Mr. Isaacs: Eine Erzählung aus dem heutigen Indien [Aus dem Engl. übers., Reprint 2021 ed.]
 9783112396681, 9783112396674

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Eine Erzählung aus *bem heutigen Indien von

F. Marion Craurford.

Autorisirte Uebersetzung aus dem Englischen von

Therese Hopfner.

Berlin,

Druck und Verlag von Georg Reimer. 1892.

Erstes Kapitel. Was auch Jean Jacques und seine Schule sagen mag — der Mensch wird nicht überall frei geboren, eben so wenig wie er überall Ketten trägt, wenn er sich nämlich nicht selbst welche schmiedet! Und nun gar in Ländern, wo schrankenlose Freiheit oder zügellose Tyrannei das Auf­ kommen sogenannter Abenteurer begünstigt, kann ein Mensch sich entweder durch eigene Willenskraft, oder durch unter Umständen noch erfolgreichere Kriecherei zu jeder beliebigen Höhe emporarbeiten; fehlen ihm diese Eigenschaften,. so kann er freilich auch zu einer um so tieferen Stufe hinab­ sinken. Wo Freiheit in Zügellosigkeit ausärtet, wird sich die instinctive Raubgier frecher und gewissenloser Leute gar leicht der Vortheile, Güter und Ehrenstellen bemächtigen, welche von Rechtswegen Anderen gebührten; und in den Ländern, die leider noch zahlreicher und sicherlich noch un­ glücklicher sind, wo Tyrannei an die Stelle des göttlichen Gesetzes getreten ist, wird der unermüdliche Schmeichler, der bei Schlägen geduldig und bei gutem Futter enthaltsam bleibt, sicher zu einer mächtigen Stellung gelangen. Im Orient besteht seit den frühesten Zeiten, von denen wir Kunde haben, erblicher oder doch traditioneller Despotis1*

4 mus, und entwürdigender als irgend ein Feudalsystem ist die Gesinnung, welche dort den Hauptracen in Fleisch und Blut übergegangen ist; eben darum bietet der Orient dem Aufkommen und der Entwickelung des ächten Abenteurers weit günstigeren Boden als irgend ein freies Land. Denn in diesem kann sich die Majorität gegen den Glücksritter erheben und ihn stürzen, nicht so in einem despotischen Staate. Von den östlichen Ländern, wo derartige Zustände herrschen, liegt uns Rußland am nächsten; vielleicht aber verstehen wir den chinesischen Volkscharakter besser als den russischen! Im türkischen Reich und in Persien herrscht jetzt wie immer eine schlaue Bande von Schmeichlern, die im Namen ihres sogenannten Herrn handeln. Indien aber, unter der milden Regierung der Engländer, ist das voll­ endete Beispiel eines ruchlosen Militärdespotismus, wo kein Blut gespart, keine Kriegslist unterlassen worden, um den elenden Sklaven — sie sind ja nichts anderes! — den letzten Heller abzupressen, und die Reichen ihres rechtmäßigen Besitzes zu berauben. All diese Länder sind reich an Ge­ schichten von Abenteurern, die sich vom gemeinen Soldaten zum Feldherrn aufgeschwungen, von hausirenden Kaufleuten, die Fürstentöchter geheirathet haben, von tapferen Matrosen, die Admiräle geworden, halbgebildeten jüngeren Söhnen englischer Pairs, die im unbestrittenen Besitz unrechtmäßig erworbener Millionen gestorben sind. Mit der starken persönlichen Gewaltherrschaft Napo­ leons I. begann eine neue Aera von Abenteurern in Frank­ reich, nicht so eleganter und gebildeter, wie St. Germain, Cagliostro oder die Gräfin de la Motte, sondern richtiger Lumpazi, Halsabschneider und Haudegen, die sich durch bloße Körperstärke und Brutalität zum Ruhm durchhieben und stachen.

5 Unendlich mehr Grazie und Romantik findet sich bei dem orientalischen Abenteurer. Zu Hauen und zu Stechen giebt's da wenig, und das Wenige wird so still als mög­ lich abgemacht. Wenn ein Sultan die letzte überflüssige Frau los werden soll, so wird sie mit ein paar Bleikugeln ganz ruhig in einen Sack gepackt und ohne weitere Um­ stände in den Bosporus geworfen. Der gute altmodische Rajah von Mudpoor besorgte seine Schlächtereien ohne großes Aufheben, und wenn die milden Britten eine Sache geheim halten wollen, so wird der Betreffende an einem ruhigen Orte aufgehängt, wo es keine Reporter giebt. Wie in den griechischen Tragödien geschieht das Blutvergießen hinter der Scene, und es ist weiter kein Ruhm, nur Ge­ winn, bei der Sache. Manchmal erscheinen die Geister der Verstorbenen in den Spalten aussätziger indischer Zei­ tungen und murmeln ein schwaches: Otototoi! etwa wie der Schatten des Darius, aber die milden Britten achten wenig auf solche Erscheinungen. Obgleich also nach dem „Schlagadodro"-Typus des Abenteurers im Orient geringe Nachfrage ist, so ist dort reichlicher Spielraum für den intelligenten und listigen Schmeichler, und auch einiger Boden für den ehrlichen, hervorragend Begabten, welcher von orientalischen Vorurtheilen genügend frei ist, um Alles, was ihm vorkommt, energisch anzugreifen und es allen Concurrenten um die Gunst des Glückes durch bloßen Fleiß und kluge Umsicht zuvorzuthun. Ich habe einen Mann im Orient gekannt, der weder ein Schmeichler noch ein Freibeuter war, der sich aber durch seine eigene meisterhafte Ausdauer zu ungeheurem Reichthum emporarbeitete und damit auch zu der Art von Macht, die der Reichthum mit sich bringt, obschon seine hohen Begriffe von den Zielen der Menschheit ihn von "der

6 Einmischung in politische Fragen zurückhielten. „Bon chien chasse de race“ ist ein Sprüchwort, welches von Pferden, Rindern und Menschen eben so gut gilt wie von Hunden, und in diesem Manne, einem edlen Typus der arischen Race, waren die Eigenschaften, welche diese Race zur herr­ schenden gemacht haben, im höchsten Maße entwickelt. Aller­ dings dürfte das Folgende den Ethnographen in ein Labyrinth von Conjecturen führen, aber die Geschichte ist zu verlockend für mich, um sie nicht zu erzählen, wenn auch besagter Ethnograph über der Anstrengung, das Räthsel zu lösen, den Verstand verlieren sollte. Im September 1879 war ich in Simla im unteren Himalaya, — zur Zeit der Ermordung Sir Louis Cavagnari's in Kabul, — und zwar im Interesse einer anglo-indischen Zeitung, die ich damals redigirte. In an­ deren Ländern, besonders in Europa und Amerika, giebt es hunderte von Kurorten am Strande oder im Gebirge, wo besondere Uebel durch die entsprechenden Einwirkungen von Luft oder Wasser, oder beide vereint, Heilung finden. Dem vornehmen und ehrwürdigen Beispiel der Bischöfe von Salzburg folgend, sagt man seit acht Jahrhunderten den Monarchen auf dem Continent, daß Luft und Wasser im Hof Gastein das einzige Heilmittel für das überar­ beitete Gehirn eines gekrönten Hauptes sei. Der bequeme Sybarit wird nach Ems, Wiesbaden oder Aachen geschickt und der fast unheilbare Genußmensch nach Aix-les-bains in Savoyen oder nach Karlsbad in Böhmen. Unser herr­ liches Vaterland (Amerika) hat in allen seinen Staaten einen Ueberfluß an Bethesda's, von den reizenden Wassern Saratoga's bis zu den magnetischen Brunnen von Lansing in Michigan, von Virginia, diesem Schatzkästchen voll Quellen, den sprudelnden, warmen und heißen Schwefel-

7 quellen, den weißen Schwefel- und den Alaunbrunnen, bis zu den heißen Quellen von Arkansas, der Ultima Thule unseres wandernden und verzweifelnden Geschlechtes. Was aber auch in Indien das Uebel sein mag, schleichendes oder hitziges Fieber, „Spirituosenfieber", Malaria in Folge der Tigerjagd in Terai, oder an den Ufern des Ganges angesteckte Ruhr, für Alles gicbt's nur eine Kur: die Berge, und die Hauptstation in den Bergen ist Simla. Mehr auf der Hüfte als auf der Schulter des emporstrebevden Himalaya gelegen, vereinigt Simla — oder Schumla, wie es die Eingeborenen nennen — während der feuchten Monsoon-Periode einen noch mannigfaltigeren Zusammenfluß von Pilgern als selbst Bagneres de Bigorre in Südfrankreich, wo der muntere Franzose die Dame, mit der er gerade sprach, um Erlaubniß bat, sie plötzlich verlafsen zu dürfen, um sich seiner noch übrigen Lunge zu entledigen; der Verlust der ersten hatte ihn hingeführt. „Pardon, Madame, sagte er, je m’en vais cracher mon autre poumon!“ Nach Simla begiebt sich die ganze hohe Regierung für den Sommer — der Vicekönig, die Minister, die Beamten, Buchdrucker und Alles was drum und dran hängt. Dorthin bringt der hohe Beamte aus der Ebene seine Frau und Töchter, und seine kranke Leber. Dort sammeln sich die Journalisten, um die Neuigkeiten aufzu­ fangen, welche durch das Schutzdach offizieller Discretion durchsickern, oder wenn solche spärliche Tropfen ausbleiben, so viel zu fabriziren, als genügt, um die Spalten ihrer Tagesblätter zu füllen. Auf den Abhängen des Jako (des waldigen Hügels oberhalb der Stadt) errichtet der unternehmende Deutsche sein Conzertlocal und seinen Bier­ garten; unter den Rhododendren treiben Madame Bla-

8 vatzki, Oberst Olcott und Mr. Sinnet geheimnißvoll ihr Wesen mit ihren wunderbaren Darstellungen; und es fehlt weder der reiche Tourist aus Amerika, der Botaniker aus Berlin, noch auch gelegentlich ein brittischer Pair, um die bunte Menge zu vervollständigen. Im eigentlichen Simla giebt es keine fahrbaren Wege, mit Ausnahme eines schma­ len, der zu meiner Zeit (und wahrscheinlich noch jetzt) für den ausschließlichen Gebrauch des Vicekönigs reservirt war. Jedermann reitet, Mann, Weib und Kind, und man sieht alle möglichen Arten von Pferden, von Lord Kildare's Voll­ blutthieren bis zu dem breitschultrigen Reitpferde von Mr. Currie Ghyrkins, dem Obersteuereinnehmer aus Mudnugger in Bengalen. Aber ich darf mich nicht lange bei der Be­ schreibung dieses höchlich bevorzugten Ortes aufhalten, wo Baron von Zach neue Beweise für die Anziehungskraft der Berge auf das Pendel finden könnte. Nachdem ich mich einigermaßen orientirt, und meine Dienerschaft nebst meinem Gepäck in einem renommirten Hotel untergebracht hatte, begann ich mich umzuschauen, und als intelligenter ameri­ kanischer Beobachter, der zu sein ich mir schmeichle, fand ich großes Vergnügen daran, an den Leuten, die mir unter der bunt bewegten Menge auf der Veranda oder auf der Promenade auffielen, Charakterstudien zu machen. Endlich kam die Mittagsstunde. Mit den klebrigen schritt ich in den großen Speisesaal und nahm meinen Platz ein. Der für mich bestimmte war der letzte an einer Seite der langen Tafel und der Stuhl mir gegenüber war noch leer, obschon zwei auffallend gut gekleidete Diener in weiß und goldenen Turbanen mit gekreuzten Armen da­ hinter standen, augenscheinlich ihren Herrn erwartend. Er kam auch bald. Ich erinnere mich nicht, daß je in meinem Leben die äußere Erscheinung eines Menschen

9 einen solchen Eindruck auf mich gemacht hätte.

Er setzte

sich mir gegenüber; gleich darauf ging einer seiner Diener,

oder khitmatgars wie sie genannt werden,

hinaus und

kehrte mit einem Becher und einer Karaffe von unschätz­ barem Werthe, im reinsten altvenetianischen Styl zurück. Er füllte den ersteren und reichte ceremoniös seinem Herrn einen vollen Becher frischen Wassers/

Ein Wassertrinker

ist in Indien überhaupt schon ein Phänomen,

aber ein

Wassertrinker, der seine Sache so künstlerisch betrieb, war mir durchaus eine noch ungesehene Erscheinung.

teressirte er so,

daß ich kaum schweigen konnte,

Mich in-

und als

ich dieses Mannes mäßiges Mahl beobachtete — denn er

aß sehr wenig — verglich ich ihn mit unseren Tischnach­

baren, welche, wie die Gefangenen der Circe, mit einander zu wetteifern schienen, wer das meiste Rind- oder Hammel­

fleisch verschlingen, und wer die meisten Gläschen jener widerlichen Mischung von Arac, Eis und Sodawasser ver­

tilgen könne, die so viel kräftige Constitutionen unter der tropischen.Sonne zerstört hat.

Während ich ihn beobachtete, Ich prüfte

schien es mir als müsse er ein Italiener sein.

sein Aussehen genau und lauschte auf ein Wort, das seinen Accent verrathen würde.

Er sprach mit seinem Diener

Hindostanisch und mir fiel sofort der eigenthümliche Klang der Zahnlaute auf, den ein Nordländer sich nie aneignen

kann.

Ehe ich weitergehe, will ich es versuchen, Mr. Isaacs zu beschreiben. Nach unserer ersten Begegnung hätte ich das freilich nicht gekonnt, aber spätere Bekanntschaft mit

ihm und die Ereignisse, weiche ich erzählen will, brachten

mich so oft in seine Nähe, und gaben mir so reichlich Ge­ legenheit zur Beobachtung, daß die kleinsten Einzelheiten seiner Gestalt und seiner Gesichtszüge, sowie die geringsten

10 Eigenthümlichkeiten seines Charakters und Wesens sich meinem Gedächtniß unauslöschlich eingeprägt haben. Isaacs war mehr als mittelgroß, obschon er nicht groß genannt werden mochte. Eine natürliche Grazie war allen seinen Bewegungen eigen, ob sie abgemessen oder heftig waren, — und er ging oft von einem Extrem zum anderen über — eine Grazie, welche Jeder mit der Kennt­ niß des menschlichen Körpers Vertraute, leicht erklären konnte. Die vollkommene Harmonie aller Theile, das Ebenmaß aller Muskeln, die gleichmäßige Vertheilung der Kraft, die weder übermäßig noch überwältigend, doch stets zur Thätigkeit bereit war, die natürliche Anmuth der Be­ wegungen, alles das sprach für einen Körper, bei dem das richtige Verhältniß aller Glieder und Sehnen zugleich die Haupteigenschaft und das besonders Charakteristische bildete. Ein länglich ovales Gesicht von wunderbar durchsichtiger Olivenfarbe und ausgesprochen orientalischem Typus; eine vorspringende Stirn und zarte gewölbte Augenbrauen über­ ragten eine sanft gebogene Nase, -mit breiten,, wohlge­ formten Naslöchern, die kräftigen Muth andeuteten. Sein Mund lächelte oft, lachte nie; die fest geschlossenen Lippen waren nicht dünn, zuckend und listig, wie man das so oft auf orientalischen Gesichtern sieht, sondern eher zu griechi­ scher Fülle geneigt, die sich kräuselnden Linien immer­ bereit Sympathie oder Verachtung auszudrücken, während die gebietenden Züge darüber sie zu lenken und zu zü­ geln schienen, wie der ernste Araber sein widerspänstiges Pferd im Zaume hält, oder ihm nach Belieben die Zügel schießen läßt. Obgleich aber Mr. Isaacs von der gütigen Natur mit exceptionellen Gaben der Schönheit' ausgestattet war, zogen doch die von mir erwähnten keineswegs zu allererst

11 die Aufmerksamkeit des Beobachters

aus sich.

Ich habe

von seiner graziösen Gestalt und seinen vollkommen iranischen Zügen gesprochen, und doch bemerkte ich sie kaum bei unserer ersten Begegnung. Ich wurde von seinen Augen gefesselt und bezaubert. In Frankreich sah ich einst ein Kleinod aus sechs Edelsteinen zusammengesetzt, jeder an sich ein Juwel von hohem Werth, aber so gefaßt, daß sie nur eine Masse zu bilden schienen; das funkelte in selt­ samem Glanze, der alle Augenblick die Farbe wechselte und das Sonnenlicht tausendfach vervielfältigte. Wollte ich einen Vergleich für die Augen meines Freundes suchen, so fünde ich einen, wenn auch unvollkommen in diesem Meisterstück der Juwelirkunst Seine Augen waren dunkel und merk­ würdig groß; halbgeschlossen waren sie länglich und mandel­ förmig, öffneten sie sich plötzlich im Zorn oder vor Ueberraschung, so waren sie rund und hatten die kühne Schärfe des Adlerblickes. Es war darin eine Tiefe des Lebens und Fülle des Lichtes, welche die gebundene Kraft von hundert Generationen persischer Magier verrieth. Sie flammten mit dem Glanze einer göttergleichen Natur, die weder Speise noch starken Getränkes bedarf, um. ihre Kraft zu nähren. Ich kam zum Schluß: nach seinen Augen, seiner Mäßigkeit und seinen Zahnlauten konnte er wohl ein Italiener sein. Da ich selbst in Italien geboren bin, ob­ wohl von amerikanischen Eltern, redete ich ihn italienisch an und hielt mich seiner Antwort ziemlich gewiß. Zu meiner Ueberraschung und einigermaßen zu meiner Ver­ legenheit antwortete er mir mit zwei neugriechischen Worten — "8sv ^vorjua” — „ich verstehe nicht". Augenscheinlich vermuthete er, ich spräche einen griechischen Dialect und antwortete mit dem einen Satze, den er in dieser Sprache kannte, und überdies war es kein guter Satz.

12 „Entschuldigen Sie, sagte ich auf Englisch, ich hielt Sie für einen Landsmann und wagte, Sie in meiner Sprache anzureden. Darf ich fragen, ob Sie englisch sprechen?" Ich war nicht wenig erstaunt, als er mir in reinstem Englisch antwortete, augenscheinlich die Sprache beherr­ schend. Wir kamen ins Gespräch, ich fand ihn piquant, schlagfertig, leicht angeregt und sehr unterhaltend, mit anglo-indischen und englischen Angelegenheiten gründlich vertraut und wie es schien güt belesen. Ein indisches Mittag dauert lange, so hatten wir reichlich Zeit, das Eis zu brechen, für Nicht-Engländer immer eine leichte Sache, und als er mich nach dem Dessert einlud, in sein Zimmer zu kommen und mit ihm zu rauchen, nahm ich gern die Aufforderung an. Wir trennten uns auf einige Augen­ blicke, und ich schickte meinen Diener zu dem Hotelbesitzer, um den Namen des fremden Herrn zu erfragen, der wie ein Italiener aussah und wie ein Mitglied der Universität Oxford sprach. Nachdem ich erfahren hatte, daß er ein „Mr. Isaacs" wäre, suchte ich meinen Weg über Veranden und Corridore, unter Vortritt eines chuprassie und ge­ folgt von meinem Pfeifenträger, bis ich nach seinen Zim­ mern kam. Der Hookah oder Narghyle ist in Indien bei dem englischen Theil der Gesellschaft längst aus der Mode ge­ kommen. Die Cheroot aus Burmah oder Trichinopolis, die ägyptische Cigarette oder die theurere Manilla und Havannah Cigarren haben seine Stelle eingenommen oder usurpirt. Ich aber, in meiner ersten Begeisterung für den Orient wagte es, der alten Sitte zu huldigen, und war von dem trägen aromatischen Genusse, welchen ich aus der etwas

13 schwerfälligen Maschine zog, so entzückt, daß ich sie während meines Aufenthaltes in Indien nicht wieder aufgab. Als daher Mr. Isaacs mich aufforderte in oder viel­ mehr draußen vor seinem Zimmer zu rauchen, denn die Septemberluft war noch warm, befahl ich meinem „Träger" den Apparat herunterzuholen und in Ordnung zu bringen. Ich selbst trat, der Einladung meines neuen Bekannten folgend, durch die Glasthür ein und war neugierig, die Behausung kennen zu lernen, in der ein Mann, der mir als so durchaus eigenartig aufgefallen war, seine Sommer­ monate zubrachte. Einige Minuten nach meinem Eintritt stand ich sprachlos und athmete kaum. Es schien mir, als wäre ich plötzlich in das unterirdische Gewölbe versetzt, wo Aladin die Wunderlampe suchen ging. Ein mildes aber kräftiges Licht füllte das Zimmer, obschon ich zuerst nicht begriff, woher es kam; ich dachte auch nicht daran, mich danach umzusehen, so geblendet war ich durch den Glanz der Dinge, die sich meinen Blicken darboten. Es schien, als wären die Wände und die Decke mit Gold und Edelsteinen überkleidet, und das war in der That fast buchstäblich wahr. Das Gemach war, wenigstens nach in­ dischen Begriffen, klein und jeder benutzbare Raum^ jeder Winkel, jedes Eckchen, war mit goldenen und juwelenbe­ setzten Zierrathen, blinkenden Waffen und ungestalten aber glänzenden Götzenbildern ausgefüllt. Da blitzten Säbel in über und über mit Diamanten und Saphiren besetzten Scheiden, mit Kreuzgriffen von Rubinen in lauteres Gold gefaßt, Beutestücke aus dem Schatze eines beim Aufstande besiegten Rajah oder Nabob. Da waren vier Fuß hohe Narghyles, mit Edelsteinen und seltsam getriebener Arbeit

aus Bagdad und Herat verziert; Wasserkrüge von Gold und Trinkschalen aus Nephrit, Aataghans aus Roum und

14 Götzenbilder aus dem fernen Osten. Prachtvolle Lampen von orientalischer achteckiger Form hingen von der Decke herab und mit aromatischem Oel gespeist, verbreiteten fie ringsum ihr sanftes Licht. Der Fußboden war mit einem kostbaren weichen Teppich bedeckt und auf niedrigen Divans lagen Kissen von dunkler Seide mit Gold gestickt. In einer Ecke, welche der Lieblingsplatz meines Wirthes zu sein schien, lagen einige prachtvolle iüuminirte arabische Manuskripte ausgeschlagen am Boden und von einer silber­ nen Räucherplatte daneben strömte eine leichtgekräuselte schneeweiße Rauchsäule ihren zarten Duft durch die stille Luft. Aus der Alltäglichkeit eines steifleinenen anglo-indischen Hotels in eine solche Umgebung versetzt zu werden, war mir etwas ganz Neues und -Entzückendes. Kein Wun­ der, daß ich überrascht und sprachlos dastand. Mr. Isaacs blieb an der Thür stehen, während ich den wunderbaren Anblick in mich aufnahm. Endlich wendete ich mich um und mehr als die Pracht des leblosen Reichthums um mich her, fesselte mich die majestätische Erscheinung des schönen lebenden Wesens, das mich durch einen Wink mit seinem Zauberstabe, oder prosaisch gesprochen, durch eine Ein­ ladung zum Rauchen, aus dem Alltagsleben in eine Märchenwelt voll blendender Phantasiegebilde und un­ schätzbarer Wirklichkeiten des magischen Ostens versetzt hatte. Wie ich ihn anschaute, schien es, als ob das Licht der Lampen von seinen dunkeln Augen aufgefangen und zurückgestrahlt wurde wie lebendiges Feuer, und mehr als je erkannte ich darin die unerklärliche Verschmelzung der Edelsteine mit dem leuchtenden Funken der darin lebenden Göttersecle. So stand ich einige Augenblicke; er ergötzte sich augenscheinlich an meinem Staunen, ich war wie bezaubert und gespannt auf die Lösung des

15 Räthsels,

das mir in seiner Person und Umgebung ent­

gegentrat. „Ja, sagte Isaacs, Sie find natürlich von meinem kleinen Eldorado überrascht, das so still im Erdgeschosse eines ganz gewöhnlichen Hotels versteckt liegt, vielleicht auch darüber, mich hier zu finden. Aber kommen Sie hin­ aus, Ihr Hookah glüht und es glühen die Sterne!" Ich folgte ihm auf die Veranda, wo die landesüb­ lichen langen Rohrstühle standen, nahm das Pfeifenrohr aus der Hand des feierlichen Muselmanns, dessen Amt es war, es mir zu reichen und streckte mich zu der behag­ lichen Ruhe aus, die man nur in südlichen Ländern ge­ nießt. Still und so recht bewußt glücklich, sog ich langsam den duftenden Hauch des Tabacks und der aromatischen Kräuter so wie des Honigs ein, womit der Hookah gefüllt wird. Kein anderer Laut als das Gurgeln und Glucksen des durch's Wasser strömenden Rauches oder das leise Rauschen der Blätter von den hohen Rhododendren aus dem Rasenplätze, die mit ihren dunkeln Zweigen in die

Nacht hinauswogten! Der Mond schien nicht, aber die Sterne leuchteten heü und klar, der schaumige Pfad der Milchstraße streckte sich über uns aus wie die Spur eines großen himmlischen Schiffes; ein milder gedämpfter Schim­ mer von den Lampen im Zimmer warf einen goldigen Schein auf die Veranda, und wenn ein leichter Luftzug die Kohlen anfachte, kam von der Räucherplatte drinnen ein Duftwölkcheu zu uns heraus und mischte sich lieblich mit dem Geruch des chillum in der Pfeife. Der Diener mit dem Turban saß in einiger Entfernung auf den Stufen und starrte in die Dämmerung hinaus, wie Inder das stundenlang thun können. Isaacs lag ganz still in seinem Stuhl, die Hände über dem Kopfe, das Licht fiel durch die

16 offene Thür gerade auf die Edelsteine an seiner Pfeifen­ spitze. Er seufzte, halb klagend, halb zufrieden, und schien sprechen zu wollen, aber der Geist ergriff ihn nicht, und das tiefe Schweigen dauerte fort. Ich war so ganz in Nachdenken über das Gesehene versunken, daß. ich nichts zu sagen hatte, und die merkwürdige Persönlichkeit des Mannes ließ mich wünschen, er möge selbst das Gespräch beginnen, damit ich vielleicht einen Einblick in sein Wesen und Denken gewänne. Zu Zeiten erscheint das Schweigen fast unerklärlich heilig. Ein inneres Gefühl sagt uns, daß sprechen beinahe ein Frevel sein würde, obgleich wir uns eine solche Stille kaum erklären können. In solchen Augen­ blicken scheint Jeder unwillkürlich denselben Einfluß zu empfinden, und wer zuerst den Zauber bricht, hat entweder ein Gefühl von Befangenheit und sagt etwas recht Alber­ nes, oder läßt eine schwerfällig ernste Sentimentalität oder hochtrabende Sentenz los. Während ich rauchte und den großen glühenden Kopf der Wasserpfeife beobachtete, fiel durch die Hitze emporgetrieben, ein Kohlenstückchen über den Rand und schlug klirrend auf die Metallplatte darunter. Das feine Ohr des Dieners auf den Stufen hörte den Ton, er stand auf und kam herbei, um das Feuer zu schüren. Obschon er nicht sprach, war das doch eine Unter­ brechung. Der Zauber war gebrochen. „Die Deutschen sagen: es fliegt ein Engel durch die Luft, sagte Isaacs. Ich glaube nicht daran." Diese Bemerkung überraschte mich. Es schien mir für Isaacs nicht recht natürlich, daß er anfangen sollte, über die Deutschen zu sprechen, und aus dem Tone seiner Stimme hätte ich fast abnehmen können, daß er das Sprüchwort für einen Glaubensartikel der Teutonen im Allgemeinen hielt.

17 „Ich glaube nicht daran, wiederholte er nachdenklich. Es giebt keine „vorüberfliegenden" Engel. Das ist ein falsch angewandter Ausdruck. Wenn es Engel giebt, so kann ihr Wechsel des Ortes nicht als Bewegung aufgefaßt werden, denn der Natur der Dinge nach müßte ein solcher Wechsel augenblicklich sein, ohne Zeit als nothwendiges Element zu erfordern. Haben Sie jemals recht über Engel nachgedacht? — Aber, verzeihen Sie die plötzliche Frage, es ist Niemand da, um uns vorzustellen — wie heißen Sie?" Mein. Name ist Griggs — Paul Griggs. Ich bin ein Amerikaner, aber in Italien geboren. Ich weiß, Sie heißen Isaacs; aber offen gestanden, ich begreife nicht, wie Sie zu dem Namen kommen, denn ich glaube nicht, daß Sie englischer, amerikanischer oder jüdischer Abkunft sind." „Ganz recht, sagte er, ich bin weder ein Iankee, noch ein Jude, noch ein beef-eater, überhaupt kein Europäer. Und da Sie meine Nationalität wahrscheinlich nicht er­ rathen würden, will ich Ihnen sagen, daß ich ein Perser bin, ein reiner Iraner, ein entarteter Abkömmling von Zoroaster, wie Ihr ihn nennt, aber meines Glaubens nach ein Anhänger des Propheten, dessen Name gesegnet fei, setzte er mit einem Ausdruck hinzu, den ich damals noch nicht verstand. „Ich nenne mich Isaacs der geschäftlichen Kürze wegen. Es steckt kein Geheimniß dahinter, denn Vielen ist meine Geschichte bekannt, aber der Name hat einen anziehenden semitischen Klang, der zu meinem Be­ rufe paßt und ist für Engländer kürzer und bequemer'zu schreiben als Abdul Hafiz-ben-Isäk, welches mein recht­ mäßiger Name ist." „Da Ihr Beruf Ihnen wichtig genug ist, um des­ halb Ihren Namen zu ändern, darf ich wohl fragen, was Crawford, Mr. Isaacs. 2

18

— dieser Beruf ist?

Es muß ein einträglicher sein, nach den

Schätzen zu urtheilen, auf welche Sie mir einen Blick ver­ stattet haben."

„Ja.

Reichthum ist mein Berus.

Ich handle mit

Edelsteinen und ähnlichen Kostbarkeiten.

Gelegentlich werde

ich Ihnen. meine Diamanten zeigen;

es lohnt,

sehen." Es ist in Indien.nichts Ungewöhnliches, verschiedensten asiatischen Nationalitäten

sie zu

Leute der

anzutreffen, die

kostbare Steine kaufen und verkaufen und bei diesem Ge­ schäfte reich werden.

Ich vermuthete,

er sei mit einer

hier

Karawane aus

Bagdad

niedergelassen.

Aber seine vollkommene Gewandtheit im

Englischen,

gekommen

und hätte sich

das er so rein sprach, als wäre er in Eton

und Oxford erzogen, sein höchst sorgfältiger, obschon ein­ facher englischer Anzug und besonders seine feinen Ma­ nieren sprachen für einen längeren Aufenthalt inmitten der

europäischen Kultur seines

Adoptiv-Vaterlandes als zu

seinem jugendlichen Aussehen stimmte, wenn man annahm, daß er von sechzehn oder siebzehn Jahren nach Indien ge­

kommen wäre.

Eine verzeihliche Neugierde veranlaßte mich

zu dieser Bemerkung.

ich'

„Sie müssen sehr jung hierher gekommen sein, sagte Ein ächter Perser lernt nicht in wenigen Jahren

Englisch sprechen wie ein Akademiker und deutsche Sprüchwörter citiren, wenn er nicht etwa des Geheimnisses kundig ist, kraft dessen die Eingeweihten ohne Anstrengung Kennt­ nisse in sich aufnehmen und sie ohne den mühsamen Vor­ gang geistiger Verdauung sich zu eigen machen."

„Ich bin bedeutend älter als ich aussehe! Ich bin seit zwölf Jahren in Indien und bei angeborenem Sprach­ talent, gefördert durch beständigen Umgang- mit Englän-

19 die ihre Sprache gut können, ist es mir, wie Sie gelungen, mir eine gewisse Geläufigkeit und einen Accent anzueignen. Mein Leben ist abenteuerlich gewesen. Ich sehe nicht ein, warum ich Ihnen nicht davon erzählen sollte, besonders weil Sie kein Eng­ sind und mich vorurtheilslos anhören können. Aber liegt Ihnen wirklich etwas daran?" Ich bat ihn fortzufahren, und gab dem Diener einen Wink, unsere Pfeifen zurecht zu machen, damit wir nicht gestört würden. Darauf begann Isaacs: „Ich will's versuchen, eine lange Geschichte kurz zu fassen. Wir Perser hören gern lange Geschichten, ebenso wie wir gern still sitzen und einem Hochzeitsreigen zu­ schauen. Aber wir mögen nicht selbst tanzen, noch lange Geschichten erzählen, also will ich mich möglichst kurz fassen. Ich wurde, wie gesagt, in Persien von persischen Eltern geboren, aber ich will Ihr Gedächtniß nicht mit fremd­ artigen Namen belästigen. Mein Vater war ein Kauf­ mann in wohlhabenden Verhältnissen, wohl bewandert in arabischer und persischer Literatur. Ich zeigte früh große Liebe zu den Büchern und meiner Neigung wurde in dieser Richtung jeder mögliche Vorschub geleistet. In dem zarten Alter von zwölf Jahren wurde ich von einer Bande von Sklavenhändlern aufgegrisfen und nach Roum, oder wie Sie c§' nennen, nach der Türkei geschleppt. Von meinen Thränen und meiner Empörung will ich nicht sprechen. Wir reisten schnell und meine Räuber behan­ delten mich gut, wie sie das immer mit ihrer Beute thun, denn sie wissen, wie sehr der Werth eines Sklaven davon abhängt, daß er in glattem wohlgenährten Zustand auf den Markt kommt. In Stambul wurde ich bald ver­ kauft, meine zarte Haut und meine Fertigkeit als Schrei2* dern, sagen, guten genug etwas länder



20 —

der und Sänger persischer Lieder brachten einen hohen Preis." „Es ist nichts Ungewöhnliches, daß Knaben auf diese Art geraubt und verkauft werden. Ein reicher Pascha zahlt beinahe jeden beliebigen Preis. Das Loos solcher Sklaven ist gewöhnlich kein glückliches." Isaacs hielt einen Augen­ blick inne und that zwei oder drei lange Züge. „Sehen Sie den Hellen Stern im Süden?", fragte er, indem er mit seiner langen juwelenbesetzten Pfcifenspitze darauf wies. „Ja, das muß der Sirius sein." „Das ist mein Stern. Glauben Sie an den Einfluß der Sterne auf das Schicksal der Menschen? Natürlich nicht; — Sie sind ein Europäer, wie sollten Sie also? — Aber weiter! Die Sterne, oder das Fatum oder Käli, oder wie Sie sonst Ihr kismet, Ihr Theil von Gutem und Bösem nennen wollen, — bestimmten mir ein etwas besseres Loos als es gewöhnlich jungen Sklaven in Roum zufällt. Mich kaufte ein alter Mann von großem Reich­ thum und noch größerer Gelehrsamkeit, dem meine Fertig­ keit im Arabischen und im Schreiben so sehr gefiel, daß er beschloß aus mir einen Schüler zu machen, statt eines Dieners, der ihm Kaffee und Pfeife zutrüge, oder eines Sklaven, der die schwerere Bürde seiner Laster zu tragen hätte. Mir konnte nichts Besseres geschehen. Ich kam in sein Haus und wurde mit der größten Güte behandelt, ob­ schon er mich streng zum Studium anhielt. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich bei solch einem Lehrer gute Fortschritte machte und daß ich von einundzwanzig Jahren, für einen Türken ein junger Mann von hervorragender Bildung war. Da starb plötzlich mein Herr und ich gerieth in eine sehr schlimme Lage. Ich war ja nichts als

21 ein Sklave und konnte jeden Augenblick verkauft werden. Aber ich entfloh. Thätig und ausdauernd, obwohl nie von ungewöhnlicher Körperkraft, ertrug ich leicht die Mühsal einer langen Fußreise bei schmaler Kost und dürftigem Obdach. Als ich auf eine Schaar von Pilgern stieß, hielt ich es für das Klügste, mich ihrer Wallfahrt nach Mecca anzuschließen. Ich war natürlich, wie bis auf den heutigen Tag, ein gläubiger Mohamedaner, und meine Kenntniß des Koran verschaffte mir bald ein gewisses Ansehen bei der Karawane. Man betrachtete mich als eine schätzbare Acquisition und im Ganzen als einen höchst annehmbaren Pilger. Meine ausgezeichnete Gesundheit bewahrte mich vor Krankheit und Erschöpfung, woran nicht Wenige von unserer Schaar unterwegs starben, und in Rücksicht auf meine Jugend und Frömmigkeit gaben mir die übrigen Pilger gern die Paar Handvoll Reis und Datteln, deren ich für meinen Lebensunterhalt bedurfte. „Ueber Mecca werden Sie Manches gelesen haben, und Ihr hadji Barbier, der natürlich dort gewesen ist, wird Ihnen in der Ebene gewiß oft, wie er's überall thut, von seinen Erlebnissen erzählt haben. Wie Sie sich wohl denken können, hatte ich nicht die Absicht, mit meinen Gefährten nach Roum zurückzukehren. Nachdem ich alle meine reli­ giösen Verpflichtungen erfüllt hatte, ging ich mach Ieddah und schiffte mich an Bord eines arabischen Fahrzeugs ein, das bei Mecca anfuhr und Kaffee nach Bombay brachte. Ich mußte meine Ueberfahrt abarbeiten, und da ich, mit Ausnahme von Calquefahrten auf dem Goldpnen Horn, noch keine Erfahrungen zur See gemacht hatte, können Sie sich wohl denken, daß der Capitain viel an mir auszusetzen hatte. Aber meine Behendigkeit und schnelle Fassungsgabe half mir aus und in wenigen Tagen hatte ich genug ge-

22 lernt, um ein Tau einzuziehen und die großen Segel eben so gut wie die anderen zu reffen.

Man wußte,

daß ich

eben von einer Wallfahrt nach Mecca zurückkehrte, und das

gab mir ein gewisses Ansehen bei der Schiffsmannschaft. Was auch der Beruf, das Geschäft oder das Fach des Studiums gewesen sein mag, so viel ist gewiß,

bei me­

chanischer Arbeit oder bei geistiger Anstrengung ist

gebildete Mann dem legen.

der

gewöhnlichen Arbeiter immer über­

Wer daran gewöhnt ist, seine Kräfte richtig anzu­

wenden, bringt Methode in jede Arbeit, und das Hilst ihm

eben so gut,

ein Tau richtig zu handhaben wie ein Ge­

dicht zu schreiben.

Als wir in Bombay landeten, war ich in einem elen­ den Zustande. Was ich an Kleidungsstücken gehabt hatte,

war zerlumpt; harte Arbeit und kärgliche Nahrung hatten mich noch magerer gemacht, als es für meine Jugend und

meinen schlanken Körper paßte.

Ich hatte im Ganzen xm

Geld etwa drei Groschen in kleiner Kupfermünze, die ich mir sorgsam für den Nothfall aufgespart hatte.

Ich konnte

von den hindostanischen Dialecten kein Wort sprechen, eng­ lisch eben so wenig, und kannte Niemanden außer den Leuten vom Schiffe, mit dem ich angekommen war; sie waren so arm wie ich, aber die kleine Ration, welche man

ihnen auf dem Lande gab, schützte sie doch vor dem Ver­ hungern.

Ich wanderte den ganzen Tag durch die Bazare;

gelegentlich redete ich einen feierlich aussehenden Verkäufer oder einen langbärtigen Muselmann an,

in der Hoffnung

er würde etwas arabisch verstehen, aber ich fand keinen!

wusch ich mich in dem Wasserbehälter eines den Regengüffe vor kurzem gefüllt hatten und legte mich ohne Abendbrod zum Schlaf auf die Stufen Abends

Tempels,

der großen.Moschee.

Als ich

auf den harten Steinen

23 lag, blickte ich empor zu meinem Stern, fand Trost und

schlief ein. In jener Nacht kam mir ein Traum. als läge ich

Es war mir,

noch wach auf den Stufen und

den wunderbaren Lenker meines Schicksals.

hinschaute glitt er herab

von seinem Sternenthron mit wie eine Seifenblase zur

leichter schwebender Bewegung,

Erde sinkt.

beobachtete Und als ich

Und der Stern kam und schwebte zwischen den

Blättern des Palmbaumes über dem Wasser, buntschillernd, überirdisch, herzerschütternd.

Sein Antlitz war wie das

Antlitz des Propheten, dessen Name gesegnet sei, und seine

Glieder waren wie die Glieder des alten Hameshaspenthas. Gewänder hatte er nicht, denn er war himmlischen Ur­

sprungs,

aber er war in Licht gekleidet,

wie in ein Ge­

wand, und das Silberhaar auf seinem Scheitel war ihm eine Strahlenkrone. Und er sprach mit den Tönen von tausend Lauten, in süßen tiefen Tönen, die in der Nacht­

luft emporstiegen und verhallten, wie der Gesang eines Liebenden unter dem Fenster seiner Geliebten, das Lied

des mächtigen Sternes, der um die schöne schlafende Erde wirbt.

Haslz,

Und dann sah er mich

sei getrost.

an und sagte:

„Abdul

Ich 6in- bei dir und will dich nicht

verlassen bis zu dem Tage, wo du die brennende Brücke

des Todes überschreiten wirst.

Du wirst den Demant des

Flusses und die Perle des Meeres berühren, und sie werden bei dir bleiben und groß wird dein Reichthum sein.

Und

das Sonnenlicht, welches dem Demanten innewohnt, wird

dich erwärmen und dein Herz getrost machen;

und das

Mondlicht, welches in der Perle ist, wird dir Frieden geben

bei Nacht, und deine Kinder werden dir sein wie ein Kranz von Rosen im Lande der Ungläubigen." Und der Stern schwebte herab vom Palmbaum und berührte mich mit

24 seiner Hand und hauchte auf meine Lippen den kühlen Athem des Sternenhimmels und entschwand. Als ich dann erwachte, sah ich ihn wieder auf seiner Stelle am fernen Horizont, und er stand allein, denn es dämmerte am Himmel und die kleineren Sterne waren erloschen. Und ich 'erhob mich von der Steintreppe, die mir nach dem hoffnungsreichen Traum wie ein Blumenbette erschien; ich wandte mich westwärts, pries Allah und ging meiner Wege. Die Sonne war aufgegangen, überall regte sich neues Leben, und das Leben in mir äußerte sich durch gewaltigen Hunger. So sah ich mich nach einem Laden um, wo ich mir für meine Paar Heller etwas zu essen kaufen könne; ein Zuckerbäcker legte eben seine Waare aus, ich trat hinzu und besah mir die sonderbaren Kugeln aus Mehl und Zucker, und das seltsame ölige Zuckerbrod. Als ich meinen bescheidenen Mitteln gemäß meine Wahl getroffen hatte, rief ich den Verkäufer an, obschon ich wußte, er würde mich nicht verstehen, und berührte mit der Hand das, was ich kaufen wollte, während ich ihm in der andern einige kleine Münzen zeigte. Kaum hatte ich das Zucker­ brod berührt, so gerieth der Mann in heftigen Zorn; er sprang von, seinem Sitze auf, rief seine Nachbarn zu­ sammen, alle schrien auf mich ein und riefen einen Mann herbei, den ich für einen Soldaten hielt, obschon er mit seinen langen weiten schmutzigschwarzen Hosen und seinem unordentlichen rothen Turban eher einem Affen ähnlich sah; in der schwerfälligen Tracht sah seine verkümmerte Gestalt noch elender und schwärzer aus, als sie schon von Natur war. Später erfuhr ich, daß er ein Polizist von Bombay wäre. Er faßte mich beim Arm, und da ich mir keines Unrechtes bewußt und im Grunde neugierig war, wo das hinauswollte, ging ich ruhig mit ihm. Nachdem

25 ich mehrere Stunden in einer Art von kleinem Schuppen gewartet hatte, wo sich noch mehrere Polizisten befanden, wurde ich vor einen Engländer geführt. Natürlich blieben alle Versuche zu einer Verständigung fruchtlos. Ich konnte nur Persisch und Arabisch sprechen und das verstand keiner der Anwesenden. Als ich zuletzt voll Verzweiflung einige griechische Worte hervorbringen wollte, die ich in Stambul gelernt hatte und als es mir auch damit nicht glückte, guckte ein alter Mann mit langem Barte neugierig in den überfüllten Gerichtshof. Jnstinctiv wendete ich mich an ihn und redete ihn arabisch an. Zu meinem Trost ant­ wortete er mir in derselben Sprache und erbot sich zum Dolmetscher. Sofort erfuhr ich, daß mein Vergehen in der Berührung der Zuckerbrode auf dem Ladentische be­ standen hatte. Da Sie in Indien leben, wissen Sie ohne Zweifel, daß es hier ein Vergehen ist, auf dem Geldstrafe oder Gefängniß steht, wenn ein Nicht-Hindu die Nahrungs­ mittel selbst eines Mannes niedrigster Kaste entweiht. Das Berühren eines Zuckerbrödchens verunreinigt den ganzen Norrath und macht ihn auch für den Genuß des geringsten Hindu unbrauchbar. Da ich nichts von Kasten und den damit verbundenen Vorurtheilen wußte, konnte der Moolah, der sich meiner annahm, mir nur mit der größten Mühe klar machen, worin mein Unrecht läge, so wie auch daß die englischen Richter, die in ihrem eigenen Interesse die Kasten und Gebräuche der Hindus aufrecht­ erhalten und beschützen müssen, um nicht eine neue Meu­ terei zu riskiren, zu Gunsten eines Fremdlings, dem in­ dische Sitten unbekannt wären, keine Ausnahme machen könnten. Der englische Richter sagte also, er müsse mir eine Geldbuße auserlegen; aber er war ein junger Mann

26

und noch nicht durch orientalischen Despotismus verhärtet, deshalb bezahlte er selbst großmüthig für mich die Buße und schenkte mir obendrein noch eine Rupee. nur zwei Schillinge,

da ich

viel Geld besessen hatte,

ob

war ich dafür so dankbar,

es hundert gewesen wären.

begegne,

Es waren

aber seit Monaten nicht so

als

Wenn ich ihm je wieder

will ich's ihm vergelten,

denn ihm verdanke ich

Alles, was ich jetzt besitze. Als meine Sache erledigt war,

verließ ich den Ge­

richtshof mit dem alten Moolah, der mich mit nach Hause nahm und nach meiner Lebensgeschichte fragte; vorher aber

speiste er mich mit Reis und' süßen Sachen und erquickte mich durch das

eine kleine Tasse

allerköstlichste Labsal,

duftenden Mokkakaffees. Er saß schweigend dabei, während ich aß und freute sich augenscheinlich seines guten'Werkes. Dann holte er ein Päckchen birris hervor, — kleine in

Blätter gerollte Cigaretten, wie man sie in Bombay raucht, und ich erzählte ihm meine Schicksale.

Ich flehte ihn an,

mir Arbeit zu verschaffen, damit ich wenigstens meinen Lebensunterhalt verdienen könnte, und. er versprach es mir,

bat mich aber bei ihm zu bleiben, Füßen stände.

Am

bis

ich aus eigenen

nächsten Tage wurde ich im Hause

eines englischen Advocate«, der einen großen Prozeß wegen eines der mohamedanischen Fürstenthümer führte, angestellt, einen Punkah (großen Luftschirm) zu schwingen.

mühevolle Arbeit sollte ich

Für diese

sechs Rupeen (12 Schilling)

monatlich erhalten; aber ehe der Monat aus war, kam ich durch die Güte des englischen Advocaten und die freund­ liche Vermittelung meines Glaubensgenossen des Moolah in

das Gefolge des Mzam von Haiderabad, der damals ge­ rade in Bombay war. mehr gekannt.

Seitdem habe ich keinen Mangel

27 Bald erlernte ich von den indischen Dialecten so viel ich brauchte und fing an eifrig Englisch zu lernen, wozu mir die Gelegenheit nicht fehlte. Nach zwei Jahren konnte ich mich in dieser Sprache verständlich machen, und mein Accent setzte von Anfang an Alle in Staunen. Von meinen Nebeneinkünften hatte ich mir etwa hundert Rupeen er­ spart. Von Jugend auf war ich ein Kenner von Edel­ steinen, deshalb beschloß ich meine Ersparnisse in einem Diamanten oder einer Perle anzulegen. Bald kaufte ich von einem alten Marwarri einen kleinen Stein, dessen Werth er meiner Ansicht nach der schlechten Schleifung wegen unterschätzte. Der Kerl war listig und genau beim Handel, aber durch , meine überlegene Kenntniß von Dia­ manten war ich doch im Vortheil. Ich zahlte ihm 93 Rupeen für den kleinen Stein und verkaufte ihn einen Monat darauf an einen jungen englischen Beamten, einen „Sammler", der seiner Frau ein Geschenk machen wollte. Darauf kaufte ich- einen größeren Stein und gewann dabei wieder beinahe hundert Procent. Dann kaufte ich zwei und so fort, bis ich ein kleines Kapital beisammen hatte; dann nahm ich Abschied von dem Hofe des Nizam, wo ich als Schreiber und arabischer Dolmetscher nur sechzehn Ru­ peen monatliches Gehalt bekommen hatte, und ging meiner Wege mit etwa zweitausend Rupeen theils in Baargeld, theils in Edelsteinen. Ich zog nordwärts und ließ mich schließlich in Delhi als Juwelen- und Kostbarkeitenhändler nieder. Jetzt sind's zwölf Jähre seit ich in Bombay lan­ dete. Nie habe ich meine Hände mit Wucher befleckt; zwei Mal indessen habe ich zu Zwecken, über die ich nicht weiter sprechen darf, große Geldsummen zu gesetzlichen Zinsen vorgestreckt. Ich habe nie einen Kunden betrogen, noch ein Juwel unterschätzt, das ich einem armen Manne

28 abkaufte,

und doch ist mein Wohlstand beträchtlich, wie

Sie nach dem Gesehenen selbst ermessen können.

Ueber-

dies, obgleich ich in beständigem Verkehr mit Hindus und Engländern stehe,

habe ich doch nicht das Recht verwirkt,

ein Rechtgläubiger zu heißen, ein Anhänger des Propheten, dessen Name gesegnet sei!" Isaacs schwieg, und allmählich stieg der abnehmende Mond feierlich empor über den Kamm des Gebirges, mit dem eigenthümlich

melancholischen Aussehen,

das

er zu

haben pflegt, wenn der Vollmond vorüber ist, als klage

er um den Verlust seiner besseren Hälfte.

sich und

Der Wind erhob

seufzte schwermüthig in den Rhododendren und

Pinien; und Kiramat Ali, der Pfeifenträger, schauerte zu­ sammen und zog sein langes Tuchgewand fest um sich. Wir standen auf und gingen in Isaacs Zimmer,

wo die

Wärme der Lichter, die weichen Decken und Kissen uns anlocktcn, niederzusitzen und unser Gespräch fortzüsetzen. Aber es war spät;

als ächter Orientale hatte Isaacs sich

bei seiner Erzählung nicht übereilt, und wir hatten uns um neun Uhr zum Rauchen hingesetzt. Also sagte ich ihm

gute Nacht,

und

in Nachdenken versunken über all das,

was ich gehört und gesehen hatte,

zog ich mich in meine Gemächer zurück und blickte auf zum Sirius und zu dem wehmüthig aussehenden Monde, ehe ich die Veranda verließ.

Zweites Kapitel. In Indien stehen die Leute in der Ebene vor Morgen­

grauen auf, und erst nachdem sie sich einige Wochen in

der kühleren Luft im Gebirge aufgehalten haben,

fallen

sie in die verderbliche Gewohnheit zurück, der Sonne einen

28 abkaufte,

und doch ist mein Wohlstand beträchtlich, wie

Sie nach dem Gesehenen selbst ermessen können.

Ueber-

dies, obgleich ich in beständigem Verkehr mit Hindus und Engländern stehe,

habe ich doch nicht das Recht verwirkt,

ein Rechtgläubiger zu heißen, ein Anhänger des Propheten, dessen Name gesegnet sei!" Isaacs schwieg, und allmählich stieg der abnehmende Mond feierlich empor über den Kamm des Gebirges, mit dem eigenthümlich

melancholischen Aussehen,

das

er zu

haben pflegt, wenn der Vollmond vorüber ist, als klage

er um den Verlust seiner besseren Hälfte.

sich und

Der Wind erhob

seufzte schwermüthig in den Rhododendren und

Pinien; und Kiramat Ali, der Pfeifenträger, schauerte zu­ sammen und zog sein langes Tuchgewand fest um sich. Wir standen auf und gingen in Isaacs Zimmer,

wo die

Wärme der Lichter, die weichen Decken und Kissen uns anlocktcn, niederzusitzen und unser Gespräch fortzüsetzen. Aber es war spät;

als ächter Orientale hatte Isaacs sich

bei seiner Erzählung nicht übereilt, und wir hatten uns um neun Uhr zum Rauchen hingesetzt. Also sagte ich ihm

gute Nacht,

und

in Nachdenken versunken über all das,

was ich gehört und gesehen hatte,

zog ich mich in meine Gemächer zurück und blickte auf zum Sirius und zu dem wehmüthig aussehenden Monde, ehe ich die Veranda verließ.

Zweites Kapitel. In Indien stehen die Leute in der Ebene vor Morgen­

grauen auf, und erst nachdem sie sich einige Wochen in

der kühleren Luft im Gebirge aufgehalten haben,

fallen

sie in die verderbliche Gewohnheit zurück, der Sonne einen

29 Vorsprung zu lassen.

Die frühen Morgenstunden, wo man

entweder in losen Flanellkleidern herumgeht

oder einen

Ritt auf dem grünen maidän macht, sind die köstlichsten des ganzen Tages.

Ich

werde späterhin Veranlassung

haben, das Leben am Morgen in der Ebene zu beschreiben.

Am Tage nach den im vorhergehenden Kapitel berichteten

Vorgängen erwachte ich wie gewöhnlich um fünf Uhr und

schlenderte auf die Veranda hinaus um die Berge anzu­ schauen,

ein so neuer und erquickender Anblick nach den

endlosen Ebenen der nordwestlichen Provinzen.

Es war

noch beinahe dunkel, nur im Osten schimmerte ein mattes

Licht, das rasch zunahm, während ich es anschaute, bis ich

um die Ecke des Hauses biegend, über den Wipfeln

einen schneeigen Gipfel

der dunkeln Rhododendronbüsche ent­

deckte. Während ich hinschaute, fiel der erste Schimmer der fernen Morgendämmerung auf den Gipfel, und der

herrliche Berg erröthete, wie eine schöne Frau, beim Kuß

der erwachenden Sonne.

Die alte Geschichte — wie der

Himmel um die Erde mit einem wunderbaren Goldregen

wirbt.

des

„Prati ’shya sunari jani“ — die herrlichen Verse

alten Veda-Hymnus

an

das jungfräuliche Morgen­

roth kamen mir auf die Lippen.

Nie hatte ich ihn in

Wahrheit so recht geschätzt und empfunden da unten in der

staubigen Ebene,

aber hier auf den freien Bergen schien

der frohe Willkommsgruß an das Morgenlicht in jeder Faser

meines Wesens zu erklingen, wie vor tausend Jahren das­

selbe freudige Erbeben des wiedererwachenden Lebens die Pilgerahnen des Aryanischen Geschlechts begeisterten.

unbewußt sang ich leise den Hymnus"),

Halb

wie ich ihn von

*) Das Versmaß der englischen, ebenfalls reimlosen Ueber« feijung ist beibehalten.

30 meinem alten Brahminen-Lehrer in Allahabad gehört hatte, wenn er zu mir kam und beim Tagesanbruch unter der Thorhalle saß, bis ich für ihn bereit war. Die schlanke Himmelsmaid erscheint Blitzt Hell aus ihrer Schwester Arm, Des Himmels Tochter, sie ist da!

Zn rosigen Kleidern glänzet sie Gleich schnellem Roß, des Ritters Freund,

Die Mutter unsrer Heerden all. Jawohl, du bist's, dem Reiter hold,

Grasender Rinder Mutter du An Reichthum groß, o rosig Licht.

Du triebst von uns den Feind zurück, Dich wecket unser Loblied auf Voll zarter Ehrfurcht, schönste dich! Die Strahlen hellen Morgenlichts Wie unsre Heerden zahllos sind, Sie füllen rings der Welten Raum. Den Himmel füllst du, öffnest weit Das Thor der Nacht, o Morgenroth, Und freust dich deines Tageslaufs.

Den Himmel hat dein Glanz erfüllt, Den lieben weiten Raum der Luft O strahlend helle Morgenmaid!

Ich ging wieder hinein, um meinen Brief zu schreiben. Bald daraus erschien ein weißbärtiger chuprassie in pracht­ voller Livree an der Thür, und sich tief verneigend, wäh­ rend er die Stirn mit der Hand berührte, meldete er, „daß wenn der große Herr der Erde, der Beschützer der Armen, sein Ohr dem niedrigsten seiner Diener zuwenden wolle, er etwas zu seinem Vortheil hören werde".

31 Damit überreichte er mir einen Brief von dem Be­ kannten,

mit dem ich zu thun hatte,

eine Antwort auf

mein gestriges Schreiben,

in welchem ich um eine Unter­ redung gebeten hatte. So verging ein Theil des Tages, ich erledigte meine Geschäfte, kam zum „Tiffin" zurück und begab mich dann in meine Gemächer, um ein wenig

auszuruhen.

Ich

mochte

etwa

eine Stunde

dort

mit

Rauchen und Träumen über einem Buche zugebracht haben, als der Diener einen Sahib meldete, der mich zu sprechen

wünschte,

und Isaacs

trat herein,

erfüllt vom Sonnen­

schein draußen; seine leuchtenden Augen glänzten hell in dem verdunkelten Zimmer.

Ich war entzückt, denn meine

Lebensgeister geriethen ins Stocken in der ungewohnten

Trägheit dieses Herbstnachmittags, und das Buch, welches

ich zur Hand genommen, trug nicht, dazu bei, oder munter zu erhalten. nehme Ueberraschung.

sie wach

Ueberdies war es eine ange­

Nicht oft nimmt eine Hotelbekannt-

schast Fortgang zur Vertraulichkeit, und außerdem fürchtete ich, mein Schweigen am gestrigen Abend hätte ihm wie Gleichgültigkeit erscheinen können; deshalb hatte ich mir vorgenommen, bei unserer nächsten Begegnung recht liebens­ würdig zu sein. Wenn ich mich nach der Ursache einer gewissen Anziehungskraft gefragt hätte, welche Isaacs aus

mich ausübte, so würde eine Antwort schwer zu finden gewesen sein. Ich bin im allgemeinen äußerst zurückhal­ tend gegen Leute, die eine Bekanntschaft mit vertraulichen Mittheilungen anfangen, und trotz des Zaubers in Isaacs'

Wesen, hatte ich mir Gedanken gemacht über die Gründe, welche ihn bewogen, einem völlig Fremden plötzlich seine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Der Umstand, daß ich

im Süden zur Welt gekommen, hatte den mir angeborenen nordischen Charakter nicht beeinflußt, wohl aber mir etwas

32 von dem feinen Firniß des Italieners gegeben; und das frühzeitige Studium von Larochefoucauld und seiner Schule hatte mich nicht einem unbegrenzten Glauben an die Un­

eigennützigkeit der Menschen

war etwas in dem Manne,

geneigt gemacht. das Unglauben,

Jndeffen

Zweifelsucht

und kleinliches Mißtrauen Hinwegzuräumen schien, wie das

frische Gebirgswasser die erbärmlichen kleinen Schlamm­ pfützen und den Staub und Schmutz aus dem Bette eines

halbausgetrockneten Flusses fortspült. Es war eine neue Empfindung für mich, eine neue Aera in meinen Er­ fahrungen an der Menschheit, und der Wunsch hinter diese edle Stirn zu dringen und das Gedankenwesen darinnen

zu. ergründen, war stärker als die Macht kleinlicher Zweifel

und

gefaßter Vorurtheile.

Als deshalb Isaacs

erschien

und trotz seines einfachen grauen Anzugs und seines schlichten Auftretens wie der Sonnengott selbst aussah, fühlte ich das leise Beben der Freude, welches Swinburne so passend mit der sanften Berührung einer Hand ver­ gleicht, die uns das Haar streichelt. „Was für ein herrlicher Tag nach all dem abscheu­ lichen Regen! waren seine ersten Worte.

Drei ewig lange

Monate Wasser, Schmutz und Regenröcke, des angenehmen

Gefühls auf einem nassen Sattel festgeleimt zu sein, mit den Füßen in Wassereimern, während Bergströme allen Gesetzen der Schwere Hohn sprechend, in den Aermeln ausund ablaufen, — gar nicht zu gedenken; so ist das Lebett

im Monsun.

Bah!"

Damit warf er sich auf einen Rohr­

stuhl und streckte seine zierlichen Füße aus,

so daß der

Sonnenschein durch die Spalte der halbgeschlossenen Thür auf seine Fußspitzen fiel und ihn daran erinnerte, daß es draußen schönes Wetter wäre.

„Was haben Sie den ganzen Tag gemacht?"

fragte

33 ich, in Ermanglung einer besseren Frage, denn ich hatte mich von der durch die letzte Nummer des Romans, welche ich soeben gelesen, hervorgebrachten geistigen Erschlaffung noch nicht erholt. „O — ich weiß nicht. Sind Sie verheirathet?" fragte er ganz unvermittelt. „Gott verhüte!" anwortete ich andächtig und gefühl­ voll. „Amen!" war seine Antwort. „Ich aber — ich bin verheirathet und meine Frauen haben sich gezankt." „Ihre Frauen? Sprechen Sie in der Mehrzahl?" „Nun ja! Ich habe drei; das ist das schlimmste bei der Sache. Wenn es nur zwei wären, würden sie sich vielleicht besser vertragen. Sie wissen ja „zwei sind ein Paar und drei sind es nicht"; sagt ein Sprüchwort" Das sagte er nachdenklich, als überlegte er, ob er nicht die Zahl vermindern könnte. Die Anwendung des Sprüchwortes auf einen solchen Fall war mir ganz neu. Was die Mehrzahl in den ehelichen Verhältnissen meines Be­ kannten betraf, so besann ich mich, daß Isaacs ein Muhamedaner war, und mein Staunen schwand. Isaacs war in Nachdenken versunken. Plötzlich stand er auf und nahm eine Cigarette vom Tisch. „Ich möchte wohl wissen" — das Streichholz wollte nicht brennen, und er bemühte sich einen Augenblick mit einem andern ab; — dann blies er eine große Rauchwolke und setzte sich auf einen andern Stuhl. „Ich möchte wohl wissen, ob eine vierte wie ein viertes Rad am Wagen wirken würde." Dabei sah er mich gerade an, als ob er mich um meine Meinung befragte. Ich hatte nie in näheren Beziehungen zu einem gebil­ deten und hoch gestellten Muselmann gestanden. So ge­ radezu und ohne Rücksicht auf die etwa in Aussicht ge­ nommene Braut gefragt zu werden, ob ich nach allgemeinen Umivforb, Mr. C'ia/icv. 3

34 Grundsätzen vier Frauen für besser hielte als drei,

mich einigermaßen in Verlegenheit.

setzte

Er schien durchaus im

Stande noch selbigen Tages eine vierte zu heirathen, um

des lieben Friedens willen, ich glaube, er hätte es für gar kein übles Auskunftsmittel angesehen.

„Ein Diamant schneidet den andern", sagte ich.

„Auch

Sie haben Sprüchwörter und eines davon besagt, daß ein Mann besser daran ist sitzend als stehend, als .sitzend, und besser todt als liegend.

Folgerungen

besser liegend Nach ähnlichen

ist ein Mann ohne Weib besser daran als

mit breien.".

Sein Scharfsinn entdeckte sofort die schwache Stelle in

dieser Folgerung.

„Ohne Weib sein würde dann also un­

gefähr eben so förderlich zu unserm Glück sein, als todt

sein.

Negatives Glück! sehr negativi"

„Negatives Glück ist besser als positives Unbehagen." „Ach, gehen Sie"! antwortete er, wir spielen mit Worten

und Ausdrücken, als ob leerer Hauch etwas mehr wäre als bloßer Schall. Zweifeln Sie wirklich an dem Werth der Sitte des Ehestandes?" „Nein. Die Ehe ist etwas sehr Gutes, wenn zwei Menschen so arm sind, daß sie von Natur für ihr täglich Brod auf einander angewiesen

sind,

genug sind, um getrennt zu leben.

oder wenn sie reich Für einen Mann in

meiner Stellung würde es reine Thorheit sein zu heirathen, — es wäre eine Verwegenheit, die nur überlegtem Selbst­

morde nachstünde. Sie aber sind reich und wenn Sie nur eine Frau hätten und ^te in Delhi lebte, Sie aber in Simla, so würden Sie ohne Zweifel sehr glücklich sein." „Es ist etwas Wahres daran", sagte Isaacs.

„Sie

könnte sich langweilen und ihre Dienstboten schlagen, aber

sie könnte sich nicht zanken, wenn sie allein wäre.

Ueber-



35

dies ist es viel leichter ein Kameel zu hüten als drei.

Ich

denke, ich muß das versuchen."

Es

entstand eine

Pause,

während welcher er das

Schicksal der beiden zu überlegen schien, welche zu Gunsten des monogamischen Experimentes beiseite geschoben werden

sollten. Darauf fragte er mich mit einem Mal, ob ich eigene

Pferde mitgebracht hätte, und als ich das verneinte, bot er mir ein Pferd an und schlug vor, wir sollten nach Jako

hinüberreiten und vielleicht,

wenn Zeit dazu wäre,

uns

Annandale im Thal ansehen, wo ein Polospiel und eine Rennbahn wären. Unterdessen wandte sich das Gespräch aus die nach Kabul abgeschickte Sendung, um den Tod

von Cavagnari zu rächen. Es stellte sich heraus, daß Isaacs über die ganze Angelegenheit meiner Ansicht war. Er hielt die Absendung von vier Engländern mit einer

Handvoll eingeborener Soldaten für eine unerhörte Thor­ heit, die der ganzen englischen Politik in Afghanistan ent­

spräche.

„Ihr Engländer — entschuldigen Sie,, ich vergesse, daß Sie nicht dazu gehören — also die Engländer haben

die meisten ihrer großen Heldenthaten als^ eine unmittel­ bare Folge der Unvorsichtigkeit ausgeübt, sich in eine Lage

begeben zu haben, in welche kein vernünftiger Mensch sich je begeben haben

würde.

Denken

Sie

an Balaclava,

denken Sie an das, was sie während des Aufstandes und in dem ersten Krieg mit den Afghanen thaten, denken Sie

an den Aufstand selbst, daß ein Land

die Folge der verwegenen Idee,

wie Indien für immer mit keinen bessern

Vertheidigungsmitteln als der Zuverlässigkeit eingeborener

Officiere und der Dankbarkeit des Volkes für die „milde brittische Herrschaft" zu behaupten wäre! Der arme Ca­

vagnari!

als er vorigen Sommer hier war,

3*

ehe er aus

36 seine Gesandtschaft abging, sagte er mehrmals, er würde nie zurückkommen. Und doch hätte in politischer wie in kriegerischer Hinsicht kein besserer Mann gewählt werden können, hätte man nur Vernunft genug gehabt, ihm hin­

reichenden Schutz mitzugeben." Nachdem er sich dieser Lobrede entledigt, ließ mein Freund seine ausgerauchte Cigarre fachen, zündete eine andere an und schien wieder in Nachdenken über die drei­ fache Form seiner ehelichen Verhältnisse zu versinken. Ich stellte mir vor, wie er bei sich erwäge, ob er sich von Zobeida und Zuleika trennen und Amina behalten, oder Zuleika und Amina fortschicken und Zobeida behalten sollte, auf daß sie das Licht seines Hauses sei. Endlich meldete Kiramat Ali, der auf der Veranda Wache hielt, die Saicen mit den Pferden; wir gingen hinunter. Ich hatte erwartet, daß ein Mann von Isaacs' Ge­ schmack und Gewohnheiten mit seinen Pferden nicht geizen werde und konnte mir also ungefähr denken, was für Rosse uns erwarteten. Es waren zwei prachtvolle arabische Hengste, einer davon ein seltenes Exemplar von der schwer­ tragenden Art, wie man sie mitunter im fernen Osten .trifft mit kleinem Kopf, kleinen Füßen und langem Schweif, aber breit in Brust und Hüften, im Stande einen Mann von achtzig Kilo Gewicht stundenlang in gestrecktem eben­ mäßigen Galopp zu tragen, ohne nachzulasien oder zu ermüden, sicheren Trittes wie ein Maulthier und leicht zu lenken wie ein Kind. So bestiegen wir unsere sanften Thiele und ritten fort. Der Berg, auf welchem Simla liegt, hat einen dop­ pelten Gipfel wie manche Berge in der Schweiz, einer ist höher als der andere. Aus der niederen Anhöhe und dem Joch zwischen beiden ist die Stadt erbaut, und die Bun-

37 galows, welche als Amtsräume und Wohnungen für die Regierungsbeamten dienen, bedecken einen beträchtlichen Flächenraum. Jako, der höhere Gipfel, ist mit einem Wald von wilden Rhododendren und Tannen dicht be­ standen, und obwohl einzelne Bungalows und Villen zer­ streut unter den Bäumen in der Nähe der Stadt liegen, sind sie doch so weit ab von der Hauptfahrstraße, die, wie schon gesagt, dem Gebrauch des Vicekönigs vorbehalten ist, wenigstens was Fahren anbetrifft, daß man sie beim Reiten auf dem schattigen Wege nicht bemerkt. An der andern Seite, wo die Bäume nicht so dicht stehen, erstreckt sich die herrliche Aussicht bis weit über die Ausläufer des Gebirges; die einzige sichtbare menschliche Wohnung ist ein katholisches Kloster, welches seinen kleinen italienischen Glockenthurm zum blauen Himmel erhebt und zur Schönheit der Landschaft beiträgt. Während wir dahinritten, setzten wir unser Gespräch über den Afghanischen Krieg fort, obgleich keiner von uns beiden zu lebhafter Unterhaltung besonders aufgelegt war. Der würzige Geruch der Tannen, die unvergleichliche Be­ wegung des Arabers und das frohe Bewußtsein, den schlimmsten Theil des tropischen Jahres hinter mir zu haben, das alles war genug für mich, und ich sog die verdünnte Luft der Höhe mit dem Wonnegefühl eines Menschen ein, der von Staub und Hitze erstickt gewesen und darauf durch einen Frühling und Sommer in den Ebenen von Hindostan zu Gallert verkocht worden war. Der Weg hat viele scharfe Wendungen und ich, als der schwerer Berittene, hielt mich an der inneren Seite, während wir um den Berg herumritten. Als wir am an­ deren Ende offenes Feld erreichten, zogen wir die Zügel an, um einen Augenblick in die tiefen Thäler hinabzu-

38 schauen, die jetzt dunkelnd im ersten Abendschatten dalagen, auf die höheren Bergspitzen röthlich in der sinkenden Sonne

erglühend und auf die dunkeln Laubmaffen,

durch welche

hie und da ein Riesenstamm einen zögernden Strahl des schwindenden Lichtes auffing.

Als wir dann das Heran­

nahen der Abendkühle fühlten, schwenkten wir und trabten dicht neben einander über die ebene Fläche dahin. Die scharfe Ecke am Ende brachte uns zum Halt, aber ehe wir noch unsere Rosse angehalten hatten,

die über die Paar

Minuten des Geradeaustrabens gerade so entzückt waren

wie wir,

bogen sie um die Ecke und wir prallten gegen

einen Reiter, der den Zügel nur mit einem Finger hal­

tend, den großen grauen Filzhut in den Nacken geschoben, langsam und friedfertig daherkam. Es entstand eine au­

überströmende Entschuldigungen unsererseits, und schlecht verhehlter Aerger von Seiten un­ genblickliche Verwirrung,

seres Opfers, das indessen nur ein wenig angestoßen und erschreckt war.

„Wirklich,

mein Herr" . . . fing

er

an,

„Ach so!

Mr. Isaacs! Keinen Schaden genommen, ich versichere Sie, d. h. keinen besonderen. Dumme Geschichte rasch um Ecken reiten. Keinen Schaden, keinen Schaden, nichts besonderes — Wie geht's?" alles in einem Athem. „Wie geht es Ihnen? Mr. Ghyrkins, mein Freund

Mr. Griggs." „Der wahre Sünder!" setzte ich in verbindlichem Tone hinzu,.denn ich war ja an der inneren Seite geritten. „Mr. Griggs?"

sagte Mr. Currie Ghyrkins.

Griggs aus Allahabad?

Der Tägliche Heuler?

„Mr.

Ja, ja,

Briefe geschrieben, — freue mich Sie in Fleisch und Blut

kennen zu lernen!" Ich glaube nicht, daß ich hocherfreut aussah.

Er war

39 ein Steuerdirector aus Mudnugger, ein eingefleischter Conservativer, ein richtiger alter Anhänger der „Compagnie", mit dem ich mehr als einen Span in

den Spalten des

Heuler ausgefochten, was zu ansehnlichem Briefwechsel ge­

führt hatte. „Ich hoffe, daß unser Zusammenstoß im Fleisch keine

schlimmeren Folgen haben wird, Druck, Mr. Ghyrkins." „Durchaus nicht.

als unsere Turniere im

Nicht der Rede werth!

Schlimm

genug immerhin, aber keinen Schaden genommen, durchaus

keinen"; dabei sah er mich an, während er die letzten Worte mit ächt englischer Langsamkeit nach rasch gesprochenem

Satze aussprach. Während er redete, bemerkte ich zwei Reitende, die im Schritt herankamen und sich sichtlich bemühten, ihre Belustigung über das Mißgeschick des alten Herrn zu ver­

bergen, was sie mit angesehen haben mußten. In der That, der fette Mr. Ghyrkins auf seinem breiten dicken Gaul konnte nicht sehr würdevoll ausgesehen haben, denn er war durch den Zusammenstoß beinahe aus dem Sattel geworfen worden, und als er sein rechtes Bein wieder zu­

rechtschob, rutschte ihm dabei die Hose bis beinahe ans Knie heräuf, während sein Hut ihm mit verwegener Schiefe in den Nacken glitt und der Rockkragen sich hoch bis ins

Genick heraufschob.

. „Lieber Onkel", sagte die Dame,

im Heranreiten,

„hoffentlich hast Du nicht Schaden genommen?"

sehr hübsch verbiß.

aus,

als sie so dasaß und sich

Sie sah das Lachen

Eine schlanke Gestalt in grauem Reitkleide und

breiträndrigem Hut,

dunkeln Augen

ihre

blond wie eine Schwedin, aber mit und langen Wimpern. Sie zeigte eben

glänzenden Zähne,

angeblich

vor Freude über das

40 glückliche Davonkommen ihres Onkels lächelnd,

und

der

ganze Ausdruck ihres Gesichtes war lebhaft und vergnügt. Ihr Begleiter war ein junger Engländer von militärischem Aussehen mit dickem Schnurrbart und langer Nase.

Ein

gewisser verwegener Ausdruck in seinem Gesicht war an­ ziehend, als er so nachlässig dasaß und uns ansah. Ich bemerkte seine langen Steigbügel und den lose hängenden

Zügel,

während er den Beißzaum hielt, und dachte mir,

er werde wohl ein Reiterofficier sein.

Isaacs verneigte

sich tief vor der Dame und schwenkte sein Pferd um. Sie erwiederte den Gruß mit ziemlich gleichgültigem Kopfnicken; aber als er sich umwendete, sah sie ihn sofort wieder an

und ein anmuthig nachdenklicher Zug flog über ihr Gesicht,

der wenigstens ein gewisses Interesse an dem Fremden ver­ rieth, — falls er ihr nämlich fremd war.

Diese ganze Zeit über sprach Mr. Ghyrkins und fragte

mich aus.

Wann ich angekommen wäre? was mich herge­

führt hätte? wie lange ich zu bleiben gedächte? und so weiter, mir beweisend, daß er, ob in freundlichem Sinne

oder nicht, jedenfalls Antheil an mir nehme.

Bei Beant­

wortung seiner Fragen nahm ich Gelegenheit, die Königin „Kaiserin"

zu

nennen,

Indien zu loben

Lord

Beaconsfield's

und Mr. Ghyrkins

seines Bezirks Glück zn wünschen,

zu

dem

Politik

in

Zustande

mit dem er natürlich

gar nichts zu thun hatte; aber er verschlang die Lockspeise

in einem Athem, wie das seine Art zu sein schien. Dann stellte er uns vor. „Katharina, Mr. Isaacs ist Dir bekannt. Mr. Griggs, Miß Westonhaugh, Lord Steepleton Kildare, Mr. Isaacs."

Wir verbeugten uns und ritten nun zusammen über das . Stück Ebene zurück, über welches wir vor dem Zu­ sammenstoß getrabt waren.

Isaacs und der junge Eng-

41 länder ritten im Schritt neben Miß Westonhaugh, Ghyrkins

und ich bildeten den Nachtrab.

Ich versuchte,

das Ge­

spräch auf Isaacs zu bringen, aber mit geringem Erfolg. ein guter Kerl,

-„Ja, ja,

Feueranbeter,

dieser Isaacs, für einen

oder was er sonst sein mag.

Versteht sich

auf Pferde, hat Rupeen, scheffelweise..

— Hören Sie,

Mr. Griggs,

Sonderbarer Kauz! diese neue Unternehmung

wird uns ein schön Stück Geld kosten, nicht?" „Ei ja! Unter1 zehn Millionen Pfund Sterling werden Sie schwerlich sortkommen.

Und wo sollen die Herkommen?

Sie werden eine nette Arbeit mit Veranlagung der Steuern in Bengalen haben, Mr. Ghyrkins, und wir werden eine

Einkommensteuer und

allerhand ähnlich

angenehme Ge­

schichten bekommen." „Einkommensteuer? Nein, ich denke nicht. Mr. Griggs,

Sehen Sie,

die würde ja die Mitglieder des Minister­

rathes treffen, drum werden sie sie nicht wollen, aus Rück­ sicht auf sich selbst, und dann auch

auf den Vicekönig!

Haha, wie würde Lord Lytton wohl eine.Einkommensteuer

gefallen, he?"

Dabei kicherte der alte Kerl.

Wir erreichten den Anfang des Engpasses; Isaacs zog

die Zügel an und bot Miß Westonhaugh und ihrem Be­ gleiter

guten Abend.

Ich verbeugte mich gegen sie und

schüttelte Mr. Ghyrkins dargebotene Hand. Er war wieder bei guter Laune und rief itn§' zu, wir möchten ihn be­ suchen,

als wir davon ritten.

Ich dachte bei mir,' das

wollte ich sicherlich thun, und wir ritten zum dritten Mal über die offene Strecke'Land. Als wir wieder ins Gehölz kamen, dunkelte es be­ reits unter den Bäumen; ich nahm eine Cigarre hervor

und zündete sie an. Isaacs that dasselbe, und wir ritten im Schritt schweigend dahin. Ich dachte an das Bildchen,

— 42 was ich so eben gesehen:

das herrliche englische Mädchen

auf ihrem Vollblut neben

dem schönen arabischen Hengst

und dessen unmuthigem Reiter.

Welch ein Paar, dachte

ich: welch edle Vertreter großer Völkerfamilien!

Warum

hat dieser feurige junge Perser mit seinem Reichthum,

seiner Schönheit und hohen Begabung nicht so eine Frau,

wie diese vornehme Engländerin geheirathet, die ihn lieben könnte, ihm eine Häuslichkeit und Kinder — und war ich

genöthigt hinzuzusetzen,

alltägliches Glück geben würde?

Wie oft kommt es vor,

daß uns kaum bewußt,

ein Ge­

dankengang sich, plötzlich in eine Sackgasse verrennt,

be-.

sonders wenn wir für einen anderen Zukunftspläne machen,

oder uns das vorstellen, was wir sein Glück nennen.

Der

zufällige Vergleich zwischen zwei Personen ergötzt unser.

Auge,

wir vereinigen sie in Gedanken, stellen uns die

Gruppe vor, und befinden uns plötzlich in einem Sumpf unlöslicher Schwierigkeiten. Was konnte wohl abgeschmackter sein, als sich den ungezähmten und vermuthlich unzähm­

baren jungen Mann an meiner Seite, mit seinen drei Frauen, seinen Begriffen von den Sternen und seinem

mohamedanischen Glauben fürs Leben mit einem Mädchen wie Miß Westonhaugh verbunden zu denken? Ein morgen­

ländischer Weiser,

der es versucht ein Leben wie ein eng­

lischer Gutsbesitzer zu führen, der im rothen Rock auf die

Jagd geht und bei Wahlversammlungen Reden hält!

Ich

lächekte verstohlen in der Dunkelheit und rauchte meine

Cigarre. Unterdessen war Isaacs sichtlich unruhig

geworden.

Zuerst zog er die Füße aus den Steigbügeln, dann steckte er sie wieder hinein.

Dann summte er einige Worte eines

persischen Liedchens und ließ seine Cigarre ausgehen, dann fluchte er auf arabisch über die unleidlichen Streichhölzer,

43 die nicht zünden wollten. Endlich setzte er sein Pferd in kurzen Galopp, der auf solchem Wege im Dunkeln nicht durchzuführen war, und schließlich gab er seine Anstren­ gungen, Unmögliches zu thun ganz auf und fing an mit mir zu sprechen. „Sie kennen also Mr. Ghyrkins durch Briefwechsel?" „Ja, und durch Schriststreit! Und Sie, wie ich sehe, kennen Miß Westonhaugh?" „Ja, wie finden. Sie sie?" „Ein reizendes Geschöpf in ihrer Art. Eine ächt eng­ lische Blondine, mit fünfunddreißig Jahren wird sie dick sein, und mit vierzig wird sie sich wahrscheinlich schminken, jetzt aber ist sie vollkommen, natürlich in ihrer Art — setzte ich hinzu, denn ich wollte-nicht meinen Freund zur Vertheidigung der Schönheit seiner drei Frauen heraus­ fordern. „Ich komme sehr wenig mit Engländerinnen in Be­ rührung", sagte Isaacs. „Meine Stellung ist eigenthüm­ lich, und obgleich die Männer, von denen ich viele recht genau kenne, mich oft in ihr Haus einladen, scheint es mir doch, daß ich bei ihren Frauen eine gewisse Verachtung gegen meine' Nationalität, ein gewisses unbeschreibliches Verhalten mir gegenüber wahrnehme, wodurch sie meinem stumpfen Begriffsvermögen andeuten wollen, daß ich nur um einen Grad besser bin als ein „Eingeborener", — in der That ein „Schwarzer", um mich ihres Lieblingsaus­ druckes zu bedienen. So gehe ich ihnen in der Regel ein­ fach aus dem Wege, denn ich bin von heftiger Gemüthsart. Ich verstehe es ja natürlich ganz gut; sie sind von ihren Vätern und Gatten daran gewöhnt, die eingeborenen Inder als untergeordnete Geschöpfe anzusehen, eine Ansicht, der ich im Ganzen von Herzen beistimme. Allein sie gehen

44 einen Schritt weiter und schließen

alle Asiaten in diese

Ich will aber nicht mit einem Volksstamm

Klasse ein.

vermengt werden, den ich

für ausgenutzt und entkräftet

Mit den Männern ist das anders.

halte.

Sie wissen,

daß ich wohlhabend und in mancherlei Weise,

die ihnen

jetzt nützlich sein kann, einflußreich bin, und sie hoffen, daß das Glück des Krieges oder Ausstandes ihnen später eine

Gelegenheit bieten könne, mich auszuplündern, worin sie sich irren.

Da haben wir z. B. unsern dicken Freund,

den wir so eben beinahe zu Fall gebracht hätten;

der ist

immer sehr höflich und begegnet mir nie, ohne daß er nicht

seine Einladung ihn zu besuchen wiederholte." „Ich möchte Mr. Currie Ghyrkins gern näher kennen

lernen.

Ich glaube,

vermuthete.

er ist nicht halb so schlecht,

als ich

Besuchen Sie ihn mitunter?"

„Manchmal. Ja, wenn ich's bedenke, ich besuche Mr. Currie Ghyrkins eigentlich recht oft." Nach einer Pause setzte er hinzu:

„Sie gefällt mir." Ich machte ihn auf die Verwechselung des Geschlechts

aufmerksam.

Isaacs muß in der Dunkelheit verstohlen ge­ „Ich meine Miß

lächelt haben, aber er antwortete ruhig:

Westonhaugh.

Sie gefällt mir, ja, ganz sicherlich.

Sie

ist schön und verständig; wenn sie aber länger hier bleibt,

wird sie so werden wie alle anderen.

gen besuchen.

Wir wollen sie mor­

So, da sind wir, gerade zur Zeit zum Essen.

Kommen Sie nachher und rauchen Sie bei mir.

45

Drittes Kapitel. In ein loses Gewand von leichtem Stoff aus Kashmir

gehüllt, lag Isaacs halb ausgestreckt auf den dunkeln wei­ chen Kissen in einer Ecke seines Zimmers.

Seine Füße

waren nach orientalischer Sitte unbeschuht, und sein Haupt mit einer gestickten, seltsam geformten Mütze bedeckt.

dem gelblichen Licht der Hängelampen las

Bei

er ein ara­

bisches Buch, und sein Gesicht hatte einen Ausdruck von zweifelnder Unsicherheit, der sich zu seinen kühngeschnittenen Zügen sonderbar ausnahm. AIs ich eintrat fiel das Buch

aufs Kiffen zurück und sank durch sein Gewicht, tief in die

Daunen, und eine der goldnen Klammern gab beim Zu­ sammenklappen einen schrillen Ton von sich.

Er blickte

auf, erhob sich aber nicht und begrüßte mich lächelnd mit

dem arabischen Gruß: „Friede sei mit dir!"

„Und mit dir Friede!" antwortete ich in derselben Er lächelte wieder über meine fremdartige Aus­

Sprache.

sprache.

Ich setzte mich auf den Divan neben ihn und

fragte, ob er auf eine glückliche Lösung seiner häuslichen Verwickelungen verfallen wäre. „Mein Vater", sagte er,

Muselmännern

sind

„Friede sei mit ihm! —

meine Mutter.

hatte nur eine Frau,

vier

rechtmäßige

Sie wissen,

Frauen

uns

gestattet.

Hier ist eine Stelle im Anfang des vierten Kapitels: „Wenn ihr fürchtet, daß ihr nicht gerecht handeln werdet gegen die Waisen weiblichen Geschlechtes, so nehmt zur Ehe

von andern Weibern, die euch gefallen, zwei oder drei oder

vier, aber nicht mehr.

Wenn ihr aber fürchtet,

daß ihr

gegen so viele nicht gleich gerecht sein könnt, so ehelicht

46 nur eine, oder nehmt die Sclavinnen, welche ihr erworben

habt." „Der erste Satz dieser Stelle, fuhr Isaacs fort, wird angefochten; ich meine die Worte, welche sich auf die Waisen Das Uebrige ist klar genug.

beziehen.

Wenn der Pro­

phet diejenigen warnt, welche fürchten sie können gegen so viel nicht gerecht handeln,

so

meinte er sicherlich in

seiner Weisheit bei gerechter Behandlung mehr als die bloße Sorge für den Unterhalt.

Er meinte, wir sollten

unsern Haushalt so einrichten, daß darin keine Eifersucht, kein Herzeleid, keine unnöthigen Friedensstörungen vor­

kämen.

Das Weib aber ist ein Ding des Teufels — eifer­

süchtig, und eine Anzahl solcher Geschöpfe so zu behandeln,

daß sie nur in erträglicher Eintracht leben, ist eine furcht­ bare Aufgabe, sie verzehrt die Seele, verhärt-t das Herz,

nimmt nie ein Ende und führt zu keinem Ergebniß." „Ganz was ich Ihnen sagte, ein Mann ist ohne Frau besser daran als mit dreien.

Aber weshalb sprechen

Sie über solche Dinge mit mir, einem Ungläubigen, einem Christen,

der ich nach den Worten Ihres Propheten „nur

Feuer in meinen Bauch schlucken soll und in rasenden Flammen brennen",

gegen den

wenn ich sterbe?

Gebrauch

Das ist sicherlich

Ihrer Glaubensgenossen,

und

wie

können Sie von einem ungläubigen Franken erwarten, daß

er Ihnen Rath gebe." „Ich erwarte es nicht" aytwortete er lakonisch. „Ueberdies ist es hei Ihren Ansichten über die Frauen

im allgemeinen, über ihren Beruf, ihren Zweck und ihren Zustand nach dem Tode, wohl wahrscheinlich, daß wir es

je auch nur zu einer verständigen Besprechung über die

Ehe und deren Gesetze bringen könnten?

Bei uns haben

die Frauen eine Seele, und was mehr ist, werden wahr-

47 Stimmrecht

scheinlich

erlangen.

Jedenfalls

wird ihnen

Hochachtung, Zuvorkommenheit und Beistand von einem großen Theil des männlichen Geschlechtes dargebracht. Sie nennen das Weib ein Ding des Teufels, wir nennen sie einen Engel vom Himmel, und obwohl manche excentrische

Leute wie ich nicht willens sind, sich für Pas ganze Leben

mit einer Frau zu verbinden, so geschieht das, ich gestehe, wenigstens was mich betrifft,

weil ich die beständige Ge­

sellschaft eines Engels nicht in dem Grade zu schätzen wie es ein solcher Vorzug verdient; und ich ver­

weiß,

die meisten Hagestolzen empfinden,

muthe,

unbewußt, gerade so wie ich.

bewußt oder

Die Buddhisten stehen mit

ihrer Theorie, daß dauerndes Glück unser Ziel sein sollte, nicht allein."

„Sie sagen": unterbrach Isaacs ihn rasch, „daß das Ziel des Unwissenden Genuß ist, das des Weisen Glück. Nun, in welche Kategorie würden Sie die Eh« stellen? Ich meine, sie gehört in eine von beiden."

„Das kann

ich nicht einsehen.

Ihren eigenen Fall,

haben."

da Sie

Nehmen

Sie doch

einmal davon gesprochen

„Lassen wir meinen eignen Fall! — Ich meine,

bei Ihren Ideen von einer Frau — einem himmlischen Wesen, Stimmrecht, häuslichen Freuden und all derglei­

chen.

Nehmen Sie das ideale Geschöpf, wovon Sie schwär­

men —" „Ich schwärme nie für irgend etwas!" „Nehmen Sie also das von Ihnen geschilderte bezau­ bernde Weib,

Sie sich,

und um den Fall durchzusprechen,

denken

tzie wären entweder sehr reich oder sehr arm,

da Sie ja in Ihren jetzigen Verhältnissen nicht heirathen

Denken Sie sich, Sie hätten den Gegenstand Ihrer, ritterlichen Verehrung und Hochachtung geheirathet, wollen.

48 den Sie,

wie Sie sagen, dadurch erlangen würden, was

hätten Sie dadurch erreicht, Genuß oder Glück?" „Genuß

ist nur die Erfrischung, welche uns beim

Streben nach wahrem Glücke labt"; antwortete ich, in der Hoffnung,

durch eine Sentenz der directen Frage auszu­

weichen. „Ich lasse Sie nicht so leichten Kaufes davon! müssen meine Frage beantworten",

sagte er.

Sie

Dabei sah

er mich mit einem so ernsten forschenden Blicke an,

wie

ihn der Gegenstand unseres Gesprächs kaum zu rechtfertigen

schien.

Ich zögerte,

er beugte sich ungeduldig vor, hielt

seine Beine nicht mehr gekreuzt und faltete die Hände über dem einen Knie, um mir näher zu rücken.

„Genuß oder Glück?" wiederholte er.

Meiches von

beiden?" Plötzlich ging mir ein Licht auf. antwortete ich. „Wenn Sie das ideale wie ich es Ihnen gern schildern möchte, so würden Sie mich besser verstehen. Der Genuß, „Beides",

Weib so sehen könnten,

dessen Sie sich im Umgänge mit einer edlen und schönen Frau erfreuen, würde nur wie eine Erquickung auf dem

Wege sein, während Sie zusammen durchs Leben wandern. Es kommt die Zeit, wo sie nicht länger schön, nur gut und edel sein wird, und Ihnen so treu wie sich selbst, und wenn dann der Genuß für Sie gewesen ist, was er sein sollte, werden Sie finden, daß er in dem erreichten Glück nicht mehr mitzählt,

oder nicht mehr nöthig ist.

Er hat

seinem Zweck gedient, so wie das Gerüst das Schiff stützt,

so lange es im Bau ist; und wenn das weiß beschwingte

Schiff sanft in das große Meer des Glücks hinabgeglitten ist, dann zerfällt das Gerüst mit all seinen künstlichen Stützen und wird vergessen.

Aber sie haben einem Zwecke

49 gedient und im Leben des Schiffes eine höchst wichtige Rolle gespielt.« Er hörte mir aufmerksam bis zu Ende zu; dann ließ er sein Knie los und sank in die Kiffen zurück, als ob er sich zu neuem Widerstand verschanzen wollte. Ich hatte einen Eindruck auf ihn gemacht, aber er war nicht der Mann, das sofort zuzugeben. Vermuthlich um Zeit zu gewinnen, befahl er Hookahs und Sorbet zu bringen, und wenn auch die Diener alles geräuschlos besorgten, so war ihre Anwesenheit doch eine Unterbrechung. Als wir wieder in Ruhe waren, saß er beinahe auf­ recht auf dem Divan, und als er aus dem langen Rohre rauchte, nahm sein Gesicht den stumpfen Ausdruck orienta­ lischer Gleichgültigkeit an, welcher für die Macht der Ueberredungskunst das niederschlagendste Sturzbad ist. Mir lag wirklich nichts daran, ihn zu meinen Anschauungen, die Frauen betreffend, zu bekehren. Ehrlich gesagt, war es denn überhaupt meine eigene Ansicht? Würde irgend etwas auf der Welt, mich, Paul Griggs, reich oder arm oder wohlhabend, dazu bewegen, mich zu verheirathen — z. B. mit Miß Westonhaugh? Wahrscheinlich nicht. Aber meine Vorliebe für eheloses Glück verhinderte mich nicht zu glauben, daß Frauen eine Seele haben. An jenem Morgen war die Frage über die Ehen auf der ganzen Welt mir höchst gleichgültig gewesen, und nun versuchte ich, ein eingefleischter und ganz zufrie­ dener Junggesell, einen Mann mit drei Frauen zu über­ zeugen, daß der Ehestand etwas höchst vortreffliches in seiner Art wäre, und die Freude der Flitterwochen nur ein schwaches Vorspiel zu der Seligkeit der Silberhochzeit. Isaacs selbst mußte das zu Wege gebracht haben. Er war auf eine Entdeckungsreise ausgesegelt und hatte mich Cr.rwford, Air. 2saac-?.

4

50 ins Schlepptau genommen. Ich hatte ihn stark im Ver­ dacht, daß er überzeugt zu werden wünschte und nur den Gleichgültigen spielte, um sein Gewissen zu beschwichtigen. „Nun, sagte ich endlich, haben Sie an meinem Ge­ dankengange oder an meinem Gleichniß etwas auszusetzen?" „An ihrem Gleichniß — gar nichts. Es ist tadellos. Sie haben Ihre Bilder nicht vermengt. Gerüst, Stützen, Meer, Schiff, alles richtig und ganz technisch. Was Ihren Gedankengang anbetrifft, so halte ich nicht viel davon. Ich glaube nicht, daß Genuß zum Glück führt, ich glaube nicht, daß ein Weib eine Seele hat, und ich verwerfe die ganze Beweisführung von Anfang bis zu Ende. So, setzte er mit einem Lächeln hinzu, daß der Schärfe seiner Worte widersprach, „das ist mein Standpunkt. Bringen Sie mich davon ab, wenn Sie können; die Nacht ist laug und meine Geduld ist gleich der eines Esels." „Ich glaube nicht, daß dies ein Fall für streng logische Beweisführung ist. Wo Gefühle im Spiele stnd — und wo könnten sie mehr im Spiel sein als in unserem Ver­ hältniß zu den Frauen — kann man nur durch eine Art von versuchsmäßigem Verfahren zu einem Schluß kommen; wir müssen uns in die angedeutete Lage hineindenken und versuchen, uns vorzustellen, wie sie uns gefallen würde. Nehmen wir an, Sie wären nnverheirathet, Ihre drei Frauen nebst Kindern beseitigt"-------„Das gebe Allah in seiner Gnade!" rief Isaacs mit großer Inbrunst aus. . . . „also gänzlich aus der Frage beseitigt. Dann denken Sie sich in täglichen Verkehr mit einer schönen Frau versetzt, die dasselbe gelesen hat wie Sie, gedacht was Sie gedacht haben, und die Träume von einer edleren Bestimmung geträumt, welche Sie in Stunden des Wachens

51

und

des Schlafens

heimgesncht haben.

Eine Frau,

die

wenn sie Ihre seltsame Geschichte hörte, über Ähre erdul­ deten Leiden weinen und sich über die von Ihnen über­

wundenen Schwierigkeiten

freuen würde;

die Ihre

halb

ausgesprochenen Gedanken verstehen und an Ihrem unaus­

gesprochenen Streben freudig theilnehmen würde; in der Sie die andere Hälfte Ihres eigenen Wesens sehen, und

den starken Geist und die tapfere Seele halb verhüllt durch weibliche Zartheit und Züchtigkeit, die sie wie ein Gewand

umgeben, erkennen würden.

dann nehmen Sie an,

Denken Sie sich all dies, und

es stünde in Ihrer Macht, hinge

von Ihnen ab, Ihre Hand zu erfassen und durch Leben und Tod mit ihr zu gehen,

bis

der Tod wie Leben er­

schiene in der Wonne ewiger Vereinigung.

Nehmen Sie

an, Sie heiratheten sie, nicht um sie in eine erschlaffende

Atmosphäre von Rosenwasser, Narghyles und Süßigkeiten einzusperren, um an Langerweile zu sterben oder Sie mit

Klagen, Eifersüchteleien und unerwünschten Liebkosungen zu

quälen,

sondern bei Ihnen zu sein und Ihnen im Leben

mit Gedanken, Worten und Werken beizustehen, wann Sie

am meisten der Hülfe bedürfen,

so

daß sie immer mehr

ein Theil Ihres eigenen Wesens würde, ein wesentliches Element Ihrer selbst, in Ruhe oder Bewegung, von dem

sich zu trennen so viel hieße, als den ganzen Bau Ihres Daseins mit einem Schlage zerstören.

Würden Sie nicht

sagen, daß bei einer solchen Frau die flüchtigen Freuden des

ersten Umgangs und Verkehrs

dauernden Glück

einer Freundschaft

nur Stufen zu dem

gewesen wären,

wie

Sie sie nie bei einem Ihres eigenen Geschlechtes in Ihrem

späten Alter finden würden?

Würde ihre treue Liebe und

überreiche Theilnahme ihnen nicht täglich theurer werden,

wenn die Rosen aus ihren Wangen auch verblühten und 4*

52 das glänzende Haar vom Staube der Lebensreise weiß würde? Würden Sie nicht fühlen, daß im Tode Ihr in­ nigster Wunsch sein müßte, dort mit ihr vereint zu wer­ den, wo es kein Scheiden mehr giebt, — mit ihr, von der Sie hier auf Erden nichts trennen konnte als der Tod? Würden Sie nicht glauben, daß sie eine Seele hätte?" „Ihre Voraussetzungen nehmen kein Ende, sind aber recht hübsch. Ich bin halb und halb geneigt auch „vor­ auszusetzen". Er nahm einen Schluck Sorbet aus dem hohen Krystaükelche, den der Diener auf einem kleinen drei­ beinigen Schemel neben ihn hingestellt hatte, und während er langsam den kühlen Trank schlürfte, sah er mir über das Glas hin mit einem eigenthümlichen, halb ernsten, halb lächelnden Blick in's Auge. Ich wußte nicht recht, ob meine begeisterte Schilderung ehelichen Glückes ihn be­ lustigte oder anzöge, so wartete ich ab, daß er wieder spräche. „Nun da Sie Ihre Fahrt auf Ihrem Glücksschiff auf dem blauen Meere Ihrer himmlischen Phantasie gemacht, erlauben Sie mir, der ich ein Landgeborener und Jagdlieb­ haber bin, mein Roß vor einige Hindernisse aus dem schwierigen Terrain schmuckloser Thatsachen zu stellen, über welches ich den listigen Fuchs, den Ehestand, jagen will. Ich habe zwar niemals einen Fuchs gehetzt, kann es mir aber ganz gut vorstellen." „Erstens ist es ja sehr schön anzunehmen, daß es Allah in seiner Gnade gefallen hätte, mich von meinen drei Lasten zu befreien — indessen sind sie da und sind ganz bedeutende Hindernisse, das kann ich Ihnen versichern! Dessenungeachtet hat die Fürsorge unsers Apostels Mittel vorgesehen, durch welche wir uns unsrer häuslichen Bürden entledigen können, wenn sie uns zu schwer werden. Es

53 läge für mich durchaus im Bereich der Möglichkeit, mich von allen dreien scheiden zu lassen, ohne besonderen Anstoß zu erregen. Aber wenn ich das thäte, glauben Sie nicht, daß meine Erfahrungen im Ehestände mir ganz unaus­ rottbare Vorurtheile gegen die Frauen als Lebensgefährten eingeslößt haben? Bin ich nicht fest überzeugt, daß sie alle zanken und schwatzen und Süßigkeiten knabbern, eine gerade so wie die andre? Oder wenn ich mich unter Aus­ länderinnen umschaute." „Halt", sagte ich, „ich bin nicht geschickt genug im Beweisführen, um Sie zu überzeugen, daß alle Frauen Seelen haben. In Persien und Indien haben sie wahr­ scheinlich keine. Ich verlange von Ihnen nur zu glauben, daß es Frauen giebt, die so glücklich sind einen Antheil an der Unsterblichkeit zu besitzen. — Also entschuldigen Sie diese Unterbrechung. Sie sagten, wenn Sie sich unter Ausländerinnen umsähen." „Wenn ich mich unter Ausländerinnen umsähe, so würde ich wahrscheinlich kleinliche Eigenschaften ähnlicher Art, wenn auch nicht genau dieselben entdecken. Ich kenne die Engländer wenig und könnte deshalb um so leichter getäuscht werden. Nehmen Sie also an, wenn Sie wollen, ich hätte mich von all meinen gegenwärtigen Fesseln gelöst, um von neuem anzufangen und fühlte mich hier von einer jungen Engländerin angczogen", — cs schien etwas an dem Mundstück seiner Pfeife nicht in Ordnung zu sein, denn er prüfte es sehr aufmerksam — „angezogen", fuhr er fort, „von irgend einer, z. B. von Miß Westonhaugh." — Er hielt inne. Also hatte ich recht mit meiner Ahnung! Mein Bild­ chen, das ich mir beim Heimreiten ausmalte und bei ruhi­ gerer Ueberlegung unwillig verspottete, war auch seinem

54 Geiste erschienen. Er hatte die schöne Tochter des Nor­ dens angeschaut und sich an ihre Seite als Geliebter, ihr Gatte geträumt. Dieses ganze Gespräch, all dieses Dis­ putiren war nur ein vorbedachter Plan gewesen, um sich das Vergnügen zu gönnen, an eine solche Verbindung zu denken und davon zu sprechen, ohne Staunen oder Bemer­ kungen Hervorzurusen. Ich hatte schon seit einiger Zeit so etwas geahnt und jetzt erhob seine plötzliche Beschäftigung mit der Pfeife, welche nur feine Verlegenheit verbergen sollte, die Sache über allen Zweifel. Er war vermuthlich verliebt, mein Bekannter von zwei Tagen. In meiner schlichten Person sah er einen, der unmöglich sein Nebenbuhler sein konnte, wohl aber etwas Weltkenntniß besaß, und er sehnte sich nach einem Vertrauten, wie ein Backfisch. In Indien giebt es wenig Romantik und wahrscheinlich hatte er sich mehr aus Rück­ sicht auf Bequemlichkeit und Anstand als aus wirklicher Neigung verheirathet. — Die erste Liebe! bei einem Manu, der wie ein Stück Treibholz herumgeworfen worden, der sich durch eigene Kraft und Klugheit trotz aller Hindernisse den Weg zu Reichthum und Macht gebahnt hatte! Jetzt eben in seiner Verlegenheit sah er recht knabenhaft ans.

Seine Sorgen hatten auf der glatten Stirn keine Furchen zurückgelassen, sein schwarzes Haar zeigte keinen einzigen Silberfaden, und als er nach der Pause, welcher seiner Nennung des Namens des von ihm geliebten Mädchens folgte, wieder aufschaute, lag in seinen schönen Augen ein ächt jugendlicher Ausdruck, aus Leidenschaft und Wehmuth gemischt. „Ich denke, Mr. Isaacs, Sie haben gegen die von Ihnen bekannten Ansichten eine stärkere Waffe gebraucht, als ich in meiner ganzen logischen Rüstkammer hätte finden können."

55



Als er mich ansah, schien das ganze weite Feld der Möglichkeit offen zu stehen. Ich mußte mich geirrt haben, als ich diese Heirath für unmöglich und unpassend hielt. Was für eine Ungehörigkeit sollte in einer Verbindung zwischen Isaacs und Miß Westonhaugh liegen? Meine Schlüsse waren falsch. Warum wäre er dann genöthigt, mit ihr nach England zu gehen, einen rothen Rock zu tragen und sich bei politischen Wahlen lächerlich zu machen? Warum sollte dieses ideale Paar sich nicht einen glücklichen Ort eben so weit entfernt von dem zersetzenden Einfluß angelsächsischen Vorurtheils wie von der erbärmlichen Sinn­ lichkeit des üppigen Lebens im Orient auserwählen? Der Gedanke riß mich fort, er kehrte mit doppelter Stärke wieder als eine Folge dessen, was ich gesagt, und dessen, was ich errathen hatte. „Warum nicht?" war die Frage, welche ich mir in der kurzen Pause, nachdem Isaacs zu sprechen aufgehört hatte, immerfort wiederholte. „Sie haben recht", sagte er langsam, die halbge­ schlossenen Augen auf seine Füße heftend. „Ja, Sie haben recht. In der That — in der That, warum nicht?" Er mußte meine Gedanken errathen haben. Als er kurz zuvor gesprochen, hatte er es mit Gleichgültigkeit, Verspottung meiner Ideen und Trotz gegen die ernstliche Art zu denken und zu folgern gethan. Und nun, wie durch eine bloße Eingebung, gab er eine directe Antwort auf die directe Frage, die ich nur in Gedanken gethan hatte, und mehr noch, seine Antwort kam in dem ruhig gefaßten Ton der Ueberzeugung, ohne einen Anflug von Zweifel. Er gab sie so ruhig und eintönig, wie ein Ka­ tholik sagt: „Credo in unum Deum“, als ob gar kein Widerspruch lohne, oder wie der gläubige Muselmann sagt: „La Illah illallah“, als ob es keinen Menschen auf der

56 Welt gäbe, der kühn genug wäre, dies Dogma zu leugnen. Keine Beweisführung, keine stundenlangen geduldigen Vor­ stellungen oder Wochen planvoller Ueberredung hatten eine solche Veränderung im Tone dieses Mannes hervorbringen können, wie die bloße Nennung des Namens des von ihm geliebten Mädchens. Ich hatte keinen Antheil an seiner Bekehrung. Meine Argumente waren nur der Vorwand dafür. War er bekehrt? War es wirklich so? „Za, ich denke", erwiederte er in derselben mechani­ schen eintönigen Weise. Ich schüttelte mich, trank etwas Sorbet und warf un­ geduldig einen Schuh ab. Träumte ich? oder hatte ich laut gesprochen und die Fragen wirklich gestellt, die er so schnell und treffend beantwortete? Unsinn! ein bloßer Zu­ fall! Ich rief meinen Diener und ließ mir meinen Hookah frisch füllen. Isaacs saß still, regungslos, in Gedanken versunken, seine Fußspitzen austarrend; der Ausdruck seines Gesichts war beinahe dumm in seiner Leere, und der Rauch stieg in trägen Ringeln ans seiner vernachlässigten Pfeife auf. „So sind Sie denn endlich bekehrt?" fragte ich laut. Keine Antwort kam auf meine Frage. Ich beobachtete ihn aufmerksam. „Mr. Isaacs!" Noch immer Schweigen — sollte er eingeschlafen sein? seine Augen waren offen, allein er kam mir sehr blaß vor. Indessen widersprach seine aufrechte Haltung den Anzeichen von Bewußtlosigkeit. „Isaacs! Abdul Hafiz! Was ist Ihnen?" Er rührte sich nicht. Ich stand auf und kniete neben ihm nieder; er saß steif, regungslos wie eine Statue da. Kiramat Ali, der ihn auch beobachtet hatte, schlug wild die Hände zu­ sammen und schrie: „Wah! wah! Sahib margya.“ —

57 „Der Herr ist todt." Ich winkte ihn hinweg und er kauerte sich schweigend in eine Ecke nieder, die Augen auf uns geheftet. Dann beugte ich mich knieend tief herab, um Isaacs in die Augen zu sehen. Es war klar, daß er mich nicht sah, obwohl er geradeaus auf seine Füße starrte. Ich fühlte seinen Puls, der ging schwach, kaum fühlbar, gewiß mit weniger als vierzig Schlägen in der Minute. Ich faßte seinen rechten Arm und versuchte, ihn auf meine Schulter zu legen; aber er war ganz steif. Es war kein Zweifel daran — der Mann hatte einen Anfall von Katalepsie. Ich fühlte wieder nach dem Puls, er stand still. Mir war dieser seltsame Zustand nicht fremd, in dem der Geist ganz wach ist, alle körperlichen Kräfte aber in einen Schlaf versunken sind, aus dem kein Erwecken mög­ lich ist, es sei denn durch Anwendung der geeigneten Mittel. Ich ging hinaus und athmete die kühle Nacht­ luft ein; den Dienern befahl ich, sich still zu verhalten, da der Sahib schliefe. Als ich genügend erfrischt war, ging ich ins Zimmer zurück, zog meine Schuhe aus und stand einen Augenblick neben Isaacs, der noch immer starr dasaß. In ihrer überreichen Weisheit hat die Natur mich für gänzlichen Mangel an Schönheit durch die Gabe un­ gewöhnlicher Kraft und eine von den Ausnahmeconstitu­ tionen entschädigt, welche beständig mit Electricität gefüllt zu sein scheinen. Ohne ein sogenannter Mesmerist zu sein, besitze ich eine beträchtliche magnetische Kraft, die ich nach Möglichkeit ausgebildet habe. In manch langer Unter­ haltung mit dem alten Mann Lal, meinem brahmanischen Lehrer, der mich in orientalischen Sprachen und Philoso­ phie unterrichtete, als ich in der Ebene lebte, hatten wir

58 beit Zustand der Verzückung in all seinen Erscheinungen besprochen. Dieser alte Puudi war selbst ein ausgezeich­ neter Mesmerist, und obschon im allgemeinen abgeneigt über sogenannte Geheimlehren zu sprechen, hatte er mir einige werthvolle Winke in betreff der Anwendung meiner Gaben ertheilt, eben weil er in mir einen Menschen ge­ funden, der mit den zu diesem Verfahren erforderlichen körperlichen Eigenschaften ausgerüstet war. Hier fand sich eine passende Gelegenheit. Ich rieb meine Füße auf dem weichen Teppich und nahm all meine Kraft zusammen; dann begann ich die vorgeschriebenen Bewegungen über Jsaaes Haupt und Kör­ per zu machen. Allmählich kehrte Leben in sein Antlitz zurück, das warme Blut strömte wieder unter die klare olivenfarbige Haut, die Lippen öffneten sich und er seufzte leise. Wie immer in solchen Fällen setzte die Lebensüußernng genau an dem Punkte ein, wo sie unterbrochen wor­ den, und seine erste Bewegung war, die Untersuchung des Mundstücks seiner Pfeife fortzusehen, das er noch in der Hand hielt. Dann blickte er plötzlich auf und als er mich über ihn gebeugt dastehen sah, fuhr er zusammen, wendete sich zur Hälfte um und fragte mit seiner natürlichen Stimme: „Ich war wohl eingeschlafen? Was ist vorge­ fallen? Warum stehen Sie da und sehen mich so an?" Daun nach kurzem Schweigen, bei dem er mich fragend ansah, nahm sein Gesicht einen Ausdruck von Mißstimmung an und leise setzte er hinzu: „Ach so! ich merke! Das ist mir schon einmal zugestoßen. Setzen Sie sich. Ich bin wieder ganz wohl." Er schlürfte ein wenig Sorbet und sank in seine alte Stellung zurück. Ich bat ihn, sich zu Bette zu legen und wollte gehen, er aber ließ mich nicht und schien mein Bleiben so sehr zu wünschen, daß ich mich

59 wieder auf meinen Platz setzte. Der ganze Borfall hatte nur zehn Minuten gedauert. „Bleiben Sie noch ein. Weilchen bei mir", bat er. Ich bedarf Ihrer Gesellschaft, vielleicht Ihres Rathes. Ich habe eine Vision gehabt und muß mit Ihnen darüber sprechen. Während ich hier saß, war es mir, als verließe mein Geist den Körper und ging hinaus in die Nachtluft und schwebte über Simla. Ich konnte in jedes Bungalow (Haus) blicken und wußte, was in jedem vorginge, aber mir auf einem verweilte mein Blick, denn ich sah auf einem Lager in einem geräumigen Zimmer die schlafende Gestalt einer mir Bekannten. Die Massen ihres blonden Haares lagen auf dem Kissen, als wäre sie niedcrgesnnken, müde eine so reiche Last von Gold zu tragen. Die langen dunkeln Wimpern warfen leichte Schatten auf ihre Wangen und die halbgeöffneten Lippen schienen bei dem leisen Fächeln des sanften Athems zu lächeln. Und während ich hinschaute verdichtete sich der Odem ihres Körpers und nahm Gestalt und Farbe an, so daß das Bild ihrer selbst zwischen ihrem schlummernden Körper und meinem wachen Geiste emporschwebte. Näher und näher kam mir dieses wunderschöne Gebild bis wir einander anschauten, meine Seele und die ihre, hoch oben in der Stille der Nacht. Und als sie die langen Augenlider anfschlng, drang ans ihren Augen ein Blick voll Vertrauen und Liebe und un­ endlicher Freude. Daun wendete sie ihr Antlitz gen Süden und wies auf meinen Schicksalsstern, der hell erglänzte in­ mitten seiner kleinern Genossen und mit einem langen innigen Blicke, der mich ihrer Führung folgen hieß, schwebte ihre jungfräuliche Seele davon, anfangs zögernd, während ich ihr nachschaute; dann verschwand sie mit schwindelnder Eile am Firmament, wie eine Sternschnuppe

60 und ließ keine Spur zurück, nur ein unendlich trauriges Leid und ein Sehnen, mit ihr einzugehen in das grenzen­ lose Reich des Friedens. Aber ich konnte es nicht, denn mein Geist ward in diesen Körper zurückgerufen. Und ich segne Allah, daß er c§ mir vergönnt hat, sie einmal so zu schauen und zu wissen, daß sie eine Seele hat wie ich, denn ich habe ihren Geist angeschauet, und ich weiß es." Isaacs stand langsam auf und ging nach der offenen Thür. Ich folgte ihm und wir betrachteten einige Augen­ blicke die Landschaft vor uns. Es war beinahe Mitter­ nacht und der abnehmende Mond stieg langsam empor, als schäme er sich seiner schwindenden Schönheit und seines wehmüthigen Aussehens. „Griggs!" sagte JsaacS, zum erstenmale das förm­ liche „Herr" fortlaffend, „dies alles ist höchst wunderbar! Ich glaube, ich liebe!" „Darau zweifle ich keinen Augenblick!" erwiederte ich. „Friede sei mit Dir!" „Und mit Dir Friede!" So schieden wir.

Viertes Kapitel.

In Simla macht man Vormittagsbesuche am Morgen statt gegen Abend wie in kultivirteren Ländern. In der Morgenfrühe empfing ich ein Briefchen von Isaacs, der mir mitthcilte, er habe ein Geschäft mit dem Rajah von Baithopoor abzuschließen, würde aber um zehn, oder etwas später, bereit sein mit mir bei Mr. Currie Ghyrkins einen Besuch zu machen. Ich hatte viel über die Ereignisse des vorigen Abends nachgedacht, und sah meiner nächsten Be­ gegnung mit Isaacs mit größter Spannung entgegen.

60 und ließ keine Spur zurück, nur ein unendlich trauriges Leid und ein Sehnen, mit ihr einzugehen in das grenzen­ lose Reich des Friedens. Aber ich konnte es nicht, denn mein Geist ward in diesen Körper zurückgerufen. Und ich segne Allah, daß er c§ mir vergönnt hat, sie einmal so zu schauen und zu wissen, daß sie eine Seele hat wie ich, denn ich habe ihren Geist angeschauet, und ich weiß es." Isaacs stand langsam auf und ging nach der offenen Thür. Ich folgte ihm und wir betrachteten einige Augen­ blicke die Landschaft vor uns. Es war beinahe Mitter­ nacht und der abnehmende Mond stieg langsam empor, als schäme er sich seiner schwindenden Schönheit und seines wehmüthigen Aussehens. „Griggs!" sagte JsaacS, zum erstenmale das förm­ liche „Herr" fortlaffend, „dies alles ist höchst wunderbar! Ich glaube, ich liebe!" „Darau zweifle ich keinen Augenblick!" erwiederte ich. „Friede sei mit Dir!" „Und mit Dir Friede!" So schieden wir.

Viertes Kapitel.

In Simla macht man Vormittagsbesuche am Morgen statt gegen Abend wie in kultivirteren Ländern. In der Morgenfrühe empfing ich ein Briefchen von Isaacs, der mir mitthcilte, er habe ein Geschäft mit dem Rajah von Baithopoor abzuschließen, würde aber um zehn, oder etwas später, bereit sein mit mir bei Mr. Currie Ghyrkins einen Besuch zu machen. Ich hatte viel über die Ereignisse des vorigen Abends nachgedacht, und sah meiner nächsten Be­ gegnung mit Isaacs mit größter Spannung entgegen.

Gl Nach dem, was vorgefallen, konnte nichts seine wahren Gefühle so sehr ans die Probe stellen als dieser Besuch bei Miß Westonhaugh, den wir zusammen machen wollten, und ich nahm mir vor, mir keine Bewegung, kein Wort, keinen Ausdruck entgehen zu lassen, wodurch ein Licht auf die mir höchlich interessante Frage fallen könnte — ob eine solche Berbindung möglich, ausführbar und vernünftig wäre. Zur bestimmten Zeit war ich also fertig; wir stiegen zu Pstwde und ritten in den Hellen Herbsttag hinaus. Zn Simla macht man alle Besuche zu Pferde, denn die Eistfernungen sind oft beträchtlich. Man reitet ruhig da­ hin, der Saice folgt zu Fuß oder hält mit dem sausten Trabe Schritt, je nachdem. Wir ritten über die geräusch­ volle Promenade, voll von Reitern und Reiterinnen mit zahlreichen prächtig gekleideten eingeborenen Dienern und chuprassics aus den Amtsstuben der Regiernng, die ihre Aufträge auszuführeu eilten, oder mit einem ihrer schäbig auSfehenden nicht angestellten Bekannten plaudernd still standen; wir kamen an den überfüllten kleinen Läden auf dem Hügel unterhalb der Kirche vorüber und sahen die zusammengewürfelte Menge von Kornhändlern, Juwelieren, Zuckerbäckern und Verkäufern von metallenen oder irdenen Gefäßen, jeder saß bis an die Kniee in feinen Waaren und rauchte die ewige „Hubbelbubbel"; wir bemerkten die scharfen Augen der Käufer und den Falkenblick der Ver­ käufer, die laugen schlangenartigen Finger, welche die Münzen gierig erfaßten und sich in Zuckungen zu winden schienen, wenn sie das kleinste Geldstück loslasfen mußten; wir sahen dieses bewegte Schauspiel an, das sich ausnimmt wie eilt Kasperletheater inmitten der pfadlosen Strecken des Himalaya zum Ergötzen und Zeitvertreib eines lustigen

62 genius loci aufgestellt, der sich in der feierlichen Stille feiner erhabnen Berge langweilt, und wir plauderten sorg­ los über die belebten und leblosen Erscheinungen vor uns, lachten über die Betheuerungen der Verkäufer und die hartnäckige Zweifelsucht ihrer Kunden, über die schwer­ fällige Würde eines stattlichen alten Boten mit weißem Bart, in Scharlach und Gold gekleidet, wie er einer Gruppe armer Verwandten und Bewunderer, die ihn um­ drängte, pomphaft die Herrlichkeiten des letzten Festes in Peterhof beschrieb, wo damals Lord Lytton herrschte. Ich lächelte und Isaacs blickte finster auf den alten behaarten asketischen Gläubigen, der plötzlich von seinem Lager an der Erde aufsprang, sich durch das Gewühl der Hindus Bahn brach und mit lauter Stimme sein Glaubensbekenntniß ausschrie: „Es ist nur ein Gott und Mahomet ist fein Prophet!" Die allgemeine Uebereinstimmung im Orient ist etwas Erstaunliches. Sitten, Kleidung, Denk­ weise und Sprache sind bei allen Asiaten im Westen von Tibet und im Süden von Türkistan sich merkwürdig ähn­ lich. Der größte Unterschied ist in der Sprache, und doch könnte keiner, der die Dialecte nicht kennt, beim bloßen Hören Hindostanisch, Persisch, Arabisch und Türkisch von einander unterscheiden. So ritten wir einher und befanden uns bald auf dem nach Jako führenden Wege über den wir am vorigen Abend gekommen waren. Am Abhange des Hügels, hinter dichtem Rhododcndrongebüsche verbor­ gen, lag das Bungalow von Mr. Currie Ghyrkins, und eine Tafel am Anfang des Reitwegs — eine Auffahrt war nicht vorhanden — besagte, daß das Grundstück den hoch­ tönenden Titel Carisbrooke Castle trüge, in Uebereinstim­ mung mit der Simlaer Sitte, kleine Dinge mit großen Namen zu benennen.



C>3



Als wir beit Rasenplatz am Hause erreicht hatten, Übergaben wir unsere Pferde beut Zaire (Reitknecht), iuib gingen beu kurzen Weg nach ber Beranba hinauf. Ein reizendes Bilb bot sich uns bar, als wäre es zu unserem besonbern Vergnügen vorhanben. Das Bungalow war für Simla recht groß und bie Veranda tief und schattig; viele Stühle aller Art und Form standen zwanglos umher, als wären sie eben benutzt worden, nicht steif an der Wand aufgestellt, und in einer Ecke hing eine breite Hängematte. Darin saß, die Füße über dem Boden schaukelnd und sich an den Stricken haltend, die schöne Miß Westonhaugh, in einem eng anschließenden schmucklosen Kleide von einfachem biinfelblmicnt Serge, das nur einer unter zehntausenden gut steht, aber wenn es eine wirklich schöne junge Gestalt gut kleidet, wüßte ich keinen Anzug, der besser geeignet wäre, die Anmuth der Formen und Bewegungen zu zeigen. Sie stieß mit ihren zierlichen Fußspitzen ein Knäuel Wolle hin und her zur Belustigung und Belehrung eines kleinen zahmen Schakals, — des einzig gründlich gezähmten, den ich je gesehen habe. Es war ein allerliebstes Thierchen mit langhaarigem grauem Fell und blanken blitzenben Augen, schelmisch und lustig wie Gnomenaugen. An seinem Halse hing an einem breiten blauen Bande eine kleine silberne Glocke, die in plötzlichen Absätzen läutete, wenn das lebhafte Geschöpfchen nach dem Ball hin und her sprang und bald auf den Kopf bald auf die Füße fiel, was ihm ganz gleich zu sein schien. Das junge Mädchen war so ganz mit ihrem lebendigen Spielzeug beschäftigt, daß sie unser Absteigen und Heran­ kommen nicht bemerkt hatte, und erst als unsere Tritte auf beut Bretterboden der Bet au da ertönten, blickte sie wie erschreckt auf und versuchte auf die Füße zu treten. Wer

64 je seitwärts

auf

einer

geknoteten Hängematte

über dem Boden schwebend mit dem

die Füße

ganzen Gewicht des

Körpers in der Mitte gesessen hat, weiß wie schwer es ist, mit Anstand herauszukommen und nicht herauszurollen oder

zu taumeln. Man kann sich dabei die Knochen zerbrechen oder wenigstens so aussehen und empfinden, als sollte es

geschehen.

Obgleich wir beide ihr zu Hülfe eilten,

hatte

Miß Westouhaugh nach dem ersten Versuch eiugesehen, daß

cS besser wäre nicht aufzustehen und gab es mit einem Willkommen und dem leisesten Erröthen von

lächelnden

Befangenheit aus ihrer schönen Wange

ganz auf.

Der

drollige kleine Schakal setzte sich auf die Hinterbeine, mit dem Rücken gegen die Mauer,

sah uns kritisch an und

knurrte ein bischen. „Sehr erfreut Sie zu sehen, Mr. Isaacs. es Ihnen, Mr.--------„Griggs", flüsterte Isaacs,

Wie geht

während er einen Strick

an der Hängematte geradezog. „Mr. Griggs", fuhr sie fort, „wir sind gestern freilich

nur flüchtig zusammengetroffen, wenigstens Sie und mein Onkel. Ich bin allein zu Hause; mein Onkel ist nach

Kalka meinem Bruder entgegen geritten, der am Ende der Saison auf vierzehn Tage herkommt, um den Staub von Bombay abznschütteln. Rücken Sie ein Paar Stühle heran und setzen Sie sich. Ich weiß nicht wo der „Träger" und der „Junge" und all die andern Dienstboten stecken, und

könnte mich ihnen auch nicht verständlich machen, wenn sie hier wären. So müssen Sie sich selbst bedienen."

Ich ergriff zuerst einen Stuhl, und als ich mich um­ wendete um ihn heranzutragen, bemerkte ich, daß sie Isaacs mit demselben Ausdruck beobachtete, den ich Abends zuvor

auf ihrem Gesicht gesehen hatte;

nur konnte ich ihn jetzt

65 deutlicher wahrnehmen. Sie wollte augenscheinlich mit ihm sprechen, sobald er sich umwendete. „Sie sehen, ich habe ihn unterrichtet!" sagte sie, als er mit seinem Sessel herankam. Isaacs sah das drollige Thierchen an, welches den buschigen Schwan; um sich gerollt und das Köpfchen neu­ gierig auf die Seite gelegt an den Brettern unter dem Fenster saß. „Er scheint jedenfalls gute Manieren zu lernen!" sagte er. „Ja, ich denke, ich kann jetzt mit Sicherheit be­ haupten, daß sein Bellen schlimmer ist als sein Beißen." „DaS konnten Sie freilich bei meinem neulichen Be­ suche nicht sagen. Erinnern Sie sich, was für Verheerun­ gen er an der unteren Hälfte meines Anzugs anrichtete? Und doch ist er so zu sagen mein Pathchen, denn ich habe ihn ihrer Obhut anvcrtrant und ihm auch den Namen ge­ geben." „Denken Sie nicht, daß ich für Ihr Geschenk nicht dankbar bin!" erwiederte Miß Wcstonhangh. „Schnapp! Schnapp! Komm her, Liebling, komm zu deiner Herrin und laß dich streicheln!" Trotz dieser beredten Aufforde­ rung knurrte Schnapp, das Schakalkindchen, nun ganz vergnügt und schwenkte den Schwanz rechts und links. „Sie sehen", fuhr sic fort, „Ihre Pathenschaft hat keine besonders gute Wirkung. Er gehorcht eben so wenig wie Sie." Sie wendete sich zu Isaacs, aber ihr Blick traf ihn nicht: sie konnte nur seinen Stuhl von der Seite sehen. Isaacs dagegen schien ihre Augenwimpern zu zählen und im Geist einen photographischen Abdruck von ihrer Stirn zu nehmen. „Schnapp!" rief er. Augenblicklich sprang der Schakal auf, lief zu ihm und schmiegte sich schmeichelnd an die nach ihm ausgestreckte Hand. (i r a li? fort', Mi. 3>aacc-.

66 „Sie thun mir unrecht, Miß Westonhaugh. Schnapp ist eben so gehorsam wie ich." „Warum bestanden Sie denn neulich darauf, Tennis mit der linken Hand zu spielen, obschon Sie sehr gut wußten, wie mich das verwirrt?" „Meine liebe Miß Westonhaugh", antwortete er, „er­ stens bin ich überhaupt kein Tennisspieler, und da ich die Finessen des Spiels nicht verstehe, — um ein Wort zu gebrauchen, das ich eben so wenig verstehe, — müssen Sie es meinem Ungeschick zu gute halten, wenn ich die Hand gebrauche, welche am gewandtesten und flinksten ist. „Manche Menschen", sagte ich, „sind sogenannte ambidexter und können beide Hände mit gleicher Leichtig­ keit gebrauchen. Die alten Perser, welche das Polospiel erfanden" — „Ich mache es Ihnen nicht so sehr zum Vorwurf, Mr. Isaacs", — als sie dies sagte, sah sie mich an, ob­ wohl sic meine lehrreiche Rede rücksichtslos unterbrach — „ich mache es Ihnen nicht so sehr zum Vorwurf, daß Sie mit der unrechten Hand Tennis spielen, als daß Sie un­ rechte Waffen- gebrauchen, wenn Sie von andern Sachen oder Wesen sprechen, denn nie sind Sie so ungerecht und zugleich so geschickt, als wenn Sie sich in Angriffen über unser Geschlecht ergehen." „Wie können Sie das sagen?" protestirte Isaacs. „Sie wissen mit welcher Hochachtung und beinahe an­ dächtiger Verehrung ich alle Frauen", seine Augen glänzten bei diesen Worten, „und vor allen Sie ansehe". Engländerinnen, besonders junge Mädchen, sind nicht an schöne Redensarten gewöhnt. Sie sind so sehr an ihre eigenen Landslcnte gewöhnt, daß sie das geringste Kom­ pliment als das unvermeidliche Vorspiel zu einer Beiei-

67

digung ansehen. Miß Westonhaugh machte keine Ausnahme von dieser Regel, und sic richtete sich stolz auf. Es entstand eine kleine Pause, während welcher Isaacs zu bereuen und sic zu überlegen schien, in wie weit seine letzten Worte beleidigend wären. Sie heftete die Blicke aus den Boden, dann schlug sie einen Augenblick die Augen auf und begegnete den seinen, sofort schlug sie sie nieder und wechselte die Farbe. „Bitte, Mr. Isaacs, möchten Sie uns nicht ein Verzcichniß der Damen geben, die Sic mit Hochachtung und Verehrung anseheu?" — Eines der Pferde, welche der Saice an der andern Seite des Rasenplatzes hielt, wieherte laut und gab Isaacs einen Vorwand sich umzusehen. „Miß Westonhaugh", sagte er, „Sie wissen, daß ich ein Musel­ mann und daß ich verheirathet bin. Es mag sein, daß ich i» Ihrer Sprache Worte gebraucht habe, die mehr be­ sagen, als ich ausdrücken wollte, obschon es mir schlecht anstehen würde, meine letzten Worte zurückzunehmen, denn sie sind wahr." Nun war die Reihe au mir neugierig zu sein. Ich war begierig zu sehen, wie weit seine Kühnheit gehen würde. Neben seinen andern Vorzügen hatte er auch den, daß er selbst Frauen gegenüber die Wahrheit sprach, nicht wie ein Luxus oder une bonnc bouehc, sondern aus Ge­ wohnheit. Als ich ihn ansah, stieg ihm das Blut heiß ins Gesicht. Sie beobachtete ihn, und als sie sah, daß es ihm Ernst und daß er verlegen war, gewann sie, ächt weiblich, ihre Fassung wieder. „Ach, ich hatte vergessen!" sagte sie; „ich hatte nicht an Ihre Frau in Delhi gedacht." Sie drehte sich in der Hängematte um und fand nach einigem Suchen, während dessen sie schwieg, eine Wollstickerei, die sie zur Hand nahm.

68 Die Wolle war aus der Nadel geglitten, sie hielt dieselbe gegen das Licht, legte den Faden ums Nadelöhr und fädelte ihn wieder ein. Ich bemerkte, daß Isaacs gerade in der Richtung saß und daß das Einsädeln recht lange dauerte. „Mr. Griggs", sagte sie langsam, und gerade an dieser Langsamkeit merkte ich, daß sie zu mir sprechen wollte, während sie meinen Freund meinte, wie Frauen zu thun pflegen. „Mr. Griggs, wissen Sie etwas über Muhamedaner?" „Das ist eine sehr umfassende Frage", antwortete ich, „fast so umfassend wie die mahomedanische Glaubens­ lehre." Sie fing an zu sticken und setzte sich zum Zu­ hören zurecht, als ob sie eine lange Rede erwartete. Der kleine Schakal kam heran und schmiegte sich an ihre Füße. Ich hatte indessen nicht die Absicht, einen Vortrag über die Lehre des Propheten zu halten. Ich sah, daß meinem Freunde das Gespräch peinlich war und beschloß, wo mög­ lich, ihr Interesse in Anspruch zu nehmen. „Bei primitiven Völkern und sehr jungen Personen", fuhr ich fort, „ist die Ehe ein Glaubensartikel, ein Sitten­ gesetz, und ein soziales Gesetz." „Sie sind wohl verheirathet, Mr. Griggs?" fragte sie mit kindlicher Einfalt. „Entschuldigen Sie, Miß Westonhaugh, ich bin weder demüthig genug mich für primitiv, noch anmaßend genug, mich für jung zu halten." Sie lachte. Ich hatte einen guten Anfang gemacht. „Nach der Art", sagte sie, „in der Sie von primitiven und jungen Personen sprachen, dachte ich, Sie hielten deren Ansicht über — über diese Frage für die natürliche und angemessene Ansicht ursprünglicher und civilisirter junger Menschen."

69 „Ich wiederhole, ich mache keinen Anspruch darauf, sehr civilisirt, oder sehr jung, und sicherlich nicht sehr ur­ sprünglich zu sein, und mein Mangel an all diesen Eigen­ schaften ist die Entschuldigung für mein beharrliches Junggesellenthum. Viele Mahomedancr sind jung und originell, manche höchst eivilisirt, wie Sie sehen, und alle verheirathet. Es ist nur ei« Gott und Muhamed ist sein Prophet, und wer nicht heirathet ist nicht anständig — das ist ihr Glaubensbekenntniß." Isaacs sah bei meinen profanen Worten böse aus, aber ich fuhr fort: „Ich will durchaus nicht unehrerbietig von einem so edlen und so praktischen Glaubensbekenntniß sprechen. Ich glaube, Sie hätten wenig Aussicht, Mr. Isaacs zu bekehren." „Ich würde es gar nicht versuchen", sagte sie und legte ihre Arbeit in den Schooß, indem sie mich einen Augenblick ansah. „Da Sie aber von Glaubensbekennt­ nissen sprechen, darf ich fragen zu welcher Eonfession Sie gehören?" „Ich bin römisch-katholisch", antwortete ich, und.setzte dann hinzu, „ich sehe aber wirklich nicht ein, was mein Glauben an die päpstliche Unfehlbarkeit mit meiner An­ sicht über muhamedanischc Ehen zu thun hat." „Und wie denken Sie denn darüber?" fragte sie, ihre Arbeit aufnchmend und eifrig stickend. „Ich denke, daß der Gebrauch, obschon der Theorie nach durch die gewöhnlichen Verhältnisse des orientalischen Lebens gerechtfertigt, in manchen Fällen sich sehr schlecht bewährt. Ich denke, daß junge Männer, lediglich durch die Macht des Beispiels oft dazu gebracht werden, mehrere Frauen zu heirathen, ehe sic genug über die Wichtigkeit

eines solchen Schrittes nachgedacht haben.

Ich denke, daß



70

Eheschließung und Scheidung, in Rücksicht auf ihre Bedeu­ tung für eines Menschen Leben, zu leicht genommen wer­

den, und ich bin überzeugt, daß kein civilisirter Mann von europäischer Bildung,

selbst wenn er zum Islam über­

träte, von der Erlaubniß vier Frauen zu heirathen,

brauch machen würde.

Ge­

Es ist ein Fall, in dem Theorie

und. Praxis sich gegenüber stehen und den ich nicht ver­

suchen will, zu erklären. Logisch mag die Sache ganz im gewöhnlichen Leben erscheint sie mir oft

richtig sein,

höchst mißlich." „Ja", sagte Isaacs, „es giebt Fälle--------- "

Er hielt

inne, und Miß Westonhaugh, die sehr eifrig bei ihrer Ar­ beit gewesen war, blickte ruhig auf, nur um zu sehen, daß

er mit großem Interesse die Pferde betrachtete, welche das kurze Gras auf der andern Seite des Rasenplatzes so weit abweideten als der Saice sie den Hals ausstrecken ließ.

„Ich gestehe", sagte Miß Westonhaugh, „daß ich meine Ideen über Muhamedaner hauptsächlich aus Tausend und einer Nacht herhabe,

lesen.

die ich vor langer,

langer Zeit ge­

Es kommt mir vor, wie wenn sie ihre Frauen so

behandelten,

als

ob

sie keinen Geist

und

keine Seele

hätten und sich selbst überlassen nicht im Stande wären, etwas Vernünftiges zu thun. Es ist eine Religion für

Männer.

Mein Onkel sagt das auch,

und er muß es

wissen." Das Gespräch drehte sich in einer Art von ge­ schlossenem Kreise herum. Aber Isaacs sowohl als ich

nahmen die Frage viel zu ernst, müßig, hin und herzureden.

um darüber nur so

Wie aber konnte diese schöne

doch nicht besonders geistreiche junge Engländerin, mit ihren Vorurtheilen und ihrer Unbeholfenheit bei Entgegnungen

oder Anführung von Gründen, je ein so schwieriges Thema

71 begreifen oder behandeln.

Ich

war enttäuscht über sie.

Das war vielleicht ganz natürlich, denn mit zwei Männern wie wir mußte sie sich ganz außerhalb ihres Elements Sie war ein Typus

fühlen.

der heiteren kräftigen kern­

gesunden Nordländerin, deren Glück mehr auf ihrer natür­

lichen Lebendigkeit und ihrer Freude am Leben beruht, als

auf angeborenen oder angeeigneten geistigen Fähigkeiten. auf dem Tennisplatz oder auf einem Ball,

Zu Pferde,

an dem sie Vergnügen fände, würde sie

Licht erscheinen,

Aber wenn sie so ein Gespräch

immer das Richtige thun.

führen sollte,

im günstigsten

da würde sie sich zu Hause fühlen und

wie das,

in welches ihre Neugier inbetreff

Zsaacs sie verwickelt hatte, wußte sie nicht, was sie sagen

sollte.

Sie war befangen und sogar etwas von der ange­

borenen Anmuth ihres Wesens ließ sie im Stich.

Warum

wich sie seinen Blicken aus und nahm zu so einem klein­ lichen Kniff, die. Nadel einzufädeln Zuflucht, um ihn an­ zusehen?

Eine Amerikanerin

oder eine Französin hätte

gewußt, daß in vollkommener Offenheit ihre Stärke liege;

daß Isaacs in seiner natürlichen Aufrichtigkeit ihr ohne

Umschweif alles sagen würde,

was sie von ihm wissen

wollte, und daß ihre Stellung fest genug wäre,

um ihm

ins Gesicht sehen und ihn fragen zu können, was ihr be­

Aber sie gerieth in Verlegenheit,

und obschon sie

sich wirklich gefreut hatte, ihn zu sehen,

obgleich er ihr

liebte.

gefiel und

sie ihn schön fand,

fing sie an zu wünschen,

er möchte wieder gehen, bloß weil sie nicht wußte, wovon

sie sprechen sollte und ihm keine Gelegenheit geben wollte, sich den Gegenstand des Gesprächs selbst zu wählen.

Da

keiner von uns beiden geneigt war, die Erörterungen über

die Ehe weiter zu führen,

noch die Ansichten von Mr.

Currie Ghyrkins, welche seine Nichte anführte, zu bestreiten,

72 so entstaub eine Pause.

Ich unterbrach sie und fing keck

von etwas anderm an. „Werden Sie heute Nachmittag ansehen,

Miß Westonhaugh?

das Polospiel mit­

Ich hörte im Hotel, es

sollte heute eine interessante Partie gespielt werden." „O ja, natürlich. versäumen.

Das möchte ich um keinen Preis

Lord Steepleton kommt zn uns zum Tifftn'),

und wir werden zusammen nach Annandale reiten. werden natürlich auch hinkommen;

Sie

es wird prächtig sein.

Spielen Sie Polo, Mr. Griggs? Mr. Isaacs spielt vor­ züglich, wenn er sich überhaupt zu dieser Anstrengung her­ beiläßt.

Er versteht mehr von Polo als von Tennis."

„Ich mag das Spiel sehr gern", antwortete ich, „aber ich habe keine eignen Pferde hier,

und bei meinem Ge­

wicht ist es nicht so leicht, für eine so anstrengende Arbeit

ein Pferd zu finden." „Darüber machen Sie sich keine Sorgen", sagte „Sic wissen, meine Pferde stehen Ihnen stets zur

Isaacs.

Verfügung, und ich habe ein Paar Ponies, die Sie ganz gut tragen können.

Wir wollen dieser Tage ein Spiel

machen, sobald wir das Feld haben können.

Wir wollen

gegen einander spielen, so daß der ferne Westen sich mit dem fernen Osten messen kann." „Wie köstlich!" rief Miß Westonhaugh, und ihr Ge­ sicht strahlte bei

dem

Gedanken,

„und

ich will Preis­

richterin sein und dem Sieger den Kranz reichen."

„Was soll der Preis sein?" fragte Isaacs mit fröh­

lichem Lächeln.

Er war sehr positiv und manchmal kindlich.

„Das kommt darauf an, wer gewinnt", antwortete sie.

Auf dem harten Wege unter

den Bäumen

*) Das zweite Frühstück, luncheon, in Indien.

erscholl



73

ein Geräusch von Pferdehufen,

— und bald hörten wir eine

Stimme laut nach dem Saice rufen, zu sein schien.

der zurückgeblieben

Es war eine Helle starke Stimme und der

Sprecher verwünschte die weiblichen Angehörigen des Reit­

knechts bis ins vierte und fünfte Glied mit beträchtlicher Beherrschung des Hindostanischen. Miß Westonhaugh, die noch nicht lange in Indien war, verstand kein Wort von

dem höchst ungenirten Fluchen, das im Wäldchen vor sich

ging, aber Isaacs sah verstimmt aus, und ich machte in Gedanken einen schwarzen Strich

neben den Namen des

Neuangekommenen, wer er auch sein mochte.' „O! es ist Lord Steepleton!" sagte das junge Mäd­

„Er scheint immer

chen.

vorzuhaben.

etwas

mit seinen Dienstboten

Gehen Sie nicht", fuhr sie fort, als ich nach

meinem Hut griff,

„er ist solch

ein guter Mensch,

Sie

müssen ihn kennen lernen." Lord Steepleton Kildare erschien nun an der Ecke des Rasenplatzes, knecht,

eilends gefolgt von seinem athemlosen Reit­

der sich unterwegs aufgehalten und so den Zorn

seines Herrn zugezogen hatte.

Er war, wie gesagt,

schönes Exemplar eines jungen Engländers; irischer Herkunft,

ein

obwohl von

würde er eine solche Abstammung em­

pört verleugnet haben.

Als er vom Pferde gestiegen war,

sah ich, daß er groß und gerade gewachsen war, ohne ein besonders

kräftig gebauter Mann zu sein.

Er trug den

Kopf hoch und es war an ihm jeder Zoll ein Soldat, als er über

den Rasen schritt,

Tennisnetz ausweichend.

sorgsam

Er trug

den Pflöcken vom

wie Jedermann

einen

großen grauen Filzhut und schüttelte allen der Reihe nach die Hand, ehe er ihn abnahm; dann ließ er sich auf einen bequemen Sessel, so nahe als möglich neben Miß Weston-

haugh's Hängematte nieder.

74 „Wie geht's? Ach ja, Mr. Isaacs, Mr. Griggs aus Allahabad. Reizender Tag, nicht wahr?" und er blickte zerstreut auf den Rasen. „Wirklich, Miß Westonhaugh, ich war so wüthend über meinen Schurken von Reitknecht, daß ich nicht daran dachte, rote nahe ich dem Hause wäre. Es thut mir wirklich sehr leid, daß ich all das gesagt habe. Ich hoffe, Sie dachten doch nicht, ich wollte ihn umbringen? — Isaacs sah ärgerlich aus. „Ja", sagte er. „Wir dachten, dem Mahmoud würde es schlimm gkhen. Ich glaube Miß Westonhaugh ver­ steht kein Hindostanisch." Ein Ausdruck aufrichtiger Reue erschien auf dem Ge­ sichte des Engländers. „Wirklich", sagte er offen. „Sie können sich nicht denken, wie leid es mir thut, daß ich zu hören war! Ich übereile mich so leicht! Aber ich bitte Sie alle um Ent­ schuldigung, daß ich Sie durch meine Heftigkeit erschreckt habe." Sein Vergehen war im Grunde kein schweres Ver­ brechen und in seiner nicht besonders geschickten Entschul­ digung lag etwas so Offenes und Ehrliches, daß es mich für ihn einnahm. Der Engländer war ein Gentleman. Isaacs verneigte sich schweigend und Miß Westonhaugh hatte augenscheinlich kein Gewicht darauf gelegt. „Wir sprachen von Polo, als Sie kamen, Lord Steepleton; Mr. Isaacs und Mr. Griggs wollen eine Partie spielen, und ich werde Preisrichterin sein. Wollen Sie nicht mit dabei sein?" „Darf ich?" fragte der junge Mann, dankbar dafür, daß sie ihm so herausgeholsen hatte. „Darf ich? Ich möchte es schrecklich gern! Ich habe so selten Gelegenheit

75 hier mit andern als der üblichen Gesellschaft zu spielen." Damit sah er uns fragend an. „Es wird uns natürlich sehr angenehm sein", sagte Isaacs. „Können Sie uns vielleicht helfen, die erforder­ liche Zahl von Spielern zusammenzubringen? Und wann soll es sein?" Er schien plötzlich an dem geplanten Wett­ kampf großen Antheil zu nehmen. „O ja", sagte Kildare, „ich werde schon die Partie zusammenbekommen, und dann können wir nächsten Mon­ tag spielen. Ich weiß, dann ist das Feld frei." „Sehr gut, also Montag. Wir sind bei Laurie auf dem Hügel." „Ich bin bei Jack Tygerbeigh, bei Peterhof. Können Sie uns besuchen? Ich werde Ihnen vor Montag Be­ scheid schicken. Ach, Mr. Griggs, es stand neulich so etwas Nettes über mich im „Heuler" — danke sehr! Nein, wirk­ lich, ich bin Ihnen sehr verbunden, Sie wissen, die Leute sagen manchmal abscheuliche Dinge von mir. Adieu, adieu, hab' mich sehr gefreut, Sic zu treffen!" „Guten Morgen, Miß Westonhaugh." „Guten Morgen! Sehr freundlich von Ihnen, sich meiner Einsamkeit zu erbarmen." Sie lächelte Isaacs freundlich und mir höflich zu und wir gingen unserer Wege. Als wir uns zu Pferde noch einmal umsahen, um nochmals zu grüßen, sah ich, daß es Miß Westonhaugh gelungen war, aus der Hängematte zu steigen und daß sie sich einen Basthut aufsetzte, während Lord Steepleton sich mit Bällen und Raquetten aus einem auf der Ve­ randa stehenden Kasten bewaffnet hatte. Als wir uns ver­ neigten, gingen sie eben die Stufen herunter und sahen in Erwartung ihres Lieblingsspieles aus wie das Bild

76 frischen Lebens und Heller Freude.

hob ihre Gestalten Plastisch

der Veranda ab,

Die klare Herbstsonne,

von dem

dunkelen Schatten

und ich dachte, sie bildeten eine hübsche

Gruppe. Es schien mir, als sähe ich überall Bilder, und meine

Einbildungskraft war in einer neuen Richtung angeregt. Wir ritten unter den Bäumen weiter.

von dem ganzen Besuch gedacht,

Mein Eindruck

war unbefriedigend.

Mr. Currie Ghyrkins

Ich hatte

würde da sein und

würde ihn in ein politisches Gespräch ziehen können.

ich Wir

hätten über Einkommensteuer, Baumwollenzoll und Kabul stundenlang sprechen können,

und Miß Westonhaugh und

Isaacs hätten ein angenehmes Zwiegespräch haben können. Statt dessen war ich der unglückselige Dritte gewesen, der

so oft im Leben das glückliche Gleichgewicht stört, denn ich wußte, Isaacs war nicht der Mann dazu, in Verlegenheit zu gerathen, noch

auch

wenn man ihn mit einer Dame allein ließ,

sie in Verlegenheit zu

bringen.

Er war zu

tactvoll und hatte ein so feines Gefühl, daß er bei seiner Redegewandtheit quand meine angenehm sein mußte, und

solch eine Gelegenheit würde es ihm leicht gemacht haben, sie von dem Athleten Kildare abzuziehen, den ich stark im

Verdacht hatte, sein Nebenbuhler bei Miß Westonhaugh zu sein.

Wenn ein Engländer verliebt ist, so hat er eine ge­

wisse Miene zuversichtlichen Eigenthumsrechts an sich, die

unverkennbar ist. sich

Es ist ein gar zartes Ding und drückt

in den ersten Stadien seiner Entwickelung weder in

Worten noch Thaten aus; dennoch ist es vorhanden, die Verbindung dieser Neigung

wissen Schüchternheit, ergötzlich sein. „Griggs",

und

zu besitzen mit einer ge­

die oft mit dabei ist, kann höchst

sagte Isaacs,

von Baithopoor gesehen?"

„haben Sie je den Rajah

77 „Nein", sagte ich; „Sie haben heute Vormittag mit ihm in Geschäften zu thun, nicht wahr?" „Ja, — in Geschäften, wenn Sie es so nennen wollen. Wenn Sie Lust haben, ihn kennen zu lernen, kann ich Sie mitnehmen, und ich denke das — das Ge­ schäft wird Sie interessiren. Nicht oft werden solche Edel­ steine gekauft und verkauft — und auf solche Weise, und überdies ist er sehr unterhaltend. Er ist mindestens zwei­ tausend Jahr alt, und wenn er stirbt, kommt er auf den Saturn. Seine Finger sind lang und krumm, und was er in die Tasche steckt, wahrlich, das wird er nicht wieder herausziehen." „Ein hübsches Bild! ein guter Gegensatz zu dem, das hinter uns liegt. Ich liebe die Gegensätze und habe Lust, ihn zu sehen." „Das sollen Sie." Damit steckten wir unsere Cheroots an.

Fünftes Kapitel. „Wir wollen um vier Uhr hingehen", sagte Isaacs, als er nach dem Tiffin zu mir kam, einer Mahlzeit, an der er selten theilnahm. „Heute Vormittag, sagte ich, um drei, aber es ist ganz gut, Eingeborene warten zu lassen. Das macht sie ungeduldig, und dann verlieren sie die Fassung." „Sie sind ein Schüler Machiavelli's! Es ist ziemlich klar, wer von beiden eine Gunst erbittet." „Ja, es ist ziemlich klar." Er setzte sich und nahm die letzte Nummer des Heuler zur Hand, die auf dem Tische lag. Bald darauf blickte er auf und sagte: „Griggs, warum kommen Sie nicht nach Delhi? Wir könnten dort eine Zeitung im conservativen Interesse herausgeben."

77 „Nein", sagte ich; „Sie haben heute Vormittag mit ihm in Geschäften zu thun, nicht wahr?" „Ja, — in Geschäften, wenn Sie es so nennen wollen. Wenn Sie Lust haben, ihn kennen zu lernen, kann ich Sie mitnehmen, und ich denke das — das Ge­ schäft wird Sie interessiren. Nicht oft werden solche Edel­ steine gekauft und verkauft — und auf solche Weise, und überdies ist er sehr unterhaltend. Er ist mindestens zwei­ tausend Jahr alt, und wenn er stirbt, kommt er auf den Saturn. Seine Finger sind lang und krumm, und was er in die Tasche steckt, wahrlich, das wird er nicht wieder herausziehen." „Ein hübsches Bild! ein guter Gegensatz zu dem, das hinter uns liegt. Ich liebe die Gegensätze und habe Lust, ihn zu sehen." „Das sollen Sie." Damit steckten wir unsere Cheroots an.

Fünftes Kapitel. „Wir wollen um vier Uhr hingehen", sagte Isaacs, als er nach dem Tiffin zu mir kam, einer Mahlzeit, an der er selten theilnahm. „Heute Vormittag, sagte ich, um drei, aber es ist ganz gut, Eingeborene warten zu lassen. Das macht sie ungeduldig, und dann verlieren sie die Fassung." „Sie sind ein Schüler Machiavelli's! Es ist ziemlich klar, wer von beiden eine Gunst erbittet." „Ja, es ist ziemlich klar." Er setzte sich und nahm die letzte Nummer des Heuler zur Hand, die auf dem Tische lag. Bald darauf blickte er auf und sagte: „Griggs, warum kommen Sie nicht nach Delhi? Wir könnten dort eine Zeitung im conservativen Interesse herausgeben."

78 „Im Interesse von Mr. Algernon Currie Ghyrkins?" fragte ich. „Ganz richtig. Sie errathen meine Gedanken mit ächter Sympathie. Ich nehme an, Sie haben kein Ge­ wissen?" „Politisches Gewissen? Nein, allerdings nicht, außer in meinem Vaterlande, — dem einzigen Lande, wo der­ gleichen gut honorirt wird. Nein ich habe kein Gewissen." „Würden Sie wirklich eben so gern für die Conservativen schreiben wie für die Liberalen?" „O ja. Ich könnte jetzt nicht so gut für die conservative Partei schreiben, weil sie am Ruder ist, und es ist seliger zu tadeln als getadelt zu werden, und auch viel leichter. Aber von Vorurtheilen bin ich bei der Sache ganz frei. Ich würde eben so gern eine Partei vertheidi­ gen, welche Indien „zu seinem eignen Besten" ausplün­ dert, als auf Seite derjenigen stehen, welche es mit mehr cynischer Offenheit plündern und die Beute schamlos in die eignen Taschen stecken. Ich mache mir keinen Deut daraus, ob sie Peter bestehlen um Paul zu bezahlen, .oder ob sie zuür Besten Peters, Paul um das ©einige be­ trügen." „Das ist die richtige Art die Sache aufzufassen. Ich könnte Ihnen schöne Geschichten darüber erzählen! Was das Zeitungsunternehmen betrifft, so ist das nur eine Karte, die man ausspielen könnte, wenn der alte Herr hartnäckig ist." „Isaacs", sagte ich, „ich kenne Sie erst seit drei Ta­ gen, aber Sie haben mir schon viel Vertrauen geschenkt; wahrscheinlich weil ich kein Engländer bin. Ich kann Ihnen vielleicht nützlich sein, wenigstens hoffe und wünsche ich es. Jetzt aber möchte ich Sie etwas fragen, wenn

79 Sie es erlauben."

Ich schwieg, eine Antwort erwartend.

Wir standen an der offenen Thür, Isaacs lehnte an dem

Thürpfosten und blickte mich mit halbgeschlossenen Augen an, während er den Kops zurückbog.

Er sah mich forschend

an, und ein Lächeln schien mir um seine Lippen zu spielen,

als ob er schon ahnte, was ich fragen wollte.

„Gewiß", sagte er langsam,

„fragen Sie mich was

Sie wollen, ich habe nichts zu verheimlichen."

„Denken Sie ernstlich daran, Miß Westonhaugh zu heirathen oder um sie anzuhalten?"

„Ich denke ernstlich daran, um Miß Westonhaugh an­ zuhalten und sie zu heirathen."

aus,

als er so

Er sah fest entschlossen

seine Absicht bestimmt kund gab.

Ich

wußte, daß er es wirklich beabsichtigte, und kannte orienta­ lisches Wesen genügend, um zu verstehen, daß einem Mann wie Abdul Hafiz-ben-Isak, einem leidenschaftlichen Manne

von ausgezeichnetem Verstände und unermeßlichem Reich­ thum, nicht leicht etwas fehlschlagen werde, was er unter­ nähme.

Wenn die Gleichgültigkeit des Asiaten unter dem

Drucke starker Leidenschaft nachgiebt, so giebt es nichts,

wozu ihn

das

darunter verborgene feurige

Temperament nicht hinreißen könnte.

und heftige

Isaacs war augen­

scheinlich zu einem Entschluß gekommen.

Ich glaube nicht,

daß er viel von der Art und Weise wußte,

wie englische

Mädchen gewöhnlich umworben werden, aber als ich seine

anmuthige Gestalt,

seine unvergleichlichen

und zum hundertsten Mal tung wahrnahm,

Augen ansah

die gebietende vornehme Hal­

welche der Ausdruck seines ganzen Cha­

rakters war, fühlte ich, daß sein Nebenbuhler nur geringe

Aussicht auf Erfolg haben würde.

Er errieth meine Ge­

danken. „Was denken Sie

von

mir?"

fragte

er

lächelnd.

80 „Wollen Sic für mich einstehen? Sie müssen zugeben, ich habe manche Vorzüge, auch in weltlicher Hinsicht. Die Familie ist durchaus nicht reich." „Mein lieber Isaacs, ich wette, Sie werden gewinnen. Aber was die „weltlichen Vortheile" anbetrifft, so verlassen Sie sich keinen Augenblick auf Ihren Reichthum. Schmei­ cheln Sie sich nicht, daß hierbei von irgend einem Handel die Rede sein könne, als ob Sie eine Perserin heiratheten. In den Adern jener jungen Damen ist nichts Käufliches, dessen bin ich sicher." „Allah verhüte das! Aber in den Adern von Mr. Currie Ghyrkins ist recht viel Käufliches. Ich beabsichtige, die Außenwerke allmälig einzunehmen. Er ist ihr Onkel, ihr Vormund und, außer ihrem Bruder ihr einziger Ver­ wandter. Ich glaube, keiner von beiden würde sic un­ gern mit einem Manne von fleckenlosem Namen und be­ trächtlichem Vermögen vcrheirathet sehen." „Sie vergessen Ihre drei Lasten, wie Sie sie ge­ stern Abend nannten." „Nein, ich vergesse sie nicht. Meine Religion erlaubt mir, eine vierte Frau zu nehmen, und ich darf Ihnen wohl nicht erst sagen, daß sie fortan meine einzige Gattin sein würde." „Würden aber ihr Bruder und ihr Vormund ihr je­ mals gestatten, eine solche Stellung einzunehmen?" „Warum nicht? Sie wissen recht gut, daß die Eng­ länder im allgemeinen unsere Ehen kaum als wirkliche Ehen betrachten, weil sie wissen, wie lose das Band ist. Das ist die vorherrschende Ansicht." „Ja das weiß ich. Dann würden Sie aber Ihre Ehe mit Miß Westonhaugh in demselben Lichte ansehen, und das würde, so viel ich einsehen kann, die Sache nicht

leichter machen."

81 „Verzeihen Sie. Ich würde Miß Westonhaugh nach dem englischen Ritus und nach englischem Gesetze heirathen. Ich würde an sie, und an sie allein eben so sehr gebunden sein, als ob ich ein Engländer wäre." „Nun, Sie haben es sich augenscheinlich überlegt und juristischen Rath eingeholt; und was den technischen Theil betrifft, so haben Sie wohl eben so gute Aussichten wie Lord Steepleton Kildare." Isaacs runzelte die Stirn und seine Augen blitzten. Ich sah im Augenblicke, daß er den irischen Offizier für einen Nebenbuhler hielt und zwar für einen gefährlichen. Ich glaubte nicht, daß Kildare viel Aussicht hätte, wenn nämlich Isaacs freien Spielraum und dieselben Gelegen­ heiten hätte wie er. Ueberdies war noch ein Hinderniß vorhanden. „Im Punkte der Religion ist Lord Steepleton nicht viel besser daran als Sie, wenn er Miß Westonhaugh heirathen will. Die Kildares sind seit Menschengedenken Katholiken und stolz darauf. In der Theorie ist es für einen römischen Katholiken eben so schwer eine Protestantin zu heirathen, als für einen Perser eine Christin zu ehe­ lichen; in der That noch schwerer, denn Ihre Heirath hängt von der Einwilligung der Dame ab, die seine von der Erlaubniß der Kirche. Er hat alle möglichen Schwierig­ keiten zu überwinden, während Sie nur Ihre eigne Person annehmbar zu machen haben, — was mir, wenn ich Sie so ansehe, doch wohl ausführbar scheint", setzte ich lachend hinzu. „Jo hoga, so hoga — was sein wird, wird sein!" sagte er; „aber abgesehen von der Religion, ich will es thun." Dann zündete er eine Cigarre an und sagte: „Kommen Sie, es ist Zeit seine Saturninische Majestät, den Maharajah von Baithopoor zu besuchen." (Lrawfcrd, l'ir. ^s.iaco.

6

82 Ich ließ mir Hut und Handschuhe bringen. „Hören Sie, Griggs, Sie könnten sich wohl einen schwarzen Rock anziehen. Der alte Kerl ist ein König, bei alledem, und es wäre besser, wenn Sie einen günstigen Eindruck machten." — Ich zog mich zurück, um seine Bitte zu erfüllen; als ich zurückkam, wendete er sich rasch um, kam mir entgegen und streckte mir beide Hände ent­ gegen, sehr ernst dabei aussehend. „Griggs, ich liebe die Dame mehr als ich sagen kann!" rief er aus, indem er meine Hände ergriff. „Mein guter Freund, das glaube ich. Man geräth nicht so plötzlich in Verzückung bei Nennung eines gleich­ gültigen Namens. Ich bin überzeugt, Sie lieben sie auf­ richtig und herzlich." „Sie und dieses Mädchen sind fast zu gleicher Zeit in mein Leben cingetrrten, denn erst nachdem ich gestern mit Ihnen gesprochen hatte, kam ich zu einem Entschluß. Wollen Sie mir helfen? Ich habe keinen Freund auf der ganzen Welt." Ein unschuldiger kindlicher Ausdruck war in seinen Augen, als er dastand, mich bei den Händen hielt und auf eine Antwort wartete. Ich war von ihm so bezaubert, daß ich, auf der Stelle für ihn durch Wasser und Feuer gegangen wäre, wie ich's auch jetzt noch thun würde. „Ja, ich will Ihnen helfen. Ich will Ihr Freund sein." „Danke! Ich glaube Ihnen." Er ließ meine Hände los und wir gingen schweigend hinaus. Auf all meinen Irrfahrten hatte ich noch nie einem andern meine Freundschaft und unbedingte Hülfe gelobt. Au Isaacs war ein gewisses Etwas, das alle vorgefaßten Ideen, Regeln und Vorurtheile überwand und völlig hinwegrüumte. Es war erst der dritte Tag unserer Bekannt-

83 schäft und hier stand ich und schwor ihm ewige Freund­ schaft wie ein Backfisch; versprach einem Manne, von dessen Dasein ich vor drei Tagen noch nichts wußte, ihm zu helfen, ein Mädchen heirathen zu können, das ich gestern zum ersten Male gesehen hatte. Da ich aber mein Wort gegeben hatte, so nahm ich mir vor, meine Rolle, wie sie auch sein möge, mit Eifer durchzuführen. Unterdessen ritten wir dahin und Isaacs begann von unserm bevor­ stehenden Besuch zu sprechen. „Ich denke", sagte er, „es ist besser, daß Sie im voraus etwas von dieser Angelegenheit hören. Der Weg ist weit und wir können über die steinigen Straßen nicht rasch reiten, so haben wir reichlich Zeit. Denken Sie nicht, daß ich Sie nur so müßig aufgefordert habe mitzu­ kommen, weil ich glaubte, es würde Ihnen Spaß machen. Geben Sie auch den Gedanken auf, daß es sich um kaufen und verkaufen von Edelsteinen handelt. Es ist eine sehr ernste Angelegenheit, und wenn Sie nichts damit zu thun haben wollen, so stehen Sie nicht an, es zu sagen. Ich versprach dem Maharajah heute Morgen, daß ich heute Nachmittag einen zuverlässigen, erfahrenen Mann mit­ bringen würde, der Rath ertheilen und der vielleicht auch dazu bewogen werden könnte, Beistand zu leisten. Zch kenne Sie persönlich erst kurze Zeit, aber ich kannte Sie schon dem Rufe nach und beschloß, Sie mitzunehmen, falls Sic kommen wollten. Ueber die betreffende Angelegenheit kann ich Ihnen nichts weiter sagen, wenn Sie nicht ein­ willigen mitzukommen." „Ich will mitkommen", sagte ich. „In diesem Falle will ich versuchen, Ihnen die Sach­ lage so kurz wie möglich auseinanderzusetzen. Der Maha­ rajah befindet sich in bedrängten Verhältnissen. Sie werG*

84 den leicht begreifen, daß die jetzigen Unruhen in Kabul ihm angesichts der Lage seines Landes endlose Sorgen be­ reiten. Die unerwartete Wendung der Ereignisse, welche so rasch auf einander folgten, nachdem die Engländer Cqvagnari und seine Genossen ihrer ruhmräthigen Vorliebe für prahlerische Tollkühnheit zum Opfer gebracht hatten, hat das Vertrauen der eingeborenen Fürsten in die Dauer­ haftigkeit der englischen Herrschaft erschüttert. Sie sind in Todesangst, denn sie hätten die eingeborenen Stämme zu fürchten, falls die Engländer eine Niederlage erlitten; und andrerseits fürchten sie, daß die Engländer, welche sehr in der Klemme sind, ihnen — den eingeborenen Fürsten, schwere Abgaben auferlegen könnten, zur Befestigung ihres sogenannten „Kaiserreiches". Sie haben nicht viel Ein­ sicht, diese armen alten Könige und knabenhaften Fürsten, sonst würden sie wohl einsehen, daß die Engländer es nicht mehr wagen, solche altmodische Tactik von Lord Clive zu versuchen. Aber der alte Baithopoor kennt die Ge­ schichte des Königs von Oude und denkt, es dürfte ihm eben so ergehen." „Ich denke, darüber braucht er sich keine Sorgen zu machen. Das Königreich Baithopoor ist zu unbequem ge­ legen und zu voll von Mücken, um die Engländer anzu­ locken. Ueberdies sind jetzt mehr Rosen als Rubinen dort zu finden." „Ganz recht und diese Frage geht mich nahe an, denn der Alte ist mir viel Geld schuldig. Ich habe ihm durch die letzte Theuerung hindurchgeholfen." „Keine vortheilhafte Kapitalsanlage, sollte ich meinen." „Werden Sie je eine Rupee von dem Gelde Wiedersehen?" „Ja, er wird mich bezahlen; obschon ich es vor acht Tagen, ja noch gestern nicht gedacht hätte. Ich gab ihm

85 die Mittel, fein Volk zu ernähren und viele buchstäblich vom Hungertode zu retten, weil so viele Muhamedaner darunter sind, obschon der Maharajah selbst ein Hindu ist. Er selbst könnte, meinethalben, morgen verhungern, der ungläubige Hund; ich würde ihm nicht ein chowpattie (kleines Brod), noch einen Mundvoll dal geben, um seinen elenden alten Körper lebendig zu erhalten." „Heißt das so viel, als daß diese Zusammenkunft sich auf die Rückzahlung der von Ihnen vorgestreckten Summen bezieht?" „Ja, obschon das nicht das Interessanteste dabei ist. Er wollte mich mit Fleisch bezahlen — mit Menschenfleisch, und erbot sich, mich noch dazu zum König zu machen, wenn ich ihm die Schuld erließe. Die letzte Hälfte des Vorschlags ist rein imaginär. Das Versprechen, mich mit so und so viel Menschenfleisch zu bezahlen, wäre er im Stande zu halten. Ich bin noch unentschieden." Ich sah Isaacs höchst erstaunt an. Was in aller Welt, meinte er! Hatte der Rajah ihm noch einige Wei­ ber angeboten? Geschöpfe von unvergleichlicher Schönheit und unschätzbarem Werthe? Nein; einen solchen Vorschlag würde er jetzt unbedenklich zurückgewiesen haben. „Wollen Sie mir gefälligst erklären, was Sie damit meinen, er wollte Sie mit Menschenfleisch bezahlen?" fragte ich. „In zwei Worten: Der Maharajah von Baithopoor hat in seinem Besitz einen Mann. Sicher verwahrt unter dreifacher Wache und sorgsam gehegt, erwartet dieser Mann die Entscheidung seines Schicksals von dem Maharajah. Die englische Regierung würde für diesen Mann eine un­ geheuere Summe zahlen, aber Baithopoor fürchtet, sie würde unbequeme Fragen stellen und seinen Antworten

86

vielleicht keinen Glauben schenken. Da er mir nun viel Geld schuldet, denkt er, ich möchte mich bewegen lassen, seinen Gefangenen zu nehmen und ihn so zu sagen in baare Münze umzusehen; auf diese Weise würde er seine Schuld abtragen und sich der Alternative entziehen, den Mann entweder im Geheimen umbringen zu lassen, oder gefährliche Unterhandlungen mit der Regierung einzugehen. Nun ist diese Sache durchaus thunlich und es hängt von mir ab, ob ich zu seinem Vorschlag ja oder nein sage. Verstehen Sie es jetzt? Die Angelegenheit ist wichtig genug." „Aber wer ist der Mann? Warum wollen die Eng­ länder ihn durchaus haben?" Isaacs ritt dicht an mich heran und sah sich um, ob der Saice weit hinter uns wäre, dann legte er die Hand auf meine Schulter und beugte sich über den Sattel, so daß sein Mund fast mein Ohr berührte, — „Shere Ali" flüsterte er schnell. „Der Teufel! Was sagen Sie!" rief ich, von der erstaunlichen Nachricht so überrascht, daß ich Grammatik und Anstand vergaß. Wer im Jahre 1879 in Indien war, hat vielleicht noch nicht die endlosen Vermuthungen vergessen, welche das Verschwinden des Emirs von Af­ ghanistan, Shere Ali, im Frühling jenes Jahres erregte. Von den Engländern bei Ali Musjid und Peiwar ge­ schlagen und seine Sache verloren gebend, floh er, Nie­ mand wußte wohin; obschon Grund zu der Annahme vor­ handen war, daß er bei den Stämmen der Afghanen wieder zu Macht und Beliebtheit gelangt sein würde, wenn er nach der Ermordung Cavagnaris aufgetreten wäre. „3a, fuhr Isaacs fort; er ist seit sechs Wochen Ge­ fangener im Palast von Baithopoor und keine Seele weiß

87 es, außer dem Maharajah und Ihnen und mir. Er kam nach Baithopoor als schlichter Jogi von den Bergen ver­ kleidet, obschon er ein Muselmann ist, und als er eine Privataudienz erlangt hatte, enthüllte er seinen wahren Namen und schlug dem Fürsten ein gemeinsames Borgehen auf Kabul vor, wo soeben von den Britten die Ruhe wieder hergestellt war; für diesen Beistand machte er alle möglichen Versprechungen. Der alte Baitho ist kein Narr, er steckte ihn ins Gefängniß und ließ ihn von Punjabi Soldaten bewachen, die kein Wort Afghanisch sprechen und nach reiflicher Ueberlegung ließ er einpacken und begab sich in kurzen Tagereisen nach Simla, denn solche Reise ist für einen Mann in seinen Jahren keine Kleinigkeit. Er traf vorgestern hier ein, angeblich, um dem Vicekönig zu den Erfolgen der brittischen Waffen Glück zu wünschen. In Folge der schlechten Nachricht aus Kabul hatte er die Begeisterung seiner beabsichtigten Rede etwas zu mäßigen. Natürlich war sein Erstes, nach mir zu schicken, und ich hatte heute Morgen eine lange Unterredung mit ihm, wo­ bei er mir alles auseinandersetzte. Ich sagte ihm, daß ich nichts in der Sache thun würde ohne eine dritte Person — die als Zeuge bei Unterhandlungen mit solchen Leuten nöthig ist — und so habe ich Sie mitgebracht." „Aber, was war das für ein Vorschlag, Ihnen eine Krone zu geben? Hält er Sie für geeignet, der neue Emir von Kabul zu werden?" „Gerade das. Meine Religion und besonders mein Reichthum brachte ihn auf den Gedanken, daß ich, als ge­ borener Perser, der rechte Mann für den leeren Thron sein müßte. Die Engländer würden mich ohne Zweifel mit Wonne dort sehen, aber die ganze Sache ist zu lächerlich und phantastisch. Ich denke, ich werde auf den

88 anderen Vorschlag eingehen und den Gefangenen nehmen. Es ist ein gutes Geschäft." Ich schwieg. Die vertrauliche Art, in welcher ich bis­ her mit Isaacs verkehrt, hatte mich seinen ungeheuern Reichthum und seine Macht vergessen lassen. Ich hatte mir nicht klar gemacht, daß er an Händeln von solcher Wichtigkeit so stark betheiligt sein könnte, noch auch, daß unabhängige eingeborene Fürsten ihn als den muthmaßlichen neuen Emir von Afghanistan ansehen könnten. Ich hatte nichts weiter zu sagen und beschloß, mich an die mir zugedachte Rolle zu halten, welche die eines Zeugen war und weiter nichts. Sollte ich um Rath gefragt wer­ den, so wollte ich kühn für Shere Ali's Freilassung ein­ treten und dagegen protestiren, daß der arme Mann so gekauft und verkauft werde. Dieser Gedankengang brachte mich auf Isaacs Worte vom Vormittag, als wir Miß Westonhaugh verließen. „Es geschieht nicht oft, hatte er gesagt, daß man solche Juwelen kaufen und verkaufen steht." Nein, in der That! „Sehen Sie, sagte Isaacs, als wir uns unserm Ziel näherten, Baithopoor ist in meiner Macht, mit Leib und Seele, denn ein Wort von mir würde ihn der brittischen Regierung preisgeben, als einem „der Verräther versteckt", wie man sich ausdrücken würde. Andererseits wird die Thatsache, daß Sie, der Dritte, ein Journalist sind, und im Augenblick die ganze Geschichte bekannt machen könnten, eine weitere Sicherheit sein. Ich halte ihn wie in einer Schraube. Und nun nehmen Sie Ihre feierlichste Haltung und Miene an, als wären Sie undurchdringlich wie der Fels und unbeugsam wie Gußstahl, denn wir haben sein Bungalow erreicht." Ich konnte nicht umhin, die vollkommene Ruhe und

89 Vorsicht zu bewundern, womit er eine Angelegenheit be­ handelte, bei der es sich um Millionen, möglicherweise um eine Anklage auf Hochverrath und den Hauptpunkt der Afghanischen Frage handelte; und das während seine Seele in Betrachtung eines schönen Bildes versunken war, das ihm immer schlafend oder wachend vorschwebte. Wie ich auch über seinen Handel um den Besitz Shere Ali's denken mochte, so viel stand fest, er hatte einen großen, unermüdlichen Geist. Er hatte die Anlagen dazu, ein Lenker von Menschen zu sein, und ich hoffte, er würde der­ einst ein Herrscher werden. Das Bungalow, in welchem der Maharajah von Baithopoor seine Wohnung vorläufig aufgeschlagen hatte, war den anderen Häusern, welche ich in Simla gesehen hatte, ziemlich ähnlich. Die Veranda aber war mit Dienern und Sowars in prunkenden, wenn auch etwas verschossenen Livreen überfüllt, bei manchen derselben ließ die Sauberkeit etwas zu wünschen übrig. Pferde mit hohen kunstvoll gearbeiteten Sätteln und gestickten, etwas abgetragenen Schabracken wurden vor dem Hause auf- und abgeführt. Als wir uns der Thür näherten, spürten wir einen starken Geruch von Rosenwasser, indischen Parfüms und Hookahtabak — den unbeschreiblichen Geruch eines vornehmen orientalischen Hauses. Es herrschte ein Aus­ sehen von verschwenderischem Aufwande und prunkendem Flitterstaat, wie man das beständig bei deur Gefolge ein­ geborener Fürsten und reicher indischer Kaufleute sieht, welches so schlecht zu dem hohen gediegenen Werth mancher Schmuckgegenstände paßt, welche die Oberbeamten eines solchen Zuges tragen. Isaacs sprach leise ein paar Worte mit dem Jemadar, an der Thür; wir wurden in ein kleines Seitengemach

90 welches, wie alle Zimmer in Indien, auf die Veranda hinausging. Es standen niedrige hölzerne Chargeführt,

und wir setzten uns,

poys an den Wänden, warten,

wurde.

um abzu­

daß dem Maharajah unsere Ankunft gemeldet Bald darauf erschien der Jemadar und benach­

richtigte uns, „wenn die Sahib log, die Beschützer der Ar­ men, geruhen wollten, ihm zu folgen", so würden sie vor

des Fürsten Hoheit geführt werden.

Wir erhoben uns

und folgten dem dienstbefliffenen Beamten in ein anderes

Es lag an der anderen Seite des Hauses und

Gemach.

war durch die Strahlen der sinkenden Sonne, welche durch

das dichte Laubwerk draußen hereinfielen, nur matt er­ leuchtet. Ich vermuthe, dieses Gemach war wegen seiner

Abgeschiedenheit zum Schauplatz der Unterredung gewählt worden.

Vor dem geschloffenen Fenster ging ein Sowar

langsam auf und ab, um Horcher fern zu halten.

Ein

schwerer Vorhang hing über der Thür, durch welche wir

eingetreten

waren.

kam

Mir

das

Gemach

wohl

be­

hütet vor. Der alte Maharajah saß mit gekreuzten Beinen auf einem großen Stapel dunkelrother Kiffen, seine Pantoffeln hatte er neben sich und eine große Hookah vor sich.

Er

trug ein einfaches weißes Pugree mit einem mächtigen Edelstein an einer Seite und sein Körper war in dunkele dicke

Stoffe gehüllt,

als

ob

er

empfindlich

gegen

die

kühle Herbstluft wäre. Sein Gesicht war lang, von asch­ gelber Farbe und ein ungeheurer krauser, weißer Schnurr­ bart hing auf sein dunkles Gewand herab.

steckte aus

den Falten

hervor und

Juwelen besetzte Mundstück

Die eine Hand

hielt das

reich mit

der Pfeife an seine Lippen;

ich bemerkte, daß seine langen krummen Finger den gol­

denen Stiel umfaßten,

als ob sie in der Berührung des

91 kostbaren Metalls und der Edelsteine schwelgten. Als wir in seinen Gesichtskreis traten, schossen seine Augen einen raschen prüfenden Blick auf mich, dann senkten sie sich wieder. Nicht die geringste Bewegung des Kopfes oder des Körpers verrieth eine Wahrnehmung unserer Anwesen­ heit. Isaacs hielt eine lange Begrüßungsrede auf Hindostanisch und ich folgte seinem Beispiel, aber er zog nicht die Schuhe aus und machte nur eine gewöhnliche Ver­ beugung. Augenscheinlich war er Herr der Situation. Der Greis nahm die Pfeife aus dem Munde und erwie­ derte mit tiefer, hohler Stimme, daß er sich freue, uns zu sehen und daß er in Rücksicht auf unsern Reichthum, Ruf und unsere hochbcrühmte Weisheit von allen Eeremonien Abstand nehmen und uns bitten wolle, uns zu setzen. Wir setzten uns mit gekreuzten Beinen aus Kissen ihm gegenüber, und zwar so nahe wie möglich, so daß es aussah, als verrichteten wir eine Art von Anbetung, deren Gegenstand die große Hookah inmitten des von uns ge­ bildeten Dreiecks wäre. Nachdem wir uns gesetzt hatten, redete Isaacs den Fürsten wieder auf Hindostanisch an und sagte, der Glanz seiner erhabenen Majestät, welcher gleich der Sonne wäre, welche die Wolken vertreibt, überwältigte ihn so mit Furcht und Zittern, daß er demüthig um Erlaubniß bäte, sich der persischen Sprache bedienen zu dürfen, welche, wie er wisse, der Herrscher von unbegrenzter Weisheit, mit noch größerer Leichtigkeit spräche als er selbst. Ohne eine Antwort abzuwarten und ohne Anzeichen von „Furcht und Zittern" begann Isaacs sofort in seiner Muttersprache zu reden und alle Umschweife und Kompli­ mente bei Seite lassend, ging er unerschrocken auf die ge­ schäftliche Angelegenheit los. Er setzte dem Maharajah

92 ohne weiteres die Stärke seiner Stellung auseinander und legte Nachdruck auf die Thatsache, daß er durch ein Wort an die englische Regierung über den Verbleib Shere Ali's den Baithopoor in hoffnungslose und endlose Verwicklungen bringen könnte, aus denen nur ein Ausweg bliebe — Aufgehen in das Brittische Reich. Er sprach lange von den Summen, die ihm der Maharajah für seinen Beistand während der letzten Hungersnoth schuldete und wußte ge­ schickt den Eindruck hervorzubringen, als ob er das Geld auf der Stelle ausgezahlt haben wollte. „Wenn Ew. Majestät sich weigern sollten, meine ge­ rechten Forderungen zu befriedigen, so habe ich Waffen genug in Händen, um mir diese Befriedigung selbst zu verschaffen, und keine Rücksicht des Erbarmens oder Mit­ leids mit Ew. Majestät wird mich bewegen auch nur eine Nupee von Ihrer Schuld abzulasien, welche, wie Sie wohl wissen, nicht durch Wucherzinsen angeschwellt ist. Sie hätten das Geld unter so günstigen Bedingungen von keiner Bank in Indien entlehnen können und wenn ich bisher barmherzig gewesen bin, will ich es nicht fürder sein. Was sagt der Prophet des Allah: „Wahrlich, Leben um Leben, und Auge um Auge, und Zahn um Zahn, und Nase um Nase, und Ohr um Ohr, und für eine Wunde Vergeltung." Und die Zeit Ihres Versprechens ist abge­ laufen und Sie müssen mich bezahlen. Und sitzt nicht hier der weise Franke zu meiner Rechten, der schnelle Schrei­ ber, welcher den Leuten tagtäglich ein neues Buch zu lesen giebt, das Blatt der Neuigkeiten, Khabar-i-Khagaz, worin geschrieben stehen die Uebelthaten der Bösen und die Hand­ lungen der Betrüger und wo die Arglosen ihren gerechten Lohn empfangen? Und glauben Sie, er wird nicht eine große Schrift aufsetzen, mehrere Spalten lang und sie den

93 Teufeln übergeben, die seinen Befehlen gehorchen, und wer­ den sie nicht vervielfältigen, was er geschrieben hat und es ausstreuen über das Brittische Räj für den geringen Preis von einem Anna für das Blatt, so daß alle es lesen können, wie der Maharajah von Baithopoor schmählich seine Schulden ableugnet und Verräther des Reiches in seinem Palast beherbergt?" Isaacs sprach all dies in feierlichem eindringlichem Ton, der darauf berechnet war der Seele des unglücklichen Schuldners Angst und Schrecken einzuflößen. Dem Maha­ rajah stand der kalte Schweiß auf der Stirn, und bei den letzten Worten ward seine Angst so groß, daß die langen Finger sich krampfhaft streckten und das juwelenbesetzte Mundstück der Pfeife, wie der Kopf einer Schlange, in das seidene Geringe! des Schlauches zu seinen Füßen fiel. Als er die haltende Hand leer fühlte, fuhr seine Majestät plötzlich mit mehr Behendigkeit, als ich erwartet hatte, wie ein Habicht mit ausgespreitzten Krallen auf seine Beute los, packte das glänzende Ding und steckte es augen­ scheinlich erleichtert wieder in den Mund. Es war natür­ lich eine bloße Angewohnheit, denn wir waren nicht eben die Leute danach, ihm sein Spielzeug zu rauben, aber in seinen Bewegungen lag eine wilde Gier, die den richtigen Geizhals verrieth. Dann herrschte einen Augenblick Schwei­ gen. Das Gefährliche seiner Lage hatte entschieden tiefen Eindruck auf den Greis gemacht. Isaacs fuhr fort. „Ew. Majestät muß einsehen, daß Sie auf allen Seiten von Gefahren umringt sind. Mir droht keine Ge­ fahr. Ich könnte Sie und Baithopoor morgen kaufen, wenn ich Lust dazu hätte. Aber ich bin ein gerechter Mann. Wenn der Prophet, dessen Name gelobt sei, sagt, wir sollen Auge um Auge und Zahn um Zahn, und für

94 die Wunde Vergeltung haben, so sagt er auch: „Wer die Schuld erläßt als ein Almosen, dem soll es als ein Sühn­ opfer gelten." Nun Ew. Majestät ist ein harter Mann, und ich weiß es wohl, wenn ich Sie jetzt zwinge mich zu bezahlen, so werden Sie Ihre Unterthanen grausam be­ steuern und bedrücken, um- Ihren Schatz wieder zu füllen. Und viele von Ihren Unterthanen sind Rechtgläubige, die dem Propheten anhangen, Friede sei mit ihnen! Es stehet auch geschrieben: „Du sollst den Fremden berauben, aber nicht deinen Bruder", — wenn ich Sie nun veranlasse, meine Brüder zu berauben, wird nicht die Sünde mein sein und die Sühne dafür auch mein? Nun sind die recht­ mäßigen Zinsen auf Ihrem Schuldschein zu mehreren Lakhs Rupeen aufgesummt. Aber um meiner Brüder willen, die in Ihrer Knechtschaft sind, in der Knechtschaft eines Un­ gläubigen, der ewig in höllischen Flammen brennen wird, um meiner Brüder willen will ich einen Bund mit Ihnen schließen, und die Bedingungen sollen sein wie folgt: „Sie sollen vor dem nächsten Neumond den Mann", hier dämpfte Isaacs seine Stimme zu einem Geflüster, das in dem stillen Zimmer, wo, wenn er schwieg, nur der Tritt des Sowar auf der Veranda ertönte, kaum hör­ bar war, — „den Mann Shere Ali in meine Hände aus­ liefern, den ehemaligen Emir von Afghanistan, der jetzt in Ihrem Palaste zu Baithopoor verborgen ist. Ihn sollen Sie mir übergeben, sicher und unverletzt an dem Orte, den ich bestimmen werde, nördlich von hier, in dem Paß nach Keitung. Und es soll kein Haar auf seinem Haupte gekrümmt werden, und wenn es mir gut scheint in meinen Augen, werde ich ihn den Britten ausliefern, und wenn es meinen Augen gut erscheint, werde ich ihn tobten, und Sie werden nicht danach zu fragen haben.

95 Und wenn Sie sich weigern, solches zu thun, werde ich zu dem großen Lord Sahib gehen und ihm erzählen von Ihren Thaten, und noch vor Abend werden Sie ein Ge­ fangener sein und Sie sollen nicht entrinnen. Aber wenn Sie einwilligen und

die Hand reichen zu diesem Bunde,

will ich kein Wort sprechen,

und Sie sollen hingehen in

Frieden, und außerdem will ich um der Rechtgläubigen in

Ihrem Reiche willen Ihnen sämmtliche Zinsen Ihrer Schuld erlassen,

und den Schuldschein sollen Sie einlösen,

es Ihnen recht ist.

Sie.

Isaacs

Ich habe gesprochen,

wann

jetzt antworten

nahm ruhig zwei Rollen persischer Schrift

aus seiner Tasche,

zündete eine Cigarette an und las die

Schriften aufmerksam durch, ob er etwa einen Fehler oder ein Versehen darin

entdecken könnte. Das Gesicht des greisen Maharajah verrieth große Aufregung, aber er rauchte tapfer seine Hookah weiter und versuchte,

sich die Sache

zu überlegen. In der Hoffnung die ganze Schuld los zu werden, hatte er sich vorschnell in die Hand eines Mannes

gegeben, der ihn haßte, und eben diesen Haß hatte er zu spät entdeckt. Er hatte sich geschmeichelt, das Darlehen wäre ihm aus Freundschaft und mit dem Wunsche ihm zu helfen, in seinem Interesse gewährt worden; nun erkannte

er, daß Isaacs das Geld aus wirklichen oder vorgeblich religiösen Beweggründen geliehen hatte, im Interesse seiner Glaubensgenossen.

Ich saß schweigend da und beobachtete,

wie sich die wechselnden Leidenschaften aus dem Gesichte des

Alten abspiegelten.

Das

Schweigen muß

eine Viertel­

stunde gedauert haben. „Gebt mir den Vertrag", sagte er endlich, „denn ich

bin in des Tigers Krallen.

Ich werde ihn unterschreiben,

Aber das soll Euch vergolten werden, Abdul Hafiz; und wenn Euer Leib von den Schakalen und den

weil ich muß.

96 wilden Schweinen des Waldes gefressen worden, dann soll Eure Seele in den Körper eines verachteten Straßenfegers fahren, und Ihr und Eure Nachkommen sollen die Gassen in meinem Königreiche kehren, und im Reiche meines Sohnes, und meiner Kindeskinder bis ins zehntausendste Glied." Ein Hindu kann keine tödtlichere Verachtung oder unauslöschlicheren Haß ausdrücken als auf diese Weise. Isaacs lächelte, aber sein Gesicht hatte einen harten un­ barmherzigen Ausdruck als er auf die Schmähung ant­

wortete. „Ich werde mich auf kein Wortgefecht mit Ihnen ein­ lassen. Wenn Sie aber diese Schrift nicht rasch unter­ schreiben, so dürfte ich mich anders besinnen und die Angrezi Sowars aus Peterhof holen lassen. Also sollten Sie sich lieber beeilen." Isaacs holte ein kleines Tinten­ faß und eine Rohrfeder aus der Tasche. „Unterschreiben Sie", sagte er aufstehend, „ehe jener Soldat draußen drei Mal am Fenster vorübergeht, sonst liefere ich Sie den Britten aus." An allen Gliedern zitternd, Schweißperlen auf der Stirn, ergriff der Alte die Feder und schrieb seinen Namen und seine Titel erst unter die eine Urkunde, dann unter die andere. Isaacs that es ihm nach, er schrieb seinen vollen Namen auf Persisch, und zuletzt schrieb ich den meinen „Paul Griggs" mit großen Buchstaben unter die beiden Schriftstücke und setzte das Wort „Zeuge" hinzu, für den Fall, daß die Verhandlung bekannt würde. „Und nun", sagte Isaacs zum Maharajah,„senden Sie unvorzüglich einen Boten aus, und lassen Sie den hierin erwähnten Mann unter starker Bedeckungaus Um­ wegen nach dem Paß von Keitung bringen, und dort sollen sie ein Lager aufschlagen vor der dritten Woche von

97 heute ab gerechnet, wenn es Vollmond ist. Und dann werde ich dort sein und den Mann in Empfang nehmen. Und wehe Ihnen, wenn er nicht kommt; und wehe Ihnen, wenn Sie die Rechtgläubigen in Ihrem Reiche unter­ drücken." Er wendete sich um und ich folgte ihm und verließ das Zimmer, nachdem ich eine Verbeugung vor dem alten in seinen Kissen kauernden Manne gemacht hatte, eine Höflichkeit, welche Isaacs mit Absicht oder aus Vergeßlichkeit unterließ. Wir gingen durch das Haus hinaus ins Freie, bestiegen unsere Pferde und ritten fort, die doppelte Reihe von Dienern, welche sich bis zum Boden verneigten, zurücklassend. Die Dauer unserer geheimen Unterredung mit dem Maharajah hatte ihnen einen unge­ heuern Begriff von unserer Wichtigkeit gegeben. Wir waren um vier Uhr gekommen und jetzt war es fast fünf. Die langen Pausen und die persischen Umständlichkeiten hatten viel Zeit genommen. „Sie scheinen meines Rathes und Beistandes nicht eben bedurft zu haben", sagte ich. „Mit solchen Waffen ausgerüstet könnten Sie ein halb Dutzend Maharajahs im Schach halten." „Ja, vielleicht, aber ich habe triftige Gründe, dieses Geschäft rasch zu beenden, und der Herausgeber einer Zei­ tung ist ein Schreckgespenst für einen eingeborenen Fürsten. Das müssen Sie bemerkt haben." „Was wollen Sie denn mit Ihrem Mann machen, wenn Sie ihn in Händen haben, falls das keine unbe­ scheidene Frage ist?" „Mit ihm machen?" fragte Isaacs verwundert. „Ist es möglich, daß Sie das nicht errathen haben? Er ist ein tapferer Mann und ein Rechtgläubiger. Ich will ihm Geld und Empfehlungsbriefe geben, so daß er seinen Weg Crawsord, Mr. JsaacS. 7

98 nach Bagdad nehmen kann oder irgendwo hin, wo er sicher ist. Er soll in Frieden ziehen und frei sein wie die Luft." Ich hatte eigentlich so ein großmüthiges Vorhaben seitens meines Freundes erwartet, aber er hatte die Rolle unbarmherziger Härte während unserer Unterredung mit dem Hindufürsten so gut gespielt, daß es unbegreiflich schien, wie derselbe Mann an einem und demselben Tage so erbarmungslos und so edelmüthig sein konnte. Jetzt war keine Spur von Härte auf seinem schönen Gesichte, und als wir um den Hügel ritten, und die letzten Strahlen der Sonne uns trafen, schien sein Antlitz wie von einem Heiligenschein verklärt. Er hielt den Hut in der Hand und wendete sich einen Augenblick gen Westen, als danke er dem sinkenden Tage für seine Frische und Schönheit, und ich dachte bei mir, daß die Sonne frohsein könne, ein so herrliches Antlitz zu schauen, ehe sie Simla Gute Nacht sagte, und daß sie am nächsten Tage heller glänzen würde, denn auf ihrer zwölfstündigen Wanderung über die andere Hälfte der Erde würde sie nichts Schöneres be­ scheinen. „Und jetzt", sagte er, „ist es spät, aber wenn wir gen Annandale reiten, können wir sie noch auf dem Rückweg von dem Polospiel treffen, das wir versäumt haben." Seine Augen glühten bei dem Gedanken. Shere Ali, Maharajah, Schuldverschreibung, Kapital und Zinsen, alles war vergessen über der Erwartung einer kurzen Begegnung mit dem geliebten Mädchen.

99 Sechstes Kapitel.

„Warum sind sie nicht gekommen, das Spiel mit an­ zusehen. Nach Ihrer Begeisterung für Polo am heutigen Vormittag dachte ich nicht, daß Sie eine so gute Gelegen­ heit versäumen würden; das waren Miß Westonhaugh's erste Worte, als wir sie und Kildare auf dem engen Wege trafen, der nach Annandale hinabführt. Hinter ihnen ritten zwei Herren, Mr. Currie Ghyrkins und Mr. John Westonhaugh. Der letztere wurde uns vorgestellt, ein ruhiger, hagerer Mann, seiner Schwester in den Ge­ sichtszügen ähnlich, doch ohne eine Spur ihrer herrlichen Farbe und Lebendigkeit. Er hatte die richtige Blässe von Bombay und war in der Regenzeit bis auf die Knochen durchweicht worden. Als wir vorgestellt wurden, fuhr Isaacs zusammen und sagte schnell, er glaube, Mr. Weston­ haugh schon begegnet zu sein. „Das ist sehr möglich, sehr möglich", sagte dieser freundlich, „besonders wenn Sie in Bombay gewesen sind." „Ja — es war in Bombay — vor etwa zwölf Jahren. Sie haben mich wahrscheinlich vergessen." „Ach ja. Damals war ich jung und frisch. Es wundert mich, daß Sie sich meiner erinnern." Er schien indessen kein besonderes Interesse an der Sache zu nehmen, obschon er freundlich lächelte. Miß Westonhaugh mußte Lord Steepleton geneckt haben, denn er sah erhitzt und gereizt aus, und sie war in bester Laune. Wir kehrten mit der Gesellschaft um; Isaacs lenkte sein Pferd neben Miß Westonhaugh's und blieb an ihrer Seite. Sie ritten voraus, und ich beschloß, sie sollten freies Spiel haben, da der Pfad nur gerade so breit war, daß zwei neben einan­ der reiten konnten. So reizte ich verstohlen mein Pferd

V

100 durch eine Berührung mit dem Sporn und einen Ruck am Zaum, daß es zur Seite sprang und einen kleinen Aufent­ halt verursachte, welchen sich die beiden vorder» Reiter zu nutze machten, um den Abstand zwischen ihnen und den übrigen zu vergrößern. Dann ritten wir in Reih und Glied, Mr. Ghyrkins und ich voran, während der nieder­ geschlagene Kildare neben Mr. Westonhaugh folgte. Ghyr­ kins und ich, beide gewichtige Leute und schwer beritten, beherrschten die Situation und bald waren Isaacs und Miß Westonhaugh ein Paar hundert Meter voraus, so daß wir sie nur hie und da durch die Bäume sehen konnten, während sie auf den Windungen des Weges einherritten. „Wovon sprachen die jungen Leute hinter uns? Gewiß von Tigern", sagte Mr. Ghyrkins zu mir. Das thaten sie allerdings. „Was denken Sie wohl, das ich heute bei meiner Rück­ kehr entdeckte, Mr. Griggs? Denken Sie, dieser verwegene junge Kildare hatte um meine Nichte" —--------- hier strauchelte sein Pferd, kam aber gleich wieder in Gang. „Wie? Was meinen Sie?" rief ich erschrocken. „O nein, nein, nein! Das meine ich durchaus nicht. Ha! ha! sehr gut, sehr gut. Nein, nein. Lord Steepleton will, daß wir alle auf die Tigerjagd gehen um John ein Vergnügen zu machen und haha! es ist zu komisch — und um meine Nichte zu amüsiren, schlägt er vor, sie solle mit­ kommen." „Ich vermuthe, Sie haben nichts dagegen, Mr. Ghyr­ kins. Damen sind häufig bei solchen Unternehmungen da­ bei und scheinen nicht im geringsten im Wege zu sein." „Nichts dagegen? Freilich habe ich etwas dagegen. Glauben Sie, ich wolle meine Nichte vor der Zeit ins Grab bringen? Bedenken Sie doch das Fieber, die Unbe-

101 quemlichkeiten und all dergleichen; und sic kommt ja erst eben aus England." „Sie sieht aus, als könne sie alles durchsetzen", sagte ich, als eine Lichtung in den Bäumen uns eben den Blick auf Miß Westonhaugh und Isaacs freigab, die anscheinend in ruhigem Gespräch dahinritten. Sie sah in dem Augen­ blick kräftig genug aus, um auf eine Tigerjagd zu gehen, als sie aufrecht, etwas zur Seite gewendet im Sattel saß und Isaacs Worten zuhörte. „Ich hoffe, Sie werde» ihr das nicht sagen", meinte Ghyrkins. „Wenn sie sich in den Kopf setzt, daß eS mög­ lich ist, so ist feilt Halten mehr. Sie kennen sie nicht. Ich selbst kenne sie noch kaum; seit ihrer Kindheit hatte ich sie nicht gesehen, bis sie neulich hier ankam. Ja, Sie wären der Rechte, hinter Tigern her zu sein! Warum rücken Sie nicht mit meinem Neffen und Kildare und Isaacs aus und schießen so viele Sie Lust haben?" „Ich habe gewiß nichts dagegen. Ich vermuthe, der „Heuler" könnte sich vierzehn Tage ohne mich behelfen, da ich jetzt den Prcßcommissionär, Ihren neuen deus ex inachina, zum Zurückhalten der Nachrichten bekehrt habe. Was für eine zusammengewürfelte Gesellschaft wir sein würden! Ein Civilbeamter aus Bombay, ein irländischer Edelmann, ein persischer Millionär und ein Zjankee Zei­ tungsschreiber. Der Tausend! Nehmen Sie dazu einen berühmten Steuerdirector und eine Schönheit ersten Ranges und das Sextett ist fertig." Mr. Ghyrkins freute sich über die plumpe Schmeichelei. Ich besaun mich plötzlich, daß er, wenn auch als Steuerdirector nicht eben berühmt, sich in seinen jünger» Jahren auf der Jagd ausgezeichnet hatte, wie ich irgendwo gelesen. Hier bot sich also eine gute Gelegenheit.

102

„Ueberdies Mr. Ghyrkins, würde es keine richtige Tigerjagd sein, ohne einen erfahrenen Nimrod, der uns führen und berathen könnte. Wer aber paßt dazu besser, als der vielbewährte Jäger, der Gefährte von Maori, der Todter des zwölf Fuß großen Tigers in den Bergen von Nepaul, im Jahre 1861?" „Sie haben ein gutes Gedächtniß, Mr. Griggs"; sagte der alte Knabe ganz entzückt und jetzt ins rechte Fahrwasser gebracht. „Beim Himmel, mein Herr, wenn ich dächte, ich könnte noch ein Mal solchen Treffer haben, ginge ich morgen mit!" „Warum nicht? Es sind eine Masse großer Menschenfreffcr*) hier in der Gegend." Damit rasselte ich eine halbe Seite statistischer Berichte über die Anzahl der im letzten Jahre an Schlangen und wilden Thieren getödteten Personen mehr oder minder genau herunter. „Natürlich die meisten sind von Tigern getödtet worden, und es wäre wirklich eine Wohlthat einige solcher Bestien umzubringen. Tiger sehen, können viele, aber nicht schießen, während ihre Verheerungen unter den Menschen geschichtliche That­ sachen sind. Sie sollten wirklich menschenfreundlich sein, Mr. Ghyrkins, und mit uns kommen, dann hätten wir Aussicht auf eine ordentliche Jagd." „Na ja, da Sie mich so daran mahnen, spüre ich wirklich große Lust; es würde mir ungeheures Vergnügen machen und ich könnte meine Nichte bei Lady — Lady Dingsda, wie heißt sie gleich — bei der Frau des Ober­ richters lassen. Sie sollten 's doch wissen, ich kann keine Namen behalten." Er stieß die Worte ärgerlich heraus. *) Nicht alle Tiger fallen Menschen an; man-eaters Menschenfresser genannt.

die es thun,

werden

103 „Gewiß, Lady Smith-Tompkins, meinen Sie. Ja­ wohl das könnten Sie thun, das heißt, wenn Miß WestonHaugh schon die Masern gehabt hat und sich nicht davor fürchtet. Ich hörte heute Morgen, daß drei von den kleinen Smith-Tompkins sehr krank daran wären." „Nicht möglich? Nun, dann müssen wir Jemand an­ ders finden." Ich war überzeugt, daß Isaacs und Miß WestonHaugh in diesem Augenblick den Plan zu der ganzen Unter­ nehmung besprächen, so kam ich denn auf die Jagd zurück und fragte, wo wir hingehen würden. "®ieb führte zu langen Auseinandersetzungen und ehe wir — noch immer in derselben Reihenfolge reitend, — bei Mr. Ghyrkins Bungalow angelangt waren, war es klar, daß der alte Jagdliebhaber sich vorgenommen hatte, mehr als einen Tiger zu tobten, und daß er schon lieber seine Nichte mitnehmen, als den Freuden der Jagd entsagen wollte. Wohin der Zug gehen würde, sollte in ein Paar Tagen entschieden werden. Es war nicht die beste Jahreszeit für Tiger — das erste Frühjahr ist besser — aber es finden sich immer welche in den Wäldern von Terai, dem Land­ strich am Fuße des Gebirges nördlich von Oude. Als wir das Haus erreichten, war es ganz dunkel, denn wir waren langsam geritten. Der Lichtschimmer, welcher durch die offne Thür auf die Veranda fiel, zeigte uns Miß Westonhaugh auf einem großen Lehnstuhl sitzend und Isaacs, mit dem Hut in der Hand, ein wenig vorge­ beugt, neben ihr stehend. Sie sprachen noch immer, aber als wir an den Rasenplatz heranritten und nach den Reit­ knechten riefen, erhob sich Isaacs und sah nach uns hin, und ihre Stimmen verstummten. Augenscheinlich hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit gefesselt, denn es schien mir —

104 obschon das Licht nicht hell und die Entfernung nicht klein war — als ob sie, da er sich aufrichtete und schwieg, zu ihm aufsähe, als thäte es ihr leid, daß er nicht weiter spräche. Ich stieg mit den übrigen ab und ging zu Miß Westonhaugh, um ihr gute Nacht zu wünschen. „Sie müssen morgen zu uns zu Tische kommen", sagte Mr. Ghyrkins, „dann wollen wir alles verabreden. Punkt sieben. Morgen ist bekanntlich Sonntag. Kildare, Sie müssen auch kommen, wenn Sie es ernst meinen. Sieben Uhr. Wir müssen uns dran halten und ausrücken, falls wir zurück sein wollen, ehe der Vicekönig abreist." „O! in dem Falle", sagte Kildare sich zu mir wen­ dend, „können wir auch die Partie Polo für Montag ver­ abreden. Nicht wahr?" „Gewiß, sehr freundlich von Ihnen, sich darum zu be­ mühen!" „O! durchaus nicht! Gute Nacht." Wir empfahlen uns und gingen unsere Pferde in der Dunkelheit zu suchen. Nach einigem Hin- und Hertasten, denn nachdem wir tut Lichte der Veranda gestanden hatten, fanden wir es draußen sehr finster, schwangen wir uns in den Sattel und ritten unter den Bäumen heimwärts. „Ich danke Ihnen, Griggs", sagte Isaacs, „mögen Ihre Füße nimmer ermüden und Ihr Schatten nimmer abnehmen." „Keine Ursache! Vielen Dank für den Schatten. Nur wird er wahrscheinlich niemals kleiner sein als eben jetzt. Wie finster es ist!" Ich wußte recht gut, wofür er mir dankte und zündete eine Cigarre an. „Isaacs", sagte ich, „Sie sind höchst unverfroren, auf mein Wort!" „Wie so?"

105 „Wirklich, wie so! Da haben Sie mit Miß WestonHaugh den Plan zu einer großartigen Tigerjagd entworfen, während Sie doch versprochen hatten binnen drei Wochen in der Umgegend von Keilung zu sein, wo das auch liegen mag. Ich vermuthe in entgegengesetzter Richtung von hier aus, denn um diese Jahreszeit werden Sie nirgends näher als in Terai Tiger finden." „Ich finde keine Schwierigkeit darin", antwortete er. „Wir können von hier aus Oude in zwei Tagen erreichen, zehn Tage lang Tiger schießen und wieder in zwei Tagen zurück sein. Das macht gerade vierzehn. Ich brauche nicht acht Tage um nach Keitung zu kommen; ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht in dreien zu erreichen wäre. Ich werde Boten vorausschicken, ehe ich nach Oude gehe, und wenn ich eine doppelte Anzahl Kulis und wo die Wege gut genug zum Reiten sind, viele Ponies mitnehme, so werde ich zur rechten Zeit an Ort und Stelle sein. Da brauchen Sie nichts zu fürchten." „O, sehr gut. Ich glaube aber kaum, daß Ghyrkins unter drei Wochen zurückkommen möchte, und ich dachte nicht, daß Sie sich von der Gesellschaft trennen wollten." Er hatte sich augenscheinlich sorgsam überlegt, wie er die drei Wochen eintheilen möchte. Also brach ich das Gespräch ab. Er war nfit seinen verschiedenen Plänen beschäftigt — keine leichte Sache, wenn Geschäftsangelegenheiten von höchster Wichtigkeit mit den Anforderungen einer grande passion in Einklang zu bringen sind. Ich wollte ihn nicht in seinem Nachdenken stören und hatte ganz genug damit zu thun in der dichten Finsterniß mein Pferd im Gange zu halten. Plötzlich bäumte es sich heftig und stand dann an allen Gliedern zitternd still. Isaacs Pferd bog den Kopf vor und schnaubte laut neben mir, dann

106 stieß es heftig gegen mich. Darauf war alles still. Ich konnte nichts sehen. Bald aber erklang eine leise melo­ dische Stimme durch das Dunkel und es schien mir als könne ich neben Isaacs Knie eine hohe aufrechtstehende Gestalt unterscheiden. Wer es auch sein mochte, er mußte auf der andern Seite meines Gefährten stehen, indessen erkannte ich einen Kopf, von dem die Stimme ausging. „Friede sei mit Dir, Abdul Hafiz!" sagte sie. „Aleikum Salaam, Ram Lal!" erwiederte Isaacs. Er mußte den Mann an der Stimme erkannt haben. „Abdul, fuhr der Fremde auf Persisch fort, ich habe heute Nacht mit Dir zu thun; Du bist auf dem Heim­ wege. Wenn es Dir gefällt, werde ich in zwei Stunden bei Dir, in Deiner Wohnung sein." „Was Dir gefällt, gefällt auch mir. So sei es." Mir schien es, als verschwände der Kopf. „So sei es!" wiederholte die Stimme schwächer wer­ dend, als ob sie sich schnell von uns entferne. Die Pferde, welche dieser unvermuthete Wanderer erschreckt hatte, kamen wieder ins Gleichgewicht. Ich gestehe, der Vorfall machte mir einen unangenehmen Eindruck. Es war so höchst sonderbar, daß ein Wanderer, ein Perser nach seiner Sprache zu schließen, wissen sollte, wo mein Gefährte sich zur Zeit befinde und daß sie einander an der Stimme erkennen sollten. Ich besann mich, daß unser Ritt nach Mr. Ghyrkins Bungalow rein zufällig gewesen, und war sicher, daß Isaacs, seit wir vor anderthalb Stunden den Westonhaughs auf dem Wege nach Annandale begegnet waren, mit Niemandem, selbst nicht mit seinem Saice ge­ sprochen hatte. „Ich möchte wissen, was er will", sagte mein Freund, wie im Selbstgespräch.

107 „Jedenfalls weiß er Sie zu finden, entgegnete ich; er muß das zweite Gesicht haben, um zu wissen, daß Sie in Carisbrooke waren." „Das hat er. Er ist überhaupt eine ganz ungewöhn­ liche Persönlichkeit. Mehr als einmal hat er mir Dienste geleistet, und obschon ich nicht verstehe, wie er zu seinen Schlüssen gelangt und noch weniger, wie er von Ort zu Ort kommt, ist mir sein Rath stets willkommen." „Aber wer ist er? Ist er ein Perser? Sie nannten ihn mit einem indischen Namen, doch der könnte ange­ nommen sein — ist er ein Weiser aus Iran?" „Er ist ein Weiser, doch nicht aus Iran. Nein. Von Geburt ist er ein Brahmine, der Religion nach ein Buddhist, er selbst nennt sich einen „Adepten", einen Jünger von Beruf, glaube ich, wenn man bei ihm von einem Beruf sprechen kann. Er kommt und geht uner­ wartet mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Seine Besuche sind kurz, aber er scheint mit dem vorliegenden Fall, was es auch sei, immer vollkommen vertraut zu sein. Er wird heute Nacht kommen und mir in etwa zwanzig Worten seinen Rath ertheilen, den ich je nach eigenem Ermessen befolgen kann oder nicht; und ehe ich ihm habe antworten oder mich von meinem Erstaunen erholen können, wird er scheinbar in die blaue Luft verschwunden sein; wenn ich dann meine Diener frage, wohin er gegangen, werden sie mich anstarren, als ob ich von Sinnen wäre, bis ich ihnen beweise, daß das Zimmer leer ist und sie anklage, daß sie einschlafen, statt aufzupassen, wer bei mir aus- und ein­ geht. Er spricht mehr Sprachen als ich und spricht sie besser. Er erzählte mir ein Mal, er wäre in Edinburg erzogen und seine gründliche Kenntniß europäischer Ange­ legenheiten und Verhältnisse läßt mich annehmen, daß er

108 sich daselbst längere Zeit aufgehalten habe. Haben Sie sich je mit den Hähern Stufen des Buddhismus beschäftigt? Das ist ein höchst interessantes Studium." „Ja, ich habe Einiges darüber gelesen, eigentlich recht viel und habe noch mehr darüber nachgcdacht. Der Gegenstand ist, wie Sie sagen, von hohem Interesse. Wenn ich von Geburt ein Asiate wäre, würde ich sicherlich danach gestrebt haben, ein moksha zu werden, selbst, wenn ein Menschenleben dazu gehörte, alle Grade der Einweihung durchzumachen. Es ist etwas so Vernunftgemäßes in ihren Theorien, bei denen sie alles Uebernatürliche abweisen und zugleich etwas so Reines und Erhabenes in ihrer Lebens­ auffassung, in ihren Ansichten vom Idealen, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten, daß es mich nicht Wunder nimmt, daß Edwin Arnold unsere amerikanischen Transcendentalisten und Unitarier und Freigeister angeregt hat, sich darin zu vertiefen und zu fragen, ob der Orient nicht ebenso große Männer, wie Emerson und Channing unter seinen Lehrern gehabt habe." Ich hielt inne. Mein größter Fehler ist dies: sobald mich Jemand auf einen Gegenstand bringt, von dem ich etwas weiß, werde ich so­ fort didactisch. Darum hielt ich inne und bedachte, daß Isaacs, der, wie er selbst sagte, so häufig mit einem „Adepten" von hohem Grade verkehrte, sicher mehr von der Sache wisse als ich. „Auch ich, sagte er, bin von der Schönheit der er­ habeneren buddhistischen Lehren tief ergriffen und manch­ mal beinahe bekehrt worden. Was ihre anscheinend über­ natürlichen Kräfte und deren Wirkungen betrifft, so mache ich mir nichts aus dergleichen Erscheinungen. Wir leben in einem Lande, wo Wunder häufig genug vorkommen. Wer hat je das Mangokunststück oder das Kunststück mit

109 dem Korbe erklären können, oder wie cs der Mann macht, der ein Seil in die Lnft wirft, daran emporklimmt, dann das Seil nach sich zieht und in die blaue Luft ver­ schwindet? Und doch haben wir alle diese Dinge gesehen, Sie so gut wie ich, und der Knnststückmacher erhebt keinen Anspruch auf übernatürliche Einwirkung oder Hilfe. Die Verschiedenheit liegt nur im Grade, ob man aus einem Samenkorn in einer halben Stunde einen Baum aufschießen läßt, oder ob man sich auf zehntausend Meilen in ebenso viel Secunden entfernt, durch Mauern von Ziegeln und Stein hindurchgehend und einen gewöhnlichen Sterblichen durch die Kenutuiß all seiner Angclegeuheiten in Erstaunen setzend. Zch sehe keinen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden „Phänomenen", wie die Zeitungen es neunen, seit Madame Blavatsky hier zu Laude alles in Aufregung versetzt hat. Es ist einzig und allein der Unterschied im Maße der angewendeten Kräfte. Das ist alles. Ich habe in einer Werkstatt in Calcutta einen Hammer gesehen, der eine Eierschale spalten konnte, ohne sie zu zerquetschen, aber eben so gut einen Klumpen Eisen von der Größe Ihres Kopfes zu einem flachen Kuchen zerdrücken konnte. „Phänomene" mögen Weiber und Kinder unterhalten; die wahre Schönheit der Methode liegt in der verheißenen Er­ reichbarkeit des Glückes. Ob der Zustand höchster Frei­ heit von irdischer Sorge dem glücklichen Eingeweihten die Kraft verleiht, sich durch eine bloße Willensäußerung zu den Gegenfüßlern zu versetzen oder das Astralfluidum zu Gegenständen für den täglichen Gebrauch zu verdichten, oder die Naturkräfte zu unerhörter Thätigkeit zu erregen, ist mir höchst gleichgültig. Ich bin auf meine Weise, wie die Dinge eben liegen, so ziemlich glücklich. Ich würde keine Spur glücklicher sein, wenn ich nach Tische auf und

110 davon fliegen und einige Stunden mich an der amerikani­ schen Politik betheiligen könnte, um morgen wieder hier zu meinen Geschäften zurückzukehren." „Das ist ein extremer Fall, sagte ich. Kein vernünftiger Mensch bringt den Gedanken an Glück je mit amerikani­ scher Politik in Verbindung." „Einer Sache indessen bin ich gewiß." Er hielt inne, als suchte er nach Worten. „Deß bin ich gewiß, sollte irgend ein unvorhergesehenes Ereigniß, sei es eine thörichte Handlung von mir, sei es die Hand des allweisen Allah, den Seelenfrieden zerstören, welchen ich mit geringer Unter­ brechung seit zehn Jahren genossen habe, — sollte irgend etwas geschehen, das mich ohne Aussicht auf Trost im gewöhnlichen Sinne dauernd unglücklich machte, — so würde ich im Studium der reinen Lehre des höhern Buddhismus meinen Trost suchen. Das Streben nach einem Glücke, welches über alle irdischen Rücksichten kör­ perlichen Behagens und physischen Genusses unendlich er­ haben ist, kann sicherlich weder mit meinem, noch mit Ihrem Glauben unvereinbar sein." „Nein, wahrlich nicht; sagte ich. Aber angesichts dessen, daß Sie ein strenger Mohamedaner sind, scheinen Sie mir merkwürdig freisinnig. Haben Sie also ernstlich an die Möglichkeit gedacht, einer der „Brüder" zu werden — wie sie sich nennen?" „Heute, zum ersten Male fiel es mir ein, daß irgend etwas geschehen könnte, wodurch mein Leben gestört werden müßte. Heute hat etwas mir zugeflüstert, daß dieses Leben so nicht immer fortdauern könne. Ich bin gewiß, daß es nicht so bleiben kann. Es muß eine Veränderung ein­ treten, der Ausgang muß entweder unendliches Glück oder noch endloseres Elend sein. Welches von beiden weiß ich

111 nicht." Seine klare melodische Stimme erbebte ein wenig. Wir erblickten die Lichter im Hotel von ferne. „Ich werde heute Abend nicht mit Ihnen speisen, Griggs. Zch werde auf meinem Zimmer etwas essen. Kommen Sie nach Tisch zu mir, wenn Sie nichts anderes vorhaben. Ich sehe nicht ein, warum Sie nicht Rain Lal, den Jünger, sehen sollen, da wir über seine Religion, oder Schule, oder Philosophie, einer Ansicht sind, — finden Sie einen Namen dafür, während Sie bei Tische sind." So trennten wir uns auf kurze Zeit. Für mich war es ein angreifender Tag gewesen. Eben so wenig wie er, fühlte ich mich für den Lärm und das helle Licht im Speisesaal aufgelegt. Also folgte ich seinem Beispiel und aß auf meinem Zimmer. Dann nahm ich meine Hookah vor, entschlossen von Isaacs Einladung erst ungefähr um die Zeit Gebrauch zu machen, zu welcher er Ram Lal erwartete. Ich fühlte das Bedürfniß einer ein­ samen Stunde, um auszuruhen, meine Gedanken zu sam­ meln und über die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden nachzudenken. Ich erkannte, daß ich mit Isaacs rasch immer vertrauter wurde und wollte über ihn nach­ denken und das Problem seines Lebens ergründen; aber wenn ich es versuchte, die Sachlage logisch zu entwickeln und zu einem Urtheilsspruch zu kommen, wurde ich fortgerisfen durch die wunderbaren Bilder, die an meinem Auge vorüberzogen. Ich konnte die Begebenheiten nicht von der Persönlichkeit loslösen. Sein Gesicht schwebte mir immer vor, ob ich an Miß Westonhaugh oder an den elenden alten Maharajah oder an Ram Lal, den Buddhisten dachte. Isaacs war der Mittelpunkt auf allen Bildern, immer im Vordergründe, immer ruhig und schön, immer die Ereig­ nisse um sich her beherrschend. Dann ging ich auf eine

112 Reihe alltäglicher Gedanken ein, um meine geschlagene Vernunft zu beruhigen, wie das ein Mensch zu thun pflegt, der daran gewöhnt ist, was um ihn her vorgeht zu ver­ stehen, und der sich nun plötzlich ganz im Unklaren be­ findet. Natürlich sagte ich zu mir selbst, es ist keiu Wun­ der, wenn er die Dinge beherrscht oder zu beherrschen scheint. Die Verhältnisse, in denen ich diesen Bekannten von drei Tagen finde, hat er alle selbst geschaffen. Er hat immer Erfolg gehabt, und er wird keine Geister her­ aufbeschwören, die er nicht in der Hand hat. Er weiß ganz gut, wo er mit seiner Liebe für dieses schöne Wesen hinaus will und lacht jetzt wahrscheinlich im Stillen über meine Einfalt zu glauben, daß er mich wirklich um Rath fragte. Bah! als ob irgend ein Rath einen solchen Mann beeinflussen könnte! Abgeschmackt! Ich schlürfte meinen Kaffee, höchst unzufrieden mit mir selbst. Die ganze Zeit über, in der ich mich zu über­ reden suchte, Isaacs wäre nur ein glücklicher Planmacher, weder besser noch schlechter als andere Leute, schwebte mir das Antlitz vor, welches ich nicht aus meinem Gesichts­ kreise bannen konnte. Ich sah den schönen kindlichen Aus­ druck in seinen tief dunkeln Augen, die weich geschwungenen Linien des Mundes, die glatte kühn gewölbte Stirn. Nein — ich war ein Thor! Nie hatte ich einen solchen Mann gesehen, nie würde ich Seinesgleichen wieder sehen. Wie konnte Miß Westonhaugh anders als so ein vollkommenes Geschöpf lieben? Ich dachte auch an seinen Edelmuth. Jedenfalls würde er sein Versprechen halten und den armen, von englischen und afghanischen Feinden zu Tode gehetzten Shere Ali aus aller Noth befreien. Hatte er nicht den Maharajah von Baithopoor in seiner Macht? Er hätte die volle Bezahlung der Schuld, Kapital und Zinsen, for-

113 dern und den Afghanenfürsten doch noch retten können. Aber er fürchtete, die armen Mohamedaner würden unter den Erpressungen des Fürsten zu leiden haben, und so erließ er freiwillig die Zinsen, eine hohe Summe, und verschob die Ablösung der Schuld bis es dem Maharajah passen würde, sie zu bezahlen. Hatte je zuvor ein Orientale, selbst seinem eigenen Bruder eine Schuld erlassen? Nicht im Bereiche meiner Erfahrung. Ich stand auf und ging hinunter zu Isaacs. Ich fand ihn wie am Abend zuvor aus seinen Kissen ein Manuscript lesend. Er blickte lächelnd auf und winkte mir, ich möge mich setzen, indem er einen Finger aus der so eben gelesenen Stelle in seinem Buche ruhen ließ. Er las den Vers zu Ende, ehe er zu sprechen begann, dann legte er das Buch fort und lehnte sich zurück. „So wollen Sie also wirklich Ram Lal sehen? Er wird in einer Minute hier sein, wenn er nicht andern Sinnes wird und am Ende gar nicht kommt." Draußen ertönten Stimmen. Jemand fragte, ob Isaacs zu Hause wäre, und der Diener gab Antwort.

Eine hohe Gestalt im grauen Kaftan und einfachem weißen Turban stand in der Thür. „Ich werde nie andern Sinnes", sagte der Fremde in trefflichem Englisch, obschon mit dem eigenthümlichen Accent der Zunge des Hindus, wenn er europäische Sprachen zu bemeistern sucht. Seine Stimme war melodisch und hoch, aber von sanftem süßen Ton, die Art von Stimme, welche ohne anscheinende Anstrengung für den Sprecher auf weite Entfernung hörbar ist. „Ich besinne mich nie anders. Hier bin ich. Steht es wohl um dich?" „Es steht wohl, Ram Lal. Ich danke dir. Setze dich, wenn du eine Weile bei uns bleiben willst. Dies ist C r a f c r d, '))ir. Jsa.icS. 8

114

mein Freund, Mr. Griggs, von dem du wahrscheinlich ge­ hört hast. Er denkt über viele Dinge wie ich, und ich wünschte, daß ihr einander sähet." Während Isaacs sprach, trat Ram Lal weiter ins Zimmer vor und stand einen Augenblick unter dem milden Licht der Ampel, eine sehr große graue Gestalt, sonst durch nichts auffallend. Er war ganz grau. Der lange Kaftan, welcher ihn einhüllte, der Turban, den ich zuerst für weiß gehalten hatte, der spitze Bart und der lange Schnurrbart, die dicken Augenbrauen — ein Studienkopf in Grau, der sich von dem grellen Glanz, der reich geschmückten Wand abhob, — weiche Umrisse, auf denen das gelbliche Licht gern verweilte, als ob es müde wäre, von dem strahlenden Golde und den tausendfachen Facetten unschätzbarer Edel­ steine zurückgeworfen zu werden. Ram Lal sah mich an, und als ich ihm in die Augen blickte, sah ich, daß auch diese grau waren, — im Orient etwas sehr Ungewöhn­ liches — und daß sie weit von einander abstanden, was seinem Gesicht einen Ansdruck großer Würde und furcht­ loser Offenheit gab. Nach seinen Gesichtszügen zu urtheilen, mußte er sehr mager sein, seine hohen Schultern waren eckig, das lange lose Gewand entzog seine übrige Gestalt den Blicken. Ich hatte hinreichend Zeit, diese Einzelheiten zu bemerken, denn er stand eine volle Minute mitten im Zimmer, als besänne er sich, ob er gehen oder bleiben solle. Dann ging er ruhig auf einen Divan zu und setzte sich mit gekreuzten Beinen hin. „Abdnl, du hast heute eine gute That gethan, und ich hoffe, du wirst nicht andern Sinnes werden, ehe du deinen jetzigen Vorsatz ausgeführt hast." „Ich werde nie andern Sinnes, Ram Lal", sagte Isaacs lächelnd, indem er seines Gastes eigene Worte ge-

115 brauchte. Ich war zuerst betroffen. Welche gute That meinte der Buddhist, wenn nicht die beabsichtigte Befreiung des Shere Ali? Wie konnte er etwas davon wissen? Dann erinnerte ich mich, daß dieser Mann, nach Isaacs Er­ klärung, ein Adept der höhern Grade, ein Seher und Erforscher menschlicher Herzen wäre. Ich nahm mir vor, über nichts, was vorgehen würde, zu erstaunen und wun­ derte mich nur, daß es diesem außerordentlichen Manne beliebt hatte, wie ein gewöhnlicher Sterblicher durch die Thür zu kommen, und nicht durch den Fußboden oder die Decke. „Verzeih mir", sagte Ram Lal, „wenn ich es wage, dir zu widersprechen. Du wirft mitunter andern Sinnes. Wer spottete noch neulich über die Weiber, ihre Unsterb­ lichkeit, ihre Tugend und ihren Verstand? Willst du nun noch behaupten, Freund Abdul, daß du nicht andern Sinnes geworden bist? Denkst du, schlafend oder wachend, an etwas anderes als an das eine Weib, um defsenwillen du andern Sinnes geworden bist? Schwebt nicht ihr Bild dir immer vor und der Hauch ihrer Schönheit über deiner Seele? Bist du ihr nicht im Geiste begegnet, wie in Wirklichkeit? Wir werden sicherlich eine Zeit lang nichts mehr von deinen Zweifeln an den Frauen hören. Ich wünsche dir, so weit es sein kann, Glück zu deiner Bekehrung. Du hast einen Schritt vorwärts gethan in der höhern Erkenntniß der Welt, in der du lebst." Isaacs schien über seines Gastes gründliche Kenntniß seiner Angelegenheiten nicht im mindesten überrascht. Er neigte schweigend sein Haupt, den Worten Ram Lal's zu­ stimmend und abwartend, daß er weiter spräche. „Ich bin gekommen", fuhr der Buddhist fort, „um dir guten Rath zu geben — den besten, welchen ich für 8*

116 dich habe. Wahrscheinlich wirst du ihn nicht annehmen, denn du hast mehr Selbstvertrauen als irgend einer, den ich kenne, obschon du dich ein wenig verändert hast, seit du verliebt bist; ein Beweis dafür ist deine rasche Ver­ trautheit mit Mr. Griggs." Er sah mich an und es schimmerte etwas wie ein Lächeln in seinen grauen Augen. „Mein Rath ist dies: lasse die geplante Tigerjagd nicht zur Ausführung kommen, wenn du sie verhindern kannst. Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, vielleicht aber Unheil. Nun habe ich gesprochen, weil mein Geist keine Ruhe fand, bis ich dich gewarnt hatte. Du wirst natür­ lich thun, was dir beliebt, nur vergiß nie, daß ich dir bei Zeiten den rechten Weg gewiesen." „Ich danke dir für deine freundliche Theilnahme, Ram Lal. Ich glaube nicht, daß ich deinen Rath befolgen werde, aber ich danke dir darum nicht minder. Nur eine Frage möchte ich thun, in einem Stücke dich dennoch zu Rathe ziehen." „Mein Freund, wozu soll ich dir einen Rath geben, den du nicht befolgen willst? Wenn ich mit dir zusammen lebte und dein steter Begleiter wäre, würdest du mich zwanzig Mal am Tage um Rath fragen und dann das gerade Gegentheil von dem thun, was ich dir angerathen. Wenn ich in dir nicht etwas sähe, was ich bei wenig an­ dern finde, so würde ich nicht hier sein. Es giebt viele Narren, die doch Verstand genug haben, den Rath eines Weisen anzunehmen. Es giebt wenig Verständige, die klug genug sind, um sich von Weiseren als sie leiten zu lassen, als ob sie zeitweise auch nur Narren wären. Aber weil du so eigensinnig bist, will ich dir noch ein Paar Mal beistehen, und dann will ich dich deinem eigenen Laufe überlassen, den du in deiner Blindheit dein kismet

117 nennen wirst, weil du nicht einsiehst, daß du dein Schicksal beständig in der Hand hast, und jetzt wehr als je. Frage, und ich werde antworten." „Ich danke dir, Ram Lal. Dies Eine möchte ich wissen. Es ist dir bekannt, daß ich eine neue Art von Handel abgeschlossen habe. Der Mann, den du keimst, wird mir bei Keitung ausgeliefert werde». Ich bin um seine Sicherheit besorgt und möchte gern einen Rath haben, was ich mit ihm machen soll. Ich muß allein hingehen, denn ich will keinen Zeugen dessen, was ich thun werde, haben und um meiner eigenen Sicherheit, wie um des Mannes willen, den ich befreien werde, muß ich im vor­ aus beschließen, wie ich handeln soll, wenn ich die Schaar von Sowaren treffe, welche ihn begleiten werden. Sie wären im Stande, uns beide zu ermorden, wenn der Maharajah es ihnen befohlen hat. So lange ich lebe und den alten Mann mit der Drohung, ihn bei den Engländern zu verklagen, im Schach halten kann, ist der Gefangene sicher; aber es würde den Kerlen ein Leichtes sein, uns beide aus der Welt zu schaffen, und dann hätte die Sache ein Ende." „Natürlich wäre das ein Leichtes", sagte Ram Lal und setzte in ironischem Ton hinzu, „wenn du darauf be­ stehst, deinen Kopf in des Tigers Rachen zu stecken, wie kannst du denn von mir verlangen, ich solle die Bestie verhindern, ihn abzubeißen? Das würde ein „Phänomen" sein, nicht wahr- Und noch heute Abend sagtest du, du

verachtest „Phänomene"." „Ich sagte nur, auf solche Dinge lege ich keinen Werth; aber nicht, daß ich sie verachte. Indessen denke ich, das ließe sich auch thun, ohne ein Wunder zu voll­ bringen."

118 „Wäre deine That nicht eine so gute, so würde ich nichts damit zu thun haben mögen. Aber weil du den Hals wagen willst um deinem Gerechtigkeitsgefühl Genüge zu thun, will ich zusehen, daß du ihn nicht brichst. Ich will dich eine Tagereise vor Keitung auf dem Wege treffen, und wir wollen mit einander ziehen und das Geschäft ausrichten. Wenn ich dir aber helfen soll, kann ich dir nicht versprechen, kein Wunder zu thun, wie du es meinst, obschon du recht gut weißt, daß es dergleichen nicht giebt. Unterdessen halte es mit der Tigerjagd, wie es dir beliebt. Ich werde nichts mehr darüber sagen." Er hielt inne, dann streckte er eine seiner zarten Hände ans dem Kaftan heraus, wies auf die Wand hinter mir und Isaacs und sagte: „Von wie eigenthümlicher Arbeit ist jener Zsataghan!" (krummer Säbel). Wir wendeten uns beide natürlich halb herum, um die Waffe von der er sprach anzusehen; es war das Mittel­ stück einer Trophäe von juwelenbesetzten Säbeln und afghani­ schen Messern. „Ja, sagte Isaacs, sich wieder umwendend, um seinem Gaste zu antworten, es ist ein"---------Er hielt inne und ich, der ich unter so vielen andern Waffen dieses Stück bisher übersehen hatte und jetzt seine eigenthümliche Schön­ heit bewunderte, wendete mich ebenfalls um; zu meiner Verwunderung bemerkte ich, daß Isaacs ins Leere starrte. Der Divan, auf welchem Nam Lal noch einen Augenblick zuvor gesessen hatte, war leer. Er war fort. „Das ist etwas plötzlich", sagte ich. „Mehr als gewöhnlich", war die Anwort. „Sahen Sic ihn fort gehen? Ging er aus der Thür?" „Ich weiß nicht", erwiederte ich, „als ich nach der Wand hinsah, saß er ruhig auf dem Divan und zeigte

119 mit einer Hand auf den Aataghan. Verschwindet er ge­ wöhnlich so plötzlich?" „Ja, mehr oder minder. Nun will ich Ihnen einen netten Spatz machen." Er stand auf und ging zur Thür. „Narain!" rief er. Narain, der Träger, welcher draußen am Thürpfosten kauerte, sprang auf und stellte sich vor feinen Herrn. „Narain, warum hast Du den Punditen nicht hinunterbegleitet? Was heißt das? Was sind das für Manieren?" Narain stand mit offnem Munde da. „Was für einen Punditen, Sahib?" fragte er. „Nun, den Punditen, der vor einer Viertelstunde her­ kam, Du Esel! Er ist soeben hinausgegangen, und Du bist nicht ein Mal aufgcstanden und hast einen Salaam gemacht, Du unhöflicher Schlingel!" Narain betheuerte, daß kein Pnndit, kein Sahib, kurz kein Mensch die Schwelle überschritten habe, seit Rain Lal hincingegangen. „Hoho! Du budmash! Du fauler Hinduhnnd! Du hast wieder geschlafen, Du Schwein, Du Sohn eines Schweines, Du Vater von Ferkeln! Ist das die Art, wie Du mir dienst?" Jsaacü hatte ungeheures Vergnügen an dem Spaß. „Sahib", sagte der zitternde Narain, den ihm zngeschriebencn Stammbaum anscheinend vergessend, „Sahib, Du bist der Beschützer der Armen, Du bist mein Bater und meine Mutier, nud mein Bruder und all meine Ver­ wandten", — das ist die gewöhnliche Form der Bitte eines Hindu, „aber Sri Krislmaja! beim heiligen Krishna, ich habe kein Ange zugethan!" „Dann willst Du mir wohl weiß machen, daß der Pnndit durch die Decke davon gegangen oder unter den Kiffen versteckt ist? Schwöre nicht bei Deinem falschen

120 Götzen, Sklave; ich werde Dir darum nicht glauben, Du Hund von einem Ungläubigen, Du Soor-be-iman, Du Schwein ohne Glauben!" „Han! Sahib! Han!“ rief Narain, den Gedanken auf­ fassend, das; der Pundit geheimnißvoll durch die Wand verschwunden wäre." „Ja, Sahib, der Pundit ist ein großer Jogi und ist auf dem Winde davongefahren!" Der Kerl hielt das für einen glänzenden Einfall, der wohl der Beachtung werth wäre. Isaacs schien etwas be­ sänftigt. „Weshalb hältst Du ihn für einen Pogi, Du Hund?" fragte er in milderem Ton. Narain hatte keine Antwort bereit, sondern glotzte dumm durch die Thür in das Zimmer, aus dem der unheimliche Gast so plötzlich verschwunden war. — Nun, fuhr Isaacs fort, Du kommst der Wahr­ heit näher als Du glaubst. Der Pundit ist ein größerer Nogi als Deine dämliche Religion einen machen kann. Aber thut nichts, hier ist ein acht Annastück für Dich, weil ich gesagt habe, Du hättest geschlafen, und es ist nicht der Fall gewesen." Narain verneigte sich dankend bis zum Boden, als sein Herr sich umwandte. „Er macht sich gar nichts daraus, daß ich ihn Schwein nenne", sagte Isaacs; „ich würde keinen Muselmann so schimpfen, aber diese Hindus kann man auf andere Weise noch viel ärger schmähen, so daß der Vergleich mit dem Schweinegeschlecht dagegen noch ganz barmherzig ist". Er setzte sich wieder auf die Kissen, zog die Pantoffeln ans und kauerte sich behaglich hin um zu plaudern. „Was denken Sie von Ram Lal?" fragte er, als Narain die Hookahs und Sorbet gebracht hatte. „Mein lieber Freund, ich weiß noch gar nicht, was ich von ihm denken soll. Ich habe mich noch nicht von

121 meinem Erstaunen erholt. Ich gestehe, in seiner Art und Weise und in seiner Persönlichkeit war nichts Auffallendes. Er sprach und benahm sich wie ein gebildeter Einge­ borener, ganz im Gegensatz zu den erstaunlichen Dingen, die er sagte, und seiner unerhörten Art sich zu verabschieden. Es wäre natürlicher, ich wollte sagen, angemessener ge­ wesen, wenn er in dem klassischen Gewände eines Astro­ logen erschienen wäre, umgeben von Thierkreisen, blauen Flammen und schwarzen Katzen. Warum mag er Ihnen wohl von der Tigerjagd abrathen?" „Ich weis; nicht. Bielleicht denkt er, es könnte mir etwas zustoßen, so daß ich meine andere Verabredung nicht einhalten könnte. Vielleicht mißbilligt er" — er hielt ein, als ob er auf den Gegenstand von Ram Lal's Miß­ billigung nicht eingehen wollte. „Ich will aber trotzdem, daß die Jagd zu Stande kommt, und ich will überdies rechtes Vergnügen daran haben und einen Tiger schießen, wenn ich einen zu sehen bekomme." „Er schien mir über Ihre sogenannte Bekehrung hoch erfreut. Er sagte, Ihr neugewonnener Glaube an das Weib, wäre ein Schritt zum bessern Verständniß des Le­ bens." „Der Welt, sagte er", versetzte Isaacs, mich ver­ bessernd. „Es ist ein großer Unterschied zwischen Welt und Leben. Das eine ist ein endlicher, das andere ein unendlicher Begriff. Nach dem, was ich von Ram Lal gelernt habe, glaube ich, daß der Endzweck der Adepten ein Glück ist, das man nur durch Weisheit erreichen kann, und ich denke, unter Weisheit verstehen sie Kenntniß der Welt im weitesten Sinne des Wortes. Die Welt ist für sie ein großes Behältniß von physischen und sozialen That­ sachen, von denen sie besondere Kenntniß durch transcen-

122 dentale Methode zu erlangen trachten. Wenn Ihnen das als ein Widerspruch des Ausdrucks erscheint, will ich es versuchen, mich besser auszudrücken. Wenn Sie mich ver­ stehen, bin ich zufrieden. Natürlich gebrauche ich das Wort transcendental in dem Sinne, in welchem es von Mathematikern des Westens aus eine Art von Raisonnement angewendet wird, welche ich nur sehr unvollkommen verstehe — nur so viel, daß sie darin besteht, endliche Ergebnisse durch geschickte Benutzung des Unendlichen zu erreichen." „Das ist keine schlechte Definition von transcenden­ taler Analyse für einen, der nichts davon zu verstehen be­ hauptet"; sagte ich. „Ich hätte Sie auch nicht eines Widerspruchs in den Ausdrücken geziehen. Ich habe oft gedacht, was die Leute die „Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts" nennen, ist im Grunde nichts anderes als die unbewußte Anwendung transcendentaler Analyse auf die alltägliche» Angelegenheiten des Lebens. Nehmen Sie z. B. die Theorien Darwins. Was sind sie anders als eine künstliche Anwendung höherer Berechnungen? Er diffcrenzirt den Menschen in Protoplasmen, und integrirt Protoplasmen in Affen, zeigt dann, daß der Schwanz, die selbständige Abweichung, — ein nebensächlicher Factor beim Menschen, ein Hauptfactor beim Affen ist. Und ist nicht der Begriff allmäliger Entwicklung an die Stelle des frühern Begriffs spontaner Vervollkommnung getreten? Nehmen Sie ein Beispiel aus Indien — das neue System des Wettbewerbes, welches die Eingeborenen nimmer begreifen können. Früher wurden die Civilbeamten so zu sagen von Gottes Gnaden eingesetzt. Sie kamen als vollkommene Wesen zur Welt, wie Aphrodite aus dem Schaum des Meeres; gewappnet und gerüstet sprangen sie aus dem

123 Haupte der alten Compagnie, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus. Jetzt ist das alles anders geworden; sie werden aus einer großen Schaar von Bewerbern ausge­ wählt, und zwar streng methodisch, und wenn sie erwählt sind, so stellen sie das Endergebniß unendlicher Wahr­ scheinlichkeiten für und wider ihre Wahl vor. Sie sind alle ganz gleich; sie sind eine Formel für die Besteuerung und Ausübung der Gerichtsbarkeit, und so lange man nicht den Versuch macht, diese Formel zu einem anderen Zwecke zu gebrauchen, wie z. B. zu politischen Unterhandlungen oder zur Censur der Presse, wird die Gleichung wahrschein­ lich einer Lösung fähig sein." „Wie ich Ihnen bereits sagte", versetzte Isaacs, „ich weiß nichts, oder so gut wie gar nichts, von europäischer Mathematik, aber ich kann mir von Ihrem Vergleich einen ungefähren Begriff machen. In Asien und bei den Asiaten herrscht der Gedanke vor, daß Wissen ein für allemal assimilirt werden könne. Daß man, wenn man es erlangt, sofort Kenntniß von allem besitzt, — den Hauptschlüssel, der jegliche Thür öffnet. Das ist die Ursache des langen Fastens und einsamen Nachdenkens der Asketen. Sie glauben, daß durch Abschwächung des Bandes zwischen Körper und Seele, die Seele befreit werden und sich zeit­ weilig mit andern leblosen oder lebendigen Gegenständen identifiziren könne, die außerhalb des Körpers sind, zu dem sie gehört, und daß sie so unmittelbare Kenntniß jener Gegenstände erlangen könne, und sie glauben ferner, daß diese direete Erkenntniß ihr bleibt. Die Philosophen des Westens behaupten, die einzige Kenntniß, welche ein Mensch von Körpern außerhalb seines Geistes haben könne, sei die, welche er durch Vermittlung seiner körperlichen Sinne er­ langt, — obschon diese selbst im wahrsten Sinne des

124 Worts, sich außerhalb seines Geistes befinden. Da die Sinne nicht unbedingt zuverlässig sind, so ist die durch ihre Vermittlung erlangte Kenntniß auch nicht unbedingt zuverlässig. Also ist der Endunterschied zwischen dem asia­ tischen Heiligen und dem europäischen Gelehrten dies: während ersterer glaubt, daß alles Wissen unter gewissen Bedingungen unmittelbar im Bereich der Seele liege, verneint andrerseits der letztere, daß irgend welche Er­ kenntniß absolut sein könne, weil sie immer nur mittelbar und zwar durch ein nicht unbedingt zuverlässiges Medium erlangt werde. Der Gedankengang, welcher dem europäi­ schen Geiste gestattet, ohne Furcht auf eine Erkenntniß hin zu handeln, die nach seinem eignen Urtheilsspruch nicht nothwendigerweise ganz genau ist, beruht auf einer ge­ schickten Benutzung des Unendlichen bei der unbewußten Berechnung der Wahrscheinlichkeit jener Genauigkeit — und dies stimmt durchaus zu dem, was Sie über die Anwen­ dung transcendentaler Analyse auf die Angelegenheiten des alltäglichen Lebens gesagt haben." »Ich sehe, Sie haben mich vollkommen verstanden, sagte ich. Was aber den asiatischen Verstand anbetrifft, so scheint es, als ob Sie die Anwendung der Berechnung des Gedankens verneinen und als ob Sie sagen wollen, die Adepten trachteten danach, bestimmte Kenntnisse durch allgemeine und transcendentale Methoden zu erlangen. Hierin liegt ein wirklicher Widerspruch." „Nun; ich sehe keinen, denn ich zähle den Hähern Adepten zu keiner von beiden Klassen, weil sie so weise sind, die Gelehrsamkeit und die Methoden beider anzuwen­ den. Sie scheinen mir, so geradehin gesagt, zu versuchen, beides zu vereinen. Sie halten absolute Erkenntniß für erreichbar, und widmen dem Studium der Natur beträcht-

125 liche Zeit, wobei sie durchaus analytische Methoden zur Anwendung bringen. Sie bringen die verschiedenen Er­ scheinungen in so viele Unterabtheilungen, daß ein euro­ päischer Forscher wahrscheinlich dadurch überrascht und be­ lustigt sein würde. Sie zählen vierzehn verschiedene Farben im Regenbogen und bringen Töne, selbst in feinster Ab­ stufung, immer mit den Farbenschattirungen in Berbin­ dung. Ich könnte noch manche andere Eigenthümlichkeit ihrer Art, Naturerscheinungen zn beobachten anführen, welche eine viel genauere Eiutheilung und Klassifieirung der Ergebnisse aufweist, als die, an welche Sie gewöhnt sind. Aber außer all diesem sind sie der Ansicht, daß die Sinne des normalen Menschen einer unendlichen Verfeine­ rung fähig sind, und daß der Werth der erreichten Re­ sultate von dem höheren oder geringeren Grade der Schürfe der Wahrnehmung abhängen müsse. Um den hohen Grad der Empfindlichkeit zu erlangen, welcher zur Wahrnehmung sehr zarter Phänomene erforderlich ist, halten die Adepten es für nothwendig, ihre körperlichen und geistigen Fähig­ keiten durch ein Leben strenger Enthaltsamkeit von allen Freuden und Genüssen, die nicht zur Aufrechterhaltung der Beziehung zwischen den körperlichen und geistigen Kräften unerläßlich sind, auszubilden. „Der gewöhnliche Fakir strebt nach demselben Ziel", bemerkte ich. Aber er erreicht eS nicht. Der gewöhnliche Fakir ist ein Thor. Durch Fasten und Selbstquälerei von einer Art, die kein Adept billigen würde, kann er seine Sinne so schärfen, daß er Töne hören und Dinge sehen kann, welche für uns unhörbar und unsichtbar sind. Aber seinem ganzen System fehlt die geistige Grundlage; er hält das Wissen für etwas im Augenblick Erreichbares, wenn es ihm überhaupt endlich zn Theil wird; er glaubt,

126 er wird eine Vision haben, und alles wird ihm offenbart werden. Seine Hingebung an seinen Zweck ist bewunderns­ würdig, wenn er nämlich ein ächter Asket und nicht, was gewöhnlich der Fall ist, ein Taugenichts ist, der sich durch seine Frömmigkeit seinen Unterhalt verdient; aber es ist eine Hingebung von sehr niedriger geistiger Ordnung. Der wahre Adept hält die Zucht des Verstandes durch geistige Bestrebungen für nicht minder nöthig als die mäßige und verständige Abtödtung des Fleisches, und der höhere Buddhis­ mus legt auf beides gleichen Werth." „Entschuldigen Sie eine Abschweifung", sagte ich. „Mir scheint es, unter den Denkern auf der ganzen Welt sind gewöhnlich zwei Klassen von Geistern zu unter­ scheiden. Die einen suchen Kenntnisse zu erreichen, die andern streben, sie sich anzueignen. Es giebt eine Art von Alltagsgeistern, welche alle Arten von Wissen gleichsam wie eine Leiter ansehen, für jede Wissenschaft eine besondere Leiter, und die Sprossen der Leitern sind eine Reihe von Thatsachen, die durch Anstrengung bewältigt und in der vorgekommenen Reihenfolge behalten worden sind. Solche Leute halten es für möglich, auf einer Leiter, d. h. in einer besondern Wissenschaft zu beträchtlicher Höhe empor­ zuklimmen, ohne je eine der andern Leitern erstiegen zu haben, d. h. ohne Kenntniß anderer Zweige der Wissen­ schaft. Das ist der Geist des Packesels, des geduldigen Mannes, der Schritt für Schritt in seinem einförmigen Gedankenkreise emporklimmt und nicht sieht, daß er nur am Rade einer Tretmühle arbeitet, und daß, ob er schon Schritt für Schritt mit seinen arbeitenden Füßen fortgeht, er doch nie einen Ueberblick von dem erhält, was er thut, weil seine Augen beständig auf den nächsten Schritt ge­ heftet sind."

127 „Aber", fuhr ich fort, als Isaacs meinem Gleichniß kopfnickend beistiminte, „es giebt noch eine andere Klasse von Geistern. Es giebt Leute, welche das ganze denkbare und undenkbare Wissen der Menschheit, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunst ansehen, wie eine unbegrenzte Ebene, über welcher sie schweben und auf welche sie hin­ abblicken können. Unmittelbar unter ihnen liegt eine Karte ausgebre'tet, welche inmitten der ungeheuern Wüste die Dinge darstellt, welche sie selbst wissen. Diese Karte ist ein Zusammensetzspiel, wie man es für Kinder macht, jedes erworbene Stückchen Wissen paßt an seine bestimmte Stelle, und wenn ein Stück, d. h. eine Thatsache fehlt, so ist es doch möglich, dessen Größe und Form nach den angrenzen­ den Theilen zu bestimmen, obschon die Einzelheiten von Farbe und Zeichnung fehlen. Ich hoffe, ich habe ihnen klar gemacht, was ich meine, obschon ich mir bewußt bin, daß ich nur die Umrisse eines Unterschiedes skizzirt habe, den ich für fundamental halte. „Freilich ist er fundamental. Es ist der Unterschied zwischen analytischem und synthetischem Denken; zwischen subjectiver und objectiver Anschauung, zwischen der be­ schränkten Auffassung einer begrenzten Welt und dem un­ begrenzten Ideal vollkommener Weisheit. Ich verstehe Sie vollkommen." „Sie geben mir fortwährend Räthsel auf, Isaacs. Wo haben Sie gelernt, von „analytisch" und „synthetisch", von „subjectiv" und „objectiv", von transcendentaler Ana­ lyse und all dergleichen zu sprechen?" Es schien seinem Geiste so ganz zu entsprechen, daß ihm der Gebrauch philo­ sophischer Ausdrücke geläufig war, und darum war es mir nicht sofort aufgefallen, wie seltsam es wäre, daß ein Mann von durchaus orientalischer Bildung etwas - von

128 diesen Sachen wissen sollte. Seine weitgefaßte Anwendung der Worte „analytisch" und „synthetisch" auf meine beiden Beispiele erregten meine Aufmerksamkeit und brachten mich auf die eben gestellte Frage. „Ich habe viel gelesen", sagte er einfach. Dann setzte er nachdenklich hinzu, „ich glaube fast, ich habe einen philo­ sophischen Verstand. Der alte Mann, der mich, als ich noch ein Knabe war, zu Stambul in der Theologie unter­ richtete, pflegte stundenlang mit mir über Philosophie zu sprechen, obschon er vermuthlich nicht viel davon verstand. Er war so ein mühseliger Arbeiter und stieg, um Belehrung zu suchen, Leitern in die Höhe, ganz wie Sie es beschrieben haben. Aber gegen mich war er gütig und geduldig. Der Friede Allahs sei mit ihm!" Es war spät, und bald darauf trennten wir uns für die Nacht. Der nächste Tag war ein Sonntag, und ich hatte einen Haufen Briefe zu beantworten; so verabredeten wir, nach dem Tiffin auszureiten, ehe wir bei Mr. Ghyrkins mit den Westonhaughs speisten. Ich ging auf mein Zimmer und las eine Weile im Kant, den ich immer auf Reisen mitführe — eine Art Stein der Weisen, an welchem man die Werkzeuge des Geistes wetzt, wenn sie durch das Bohren in die geologi­ schen Schichten der Gedanken anderer Leute stumpf ge­ worden sind. Ich war zu sehr mit der Persönlichkeit des Mannes, mit dem ich eben gesprochen, beschäftigt, um lange zu lesen, so überließ ich mich der Träumerei, indem ich auf die Ereignisse des langen Tages zurückblickte.

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Siebentes Kapitel. Die Neigung der Engländer, zu Hause und in der Fremde den „Sabbath" streng einzuhalten, ist sprichwört­ lich, und wenn sie sich in London am Sonntag gut be­ tragen, so sind sie am selbigen Tage in Simla, wahre Tugendspiegel. Ob sie auf ihrer heimathlichen Insel fleißig arbeiten und wohlgenährt und mit Gicht behaftet sind, oder ob sie sich um schnöden Gewinnes willen in den Gluthkesfeln von Ceylon und Singapore schmoren lassen; ob sie ihr Leben bei Forschungsreisen nach dem Nordpol und der nordwestlichen Durchfahrt auf's Spiel setzen oder es auf Tigerjagdeu im Terai in Gefahr bringen, im Regen und im Sonnenschein müssen sie ihren Sonntag haben. Ans dem Deck des Dampfbootes im Rothen Meer, in der Kajüte des festgefrorenen Nordlandfahrers, im überfüllten SchweizerHotel oder in einer entlegenen Niederlassung in den indi­ schen Gebirgen, überall findet sich ein Geistlicher in irgend einer Art von Talar, der eine Bibel und ein Paar tüchtig abgenutzte Predigten aus den Tiefen seines Koffers, seines Eßkorbes oder seines Flintenfutterales hervorholt und mit Eifer an das Werk wöchentlicher Erbauung geht. Und, was mehr sagen will, er findet Zuhörer, und wird für den Augenblick mit einer Würde, die nicht sein eigen ist, bekleidet und mit einer Autorität, die er an keinem andern Tage beanspruchen könnte, — wenn auch an Wochentagen die Alten ihn einen langweiligen Menschen und die Jungen ihn einen aufgeblasenen Pedanten nennen. Es spricht dies für die Würde eines Volkes, das bei all seinen Fehlern den Muth hat, für seine Ueberzeugung einzustehen, es liegt dies an der Autorität, welche es von Kindheit an von ihnen gelernt hat, so oft seine Ueber