Modellvorstellungen in der Chemie: Eine Einführung in die allgemeine Chemie [Reprint 2019 ed.] 9783111439839, 9783111073668


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German Pages 542 [548] Year 1976

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Table of contents :
Periodensystem der Elemente
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort zur amerikanischen Ausgabe
Inhalt
Einleitung: Was ist Chemie?
1. Atome und Moleküle
2. Gase und die Avogadrosche Hypothese
3. Die Periodizität chemischer Eigenschaften
4. Die Bestandteile der Materie
5. Die Elektronenstruktur der Atome
6. Bindungen in Molekülen
7. Molekülgeometrie und Molekülorbitale
8. Flüssigkeiten und Festkörper
9. Lösungen
10. Chemisches Gleichgewicht
11. Chemische Reaktionen
12. Protonensäuren und -basen
13. Raten und Mechanismen von chemischen Reaktionen
14. Strukturen und Reaktionen von Verbindungen des Kohlenstoffs und Siliciums
Anhang 1. Eine Auswahl von Gleichungen, die wichtige physikalische und chemische Zusammenhänge ausdrücken
Anhang 2. Nützliche physikalische Konstanten und Umwandlungsfaktoren
Anhang 3. Mathematische Hilfsmittel
Anhang 4. Logarithmentafel
Anhang 5. Sammlung der neuen Begriffe
Anhang 6. Molalität, Massenprozent, Molenbruch und Normalität
Anhang 7. Lösungen ausgewählter Aufgaben
Sachregister
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Modellvorstellungen in der Chemie: Eine Einführung in die allgemeine Chemie [Reprint 2019 ed.]
 9783111439839, 9783111073668

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Periodensystem der Elemente

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Modellvorstellungen in der Chemie

Hammond • Osteryoung • Crawford • Gray

Modellvorstellungen in der Chemie Eine Einführung in die Allgemeine Chemie übersetzt und bearbeitet von Hans-Werner Sichting

W G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1976

Titel der Originalausgabe Models in Chemical Science - an introduction to general chemistry W.A.Benjamin, Inc., Mento Park, California Copyright © 1971 by W.A.Benjamin, Inc. Autoren der Originalausgabe George S. Hammond, California Institute of Technology Janet Osteryoung, Colorado State University Thomas H. Crawford, University of Louisville Harry B. Gray, California Institute of Technology Ubersetzung und Bearbeitung der deutschsprachigen Ausgabe Dr.-Ing. Hans-Werner Sichting, Technische Universität Berlin

Dieses Buch enthält zahlreiche Abbildungen und Tabellen.

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Modellvorstellungen in der Chemie : e. Einf. in d. allg. Chemie / Hammond ... Übers, u. bearb. von Hans-Werner Sichting. - 1. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1976. Einheitssacht.: Models in chemical science . ISBN 3-11-004574-5 NE: Hammond , George Simms [Mitarb.]; Sichting , Hans-Werner [Bearb.]

© Copyright 1976 by Walterde Gruyter&Co., vormals G.J.Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Einbandentwurf: Thomas Bonnie, Hamburg. Satz: Fotosatz Tutte, Salzweg-Passau. Druck: Karl Gerike, Berlin. Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin.

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die Chemiker sind seit je große Klassifizierer gewesen. Eine Erklärung für diese Tatsache läßt sich leicht in der historischen Entwicklung der Chemie finden bzw. am speziellen Beispiel der Entdeckung des Periodensystems ablesen: Stets mußten in der Chemie zunächst einmal eine Unmenge von Beobachtungen und Meßdaten gesammelt und gesichtet werden, ehe sich größere Zusammenhänge zu zeigen begannen. Infolgedessen spielte das Zuordnen und Einteilen in der Chemie eine äußerst wichtige Rolle, und naturgemäß wurde dann diese Denk- und Arbeitsweise auch auf die eigene Wissenschaft übertragen. Das führte letzten Endes dazu, daß sich im Laufe der Zeit eine große Zahl von „Chemien" entwickelte, die mehr oder weniger sauber klassifiziert und voneinander abgegrenzt sind: anorganische und organische Chemie; physikalische und theoretische Chemie; analytische, präparative, synthetische und technische Chemie; Agrar-, Bio- und Lebensmittelchemie usw. ... usw. ... usw. Alle diese Fachgebiete erlangten nach und nach immer größere Eigenständigkeit, so daß in einigen Fällen sogar eigene Studiengänge entstanden, wobei die gegenseitige Abgrenzung oft wichtiger erschien als die Gemeinsamkeit, Chemie zu betreiben. Dieser Fülle von Spezialgebieten steht der Student normalerweise als absoluter Laie gegenüber, wobei von ihm häufig gleich zu Beginn des Studiums verlangt wird, sich für ein Fach zu entscheiden. Und nun kommt auch noch die allgemeine Chemie hinzu. Was soll das alles? Die allgemeine Chemie unterscheidet sich von allen zuvor genannten Fachgebieten der Chemie dadurch, daß sie kein Forschungsgebiet im naturwissenschaftlichen Sinne, sondern eine didaktische Disziplin ist. Gegenüber den „klassischen" Fachgebieten stellt sie damit etwas völlig Andersartiges dar, was auch die Schwierigkeiten bei ihrer Einführung in den Lehrbetrieb erklärt (es gab nun einmal keine „allgemeinen Chemiker"). Die allgemeine Chemie entwickelte sich aus der Erkenntnis, daß es heute aufgrund der zu bewältigenden Stoffmengen absolut unmöglich geworden ist, einem Studenten in einem vertretbaren Zeitraum nach „klassischer Manier" (durch das Studium direkt an der Materie im Labor) breit gefächerte Kenntnisse der Chemie zu vermitteln, wobei die einzelnen begrifflichen Strukturen der Chemie quasi als Nebenprodukt abfielen (immer dann, wenn sie bei der experimentellen Arbeit gerade gebraucht wurden). Die allgemeine Chemie konnte sich erst entwickeln, als die didaktische Notwendigkeit die Chemiker dazu zwang, sich etwas von der heißgeliebten Materie loszulösen und ein höheres Abstraktionsniveau zu erreichen, das ihnen dann einen wesentlich geschlosseneren Überblick über ihre Wissenschaft erlaubte. In diesem Sinne wäre die allgemeine

VI

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Chemie dann die „physikalische" oder „theoretische" Chemie (als Gegensatz zur „Experimentalchemie", die in einer modernen Form erst noch zu entwickeln wäre), die die fundamentalen Prinzipien der Chemie zu vermitteln hat. Das vorliegende Buch nennt sich „Modellvorstellungen in der Chemie" und soll eine Einführung in die allgemeine Chemie darstellen. Es betont die logische Entwicklung der Grundvorstellungen der Chemie und erläutert an einigen Beispielen die Leistungsfähigkeit der diskutierten Modelle. Bei der Bearbeitung der deutschen Ausgabe wurde eine konsequente Umstellung auf das bei uns seit 1969 eingeführte SI-Einheitensystem vorgenommen, der vor allem die sich bei den Chemikern noch großer Beliebtheit erfreuende Kalorie (cal) und die Atmosphäre (atm) zum Opfer fielen. Weiterhin wurden alle physikalischen Gleichungen in Größengleichungen umgeschrieben, was sich insbesondere bei ihrer Verwendung in Berechnungen günstig bemerkbar machen dürfte (was das gelegentlich etwas „unelegante" Aussehen der Gleichungen mehr als kompensieren sollte). Einige geringfügige Ergänzungen sollen die Klarheit des Textes erhöhen. Der Charakter des vorliegenden Buches als Lehr- und Übungsbuch wird durch einen reichhaltigen Fragen- und Aufgabenteil (mit ausgewählten Lösungen im Anhang) am Ende eines jeden Kapitels geprägt, der eine sofortige Überprüfung der erworbenen Kenntnisse erlaubt. Die kurzen Zusammenfassungen des Stoffes sowie die Zusammenstellungen der neuen Begriffe am Ende eines jeden Kapitels machen das Buch auch als Repetitorium geeignet, anhand dessen ein Student den Stoff der jeweiligen Kapitel - sobald er ihn sich einmal erarbeitet hat - jederzeit schnell wiederholen kann. Für Assistenten und Tutoren, die die Vorlesung in allgemeiner Chemie in den Übungen und Seminaren zu betreuen haben, sind die dieses Buch begleitenden Seminaranleitungen zu den Modellvorstellungen in der Chemie gedacht*, in dem einige praktische Hinweise für den Unterricht gegeben und einige Themenkreise aus den jeweiligen Kapiteln vertieft diskutiert werden. Ferner finden Sie in den Seminaranleitungen alle Lösungen zu den Aufgaben des Lehrbuchs, die, wo es nötig erschien, eingehender diskutiert werden. Die mit diesem Buch gegebene Einführung in die allgemeine Chemie läßt eine Entwicklung erkennen, die die Chemieausbildung in den letzten Jahren durchlaufen hat und die sich jetzt zu konsolidieren beginnt. Allgemeine Chemie ist heute etwas anderes als eine geraffte Übersicht über mehr oder weniger wichtige Teilgebiete der Chemie unter Wahrung des Proporzes unter den Fachgebieten. Sie ist auch kein Ersatz für die praktische Laborausbildung, sondern sollte deren Grundlage bilden. Die allgemeine Chemie ist etwas vollkommen Neues: Sie ist die Darstellung der begrifflichen Zusammenhänge und logischen Strukturen, die das Denken des Chemikers bestimmen. Sie ließe sich damit gewissermaßen als das Durchschnitts* Richard L. Keiter, Modellvorstellungen in der Chemie, Seminaranleitung, Walter de Gruyter, 1976

Vorwort zur deutschen Ausgabe

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wissen aller Chemiker definieren und würde infolgedessen auch den Chemiker charakterisieren. Es bleibt ganz sicher noch einiges zu tun, bis eines Tages vielleicht an die Stelle des mit allerlei Emotionen beladenen und schon heute recht abgegriffenen Namens „Allgemeine Chemie" wieder die schlichte Bezeichnung Chemie treten wird. Berlin, März 1976

HANS-WERNER SICHTING

Vorwort zur amerikanischen Ausgabe

Mit diesem Buch haben wir versucht, eine Einführung in die Chemie zu liefern, die die Rolle der Modellvorstellungen bei der Anregung des Wechselspiels zwischen Theorie und Experiment betont. Jeder Wissenschaftler benutzt Modellvorstellungen, sobald er über die Ergebnisse von Experimenten nachzudenken beginnt. Wir Wissenschaftler neigen dabei dazu, unsere Aufmerksamkeit nicht so sehr der Wirklichkeit, sondern eher dem Verhalten der Konstruktionen unseres eigenen Geistes zu widmen. Indem wir das Arbeiten mit Modellen in den Vordergrund stellen, begleitet von einer generellen Geringschätzung des Ewigkeitswertes von theoretischen Dogmen, hoffen wir, daß die Studenten erkennen werden, daß die Naturwissenschaften ein bemerkenswert menschliches Unternehmen sind und keineswegs etwa das Produkt irgendeiner mechanischen Superintelligenz. Das wertvollste Modell in der modernen Chemie ist das Bild vom Aufbau der Moleküle, das sich auf die Wechselwirkungen zwischen Atomkernen und Elektronen zurückführen läßt. Die Vorstellungen, die zu diesem Modell beitragen, reichen von einfachen Gedanken über die elektrostatische Anziehung und Abstoßung bis zu ausgeklügelten Formalismen, die auf der Quantenmechanik der Teilchen beruhen. Wir versuchen in diesem Buch Wege zu weisen, wie sowohl aus Einfachem als auch Komplexem nützliche Verallgemeinerungen abgeleitet werden können. So zeigen wir zum Beispiel in Kapitel 6, wie das Muster der bekannten chemischen Zusammensetzung der Verbindungen der leichten Elemente durch einfaches Abzählen aufgebaut werden kann. Moderne Chemielehrer neigten dazu, diese primitive aber sehr wirkungsvolle Methode herunterzuspielen, da dieselben Schlüsse auch aus den weitaus komplexeren Überlegungen gezogen werden können, die wir in Kapitel 7 einführen, um Probleme wie die Geometrie von Molekülen zu behandeln, die man nicht gut anhand der einfachen Theorie verstehen kann. Modellvorstellungen, die auf der Quantenmechanik aufbauen, und solche, die sich auf den Gedanken zurückführen lassen, daß die Edelgase eine besonders stabile Elektronenkonfiguration besitzen, ergänzen sich einander. Die Darstellung dieser beiden Modelle sollte die Studenten dazu ermutigen, Modellvorstellungen zu entwickeln, die funktionieren, ohne von ihnen zu erwarten, daß sie als irgendwelche endgültigen Realitäten bestätigt werden. Die ersten sieben Kapitel sind fast ausschließlich auf die Entwicklung der Grundbegriffe des Molekülaufbaus ausgerichtet. In Kapitel 8 (Festkörper und Flüssigkeiten) und Kapitel 9 (Lösungen) liegen die Schwerpunkte ebenfalls noch im Strukturellen, obwohl dort Begriffe vom Reaktionsverhalten im Zusammenhang mit

Vorwort zur amerikanischen Ausgabe

IX

Verdampfungs-, Schmelz- und Lösungsvorgängen eingeführt werden. In Kapitel 9 erwähnen wir den Begriff des dynamischen Gleichgewichts, der das Hauptthema des Kapitels 10 ist. In diesem Kapitel versuchen wir, die Gedankengänge darzustellen, die sich mit dem chemischen Gleichgewicht beschäftigen, indem wir mit einem primitiven Modell von miteinander konkurrierenden dynamischen Prozessen beginnen. Durch die anschließende thermodynamische Formulierung des Gleichgewichtsprozesses haben wir einen naheliegenden Kompromiß geschlossen, der unserer Meinung nach in eine derartige Einführung in die allgemeine Chemie gehört. Wir diskutieren die Gründe, warum wir irgendeine Funktion wie die Gibbssche freie Energie (oder freie Enthalpie) benötigen, die als Kriterium für die Einstellung des Gleichgewichts dient, und sagen dann, daß diese Funktion mit Hilfe des Wärmeinhalts und der Entropie definiert werden kann. Die Kapitel 11-14 sind einer Einführung in die chemischen Reaktionen gewidmet. Der Umfang dieser Darstellung reicht nicht aus, um die Wünsche der Autoren wirklich zu befriedigen, den Studienanfängern eine Schilderung der erstaunlichen Phänomene des chemischen Reaktionsverhaltens zu bieten, aber der gebotene Umfang steht mit den Kriterien der Kürze für das Buch im Einklang. Das ganze Buch hindurch haben wir sowohl organische als auch anorganische Verbindungen benutzt, um Themen wie den Aufbau der Moleküle, die Bindung, das Gleichgewicht und die Reaktionsraten und Mechanismen chemischer Reaktionen zu veranschaulichen. Dieses ist ein Beispiel für die Tatsache, daß wir ein Lehrbuch der Allgemeinen Chemie geschrieben haben. Wir glauben, daß es ein Ziel des Unterrichts in einem beliebigen Fachgebiet sein sollte, den Stoff in größere Zusammenhänge zu bringen. Die Studenten sollten etwas von den Anfängen des Gebiets erfahren, da die Geschichte eine große Hilfe für das Verstehen des dynamischen Wesens der Wissenschaften ist. Vielleicht noch wichtiger ist die Entwicklung eines gewissen Überblicks darüber, wie die Chemie oder irgendeine andere Disziplin in den Zusammenhang mit dem gegenwärtigen, menschlichen Wissen und Handeln paßt. Wir haben nicht versucht, derartige Zusammenhänge ausgedehnt zu behandeln. Die historische Entwicklung wird hauptsächlich durch kurze Darstellungen der Entwicklung der Molekulartheorie und der Teilchenstruktur der Materie veranschaulicht. Keine dieser Darstellungen ist etwas Besonderes, da wir der Meinung sind, daß diese Geschichten häufig, ihrer Bedeutung entsprechend, erzählt worden sind. Wir hoffen nur, daß die Studenten erkennen werden, daß der heutige Stand der Theorie vom Aufbau der Moleküle nicht das Ende der Evolutionskette ist. Die Bedeutung des behandelten Stoffes für die Gegenwart wird hauptsächlich in den Nachworten zu den vierzehn Kapiteln erwähnt. Wir versuchen darin, Wege aufzuzeigen, über die die Chemie mit den anderen Naturwissenschaften, mit einigen der komplexen Probleme unserer Gesellschaft und mit einigen unserer eigenen, quasiphilosophischen Ansichten über das Leben verbunden ist. Wir

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Vorwort zur amerikanischen Ausgabe

behaupten nicht, daß diese Zusammenhänge zwingend nachgewiesen sind, jedoch sind wir fasziniert von der enormen Reichweite der Chemie und haben versucht, dieses Gefühl unseren Lesern mitzuteilen. Aspen, Colorado, September

1970

GEORGE

S. HAMMOND

JANET OSTERYOUNG THOMAS H . C R A W F O R D HARRY B . GRAY

Inhalt

Einleitung: Was ist Chemie?

1

Chemie ist ein Teil der Naturwissenschaft Wissenschaftliche Überlegungen benötigen Modelle Ist die wissenschaftliche Methode ein Mythos Chemische Technologie berührt unser aller Leben

2 3 4 6

1 Atome und Moleküle 1-1 1-2 1-3

Was ist Materie? Mischungen und reine Stoffe Verbindungen und Elemente Elementare Atomtheorie 1-4 Chemische Zusammensetzung Methoden zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung Erhaltung der Masse Konstante Zusammensetzung 1-5 Daltons Atomtheorie 1-6 Aufbau der Moleküle 1-7 Modelle Molekülmodelle Die Verwendung von Molekülmodellen zur Voraussage Valenz 1-8 Atommassen und Molekülmassen Relative Molekülmassen Einfachste Formeln und Molekülformeln 1-9 Zusammenfassung 1-10 Nachwort: Die Bedeutung der Molekülstruktur

2 Gase und die Avogadrosche Hypothese 2-1

2-2

2-3

Die Eigenschaften von Gasen Masse und Volumen Druck Kompressibilität Temperatur Diffusion Die quantitativen Beziehungen zwischen Volumen, Temperatur und Druck .... Das Boylesche Gesetz Volumen und Temperatur Das zusammengefaßte Gasgesetz Volumenänderungen bei Gasreaktionen

11 11 13 15 15 16 16 18 19 20 22 23 24 26 27 27 30 31 33 34

39 39 40 40 42 42 42 43 43 46 48 49

XII 2-4

Inhalt Ein Modell für gasförmige Materie Die Avogadrosche Hypothese Das Mol Die molekularkinetische Theorie Partialdrücke Reale Gase Zusammenfassung Nachwort: Die Anwendung der Gasgesetze

50 51 53 55 59 61 64 65

3 Die Periodizität chemischer Eigenschaften

70

2-5 2-6 2-7 2-8

3-1 3-2 3-3 3-4

Die einfachen Hydride Die Zusammensetzung von Fluoriden Klassifizierung der Elemente Einige Familien der Elemente Die Alkalimetalle Die Erdalkalimetalle Gruppe III Gruppe IV Gruppe V Gruppe VI Gruppe VII: Die Halogene 3 - 5 Valenz 3 - 6 Bindungen zwischen Atomen desselben Elements 3-7 Übergangsmetalle 3-8 Das Periodensystem 3-9 Zusammenfassung 3-10 Nachwort: Das Periodensystem - Gesetz, Theorie oder Philosophie?

4 Die Bestandteile der Materie 4-1 4-2 4-3 4-4 4-5 4-6 4-7 4-8 4-9 4-10 4-11 4-12 4-13

Atomtheorie Faradays Elektrolyseexperimente Kathodenstrahlröhren Weitere hochenergetische Strahlungen Radioaktivität Charakteristische Einheiten der Strahlung Photonen, die Elementarteilchen des Lichts Das Rutherfordsche Atommodell Die Zusammensetzung der Atomkerne Isotope Die Wechselwirkung von Licht mit Materie Emissionsspektren Zusammenfassung Nachwort: Gesunder und ungesunder Menschenverstand

5 Die Elektronenstruktur der Atome 5-1 5-2 5-3

Quantentheorie der Atome Moderne Quantentheorie Die Quantenzahlen

71 74 74 75 75 76 77 78 78 79 79 80 82 83 84 86 86

90 90 91 94 98 98 100 101 104 106 107 110 114 116 116

124 124 131 135

Inhalt

5-4 5-5 5-6 5-7

XIII Die Hauptquantenzahl, n Die Bahndrehimpulsquantenzahl, l Die magnetische Quantenzahl, m Die Spinquantenzahl, s Die Anwendung der Quantenzahlen Elektronenstrukturen von Atomen Die schwereren Elemente Zusammenfassung Nachwort: Analytische und synthetische Wissenschaft

6 Bindungen in Molekülen 6-1 6-2 6-3 6-4 6-5 6-6 6-7 6-8 6-9 6-10 6-11 6-12 6-13 6-14 6-15 6-16 6-17

Wasserstoff und Helium Fluor und Neon Die Hydride und Fluoride Bortrihydrid Bortrifluorid Ionenbindungen Elektronegativität Das HF-Molekül: Eine kovalente Bindung mit Ionencharakter Dipolmomente Bindungen zwischen Atomen desselben Elements Weitere Übungen im Aufstellen von Lewis-Diagrammen Formale Ladungen Moleküle mit Doppel- und Dreifachbindungen Bindungen mit schwereren Elementen Resonanz Zusammenfassung Nachwort: Modelle und Wirklichkeit

7 Molekülgeometrie und Molekülorbitale 7-1 7-2 7-3 7-4 7-5 7-6 7-7 7-8 7-9 7-10 7-11 7-12 7-13 7-14 7-15 7-16

Elektronenabstoßung und Molekülgeometrie Orbitale in Molekülen Orbitale des Wasserstoffmoleküls Energien der Wasserstoffmolekülorbitale Warum gibt es kein He 2 ? Fluor und Fluorwasserstoff Einfachbindungen in vielatomigen Molekülen Atomare Hybridorbitale Andere Hybridorbitale Bortrifluorid (BF 3 ) und Phosphorpentachlorid (PC15) Fluoride der schwereren Elemente Moleküle, die Doppel- und Dreifachbindungen enthalten Das Sauerstoffmolekül, 0 2 Ungesättigte Kohlenstoffverbindungen Zusammenfassung Nachwort: Wie wenig können wir an einem klaren Tag sehen?

8 Flüssigkeiten und Festkörper

135 135 136 137 138 139 144 147 148

154 154 156 158 160 162 163 164 169 169 172 175 178 179 181 183 186 186

191 191 194 196 198 199 200 203 203 207 208 211 213 216 218 225 225

231

Inhalt

XIV 8-1 8-2 8-3 8-4 8-5 8-6 8-7

Phasenumwandlungen Phasendiagramme Das Dampf-Flüssig-Gleichgewicht Das Fest-Flüssig-Gleichgewicht Volumenänderungen bei Phasenumwandlungen Umwandlungswärmen Der Aufbau der Festkörper Molekulare

231 233 234 237 240 241 243

Festkörper

244

Dipolanziehung

245

Wasserstoff(brücken)

bindungen

246

Van der Waals-Kräfte

247

8 - 8 Umwandlungswärmen und Umwandlungstemperaturen 8 - 9 Ionische Festkörper 8-10 Kovalente Festkörper Intermediäre

8-11 8-12 8-13 8-14

250 252 253

Typen

256

Metalle Die Struktur von Flüssigkeiten Zusammenfassung Nachwort: Eiszeiten und Sintfluten

256 258 261 262

9 Lösungen 9-1 Homogene und heterogene Mischungen 9-2 Definitionen einiger nützlicher Begriffe

9-3 9-4

9-5

Molarität

273

Formalität

275

Chemische Berechnungen von Lösungen

278

Titrationen

281

Löslichkeit und Gleichgewicht

284

Gleichgewicht

284

in gesättigten

Lösungen

Lösungswärmen

286

Beziehungen zwischen Struktur und Löslichkeit

289

Ionenverbindungen

in polaren Lösungsmitteln

289

Ionenverbindungen

in nichtpolaren

291

Nichtpolare

Verbindungen

Einige allgemeingültige

9-6 9-7

269 269 271

Lösungsmitteln

in Lösung

293

Löslichkeitsbeziehungen

294

Zusammenfassung Nachwort: Modelle für flüssige Lösungen - Ein Flußpferd in einem Sumpf oder ein Kolibri im Flug?

10 C h e m i s c h e s Gleichgewicht 10-1 Dynamisches chemisches Gleichgewicht 10-2

297 303 303

Inerte Mischungen

306

Gleichgewichtskonstanten

306

Die Dissoziation

des Jods

Wie man Gleichungen für die Gleichgewichtskonstanten Die Multiplikation

10-3

297

307 von Reaktionen

von Ausdrücken für die Gleichgewichtskonstanten

aufstellt

. 308 315

Das Le Chateliersche Prinzip

317

Volumenänderungen

317

Inhalt 10-4

10-5

10-6 10-7 10-8

XV Änderungen der Gleichgewichtskonstanten Wärmeinhalt und Standardzustände Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten Der Energieerhaltungssatz Warum sind Reaktionen reversibel? Entropie Freie Enthalpie Gleichgewichtskonstanten und Änderungen der freien Enthalpie Zusammenfassung Nachwort: Phasengleichgewichte und Wachstumshormone

321 322 325 326 326 327 332 333 338 340

11 Chemische Reaktionen

348

11-1 11-2

349 350 352 353 355 356 356 358 358 360 365 366

11-3 11-4 11-5 11-6

11-7 11-8

Chemische Gleichungen, die Grundlage für eine Klassifizierung Substitutionsreaktionen Reaktionen, an denen Ionen beteiligt sind Säure-Base-Reaktionen; Protonentransfer Additionsreaktionen Eliminationsreaktionen Isomerisationsreaktionen Oxidations-Reduktionsreaktionen Oxidationszahlen Das Aufstellen von Redoxgleichungen Zusammenfassung Nachwort: Chemische Steuerung?

12 P r o t o n e n s ä u r e n u n d - b a s e n 12-1 Konjugierte Säuren und Basen 12-2 Starke und schwache Säuren 12-3 Basen 12-4 Die pH-Skala 12-5 Puffer 12-6 Hydrolyse 12-7 Nichtwäßrige Lösungsmittel 12-8 Thermodynamik von Säure-Base-Reaktionen 12-9 Struktur und Acidität 12-10 Zusammenfassung 12-11 Nachwort: pH und gelbe Blätter

372 372 374 379 383 386 389 390 391 393 398 399

13 Raten und Mechanismen von chemischen Reaktionen

405

13-1 13-2

406 408 409 411 412 412 412 416 417

13-3 13-4

Schnelle und langsame Reaktionen Die Kinetik chemischer Reaktionen Terminologie Reaktionen in der Gasphase Reaktionen in nichthomogenen Mischungen Reaktionsmechanismen Der Zusammenhang zwischen Kinetik und Mechanismus Theorie der elementaren Reaktionsraten Unimolekulare Reaktionen

XVI

13-5 13-6

13-7 13-8 13-9

Inhalt Bimolekulare Reaktionen Katalyse Eine Analogie Der Zusammenhang zwischen Struktur und Reaktivität Unterschiedliche Raten für Reaktionen mit demselben Mechanismus Unterschiedliche Mechanismen für ähnliche Reaktionen Reaktionsraten und chemisches Gleichgewicht Zusammenfassung Nachwort: Ein Problem der chemischen Dynamik

14 Strukturen und Reaktionen von Verbindungen des Kohlenstoffs und Siliciums 14-1

Klassen von Verbindungen Kohlenwasserstoffe Kohlenwasserstoffderivate 14-2 Nomenklatur 14-3 Reaktionen gesättigter Kohlenwasserstoffe 14-4 Reaktionen ungesättigter Kohlenwasserstoffe 14-5 Liganden-Substitutionsreaktionen 14-6 Addition und Substitution an Carbonylgruppen 14-7 Amide 14-8 Siliciumverbindungen 14-9 Zusammenfassung 14-10 Nachwort: Chemie und der Drogenmißbrauch

423 426 428 428 430 430 433 434 435

441 441 442 443 446 447 447 449 451 455 456 459 459

A n h a n g 1 Eine Auswahl von Gleichungen, die wichtige physikalische und chemische Zusammenhänge ausdrücken

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A n h a n g 2 Nützliche physikalische Konstanten und Umwandlungsfaktoren

471

A n h a n g 3 Mathematische Hilfsmittel

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A n h a n g 4 Logarithmentafel

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A n h a n g 5 Sammlung der neuen Begriffe

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A n h a n g 6 Molalität, Massenprozent, Molenbruch und Normalität

505

A n h a n g 7 Lösungen ausgewählter Aufgaben

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Sachregister

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Einleitung Was ist Chemie?

Viele Fragen stürmen auf die Studenten ein, wenn sie einen neuen Abschnitt ihres Studiums beginnen. Worum geht es? Was kann ich aus dem Lehrgang gewinnen außer der Erfüllung irgendeiner Anforderung des Lehrplans? Ist der Kursus hart, und wie kann ich ihn am nutzbringendsten absolvieren ? Gibt sich der Lehrer Mühe oder spult er nur interesselos sein Programm ab? Im Falle der Chemie kann wie auch bei den meisten anderen Sachgebieten keine endgültige Antwort gegeben werden. Der Wert eines Lehrgangs und sogar das, was er wirklich darstellt, wird für jeden einzelnen etwas anderes bedeuten. Der Autor eines Lehrbuchs oder ein Lehrer kann nur Antworten geben, wie er sie sieht. In diesem Sinne werden wir kurz über die Chemie schreiben, wie wir sie sehen. Das Random House Dictionary of the English Language definiert die Chemie als „die Wissenschaft, die sich mit den Veränderungen und Eigenschaften von Substanzen und verschiedenen, elementaren Formen von Materie beschäftigt und diese untersucht." Diese Definition ist annehmbar und wahrscheinlich überdurchschnittlich gut, soweit es Definitionen in Wörterbüchern angeht. Wenn wir uns jedoch wirklich einmal die Zeit nehmen, um über die Wörter nachzudenken, wird deren Bedeutung unerfreulich unklar. Einige von uns sind sich nicht völlig sicher, was „Wissenschaft" ist und was es nicht ist; wir können fragen: „Welche Veränderungen?", „Welche Eigenschaften?" und so weiter. Tatsächlich beginnt die Definition erst dann einen Sinn zu bekommen, wenn wir genug von der Chemie kennengelernt haben, um einige Vorurteile in die Interpretation der Wörter hineinzulesen. Wenn wir zum Beispiel das Wort „Substanz" im selben Wörterbuch nachschlagen, finden wir nicht weniger als dreizehn Definitionen. Wir erfahren, daß Substanz alles Mögliche bedeuten kann, von „Wirklichkeit" bis „Vermögen". Die einzige Definition die offensichtlich paßt, lautet: „Materie von definierter chemischer Zusammensetzung." Das ist nun aber keine große Hilfe, wenn wir wissen wollen, was Chemie ist, da die Beziehung zwischen den Definitionen einen Zirkelschluß darstellt. Einige der anderen Definitionen lassen „Substanz" als ungefähr dasselbe wie „Materie" erscheinen. Aber wir wissen, daß ein Pferd Materie ist, oder wenigstens etwas Materielles, und jedes Kind weiß, daß das Studium der Pferde zur Biologie oder Tierzucht gehört - das Studium der Pferde ist keinesfalls Chemie. Auch ein Elektron ist Materie, aber jeder weiß, daß Elektronen dem Physiker solange gehören, bis das Elektron ein Bestandteil irgendeiner komplizierten Form von Materie ist, dann kann das Elektron ,chemisch' werden. Alle diese Überlegungen und Wortspiele führen zu dem unbefriedigenden Schluß,

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Einleitung

daß Chemie etwas ist, was von Leuten gemacht oder diskutiert wird, die sich selbst als Chemiker bezeichnen. Darüber hinaus zeigt die Geschichte, daß sich die Chemie nach diesem Kriterium mit der Zeit verändert. Wir können viele Beispiele von Forschungsarbeiten finden, die nur ein paar Jahre früher Physik oder Biologie genannt worden würden, die aber jetzt als Chemie bezeichnet werden, weil die Arbeit von Chemikern gemacht wurde. Dieser Zustand mag den Studenten verwirrend erscheinen, aber er ist die Widerspiegelung der Tatsache, daß Wissenschaft wie alle anderen Gebiete des menschlichen Wissens etwas Dynamisches ist. Chemie ist kein sauber definiertes, abgeschlossenes Paket; sie ist ein weites Feld von Studien und Entwicklungen, das ständig in Bewegung ist. Ein Teil unserer Aufgabe als Lehrer und Autoren ist es, ein Bild davon zu geben, woher das Sachgebiet stammt und wo es sich heute befindet. Wir sollten auch versuchen, die risikoreichere Arbeit des Ratens zu übernehmen, wohin sich die Chemie in der Zukunft entwickeln könnte.

Chemie ist ein Teil der Naturwissenschaft Die Chemie ist ein Teil des großen Gebiets des Wissens, das als Naturwissenschaft bezeichnet wird, und selbst der Begriff Naturwissenschaft ist nicht klar definiert. Jedoch werden die meisten von uns darin übereinstimmen, daß sich die Naturwissenschaft mit der systematischen Untersuchung dessen beschäftigt, was die Dinge sind und wie sie sich verhalten. Zur Zeit gibt es heftige Diskussionen darüber, ob die Soziologie und die Wirtschaftswissenschaften strenge Wissenschaften im Sinne der Naturwissenschaft sind, größtenteils deswegen, weil eine Methode, die dem einen systematisch zu sein scheint, dem anderen als absolut unsystematisch erscheint. Einige starrköpfige Puristen versuchen, eine Diskussion dadurch zu beenden, daß sie behaupten, daß nichts systematisch untersucht werden kann, wenn die Ergebnisse nicht in der Sprache der Mathematik ausgedrückt werden können. Dies scheint uns jedoch ein unerträglich enger und trügerischer Gesichtspunkt zu sein. Die Mathematik liefert ein außergewöhnlich wirksames Verfahren, wohldefinierte Beziehungen und Gedanken auszudrücken. Jedoch können wertvolle systematische Überlegungen auch in anderer Form vorliegen und ausgedrückt werden. Im vorliegenden Buch werden wir einige Themen in mathematischer Form vorstellen, weil dies das praktischste und nützlichste Vorgehen für das betreffende Gebiet ist. Aber wir möchten daraufhinweisen, daß es in diesem Buch keine mathematischen Aussagen gibt, die nicht ins Deutsche übersetzt werden können. Tatsächlich kann im Prinzip die Mathematik in praktisch jedem wissenschaftlichen Lehrbuch ins Deutsche übersetzt werden, wenn auch die Übersetzung der mathematischen Formulierungen aus fortgeschrittenen Texten häufig lächerlich umständlich würde. Wir werden aber auch viele Überlegungen in nichtmathematischer Form vorstellen, weil dies wieder die praktischste Form ist, das auszudrücken, was wir sagen wollen. Einige dieser verbal vorgestellten Überlegungen können in mathematische Aussagen umgewandelt werden, aber dies kann nicht in jedem Fall geschehen - wenigstens nicht durch die Autoren dieses Buches. Wei-

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terhin wollen wir warnend darauf hinweisen, daß der Wunsch, Gedanken überstürzt in eine mathematische Form zu pressen, ein weit verbreiteter Irrweg in den Naturwissenschaften ist. Der Drang, die „Qualität" einer Arbeit dadurch zu steigern, daß mathematische Aussagen produziert werden, kann zu einer Verzerrung von Grundbegriffen führen, so daß eine absolut brauchbare Theorie in eine schlechte Theorie verwandelt wird. Wissenschaftliche Überlegungen benötigen Modelle Wissenschaftliche Überlegungen beruhen fast immer auf Modellen oder Bildern, die im menschlichen Bewußtsein vorliegen und die uns beim Nachdenken über das Verhalten der Natur helfen. Die theoretischen Psychologen entwickeln Modellvorstellungen über das menschliche Verhalten, die sie beim Nachdenken über das Verhalten eines realen menschlichen Individuums benutzen. Ein Physiker, der sich mit Elementarteilchen hoher Energie beschäftigt, entwickelt seine eigenen Modellvorstellungen für das Verhalten dieser Teilchen, wobei der Gedanke, daß es Elementarteilchen gibt, einen Teil dieser Modellvorstellungen bildet. Das Verstehen der Modellvorstellungen einer Wissenschaft ist für das Verstehen der Wissenschaft von entscheidender Bedeutung. Es ist auch stets wichtig, an den feinen Unterschied zwischen den Modellvorstellungen und der physikalischen Realität zu denken. Ein gutes Modell kann bei der Ordnung unserer Gedanken und der Voraussage für das Verhalten von realen Systemen so erfolgreich sein, daß wir dazu verleitet werden, das Modell für die Wirklichkeit zu halten. Gewöhnlich führt diese Verwechselung nicht zu Schwierigkeiten. Es kann jedoch Ärger geben, wenn zwei verschiedene Wissenschaftler, die dasselbe Phänomen diskutieren und dabei etwas unterschiedliche Modellvorstellungen verwenden, sich auf einen erbitterten Streit einlassen, in dem sie die Realität ihrer Modelle zu beweisen oder zu widerlegen versuchen. Gelegentlich hat ein solches Bestreben das günstige Ergebnis, daß es die Forscher zu Experimenten anregt, die wertvolle Informationen über die Brauchbarkeit der verschiedenen Modelle bei der Voraussage von beobachtbaren Ereignissen liefern können. Aber die Auseinandersetzung kann zu einer endlosen Suche nach der Wahrheit in einander widersprechenden Märchen entarten. Wir müssen uns daher immer vor Augen halten, daß wissenschaftliches Denken einen Zweig der symbolischen Logik darstellt. Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaft kann aufgrund der Modellvorstellungen getroffen werden, die üblicherweise von den Vertretern der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen verwendet werden. Nach dieser Kategorie sind Chemiker gewöhnlich Leute, die mit Molekülmodellen arbeiten. Wir besitzen eine Vorstellung vom Aufbau der Materie, die von unserem Bild von winzigen Materiestückchen abhängt, in denen Atome aneinander gebunden sind und somit Moleküle bilden. Wir stellen uns jedes Molekül einer reinen Substanz als genau gleich mit dem Milliarden von Milliarden anderer Moleküle dieser Substanz in einer von uns wahrnehmbaren Probe dieses Stoffes vor. Wenn wir uns chemische Reaktionen vorstellen, denken wir über die Möglichkeiten nach,

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wie sich Moleküle strecken oder biegen können, um neue Moleküle zu bilden. Wir stellen uns auch Moleküle auf verschiedene Arten vor: Einige Chemiker veranschaulichen sich ein Molekül mit Hilfe eines physikalischen Modells, das sich aus Kugeln und Stäben aufbaut. Ein anderer Chemiker stellt sich ein Molekül als ein Aggregat von schweren Atomkernen vor, die in einer Wolke von sich schnell bewegenden Elektronen eingebettet sind. Andere sehen in Molekülen einen Satz von mathematischen Funktionen, die entwickelt wurden, um das Verhalten von Elektronen und Atomkernen modellmäßig zu beschreiben. Die allen gemeinsame Denkeinheit ist dabei das Molekül, und wir können einen Chemiker gewöhnlich daran erkennen, wie er auf das Wort „Molekül" reagiert. Nun arbeiten einige Chemiker ihr Leben lang mit festen Stoffen, bei denen sich das Muster des atomaren Aufbaus endlos fortsetzt; somit gibt es dabei in Wirklichkeit keine diskreten Moleküle. Jedoch stellt sich ein Chemiker diese komplexe Struktur als einen nahen Verwandten eines Moleküls vor. Das Kapitel 1 dieses Buches gibt eine kurze Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Molekülmodells der Materie. Jedes uns bekannte, physikalische Beweisstück scheint mit der Vorstellung in Einklang zu stehen, daß diskrete Moleküle existieren. Damit ist dies ein Beispiel für ein Modell, das so gut funktioniert, daß es nicht sehr sinnvoll erscheint, sich darüber Gedanken zu machen, ob Moleküle ,wirklich' vorhanden sind. Für vieles, was wir über Moleküle sagen, können wir jedoch nicht den gleichen, hohen Anspruch erheben. Wir werden Vorstellungen über die Gestalt der Moleküle, über die Arten ihrer Bindungen untereinander und über das Geschehen bei den verschiedenen, beobachtbaren Veränderungen von Materie diskutieren. Kurz, wir werden Gedanken und Tatsachen mit Hilfe der Denkeinheit des Chemikers, des Moleküls, darstellen. Diese Überlegungen besitzen jedoch nicht den gleichen Rang wie das Molekülmodell selbst; einige sind wohlbewährt, andere hingegen etwas spekulativer. Wir hoffen, daß die Studenten während unseres Ausflugs durch die Chemie sich stets vor Augen halten, daß wir es mit Modellvorstellungen und nicht mit Aussagen über endgültige Wirklichkeiten zu tun haben.

Ist die wissenschaftliche Methode ein Mythos? Die Wissenschaft ist der Versuch des Menschen, sich und sein Universum zu verstehen. Zusätzlich zu den Überlegungen anhand von Modellen beobachtet der Wissenschaftler, was geschieht. Wenn die Beobachtung eine spezielle Richtung besitzt, kann sie als Experiment bezeichnet werden. Die klassische Form eines Experiments ist die, ein System zu entwerfen, in dem wir alle Faktoren verhältnismäßig sorgfältig kontrollieren können und an dem wir nach bestimmten Arten von Ergebnissen Ausschau halten. Wenn jedoch ein Astronom ein Experiment macht, besitzt er keine Kontrolle über das, was er beobachtet. Er macht einfach nur seine Beobachtungen auf sorgfältig geplante Weise. Wissenschaft nach unserer Definition ist mindestens so alt wie die überlieferte Geschichte der Menschheit. Wer auch immer das Rad erfunden haben mag, muß zahl-

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reiche Beobachtungen über die Bewegungen von Gegenständen angestellt haben, die angestoßen oder gezogen wurden. Es gibt einen Mythos, der sowohl unter den Wissenschaftlern als auch den Laien recht populär ist. Dieser Mythos ist unter dem Namen "die wissenschaftliche Methode" bekannt. Die Sage behauptet, daß Wissenschaftler nach einem Schema arbeiten, das üblicherweise Sir Francis Bacon zugeschrieben wird, der im siebzehnten Jahrhundert einige interessante Essays über die Wissenschaft veröffentlicht hat. Kurz zusammengefaßt besteht die Methode danach aus drei entscheidenden Schritten: (1) Beobachte sorgfaltig das Verhalten der Natur. (2) Suche nach einer Theorie (oder einem Modell), das die Beobachtungen miteinander in Zusammenhang zu bringen scheint. (3) Entwirf Experimente, um die Allgemeingültigkeit der Theorie zu prüfen. Obwohl Bacons Methode den Klang von Systematik und Eleganz besitzt, wird sie doch nicht dem Einfallsreichtum der Wissenschaftler gerecht, noch erkennt sie das Menschliche der Wissenschaftler. Ein geschickter Wissenschaftler macht alles, was funktioniert - was den Gebrauch der „wissenschaftlichen Methode" einschließt. Der größte Teil der Forschung in der Chemie zielt nicht direkt auf die Entwicklung einer neuen Theorie. Chemiker in Forschungslaboratorien haben im allgemeinen zwei Motivationen : (1) Die ins Detail gehende Untersuchung bekannter Phänomene, damit sie in das Gebäude der bestehenden Theorie eingegliedert werden können. (2) Die Untersuchung wohlüberlegter, neuer Beispiele eines allgemeinen Phänomens, damit die bestehende Theorie in weiteren Einzelheiten entwickelt werden kann. Es ist also das vorherrschende Bestreben, die bestehende Theorie weiter zu entwickeln und infolgedessen noch leistungsfähiger für Vorhersagezwecke zu machen. Gelegentlich scheinen die Ergebnisse einer Untersuchung der bestehenden Theorie völlig zu widersprechen. Wenn dies geschieht, könnten eine neue Theorie oder wenigstens neue Interpretationen einer alten Theorie geboren werden. Die Geburt verläuft vermutlich langsam und schmerzhaft. Chemiker klammern sich an eine etablierte Theorie, wie ein Kind sich an seinen Kuschellappen klammert. Dieser Zug mag weniger nobel erscheinen, aber dieser Konservativismus dient wahrscheinlich dem langfristigen Wohle der Wissenschaft. Die meisten der Forschungsergebnisse, die anfangs der bestehenden Theorie widersprachen, stimmen mit ihr gewöhnlich doch überein oder verlangen höchstens nur eine geringfügige Erweiterung der alten Theorie, wenn die experimentellen Daten noch einmal sorgfältig überprüft werden. Infolgedessen könnte ein überstürztes Aufgeben einer altbewährten Theorie beim ersten Widerspruch zu einem absoluten Chaos in der Wissenschaft führen. Ein oberflächlicher Beobachter des wissenschaftlichen Lebens mag von dem Verhalten der Wissenschaftler schockiert werden. Sie streiten sich und wetteifern auf höchstpersönliche Art miteinander in dem Versuch, zu beweisen, „ich habe recht, und du hast unrecht!" Weiterhin neigen sie dazu, zu vergessen, daß ihre Argumente immer in der Sprache der Modelle ausgedrückt werden, die sich notwendigerweise irgendwie von den physikalisch realen Dingen unterscheiden

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müssen, die untersucht und diskutiert werden. Jedoch entspricht dieses irrationale Benehmen genau dem menschlichen Verhalten. Wissenschaft ist eine sehr menschliche Tätigkeit, die von einzelnen Menschen vorangetrieben wird. Wenn wir diese doch recht offensichtliche Tatsache einsehen, müssen wir von dem Ausmaß beeindruckt sein, das die wissenschaftliche Erkenntnis und Information erreicht haben. Die Struktur stellt eine großartige Leistung dar, wenn man sie als ein Werk menschlichen Geistes betrachtet, obwohl die Wissenschaft recht armselig aussehen mag, wenn man sie als das Werk einer allwissenden Intelligenz ansieht. Mit diesem Buch stellen wir Ihnen eine Diskussion der Chemie vor, indem wir von unseren Gedanken über Themen aus der Chemie berichten. Ein großer Teil dieses Berichts ist in der Sprache der Chemie abgefaßt, obwohl auch der Versuch unternommen wurde, einige der Gedanken in normales Deutsch zu übersetzen. Wenn jeder Begriff in einfachem Deutsch dargestellt werden sollte, würde das Buch wenigstens das Zehnfache seines jetzigen Umfangs annehmen, und die Leser würden nur schlecht darauf vorbereitet sein, irgendetwas zu verstehen, was in der Sprache der Chemie ausgedrückt ist. Da wohl die meisten unserer Leser nicht Chemie studieren werden, war es eines unserer Ziele beim Schreiben dieses Buches, genug von den Gedankengängen und der Sprache der Chemie vorzustellen, um den Studenten die Werkzeuge in die Hand zu geben, die dazu benötigt werden, mit dem wachsenden, sich ständig verändernden Gebiet der Chemie in Kontakt zu bleiben.

Chemische Technologie berührt unser aller Leben Die Definition des Begriffs „Technologie" ist mindestens genau so schwierig wie die Definition des Begriffs Wissenschaft. Wir sagen gewöhnlich, daß Technologie „angewandte Wissenschaft" ist und daß sie die Ausrichtung von Gedanken, Methoden und Tatsachen der Wissenschaft auf irgendein bestimmtes Ziel beinhaltet. Das Ziel muß dabei etwas Greifbares, Praktisches sein, da die Anwendung von Wissenschaft mit dem Ziel, die Neugier des Menschen zu befriedigen, nicht als Technologie angesehen wird. Die Stahlerzeugung, die das Wissen um die Chemie der Eisenerze verwendet, das Entwerfen von Überschallflugzeugen, wobei die Kenntnisse der Aerodynamik benutzt werden, oder die Entwicklung von Raumfahrzeugen, die auf Erkenntnisse aus der Chemie, Physik und verschiedener Ingenieurwissenschaften aufbaut, werden üblicherweise als Technologie bezeichnet. Andererseits nennt man jedoch die Praxis der modernen Medizin, die stark von den Ergebnissen der medizinischen Forschung abhängt, gewöhnlich nicht Technologie. Wir leben in einem technologischen Zeitalter und in einer technologisch orientierten Gesellschaft. Ganz gleich wie wir die Begriffe definieren, erkennen wir alle, daß die angewandten Wissenschaften einem starken Einfluß auf das Wesen unseres Lebens ausüben. Nur wenige Jahre zuvor wurde der technologische Fortschritt allgemein als Index der Fortentwicklung der Menschheit angesehen. Skeptiker wurden als Außenseiter abgestempelt, die uns den Erfolg neideten. Die Situation hat sich heute beträchtlich gewandelt, und die Technologie wird nicht mehr als ein

Einleitung

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reiner Segen für die Menschheit angesehen. Kritiker erfreuen sich jetzt größter Aufmerksamkeit, wenn sie auf Probleme wie zum Beispiel die Bedrohung der Menschheit durch einen Atomwaffenkrieg und die Umweltverschmutzung hinweisen, die direkt mit der technologischen Entwicklung in Zusammenhang stehen. Sie machen uns auch auf die vielen menschlichen Probleme aufmerksam, die trotz aller Anstrengungen der technologischen Gesellschaft noch nicht gelöst worden sind. Wir halten die Exzesse im antitechnologischen Denken, die heute gelegentlich erkennbar werden, für genau so unrealistisch wie die blinde Anbetung der Technologie früherer Jahre. Nur sehr wenige Menschen wollen wirklich zu den Lebensbedingungen der Höhlenbewohner zurückkehren. Wir wissen heute, daß die Technologie, die uns von den Bedingungen des primitiven Lebens befreit hat, nicht allein dafür garantieren kann, daß die Menschen nicht in diese Lebensbedingungen zurückfallen werden. Diese Schlußfolgerung enttäuscht und frustriert diejenigen, die begonnen hatten, Wissenschaft und Technologie als eine Art gütiger Gewalten zu betrachten, die uns unaufhaltsam einem Utopia zu vorantreiben. Die Wissenschaftler selbst haben durch ihre Begeisterung und gelegentliche Arroganz hinsichtlich des Wertes ihrer Arbeit einen Anteil zu diesem utopischen Traum beigetragen. Wir sehen die moderne Naturwissenschaft als ein dynamisches und wertvolles menschliches Unterfangen. Die technologischen Produkte der Naturwissenschaften sind so zahlreich, daß sie auf gewisse Weise furchterregend sind. Aber es liegt im Interesse aller Menschen, daß wir die Technologie dazu benutzen, für die Bevölkerung der Erde ein Leben hoher Qualität zu ermöglichen, ohne uns bei dem Versuch, dieses Ziel zu erreichen, selbst zu vernichten. Mancher Wissenschaftler möchte nichts mit der Technologie zu tun haben, die sich aus seiner Arbeit entwickelt, jedoch ist sein Märchenland nicht seltsamer als die anderen, in die sich die verschiedensten Menschen zurückziehen, wenn sie von der totalen Vielschichtigkeit menschlicher Probleme überwältigt werden. Die meisten Naturwissenschaftler fühlen sich wie die meisten Menschen von den Problemen unserer Zeit betroffen, und sie werden sich an der Arbeit bei der Suche nach Lösungen beteiligen, wann immer sie eine Möglichkeit dazu sehen. Wir besitzen jedoch keinen Zauberstab und leiden mit unseren Zeitgenossen unter der Einsicht, daß Probleme niemals aus dem Leben der Menschen verschwinden werden. Angewandte Chemie trifft man in allen Zweigen der Technologie an. Die chemische Industrie hat die Aufgabe, Produkte durch chemische Reaktionen mit den zur Verfügung stehenden Rohstoffen herzustellen. In den Vereinigten Staaten bilden Erdölprodukte, Kohle, Luftstickstoff und mineralische Bodenschätze die Hauptrohstoffquellen. Aus diesen Ausgangsmaterialien werden Kunstfasern, Transistoren, Farben, alle Arten von Kunststoffprodukten, Arzneimittel, Psychopharmaka, Tinte, Papier, Dünger und unzählige andere Produkte hergestellt. Wenn die Produktion der chemischen Industrie eingestellt werden sollte, würde eine große Zahl von Menschen sterben müssen, bevor wir uns an die erforderlichen Änderungen in unserem Leben angepaßt hätten. Die angewandte Chemie tritt auch in vielen anderen Zweigen der Technologie in

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Einleitung

Erscheinung. Der Umweltschutz baut auf die Kenntnisse von den chemischen Reaktionen auf, die in der Atmosphäre und den Wassermassen der Erde ablaufen. Die Elektrotechnik, die das neue Zeitalter der globalen Kommunikation eingeleitet hat, ist entscheidend von der Chemie bei der Produktion von Materialien abhängig, die die erforderlichen Eigenschaften für alle Arten von elektronischen Schaltelementen besitzen. Die Nahrungsmittelversorgung kann durch Agrikulturchemie gesteigert werden, und die Lösung des Problems der Überbevölkerung der Erde wird sicherlich zum Teil eine chemische Lösung sein, wenn sie überhaupt ohne einen verheerenden Krieg gefunden wird. In einem Lehrbuch mittleren Umfangs können wir unmöglich in angemessener Weise auf alle philosophischen Hintergründe und Auswirkungen der Chemie eingehen. Aber das ist nichts Neues! Jeder Lehrer, der wirklich lehren will, hat den instinktiven Wunsch, seinen Studenten nahezu alles zu erzählen, was er weiß. Wir wissen, daß wir selbst gerade genug wissen, um zu überleben, und fürchten daher, daß unsere Studenten es unmöglich zu etwas bringen können, wenn sie nicht wenigstens so viel wissen wie wir. Das ist natürlich unsere Dummheit. Vieles von dem, was wir wissen und denken, sollte und wird vergessen sein, während sich die Menschheit weiter entwickelt. Wir hoffen nur, den Studenten etwas von der Reichweite der Chemie zu zeigen, von den elementaren Überlegungen bis zum verhältnismäßig ausgeklügelten Modellaufbau, und ihnen einen Eindruck von dem zu vermitteln, wie wir die Chemie als einen der Fäden im Gewebe der menschlichen Erfahrungen sehen.

Fragen und Aufgaben 1. Wissenschaftler sind nicht die einzigen, die mit Modellvorstellungen arbeiten. Welche Arten von Modellen verwenden Sie, wenn Sie über die folgenden Themen nachdenken: (1) Die Bevölkerung von Indien, (2) die Sterne am Nachthimmel, (3) die Armut und (4) der menschliche Geist? 2. Ein mittlerweile verworfenes Modell von der Gestalt der Erde stellte sie als flache Scheibe dar. Versuchen Sie einmal, wie gut Sie Ihre persönlichen Erfahrungen von der Gestalt der Erde diesem Modell anpassen können. 3. Übersetzen Sie die folgenden mathematischen Aussagen ins Deutsche. Welche dieser Aussagen sind Definitionen und welche nicht? 3+ 4= 7 2x + 4y = 27 a x a = ö2

A = nr2 4. Würde es noch Chemiker geben, wenn das Molekülmodell verworfen würde? 5. Glauben Sie, daß das Reifen eines grünen Apfels eine oder mehrere chemische Veränderungen erfordert? Beachten Sie, daß wir von Ihnen nicht erwarten, daß Sie die Antwort wissen, sondern nur, daß Sie über das Problem nachdenken. Welche Arten von Modellvorstellungen benutzten Sie dabei?

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6. Glauben Sie, daß blaue Augen andere Arten von Molekülen enthalten als braune Augen? 7. Die übliche Denkeinheit der Chemiker ist das Molekül. Was würden Sie als brauchbare Denkeinheiten für Leute ansehen, die auf den folgenden Gebieten arbeiten: Biologie, Psychologie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft und Astronomie? 8. Welche Beziehung besteht zwischen unseren Modellvorstellungen und den physikalischen Modellen wie zum Beispiel Modellflugzeugen aus Kunststoff"? Bedeutet das physikalische Flugzeugmodell irgendeine Hilfe für das Nachdenken über ein richtiges Flugzeug? 9. Was bewegt die Blätter eines Baumes? Würden sich die Blätter des Baumes genau so bewegen, wenn der Baum plötzlich auf der Mondoberfläche stünde? Kann die Bewegung der Blätter irgendetwas mit Molekülen zu tun haben? 10. An die Adresse der Chemiker wurde starke Kritik gerichtet, weil einige Produkte der chemischen Technologie wie zum Beispiel unverbrannter Treibstoff in Automobilabgasen und die Abfälle chemischer Produktionsprozesse zur Verschmutzung der Umwelt beitragen. Glauben Sie, daß die Chemiker aus diesem Grunde ihre sittlichen Maßstäbe ändern müßten ? Wenn ja, auf welche Weise?

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Atome und Moleküle

Vieles von dem, was wir heute von der Chemie wissen, kann dadurch erklärt werden, daß beschrieben wird, wie sich Moleküle aus Atomen aufbauen. Wir alle kennen den Geschmack von Zucker und Salz, den Geruch von Vanille und das Aussehen von Wasser. Wir haben gelernt, diese Stoffe zu erkennen, weil sie gewisse, charakteristische Eigenschaften besitzen, die allen Proben dieser Substanzen gemeinsam sind. Die Konstanz der Eigenschaften von uns vertrauten Stoffen wie diesen ist etwas, das wir als gegeben voraussetzen und worüber wir selten nachzudenken pflegen. Aber diese Konstanz besitzt eine fundamentale wissenschaftliche Bedeutung, denn sie führt uns zu der Frage, warum dies so ist. Warum schmeckt jedes Körnchen Zucker genau so wie jedes andere Körnchen Zucker? Eine einfache und vernünftige Erklärung dafür lautet, daß sich alle Zuckerkörnchen aus denselben fundamentalen Bausteinen zusammensetzen, die stets auf dieselbe Weise in Einheiten gegliedert sind. Diese Einheiten müssen sehr klein sein, da der Geschmack des Zuckers und viele andere seiner Eigenschaften unverändert bleiben, selbst wenn wir Proben untersuchen, die zu klein sind, als daß wir sie mit bloßem Auge erkennen können. Es scheint vernünftig zu sein, daß wir, wenn eine reine Substanz wie Zucker oft genug unterteilt wird, schließlich irgendeine sehr kleine Einheit erhalten müssen, die nicht weiter unterteilt werden kann, ohne die grundlegenden Eigenschaften des Stoffes zu verändern. Es gibt viele Experimente, die bestätigen, daß diese Annahme richtig ist. Die kleinsten Einheiten eines reinen Stoffes werden Moleküle genannt. Im vorliegenden Kapitel werden wir sehen, wie die Materie des gesamten Universums in reine Stoffe zerlegt werden kann, die definierte Eigenschaften besitzen. Wir werden zeigen, wie die Eigenschaft der konstanten Zusammensetzung zu der Vorstellung führte, daß sich kleinere Einheiten, die Atome genannt werden, miteinander zu Molekülen zusammenschließen. Schließlich werden wir an Modellen veranschaulichen, wie viel wir, ausgehend von der einfachen Vorstellung, daß Moleküle aus Atomen bestehen, die auf bestimmte Weise miteinander zusammenhängen, über das Wesen von reinen Stoffen in Erfahrung bringen können.

1 - 1 Was ist Materie? Materie, wie Wasser, ein Zuckerwürfel oder ein Hemd, besitzt Masse und Volumen. Wir können die Masse irgendeiner Stoffmenge messen, indem wir die Eigenschaft der Materie ausnutzen, daß Körper derselben Masse dieselbe Kraft aus-

1 Atome und Moleküle

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üben, wenn sie der gleichen Gravitationswirkung unterliegen, d.h. sie besitzen dann dasselbe Gewicht. Wir können die Masse einer Stoffmenge durch den Vergleich ihres Gewichts mit Standardgewichten messen. Wir können das Volumen einer Stoffmenge bestimmen, indem wir entweder die Abmessungen des Körpers feststellen und daraus sein Volumen errechnen oder das Volumen messen, das er verdrängt. Zum Beispiel könnten wir das Volumen eines unregelmäßig geformten Steines dadurch ermitteln, daß wir ihn in Wasser tauchen und dann das Volumen des verdrängten Wassers messen. Das Volumen und die Masse eines Körpers sind durch eine Eigenschaft verknüpft, die Dichte genannt wird. Die Dichte, die als Masse pro Volumeneinheit definiert ist, wird in der Chemie gewöhnlich in Gramm pro Kubikzentimeter (gern -3 ) ausgedrückt. Wenn wir die Masse einer Probe und ihre Dichte kennen, können wir ihr Volumen ausrechnen ,, , Masse Volumen = Dichte Wenn wir das Volumen und die Dichte kennen, können wir die Masse berechnen Masse = Dichte x Volumen Beispiel 1-1 Ein unregelmäßig geformtes Stück Aluminium besitzt eine Masse von 36,93 g und verdrängt ein Wasservolumen von 13,67cm 3 . Berechnen Sie die Dichte von Aluminium. Lösung Dichte =

Masse des Stoffes Volumen des Stoffes 36,93 g 13,67 cm 3

= 2,702 gern" 3 Beispiel 1-2 Welches Volumen würde ein Stück Aluminium von 10,32 g einnehmen? Lösung Volumen =

Masse des Stoffes Dichte des Stoffes 10,32 g 2,702 g e r n " 3

= 3,819 cm 3

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Mischungen und reine Stoffe

Masse und Volumen sind Eigenschaften der Materie, die Chemiker jeden Tag bei ihren Untersuchungen messen. Sie sind fundamentale Eigenschaften, die einen Ausgangspunkt für die chemischen Untersuchungen liefern. Insbesondere werden wir in diesem Kapitel zeigen, wie wichtig Massenbestimmungen bei der Entwicklung der Vorstellungen von den Bestandteilen der Materie waren.

1—2 M i s c h u n g e n und reine Stoffe Die meisten Beispiele von Materie, die wir in unserer Umgebung erkennen können, sind Mischungen. Diese Mischungen können in zwei große Klassen eingeteilt werden, heterogene Mischungen und homogene Mischungen. Heterogene Mischungen sind nicht durch und durch gleichförmig, sondern besitzen vielmehr physikalisch unterschiedliche Teilbereiche, die voneinander durch erkennbare Grenzen getrennt sind.

Materie

Heterogene Mischungen

Homogene Mischungen

Reine Stoffe

Abbildung 1-1

Klassifizierung von Materie.

Ein Beispiel für eine heterogene Mischung ist Bohnensuppe: Wir können deutlich sehen, daß es erkennbare Grenzen gibt, die die Bohnen von dem Rest der Suppe trennen. Die Mischung kann leicht getrennt werden, indem die Bohnen mit einem Sieb aus der Suppe herausgefischt werden. In diesem Beispiel lag uns eine Mischung von Festem (die Bohnen) mit Flüssigem (die Suppe) vor. Beton ist ein Beispiel für eine feste heterogene Mischung. Ein weiteres Beispiel für eine heterogene Mischung, die für uns alle von größter Bedeutung ist, stellt die Atmosphäre in hochindustrialisierten Gebieten dar. Die Luft über diesen Landstrichen enthält Mischungen von Gasen, kondensierten Dämpfen und festen Teilchen. Die Abtrennung und Entfernung dieser Schadstoffe aus der Luft ist oft eine umständliche und technologisch schwierige Aufgabe. Industrien und Regierungen unternehmen sehr große Anstrengungen, diese Mischungen regelnd zu beeinflussen und unter Kontrolle zu halten wegen der schädlichen Auswirkungen, die diese auf Pflanzen und Tiere, den Menschen eingeschlossen, besitzen.

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1 Atome und Moleküle

Heterogene Mischungen können gewöhnlich in verschiedene homogene Mischungen zerlegt werden, die durch die ganze Probe hindurch gleichförmig sind. So kann zum Beispiel Smog durch ein Filter geschickt werden, das die festen Bestandteile entfernt und eine homogene Gasmischung durchläßt. Angenommen, wir stellen eine homogene Mischung her, indem wir Kochsalz (Natriumchlorid) in Wasser auflösen. Wie könnten wir dann die Mischung wieder trennen, um die ursprünglichen Stoffe zurückzuerhalten? Im vorliegenden Falle ist es einfach: Wir würden die Mischung zum Kochen bringen, wobei wir den Dampf auffangen, der sich bei seiner Abkühlung zu Wasser kondensiert. Wenn das ganze Wasser verkocht ist, würden wir festes Salz und reines Wasser haben. Dieser Reinigungs- und Trennungsprozeß wird als Destillation bezeichnet. Dieses einfache Beispiel veranschaulicht, wie die Menschheit eines ihrer ernstesten Probleme lösen könnte, die Versorgung mit ausreichenden Mengen von Trinkwasser aus den Ozeanen, um den ständig steigenden Wasserbedarf der anwachsenden Erdbevölkerung zu befriedigen. Jedoch benötigt die Reinigung des Meerwassers durch Destillation einen großen Energieaufwand, und Energie ist teuer. Heute arbeiten bereits viele Wissenschaftler und Ingenieure eifrig daran, die Ergiebigkeit von Methoden zur Trennung von Wasser und Salz zu verbessern und wirtschaftlichere Energiequellen zu erschließen, um die Meerwasseraufbereitung technologisch und wirtschaftlich zu bewältigen. Es ist nicht immer leicht, festzustellen, ob eine Probe eines Stoffes eine homogene Mischung oder eine einzelne, reine Substanz ist. Dies ist eine wichtige Frage, die beantwortet werden muß, denn es ist für einen Chemiker äußerst peinlich, wenn er bemerkt, daß er eine Mischung untersucht hat, als er glaubte, es wäre eine reine Substanz. Ein Beispiel dafür liefert die Verwirrung unter den Chemikern vor Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, als noch nicht erkannt wurde, daß die Erdatmosphäre eine Mischung von mehreren Gasen und nicht einfach nur ein reines Gas ist. Heterogene Mischungen können häufig durch einfache mechanische Mittel voneinander getrennt werden, wie zum Beispiel durch Filtern. Homogene Mischungen können durch physikalische Veränderungen wie Destillation (der Wasser-SalzFall), Einfrieren oder Schmelzen getrennt werden. Ein homogener Stoff ist eine reine Substanz und keine Mischung, wenn alle möglichen Methoden ihn nicht in zwei oder mehr Stoffe zerlegen können. Es gibt auch einige Prüfverfahren, die den Chemikern dabei helfen, zu entscheiden, ob eine Substanz rein ist oder nicht. Zum Beispiel besitzt eine einzelne, reine Substanz einen bestimmten Siedepunkt, der für den betreffenden Stoff charakteristisch ist, wogegen der Siedepunkt einer Mischung von ihrer Zusammensetzung abhängig ist. Die Entwicklung der Chemie als eine Naturwissenschaft und die systematischen Untersuchungen in der heutigen Chemie beruhen auf dem Arbeiten mit reinen Stoffen. In den folgenden Abschnitten werden wir reine Stoffe beschreiben und auf die Vorstellungen eingehen, die zur Erklärung ihrer Eigenschaften verwendet werden.

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Verbindungen und Elemente

1—3 Verbindungen und Elemente Reine Substanzen können wir aus Mischungen durch physikalische Trennung erhalten. Diese Trennungsmethoden umfassen nicht chemische Veränderungen. Die meisten reinen Stoffe können durch eine Behandlung, die chemische Veränderungen hervorruft, in zwei oder mehr Substanzen zersetzt werden. Zum Beispiel kann Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zersetzt werden, indem ein elektrischer Strom durch das Wasser geschickt wird (Abbildung 1-2). Das Salz Calciumcarbonat (Kalkstein) kann in Calciumoxid (Ätzkalk) und Kohlendioxid zersetzt werden, indem es erhitzt wird CaC03



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68

Ho Dy

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v 0 ist, wird Licht mit einer Wellenlänge von 300 n m aus Kalium Photoelektronen auslösen. Wieviel Überschußenergie wird dabei übrigbleiben und als kinetische Energie der Elektronen erscheinen? Die Grenzenergie beträgt 3,59 x 10" 1 9 J. Die Energie der einfallenden Photonen ergibt sich zu E = HV

= (6,63 x 10" 3 4 J s) x (1,00 x 10 15 Hz) = 6,63 x 10~ 1 9 J Die Überschußenergie beträgt damit 6,63 x 10~ 19 J - 3,59 x 10~ 19 J = 3,04 x 10" 1 9 J

E — EB =

Diese Energie erscheint als kinetische Energie eines jeden Photoelektrons. Zu der Zeit, als Einstein den photoelektrischen Effekt erklärte, lag die größte Bedeutung dieser Theorie darin, d a ß sie die Quantentheorie der Energie bestätigte. Einsteins Theorie besagt, d a ß Energie in diskreten Einheiten auftritt, die Quanten genannt werden. Wenn die Energie in einem Lichtstrahl nicht in solchen kleinen Portionen übertragen würde, würde die Grenzfrequenz der Photoionisation nicht existieren. Unser Interesse an diesem Phänomen beruht heute zum größten Teil darauf, daß wir daraus Informationen über die Art der Bindung von Elektronen an einem A t o m erhalten können. Die Quantentheorie des Lichts sagt, daß Licht einer bestimmten Wellenlänge aus Photonen besteht, die alle dieselbe Energie besitzen. Wenn wir diese Hypothese akzeptieren, sagt uns der photoelektrische Effekt, d a ß Elektronen mit bestimmten, eindeutigen Bindungsenergien an A t o m e gebunden sind. Dieses wiederum läßt vermuten, d a ß auch die Energie der Elektronen im A t o m quantisiert ist.

114

4—11

4 Die Bestandteile der Materie

Emissionsspektren

Es gibt viele Methoden, hochenergetische oder angeregte Atome zu erzeugen. Angeregte Atome kommen in Flammen vor und entstehen, wenn ein elektrischer Funke ein Gas durchschlägt. Diese energiereichen Atome können dadurch Energie abgeben, daß sie Licht aussenden. Das Licht, das wir bei einer Flamme oder einem Blitz sehen, wird von angeregten Atomen, Molekülen oder Ionen emittiert. Anstatt ein kontinuierliches Spektrum zu zeigen (d.h. aus Licht aller möglichen Wellenlängen zu bestehen), weist das von angeregten Atomen ausgestrahlte Licht scharfe Linien im Spektrum auf, die bestimmten Frequenzen entsprechen. Das emittierte Licht kann mit Hilfe eines Spektroskops (Abbildung 4-13) untersucht Lichtquelle-.

Abbildung 4-13 Ein Prismenspektroskop für die Zerlegung von Licht.

werden, einem Instrument, das ein Prisma enthält, das die Komponenten eines Lichtstrahls nach ihren Frequenzen zerlegt. Die Abbildung 4-14 zeigt einen Teil des Spektrums des Lichts, das von angeregten Wasserstoffatomen ausgestrahlt wird, wenn ein Funke gasförmigen Wasserstoff in einer Wasserstoff-Entladungsröhre durchschlägt. Das Licht, das von den angeregten Atomen eines jeden Elements emittiert wird, besteht aus einer für jedes Element charakteristischen Reihe von Linien verschiedener Wellenlängen. Diese Linien können zur Identifizierung der Elemente benutzt werden. Eine besonders auffallende Eigenart dieser sogenannten Emissionsspektren ist die, daß es irgendwelche Beziehungen zwischen den Wellenlängen vieler der auftretenden Linien zu geben scheint. So scheinen z. B. die Linien im Infrarotbereich zu einer Gruppe zu gehören, und auch die Sätze von Linien im sichtbaren und ultravioletten Bereich scheinen auf ähnliche Weise zusammenzugehören. Die mathematischen Beziehungen, die diese Sätze von Linien, die sogenannten Serien, beschreiben, ließen sich nicht so leicht entdecken, aber 1884 hatte John Balmer bei seiner Arbeit mit den Emissionslinien im sichtbaren Bereich des Wasserstoffspektrums Erfolg. Später formulierte Johannes Rydberg die folgende, umfassendere Beziehung, mit deren Hilfe es möglich ist, die Wellenlänge einer beliebigen Linie im

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Emissionsspektren 5000 1000

Infrarot

500

Sichtbar

250

ee 150

- Ultraviolett

[I

J

Abbildung 4-14 Spektrallinien des von angeregten Wasserstoffatomen emittierten Lichts.

gesamten Emissionsspektrum des Wasserstoffs zu berechnen (4-7) R ist die sogenannte Rydbergkonstante, die einen Wert von 1,09678 x 107 m 1 besitzt, und «! und n2 sind ganze Zahlen, die davon abhängig sind, welche Linie (Wellenlänge) im Spektrum Sie berechnen wollen. Die erste Linie im ultravioletten Bereich kann z. B. mit = 1 und n2=l berechnet werden; die zweite Linie in diesem Bereich mit n^ = 1 und n2 = 3 usw. Die Linien im sichtbaren Bereich (die sogenannte Balmer-Serie) können mit n^ = 2 und n2 = 3, 4, ... für so viele Linien berechnet werden, wie Sie berechnen möchten. Die Beobachtungen, daß die Emissionslinien definierte Lagen besitzen, die untereinander in mathematischen Zusammenhang stehen, und daß Licht einer bestimmten Wellenlänge (Frequenz) eine definierte Photonenenergie darstellt, ebneten den Weg für ein neues Atommodell. Es sah ja so aus, als ob es auf irgendeine Weise diskrete Energiezustände im Atom geben würde. Es war diese Vermutung, die Niels Bohr zu seiner Entwicklung einer Quantentheorie des atomaren Aufbaus führte. Wir werden auf dieses Thema in Kapitel 5 noch zu sprechen kommen. Beispiel 4-7 Berechnen Sie die Wellenlänge der Linie im Emissionsspektrum des Wasserstoffs, die durch die Werte nx = 1 und n2 = 2 bestimmt ist. Lösung Die Rydberg-Gleichung ergibt nach Einsetzen der Werte für R, nx und n2 j = (1,097 x i O ' m - ^ - i - - ^

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4 Die Bestandteile der Materie

= (1,097 x l O ' m - ^ x O 7

-i)

1

= (1,097 x 10 m " ) x 0,75 = 8,228 x IO6 m " 1 8,228 x 10^ m ~1 = 1,215 x 1 0 " 7 m = 121,5 nm

4—12 Zusammenfassung 1. Atome setzen sich aus noch kleineren Bestandteilen zusammen. 2. Für die meisten Zwecke der Chemie kann ein Atom als ein Teilchen angesehen werden, das aus einem positiv geladenen Kern und einer Anzahl von Elektronen besteht, deren Gesamtladung der Kernladung dem Betrag nach gleich ist. 3. Die Ordnungszahl eines Elements ist gleich der Zahl von positiven Elementarladungen im Kern eines Atoms dieses Elements und definiert die Stellung des Elements im Periodensystem. 4. Isotope eines Elements besitzen dieselbe Ordnungszahl, aber unterschiedliche relative Atommassen. 5. Licht besteht aus Photonen. Jedes Photon besitzt eine klar definierte Energie, die von der Frequenz (oder Wellenlänge) des Lichts abhängt. 6. ^-Teilchen sind Elektronen. 7. a-Teilchen sind Heliumkerne oder -ionen, die eine positive Ladung von zwei Elementarladungen und eine Masse von 4 atomaren Masseneinheiten besitzen. 8. Röntgenstrahlen und y-Strahlen sind Photonen hoher Energie.

4—13 Nachwort: Gesunder und ungesunder Menschenverstand Den Naturwissenschaften wird gelegentlich vorgeworfen, daß sie die Dinge nur komplizierter oder unvernünftigerweise anders machen, als es der gesunde Menschenverstand gebietet. Diese Ansicht scheint uns der Gipfel des Unsinns zu sein; denn weder Naturwissenschaft noch gesunder Menschenverstand machen irgendetwas; sie sind beide nur lose strukturierte Systeme, die auf unserer Erfahrung aufbauen und uns beim Nachdenken über Dinge helfen sollen. Diese Gedankensysteme mögen widersprüchlich erscheinen, aber das liegt nur daran, daß die in beiden Systemen verwendeten Modelle eben Modelle und nicht die absolute Wirklichkeit sind. Die Modelle des gesunden Menschenverstands versagen nur mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn ein Naturwissenschaftler oder auch irgendein anderer ein ungewöhnliches Experiment sorgfältig durchführt. Der gesunde Menschenverstand sagte Rutherford, Geiger und Marsden, was sie zu

Nachwort: Gesunder und ungesunder Menschenverstand

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erwarten hatten, als sie a-Teilchen auf eine Goldfolie schössen. Ihre Erwartungen beruhten auf der Tatsache, daß die vorangehende Untersuchung der Goldfolie visuell, d.h. durch „Augenschein", erfolgte, und eine visuelle Beobachtung hängt nun einmal von der Verwendung von Licht ab, das Wellenlängen im sichtbaren Bereich besitzt. a-Teilchen besitzen jedoch wesentlich kürzere Wellenlängen, und so werden auch wesentlich andere Dinge „gesehen", wenn sie zur Anwendung kommen (siehe Nachwort zu Kapitel 7). Dieses ungewöhnliche Experiment erforderte die Abänderung eines Modells, das bislang völlig mit der experimentellen Alltagserfahrung im Einklang stand. Wurden Rutherford und die anderen vom „ungesunden" Menschenverstand geleitet? Sind Elektronen geheimnisvoll? Tatsächlich werden viele allgemein bekannte Phänomene weitaus besser mit Hilfe der Elektronen als durch ältere Modelle erklärt, die auf der Erfahrung aufbauten. Wir nehmen heute an, daß der Durchgang eines elektrischen Stroms durch einen Kupferdraht auf dem Fluß von Elektronen beruht. In Metallen sind einige der Elektronen nur sehr lose an die Atome gebunden und benötigen nur eine sehr geringe Energie, um in angeregte Zustände überführt zu werden, in denen sie sich frei durch das Gitter der Metallatome bewegen können. In anderen Stoffen, die Halbleiter genannt werden, muß eine kleine „Schwellen"-Spannung angelegt werden, bevor Elektronen zu fließen beginnen und die Substanz Elektrizität leitet. Silicium und Germanium sind Halbleiter, wenn sie extrem rein dargestellt werden. In anderen Stoffen, die Isolatoren genannt werden, kann keine noch so hohe Spannung einen Strom zum Fließen bringen. Diese Beschreibung ist eine äußerst vereinfachte Version einer weitaus komplizierteren Theorie der Elektronenleitung in Festkörpern. Ist sie nun zu kompliziert? Nein, denn sie führt zu Voraussagen, die bestätigt werden können, und zu brauchbaren Ergebnissen. Nach dieser Theorie wurden zunächst die Vakuumelektronenröhren und dann die Transistoren entwickelt, die die ersteren heute in Radios, Fernsehern und anderen elektronischen Geräten ersetzen. Wir können fast „sehen", wie die Elektronen von einer negativ geladenen Elektrode zur positiv geladenen durch den Raum springen, wenn die Elektroden einander ausreichend nahe sind und die elektrische Potentialdifferenz groß genug ist. Wenn die Drähte von den Klemmen eines Akkumulators einander dicht genug nahekommen, springt ein Funke von der negativen Leitung zur positiven über. Eine größere Ausgabe des elektrischen Funkens ist der Blitz. Bis vor kurzem sagten wir einfach, daß ein Blitz auftritt, wenn sich in einer Wolke ein ungewöhnlich hoher Überschuß von Elektronen aufgebaut hat, der durch einen riesigen Funken entladen wird, der von der Wolke zur Erde durchschlägt. Der Donner ergibt sich dann aus dem Einströmen der Luft in den Entladungskanal des Blitzes. Die Hochgeschwindigkeitsphotographie erzählt uns heute eine etwas kompliziertere Geschichte und erlaubt uns, eine etwas detaillierteres und interessanteres Modell zu formulieren: Die Blitzentladung beginnt schrittweise. Ein Strom von Elektronen stößt aus der Wolke mit einem Sechstel der Lichtgeschwindigkeit ungefähr 50 m nach unten vor, hält für annähernd 50 Mikrosekunden (50 x 10~6 s) inne und macht einen weiteren

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4 Die Bestandteile der Materie

50 m-Schritt, der nicht notwendigerweise die gleiche Richtung haben muß. Diese „Stufenführer" zeigen sich nur als ein kleiner, heller Fleck auf der Photographie und sind nicht der blendende Blitz, den wir mit einer Blitzentladung in Verbindung bringen. Die vorangehenden Elektronen ionisieren die Moleküle der sie umgebenden Atmosphäre und machen sie damit zum Ionenleiter. Sobald der Stufenführer den Boden erreicht, haben wir einen leitenden Kanal von geladenen Teilchen zwischen der Wolke und der Erde. Zu diesem Zeitpunkt beginnen die Überschußelektronen in der Wolke zur Erde abzufließen. Der Blitz entsteht durch das Licht, das die angeregten positiven Ionen entlang des Kanals ausstrahlen. Die bei der Entladung erzeugte Wärme dehnt die Luft plötzlich aus und erzeugt den Donnerschlag. Auf den Photographien beginnt ein sogenannter „Gegenschlag" am Boden und bahnt sich nach und nach seinen Weg nach oben zur Wolke hin. Der dunkle Stufenführer fällt von der Wolke zur Erde, der Blitz aber steigt von der Erde zur Wolke empor. Nach einigen Hundertsteln einer Sekunde kann ein neuer, dunkler Stufenführer entlang des alten Weges nach unten emittiert werden, der noch mit Ionenbruchstücken übersät ist, und ein neuer Blitz kann von der Erde emporsteigen. Dieses kann einmal, zweimal oder ein dutzendmal oder gelegentlich noch häufiger geschehen, alles während eines „blitzschnellen" Blitzes. Die Wärme- und Lichteinstrahlung von der Sonne ist nicht nur ein Teil der Alltagserfahrung aller Lebewesen auf unserem Planeten, sondern auch die Quelle der Primärenergie für die Erhaltung des Lebens selbst. Modelle für die Sonne sind so alt wie unsere überlieferte Geschichte, und sie ändern sich ständig. Unsere gegenwärtige Beschreibung der Sonne hängt in hohem Maße von Experimenten mit Elektronen, Ionen und Gasmolekülen ab, die wir hier auf der Erde durchführen. Der größte Teil unserer Kenntnisse von der Sonne beruht auf den Untersuchungen des Lichtes, das sie aussendet. Nahezu alles Licht stammt von angeregten Wasserstoffatomen und He 2 + -Ionen. Strahlung von Ionen anderer Elemente ist zu erkennen, aber sie ist nur als geringfügige „Verunreinigung" vorhanden. Wir wissen auch, daß bei der Temperatur der Sonne (die sich von ungefähr 6000 K an der Oberfläche bis auf mehrere Millionen Kelvin in ihrem Inneren erstreckt) Wasserstoff und Helium fast vollständig ionisiert sein werden. Wir haben somit ein Bild von der Sonne als ein Gas aus H + (83%) und He 2 + (17%), Elektronen und geringen Mengen anderer Materie. Das Sonnenfeuer brennt, indem es Energie aus der Fusion (Verschmelzung) von Wasserstoffkernen zu Heliumkernen erzeugt. Wir kennen die Masse der Sonne aus dem Gravitationsgesetz und ihre Größe durch direkte Beobachtung. Dies erlaubt uns, ihre durchschnittliche Dichte (1,6 g c m - 3 ) zu berechnen. Wenn die Sonne ein Gas ist, sollte ihre Dichte sich auf dieselbe Weise ändern wie die der Erdatmosphäre. Wenn wir diese Berechnung einmal durchführen, kommen wir zu dem Schluß, daß im Mittelpunkt der Sonne die Dichte annähernd 100 g c m - 3 betragen muß. Wie können wir dann aber sagen, daß ein Stoff ein Gas ist, wenn seine Dichte höher ist als die irgendeines uns bekannten festen Stoffes auf der Erdoberfläche? Wieder einmal hilft uns Rutherfords Experiment weiter. Wir wissen ja seitdem, daß jeder feste Stoff zum größten Teil aus leerem Raum besteht. Wenn den Kernen und Elektronen in einer Goldfolie so

Neue Begriffe

119

enorm große Energien zugeführt würden, wie sie einer Temperatur von 106 K entsprächen, dann würden sie sich auch frei wie Moleküle in einem Gas bewegen, selbst wenn sie durch Gravitationskräfte noch weiter zusammengedrängt werden. Stellen Sie sich einmal vor, welche Modelle Sie sich vom Aufbau der Erdmaterie machen würden, wenn ihre einzigen Erfahrungen vom Aufbau von Materie aus Beobachtungen des Sonneninneren stammen. Festkörper, Flüssigkeiten und Moleküle würden Ihnen als absolut abwegig und lächerlich weit von jeder Realität entfernt vorkommen. Die Beschreibung eines Menschen würde sicherlich das Vorstellungsvermögen einer sonnenbewohnenden Intelligenz arg strapazieren (was jedoch auch umgekehrt gilt, trotz aller Science-Fiction Literatur).

Neue Begriffe Alphastrahlen: Ausstrahlung von radioaktiven Stoffen. Die Strahlung besteht aus a-Teilchen, die Heliumkerne, He 2 + , sind. Jedes a-Teilchen besitzt eine Ladung von + 2e und setzt sich aus zwei Protonen und zwei Neutronen zusammen. Ampere: Basiseinheit für den elektrischen Strom im Sl-System. Ein Maß für die Rate des Ladungsflusses. Ein Ampere ist gleich einem Ladungsfluß von einem Coulomb pro Sekunde: 1 A = 1 Cs~ 1 . Anode: Die positiv geladene Elektrode in einer Elektrolysezelle oder einer Kathodenstrahlröhre ; die Elektrode, zu der die negativ geladenen Ionen (Anionen) wandern. Auch Elektronen wandern zur Anode. Betastrahlen: Ausstrahlung von radioaktiven Stoffen. Die Strahlung besteht aus ^-Teilchen (Elektronen); jedes dieser Teilchen besitzt eine Ladung von ~le. Coulomb: Die Einheit der elektrischen Ladung im Sl-System. Sie entspricht dem Betrag nach der Ladung von 6,28 x 10 18 Elektronen. Elektrolyse: Die Zersetzung einer Substanz durch einen elektrischen Strom. Elektromagnetische Strahlung: Licht und alle anderen ähnlichen Strahlungsformen wie Röntgenstrahlen, y-Strahlen, ultraviolettes, sichtbares und infrarotes Licht, Radiowellen und Mikrowellen. Elektron: Ein Elementarteilchen, das beim Aufbau der Atome zusammen mit Protonen und Neutronen von Bedeutung ist. Das Elektron trägt eine negative Elementarladung und besitzt eine Masse von 1/1835 einer Protonenmasse. Ein ßTeilchen. Elektronenvolt: Die atomphysikalische Energieeinheit im Sl-System: 1 eV = 1,602 x 10" 1 9 J. Die Energie, die ein einfach geladenes Teilchen (mit einer Elementarladung) beim Durchlaufen einer elektrischen Potentialdifferenz von einem Volt gewinnt. Elementarladung: Der Absolutwert der Ladung eines Elektrons oder Protons: e= 1,602 x 10~ 1 9 C. Erg: Veraltete Energieeinheit des CGS-Systems: 1 erg = 1 gcm 2 s~2 = 10" 7 J. Ein erg ist die kinetische Energie einer Masse von 1 g, die sich mit einer Geschwindigkeit von 1 cm s~1 bewegt. Faraday: Die Ladungsmenge, die dazu erforderlich ist, eine Grammäquivalent-

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4 Die Bestandteile der Materie

masse einer Substanz zu elektrolysieren: 96500 C. Die G e s a m t l a d u n g eines M o l s von Elektronen. Frequenz: Die Zahl von vollständigen Wellen, die einen bestimmten P u n k t in der Zeiteinheit (pro Sekunde) passieren. Gammastrahlen: Elektromagnetische Strahlung sehr h o h e r Energie, die von radioaktiven Stoffen ausgestrahlt wird. Grammäquivalent(masse): Die M e n g e einer Substanz, die mit einem G r a m m a t o m Wasserstoff reagiert oder die von einer L a d u n g von 1 F a r a d a y elektrolysiert wird. Hertz: Die Einheit der F r e q u e n z im Sl-System: 1 Hz = 1 s" 1 . Ion: Ein elektrisch geladenes A t o m oder Molekül. Isotope: F o r m e n desselben Elements (derselben Ordnungszahl), die chemisch im wesentlichen miteinander identisch sind, aber unterschiedliche relative A t o m m a s sen besitzen. Dieser Unterschied b e r u h t auf unterschiedlichen N e u t r o n e n z a h l e n im K e r n . Kalorie: Veraltete Energieeinheit: 1 cal = 4,1868 J. Die Energie, die dazu erforderlich ist, die T e m p e r a t u r von 1 g Wasser von 14,5 °C auf 15,5 °C zu erhöhen. Kanalstrahlen: D e r S t r o m von positiv geladenen Teilchen (Restgasionen), der sich im Inneren einer K a t h o d e n s t r a h l r ö h r e auf die K a t h o d e zu bewegt. Kathode: Die negativ geladene Elektrode in einer Elektrolysezelle oder K a t h o d e n s t r a h l r ö h r e ; die Elektrode, zu der positiv geladene Ionen (Kationen) w a n d e r n . Elektronen gehen von der K a t h o d e aus. Kathodenstrahlen: D e r S t r o m von negativ geladenen Teilchen, der sich im Inneren einer K a t h o d e n s t r a h l r ö h r e auf die A n o d e zu bewegt; der Strahl setzt sich aus Elektronen z u s a m m e n . Kern: D e r kleine, sehr dichte Bestandteil von A t o m e n , der sich aus P r o t o n e n u n d N e u t r o n e n zusammensetzt. Masse-Energie-Äquivalenzprinzip: Die b e r ü h m t e Gleichung von Einstein: E = mc2, die die Gleichwertigkeit von Masse u n d Energie beschreibt. Massenzahl: Die S u m m e der A n z a h l von P r o t o n e n u n d N e u t r o n e n im K e r n eines Isotops eines Elements. Wird oben links beim Symbol des Elements angegeben: 12 C, 2 3 5 U . Neutron: Ein Kernteilchen, das eine Masse von 1,0087 u ( a t o m a r e Masseneinheiten) besitzt (ungefähr dasselbe wie die Masse eines P r o t o n s ) u n d elektrisch neutral ist. Nukleon: Kernteilchen; P r o t o n oder N e u t r o n . Ordnungszahl: Die Zahl, n a c h der die Elemente ins Periodensystem eingeordnet werden. Sie ist gleich der A n z a h l von P r o t o n e n im K e r n eines A t o m s eines Elements u n d gleich der A n z a h l von Elektronen im neutralen A t o m . Photoelektrischer Effekt: Die Emission von Elektronen aus der Oberfläche eines Metalls, die d u r c h Einstrahlung eines Lichtstrahls ausgelöst werden, dessen Frequenz einen f ü r das Metall charakteristischen G r e n z w e r t überschreiten m u ß . Photon: Die Einheit oder das Q u a n t der elektromagnetischen Strahlung, in d e m eine Energie v o m Betrag des P r o d u k t e s aus F r e q u e n z u n d Planckschem Wirkungsq u a n t u m (hv) enthalten ist.

Fragen und Aufgaben

121

Plancksches Wirkungsquantum: Eine der physikalischen Fundamentalkonstanten, die die Energie eines Photons der elektromagnetischen Strahlung mit ihrer Frequenz verknüpft; ihr Wert beträgt h = 6,626 x 10" 34 J s. Proton: Ein Kernteilchen, das eine Masse von 1,0073 u besitzt (ungefähr dasselbe wie die Neutronenmasse) und eine einfache positive Elementarladung trägt. Quantentheorie: Energie tritt in diskreten Portionen auf, die wir als Quanten bezeichnen. Radioaktivität: Der spontane Zerfall von Atomkernen, der von einer Emission von a-, ß- oder y-Strahlen begleitet wird. Relative Atommasse: Die relative Masse eines Atoms eines Elements bezogen auf den zwölften Teil der Masse eines Atoms von 12 C, dem eine Masse von genau 12 u zugeschrieben wird. Röntgenstrahlen: Hochenergetische elektromagnetische Strahlung, die von den Elementen ausgestrahlt wird, wenn sie mit energiereichen Elektronen bombardiert werden. Die Röntgenfrequenz ist für die Ordnungszahl des Elements charakteristisch. Rydbergkonstante: Die Proportionalitätskonstante R, die den Zusammenhang zwischen den Linienserien im Emissionsspektrum des atomaren Wasserstoffs in der Gleichung iß = RH( 1 jn] - t/nj) herstellt. Der Wert von Rn beträgt 1,09678 x 107 m - 1 . Spektroskop: Ein Gerät, mit dessen Hilfe Licht (elektromagnetische Strahlung) in seine verschiedenen Komponenten (Wellenlängen) zerlegt wird. Strom: Das Fließen von elektrischer Ladung oder Elektronen; wird in Ampere (A) gemessen. Wellenlänge: Der Abstand zwischen zwei benachbarten, äquivalenten Punkten auf einer Welle. Wellenzahl: Der Kehrwert der Wellenlänge. Die Wellenzahl, v=X~ 1 , ist der Frequenz v proportional und wird häufig zur Beschreibung von Welleneigenschaften verwendet.

Fragen und Aufgaben 1. Was sind oc-, ß- und y-Strahlen? Welche dieser Strahlungsarten setzen sich aus Teilchen zusammen? Welche sind Wellen? Warum ist diese Fragestellung unfair? 2. Wodurch unterscheiden sich Thomsons und Rutherfords Atommodelle voneinander, und wie kann dieser Unterschied mit Hilfe der Streuung von aStrahlen gezeigt werden? 3. Auf welche Weise trug Faradays Arbeit auf dem Gebiet der Elektrochemie etwas zur Entdeckung des Aufbaus von Atomen bei? 4. Ein Elektronenfluß von einem Coulomb pro Sekunde entspricht einem Strom von einem Ampere. Wie viele Mole von metallischem Aluminium können beim Durchgang eines Stroms von 1,00 A während einer Zeit von 5 Stunden und 30 Minuten aus einer AlCl 3 -Schmelze abgeschieden werden?

122

4 Die Bestandteile der Materie

5 Wie viele Faraday und Coulomb sind erforderlich, um 0,782 g Cu 2+ zu metallischem Kupfer zu reduzieren? 6 Häufig wird die durch einen Stromkreis hindurchgegangene Ladungsmenge dadurch gemessen, daß die Masse von festem Silber bestimmt wird, das durch Elektrolyse einer Ag + -Lösung abgeschieden wurde. Wenn eine dazu verwendete Kathode eine Massenzunahme von 0,197 g aufweist, sind wie viele Coulomb durch die Elektrolysezelle hindurchgegangen? 7, Welches Beweismaterial gibt es für die Behauptung, daß eine Ladungsmenge von einem Faraday 6,023 x 1023 Elektronenladungen enthält? 8. Angenommen, daß eine Reihe von elektrochemischen Zellen hintereinander aufgebaut wird, von denen jede ein anderes Element abscheidet, wenn durch sie ein Strom hindurchgeht. Wie viele Gramm von jeder der folgenden Substanzen werden in den jeweiligen Zellen abgeschieden, wenn ein Strom von 1,5 A eine Stunde lang durch jede Zelle geschickt wird: Sauerstoff, Kalium, Aluminium und Brom? (Hinweis: Siehe Tabelle 4-1.) 9. Berechnen Sie die Ladung in Coulomb, die dazu nötig ist, ein Wasserstoffion (H + ) in ein Wasserstoffatom umzuwandeln. Erinnern Sie sich daran, daß zur Umwandlung eines Grammatoms von Wasserstoffatomen in H + -Ionen 96500C erforderlich sind. 10. Nehmen Sie einmal an, daß die mit der Umwandlung eines H + -Ions in ein IiAtom verknüpfte Ladung aus Aufgabe 4-9 die Ladung eines Elektrons ist. Berechnen Sie damit die Masse eines Elektrons aus dem von Thomson bestimmten Ladung/Masse-Verhältnis, e j m = 1,76 x 108 C g " 1 . 11. Ein bestimmtes Stück Natrium wiegt 10,0 g. Wie viele Elektronen, Protonen und Neutronen sind in dieser Probe enthalten? Wie groß ist die Gesamtmasse der Elektronen? Wenn alle Elektronen aus der Probe entfernt würden, blieben wie viele Gramm Materie übrig? 12. Geben Sie an, wodurch sich die folgenden Isotope hinsichtlich der Anzahl von Protonen, Neutronen und Elektronen in jedem Atom unterscheiden: Kohlens t o f f - 1 2 und - 1 3 ; Sauerstoff-16, - 1 7 und - 1 8 ; Chlor - 35 und - 3 7 . 13. Welche der folgenden Größen ist der Energie der elektromagnetischen Strahlung proportional: Geschwindigkeit, Wellenzahl oder Wellenlänge? 14. Warum wird in der Spektroskopie die Wellenzahl der Frequenz vorgezogen, wenn eine der Energie proportionale Größe gewünscht wird und wenn normalerweise in der Spektroskopie Wellenlängen gemessen werden ? 15. Wie würde die Farbe einer Lösung aussehen, die grünes Licht absorbiert? 16. Berechnen Sie die Gesamtenergie eines Mols von Heliumionen (a-Teilchen), die eine Geschwindigkeit von 8,4 x 10 6 m s _ 1 besitzen. 17. Wenn ein Photon auf ein Elektron in der Oberfläche eines Metalls trifft, kann es das Elektron zum Austritt aus der Metalloberfläche veranlassen. Welche Größen bestimmen, ob ein Photon diesen Effekt auslösen kann? Wo bleibt die Gesamtenergie des Photons? 18. Wie groß ist die Wellenlänge X einer Strahlung, deren Frequenz v gleich 5,0 x 1014 Hz ist? Welche Farbe besitzt dieses Licht?

Fragen und Aufgaben

123

19. Die Wellenlänge von blaugrünem Licht beträgt 460 nm. Wie groß ist die Frequenz dieses Lichts? 20. Typische Röntgenwellenlängen liegen im Bereich von 0,1-1,0 nm. Berechnen Sie die Energie von Photonen mit einer Wellenlänge von 0,2 nm. Berechnen Sie die molare Energie solcher 0,2 nm-Photonen in kJ m o l - 1 , und vergleichen Sie diesen Wert mit der molaren Bindungsenergie einer Kohlenstoff-KohlenstoffEinfachbindung von 348 kJ mol~ 1 . Würden Sie erwarten, daß Röntgenstrahlen chemische Reaktionen hervorrufen können? 21. Berechnen Sie die Energie von Photonen der 1000-Kilohertz-Radiowellen in Joule/Photon und kJ mol - 1 . (Ein Kilohertz = 1 kHz ist eine Frequenz von 103 Hz = 103 s _ 1 .) Wie groß ist die Wellenlänge solcher Photonen? Wie sieht ihre Energie im Vergleich zur Energie einer Kohlenstoff—Kohlenstoff-Einfachbindung aus? Würden Sie erwarten, daß Radiowellen chemische Reaktionen hervorrufen können? 22. Wenn ein Photon auf eine Metalloberfläche auftrifft, ist eine bestimmte Minimalenergie erforderlich, um ein Elektron aus dem Metall auszulösen. Diese Minimalenergie wird auch als Schwellen- oder Grenzenergie oder auch als Austrittsarbeit bezeichnet und ist für jedes Metall charakteristisch. Jede Überschußenergie des ursprünglichen Photons, die über diese Minimalenergie hinausgeht, wird in kinetische Energie des ausgelösten Elektrons umgewandelt. Die Grenzwellenlänge für die photoelektrische Emission von Elektronen aus Li beträgt 520 nm. Berechnen Sie die Geschwindigkeit von Elektronen, die durch Licht mit einer Wellenlänge von 360 nm ausgelöst wurden. 23. Berechnen Sie den Energieunterschied zwischen den beiden Linien im Emissionsspektrum des Wasserstoffs, die Wellenlängen von 486,1 nm bzw. 434,0 nm besitzen. 24. Berechnen Sie die Energie zweier Linien, die im Emissionsspektrum des Wasserstoffs im sichtbaren Spektralbereich auftreten. Die sichtbare Serie oder Balmer-Serie des Wasserstoffspektrums wird nach der Rydberg-Gleichung mit n1 = 2 und n2 = 3, 4, ..., n berechnet.

5

Die Elektronenstruktur der Atome

In Kapitel 4 stellten wir Ihnen das Beweismaterial vor, das zeigte, daß Atome aus dichten, positiv geladenen Kernen und genug Elektronen bestehen, um die Atome elektrisch neutral zu machen. Dieses Kapitel geht nun auf die Art und Weise ein, wie sich Elektronen um den Kern herum anordnen, und berichtet kurz über die ersten Versuche, den Aufbau der Atome mit Hilfe eines Modells zu erklären, das auf einer Analogie zum Sonnensystem beruhte. Dieses klassisch-mechanische Modell wurde von der Beschreibung der Atome mit Hilfe der modernen Quantentheorie oder Wellenmechanik verdrängt. Wir werden zeigen, daß die Quantentheorie zu einem Bild von den Atomen führt, das einige der Eigenschaften von Atomen sehr gut erklärt. Das wichtigste Ergebnis dieser Theorie ist jedoch, daß sie die Grundlage für das Verstehen der Existenz von Familien oder Gruppen von einander chemisch ähnlichen Elementen liefert. Die Methoden der Quantenmechanik erfordern recht weit fortgeschrittene Kenntnisse der höheren Mathematik, deren Darstellung den Rahmen dieses Buches bei weitem übersteigen würde. Infolgedessen werden wir einfach einige Regeln aufstellen, die aus der mathematischen Analyse abgeleitet werden können, da diese Regeln ihrerseits ohne Schwierigkeiten dazu verwendet werden können, eine systematische Methode der Beschreibung des Verhaltens von Elektronen in Atomen zu entwickeln. Die Kapitel 4 und 5 könnten Sie wegen der außergewöhnlichen Unterschiede zwischen dem Verhalten von Körpern, die groß genug sind, daß wir sie erkennen und fühlen können, und dem Verhalten der winzigen, materiellen Teilchen, aus denen sich ein Atom aufbaut, leicht verwirren und ihr Vorstellungsvermögen zunächst etwas überfordern. Es ist dies jedoch einzig und allein eine Frage der Gewöhnung an neuartige Gedanken und Vorstellungen. Die hier dargestellten Gedanken und Modelle bilden eine unersetzliche Grundlage für das Verständnis vieler wichtiger Tatsachen über den Aufbau und das Reaktionsverhalten von Verbindungen. In gewissem Sinne legen diese beiden Kapitel das Fundament für den Rest des Buches.

5—1 Quantentheorie der Atome 1913 schlug Niels Bohr, ein dänischer Physiker, das Quantenmodell des Wasserstoffatoms vor. Er nahm an, daß der größte Teil der Energie eines angeregten Atoms mit der Bewegung des Elektrons um den Kern herum verknüpft ist, und stellte sich vor, daß die Elektronen sich auf Planetenbahnen bewegen, die denen

125

Quantentheorie der Atome

Abbildung 5 - 1 Das Bohrsche Modell des Wasserstoffatoms.

ähnlich sind, denen die Planeten auf ihrer Bahn um die Sonne herum folgen (Abbildung 5-1). Das erste Problem bei der Beschreibung der Bewegung des Elektrons im Bohrschen Modell für das Wasserstoffatom ist dem Problem der Beschreibung der Bewegung der Planeten im Sonnensystem ähnlich. Das Umlaufen eines kleinen Körpers auf einer Kreisbahn um einen größeren Körper erfordert ein Gleichgewicht der Kräfte: Die Zentrifugalkraft würde den kleineren Körper geradlinig von dem größeren Körper fortfliegen lassen, während ihr die Kräfte entgegenwirken, die zwischen den beiden Körpern anziehend wirken (Abbildung 5-2).

R i c h t u n g der Bahngeschwindigkeit

R i c h t u n g der Zentrifugalkraft

Abbildung 5 - 2 modell.

Darstellung der einander entgegenwirkenden Kräfte im Bohrschen Atom-

Jeder von uns ist mit der Zentrifugalkraft vertraut. Wenn Sie einen Ball an eine Schnur binden und ihn um sich herum kreisen lassen, wird die Zugkraft an der Schnur von der Zentrifugalkraft erzeugt. Wenn die Schnur reißt, fliegt der Ball geradlinig davon. In einem Sonnensystem stellt die Gravitation die Hauptanzie-

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5 Die Elektronenstruktur der Atome

hungskraft zwischen der Sonne und ihren Planeten dar. In einem Wasserstoffatom besitzt die elektrostatische Anziehung zwischen dem positiven Kern und dem negativen Elektron die größte Bedeutung. Die Gravitationsanziehung zwischen dem Kern und dem Elektron ist vernachlässigbar klein, da ihre Massen sehr gering sind. Die einander entgegengesetzten, miteinander im Gleichgewicht stehenden Kräfte bei der Bewegung eines Elektrons auf einer Kreisbahn um ein Proton herum können mit Hilfe einfacher physikalischer Gesetze exakt formuliert werden. Die Beziehung lautet Zentrifugalkraft = Elektrostatische Anziehungskraft mtv2

_

1 e2 ' ~2 47i£0 r

(5-1)

wobei m e die Masse des Elektrons, v seine Geschwindigkeit, r der Radius seiner Umlaufbahn, e die Elementarladung (d.h. -e für das Elektron und +e für das Proton) und 1/4 ns 0 die Konstante aus dem Coulombschen Gesetz für die elektrostatische Anziehung oder Abstoßung zwischen zwei Ladungen bedeuten. Der Ausdruck auf der rechten Seite von Gleichung 5-1 stellt den üblichen Ausdruck für die Wechselwirkungskraft zwischen zwei elektrisch geladenen Teilchen dar, und der Ausdruck auf der linken Seite ist der mathematische Ausdruck für die Zentrifugalkraft. Derartige Kräfte sind nun stets Vektoren, d. h. sie besitzen sowohl eine Richtung als auch einen Betrag. Im vorliegenden Fall wirkt die Zentrifugalkraft in entgegengesetzter Richtung zur elektrostatischen Anziehungskraft zwischen den beiden Teilchen. Wenn die beiden einander entgegengesetzten Kräfte gleich groß sind, wie von Gleichung 5-1 verlangt wird, liegt ein Gleichgewicht vor, das es dem Elektron erlaubt, auf seiner Bahn zu bleiben. Bohr schlug vor, daß die verschiedenen Energiezustände des Wasserstoffatoms, die sich in den diskreten Linien seines atomaren Emissionsspektrums offenbaren (Abbildung 4-14), auf verschiedene Umlaufbahnen mit verschiedenen Energien des Elektrons zurückzuführen sind. Der niedrigste Energiezustand ist der, bei dem der Radius der Umlaufbahn am kleinsten und somit die Anziehungskraft zwischen dem Kern und dem Elektron am größten sind. Dem Atom muß Energie zugeführt werden, um das Elektron auf eine Umlaufbahn mit einem größeren Radius anzuheben, da zur Trennung von positiven und negativen Ladungen Arbeit erforderlich ist. Die Emission von Licht war dann mit dem Energieverlust verknüpft, der eintrat, wenn ein Elektron von einer Umlaufbahn auf eine andere mit kleinerem Radius „sprang". Das wirkliche Problem war jedoch die Erklärung des diskreten Emissionsspektrums. Die Gleichung (5-1) ergibt für einen beliebigen Wert von r einen bestimmten Wert für v, so daß alle möglichen Energieübergänge danach darstellbar wären. Warum gibt es dann nicht eine unbegrenzte Anzahl von Energiezuständen, die mit einer kontinuierlichen Änderung von r in Zusammenhang stehen? Bohr machte den ebenso einleuchtenden wie genialen Vorschlag, daß die Energie des Elektrons quantisiert sein muß, d. h. das Elektron kann nur bestimmte, genau vorgeschrie-

Quantentheorie der Atome

127

bene Energiebeträge aufnehmen oder abgeben. Mit dieser Einschränkung können wir erkennen, daß dem Elektron nur eine begrenzte Anzahl von stabilen Umlaufbahnen zur Verfügung stehen. Mit Hilfe der Quantenhypothese und der klassischen Gesetze der Physik entwickelte Bohr die folgende Formel zur Beschreibung der Quantenzustände des Wasserstoffatoms (5-2) wobei n eine ganze Zahl bedeutet, die Hauptquantenzahl genannt wird und die Werte von 1, 2, 3, ... annehmen kann; h ist das Plancksche Wirkungsquantum. Das negative Vorzeichen deutet einen stabileren (niedrigeren) Energiezustand an, bei dem sich das Elektron in größerer Nähe des Kerns befindet und mit ihm in Wechselwirkung treten kann. Wenn das Elektron völlig vom Kern entfernt ist, ist die Energie des Systems definitionsgemäß gleich Null. Die Gleichung (5-2) kann in eine einfachere Form umgeschrieben werden

Jede Größe in Gleichung (5-2) mit Ausnahme von n ist eine Konstante, und diese Konstanten wurden in Gleichung (5-3) zu der Größe R' zusammengefaßt. Die Gleichung (5-3) gibt die Gesamtenergie des Elektrons im Atom an, die seine potentielle und kinetische Energie umfaßt. Der Wert von E wird durch den Wert von n bestimmt. Wenn das Elektron in seinem niedrigsten Energiezustand (auch Grundzustand genannt, bei dem n = 1 ist) Energie aus einer äußeren Quelle absorbiert, kann es z. B. auf den nächsthöheren Energiezustand (n = 2) übergehen, und das Atom besitzt die neue Energie E2. Der Energieunterschied ¿dazwischen diesen beiden Zuständen ergibt sich dann zu AE = E2

-E (5-4)

Wenn wir AE mit Hilfe der Planckschen Gleichung für die Photonenenergie in Gleichung (5-4) substituieren AE = hv = herhalten wir

(5-5)

128

5 Die Elektronenstruktur der Atome

und damit 1 /

R' ( 1 he

1 n\

(5-6)

Vergleichen Sie nun einmal diesen letzten Ausdruck mit der in Abschnitt 4-11 vorgestellten Rydberg-Gleichung (4-7). Das Verhältnis R'/hc kann berechnet werden, da alle in R' enthaltenen Größen und auch h und c bekannt sind. Dieser berechnete Wert von R'/hc stimmt sehr gut mit der experimentell bestimmten Rydbergkonstante überein. Diese Übereinstimmung zwischen Experiment und Theorie bedeutete einen großen Erfolg für das Bohrsche Atommodell. Die Werte von n, der Hauptquantenzahl, bestimmen die Energie des Atoms. Wenn wir n gleich eins setzen, können wir den Radius des Wasserstoffatoms in seinem Grundzustand berechnen, für den wir den Wert 0,0529 nm erhalten. Wenn n größer wird, erhöht sich die Energie des Systems (die Energie wird weniger negativ!), und das Elektron ist weiter vom Kern entfernt. Um die Energieverhältnisse in diesem einfachen System noch eingehender zu erläutern, lassen Sie uns auf Gleichung (5-3) zurückkommen: Das negative Vorzeichen deutet darauf hin, daß beim Wasserstoffatom anziehende Kräfte vorherrschen. Lassen Sie z. B. n sehr groß werden, so daß es gegen Unendlich geht. Dies bedeutet dasselbe, wie wenn wir sagen würden, daß sich das Elektron so weit vom Kern entfernt hat, daß keine anziehenden Kräfte mehr auf es einwirken. Wenn sich jedoch das Elektron nun dem Kern nähert (d.h. n kleiner wird), beginnen die Anziehungskräfte zu wirken, und das System Elektron-Kern wird stabiler oder energieärmer. Dieser Sachverhalt wird durch das negative Vorzeichen dargestellt. Das Einsetzen der Zahlenwerte für die Größen, die in R' in Gleichung (5-3) enthalten sind, ergibt einen Wert von - 1 3 , 6 eV'für n = 1. Diese Energie muß aufgewendet werden, um das Elektron aus dem Wasserstoffatom zu entfernen. Beispiel 5-1 Berechnen Sie die Wellenlänge der Wasserstoffemissionslinie, die entsteht, wenn das Elektron vom Niveau n = 4 auf das Niveau n = 2 übergeht. Lösung Durch Einsetzen in Gleichung (5-6) erhalten wir

= 1,09678 x 107 m" 1 7

-1

-

= 1,09678 x 10 m x 0,1875 « 2,0569 x 106 m" 1 À = 4 , 8 6 x 10" 7 m = 486 nm

Quantentheorie der Atome

129

Diese Linie liegt in der sichtbaren Balmer-Serie des Wasserstoffspektrums. Beispiel 5-2 Berechnen Sie die Energie, die dazu erforderlich ist, ein Mol Wasserstoffatome zu ionisieren. Lösung Die Energie, die zur Ionisierung eines Wasserstoffatoms benötigt wird, kann direkt aus der Beziehung

berechnet werden. Wir können uns den Ionisierungsprozeß so vorstellen, als ob das Elektron aus dem Grundzustand mit nt = 1 in einen unendlich großen Abstand vom Kern überführt wird, was durch n2 = oo wiedergegeben wird. Wenn wir damit in die Gleichung gehen und auch die Werte für die Konstanten einsetzen, erhalten wir AE = (6,626 x 10" 3 4 Js) x (3,00 x ^ « m s " 1 )

= 2,18 x 10 ~ 18 J Dieses ist die zur Ionisierung eines Wasserstoffatoms erforderliche Energie. Für ein Mol oder 6,022 x 1023 Wasserstoffatome erhalten wir damit ÄE = 6,022 x 1023 m o l - 1 x 2,18 x 10" 18 J = 1,31 x 106 J mol" 1 = 1310 kJ mol" 1 Die Abbildung 5-3 zeigt die Anordnung der berechneten Energieniveaus des Wasserstoffatoms für die Quantenzahlen bis n = oo. Ein angeregtes Wasserstoffatom, dessen Elektron sich in der Umlaufbahn mit n = 4 befindet, könnte Licht ausstrahlen, indem das Elektron auf eine Umlaufbahn mit kleinerer Quantenzahl (n = 1,2 oder 3) übergeht. Diese Übergänge würden zu drei verschiedenen Emissionslinien führen, die in verschiedenen Bereichen des Spektrums lägen. Als erst einmal das Bohrsche Atommodell vorgestellt war, wurde es recht einfach, die verschiedenen Serien der atomaren Emissionslinien zu erklären, die Jahre zuvor von den Spektroskopikern beobachtet worden waren. Die Abbildung 5-3 zeigt einen größeren Energieunterschied zwischen dem Grundzustand, E1, und den höheren Energieniveaus, als er zwischen irgendwelchen zwei anderen Niveaus vorkommt. Daraus folgt, daß ein Elektron, das aus den Niveaus E2, E3,..., E„ auf das Niveau Ex übergeht, mehr Energie abgibt als ein Übergang von, sagen wir einmal, E3, EA,..., E„ auf das ^ - N i v e a u . Da bei den Übergängen auf Ex mehr Energie freigesetzt wird, muß das bei diesen Übergängen emittierte Photon eine höhere Frequenz besitzen. Tatsächlich umfassen alle Übergänge auf

130

5 Die Elektronenstruktur der Atome

das -Niveau Photonen im ultravioletten Spektralbereich. Übergänge auf die Zustände E2 und E3 aus höheren Energieniveaus entsprechen der Emission von Photonen im sichtbaren (E 2 ) bzw. infraroten (£ 3 ) Bereich des Spektrums. Die in Abbildung 5-3 gezeigten Linienserien wurden nach den Spektroskopikern benannt, deren Pionierarbeiten die Grundlage zur Überprüfung der Bohrschen Theorie lieferten. n = °o ( £ = 0) / > « =

7(E7)

"A- n = 6

(E6)

n = 4(£4) " n = 3(£3) -

n

= 2 (£,)

N a m e n der Linienserien A = Lymanserie B = Balmerserie C = Paschenserie D = Brackettserie

n= 1 (£,)

Abbildung 5 - 3

Die Energieniveaus des Wasserstoffatoms.

Beispiel 5-3 Ordnen Sie die folgenden Elektronenübergänge im Wasserstoffatom den jeweiligen Serien zu, und stellen Sie sie in einer Reihe nach anwachsender Energie zusammen «3 Lösung «3

«2 ; «4

«3 «4

"l ; «2

«1 ; «5

«2 (Balmer) ; « 4 -»• n3 (Paschen) ;n4.^-nl

"4 (Lyman); n2 -*• «1 (Lyman); n5

131

Moderne Quantentheorie

« 4 (Brackett). Die Reihenfolge der Übergänge nach wachsender Energie geordnet ist «5

5-2

«4

«3; n3 -*• n2; n2

nx; nA

«!

Moderne Quantentheorie

Die Bohrsche Theorie leistete Großartiges beim Wasserstoffatom, zeigte aber schwerwiegende Mängel bei allen anderen Atomen, die mehr als ein Elektron besitzen. Zahlreiche Versuche zur Verbesserung der Theorie wurden unternommen, indem eine Vielzahl von Annahmen gemacht wurden, einschließlich des Postulats, daß sich einige Elektronen auf elliptischen Bahnen und nicht auf den einfachen, von Bohr vorgeschlagenen Kreisbahnen bewegen. Es lohnt sich nicht, diese Modifizierungen im einzelnen zu betrachten. Bemerkenswert ist jedoch, daß der Hauptgrund für die Einführung neuer Modelle von der Notwendigkeit ausging, weitere Quantenzahlen zu finden, um die Beobachtungen vieler unerwarteter Linien in den Emissionsspektren von Atomen zu beschreiben, die komplexer als das Wasserstoffatom aufgebaut sind. Die Versuche, die Bohrsche Theorie zu modifizieren, endeten nicht wegen ihres völligen Versagens, sondern wegen des Auftretens einer neuen, leistungsfähigeren Theorie. 1923 machte Louis de Broglie den sehr wichtigen Vorschlag, daß auch Teilchen wie Elektronen oder Protonen Welleneigenschaften besitzen könnten. Eine Art, sich die Bedeutung der Welleneigenschaften eines Teilchens zu veranschaulichen, ist es, sich die Bewegung eines geradlinig fliegenden Elektrons vorzustellen. Obwohl die Flugbahn im Durchschnitt eine gerade Linie darstellen würde (siehe Abbildung 5-4), könnten wir uns vorstellen, daß die tatsächliche Bewegung



Mittlere F l u g b a h n ' des E l e k t r o n s

Abbildung 5 - 4 Eine Darstellung der Flugbahn eines Elektrons, bei der die mittlere, geradlinige Bahn von einer Wellenbewegung überlagert ist.

ein Hin- und Herschwingen des Elektrons um die Durchschnittsbahn sein könnte. Wir wissen heute, daß es nicht möglich ist, die genaue Flugbahn eines sich bewegenden Elektrons exakt genug zu messen, um bestimmen zu können, ob ein derartiges Hin- und Herschwingen wirklich stattfindet. Wir können nur sagen, daß die Art der Wechselwirkung des Elektrons mit anderen Teilchen entlang seiner Bahn darauf hindeutet, daß es gewisse Welleneigenschaften besitzt. De Broglie schlug nun vor, daß die Bewegung eines jeden beliebigen Körpers einer Wellengleichung und nicht den klassischen Bewegungsgesetzen folgen sollte. Jedoch wird der Einfluß der Welleneigenschaften mit wachsender Masse des Körpers immer geringer. Die Unbestimmtheit bei der momentanen Flugbahn eines Elektrons ist groß genug, um bei der Erklärung seines Verhaltens eine wichtige Rolle zu spielen. Bei

132

5 Die Elektronenstruktur der Atome

einem Teilchen von der Masse eines Protons ist jedoch diese Unbestimmtheit sehr klein, und sie wird bei Körpern, die groß genug sind, daß wir sie sehen können, völlig vernachlässigbar. Die Wellentheorie der Materie führt zur Heisenbergschen Unschärferelation. Die Unschärferelation besagt, daß es theoretische Grenzen für die Genauigkeit gibt, mit der die Bewegung irgendeines Körpers bestimmt werden kann. Der Begriff der Unschärfe oder Unbestimmtheit ist nicht so leicht zu verstehen, da er sich mit Dingen beschäftigt, die außerhalb des Bereiches unserer direkten Beobachtung, d.h. unserer Alltagserfahrung, liegen. Jedoch können uns einige „Gedankenexperimente" vielleicht ein Gefühl dafür vermitteln, was die Unschärferelation bedeutet: Stellen Sie sich einmal vor, daß wir versuchen, uns sehr kleine Körper dadurch „anzusehen", daß wir sie mit Elektronen beschießen. (Dies bedeutet keinen wesentlichen Unterschied zur Bestrahlung mit Licht, da wir uns das Licht auch als teilchenähnlich, aus Photonen zusammengesetzt vorstellen können.) Wenn die Körper viel größer als Elektronen sind, können wir beobachten, wie die Elektronen von ihnen abprallen. Wir wissen, daß ein Elektron beim Zusammenstoß einen Impuls an den größeren Körper abgeben muß, der ihn in Bewegung versetzt. Wir können die Bewegung des schwereren Körpers so lange vernachlässigen, wie er sehr viel schwerer als das Elektron ist. Wenn jedoch unser Beobachtungsgegenstand ein anderes Elektron ist, ist zu erwarten, daß es der Zusammenstoß in schnelle Bewegung versetzt. Infolgedessen vertreibt gerade die Beobachtung den Beobachtungsgegenstand, wodurch eine große Unbestimmtheit in seiner Lage entsteht. Eine mathematische Analyse des Sachverhalts mit Hilfe von Wellengleichungen führt zu der folgenden Fassung der Unschärferelation, wie sie zuerst von Heisenberg beschrieben wurde /Unschärfe\ / Unschärfe \ . ..„ , Plancksches Wirkungsquantum , x , T , ist großer als \ des Ortes/ \des Impulses/ An (Ax)x(Amv)>—

h 471

(5-7)

wobei x die Ortskoordinate, m die Masse und v die Geschwindigkeit des Körpers ist. Die Unschärferelation führt direkt zu dem Schluß, daß die Bohrsche Theorie falsch ist, da in ihr die Bewegung der Elektronen in Bezug auf ihre jeweiligen Kerne zu scharf definiert ist. Die Bewegung eines Photons oder eines Elektrons kann nur mit einer gewissen Unschärfe bekannt sein, wenn wir seine Position so genau bestimmt haben, wie es in der Aussage zum Ausdruck kommt, daß es sich in einem Volumen von einigen 10"30 m 3 um den Kern herum aufhält. Beispiel 5-4 Die Unschärfe in der Ortskoordinate eines Elektrons sei 0,001 nm, und seine Masse betrage 9 x 10"31 kg. Berechnen sie damit die Unschärfe in der Geschwindigkeit des Elektrons.

133

Moderne Quantentheorie

Lösung h

Amvx

Ax = — 471

Amv =

6,63 x 10~ 34 Js 4(3,14) x (1 x 10

m)

= 5,28 x 10~23 k g m s " 1 = m(A v) Damit ergibt sich für die Unschärfe in der Geschwindigkeit Av=

5,28 x 10" 23^31k g m s " 1 9 x 10" kg

= 5,8 x 107 m s _ 1 Dies bedeutet eine sehr große Unschärfe in der Geschwindigkeit des Elektrons (etwa 2,1 x 108 km h" 1 oder 210000000 km h" 1 ). Die Formulierung von Wellengleichungen zur Beschreibung der Bewegung eines Elektrons in einem Wasserstoffatom beseitigt einerseits die unerwünschte, übergenaue Beschreibung der Bohrschen Theorie und führt gleichzeitig zu der Einführung zusätzlicher Quantenzahlen. Die Lösungen der Wellengleichungen werden Wellenfunktionen genannt und stellen mathematische Funktionen dar, die den Funktionen ähneln, die die Bewegung von Wellen über eine Wasserfläche beschreiben. Diese Funktionen besitzen nicht mehr die Form einer Flugbahn, sondern können als ein Maß für die Wahrscheinlichkeit interpretiert werden, mit der das Elektron an verschiedenen Punkten des Raums anzutreffen ist. Das moderne Modell eines WasserstofTatoms baut sich auf die folgenden Schritte auf, wobei Sie jedoch stets daran denken sollten, daß diese Schritte einige recht komplexe mathematische Beziehungen umfassen: 1. Stellen Sie eine Wellengleichung für ein negatives Elektron auf, das sich unter dem Einfluß der elektrostatischen Kraft des positiv geladenen Kerns bewegt. 2. Lösen Sie diese Wellengleichung. Die Lösung ist eine Wellenfunktion, in der der Abstand zwischen dem Elektron und dem Kern vorkommt. 3. Berechnen Sie die Funktion für viele Punkte im Raum in der Nähe des Kerns. 4. Bilden Sie das Quadrat des Absolutbetrages der Funktion an den verschiedenen Punkten. Das Quadrat des Absolutbetrages der Wellenfunktion ist der Wahrscheinlichkeit proportional, ein Elektron in einem bestimmten Volumenelement des Raumes anzutreffen. 5. Zeichnen Sie die Ergebnisse auf, indem Sie Punkte zur Kennzeichnung relativer Wahrscheinlichkeitsdichten verwenden. Eine Darstellung des quadrierten Absolutbetrages der Wellenfunktion für das Wasserstoffatom in seinem niedrigsten Energiezustand zeigt Abbildung 5-5. Die

134

5 Die Elektronenstruktur der Atome

äußere Grenze schließt ein Volumen ein, das etwa 90 % der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons umfaßt.

Abbildung 5 - 5 Darstellung der Elektronendichteverteilung für den niedrigsten Energiezuzustand des Wasserstoffatoms.

Wegen der Form der Ergebnisse diskutieren die Naturwissenschaftler die Position von Elektronen in Wasserstoffatomen und anderen Atomen mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsdichte oder Elektronendichte. Mit anderen Worten, wir können über das Elektron genauso gut diskutieren, als ob es eine große, diffuse Wolke von veränderlicher Dichte ist, wie wenn wir versuchen würden, irgendeine märchenhafte Geschichte über eine sehr schnelle Bewegung zu erfinden, die theoretisch nicht nachgeprüft werden kann. Wie bei der Bohrschen Theorie ergeben die verschiedenen Lösungen der Wellengleichung des Wasserstoffatoms dieselbe gute Übereinstimmung für die Differenzen zwischen den einzelnen Energieniveaus, die durch das Emissionsspektrum des atomaren Wasserstoffs experimentell bestimmt werden können. Die zusätzlichen Quantenzahlen, die aufgrund von mathematischen Bedingungen zur Lösung der Wellengleichung eingeführt wurden, helfen dabei, die Probleme zu lösen, die beim Vergleich von Wasserstoffatomen mit anderen, komplizierteren Atomen auftauchen. Die Lösungen der Wellengleichung werden Orbitale genannt, weil sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den Bohrschen Umlaufbahnen (Orbitalen) besitzen. Ein Orbital kann graphisch dadurch beschrieben werden, daß seine Wahrscheinlichkeitsdichte aufgetragen wird. Orbitale besitzen eine Vielzahl von Formen, und die meisten nichtmathematischen Diskussionen über die Elektronenstruktur von Atomen und Molekülen werden anhand von Eigenschaften der Orbitale geführt, die graphisch dargestellt werden können. Im nächsten Abschnitt werden wir die Orbitalformen vorstellen, die mit den verschiedenen Quantenzahlen verknüpft sind. Da wir nicht versucht haben, Ihnen die Mathematik der modernen Quantenmechanik darzustellen, müssen wir Sie bitten, die Quantenzahlen und ihre Bedeutung einfach zu akzeptieren, wobei wir Ihnen versichern, daß bei der Mathematik keine faulen Tricks im Spiele sind. Die Grundannahme, auf die sich die gesamte Quantenmechanik aufbaut, wurde bereits genannt: Materie besitzt Welleneigenschaften.

Die Quantenzahlen

135

5—3 Die Quantenzahlen Drei Quantenzahlen ergeben sich automatisch bei der Lösung der Wellengleichung des Wasserstoffatoms. Eine vierte Quantenzahl kommt hinzu, um die speziellen Eigenschaften eines Elektrons zu berücksichtigen, die beobachtet werden, wenn es sich in einem Magnetfeld befindet.

Die Hauptquantenzahl, n Die erste Quantenzahl entspricht ziemlich genau der Bohrschen Orbitalquantenzahl. Sie kann jeden beliebigen, ganzzahligen Wert, beginnend mit eins, annehmen. Die Energien der Wasserstofforbitale werden nur von der Hauptquantenzahl n bestimmt

^

(«)

Wenn die Werte von n zunehmen, erhöht sich die Energie ( - 1 ist größer als - 2 , nämlich weniger negativ!), und das Orbital breitet sich weiter aus. Somit erhöht sich damit auch der durchschnittliche Abstand zwischen dem Elektron und dem Proton.

Die Bahndrehimpulsquantenzahl, / Das in Abbildung 5 - 5 dargestellte Orbital ist symmetrisch, d.h. bei ihm ist die Elektronendichte (genauer die Dichte der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons) nur vom Abstand zum Kern abhängig. Es gibt andere Orbitale, die Elektronendichtewolken besitzen, die in bestimmten Richtungen des Raumes konzentriert sind und somit eine Abhängigkeit von den räumlichen Winkeln aufweisen. Die Gestalt der Orbitale wird durch die sogenannte Bahndrehimpulsquantenzahl / bestimmt, die Werte von 0, 1, 2 , . . . , « - 1 annehmen kann, wobei die mathematischen Bedingungen, aus denen sich diese Quantenzahl ergab, ihr die Einschränkung auferlegen, daß / stets kleiner als n sein muß. Die Abbildung 5 - 6 zeigt die Darstellung einer Elektronendichteverteilung für ein Orbital mit n = 2 und /= 1. z

Abbildung 5-6 Elektronendichteverteilung für ein Orbital mit n — 2 und / = 1 (p-Elektron).

136

5 Die Elektronenstruktur der Atome

Beispiel 5-5 Welche Werte von / sind für Elektronen zugelassen, die sich in Orbitalen mit den Hauptquantenzahlen (n) 1,2 und 3 befinden? Lösung Für n = 1 kann / nur den Wert null annehmen, da / höchstens so groß wie (n - 1) werden darf, was in diesem Fall 1 - 1 = 0 ergibt. Für n = 2 kann / die Werte 0 und 1 annehmen, nicht aber den Wert 2, da der Grenzwert für / wieder gleich (« - 1) oder 2 - 1 = 1 ist. Für n = 3 kann / die Werte 0 , 1 und 2 annehmen, nicht aber den Wert 3, da, wie wir gesagt haben, / stets kleiner als n bleiben muß.

Die magnetische Quantenzahl, m Ein sich bewegendes Elektron erzeugt ein magnetisches Feld. Auf diesem Prinzip beruht die Wirkung von Elektromagneten, bei denen ein elektrischer Strom durch einen Draht fließt, der, wie in Abbildung 5-7 gezeigt ist, um einen Eisenkern gewickelt ist.

A, N

i

Eisenkern

br-d Elektrischer Strom

Abbildung 5 - 7 Ein Elektronenstrom erzeugt ein magnetisches Feld.

Die magnetischen Eigenschaften der Elektronen tragen unter gewöhnlichen Umständen nicht viel zu ihren Energien bei, aber sie werden wichtig, wenn Atome in ein Magnetfeld gebracht werden. Ein derartiges Magnetfeld besitzt immer eine bestimmte Richtung, was dazu führt, daß sich bevorzugte Bereiche mit hoher Wahrscheinlichkeitsdichte für Elektronen ausbilden.

Die Quantenzahlen

137

Die magnetische Quantenzahl m beschreibt die Anzahl von Orientierungsmöglichkeiten im Raum, die ein bestimmter Typ von Orbital relativ zur Richtung des magnetischen Feldes annehmen kann. Die magnetische Quantenzahl kann sowohl positive als auch negative ganzzahlige Werte sowie den Wert null annehmen (d. h. -/, -1+1, ..., -2, - 1 , 0 , 1,2, ..., / - 1 , / ) . m= Der Bereich der für m möglichen Werte ist wiederum durch mathematische Bedingungen eingeschränkt, die zur Lösung der Wellengleichung erfüllt sein müssen: m kann jeden ganzzahligen Wert einschließlich null zwischen den Werten - / und + / annehmen. Wenn 1 = 0 ist und das Orbital eine kugelsymmetrische Gestalt besitzt, hat die Orientierung im Raum keine Bedeutung für das Orbital, und es gibt nur einen Wert für m, der gleich null ist. Wenn jedoch / = 1 ist und die Elektronendichteverteilung eine Vorzugsrichtung besitzt (siehe Abbildung 5-6), gibt es drei Orientierungsmöglichkeiten dieser Orbitale im Raum entlang der X-, Y- und Z-Richtung. Diese entsprechen den drei Werten +1,0 und - 1 , die m annehmen kann, wenn 1 = 1 ist. Beispiel 5-6 Welche Werte können die Quantenzahlen / und m annehmen, wenn die Hauptquantenzahl eines Elektrons den Wert 3 besitzt? Lösung Der Wertebereich von / erstreckt sich von 0 bis 2. Die für m möglichen Werte hängen von dem jeweiligen Wert von / ab. Alle Möglichkeiten sind in Tabelle 5-1 dargestellt. Tabelle 5-1

/ 0 t 2

Die für / und m erlaubten Werte bei n = 3.

m

Anzahl der Zustände 1 3 5

0 -1,0, 1 - 2 , - 1 , 0 , 1,2 Gesamtzahl der Zustände

9

Die Spinquantenzahl, s Die (nichtrelativistische) Wellenmechanik liefert drei Quantenzahlen für die Beschreibung der Bewegung eines Elektrons um einen Kern. Jedoch zeigten viele Experimente, daß diese drei Quantenzahlen nicht dazu ausreichen, die Eigenschaften von Atomen oder auch nur von freien Elektronen vollständig zu beschreiben. So werden z. B. durch ein Magnetfeld mehr Veränderungen des Wasserstoffspektrums hervorgerufen, als nach den Zuständen mit unterschiedlichen mWerten zu erwarten wäre. Tatsächlich erscheinen genau doppelt so viele Zustände, wie vorausgesagt wurden. Diese Art von Beobachtungen führten zu der Vorstellung, daß mit jedem Elektron ein winziges magnetisches Feld verknüpft sein muß,

138

5 Die Elektronenstruktur der Atome

daß auch vorhanden ist, wenn das Elektron ruht. Ein derartiges Magnetfeld könnte z. B. entstehen, wenn das Elektron eine kleine, geladene Kugel wäre, die sich um ihre eigene Achse dreht, wie sich auch die Erde um ihre Achse dreht. Da wir Elektronen natürlich nicht direkt beobachten können, können wir auch nicht sehen, ob sie sich ,wirklich' drehen. Die zusätzliche Quantenzahl wird jedoch als Spinquantenzahl s bezeichnet, da das Elektron einen Eigendrehimpuls oder Spin besitzt, der seinerseits das winzige Magnetfeld des Elektrons bedingt. Wir nehmen an, daß die Spinquantenzahl eines Elektrons nur einen von zwei möglichen Werten annehmen kann. Wegen des Zusammenhangs der Spineigenschaften des Elektrons mit den magnetischen Eigenschaften, die aufgrund seiner Bewegung durch den Raum entstehen, werden der Spinquantenzahl 5 die beiden Werte + j und zugeschrieben. (Die Spinquantenzahl s ist die einzige Quantenzahl, deren Wert nicht ganzzahlig ist. Wie aus den Emissionsspektren der Atome hervorgeht, kann der Spin oder Drehimpuls eines Elektrons nur zwei Zustände einnehmen, die sich um eine quantenmechanische Einheit des Drehimpulses unterscheiden, deren Betrag gleich \ f i = \ h/2 n ist. Dies geht jedoch nur, wenn der Drehimpuls des Elektrons in einem Feld + \ h bzw. — j h beträgt.) Beispiel 5-7 Beschreiben Sie den Grundzustand des Wasserstoffatoms durch einen Satz von Werten, die die vier Quantenzahlen n, /, m und s annehmen können. Lösung Der Ausdruck „Grundzustand" kennzeichnet den Zustand niedrigster Energie. Somit muß beim Wasserstoffatom« = 1 sein. Wenn aber« = 1 ist, kann / nur den Wert null besitzen. Da seinerseits m auf die Werte von + / , . . . , 0 , — / beschränkt ist, bleibt für die magnetische Quantenzahl ebenfalls nur der Wert m = 0 übrig, wenn 1 = 0 ist. Die Spinquantenzahl s kann die Werte + j annehmen, und wir erhalten zwei Sätze von Quantenzahlen: n = 1, 1=0, m = 0 und s = +

Die Anwendung der Quantenzahlen 1924 ging ein junger, deutscher Physiker, Wolfgang Pauli, in Bohrs Laboratorium, um den alten Meister über die Quantenmechanik aufzuklären. Darüber hinaus gelang ihm dies auch! Eines der Hauptprobleme der Theorie des Aufbaus der Atome war die Beschreibung von Atomen, die viele Elektronen besaßen. Diese Elektronen werden alle vom positiv geladenen Kern angezogen, stoßen sich aber selbst gegenseitig ab. Die mathematischen Probleme, die von Modellen aufgeworfen werden, bei denen viele Teilchen miteinander in Wechselwirkung treten, können heute noch nicht gelöst werden. Infolgedessen arbeiten Theoretiker hart daran, Näherungsoder Teillösungen zu finden, die wenigstens das Verhaltensmuster komplexer Systeme zu beschreiben erlauben. Ein besonders schwieriges Problem stellte in den zwanziger Jahren die Erklärung der Abhängigkeit von der Ordnungszahl dar, die sich bei einer Untersuchung der Energie ergab, die dazu benötigt wurde, ein Elek-

Elektronenstrukturen von Atomen

139

tron aus verschiedenen Atomen zu entfernen, d. h. ihre Ionisierungsenergien. Sehen Sie sich einmal die Ionisierungsenergien der ersten drei Elemente im Periodensystem an, die in Tabelle 5-2 angegeben sind. Tabelle 5 - 2

Die Ionisierungsenergien der ersten drei Elemente.

Element

Ordnungszahl

Ionisierungsenergie (eV)

H He Li

1 2 3

13,6 24,5 5,4

Ein derartiges Verhalten scheint völlig verrückt zu sein. Jede Erhöhung der Ordnungszahl führt dem Kern eine positive Elementarladung mehr zu, wobei sich dann auch die Zahl der Elektronen um eins erhöht. Wir können sehen, daß beide Elektronen des Heliums weitaus fester als das eine Elektron des Wasserstoffs an ihren Kern gebunden sind, da die Ionisierungsenergie ja die Energie angibt, die dazu erforderlich ist, ein Elektron aus dem Atom zu entfernen. Wie können wir diesen Sachverhalt nun erklären? Offensichtlich zieht der zweifach positiv geladene Heliumkern jedes Elektron mit einer stärkeren Kraft an, als sie der nur einfach positiv geladene Kern des Wasserstoffatoms auf sein Elektron ausübt. Auf irgendeine Weise gehen sich die beiden Elektronen im Helium einander aus dem Weg, so daß die Abstoßung zwischen den Elektronen keine so große Bedeutung erlangt wie die verstärkte Anziehung durch den Kern. Beim Lithium ändert sich jedoch die Ionisierungsenergie in entgegengesetzter Richtung. Im Falle des Lithiums müssen wir also sagen, daß die Abstoßung der Elektronen untereinander die Hauptrolle spielt, obwohl sich auch die Kernladung weiter erhöht hat. Pauli machte nun einen sehr einfachen Vorschlag, der viel dazu beitrug, das Problem zu lösen. Er schlug vor, daß nur ein Elektron dieselben vier Quantenzahlen besitzen kann. Wenn wir einmal annehmen, daß die Orbitale, die zur Beschreibung von Elektronen in komplizierteren Atomen verwendet werden, denen des Wasserstoffatoms ähnlich sind, dann können wir damit fortfahren, ein Modell für die Elektronen in Atomen zu entwickeln, das eine Grundlage für den größten Teil der heutigen Vorstellungen von der chemischen Struktur und dem chemischen Reaktionsvermögen bildet. Der von Pauli gemachte Vorschlag ist unter dem Namen Paulisches Ausschließungsprinzip bekannt geworden.

5—4 Elektronenstrukturen von Atomen Im niedrigsten Energiezustand des Wasserstoffatoms wird das Elektron ein Orbital mit n = 1 besetzen. Die Werte von / und m sind dann notwendigerweise gleich null, und die Spinquantenzahl 5 kann die Werte oder annehmen. Somit gibt es

140

5 Die Elektronenstruktur der Atome

zwei Arten von Grundzuständen (stabilste Zustände) des Wasserstoffatoms, die sich jedoch bei allen Experimenten, an denen kein Magnetfeld beteiligt ist, als einander gleichwertig erweisen. In einem Magnetfeld werden sich aber die Wasserstoffatome mit s = + 7 und s = - j unterschiedlich verhalten. Dieselbe Sachlage wird bei jedem Atom oder Molekül eintreten, das eine ungerade Anzahl von Elektronen enthält. Derartige Atome oder Moleküle können mit Hilfe der Elektronen-Spin-Resonanz (ESR) untersucht werden. Im Heliumatom können beide Elektronen dem Orbital mit n = 1 zugeschrieben werden, wobei beide Spinquantenzahlen benutzt werden. Die dem Grundzustand des Heliumatoms (He) zugeordneten Quantenzahlen sind Elektron 1: Elektron 2:

n= 1 n= 1

1=0 1=0

m =0 m=

J= —

Diese Beschreibung setzt voraus, daß sich die beiden Elektronen im selben Volumen des Raumes um den Kern herum aufhalten, jedoch müssen sie sich gegenseitig aus dem Weg gehen, so daß sie nicht gleichzeitig irgendein bestimmtes, kleines Volumenelement besetzen. Es ist also möglich, daß zwei Elektronen dasselbe Orbital (gleiche n, l und m) besetzen, so lange sie sich durch ihre Spinquantenzahlen unterscheiden. Im Lithiumatom (Li) muß infolgedessen eines der drei Elektronen ein Orbital mit n = 2 besetzen. Somit lauten die Quantenzahlen für den Grundzustand des Lithiumatoms Elektron Elektron Elektron oder Elektron

1: 2: 3:

n= 1 n= 1 n= 2

1=0 1=0 1=0

m =0 m =0 m =0

i v = ii s= ±i

3:

n= 2

1=1

m = 0, ± 1

s= ±i

Der Unterschied zwischen Lithium und Helium beruht, einmal abgesehen von der Zuordnung der für /, m und s gewählten Werte, in der Hauptsache darauf, daß einem der drei Elektronen des Lithiums notwendigerweise aufgrund des Paulischen Ausschließungsprinzips die Hauptquantenzahl zwei zugeschrieben werden muß. Dieses Elektron ist damit im Durchschnitt weiter vom Kern entfernt als die beiden anderen Elektronen mit n = 1. Das Elektron mit n = 2 ist das Elektron, das mit der niedrigen, in Tabelle 5-2 gezeigten Ionisierungsenergie aus dem Li-Atom entfernt werden kann. Diese leichte Abgabe dieses Elektrons ist der Grund für die hohe Reaktionsfreudigkeit des Lithiums, und die Tatsache, daß es bei ihm nur ein derart lose gebundenes Elektron gibt, erklärt, warum Lithium die Wertigkeit eins besitzt. Die lose an die Atome gebundenen Elektronen besitzen die höchsten n- Werte und werden häufig als Valenzelektronen bezeichnet, da sie an den chemischen Reaktionen beteiligt sind. Beachten Sie ferner, daß der Verlust eines Elektrons aus einem Lithiumatom zur Bildung eines Lithiumions, Li + , führt. Die beiden übrigbleibenden Elektronen sollten im Li + noch stärker an den Kern gebunden sein als die beiden Elektronen im Helium, da im Li + die Kernladung höher ist. Wir würden

Elektronenstrukturen von Atomen

141

danach erwarten, daß Lithiumionen chemisch äußerst träge reagieren, und Experimente zeigen auch, daß dies der Fall ist. Weitere Beispiele für den Zusammenhang zwischen der Elektronenstruktur der Atome und ihrem chemischen Reaktionsverhalten finden Sie im nächsten Kapitel. Ein anderes Problem bildet bei der Aufstellung der Elektronenstruktur eines Lithiumatoms die Wahl der Quantenzahlen l und m. Beim Wasserstoffatom sind die Energien der Orbitale mit n = 2, / = 0 und n = 2, / = 1 gleich groß. In einem Atom mit mehreren Elektronen besitzt das erstere Orbital eine niedrigere Energie. Wir können dies dahin verallgemeinern, daß wir sagen, daß das Orbital mit der niedrigsten Energie, wenn die Wahl sonst frei ist, das Orbital mit dem niedrigstmöglichen /-Wert (d.h. hier: / = 0) sein wird. Orbitale mit 1 = 0 werden auch als s-Orbitale bezeichnet. Das s hat hier nichts mit der Spinquantenzahl, s, zu tun, und der Name „sOrbital" wird aus historischen Gründen verwendet, die auf die Spektroskopie zurückgehen und uns hier nicht weiter interessieren sollten. Eine kompakte Schreibweise zur Darstellung der Elektronenstruktur des Lithiums ist die Form (1 s)2 (2 s). Die Zahl vor dem Orbitalsymbol innerhalb der Klammern gibt den jeweiligen Wert der Hauptquantenzahl an. Der Exponent gibt an, daß sich zwei Elektronen mit den Spinquantenzahlen + \ und - j im 1 s-Orbital befinden. Beim 2s-Orbital ist kein Exponent angegeben, da in diesem Orbital beim Lithium nur ein Elektron vorhanden ist. Die Konfiguration der Elektronenschale eines Berylliumatoms wird durch (ls) 2 (2 s)2 dargestellt. Hierbei werden keine neuen Begriffe benötigt, jedoch ist es bemerkenswert, daß die erste Ionisierungsenergie des Berylliums 9,3 eV beträgt. Ein zweites Elektron kann durch einen zusätzlichen Energieaufwand von 18,2 eV aus dem Be+ -Ion entfernt werden. Die Ionisierung von zwei Elektronen läßt ein zweifach geladenes Berylliumkation, Be2 + , zurück. Mit einem Energieaufwand von 27,5 eV können also zwei Elektronen aus einem Berylliumatom entfernt werden. Diese Energie ist nur wenig größer als die 24,6 eV, die zur einfachen Ionisierung eines Heliumatoms benötigt werden. Somit besitzt die Konfiguration (1 s)2 (2 s)2 nicht die beim Helium mit der (1 s) 2 -Konfiguration angetroffene, große Stabilität. Beim nächsten Element, Bor, muß mit der Besetzung der Orbitale mit n = 2 und / = 1 begonnen werden. Es gibt drei solcher Orbitale mit den m-Werten - 1 , 0 und + 1 . In jedem freien Atom sind die Energien aller dieser / = 1-Orbitale gleich groß. Da es drei derartige Orbitale gibt, können insgesamt sechs Elektronen auf die Orbitale mit n = 2 und / = 1 verteilt werden. Jedes Orbital mit 1 = 1 wird p-Orbital genannt, wobei diese Bezeichnung wieder nur eine historische Bedeutung besitzt, die uns nicht zu interessieren braucht. Die Elektronendichtewolke eines p-Orbitals besitzt nicht dieselbe kugelsymmetrische (oder kugelförmige) Gestalt wie ein sOrbital. Die drei p-Orbitale, die zu einem Satz gehören, konzentrieren sich in verschiedenen Raumrichtungen. Jedes p-Orbital ist symmetrisch zu einer Achse, und die drei Achsen eines Satzes von p-Orbitalen stehen senkrecht aufeinander. Die Mitglieder eines solchen Dreiersatzes werden gewöhnlich als p x -, py- und p z Orbitale bezeichnet. Dabei beziehen sich die Indices auf die Achsen eines dreidimensionalen Kartesischen Koordinatensystems.

142

5 Die Elektronenstruktur der Atome

Die Abbildung 5-8 zeigt die am häufigsten verwendete Form der Darstellung von s- und p-Orbitalen. Diese Darstellungen der Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung

Achsen des kartesischen Koordinatensystems

2/vOrbital

Abbildung 5 - 8

Ii-Orbital

2j>,-Orbital

2j-Orbital

2p,-Orbital

Die Gestalten und räumlichen Orientierungen der s- und p-Orbitale.

versuchen, die dreidimensionalen Charakteristiken der Orbitale zu veranschaulichen, aber derartige Bilder vermitteln insofern einen falschen Eindruck, als eine Wellenfunktion keine scharf definierte Grenze besitzt, sondern sich bis ins Unendliche erstreckt. Jedoch liegt der größte Teil der Funktion, die die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons beschreibt, in einem Volumenbereich von einigen Zehntel Nanometern Durchmesser um den Kern herum, und für die meisten praktischen Zwecke kann man sich ein Orbital als ein bestimmtes Volumen vorstellen, innerhalb dessen das Elektron mit recht großer Wahrscheinlichkeit anzutreffen ist. (Die Orbitale sind Flächen gleicher Wahrscheinlichkeitsdichte, innerhalb derer 90% der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons lokalisiert sind.) Die Elektronenkonfigurationen der Atome mit den Ordnungszahlen von fünf bis zehn ergeben sich direkt aus den Überlegungen, die bei der Diskussion des Aufbaus der Lithium- und Berylliumatome vorgestellt wurden. Die Elektronenkonfigurationen dieser Elemente finden Sie in Tabelle 5-3. Die Ionisierungsenergie zeigt die Tendenz, mit wachsender Ordnungszahl anzusteigen, obwohl sich zwischen Stickstoff und Sauerstoff eine Diskontinuität in

143

Elektronenstrukturen von Atomen

dieser Abhängigkeit zeigt. Diese scheinbare Anomalie kann durch eine Betrachtung der Reihenfolge erklärt werden, in der die drei 2p-Orbitale besetzt werden: Im Stickstoffatom nimmt jedes der drei p-Orbitale ein einziges Elektron auf, während im Sauerstoffatom zwei Elektronen das gleiche p-Orbital besetzen müssen, so daß auf Grund der elektrostatischen Abstoßung zwischen diesen beiden Elektronen die Bindung an das Atom geschwächt wird. Das allgemeine Ansteigen der Ionisierungsenergien mit wachsender Ordnungszahl beruht darauf, daß jede zusätzliche Erhöhung der Kernladung zu einer festeren Bindung aller Elektronen an das Atom führt. Beachten Sie auch, daß die Ionisierungsenergie des Neons besonders hoch ist. Alle Edelgase (Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und Radon) besitzen beträchtlich höhere Ionisierungsenergien als die ihnen vorangehenden Elemente. Darüber hinaus folgt auf jedes Edelgas ein Element, daß eine sehr niedrige Ionisierungsenergie besitzt. So beträgt z. B. der Wert der Ionisierungsenergie des Natriums (Ordnungszahl 11) nur 5,1 eV.

Tabelle 5-3 Elektronenkonfigurationen und erste Ionisierungsenergien für die Elemente mit der Ordnungszahl 5-10. Element

Ordnungszahl

Elektronenkonfiguration

Erste Ionisierungsenergie (eV)

Bor Kohlenstoff Stickstoff Sauerstoff Fluor Neon

5 6 7 8 9 10

(lj)WGp) {Uf{2sf{2pf (Uf{2sf{2pf {\s)\2s)\2pf {U)\2s)\2pf {U)\2s)\2p)6

8,3 11,3 14,5 13,6 17,4 21,6

Beispiel 5-8 Beschreiben Sie die Verteilung der Elektronen auf die p-Orbitale von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff, und geben Sie dafür eine schematische Darstellung an. Lösung Die Elektronenkonfigurationen der Elemente Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff sind C : (1 s)2 (2s) 2 (2p) 2

N : (1 s)2 (2s) 2 (2p) 3

O : (ls) 2 (2s) 2 (2p) 4

Diese Konfigurationen können wir schematisch darstellen durch

ililXJ ls 2s 2px 2p y 2p z Kohlenstoff

iIiIXJ^JL_ ls 2s 2p x 2p y 2p z Stickstoff

ls 2s 2p x 2p y 2p z Sauerstoff

Beachten Sie, daß die Elektronen, wenn sie sich auf Orbitale mit gleicher Energie (sogenannte „entartete" Orbitale) wie z. B. die drei 2p-Orbitale verteilen, zunächst

144

5 Die Elektronenstruktur der Atome

jedes der zur Verfügung stehenden Orbitale einfach besetzen, bevor sie sich in irgendein Orbital paarweise einordnen (wobei sie sich dann nur noch durch die entgegengesetzten Richtungen ihrer Spins unterscheiden, wie in der schematischen Darstellung in Beispiel 5 - 8 angedeutet ist). Dies entspricht der Hundschen Regel, die besagt, daß bei Vorliegen einer Reihe von Orbitalen mit derselben Energie die Elektronenspins, wenn möglich, ungepaart bleiben. Helium und Neon sind nun Elemente, bei denen gerade genug Elektronen vorhanden sind, um alle Orbitale mit der Hauptquantenzahl n = 1 für Helium und n = 2 für Neon vollständig zu besetzen. Wir folgern daraus, daß die bemerkenswerte chemische Trägheit der Gruppe der Edelgase daher rührt, daß sie über vollständig besetzte Orbitalsätze (Elektronenschalen) verfügen. Die Tatsache, daß auf die Edelgase stets ein sehr reaktionsfreudiges Element folgt, paßt sich widerspruchslos in unser Modell ein, da das nächste Elektron, das nach Auffüllung eines Satzes von Orbitalen in das Atom eingebaut wird, eine neue, weiter vom Kern entfernte Elektronenschale besetzen muß, in der das Elektron viel weniger fest gebunden ist.

5—5 Die schwereren Elemente Eine Untersuchung der Regeln für erlaubte Quantenzahlen zeigt einen einfachen Zusammenhang zwischen der Hauptquantenzahl n und der Anzahl der mit ihr im Höchstfalle verknüpften Elektronen. Die Maximalzahl von Elektronen mit einer Hauptquantenzahl n ist In2. Diese Beziehung besagt, daß zwei Elektronen in der n = 1-Schale und acht Elektronen in der n = 2-Schale untergebracht werden können. Sie sagt weiterhin voraus, daß in der Schale mit n = 3 achtzehn Elektronen ihren Platz finden können. Wir würden danach erwarten, daß das nächste Edelgas nach Neon eine Ordnungszahl von 10 + 18 = 28 besitzen müßte. Das nächste Mitglied der Gruppe der Edelgase ist jedoch das Argon mit der Ordnungszahl 18. Darüber hinaus ist das Element 28, das Nickel, ein metallisches Element, das in vielen Verbindungen chemisch gebunden angetroffen wird. Die besonders stabile Konfiguration des Argons ist mit der Auffüllung der 3 s- und 3p-Orbitale verknüpft, wobei die Orbitale mit n = 3 und 1 = 2, die sogenannten d-Orbitale, nicht besetzt werden. Die 3 d-Orbitale werden erst aufgefüllt, nachdem einige Elektronen Orbitale der nächsthöheren Elektronenschale mit n = 4 besetzt haben, was zu der Reihe der Übergangsmetalle führt. Dieses Ergebnis ist etwas verwirrend, aber es folgt aus der Tatsache, daß Elektronen mit der Bahndrehimpulsquantenzahl 1=2 recht stark von den anderen Elektronen desselben Atoms abgestoßen werden. Während die Buchstaben s und p zur Kennzeichnung der Orbitale mit / = 0 bzw. 1=1 verwendet werden, wird für Orbitale mit 1 = 2 der Buchstabe d benutzt. Die dOrbitale erlangen erstmals in der vierten Periode des Periodensystems Bedeutung. Wenn 1 = 2 ist, gibt es fünf d-Orbitale gleicher Energie genauso, wie es drei p-Orbitale mit 1 = 1 gab. Diese fünf Orbitale entsprechen den fünf Werten, die m

Die schweren Elemente

145

a n n e h m e n kann, w e n n 1 = 2 ist, d. h. m = 2, 1, 0, - 1 ,

- 2 . D a jedes Orbital zwei

Elektronen mit d e m Spin + j und - j a u f n e h m e n kann, nimmt der Satz der fünf dOrbitale maximal zehn Elektronen auf. D i e Elektronenkonfigurationen der Elemente sind in Tabelle 5 - 4 z u s a m m e n mit ihren ersten Ionisierungsenergien (die Energie, die aufgewendet werden m u ß , u m das erste Elektron aus einem A t o m zu entfernen, d . h . das A t o m einfach z u ionisieren) angegeben. Tabelle 5 - 4

Die Elektronenkonfigurationen und ersten Ionisierungsenergien der Elemente.

z

Atom

Elektronenkonfiguration der Orbitale

Erste Ionisierungsenergie (eV)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

H He Li Be B C N O F Ne Na Mg AI Si P s C1 Ar K. Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr Rb Sr Y

1J Ii 2 (He)2j (He)2s 2 (He)2s22p (He)2s22p2 (He)2s22p3 (He)2s22p4 (He)2s22p5 (He)2s22p6 (Nefis (Ne)3s2 (Ne)3s23p (Ne)3s23p2 (Ne)3s23p3 (Ne)3s23p4 (Ne)3s23p5 (Ne)3s23p6 (Ar)4s (Ar)4.v2 (Ar)4s23d (Ar)4i 2 3 d2 (Ar)4i23fi?3 (Ar)4i3 d5 (Ar)4s23d5 (Ar)4s23d6 (Ar)4i 2 3rf 7 (Ar)4i 2 3i/ 8 (Ar)4i3i/ 10 (Ar)4i 2 3i/ 10 (AT)4s23d104p (Ar)4s23d104p2 (Ar)4s23d104p3 (AT)4s23d104p* (Ar)4s23dl04p5 (Ar)4s23d104p6 (Kr)5 i (Kr)5i 2 (Kr)5i 2 4rf

13,60 24,48 5,39 9,32 8,30 11,26 14,54 13,61 17,42 21,56 5,14 7,64 5,98 8,15 10,48 10,36 13,01 15,76 4,34 6,11 6,54 6,82 6,74 6,76 7,43 7,87 7,86 7,63 7,72 9,39 6,00 7,88 9,81 9,75 11,84 14,00 4,18 5,69 6,38

146 Tabelle 5 - 4

5 Die Elektronenstruktur der Atome (Fortsetzung)

Z

Atom

Elektronenkonfiguration der Orbitale

Erste Ionisierungsenergie (eV)

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te J Xe Cs Ba La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg TI Pb Bi Po At Rn

(Kr)5i 2 4rf 2 (Kr)5s4rf 4 (Kr)5.v4if5 (Kr)5i4rf 6 (Kr)5s4 (Kr)5i24rflcV (Kr)5i243 (Kr)5s 2 4d 10 5p 4 (Kr)5.v 2 4rf l c V (Kr)5s24i/1(V (Xe)6ä (Xe)6.s2 (Xe)6s25d (Xe)6.v24/2 (Xe)6i 2 4/ 3 (Xe)6.s 2 4/ 4 (Xe)6i 2 4/ 5 (Xe)6i 2 4/ 6 (Xe)6i 2 4/ 7 (Xe)6j 2 4/ 7 5i/ (Xe)6.s 2 4/ 9 (Xe)6i 2 4/ 1 0 (Xe)6j 2 4/ 1 1 (Xe)6.y24/12 (Xe)6i 2 4/ 1 3 (Xe)6i 2 4/ 1 4 (Xe)6s 2 4/ 14 5i/ (Xe)6i 2 4/ 1 4 5i/ 2 (Xe)6s 2 4/ 1 4 5J 3 (Xe)6s 2 4/ 1 4 5f/ 4 (Xe)6s 2 4/ 14 5rf 5 (Xe)6s 2 4/ 14 5rf 6 (Xe)4/ 14 5i/ 9 (Xe)6i4/ 14 5i/ 9 (Xe)6i4/ 14 5i/ 10 (Xe)6s 2 4/ 14 5rf 10 (Xe)6s 2 4/ 1 4 5d 1 0 6p (Xe)6i 2 4/ 14 5rf 10 6/> 2 (Xe)6s 2 4/ 1 4 5 4 (Xe)6i 2 4/ 14 5rf 10 6/? 5 (Xe)6i 2 4/ 14 5i/ 10 6/> 6

6,84 6,88 7,10 7,28 7,36 7,46 8,33 7,57 8,99 5,79 7,34 8,64 9,01 10,45 12,14 3,89 5,21 5,61 5,6 5,46 5,51 -

5,6 5,67 6,16 5,98 6,82 -

6,08 5,81 6,2 5,0 5,5? 7,88 7,98 7,87 8,5 9 9,0 9,22 10,43 6,11 7,42 7,29 8,43 9,5 10,75

147

Zusammenfassung Tabelle 5 - 4

(Fortsetzung)

z

Atom

Elektronenkonfiguration der Orbitale

87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103

Fr Ra Ac Th Pa

(Rn)7i (Rn)7i 2 (Rn)7s26rf (Rn)7s 2 6rf 2 (Rn)7i 2 5/ 2 6J (Rn)7s 2 5/ 3 6i/ (Rn)7s 2 5/*6i/ (Rn)7s 2 5/ 6 (Rn)7s 2 5/ 7 (Rn)7s 2 5/ 7 6rf (Rn)7s 2 5/ 9 (Rn)7i 2 5/ 1 0 (Rn)7ä 2 5/ n (Rn)7s 2 5/ 1 2 (Rn)7s 2 5/ 1 3 (Rn)7s 2 5/ 1 4 (Rn)7s 2 5/ 14 6rf

U Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lr

Erste Ionisierungsenergie (eV) 4 5,28 6,9 6,95 -

6,1 -

5,1 6,0 -

Beispiel 5-9 Schreiben Sie die vollständige Elektronenkonfiguration des Elements 26, Eisen, auf. Lösung Fe: ls 2 2s 2 2p 6 3s2 3p 6 4s2 3d 6 Beachten Sie, daß einige der Elektronen nicht eher das n — 3-Niveau besetzen, bevor nicht damit begonnen wurde, die n = 4-Schale aufzufüllen. Aus diesem Grunde folgt 3d 6 auf 4 s2.

5—6 Zusammenfassung 1. Die Bewegung von Elektronen kann nicht mit Hilfe der klassischen Bewegungsgesetze beschrieben werden. Wegen der äußerst geringen Größe der Elektronen kommt einer Beachtung ihrer Welleneigenschaften entscheidende Bedeutung zu. 2. Mathematische Methoden der Quantenmechanik, die wir hier nicht diskutiert haben, zeigen, daß das Verhalten von Elektronen in Atomen durch charakteristische Wellenfunktionen beschrieben werden kann, die zu den sogenannten Orbitalen führen. 3. Die Orbitale werden durch drei charakteristische Quantenzahlen, die Hauptquantenzahl n, die Bahndrehimpulsquantenzahl / und die magnetische Quantenzahl m, gekennzeichnet. Hinzu kommt noch eine vierte Quantenzahl, die Spinquantenzahl s.

148

5 Die Elektronenstruktur der Atome

4. Nach dem Paulischen Ausschließungsprinzip können zwei Elektronen in einem Atom nicht dieselben vier Quantenzahlen besitzen. 5. Da die Spinquantenzahl s nur die zwei Werte + | u n d - j a n n e h m e n kann, kann ein beliebiges Orbital nur zwei Elektronen aufnehmen. 6. Die Ionisierungsenergien der Atome liefern wertvolle Hinweise auf die Veränderungen der Bindungen von Elektronen an Atome mit sich ändernder Ordnungszahl. 7. Der chemische Charakter eines Elements wird weitgehend durch die Anordnung seiner Valenzelektronen (der am schwächsten gebundenen Elektronen) bestimmt. 8. Eine spezielle Stabilität ist charakteristisch für vollständig gefüllte s- und pOrbitale, die zu dem höchsten «-Wert gehören, der in dem betreffenden Atom auftritt. Dies führt zur Bildung der Edelgase.

5—7 Nachwort: Analytische und synthetische Wissenschaft Wer macht sich schon wirklich ernsthaft Gedanken über Atome? Die einzigen, die frei in signifikanten Mengen in der Natur angetroffen werden, sind, wenigstens auf diesem Planeten und in seiner Atmosphäre, die Edelgase. Diese Elemente liegen als freie Atome vor, da sie nahezu völlig inert sind. Infolgedessen sind sie für die Chemie auch nahezu uninteressant. Fast alles, was in der Chemie von wirklicher Bedeutung ist, beschäftigt sich mit Molekülen - ihrer Struktur und ihrem dynamischen Verhalten bei chemischen Reaktionen. Wir können zu Recht fragen, warum wir dann nicht direkt auf die Behandlung von Molekülen übergehen, anstatt erst drei Kapitel den Gedankenspielereien über Elementarteilchen und Atome zu widmen. Um ehrlich zu sein, müssen wir zugeben, daß durchaus einiges dafür spräche, zunächst ein paar Informationen über Moleküle vorzustellen und dann zu fragen, ob Begriffe und Modellvorstellungen über einfachere Formen von Materie auf irgendeine Weise dabei helfen könnten, das Verhalten von Molekülen zu verstehen. In der Tat wurde dieses Vorgehen bei der Entwicklung der Chemie während der letzten 150 Jahre wirklich angewendet. Man wußte bereits sehr viel von Molekülen, ehe die Elementarteilchen entdeckt wurden. In gewissem Sinne können wir sagen, daß die Beziehung zwischen der Elementarteilchenphysik und den Moleküleigenschaften eine Rationalisierung der Grundtatsachen der Chemie ist, die erfolgte, nachdem diese Tatsachen bereits bekannt waren. Jedoch ist dieser scheinbar zynische Gesichtspunkt nur ein Teil der ganzen Geschichte. Die Formulierung von Modellen für das Verhalten von Teilchen und für den Aufbau der Atome in den Jahren von 1896 bis 1930 führte zu neuen Modellen für die Molekülstruktur, deren Grundlagen in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts entwickelt wurden. Dieser Einsicht folgte eine Explosion des chemischen Wissens, dessen weitere Entwicklung sich während der 30 Jahre von 1940 bis 1970 ständig beschleunigte. Ganz offensichtlich hat das quantenmechanische Modell

Nachwort: Analytische und synthetische Wissenschaft

149

der Atome einen tiefgehenden Einfluß auf die Art und Weise ausgeübt, mit der Chemiker Moleküle untersuchen. Die Beziehungen zwischen Elementarteilchen-, Atom- und Molekülmodellen können uns vieles über die Methode lehren, nach der die Naturwissenschaften, wenigstens heutzutage, arbeiten. Es gibt in Wirklichkeit nur zwei Formen von Naturwissenschaft, die analytische und die synthetische. In der analytischen Naturwissenschaft liegt die Betonung auf der Zerlegung der Natur in kleine, überschaubare Stücke und dem Versuch, alles mögliche über diese Teilstücke zu erfahren. Dagegen beruht die synthetische Naturwissenschaft auf der Untersuchung und Nachbildung komplexer Systeme, die viele Komponenten enthalten. Während der letzten 50 bis 70 Jahre lag das Hauptinteresse auf dem Gebiet der analytischen Wissenschaft. Die Untersuchung von immer kleineren Dingen war derart erfolgreich, daß einige Chemiker zu glauben scheinen, daß die analytische Methode in Wirklichkeit die einzig wahre Form von Wissenschaft ist. Wir sind jedoch anderer Meinung und glauben, daß es eine große Herausforderung bedeutet, systematische Methoden zur Nachbildung komplizierter Systeme zu entwickeln. Schließlich ist auch die Welt, in der wir leben, äußerst kompliziert. Wir haben noch lange nicht die Methoden der synthetischen Naturwissenschaft so weit entwickelt, wie wir es gerne hätten. Obwohl dies für uns, die Autoren, ein unglücklicher Umstand zu sein scheint, sollte es andererseits die Studenten beruhigen, daß es noch genug Probleme in den Naturwissenschaften gibt, die auf eine Lösung warten. Bei der Untersuchung der Materie werden die kleinsten Bruchstücke, die wir finden können, Elementarteilchen genannt. Uns sind heute viele Elementarteilchen bekannt ; diejenigen, die für Chemiker von direktem Interesse sind, wurden in Kapitel 4 vorgestellt. In Kapitel 5 zeigten wir, wie die Vorstellungen über das Verhalten von Elementarteilchen dazu verwendet wurden, neue Modelle für den Aufbau der Atome zu entwickeln. In Kapitel 7 werden wir uns dann Modellen für die Molekülstruktur zuwenden. Daran sind alle Gebiete der Entwicklung naturwissenschaftlicher Modelle beteiligt: Die Materie wurde zerlegt, wobei negative Elektronen und verschiedene Arten positiv geladener Atomkerne entdeckt wurden. Die Eigenschaften dieser Teilchen wurden experimentell untersucht, und man stellte über sie im analytischen Stadium Überlegungen an. Die Verwendung der Ergebnisse dieser Gedanken über Elementarteilchen bei der Entwicklung neuer Modelle für die Atome veranschaulicht schließlich die synthetische Phase der Naturwissenschaften. Wir könnten leicht den Eindruck erwecken, daß das Modell für den Aufbau der Atome geradewegs und ohne Umschweife aus der Theorie des Verhaltens der Teilchen in den Atomen abgeleitet wird. Ein wenig Nachdenken über die in Kapitel 5 behandelten Themen wird zeigen, daß dies weit davon entfernt ist, die ganze Wahrheit zu sein. Es bedurfte Näherungslösungen, kluges, von der Erfahrung geprägtes Raten und neuer Hypothesen, um das neue Atommodell zu entwickeln. Dasselbe wird sich in Kapitel 7 zeigen, wenn wir den nächsten Schritt bei der Synthese machen und uns mit dem Aufbau von Molekülen beschäftigen werden. Wir werden zu einem hochgradig detaillierten und nützlichen Molekülmodell gelan-

150

5 Die Elektronenstruktur der Atome

gen, das viele Bezüge auf Elektronen und Kerne enthalten wird. Bei den Diskussionen der chemischen Struktur und der chemischen Reaktionen werden jedoch das Molekülmodell und nicht mehr die Elektronen und Atomkerne die Hauptrolle spielen. Wenn wir an Wasser denken, denken wir an H 2 0 und nicht an eine durcheinanderwirbelnde Masse von Elektronen und Kernen. Viele Leute haben die naive Vorstellung, daß sich die synthetische Phase der Wissenschaft von selbst erledigen wird, wenn wir nur lange genug die analytische Phase verfolgen. Auf den ersten Blick könnte es so aussehen, daß es uns beinah automatisch möglich sein müßte, das Verhalten eines ganzen Systems vorauszusagen, sobald wir einmal genug über die einzelnen Teile des Systems in Erfahrung gebracht haben. Diese Hoffnung scheitert jedoch aus zwei Gründen: Erstens gibt es in einem beliebigen System von einer uns interessierenden Größe so viele elementare Bestandteile, daß selbst die größten Elektronenrechner außerstande sind, die Bewegungen aller Teile zu verfolgen. Die zweite Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, daß die einzelnen Teile des Systems gewöhnlich starke Wechselwirkungen aufeinander ausüben werden und somit ihr wechselseitiges Verhalten beeinflussen. Die Behandlung einer großen Zahl von miteinander in Wechselwirkung stehender Elemente wird, so weit wir es erkennen können, stets eine einfallsreiche synthetische Arbeit erfordern, damit geeignete Modelle für die Darstellung realer Systeme entwickelt werden können. Wir sehen in den Gesellschaftswissenschaften ein diesem analoges Problem. Wir können uns z.B. vorstellen, daß ein sehr genialer Psychologe eine ins einzelne gehende und nahezu vollkommene Beschreibung einer einzelnen Person entwikkeln könnte - wie sie denkt, fühlt und auf äußere Reize reagiert. Selbst mit einem unendlich detaillierten Wissen von der Persönlichkeitsstruktur eines einzelnen Menschen würde es diesem Psychologen nicht möglich sein, eine genaue Vorhersage über das Verhalten einer großen Gruppe von Menschen zu machen, da das Muster der Wechselbeziehungen zwischen den Individuen zu komplex wird. Selbst wenn er genau wüßte, wie eine Person auf jede Art von Lächeln oder Stirnrunzeln auf den Gesichtern anderer Leute reagieren würde, könnte er nicht das Verhalten dieser Person während eines Tages voraussagen, weil ihr Verhalten einfach von der Anzahl der freundlichen oder unfreundlichen Begegnungen, der Reihenfolge, in der sie auftraten usw. abhängig ist. Allein die große Zahl der zu verarbeitenden Daten macht dies unmöglich. Neue Begriffe Bahndrehimpulsquantenzahl (/): Diese Quantenzahl bestimmt den Wert des ebenso wie die Energie quantisierten Bahndrehimpulses des Elektrons. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Gestalt des Orbitals und ist auf die Werte 0 , . . . , (n - 1) begrenzt. De Brogliesche Wellentheorie: Alle Teilchen besitzen Welleneigenschaften. Diese Welleneigenschaften machen sich signifikant im Verhalten von atomaren Teilchen bemerkbar, während sie im Falle makroskopischer Teilchen vernachlässigbar sind.

Fragen und Aufgaben

151

Hauptquantenzahl (n): Diese Quantenzahl entspricht der bereits von Bohr eingeführten Quantenzahl. Sie beschreibt die Hauptenergieniveaus im Atom und kann ganzzahlige, positive Werte von 1 bis oo annehmen. Heisenbergsche Unschärferelation: Es ist unmöglich, sowohl den Impuls als auch den Aufenthaltsort eines Teilchens mit absoluter Genauigkeit zu kennen. Aufgrund der Wellentheorie der Materie ergibt sich für das Produkt aus der Impulsunschärfe Amv und der Ortsunschärfe Ax eines Teilchens die Beziehung

(.Amv) x {Ax) >h/4n. Hundsche Regel: Bei der Besetzung eines Satzes von Orbitalen mit gleicher Energie bleiben die Elektronenspins, wenn möglich, ungepaart. Ionisierungsenergie: Die Energie, die dazu erforderlich ist, ein Elektron aus einem im gasförmigen Zustand vorliegenden Atom zu entfernen; d. h. die Energie, die mit dem Vorgang M->-M + -I- verknüpft ist. Magnetische Quantenzahl (m): Diese Quantenzahl beschreibt die verschiedenen räumlichen Orientierungen, die ein Orbital besitzen kann. Sie ist auf die Werte + /, ..., 0, ..., -/begrenzt. Orbital: Wellenfunktion, die durch die drei Quantenzahlen n, lund m bestimmt ist. Jedes Orbital kann nach dem Paulischen Ausschließungsprinzip von zwei Elektronen (mit 5 = + j und s = ~j) besetzt werden. Paulisches Ausschließungsprinzip: Im selben Atom können keine zwei Elektronen dieselben vier Quantenzahlen besitzen. Quantisierte Energie: Energie, die nur bestimmte, diskrete Werte annehmen kann. Spinquantenzahl (s): Diese Quantenzahl leitet sich aus der Tatsache ab, daß sich das Elektron so verhält, als ob es ein sich um sich selbst drehendes, geladenes Teilchen wäre. Die Spinquantenzahl ist auf die Werte + \ begrenzt. Valenzelektronen: Die Elektronen in einem Atom, die den höchsten «-Wert besitzen und sich in den äußersten Orbitalen aufhalten. Wahrscheinlichkeitsdichte: Wenn wir uns vorstellen, daß sich das Elektron in einem bestimmten Volumenbereich des Raumes aufhält, dann gibt die Wahrscheinlichkeitsdichte die Wahrscheinlichkeit an, daß Elektron in einem bestimmten Volumenelement anzutreffen. Die Wahrscheinlichkeitsdichte ist dem Absolutquadrat der Wellenfunktion proportional, durch die die Welleneigenschaften des Elektrons beschrieben werden. Wellenfunktion: Die mathematische Funktion, die das Wellenverhalten kleiner Teilchen wie z.B. Elektronen beschreibt.

Fragen und Aufgaben 1. Beschreiben Sie das Bohrsche Modell des Wasserstoffatoms. Welche neuen Vorstellungen führte Bohr mit diesem Modell ein? Was bedeutet die Quantenzahl n in der Bohrschen Theorie? 2. Berechnen Sie die Energie, die zur Anregung eines Elektrons in einem Wasserstoffatom aus dem Grundzustand (n = 1) in den Zustand mit n = 3 erforderlich ist. Welche Wellenlänge würde das Licht besitzen, das dies tun könnte? In

152

5 Die Elektronenstruktur der Atome

welchen Bereich des Spektrums würde dieses Licht einzuordnen sein? 3. Ein kleiner Nachrichtensatellit wiegt 1470 g und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 7,5 x 103 cm s _ 1 . Welche Unschärfe in seiner Ortskoordinate (Ax) wird der Satellit nach der Heisenbergschen Unschärferelation aufweisen, wenn die Unbestimmtheit bei seiner Geschwindigkeit (Av) 10 cm s _ 1 beträgt? Ist die Unschärfe in diesem Fall von Bedeutung? 4. In welcher Hinsicht widersprechen sich das Bohrsche Atommodell und die Heisenbergsche Unschärferelation gegenseitig? 5. Beschreiben Sie die Quantenzahlen, die sich aus dem wellenmechanischen Atommodell ableiten lassen, und geben Sie die für jede Quantenzahl möglichen Zahlenwerte an. Erklären Sie kurz, was jede Quantenzahl im A t o m beschreibt. 6. Auf welche Weise kann dasselbe Wasserstoffatom in schneller Folge ein Photon in der Brackett-, Paschen-, Balmer- und Lyman-Serie emittieren? K a n n es diese Photonen auch in umgekehrter Reihenfolge aussenden? W a r u m , oder warum nicht? 7. W a r u m sind die Energien von Elektronen in Atomen immer negativ? 8. Geben Sie die Elektronenkonfiguration des Elements Argon an (Ordnungszahl 18). Wie viele s- und wie viele p-Elektronen sind in diesem A t o m vorhanden? Geben Sie einen möglichen Satz der vier Quantenzahlen n, l, m und s für das achtzehnte Elektron im Argon an. 9. Auf welche Weise erklärt das Paulische Ausschließungsprinzip das Wiederauftreten der n s 1 -Elektronenkonfiguration und den A n f a n g neuer Perioden im Periodensystem, die mit den Elementen 3 und 11 beginnen? 10. Geben Sie die Elektronenkonfigurationen ( l s 2 2 s 2 . . . ) für die Elemente Sauerstoff, Schwefel, Selen und Tellur an. Welche Gemeinsamkeit läßt sich bei diesen Elementen hinsichtlich ihrer Elektronenkonfigurationen erkennen, und was können Sie über ihre chemischen Eigenschaften voraussagen? 11. Erklären Sie, warum die Ionisierungsenergien längs des Periodensystems von Lithium (5,4 eV) bis Neon (21,6 eV) zunehmen. Erklären Sie anschließend die Abnahme auf den Wert von 5,1 eV f ü r Natrium, das Element, das im Periodensystem unmittelbar auf Neon folgt. 12. Wie viele d-Niveaus gibt es in einer Elektronenschale? 13. Wie viele Elektronen gibt es im vollständig besetzten n = 4-Niveau? Welchen Maximalwert kann / annehmen, wenn n = 4 ist? Welcher Buchstabe wird zur Kennzeichnung der Elektronen verwendet, die in der n = 4-Schale den höchsten /-Wert besitzen? (Sie dürfen die Tabelle 5 - 4 zu Rate ziehen.) 14. Geben Sie die vollständige Elektronenkonfiguration (ls 2 2s 2 ...) der folgenden Teilchen a n : F~, N a + , Ne, 0 2 ~ u n d N 3 " . Welche Voraussage würden Sie über die relativen Größen dieser Teilchen machen? 15. Beschreiben Sie die Elektronenverteilung in den p-Orbitalen der Elemente AI, Si, P und S. 16. Geben Sie (ohne eine Tabelle zu Rate zu ziehen) die Elektronenkonfigurationen für Cr ( Z = 24) und Cu ( Z = 29) an. Vergleichen Sie dann, nachdem Sie Ihre Version niedergeschrieben haben, diese mit der in Tabelle 5 - 4 angegebe-

Fragen und Aufgaben

153

nen Konfiguration. Können Sie daraus irgendwelche Schlüsse hinsichtlich der Stabilität halb und vollständig besetzter d-Orbitale ziehen? 17. Die allgemeine Elektronenkonfiguration ws1 ist charakteristisch für das äußerste Elektron in der Elementgruppe der Alkalimetalle. Welche allgemeine Konfiguration ist für die Gruppe der Halogene charakteristisch? 18. In Aufgabe 17 wurden die Elemente der Gruppen IA und V I I A durch die Konfigurationen ihrer äußersten Elektronenschalen beschrieben. Führen Sie das Gleiche einmal mit den Gruppen IIA bis VIA durch. Welche Beziehung besteht zwischen der Gruppennummer einer Elementfamilie und der Anzahl von äußeren Valenzelektronen? 19. Es gibt bei Atomen eine Tendenz, durch Aufnahme oder Abgabe von Elektronen geladene Teilchen (Ionen) zu bilden, die die Elektronenkonfiguration eines ihnen naheliegenden Edelgases besitzen. Welche Ionen würden Ihren Erwartungen nach die folgenden Elemente nach dieser Faustregel bilden, und wie würden ihre Elektronenkonfigurationen aussehen (sowohl die der Atome als auch die der Ionen): Sauerstoff, Chlor, Natrium und Calcium? 20. Die folgenden Elektronenkonfigurationen stellen die Grundzustände (Zustände niedrigster Energie) der betreffenden Atome falsch dar. Geben Sie für jeden Fall die richtige Konfiguration an. Mg: ls 2 2s2 2p 5 3s2 3p 1 K: ls 2 2s2 2p 6 3s2 3p7 3+ Al : ls 2 2s2 2p 6 3s2 3p 4 21. Eine weiter ins einzelne gehende Methode zur Beschreibung der Verteilung von Elektronen auf Orbitale gleicher Energie, wie z. B. auf die drei p-Orbitale, ist es, diese mit px, py und p z zu kennzeichnen. Geben Sie in dieser mehr detaillierten Schreibweise die verschiedenen möglichen, einander gleichwertigen Arten der Darstellung der Elektronenkonfiguration des Grundzustands des atomaren Stickstoffs und Sauerstoffs an.

6

Bindungen in Molekülen

Den Chemikern waren seit langem die üblichen Valenzregeln, die periodische Natur des chemischen Verhaltens und viele allgemeine Gesetzmäßigkeiten über die Strukturen und Reaktionen chemischer Verbindungen bekannt. Alle diese Erkenntnisse entwickelten sich aus der Untersuchung einer großen Fülle von experimentellen Daten und aus dem Nachdenken über sie. In Kapitel 3 haben wir ein Periodensystem entwickelt, das auf ein relativ begrenztes Wissen von chemischen Eigenschaften aufbaute. Dann sahen wir in Kapitel 5, daß diese Anordnung der Elemente eine einfache Schlußfolgerung der Theorie über den Aufbau der Atome ist; und jetzt suchen wir eine Theorie, die beschreiben kann, auf welche Weise sich Atome bei der Bildung von Molekülen zusammenschließen. Während wir diese Theorie entwickeln, wollen wir stets daran denken, daß alles das, was wir bereits über die Zusammensetzung, die Struktur und das periodische Verhalten als richtig erkannt haben, durch unsere Beschreibung der chemischen Bindung erklärt werden muß oder wenigstens nicht mit ihr im Widerspruch stehen darf. Da die Theorie des Aufbaus der Atome das Periodensystem so schön erklärt hat, verwenden wir sie auch als Grundlage für die weitere Diskussion der chemischen Bindung.

6 - 1 Wasserstoff und Helium Da die Chemiker die Eigenschaften von Wasserstoff und Helium seit langen Jahren kannten, wird von dem außergewöhnlich großen Unterschied zwischen diesen Elementen nicht viel Aufhebens gemacht. Jedoch kann allein der Gegensatz zwischen den chemischen Eigenschaften der ersten beiden Elemente im Periodensystem die Grundlage für die Entwicklung eines großen Teils der Theorie der chemischen Bindung liefern. Ein Wasserstoffatom besteht aus einem positiv geladenen Kern und einem Elektron. Ein Heliumatom besitzt zwei Elektronen und einen Kern, der zweifach positiv geladen ist

Wasserstoffatom

Heliumatom

155

Wasserstoff und Helium

Obwohl sich ihre Elektronenstruktur nur durch ein einziges Elektron unterscheidet, bildet Helium keine Verbindungen, wogegen Wasserstoff in Millionen von Verbindungen angetroffen wird. Elementarer Wasserstoff selbst liegt in Form zweiatomiger Moleküle (H 2 ) vor, und die Mehrzahl der anderen Elemente bildet Hydride (Kapitel 3). Warum bilden sich überhaupt H 2 -Moleküle? Wie das Heliumatom enthalten Wasserstoffmoleküle zwei Elektronen, und die beiden Kerne besitzen eine Gesamtladung von + 2 Elementarladungen

Wenn die beiden Kerne zusammengepreßt würden, hätten sie auf die Elektronen dieselbe Wirkung wie ein einzelner Heliumkern. Offensichtlich besitzen die beiden positiven Ladungen, selbst wenn sie getrennt sind, wie es im H 2 -Molekül der Fall ist, eine ähnliche Wirkung auf die beiden Elektronen wie ein Heliumkern. Das Wasserstoffatom, das Heliumatom und das Wasserstoffmolekül können auf folgende Weise dargestellt werden HWasserstoffatom

He: Heliumatom

H:H Wasserstoffmolekül

Dies sind die Elektronenformeln der Atome und Moleküle. Formeln dieser Art werden auch Lewis-Strukturen genannt nach dem amerikanischen Chemiker G. N. Lewis, der 1916 vorschlug, daß ein gemeinsames Elektronenpaar zwei Atome aneinander binden kann. Beim Aufzeichnen von Lewis-Strukturen von komplizierteren Molekülen erweist es sich als praktisch, ein bindendes Elektronenpaar durch einen Strich zwischen den gebundenen Atomen darzustellen. Aus der Elektronenformel H : H wird damit H—H. Ein anderer Gesichtspunkt für die Betrachtung des Wasserstoffmoleküls läßt sich aus der Art unserer Darstellung der Elektronenstruktur ablesen. Wenn wir die Elektronen, die die beiden Kerne gemeinsam besitzen, so zählen, als ob sie jeweils zu jedem einzelnen Kern gehören würden, dann besitzt jedes Wasserstoffatom im Wasserstoffmolekül zwei Elektronen. Eine derartige Anordnung ist nun aber der stabilen Elektronenkonfiguration des Heliums ähnlich. Dieser Gesichtspunkt ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß beide Elektronen mit beiden Kernen in starker Wechselwirkung stehen, so daß jeder Kern praktisch zwei Elektronen besitzt. Die Erkenntnis, daß Elektronen mit zwei Kernen in starke Wechselwirkungen tre-

156

6 Bindungen in Molekülen

ten können, wodurch diese aneinander gebunden werden, bildete einen bedeutsamen Teil des Fundaments der theoretischen Chemie. Auf Wasserstoff angewendet besagt diese Theorie, daß Wasserstoffatome Bindungen mit vielen anderen Atomen eingehen werden, die ein einzelnes Elektron zur Verfügung stellen können. Die Tatsache, daß der Einbau eines weiteren Elektrons in das Wasserstoffatom eine stabile Elektronenstruktur ergibt, die der des Heliums ähnlich ist, erklärt auch die Tatsache, daß Wasserstoff fast immer die Valenz eins besitzt. Bindungen, die dadurch entstehen, daß Atome gemeinsame Elektronenpaare besitzen, werden kovalente Bindungen genannt. Die Stärke einer kovalenten Bindung wird mit Hilfe der Energie gemessen, die dazu erforderlich ist, die Bindung in isolierte Atome aufzubrechen: H—H + Bindungsenergie —>- 2H. Die molare Bindungsenergie von H 2 beträgt 432 kJ mol~ 1 , was bedeutet, daß eine Energie von 432 kJ aufgewendet werden muß, um ein Mol H 2 in zwei Grammatome H umzuwandeln. Der Abstand zwischen aneinander gebundenen Atomkernen in einem Molekül, der gewöhnlich als Bindungslänge bezeichnet wird, läßt ebenfalls eine gewisse, relative Aussage über die Bindungsstärke zu. Bei einem bestimmten, vorgegebenen Paar von Atomen nimmt die Bindungsenergie mit abnehmender Bindungslänge zu. In der stabilen Konfiguration beträgt die H—H-Bindungslänge 0,074 nm, und ihre molare Bindungsenergie ist 432 kJ m o l - 1 . Durch Beschießen mit energiereichen Teilchen kann aus dem H 2 -Molekül in der Gasphase ein Elektron herausgeschlagen werden, wodurch die weitaus weniger stabile Form H j entsteht. Die beiden Wasserstoffkerne werden jetzt nur durch ein einzelnes Elektron zusammengehalten (H • H) + , und die sich ergebende molare Bindungsenergie von 255 kJ mol" 1 [für (H H) + -»- H + H + ] ist viel kleiner als die des H 2 . Die Bindungslänge des H j bestätigt dies nach dem oben erwähnten Zusammenhang: Sie hat sich gegenüber der sehr kurzen Bindungslänge von 0,074 nm im stärker gebundenen H 2 Molekül auf 0,106 nm erhöht. Die Hauptregeln für die Valenzen der Elemente, besonders der mit niedrigen Ordnungszahlen, können ohne Schwierigkeiten mit Hilfe der Annahme formuliert werden, daß zwei oder mehr Kerne gemeinsame Elektronenpaare besitzen können. Wir können erwarten, daß eine Verbindung stabil ist, wenn bei der Verteilung der gemeinsamen Elektronenpaare jedes der individuellen Atome die Elektronenkonfiguration eines der Edelgase erhält. Diese Vorstellung besitzt eine große Bedeutung für die Theorie der chemischen Bindung. In den folgenden Abschnitten werden wir sie an weiteren Beispielen veranschaulichen.

6—2 Fluor und Neon Das Fluoratom ähnelt in gewisser Hinsicht dem Wasserstoffatom. Wir haben bereits erwähnt, daß es wie der Wasserstoff stets die Valenz eins besitzt. Genau wie der Wasserstoff die inerte Heliumkonfiguration annehmen kann, indem er ein zusätzliches Elektron aufnimmt, kann Fluor die inerte Neonkonfiguration annehmen, indem es auch ein zusätzliches Elektron aufnimmt.

Fluor und Neon

157

Sehen wir uns einmal die Elektronenkonfiguration des Fluoratoms an :FFluoratom

Obwohl das Fluoratom neun Elektronen besitzt, sind hier nur sieben von ihnen dargestellt. Dies geschieht, weil die beiden Elektronen im ls-Orbital eine stabile, abgeschlossene Elektronenschale (Helium) bilden, die wenig Einfluß auf die chemischen Eigenschaften des Atoms besitzt. Die anderen sieben Elektronen befinden sich in der n = 2-Schale und werden Valenzelektronen genannt, weil sie die Elektronen sind, die die Valenz des Atoms bestimmen. Das Fluormolekül, F 2 , kann durch eine Lewis-Struktur mit einer kovalenten Einfachbindung dargestellt werden :F—F: Fluormolekül

Jedes Fluoratom in diesem Molekül besitzt einen Anteil von acht Valenzelektronen, wodurch es die stabile Elektronenkonfiguration des Neons erhält. Die nicht an der Bindung zwischen den beiden Fluoratomen beteiligten Valenzelektronen werden einsame oder nichtbindende Elektronenpaare genannt. Der wichtigste Faktor bei der Bestimmung der Anzahl und der Arten von Bindungen, die ein Element ausbildet, ist jedoch die Gesamtzahl der Valenzelektronen. Die Tendenz der Atome, eine komplette oder vollständig abgeschlossene Valenzschale mit acht Elektronen anzunehmen, während sie chemische Bindungen ausbilden, wird durch die sogenannte Oktettregel wiedergegeben. Hier sind nun einige einfache Regeln, die beim Zeichnen von Lewis-Strukturen befolgt werden müssen: 1. Zeichnen Sie das Atomskelett des Moleküls auf. Dieses kann einige Spezialkenntnisse über die Anordnung der Atome im Molekül erforderlich werden lassen. 2. Bestimmen Sie die Anzahl von Elektronen, die jedes Atom zu der Struktur beiträgt. Die Zahl dieser Elektronen ist gleich der Gruppennummer des betreffenden Elements im Periodensystem. So trägt z. B. Kohlenstoff, der in der vierten Gruppe steht, vier Elektronen zur Struktur bei, während es beim Sauerstoff aus Gruppe VI sechs Elektronen sind. 3. Verteilen Sie diese Elektronen so auf das Atomskelett des Moleküls, daß jedes Atom einen Anteil an einer Edelgaskonfiguration erhält (Oktettregel). (Die Oktettregel gilt nicht für Wasserstoff. Warum nicht?) Wir werden beim Aufstellen der Lewis-Strukturen in den folgenden Abschnitten nach diesen Regeln vorgehen.

158

6 Bindungen in Molekülen

6—3 Die Hydride und Fluoride Auf ähnliche Weise wie in den vorangehenden Abschnitten kann das Fluorwasserstoffmolekül, H F , dargestellt werden H-

F:

H— F:

Wasserstoffatom

Fluoratom

Fluorwasserstoffmolekül

Das gemeinsame Elektronenpaar ermöglicht es dem Wasserstoffatom, die stabile Elektronenkonfiguration des Heliums anzunehmen, während es dem Fluoratom die stabile Elektronenkonfiguration des Neons verleiht. Dieses Verfahren kann auf die Hydride und Fluoride von Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff ohne Schwierigkeiten ausgedehnt werden. So ergibt sich z.B. für die Lewis-Struktur des Wassermoleküls H—Ö—H Die gemeinsamen Elektronenpaare verleihen wieder jedem Wasserstoffatom die Elektronenkonfiguration des Heliums und dem Sauerstoffatom die des Neons. Beispiel 6-1 Geben Sie die Elektronenformel für das Molekül des Sauerstoffdifluorids, OF 2 , an. Lösung Ordnen Sie die drei Atome in irgendeiner geeigneten Form an. Es ist nicht nötig, die exakte Gestalt des Moleküls zu kennen, es genügt die Reihenfolge, in der die Atome miteinander verknüpft sind. Im vorliegenden Fall gibt es zwei Möglichkeiten d a f ü r : F F O und F O F . D a die Valenz des Fluors stets gleich eins ist, scheint der zweite Vorschlag der geeignetere zu sein. Fluor ist ein Element aus der G r u p p e VII, und Sauerstoff steht in Gruppe VI. Damit ergibt sich eine Gesamtzahl von 14 Valenzelektronen aus den beiden Fluoratomen und 6 aus dem Sauerstoffatom, womit wir insgesamt 20 Elektronen erhalten, die beim A u f b a u der Elektronenformel über das Molekül zu verteilen sind. Wenn wir dies tun, wobei wir sicherstellen, daß wir wenigstens ein Elektronenpaar zwischen zwei benachbarte Atome einordnen, erhalten wir die folgende Lewis-Struktur :F—Ö— F : Auf ähnliche Weise bildet der Stickstoff mit fünf Valenzelektronen •Nzusammen mit drei Wasserstoffatomen das Ammoniakmolekül, N H 3 H I :N—H I H

Die Hydride und Fluoride

159

mit einer stabilen, abgeschlossenen Elektronenkonfiguration. Beispiel 6-2 Geben Sie die Elektronenformel für das Molekül des StickstofFtrifluorids, NF 3 , an. Lösung 1. Zeichnen Sie ein Atomskelett des Moleküls F

N F

F

2. Bestimmen Sie die Zahl der Valenzelektronen, die der Struktur zur Verfügung stehen N (Gruppe V): 5 Elektronen 3F (Gruppe VII): 21 Elektronen Gesamtsumme = 26 Elektronen 3. Verteilen Sie diese Elektronen unter Einhaltung der Oktettregel auf das Atomskelett :F—N—F: :F: Das nächste Element in der zweiten Periode des Periodensystems ist der Kohlenstoff, der vier Valenzelektronen besitzt. Kohlenstoff bildet das stabile Hydrid Methan, CH 4 H I H—C—H I H Wir werden später noch einmal auf den Kohlenstoff zurückkommen, um die komplexeren Hydride dieses Elements (die sogenannten Kohlenwasserstoffe) zu diskutieren. Beispiel 6-3 Geben Sie die Elektronenformel für das Molekül des Kohlenstofftetrafluorids, CF 4 , an. Lösung 1. Atomskelett F

F C F

F

160

6 Bindungen in Molekülen

2. Anzahl der Valenzelektronen C: 4e~ 4 F : 28 e" insgesamt 32 e~ 3. Verteilung der Elektronen :F: :F—C—F: " I •" :F:

6—4 Bortrihydrid Für das Borhydrid können wir keine einfache Elektronenformel angeben, die jenen des Methans (CH 4 ), des Ammoniaks (NH 3 ) und des Wassers (H 2 0) entspricht. Boratome besitzen drei Valenzelektronen, und somit erlaubt uns die einfache Formulierung mit Hilfe von gemeinsamen Elektronenpaaren die Aufstellung einer Formel für das Trihydrid, BH 3 •BBoratom

H—B—H

A

Bortrihydrid

Alles, was wir vom BH 3 -Molekül wissen, deutet darauf hin, daß dieses Molekül extrem reaktionsfreudig ist. Versuche, das Molekül herzustellen, führten stets zur Bildung eines Stoffes, der Diboran genannt wurde und der die Molekülformel B 2 H 6 besitzt. Die Tendenz des BH 3 , das Molekül B 2 H 6 zu bilden, kann durch unsere einfache Theorie der Elektronenkonfigurationen in Molekülen erklärt werden. Wie an der Elektronenformel des BH 3 abzulesen ist, hat das Boratom in diesem Molekül seine Valenzschale nicht vervollständigt; es benötigt noch zwei weitere Elektronen, um die erstrebte Neonkonfiguration zu erlangen. Die Existenz des B 2 H 6 veranschaulicht zwei Erfolge der Elektronentheorie des Aufbaus der Moleküle: Zunächst einmal besagt die Theorie, daß jedes Boratom in der Lage sein sollte, drei Wasserstoffatome an sich zu binden, wie auch ein Stickstoffatom drei Wasserstoffatome an sich bindet. Dies steht mit der Tatsache im Einklang, daß sowohl Bor als auch Stickstoff eine Hauptwertigkeit von drei besitzen. Zweitens sagt die Theorie aber auch voraus, daß das BH 3 äußerst reaktionsfähig sein müßte, da die Boratome in ihm keinesfalls die Elektronenkonfiguration eines Edelgases besitzen. Diese einfache Theorie sagt jedoch nicht voraus, daß sich zwei derartige BH 3 -Moleküle zum stabilen Molekül B 2 H 6 zusammenschließen können. Die direkteste Methode zur Bestimmung der Struktur des B 2 H 6 beruht auf der Elektronenbeugung. Ein Strahl von Elektronen wird durch eine Probe gasför-

Bortrihydrid

161

migen D i b o r a n s hindurchgeschickt, u n d einige der Elektronen werden an den G a s m o l e k ü l e n gestreut oder gebeugt, ähnlich der Streuung des Sonnenlichts beim D u r c h g a n g d u r c h neblige L u f t . Eine Analyse des dabei entstehenden Beugungsbildes läßt d a n n Schlüsse auf die A n o r d n u n g der Bor- u n d Wasserstoffatome im D i b o r a n m o l e k ü l zu. Ein Modell der tatsächlichen S t r u k t u r des D i b o r a n s sowie eine dreidimensionale Darstellung des Moleküls finden Sie in A b b i l d u n g 6 - 1 . Überraschenderweise

H

H

Abbildung 6-1 Ein Modell des B 2 H 6 -Moleküls und eine dreidimensionale Darstellung, die die „Dreizentren"-Bindung zeigt.

sind nicht alle W a s s e r s t o f f a t o m e einander gleichwertig: Vier von ihnen sind an ein einzelnes B o r a t o m gebunden, w ä h r e n d die beiden anderen an beide B o r a t o m e des D i b o r a n s gebunden sind. Diese S t r u k t u r weist eine sogenannte „Dreizentrenb i n d u n g " auf. W e n n wir versuchen, diese S t r u k t u r in eine E l e k t r o n e n f o r m e l zu übersetzen, erhalten wir folgendes H

H B: :B

/ H

"

\

H

W e n n wir die vier Elektronen, die zu den beiden zwischen den B o r a t o m e n überbrückenden W a s s e r s t o f f a t o m e n gehören, so zählen, als o b sie zu den Valenzschalen beider B o r a t o m e gehören, k ö n n e n wir feststellen, d a ß jedes B o r a t o m seine erwünschten acht Valenzelektronen besitzt. Die einfachsten Modelle f ü r die E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n von Molekülen ergeben zufriedenstellende Ergebnisse, wenn wir nichts weiter als den gemeinsamen Besitz von E l e k t r o n e n p a a r e n zwischen zwei A t o m e n wie in H 2 , F 2 , H 2 0 usw. diskutieren. Jetzt h a b e n wir ein Beispiel, B 2 H 6 , d a f ü r gefunden, d a ß ein E l e k t r o n e n p a a r offensichtlich drei A t o m e miteinander verbindet. M a n k a n n sich das D i b o r a n so vorstellen, als o b es zwei Bindungen enthielte, die sich über drei A t o m e erstrecken, wobei jede dieser Bindungen d u r c h die gleichzeitige Wechselwirkung zweier Elektronen mit zwei B o r a t o m e n u n d einem Brückenwasserstoff entsteht. Dieser T y p der D r e i z e n t r e n - E l e k t r o n e n p a a r b i n d u n g wird üblicherweise

162

6 Bindungen in Molekülen

durch eine gekrümmte Linie dargestellt, die die drei Atome miteinander verbindet H

\

f B

^ v H

\

B

/

H

y \H H

6 - 5 Bortrifluorid Nach unserer Diskussion der Hydride und Fluoride der anderen Elemente könnten wir erwartet haben, daß Bortrifluorid „dimere" oder „Doppel-" Moleküle, B 2 F 6 , analog dem Diboran bilden würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Boratome in den einzelnen Molekülen müssen auf irgendeine andere Art das Oktett der Valenzelektronen im Einzelmolekül auffüllen können. Ein offensichtlicher Unterschied zwischen BH 3 und BF 3 ist das Vorhandensein von nichtbindenden Valenzelektronen bei den Fluoratomen im Bortrifluorid H—B—H

:F—B—F:

H

:F:

Wir nehmen an, daß irgendeine Wechselwirkung mit den einsamen Elektronenpaaren des Fluors dabei hilft, den Elektronenbedarf des Boratoms zu befriedigen. Das Wesen dieser Wechselwirkung wird in Abschnitt 6-15 diskutiert werden. Viele andere Borverbindungen, in denen die Boratome an Atome gebunden sind, die einsame Elektronenpaare besitzen, kommen ebenfalls in der Form von Einzelmolekülen vor. Darüber hinaus reagieren Borverbindungen mit Molekülen, die einsame Valenzelektronenpaare besitzen unter Bildung von stabilen Additionsverbindungen. So reagiert z.B. Bortrifluorid mit Ammoniak unter Bildung einer sehr stabilen Verbindung :NH 3 -I- BF3 - » H 3 NBF 3 Die einsamen Valenzelektronenpaare, die in den Formeln vieler Moleküle angegeben werden, spielen bei chemischen Reaktionen oft eine wichtige Rolle. Beispiel 6-4 Geben Sie die Elektronenkonfiguration des H 3 NBF 3 an. Lösung 1. Da die Verbindung durch den Zusammenschluß von NH 3 und BF 3 gebildet wird, könnte eine vernünftige Struktur des Moleküls, wie folgt, aussehen H F H N B F H

F

163

Ionenbindungen

2. Die Gesamtzahl von Valenzelektronen beträgt N (Gruppe V): 5 e" B (Gruppe III): 3 e" 3 H (Gruppe I): 3 e" 3F (Gruppe VII): 21 e" insgesamt: 32 e~ 3. Die Verteilung der Elektronen ergibt H :F: I I .. H—N—B—F:

6—6 lonenbindungen Bisher haben wir die Elektronenkonfigurationen von Verbindungen des Wasserstoffs und des Fluors, die beide Nichtmetalle sind, mit sich selbst und mit den anderen Nichtmetallen Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Bor diskutiert. Jetzt wollen wir die Verbindungen von Fluor und Sauerstoff mit einem metallischen Element, Beryllium, behandeln. Im Gegensatz zur Sachlage bei einem Nichtmetall sind die Valenzelektronen nur lose an ein Metallatom gebunden. Zusammen mit der starken Elektronenaffinität des Fluors läßt diese Tatsache die Vermutung zu, daß in der Verbindung BeF2 die Elektronenpaare nicht gleichmäßig auf die Be—F-Bindungen verteilt sind. Tatsächlich werden die Elektronenpaare so stark von den Fluoratomen angezogen, daß es besser ist, zu sagen, daß das Beryllium im BeF2 seine beiden Valenzelektronen abgegeben hat, um die stabile (Helium-)Konfiguration des Berylliumions, Be 2+ , anzunehmen. Beachten Sie, daß das Berylliumion die Ladung +2e besitzt und daß jedes der beiden Fluoratome ein Valenzelektron aufgenommen hat, wobei die stabile (Neon-)Elektronenkonfiguration des Fluoridions, F~, gebildet wird Be-

F:

Berylliumatom

Fluoratom

[:F:]~ Be2+ [:F:]~ Berylliumdifluorid

Das sich auf diese Weise ergebende Molekül BeF 2 , wird nicht durch gemeinsame Elektronenpaare zusammengehalten, sondern durch die elektrostatische Anziehung zwischen den negativen Fluoridionen und den positiven Berylliumionen. Die starke elektrostatische Anziehung von entgegengesetzt geladenen Ionen ist für die sogenannten Ionenbindungen verantwortlich. Wie wir erwarten würden, bildet Beryllium auch ein Oxid, BeO Be2+ [:Ö:] 2 ~

164

6 Bindungen in Molekülen

Beispiel 6-5 Geben Sie unter Verwendung von Lewis-Diagrammen eine Gleichung an, die die Bildung einer Ionenbindung zwischen Calcium und Chlor beschreibt. Lösung Calcium ist ein Metall aus der Gruppe II und Chlor ein Nichtmetall aus der Gruppe VII. Somit können wir schreiben Ca- + 2[-Cl:] - » [:C1:]~ Ca 2+ [:C1:] Die Klammern werden aus Gründen der Klarheit verwendet, wenn mehr als ein Ion an der Reaktion beteiligt ist und eine Ionenladung angezeigt werden muß. Lithium besitzt nur ein lose gebundenes Valenzelektron und weist noch stärkere Metalleigenschaften als das Beryllium auf. Die inerte Elektronenkonfiguration des Heliums wird leicht durch die Bildung des Lithiumions, Li + , erreicht Li • —» Li + + e" Lithium bildet ein ionisches Fluorid LiF Li- + F:

Li + [:F:]~

und ein ionisches Oxid Li 2 0 Li + [:Ö:] 2 ~ Li + Verbindungen, die sich zwischen Elementen auf der linken Seite des Periodensystems (Alkali- und Erdalkalimetalle) und den Halogenen und Sauerstoff bilden, besitzen im wesentlichen Ionencharakter. Im allgemeinen sind diese Verbindungen, für die BeF 2 , BeO, LiF und Li 2 0 repräsentative Vertreter sind, Festkörper mit hohem Schmelzpunkt. Einzelne, individuelle Moleküle lassen sich in ionischen Festkörpern nicht finden, da die Verbindung dadurch aufgebaut wird, daß positive und negative Ionen sich in dichter Packung zu einem im wesentlichen unendlich ausgedehnten Gitter zusammenschließen. Diese Strukturen werden wir eingehender in Kapitel 8 besprechen.

6—7 Elektronegativität Unsere Modelle für die kovalente Bindung und die Ionenbindung sind in hohem Maße idealisiert: Einerseits kann eine gleichmäßige Aufteilung eines gemeinsamen Elektronenpaares auf zwei Atome nur dann vorliegen, wenn die beiden Atome genau die gleichen sind. Andererseits bedeutet das Ionenmodell immer eine Übertreibung, da selbst bei äußerst unähnlichen Atomen kein 100%iger Elektronentransfer von einem Atom zum anderen erfolgt. Wir müssen uns also an die Tatsache gewöhnen, daß der bei weitem größte Teil der in der Natur vorkommenden Moleküle Bindungen besitzt, die irgendwo zwischen den beiden von uns diskutierten Grenzfällen liegen.

165

Elektronegativität

Um nun diesen allgemeineren Fall genauer diskutieren zu können, ist es von Nutzen, den Begriff der Elektronegativität einzuführen. Die Elektronegativität ist ein Ausdruck für die relative Fähigkeit eines Atoms, Elektronen in einer Bindung an sich zu ziehen. So hält z.B. im Berylliumdifluoridmolekül das Fluoratom die Elektronen kräftig fest und besitzt infolgedessen eine sehr hohe Elektronegativität. Das Berylliumatom zieht seinerseits die Elektronen weniger stark an und besitzt daher eine geringe Elektronegativität. Der dadurch bedingte große Unterschied in den Werten der Elektronegativität führt zu einem nahezu vollständigen Transfer der beiden Valenzelektronen des Berylliums auf die beiden Fluoratome im Molekül. Der amerikanische Physikochemiker Robert S. Mulliken schlug vor, die Elektronegativität (s) als der Summe aus der ersten molaren Ionisierungsenergie (£¡) und der sogenannten molaren Elektronenaffinität (£ a ) eines Atoms proportional zu definieren (6-1)

£ = c(Ei + Ea)

wobei c der Proportionalitätsfaktor ist. Die atomare Ionisierungsenergie (Abschnitt 5-3) ist ein Maß für die Energie, die dazu erforderlich ist, ein Elektron aus einem gasförmigen, neutralen Atom (erste E{) oder einem gasförmigen, einfach positiv geladenen Ion (zweite £¡) usw. zu entfernen. So gilt z. B. für Natrium Na(g)

—> Na + (g) + e"

Na + (g) —> Na 2 + (g) + e"

495,8 kJ mol" 1 , erste molare E, = erste £¡ 4561 kJ mol" 1 , zweite molare E, = zweite £¡

(In der Chemie ist es üblich, an Stelle der atomaren Energien, die sich auf die Umwandlung eines Atoms oder Moleküls beziehen (meistens in eV gemessen), die molaren, d. h. auf ein Mol oder 6,022 x 1023 Teilchen bezogenen Energien anzugeben (in kJ mol" x ). Zur Kennzeichnung der molaren Größen wird in diesem Buch ein Strich über dem Symbol der jeweiligen Größe verwendet; z. B. E b = molare Bindungsenergie in kJ mol" 1 . Mit Hilfe der Beziehung 1 eV Teilchen" 1 = = 96,5 kJ mol" 1 können diese Beträge ineinander umgerechnet werden.) Die Elektronenaffinität eines Atoms ist gleich der Energie, die dazu erforderlich ist, ein Elektron aus einem gasförmigen, einfach negativ geladenen Ion zu entfernen, wobei dann ein gasförmiges, neutrales Atom übrigbleibt. So erhalten wir z.B. für die molare Elektronenaffinität des Wasserstoffs H" (g) —• H(g) + e"

E„ = 71 kJ mol"

1

Atome mit den größten £ a -Werten halten ein Überschußelektron am stärksten an sich gebunden. Einige Werte für die ersten molaren Ionisierungsenergien und die molaren Elektronenaffinitäten sind in Tabelle 6 - 1 angegeben. Beachten Sie, daß die Elemente auf der rechten Seite des Periodensystems die höchsten Er und £ a -Werte besitzen. Daraus folgt, daß diese Elemente auch die höchsten Elektronegativitäten haben. Eine quantitative Mulliken-Skala für die Atome können wir dadurch erhalten,

166

6 Bindungen in Molekülen

daß wir einem beliebigen Atom einen bestimmten Wert der Elektronegativität zuschreiben, wodurch dann der Proportionalitätsfaktor c aus Gleichung (6-1) bestimmt wäre. Unglücklicherweise können nur wenige s-Werte auf diese Art berechnet werden, da nicht sehr viele atomare Elektronenaffinitäten genau bekannt sind. Tabelle 6-1

Einige erste Ionisierungsenergien und Elektronenaffinitäten.

Erste Ionisierungsenergien H C O F Na C1 K Br J

-> H f — Cf CT ->Fl —> Na f Cl+ ->• K + — Br + — J'

+ e~ + e~ +e' +e~ +

+e~ +e+ e~

+e~

(kJ mol ')

Elektronenaffinitäten

1312 1086 1314 1681 495,8 1255 418,8 1142 1009

H C" O" F" Na"

er K

—>

—> —> - > —> —>

Br"

—>

J

— •

H C O F Na C1 K Br

J

+ e~ + e~ + e~ + e~ + e~ + e"

+e'

(kJ mol ') 71 121 142 333 79 349 67 324 295

Beispiel 6-6 Berechnen Sie mit Hilfe der E-- und Ea-Werte aus Tabelle 6 - 1 , welches der beiden Elemente, Chlor oder Fluor, nach der Mulliken-Definition das elektronegativere ist. Lösung Mulliken definierte die Elektronegativität als £ = c(Ei + Ej Somit ergibt sich folgendes Verhältnis £F _ c(1681 + 333) kJ mol" 1 _ e^" ~ c(1255 + 349) kJ mol" 1 ~

} 25

'

Damit erhalten wir e F = 1,25 e c l , d.h. Fluor ist um den Faktor 1,25 elektronegativer als Chlor. Eine weiter verbreitete, quantitative Behandlung der Elektronegativität wurde zu Beginn der dreißiger Jahre von dem amerikanischen Chemiker Linus Pauling eingeführt. Der Paulingsche Wert der Elektronegativität für ein bestimmtes Atom ergibt sich aus dem Vergleich der Bindungsenergien gewisser Moleküle, die dieses Atom enthalten. Wenn die Bindungselektronen in einem Molekül AB gleichmäßig auf beide Atome verteilt wären, würde es vernünftig sein, anzunehmen, daß die Bindungsenergie des Moleküls AB gleich dem Mittelwert der Bindungsenergien der Moleküle A 2 und B2 sein wird. Jedoch lautet ein allgemeines Ergebnis : Die Bindungsenergie eines Moleküls AB ist fast immer größer als das geometrische Mittel aus den Bindungsenergien der Moleküle A2 und B2.

167

Elektronegativität

Ein beeindruckendes Beispiel, das diese Tatsache veranschaulicht, ist das HFMolekül. Die molare Bindungsenergie des HF beträgt 561 kJ mol - 1 , wogegen die molaren Bindungsenergien des H 2 bzw. F 2 431 kJ mol""1 bzw. 151 kJ mol - 1 ausmachen. Das geometrische Mittel aus den beiden letzteren Werten ist (431 x 151)1/2 kJ mol - 1 = 255 kJ mol - 1 , was weitaus weniger als die beobachtete molare Bindungsenergie des HF ist. Diese „überschüssige" Bindungsenergie, Ä, in einem AB-Molekül wird nun auf den partiellen Ionencharakter der Bindung zurückgeführt, d.h. auf eine ungleichmäßige Verteilung der Bindungselektronen auf die beiden Atome im Molekül. In diesem Modell wird der Unterschied zwischen den Elektronegativitäten der beiden Atome A und B definiert durch eA — eB = 0,102 x (klmol - 1 )" 1 ' 2 x Ä1'2

(6-2)

wobei eA und eB die Elektronegativitäten der Atome A bzw. B sind, 2 die molare Überschußenergie in k J m o r 1 darstellt und der Faktor 0,102 x (kJ m o r 1 ) - 1 ' 2 aus der Umrechnung von kJ mol - 1 in eV Teilchen" 1 herrührt. Die Quadratwurzel aus 3 wird nur deshalb verwendet, weil sie einen etwas besser stimmenden Satz von Elektronegativitätswerten für die Atome ergibt. Da sich bei der Anwendung von Gleichung (6-2) nur Differenzen ergeben, wird einem Atom ein bestimmter Wert der Elektronegativität zugeschrieben, was völlig willkürlich geschehen kann. Die anderen Elektronegativitätswerte können dann nach Gleichung (6-2) berechnet werden. Bei der Paulingschen Elektronegativitätsskala wird dem elektronegativsten Atom, dem Fluoratom, eine Elektronegativität von annähernd 4 Die Paulingschen Elektronegativitätswerte 3 .

Tabelle 6 - 2 I

II

H 2,20 Li 0,98 Na 0,93 K 0,82 Rb 0,82 Cs 0,79

Be 1,57 Mg 1,31 Ca 1,00 Sr 0,95 Ba 0,89

III

Sc 1,36 Y 1,22 La 1,10 Ce 1,12

II

II

Ti V 1,54 1,63 Zr 1,33

II

II

Cr Mn 1,66 1,55 Mo 2,16 W 2,36 Pr Nd Sm 1,17 1,13 1,14 (III) (III) (III) U Np 1,38 1,36 (III) (III)

II

II

Fe Co 1,82 1,88 Rh 2,28 Ir 2,20 Gd 1,20 (III) Pu 1,28 (III)

II

Ni 1,91 Pd 2,20 Pt 2,28

I

Cu 1,90 Ag 1,93 Au 2,54 Dy 1,22 (III)

II

Zn 1,65 Cd 1,69 Hg 2,00 Ho 1,23 (III)

III

IV

III

II

I

B 2,04 AI 1,61 Ga 1,81 In 1,78 T1 2,04 Er 1,24

C 2,55 Si 1,90 Ge 2,01 Sn 1,96 Pb 2,33 Tm 1,25 (III)

N 3,04 P 2,19 As 2,18 Sb 2,05 Bi 2,02

O 3,44 S 2,58 Se 2,55

F 3,98 C1 3,16 Br 2,96 J 2,66

Lu 1,27 (III)

° Die römischen Ziffern beziehen sich auf die üblichen Wertigkeiten der Atome in den Molekülen, die zur Berechnung der atomaren Elektronegativitätswerte herangezogen wurden.

168

6 Bindungen in Molekülen

zugeschrieben. Eine neuere Zusammenstellung von e-Werten, die nach den Überlegungen von Pauling, wie sie in Gleichung (6-2) ausgedrückt sind, berechnet wurden, finden Sie in Tabelle 6-2. Die Alkalimetallatome Lithium, Natrium, Kalium usw., die sehr kleine Ionisierungsenergien und sehr kleine Elektronenaffinitäten besitzen, ziehen Elektronen in Bindungen am schwächsten an. Die Gruppe der Halogene zeigt dagegen die höchsten Elektronegativitätswerte. Beispiel 6-7 Machen Sie eine Abschätzung der Bindungsenergie (E^ des HCl-Moleküls, wobei Sie die Elektronegativitätstabelle und die für H 2 und Cl 2 angegebenen molaren Bindungsenergien von 431 kJ m o l - 1 bzw. 239 kJ m o l - 1 verwenden können. Lösung Wir können erwarten, daß die tatsächliche molare Bindungsenergie des HCl um den Betrag A größer ist als das geometrische Mittel aus den molaren Bindungsenergien des H 2 und Cl 2 . Mathematisch formuliert besagt dies ^b(HCl) ~ (^b(H1 )) X ^b(Ch) 1 1 2 + ^ 22

A können wir aus Gleichung (6-2) berechnen e c1 - e „ = 0,102 x ( k J m o r 1 ) " 1 ' 2 x Ä 1/2 oder

Indem wir jetzt die Elektronegativitätswerte für H und C1 aus Tabelle 6 - 2 einsetzen, erhalten wir für A

= 88,6 kJ mol" 1 und damit schließlich für die molare Bindungsenergie des HCl £b ( Hci,= [(431 x 239)1/2 + 88,6] kJ mol" 1 = (321 + 89) kJ mol" 1 = 410 kJ mol" 1 Der experimentell bestimmte Wert beträgt 427 kJ mol" 1 . Die Elektronegativität ist ein nützlicher Begriff zur qualitativen Beschreibung der Elektronen Verteilung in einer Bindung zwischen zwei verschiedenen Atomen.

169

Das HF-Molekül

Der Unterschied zwischen den Elektronegativitäten des Berylliums oder Lithiums und der des Fluors ist so groß, daß praktisch ein vollständiger Transfer des Bindungselektronenpaars zum Fluor erfolgt. Wir können jedoch auch feststellen, daß es eine große Zahl von Molekülen gibt, bei denen die Bindungen zwischen unterschiedlichen Atomen besser als kovalent mit schwachen Ionencharakter beschrieben werden.

6—8 Das HF-Molekül: Eine kovalente Bindung mit lonencharakter Das nächste Molekül, das wir uns hier ansehen wollen, ist ein solcher Zwischentyp: Die Bindung in einem Molekül, das sich aus einem Wasserstoffatom und einem Fluoratom zusammensetzt, HF, ist weder rein kovalent noch, selbst nicht angenähert, ionisch. Es ist nützlich, sich ein annehmbares Lewis-Diagramm des HF-Moleküls aufzuzeichnen. Wir erhalten eine Darstellung des Lewis-Diagramms dieses Moleküls, indem wir dem Wasserstoffatom zwei und dem Fluoratom acht Elektronen zuordnen. Dies geschieht unter Ausbildung eines gemeinsamen Elektronenpaares zwischen H und F, so daß sich H—F: ergibt. Dieses LewisDiagramm mit dem gemeinsamen Elektronenpaar ist besser geeignet als eine ionische Struktur, da die Elektronegativität eines Wasserstoffatoms ausreichend hoch ist, um nur einen teilweisen Transfer des Bindungselektronenpaares zum Fluoratom zuzulassen. Die Elektronendichte (Wahrscheinlichkeitsdichte) ist in dieser Bindung stärker im Bereich des Fluoratoms als in dem des Wasserstoffatoms konzentriert. Diese Ungleichmäßigkeit der Elektronenverteilung, die den partiellen Ionencharakter dieser Bindung bedingt, ist in Abbildung 6 - 2 dargestellt.

6+

8-

H—F:

0-!

Abbildung 6 - 2 Modell des HF-Moleküls, das die hohe Elektronendichte in der Nähe des Fluoratoms zeigt.

6—9 Dipolmomente Moleküle, die eine ungleichmäßige Elektronendichteverteilung aufweisen, sind elektrische Dipole, da es bei ihnen ein negatives und ein positives Ende (Pol) gibt. Die Größenordnung der Polarisation eines Moleküls kann auf folgende Weise

170

6 Bindungen in Molekülen

demonstriert werden: Wenn zwei kleine Metallplatten parallel zueinander in einem bestimmten Abstand voneinander angeordnet werden und eine Spannung an diese Platten gelegt wird, dann laden sich die beiden Platten auf, wie in Abbildung 6-3(a) gezeigt ist. Wenn nun eine polare Substanz, wie z.B. HF, zwischen die beiden Platten gebracht wird, werden sich ihre Moleküle so auszurichten versuchen, wie es in Abbildung 6-3(b) dargestellt ist. Die Fähigkeit der beiden Platten, elektrische Ladung zu „speichern" (ihre sogenannte Kapazität), wird vergrößert, wenn der R a u m zwischen den Platten mit einer polaren Substanz gefüllt ist. Wenn H 2 zwischen die Platten gebracht wird, ist die Kapazität der Platten im wesentlichen die gleiche, wie wenn sich zwischen den Platten ein Vakuum befindet. Wasserstoff besitzt ein unpolares oder nichtpolares Molekül; somit vergrößert er auch nicht die Kapazität der beiden Platten, Ladung zu speichern.

H"!»-

O 6

Q

6+

6-

>

b+

Q •

5

> S+

Ö

(a)

(b)

Abbildung 6 - 3 Die auf zwei Platten gespeicherte Ladung, wobei (a) ein Vakuum zwischen den Platten herrscht und (b) sich polare HF-Moleküle zwischen den Platten befinden. Die polaren Moleküle neigen dazu, sich in einem elektrischen Feld auszurichten, wodurch die elektrostatische Anziehung zwischen den Platten ihren größten Wert erreicht.

Die elektrische Polarität des Fluorwasserstoffmoleküls kann durch zwei verschiedene Schreibweisen dargestellt werden

_+

-

H

F^

6+H

F6"

Bei der ersten Darstellung geben der Pfeil und die -I- - und — -Zeichen die Richtung der Elektronenverschiebung im Molekül an. Dieselbe Verschiebung wird in der zweiten Darstellung auf eine andere Art gezeigt: Der griechische Buchstabe delta (¿) kennzeichnet eine kleine Ladung, die nur Bruchteile einer Elementarladung betragen kann (was natürlich nur theoretisch in diesem Modell möglich

171

Dipolmomente

ist!). In diesem Fall bedeutet 0, da bei diesem Prozeß mehr Produktmoleküle als Moleküle der Reaktionspartner vorhanden sind.

332

10 Chemisches Gleichgewicht

(b) A S > 0, weil die Gasphase weitaus stärker ungeordnet ist als die feste Phase. (c) < 0, da weniger Produkt- als Reaktionspartnermoleküle vorhanden sind und infolgedessen die Unordnung abnimmt. Ferner liegt eines der Produkte in der flüssigen, also einer stärker geordneten Phase vor.

Freie Enthalpie Wir haben Ihnen einige überzeugende Argumente dafür vorgestellt, daß sowohl die Reaktionswärmen als auch die Entropieänderungen bei der Bestimmung, in welchem Umfang eine chemische Reaktion ablaufen kann, von Bedeutung sind. Das Bestreben, eine maximale Wärmeabgabe zu erreichen, und das Bestreben, einen maximalen Entropiezuwachs zu erlangen, sind beides Triebkräfte der chemischen Reaktion. Wenn dies aber der Fall ist, dann muß irgendeine Kombination aus Enthalpieänderung und Entropieänderung den Verlauf einer chemischen Reaktion bestimmen. Eine experimentell praktische Kombination von Enthalpie- und Entropieänderungen, die wir zur Voraussage der Lage des Gleichgewichts eines chemischen Systems verwenden werden, ist die Änderung der sogenannten freien Enthalpie oder auch Gibbsschen freien Energie AG = AH — TA S. Wenn wir eine geeignete Kombination von A H und A S erraten müßten, wäre dieser Ausdruck eine vernünftige Wahl. Aus der vorangehenden Diskussion von Verdampfungswärmen und Verdampfungsentropien geht hervor (Gleichung (10-8)), daß die Größe TA S in Einheiten der Energie (J) gemessen wird, also eine Energiegröße darstellt. Da exotherme Reaktionen negative Werte von A H aufweisen und entropieerhöhende Reaktionen positive Werte von A S besitzen, stellt A G die (negative) Summe der Triebkräfte einer Reaktion dar. Es gibt viele andere Methoden, mit deren Hilfe wir das Gleichgewicht zwischen den Wärme- und Entropieänderungen ausdrücken könnten, das für die Einstellung des chemischen Gleichgewichts erforderlich ist. Es hat sich jedoch einfach herausgestellt, daß die Funktion der freien Enthalpie für Systeme unter konstantem äußeren Druck, was bei einer chemischen Reaktion gewöhnlich der Fall ist, die weitaus praktischste Form der Beschreibung ist. Da AG gerade die Summe von zwei Funktionen ist, die wir bereits diskutiert haben, können wir sofort sagen, daß jede Reaktion einen Wert von AG besitzt, der durch die Beziehung AG = AH — TAS bestimmt wird, daß freie Standardenthalpieänderungen AG0 die Reaktionen beschreiben, die unter Standardbedingungen ablaufen, und daß jede chemische Substanz eine freie Enthalpie G besitzt, so daß für eine beliebige Reaktion gilt: AG = G Produkte - GReaktionspartner . Wir haben bereits die Größen H, S, AH und A S definiert. Infolgedessen ist auch A G vollständig durch AG = AH — TA S bestimmt. In Analogie zum Wärmeinhalt und den molaren Standardenthalpien erhalten wir die Größen A G° und G°. Es ist dabei wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich die Werte für die freie Enthalpie G nicht aus der Beziehung G = H — TS ergeben. Die Werte von G werden in der Weise bestimmt, daß die Bedingung A GReaktl0n = G Produkte -

Gleichgewichtskonstanten und Änderungen der freien Enthalpie

333

GReaktionspartner erfüllt ist, aber die Methode zur Berechnung der (/-Werte ist zu kompliziert, um hier erklärt zu werden. Ein Ergebnis des Systems für die Definition von G lautet, daß G für jedes Element in seiner stabilsten Form im Standardzustand gleich null ist, wie es auch bei der molaren Standardenthalpie, H°, der Fall ist. Da nun A G die negative Summe der Triebkräfte einer Reaktion ist, sollte eine beliebige Reaktion immer dann ablaufen, wenn A G < 0 ist. Betrachten wir einmal die Umwandlung von A in B in dem System A 0. Dann würden wir, da eine Umkehrung der Richtung der Reaktion gleichbedeutend mit einem Vorzeichenwechsel von AG ist, die Rückreaktion B +± A mit AG