion als rationalistischrigorose Eigenwilligkeit eines Metaphysikers abhebt. Seine Nachfolger sind dann auch vielfach wieder auf eine Pluralität von Erfahrungsquellen zurückgekommen, gerade auch um einer Analyse der menschlichen Natur selbst gewachsen zu sein42. 4. Die ausgezeichnete Rolle der Sprache für die menschliche Erkenntnis kann gerade nicht dadurch deutlich gemacht werden, daß deren faktische Genese konstruiert oder auch konstatiert wird. Vielmehr stellt die Erfahrung von Sprache und die Analyse der Bedingungen ihrer Sinnhaftigkeit und Erkenntnisleistung die Aufgabe einer genetischen Erklärung erst verständlich vor Augen. 42
Wie LeRoy in seiner Einleitung zu den Werken Condillacs (S. X X X I I ) herausstellt, waren die „Ideologen", ζ. B. Destutt de Tracy oder Cabanis, weniger treue Anhänger Condillacs, als sie selbst meinten; mit der Annahme mehrerer irreduzibler (einfadier) Operationen des Geistes näherten sie sich dem Empirismus Lockes wiederum an. Ähnliches gilt von anderen Nachfolgern Condillacs sowohl in Frankreich wie in Italien (für Einzelheiten vgl. man etwa LeRoy, a. a. O., und Überwegs Philosophiegeschichte).
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
Die Blickrichtungen der sensualistischen und der empiristischen Epistemologie sind verschieden. Im Sensualismus Condillacs wird nach dem faktischen, kausalen Zustandekommen des menschlichen Wissens gefragt: dabei wird für einen empiristisch gesonnenen Betrachter (der obendrein nichts von vererbten Anlagen weiß oder wissen will) allein die Sinnesempfindung als Anfang allen Kontaktes zur wirklichen Welt greifbar. Im Empirismus Lockes dagegen wird nach den Bedingungen, einfachsten Elementen, Grenzen usw. des bekannten vorgegebenen Wissens gefragt, dieses aber nicht konstruiert bzw. genetisch erzeugt; dabei wird sein kausales Zustandekommen berücksichtigt und gelegentlich zur Orientierung genommen, nicht aber zum Maßstab der Argumentation gemacht; dieser liegt vielmehr in der Art der Vorstellungen und ihrer Verbindungen (Propositionen) wie sie sich v o m W i s s e n d e n a u s darstellen, wenn er sich Rechenschaft über sein Wissen abzulegen versucht. Zeitliche und kausale Abhängigkeit braucht deshalb nicht erkenntnistheoretische Priorität festzulegen. Die Frage nach dem Ursprung der Erkenntnisse ist nur eine unter mehreren wichtigen Fragen der Theorie möglichen menschlichen Wissens 43 .
§ 8:
Näheres zur Abgrenzung der Erfahrungsbasis und zum Begriff der einfachen Idee
Im Gegensatz zu der Meinung Aarons ist die Unterscheidung zwischen Ideen der Basis und anderen Ideen für das Konzept des Lockeschen Empirismus wichtig, aber auch möglich. Für den Nachweis dieser Möglichkeit muß der Begriff der einfachen Idee präzisiert werden. Am Beispiel von Raum und Zeit läßt sich zeigen, daß die im Sinne Lockes epistemologisch relevante Einfachheit nicht in der inhaltlichen Unteilbarkeit einer Idee, sondern in deren irreduzibler Funktion im Erkenntnisprozeß zu suchen ist. Die Abgrenzung zwischen einfachen und komplexen Ideen ist, insbesondere was die Ideen der Relation angeht, von Locke inkohärent dargestellt worden. Wie sie konsistent interpretiert werden kann, läßt sich unter Anleitung der genannten Auffassung von Einfachheit am Beispiel des Kraftbegriffes verdeutlichen. Lockes Auffassung vom System der Ideen kann als „funktionaler Kompositionalismus" verstanden werden.
43 Diese Bemerkung kann auf ihre Weise beleuchten, inwiefern die oft vertretene These berechtigt ist, daß Locke im Buch I des „Essay" (unter Annahme einer weitgehend fiktiven Position des Gegners) mit seiner Polemik gegen angeborene Ideen und Prinzipien hinter seiner eigenen vergleichsweise fortgeschrittenen Epistemologie zurückbleibt. Die plausibelste, u. a. von Fräser vertretene Erklärung hierfür bleibt wohl diese, daß die praktische Zielsetzung, liberales Denken gegen den Dogmatismus aller Art durchzufechten, die Diktion des Buches I vornehmlich bestimmt habe (Fräser 1890, S. 114 ff.).
§ 8 Abgrenzung der Basis und Begriff der ein£adien Idee
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Bislang ist die Erfahrungsbasis allgemein bestimmt worden als eine Menge von Ideen (bzw. Bezeichnungen), die (bzw. deren Bedeutungen) nicht auf andere reduzierbar, sondern nur im Zusammenhang von Erfahrungssituationen zu vermitteln sind. Die Abgrenzung dieser Basis ist im Felde der partikulären Ideen naturgemäß variabel, so daß sich nicht mehr über sie sagen läßt und von Locke auch nicht mehr gesagt wurde, als daß jedenfalls auch einige durch Eigennamen zu bezeichnende Ideen innerhalb der Begrenzung liegen. Was ferner die einfachen Ideen angeht, so braucht zwar auch hier keine eindeutige Abgrenzung ein für allemal angenommen oder angegeben zu werden, aber sie ist doch durch die Eigenart des erkennenden Menschen nur in einem relativ engen Spielraum variabel, so daß es sinnvoll erscheint, einen Aufbau des Ideensystems ein Stück weit explizit zu geben, wie dies Locke versucht hat. Im Sinne der genannten Bestimmung der Basis ist es dabei, entgegen idealistischen oder sensualistischen Umbildungen des Empirismus, berechtigt und notwendig, gewisse „innere" Erfahrungen unter die Basisideen aufzunehmen, eben solche, deren Bedeutung nicht durch den Hinweis auf Sinneswahrnehmungen äußerer Objekte hinreichend verständlich gemacht werden kann. Formal drückte sich dies bei Locke durch die Annahme einer zusätzlichen Wahrnehmungsinstanz, eines „inneren Sinnes", aus. Es ist nun aber genügsam bekannt, daß die Entwicklung des Empirismus in unserem Jahrhundert immer weiter davon weggeführt hat, einen Aufbau der wissenschaftlich sinnvollen Sprache auf eine „Basis" und überdies gar eine mehr oder minder eindeutige Abgrenzung dieser Basis anzunehmen. Einer derartigen Vorstellung steht insbesondere die Tatsache entgegen, daß wir uns bei einer semantischen oder erkenntnistheoretischen Analyse der Wissenschaften, um welche es in erster Linie zu gehen pflegt, sogleich ganzen Theorien als der kleinsten Bedeutungseinheit, die sich allenfalls isolieren läßt, gegenübersehen. Es drängt sich daher die Frage auf, ob die angegebene Bestimmung der Basis überhaupt zu einer Abgrenzung gegenüber dem Bereich der übrigen Ideen zu gebrauchen ist, und, wenn ja, ob diese dann in irgendeinem Sinne mit den erwähnten neueren Untersuchungen verträglich ist. Wenn man auch nicht unbedingt verlangen kann und will, daß die Abgrenzung schlechterdings eindeutig, endgültig und vom jeweiligen Forschungsstand unabhängig sein muß, so wäre doch an einer solchen immerhin noch viel gelegen; denn die dann formulierbare Forderung, alle Begriffe auf die Basis zu beziehen, ist es ja, die als ein Instrument der Klärung und Kritik der Erkenntnis dienen soll: sowohl leere Worte wie nicht nachprüfbare Be-
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hauptungen von Wissen oder auch unerfüllbare Hoffnungen auf Wissen sollen als solche erkennbar und damit eliminierbar werden. Es könnte weiterhin sogar eine Orientierung darüber erreicht werden, mit welchen Begriffen und welchen aus ihnen sich ergebenden Fragestellungen man eine Erfahrungswissenschaft sinnvollerweise beginnen kann, welche anderen Begriffe und Behauptungen hingegen einer „Definition" oder Erklärung bedürfen. Wir hatten ja schon gesehen, daß Lockes Empirismus nicht bloß pauschal die These verteidigen soll, daß es keine angeborenen Ideen und Prinzipien gibt bzw. daß alles Wissen von vorhergehender Erfahrung abhängig ist, sondern daß er die spezifische Struktur der menschlichen Erkenntnis aufklären und dadurch ihre Einteilung und ihre Grenzen bestimmen will 1 . Es wäre also von Locke her gesehen ein weitgehender Verlust der kritischen und analytischen Kraft seines neuen Ansatzes, wenn man den Empirismus in eine mehr oder minder vage überschlägige These zurücknehmen müßte. Daher gehört zur Interpretation dieses Ansatzes der Versuch, Lockes Abgrenzung der Basis zu verstehen, wo er sie explizit vorgenommen hat, nämlich so weit sie auf die Unterscheidung von e i n f a c h e n und k o m p l e x e n Ideen gestützt ist. Die Ausführung dieses Versuches wird erstens dazu beitragen können, ein genaueres Verständnis dessen zu verschaffen, was Locke mit „einfach" meint, und zweitens auf eben diesem Wege einer zu engen Auffassung dessen, was „Basis" bedeutet, den Boden entziehen, so daß die Verträglichkeit eines expliziteren Empirismus mit dem TheorieCharakter der Wissenschaften nicht a limine ausgeschlossen zu werden braucht. Nachdem schon geklärt werden konnte, daß die „Passivität" der Wahrnehmung und der empiristisch entscheidende Charakter der „Gegebenheit" der Basis nicht ausschließt, daß geistige Aktivität des Menschen in sie eingeht, wird es in diesem und dem folgenden Paragraphen darum gehen, durch die Überprüfung einer Reihe kritischer Fälle einfacher Ideen, nämlich der Ideen von Raum, Kraft, Existenz und Einheit, klarzustellen, daß die Funktion der Basis im Ganzen der menschlichen Erkenntnis nicht nur die ist, elementare Bausteine unmittelbarer Beschreibung des Wirklichen bereitzustellen, sondern daß sie bereits mit den Aufgaben des „theoretischen", d. h. erklärenden Erkennens verflochten ist. Unter anderem an Hand der eben genannten Beispiele von Ideen, mit denen sich Locke auseinandergesetzt hat, hat Aaron die These zu begründen versucht, daß Lockes Empirismus ganz unabhängig von der Unterscheidung ι Ryle 1933 hat gerade diese Leistung des Lockeschen „Essay" als die philosophisch entscheidende hervorgehoben.
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einfacher und komplexer Ideen verstanden werden müsse; denn — so lautet seine Überlegung — dieser von Locke proklamierte Unterschied sei nicht sachgemäß und breche bei der Durchführung des „Essay" schließlich ganz in sich zusammen 2 . Da diese Stellungnahme dem nicht gerecht wird, was ich soeben über die Wichtigkeit des Basisbegriffs gesagt habe, und zudem insgesamt dem Aufriß, den ich von Lockes Theorie nachzuzeichnen versuche, zuwiderläuft, sollen seine Argumente hier besprochen werden. Dabei wird sich zunächst an Hand der Ideen ,Raum', ,Zeit' und ,Kraft' die gewünschte Verdeutlichung des Begriffs „einfache Idee" ergeben. Im folgenden Abschnitt (§ 9) werde ich dann die Betrachtung auf die Funktion dieser und anderer für die Wissenschaft zentraler Ideen innerhalb des Erkenntnisprozesses ausweiten, um damit den Begriff der Basis so abzurunden, daß er womöglich für ein auch heute noch sachlich plausibles Verständnis des Lockeschen Entwurfes tauglich wird. Aaron hat gegen die Haltbarkeit der Unterscheidung von einfachen und komplexen Ideen bzw. gegen ihre Relevanz im Lockeschen „Essay" folgende Argumente vorgebracht3: 1. Bei der Behandlung der Ideen der Reflexion kommt dieser Unterschied überhaupt nicht vor. Zwar verspricht etwa der Titel des Kapitels I l . x i x , nämlich „Of the Modes of Thinking", komplexe Ideen der Reflexion, aber das Kapitel macht keinen Gebrauch von dem Gedanken, daß komplexe Ideen vermöge der Operationen unseres Geistes zusammengesetzt werden können; es vertritt keinen „Kompositionalismus". Die Begriffe „einfach" und „komplex" spielen gar keine Rolle. 2. Es ist Locke nicht gelungen, eine klare Begriffsbestimmung von „einfach" zu entwickeln. Zum einen soll das Einfache als das Gegebene, zum anderen auch wieder als das Unteilbare verstanden werden. Überdies sind beide Bestimmungen angesichts der von Locke selbst vorgebrachten Beispiele und Ansichten verfehlt; denn auch komplexe Ideen können gegeben sein, und einfache Ideen wie die des Raumes oder der Zeit brauchen nicht unteilbar zu sein. 3. Es ist Locke ebensowenig gelungen, eine Klärung des Begriffes „komplex" zu erreichen. Er bringt unter diesen Titel auch die Ideen der Relation und die abstrakten Ideen, bei denen von „Zusammensetzung" nicht gesprochen werden kann, so daß auch von dieser Seite her keine Abgrenzung des Einfachen zugänglich wird. 1 3
Aaron 1937, S. 1 1 1 . a.a.O., S. i x x — 1 1 3 . Die Einteilung und die Reihenfolge der Argumente habe idi etwas verändert.
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Alles in allem ist die mit diesen Argumenten angegriffene Unterscheidung für Locke eher hinderlich als hilfreich gewesen. Der mit ihrer Hilfe formulierbare Kompositionalismus war eine verbreitete Modeströmung der damaligen Philosophie; es lag nahe, daß sich Locke seiner bediente, um den Empirismus des näheren auszuführen. Aber dieser muß und kann von dem (untauglichen) Mittel zu seiner Formulierung unterschieden werden. Soweit die Kritik Aarons. Ich stimme ihr ein Stück weit durchaus zu. Wenn man die komplexen Ideen in dem Sinne aus einfachen zusammengesetzt denkt wie ein Bauwerk aus einzelnen Bausteinen, dann lassen sich die epistemologisch relevanten Beispiele weder der Sache nach noch der (von dieser eben doch irgendwie geleiteten) Darstellung Lockes nach unter die Vorstellung eines derartigen Kompositionalismus — im folgenden „anschaulicher Kompositionalismus" genannt — bringen. Andererseits hat Locke ohne Frage in mancherlei Äußerungen Grund dazu gegeben, ihm doch wiederum die Absicht zuzuschreiben, er habe diesen Kompositionalismus vertreten wollen. Zweifelhaft wird die Aaronsche Auffassung indes erst dann, wenn zusammen mit jenem simplen Kompositionalismus auch die Hoffnung verabschiedet wird, mit der Unterscheidung von einfadien und komplexen Ideen überhaupt einen Sinn verbinden zu können. Vielmehr scheint es mir, wie zu Eingang dieses Abschnittes schon begründet, lohnend zu sein, dem Lockeschen Entwurf noch eine andere Seite abzugewinnen. Daß dies in der Tat möglidh ist, hoffe ich durch die Fortführung des Interpretationsversuches von Abschnitt 5 zeigen zu können. Mit diesem Ziel, die Annahme „einfacher" Ideen zu verteidigen und ihren Sinn zu verdeutlichen, gehe ich der Reihe nach die angegebenen Argumente Aarons durch: 1. Daß bei der Darstellung reiner Reflexionsideen kein Unterschied von einfachen und komplexen Ideen auftaucht, will nicht viel besagen; nämlich nur so viel, daß Locke offenbar (noch) nicht in der Lage war, gewisse wichtige und naheliegende psychologische oder auch epistemologische Begriffe noch weiter zu analysieren und durch die Ausarbeitung eines feineren Begriffsnetzes einige von ihnen durch andere zu definieren. Man kann sich fragen, ob wir über dieses Stadium der Phänomenerfassung heute wesentlich hinausgekommen sind: kann man jemandem klar machen, was Eifersucht oder was Erinnerung ist, ohne daß man zur Erläuterung Situationen heranzieht, in denen der Betreffende Eifersucht empfindet bzw. Erinnerungen hat? Wenn nicht, so würde eine „Definition" oder eine sonstige theoretische Einordnung der fraglichen Begriffe gerade das nicht leisten, was einfache Ideen leisten sollen, nämlich die Phänomene unmittelbar vorzustellen. Man könnte
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indes vielleicht versuchen, auch unter Lockes Modi des Denkens zusammengesetzte Reflexionsideen ausfindig zu machen; so ζ. B. wenn er „Verlangen" als „Unbehagen durch Abwesenheit eines Dinges, dessen Anwesenheit mit der Idee des Genusses verbunden ist" 4 definiert; aber derartige Analysen unterstützen eher das zuvor Gesagte, als daß sie eine Gegeninstanz darstellten: was Verlangen ist, wird niemand auf diese Weise klar machen wollen. Wenn er es dagegen schon weiß, kann er eine Explikation oder Definition suchen und die von Locke gebotene vielleicht akzeptabel finden. Wenn man in dieser Weise von den Phänomenen her auf eine weitgehende Irreduzibilität reiner Reflexionsideen hinweisen kann, so darf man auf der anderen Seite jedoch auch wieder nicht übersehen, daß mittels ihrer nun aber sehr wohl ihnen gegenüber „komplex" zu nennende Ideen angebbar sind, ζ. B. die Idee des Charakters eines Menschen oder auch (unter den aus Sensation und Reflexion gemischten Ideen) moralisch relevante Ideen wie die des Mordes usw. Die Unterscheidung dessen, was man jeweils aus eigenem Erleben kennen muß, wenn es nicht unverständlich bleiben soll, von dem, was man indirekt mittels Erläuterungen oder Definitionen verstehen kann und möglichst auch nur so verstehen möchte (wie Locke an jMord' oder ähnlichen Beispielen betont), ist also keineswegs überflüssig oder unplausibel. Daß es so viele einfache Ideen gerade der Reflexion gibt, spricht nicht gegen, sondern für die Möglichkeit, eine Erfahrungsbasis (wenigstens teilweise) explizit zu machen. 2. Ein Teil der Antwort auf diesen Punkt Aarons — Unklarheit des Begriffes „einfach" — ist bereits in § 5 gegeben worden. Lockes Darstellung ist in der Tat dadurch unklar, daß sie den Eindruck erweckt, als ob die Erfahrungsbasis einerseits mit dem Gegebenen und andererseits mit dem Einfachen identifiziert werden sollte. Aber, wie wir gesehen haben, enthält sie Gegebenes, das n i c h t einfach ist. Dieser Umstand kann freilich leicht übersehen werden, weil sie e x p l i z i t doch nur angebbar ist im Felde des Einfachen. Dieses ist zwar gegeben, aber deshalb doch nicht ein Haufen von schlechterdings fertig daliegenden Bausteinen zum Gebäude der Erkenntnis, die man sozusagen nur auflesen müßte; vielmehr sind sie schon zum Bau gefügt, und es gilt, sie an ihm als dessen gegebene Bestandteile zu entdecken. Es war also nötig, einen ziemlich vorsichtig und subtil formulierten Begriff von „einfach" ins Auge zu fassen. Ist es nun richtig, ihn des näheren durch die Vorstellung der Unteilbarkeit zu verdeutlichen? Wenn dies heißen soll, daß die Ideen im Erkenntnis* II. xx. 6.
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prozeß als irreduzible Einheiten fungieren, die nicht aus anderen erzeugt werden können, so ist die Frage zu bejahen. Wenn jedoch statt dieser Deutung eine anschaulichere gemeint ist, in der Idee so etwas bedeutet, wie das vorstellbare oder sogar auch darstellbare „Bild" einer Sache, dann ist die Unteilbarkeit nicht mehr zu halten, wie sich besonders deutlich an den Ideen ,Raum' und ,Zeit' dartun läßt. Aaron kann in dieser Sache Locke zitieren, der sagt: „Obwohl sie (sc. Raum und Zeit) mit Recht unter unsere einfachen Ideen gerechnet werden, so ist doch keine der deutlichen Ideen, die wir von ihnen haben, ohne jede Art der Zusammensetzung: es ist gerade die Natur beider, aus Teilen zu bestehen.. ." 5 Obschon der erste Satzteil zeigt, daß Lockes Diktion nicht zuverlässig ist, was die saubere Unterscheidung von Idee und ihrem Gegenstand betrifft, sollte man nicht übersehen, daß er im Rest des Satzes so spricht, als ob die Ideen selbst von Raum und Zeit zusammengesetzt seien. Tatsächlich verfolgt Locke diesen Gedanken weiter und gelangt schließlich dazu, den „Augenblick" und den „wahrnehmbaren Punkt" als die eigendich erst einfachen Ideen von Räumlichem und Zeitlichem ins Auge zu fassen: „ . . . die kleinsten Teile beider, von denen wir klare und deutliche Ideen haben, mögen sich vielleicht am besten dazu eignen, von uns als die einfachen Ideen dieser Art angesehen zu werden, aus denen unsere komplexen Modi von Raum, Ausdehnung und Dauer aufgebaut sind, und in die sie wiederum in deutlicher Weise aufgelöst werden können."6 Es wird für die weitere Klärung der Begriffe der Basis und des Einfachen nützlich sein, dieses Ergebnis Lockes kritisch zu betrachten, zumal die Beispiele Raum und Zeit ohnehin für die Entwicklung der gesamten neuzeitlichen Erkenntnistheorie hervorragende Bedeutung erlangt und behalten haben, so daß ihre nähere Betrachtung in sich ein gewisses Interesse verdient. Betrachtet man nur das erste der beiden zuletzt gegebenen Zitate, so so scheint man Aaron Recht geben zu müssen: einfache Ideen sind nicht 5 „There is one thing more wherein space and duration have a great conformity, and that is, though they are justly reckoned amongst our s i m p l e i d e a s , yet none of the distinct ideas we have of either is without all manner of composition: it is the very nature of both of them to consist of parts: . . I I . xv. 9. 6 „But t h e l e a s t p o r t i o n s o f e i t h e r o f t h e m , w h e r e o f w e h a v e c l e a r a n d d i s t i n c t i d e a s , may perhaps be fittest to be considered by us, as the s i m p l e i d e a s of that kind out of which our complex modes of space, extension, and duration are made up, and into which they can again be distinctly resolved." II. xv. 9.
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notwendig unteilbar, also „einfach" nicht durch „unteilbar" zu erläutern oder gar als „unteilbar" zu definieren, womit, wie Aaron behauptet, der Sinn des Unterschiedes von „einfach" und „komplex" ziemlich unklar wird. Betrachtet man jedoch auch das zweite Zitat, so bietet sich die Angelegenheit verwickelter dar. Zunächst fällt auf, daß das Ergebnis der Überlegung Lockes dem ersten Zitat, das die Fragestellung eben dieser Überlegung eröffnete, geradezu widerspricht: erst soll keine deutliche Idee von Raum und Zeit ohne Zusammensetzung sein, am Ende aber die Skala dieser deutlichen Ideen doch eine kleinste unteilbare besitzen, die dann überhaupt erst zur deutlichen Entwicklung aller anderen die Möglichkeit bieten würde, wenn man nämlich der Maxime Lockes auch hier folgen darf, daß die beste Definition eines Ausdrucks seine Reduktion auf Bezeichnungen für einfache Ideen ist 7 . Locke bietet denn auch sein Ergebnis nur zögernd und im Potentialis dar; er scheint ihm nicht recht getraut zu haben, was sich im Nachhinein als durchaus weise erkennen läßt, wenn man etwa die verwirrungsvolle Mühe betrachtet, die sich Hume — an diese Stelle bei Locke anknüpfend — in seinem „Treatise of Human Nature" mit Raum und Zeit gemacht hat. Immerhin zeigt sich Locke hier kompositionalistischen Gedanken offenbar zugänglich: er versucht, den „komplexen" Charakter einer Idee durch die Teilbarkeit eines anschaulich oder bildlich zu denkenden Inhalts der Idee zu interpretieren. Daß das Einfache dann aber durch Unteilbarkeit bestimmt werden muß, bringt das Problem in der Behandlung von Raum und Zeit zustande: wie nämlich Lockes Auffassung mit der anschaulichen, anscheinend ebenso selbstverständlichen und obendrein durch die Tradition sanktionierten Vorstellung der unendlichen Teilbarkeit von Raum und Zeit zu vereinbaren sein könnte. So ist denn auch, ausgehend von dieser Schwierigkeit, schon bald nach Erscheinen des „Essay" gegen Locke eingewandt worden, er habe einen unklaren Begriff von Einfachkeit und er wende ihn zu Unrecht auf Raum und Zeit an. Lockes (von Aaron nicht diskutierte) Antwort hierzu, die er nach der Publikation des „Essay" an Coste gegeben hat 8 , wirft ein interessantes Licht auf den ursprünglichen Text und sein Sachproblem: Locke betont dort, daß es ihm nicht um eine Analyse der Gegenstände, sondern der Ideen im Geiste zu tun sei. Dieser Absicht gemäß habe er den Gedanken an kleinste noch deutlich vorstellbare Teile ζ. B. des Raumes vorgebracht. Aber, so fügt er noch hinzu, die Idee der Ausdehnung sei einzig in ihrer Art und von allen anderen so verschieden, daß man sich nicht zu wundern brauche, wenn sie 7 III. iii. io. 8 Anmerkung 4 zu II. xv. 9 in Fräsers Ausgabe.
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sich nicht ohne weiteres unter den zuvor definierten Begriff der einfachen Idee subsumieren lasse9. Entscheidender als die schulgerechte Bereinigung derartiger kleiner Subtilitäten sei, daß man seinen Gedankengang im ganzen verstehe. Als wesentlicher, nicht bloß apologetischer Punkt dieses Gedankenganges wird nun aber in Lockes Antwort der folgende deutlich: Bei der Definition der einfadien Idee kam es nicht darauf an, j e d e Zusammensetzung auszuschließen, sondern nur eine solche aus qualitativ verschiedenen Ideen 10 . Auf das Beispiel ,Raum' angewandt, ist also wichtig, daß eine Bestimmung, die die Idee ,Raum' vermitteln soll, wie etwa die traditionelle, Raum sei das, was partes extra partes habe, selbst nicht mehr in zwei verschiedene Ideen aufgelöst werden kann 1 1 . Die qualitative Besonderheit, ja Einzigkeit der Idee ,Raum' oder ,Ausdehnung' macht es allein schon notwendig, sie unmittelbar der Erfahrung zu entnehmen. Diese Unmittelbarkeit der Bekanntschaft verschaffen aber nun gerade nicht sehr große oder sehr kleine Ausdehnungen. Locke überlegt, im Einklang mit seiner an Coste gegebenen späteren Erläuterung, schon im ursprünglichen Text so: „ . . . da der Geist nicht fähig ist, irgendeine räumliche Idee ohne Teile zu bilden, macht er stattdessen Gebrauch von den üblichen Maßeinheiten, die sich in den einzelnen Ländern durch vertraute Gewohnheit dem Gedächtnis eingeprägt haben (ζ. B. von Zoll und Fuß, von Ellen und Parasangen, und ebenso bei der Dauer von Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen und Jahren) — macht der Geist also Gebrauch, sage ich, von solchen Ideen wie diesen als einfachen . . ." 1 2 Die gerade genannten konventionellen Einheiten sind eben die, die sich unmittelbar vertraut machen lassen; sie haben menschlicher Lebenspraxis an9
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Locke bemerkt hier ein mit den Vorstellungen von Raum und Zeit verbundenes Problem, das später Kant dazu gebracht hat, beide als Anschauungen den Begriffen entgegenzusetzen und dadurch die Erkenntnistheorie tiefgreifend umzubilden. Sonst könnte ζ. B. auch eine homogene Farbfläche keine einfache Idee vermitteln, weil sie als ausgedehnte noch teilbar wäre. „ . . . si 1' idee d'etendu consiste ä avoir p a r t e s e x t r a p a r t e s , comme on parle dans les ecoles, c'est toujours, au sens de M . Locke, une idee simple; parce que l'id£e d'avoir p a r t e s e x t r a p a r t e s ne peut etre resolue en deux autres idees." P. Costes Bericht über Lockes Äußerung, zitiert nach der Anmerkung Fräsers zu I I . xv. 9. „But, since the mind is not able to frame an idea of a n y space without parts, instead thereof it makes use of the common measures, which, by familiar use in each country, have imprinted themselves on the memory (as inches and feet; or cubits and parasangs; and so seconds, minutes, hours, days, and years in duration); — the mind makes use, I say, of such ideas as these, as simple ones: . . I I . xv. 9.
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gemessene und daher verständliche, ja ζ. T. im wörtlichen Sinne begreifliche Dimensionen. Sehr kleine und sehr große Ausdehnungen in Raum und Zeit sind dagegen vergleichsweise nur sehr unklar und verworren vorstellbar; Klarheit des Verständnisses verschafft hier erst die Kombination mit Zahlen, die die Anzahl von Additionen oder Divisionen eines vertrauten Intervalls angeben 13 . Zusammen mit der späteren Erläuterung gewinnt diese erste Überlegung in II. xv. 9 das Übergewicht über die ohnehin nur im Pontentialis ausgesprochene zweite, die zum „Augenblick" und zum „wahrnehmbaren Punkt" führte. Es geht dem Programm Lockes nach um die Rechenschaft darüber, was irreduzible Erfahrungen sind, für die keine Umschreibung ein Ersatz sein kann. Zu diesen gehört das Erfassen von Raum und Zeit; die Vorstellungen beider erfüllen als anschauliche Inhalte so gut wie die einer homogenen Farbfläche jene Bestimmung aus II. 1.4: eine „einheitliche einförmige Erscheinung oder Vorstellung im Bewußtsein" zu sein. Vor allem aber sind sie, was, wie in § 5 gezeigt, noch wichtiger ist, nicht definierbar, sondern allein durch Rüdegang auf die Erfahrungsquellen Sensation und Reflexion zu gewinnen u . Im Sinne der hier vertretenen Interpretation sind sie also einfach, unbeschadet der Möglichkeit weiterer Analyse, die in diesem Falle auf Grund der quantitativen Teilbarkeit von besonderer Art und von besonderer Deutlichkeit ist. Aber für alle anderen einfachen Ideen galt ja, wie oben schon erwähnt wurde (Ende von § ß) und noch des näheren zu betrachten sein wird (im folgenden Text dieses Abschnittes und in § 9), ebenfalls nicht, daß sie einer weitergehenden Analyse, einer Einbeziehung in Theorien und in diesem Sinne einer Explikation, Begründung usw., etwa nicht zugänglich wären. Die Antwort auf Aarons Einwand (2) lautet also zusammengefaßt so: Wenn Locke auf einen anschaulichen Kompositionalismus, dem er in der Tat nirgends eine klare Absage erteilt, von dem er vielmehr selbst immer wieder Gebrauch macht, g a n z festgelegt werden müßte, dann böten gerade Raum 13 Die oben zitierte Maxime über die beste Definition aus III. iii. xo ist also auch nur auf die Zusammensetzung qualitativ verschiedener Ideen anwendbar, nicht aber auf die Zusammensetzung qualitativ homogener Teile in Raum und Zeit. Eine komplexe Vorstellung zu definieren ist eben etwas anderes als eine mathematische Operation auszuführen; auch eine große (nicht mehr unmittelbar vorstellbare) Zahl mag zwar durch Additionen verwirklicht werden, der Sinn des Zahlwortes wird jedoch durch Verbinden von Ideen wie ,Einheit', ,Addition' usw. verständlich gemacht, nicht durch das Ausführen von Additionen. Für die Zeit vgl. man ζ. Β. II. xiv. 2; für die Undefinierbarkeit von ,Raum' II. xiii. 15, für seine unmittelbare Gegebenheit II. xiii. 2.
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und Zeit (vermutlich aber in anderer Weise praktisch alle „einfachen" Ideen) ein ernstes Problem: sie müßten wegen ihrer Irreduzibilität als „einfach" ausgegeben werden, obwohl sie doch offenkundig teilbar (oder analysierbar) sind. Wenn jedoch die allzu bildliche Vorstellung von „Idee" (zu der gerade bei elementaren mathematischen Gegenständen natürlich die Verführung relativ groß war) als ein problematischer Zug und eine Gefahr, nicht aber als Kern der Lockeschen Überlegung angesehen werden darf (und Lockes Begriff von „Idee" ist erklärtermaßen viel abstrakter 15 ), dann läßt sich Lockes Darstellung von Raum und Zeit als plausible Beschreibung von Erkenntnisbedingungen einsehen, die sich überdies dem Prinzip des Empirismus der Ideen einfügen; sie läuft dem Begriff einer Erfahrungsbasis aus einfachen Ideen nicht nur nicht zuwider, sondern ist geeignet ihn abzurunden. Wir brauchen also das oben als erstes gegebene Zitat (Anmerkung 5) nicht mehr wie Aaron als ein Problem oder einen Einwand anzusehen, sondern können es nehmen, wie es dasteht: Locke spricht eben hier geradezu aus, daß Einfachheit n i c h t Unteilbarkeit bedeutet (nämlich nicht eine im bildlichen Sinne nur auf den Ideeninhalt bezogene Unteilbarkeit). Was sie dagegen bedeutet, ist mittlerweile hoffentlich in eben jener Weise deutlicher geworden, an die Locke dachte, wenn er seinen Gedankengang notfalls unter Verzicht auf schulmäßige Subtilität verstanden wissen wollte 16 . 3. Zugunsten der These schließlich, daß der Begriff der einfachen Idee (und damit der einer abgrenzbaren Erfahrungsbasis) auch deshalb keinen klaren Sinn gewinne, weil Locke an der Ausarbeitung des Gegenbegriffs der komplexen Idee gescheitert sei, hat Aaron auf interessante Änderungen hinweisen können, die Locke für die 4. Auflage seines „Essay" im Kapitel „Von den komplexen Ideen" (II. xii) vorgenommen hat. Sie belegen in der Tat deutlich, daß Locke Mühe hatte, einen endgültigen Überblick über sein Ideensystem, insbesondere dessen sachgemäße Einteilung, zu gewinnen; ferner, daß der anschauliche Kompositionalismus nicht die einzige oder gar die endgültige Interpretation dieses Ideensystems darstellen kann. Aber gerade Lockes Unsicherheit in dieser Sache bietet, wie ich zeigen möchte, andererseits Anlaß und Gelegenheit dazu, verschiedene Gesichtspunkte seiner Analyse der menschlichen Vorstellungen zu unterscheiden, wobei es vor allem 15
Introduction $ 8. 14 „C'est assez pour Μ. Locke qu'on puisse comprendre sa pensee. II n'est pas trop ordinaire de voir des discours tres-intelligibles, gates par trop de d£licatesse sur ces pointilleries. Nous devons assorter les choses le mieux que nous pouvons, d ο c t r i n a e c a u s a ; mais, apres tout, il se trouvera toujours quantite des choses qui ne pourront pas s'ajuster exactement avec nos conceptions et nos fa^ons de parier." P. Coste laut Anmerkung Fräsers zu II. xv. 9.
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wieder auf den eben schon unter (2) hervorgehobenen Gegensatz von anschaulichem Inhalt und epistemologischer Funktion der Ideen ankommen wird. In den ersten Auflagen des „Essay" hat Locke im genannten Kapitel eindeutig drei Sorten von Ideen unter dem Titel „komplex" zusammengefaßt und den „einfachen" Ideen gegenübergestellt: die Ideen der Modi, die der Substanzen und die der Relationen 17 . In der vierten und den weiteren Auflagen ist diese Einteilung stehen geblieben; neben sie tritt jedoch noch eine zweite, in der den „einfachen Ideen" drei scheinbar gleichgestellte, einander nebengeordnete Sorten zur Seite treten: die „komplexen Ideen", die „Ideen der Relation" und die „allgemeinen Ideen" 18 . Ist die zweite Einteilung nunmehr als maßgeblich anzusehen? Dies scheint Aaron anzunehmen, wenn er bedauert, daß Locke nicht, von ihr ausgehend, das Buch I I neu geschrieben habe. Daß Locke jedoch die erste Einteilung nach Einführung der zweiten nicht gestrichen hat, muß stutzig machen. Das Problem, das sich in Lockes Änderungen meldet, hätte in der Tat durch den Übergang zu einer neuen Einteilung nicht gelöst werden können; es besteht nämlich in der Aufgabe, die Einteilung des Ideensystems mit den verschiedenen Fähigkeiten bzw. Operationen des Geistes in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Das scheinbar widersprüchliche Nebeneinander zweier miteinander nicht kongruenter Einteilungen läßt sich am besten durch die Beobachtung erklären, daß in Wahrheit zwei Einteilungen, die unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten stehen, im Spiel sind: (a) eine semantische im Hinblick auf die Bedeutungen der Ideen und deren Vermittlung, (b) eine (in einem weiteren Sinne) psychologische im Hinblick auf die Möglichkeiten, neue Ideen zu erzeugen. Im Falle (b) wird die Einteilung der Operationen einfach auf deren jeweilige Produkte übertragen, ohne daß wie bei (a) die Stellung der Produkte im Erkenntnisprozeß oder ihre Leistung für die Erkenntnis der Realität berücksichtigt wird. Der Text zeigt klar, daß die Einteilung (b) von einer Wiederholung der Aufzählung der Geisteso p e r a t i o n e n ausgeht; sie soll offenbar den Zusammenhang mit dem vorangehenden Kapitel II. xi deutlicher herausstellen. Dabei erweist es sich hung der Operationen zu unterstellt und in einigen delt. Das Verhältnis der 17 II.xii.3.
18 II.xii.1.
allerdings als unglücklich, daß Locke eine Bezieihren Produkten und deren Klassifizierung zwar Punkten auch nennt, aber nie ausführlich behanbeiden Einteilungen des Ideenvorrats wird also
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nicht geklärt. Am deutlichsten wird dieser Mangel bei der Abstraktion: ihre Rolle bei der Entwicklung des Ideensystems bleibt undurchschaut, insbesondere der Umstand, daß gerade sie, wie in § 5 dargelegt, maßgeblich in die Bildung einfacher Ideen und damit schon in die Erfahrungs b a s i s eingeht. Locke ließ sich von der Unklarheit in diesem Punkte aber doch keineswegs dazu verleiten, die abstrakten bzw. allgemeinen Ideen ausdrücklich n e b e n die einfachen zu stellen. Wie Aaron ebenfalls anführt, hat Locke — parallel zu den Zusätzen der vierten Auflage in II. xii. 1 — eine weitere Textänderung in II. i. 5 vorgenommen: Bei einem Vorblick auf die Gesamtheit der Ideen spricht er dort bis zur dritten Auflage von den einfachen Ideen „und ihren verschiedenen Modi und den aus ihnen gebildeten Zusammensetzungen" ; in der vierten Auflage lautet die entsprechende Wendung: „und ihren verschiedenen Modi, Kombinationen und Relationen"19. Die allgemeinen oder abstrakten Ideen werden also in b e i de η Fassungen nicht erwähnt; an anderer Stelle20 treten vielmehr gewisse abstrakte Ideen, wie früher schon hervorgehoben, explizit als Beispiele für einfache Ideen auf. Sachlich ist es eben auch ganz unmöglich, sie den einfachen Ideen gegenüber oder zur Seite zu stellen. Damit zeigt sich die neue Einteilung der vierten Auflage in II. xii. 1 in ihrem gegenüber der alten und festgehaltenen Einteilung in I I . x i i . 3 v e r s c h i e d e n e n S i n n ; beide können also nebeneinander bestehen. Übrig bleibt freilich die Frage nach der Beziehung von Geistesoperationen zur inhaltlichen Systematik ihrer Resultate, d. h. zur Einordnung der Ideen nach ihrer Funktion bei der Formulierung von Erkenntnissen. Übrig bleibt aber auch noch das Problem, welchen Platz denn die Relationsideen erhalten sollen; sie werden ja bei der Änderung von II. i. 5 in der vierten Auflage ausdrücklich neben die „Kombinationen" gestellt; und im Text von II. xii. 1 spricht schon die erste Auflage so, als ob eigentlich n u r diese „Kombinationen", also die Produkte des „compounding", und n i c h t die des „comparing"21, „komplexe" Ideen seien. Im nachfolgenden Text wiederum erscheinen die Relationsideen unmißverständlich als Unterklasse der komplexen 22. Über diese offensichtliche formale Inkonsistenz der Lockeschen Darstellung hilft wiederum nur die Betrachtung ihrer sachlichen Hintergründe hin19
1.—3. Auflage: „a full survey of them (sc. ideas received by sensation and reflection), and their several modes, and the compositions made out of them"; ab 4. Auflage: „a full survey of them, and their several modes, combinations, and relations". II. i. 5. 20 I I . xi. 9 ; I I I . iii. 21 II. xi. 4,6. 22 II. xii. 3, 7.
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weg. Zunächst ist es leicht einzusehen, in welchem Sinne alle Relationsideen „komplex" sind: sie sind als solche nicht verständlich ohne den Gedanken, daß sie sich auf mehr als einen Gegenstand beziehen. Anders gesagt: Zum Sinn von Relationsprädikaten gehört die Vorstellung einer Mehrheit von Relata, auf die sie anzuwenden sind. Locke beschreibt im Einklang damit die Bildung von Relationsideen als ein „Nebeneinandersetzen " zweier Ideen 23 ; man mag etwa an zwei Farbflecken denken, von denen der eine dunkler als der andere erscheint, oder an zwei Stäbe, von denen der eine länger aussieht als der andere usw. Die postulierte empirische Herkunft der Ideen nötigt dazu, in die Vorstellung der Relation selbst eine Zusammenstellung mindestens zweier unterscheidbarer Dinge aufzunehmen 24. Und insofern die Ideen dieser Dinge gewissermaßen Teile der Relationsidee sind, sind sie einfacher als diese bzw. die Relationsidee ihnen gegenüber stets komplex. Alle Relationsideen müssen sich nach dieser Überlegung daher noch auf einfachere und letztlich auf einfache Ideen reduzieren lassen: „sie fußen schließlich in einfachen Ideen" 25 . Bei dieser Darstellung läßt sich Locke offenbar vom „ a n s c h a u l i c h e n Kompositionalismus" bezüglich der Ideeninhalte leiten. Aber die hier einschlägige Art der „Komposition" ist nicht die erkenntnistheoretisch letztlich interessante. Wie schon das Zusammenfügen von Raum- und Zeitvorstellungen nicht zu einer im engeren Sinne komplexen Idee, sondern zu „einfachen Modi" führte bzw. wie schon die anschauliche Teilbarkeit von endlichen Ausdehnungen nicht notwendig die Ideen von ihnen im e p i s t e m o l o g i s c h r e l e v a n t e n S i n n e komplex machte (s. oben unter (2)), so kann auch hier wieder behauptet werden, daß die Analyse des Vorstellungs i η h a 1 1 e s einer Relationsidee nicht unbedingt zur verständlichen Vermittlung ihrer Bedeutung hinreichend zu sein braucht. Im Gegenteil wird man Relationen nur definieren können, wenn man sich dabei auf andere einfachere bezieht, und wenn schließlich gewisse „einfache" , allein im Erfahrungszusammenhang ostensiv definierbare Relationen zu Gebote stehen, mit deren Hilfe das Gebäude der Relationsideen überhaupt erst zugänglich gemacht werden kann. 23
„When the mind so considers one thing, that it does as it were bring it to, and set it by another, and carries its view from one to the other — this is, as the words import, r e l a t i o n and r e s p e c t ; . . . " II. xxv. 1 ; vgl. auch ganz ähnliche Formulierungen in I I . xii. 1. 2t II. xxv. 6. 25 „ . . . all the ideas we have of relation are made up, as the others are, only of simple ideas; and . . . they all, how refined or remote from sense soever they seem, terminate at last in simple ideas." II. xxv. 1 1 .
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So hat sich denn Locke, wie schon im Falle von Raum und Zeit, auch im Falle von Relationen durch den anschaulichen Kompositionalismus nicht davon abhalten lassen, die Existenz einfacher Ideen zu behaupten. Das prominente Beispiel hierfür ist die Idee der Kraft. Sie soll aus diesem Grunde, ferner ·— ähnlich wie die Ideen von Raum und Zeit — wegen der allgemeinen Bedeutung für die Erkenntnistheorie, exemplarisch hervorgehoben werden. Sowohl ihre Einfachheit26 wie ihr Relationscharakter27 werden von Locke ausdrücklich festgestellt. An den letzteren knüpft sich dann aber die nach der obigen Überlegung zu erwartende, der ersten Feststellung widersprechende Behauptung, daß die Ideen von besonderen Kräften „komplex" seien, und — so muß man ergänzen — auch die Idee von Kraft überhaupt. Genauer bezieht sich diese Behauptung nun aber auf einen engeren Sinn von „komplex": die Ideen stehen für anschauliche Sachverhalte oder Gegenstände, an denen sich Teile unterscheiden lassen. In einem „weiteren Sinne"28 von „komplex" (bzw. von „einfach") kann Ideen von besonderen Kräften und der Idee von Kraft die Komplexität abgesprochen werden. Kräfte sind nämlich u. a. auch alle sekundären Qualitäten der Körper: in ihnen drückt sich nichts anderes aus als die Möglichkeit, in einem Wahrnehmenden bestimmte Eindrücke hervorzurufen. Andererseits stellen gewisse unter diesen Qualitäten die Standardbeispiele für einfache Ideen. Und so gelangt Locke zu der Folgerung: „Daher kann unsere Idee der Kraft, wie ich meine, sehr wohl einen Platz unter anderen einfachen Ideen einnehmen und als eine von ihnen angesehen werden."29 Die Schwäche dieser Überlegung liegt in ihrer undeutlichen Formulierung. Nicht in einem „weiteren Sinne", sondern in einem a n d e r e n Sinne ist hier von „komplex" bzw. „einfach" die Rede, nämlich in dem Sinne, der relevant ist, wenn wir die F u n k t i o n d e r I d e e n f ü r d e n A u f b a u 26 II. vii. i , 8; I I . xxi. 3.
27 II. xxi. 3, 19.
28 „looser sense", II. xxiii. 7, gegen Ende. 29 „Our idea therefore of power, I think, may well have a place amongst other s i m p l e i d e a s , and be considered as one of them; . . . " II. xxi. 3 — Fräser bemerkt in seiner Fußnote zu dieser Stelle, daß die vorangehende Erörterung Lockes, daß in allen Ideen Relationen stecken, gerade die gegenteilige Folgerung verstärken müßte, nämlich auf Grund dieser verfeinerten Einsicht in die Struktur der Ideen die Idee der Kraft als k o m p l e x anzusehen. E r scheint mir dabei das Enthymen in Lockes Gedankengang zu verkennen, das etwa so ausgedrückt werden könnte: Und wenn man schon weiß, daß offenkundig einfädle Ideen doch noch relationale Aspekte einschließen, dann ist dieser Umstand auch bei der Idee der Kraft kein Hindernis mehr, sie „einfach" zu nennen. Den Grund für Lockes Behauptung der Einfachheit trifft Fräser dagegen, wie ich meine, richtig, indem er auf die Undefinierbarkeit des Kraftbegriffs verweist.
§ 8 Abgrenzung der Basis und Begriff der einfachen Idee
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u n s e r e r E r k e n n t n i s betrachten. Im Zusammenhang gerade dieser Betrachtung tritt die Behauptung der Einfachheit von Ideen der Kraft auf. Ζ. B. legen wir nach Locke „Substanzen" in ihrer Eigenart notwendigerweise durch Rückgriff auf die im „weiteren Sinn" einfachen Ideen fest. „Denn die Kräfte, die jeweils in ihnen (sc. den Substanzen) sind, müssen betrachtet werden, wenn wir wahre und deutliche Begriffe der verschiedenen Sorten von Substanzen haben wollen." 30 Und weiter: „die wichtigsten Qualitäten (sc. der Substanzen) werden am besten durch Zeigen bekannt gemacht, und können schwerlich auf andere Weise bekannt gemacht werden." 31 Sie sind also in diesem Sinne einfach. Auf der anderen Seite sind dementsprechend die Substanzen n i c h t durch eine abschließende Analyse der Ideeninhalte ihrer Merkmale (ζ. B. durch naturwissenschaftliche Forschung) definierbar; ihre innere Konstitution bleibt uns nach Locke notwendigerweise unbekannt 32 . Das im Hinblick auf den Aufbau der Gegenstände unserer Ideen Einfache ist es nicht ebenso im Hinblick auf den Aufbau unserer Ideen und unserer Erkenntnisse; oder umgekehrt: das, was eine Theorie der Objekte als komplex, ζ. B. als ein Geflecht von Relationen enthüllt, ist in anderer Hinsicht die einfache und irreduzible Grundlage eben dieser Objekttheorie. Unser Wissen im ganzen — Erkenntnistheorie u n d Wissenschaft oder sonstiges Objektwissen in ihrem Zusammenhang — kann darum nicht einfach von einer Theorie der Gegenstände allein her verständlich sein. Auch an der Behandlung von Beispielen wie den Ideen von Kraft oder speziellen Kräften tritt jene am Ende von § 5 erwähnte Grenze des naiven Objektivismus aller unserer Erkenntnis als eine Pointe des empiristischen Ansatzes hervor. Die formale, besonders auch die terminologische Durchführung, die Locke ihm gibt, zeigte zwar beim näheren Zusehen immer neue Mängel, von denen die unzulängliche Behandlung der Relationen sicher einer der ernstesten ist. Aber Locke verliert doch den Kern der von ihm gemeinten Sache nicht aus den Augen, so daß das ganze philosophische Vorhaben wohl besser im Gleichgewicht bleibt, als es bei rigorosem Verfolgen der Implikationen einmal gewählter Formulierungen möglich gewesen wäre 33 . 30
31
32 33
„For the powers that are severally in them (sc. particular substances) are necessary to be considered, if we will have true distinct notions of the several sorts of substances." II. xxiii. 7. Zum folgenden vgl. man auch den anschließenden Gedankengang von II. xxiii. 8. „ . . . these leading qualities (sc. of substances) are best made known by showing, and can hardly be made known otherwise." III. xi. 21. ζ. B. III. vi. 9; IV. iii. 1 1 — 1 3 ; II. xxiii. 8. Bertrand Russell (1946) hat diesen Charakterzug Lock es in seiner geistreichen Art mit folgenden Worten kritisch gewürdigt: „No one has yet succeeded in inventing a philosophy at once credible and self-consistent. Locke aimed at credibility, and
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Teil I I : Der Empirismus der Ideen
Bevor im nächsten Abschnitt noch Näheres zur Doppelrolle der Basisideen (als einfache Grundlage der Erkenntnis einerseits und als möglicherweise komplexer Gegenstand der Forschung andererseits) ausgeführt wird, ist hier abschließend festzuhalten, wie sich das Problem der Einordnung der Relationsideen in die Gesamtheit aller Ideen nunmehr darbietet: Die von Locke in II. xii. 3 und 7 behauptete und in II. xxvi ausgeführte Einordnung unter die komplexen Ideen hat einen bestimmten Sinn von „komplex" zur Voraussetzung, wie er sich im Rahmen eines anschaulichen Kompositionalismus ergibt: Relation verweist im bildlichen Verständnis auf einen Vergleich mindestens zweier im Prinzip voneinander trennbarer Vorstellungsinhalte; oder sie bezieht sich (in einem nicht notwendig ebenso bildlichen Verständnis) zumindest auf ein Gefüge mehrerer Relata, dessen weitere Analyse möglich und in der Wissenschaft wünschenswert erscheint. Es gibt jedoch noch einen anderen („weiteren", nämlich nicht so anschaulichen und in diesem Sinne präzisierten) Sinn des Gegensatzpaares von „einfach" und „komplex"; dieser ist der epistemologisch relevante. Im ersten Sinne sind, wie Locke besonders in II. xxi und I I . xxiii ausführt, viele elementare Ideen, insbesondere solche von „Kräften", „komplex"; im zweiten Sinne waren sie aber von vornherein als „einfach" erkannt und eingeführt worden. Und dies bringt Locke dazu, auch die Idee „Kraft" selbst als einfache Idee einzuordnen, womit sich im Rahmen der erkenntnistheoretischen Analyse ergeben hat, daß und in welchem besonderen Sinne Relationsideen so gut wie „allgemeine Ideen" sowohl einfach wie komplex sein können. Nachdem so die Einwände Aarons gegen die Unterscheidung von einfachen und komplexen Ideen und damit gegen die wenigstens teilweise explizite Abgrenzung einer Erfahrungsbasis besprochen und in ihrer begrenzten Bedeutung erkannt sind, sei abschließend kurz versucht, die zu ihrer Klärung verwendete Unterscheidung ausdrücklich auf den Begriff „Kompositionalismus" anzuwenden. Denn wenn die Vorstellung von „komplexen" , also in irgendeinem Sinne „zusammengesetzt" zu nennenden Ideen festgehalten wird, muß auch in irgendeinem entsprechenden Sinne Lockes Theorie der Ideen noch durch den Titel „Kompositionalismus" gekennzeichnet werden können. Zusammensetzung im bildlichen oder anschaulichen Sinne beruht letztlich immer auf einer Zusammenstellung oder Aneinanderreihung von etwas in Raum oder Zeit. Sie überträgt sich auf die Ideen davon unter der Vorausachieved it at the expense of consistency. Most of the great philosophers have done the opposite. A philosophy which is not selfconsistent cannot be wholly true, but a philosophy which is self-consistent can very well be wholly false.11 (S. 592).
§ 8 Abgrenzung der Basis und Begriff der einfachen Idee
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setzung, daß deren Inhalt bzw. die mit ihren jeweiligen Bezeichnungen verknüpften Bedeutungen in der Art von Abbildern ihrer Gegenstände gedacht werden. Nicht nur die Ideen von Raum, Zeit und Zahl, sondern auch Relationsideen sind in diesem Sinne zusammengesetzt. Von dieser Überlegung sind auch Relationen, die von Raum und Zeit scheinbar unabhängig sind, nodi betroffen, insoweit nämlich Lockes empiristischer Grundsatz zu Recht besteht, daß ihre Ideen aus der Erfahrung gewonnen werden müssen; so ζ. B. die Relation ,größer' angewandt auf Zahlen, weil die Idee von ihr durch eine Veranschaulichung vermittelt werden muß: etwa durch das Nebeneinandermalen zweier Reihen von Punkten, deren eine umkehrbar eindeutig auf ein Stück der anderen abgebildet werden kann 3 4 . Diese anschauliche Zusammensetzung betrifft immer in einem gewissen Sinne homogene Teile, weil die Vorstellungsinhalte ihre Anschaulichkeit durch Zuschreibung eines raum-zeitlichen Charakters gewinnen und in dieser Weise an der Homogenität der Vorstellungen von Raum und Zeit partizipieren. Epistemologisch relevante Zusammensetzung bezieht sich nun aber, wie Locke selbst betont hatte, auf u n g l e i c h a r t i g e „Teile". Sie liegt ζ. B. vor, wenn wir ein- und demselben Ding zugleich eine bestimmte Gestalt und eine bestimmte Farbe zuschreiben. Auch hier ist die zusammengesetzte Idee wiederum ganz anschaulich (so ist zur Hervorhebung des Unterschiedes, auf den es mir ankommt, das Beispiel gerade gewählt); aber die Zusammensetzung selber ist es in keiner Weise. Die Trennung der Teilideen voneinander läßt sich nur „in Gedanken" vollziehen und nur in begrifflicher Sprache symbolisieren. Natürlich ist dieser Fall einer einfachen Konjunktion von Begriffen nur der primitivste eines unübersehbar komplizierten Feldes der Ideenbildung. In seiner Allgemeinheit mag dieses Feld weiterhin nicht genauer gekennzeichnet werden können als durch die Bedingung, daß seine Elemente aus gewissen als schon verständlich vorgegebenen Elementen durch sprachliche Definition oder Explikation hinreichend verständlich hergestellt werden können. Die Komposition bezieht sich hier also auf Begriffe im weitesten Sinne, einschließlich von Präpositionen, grammatischen Formen, die bestimmte Verknüpfungen bezeichnen usw. (vgl. auch § 10). Die These der vorliegenden Interpretation ist es, daß ein Kompositionalismus im ersten Sinne — der „anschauliche Kompositionalismus" — zwar bei Locke allenthalben hervorscheint, daß sich aber das, was er meinte, am besten durch einen Kompositionalismus im zweiten Sinne — einen „funktio34
Es scheint kein Zufall zu sein, daß ein so anschaulicher Vorgang wie der des Abbildes hinter einer Terminologie steht, die ziemlich grundlegende und abstrakte mathematische Verhältnisse umfaßt.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
nalen Kompositionalismus" — klar machen läßt, nicht dagegen durch gänzlichen Verzicht auf die Vorstellung vom „Zusammensetzen", daher auch nicht unter Verzicht auf die Vorstellung des „Einfachen", die man wie schon oben (Ende von § ß) behauptet, nicht auf den Inhalt von Ideen oder auf die durch Ideen repräsentierten Gegenstände beziehen darf, sondern allein auf Begriffe oder allgemeiner auf irreduzible Einheiten des Verstehens. Ich würde es nicht als einen Einwand gegen diese Interpretation ansehen, wenn gesagt würde, daß sie den historisdien Locke nur sehr einseitig wiedergibt. Das ist zweifellos der Fall. Da vornehmlich die Absicht besteht, wenigstens e i n e Seite des Lockeschen Denkens a d ä q u a t , nämlich der gemeinten S a c h e gemäß herauszustellen, so kann andererseits kein Anspruch auf eine nach mehreren oder allen Seiten ausgewogene historische Darstellung erhoben werden. Immerhin soll die einseitige Interpretation stets dem Bestreben dienen, gegen in gewissem Grade, insbesondere im Hinblick auf Lockes Formulierungen, berechtigte Einwände eine Konsistenz seines Versuches über den Verstand zu wahren, um dadurch den Blick auf die von ihm intendierte Sache, so gut es eben gelingen will, freizugeben. Dieses Vorgehen gehört zu jenem Begriff der „harmonisierenden" oder „optimistischen" Interpretation, wie ich ihn in § 2 eingeführt habe.
§ 9:
Beschreiben und Erklären
Der Unterschied zwischen Ideen der Basis und anderen über ihr zu konstruierenden Ideen besagt nicht, daß die ersteren ausschließlich zur Beschreibung und die letzteren ausschließlich zur theoretischen Verarbeitung der Erfahrungen dienen können. Lockes Auffassung zu diesem Punkt wird durch eine kritische Auseinandersetzung mit Humes Analyse der Idee ,Kraft' verdeutlicht, wobei sich ergibt, daß Besdireibungs- und Erklärungsfunktion, mithin Zugehörigkeit zur Erfahrungsbasis und zur Theorie, sich nidit gegenseitig ausschließen. Umgekehrt werden vielmehr Möglichkeiten und Ziele theoretischer Erklärung durch gewisse Ideen der Basis mitbestimmt. Lockes Liste der „originalen" Ideen gibt dieser Vorstellung einen konkreten Ausdruck.
Im vorangehenden Abschnitt ist die Abgrenzung einer Erfahrungsbasis gegen die Schwierigkeiten verteidigt worden, die sich aus der Darstellung Lockes ergeben oder zu ergeben scheinen. Wenn man bereit ist, an der Oberfläche liegende Inkonsistenzen seiner Formulierungen hinzunehmen und überdies den Begriff „einfache Idee" nicht in Richtung auf Anschaulichkeit hin zu verschärfen, sondern auf die Funktion der Idee im Erkenntnisprozeß zu beziehen, läßt sich jedenfalls im Rahmen dessen, was Locke selbst
§ 9 Beschreiben und Erklären
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als seine Absicht im großen und ganzen erkennen läßt, ein sinnvoller Unterschied zwischen Ideen der Basis und auf sie erst gegründeten weiteren Ideen festhalten. Es ist nun aber nötig, auf das über Locke selbst hinausliegende Problem zurückzukommen, das mit diesem Unterschied verbunden ist: Steht er nicht im Widerspruch zu der heutzutage geläufigen Erkenntnis, daß erst ganze Theorien oder — weniger technisch ausgedrückt — größere Sprachzusammenhänge („Sprachspiele") die kleinstmöglichen Einheiten sind, in denen Bedeutung und Wahrheit unserer Erkenntnis sinnvoll zu fassen sind? Diese Frage wäre mit „ja" zu beantworten, wenn es nötig wäre, den erörterten Unterschied von Basis und dem über ihr zu errichtenden Gebäude von Ideen als einen Unterschied von rein deskriptiven Elementen zur Erfassung des Gegebenen einerseits und Mitteln zu dessen „theoretischer Verarbeitung" andererseits zu interpretieren. Eine solche Notwendigkeit besteht jedoch nicht; im Gegenteil überschneiden sich in der von Locke konzipierten Erfahrungsbasis beschreibende und erklärende Funktionen, was mit der Verschränkung von Objektwissenschaft und Erkenntnistheorie zusammenhängt, oder auch — anders und vielleicht besser gesagt — mit dem doppelten Bezug allen Wissens auf den Gegenstand und auf den Wissenden. Um dies näher zu verdeutlichen, möchte ich die eingeschlagene Linie der Interpretation noch ein Stück weiter verfolgen. Sie ist bisher durch die Behauptungen markiert, daß unbeschadet ihres Basischarakters in die Erfahrungsbasis sowohl etwas von der Aktivität des Erkennenden eingeht, insbesondere was die einfachen, aber abstrakten Ideen anlangt, wie auch daß Analysierbares oder auf weitere Analyse Verweisendes, insbesondere etwa Relationen, in ihr enthalten sind. Schon diese Behauptungen, wenn sie denn eine zutreffende bzw. sachlich adäquate Interpretation darstellen sollten, machen es unmöglich, Locke die Vorstellung zuzuschreiben, die Basis bestehe lediglich aus schlicht „gegebenen" Bausteinen, die man als fertige Stücke zu nichts anderem als einer abbildenden oder quasi-abbildenden Beschreibung unmittelbarer Erfahrung verwenden könne. Eine derartige Auffassung kann günstigenfalls als eine einschneidende Vereinfachung dessen angesehen werden, was Locke tatsächlich, insbesondere an Hand seiner Beispiele, im einzelnen vorzuführen versucht; sein Aufriß von den Grundlagen unserer Erkenntnis ist, wie die bisherigen Betrachtungen in mehrfacher Hinsicht zeigen sollten, differenzierter. Insbesondere muß bei einer genaueren Betrachtung zwischen der inhaltlichen Analyse der Ideen und der Analyse ihrer Funktion im Erkenntnisprozeß unterschieden werden. Daß der zweite Gesichtspunkt für Locke maßgeblich ist, ist auch schon hinreichend betont
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
worden. Es bleibt jedoch — über bisher schon hie und da gemachte Bemerkungen hinaus — übrig, einige Einzelheiten zur Verdeutlichung dieser Funktion nachzutragen, woraus sich ergeben wird, in welchem Sinne Lockes Idee einer Erfahrungsbasis (und vielleicht überhaupt eine plausible empiristische Konzeption einer „Basis") nicht mit jenen neueren Ergebnissen über den Theorie- oder System-Charakter allen Wissens in Widerspruch steht. Zunächst könnte man geneigt sein anzunehmen, daß die Irreduzibilität und Unausweichlichkeit der Basisideen, die wir „passiv" hinzunehmen haben, deren Funktion notwendig auf die bloße Beschreibung der Phänomene beschränkt, sie also von einer erklärenden oder in irgendeinem Sinne „theoretischen" Funktion ausschließt; oder umgekehrt: daß der Nachweis, gewissen Ideen komme eine erklärende Funktion zu, sie eo ipso vom Status einer Basisidee ausschließt. In diesem Sinne hat Yolton 1 bei seiner Darstellung der Lockeschen Ideenlehre zwischen „sinnlichen" und „erklärenden" Ideen unterschieden und behauptet, Locke habe seinem eigenen Ansatz zuwider Ideen beiderlei Art unter die einfachen Ideen aufgenommen, mithin zu Unrecht erklärende Ideen als einfache Inhalte unmittelbarer Erfahrung erscheinen lassen. Unter „sinnlichen" Ideen versteht Yolton dabei solche, die unmittelbar mit einem neurophysiologischen Prozeß korreliert sind (,blau' mit Blau sehen usw.), während bei der Gewinnung der „erklärenden Ideen" kompliziertere Prozesse höherer Stufe anzunehmen seien, für die Locke Bezeichnungen wie „to take notice of", „to consider", „to carry an idea beyond itself" usw. verwendet habe. Beispiele hierfür sind natürlich die Relationsideen, oder solche wie ,Kraft', ,Existenz', ,Einheit' und ähnliche. Diese erscheinen als „erklärende Begriffe, die vom Geist konstruiert werden, wenn er sich spezifischen Arten von Erfahrungen gegenüber sieht"; sie sollen „jedem Individuum helfen, seine Sinneserfahrung sinnvoll zu deuten" 2 . Daher „sind diese Ideen eher wie Erklärungen geartet" 3 . Schon indem er jene eben genannten komplizierteren Prozesse für ihre Gewinnung heranzieht, habe Locke den Übergang in das Feld der komplexen Ideen vollzogen, von denen er lehrt, daß sie vom menschlichen Geist geformt werden können Das Prinzip dieser Kritik Yoltons ist deutlich: da es Locke nicht gelang, eine klare Trennungslinie zwischen den Ideen, die reinen Wahrnehmungsprozessen zugeordnet sind, und solchen, die ausdrücklichen Bemühungen um Verstehen und Erklärung von Wahrgenommenem zugeordnet sind, ι 2 3 *
Yolton 1963. a. a. O., im Abdruck von Martin und Armstrong S. 50. a. a. O., S. 49. a. a. O., S. 47.
§ 9 Beschreiben und Erklären
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zu ziehen, ist seine Einteilung der Ideen und damit audi sein Begriff einer „Erfahrung", die als Quelle der Basisideen bestimmt wird, unklar. Falls es jedoch überhaupt gelingen soll, den Begriff von „Erfahrung" klar zu machen, der Lockes „Empirismus" bestimmen lassen könnte, darf er nicht auf eine Basis von Ideen bezogen werden, die als Korrelat von neurophysiologischen Prozessen im Gegensatz zu verstehenden Prozessen festgelegt wird. Es kann keine stärkere a l l g e m e i n e Aussage über diese Basis gemacht werden, als daß sie aus irreduziblen Einheiten hinsichtlich der bewußten Auffassung eines Gegebenen besteht, gleich welcher Art diese Einheiten sind. Sie irgendwie in Richtung Sinnesdaten einschränkend festzulegen, heißt in Schwierigkeiten hineinführen, die es vermutlich unmöglich machen zu begreifen, wie wir überhaupt etwas „Theoretisches" oder eine „Erklärung" verstehen können. Worauf es mir nun in diesem Zusammenhang ankommt, ist der Nachweis, daß Locke bei der Ausführung seines Systems der einfachen Ideen keinen Gegensatz zwischen so etwas wie Wahrnehmungsideen und so etwas wie Erklärungsideen im Auge hatte, daß sein Aufbau des Ideensystems vielmehr quer zu einer solchen Entgegensetzung liegt. Und gerade das eröffnet die Möglichkeit, seinen Ansatz mit den heute vertrauten Einsichten über den theoretischen Charakter unseres Wissens zu vereinbaren. Dieser Nachweis mag wieder an Hand eines charakteristischen Beispiels geführt werden, als welches sidh die Idee ,Kraft' an vorderster Stelle anbietet, sowohl weil sie von ausgezeichneter epistemologischer Bedeutung ist, wie auch weil sie, namentlich seit den Analysen Humes, in besonderem Maße dem Verdacht unterliegt, keine Grundlage in der Erfahrung zu haben, sondern dem Bedürfnis der Menschen nach Erklärungen zu dienen, und dies obendrein noch auf eine illegitime Weise; es handelt sich also im Hinblick: auf die jetzt in Rede stehende Frage um eine b e s o n d e r s k r i t i s c h e Idee. Dies wird durdi die Art, wie Locke die Idee der Kraft zum ersten Male thematisch einführt, noch unterstrichen. „Der Geist erfährt täglich durch die Sinne von der Veränderung jener einfachen Ideen, die er in den äußeren Dingen beobachtet; und er bemerkt, wie eine ihr Ende erreicht und aufhört zu sein, und wie eine andere zu existieren beginnt, die zuvor nicht war; auch reflektiert er auf das Geschehen in ihm selbst und beobachtet einen ständigen Wechsel der Ideen, bisweilen durch den Eindruck äußerer Objekte auf die Sinne, bisweilen durch die Festlegung seiner eigenen Wahl; und er schließt aus dem, dessen Dasein er in dieser Weise ständig beobachtet hat, daß auch in Zukunft die gleichen Verände-
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
rungen in den gleichen Dingen durch die gleichen Agenden auf die gleiche Weise bewirkt werden — und so betrachtet er in einem Ding die Möglichkeit, die Veränderung irgendeiner seiner einfadien Ideen zu erleiden, und in einem anderen die Möglichkeit, diese Veränderung zu bewirken; und auf diese Weise kommt er zu der Idee, die wir .Kraft' nennen."5 Es fällt schwer, aus dieser Stelle etwas anderes herauszulesen, als daß allein die (äußeren oder inneren) Veränderungen Gegenstand unmittelbarer Beobachtung sind; die Vorstellung von Kraft muß aus ihnen eigens gewonnen werden, indem ein „Schluß" ausgeführt wird, auf den sich eine „Betrachtung" gründet, die erst zur Einführung eines Begriffes wie ,Kraft' führt. „Schließen" und „Betrachten" dieser Art rücken jedoch die neu gebildete Idee von der unmittelbaren Erfahrung ab, so daß man sich vor die Alternative gestellt sieht: entweder man gesteht der Idee ,Kraft' eine erklärende Funktion zu und muß dann zugeben, daß ihr Inhalt, soweit er über die bloße Vorstellung einer regelmäßigen Sukzession hinausgeht, einer neuen andersartigen Ideenquelle entspringt (etwa wie dies nach Kant bei der Kategorie der Kausalität der Fall ist), oder man leugnet die Existenz anderer als der schon von Locke konzedierten beiden Erfahrungsquellen und muß dann den eigentlichen Inhalt, den wir mit dem Wort ,Kraft' zu verbinden gewohnt sind, und damit die Erklärungsfunktion als illegitime Erschleichung destruieren (wie dies Hume getan hat). Nun hat Locke, gleichsam als hätte er Humes scharfsinnige Kritik schon geahnt, im weiteren Verlauf des Kapitels über Kraft seine erste einführende Erklärung vorsichtig abgeschwächt und differenziert; etwas später sagt er: „Bei aufmerksamer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß uns die Körper auf dem Weg über unsere Sinne keine ebenso klare und deutliche Idee von aktiver Kraft verschaffen, wie wir sie aus der Reflexion auf die Operationen unseres Geistes haben." Denn „die Idee des Α η f a η g e η s einer Bewegung haben wir allein aus der Reflexion auf die Vorgänge in uns; dort finden wir durch Erfahrung, daß wir, bloß 5 „The mind being every day informed, by the senses, of the alteration of those simple ideas it observes in things without; and taking notice how one comes to an end, and ceases to be, and another begins to exist which was not before; reflecting also on what passes within itself, and observing a constant change of its ideas, sometimes by the impression of outward objects on the senses, and sometimes by the determination of its own choice; and concluding from what it has so constandy observed to have been, that the like changes will for the future be made in the same things, by like agents, and by the like ways, — considers in one thing the possibility of having any of its simple ideas changed, and in another the possibility of making that change; and so comes by that idea which we call p o w e r . " II. xxi. i .
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dadurch, daß wir es wollen, bloß durdi einen Gedanken des Geistes, die Teile unseres Körpers bewegen können, die zuvor in Ruhe waren"6. Und diese Erfahrung der a k t i v e n Kraft ist das Urbild jedes allgemeineren Kraftbegriffes. Es ist unverkennbar, daß Locke an dieser Stelle, gewissermaßen in einem zweiten Anlauf der Besinnung, nachdem er seine erste allgemeine Besdireibung der Idee ,Kraft' gegeben hatte, auf den Kern an unmittelbarer Erfahrung zurückgehen wollte, aus dem sie stammt. Die Wendung „ f i n d e n wir durch Erfahrung" wiederholt sich verschiedentlich: „ . . . wir finden in uns eine Kraft, verschiedene Handlungen unseres Geistes und verschiedene Bewegungen unseres Körpers zu beginnen, oder zu unterlassen, fortzusetzen oder zu beenden . . ."7 In der ersten Einführung des Kraftbegriffes war Locke unnötigerweise einen Schritt zu weit — Hume gewissermaßen entgegen8 — gegangen, indem er Überlegungen über die Konstanz einer Kraft und die Gleichartigkeit ihrer Wirkungen unter gleichen Umständen in die Idee selbst aufnahm. Dabei wird er wohl vorgreifend die Kennzeichnung von Substanzen im Auge gehabt haben, bei der für ihn in Anlehnung an die metaphysische Tradition der Kraftbegriff von besonderer Bedeutung war 9 und bei der es auf die Konstanz der Kräfte ankam; diese ist nämlich in seiner Version von Naturwissenschaft der Grund für das Bestehen regelmäßiger Kausalfolgen. Nun hat Hume, wenn auch erst nach Abschluß und Veröffentlichung seines „Treatise"10, sehr wohl bemerkt, daß er sich bei der Kritik des Kausalitätsbegriffs nicht allein auf die Analyse unseres Wissens von der Abfolge äußerer Ereignisse beschränken konnte, sondern direkt die Rechtmäßigkeit der Lockeschen Beschreibung unserer Erfahrungen bei der Ausübung unse6 „But yet, if we will consider it attentively, bodies, by our senses, do not afford us so clear and distinct an idea of active power, as we have from reflection on the operations of our minds." — „The idea of the b e g i n n i n g of motion we have only from reflection on what passes in ourselves; where we find by experience, that, barely by willing it, barely by a thought of the mind, we can move the parts of our bodies, which were before at rest." Beide Stellen in II. xxi. 4. 7 „ . . . we find in ourselves a power to begin or forbear, continue or end several actions of our minds, and motions of our bodies . . . " II. xxi. 5 und in enger Parallele II. xxi. 7; man vgl. audi IV. χ. 19. 8 Es ist offensichtlich, daß sich Hume unmittelbar an Formulierungen Lockes etwa in II. xxi. 1 und II. xxvi. χ anschließen konnte. 9 II. xxi. 3; II. xxiii. 7, 8. 10 Die Erörterung darüber, ob in der Willensausübung eine besondere Kraft oder Energie zu beobachten ist, findet sich erst im „Enquiry concerning Human Understanding" und (in einer knappen Zusammenfassung) im Appendix zum „Treatise of Human Nature".
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
res Willens bestreiten mußte. Hätte er das nicht getan, so wäre dies dem Eingeständnis gleidhgekommen, daß die von ihm geforderte „Impression", auf die eine spezifische Idee .Kraft' zurückführbar ist, doch vorzuweisen gewesen wäre. Mit gutem Grund also hat er in seinem „Enquiry concerning Human Understanding" die aus dem „Treatise of Human Nature" übernommene Erörterung darüber, daß äußere Dinge uns keine Impression von .Kraft' liefern, um eine fünfmal so lange Darlegung ergänzt, die zeigen soll, daß audi das absichtliche Verfügen über Handlungen und über Gedanken kein Urbild zu Ideen wie ,Kraft', ,Energie' oder ähnlichen verschafft. Es ist, obwohl es für sich genommen interessant wäre, an dieser Stelle nicht nötig, seine Argumente im einzelnen zu prüfen. Es genügt festzustellen, daß sie allesamt darauf beruhen, daß keine Einsicht in den inneren Zusammenhang unseres Wollens bzw. unseres Bewußtseins vom Wollen mit seinen Folgen, den Handlungen oder Gedanken, auffindbar ist; kurz: wir wissen nicht, w i e wir es machen, daß wir wollend etwas zuwege bringen. Hume unterstellt nun, daß man nur dann von der Impression einer Kraft reden könne, wenn man davon, daß wir dies oder jenes tun können, falls wir es tun wollen, nicht durch bloße Erfahrung wüßte, sondern allein dann, wenn uns eine Einsicht in das Wollen in der Weise gelänge, daß wir die Folgen des Wollens „a priori", d.h. vor ihrem Eintreten, voraussagen könnten. Diese Einsicht nämlich hätte uns nach Humes Meinung allererst das eigentlich Wirkende, die „Kraft" enthüllt. Diese zu kennen heißt ihm also zu wissen, w i e wir es machen, wirksam zu wollen. Gerade auf diese Art, das Argument zu führen, hatte jedoch Locke eine Antwort bereits vorweggenommen. Was Hume nämlich nicht bestreitet, ist die Tatsache, d a ß wir wollend etwas zuwege bringen, also daß ein Mensch selbst handeln und selbst denken kann (natürlich nach Maßgabe seiner bescheidenen natürlichen Fähigkeiten und der jeweiligen Umstände). Nicht m e h r aber als dies wollte Locke zur Einführung der Idee ,Kraft' als einer unmittelbar empirisch gegebenen in Anspruch nehmen. Er lehnt es — im Zusammenhang der Dikussion über die Schöpferkraft Gottes — ausdrücklich ab, von ,Kraft' nur deshalb nicht zu sprechen, „weil wir ihre Operationen nicht verstehen". Bei der näheren Ausführung dieses Gedankens wendet er sich dem menschlichen Wollen zu, das doch ebenfalls, ohne daß man wüßte wie, Bewegungen aus dem Zustand der Ruhe heraus erzeugt. „Dies ist eine Tatsache, die man nicht abstreiten kann"; aber sie zu erklären und einsehbar zu machen, würde zum Verständnis der (jenseits der menschlichen Vernunft liegenden) Schöpfung aus dem Nichts durch Gott einen (bei dieser Sachlage
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nicht als möglich zu erwartenden) Schritt bedeuten u . Diese Unterscheidung von Daß und Wie im Hinblick auf Kraft hebt Locke auch an anderen Stellen verschiedentlich hervor; einmal sagt er: „. . . die Kraft, Bewegung durch Stoß zu übertragen, und . . . die Kraft, Bewegung durch Gedanken hervorzurufen . . . diese Ideen, die eine die Körper, die andere unseren Geist betreffend, werden jedermann von seiner täglichen Erfahrung deutlich vermittelt; aber wenn wir hier . .. fragen, wie dies geschieht, finden wir uns . . . im Dunkeln."12 Und im Zuge der Einführung der Kausalität heißt es: „.. . um die Idee von Ursache und Wirkung zu haben, genügt es, bei irgendeiner einfachen Idee oder Substanz ins Auge zu fassen, daß sie durch die Operation einer anderen zu existieren beginnt, ohne daß man die Art und Weise dieser Operation zu kennen brauchte."13 Der Streit zwischen Locke und Hume, ob zur legitimen Einführung der Idee ,Kraft' nur das Daß oder auch die Einsicht in das Wie des Wirkungszusammenhanges erforderlich sei, drücken auch die unterschiedlichen Umschreibungen aus, die der Kraftvorstellung zuteil werden: für Locke i s t der Wille eine Kraft14; Hume dagegen will unter Kraft jene „Energie i m 11
„ . . . it is not reasonable to deny the power of an infinite being, because we cannot comprehend its operations. We do not deny other effects upon this ground, because we cannot possibly conceive the manner of their production. We cannot conceive how anything but impulse of body can move body; and yet that is not a reason sufficient to make us deny it possible, against the constant experience we have of it in ourselves, in all our voluntary motions; . . . For example: my right hand writes, whilst my left hand is still: What causes rest in one, and motion in the other? Nothing but my will, — a thought of my mind; my thought only changing, the right hand rests, and the left hand moves. This is matter of fact, which cannot be denied: explain this and make it intelligible, and then the next step will be to understand creation." IV. x. '9. 12 Another idea we have of body is, t h e p o w e r of c o m m u n i c a t i o n o f m o t i o n b y i m p u l s e ; and of our souls, t h e p o w e r of e x c i t i n g m o t i o n b y t h o u g h t . These ideas, the one of body, the other of our minds, every day's experience clearly furnishes us with: but if here again we inquire how this is done, we are equally in the dark". II. xxiii. 28. „ . . . to have the idea of cause and effect, it suffices to consider any simple idea or substance, as beginning, to exist, by the operation of some other, without knowing the manner of that operation." II. xxvi. 2 — Man beachte, daß der Umstand, daß etwas durch („by") ein anderes geschieht, Gegenstand unmittelbarer Erfahrung sein kann; so hatte es schon in der sonst so sehr nach Hume klingenden Einführung der Kraftidee geheißen, was man leicht überliest: „ o b s e r v i n g a . . . change . . . b y the impression . . . and b y the determination "; s. oben Anm. 5. " Il.xxi. 5.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
Willen" verstehen, von der seine Wirksamkeit ausgeht 15 . Der Streit läuft also auf die Frage hinaus, ob es berechtigt sei, eine „Impression" im Sinne Humes bzw. die Legitimität einer Idee auf die bloße Existenz eines Phänomens zu gründen, dessen Analyse nicht bekannt und vielleicht nicht möglich ist. Für Hume ergibt sich der Widerstand gegen eine Bejahung dieser Frage aus einer Einschränkung der als grundlegend zugelassenen Erfahrungen, die in sensualistischer Richtung geht: aus seinem Atomismus der Impressionen bzw. Ideen. Eines seiner Prinzipien lautet ja, daß jede für sich vorstellbare Idee von jeder anderen getrennt und mit jeder anderen beliebig kombiniert werden kann 16 . Mit diesem Prinzip verbindet sich leicht die Auffassung, daß Zusammenhänge oder Relationen, wie sie beim Ausüben von Kraft eben schon im Phänomen selbst stecken, nicht Gegenstand unmittelbarer Erfahrung sein könnten; dieser Status erscheint glaubwürdig nur noch für so etwas wie „Sinnesdaten", worunter allerdings bei Hume auch noch die Daten der Reflexion gehören. In anderer, aber doch vergleichbarer Weise wie bei Condillac hat auch bei Hume eine Art naturalistischer Wendung zu einer Verengung der erkenntnistheoretischen Fragestellung geführt. Für Locke dagegen genügt zur Rechtfertigung der Idee ,Kraft' der Umstand, daß es eine alltägliche und unmittelbare Erfahrung ist, daß etwas durch ein anderes bewirkt werden kann, insbesondere daß jeder Mensch aus eigener Kraft gewisse Veränderungen erzeugen kann. Die Einfachheit dieser Idee liegt wiederum darin begründet, daß sie irreduzibel, d. h. nicht durch geeignete Umschreibungen oder Definitionen zu vermitteln ist, sondern nur im Zusammenhang mit einem Hinweis auf bzw. in Erfahrungssituationen. Die kausalen Zusammenhänge, die sich bei einer näheren Analyse zeigen können, stehen dabei nicht in Frage. In dieser Hinsicht kommt die Idee der Kraft auch nicht anders zu stehen als die Ideen von allgemein als einfach anerkannten Sinneswahrnehmungen, ζ. B. die von Farben. Dies wird an einer interessanten (eigentlich einem anderen thematischen Zusammenhang zugehörigen) Stelle nebenbei und damit in seiner für Locke offenbar bestehenden Selbstverständlichkeit klar: „ . . . es beeinträchtigt die Gewißheit unserer Sinne und die (der?) durch sie empfangenen Ideen nicht, daß wir die Art und Weise, in der sie hervorgerufen werden, nicht kennen; ζ. B. wird, während ich dies schreibe, durch die Einwirkung des Papiers auf meine Augen jene Idee in meinem Bewußtsein hervorgerufen, die ich, welches Objekt immer sie verursachen mag, ,weiß' nenne, und durch welche ich 15 Hume 1748, sect. V I I . I., S. 65, 69. 16 Hume 1739, 1 . 1 . III, S. 10.
§ 9 Beschreiben und Erklären
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weiß, daß jene Qualität oder jenes Akzidens (d. h. das, dessen Erscheinen vor meinen Augen immer diese Idee verursacht) wirklich existiert und ein Sein außerhalb meiner hat. Und die größte Sicherheit hierin, die ich überhaupt haben kann und bis zu der meine Fähigkeiten reichen, ist das Zeugnis meiner Augen, die die zuständigen und einzigen Richter in dieser Sache sind. Deren Zeugnis kann ich in begründetem Vertrauen für so gewiß halten, daß ich, während ich dies schreibe, daran, daß ich Weiß und Schwarz sehe und daß etwas, das diese Empfindung in mir verursacht, wirklich existiert, nicht mehr zweifeln kann als daran, daß ich schreibe oder meine Hand bewege. Diese Gewißheit ist so groß, wie sie der menschlichen Natur nur möglich ist . . . " 1 7 Wie auch immer also die kausalen Zusammenhänge beschaffen sein mögen, auf Grund deren unsere Erfahrungen Zustandekommen, es ist nach Lockes Aussage zunächst einmal notwendig, diese Erfahrungen für das zu nehmen, als was sie sidi zeigen; in beiden Fällen — bei Wahrnehmungen u n d bei Handlungen — sind die Ideen von Daß und Wie zu unterscheiden18. Die Wahrnehmungen im engeren Sinne sind hierin der Erfahrung, daß man selbst dies oder jenes tut, also daß man eine Kraft besitzt und etwas bewirken kann, gleichgestellt. Alles dieses, so darf man den Gedanken Lockes wohl näher ausführen, muß bona fide als unmittelbar zuverlässige Basis gleichermaßen anerkannt werden; denn etwas Gewisseres, worauf man sich bei Analyse oder Kritik dieser Erfahrungen beziehen könnte, ist der menschlichen Natur nicht gegeben. Und umgekehrt: So wie erst eine Analyse des Wahrnehmungsvorgangs im Hinblick auf scheinbar gewissere Elemente hin die „Gewißheit der Sinne" grundsätzlich erschüttern und die Realitätsskepsis bewirken kann, so kann auch nur die Analyse der elementaren Erfahrung, daß wir selbst wollend 17
„ . . . it takes not from the certainty of our senses, and the ideas we receive by them, that we know not the manner wherein they are produced: v. g. whilst I write this, I have, by the paper affecting my eyes, that idea produced in my mind, which, whatever object causes, I call w h i t e ; by which I know that that quality or accident (i. e. whose appearance before my eyes always causes that idea) doth really exist, and hath a being without me. And of this, the greatest assurance I can possibly have, and to which my faculties can attain, is the testimony of my eyes, which are the proper and sole judges of this thing; whose testimony I have reason to rely on as so certain, that I can no more doubt, whilst I write this, that I see white and blade, and that something really exists that causes that sensation in me, than that I write or move my hand; which is a certainty as great as human nature is capable of . . I V . xi. 2. is Für die Sinneswahrnehmung hatte ich bereits eine besonders deutliche Stelle in der Anmerkung χ 8 zu § 5 angegeben.
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handeln können, auf scheinbar einfachere Elemente hin der Idee ,Kraft' ihre empiristische Legitimität nehmen. Es ist also kein Zufall, daß die durch den Ideenatomismus und in Richtung auf einen Sensualismus vorbelastete19 Erkenntnistheorie Humes nicht nur den Kraftbegriff, sondern auch den Realitätskontakt der Wahrnehmung gleichermaßen der Skepsis aussetzt. Im Sinne von Lockes Common Sense darf man sagen, daß beide Tendenzen durch ihren paradoxen Charakter zeigen, daß man sich (unter dem Einfluß einer vorgefaßten Theorie, welches die letzten, einfachsten Elemente des Gegebenen seien) von der wahren erkenntnistheoretischen Basis, der Erfahrimg, fortzubewegen beginnt und den Weg zur metaphysischen Spekulation beschreitet20. Die im letzten Absatz ausgedrückte Angleichung der Idee ,Kraft' an einfache Ideen der Sinneswahrnehmung, soweit ihre epistemologische Rolle in Frage steht, darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß für eine objektwissenschaftliche Theorie durch beide Ideen ganz verschiedene Erkenntnis· und Erklärungsaufgaben gestellt werden. Die Erfahrungen selber, einerseits etwa des Wahrnehmens von Farbe und andererseits des selbsttätigen Handelns oder Nachdenkens, sind verschieden genug. Und man mag mit einer gewissen Plausibilität sagen, die zweite sei komplexer als die erste. Dem wird Locke insofern gerecht, als er die Erfahrung von Kraft nicht einem einzelnen (äußeren oder inneren) Sinn zuordnet, sondern allen zusammen. In dieser Einordnung der Idee könnte man die (freilich in einer unvollkommenen Weise ausgedrückte) Einsicht erkennen wollen, daß erst eine ganze Erfahrungssituation die Bedeutung dessen vermittelt, was mit ,Kraft' gesagt sein soll, und nicht ein einfacher (oder wenigstens scheinbar einfacher) Vorgang der Wahrnehmung durch einen einzelnen organisch greifbaren Sinn. Wie dem auch sei, es bleibt anzumerken, daß die hier vorgeschlagene Interpretation der empirischen Basis zwanglos das ergibt, was für die erkenntnistheoretische Stellung, die Locke der Idee ,Kraft' zuweist, erfordert wird: nämlich die epistemologische Gleichberechtigung aller Erfahrungssituationen, ob sie nun unter den besonderen Titel „Sinnliche Wahrnehmung" zu bringen sind oder nidit. Was wir im engeren Sinne des Wortes wahrnehmen, wenn wir Kraft ausüben, mag nicht so leicht zu sagen sein 21 . i"> Siehe ζ. B. Hume 1 7 3 9 , I. I. I I I . 20 So betont Hume selbst, daß alle diese Skepsis bloß „philosophisch" ist; aber er zieht aus dieser Einsicht für die Formulierung seiner Erkenntnistheorie keine Konsequenzen, weil er an einem bestimmten Ideal der Gewißheit und einer bestimmten dem empiristischen Ansatz fremden Vorstellung von Vernunft bzw. Vernünftigkeit orientiert bleibt.
§ 9 Beschreiben und Erklären
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Mein Plädoyer für die Lockesche Gleichstellung von ,Kraft' und ζ. B. ,weiß als „einfache Ideen" sollte vielleicht noch durch eine weitere Bemerkung vor einem anderen möglichen Mißverständnis bewahrt werden: Wenn es auch zum grundsätzlichen Verständnis der Theorie Lockes erforderlich war, das gute Recht seiner Position gegenüber den Analysen Humes zu vertreten, sollte damit doch nicht gesagt sein, daß die letzteren etwa gänzlich irrig wären. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß Locke selbst den Kern unserer Erfahrung von Kraft in der Ausübung des eigenen Willens sieht. Wenn nun aber diese das eigentliche und vielleicht einzige Urbild unserer Vorstellungen von Kraft und Kausalität ist, stellt sich natürlich die Frage, wie weit und mit welchem Recht sich ein aus ihr hervorgehender Begriff auf die Beschreibung oder Erklärung von äußeren Naturvorgängen, bei denen wir passive Beobachter sind, anwenden läßt. Diese sind ja nicht zufällig die Materie, an der Hume seine Argumente ursprünglich (im „Treatise") entwickelt hat und in Anlehnung an die er auch den Fall willkürlicher Handlungen (im „Enquiry") in seinem Sinne zu interpretieren versucht. In ähnlicher Einstellung ist man weithin in der heutigen Wissenschaftsphilosophie der Humeschen Auffassung von Kausalität gefolgt, weil man sich in erster Linie an den Naturwissenschaften, namentlich der Physik, orientierte. In einer jedenfalls stückweise sehr fortgeschrittenen, d. h. zu geschlossenen Theorien gewisser Phänomenbereiche vorgestoßenen Wissenschaft wie dieser tritt in der Tat an die Stelle einer Rede von „Ursachen" und „Wirkungen" eher die von „funktionalen Zusammenhängen"; und ein Begriff wie „Kraft", wenn er denn überhaupt noch verwendet wird, ist jedenfalls nicht mehr mit der Vorstellung verbunden, daß man ein Ding als das Kraft ausübende (bzw. die Ursache) einem anderen Ding oder einem Vorgang als die Wirkung gegenüberstellen könnte. Tatsächlich scheint allein eine unter gleichartigen Bedingungen in gleicher Weise immer wieder ablaufende Folge von Ereignissen als wissenschaftlich faßbares Ergebnis übrig zu bleiben. Der Begriff der Ursache hat damit — und das ist im Sinne Humes — seinen Platz in der Theorie selbst verloren; aber doch darum nicht in der Wissenschaft überhaupt. Dort nämlich, wo man auf die Situation desjenigen, der Wissenschaft betreibt, verschiedene Theorien entwickelt, vergleicht, anwendet, usw., zurückkommen muß, also dort, wo es um die historischen und pragmatischen Aspekte der wissenschaftlichen F o r s c h u n g geht, hat der Begriff der Ursache weiterhin einen und vielleicht, was die Wissenschaftstheorie anlangt, 21 Hume (1748, sect. VII, I Anm. zu S. 67) weist darauf hin, daß der Rückgriff auf das Gefühl der Anstrengung oder des Widerstandes nur in einem Teil der relevanten Fälle möglich ist.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
seinen einzigen legitimen Platz 22 . In diesem Bereich spielt jedoch auch immer das menschliche Handeln eine wesentliche Rolle. In dem Maße, in dem man gewissermaßen von ihm aus in das Naturgeschehen hineinblickt, ist der Begriff „Kraft" so gut wie der Begriff „Ursache" an seinem Platze und in seinem Sinne verständlich23. Es ist also zwar ein gewisses, aber doch auch wieder nur begrenztes Recht der Humeschen Destruktion der Ideen von Kraft und Kausalität einzuräumen. Nicht richtig ist jedoch die Behauptving, daß diese Begriffe entweder überhaupt keinen empirisch legitimierbaren, oder jedenfalls keinen eigenständigen, d. h. nicht vollständig auf andere Begriffe (wie regelmäßige Abfolge, Kontinuität in Raum und Zeit usw.) reduzierbaren, Sinn hätten. Dieses Ergebnis ist nun deshalb wichtig, weil es zeigt, wieso wir die Frage nach Kräften oder nach Ursachen überhaupt verstehen und stellen können. Unabhängig davon, in welchem Maße es gelingt, in einer von spezifischen Voraussetzungen und Methoden bestimmten Art von Theorien dieser Frage einen Sinn zu geben, hat sie daher ihren Platz und ihre steuernde Wirkung in der wissenschaftlichen Forschung im ganzen. Ihre Verständlichkeit und ihre Selbstverständlichkeit sind es gerade, die jene allenthalben diskutierten Probleme von Kausalität, Gesetzlichkeit, Notwendigkeit usw. als unabweisbar erscheinen lassen. Zuvor war schon verschiedentlich klar geworden, daß irreduzible Phänomene der Erfahrungsbasis sehr wohl Gegenstand von Analyse und Erklärung sein können und im allgemeinen auch sein werden; nun kommt eine weitere Beobachtung hinzu, nämlich daß die Art der unmittelbaren Erfahrungen zugleich auch die Ansätze, Tendenzen und Ziele der Analysen und Erklärungen mitbestimmen kann. Gerade der Begriff ,Kraft' ist eines der wichtigsten Beispiele für diesen Zusammenhang von unmittelbarer Erfahrung und der Eigenart unserer Versuche, diese Erfahrungen zu verstehen. Und daß er in dieser Weise in jenen Bereich gehört, in dem sich Erfahrung und Erklärung überschneiden, ist einer der Gründe dafür, daß es Für eine Durchführung dieses Gedankens kann ich mich auf E. Scheibe, 1969, 1970 und 1971 berufen. 23 In diesem Sinne kann man durchaus die bei den Philosophen für Kausalverknüpfungen üblichen Beispiele interpretieren, so auch die Lockes; in II. xxvi. 1 führt er 2. B. an: Wärme macht Wachs flüssig, oder: Feuer verwandelt Holz in Asche. Wärme und Feuer sind praktisch tatsächlich beherrschbare, anwendbare oder auch nicht anwendbare Bedingungen; ihre Folgen dagegen sind dem frei verfügbaren Handeln nicht unmittelbar zugänglich. Vom Standpunkt einer Theorie her könnte es dagegen sinnvoll sein, die „KausaT'folge gerade umzukehren: von der Energiebilanz her betrachtet, ist die Umwandlung des Holzes in Asche dasjenige, was die Produktion von Wärme und damit die Flamme hervorruft 22
§ 9 Beschreiben und Erklären
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in der Philosophie der Wissenschaft so schwer fällt, seinen Sinn und seine Rolle für die wissenschaftliche Erkenntnis aufzuklären. In ähnlicher Weise liegen auch andere der von Yolton herausgestellten Fälle im Überschneidungsbereich von Wahrnehmungs- und Erklärungsideen, welchem Umstände in der Lockeschen Einteilung wiederum die simultane Zuordnung zu Sensation und Reflexion entspricht. So bezeichnet Locke die Idee ,Existenz' als einfach24 und zugleich als durch jedes aktuell wahrgenommene äußere Objekt und jede aktuell bewußte Idee nahegelegt*5. Nicht nur der jeweils besondere Inhalt von Erfahrungen, sondern audi ihre Unausweichlichkeit ist ein Vorstellungsinhalt; und der letztere ist das, wovon die Erläuterung der Bezeichnungen wie ,es gibt', ,Existenz' usw. ursprünglich auszugehen hat. Die Unabweisbarkeit eines Eindrucks ist das, was uns sagen läßt: da ist wirklich etwas. Auf etwa eine solche Deutung des Wortes ,existieren' scheint sich jedenfalls Locke zu stützen, wenn er argumentiert, daß man sich „auf unbezwingliche Weise einer verschiedenen Wahrnehmung bewußt ist, je nachdem ob man bei Tag die Sonne betrachtet oder bei Nacht an sie denkt, oder ob man aktuell den Geschmack von Wermut bzw. den Geruch einer Rose empfindet, oder bloß an jenen Geschmack bzw. Geruch denkt" 26 . Ohne in unserem Zusammenhang das von Locke hier angeschnittene Problem des Idealismus diskutieren zu wollen oder zu müssen, dürfen wir aus dieser Stelle entnehmen, daß man nach Lockes Überzeugung demjenigen, der verstehen soll, was mit ,existieren' gemeint ist, jedenfalls nicht mit Umschreibungen dieses Wortes zum Ziel verhelfen kann, sondern ihn in dessen Gebrauch an Hand der von Locke hier herangezogenen Unterschiede zwischen bestimmten Erfahrungssituationen einführen muß. Von hier aus kann dann auch ein abgeleiteter Sinn von ,Existenz', z.B. in der Mathematik (tertium comparationis: unabweisbarer Aufweis oder etwas Vergleichbares), eingeführt werden. Mit derartigen (vermutlich für sich bereits — worauf es hier aber nicht ankommt — kontroversen) Andeutungen fängt natürlich die Explikation eines so allgemeinen und tiefliegenden Begriffes wie ,Existenz' erst an. Aber die These Lockes würde auch nur sein, daß schon die Aufgabe einer solchen Explikation, der Gegenstand aller zu fordernden Analysen nicht zu fassen 24 II. vii. i. 25 II. vii. 7. 26 „... I ask any one, Whether he be not invincibly conscious to himself of a different perception, when he looks on the sun by day, and thinks on it by night; when he actually tastes wormwood, or smells a rose, or only thinks on that savour or odour?" IV. ii. 14.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
sein würde, wenn man nicht in einer unmittelbaren Weise die Idee ,Existenz' vorweisen könnte. Darum ist sie „einfach" zu nennen. Und wie bei ,Kraft' gilt auch hier, daß eine solche Idee nicht nur selbst weiteren Untersuchungen unterworfen werden kann, sondern auch Untersuchungen anderer Gegenstände herausfordert und leitet. Die Fragen, was für Arten von Dingen e s in einem bestimmten Felde der Untersuchung g i b t , aus welchen Teilen ein vorgelegter Gegenstand b e s t e h t und ähnliche mehr, stellen geläufige Leitlinien des Forschens dar; in d i e s e m (durchaus kontroversen) Sinne des Wortes enthält jede Wissenschaft ein Stück „Ontologie"; und Existenzhypothesen verschiedenster Art können zu den tiefer liegenden Aussagen eines theoretischen Erklärungssystemes gehören. Vergleichbare Überlegungen lassen sich für die Idee ,Einheit' ausführen. Als unentbehrlicher Begriff der Mathematik hat sie ebenso verbreitete und tiefliegende Erklärungsfunktionen wie der Begriff ,Existenz', gehört sie ebenso zum Grundarsenal des logisch-mathematischen Apparats, also zum Kernbestand wissenschaftlicher Erkenntnismittel. Gerade die Anwendbarkeit und Brauchbarkeit dieses theoretischen Apparats hängt aber daran, daß er einer empirischen Interpretation fähig ist; und dies gilt insbesondere für die Zahlen. Man muß also empirisches Zählen lernen können. Das aber heißt zumindest: mit einer Wendung wie der „da ist eines, und dort ist noch eines" muß unmittelbare Anschauung verbunden werden können. Und nur die Verknüpfung dieser empirischen Idee von ,Eins' mit dem Begriff der Eins im gesamten mathematischen Apparat kann zugleich den Zusammenhang und den Wirklichkeitsgehalt des erstrebten theoretischen Verständnisses von Erfahrungen garantieren, die wir durch jenen Apparat besser verstehen und besser beherrschen lernen wollen. Die Überlegungen an Hand dieser herausgegriffenen Beispiele haben nunmehr auch zur Antwort auf die zu Eingang dieses Abschnitts aufgeworfenen Fragen und Einwände geführt: Es ist entgegen der Annahme Yoltons nicht berechtigt, im Bereich von Lockes einfachen Ideen der Erfahrungsbasis „sinnliche" und „erklärende" einander entgegenzustellen. Um diese Entgegensetzimg zu rechtfertigen, bedürfte es vielmehr bereits einer fortgeschrittenen Objekttheorie der Wahrnehmung, die deren einfache Elemente als Bausteine komplexer Erfahrungen, ζ. B. relationaler Art, aufweisen könnte. Es spricht nun aber alles dafür, daß gerade eine solche Theorie gewisse in ihrem Sinne komplexe und hochstufige Vorstellungen unbefragt als verständlich voraussetzen müßte. Wenn das aber so ist, erweist sie sich eben dadurch nicht als die erstrebte philosophisdie Besinnung auf die Grundlagen
§ 9 Beschreiben und Erklären
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der Erkenntnis, sondern verwendet diese Grundlagen vielmehr, ohne sie als solche sichtbar zu machen. Die Verflechtung von Erfahrung und Verstehen bedeutet natürlich zugleich die von Beschreibung und Erklärung. Es darf also in Lockes Lehre von den Grundlagen der Erfahrung nicht die Vorstellung hineingelegt werden, daß es einen Vorrat von Basisideen gäbe, der schlechthin bloß deskriptive Funktion habe und von jeder möglichen Erklärung oder Theorie getrennt gehalten werden könne, bzw. daß man von einer „Beobachtungssprache" auszugehen habe, die in sich vollständig wäre, so daß man gewissermaßen nachträglich und in unabhängiger Weise eine theoretische Sprache über ihr errichten könnte. Vielmehr können schon innerhalb des Bereichs der Basisideen Fragen gestellt und Erklärungen gegeben werden, oder umgekehrt: es können in hochstufigen theoretischen Erklärungen Begriffe verwendet werden, die in ihrer Bedeutung nicht nur durch ihren Platz im Gefüge der Theorie festgelegt sind, sondern z u g l e i c h audi in Beziehung auf unmittelbare Erfahrungen, und zwar derart, daß man ihre Erklärungskraft gerade wegen dieser ihrer Doppelrolle so hoch einschätzt. Solches trifft etwa für Begriffe aus den Phänomenbereichen Raum, Zeit, Zahl, für .Existenz', ,Kraft' und ähnliche zu. Wäre der Sinn, den wir in theoretischen Erklärungen mit diesen Begriffen verbinden können, allein durch ihre logische Rolle im System bestimmt, würden wir diese Theorien vermutlich nicht für verständlich halten; wahrscheinlich könnten sie nie entwickelt werden. Mit den vorangehenden Bemerkungen möchte ich zwar nicht ausschließen, daß man prinzipiell auch bloß abstrakt konstruierte Theorien als Instrumente für Prognosen entwickeln und mit Erfolg verwenden könnte; aber der faktische Zustand unserer Wissenschaften von der Erfahrungswirklichkeit, auch der am weitesten entwickelten, ist nicht dieser. Keine der praktisch relevanten Theorien hat ausschließlich den Charakter eines mehr oder minder komplizierten logischen Instruments zur Erstellung von Prognosen; für die tatsächlich bisher gelungene Forschung gilt, daß ihre theoretischen Modelle nicht bloß eine ,black box' sind, deren innere Konstruktion zwar logisch bzw. mathematisch beherrschbar, aber in keiner Weise mehr direkt interpretierbar und verständlich wäre. Sollte diese Kennzeichnung unserer Erkenntnislage aber zutreffend sein, so würde sie belegen, was ich in diesem Abschnitt vornehmlich zeigen wollte, daß nämlich ein empiristischer Ansatz wie der Lockes nicht nur keinen Widerspruch mit den heutigen Einsichten in den System-Charakter aller Erkenntnis einschließt, sondern ihnen auf seine (freilich im Detail vielfach unzulängliche) Weise von vornherein gerecht wird.
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Teil II: Der Empirismus der Ideen
Daß Locke zumindest einen Teil seiner einfadien Ideen nicht nur in der Rolle uns unmittelbar zugänglicher Vorstellungen, sondern zugleich audi in der Rolle von Prinzipien wissenschaftlicher Erklärung, ja a l l e r wissenschaftlichen Erklärungen überhaupt gesehen hat, wird durch die Auswahl von einfachen Ideen belegt, die er unter den besonderen Titel „originale Ideen" gebracht hat 27 . Eben hier finden wir .Ausdehnung', ,Dauer', ,Zahl', ,Existenz', dazu .Festigkeit' und schließlich die Idee der Kraft in den Variationen ,Kraft zu bewegen', ,Kraft bewegt zu werden' und ,Kraft der Wahrnehmung oder des Denkens'28 wieder. Von allen diesen Ideen hatte er zuvor klar gemacht, daß sie zu den unmittelbar zugänglichen Grundlagen unseres Ideensystems gehören; nun zeigt er sie in einer neuen Funktion im Rahmen unserer Erkenntnis im ganzen. Die restlichen Ideen der Erfahrungsbasis sind nunmehr aber nicht, weil ex hypothesi aus den originalen Ideen erklärbar, etwa im Prinzip entbehrlich geworden; sie bestimmen vielmehr, w a s erklärt werden soll. Locke kommt ausdrücklich auf die sekundären Qualitäten, unter ihnen auf die einfadien Farben ,gelb' und ,weiß' als Beispiele, zu sprechen. Erklärt werden sollen also in erster Linie die unmittelbar gegebenen Phänomene. Daß nun gerade die von Locke getroffene Auswahl der originalen Ideen die gewünschte Erklärung leisten soll, bedürfte natürlich eingehender Begründung und Diskussion, die sich mit Lockes Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten auseinanderzusetzen hätte. Das kann hier nicht geschehen 29. Immerhin mag so viel schon deutlich sein, daß jener Unterschied mit dem Unterschied der Erklärungsleistung verschiedener Ideen verbunden ist. Und welchen Ideen eine hohe Erklärungsleistung zukommt, war für Locke durch die neue mathematische Naturwissenschaft vorgezeichnet. Ein heute aufzustellender Katalog von Grundbegriffen der Physik würde eine gewisse Verwandtschaft mit Lockes Liste nicht verleugnen können, und er würde gerade auch jene Art von Begriffen in erster Linie enthalten, die einerseits eine direkt zu vermittelnde Bedeutung haben und die anderer27 I I . x x i . 7 5 . 28 Diese drei Varianten der Idee ,Kraft* entsprechen den drei Erfahrungsphänomenen, die Locke darlegt: wir können selbst wollend Bewegungen ausführen; Körper können durch Einwirkung in Bewegung gesetzt werden; wir können unsere Aufmerksamkeit auf etwas Wahrnehmbares oder auf bestimmte Gedanken richten und diese dadurch selbst lenken. 29 Dieses Thema wird später wieder in den §§ 15 und 18 aufgegriffen; dabei wird sich zeigen, daß die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten besser nicht als absolut und unveränderlich angesehen werden sollte (was übrigens der Kritik Berkeleys entgegenkäme).
§ 9 Besdireiben und Erklären
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seits in ihrer Bedeutung in vielfacher Weise durch die Stellung in Theorien mitbestimmt werden. Unter anderem auch an den einfachen und zugleich originalen Ideen wird deutlich, daß Lockes Erkenntnistheorie keine spekulative Erweiterung einer aus irgendwelchen Gründen für fundamental angesehenen empirischen Wissenschaft zum Zwecke der „Erklärung" der Existenz und Eigenart menschlicher Erkenntnis ist, und ebenso wenig umgekehrt der Versuch, die empirischen Wissenschaften von der äußeren oder auch inneren Wirklichkeit in einem Sensualismus oder Phänomenalismus aufzulösen. Es ergibt sich vielmehr, wie schon früher angemerkt, eine Verschränkung von Epistemologie und Objektwissenschaft: die letztere kann die unmittelbaren Gegebenheiten der Erfahrung durchaus analysieren und in diesem Sinne auch erklären. Aber dieses Unternehmen darf nicht im Sinne eines unreflektierten Objektivismus mißverstanden werden; denn jede Wissenschaft von Objekten ist nur im Rückgriff auf gewisse unmittelbare Erfahrungen verständlich und sinnvoll. Das Wissen im g a n z e n umfaßt sowohl den Gegenstand in seinem ihm eigenen Zusammenhang als auch die besondere Art und Weise, in der wir von ihm Kenntnis erlangen.
Teil III: Der Aufbau des Ideensystems § 10:
Über die Bildung komplexer
Ideen
Die Frage nach einem empiristisch akzeptablen Aufbau des Ideensystems läuft auf die Frage hinaus, welche ideenbildenden Tätigkeiten des Verstandes legitim sind und welche nicht. Im Gegensatz zu dem Vorwurf Yoltons, daß Locke keine Antwort auf diese Frage erkennen lasse, wird Locke unter dem Titel „Konstruktivismus" das Programm einer sukzessiven und effektiven Rekonstruktion aller empirisch bedeutungsvollen Ideen und Verstandesoperationen zugeschrieben .
Üblicherweise wird der Unterschied zwischen der empirischen Basis und dem über ihr zu errichtenden Gebäude von Ideen und Erkenntnissen so gedeutet, als handele es sich dabei um den Unterschied von etwas, was in jeder Hinsicht „gegeben" und daher schlechterdings „passiv" hinzunehmen ist, und etwas, was aus diesem Material unter Anwendung geistiger Fähigkeiten gebildet werden kann. Es ist bisher sowohl im Hinblick auf Locke wie auch auf die Sache ausführlich davon die Rede gewesen, inwiefern die hierbei verwendete Vorstellung von der Basis anfechtbar ist, und in welcher Weise sie umgebildet werden muß, wenn sie dem Phänomen der Erfahrung und zugleich dem Grundgedanken des Empirismus angemessen sein soll. Es mußte zugestanden werden, daß menschliche Aktivität schon in die Basis eingeht, und zwar nicht nur als Aufmerksamkeit, also als bewußte und gewollte Konzentration des rezeptiven V e r h a l t e n s s o n d e r n in Gestalt epistemologisch relevanter Operationen, z.B. des Abstrahierens. Die von Locke hinsichtlich der einfachen Ideen herausgestellte Passivität konnte jedoch auf die Einschränkungen bezogen werden, die sich aus der Ausstattung des Menschen mit bestimmten Sinnesorganen und bestimmten Erlebnis- und Denkfähigkeiten ergeben und die dem, was als primäre Erfahrung unserer Erkenntnis zugrunde gelegt werden kann, enge Grenzen ziehen. Durch das Einbeziehen erkennender Aktivität in die Basis wurde der Begriff von ihr wesentlich erweitert. Das Ziel der Betrachtung lag gerade darin, diese Er1 Die willentliche Aktivität des Aufmerkens und ihre vergleichsweise akzidentelle Bedeutung für die Erkenntnis behandelt Locke ausdrücklich in IV. xiii.
§ 10 Über die Bildung komplexer Ideen
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Weiterung als notwendig, aber auch als berechtigt zu erweisen, und überdies
als bei Locke bereits vorgezeichnet.
In diesem Abschnitt wird nun die zur Vorstellung von der Basis korrelative Vorstellunng von der Tätigkeit, mittels deren das Gebäude der weiteren Ideen und Erkenntnisse über ihr errichtet werden soll, des näheren kritisch zu betrachten sein. Dabei wird die Aufgabe zu der bisher verfolgten in dem Sinne gegenläufig sein, daß es darum gehen muß, zu unbestimmte und umfassende oder zu frei schwebende Konzeptionen gewissermaßen durch die Verankerung im Boden der Erfahrung einzuschränken. Die Aktivität des Erkennenden, die in die Basis eingeht, kann einem Empiristen insofern für unverdächtig gelten, als sie durch die unmittelbare Brauchbarkeit ihrer Produkte, der gebildeten Ideen bzw. der verständlich und verbindlich vermittelten Bedeutungen, kontrolliert wird. Die Vorstellung ,rot' ist im besprochenen Sinne einfach und in einem später (§§ 14, 19) wenigstens noch teilweise zu verdeutlichenden Sinne allgemein; wegen ihrer unmittelbaren Verknüpfung mit Erfahrungen und ihrer potentiellen Anwendbarkeit auf neue Erfahrungen unterliegt ihre Bedeutung und ihre Berechtigung keinem Zweifel und insoweit auch nicht die Existenz und die Sinnhaftigkeit aller geistigen Operationen, die zu ihrer Ausbildung beitragen mögen. Auf diesem Felde scheint der Erkennende ja sogar in dem Maße von unabweisbaren Eindrükken geführt zu sein, daß der Erkenntnistheoretiker die involvierte Tätigkeit nur allzuleicht übersehen kann. Nun reicht aber der Aktionsradius der ideenbildenden Tätigkeit des Menschen offenkundig weit über die Basis hinaus, mithin auch weit hinaus über jene Kontrollmöglichkeiten, die im Bereich der bona fide durch Erfahrungen zu interpretierenden Wörter zur Verfügung stehen. Und wo die geistige Aktivität gar nicht unbemerkt bleiben kann, ζ. B. bei der Bildung willkürlicher, so noch nie erfahrener Komplexe erfahrener Ideen, erhebt sich sogleich die Frage nach Sinn und Berechtigung der Produkte jener Aktivität; und mit dieser Frage zugleich der Verdacht, daß man im Felde freier Ideenbildung unversehens wieder in jene vagen und bedeutungslosen Reden und jenen Mißbraudi der Sprache zurückfallen könnte, von denen loskommen zu wollen gerade ein maßgebliches Motiv für den empiristischen Ansatz gewesen war 2 . Der Verdacht wird umso lebhafter sein, je größer und unübersichtlicher dieses Feld ist; und es erstredet sich, wie auch Locke betont, „unendlich weit über das hinaus, womit Sensation oder Reflexion den Geist versehen 2
Vgl. § 1, bes. Anm. 6.
106
Teil I I I : Der Aufbau des Ideensystems
haben" 3 . Wir können mit den Mitteln unserer Sprachen unbeschränkt viele Ausdrücke bilden, und dies nicht nur der Zahl nach, sondern — allem Anschein zufolge — auch im Hinblick auf die qualitative Vielfalt der mit ihnen verbundenen Vorstellungen. Bei dieser Sachlage scheint wenig Aussicht darauf zu bestehen, ähnlich wie bei der Erfahrungsbasis eine Typologie der möglichen I d e e n zu versuchen. Um bedeutungsvolle von bedeutungsloser Rede zu unterscheiden, wird man vielmehr versuchen müssen, von den O p e r a t i o n e n der Bildung neuer Ideen her Richtlinien anzugeben, mit deren Hilfe sich die erstrebte Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Ausdrücken immer weiter extrapolieren läßt; es geht also um einen Überblick über die geistigen Fähigkeiten des Menschen. Je nach der Legitimität der ideenbildenden Operationen würden dann auch ihre Produkte als legitim, d. h. bedeutungsvoll und erkenntnisbildend, angesehen werden dürfen und müssen. Welche Operationen sind nun aber „legitim" und welche nicht? Das Problem scheint, soweit es Locke betrifft, darin zu bestehen, daß er in dieser Frage hoffnungslos vage geblieben ist. Yolton formuliert dies einmal so: „Was er (sc. Locke) in keiner irgendwie systematischen Weise geleistet hat, ist die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Prozessen, die zur Erzeugung verschiedener Ideen beitragen."4 Yolton gelangt von dieser Beobachtung zur Formulierung eines Dilemmas der Locke-Interpretation: „Wenn Locke die Erfahrung auf Sinneswahrnehmung und Introspektion beschränkt, dann hat er nicht gezeigt, wie alle Ideen aus der Erfahrung abgeleitet werden. Wenn wir jedoch die Ausdehnung dieses Erfahrungsbegriffes zulassen, derart, daß er jegliche Handlung des Geistes einschließt, dann wird offenbar jeder beliebige geistige Inhalt zur Erfahrung gehören."5 Mit anderen Worten: Weil über die Unterscheidung epistemologisch zulässiger und unzulässiger Verstandesoperationen von Locke nichts gesagt wird, ist sein Empirismus (und zwar schon der Empirismus der Ideen, den der Aussagen einstweilen dahingestellt) entweder falsch oder trivial — falsch, weil die Ideen der Basis den indefinit großen Vorrat der Ideen bei weitem nicht ausschöpfen, bzw. trivial, weil Locke dann nicht m e h r gezeigt haben würde, als daß „alle Ideen (zeitlich) n a c h Erfahrungen entstehen, d. h. nachdem der 3 „ . . . the mind has great power in varying and multiplying the objects of its thoughts, infinitely beyond what sensation or reflection furnished it with: . . I I . xii. 2. * Yolton 63, S. 48. 5 „If Locke restricts experience to sensation and introspection, then he has not shown how all ideas are derived from experience. But if we allow the extension of this concept of experience to cover any act of the mind, then clearly any mental content will be experiential." A . a. O., S. 50.
§ 1 0 Über die Bildung komplexer Ideen
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Organismus auf die Umwelt gestoßen und zu neurophysiologischer und geistiger Aktivität angeregt worden ist", wozu die Gegenposition allein noch die Lehre von den angeborenen Ideen wäre 6 ; und daß darin eine starke Verkürzung der Lockeschen Absichten läge, haben wir schon gesehen7. Ist es richtig, daß Locke hinsichtlich der Verstandesoperationen so vage geblieben ist, daß dadurch seine Theorie zur unspezifischen Antithese der Angeborenheitsthese verwischt wird? Yolton präzisiert seinen Vorwurf in der Weise, daß er die fragliche Unbestimmtheit Lockes im Begriff „Reflexion" konzentriert: „Die zentrale Mehrdeutigkeit in seinem Programm ist die Natur der Reflexion und ihre Rolle bei der Ableitung von Ideen. Wir haben gesehen, daß ihr eine doppelte Rolle zugeteilt wird: sie gibt uns introspektive Gehalte, aber sie enthält auch eine Fülle von geistigen Operationen über die Introspektion hinaus."8 Und eben diese zweite Rolle der Reflexion, in der sie als Prinzip geistiger Tätigkeit auftritt, werde von Locke nicht ausdrücklich behandelt und in erkennbarer Weise eingegrenzt9. Die Forderung, daß eine Abgrenzung der legitimen oder bedeutungsvollen Geistestätigkeit angegeben werden muß, ist der durchaus treffende Punkt an Yoltons kritischer Betrachtung; im übrigen ist sie aber gerade so formuliert, daß sie die einzige von Lodce vorgesehene Art, wie man ihr gerecht werden könnte, unerkennbar macht. In § 6 ist bereits dargestellt worden, in welcher Weise die verbreitete Tendenz, in der Reflexion nicht nur eine Quelle von Ideen, ein Quasi-Sinnesorgan („internal sense"), sondern zugleich die Instanz erkennender T ä t i g k e i t z u sehen, den Lockeschen Ansatz verfälscht, und zwar vorzugsweise in der Richtung, daß Sinneswahrnehmung und Reflexion als gegensätzliche, aber stets zusammenwirkende Prinzipien dem Kantischen Begriffspaar „Rezeptivität" und „Spontaneität" angeglichen werden. So scheint auch Yolton ganz folgerichtig von dieser Tendenz nicht frei zu sein, wenn er etwa sagt: „Streng genommen kommt nach Lockes Programm keine Idee aus der Erfahrung, da Ideen aller Arten die Erfahrung bilden oder konstituieren."10 Bei den verschiedenen Arten von * a. a. O., S. 48 und 49. 7
Vgl. § 3 und Anm. 43 zu § 7. 8 Yolton 63, S. 49. 9 Yolton (a. a. O., S. 49, Anm. 5) verweist zur Begründung auf eine Arbeit von P. J . White, die einen Überblick über die Fülle der Termini verschafft, mit denen Locke die Bildung von Ideen beschreibt. Unter diesen findet sich in der Tat audi der Ausdruck ,to reflect'. Was hiermit im Zusammenhang der Ideenbildung gemeint ist, muß jedoch von Reflexion als Q u e l l e von Ideen sorgfältig unterschieden werden; dazu vgl. man § 6 und den folgenden Text. 10 „In strictness, then, no idea c o m e s f r o m e x p e r i e n c e on Locke's programme
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Teil I I I : Der Aufbau des Ideensystems
Ideen denkt er hier u. a. wieder an die von mir schon zu Beginn des § 9 zitierten „sinnlichen" und „erklärenden" Ideen. In dieser Darstellung bleibt nun aber nicht nur die Frage nach der Abgrenzung des Bereiches legitimer komplexer Ideen offen, sondern überdies die schon davor liegende Frage, wie denn überhaupt die Bedeutung irgendeiner komplexen Idee vom Typ der „erklärenden" gesichert werden soll. Denn diese werden von Yolton sinngemäß als solche gekennzeichnet, die nicht „ von der Erfahrung abgeleitet" sind; vielmehr werden sie „vom Geist konstruiert, wenn er mit spezifischen Arten von Erfahrungen konfrontiert wird", und zwar „konstruiert zum Zwecke von", nämlich um des Zieles willen, sich die Erfahrungen verständlich zu machen. Yolton sagt sogar: „Sie könnten auch als die Kategorien, die den Bewußtseinsinhalt strukturieren, bezeichnet werden." 11 Was sichert nun — so muß im Sinne des empiristischen Ansatzes gefragt werden — , daß die vom Geist selbst und obendrein zu seinen Zwecken gebildeten Ideen bedeutungsvoll sind, also wirklich etwas „erklären" können? Die im vorigen Paragraphen für Basisideen sdion diskutierte Frage tritt nun im Felde der komplexen Ideen noch einmal auf. Kant, auf den hin die Interpretation nicht nur implizit, sondern bei Yolton offenkundig auch in der Wahl der terminologischen Anspielungen orientiert ist, hat eine Antwort auf die eben gestellte Frage bereit: die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. Nach seiner Vorstellung hat die Vernunft das Ihre, „das reine Denken", gewissermaßen offen vor sich liegen 12 ; speziell wird der Verstand als das „Vermögen zu urteilen" aufgefaßt 13 und aus den Grundformen jeglichen möglichen Urteilens ergeben sich die Kategorien als jene Grundbegriffe, ohne die keine Erkenntnis von Objekten und keine wissenschaftliche Erklärung möglich ist. Die Bedeutimg 14 dieser erklärenden Begriffe, ja jeglicher Erklärung als soldier, leitet sich nach Kants Theorie aus dem reinen Verstände her. Nun ist klar, daß Locke gerade eine solche Rechtfertigung von NichtBasisideen nicht akzeptieren würde; und Yolton hebt dementsprechend hervor, daß all das bisher in seiner kritischen Darstellung Berichtete nicht besince it is ideas of all sorts which m a k e u p or constitute experience." a . a . O . , S. 50. 11 Alle Stellen a. a. O., S. 50. 12 Kant 1 7 8 1 , S. X I V . υ Kant 1 7 8 1 , S. 69 bzw. 1787, S. 94. 14 Kant spricht statt von „Bedeutung" meist von „objektiver Realität"; seine Formulierungen lassen jedoch erkennen, daß mit dem Nachweis der objektiven Realität der Kategorien oder der Anschauungsformen diesen ihre „Bedeutung" verschafft werden soll; 2. B. a. a. O., § 13.
§10 Über die Bildung komplexer Ideen
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sagen solle, Locke habe behauptet, daß die Erfahrung in dieser Weise strukturiert sein m u ß " , oder er habe versucht, eine „transzendentale Deduktion universeller und notwendiger Kategorien zu geben" 15. Was tritt aber dann an die Stelle der apriorischen Konstruktion Kants, das die Verständlichkeit und die Realbedeutung komplexer Ideen (die nicht selbst schon als solche der Erfahrung entnommen sind), insbesondere erklärender Ideen, sicherstellen könnte? Eine Antwort läßt sich nur geben und wenigstens ein Zugang zur Frage nach der Abgrenzung der legitimen komplexen Ideen nur dann ofien halten, wenn die Reflexion in ihrer von Locke gedachten und durchaus e i n d e u t i g e n Rolle erkannt wird. Es mag und muß allenthalben in der Erkenntnis, wenn schon innerhalb der Basis, so a fortiori außerhalb ihrer, eine geistige Aktivität des erkennenden Menschen angenommen werden; aber sie tritt nicht unter dem Titel „Reflexion" n e b e n die besondere Tätigkeit der Introspektion, sondern eben die letzte richtet sich beobachtend auf a l l e anderen. Und insofern sie Beobachtung ist, ist sie nicht mehr und nicht weniger eine Tätigkeit als die äußere Wahrnehmung auch; sie ist es nämlich nicht in dem stärkeren Sinne, in dem gewisse andere Operationen, die Ideen erzeugen, aktiv sind, sondern nur in dem bescheidenen Sinne, daß sie bewußt und mit Aufmerksamkeit ausgeführt werden muß, wenn sie denn wirklich „Wahrnehmung» sein soll. Die Verstandestätigkeit führt zwar zur Bildung immer neuer Ausdrücke und zur Kombination immer neuer Ideen; aber sie kann deren Bedeutung nicht garantieren. Daher wird der Verstand von Locke auch nicht als eine dritte „ Q u e l l e von Ideen" neben die beiden anderen gestellt, die das Material zu allen Ideen liefern. Das „Material" zu liefern, heißt nämlich zugleich, die wenigstens mögliche reale Anwendung der Ideen, ihre inhaltliche Erfülltheit (im Gegensatz zur verbalen Leere) sicherzustellen. Wie schon bei der Betrachtung der empirischen Basis deutlich wurde (§ 6), war die Reflexion unentbehrlich, wenn nicht ein wesentliches Stück der Basis, nämlich alles das, was wir mit psychologischen Termini im weitesten (epistemologische Ausdrücke einschließenden) Sinne dieses Wortes bezeichnen, fehlen bzw. ohne empirische Rechtfertigung bleiben sollte. Jetzt zeigt sich zusätzlich die Unentbehrlichkeit der Reflexion für den weiteren Aufbau des Ideensystems, weil die komplexen Ideen nicht unmittelbar, sondern aus der Art, wie sie zusammengesetzt werden, ihre Bedeutung erhalten und diese Art der Zusammensetzung selbst deshalb erst einmal eine Bedeutung haben muß. Diese aber erhält sie nur dadurch, daß gewisse Ope15 Yolton 1963, S. 51.
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Teil III: Der Aufbau des Ideensystems
rationell des Verstandes unmittelbar aus der Erfahrung ihres Vollzuges verständlich gemacht werden können. Ein berechtigter Einwand drängt sich vom heutigen Standpunkt aus an dieser Stelle auf: Wie soll gerade die Reflexion, verstanden nunmehr eindeutig als beobachtende Introspektion, die Bedeutung solcher Operationen, wie sie bei der Bildung neuer Ideen vollzogen werden, klar machen können? Faßbar werden sie doch erst im sprachlichen Medium und sinnvoll allein in einer intersubjektiv verbindlichen Fixierung. Die Einschränkung Lockes auf die Selbstbeobachtung innerer Vorgänge bzw. Tätigkeiten erscheint hier eindeutig als ein Mangel. Mit diesem Einwand wird ein Problem angeschnitten, das ziemlich allgemeiner Natur ist und das in ein Gebiet gehört, wo sich Erkenntnistheorie und philosophische Psychologie oder „philosophy of mind" überschneiden. Um die Allgemeinheit des Problems zu bemerken, braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, daß das Erkennen jeglichen bewußten Prozesses, ζ. B. auch schon eines Wahrnehmungsvorganges, als eines wohlbestimmten und explizit n a m h a f t zu machenden16 mehr erfordert als bloße innere Erfahrung. Diese für sich genommen mag sehr wohl ein strukturiertes Feld von Phänomenen mit ihren Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten enthalten, aber etwas davon als dieses oder jenes intersubjektiv so oder anders zu Bezeichnende zu identifizieren, setzt zugleich äußere Kriterien voraus. Ohne daß man die inneren Erfahrungen bzw. die ihren Inhalt ausmachenden Empfindungen, Operationen, Gedanken usw. mit äußeren Vorgängen und Situationen verknüpft, läßt sich der Gebrauch von sprachlichen Zeichen, die Reflexionsideen bezeichnen, so wenig erlernen, geschweige denn verläßlich stabilisieren, wie der irgendwelcher anderer sprachlicher Zeichen 17 . Diese Bemerkung ist natürlich, mehr noch als bei Empfindungen und Ähnlichem, bei erkenntnistheoretisch relevanten Operationen von Wichtigkeit; diese sollen ja in eminentem Maße eine objektive, für alle Mensdien gleiche Bedeutung erhalten. Hier wird bei Locke, wie überhaupt in der ganzen Subjektivitätsphilosophie der Neuzeit von Descartes bis Husserl, die ungeprüfte Voraussetzung einer intersubjektiven Gleichartigkeit nicht nur der äußeren, sondern auch der inneren, seelischen und intellektuellen, Kon16 Vgl. die Betrachtungsweise von § 5. 1 7 In neuerer Zeit ist das Problem rein „innerer" und privater Vorstellungen, besonders im Anschluß an Wittgensteins „Philosophische Untersuchungen", verbreitet diskutiert worden. Ich gehe davon aus, daß die Kritik Wittgensteins an der cartesisdien Innerlichkeit berechtigt, und daß eine Kritik dieser oder ähnlicher Art an der traditionellen Vorstellung w o h l b e s t i m m t e r und zur Mitteilung an andere geeigneter privater Ideen unvermeidlich ist.
§ 10 Uber die Bildung komplexer Ideen
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stitution aller Menschen allzu selbstverständlich beansprucht. Die epistemologisdie Basis wird einseitig ins Individuum verlegt, das darum an der einen invarianten Vernunft fraglos teilnehmen muß, während wir doch die Basis aller Erkenntnis, also das, worauf die erkenntnistheoretische Analyse letztlich führen müßte, in der sprachlich artikulierbaren Gemeinsamkeit vieler Individuen finden18. Wenn man nun aber auch konzedieren muß, daß Lockes Darstellung in diesem Punkt ganz inadäquat ist, so bleibt doch so viel an ihr sinnvoll, daß o h n e Selbstbeobachtung die Bedeutung der Reflexionsausdrücke nicht verständlich, also die Gewinnung von Reflexionsideen unmöglich wäre. Man versteht hier nur, wenn man weiß, was es heißt, s e 1 b s t zu sehen, zu empfinden usw. Und dies gilt auch, so lautet Lockes Theorie, für die ideenbildenden Operationen: man muß sich s e l b s t etwas dabei denken. Erst die Realisation des symbolischen Gehaltes ζ. B. logischer Operationen im jeweils eigenen Verstände gibt diesen einen Sinn. Es mag bei einem Phänomen wie Schmerz leichter einzusehen sein, daß der nie wissen wird, was Schmerz' bedeutet, der nidit selbst schon Schmerzen empfunden und das Gefühl von anderen Gefühlen, ζ. B. Hunger, zu unterscheiden gelernt hat. Aber von hier aus kann man sich wohl den Sinn und die Plausibilität von Lockes These erschließen, daß etwas Entsprechendes auch für intellektuelle Operationen gilt: ohne die bewußte Reflexion auf das, was man jeweils selbst dabei tut, wenn man sie ausführt, würde man nicht in die Lage kommen, die Bezeichnungen für diese Operationen zu verstehen und adäquat zu verwenden. Nachdem auf diese Weise noch einmal unterstrichen worden ist, daß die Reflexion (in dem wohlbestimmten Sinne einer Erfahrungsquelle) notwendig, wenn audi nicht hinreichend für die empiristische Konstruktion der Ideenbildung ist, kann die These, daß Locke bei der Abgrenzung der komplexen Ideen ganz vage geblieben sei, in einer, wie ich meine, korrekteren Fassung wieder aufgegriffen werden: Nicht der Begriff der Reflexion selbst ist mehrdeutig, wohl aber ist das, was die Reflexion zur Kenntnis gibt, in seiner Vielfalt von Locke nur vage angedeutet, und der Bereich derjenigen Operationen, die zu legitimen, d.h. möglicherweise erkenntnisbildenden Ideen führen, ist nicht abgegrenzt. Die Lage, in der wir uns diesem Einwand gegenübersehen, ist aber jetzt eine andere, insofern aus der Diskussion der 18 In engem Zusammenhang mit diesem Problem, das durch die ausschließliche Verlegung der Erkenntnisgrundlagen ins Individuum aufgeworfen wird, stehen die vornehmlich in § 19 noch zu besprechenden Schwierigkeiten, die sich einstellen, wenn man mit Locke die Gegebenheit allgemeiner Ideen nicht ausdrücklich auf die intersubjektive Sprachbasis bezieht, sondern ganz in der i n d i v i d u e l l e n Erfahrung „einfacher Ideen" ansiedelt.
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Teil I I I : Der Aufbau des Ideensystems
Rolle der Reflexion wenigstens eine Anweisung hervorgeht, wie man im Sinne Lockes versuchen muß, ihm zu begegnen. Ein erster Anlauf hierzu kann folgendermaßen gemacht werden: Die Reflexion ist dadurch bestimmt, daß sie uns unseren eigenen Verstand bei der Ausübung seiner Tätigkeit vor Augen stellt. Genau dieser Punkt, daß es sich bei dem, was zu allen unseren neu gebildeten komplexen Ideen führt, um unsere e i g e n e n Fähigkeiten handelt, ist ein Punkt, den Locke immer wieder in seine Formulierungen aufnimmt. In dem Kapitel, in dem die komplexen Ideen zum ersten Male thematisch sind, lautet eine Formulierung: „ · » · sogar jene großen und abstrakten Ideen (gemeint: solche, die am weitesten von der unmittelbaren Erfahrung abliegen) werden von der Sinneswahrnehmung und der Reflexion abgeleitet und sind nichts anderes, als was der Geist . . . . d u r c h d e n g e w ö h n l i c h e n G e b r a u c h s e i n e r e i g e n e n F ä h i g k e i t e n erreichen kann und erreicht."19 Was verbirgt sich hinter dieser von Locke an der zitierten Stelle nicht weiter erläuterten allgemeinen Kennzeichnung? Ich sehe keine entsprechende und ebenso allgemeine Parallele, die man zur Erläuterung heranziehen könnte, als jenen Begriff von Vernunft, den Locke in IV. xvii und IV. xviii entwickelt. Zunächst einmal hat er die relativ enge technische Bedeutung eines Vermögens, zu schließen oder auch geeignete Zwischenstücke für regelrechte Schlüsse zu entdecken20. Dann wird er jedoch von Locke verallgemeinert, damit er bei der Abgrenzung des menschlichen Erkenntnisvermögens in religiösen Fragen als zusammenfassende Gegeninstanz zum Begriff „Glauben" tauglich wird 2 1 . Sache des Gaubens sind Dinge, die übernatürlich und nur durch die Offenbarung Gottes zugänglich sind. Unter „Vernunft" wird dementsprechend hier alles zusammengefaßt, was zu den n a t ü r l i c h e n Fähigkeiten des Menschen gehört; zu Gegenständen der Vernunft gehört alles das, was wir „durch den natürlichen Gebrauch unserer Fähigkeiten"22 entdecken können. „Alle Aussagen, über die der Geist durch den Gebrauch seiner natürlichen Fähigkeiten im Ausgang von natürlich erworbenen Ideen zu einer Bestimmung und einem Urteil kommen kann, sind Sache der Ver19
„ . . . those even large and abstract ideas are derived from sensation or reflection, being no other than what the mind, by the ordinary use of its own faculties employed about ideas received from objects of sense, or from the operations it observes in itself about them, may, and does, attain unto." II. xii. 8.
20
I V . xvii, passim, bes. § 2; auch noch gelegentlich in I V . xviii, bes. ζ. B. in § 5.
21
I V . xviii, passim; audi schon in I V . xvii. 24.
22 I V . xviii. 4 am Anfang, und 7.
§ 1 0 Uber die Bildung komplexer Ideen
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nunft"23. Die allgemeine Aufgabe, die Erkenntnislage des Menschen in Glaubensangelegenheiten abzustecken, motiviert es, daß über einen engeren Vernunftbegriii hinweg bei Locke Wendungen einfließen wie die: „Vernunft, ich will sagen: unsere natürlichen Fähigkeiten"24. Damit ist ein maßgebliches Motiv für die Wahl der zu erläuternden Wendung „gewöhnlicher Gebrauch der eigenen Fähigkeiten" erkannt. Lockes Eintreten für die Aufklärung, sein Glaube an die Autonomie der erkennenden Vernunft. Aber damit ist allenfalls eine Geisteshaltung bezeichnet, in der nach der Abgrenzung der zulässigen Verstandesoperationen gesucht werden kann, jedoch noch kein Schritt zu einer effektiven Abgrenzung getan. Die Schwäche der allgemeinen Position Lockes, wie auch entsprechender Bekenntnisse zu Klarheit der Gedanken und natürlichem Menschenverstand, die man heutzutage zu hören bekommt, liegt in ihrer Allgemeinheit. Sie gibt kein effektives Mittel zur Kritik an falschen Erkenntnisansprüchen her. Auch Irren ist menschlich, die Neigung zum Aberglauben natürlich 25 ; und ebenso die „Affektionen" , die uns glauben lassen, wir seien Verehrer der Wahrheit, während wir uns doch nur das Falsche mit „Enthusiasmus"26 einreden. Lockes allgemeine Formel vom „gewöhnlichen Gebrauch unserer eigenen Fähigkeiten" für sich allein führt also nicht bis zu einer erkenntnistheoretischen Position, die irgendwie spezifischer wäre als jene andere, die bloße Leugnung angeborener Ideen, von der wir bereits sagten, daß sie unzulänglich ist und auch hinter Lockes eigenen Absichten zurückbleibt. Es bedarf also einer T h e o r i e der menschlichen Vernunft und ihrer Erkenntnisleistungen, nicht bloß einer Besinnung und Berufung auf diese Vernunft 27 . „All propositions whereof the mind, by the use of its natural faculties, can come to determine and judge, from naturally acquired ideas, are matter of reason." IV. xviii. 9. 24 „reason, I mean, our natural faculties", IV. xviii. 3, S. 417. 2 5 IV. xviii. 11: „natural superstition". 2 6 IV. xix. In § 1 3 stellt Locke „the evidence of the truth of any proposition" als das „true light" der bloßen „strength of persuasion", die uns auch dem Teufel m die Arme führen könnte, gegenüber, ohne jedoch an dieser Stelle zu erörtern, wie man die Überzeugung durdi evidente Wahrheit von unberechtigter Überzeugung unterscheiden soll. Der Appell, sich statt auf fremde Überredung auf die eigene Vernunft zu verlassen, bleibt leer, falls nicht ein K r i t e r i u m oder eine Methode zur Prüfung von Überzeugungen vorgewiesen ist. Mit der Erfüllung dieser Forderung steht und fällt der Versuch Lockes. 27 Deshalb hat auch der Erkenntniskritiker Kant sich voller Spott, ja verächtlich über den gesunden Menschenverstand ausgesprochen; dieser sei, so sagt er einmal, „wie Rindfleisch und Schöpsenfleisch ein gricht vor Bürger und Bauern" (Reflexion 6204, Akad. Ausg. Bd. X V I I I , S. 488). Im Anschluß an diese Bemerkung macht Kant deutlich, daß er sich gegen die „Panegyristen des gemeinen Menschenverstandes" wenden will: diese ergeben sich dem „Schwärmen", d.h. sie suchen den Probierstein der Wahrheit in Empfindungen. Kant dagegen ist es um die „ C r i t e r i e n " zu tun,
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Teil I I I : Der Aufbau des Ideensystems
Nun werden in demselben Abschnitt, aus dem die Formel vom gewöhnlichen Gebrauch der eigenen Fähigkeiten stammt, ganz bestimmte Verstandesoperationen genannt, die für die Bildung komplexer Ideen verantwortlich sein sollen: das Wiederholen, das Addieren und das Vereinigen oder Zusammenfügen 28. Zuvor waren zusätzlich noch die Operationen des Vergleichens und des Abstrahierens angeführt worden 29. Ohne hier im einzelnen am vollen Textmaterial zu erwägen oder aus ihm zu extrapolieren, was Locke genau mit diesen Tätigkeiten unseres Geistes meint, kann man doch sagen, daß sie eine gewisse Verwandtschaft oder Zugehörigkeit zu Operationen aus dem Bereich der Logik und Mathematik nicht verleugnen können. Das gibt die Veranlassung zu einem zweiten Versuch, die legitimen ideenbildenden Operationen von anderen abzugrenzen: nämlich als die Klasse der in Logik und Mathematik vorkommenden Operationen oder auch eine bestimmte Unterklasse von dieser. Ein derartiger Vorschlag ist im Empirismus unseres Jahrhunderts allgemein vorherrschend gewesen, wie schon der Name „logischer Empirismus" anzeigt. Dem neueren gegen psychologische Elemente in der Erkenntnistheorie eingenommenen Geschmack entsprechend ist dabei natürlich nicht von den Geistestätigkeiten eines Menschen die Rede, der sich seine Ideen bildet; es wurde vielmehr das Kriterium formuliert, daß allen Ausdrücken bzw. Aussagen genau dann eine empirische Bedeutung zukommen solle, wenn sich gewisse logische Relationen wohlbestimmter Art zu Ausdrücken bzw. Aussagen der empirischen Basis angeben lassen. Die Hauptaufgabe bei dieser sogenannten Reduktion auf die Basis bestand nun im wesentlichen darin, diese logischen Relationen des näheren so anzugeben und abzugrenzen, daß sich gerade die gewünschte Klasse von intuitiv, vor allem in den Naturwissenschaften, akzeptierten Ausdrücken und Aussagen die sich der Vernunft selbst bei der Wahrheitssudie setzt. E r verhandelt also hier genau Lockes Thema, daß die Autonomie der Vernunft zur Kritik aller Erkenntnisansprüche verhelfen soll und dabei u. a. dem „Enthusiasmus" (dem Schwärmen) Einhalt gebieten muß. Sich zu diesem Behufe auf die „qualitas occulta des gesunden Verstandes" zu berufen, ist keine annehmbare Auskunft, weil dieser nämlich „gar keine Rechenschaft giebt" (Refl. 5637, Bd. X V I I I , 272). „Der sogenannte Gesunde Verstand ist asylum ignorantiae." (ib., S. 275). Demgegenüber sieht Kant sehr wohl, daß Locke, indem er den „empirischen Weg" (ib., S. 2 7 2 ) einschlug, mehr leisten wollte, nämlich so etwas wie ein „logisches System der Verstandserkenntnisse" (ib., S. 275) zu begründen. 28 „repeating", „adding together", „uniting", „joining together"; I I . xii. 8. 29 I I . xi und xii. Auf die Unterschiede zu den zuerst genannten Operationen kommt es hier nicht an; sie hängen mit dem in § 8 schon erörterten Problem einer Unterscheidung von komplexen Ideen im engeren Sinne (bzw. „composite ideas") von komplexen Ideen im weiteren Sinne (nämlidi der Funktion im Erkenntnisprozeß nach nichteinfachen Ideen) zusammen.
§ 10 Über die Bildung komplexer Ideen
11.5
als bedeutungsvoll erweist, die übrigen aber als sinnlos zurückgewiesen werden können. Dieser kurze Seitenblick auf das Programm des neueren Empirismus mag schon genügen, um zu zeigen, mit welchem Problem man es bei Locke zu tun hat, wenn die Bildung komplexer Ideen in Frage steht. Er belehrt zugleich auch darüber, mit wie beträchtlichen, allem Anschein nach geradezu unlösbaren Schwierigkeiten man bei der gesuchten Abgrenzung des empirisch legitimen Bereiches von Ideen zu rechnen hat. In einer Hinsicht jedoch — und das verdient nach der Betonung der Problemkontinuität hervorgehoben zu werden — unterscheidet sich die Einstellung Lockes grundlegend von der der meisten Empiristen des 20. Jahrhunderts: Logik und Mathematik sind für ihn kein selbstverständliches Hilfsmittel bei der Gewährleistung empirischer Bedeutung, sondern sie unterliegen selbst der Forderung nach Aufklärung ihrer Bedeutung, d. h. in Lockes Sprache: der Herkunft ihrer Ideen. Und, soweit ich sehe, könnte Locke die heutzutage geläufigen Auskünfte hierzu nicht akzeptiert haben. Die Divergenzen zeigen sich, wenn man die Frage nach Herkunft, Rechtfertigung, Bedeutung und Abgrenzung der Logik und der Mathematik stellt, was man bei einer ernst gemeinten erkenntnistheoretischen Bemühung natürlich nicht unterlassen kann und was auch der Idee des Lockeschen Ansatzes zufolge nicht unterbleiben darf. Was nun die Herkunft und Rechtfertigung betrifft, ist ungeachtet aller sonstigen Unterschiede ein negativer Teil der derzeit geläufigen Antworten einheitlich: Logik und Mathematik sind a priori, d.h. sie leiten sich n i c h t aus der Erfahrung her, bzw. sind nicht auf Erfahrung gegründet. In dieser Antwort liegt natürlich auf den ersten Blick eine Provokation für den Empiristen. Die Strategien, mit denen man ihr zu begegnen versucht, sind vielleicht weniger einheitlich; aber überschlägig läßt sich sagen, daß im allgemeinen der bekannte Bestand an logischen und mathematischen Theorien im ganzen übernommen und als legitimes Hilfsmittel bei der Formulierung u n d bei der Analyse allen Erfahrungswissens akzeptiert wird. Der nichtempirische Charakter wird als unschädlich für den Empirismus verteidigt, indem man sich auf den formalen Charakter von Logik und Mathematik beruft; und eine Rechtfertigung der formalen Wahrheiten wird durch die Erklärung gegeben, daß sie bereits aus den Festlegungen hervorgehen, die über die Verwendung von Zeichen getroffen werden. Fragt man nun aber weiter nach der Bedeutung des formalen Wissens, so gelangt man an den Punkt, an dem der Gegensatz von Locke und den meisten Vertretern des logischen Empirismus deutlich hervortritt. Für die letzteren ergibt sich nämlich aus der Formalität die Folgerung, daß die Aus-
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Teil III: Der Aufbau des Ideensystems
drücke der Logik und Mathematik überhaupt keine Bedeutung im Sinne Lockes haben, d. h. daß es keinen Sinn haben würde, nach Ideen zu suchen, für die sie stehen. Solche Ideen könnten ihnen allenfalls durch inhaltliche Interpretation zugeordnet werden; aber insoweit würde es sich dann nicht mehr um Wissen a priori handeln, und deshalb auch nicht mehr um jenes gesuchte Instrument der Klärung der Relation empirischer Nicht-Basisausdrücke zu Basisausdrücken, das nicht seinerseits noch einmal der Bedeutungsanalyse unterworfen werden muß, sondern bei deren Durchführung bereits als unverfänglich vorausgesetzt werden darf. Die erkenntnistheoretische Relevanz der Formalwissenschaften im Hinblick auf das Reduktionsproblem besteht gerade darin, daß ihre Bedeutung ganz und gar in der Einsicht in die formale Struktur selbst aufgeht. Das Verständnis des formalen Apparats ist vollendet, bevor man den Schritt zu einer möglichen Interpretation und damit zu einer Anwendung in den Realwissenschaften tut. Diese Antwort verlangt natürlich nach einer sorgfältigen Diskussion; sie hat mancherlei Stärken, wirft aber auch viele Probleme auf. Im Rahmen der Fragestellung dieses Abschnitts will ich diese Probleme jedoch nur insoweit aufgreifen, als sie die genannten Fragen nach Bedeutung und Abgrenzung der Ideenbildung betreffen 30 . Da die Formalität der Logik und Mathematik die ebenso bloß formale Bedeutung der in ihnen bezüglich der Zeichen ausgeübten Operationen mit sich bringt, kann die Bedeutung der mit Hilfe solcher Operationen aus empirischen Ideen gebildeten Ideen nicht ohne weiteres als empirisch angesehen werden. Eine so gebildete Idee bleibt vielmehr von der empirischen Seite her hypothetisch; in einem nächsten Schritt kann sie dann entweder unmittelbar gewissen empirischen Phänomenen zugeordnet werden, oder aber — und das wird der Normalfall sein — diese Zuordnung wird erst nach mehreren, möglicherweise vielen Schritten, und oft auch nur für einen Teil der gebildeten komplexen Ideen, nicht aber für alle bis zu ihrer Bildung führenden Zwischenglieder erfolgen. Nun liegt hierin gerade der Vorteil, den man sich mit einer rein formal und strukturell verstandenen Methode der Bildung komplexer Begriffe in einer wissenschaftlichen Theorie verschaffen w i l l , nämlich der Vorteil einer gewissen Freiheit in der Gestaltung des symbolischen Apparats, wie sie sich in der Praxis bei der Entwicklung leistungsfähiger Theorien, besonders etwa in der neueren Physik, als nützlich, ja unentbehrlich erwiesen hat. Das Problem liegt nun darin, daß bei dieser freizügigen Gestaltung des begrifflichen Apparats keine Möglichkeit besteht, die Bildung von Theorien 30 Eine kritische Betrachtung der formalen Auffassung der Logik und Mathematik findet sich in § 16.
§ 10 Über die Bildung komplexer Ideen
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ernstlich zu beschränken; die bloß noch globale Verpflichtung, irgendwo und in irgendeinem nicht näher zu bestimmenden, möglicherweise geringen Maße an unmittelbar empirisch zu deutende Gegebenheiten anzuschließen, macht es illusorisch, zwischen legitimen und nicht legitimen Begriffsbildungen und Hypothesen zu unterscheiden. Indes scheint gerade diese Situation in gewissem Umfange die faktische Lage der wissenschaftlichen Forschung zu kennzeichnen. Aber eben auch nur in gewissem Grade; denn andererseits ist es, wie schon bemerkt, faktisch ebensowenig möglich, die geschilderte Freiheit der Theorienbildung voll auszunutzen. Das „Innere" von Theorien (das also, was mit unmittelbar Erfahrbarem nur indirekt verbunden ist) ist tatsächlich immer in gewissem Umfange einer direkteren Deutung durch empirisch für sich (also nicht nur auf dem Umweg über den Erfolg der Theorie im ganzen) bedeutungsvolle Modelle unterworfen. Ohne eine solche Deutung wären die Möglichkeiten der Begriffsbildung zu unübersichtlich, und die Theorien nicht verständlich; vor allem aber würde die Theorie nicht mehr zur „Erklärung" im engeren Sinne des Wortes geeignet sein. Ein Anzeichen für die Richtigkeit dieser letzten Behauptung bietet die in § 9 besprochene Identität gewisser Begriffe (wie Raum, Existenz usw.) in ganz verschiedenen Verwendungen, die sie erfahren: einerseits bei der Beschreibung unmittelbarer Erfahrungsphänomene, andererseits an fundamentaler Stelle in den Theorien. Weder der Forderung nach verständlichen Bedeutungen noch auch dem Bedürfnis nach einer Abgrenzung gegen willkürliche Ausdehnung der nicht unmittelbar erfahrungsbedeutsamen (der „theoretischen") Sprache läßt sich also ohne weitere Hilfsmaßnahmen inhaltlicher Art genügen, wenn man ein a p r i o r i und darum bloß f o r m a l verstandenes Reservoir von ideenbildenden Operationen ins Auge faßt 3 1 . Was nun also die Herkunft oder Rechtfertigung der ideenbildenden Operationen betrifft, so ergibt sich, falls man das Vorangehende akzeptiert, die Folgerung, daß man entweder auch die Logik und die Mathematik einer 31
Auch Kambartel (1968, bes. Kap. 4) hat die rein formale oder logische Interpretation der Begriffsbildung innerhalb des Empirismus kritisiert, allerdings auf andere Weise, als dies hier geschieht. In konsequentem Zusammenhang mit seiner Interpretation der empirischen Basis als des unartikuliert Gegebenen entwickelt er als den Hauptpunkt seiner Einwände die B e l i e b i g k e i t des gesamten formalen bzw. begrifflichen Apparats einschließlich der Beschreibung einfacher Erfahrungen. Da er nun die genannte Interpretation der Basis schon bei Locke ansetzt, kann er Carnaps Versuch in „Der logische Aufbau der Welt" als die Durchführung des Lockeschen Programms, als den zur „Behauptung" Lockes gehörigen „Beweisversuch" (S. 150) verstehen. Nicht die sachliche Folgerichtigkeit dieses Gedankengangs will ich bestreiten, wohl aber bezweifeln, ob es berechtigt ist, den Zusammenhang zwischen Locke und Carnap und in Verbindung damit den Empirismus im ganzen so zu sehen, wie Kambartel ihn zeigt.
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inhaltlichen Deutung von der empirischen Basis aus unterwerfen oder aber die zu komplexen Ideen führenden Geistestätigkeiten anders denn als logische oder mathematische Operationen interpretieren müßte. Im zweiten Falle bliebe jedoch die Aufgabe übrig, sich außerdem noch ein Verständnis von der Bedeutung der in der Mathematik und Logik (als separierten Formalwissenschaften) verwendeten Operationen zu verschaffen; und wenn man hier wiederum das Problem der Abgrenzving gegenüber willkürlichen, allenfalls noch durch Wohldefiniertheit ausgezeichneten Kalkülen oder formalen Spielen (ζ. B. Schach) stellt, liegt es nahe, eine Lösung dadurch zu suchen, daß man auf die Funktion dieser Wissenschaften im Ganzen aller Wissenschaften zurückkommt und insofern auf einer grundsätzlichen Ebene erkenntnistheoretischer Betrachtung schließlich doch darüber hinausgeht, die Kennzeichnung durch Formalität als letztes Wort anzusehen. Überdies muß es von vornherein als künstlich, ja absurd, erscheinen, bei der Ausbildung erfahrungswissenschaftlicher Begriffe und Theorien grundsätzlich andere, allenfalls äußerlich ähnliche Operationen als „logische" Relationen anzunehmen als bei der Entwicklung von Logik und Mathematik. Es bleibt dann aber nur die erste der oben genannten Möglichkeiten übrig, nämlich auch die Formalwissenschaften einer Deutung von der empirischen Basis aus zu unterwerfen. Genau das ist es, was Locke versucht32. Seine Aufzählung epistemologisch relevanter Geistestätigkeiten, auf die ich hiermit zurückkomme, enthält in der Tat solche, die sich in erster Linie durch Zuordnung zu logischen oder mathematischen Operationen für unser heutiges Verständnis näher deuten und wohl auch präzisieren lassen, etwa das Vergrößern (enlarging) durch die mathematische Addition, das Zusammensetzen (composing) oder das Vereinigen (uniting) durch die logische Konjunktion und evtl. komplizierte logische Verknüpfungen usw. Aber es dürfte mittlerweile klar sein, warum diese Auskunft für sich genommen am erkenntnistheoretischen Kern des Lockeschen Ansatzes vorbeiführt. Ihm ist daran gelegen, nicht erst im ganzen und gewissermaßen nachträglich derartige Operationen im Rahmen der Anwendung der formalen Wissenschaften auf die Erfahrungsgegebenheiten zu deuten, sondern jede einzeln und unmittelbar aus der reflexiven Beobachtung ihres faktischen Vollzuges 33 . Ferner ist hervorzuheben, daß nach 32 In ganz ähnlicher Weise hat später Russell aus einem empiristischen Geist heraus eine unmittelbare empiristische Deutung logischer Partikeln entwickelt (1940, Chap.V ; 1948, Part II, Chap. IX). Im ganzen scheint Russell, wie er als Logiker von Leibniz gefesselt wurde, als Erkenntnistheoretiker unter dem Eindruck Lockes zu stehen. 33 Diese Art, die Bedeutung elementarer begrifflicher Operationen festzulegen, schließt
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Locke die Operationen der Ideenbildung universell für alle Wissenschaften, genauer gesagt: sogar für alles nur mögliche sinnvolle Reden oder Wissen, dieselben sind; die mathematischen Disziplinen unterscheiden sich von anderen Wissenschaften durch ihre besonderen Ideen, also ihren spezifischen Inhalt 34 . Diese Stellungnahme Lockes hat den Vorteil, so etwas wie ein Problem der Anwendbarkeit formaler Wissenschaften auf reale Gegebenheiten oder auch das Sonderproblem der Abgrenzung formaler Wissenschaften gar nicht erst entstehen zu lassen. Vielmehr ist das Problem der Abgrenzung dasselbe für alle Wissenschaften; nämlich das der Unterscheidung des Bedeutungsvollen und Begründeten von allen pseudowissenschaftlichen Ansprüchen. Damit ist klar, daß der zweite Versuch zur Trennung der legitimen (d. h. erkenntnisbildenden) Verstandesoperationen von den illegitimen nicht einfach schon mit dem Hinweis auf gewisse formale Wissenschaften wie Logik und Mathematik zum Ziele kommt. Diese Wissenschaften selbst können weder als fertig gegebene und für sich unproblematische Stücke in die Erkenntnistheorie eingebracht werden, noch können sie einer andersartigen Erkenntnisquelle zugeschrieben werden, die beim Aufbau des Systems der komplexen Ideen der Erfahrung zur Hilfe käme. Solange es vielmehr grundsätzlich um die Bildung komplexer Ideen überhaupt geht, stehen im Sinne des Lockeschen Aufbaus von einer Basis her natürlich nicht gleich fertige wissenschaftliche Disziplinen zur Verfügung. Das ist allenfalls in einem fortgeschritteneren Stadium der Ideenbildung der Fall, wenn auf einer einheitlichen Erfahrungsgrundlage gewisse relativ eng umgrenzte Bereiche einfacher nidit aus, daß weiterhin noch Bedeutungskomponenten hinzukommen, die sich aus dem systematischen Zusammenhang unserer Erkenntnis im ganzen ergeben (vgl. die Erläuterungen von § 9 und § xr,2. Hälfte). Vielmehr beruhen diese zusätzlichen Bedeutungskomponenten geradezu darauf, daß ein gewisser unmittelbarer Zugang zum Verständnis der fraglichen Operationen möglich ist. Diesen Zugang nachträglich für entbehrlich zu erklären, beruht dann auf einer Täuschung über die Bedingungen der Sinnhaftigkeit des ganzen Systems. 3-4 Diese Behauptung gilt nur, soweit die Bildung von I d e e n in Rede steht; die möglicherweise besondere Stellung mathematischer A u s s a g e n wird in Teil IV noch ausführlich zu besprechen sein. — Die Behauptung ist ferner in dieser Form auf die Mathematik beschränkt. Die Logik hat bei Locke in gewisser Weise eine Sonderstellung. Nachdem er die herkömmliche aristotelische Logik beiseite geschoben hat, weil er sie bei der Gewinnung von Erkenntnis für unwirksam hält, faßt er an ihrer Stelle eine (von ihm allerdings nicht entwickelte) neue Logik, die Wissenschaft von den Zeichen (Wörtern und Ideen), ins Auge; diese würde kein besonderes Sachgebiet betreffen, sondern die Erkenntnis im ganzen (IV. xxi. 4). Diese Besonderheit würde jedoch nichts daran ändern, daß die Bedeutung der in ihr vorkommenden Ausdrücke unter den gleichen Bedingungen festzulegen wäre, die gemäß dem empiristischen Ansatz audi sonst gelten.
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Gegenstände oder Gegenstandsstrukturen und einfacher Operationen des Geistes herausgehoben worden sind 35 , die dann im weiteren systematisch zur Bildung neuer Ideen eingesetzt werden können, wie dies bei der Begriffsbildung innerhalb fortgeschrittener Wissenschaften geschieht. Diesen höherstufigen Vorgang muß man dann im Sinne Lockes so verstehen, daß die Rechtfertigung der komplexen Ideen durch ihren Bezug zur Erfahrung gewissermaßen konzentriert werden kann, indem man gesondert eine bestimmte formale Disziplin im Hinblick auf die Bedeutung der in ihr auf empirisch bedeutungsvolle Ideen angewendeten Operationen rechtfertigt. Diese vorangehende Rechtfertigung kann aber nach dieser Auffassung nicht durch eine nachträgliche ersetzt werden, die in der erfolgreichen Verwendung zunächst unverstandener und nicht direkt zu interpretierender Begriffsbildungen bestehen würde. Denn mittels komplexer Ideen ausgedrückte Zusammenhänge werden nicht dadurch als Instrument möglicher E r k e n n t n i s erwiesen, daß man mit ihnen gut zurechtkommt, sondern dadurch, daß man sie versteht, d. h. bei der methodischen Analyse auf akzeptierte Ideen hin im einzelnen rechtfertigen kann. Immerhin bedeutet die These vom logischen oder mathematischen Charakter der ideenbildenden Tätigkeiten, wenn sie denn richtig sein sollte, noch so viel, daß der erstrebte Überblick über die Struktur des menschenmöglichen Ideensystems im ganzen in dem Maße erreichbar sein wird, in dem ein Überblick über die Formalwissenschaften erreichbar ist. Daß dieser nicht ein für allemal und a priori gegeben sein kann, bedeutet keine zusätzliche Einschränkung mehr, wenn man den Empirismus nicht nur für die Objektwissenschaften, sondern in der „historical, plain method" auch für die Erkenntnistheorie selbst akzeptiert hat. Wenn man nach dem bisher Gesagten darauf vorbereitet ist, nicht sogleich an spezielle moderne Auffassungen von Mathematik zu denken und insbesondere das Problem der inhaltlichen Deutung auch logischer und mathematischer Operationen nicht aus dem Auge zu verlieren, kann man sich die Position Lockes dadurch verdeutlichen, daß man sie durch den Begriff „Konstruktivismus" kennzeichnet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß Lockes Grundidee darin besteht, alle legitimen Ideen bzw. alle bedeutungsvollen Ausdrücke sukzessiv und effektiv von einer Basis aus aufzubauen, d. h. ausgehend von unmittelbar empirisch gegebenen Ideen und bezüglich dieser ausgeübten, ebenfalls unmittelbar empirisch gedeuteten Tätig35 Die Art und Weise sowie die Begründung des Heraushebens gewisser Ideenbereiche aus der Gesamtheit aller Ideen können erst bei der Besprechung des „Empirismus der Aussagen" verständlich werden; sie werden vor allem in § 1 6 und außerdem in § 18 behandelt.
§ 1 0 Über die Bildung komplexer Ideen
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keiten, und in der Weise, daß jede komplexe Idee und jede komplexe Tätigkeit mittels der Ideen und Tätigkeiten der Basis und mittels zuvor schon gedeuteter Ideen und Tätigkeiten gedeutet wird. Für die Berechtigung, in diesem Zusammenhang den Terminus „Konstruktivismus" zu wählen, und damit auf gewisse Assoziationen beim heutigen Leser zu rechnen, lassen sich außer dem vorangehenden Gedankengang im ganzen noch die folgenden Gründe im einzelnen anführen: ( i ) Locke behandelt in den Kapiteln I I . xiii-xvi die Explikation gewisser mathematischer Begriffe in einer konstruktivistischen A r t 3 6 ; und diese Behandlung hat in seinen Augen offenbar paradigmatischen Charakter. S o jedenfalls bin ich geneigt, eine Bemerkung Lockes über sein methodisches Vorgehen im „Essay" zu deuten, in der er sagt, einige unserer geistigen Fähigkeiten (die zur Bildung komplexer Ideen führen) würden „zunächst hauptsächlich bezüglich einfacher Ideen ausgeübt" 37 . Ein solches Verfahren beschreibt er explizit in Diese Kennzeichnung haben Aarcm/Walters 1965 gegeben. Auf die Einzelheiten eines Vergleiches mit ganz bestimmten Positionen zeitgenössischer Mathematiker, wie sie zwischen Aaron und Walters einerseits und Dawson 1959 andererseits strittig sind, kommt es mir hier nicht an, so daß ich weder auf Dawsons Vergleich von Locke und Heyting noch auf dessen Kritik durch Aaron und Walters einzugehen brauche. Um eine bestimmte Eigenart des Lockeschen Empirismus hervorzuheben, genügt es mir, auf die von beiden Seiten akzeptierte Voraussetzung des Streits hinzuweisen, daß nämlich Lockes empirische Theorie der Ideenbildung im Bereich der Zahlen Verwandschaft mit einer konstruktivistischen Auffassung zeigt. Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß ich jedoch hinzufügen, daß ich — sowohl über Dawson als auch Aaron und Walters hinausgehend — den genannten Vergleich keineswegs auf eine Philosophie der natürlichen Zahlen beschränken möchte; vielmehr scheint mir deren „konstruktivistische" Behandlung durch Locke in der Rolle eines in besonderem Maße einfachen (und daher auch in seiner Reichweite problematischen: s. das Ende dieses Abschnitts) Paradigmas der Konsruktion komplexer Ideen überhaupt zu stehen. Für meine Absicht ist daher einer der Einwände von Aaron und Walters gegen den (von Dawson vorgenommenen) Vergleich zwischen Locke und gewissen Mathematikern des 20. Jahrhunderts irrelevant: Aaron und Walters hatten darauf hingewiesen, daß Locke im ν ο r - mathematischen Bereich konstruktiv verfährt, die intuitionistisdien Mathematiker dagegen i n n e r h a l b der Mathematik. Soll der fragliche Vergleich jedoch überhaupt erkenntnistheoretische Bedeutung haben, so wird es auf diesen Unterschied nicht ankommen können, da sich der Mathematiker als Erkenntnistheoretiker nicht auf den innermathematischen Bereich beschränken kann. So ist es nur konsequent, wenn er seine konstruktivistische Erkenntniskritik, obschon sie ihre Motive im mathematischen Grundlagenstreit haben mag, auf alle vernünftige Erkenntnis überhaupt erweitert, wie dies etwa von Lorenzen und anderen ausgeführt wird: ζ. B. Lorenzen 1968, Kamlah/Lorenzen 1967. 37 II. xi. 14. Diese Stelle kann nicht, wie es früher versucht worden ist (vgl. Fräsers Anmerkung), dahin verstanden werden, daß Locke hier dafür eintrete, daß wir grundsätzlich nur atomistisch isolierte einfache Ideen in der Wahrnehmung erfassen und deshalb unsere geistigen Fähigkeiten im ersten Schritt nur auf einfache Ideen Anwendung finden können. Eine derartige Interpretation führt, wie gezeigt, in unauflösbare 36
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den eben genannten Kapiteln über Raum, Zeit und Zahl und in eben dieser Weise nirgends sonst in seinem Buch; daher ist anzunehmen, daß sich die zitierte Bemerkung auf diese Kapitel bezieht und einen (wenn auch nicht den einzigen38) Grund dafür angibt, weshalb sie an die Spitze der Behandlung der komplexen Ideen treten sollen. (2) In einer anderen methodischen Bemerkung im gleichen Paragraphen spricht Locke davon, daß es „passend" sei, gewisse einfache Ideen der Reflexion, eben die unserer geistigen Fähigkeiten (bzw. Operationen) an jener Stelle zwischen den einfachen Ideen der Sinneswahrnehmung und den komplexen Ideen zu behandeln. Kurz: die Stellung der Kapitel ix bis xi vor den Kapiteln xii ff. in Buch II kann als Ausdrude des von Locke angestrebten Konstruktivismus beim Aufbau seines gesamten Ideengebäudes angesehen werden. Es ist vielleicht angebracht, im Zusammenhang mit der Kennzeichnung des Lockeschen Versuches durch einen so modernen Terminus wie „Konstruktivismus" noch einmal daran zu erinnern, wie eng dieser Versuch immerhin schon mit der Reflexion auf den Gebrauch von Sprache oder allgemeiner von Zeichen verbunden ist. Abgesehen von der Wichtigkeit, die Locke den Wörtern im ganzen zumißt und von der schon die Rede gewesen ist, kann man im Zusammenhang mit seiner Lehre von den Verstandeso p e r a t i o n e n folgende Einzelheiten anmerken: Die Fähigkeit zu abstrahieren wird von Locke in Abhängigkeit ihrer Angewiesenheit auf den Gebrauch von Wörtern gezeigt39. Umgekehrt führt er die Abstraktionsfähigkeit zusammen mit denen des Unterscheidens und Vergleichens als Voraussetzung für den Gebrauch von Sprache an 40 . Schließlich verbindet er den Gedanken einer „Kritik" des menschlichen Wissens in seinem gesamten Umfang, worum es bei der Frage nach der legitimen Bildung von Ideen ebenfalls geht, mit der Forderung, eine dritte Art von Wissenschaft neben der theoretischen und der praktischen zu entwickeln: die Semiotik 41 . Widersprüche zu dem, was Locke sonst lehrt. Z u seiner Ausdrudesweise an dieser Stelle läßt sich umgekehrt anführen, daß der gesamte § 14 in erster Linie Erläuterungen zur Darstellungsweise des „Essay", nicht jedoch unmittelbar theoretische Thesen zur Sache geben soll (vgl. auch Anm. 30 zu § 5 ) . Ein anderer Grund ist natürlich der, daß Locke seine These von der Herkunft aller Ideen aus Erfahrung dadurch absichern will, daß er sie an besonders kritischen Fällen, etwa der Idee der Unendlichkeit, erprobt. 39 In I I . xi. ist vor dem Abschnitt über die Abstraktion (§ 9) ein Abschnitt über das Benennen eingeschoben. Man vgl. ferner die Hervorhebung der allgemeinen Ideen bzw. des allgemeinen Wissens im Zusammenhang der Erklärungen über die Unentbehrlichkeit der Wörter für die Erkenntnis: I I . xxxiii. 19, I I I . ix. 2 1 ; speziell im Falle der Zahlen: II. xvi. 5 — 7 . « II. xi. 12. 41 I V . x x i .
§ 10 Über die Bildung komplexer Ideen
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Was Lockes Lehre von der Bildung komplexer Ideen anlangt, läßt sich abschließend folgendes festhalten: Der empiristische Ansatz wird beim Überschreiten der empirischen Basis in der Weise gewahrt, daß für jeden neuen Schritt bei der Ideenbildung gefordert wird, eine empirisch begründete Bedeutung effektiv anzugeben. Diese soll dadurch gesichert werden, daß die einzelnen ideenbildenden Fähigkeiten des Verstandes aus der Erfahrung, d. h. durch reflexive Beobachtung ihres bewußten Vollzugs, unmittelbar verständlich gemacht werden. Dieser sukzessive Aufbau (besser: diese schrittweise rechtfertigende Rekonstruktion) des Ideensystems trägt ein Gepräge, das den Namen „Konstruktivismus" nahelegt. Obwohl die ideenbildenden Operationen insbesondere für die Gewinnung mathematischer und logischer Begriffe von Wichtigkeit sind, so daß die Mathematik in Lockes Darstellung in eine paradigmatische Rolle treten kann, gelangt man doch gerade nicht von der heute geläufigen Auszeichnung dieser Disziplinen als f o r m a l e r zu einer angemessenen Interpretation der „Logik" der Ideenbildung bei Locke; vielmehr werden, wie dies letztlich auch der modernen Idee des Konstruktivismus zugrundeliegt, auch die Logik und Mathematik in den einheitlichen Rahmen der Interpretation von einfachen Erfahrungen aus einbezogen. Wie schon in § 9 bei der Behandlung gewisser Ideen der empirischen Basis wird auch hier wieder deutlich, daß Locke eine Position ausgearbeitet hat, die bestimmten Tendenzen im modernen Empirismus widerspricht: Sie ist nicht verträglich mit der Theorie der teilweisen Interpretation von Theorien und erst recht nicht mit einer instrumentalistischen Auffassung der Bedeutung von Theorien. In diesem Paragraphen hat sich vielmehr umgekehrt gezeigt, daß Locke eine empirische Deutung auch noch der logischen Relationen zwischen theoretischen Begriffen und Begriffen der Erfahrungsbasis und von theoretischen Begriffen untereinander für erforderlich hält. Ob mit diesem Ansatz Lockes das gesteckte Ziel, nämlich die empirische Deutung unseres gesamten Wissens, soweit wir es nach einer kritischen Rekonstruktion noch als solches gelten lassen wollen, erreicht werden kann, ist aus den bisherigen Überlegungen natürlich nicht zu entnehmen. Ja, es mag nach den neueren Erfahrungen, die man mit dem Problem der Reduktion auch nur aller intuitiv in den Naturwissenschaften als akzeptabel geltenden Ausdrücke und Aussagen gemacht hat, eher unwahrscheinlich sein, daß dieses Ziel so überhaupt erreicht werden kann. Solange jedoch konkurrierende Ansätze einer Rekonstruktion der Wissenschaften keine klare Überlegenheit zeigen und überzeugendere und wirksamere Methoden der Kritik an falschen Erkenntnisansprüchen und bedeutungsleeren Reden vorzuweisen haben, ist
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Teil III: Der Aufbau des Ideensystems
es sinnvoll, einen mindestens der Intention nach sehr spezifisch und explizit ausgeführten empiristischen Ansatz, wie wir ihn bei Locke vorgebildet finden, weiterhin mit Aufmerksamkeit zu betrachten 42.
5 n:
Probleme
des Ideensystems und der Ober gang zum der Aussagen
Empirismus
Aus einer Zusammenfassung der Überlegungen und Fragen zur Erfahrungsbasis und zum Aufbau des Ideensystems geht hervor, daß die bisherige Darstellung auch schon des Empirismus der Ideen ergänzungsbedürftig ist. Insbesondere wegen der Verknüpfung des Problems der Bedeutung mit dem der Wahrheit ist es nötig, die Betrachtung auf den Empirismus der Aussagen auszudehnen. Dadurch werden erst die eigentlich kontroversen Thesen des Empirismus erschlossen und einige der zu erwartenden Probleme im Umriß sichtbar.
Wendet man nach den bisherigen Betrachtungen den Blick zurück auf den Empirismus der Ideen, so bietet sich eine Kette von Fragen und vorläufigen Antworten dar. Ida sage: vorläufigen Antworten, weil sich im Verlauf ihrer Erörterung zunehmend mehr zeigte, daß die Abgrenzung einer Erfahrungsbasis das Ergebnis einer Analyse ist, die ein Stück aus dem Ganzen der menschlichen Erkenntnis herauslöst, das in vielfacher Weise mit dem übrigen verknüpft und verwoben ist. Obschon das Herauslösen des einen Stückes für die von den Empiristen erstrebte kritische Rekonstruktion der Erkenntnis ein notwendiges und berechtigtes Unternehmen ist, bedingen doch die Verknüpfungen eine ganze Reihe von Modifikationen gegenüber derjenigen Vorstellung von der Basis und dem über ihr zu errichtenden Gebäude der Ideen, von der ausgehend man ursprünglich — unter Anleitung des metaphorischen Gehaltes dieser Ausdrücke — seine Überlegungen begonnen haben mochte. Und solange man in der Reihe dieser Modifikationen noch nicht zu einem Abschluß gelangt ist, können die Antworten nur einen vorläufigen Charakter tragen; die Vervollständigung der Betrachtungen über den inneren Zusammenhang des Ideengebäudes im ganzen wird ihnen neue Gesichtspunkte hinzufügen und das zuvor Gesagte gewissermaßen in ein neues Licht setzen. Der wichtigste bislang noch ausstehende Schritt zu dieser 42
Da es in dieser Untersuchung um den möglichen Sinn des Empirismus im ganzen gehen soll, und da das Problem der Reduktion auf die empirische Basis mit Sicherheit sehr komplex und schwierig ist, scheint es mir an dieser Stelle nicht angebracht, über die Erörterung der Grundidee Lockes zu dieser Sache hinaus in die besonderen Einzelheiten gerade seines Ideenaufbaus einzutreten, dessen Durchführung zweifellos an heutigen Ansprüchen gemessen zahlreiche Mängel hat.
§11 Ideensystem und Empirismus der Aussagen
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Vervollständigung wird nunmehr in dem Übergang zur Erörterung des Empirismus der Aussagen bestehen. In diesem Abschnitt möchte ich den bisher durchlaufenen Gedankengang zusammenfassen und dann erläutern, in welcher Weise er dazu nötigt, gerade diesen weiteren Schritt zu tun. Als erstes Problem war die Frage nach der Existenz und der Natur der empirischen Basis behandelt worden. Hinter den an der Oberfläche widersprüchlichen Formulierungen Lockes ließ sich erkennen, daß die Basis als die Menge derjenigen Wörter bestimmt werden konnte, deren Bedeutung sich nur unmittelbar im Zusammenhang einer Erfahrungssituation vermitteln läßt, oder auch als die Menge eben dieser Bedeutungen, also dessen, was man sich bei diesen Wörtern denken oder vorstellen soll, in Lockes Sprache: als die Menge der mit ihnen verbundenen Ideen. Diese Bestimmung der Basis gestattete es, Unzuträglichkeiten zu vermeiden, die sonst mit der Annahme voneinander wohlgeschiedener Vorstellungseinheiten verbunden sein können: Der Atomismus der Ideen mußte nicht auf den konkreten psychischen Prozeß des Denkens oder Vorstellens angewendet werden, obwohl eben dieser Prozeß für die Ausbildung der Erfahrungsbasis bei einem jeden Menschen unentbehrlich bleibt; der Atomismus konnte vielmehr mit der einfachen Tatsache in Zusammenhang gebracht werden, daß es kleinste Einheiten unserer sprachlichen (oder auch andersartigen) Zeichensysteme gibt, denen noch eine Bedeutung zugesprochen werden kann, insbesondere also die einzelnen Wörter, und daß diese kleinsten Einheiten voneinander wohlunterschieden sind. Ein Ideenatomismus, der über diese Behauptung nicht hinausgeht, besagt nichts gegen die Möglichkeit, daß das Zusammenfügen der kleinsten Einheiten in den Kontext vieler solcher die Bedeutung einer jeden einzelnen noch wieder modifizieren kann. (In diesem Punkte darf man den Vergleich mit der atomaren Natur der Materie weiter ausbauen: Auch die Atome verändern manche ihrer Eigenschaften, wenn sie in Molekülen oder Kristallen mit anderen verbunden sind; aber darum sind doch die Moleküle und Kristalle nidht weniger aus Atomen aufgebaut, worauf eben der Versuch beruht, gerade auch die Modifikationen der atomaren Eigenschaften innerhalb von Atomkomplexen von den Eigenschaften der isolierten Atome aus zu verstehen — und dies, obwohl isolierte Atome in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht das zeitlich und methodisch Erste sind, was man im Zuge der Analyse unter die Hände bekommt.) Unbeschadet also des Vorbehalts weiterer Modifikationen gehört nichtsdestoweniger zum Konzept des Empirismus, wie er hier nach dem Vorbild Lockes entwickelt wird, die Überzeugung, daß es notwendig und berechtigt sei, die Analyse unseres Erkenntnismaterials bis zu den Wörtern voranzu-
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treiben. Weiter zu gehen wäre offenbar wenig sinnvoll, da wir im Sinne der epistemologisdien Analyse nicht gut davon reden können, daß eine bedeutungsvolle Mitteilung oder ein Stück Erkenntnis aus dem, was Laute oder Buchstaben bezeichnen, zusammengesetzt sei. Weniger weit zu gehen, also etwa bei der These stehen zu bleiben, die kleinste Bedeutungseinheit sei der Satz oder gar schon ein möglicherweise umfassender Komplex von Sätzen (eine Theorie), würde der Tatsache nicht gerecht, daß wir offenbar in der Lage sind, einzelnen Wörtern getrennt voneinander eine bestimmte Bedeutung zuzusprechen; diese Fähigkeit ist für den unübersehbar weitgespannten und an immer wieder neue Verhältnisse anzupassenden Gebrauch der Sprache offenbar auch notwendig. Die soeben noch einmal skizzierte Interpretation der empirischen Basis schließt bereits eine Theorie der Sinnesdaten aus, sofern diese als grundlegende epistemologische Theorie und nicht nur als eine psychologische Theorie verstanden werden soll. Schon aus diesem Grunde erschien eine sensualistische Interpretation des Lockeschen Versuches verfehlt, obwohl er für sie etliche Anknüpfungspunkte zu bieten scheint. Zumindest der Sache nach erschien es angemessen, sich an den Aspekt seiner Erkenntnistheorie zu halten, der durch die ausgezeichnete Rolle der Wörter im „Essay" sein besonderes Gewicht erhält. An einer historisch für das Verständnis Lockes einflußreich gewesenen Version des Sensualismus ließ sich das in ihm gelegene naturalistische Mißverständnis des Empirismus deutlich machen. Zur Basis können und müssen u. a. Abstrakta gerechnet werden, obschon ein konkreter Prozeß der Bildung der Idee im Individuum angenommen werden muß; ferner auch „innere" Erfahrungen, die „einfache" Ideen im Sinne der epistemologisdien Analyse sind, auch wenn sie sich in einer objektwissenschaftlichen Theorie ihres faktischen Zustandekommens als äußerst komplex erweisen sollten. Es trat dann natürlich das Problem auf, ob eine im üblichen naturwissenschaftlichen Sinne nicht faßbare innere Erfahrung wirklich eine E r f a h r u n g sei, oder ob durch sie nicht vielmehr die Einheidichkeit der epistemologisdien Basis in Frage gestellt werde, oder ob gar in der Annahme der Reflexion eine idealistische Konsequenz, sei es im Berkeleyschen, sei es im transzendentalen Kantischen Sinne, impliziert sei. Ich habe versucht zu zeigen, daß jedenfalls nicht die Existenz der Reflexion für sich genommen — diese verstanden als Fähigkeit zur Selbstbeobachtung — eine derartige Konsequenz erzwingt. Die Kontroverse zwischen dem Realismus Lockes und dem Idealismus Berkeleys muß vielmehr durch das Abwägen der Überlegungen Berkeleys gegen die pragmatischen Argumente Lockes getroffen werden, mit
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denen dieser das Recht der natürlichen Erfahrung mit ihren natürlichen Zwecken gegen die Künstlichkeit einer bloß theoretischen Skepsis abzusichern versucht. Und die Kontroverse zwischen dem Empirismus Lockes und dem Apriorismus Kants verlangt zu ihrer Entscheidung, daß man mehr als den Ursprung der Ideen in die Überlegung einbezieht, nämlich zumindest audi den Status gewisser Aussagen, etwa der mathematischen. Was das empiristische Konzept bedeutet und wieviel es taugt, läßt sich, was die Gegenüberstellung zum Kritizismus angeht, daher erst bei oder nach der Diskussion des Empirismus der Aussagen entscheiden. Nachdem durch derartige Überlegungen die Natur der Erfahrungsbasis erläutert und mögliche Mißverständnisse bezüglich ihrer zurückgewiesen waren, konnte zwar insoweit audi die Existenz dieser Basis als gesichert gelten; weniger klar jedoch erschien, ob mit der Behauptung dieser Existenz etwas epistemologisch Relevantes gesagt worden sei. Das wäre nämlich dann nicht der Fall, wenn eine Abgrenzung zwischen Basis und Nicht-Basis, die im Einklang mit der Lockeschen Beschreibung der Basis steht, nicht angegeben werden könnte. In diesem Zusammenhang erwies es sich als notwendig, von einer naiven Auffassung der Ideen loszukommen, die bei Locke durchaus ihren Einfluß, aber eben doch keinen ausschließlichen Einfluß ausübt: Im Sinne des epistemologischen Aufbaus der Gesamtheit aller Ideen kam es nicht darauf an, ob manche (oder gar alle) von ihnen gewissermaßen anschauliche Bilder der Sache, für die sie stehen, sind; wichtig war vielmehr ihr Status hinsichtlich der Vermittlung ihres Bedeutungsgehaltes, also ihre Funktionsweise im intersubjektiv mit Hilfe von Zeichen zu bewerkstelligenden Erkenntnisprozeß. Entsprechend mußte daher die Kennzeichnung „einfach" , die Locke zur Abgrenzung der Basisideen verwendet, — statt auf die Unteilbarkeit des anschaulichen Inhalts einer Idee —, auf die im Zuge ihrer Vermittlung und Klärung zu Tage tretende Unmittelbarkeit und Unteilbarkeit bezogen werden. Der Charakter anschaulicher Unteilbarkeit mag zwar in einigen Fällen (ζ. B. bei homogenen Farbflächen) mit der funktionalen Unteilbarkeit im Erkenntnisprozeß in engem Zusammenhang stehen, aber er ist nicht das entscheidende Merkmal, auf das es auch Locke letztlich anzukommen scheint. Daher war es auch möglich, eine gewisse Menge von Eigennamen für Individuen zur Basis zu zählen, d.h. mit anderen Worten: eine Menge von Ideen, deren anschaulicher Gehalt beliebig komplex sein kann. Freilich mußte für diesen Teil der Basis angenommen werden, daß er von einem Erkennenden zum nächsten und mit der Zeit und den Umständen variabel ist; zur Basis gehört diese Menge von Ideen immer noch in dem Sinne, daß sie
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niemals leer sein kann; ja im allgemeinen wird sie relativ groß sein. Ihre Unentbehrlidikeit ergibt sich aus der Tatsache, daß alle Erfahrung jeweils Erfahrung eines bestimmten Menschen in einer bestimmten räumlich und zeitlich begrenzten Umgebung ist. Die Darstellung des Wissens im ganzen muß daher notwendigerweise Ausdrücke bzw. Ideen enthalten, die sich auf gewisse individuelle Umstände beziehen 1 . Es liegt hier also eine gewisse Angleichung der partikulären Ideen an die einfachen Ideen vor, insofern beide deshalb zur Basis gehören, weil sie im Erkenntnisprozeß als irreduzible Einheiten fungieren. Die partikulären Ideen bleiben jedoch von den „einfach" genannten dadurch unterschieden, daß sie von vornherein so konzipiert sind, daß sie durch eine Analyse mittels anderer Ideen (unter denen sich dann freilich wiederum partikuläre finden werden) ersetzbar sind. Daß unter den ersetzenden Ideen wiederum immer auch partikuläre sein müssen, macht es aus, daß die partikulären Ideen als ein (variabler, aber unentbehrlicher) Teil der B a s i s in Erscheinung treten. Zwar nicht dieser letzte, wohl aber jener von Locke explizit angegebene Teil der Basis, also der aus den „einfachen" Ideen bestehende, bot ein weiteres Problem dar: Bedingt der Basis-Charakter, der Charakter der „Gegebenheit", nicht, daß die durch ihn gekennzeichneten Ideen keiner weiteren Analyse zugänglich sind? Und hat er nicht weiterhin zur Folge, daß sie ausschließlich in Beschreibungen ihren Platz haben, keinesfalls aber in Erklärungen? Bei der Beantwortung dieser Fragen kommt der oben gemachte Vorbehalt zur Geltung, daß der im Sinne einer (wie auch immer sonst noch gearteten) wissenschaftlichen Rekonstruktion oder Analyse elementare Charakter von Elementen nicht eo ipso zur Folge hat, daß die Elemente in allen ihren Eigenschaften auch dann ganz unverändert bleiben, wenn sie sich zu größeren Komplexen verbinden. Dieser Vorbehalt ließ sich nun in der Tat auf einfache Ideen in der Erfahrungsbasis anwenden: die Unumgänglichkeit ihrer direkten Vermittlung in Erfahrungssituationen schließt nicht aus, daß ι Dabei war im einzelnen der Umstand zu beachten, daß das, was nidit namhaft zu machen ist, epistemologisch unbrauchbar ist. Aus ihm nämlich ergab sich die Konsequenz, daß nicht (wie Locke gelegentlich audi redet: „our ideas being nothing but actual perceptions in the mind", II. x. 2) die jeweils einzelnen, zu einer bestimmten Zeit realisierten Vorstellungen, d. h. die in einem psychologischen Sinne partikulären Ideen, sondern vielmehr (wie Locke an anderer Stelle redet, ζ. B. im Rahmen der Abstraktionstheorie in III. iii.) die Ideen von zeitlich andauernden Dingen oder Sachverhalten, d. h. die partikulären Ideen in einem logisdien Sinne, als der zweite Teil der Basis neben den einfachen Ideen auftreten. Damit wird nicht etwa das Prinzip des Empirismus, nämlich den Ursprung der Ideen in der konkreten Erfahrung aufzusuchen, preisgegeben; es wird diesem Prinzip im Gegenteil derjenige Ausdruck gegeben, der mit Rücksicht auf die Rolle der Sprache in aller Erkenntnis angemessen ist
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die Kenntnis vieler solcher mit ihren erfahrungsgemäßen Zusammenhängen jede einzelne gewissermaßen in neuem Lichte sehen läßt. So kann ζ. B. eine physikalische Theorie die Erklärung der Farben enthalten; damit trägt sie zu dem bei, was man sich bei ,rot' oder auch bei ,Farbe' denken kann, d. h. sie trägt zu den Ideen von Rot und von Farbe überhaupt bei. Aber sie nimmt dadurch doch nichts von der Notwendigkeit weg, die Bedeutung dieser Ausdrücke unserer Sprache auch und zunächst einmal an Hand der Erfahrung verständlich zu machen. Das Bedürfnis, gewisse einfache Ideen im Laufe der Erfahrung, ζ. B. im Zusammenhang mit der Entwicklung von Theorien, zu modifizieren, ergibt sich gerade erst dann, wenn ein bestimmtes anfängliches Verständnis eben dieser Ideen vorhanden ist. Dieses darf deshalb auch nicht von einer Theorie nachträglich gewissermaßen aufgezehrt werden, wenn sie denn nicht selbst ihre Bedeutung verlieren soll. Ferner enthält die Möglichkeit der Erweiterung von Bedeutungen durch die Verknüpfung von Ausdrücken mit anderen Ausdrücken gerade diejenige Anpassung, deren die einfachen Basisideen bedürfen, um nicht nur für schlicht wiedergebende Beschreibungen, sondern auch für Erklärungen geeignet zu sein. Obwohl Überlegungen dieser Art bei Locke nicht gerade explizit und in dem hier intendierten Zusammenhang vorgetragen werden, konnte jedoch darauf hingewiesen werden, daß er sowohl ausdrücklich behauptet, daß es von einfachen Ideen (ζ. B. eben von den Farben) Analyse und Theorie geben könne, ja müsse, wie auch, daß gewisse einfache Ideen (die er die „originalen" nannte) wesentliche Elemente von Erklärungen sind, ja die Grundbegriffe aller wissenschaftlichen Erklärungen. Es war also möglich, verschiedene Behauptungen der Lockeschen Theorie der Erfahrungsbasis sinnvoll miteinander zu verknüpfen, auch wenn diese Verknüpfungen bei Locke selbst nicht immer in eben dieser Weise deutlich ausgeführt werden oder teilweise nicht einmal konzipiert zu sein scheinen. Die Verdeutlichung oder auch die sinngemäße Vervollständigung der Konzeption Lockes war mir nun deshalb wichtig, weil ich zeigen möchte, daß erst auf Grund ihrer eine Beurteilung dessen, was „Empirismus" bei Locke im ganzen bedeutet, sinnvoll möglich sein wird. Diese Beurteilung wird weitgehend bestimmt werden von der Behandlung eines Problems, das sich in den vorgetragenen Modifikationen der naiven Vorstellung von der „Basis" schon verschiedentlich angedeutet hat: Ist eine Verschärfung der empiristischen Theorie derart möglich, daß eine effektive Rekonstruktion der empirischen Bedeutung aller unserer Vorstellungen bzw. aller unserer sprachlichen Ausdrücke wenigstens im Prinzip angegeben wird? Lockes Theorie der komplexen Ideen kann als der Versuch interpretiert werden, genau in die-
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sem Sinne — ich habe mich (wie zuvor schon andere) der Kennzeichnung „konstruktiv" bedient — eine „effektive" Theorie der Bedeutung zu konzipieren. Das Problem besteht nun bis zum heutigen Tage darin, daß das ungeheuer komplexe Netz der Verknüpfungen aller Ideen untereinander, sei es in ihrer Verwendung im täglichen Leben, sei es in der Wissenschaft mit ihren systematischen Theorien, jede schrittweise Rekonstruktion, wenn nicht ganz und gar unmöglich, so doch hoffnungslos weitläufig und überdies unabsehbar vieldeutig macht. Angesichts dieser Weitläufigkeit und Vieldeutigkeit liegt es nahe, die effektive Konstruktion oder Rekonstruktion einer jeweils zum Ausdrude von Erkenntnis verwendeten Sprache zu verlassen, soweit es darum geht, eine angemessene philosophische Darstellung des menschlichen Wissens im ganzen oder auch nur einer Wissenschaft im ganzen zu geben. Diese Absicht könnte vielmehr, wie ζ. B. Quine meint 2 , adäquater so verfolgt werden, daß man globale Kennzeichen der Wissenschaft (oder auch allgemeiner des Wissens angibt), die von deren (bzw. dessen) Funktion als eines einheitlichen Ganzen in der menschlichen Lebenspraxis her bestimmt sind. Dieser pragmatistisch inspirierte Versuch, aus der Not des empiristischen Ansatzes die Tugend eines besseren Verständnisses von Wissenschaft zu machen, hat mancherlei Vorteile, insbesondere weil er die in der herkömmlichen empiristischen Betrachtung vernachlässigten Aspekte zweckgerichteten menschlichen Handelns und der zeitlichen Entwicklung des Wissens von vornherein in Anschlag bringt. Er hat aber audi seine Nachteile, die vor allem darin zu sehen sind, daß die Darstellung von Wissenschaft bzw. Forschung sehr allgemein und in einer offenbar nicht leicht zu vermeidenden Weise metaphorisch wird, insbesondere jedoch, daß bei einer bloß globalen Kennzeichnung unserer Erkenntnis notwendigerweise Möglichkeiten der Kritik an unberechtigten Erkenntnisansprüchen verloren gehen (wenn sie denn überhaupt bestehen): nur ein (woran zu messender?) Mangel der Funktionstüchtigkeit des Erkenntnisganzen, nicht jedoch Unverständlichkeit oder auch Bedeutungslosigkeit im Einzelnen können Revisionen von Theorien erzwingen3. Es ist daher motiviert, vom einzelnen Wort oder Ausdruck als Einheit der Bedeutung und Baustein des Wissens aus nicht sogleich den Schritt zu 2 Quine, 1 9 5 1 , Abschnitt 6. 3 Trotz gewisser ebenfalls pragmatistischer Neigungen (denen zufolge er seine formalen Rekonstruktionen wissenschaftlicher Theorien als bloße Vorschläge für Wissenschaftssprachen ausgab) hat daher ein so entschlossener Empirist wie Carnap Fragen der Zweckmäßigkeit und Fragen der Berechtigung einer Theorie getrennt halten und allen Problemen 2mm Trotz eine termweise Prüfung von Theorien auf ihre empirische Sinnhaftigkeit festhalten wollen; s. Carnap 1956, insbes. Abschnitt V I I I , Ende.
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ganzen Theorien oder ähnlich komplexen Sprachzusammenhängen des gewöhnlichen Lebens zu tun, sondern zunächst einmal vom skizzierten empiristischen Ansatz her die kleinstmögliche komplexe Einheit zu betrachten, die qualitativ etwas Neues mit sich bringt, was den einzelnen Ideen, sei es den einfachen oder audi den komplexen, noch nicht zukam. Diese Einheit ist offenbar der Satz bzw. das, was man sich bei einem Satz vorstellt oder was man mit einem Satz meint: die Aussage. Und das qualitativ Neue gegenüber dem Wort oder Wortkomplex bzw. der Idee ist dieses, daß mit ihr etwas b e h a u p t e t werden soll, daß sie also (zumindest der Intention nach) entweder wahr oder falsch sein muß. Daß das damit eröffnete Problemfeld mit der Frage nach den Ideen oder Bedeutungen eng zusammenhängt, bedarf seit Frege und nach der Arbeit der logischen Empiristen wohl kaum mehr der Erörterung. Es ist aber im Rahmen dieser Arbeit am Platze, genauer zu sagen, in welcher Weise sich die Verknüpfung des Problems der Wahrheit mit dem der Bedeutung innerhalb der hier vorgelegten Interpretation Lockes ergibt und inwiefern sie bereits im bisher Gesagten implizit angelegt, ja vorausgesetzt ist. Dazu möchte ich an zwei Punkte erinnern: Erstens war zwar die Erfahrungsbasis bestimmt worden als die Menge von Ausdrücken, die — sei es für ein jeweils gegebenes erkennendes Individuum, sei es für alle so und so ausgestatteten menschlichen Individuen — ostensiv definiert werden muß; aber was hier mit dem Terminus „ostensiv" gemeint ist, mußte verhältnismäßig weit gefaßt werden. Keinesfalls ist darunter ausschließlich ein einfacher Akt des Benennens von Dingen zu verstehen, wie er etwa ziemlidi rein vorliegt, wenn man eine Person mit ihrem Namen vorstellt. Vielmehr ist allgemein an den Fall gedacht, daß die Bedeutung eines Ausdrucks nur im Zusammenhang von Erfahrungssituationen vermittelt werden kann. Diese Situationen im ganzen können sehr komplex sein; ebenso kann die Beziehung sehr komplex sein, in der sie zu der jeweils gemeinten Sache, auf die die in Frage stehende Bedeutung festgelegt werden soll, stehen. Besonders klar ist dies bei Reflexionsideen, die, obschon sie ein sehr kompliziertes Phänomen betreffen, doch einfach genannt werden müssen, sagen wir bei der Idee ,Angst'. Auf die gemeinte Sache läßt sich hier nidit einfach zeigen oder hinweisen, sondern die Bedeutung des Wortes ,Angst' muß irgendwie aus seiner Anwendung in mehreren, wahrscheinlich vielen Situationen dem Lernenden so klar gemacht werden, daß er es auf eine bestimmte Verfassimg, die er selbst „direkt" als die und die kennt, richtig beziehen kann 4 . In einer höchst komplizierten und umwegigen Weise, 4 Angst wird hier also n i c h t behavioristisdi verstanden; denn es gibt Angst, die der
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die näher zu präzisieren nicht ganz einfach sein dürfte, liegt hier der „Verweis" oder der „Hinweis" auf ein Erfahrbares vor; und in diesem erweiterten Sinne war von „ostensiver Definition" in § 5 die Rede. Aber selbst da, wo ein direktes Zeigen auf das Gemeinte möglich ist, liegt in Wahrheit schon ein wesentlich komplexerer Vorgang vor als eine schlichte Zuordnung von Wort und Sache. Daß man beim Vorstellen einer Person einen Namen angibt, der dieser und nur dieser Person zukommt, und daß man nicht irgend etwas anderes sagen will, ist nur aus dem längst vorbereiteten Kontext einer normierten Situation unseres gesellschaftlichen Lebens heraus unmißverständlich zu entnehmen. Denn beim Zeigen kann man auf vielerlei Verschiedenes hinweisen wollen; angesichts desselben Gegenstandes und mittels derselben Geste läßt sich sagen: „das ist rot", „das ist rund", „das ist schön", „das sieht lustig aus", „das gefällt mir", „das ist Herr Mainzen" usw. Nur ein komplexer Kontext von Situationen kann jeweils verständlich machen, welche Bedeutung vermittelt werden soll. Aber schließlich müssen alle Bedeutungen, sowohl von ,rot', wie von ,rund', ,lustig', ,schön', gefallen', ,mir' und auch der Zeigeformel ,das ist' aus derartigen Situationen heraus (und eben nicht aus bloßen Worterklärungen wie bei komplexen Ideen) verständlich gemacht werden. Obwohl dabei — besonders bei Gegenständen, Gegenstandsklassen, einfachen Eigenschaften wie Farben und einfachen Tätigkeiten — mehr oder minder direkt ein einzelnes Wort erklärt werden kann, so ist doch klar, daß man prinzipiell, und in etwas komplizierteren Fällen immer, damit rechnen muß, daß Einheiten vom Typ eines ganzen Satzes mit Erfahrungen verknüpft werden, bis schließlich auch die Bedeutung eines bestimmten einzelnen Wortes oder Ausdrucks klar geworden ist 5 . Hieraus ist ersichtlich, inwiefern die Erörterung von Aussagen sich bei einer näheren Analyse der Bedeutimg von Wörtern als notwendig herausstellt. Gewisse Wörter wie ζ. B. Partikeln haben ja überhaupt eine Bedeutung, sich Ängstigende nicht zeigt, und unter „Angst" versteht jeder mehr, genauer: anderes, als was er am V e r h a l t e n anderer (oder dann auch dem eigenen) beobachten kann. 5 Daß zum einzelnen Wort gewissermaßen ein Umweg über ganze Sätze eingeschlagen werden muß, besagt dabei, wie oben erörtert, keineswegs, daß man in der Analyse unserer Ausdrucksmittel beim Satz als elementarer Einheit stehen bleiben könnte, weil man eben die Bedeutung einzelner Wörter kennen muß, um sie sinnvoll für alle vorgesehenen Zwecke einsetzen zu können. Und die Abtrennung einzelner Wortbedeutungen aus dem Sinn der Kontexte, in denen sie stehen, ist bei den Wörtern der Basis etwas, was selbst noch im Zusammenhang derselben Erfahrungssituationen geschehen muß, in denen die Bedeutung ganzer Sätze vermittelt wird. Daher wird die Vorstellung, daß auch Wörter, die zunächst η u r im Kontext erklärt werden können, dennoch der Basis angehören, durch den Umweg über Sätze nicht tangiert.
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die wesentlich daran hängt, daß mit ihnen ganze Sätze verknüpft werden 6 . Und wir haben schon gesehen, daß zumindest einige von ihnen ebenfalls „ostensiv" erklärt werden müssen; das heißt jetzt des näheren: durch die Verknüpfung mit Situationen, in denen es adäquat ist, sie zu verwenden7. Zweitens nun war ausführlich davon die Rede, daß unbeschadet des Basis-Charakters gewisser Ideen ihr Inhalt dadurch weiter verändert werden kann, daß sie im Verlaufe der Erfahrung in bestimmte Zusammenhänge mit anderen Ideen treten. Wäre eine solche weitere Anpassung einer Basisidee nicht möglich, so könnte sie weder ein Phänomen bezeichnen, das einer weiteren wissenschaftlichen Analyse zugänglich und bedürftig ist (wie das Locke z.B. von den sekundären Sinnesqualitäten annimmt, und wir mit ihm), noch könnte sie eine andere als bloß deskriptive Funktion ausüben, während sich doch gezeigt hatte, daß gerade auch gewisse einfache Ideen der Basis eine unentbehrliche, ja zentrale Rolle bei Erklärungen einnehmen (wie es wiederum einer Überzeugung entspricht, die wir mit Locke teilen). Eine Beeinflussung von Ideen durch andere Ideen wird nun aber in erster Linie vermittelt durch die Aussagen, in denen mehrere Ideen in Verbindung miteinander treten. Auch deshalb also erscheint es vom bisher schon Gesagten her notwendig, die Betrachtung über die einzelnen Ideen oder Ideenkomplexe hinaus auf Aussagen zu erweitern. Wenn man dabei nun der Maxime folgt, in kleinen Schritten vorzugehen, von der ich meine, daß sie dem empiristischen Ansatz eines von einfachsten Elementen ausgehenden „Aufbaus" am ehesten gerecht wird, ist es gut, zunächst wieder nur an Aussagen zu denken, die nahe an der Basis liegen, womit gemeint ist: an solche, über deren Wahrheit oder Falschheit direkt im Zusammenhang von einer oder mehreren Erfahrungssituationen entschieden werden kann. Außer Betracht bleiben dabei zunächst also solche Aussagen, die erst im Zusammenhang einer ganzen Theorie zu erklären und zu bestätigen sind, ζ. B. ,alle Elektronen haben einen halbzahligen Spin'. Es wird sich zeigen, daß schon wesentlich einfachere Aussagen, etwa ,das Haus ist rot' oder ,das Kind hat Angst', so viele Fragen aufwerfen, daß sich schon an ihnen der Begriff und die Probleme des Empirismus ein gutes Stück wei6 So audi bei Locke erläutert: III. vii. 7 Wiederum ist auf das eben in Anmerkung 5 Gesagte zu verweisen: es gilt, die einheitliche Bedeutung (oder auch mehrere solche Bedeutungen) unabhängig von speziellen idiomatischen Kontexten zu erfassen und überall, wo dies nicht durch rein verbale Umschreibung mit anderweitig erläuterten Ausdrücken geschehen kann, liegt eine Partikel vor, die der empirischen Basis angehört. Von ,und' etwa glaube ich, daß seine Bedeutung nicht ohne mehr oder minder offenen Zirkel allein mit sprachlichen Mitteln erklärt werden kann.
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Teil III: Der Aufbau des Ideensystems
ter erörtern lassen. Zum Beispiel läßt sich an ihnen plausibel machen, daß Ideen so eng mit Aussagen zusammenhängen, daß ein Empirismus der Ideen bereits mancherlei über einen Empirismus der Aussagen präjudizieren könnte; und gerade darauf möchte ich eine erhöhte Aufmerksamkeit lenken. Es seien also hier einige vorläufige Betrachtungen über die Beziehungen von Ideen und Aussagen angefügt, die die Interpretation von Buch IV des „Essay" auf der Grundlage von Buch II vorbereiten sollen. Betrachtet man etwa das Beispiel ,das Haus ist rot', so hat man die Möglichkeit, die Bedeutung dieser Aussage in befriedigender Weise zu erläutern, indem man die Bedeutungen von ,Haus' und ,rot' getrennt erklärt. Denn zur Erklärung von ,Haus' ist es irrelevant, daß Häuser die und die Farben haben können, und zur Erklärung von ,rot' ebenso, daß unter farbigen Gegenständen möglicherweise auch Häuser vorkommen können. Der Sinn der Aussage wird also gerade dann zutreffend deutlich, wenn man auf die besondere Verknüpfung der Ideen in ihr nicht eingeht, und insoweit steht so etwas wie Wahrheit oder Falschheit bei der Erklärung der Bedeutung nicht zur Debatte. Vor allem ist es ganz richtig, daß man offenbar in der Lage sein muß, ,Haus' sowohl wie ,rot', also einzelne Ideen für sich, zu begreifen, um mit ihnen diese Aussage aufbauen zu können; es könnte ja möglicherweise gar keine roten Häuser geben. Aber daß dies nicht alles ist, was über die Bedeutung dieser Aussage zu sagen ist, wird andererseits daran klar, daß man ja zusätzlich verstehen muß, daß es sich um eine Aussage handelt, ferner was es heißt, daß etwas eine Eigenschaft hat, vielleicht sogar spezieller, was es heißt, daß ein Gegenstand eine Farbe hat. Um diese Forderungen zu erfüllen, müssen jedoch, wenn nicht in diesem Fall, so doch in anderen Fällen, auch ganze Aussagen auf einmal in ihrer Bedeutung erklärt worden sein. Und zu verstehen, daß eine Aussage vorliegt, heißt, ihren Anspruch wahr oder falsch zu sein, in Betracht zu ziehen. Ferner: zu verstehen, welche Aussage vorliegt, bzw. welchen Sinn eine vorgelegte Aussage hat, braucht zwar nicht in allen Fällen, vielleicht auch in keinem Fall, ganz darin aufzugehen, daß man weiß, unter welchen Bedingungen der Behauptungsanspruch erfüllt sein würde; aber das Verständnis der Aussage wird in vielen Fällen, vielleicht auch in allen Fällen, in einem gewissen Maße darauf hinauslaufen, daß man weiß, unter welchen Umständen die Aussage als wahr oder wenigstens als mehr oder weniger verifiziert gelten dürfte. Eine Nötigung, bei der Erklärung einer Bedeutung auf die Frage der Wahrheit auszugreifen, kann in mannigfacher Weise noch viel direkter vorliegen. Betrachtet man etwa das Beispiel ,das Haus hat ein Dach', so ist man schon nicht mehr ganz in derselben Lage wie beim vorigen Beispiel; denn
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alle Häuser, außer unfertigen oder beschädigten, haben ein Dach, so daß ,Haus' nicht unabhängig von ,Dach' erklärt werden kann. Ein richtiges Haus ist eben u. a. zum Schutz da, hat also ein Dach; ein Dach über dem Kopfe zu haben, ist für Kinder meist das einzige wesentliche Merkmal dessen, daß sie sich in einem Hause glauben; und wie in der eben gebrauchten idiomatischen Wendung des Deutschen kann im poetischen Latein und Griechisch ,Dach' für ,Haus' stehen. Daß ein Satz wie ,alle Häuser haben Dächer' oder besser ,ein richtiges Haus hat auch ein Dach' wahr sind — dies zu verstehen, heißt, besser zu verstehen, was ein Haus ist. Ähnlich ist es — unbeschadet der Tatsache, daß es nicht genügt, sowohl ,Angst' wie auch ,Sorge' allein in Aussagen zu verstehen, in denen eine explizite oder implizite Relation zwischen beiden hergestellt wird — für die Erklärung von ,Angst' relevant, daß man zwar sowohl Angst wie Sorgen „haben" kann, daß man sich jedoch nur Sorgen, nicht aber Angst „macht", oder auch, daß ein kleines Kind zwar oft Angst haben mag, man andererseits nicht recht weiß, was es heißen soll, daß das Kind Sorgen hat, oder gar, daß es sich Sorgen macht. In all diesen und vielen anderen, vermutlich auch immer wieder andersartigen, Fällen ist es zwar immer so, daß a u c h die Bedeutungen der e i n z e l n e n Wörter als gewisse einheitliche Gebilde, also in Lockes Sprache gewisse von anderen wohlunterschiedene Ideen, zu vermitteln sind; daß aber andererseits gerade diese Erklärung auf Aussagen auszugreifen nötigt. Aussagen auch als Einheiten, und nicht nur von ihren Bestandteilen her zu verstehen, heißt jedoch, zusätzliche Bedeutungskomponenten aus demjenigen zu gewinnen, was an Aussagen gegenüber den Ideen neu und charakteristisch ist: also aus ihrer Eigenart, zu Behauptungen geeignet zu sein. Mit anderen Worten: man wird zur Betrachtung von Wahrheitsansprüchen und Wahrheitsbedingungen veranlaßt. Wenn das aber so ist, dann läßt sich ein Empirismus der Ideen, wie er bislang ausgeführt worden ist, nur dann abrunden und bestätigen, oder auch widerlegen, wenn er durch einen Empirismus der Aussagen ergänzt wird. Mit diesem erst erlangt der „Empirismus" als philosophische Position im ganzen seine eigentliche Bedeutung, allerdings auch sogleich seinen offenkundig kontroversen Charakter. Denn zunächst könnte man meinen, insbesondere wenn man den Empirismus der Ideen so versteht, wie wir das bisher getan haben, daß der Empirismus der Aussagen konsequenterweise ebenso umfassend konzipiert werden sollte wie jener. Sein Inhalt wäre dann in die scharfe Behauptung zu fassen, daß sowohl die Bedeutung wie auch die Wahrheit einer j e d e n Aussage a u s s c h l i e ß l i c h aus der Erfahrung zu gewinnen bzw. auf die Erfahrung zu begründen sei. Der volle Empirismus
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Teil I I I : Der Aufbau des Ideensystems
wäre, mit den Ausdrücken von § 3 zu reden, ein „Empirismus der Bedeutung sowohl wie ein „Empirismus der Wahrheit". In dieser Präzisierung scheint der Empirismus der Aussagen jedoch trivialerweise falsch zu sein. Man denke — einem Beispiel Lockes folgend — etwa an eine komplexe Idee ,GoId', die eine logische Konjunktion der Ideen ,Metall' und ,gelb' enthält. Obwohl diese Idee im bisher diskutierten Sinne ganz auf die Erfahrung zurückgeführt werden kann, also vollkommen dem Empirismus der Ideen konform ist, so scheint doch klar zu sein, daß die Aussage ,Gold ist gelb' allein deshalb wahr ist, weil die Idee ,Gold' gerade so gebildet wurde, wie eben angedeutet worden ist. Der Wahrheitsanspruch dieser Aussage geht dann aber nicht darauf zurück, daß Gold de facto gelb ist; kann also nicht darauf gegründet werden, daß empirische Fakten herangezogen werden, bei deren Gegebensein, besser: im Hinblick auf deren Gegebensein, die Aussage als wahr befunden werden könnte (es sei denn in dem ganz anderen Sinne, daß es Erinnerimg und damit Erfahrung davon geben muß, daß die Idee ,Gold' in der beschriebenen Weise tatsächlich gebildet worden ist, mit anderen Worten, daß dem Wort ,Gold; tatsächlich die angenommene und nicht eine andere Bedeutung zugeschrieben wird; oder in dem wiederum anderen Sinne, daß man sich auf Erfahrung stützen muß, wenn man nützliche und brauchbare Ideen bilden will). Die übliche Maßnahme, die es gestatten soll, mit Fällen wie dem eben genannten fertig zu werden, besteht bekanntlich darin, neben den empirischen Aussagen noch die weitere Klasse der analytischen Aussagen zuzulassen, deren Wahrheit sich allein schon aus ihrer Bedeutung ergibt. Daß hierdurch nicht-empirische Elemente in die Theorie des Wissens hineinkommen, wird deshalb nicht als störend empfunden, weil sie der Idee nach leicht und vollständig zu durchschauen sind: es soll sich um die bewußt und ausdrücklich vom Erkennenden gemachten oder akzeptierten Konventionen über den Gebrauch von Zeichen handeln. Mittlerweile ist der Empirismus gerade an dieser zunächst unverfänglich scheinenden Stelle angegriffen worden: der Begriff „analytisch" ist in seiner Vieldeutigkeit und Unsicherheit herausgestellt worden 8 ; und die Abgrenzung analytischer bzw. konventioneller Teile in unseren komplexen wissenschaftlichen Theorien macht nicht geringe Schwierigkeiten 9 , wenn sie nicht 8 Einen Überblick über die umfangreiche Literatur hierzu geben Stegmüller 1 9 5 7 bzw. 1968, S. 2 8 9 — 3 1 9 , und Weingartner 1966, 2. Teil; eine Bibliographie gibt Hall 1966. 9 Die (untereinander ganz verschiedenartigen) Versuche von Carnap 1 9 5 6 und 1966, Kap. 27—28, sowie von Putnam 1962 können als Beispiele dafür stehen.
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gar unmöglich sein sollte 10 . Es scheint mir allein schon aus diesem Grunde der Mühe wert zu sein, die Frage grundsätzlich aufzurollen, was denn überhaupt ein vernünftiger Begriff von „Empirismus" im ganzen und speziell von „Empirismus der Aussagen" sein würde, wenn sich herausstellen sollte, daß der Begriff „analytisch" nicht hinreichend geklärt werden kann oder daß er zumindest die an ihn geknüpften Erwartungen an eine erkenntnistheoretisch befriedigende Kennzeichnung gewisser Aussagen nicht erfüllen kann. Ein weiterer Grund für den Rückgang zu einer solchen mehr grundsätzlichen Betrachtung liegt darin, daß von den Aussagen oder Theorien, die anerkanntermaßen nicht auf Erfahrung gegründet werden sollen, also von der Logik und der Mathematik, nicht ohne weiteres klar ist, ob sie zu Recht als analytisch bezeichnet werden können. Mindestens Teile, und zwar gerade besonders wichtige Teile, dieser Wissenschaften haben von altersher und auch heute immer wieder den Eindruck hervorgerufen, als erschöpfe sich ihre Wahrheit nicht in der (wenn auch konsequent eingehaltenen) Willkür von Konventionen, sondern beruhe auf einer besonderen Eigentümlichkeit der zu erkennenden Sache mit ihren Gesetzen. Zwischen zwei solchen gegensätzlichen Auffassungen mögen außerdem zahlreiche andere und subtilere Positionen einer Philosophie der Logik und Mathematik möglich sein. Solange nun dieser Teil der Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie problematisch ist, muß man auch deshalb damit rechnen, daß die Behandlung des Empirismus der Aussagen sich als problematisch und kontrovers erweisen könnte. Für diese Behandlung nun scheinen gewisse Weichen seit den Anfängen des philosophischen Empirismus gestellt zu sein, so daß es sinnvoll erscheint, sich des näheren zu vergegenwärtigen, um welche Vorentscheidungen möglicherweise auch noch unserer heutigen Problemstellung es sich dabei gehandelt hat. In § 3 hatten wir schon gesehen, daß Locke trotz seiner Grundthese, letztlich leite sich alle Erkenntnis aus der Erfahrung her, so etwas wie die unmittelbare rationale Evidenz gewisser Aussagen zugestand. Ein solches Zugeständnis war zu seiner Zeit nirgends widersprochenes Allgemeingut aller philosophischen Überlegungen. In seiner besonderen Ausformung wird es bei Locke wesentlich durch den Einfluß Descartes' mitbestimmt sein 1 1 . Beides jedoch, die allgemeine Überzeugtang aller Philosophen und Schulen des 17. Jahrhunderts wie auch die besondere des Descartes, stehen ohne 10 Das jedenfalls ist die Meinung der Iniatoren der unter Anmerkung 8 genannten Diskussion: Quine 1 9 5 1 , White 1950. 11 Material zu dieser Behauptung bieten: Gibson 1 9 1 7 , Chap. I X ; Lampredit 1 9 3 5 , Laird 1937.
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Teil III: Der Aufbau des Ideensystems
Frage unter dem Eindruck der mathematischen Wissenschaften und der mathematischen Methoden in anderen Wissenschaften. Womit Locke im Buch IV seines „Essay" von seinem empiristischen Ansatz her zu schaffen bekommt, ist demnach mindestens teilweise etwas, mit dem wir ebenso noch heute zu tun haben. Ein letzter Punkt der Vorüberlegungen zu Teil IV dieser Studie sei der folgende: Wenn man sowohl eine Trennung von empirischen und analytischen Aussagen als auch den apriorischen und darum für Wissen aller Art paradigmatischen Charakter der Formalwissenschaften anerkennt, kommt man in die Lage, das empirische Wissen am Maßstab eines von diesem ganz verschiedenen und (zumindest vermeintlich) überlegenen Wissens zu messen. Diese Beurteilungsgrundlage muß jedoch gerade dann befremdlich erscheinen, wenn zugleich die Erfahrung zur vorzüglichen oder gar einzigen Quelle allen Wissens erklärt wird. Im Interesse an der weiteren Ausführung des geschilderten empiristischen Ansatzes im ganzen als auch an der Klärung der Konsequenzen, die hinsichtlich der soeben genannten Einzelprobleme aus ihm erwachsen, soll daher jetzt im vierten Teil dieser Arbeit der „Empirismus der Aussagen" untersucht werden, wie er sich in Lockes „Essay" findet oder aus diesem sinngemäß entwickelt werden kann.
Teil IV: Der Empirismus der Aussagen § 12:
Der Begriff der Wahrheit
Lockes Bestimmungen von Wahrheit sind zweideutig; er macht nebeneinander von einer „korrespondenztheoretischen" und einer „ideentheoretischen" Auffassung Gebrauch. Die erste bringt programmatisch seinen realistischen Empirismus zum Ausdrude, während die zweite offenbar auf den für sicheres Wissen paradigmatischen Fall der Mathematik zugeschnitten ist. In dieser doppelten Orientierung wird ein Problem des Empirismus der Aussagen sichtbar.
Da, wie in § 11 angemerkt, der Anspruch einer Aussage, entweder wahr oder falsch zu sein, dasjenige ist, was als qualitativ Neues über das bei den Ideen Erörterte hinaus hinzutritt, wenn jetzt der „Empirismus der Aussagen" analysiert wird, ist es zweckmäßig, sich vorweg den Begriff von Wahrheit zu vergegenwärtigen, den Locke zugrunde legt. Es wird sich dabei zeigen, daß er in einem für die Frage nach dem Empirismus wesentlichen Sinne zweideutig ist. Locke macht klar, daß er den Begriff „Wahrheit" nicht in irgendeinem moralischen oder metaphysischen Sinne betrachten möchte 1 ; es interessiert ihn also nicht der Sinn, in dem man sagen kann, daß jemand die Wahrheit sagt, wenn er nur aufrichtig ist, oder daß jemand ein wahrer Freund sei, wenn er nur wirklich das ist, was man einen ,Freund' nennen kann. Er will vielmehr von Wahrheit und Falschheit „in der üblicheren Auffassung von diesen Wörtern" handeln 2 , nämlich von der Wahrheit bzw. Falschheit von Sätzen und Aussagen. Wahrheit ist demnach etwas, was Symbolen, genauer: Kombinationen von Symbolen, zukommt. Dem entspricht folgende im Druck hervorgehobene Definition: „Wahrheit also scheint mir in der eigentlichen Bedeutung des Wortes nichts anderes zu bezeichnen als das Vereinigen oder Trennen von Zeichen, und zwar in der Weise, wie die durch sie bezeichneten Dinge miteinander übereinstimmen oder nicht übereinstimmen."3 1 II. xxxii. 2—3; IV. v . u . II. xxxii. 3. 3 „Truth, then, seems to me, in the proper import of the word, to signify nothing but 2
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
Natürlich bedürfte diese Definition einer sorgfältigen Diskussion, wenn man sie in allen Einzelheiten ernstnehmen wollte. Es wäre zu klären, was „übereinstimmen", was „vereinigen" oder „trennen" heißen soll, vor allem wie eine offenbar irgendwie strukturerhaltende Abbildung der Relationen von Dingen auf Relationen von Zeichen zu denken sei usw. Diese Probleme in der gehörigen Weise zu erörtern, müßte jedoch bedeuten, das philosophische Problem der Wahrheit im ganzen anzuschneiden, wozu hier keine Möglichkeit besteht. Unabhängig von allen Schwierigkeiten oder Klärungen, die sich dabei hinsichtlich der Lockeschen Definition und der Sache ergeben könnten, läßt sich jedoch eine Besonderheit der Definition herausheben, die für die weiteren Überlegungen zum Empirismus Lockes wichtig sein wird: Locke vertritt an dieser Stelle ganz offenkundig eine Korrespondenztheorie der Wahrheit. Wahrheit also ist der zitierten Bestimmung zufolge, wie immer sie auch sonst im einzelnen zu erläutern sein mag, etwas, was sich auf die Relation von Zeichenkombinationen mit den durch sie bezeichneten Sachverhalten bezieht. Ich werde daher die zitierte Definition im folgenden als „korrespondenztheoretische" bezeichnen. Nun ist aber zu beachten, daß die Zeichen, von denen Locke redet, nicht nur Wörter, sondern auch Ideen sein können4. Je nachdem kommt die Wahrheit einer „sprachlich formulierten Aussage" oder einer „gedachten Aussage" 5 zu; sie ist entweder „Gedankenwahrheit", auch „mentale Wahrheit" genannt, oder „Wortwahrheit"6. Der Fall der Wortwahrheit ist der einfachere, weil die Zeichen dabei intersubjektiv eindeutig vorgewiesen werden können 7 . Er ist auch insofern der einfachere, als Locke bezüglich seiner an allen Stellen die oben zitierte allgemeine Definition konsistent wiederholt: Als Wahrheit konstituierend wird eine Korrespondenz der Wörter mit etwas außerhalb ihrer Liegendem festgehalten. Sie wird entweder relativ zu den „Dingen" gefordert, für die die Wörter stehen 8, oder aber explizit relativ zu den „Ideen", für die sie stehen 9. Da nach Lockes Auffassung Wörter t h e j o i n i n g or s e p a r a t i n g of S i g n s , as t h e T h i n g s s i g n i f i e d b y t h e m d o a g r e e o r d i s a g r e e o n e w i t h a n o t h e r . " I V . v. 2; eine gleichlautende und ebenso allgemein gehaltene Definition findet sich in I I . xxxii. 19. 4 I V . v. 2. 5 „verbal proposition" und „mental proposition", I V . ν. 2. 6 „truth of thought" oder „mental truth", und „truth of words", I V . v. 3, 6. „verbal truth" ist n i c h t synonym mit „truth of words", sondern ein Unterfall davon; vgl. dazu das Folgende. 7 Audi Locke ist sich darüber im klaren, daß die Abtrennung einer reinen Gedankenwahrheit vom zugehörigen sprachlichen Ausdruck Schwierigkeiten macht, I V . v. 3—4. « I V . v. 5 , 6 . 9 I V . v. 6, 8,9.
§ 12 Der Begrifi der Wahrheit
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immer zunächst für Ideen stehen und allenfalls vermittels derer für reale Gegenstände10, wird hier beidemale dasselbe gesagt: die „Dinge", für die die Wörter stehen, sind eben zunädhst einmal und im eigentlichen Sinne nur Ideen. Wenn das aber so ist, zeigt sich die Relevanz einer weiteren Unterscheidung, die Locke für die Klasse der Wortwahrheiten einführt: sie zerfallen in „rein verbale", die er auch „bloß nominale" nennt 11 und denen er die Eigenschaft „trifling" zu sein zuspricht12, und in „reale", die „instruktiv" sind. Der erste Fall liegt vor, wenn die Wörter „für Ideen im Geiste stehen, die keine Übereinstimmung mit der Realität der Dinge besitzen" bzw. wenn zwar die „Ausdrücke gemäß der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung der Ideen, für die sie stehen, vereinigt sind", jedoch „ohne Rücksicht darauf, ob unsere Ideen von der Art sind, daß sie eine Existenz in der Natur realiter haben oder haben können". Der zweite Fall liegt vor, „wenn diese Zeichen so vereinigt sind, wie unsere Ideen übereinstimmen, u n d wenn unsere Ideen derart beschaffen sind, daß wir wissen, daß sie eine Existenz in der Natur haben können . . . " " . Zu diesen Bestimmungen Lockes ist folgende Beobachtung festzuhalten: Er betrachtet unter dem einen Titel „reale Wahrheit" zwei voneinander gerade im Hinblick auf das Wahrsein von Aussagen relevant verschiedene Fälle zusammen: (a) Die in der Aussage bezeichneten Ideen h a b e n eine Existenz in der Natur, d. h. es gibt die ihnen entsprechenden Gegenstände wirklich. Das wäre der Fall, den man vielleicht am ehesten auch mit der Formulierung verbinden würde, daß die Ideen mit der „Realität der Dinge" übereinstimmen, (b) Die Ideen k ö n n e n eine Existenz in der Natur besitzen. Während die Bestimmung von „verbaler Wahrheit" den Fall (a) ausdrücklich mitnennt, ist die Formulierung über die „reale Wahrheit" explizit nur auf diesen zweiten Fall zugeschnitten. Aber auch im Fall (a) wäre die naive Erwartung an eine korrespondenztheoretische Definition von Wahrheit nur erfüllt, wenn nicht nur erstens die der Wortverknüpfung entsprechende io III. ü. 2; IV. xxi. 4. " IV. v. 8. 12 IV. v. 6; die Bezeichnung spielt darauf an, daß es sich beim Ausspredien soldier Wahrheiten um nicht mehr handelt als ein „trifling with words" (IV. viii. 3). 13 „ . . . truth as well as knowledge may well come under the distinction of verbal and real; that being only verbal truth, wherein terms are joined according to the agreement or disagreement of the ideas they stand for; without regarding whether our ideas are such as really have, or are capable of having, an existence in nature. But then it is they contain r e a l t r u t h , when these signs are joined, as our ideas agree; and when our ideas are such as we know are capable of having an existence in nature.. IV. v. 8.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
Übereinstimmung der Ideen und zweitens die nötige Zuordnung der einzelnen Ideen zu wirklich existierenden Dingen gefordert wäre, sondern auch noch die Übereinstimmung der Dinge selbst in der zur Übereinstimmung der Ideen konformen Weise. Denn die bloße Existenz von jeder einzelnen Idee konformen Gegenständen genügt zur Sicherung der Wahrheit einer Aussage keineswegs. Es könnte ζ. B. der Idee ,Schwan' genau entsprechende Schwäne einerseits und der Idee ,Schwarz' entsprechende schwarze Dinge andererseits geben. „Stimmen" dann die Ideen ,Schwan' und ,Schwarz' „überein", so wäre es eine reale Wahrheit, daß (alle) Schwäne schwarz sind; täten sie es nicht, wäre es wahr, daß (alle) Schwäne nicht schwarz sind. Da es aber sowohl schwarze wie auch weiße Schwäne geben kann, ja sogar gibt, ist die Lockesche Umschreibung von realer Wortwahrheit auch unter Berücksichtigung des Falles (a) unzulänglich. Sie versagt allgemein für alle kontingenten oder bloß faktisch wahren Aussagen. Man sieht jedoch sogleich, für welchen Fall sie — die Klärung der Begriffe „entsprechen", „übereinstimmen" usw. vorausgesetzt — brauchbar ist: Für den der sogenannten allgemeinen und notwendigen Wahrheiten. Das Paradigma sind dabei, wie üblich, mathematische Aussagen: Die Idee ,Dreieck' stimmt mit der Idee ,Winkelsumme von zwei rechten Winkeln' überein. Soll diese Wahrheit nun nicht nur verbal, sondern auch real sein, muß es — so die zu unterstellende Überlegung — in der Natur Dreiecke und Dinge mit der Winkelsumme von zwei rechten Winkeln geben oder vielmehr — und hier drängt sich nun geradezu die Lockesche Erweiterung auf — wenigstens doch geben k ö n n e n . Aktuelle Existenz zu verlangen, wäre offenbar bei mathematischen Gegenständen bereits zuviel. Ob es je ein regelmäßiges Dreieck gegeben hat oder geben wird, mag unsicher sein; die Realität der Geometrie (und zwar der Geometrie im ganzen) darf von einer solchen Frage nicht abhängig gemacht werden; daher das Ausweichen auf die bloße Möglichkeit realer Existenz u . Aus dem bisher Gesagten und Zitierten ergibt sich, daß für Locke (i) Wortwahrheit in jedem Fall allein schon durch die entsprechende Relation von Ideen gesichert werden kann, und daß (2) die zusätzliche Eigenschaft der Realität dieser Wahrheit allein schon durch die bloße Möglichkeit der Existenz von den e i n z e l n e n Ideen entsprechenden Dingen gegeben ist. Damit bleiben zwei Fragen of14
Locke war sich der alten Frage nach der realen Existenz geometrischer Gebilde natürlich bewußt. Daß sie möglicherweise überhaupt irreal sein könnten, ist ihm bedenklich erschienen. Dies geht aus dem Versuch hervor, die Geometrie auf die Arithmetik zurückzuführen; deren Gegenstand nämlich, die Zahlen, scheint nicht nur möglich, sondern auch allenthalben existent zu sein. Näheres zu dieser Frage wird in § 1 5 gesagt.
§ 12 Der Begrifi der Wahrheit
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fen, nämlich wie die Möglichkeit der Existenz von etwas bewiesen werden kann (ausgenommen im gleich noch zu erwähnenden Fall der Substanzen), lind wie der Fall kontingenter Wahrheiten zu beschreiben wäre. Von den angeführten Erklärungen Lockes wird man daher nicht sagen können, daß sie bis zum Kern der Auffassung vordringen, derzufolge Wahrheit in einer Art von Korrespondenz von Aussage und Wirklichkeit besteht. In welcher Weise und an welcher Stelle die Erfahrung ein Wort mitzureden hätte, ist erst recht nicht ersichtlich. Zunächst wird man nun prüfen müssen, ob Lockes Ausführungen über die „Gedankenwahrheit" hier weiterhelfen können. Da bei dieser nur von Ideen und Dingen die Rede ist und die dritte Ebene zwischen Zeichen und Wirklichkeit fortfällt, scheint die eingangs zitierte allgemeine Definition von Wahrheit bereits die oben vermißte zusätzliche Forderung zu enthalten: Es müssen sich die Zeichen verhalten wie die wirklichen Dinge (was immer dies heißen soll). Doch dieser Deutung fällt Locke selbst in den Rücken, indem er auch für den Fall der Gedankenwahrheit eine im Hinblick auf das Wahrsein von Aussagen relevante Zweideutigkeit einbaut. Die thematische Einführung des Begriffs „Gedankenwahrheit" lautet nämlich wie folgt: „Wenn Ideen im Geist so zusammengestellt oder getrennt werden, wie s i e o d e r d i e D i n g e , für die sie stehen, übereinstimmen oder nicht, so handelt es sich um, wie ich es nennen möchte, mentale Wahrheit." 15 Der hier zusätzlich auftauchende Fall der Verknüpfung der Ideen gemäß ihrer Übereinstimmung u n t e r e i n a n d e r figuriert an einer benachbarten Stelle sogar als der einzige, den Locke im Auge zu haben scheint, obsdhon er dort über mentale Aussagen ganz allgemein zu reden vorgibt: Mentale Aussagen, sagt er, sind solche, „in denen die Ideen in unserem Verstände ohne Verwendung von Wörtern zusammengestellt oder getrennt werden, nämlich durch unseren Geist, der i h r e Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung wahrnimmt oder beurteilt" 16 . Das von mir hervorgehobene „ihre" kann auch unter Berücksichtigung des weiteren Kontexts ausschließlich auf „Ideen" bezogen werden. Und daß Locke an dieser Stelle nicht nur einem Lapsus linguae erliegt bzw. eigentlich 15 „When ideas are so put together, or separated in the mind, as they or the things they stand for do agree or not, that is, as I may call it, m e n t a l t r u t h . " IV. v. 6. 16 „ . . . two sorts of propositions that we are capable of making: — First, m e n t a l , wherein the ideas in our understandings are without the use of words put together, or separated, by the mind perceiving or judging of their agreement or disagreement." IV. v.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
sagen will „ihre Übereinstimmung m i t . . . " statt „ihre Übereinstimmung untereinander", bestätigen eindeutig seine Definition des Wissens und die zu ihr gehörigen Erläuterungen: Danach ist unser Geist ausschließlich auf Ideen als seine unmittelbaren Objekte beschränkt, und Wissen ist dementsprechend nichts anderes als die Wahrnehmung der (Nichtübereinstimmung von Ideen untereinander17. Charakteristischerweise sind nun die Beispiele von wahren Aussagen, die Locke an die eben genannten Erklärungen von Wissen anschließt, mathematischer oder, allgemeiner gesagt, begrifflicher Natur, etwa des Typs: „Weiß ist nicht Schwarz" oder „Die Winkelsumme im Dreieck beträgt zwei Rechte". Im Zusammenhang mit Beispielen des ersten Typs verwendet Locke die Formulierung, der Geist entdecke Übereinstimmung bzw. NichtÜbereinstimmung „i η seinen I d e e n " ; genau die gleiche Wendung findet sich bei der Beschreibung von Erkenntnissen von Ideenrelationen vom Typ des zweiten Beispiels 1S . Es bleibt also nichts anderes übrig, als die aus dem Kapitel über Wahrheit zitierten Beschreibungen von mentaler Wahrheit wörtlich zu nehmen und zu konstatieren, daß Locke in ihnen seine allgemeine korrespondenztheoretische Definition von Wahrheit zugunsten einer Auffassung — im folgenden kurz die „ideentheoretische" genannt — verlassen hat, in der allein die Harmonie oder Kohärenz von Ideen untereinander eine Rolle spielt. Dieses Ergebnis für die Gedankenwahrheiten steht mit den Beobachtungen über Lockes Behandlung der Wortwahrheit im Einklang; denn audi dort lag, wie gezeigt, die Wahrheit, auch wenn sie nicht bloß verbal war, allein schon in der Relation der Ideen untereinander begründet, während der Realitätsbezug einer Aussage nicht als solcher zukam, sondern lediglich den in die Aussage eingehenden Ideen jeweils für sich. Im ganzen zeigt sich also eine Diskrepanz zwischen Lockes allgemeiner Definition von Wahrheit und den detaillierteren Beschreibungen einzelner Klassen wahrer Aussagen. Die erste bringt, so dürfen wir annehmen, Lockes „realistische" Grundtendenz programmatisch zum Ausdruck; die zweite drängt sich ihm auf, sobald er an gewisse paradigmatische Fälle von Wissen denkt, die wie allen seinen Zeitgenossen auch ihm, dem Empiristen, als maßgeblich erscheinen. Das Nebeneinander von beiden bringt eine Verlegenheit zum Ausdruck, die sich in jener schon erwähnten Unterscheidung analytischen und synthetischen Wissens bis in die heutige Philosophie der Wissenschaften weitervererbt hat. Die nachfolgenden Abschnitte haben die Aufgabe, den Versuchen Lockes, über diese Verlegenheit hinwegzukommen, im 17 I V . i. 1 — 2 ; I V . ii. i . is „agreement or disagreement which the mind perceives in its ideas, I V . i. 4, 5.
§ 12 Der Begriff der Wahrheit
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einzelnen nachzugehen, wobei auch die Theorie der „Archetypen" mathematischer und moralischer Ideen zur Sprache kommen wird, die man zur formellen Auflösung des hier herausgestellten Widerspruchs zwischen korrespondenztheoretischer Definition und ideentheoretischen Erklärungen des Wahrheitsbegriffs heranziehen könnte. Zur Abrundung der Darstellung dessen, was Locke unter Wahrheit verstand, soll jedoch zuvor noch auf einige Formulierungen hingewiesen werden, die er im Zusammenhang mit nicht-begrifflichen Wahrheiten verwendet. Während er die Erkenntnis begrifflicher Wahrheiten, wie oben hervorgehoben, auf eine Wahrnehmung i n d e n I d e e n zurückführte, soll die faktische Verknüpfung von Ideen durch die Wahrnehmung ihrer „Koexistenz i n d e m s e l b e n S u b j e k t " 1 9 erkannt werden. Dazu ist nach Locke aktuelle Wahrnehmung unerläßlich, die nur unter der Voraussetzung der Präsenz eines einzelnen wirklichen Gegenstandes verständlich ist; in diesem, und eben nicht in den Ideen selbst, sind die in der Aussage vereinigten Ideen verbunden 20 . Und so merkt Locke denn auch im Wahrheitskapitel an, daß die Realität, also die Möglichkeit der Existenz, bei komplexen Ideen von Substanzen (d. h. von in der Natur existierenden Dingen) ausschließlich aus deren zuvor beobachteter Existenz erkannt werden kann 21. Da komplexe Ideen sowohl der Wahrnehmung existierender Dinge entnommen wie audi willkürlich gebildet werden können, scheint für diesen Fall klar zu sein, daß so etwas wie eine Entsprechung der Ideenverbindung in einer gedachten oder der Wortverbindung in einer sprachlich formulierten Aussage mit der Verknüpfung der Dinge, für die die Ideen stehen, vorliegen oder auch nicht vorliegen, daß also Lockes allgemeine korrespondenztheoretische Definition von Wahrheit zum Zuge kommen kann. Die eingangs angekündigte Zweideutigkeit des Wahrheitsbegrifis bei Locke kann also zusammenfassend dahin gekennzeichnet werden, daß er eine korrespondenztheoretische und eine ideentheoretische Auffassung von Wahrheit nebeneinander verwendet, ohne das Verhältnis der beiden zueinander zu klären oder auch nur auf den Unterschied beider aufmerksam zu machen. Dieses Ergebnis kann an dieser Stelle allerdings nur mit einem Vorbehalt, nämlich zunächst nur für das Kapitel über die Wahrheit (IV. v), konstatiert werden. Man kann hoffen, daß andere Kapitel des „Essay" noch et19
„The third sort of agreement or disagreement to be found in our ideas, which the perception of the mind is employed about, is c o - e x i s t e n c e o r n o n - c o e x i s t e n c e in the s a m e s u b j e c t . " IV. i. 6; vgl. auch IV. vi. ίο, S. 258. 20 IV. xi. 9. 21 IV. v. 8.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
was zur Markierung und zur Klärung des hier überspielten Unterschiedes von zwei Arten der Wahrheit beitragen werden. Für die folgende Untersuchung ist damit bereits ein Problem vorgemerkt, das offenbar mit der Frage nach dem Empirismus der Aussagen in engem Zusammenhang steht. Denn ob in den Ideen oder in einem (außer der Sphäre der Ideen liegenden) Dritten jene Verknüpfung der Ideen begründet ist, die symbolisch wiederzugeben die Wahrheit einer Aussage ausmacht, ist eine Frage der Wahrheitsgründe oder der Wahrheitsbedingungen der fraglichen Aussage; und von eben diesen war gefragt worden, ob sie in der Erfahrung gesucht werden müssen oder gesucht werden können.
§ 13:
Der Begriff des Wissens
Gegenstand des Wissens sind, auch im Falle der Existenzaussagen, Verknüpfungen von Ideen. Das Wissen wird als „Wahrnehmung" solcher definiert, und dadurch zugleich von bloß wahrscheinlicher Kenntnis unterschieden. Im Zusammenhang damit steht die Auszeichnung der Intuition als höchster Form des Wissens, ferner der Umstand, daß bei Locke die Abgrenzung von Gewißheit und Wahrscheinlichkeit nicht mit der von Aussagen über Ideenrelationen und Aussagen über Tatsachen koinzidiert. Es ist daher mit einer Differenzierung des später üblichen Dualismus von notwendigen analytischen und nur wahrscheinlichen empirischen Aussagen zu rechnen, mit der etliche in dieser Gestalt sonst nicht geläufige Probleme des Empirismus verbunden sein werden. Bei deren Erörterung kann Lockes Einteilung der Erkenntnisse, wenn auch mit Modifikationen, als Leitfaden dienen.
Ausgehend von der zu Ende des letzten Abschnitts gemachten Feststellung, daß die zweideutige Bestimmung von „Wahrheit" bei Locke mit den Gründen bzw. den Bedingungen, unter denen jeweils eine Aussage wahr genannt werden kann, zu tun haben wird, wende ich mich nun ausdrücklich der Kenntnisnahme zu, die von wahren Aussagen stattfindet, d. h. dem, was Locke unter dem Titel „Erkenntnis" bzw. „Wissen" abhandelt. Dabei werden vier Punkte zu besprechen sein: (1) was der Gegenstand bzw. der Inhalt des Wissens ist, (2) die Definition des Wissens, (3) die Einteilung der gewußten Inhalte nach Maßgabe der möglichen Gewißheit der Kenntnis von ihnen, und schließlich (4) die Einteilung des Gewußten nach der Natur der Inhalte selbst. Zunächst also zu der Frage, wie der Inhalt eines Wissens allgemein zu beschreiben ist: Wenn wir voraussetzen dürfen, daß Erkenntnis immer Erkenntnis der Wahrheit ist, und wenn wir im übrigen, Locke und der englischen Sprache folgend, keinen Unterschied zwischen „Erkenntnis" und „Wissen" machen, so ist klar, daß Locke im Einklang mit seinen Definitio-
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nen von Wahrheit den Inhalt bzw. den Gegenstand eines jeden Wissens als eine Aussage (Proposition), d. h. als eine Verbindung oder Verknüpfung von Ideen, bestimmen mußte. Im Gegensatz zu dieser Vorstellung hat Aaron zwei ganz verschiedene Modelle von Wissen oder Erkenntnis in Lockes „Essay" finden wollen 1: nur zum einen handele es sich um das Erfassen einer Ideenverknüpfung, zum anderen um ein „direktes Erfassen des Realen ohije Vermittlung von Ideen" 2 . Der erste Fall ist der von Locke zu Beginn des Buches IV explizit definierte, während der zweite — auf eine ältere Vorstellung Lockes zurückgehend, die er unter cartesischem Einfluß später zurückdrängte — bei der Behandlung des Idealismusverdachts in IV. iv und der Existenzaussagen in den Kapiteln IV. ix bis xi wieder hervorkomme. Die Gründe, die Aaron zu seiner Darstellung veranlassen, sind zunächst durchaus einleuchtend: erstens haben Existenzaussagen eine von den prädikativen Aussagen, wie wir heute zu wissen glauben, ganz verschiedene Struktur; zweitens kann Wahrheit nicht nur auf die Relationen von Ideen untereinander gegründet werden, so daß sich Locke dem Vorwurf des Idealismus gegenüber zur Annahme einer noch andersartigen Erkenntnis gezwungen sehen müßte; schließlich drittens weist er zu Beginn der Behandlung von Existenzaussagen ausdrücklich darauf hin, daß die vorangehenden Betrachtungen nur den Fall der abstrakten und allgemeinen Wahrheiten betrafen, nicht jedoch den Fall der anders gearteten Propositionen über Existenz und Koexistenz3. Mit dem zuletzt zitierten Vorbehalt macht Locke auf einen zweifellos tiefliegenden, wenn auch, wie noch zu betrachten sein wird, problematischen Unterschied aufmerksam, der zwischen Aussagen über wirklich Existierendes und Aussagen über abstrakte Ideen besteht. Es ist jedoch unrichtig, diese Äußerung als ein Indiz dafür zu nehmen, daß im Falle von Existenzaussagen die allgemeinen Definitionen von Wissen und Wahrheit in den ersten Kapiteln des Buches IV nicht mehr zuständig sein sollten, und daß Locke nunmehr zu einer ganz anderen Vorstellung vom Erkennen fortschreite bzw. zurückkehre. Im einzelnen läßt sich diese Behauptung durch folgende Bemerkungen begründen: (i) Sollte es wirklich so sein, daß Locke neben dem Erfassen von I d e e n r e l a t i o n e n noch ein anderes Modell der Erkenntnis vorschlagen wollte, dann wäre es in der Tat erstaunlich, daß er die von Aaron ausgedrückte Forderung 4, das Buch IV noch einmal neu zu bearbeiAaron 1937, II. VII. ii und iii. a. a. O., S. 239. 3 IV. ix. 1—2. 4 Aaron 1937, S. 240. 1
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ten, nicht erfüllt hat, zumal es Indizien dafür gibt, daß die allgemeinen Betrachtungen über die Begriffe des Wissens und der Wahrheit später geschrieben sind als die Kapitel über Wissen von Existenz 5 . Man würde überdies erwarten, das andere Erkenntnismodell irgendwo, etwa in den Kapiteln über Wissen von Existenz oder auch in den Kapiteln über das wahrscheinliche Wissen, wenigstens einmal e x p l i z i t formuliert zu sehen. (2) Im „Essay" scheint Locke ohne weiteres bereit zu sein, die Existenzaussagen unter die Ideenverknüpfungen einzureihen 6 , ihnen also den besonderen logischen Status zu versagen, den wir heute für evident halten. Er spricht von vier Arten der (Nicht-)Übereinstimmung von Ideen 7 , unter denen die letzte Art beschrieben wird als „die einer aktualen realen Existenz, die mit einer Idee übereinstimmt"8. Wie man sieht, ist die (über den Text länger hingezogene) Aufzählung im letzten Fall grammatisch nicht mehr ganz in Ordnung. Aber die Einordnung selbst läßt wenig Zweifel, daß Locke auch im Falle der Existenzaussagen an eine Relation von I d e e n dachte. Dieser Vorstellung hat er auch später noch Ausdruck gegeben, und dies sogar explizit9. (3) Wenn es wahr wäre, wie Aaron meint, daß Locke durch seine andersartige Behandlung der Existenzaussagen dem Einwand des Idealismus aus dem Wege gehen wollte und deshalb lieber eine inkohärente Theorie der Erkenntnis mit zwei divergierenden Modellen in Kauf genommen habe, dann hätte das zweite Erkenntnismodell (nämlich direktes Erfassen des Realen) auch noch den Fall der Koexistenz von Ideen in demselben Subjekt einschließen müssen 10 . Es steht aber außer Zweifel, daß Locke Aussagen 5 I V . ix. 2 und die Fußnote 1 auf S. 304 von Fräser. 6 Das ist von Aaron keineswegs übersehen worden (1937, S. 238): ich kann ihm indes darin nicht folgen, daß Locke es für nötig hätte halten können, seine allgemeine Auffassung von Aussage und Wissen zu modifizieren. Dort, wo er auf die Einteilung der Aussagen in verschiedene Klassen hinweist, spricht er bezeichnenderweise bloß von „different ways of p r e d i c a t i o n " (IV. ix. 2; Hervorhebung von mir). Das Idealismusproblem oder die Frage des direkten Zugangs zur Realität betrifft nicht Existenzaussagen allein, sondern die G e s a m t h e i t seiner Erkenntnistheorie auf der Grundlage des „way of ideas". Das wird gerade bei der Frage nach der Realität der n i c h t die aktuale Existenz betreffenden Aussagen noch deutlich herauszustellen sein. — Neuerdings hat Yolton ( 1 9 7 0 ; Kap. 4, bes. S. 1 1 0 ff.) die These vertreten, Locke habe zweierlei Arten von Wissen unterschieden; seine Auffassung ist von Woozley ( 1 9 7 2 ) überzeugend kritisiert worden. 7 I V . i. 3. s „The fourth and last sort (sc. of agreement or disagreement) is that of a c t u a l r e a l e x i s t e n c e agreeing to any idea." I V . i. 7. 9 3. Brief an Stillingfleet, W W I V , S. 222. 10 Auch das wird von Aaron gesehen (1937, S. 246), aber mit seiner Behauptung über den besonderen Charakter der Erkenntnis von Existenz nicht in Zusammenhang gebracht.
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über Koexistenz als normale prädikative Aussagen und in diesem Sinne als Ideenrelationen ansehen wollte und mußte. Daher konnte er gar nicht sinnvoll hoffen, durch eine andersartige Vorstellung von dem, was Erkennen in dem speziellen Fall der Existenzaussagen bedeutet, eine Abwehr des Idealismusvorwurfs zu bewirken. Der Kern des Problems scheint mir also nicht darin zu liegen, daß Locke ein für allemal den Inhalt von Wissen oder Erkenntnis als Ideenverbindung bestimmte, also daß eine Aussage nach seiner Vorstellung stets m e h r e r e bedeutungsvolle Inhalte des Denkens verknüpft, worunter einer die Idee der Existenz sein kann. Die Schwierigkeiten sind vielmehr an anderer Stelle zu suchen: zum ersten natürlich in dem a l l e Ideen und Ideenverbindungen treffenden Verdacht, daß sie die Außenwelt etwa nicht erreichen oder nicht getreu abbilden könnten, wogegen Locke seine spezifischen Argumente hatte, von denen hier nicht die Rede sein muß 1 1 , die aber jedenfalls n i c h t einen direkten Zugang ohne Ideenvermittlung zur Wirklichkeit einschlossen; zum zweiten in der Frage, wie ein Unterschied zweier Arten wahrer Aussagen gerechtfertigt werden könnte, derart, daß die Wahrheit der einen ganz in der Relation der Ideen untereinander aufgeht, die der anderen aber dadurch bestimmt ist, daß die Ideen in einem zugrundeliegenden Dritten miteinander verbunden sind. Bevor diese zweite Schwierigkeit weiter verfolgt wird, soll Lockes Definition des Wissens betrachtet werden. Sie lautet: „Wissen scheint mir demnach nichts anderes zu sein als die Wahrnehmung der Verknüpfung und Übereinstimmung oder der NichtÜbereinstimmung und des Widerstreits irgendwelcher unserer Ideen." 12 Diese Formulierung ist die e i n z i g e , die mit dem Anspruch einer allgemeinen Definition auftritt, was noch einmal verdeutlicht, daß der Inhalt eines Wissens stets als eine Relation von Ideen vorgestellt ist 1 3 . Daß diese — sei es alternativ oder simultan — als Übereinstimmimg bzw. Nicht-Übereinstimmung und als Verknüpfung bzw. Widerstreit näher bestimmt wird, hat offenbar keine systematische Bedeutung, wie Lockes Sprachgebrauch im 11 Vgl. Anmerkung 42 zu § 6. 12 „ K n o w l e d g e then seems to me to be nothing but t h e p e r c e p t i o n o f the c o n n e x i o n and a g r e e m e n t , or d i s a g r e e m e n t and rep u g n a n c y o f a n y o f o u r i d e a s . " IV. i. 2; vgl. auch IV. vi. 3, xiv. 4 und xvii. 17, sowie unermüdliche Wiederholungen in den Briefen an Stillingfleet. 13 Neuerdings hat Yolton (1970) wiederum dagegen argumentiert, daß Locke nur diesen einen und einheitlichen Begriff von Wissen gehabt habe, und ist damit auf die überzeugende Kritik von Woozley (1972) gestoßen.
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ganzen zeigt; es wird damit nicht etwa schon auf eine Unterscheidung der gewußten Inhalte nach verschiedenen Typen angespielt. Der Terminus „Übereinstimmung" steht ferner explizit mit der Definition von „Wahrheit" im Einklang, deren genaueren Sinn ich für die folgenden Erörterungen dahingestellt sein lassen wollte (s. § 12). Dagegen muß kurz angemerkt werden, worauf der Terminus „Wahrnehmung" zielt. Zwar bedeutet dieses Wort bei Locke ganz allgemein so etwas wie „eines Bewußtseinsinhalts gewahr werden", braucht sich also nicht speziell auf die Wahrnehmung im alltäglichen Sinn dieses Wortes zu beziehen. Trotzdem ist die Bedeutung natürlich am gewöhnlichen Wortsinn, insbesondere am Phänomen des Sehens, orientiert. Die Unmittelbarkeit und Unabweisbarkeit des Gesehenen ist das, was hier in erster Linie zum Ausdrude kommen soll und die Wahl des Terminus von jeher und bei Locke motiviert hat: Er spricht von der in vielerlei Hinsicht vorhandenen „großen Gleichartigkeit" von Wissen und Sehen und bezieht sie u. a. darauf, daß man nicht anders könne als zu sehen, was man sieht, wenn man nur die Augen offen habe u . Sehen und Wissen gleichen einander darin, daß sie zwar von der (physischen oder psychischen) Hinwendung zu etwas abhängig sind, im übrigen jedoch „nur durch die Gegenstände selbst" bestimmt werden. Vom Wissen gilt wie von jeder gewöhnlichen Wahrnehmung der Satz: „Was ein Mensch sieht, kann er nicht umhin zu sehen; und was er wahrnimmt, davon kann er nicht umhin zu wissen, daß er es wahrnimmt" 15 . Es werden also Sehen im alltäglichen Sinne und Erkennen in enge Nachbarschaft gebracht. Hinzu tritt noch eine weitere Bedeutungskomponente von „Wahrnehmung" in der Definition des Wissens: Wahrnehmung steht hier im Gegensatz zur bloßen, wenn auch möglicherweise wohlbegründeten, A n n a h m e einer Ideenverknüpfung, d. h. zu etwas, das einem indirekten Erschließen, nicht einem direkten Erfassen gleichgestellt ist. Diese Entgegensetzung führt weiter zur Erörterung des dritten der oben genannten Punkte, nämlich der Einteilung der Wissensinhalte nach Maßgabe des Gewißheitsgrades der von ihnen zu erlangenden Kenntnis. Wie es im Zuge der gesamten philosophischen und in dieser Hinsicht von Descartes nur erneuerten Tradition liegt, hat auch Locke die Tendenz, von Wissen nur zu sprechen, wo Gewißheit vorliegt 16 , ja er neigt dazu, bei" IV. xiii. 1. 15 „ . . . what a man sees, he cannot but see; and what he perceives, he cannot but know that he perceives." IV. xiii. 2. 16 „ . . . certainty, without which there can be no true knowledge", IV. iii. 14; vgl. IV. vi. 13; eine besonders deutliche und ausführliche Stelle findet sich im Briefwechsel mit Stillingfleet, W W IV, S. 145.
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des schon begrifflich nicht mehr recht auseinanderzuhalten17. Auch er muß sich also, wie seine philosophischen Vorgänger, um des Strebens nach Gewißheit willen von dem üblichen Wortgebrauch von „Wissen" entfernen; vieles, von dem wir (unter geeigneten Umständen) sagen würden, daß wir es wüßten, ζ. B. daß Eisen magnetisierbar ist, daß Cäsar den Rubikon überschritt, oder daß es Wale gibt (obwohl wir selbst nie einen solchen gesehen haben) — vieles dieser Art also können wir nach Lockes Meinung nicht wissen, sondern nur mehr oder weniger begründet meinen; es ist uns keine „Erkenntnis" davon, sondern nur ein „Urteil" darüber möglich18; statt Gewißheit liegt Wahrscheinlichkeit vor 19 . Die sozusagen technische Definition dieser zweiten Art der Kenntnis, die wir über Wahrheit oder Falschheit von Aussagen noch haben können, ist der Definition des Wissens analog gebaut, mit dem einen Unterschied, daß an die Stelle der „Wahrnehmung" die „Annahme" tritt 20 ; an die Stelle dessen, von dem wahrgenommen wird, daß es so und so ist, tritt das, was nur überwiegend so und so ist oder was uns so und so vorkommt21. Die Ideenverknüpfung ist nicht mehr „sichtbar"; das, was Überzeugung vom bloß Wahrscheinlichen hervorruft, ist etwas, das jene Verknüpfung nicht „in manifester Weise zeigt"22. Prägungen dieser Art weisen darauf hin, daß Locke aus der Formel von der „Wahrnehmung" eine Art Kriterium für jene grundlegende Unterscheidung zu machen versucht, die geradezu das Ergebnis und die Pointe seiner Erkenntnistheorie genannt werden muß. In dieser Auszeichnung des Wahrnehmens und in der noch zu besprechenden, mit ihr zusammenhängenden Auszeichnung der Intuition liegt es begründet, daß eine Erwartung enttäuscht wird, die sich aus der Analyse des Wahrheitsbegriffs bei Locke nahegelegt haben kann, nämlich die folgende: Es war klar geworden, daß Locke nebeneinander die beiden Fälle betrachtet, erstens, daß die Verknüpfung zweier Ideen in den Ideen selbst be" . . . knowing, i. e. being certain . . I V . χ. ι; vgl. audi IV. vi. 3, WW IV, S. 143. Über den Gegensatz von „knowledge" und „judgement" ζ. Β. IV. xiv. 3. 19 ζ. Β. IV. χν. 3· 20 Statt des Verbs „perceive" wird „presume" gebraucht, IV. xiv. 4; an anderen Stellen vielfach auch „take", ζ. Β. IV. xiv. 3, xvii. 17, χν. ι. 21 IV. χν. ι. 22 „And herein lies the difference between p r o b a b i l i t y and c e r t a i n t y , f a i t h and k n o w l e d g e , that in all the parts of knowledge there is intuition; eadi immediate idea, each step (sc. of a demonstration) has its visible and certain connexion: in belief, not so. That which makes me believe, is something extraneous to the thing I believe; something not evidently joined on both sides to, and so not manifesdy showing the agreement or disagreement of those ideas that are under consideration." IV. xv. 3. 17
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gründet ist, und zweitens, daß die Ideen in einem zugrundeliegenden Dritten verbunden sind. Der erste Fall wäre wohl in einer etwas moderneren Ausdrucksweise dem rein begrifflicher, sprachlicher oder analytischer Aussagen gleichzusetzen, während der zweite der außersprachlich begründeter, synthetischer Aussagen über die Wirklichkeit wäre. Die sich hieran anschließende Erwartung könnte nun die sein, daß die Unterscheidung der beiden Arten von wahren Aussagen, die Locke im Kapitel über Wahrheit, wie wir sahen, nicht explizit gemacht, wohl aber in seinen Formulierungen angelegt hat, der von ihm im gesamten Buch IV mit aller Deutlichkeit ausgearbeiteten Unterscheidung von Wissen und wahrscheinlichem Urteil genau entspricht und dadurch ihren Sinn und ihre Berechtigung erhält. Es würde dann die von Hume her bekannte und für den Empirismus unseres Jahrhunderts so einflußreich gewordene Zweiteilung aller kognitiv-sinnvollen Aussagen in einiger Klarheit vorliegen: die Wahrheit von Ideenrelationen wäre dann das einzige, wovon eine mit Gewißheit verbundene Kenntnis und damit Wissen im engeren Sinne möglich ist; die Wahrheit von Aussagen über Tatsachen dagegen könnte stets nur einem wahrscheinlichen Urteil unterliegen, unbeschadet dessen, daß dabei in vielen Fällen praktisch, d. h. an den Bedürfnissen des handelnden Menschen gemessen, Gewißheit vorliegen mag. Die Erwartung, daß sich auch Locke als Ahnherr in diese Tradition empiristischer Aussagentheorie einreihen ließe, wird nun aber, wie gesagt, enttäuscht. Die Orientierung an der Bestimmung des Wissens mit Hilfe des Begriffs „Wahrnehmung" und mittelbar die dahinterstehende cartesisch geprägte Beeinflussung durch den Begriff der „Intuition" bringen es auf plausible Weise mit sich, daß Locke die gegenwärtige Wahrnehmung der Existenz von etwas oder auch der Koexistenz von Qualitäten mit unter die Quellen des Wissens im engeren Sinne rechnet, womit die mittlerweile klassisch gewordene Einteilung in einem entscheidenden Punkte (noch) nicht verwirklicht ist. Diese Bemerkung darf nun nicht so verstanden werden, als ob es die begriffliche Konstruktion von „Wissen" mit Hilfe von „Wahrnehmung" sei, die jene Einordnung des hier und jetzt Wahrgenommenen unter das Gewußte berechtigte. Vielmehr ist es der Sache nach umgekehrt: da die subjektive oder praktische Gewißheit, mit der wir über gegenwärtig Wahrgenommenes urteilen, der Gewißheit des Wissens von Ideenrelationen ununterscheidbar nahekommt, besteht nicht nur keine sichtbare Berechtigung, Wissen aus Wahrnehmung epistemologisch abzuwerten, sondern sogar Veranlassung, das Modell des Wissens überhaupt an der klaren sinnlichen Wahrnehmung, vorzugsweise dann natürlich am Sehen, zu entwickeln. Und gerade hierin folgt Locke überlieferter Weisheit der Philosophen oder auch
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der natürlichen Sprachen, die ja über Wissen nicht selten in Metaphern sprechen, die aus dem Bereich der Gesichtswahrnehmung entlehnt sind. Dies läßt sich besonders deutlich bei der Behandlung der „Intuition" nachweisen, die Locke als die höchste Form der Erkenntnis gilt und die darum begreiflicherweise die „Wissen" definierenden Merkmale in vorzüglichem Maße an sich tragen sollte. Ihre Einführung begleitet Locke u. a. mit der folgenden Erklärung: Im intuitiven Wissen „ist der Geist nicht der Mühe des Beweisens und Prüfens unterworfen, sondern nimmt die Wahrheit wahr wie das Auge das Licht, allein dadurch, daß er auf sie ausgerichtet wird" 23 . Dieser Vergleich wird im folgenden weiter ausgemalt, wie denn überhaupt der Vergleich zwischen dem Verstände und dem Auge sich bei Locke besonderer Beliebtheit erfreut 24 . Eine zweite Stelle mag hier noch wörtlich zitiert werden, weil ich im nächsten Abschnitt noch einmal Anlaß haben werde, auf sie zurückzukommen: „Wenn die Augen Sehvermögen haben, wird es auf den ersten Blick ohne Zögern die auf dieses Papier gedruckten Wörter als verschieden von der Farbe des Papiers wahrnehmen: ebenso wird der Geist, wenn er die Fähigkeit deutlicher Wahrnehmung besitzt, die Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung jener Ideen wahrnehmen, die intuitives Wissen hervorbringen."25 Wenn Locke schließlich die Behauptung, daß Newton seine mathematischen Aussagen auch in der Erinnerung noch mit Gewißheit wisse, dadurch zu beglaubigen versucht, daß er diese Erinnerung mit der an ein beobachtetes Ereignis vergleicht26, so möchte man meinen, daß er die sinnliche Wahrnehmung, oder jedenfalls das natürliche Sehen, geradezu zum Maßstab und Vorbild für jegliches Erkennen erheben wolle. Daß dies freilich nicht seine Absicht war, wie es denn ja wohl allzusehr der allgemeinen und traditionellen Überzeugimg zuwidergelaufen wäre, zeigt deutlich seine zögernde Ausdrucksweise, wenn es darum geht, der sinnlichen Erkenntnis Gewißheit zuzuschreiben 27. Daß hier jedoch ein Problem liegt (das übrigens die Aufmerk23 „ . . . intuitive knowledge... in this the mind is at no pains of proving or examining, but perceives the truth as the eye doth light, only by being directed towards it." IV. ii. i. 24 Zwei Stellen finden sich gleich zu Beginn der „Epistle to the Reader" (S. 8) und zu Beginn der Einleitung (§ i, S. 25). 25 „If there be sight in the eyes, it will, at first glimpse, without hesitation, perceive the words printed on this paper different from the colour of the paper: and so if the mind have the faculty of distinct perception, it will perceive the agreement or disagreement of those ideas that produce intuitive knowledge." IV. ii. 5. 26 IV. i. 9. 27 IV. ii. 14.
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samkeit gerade eines Empiristen hätte herausfordern müssen), ist klar; denn Locke kann sich für die Vorordnung der Intuition vor die sinnliche Wahrnehmung nicht auf ein systematisches Argument berufen, wie es in gleicher Sache für Aristoteles möglich war 28 . Dieser konnte sich auf das Prinzip stützen, daß ein Erkenntnisverfahren, das Allgemeines zu erfassen gestattet, eben darum höher einzuschätzen sei als die Wahrnehmung, die immer nur Einzelnes erfaßt. Dabei stand so etwas wie ein Vergleich der beiden Erkenntnisquellen hinsichtlich ihrer Gewißheit nicht zur Debatte. Insofern Locke darauf verzichtet, den alten Gesichtspunkt der Allgemeinheit möglichen Wissens zur Beurteilung heranzuziehen, begibt er sich — und dies innerhalb seines Systems ganz konsequent29 — des Arguments für die Abwertung der sinnlichen Wahrnehmung. Daß er die Intuition nicht auf die Erfassung eines Allgemeinen beschränkt sah, geht andererseits daraus hervor, daß er die Erkenntnis von der Existenz des eigenen Selbst einer „Intuition" zuschreibt. Auch die Behandlung dieses Falles zeigt übrigens, wie eng die Nachbarschaft und die Verknüpfung von Intuition und unmittelbarer Erfahrung (im Sinne von Sensation und Reflexion) bei Locke ist. Für die Klärung dessen, was „Empirismus" bei Locke besagen könnte, ist die enge Beziehung von sinnlicher Wahrnehmung, Intuition und Wissen (bzw. Erkenntnis) natürlich ein interessantes Phänomen, das im folgenden im Auge zu behalten sein wird. Es deutet bereits darauf hin, daß die Frage, wie in seiner Philosophie die notwendige oder apriorische Erkenntnis begründet werden kann, nicht so ohne weiteres in der mittlerweile innerhalb des Empirismus geläufig gewordenen und von Hume vorgeprägten Art und Weise beantwortet werden kann. Jedenfalls kann die übliche Einteilung der kognitiv-sinnvollen Aussagen in synthetische und analytische nicht aus der Natur des Wissens, wie es Locke allgemein bestimmt, d. h. nicht aus der Natur der „Wahrnehmung" verständlich gemacht werden. Wenn innerhalb der Sphäre des Wissens im engeren Sinne („knowledge") noch einmal zwei voneinander ganz verschiedene Sorten von Wissen unterschieden werden sollen, muß vielmehr ein neues Kriterium hinzutreten. Dieses könnte — so wird man vielleicht vorschlagen wollen — aus einer Präzisierung jener Unterscheidung hervorgehen, die Locke so formuliert hat, daß bei einer Aussage die Verbindung der Ideen zum einen in ihnen selbst, zum anderen aber auch in einem zugrundeliegenden Subjekt gelegen sein 28 Analytica Posteriore A 31, Β 19. Man muß hier an die Abwertung allgemeiner Prinzipien denken, etwa im Kapitel über Axiome und Maximen (IV. vii.) oder bei der Behandlung der Syllogistik (IV. xvii., bes. § 8).
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kann. Es wird sich aber zeigen, daß es schwer fällt, bei Locke eine derartige Präzisierung zu finden, was eng damit zusammenhängt, daß die fragliche Unterscheidung von zweierlei Wissen im Rahmen des von Locke bereitgestellten Ansatzes nidit leicht zu rechtfertigen ist (s. § 17). Die zweite Fassung, die er dieser Unterscheidung gegeben hat, hilft hier nur begrenzt weiter: Gemäß ihrer stehen sich allgemeines Wissen, das aber keine Existenz betrifft, und ein Existenz betreffendes Wissen, das aber immer nur partikulär ist, gegenüber 30 . Extensional gesehen, grenzt Locke hier also genau so ab wie Hume und seine modernen Anhänger: Ideenrelationen gegen Tatsachen. Damit, daß er überdies noch eine Abstufung des Gewißheitsgrades annimmt, nämlich intuitive bzw. demonstrative gegen sinnliche Gewißheit stellt, tut er einen weiteren Schritt auf dem Wege seiner Nachfolger. Dieser Weg führte, gewissermaßen einem natürlichen Gefälle folgend, dahin, schlechterdings alle Kenntnis von Tatsachen für bloß noch wahrscheinlich oder bloß hypothetisch31 auszugeben. Diese Folgerung steht zwar anerkanntermaßen mit dem umgangssprachlichen Wortgebrauch von ,Wissen', .Wahrscheinlichkeit' usw. nicht im Einklang, läßt sich jedoch aus systematischen Gründen schwerlich vermeiden, sobald man einmal das Wissen von Ideenrelationen (von begrifflichen Verhältnissen) als unübertreffliches Vorbild akzeptiert hat, im Vergleich zu dem jegliches andere Wissen eingeschätzt wird. Zu diesem Ziel hin scheint auch Locke die ersten Schritte zu tun, indem er Wissen über 30 IV. ix. I. 31
Als prominente Vertreter nenne ich David Hume und Moritz Schlick: Bei Hume sind bereits das Wissen von a l l e m Tatsächlichem und das Wissen von Ideenrelationen klar geschieden. Von Ideenrelationen ist „knowledge" möglich, aber auch nur von ihnen: „ . . . the sciences of quantity and number . . . may safely, I think, be pronounced the only proper objects of knowledge and demonstration." (Hume 1748, X I I . iii). Die Tatsachen bleiben dem „belief" und dem „probable reasoning" überlassen, das seinerseits von der Art sinnlicher Wahrnehmung ist: „ . . . all probable reasoning is nothing but a species of sensation" (Hume 1 7 3 9 , 1 , iii. 8). Und mag dieser epistemologisdhe Bereich auch kontinuierlich bis hinauf zu praktischer Gewißheit und „proof" reichen (z.B. 1748, VI, Anm.; 1739, I.iii. 12—13), so gilt doch: „But knowledge and probability are of such contrary and disagereeing natures, that they cannot well run insensibly into each o t h e r . . . " (1739, I. iv. 1). Daher kann Hume ohne weitere Qualifikationen eine Zweiteilung zur Grundlage seiner Erkenntnistheorie machen: „All the objects of human reason or enquiry may naturally be devided into two kinds, to wit, R e l a t i o n s o f I d e a s , and M a t t e r s o f F a c t . " Ferner: „Matters of f a c t . . . are not ascertained in the same manner; nor is our evidence of their truth, however great, of a like nature with the foregoing." (1748, IV. 1). — Schlick hat gesagt: „Alle Sätze der Wissenschaft . . . sind samt und sonders H y p o t h e s e n , sobald man sie vom Gesichtspunkt ihres Wahrheitswertes, ihrer Gültigkeit betrachtet." (Schlick 1934, V I I I ) . Schlick meint hier nur die empirische Wissenschaft.
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Ideen und Wissen über Existenzen unterscheidet und auf verschiedene Stufen einer Gewißheitsskala setzt. Es ist nun aber, gerade angesichts der nachfolgenden Tradition, besonderer Aufmerksamkeit wert, das Gelände genauer zu besichtigen, in dem Locke, noch am Anfang dieses Weges stehend, verweilt, und dabei zu prüfen, über welche Steine man hier stolpern kann. Wenn man nämlich mit Hilfe der durchaus griffigen Unterscheidung zwischen Ideen und Existierendem den Unterschied zweier Wissenstypen unterschiedlicher Gewißheit begründen will, ergeben sich Schwierigkeiten daraus, daß jenes allgemeine, aber nicht Existenz betreffende Wissen doch immer noch wenigstens die Möglichkeit von Existenz zum Inhalt haben soll (vgl. § 12). Welche Versuche Locke anstellt oder wenigstens uns zu betrachten veranlaßt, um die Erfüllung dieser Forderung sicherzustellen, werden spätere Abschnitte (§§ 1 5 - 1 6 ) zu zeigen haben. Sie werden darauf hinführen, das sachliche Recht der oben betonten engen Verwandtschaft von Intuition und Wahrnehmung sichtbar zu machen, zugleich aber auch von der klaren Trennung der beiden Sorten des eigentlichen Wissens wegführen. Ich werde zu zeigen versuchen, daß nur systemfremde und im Sinne des Lockeschen Ansatzes unverbürgte Anleihen rationalistischer Art den epistemologisch grundlegenden Unterschied von Ideenwissen und Existenzwissen stützen können, den Locke tatsächlich vertritt. Es mag zwar zu Recht ein besonderes Verdienst von Locke darin gesehen werden, daß er die qualitativen Unterschiede verschiedener Arten von Wissen erkannt und gelehrt hat 32 ; aber es erscheint fraglich, ob er sie im Rahmen seiner Erkenntnistheorie hinreichend begründet und treffend gekennzeichnet hat. Diese Bemerkung trifft sogar noch den fundamentalen Unterschied zwischen Wissen im eigentlichen Sinne und bloß wahrscheinlicher Meinung. Die Frage nach den im System Lockes verfügbaren Rechtfertigungsgründen wird gerade auch in diesem zweiten Falle eine Relativierung des von ihm behaupteten epistemologischen Klassenunterschiedes sichtbar machen (§ 19). Wenn in dem angedeuteten Sinne die Einteilung und die Rangfolge von Wissensinhalten, die Locke nach Maßgabe der jeweils möglichen Gewißheit einer Kenntnis von ihnen festlegt, eine kritische Betrachtung erfahren, so hängt dies in allen Fällen damit zusammen, daß Locke eine Auffassung von der Allgemeinheit der Begriffe (bzw. der abstrakten Ideen) hat, die von seinem eigenen empiristischen Ansatz her anfechtbar ist 33 . Am leichtesten läßt 32 Dies ist die Kernthese von Ryle 1 9 3 3 ; s. bes. S. 38 f. (am Ende des Aufsatzes). 33 Ich stimme hier mit Aaron (1937, S. 233 Anm. und S. 235) in der These überein, daß
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sich dies an Hand der einfachsten Aussagen über Ideenrelationen, insbesondere der Aussagen über Identität und Verschiedenheit von Ideen zeigen, so daß mit ihnen die detailliertere Erörterung des „Empirismus der Aussagen" begonnen werden soll (§ 14). Zuvor habe ich noch abschließend den vierten der zu Anfang dieses Abschnittes genannten Punkte zu besprechen: die Einteilung der Erkenntnisse nach der Natur ihres Inhalts. Da sie für Lockes eigene Darstellung weitgehend maßgeblich ist, ist es zweckmäßig, sie hier noch ausdrücklich mit der Einteilung nach Gewißheitsgraden in Beziehung zu setzen. Locke bietet uns eine Klassifikation in vier Gruppen an; seine Liste der Typen von Aussagen bzw. von Ideenverknüpfungen ist die folgende: (I) Identität und Verschiedenheit, (II) Relation, (III) Koexistenz oder notwendige Verknüpfung, (IV) reale Existenz 34. In einem Sinne des Wortes handelt es sich natürlich in allen Fällen um Ideenrelationen, eben um Propositionen. In einem spezifischeren Sinne ist der Relationscharakter nur in den Fällen (I) bis ( I I I ) manifest (worin eine Sonderstellung der Existenzaussagen besteht 35 ); in einem noch spezifischeren Sinne handelt es sich nur bei (I) und (II) um Relationen von Ideen, nämlich in dem Sinne, daß die Bedeutung der ganzen Aussage darin gesucht werden kann, daß gewisse Ideen a l s I d e e n die und die Relation zueinander haben. Da, wie ausführlich erläutert worden ist, ein Hauptproblem eben in diesem Unterschied von (I) und (II) gegenüber (III) und (IV) besteht, empfiehlt es sich für die folgende Betrachtung, zunächst die beiden ersten Fälle vorzunehmen. Im einzelnen ist es dabei aber nicht unbedingt nötig und ratsam, zwischen (I) und (II) genau so zu trennen wie Locke; denn die Probleme, die die Relation der Identität von Ideen bietet, sind, soweit sie hier überhaupt in Betracht kommen, die gleichen wie die anderer einfacher Relationen, wie sie etwa in den (aus Locke entnommenen) Beispielaussagen „2 ist größer als 3" oder „3 ist gleich χ plus 2" ausgedrückt sind. Tatsächlich sind diese einfachsten Relationen mit der der Identität bei Locke dadurch verbunden, daß sie allesamt durch Intuition erkannt werden und keines BeLockes Auffassung der Allgemeinheit abstrakter Begriffe ein Kernproblem seiner Erkenntnistheorie ist, allerdings nicht nur was die Beurteilung der Mathematik anlangt. Vgl. Anm. 5 zu § 19. IV. i. 3. 35 Diese merkt auch Locke selbst implizit an, wenn er in IV. i. 7 zwar Identität bzw. Verschiedenheit und Koexistenz als besondere Relationen bezeichnet, von Existenz jedoch nicht spricht. Diese Stelle halte ich indes nicht für ein Indiz, das gegen die erwähnten zählen könnte, wenn es um die besondere Aussagenstruktur der Existenzaussagen geht.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
weises bedürfen oder fähig sind 36 . Hingegen sind die beweisbaren und beweispflichtigen Relationen komplizierterer Art, etwa zwischen der Idee ,Dreieck' und der Idee ,Winkelsumme von zwei rechten Winkeln', durchaus anders gestellt; sie müssen daher in gesonderten Abschnitten (§§ 1 5 - 1 6 ) behandelt werden. Die Fälle (III) und (IV) können wiederum gemeinsam besprochen werden (§§ 1 8 - 1 9 ) , da sie wiederum untereinander in Lockes Theorie (und der Sache nach) dadurch verbunden sind, daß ihre Kenntnis aktueller Wahrnehmung entnommen werden muß, wenn sie nicht zur bloß wahrscheinlichen Beurteilung herabsinken soll. Dabei sind, wie dies in Lockes Formulierung „notwendige Verknüpfung" schon angedeutet ist, unter (III) keineswegs nur regelmäßige oder gesetzmäßige Koexistenzen zu betrachten, sondern ebenso sehr alle anderen gesetzmäßigen faktischen Relationen (direkten oder indirekten Kausalverknüpfungen). Etwas schwieriger ist schon die Frage, ob auch zufällige, vielleicht gar singuläre Koexistenzen unter (III) von Locke mitgemeint sind. Da es von ihnen im engeren Sinne ein Wissen geben soll, sofern sie in einer gegenwärtigen Wahrnehmimg erfaßt werden, muß man diese Frage wohl bejahen. Dann aber ist wiederum klar, daß sinngemäß auch zufällige Sukzessionen einbezogen werden sollten, wenn man denn nach Locke annehmen darf, daß die Notwendigkeit, die Erinnerung einzuschalten, für sich genommen nicht schon jedes Wissen auf wahrscheinliche Kenntnis herabdrückt37. Ja es ist sogar so: nähme man diese kontingenten Relationen von existierenden Dingen oder Eigenschaften nicht hinzu, so bliebe nach Locke nahezu nichts unter (III) Subsumierbares im Bereich des strengen Wissens übrig, da wir nur ganz wenige notwendige Relationen von Existierendem im eigentlichen Sinne wissen können38. Mit diesem Vorblick mag hinreichend begründet sein, warum und in welcher Weise es zweckmäßig ist, die Lockesche Einteilung der Erkenntnisse nicht genau zu befolgen, wenn das Ziel ist, die Bedingungen des Wahrseins und die Begründungen von Behauptungen über das Wahrsein von Aussagen von dem bisher aufgebauten empiristischen Fundament aus zu untersuchen.
36 IV. ii. 1. 37 IV. i. 8—9. 38 IV. iii. 14—16. Daß trotz der eingeschränkten Terminologie, die für faktische Relationen bloß den Titel „coexistence" kennt, der gemeinte Sachbereich umfassender ist, deutet sich audi in einer beiläufig einfließenden Wendung in IV. iii. 13 an: die empirische Wissenschaft hat zum Gegenstand „rules of the c o n s e q u e n c e or c o - e x i s t e n c e of any secondary qualities".
§ 14 Das Problem empirischer Begriffe
§ 14:
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Die Erkenntnis einfachster Ideenrelationen: das Problem empirischer Begriffe
Nach Locke haben wir von einfachen Relationen, insbesondere der Gleichheit und Verschiedenheit, zweier Ideen eine intuitive Kenntnis, wofür er sowohl psychologische als auch erkenntnistheoretische Gründe angibt. Eine Betrachtung der Festlegung und Unterscheidung komplexer Ideen zeigt, in welchem Maß er von der Annahme beeinflußt ist, daß dem Menschen scharf bestimmte Begriffe und ein deren Natur und Relationen erfassendes intellektuelles Vermögen zu Gebote stünden. Dabei verwechselt er die empirische Evidenz von Sachverhalten oder Begriffsverhältnissen mit einem vollkommenen Wissen. Auch die einfachsten Relationen empirisch eingeführter Begriffe lassen sich nicht von den ihre Bildung ermöglichenden Erfahrungen ablösen, es sei denn auf Grund von Konventionen, deren Anwendung auf einfache Ideen dem Lockesdien Ansatz aber zuwiderläuft. Eine im Einklang mit Buch II des „Essay" stehende Theorie empirischer Begriffe bleibt ein Desiderat.
Um zu prüfen, wie sich Locke mit einem Hauptproblem aller Empiristen, dem der Geltung sogenannter notwendiger Wahrheiten, auseinandersetzt, mögen zunächst in diesem Abschnitt die einfachsten Aussagen betrachtet werden, von denen es nach Locke ein sicheres und unbezweifelbares Wissen gibt: die Aussagen über gewisse elementare Ideenrelationen, insbesondere und in erster Linie die Aussagen über die Identität und die Verschiedenheit von Vorstellungen bzw. Bedeutungen von Wörtern. Sie sind nach Locke allesamt unmittelbar durch Intuition zu erfassen. Das Wissen dieser einfachen Ideenrelationen erhält so in doppelter Weise eine besondere Stellung: Erstens ist es auf Grund der Art und Weise, wie wir zu ihm gelangen, ausgezeichnet: Intuition erfüllt, wie schon angedeutet, für Locke in hervorragendem Maße jene Definition des Wissens durch den Begriff „Wahrnehmung" . „Von dieser Intuition hängt alle Gewißheit und Evidenz allen unseren Wissens ab."1 Zweitens ist es eine Grundbedingung aller weiteren komplexeren Erkenntnis, daß sie mit Hilfe von Ideen zustandekommt, deren jede für sich eindeutig festgelegt und von anderen Ideen wohlunterschieden ist; mit anderen Worten: eine Erkenntnis muß in Ausdrücken formuliert werden können, deren Bedeutung wohldefiniert ist. Daher sagt Locke denn auch, daß „die Grundlage allen unseren Wissens darin liegt, daß wir die Fähigkeit besitzen, von ein und derselben Idee wahrzunehmen, daß sie dieselbe ist, und sie von den von ihr verschiedenen zu unterscheiden"2. Die be1
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„It is on this intuition that depends all the certainty and evidence of all our knowledge." IV. ii. i. „ . . . the foundation of all our knowledge lies in the faculty we have of perceiving the same idea to be the same, and of discerning it from those that are different; . . IV. vüi. 3, S. 294. Nodi schärfer ist die folgende Äußerung: „Every one that has any knowledge at all, has, as the foundation of it, various and distinct ideas: and it is the
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
sondere Stellung der Aussagen über Identität und Verschiedenheit von Ideen berechtigt dazu, sich zunächst mit ihnen ausführlicher auseinanderzusetzen. Dabei wird es sich dann auch zeigen, daß gerade schon auf dieser einfachsten Stufe der Lockeschen Erkenntnislehre grundlegende Probleme verborgen sind, aus deren Analyse man lernen kann, wie schwierig es sein wird, die übliche Auffassung von Vernunftwahrheiten an den empiristischen Aufbau des Ideensystems anzupassen. Die Behandlung dieser Schwierigkeiten wird überdies erkennen lassen, daß sie nicht allein auf die von Locke eigens abgegrenzte Klasse der Aussagen über Verschiedenheit und Identität von Ideen beschränkt sind, sondern mit der eigentümlichen Rolle zusammenhängen, die Locke der Intuition zuerteilt. Daher ist es gerechtfertigt, bei den nachfolgenden Erörterungen immer auch an gewisse von der Gleichheit verschiedene einfachste Ideenrelationen, ζ. B. an Aussagen wie „2 ist größer als 1 " zu denken, auch wenn die Argumente ζ. T. an Hand von (Nicht-)Identitätsaussagen exemplifiziert werden 3 . Zunächst sind die Überlegungen Lockes zu betrachten, mit denen er zeigen will, daß jene einfachsten Ideenrelationen stets durch Intuition erkannt werden. Er hebt bei der ersten thematischen Behandlung des Wissens von Identität und Differenz dessen Unmittelbarkeit hervor: es stellt sich „auf den ersten Blick ein", es wird „so bald und so klar wahrgenommen wie die Ideen selbst"4. Den Grund für diese Kennzeichnung sieht Locke darin, daß Haben und Wahrnehmen von Vorstellungen identisch ist und daß das bewußte Wahrnehmen den Bewußtseinsinhalt eindeutig festlegt: „Es ist der erste Akt des Geistes, wenn er überhaupt irgendwelche Empfindungen oder Ideen hat, seine Ideen wahrzunehmen; und insoweit er sie wahrnimmt, von jeder zu wissen, was sie ist, und dadurch auch ihre Verschiedenheit wahrzunehmen, und daß die eine nicht die andere ist." 5
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first act of the mind (without which it can never be capable of any knowledge) to know every one of its ideas by itself, and distinguish it from others." I V . vii. 4, S. 269; man vgl. audi I V . vii. 10, S. 277. Anschaulich ist klar, warum Locke (ζ. Β. in I V . ii. χ) nicht nur Identität und NichtIdentität, sondern auch etliche andere einfache Relationen in die Zuständigkeit der Intuition verweist (was übrigens indirekt die von mir in § 8 begründete Annahme stützt, daß man sinngemäß auch Relationsideen in die Basis aufnehmen muß). A n anderer Stelle sieht es so aus, als ob a l l e Ideenrelationen, abgesehen von Identität und Koexistenz, einer Demonstration mittels zwischengeschalteter Ideen bedürften ( I V . iii. 1 8 ) ; aber das muß und sollte man aus diesem Paragraphen nicht herauslesen. „ . . . identity and diversity will always be perceived, as soon and clearly as the ideas themselves are; . . . " ( I V . i. 4), also „at first sight" ( I V . i. 4, ii. 1 ) . „It is the first act of the mind, when it has any sentiments or ideas at all, to perceive
§ 14 Das Problem empirischer Begriffe
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Die Unmittelbarkeit der hier geschilderten Wahrnehmung scheint sich auf den jeweils einzelnen Akt des Gewahrwerdens irgendeiner Vorstellung zu beziehen und erhält dadurch einen psychologischen Charakter. An einer anderen Stelle jedoch, an der Locke dasselbe Thema wieder aufgreift und nunmehr über Intuition überhaupt spricht, gibt er ihrer Unmittelbarkeit noch einen anderen Sinn: sie ist Wahrnehmung der (Nicht-)Übereinstimmung von Ideen „unmittelbar durch diese selbst, ohne Dazwischentreten irgendeiner anderen Idee" 6. Und wenn man nun an beiden Stellen die Beispiele sammelt, so findet man folgende: „weiß ist weiß" und andere identische Aussagen, dann „weiß ist nicht rot", „rund ist nicht quadratisch", „weiß ist nicht schwarz", „ein Kreis ist kein Dreieck", „drei ist mehr als zwei" und „drei ist gleich eins plus zwei". Hier trifft man also wieder auf denselben Befund, der schon einmal bei der Diskussion der empirischen Basis beschrieben worden ist: Locke verwendet in Wahrheit beim Aufbau seiner Theorie nicht jene einzelnen aktuellen Wahrnehmungsinhalte, die nicht ohne Indexwörter und streng genommen gar nicht namhaft zu machen sind, sondern bereits (und, wie wir sahen, übrigens auch bei den im logischen Sinne partikulären Ideen) die viele solche Inhalte zusammenfassenden Vorstellungen, die als Bedeutungen von Namen oder Prädikaten auftreten. Es finden sich also unverbunden zwei Betrachtungsweisen desselben Vorgangs, der Intuition, nebeneinander: Die erste macht von (vermeintlichen oder wirklichen) Fakten des Bewußtseins Gebrauch. Die zweite bezieht die Unmittelbarkeit auf den Gedanken eines Beweisverfahrens, derart, daß unmittelbar jede Ideenverbindung heißen kann, die nicht erst durch Verkettung mittels anderer im Beweis hergestellt bzw. sichtbar gemacht werden kann und muß; ferner geht sie sogleich von sprachlich fixierbaren Inhalten aus. Es liegt in der Konsequenz der im Kapitel II eingeschlagenen Interpretationsrichtung, sich hier wiederum der Sache zuliebe an diejenigen Züge der Lockeschen Theorie zu halten, die den Zusammenhang von Erfahrung und Sprache von vornherein in Rechnung setzen, sei es implizit wie hier, sei es explizit wie an mancher anderen Stelle, insbesondere im Buch I I I und den darauf bezogenen Ankündigungen und Erklärungen. Dieses Verfahren erhält im gegenwärtigen Zusammenhang neue Nahrung dadurch, daß die erste Betrachtungsweise Lockes höchst fragwürdige Behauptungen enthält, während sich der zweiten eher ein Sinn abgewinnen läßt. Die fragwürdigen Beits ideas; and so far as it perceives them, to know each what it is, and thereby also to perceive their difference, and that one is not another." IV. i. 4. 6
sometimes the mind perceives the agreement or disagreement of two ideas i m m e d i a t e l y b y t h e m s e l v e s , without the intervention of any other: and this I think we may call i n t u i t i v e k n o w l e d g e . " IV. ii. 1.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
hauptungen sind diese: (i) Jeder, der wahrnimmt, ist sich darüber im klaren, was er wahrnimmt. (2) Der Inhalt des Bewußtseins läßt sich in voneinander wohlgeschiedene Vorstellungen zerlegen. Sofern diese Thesen als Aussagen über das faktisch in der Zeit verlaufende Bewußtseinsleben verstanden werden, verdienen sie wenig Vertrauen und sind höchstwahrscheinlich ganz falsch. Beide jedoch gewinnen eine gewisse Plausibilität, wenn man sie auf die sprachlichen Ausdrucksmittel unserer Erkenntnis bezieht. Diese suggerieren eine diskrete Mannigfaltigkeit von mit ihnen verknüpften Bedeutungen, die, wenn sie denn überhaupt erfaßt werden, eindeutig und wohlgeschieden voneinander sein sollten. Und wenn man sich bereits auf den diskreten Ausdrucksapparat der Sprache bezieht, ergibt sich auch, daß in allen mittels seiner ausgeführten Überlegungen gewisse Aussagen und gewisse Beweisschritte als elementar und unmittelbar anzusehen sind 7 . Lockes Einführung der Intuition fällt dann freilich der Schwierigkeit anheim, daß die Argumente aus der Struktur des Bewußtseins und seiner Unmittelbarkeit unbrauchbar geworden sind. Zunächst bleibt dann auch kein Scheinargument mehr übrig, das die Existenz und die Beschaffenheit eines zu fordernden Verstandesvermögens vom Typus der Intuition verständlich und glaubhaft machen könnte8. Es mag zwar so sein, daß die natürliche Wahrnehmung mittels unserer Sinne gewisse Verhältnisse entweder gar nicht oder aber gleich schon auf den ersten Blick klar macht. Aber wie sollte dies von der zwar unmittelbar (d. h. hier: nicht durch weitere verbale Vermittlung), aber doch keineswegs auf einen Schlag zu erfassenden Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, und sei sie auch noch so „einfach", begründet werden können? Und doch scheint sich Locke gerade diesen Übergang von der sinnlichen Wahrnehmung zu einer analogen Fähigkeit zu erlauben, ebenso wie er den Unterschied von den einzelnen aktuellen Bewußtseinsinhalten zu den namhaft zu machenden, immer schon viele solche Inhalte integrierenden Ideen einfach überspringt. Eine Stelle, die dies besonders schön belegt, habe ich im § 1 3 bereits zitiert9. 7 Der gleiche Gedanke ist schon bei der Besprechung der Erfahrungsbasis in § 5 ausgenutzt worden. Es wird nun aber im folgenden darauf ankommen zu sehen, daß er nicht nur von einer naturalistischen und psychologistischen Seite her, sondern auch durch eine rationalistische Mißdeutung gefährdet ist. 8 Derartige Schwierigkeiten träten natürlich audi dann noch auf, wenn man zu Redit davon ausgehen dürfte, das Bewußtseinsleben sei in klar geschiedene Einheiten parzelliert; denn man brauchte dann eine weitere Begründung dafür, daß sich diese unmittelbare Klarheit auf die Bildung von Klassen solcher Bewußtseinselemente überträgt. 9 S. Anmerkung 25 von § 13.
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Wenn man sich nun nicht jenem unklaren und inexpliziten Übergang von der natürlichen Wahrnehmung zur Intuition anvertrauen will, bleibt von der Unmittelbarkeit der intuitiv erfaßten Ideenrelationen nicht viel mehr übrig als ihre besondere Funktion in Beweisen, d. h. bei der Begründung komplizierterer und entlegenerer Ideenrelationen. Im Teil II hatte die Interpretation einfacher Ideen schließlich darauf geführt, daß sie als diejenigen zu verstehen seien, die in der Ordnung der Bedeutungserklärungen irreduzibel seien. Ganz analog scheint es nunmehr angebracht, die Einfachheit intuitiv zu erfassender Wahrheiten in deren Irreduzibilität im Hinblick auf die Ordnung der Begründungen von Aussagen zu sehen. Und wie bei den Bedeutungen diese Irreduzibilität zur Folge hatte, daß die einfachen Ideen nur im Zusammenhang von Erfahrungssituationen vermittelt werden können, so möchte man nun erwarten, daß auch die intuitiv zu erkennende Wahrheit der einfachen Aussagen nur im Rückgriff auf Erfahrungssituationen zu begründen sein werde. Daß diese Parallele jedoch zu simpel sei, daß die Analogie trüge, ist indes die offenkundige und allgemeine Überzeugung, die die neuzeitliche Philosophie insgesamt mit Locke teilt. Um dem etwas näher nachzugehen, erweist es sich als nützlich, zunächst einmal den Fall der komplexen Ideen ins Auge zu fassen, von dem die Analogie unsere Aufmerksamkeit abgelenkt haben mag. Auch Lockes Beispiele waren — und dies gewiß nicht ganz zufällig — vornehmlich aus dem Bereich einfacher Ideen gewählt, oder verwendeten allenfalls den einfachen gewissermaßen benachbarte Ideen (etwa ,drei', was, wenn man will, bereits etwas Komplexes bezeichnet). Darüber hinaus jedoch sagt Locke, daß a l l e Identität und Verschiedenheit von Ideen intuitiv erkannt werde: „Es kann keine Idee im Geiste geben, von der er nicht augenblicklich vermöge einer intuitiven Erkenntnis wahrnimmt, was sie ist und daß sie von jeglicher anderen verschieden ist."10 An anderer Stelle taucht bei der Erörterung derselben Behauptung wiederum die schon besprochene Begründung aus der Struktur des bewußten Habens von Vorstellungen auf: „Jeder findet in sich selbst, daß er die Ideen erkennt, die er hat; auch daß er es weiß, wenn irgendeine in seinem Verstände ist, und was sie ist; und daß, wenn mehr als eine da ist, er sie deutlich und unvermengt auseinanderkennt. Da dies immer so ist, (indem es nicht anders sein kann, als daß er wahrnimmt, was er wahrnimmt,) kann er niemals im Zweifel darüber sein, wenn eine Idee in seinem Geist ist, 10
„ . . . there can be no idea in the mind, which it does not, presently, by an intuitive knowledge, perceive to be what it is, and to be different from any other." IV. iii. 8.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
daß sie da ist und die Idee ist, die sie ist, und daß zwei verschiedene Ideen, wenn sie in seinem Bewußtsein sind, da sind und nicht ein und dieselbe Idee sind." 11 Nach den zuvor angestellten Überlegungen kann nun aber nicht mehr verwundern, daß sich die Darlegungen Lockes in seinem Buch über die Wörter durchaus anders ausnehmen. Im Kapitel über die Unvollkommenheit der Wörter legt er dar, daß die Bedeutungen von Wörtern unsicher werden, sobald sie einigermaßen komplex werden; im einzelnen gilt dies vor allem von den Namen der „gemischten Modi", also ζ. B. moralischer Ausdrücke, und denen der Substanzen, also natürlich existierender Dinge 12 . Die Unsicherheit der Bedeutungen beschreibt Locke nun zwar so, als ob sie darin bestehe, daß statt einer einzigen Idee ein ganzes Spektrum solcher mit dem Wort assoziiert wird, was so klingt, als ob die Ideen jeweils klar und nur die Wörter durch mehrdeutige Zuordnung von Ideen unklar seien. Aber man muß sich natürlich fragen, welche Möglichkeiten zur Einengung dieser Variationsbreite bestehen und welcher Identifikationsvorgang zur Festlegung einer einzigen und klaren Bedeutung (Idee) führen soll. Die Regulation durch den allgemeinen Sprachgebrauch in der alltäglichen Praxis sieht Locke (zumindest für wissenschaftliche Zwecke) nicht als ausreichend an 1 3 . Vielmehr hält er D e f i n i t i o n e n für erforderlich, dies freilich in abgestufter Weise: Bei moralischen Ausdrücken sind sie unerläßlich, bei anderen gemischten Modi in den meisten Fällen (dann nämlich, wenn nicht zufällig ein der Idee konformes Ding existiert und vorgezeigt werden kann); bei Substanzen schließlich wirken Definieren und Zeigen in geeigneter Weise zusammen14. Aber auch der letzte Fall (und damit insgesamt auch der mittlere) kommt letztenendes wieder auf das Definieren hinaus. Denn da die existierenden Dinge beliebig viele verschiedene Merkmale aufweisen, muß und darf man bei ihrer Kennzeichnung unter diesen auswählen15 (unbeschadet dessen, daß dabei die Natur zum Vorbild zu nehmen ist, soweit es um Substanzen geht). Auch wenn 11 „Every one finds in himself, that he knows the ideas he has; that he knows also, when any one is in his understanding, and what it is; and that when more than one are there, he knows them distinctly and unconfusedly one from another; which always being so, (it being impossible but that he should perceive what he perceives,) he can never be in doubt when any idea is in his mind, that it is there, and is that idea it is; and that two distinct ideas, when they are in his mind, are there, and are not one and the same idea." IV. vii. 4, S. 269. 12 I I I . i x . 5 . 13 Für gemischte Modi s. III. ix. 8, für Substanzen I I I . xi. 25, S. 163. 14 I I I . xi. 17—19. 1 5 Ζ. Β. vgl. man III. ix. 13, bes. S. 1 1 3 .
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man sich an die wirklich beobachtete Koexistenz von Qualitäten hält, bleibt schließlich nach Locke nichts anderes übrig, als die verschiedenen Substanzen durch eine von uns gemachte abstrakte Idee, die „nominale Essenz", zu kennzeichnen16. Die so zustandekommenden Ideen sind zwar, gemessen an der wahren Natur der Dinge, „höchst unvollkommen" 17 , dienen jedoch dem Zweck einer relativ schnellen und eindeutigen Verständigung 1S und ersparen uns so die Situation jenes von Locke beschworenen Buchhändlers, der seine Ware ohne Einbände und Titel aufgehäuft hat und seine Schätze blattweise vorführen muß 1 9 . Die demnach auch für komplexe Ideen von existierenden Dingen notwendige Auswahl von Merkmalen, d. h. Teilideen, also die Abstraktion und das eigentätige Herstellen einer Idee ist nun der Grund dafür, daß im Felde auch relativ komplizierter Ideen eindeutig festgelegt sein kann, was eine jede Idee ist und ob sie von einer anderen verschieden ist. In der Wirklichkeit mag Regen in Schnee unmerklich übergehen; dessen ungeachtet sind die „nominalen Essenzen" beider so gebildet, daß das, was ihnen genügt, so verschieden ist wie Wasser und Erde, „da die abstrakte Idee, die die Essenz des einen ist, unmöglich dem anderen mitgeteilt werden kann. Und so konstituieren irgend zwei abstrakte Ideen, die in irgendeinem Teil voneinander abweichen, mit zwei ihnen angehefteten verschiedenen Namen, zwei verschiedene Sorten (sc. von Dingen)" 20 . Der Grund für die Unmöglichkeit, daß der Inhalt einer Idee in den einer anderen übergeht, der Grund für ihre Verschiedenheit und deren Unwandelbarkeit 21 liegt natürlich eben in jener von uns, den Definierenden, eigentätig vollzogenen Herstellung 22 , die nur dadurch beschränkt ist, daß wir von dem uns einzig verfügbaren Material
ι« 17 18 19
III. iii. 15 ff. „very imperfect", III. vi. 30, S. 81. Ζ. B. III. vi. 32. III. x. 27. 2 0 „ . . . rain is as essentially different from snow as water from earth; that abstract idea which is the essence of one being impossible to be communicated to the other. And thus any two abstract ideas, that in any part vary one from another, with two distinct names annexed to them, constitute two distinct sorts . . . " III. iii. 14. Ein beliebtes Beispiel Lockes, an dem er immer wieder veranschaulicht, wie durch bewußte Begriffsbildung der Natur Einteilungen auferlegt werden, ist die Idee ,Mensch', die ζ. B. gegen ,Foetus', Schwachsinniger', ,Mißgeburt' usw. abzugrenzen ist: III. vi. 39, IV. iv. 14—16. Ja, Locke führt sogar für moralphilosophische Zwecke eine fiktive Idee von ,Mensch' ein: III. xi. 16. 21 III. üi. 19. 22 III. iii. 11—12.
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auszugehen haben, den einfachen Ideen 23 , die in dem jetzt in Rede stehenden Sinne nicht „gemacht" werden können. Das Ergebnis dieses kurzen Überblicks über die Festlegung und damit auch Unterscheidung komplexer Ideen in Buch I I I zeigt deutlich, daß sich hier eine Betrachtung von der Seite der Begriffe her durchgesetzt hat. Bei genügend komplexen Ideen scheint keine Rede davon sein zu können, daß eine von der anderen intuitiv als verschieden erkannt werden könnte. Vielmehr muß die Sprache zu Hilfe genommen werden, um eine Fixierung der Ideen zu erreichen und eine Vergleichung hinsichtlich der Relationen der Identität und der Verschiedenheit oder auch anderer einfacher Relationen zu ermöglichen 24. Nicht Intuition, sondern Analyse und erst nachträgliche Vergleichung kann zum Ziele führen. Die einfache Regel bei dem zweiten Schritt deutet Locke selbst an: Verschieden sind zwei Ideen genau dann, wenn sie „in irgendeinem Teil voneinander abweichen", ζ. B. wenn in der einen eine bestimmte einfache Teilidee enthalten ist, die in der anderen fehlt oder durch eine andere ersetzt ist. Es ist also klar, warum Locke nicht nur zufällig, sondern von der Sache genötigt, seine Behauptung über den intuitiven Charakter aller Erkenntnis von Identität und Verschiedenheit nur mit Beispielen aus dem Bereich ziemlich einfacher, wenn schon nicht allein in seinem technischen Sinne „einfacher", Ideen erläutert. Der Verdacht ist allerdings nun nicht mehr abzuweisen, daß sein Vertrauen auf die klare und eindeutige Verschiedenheit der e i n f a c h e n Ideen sich ebenfalls an deren b e g r i f f l i c h e m Charakter orientiert und nicht an dem, was er als Begründung in IV. i. 4 beibringt, d h. der sauberen Aufteilung des faktischen Bewußtseinsinhaltes in getrennte Einheiten. Einstweilen ist so viel klar: Die Unterscheidung komplexer Ideen voneinander führt zurück auf die Unterscheidung einfacher Ideen, die zu ihrer Definition benutzt werden müssen, falls die erste genau und zugleich inhaltlich klar werden soll 25 ; die Unterscheidung einfacher Ideen ihrerseits kann jedoch dann nicht wiederum auf das gleiche Hilfsmittel zurückgreifen. Locke sagt: „. . . obwohl bei den Namen einfacher Ideen die Definition nicht als Hilfsmittel herangezogen werden kann, um ihre Bedeutung zu be23 I I I . iii. 10. 24 In diesem Zusammenhang ist Lockes in III. ix. 2 1 ausgesprochenes Eingeständnis, daß er die Rolle der Sprache für die Erkenntnistheorie zu spät erkannt habe, relevant: Umfang und Gewißheit des Wissens sind mit ihr eng verbunden und allgemeines Wissen schwerlich von ihr zu trennen, so daß Irrtum, Unsicherheit und Streit nur beseitigt werden können, wenn man die Funktion der Wörter klärt. Tatsächlich bestimmen die Ergebnisse dieser Klärung in Buch I I I die Einteilung und Begründung der Erkenntnisse in Buch I V maßgeblich. 25 Im Zusammenhang wird dieser Gedanke in I I I . iv. 1 2 — 1 4 dargelegt.
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stimmen, sind sie unbeschadet dessen allgemein weniger zweifelhaft und unsicher als die von gemischten Modi und Substanzen, weil die Menschen meistenteils leicht und vollständig über ihre Bedeutung einig werden, da sie nur für eine einzelne einfache Wahrnehmung stehen; und es besteht wenig Spielraum für Irrtum und Streit über ihren Sinn."26 An dieser Äußerung wird noch einmal klar, daß für komplexe Ideen das Definieren bzw. die durch eine Definition, die bis auf einfache Ideen zurückgreift, geleistete Analyse das Hilfsmittel ist, um komplexe Vorstellungen abzugrenzen und zu fixieren. Damit ist bei ihnen wenigstens im Prinzip ein Verfahren angegeben, das jeden Zweifel beseitigen und jeden Streit schlichten kann. Zum Trost kann zwar für die einfachen Ideen gesagt werden, daß es bezüglich ihrer kaum Streit und Zweifel geben werde; aber es fehlt ein Verfahren, das zu deren Beseitigung eingesetzt werden könnte, falls doch einmal Meinungsverschiedenheiten auftreten sollten. Beträfen diese zunächst einmal nur einen Irrtum sprachlicher Art (den Locke ausdrücklich auch im Bereich der intuitiven Erkenntnis vorbehält 27 ), so wäre er auf unproblematische Weise durch Anwendung eines ostensiven Verfahrens, im allgemeinen wohl schon durch Vorlegen eines einzigen Beispiels, zu beheben. Die Frage ist aber die, ob der Streit nicht auch im Felde der einfachen Ideen die Wahl der Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen, ferner und vor allem auch deren Extrapolation auf neue bisher nicht bekannte Fälle betreffen kann. Gegen diese Besorgnis hat Locke nichts aufzubieten als eine Anspielung auf die schon kritisierte Annahme klarer und parzellierter Bewußtseinsinhalte: er beruft sich darauf, daß die einfachen Ideen jeweils „eine einzelne einfache Wahrnehmung" seien. Schon bei der Besprechung der empirischen Basis war herausgekommen, daß ein tragfähiger Begriff des Einfachen auf die Funktion der Ideen (bzw. der sie bezeichnenden Termini) im Erkenntnisganzen Bezug nehmen muß, und daß es lediglich ein günstiger Sonderfall sein mag, wenn jene funktionale Einfachheit auf einer inhaltlichen Einfachheit des Wahrnehmungseindruckes selbst beruht. Hier ist nun der Punkt erreicht, wo eine Konsequenz dieser Interpretation des Ideenaufbaus für die Theorie der Erkenntnis sichtbar wird. 26 „ . . . though the names of simple ideas have not the help of definition to determine their signification, yet that hinders not but that they are generally less doubtful and uncertain than those of mixed modes and substances; because they, standing only for one simple perception, men for the most part easily and perfectly agree in their signification; and there is little room for mistake and wrangling about their meaning." IILiv. 15.
27 IV. i. 4.
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Es entsteht nämlich das folgende Problem: Sind zwei einfache Ideen, d. h. die Bedeutungen zweier Basisausdrücke, ostensiv eingeführt worden (wie es ex hypothesi nicht anders geschehen kann), dann besteht offenbar keine Möglichkeit, über sie irgend etwas über das hinaus auszusagen, was aus jener Einführung über sie bekannt geworden ist. Insbesondere können zwar die Relationen, in denen sie zueinander stehen, die der (Nicht-)Identität eingeschlossen, „unmittelbar" klar sein, etwa in dem Fall, daß es jemand (der nicht gerade rot-grün-blind ist) mit den Wörtern bzw. Ideen ,rot' und ,grün' zu tun hat; aber eben diese Klarheit stammt aus der exemplarischen Einführung der sprachlichen Ausdrücke (aus der Erzeugung der Ideen) und reicht über sie nicht hinaus. Und zwar reicht sie in doppelter Weise nicht weiter: Einmal was die Bedeutung einer Aussage über Rotes und Grünes betrifft: diese wird so gut oder so schlecht gesichert sein, wie eben die Einführung von ,rot' und ,grün' diese Ausdrücke verständlich gemacht, präzisiert und für den eigenen sowohl wie intersubjektiven Gebrauch stabilisiert hat. Zum zweiten erstreckt sich die Beschränkung der ostensiven Einführung auch auf den epistemologischen Charakter einer solchen Aussage: sie besagt so viel und ist so zuverlässig wie die ostensive Methode, mit der sie verständlich zu machen ist, hergeben will. Speziell gilt für die Relation der (Nicht-)Identität, die wir nach Locke intuitiv und mit Gewißheit erkennen sollen, daß sie nur insoweit begründet ist, als die bei der Einführung der Idee verwendeten Gegenstände (oder Farbflächen) hinsichtlich ihrer Farbe deutlich unterscheidbar sind, und daß sie nur in dem Maße allgemein ist, in dem sich die Bezeichnungen ,rot' und ,grün' als klar verschiedene auf neue Fälle extrapolieren lassen, und schließlich, daß sie nur mit eben dem Vertrauen „notwendig" genannt werden kann, mit dem man sich nach Erlernen der Bedeutungen der beiden Farbwörter darauf zu verlassen wagt, daß man sich nicht vorstellen könne, wie man etwas, was man ,grün' nennt, zugleich auch sollte ,rot' nennen können, ohne in irgendeinem Sinne willkürlich und sprunghaft dem untreu zu werden, was man bei dieser Einführung der Farbwörter gelernt hat. Gegen diese Begrenzung und Relativierung der Relationen zwischen zwei Bedeutungen oder zwei Ideen im Hinblick auf die Weise, wie sie bekannt gemacht werden, spricht die zuletzt erwähnte Tatsache keineswegs: Es mag noch so spitzfindig erscheinen, daß man sich auf die nicht vorstellbare Möglichkeit gefaßt macht, es könnten einem Fälle begegnen, in denen man nicht mehr wüßte, ob man mit ,rot' und mit ,grün' wirklich etwas Verschiedenes meine. Die „Evidenz", die die gegenteilige Annahme für jeden von uns in der Tat besitzt, ist darum doch nicht von anderer oder erkenntnis-
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theoretisch irgendwie edlerer Art als vieles andere einfache Wissen, das bislang unangetastet als „empirisch" gegolten hat. Es ist eine vertraute Redewendung zu sagen: „so verschieden wie Tag und Nacht". Die hinter dieser Phrase steckende Überzeugung ist offenbar die, daß die Verschiedenheit der Ideen ,Tag' und ,Nacht' eine vorbildliche Evidenz besitze. Also sind ,Nacht' und ,Tag unverträgliche Prädikate? In der Abenddämmerung mögen wir sagen, es sei noch Tag oder es sei schon Nacht; vielleicht sagen wir auch, es sei sowohl (in gewisser Hinsicht) Tag wie zugleich auch (in gewisser Hinsicht) Nacht, oder eher wohl, es sei weder Tag noch Nacht, sondern eben Abend. Auf dieses Verschwimmen der Extensionen der fraglichen Prädikate läßt sich allerdings sogleich antworten, es ändere nichts daran, daß ,Tag' und ,Nacht' ganz klar ganz Verschiedenes bezeichnen, in dem Sinne nämlich, daß es Zeiten oder Situationen gibt, in denen unverwechselbar und paradigmatisch gesagt werden darf und muß: jetzt ist es Nacht, bzw.: jetzt ist es Tag. Man kann aber aus diesem Umstände nicht schließen, daß darum der Unterschied gewisser oder sicherer wäre oder daß er weiter reiche als eben jenes uns allen gemeinsame Erfahrungswissen, daß es solche typischen Situationen gibt und daß sie so evident verschieden, so trivial leicht unterscheidbar sind, eben „wie Tag und Nacht". Eine Sommerreise in den hohen Norden kann unsere Sicherheit im Gebrauch der Ausdrücke ,Tag' und ,Nacht' erschüttern und uns an die Grenze der Extrapolation einer klaren Unterscheidung der mit beiden Ausdrücken verbundenen Ideen oder Bedeutungen führen: „Am Nordende Europas dauert im Winter die Nacht sechzig Tage", „Im Sommer wird dort die Nacht zum Tage" oder auch — etwas paradox, aber wohl verständlich — „Im Sommer ist dort auch nachts Tag". — Solche und ähnliche Aussagen zeigen an, welcher unerwarteten Erlebnisse im Umgang mit scheinbar so vertrauten Bezeichnungen man gewärtig sein muß. Man kann dann entweder sagen, sie verlören angesichts der seltsamen Naturbedingungen im Polargebiet ihren Sinn und ihre Anwendbarkeit: eine Nacht sei eben eine Nacht und nicht zwei Monate lang, tags sei es nicht Nacht und nachts könne nun einmal nicht Tag sein usw. Oder man kann jene ungewohnt klingenden Aussagen akzeptieren und sieht sich dann in der Lage, die Ideen von Tag und Nacht jedenfalls so stark zu modifizieren, daß die Redewendung, von der wir ausgingen, ihren paradigmatischen Charakter verliert: stattdessen stößt man auf die Frage: wie verschieden sind eigentlich Tag und Nacht? Ich will mit dem eben angeführten Beispiel natürlich nicht gezeigt haben, daß nicht immer noch nach allen Erfahrungen aus dem Norden ,Tag' und ,Nacht' zwei Wörter mit verschiedener Bedeutung geblieben seien; ihre
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Nützlichkeit hängt ja entscheidend davon ab, daß sie Verschiedenes bedeuten. Aber die Gewißheit über eben diese erwünschte Eigenschaft hängt, wie man hier vielleicht auf weniger künstliche Weise als beim Paar der Ideen ,rot' und ,grün' hat sehen können, von den typischen Erfahrungen ab, die xans die Bedeutung beider Ausdrücke allein verstehen lassen. Ich nehme hier also (da es um die Analyse der Relation einfacher Ideen bei Locke zu tun ist) an, daß die Bedeutungen von ,Tag' und ,Nacht' nicht durch verbale Erklärungen, sondern ostensiv eingeführt werden. Die „Notwendigkeit", mit der irgendeine in diesen Ausdrücken formulierte Aussage gilt, ist dann nicht von anderer Art und reicht nicht weiter als die Erfahrungen, die zur Einführung der Ausdrücke herangezogen wurden, zuzüglich dessen, was man aus ihnen mit Recht über zukünftige Erfahrungen glaubt antizipieren zu dürfen. Über ,rot' und ,grün' gilt hier offenbar nichts prinzipiell anderes28. Das Ergebnis der eben angestellten Betrachtung trifft allerdings nur unter einem durchaus entscheidenden Vorbehalt zu: dem nämlich, daß man sich nicht darauf beruft, man w o l l e eben unter ,Tag' und ,Nacht' Verschiedenes verstehen, oder: man habe f e s t g e s e t z t , bzw. im allgemeinen Sprachgebrauch sei (unausdrücklich, aber darum doch nicht weniger unverbrüchlich) die K o n v e n t i o n oder die R e g e l enthalten, daß ,Tag' und ,Nacht' verschiedene Bedeutungen besitzen. Es war klar geworden, daß Locke gerade von diesem willkürlichen und konventionellen Element der Sprachverwendung bzw. der Ideenbildung bei der Klärung komplexer Ideen Gebrauch machen will: sie können und müssen letztlich, wenn Klarheit und Eindeutigkeit geschaffen werden sollen, durch D e f i n i t i o n festgelegt werden. Wie es nun aber mit dem konventionellen Element bei den einfachen Ideen bestellt ist, wird jetzt zu betrachten sein. Es ist früher schon deutlich herausgestellt worden, daß Locke in einem Sinne zwar sagen kann, a l l e abstrakten Ideen, also auch die einfachen Ideen, seien „gemacht"; daß jedoch in einem anderen Sinne die einfachen Ideen nur „passiv" hingenommen werden können, und darauf beruhte der 28 Hiermit nehme ich kritisch Stellung zu einem der Grundgedanken von Delius 1963. Zwar bestreite ich hier nicht, daß man jene einfachen Farbaussagen zu einer besonderen Klasse von Aussagen rechnen kann, die man „ostensiv-wahr" (so der Ausdrude in Delius 1966) nennen könnte; aber es scheint mir irreführend, ihnen eine (linguistische) N o t w e n d i g k e i t zuzuschreiben und sie der empirischen Begrenztheit ihrer ostensiven Begründung gewissermaßen zu entziehen, um sie die halbe Höhe zum Apriori Kants hinaufzuheben. Der empiristische Einwand gegen Delius ist in etwas anderer Weise besonders von Feyerabend hervorgehoben worden; in die gleiche Richtung gehende Bemerkungen machten Wohlgenannt und Haller (Alle diese Äußerungen in einer Diskussion, die zusammen mit Delius 1966 in Weingarter 1966 abgedruckt ist, S. 3 7 7 ff.).
§ 14 Das Problem empirisdier Begriffe
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gesamte empiristische Entwurf: die Existenz einer Basis, die Forderung der Zurückführbarkeit aller Ideen auf die Basis und das Vertrauen in die Realität einer eindeutig gegebenen äußeren Welt. Für Locke kann also nicht in Betracht kommen, daß Regeln über die Bedeutung von Basisausdrücken irgendwie — sei es ausdrücklich, sei es unausdrücklich — f e s t g e s e t z t werden. Es wäre auch seltsam, wenn man das Ergebnis einer Festsetzung „intuitiv", also in irgendeinem Sinne anschauend oder einsehend erfassen sollte. Darüberhinaus ist es aber auch sachlich problematisch, Konventionen, Regeln, Festsetzungen oder dergleichen über die Relationen von Ausdrücken einzuführen oder anzunehmen, deren Bedeutung andererseits ganz aus der Art ihrer ostensiven Einführung stammen soll. Wenn man nicht dafür sorgt und vielleicht nicht dafür sorgen kann, daß die Regeln mit der ostensiven Einführung im Einklang stehen, oder umgekehrt, daß die ostensive Einführung den Regeln entsprechend modifiziert wird bzw. die Aufstellung gewisser Regeln bereits in sich aufnimmt, dann kann das System der semantischen Rektionen widersprüchlich werden. Woran ich hier denke, kann ich vielleicht mit drei Beispielen erläutern: Wenn man einmal von technisch-wissenschaftlichen Bedeutungen absieht, kann man ein Wort wie ,ähnlich' wohl nur an Hand von Beispielen und Gegenbeispielen lernen. In vielen Fällen wird man nun im Bereich der unmittelbaren Beobachtung ein transitives Verhalten des Prädikates ,ähnlich' bemerken können. Sollte man jedoch meinen, daraus das Bestehen einer semantischen Regel ablesen zu dürfen, oder sollte man (außerhalb eines technisch präzisierten Gebrauchs von ,ähnlich' etwa in der Geometrie, wo der Ausdruck nicht zur Basis gehört, sondern komplex ist) eine derartige Regel aufstellen wollen, so wird man unweigerlich in Konflikt mit mancherlei typischen und wichtigen Fällen von Ähnlichkeit kommen. Oder um eines der beliebten Farbbeispiele zu diskutieren: man könnte die Evidenz des Unterschiedes von Rot und Grün zum Anlaß nehmen, festzusetzen, daß alles, was rot ist, nicht zugleich grün sein kann. Aber man müßte dann die ostensive Einführung beider Prädikate modifizieren, um die Abgrenzung für jede künftige Extrapolation ihres Gebrauchs sicherzustellen. Wie sollte das geschehen? Man kann nicht zur ostensiven Einführung eine Regel des genannten Inhaltes einfach hinzugeben; denn für einen zweifelhaften Grenzfall würde sie zwar verlangen, ihn e n t w e d e r als ,rot' o d e r als ,grün' zu klassifizieren, böte aber keine Handhabe, wie zu entscheiden sei. Das heißt aber: die um die fragliche Regel bereicherte empirische Einführung der beiden Ausdrücke wäre nicht vernünftig, sondern nur
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
willkürlich extrapolierbar. Man könnte, um dieser Mißlichkkeit auszuweichen, daran denken, einem der beiden Ausdrücke den systematischen Vorzug zu geben, indem man etwa ,rot' durch die Erklärung einführt: das und das ist rot, dies und dies wiederum ist nicht rot, und im übrigen ist außerdem noch nichts rot, was im Gefolge der Einführung von ,grün' als grün angesehen werden kann; ,grün' wird dann ohne diesen Zusatz erklärt und hat somit per definitionem in Zweifelsfällen stets den Vortritt. Aber auch dieses Verfahren ist offensichtlich willkürlich; es schafft, falls es denn die zweifelhaften Grenzfälle geben sollte, eine k ü n s t l i c h e Trennlinie; und es berücksichtigt nicht die zum Phänomen gehörige Symmetrie von Rot und Grün, die beide in gleichem Maße sozusagen erfahrungsunmittelbar sind. Was hier für ,rot' und ,grün' reichlich hypothetisch klingt, nimmt sich schon weniger akademisch aus, sobald man statt ,grün' etwa ,blau' eingesetzt denkt: Nur wer nie etwas Violettes sah, wird sich herausnehmen, die beiden aus den Phänomenen geschöpften Bedeutungen der Farbwörter ohne weiteres durch die zusätzliche semantische Forderung aneinanderzuketten, daß nichts zugleich rot und blau sein könne. Schließlich drittens — bei den Farbprädikaten verweilend, nunmehr aber auf den Fall der Identität und Verschiedenheit eingehend — könnte man etwa zwei verschiedene Farbprädikate ,rot' und ,ret' dadurch einführen, daß man das eine durch Vorzeigen von Flächen einer bestimmten roten Farbe in dunkler Umgebung einübt, das andere durch Vorzeigen von Flächen derselben Nuance von Rot in einer hellen Umgebung. Dann könnte es geschehen, daß man durchaus glaubt, zwei verschiedene Farben kennengelernt zu haben 29 . Sollte man nun, verleitet durch die vermeintliche Evidenz des Farbunterschiedes, die semantische Regel einführen, daß ,rot' und ret' verschiedene Ideen bezeichnen (moderner gesprochen: die Prädikatorenregel „rot nicht ret" und dazu vielleicht ihr Inverses), dann kann man der Erfahrung nicht mehr Rechnung tragen, die man beim Vergleich der aus ihrer Umgebung herausgelösten roten und reten Farbflächen macht: der Erfahrung nämlich, daß Rot und Ret nichts Verschiedenes sind. Genauer: man kann ihr nur dadurch Rechnung tragen, daß man die ursprünglich gewissermaßen naiv festgesetzten ostensiven Bedeutungen korrigiert, ζ. B. die Bedingung einer bestimmten Umgebimg in die Idee von Rot aufnimmt oder daß man zwischen einem subjektiven Farbeindruck und der Farbe eines Gegenstandes Es soll mir hier nicht darauf ankommen, ob es einen meiner Annahme genau entsprechenden psychologischen Effekt tatsächlich gibt: daß eine physikalisch unveränderte Farbfläche je nach Umgebung braun oder — kraß davon verschieden — orange wirken kann, habe ich selbst gesehen.
§ 14 Das Problem empirischer Begriffe
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bzw. seiner Oberfläche unterscheidet, oder was einem sonst einfallen mag. In jedem Falle jedoch muß man sich auf eine neue sprachliche Beschreibung der Gegebenheiten einlassen, d. h. man muß zu einer neuen Basis (zu neuen ostensiven Bedeutungen) übergehen, wenn man eine bestimmte Relation zwischen gewissen Basisideen festhalten will. Nun ist genau dieses Verfahren einer ständigen und nachträglichen Korrektur auch der ostensiven Bedeutungen dasjenige, von dem gesagt worden ist, es führe allererst zu einem undogmatischen und vorurteilsfreien Empirismus 30. Es ist klar, daß dieser Empirismus mit dem hier im Gefolge Lockes skizzierten nicht verträglich ist. Ob der Gegensatz der Intentionen so scharf ist, wie er auf den ersten Blick aussieht, scheint mir allerdings fraglich. Denn gerade der Verzicht auf andere als empirisch erkannte Relationen von Ideen (und damit Aussagen), soweit ostensiv eingeführte Bezeichnungen und Unterscheidungen in Rede stehen, hat ebenfalls den Vorzug undogmatischer Vorläufigkeit; auch hier gibt man gewissermaßen nicht vor, mehr zu wissen, als man gesehen hat. In einem anderen Punkte allerdings sind beide Modelle von „Empirismus" verschieden genug: in dem Lockes wird die Freiheit, Bedeutungen zu schaffen oder auch nur relativ zueinander festzulegen, als entscheidend beschränkt angesehen. Es wird, ausgehend von der Erfahrung einer bestimmten, in engen Grenzen konstanten Ausstattung des Menschen mit Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten, die Vorstellung einer natürlichen Basis aller Bedeutungen und damit ein natürlicher Rahmen für alle Erkenntnis des Menschen zugrundegelegt. An den obigen Beispielen sollte die mögliche Mißlichkeit von Festsetzungen oder Regeln ersichtlich werden, die zwar an einfachen Erfahrungen orientiert sind, dann aber den Sprung vom Selbstverständlichen zum Selbstbegründeten ermöglichen sollen. Die Konsequenz, die hier aus dem Basischarakter gewisser Ideen entwickelt wurde, ist keineswegs beiläufig, sondern greift an die Wurzel von Lockes Lehre der Erkenntnis: "Was die Intuition an einfachen Ideenrelationen erfaßt, sind k e i n e a n a l y t i s c h e n A u s s a g e n . Das soll heißen: auch wenn sie explizit ausschließlich die Relationen von Bedeutungen zu betreffen scheinen, so schließen sie doch in Wahrheit die Summe derjenigen Erfahrungen ein, die das Verständnis dieser Bedeutungen ermöglichen. Ist dies aber die sinngemäße Konsequenz aus dem empirischen Charakter der Basisideen, dann ist offenbar jedes Erkenntnisvermögen und jedes Erkenntnisverfahren problematisch, das dazu verhilft, einfache Ideen vollkommen scharf und abschließend als die und die zu erfassen. Genau als ein solches Verfahren oder Vermögen scheint Locke die „Intuition" anzusehen. 3C1 Diese These findet sich ζ. B. bei Feyerabend i960 und 1963 erläutert.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Ihre Anfechtbarkeit liegt dann darin, daß sie allgemeine Ideen, also Begriffe, und im Gefolge davon auch Begriffsrelationen, zu erfassen gestatten soll, als ob es diese ein für allemal irgendwo vorgeprägt gäbe. Die einfachen Ideen können jedoch in Lockes Entwurf immer nur empirische Begriffe sein; und diese sind niemals fertige Entitäten, sondern Ergebnis einer stets beschränkt und darum vorläufig bleibenden Erfahrung. Es bliebe nun vielleicht möglich, den Charakter der intuitiven Erkenntnis bei Locke anders zu interpretieren: Es könnte jedes Erkennen schon dann „intuitiv" heißen, falls es die Merkmale der Unmittelbarkeit und der überzeugenden Unabweisbarkeit hat. Nicht gefordert würde dagegen, daß die Intuition etwas rein Intellektuelles, also jene Wahrnehmung fertiger Begriffe und ihrer Relationen, sein müßte. Vielmehr wäre nach diesem Interpretationsvorschlag die natürliche Wahrnehmung, zumindest die des Gesichtssinnes unter normalen Umständen, ebenfalls „intuitiv". Der Vorschlag hat den Vorzug, daß er nicht nur mit dem Empirismus Lockes, soweit er bislang entwickelt wurde, in Harmonie steht, sondern überdies ein Element seines empiristischen Ansatzes explizit macht, ohne das jener nicht auskommt: der Aufbau von einer Basis aus bzw. die Idee der Reduktion aller Bedeutungen u n d Begründungen auf diese Basis enthält bereits die Annahme, daß gewisse Bedeutungen u n d gewisse Aussagen (Wahrheiten) unmittelbar und irreduzibel sind; und diese müssen auch eine ausgezeichnete Zuverlässigkeit aufweisen, wenn anders die empiristische Erkenntnistheorie nicht nur konsequent, sondern auch adäquat und überzeugend ausfallen soll. Es kann hier zunächst angemerkt werden, daß Locke gewisse Anknüpfungspunkte für eine derartige Interpretation der Intuition nicht ganz vermissen läßt: Der Vergleich der intuitiven Erkenntnis einer Wahrheit mit dem schlichten Sehen eines optischen Kontrastes (schwarze Tinte auf weißem Papier) ist bereits im vorangehenden Abschnitt zitiert worden, wobei es sich obendrein noch um einen für intuitive Erkenntnis paradigmatischen Typ von Aussage („Weiß ist nicht Schwarz") handelt. Ferner ist in diesem Zusammenhang von Interesse, daß Locke nicht nur von Ideenrelationen im engeren Sinne eine Intuition annimmt, sondern auch von der Existenz des eigenen Selbst. Intuition kann in diesem besonderen Fall nicht heißen, daß es sich um eine „intellektuelle" Einsicht in die Relation handelt, die die Ideen ,Ich' oder ,Selbst' und ,Existenz' als diese Ideen untereinander haben; es steht vielmehr die Erkenntnis eines Faktums in Rede 31 . So bemerkenswert diese Anknüpfungspunkte für ein unkonventionelles Verständnis von „Intuition" bei Locke auch sein mögen, sie führen nicht 31 Näheres zu diesem Punkt in ξ i8.
§ 14 Das Problem empirischer Begriffe
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an dem klaren Textbefund vorbei, daß Locke im übrigen allenthalben „sinnliche Erkenntnis" und „intuitive Erkenntnis" einander entgegenstellt32. Diese unterscheiden sich zum einen durch den unterschiedlichen Grad von Gewißheit, zum anderen dadurch, daß sich die Intuition auf notwendige Wahrheiten über abstrakte Ideen bezieht, jene Ideen, die Locke im Buch über die Wörter als unwandelbare, nicht erzeugbare und nicht vergängliche Essenzen gedeutet hatte, so daß die vermeintliche Notwendigkeit und Ewigkeit gewisser Aussagen sich ergeben konnte 33 , während die Sinnesempfindung auf das konkrete Einzelne beschränkt bleibt. An dieser Stelle schlägt Locke die Brücke zwischen der cartesischen Tradition, in der er steht, und seinem eigenen neuen Ansatz. Und diese Brücke verbindet zwei einander eigentümlich fremde und bis heute fremd gebliebene Territorien der Erkenntnis: eines der Notwendigkeit und eines der Erfahrung. Weniger metaphorisch ausgesprochen: für den Übergang von den unmittelbaren Eindrücken der Erfahrung zu der logischen Struktur einer diskreten Welt der Begriffe nutzt Locke eine Gemeinsamkeit von Wahrnehmung und Intuition aus: ihre Unmittelbarkeit und Offenkundigkeit. Dabei übersieht er, daß er bei seinem Aufbau des Ideensystems keine Basis für irgendeine Art der erfahrungsunabhängigen Einsicht in begriffliche Verhältnisse bereitgestellt hat; er vermengt jene unmittelbare und selbstverständliche Klarheit, mit der wir elementare Zusammenhänge (seien sie nun als Sachverhalte oder auch als Begriffsverhältnisse verstanden) erfassen, mit der Notwendigkeit und Unveränderlichkeit eines vollkommenen Wissens. Diesem negativen Ergebnis läßt sich die, wenn man so will, positive Einsicht in ein Erfordernis des empiristischen Versuchs zur Erkenntnistheorie an die Seite stellen: Wenn er sich glaubwürdig ausführen lassen soll, muß es gelingen, eine Theorie der elementaren („einfachen") empirischen Begriffe zu entwerfen, die nicht — weil sie auf die diskrete Mannigfaltigkeit von symbolischen Ausdrücken gebannt bleibt — darum schon von vornherein unter der Fiktion scharf umrissener und unveränderlicher Bedeutungen steht, die aber andererseits trotzdem ein Verständnis der sprachlichen Regeln verschafft, welche dafür sorgen, daß nicht nur ein jeder elementare empirische Ausdruck ostensiv oder exemplarisch jeweils für sich an die Erfahrung gebunden ist, sondern seinen vollen Sinn erst dann entfaltet, wenn man ihn zu anderen Ausdrücken in die Beziehung bringt, in die er der Sache nach ge32 IV. ii. 14, ix. 2, xi. 3. 33 Die Erkenntnis der eigenen Existenz ist hier, wie gesagt, die eigentümliche und problematische Ausnahme (vgl. auch schon § 6, insbesondere Anmerkung 14, und später § 18) und belegt, wie man jetzt schon deutlicher sehen kann, wieviel sozusagen unverdauter Cartesianismus sich mit Lockes eigenem neuem Ansatz verbunden hat.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
hört. Daß (ausdrückliche oder unausdrückliche) „Konvention" dabei nicht der Zauberschlüssel zum Verständnis jenes Beziehungsgefüges der empirischen Begriffe ist, würde dann den „empiristischen" Charakter der Theorie im Sinne des hier skizzierten Ansatzes Lockescher Provenienz ausmachen.
5 15:
Die Erkenntnis komplexer Ideenrelationen: der Mathematik
Lockes Theorie
Anders als die Relationen einfacher Ideen können die komplexer Ideen audi durch Definition Zustandekommen, was zwar nicht zu intuitivem, wohl aber zu demonstrativem Wissen von ihnen Anlaß geben könnte. Der erfahrungsunabhängige Charakter dieses Wissens, das paradigmatisch durch die Mathematik vertreten wird, wirft jedoch die Fragen auf, welche Beziehung zur Realität bestehe und welche Rechtfertigung die definitorische Tätigkeit finden könne. Im Hinblick auf diese Fragen wird Lockes Theorie der Mathematik von den ersten Entwürfen des „Essay" an im einzelnen verfolgt. Dabei zeichnet sich ein W e g ab, der von einer extrem empiristischen Grundlegung in Richtung auf eine konventionalistische führt; deren Unglaubwürdigkeit veranlaßt Locke jedoch, zu rationalistischen Prinzipien zu greifen.
In diesem und dem folgenden Abschnitt soll die Betrachtung der sogenannten Vernunftwahrheiten einen Schritt weiter getrieben werden, indem Lockes Theorie der komplexeren Ideenrelationen, insbesondere des mathematischen und moralischen Wissens, betrachtet wird. Das Hauptproblem wird dabei unverändert dasselbe sein: wie läßt sich eine Erkenntnis a priori, d. h. eine von Erfahrung unabhängige, logisch v o r aller Erfahrung liegende Erkenntnis, in den Rahmen des skizzierten empiristischen Ideenaufbaus einfügen oder ihm wenigstens konsistent angliedern? Kant war bekanntlich der Meinung, daß diese Aufgabe nicht zu lösen und der Empirismus durch das „Faktum" des apriorischen Wissens widerlegt sei 1 . Die folgenden Überlegungen werden, wie nicht anders zu erwarten, noch einmal unterstreichen, wie berechtigt in seiner historischen Lage diese Schlußfolgerung gewesen ist; sie werden aber darüber hinaus zu zeigen haben, daß gewisse sachliche Probleme auf jenem historisch gewordenen Wege der neuzeitlichen Erkenntnistheorie damals zwischen Locke und Kant gewissermaßen am Wege liegengeblieben sind. Daß Locke auch bei der Behandlung des Wissens von Ideenrelationen (in dem engeren Sinne seiner vierfachen Einteilung der Erkenntnisse) von jenem im vorigen Abschnitt geschilderten ungerechtfertigten Übergang zwischen natürlicher Wahrnehmung und Intuition bzw. zwischen aktuellen Er1 Kant 1787, S. 127 f.
§ 15 Lockes Theorie der Mathematik
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fahrungsinhalten in der Zeit und abstrakten Begriffen Gebrauch macht, ist nach dem bislang schon Gesagten ohne weiteres zu erwarten. Daß er dabei nicht nur auf bedenkliche Weise explizit, sondern auch illegitim vorgeht, sollte der letzte Abschnitt vor Augen geführt haben. Und zwar war die Illegitimität nicht etwa darin zu sehen, daß er sich nicht an die naturalistische Schilderung der Erfahrungserlebnisse und Erfahrungsmechanismen als solcher hielt (welcher Ansatz ohne die Condillacsche Zutat eines umso rigoroseren Vorbegrifis der erstrebten Theorie gar nicht zu einem Begriff dessen, was „Erkenntnis" heiße, hätte fuhren können), sondern daß er mit dem allerdings notwendigen Schritt zu allgemeinen sprachlichen Bedeutungen (bzw. zu generellen Ideen) die Bedingungen ihrer Existenz und Entstehung auch sogleich g a n z hinter sich ließ: Er wurde durch die vermeintliche oder wirkliche Selbstverständlichkeit und Eindeutigkeit gewisser allgemeiner und abstrakter Ideen dazu verleitet, eben diese geschätzten Eigenschaften isoliert von den in der Erfahrung gelegenen Bedingungen des Erwerbs und der Verwendung einer jeglichen Idee als unmittelbar klar und gegeben anzusehen — gegeben nämlich für eine neue Instanz des menschlichen Erkenntnisvermögens: die Intuition. Damit war auch die vorausgesetzte abstrakte Allgemeinheit von Ideen als unaufgeklärte Selbstverständlichkeit akzeptiert, also eine der schwierigsten Fragen der theoretischen Philosophie, die ihr seit ihren Anfängen anhängt, anstatt erledigt, unbemerkt übergangen. Im vorigen Abschnitt nun standen in erster Linie die einfachen Ideen in Rede. In ihrem Bereich ließ sich zeigen, daß eine Basis für so etwas wie notwendige oder apriorische Wahrheiten im Rahmen des empiristischen Ansatzes nicht vorbereitet war, es sei denn, daß Konventionen, Festsetzungen, Regeln oder dgl. zu Hilfe gezogen würden. Dieses Hilfsmittel kam jedoch für einfache Ideen nicht in Betracht, wenn sie denn zu Recht als „gegeben" und damit nicht in einem engeren und klaren Sinne als „gemacht" angesehen werden durften. Die komplexen Ideen zeigten sich dagegen als durchaus anders gestellt: sie können durch Definitionen festgelegt werden; ja diese Möglichkeit macht es (in der hier vertretenen Interpretation) überhaupt aus, daß sie komplex sind. Zur Ermittlung ihrer wechselseitigen Relationen, einschließlich der einfachsten wie Identität und Verschiedenheit, konnte zwar jene neue Erkenntnisinstanz, die „auf den ersten Blick" eintretende Intuition, darum doch nicht mehr beitragen als im Bereich einfacher Ideen; aber es steht nun wenigstens zu erwarten, daß ein anderes von aller Erfahrung unabhängiges Verfahren zu ihrer Ermittlung vorhanden sei, nämlich das der schrittweisen Analyse der Festsetzungen oder das einer Deduktion gewisser Ideenrelationen aus den einmal getroffenen Festsetzungen. Damit ist der
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
Sache nach bereits der Bereich dessen erreicht gewesen, was bei Locke unter den Titel „Demonstration" fällt, unter den ohnehin alle nunmehr zu betrachtenden komplexeren Ideenrelationen gehören 2 . Die Sachlage ist nun aber gegenüber den nach Locke intuitiv erfaßbaren Aussagen durch das Hinzutreten der ausdrücklich und gewollt zu vollziehenden Ideenerzeugung (Bedeutungsfestlegung) verändert und kompliziert. Vornehmlich wird der im Aufbau des Ideensystems steckende empiristische Ansatz sich in zweierlei möglicherweise zusammenhängenden Problemen bemerkbar machen: (i) im Problem der Realität des Wissens von Ideenrelationen, und (2) im Problem der Begründung der ideenbildenden Tätigkeit. Das erste schließt die schon angeschnittene Frage ein, in welchem Sinne von der „Wahrheit" eines Wissens gesprochen werden kann, das allein ein Wissen über den Zusammenhang von Ideen untereinander ist. Wo bleibt jene Korrespondenz zur Wirklichkeit, die — wie immer sie genau verstanden werde — angeblich die Wahrheit einer Aussage ausmacht? Oder was, wenn jene Korrespondenz fehlen sollte, berechtigt nichtsdestoweniger dazu, auch in diesem Falle von „Wahrheit" zu sprechen? Das zweite Problem ergibt sich daraus, daß auch für die Erkenntnis des eigenen Verstandes kein anderes in irgendeinem Sinne direkteres und erkenntnisteoretisch würdigeres Verfahren zu Gebote stehen soll als die Erfahrung. Es möchte sich hier zwar um einen besonderen Teil der Erfahrungen, die wir machen können, handeln; aber es ist auf der Lockeschen Basis zunächst nicht zu sehen, wie dieser Teil seine begründete Abgrenzung und Sonderstellung erhalten könnte. Wie die beiden Probleme sich im einzelnen ergeben und welche Kreise sie ziehen, soll nun im folgenden betrachtet werden. Beide Probleme erscheinen im Rahmen des empiristischen Ansatzes solange ziemlich harmlos, als man auf einen besonderen epistemologischen Status des Wissens von Ideenrelationen verzichtet, d.h. solange man die Herstellung komplexer Ideen (die Festlegung komplexer Bedeutungen) an Hand von Erfahrungen durchführt oder auch komplexe Ideen unmittelbar empirisch deutet. Es seien ζ. B. ,Berg' und ,golden' zwei empirisch gedeutete und dadurch auch als real bekannte Ideen, die als Bausteine komplexer Ideen zur Verfügung stehen; ferner sei an Hand von Beispielen der Sinn der Ausdrücke ,und' und ,ist' (jedenfalls für den Fall der Kombination eines sortalen und eines charakterisierenden Begriffs) klargemacht. Dann ist auch die 2
In IV. iii. 18 scheint Locke sogar von a l l e n nicht entweder unter (Nicht-)Identität oder unter Koexistenz fallenden Ideenrelationen anzunehmen, daß sie durch Demonstration erkannt werden; aber in IV. ii. 1 weist er die einfacheren Relationen offensichtlich der Intuition zu.
§ 1 5 Lockes Theorie der Mathematik
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Bedeutung von ,goldener Berg' klar und die Realität dieser zusammengesetzten Idee gesichert, ob es nun einen goldenen Berg gibt oder nicht; d. h. es sind die Bedingungen antizipierbar, unter denen ein Erfahrungsinhalt als .goldener Berg' ansprechbar sein würde, oder, was auf dasselbe hinauskommt, unter denen die Aussage „der Berg ist golden" als wahr anzuerkennen wäre. Die oben genannten Probleme werden erst dann ernst, wenn man von empirisch wahren Aussagen loskommen will, bzw. wenn man in einer Aussage nur noch über die Relation von Ideen untereinander sprechen möchte. Dabei nämlich ist die Unabhängigkeit des Aussageinhaltes von der empirischen Deutung der in sie — direkt oder bei komplexen Inhalten indirekt — eingehenden einfachen Ideen zu postulieren. Die von Locke als die einfachsten angesehenen Ideenrelationen, die der Gleichheit und Verschiedenheit, wären weiterhin den im vorangehenden Abschnitt erläuterten Einwänden ausgesetzt: Wenn selbst der Unterschied von ,blau' und ,rot' nur empirischen Sinn und empirische Zuverlässigkeit besitzt, so natürlich auch der Unterschied zweier komplexer Ideen, die sich als verschieden dadurch ausweisen sollen, daß an die Stelle von ,rot' in der einen die Teilidee ,blau' in der anderen tritt — es sei denn, der Rückgriff auf die Bedeutung jener einfachen Ideen ließe sich entbehrlich machen. Ein Verfahren dafür war aus dem bisher von Locke ins Auge gefaßten Aufbau der Ideen 3 nicht ersichtlich. Welcher Art es auch sein möchte, es wird die im bisherigen Ideenaufbau einstweilen noch automatisch beantworteten Fragen aufwerfen: Zum ersten, wie die in ihrer Bedeutung nicht mehr auf die Bedeutung von Basisausdrücken bezogenen komplexen Ausdrücke einen Bezug auf die Realität behalten oder erhalten können; und zum zweiten, welche Bedeutung die jeweiligen Schritte bei der Bildung einer komplexen Idee haben werden, falls sie nicht mehr an Hand der Zusammenfügung empirisch bedeutungsvoller Ideen verständlich gemacht werden. Nun hat sich Locke im Laufe der Abfassung des „Essay", die sich ja über zwei Jahrzehnte hinzog, mehrfach Gedanken über die Natur des mathematischen Wissens gemacht. Seine Überlegungen zeigen dabei eine Entwicklung, in der sich sachlich aufeinander folgende Schritte zwar teilweise zeitlich überlappen, die in ihrer Gesamttendenz jedoch gerade den Weg von einer empirischen Verankerung der Mathematik bis zur Ablösung mathematischer Aussagen von allen wirklich existierenden Verhältnissen markiert. Aus diesem Grunde, und weil zudem das mathematische Wissen das wich3
Hierzu ist vor allem § i o zu vergleichen.
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Teil V I : Der Empirismus der Aussagen
tigste Paradigma allen (vermeintlich oder wirklich) erfahrungsunabhängigen Wissens ist, wird es nützlich sein, die Entwicklung von Lockes Philosophie der Mathematik etwas näher zu betrachten, um abschließend das im „Essay" niedergelegte Resultat in seiner Bedeutung für die empiristische Erkenntnistheorie im ganzen kritisch auszuwerten. In dem frühesten bekannten Entwurf zum „Essay", dem sogenannten „Draft Α" aus dem Jahre 1 6 7 1 , kommt Locke anläßlich einer Betrachtung über das Vergleichen von Sinneseindrücken auf die Natur des mathematischen Wissens zu sprechen. Denn, so meint er, alles solche Vergleichen komme auf die Anwendung jener „zwei großen und universellen Maße aller Dinge, Ausdehnung und Zahl" hinaus. Und wie die Ideen von Ausdehnung und Zahl aus der Wahrnehmung hervorgehen, so gilt ihm als die „Grundlage" all diesen Vergleichens die sinnliche Wahrnehmung, insbesondere das Sehen. Von der Gewißheit des mathematischen Vergleichens sagt er dementsprechend: „. . . wie sehr sie auch immer als die größte angesehen wird, die wir haben können oder zu haben erwarten, so kann sie doch nicht größer sein als die des Unterscheidens mittels unserer Augen, was eben durch den Namen ,Demonstration', wie hoch diese auch immer ob ihrer Gewißheit gerühmt werde, angezeigt wird." 4 Mathematische Sätze und Grundsätze sieht er folgerichtig aus „konstanter Beobachtung durch unsere Sinne, insbesondere unsere Augen" hervorgehen und schließlich in den Status einer „universellen anerkannten Wahrheit" übergehen bzw. als „unbezweifeltes Axiom" Anerkennung finden. Bloß verbale Grundsätze, die gleich noch zu besprechen sein werden, einmal ausgenommen, stamme alle Zustimmung zu mathematischen Aussagen aus „dem Zeugnis und der Versicherung unserer Sinne". Den extrem empiristischen Charakter dieser Auffassung unterstreicht Locke noch dadurch, daß er der eben zitierten Wendung verdeutlichend als Erläuterimg in Klammern hinzufügt: „und wenn unsere Sinne auch nur e i n Gegenbeispiel zu einem je4
„ . . . all the measures that have been or are to be found depending upon and resolveing into those two grande and universal measures of all things extension and number . . . the foundation whereof being all laid in sense viz sight, the certainty thereof however looked on as the greatest we can or expect to have can be noe greater then that of discerning by our eyes, which the very name Demonstration how highly soever magnified for its certainty doth signifye." Draft A , § 1 1 ; diese und alle weiteren Stellen aus Draft Α sind zitiert aus: R. I. Aaron and J . Gibb (eds.), A n Early Draft of Locke's Essay Together with Excerpts from his Journals, Oxford 1936.
§ 15 Lockes Theorie der Mathematik
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ner Axiome beibringen könnten, so würde die Kraft und Gewißheit dieses Axioms augenblicklich verschwinden."5 Mathematische Aussagen enthielten demnach nichts anderes als gewisse allgemeine Wahrheiten über die beobachtbaren Relationen von räumlich ausgedehnten Gebilden oder von zählbaren Mengen. Daneben wird im Draft Α erwogen und im zweiten Entwurf zum „Essay" , dem Draft Β aus demselben Jahre, schon entschiedener vertreten 6 , daß einige sehr allgemeine mathematische Grundsätze, nämlich die in den „Elementen" des Euklid von den Postulaten unterschiedenen Axiome im engeren Sinne und ihnen verwandte Prinzipien wie „der Teil ist kleiner als das Ganze", sich lediglich auf die relativ zueinander festgelegten Bedeutungen gewisser W ö r t e r beziehen. Derartige Grundsätze oder Maximen gehören bis in die endgültige Theorie des „Essay" hinein zum Bestand möglicher Aussagen, erlangen jedoch keine für die Erkenntnis im allgemeinen oder auch nur die der Mathematik entscheidende Rolle 7 . Echtes Wissen setzt eben nach Locke einen Schritt voraus, der — wie er sich schon in Draft A ausdrückt — „weiter als jene (Axiome), die bloß über die Bedeutung von Wörtern handeln", geht 8 . „ . . . by constant observation of our senses espetialy our eys we come to finde that such and such quantitys have such and such proportions compard with other v. g. that the three angles of a triangle are equall to two right ones, or that one side of a triangle being produced the exterior angle is equal to the two interior opposite angles, which being tried in several tryangles and by noe body found in any one triangle otherwise, passes into an universal acknowledgd truth, and is received as an undoubted axiom the whole of them (sc. axioms) and all whereby they gain such an assent (farther then those that are barely about the signification of words) is only by the testimony and assureance of our senses, (and if our senses could bring but any one instance contrary to any of those axioms, the force and certainty of that axiom would presently faile) . . . " Draft A, § i i , p. 2 1 f. 6 Draft A, §§ 11 und 30; Draft B, § 44. Draft Β liegt vor in der Ausgabe: An Essay Concerning the Understanding, Knowledge, Opinion, and Assent by John Locke, ed. with an Introduction by Benjamin Rand, Cambridge/Mass. 1 9 3 1 . 5
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Aussagen vom Typ „der Teil ist kleiner als das Ganze" figurieren im „Essay" als sogenannte „Maximen", die zur Ableitung echten Wissens unbrauchbar (IV. vii. 11, p. 279) und „verbal" (ib., p. 284) sind; sie fallen daher im Sinne der Unterscheidung von IV. viii. 6—8 unter „trifling", nicht „instructive knowledge". Draft A, § 11, vgl. Anmerkung 5. — Die „Bedeutung" eines Wortes muß hier von der „Idee" mit anschaulichem Gehalt unterschieden werden; sie besteht hier nur in einer Festlegung des Wortgebrauchs relativ zu dem anderer Wörter und kann im übrigen „leer" laufen. Welche Probleme sich dann ergeben, wenn diese relativen Worterklärungen mit anschaulicher Bedeutung angereichert werden sollen, wenn also der Übergang zu gewissermaßen echten Bedeutungen, zu Ideen, gemacht werden soll, wird noch kurz (in § 16) zu besprechen sein.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
Die eben skizzierte ziemlich rohe und extrem empiristische Theorie der Mathematik hätte für Locke vielleicht keine weiteren Probleme aufgeworfen, wenn er sidi nicht von vornherein (und dann womöglich anläßlich seines Frankreichaufenthaltes unter cartesischem Einfluß noch stärker) von der besonderen Gewißheit und Zuverlässigkeit des mathematischen Wissens beeindruckt gefunden hätte. Obwohl er diese Gewißheit, wie eben zitiert, ausdrücklich auf die Stufe des mit den Augen Sichtbaren beschränkt sehen wollte, war er doch andererseits offenbar davon überzeugt, daß mit jenen Gegeninstanzen, die ein anerkanntes mathematisches Axiom zu Fall bringen würden, nicht gerechnet werden müsse. Keineswegs nur jenen auf Wortbedeutung zielenden und epistemologisch relativ uninteressanten, sondern auch den inhaltlichen Axiomen schreibt er „Notwendigkeit" zu. Aus der wiederholten Beobachtung geometrischer und arithmetischer Verhältnisse der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände erwachse uns schließlich die Gewißheit bestimmter Aussagen, die „ewige Wahrheit" haben, „weil, wo immer jene Zahlen und Ausdehnungen existieren, sie notwendigerweise alle die Eigenschaften haben müssen, die wir von ihnen bewiesen haben"9. Hier scheint aus der Natur unserer Einsicht in mathematische Relationen ein Erkenntnisvorgriff als möglich unterstellt zu sein, der Gegeninstanzen nicht mehr abzuwarten braucht. Nichtsdestoweniger darf man nicht annehmen, die Notwendigkeit betreffe nur die Vorstellungen, die w i r uns (und sei es auch durch Erfahrungen angeregt) m a c h e n ; Locke beeilt sich hinzuzufügen: „Aber es ist zu beachten, daß all dieses Wissen, das wir so vollkommen und vollständig erlangen, über Verhältnisse von Zahlen und Ausdehnungen geht, die ex necessitate r e i so sind, d. h. die nichtabtrennbare Eigenschaften der Winkel und Figuren sind, an denen wir sie f i n d e n . . . " 1 0 Wie ist der Ursprung unserer mathematischen Erkenntnis aus der Beobachtung, ihre Begründung auf doch immer nur eine sehr begrenzte Menge 9
„ . . . haveing from our senses or sensation got the Ideas of extension and number and by repeated observations about them atteind certeine knowledg of aequality or inequality of them compard to one another, which always reteine the same proportion when ever we compare them togeather, we collect from hence such propositions which haveing found to be true we call Maximes, and are indeed truths of eternall verity because where ever those numbers or extensions exist they must necessarily have all those propertys which we have demonstrated of them." Draft A , § 12, p. 24. 1° „But it is to be observed that all this knowledg which we atteine soe perfect and fully is of proportions of numbers and extensions which are soe ex necessitate rei, i. e. are inseparable propertys of the angles or figures where we finde them . . . Draft A , §12, p. 24 f.
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von Wahrnehmungen mit der Gewißheit der Einsicht in notwendige Sachbeziehungen zu vereinbaren? Im Draft Α hat Locke nicht mehr dazu zu bieten als die ohne jede Begründung vorgetragene T h e s e einer Korrespondenz der Relationen unserer Ideen zu den Relationen der Dinge; ich möchte sie im folgenden als die „K-These" bezeichnen: „. . . der Gewißheit dieses (sc. des mathematischen) Wissens sind wir gut genug versichert, wovon der Grund ist die klare Erkenntnis unserer eigenen Ideen und die Gewißheit, daß die existierenden Quantitäten und Zahlen dieselben Eigenschaften und Relationen besitzen, die ihre Ideen untereinander haben." 11 Die Gewißheit und die Allgemeinheit mathematischer Aussagen ergibt sich offenbar daraus, daß wir gewisse unserer Ideen vollständig überblicken; der nicht-triviale Wahrheits- und Erkenntnischarakter und die Realität oder der Sachgehalt dieser Aussagen hängen dagegen vom Bestehen einer Korrespondenz der Ideen samt ihrer Relationen mit der Wirklichkeit der äußeren Dinge ab: „Mathematische universelle Aussagen sind sowohl wahr wie auch instruktiv; denn, ebenso wie jene Ideen in unserem Geist sind, so sind auch die Dinge außer aus."12 Diese vorerst jedenfalls unbegründete K-These wird einfach als eine „Gewißheit" hingestellt 13 . Erst im Draft Β erscheint so etwas wie der Versuch, sie zu begründen; er geht, wie man nicht anders erwarten wird, Hand in Hand mit Zweifeln an ihrer uneingeschränkten Gültigkeit. Der entscheidende Gedanke der Begründung findet sich in dem folgenden Satze ausgedrückt: „Denn, nachdem ich in meinem Geiste die Idee eines gleichseitigen Dreiecks geformt habe (die Idee ,Figur' ist eine derer, die ich durch meine Sinne empfangen habe, und ist nichts weiter als die Modifikation oder Begrenzung von ,Ausdehnung') und dadurch, die Winkel ausmessend, gefunden habe, daß sie zwei rechten gleich sind, und 11
„ . . . of the certainty of this knowledg we are well enough assured, the ground whereof is the cleare knowledg of our owne Ideas, and the certainty that quantity and number existing have the same propertys and relations that their Ideas have one to another." Draft A, § 12 Ende. 12 „Mathematical! universall propositions are both true and instructive because as those Ideas are in our mindes soe are the things without us." Draft A, § 30, p. 51. 13 Ähnlich unvermittelt tritt auch eine andere, aber verwandte K-These noch im „Essay" auf: die These, daß unsere Ideen der primären Qualitäten den wirklichen Eigenschaften der Dinge getreu entsprechen. Dazu vgl. man weitere Bemerkungen im folgenden Text.
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indem ich so ein klares und unfehlbares Wissen hiervon besitze, kann ich nicht anders als dessen sicher sein, daß, wo immer diese Figur existiert, sie alle dieselben Eigenschaften haben wird, die sie hatte, als ich sie in meinem eigenen Verstände betrachtete; es gibt nämlich keinen Unterschied in den Eigenschaften desselben Winkels oder derselben Figur, ob er bzw. sie nun auf Papier gezeichnet, in Marmor gehauen oder nur in meinem Verstände vorgestellt ist." 14 Der Kern dieser Überlegung scheint mir in dem Hinweis zu liegen, daß wir bei einer mathematischen Idee von der besonderen Materie ihrer Realisation absehen und sie vermöge dieser Abstraktion als in allen bekannten oder denkbaren Fällen dieselbe erkennen können. Etwas anders gewendet, käme es hier darauf an, daß wir einen mathematischen Beweis zwar an Hand einer bestimmten konkreten Figur auf dem Papier führen können und dabei doch zugleich in der Lage sind einzusehen, daß wir von den Besonderheiten dieses Papiers und dieser Bleistiftstriche (ja darüberhinaus von anderen, selbst bereits abstrahierten, materie-invarianten Besonderheiten, etwa der Größe der Figur) keinerlei Gebrauch machen. Die Notwendigkeit des bewiesenen mathematischen Theorems hängt dann eben davon ab, daß der Beweis von den speziellen Eigenschaften eines bestimmten konkreten Diagramms keinen Gebrauch macht; die Realität des mathematischen Wissens andererseits beruht darauf, daß jene im Beweis tatsächlich benutzten Eigenschaften des Diagramms sichtbarer Materie zukommen können. (Daß sie ihr mindestens angenähert zukommen können, macht das in der herkömmlichen Geometrie übliche Beweisen an Hand von Diagrammen in der Tat erst möglich.) In dieser Begründung der K-These ist natürlich der Absprung von konkreten sichtbaren Dingen oder Diagrammen schon angelegt. Der Fall der bloßen Vorstellung im Verstände tritt bereits gesondert neben den der Zeichnung auf dem Papier oder der Realisation in Stein. Überdies fügt Locke hinzu, daß das Ausmessen der Dreieckswinkel im Verstände die allgemeine I* „For having in my mind framed the idea of an equilateral triangle (the idea of figure being one of those I have received by my senses, and is nothing but the modification or termination of extension), and thereby measuring the angles found them equal to two right ones, and so have a clear, infallible knowledge of it, I cannot but be sure that, wherever that figure exists, it will always have all the same properties it had when I contemplated it in my own understanding; there being no difference in the properties of the same angle or figure, whether it be drawn upon paper, carved in marble, or only fancied in my understanding. For, being once truly and clearly measured there, I could never more doubt of the truth of this proposition in general, that the angles of an equilateral triangle are equal to two right ones, wherever such a triangle did exist, though my eyes should make me mistake in taking the view of the demonstration." Draft B, § 44, p. 102 f.
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Gültigkeit des Theorems sicherstellt, selbst für den Fall einer Täuschung durch die Augen über die Eigenschaften der entsprechenden sichtbaren Figur: „. . . nachdem (die Winkel) einmal getreu und klar dort (sc. im Verstände) gemessen sind, könnte ich nicht länger daran zweifeln, daß die Aussage, die Winkel eines gleichseitigen Dreiecks seien zwei rechten gleich, allgemein wahr ist, wo immer ein solches Dreieck existierte, auch wenn meine Augen mich bei der Betrachtung der Demonstration zu einem Irrtum verleiten sollten."15 Andererseits aber hält er daran fest, daß der Verstand hier nicht mehr tut, als das S i c h t b a r e richtig zu erfassen. Es genügt ihm nicht, die Figuren auf dem Papier als bloße Erinnerungshilfe für den Verstand anzusehen; er verweist darüberhinaus wiederum auf den ursprünglich visuellen Sinn des Terminus .Demonstration', demzufolge diese die Aufgabe habe, „etwas so zu zeigen, wie es ist, und es zur Wahrnehmung zu bringen". Daran knüpft er den seinen Paragraphen abschließenden Gedanken, daß dieser mathematische Weg zu Erkenntnis in Wahrheit „nicht durch Beweis, sondern Intuition" zu seinem Ziele führe; alles Beweisen dabei sei nichts anderes als „den Menschen zu zeigen, wie sie richtig sehen sollen"16. Man erkennt den oben als illegitim kritisierten unvermittelten Übergang vom visuellen zum intellektuellen Sehen wieder. Obwohl Locke also die K-These für mathematische Erkenntnis zunächst und am ausführlichsten an Hand eines geometrischen Beispiels begründet 17 , und obwohl er dabei so ausdrücklich auf die gemeinsame Wurzel von Sehen und Einsicht zurückgreift, kommen ihm doch im Zuge desselben Entwurfs und nur wenige Paragraphen später Zweifel an dieser Grundlegung der Geometrie. Schon im Draft A 18 hatte er dem Gedanken einer Reduktion der Geometrie auf die Arithmetik ins Auge gefaßt. Dieser wird nunmehr wich15 S. Anmerkung 14, 2. Hälfte. 1 6 „ . . . when we would arrive at that great certainty which we call Demonstrat i o n , we usually appeal to our eyes, and look for no greater certainty than what our eyes can afford us; the whole evidence of this appearance being no more than what the word D e m o n s t r a t i o n does naturally import, which is to show anything as it is, and make it be perceived; so that in truth what we come to know this way is not by proof, but intuition. All this touching proof that is used in this way of knowledge being nothing else but showing men how they shall see right..Draft B, § 44» PP· 17 Draft B, § 52 enthält eine sehr knappe, aber dem Sinne nach gleichartige Überlegung für die Arithmetik. 18 Draft A, § 11.
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tig im Zusammenhang mit dem Zweifel an der Existenz der geometrischen Gebilde. Die Reduktion der Geometrie stellt sich Locke folgendermaßen dar: „In der Geometrie mißt der Geist entweder mit Hilfe von Axiomen, die von den Zahlen entlehnt sind und deren Evidenz, wenn nicht ausschließlich, so doch am befriedigendsten aus den klaren, deutlichen Begriffen hervorgeht, die wir von Zahlen haben... oder mit Hilfe von Definitionen von Linien, Winkeln und Figuren, die vielleicht niemals existiert haben oder von denen zumindest niemals bewiesen werden kann, daß sie in irgendeiner Materie existieren,. .. der Geist, sage ich, mißt mit Hilfe dieser Axiome und Definitionen angenommener wahrer mathematischer Figuren Gleichheit oder Ungleichheit von Winkeln, Linien usw. . . . Aber im Bereich der Zahlen hat der Geist vermöge der klaren und deutlichen Begriffe, die er von ihnen besitzt, ganz ohne dergleichen Definitionen oder Axiome ein vollkommenes, unbezweifeltes und sozusagen intuitives Wissen von ihrer Gleichheit und Ungleichheit, jedenfalls in einem großen Teil der Arithmetik." 19 In diesem Text zeichnet sich mit dem Rückgriff auf Definitionen bereits deutlicher die Tendenz zur Auffassung der Mathematik als einer hypothetischen Wissenschaft ab. Interessanterweise steht aber daneben der Versuch, die bisherige Grundlage für die Wahrheit der Mathematik, die K-These, festzuhalten und auf dem Umwege über die Zurückführung geometrischer Aussagen auf arithmetische20 den Zusammenhang mit unmittelbarer Wahrnehmung und aus ihr entwickelter Einsicht in Ideenrelationen zu retten. Für die Arithmetik wird die K-These denn auch ausdrücklich erneuert: „Keineswegs ist alles Wissen, wie manche Leute meinen, auf bestimmte praecognita oder evidente Prinzipien gegründet, sondern es 19
„In geometry the mind, either by axioms borrowed from number, the evidence whereof, if not solely got, most satisfactorily arises from the clear, distinct notions we have of numbers . . . or by definitions of lines, angles, or figures which perhaps did never exist, or at least can never be proved to exist in any matter. . . . The mind, I say, by these axioms and definitions of supposed true mathematical figures, measures the equality (in Rands Text steht .quality', was aber offensichtlich ein Druckfehler ist; oder ein Schreibfehler Lockes?) or inequality of angles, lines etc., . . . But in number the mind, by the clear and distinct notions it has of them without any such either definitions or axioms, has a perfect, undoubted, and, as it were, an intuitive knowledge of their equality and inequality, at least in a great part of arithmetic." Draft B, § y i , pp. h i f.
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Diese ganze Reduktion erscheint Locke möglich und aussichtsreich, insofern er eine rein quantitative Auffassung von der Geometrie (bzw. der gesalbten Mathematik) hat: Draft A , § 12, gegen Ende; Draft Β, § 42.
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stammt aus einer sozusagen intuitiven Kenntnis unserer eigenen einfachen Ideen, die klar und deutlich sind, und aus einer Gewißheit, daß die existierenden Dinge jenen Ideen entsprechen, wie es bei Zahlen evident ist."21 Diese neue Position hat eine gewisse anschauliche Plausibilität. Es mag zwar zweifelhaft sein, ob diejenigen geometrischen Gebilde, über die sich Aussagen beweisen lassen, existieren, sind sie doch „idealisierte" oder „ideale" Formen; dagegen scheint kein sinnvoller Zweifel daran möglich, daß eine natürliche Zahl, ihrer abstrakten Allgemeinheit zum Trotz, sozusagen restlos und vollständig durch eine Menge von entsprechend vielen wohlunterschiedenen Dingen realisiert ist. Einer Gruppe von Personen, einem Haufen von Geldstücken kommt eine bestimmte Anzahl ohne Abstriche zu. Genau auf diese Vollständigkeit der Entsprechung gründet Locke seine nunmehr unterschiedliche Behandlung der Geometrie und der Arithmetik: „Und was mehr ist, als man bei der Ausdehnung finden kann: man weiß, daß Dinge, die genau wie diese Zahlen sind, wirklich existieren. Bei den Zahlen findet sich auch dieser Grad der Exaktheit, den wir bei der Ausdehnung nicht erreichen können . . . " 22 Man sieht, daß durch den Rückzug auf die Arithmetik der ursprüngliche Ansatz der Mathematik bei der Beobachtung der quantitativen Relationen sichtbarer Dinge keineswegs preisgegeben, sondern zunächst einmal besser abgesichert wird. Daß jene zweite Komponente der Überlegung, nämlich die Begründung auf bloße Definitionen oder Voraussetzungen, nicht etwa schon selbständige Geltung hat, zeigt die oben angeführte Wendung von den „angenommenen wahren mathematischen Figuren"; sie geht begrifflich verunklärend, aber darum doch nicht weniger charakteristisch für die Problemlage, in der sich Locke hier findet, über den gerade zuvor scheinbar schon erfaßten Gegensatz von willkürlicher Annahme („Definition") und durch Beobachtimg der Sache aufzufindender Wahrheit hinweg, indem sie auf beides zielende Charakterisierungen einfach in einer logischen Konjunktion vereinigt. 21
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„Nor is all knowlegde, as some men will have it, founded upon some p r a e c o g n i t a , or self-evident principles, but from, as it were, an intuitive knowledge of our own simple ideas, which are clear and distinct, and a certainty that things existing answer (Rands Text: answers) those ideas, as is evident in numbers." Draft B, § 51, p. 113. „And which is more than is to be found in extension, he knows that things exactly as those numbers do really exist. In numbers also there is this degree of exactness, which we cannot attain to in extension, that we do perfectly perceive the proportion . . e t c . Draft B, § 51, p. 114.
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Es ist nicht uninteressant anzumerken, daß die spätere Auffassung des „Essay" über die Mathematik, daß sie nämlich eine von jeglicher Existenzaussage unabhängige Wissenschaft von hypothetischen Relationen existierender Dinge sei, auf die geschilderte Weise für Locke mit einer unmittelbar empirischen Grundlegung und Bedeutung der mathematischen Aussagen vereinbar erschien. Anders wäre nicht zu verstehen, daß er schon in Draft A und Β die These von der Existenzunabhängigkeit der Mathematik — im folgenden kurz die „Η-These" genannt — in einiger Deutlichkeit ausgesprochen hat. Diese These zieht sich als besondere Komponente durch alle Entwicklungsstadien des „Essay" und verdient daher, des näheren in ihrem Sinn betrachtet zu werden. Zum ersten Mal (im Draft A 2 3 ) entwickelt Locke die Η-These im Anschluß an die Überlegung, daß die Arithmetik auf Aussagen über Gleichheit und Verschiedenheit von Ideen zurückführbar sei. Da sie sich (wie alle Mathematik) nur mit der Vergleichung von Größen beschäftigt, läuft sie, wie Locke hier meint, schließlich auf nicht mehr als die Unterscheidung von Eins und Zwei und auf das Wissen, daß Zwei größer ist als Eins, hinaus. Und derartige Erkenntnisse sind für ihn nun unmittelbar mit Aussagen vom Typ „Weiß ist nicht Schwarz" gleichzustellen: sie sind Aussagen über Relationen von Ideen im Verstände, wenn auch — wie Locke hier ein weiteres Mal breit ausführt — streng konform mit Aussagen über Identität und Verschiedenheit, über Eins- oder Zwei-an-der-Zahl-sein in Bezug auf gegenwärtig mit den Augen Wahrgenommenes 24. Als Ideenrelationen jedoch sagen sie nichts über Existenz oder Nicht-Existenz von Dingen: „Was ich hier zu bemerken habe ist dies: wie gewiß auch immer wir jene zwei universellen Aussagen (sc. solche über Identität und Verschiedenheit) . . . wissen mögen und wieviel Einfluß auf alle Demonstrationen sie auch immer ausüben mögen, sie beweisen doch nur in meinem eigenen Geist gemachte Annahmen und nicht die Realität von außerhalb meiner existierenden Dingen, deren Wahrheit ich auf keine andere Weise erkennen kann als durch meine Sinne. Denn, obwohl ich vermöge der bekannten Wahrheit dieser universellen Aussagen weiß, daß eine Schwalbe eine Schwalbe ist und ein Phönix ein 23 Draft A, §•§ 30—31. 24 Eine typische Formulierung ist etwa die folgende: „ . . . the Ideas of white and blade and yellow being as destinctly perceived by his minde as by his sight and the notions of one and two being as cleare destinct and evident in his understanding as to his touch or eyes they are in their perception and destinction each by its self one from an other equaly capable of certainty and demonstration, as any sensible thing we see or handle." Draft A, § 31, p. 53.
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Phönix, und ebenso daß dieselbe Schwalbe, die jetzt in England ist, nicht zur gleichen Zeit in Frankreich ist, und der Phönix, der jetzt in Arabien ist, nicht zur selben Zeit in Italien—obwohl ich, so sage ich, unfehlbar der Wahrheit einer jeden dieser Aussagen gewiß bin, so ist doch die Grundlage meiner Überlegung nichts als eine Annahme, d. h. eine Idee in meinem eigenen Verstände, und die Existenz von ,Phönix' oder von ,Schwalbe', oder was sie sind, oder das Sein des einen in Arabien oder der anderen in England ist nichts als eine vorgestellte Annahme oder Einbildung, bis meine Sinne mich ihrer Realität versichert haben." 25 Was Locke hier meint, ist offenbar nicht leicht zu fassen. Er kann nicht meinen, daß die fraglichen Aussagen — „universelle affirmative identische Aussagen und alle davon abhängigen Aussagen" und „universelle negative Aussagen, in denen eine einfache Idee von einer anderen verneint wird, und alle nachfolgenden, davon abhängigen Aussagen"26 — schlechterdings gar nichts mit Realität und Existierendem zu tun hätten. Die Erneuerung der K-These zu Beginn des vorangehenden Paragraphen und die Gleichstellung der Aussagen über mit den Augen wahrgenommene und über mit dem Verstände erfaßte Gleichheit und Verschiedenheit schließen diese Interpretation aus. Was Locke meint, kann jedoch auch nicht nur der relativ triviale Punkt sein, daß universelle Aussagen natürlich ganz allgemein nichts über partikuläre Existenz besagen. Denn diejenigen unter ihnen, die nach allgemeiner wie Lockescher Überzeugung durch Beobachtungen zu begründen bzw. zu prüfen sind, können nicht gut unter die Formel gebracht werden, sie beträfen allein im Geiste Angenommenes oder Ideen im Verstände. Was 25 „That which I am to observe here is this how certainly soe ever we may know those two universal propositions (sc. über Identität und Verschiedenheit von Ideen) . . . and how much soe ever they influence all demonstrations yet they only prove suppositions made in my owne minde and not the reality of things existing without me, the truth whereof I can noe other way possibly know but by my senses. For though by vertue of the knowne truth of these universal propositions I know that a swallow is a swallow and a phoenix is a phoenix And also that the same swallow that is now in England is not at the same time in France, and that the Phoenix that is now in Arabia is not at the same time in Italy. Though I say I am infallibly certain of the truth of every one of these propositions, yet the foundation of my reasoning is but only a supposition, i. e. an Idea in my owne understanding, and the Existence either of Phoenix or Swallow or what they are, or the being of one in Arabia or the other in England is but a phansy supposition or imagination till my senses have assured me of the reality of it." Draft A, § 31, p. 54. 26
„universal affirmative Identical propositions (viz wherein any of his Ideas is affirmd of its self) and . . . all propositions depending there upon" und „universal negative propositions wherein one of his simple Ideas is denyed of an other and all subsequent propositions depending there on"; Draft A, § 31, p. 53.
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aber eben diese Formel heißen soll, scheint zumindest hier noch ganz unklar zu sein; die ihr zugewiesene Begründung und die ihr daraus zuwachsende Veranschaulichung passen ebenso gut auf den Fall der schlichten empirischen Allaussagen. Natürlich wird man vermuten, Locke meine (wenn er das auch nicht sagt), jene fraglichen Aussagen seien ohne Rücksicht auf die Kenntnis der Realität zu b e g r ü n d e n , nämlich allein unter Beachtung der Ideen, wie sie sich im Verstände darbieten. Wieviel diese uns naheliegende Auskunft für sich hat, wird jetzt zu untersuchen sein. Im vorliegenden Frühstadium der Lockeschen Überlegungen erscheint sie jedenfalls eher als eine noch nicht verständliche Antizipation oder als ein noch nicht eingelöstes Programm. Was tragen die weiteren Vorarbeiten zum „Essay" und schließlich dieser selbst zum Verständnis bei? Draft Β 2 7 bringt hierzu nichts Neues, verknüpft nur noch direkter und in ein und demselben Paragraphen die K-These und die Η-These, und bestätigt weiterhin die Vermutung, die Η-These solle eine Invarianz gegen die existierende Realität nicht in irgendeinem stärkeren, sondern lediglich in dem beschränkten Sinne behaupten, daß man bei der B e g r ü n d u n g arithmethischer Aussagen mit der Betrachtung der Ideen im Verstände auskomme. Unmittelbar an die Aufstellung der K-These für die Arithmetik und eine rudimentäre (der aus Draft Α zitierten konforme) Begründung für diese schließt eine Behauptung darüber an, woher die Gewißheit sowohl der einzelnen arithmetischen Aussagen wie auch der K-These für alle solche Aussagen stamme: „Welche Gewißheit unseres Wissens aus nichts anderem hervorgeht als der klaren und deutlichen Wahrnehmung, die wir, wenn wir in unserem eigenen Geist an sie denken, von jenen Zahlen haben, die nicht anders sein können, auf welche Dinge immer sie Anwendung finden."28 Aus diesem Konzept eines ideenimmanenten Begründungsverfahrens heraus entwickelt sich schließlich jene klare Entgegensetzung von zweierlei Wissen, wie sie sich im „Essay" besonders deutlich zu Beginn von IV. ix findet: zum einen Wissen von allgemeinen Aussagen, die „Existenz nicht betreffen", zum anderen von partikulären Aussagen, die „nur Existenz betreffen" 29 . Sie ist in einer Tagebucheintragung aus dem Jahre 1681 bereits in 27 Einschlägig ist hier $ 52. 28 „Which certainty of our knowledge proceeds from nothing else but the clear and distinct perception we have of those numbers when we think of them in our own minds, which cannot be otherwise whatever things they are applied to." Draft B, § 52, p. 1x5. 29 IV. ix. I.
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sprechenden Formulierungen niedergelegt, die es wert sind, hier festgehalten zu werden: „Es gibt zwei Sorten von Wissen in der Welt, allgemeines und besonderes, gegründet auf zwei verschiedenen Prinzipien, nämlich wahre Ideen und Tatsachen oder Geschichte. Alles allgemeine Wissen ist ausschließlich auf wahre Ideen gegründet, und insoweit wir diese haben, sind wir zu Demonstration und gewissem Wissen befähigt . . .«30 Es folgen Beispiele aus Mathematik, Morallehre und natürlicher Religion. Beispiele für Existenzwissen werden aus Physik, Politik und Beurteilung alltäglicher Geschäfte genommen. Dann folgt eine Zusammenfassung der Gegenüberstellung in den folgenden Worten: „Wissen also hängt ab von richtigen und wahren Ideen, Meinung von Geschichte und Tatsachen; und daher ergibt sich die Anerkenr nung der Behauptung, daß unser Wissen von allgemeinen Dingen aus ewigen Wahrheiten besteht und nicht von der Existenz oder den Akzidentien der Dinge abhängt; denn die Wahrheiten der Mathematik und Moral sind gewiß, ob die Menschen wahre mathematische Figuren machen, oder ihre Handlungen den Regeln der Moralität anpassen oder nicht. Daß nämlich die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten sind, ist unfehlbar wahr, ob eine solche Figur wie das Dreieck in der Welt existiert oder nicht, und es ist wahr, daß es jedermanns Pflicht ist gerecht zu sein, ob es so etwas wie einen gerechten Menschen in der Welt gibt oder nicht."31 Um Mißverständnisse der eben zitierten Tagebucheintragung zu vermeiden, muß man sich vor Augen halten, daß die Entgegensetzung von Wissen und M e i n u n g nur dadurch zustandekommt, daß beidemale a l l g e m e i n e Aussagen ins Auge gefaßt werden, einmal über Ideenrelationen, „There are two sorts of knowledg in the world generali and particular founded upon two different principles i. e. true Ideas and matter of fact or history All generali knowledg is founded only upon true Ideas and soe far as we have these we are capeable of demonstration or certain knowledg..Tagebuchaufzeichnung vom 26. 6. i 6 8 i , entnommen aus: R. I. Aaron and J. Gibb (eds.), An Early D r a f t . . . , p. i i 6 . 31 „Knowledg then depends upon right and true Ideas, Opinion upon history and matter of fact, and Hence it comes to passe that our knowledg of generali things are aetemae veritates and depend not upon the existence or accidents of things for the truths of mathematiques and morality are certain whether men make true mathematicall figures, or suit their actions to the rules of morality or noe. For that the three angles of a triangle are equall to two right ones is infalibly true whether there be any such figure as a triangle existing in the world or noe andt it is true that it is everymans duty to be just whether there be any sudi thing as a just man in the world or noe." ib., p. 1 1 7 .
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zum anderen über Tatsachen. Beschränkt man sich jedoch auf das, was auch Locke als „Wissen" im vollen Sinne des Wortes gelten läßt, so hat man die eingangs genannte Entgegensetzung von allgemeinem Wissen über Ideenrelationen und besonderem W i s s e n über Tatsachen, die uns in diesem Abschnitt zunächst allein beschäftigen soll. Wie es mit dem allgemeinen Wissen (bzw. Meinung) von Tatsachen steht, wird später noch (§ 19) zu betrachten sein. In der klaren Entgegensetzung nun von zweierlei Wissen (im engeren Sinne) bricht gewissermaßen die bisherige Einheit von K-These und H-These in zwei Stücke auseinander: das K-Wissen (Wissen über Tatsachen) und das H-Wissen (Wissen über Ideenrelationen). Die Beispiele Lockes für das, was ich hier H-Wissen nenne, sind dazu bestimmt, die Kluft zwischen beiden Arten des Wissens klarzumachen. Die Wahrheit des Bestehens sowohl moralischer Forderungen wie geometrischer Beziehungen ist unabhängig davon, ob auch nur eine Handlung oder auch nur ein wirklich existierendes Ding diesen Normen entspricht. Es ist vielleicht kein Zufall, daß ein arithmetisches Beispiel an dieser Stelle zunächst fehlt; es hätte der hier neu formulierten und gegenüber den Drafts von 1671 verschärften Η-These eher Plausibilität genommen als gegeben. Verschärft ist die Η-These hier in folgendem Sinne: Zuvor war es nicht abwegig, wenn auch zur Einsicht in die Notwendigkeit mathematischer Aussagen nicht ausreichend, auf die Beobachtung der an existierenden Dingen realisierten Relationen zurückgreifen. Lediglich die (woher auch immer stammende) Gewißheit von der Wahrheit der K-These gestattete es, sich auf die Betrachtung der Ideen als solcher zu beschränken. Nunmehr wird unterstellt, es sei — gemessen an der Natur des mathematischen (vorsichtiger: des geometrischen) Wissens — abwegig, sich sinnlicher Wahrnehmung bei seiner Begründung zu bedienen, weil es für das Bestehen mathematischer Relationen irrelevant sei, ob ihnen irgend etwas Wirkliches gerecht wird oder nicht. Was in den früheren Entwürfen nur angelegt war, ist nun klar ausgesprochen: das Wissen von Ideenrelationen sagt nicht nur nichts über irgendeine partikuläre Existenz (welche Eigenschaft es mit a l l e n universellen Aussagen teilt), es hat überdies eine a n d e r e G r u n d l a g e als das Wissen von der wahrnehmbaren Wirklichkeit. Eine K-These wird nicht mehr erwähnt; vielmehr ist von „ewigen Wahrheiten" die Rede, die „von der Existenz u n d den Akzidentien der Dinge nicht abhängen". Derartige Formulierungen und das Fehlen der K-These sind jedoch mit Vorsicht zu beurteilen. Ein K-Rest der neuen Theorie der Mathematik, die sich hier abzeichnet, steckt nämlich in der Bezeichnung des Prinzips für alles H-Wissen: „wahre Ideen". Was heißt hier „wahr"? Auf diese Frage gibt
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die Tagebucheintragung von 1681 keine Auskunft. Man wird also nunmehr genötigt, den letzten Schritt zu tun und sich das Resultat der Lockeschen Überlegungen im „Essay" vorzunehmen. „Wahr" wird dort eine Idee in dreierlei Sinn genannt: (1) relativ zu einer sprachlichen Bezeichnung dann, wenn sie der Idee entspricht, die auch andere mit dieser Bezeichnung verbinden; (2) relativ zu existierenden Dingen dann, wenn etwas der Idee Konformes existiert; und schließlich (3) im Falle von Substanz dann, wenn die Idee die reale Essenz eines existierenden Dinges vorstellt, von der seine sämtlichen sonstigen Eigenschaften bestimmt werden 32 . Der dritte Fall kommt für unseren Zusammenhang nicht in Betracht, da es sich in Mathematik und Moral um Ideen von Modi, nicht von Substanzen handelt; er steht ohnehin in seiner Spezialisierung auf einer anderen Stufe als die beiden ersten, so daß er auch bei Locke an anderen Stellen gelegentlich fehlt -13. Es sind also nur die beiden ersten Fälle im weiteren zu beachten. Ausgehend von der zuvor vertretenen K-These wird man zunächst anzunehmen versuchen, daß die Bedeutung (2) für „wahr" den Äußerungen von 1681 zugrunde gelegt werden sollte. Damit würde die schon in § 12 geschilderte Auffassung von realer Wahrheit erreicht werden, derzufolge die Wahrheit zwar allein in der Relation der Ideen untereinander zu suchen war, die Realität jedoch darin, daß die einzelnen in eine Aussage eingehenden Ideen eine Entsprechung in der Wirklichkeit besitzen, oder daß jedenfalls doch sichergestellt ist, daß sie eine solche Entsprechung besitzen können. In dieser Interpretation ist zwar das, was Locke ursprünglich und programmatisch als „Wahrheit" definiert hatte, die korrespondenztheoretische Wahrheit, gewissermaßen aufgespalten in einen ideentheoretischen Teil und einen im Begriff der Realität steckenden korrespondenztheoretischen Rest; aber für den Fall notwendiger Aussagen über nur möglicherweise realisierte Sachverhalte konnte gerade diese Explikation des pauschalen Wahrheitsbegriffes akzeptabel erscheinen. Es mag sein, daß Locke noch 1681 etwa diese Meinung gehabt hat; klar ist indes, daß er bei ihr nicht stehen blieb, und daß dafür auch Gründe beizubringen sind. Solange nämlich grundlegende mathematische Ideen empirisch eingeführt werden müssen — und daran hat Locke nicht nur für die Zahlen, sondern audi für Räumliches, also Ausdehnung, Figur usw., festgehalten — ist nicht recht zu sehen, wie irgendwelche ihrer Relationen ganz unabhängig von dieser Einführung erkennbar sein sollten. Genau wie im Spezialfall der einfachsten Relationen gilt ganz allgemein für Ideenrelatio32 33
II. xxxii. 5. II. xxxii. 8,25, 26.
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nen jeweils für sich empirisch eingeführter Ideen, daß die Vorläufigkeit ihrer Einführung nicht zugunsten einer bedingungslosen Notwendigkeit oder ewigen Wahrheit ohne weiteres überschritten werden kann. Im Falle der einfachen Ideen, so hatten wir gesehen, läßt sich die hier notwendige weitere Modifikation der Erkenntnistheorie in dem von Locke bereitgestellten Rahmen nicht unterbringen. Und insoweit gewisse grundlegende Ideen der Arithmetik sowohl wie der Geometrie als „einfach" bezeichnet werden müssen, ist, wie man im folgenden Abschnitt (§ 16) noch sehen wird, dieses Hindernis auch nicht endgültig zu überwinden. Indes hat Locke im Falle der komplexen Relationen mathematischer (oder auch moralischer) Ideen, anders als im Falle der intuitiv zu erfassenden Wahrheiten, ausdrücklich die geforderte zusätzliche theoretische Konstruktion entworfen. Wir werden zu prüfen haben, ob sie die unterstellte Notwendigkeit mathematischer Aussagen mit ihrem Realitätscharakter vereinbar erscheinen läßt, und ob sie etwa mehr Licht auf die im vorigen Abschnitt offen gebliebene Frage wirft, wie man legitimerweise von offenkundigen Wahrnehmungen der Augen zu analogen Einsichten des Verstandes übergehen könnte. Die wichtigsten Elemente der zur Erklärung notwendiger Wahrheiten postulierten Ergänzung der Erkenntnistheorie Lockes, wie sie im „Essay" neu in Erscheinung treten 34 , sind ein umformulierter Begriff der Realität von Ideen, der auf den neu eingeführten Begriff des Archetyps einer jeden Idee Bezug nimmt, sowie eine ausdrückliche Klausel zur Einschränkung der alten K-These. Die Bestimmung von „Realität" lautet: „Mit realen Ideen meine ich solche, die eine Grundlage in der Natur haben, solche, die mit dem realen Sein und der Existenz der Dinge konform sind, oder mit ihren Archetypen."35 Der erste Teilsatz klingt so, als ob im zweiten das „oder" lediglich explikativ wäre, also als ob alle Archetypen der wirklich existierenden Natur angehörten. Dies ist aber nicht gemeint; vielmehr steckt in dem „oder" eine echte Erweiterung des Begriffs „reale Idee", wie die nachfolgenden Ausführungen Lockes im einzelnen belegen. Für „gemischte Modi", dann auch verallgemeinernd für „unsere komplexen Ideen von Modi" 36 , also letztlich zumindest für a 11 e in Mathematik oder Ethik vorkommenden Ideen 37 , gilt, 3* Vorformen, aber wenig explizite, zeichnen sich bereits in Draft Β, § 92 ab. 35 „ . . . by r e a l i d e a s , I mean such as have a foundation in nature; such as have a conformity with the real being and existence of things, or with their archetypes." II. xxx. i . II. xxxi. 3. 37 Man könnte, wenn man die Vorgeschichte in den Drafts Α und Β kennt, vielleicht zweifeln, ob nicht die Ideen der natürlichen Zahlen hier eine Ausnahme darstellen;
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daß sie „willentliche Zusammenstellungen einfacher Ideen" sind und keinen „Bezug auf irgendwelche realen Archetypen oder irgendwo existierende beständige Muster" haben 36 . Sie „haben nichts zu repräsentieren als sich selbst"39. Die Willkür ihrer Bildung bzw. ihre Möglichkeit, real oder wahr zu heißen, wird einzig durch die Bedingung der logischen Konsistenz eingeschränkt, deren Erfüllung Locke offenbar dafür ausreichend erscheint, daß wirkliche Dinge der Idee konform existieren können 40. Zunächst sind gewisse Vorzüge der neuen Konstruktion Lockes, in der er das Feld möglicher Vorbilder oder Urbilder für Ideen um die willkürlich gebildeten Archetypen erweitert, hervorzuheben: Die per definitionem gegebene Konformität der komplexen Ideen von Modi, soweit sie überhaupt in ihrem Aufbau aus einfachen Ideen geklärt sind, mit einem einmal festgesetzten Archetyp garantiert automatisch die Realität und damit die reale Wahrheit der mit diesen Ideen gebildeten Aussagen, jedenfalls dann, wenn man bereit ist, eine so formale Erfüllung der korrespondenztheoretischen Definition von „Wahrheit" gelten zu lassen. Die willkürliche Bildung dieser Ideen garantiert andererseits die Notwendigkeit der Aussagen. Immerhin sollen die Archetypen immer noch zu real existierenden Dingen konform sein k ö n n e n , ja das Interesse an ihnen beruht natürlich auf der Möglichkeit solcher Konformität. Da nun nichtsdestoweniger die KThese nicht mehr beansprucht wird (teilweise geradezu geleugnet wird 41 ), vielmehr an ihrer Stelle die Konstruktion von Realität und Wahrheit mittels der Archetypen getreten ist, bleibt ausdrücklich zu machen, inwiefern Erfüllung und Ausbleiben der Konformität von Aussagen (über Modi) und Wirklichkeit sowie vor allem der Verstoß gegen diese Konformität irrelevant sein können. Eine Formel, die diese Irrelevanz ausdrückt, erweist sich eben wegen der nach wie vor bestehenden Möglichkeit der Konformität als notwendig; Locke drückt sich so aus: „Diese (sc. die komplexen Ideen von Modi und Relationen), die solche Zusammenstellung von einfachen Ideen sind, wie sie der Geist aber davon ist im „Essay" nichts mehr zu bemerken. In IV. iv. 5 ist zu Eingang der Behandlung des mathematischen und moralischen Wissens zusammenfassend von „ a l l our complex ideas, except those of substances" die Rede (Hervorhebung von mir). 38 „ . . . o u r c o m p l e x i d e a s o f m o d e s , being voluntary collections of simple ideas, which the mind puts together, without reference to any real archetypes, or standing patterns, existing anywhere . . I I . xxxi. 3. 39 „ . . . m i x e d m o d e s and r e l a t i o n s , being archetypes without patterns, and so having nothing to represent but themselves..." II. xxxi. 3; ähnliche Formulierungen am Ende von II. xxxi. 3 und II. xxx. 4. 40 II. xxx. 4, xxxii. 26. « III. xi. 18.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen selbst zusammenstellt, und solche Zusammenstellungen, die jeweils in sich genau das enthalten, von dem der Geist beabsichtigt, daß sie es enthalten sollen, sind Archetypen und Essen2en von Modi, die existieren können; und so sind sie nur für solche Modi bestimmt, und gehören nur zu solchen Modi, die, wenn sie existieren, eine exakte Konformität mit diesen komplexen Ideen aufweisen." 42
Dieser Gedanke mag die „Klausel vom hypothetischen Charakter der Ideenrelationen" oder kurz die „Η-Klausel" genannt werden 4 3 . Man sieht, daß sie in Lockes Überlegungen der Nachfolger der K-These geworden ist; genau wie diese verschafft sie zwar keinen Einblick in das Verfahren der Erkenntnis einer notwendigen Aussage, dient jedoch dazu, die Möglichkeit einer Widerlegung auszuschließen und damit die behauptete Notwendigkeit abzusichern. Die Η-Klausel ist es denn auch, die dann im Buch I V über die Erkenntnis von Locke herangezogen wird, wenn es darum geht, dem mathematischen und moralischen Wissen zugleich Realität u n d Notwendigkeit zuzuschreiben: Zwar befaßt sich der Mathematiker nur mit den Ideen in seinem Verstände; aber es gilt doch: 42 „These (sc. the complex ideas of modes and relations) being such collections of simple ideas that the mind itself puts together, and such collections that each of them contains in it precisely all that the mind intends that it should, they are archetypes and essences of modes that may exist; and so are designed only for, and belong only to such modes as, when they do exist, have an exact conformity with those complex ideas." II. xxxi. 14. Immer wieder hebt Locke hervor, daß eine bestimmte „Intention" die Ideen vollkommen und adäquat macht für alles, was je unter sie fallen mag; so ζ. B. bei der Diskussion der Beispiele ,Dreieck' und ,Mut' in II. xxxi. 3. «3 Man könnte versucht sein, sie eher die „K-Klausel" zu nennen, weil Locke sie gelegentlich, gewissermaßen von der anderen Seite kommend, als das Instrument zur Sicherung der Realität anzusehen scheint; eine typische Formulierung ist etwa diese: „ . . . the ideas themselves are considered as the archetypes, and things no otherwise regarded, but as they are conformable to them. So that we cannot but be infallibly certain, that all the knowledge we attain concerning these ideas is real, and readies things themselves. Because in all our thoughts, reasonings, and discourses of this kind (sc. about relations of abstract ideas), we intend things no further than as they are conformable to our ideas. So that in these we cannot miss of a certain and undoubted reality." (IV. iv. 5). Aber es liegt in diesen Worten nur eine Zusammenfassung zweier Schritte vor: der Einführung der Archetypen, und damit eines neuen Realitätsbegriffes, und der Einführung der Η-Klausel; im Sinne einer rationalen Rekonstruktion ist es erlaubt, sie auseinanderzuhalten, und dann der Η-Klausel die Aufgabe zuzuschreiben, die uneingeschränkte Geltung von Aussagen zu sichern. Das den dritten Satz einleitende „because" wäre andernfalls ziemlich paradox. Wie audi immer man diese Stelle interpretiert, wichtig ist für den Gedankengang des Textes nur, daß ein Instrument wie die Η-Klausel tatsächlich aus den genannten sachlichen Gründen erforderlich wird.
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„ . . . das Wissen, welches er von den einem Kreis oder sonst einer mathematischen Figur zugehörigen Wahrheiten oder Eigenschaften hat, ist nichtsdestoweniger wahr und gewiß, auch für reale existierende Dinge, da reale Dinge nur so weit betroffen sind und nur so weit in irgendwelchen solcher Aussagen intendiert sind, als Dinge mit jenen Archetypen in seinem Geist wirklich übereinstimmen. Ist es wahr von der I d e e eines Dreiecks, daß ihre Winkel zwei rechten gleich sind? Dann ist es auch wahr vom Dreieck, wo immer es w i r k l i c h e x is t i e r t. Welche andere Figur auch immer existiert, die dieser Idee eines Dreiecks in seinem Geist nicht exakt entspricht, sie steht in jener Aussage überhaupt nicht in Frage." 44 An die Ausführungen dieses Inhalts schließt Locke sogleich im nächsten Paragraphen die Folgerung an, daß sie auch für ethische Wahrheiten gelten: „Und daraus folgt, daß moralisches Wissen ebenso realer Gewißheit fähig ist wie die Mathematik." 45 Durch das Einschieben der Η-Klausel an die Stelle der K-These wird nun aber der Sinn von „Realität" und „Wahrheit" bei mathematischen und moraltheoretischen Aussagen vollkommen verändert. „Wahr" oder „real" kann eine Idee nun nicht mehr deshalb heißen, weil ihr ein existierendes Ding entspricht, sondern weil sie einer zuvor einmal von anderen Menschen geformten Idee genau entspricht46. Damit ist die zunächst einmal näherliegende Bedeutung (2) für „wahre Idee" — daß sie etwas wirklich Existierendem 44
„ . . . the knowledge he has of any truths or properties belonging to a circle, or any other mathematical figure, are nevertheless true and certain, even of real things existing: because real things are no further concerned, nor intended to be meant by any such propositions, than as things really agree to those archetypes in his mind. Is it true of the i d e a of a triangle, that its three angles are equal to two right ones? It is true also of a triangle, wherever it r e a l l y e x i s t s . Whatever other figure exists, that (it) is not exactly answerable to that idea of a triangle in his mind, is not at all concerned in that proposition." IV. iv. 6. Das eingeklammerte „it" muß wohl gestrichen werden, wie dies in Yoltons Ausgabe des „Essay" (Everyman's Library, London/ New York 1961, rev. ed. 1964) geschehen ist. Da Yolton über die Vorlagen Fräsers hinaus weiteres Material, insbesondere die 5. Auflage des „Essay" von 1706 mit letztwilligen Korrekturen Lockes, verarbeitet hat, könnte diese Korrektur von Locke selbst stammen. Ich muß diese Frage offen lassen, da Yoltons Text ohne Apparat vorliegt. Die erste (!) kritische Ausgabe des „Essay" wird gegenwärtig von P. H. Nidditch vorbereitet.
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„And hence it follows that moral knowledge is as capable of real certainty as mathematics." IV. iv. 7. Formulierungen, die explizit auf einen solchen historisch verstandenen Vorgang paradigmatischer Ideenbildung anspielen, treten gelegentlich auf, ζ. B. „He that at first put together the idea . . e t c . ; II. xxxi. 3; vgl. audi III. vi. 44ff.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
entspricht — zugunsten der Bedeutung (i) verlassen47: als Prinzip des allgemeinen Wissens im Sinne der Tagebucheintragung von 1681 wird nun doch so etwas wie eine Konvention, nämlich die einmal als Muster vollzogene Ideenbildung und ihre Fixierung mittels definitorisch eindeutig festgelegter Wortbedeutungen angenommen. Zumindest im Falle der moralischen Aussagen hat sich Locke gerade von der Klärung der Ideen durch schlichte Definition die Erlösung aus der Wirrnis der Unklarheit und Unsicherheit versprochen48. Und wenn es denn wahr sein sollte, daß allein aus den („wahren") Ideen selbst die mit ihnen gebildeten Aussagen zu begründen sind, dann gilt auch für die Wahrheit der Aussagen, also für Wahrheit im eigentlichen Sinne, daß sie im Bereich notwendiger Aussagen auf Konvention beruht und nichts anderes ausdrückt als die Konsequenzen unserer eigenen Herstellving komplexer Ideen bzw. die Konsequenzen gewisser irgendwann einmal gefallener willentlicher (wenn auch nicht notwendig im pragmatischen Sinne willkürlicher) Entscheidungen über den Gebrauch oder die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. Der mit Hilfe des Begriffs „Archetyp" formal hergestellte Korrespondenzcharakter von Wahrheiten erweist sich als scheinbar, die in § 12 behauptete Zweideutigkeit des Wahrheitsbegriffes bestätigt sich. Das nunmehr erreichte Ergebnis der Lockeschen Überlegungen mag — von der Übertragung auf die Ethik einmal abgesehen — unseren heutigen Überzeugungen entgegenkommen; und weil es so selbstverständlich klingt, wird man vielleicht keinen großen Wert darauf legen, den Weg Lockes im einzelnen nachzugehen, wie hier versucht wurde. Aber es war meine Absicht zu zeigen, wie wenig selbstverständlich im Ausgang von einer streng empiristischen Theorie aller bedeutungsvollen Rede die Einordnung gerade jenes Wissens ist, das man von jeher als paradigmatisch für Wissen überhaupt angesehen hat, ferner: wie wenig selbstverständlich sich darum der Besitz und der Nutzen (die Realitätsbeziehung) dieses Wissens von der natürlichen Erfahrungsbasis her ausnimmt. Und wenn man nicht entschlossen eine Kenntnis a priori des Verstandes von sich annimmt und den Brückenschlag von den notwendigen Wahrheiten zur Erfahrung, auf eine solche Selbstkenntnis des Verstandes gestützt, mittels einer transzendentalen Deduktion bewerkstelligt, dann bleibt zweifellos die Aufgabe, die Fähigkeit des Menschen zum Aufstellen der erfahrungsunabhängigen Aussagen wie auch deren Relevanz 47 Im Sinne der Bedeutung (2) sind Ideen von Modi eben niemals irreal oder falsch (II. xxxii. 1 7 ) ; eine Bestimmung dieses Inhalts wäre für sie daher trivial. Besonders deutlich kommt dieser Gedanke in I I I . xi. 1 5 — 1 8 zum Ausdruck; man vgl. auch I V . iii. 20.
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für die Erfahrung auf einer anderen Grundlage verständlich zu machen. Entziehen kann sich dieser Aufgabe wohl nur derjenige, für den das neue Stichwort „Konvention" auch das epistemologisch letzte Wort in dieser Sache ist, der also darauf verzichtet, hinter den Gründen oder Motiven für die Konventionen und hinter der Möglichkeit ihrer konsequenten Entfaltung noch einmal so etwas wie einen Erkenntnisprozeß zu suchen. Locke war zu einem derartigen Verzicht jedenfalls nicht bereit und ist zweifellos gerade deshalb dem rationalistischen Einfluß seiner Zeit trotz seines neuartigen Ansatzes weitgehend erlegen. Ich werde in dem restlichen Teil dieses Abschnittes zunächst einige Belege für das eben über Locke Gesagte anführen, um sodann in § 1 6 daran einige Überlegungen darüber zu knüpfen, welche Möglichkeiten er im Rahmen seiner Theorie hätte finden können, rationalistische Auskünfte zu vermeiden. Die Vorstellung, daß alles, was nicht auf Erfahrung beruht, auf menschliche Setzung oder Übereinkunft im weitesten Sinne zurückgeht, hat viel Verlockendes an sich, insbesondere natürlich gerade für den, der durch die Schule des neueren Empirismus gegangen ist. Mit dieser Vorstellung ist aber wohl immer eine weitere Annahme verbunden, nämlich daß Setzungen allemal ihre unausweichlichen Konsequenzen haben. Der Zusammenhang eines ganzen erfahrungsunabhängigen Systems von Aussagen scheint selbst nicht wieder auf bloßer Konvention zu beruhen; er drängt sich uns auf. Logik und Mathematik sind hierfür einleuchtende Beispiele. So hat auch Locke zwar einerseits nachdrücklich betont, daß wir die Ideen von Modi nach unserem Willen zusammenstellen, also die Bedeutungen mathematischer und moralischer Termini nach unserem Gutdünken festlegen können 49 . Was uns gut dünkt, wird freilich von pragmatischen Rücksichten, von unseren Interessen mitbestimmt 50 ; aber gerade darin bestätigt sich, daß es sich um eine „freie W a h l " 5 1 handelt, die uns hier zu Gebote steht. Andererseits aber war ihm klar, daß die einmal getroffene Wahl Konsequenzen hat (hätte sie sie nicht, könnte sie gar nicht bestimmten Interessen dienstbar gemacht werden). Aus den Ideen geht das mit ihrer Hilfe ausdrückbare Wissen wie von selbst hervor 5 2 . Eine scharfe Formulierung Lockes lautet: „Im ersten Falle (dem des Wissens über Existierendes) ist unser Wissen die Konsequenz der Existenz von Dingen, die durch unsere Sinne Ideen in unserem Geist hervorbringen; im zweiten Falle (dem des « III. v. 5—6. so III. v. 6—7. 51 „free choice"; III. v. 6, IV. iv. 5. 52 Vgl. bes. IV. iv. 6 ff.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
Wissens über abstrakte Ideenrelationen) ist Wissen die Konsequenz der Ideen (welcher Art sie auch seien), die in unserem Geist sind, und die dort allgemeine gewisse Aussagen hervorbringen53. Im Einklang mit dieser Vorstellung stehen Formulierungen, die davon sprechen, daß die gesuchten Relationen der (vom Menschen hergestellten) komplexen Ideen „entdeckt" werden könnten oder müßten54. Und diese „Entdeckungen" erfordern denn ja auch nicht geringen Scharfsinn, wie etwa die Algebra lehren kann 55 . Nun braucht dieser Tatsache für sich nicht mehr als psychologische oder pragmatische Bedeutung zuzukommen; so kompliziert und schwer zu überblicken die Folgen irgendwelcher Begriflsbildungen auch sein mögen, sie könnten nichtsdestoweniger ganz und gar aus den getroffenen Festsetzungen begründbar oder beweisbar sein. Nun scheint jedoch in der Mathematik, jedenfalls in ihren klassischen Disziplinen, der Geometrie und vor allem der Arithmetik, der Zwang, gewisse Aussagen anzuerkennen, irgendwie tiefer zu liegen. Und Locke hatte darüberhinaus von moralischen Aussagen eben den gleichen Eindruck. Dies geht aus einigen seiner Äußerungen klar hervor: „Bei einigen unserer Ideen sind gewisse Relationen, Verfassungen und Verknüpfungen so sichtbar in der Natur der Ideen selbst eingeschlossen, daß wir sie mit aller Gewalt nicht als von ihnen abtrennbar vorstellen können."56 Das klingt so, als ob unsere Möglichkeiten, die fraglichen komplexen Ideen abzuändern, starken Einschränkungen unterworfen wären. Tatsächlich meint Locke, daß in vielen Fällen nicht mehr von jener „freien Wahl" übrigbleibe als eine willkürlich abänderbare Namengebung und daß gerade auf dieser Beschränkung unserer Willkür die allgemeine Anerkennung von Mathematik 53 „In the former case (sc. propositions concerning existence), our knowlegde is the consequence of the existence of things, producing ideas in our minds by our senses: in the latter (sc. propositions about our abstract ideas), knowledge is the consequence of the ideas (be they what they will) that are in our minds, producing there general certain propositions." I V . xi. 14. — Locke drückt sich gelegentlich spezieller aus, als ob die Aussagen geradezu „sichtbar in der Natur der Ideen e i n g e s c h l o s s e n " ( I V . iii. 29) seien. Wörtlich trifft dieser Fall jedoch nur für die trivialen Aussagen vom Typ „Gold ist gelb" zu; für die nicht-trivialen gilt, daß ein Prädikat bloß „eine notwendige Konsequenz" aus der komplexen Idee des Subjekts ist, „aber nidit in ihr enthalten" ( I V . viii. 8). Die aus den Ideen (Bedeutungen von sprachlichen Ausdrükken) fließenden Aussagen sind also keineswegs alle im Sinne Kants „analytisch". 54 I V . iii. 28, I V . xi. 1 3 . 55 I V . iii. 18. 56 „In some of our ideas there are certain relations, habitudes, and connexions, so visibly included in the nature of the ideas themselves, that we cannot conceive them separable from them by any power whatsoever." I V . iii. 29.
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und Moralprinzipien beruhe: Er wendet sich selbst ein, was das wohl für seltsame Begriffe von Gerechtigkeit und Mäßigung sein müßten, die in einem Moralwissen vorkämen, welches aus lauter selbstgemachten Ideen aufgebaut wird. Seine Antwort lautet, daß bei moralischem Wissen so wenig wie bei mathematischem Unordnung und Verwirrung eintreten könnten, nämlich „nicht mehr, als in der Mathematik eine Störung im Beweis oder eine Änderung in den Eigenschaften von Figuren und ihren Relationen untereinander eintreten würde, falls jemand ein Dreieck mit vier Ecken oder ein Trapez mit vier rechten Winkeln machen sollte, das heißt auf gut Englisch: die Namen der Figuren ändern sollte und eine mit einem Namen benennen, die von den Mathematikern üblicherweise mit einem anderen benannt w i r d . . . Ich gebe zu, der Wechsel des Namens wird zunächst infolge des sprachlichen Mißbrauchs denjenigen verwirren, der nicht weiß, für welche Idee er steht; aber sobald die Figur gezeichnet ist, sind die Konsequenzen und Beweise offensichtlich und klar. Genauso verhält es sich bei moralischem Wissen."57 Dieser Passus kann schwerlich anders verstanden werden, als daß hier von Locke ein Sachzwang anerkannt wird, der die Bildung der Ideen und damit auch ihre Relationen untereinander regelt. In den angeführten geometrischen Beispielen ist dies offenbar ein Zwang der Anschauung. Nirgends sagt Locke, daß er eine Raumanschauung a priori annehme. Er könnte das auch offenbar nicht sagen, ohne sich selbst an einer tiefliegenden Stelle seines Systems zu widersprechen; aber er müßte dergleichen sagen, wie es hier herauszukommen scheint. So viel ist jedenfalls klar, daß er hier auch von komplexen Ideen, und zwar sogar auf breiterer Basis als sie in Kants apriorischer Anschauung vorgesehen ist, so etwas wie die evidente und fertige Gegebenheit gewisser Ideen akzeptiert. Was schon auf der Stufe der einfachen Ideen, wie der letzte Abschnitt zeigen sollte, ein illegitimer Schritt zu einer rationalistischen Voraussetzung gewesen ist, wiederholt sich hier auf einer anderen 57
„What confusion of virtues and vices, if every one may make what ideas of them he pleases? No confusion or disorder in the things themselves, nor the reasonings about them; no more than (in mathematics) there would be a disturbance in the demonstration, or a change in the properties of figures, and their relations one to another, if a man should make a triangle with four corners, or a trapezium with four right angles: that is, in plain English, change the names of the figures, and call that by one name, which mathematicians call ordinarily by another . . . I confess, the change of the name, by the impropriety of speech, will at first disturb him who knows not what idea it stands for: but as soon as the figure is drawn, the consequences and demonstrations are plain and clear. Just the same is it in moral knowledge." IV. iv. 9.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Stufe: Zwar können und müssen komplexe Ideen dem Aufbau des Ideensystems gemäß willkürlich herstellbar sein. Aber gerade da, wo aus der Art ihrer Herstellung die Begründung von w a h r e n und zugleich inhaltlich n i c h t t r i v i a l e n , sogenannten „instruktiven", Aussagen werden soll, scheint der Herstellende durch Vorgegebenheiten eindeutig geführt zu sein. Daß sich Locke angesichts der Phänomene zu einer Stellungnahme von der Art der eben hervorgehobenen gedrängt fühlte, ist leicht zu verstehen: Die euklidische Geometrie hat etwas Einleuchtendes; vor allem scheint sie ohne Alternative zu sein. Die Arithmetik gar bietet ihre natürlichen Zahlen an, als seien sie von Gott gemacht. Und die Moral schließlich hat einen Sinn nur dann, wenn sie die Einsicht in unausweichliche Verpflichtungen verschafft; das von Locke an anderer Stelle zu ihrem Berufe propagierte Definieren kann nur der größeren Klarheit dienen, aber nicht der Grund für die Geltung moralischer Aussagen werden, wenn anders diese eindeutig gegebene und unumgängliche Pflichten ausdrücken sollen. Wie weit Locke von einem konventionalistischen Verständnis des Wissens von den Relationen abstrakter Ideen entfernt war, wird auf eine überraschende Weise auch durch einige seiner Überlegungen zur Erkenntnis der Substanzen, also der wirklich existierenden Dinge, illustriert. In gewissen einfachen Fällen, so nimmt er an, sei es möglich, Verknüpfung oder Widerstreit primärer Ideen mit Gewißheit zu erkennen; für den Widerstreit von Ideen soll eine derartige Erkenntnis sogar sekundäre Qualitäten, ζ. B. den gegenseitigen Ausschluß zweier Farben, betreffen können58. Dem vorigen Paragraphen mag man entnommen haben, wie wenig Vertrauen solche Annahmen im Lockeschen Rahmen verdienen. Und man darf annehmen, daß sie historisch wohl nur auf der Basis eines rationalistischen Vorbegriffs der Wissenschaft von den materiellen Dingen möglich waren. Selbst das von Locke zugegebene P h ä n o m e n , daß ein Opal an derselben Stelle zwei verschiedene Farben zu gleicher Zeit an sich haben könne, wird wegerklärt, indem jeweils verschiedene Teile seiner Oberfläche für sie verantwortlich gemacht werden. Nicht daß diese Erklärung für sich genommen nicht sehr vernünftig sein könnte; ihre Anfechtbarkeit liegt vielmehr darin, daß sie gewisse geometrische und mechanische Verhältnisse als unmittelbar einsichtig heranzieht, obwohl wir andererseits nach Lockes Meinung gar keine direkte Kenntnis der Oberfläche und des Mechanismus der Lichtreflexion im Kleinen haben können. Zusammenhänge des Wirklichen, so möchte man mit Hume annehmen, könnten überhaupt nur aus der Erfahrung und darum nur mit einer gewissen 5» IV. iii. 14—15.
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Wahrscheinlichkeit bekannt sein. Locke indes denkt über die Erkenntnis der Erfahrungsgegenstände anders; auch bei ihnen faßt er grundsätzlich (wenn audi nicht in nennenswertem Maße praktisch) allein aus unseren Ideen gezogenes und damit allgemeines, aber doch z u g l e i c h für existierende Dinge notwendig gültiges Wissen ins Auge 59 . Er hält es, wenn auch für praktisch irrelevant, so doch nicht der Konzeption nach verfehlt, folgenden Fall zu erwägen. „Könnte jemand eine notwendige Verknüpfung zwischen der Geschmeidigkeit und der Farbe oder dem Gewicht von Gold entdekken . .., so könnte er in dieser Hinsicht eine gewisse und universelle Aussage über Gold machen; und die reale Wahrheit der Aussage .alles Gold ist geschmeidig' würde ebenso gewiß sein wie die von ,die drei Winkel aller geradlinigen Dreiecke sind in allen Fällen gleich zwei rechten'."60 Diese Extrapolation der Theorie der komplexen Ideenrelationen auf den Fall der Substanzen ist erstaunlich. Denn die Idee einer jeden (Art von) Substanz kann doch nur aus der Erfahrung stammen und soll ihr, so gut es gehen will, adäquat sein. Wie soll man dann aber aus den Begriffen allein zu notwendigen Aussagen über die wirklich existierenden Dinge gelangen können, wo doch eine Η-Klausel h i e r nicht in Betracht zu kommen scheint? Die von Locke in den zuletzt angeführten Stellen ausgemalte Vorstellung scheint schließlich wieder so etwas wie eine K-These vorauszusetzen; sie enthält nämlich die Annahme, daß die Wirklichkeit der erfahrbaren Gegenstände letztlich, d. h. wenn man sie vollständig und genau vor sich hätte, von gleicher Struktur sein müßte wie der Kosmos unserer Ideen. In dieser Weise die Vernunftgemäßheit der Wirklichkeit (oder auch die Realitätsgemäßheit der Vernunft) vorauszusetzen, möchte ich als das Prinzip des „Rationalismus" ansprechen und als die klassische Gegenposition des „Empirismus" in der Aufklärungsphilosophie ansehen. Andererseits ist die erstaunliche Exrapolation Lockes unter e i n e m der nimmehr des längeren erörterten Aspekte seiner Theorie notwendiger Aussagen nichts anderes als konsequent. Wenn man nämlich die 59 Daß Locke in gewissen Fällen eine Konformität von Ideen und Wirklichkeit selbstverständlich erschienen ist, kommt am deutlichsten in seiner Lehre von den primären Qualitäten heraus; s. auch den weiteren Text. 60 „Could any one discover a necessary connexion between malleableness and the colour or weight of gold, . . . , he might make a certain universal proposition concerning gold in this respect; and the real truth of this proposition, that a l l g o l d i s m a l l e a b l e , would be as certain as as of this, t h e t h r e e a n g l e s of a l l r i g h t l i n e d t r i a n g l e s a r e a l l e q u a l t o t w o r i g h t o n e s . " IV. vi. ίο, S. 259.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
von ihm allenthalben gemachte Voraussetzung hinzunimmt, daß die tieferen und eigentlichen Eigenschaften der materiellen Dinge allesamt mathematischer Natur oder verwandter Natur sind — und eben dies gilt von den sogenannten „primären" Qualitäten 61 , die als einzige wirklich in den Körpern existieren 62 — , dann geht das über Substanzen Gesagte nicht weiter als einiges, was zuvor schon über die Modi behauptet wurde. Es kommt lediglich deutlicher heraus, was auch in jenem anderen Fall der Modi an den Lockeschen Überlegungen bedenklich, weil eine in seinen empiristischen Aufbau nicht passende rationalistische Auskunft, ist; und eben deshalb hatte ich sein Idealbild der Erkenntnis von Substanzen noch anführen wollen. Im folgenden werde ich allerdings noch einen ganz anderen Aspekt zu entwickeln versuchen, unter dem sich Lockes Lehre von der Gewißheit bestimmter komplexer Ideenrelationen — handele es sich nun um Ideen der Modi oder um Ideen der in Substanzen koexistierenden Qualitäten — ebenfalls betrachten läßt, und zwar durchaus nicht ganz ohne Anknüpfungspunkte bei Locke selbst, nämlich im Anschluß an seine Einführung der H-Klausel. Was die Modi, also die Mathematik angeht, wird dies im folgenden Paragraphen 16, was die Substanzen, also die empirischen Wissenschaften angeht, im Paragraphen 18 geschehen. Bis hierher war es das Ziel, einen bestimmten nicht nur biographisch, sondern auch sachlich interessanten Gedankenweg Lockes deutlich zu machen: Er ging von einem ziemlich naiven empiristischen Verständnis von Mathematik aus, ließ sich alsbald sowohl durch die zumindest scheinbar augenfällige „Notwendigkeit" mathematischer Aussagen und sicher auch durch die allgemeine Überzeugung seiner Zeitgenossen beeindrucken, wurde dadurch immer weiter auf den Weg zu einer hypothetischen Auffassung der Mathematik gedrängt, die als einzige Aussicht bot, mit seinem sonstigen Empirismus verträglich zu sein. Offenbar jedoch fiel es ihm schwer, sich auf diesem Wege zu halten; weder seine „Erfahrung" mit dem Gegenstand der mathematischen wie auch der moralischen Wissenschaft, noch die Überzeugung seiner Zeit war dem konventionalistischen Zug der sich neu anbahnenden Theorie der Mathematik sonderlich günstig, so daß ihm schließlich nur 61 Für ,solidity' oder ,bulk' ist dies freilich nicht so ohne weiteres klar; und hierin unterscheidet sich die Newtonsche Physik, auf die sich Locke stützt, von der rationalistischen des Descartes. Immerhin scheint Locke auch für die fraglichen Qualitäten mit Gewißheit einzusehende, ihrer Natur nach notwendige Relationen anzunehmen: unter den Beispielen für „notwendige" und „sichtbare" Abhängigkeit von Ideen untereinander führt er auch an, daß Bewegungsübertragung durch Stoß Festigkeit impliziere (IV. iii. 14). 62 II. viii. 17.
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§ 16 Wahrheit durch Übereinkunft?
übrig blieb, seine Zuflucht zu rationalistischen Grundannahmen zu nehmen, die im Rahmen seines erkenntnistheoretischen Ansatzes unvermittelt und letztlich unbegründbar sind. Locke hatte sich — ohne dies selbst zu durchschauen — durch das „Faktum"63 des unbestreitbaren mathematischen Wissens, das zugleich allgemein, notwendig und real zu sein schien, allmählich dazu verleiten lassen, sich selbst zu widersprechen. Nachdem er aber mit seinem Rückgriff auf rationalistische Anschauungen jenes „Faktum" akzeptiert zu haben schien, war der Boden vorbereitet, auf dem Kant — unbeschadet der Anerkennung der alle menschlichen Ansprüche begrenzenden Autorität der Erfahrung — den Empirismus bestreiten konnte 64 .
§ 16:
Wahrheit durch Übereinkunft
?
Im Gegensatz zu den rationalistischen Zügen in Lockes Theorie der Mathematik sind die bei ihm ebenfalls bemerkbaren konventionalistischen Tendenzen einer Interpretation zugänglich, die im Einklang mit dem empiristischen Ansatz von Buch II des „Essay" steht. Definitorische Festlegung ist, wenn audi nicht bei einfachen, so doch bei komplexen Ideen immer möglich, kann aber keine Wahrheit und daher auch kein Wissen erzeugen. Eine formale Auffassung der Mathematik ist mit der Erkenntnistheorie Lockes nicht verträglich, wohl aber eine Auffassung, in der formale Aussagen als Rekonstruktionen besonders einfacher und wichtiger Erfahrungen angesehen werden. Neben gewissen Ähnlichkeiten mit der von Quine vertretenen Philosophie der konventionsbegründeten Wahrheit zeigen sich auch Unterschiede: nicht globale Zweckmäßigkeit, sondern Zuverlässigkeit und Übersichtlichkeit bei der Erklärung anderer Erfahrungen sind für die Auszeichnung bestimmter Aussagen und Theorien maßgebend.
Nachdem die rationalistischen Aspekte von Lockes Theorie der notwendigen Wahrheiten klargelegt sind, ist es nötig, noch einmal auf die Möglichkeiten zurückzukommen, die sich durch die Η-Klausel für ein Verständnis der Mathematik im Rahmen des empiristischen Ansatzes eröffnet haben. Das Ziel dieser Erörterung ist es, den Überblick über die Hilfsmittel abzurunden, die in Lockes Ansatz bereitliegen und dazu geeignet sind, die zu Anfang des vorigen Abschnitts aufgeworfenen Probleme (Realität des Wissens von Ideenrelationen und Begründung der ideenbildenden Tätigkeit) auf eine im Rahmen des Empirismus konsequentere Weise zu lösen, als es durch Heranziehen rationalistischer Prinzipien geschehen kann. « s. Anm. i. Μ Es wäre natürlich noch nötig zu zeigen, daß die Lage durch Lockes Nachfolger, besonders durch Hume, nicht grundsätzlich geändert wurde, obschon gerade Hume gewisse anti-rationalistische Konsequenzen des empiristischen Ansatzes gezogen hat; zu einem neuen Verständnis der Notwendigkeit der Mathematik wird indes audi von ihm nichts beigetragen.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Die Η-Klausel besagte, daß die zum Aufbau erfahrungsunabhängiger Aussagen verwendeten Ideen für sich allein schon maßgeblich für deren Wahrheit sein sollten und daß wirklich existierende Dinge nur insoweit in Betracht zu ziehen seien, als sie jenen Ideen exakt entsprechen. Um die Realität ζ. B. einer mathematischen Aussage sicherzustellen, genügt es nach diesem Vorschlag, daß die Ideen nach einem einmal festgelegten Modell, dem Archetyp, reproduziert werden. Wenn es nun tatsächlich zutrifft, daß auch die Aussagen durch die Bildung der Ideen bereits vollständig festgelegt sind, so muß man sagen, daß ihre Wahrheit allein auf eine Konvention gegründet ist, eben auf die Übereinkunft, jene einmal gebildeten Archetypen maßgeblich sein zu lassen. Da diese Aussagen dann nicht nur nichts über die besondere Existenz bestimmter Dinge hier und jetzt behaupten (wie etliche unzulängliche Erläuterungen Lockes ausschließlich zu besagen scheinen), sondern da sie überdies allenfalls pragmatisch, aber nicht prinzipiell zur Wiedergabe der Wirklichkeit geeignete Begriffe verwenden müssen, scheint hier eine Auffassung vorzuliegen, die mit dem Empirismus vereinbar ist. Diese Vermutung soll nun noch einmal im einzelnen geprüft werden. Dabei sind zwei Fälle zu berücksichtigen: (i) der im vorigen Abschnitt liegengebliebene Fall der bloß auf Worterklärungen beruhenden Prinzipien vom Typ „der Teil ist kleiner als das Ganze"; (2) der Fall der sachhaltigen Wahrheiten in Mathematik und Morallehre. Zu (1) mögen einige Anmerkungen genügen, die sich in enger Parallele zu dem bewegen, was im § 14 über die einfachsten Ideenrelationen gesagt wurde: Eine nicht bloß vorläufige und erfahrungsbedingte Erkenntnis von Gleichheit und Verschiedenheit zweier Ideen erwies sich nur dann als möglich, wenn die Beziehungen zwischen den beiden Ideen durch eine Festsetzung geregelt werden. Bei den einfachen Ideen, die per definitionem jede für sich und unmittelbar im Zusammenhang mit Erfahrungen vermittelt bzw. erzeugt sein sollten, kam eine derartige Festsetzung nicht in Frage. Andererseits schien es wünschenswert zu sein, die Lockesche Theorie dadurch zu erweitern, daß man nicht nur isolierte, einfache Ideen, sondern von vornherein ausdrücklich den Zusammenhang elementarer Bedeutungen mit betrachtet. Aber dies würde nichts dagegen besagen, daß, ebenso wie jede Bedeutung für sich eine gewisse empirische Unbestimmtheit und Vorläufigkeit nicht abstreifen konnte, auch die Beziehungen der Bedeutungen untereinander und die daraus entspringenden Aussagen ihren empirisch begründeten Charakter behalten würden. Nun scheint Locke bei Aussagen wie „der Teil ist kleiner als das Ganze" gerade den Fall einer gemeinsamen Einführung zweier Bedeutungen ins Auge gefaßt zu haben; die Worterklärung des einen Wortes
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muß notwendig das andere verwenden und u m g e k e h r t P a a r e derart in Korrelation stehender Ideen wie .Teil'-,Ganzes' sind nichts als der klarste Fall jener allgemeinen Sachlage, daß es auch unter den elementaren Bedeutungen im allgemeinen nicht angeht, eine unabhängig von allen anderen verständlich zu machten. Was aber sollen wir davon halten, daß diese Fälle als solche bloßer Worterklärungen und daher die ihnen entspringenden Aussagen als trivialerweise notwendig und „ewig" wahr angesehen werden? Gerade die wechselseitige Zuordnung zweier Begriffe macht es nämlich unmöglich, den einen durch den anderen verständlich zu machen; vielmehr gewinnt der Zusammenhang zwischen beiden erst dann mehr als bloß formale Bedeutung, wenn ihnen gemeinsam über die Worterklärung hinaus eine anschauliche Grundlage, eine Idee, zugeordnet wird, geschehe dies nun durch eine neuerliche Worterklärung eines der beiden Wörter mittels empirisch bereits gedeuteter Wörter (was der Fall der komplexen Idee wäre) oder durch unmittelbaren Ansciiluß des Wortpaares an Erfahrung (was der Fall der einfachen Idee wäre). Im vorliegenden Beispiel ist es wohl plausibler, den zweiten Fall anzunehmen; er sei daher zunächst besprochen. Die Sachlage ist hierbei nicht anders, als bei der Behandlung von Gleichheit und Verschiedenheit bereits aufgezeigt: Die vermeintliche Notwendigkeit schrumpft zu einer (möglicherweise ziemlich vollkommen) empirischen Evidenz zusammen, wie wir sie in Gestalt der Verschiedenheit zweier Farben paradigmatisch vor uns haben. Und wie bei den Ideen ,Tag* und ,Nacht' nicht vorhergesehene exotische Situationen eintreten konnten, die die Relation zwischen beiden entscheidend beeinflußten, so kann ähnliches auch im gegenwärtigen, zunächst so unverfänglich scheinenden Beispiel geschehen: Man denke sich einen Haufen von Körnern, von dem jedes zweite, das man in irgendeiner willkürlichen Reihenfolge beim Durchzählen in die Hand bekommt, aussortiert wird. Der neue aussortierte Haufen wird ein Teil des ganzen Haufens genannt werden müssen; er stammt vollständig aus diesem und schöpft ihn dennoch nicht aus. Ferner ist er kleiner in dem Sinne, daß er eine geringere Anahl von Körnern enthält. Führt man nun den gleichen Gedankengang für die Menge der natürlichen Zahlen durch, so wird man sagen wollen, daß die Menge der geraden Zahlen in jedem vernünftig extrapolierten Sinne des Wortes nur einen „Teil" der ganzen Menge der natürlichen Zahlen ausmacht. Aber von diesem Teil gilt nicht mehr, daß er „kleiner" ist 1 Die Worterklärungen müßten etwa so aussehen: „ein Ganzes ist immer die Vereinigung mehrerer Teile" oder „ein Teil besteht nur aus etwas, was audi zum Ganzen gehört, ist aber immer kleiner als dieses". Zu ihnen gehört unter anderem als notwendig zu erfüllende Bedingung: „der Teil ist kleiner als das Ganze". Begriffe wie .kleiner' usw. müssen anderweitig erklärt sein, ζ. B. als .geringer an Zahl', wenn es um zählbare Dinge geht.
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als das Ganze, dem er entnommen wurde, wenn man wiederum die Bedeutung von „kleiner" oder von „geringere Anzahl" gewissermaßen stetig zu extrapolieren versucht. Gerade solche Extrapolationen geben aber erst den mathematischen Entdeckungen über die seltsamen Verhältnisse in unendlichen Mengen ihren Sinn und ihren Reiz. Hielte man dagegen angesichts ihrer an der korrelativen Worterklärung durch „der Teil ist kleiner als das Ganze" fest, so könnte man die neue Entdeckung nicht ausdrücken, jedenfalls nicht in der Sprache, die gerade nach dem Lockeschen Muster des Ideenaufbaus konzipiert ist, d. h. durch die stets weiter fortschreitende Extrapolation von einem Erfahrungskern aus ihre Bedeutung erhält. Aussagen vom Typ „der Teil ist kleiner als das Ganze" sind also entweder bedeutungslos, d. h. uninterpretierte formale Relationen von Wörtern, oder aber nicht notwendig, sondern von bloß vorläufiger empirischer Evidenz. Es gibt nun bei Locke noch eine weitere Klasse rein „verbaler" Aussagen, die bei der künstlichen Bildung jedes komplexen Begriffes auftreten. Indem ein solcher aus einfachen Ideen (im Prinzip willkürlich) zusammengesetzt wird, werden ebenfalls Korrelationen von Wortbedeutungen erzeugt, Locke denkt sich ζ. B. die Idee ,Gold' aus ,schwer', ,gelb' usw. aufgebaut. Audi ohne daß man sich des näheren um diese Teilideen bekümmert, kennt man dann die Maxime „Gold ist gelb". Anders als im vorigen Beispiel, wo die Ideen (Bedeutungen) von vornherein entweder gar nicht oder aber in einem bestimmten Zusammenhang gegeben werden, besteht hier die Möglichkeit, eine der beteiligten Ideen, die frei definierbare komplexe Idee ,Gold' a 1 l e i n durch die Festsetzung vermöge einer Definition in ihrem Inhalt zu bestimmen; insoweit liegt in „Gold ist gelb" eine Wahrheit durch Übereinkunft vor. Diese Möglichkeit ist für die Lockesche Auffassung vom System unserer Ideen in der Tat wesentlich; andernfalls bestünde jene Bewegungsfreiheit nicht, die wir doch brauchen, um bislang ganz unbekannte Dinge und Ereignisse zu antizipieren oder auch um technische Kunstprodukte zu entwerfen. Auch die Erkenntnistheorie verlöre natürlich ihren Sinn, da erst das freie Kombinieren von Ideen die Möglichkeit eröffnet, wahre oder audi falsche Aussagen zu bilden. Die aus dem willentlichen Herstellen einer Idee (Festlegen einer Bedeutung) entspringenden Aussagen haben bzw. verfehlen jedoch nur in dem verkümmerten Sinne eine Wahrheit, als sie historisch einer vorangegangenen, stets bloß kontingenten, wenn nicht gar willkürlichen Festlegung entsprechen oder nicht entsprechen. Schärfer und klarer gesagt: Definitionen können weder wahr noch falsch sein, noch können sie für sich allein Wahrheiten erzeugen; sie können allenfalls dazu dienen, wahre oder falsche Aussagen von
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einem Wortlaut in einen anderen zu transformieren. Locke rechnet die ihnen unmittelbar entspringenden Aussagen wie „Blei ist ein Metall" denn auch zu jenen, die er „trifling" nennt 2 . Von ihnen gilt nun aber, was er auch (und, wie wir sahen, zu Unrecht) von Prinzipien wie „der Teil ist kleiner als das Ganze" behauptete: Sie sind unter das zu subsumieren, was er „rein verbale" oder „bloß nominale" Wahrheiten genannt hat 3 . Daher können sie auch folgendermaßen gekennzeichnet werden. „ . . . sie sind nicht und sind nie gewesen die Grundlagen, auf die irgendeine Wissenschaft gebaut worden ist", und „sie sind nicht dazu nütze, den Menschen beim Vorantreiben von Wissenschaften oder bei neuen Entdeckungen bislang unbekannter Wahrheiten vorwärts zu helfen." 4 Sobald man allerdings die Frage nach der Angemessenheit oder der Zweckmäßigkeit der Definitionen bzw. der komplexen Ideen aufwirft, wie sie bei natürlichen Arten (ζ. B. Metallen) ohne Zweifel über kurz oder lang und mit mehr oder minder großer Dringlichkeit auftritt, wird man auf das eigentliche Erkenntnisproblem zurückgeworfen, das auch noch hinter allen Definitionen steckt. Aber insofern überhaupt definiert werden darf und muß, stehen eine Reihe relativ zu den Definitionen trivialerweise „wahrer" Aussagen zu Gebote. Diese sind vom empirischen Standpunkt aus unverfänglich, da sie nur von dem Umstand Gebrauch machen, daß man auf Grund der Definitionen in bestimmterWeise über die Dinge reden kann, ohne etwas Neues über sie zu behaupten5. Aber es ist klar, daß kein Wissen, das im eigentlichen Sinne diesen Namen verdient, aus Definitionen hervorgehen kann, gewiß nicht das Wissen von den notwendigen Wahrheiten der Mathematik und Morallehre. Daher ist es nunmehr nötig, den Punkt (2) zu besprechen: ob auch im Falle der sachhaltigen Wahrheiten, wie ich sie eingangs genannt hatte, eine Begrün2 IV. viii. 4—5. 3 Für den Begriff der verbalen Wahrheit vgl. man § 12, bes. Anm. 13. Die Verknüpfung von „trifling" und „verbal" geht aus IV. viii, bes. §§ 12 und 13, hervor. 4 „ . . . they are not, nor have been the foundations whereon any science hath been built." — „They are not of use to help men forward in the advancement of sciences, or new discoveries of yet unknown truths". IV. vii. 11, S. 278 und 279. 5 Allerdings ist es keine Selbstverständlichkeit, daß aus Definitionen irgendetwas folgt. Der Zwang, mit einer Definition zusammen gewisse Folgerungen aus ihr anzuerkennen, braucht selbst nicht aus einer neuerlichen Festsetzung hervorzugehen. Die weitere Diskussion dieses Abschnitts soll vielmehr zeigen, daß von Festsetzung — jedenfalls in dem Sinne, in dem Definitionen willkürliche Festsetzungen sind — bei logischen Zusammenhängen nicht gesprochen werden kann. Insofern ist nur ein bescheidenstes Minimum an „Konventionalismus" in dem Zugeständnis, daß man willkürlich definieren könne, enthalten.
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dung auf Übereinkunft in Betracht gezogen werden kann. Welche Art von Übereinkunft könnte dies sein? Besteht eine Alternative zu der rationalistischen Auffassung, der Locke zuneigt, oder zu der kritizistischen Kants, in der der Verstand die Legislative auch für gewisse inhaltliche, „synthetische" Erkenntnisse übernimmt? Daß mathematisches oder moralisches Wissen auf Übereinkunft beruht, ist zweifellos eine intuitiv wenig befriedigende Vorstellung. Rechtliche und moralische Regeln gehen zwar gerade aus (expliziten oder inexpliziten) Setzungen hervor; aber ihre Verbindlichkeit können sie in den Augen eines aufgeklärten Menschen, der sich seiner eigenen Vernunft anzuvertrauen entschlossen ist, nur dann erlangen, wenn er einsehen kann, daß sie wirklich gerecht oder moralisch sind. Daher hat Locke so großen Wert auf die Möglichkeit einer exakten wissenschaftlichen Theorie der moralischen Aussagen gelegt, wenn er auch ihre Ausführung glaubte mit der Entschuldigung vor sich herschieben zu dürfen, daß das Evangelium eine vollkommene Morallehre bereits enthalte 6. Bei der Mathematik andererseits schien ein Akt der Festsetzung oder Übereinkunft gar nicht in Betracht zu kommen: Die in der Geometrie beschriebenen räumlichen Verhältnisse können zwar nicht exakt an und mit existierenden materiellen Körpern aufgewiesen, andererseits aber auch nicht beliebig ausgedacht werden; die natürlichen Zahlen gar kann man weder erfinden noch verschweigen. Für Lockes Zeit war hier klar, was heute, nachdem wir uns daran gewöhnt haben, formale Systeme nach Gutdünken zu erzeugen, ein wenig verschleiert ist: Es gibt so etwas wie gegebene Gegenstände auch der mathematischen Wissenschaften. Ein Aufbau der Mathematik, der die Arithmetik nicht enthielte, würde auch heute niemand befriedigen; vielmehr wird umgekehrt die Frage, welche formalen Methoden man heranziehen soll (ob man nun glaubt, sich ihnen ohne Risiko anvertrauen zu können oder nicht), nach Maßgabe dessen beantwortet, was man u. a. für die Arithmetik braucht. Welche Erfahrung bestimmt hier den Gegenstand? Handelt es sich darum, daß wir auf Grund der intellektuellen Veranlagung des Menschengeschlechts unter einem Zwang stehen, bestimmte Ideen zu bilden und bestimmte Denkwege immer wieder zu durchlaufen? Sind die formalen Disziplinen wie die Mathematik und die Logik ein Spiegel dessen, wie wir, durch den Bau unseres Verstandes bestimmt, nun einmal denken müssen? Es würde nicht schlecht in das Jahrhundert Lockes passen, wenn er sich hier 6 Der aufklärerische Impetus hinter der Forderung einer exakten Morallehre kommt ζ. B. in IV. xii. n gut heraus. Die Ausrede im Hinblick auf die Bibel findet sidi im Brief an Molyneux vom 30. 3. 1696, Werke Bd. IX, S. 377.
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auf eine Naturanlage der Vernunft bezöge. In gewissem Sinne tut er das auch: Zwar polemisiert er, wie bekannt, gegen die angeborenen Ideen; aber andererseits gerät ihm doch ein Satz wie der folgende in die Feder: „ . . . wo immer wir ein Geschöpf wie den Menschen annehmen können, begabt mit solchen Fähigkeiten und dadurch versehen mit solchen Ideen, wie wir sie haben, müssen wir den Schluß ziehen, daß er, wenn er seine Gedanken der Betrachtung seiner Ideen zuwendet, notwendigerweise die Wahrheit gewisser Aussagen erkennt, die aus der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, die er in seinen eigenen Ideen wahrnimmt, hervorgehen."7 Wenn es richtig sein sollte, aus dieser Stelle herauszulesen, daß der Mensch zwar die Kenntnis notwendiger Wahrheiten natürlich nicht schon von Geburt an besitzt, aber doch, soweit er sie überhaupt erreicht, aus der Anlage seines Verstandes heraus zwangsläufig auf eine einzige Art entwickeln muß, dann wäre die Unausweichlichkeit eines gewissen Vorrats apriorischer Erkenntnisse begründet und doch noch die Η-Klausel verständlich. In der Einsicht, daß die notwendigen Wahrheiten freilich nicht solche über die Dinge sind, müßte man nämlich anerkennen, daß sie als Wahrheiten über Existierendes nur insoweit behauptet werden dürfen, als die Wirklichkeit den apriorischen Ideen e x a k t korrespondiert. Der Text, ob sie „exakt" korrespondiert, könnte u. a. darauf ausgedehnt werden zu prüfen, ob die aus den Ideen als solchen hervorgehenden Aussagen tatsächlich zutreffen (mit anderen Worten: die Η-Klausel könnte die Realgeltung der notwendigen Wahrheiten tautologisch machen). Die „Übereinkunft" wäre in dieser Auffassung darauf beschränkt, daß man dem im eigenen Verstände erfahrenen Ideenzwang ausdrücklich nachgäbe und sich darauf einigte, schon das, oder besser: vorzüglich das „wahr" zu nennen, was doch der äußeren Korrespondenz, die sonst zur Wahrheit erfordert wird, gerade entbehren kann und oft (vielleicht immer) entbehrt. Diese Version des rationalistischen Auswegs kommt zwar ohne die KThese aus, für die keine rechte Begründung vorhanden war; aber sie ist gerade deshalb auch wieder besonders unvollständig und unbefriedigend. Es fehlt ihr etwas wie jenes Stück der theoretischen Konstruktion, das Kant mit gutem Grund für das Kernstück seiner Theorie gehalten hat, die transzendentale Deduktion, d. h. der Nachweis, daß apriorisches Wissen aus reinem Ver7
„ . . . wheresoever w e can suppose such a creature as man is, endowed with such faculties, and thereby furnished with such ideas as w e have, w e must conclude, he must needs, when he applies his thougths to the consideration of his ideas, know the truth of certain propositions that will arise from the agreement or disagreement which he will perceive in his own ideas." IV. xi. 14.
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stände und reiner Anschauung in der Wirklichkeit gilt, daß insbesondere zusammen mit Raum und Zeit die Geometrie und die Arithmetik „empirische Realität" besitzen. Es fehlt ihr ebenfalls so etwas wie die Leibnizsche These von der prästabilierten Harmonie, die die Korrespondenz der Gedanken einer Monade mit den realen äußeren Beziehungen der Monaden einem Gesamtkonzept der Welt einordnete. Zwar finden sich bei Locke eine Reihe von Anspielungen verwandter Art, aber sie werden nirgends mit der Realität oder der Wahrheit mathematischen Wissens in Verbindung gebracht 8 ; stattdessen finden wir die Η-Klausel, die sich mit einem rationalistischen Gedanken eben nicht vertragen will. Die soeben hypothetisch betrachtete Lesart des zuletzt zitierten Satzes scheidet also aus. Nimmt man ihn mit dem Inhalt des Buches II des „Essay" zusammen, so zeigt er denn auch noch eine ganz andere Seite: Zwar wird von Locke offenbar angenommen, daß alle Menschen mit gewissen der Spezies eigentümlichen Fähigkeiten begabt sind; aber die Ideen, von denen er hier spricht, brauchen deshalb natürlich nicht a l l e i n aus diesen Fähigkeiten zu entspringen. Im Rahmen der Lockeschen Theorie ist ganz im Gegenteil anzunehmen, daß die Fähigkeiten (sowohl der Wahrnehmung wie der aktiven Verarbeitung von Ideen) lediglich bestimmte Arten von Ideen auswählen bzw. zulassen. Entstehen jedoch müssen die Ideen auf dem Wege über die (bzw. als Zusammensetzungen aus den) Basisideen in der Erfahrung selbst, so auch ein Grundstock an Ideen der Geometrie und der Arithmetik; Gesichts- und Tastsinn bzw. alle Sinne und die Reflexion zusammen müssen die einfachsten Elemente an die Hand geben. Aber darüberhinaus noch muß die Reflexion uns an Hand konkreter Erfahrungen die Bedeutung der ideenverarbeitenden Operationen vermitteln, nicht zuletzt auch der mathematisch relevanten wie ζ. B. des Addierens. Was es heißt, aus zwei Zahlen eine Summe zu bilden, muß ursprünglich anschaulich interpretiert sein, damit wir überhaupt wissen, was „Addieren" bedeutet. In den letzten Sätzen ist eine Unterscheidung zweier Arten von Ideen von Locke übernommen worden: Ideen von Wahrnehmungsinhalten stehen Ideen von Verstandesoperationen gegenüber. Diese Unterscheidung kann man zum Anlaß für einen erneuten Versuch nehmen, die Η-Klausel und den „konventionellen" Charakter der sogenannten notwendigen Wahrheiten zu interpretieren. Daß diese sich nur auf von uns hergestellte Ideen, die Archetypen, beziehen sollen, mag so verstanden werden, daß zu ihrer Begründung 8 Über die Angemessenheit unserer Erkenntniskräfte hinsichtlich der Entsprechung einfacher Ideen mit ihren Ursachen vgl. man ζ. Β. I V . iv. 4 und II. xxxi. 2; über ihre von Gott geordnete Angemessenheit im ganzen: Introduction, §§ 5 — 6 .
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a l l e i n d i e H e r s t e l l u n g s w e i s e gewisser komplexer Ideen verstanden werden muß, nicht aber das Material und das Ergebnis der Herstellung. Was sollte das heißen können? Nichts anderes, als daß sich die Herstellung komplexer Gebilde nicht auf inhaltlich gedeutete Wörter oder Symbole, sondern auf die Symbole selbst, gleichgültig was sie bedeuten mögen, bezieht. Was „Eins" oder „Dreieck" bedeuten, könnte gleichgültig sein, ohne daß die zwischen solchen gleichgültigen Bezeichnungen geschaffenen Relationen unverständlich würden, weil das, was die sie erzeugenden Tätigkeiten bedeuten, selbst noch inhaltlich verständlich wäre. Eben das würde dann für den hypothetischen Charakter der notwendigen Aussagen verantwortlich zu machen sein. Ihr konventioneller Charakter müßte dadurch zustande kommen, daß eine Einigung über die jeweils den Gegenstand erzeugenden Tätigkeiten (über Formations- und Transformationsregeln für die symbolischen Ausdrücke oder auch Konstruktionsvorschriften für die schematischen Diagramme) hergestellt werden müßte, bevor ein bestimmter Gegenstand und mit ihm wohlbestimmte („notwendige") Behauptungen möglich wären. Eine in diese Richtung gehende Interpretation wird heutzutage attraktiv erscheinen. Aber es ist klar, daß sie das, was Locke selbst gesehen hat, beträchtlich überschreitet 9 . Aber nicht nur das: in einem Empirismus Lockescher Prägung stehen ihr grundsätzliche Bedenken entgegen, auch wenn man davon absieht, daß sie für moralische Wahrheiten ohnehin ganz unpassend erscheinen muß 10 . Es wird hier nämlich eine Voraussetzung gemacht, die Locke nicht teilen würde: die Bedeutung gewisser Verstandesoperationen soll abgelöst werden können von der Bedeutung dessen, worauf sie sich beziehen. Aber ist diese ' Anklänge an das schematische Operieren mit Symbolen lassen sich immerhin nennen: In IV. xvii. 18 wird das Deduzieren von Aussagen als „making inferences in words" beschrieben; in II. xxxii. 12 wird bemerkt, daß wir uns bei der willentlichen Festlegung von gemischten Modi nur auf den „Namen selbst" als den einzigen „sinnlichwahrnehmbaren Standard" stützen können, usw. Insgesamt ist die schon oft betonte Rolle der Wörter ein Indiz dafür, daß Locke zu einer gewissen Einsicht über die eminente Rolle ä u ß e r e r Fixierungen von Gedanken gelangt war. Die nachfolgenden Überlegungen werden jedoch zeigen, wo er sinngemäß auf dem Wege zum „formal mode of speech" hätte Halt machen müssen. 10 Was die Ethik angeht, von der im folgenden nidit mehr die Rede sein wird, bleibt neben der rationalistischen nur noch eine synthetisch-apriorische Begründung nach dem Vorschlag Kants übrig, wenn man nicht die Konsequenz ziehen möchte, die Hume gezogen hat, daß nämlich eine ganz andere empirisch-pragmatisdie Begründung und Gewißheit die für moralische Fragen angemessene sei. Die an den Vorstellungen .Übereinkunft' und ,hypothetischer Charakter' festhaltende Analyse der notwendigen Wahrheiten, wie sie im folgenden noch fortgeführt werden soll, eignet sich jedenfalls nicht zur Anwendung auf moralische Fragen.
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Voraussetzung nicht gerade vernünftig? Es ist doch möglich, mit Symbolen nach bestimmten Regeln umzugehen und jeweils zu wissen, welche Operation man ausführt. Eine formale Wissenschaft scheint darauf zu beruhen, daß man bestimmte Operationen mit Symbolen als solche inhaltlich kennenlernen und konsequent weiter ausüben kann, ohne daß man zu einer inhaltlichen Interpretation der Symbole genötigt wird, mit denen man operiert. Wenn ich Locke hier recht verstehe, müßte ihn, falls er mit der heutigen Auffassung vom formalen Operieren mit Symbolen konfrontiert worden wäre, sein Empirismus dazu geführt haben, dieser wissenschaftlichen Methode die Forderung entgegenzustellen, daß jeglicher Umgang mit Symbolen sich auf inhaltlich interpretierte Systeme zu beziehen hat, um wissenschaftlich sinnvoll zu sein, um zu einer E r k e n n t n i s führen zu können. Da jedoch die mathematischen Disziplinen in Lockes Augen offenkundig Wissenschaften sind, ja sogar geradezu d i e Wissenschaften, können sie sich, so muß er sagen, in jenem formalen Operieren nicht erschöpfen. Dieses kann ihnen allenfalls beiläufig und äußerlich sein, n i c h t aber der G r u n d f ü r d i e G e l t u n g auch nur irgendeiner ihrer Aussagen. Wenn diese Hypothese über Lockes voraussichtliche Stellungnahme zutreffen, bzw. wenn sie die sinngemäße Konsequenz aus seinem gesamten Ansatz sein sollte, wäre dies insofern von Interesse, als damit die geläufigste Auffassung des apriorischen Wissens, die der heutige Empirismus entwickelt hat — sie sei kurz die „formale" genannt — abgewiesen wird. Zu ihr gehört es, zwischen der Entwicklung symbolischer Systeme einerseits und deren nachträglicher Interpretation andererseits zu trennen, die Begründung einer formalen Behauptung unabhängig von ihren möglichen Anwendungen in einer Realwissenschaft durchzuführen, die Frage nach der Wahrheit und die andere Frage nach der (im Hinblick auf den Zweck der Erkenntnisbemühung zu beurteilenden) Angemessenheit einer Aussage sorgfältig auseinanderzuhalten. Welche Bedenken könnten sachlich vom Konzept Lockes aus gegen die sonst gerade im Rahmen des Empirismus für so vorteilhaft angesehene Auffassung der Mathematik und Logik vorgebracht werden? Wenn ich recht vermute, ergeben sie sich im wesentlichen aus der Besorgnis, daß in der formalen Auffassung sowohl der sachliche Zusammenhang zwischen den notwendigen Aussagen und ihrer Anwendung in den Realwissenschaften wie auch die eigentliche Begründung für den Anspruch der als formal verstandenen Wissenschaften, überhaupt eine Erkenntnis oder Wahrheit zu vermitteln, nicht hinreichend begreiflich gemacht werden kann. Ohne daß ich in dem hier gesteckten Rahmen beanspruchen wollte oder könnte, eine Theorie der formalen Wissenschaften zu entwerfen, möchte ich doch die
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eben geäußerte Vermutung in zwei Punkten, die mir besonderer Aufmerksamkeit wert zu sein scheinen, illustrieren und präzisieren. Dabei soll zugleich die Beziehung zu einer neuerdings von Quine und anderen vorgetragenen Kritik am herkömmlichen Empirismus sichtbar gemacht werden. 1. Das erste Bedenken geht dahin, daß die formale Auffassung, wenn sie nur selbst strikt durchgehalten wird, keinen Gesichtspunkt zur Verfügung stellt, nach dem ein formales System einem anderen vorgezogen werden könnte. Wenn die ganze epistemologische Wahrheit über die formalen Wissenschaften darin bestünde, daß wir eines konsequenten Umgangs mit Symbolen fähig sind, und daß das, was wir dabei tun, eben durch die Konsequenz gerechtfertigt werden kann, mit der wir an den einmal akzeptierten Spielregeln festhalten, dann müßten wir eine unabsehbare Fülle uns de facto ganz und gar gleichgültiger Relationen zwischen Zeichen als Aussagen, also als „Wahrheiten", gelten lassen. In Wahrheit jedoch unterscheiden wir zwischen Spiel und Erkenntnis erbringender Wissenschaft sehr wohl, ob dies nun im Einzelfall stets mit Sicherheit geschehen kann oder nicht. Zu solcher Unterscheidung ist ein Kriterium nötig; und dieses gehört dann offenbar wesentlich zu der epistemologisch adäquaten Kennzeichnung der fraglichen Wissenschaften hinzu. Was in ihnen „wahr" heißen kann, wird auf dieses Kriterium Bezug nehmen müssen. Als derartiges Kriterium bietet sich natürlich die Interpretierbarkeit der symbolischen Systeme für die Zwecke einer empirischen Wissenschaft in erster Linie und scheinbar konkurrenzlos an. Gesichtspunkt der Auswahl unter den unzähligen bedeutungslosen Systemen ist demnach die Anwendbarkeit auf real Existierendes. Locke hat freilich keine diesbezügliche Theorie; er beschränkt sich darauf, die Forderung bzw. Unterstellung zu präsentieren, daß die ewigen Wahrheiten Möglichkeiten r e a l e r E x i s t e n z ausdrücken. 2. Das zweite Bedenken geht dahin, daß die Verständlichkeit und der zum Aufbau eines Systems oder Kalküls erforderliche innere Zusammenhang selbst noch des formalen Operierens mit Symbolen darauf beruht, daß man bedeutungsvolle Tätigkeiten ausübt. Ihre Bedeutung aber müssen sie nach Locke daher bekommen, daß sie in empirisch sinnvollen Situationen an empirisch bedeutungsvollem Material paradigmatisch ausgeübt werden. Dieser Punkt ist in § i o bereits ausführlich besprochen worden. Es genügt also, an dieser Stelle ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß er offenbar als kritische Instanz gleichzeitig gegen den im vorigen Abschnitt geschilderten Rationalismus Lockes u n d gegen die übliche formale Auffassung der sogenannten Vernunftwissenschaften ins Feld geführt werden kann. Auf
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eine besondere Auswirkung dieses zweiten Bedenkens, das hier neben das erste tritt, wird allerdings alsbald noch hinzuweisen sein. Zunächst möchte ich auf die Frage zurückkommen, wieviel angesichts der beiden eben vorgetragenen Punkte noch von der durch Η-Klausel und Archetypen-Theorie suggerierten Vermutung übrig geblieben sein mag, daß Lockes Theorie der notwendigen Wahrheiten, konsequent verfolgt, darauf hinauslaufe, eben diese Wahrheiten einer Übereinkunft zuzuschreiben. Die von Locke immer wieder hervorgehobene These, daß es der Geist bei der Ermittlung der notwendigen, abstrakten Wahrheiten mit den Relationen der v o n i h m s e l b s t e r z e u g t e n Archetypen zu tun hat, muß mit jenem anderen Zug seiner Lehre konfrontiert werden, daß er offenbar dennoch an einen festen und ewig gleichbleibenden Bestand von Wahrheiten denkt, der hier zu erkennen ist 1 1 . Die sachlich beste Möglichkeit, diese beiden Tendenzen seiner Theorie miteinander in Einklang zu bringen, wird, wie mir scheint, durch die soeben besprochenen Bedenken gegen die formale Auffassung nahegelegt. Die Bedenken waren ja nicht von der Art, daß sie formales Operieren mit Symbolen für unmöglich erklärten. Sie verlangten lediglich, daß es, wenn es als Begründung von w a h r e n Aussagen Anerkennung finden soll, empirisch interpretierbar sein solle, oder anders gewendet: daß es empirisch begründetes Wissen über Relationen von Ideen in einer willentlich erzeugten Konstruktion reproduziere. Die Übereinkunft, die in der Erzeugung eines Symbolsystems steckt, das formal behandelt werden kann 12 und doch Wissen ausdrücken soll, muß also darauf beschränkt werden, nach Bedeutung und Begründung empirische Erkenntnisse zu fixieren, ein gewisses Forschungsergebnis nunmehr ausdrücklich und allgemein als endgültig anzuerkennen. In neuerer Zeit hat Quine diesen Gedanken folgendermaßen ausgedrückt: „Je weniger fortgeschritten eine Wissenschaft ist, desto mehr wird ihre Terminologie auf der unkritischen Annahme eines gegenseitigen Verständnisses beruhen. Mit wachsender Strenge wird diese Basis stückweise durch die Einführung von Definitionen ersetzt. Die für diese Definitionen herangezogenen Wechselbeziehungen erlangen den Status analytischer Prinzipien; was zuvor als eine Theorie über die Welt angesehen wurde, wird als eine Sprachkonvention neu interpretiert." 13 u Beide Komponenten sind ζ. Β. I V . xi. 14 deutlich erkennbar und in einer geradezu paradoxen Weise zusammengefaßt. Vgl. auch I V . iv. 5—9. 12 Vgl. Anm. 9. 13 Quine 1936, S. 250.
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Ausgehend von diesem Gedanken will er, wie er sagt, den Sinn der Entgegensetzung in Frage stellen, die üblicherweise zwischen rein analytischen oder konventionellen Wissenschaften wie Logik und Mathematik auf der einen Seite und nicht-konventionellen empirischen Wissenschaften auf der anderen vorgenommen wird. Ich verstehe diese Äußerung Quines von 1936 wie auch die spätere Ausarbeitung dieses Ansatzes 14 so, daß zwar ohne weiteres die Möglichkeit zugegeben wird, sich in gewissen Wissenschaften beim konkreten Wissenschaftsbetrieb damit zu begnügen, Begründungen von Behauptungen auf einmal getroffene Annahmen oder Festsetzungen zurückzuführen, daß aber durch diese Praxis der Wissenschaftler der epistemologische Sinn, der Erkenntnischarakter und der Wahrheitsanspruch jener Disziplinen, nicht verständlich wird. Die auf Übereinkunft begründeten Wissenschaften müssen vielmehr in ihrem unlösbaren Zusammenhang mit allen anderen Wissenschaften gesehen werden; durch diese Einbeziehung in die „Gesamtwissenschaft"15 wird die Erfahrungsgebundenheit der Konventionen verständlich; die Frage, ob es sich bei ihnen tatsächlich um etwas handelt, was man festgesetzt hat, oder um die Wiedergabe einer (möglicherweise sehr allgemeinen und weitläufig verankerten) Erfahrung wird dem Ermessen anheim gestellt. Letztlich drückt sich in der Antwort auf sie nicht mehr aus als eine sich wandelnde und pragmatisch bedingte Überzeugung darüber, was man im Gesamtkorpus des Wissens als verläßlich und einer Revision nicht mehr bedürftig ansehen dürfe und was nicht. Diese Überlegung Quines artikuliert in bestimmter Weise das Bedenken (1). Wenn auch auf vorsichtige und umwegige Weise, sichert sie doch den Übereinkünften und den ihnen entspringenden Aussagen die Realität. Durch die unter Umständen weitläufige, sicherlich aber vielfache Verknüpfung mit unmittelbar empirisch gedeutetem und bestätigtem Wissen wird die formale Auffassung im Prinzip überwunden, auch wenn keine direkte Interpretation aller einzelnen formal erscheinenden Ausdrücke und Aussagen möglich sein sollte. In ähnlicher Weise, wie dies schon in § 1 1 geschehen ist, kann nun jedoch gegen diese Auffassung der Logik und Mathematik der Vorwurf erhoben werden, daß sie zu pauschal sei. Es sieht jedenfalls so aus, daß wir die Auswahl dessen, was wir als mathematisch oder logisch relevante Theorie gelten lassen, nicht ausschließlich und nicht einmal primär durch die Verknüpfung mit dem Ganzen aller Wissenschaften bestimmen. Unser Kriterium ist nicht in erster Linie dieses, daß mit dem gewohnten und nicht irgendeinem anderen Herzstück versehen die Wissenschaften insgesamt zu ι* Quine 1951,1962. 15 Quine 1951, S. 42: „total science".
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jenem wirksamen Instrument werden, mit dem wir uns in der Welt zurechtfinden. Das Unbehagen meldet sich wieder an der gleichen Stelle: Sich diesem verlockend einheitlichen Quineschen Bilde anzuvertrauen, gibt zu viele Möglichkeiten der Auswahl wissenschaftlicher Aussagen und Methoden im einzelnen, zu viele Instanzen der Prüfung und Kritik ihres Sinnes und ihrer Berechtigung aus der Hand; genauer gesagt: das Bild enthält diese für Wissenschaftlichkeit und Wahrheit womöglich konstitutiven Möglichkeiten nicht und könnte eben darum epistemologisch inadäquat sein, auch wenn es nicht unberechtigt wäre. Das Bedenken (2) von oben enthält nur» den Ansatz zu einer Ergänzung und Modifikation der Quineschen Auffassung. Es weist uns darauf hin, daß die Übereinkünfte der formalen oder in ihrer Darstellung formal gewordenen Wissenschaften eine u n m i t t e l b a r e Verständlichkeit und Rechtfertigung besitzen können. Daß sie eine solche auch besitzen müssen, ist eine Forderung, die sich von Locke aus und in konsequenter Verfolgung seines empiristischen Ansatzes ergibt. Gewisse einfache Operationen mit inhaltlich gedeuteten Ideen und gewisse ebenfalls noch relativ elementare Produkte solcher Operationen geben den Kern dessen ab, worüber dann eine Wissenschaft von menschengemachten Archetypen möglich ist. Das Paradebeispiel hierfür sind wieder die natürlichen Zahlen. Wenn man an Hand dieses Beispiels die Umstände zu erraten sucht, die uns geneigt machen können, irgendwelche Erkenntnisse durch Übereinkunft gewissermaßen einzufrieren, so stößt man auf Einfachheit 16 und Wichtigkeit, oder etwas anders gewendet: auf Überschaubarkeit und Allgemeinheit. Für die Überschaubarkeit der natürlichen Zahlen und der elementaren Rechenoperationen sprechen schon die Erfahrungen des Anfängers im Umgang mit zählbaren Mengen; sie erwecken ihm den Eindruck, daß bei diesem Gegenstand nichts wegzulassen, hinzuzufügen oder abzuändern ist. Zwar kann er bei weitem nicht jede Frage beantworten, die er sich sinnvoll stellen kann; in dieser Hinsicht überschaut er sein Feld gar nicht, und man hat mittlerweile einsehen müssen, daß sich dieser Zustand prinzipiell nicht überwinden läßt. Aber andererseits anzunehmen, daß die Antworten auf irgendwelche Fragen auf Grund neuartiger Erfahrungen mit dem Gegenstand (den zählbaren Mengen) noch so oder auch anders ausfallen könnten, erscheint abwegig. Könnte es sein, daß eine (anschaulich definierte) Summe zweier 16
„Einfachheit" ist hier nicht unbedingt im technischen Sinne von „einfacher Idee" gemeint, hat aber bei Locke etwas damit zu tun: Im weiteren Sinne „einfach" sind noch die „einfachen Modi", obschon sie zu den „komplexen Ideen" zählen. Vgl. Anm. 18.
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Zahlen nicht eindeutig festliegt, nicht genau e i n e wohlbestimmte Zahl darstellt? Wenn es sich um Dinge handelt, deren Anzahlen einwandfrei und über einen hinreichenden Zeitraum hinweg unverändert feststellbar sind, ζ. B. um Münzen oder Menschen, lautet die Antwort auch des um alle Theorie unbekümmerten Empirikers: nein. Dies ist eine Vorbedingung dafür, nunmehr festzusetzen bzw. ein Übereinkommen des Inhalts zu treffen, daß die Operation der Addition, über der Menge der natürlichen Zahlen definiert, immer eindeutig ausführbar sein s o l l . Daß die zweite Vorbedingung, die der Wichtigkeit, erfüllt ist, bedarf keiner Erläuterung; zählbare Mengen sind allgemein verbreitet. Die Wichtigkeit, oder die allgemeine Verbreitung, muß zur Überschaubarkeit noch hinzutreten, damit diese wissenschaftliches Interesse gewinnen kann. Sie ist es, die dazu ermutigt, außer der Wohlbestimmtheit und Endgültigkeit der Erkenntnisse auch noch deren Allgemeingültigkeit zu behaupten: es i s t eben so, sagt man, daß die Vereinigung zweier Mengen mit wohlbestimmten Anzahlen von Elementen ihrerseits eine eindeutig bestimmte Anzahl der Elemente, zu beredinen nach den üblichen Regeln, aufweist. Trifft dies dann bei bestimmten Mengen (etwa von Wassertropfen) und bestimmten Arten der Vereinigung (Zusammenlaufenlassen der Tropfen) nicht zu, so muß die Η-Klausel herhalten: die Ideen von Anzahlen und Zusammenfügen liefern ein bestimmtes Ergebnis, gleichgültig ob bestimmte Dinge und Operationen dem nun entsprechen oder nicht. Die Klausel ändert jedoch nichts daran, daß die B e d e u t u n g der nunmehr konventionell als allgemeingültig fixierten Aussagen darauf beruht, daß ihnen wenigstens gewisse Dinge genügen, und zwar Dinge, die so ziemlich an jedem Ort und in jeder Erfahrungslage vorhanden oder produzierbar sind, und seien es Strichfiguren als einfachstes Paradigma 17 . Locke betont beides, Überschaubarkeit und allgemeine Verbreitung. Ganz der Tendenz in den früheren Drafts folgend, sagt er, daß die Ideen von Zahlen „unter allen anderen die deutlichsten" seien 18; ihre Überschaubarkeit liegt darin, daß sie alle aus einer einzigen Idee, der ,Eins' oder .Einheit', mittels einer einzigen Operation, der Addition, erzeugt werden können 19 . Ihre Anwendbarkeit oder Vorfindbarkeit ist universell, sie betrifft „Menschen, Engel, Handlungen, Gedanken: alles, was existiert oder vorgestellt werden kann"20. 17 Lorenzen, ζ. B. in Lorenzen 1965, Kamlah/Lorenzen 1967, Kap. 6, § 4. „The simple modes of number are of all other the most distinct." II. xvi. 3. 19 II. xvi. 2. 2 0 „ . . . number applies itself to men, angels, actions, thoughts; everything that either doth exist, or can be imagined." II. xvi. χ — Dieser Paragraph über die universelle Verbreitung der Zahlen darf nicht so verstanden werden, als impliziere er die empi18
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Ich verzichte darauf, die eben angestellten Überlegungen auf die elementare Geometrie zu übertragen. Man wird erwarten (und es kündigt sich in Lockes Unsicherheit über die Geometrie auch bereits an), daß dabei ziemlich schnell ernste Probleme auftreten würden. Das der exakten Realisation geometrischer Gebilde mag noch als harmlos gelten; denn im Rahmen der Meßgenauigkeit können geometrische Gebilde und Gesetze vollständig realisiert sein. Andere jedoch, ζ. B. die Frage nach der „Erfahrung", die dem Parallelenpostulat zugrundeliegt, sind nicht leicht zu erledigen; u. a. führen sie auf die Frage nach möglichen Alternativen zur euklidischen Geometrie und damit auf die Frage nach der Geltung oder der Wahrheit von mehreren Theorien, die sich gegenseitig ausschließen (bei der Arithmetik stand nur eine Beschränkung ihrer Anwendung — z.B. auf Wassertropfen — zur Debatte). Aber nicht nur die Geometrie, im Verlauf ihres weiteren Ausbaus würde auch die Arithmetik zunehmend schwieriger zu verstehen sein, wenn man davon nicht abweichen oder wenn man gar damit auskommen will, daß es sich um nicht mehr als eine ausdrückliche Fixierung empirisch (zumindest an geeigneten Fällen) evidenter Tatbestände handelt. Es kann hier natürlich keine Rede davon sein, und es gehört nicht zu den Absichten dieser Studie, das Verhältnis von Mathematik und Erfahrung ausführlich und gehörig zu erörtern. Es kann sich, wie auch früher schon, nur wieder darum handeln, bestimmte Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, die bei dem Versuch, die erwähnten systematischen Fragen zu lösen, programmatische Bedeutung haben können. Darüberhinaus kann es nur noch darum gehen, den inneren Zusammenhang dieser Punkte untereinander sichtbar zu machen und sie auf diese Weise als Stücke eines einheitlichen Konzeptes zu erweisen: des gesuchten erkenntnistheoretischen Empirismus. Welcher Gesichtspunkt tritt nun hier neu hinzu? Er betrifft den Status der Mathematik (und der Logik) relativ zu den anderen Wissenschaften und besagt etwa folgendes: Es wäre nicht aussichtsreich und nicht adäquat, wenn man die Sicherheit und die Relevanz der formalen Wissenschaften ausschließlich auf ihre vielfältige und weitläufige Verankerung in der Gesamtheit allen wissenschaftlichen Wissens zurückführen wollte, oder — um noch einmal in Quines Worten zu sprechen — darauf, daß sie „einen relativ zentralen Platz im gesamten Netzwerk einnehmen"21. Stattdessen muß man ihre unmittelrisch universelle Geltung von Zahlaussagen und mache die Η-Klausel entbehrlidi. El besagt vielmehr nur, daß prinzipiell kein Hindernis besteht, überall mit Zahlbegriflen zu arbeiten: auch Wassertropfen lassen sich (unter geeigneten Bedingungen) nicht nur in Gedanken zählen und addieren. 21 „statements . . . relatively centrally located within the total network", Quine 1951, S. 44.
§ 16 Wahrheit durch Übereinkunft?
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bare Zugänglichkeit und strukturelle Einfachheit zur Erklärung ihres besonderen Status heranziehen. Die formale Auffassung wird dadurch nicht erst gewissermaßen nachträglich durch Einbeziehen u. U. ganzer formaler Theorien in einen pragmatischen Kontext, sondern von vornherein bei der Bestimmung des Gegenstandes der fraglichen Wissenschaften als irrig angesehen. Die Begründung auf Konvention besagt dann nicht mehr, daß es in einem bestimmten Stadium des Forschungsprozesses den an ihm beteiligten Forschern überzeugend erscheint, gewisse Aussagen oder Theorien erst einmal gelten zu lassen, bis sich zeigt, daß man anders einfacher zurechtkommt. Eine Übereinkunft kann vielmehr nur darin bestehen, daß man sich entschließt, gewisse besonders übersichtliche und evidente Erfahrungen bei der Beurteilung und Erklärung anderer Erfahrungen auf jeden Fall heranzuziehen. Der Grund dafür braucht aber nicht zu sein, daß man dann, aufs Ganze gesehen, besonders gut zurechtkommt; er wird vielmehr der sein, daß man sonst die Beurteilungen und Erklärungen schlechter oder gar nicht verstehen würde und daß sie weniger oder keine Glaubwürdigkeit haben würden. So haben Aussagen der Arithmetik wie „5 ·+- 7 = 12" eine hohe Evidenz aus der unmittelbaren Erfahrung mit zählbaren Dingen. Wenn sie bei Fliegen oder Wassertropfen unter bestimmten Bedingungen versagen, greifen wir eben wegen dieser Evidenz (und nicht im Hinblick auf das Gesamtkorpus der Wissenschaften) zu anderen Erklärungen, nehmen ζ. B. natürliche Vermehrung oder Zusammenfließen an. Wenn sich für diese weiteren Erklärungen im folgenden kein weiteres unabhängiges Indiz finden sollte, wäre man nicht sonderlich gut daran, etwa in der Lage desjenigen, der erst 5 und dann 7 Personen in einen geschlossenen Raum einläßt und anschließend feststellt, daß nur 11 darin sind. Er kann sich nur noch darauf hinausreden, daß er sich wohl verzählt haben müsse. Die Konvention besteht hier darin, erst einmal alle solchen Ausreden auszuschöpfen. Der Rahmen möglicher Erklärungen wird hier also von der Übereinkunft, gewisse als besonders unverfänglich geltende Kenntnisse vorauszusetzen, abgesteckt. Aber diese Übereinkunft ist nur sinnvoll und möglich, wenn man sich nicht immer verzählt, ja sogar nur dann, wenn man sich in derartig einfachen Fällen überlicherweise nicht verzählt und wenn die Arithmetik im Einklang mit jenen simplen Zählerfahrungen entwickelt worden ist. In dieser Hinsicht sind Logik und Mathematik ganz anders gestellt als andere „zentral" gelegene Theorien oder Theoreme, z.B. als der Energiesatz. Für diesen ist es ganz richtig, seine hochgradige Zuverlässigkeit zu einem guten Teil dem Umstand zuzuschreiben, daß es ziemlich umfangreicher und wenig attraktiver Veränderungen der theoretischen Grundlagen der
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Physik bedürfte, wenn man ihn fallen lassen wollte. Angesichts widersprechender Erfahrungen wird man aus diesen Gründen zunächst einmal versuchen, die Theorien an anderer Stelle abzuändern oder (wie im Falle der Neutrinohypothese) Zusatzannahmen zu machen. Es würde physikalische Theorien aber nicht grundsätzlich unglaubwürdiger und unverständlicher machen, wenn man sich stattdessen zur Aufgabe des Energiesatzes entschlösse, wie der Vorgang der steady-state-Theorie in der Kosmologie belegen mag. Dabei macht es nichts aus, daß gerade in den der Alltagserfahrung nahestehenden Bereichen wie der klassischen Mechanik ein Energiesatz weiterhin in Geltung bliebe. Schlüge dagegen jemand vor, zum Zwecke einer geschlossenen Theorie der Elementarteilchen die Arithmetik durcheinanderzubringen, derart, daß u. a. „5 + 7 = 12" falsch sein würde, so würde man nicht wissen, was das heißen soll. Man würde, wenn man das ganze Manöver nicht verwirft, allenfalls davon sprechen, daß zur Behandlung von Elementarteilchenprozessen ein neuer Kalkül eingeführt werden solle; diesen jedoch als Arithmetik zu deuten, wäre angesichts des fortbestehenden Umgangs mit zählbaren Dingen der Alltagswelt ganz und gar unmöglich. Umgekehrt vielmehr könnte man den neuen Kalkül danach beurteilen, wie er sich von der Arithmetik aus ausnimmt, wie er mit schon bekannten Teilen der Mathematik zusammenhängt usw. Das Verständnis dessen, was man mit diesem Kalkül vor sich hätte, würde sich in dem Rahmen vollziehen, der u. a. von der geläufigen Arithmetik aufgespannt wird. In dieser letzten Bemerkung wie schon insgesamt in den letzten Absätzen wird der Anschluß an einen Gedanken wieder erreicht, den ich im § 9 ausgeführt habe. Dort hatte ich gesagt, daß etlichen Ideen eine Doppelrolle zugeschrieben werden muß; sie können zugleich als „Wahrnehmungsideen" und als „Erklärungsideen" angesprochen werden. Und eben dies, so hatte ich argumentiert, bedingt ihren hohen Erklärungswert. Locke trägt diesem Sachverhalt dadurch Rechnung, daß er die fraglichen Ideen sowohl unter den „einfachen" anführt wie unter den „originalen", die als Grundbegriffe aller wissenschaftlichen Erklärung fungieren sollen. Durch dieses Stück seiner Theorie schließt Locke dem Sinne nach aus, daß irgendwelche entlegenen Konstrukte, die eigens zur Vereinfachung einer Theorie erfunden sein mögen, die letztlich erstrebenswerten und befriedigenden wissenschaftlichen Erklärungen liefern würden. Er wendet sich gegen nicht interpretierbare und darum nicht verständliche Modelle, auch wenn sie vermöge ihres logischen und mathematischen Funktionierens in hohem Maße Erfahrungsdaten zu korrelieren gestatten. Diese Bemerkung aus § 9 kann jetzt verschärft und verfeinert werden
§ 1 6 Wahrheit durch Übereinkunft?
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Die bloße Funktionstüchtigkeit abstrakter Theorien bei der Korrelation von Erfahrungsdaten qualifiziert diese Theorien nicht schon als „logische" oder „mathematische". Die bei der Korrelation der Erfahrungsdaten einzusetzenden Hilfsmittel müssen f ü r sich genommen noch eine andere Rechtfertigung besitzen: Unabhängig davon, wie sie später oder außerdem noch 2 2 in den entlegenen Theorien der Erfahrungswissenschaften Verwendung finden, müssen sie von einem unmittelbar interpretierbaren und ausweisbaren Kern her nach ihren eigenen Gesetzen 2 3 entwickelt werden; andernfalls würden sie keine legitime Korrelation von Erfahrungsdaten leisten, nämlich eine ver22
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Es ist natürlich nicht daran gedacht, den Fall auszusdiließen, in dem ein neuer Kalkül erst einmal schematisch und unverstanden von seiner V e r w e n d u n g in einer erfahrungswissenschaftlichen Theorie her eingeführt wird; die δ-Funktionen können als Beispiel hierfür dienen. Allgemein wird man erwarten, daß die Entwicklung mathematischer und logischer Theorien de facto oft von anderen Wissenschaften angeregt wird. Hier ist eine Bemerkung über die Rolle der Logik, die im Text nicht explizit behandelt wird, am Platze. Ihre Grundannahmen müssen konsequenterweise ebenso wie die mathematischer Theorien behandelt werden, also der Forderung nach empirischer Evidenz unterworfen werden; vorsichtiger gesagt: diese Annahmen müssen inhaltlich adäquat sein, d. h. dem intuitiv oder aus Erfahrung einleuchtenden Argumentieren entsprechen, soweit dieses dazu geeignet ist, von inhaltlich als wahr befundenen Aussagen wiederum zu ebensolchen zu gelangen. Das soll nicht heißen, daß logische Zusammenhänge und Regeln etwas anderes ausdrücken müßten als Übereinkünfte darüber, wie wir bestimmte Ausdrücke unserer Sprache verwenden wollen; aber daß wir diese und jene Ausdrücke brauchen und daß wir sie in der und der Weise verwenden, ist nach dieser Auffassung so wenig dem Belieben anheimgestellt wie die Arithmetik. Es ist ζ. B. eine Erfahrung, daß unsere Sprache dazu geeignet ist, Äußerungen zu tun, die entweder wahr oder falsch sind. Es hat dann einen Sinn zu fragen, unter welchen Umständen eine aus mehreren Teilbehauptungen bestehende Behauptung in ihrer Wahrheit oder Falschheit eindeutig durch die Wahrheit oder Falschheit jener Teilbehauptungen festgelegt ist. Die allgemeine Antwort auf diese Frage ist der Aussagenkalkül, eine in aller nur wünschenswerten Eindeutigkeit und Vollständigkeit fixierbare Theorie, die jedermann zur Logik wird rechnen wollen, ganz gleich was er sonst noch dazu rechnet. Die Anwendung logischer Erkenntnisse auf einfache mathematische Aussagen gestattet nun aber von intuitiv (oder besser: empirisch) festgelegten Anfängen aus wohlbestimmte Erweiterungen vorzunehmen; und eben dies ist mit der Redewendung gemeint, daß der gesamte Apparat der Formalwissenschaften „nach eigenen Gesetzen" entwickelt werden könne und daraus unabhängig von aller Funktionstüchtigkeit im Rahmen a n d e r e r Theorien seine Rechtfertigung erfährt. Es wird hier also zur Abrundung des aus Locke entwickelten Empirismus unterstellt, daß die Logik nur deshalb das grundlegende Instrument zur Herstellung systematischer Zusammenhänge von Theorien sein kann, weil sie von einem inhaltlich unmittelbar verständlichen und als abschließend geklärt angesehenen Kern aus entwickelt wird, wie dies auch von der Arithmetik gesagt werden konnte. Eine Logik etwa ohne den Leitfaden eines inhaltlich verständlichen Vorbegriffs von Wahrheit, also ohne eine ihr eigene Semantik aufzubauen, erscheint nach dieser Auffassung von vornherein ganz sinnlos.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
ständliche und begründete, die als wissenschaftlich gelten kann und die zu Wissen führt. Mit anderen Worten: es müssen nicht nur die physikalischen Grundbegriffe erklärender Modelle (z.B. »Festigkeit', ,Kraft') einer direkten und nicht nur durch das zu Erklärende vermittelten Interpretation fähig sein, sondern es müssen überdies die formalen Hilfsmittel der Theoriekonstruktion eine von ihrem Einsatz in der Theorie unabhängige Interpretation und Rechtfertigung besitzen. Es war schon gesagt worden, daß unter Ideen, welchen die erwähnte Doppelrolle zugeschrieben wird, nach Locke auch die Ideen ,Ausdehnung' und ,Zahl' zu rechnen sind. Diese Bemerkung läßt sich auf dem Hintergrund der Überlegungen dieses Abschnitts nunmehr extensiv so auslegen, daß auch die formalen Wissenschaften nur dann zur Erklärung von irgend etwas taugen, wenn sie von einem Erfahrungskern her entwickelt werden können und daraus ihre eigene Rechtfertigung und ihre eigene Bedeutung bereits haben. Daß sie beides in eminentem Maße mitbringen, ist die von Locke geteilte Überzeugung einer langen erkenntnistheoretischen Tradition. Aus ihr ergibt sich, daß die Mathematik weit davon entfernt ist, ein bloßes Hilfsmittel im effizienten Umgang mit Erfahrungen zu sein, vielmehr die Orientierung dafür abgibt, was in höchstem Maße vollkommene Erklärung und Begründung, und was also in vorzüglichem Sinne Wissenschaft ist. Mathematische Erklärungen sind deshalb so gute Erklärungen, weil wir sie in vorzüglichem Maße verstehen; und mathematische Begründungen sind deshalb so zuverlässige Begründungen, weil wir sie vollständig überblicken. In diesem und in dem vorangehenden Abschnitt sollte sichtbar geworden sein, daß Locke größte Schwierigkeiten damit hatte, die sogenannten notwendigen Wahrheiten im Rahmen seines empiristischen Ansatzes einzuordnen. Seine Ergebnisse sind zwiespältig: Neben einer starken, vielleicht dominierend zu nennenden, rationalistischen Tendenz findet sich eine konventionalistische. Diese jedoch ist wiederum der Modifikation von der Seite des empiristischen Ideenaufbaus her zugänglich. Der Versuch, die hier in Lockes Ansatz steckenden Möglichkeiten zu nutzen, führte in die Nähe der Vorstellungen Quines, der seine Wissenschaftsphilosophie selbst als einen geeignet modifizierten und von Dogmen befreiten Empirismus versteht24. Er brachte jedoch auch die Gründe für eine ziemlich einschneidende Kritik an Quines monistischer These zutage, derzufolge die Wissenschaft im ganzen ein einheitliches Korpus ist, in dem es hinsichtlich der Revidierbarkeit 24 Siehe z . B . die Überschrift des Teiles 6 von Quine 1 9 5 1 : „Empiricism without the Dogmas«.
§ 1 6 Wahrheit durch Übereinkunft?
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von Aussagen nur graduelle Unterschiede gibt. Es ließ sich so, wenigstens dem programmatischen Ansatz nach — und mehr sollte nicht versucht werden — das Unbehagen gegen die prinzipielle Gleichstellung von erfahrungswissenschaftlichen und mathematischen (oder auch logischen) Aussagen vermeiden. Die Basis beider ist zwar auch im von rationalistischen Elementen gereinigten Empirismus Lockescher Prägung einheitlich dieselbe. Nichtsdestoweniger trennen sich schon auf einer niedrigen Aufbaustufe mathematische und empirische Wissenschaften. Wenn sie sich dann auf höheren Stufen der Theorieentwicklung wiederum vielfach verknüpfen lassen, so gibt dies kein Recht dazu, nunmehr die Verankerung der formalen Wissenschaften in der Basis zu lösen. Denn die Verknüpfungen auf den höheren Stufen (durch „Anwendung" formalwissenschaftlicher Aussagen) ziehen ihre Erkenntnisleistung immer auch daraus, daß die Formalwissenschaften noch auf einem ihnen spezifischen Wege interpretierbar und begründbar sind. Die Überlegungen dieses und des vorangehenden Abschnitts haben, wie ich hoffe, erkennen lassen, daß die zuvor (§ 13) bemerkte enge Verwandtschaft von Intuition 25 und sinnlicher Wahrnehmung bei Locke ihre tiefere Berechtigung hat, auch wenn er selbst unter dem rationalistischen Einfluß seiner Zeit nicht in der Lage war, dies sich und anderen klarzumachen. Auf der einheitlichen Grundlage des in Buch I I des „Essay" enthaltenen Ansatzes läßt sich weder ein doppeldeutiger Wahrheitsbegriff (§ 12) rechtfertigen, noch die Ableitung verschiedener Weisen, Wahrheit zu erfassen, aus der Natur des Wissens (§ 13). Vielmehr blieb nur übrig, die unbestreitbare Verschiedenheit des mathematischen Wissens einerseits und des Wissens über unmittelbar Wahrgenommenes andererseits auf die Verschiedenartigkeit der Gegenstände des Wissens zurückzuführen. Dabei jedoch bietet Lockes Entgegensetzung von Existenzwissen einerseits und Ideenwissen mit hypothetischem Charakter andererseits, wie ich zu zeigen versuchte, nur scheinbar eine befriedigende Lösung. Denn der hypothetische Charakter erwies sich letztlich als nicht fundamental: er entspringt vielmehr der ausgezeichneten Allgemeinheit und Übersichtlichkeit gewisser einfacher Gegen25 Die Demonstration gehört natürlich in den Bereich der Intuition; in jedem Beweisschritt muß die Verknüpfung der Ideen nach Locke intuitiv erkannt werden. Für den hier in Rede stehenden Gegensatz zur natürlichen Wahrnehmung kommt es nur darauf an, ob eine besondere Art der Wahrnehmung der Ideen in der ihnen von sich aus eigenen Natur möglich ist. Der durch die enge Verwandtschaft zur sinnlichen Wahrnehmung suggerierte Einwand richtet sich natürlich nicht dagegen, daß in der Reflexion Ideen als Ideen betrachtet werden könnten (was selbstverständlich ist), sondern dagegen, daß sie dabei als die in sich so und so eindeutig bestimmten vorgefunden werden könnten.
Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
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stände unseres Wissens, die nämlich dazu führt, das Wissen über sie zur Norm für weitere Erklärungen zu erheben. Auf eben diesen Kern wurde die Η-Klausel und zusammen damit die „konventionelle" Begründung des Wissens über die Relationen abstrakter Ideen zurückgeführt. Es sieht im übrigen so aus, daß Locke sich irgendwie dessen bewußt war und immer bewußt blieb, daß die Kennzeichnung einer Aussage als hypothetisch bezüglich aller wirklichen Existenz noch keineswegs ihre Geltung sicherstellt, und daß diese Geltung (ihr Wahr-sein) audi nicht auf eine bloß willkürliche Festsetzung über „Archetypen" gegründet werden kann. Auch wenn diese Einsicht niemals klar hervortrat, ist doch wohl auf sie das Bedürfnis nach rationalistischen Aushifen zurückzuführen, dem wir Locke immer wieder nachgeben sahen 26 .
§ iy:
Probleme der Abgrenzung zwischen notwendigen und empirischen Aussagen
Der Verzicht auf einen Bezug der Formalwissenschaften zur empirischen Basis gestattet es, einen gemäßigten, nämlich dualistischen Empirismus zu vertreten. Dieser beruht auf einer klaren Trennung zwischen zwei Klassen von Aussagen. Obwohl Locke Anlaß gibt, seine Erkenntnistheorie im üblichen dualistischen Modell des Empirismus zu interpretieren, führen verschiedene Versuche, dies im einzelnen durchzuführen, zu Schwierigkeiten. Insbesondere erweist sich die Unterscheidung zwischen Relationen von Modi und Koexistenzen in Substanzen als problematisch.
In den vorangehenden Abschnitten ist erörtert worden, ob und wie das üblicherweise als a priori angesehene Wissen in den Rahmen eines empiristischen Ansatzes von der Art des Lockeschen eingefügt werden könnte. In der von Locke gewählten Einteilung der Erkenntnisse nach ihrem Inhalt (s. § 13) betraf das Gesagte dementsprechend die Typen (I) und (II), also das Wissen von Identität und Nicht-Identität und von anderen Relationen, die Ideen als Ideen zueinander haben. Um das Bild vom „Empirismus der Aussagen" bei Locke abzurunden, werden nunmehr noch die beiden verbleibenden Typen (III) und (IV), also das Wissen über Koexistenz von Qualitäten in Substanzen und über Existenz, zu besprechen sein. Dabei wird man — anders als bisher — zunächst keine besonderen Schwierigkeiten erwarten, wenn man wiederum versucht, das Wissen im Einklang mit dem „Empiris26 Wie die Auffassung der Mathematik im Draft Α zeigt, kann man nämlich nicht sagen, daß ihm die rationalistischen Auskünfte von vornherein geradezu selbstverständlich gewesen seien; er findet allerdings — in seiner Zeit begreiflicherweise — keine andere Lösung für die Probleme, die der Rationalismus (scheinbar) lösen konnte.
§ 17 Notwendige und empirische Aussagen
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mus der Ideen" zu deuten, also die Bücher II und IV des „Essay" in einen konsistenten Interpretationszusammenhang zu bringen. Denn selbst wenn man es für verfehlt hält, eine empiristische These auch auf die Begründung der formalen Wissenschaften auszudehnen, wird man bereit sein können, sie im Bereich des wirklich Existierenden für zutreffend zu halten. Der Empirismus in seiner geläufigsten und plausibelsten Form ist ja gerade durch eine solche maßvolle Beschränkung seiner Grundthese auf einen Teilbereich dessen, was wir wissen können, ausgezeichnet. Voraussetzung für seine Durchführung ist freilich die Angabe einer begründeten Abgrenzung zwischen zwei epistemologisch hinreichend verschiedenen Sorten von Aussagen. Aber falls man eine solche Abgrenzung angeben kann, läßt sich dann ein gemäßigter Empirismus im Hinblick auf sie formulieren; ein solcher soll darum hier kurz als „dualistisch" bezeichnet werden. Die sachliche Plausibilität eines dualistischen Ansatzes wird ihn ganz allgemein für die Interpretation empiristischer Autoren empfehlen; aber abgesehen davon scheint speziell auch Lockes Darstellung seiner Theorie zu einer Subsumption unter dieses geläufige Modell des Empirismus einzuladen. Denn seine Einteilung der Erkenntnisse sieht so aus, als ob die Aussagen über Koexistenz und Existenz den Aussagen über Ideenrelationen als eine zusammengehörige Gruppe gegenübertreten, insofern sie, wie schon die Bezeichnungen sagen, von Existierendem handeln, während die Ideenrelationen einschließlich der Identität und Verschiedenheit, wie es heißt, „Existenz nicht betreffen" 1 . Da nun aber das dualistische Modell voraussetzt, daß eine epistemologisch tiefgehende Einteilung allen möglichen Wissens klar durchgeführt und begründet werden kann, erfordert die Anwendung des Modells auf die Interpretation Lockes, daß die genannte Entgegensetzung der Erkenntnisse vom Typ (I) und (II) einerseits und (III) und (IV) andererseits des näheren einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Diese wird etliche Schwierigkeiten und Besonderheiten der Lockeschen Theorie zutage fördern. Zunächst sollen drei Versuche besprochen werden, die Zweiteilung des Wissens durch eine extensionale Trennung der W i s s e n s i n h a l t e in zwei Klassen zu interpretieren; anschließend wird eine Deutung besprochen, in der die Aussagen nicht nach ihrem Inhalt, sondern nach der I n t e n t i o n unterschieden werden, die man mit ihnen verbindet. Die erste Interpretation einer Zweiteilung allen Wissens ist eben schon angedeutet worden. Sie bezieht sich unmittelbar auf Lockes vierfache Einteilung der Wissensinhalte und bildet innerhalb ihrer zwei Untergruppen. Aber bei näherem Zuschauen erweist sie sich als unhaltbar. Abgesehen dai IV. ix. i.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
von, daß Lockes Behandlung der Erkenntnisse über Koexistenz und Existenz im einzelnen nicht unbedingt empiristisch ist, ist die Zweiteilung in der oben gewählten und auf IV. ix. ι gestützten Formulierung auch sachlich unklar. Denn, wenn Locke auch sagt, daß bei Erkenntnissen des Typs (I) oder (II) Existenz nicht betroffen sei, so meint er doch, daß wenigstens noch die Möglichkeit von Existenz in Rede stehe 2 . Mithin handelt es sich in einem bestimmten Sinne doch auch um Wissen über Existierendes; eben darauf war die vorgetragene Kritik an der formalen und an der konventionellen Auffassung der Logik und der Mathematik begründet worden, wie auch das dieser Kritik korrespondierende Ausgreifen Lockes auf rationalistische Prinzipien daraus hervorging. Damit ist zugleich klar, daß auf der anderen Seite die Formulierung „etwas über Existierendes wissen" viel zu unbestimmt ist. Die gesuchte Trennung der Wissensinhalte in zwei Klassen läßt sich mit so allgemeinen Formeln wie den eben genannten nicht markieren. Man muß also nach subtileren Beschreibungen von Relationen- oder Ideenwissen einerseits und Existenzwissen andererseits suchen. Eine besonders naheliegende und einfache Variante besteht darin, die Einteilung des Wissens so vorzunehmen, daß auf die eine Seite nicht mehr überhaupt alle Aussagen über Existierendes fallen, sondern nur noch diejenigen unter ihnen, die sich auf ein bestimmtes einzelnes Existierendes beziehen. Die empiristische These, daß die Begründung von Aussagen aus der Erfahrung erfolgen müsse und nur aus der Erfahrung zu erfolgen brauche, kann dann auf die so abgegrenzte Klasse von Aussagen beschränkt werden. Es ist ζ. B. von Ryle vorgeschlagen worden, das, was den Empirismus Lockes ausmacht, in dieser Weise zu verstehen 3 . Aber eine empiristische These dieses Inhalts ist viel zu schwach. Sie läßt das gesamte Feld der Relationen von Kennzeichnungen existierender Dinge prinzipiell für eine Erkenntnisweise mathematischer Art offen. Nach der geläufigen Vormeinung jedoch, die man und die Locke hier mitbringt, gilt es gerade, zwischen gewissen Relationen hypothetischer Art, die für alle Dinge gelten, und gewissen anderen Relationen bloß empirischen Charakters eine Trennungslinie zu ziehen. Um das tatsächlich von Locke gewählte Verfahren der Abgrenzung des Wissens über Existierendes zu verstehen, muß man seine Unterscheidung zwischen Substanzen und Modi genauer betrachten. Für sich genommen ist sie unproblematisch, wenn man nur den Unterschied von Dingen und Eigen2 IV. v. 8. Wie in § 12 bereits dargelegt, ist es dafür, daß eine Aussage reale statt bloß verbaler Wahrheit besitzt, nach Locke wesentlich, daß man über etwas wenigstens möglicherweise Existierendes spricht. 3 Ryle 1933, S. 34.
§ 1 7 Notwendige und empirische Aussagen
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Schäften gelten lassen will, dessen schulmäßig-terminologischer Ausdruck sie ist 4 . Sie soll jedoch im folgenden für einen dritten Anlauf zur Präzisierung und Interpretation des dualistischen Ansatzes ausgenutzt werden. Und dabei sind nicht unmittelbar Substanzen und Modi auseinanderzuhalten, sondern das an ihnen, was den Unterschied begründet, den Locke zwischen komplexen Ideen oder Ideenverknüpfungen, die er unter dem Titel „Koexistenz" subsumiert, und den komplexen Ideen oder Ideenverknüpfungen, die er als „Modi" bzw. „Relationen von Modi" bezeichnet, macht. Die ersteren zeichnen sich dadurch aus, daß sie Qualitäten an Substanzen betreffen, während die letzteren das nicht tun. Zunächst sollte man nun darauf hinweisen, daß Locke die empiristische These tatsächlich auf diese Unterscheidung zu beziehen scheint: Während die Ideen von Modi ganz willkürlich gebildet werden dürfen 5 , müssen wir bei Substanzen „der Natur folgen, unsere Ideen realen Existenzen anpassen"6. Von der Erforschung der Sub4 Die Formulierungen bei Locke lauten: „ . . . Μ ο d e s I call such complex ideas which, however compounded, contain not in them the supposition of subsisting by themselves, but are considered as dependences on, or affections of substances; . . ( I I . xii. 4 ) . „ . . . the ideas of s u b s t a n c e s are such combinations of simple ideas as are taken to represent distinct p a r t i c u l a r things subsisting by themselves; in which the supposed or confused idea of substance, such as it is, is always the first and chief." (II. xii. 6). Daß Locke sich bei diesen Begriffsbestimmungen, weil sie auf die Begriffe ,Substanz' und ,subsistieren' gestützt sind, offenbar ziemlich unsicher gefühlt und daß er durch diese Unsicherheit der Kritik seiner empiristischen Nachfolger am Substanzbegriff weiteren Vorschub geleistet hat, muß uns hier nicht beschäftigen. Für das Ergebnis dieses Abschnittes als relevant wird sich jedoch die Tatsache herausstellen, daß hier nicht von „Existenz", sondern von „Substistenz", was immer das sei, die Rede ist. I I I . v. 3 drückt diesen Gedanken am schärfsten aus. Bemerkenswert erscheint die Beschränkung auf „gemischte Modi", während wenige Absätze zuvor (in I I I . iv. 17) gesagt wird: „The names of simple ideas . . . are perfectly taken from the existence of things, and are not arbitrary at all". Und im Anschluß daran in aller Kürze und ohne jede weitere Erklärung: „The names of simple modes differ little from those of simple ideas." (Unter „Name" muß man hier offenbar zugleich die Bedeutung eines Wortes mitverstehen; denn daß die bloßen Wörter willkürlich sind, steht natürlich auch bei Locke außer Zweifel; s. etwa Lockes 2. Brief an Stillingfleet, WW IV, S. 1 3 2 : „Names are but the arbitrary marks of conceptions; . . . " . ) Worin der „kleine" Unterschied der einfachen Modi zu den einfachen Ideen bestehen soll, wird nicht gesagt. Ich habe daher auch darauf verzichtet, diese Stelle für die These heranzuziehen, daß es bei Locke in der Mathematik mit der Willkür der Ideenbildung nicht weit her ist. Aber im Hinblick auf den in diesem Abschnitt zu behandelnden Versuch Lockes, die Sonderstellung der Ideen der Modi klarzumachen, ist die Stelle bezeichnend: Nicht nur führt dieser Versuch in Schwierigkeiten, im Hinblick auf die einfachen Modi scheint Locke ihn von vornherein unterlassen zu wollen. 6 „In our ideas of substances we have not the liberty, as in mixed modes, to frame what combinations we think fit, to be the characteristical notes to rank and denominate things by. In these we must follow Nature, suit our complex ideas to real existen-
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
stanzen heißt es: „Erfahrung muß mich hier lehren, was Vernunft nicht lehren kann" 7 . Ja sogar die Möglichkeit realer Existenz ist für die komplexen Ideen von Substanzen nach Locke nicht anders zu erkennen als „durch das Wissen, daß derartige (Substanzen) existiert haben"8. Wenn nun aber doch auch die Modi mögliche Kennzeichnungen existierender Dinge sein sollen, bleibt unklar, welche Ideenverknüpfungen wir nach Lockes Meinung als Relationen von Modi, welche dagegen als Relationen der Koexistenz von Eigenschaften in Substanzen ansehen sollen9. Man könnte etwa darauf verfallen zu fragen, ob die möglichen Kennzeichnungen existierender Dinge in zwei Klassen zerfallen, nennen wir sie die „hypothetischen" und die „faktischen", derart, daß Relationen in der ersten Klasse allein aus den Ideen selbst, Relationen in der zweiten Klasse allein aus der Beobachtung erkannt werden könnten. Ließe sich diese Frage positiv beantworten, so wäre die Einteilung der Aussagen auf eine Einteilung der sie zusammensetzenden Ideen zurückgeführt. Locke scheint tatsächlich eine solche Einteilung schon der Ideen selbst anzubieten. Von den m a t h e m a t i s c h e n zum Beispiel nimmt er an, daß sie hypothetische Kennzeichnungen existierender Dinge sind und hypothetische Relationen von Kennzeichnungen zu formulieren gestatten, die für alles wirklich Existierende gelten können. Die Untersuchung der Koexistenz von Qualitäten in Substanzen dient andererseits dazu, die Idee von den unterschiedlichen v o n N a t u r a u s e x i s t i e r e n d e n A r t e n der Dinge zu bilden und zu präzisieren ,0 . Und diese Arten sind nach Locke durch eine Kombination sekundärer Qualitäten definiert. „Die Ideen, aus denen unsere komplexen Ideen von Substances . . . " ( I I I . ix. I i ) , Es verdient angemerkt zu werden, daß hier die oben (Anm. 4 ) zitierte (und im wesentlichen zirkuläre) Definition von „Substanzidee" mit Hilfe des Begriffes „Substistenz" folgenlos bleibt, sobald es um die Frage geht, wie oder woraufhin die einzelnen Ideen oder Teilideen von Substanzen inhaltlich festzulegen sind. Dabei spielt nur der Begriff „Existenz" eine Rolle; von „Subsistenz" ist nicht mehr die Rede. ^ „ E x p e r i e n c e h e r e m u s t t e a c h m e w h a t r e a s o n c a n n o t : and it is by t r y i n g alone, that I can c e r t a i n l y k n o w , what other qualities coexist with those of my complex idea, . . . " (IV. xii. 9). 8 „ . . . ideas . . . such as we know are capable of having an existence in nature: which in substances we cannot know, but by knowing that such have existed." (IV. v. 8). ? Mit Koexistenz gleichgestellt sind im Sinne der gegenwärtigen Betrachtung auch die Relationen der Sukzession, d. h. alle faktischen im Gegensatz zu begrifflichen Relationen. Hierzu vergleiche man § 1 3 gegen Ende, insbesondere Anm. 38. 10 „ . . . in substances, we are not always to rest in the ordinary complex idea commonly received as the signification of that word, but must go a little further, and inquire into the nature and properties of the things themselves, and thereby perfect, as much as we can, our ideas of their distinct species; . . ( I I I . xi. 24).
§ 17 Notwendige und empirische Aussagen
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zen aufgebaut s i n d , . . . , sind die ihrer sekundären Qualitäten." 11 Im Hintergrund der Unterscheidung zwischen Relationen von Modi und Koexistenzen in Substanzen taucht hier die Einteilung der Ideen in primäre und sekundäre auf. Die primären Ideen wären als die „hypothetischen" anzusehen, deren Relationen a priori bestehen würden, d. h. für alles Existierende, das tatsächlich durch bestimmte primäre Ideen gekennzeichnet werden kann. Die sekundären Ideen andererseits sind bekanntlich jene, deren Zusammenhang mit den primären Ideen und darum auch deren Zusammenhang untereinander wir nach Lockes Meinung nicht einmal „konzipieren", also einsichtig vorstellen können 12 . Mit dieser Zurückführung der dualistischen Grundunterscheidung zwischen zwei verschiedenen Sorten von Wissen auf den Gegensatz zwischen primären und sekundären Qualitäten stimmt der Sache nach gut zusammen, daß die primären Ideen vornehmlich mathematische und darüberhinaus der Mathematik gewissermaßen nahestehende mechanische Grundbegriffe sind. Doch auch der Rückgriff auf die Unterscheidung von primären und sekundären Eigenschaften liefert keine befriedigende Interpretation des Dualismus, weder was Locke noch was die Sache angeht. Locke betreffend, muß man daran erinnern, daß sich unter den Modi ja nicht nur die „einfachen", die aus den primären Ideen ,Ausdehnung', ,Dauer' (bzw. bei Locke sogleich »Bewegung') und ,Zahl' hervorgehen, sondern auch die „gemischten" befinden; diese aber sind, wenn nicht ausschließlich, so doch vorzugsweise aus sekundären Ideen aufgebaut. Zumindest also Lockes Bestreben, die moralischen Aussagen unter die notwendigen einzureihen, steht dem im Wege, die von ihm intendierte Unterscheidung zweier Sorten des Wissens auf den Unterschied zurückzuführen, den er zwischen primären und sekundären Qualitäten gemacht hat. Nichtdestoweniger wird sich noch zeigen lassen, daß der Sache nach der Hinweis auf diese Lockesche Unterscheidung nicht ganz fehl am Platze war. Freilich läßt er sich nicht ohne weiteres zur näheren Verdeutlichung der Unterscheidung von Modi und ihren Relationen auf der einen und koexistierenden Eigenschaften von Substanzen auf der anderen Seite heranziehen. Im Einklang damit steht nun sachlich der Umstand, daß 11
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„The ideas that our complex ones of substances are made up of, and about which our knowledge concerning substances is most employed, are those of their secondary qualities; . . ( I V . iii. n ) . „We are so far from knowing w h a t figure, size, or motion of parts produce a yellow colour, a sweet taste, or a sharp sound, that we can by no means conceive how a n y size, figure, or motion of any particles can possibly produce in us the idea of any colour, taste, or sound whatsoever: there is no conceivable connexion between the one and the other." (IV. iii. 13).
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
auch die primären Eigenschaften der Dinge zur Definition natürlicher Arten herangezogen werden können. Gestalt und Größe sind oft handliche Hilfsmittel zur Identifikation einer Spezies, wie auch Locke im Grunde weiß 13 ; in manchen Fällen mögen sie sogar wesentlich sein, ζ. B. bei Kristallen. Man wird alles in allem zugeben müssen, daß auch der dritte und mehr im einzelnen auf den Lockeschen Begriffsapparat eingehende Versuch, den empiristischen Dualismus der Aussagen zu interpretieren, fehlgeschlagen ist. Den Grund dafür darf man wohl darin vermuten, daß es, von den angeführten Stellen bei Locke abgesehen, wenig Anlaß gibt, die Entgegensetzung von Modi und Substanzen dadurch zu fixieren, daß man die jeweils zugehörigen komplexen Ideen oder besser gleich die zu ihrem Aufbau verwendeten einfachen Ideen säuberlich in zwei inhaltlich verschiedene Klassen sortiert. Angemessen erscheint vielmehr, die Kennzeichnung von etwas Existierendem durch „Modi" einerseits und durch Komplexe von „koexistierenden" Qualitäten andererseits durch die Intention zu unterscheiden, die mit der Kennzeichnung verbunden wird. Locke drückt diesen Gedanken so aus: „. . . bei gemischten Modi bildet der Geist Vereinigung komplexer Ideen so, wie e r sie für zweckmäßig b e f i n d e t . " — „Aber bei den Arten körperlicher Substanzen ist es zwar der Geist, der die nominale Essenz macht; da. jedoch von den in ihr zusammengefügten Ideen a n g e n o m m e n wird, daß sie in der Natur vereinigt sind, ob der Geist sie zusammenbringt oder nicht, werden darum jene Arten als unterschiedliche Arten a n g e s e h e n , unabhängig von jeglicher Operation des Geistes . . ."14 Man kann diese Stellen am besten so verstehen, daß im Prinzip jede einfache Idee und jede Kombination solcher als Baustein sowohl für die Idee eines Modus wie audi für die komplexe Idee einer Substanz in Betracht kommt und daß erst durch eine hinzutretende Erklärung darüber, wie die komplexe Idee im ganzen gemeint ist, entschieden wird, ob sie einen Modus oder eine Kombination der in einer Substanz koexistierenden Qualitäten repräsentiert. 13 So fängt ζ. B. seine, wie er meint, gegenüber der Schultradition verbesserte Definition von ,Mensch' mit den Merkmalen ,fest' und .ausgedehnt' an (III. iii. io); und ganz allgemein empfiehlt er, daß man sich bei der Definition natürlicher Arten zunächst einmal an G e s t a l t und Farbe halten solle (III. vi. 29). 14 „ . . . the mind in mixed modes arbitrarily unites into complex ideas such as it finds convenient; . . . " ( I I I . v. 6). — „But in the species of corporeal substances, though it be the mind that makes the nominal essence, yet, since those ideas which are combined in it are supposed to have an union in nature whether the mind joins them or not, therefore those are looked on as distinct species, without any operation of the mind . . ( I I I . v. 1 1 ) .
§ 17 Notwendige und empirische Aussagen
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Dementsprechend würden dann durch Verknüpfungen solcher Ideen entweder Aussagen über Ideenrelationen oder Aussagen über Koexistenz (oder Sukzession) Zustandekommen. Aus der Behandlung der Mathematik in den vorangehenden Paragraphen hatte sich aber bereits ergeben, daß die Willkür der Bildung von Ideen und die bloße Konvention oder Absicht, eine bestimmte Idee in bestimmter Weise zu verstehen, nur die halbe Wahrheit sichtbar macht, die in der Lockeschen Theorie steckt. Und umgekehrt hatte ich anläßlich des Versuches, inhaltlich zwischen „hypothetischen" und „faktischen" Ideen zu unterscheiden, oben schon darauf hingewiesen, daß in ihm unbeschadet seiner Unhaltbarkeit doch etwas Wahres verborgen ist. Die Synthese der beiden halben Wahrheiten zu einer ganzen soll den Gegenstand des nächsten Abschnittes bilden. Zur Vorbereitung darauf wird es nützlich sein, zuvor noch auf einige Züge der Lockeschen Darstellung hinzuweisen, aus denen sichtbar wird, daß in ihr nicht nur die extensionale Aufteilung der Wissensinhalte Schwierigkeiten bereitet, sondern auch die nähere Begründung und Präzisierung dafür, daß man zwei Klassen von Erkenntnissen durch die Intentionen unterscheiden kann, die man bei der Bildung der sie aufbauenden Ideen jeweils verfolgt. Unter diesem zweiten Gesichtspunkt soll jetzt die Gegenüberstellung von Substanzen und Modi noch einmal betrachtet werden. Zum ersten sollen, wie eben schon angemerkt, die Ideen der Modi nach Locke von den komplexen Ideen der Substanzen durch die Willkür ihrer Bildung, durch das bewußte Sich-Freimachen von wahrgenommenen Vorbildern unterschieden sein; dieses Merkmal hebt Locke mit starkem Akzent hervor 15 . In der Folge nimmt er ihm allerdings wieder etliches von seinem Gewicht, indem er fordert, die Willkür durch den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit einzuschränken; Ideen von Modi werden nicht „zufällig" gemacht, sondern immer begründet und „zur Erleichterung der Kommunikation, die der Hauptzweck der Sprache ist" 16 . Und bei dieser Kommunikation handelt es sich natürlich um die Verständigung über die wirkliche Welt, freilich is III. v. 3 ff. Gleidi zu Anfang lesen wir hier: „ . . . these essences of the species of mixed modes are not only made by the mind, but m a d e v e r y a r b i t r a r i l y , m a d e w i t h o u t p a t t e r n s , or r e f e r e n c e t o any r e a l existence". Wenige Zeilen später kündigt sich die sogleich zu besprechende Abschwädiung dieser Position bereits an, wenn es heißt „ . . . in its complex ideas of mixed modes, the mind takes a liberty not to follow the existence of things e x a c t l y . " (Hervorhebung von mir). Von Genauigkeit abgesehen, scheint der Geist also doch der Natur zu folgen. 16 „... these complex ideas or essences of mixed modes . . . are not made at random, and jumbled together without any reason at all." — „... they are always made for the convenience of communication, which is the chief end of language." (III. v. 7).
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
nicht nur um Mitteilungen über sie, sondern audi um gewisse Beurteilungen ihrer (ζ. B. moralischer Art). Umgekehrt werden die Ideen der Substanzen der Natur nachgebildet; da sie diese aber grundsätzlich nicht vollständig und adäquat abbilden können, bleibt man auch hier auf eine Auswahl der Ideen angewiesen und darum auch zu einer Auswahl berechtigt 17 . Der Mensch ist es, der die, obschon natürlich gewachsenen, Arten gegeneinander abgrenzt und dabei seine Zwecke verfolgt; und diese sind nach Locke keine anderen als bei der Bildung der Ideen von Modi audi, nämlich leichtere Kommunikationen mit anderen Menschen 1S . Die Merkmale „willkürliche Bildung" und „Zweckmäßigkeit für Kommunikation" trennen also Substanz- und Modus-Ideen nicht voneinander, sondern sind ihnen gemeinsam. Wie aber steht es mit der Art und Weise, in der die Willkür durch die Forderung nach Zweckmäßigkeit eingeschränkt wird, oder — was auf dasselbe herauskommt — in der jeweils bestimmt wird, was als zweckmäßig gilt. Der Zweck kann ja einmal darin bestehen, die Vielfalt natürlicher Arten möglichst treffend zu porträtieren — und das heißt nicht unbedingt möglichst detailliert, weshalb auch hier Spielraum für Zwecksetzung und Auswahl bleibt — ; zum anderen kann es darum gehen, Dinge, die in dieser Einteilung der Arten weit voneinander getrennt sind, auf gewisse Gemeinsamkeiten hin zu betrachten. Aber diese Gemeinsamkeiten müssen sie im zweiten Fall auch wirklich haben; und insofern gehören sie „von Natur aus" zu einer gemeinsamen Klasse oder Art von Dingen. Wenn man sich einmal darauf einläßt, daß der Mensch audi die Begriffe von natürlichen Arten selbst herstellt, so daß sie „nominale Essenzen" genannt werden dürfen, sieht man sich der nicht ganz einfachen Aufgabe gegenüber, Merkmale anzugeben, die diese empirisch gelenkte Begriffsbildung von einer völlig freien Begriffsbildung unterscheiden, und Bedingungen zu nennen, unter denen es angemessen ist, die eine im Unterschied zur anderen auszuüben. Die mit eben dieser Aufgabe verbundenen Schwierigkeiten scheint Locke nicht recht bewältigt zu haben; und zwar war dies, wie der nächste Abschnitt zeigen soll, bei seinem empiristischen Ansatz kein bloßer Zufall. Die UnVollständigkeit unserer Kenntnis der Substanzen wird immer wieder von Locke ausgeführt; eine typische Stelle ist etwa III. ix. 13; Notwendigkeit und Berechtigung einer Auswahl einfacher Teilideen wird dort und ζ. B. in III. vi. 29—30 dargelegt. Ϊ8 „ . . . these boundaries of species are as men, and not as Nature, makes them . . . " — „ . . . we ourselves divide them (der Bezug ist nicht ganz klar, dürfte aber sinngemäß am ehesten auf ein etwas weiter vorangehendes „things" gehen), by certain obvious appearances, into species, that we may the easier under general names communicate our thoughts about them." (III. vi. 30).
§ 17 Notwendige und empirische Aussagen
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Wie eben gefordert, gibt Locke freilich ein unterscheidendes Merkmal der Begriffsbildung bei den Modi im Zuge der oben zitierten Kapitel des „Essay" tatsächlich an: Die Ideen der Modi sollen unabhängig von, und darum auch zeitlich vor, der Existenz der ihnen entsprechenden Dinge gebildet werden können 19. Sie bestimmen zwar, wie die Ideen von Substanzen, ebenfalls „Arten" von Dingen 20 , aber diese brauchen nicht zu existieren. Diese Bestimmung ist jedoch ungeeignet, die Ideen der Modi vor denen der Substanzen auszuzeichnen: Denn erstens wird nicht ausgeschlossen (und kann nicht ausgeschlossen werden), daß auch die Ideen von Modi nachträglich und einer beobachteten Art existierender Dinge konform gebildet werden; ζ. B. kann dies für ,Räuber' ebensogut geschehen wie für ,Raubtier', die Idee ,Vater' kann natürliche und rechtliche Bedeutung erhalten, und von geometrischen Bestimmungen war oben schon die Rede. Ob nun also in anderen Fällen die Idee eines Modus auch ohne Rücksicht auf Existierendes gebildet werden kann oder nicht, in den Fällen, in denen sie von Existierendem aus entwickelt und dann fixiert wird, muß ein besonderes Merkmal oder eine besondere Intention noch hinzutreten, die uns sagt, es handele sich um einen Modus und nicht um die Koexistenz von Qualitäten in einer Substanz. Dieses Merkmal oder die fragliche Intention kann aber sinnvollerweise nicht darin bestehen, daß eine Existenzannahme im ersten Fall ausdrücklich ausgeschlossen und im zweiten Fall ausdrücklich eingeschlossen wird. Denn eine sinnvolle Naturforschung, von Technik ganz zu schweigen, erfordert, daß auch Ideen von Substanzen oder Ideen der Koexistenz von Qualitäten konzipiert werden, bevor man bei ihnen korrespondierende Dinge beobachtet hat, ja unabhängig davon, ob es sie gibt oder nicht. Man kann an dieser Stelle nicht antworten, daß man aber doch die Substanzideen und ihre Teilideen wenigstens prinzipiell so verstehe, als ob sie existierende Arten kennzeichneten; denn eben dasselbe ist auch von den Ideen der Modi wahr. Mithin ist Lockes Unterscheidungsmerkmal für Ideen der Modi, nämlich die Befreiung von einer Existenzannahme, nicht hinreichend und daher in der geschilderten Gestalt jedenfalls für die Präzisierung des empiristischen Dualismus nicht akzeptabel. Um die gesuchte Abgrenzung zwischen Aussagen über Ideenrelationen und Aussagen über Koexistenzen doch noch auf das Begriffspaar Substanz' — ,Modus' stützen zu können, wird man schließlich noch darauf verweisen wollen, daß Locke die Ideen von Substanzen der scharfen Forderung unterworfen hat, daß die Möglichkeit ihrer Realisation aus vergangener oder 19 III. v. y, III. xi. 18. 20 III. ν. i.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
gegenwärtiger Beobachtung entnommen werden muß 21 , während im Fall der Modi schon die bloße logische Konsistenz genügen soll 22 . Audi SubstanzIdeen können nach Locke frei von jeder Bindung an existierende Dinge in der Phantasie entworfen werden 23 . Aber ob sie etwas möglicherweise Existierendes bedeuten und nicht etwa, wie Locke sich ausdrückt, „in d e r N a t u r inkonsistent" sind, bleibt dabei offen; eben dies ist der Grund für jene scharfe Forderung an die Substanz-Ideen, und erst ihre Erfüllung sichert die „Realität unseres Substanzen betreffenden Wissens"24. Die gleiche Forderung müßte aber dann auch an Modus-Ideen ergehen, wenn anders von den zwischen ihnen bestehenden Relationen „reales" Wissen erworben werden kann, wie dies Locke ja behauptet. Andernfalls würde die „Realität" des Wissens von Ideenrelationen bereits durch logische Konsistenz allein gesichert, was Lockes Meinung, wie im § 15 dargelegt, zweifellos zuwider liefe. Was hier also zur Durchführung der gesuchten Unterscheidung zwischen Substanz-Ideen und Modus-Ideen fehlt, ist eine Theorie von zwei verschiedenen Arten der Möglichkeit oder der Realität von Ideen. Von ihr ist bei Locke nichts zu finden. Das bisher Gesagte drängt auf die Folgerung hin, daß der gesuchte Unterschied zwischen Aussagen über Ideenrelationen und Aussagen über Koexistenzen durch das Begriffspaar „Modus" — „Substanz" bei Locke nicht hinreichend interpretiert oder gar begründet werden kann; dies gilt zunächst, wenn man an eine extensionale Trennung der Vorstellungsinhalte in zwei disjunkte Klassen denkt, aber auch dann, wenn man versucht, die unterschiedliche Intention zur Geltung zu bringen, die man mit der Bildung von Ideen bei den Substanzen einerseits und bei den Modi andererseits verbindet. Tatsächlich wird nun der folgende Abschnitt zeigen, daß der fragliche epistemologische Unterschied zweier Sorten von Aussagen bei Locke gar nicht an die Unterscheidung von Substanzen und Modi gebunden wird. Auf diese Unterscheidung hatte uns indes zunächst einmal auf ganz plausible
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Vgl. Anm. 8. I I . xxii. 2. III. x. 30; I I I . vi. 40—41. Die zitierten Formulierungen und der ganze Gedankengang finden sich in I V . iv. 12. Der Sinn der Kennzeichnung „inconsistent in nature" für Ideen ist aus der Wortprägung nicht ohne weiteres klar. Sie könnte besagen, daß eine Idee in ihrer eigenen Natur inkonsistent ist; dann jedoch wäre ein Unterschied zur auch für die ModusIdeen ausgeschlossenen l o g i s c h e n Inkonsistenz nicht mehr redit vorstellbar. Ferner zeigt der Kontext ganz deutlich, daß Locke hier die Unverträglichkeit mit den für reale Existenz geltenden Naturbedingungen meint, daß mithin die Bestimmung ,in nature' auf den Gegensatz zu ,in thought' verweist.
§ 18 Lockes Theorie des empirischen Wissens
237
Weise der Versuch geführt, die Lockesche Einteilung der Erkenntnisse in vier Klassen für die dualistische Version des Empirismus nutzbar zu machen. Lockes Erklärungen in I V . ix. ι hatten hier den Anlaß geboten, das Wissen über Ideenrelationen im engeren Sinne, also die Erkenntnisse vom Typ (I) und (II), den Erkenntnissen über Existenz und Koexistenz, also den Typen (III) und (IV), gegenüberzustellen. Diese Grundidee liegt seit Hume den meisten Interpretationen der Erkenntnistheorie Lockes zugrunde, vornehmlich wohl deshalb, weil sie es zu gestatten scheint, ihn als einen vernünftigen, nämlich gemäßigten und dualistischen, Empiristen zu verstehen. Demgegenüber ist mir in dieser Studie daran gelegen, alles das herauszustellen, was dagegen spricht, den Dualismus in seiner später üblichen Gestalt schon Locke zuzuschreiben. Ich werde in diesem Sinne nunmehr abschließend zu zeigen versuchen, daß die Gegenüberstellung von Ideenwissen und Existenzwissen — Humes fundamentale Zweiteilung also in „relations of ideas" und „matters of fact" — nicht nur in der einen oder der anderen Interpretation, wie sie eben unternommen worden sind, sondern überhaupt simplifizierend und darum irreführend ist, wenn es darum geht zu verstehen, wie in den an der Basis doch so einheitlichen empiristischen Ansatz Lockes eine Zweiteilung von empirischen und notwendigen Aussagen hineinkommt und welchen Sinn man mit ihr verbinden kann.
§ 18:
Die Erkenntnis von Koexistenz und Existenz: Lockes Theorie des empirischen Wissens
Lockes Erkenntnistheorie ist in Abweichung vom üblichen empiristischen Dualismus durch die Annahmen gekennzeichnet, daß es notwendige Relationen auch der Koexistenz gebe und daß auch von Kontingentem ein gewisses Wissen möglich sei. Die erste Annahme läßt sich in Lockes Konzeption einordnen, wenn man sie als Ausdehnung des mathematikartigen Wissens in das Feld der Naturwissenschaften hinein versteht. D i e zweite bringt in der Auszeichnung des Ich und der ihm jeweils gegenwärtigen Wahrnehmung cartesische Einflüsse zum Ausdruck, die auch für den Dualismus von Wissen und bloß wahrscheinlicher Kenntnis verantwortlich zu machen sind, sodaß eine auf Lockes eigenen Ansatz gestützte Kritik dieses Dualismus audi seinen cartesisch inspirierten Rationalismus triflt.
Betrachtet man Lockes Einteilung der Erkenntnisse in vier Klassen, so konnte die Vermutung aufkommen, daß die letzten beiden, weil mit Koexistenz und Existenz befaßt, — anders als die ersten beiden, die mit Ideenrelationen im engeren Sinne zu tun haben — einer Einordnung in den zuvor entfalteten empiristischen Ansatz keine Schwierigkeiten bereiten würden. Nachdem aber nunmehr klar geworden ist, daß eine Abgrenzung der beiden
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Gruppen von Erkenntnissen problematisch ist, wird man sich wohl darauf gefaßt machen müssen, daß bei Locke auch die Theorie des Wissens von Koexistenz und Existenz keineswegs so einfach ist, wie man vielleicht zunächst vermuten mochte. Sie ist jedenfals kein schlichtes Korrolar des empiristischen Ideensystems; vielmehr macht auch ihre Einführung in den vom zweiten Buch des „Essay" umrissenen Ansatz ernstzunehmende Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten sind es jedoch gerade, die eine etwas ausführlichere Darstellung rechtfertigen; sie deuten zwar einerseits ohne Frage auf eine Schwäche der Lockeschen Erkenntnistheorie hin, sind aber andererseits dazu geeignet, auf Probleme aufmerksam zu machen, die im späteren dualistischen Empirismus meist unerkannt, aber darum doch nicht ohne Auswirkungen geblieben sind. Schon bei Hume ist ζ. B. die Annahme eines vom Tatsachenwissen ganz und gar verschiedenen Wissens von Ideenrelationen tief in seiner Erkenntnistheorie verankert, ohne daß er eine Quelle oder eine Theorie dieses Wissens vorzuweisen hätte. Dessenungeachtet wird eben dieses Wissen zum Maßstab der Beurteilung des Tatsachenwissens, worin der tiefere Grund für die skeptische Lösung u. a. des Induktionsproblems zu suchen ist. Die Humeschen Argumente zur Induktion wiederum — um bei diesem Beispiel zu bleiben — sind bis heute ein bestimmendes Element der Wissenschaftsphilosophie geblieben, so verschieden im einzelnen die Positionen der Autoren auch sein mögen. Dieser Hinweis soll daran erinnern, daß die vorangehenden wie die noch anstehenden Erörterungen unter anderem das Ziel verfolgen, einige grundsätzliche Voraussetzungen der gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Diskussion hervorzuheben und womöglich neu zu beleuchten. Wenn eben angenommen wurde, daß das Studium Lockes deshalb einen Nutzen verspricht, weil bei ihm gewisse Vorentscheidungen der späteren empiristischen Erkenntnistheorie noch nicht fixiert, sondern allenfalls in statu nascendi zu beobachten sind, so muß sogleich einschränkend hinzugefügt werden, daß er in einem fundamentalen Punkt allerdings bereits die Auffassung der meisten seiner empiristischen Nachfolger teilt: Wie schon in § 13 besprochen worden ist, macht er innerhalb des Bereiches, in dem wir im Alltag ohne weiteres von „Wissen" sprechen, einen grundlegenden Unterschied zwischen Wissen im engeren Sinne („knowledge") und bloß mehr oder weniger gut gesicherter Überzeugung („belief"), Meinung („opinion") oder Beurteilung ( „ j u d g e m e n t " ) A n d e r s als manche seiner Nachfolger je1 Die Termini „belief" und „opinion", daneben gelegentlich auch „faith" finden sidi ζ. B. in Introduction § 2 und in IV. xv. 3. Hinzu tritt noch „assent", verstanden als
§ 1 8 Lockes Theorie des empirischen Wissens
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doch 2 beschränkt er das Feld der bloß wahrscheinlichen Kenntnis auf Aussagen, die nicht nur überhaupt instruktiv und faktisch, sondern zugleich auch a l l g e m e i n sind. Eines der wichtigsten Resultate des „Essay" besteht darin, daß wir von physischen Dingen fast keine „wissenschaftliche Erkenntnis" gewinnen, d. h. kaum „allgemeine, instruktive, unbezweifelbare Wahrheiten" über sie erfassen können 3 . Was die Erforschung der äußeren Welt betrifft, treten daher „allgemeines Wissen" und „partikuläre Erfahrung" auseinander4. Es hatte sich nun aber schon gezeigt, daß weder Wissen im engeren Sinne, nämlich eine durch den Begriff „Wahrnehmung" charakterisierbare Weise der Kenntnis, bei Locke auf allgemeine Aussagen beschränkt bleibt (§ 13), noch das Wissen von Allgemeinem in einen Gegensatz zur notwendiderweise immer nur partikulären Erfahrung gebracht werden darf (§§ 14 bis 16). Locke weitet zum einen die Sphäre der Gewißheit über den Bereich universeller Aussagen hinaus aus; zum anderen bleibt auch das gewisse Wissen über Ideenrelationen in seiner Theorie an den Ursprung der Ideen aus der Erfahrung gebunden. Beides deutet darauf hin, daß die Kenn2eichnung bestimmter Kenntnisse als bloß „wahrscheinlich" und ihre scharfe Abgrenzung gegenüber dem eigentlichen „Wissen" in der Folge der bisherigen Betrachtungen ebenfalls als problematisch anzusehen ist. Es ist daher möglich und notwendig, in die Diskussion über das „Wissen" von Koexistenz und Existenz auch das einzubeziehen, was bei Locke unter „Überzeugung", „Meinung" und verwandten Ausdrücken angeführt wird. In diesem Sinne bildet dieser Abschnitt zusammen mit dem folgenden (§ 19) eine thematische Einheit. Im folgenden werde ich der Reihe nach die Punkte besprechen, die Lockes Theorie vom üblichen empiristischen Dualismus unterscheiden. Ihre genauere Diskussion wird u. a. zeigen, warum es im vorigen Abschnitt nicht gelungen ist, Ideenrelationen im engeren Sinne und Relationen der Koexistenz sauber voneinander zu trennen. Gelingt dies aber nicht, so ändert sich die Zustimmung zu einer sprachlich formulierten Proposition (IV. xiv. 3, audi IV. xv. 3). Neben das Vermögen zu wissen, ebenfalls „knowledge" genannt wie das Wissen selbst, tritt das Vermögen, sich ein Urteil zu bilden: „judgement" (IV. xiv. 4). 2 Vgl. Anmerkung 31 zu § 13. 3 „Distinct ideas of the several sorts of bodies that fall under the examination of our senses perhaps we may have: but adequate ideas, I suspect, we have not of any one amongst them. And though the former of these will serve us for common use and discourse, yet whilst we want the latter, we are not capable of scientifical knowledge; nor shall ever be able to discover general, instructive, unquestionable truths concerning them." IV. iii. 26. * IV. iii. 16, S. 206.
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
zugleich auch der Status des Tatsachenwissens; es wird die Klassifikation der Inhalte des Wissens (im weiteren Sinne von „Wissen") nach ihrer Gewißheit neu einzuschätzen sein. Schließlich wird zusammen mit einer veränderten Beurteilung der Allgemeingültigkeit des Wissens auch schon der Begriff von seiner möglichen Allgemeinheit in ein neues Licht rücken. Lockes Theorie weist folgende Eigentümlichkeiten auf, die sie vom später üblich gewordenen Empirismus abrücken: 1. Es gibt in ihr notwendige Relationen nicht nur der Modi, sondern auch gewisser in Substanzen koexistierender Qualitäten. 2. Wissen im engeren Sinne ist nicht auf notwendige Wahrheiten beschränkt, sondern kann auch kontingente Aussagen betreffen. 3. Nicht alle, sondern nur universelle Aussagen über Tatsachen sind aus dem Bereich des Wissens im eigentlichen Sinne ausgeschlossen und damit einem bloß wahrscheinlichen Urteil über antwortet. Diese Punkte sollen nun der Reihe nach besprochen und in ihrer Problematik und Bedeutung für eine empiristische Erkenntnistheorie gewürdigt werden. Für die Punkte (1) und (2) wird das in diesem, für den Punkt (3) im folgenden Abschnitt geschehen. Der Punkt (1) — notwendige Koexistenzen — ist bereits im Hinblick auf Lockes rationalistische Neigungen in die Erörterung des Wissens von notwendigen mathematischen Wahrheiten einbezogen worden (in § gegen Ende). Nunmehr soll die dabei zutage getretene Zusammengehörigkeit von Ideenrelationen und gewissen grundlegenden Relationen der Koexistenz im Bereich wirklich existierender Körper unter den mittlerweile (in § 16) entwickelten Aspekten einer empiristischen Theorie des hypothetischen und allgemeingültigen Wissens noch einmal neu betrachtet werden. Gegen diese Zusammengehörigkeit wird man zunächst einmal einwenden wollen, daß der Punkt (1) gerade eine besonders auffällige und, gemessen an den üblichen empiristischen Erwartungen, besonders anstößige Besonderheit der Lockeschen Theorie zum Ausdruck bringt. Die Relationen von Modi lassen sich ja, wie wenig vollständig und befriedigend die epistemologische Darstellung von ihnen dann auch ausfallen mag, als Relationen auffassen, die Ideen als Ideen zueinander haben; mit anderen Worten: sie lassen sich in Aussagen aussprechen, zu deren Begründung nur die Beziehungen der in sie eingehenden Begriffe zu betrachten sind. Dagegen sind die Relationen der Koexistenz als solche verstanden, bei denen die Ideen in einem zugrundeliegenden Subjekt verbunden sind 5 ; die sie wiedergebenden Aus5 IV. i. 6; vgl. auch Anm. 19 und den zugehörigen Text in § 12.
§ 18 Lockes Theorie des empirischen Wissens
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sagen müßten demnach durch die Erfahrung von wirklich existierenden Dingen begründet werden. Für einen großen Teil der Koexistenzen nimmt Locke eben dies auch an; in einigen wichtigen Fällen jedoch sieht er Beziehungen der Koexistenz —also Ideenverknüpfungen, die S u b s t a n z e n charakterisieren — als notwendig und allgemeingültig an. Zunächst könnte man meinen, daß es sich in diesem Fall dann aber nicht um einen Zusammenhang der Ideen als Ideen handele, sondern um etwas, was Locke folgendermaßen beschreibt: „. . . der Hauptteil unseres Wissens über Substanzen ist nicht wie bei anderen Dingen bloß ein Wissen von der Relation zweier Ideen, die für sich existieren mögen, sondern von der notwendigen Verknüpfung und Koexistenz mehrerer unterschiedlicher Ideen in demselben Subjekt oder von ihrem Widerstreben, so zu koexistieren."6 Er spricht in diesem Zusammenhang audi von „natürlicher Abhängigkeit" und hält eine solche, wenn audi nur in wenigen Fällen und nur bei primären Qualitäten, für entdeckbar. „Die komplexen Ideen, für die unsere Namen der Arten von Substanzen recht verstanden stehen, sind Zusammenstellungen von Qualitäten, von denen beobachtet worden ist, daß sie in einem unbekannten Substrat, von uns Substanz genannt, koexistieren; aber welche anderen Qualitäten notwendigerweise mit derartigen Kombinationen koexistieren, können wir nicht mit Gewißheit wissen, es sei denn, wir können ihre natürliche Abhängigkeit entdecken, womit wir bei ihren primären Qualitäten nur ein sehr kleines Stück weit kommen können; und bei allen ihren sekundären Qualitäten können wir überhaupt keine Verknüpfung entdecken."7 6
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„ . . . the chief part of our knowledge concerning substances is not, as in other things, barely of the relation of two ideas that may exist separately; but is of the necessary connexion and co-existence of several distinct ideas in the same subject, or of their repugnancy so to co-exist." I V . vi. ίο, S. 258. — Was „exist separately" bedeuten soll, ist nicht ohne weiteres klar; ich nehme an, daß gemeint ist: „unabhängig davon, ob etwas Wirkliches der Idee konform existiert", wie das für die Modi nach Lodces Vorstellung der Fall ist. Hier argumentiert er f ü r den Unterschied zwischen dem Fall der Substanzen und dem der Modi. Um audi bei den Substanzen die Notwendigkeit einer Ideenrelation sicherzustellen, muß er sich allerdings doch zu einer H-Klausel bekennen; s. den folgenden Text. „The complex ideas that our names of the species of substances properly stand for, are collections of such qualities as have been observed to co-exist in an unknown substratum, which we call substance; but what other qualities necessarily co-exist with such combinations, we cannot certainly know, unless we can discover their natural dependence; which, in their primary qualities, we can go but a very little
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Teil I V : Der Empirismus der Aussagen
Auf Grund der bisher referierten Bemerkungen Lockes über die Bindung des Substanzwissens an die Kenntnisnahme von Existierendem ist es berechtigt, bei Substanzen für die Teilideen ganz allgemein eine Art der Relation zu erwarten, die sich von den Relationen der Modi unterscheidet. Aber wie aus der Betrachtung der Lockeschen Mathematik-Theorie bereits hervorging, ist bei allem r e a l e n Wissen mit einer klaren Scheidung verschiedener Typen von Ideenrelationen nicht zu rechnen. Das zeigt sich nun besonders deutlich, wenn man den erstaunlichen Umstand näher ins Auge faßt, daß Locke von irgendwelchen a l l g e m e i n e n Aussagen über Substanzen überhaupt ein „Wissen" in seinem strengen Sinne dieses Wortes angenommen hat. Zunächst einmal sind die Relationen der Koexistenz, soweit sie allgemein oder notwendig sind, entgegen einer berechtigten Erwartung epistemologisch nicht anders zu kennzeichnen als die Relationen der Modi. Die eben angeführte „natürliche Abhängigkeit" der Ideen stellt sich bei näherem Zusehen heraus als eine, die sich aus der Natur d e r I d e e n s e l b s t ergibt: „ . . . die einfachen Ideen, aus denen unsere komplexen Ideen von Substanzen aufgebaut sind, sind größtenteils solche, die in i h r e r e i g e n e n N a t u r keine sichtbare notwendige Verknüpfung oder Inkonsistenz mit irgendwelchen anderen einfachen Ideen, . .., bei sich führen." 8 Es wird also umgekehrt von einem kleinen Teil der Ideen, die Substanzen kennzeichnen, unterstellt, daß sie ihrer Natur nach sichtbar und notwendig miteinander verknüpft sind. Diese Fälle, in denen von Koexistenz ein Wissen im engeren Sinne vorliegt, fallen also ebenfalls unter das Modell, demzufolge Wissen ein Wahrnehmen von Relationen ist, die Ideen als Ideen zueinander haben; solches Wissen betrifft mithin „Verknüpfungen der Ideen selbst" oder „Verknüpfungen, die in den Ideen selbst zu entdecken sind", wie sich Locke unverändert auch im Zusammenhang der Betrachtung des Wissens von Substanzen mit ihren Koexistenzen ausdrückt9. Überhaupt nämlich, so muß man sich hier erinnern, liegt Wissen vom Allgemeinen stets way in; and in all their secondary qualities we can discover no connexion at all: . . IV. vi. 7. 8
„ . . . the simple ideas whereof our complex ideas of substances are made up are, for the most part, such as carry with them, in their own nature, no v i s i b l e n e c e s s a r y connexion or inconsistency with any other simple ideas, . . I V . iii. 10. 9 „necessary connexion of the ideas themselves", I V . iii. 14, am Ende; als Folie, gegen die sich der Inhalt des eigentlichen Wissens abhebt, findet sich die „connexion being not discoverable in the ideas themselves", I V . iii. 28.
§ 18 Lockes Theorie des empirischen Wissens
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im menschlichen Geist beschlossen, „besteht (es) bloß in einer Betrachtung unserer eigenen abstrakten Ideen"10. Es sind freilich nur sehr wenige Relationen abstrakter Ideen, die sich im Bereich der Substanzen de facto auch entdecken lassen π , ζ. B. gilt: „Gestalt setzt notwendig Ausdehnung voraus; Aufnehmen oder Weitergeben von Bewegung durch Stoß setzt Festigkeit voraus"12. Ferner schließen sich primäre Ideen derselben Art gegenseitig aus; ein Körper hat nur eine Gestalt, Ausdehnung, Bewegung usw. 13 . Lockes erkenntnistheoretische Stellungnahme zur Naturwissenschaft wird jedoch nicht so sehr durch diese mageren Zugeständnisse an apriorisches Wissen bezeichnet als vielmehr durch das umfassende Konzept einer hypothetisch unterstellten strengen Wissenschaft von den wirklich existierenden Substanzen. Die Chancen, daß eine solche jemals entwickelt werden könnte, hat er zwar äußerst skeptisch beurteilt, jedoch den guten Sinn und die prinzipielle Möglichkeit dieser Wissenschaft nicht bezweifelt. Nach seiner Vorstellung müßte sie Masse, Gestalt, Größe, Bau, Bewegung und andere engverwandte Eigenschaften der kleinsten Materieteilchen betreffen14. Daß wir in den Zusammenhang d i e s e r Eigenschaften eine allgemeine Einsicht gewinnen könnten, setzt Locke offenbar voraus; denn er begründet die Begrenztheit unserer Naturerkenntnis damit, daß wir den Aufbau der Materie im Kleinen nicht wahrnehmen und vor allem die Verknüpfung der von uns beobachteten makroskopischen Qualitäten mit den mikroskopischen nicht vorstellen können 15 . Von einer ähnlichen „ . . . all general knowledge lies only in our own thoughts, and consists barely in the contemplation of our own abstract ideas." IV. vi. 13; vgl. auch IV. vi. 16. 11 Darauf legt Locke beträchtliches Gewicht; siehe ζ. B. die besonders restriktive Äußerung in IV. vi. 15, am Ende. 1 2 „ . . . figure necessarily supposes extension; receiving or communicating motion by impulse, supposes solidity." IV. iii. 14. 13 IV. iii. 15; vgl. auch IV. vi. 10. In klarem Widerspruch 2x1 der eben (Anm. 7) aus IV. vi. 7 zitierten Äußerung wird der gegenseitige Ausschluß von Qualitäten der gleichen Art auch für sekundäre Qualitäten behauptet. Die damit verbundene sachliche Problematik ist in § 14 erörtert worden. Locke trägt ihr insofern Rechnung, als er anerkennt, daß man zur Verteidigung der Behauptung für sekundäre Qualitäten womöglich auf wissenschaftliche Theorien bzw. Hypothesen zurückgreifen muß (IV. iii. 15). Der intuitiven Selbstverständlichkeit des gegenseitigen Ausschlusses sekundärer Qualitäten an Hand der Phänomene war sich Locke offenbar nicht sicher; der Rückgriff auf Theorien, die von den primären Qualitäten handeln, ist aber verfehlt, da Locke gleichzeitig jeglichen notwendigen Zusammenhang zwischen primären und sekundären Qualitäten für uneinsichtig hält (IV. iii. 13). — Argumente dagegen, den wechselseitigen Ausschluß von Farben vom Phänomen her für zwingend zu halten, nennt Feyerabend 1966, S. 377. Bei anderen Sinnesorganen ist die Lockes che These ohnehin unhaltbar, wie etwa die Möglichkeit, Akkorde zu hören, zeigt. 10
ι* IV. iii. 16, 25, 26; IV. vi. 1 0 , 1 4 . 15 Ζ. Β. IV. iii. 11—13; vgl. Anm. 12 zu § 17.
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Beschränkung unserer Vorstellungskraft hinsichtlich der mikroskopischen Qualitäten selber ist keine Rede. Gelänge es uns, bis zu ihnen vorzustoßen, so befänden wir uns vielmehr in der Lage des Uhrmachers, der weiß, warum die Bewegungen der von außen sichtbaren Zeiger in bestimmter Weise verlaufen, oder des Schlossers, der weiß, warum ein Schlüssel von bestimmter Form und Größe ein bestimmtes Schloß öffnet 16 . Die einer Einsicht des Verstandes offenstehenden Eigenschaften sind hier offenbar wieder die primären Qualitäten, also mathematische und grundlegende kinematische und mechanische Begriffe wie Bewegung, Masse und Festigkeit. Es ist begreiflich, daß Locke unter dem Einfluß von Männern wie Boyle und Newton Mechanik und Mathematik in den schon in § 1 5 geschilderten engen Zusammenhang gebracht hat. Daher schreibt er nun konsequenterweise auch jener gedachten Wissenschaft von den notwendigen materiellen Zusammenhängen denselben epistemologischen Charakter zu wie der Mathematik selbst: „Ich habe keinen Zweifel daran: wenn wir nur die Gestalt, Größe, Struktur und Bewegung der kleinsten Bestandteile irgend zweier Körper entdecken könnten, so würden wir ohne einen Versuch etliche ihrer Einwirkungen aufeinander erkennen, wie wir jetzt die Eigenschaften eines Quadrates oder eines Dreiecks erkennen."17 Mehr als schon im Falle der reinen Mathematik muß nun aber die universelle Geltung derartigen Wissens für alles Existierende als problematisch erscheinen. Es ist daher nicht erstaunlich, daß neben den in § 15 bereits dargelegten rationalistischen Zügen, die bei Locke auch die Theorie der Naturerkenntnis charakterisieren, auch anti-rationalistische Tendenzen am Werke sind; Locke greift wiederum zur Η-Klausel: Unmittelbar mit der Charakterisierung als mathematik-ähnlich verbindet er die Charakterisierung der allgemeinen Aussagen über Koexistenz als hypothetischer: „Hätten wir Ideen von Substanzen derart, daß wir wüßten, welche realen Konstitutionen die wahrnehmbaren Qualitäten hervorbringen, die wir in ihnen finden, . . ., würde es, um die Eigenschaften von Gold zu erkennen, ebenso wenig notwendig sein, daß Gold existierte und daß wir damit Experimente machten, als es zur Erkenntnis der Eigenschaften eines Dreiecks notwendig ist, daß ein Dreieck in iris
IV. iii.
17 „I doubt not but if we could discover the figure, size, texture, and motion of the minute constituent parts of any two bodies, we should know without trial several of their operations one upon another; as we do now the properties of a square or a triangle." I V . iii. 25. Vgl. audi I V . vi. xo am Ende.
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gendwelcher Materie existiert; die Idee in unserem Geist würde für das eine so gute Dienste leisten wie für das andere."18 Da es sich hier, wie oben angemerkt, genauso wie in der Mathematik um Relationen abstrakter Ideen handelt, ist das Wissen über sie „wahr von jedem besonderen Ding, in dem jene Essenz, d. h. jene abstrakte Idee, zu finden ist" 19 , aber — so wird man präzisierend ergänzen müssen — auch n u r von einem solchen Ding. Was wir hier vor uns haben, darf man wohl zusammenfassend beschreiben als eine Ausdehnung der Theorie des mathematischen Wissens in das Feld der empirischen Naturwissenschaft hinein. Sie rückt Locke ein gutes Stück von Hume und vom späteren Empirismus ab und stellt ihn stattdessen an die Seite Kants, zu dessen Grundüberzeugungen es ja gehört, daß nicht nur reine Mathematik, sondern auch reine Naturwissenschaft ein unentbehrlicher Kern aller empirischen Wissenschaft ist. Es wäre jedoch falsch zu sagen, daß Locke darum ohne weiteres ein „Apriorist" oder ein „Rationalist" genannt werden könnte. Von Kants Kritizismus ist er weit entfernt; eher schon ist ihm, wie wir sahen, ein unreflektierter Rationalismus zuzuschreiben. Eine Ableitung der mechanischen Grundvorstellungen aller Naturerklärung aus den Bedingungen der Erkenntnis von Objekten überhaupt vorzunehmen, ist ihm noch nicht eingefallen, während er sich vielleicht einem Kritiker gegenüber darauf berufen hätte, es sei immittelbar einsichtig und zugleich allgemein gültig, daß Bewegungsübertragung die Festigkeit der einander stoßenden Körper impliziere 20. Wie es damit auch stehen mag, man wird Aussagen dieser Art sowohl als synthetisch ansehen wie auch bei Locke als Aussagen a priori behandelt finden, so daß man hier den Empirismus 18
„Had we such ideas of substances as to know what real constitutions produce those sensible qualities we find in them, . . . : . . . to know the properties of gold, it would be no more necessary that gold should exist, and that we should make experiments upon it, than it is necessary for the knowing the properties of a triangle, that a triangle should exist in any matter, the idea in our minds would serve for the one as well as the other." I V . vi. n , S. 260.
19 „If the ideas are abstract, whose agreement or disagreement we perceive, our knowledge is universal. For what is known of such general ideas, will be true of every particular thing in whom that essence, i. e. that abstract idea, is to be found." I V . iii. 3 1 . 20 Die unmittelbare Einsichtigkeit von BegriSsverhältnissen ist übrigens etwas, wovon auch Kant noch in einer Weise Gebrauch macht, als seien die Begriffe dem Verstände oder im Verstände fertig vorgegeben; Ausdruck dafür ist seine Vorstellung von der „Analysis der Begriffe" oder ζ. B. audi deren Exemplifikation in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft". In dieser Hinsicht hat Kant den Rationalismus noch längst nicht hinter sich gelassen; wohl aber hat er ihm die Zuständigkeit für die G r u n d l e g u n g der Erkenntnistheorie bestritten.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
verletzt finden wird, wenn man es zu seinem Minimalbestand rechnet, daß er synthetische Aussagen a priori ausschließt. Aber diese Stellungnahme erscheint, wenn nicht als falsch, so doch auf dem Hintergrund der Analyse, die von Lockes Philosophie der Mathematik gegeben wurde, als simplifizierend. Dort hatten sich ja Motive entdecken lassen, die trotz der einheitlichen empirischen Basis für a l l e Ideen eine Differenzierung im Status der mit ihnen gebildeten Aussagen nicht nur zuließen, sondern audi nahelegten. Wenn man sich schematisch an der Frage nach den synthetischen Urteilen a priori orientiert, scheint Locke erst mit seinen rationalen Prinzipien der Physik (von der Ethik sei wieder abgesehen) unwiderruflich vom späteren Empirismus abzuweichen; aber in Wahrheit tut er dies schon bei der Mathematik selbst, indem er eine formale, gar eine analytische Auffassung ihrer nicht akzeptiert. In dem Maße jedoch, in dem gerade in dieser Weigerung die Auswirkungen seiner empiristischen Grundhaltung zutage treten, kann aber jetzt auch eine Ausdehnung des Bereiches der sogenannten notwendigen Wahrheiten als ganz natürlich angesehen werden. Die Geltung „notwendiger" Aussagen für a l l e denkbaren Anwendungsfälle entspringt einer Η-Klausel; diese wiederum läßt sich, wie wir sahen, deuten als eine Übereinkunft, die aber nicht in einem gewissermaßen „echt" konventionalistischen Geiste getroffen wird, sondern lediglich den Entschluß zum Ausdruck bringt, mit (wirklich oder vermeintlich) einfachen und abschließend bekannt gewordenen Erfahrungen über gewisse Dinge die Erklärungen aller anderen Dinge bestreiten zu wollen. Auf eben dieser Linie liegt das jahrhundertelang herrschend gewesene Bedürfnis nach mechanischer Naturerklärung, nach der Reduktion der Physik auf die Mechanik oder gar die Geometrie mit ihren allem Anschein nach so einfachen Grundbegriffen. Kurz gesagt: Die Tatsache, daß Locke nicht nur mathematische, sondern audi naturwissenschaftliche Aussagen als ein für allemal fixierte Ideenrelationen zuläßt, kann auch im Hinblick darauf interpretiert werden, was er als eine vernünftige, in höchstem Maße verständliche und darum zwingende wissenschafdiche Darstellung und Erklärung anzusehen bereit war. Indem ich an dieser Stelle andere Komponenten im Denken Lockes, nämlich seine rationalistischen Neigungen, in den Hintergrund dränge, überspitze ich die Interpretation wiederum bewußt in eine bestimmte Richtung, von der man gewiß nicht sagen kann, Locke habe sich klar für sie entschieden. Aber im Zuge der Erkundung eines „optimalen" Empirismus ist mir auch allein daran gelegen, daß die hervorgehobenen Punkte sich in einen sinnvollen Zusammenhang mit gewissen Grundzügen der Erkenntnistheorie
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Lockes einordnen lassen und daß sie Aufmerksamkeit nicht weniger verdienen als andere Elemente seiner Philosophie, die durch seine Nachfolger, vor allem Hume, allerseits bekannt gemacht und weithin auch mit Erfolg propagiert worden sind. In diesem Sinne scheint es mir möglich und nützlich, die Auswahl und Festlegung der Liste der „originalen" oder „primären"·21 Ideen nebst den sie verknüpfenden Aussagen zu beachten und sich dabei die früher genannten Merkmale vor Augen zu halten: (a) unmittelbare Zugänglichkeit aus der Erfahrung, daher Verständlichkeit, (b) Übersichtlichkeit der Relationen, daher Gewißheit, (c) allgemeine Verbreitung der mit den herausgegriffenen Ideen zu kennzeichnenden Dinge, daher wissenschaftliche Relevanz. Diese Merkmale bestimmen ein Programm oder Ideal wissenschaftlicher Erklärung und motivieren von daher (und nicht nur von ihrer erfolgreichen Verwendung aus) die Ubereinkunft, an diesen bestimmten Begriffen und diesen bestimmten mit ihnen verbundenen Aussagen festzuhalten. Natürlich ist klar und war auch Locke offenbar klar, daß die Auswahlkriterien (a), (b) und (c) für nicht-mathematische Begriffe und Aussagen nicht in dem gleichen Maße erfüllbar sind wie für mathematische. Andererseits aber scheinen es doch jedenfalls diese Kriterien zu sein, die die kinematischen und dann auch die mechanischen Grundbegriffe an die Seite der mathematischen rücken ließen und das bekannte Ideal der Erklärung vermöge unmittelbarer Einwirkung bei Druck und Zug genährt haben — ein Ideal, das freilich schon damals mit Newtons Gravitationstheorie auf der Strecke blieb. Wie es damit im einzelnen auch gegangen sein mag, es bleibt die Vorstellung übrig, daß in den empirischen Wissenschaften das Bedürfnis nach verständlichen Erklärungen dazu einlädt, einen bestimmten Bereich von (vermeintlich oder wirklich) gesicherten und vertrauten Erfahrungen zur Norm bei der Behandlung neuer Erfahrungen zu machen. Ich wende mich nun dem zweiten der eingangs genannten Punkte zu, in denen sich Lockes Theorie des Wissens von dem üblichen empiristischen Dualismus der Erkenntnistheorie unterscheidet, und komme damit zum Wissen von Existenz. Nach Locke ist dieses von dreierlei Art: es kann die eigene Existenz des jeweils Wissenden, die Existenz Gottes oder die Existenz äußerer Gegenstände betreffen. In der Absicht, mich auf die Erkenntnistheorie im engeren Sinne zu beschränken, und um gewisse Sonderprobleme zu ver21
Das „oder" ist hier nicht als „sive" zu verstehen; die Listen der primären und der originalen Ideen sind untereinander etwas verschieden. Die Unterschiede (wie übrigens auch die zwischen verschiedenen Versionen der Liste der primären Ideen untereinander) zu diskutieren, wäre jedoch nur im Rahmen einer Spezialuntersuchung über die primären und sekundären Qualitäten sinnvoll möglich, zu der hier keine Gelegenheit besteht.
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meiden, werde ich die Frage nach der Existenz Gottes beiseitelassen. Für die dann verbleibenden Gegenstände ist hinsichtlich der Erkennbarkeit ihrer Existenz nach Lockes Meinung eine dreifache Abstufung nach der Gewißheit der Erkenntnis charakteristisch: Von der Existenz des eigenen Selbst wissen wir mit höchster Gewißheit durch „Intuition", von der Existenz gegenwärtig wahrgenommener Gegenstände mit einer Gewißheit geringeren Grades durch sinnliche Wahrnehmung; von der Existenz aller anderen Dinge haben wir dagegen nur eine auf indirekten Verfahren unserer Urteilskraft beruhende „Meinung". Die These, die ich im folgenden zu begründen versuche, ist diese, daß Lockes Abstufung nach dem Gewißheitsgrad nicht berechtigt und auf der Grundlage seines empiristischen Ansatzes nicht verbürgt ist. Was zunächst die bereits in § 1 3 ausführlicher besprochene Abstufung zwischen der „intuitiven" und der „sensitiven" Gewißheit betrifft, so war diese bereits angesichts der engen Nachbarschaft der Intuition zu, ja ihrer Abhängigkeit von, der Gesichtswahrnehmung fragwürdig geworden. Und die nachfolgenden Abschnitte 1 4 — 1 6 hatten u. a. die Aufgabe zu zeigen, daß in Lockes Empirismus keine Grundlage für eine gesonderte Einsicht in Begriffsverhältnisse und damit für eine höhere Art von Gewißheit als die bestimmter einfacher Erfahrungen vorhanden ist. Dieses allgemeine Ergebnis braucht nunmehr nur auf Existenzaussagen angewendet zu werden. Locke vertritt, wie wir sahen, durchaus die Auffassung, daß auch die Kenntnis unseres eigenen Inneren von der Art einer Erfahrung oder Wahrnehmung ist; aber unter dem Einfluß Descartes' meint er, eine irgendwie direktere, gar aus dem Kosmos der Ideen herausführende Beziehung des Geistes zu sich selbst annehmen zu sollen. Diese seltsame und wenig systemgerechte Ausnahme hatte ich im Hinblick auf die (von der Existenz Gottes einmal abgesehen) ganz ebenso isoliert dastehende Ausnahme unter den Aussagen restriktiv interpretiert und angenommen, sie beziehe sich nur auf eben die Behauptung von der E x i s t e n z des behauptenden Verstandes selbst 22 . In dieser Isolation jedoch ist sie, auch von dem Verstoß gegen den Systemzwang des „way of ideas" einmal abgesehen, der Sache nach nicht haltbar. Jede Existenzaussage hat nur Sinn, wenn sie die Existenz von etwas behauptet, das inhaltlich irgendwie gekennzeichnet und von anderen Dingen unterschieden ist. Mit Locke zu sprechen: mit der Idee ,Existenz' kann sinnvoll nur eine für sich schon bedeutungsvolle andere Idee verbunden werden. Soll dies nun die Idee ,ich' sein, so muß diese offenbar im Zusammenhang gewisser Erfahrungssituationen vermittelt werden, oder im Rückgriff auf 22
Vgl. § 6 dieser Arbeit, insbesondere Anm. 4, sowie uie Anmerkungen 14 und 1 5 mit zugehörigem Text.
§ 1 8 Lockes Theorie des empirischen Wissens
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solche, falls sie eine komplexe Idee sein sollte. Man muß hier also auf die innere Wahrnehmung Lockes, die Reflexion, zurückkommen; und schon das schließt es aus, einer Aussage, die mit einer so gewonnenen Idee gebildet wird, einen grundsätzlich anderen Status zuzuerkennen als anderen elementaren und mit einfachen Ideen gebildeten Aussagen. Überdies ist schwer vorzustellen, inwiefern die Idee ,ich' irgendwie bekannter und klarer sein sollte als die Ideen anderer Dinge, von denen sich abhebend jemand überhaupt erst versteht, was er mit ,ich' meint, oder inwiefern die Aussage ,ich existiere', die erst entspringt, wenn die Idee ,ich' aus dem vieles andere enthaltenden Erfahrungskontext heraus gebildet worden ist, gewisser sein sollte als viele andere, demselben Erfahrungskontext entnommene Aussagen und speziell Existenzaussagen. So haben denn auch nicht zufällig Lockes cartesianische Neigungen in dieser Sache die Kritik Humes herausgefordert. Dieser unterläuft im Verfolg seines empiristischen Programms die Überlegungen Descartes' zum „cogito, sum" von vornherein dadurch, daß er die Idee des Selbst in die Vielfalt seiner sukzessiven Bewußtseinsinhalte zerlegt. Auf diese Weise entzieht er dem künstlichen Gedankenexperiment Descartes' den Boden, welches erfordert hatte, daß der Erfahrende sich in seinem Bewußtsein von sich auf ein „denkendes Ding" reduzierte. Aber eben dieser Zerlegung des Ichs wegen ist Humes Verfahren nicht weniger unnatürlich als das Descartes'; denn es nötigt dazu, aus der Mannigfaltigkeit von Ideen das Ich wieder zu rekonstruieren, was Hume, wie er selbst eingesteht, in dem Maße mißlungen ist, daß er dieses Stück seiner Philosophie sogar als inkonsistent beurteilt hat. Und wie er selbst erkennt, hängt diese Inkonsistenz an seinem psychologischen Atomismus der Ideen 23 . Wie schon in dem einfacheren Fall der Idee ,Kraft' sehen wir Hume wieder daran scheitern, daß er die Vorstellung von der Erfahrungsbasis in seiner Lehre von den „Impressionen" zu eng gefaßt hat. Zwar hat er im Sinne der oben angedeuteten Überlegungen recht damit, das Ich aus der Sonderstellung herauszuholen, die ihm Descartes gegeben hatte; sein Irrtum bestand jedoch darin, die Einfachheit der Idee ,ich' zu leugnen — Einfachheit nämlich im Sinne der Erkenntnistheorie Lockes, die er doch fortführen wollte. Lockes Auffassung der empirischen Basis dagegen ist weit genug gefaßt, um bona fide Ideen zuzulassen, die in einer zum Sensualismus oder zum psychologischen Atomismus tendierenden Fortbildung seiner Philosophie zu Unrecht eliminiert wurden. Er hat damit in seiner Theorie einen Platz ge23 Hume 1739, Appendix, S. 633 ff.
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wissermaßen in der Mitte zwischen Descartes und Hume vorbereitet und nur versäumt, ihn selbst einzunehmen. Daß seine Anlehnung an Descartes in Sachen „ego sum" nicht recht zu seinem Empirismus passen will, hat sich in einer singulären Formulierung niedergeschlagen, die auf eine überraschende Weise Intuition und Erfahrung verknüpft: „Die Erfahrung also überzeugt uns davon, daß wir ein i n t u i t i v e s Wissen von unserer eigenen Existenz besitzen und eine innere unfehlbare Wahrnehmung dessen, daß wir sind."24 Die Intuition von der Existenz des eigenen Ich ist also keine Einsicht in eine Relation, die die Ideen ,ich' und ,Existenz' als diese Ideen zueinander haben; vielmehr scheint der Terminus hier nur so viel zu besagen, daß es sich um ein unmittelbares und zugleich unabweisbares Gewahrwerden von etwas handelt. Wenn man sich aber auf diese Merkmale des intuitiven Erkennens zurückzieht, so bleibt kein Unterschied zum Erkennen durch Sinneswahrnehmung mehr übrig; Wahrnehmung ist in diesem Sinne immer „intuitiv", sei sie nun äußere oder innere, womit Lockes Gleichstellung beider im Nebeneinander von „(external) senses" und „internal sense" in vollem Einklang steht. Damit ist gezeigt, daß beim Wissen von Existenz jedenfalls die obere der beiden Abstufungen im Grad der Gewißheit zu Unrecht behauptet wurde: in einer empiristischen Erkenntnistheorie läßt sich die Existenz unserer selbst nicht vor der unserer Umwelt auszeichnen. Aus dem bis hierher Gesagten ergibt sich eine Konsequenz, die auf neue Weise beleuchtet, inwiefern der erkenntnistheoretische Dualismus bei Locke fragwürdig ist. Wir hatten, wie es üblich ist, diesen Dualismus so verstanden, daß er eine Trennung der notwendigen Ideenrelationen von den Aussagen über nur faktisch bestehende kontingente Verhältnisse zum Inhalt hat und beiden jeweils eine verschiedene Erkenntnisweise und eine verschiedene Art der Begründung zuweist. Im Zusammenhang damit ergibt sich dann auch, daß der Grad der Gewißheit (sei sie nun subjektiv als Überzeugtheit oder objektiv als Zuverlässigkeit verstanden) in beiden Fällen als verschieden anzusehen ist, oder besser: daß im ersten Falle Gewißheit vorliege, im zweiten Fall jedoch keine oder jedenfalls „nur" eine für die Lebenspraxis hinreichende. Indem Locke nun die Intuition, die zunächst und im übrigen als Einsicht in einfachste Ideenrelationen auftritt, auf die Existenz der eigenen Person ausweitet und indem er das Wissen im engeren Sinne des Wortes auf die Existenz aller jeweils in der Wahrnehmung gegenwärtigen Dinge erstreckt, nimmt er an, daß Wissen im strengeren Sinne, ja höchste („intui24 „Experience then convinces us, that we have an i n t u i t i v e k n o w l e d g e our own existence, and an internal infallible perception that we are." I V . ix. 3.
of
§ 1 8 Lockes Theorie des empirischen Wissens
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tive") Gewißheit nicht nur von Notwendigem, sondern auch von Kontingenten! möglich ist. Die (wenn audi bereits kritisierte) Plausibilität des herkömmlichen Dualismus beruht indes weitgehend darauf, daß man notwendigen und kontingenten Aussagen eine jeweils andere Art der Begründung zuschreiben kann und daher auch eine andere Art des Wissens einschließlich eines unterschiedlichen Grades von Zuverlässigkeit. Locke begibt sich dieser Grundlage für den Dualismus insoweit, als er die Unterscheidung der Erkenntnisse nach ihrem Gewißheitscharakter nicht mit der Unterscheidung nach der Modalität der gewußten Inhalte koinzidieren läßt. Sein erkenntnistheoretisches System ist komplizierter und differenzierter als der übliche Dualismus; es gestattet, mehr Unterschiede zwischen verschiedenen Arten des Wissens zu machen als dieser, hat aber dafür die Tendenz, sie vergleichsweise in ihrer Bedeutung zu reduzieren. Um dies in einem weiteren Punkte zu zeigen, werde nun die untere Abstufung auf der Gewißheitsskala des Wissens von Existenz betrachtet, nämlich die zwischen dem Wissen von gegenwärtig Wahrgenommenem und der bloßen Überzeugung oder Meinung, die wir bezüglich aller übrigen Fakten allein haben können. Ich werde die allgemeine Unterscheidung Lockes zwischen Wissen und wahrscheinlicher Kenntnis der Kürze halber im folgenden den „W-Dualismus" nennen. Er betrifft nicht nur Existenzaussagen, sondern bringt jenes oben schon herausgestellte wichtige Ergebnis der Erkenntnistheorie Lockes zum Ausdruck, daß wir gerade in dem umfassendsten und praktisch wichtigsten Teilbereich unserer Erkenntnistätigkeit, bei der Kenntnisnahme der wirklich existierenden Welt, im großen ganzen auf ein Wissen im vollen und eigentlichen Sinne dieses Wortes verzichten müssen. Eine Kritik an der zweiten Abstufung auf der Gewißheitsskala scheint also ziemlich grundsätzlicher Natur zu sein. Aus der Art, wie sie sogleich vorgebracht werden soll, wird jedoch hervorgehen, daß sie bei Locke letztlich doch nicht mehr betrifft als eine auffällige Schlußfolgerung aus seiner Theorie, nicht dagegen deren Prinzipien. So wie die empirische Basis in der vorliegenden Studie interpretiert worden ist, drängt sich unmittelbar die Frage auf, warum die einfachen Tatsachen, die zufällig nicht gerade hier und jetzt von einem irgendwie herausgegriffenen Erkennenden (direkt oder in der Erinnerung) wahrgenommen werden, dem jeweils gegenwärtig Wahrgenommenen erkenntnistheoretisch nicht gleichwertig sein sollen. Sind sie doch ihrer „inneren" Struktur nach von der gleichen Art; und zu einem Teil werden sie für einen anderen Beobachter aus einer ihm gegenwärtigen Wahrnehmung hervorgehen. Der historische Grund für die unterschiedliche Behandlung liegt natürlich in dem Einfluß,
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den Descartes auf das Denken Lockes ausgeübt hat. Nicht nur in der Frage der Existenz des Ich, sondern audi in der Beurteilung seiner erkenntnistheoretischen Rolle ist Locke Descartes ein gutes Stück gefolgt, womit er seither ja nicht allein geblieben ist. Der sachliche Grund, der hinter dieser cartesischen Linie neuzeitlicher Erkenntnistheorie steht, läßt sich vielleicht kurz so andeuten: Erkenntnis ist immer nur Erkenntnis, insofern sie von irgendwelchen einzelnen Menschen als solche anerkannt wird; und der Erkennende kann diese Anerkennung, wie es das Prinzip der Aufklärung verlangt, nicht an andere delegieren, sondern muß sie selbst vollziehen und selbst verantworten. Von daher ist also motiviert, daß audi der Erkenntnistheoretiker das menschliche Wissen von einem paradigmatisch herausgegriffenen Subjekt aus konstruiert. Sofern nun aber die hieraus entspringende erkenntnistheoretische Auszeichnung gegenwärtiger Wahrnehmung zur Grundlage einer Klassifizierung von Wissensinhalten nach ihrem unterschiedlichen epistemologischen Charakter gemacht wird, ist dies ein Zeichen dafür, daß die intersubjektive Basis einer bereits sprachlich gedeuteten Wahrnehmung verlassen oder vielmehr in ihrer Rolle noch nicht zureichend erkannt worden ist. Wie wir sahen, ist eben dies auch bei Locke der Fall, ohne daß es darum angesichts seines gesamten „Essay" unberechtigt erscheinen müßte, die sprachliche Verfassung der Erkenntnisbasis hervorzukehren; Locke hält sich ja de facto weitgehend an das sprachlich Faßbare, wenn er den konkreten Aufbau des Systems unserer Erkenntnisse durchführt. Sehen wir diese Seite seines Vorgehens, wie in der vorliegenden Interpretation geschehen, als die G r u n d l a g e seiner Theorie an, dann — aber zunächst audi nur mit dieser Qualifikation — ist die oben geäußerte Behauptung wahr, daß die nunmehr folgende Kritik an Lockes Abgrenzung von Wissen und Wahrscheinlichkeit nicht die Prinzipien, sondern nur ein wichtiges Ergebnis seiner Erkenntnistheorie berühre. Als Begründung für diese These kommt allerdings zusätzlich noch die folgende Überlegung in Betracht: In dem Maße, in dem sich Lockes W-Dualismus im Rahmen seiner gesamten Erkenntnistheorie als ein störender Fremdkörper erweisen läßt, werden die Annahmen fragwürdig, aus denen er hervorging, also in diesem Fall die cartesischen Elemente in Lockes Theorie des menschlichen Wissens; sie müssen es sich gefallen lassen, an dem gemessen zu werden, was den spezifischen Kern von Lockes neuartigem Ansatz ausmacht. Zunächt einmal scheint Locke ganz konsequent vorzugehen: Er hatte Wissen als eine Art „Wahrnehmung" bestimmt. Daraus ergibt sich, daß unmittelbare Wahrnehmung, wenn sie strukturiert ist, also Wahrnehmung von Ideen in ihrem Verhältnis zueinander enthält, Wissen zustandebringen soll-
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te, wenn denn überhaupt irgend etwas Quelle von Wissen ist. Nicht von einem fraglichen Erkennenden Wahrgenommenes muß jedoch, auch wenn es unter geeignet zu denkenden, aber ex hypothesi nicht vorliegenden Umständen ebenfalls wahrgenommen werden könnte, indirekt erschlossen werden. Als einziges Hilfsmittel hierbei kommt nun aber die Kenntnis a l l g e m e i n e r faktischer Relationen in Betracht. Diese selbst sind weder Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmungen noch aus solchen beweisbar. Von ihnen ist demnach weder ein intuitives Wissen (in einem weiteren, das sensitive Wissen einschließenden Sinne dieses Wortes) noch ein demonstratives Wissen möglich. Und genau deshalb, weil das a l l g e m e i n e Wissen über Faktisches auf diese Weise aus dem Bereich des Wissens im engeren Sinne ausgeschlossen bleibt, muß das gleiche auch für die jeweils nicht von einem bestimmten Erkennenden wahrgenommen s i n g u l ä r e n Aussagen über Existierendes gelten. Die Diskussion über die Gewißheitsgrade des Existenzwissens führt also hier bereits in die Erörterung des letzten, oben unter (3) genannten Punktes hinein, d. h. zu der Frage, wie es zu beurteilen ist, daß Locke a l l e a l l g e m e i n e n Aussagen über wirklich existierende Dinge aus dem Bereich des eigentlichen Wissens ausschließt und damit, wie er sich ausdrückt, ins „Zwielicht der Wahrscheinlichkeit"25 geraten läßt. Der Diskussion dieser Frage ist der nächste Abschnitt gewidmet.
§ 19:
Der Dualismus von Wissen und wahrscheinlicher Kenntnis: empirische Allgemeinheit und das Induktionsproblem
Die Interpretation der Mathematikauffassung sowie des Dualismus von zweierlei Aussagen bei Locke läßt nur noch eine kritische Beurteilung seiner Unterscheidung von Wissen und bloß wahrscheinlicher Kenntnis zu. Weitere Argumente ergeben sich aus dem Prinzip dieser Interpretation, daß nämlich schon die Erfahrungsbasis als sprachlich artikuliert anzusetzen sei. Die Mängel, die der Durchführung des empiristischen Ansatzes bei Locke anhaften, gehen auf eine unvollkommene Einsicht in dieses von ihm de facto weitgehend befolgte Prinzip zurück; sie finden in seiner Theorie der Universalien ihren deutlichsten Ausdruck. In Anlehnung an die empiristisch modifizierte konventionalistische Theorie der Mathematik läßt sich zwar ein relativer Unterschied von Wissen und wahrscheinlicher Kenntnis festhalten; jedoch erweist sich das Problem der Induktion und der Erkenntnis empirischer Allgemeinheit in seiner prinzipiellen, von Hume angegebenen Fassung als ein Pseudoproblem.
Im vorangehenden Abschnitt war als dritte Eigentümlichkeit, durch die Lockes Theorie des empirischen Wissens charakterisiert ist, seine These genannt worden, daß von Aussagen über Tatsachen, soweit sie ihrer Form 25 „ . . . in the greatest part of our concernments, he (sc. God) has afforded us only the twilight, as I may say so, of probability; . . I V . xiv. 2.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
nach allgemein sind, kein Wissen im eigentlichen Sinne, sondern bloß eine wahrscheinliche Beurteilung möglich sei. Die grundsätzliche Trennnung von Gewißheit einerseits und bloßer Wahrscheinlichkeit andererseits, kurz der „W-Dualismus" genannt, soll nun in diesem Abschnitt des näheren betrachtet und damit die Diskussion des Empirismus der Aussagen abgeschlossen werden. Nach den Überlegungen der letzten Abschnitte dürfte wohl von vornherein klar sein, daß nur noch eine kritische Beurteilung von Lockes Auffassung des W-Dualismus offen ist. Dies hatte sich bereits bei der Behandlung der notwendigen Ideenrelationen angekündigt, insofern sich dabei der von Locke unterstellte Gegensatz von „allgemeinem Wissen" und „partikulärer Erfahrung" als unberechtigt erwies. Zwar kann die strenge Allgemeinheit von Aussagen immer dadurch erreicht werden, daß man sie einer H-Klausel unterwirft; aber dieses Verfahren ist nicht ohne jeweilig gute Gründe sinnvoll und der Hinweis auf es ohne Angabe dieser Gründe keine ausreichende epistemologische Kennzeichnung. Die Gründe jedoch verlangen allemal, daß man auf bloß „partikuläre" Erfahrungen Bezug nimmt. Ferner hatte sich gezeigt, daß Locke auch Relationen von Kennzeichnungen existierender Dinge durch Angleichung an den Fall des hypothetischen Wissens dieselbe Allgemeinheit verleihen will. Dies beschwört aber offenbar — von dem vorigen Argument abgesehen — das Problem herauf, wie dann noch die Grenze zwischen faktischen und darum nur wahrscheinlichen Relationen einerseits und im strengen Sinne wißbaren Relationen andererseits gezogen werden solle. Dieses Problem ergibt sich sogar ganz allgemein für das Wissen von Ideenrelationen, wenn die in die Relationen eingehenden Ideen von einer empirischen Basis aus eingeführt werden und für Existierendes relevant sein sollen. Diese Überlegungen wiesen bereits alle in die Richtung, daß weder die unterschiedliche Beurteilung von singulären und universellen Aussagen noch die Unterscheidung zwischen faktischen und hypothetischen Ideenrelationen haltbar ist. Der W-Dualismus setzt jedoch beides voraus: als bloß wahrscheinlich sollen diejenigen Aussagen erwiesen werden, die faktische und zugleich allgemeine Ideenrelationen zum Inhalt haben. Zu diesen Bedenken aus der systematischen Anlage der Lockeschen Erkenntnistheorie kommen nunmehr diejenigen hinzu, die sich gegen die Auszeichnung der gegenwärtigen Wahrnehmung im Vergleich zu dem sonstigen (allgemeinen oder partikulären) Faktenwissen richten lassen. Unter ihnen lassen sich zunächst die üblichen Verdächtigungen des naiven Vertrauens in die schlichte Wahrnehmung anführen. Sie gehören zum bekannten Arsenal des Skeptikers und brauchen deshalb an dieser Stelle nicht eigens ausgearbei-
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tet zu werden; man mag an die Variationen des Aussehens von Dingen, an Sinnestäuschungen und ähnliches denken. Alle derartigen Phänomene weisen darauf hin, daß die jeweils gegenwärtige Sinneswahrnehmung ohne die verarbeitende und korrigierende Tätigkeit des Verstandes nicht unbedingt Vertrauen verdient und für sich genommen von begrenztem Erkenntniswert ist. Schon hieraus ergibt sich die folgende gegen Lockes Darstellung des Faktenwissens sprechende Sachlage: auch wenn es wahr ist, daß man von nichts ohne Hilfe der Sinneswahrnehmung wissen kann, so ist man doch jederzeit bestimmter Dinge in höherem Maße gewiß als etlicher von denen, die man gerade jetzt sieht; und unter jenen werden immer auch allgemeine Aussagen über die wirkliche Welt sein, die man zur Korrektur der Wahrnehmungen einsetzen kann. Ein Argument dieser Art liegt bei Locke nicht allzu fern; denn auch er scheint ja vom üblichen Skeptizismus nicht unbeeinflußt zu sein, wenn er der Sinneswahrnehmung nur einen minderen Grad von Gewißheit zuschreiben mag, obschon er sie andererseits zur Quelle allen Wissens erklärt. Das Argument geht aber bei weitem nicht tief genug. Ein bestimmtes allgemeines Wissen ist nicht nur erforderlich, um einer einzelnen Wahrnehmung Zuverlässigkeit zu verleihen, sondern schon, um auch nur die Möglichkeit zu eröffnen, daß sie W i s s e n vermitteln kann, d.h. um ihr den Sinn zu verschaffen, der sie allererst zur Grundlage menschlicher Erkenntnis werden lassen kann. Man kann gewiß davon sprechen, daß auch Tiere und unmündige Kinder etwas wahrnehmen, auch davon, daß sie es als das und das erkennen und in diesem Sinne dann vom Wahrgenommenen „wissen". Aber ein solches Wissen ist nur in begrenztem Maße — etwa dadurch, daß das zur jeweiligen Wahrnehmung passende Verhalten ausgeübt oder auch vorgeführt wird — nutzbar oder auch kommunizierbar. Es läßt sich nicht von den gedachten Situationen ablösen, nicht in ein System einordnen und zu weiter reichenden Schlüssen verwenden. Ihm fehlt hierzu die sprachliche oder symbolische Artikulation. Und diese gestattet auch erst davon zu sprechen, daß statt passendem oder verfehltem Verhalten Irrtum oder Wissen — nunmehr in einem engeren Sinne dieses Wortes — vorliege. So denkt auch Locke, wenn er als Wissen die Wahrnehmimg der Wahrheit einer A u s s a g e bestimmt und als Aussage eine Verknüpfung von Z e i c h e n (Wörter oder Ideen). Kurz: die Wahrnehmung muß, um als Grundlage eines Wissens tauglich zu sein, sprachlich gefaßt werden können. Die sprachliche Fixierung macht aber notwendig von Allgemeinem Gebrauch, nämlich von der Bedeutung gewisser Ausdrücke, die im Prinzip auf beliebig viele weitere Fälle anwendbar sind. Mithin wird die einzelne Erfahrung, soll sie erkenntnistheoretisch relevant sein, schon aus diesem
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Grunde mit einer nicht absehbaren Menge anderer Erfahrungen verbunden. Wenn sie nämlich sprachlich gefaßt werden soll, muß sie interpretiert und unter geeignete, auf sie zutreffende Kennzeichnungen richtig subsumiert werden. Was aber eine zutreffende Kennzeichnung oder eine korrekte Subsumption ist, wird durch die allgemeine Bedeutung der verwendeten Zeichen festgelegt. Diese wiederum kann nur dem bekannt sein, der auch gewisse allgemeine Kenntnisse über die Wirklichkeit besitzt, und nur mit eben derselben Sicherheit, mit der er audi über diese A u s s a g e n machen könnte. Bei dieser Sachlage wird offenbar das einer einzelnen Wahrnehmung entspringende oder auf eine einzelne Wahrnehmung bezogene Wissen prinzipiell nicht zuverlässiger sein als das (möglicherweise implizite, aber grundsätzlich in Gestalt von Aussagen bis zu einem gewissen Maße explizierbare) allgemeine Wissen. Kurz gesagt, die sprachliche Verfassung des Wissens macht es unmöglich, Aussagen über singuläre Sachverhalte und Aussagen über allgemeine faktische Verhältnisse hinsichtlich ihrer Gewißheit prinzipiell verschieden einzustufen1. Implizit hat sich Locke nach der eben geschilderten Sachlage gerichtet, indem er darauf verzichtete, den Aufbau der menschlichen Erkenntnis von schlechthin partikulären Wahrnehmungsdaten aus zu konstruieren, und indem er versuchte, der Sprache das gebührende Gewicht in seiner Betrachtung zu verschaffen, und zwar gerade im Hinblick auf die Rolle a l l g e m e i n e r Ideen 2 . Wenn auch nicht eine klare Erkenntnis, so doch das de facto eingeschlagene Vorgehen trennt ihn von den Autoren, die das menschliche Wissen auf die sogenannten Sinnesdaten gründen wollen, obwohl diese nicht namhaft gemacht werden können. Wie bereits in § 5 dargelegt, setzen schon die Eigennamen, mit denen Locke im Buch I I I seine Sprachtheorie beginnt, die Integration einer ganzen Reihe von psychischen Ereignissen voraus. Aber natürlich sind sie nicht genug, um auch nur eine Wahrnehmung in eine Aussage zu fassen; allgemeine Ideen im eigentlichen und üblichen Sinne dieses Wortes müssen hinzutreten, also die Bedeutungen von (ein- oder mehrstelligen) Prädikaten. Locke führt selbst aus, daß dies sowohl um der Kommuni1 Wenn hier eine „prinzipiell" verschiedene Einstufung allgemeiner und singulärer Aussagen abgelehnt wird, so ist gemeint, daß jeweils vorläufig für eine bestimmte Klasse von singulären Aussagen akzeptiert sein kann, daß sie gewisser sind als betimmte allgemeine Aussagen, die mit ihrer Hilfe geprüft werden sollen; dazu weiteres im Text. — Der Gedanke, der hier zur Kritik der speziellen Form des W Dualismus bei Locke herangezogen wird, ist übrigens in ähnlicher Form schon von Popper (1934) zur Kritik einer bestimmten damals verbreiteten Form des Empirismus verwendet worden. 2 I I I . ix. 2 1 .
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kation willen wie auch um des Erkenntniszweckes willen 3 unerläßlich sei. Eben deshalb genügt es nicht, in die Erfahrungsbasis allein die Ideen von partikulären Dingen aufzunehmen; zu Recht erkannte Locke gewisse a l l g e m e i n e Ideen als „einfach" und in diesem Sinne als Basis für alle anderen Ideen und für jegliche Erkenntnis an. Zumindest in diesem Falle also erweist sich das Allgemeine als „gegeben", hat also denselben Charakter wie die jeweilige besondere Wahrnehmung. Im Hinblick darauf ist schon in § 14 argumentiert worden, daß man der Relationen einfacher Ideen nur in dem Maße gewiß sein kann, in dem man der aus einer Reihe von Erfahrungssituationen entspringenden Bedeutungen der Ideen gewiß ist. Jetzt wird ergänzend hinzugefügt, daß man der sprachlichen Kennzeichnung einer einzelnen Erfahrungssituation nicht gewisser sein kann als des Zusammenhanges, der zwischen einer Reihe vergleichbarer Erfahrungssituationen besteht. Das Wissen über die allgemeine Beschaffenheit gewisser faktischer Verhältnisse rückt also auf die gleiche Stufe wie das Wissen über die Eigenart einer bestimmten einzelnen Erfahrung. Charakteristisch für diese aus Lockes empiristischem Ansatz entwickelte Auffassung, von der aus jetzt sein W-Dualismus kritisiert wird, ist die Einheit von sinnlicher Wahrnehmung mit sprachlich artikulierbarer Kennzeichnung; man könnte davon sprechen, daß hier so etwas wie „begriffliche Wahrnehmung" zur Grundlage der Erkenntnistheorie erklärt werde. Wenn es um Wissen in einem prägnanten Sinne zu tun ist, kann die Verarbeitung der Wahrnehmungen nicht bloß in Reaktionen (und seien sie noch so adäquat und differenziert) bestehen, sondern allein in der Identifikation des Wahrgenommenen als eines so und so sprachlich oder symbolisch Wiederzugebenden. Ein tiefliegender Mangel der Erkenntnistheorie Lockes läßt sich nunmehr dahin kennzeichnen, daß er diesen engen Zusammenhang von Wahrnehmung und Sprache, obschon er ihn allenthalben verwendet und in diesem Sinne auch erfaßt, doch niemals ausdrücklich ausspricht und in diesem Sinne letztlich ganz verfehlt. In welcher Weise er von ihm Gebrauch macht, ist in aller Ausführlichkeit dargestellt und soeben noch einmal kurz in Erinnerung gebracht worden. Daß er ihn letztlich verfehlt, tritt in seiner Theorie der Universalien am deutlichsten und explizit in Erscheinung. Sie zeigt, daß seine Einsicht in die für alle menschliche Erkenntnis konstitutive Rolle der Sprache noch nicht tief genug gegangen ist 4 . 3 III. iii. 3 und 4. Was bei Locke fehlt, ist zunächst die ausdrückliche Anerkennung dessen, daß sprachlich artikulierbare Erfahrungen die Basis allen menschlichen Wissens sind, dann aber vor allem auch die Einsicht darein, daß angesichts dieser Rolle der Sprache dem jeweils
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Schon in § 5 war angemerkt worden, daß Locke den Unterschied zwischen der einzelnen Wahrnehmung und der Wahrnehmung eines einzelnen Gegenstandes übergeht; beides nennt er beim gleichen Namen „partikuläre Idee". In § 14 war dann die Frage des näheren erörtert worden, wie denn auf der Basis der Wahrnehmungen die Bedeutung von Begriffen festgelegt werden kann. Es zeigte sich, daß Locke zwar von den einzelnen Bewußtseinsinhalten ausgehen will, dann aber doch einen Sprung zu einer Betrachtung macht, die eine Welt gewissermaßen fertiger Begriffe voraussetzt. Komplexe Ideen können zwar durch das bewußte Herstellen definitorisch abgegrenzt und zueinander in wohldefinierte Relationen gebracht werden. Aber bei den einfachen Ideen steht dieses Hilfsmittel, wie Locke selbst bemerkt, nicht zu Gebote, da sie ja unmittelbar durch Erfahrungen gegeben sein sollen. Sie können also nicht als endgültig und scharf abgegrenzte Begriffe angesehen werden; und soweit die komplexen Ideen in ihrer Abgrenzung und in ihrer Relation zueinander vom Inhalt einfacher Ideen abhängen, gilt für sie das Gleiche. Nur soweit ihre Relationen untereinander von den in sie eingehenden einfachen Ideen unabhängig sind, können sie tatsächlich aus den getroffenen Definitionen allein hervorgehen. Locke dagegen macht sich von der Seite der willkürlich und darum durchschaubar gebildeten Begriffe her eine Vorstellung von der Klarheit und Deutlichkeit der Ideen überhaupt. Damit verläßt er den Boden seines Ansatzes und springt gewissermaßen aus der Welt der Erfahrung in die des reinen Verstandes. An dieser Stelle berührt sich die hier vorgelegte Interpretation Lockes mit der Aarons, der ebenfalls in der Theorie der Universalien einen wichtigen Grund für Schwierigkeiten der Lockeschen Erkenntnistheorie sieht 5 . Aaron hat drei „Stränge" in Lockes Lehre von den allgemeinen Ideen unterschieden6: (1) eine partikuläre Idee wird dadurch allgemein, daß sie zum Repräsentanten einer ganzen Klasse (gleichartiger) Ideen erhoben wird; (2) eine allgemeine Idee entsteht durch Weglassen von Teilideen aus einer partikulären Idee; (3) eine allgemeine Idee ist eine (nominale) Essenz, d. h. die (von uns) festgelegte und unwandelbare Bedeutung eines Terminus, der einzelnen erkennenden Ich seine ihm von Descartes zugedachte erkenntnistheoretisdie Alleinherrschaft aberkannt werden muß. S. auch § io, Anm. 18 und zugehörigen Text, sowie die Kritik des „cogito, sum" in § 18. 5 Im Hinblick auf die Mathematik ist dieser Gedanke bei Aaron 1937, S. 233 Anm. und S. 2 3 5 ausgesprochen. Die Schwäche von Lockes Universalientheorie wirkt sich jedoch, wie gezeigt, darüberhinaus auf die g e s a m t e Erkenntnistheorie aus. In der Einleitung seines Buches über die Universalientheorie (Aaron 1952) läßt Aaron erkennen, daß dies auch seine Meinung ist. 6
Aaron 1 9 3 7 , II. vi. i.; 1952, Ch. II., §§ 1 0 — 1 1 .
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das bezeichnet, was wir eine „Art" von Dingen nennen. Von der Rolle der Punkte (i) und (2) in der Theorie Lockes war schon die Rede 7 ; sie lassen sich bei geeigneter Interpretation dem empiristischen Ansatz einfügen. Punkt (3) dagegen bietet eine völlig andersartige Version des Allgemeinen. Ihr hat Aaron am ehesten zugetraut, daß sie von Locke zur Grundlage einer konsistenten Universalientheorie hätte gemacht werden können8. Ohne daß über ihre diesbezügliche Eignung allgemein, d. h. unabhängig von Lockes Philosophie, entschieden werden müßte, ist jedoch mittlerweile wohl deutlich geworden, daß gerade im Rahmen des empiristischen Ansatzes die Lehre von den klar festgelegten und unwandelbaren Essenzen keine allgemein brauchbare Theorie der Universalien ist 9 . Gerade in der Lehre von den unwandelbaren Essenzen und in ihrem Einfluß auf Lockes Vorstellungen über die Einsicht in die Relationen audi der einfachen Ideen tritt dem empiristischen Ansatz ein rationalistisches Element gegenüber. Und sobald diese Gegenüberstellung vollzogen ist, wird ein Schritt möglich, zu dem wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger auch Locke tendiert: Aus der geringen Einschätzung des Erkenntniswertes der einzelnen Sinneswahrnehmung — ob diese nun mit einem Mangel an Zuverlässigkeit dieser Wahrnehmung, mit ihrer Partikularität und darum Irrelevanz oder mit noch anderen Umständen begründet wird — wird eine zu weit gehende Konsequenz gezogen, daß nämlich die erstrebte Erkenntnis im höchsten und vollen Sinne dieses Wortes darum gleich g a n z außerhalb der Wahrnehmungen zu suchen sei, in der Sphäre der reinen Ideen oder Begriffe. Aber mit dieser Gegenüberstellung ist ein für den Empirismus unlösbares Problem heraufbeschworen: der Zusammenhang der Erfahrungsbasis, die doch jegliches Material der Erkenntnis liefern soll, mit den absolut gewordenen allgemeinen Begriffen läßt sich nicht mehr herstellen. Man gerät hier in der Tat auf den von Kambartel 10 geschilderten Weg, der zur Trennung zwischen der aus bloßen Sinnesdaten bestehenden Basis und ihrer dann ganz formal werdenden Verarbeitung führt. Locke erweckt zwar in seiner Universalientheorie den Eindruck, als wolle er das Allgemeine von den schlechthin partikulären Wahrnehmungsdaten aus konstruieren. Tatsächlich 7
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§ .5, bes. Anm. 14. Aaron 1937, S. 202. Demgegenüber hat Reese (1961) in einer kritischen Diskussion der Universalientheorie Lockes darauf hingewiesen, daß der Empirismus dazu nötigt, am Strang (2), also an Abstraktion durch Weglassen, als Standard-Doktrin festzuhalten. Sie kann gerade das nicht bieten, was Locke nach Aarons Meinung zu ihr hinzog, nämlich die „Objektivität" von Ideen (Aaron 1952/1967, § 11, S. 33). Kambartel 1968, bes. Kap. 1; vgl. § 2 dieser Studie.
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jedoch hat er das weder getan, wie es denn ja auch unmöglich zu sein scheint, noch hat er eine Theorie der Sinnesdaten jemals exploit vertreten. Eine wenn auch historisch einseitige, so doch sachlich konsistentere Interpretation des „Essay" führt statt in die Richtung auf Sinnesdaten vielmehr zu der Aufforderung, eine neue und empiristische Theorie der Universalien zu entwerfen. In der neueren Diskussion ist die Tendenz zu erkennen, einer Aufforderung dieser Art zu entsprechen u . Das Prinzip der geforderten Theorie könnte so ausgesprochen werden, daß jede Wahrnehmung, die dazu tauglich ist, zu Wissen in einem prägnanten Sinne zu führen, stets auch Wahrnehmung eines Allgemeinen ist, und daß umgekehrt jedes Allgemeine an die Vorläufigkeit und Begrenztheit der Wahrnehmungen gebunden bleibt. Genau das also, wogegen Kant seine Angriffe richtet, daß nämlich der empiristische Standpunkt immer bloß eine „komparative" Allgemeinheit verschaffe 12 , wird hier zum Prinzip der Erkenntnistheorie erhoben. Es wird hier aus der These, daß jegliche bedeutungsvolle Rede auf die Erfahrungsbasis bezogen werden muß, also aus der Grundthese des Buches I I des „Essay", die Konsequenz gezogen, daß das schechthin Allgemeine oder das schlechthin Nicht-Partikuläre ein epistemologisches Unding sei. Denn wer es nicht schon von jeher besitzt, kann es nicht erreichen — so könnte ein Piatons „Menon" nachgebildetes Argument gehen. Und gegen die Lehre von der Wiedererinnerung oder auch gegen die von den angeborenen Ideen ein anderes Erkenntnismodell zu stellen, ist gewiß eine Absicht Lockes gewesen, die auch in eine sozusagen minimal empiristische Interpretation seines Vorhabens aufgenommen werden müßte. Unter rationalistischen Einflüssen wird er freilich diesem Vorhaben, dessen weitreichende Konsequenzen er begreiflicherweise nicht sogleich in vollem Umfange durchschauen konnte, in gewissem Maße untreu und gerät dadurch in die dargestellten Schwierigkeiten hinein, die man zusammenfas11 Die tiefliegendste Überlegung in diese Richtung ist wohl bei Wittgenstein (1953, §§ 66 ff.) zu finden; sie schließt auch mathematische Begriffe wie .Zahl' nicht aus. Im Kontext der empiristischen Erkenntnistheorie diskutiert Waismann die „Porosität" bzw. „open texture" von Begriffen (ζ. B. Waismann 1945). Eine neuere systematische Darstellung der Definition empirischer Begriffe stammt von Achinstein (1968, bes. Chap. 1). 12
Kant 1787, S. 3; die „komparative" Allgemeinheit heißt dort audi die „empirische". Kant verbindet seine Kritik an Lockes „empirischer Deduktion" der reinen Verstandesbegriffe ( 1 7 8 1 , S. 85 ff. bzw. 1787, S. 1 1 7 ff.) folgerichtig mit der These, daß Locke Ver" stand und Sinnlichkeit trenne und dann einseitig der Sinnlichkeit die entscheidende Rolle bei der Begriffsbildung zuweise ( 1 7 8 1 , S. 2 7 1 bzw. 1787, S. 327). Falls die Annahme einer Trennung von Sinnlichkeit und Verstand bezüglich der Erfahrungsbasis zu Recht bestritten werden kann, wird Kants Kritik der Boden entzogen.
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send als so etwas wie eine „Dialektik des reinen Verstandes" bezeichnen könnte. Diese entspringt aus dem Bedürfnis des Verstandes nach einer „Totalität" , nämlich nach der unbeschränkten Allgemeinheit seiner Begriffe (und in der Folge davon dann auch seiner Aussagen). Die Forderung nach empirischer Realität dieser Begriffe, die sie erst zu solchen macht, die etwas unter sich begreifen, steht jedoch der gewünschten Totalität entgegen und läßt eine Isolation des reinen Verstandes als einer selbständig arbeitenden Erkenntnisinstanz nicht zu; sie erzwingt die Rechenschaft darüber, wie der Verstand in den Besitz seiner Begriffe gelangt. Erst diese Rechenschaft erbringt die Rechtfertigung für den Anspruch darauf, daß die Ideen, wie Locke sie gelegentlich nennt, „Instrumente der E r k e n n t n i s " 1 3 sein können. Die Kritik am W-Dualismus Lockes, soweit sie bislang vorgetragen wurde, bedarf einiger zusätzlicher Erläuterungen. In ihrem Ausgreifen auf so grundsätzliche Betrachtungen wie die über die Natur begrifflicher Allgemeinheit scheint sie allzu allgemein zu werden und darum über das Ziel hinauszuschießen. Sie setzt sich dem Mißverständnis aus, als ob sie einen epistemologischen Unterschied zwischen Aussagen über einzelne Tatsachen und Verallgemeinerungen oder Gesetzen ganz in Abrede stellen wolle. So ist sie jedoch nicht gemeint. Vielmehr ist sie mit der zuvor dargelegten Kritik an der Auszeichnung, die Locke den notwendigen Ideenrelationen zuteil werden läßt, vergleichbar. Es ist nicht ihr Ziel und kann es angesichts der Phänomene sinnvollerweise auch nicht sein, die Unterschiede zwischen den verschiedenen von Locke unterschiedlich bewerteten Klassen von Aussagen wegzudiskutieren. Die Kritik richtet sich jedoch gegen eine bestimmte Art, diese Unterschiede zu kennzeichnen. Werden sie nämlich zu scharf und zu grundsätzlich angesetzt, so ergibt sich daraus zwangsläufig die Annahme einer von der Erfahrung ganz verschiedenen Erkenntnisinstanz, wie sie bei Locke in Gestalt der Intuition in Erscheinung tritt, jedenfalls soweit man diese bei ihm von der unmittelbaren Gewißheit sinnlicher Wahrnehmung abheben und als ein intellektuelles Vermögen dem sinnlichen entgegensetzen muß. Ferner ergibt sich die Notwendigkeit, eine ein für allemal festliegende und scharfe Abgrenzung zwischen den verschiedenen Klassen von Erkenntnissen anzunehmen. Es geht nun darum zu zeigen, daß diese weitgehenden Konsequenzen im Rahmen des empiristischen Ansatzes illegitim sind. Positiv gewendet, geht es darum zu zeigen, daß sie durchaus vermeidbar sind, wenn man bereit ist, die fraglichen epistemologischen Unterschiede in ihrer Bedeutung zu relativieren und auf eine ein für allemal festliegende Abgrenzimg zwischen verschiedenen Sorten von Erkenntnissen zu verzichten. 13(II. xxxiii. 19.
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
Der bloß relative Unterschied zwischen den formalen und den empirischen Wissenschaften sollte dadurch verständlich werden, daß gewisse besonders verbreitete und besonders übersichtliche Strukturen der Welt durch eine Übereinkunft als Ausgangspunkt für weitere Versuche, die Welt zu beschreiben und zu erklären, festgelegt werden. Dieser Gedanke ließ sich auf die Herkunft und Bedeutung apriorischer Prinzipien der Naturwissenschaften ausdehnen. In einem ähnlichen Sinne kann nun ein relativer Unterschied zwischen der bloßen Wiedergabe einzelner beobachteter Fakten und der Aufstellung empirischer Verallgemeinerungen oder allgemeiner Gesetze eingeführt werden. In welchem Sinne dieser zweite Unterschied nur relativ genannt werden kann, ist sogar viel leichter zu sehen als beim ersten. Eine empirische Verallgemeinerung oder ein empirisches Gesetz müssen unter Verwendung von Zeichen formuliert werden, die für allgemeine Ideen bzw. Begriffe stehen. Sollen sie nicht unanwendbar und bedeutungslos sein, muß man also voraussetzen, daß von gewissen Dingen oder Ereignissen klar ist, ob sie unter die allgemeinen Begriffe fallen oder nicht. Die auszusondernde Klasse von Dingen oder Ereignissen muß daher an gewissen einheitlichen Merkmalen, deren Vorliegen nicht erst in der Verallgemeinerung oder dem Gesetz ausgesprochen wird, erkannt werden können. Es müssen also gewissermaßen andere allgemeine Aussagen, welche die unter die verallgemeinernde empirische Aussage fallenden Dinge und Ereignisse charakterisieren, vorausgesezt werden. Locke erläutert diesen Sachverhalt mehrfach, vorzugsweise an Hand von Beispielen des Typs „Gold ist geschmeidig". In dieser Aussage kann, wie er ausführt, der Ausdruck ,Gold' nicht für eine hypothetisch von uns unterstellte reale Essenz stehen, die die natürliche Art alles dessen, was aus Gold besteht, festlegen würde; denn eine solche Essenz ist uns nicht bekannt und sogar prinzipiell unzugänglich. Man würde also bei dieser Interpretation der Bezeichnung ,Gold' niemals wissen können, ob man in einem konkreten Fall wirklich Gold vor sich hätte, so daß mit dem Satz „Gold ist geschmeidig" etwas vollkommen Unbestimmtes und darum letztlich gar nichts behauptet wäre 14 . Wenn der Satz jedoch eine bedeutungsvolle Aussage aussprechen soll, bleibt daher nur übrig, die Bedeutung des Wortes ,Gold' auf eine bestimmte Kombination von einfachen Ideen festzulegen, von denen man beobachtet hat, daß sie in dieser konstanten Kombination häufig zusammen auftreten 15 . H III. vi. 50; III. X. 18—19; IV. vi. 5. is Ζ. Β. IV. vi. 6—7.
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Wenn man für den Augenblick einmal annehmen will, daß keine Probleme damit verbunden sind, in einer einzelnen Wahrnehmung eindeutig festzustellen, ob etwas unter eine derartige Definition fällt oder nicht, so kann man jene erkenntnistheoretische Bewertung rechtfertigen, in der man die Wiedergabe der einzelnen Wahrnehmung „gewiß" und die Behauptung einer Verallgemeinerung oder Gesetzesaussage, von der sie ein Fall ist, bloß „wahrscheinlich'' nennt. Aber diese einigermaßen harmlos und selbstverständlich klingende Feststellung ist nichtsdestoweniger die Quelle weitreichender Fehlmeinungen und langlebiger Pseudoprogenie geworden, die sich alsbald ergeben, wenn man die Voraussetzungen der soeben zugestandenen Unterscheidung vergißt und diese darum in ihrer Bedeutung überschätzt, wie dies schon Locke und mit ihm in der Nachfolge Humes viele Autoren getan haben. Die Fehlmeinungen laufen in ihrem Kern darauf hinaus, daß a l l e allgemeinen faktischen Aussagen prinzipiell unsicherer seien als die singulären oder gar daß sie prinzipiell unverbürgt und bloß hypothetisch seien, während dies die singulären faktischen Aussagen in dieser Weise nicht seien. Die daraus folgenden Pseudoprobleme kommen auf das Induktionsproblem hinaus, und zwar nicht auf das reale Problem, wie besser begründete Verallgemeinerungen von weniger gut begründeten zu unterscheiden seien, sondern auf das Problem, wie Verallgemeinerungen überhaupt und prinzipiell zu rechtfertigen seien. Die Unterscheidung zwischen Gewißheit der Aussagen über einzelne Wahrnehmungen einerseits und der Wahrscheinlichkeit der allgemeinen Aussagen über Faktisches andererseits ist in zweifacher Hinsicht relativierbar: (i) Sie beruht auf der Voraussetzung, daß bestimmte Bezeichnungen (im Beispiel etwa ,Gold' und vielleicht noch einige andere) eine wohldefinierte Bedeutung erhalten haben. Zusammen mit entsprechenden Übereinkünften ändert sich dann aber das, was als korrekte Wiedergabe einer einzelnen Wahrnehmung angesehen werden kann. Mit anderen Worten: Die Aussage über den Inhalt einer einzelnen Wahrnehmung ist als eine „Wahrheit" nur gerade so gut verbürgt, wie das vorgegebene System der Definitionen allgemeiner Begriffe seinerseits durch die Erfahrungen, die zu seiner Aufstellung führten, begründet ist. (2) Die Unterscheidung von Gewißheit und Wahrscheinlichkeit bei faktischen Aussagen beruht ferner darauf, daß die Entscheidung, ob etwas unter eine festgelegte Definition oder allgemeiner unter eine bestimmte Beschreibung mit wohdefinierten Ausdrücken fällt oder nicht, eindeutig und zweifelsfrei möglich ist. Mit anderen Worten: Die Aussage über den Inhalt einer einzelnen Wahrnehmung ist gerade so gut
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verbürgt, wie das vorgegebene System allgemeiner Begriffe extrapolierbar ist. Diese Extrapolierbarkeit ist eines der Kriterien dafür, daß das Begriffssystem im Sinne von Punkt (i) als begründet gelten kann. Ist diese Begründung schwach oder inadäquat, so wird auch die Beschreibung schon einer einzelnen Wahrnehmung — und diese Beschreibung ist ja das, was erkenntnistheoretisch gesehen von dieser Wahrnehmung übrig bleibt und sich dann die Nachbarschaft vieler anderer Aussagen gefallen lassen muß — mehr oder minder irreführend oder abwegig sein können, nämlich relativ zu anderen solchen Beschreibungen. Der mehr an der Oberfläche liegende Punkt (i) kommt bei Locke in der Form zur Geltung, daß er die Variabilität von Definitionen der existierenden Arten von Dingen anerkennt. Mit der Einsicht in die Notwendigkeit einer Definition von ,Gold' verbindet sich die Einsicht, daß die Aussage „Gold ist geschmeidig" nur so lange wahrscheinlich heißen kann, als man nicht auch geschmeidig' unter die Merkmale aufnimmt, an denen man Gold erkennen kann und soll. Ein solcher Schritt ist jedoch immer möglich,6. Er wird aber sachgemäß nur dann sein, wenn die Kenntnis der konstanten Verknüpfung zwischen geschmeidig' und den anderen Eigenschaften, die bislang bestimmten, was Gold ist, über das Stadium des Zweifels hinreichend weit hinausgekommen ist. Die Fixierung in Gestalt einer neuen Definition von Gold verrät, daß die These von der bloßen Wahrscheinlichkeit der Aussage „Gold ist geschmeidig" zur leeren Fiktion geworden war, wenn anders der Appell Lockes ernst gemeint gewesen ist, daß wir bei der Bildung von Substanzideen „der Natur folgen müssen"17 und unsere Ideen von den verschiedenen Arten „der Dinge selbst" möglichst weit vervollkommnen müssen18. Im Verfolg dieser Ziele der Naturerkenntnis kann der Kreis der als gesichert geltenden Koexistenzen im Prinzip immer weiter gezogen werden. In der Sache liegt hier keine Grenze, an der endlich doch die bloße Wahrscheinlichkeit unwiderruflich in ihre Rechte träte. Locke unterstreicht die in IV. vi. 9—10 geschilderte grundsätzliche Verschiebbarkeit und speziell Ausdehnbarkeit des definitorischen Bereiches dadurch, daß er an anderer Stelle ein und dieselbe Frage, ob nämlich Fledermäuse Vögel sind oder nicht, in zweifacher Weise interpretiert. Sie kann eine Frage der „Disputanten" sein, denen es um die Festlegung dessen geht, was die Wörter ,Vogel' und ,Fledermaus' bedeuten; sie kann aber auch eine ι 6 I V . vi. 9 — 1 0 schildert die sukzessive Vervollständigung einer Substanzidee durch Hinzufügen weiterer Teilideen. 17 I I I . ix. 1 1 . 18 I I I . xi. 24.
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Frage der „Forscher" sein, die die Natur der Vögel und der Fledermäuse besser kennenlernen wollen 19 . Wenn das unentbehrliche Verfahren definitorischer Fixierung von Erfahrungen, also die Anwendung einer H-Klausel, überhaupt zu irgendeinem W i s s e n im engeren Sinne führen soll — und dieser Ehrentitel wird für die Aussagen über den Inhalt e i n z e l n e r Wahrnehmungen ja beansprucht — , muß in einem Bereich variabler, aber nie verschwindender Größe a l l g e m e i n e n Aussagen über faktische Ideenverknüpfungen der Charakter des „Wissens" zugesprochen werden. Dieses Wissen ist jedoch nur insoweit „notwendig" und „gewiß", als eine Η-Klausel beansprucht wird. Da das Feld der Η-Klauseln hier jedoch, anders als in der Mathematik, freier verschiebbar zu sein scheint, muß man mit einem fließenden Übergang von Wissen zu Wahrscheinlichkeit rechnen. Diese Bemerkung soll natürlich nicht heißen, daß es keine Fälle gäbe (obwohl sie de facto seltener sind, als man meinen möchte), in denen eindeutig festgelegt ist, ob eine Art von Dingen oder Ereignissen u.a. durch ein bestimmtes Merkmal definiert worden ist, oder ob sie dieses Merkmal vielmehr neben anderen bloß faktisch auch noch hat. Wohl aber soll die Bemerkung besagen, daß der Erkenntnisgegenstand keine Gründe erkennen läßt, die dazu zwingen könnten, diese Grenze ein für allemal an einer bestimmten Stelle zu fixieren. In diesem Sinne ist der W-Dualismus zwar durchaus sinnvoll, aber — im Gegensatz zur Auffassung Lockes — vordergründig20. 19 „Disputers" oder „disputants" stehen den „inquirers" gegenüber; I I I . xi. 7. 20 Die freie Verschiebbarkeit des definitorisch geltenden Bereiches von Aussagen scheint, wie schon ähnlich im Falle der Mathematik, in die Nähe von Quines These zu führen, daß eine Unterscheidung von synthetischen und analytischen Aussagen nicht sinnvoll gemacht werden könne. Anders als bei Quine jedoch wird wiederum angenommen, daß das System der Bedeutungen empirischer Terme nicht nach Maßgabe einer globalen Zweckmäßigkeit angepaßt werden kann, weil dieses Kriterium zu unspezifisch wäre. Stattdessen ergibt sich aus der Philosophie Lockes eher die Vorstellung einer schrittweisen Entwicklung wissenschaftlicher Begriffe aus „natürlichen" Begriffen. Daß eine solche von nicht willkürlich festsetzbaren Bedeutungen und Bedeutungsrelationen ausgehende Entwicklung unterstellt werden muß, scheint letztenendes allerdings auch Quines Meinung zu sein. (Quine 1969, S. 128 f., S. 134 ff.). Bei ihm tritt andererseits die Annahme hinzu, in der W i s s e n s c h a f t müsse es darum gehen, jenen Anfang beim intuitiv erfahrbaren Allgemeinen irgendwann einmal g a n z hinter sich zu lassen: „It is that final stage (gemeint: das Stadium einer Wissenschaft, in dem sie die Begriffe ,Art' und Ähnlichkeit' nicht mehr braucht) where the animal vestige is wholly absorbed into the theory." (S. 138). Lockes Empirismus enthält hiergegen die Lehre, daß wir audi in der höchstentwickelten Wissenschaft jenen Anfang nicht hinter uns lassen können, weil an ihn ihre Bedeutung (im doppelten Sinne dieses Wortes) geknüpft ist. — Der jeweils nur vorläufige und stets revidierbare Einsatz einer Η-Klausel zeigt ferner Verwandtschaft mit dem „funktionalen Apriori" (Pap 1946), obwohl eine genauere Untersuchung, für die hier nicht Raum ist, gewiß auch wichtige Unterschiede zu Tage fördern würde. Abgesehen
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Überdies liegt er, wie sich zeigte, sicherlich nicht so, wie Locke glaubte und wie er nicht ohne Erfolg lehrte: er scheidet nicht die s i n g u l ä r e n von den a l l g e m e i n e n faktischen Aussagen. Aber, so wird man nun vielleicht einwenden wollen, wenn es wirklich einfache, von den komplexen unterschiedene Ideen geben sollte, dann dürften die Definitionen, die ja letztlich nur Komplexe einfacher Ideen zusammenfassen 21 , für die Frage der Erkenntnis nicht theoretisch, sondern allenfalls pragmatisch relevant sein. Die eigentliche Aussage, die wahr oder falsch sein, die Wissen oder Irrtum ausdrücken kann, sollte doch nur davon handeln, daß eine bestimmte Kombination einfacher Ideen mit einer bestimmten anderen einfachen Idee verbunden ist. Man mag dies nun mit Hilfe der einen oder anderen Definition mehr oder weniger abgekürzt ausdrücken. Gegen diesen Einwand kommt nun aber der eben unter (2) genannte Punkt zur Geltung. Mit den Definitionen, so treffend sie auch sein mögen, ist es nicht getan. Sie führen schließlich zurück auf Undefinierte Termini, deren Bedeutungen ostensiv klargemacht werden müssen. Diese Bedeutungen müssen selbst schon allgemeine Begriffe oder Ideen sein. Ihre Allgemeinheit besteht jedoch allein in ihrer Extrapolierbarkeit auf neue Anwendungsfälle. Deren Beschreibung mit Hilfe eines extrapolierten Begriffes kann also nichts Besseres ausdrücken als ein Wissen, das höchstens ebenso zuverlässig ist wie jene Kenntnis allgemeiner Strukturen der Wirklichkeit, die in der Extrapolation zur Anwendung kommt. Locke übersieht diesen Einwand gegen den WDualismus, weil er die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer neuen „empiristischen" Auffassung der Universalien nicht bemerkt. Zwar läßt er in Gestalt der einfachen Ideen d a s A l l g e m e i n e in der Erfahrung g e g e davon, daß der Terminus „Apriori" nicht ganz glücklich ist, weil Erfahrungen, die es nicht nur heuristisch, sondern auch inhaltlich mitbestimmen, dem jeweiligen Apriori vorausgehen, suggeriert die Bezeichnung „funktional" wiederum den Gesichtspunkt, als gehe es allein um den Erfolg, den man mit den Festsetzungen im ganzen erreichen kann, und nicht auch darum, was man bei der Bemühung tun Wissen überhaupt als einen „Erfolg" ansehen kann. Im Einklang damit betrifft die hier ins Auge gefaßte Kristallisation von Erfahrungen in Η-notwendigen Aussagen gerade nicht hochstufige theoretische Prinzipien wie das Gravitationsgesetz oder den Energiesatz, die Pap als prominente Beispiele dienen (Pap 1 9 5 5 , §§ 65 und 92). — Berührungspunkte ergeben sich schließlich natürlich auch mit Lewis' Theorie des pragmatischen Apriori (Lewis 1923, 1929 und 1946). Die Beziehung im einzelnen herzustellen, dürfte nicht ganz einfach sein; es wäre sowohl eine genauere Interpretation von Lewis erforderlich wie auch eine weitere Entfaltung dessen, was hier an weiterführenden Konsequenzen aus dem Lockeschen Ansatz nur programmatisch angedeutet werden konnte. 21 I I I . iii. 10.
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b e n sein; aber er interpretiert es dann doch, einer langen und noch bis heute ungebrochenen philosophischen Tradition folgend, als in sich schlechterdings bestimmten und irgendwie direkt apperzipierbaren Begriff, jedenfalls sobald es darum geht, so etwas wie „Wissen" im eigendichen Sinne — sei es nun von abstrakten Ideenrelationen, sei es von einzelnen Wahrnehmungsinhalten — zu garantieren. Mit der oben ausgeführten und eben noch einmal zusammengefaßten Kritik zwar nicht am W-Dualismus überhaupt, wohl aber an seiner Interpretation durch Locke ist die Kritik an einem Problem vorweggenommen, das bei Locke selbst begreiflicherweise noch außer Sicht ist, das jedoch in seiner Auffassung von begrifflicher Allgemeinheit angelegt ist und mit der sensualistisch oder atomar-psychologistisch akzentuierten Fortführung seiner Philosophie unfehlbar zum Vorschein kommen mußte: am Induktionsproblem. Legt man die vorangehende Ausdeutung oder Weiterführung des Lockeschen Empirismus zugrunde, so zeigt sich, daß dieses Problem in seiner radikalen, von Hume geprägten Fassung falsch gestellt ist. Denn die Frage nach der Rechtfertigung einer bestimmten induktiven Verallgemeinerung kann nur erhoben werden, wenn nicht zugleich grundsätzliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit jeglicher Induktion erhoben werden. Man kann nur dann fragen und bezweifeln, ob alles Gold geschmeidig sei, wenn man voraussetzt, daß man in einem künftigen Anwendungsfalle Gold und Geschmeidigkeit wiedererkennen könne. Setzt man nicht so etwas wie die Stoffart Gold mit gewissen charakteristischen unveränderlichen Merkmalen voraus, so weiß man nicht, welche zukünftige Erfahrung als relevanter Testfall für oder gegen die allgemeine Behauptung, daß alles Gold hämmerbar sei, sprechen soll. Es müssen also gewisse induktive Extrapolationen bona fide immer schon gemacht sein, wenn man mit einem Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer induktiven Verallgemeinerung einen Sinn verbinden will. Verlangt man für a l l e induktiven Verallgemeinerungen auf einmal eine Rechtfertigung, so ist vollkommen unklar, was man fordert, da es sich um die Rechtfertigung allgemeiner Aussagen handelt, die mit Hilfe von Zeichen zum Ausdruck gebracht werden, deren Bedeutung nur im Hinblick auf gewisse allgemeine und gleichbleibende wirkliche Verhältnisse festgelegt ist. Die radikale Induktionsskepsis ist also deshalb abzulehnen, weil ihr Anhänger dem, was er verlangt und zu seinem Leidwesen nicht erhalten kann, keinen Sinn zu geben vermag. Oder vorsichtiger gesagt: diesen Sinn kann er nur vorweisen, falls er — in einer zu seiner Skepsis gegenläufigen Tendenz — annimmt, irgendwoher die Bedeutung allgemeiner Begriffe vollständig und endgültig
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Teil IV: Der Empirismus der Aussagen
zu besitzen. Induktionsskepsis ist korrelativ von r a t i o n a l i s t i s c h e n Prinzipien abhängig: gibt man die letzteren auf, so verschwindet mit der absoluten Gewißheit auch die absolute Skepsis. Im empiristischen Ansatz Lockescher Prägung, so wie er in dieser Studie interpretiert wurde, wird zur Grundlage der Erkenntnistheorie letztlich der Umstand erklärt, daß die Menschen ihre Wahrnehmungen in einer das Individuum und die individuelle Situation überschreitenden Sprache wiedergeben können. Die Anerkennung dieser Fähigkeit als irreduzibler Grundlage involviert dann auch, daß auch die Erfahrungsgegebenheit von Allgemeinem bona fide akzeptiert wird, was nicht heißt, daß dessen weitere Analyse kein sinnvolles und philosophisch wichtiges Unternehmen sein könnte. (Im Gegenteil war ja die Forderung nach einer neuen Theorie der Universalien erhoben worden.) Akzeptiert man nun die sprachlich gefaßte Wahrnehmung als Basis allen Wissens, so läßt sich das in seiner prinzipiellen Fassung verwirrende und lästige Induktionsproblem samt der häufig mit ihm verbundenen Skepsis vermeiden und umgekehrt ein sonst schwer erklärbares, aber doch auch schwer abstreitbares Phänomen verstehen, daß wir nämlich von vielen allgemeinen faktischen Sachverhalten ein ebenso zuverlässiges Wissen besitzen wie nur von irgendeiner singulären Tatsache. Andererseits führt dann aber kein Weg mehr zum schlechthin Allgemeinen und zum schlechthin gesicherten Wissen. Werden jedoch diese beiden von den Erkenntnistheoretikern immer wieder empfohlenen Marschziele als Fiktionen erkannt, so entfällt das Ideal vollkommenen oder eigentlichen Wissens, im Vergleich zu dem einem bloß empirischen Wissen oder einer bloß komparativen Allgemeinheit ein minderer und darum letztlich nicht zufriedenstellender Status zugeschrieben werden könnte. Locke tut den ersten Schritt auf dem Wege zu einer Auffassung, wie sie eben wiedergegeben wurde, indem er auch abstrakte und allgemeine Ideen unter das empirisch Gegebene aufnahm, von dem aus jede Rekonstruktion des menschlichen Wissens bereits auszugehen habe. Diese Eigentümlichkeit der Lockeschen Position war ein wichtiger Anlaß dazu, die Interpretation seiner gesamten Erkenntnistheorie nach der sprachlichen Seite des „way of ideas" hin zu akzentuieren, obwohl sie dadurch, historisch gesehen, zweifellos ziemlich einseitig ausfällt. Das Recht einer solchen Interpretation kann nur darin gesehen werden, daß sie eine uns angehende und zugleich audi Locke zugeschriebene Sachfrage konsistenter zu behandeln gestattet und darum vielleicht auch verständlicher und mit mehr Aussicht darauf, ein Stück der Wahrheit zu treffen. Die Einseitigkeit entsprang dem Vorsatz, nach dem „optimalen Empirismus" zu suchen.
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Namenverzeichnis Aaron, R . I . 29, 4 5 f . , 68, 70—74, 75, 77—80, 84, 1 2 1 , 147 F., 156, Ϊ8Ο, 191, 258 f. Adiinstein, P. 260 Aristoteles 57, 154 Berkeley, G . 29, 42, 52 f., 102, 126 Boyle, R. 7, 244 Cabanis, P. 67 Carnap, R. 10, 33, 1 1 7 , 130, 136 Condillac, E. Bonnot de 38, 56—68, 94 Coste, P. 75 f., 78 Cousin, V. 59, 65 Cranston, Μ. η Dawson, Ε. Ε. ΐ 2 ΐ Delius, Η. 170 Descartes, R. 14, 43, 46, 60, 110, 137, 150, 248—250, 252, 257 Destutt de Tracy, A. 67 Dewhurst, K. 7 Euklid 1 8 1 Feyerabend, P. K. 1 7 0 , 1 7 3 , 243 Fraser, A. C. 38, 43, 48, 52, 68, 75, 76, 78, 82, 1 2 1 , 145, 197 Frege, G . 1 3 1 Gibb, J . 180, 191 Gibson, J . 42—45, 5 2 » 7 Hall, R. 136 Haller, R. 170 Hamilton, W. 18 Heyting, A. 1 2 1 Hume, D. 8, 21, 38, 75, 86, 89—98, 154 f., 202, 205, 231, 237, 238, 245, 247, 249 f·, 253, 263, 267 Husserl, E. 110 Huyghens, Ch. 7 Kambartel, F. 10 f., 13, 20—23, 33, 36, " 7 , 259 Kamlah, W. 1 2 1 , 219 Kant, I. 18, 42, 43, 47, 50—52, 53, 55 f.,
90, 107 f., 1 1 3 f., 126, 170, 176, 200, 201, 205, 210, 2 1 1 , 213, 245, 260 Klaus, G. 59 Klemmt, A. 52—54 Laird, J . 137 Lamprecht, S. P. 137 Lee, H. 53 Leibniz, G. W. 18, 26, 30, 118, 2 1 2 Le Roy, G. 57, 59, 66, 67 Lewis, C. I . 265 Lorenzen, P. 1 2 1 , 219 Mittelstrass, J . 23 Newton, I. 7, 59, 60, 61, 244, 247 Nidditch, P. H. 197 Norris, J . 53 Pap, A. 18, 265 Piaton 260 Popper, K. R. 256 Putnam, Η. 136 Quine, W. V. O. 130, 137, 205, 215, 216—218, 220, 224, 265 Rand, B. 181 Reese, W. 29, 259 Reid, Th. 18 Riehl, A. 49—52 Russell, B. 32, 83, 1 1 8 Ryle, G. 35, 70, 156, 228 Scheibe, E. 98 Schlick, M. 155 Stegmüller, W. 136 Sydenham, Th. 7 Überweg, F. 67 Waismann, F. 260 Walters, Ph. 121 Weingartner, P. 136, 170 White, P . J . 107, 137 Wittgenstein, L. 32, n o , 260 Wohlgenannt, R. 170 Woozley, A. D. 148, 149 Yolton, J . W. 53, 88, 99 f., 104, 106— 109, 148, 149, 197
Sachverzeichnis a priori 117 Erkenntnis — (audi: erfahrungsunabhängige Erkenntnis 176,198, 211, 214, 245 f. Anschauung — 201 funktionales Apriori, pragmatisches Apriori 265 Apriorismus vs. Empirismus 52, 56 Abstrahieren, Abstraktion 26—30, 114, 128 Allgemeines — als empirisch Gegebenes, — und Wahrnehmung 257, 260 f., 266 f., 268 schlechthin — 260 f., 268 Allgemeinheit — von Begriffen 156, 177, 255—257, 261, 267 (vgl. auch Universalien) — als Grundlage einer Konvention (Anwendbarkeit, Verbreitung) 218 f. empirische — 2^3 ff. angeborene Ideen oder Prinzipien 1 5 — 17, 58, 68, 107 Anschauung 76, 201 Archetyp einer Idee 194, 195, 198, 206, 212, 216, 226 Arithmetik 192, 210, 222 paradigmatisdie Klarheit, Gewißheit usw. der — 187, 202, 218 f., 221 Aussagen (vgl. auch: Ideenrelationen) allgemeine — über Faktisches 253 allgemeine vs. singulare — 256, 2 6 1 — 263, 266 analytische, synthetische — 173, 265 — im Verhältnis zu Ideen 131 f., 134 f., 146 f., 149 über (Nicht-) Identität von Ideen (s. Identität) Basis, s. Erfahrungsbasis Bedeutung (vgl. auch: Idee) Festlegung der — 164, 208
ostensive — 172—3 Relationen von — e n 181, 206—208 Begriff (vgl. auch Idee) Allgemeinheit von -en, s. Allgemeinheit — vs. Anschauung 76 empirischer — 159 ff., 174, 175, 258 Beobachtung (vgl. auch Wahrnehmung) — als Grundlage von Wissen und Erkenntnistheorie 6, 55, 58 — des eigenen Inneren (Selbst—) 41, 45> 109 —ssprache 4, 101 Bewußtsein (vgl. audi: Reflexion) — (oder Selbst—) und Reflexion
52—
5« — und Intuition von Ideenrelationen 160—2,167 Definition 75, 164 f., 167, 170, 177, 198, 205, 208 f., 264, 266 — einfacher Ideen 30 f., 32, 166 f., 170 ostensive — , s. ostensiv Demonstration 177 f., 225 Dualismus — von empirischen und notwendigen Aussagen 226 ff., 237, 250 f. — von notwendigen und wahrscheinlichen Aussagen (W-Dualismus) 146, 237, 238, 251 f., 253 ff. dualistischer Empirismus 226, 227, 237, 238, 250 f. Eigennamen 34 f., 36, 69, 127 Eindrudc (impression) 21, 24, 29 Einfachheit (vgl. audi: Idee, einfache) Begriff der — (anschauliche vs. funktionale — ) 68 ff., 167 — als Grundlage einer Konvention (audi: Überschaubarkeit) 218, 220 f. — der Ideen ,Raum', ,Zeit', .Kraft' 74—78, 82 f.
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Sachverzeichnis
Einheit, Eins (Idee der —) 100 empirische Verallgemeinerung 262 Empirismus — der Bedeutung vs — der Wahrheit i8, 135 f. Versuch einer Begriffsbestimmung des — 10 f. dualistischer —, s. dualistisch — der Ideen vs. — der Aussagen 1 5 — 18, 124 ff. logischer — vs. Lockes — 12, 1 1 4 f. Frage nach der Möglichkeit des — 10 Motive des — 9 — und Ontologie Descartes' 41 optimaler — 9, 13 f., 67, 268 das Problematische des herkömmlichen Begriffs von — 1 1 — und Rationalismus, s. Rationalismus — und Sensualismus 56 ff., 126 — und Skepsis nach Fräser 48 These des — 4 — und Wissenschaftsphilosophie 1—3 Energiesatz im Vergleich zu logischen und mathematischen Prinzipien 221 f. Erfahrung (vgl. auch: Erfahrungsbasis, Wahrnehmung) allgemeine philosophische Einschätzung der — χ, 55 — als Ausgangspunkt 9 (Lodce), 57 (Condillac) innere — 40 ff., 53, 59, 67, 1 1 0 Kritik am —sbegriff Lockes 106—109 — und Objektivieren 39 Subjektbezogenheit der — 128, auch 251 f. — und Verstehen 101 — in Wahrnehmungen und Handlungen gleichgestellt 95 Erfahrungsbasis (vgl. auch: Erfahrung) Abgrenzung der — 68 ff., 125 f. Aktivität als Moment der — 50 f., 104 f., 109 Bestimmung der — 19 ff., 73 (Probleme) ; 25 ff. (konsistente) — im Verhältnis zu Erklärung und Beschreibung 86 ff. — als Gegebenes 9—11. 33, 1 1 7 Homogenität der — 41, 44 f., 126 — enthält innere Erfahrungen 40, 109 Reduktion auf die — 114 Resumi über die — 124 ff. — besteht nicht aus Sinnesdaten, son-
dern ist sprachlich gefaßt 4, 9, 252, 2 53> 257 — und theoretische Systeme 88 f., 101 Erkenntnis (s. auch: Wissen) Basis (Grundlage) der — 1 1 χ physikalische und psychologische — 46 —squellen 5 —stheorie im Verhältnis zu genetischkausaler Erklärung 60 f., 63, 67 f.; zur Objektwissenschaft 103 Systemcharakter aller — 101 Erklärung — vs. Beschreibung 86 ff. — in der Wissenschaft 101—103, 246 f. Essenz nominale — 165, 258 f. reale — 262 Ethik, s. Morallehre Evidenz — vs. Angeborenheit von Aussagen 16 empirische — 207, 208, 223 —· von Unterschieden in der Wahrnehmung 168 f., 1 7 1 f. Existenz Aussagen über — 228, 248 Idee der — 99 f. — und Ideen 235 f. Wissen (Erkenntnis) von — 237 f., 247 ff. formal —e Auffassung der Logik und Mathematik 205, 213 215, 221 —es System, s. Kalkül —e Wissenschaften, s. Logik, Mathematik Gegebenes (auch: Erfahrungsdaten, Sinnesdaten) 4, 9 — I i , 33, 35, 50, 62, 71, 73, 94, " 7 . 126 Geometrie (s. auch: Mathematik) 202 — im Verhältnis zur Arithmetik 185— 187, 220 Gewißheit (vgl. auch: Wissen) Grade der — 157, 248, 250, 251 — über kontingente Fakten 250 f. — in der Mathematik 180, 182, 183 — vs. Wahrscheinlichkeit (vgl. auch: Dualismus) s. Wahrscheinlichkeit Hypothetischer Charakter von Ideenrelationen, „H-Klausel": 196 f., 203, 206,
Sachverzeichnis 2 i i , 212 f., 219, 226, 244, 245, 265; „H-These" 188—190, 192, 225 Ich (auch: Selbst) 248—250 Idealismus 40, 52—54, 99, 126 f. Ideen (vgl. auch: Bedeutung, Begriff) abstrakte, allgemeine — 20, 22, 33, 37, 71, 79 f., 165, 175, 243, 256 f., 258 angeborene —, s. angeboren Atomismus der — 38 f., 249 — vs. Aussagen 17, 1 3 1 Basis— (vgl. auch Erfahrungsbasis) 20, 84, 86—89, 101 f., 133 — als Bedeutungen oder als Bilder 35, 73 f·. " 7 Definition der — 19 einfache — (vgl. auch: Einfachheit) 20 ff., 25 ff., 40, 59, 62, 88 f., 102, 1 2 1 , 128, 129, 166 f., 206 f., 222 einfache vs. komplexe — 68 ff. Einteilung der — 79 f. epistemologische und psychologische — 47 erklärende — (Erklärungs—) vs. sinnliche — (Wahrnehmungs—) 88 f., 99 f., 102, 108, 222 — als immanente Geisteszustände 52 f. komplexe — 20 ff., 25 ff., 104 ff., 129 f., 165 f., 177, 178 f., 201 Legitimität von — 94 Machen von — 26 f., 29 mathematische — 230 — der Modi, s. Modus originale (auch: primäre) — 86, 102 f., 222, 247 partikuläre (besondere) — 20 ff., 25 ff., 69, 128, 258 primäre und sekundäre —, s. Qualitäten reale —, s. Realität, auch: wahre Ideen — der Reflexion (der Selbsterfahrung u. dgl.; vgl. auch: Reflexion) 40 ff., 59 f., 71, 72 f., 1 1 0 , i n , 1 3 1 — der Reflexion und zugleich der Sensation 96, 99 — der Reflexion im Gegensatz zu — der Sinneswahrnehmung 96, 212 — der Relation 68, 71, 79—8i, 84 — als Repräsentanten der Sachen, s. Repräsentationalismus — der sinnlichen (äußeren) Wahrnehmung, der Sensation, s. Wahrnehmung — der Substanz(en), s. Substanz
277
Tätigkeiten (Operationen) der Bildung von — (vgl. auch: Ideen, Machen von —; Abstrahieren; Kompositionalismus) 104 ff. Ursprung der —, unterschiedliche Auffassung der Frage bei Locke und Condillac 60 f. wahre — 192 f., 195, 197 f. Ideenrelationen (vgl. auch: Aussagen) 157 f., 200 f. einfache — 163, 173 einfachste Beispiele für — 159 ff. — einfacher Ideen 206 f. — empirischer Ideen 254 — im Gegensatz zu Koexistenz von Ideen 227, 236, 240 f. komplexe — 176 ff. — bewirkt durch Bildung komplexer Ideen 208 in den Teilideen begründete — bei Substanzen 242—245 Identität und Verschiedenheit von Ideen 1 5 7 , 1 5 9 ff., 188 f. Induktion —sproblem 253, 263, 267 —sskeptis 267 f. Introspektion (vgl. auch: Reflexion) 106 f., 109 f. Intuition (auch: intuitive Erkenntnis) 146, 1 5 1 , 1 5 3 f·. 157» 1 5 9 — 1 6 1 , 1 7 3 , 1 7 7 » 225 — und Erfahrung 250 — der eigenen Existenz 174, 248 — und Sinneswahrnehmung (vgl. auch: Wahrnehmung) 174 f. Kalkül (auch: formales System) 215, 223 Kategorien 108 f. Kausalität, s.Kraft Koexistenz (vgl. audi: Modus, Substanz) 1 5 7 , 1 5 8 , 226, 237 ff. Kompositionalismus 7 1 f., 84 anschaulicher — 72, 77, 78, 81 f., 84 f. funktionaler — 68, 85 f. Konstruktivismus 104, 120—123 Konvention (auch: Festsetzung, Übereinkunft) 205 ff. —en über Bedeutungen 170 f., 176 — bei der Bildung von Ideen 198 f., 206 — als Rekonstruktion inhaltlicher Wahrheit 205, 216—218, 221, 226
Sachverzeichnis
278
— als Grundlage von Wahrheiten 206, 208, 2 1 1 Konventionalismus 202, 204, 209, 224 Korrespondenz (von Ideen bzw. Ideenrelationen und Realität) 2 1 1 —these („K-These") 183—186, 189, 190, 192, 196, 203, 2 1 1 Kraft 71, 82 f., 89—99, 102 Logik 1 1 4 — 1 1 9 , 220 f., 223
123,
137, 214,
216,
Mathematik (vgl. auch: Arithmetik, Geometrie) 4, 6, 7 f., 67, 99, too, 1 1 4 — 1 2 3 , 137, 176, 179 ff., 200 f., 205 f., 210, 214, 217, 220 f., 224 f., 246 Mechanik 244, 246, 247 Modus gemischter — 194, 195 f., 229, 231 Relationen von Modi vs. Relationen der Koexistenz 230—236, 240, 242 — vs. Substanz 79, 228 f. Moral (Morallehre, Ethik) 191, 192, 194 f., 197, 198, 200 f., 202, 210, 213, 231 Naturwissenschaft 243, 245 t. Notwendigkeit — von Aussagen oder Ideenrelationen (vgl. audi: Dualismus) 170, 193—196, 203, 2 1 1 , 213, 216, 224, 246 — der Koexistenz 240 — in der Mathematik 182, 194 ostensive (auch: exemplarische) Definition oder Einführung eines Wortes 32, 33 f., 1 3 1 — 1 3 3 , 168, 170—172 Phänomenalismus Prädikat 34 f.
103
Qualitäten, primäre und sekundäre (vgl. auch: Ideen, originale) 31, 39, 102, 202, 204, 230 f., 241, 243 f. Rationalismus, rationalistisdi 8 , 1 7 6 , 1 9 9 , 201—205, 2 1 1 , 215, 224, 226, 237, 245, 259, 268 Raum 68, 71, 74—77 Realität — von Ideen 145, 194, 236 — von Aussagen oder Wissen 196 f., 206, 215, 236
Reflexion (vgl. audi: Ideen der —; Erfahrung, innere; Wahrnehmung, innere) 40 ff., 107, 109—112 Repräsentationalismus der Ideen oder des Wissens 42 f., 45 f., 49, 54 sdiematisdies Operieren mit Zeichen 213— 216 Sensation, s. Wahrnehmung, speziell: Sinneswahrnehmung Sensualismus 42, 47, 48, 56 ff., 103, 126 Sinn —esdaten, s. Gegebenes innerer — (vgl. Reflexion) 41, 43, 52, 61, 69, 107 — vs. Verstand 51 —eswahrnehmung, s. Wahrnehmung Sprache (vgl. auch: Wort, Aussage) Aufbau einer — 34, 69 — und Erkenntnis bzw. Wissen 9 , 1 1 f., 58, 62 f., 67, 128 — und Reflexion 64 — und Wahrnehmung bzw. Erfahrung 33, 39, 252, 257 Substanz (vgl. auch: Modus) 165, 202— 204, 228—236, 241 f. trifling propositions, s. Wahrheit, nominale Übereinkunft, s. Konvention Universalien, Theorie der — (vgl. audi: Allgemeinheit von Begriffen, Begriff) 257—260 Ursache, s. Kraft Verschiedenheit von Ideen, s. Identität Verstand —esbegriffe, s. Kategorien —estätigkeiten, -esoperationen, s. Ideen, Tätigkeiten der Bildung von — — vs. Sinne, s. Vernunft, Sinn Vernunft Begriff der — bei Locke 1 1 2 f. — als Erkenntnisquelle neben den Sinnen 5, 47 f., 5 1 f., 55, 108 W-Dualismus, s. Dualismus Wahrheit 139 ff., 193, 195, 198, 205 ff. Zweideutigkeit des Lockeschen —sbegriffes 145, 198, 225 Wahrnehmung (insbesondere: äußere, sinn-
Sachverzeichnis liehe oder Sinnes-, auch: Sensation; vgl· ferner: Beobachtung, Erfahrung) — des Allgemeinen 260 — vs. Analyse der — (Objekttheorie der —) 62, 95 f., 100 Atomismus der — 162 Auszeichnung gegenwärtiger — 254 f. begriffliche — (— und Sprache) 257 Eindeutigkeit der —sinhalte 160—162 — im Verhältnis zu innerer — (— und Reflexion; vgl. auch: Reflexion) 40 fi., 107, 109, speziell bei Condillac 59, 62 fi. Passivität der —, s. Eindruck repräsentationalistische Theorie der — 42—47 Rolle der — im Begriff des Wissens (— und Intuition; s. auch Intuition) 149— 154. 225 — und Wissen von Existenz 46 — als Maßstab oder Grundlage für Wissen 153 f., 255 Wahrscheinlichkeit, wahrscheinliche Kenntnis (vgl. auch: Dualismus, Wissen) 146, 1 5 1 , 263 Wissen (s. auch: Erkenntnis) 103, 146 fi. — des Allgemeinen 242 f. Definition von — 149 f. — und Gewißheit 150 f., 152 Frage nach der Herkunft des —s 60 f. — von Ideenrelationen vs. — von
279
(Ko-)Existenz 147—149, 1 5 5 f., 225, 227 f. Inhalt(e) des —s 146 f., 157 intuitives — (vgl. Intuition) 1 5 3 — von Substanzen, notwendiges 242 — als Wahrnehmung 150, 1 5 1 , 1 5 2 f., 185, 239 — vs. wahrscheinliche Kenntnis (vgl. Dualismus, W-Dualismus) 1 5 2 , 156, 252 fi. zweierlei Art von bzw. einheitlicher Begriff von — 147—149, 154—iß6, 190—192, 227 fi. Wissenschaft — als zusammenhängendes Ganzes (Quine) 130, 2 1 7 f., 220 f. Lockes Einteilung der —en 1 2 2 neuzeitliche — und Philosophie 6—8 —stheorie, —sphilosophie 1 f. Wort, Wörter (vgl. auch: Sprache) 1 1 f., 35 f·. 39. 125 f., 1 3 2 f. Zahl (vgl. audi: Arithmetik) 2 1 8 , 219, 224 Zeichen (vgl. auch: Sprache, Wort) — bei Condillac 58 f., 63—6ß aus —gebrauch hervorgehende Wahrheit 1 1 5 , 136 — bei Locke 140 Zeit 68, 7 1 , 74 f .
Stellen-Verzeichnis
Es sind a l l e Stellen aus dem Lockeschen „Essay" aufgeführt, die besprochen oder auch bloß als Belege erwähnt werden. ,Ep.' bezeichnet die Epistle to the Reader, gefolgt von der Seitenzahl der Fraserschen Ausgabe; ,Int.' bezeichnet die Introduction, gefolgt von der Nummer des Paragraphen. Stellen aus den Entwürfen zum .Essay' finden sich am Schluß. E p . S. 8
.
E p . S. 1 4 E p . S. 1 5
.
E p . S. 23
.
.
•
•
9.153
II.ix. 1
.
.
.
.
.
41
.
.
.
.
7 , 8, 1 2 , 1 0 5
I I . ix. 2
.
.
.
.
.
61
.
.
.
.
12
II.K.3
.
.
.
•
·
41,43
.
.
•
•
12,
19
I I . ix. 3 — 4
.
.
21,
61,62
· .
49 21
Int. 2
.
.
.
.
.
I I . ix. 1 5
.
.
.
• .
Int. 8
.
.
.
.
.
19,78
II.X.2
.
.
.
.
.
128
I . i. 1 8
.
.
.
.
.
15,16
II.x.3
.
.
.
.
.
21
.
.
.
16
I I . x. 6
.
.
.
•
·
73
.
.
•
·
15
I I . xi. 4
.
.
.
.
.
80
I . i. 2 1
.
I . iii. 1
I. iii. I. iii.
. .
.
.
.
•
·
17
II.xi.6
.
.
.
.
.
2 6 , 80
8—18
.
.
• .
• .
17 15,
I I . xi. 9
.
.
.
•
·
22, 23, 25, 29, 37,
• .
· .
9 28,41,44,45,46,
I I . xi. 12
.
.
.
II.
.
.
.
54, 61, 77
I I . xi
80
I I . xii. 1
7
I . iii. 20
.
.
.
II.i.2
.
.
.
II. 1.4
.
.
.
II. 1.5
·
·
II. L 8
·
.
I l . i . 10
.
. .
.
.
17
80 xi. 1 4
.
.
.
122
f.,
.
.
38
•
·
79, " 4 ,
· .
2 2 , 2 4 , 7 9 , 80, 8 1 106 7 9 , 80, 84
.
.
.
50
I I . xii. 2
.
.
.
• .
.
•
·
55
I I . xii. 3
.
.
.
121
.
.
I I . i. 1 8
.
.
.
•
·
55
I I . xii. 4
.
.
.
.
.
229
I I . i. 1 9
.
.
.
• .
· .
43,54. 55 21
I I . xii. 6
.
.
.
.
.
229 80, 8 4
I I . xii. 7
.
.
.
.
.
I l . i . 24
.
.
.
.
.
20
I I . xii. 8
.
.
.
.
.
112,
I l . i . 25
.
.
.
.
.
20,24
I I . xii
.
.
78,
Il.ii. 1
.
.
.
.
.
28
I I . xiii. 2
.
.
•
•
77
II.ii.2
.
.
.
.
.
20
I I . xiii. 1 5
.
.
.
.
•
·
37
II. xiii—xvi
.
.
• .
• .
77 121
I I . i. 2 3 — 2 5
Il.ii. 2 — 3
.
122
114 114
I I . ii. 3
.
.
.
•
·
37
I I . xiv. 2
.
.
.
II.
·
77
.
.
•
·
32
II.
•
.
.
.
.
· .
74, 75, 76, 77, 78 219
iv. 4
xv. 9
.
.
.
.
•
·
43,48
I I . xvi. 1
.
.
.
• .
I I . vii. 1
.
.
.
•
·
82, 9 9
II. xvi. 2
.
.
.
.
.
219
I I . vii. 7
.
.
.
.
.
.
.
219
.
.
99 82
.
.
· .
II. xvi. 3
II.
• .
I I . xvi. 5 — 7
.
.
.
.
122
.
.
.
31,95 204
xix. 1 . II. xxi. 1 .
. .
. .
•
·
55
.
· .
II.
.
• .
•
·
2 i , 90, 9 1 , 9 3
I I . vi
vii. 8
I I . viii. 2 I I . viii. 1 7
Stellen-Verzeichnis II. xxi. 3 . . . II. xxi. 4 . . . II. xxi. 5 . . . II. xxi. 7 . . . II. xxi. 19 . . II. xxi. 75 . . II. xxi . . . II. xxiii. 7 II. xxiii. 8 II. xxiii. 15 II. xxiii. 19 II. xxiii. 28 II. xxiii . II. xxv. 11 II. xxvi. 1 II. xxvi. 2 II. xxvi. . II. xxvii. 22 II. xxvii. 24 II. xxvii. 26 II. xxvii . II. xxx. 1 . II. xxx. 4
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . . . . .
. . .
.
.
. . . . .
.
82,91
• 91 • 91, 93 • 91 .
82
.
102
.
84
.
236
• 82,83,91 • 83,91
• 47. 50 .
II
• 93 • 84 81 81 . 81
• 91. 98 • 93 . 84
• • • •
55 55 55 55
.
194
• 24 .
II. xxxi. 3 . . II. xxxi. 12 . . II. xxxi. 14 . . II. xxxii. 2—3 II. xxxii. 3 . . II. xxxii. 5 . . II. xxxii. 8 . . II. xxxii. 12 . . II. xxxii. 17 . . II. xxxii. 19 . . II. xxxii. 25 . . II. xxxii. 26 . . II. xxxiii. 19 . . III. ii. 2 . . . III. iii. 2—3 . . III. iii. 2—4 . . III. iii. 3 . . . III. iii. 3—4 . . III. iii. 4 . . . III. iii. 7 . . . III. iii. 7—8 . . III. iii. 7—9 . . III. iii. 9 . . .
• 195
281
III. iii. io . III. iii. ix III. iii. Ii—ι III. iii. 12 III. iii. 13 III. iii. 14 III. iii. 15 ff. III. iii. 19 III. iii . . III. iv. 2 . III. iv. 7 . III. iv. 10 III.iv.11 III. iv. 12—1 III. iv. 15 III. iv. 16 III. iv. 17 III. ν. 1 . III. v. 3 ff. III.v.5 · III. v. 5—6 III. v. 6 . III. v. 6—7 III.V.7 . III. v . i i . III. vi. 9 . III. vi. 29 . I I I . v i . 29—30
• 194.195,196,197 • 22, 24 . 196
• 139 .
139
• 193 • 193 • 213 . 198 .
140, 261
• 193 • 193. 195 . 122
• 141 • 19 • 23
• 257 • 37 • 257 • 27 • 27
. 26
III. vi. III. vi. III. vi.
30 32 39
I I I . vi. 40—41
III. vi. 44 ff. III. vi. 50 Ill.vii. . Ill.vii. 1 . III. ix. 5 . III.ix.8 . III.ix. 11 III. ix. 13 III. ix. 14 III. ix. 21
III. x. 18—19 III. x. 27 . . III. x. 30 . . III. xi. 7 . . III. xi. 14 . . III. xi. 15—18 III. xi. 16 . III. xi. 17—19
75. 77. 166, 232,
2 66 22,
27
165
25 28,
29
165 165 165 29, 80, 128 22
31 31. 95 31. 32 166 167 30 24. 229
235 229, 233
235
199
199.
232
199
233 232 83
28, 232
234 165.
234
165 27. 165
236 197
262
133 34
164 164 230, 264 164,
234
26 11,
13,
62, 63,
122, 166, 256 262
16,
236 265
32
198 165 164
282
Stellen-Verzeichnis
III. xi. 18 . III. xi. 21 . III. xi. 24 . III.xf.25 • IV. i. 1—2 IV. i. 2 . IV. i. 3 . IV. 1.4 .
• • . . • • • .
IV. i. 5 . IV. i. 6 IV. i. 7 . IV. i. 8—9 IV. i. 9 . IV. ii. 1 .
• • . • •
IV. ii. 5 • IV. ii. 14 .
• •
IV.iii.8 . IV. iii. 10 . IV. iii. 11 . IV. iii. 1 1 - 13 · IV. iii. 13 . IV. iii. 14 .
. . • • • .
IV. iii. 14— 15 · IV. iii. 14— 16 . IV. iii. 15 . IV. iii. 16 . IV. iii. 18 . IV. iii. 20 . IV. iii. 25 . IV. iii. 26 . IV. iii. 28 . IV. iii. 29 . IV. iii. 30 . IV. iii. 31 . IV. iv. 3 . IV.iv.4 · IV. iv. 5 . IV. iv. 5—9 IV. iv. 6 ff. IV. iv. 7 . IV. iv. 9 . IV. iv. 12 . IV. iv. 14—16 . IV. iv. . . IV. v. 2 . IV. v. 3 . IV. v. 3—4 IV. v. 5 ·
. . • • . . • • . . • • . . • . • • . . • • . .
.
195.235 83 28, 230,264 164 144 46, 149 148, 157 144, 160, 161, 166, 167 144 145,240 148. 157 158 153 144, 153, 158, 159,160,161,178 153,162 46, 54, 149, 153, 175 163 242 231 83,243 158, 231, 243 150, 204, 242, 243
202 158 243 239, 243 160, 178, 200 198 243, 244 239,243 200, 242 200 7 245 149 212 195, 196, 199 216 197,199 197 201 236 165 54,147,149 18,140 140 Ijn
• 140,143
IV. v. 6 IV. v. 8
. . . . . . . .
•
. 140,141,143 . 140, 141, 145, 228,230 . 140 · 139 · 145 . 151 . 262 . 262 · 242, 243 . 264 · 145, 203, 240, 241, 243, 244 · 245
•
•
IV. v. 9 . . IV. v . i i . . IV. ν IV. vi. 3 . . IV. vi. 5 . . IV. vi. 6—7 . IV. vi. 7 . . IV. vi. 9—10 IV. vi. 10 . .
. . . • • . . . . . . . • . . •
IV. vi. 11 . . IV. vi. 13 . . IV. vi. 14 . . IV. vi. 15 . . IV. vi. 16 . . IV.vii.2 . . IV. vii. 4 . . IV. vii. 9 . . IV. vii. 10 . IV. vii. 11 . IV. vii . . . IV. viii. 3 . . IV. viii. 3 . . IV. viii. 4—5 IV. viii. 6—8 IV. viii . . IV. ix. 1 . .
. . . . . . . . . . . . .
IV. ix. 1—2 IV. ix. 2 . IV. ix. 2—3 IV. ix. 3 . IV. ix IV. ix—xi IV. χ. 1 .. IV. x. 2 . IV. x. 19 . IV. xi. 2 . IV. xi. 3 . IV. xi. 8 . IV. xi. 13 . IV. xi. 14 . IV.xii. 9 . IV. xii. 11 IV. xiii. 1 . IV. xiii. 2 . IV. xiii . IV. xiv. 2 . IV. xiv. 3 .
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· τ 50,
· · . . · . . · . · . . . ·
24}
243 243 243 181 160, 164 27 160 209 154 141 159 209 181 209 Ϊ55, 190, 227, 228, 237 147 148, 175 46 250 47 147 151 54, 149 91. 93 95 46, 54, 149, 175 54, 145, 149 200 200, 211, 216 230 210 150 150 104 253 151, 239
Stellen-Verzeichnis IV.xiv. 4 . IV. xv. ι IV.xv.3 . IV. xvii. 8 IV. xvii. 17 IV. xvii. 18 IV. xvii. 24 IV. xvii . IV. xviii. 3 IV. xviii. 4 IV. xviii. 7 IV. xviii. 9 IV. xviii. ir IV. xviii .
. . • · 149, 151» 239 151 . . . . 151, 238, 239 . . • · 23 . . • · 149. 151 . . . . 213 . . . . 112 . . • · "2,154 . . • · 32,113 . . . . 112 . . . . 112 . . . . 113 . . . . 113 . . . . 112
IV.xix IV. xxi. 4
283
. . ..
IV.xxi Draft A >11 . Draft A 12 . Draft Α ξ 30 . Draft A 31 . Draft Β § 42. . Draft Β § 4 4 . . Draft Β § 51 . . Draft Β § 52 . . Draft Β § 92. . Draft C >§ 5—6
. . . . . . . . . •
. 113 • 43, 45, 46, 119, 141 . 122 . 180, 181, 185 . 182, 183, 186 . 181, 183, 188 . 188, 189 . 186 . 181,185 . 186, 187 • 185,190 • 194 • 29