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German Pages 394 Year 2014
Corinna Peil Mobilkommunikation in Japan
Cultural Studies | Herausgegeben von Rainer Winter | Band 38
Corinna Peil (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur (IfKM) der Leuphana Universität Lüneburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Mobilkommunikation und digitale Medien in Alltagskontexten.
Corinna Peil
Mobilkommunikation in Japan Zur kulturellen Infrastruktur der Handy-Aneignung
Die Veröffentlichung ist als Dissertation an der Leuphana Universität Lüneburg angenommen worden. Der Buchdruck wurde von der Leuphana Universität Lüneburg gefördert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld
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INHALT Abbildungsverzeichnis Danksagung
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1. Einleitung Forschungsgegenstand Mobilkommunikation Warum Japan? Fragestellungen und Ziele Vorgehensweise und Gliederung Mythen und Gefahren des ‚Technologie-Exotismus‘
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2. Mobilkommunikation in Japan: Eine mobile Medienavantgarde 2.1 Zur Entstehung und Entwicklung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan 2.1.1 Technische Vorläufer der Mobilkommunikation: Der Pager und die Mädchen 2.1.2 Konkurrierende Standards: PHS vs. keitai 2.2 NTT DoCoMo’s i-mode und der Durchbruch des mobilen Internets 2.2.1 Entwicklung und Konzept des ersten mobilen Onlinedienstes 2.2.2 Gründe für den Erfolg von i-mode aus ökonomischer Perspektive 2.2.3 Der Beitrag des mobilen Internets für die Internetverbreitung in Japan 2.2.4 Neuere Funktionen und Anwendungsbereiche des keitai 2.3 Zur aktuellen Situation der Mobilkommunikation in Japan 2.3.1 Mobile Dienste und keitai-Funktionen heute 2.3.2 Akzeptanz und Ausblick
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3. Theoretische Bezüge: Kultur, Kommunikation und Medien 3.1 Cultural Studies als übergreifende Perspektive 3.2 Schlüsselbegriffe und -konzepte 3.2.1 Kultur 3.2.2 Kultur und (Medien-)Kommunikation 3.2.3 Medien
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3.2.4 Mediatisierung 3.2.5 Medienkultur 3.2.6 Nationale vs. translokale (Medien-)Kultur 3.3 Zusammenführung der Begriffskonzeptionen 4. Analytischer Rahmen: Mobilkommunikation als Forschungsgegenstand 4.1 Definitorische Annäherungen: Mobiltelefon, mobile Kommunikationstechnologien, Mobilkommunikation 4.2 Entwicklung der Mobilkommunikation und ihrer Erforschung 4.2.1 Thematische Forschungsschwerpunkte 4.2.2 Methodische Herangehensweisen 4.2.3 Theoretische Zugänge 4.3 Ansätze der kultur- und kontextorientierten Mobilkommunikationsforschung 4.3.1 Raumthemen in der Mobilkommunikationsforschung 4.3.2 Zeitthemen in der Mobilkommunikationsforschung 4.3.3 Beziehungsthemen in der Mobilkommunikationsforschung 4.3.4 Medienthemen in der Mobilkommunikationsforschung 4.4 Plädoyer für eine breitere kulturelle Kontextualisierung von Mobilkommunikation 4.4.1 Leerstellen der Mobilkommunikationsforschung 4.4.2 Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation: Raum, Zeit, Beziehungen, Medien 5. Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan 5.1 Raum 5.1.1 Geografische Strukturmerkmale 5.1.2 Bevölkerungsentwicklung und Urbanisierung Die japanischen Metropolen als global cities: Stadtentwicklung, Vernetzung und Multizentrismus Mobile Kommunikationstechnologien als Schöpfer symbolischer Räume Neue situative Raumerfahrungen mit Mobilkommunikation Zur Interaktion von symbolischen und realen (Stadt-)Räumen Raumdiskurse und japanische Jugendkultur 5.1.3 Verkehr und Mobilität Unsichtbare Grenzziehungen im öffentlichen Stadtverkehr Die Integration des keitai in das komplexe Regelwerk des urbanen Verkehrsalltags
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5.1.4 Zuhause und Häuslichkeit Wohnmodelle und Strategien der Raumgewinnung innerhalb des Zuhauses Zur Konstruktion selektiver Gemeinschaften mit mobilen Medien Außer Haus zu Hause: keitai-Kommunikation und virtuelle Wohngemeinschaften Exkurs: hikikomori und otaku als Extremformen ‚medialer Häuslichkeit‘ 5.1.5 Zwischenfazit Raum 5.2 Zeit 5.2.1 Schul- und Ausbildungszeit Das japanische Ausbildungssystem: Aufbau, Grundsätze und Ideale Alltag und Zeithandeln von Schülerinnen und Schülern Das Studium als gesellschaftlich sanktionierte Latenzphase Funktionen des keitai im japanischen Schul- und Studienalltag: Zeitverdichtung, Organisation und Sicherheit 5.2.2 Arbeitszeit Zum Umgang mit Zeit im japanischen Arbeitsalltag Die Bedeutung mobiler Kommunikationstechnologien in der Arbeitszeit 5.2.3 Freizeit Zwischen Bewegung und Stillstand: Dominante Muster der (Frei-)Zeitgestaltung Die Rolle des keitai bei der Strukturierung von Freizeit 5.2.4 Zwischenfazit Zeit 5.3 Beziehungen 5.3.1 Familie Das ie als Ursprung japanischer Familienorganisation Modernisierung des traditionellen Familiensystems und zeitgenössische Familienstrukturen Mobilkommunikation und familiärer Wandel Die keitai-Nutzung älterer Menschen im Kontext der Digital Divide Debatte Lebensstile und Zusammenleben von Frauen und Männern Keitai und Doing Gender in der häuslichen Familienkommunikation 5.3.2 Freunde Kontakt und Kontinuität in Freundschaftsbeziehungen Keitai-Kommunikation zur Förderung virtueller und realer Begegnungen
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203 208 209 212 215 218 225 227 230 238 239 242 244 246 249 254 257 258 261
Soziale Selektivität und Vergemeinschaftung im networked individualism 5.3.3 Fremde Die Konstruktion des intimate strangers in der Tele- und Onlinekommunikation Von beru-tomo bis deai-kei: Mobilkommunikation und Beziehungsspiele 5.3.4 Zwischenfazit Beziehungen 5.4 Medien 5.4.1 Schrift und Sprache Zwischen Adaption und Anpassung: Die japanischen Schriftsysteme Kennzeichen der Sprache und Konventionen des Sprachgebrauchs Die Digitalisierung der Schrift Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der japanischen Mobilkommunikation 5.4.2 Medienübergänge Das Internet und die Etablierung des keitai als mobiles Konvergenzmedium Die Zeitung als Informations- und gesellschaftliches Integrationsmedium Orientierung am Bild: Audiovisuelle Medien, Anime und Manga Visual kei, cosplay und purikura Mobilität und Spielen 5.4.3 Medientechnologien als Bedeutungsträger Zur großen Bedeutung kleiner Technologien Fabrikationen der Niedlichkeit Keitai-Kommunikation und kawaii-Kultur 5.4.4 Zwischenfazit Medien
263 266 267 270 275 279 282 283 286 288 291 296 297 301 306 312 314 318 320 324 327 331
6. Diskussion und Ausblick 6.1 Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan: Einsichten und Reflexionen 6.2 Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation 6.3 Perspektiven und Reichweite der Studie
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7. Literatur
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan 1988-2008
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Abbildung 2: Stationäre und mobile Internetnutzung in Japan 2000-2008
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Abbildung 3: Für den Internetzugang genutzte Medientechnologien in Japan 2008
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Abbildung 4: Multimediale Anwendungsfelder der Mobilkommunikation in Japan
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Abbildung 5: Mobiltelefone pro 100 Einwohner in den Jahren 2003 und 2009
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Abbildung 6: Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation
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Abbildung 7: Keitai- und PC-Nutzung nach Altersgruppen
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Abbildung 8: Das Modell der kulturellen Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan
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Abbildung 9: Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation
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DANKSAGUNG
Viele Personen haben auf unterschiedliche Weise zum Gelingen dieser Arbeit mit beigetragen. Ihnen gilt mein herzlichster Dank. Allen voran danke ich Jutta Röser für ihre ausgezeichnete Betreuung dieses Projekts. Sie hat mich nicht nur zum Schreiben dieser Arbeit ermutigt, sondern diese auch in allen Phasen ihres Entstehens durch ihre konstruktive Kritik und vielseitige Unterstützung begleitet und dabei stets die für mich perfekte Balance zwischen Fordern und Fördern gehalten. Dank ihres Vertrauens konnte ich mich mit allen Freiheiten auf ein neues wissenschaftliches Feld begeben, auf das sie sich äußerst engagiert eingelassen hat. Ich danke Günter Burkart und Friedrich Krotz für die unkomplizierte Übernahme der Gutachtertätigkeit und für ihr Interesse am Thema dieser Arbeit. Friedrich Krotz bin ich darüber hinaus für die Vermittlung eines wissenschaftlichen Betreuers in Japan dankbar, den ich in Yoshiaki Hashimoto von der Interfaculty Initiative in Information Studies an der University of Tokyo fand. Auch ihm danke ich, ebenso wie der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) für ihre großzügige Förderung meines dreimonatigen Forschungsaufenthalts. Für die finanzielle Unterstützung bei der Publikation meiner Dissertation möchte ich mich bei der Leuphana Universität Lüneburg bedanken. Rainer Winter danke ich für die Aufnahme in die transcriptReihe „Cultural Studies“. Dankbar bin ich auch Tanja Thomas für ihren spontanen Einsatz als Prüferin in meiner Disputation. Bei ihr und bei meinen übrigen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur (IfKM) bedanke ich mich u.a. für die vielen interessanten Gespräche und für unzählige, meist äußerst kurzweilige Mensabesuche. Für die gemeinsame Gestaltung unseres ‚translokalen‘ Doktorandinnenkolloquiums danke ich Caroline Düvel, Veronika Krönert, Iren Schulz und Laura Sūna. Neben den hilfreichen Anstößen und weiterführenden Ideen, die dieser produktive Austauschprozess hervorgebracht hat, hat er uns auch den einen oder anderen unterhaltsamen
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Nachmittag beschert. Alle vier Kolleginnen waren perfekte Mitstreiterinnen im nicht immer einfachen Promotionsprozess. Ein herzlicher Dank geht an die fleißigen Korrekturleserinnen meiner Arbeit, die sich mit großer Sorgfalt jeweils eines Kapitels angenommen haben: Ursula Hüsig, Talke K. Hoppmann, Miriam Stehling, Miriam M. Wilhelm, Indre Döpcke, Antje Heiermann und insbesondere Kathrin F. Müller, deren kenntnisreichen Kommentare die Erwartungen mehr als erfüllten. Bei der formalen Korrektur haben mich durch ihre gründliche und kritische Lektüre Eckehart Peil und Ines Oleschkewitz hilfreich unterstützt. Auch ihnen gilt mein aufrichtiger Dank. Für seine Inspiration, den fortwährenden Zuspruch und vor allem für seine grenzenlose Geduld danke ich von ganzem Herzen Herbert Schwaab. Seine klugen Anregungen und seine Diskussionsbereitschaft, die mehr als einmal (über-)strapaziert wurde, haben mich durch manche Durststrecke auf dem Weg zur Promotion gebracht. In Karin Knop und Torben Fischer habe ich in Lüneburg zwei gute Freunde gefunden, die die letzten Jahre in vielfältiger Hinsicht bereichert haben. Beide sind hervorragende Ansprechpartner für alle Fragen rund um den akademischen Alltag, haben aber auch einen nicht unerheblichen Beitrag zur fröhlichen Gestaltung meines außerakademischen Alltags geleistet. Anke Buchholz bin ich dankbar für ihr ehrliches Interesse und ihre Freundschaft in allen Lebenslagen. Meine Eltern Ingeborg und Eckehart Peil sowie mein Bruder Christoph Peil und seine Familie haben mich während der Dissertation immer unterstützt. Ihnen danke ich für ihren Rückhalt und den Beistand in vielen praktischen Fragen des Lebens. Schließlich möchte ich meiner Cousine Ursula dafür danken, dass sie sich aus ganz anderen Gründen über die Vollendung dieser Arbeit ebenso freut wie ich. Während ich diese Zeilen schreibe, wird Japan von einer der schwersten Katastrophen in der jüngeren Geschichte des Landes heimgesucht. Der Glaube an moderne Technologie ist im Zuge dieser Ereignisse massiv erschüttert worden. Und auch die Mobilkommunikation ist in den Zeiten größter Not merklich an ihre Grenzen gestoßen. Das Buch ist den Menschen in Japan gewidmet. Hamburg, März 2011
1. EINLEITUNG
Im Zentrum der Arbeit steht die Auseinandersetzung mit der Aneignung und Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien im japanischen (Medien-)Alltag, die darauf zielt, einen kulturwissenschaftlich orientierten Theoriebeitrag zum Verständnis von Mobilkommunikation zu leisten. Ausgehend von der Annahme, dass sich die Bedeutung eines mobilen, multimedialen ‚Allroundmediums‘ wie dem Handy nur im Kontext des gegenseitigen Konstitutionsverhältnisses von Kultur und Medien erfassen lässt, wird eine umfassende Beschreibung und Analyse der ebenso vielfältigen wie lebendigen mobilen Medienkultur Japans vorgenommen. Die Berücksichtigung des engen Zusammenhangs von Kultur und Medien wird in der Medien- und Kommunikationswissenschaft zwar vielfach eingefordert,1 gleichwohl sind Studien oder Analysen, die diesen Zusammenhang systematisch zu erfassen versuchen, selten. Am Beispiel des Mobiltelefons und seiner Nutzung in Japan soll diesem Desiderat begegnet und erforscht werden, wie sich kulturelle Praktiken in der Mobilkommunikation ausdrücken und eine spezifische Form mobiler Medienkultur konstituieren. Dadurch dass Kultur und Medien in ihren wechselseitigen Bezugnahmen einem ständigen Wandel unterliegen, bezieht sich die Untersuchung auf Momentaufnahmen in einem laufenden Prozess, in dem sich bestimmte medienkulturelle Phänomene auf signifikante Weise verdichten. Forschungsgegenstand Mobilkommunikation Den zentralen Gegenstand dieser Arbeit stellt die Mobilkommunikation – als Medium und als soziale Praxis – dar, die im Kontext der japanischen Medienkultur betrachtet werden soll. Beim Mobiltelefon handelt es sich um ein noch recht junges Medium, das in der kurzen 1
Siehe hierzu beispielsweise das Call for Papers zur 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Jahr 2009 in Bremen zum Thema „Medienkultur im Wandel“ (http://www.dgpuk2009.uni-bremen.de/files/Call%20for%20papers_D.pdf, Stand: 13.08.2009).
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Zeit seiner Existenz bereits massenhaft adaptiert wurde. Innerhalb von weniger als 20 Jahren hat es einen festen Platz im Alltag vieler Nutzerinnen und Nutzer gefunden. In Deutschland kann inzwischen gar von einer flächendeckenden Verbreitung gesprochen werden. Weltweit betrachtet ist der Diffusionsprozess zwar ungleich verlaufen,2 die globalen Unterschiede sind in der Mobilkommunikation aber weniger eklatant als beim Internet; von einem Mobiltelefon machten bereits im Jahr 2006 mehr als doppelt so viele Menschen Gebrauch wie von einem internetfähigen Computer (vgl. Foggin 2006: 297).3 Neben der Aktualität dieser umgreifenden Entwicklung ist ihre zeitliche Komprimiertheit hervorzuheben, denn das Mobiltelefon hat sich wesentlich schneller verbreitet als dies beim Internet oder gar Fernsehen der Fall war: Auf engstem Zeitraum verdichten sich Veränderungen und Phänomene, die Mobilkommunikation zu einem komplexen Gegenstand der Forschung machen. Zu einem interessanten Forschungsobjekt wird das Mobiltelefon auch durch seine Hybridform, die unterschiedliche Kommunikationsformen zusammenbringt. Es lässt sich, nach der Unterteilung von Krotz (2007a: 90ff.), gleichzeitig als Technologie zur Realisierung der mediatisierten interpersonalen Kommunikation (Mobiltelefonate, SMS), zur Kommunikation mit allgemein adressierten standardisierten Kommunikaten (Medienrezeption, z.B. mobile TV-, Radio- und Internetnutzung) und zur Kommunikation mit interaktiven Systemen betrachten (z.B. Handy-Spiele, Navigation per GPS). Darüber hinaus handelt es sich um ein auf vielfältige Weise in den Medienalltag integriertes Medium. Die Mobilität und Handlichkeit der Geräte sowie ihre Nutzung als immer präsente Individualtechnologie schaffen zahllose Berührungspunkte mit unterschiedlichen Bereichen des sozialen und kulturellen Lebens, sowohl in öffentlichen und institutionalisierten Räumen als auch im Privaten. Festzuhalten bleibt, dass mobilen Kommunikationstechnologien innerhalb kürzester Zeit ein fester Platz im Medienensemble zugewiesen wurde. Als digitale Medien haben sie nicht nur das Entstehen neuer Kommunikationsformen ermöglicht, sondern auch den Charakter der 2
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Erwartungsgemäß hat sich das Mobiltelefon in Industrienationen wie Großbritannien, den USA oder Japan deutlich schneller verbreitet als in Entwicklungsländern wie Nigeria oder Kambodscha – obgleich es aufgrund einer unterentwickelten Festnetz-Infrastruktur gerade in strukturschwachen Gegenden oft den ersten Zugang zur Telekommunikation bot (vgl. u.a. Horst/Miller 2006). Laut der Statistik der International Telecommunication Union schwankte die Anzahl der Mobilfunkverträge pro 100 Einwohner im Jahr 2009 zwischen 1,0 in Myanmar und 179 in Hong Kong (vgl. ITU 2011). In einigen Ländern, wie etwa Indien, hat sogar erst die Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien mit ihrem elaborierten Angebot an Informationsdiensten dafür gesorgt, dass viele Menschen zum ersten Mal Zugriff auf internetbasierte Anwendungen hatten (vgl. Donner 2009).
EINLEITUNG
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‚alten Medien‘ verändert – nicht zuletzt durch ihr integratives Potenzial als mobile Konvergenzgeräte.4 Damit stellen sie eine Basis für das dar, was Krotz (2007a) unter dem Begriff der Mediatisierung theoretisch zu fassen sucht, nämlich einen durch die Nutzung von (neuen) Medien initiierten Wandel von Kommunikation und Gesellschaft (siehe hierzu auch Kapitel 3.2.4). Warum Japan? Die intensive Auseinandersetzung mit Japan als exemplarisches Untersuchungsfeld für die Analyse von mobiler Medienkultur verspricht aus mehreren Gründen fruchtbar zu sein. Als hochgradig mediatisierte und technologieaffine Kultur gilt Japan in vielerlei Hinsicht als mobile Medienavantgarde, denn es nimmt sowohl auf technischer als auch auf nutzerbezogener Ebene eine Vorreiterposition ein. Diese manifestiert sich nicht so sehr in der Reichweite mobiler Kommunikationstechnologien – mit 92 im Vergleich zu 128 (Deutschland) Mobilfunkverträgen pro 100 Einwohner belegte Japan im Jahr 2009 nur einen mittleren Platz im Hinblick auf die weltweite Verbreitung von Mobiltelefonen (vgl. ITU 20115). Sie äußert sich aber in der hohen Alltagsintegration des Mobiltelefons, dem vielseitigen Anwendungsspektrum sowie der immensen Popularität des mobilen Internets, das in Japan im Jahr 2009 bereits sein zehnjähriges Bestehen feierte. Das Handy als Hybridmedium existiert hier nicht nur als technologische Innovation, es ist bereits umfassend vergesellschaftet worden – d.h. die damit verknüpften Möglichkeiten werden nicht nur gelegentlich genutzt oder ausschließlich von Early Adopters in Anspruch genommen, sondern sind als wichtige Phänomene einer mobilen Medienkultur in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Durch das Zusammentreffen von technologischem Fortschritt und einer extrem konsumfreudigen und technologieinteressierten Nutzerschaft gehen von Japan wichtige Impulse aus, die möglicherweise 4
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Unter Medienkonvergenz ist hier die zunehmende (technische) Verschmelzung von Telekommunikation, Informationstechnik, Medienangeboten und Unterhaltungselektronik zu verstehen (vgl. Hasebrink et al. 2004: 9; Karmasin 2004: 351). ITU ist eine Dienststelle der Vereinten Nationen und dazu verpflichtet, Statistiken zur weltweiten Verbreitung von digitalen Kommunikationstechnologien zu verbreiten. Die Daten werden direkt von den entsprechenden Regierungsinstitutionen, meist Regulierungsbehörden, angefordert und anschließend geprüft, aufeinander abgestimmt und ggf. durch Eigenrecherchen ergänzt. Die Zahlen geben die Anzahl der Mobilfunkverträge (inklusive Prepaid-Verträge) pro Einwohner wieder, d.h. es wird nicht berücksichtigt, ob ein Gerät von mehreren Personen gleichzeitig genutzt wird, ob ein Nutzer oder eine Nutzerin im Besitz mehrerer Verträge ist oder ob die Mobiltelefone als Arbeitsgeräte bestimmten Organisationen und Einrichtungen (wie Polizei, Feuerwehr) zugeordnet sind (vgl. Ling 2004: 11f.).
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auch Hinweise über bevorstehende Entwicklungen spezifischer Anwendungen und Nutzungspraktiken in anderen Regionen geben. Dabei gilt aber immer: Aufgrund der je spezifischen Kontexte ist die Situation in Japan nur bedingt verallgemeinerbar, das Land kann zumindest nicht unreflektiert als Folie für die Mobilkommunikation in anderen Ländern herhalten. Denn die Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien ist stets im kulturellen und gesellschaftlichen Alltag verankert: „[…] media are always embedded in a social landscape, which precedes, shapes, contextualizes and continues after any specific technological innovation.“ (Livingstone 2002: 17) Dieser Arbeit liegt entsprechend die Auffassung zugrunde, dass neue Medien und technologische Innovationen nicht per se bestimmte Auswirkungen auf die Gesellschaft haben oder innerhalb jedes beliebigen Nutzungskontextes auf gleiche Weise adaptiert werden, sondern dass sie erst durch das Zusammenspiel von Technologie, Kultur und Gesellschaft Gestalt annehmen. Sie folgt damit weder der Logik technikdeterministischen Denkens noch der Vorstellung eines kulturellen Determinismus. Das heißt, weder geht sie davon aus, dass neue Technologien auf unmittelbare und gleichförmige Weise zu gesellschaftlichen Veränderungen führen, noch folgt sie der Ansicht, dass allein kulturelle und soziale Kontexte für die Art der Anwendung einer Technologie ausschlaggebend sind. Stattdessen wird hier eine zwischen diesen zwei Polen vermittelnde Position eingenommen, die sich gegen eindimensionale Erklärungsansätze zum Verhältnis von Technologien und Gesellschaft wendet: Die materiellen Aspekte von technischen Innovationen mögen zwar auf unsere Wirklichkeit einwirken und neue Tatsachen schaffen – die ihnen zugewiesenen Bedeutungen sind aber dadurch nicht gänzlich festgelegt, sie sind den Geräten nicht inhärent. Vielmehr entfalten sie sich erst durch die Nutzung in bestimmten situationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten. Die Beschäftigung mit Japan erscheint auch deswegen vielversprechend, weil der Gegenstand hier – u.a. aufgrund großzügiger Förderungsmaßnahmen durch Mobilfunkanbieter wie NTT DoCoMo6 – vergleichsweise weit erforscht ist. Die zahlreichen englischen sowie ins Englische übersetzten Publikationen und die in Japan durchgeführ6
Bei NTT DoCoMo handelt es sich um das 1992 gegründete, heute größte japanische Mobilfunkunternehmen, das u.a. Erfinder des mobilen Internetdienstes i-mode ist. Der Firmenname steht nicht nur für die japanische Bezeichnung für „überall“, sondern auch als Akronym für „Do communications over the mobile network“ (vgl. Rose 2001). Wichtige wissenschaftliche Impulse gehen beispielsweise vom DoCoMo House Research Lab am Keio Shonan Fujisawa Campus in der Nähe von Tokio aus, an dem etliche ethnografisch orientierte Studien zur Mobilkommunikation entstanden sind (u.a. Ito/Okabe 2005; Okabe/Ito 2005).
EINLEITUNG
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ten ethnografisch orientierten Studien (vgl. u.a. der von Ito, Matsuda und Okabe im Jahr 2005 herausgegebene Sammelband „Personal, Portable, Pedestrian“) verweisen auf die große kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung, die dem Mobiltelefon im japanischen Alltag zugesprochen wird. Die Ausgangslage für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gebrauch mobiler Kommunikationstechnologien stellt sich vor diesem Hintergrund als besonders günstig dar. Produktiv ist der Blick auf Japan auch deshalb, weil die Verbindungen, Einflussnahmen und Kontextfaktoren, die anhand der kulturorientierten Analyse von Mobilkommunikation offen gelegt werden sollen, aus einer distanzierten Perspektive besser wahrzunehmen sind als ‚von Nahem‘ (vgl. Geertz 1990: 124f.).7 Weil sie in der Regel unreflektiert und intuitiv angewandt werden, seien, so Clifford Geertz, gerade die eigenen kulturellen Praktiken und symbolischen Formen schwer zu erfassen, während deren Sinngehalt durch den Blick ‚von außen‘ interpretiert werden könne (vgl. ebd.). Dieser Zugang fordert aber auch, den eigenen Standpunkt zu reflektieren und sich dessen bewusst zu werden, dass dieser nur eine von vielen möglichen Sichtweisen auf den Gegenstand darstellt (vgl. Ang 2008 [1996]).8 Ein zusätzlicher Nutzen der Auseinandersetzung mit Japan besteht in der intensiven Beschäftigung mit einer komplexen und ausdifferenzierten, in Deutschland aber weitgehend unbekannten Medienkultur. Eine umfassende Darstellung mobiler Kommunikationspraktiken in Japan zu liefern kann als Basis und Bezugspunkt für weitergehende Forschungsarbeiten und international vergleichende Perspektiven dienen. Detaillierte Analysen einer spezifischen Medienkultur sind auch deshalb wichtig, weil gerade bei Vergleichsuntersuchungen häufig die Gefahr besteht, den Gegenstand einer fremden Medienkultur nur ungenügend zu erfassen und bestimmte Differenzphänomene überzubetonen. 7
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Zur Verdeutlichung dieser Position greift Clifford Geertz (1990: 124f.) auf die Unterscheidung des Psychoanalytikers Heinz Kohut (1971) zurück, der zwischen ‚erfahrungsnahen‘ und ‚erfahrungsfernen‘ Konzepten differenziert. Während erfahrungsnahe Begriffe unhinterfragt verwendet und mühelos verstanden werden, finden erfahrungsferne Begriffe beispielsweise bei Wissenschaftlern Gebrauch, die damit ihre forschungspraktischen Ziele zu erreichen versuchen: „People use experience-near concepts spontaneously, unselfconsciously, as if it were colloquially; they do not, except fleetingly and on occasion, recognize that there are any „concepts“ involved at all. That is what experience-near means – that ideas and the realities they inform are naturally and indissolubly bound up together.“ (Geertz 1990: 125) Ien Ang (2008: 61) macht darauf aufmerksam, dass sich die Forschung niemals von der Subjektivität der Forschenden befreien kann. Deren individuelle Vorannahmen, Interessen, Einstellungen und Schwerpunktsetzungen prägen die Herangehensweise an ein Untersuchungsobjekt und üben zugleich Einfluss auf die erzielten Ergebnisse aus.
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Zusammenfassend betrachtet ist Japan hier nicht als Nationalstaat im engeren Sinn, sondern als kulturelles Konstrukt zu verstehen.9 Die japanische Kultur stellt einen spezifischen Kontext dar, in den die vielfältigen Praktiken der Mobilkommunikation eingebettet sind. Als Forschungsfeld bietet sie sich vor allem deshalb an, weil das Mobiltelefon hier in all seinen Facetten stark alltagsintegriert genutzt wird und die Kopplung von Medien und Kultur in besonderer Weise sichtbar werden lässt. Aufgrund der zahlreichen, auch auf Englisch verfügbaren empirischen Untersuchungen zu mobilen Kommunikationspraktiken in Japan kann die vorliegende Arbeit auf eine solide Datenbasis zurückgreifen. Durch die Aufbereitung des vorhandenen Materials liefert sie zusätzlich zum Theoriebeitrag einen fundierten Überblick über mobile Medienkultur in Japan. Während sich Medienphänomene des eigenen kulturellen Umfelds häufig unserem Blick entziehen, wird hier von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, aus einer distanzierten Perspektive heraus Erkenntnisse über wichtige Zusammenhänge der Mobilkommunikation im Spannungsfeld von Kultur und Gesellschaft zu generieren. Fragestellungen und Ziele Vor dem hier skizzierten Hintergrund lässt sich das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit zu den folgenden Fragestellungen und Zielsetzungen bündeln: (1) Wie interagiert Mobilkommunikation mit den kulturellen Kontexten, die ihr vorausgehen und den Rahmen ihrer Aneignung und Nutzung bilden? Wie wiederum wirkt Mobilkommunikation auf Kultur zurück und trägt durch neue und veränderte Interaktions- und Kommunikationsformen zu ihrem Wandel bei? Kurz: Wie konkretisiert sich – am Beispiel der alltäglichen Mobilkommunikation im urbanen Japan – das Konstitutionsverhältnis von Kultur und Medien(-technologien)? (2) Wie lässt sich die kulturorientierte Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation so systematisieren, dass ein möglichst umfassendes Verständnis von den Interdependenzen zwischen mobilen Medientechnologien und Kultur entsteht? Ziel der Arbeit ist es zunächst, die Eckpunkte einer differenzierten und umfassenden Analyse von Mobilkommunikation in einer spezifischen (Medien-)Kultur herauszuarbeiten, die sowohl geschichtliche 9
Kultur kann nicht, wie Ang (2008: 70) schreibt, „[…] als ein transparentes Objekt empirischer Untersuchung verstanden werden, als fertige Einheit, die vom Ethnografen als solche entdeckt und dokumentiert werden kann“. Vielmehr bedeute die Dokumentation einer Kultur zugleich auch immer ihre Konstruktion. Eine Kultur zu porträtieren hieße folglich, sie sorgfältig zu beobachten und selektierte Teile von ihr in ein stimmiges Bild zusammenzufügen, ohne dabei ihre Komplexität aus den Augen zu verlieren (vgl. ebd.).
EINLEITUNG
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wie auch gesellschaftliche und kulturelle Kontexte berücksichtigen. Hierfür sind zentrale Schlüsselkategorien zu entwickeln, entlang derer sich die als Momentaufnahme zu verstehende Analyse strukturieren kann. Darauf aufbauend wird ein kulturorientiertes Kontextualisierungskonzept für Mobilkommunikation entwickelt, das Ausgangspunkt für ein tiefer gehendes Verständnis mobiler Kommunikationspraktiken auch in anderen Medienkulturen ist. Das Konzept dient der Identifizierung von Beschreibungskategorien und zielt darauf, relevante Kontexte zur Erklärung von Mobilkommunikation und den ihr zugrunde liegenden Regelhaftigkeiten und Sinnzusammenhängen herauszuarbeiten. Daraus ergibt sich als dritter Fragekomplex: (3) Welche übergreifenden Schlüsse können aus der detaillierten Analyse der mobilen Medienkultur Japans gezogen werden? Inwieweit lassen sich die deutlich gewordenen Zusammenhänge und Interdependenzen auf andere Medienkulturen transferieren und auf welche Weise tragen sie zu einem breiteren Verständnis von Mobilkommunikation bei? Die kulturellen Zusammenhänge, Muster und Mechanismen von Mobilkommunikation zu erkennen ist vor allem deshalb wichtig, weil mit dem noch jungen Forschungsgegenstand Mobiltelefon – sowohl seitens der Produzierenden als auch seitens der Forschung – viele Erwartungen und Hoffnungen verknüpft sind, die sich oft als übertrieben, bisweilen auch als schlichtweg falsch erweisen.10 Der Grund hierfür mag ein oberflächliches Verständnis von Technologie und den von ihr angebotenen Möglichkeiten sein, das häufig in der mangelnden Kenntnis der Interaktionen von Aneignung und kulturellen Faktoren wurzelt. Diese Faktoren durch den Bezug auf eine spezifische Kultur zu erkunden und zu systematisieren ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit. Vorgehensweise und Gliederung Die Arbeit gliedert sich in insgesamt sechs Teile. Das folgende Kapitel 2 („Mobilkommunikation in Japan: Eine mobile Medienavantgarde“) befasst sich zunächst mit der Entstehung und Ausdifferenzierung der japanischen Mobilkommunikation und zeichnet in Grundzügen die Entwicklung mobiler Kommunikationstechnologien sowie deren Akzeptanz und Gebrauch in Japan nach. Mit der Orientierung an den An10 In diesem Zusammenhang sei beispielsweise auf die WAP-Technik hingewiesen, die schon vor der Einführung von UMTS den Zugang zu Internetinhalten per Mobiltelefon ermöglicht hat, in Deutschland aber trotz euphorischer Ankündigungen und Medienberichterstattung kaum genutzt wurde. Ebenso verlief der Start des mobilen Fernsehens nicht annähernd so erfolgreich wie vor der als Testphase gedachten Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 prognostiziert wurde (vgl. z.B. Schettler 2005; Hildebrandt 2006).
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eignungspraktiken der Nutzerinnen und Nutzer soll speziell auf die von ihnen ausgehenden Impulse für den Verbreitungsprozess der mobilen Technologien eingegangen und zugleich deutlich gemacht werden, warum das Land von vielen als eine mobile Medienavantgarde wahrgenommen wird. Darüber hinaus dient die Darstellung als eine kompakte Übersicht über den japanischen Mobilfunkmarkt, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder Bezug genommen wird. Im Anschluss daran erfolgt in Kapitel 3 („Theoretische Bezüge: Kultur, Kommunikation und Medien“) die theoretische Einbettung der Arbeit. Für eine kulturelle Kontextualisierung von Mobilkommunikation erweisen sich die Cultural Studies, um die es im ersten Teil dieses Kapitels geht, als besonders anschlussfähig. Vor dem Hintergrund ihres erweiterten Kulturbegriffs werden insbesondere der Fokus auf das Medienhandeln der Menschen, der Theorienpluralismus und die Interdisziplinarität dieser Formation in den Blick genommen. Überdies leistet das Kapitel eine theoretische Auseinandersetzung mit den für diese Arbeit zentralen Konzeptbegriffen Kultur, Kommunikation und Medien sowie eine Reflexion der gegenwärtigen Wandlungsprozesse, die mit der zunehmenden medialen Durchdringung unzähliger Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verbunden sind. Nicht nur für eine kritische Bestandsaufnahme, sondern auch zur Entwicklung eines adäquaten Analyserasters widmet sich Kapitel 4 („Analytischer Rahmen: Mobilkommunikation als Forschungsgegenstand“) dem Gegenstand der Mobilkommunikation und seiner Erforschung in der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Im Anschluss an eine Sondierung des Feldes entlang thematischer, methodischer und theoretischer Schwerpunktsetzungen gilt eine erhöhte Aufmerksamkeit den kultur- und kontextorientierten Ansätzen, die am ehesten dafür geeignet scheinen, Erkenntnisse für die Analyse der Mobilkommunikation in Japan zu liefern. Die intensive Auseinandersetzung mit den vorhandenen Studien und theoriegeleiteten Überlegungen ermöglicht die Identifizierung von vier Grundthemen der Mobilkommunikation, in denen sich kulturwissenschaftliche Fragen und Zusammenhänge verdichten: Raum, Zeit, Beziehungen und Medien. Die darauf aufbauende kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation wird an dieser Stelle eingehend erläutert; sie gibt zugleich die Gliederung der im anschließenden Kapitel folgenden Analyse der mobilen Medienkultur in Japan vor. Die in Kapitel 5 („Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan“) vorgenommene Untersuchung orientiert sich an dem in Kapitel 4 eingeführten Analyseraster. Sie leistet eine umfassende Auseinandersetzung mit mobilen Kommunikationspraktiken in Japan vor dem Hintergrund kultureller Voraussetzungen und Bedeutungsstrukturen. Ziel des Ergebniskapitels 6 („Diskussion und Ausblick“) ist es zum einen, die zentralen Punkte einer als Momentauf-
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nahme verstandenen, differenzierten und umfassenden Analyse von Mobilkommunikation in einer spezifischen (Medien-)Kultur zu resümieren, in der sowohl geschichtliche wie auch gesellschaftliche und kulturelle Kontexte berücksichtigt wurden. Zum anderen werden daraus Beschreibungskategorien zur Entwicklung eines kulturorientierten Kontextualisierungskonzepts der Mobilkommunikation abgeleitet. Dieses Konzept ist – indem es die in Kapitel 5 identifizierten Interdependenzen von (japanischer) Medienkultur und Mobilkommunikation zu abstrahieren versucht – Ausgangspunkt für ein tiefer gehendes, kulturorientiertes Verständnis von Mobilkommunikation und den ihr zugrunde liegenden Sinnzusammenhängen. Vorangestellt sind den folgenden Abschnitten zunächst einige Überlegungen zur Rolle Japans in der Auseinandersetzung mit technologischem Fortschritt im Allgemeinen und mit der Entwicklung und Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien im Speziellen. Obgleich Japan in dieser Arbeit als eine mobile Medienavantgarde bezeichnet wird, soll für die Beschäftigung mit der japanischen Kultur eine Haltung leitend sein, die sich der Problematik von Zuschreibungen bewusst ist und es ablehnt, das Land als Ausnahmeerscheinung zu begreifen oder als das ‚kuriose Andere‘ zu überzeichnen. Mythen und Gefahren des ‚Technologie-Exotismus‘ Diese Haltung gilt es bereits im Vorfeld der Darstellung grundlegend zu reflektieren. Japan steht oft für das technisch Außergewöhnliche, für teils grotesk anmutende Erfindungen, die gerade bei den als innovationsfreudig und speziell im Hinblick auf kleine, mobile Geräte der Unterhaltungselektronik als enthusiastisch geltenden Japanerinnen und Japanern auf fruchtbaren Boden fallen. Einer Haltung, für die Morley und Robins (1995) den Begriff des „techno-orientalism“ geprägt haben, folgt die hier gewählte Perspektive aber mitnichten. Vielmehr wird auf eine Mythologisierung Japans als „‚the greatest „machine-loving“ nation of the world‘, a culture in which ‚machines are priceless friends‘“ (ebd.: 168), bewusst verzichtet, indem das Land in erster Linie als exemplarisches Analysefeld für die intensive Beschäftigung mit mobiler Mediennutzung unter spezifischen soziokulturellen Rahmenbedingungen betrachtet wird. Robins und Morley sprechen von techno-orientalism in Anlehnung an die kulturtheoretischen Arbeiten Edward W. Saids (1991) und dessen Begriff des Orientalismus. Said verweist auf eine lange Geschichte westlicher Projektionen auf den nah- und fernöstlichen Kulturraum, dem immer die Bedeutung ‚des Anderen‘, beispielsweise die Verheißung von Sinnlichkeit und Erotik, zugeschrieben wurde. Auch wenn diese Werte nicht unbedingt negativ konnotiert sind, gibt es für die Menschen aus dem entsprechenden Kulturraum keine Möglichkeit, sich dieser Zuschreibungen zu entziehen. Dadurch erscheinen sie not-
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
wendig als ‚das Andere‘, was sich teils auch in weniger positiven Zuschreibungen niederschlägt – wenn sie beispielsweise als Angehörige einer archaischen, sich der Zivilisation verweigernden Kultur angesehen werden. Der von Exotismus oder Orientalismus getrübte Blick verstärkt Stereotype und fügt Erscheinungen in vorgeprägte Muster ein, sodass viele Merkmale, die eine Kultur prägen, übersehen werden oder eine Umdeutung erfahren. Er führt aber auch zu Marginalisierungen, Verweigerung von Anerkennung und politischer Ausgrenzung, die Said in seinen Arbeiten kritisiert hat (vgl. ebd.). In der Betrachtung soll daher nicht einem simplen ‚TechnologieExotismus‘ gefolgt werden, bei dem Japan als das Andere, das Besondere und Entrückte stilisiert wird und als Projektionsfläche für Vorstellungen von Fortschritt, Zukunftsglauben und ubiquitärer Technizität dient. Vielmehr versucht diese Arbeit einen von Zuschreibungen dieser Art befreiten Zugang zu der japanischen Kultur zu finden, sie als eigenständige Kultur ernst zu nehmen, ohne Differenzen überzubetonen. Für den hier gewählten Ansatz ist Japan deshalb interessant, weil das Mobiltelefon, wie bereits erwähnt, dort schon seit einigen Jahren äußerst vielfältig und facettenreich genutzt wird und als ein umfassend veralltäglichtes Medium aufgefasst werden kann. Das bedeutet auch, dass Entwicklungen weiter vorangeschritten sein mögen als in anderen Kulturräumen, dass es sich hier aber nicht um abweichende, sondern um verdichtete Nutzungsphänomene und Aneignungspraktiken handelt, die für eine Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen der Mobilkommunikation und den Interdependenzen von Medien und Kultur relevant sein können. Die mobile Medienkultur Japans soll einerseits also nicht als Spezialfall, nicht als einmaliges kulturelles Setting für die Adaption mobiler Kommunikationstechnologien behandelt werden, das keine Rückschlüsse über mobile Medienkommunikation in anderen Kulturen zuließe. Andererseits – und dies stellt eine zweite Möglichkeit der intensiven Beschäftigung mit Japan dar – geht es auch nicht um die Analyse eines fortschrittlichen Mobilfunkmarktes, der exemplarisch für die Zukunft der Mobilkommunikation steht und sich problemlos auf den Rest der industrialisierten Welt übertragen ließe. „Japan is considered by many to define the future of mobile phone use“, schreibt etwa Mizuko Ito (2004: 1), die mehrere Textbeispiele zitiert, in denen Japan als Vorläufer angepriesen wird, an dem sich künftige Trends in der Mobilkommunikation ablesen lassen. Auch Howard Rheingold (2002) schürt diesen Eindruck mit seiner anschaulichen Beschreibung der berühmten Kreuzung im äußerst lebendigen und jugendkulturell geprägten Tokioter Stadtteil Shibuya – zum Zeitpunkt seiner Beobachtung, im Jahr 2000, angeblich „the most mobile-phone-dense neighborhood in the world“ (ebd.: xiii). Die Szene dient ihm als Einstieg in das Buch „Smart Mobs“ und zugleich als Ausgangspunkt für seine ausführ-
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lichen Überlegungen zum sozialen und kulturellen Wandel, den er durch die mit der Mobilkommunikation neu entstehenden, in Japan schon frühzeitig evidenten Möglichkeiten der kommunikativen Vernetzung in Gang gesetzt sah. In derartigen Aussagen scheinen Japan oder bestimmte Aspekte der japanischen Kultur eine symbolische Funktion zu erfüllen, indem sie als metaphorische Bezugspunkte dazu dienen, technologischen Wandel zu verdeutlichen. Solche Prophezeiungen werden schon durch die empirische Tatsache infrage gestellt, dass die Verbreitung von Mobiltelefonen in Japan weniger vorangeschritten ist als in vielen europäischen Ländern. Es muss hier also immer vermieden werden, die japanische ‚Mobilkultur‘ und bestimmte Nutzungspraktiken zu naturalisieren, d.h. sie in stärkerem Maße als repräsentativ für Technologie und Kultur zu betrachten als sie es tatsächlich sind. Solche Aussagen erscheinen im Rahmen von Texten sinnvoll, die deutlich machen wollen, dass es einen durch Mobilkommunikation initiierten gesellschaftlichen Wandel überhaupt gibt. Wenn es aber darum geht, die genauen Mechanismen von Wandel zu fokussieren, müssen stärker die kulturellen Wechselwirkungen zwischen Technologie und Gesellschaft betrachtet, müssen Differenzerscheinungen relativiert werden. Die Gefahr eines Technologie-Exotismus abzuwehren bedeutet auch, sich darum zu bemühen, die ‚Andersartigkeit‘ einer Kultur nicht zu stark zu betonen, in ihr nicht die Zukunft der Mobilkommunikation zu sehen, sondern gerade nach den Überschneidungen und den Aspekten zu suchen, die zu allgemeinen Aussagen über Mobilkommunikation führen können. Da der hier verfolgte Ansatz vermeiden will, einer Kultur ‚falsche‘ Bedeutungen zuzuschreiben und sie dadurch zum Anderen zu machen, muss er sich um eine reflektierte Sichtweise bemühen. In einer solch abwägenden Perspektive soll Japan zugleich als fremde Kultur erscheinen, die den Blick für die Zusammenhänge der Mobilkommunikation schärft, als auch als nahe Kultur, die den eigenen mobilen Kommunikationsalltag zu verstehen hilft.
2. MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN: EINE MOBILE MEDIENAVANTGARDE
Japan wird im Hinblick auf die Entwicklung, Akzeptanz und Nutzung mobiler Medien- und Kommunikationstechnologien eine herausgehobene Rolle zugesprochen: Das Land gilt im Mobilfunksektor als besonders fortschrittlich, schneller als anderswo scheint das Mobiltelefon hier zu einem tragbaren Kleincomputer mutiert zu sein, den sich die Konsumentinnen und Konsumenten in ihrem Alltag auf vielfältige Weise zu Eigen machen. Um die Charakterisierung Japans als mobile Medienavantgarde nachvollziehen zu können, erfolgt in diesem Kapitel ein Überblick über den japanischen Mobilfunkmarkt. Es soll gezeigt werden, wie sich die Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien von ihren Anfängen bis heute entwickelt hat, welche Impulse diese Entwicklung durch Innovationen, Markteinführungen und spezifische Aneignungsweisen erhalten hat und wie sich die aktuelle Situation des japanischen Mobilfunksektors beschreiben lässt. Das Land blickt auf eine lange und lebhafte Geschichte mobiler Medien zurück.1 Technologien wie der Pager können als wichtige Wegbereiter für den großen Erfolg der so genannten 2,5G-Mobiltelefone2 angesehen werden. Deren breites und von vielen Japanerinnen und Japanern alltäglich genutztes Funktionsangebot unterstützt die These, dass Japan sowohl auf der Ebene des technologischen Fortschritts als auch im Hinblick auf die vielfältigen und komplexen Nutzungspraktiken einen Pionierstatus innehat. Maßgeblich daran beteiligt war die Implementierung 1
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Zu nennen wäre an dieser Stelle etwa das Transistorradio, das zwar nicht in Japan erfunden, dort aber zu einem populären und handlichen Massenkulturgut weiterentwickelt wurde (vgl. Peil 2007b). Darüber hinaus haben mobile Kleinsttechnologien wie Taschenfernseher, Walkman oder Tamagotchi ihren Ursprung in Japan. 2,5G (die so genannte zweieinhalbte Generation) bezeichnet einen in Japan zeitweise äußerst erfolgreichen Mobilfunkstandard, der bereits vor Einführung der UMTS-Hochgeschwindigkeitsnetze den mobilen Internetzugang und Kameragebrauch inkl. Bilderversand ermöglichte.
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des ersten mobilen Internetdienstes i-mode, dessen nachhaltiger Erfolg in diesem Kapitel eine zentrale Rolle spielt. Die Darstellung umfasst zudem neuere Entwicklungen, die erst mit der Einführung des Mobilfunkstandards UMTS3 umgesetzt wurden. Inwiefern die darauf basierenden Funktionen und multimedialen Möglichkeiten in Japan tatsächlich genutzt werden und welche heute zu den gängigsten Anwendungen des Mobiltelefons gehören, ist ebenfalls Gegenstand der Betrachtung. Angesichts der Fülle der bereits vorhandenen Fachliteratur über die techno-ökonomischen Zusammenhänge der japanischen Mobilkommunikation und speziell die Erfindung und Verbreitung von i-mode (z.B. Matsunaga 2001; Natsuno 2003; Weber/ Wingert 2006), sind die Ausführungen – gerade im Hinblick auf die technischen Spezifikationen – hier eher knapp gehalten. Sie beschränken sich auf wichtige Impulse und Dynamiken, die sich nachhaltig auf die Situation des Mobilfunks in Japan ausgewirkt haben. Zuletzt muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass eine solche Darstellung niemals vollständig und niemals aktuell sein kann. Denn die Entwicklungen auf dem Mobilfunkmarkt sind so schnelllebig, dass sie kaum mit den Zyklen wissenschaftlicher Veröffentlichungen in Einklang zu bringen sind. Der folgende Überblick ist deshalb als eine Momentaufnahme zu verstehen, die Einblicke in den japanischen Mobilfunkmarkt liefert, wie er sich bis zum Jahr 2009 in der wissenschaftlichen Literatur, Fachpresse und eigenen Wahrnehmung dargestellt hat.
2.1 ZUR ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG MOBILER KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIEN IN JAPAN Frühe Experimente mit mobiler Kommunikation in Japan führen in die 1950er Jahre zurück. Der erste Mobilfunk-Service wurde 1953 auf einem Handelsschiff angeboten und sollte eine Verbindung zu Festnetztelefonen herstellen, wenn sich die Seeleute in den Häfen aufhielten. Kurz darauf erfolgten ähnliche Versuche im Schienenverkehr zwischen Osaka und Nagoya (vgl. Okada 2005: 42);4 für ein breiteres Publikum öffneten sich diese Dienste jedoch erst Jahre später. Alle 3
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Unter UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) wird der Mobilfunkstandard der dritten Generation (3G) verstanden, der sich von seinen Vorgängern vor allem durch eine deutlich höhere Datenübertragungsrate unterscheidet. UMTS ist in Deutschland seit 2004 kommerziell verfügbar, in Japan wurde der Standard bereits 2001 eingeführt, wobei die Adaption in beiden Ländern zunächst recht zögerlich verlief. Auch in Deutschland blickt die mobile Telekommunikation auf eine lange Entstehungsgeschichte zurück und gründet sich auf Versuche in fahrenden Zügen, die bereits 1918 durchgeführt wurden (vgl. Feldhaus 2004: 22).
EINE MOBILE MEDIENAVANTGARDE
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Bemühungen, die Telekommunikation zu mobilisieren – vor allem die Einführung des Autotelefons im Jahr 1979 – bezogen sich in den Anfangsjahren auf den Einsatz in Fahrzeugen. Erst mit der Weiterentwicklung des Autotelefons zum so genannten shoulder phone Mitte der 1980er Jahre war eine mobile Nutzung des Telefons möglich, die nicht an den Aufenthalt in Verkehrsmitteln gekoppelt war.5 Es ebnete den Weg für den regulären Mobilfunk, der in Japan 1987 durch NTT (Nippon Telegraph and Telephone) seinen Betrieb aufnahm (vgl. ebd.). Noch bis Mitte der 1980er Jahre war der japanische Markt dadurch gekennzeichnet, dass das staatliche Unternehmen NTT ein Monopol für Telekommunikationsdienste innehatte. Auch wenn dessen Vormachtstellung im Bereich der kabellosen Kommunikation eingeschränkt war, da Behörden, Institutionen und große Firmen ihre eigene Infrastruktur für drahtlose Kommunikation unterhielten, so konnte der 1992 gegründete Mobilfunkanbieter NTT DoCoMo, der nach der Privatisierung des Mobilfunkmarktes als Ableger aus der Muttergesellschaft NTT hervorging, zunächst einen Wettbewerbsvorteil für sich behaupten (vgl. Kohiyama 2005a: 61ff.). Der Mobilfunk verbreitete sich in dieser Frühphase noch sehr zögerlich, ein Durchbruch erfolgte erst Mitte der 1990er Jahre. Als Hauptgrund für die anfängliche Zurückhaltung der Konsumentinnen und Konsumenten führt Matsuda (2005a: 22) die hohen Kosten an, die eine schwierige Hürde für die Privatnutzung darstellten.6 Zudem prägte die Co-Existenz dreier miteinander konkurrierender mobiler Kommunikationstechnologien die japanische Marktsituation in den 1990er Jahren. Dies hat vermutlich ebenfalls dazu beigetragen, dass die Verbreitung des keitai 7, des japanischen Mobiltelefons, zunächst langsamer verlief als erwartet. Nach der Einführung und Verbreitung des Pagers versuchten sich sowohl der Mobilfunkstandard PHS (Personal Handyphone System) als auch das kei5
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Das Gerät konnte auch außerhalb des Wagens genutzt werden, da es selbst dann noch funktionstüchtig war, wenn es von der Autobatterie abgenabelt wurde (vgl. Matsuda 2005a: 22). Matsuda (2005a: 22) nennt monatliche Grundgebühren in Höhe von 50.000 Yen (heute knapp 400 Euro), darüber hinaus wurde bis 1993 zusätzlich eine einmalige Kaution von 100.000 Yen fällig. Die hohen Kosten für die Mobilfunkverträge gingen erst im Jahr 1994 leicht zurück (vgl. ebd.). Keitai, vollständig keitai denwa (tragbares Telefon), ist in Japan die umgangssprachliche Bezeichnung für Mobiltelefon. Wörtlich bedeutet der Ausdruck ‚etwas, das man mit sich herumträgt‘; seine Konnotationen unterscheiden sich aber, wie Ito (2005a: 1) feststellt, von den englischen Begriffen mobile und cellular phone: „A keitai ist not so much about a new technical capability or freedom of motion but about a snug and intimate technosocial tethering, a personal device supporting communications that are a constant, lightweight, and mundane presence in everyday life.“ (Ebd.)
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
tai im Mobilfunksektor zu etablieren.8 Im Kampf um die hegemoniale Vorherrschaft entfaltete diese Marktsituation eine Eigendynamik, die den weiteren Verlauf der Entwicklung und Ausdifferenzierung mobiler Kommunikationsformen in Japan maßgeblich beeinflusste (vgl. Kohiyama 2005a, 2005b; Okada 2005; siehe auch Peil 2007a).
2.1.1 Technische Vorläufer der Mobilkommunikation: Der Pager und die Mädchen
NTT hatte bereits 1968 einen Pagerdienst aufgenommen. Die mobilen Funk-Empfänger wurden anfangs lediglich in großen Unternehmen und Organisationen gebraucht, üblicherweise waren sie Firmeneigentum. Das Funktionsspektrum der frühen Modelle war auf ein kurzes Klingelgeräusch bei Erhalt des Übertragungssignals beschränkt. Vornehmlich wurden die Pager dazu gebraucht, den Kontakt zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Außendienst aufrecht zu erhalten, je nach Einsatz und Bedarf wechselte der Besitzer. Da die vergleichsweise primitiven Apparate zunächst nicht imstande waren, Ziffern oder gar Telefonnummern anzuzeigen, signalisierte das Klingeln stets die Intention des Arbeitsgebers – oder auch eines Kollegen oder einer Kollegin – mit dem sich unterwegs befindenden Angestellten in Kontakt treten zu wollen (vgl. Okada 2005: 43). Durch diesen Gebrauch war der Pager in der Frühphase vor allem als „binding medium“ zu verstehen, wie Okada (ebd.; zit. nach Takahiro 1997) schreibt – als eine Technologie, die den Arbeitnehmer noch effizienter an das Unternehmen binden und dessen Interessen unterwerfen konnte. Individuelle, private Nutzungsweisen waren noch nicht vorgesehen, der Pager diente ausschließlich beruflichen Notwendigkeiten. Eine Nutzung im privaten Kontext wurde vorangetrieben, als NTT im Jahr 1987 – als Reaktion auf die zunehmende Konkurrenz zwischen den Anbietern – den ersten Pager bzw. „Pocket Bell“9 mit Display und numerischer Anzeige auf den Markt brachte. Die Anruferin bekam damit die Möglichkeit, sich durch Eingabe einer Rückrufnummer zu erkennen zu geben, was die Geräte auch für den Gebrauch unter Freunden und Familienangehörigen attraktiv machte. Die zunächst 8
9
In Abgrenzung zu PHS werden in dieser Arbeit unter dem Begriff keitai die digitalen Mobilfunkstandards CDMA und PDC zusammengefasst, die in Japan den regulären Mobilfunk ohne räumliche Begrenzung oder Mobilitätseinschränkung unterstützen. Im Gegensatz zu den meisten Ländern Europas, wo lediglich GSM und UMTS (W-CDMA) verfügbar sind, gibt es in Japan eine größere Heterogenität der Mobilfunkstandards. „Pocket Bell“, im Japanischen auch pokeberu genannt, ist der verselbständigte Markenname eines besonders erfolgreichen Pager-Modells der Firma NTT.
EINE MOBILE MEDIENAVANTGARDE
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arbeitsweltlich gerahmten Pager verwandelten sich auf diese Weise in private Konsumgüter. Okada (2005: 43) sieht in dieser technischen Weiterentwicklung einen wichtigen Schritt zu einer Personalisierung der Medien, die schon in den 1980er Jahren mit dem Walkman begann und ihren vorläufigen Höhepunkt im individualisierten und ausdifferenzierten Umgang mit dem keitai findet: „Both the pager and keitai were at first strongly linked to official places and organizations, but they were gradually transformed into media of direct connections between individual users.“ (Ebd.: 45) Anfang der 1990er Jahre wurden die pokeberu insbesondere unter Jugendlichen und jungen Frauen beliebt. Die mobilen Technologien erzielten ungeahnte Erfolge, nachdem im Jahr 1993 die Grundgebühr um die Hälfte reduziert wurde. Ein stetiger Anstieg der Nutzerzahlen von 4,2 Millionen im Jahr 1990 bis zu 10,6 Millionen im Jahr 1996 (vgl. MIC 2006) belegt nicht nur die steigende Popularität des Pagers, sondern weist auch auf den zunehmenden Gebrauch im Privaten hin (vgl. Okada 2005: 44; Katsuno/Yano 2002). Um die Geräte den privaten Bedürfnissen anzupassen und mit ihrer Hilfe untereinander kommunizieren zu können, entwickelten Teenager ein einfallsreiches Kodiersystem, das die technischen Restriktionen der Ziffernanzeige zu überwinden verstand. Die vor allem bei Schülerinnen beliebte PagerSprache (poke-kotoba) basierte auf der Verknüpfung von Zahlenreihen mit bestimmten Wörtern, wobei jeweils die ersten Silben einer Zahl den Text ergaben10 (vgl. Katsuno/Yano 2002: 212; Okada 2005: 51). Auf diese Weise entstand eine frühe Form des Textnachrichtenversands, ohne dass diese Funktion seitens der Hersteller offiziell bereitgestellt worden wäre. „The pager, which was designed as a medium to simply request a return call, evolved into a medium of interactive text communication via these girls’ using the telephone keypad as a keyboard for sending out messages.“ (Okada 2005: 51)
Die Popularisierung des Pagers Anfang und Mitte der 1990er Jahre zeigt, dass Jugendliche, insbesondere junge Frauen und Mädchen, eine wichtige Rolle im Prozess der Implementierung und Durchsetzung der 10 Zur Veranschaulichung der kreativen Schreibpraktiken japanischer Jugendlicher zwei Beispiele: Die Zahlenkombination 39 wird im Japanischen mit „san“ und „kyuu“ übersetzt, was sich sprachlich an den englischen Ausdruck „Thank you“ anlehnt und von den Jugendlichen als „Danke“ kodiert wurde. Ein weiteres Beispiel für poke-kotoba ist die Ziffernfolge 0840, die für „O-hayo“ („Guten Morgen“) eingegeben wurde. Die beiden Nullen stehen dabei jeweils für ein „o“, bei der „8“ (japanisch: „hachi“) wird die zweite Silbe weggedacht und das „yo“ ergibt sich aus der japanischen Bezeichnung „yon“ für die Zahl „4“ (Katsuno/ Yano 2002: 212).
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
Mobilkommunikation in Japan spielten (vgl. Peil 2007a: 223ff.). Während eine Veralltäglichung neuer Medien und Kommunikationstechnologien in der Regel vor dem Hintergrund hegemonialer Auseinandersetzungen und männlicher Dominanz stattfindet (vgl. Klaus et al. 1997: 803), haben in Japan die Deutungs- und Handlungsmuster junger Frauen schon frühzeitig auf den Entwicklungsprozess mobiler Technologien eingewirkt (vgl. Kohiyama 2005b). Diese machten sich mobile Kommunikationstechnologien schon in der Frühphase ihrer Einführung zu Eigen und haben durch ihre ‚Erfindung‘ der mobilen schriftlichen Kommunikation und damit verbundener Nutzungspraktiken die heutige Form des Mediums im Wesentlichen mitbestimmt. „There is significance in the fact that the younger generation was the first to grasp what is now the shape of our current mainstream information environment. Up until this time the ‚information powerhouses‘ were such places as the corporate executives and government offices that are mainstays of the society.“ (Kohiyama 2005b: o.S.)
Entgegen der u.a. aus historischen Studien zur Ausbreitung und Aneignung von Radio und Videorekorder gewonnenen Erkenntnis, dass neue Medien- und Kommunikationstechnologien zunächst durch spielerisches Herantasten von einem kleinen Kreis meist männlicher, technisch versierter Bastler und Tüftler adaptiert werden (vgl. Röser 2007a sowie die in Röser 2007 übersetzten Beiträge von Moores 1988 und O’Sullivan 1991; Gray 1992), nahm die Entwicklung des Pagers und der nachfolgenden Technologien PHS und keitai in Japan einen unerwarteten Verlauf: Zu den Early Adopters zählten zwar auch hier vorwiegend männliche Nutzer, diese griffen anfangs aber ausschließlich aus beruflichen Gründen auf die neuen Geräte zurück. Für den privaten Bereich erschlossen sich jedoch schon frühzeitig weibliche Teenager die für die männlich dominierte Geschäftswelt konzipierten Geräte und setzten sie zur Erfüllung ihrer eigenen, gruppenspezifischen Kommunikationsbedürfnisse ein. Die von Morley (2001: 25) als „Demokratisierung“ und „Feminisierung“ bezeichneten Prozesse, in deren Verlauf die Geräte bedienungsfreundlicher und zugänglicher werden, sich soziale Differenzen in der Nutzung nivellieren und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Aneignung verringern (vgl. Röser 2005, 2007a), setzen somit schon zu einem äußerst frühen Zeitpunkt an. Durch ihre kreative Anwendung eines komplexen Systems zum Austausch von Textnachrichten übten Mädchen und junge Frauen einen wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung und Ausdifferenzierung mobiler Kommunikationstechnologien aus und wurden zu einem geradezu mustergültigen Beispiel einer gegen die bevorzugte Lesart der Produzierenden gerichteten aktiven Aneignung (vgl. Fujimoto 2005).
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Von der Industrie wurde das Nutzungsverhalten der Jugendlichen aufgegriffen; neue Pager-Modelle boten schon bald darauf Zusatzfunktionen an, mit denen numerische in phonetische Symbole konvertiert werden konnten. Damit schlugen sich die medialen Praktiken der Teenager in der neuen Generation der Geräte nieder und der zuvor lediglich auf inoffizielle Kommunikationskonventionen basierende kulturelle Code wurde institutionalisiert (vgl. Peil 2007a: 224f.). Für die bis Mitte der 1990er Jahre anhaltende Pager-Euphorie in Japan war diese Neuerung mit verantwortlich. Die Nachfrage nach dem Pager Mola, der 1995 als eines der ersten Kaufmodelle auf den Markt kam – zuvor dominierte in Japan ein Leihsystem, bei dem die Pager nur gemietet wurden – und ‚echte‘ Textnachrichten empfangen konnte, war mitunter so groß, dass für neue Abonnentinnen und Abonnenten Wartelisten eingerichtet werden mussten. Ein Grund für den Erfolg bestand darin, dass (weibliche) Jugendliche und junge Erwachsene von der neuen Technologie als Lifestyle- und Freizeitmedium Gebrauch machten (vgl. Okada 2005: 44f.). Allerdings brachen die Nutzerzahlen bereits kurz nach dem Höhepunkt im Jahr 1996 ein und der Pager konnte sich neben den konkurrierenden Mobiltelefonen PHS und keitai nicht weiter durchsetzen. Als Antwort auf den kreativen Umgang mit den Textoptionen des Pagers hatten die Mobilfunkanbieter angefangen, günstige SMS-Dienste anzubieten und konnten auf diese Weise ihre Marktstellung weiter ausbauen (vgl. ebd.: 52; Ito 2004: 4; MIC 2006). Die unvorgesehene Form der Aneignung und der überraschende Erfolg des Pagers stellen einen Kontrast zu technikdeterministischen Ansätzen dar, die davon ausgehen, dass die Technologie und die Interessen der Anbieter den Gebrauch eines Mediums bestimmen. Zugleich ist dessen Erfolg ein Indiz für die steigende Bedeutung mobiler Technologien als ‚Sammelbecken‘ für verschiedenartige multimediale Anwendungen, Funktionen und Kommunikationsformen. Denn mit der Möglichkeit, Kurzmitteilungen auszutauschen, haben die pokeberu eine neue Kommunikationsform hervorgebracht. Diese hat die zunächst ausschließlich auf die verbale (Anschluss-)Kommunikation ausgerichteten Pager um einen schriftlichen Kommunikationsmodus erweitert, der als SMS oder keitai-E-Mail kurz darauf eine Veralltäglichung erfahren hat.
2.1.2 Konkurrierende Standards: PHS vs. keitai
Das Personal Handyphone System (PHS) drängte 1995 als letzte der drei in Japan verfügbaren Mobiltechnologien für die mediatisierte, interpersonale Kommunikation auf den Markt. Es handelt sich dabei um einen alternativen, einfacheren Mobilfunkstandard, der auf die bereits bestehende Festnetz-Infrastruktur zurückgreift und als eine Art draht-
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lose Erweiterung des häuslichen Telefonanschlusses angesehen werden kann.11 Äußerlich unterscheiden sich die PHS-Geräte von den regulären Mobiltelefonen (keitai) nur wenig. Allerdings haben sie eine deutlich geringere Übertragungsstärke und Reichweite. Der Nutzungsradius ist lokal begrenzt, d.h. für gewöhnlich auf eine Stadt oder Region beschränkt. Nur innerhalb dieses Areals kann telefoniert werden, wobei auch die Mobilität eingeschränkt ist. Schnelle Ortswechsel, zum Beispiel im Zug oder Auto, lässt die Verbindung abreißen, da das System Geschwindigkeiten nur bis etwa 40 Kilometer pro Stunde bewältigen kann. Anfangs konnten die Apparate aufgrund ihres schlechten Empfangs häufig nicht einmal innerhalb des Hauses verwendet werden (vgl. Kohiyama 2005a: 64f.; Okada 2005: 45; Sokolov 2003). Trotz der technischen Limitationen erzielten die Geräte zunächst vor allem bei der jüngeren Zielgruppe12 einen großen Zulauf, viele Teenager stiegen in dieser Zeit von Pager auf PHS um (vgl. Kohiyama 2005a: 64). Die Attraktivität dieser mobilen ‚Übergangstechnologie‘ verdankte sich vor allem den geringen Kosten der Telefone13 sowie weiteren Faktoren, wie etwa den im Vergleich zum keitai deutlich höheren Akkulaufzeiten.14 Langfristig konnte PHS aber nicht an seine frühen Erfolge anknüpfen. Hierfür wird neben den technischen Einschränkungen auch das negative Image der Geräte verantwortlich gemacht, da diese als billig galten und in abwertender Weise mit jugendlichem Freizeitkonsum assoziiert wurden (vgl. ebd.: 65). Die rückläufigen Kundenzahlen in Japan hingen zudem mit dem erbitterten Preiskampf zwischen PHS und keitai zusammen, aus dem die PHS-Anbieter als Verlierer hervorgingen – u.a. weil sie für die Nutzung der Festnetzleitungen hohe Gebühren an NTT entrichten mussten und deshalb die durch die freizügige Gerätevergabe verursachten Einbußen nicht ausgleichen konnten (vgl. ebd.; Okada 2005: 45). Kohiyama (2005a: 65) 11 Ähnlich wie Schnurlossysteme arbeitet PHS mit kleinen Zellen, die sich zu einem mehrzelligen Funknetz verbinden können und durch Weiterleitung von Zelle zu Zelle kurzzeitige Mobilität ermöglichen. 12 PHS entwickelte sich zu einem regelrechten Verkaufsschlager bei Oberstufenschülerinnen, die den Geräten den Spitznamen picchi gaben (vgl. Kohiyama 2005a: 64). 13 Zeitweise wurden die Geräte sogar kostenlos von den Anbietern zur Verfügung gestellt, was später dazu führte, dass der Markt für die Hersteller an Attraktivität verlor (vgl. Kohiyama 2005a: 64). 14 Kohiyama (2005a: 64) listet die folgenden sechs Gründe für die Popularität der PHS Mobiltelefone auf: „(1) It is a digital cordless phone that makes it possible to make a call from the house, office, and outdoors from one phone; (2) connection costs are from one-half to one-third those of standard keitai; (3) the handset is small (100 cubic centimeters) and light (100 grams), with a long battery life (eight hours per charge); (4) audio quality is high enough to send music; (5) communication can be maintained up to walking speed; (6) it can receive incoming calls and make outgoing calls.“
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stellt zwar zu Recht fest, dass sich für PHS die Strategie nicht auszahlte, mit dem keitai zu konkurrieren anstatt durch den Ausbau der eigenen Leistungen auf die Alleinstellungsmerkmale des alternativen Standards zu setzen. Der Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Mobilfunkstandards hat aber sicherlich zu einem Wachstum des Marktes insgesamt beigetragen. Abbildung 1: Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan 1988-2008 Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan 1988 bis 2008
Anzahl der TeilnehmerInnen in Millionen
120
100
80 Pager PHS keitai
60
40
20
0
Pager
Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. Mrz. 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 3,0
3,5
4,2
5,1
5,9
6,7
8,1
9,4
10,6 10,1
7,1
3,8
2,1
1,4
1,1
1,0
0,8
0,6
0,5
0,2
1,5
6,7
5,8
5,7
5,8
5,7
5,5
5,1
4,5
4,7
5,0
0,2
0,5
0,9
1,4
1,7
2,1
4,3
10,2 20,9 31,5 41,5 51,1 60,9 69,1 75,7 81,5 87,0 91,8 96,7 102,7
PHS keitai
6,0
Jahr
4,6
Quelle: Eigene Darstellung 15 Die kurzzeitige Irritation, die PHS als mit dem keitai konkurrierender Anbieter auf dem japanischen Mobilfunkmarkt auslöste, zeigt sich auch in den Abonnentenzahlen, die den schnellen Auf- und rasch darauf folgenden Abstieg von PHS dokumentieren. Im Fiskaljahr 199616 – als der Pager erstmals einen Rückgang seiner Nutzerzahlen verzeichnete – steigerte PHS mit 4,5 Millionen Neukunden innerhalb eines Jahres seine Reichweite um fast 400 Prozent. In absoluten Nutzerzahlen lagen freilich noch der Pager und das keitai vorn (siehe Abbildung 1). Der Anteil der keitai-Nutzerinnen und -Nutzer erhöhte sich zwischen 1996 und 1997 und zwischen 1997 und 1998 um jeweils mehr 15 Die Zahlen und Daten basieren auf der Übersichtstabelle „Information on Subscribers of Cellular Telephone, Pager and PHS (Personal Handy-Phone System) in Japan“ (MIC 2006) sowie auf weiteren Statistiken des Ministry of Internal Affairs and Communications in Japan (MIC). Diese sind online unter http://www.soumu.go.jp/main_sosiki/joho_tsusin/ eng/statistics.html (04.08.2009) abrufbar. 16 Das japanische Fiskaljahr läuft in der Regel vom 1. April eines Jahres bis zum 31. März des folgenden Jahres. Das Fiskaljahr 1996 bezeichnet somit den Zeitraum zwischen dem 1. April 1996 und dem 31. März 1997.
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als zehn Millionen. Zu diesem Zeitpunkt war der Zenith der PHSVerbreitung schon fast überschritten. Der alternative Mobilfunkstandard gewann 1998 zwar noch einige Neukunden dazu, spätestens im Jahr 1999 wendete sich das Blatt jedoch endgültig zugunsten des keitai. Denn mit der Einführung von i-mode, das die gebündelte Übertragung auch größerer Datenmengen unterstützt, schlug in diesem Jahr die Geburtsstunde des mobilen Internets. Per keitai konnten nun auch Internetseiten aufgerufen, E-Mails verschickt und komplexere Anwendungen genutzt werden (siehe hierzu ausführlicher Kapitel 2.2). Während sich der keitai-Markt zwischen 1998 und 2000 auf insgesamt 51 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmer enorm ausweitete, sank die Anzahl der PHS-Kunden auf unter sechs Millionen und nahm in den Folgejahren stetig, wenn auch nur geringfügig, weiter ab. Nachdem die Unternehmen Yozan und NTT DoCoMo in den Jahren 2006 bzw. 2007 das Ende ihrer PHS-Dienste einleiteten, ist Willcom heute als einziger PHS-Anbieter in Japan übrig geblieben. 2010 geriet das Unternehmen wegen eines drohenden Insolvenzverfahrens aufgrund sinkender Kundenzahlen kurzzeitig in die Schlagzeilen. Inzwischen hat sich die Anzahl der PHS-Nutzerinnen und -Nutzer auf einem vergleichweise geringen Niveau eingependelt. Dass diese Zahl aber nach wie vor bei etwa vier Millionen liegt, zeigt, dass die Technologie – anders als der Pager – durchaus eine Alternative zu den deutlich komplexeren, leistungsfähigeren und multifunktionalen keitai bietet. Auch mit PHS sind der schnelle Datenverkehr und die Verbindung zum Internet unterdessen möglich. Ferner wird die im Vergleich zum keitai geringere Strahlenbelastung als Vorteil z.B. bei dem Einsatz in Krankenhäusern gesehen – ein möglicher Grund, warum sich der Standard einen kleinen, aber bislang festen Nischenplatz auf dem japanischen Mobilfunkmarkt beibehalten konnte.17
2.2 NTT DOCOMO’S I-MODE UND DES MOBILEN INTERNETS
DER
DURCHBRUCH
Im Hinblick auf die Entwicklung, Ausdifferenzierung und Akzeptanz mobiler Datendienste kann sich kaum ein Land mit Japan messen. Den Startschuss für diesen Prozess gab die Erfindung von i-mode, dem ersten, 17 Obwohl die Kundenzahlen im Ursprungsland Japan rückläufig sind, ist PHS in anderen asiatischen Ländern, wie etwa China, Thailand oder Vietnam, nach wie vor recht erfolgreich und wird auch kontinuierlich technisch verbessert. Weil die PHS-Netze günstig eingerichtet, weiterentwickelt und vertrieben werden können, eignen sie sich für eine Verbreitung der Telekommunikation in afrikanischen Ländern, wo die Festnetz-Infrastruktur bislang nur eine sehr geringe Reichweite aufweist (vgl. Kohiyama 2005a: 66; Sokolov 2003, 2005).
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1999 von NTT DoCoMo eingeführten mobilen Onlinedienst. Mit dem mobilen Internet eröffnete sich für den japanischen Mobilfunksektor ein völlig neues Betätigungsfeld, auf dem sowohl Mobilfunkanbieter als auch Content Provider und Gerätehersteller bis heute äußerst erfolgreich agieren. Da die immense und unerwartet schnell gewonnene Popularität von i-mode einen wichtigen Hintergrund dafür darstellt, dass das keitai in Japan auf vielfältige Weise im Alltag eingesetzt wird, sollen dessen Entstehung und Verbreitung hier etwas genauer betrachtet werden.
2.2.1 Entwicklung und Konzept des ersten mobilen Onlinedienstes
Der mobile Internetdienst i-mode ist in Japan seit 1999 kommerziell verfügbar. Ausgangspunkt für seine Entwicklung war die Annahme, dass der Markt für mobile Telefongespräche in der nahen Zukunft eine Sättigungsgrenze erreichen würde, weshalb mit dem erhöhten Datenverkehr neue Erlösquellen erschlossen werden sollten. Durch gezielte Werbekampagnen, die zugleich junge Leute adressierten sowie auf Business-Anwendungen wie Mobile Banking aufmerksam machten, sollten sowohl jüngere und freizeitorientierte Nutzerinnen und Nutzer als auch Geschäftskunden angesprochen werden. Bei Interesse konnten diese den mobilen Onlinedienst als Zusatzleistung zu einem regulären Mobilfunkvertrag buchen (vgl. Natsuno 2003; Polatschek 2001). Technologisch basiert der Datendienst auf dem Internet, das von den Mobiltelefonen aus auch direkt zugänglich ist. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang aber, dass für i-mode sozusagen eine eigene Version des Internets erfunden wurde, das sich für die Ansicht und Handhabung auf den kleinen Geräten eignet. Denn den Hauptteil machen Dienste und Inhalte aus, die von NTT DoCoMo sowie von externen Content Providern speziell für den Empfang auf mobilen Geräten bereit gestellt werden. Es handelt sich dabei um einen Datendienst, der sich auf die an HTML angelehnte Programmiersprache iHTML stützt, welche dem Aufbau einfacher Internetseiten auf dafür konfigurierten Mobiltelefonen dient (vgl. Polatschek 2001). Inhaltlich orientiert sich das Angebot an einem so genannten „convenience store concept“ (Matsunaga 2001: 154), bei dem auf einen Blick alle wichtigen Dienstleistungen und Anwendungen ersichtlich und zentral anwählbar sind. Darüber hinaus ist i-mode für die Nutzung von Internet-E-Mail konfiguriert, das eine wesentliche Komponente des Dienstes darstellt und vor allem durch die integrierbaren Hyperlinks interaktive Elemente anbietet. Anhand von klickbaren Telefonnummern lässt sich zudem auf schnelle und einfache Weise eine Telefonverbindung herstellen, sodass im E-Mail-Modus neben der web to-Funktion auch eine phone toFunktion in Anspruch genommen werden kann.
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Die Einführung von i-mode wurde nicht nur von dem Angebot eines eigens auf das keitai abgestimmten Internetdienstes begleitet, sondern schloss auch konkrete Überlegungen zu Größe und Design der i-modefähigen Mobiltelefone ein. Um handlich zu bleiben, durften die Telefone nicht zu sperrig werden, sollten aber dennoch über ein möglichst großes Display verfügen. NTT DoCoMo legte eine Obergrenze von 100 Gramm und 100 Kubikzentimeter für Größe und Gewicht der i-mode keitai fest. Klappbare Modelle mit Displays, die bis zu 100 japanische Zeichen anzeigen können, erfüllten diese Spezifikation am besten, ohne dass sie dadurch an Kompaktheit einbüßen mussten (vgl. Natsuno 2003).
2.2.2 Gründe für den Erfolg von i-mode aus ökonomischer Perspektive
Bereits kurz nach ihrer Einführung verkauften sich i-mode-fähige Mobiltelefone in Japan so gut, dass Werbekampagnen eingestellt und die Annahme von Neukunden limitiert werden mussten (vgl. Bisenius/ Siegert 2002: 21). Innerhalb von gut zwei Jahren erreichte der mobile Onlinedienst bereits 24 Millionen Nutzerinnen und Nutzer und sorgte damit zwischen 1999 und 2001 für einen erheblichen Anstieg der Internetreichweite (vgl. Matsuda 2005a: 33). Anfang 2002 wurde bereits die 30-Millionen-Marke überschritten, was das Unternehmen NTT DoCoMo neben AOL zeitweise zum größten Onlineprovider der Welt werden ließ (vgl. Polatschek 2001; Stoker 2000). In der wirtschaftlich ausgerichteten Fachliteratur werden insbesondere Merkmale, die das Geschäftsmodell, spezielle technische Charakteristika und die Marketing-Strategien von i-mode betreffen, als Gründe dafür genannt, warum i-mode in Japan so schnell und anhaltend populär werden konnte. Daraus lässt sich ein Katalog von häufig genannten Erfolgskriterien ableiten, der bereits auf das komplexe Zusammenspiel einer Vielfalt von Faktoren hinweist, als Erklärungsmodell für den langfristigen Erfolg dieses Dienstes jedoch allein nicht ausreicht: • Ein vielfach zitierter Erfolgsfaktor von i-mode ist das günstige und transparente Preissystem. Auf etliche der i-mode Dienste kann kostenlos zugegriffen werden. Anfangs erhoben etwa ein Drittel der Content Provider Gebühren, und dies meist für eine monatliche Nutzungspauschale, die preislich zwischen umgerechnet 50 Cent und drei Euro lag. Hinzu kamen vergleichsweise geringe Datenübertragungskosten,18 die gemeinsam mit den Entgelten für die Inhalte über die Mobiltelefonrechnung abgerechnet wurden (vgl. Bisenius/Siegert 2002: 23). Für das Versenden von E-Mails über 18 Bei Weber und Wingert (2006: 312) ist von 0,3 Yen pro 128 Byte die Rede.
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das keitai entstanden Kosten zwischen einem und drei Yen, was im Vergleich zu herkömmlichen Kurzmitteilungen eine enorme Vergünstigung darstellt – vor allem angesichts der Tatsache, dass bei den E-Mails eine für die SMS charakteristische Zeichenbeschränkung wegfiel. Als eine wesentliche Errungenschaft von i-mode ist demnach auch der preiswerte und anbieterübergreifende E-Mail-Versand anzusehen, der eine deutliche Erweiterung der bis dato möglichen Kommunikationsmodi mobiler Schriftlichkeit darstellt. E-Mailbasierte Mitteilungen konnten nun sowohl zwischen den mobilen keitai ausgetauscht als auch zu einem stationären Desktop-PC gesendet werden. Der potenzielle Empfängerkreis mobiler Textnachrichten wurde dadurch vervielfacht, da die herkömmlichen SMSKurzmitteilungen in Japan zuvor nur zwischen keitai desselben Mobilfunkanbieters verschickt werden konnten. Ein weiterer Grund, der für den Erfolg von i-mode verantwortlich gemacht wird, ist die Offenheit des Systems für externe Content Provider. Inhalte werden nicht nur von dem Mobilfunkunternehmen selbst angeboten, sondern können von inoffiziellen Trägern in das Programm eingespeist werden. Durch klickbare Links, z.B. in mobilen E-Mails, können diese Inhalte leicht angewählt werden. Des Weiteren wird das plattformorientierte Geschäftsmodell als Erfolgsfaktor genannt, das vorsieht, dass 91 Prozent der Einnahmen bei den Anbietern der Inhalte bleiben, während DoCoMo zwar die Grund- und Übertragungsgebühren einzieht, aber für die Bereitstellung der technischen Infrastruktur nur 9 Prozent für sich behält. Diese Marktstrategie spielt deshalb eine Rolle, weil damit wichtige Anreize für die Content Provider geschaffen werden, den Kunden möglichst interessante und unterhaltende Dienste anzubieten (vgl. Bisenius/Siegert 2002; Blankenstein 2004; Matsuda 2005a; Polatschek 2001).19
19 Bei WAP (Wireless Application Protocol), der in Europa wenig erfolgreichen Technologie, die bereits vor der Verfügbarkeit von UMTS den Zugang zum mobilen Internet bot – bzw. zu speziellen, den eingeschränkten Darstellungsmöglichkeiten und Datenübertragungsraten mobiler Endgeräte angepassten Internetseiten – blieben 70 bis 80 Prozent der Einnahmen beim Telefonanbieter (vgl. Polatschek 2001: 13). Neben der Benutzerunfreundlichkeit und den langen Verbindungsaufbauzeiten war somit sicherlich auch ein Grund für das Scheitern des WAPAngebots der Mangel an interessanten Inhalten. Für die Anbieter war es wenig lukrativ, neue Informationsdienste und Anwendungen zu konzipieren, die ein anhaltendes Interesse bei den Kunden hätten provozieren können. Dieser Umstand wurde noch dadurch verstärkt, dass das Angebot lange Zeit nur geschäftsbezogene Inhalte umfasste; die Ansprache jugendlicher Nutzerinnen und Nutzer, die WAP für den Privatgebrauch hätten populär machen können, wurde dagegen systematisch vernachlässigt (vgl. Seidl et al. 2002).
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In diesem Zusammenhang wird auch oft darauf hingewiesen, dass zunächst die Marktführerschaft und Anbieterhoheit von NTT DoCoMo einen positiven Effekt auf den Erfolg von i-mode hatten, weil dadurch seine Weiterentwicklung beschleunigt und die Zusammenarbeit zwischen Geräteherstellern und Content Providern vereinfacht wurde. Als eines der wichtigsten Erfolgskriterien gilt die Einfachheit von i-mode, durch die sich das mobile Internet den Kunden ‚aufzudrängen‘ scheint. Der Onlinezugang erfolgt über den sogenannten i-mode Button, der auch weniger technikaffinen Nutzerinnen und Nutzern einen leichten Zugriff auf das Angebot ermöglicht (vgl. Rohwer 2000). Der einfache Gebrauch von i-mode korrespondierte zudem mit der Marketing-Strategie, eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen. Von vornherein richtete sich der mobile Onlinedienst nicht nur an technikinteressierte, innovationsfreudige Bastler, sondern in erster Linie an Kunden, die an einem problemlosen Funktionieren unterhaltungsorientierter Inhalte und Anwendungen interessiert waren. Der unmittelbare Erfolg von i-mode spricht dafür, dass dieses Konzept auf fruchtbaren Boden fiel. Weder wurde der Internetservice in negativer Weise ausschließlich mit beruflichen Notwendigkeiten in Verbindung gebracht noch als technische Spielerei abgewertet. Somit schien er nicht nur ohne größere technische, preisliche oder bedienungsbezogene Hürden zugänglich zu sein, sondern auch mit der alltäglichen Lebenswelt der japanischen Nutzerinnen und Nutzer zu korrespondieren. Ein weiterer wichtiger Faktor ist schließlich, dass der mobile Onlinezugang in Japan von Anfang an nicht als „das Internet“ vermarktet worden ist. Damit wurde darauf verzichtet, bei den Verbrauchern bestimmte Erwartungen bezüglich der mobilen Zugriffsmöglichkeit auf das reguläre Internet zu schüren, die durch i-mode anfangs nicht erfüllt werden konnten. Wie bereits erwähnt ‚erfindet‘ i-mode gleichsam ein eigenes Internet und passt dieses den Anforderungen einer miniaturisierten Technologie an. Zwar basiert der Dienst auf der Internettechnologie und verfügt über einen HTML-kompatiblen Browser, ist somit auch imstande, Internetseiten darzustellen. Allerdings können die kleinen keitai-Bildschirme nur einfache Seiten anzeigen, die keine großen Bilder oder komplexe Designs enthalten. D.h. ‚normale‘ Websites können nur dann per keitai aufgerufen werden, wenn diese simpel gehalten sind; in der Regel wird auf Onlineangebote zugegriffen, die speziell für die Ansicht auf Mobiltelefonen programmiert sind – inhaltlich orientieren sich diese aber meist an den ursprünglich für das Internet konzipierten Websites und bieten somit mobil auch dieselben Informationen und Dienste an (vgl. Weber/Wingert 2006: 312).
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2.2.3 Der Beitrag des mobilen Internets für die Internetverbreitung in Japan
Der massive Erfolg von i-mode veranlasste die damals mit NTT DoCoMo konkurrierenden Mobilfunkanbieter KDDI und J-Phone die Entwicklung vergleichbarer mobiler Onlinedienste voranzutreiben. Da sie angesichts des Diffusionsverlaufs bei i-mode mit der Akzeptanz ihres Angebots rechnen konnten, waren sie relativ frei in der genauen Ausgestaltung, implementierten beispielsweise ein unterschiedliches Abrechnungssystem oder setzten sogar, wie KDDI, die in Europa wenig erfolgreiche WAP-Technik für den mobilen Internetzugang ein (vgl. Weber/Wingert 2006: 316). Im Laufe des Diffusionsprozesses von imode und den kurz darauf, noch im gleichen Jahr lancierten Diensten EZWeb (KDDI) und J-Sky (J-Phone) waren bald alle keitai für den Empfang und Versand von Internet-E-Mails sowie für den mobilen Onlinedienst und den Zugriff auf die von externen Content Providern bereitgestellten Seiten ausgestattet. Da die mobilen Datendienste leicht zugänglich und mit nur geringen Anschaffungskosten verbunden waren, erreichten sie auch Personengruppen, die zuvor von einem Zugriff auf das Internet ausgeschlossen waren. Aus diesem Grund wird das keitai vielfach für den rapiden Anstieg der Internetreichweite zwischen 1999 und 2001 verantwortlich gemacht, wodurch Japan einen Rückstand aufholen konnte.20 Matsuda (2005a: 32f.) beschreibt, wie der Erfolg von i-mode nicht nur das wirtschaftliche und technologische Selbstbewusstsein Japans wiederbelebte, sondern dort auch die zu Beginn des digitalen Zeitalters aufkeimenden Befürchtungen eines Digital Divides zerstreuen konnte. Da der Zugang zum keitai-Internet oft mit weitaus weniger Schwellenangst erfolgte als die Einrichtung eines stationären Internets, wurden die mobilen Onlinedienste als wichtiger Motor für den massenhaften Internetzugang auch technologieferner Bevölkerungsgruppen angesehen: „Compared to the costly and difficult process of gaining PC Internet access, the keitai Internet is accessed through inexpensive terminals; it is simple to subscribe to and navigate. The barriers of technical knowledge and pricing that inhibited PC Internet adoption do not apply to the keitai Internet, and many Japanese first connected to the Internet through keitai.“ (Matsuda 2005a: 33)
Die Ergebnisse der im Jahr 2001 im Rahmen des World Internet Project Japan erhobenen Internet Usage Trends in Japan 21 unterstützen 20 Mit 27 Millionen Nutzerinnen und Nutzern lag die Reichweite des Internets in Japan Ende 1999 bei nur 21,4 Prozent (vgl. Matsuda 2005a: 33). 21 Es handelt sich um eine Studie zur Internetverbreitung und -nutzung in Japan, die von einer gemeinsamen Forschungsgruppe des National Institute of Information and Communications Technology und der Interfa-
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diese These, indem sie darlegen, dass insbesondere weibliche Teenager und junge Erwachsene, Teilzeitangestellte, Studierende und Hausfrauen22 – und damit Nutzergruppen, die bei der Internetverbreitung zunächst unterrepräsentiert waren – als Hauptzugang zum Internet das keitai wählten (vgl. Internet Usage Trends in Japan 2001: 66). Ebenso machten viele ältere Kunden um die 50 und sogar um die 60 Jahre von dem mobilen Internetzugang Gebrauch (vgl. ebd.). Während das Internet in Japan Mitte der 1990er Jahre ein fast ausschließlich durch männliche User geprägtes Medium war (vgl. Cooper-Chen 1997), öffnete es sich nach der i-mode-Einführung breiteren Bevölkerungskreisen. Von Anfang an fühlten sich auch viele derjenigen Konsumentinnen und Konsumenten davon angesprochen, für deren Nutzung nicht allein ein technisches Interesse oder eine berufliche Notwendigkeit ausschlaggebend waren, sondern vor allem der Wunsch, unterhalten zu werden und auf einfache Weise kommunizieren zu können. Der mobile Internetservice schien diesem Bedürfnis eher nachzukommen als das stationäre Internet und sich leichter an alltägliche Lebenswelten anbinden zu lassen. Der vergleichende Blick auf die Reichweitenentwicklung von stationärem und mobilem Internet in Japan (siehe Abbildung 223) veranschaulicht, in welch kurzer Zeit das Mobiltelefon zu einer wichtigen Zugangstechnologie für die Inanspruchnahme von Onlineinhalten und -Anwendungen wurde. Zwei Jahre nach der Einführung von i-mode lag die Anzahl der mobilen Internetnutzerinnen und -nutzer bereits bei 25 Millionen, während aber per stationärem Computer noch fast doppelt so viele Menschen online gingen. Nachdem in den Folgejahren die Internetreichweite bei den mobilen Zugangstechnologien stärker anstieg als bei den stationären Geräten, kehrte sich dieses Verhältnis im Jahr 2005 um: Erstmals griffen nun mehr Japanerinnen und Japaner mit ihrem keitai auf das Internet zu als per Desktop-Computer; 69,2 Millionen Japanerinnen und Japaner (81,2 Prozent aller Internetculty Initiative in Information Studies der University of Tokyo durchgeführt wurde. Die Erhebung fand jährlich während einer fünfjährigen Forschungsperiode (2000-2005) statt und war Teil eines internationalen Forschungsprojekts zur Diffusion des Internets, an dem sich mehr als 15 Länder beteiligten. 22 In der Studie ist von der Gruppe der so genannten „housekeeper“ die Rede, sodass hier nicht nur Hausfrauen, sondern auch Männer gemeint sind, die zur Verrichtung der familienbezogenen Reproduktionsarbeit hauptsächlich zu Hause tätig sind. Aufgrund der in Japan nach wie vor üblichen traditionellen geschlechtsgebundenen Arbeitsteilung (siehe Kapitel 5.3) ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei in der großen Mehrzahl um Frauen handelt. 23 Abbildung 2 erfasst alle Nutzerinnen und Nutzer, die in den Jahren 2000 bis 2008 mit dem stationären Internet bzw. mit mobilen Kommunikationstechnologien online gingen, sie gibt aber nicht die ausschließliche Internetnutzung mit der einen oder anderen Technologie wieder.
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Nutzerinnen und -Nutzer) gebrauchten mobile Technologien für ihren Onlinezugang, während insgesamt 66 Millionen (77,4 Prozent) auf das stationäre Internet zugriffen. Auch die Zahl der Personen, die ausschließlich das mobile Internet nutzten, übertraf im Jahr 2005 um etwa 4 Prozentpunkte die Zahl derjenigen, die nur das stationäre Internet nutzten (22,5 Prozent vs. 18,6 Prozent). Über die Hälfte aller InternetNutzenden (57 Prozent) machte im gleichen Zeitraum sowohl vom stationären als auch vom mobilen Internet Gebrauch – insgesamt 48,6 Millionen Menschen (vgl. Communications Usage Trend Survey 2006). Abbildung 2: Stationäre und mobile Internetnutzung in Japan 2000-2008 Stationäre und mobile Internetnutzung in Japan 2000-2008 90,0 Mio 80,0 Mio
Nutzerinnen und Nutzer
70,0 Mio 60,0 Mio 50,0 Mio
Stationärer Computer keitai / PHS/ PDA
40,0 Mio 30,0 Mio 20,0 Mio 10,0 Mio 0 2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
Dez. 00
Dez. 01
Dez. 02
Dez. 03
Dez. 04
Dez. 05
Dez. 06
Dez. 07
Dez. 08
Ende des Jahres
Stationärer Computer 37,2 Mio 48,9 Mio 57,2 Mio 61,6 Mio 64,2 Mio 66,0 Mio 80,6 Mio 78,1 Mio 82,6 Mio keitai / PHS/ PDA
24,4 Mio 25,0 Mio 27,9 Mio 44,8 Mio 58,3 Mio 69,2 Mio 70,9 Mio 72,9 Mio 75,1 Mio
Quelle: Eigene Darstellung 24 Schon im darauf folgenden Jahr kristallisierte sich wieder der PC als dominierende Zugangstechnologie zum Internet heraus – trotz weiterer Zuwächse bei der Reichweite der mobilen Datendienste. Die seitdem abnehmende Zahl an Internetnutzerinnen und Internetnutzern, die ausschließlich per Mobiltelefon ins Internet gehen, ist ein Indiz dafür, dass das Mobiltelefon gerade als Internet-Einstiegstechnologie attraktiv ist, auf Dauer jedoch als alleiniges Onlinemedium nicht ausreichend erscheint. Ende 2008 standen bei einer Internetreichweite von insge24 Die Zahlen und Daten basieren auf dem „Communications Usage Trend Survey“ (2001-2008), der jährlich vom japanischen Ministerium für innere Angelegenheiten und Kommunikation (Ministry of Internal Affairs and Communications, abgekürzt MIC; bis 2004 fungierte es unter dem Namen Ministry of Public Management, Home Affairs, Posts and Telecommunications oder kurz MPHPT) herausgegeben und in einer englischen Zusammenfassung auf der Internetseite http://www.johotsusintokei. soumu.go.jp/english (07.08.2009) veröffentlicht wird.
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samt 90,9 Millionen Onlinern (75,3 Prozent der Gesamtbevölkerung) 82,6 Millionen stationäre Internetnutzer (90,8 Prozent aller Onliner) 75,1 Millionen mobilen Internetnutzern (82,6 Prozent aller Onliner) gegenüber. Immerhin noch 8,2 Millionen Japanerinnen und Japaner (9,0 Prozent) steuerten ausschließlich per Mobiltechnologie das Internet an, während 15 Millionen (16,6 Prozent) allein den PC nutzten, um online zu gehen. Von beiden Technologien machten hierfür 62,0 Millionen (68,2 Prozent) Gebrauch (vgl. Communications Usage Trend Survey 2008: 2; siehe auch Abbildung 3). Die Zahlen untermauern, dass das mobile Internet in Japan nicht kurzlebiger Trend oder belanglose Spielerei ist, sondern dass es neben dem Internetzugang per PC eine weitere und annähernd gleichberechtigte Möglichkeit geschaffen hat, im Alltag online zu sein.25 Abbildung 3: Für den Internetzugang genutzte Medientechnologien in Japan 2008 Types of Internet Terminals (Individuals) (End of 2008) From PC only 15.07 million (16.6%)
From PC 82.55 million (90.8%)
From both PC & mobile terminal 61.96 million (68.2%) 760 thousand (0.8%)
From mobile terminal 75.06 million (82.6%) 4.75 million (5.2%)
From mobile terminal only 8.21 million (9.0%)
130 thousand (0.1%)
From game console, TV, etc. 5.67 million (6.2%)
From game console, TV, etc. only 20 thousand (0.0%)
* Mobile Terminal: A mobile phone, PHS, or personal digital assistant (PDA)
Quelle: Communications Usage Trend Survey 2008: 2
2.2.4 Neuere Funktionen und Anwendungsbereiche des keitai
Insgesamt erweiterten sich die multimedialen Möglichkeiten des keitai durch die mobilen Datendienste enorm. Diese Erweiterungen spielen allerdings nur dann eine Rolle, wenn sie Anknüpfungspunkte dafür liefern, in den Alltag ihrer Nutzerinnen und Nutzer integriert zu werden. 25 In der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Qualitäten der Onlinenutzung – je nachdem ob sie per keitai oder per Desktop-PC erfolgt – wird auf diesen Aspekt noch einmal ausführlicher eingegangen (siehe Kapitel 5.4.2).
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Auf dieser Ebene führten sie in Japan zu einer massenhaften Adaption und Aneignung. Zusätzlich hatten sie Einfluss darauf, wie sich das Nutzungsspektrum des Mobiltelefons verlagert hat, wie etwa schriftliche Anwendungsmodi und Unterhaltungsaspekte der Mobilkommunikation an Bedeutung gewannen. Es folgt daher ein knapper Überblick zu den neueren Diensten und Funktionen der Mobiltelefone, die im Zuge der Verbreitung von i-mode in Japan ein größeres Publikum fanden: • Kommunikationsdienste: Die über i-mode bereitgestellte E-MailFunktion hatte, wie weiter oben bereits erwähnt, einen besonderen Stellenwert, da durch sie erstmals anbieterübergreifend und vergleichsweise günstig die mobile schriftbasierte Kommunikation möglich wurde. Eine wesentliche Erweiterung stellte zudem die direkte Verbindung zu den Seiten des mobilen Internets dar, die von jeder in einer E-Mail integrierten URL angeklickt werden konnten. Mit Einführung der keitai-Kamera (s.u.) wurde des Weiteren der Austausch von so genannten sha-mails (Foto-Mails; mit MMS vergleichbar) möglich. Zu den Kommunikationsdiensten gehörten aber auch Angebote wie Dating-Seiten, auf denen sich Nutzerinnen und Nutzer registrieren lassen konnten, um neue Kontakte zu knüpfen und E-Mail-Freundschaften oder persönliche Begegnungen zu arrangieren (siehe Kapitel 5.3.3). • Unterhaltungsdienste: Im Unterhaltungsbereich erwiesen sich insbesondere Screensaver und so genannte chaku-meru, polyphone Klingeltöne, als erfolgreiche Download-Inhalte, mit denen auch eine Personalisierung der mobilen Geräte verknüpft ist. Der mobile Musikmarkt expandierte in Japan innerhalb kürzester Zeit und wurde zu einem Kernelement des unterhaltungsbezogenen Multimedia-Angebots26 – neben Klingeltönen zählen zu diesem Segment auch Klänge, die statt eines Rufzeichens für den wartenden Anrufer abgespielt werden, sowie später auch chaku-uta, MusikClips in CD-Qualität von 30 Sekunden Länge, die für etwa 100 Yen pro Lied verkauft wurden (vgl. Hess 2004a). Beliebt sind zudem Spiele, die über das mobile Internet heruntergeladen werden. Diese können für das keitai deutlich günstiger erworben werden als für herkömmliche Konsolen – beispielsweise kostete der Download von Java-Spielen bei ihrer Markteinführung nur etwa ein Fünftel eines Gameboy-Spiels (vgl. Blankenstein 2004: 29). Eine interessante Erweiterung des Unterhaltungsangebots stellten auch Programme dar, mit denen eigenständig produzierte Texte 26 Obwohl nur fünf Yen (0,03 Euro) pro Lied an die JASRAC, die japanische Gesellschaft für musikalische Vervielfältigungsrechte, entrichtet werden muss, machte deren Geschäft mit Klingeltönen im Jahr 2002 sieben Milliarden Yen (rund 48 Millionen Euro) aus, was 20 Prozent des durch Lizenzgebühren für CDs eingenommenen Gesamtumsatzes entsprach (vgl. Okada 2005: 54f.).
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ins mobile Internet eingespeist und unter anderen keitai-Kunden distribuiert werden konnten. Solche Dienste waren nicht nur für die Leserinnen und Leser attraktiv, sondern brachten auch eine starke Beteiligung von Amateuren mit sich, die dadurch zum Schreiben und Publizieren von Artikeln und Kurzgeschichten motiviert wurden. Sie legten bereits den Grundstein für das einige Jahre später äußerst erfolgreiche Genre der keitai-Romane, die mit dem Mobiltelefon verfasst und vertrieben werden.27 Transaktionsdienste: Die Transaktionsdienste beinhalteten zum einen das mobile Onlinebanking und Onlinebroking, die von Anfang an zum regulären i-mode-Service dazu gehörten. Zum anderen entwickelte sich M-Commerce zu einem neuen und schnell wachsenden Wirtschaftszweig auf dem japanischen Markt. Geld wurde sowohl mit digitalen Inhalten (Premium-Content, Spiele, Klingeltöne etc.) verdient als auch durch den Einkauf von Produkten wie CDs, DVDs, Kleidung und Unterhaltungselektronik, die mithilfe von i-mode per Mobiltelefon erstanden wurden (vgl. Saito 2005). Auch Ticket- und Fahrkartenkäufe sowie mit dem keitai getätigte Reisebuchungen fallen in diesen Bereich. Informationsdienste: Zu den Informationsdiensten zählte zunächst einmal ein Großteil der offiziellen, durch die Mobilfunkanbieter bereitgestellten Seiten, auf denen z.B. auf aktuelle Nachrichten, Sportberichte, Wettervorhersagen, Fahrplanauskünfte, Lifestyleund Reiseinformationen zugegriffen werden konnte – viele dieser Informationsdienste wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.28 Im Jahr 2004 konnten bereits mehr als 4.000 offizielle Seiten über i-mode bezogen werden, während die Anzahl der inoffiziellen Seiten sogar schon bei über 80.000 lag. Im mobilen Internet veröffentlichen die externen Content Provider größtenteils dieselben Inhalte, die auch auf ihrer regulären Internetpräsenz zu finden sind. Das Spektrum ist entsprechend weit und reicht von Unternehmensseiten über Vereinsseiten bis zu Suchmaschinen und Special Interest Themen (vgl. Blankenstein 2004). Officedienste: Nicht wenige Applikationen für das mobile Internet wurden ferner von Unternehmen entwickelt, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten firmenspezifische Programme und Anwendungen per keitai zugänglich machten. Da bei der Programmierung auf Internetstandards zurückgegriffen wird und die Mobiltelefone in der Regel privat angeschafft werden, ist ein solches Engagement nur mit geringen Investitionskosten verbunden. Aus demselben Grund findet das keitai vielfach auch für die Weiterleitung
27 Die erfolgreichsten der keitai-Romane wurden zusätzlich auch als Bücher publiziert und vermarktet. 28 Bei der Nutzung ist jedoch für den entsprechenden Datenverkehr zu bezahlen.
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von beruflichen E-Mails Anwendung, da dies günstiger ist als die Angestellten mit eigens zur Synchronisation von E-Mail-Konten hergestellten Mobiltechnologien auszustatten. Ein wichtiges Werkzeug für den Einsatz des keitai für Unternehmenszwecke sind ferner Programme, mit denen auf den mobilen Endgeräten OfficeDokumente angezeigt, vergrößert und gelesen werden können (vgl. Funk 2004; Hess 2004b). Die Vermarktung von Mobiltelefonen mit einer integrierten Fotokamera, die in Japan etwa zeitlich mit der Implementierung und Verbreitung des mobilen Internets begann, setzte wichtige Veränderungen im Umgang mit der mobilen Medientechnologie in Gang. Hier war J-Phone Vorreiter, das bereits im Jahr 2000 mit einem camerakeitai auf den Markt ging, während NTT DoCoMo erst zwei Jahre später nachzog. Spätestens 2004 war die Kamera standardmäßig in fast allen Mobiltelefonen eingebaut, die in Japan erhältlich waren. Offensichtlich wurde die Fotofunktion recht schnell als eine praktische Erweiterung des mobilen Medienangebots begriffen und in den Alltag der Nutzerinnen und Nutzer integriert. Weil ihre Leistungskapazität ständig weiter entwickelt wurde, die Kameras über Autofokus und optischen Zoom verfügten und es sie mit einer Auflösung von mehreren Megapixel gab, stellten sie bald einen adäquaten Ersatz für herkömmliche Kameras dar. Sie ersetzten aber nicht nur den Fotoapparat, sondern beeinflussten auch den Umgang mit Bildern. Neben der Möglichkeit, Bilder zu machen und sie per E-Mail kostengünstig an Freundinnen und Freunde zu versenden, dienten die camera-keitai als Fotoalbum, das bei jeder Gelegenheit herumgezeigt werden konnte. Zusätzlich ermöglichten in das keitai integrierte Memory Cards den Austausch von Foto- und Videodaten, und zwar einerseits zwischen Nutzerinnen und Nutzern, andererseits zwischen Mobiltelefonen und Computern (vgl. Weber/Wingert 2006: 311).
2.3 ZUR DER
AKTUELLEN
SITUATION
MOBILKOMMUNIKATION
IN
JAPAN
Der japanische Mobilfunkmarkt hat sich seit der Entwicklung und Verbreitung von i-mode beständig weiterentwickelt und unterliegt nach wie vor einem fortwährenden Wandel. Der Rückblick auf die Frühphase der Mobilkommunikation zeigt, dass der dynamische Verbreitungsprozess immer wieder unerwartete Verläufe nahm und auch künftig kaum vorhersehbar ist. Japan war das erste Land, in dem 3GNetzwerke kommerziell verfügbar waren. Schon 2001 bot NTT DoCoMo unter dem Markennamen FOMA Mobiltelefone an, die auf eine UMTS-Infrastruktur zugriffen und für die Übertragung größerer Da-
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tenmengen und die gleichzeitige Inanspruchnahme von Sprach- und Datendiensten (z.B. Videotelefonie) geeignet waren. Zwar verlief die Anfangsphase der UMTS-Verbreitung in Japan ähnlich schleppend wie in Deutschland, was zum einen an den kürzeren Akkulaufzeiten sowie an Größe und Gewicht der mobilen Apparate gelegen haben könnte. Zum anderen hatte dies sicherlich auch mit der Popularität der in Japan weit verbreiteten und bereits äußerst leistungsstarken 2,5GMobiltelefone zu tun. Inzwischen haben sich die 3G-Hochgeschwindigkeitsnetze aber in hohem Maße durchgesetzt, bis 2009 rüsteten mehr als 100 Millionen Kunden der japanischen Mobilfunkanbieter, über 90 Prozent, ihre keitai auf 3G auf. Neben NTT DoCoMo gibt es derzeit zwei weitere große Mobilfunkbetreiber in Japan: au/KDDI und SoftBank Mobile, das im Jahr 2006 Vodafone Japan mit der Marke JPhone aufgekauft hat. Der Wettbewerb zwischen den Unternehmen ist groß, jedes versucht sich mit speziellen Angeboten und Marktstrategien zu positionieren. Aktuell wird von allen an der Weiterentwicklung zu 3,5G- und 4G-Technologien gearbeitet.
2.3.1 Mobile Dienste und keitai-Funktionen heute
Um ein Verständnis davon zu bekommen, durch welche Innovationen die japanische Mobilkommunikation gegenwärtig gekennzeichnet ist, soll an dieser Stelle eine komprimierte Darstellung von Diensten und Nutzungsoptionen erfolgen, die heute in den meisten keitai integriert sind und dort auch Anwendung finden. Dies geschieht zum einen auf der Basis von persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen in Japan sowie von Interviews mit Expertinnen und Experten, die im Frühjahr 2006 in Tokio zu aktuellen Entwicklungen in der Mobilkommunikation befragt wurden (siehe Einführung in Kapitel 5). Zum anderen werden für den Überblick Informationen und Daten herangezogen, die von Informationsdiensten und Interessengruppen wie Eurotechnology Japan (www.eurotechnology.com), Wireless Watch Japan (www.wirelesswatch.jp) und Mobile Monday (www.mobilemonday.jp) online zur Verfügung gestellt oder über Newsletter verbreitet werden. Aufgrund der Vielzahl der mobilen Applikationen sowie der stetigen Veränderungen und Dynamiken auf dem japanischen Mobilfunkmarkt ist es, wie bereits erwähnt, kaum möglich, eine vollständige Übersicht über die in das keitai integrierten Anwendungen zu bieten. Es sollen jedoch einige zentrale Innovationen der letzten Jahre (Stand: 2008/2009) vorgestellt werden, um auf diese Weise die vielfältigen Anwendungsfelder und unterschiedliche Dimensionen der keitai-Kommunikation in den Fokus zu rücken. Inwieweit diese multimedialen Mobilfunkangebote bei den Nutzerinnen und Nutzern auch langfristig auf Zuspruch stoßen, bleibt vorerst abzuwarten.
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Abbildung 4: Multimediale Anwendungsfelder der Mobilkommunikation in Japan Unterhaltung Mobile Musik
Die Klingeltöne machten mit der Verbreitung von i-mode den Anfang, in den Folgejahren wurde das Musikangebot dank der anhaltenden Popularität immer stärker ausgeweitet und ließ das keitai zu einem mobilen Musikplayer werden, auf dem komplexe Programme zum Transferieren, Kaufen und Verwalten von Songtiteln vorinstalliert sind.
Mobile Spiele
Nachdem sich zunächst die Java basierten Spiele als ein äußerst erfolgreiches Segment des M-Commerce erwiesen, sind inzwischen Mobiltelefone auf dem Markt, die mit Sensoren ausgestattet sind und durch entsprechende Bewegungen – ähnlich wie die Fernbedienung bei der Wii-Konsole – zur Interaktion mit Spielen eingesetzt werden können.
Medien Mobile Zeitung Zeitungsabonnements für keitai-Nutzerinnen und -Nutzer gehören in Japan zu den frühen Konvergenzerscheinungen in der Mobilkommunikation. Vorreiter war hier das Medienunternehmen Asahi, das bereits 1999, im Jahr der Einführung von i-mode, Sport- und Informationsdienste für Mobilfunkkunden anbot. Ein Jahr später wurde der Service kostenpflichtig, seitdem zahlen die Leserinnen und Leser eine geringe Monatsgebühr für ein mobiles Zeitungsabonnement. Die anderen Zeitungen zogen nach, inzwischen umfassen fast alle Webpräsenzen der Printmedien auch mobile Informationsdienste. Mobile Manga
Seit einigen Jahren erzielt in Japan der Verkauf von digitalen Manga für das keitai Gewinne. Bereits im Jahr 2004 gab es über 300 Anbieter mit insgesamt mehr als 10.000 Comictiteln in Schwarz-Weiß oder Farbe, die gegen eine monatliche Gebühr auf die mobilen Apparate heruntergeladen werden können. Neben Flashanimierten Sequenzen bieten die keitai-Versionen der japanischen Comics auch besondere Rezeptionseffekte, etwa durch die Verknüpfung von spannungsgeladenen Szenen mit dem Vibrationsalarm der Mobiltechnologie.
Mobiles TV
Der terrestrische digitale Rundfunk basiert in Japan auf dem Standard ISDB-T, bei dem jeder Kanal in 13 Segmente unterteilt ist. Während HDTV 12 dieser Segmente beansprucht, wird das verbleibende 13. Segment für mobile Empfangsgeräte genutzt. Aus dieser technischen Spezifikation heraus ist der Name 1Seg für das mobile Fernsehen entstanden, das in Japan offiziell am 1. April 2006 gestartet ist. Beim Empfang sind in der oberen Hälfte die Bilder zu sehen, während in der unteren Hälfte Informationen und Daten zum laufenden Programm bereit gestellt werden. Diese bieten einen direkten Rückkanal ins Internet, über den auf das Programm reagiert oder mit anderen Zuschauerinnen und Zuschauern interagiert werden kann. Mit speziellen Programmen wie „Lunch Box TV“, die wochentags zwischen 12 Uhr und 13 Uhr ausgestrahlt werden, werden gezielt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Mittagspause angesprochen. Bis Mitte 2007 waren bereits mehr als 13 Millionen fernsehtaugliche Mobiltelefone auf dem japanischen Markt, der Empfang selbst ist kostenlos und soll langfristig über Werbung refinanziert werden.
Mobiles Radio
Die digitale Übertragung von Radioprogrammen funktioniert ähnlich wie das 1Seg-System, sie ist eine keitai-Komponente, in die vor allem die Radiobetreiber viel Hoffnung setzen, da die Reichweite des Radios in Japan schon seit Jahren rückläufig ist (siehe Kapitel 5.4).
M-Commerce
Die mobilen Einkaufsmöglichkeiten umfassen u.a. Reisebuchungen, virtuelle Einkaufszentren sowie Auktionsdienste, bei deren Inanspruchnahme sich die getätigten Ausgaben in der Regel über die monatliche Telefonrechnung abrechnen lassen.
Mobile Payments
Mithilfe eines eingebauten Mikrochips wird das keitai in Japan auch für das Bezahlen von Kleinstbeträgen, beispielsweise Tickets für den öffentlichen Nahverkehr, genutzt, wobei sowohl Prepaid- als auch Postpaid-Verfahren angewendet werden. Darüber hinaus ist es, sofern entsprechende Lesegeräte zur eindeutigen Identifizierung vorhanden sind, als Kreditkarte, Ausweis, Coupon-Ticket und Kundenkarte einsetzbar. Für die Mobiltelefone mit einer integrierten Bezahlfunktion hat sich der Begriff osaifu-keitai (wörtlich: Geldbörsen-Handy) etabliert, der ursprünglich eine Marke von NTT DoCoMo bezeichnete, sich inzwischen aber verselbständigt hat.
Konsum
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
QR Codes
QR steht für quick response, die Codes, die ursprünglich für den Logistikbereich der Automobilproduktion entwickelt wurden, dienen als Identifikationssystem und können mit der keitai-Kamera abfotografiert werden. Wenn die entsprechende Reader-Software auf dem Mobiltelefon installiert ist, lässt sich durch das fotografische Scannen des Codes der Zugang zu bestimmten Inhalten des mobilen Internets herstellen, z.B. können in Zeitschriften beworbene Produkte mit kommerziellen Angebotsseiten verknüpft oder stationäre mit mobilen Websites verbunden werden. Das System ist in Japan weit verbreitet, es ist verhältnismäßig fehlerresistent, einfach zu bedienen und seine Anwendung kostet nichts.
Mobile Webbrowser
Mit speziellen PC-Site Viewers lassen sich auf den kleinen Displays der mobilen Endgeräte neben den eigens dafür konzipierten Seiten des i-mode-Dienstes auch die reguläre Seiten des stationären Internets uneingeschränkt betrachten.
Dienste
Mobile Zusätzlich zu den Verzeichnissen der Mobilfunkbetreiber, in denen die offiziellen Suchmaschinen Seiten gelistet sind, sind seit 2006 Google-basierte Suchdienste auf den mobilen Endgräten verfügbar, die auch auf inoffizielle i-mode- und reguläre Internetseiten verweisen. Location Based Zu den standortgebundenen Diensten gehören nicht nur einfache mobile NavigatiServices onssysteme, sondern auch Seiten, die primär darauf ausgerichtet sind, Menschen bei Bedarf physisch zusammenführen, z.B. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Freunde und Bekannte oder auch potenzielle Partnerinnen und Partner. Diese können sich per keitai orten oder werden über die Präsenz anderer informiert, die sich gerade in der Nähe aufhalten.
Design Decomail
Bei decomail handelt es sich um dekorierte E-Mails, die farbige Hintergründe, Animationen, Bilder oder andere grafische Elemente enthalten. Das Angebot, das vor allem bei japanischen Jugendlichen sehr beliebt ist, gibt es seit 2004, es kann auf speziellen Seiten gegen eine geringe monatliche Nutzungsgebühr heruntergeladen werden.
Personalisierte Startseiten
Für eine verbesserte Synchronisation mit der stationären Internetnutzung lassen sich im mobilen Internet personalisierte Startseiten einrichten, die dieselben Inhalte, Newsfeeds, Blogs und Kalender anzeigen wie der PC zu Hause.
Keitai Blogs
Bei den mobilen Weblogs, oder auch Moblogs genannt, war Japan Vorreiter, was u.a. mit der frühen Verbreitung von in das Mobiltelefon integrierten Kameras zusammenhängt. Bilder und Videos können seitdem per keitai aufgenommen, online gestellt und kommentiert werden. Bereits 2003 fand in Tokio die First International Moblogging Conference statt.
Mobile Social Media
Neben den mobilen Blogs haben sich im Mobilfunkbereich auch Social Networking Sites etabliert, die verschiedene Möglichkeiten der Unterhaltung und Vernetzung bieten, etwa die Verbindung mit Freunden, die Bildung von Gruppen, das Schreiben von Kommentaren, den Download von Spielen und Avataren oder das Publizieren von persönlichen Neuigkeiten. Es gibt Seiten, die ihren Ursprung im stationären Internet haben, auf die per keitai aber ebenfalls zugegriffen werden kann, und es gibt spezielle Seiten für die ausschließliche Nutzung auf mobilen Endgeräten.
Social Web
Quelle: Eigene Darstellung
2.3.2 Akzeptanz und Ausblick
Während über das Anwendungsspektrum der japanischen Mobiltelefone schon allein wegen des unternehmerischen Interesses am ‚Erfolgsmodell Japan‘ vergleichsweise viel zu erfahren ist, ist es weitaus schwieriger, aktuelle Zahlen und Daten zur Nutzung und Reichweite der einzelnen Dienste zu finden. Wegen der starken Marktbewegun-
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gen sind diese zudem oft schon veraltet, sobald sie publiziert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Eine solide Datenbasis stellen sowohl die „Internet Usage Trends in Japan“ (2000-2005, s.o.) als auch das White Paper „Information and Communications in Japan“ und der „Communications Usage Trend Survey“ dar. Die letzteren beiden werden jährlich vom japanischen Ministry of Internal Affairs and Communications (MIC) herausgegeben, enthalten aber keine differenzierten Angaben zur Nutzung einzelner medialer Anwendungen oder Funktionen des keitai. Darüber hinaus veröffentlicht die japanische Telecommunications Carrier Association (TCA) regelmäßig Zahlen zur Verbreitung von mobilen Kommunikationstechnologien in Japan. Für den Monat Juli 2009 ist der aktuelle Stand mit 113 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am japanischen Mobilfunkmarkt angegeben.29 Davon entfallen 4,5 Millionen auf PHS-Geräte, während mehr als 107 Millionen Japanerinnen und Japaner die Dienste der drei großen Mobilfunkbetreiber DoCoMo, KDDI und Softbank abonniert haben.30 Hiervon haben wiederum knapp 92 Millionen Zugriff auf das mobile Internet, also etwa 86 Prozent, und über 101 Millionen beziehen bereits den Mobilfunk der 3. Generation (vgl. TCA 2009). Wertet man die Ergebnisse des Communications Usage Trend Survey von 2008 aus, so zeigt sich nicht nur, dass das Mobiltelefon in fast allen Altersgruppen eine im Vergleich zum Computer höhere Reichweite hat. Es wird auch eine – wenngleich nicht allzu signifikante – Diversität bei den genutzten Optionen deutlich.31 Viele der im vorherigen Abschnitt vorgestellten Innovationen mögen zwar auch in Japan noch nicht auf ein Massenpublikum treffen, werden hier aber bereitwilliger aufgenommen als in anderen Ländern. Gerade die un29 Die Zahlen der Telecommunications Carrier Association differieren leicht von den statistischen Angaben der Communications Usage Trend Surveys. 30 Die restlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Kunden des relativ kleinen Mobilfunkbetreibers emobile, der hauptsächlich drahtlose Netzwerkkarten vertreibt, die den mobilen Zugang zum Internet von tragbaren Computern aus ermöglichen. 31 Bei den Internetanwendungen, auf die per keitai am stärksten zugegriffen wird, stehen der Abruf und das Senden von E-Mails an der Spitze (54,5 Prozent), gefolgt von mobilen Einkäufen (30,1 Prozent), dem Abruf und der Nutzung digitaler Inhalte wie Musik, Bilder und Spiele (21,8 Prozent) und dem Betrachten von persönlichen Homepages oder Weblogs (16,3 Prozent). Eher von geringer Bedeutung – oder noch im Anfangsstadium – schienen zu diesem Zeitpunkt die Teilnahme an mobilen Auktionen (5,3 Prozent), das Engagement in Onlinespielen (4,2 Prozent) und die Vernetzung auf mobilen Social Networking Sites (3,0 Prozent) zu sein. Die E-Money Funktion mittels eines kontaktlosen, in das keitai integrierten Chips verwendeten Ende 2008 erst 8,7 Prozent der befragten Nutzerinnen und Nutzer. Zu anderen medialen Anwendungen des Mobiltelefons liegen in dieser Studie keine Angaben vor (vgl. Communications Usage Trend Survey 2008).
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
terhaltungszentrierten Dienste wie Musik und Spiele, aber auch die kommunikativen Funktionen des keitai, insbesondere die schriftlichen Modi, zeigen bei den japanischen Nutzerinnen und Nutzern einen anhaltenden Erfolg. Insgesamt scheint das keitai eine Technologie darzustellen, deren Integration in alltägliche Abläufe durch Funktionen wie E-Money und Location Based Services gefördert und unterstützt wird. Nicht zuletzt haben die vergleichsweise lange Tradition des mobilen Internets und dessen massenhafte Adaption in Japan dazu beigetragen, dass das keitai heute nicht nur als ernstzunehmende Technologie für den Zugang zu Internetdiensten gebraucht wird, sondern durch seine Mobilität und Verfügbarkeit die soziale, räumliche und zeitliche Durchdringung des alltäglichen Lebens mit Formen der Medienkommunikation potenziert hat. Der hier dargestellte Überblick hatte zum Ziel, verschiedene Ebenen dieser medialen Durchdringung des Alltags etwas greifbarer zu machen, indem er aufgezeigt hat, auf welche Weise das keitai heute genutzt werden kann, welche Anwendungsoptionen und Einsatzmöglichkeiten es bietet. Durch die Einbettung in den historischen Kontext sollte darüber hinaus deutlich geworden sein, dass die Entwicklung und Ausdifferenzierung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan keine unmittelbare Folge technologischen Fortschritts ist, sondern durch das Handeln der Nutzerinnen und Nutzer unerwartete Verläufe und Dynamiken angenommen hat. Auf diese Darstellung wird vor allem in Kapitel 5 wieder Bezug genommen, in dem es darum geht, die hier eher deskriptiv gehaltenen Ausführungen um eine analytische, die spezifischen kulturellen Kontexte berücksichtigenden Perspektive zu erweitern.
3. THEORETISCHE BEZÜGE: KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
In diesem Kapitel geht es um die Verortung der Arbeit innerhalb von Theorien, die sich mit Konzepten von Kultur, Kommunikation und Medien auseinandersetzen und darauf aufbauend gegenwärtige, mit dem Aufkommen und der zunehmenden Verbreitung neuer Medien in Zusammenhang stehende Wandlungsprozesse reflektieren. Diese Reflexionen dienen als Ausgangspunkt für die Analyse Japans als mobile Medienkultur. Dabei stellt sich die Frage, unter welchen Vorannahmen eine solche Analyse hier vorgenommen werden soll. So prägend die Einflüsse von neuen Medientechnologien auch sein mögen, ihre Nutzung findet nicht in einem Vakuum statt. Was sie als Phänomen interessant macht, steht im Zusammenhang mit einer Kultur, in die sie eingebunden sind. Diese Kultur und ihr Zusammenwirken mit Mobilkommunikation gilt es im weiteren Verlauf näher zu betrachten. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine sorgfältige und systematische kulturelle Kontextualisierung von Mobilkommunikation fruchtbar gemacht werden kann für die Analyse von Mobilkommunikation auch anderer (Medien-)Kulturen. Aus diesem Grund findet hier eine Orientierung an Ansätzen statt, die eine solche kulturelle Kontextualisierung unterstützen. Dafür geeignet erscheint die Theorieformation der Cultural Studies, die von einem erweiterten Kulturverständnis ausgeht und in ihren Medienanalysen versucht, unterschiedliche Kontexte zu berücksichtigen. Das Kapitel wird daher zweierlei leisten: Erstens erläutert es eine Auffassung von Cultural Studies als Projekt, dessen Theorienpluralismus die vielfältigen, die Mobilkommunikation begleitenden Faktoren zu untersuchen erlaubt (Kapitel 3.1). Und zweitens definiert es unter Berücksichtigung weiterer theoretischer Ansätze Schlüsselbegriffe wie Kultur, Kommunikation und Medien, die in einem Konzept von Medienkultur zusammengeführt werden (Kapitel 3.2). Die diskutierten Theorien werden in Kapitel 3.3 zu einigen für das Vorhaben dieser Arbeit grundlegenden Erkenntnissen verdichtet und einer abschließenden Reflexion unterzogen.
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
3.1 CULTURAL STUDIES ALS ÜBERGREIFENDE
PERSPEKTIVE
Zunächst wird dargestellt, warum insbesondere die Cultural Studies für eine Analyse von Medienkultur – wie sie hier verstanden wird1 – geeignet erscheinen. Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen legen die Cultural Studies einen besonderen Fokus auf das Medienhandeln der Menschen und ordnen es in einen erweiterten sozialen und ökonomischen Kontext ein. Zum anderen handelt es sich dabei um ein komplexes Theoriegebilde, das verschiedene Theorien und Ansätze in sich inkorporiert. Diese Theorienvielfalt der Cultural Studies wird in vier Argumentationsschritten einer eingehenden Erläuterung und Diskussion unterzogen. (1) Als Erstes erscheint es wichtig, auf die Kontextgebundenheit von (Medien-)Technologien hinzuweisen. Will man die Prozesse des technologischen Wandels verstehen, an dem Mobilkommunikation heute maßgeblich beteiligt ist, müssen auch die Kontexte verstanden werden, innerhalb derer Medientechnologien Bedeutungen erhalten. Das Konzept der Kontextualität verweist darauf, dass alle kulturellen Praktiken in ihrer Beziehung zu anderen kulturellen Praktiken sowie zu sozialen und historischen Strukturen zu betrachten sind.2 Medientechnologien und Medientexte dürfen demnach nicht auf sich selbst reduziert werden, sondern sie stehen als Teil eines fortwährenden kulturellen Prozesses der Bedeutungszirkulation in ständiger Wechselwirkung mit anderen Texten und dem sozialen Leben. Vor allem aus diesem Grund dienen die Cultural Studies als theoretischer Bezugspunkt dieser Studie, in der das Zusammenspiel von Mobilkommunikation, Kultur und Gesellschaft im Zentrum steht. Denn die Cultural Studies werden von ihren Vertreterinnen und Vertretern explizit als eine Formation angesehen, die Medienhandeln nicht losgelöst von Kultur und Kultur nicht losgelöst von Gesellschaft, Politik und Ökonomie versteht und daher einen erweiterten Theorierahmen erfordert: „Cultural studies insists that culture must be studied within the social relations and system through which culture is produced and consumed, and that thus study of culture is intimately bound up with the study of society, politics, and economics.“ (Kellner o.J.b: 2)
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Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Begriff und Konzept der Medienkultur findet sich weiter unten in diesem Kapitel. Dass die Zeit- und Kulturgebundenheit von Medien nach historischen Untersuchungen verlangt, stellt auch Krotz (2007a) in seiner Theorie der Mediatisierung heraus: „Mediatisierung als Prozess darf nicht historisch, sozial und kulturell entkontextualisiert werden“ (ebd.: 39; Hervorh. im Orig.).
KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
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Die theoretische Grundlegung für einen Zugang, der den Gebrauch von Technologien und Medien nicht als einen isolierten Prozess untersucht, der also niemals von einer einseitigen Determinierung menschlicher Handlungen durch Technologien, sondern von einem komplexen Geflecht der gegenseitigen Abhängigkeit unterschiedlicher Faktoren spricht, lässt sich in der semiotischen Ausrichtung der Cultural Studies finden. Diese wurde in Stuart Halls wegweisendem, in den 1970er Jahren erstmals veröffentlichtem Text „Encoding, Decoding“ (1999) dargelegt. Hall beschreibt darin Medienkommunikation als einen stetigen Prozess, der sich dadurch auszeichnet, dass Bedeutungsproduktionen sowohl bei der Produktion als auch bei der Zirkulation und Aneignung von Medienbotschaften erfolgen. Kommunikation wird hier an eine aktive Leistung des Individuums zurückgebunden, das den vermittelten Botschaften in der Rezeption Bedeutung gibt, dabei aber selbst als sozial situiertes, von Kontexten und Diskursen, von Gesellschaft und Politik beeinflusstes Subjekt erscheint (vgl. ebd.: 92ff.). Abgeleitet von diesem Verständnis wird der soziale Gebrauch von Medientexten – in einer erweiterten Lesweise aber auch von Medientechnologien – als Aneignung und Anpassung an eigene lebensweltliche Kontexte gelesen, wobei zum Teil die kreativen und auch widerständigen Möglichkeiten dieser Anpassungsleistungen (über-)betont werden (vgl. z.B. Fiske 1992). (2) Ein zweiter Aspekt von Cultural Studies, der in diesem Zusammenhang von Relevanz ist, liegt in ihrem handlungsorientierten Zugang. Als einen handlungstheoretischen Ansatz bezeichnet Krotz (2008a: 36) die Cultural Studies „wegen ihres semiotischen Grundverständnisses der sozialen und kulturellen Welt“. Unter der gleichen Annahme identifiziert Winter (2008: 304) als Errungenschaft der Cultural Studies die Erkenntnis, dass Menschen als sozial Handelnde und nicht als „kulturelle[n] Deppen“ (ebd.: 305) aufgefasst werden, worauf bereits Harold Garfinkel (1967) hingewiesen hat (siehe auch Müller 1993: 56). Dies soll aber nicht bedeuten, dass die Cultural Studies von einem autonomen und in seinen Wahlmöglichkeiten völlig freien Individuum ausgehen. Vielmehr ist bei ihnen die Annahme unterstellt, dass medienbezogenes Handeln innerhalb bestimmter Interpretationskontexte stattfindet, die von gesellschaftlichen, machtpolitischen und ökonomischen Diskursen geformt werden. Die Cultural Studies verfolgen demnach den theoretischen Anspruch, dass sie nicht nur kulturelle Phänomene thematisieren, „sondern immer auch eine explizite Gesellschaftstheorie mitdenken“ (Krotz 2007a: 80): „Im Vordergrund stehen gesellschaftsstrukturelle Bedingungen, beschrieben wird die Mediennutzung des sozialen Subjekts im Schnittpunkt gesellschaftlicher Diskurse. Es ist über die Medien in dieses Netz von Gesellschaft konstituierenden Diskursen eingebunden und bedient sich umgekehrt im
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ihm zur Verfügung stehenden Rahmen seiner Alltagsbewältigung und deren struktureller Schwierigkeiten der Medien.“ (Ebd.: 81)
Auch hier wird deutlich, dass eine kulturorientierte Untersuchung der Mobilkommunikation auf produktive Weise an die Theoriebezüge der Cultural Studies anknüpfen kann, da diese die Aufmerksamkeit zwar einerseits auf individuelle Aneignungsprozesse richten, andererseits aber die sozialen, ökonomischen und kulturellen Faktoren dieser Aneignung theoretisch zu fokussieren versuchen. (3) Dass Medienhandelnde und ihre Sinnproduktionen ernst genommen und sie nicht als ‚kulturelle Deppen‘ kategorisiert werden, hat sehr viel mit einem dritten wichtigen Aspekt der Cultural Studies zu tun, nämlich ihrem politischen Selbstverständnis. Eines der bestimmenden Kennzeichen von Cultural Studies, auf das sich alle Vertreterinnen und Vertreter der Theorieformation einigen können, ist ihr politischer Impetus (vgl. Hall/Birchall 2006: 2): „Die wissenschaftliche Theoriebildung und Forschung sind von der Grundintention des Ansatzes her performativ, strategisch und interventionistisch angelegt […]. Sie [die Cultural Studies; C.P.] möchten zur Lösung wichtiger wirtschaftlicher, sozialer und politischer Probleme beitragen.“ (Winter 2008: 302)
Begonnen als emanzipatorisches Projekt in der von traditionellen Klassenunterschieden stark geprägten britischen Gesellschaft geht es den Cultural Studies nicht nur um die theoretische Betrachtung von Gesellschaft, sondern auch um konkrete Veränderungen, die an einem positiven Verständnis der Kultur der Arbeiterklasse und an einem insgesamt erweiterten Kulturbegriff ansetzen (vgl. u.a. Hoggart 1971; Thompson 1968; Williams 1958). Krotz (2007a: 79) weist auf die politischen Wurzeln der Cultural Studies hin, die zunächst eine marxistisch fundierte Kultursoziologie gewesen sind, bevor sie in ihrer weiteren Theorieentwicklung dazu übergingen, andere Bezugskonzepte wie das der Semiotik, des Poststrukturalismus oder der vor allem von Lacan geprägten Psychoanalyse in sich aufzunehmen. Der anfängliche Fokus auf die Emanzipation der Arbeiterklasse wurde später auf die Ermächtigung von Minderheiten erweitert; neben der Beschäftigung mit Klasse wurden Auseinandersetzungen mit Geschlecht und Rasse zu wichtigen Bezugspunkten des interventionistischen Verständnisses (vgl. Kellner 1999: 352). (4) Die Cultural Studies lassen sich als interdisziplinär verstehen, was zum vierten hier relevanten Aspekt führt. Denn das politische Verständnis und die Orientierung an verschiedenen Theoriekonzeptionen hängen unmittelbar miteinander zusammen. Hepp (2008a: 114) macht deutlich, dass die Cultural Studies und eine davon abgeleitete
KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
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Kulturtheorie schon ihrem Wesen nach transdisziplinär sind. Sie kombinieren unterschiedliche Ansätze und überschreiten auf diese Weise disziplinäre Grenzen, wie Kellner weiter unten beschreibt. Dies sei auch der Grund dafür, dass die Cultural Studies anderen politisch ausgerichteten Formationen wie der Kritischen Theorie oder postmodernen Theorien nahe stehen. Die Überschreitung führe auch dazu (oder soll dazu führen), dass die – zumindest in Deutschland noch immer sehr undurchlässigen – Grenzen zwischen Kommunikations- und Medienwissenschaft letztlich aufgehoben werden. „Critical theory, postmodern theory, and the project of British cultural studies all surmount disciplinary boundaries and thus the bifurcation of the field into specialized studies of culture and communications with separate and opposing methods and goals. These theories combine – at their best – political economy, social theory, cultural analysis, philosophical speculation, and political critique, and thus potentially overcome the disciplinary crisis I described by overcoming specialization which bifurcates the field of study of the media, culture, and communications into separate and competing disciplines. These alternative approaches also destabilize the discipline and open up the study of culture and communications to the fields of history and society.“ (Kellner o.J.a: 4)
Die Cultural Studies verknüpfen, so Kellner, eine große Bandbreite von Theorien, um sich mit einer ähnlichen Bandbreite von Phänomenen zu beschäftigen, die mit Medien, Kommunikation und Kultur in Verbindung stehen (vgl. ebd.). Die Impulse für diese Theorienvielfalt, so ließe sich im Anschluss daran anmerken, ergeben sich aber nicht allein aus dem politischen Verständnis der Cultural Studies, sondern auch aus der höheren Komplexität von Medienkultur in der Gegenwart. Die Cultural Studies reagieren auf diese erhöhte Komplexität. Sie suchen, so Silverstone (2007), nach Antworten auf die Fragen, die uns die Medien stellen. Dabei können und dürfen sie aber keine endgültigen Antworten geben. „Obwohl es durchaus attraktiv wäre und auf den ersten Blick oft überzeugend klingt, ist die Theorie der Medien nicht zu haben.“ (Ebd.: 17f.) Krotz et al. (2008) schließen an dieses Zitat an, wenn sie Theorieentwicklungen in der Medien- und Kommunikationswissenschaft schildern: „Es zählt weniger die Abgrenzung als vielmehr die Spezifikation einzelner Perspektiven und die in der Folge oft Teildisziplinen und Disziplinen übergreifende Integration und Vernetzung. Damit wird der Vorteil von Theorienvielfalt deutlich: Theorien ermöglichen verschiedene Perspektiven auf ihre Gegenstände, die sie verschieden konzeptualisieren. Unterschiedliche Kommunikations- und Medientheorien schließen sich daher nicht notwen-
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
dig aus, sie ermöglichen vielmehr erst verschiedene Perspektiven und entsprechend einen theoriegeleiteten Diskurs.“ (Ebd.: 11f.)
Theorienvielfalt – und im Übrigen auch Methodenvielfalt (vgl. Couldry 2000: 110) – findet unter dem Mantel der Cultural Studies also einerseits Platz, weil ihr politischer Ansatz die unterschiedlichsten Varianten der Kultur- und Medientheorie für ein emanzipatorisches Projekt verpflichtet. Andererseits rechtfertigt sie sich dadurch, dass der Wandel der Medienkultur nicht nur für eine Entgrenzung auf dem Gebiet der Kulturen, sondern auch für eine Entgrenzung auf dem Gebiet der Theorien sorgt. Auch dieser Aspekt spricht dafür, dass die Cultural Studies als ein andere Theorien aneignendes Rahmenkonzept geeignet dafür erscheinen, die Einordnung von Mobilkommunikation in eine spezifische Medienkultur zu beschreiben und zu verstehen.
3.2 SCHLÜSSELBEGRIFFE
UND
-KONZEPTE
Nachdem dieser offene Theoriezugriff bei den Cultural Studies begründet wurde, folgt nun eine Diskussion von Schlüsselbegriffen, die für das weitere Verständnis dieser Arbeit leitend sind. Die folgenden Begriffsdefinitionen sind als Bausteine zu begreifen, die sich zu einem Konzept von Medienkultur zusammenfügen. Sie orientieren sich zu einem Großteil an den Theorieauslegungen der Cultural Studies. Darüber hinaus beziehen sie sich auf weiterführende Entwürfe und teils auch alternative Ansätze, die dabei helfen, jeweils bestimmte Aspekte der Begriffe von Kultur, Kommunikation und Medien herauszustellen und für eine Analyse von Medienkultur fruchtbar zu machen. 3.2.1 Kultur
In den Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit dem Kulturbegriff beschäftigen, kursieren zahlreiche – sowohl wertende als auch wertneutrale – Definitionen und Verwendungsweisen, die in ihrer Heterogenität und Vielzahl an dieser Stelle nicht umfassend vorgestellt und diskutiert werden können (für einen Überblick siehe beispielsweise Krotz 2003: 23ff.).3 Ziel dieses Abschnittes ist es vielmehr, an eine spezifische Bestimmung von Kultur heranzuführen, die zunächst einer näheren Erläuterung und Auseinandersetzung bedarf, damit sich die vorliegende Arbeit im weiteren Verlauf an ihr orientieren und wieder an sie anknüpfen kann. 3
Ein derartiger Definitionspluralismus gilt im Übrigen genauso für die Begriffe der Kommunikation und Medien, die in den folgenden Abschnitten noch genauer bestimmt werden.
KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
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In „Keywords. A Vocabulary of Culture and Society“ (1983) beschreibt Raymond Williams Kultur als einen der schwierigsten Begriffe, die es in der englischen Sprache gibt (vgl. ebd.: 76). Der Grund hierfür liege in einer komplexen Begriffsgeschichte, die im europäischen Raum unterschiedliche Bedeutungen des Wortes hervorgebracht hat. Kultur ist ein relativ junger Begriff, der erst im 18. und 19. Jahrhundert einen etwas stärkeren Gebrauch gefunden hat, vor allem in der Gegenüberstellung von lokaler Volkskultur und einer von Rationalismus und von Materialismus geprägten Zivilisation (vgl. ebd.: 79). Kultur wird hier von Denkern wie Johann Gottfried Herder in einem anthropologischen Sinne gebraucht, einem Verständnis von Kultur als Lebensform von Menschen in einer bestimmten Zeit und Epoche folgend. Dies steht dem eher wertenden Gebrauch des Wortes gegenüber, bei dem Kultur (im Sinne von Hochkultur) eine Entwicklung, eine ‚Kultivierung‘ der menschlichen Gesellschaft und ihrer Umgangsformen meint und deren künstlerische, ästhetische und intellektuelle Beschäftigungen (Musik, Tanz, Malerei, Literatur) benennt (ebd.: 80). Kultur als Kunst, als Bezeichnung höher entwickelter menschlicher Tätigkeiten und Interessen und somit auch als Abgrenzung zur Unterhaltungsindustrie, entspricht zwar noch immer einem gängigen Verständnis von Kultur, hat aber immer wieder Unbehagen hervorgerufen. Denn mit diesem Gebrauch sind Unterscheidungen zwischen dem Wertvollen und dem Wertlosen verknüpft, dem Hohen und dem Niedrigen, die immer auch soziale Unterschiede implizieren und zu Hierarchisierungen führen (vgl. ebd.: 81). Die Cultural Studies nehmen im Gegensatz dazu eine andere Perspektive auf Kultur ein. Ihr erweitertes Verständnis von Kultur als Gesamtheit einer Lebensweise überwindet diesen Dualismus eines hierarchischen, elitären Kulturverständnisses und beinhaltet als gelebte Kultur alle gesellschaftlichen Praktiken des täglichen Lebens. Hier wird bereits deutlich, dass die von Raymond Williams und dessen programmatischen Auffassung von Kultur als „whole way of life“ (1958) stark beeinflussten Cultural Studies den Kulturbegriff in eine bestimmte Richtung verändert haben. Andreas Hepp (2008a: 115), der sich auf Williams (1965) und die bei ihm zu findende Bestimmung von drei verschiedenen Kulturdefinitionen bezieht,4 nennt dieses als Lebensform gedachte Verständnis die anthropologische Bestimmung von Kultur. Es stelle ein normativ offenes Konzept dar, bei dem Kulturanalyse das Herausarbeiten von Grundmustern und -formen von Lebensweisen erfordere, in denen Medien eine wichtige Rolle spielen 4
Neben der Bestimmung von Kultur als „whole way of life“ führt Williams (1965: 57-88) zwei weitere Definitionen von Kultur zum einen als Zivilisation und zum anderen als Hochkultur an, denen in seiner Auffassung auch unterschiedliche Arten von Kulturanalyse entsprechen (vgl. Hepp 2008a: 115).
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(vgl. ebd.). Kultur bezeichnet hier also nicht einen Unterschied zwischen Kultur und Nicht-Kultur, sondern bezieht sich auf alle Formen der Tätigkeit von Menschen und ihre Erfahrungen. Zentrales Moment von Kultur ist die Sprache, denn symbolisches Handeln und Bedeutungszuweisungen prägen, so Hepp, Kultur als Lebensform (vgl. ebd.: 116f.). Hepp (2008a) verweist hier auf die semiotische Prägung der Cultural Studies, die Kommunikation nicht als das Übertragen von Informationen, sondern als die auf Zeichen bezogene Zuweisung von Bedeutung verstehen (vgl. ebd.: 117). Das Kulturverständnis der Cultural Studies ist somit stark von Impulsen aus der modernen Sprachwissenschaft und der Semiotik geprägt, die für die Kulturund Geisteswissenschaften in den 1970er Jahren – unter der Bezeichnung linguistic turn bzw. cultural turn – an Bedeutung gewannen. Die damit verbundenen Implikationen beschreibt Stuart Hall (2002): „Der cultural turn ist eng mit der neuen Auffassung von Sprache verbunden. Kultur kann nämlich als Summe der verschiedenen Klassifikationssysteme und diskursiven Formationen verstanden werden, die Sprache verwendet, um den Dingen Bedeutung zuzuordnen.“ (Ebd.: 108)
Im Anschluss an den Ethnologen Clifford Geertz (1991), für den Kultur ein geordnetes System von Bedeutungen und Symbolen darstellt, über das gesellschaftliche Interaktion stattfindet, beschreiben Thomas und Krotz (2008: 26) Kultur als „eine aufeinander bezogene Menge von Zeichen, die Bedeutung tragen und vermitteln, und damit im Kern das Geflecht von Bedeutungen, auf das die Menschen (die ja Kultur herstellen, modifizieren und entwickeln) ihr soziales Handeln ausrichten.“ Für die Kulturanalyse bedeutet dies, dass Muster der Bedeutungszuweisung und der diskursiven Praktiken herauszuarbeiten sind, von denen Kultur, Alltag und Identität geprägt sind. Der Umstand, dass Sprache und Kultur die Identität des Menschen und die Vorstellung von seinem Selbst bestimmen, macht es schwer, zwischen einem Innen (dem Ich) und einem Außen (der Kultur) zu unterscheiden (vgl. Hall 2002: 105). Daher ist, wie Krotz und Thomas (2008: 25) mit einem Hinweis auf E. P. Thompson deutlich machen, von einem prozessualen Charakter von Kultur zu sprechen: Weder darf Gesellschaft jenseits kultureller Erfahrung, noch darf Kultur als abseits von Gesellschaft verstanden werden, sondern beide bestimmen und verändern sich gegenseitig. Nick Couldry (2000: 99) betont im Zusammenhang mit den Arbeiten des Ethnografen Ulf Hannerz, dass Kultur die Bedeutung hat, die Menschen schaffen, diese Bedeutung aber zugleich auch die Menschen als Mitglieder einer Gesellschaft formt. Anders ausgedrückt: Kultur macht Menschen, aber Menschen machen auch Kultur. Kultur stellt dementsprechend, so resümieren Krotz und Thomas (2008: 27),
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ein „prozesshaftes Geschehen, das eine Symbol- als auch Handlungsdimension umfasst“ dar. Daher sollte sich die Analyse von Kultur mit Prozessen des Machens, Aushandelns, Fabrizierens etc. beschäftigen, da diese die Kultur der Gegenwart schaffen (vgl. ebd.). So erscheint Kultur als offener Begriff, als etwas, das produziert wird und sich ständig wandelt, und nicht als ein statischer Zustand, der einseitig auf das Handeln der Menschen einwirkt. In seinem Aufsatz „Die Zentralität von Kultur“ (2002) bemerkt Stuart Hall, dass das Leben von Kultur ‚durchzogen ist‘, diese „in alle Bereiche des sozialen Lebens vordringt“ und von unserem Alltag Beschlag nimmt (vgl. ebd.: 100). „Auf […] vielfältige Art lässt sich erkennen, dass Kultur keine ‚soft option‘ ist. Sie kann nicht länger als eine unwichtige und nebensächliche Variable im Kontext dessen behandelt werden, was die moderne Welt bewegt, sondern bestimmt deren Form, Charakter und Innenleben selbst.“ (Ebd.)
Hall behauptet nicht, dass es heute mehr Kultur gibt als früher, denn das würde einem Verständnis von Kultur widersprechen, das sich auf alle Aspekte einer Lebensform bezieht. Er macht auf diese Weise jedoch zum einen darauf aufmerksam, dass inzwischen viele gesellschaftliche Antagonismen auf der Ebene von Bedeutungen ausgefochten werden. Zum anderen schärft er den Blick dafür, dass z.B. Technologien und andere Objekte in einem stärkeren Sinn nicht einfach nur da sind, sondern in bestimmten Kontexten ihre Bedeutung bekommen. Kultur lässt sich demzufolge also nicht als eine zusätzliche Dimension unseres Lebens begreifen, etwa als eine verfeinerte, bewusster erlebte Sphäre menschlichen Seins, sondern muss als eine umfassende und bestimmende Dimension unseres Lebens verstanden werden. Sie ist nicht selbstverständlich und festgeschrieben, sondern wird von Subjekten produziert, formt aber zugleich Subjekte durch die ausgehandelten Bedeutungen, diskursiven Praktiken und auch Ideologien, an denen sie sich orientieren. In diesem Verständnis – als Praxis der Bedeutungszuweisung und im Sinne der Cultural Studies auch des Antagonismus’ und des Konflikts (vgl. Hepp 2008a: 116) – liefert Kultur den Boden, auf dem Technologien, Medien und Objekte zu verorten sind. Sie werden Teil kultureller Praktiken und erhalten dadurch ihre Bedeutung.
3.2.2 Kultur und (Medien-)Kommunikation
In diesem Abschnitt wird näher auf die enge Beziehung zwischen Kommunikation und Kultur eingegangen. Beide Gegenstände überschneiden sich und dürfen daher nicht getrennt voneinander betrachtet
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werden. Zwar wird in bestimmten Kontexten noch immer eine unüberbrückbare Differenz zwischen Medien-, Kultur- und Kommunikationswissenschaft (der klassischen Prägung) proklamiert. Dessen ungeachtet finden sich in letzter Zeit jedoch vermehrt Beiträge, die an den Grenzgebieten dieser Forschungsbereiche arbeiten und die unterschiedlichen Perspektiven anhand konkreter Probleme und Fragestellungen produktiv zusammenführen (vgl. u.a. Aufätze in Karmasin/ Winter 2003). Häufig steht hinter diesem Vorhaben die These, dass Kultur – weil es um die kommunikative Handlung der Zuweisung und Aushandlung von Bedeutungen geht – letztlich immer auch mit Kommunikation verknüpft ist. Dabei spielen als Träger von Kommunikation zugleich auch Medien eine signifikante Rolle. Dieses Verständnis ist konstitutiv für einen Zugang, der in der Auseinandersetzung mit mobilen Medientechnologien die von ihnen ermöglichten vielfältigen kommunikativen Handlungen zu fokussieren versucht. Douglas Kellner macht deutlich, auf welche Weise Kultur und Kommunikation zusammengehören. Er fordert daher eine Überwindung der für ihn unsinnigen, nur willkürlichen institutionellen Zwängen geschuldeten Differenzen zwischen den sich mit Kultur und Kommunikation auseinander setzenden Disziplinen: „All culture, to become a social artifact, and thus properly „culture,“ is both a mediator of and mediated by communication, and is thus communicational by nature. Yet „communication,“ in turn, is mediated by culture, it is a mode through which culture is disseminated and rendered actual and effective. There is no communication without culture and no culture without communication, so drawing a rigid distinction between them, and claiming that one side is a legitimate object of a disciplinary study, while the other term is relegated to a different discipline is an excellent example of the myopia and futility of arbitrary academic divisions of labor.“ (Kellner o.J.a: 5f.)
Auch Hepp (2008a) macht auf diesen Zusammenhang aufmerksam, wenn er Kommunikation nicht als Übertragung von Informationen, sondern als eine Form symbolischen Handelns begreift und mit Ien Ang von einer sozialen Praxis „der Produktion, der Zirkulation und des Austauschs von Sinn und Bedeutung“ spricht (Ang 2003: 89; zit. nach Hepp 2008a: 117). Er argumentiert, dass Kommunikation der Kultur nicht nachgeschaltet ist, sondern dass Kultur selbst kommunikativ vermittelt ist, „indem diese durch Kommunikation aufrecht erhalten wie auch über einen Prozess der Sozialisation erworben wird – ein Prozess, der sich letztlich als ein lang anhaltender Vorgang der Kommunikation begreifen lässt“ (ebd.). Friedrich Krotz (2007a) knüpft eine ähnliche Verbindung zwischen Kultur und Kommunikation, indem er die semiotische Dimension der Bedeutungszuweisung
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anspricht, auf der Kultur beruht. Sprache stellt hier eine Bedingung und das Mittel der menschlichen Existenz dar: „Alle Dinge und alle Phänomene unserer Umgebung sind aber deshalb nicht nur sich selbst erklärende materiale Objekte, sondern eigentlich sprachlich und kulturell vom Individuum in der Gesellschaft gedeutete/interpretierte bzw. konstituierte Gegenstände.“ (Ebd.: 55; Hervorh. im Orig.)
Der Ansatz von Krotz geht auf das individuelle, kommunikative Handeln als einem zentralen Aspekt der Interaktion von Medien und Menschen ein. Eine solche Perspektive, die auf die Möglichkeiten der individuellen Aneignung (allerdings innerhalb gesellschaftlicher Kontexte) gerichtet ist, ist für die Cultural Studies wie auch für den Ansatz dieser Arbeit anschlussfähig. Krotz liefert für diesen Aspekt eine theoretische Grundlegung und bezieht sich, um den Akzent auf das Individuum zu legen, nicht allein auf die semiotische Definition von Kommunikation, sondern auch auf das Kommunikationsverständnis von George Herbert Mead und den Symbolischen Interaktionismus. Ein wesentliches Merkmal des Symbolischen Interaktionismus ist, dass er sich von traditionellen Kommunikationsmodellen unterscheidet, in denen Kommunikation lediglich Austausch oder Übertragung von Informationen ist – wie beispielsweise in der so genannten mathematischen Informationstheorie von Shannon und Weaver und ihrem SenderKanal-Empfänger-Modell (vgl. Weaver 2002). Meads Kommunikationsverständnis grenzt sich von solch linearen Modellen dahingehend ab, dass in ihm der Austausch von Zeichen erst zur Kommunikation wird, wenn ihnen durch Zuschreibung von Subjekten Bedeutungen verliehen werden. Kommunikation entsteht somit dann, wenn der äußere Prozess der Informationsübertragung von einem inneren Prozess der Bedeutungskonstitution begleitet wird (vgl. Krotz 2007a: 70). Dieser Prozess geht vom Individuum aus, das Bedeutungen produziert, dabei jedoch auf die äußeren, die Kommunikation prägenden Faktoren reagiert, die in einem inneren Monolog reflektiert werden. Kommunikation vollzieht sich daher nicht allein als Austausch von Informationen, sondern wird als kommunikatives Handeln verstanden, das auf vielfältige Weise auch von situativen und kontextuellen Aspekten abhängig ist. Die auf Kommunikation und Interaktion zielenden Handlungsweisen werden durch verschiedene Faktoren strukturiert, etwa den gemeinsam gebildeten Situations- und Handlungsrahmen, durch Rollen- und Perspektivübernahmen, Antizipationen, durch die Reflexion der Kommunikationssituation in einem inneren Monolog, die Bezugnahme auf einen ‚generalisierten Anderen‘ und damit auf eine objektive Instanz im Kommunikationsgeschehen im Sinne Meads (vgl. ebd.: 72ff.). Man könnte diese Darstellung von Kommunikationsaspekten auch als eine Spezifizierung dessen betrachten, was in den Cultural Studies
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den Kontext von Medienhandeln darstellt. Viele dieser Aspekte spielen in der Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation eine Rolle, weil es dabei um Veränderungen von Gesprächen, Situationen und Handlungen der Beteiligten geht. Der Symbolische Interaktionismus bietet daher einen Ausgangspunkt, um den Wandel von kommunikativem Handeln zu verstehen. Er stellt zugleich die Basis für eine Unterscheidung verschiedener Typen von Kommunikation dar. In seiner Systematik differenziert Krotz (2006: 34) zwischen vier allgemeinen Formen von Kommunikation: (1) Face-to-Face-Kommunikation, (2) mediatisierte interpersonale Kommunikation (z.B. Telefongespräch, Austausch von Briefen oder E-Mails), (3) Kommunikation mit Medien (Medienrezeption bzw. Nutzung standardisierter Medienprodukte), (4) interaktive Kommunikation (z.B. Kommunikation in Computerspielen oder mit Navigationssystemen). Die drei Kommunikationstypen mit Medien sind dabei als Modifikationen der Face-to-Face-Kommunikation zu begreifen, in der die Muster kommunikativen Handelns eingeübt werden und von der die anderen Kommunikationsformen abgeleitet sind (vgl. ebd.: 35; siehe auch Krotz 2007a: 90). Das Mobiltelefon kann für eine solche Systematisierung eine Herausforderung darstellen, weil mit ihm als konvergentem Medium alle drei Formen der Medienkommunikation gleichermaßen zu realisieren sind (siehe Kapitel 5.3). Auch wenn sich diese Überlegungen und Systematisierungen in eine Medienanalyse im Sinne der Cultural Studies einfügen lassen, weil auf spezifische Weise die Zusammenhänge, die Kommunikation formen, ins Spiel kommen, darf ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Positionen nicht unberücksichtigt bleiben. Dem handlungstheoretischen und situativ-prozeduralen Ansatz des Symbolischen Interaktionismus steht laut Krotz (2007a) das strukturorientierte Kommunikationsverständnis der Cultural Studies gegenüber. Beim Symbolischen Interaktionismus geht es um ein Individuum, das sich bewusst gegenüber einer Welt positioniert, die es zu verstehen versucht; bei den Cultural Studies steht nicht das Individuum im Zentrum, sondern es geht primär um die strukturellen Bedingungen, vor deren Hintergrund es sich verortet. Die Rezipierenden werden als „sozial positionierte Subjekte“ verstanden (ebd.: 81), deren Identitätskonstruktionen auf Basis von gesellschaftlichen Diskursen stattfinden (vgl. ebd.). Aber obgleich sich beide Ansätze hinsichtlich ihrer Vorstellungen von Macht, Gesellschaft und Individuum unterscheiden mögen, begreifen sie die Bedeutungsproduktionen des Individuums als einen entscheidenden Aspekt des Medienhandelns. Diese Vorstellung, dass die Kommunizierenden als aktiv Handelnde auftreten, die nicht von den Medien bestimmt werden, sondern auf komplexe Weise mit Medien und mit Kultur interagieren, soll bei der Analyse des Zusammenhangs von Mobilkommunikation und Medienkultur auf produktive Weise fruchtbar gemacht werden.
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3.2.3 Medien
In diesem Abschnitt werden Definitionen des Medienbegriffs dargelegt, in denen (mobile) Medientechnologien nicht als bloße Träger von Informationen begriffen werden. Stuart Halls Hinweis in „Die Zentralität von Kultur“ (2002), dass die zunehmende Gegenwärtigkeit von Medien eine immer größere Bedeutung von Kultur erzeuge, macht darauf aufmerksam, dass auch Medien einen wichtigen Aspekt von Kultur darstellen. Aber genau wie Kultur ist Medium ein Begriff mit einer ebenso kurzen wie überaus komplexen Begriffsgeschichte. Seit dem 17. Jahrhundert ist Medium, so Thomas Mock (2006: 185f.), als naturwissenschaftlicher Terminus gebraucht worden, um die Vermittlung physikalischer Prozesse zu bezeichnen. Im übertragenen Sinn, als ‚vermittelndes Element‘, wird der Begriff seit dem 18. Jahrhundert verwendet, während er im 19. Jahrhundert auch im Kontext von Spiritualismus und Okkultismus Anwendung fand. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Medium in seiner heute am weitesten verbreiteten Bedeutung als Kommunikationsmittel bzw. Informationsträger gebräuchlich – meist im Plural als die Medien und seit der Verbreitung des Rundfunks vor allem im Zusammenhang mit den – früher oft als Massenmedien bezeichneten (vgl. Hasebrink 2006: 10) – Medien der öffentlichen Kommunikation (vgl. Mock 2006: 186). Unter Rekurs auf Faulstich (1994: 21f., 1991: 7-17) stellt Mock (2006: 186) drei aktuelle „Verwendungszusammenhänge“ des Begriffs Medium dar: (1) die Verwendung im alltäglichen Sprachgebrauch, (2) die Verwendung als Fachbegriff in verschiedenen Disziplinen, beispielsweise zur Bezeichnung von Unterrichtsmitteln oder von physikalischem Trägermaterial, und (3) die Verwendung als Gegenstand theoretischer Überlegungen und Reflexionen. Vor allem letzterer Verwendungszusammenhang stellt einen problematischen und umkämpften Bereich dar, der ein weites Spektrum unterschiedlicher Definitionen umfasst, die oftmals konträr zum alltäglichen Gebrauch angelegt sind. Die Bestimmungen des Medienbegriffs reichen von Theorien, die davon ausgehen, dass Medien keine eigene Qualität haben und nur Träger von etwas sind, das sie vermitteln (vgl. z.B. Heider 1999), bis zu den Annahmen der Mediumstheorie von Marshall McLuhan (1968), in der Medien nicht durch ihre Inhalte, sondern durch ihre Form auf den Menschen einwirken oder diesen gar, wie im technikzentristischen Ansatz von Friedrich Kittler (1999), zu einem Anhängsel des Mediums machen. Mock betont (2006: 184, 188f.), dass allen kommunikations- und medienwissenschaftlichen Konzeptionen von Medien die Vorstellung zugrunde liegt, dass diese eine Rolle als ein auf unterschiedliche Weise vermittelndes Element spielen. Bei der Bezeichnung handelt es sich somit um einen Funktionsbegriff, bei dem ein Medium nicht ‚an sich‘ existiert, sondern ein Bindeglied oder Mittel
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darstellt, das Gegenstände miteinander in Beziehung setzt. In Erscheinung tritt es immer nur in Bezug auf etwas anderes. Herauszustellen ist an dieser Stelle, dass Medien keine neutrale Vermittlungsinstanz innerhalb eines kommunikativen Kontextes sind, dass sie also nicht nur Informationen transportieren, sondern auch eine eigene Substanz haben, wie in der Mediumstheorie impliziert ist. Diese Substanz kann zwar nicht fixiert oder auf ein bestimmtes Realobjekt festgelegt werden, prägt jedoch die Strukturen von Wahrnehmung, Kultur und Gesellschaft. Medien sind demnach nicht nur Mittler von Kultur, sondern zugleich auch deren Konstrukteure.5 Sie sind als Techniken oder technische Artefakte zu verstehen, die Wirklichkeit gestalten; sie sind „produktive Instrumente der Weltgestaltung und Welthervorbringung, Konstrukteure der Wirklichkeit und damit auch des Menschen, der in dieser Wirklichkeit lebt“ (Assmann 2006: 55).6 Eine solche Betrachtungsweise bedient sich eines Medienbegriffs, der über die enge Definition von Medien als technische, der öffentlichen Kommunikation und Verbreitung von Aussagen dienende Mittel der Informationsübertragung deutlich hinausgeht (vgl. u.a. Maletzke 1998: 51). Medien gelten in ihr nicht als Bestandteile eines festgelegten Katalogs von Einzelmedien (vgl. Faulstich 1998), sondern sie sind in einem viel umfassenderen Sinn als materielle Träger von Zeichenprozessen, als ‚Ermöglichungsinstrumente‘ zur Generierung von Bedeutungen zu verstehen. Diese Annahme teilend divergieren unterschiedliche theoretische Positionen zum Teil erheblich im Hinblick auf ihre Bestimmung dessen, was als Medium zu betrachten ist.7 5
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Der vorliegenden Arbeit liegt zwar kein technik- bzw. mediendeterministisches Verständnis zugrunde, sie greift aber bestimmte Aspekte der Mediumstheorie auf, die Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass Medien nicht allein durch Aneignung bestimmt sind, sondern auch ein strukturierendes Moment in den Kommunikationsprozess einführen. Das bedeutet, wie weiter oben bereits dargelegt, dass hier nicht von einer ‚Kanallogik‘ von Medien ausgegangen wird, in der sich eine Information mittels Durchwanderung eines bestimmten Kanals quasi aus sich selbst heraus mitteilt. Medien werden stattdessen als notwendige Voraussetzung für die Konstitution von Informationen begriffen, weil Informationen nur dann Bedeutungen entfalten können, wenn sie übermittelt und kommuniziert werden. Bei Harold Innis (1997), der in seinen medientheoretischen Pionierwerken einen dynamischen, geschichtlichen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Medien und der Entwicklung von Gesellschaften feststellt, fungiert eine Vielzahl von Objekten als besondere Medien, beispielweise Ton, sakrale Bauten, Papyrus, Algebra, das Alphabet, Dampfschiffe, Rechtswesen, Religion, Buchdruck etc. Jedes Medium ist nicht nur Träger von Inhalten, sondern verändert das gesamte kulturelle System, die Organisation der Gesellschaft, Religion, Politik und die Vorstellungen der Menschen. Mediengeschichte ist für Innis immer auch Kulturgeschichte, da Medien in seiner Auffassung als Mittel dienen, die es Kulturen ermöglichen, Raum und Zeit zu beherrschen, ihr Fortleben, ihre Ausbreitung und ihre Macht zu sichern.
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Angesichts von zum Teil äußerst weitreichenden Definitionen, die Glühbirnen ebenso wie ‚stumme Diener‘ unter einen Medienbegriff fassen,8 gibt es verschiedene Möglichkeiten, Ordnung zu stiften und Medien zu systematisieren. Zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärmedien wird z.B. in einer oft zitierten Untergliederung nach Harry Pross (1972) differenziert, die mit dem Aufkommen der digitalen Netzmedien Ende der 1990er Jahre noch um die Kategorie der Quartärmedien ergänzt wurde (vgl. Faßler 1997: 147; Winter 2006: 83). Pross führte diese Einteilung ein, um ein erweitertes Medienverständnis zum Ausdruck zu bringen, das nicht ausschließlich auf die ‚klassischen Massenmedien‘ Zeitung, Hörfunk und Fernsehen gerichtet ist.9 Eine andere Einteilung stellt die Unterscheidung in Medien erster sowie Medien zweiter Ordnung dar, die von Kubicek, Schmid und Wagner (1997) vorgenommen wurde, um zwischen der die kommunikative Infrastruktur bereitstellenden Technik und den darauf aufbauenden, institutionalisierten Medien zu trennen. Nach Mock (2006: 189ff.) lassen sich Medien, werden sie als Mittel der Kommunikation verstanden, auch nach ihrer Wahrnehmungs-, Verständigungs-, und Verbreitungsdimension sortieren – eine Kategorisierung, die jedoch nur zu analytischen Zwecken funktioniert. Ein weiteres Grundverständnis fasse Medien, wie Mock darstellt, als Formen der Kommunikation. Medien werden hier als „Formen des sozialen und institutionalisierten Gebrauchs von Mitteln der Kommunikation“ verstanden, „die ihren Ausdruck finden in der Herausbildung und Stabilisierung bevorzugter (allerdings wandelbarer) Verwendungsweisen dieser Mittel und deren Einbindung in den Alltag der Menschen“ (vgl. ebd.: 194). Vor allem diese letztere Auffassung von Medien verweist auf ihre Bedeutung als soziale Phänomene. 8
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Die Beispiele beziehen sich auf die Darlegungen von Markus Krajewski in seinem Probevortrag „Abschnittsbevollmächtigte. Über Stumme Diener und stellvertretene Dinge“ am 23. Oktober 2009 im Rahmen eines Berufungsverfahrens an der Leuphana Universität Lüneburg. Unter Primärmedien werden demzufolge Mittel zur Kommunikation verstanden, die ohne Technologie auskommen, etwa die menschliche Stimme und Körpersprache, wie sie z.B. im Theater oder bei Predigten eingesetzt werden. Sekundärmedien zeichnen sich dagegen durch die Aufwendung von Technik auf der Produktionsseite sowie durch Asynchronität von Produktion und Rezeption aus, sodass hierunter die Schrift, aber auch Medien wie Zeitschriften und Bücher fallen. Zu den Tertiärmedien schließlich zählen elektronische Medien wie Fernsehen, Radio, Telefon etc., bei denen sowohl zur Produktion als auch zur Reproduktion, also zur Rezeption ihrer Inhalte, eine Apparatur benötigt wird. Zusätzlich hierzu sind Quartärmedien mit Protokoll- und Übertragungstechnologien ausgestattet, sodass Sender und Empfänger nicht mehr auf fixe Rollen festgelegt sind, sondern diese mit ein- und demselben Medium beliebig umkehren können (vgl. Bohnenkamp/Schneider 2005: 35f.; Winter 2006: 83).
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Etwas stärker mit einem Alltagsverständnis korrespondiert die Definition von Friedrich Krotz (2008b), der eine pragmatische, auf unseren sprachlichen Handlungen beruhende Bezeichnung von Medien vorschlägt. Er unterstreicht, dass Medien nicht per se existieren, sondern zu Medien gemacht werden, und formuliert damit einen Einspruch gegen Ansätze, bei denen alles und jenes zu Medien wird. Denn Techniken würden „erst da, wo sie eine kulturelle und gesellschaftliche Gestalt erhalten und als Institutionen die Menschen zu Mediennutzern und -rezipienten machen, die vertraut und erwartungssicher damit umgehen“ zu Medien gemacht (ebd.: 49). Krotz nutzt die Offenheit des Begriffs Medium, um eine methodisch wichtige Setzung zu machen. Sein Ansatz bezieht sich auf Medien, die im Alltagsverständnis auch als solche erkannt und vor allem als Kommunikationsmedien wahrgenommen werden.10 Diese Definition stellt zugleich einen Zusammenhang zwischen Medien, Kultur und Gesellschaft her: „Wir sprechen dementsprechend also dann von Medien, wenn es sich um menschlich hergestellte technische, zugleich aber auch um sozial institutionalisierte Einrichtungen handelt, die die Komplexität menschlicher Kommunikation zum Ausdruck bringen können, die Kommunikate von Menschen und von Institutionen der Interpretation anderer Menschen zugänglich machen und die Teil des etablierten gesellschaftlichen Kommunikationssystems sind.“ (Ebd.: 48)
Krotz macht damit auf eine soziale und kulturelle Komponente von Medien aufmerksam, die, wie bereits erwähnt, auch von Mock (2006: 193) angesprochen wird. Auf Grundlage dieser Definition unterscheidet Krotz (2008b) Medien in drei Kategorien: „Medien werden dementsprechend hier verstanden als einerseits Inszenierungsmaschinen, über die sich ein Kommunikator ausdrückt, andererseits als Erlebnisräume, in denen die Rezipienten das szenisch erlebte Geschehen in die von ihnen definierten Kontexte einordnen, um es zu verstehen, und schließlich als gesellschaftliche Institutionen, die Inszenierung und Erleben organisieren und seiner Art nach zu garantieren versuchen – Telefongesellschaften, Rundfunkveranstalter und alles, was damit zusammenhängt.“ (Ebd.: 48; Hervorh. im Orig.)
Diese Definition orientiert sich an dem bereits dargestellten Zusammenhang von Kommunikation und Medien, der den funktionalen As10 Nach diesem Verständnis stellt beispielweise die Autohupe kein Kommunikationsmedium dar, nicht weil mit ihr nicht kommuniziert werden könnte, sondern weil sie die Komplexität menschlicher Kommunikation nicht zu übertragen vermag (vgl. Krotz 2008b: 48).
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pekt des Mediums herausstellt und seine Nutzung als kommunikatives Handeln beschreibt. Dennoch wird hier bereits deutlich, dass mit den Medieninstitutionen auch Akteure ins Spiel kommen, die Medienkommunikation strukturieren, die beispielsweise allein zu dem Zweck agieren, um mit dem Anbieten von Medienfunktionen Geld zu verdienen. Krotz findet die „Subsumption zwischenmenschlicher Kommunikation und kultureller Ausdrucksformen unter die Ziele privater Unternehmen“ problematisch, weil sie „dort funktionalisiert, umgedeutet, reinszeniert, sinnentleert“ werden (ebd.: 61). Die Kritik an den Medieninstitutionen knüpft ebenso wie Krotz’ Definition von Medien an den Begriff der Kommunikation an. Denn er spricht etwa davon, dass sich der ökonomische Einfluss als die Teilnahme einer ‚dritten Person‘ an der Medienkommunikation vorstellen lässt, die auf das Gespräch Einfluss nimmt (vgl. Krotz 2006: 36). Krotz’ Kritik gründet aber nicht nur auf einer veränderten Kommunikation, sondern auch auf einer wachsenden Allgegenwart von Medien und Medientechnologien, wie sie z.B. Roger Silverstone (2007) in seiner Einführung in die Medientheorie beschreibt: „Wir können uns den Medien nicht entziehen. Sie berühren jeden Aspekt unseres täglichen Lebens“ (ebd.: 7). Um die gegenwärtigen Wandlungsprozesse fassen zu können, die mit der Durchdringung fast aller Bereiche unseres Alltags mit neuen und alten, digitalen und analogen Medien verbunden sind, ist eine Synthese der hier skizzierten, zum Teil auseinanderdriftenden Perspektiven notwenig. Für die vorliegende Arbeit ist ein Verständnis von medialer Kommunikation leitend, die weder allein vom Medium her gedacht werden darf noch losgelöst von Inhalten, Beteiligten und Kontexten zu verstehen ist. Einerseits soll so an dem Verständnis von Mediennutzung als kommunikativem Handeln festgehalten werden, das von einem (mehr oder weniger) bewussten Gebrauch des Mediums durch Kommunizierende ausgeht. Andererseits muss der vor allem in technikzentristischen Ansätzen angesprochene Aspekt, dass Medien auf unser Handeln und unsere Vorstellungen einwirken und sich diese Beeinflussung unserer (bewussten) Kontrolle entzieht, mitberücksichtigt werden – dies vor allem deshalb, weil am gegenwärtig zu beobachtenden Wandlungsprozess, der sich mit dem theoretischen Konzept der „Mediatisierung“ (Krotz 2007a) fassen lässt, die Verbreitung des Mobiltelefons in entscheidender Weise mit beteiligt ist.
3.2.4 Mediatisierung
Die Theorie der Mediatisierung hat Friedrich Krotz erstmals in seiner 2001 erschienenen Habilitationsschrift eingeführt und begründet; fortentwickelt wurde der Ansatz im zweiten Band zum Thema, der unter dem Titel „Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunika-
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tion“ 2007 erschienen ist. Unter „Mediatisierung“11 versteht Krotz einen durch das Handeln der Menschen zustande kommenden, medienbezogenen Wandel von Alltag, Identität, sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft (vgl. Krotz 2007a: 14; siehe auch Krotz/Thomas 2007: 33; Thomas/Krotz 2008: 27). Mit dem Konzept der Mediatisierung soll deutlich werden, dass sich Gesellschaften wandeln, wenn sich Medien und Kommunikation wandeln, dass dieser Wandel aber durch das veränderte Handeln der Menschen bedingt ist und nicht durch eine bestimmte Technizität von Medien vorangetrieben wird. Als Prozessbegriff – im Kontrast zu einem Struktur- oder Systembegriff – geht Mediatisierung nicht von stabilen Verhältnissen aus, sondern konzeptualisiert den Wandel als eine andauernde Entwicklung, die als Metaprozess gefasst wird. Anders als der Begriff Prozess, der „für eine räumlich und zeitlich umgrenzte Entwicklung mit einem klaren Anfangs- und Endpunkt und im Großen und Ganzen unstrittigen Veränderungen“ (Krotz 2007a: 11) steht, bezeichnet Metaprozess länger andauernde und Kultur übergreifende Veränderungen, die einen langfristigen Einfluss auf Kultur und Gesellschaft haben. Im Zentrum stehen dabei empirisch feststellbare Entwicklungen des sozialen und kulturellen Wandels, die mit immer komplexeren Medienumgebungen und daraus resultierenden neuen und veränderten Kommunikationsformen zusammenhängen. Mediatisierung ist weder ein aktuelles Phänomen noch ein auf die Zukunft gerichteter Begriff, sondern unterstellt, dass Mediatisierungsprozesse schon immer stattgefunden haben, wenn neue Medien neue Impulse für das Handeln und Kommunizieren der Menschen gegeben haben. Der Ansatz verzichtet bewusst darauf, eine Vorher/Nachher-Dichotomie zu konstruieren, wie sie beispielsweise von Konzepten wie ‚Informationsgesellschaft‘ oder ‚Netzwerkgesellschaft‘ hergestellt wird. Er interessiert sich vielmehr für erfahrbare Entwicklungsprozesse des sozialen und kommunikativen Wandels (vgl. ebd.: 11-21 und 37ff.). Die Theorie der Mediatisierung nimmt Bezug auf Entwicklungsschübe durch neue Medien, aber auch auf allmähliche Veränderungen bereits vorhandener Medien und deren Nutzung. Die sich gegenwärtig vollziehende Medienentwicklung ist laut Krotz – zumindest auf technischer Seite – eng verknüpft mit dem dynamischen Prozess der Digitalisierung. Dieser hat die alten Medien einem massiven Wandel ausgesetzt, „insofern diese neu erfunden und zum Teil simuliert werden“ 11 Zur Verwendung des Begriffs der „Mediatisierung“ in Abgrenzung zur ebenfalls zu findenden Bezeichnung „Medialisierung“ äußert sich Krotz (2008c) u.a. in einem Beitrag in Aviso, in dem er als Gründe für die Bevorzugung von „Mediatisierung“ die Unbesetztheit des Begriffs im Deutschen, dessen Verständlichkeit als „Mediatization“ auch im Englischen sowie die Nähe zum Mediatisierungsbegriff der Geschichtswissenschaft anführt (ebd.: 13).
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(ebd.: 13), und zugleich zu dem Entstehen neuer Medien und Kommunikationsmöglichkeiten beigetragen. Im Mediatisierungsansatz finden sich Bezüge zur Mediumstheorie nach Joshua Meyrowitz (1990), da beide davon ausgehen, dass Medien unabhängig von ihren Inhalten Wirkungen entfalten. Jedoch kritisiert Krotz (2007a) an der Mediumstheorie, dass diese zu technikorientiert ist und im Gegensatz zur handlungstheoretischen Perspektive der Mediatisierung ihr Interesse nicht stark genug auf das veränderte Handeln und Kommunizieren der Menschen richtet, das die sozialen und kulturellen Auswirkungen von Medienentwicklungen ausmacht (vgl. ebd.: 37-49). „Weil das Kommunizieren, insofern Menschen daran beteiligt sind, eine Form sozialen Handelns […] ist, […] müssen sich die Menschen neue Techniken als Medien aneignen, indem sie sie in ihren Alltag integrieren und ihnen spezifische Funktionen, spezifischen Sinn zuweisen. Das tun sie im Rahmen der jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen. Deshalb ist es nicht die Technik, die etwas verändert, sondern der Mensch, der auf der Basis angeeigneter Technik, also mittels Medien, anders kommuniziert und darüber seine Welt auf neue Weise reproduziert.“ (Ebd.: 48f.)
Krotz’ Überlegungen zu einer Theorie der Mediatisierung erweisen sich deshalb als anschlussfähig für diese Arbeit, weil sie den Blick dafür öffnen, dass Medienentwicklungen nicht entkontextualisiert betrachtet werden dürfen, sondern immer „zeit- und kulturgebunden“ sind (ebd.: 39; Hervorh. im Orig.). Es kann daher keine fixierte und zeitlose Definition von Mediatisierung geben, weil sich diese immer in einem spezifischen historischen, sozialen und kulturellen Kontext entfaltet. Derartige Kontexte versucht die vorliegende Arbeit in den Fokus zu rücken, wenn sie spezifische, mit dem Gebrauch des Mobiltelefons im urbanen Japan zusammenhängende Entwicklungen analysiert, die sich innerhalb des übergeordneten Rahmens der Mediatisierung verorten lassen. Auch im Hinblick auf den Umgang mit Theorie knüpft diese Arbeit an den Mediatisierungsansatz an. Da es sich hierbei nicht um ein geschlossenes Konzept handelt, zieht Krotz verschiedene Theoriebausteine heran und versucht diese für die Analyse medienbezogenen Handelns unter den Bedingungen von Mediatisierung fruchtbar zu machen (vgl. ebd.: 18). Dieser pragmatische Zugriff soll insoweit als Orientierung dienen, dass auch in dieser Arbeit nicht an einem singulären Theorieparadigma festgehalten wird, sondern dass verschiedene theoretische Bezüge einen produktiven Zugang zu einem umfassenden Verständnis von Mobilkommunikation ermöglichen sollen. Für eine solche Herangehensweise eignet sich in besonderem Maße auch die Bezugnahme auf die Cultural Studies, wie weiter oben bereits dargestellt wurde.
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3.2.5 Medienkultur
Vor dem Hintergrund der bereits vorgestellten Schlüsselbegriffe findet in diesem Abschnitt eine knappe Auseinandersetzung mit dem Konzept der Medienkultur statt. Medienkultur, so soll hier deutlich werden, bildet einen geeigneten Ausgangspunkt, um die Bedeutung von Mobilkommunikation in einem bestimmten (Kultur-)Raum zu erfassen. Dabei gilt es allerdings die Herkunft des Begriffs zu beachten, die theoretischen Implikationen der unterschiedlichen Definitionen von Medienkultur zu reflektieren und schließlich zu klären, welche Rolle bestimmte kulturelle Faktoren bei der Analyse von Medienkultur spielen. Bei Medienkultur – einem Kompositum aus Medien und Kultur – handelt es sich um einen relativ jungen Begriff, dessen Herkunftsgeschichte zu einem Teil durch Douglas Kellners Arbeit „Media Culture“ (1995) konturiert wurde. Die Bezeichnung weist hier zunächst nur auf die Tatsache einer von Medien geprägten Kultur hin, legt aber den Akzent auf eine Intensivierung dieser Prägung in den letzten Jahren: „A media culture has emerged in which images, sounds, and spectacles that help produce the fabric of everyday life dominating leisure time, shaping political views and social behaviour, and providing the materials out of which people forge their very identities.“ (Ebd.: 1)
Medienkultur – womit sich Kellner vor allem auf Gegenstände wie Fernsehen und Film bezieht – forme Vorstellungen von Geschlecht, von Klassenzugehörigkeit und von Moral und stelle die Alltagskultur („common culture“) für einen Großteil der Menschen dar. Sie liefere das Material, durch das sich der Mensch in die gegenwärtige „technokapitalisische Gesellschaft“ einordne (ebd.). Medienkultur besteht bei Kellner aus den Mediensystemen und -institutionen, die sich um Medien wie Radio, Zeitung oder Fernsehen bilden, und sie stellt eine industrielle Kultur dar, die sich am arbeitsteiligen Modell der Massenproduktion orientiert (vgl. ebd.). Als kritischer Vertreter der Cultural Studies, dem die politischen und ideologiekritischen Aspekte dieser Theorieformation wichtig sind, verwendet Kellner Medienkultur als Alternative zu Begriffen wie Massenkultur und Populärkultur – wobei ihm ersterer zu negativ und letzterer zu positiv besetzt erscheint (vgl. Kellner 1999: 350f.). Kellner nimmt Impulse der kritischen Theorie und der Arbeiten Adornos auf, erkennt jedoch die von Adorno ignorierten kreativen und produktiven Möglichkeiten an, die in der Aneignung von Medien durch die sie nutzenden Individuen zum Ausdruck kommen und die ein zentrales Motiv der Cultural Studies darstellen. Ähnlich wie das Konzept der Mediatisierung bezieht sich Medienkultur auf eine Entwicklung und nicht auf einen Zustand. Denn Kell-
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ner weist darauf hin, dass Medienkultur entstanden ist, und er macht deutlich, dass der Begriff eine Transformation von Kultur meint und nicht nur die Tatsache benennt, dass Kultur immer von Medien bestimmt ist.12 Medienkultur scheint demnach geeignet dafür zu sein, das, was von Mediatisierung geschaffen wird, nämlich eine von Medien bestimmte Kultur, zu analysieren. Auch bei Thomas und Krotz (2008) geht es nicht um die Beschreibung eines statischen Konzepts, sondern um die Auseinandersetzung mit Medienkultur als einem Prozess, bei dem Medien und Kultur in einer integrativen Perspektive zusammengedacht werden. Mit ihrem theoretischen Zugriff versuchen sie Medienkultur von verwandten Begriffen wie z.B. Mediengesellschaft abzugrenzen. Letzterer steht etwa für die Annahme von Mediatisierungseffekten durch eine zunehmende Verbreitung von Medien und deren Durchdringung des Alltags. Laut Thomas und Krotz greift er jedoch zu kurz und geht über den Wert einer Gegenwartsdiagnose nicht hinaus (vgl. ebd.: 19). Die analytische Reichweite eines solchen Konzepts erscheint vor allem deshalb problematisch, weil es lediglich im Blick hat, dass die Kommunikation einer Gesellschaft verstärkt über Medien stattfindet (vgl. ebd.: 17). Bezeichnungen wie ‚Mediengesellschaft‘ oder ‚Informationsgesellschaft‘ hafte somit oft ein pejorativer Beiklang an, da sie implizieren, die zentrale Funktionsweise einer Gesellschaft zu etikettieren, und als Kritik auf eine alle gesellschaftliche Bereiche erfassende Medienlogik verstanden werden.13 Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden sie zu Labels und bringen ein diffuses Unbehagen darüber zum Ausdruck, dass Medien unsere Wirklichkeit bestimmen. Thomas und Krotz weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Begriffe spezifische Entwicklungen häufig nur unterstellen, ohne sich dabei auf empirische Analysen oder ein tragfähiges theoretisches Fundament stützen zu können (vgl. ebd.: 22). Sie schlagen daher vor, Medienkultur an einen prozesshaften, dynamischen Kulturbegriff anzuschließen und mit dem Begriff der Mediatisierung zusammenzubringen. Medienkultur verstehen sie in diesem Sinne als das Produkt von Mediatisierung, das einem ständigen Wandel unterworfen ist: 12 In seiner Mitte der 1990er Jahre erschienenen Monografie stellte das Fernsehen das Leitmedium dieser Veränderungen dar. Inzwischen ist davon auszugehen, dass Computer und mobile Medien zu den Leitmedien eines kulturellen Wandels avanciert sind, den es zu erkunden gilt. 13 Auch bei Kellner (1995) lässt sich, wenn er von Medienkultur als „techno-culture“ spricht, eine Tendenz feststellen, Medien als Strukturprinzip von Gesellschaft zu überschätzen: „Media culture is thus a form of techno-culture that merges culture and technology in new forms and configurations, producing new types of societies in which media and technology become organizing principles“ (ebd.: 2). Dies erklärt sich bei Kellner vor allem dadurch, dass er sich als kritischer Vertreter der Cultural Studies auch auf Ansätze der kritischen Theorie bezieht.
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
„Begreift man Medienkultur als Realisierung mediatisierter kultureller Praktiken zu spezifischen historischen Zeitpunkten in spezifischen gesellschaftlichen Konstellationen, so lässt sich Mediatisierung als fortschreitender Metaprozess einer kulturellen und sozialen Entwicklung im Kontext medialen Wandels begreifen.“ (Ebd.: 28)
In dieser und auch in anderen Bestimmungen14 deutet sich an, dass Medienkultur als Begriff zu verstehen ist, der mehr meint als die Zusammenfügung von Kultur und Medien, der mehr leistet, als unbestimmt auf die negativen, die Gesellschaft deformierenden Aspekte von Medien hinzuweisen, und der eine analytische Dimension hat. Silverstone (2007) macht darauf aufmerksam, dass es in diesem Zusammenhang nicht darum geht, Medientechnologie als einen weiteren Aspekt von Kultur zu sehen, sondern die Technologie selbst als Kultur zu betrachten: „In diesem wie in anderen Zusammenhängen können wir erkennen, daß Technologien als Kultur funktionieren: daß zu ihnen nicht nur das Was, sondern auch das Wie und Warum der Maschine und ihres Gebrauchs gehören und sie insofern ebenso symbolische wie materielle, ästhetische wie funktionale Objekte und Praktiken sind. Von hier aus können wir beginnen, ihr kulturelles Umfeld zu erforschen, das ihnen Bedeutung und Macht verleiht.“ (Ebd.: 51)
Silverstone behauptet also hier zweierlei, und es erscheint wichtig, beide Aspekte im Blick zu behalten: Medientechnologien konstituieren zum einen eine Kultur, zum anderen fügen sie sich in eine Kultur ein, die ihr vorangeht. Dies deutet darauf hin, dass es Faktoren gibt, die die Implementierung einer Medientechnologie begleiten und die es zu analysieren gilt. Dieser zweite Aspekt, dass sich Technologien in eine Kultur einordnen, wird auch von Raymond Williams in seinem Aufsatz „Culture and Technology“ (1994) herausgestellt: „Yet virtually all technical study and experiment are undertaken within already existing social relations and cultural forms, typically for purposes that are already in general foreseen. Moreover, a technical invention as such has comparatively little social significance. It is only when it is selected for investment towards production, and when it is consciously developed for particular social uses – that is, when it moves from being a technical invention to what can properly be called an available technology – that the general 14 Bei Hepp (2008a) findet sich beispielsweise eine knappere Definition, in der als Medienkulturen „all solche Kulturen bezeichnet werden, deren primäre Bedeutungsressourcen mittels technischer Kommunikationsmedien vermittelt bzw. zur Verfügung gestellt werden“ (ebd.: 124).
KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
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significance begins. These processes of selection, investment and development are obviously of a general social and economic kind, within existing social and economic relations, and in a specific social order are designed for particular uses and advantages.“ (Ebd.: 120)
Vordergründig erscheint diese Position als eine selbstverständliche Beschreibung des Zusammenhangs von Technologie und Kultur, die den Annahmen der Cultural Studies folgt und von einem dynamischen Kulturbegriff ausgeht. Aber gerade dieser Aspekt – dass Medienentwicklungen vor dem Hintergrund einer bestehenden Kultur stattfinden und durch diese geprägt werden, während sie sie zugleich verändern – muss betont werden, weil er durch den stärker auf das Neue als auf das Alte fokussierenden Begriff der Medienkultur in den Hintergrund zu treten droht.
3.2.6 Nationale vs. translokale (Medien-)Kultur
In der Auseinandersetzung mit Japan als Medienkultur ist nicht nur die Frage zu stellen, in wie weit sie als Bezugspunkt und Modell zur Erschließung von Mediatisierungsprozessen durch Mobilkommunikation dienen kann, sondern auch, wie sie als nationale Medienkultur mit anderen Medienkulturen in Verbindung steht. In der kulturorientierten Kommunikations- und Medienwissenschaft ist seit einiger Zeit die Tendenz zu einer stärkeren Berücksichtigung einer transkulturellen Perspektive festzustellen, in der grenzüberschreitende Kommunikationsflüsse und globalisierte Formen der Medienkommunikation größere Beachtung finden (vgl. u.a. Beiträge in Hepp/Löffelholz 2002; Hepp 2003; Hepp 2006b). Dies zeigt sich etwa in der gegenwärtigen Häufung von wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit medial vermittelten, über die Grenzen von (National-)Kulturen hinweg verlaufenden Verbindungen auseinandersetzen und diese mit Konzepten wie Netzwerk, Fluss, Konnektivität, Deterritorialisierung und Translokalität in Zusammenhang bringen. In Zeiten einer wachsenden Globalisierung – die nicht nur als ökonomisches Phänomen zu betrachten ist, sondern gleichermaßen Prozesse der Medienkommunikation erfasst – erscheint es in einem transkulturellen Verständnis sinnvoll, eine Perspektivverschiebung vorzunehmen, die von einer unreflektierten Beschäftigung mit Nationalkultur abrückt und stattdessen translokale Lebensformen in den Blick nimmt.15 Dahinter steht die Annahme, dass durch die globali15 Der Begriff der Translokalität verweist bereits darauf, dass konkrete, auch örtliche Lebensweltbezüge nach wie vor einen wichtigen Referenzpunkt von Medienhandeln darstellen: „Grundlegend lässt sich das Wort ‚translokal‘ oder ‚Translokalität‘ als ein Konzept zur Analyse der Konnektivität von Medien in Zeiten der Globalisierung begreifen. Die-
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
sierten Formen der Medienkommunikation „bestimmte, kommerziell produzierte, semiotische Ressourcen an verschiedensten Orten der Welt zugänglich sind und so nationenübergreifende Kristallisationsmaterialien von kulturellen Identitäten sein können“ (Löffelholz/Hepp 2002: 16). Aber auch neuere digitale Medientechnologien wie Mobiltelefon und Internet und deren ortsübergreifende Eigenschaften verändern den lokalen und nationalen Charakter von Kultur, wie Hepp (2006b, 2008a) betont. Er nennt mehrere Punkte, die seinen als translokal verstandenen Medienkulturbegriff von einem traditionellen Verständnis von Kultur unterscheiden, beispielsweise eine stärkere Außen- als Innenorientierung sowie Exogenität (Bestimmung von außen) anstelle von Endogenität (Entstehung von innen). Weitere Merkmale des translokalen Kulturkonzepts seien eine stärkere Erfahrbarkeit von Hybridisierungsprozessen, die Bedeutungszunahme von Übersetzungsleistungen zuungunsten von Authentizität und ein Verständnis von Identität als fortlaufender Prozess der diskursiven Neupositionierung (vgl. Hepp 2008a: 128f.). Viele dieser Aspekte kennzeichnen Entwicklungen, von denen auch eine – vielfach als geschlossen und homogen beschriebene – Kultur wie Japan geprägt ist. Zudem stehen sie im Zusammenhang mit den durch Mobilkommunikation ermöglichten ortsübergreifenden Kommunikationsprozessen. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, ob eine Orientierung an dem Konzept der translokalen Medienkultur zwingend einen Verzicht auf die Beschäftigung mit Nationalkulturen bedeuten muss. In der interkulturellen Medien- und Kommunikationsforschung sind diese lange Zeit als unhintergehbare Bezugspunkte angesehen worden, wobei sie in Hepps Perspektive als „territorialisierter Sonderfall von translokalen Medienkulturen zu begreifen sind“ (ebd.: 131). Ebenso bleibt zu fragen, was der analytische Ertrag eines offenen, translokalen Medienkulturbegriffs ist, solange ungeklärt bleibt, ob und wie es überhaupt möglich ist, wissenschaftliche Arbeit gemäß dieser Perspektivierung auszurichten. Hepp selbst bleibt in seiner Darlegung des translokalen Medienkulturbegriffs unbestimmt, wenn er die Desiderata einer davon bestimmten Forschung beschreibt: „Die Analyse einzelner medienkultureller Phänomene sollte allerdings bei allem notwendigen Theoretisieren diesen analytisch offen gegenüber bleiben, um jeweils konkret deren Spezifik fassen zu können. Zielführend erscheinen ausgehend von einer grundlegenden kulturtheoretischen Ausrichtung kontextuell sensible empirische Analysen unterschiedlicher Medienkulturen,
ses Konzept erscheint für eine solche Analyse aus zwei Gründen angemessen, die man mit dem Wort ‚Lokalität‘ und dem Präfix ‚Trans-‘ verbinden kann: ‚Lokalität‘ betont, dass in Zeiten der Globalisierung die lokale Welt nicht aufhört zu existieren.“ (Hepp 2006b: 54f.)
KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
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die deren Produktions-, Repräsentations-, und Aneignungspraktiken wie auch Identifikationen, Regulationen und Machtzusammenhänge fokussieren.“ (Ebd.: 132)
Inwieweit sich ‚kontextsensible‘ Analysen von Medienkulturen, bei denen eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen ist, realisieren lassen, bleibt hier allerdings offen. Sicherlich lässt sich dieses Forschungsprogramm als eine Anregung dazu lesen, sich mit bestimmten Verdichtungen innerhalb lokaler oder nationaler Medienkulturen zu beschäftigen, ihre Spezifika herauszuarbeiten und dabei die theoretischen Entwürfe von Translokalität mit zu berücksichtigen. Auf Basis dieser Konzeptionen können aus einer transkulturellen Perspektive heraus produktive Schlüsse auch für die vorliegende Auseinandersetzung mit Medienkultur gezogen werden: Kulturen dürfen nicht als geschlossene Zusammenhänge verstanden werden, auf die global übertragene Medieninhalte einwirken, und auch nicht als hermetisch abgeschlossene Container, die keine kommunikativen Konnektivitäten mit ihrer Außenwelt eingehen. Das heißt aber nicht, dass Fragen der Nationalkultur keine Rolle mehr spielen, wie auch in einem translokalen Verständnis von Medienkultur deutlich wird: „Wenn die Auseinandersetzung mit Medienkulturen in Zeiten der Globalisierung sich also auf ‚Translokalität‘ richtet, so betont dies auf der einen Seite, dass das Lokale nach wie vor seine Bedeutung hat, dass auf der anderen Seite aber heutige Lokalitäten sowohl physisch als auch kommunikativ in einem hohen Maße konnektiert sind. Eine Beschäftigung mit Fragen der Translokalität lenkt damit den Blick auf eine Analyse des ‚Wie‘ der gegenwärtigen physischen und kommunikativen Konnektivität.“ (Hepp 2006b: 55; Hervorh. im Orig.)
Diesen Spagat zwischen der Analyse lokaler Bedeutungszusammenhänge einerseits und der Berücksichtigung übergeordneter, von Globalisierungstendenzen geprägter Veränderungsprozesse andererseits zu bewältigen ist das Ziel der kulturorientierten Untersuchung mobiler Medienkultur in Japan.
3 . 3 ZUSAMMENFÜHRUNG
DER
B E GR I F F S K O N Z E P T I O N E N
In diesem Kapitel ist dargestellt worden, auf welche Weise die Cultural Studies Möglichkeiten dafür bieten, als Verständnisrahmen für die Analyse der mobilen Medienkultur Japans herangezogen zu werden. Dabei sind insbesondere deren handlungstheoretische Perspektive sowie deren Eignung als Ausgangspunkt für die Berücksichtigung unter-
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
schiedlicher Theoriebezüge herausgearbeitet worden. Kritisch ließe sich zu den Cultural Studies resümieren, dass sie eine unmittelbare ‚Wirkkraft‘ von Medientechnologien vernachlässigen und jene nur dann als erforschenswerte Gegenstände auffassen, wenn sie sich in die symbolischen und diskursiven Praktiken der Menschen eingeordnet haben, wenn sie also zu Bezugspunkten von Bedeutungszuschreibungen geworden sind (vgl. Bassett 2006: 225). An diese Kritik anknüpfend erscheint es durchaus produktiv – mit der gebotenen kritischen Distanz – Impulse aus technikdeterministischen Ansätzen der Medientheorie aufzugreifen, in denen erforscht wird, wie Medien unabhängig von ihren Inhalten wirken. Medientheoretische Überlegungen gehen auf die Veränderungen der menschlichen Wahrnehmung durch Medien ein und erfassen den Kontext der materiellen Dimension von Medien, der gerade im Zusammenhang mit Mobilkommunikation eine wichtige Rolle spielen kann (vgl. z.B. Daliot-Bul 2007). Die Zusammenführung beider Perspektiven ermöglicht die Analyse von Mobilkommunikation in einer Medienkultur, bei der auf die Voraussetzungen von Medienhandeln Bezug genommen wird, diese aber nicht als gegeben und bestimmend, sondern als von der Kultur, von menschlichen Aktivitäten, hervorgebracht angesehen werden. Auf diese Weise kann der komplexe Prozess einer gegenseitigen Einflussnahme von Medientechnologien und deren aktiven Aneignung durch die Nutzerinnen und Nutzer untersucht werden, wobei dabei sowohl die die Aneignung beeinflussenden Faktoren als auch der medienbezogene Wandel von Kommunikation Berücksichtigung finden. Vor dem skizzierten theoretischen Hintergrund versteht sich die vorliegende Arbeit als eine ‚kontextsensible‘ Studie, die im Sinne des Mediatisierungsansatzes davon ausgeht, dass die intensive Durchdringung des Alltags mit Formen der Medienkommunikation eine veränderte Kultur hervorbringt. Diese Durchdringung gilt es kritisch zu begutachten und zu analysieren, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass der Wandel nicht per se entsteht, sondern sich aufgrund der veränderten Kommunikationsformen der Menschen vollzieht, die sich Medientechnologien aneignen. Die Auslegungen zu den Schlüsselbegriffen sollen für die vorliegende Arbeit insoweit fruchtbar gemacht werden, dass Mediennutzung, wie von Krotz beschrieben, als kommunikatives Handeln zu verstehen ist, bei dem von einem aktiven Individuum – und nicht von Menschen als ‚Anhängsel‘ der Medien – ausgegangen wird. Es werden Impulse von Williams und Silverstone aufgegriffen, die eine Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass Medientechnologien auf eine Kultur treffen, die ihnen vorausgeht. Nur die genaue Analyse dieses Zusammentreffens lässt erkennen, wie sich kulturelle Wandlungsprozesse durch neue Medientechnologien und das darauf bezogene kommunikative Handeln der Menschen konkret ausgestalten. In Bezug auf
KULTUR, KOMMUNIKATION UND MEDIEN
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die verschiedenen Konzeptionen von Medienkultur ist festzuhalten, dass hier einer Prozesshaftigkeit des Begriffs gefolgt wird. Dies geschieht vor allem durch die Anerkennung dessen, dass in diesem Rahmen lediglich eine Momentaufnahme des sich gegenseitig bestimmenden Verhältnisses von Kultur und Medienhandeln geliefert werden kann. Medienkultur erscheint im Horizont dieser Arbeit als eine hochgradig von Medientechnologien bestimmte Kultur, in der Medien die Kommunikations- und Interaktionsformen und damit auch Bedeutungsproduktionen und Sinnsysteme einer Gesellschaft prägen. Zugleich treffen sie auf Kontexte, die den medientechnologischen Einflüssen vorausgehen, von ihnen modifiziert werden mögen, aber dennoch ihre Geltung bewahren und mit dazu beitragen, Medientechnologien eine spezifische Bedeutung und Funktion innerhalb einer Kultur zuzuordnen. Als Medienkultur wird hier auch eine territorial konzeptionalisierte Kultur wie Japan verstanden, ohne dass sie dabei unhinterfragt als Nationalkultur aufgefasst würde. Japanische Medienkultur muss nicht mit den stabilen Grenzen des japanischen Nationalstaates zusammenfallen. Sie weist aber als eine Verdichtung von sowohl territorialen als auch translokalen Prozessen der Bedeutungsartikulation eine Vielzahl von Dispositionen auf, die das Medienhandeln strukturieren. Dadurch wird sie von anderen medienkulturellen Verdichtungen unterscheidbar. Auf einer theoretischen Ebene mag es weitsichtig sein, anhand eines offenen und translokal gefassten Medienkulturbegriffs bestehende (National-)Grenzen infrage zu stellen. Auf der Ebene einer konkreten Analyse kann es aber produktiv sein, die Implikationen eines solchen Medienkulturverständnisses und die bei dessen Konzeption entwickelten Begrifflichkeiten zwar im Blick zu behalten, sich aber dennoch auf einen kulturell enger gefassten Bezugsrahmen einzulassen. Es erscheint daher lohnenswert, die Spezifik der mobilen Medienkultur Japans zu erfassen, weil auf diese Weise kommunikatives Handeln unter den Vorzeichen und Bedingungen von Mediatisierung begreifbar wird. Durch das Identifizieren von bestimmten Mechanismen und strukturellen Merkmalen der (Medien-)Kommunikation lassen sich zudem Verallgemeinerungen formulieren, die zu einem Verständnis auch von anderen Medienkulturen beitragen können, wie später noch zu sehen sein wird.
4. ANALYTISCHER RAHMEN: MOBILKOMMUNIKATION ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND
Ausgehend von der Betrachtung des Forschungsgegenstands Mobilkommunikation wird in diesem Kapitel der analytische Rahmen für die kulturorientierte Untersuchung der Mobilkommunikation in Japan entwickelt. Hierzu erfolgt zunächst eine begriffliche Bestimmung der mobilfunkbezogenen Terminologien. Im Anschluss daran wird nachgezeichnet, welche thematischen, methodischen und theoretischen Zugänge sich in den Arbeiten erkennen lassen, die sich mit der Aneignung und Nutzung des Mobiltelefons beschäftigen. Da sich die kulturund kontextorientierten Studien der Mobilkommunikationsforschung als besonders anschlussfähig für die vorliegende Arbeit erweisen, werden diese entlang der Systematisierung in Raum-, Zeit-, Beziehungs- und Medienthemen noch einmal vertiefend behandelt. Aus den Desiderata der Mobilkommunikationsforschung, die am Ende zusammenfassend dargestellt werden, lässt sich schließlich ein Analyseraster für eine kulturorientierte Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation in Japan ableiten.
4 . 1 D E F I N I T O R I S C H E A N NÄ H E RU N G EN : M O BILT EL EF ON , MOBILE KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIEN, MOBILKOMMUNIKATION Folgt man der in Kapitel 3.2 bereits vorgestellten, von Pross (1972) eingeführten und durch Faßler (1997) und Winter (2006: 83) um die Kategorie der Quartärmedien erweiterten Mediensystematik, so lässt sich das Mobiltelefon zunächst einmal nicht eindeutig zuordnen, da es je nach materieller Ausstattung sowohl der Gruppe der tertiären Medien als auch der Gruppe der quartären Medien angehören kann.1 Der 1
Ihr Internetzugang macht die Mobiltelefone zu quartären Medien – eine Entwicklung, die derzeit auch andere Medien erfasst, die ursprünglich
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
stetige Wandel, dem die Mobilfunktechnologie seit ihrer Einführung unterliegt, zeigt die Grenzen einer nach Grad des Technikeinsatzes differenzierenden Einteilung auf: Begonnen als mobile Telefonie, die ihre Ursprünge in Deutschland bereits um 1920 hatte, als der Mobilfunk erstmals in fahrenden Zügen erprobt wurde (vgl. Feldhaus 2004: 22; Karmasin 2004: 340), hat sich das Mobiltelefon heute zu einem mobilen Allroundmedium entwickelt. Das Mobiltelefon als eine mobile Form des Telefons zu definieren, als ein „technisches Medium für oralauditive Kommunikation“ oder „Medium der Individualkommunikation“ (Karmasin 2004: 229), das durch seine Mobilisierung von einem ortszu einem personengebundenen Telefon geworden ist (vgl. Freyermuth 2002: 216; Glotz et al. 2006: 11), würde heute also zu kurz greifen und nicht erfassen, dass das Mobiltelefon „eigentlich ein an ein Telekommunikationsnetz angeschlossener Kleincomputer“ (vgl. Krotz/Schulz 2006: 59) bzw. ein „interaktives digitales Mehrzweck-Medium“ ist (vgl. Döring 2006: 2; Hervorh. im Orig.). Mit den mobilen Geräten lässt sich nicht nur kommunizieren, sie eignen sich auch dazu, Nachrichten zu empfangen, Filme, Hörfunkprogramme und Videoclips anzuschauen und auf Onlineangebote wie eBay, Facebook, Twitter oder Wikis zurückzugreifen. Damit ist das Mobiltelefon zu einer universell verwendbaren Kommunikationsplattform avanciert. Genau wie die stationäre Technologie des Computers hat es sich zu einem Hybridmedium, zu einem mobilen Konvergenzmedium gewandelt. „There has been a rapid and continuing merging of formerly separate modalities of mediated communication. These include the Internet, the telephone, portable computers, personal digital assistants, radio broadcasting, wireless and infrared technologies, digital audio and video, and traditionally, paper.“ (Katz/Aakhus 2002: 3f.)
Ihren zeitweiligen Höhepunkt hatte diese Entwicklung in der von einem starken Medienecho begleiteten Entwicklung und Vermarktung des iPhones, von dem es 2009 auf der Homepage der Firma Apple hieß, dass es „drei Produkte in einem [vereint; C.P.] – ein revolutionäres Telefon, einen Breitbild-iPod und ein wegweisendes Internetgerät für E-Mails im Rich-HTML-Format und das schnelle Surfen und Recherchieren im Internet“ (www.apple.com/de/iphone). Inzwischen weist eine Vielzahl von Mobiltelefonen verschiedener Hersteller diese Kombination von Anwendungsmöglichkeiten aus den Bereichen Unterhaltungselektronik, Internet und Telekommunkation auf. Häufig als tertiäre Medien begriffen wurden (z.B. Fernseher), sich aber durch technologischen Wandel und Inkorporation der Protokoll- und Übertragungstechnik zu digitalen, interaktiven Netzmedien weiterentwickelt haben und ihrer Kategorisierung somit zunehmend entwachsen sind.
MOBILKOMMUNIKATION ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND
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verfügen sie auch über GPS-Empfänger und sind mit hochauflösenden Bildschirmen, Touchscreens und einem speziellen Betriebssystem ausgestattet. Im Alltag hat sich für die Mobiltelefone mit Computerfunktionalität inzwischen die Bezeichnung Smartphone etabliert, auf diese sprachliche Differenzierung soll in dieser Arbeit jedoch verzichtet werden. Stattdessen ist bei der Verwendung des Begriffs Mobiltelefon2 stets auch dessen technisches Potenzial inbegriffen, verschiedene, auch onlinebasierte Anwendungen, Dienste und Medien zu inkorporieren und Internetkonnektivität herzustellen. Der Fokus lässt sich dadurch besser auf die Wandlungsfähigkeit der Technologie richten: „Das Beispiel des Mobiltelefons macht erneut deutlich, dass sich eine Technologie niemals in einem Endzustand befindet, sondern ständig ‚neu erfunden‘ wird – zumal wenn neue Nutzungsoptionen hinzukommen […]. Folglich sind sowohl die Bedeutung des Telefonierens als soziale Aktivität wie auch die Bedeutung des Telefons als Artefakt in stetem Wandel begriffen.“ (Höflich/Rössler 2001: 441)
Auch die Bezeichnung mobile Kommunikationstechnologie schließt die erweiterten Funktionen mit ein. Sie bezieht sich auf alle mobilen Technologien, die primär darauf ausgerichtet sind, soziale Interaktion durch interpersonale Telekommunikation zu ermöglichen, dabei aber über ein unterschiedlich stark ausdifferenziertes Repertoire an medialen und nichtmedialen Zusatzfunktionen verfügen. Neben dem Mobiltelefon in all seinen sprachlichen Varianten und Herstellerbezeichnungen (Smartphone, iPhone, Blackberry etc.) umfassen mobile Kommunikationstechnologien also auch Vorgängertechnologien wie den Pager. Analog zu diesen Bestimmungen steht der Begriff Mobilkommunikation (oder auch mobile Kommunikation) nicht nur für technisch vermittelte interpersonale Kommunikationsformen, sondern für alle kommunikativen Handlungen, die mit einer mobilen Kommunikationstechnologie ausgeführt werden. Dieses Verständnis lehnt sich an die von Nicola Döring (2005b) mit Bezug auf Schiller (2003) vorgenommene Definition von Mobilkommunikation als „Individual-,
2
Die in Deutschland übliche, alltagssprachliche Bezeichnung Handy findet sich in den wissenschaftlichen Texten zur Mobilkommunikation dagegen kaum. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden; zusammenhängen könnte dies zum einen damit, dass der Ausdruck Mobiltelefon stärker auf die sozialen Implikationen der Mobilkommunikation, wie z.B. einen veränderten Umgang mit Raum und Zeit (vgl. Glotz et al. 2006: 11), verweist. Zum anderen könnte der Scheinanglizismus des Wortes Handy dafür ausschlaggebend sein, das wie eine Entlehnung aus dem Englischen anmutet, obgleich es in der englischen Sprache nicht das Mobiltelefon bezeichnet, sondern als ‚handlich‘ oder ‚praktisch‘ übersetzt wird.
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
Gruppen- und Massenkommunikation mittels portabler, drahtlos angebundener Endgeräte“ (ebd.: 62) an. Wie diese Kommunikationsformen, die als Konsequenz konvergierender Medienumgebungen mittels ein und desselben Mediums vollzogen werden, voneinander zu unterscheiden sind, wie sie aus Nutzerperspektive beschrieben werden können, ist in der Kommunikationswissenschaft bislang noch nicht einheitlich erforscht worden. Wohl aber gibt es Ansätze, die den zunehmend verschwimmenden, einst technisch geprägten Unterschieden zwischen einzelnen medialen Anwendungen Rechnung tragen und die Übergänge zwischen verschiedenen Kommunikationsformen zu erforschen versuchen, so z.B. Höflichs (2003) Konzept der „Kommunikationsrahmen“ oder Hasebrinks (2004) Entwurf so genannter „Kommunikationsmodi“. Wie bereits in Kapitel 3.2.3 dargestellt wurde, lässt sich ein umfassendes Verständnis von Medien nicht allein mit Blick auf ihre technischen Eigenschaften und Möglichkeiten generieren. Vielmehr handelt es sich bei Medien „um ein soziales Phänomen sui generis“ (Mock 2006: 193). Technische Medien sind zwar durch bestimmte materielle Eigenschaften präformiert, haben ihren Ausgangspunkt jedoch im Sozialen, d.h. unterliegen gesellschaftlichen Bedingungen und gewinnen erst durch ihre soziale Aneignung kommunikative Bedeutung. Um diese soziale Bedeutungskomponente von Medien herauszustreichen, spricht Mock von „Medien als Form von Kommunikation“ (ebd.: 193) in Abgrenzung zu einem Grundverständnis von „Medien als Mittel von Kommunikation“ (ebd.: 189), das Medien im wörtlichen Sinne als (Ver-)Mittler bzw. Mittel der Wahrnehmung, Verständigung und Verbreitung konzeptualisiert. „Medien im Sinne von Medium als Form von Kommunikation sind damit sozusagen spezifische und mehr oder weniger stabile Verwendungsweisen bestimmter Kommunikationsmittel (bzw. Kombinationen davon) für bestimmte kommunikative Zwecke, deren Eigenschaften nicht vollständig in den Eigenschaften der zugrunde liegenden Kommunikationsmittel begründet liegen. Sie sind Formen des sozialen und institutionalisierten Gebrauchs von Mitteln der Kommunikation, die ihren Ausdruck finden in der Herausbildung und Stabilisierung bevorzugter (allerdings wandelbarer) Verwendungsweisen dieser Mittel und deren Einbindung in den Alltag der Menschen. Ein Medium in diesem […] Verständnis ist also in erster Linie ein soziales Phänomen, wobei der Begriff neben den Kommunikationsmitteln die beteiligten Akteure sowie institutionelle und organisatorische Aspekte umfasst.“ (Ebd.: 194f.; Hervorh. im Orig.)
Die soziale und kulturelle Kontextuiertheit von Medien, die für Medien der öffentlichen genauso wie für Medien der interpersonalen
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Kommunikation gilt, wird hier betont: Das Mobiltelefon ist keine rein technische Institution, sondern eingebettet in die kommunikativen Praktiken einer spezifischen Gesellschaft, Zeit und Kultur.
4.2 ENTWICKLUNG DER MOBILKOMMUNIKATION UND IHRER ERFORSCHUNG Obwohl die mobile Telekommunikation auf eine längere Entstehungsgeschichte zurückblicken kann und Vorstellungen über die ubiquitäre Anwendung von Kommunikationstechnologien bereits seit den 1920er Jahren kursieren, markiert den eigentlichen Beginn des Mobilfunks die Einführung des digitalen europäischen Mobilfunkstandards GSM3 im Jahr 1992 (vgl. Burkart 2002: 153; Feldhaus 2004: 23). Zwar wurde in Deutschland schon seit Ende der 1950er Jahre mit analogen Systemen der ersten Generation (A-Netz, B-Netz und C-Netz) herumexperimentiert, die neue Übertragungstechnik war jedoch einem sehr kleinen Kreis professioneller Nutzerinnen und Nutzer (z.B. in Taxiunternehmen, bei Rettungsdiensten und später auch im Außendienst) vorbehalten. Erst mit der Inbetriebnahme der D-Netze im Jahr 1992 und kurz darauf mit Einführung der E-Netze erfuhr das Mobiltelefon innerhalb kurzer Zeit eine rasante Verbreitung, und zwar sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern (vgl. Burkart 2002: 151ff.; Feldhaus 2004: 22ff.). Eine Dekade später, im Jahr 2002, gab es weltweit bereits über 1,16 Milliarden Menschen, die von der neuen Kommunikationstechnologie Gebrauch machten. Keine andere Technologie, nicht einmal das Internet, hat jemals solch schnelle Zuwachsraten für sich verzeichnen können und ist innerhalb so kurzer Zeit zu einem selbstverständlichen Teil des Altags geworden (vgl. Foggin 2006: 297).4
3 4
GSM steht für Global System for Mobile Communications, den Mobilfunkstandard der so genannten zweiten Generation (2G). Auf die Tatsache der überaus schnellen und ubiquitären Verbreitung und Veralltäglichung des Mobiltelefons weisen zahlreiche Publikationen zur Mobilkommunikation hin. Gleich drei Sammelbände berufen sich zu Beginn ihrer Einführung auf diese Entwicklung und besiegeln so die Relevanz und Aktualität ihres Forschungsgegenstands: „Das Mobiltelefon (Handy) ist aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken“ heißt es beispielsweise bei Glotz et al. (2006: 11). Ähnlich formulieren Höflich/ Gebhardt (2005a: 7): „In kürzester Zeit ist das Mobiltelefon zu einem festen, ja sogar als unentbehrlich empfundenen Bestandteil der Alltagskommunikation geworden.“ Und auch im Englischen wird dieser Einstiegssatz bemüht: „The mobile phone has become – both worldwide and at an incredible speed – an integral part of communication in everyday life.“ (Höflich/Hartmann 2006a: 11)
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MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN
Abbildung 5: Mobiltelefone pro 100 Einwohner in den Jahren 2003 und 2009 Mobiltelefone pro 100 Einwohner Italien Israel Großbritannien Deutschland Finnland Russland Norwegen Polen Australien Argentinien Korea (Rep.) Frankreich
2009
Südafrika
2003
Japan USA Algerien Marokko Brasilien Mexiko Kanada Philippinen China Ägypten Nigeria 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
110
120
130
140
150
160
Quelle: ITU 2011 Auch wenn bei Betrachtung der Statistik der International Telecommunication Union (ITU) Vorsicht geboten ist, da diese lediglich das Verhältnis zwischen Mobilfunkverträgen und Einwohnerzahl eines Landes, nicht aber die genauen Reichweiten des Mobiltelefons wiedergibt, belegt sie doch eindrucksvoll seine rasante Verbreitung in verschiedenen Teilen der Erde. Vor allem in Europa hat sich das Mobiltelefon schon frühzeitig verbreitet: Über durchschnittlich 111 Mobilfunkverträge pro 100 Einwohner verfügte diese Region bereits 2007 und stand damit lange Zeit an erster Stelle, während Asien und Afrika die höchsten Wachstumsraten zu verzeichnen haben. Insbesondere China ist ein boomender Mobilfunkmarkt, auf dem im Jahr 2009 über 747 Millionen Mobiltelefone zirkulierten – eine deutlich höhere Anzahl als Festnetzanschlüsse im Land vorhanden sind (vgl. ITU 2011). Trotz dieser Entwicklung setzte die (kommunikations- und medien-) wissenschaftliche Forschung zur Mobilkommunikation erst verzögert ein, scheint aber seit ein paar Jahren bemüht zu sein, dieses Defizit wieder aufzuholen. In letzter Zeit sind immer mehr Publikationen veröffentlicht worden, die verschiedene Aspekte der Mobilkommunikation in den Blick nehmen und dem Medium größere Aufmerksamkeit schenken. Diesbezüglich lassen sich vor allem zwei Aussagen treffen: (1) Die Forschung ist international ausgerichtet, wobei sie nicht, wie so oft, von den USA dominiert wird, sondern wichtige Impulse von (Nord-)Europa (u.a. Kasesniemi/Rautiainen 2002; Ling 2004; Ling/Pedersen 2005; Ling/Yttri 2002; Oksman/Turtiainen 2004; Puro 2002) und Asien, hauptsächlich Japan und Südkorea, ausgehen (u.a.
MOBILKOMMUNIKATION ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND
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Ito 2003a, 2003b; Ito 2005a, 2005b; Ito et al. 2005; Kim 2002, 2005; Okabe 2004). In letzter Zeit sind Forschungsbeiträge vermehrt auch im deutschsprachigen Raum entstanden (u.a. Burkart 2000, 2002; Döring 2004, 2006; Düvel 2006a; Feldhaus 2003, 2004, 2007; Götzenbrucker 2005; Hepp/Düvel 2010; Höflich/Gebhardt 2005; Höflich/ Hartmann 2006; Krotz/Schulz 2006). (2) Die meisten Arbeiten sind interdisziplinär angelegt und entstammen neben der Kommunikations- und Medienwissenschaft unterschiedlichen Disziplinen wie der Soziologie, Anthropologie, Rechtsund Wirtschaftswissenschaften etc. (vgl. Höflich/Gebhardt 2005a: 10).5 Insbesondere das Erscheinen einer Reihe von ambitionierten, inhaltlich oft breit gefächerten Sammelbänden, die sich mit der Aneignung mobiler Medien und Kommunikationstechnologien im Alltag sowie den sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Mobilkommunikation auseinandersetzen, hat erheblich dazu beigetragen, das neue Feld zu sortieren und relevante Forschungsbereiche herauszuarbeiten (vgl. z.B. Brown et al. 2001; Glotz et al. 2005; Höflich/Gebhardt 2005; Höflich/Hartmann 2006; Ito et al. 2005; Katz/Aakhus 2002; Kavoori/Arceneaux 2006; Kim 2005; Ling/Pedersen 2005). Das breite Spektrum der unterschiedlichen Ansätze und Zugänge soll nun zunächst entlang der thematischen, methodischen und theoretischen Forschungsschwerpunkte skizziert werden.
4.2.1 Thematische Forschungsschwerpunkte
Auf thematischer Ebene zeigt sich bei den Studien zur Mobilkommunikation eine große Breite und Vielfalt, nichtsdestotrotz rücken bei näherer Betrachtung einige Themen ins Blickfeld, auf die sich die kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschung derzeit zu konzentrieren scheint:
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Die Kommunikationswissenschaft hat sich dem Gegenstand der Mobilkommunikation lange Zeit verschlossen. Dies liegt insbesondere daran, dass das Mobiltelefon in der ‚Mainstream-Kommunikationswissenschaft‘ hauptsächlich als Medium der interpersonalen Kommunikation angesehen wurde und ihm dadurch ein ähnliches Schicksal drohte wie dem Festnetztelefon, das nur in wenigen, dafür aber äußerst anregenden Arbeiten zum Fokus kommunikationswissenschaftlich orientierter Forschung wurde (z.B. Fischer 1994; Klaus 2007; Rammert 1989). Diesem Verständnis zufolge liegt weder die eine noch die andere Kommunikationstechnologie im Kern des Faches, das sich Fragen der öffentlichen Kommunikation und somit den so genannten Massenmedien verschrieben hat (vgl. Höflich/Gebhardt 2005a: 9f.). Im Zuge der Konvergenzentwicklung des Mobiltelefons, das in zunehmendem Maße auch ‚massenmediale‘ Angebote adaptiert hat, ist diese Ansicht jedoch revidiert oder zumindest infrage gestellt worden.
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Jugendliche: Sehr viele Studien zur Mobilkommunikation stellen die Nutzungsweisen von Kindern und Jugendlichen ins Zentrum ihres Interesses, sei es weil das Mobiletelefon „Jugendmedium Nummer 1 ist“ (Ertelt 2007: 14), weil es „im Prozess der Ablösung und Verselbständigung“ (Tully/Zerle 2005: 11) eine wichtige Rolle spielt, im Jugendalter für Gruppenzugehörigkeiten und als Beziehungsmedium bedeutsam wird (vgl. Ling/Yttri 2002: 162; Tully/Zerle 2005) oder weil Jugendliche – wie etwa in Japan – mit ihren spezifischen Nutzungspraktiken wichtige Vorreiter für die massenhafte Adaption und Verbreitung der mobilen Kommunikationstechnologie sind (vgl. Ito 2005b: 135) und dabei nicht nur als „kaufkräftige Zielgruppe“, sondern als „experimentierfreudige Pionier-Nutzer“ (Döring 2006: 2; Hervorh. im Orig.) angesehen werden. Häufig geht es in den entsprechenden Arbeiten um die Frage, wie sich durch Mobilkommunikation soziale Interaktionsmuster von Kindern und Jugendlichen verändern (vgl. z.B. Oksman/Turtiainen 2004), welche Bedeutung die SMS-Kommunikation im Jugendalltag hat (vgl. z.B. Höflich/ Rössler 2001) oder wie das Mobiltelefon als Instrument der Ermächtigung genutzt wird, mit dem Jugendliche versuchen, sich der elterlichen Kontrolle zu entziehen bzw. selbst den Kontrollmechanismen der Technologie unterliegen, wenn diese von den Eltern zur Bewältigung ihrer Aufsichtspflicht eingesetzt wird (vgl. u.a. Feldhaus 2003, 2004; Ito 2005b; Selmer 2005). Ein weiterer Zugang besteht in der Beschäftigung mit den ‚Gefahren‘, denen Kinder durch die Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien ausgesetzt sind. Zu den in der öffentlichen Debatte identifizierten Problemfeldern gehören Themen wie Cyber-Mobbing (vgl. z.B. Grimm/Rhein 2007), finanzielle Schulden oder auch die potenzielle Verarmung sozialer Beziehungen als Folge exzessiver Mobilkommunikation (vgl. Döring 2005a: 29). Jugendliche Umgangsweisen mit dem Mobiltelefon sind sowohl in Deutschland als auch in internationalen Kontexten umfassend untersucht worden (vgl. z.B. Döring 2006; Harper/ Gosset 2005; Hashimoto 2005). Parallel zu einem gestiegenen Interesse an den so genannten Silver Surfern6 in der Internetforschung scheinen seit Kurzem aber auch ältere Nutzerinnen und Nutzer das Interesse der Mobilkommunikationsforschung geweckt zu haben (vgl. Oksman/Rautiainen 2005). Konvergenz: Unter dem Stichwort Konvergenz lässt sich eine Reihe von Studien zusammenfassen, die sich mit der SMS-Kommunikation (vgl. z.B. Döring 2002; Grinter/Eldridge 2001) und dem Handykamera-Gebrauch (vgl. z.B. Okabe 2004; Kato et al. 2005) als frühe Formen der intramedialen Konvergenz auseinandersetzen. Im KonAls Silver Surfer wird seit einigen Jahren die wachsende Gruppe der älteren Internet-Nutzerinnen und -Nutzer bezeichnet.
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text aktuellerer Entwicklungen fallen darunter Arbeiten, die die sich immer stärker überlagernden Strukturen von Technologie-, Medienund Konsumlandschaft in den Blick nehmen und untersuchen, auf welche Weise sich diese sich in der Mobilkommunikation entfalten. Konkrete Themenfelder, die in diesem Zusammenhang Beachtung finden, sind beispielsweise mobile Weblogs (vgl. Döring/Gundolf 2005), mobiles Internet und Fernsehen (vgl. z.B. Funk 2004; Herzberg 2007) sowie Musik, Spiele und andere mobile Unterhaltungsangebote (vgl. z.B. Ertelt 2007; Kruse 2003; Nilsson et al. 2001; Peil 2006; darüber hinaus die Beiträge in Groebel et al. 2006). Auch Perspektiven und Prognosen zur Mobilkommunikation der Zukunft lassen sich diesem Bereich hinzuzählen (vgl. z.B. Golding 2005). Besorgnis- und Sicherheitsdiskurse: Einen zentralen Platz nehmen daneben Arbeiten ein, die sich thematisch unter den von Goggin (2006: 107ff.) geprägten Begriff der „mobile panic“ subsumieren lassen. Hierunter fallen Texte, die nicht nur die weiter oben bereits angerissenen, mit der Mobilkommunikation Jugendlicher assoziierten Probleme aus medienpädagogischer Perspektive diskutieren (vgl. Anfang et al. 2006), sondern sich für Störungen, Regelverletzungen und neu auszuhandelnde Verhaltensnormen im öffentlichen Raum interessieren (vgl. z.B. Höflich 2005; Ling 2005; Okabe/Ito 2005). In den Fokus rücken hier auch Auseinandersetzungen mit gesundheitlichen Risiken der Mobilkommunikation sowie mit problematischen Inhalten (Gewalt, Pornografie etc.), die in Form von Bildern oder Botschaften über mobile Kommunikationstechnologien ausgetauscht werden (vgl. z.B. Goggin 2006). Die dem Mobiltelefon oft zugeschriebene Funktion, als „mobile Notrufsäule“ (Feldhaus 2004: 38) zu dienen und so zur Reduktion von Ängsten beizutragen, wird in einigen Studien als Sicherheitsfaktor verhandelt, der gerade in der Anfangszeit häufig als Motiv für die Anschaffung des Mobiltelefons genannt wurde. Repräsentationen: Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet die Frage danach, was das Mobiltelefon als technisches und modisches Artefakt für seine Nutzerinnen und Nutzer darstellt und welche Bedeutung es als „selbstrepräsentationsbezogener Identitätsmarker“ (Gebhardt 2008: 35) entfaltet. Vor allem aus Italien stammen Forschungsbeiträge zum Mobiltelefon als Modeobjekt und stilprägendes Accessoire, das als Teil eines individuellen ‚Looks‘ angesehen werden kann (vgl. z.B. Fortunati 2002, 2005). Auch persönliche Anpassungen mittels dekorativer Elemente, die die eigene Handlungsmacht bei der Aneignung und Ausgestaltung mobiler Kommunikationstechnologien unterstreichen, verweisen auf das Mobiltelefon als Ort der Identitätsbildung und Selbstdarstellung (vgl. Hjorth 2002, 2006; Katz/Sugiyama 2006; Peil 2007c, 2010). Bevor sich die Technologie in den Industrienationen massenhaft verbreitete, interessierte
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zudem ihre symbolische Bedeutung als Statusobjekt, die heute noch in solchen Ländern eine Rolle spielt, in denen das Mobiltelefon aufgrund der geringen Einkommen nur einer besonders wohlhabenden Minderheit vorbehalten ist (vgl. z.B. Varbanov 2002). Grenzverschiebungen: Ein weiterer Themenbereich umfasst die durch Mobilkommunikation beeinflusste Auflösung von Grenzen, derer sich zahlreiche Forschungsarbeiten aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln angenommen haben. Die sich wandelnden oder poröser werdenden Grenzen sind zwischen verschiedenen sozialen Systemen zu beobachten, zwischen Privat- und Berufsleben (vgl. z.B. Gant/Kiesler 2001) ebenso wie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit (vgl. z.B. Geser 2005; Höflich 2005) und damit verbunden auch zwischen sozialer Nähe und Distanz (vgl. z.B. Habuchi 2005; Tomita 2005). Der Wechsel von einem dieser Bereiche in den anderen wurde zuvor von der Vorstellung begleitet, dass dabei auch physische Grenzen überschritten werden. Vor dem Hintergrund mobiler und allseits verfügbarer Kommunikationstechnologien werden solche Verknüpfungen hinterfragt und bestehende Grenzen neu definiert.
4.2.2 Methodische Herangehensweisen
Auf methodischer Ebene unterscheiden sich die empirischen Arbeiten zur Nutzung und Aneignung mobiler Kommunikationstechnologien entlang zwei grundlegender wissenschaftsmethodologischer Positionen. Während in einem Teil der Untersuchungen standardisierte, quantitative Verfahren angewendet werden, z.B. standardisierte Befragungen zu Besitz, Nutzungshäufigkeit, Anwendungsspektrum etc., neuerdings aber auch experimentellere, speziell auf das Mobiltelefon abgestimmte Methoden wie Handy-Logfiles oder GPS-Daten zum Einsatz kommen, ist ein Großteil der Studien einem qualitativen Paradigma verpflichtet. Sie basieren auf der Annahme, dass Menschen ihren Handlungen mittels Sprache einen Sinn zuweisen, weshalb jedes qualitative, nichtstandardisierte Forschungsdesign „an der Realitäts- und Bedeutungskonstruktion der Menschen anknüpfen muss und deshalb grundsätzlich kommunikativ angelegt ist“ (Krotz 2005: 46; Hervorh. im Orig.). Zu den bevorzugten qualitativen Verfahren in der Mobilkommunikationsforschung gehören Leitfaden- und Tiefeninterviews, Beobachtungsverfahren, Kommunikationstagebücher – in denen entweder alle mittels Mobiltelefon ausgeführten kommunikativen Handlungen protokolliert werden oder lediglich der Austausch von SMS-Nachrichten dokumentiert wird (vgl. Grinter/Eldridge 2001) – sowie soziologische Methoden wie Netzwerkkarten zur Visualisierung der kommunikativen Vernetzung (vgl. Hepp/Düvel 2010).
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Auffällig ist, dass viele der qualitativen Forschungsverfahren ethnografisch orientiert sind. Ursprünglich aus der Ethnologie bzw. Sozialanthropologie stammend, bezeichnet Ethnografie die beschreibende Erforschung einer Kultur über einen längeren Zeitraum. Eines ihrer Grundprinzipien ist, dass der oder die Forschende sich selbst ‚ins Feld‘ begibt, die Kultur bestenfalls nicht nur beobachtet, sondern in sie eintaucht, ein aktiver Teil von ihr wird und sie aus ihrem Inneren heraus zu studieren und ‚erlernen‘ versucht. Bei der ethnografischen Forschung handelt es sich um einen Oberbegriff, unter den ein ganzes Set unterschiedlicher empirischer Zugänge gefasst wird, und nicht um eine spezifische Erhebungsmethode. Das Ziel ist die Untersuchung der kulturellen Praxis als gelebte Erfahrung, wobei das Verstehen von Bedeutungen zentral ist, die die untersuchten Akteure bestimmten sozialen Handlungen zuweisen. Es geht somit nicht um das bloße Festhalten von Beobachtungen, sondern immer auch um ein deutendes Beschreiben, um Interpretationen, die Einsichten in Strukturen und Prozesse der untersuchten Kultur vermitteln (vgl. u.a. Ang 2008; Krotz 2005: 250ff.; Winter 1998, 2001).7 Im Vergleich zu frühen völkerkundlichen Studien hat sich das Gebiet der ethnografischen Forschung inzwischen stark verbreitert, da sich ihre Prinzipien auf verschiedene Anwendungsfelder übertragen lassen (vgl. Clifford 1999: 494f.). Für die Medienforschung wurde die ethnografische Perspektive zuerst in Studien adaptiert, die Mitte der 1980er Jahre im Umfeld der britischen Cultural Studies entstanden sind und die sich sowohl von der damals dominierenden Wirkungsforschung als auch von psychologischen und individuenzentrierten Konzepten wie dem Uses and Gratifications-Ansatz abgrenzen wollten (vgl. Röser 2007a: 19). Primäres Anliegen einer ethnografischen Medienforschung ist es, die Mediennutzung innerhalb ihrer ‚natürlichen‘ Kontexte zu untersuchen und ihre Einbettung in die Routinen und Strukturen des Alltags – in die, wie Bausinger (1983: 25) sich ausdrückt, „Semantik des Alltäglichen“ – zu analysieren. Dabei geht es vor allem darum, der Forderung nach einer breiteren Kontextualisierung des Medienkonsums nachzukommen (vgl. Ang 2008). Dies wird durch detailreiche Beschreibungen erreicht, die generalisierenden Darstellungen vorgezogen werden, ohne dass sie dabei an Relevanz für gesellschaftliche Fragen und Prozesse einbüßen (vgl. ebd.; siehe auch Röser 2007a; Röser/Peil 2010). Auf diese Weise lasse sich laut Ang (2008) ein situationsbedingtes Wissen generieren, das zwar wegen der potenziellen Unendlichkeit der in ihrer Gesamtheit nicht zu erfassenden 7
Auf ein ethnografisches Verstehen ist somit auch das ausgerichtet, was Clifford Geertz (1991) unter dem Prinzip der dichten Beschreibung versteht, nämlich die Interpretation von Motivation und Bedeutung spezifischer Handlungen, die im Kontrast zu einer dünnen Beschreibung, der funktionalen Beschreibung des Offensichtlichen, steht.
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Kontexte nur „standpunktbezogene Wahrheiten“ (ebd.: 74, siehe auch Kapitel 4.4.2) liefere, das die Alltagspraktiken der Medienhandelnden aber adäquater als z.B. standardisierte Verfahren repräsentieren könne. Weil in der ethnografischen Forschung das Mobiltelefon als Gegenstand verstanden wird, der durch seine sozialen und kulturellen Kontexte bestimmt ist, ist ihr Ziel, aus der Nutzerperspektive zu zeigen, wie das Mobiltelefon in die Routinen, Rituale und Beziehungsstrukturen des Alltags eingebettet ist (vgl. Krotz 2005: 49; Röser 2007a: 19). Eine solche Strategie verfolgen u.a. jene Studien, die alltägliche Praktiken der Mobilkommunikation in spezifischen Nutzungssituationen, z.B. in Restaurants, auf Plätzen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, untersuchen. Wichtige wissenschaftliche Impulse gehen in dieser Hinsicht von Japan aus, wo die Mobilkommunikation nicht nur allgemein relativ weit erforscht ist, sondern zahlreiche ethnografische Studien auch auf die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung verweisen, die das Mobiltelefon im japanischen Alltag erfährt (vgl. z.B. Ito et al. 2005). Im Rahmen eines transkulturellen Forschungsprojekts, das die Nutzung und das Zusammenspiel tragbarer, persönlicher Objekte („mobile kit“) im öffentlichen Raum dreier globaler Städte untersuchte, wurden zum Teil auch avanciertere Methoden eingesetzt (vgl. Ito et al. 2007; Mainwaring et al. 2005; Okabe et al. 2005; siehe auch Peil 2009).8 Ihren Zugang bezeichnen Mainwaring et al. (2005) als „multisided ethnography, in which the traditional ethnographic focus in a single field site is shifted to encompass multiple global sites and their interrelationships“ (ebd.: 271). Neben den empirischen Studien gibt es darüber hinaus eine Reihe von Forschungsbeiträgen, die sich theoretisch reflektierend mit den sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Folgen von Mobilkommunikation auseinandersetzen (vgl. z.B. Burkart 2000, 2007; Castells et al. 2007).
4.2.3 Theoretische Zugänge
Die sowohl thematisch als auch methodisch differierenden Forschungsarbeiten zur Mobilkommunikation unterscheiden sich letztlich auch 8
Das Mobiltelefon diente darin zugleich als Forschungsgegenstand und als Erhebungsinstrument, mit dem alle Aktivitäten, die mit dem „mobile kit“ in Verbindung standen, auf unterschiedliche Art und Weise dokumentiert wurden: „In the Tokyo sample people were fitted with GPS enabled camera phones and were instructed on how to operate a moblog system so that they were able to record each time they used any item of their mobile kit over a period of two days. How the webbased entry into the moblog system was made – either by taking a photograph, by filming a video sequence, by writing a note or by combining all of these methods – was left to the personal decision of the participants.“ (Peil 2009: 98)
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auf theoretischer Ebene. Mit Gebhardt (2008: 36ff.) lässt sich hier eine Einteilung in medien- und technikzentrierte, nutzer- und individuumsbezogene sowie kultur- und kontextorientierte Ansätze vornehmen. Als medien- und technikzentriert werden solche Forschungsansätze bezeichnet, die die materiellen Eigenschaften einer mobilen Kommunikationstechnologie ins Zentrum rücken und von den technischen Voraussetzungen auf bestimmte Effekte, Verwendungsweisen und Medienwahlentscheidungen schließen (vgl. ebd.: 36). Diese Vorstellung spitzt sich zu in der von McLuhan (1968) formulierten, programmatischen These, dass das Medium die Botschaft sei, dass also das Denken der Menschen nicht durch die Inhalte von Medien verändert oder beeinflusst wird, sondern dass die mediale Technik die Schemata für unsere Erfahrung und Wahrnehmung von Welt vorgeben: „Medien werden hier als technische Strukturen der Welterschließung verstanden; die menschliche Weltwahrnehmung ist abhängig von der jeweils kulturell realisierten medialen Technizität.“ (Hartmann 2003: 57; Hervorh. im Orig.). Im Hinblick auf Mobilkommunikation, die zu Lebzeiten von McLuhan noch nicht verbreitet war, impliziert diese Sichtweise eine gesellschaftliche Medien- und Technologiewirkung, für die die Anzahl und Art und Weise der zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle einer mobilen Kommunikationstechnologie und die dabei angesprochenen Sinne ausschlaggebend sind, weniger aber die durch sie transportierten Inhalte. Dies ermöglicht unterschiedliche Anwendungen. Daliot-Bul (2007) bezieht sich beispielsweise in ihrer Darstellung, in der sie die besondere Form der Implementierung von Mobilkommunikation in die japanische Kultur analysiert, explizit auf McLuhan. Sie beschreibt, wie die Übernahme von Spielfunktionen in ein Mobiltelefon die Ansprache mehrerer Sinne erlaubt, die Integration der Technologie in den Alltag erleichtert und letztlich zu einem Wandel der Gesellschaft führt: „Rather than simply making everyday life more enjoyable, the integration of play into real life has profound implications for the production of social identities and life strategies.“ (Ebd.: 967) Hepp (2006a) rechnet überdies die frühen Sammelbände von Barry Brown et al. (2001) sowie Katz/Aakhus (2002) zu den technikzentristischen Positionen, weil in ihnen unterstellt ist, dass mobile Kommunikationstechnologien auf unseren Alltag einwirken und sowohl das Denken als auch das Handeln in der Gesellschaft grundlegend transformieren (vgl. Hepp 2006a: 16). Mit seinem technikdeterministischen Ansatz war der Kanadier McLuhan genau wie sein Landsmann Harold A. Innis Ideenlieferant für Theoretiker wie z.B. Joshua Meyrowitz, auf den in etlichen Studien zur Mobilkommunikation Bezug genommen wird. Meyrowitz geht in seiner Mediumstheorie ebenso wie Innis und McLuhan von einem durch Medien induzierten Wandel von Kultur und Gesellschaft aus, ohne jedoch von einer vollständigen medialen Prägung überzeugt
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zu sein. Insbesondere Meyrowitz’ Gedanken zur Herstellung neuer Formen sozialer Präsenz durch den Einfluss elektronischer Medien sind in der Mobilkommunikationsforschung breit aufgegriffen worden. Angeknüpft wird dabei an die von ihm diagnostizierte Auflösung der Einheit von physischem Raum und sozialen Situationen und die Aufhebung bzw. Überwindung raumzeitlicher Grenzen (vgl. z.B. Götzenbrucker 2005; Höflich 2005; Ito/Okabe 2005; Ling 2004). Die hier nur sehr knapp umrissenen medien- und technikzentrierten Ansätze bieten zwar einerseits interessante Überlegungen zum Zusammenhang von Medien, Kultur und Gesellschaft, sind aber auch als „technizistisch verengt“ (Thomas/Krotz 2008: 22) zu betrachten, da die Kommunikationshandlungen der Menschen und medienunabhängige kulturelle Veränderungen darin nicht ausreichend berücksichtigt werden (vgl. Krotz 2007a: 43). Produktiv nutzbar gemacht werden könnten diese theoretischen Bezüge jedoch dann, wenn sie mit anderen Ansätzen zur Erklärung des Verhältnisses von Technik und Gesellschaft zu einer kohärenteren Theorie zusammengefügt würden. Kritisch sind in diesem Zusammenhang jedoch Studien zu sehen, die sich auf einen bisweilen naiven Technikdeterminismus – „eine Position, bei der neue Technologien als sich selbst generierende Kräfte angesehen werden“ (Hepp 2006a: 18) – stützen und bedrohliche Szenarien davon entwerfen, wie das Mobiltelefon in unerwünschter Weise auf Mensch und Gesellschaft einwirkt. So wird in häufig mit pädagogischem Impetus versehenen Forschungsbeiträgen beispielsweise der SMS-bedingte Untergang von Schreib- und Sprachkultur oder der Zerfall sozialer Beziehungen durch vom Mobiltelefon aufoktroyierte Kommunikationsstrukturen prophezeit. Einigermaßen technikphobisch muten in diesem Kontext Sammelbände wie der von Bleuel (2007) an, in dem die gesundheitlichen, sozialen und psychologischen ‚Gefahrenpotenziale‘ der Mobilkommunikation herausgearbeitet und Perspektiven eines überlegten und behutsamen Umgangs mit der ‚Risikotechnologie‘ Mobiltelefon aufgezeigt werden. Derartige Ansätze greifen schon deshalb zu kurz, weil sie zum einen die Rolle menschlicher Entscheidungen und Aktionen im Prozess des technologischen Wandels unterschätzen und zum anderen soziale und kulturelle Kontexte der Medien- bzw. Technikaneignung nicht hinreichend berücksichtigen (vgl. Lievrouw 2006: 248). Die nutzer- und individuumszentrierten Ansätze fokussieren nicht die technischen Eigenschaften einer Medientechnologie, sondern richten ihre Aufmerksamkeit auf die kommunikationsbezogenen Bedürfnisse, Motive und Interessen sowie auf den individuellen Selektionsprozess bei der Mediennutzung (vgl. Gebhardt 2008: 48). „Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die Annahme, dass jedem telekommunikativen Handeln ein mehr oder minder bewusst vollzogener Entscheidungsprozess für oder gegen de Nutzung eines bestimmten Kommu-
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nikationsmediums vorausgeht und sich der Akteur gemäß seiner kommunikativen Handlungsziele das – aus seiner Sicht – am besten geeignete Medium auswählt (Telefon, E-Mail, Chat, SMS etc.), um damit seine jeweiligen Kommunikationsbedürfnisse zu befriedigen.“ (Ebd.)
Arbeiten, die sich diesem Theorieparadigma zuordnen lassen, berufen sich hauptsächlich auf den innerhalb der Massenkommunikationsforschung entwickelten Uses-and-Gratifications-Ansatz nach Katz/Foulkes (1962) oder auf damit verwandte Konzepte, Weiterentwicklungen und Modifikationen. Ausgehend von einem aktiven Individuum, das die Motive seines Medienhandelns erkennen, reflektieren und artikulieren kann, steht bei ihnen das individuelle Nutzungsverhalten und die autonome Wahlfreiheit der Mediennutzerinnen und Mediennutzer im Vordergrund der Analyse. Der Umgang mit Medien wird in diesem Verständnis als ein von spezifischen Bedürfnissen geleitetes Handeln konzeptualisiert, bei dem zielorientiert und selektiv gemäß der erwarteten Nutzen und Kosten des Medienkontakts vorgegangen wird (vgl. Gebhardt 2008: 50). Für das Mobiltelefon mit seinen unterschiedlichen Kommunikationskanälen sind gerade in der Anfangsphase der kommunikationswissenschaftlichen Mobilkommunikationsforschung verschiedene Nutzungsmotive herausgearbeitet worden, so z.B. in Höflichs und Rösslers (2001) Untersuchung der mobilen schriftlichen Kommunikation von jugendlichen Handynutzerinnen und -nutzern. Vor dem Hintergrund einer Uses-and-Gratifications-Perspektive und auf Basis bereits vorhandener Studien zum Gebrauch des (Mobil-)Telefons haben Höflich und Rössler eine Bestimmung von Gratifikationsdimensionen der SMSKommunikation vorgenommen, die sich zu den Nutzungsmotiven Rückversicherung, Kontaktpflege, Verfügbarkeit, Lebenshilfe und ‚Nutz-Spaß‘ verdichten ließen (vgl. ebd.). Als eine der ersten haben Leung und Wei (2000) die ‚Uses and Gratifications‘ des Mobiltelefons erforscht. In ihrer in Hongkong angesiedelten empirischen Untersuchung ermittelten sie insgesamt 27 „Gratifications Items“, die sie zu sieben Motivdimensionen bündelten: „Fashion/Status“, „Affection/Sociability“, „Relaxation“, „Mobility“, „Immediate Access“, „Instrumentality“ und „Reassurance“ (vgl. Leung/Wei 2000: 312f.). Die gefundenen Gratifikationen stimmten größtenteils mit denen des stationären Telefons überein, wie sie bereits Dimmick et al. (1994) beschrieben haben. Einzig die beiden Dimensionen „Mobility“ und „Immediate Access“ waren ausschließlich auf das Mobiltelefon anwendbar und verweisen somit auf seine Eigenschaft, die Bedürfnisse nach Mobilität und ständiger Erreichbarkeit in besonderer Weise befriedigen zu können. Dass die gefundenen Gratifikationen in erheblichem Maße mit den unterschiedlichen demografischen Merkmalen der Nutzerinnen und Nutzer und ihrem mobilen Telefonverhalten zusammenhängen, ist ein weiterer Schluss, den die beiden Autoren aus ihrer Studie ziehen.
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Diese Ansätze zeigen ihre offensichtlichen Schwachpunkte darin, dass sie sich lediglich auf den Umgang mit zwei verschiedenen Kommunikationskanälen des Mobiltelefons beziehen und die mobile Kommunikationstechnologie nicht als ein multimediales Konvergenzgerät, das ein weitaus größeres Gratifikationsspektrum erwarten lässt, begreifen.9 Schwerer wiegt jedoch, dass Medien- und Technologienutzung generell nicht auf ihre funktionalen Aspekte reduziert werden darf, denn: „[…] people do not look to ‚intrusive technology‘ as an answer for problems or needs in their daily routine“ (Katz/Sugiyama 2006: 322). Die nutzerzentrierten Ansätze haben zwar in der traditionellen Massenkommunikationsforschung und auch bei der Analyse der mediatisierten interpersonalen Kommunikation maßgebliche Impulse für die Beschäftigung mit einem aktiven Mediennutzer gegeben, der Medien(-botschaften) selektiert, assimiliert und in subjektive Lebenszusammenhänge einordnet. Sie können aber vor allem dafür kritisiert werden, dass sie das soziale Umfeld und den Kontext der Mediennutzung nicht ausreichend berücksichtigen, sich zu stark auf den Selektionsprozess bei der Medienauswahl konzentrieren und von einem rational und intentional handelnden Subjekt ausgehen, was der Komplexität von Mediennutzung nicht gerecht wird (vgl. u.a. Ayaß 1993; Katz/Sugiyama 2006; Morley 1992). Als einen zusätzlichen Kritikpunk führt Gebhardt (2008: 54f.) an, dass der Uses-andGratifications-Ansatz aufgrund seiner individualistischen Orientierung daran scheitert, „die motivationale Nutzung einer Kommunikationstechnologie zum Zwecke der interpersonalen Kommunikation als […] ein auf andere Menschen bezogenes soziales kommunikatives Handeln“ zu konzeptualisieren. Denn bei der Nutzung mobiler Technologien zum Zwecke der interpersonalen Kommunikation handelt es sich immer um eine soziale Aktivität, um ein intersubjektives Moment medialen Handelns, das im individuenzentrierten, auf das punktuelle Aufeinandertreffen von Mensch und Medium beschränkten Uses-andGratifications-Ansatz zu blass bleibt. Die kultur- und kontextorientierten Ansätze knüpfen zwar einerseits an die Vorstellung an, dass Medien für ganz unterschiedliche Zwecke genutzt werden können und nicht allein die Technik für die Aneignung ausschlaggebend ist, begreifen Mediennutzung aber nicht 9
Beide hier genannten Studien wurden gewiss auch zu einem recht frühen Zeitpunkt durchgeführt, bei dem die Integration multimedialer Anwendungen und Applikationen in das Mobiltelefon noch keine so große Rolle spielte. Zudem weisen Leung und Wei (2000) vorausschauend bereits selbst auf diesen Aspekt hin: „[…] the notions that telephones are developing into a cross between interpersonal and mass media by virtue of the kinds of content they offer will become more evident. When that happens, it would further inform uses and gratifications theory about novel types of mass media gratifications through this everexpanding wireless technology in cellular telephony.“ (Ebd.: 318)
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als isolierte Praxis, sondern verorten sie in sozialen und kulturellen Zusammenhängen. Ein solches Verständnis setzt an Einsichten an, die der Tübinger Ethnologe Hermann Bausinger (1983) bereits Anfang der 1980er Jahre in Bezug auf den Zusammenhang von Alltag, Technik und Medien formulierte. Jutta Röser (2007a: 17) weist darauf hin, dass Bausinger Medienhandeln nicht als einen individuellen Vorgang bestimmt, sondern als einen kollektiven Prozess, der innerhalb sozialer Kontexte stattfindet und im Zusammenwirken mit der Nutzung anderer Medien und (Kommunikations-)Technologien betrachtet werden muss. Anhand der Beschreibung eines Wochenendes der fiktiven Familie Meier veranschaulicht Bausinger (1983), wie Medienhandeln in den Alltag eingebettet ist und wie es durch „Interferenzen mit nichtmedienbezogenem Verhalten“ geprägt wird (ebd.: 32). Auch wenn Bausingers Beschreibungen um die damals dominierenden Medien Fernsehen, Radio und Zeitung kreisen und seine Überlegungen auf den häuslichen Alltag zielen, der für die Mobilkommunikation nur einer von vielen mögliche Kontexten ist, so lassen sie sich doch als Plädoyer für einen umfassend-integrativen Forschungsansatz verstehen, bei dem die kontextspezifischen Faktoren alltäglichen Medienhandelns besondere Berücksichtigung finden. Bausingers Idee der komplexen Verschränkung von Alltag und Medienhandeln, von mediatisierter und interpersonaler Kommunikation, ist insbesondere in ethnografisch angelegten Arbeiten innerhalb der europäischen Cultural Media Studies rezipiert worden (vgl. z.B. Ang 2008 [1996]; Morley 1997 [1991]; O’Sullivan 1991; siehe auch Röser 2007a; ferner: Röser et al. 2010). Anstelle von individuenzentrierten Analysen fordern sie einen „methodologische[n] Situationalismus“ (Ang 2008: 66), d.h. die radikale Berücksichtigung von räumlichen, situativen und sozialen Kontexten des Medienhandelns: „Das Verständnis, das sich aus dieser Form von Untersuchung ergibt, bevorzugt interpretative Spezifizierung gegenüber erklärender Verallgemeinerung, historische und lokale Konkretheit gegenüber formaler Abstraktion, ‚dichte‘ Beschreibung von Details gegenüber extensiven, aber ‚dünnen‘ Erhebungen.“ (Ebd.)
Fast alle dieser frühen, im Rahmen der Cultural Studies entstandenen Medienaneignungsstudien widmen ihr Forschungsinteresse der Rezeption klassischer, ‚massenmedialer‘ Deutungsangebote. Ihr Anspruch, Mediennutzung in einen breiteren Kontext zu stellen, hat jedoch auch in Zeiten von Internet und Mobiltelefon nicht an Aktualität verloren, denn ihr zentraler Gedanke lautet: Nicht die Technologie, nicht die Materialität des Mediums bestimmt ihren Umgang, sondern Medienaneignung findet immer in bestimmten sozialen und kulturellen Kontexten statt und wird in alltägliche Handlungspraktiken integriert.
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An diesen Vorstellungen setzt auch der Anfang der 1990er Jahre im Umfeld der britischen Cultural Studies entstandene und maßgeblich von Silverstone et al. (1992) entwickelte Domestizierungsansatz an, der nicht nur Text und Kontext der Mediennutzung berücksichtigt, sondern insbesondere die (Medien-)Technologie selbst ins analytische Blickfeld rückt (vgl. hierzu und folgend Röser 2005, 2007, 2007a; Berker et al. 2006; Hartmann 2008; Krotz/Thomas 2007). Entlang verschiedener Dimensionen der Medienaneignung10 beschreibt Domestizierung den Prozess, in dem neue Medien- bzw. Kommunikationstechnologien in den Haushalt einziehen, innerhalb des Zuhauses ihren physischen und symbolischen Platz zugewiesen bekommen und in tägliche Routinen, Zeitstrukturen und soziale Interaktionen eingebettet werden. Am Beispiel der Domestizierung neuer Informationsund Kommunikationstechnologien fasst Haddon (2001) die grundlegende Idee des Konzepts folgendermaßen zusammen: „To sum up the domestication approach, ICTs come pre-formed with meanings through such processes as advertising, design and all the media discourses surrounding them. But afterwards households and individuals invest them with their own significance. This includes the effort involved before acquisition in imagining how they might find a place in the home and a role in people’s lives, the household discussions about the decision to acquire them and the process afterwards of locating these ICTs in domestic time and space.“ (Ebd.: o. S.)
Der Ansatz kann und soll hier nicht in aller Breite vorgestellt werden. Da er den Haushalt, dessen „moral economy“ (Silverstone et al. 1992) und „domestic politics“ (Haddon 2001: o.S.), als zentralen Kontext des Medienhandelns konzeptualisiert, ist er auf die Mobilkommunikation auch nur bedingt anwendbar. Zur Integration mobiler Medienkommunikation in ein Konzept wie Domestizierung, das von der Auseinandersetzung mit einem spezifischen Ort geprägt ist, schlägt Haddon (2001) vor, es in Richtung sozialer Netzwerke zu erweitern, da die häuslichen Kontext- und Interaktionsstrukturen immer nur einen Teil des Alltags abdecken. Eine andere Perspektive, die Morley (2003) verfolgt, ist die Neukonzeptualisierung des Häuslichen, das durch den Gebrauch mobiler Medien- und Kommunikationstechnologien eine ‚Dislokalisierung‘ erfährt. In dieser Auffassung werden durch technische und menschliche Mobilisierungsprozesse die geografischen Grenzen eines festen, räumlichen Gefüges überschritten, häusliche Alltags10 Als Dimensionen oder Phasen der Medienaneignung nennen Silverstone et al. (1992: 20ff.) „appropriation“ (Anschaffung, Inbesitznahme), „objectification“ (Objektifizierung, Platzierung), „incorporation“ (Eingliederung) und „conversion“ (Umwandlung) (vgl. auch Röser 2007a: 21).
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rituale ‚enträumlicht‘. Das Zuhause steht nicht länger für einen statischen Ort, sondern wird als ein dynamischer Raum begriffen, der sich durch Interaktionen und Aushandlungsprozesse unter engsten Vertrauten auch andernorts herstellen lässt (vgl. ebd.; Peil 2007a: 232; Röser 2007a: 27). Explizit auf das Domestizierungskonzept beziehen sich in der Mobilkommunikationsforschung einerseits Studien, die sich mit der Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien innerhalb häuslicher Kontexte beschäftigen – so z.B. Michael Feldhaus (2007) oder auch Shingo Dobashi (2005), der in seiner Untersuchung demonstriert, welche Bedeutungen das Mobiltelefon zu Hause als Instrument zur Steuerung und Organisation des familiären Zusammenlebens entfaltet. Andererseits wird der Ansatz in Studien aufgegriffen, die sich vor allem auf dessen allgemeinen Potenziale wie Alltagsbezug, Kontext- und Prozessorientierung stützen, die auch für die Mobilkommunikation fruchtbar gemacht werden können (vgl. z.B. Hjorth 2006, 2009; Katz/Sugiyama 2006; Okada 2005). Larissa Hjorth (2009: 143) stellt beispielsweise die Potenziale des Domestizierungskonzepts heraus, die soziokulturellen Prozesse der Medienkommunikation und die symbolischen Dimensionen von Technologien im Alltag zu analysieren. Die Perspektivierung des Zuhauses bleibt in ihrer Konzeptualisierung des Ansatzes allerdings vage. Anstatt von domestication spricht sie vom domestic technologies approach. Dieser lasse sich für die Untersuchung der Mobilkommunikation widerstandslos heranziehen, weil es sich bei den Endgeräten zwar um eine mobile, aber dennoch häusliche Technologie handele: „In the case of the mobile phone, while the domestic technology device may have physically left home, it psychologically resonates what it means to be at home and local no matter where it is located.“ (Ebd.: 149; Hervorh. im Orig.) Bei anderen Autoren fällt der Bezug zum Häuslichen vollständig weg, so etwa bei Ling (2004), für den sich Domestizierung auf alle konsumierbaren Innovationen beziehen kann:11 „Domestication looks at both the interaction between the individual and the artifact and the social context in which the artifacts are being defined and used. In addition, […] domestication looks at the role of the particular item in the way that life is lived out through our consumption and the use of various objects and services. It also treats the adoption and use of objects and services as dynamic and changing.“ (Ebd.: 33)
11 In dieser Perspektive gerät der Ansatz jedoch etwas arg beliebig, da Ling ihn nicht nur von der häuslichen auf weitere Alltagssphären ausweitet, sondern ihm auch das Potenzial zuspricht, neben Medien und Kommunikationstechnologien alle anderen neuartigen Objekte und deren Konsumption analytisch zu fassen.
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Je nach Perspektive bleibt letztlich strittig, inwieweit der Domestizierungsansatz Fragen der Mobilisierung von Medien und Technologien integrieren kann. Grundlegend ist jedoch seine Annahme, dass sich die Bedeutung eines Mediums nicht allein aus dessen technischen Funktionen, Vorgaben oder Beschränkungen herleiten lässt, sondern stets im Zusammenhang mit den kontextspezifischen Diskussionen, Aushandlungen und Interaktionen des Mediengebrauchs gedacht werden muss, die einem stetigen Wandel unterliegen (vgl. ebd.: 27). Seine Stärke besteht laut Krotz/Thomas (2007: 32) vor allem in der potenziellen Verschränkung technischer, sozialer und kultureller Perspektiven, da er sich „auf ein Kontextualisierungskonzept stützt, das beschreibt, wie ein Medium ausgehend von einem technischen Gerät zur sozialen Wirklichkeit im Alltag der Menschen wird.“ Eine neuere, die Existenz mobiler Kommunikationstechnologien konkreter mit einschließende forschungstheoretische Perspektive, die ebenfalls als kultur- und kontextorientiert aufgefasst werden kann, ist Hepps (2006a, 2007) Überlegung zu einer kommunikativen Mobilität. Ausgehend von Raymond Williams’ Konzept der mobilen Privatisierung, das sich gegen einen technologischen Determinismus wendet und Medien wie das Fernsehen als Einheit von Technologie und kultureller Form begreift, verfolgt der Ansatz von Hepp die parallele Betrachtung von Mobiltechnologien und ihrer weitergehenden Zusammenhänge (vgl. Hepp 2006a: 18f.): „Der Ausdruck ‚kommunikative Mobilität‘ zielt darauf, die Beziehung zwischen Medien und einer zunehmenden lokalen Mobilität in gegenwärtigen (modernen bzw. spät- oder postmodernen) Gesellschaften bzw. Kulturen zu fassen.“ (Ebd.: 19) Diese Beziehung könne derart gestaltet sein, dass einerseits die kommunikativen Endgeräte (neben Mobiltelefonen auch andere Unterhaltungs- und Kommunikationstechnologien) zunehmend mobil werden, andererseits Menschen von stationären Medien in ihrer eigenen Mobilität erreicht werden. Kommunikative Mobilität steht somit immer in engem Zusammenhang mit einer lokalen Mobilität, die sich in einem doppelten Sinn entweder auf eine alltägliche, situative Mobilität (z.B. vom Zuhause zum Arbeitsplatz) oder auf eine biografische Mobilität (Migration) beziehen kann. Im Kern dieser Überlegungen steht die Frage, wie sich Menschen mobile Kommunikationstechnologien in ihrem Alltag aneignen und inwieweit diese Nutzungspraktiken in Verbindung mit soziokulturellen Wandlungsprozessen stehen. Konkretisierungen einer mobilen Kommunikativität sind bisher vor allem in Forschungszusammenhängen untersucht worden, die sich mit den sozialen Vernetzungspraktiken ethnischer Minderheitengemeinschaften befassen und Einblicke in das Zusammenspiel von lokaler und kommunikativer Mobilität zu geben versuchen (vgl. Hepp 2007; Düvel 2006). Zu den kultur- und kontextorientierten Ansätzen lassen sich darüber hinaus Studien rechnen, die weiter oben im Kontext der ethno-
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grafischen Forschungsmethoden bereits angesprochen wurden, die also nicht vom Individuum ausgehen, sondern spezielle Situationen, Orte und Konstellationen der Mobilkommunikation untersuchen und die Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien in einen größeren Zusammenhang stellen. In äußerst erschöpfender Weise erfolgt eine derartige Kontextualisierung beispielsweise in der von Horst und Miller (2006) durchgeführten ethnografischen Studie über Mobilkommunikation in Jamaika. Anhand ihres anthropologischen Zugriffs zeigen sie, wie Besitz und Aneignung eines Mobiltelefons in einem Niedriglohnland wie Jamaika etwas völlig anderes bedeuten kann als in den urbanen Konglomeraten westlicher Industrienationen – wie es etwa den sozialen Aufstieg befördert oder die einzige Möglichkeit darstellt, den Kontakt zu geografisch entfernten Familienangehörigen und Geschäftspartnern zu halten. Ihre Untersuchung unterstreicht einmal mehr die Relevanz einer historischen, kulturellen und politischen Einordnung von Medien- und Technologiegebrauch, dessen Sinn nicht in globalen, sondern in spezifisch lokalen Zusammenhängen konstruiert wird. Gerade die kultur- und kontextorientierten Ansätze sind für die vorliegende Studie inspirierend, weil sie die Nutzung des Mobiltelefons nicht als einen isolierten Vorgang betrachten, sondern zahlreiche Aspekte in den Blick nehmen, die über den unmittelbaren Kontakt zwischen Mensch und Medium hinausgehen. Impulse dieser Arbeiten sollen daher hier aufgegriffen werden, etwa die Berücksichtigung kultureller Präformationen der Mobilkommunikation oder auch das Zusammenspiel von intrinsischen Merkmalen des Mobiltelefons und dessen Flexibilität gegenüber kreativen Aneignungsformen. Sie sollen dabei aber in eine umfassende Perspektive mobilkommunikationsbezogener Bedeutungsproduktionen integriert werden, wie im Folgenden noch zu entwickeln sein wird.
4 . 3 A NSÄTZE DER KULTUR - UND KONTEXTORIENTIERTEN MOBILKOMMUNIKATIONSFORSCHUNG Auch die vorliegende Arbeit versteht sich als eine kultur- und kontextorientierte Studie, da sie die Mobilkommunikation als untrennbar verwoben mit ihren sozialen und kulturellen Zusammenhängen begreift. Die Arbeiten, die sich diesem Paradigma der Mobilkommunikationsforschung zuordnen lassen, sollen an dieser Stelle noch einmal genauer betrachtet werden. Nicht nur versprechen sie produktive Anknüpfungspunkte aufzuzeigen, sie verweisen möglicherweise auch auf Leerstellen, die für die Erarbeitung eines Analyserasters für die Erkundung der Mobilkommunikation in Japan nutzbar gemacht werden können. Nach ihrer sorgfältigen Sichtung ließen sie sich die kultur-
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und kontextorientierten Studien zur Aneignung mobiler Medien- und Kommunikationstechnologien zu den Themenfeldern Raum, Zeit, Beziehungen und Medien gruppieren. Diese konnten als die Leitthemen der Mobilkommunikation identifiziert werden, in denen sich kulturwissenschaftliche Zusammenhänge und Fragestellungen verdichten. Die Studien und ihre Ergebnisse können und sollen hier nicht in ihrer gesamten Breite vorgestellt werden. Sie werden vor allem im Hinblick auf ihren erkenntnistheoretischen Beitrag für die Konturierung der einzelnen Dimensionen diskutiert, damit auf diese Weise möglichen Verbindungen von Kultur und Mobilkommunikation nachgespürt werden kann.
4.3.1 Raumthemen in der Mobilkommunikationsforschung
Für kulturwissenschaftliche Ansätze und Theorien spielt Raum eine wichtige Rolle als etwas, das nicht fixiert erscheint. Raum verändert sich durch mobile Kommunikationstechnologien, weil diese eine Anwesenheit „[a]n mehreren Orten zugleich“ (Höflich 2005) ermöglichen oder durch ihren virtuellen Anschluss an jeden beliebigen Ort der Welt das Globale mit dem Lokalen verbinden (vgl. Morley 1997).12 Wie solche und andere Überlegungen zu Raum Eingang in die Mobilkommunikationsforschung finden, ist Gegenstand der folgenden Abschnitte. Die Forschungsarbeiten zur Mobilkommunikation, die explizit Raumbezüge thematisieren, lassen sich grob in drei Bereiche einteilen: Zunächst einmal gibt es Studien, die im Zusammenhang mit Mobilkommunikation und neuen digitalen Medien Raumbegriffe entwickeln und damit einen umfassenden und teils auch kritischen Blick auf kulturelle und gesellschaftliche Transformationsprozesse werfen (1). Daneben existieren Studien, die sich mit den Veränderungen von Räumen durch Mobilkommunikation auseinandersetzen, wobei es dabei meist um Grenzverschiebungen und um besondere Räume, wie den urbanen Raum, das Zuhause oder öffentliche Transport- und Verkehrsmittel als Räume des Übergangs von einem Ort zum anderen geht (2). Mit einem spezifischen Raum beschäftigen sich darüber hinaus Studien, die eine bestimmte Kultur ins Zentrum ihres forscherischen Interesses stellen und Mobilkommunikation in Verbindung mit geografisch und kulturell geprägten Kommunikationsstilen untersuchen (3). 12 Viele Arbeiten weisen in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeiten der Aneignung von Raum und dessen Anpassung an eigene Bedürfnisse hin (vgl. de Certeau 1988). Aneignungen dieser Art werden bedeutsam, wenn es beispielsweise um widerständige (oder als solche bezeichnete) Praktiken geht, bei denen ein Einkaufszentrum nicht zum Ort des Konsums, sondern des Verweilens gemacht wird (vgl. Fiske 2000; Morris 1993).
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(1) Die Studien, die neue Raumauffassungen und Veränderungen der Kommunikationsformen auf der Makroebene beschreiben, liefern wichtige Konzepte zur Beschreibung der Interaktion von Raum und Mobilkommunikation und eignen sich häufig auch zu einer kritischen und reflektierten Betrachtung des technologischen Wandels. John Tomlinson (2006) weist beispielsweise in einer Auseinandersetzung mit den kulturellen Einflüssen neuer Medientechnologien auf Veränderungen des Verhältnisses zu Orten hin, die er u.a. unter dem Begriff der Deterritorialisierung fasst (vgl. ebd.: 70). Er orientiert sich an der Unterscheidung des Kulturtheoretikers Zygmunt Bauman, der von der schweren Moderne des Industriezeitalters und der flüssigen Moderne der neuen Kommunikationskultur spricht, in denen Flexibilität, Offenheit, aber auch Flüchtigkeit Werte wie Stabilität, Dauer und Lokalität ablösen (vgl. ebd.: 71f.). Die von Tomlinson angewandten Begriffe eröffnen eine kritische Perspektive auf die Transformationen des Raums durch moderne Medienkultur, die nicht nur die Verhältnisse der Menschen untereinander im Raum fokussiert, sondern auch die Veränderung der Ästhetik und der Symbole, derer sich eine Kultur bedient und die unsere Raumwahrnehmungen prägen. Diese Veränderungen haben unmittelbar Auswirkung auf die Gestalt neuer Medientechnologien, die mit der flüssigen Moderne verbunden sind. Nicht mehr die Gigantomanie eines Stahlwerks oder eines überdimensionierten Bahnhofs wie im industriellen Zeitalter werden zu Bezugspunkten unserer Raumvorstellungen, sondern kleine Geräte der modernen Medienkultur: „Wie insbesondere im Design und Marketing von Mobiltelefonen offensichtlich wird, gilt nun die ganz andere Ästhetik der Verkleinerung, Privatisierung und Diskretion statt einer Ästhetik der Grandiosität und Zurschaustellung.“ (Ebd.: 72) Tomlinson versucht auf mehreren Ebenen der Begriffsbildung die Auswirkungen telemedialer Kommunikation auf unsere reale und imaginäre Beziehung zum Raum zu beschreiben, und er weist darauf hin, dass diese sowohl Ängste schafft als auch Chancen für neue Formen der Interaktion bietet (vgl. ebd.). Der Versuch, Transformationen einer neuen Medienkultur und deren Raumvorstellungen zu skizzieren, findet sich auch in Manuel Castells Bestandsaufnahme der so genannten Netzwerkgesellschaft, der er u.a. eine dreibändige Studie gewidmet hat. Castells (2001) unterscheidet hier zwischen einem „Raum der Orte“ (space of places) und einem „Raum der Ströme“ (space of flows), wobei letzterer vor allem die moderne Kommunikationskultur bezeichnet (vgl. ebd.: 433). Zwar verschwindet der Raum der Orte in einer von Datenströmen und augenblicklichen Verbindungen zwischen Orten bestimmten Netzwerkgesellschaft nicht, aber feste Orte und Gemeinschaften werden mithilfe neuer Kommunikationstechnologien wie Mobiltelefon und Internet immer wieder neu erschaffen. Mit dem Begriff der „mobile network
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society“ weist Castells auf die Erweiterung der Möglichkeiten der Netzwerkgesellschaft durch mobile Medien hin (Castells et al. 2007: 6). Die vielfältigen Anschlussmöglichkeiten durch drahtlose Kommunikationstechnologien lassen Castells et al. von einer Tendenz zur Homogenisierung der Räume sprechen: „[…] by making interactive communication possible around the clock and across space, whether local or global, regardless of the location of the nodes in the network, wireless communication homogenizes space: being ubiquitious means redefining space into the space of communication.“ (Ebd.: 177f.) Eine solche Tendenz kommt in unterschiedlicher Ausprägung auch in vielen anderen Arbeiten im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Grenzverschiebungen durch mobile Kommunikationstechnologien zum Ausdruck (vgl. z.B. Morley 2003, 2007). Zu den weiteren grundlegenden Raumbegriffen lässt sich der Begriff des „interspace“ zählen, der, so Hulme und Truch (2005), aus einer Langzeitstudie zur Mobilkommunikation generiert wurde. Auch er fokussiert Grenzverschiebungen und eine neue Qualität von überlappenden Orten, die sich nicht mehr eindeutig dem Raum des Zuhauses, der Arbeit und der Freizeit/Öffentlichkeit zuordnen lassen (vgl. ebd.). Für eine etwas genauere Einordnung der mobilen Kommunikation in die technologischen Transformationen unserer Medienkultur kann Krotz’ Unterteilung in „drei medial definierte neue Erlebnisräume der Menschen“ herangezogen werden (Krotz 2008b: 56; Hervorh. im Orig.): den Erlebnisraum der Interaktivität, den Erlebnisraum der globalen kommunikativen Vernetzung und den Erlebnisraum der mobilen Vernetzung. Krotz untersucht diese Veränderungen im Zusammenhang mit dem von ihm konturierten Begriff der Mediatisierung. Im Zuge der Mediatisierung mögen Erlebnisräume verändert und erweitert werden, aber es sei auch wichtig, sich die Frage zu stellen, warum sich diese Räume erweitern und warum Menschen diese Möglichkeiten nutzen und mehr kommunizieren wollen (vgl. ebd.: 60). Die Betrachtung von Mobilkommunikation und neuen Erlebnisräumen vor dem Hintergrund der Mediatisierung erlaubt auch eine Einordnung in einen umfassenden Prozess der technologischen Transformation, in dem zwar Menschen als Handelnde die neuen Räume besetzen, das Anbieten dieser Räume aber auch mit kommerziellen Interessen der Produzierenden verflochten ist und daher problematisch erscheinen kann. Die kritische Reflexion dieses Zusammenhangs wird allerdings von vielen Studien, die diese Veränderungen als gegeben ansehen, unterschlagen.13 Krotz (2006) weist in einer Kritik an Castells’ Konzept der 13 Krotz (2008b: 61) findet beispielsweise die „Subsumption zwischenmenschlicher Kommunikation und kultureller Ausdrucksformen unter die Ziele privater Unternehmen“ problematisch, denn „sie werden dort funktionalisiert, umgedeutet, reinszeniert, sinnentleert, was in der Menge und auf Dauer irreparable Verluste bewirken könnte“ (ebd.).
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Netzwerkgesellschaft auch darauf hin, dass die Räume des Alltags niemals gänzlich verschwinden, dass es für die technologischen Transformationen immer noch einen Bezugspunkt in der Lebenswelt gibt (vgl. ebd.: 32). (2) Zu den Studien, die sich auf die Veränderung spezifischer Räume und auf bestimmte Motive dieser Veränderungen durch mobile Kommunikation beziehen, kann eine Vielzahl von Arbeiten gerechnet werden, die sich mit Verschiebungen von Raumkoordinaten und Verknüpfungen unterschiedlicher Räume beschäftigen. Ein Aspekt dieser Studien ist der Versuch, die Veränderung des öffentlichen Raumes theoretisch zu erfassen. Höflich (2005) zeigt, wie der öffentliche Raum auf die dort vollzogene Kommunikation einwirkt oder wie eine „Privatisierung des öffentlichen Raums“ hergestellt wird, bei der Mobilkommunikation dazu dient, private Areale zu konstituieren (vgl. Höflich/Gebhart 2005b). Diese Studien thematisieren zum Teil auch den Aspekt der Aneignung eines Raums oder der Konstruktion eines eigenen Raumes, etwa wenn Fujimoto (2005) Mobiltelefone als „territory machines“ bezeichnet, die die Besetzung des öffentlichen Raumes und das Unterlaufen der sozialen Kontrolle ermöglichen (vgl. ebd.: 97). Das Mobiltelefon knüpft dabei an eine Vorgängertechnologie an, wenn mit ihm eine ähnliche akustische Privatsphäre im öffentlichen Raum geschaffen wird, wie sie mit dem Walkman davor zum ersten Mal möglich geworden ist. Freyermuth ordnet diese Nutzung in eine Tendenz zur Generierung virtueller Zonen ein, sogenannte Datensphären, die wie virtuelle Telefonzellen wirken (vgl. Freyermuth 2002). Weitere Studien beziehen sich auf die Grenzverschiebungen, die durch Mobilkommunikation ins Spiel kommen. Geser (2005) beschreibt diese Transformationen durchaus auch als eine Befreiung von der Restriktion, nur von einem festen Ort sozial interagieren zu können. Die Verlagerung der Kommunikation von diesem Ort in den Raum der Öffentlichkeit geht mit sozio-strukturellen Wandlungsprozessen einher, „die mit Begriffen wie Informalisierung, Dezentralisierung, Fluidisierung oder Bilateralisierung umschrieben werden können“ (Geser 2005: 57). Günter Burkart (2002) charakterisiert diese Grenzverschiebungen eher als Interferenzen, als Störungen: „Seit es [das Mobiltelefon; C.P.] seinen Siegeszug angetreten hat, ist der intime Charakter des Telefonierens zunehmend infrage gestellt, wird die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit aufgeweicht, verschoben, neu definiert.“ (Ebd.: 150). Diese Grenzverschiebung lässt sich mit Moores (2006), der sich auf die Arbeit von Paddy Scannell (1996) bezieht, auch als eine „Dopplung des Ortes“ (ebd.: 199) verstehen, die gleichzeitige Gegenwart zweier Orte in einem. Dies verweist zugleich auf die Inkongruenzen, die entstehen, wenn im öffentlichen Raum über das Telefon mit anderen Menschen ein intimes Verhältnis geschaffen wird (vgl. ebd.: 201; siehe auch Höflich 2005).
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Viele der Studien beziehen sich in diesem Zusammenhang auf Goffman (1959) und seine Verwendung der Bühnen-Metaphorik zur Beschreibung des situativen Rahmens von Kommunikation. Mit der Terminologie Goffmans wird auf die Veränderung einer Situationsgeografie hingewiesen (vgl. Moores 2006: 197). Seine Konzepte dienen dazu, die Grenzverschiebungen in den Kommunikationssituationen und die Anpassung der Kommunizierenden an die neu entstandenen Räume zu beschreiben, wenn sich beispielsweise die Grenze zwischen dem öffentlichen Raum und dem privaten Raum nicht mehr so einfach bestimmen lässt (vgl. Höflich 2005; Ling 2005; siehe auch Puro 2002). Okabe und Ito untersuchen mit Goffman ähnlich wie Ling Regelverletzungen im öffentlichen Raum (vgl. Okabe/Ito 2005; siehe auch Ito/Okabe 2005), während sich Lasen (2006: 233) z.B. auf Goffmans Begriff der „civil inattention“ bezieht, um eine besondere Kulturtechnik des Verhaltens im öffentlichen Raum zu kennzeichnen und einen mobilkommunikationsbezogenen Wandel darzustellen. Diesen Studien ist gemein, dass sie ein Interesse für die sozialen Arrangements demonstrieren, die durch die Herausforderungen neuer Kommunikationssituationen entstehen. Sie überschneiden sich daher unweigerlich mit einer Auseinandersetzung sozialer Beziehungen und Regelsetzungen, die sich daraus gestalten. Generell geht es bei den Verschiebungen von räumlichen Grenzen auch um den wichtigen Aspekt, dass etwas geschaffen wird, was Ito und Okabe (2005) als „technosocial situation“ bezeichnen: neue Kommunikationszusammenhänge, die durch Medien kreiert werden, und beispielsweise von der neuen Erfahrung einer ständigen Ko-Präsenz geprägt sind. Dass diese neuen Räume geschaffen werden, bedeutet daher auch, dass sie zu definieren sind und dass Regeln für das Verhalten darin ausgehandelt werden müssen, weshalb in vielen Studien Raum- und Verhaltensfragen parallel diskutiert werden. (3) Zum dritten Bereich der raumbezogenen Mobilkommunikationsforschung lassen sich Studien zählen, die teilweise das Desiderat eines stärker auch auf den konkreten Raum bezogenen Ansatzes erfüllen und versuchen, nicht nur punktuelle Praktiken und Veränderungen zu thematisieren, sondern einen bestimmten kulturellen Raum14 als Rahmen dieser Praktiken beschreiben. Katz und Aakhus (2002) führen 14 Bei den hier gemeinten kulturellen Räumen handelt es sich in der Regel um territorial definierte Nationalkulturen – eine Konzeption, die von Hepp (2003) und anderen Vertreterinnen und Vertretern einer transkulturellen Perspektive generell abgelehnt wird, weil mit Prozessen wie Globalisierung und Mediatisierung an ihre Stelle eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen und Lebensstile getreten ist, die mit herkömmlichen Kulturkategorien nicht (mehr) zu fassen sind (vgl. Hepp 2003: 237f.; für eine weiterführende Auseinandersetzung siehe auch Kapitel 2).
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in ihrer Sammlung Studien zusammen, die sich auf Besonderheiten der Mobilkommunikation unterschiedlicher Länder beziehen. So ist es etwa Puros (2002) Anliegen, in seiner Studie über Finnland als „mobile culture“ den Gebrauch des Mobiltelefons vor dem Hintergrund eines finnischen Kommunikationshabitus zu erschließen. Schejter und Cohen (2002) versuchen, die Affinität der Israelis zu moderner, mobiler Kommunikationstechnologie zu erklären und dies an der besonderen Situation der israelischen Gesellschaft und Kultur festzumachen, etwa in der langen Wehrdienstzeit oder der ständig drohenden Gefahr, mit der die Menschen leben müssen. Die Texte des Sammelbandes verweisen auf Möglichkeiten eines interkulturellen Vergleichs und zielen auf eine Erkundung der Besonderheiten von nationalen oder regionalen mobilen Kommunikationskulturen. Sie schaffen es aber nur selten, diese Räume genauer und umfassender zu analysieren. Ähnliche Arbeiten, die vorgeben, einer interkulturell vergleichenden Perspektive zu folgen, wie etwa Lasen (2006) mit ihrer Auswertung einer Langzeitstudie zur Mobilkommunikation in den Metropolen London, Paris und Madrid, bleiben auf einer deskriptiven Ebene stehen. Sie schildern Phänomene der Veränderung von Verhaltensformen im öffentlichen Raum, ohne sich überhaupt die Frage zu stellen, ob es bestimmte räumliche Bedingungen gibt, die fordern oder begünstigen, dass das Mobiltelefon genutzt wird (vgl. ebd.). Etwas differenzierter erscheinen Zugänge, die nicht nur Veränderungen des Raums, sondern auch Wechselwirkungen zwischen Raum und Technologie beschreiben. Castells et al. (2007) bezeichnen die Perspektive ihrer Studie „Mobile Communication and Society“ als global. Sie wollen eine empirisch fundierte Argumentation entwickeln, die die „social logic embedded in wireless communication“ abbildet (ebd.: 4; Hervorh. im Orig.), und demonstrieren, wie diese Logik durch die Nutzerinnen und Nutzer in verschiedenen kulturellen und institutionellen Kontexten konstruiert wird (vgl. ebd.). Die Arbeit liefert wichtige Anregungen dafür, wie das Zusammenspiel von Technologie und Mobilkommunikation innerhalb spezifischer kultureller Settings erforscht und beschrieben werden kann. Auch Ito und Okabe (2005) berücksichtigen in ihrer Darstellung technosozialer Kommunikationssituationen in Japan auf komplexere Weise das Zusammenwirken von Raum und mobilen Kommunikationstechnologien, bei dem geografische Faktoren Einfluss auf die Mobilkommunikation haben. Ein weiterer wichtiger Impuls für eine Auseinandersetzung mit einem spezifischen kulturellen Raum geht von der bereits angesprochenen ethnografischen Studie zur Nutzung des Mobiltelefons in Jamaika aus (vgl. Horst/Miller 2006). Die Studie, die vor dem Hintergrund einer durch das Mobiltelefon bewirkten Medienrevolution in Jamaika durchgeführt wurde – erst das Mobiltelefon hat die Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit an die Telekommunikation herangeführt, das
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Festnetz war zuvor kaum verbreitet –, gehört zu den wenigen, die auch geografische Merkmale berücksichtigt und zudem auf Faktoren eingeht, die von einem besonderen geografischen und kulturellen Raum auf die Mobilkommunikation einwirken (vgl. ebd.). Während in vielen Studien die mobilkommunikationsbezogenen Veränderungen des Raums auf der Mikroebene thematisiert werden, vermag diese Studie auch auf der Makroebene Bedingungen zu identifizieren, in die sich die Nutzung des Mobiltelefons einordnet (siehe Kapitel 5.1).
4.3.2 Zeitthemen in der Mobilkommunikationsforschung
Das Thema Zeit ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Gegenstand der Kommunikations- und Kulturwissenschaften geworden, obwohl es nur wenige Studien gibt, die sich ausschließlich mit Medienhandeln und Zeit beschäftigen.15 Das Interesse bezieht sich wie bei der Kategorie Raum auf die Erkenntnis, dass Zeit kein fester Begriff, sondern relativ ist und daher als abhängig von kulturellen und sozialen Zusammenhängen gedacht werden muss (siehe ausführlich Kapitel 5.2). Einen wichtigen Bezugspunkt für die Auseinandersetzung mit Zeit und Mobilkommunikation bietet der medientheoretische Ansatz von Harold Innis, der darauf hinweist, dass Medien genutzt werden, um die räumlichen und zeitlichen Probleme der Organisation von Kultur und Gesellschaft zu lösen (vgl. Innis 1997: 95). In dieser Perspektive stellt dass Mobiltelefon eine Medientechnologie dar, die auf bestimmte zeitliche Ansprüche einer Gesellschaft reagiert, auf bestimmte Anforderungen zur Organisation des Lebens, was für die Forschung sehr anschlussfähig ist. Medien lassen sich mit McLuhan (1968) aber auch als eine Erweiterung der Sinne verstehen, als etwas, das unsere Wahrnehmung, und spezifisch unsere Wahrnehmung von Zeit, verändert. Ein Interesse für Zeit ergibt sich zudem aus der kulturwissenschaftlichen Fokussierung auf den Alltag, die beispielsweise in den Arbeiten Henri Lefebvres zu finden ist. Diese liefern wichtige Impulse für eine kulturwissenschaftliche Entdeckung und Analyse des Alltagshandelns, indem sie etwa die komplexen Interaktionen von Arbeit, Alltag und Freizeit beschreiben (vgl. Lefebvre 1977: 42). Ein ausgeprägtes Interesse für die Strukturen des Alltags und die zeitliche Sequenzierung von Handlungen findet sich auch in der Mobilkommunikationsforschung. In den Arbeiten zu den Interdependenzen von Zeit und Mobilkommunikation lassen sich vier unterschiedliche Zugänge feststellen: Erstens gibt es Ansätze, die sich allgemein 15 Eine Ausnahme stellt etwa die von Irene Neverla verfasste Untersuchung „Fernseh-Zeit“ (1992) dar, die sich in umfassender Weise mit Fernsehnutzung im Kontext des Zeithandelns auseinandersetzt.
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mit einem durch mobile Medien- und Kommunikationstechnologien veränderten Zeitbegriff beschäftigen (1). Zweitens findet in zahlreichen Studien eine Auseinandersetzung mit den zeitlichen Bedingungen des Alltagshandelns im Kontext von Mobilkommunikation statt (2). Darüber hinaus lassen sich Studien bündeln, die sich konkret auf spezifische Lebensbereiche (Arbeitszeit, Schulzeit) und deren Organisation sowie auf neue Zeitzonen unseres Alltags beziehen (3). Schließlich sind Ansätze zu nennen, die diese Entwicklungen kritisch reflektieren und neue Formen von Beanspruchung freier Zeit durch Mobilkommunikation beschreiben (4). (1) Zu den Arbeiten, die einen Wandel des Zeitbegriffs durch neue Medientechnologien konstatieren, gehört beispielsweise die wichtige, in der Mobilkommunikationsforschung oft als Referenzpunkt herangezogene Studie „Economies of Signs and Space“ (1994) von Scott Lash und John Urry. Darin wird der Begriff der „instantaneous time“ (ebd.: 243) geprägt, der auf eine neue Vorstellung von Zeit hinweist. Diese stehe im Kontrast zu einer umso größere Zeiträume umfassenden Wahrnehmung der ‚glazialen Zeit‘ und werde von modernen Medientechnologien hervorgebracht – beispielsweise vom Fernsehen oder vom Internet durch die jederzeit mögliche, unmittelbare Anbindung an eine Vielfalt von Ereignissen. Die Verdichtung von Zeit zu augenblicklicher Zeit („instantaneous time“) bringen Lash und Urry (1994: 242) mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen in Zusammenhang, beispielsweise mit einem Verlust von Vertrauen in die Zukunft aufgrund der Betonung von Gegenwart und Gleichzeitigkeit, aber auch mit erhöhten Scheidungsraten, einer größeren Kurzlebigkeit von Produkten oder mit dem wachsenden Auseinanderdriften des Zeithandelns Einzelner, das zur Folge hätte, dass nicht mehr gemeinsam gegessen oder zusammen ferngesehen wird (vgl. ebd.: 245f.). Die aufgezählten Erscheinungen deuten an, welch massiven Einfluss Medien auf unser Zeitverständnis haben und implizieren, dass die Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation diesen Hintergrund berücksichtigen muss. In seiner Konzeptualisierung der Netzwerkgesellschaft thematisiert Manuel Castells auch einen Wandel des Zeitbegriffs. Er spricht in diesem Zusammenhang von der „zeitlosen Zeit“ (timeless time), zu deren Entstehung und Verbreitung die Mobilkommunikation wesentlich beigetragen habe (vgl. Castells 2001: 485; Castells et al. 2007: 171). Der Ausdruck verweist auf eine durch Medien entstandene Komprimierung von Zeit, die Einfluss darauf hat, wie Zeit vorgestellt wird, die sich aber auch auf eine größere Flexibilisierung in der Alltags- und Arbeitsorganisation bezieht (vgl. ebd.: 489). Castells verknüpft damit das Potenzial der Befreiung von einer starren, durch die Uhr als mechanische Zeit bestimmten Ordnung. In dem von ihm et al. verfassten Werk „Mobile Communication and Society“ (2007: 173)
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erwähnt er in diesem Zusammenhang das Konzept der „softening of time“, das von Howard Rheingold (2002: 190ff.) in seiner Arbeit „Smart Mobs“ entwickelt wurde. Die Zeit wird ‚weicher‘, weil beispielsweise Arbeitsabläufe nicht mehr an feste Orte und Zeiten gebunden sind und unterwegs oder zu Hause verrichtet werden oder weil mit mobilen Kommunikationsmitteln Verabredungen besser koordiniert werden können. Die Möglichkeiten flexiblerer Zeitorganisation als eine Art Subversion des Zeitregiments werden auch von anderen Arbeiten zur Mobilkommunikation immer wieder aufgegriffen, wenn es um die Beschreibung vielfältiger, von der Technologie geprägter Alltagspraktiken geht. Neben der Unterwanderung des rigiden Zeitregiments wird die Veränderung der Wahrnehmung angesprochen. Lee und Whitley (2002) machen darauf aufmerksam, dass Computer, Internet und Mobiltelefon zu Leitmedien geworden sind, an denen sich unser Empfinden von Zeit ausrichtet (vgl. ebd.: 235).16 Auch bei John Tomlinson geht es um eine Veränderung von Wahrnehmung, wenn er in „The Culture of Speed“ (2007) Phänomene der Beschleunigung auf einer Vielzahl von Ebenen zu entfalten versucht und von einem „significant shift in temporality“ (ebd.: 1), einer medientechnologisch induzierten Veränderung der Zeitlichkeit, spricht. Tomlinson liefert in seiner historisch angelegten Studie, die untersucht, wie Geschwindigkeit die kulturelle Imagination beschäftigt, allerdings eher einen Hintergrund für die Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation. Das Mobiltelefon verkörpert bei ihm symbolisch einen Wandel, der auf eine wachsende Mobilisierung der Gesellschaft und auf ein erstarkendes „principle of immediacy“ (ebd.: 103) hinweist. In seiner Kritik an Castells, dem er unterstellt, Phänomene der Beschleunigung als gegeben hinzunehmen und nicht deren Zusammenhänge zu beachten, fordert Tomlinson eine historische und kulturelle Kontextualisierung dieser Phänomene (vgl. ebd.: 8). Dies kann auch als Anregung für einen Zugang verstanden werden, der im Hinblick auf gesellschaftlichen Wandel nicht von der Annahme eines medientechnologischen Automatismus ausgeht. (2) Zu einem weiteren Komplex von Arbeiten zu Mobilkommunikation und zeitlichen Aspekten lassen sich Studien zusammenfassen, die untersuchen, wie Zeit, Organisation und Handeln miteinander verknüpft sind. Burkart (2007) weist mit Nobert Elias darauf hin, dass schon die mechanische Uhr nicht die Funktion erfülle, Zeit zu messen, sondern Handlungen zu koordinieren. Das Mobiltelefon verstärke diese Funktion der zeitlichen Organisation des Alltags- und Berufslebens 16 Aus diesem Grund weisen Lee und Whitley (2002: 239) auch auf ein interessantes Forschungsdesiderat hin, sich mit den Kalenderfunktionen von Mobiltelefonen und Computern zu beschäftigen.
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(vgl. ebd.: 159). In vielen Texten, die sich mit der Beziehung von Mobilkommunikation und zeitlichem Alltagshandeln beschäftigen, wird auf das Konzept der „micro-coordination“ rekurriert (vgl. Castells 2001; Green 2002; Ling/Haddon 2001; Ling/Yttri 2002). Der Begriff verweist darauf, dass das Mobiltelefon für die nuancierte Organisation täglicher Abläufe und Begegnungen eingesetzt wird, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt stattfinden können und nicht im Voraus per Festnetztelefon oder persönlich geplant werden müssen. Eine MikroKoordination zur Abstimmung von Aktivitäten und Handlungen war zunächst in Berufskontexten zu beobachten, etwa bei Kontaktaufnahmen zu Außendienstmitarbeitern; sie spielt inzwischen aber in allen Lebensbereichen eine Rolle, wie z.B. in der Familienkommunikation und unter Freunden. Von unterwegs aus werden Treffpunkte vereinbart, Aktivitäten koordiniert, Besorgungen abgesprochen – dies ist mit weiteren Implikationen für eine insgesamt flexiblere Verabredungskultur verbunden, wie Thulin (2007) herausstellt. „The rise of immediate and permanent access – disconnecting communication from time and space constraints – did indeed promote more impulsive decision-making over a reliance on routines, fixed agreements, planned behaviour, and scheduled activities. The consequences for social practice include constant negotiation and re-negotiation, a preference for keeping as many options as possible open for as long as possible, and delayed final choices.“ (Ebd.: 246)
Von Townsend (2000) wird eine solch flexible, mit dem Mobiltelefon und seinen „time-management capabilities“ (ebd.: 1) verwirklichte Lebensführung als „real-time lifestyle“ (ebd.: 10) bezeichnet, bei dem Aktivitäten unmittelbar und in Echtzeit ausgehandelt und nicht mehr im Voraus geplant werden. Mit Verweis auf Sadie Plant (u.a. 2002) spricht Götzenbrucker (2005) hier von „Approxymeetings – Annäherungen respektive Optionen auf Treffen, da sie jedenfalls weitere telefonische Kontakte bis zur Zielerreichung erfordern“ (ebd.: 9). Einerseits vermitteln diese Optionen ein Gefühl der Sicherheit und Spontaneität, andererseits können sie, wie Götzenbrucker (2005: 9) deutlich macht, auch im Sinne einer negativen Flexibilität ausgelegt werden, da sie Unverbindlichkeiten fördern und gerade bei technischem Versagen der Geräte zu kurzfristigen Absagen und Störungen führen können. Weil es sich bei den Studien zur Mobilkommunikation, die den Faktor Zeit beleuchten, häufig um Untersuchungen des Alltagslebens handelt, wird darin oft auf ethnografisch orientierte Forschungsmethoden wie z.B. Kommunikationstagebücher zurückgegriffen, die am besten Aufschluss über die Organisation alltäglicher Abläufe geben (vgl. Ling/Yttri 2002). Besonders Nicola Green (2002) bemüht sich auf Basis einer ethnografischen Langzeitstudie um die Beschreibung
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einer durch das Mobiltelefon entstandenen neuen Zeitlichkeit (vgl. ebd.: 282). Green bezieht sich dabei auf Ansätze (u.a. Lash/Urry 1994), die eine stärkere Sequenzierung unseres Handelns in kleinere Einheiten feststellen. Sie weist aber auch darauf hin, dass die „multiple temporal effects“ (Green 2002: 285), die Technologien in Bezug auf das Handeln und Empfinden von Zeit zugeschrieben werden können, in Anbindung an die konkreten kulturellen Kontexte betrachtet werden müssen. Hierfür sei ein qualitativ geprägter ethnografischer Zugang besonders wichtig: „It therefore entails empirical research as well as theoretical pronouncements. While social activities mediated by mobile technologies potentially encourage fragmentation and the individualization of the experience of time, extending time – space ‚compression‘, ‚convergence‘, and ‚distanciation‘, and the speed and intensity of modern, Western life, locally shared rhythms and the social activities of lived times must also be accounted for. The emerging mobile times in their local and situated, as well as „global“ incidence, can be usefully accessed via ethnographic materials.“ (Ebd.: 285).
Green greift den Begriff der Rhythmen auf, um im Zusammenhang mit Mobilkommunikation Zeithandlungen im Alltag zu unterscheiden. Sie differenziert zwischen den Rhythmen der Handlungen, die mit dem Gerät vollzogen werden, den Rhythmen des Alltags, in die Mobilkommunikation eingebunden ist, und den Rhythmen der technologischen Anpassung an den Alltag und eines damit verknüpften institutionellen Wandels (vgl. ebd.). Ihr Hinweis, dass die Technologie zwar eine neue ‚mobile Zeit‘ schaffe, aber immer auch vor dem Hintergrund eines Alltags gedacht werden muss, der ebenfalls temporale Elemente und Zeitlichkeiten in sich birgt, die bestehen bleiben und mit der mobilen Zeit interagieren, verdeutlicht, dass es keinen einseitigen technologischen Determinismus in diesen Entwicklungen gibt. (3) In den Studien, die sich mit spezifischen Phasen der Lebenszeit und mit besonderen Zeitabschnitten auseinandersetzen und hier die dritte Ebene der zeitbezogenen Arbeiten zur Mobilkommunikation markieren, geht es vielfach um ursprünglich unbesetzte Leerzeiten, die mittels Mobilkommunikation mit Tätigkeiten gefüllt werden: „Travel time metamorphoses from a rather useless ‚waiting time‘ into a creative time, used for virtual communication with other people or for sheer entertainment (watching TV, films, listening to music or the radio, and so on), in which the mobile may play a central role.“ (Thulin 2007: 239)
Eine übergreifende Perspektive liefert hierzu John Urry (2006) mit seinem Aufsatz „Travelling Times“, der sich mit dem Zusammenhang
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von Medien und Mobilisierung auf tatsächlichen und virtuellen Reisen beschäftigt und dabei das „new mobilities paradigm“ (ebd.: 358) definiert. Urry, der verschiedene Formen des Unterwegsseins wie das Gehen, das Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln und das Fahren im Auto unterscheidet, legt dar, wie die Möglichkeit, beim Reisen verbunden zu sein und durch Computer oder Mobiltelefon Arbeitsmöglichkeiten wahrzunehmen, eine überlappende Zeit schaffe (vgl. ebd.: 360). Sein historisches Beispiel der Eisenbahn im Viktorianischen Zeitalter, die die Lektürekapazität vergrößert und neue Formen von Literatur geschaffen habe, lässt auf Zusammenhänge zwischen der Hervorbringung medialer Tätigkeiten und der dafür zur Verfügung stehenden Zeit schließen. Eine ‚überlappende Zeit‘ kreiert neue Zeitzonen, wie beispielsweise den von Hulme und Truch (2005) im vorherigen Abschnitt bereits beschriebenen „interspace“. In der Kennzeichnung der bestimmenden Merkmale von „interspace“ spielt das zeitliche Setting eine wichtige Rolle. Weil durch mobile Medien und Kommunikationstechnologien der Anschluss an unterschiedliche Arbeitsplattformen möglich ist und so die Notwendigkeit entfiele, Arbeit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu verrichten, ersetze das Prinzip der Simultanität zunehmend das der Linearität (vgl. ebd.: 141). Welche Rolle Gleichzeitigkeit und flexibles Zeithandeln spielen, zeigt u.a. die Studie von Ling und Yttri (2002), die sich am Beispiel norwegischer Jugendlicher mit der Nutzung des Mobiltelefons in der Jugendzeit befasst. Die Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation in der spezifischen Phase der Adoleszenz, einer Phase, die prägend für die weitere Nutzung des Mobiltelefons sein kann, ist u.a. deswegen interessant, weil es Jugendlichen schneller als Erwachsenen gelingt, die Technologie und die Vielfalt der von ihr angebotenen Funktionen in ihren Alltag zu integrieren (vgl. u.a. Ling/Yttri: 1). Die spezifische Bedeutung von Mobilkommunikation in einer bestimmten Lebensphase wird auch bei James E. Katz (2006) herausgestellt, der die Funktionen des Mobiltelefons in „educational settings“ (ebd.: 87) untersucht und sowohl Vor- als auch Nachteile von dessen Einsatz im Klassenzimmer herausgearbeitet hat. (4) Eine etwas kritischere Perspektive nehmen schließlich Arbeiten ein, bei denen nicht nur von einer Flexibilisierung der Arbeit die Rede ist, sondern von einer stärkeren Beanspruchung der ‚toten Zeit‘, z.B. auf dem Weg zur Arbeit, was zugleich eine stärkere Beanspruchung von Freiräumen bedeutet. Urry (2006) spricht von einer Kolonisation der Zeit auf Reisen – so genannter „in-between time-space“ (ebd.: 369) –, die früher anderen, kontemplativen Tätigkeiten (z.B. dem aus dem Fenster Schauen17) gewidmet waren. Castells (2001: 493) weist darauf hin, dass das neue Zeitprinzip und die flexiblere Be17 Urry (2006: 364) spricht hierbei von einem „tourist gaze“.
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anspruchung der Arbeitszeit zu Techniken der Selbstregulation außerhalb festgelegter Arbeitszeiten führen. Die ‚tote Zeit‘, die auch einen Freiraum darstellen kann, wird vermehrt einer ökonomischen Ausnutzung zugeschlagen (vgl. Castells et al. 2007: 176). Gleichzeitig – und hier werden die Ambivalenzen des Gebrauchs mobiler Kommunikationstechnologien deutlich – wird aber auch von einer ‚wiedererweckten Zeit‘ gesprochen, die nicht mehr ungenutzt bleibt oder bleiben muss (vgl. ebd.: 176). Auch Burkart (2007: 154) stellt kritisch heraus, dass nicht sicher sei, ob das Mobiltelefon die Möglichkeit bietet, vom strengen Regiment der Zeit befreit zu werden oder ob es im Gegenteil nicht ein noch strengeres Regiment einführt, weil durch die von ihm ermöglichte Flexibilität noch mehr freie Zeit beansprucht wird. Um diese Frage zu klären, müsste sich die Mobilkommunikationsforschung stärker damit beschäftigen, auf welche Weise die neu geschaffenen Zeitinseln im Alltag nutzbar gemacht werden. Insbesondere wäre hier wichtig zu erfahren, vor dem Hintergrund welchen Alltags, welcher kulturellen und sozialen Zusammenhänge, welcher Vorstellungen von Zeit und innerhalb welcher Institutionen dies geschieht – ein Desiderat, dem diese Arbeit nachzukommen versucht.
4.3.3 Beziehungsthemen in der Mobilkommunikationsforschung
Die zum Teil enge Verknüpfung von Raum-, Zeit- und Beziehungsthemen verweist auf die Schwierigkeit, die hier zu analytischen Zwecken getrennten Kategorien eigenständig zu betrachten. Denn gerade das technische Potenzial des Mobiltelefons, Kommunikation losgelöst von Raum und Zeit zu ermöglichen, bietet einen erweiterten Spielraum für die Aufrechterhaltung und Gestaltung von Beziehungen. Zwar haben Medien auch schon in analogen Zeiten eine Rolle für das menschliche Beziehungsleben gespielt.18 Die Möglichkeiten, neue Beziehungsformen aufzubauen oder bestehende zu verändern, haben sich durch die Verbreitung digitaler Medien jedoch potenziert. Somit überrascht es kaum, dass sich zahlreiche Studien mit dem Wandel von Beziehungsstrukturen durch die Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien auseinandersetzen. Soziale Beziehungen werden von Nicola Döring (2004: 253) als wiederholte Kontakte beschrieben, die Face-to-Face oder auch mediatisiert stattfinden können und sowohl von Erfahrungen vorausgegangener als auch von den Erwartungen künftiger Kontakte geprägt sind. In Abgrenzung hierzu spricht Krotz (2007b: 9) von „stabilisierten In18 Dies wird z.B. anhand eines Konzepts wie dem der „parasozialen Interaktion“ deutlich, das eine Schein-Reziprozität zwischen Fernsehzuschauer und Medienfigur impliziert (vgl. Horton/Wohl 1956).
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teraktionsmustern“, um mit dieser Begrifflichkeit auch negative Beziehungen zu beschreiben, die nicht von regelmäßiger Kommunikation, sondern beispielsweise gerade durch das Fehlen von Kommunikation gekennzeichnet sind. Denn nicht wie oft, wie regelmäßig oder mit welchen Medien kommuniziert wird, bestimmt eine Beziehung; vielmehr sind die Art, wie kommuniziert wird, sowie die Inhalte und Funktionen, die durch die Kommunikation erfüllt werden, für Beziehungen von Bedeutung.19 Entscheidend ist darüber hinaus, dass Beziehungen auch unabhängig von konkreten Kommunikationssituationen Bestand haben und außerhalb von spezifischen Interaktionsmomenten durch innere Repräsentationen und Dialoge fortgeführt werden (vgl. ebd.: 10): „Da die Beziehung in den Zeiträumen zwischen den einzelnen Kontakten weiterbesteht, spielen neben dem Kommunikations- und Interaktionsverhalten kognitiv-beschreibende, emotional-bewertende und konativ-handlungsleitende Begleitprozesse (z.B. gemeinsame Erlebnisse erinnern, Sehnsucht empfinden, das nächste Treffen planen etc.) eine wichtige Rolle für die Qualität und Kontinuität der Beziehung.“ (Döring 2004: 253)
Im Folgenden werden Ergebnisse aus Studien vorgestellt, die das Themenfeld Mobilkommunikation und soziale Beziehungen näher beleuchten. Hierzu wird zwischen vier verschiedenen Ebenen unterschieden: Zunächst geht es um makrotheoretische Überlegungen, die allgemeine Transformationen von Beziehungskultur im Kontext neuer Medien und Kommunikationstechnologien reflektieren (1). Zu einer zweiten Gruppe werden empirische Studien gebündelt, die untersuchen, welche Funktionen mobile Kommunikationstechnologien im Beziehungsleben mit Familie, Freunden und Partner erfüllen (2). Zu einer dritten Kategorie fügen sich Arbeiten zusammen, die sich mit den durch mobile Kommunikationstechnologien ausgelösten Irritationen und Problemen innerhalb sozialer Beziehungen beschäftigen (3). Als Letztes wird auf Studien und Texte eingegangen, die sich mit der Genese neuer Beziehungsarten und neuer Formen der sozialen Organisation auseinandersetzen und diese zu konturieren versuchen (4). (1) Castells’ (2001) Theorie der Netzwerkgesellschaft, die weiter oben im Kontext von Raum und Zeit bereits herangezogen wurde, thematisiert in besonderem Maße auch den Bereich der sozialen Beziehungen, da sie die Idee eines mit der Adaption digitaler Kommuni19 Bei sozialen Beziehungen lässt sich gemäß ihrer Funktion, ihrer subjektiv zugeschriebenen Bedeutsamkeit und nach Art der durch die Beziehungspartnerinnen eingenommenen Rolle zwischen verschiedenen Beziehungstypen und im Zeitverlauf auch zwischen unterschiedlichen -phasen differenzieren (vgl. Döring 2004: 254ff.).
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kationstechnologien verbundenen Wandels von Beziehungsnetzen artikuliert. Angesichts der weiten Verbreitung digitaler Medien und Technologien durchdringen Netzwerkstrukturen, wie Castells (2001) deutlich macht, nicht mehr nur das private Beziehungsleben, sondern haben sich zum zentralen Organisationsprinzip von Gesellschaft entwickelt. Hepp (2008b; siehe auch Hepp/Düvel 2010), der Castells Konzept kritisch hinterfragt, weil es die Tendenz dazu habe, Netzwerke zu essentialisieren und nicht als Beschreibungsmetapher zu begreifen, argumentiert mit Elias und dessen Begriff der ‚Verflechtungszusammenhänge‘, dass es vielmehr darauf ankäme, die Spezifik der von der Existenz digitaler Medien geprägten Netzwerke und einer von ihnen dominierten Gesellschaft herauszuarbeiten (vgl. ebd.). Diese Spezifik bestehe darin, dass alltagsweltliche Beziehungsnetze mit digitalen Medien- und Kommunikationstechnologien auf andere Weise gebildet werden können als dies bisher möglich war (vgl. Hepp 2007: 37). Hepp verweist in diesem Kontext auf Wittel (2006), der auf Basis einer ethnografischen Studie über die Netzwerkorganisation von Angehörigen der Londoner Kulturindustrie die Kennzeichen einer „Netzwerk-Sozialität“ vorstellt: „In einer Netzwerk-Sozialität sind die sozialen Beziehungen nicht narrativ, sondern informativ. Sie basieren nicht auf wechselseitiger Erfahrung oder gemeinsam erlebter Geschichte, sondern vorwiegend auf Datenaustausch und dem Bestreben, ‚auf den neuesten Stand zu kommen‘. NetzwerkSozialität besteht aus flüchtigen und vergänglichen, aber dennoch wiederholten sozialen Beziehungen; aus kurzlebigen, aber intensiven Begegnungen.“ (Ebd.: 163)
Netzwerk-Sozialität ist bei Wittel (2006: 182) eine „technologische Sozialität“; sie beruht auf einer Nähe, die durch technische Hilfsmittel auch über Distanzen hergestellt wird, ist folglich deterritorialisiert und immer in Bewegung (vgl. ebd.: 182f.). Aus einer soziologischen Perspektive heraus bemängelt Krotz (2006) an den Arbeiten, die sich auf Castells Begrifflichkeiten der Netzwerkgesellschaft oder auch auf John Tomlinsons (1999) Konzept der komplexen Konnektivität beziehen, zum einen, dass sie auf die Zukunft gerichtet sind, anstatt sich mit den gegenwärtigen Bedingungen und Strukturen von Gesellschaft auseinanderzusetzen, und zum anderen, dass sie in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung soziale Beziehungen als von Grund auf transformiert betrachten. Krotz (2006) macht darauf aufmerksam, dass die soziale Realität nicht nur aus funktionalen Netzwerken besteht, sondern nach wie vor aus lebensweltlich basierten Elementen und Aktivitäten, die durch neue Sozialitätsformen nicht verdrängt werden oder an Bedeutung verlieren
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(vgl. ebd.: 24). Um der Komplexität von sozialen Beziehungen gerecht zu werden, sollten laut Krotz die als Konnektivitäten oder Netzwerke bezeichneten, globalisierten Formen des sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebens als ein Kommunikationstypus – nicht als die Kommunikation – aufgefasst werden (vgl. ebd.: 26f.). Krotz, der sich zunächst nur im Kontext von Globalisierung mit veränderten Formen der Sozialität befasst, schlägt letztlich vor, die gegenwärtigen Transformationsprozesse „als ein Zusammenspiel aus Globalisierung, Individualisierung, Kommerzialisierung und Mediatisierung zu verstehen“ (ebd.: 27). Während sich diese auf der makrotheoretischen Ebene angesiedelten Perspektiven nicht allein auf den Gegenstand der Mobilkommunikation beziehen und verschiedene Metaprozesse berücksichtigen, die für das Zusammenleben und die Beziehungen der Menschen von Bedeutung sind, haben sich viele empirische Studien zur Mobilkommunikation mit dem Wandel von Beziehungen insbesondere auf der Mikroebene auseinandergesetzt. (2) Einen großen Teil der Forschungsarbeiten über Mobilkommunikation und deren Folgen für die Gestaltungsmöglichkeiten von Beziehungen nehmen Studien ein, die ihren Fokus auf die Funktionen mobiler Kommunikationstechnologien für das Beziehungsleben legen. Sie widmen sich in ganz unterschiedlicher Art und Weise der Frage, wie das Mobiltelefon von verschiedenen sozialen Gruppen genutzt wird, um Beziehungen anzubahnen, aufrechtzuerhalten, zu regulieren, zu modifizieren oder zu beenden. Die Studien, die Mobilkommunikation und Beziehungsleben zum Thema haben, sind insgesamt sehr zahlreich und können hier nicht annähernd erschöpfend vorgestellt und diskutiert werden. Im Ganzen betrachtet lässt sich aber eine recht eindeutige Konzentration des forscherischen Interesses auf die sozialen Netzwerke von Jugendlichen und auf die Beziehungsfunktion des Mobiltelefons innerhalb der Familienkommunikation feststellen. Meist stehen dabei die durch das Mobiltelefon ermöglichten Formen der mediatisierten interpersonalen Kommunikation (Telefongespräche, SMS-Versand) im Vordergrund.20 Innerhalb familiärer Beziehungen kann das Mobiltelefon vielfältige Zwecke erfüllen, wie in etlichen Studien veranschaulicht wird (vgl. z.B. Döring 2004; Drüeke et al. 2007; Feldhaus 2004; Ling/Yttri 2006; Selmer 2005): Es dient, indem es organisatorische und koordinierende Aufgaben erfüllt, der gegenseitigen Abstimmung, wird zur Unterstützung von Erziehungsaufgaben bzw. als Instrument der elterlichen Kontrolle verwendet und fördert die „emotionale Stabilität“ (Selmer 20 Zwischen der SMS-Kommunikation und mobilen Telefonaten wird im folgenden Überblick nur dann differenziert, wenn diese explizit auf unterschiedliche Funktionen verweisen.
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2005: 26), weil es durch die jederzeit wahrnehmbare Kontaktmöglichkeit – durch die Erzeugung einer fortwährenden virtuellen Nähe – Angst- und Spannungszustände abbauen kann (vgl. Feldhaus 2004: 128). Döring (2006) verweist darauf, dass der emotionale Nutzen der SMS-Funktion gerade unter Jugendlichen von besonderer Bedeutung ist. Bei diesen gehe es weniger um den Austausch von Informationen, denn um eine emphatische Kommunikation zum Zweck der Rückversicherung, bei der Gefühle und Anteilnahme ausgedrückt sowie Gemeinschaftsempfinden und Zusammengehörigkeit gefestigt werden (vgl. ebd.: 9). Von großer Relevanz sei der emotionale Aspekt des SMS-Austauschs in der (jugendlichen) Paarkommunikation, da mithilfe schriftlicher Mitteilungen offener, enthemmter und expressiver kommuniziert werden könne als von Angesicht zu Angesicht (vgl. ebd.: 10). Im Besonderen gelte dies für heikle Gesprächsthemen, die mittels des technischen Mediums leichter artikuliert würden. Götzenbrucker (2005) spricht in diesem Zusammenhang von „Emotions-Management als wesentlichem Motiv der strategischen Medienverwendung von Jugendlichen in sozialen Beziehungen“ (ebd.: 8; Hervorh. im Orig.). Bei der Anbahnung neuer Freundschaften kann der „Enthemmungsaspekt“ (ebd.: 10; Hervorh. im Orig.) von Bedeutung sein, weil der Kontakt mit dem Mobiltelefon bei angemessener Distanzwahrung schnell und unverbindlich aufgenommen werden kann (vgl. ebd.). Auch die soziale Praxis des Archivierens und Abschreibens persönlich als wichtig empfundener Nachrichten unterstreicht die Bedeutung des Mobiltelefons als „emotionale Ressource“ (Döring 2004: 264) und verweist auf ihren „Tagebuchcharakter“ (Feldhaus 2004: 132). Durch die Integration von Bildern in den mobilen Nachrichtenversand (MMS) kann die gegenseitige Teilhabe an aktuellen Stimmungen und Befindlichkeiten noch gesteigert und intensiviert werden (vgl. Tully/Zerle 2005: 14f.). Damit unterstütze das Mobiltelefon in der Jugendphase wichtige entwicklungspsychologische Aufgaben, wie Feldhaus resümiert: „Das Ausbilden von Identität und der damit auftretenden Aufgabe einer Selbstvergewisserung über die eigenen Emotionen; die Aufrechterhaltung und Verstärkung des Kontaktes zur Gruppe der bedeutsamer werdenden Jugendlichen; das ‚erste Flirten‘ und die ersten ‚Gehversuche‘ auf emotionaler Basis mit dem anderen Geschlecht; die Koordinierung von gruppendynamisch wichtigen jugendlichen Freizeitaktivitäten; die Repräsentation von Zugehörigkeit durch Besitz sowie die Symbolik einer erwachsenen Lebenswelt, kurz: der subjektive Prozess der Emanzipation wird gefördert.“ (Ebd.: 134)
Ling und Yttri (2002) weisen darauf hin, dass das Ausnutzen dieser emotionalen Ressourcen des Mobiltelefons eine ebenso wichtige Rolle
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für das Leben Jugendlicher spielt wie die mit dem Begriff der „microcoordination“ bezeichnete Funktion der Alltagsorganisation. Hieran knüpfen sie mit ihrem Konzept der „hyper-coordination“ an, das die expressive Funktion und die Rolle, die Mobilkommunikation für das Selbstverständnis und die soziale Kommunikation Jugendlicher spielt, herausstreicht. In den sich mit der Mobilkommunikation Jugendlicher befassenden Studien wird oft dargestellt, auf welche Weise das Mobiltelefon die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen unterstützt, wie es als Instrument zur Herstellung und Austarierung von Nähe und Distanz gebraucht wird. Döring (2006: 9) nennt das Mobiltelefon „die Schaltzentrale ihres [der Jugendlichen; C.P.] sozialen Netzwerkes“ (Döring 2006: 9; Hervorh. im Orig.), da alle darin gespeicherten Kontakte theoretisch jederzeit verfügbar und flüchtige Bekannte wie enge Freunde in ständiger kommunikativer Reichweite sind (vgl. ebd.). Der Einsatz erfolge vor allem im sozialen Nahbereich, also zur Verdichtung der Kommunikation mit Familienangehörigen und engen Freunden. Deutlich weniger häufig diene das Mobiltelefon zur Erweiterung des sozialen Netzwerkes (vgl. ebd.). Es fördere somit die soziale Integration und diene insbesondere im Jugendalter der Anbindung an die Peergruppe (vgl. Döring 2004, 2005a, 2005b, 2006; Feldhaus 2004; Götzenbrucker 2005; Oksman/Turtiainen 2004). Als Folge der durch das Mobiltelefon ermöglichten Selektionspraktiken entstehen dabei auch neue Muster sozialer Inklusion und Exklusion, worauf z.B. das Konzept der „Selective Sociality“ verweist (Matsuda 2005b). Als problematischer Aspekt in Bezug auf die Beziehungsgestaltung mittels Mobilkommunikation wird dagegen die prinzipiell immer existente Erreichbarkeit thematisiert (vgl. u.a. Feldhaus 2004; Götzenbrucker 2005). Feldhaus spricht von einem „Erreichbarkeits-Dilemma“, das darin besteht, dass die uneingeschränkte Erreichbarkeit bestimmten Personengruppen (z.B. Freunden) zugestanden und als positiv bewertet wird, während sie bei anderen Personen (Eltern, Vorgesetzten) als unzumutbar aufgefasst wird (vgl. Feldhaus 2004: 135ff.). Derartige Kontrollmöglichkeiten werden von Jugendlichen genauso wie unerfüllte Erwartungshaltungen bezüglich der Erreichbarkeit von Freundinnen und Freunden generell als ein Nachteil der Mobilkommunikation beklagt, da hier oft unterschiedliche Vorstellungen im Hinblick auf Verfügbarkeit, Frequenz und Reziprozität bei den mobilen Kontaktaufnahmen aufeinanderprallen (vgl. Götzenbrucker 2005: 8). Ein weiteres Spannungsfeld in diesem Forschungsbereich ist die Frage danach, ob soziale Beziehungen durch Mobilkommunikation vertieft und intensiviert oder ob sie oberflächlicher, beliebiger, kurzlebiger werden. Vor allem in seiner Frühphase wurde dem Mobiltelefon bisweilen angelastet, zu einer Verarmung sozialer Beziehungen beizu-
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tragen, weil durch die technisierte Mobilkommunikation andere, als ‚wertvoller‘ erachtete Kommunikationsformen vernachlässigt würden. Diese Befürchtungen haben einige empirische Studien zu widerlegen versucht und nachgewiesen, dass die Face-to-Face-Kommunikation durch Mobilkommunikation keineswegs ersetzt wird. Vielmehr würden bestehende Kommunikations- und Interaktionsformen durch mobile Kommunikationspraktiken auf produktive Weise erweitert und durch die Flexibilisierung von Verabredungsmodi teilweise sogar gefördert (vgl. Hashimoto 2005; Döring 2005a; Thulin 2007). Tully und Zerle (2005: 14) kommen daher zu der Erkenntnis, dass nicht der Besitz, sondern der Nicht-Besitz eines Mobiltelefons zur sozialen Exklusion führen kann, weil so die Integration in die Peergruppe aufgrund der fehlenden Partizipation an der mobilfunkgesteuerten Koordination sozialer Aktivitäten gefährdet sei. (3) Nicht um Beziehungen im engeren Sinne, sondern um die Aushandlung neuer Interaktionsmuster geht es in einer Reihe von kommunikationswissenschaftlich und soziologisch orientierten Studien, die sich – meist in Anlehnung an die Arbeiten von Erving Goffman oder Joshua Meyrowitz – mit dem Prozess der Etablierung neuer Regeln und Konventionen in der interpersonalen mediatisierten Kommunikation beschäftigen (vgl. u.a. Höflich 2005; Höflich/Gebhardt 2005b; Humphreys 2005; Ito/Okabe 2005; Ling 2004, 2005; Oksman/Turtiainen 2004; Srivastava 2005). Diesen Studien ist gemein, dass sie sich vor allem den Irritationen und Problemen widmen, die bei sozialen Interaktionen entstehen, wenn eine neue Technologie ins Spiel kommt. Goffmans detaillierte und ausführliche Studien des Alltagshandelns, die Interaktionen als ein von Regeln und Ritualen bestimmtes eigenständiges Areal begreifen (vgl. Knoblauch 1994), lassen sich, wie in Kapitel 4.3.1 deutlich wird, nicht nur auf die durch Mobilkommunikation transformierten Räume anwenden, sondern beziehen sich immer auch auf das sich im Rahmen neuer Situationsgeografien verändernde Verhalten. Höflich (2005) wendet, wie bereits erwähnt, Goffmans Konzept der Rahmenanalyse in seiner Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation im öffentlichen Raum an, wo Rahmenüberschneidungen ein ausgeklügeltes „Situationsmanagement“ (ebd.: 35) und die Anwendung besonderer Arrangements erforderlich machen. Denn die Interferenzen des Privaten und des Öffentlichen, zu denen z.B. das Klingeln des Mobiltelefons, lautes Telefonieren und persönliche Gespräche in der Öffentlichkeit gehören, werden als Störungen oder Irritationen empfunden – dies galt zumindest für die Anfangsphase der Mobilkommunikation. Auch durch das Ausklinken aus dem unmittelbaren „sozialen Geschehen im Hier und Jetzt der physischen Umgebung“ (ebd.: 34), durch die Inklusion und Exklusion von Anwesenden oder die mangelnde Berücksichtigung des Situationskontexts der angerufenen Person werden Höflichkeitsregeln verletzt.
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Soziale Arrangements begegnen diesen Irritationen, entschärfen sie und bringen sie mit den Regeln der öffentlichen Kommunikationsordnung, die einem ständigen Wandel unterliegt, in Einklang (vgl. ebd.: 38). Auch Rich Ling (2004, 2005) stützt sich auf Goffmans Arbeiten zur Interaktion als Ausgangspunkt für seine Untersuchungen der Mobilkommunikation im öffentlichen Raum. Er bezieht sich auf die in Goffmans Arbeit „The Presentation of Self in Everyday Life“ (1959) entfaltete Theatermetapher, die soziale Interaktion als komplexes Verwalten von Rollen auf unterschiedlichen Bereichen der Bühne des Alltags begreift. Die Präsentation des Selbst ist von der Fassade abhängig, einem standardisierten Ausdrucksrepertoire, das bewusst oder unbewusst angewendet wird. Eine besondere Problematik, die Ling mit der öffentlichen Nutzung des Mobiltelefons in Zusammenhang bringt, ist das Management von zwei „parallelen Vorderbühnen“ (2005: 127), das notwendig wird, wenn das Mobiltelefon in Anwesenheit Dritter gebraucht wird. Der oder die Anrufende muss das eigene Verhalten so abstimmen, dass zwei unterschiedliche Situationen – sowohl das Gespräch mit dem entfernten Telefonpartner als auch die Interaktion mit den Anwesenden – simultan so beherrscht werden, dass bei keiner der beiden Parteien Irritationen entstehen. Ist dies nicht möglich, weil etwa die anwesenden Geschäftspartner Zeugen eines persönlichen Ehekonflikts werden, so werden ihnen Zugänge zur „Hinterbühne“ eröffnet und Einblicke in eine Szenerie gewährt, die eigentlich nicht für sie bestimmt war (ebd.: 128). Die theoretischen Überlegungen von Joshua Meyrowitz machen Ito und Okabe (2005) für ihre Untersuchung mobiler Kommunikationspraktiken und Interaktionsformen fruchtbar. Obwohl Meyrowitz’ Fokus vor allem auf den durch die Informationsflüsse des Fernsehens verursachten Grenzverschiebungen liegt, ist seine Erkenntnis, dass soziale Situationen durch das Eindringen von Medien beeinflusst werden und einer Neudefinition bedürfen, Basis für das von Ito und Okabe entwickelte und hier bereits angesprochene Konzept der „technosocial situations“ (siehe Kapitel 5.1.2). (4) Die letzte Kategorie der hier vorgenommenen Systematisierung von Forschungsarbeiten zu Beziehungsthemen und Mobilkommunikation schließt an die von Ito und Okabe definierten „technosocial situations“ an. Sie gruppiert Arbeiten, die im Zusammenhang mit der Nutzung des Mobiltelefons neue Kommunikations- und Vergemeinschaftungsformen untersucht und definiert haben. Hierzu gehören die Studien einiger japanischer Forscherinnen und Forscher, die mit ihren Konzepten des „networked individualism“ (Miyata et al. 2005: 428), „telecocoons“ (Habuchi 2005: 178), „intimate strangers“ (Tomita 2005) und einer „full time intimate community“ (Matsuda 2005a: 30) Antworten auf die Frage gesucht haben, in wie fern sich Interakti-
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onsmuster durch mobile Kommunikationspraktiken verschoben bzw. gewandelt haben.21 In eine ähnliche Richtung weist eine Studie von Carole Rivière (2005), die die „schriftlich-visuelle Kommunikation“ (ebd.: 168) als neue soziale Form des Zusammenseins identifiziert. Diese beruhe maßgeblich auf der Nutzung der Fotofunktion des Mobiltelefons und trage dazu bei, dass Bilder als Teil der interpersonalen Kommunikation präsenter und alltäglicher werden. Die mit dem Fotohandy aufgenommenen Bilder erfüllen verschiedene Funktionen: Einerseits emotionalisieren sie, da sie außergewöhnliche, aber zugleich zufällige und flüchtige Momente des Alltags einfangen und ein Stück geteilte Welt symbolisieren. Andererseits bereichern und verdichten sie den Informationsgehalt schriftlicher oder mündlicher Nachrichten (vgl. ebd.: 177ff.). Auch als Display-Hintergrund repräsentieren Bilder persönliche Bindungen und soziale Nähe, da sie intime Einblicke in individuelle Wertsetzungen und Relevanzzuweisungen bieten. „Photography intensifies the experience and perception of feelings within a relationship with another person, on other words, the capacity to share an experience at the same level […]. By over-investing emotion as a form of relating to another, the instantaneous aspect of the interchanges encourages us to subscribe to an agreeable, shared and common imagination which will be sought after for itself and which creates the perception of ‚being together‘ founded on an affective reality that is shared at the same time and together.“ (Ebd.: 183)
Auf eine weitere durch Mobilkommunikation ermöglichte Form einer sich selbst strukturierenden Vergemeinschaftung weist Howard Rheingold (2002) mit dem durch ihn geprägten Begriff der „smart mobs“22 hin. Rheingold versteht darunter soziale Formationen, die durch die Anwendung mobiler Kommunikationstechnologien Möglichkeiten der unmittelbaren Vernetzung wahrnehmen und auf diese Weise kollektive Interessen bündeln.23 Die Kraft des mobilen Kollektivs liege laut Rheingold vor allem in der Eigendynamik, die es entfalten kann. Einerseits stellt der Ausdruck „smart mobs“ das Potenzial heraus, politi21 Auf diese Arbeiten wird in Kapitel 5 noch näher eingegangen, weshalb auf eine genauere Erläuterung und Einordnung dieser Studien an dieser Stelle vorerst verzichtet wird. 22 Alternativ verwendet Rheingold (2002) auch den Ausdruck des „mobile ad hoc social network“, der im Vergleich zu „smart mob“ jedoch stärker auf eine technische Komponente verweist (vgl. ebd.: 169). 23 Ein prominentes, vielfach zitiertes Beispiel hierfür ist der Sturz des philippinischen Präsidenten Joseph Estrada, der maßgeblich durch die massenhafte Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger eingeleitet wurde, die ihren Protest per SMS organisierten (vgl. Rheingold 2002: 157ff.).
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sche Ziele friedlich, aber effektvoll umzusetzen. Vor dem Hintergrund, dass sich jede denkbare Interessengemeinschaft die neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu Eigen machen und so ihren Wirkungsraum schnell und ergiebig auch zur Durchsetzung politisch fragwürdiger Ziele erweitern kann, deutet er andererseits aber auch auf die zerstörerische Kraft von medienvermittelten Netzwerken hin (vgl. ebd.: 157ff.). Letztlich stellen „smart mobs“ eine soziale Organisationsform dar, die untrennbar mit der Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien und in besonderer Weise mit der Politisierung ihrer Nutzerinnen und Nutzer verbunden ist.
4.3.4 Medienthemen in der Mobilkommunikationsforschung
Die Erkenntnis, dass der Gebrauch mobiler Technologien nur im Kontext der sie integrierenden Medienlandschaft verstanden werden kann, spiegelt sich seit Kurzem auch in der Mobilkommunikationsforschung wider. Studien zum Gebrauch des Mobiltelefons, die ihren Schwerpunkt auf das Zusammenspiel von mobilen Kommunikationstechnologien und der Nutzung anderer Medien innerhalb oder auch außerhalb dieses Geräts legen, sind im Vergleich zu den bisher diskutierten Zugängen zwar seltener, scheinen aber im Zuge der sich durch und mit Mobilkommunikation verändernden Medienensembles immer wichtiger zu werden. Im Zentrum der Betrachtungen steht zumeist der Begriff der Medienkonvergenz. Das Mobiltelefon gilt in zunehmendem Maße als konvergente Medientechnologie par excellence, da es nach und nach immer mehr Funktionen, mediale Anwendungen und ein immer größeres Unterhaltungsrepertoire inkorporiert hat. Mit seinen integrativen Kapazitäten, Fernsehen, Radio, Tageszeitung und weitere Medien in einem Gerät zu vereinen, positioniert es sich in einer Medienlandschaft, die bisher von der Dominanz stationärer Medien gekennzeichnet war und durch die hinzukommenden Nutzungsmöglichkeiten unweigerlich eine Neustrukturierung erfährt. „Media convergence is more than simply a technological shift. Convergence alters the relationship between existing technologies, industries, markets, genres and audiences. Convergence refers to a process, but not an endpoint. Thanks to the proliferation of channels and the portability of new computing and telecommunications technologies, we are entering an era where media will be everywhere and we will use all kinds of media in relation to each other.“ (Jenkins 2004: 34)
Durch Medien wie das Mobiltelefon, das eine kompakte, aber vor allem äußerst individuelle und persönliche Technologie darstellt, ändert sich die Beziehung zwischen Märkten, Menschen und Medien. Das
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Verhältnis von Nähe und Distanz wird neu ausgelotet, gewachsene Nutzungskonstellationen werden infrage gestellt, mediale Inhalte auf neue und andere Weise konsumiert als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Aufgrund des noch sehr jungen und dynamischen Feldes bietet sich eine Sortierung zu den Ergebnissen der medienbezogenen Mobilkommunikationsforschung hier nicht in gleicher Weise an, wie dies in den vorherigen Abschnitten geschehen ist. Dennoch kann festgehalten werden, dass es auch innerhalb dieses Themenfeldes Arbeiten gibt, die sich vorwiegend auf theoretischer Ebene mit dem transformatorischen Potenzial der Mobilkommunikation im Zusammenhang mit anderen Medien auseinandersetzen. Häufig wird hier an die Idee einer „Remediation“ oder „Remediatisierung“ (Bolter/Grusin 2000) angeknüpft, wobei der Begriff nicht explizit auf mobile Kommunikationstechnologien verweist. Remediatisierung meint allgemein die Repräsentation eines Mediums in einem anderen und wird von Bolter und Grusin als grundlegendes Merkmal digitaler Medien benannt (vgl. ebd.: 45).24 Für ein umfassenderes Verständnis von Mobilkommunikation kann hier vor allem die Erkenntnis fruchtbar gemacht werden, dass neue Medien und Kommunikationstechnologien immer in ihrer Beziehung zu älteren Medien betrachtet werden müssen, deren Funktionen sie adaptieren, modifizieren und reorganisieren. Neue Medien fügen sich stets in bestehende Medienstrukturen ein, mit denen sie interagieren, d.h. auf die sie Einfluss nehmen, von denen sie aber auch selbst beeinflusst werden: „No medium today, and certainly no single media event, seems to do its cultural work in isolation from other media, any more that it works in isolation from other social and economic forces.“ (Ebd.: 15)
Innerhalb einer kultur- und kontextorientierten Perspektive ist bislang kaum erforscht worden, wie sich Prozesse der Remediatisierung mit Mobilkommunikation konkret ausgestalten, wie das Mobiltelefon als mobile, konvergente Medientechnologie genutzt wird und mit welchen Implikationen die medienübergreifenden Nutzungspraktiken verbunden sind. Impulse kommen stattdessen vor allem aus der Nutzungsforschung und von Anbieterseite. Bereits seit einigen Jahren rühren zahlreiche Berichte in Special-Interest-Zeitschriften und in der Tagespresse von dem Interesse der Produzierenden, die Möglichkeiten
24 Das soll jedoch nicht heißen, wie die beiden Autoren betonen, dass Remediatisierung ein ganz neues Phänomen ist: „Remediation did not begin with the introduction of digital media. We can identify the same process throughout the last several hundred years of Western visual representation.“ (Bolter/Grusin 2000: 11)
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mobiler Medienkonvergenz sichtbarer zu machen und deren Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Meist vor dem thematischen Hintergrund einer Krise der traditionellen Medien wird regelmäßig über mediale und marketingbezogene Innovationen im Bereich der Mobilkommunikation berichtet, so z.B. über Strategien des „Mobile Publishing“ (z.B. Blum 2005; Kah 2005), die Einführung des mobilen Radios und Fernsehens (z.B. Hildebrandt 2006; Posewang 2004), die Verbreitung des „Mobile Entertainment“ (vgl. z.B. Klein 2004) und den Ausbau von „M-Commerce“ (z.B. Eschenbach 2001) bzw. „Mobile Business“ (vgl. z.B. Hess 2004b). Daneben erscheint eine Vielzahl von Artikeln, die über ungewöhnliche Neuheiten im Mobilfunkbereich informieren. Lange war in diesen Beiträgen von der Suche nach einer ‚Killer-Applikation‘ die Rede, die den erfolgreichen Weg in die Zukunft des Mobilfunks der dritten und vierten Generation weist. Mit Fragen zu künftigen Entwicklungen in der Mobilkommunikation beschäftigt sich auch der von Groebel et al. (2006) herausgegebene Sammelband „Mobile Media“, in dem aus unterschiedlichen Blickwinkeln verschiedene Modelle für die technische, inhaltliche, rechtliche und ökonomische Ausgestaltung mobiler Medientechnologien diskutiert werden. Als große Unbekannte erweisen sich dabei vor allem die Nutzerinnen und Nutzer, die längst nicht alles, was technisch bereits möglich ist, annehmen. Gerade in Deutschland wurde den Bestrebungen, das Mobiltelefon zu einem „multimedialen mobilen Integrationsmedium“ (Breunig 2006: 7) zu machen, das auf vielfältige Weise genutzt wird, lange Zeit mit Zurückhaltung und Skepsis begegnet, wie Breunig in der Auswertung von Nutzungsdaten aus dem Jahr 2006 zeigt: „Das Handy wird bis heute vor allem als Kommunikationsmittel zum Telefonieren und zur Übermittlung von Nachrichten und Bildern (SMS/MMS) verwendet.“ (Ebd.: 12) Zu einer ähnlichen Einsicht kommt Nick Foggin (2006: 298), der als die Killer-Anwendung des Mobiltelefons auch in Zeiten einer beschleunigten Datenübertragung das Telefongespräch betrachtet und dies auch für die Zukunft weiterhin so prognostiziert. Die zumindest in den westlichen Industrienationen vergleichsweise zögerliche Annahme der im Mobiltelefon integrierten Medien könnte somit ein Grund dafür sein, dass auch die kultur- und kontextorientierte Aneignungsforschung in diesem Bereich hinterherhinkt. Auf einen Richtungswechsel deuten aber jüngere Publikationen hin, wie z.B. der von Goggin und Hjorth im Jahr 2009 herausgegebene Band „Mobile Technologies. From Telecommunications to Media“ (Goggin/Hjorth 2009). Hier zeigt sich deutlich ein erstarktes Interesse für die allmähliche Transformation des Mobiltelefons in ein Hybridmedium, in ein mobiles Konvergenzmedium, das in zunehmendem Maße interaktive Möglichkeiten, mediale Anwendungen sowie ein immer größeres Informations- und Unterhaltungsrepertoire in sich
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aufnimmt und auf komplexe Weise mit anderen Medien in Beziehung steht. Ausgehend vom Remediatisierungsansatz geht es in den Beiträgen dieses Bands darum, den Bedeutungswandel des Mobiltelefons im Zusammenspiel mit den ‚traditionellen‘ Medien zu erfassen: „It is important not to see ‚mobile media‘ as ‚new‘ but rather a recontextualization of older media, ideologies, and practices.“ (Goggin/Hjorth 2009a: 7) Im Vergleich zu der insbesondere auf die (tele-)kommunikativen Möglichkeiten des Mobiltelefons gerichteten Mobilkommunikationsforschung nehmen viele der hier versammelten Beiträge eine echte medienbezogene Erweiterung der Perspektive vor: Leslie Haddon und Janes Vincent (2009) zeigen anhand ihrer Befragung Jugendlicher, wie sich der Nutzungsradius des Mobiltelefons durch den selbstverständlichen Gebrauch von Funktionen wie Handykamera, Musikplayer, Spiele, Internet und Fernsehen enorm erweitert hat, ohne dass dies zu revolutionären Umbrüchen im Medienensemble geführt hätte wie seiner Zeit die Einführung der SMS-Kommunikation. Virpi Oksman (2009) erforscht den mobilen Medienkonsum in Finnland und macht deutlich, wie er sich in Alltagssituationen einfügt und mit der ‚klassischen‘ Mediennutzung interagiert, etwa indem die per mobilem Internet erhaltenen Nachrichten durch die Informationen aus der Tageszeitung abgeglichen werden. Jonathan Donner (2009) setzt sich am Beispiel indischer Kleinstunternehmen, die auf SMS-basierte Service- und Informationsangebote angewiesen sind, mit der ungleichen Gestalt von mobile media auseinander, deren Bedeutung sich erst unter Berücksichtigung des jeweiligen Nutzungskontextes erschließt: „[…] a full explication of the term mobile media may uncover presumed differences in form (text, music, voice, image, video), relationship (one to one, one to many, many to many), and permanence (real-time messages, asynchronous messages, stored/created content), with highly variable sets of conclusions as to what constitutes a mobile medium.“ (Ebd.: 97)
Weitere Beiträge in diesem Band verknüpfen historische mit Gegenwartsperspektiven und setzen sich etwa mit der Frage auseinander, in welcher Form Medien wie Fernsehen, Musik oder Zeitung in mobilen Technologien aufgehen, durch sie modifiziert werden und neue Nutzungsoptionen in sich bergen (vgl. u.a. Balbi/Prario 2009; van den Broeck et al. 2009). Darüber hinaus widmen sich einige Texte auch jüngeren Phänomenen der Mobilkommunikation, die ganz neue mediale Erfahrungen möglich machen, beispielsweise der Praxis des „geo-tagging“, dem Ausstatten eines Internetstadtplans mit persönlichen Fotografien (vgl. Lee 2009), oder dem Einsatz von Avataren in der mobilen mediatisierten Kommunikation zur Steuerung visueller Identitätsrepräsentationen (vgl. Cleland 2009).
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Fast alle Beiträge fokussieren das erweiterte Medienrepertoire, das durch multimediale Mobiltelefone ins Spiel kommt, thematisieren die damit verbundenen Implikationen und reflektieren vor diesem Hintergrund die Neukonfiguration der bestehenden Medienkultur. Der Band ist 2009 erschienen und stellt die bislang aktuellste Auseinandersetzung mit den medienbezogenen Aspekten der Mobilkommunikation dar, wenngleich auch schon frühere Arbeiten diesem Forschungsfeld zugeordnet werden können. Musik ist dabei der Bereich, der im Hinblick auf Erscheinungen der mobilen Medienkonvergenz bisher am meisten Beachtung gefunden hat. Angesichts der Popularität tragbarer Audiogeräte, die Anfang der 1980er Jahre mit dem Walkman begann und sich in Nachfolgetechnologien wie Discman und nun i-pod und anderen mp3Playern fortsetzte, liegt die Fusion von Musik und Mobiltelefon besonders nahe. Auch die Tatsache, dass sich durch den Vertrieb von Klingeltönen im multimedialen Mobilfunkbereich die größten Gewinne erzielen lassen, hat zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Bedeutung von Musik innerhalb der tragbaren, personalisierten Technologie des Mobiltelefons beigetragen (vgl. z.B. May/Hearn 2005). Die Erforschung der mobilen Musikrezeption hat bereits eine längere Tradition und soll hier nicht en detail aufgegriffen und wiedergegeben werden. Erwähnung finden soll aber der mit Musik verbundene Kontrast zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Persönlich zusammengestelltes Liedgut, das über Kopfhörer rezipiert wird, transformiert den öffentlichen Raum in eine akustische Privatsphäre und schafft zugleich symbolische Distanz von der unmittelbaren räumlichen Umgebung. Die Konstruktion dieser so entstehenden „Soundscapes“ (Schafer 1977, zit. nach du Gay et al. 1997: 19) ermöglicht somit nicht nur Zerstreuung und musikalische Unterhaltung, sondern auch den emotionalen Rückzug aus dem öffentlichen Geschehen. „Music, like reading (another private pleasure which can be done in public, on trains or buses), has often offered a sort of inner landscape of feelings, emotions and associations to which we can retreat from the bustle and hassle of the ‚real world‘, a sort of ‚second world‘, adjacent to but separate from the everyday one.“ (du Gay et al. 1997: 20)
Im Gegensatz zu mobiler Musik erfüllen Klingeltöne stärker eine expressive Funktion, sie vermögen den urbanen Raum in eine Bühne oder Theater zu verwandeln (vgl. Hosokawa 1981, zit. nach Okada 2005: 55; vgl. auch Peil 2006). In der Beschäftigung mit Klingeltönen geht es auch darum, wie deren Popularität einen völlig neuen Industriezweig hervorgebracht hat und welche Probleme des Vertriebs und der rechtlichen Fragen damit verbunden sind (vgl. May/Hearn 2005: 197). Weitere Ansätze einer Berücksichtigung mobiler Konvergenzentwicklungen zeigen sich in Arbeiten, die sich mit der Bedeutung des
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mobilen Kameragebrauchs auseinandersetzen, die Spielenutzung auf dem Mobiltelefon erforschen und neuere medienkulturelle Phänomene wie das Moblogging untersuchen. In diesem Zusammenhang wird die Nutzung der Handykamera einerseits als neue Art des Fotografierens beschrieben, die mehr auf die flüchtigen Momente des Alltags und das Einfangen eines subjektiven Blicks auf die Umwelt zielt, denn auf die visuelle Erinnerung an besondere Anlässe (vgl. Okabe 2004). Andererseits werden mit einer Fotokamera ausgestattete Mobiltelefone als Geräte betrachtet, die „a dynamic and contingent niche in a rapidly changing scene of digital photography“ besetzen (Goggin 2006: 153). Mobiles Blogging oder auch Moblogging, das ein gutes Beispiel für die Symbiose von Internet und Mobilkommunikation darstellt, ist eine ursprünglich im Internet entstandene kulturelle Praxis, die durch die Verlagerung in den Bereich der Mobilkommunikation neue Akzente erhalten hat (vgl. ebd.: 153ff.; siehe auch Döring/Gundolf 2005). Zahlreiche Arbeiten zur medienbezogenen Mobilkommunikationsforschung sind zur jetzigen Zeit, da die umfassende Nutzung eines komplexen mobilen Medienangebots noch am Anfang steht, darauf beschränkt, neue Phänomene zu beschreiben und deren möglichen Folgen für das Zusammenspiel der Medien zu reflektieren. Es zeigt sich aber eine deutliche Tendenz, die Entwicklung des Mobiltelefons zu einem mobilen Konvergenzmedium auch in der Forschung stärker zu berücksichtigen und die damit verbundenen Folgen für Medienkultur und Medienökonomie zu beleuchten.25 Der Blick auf die bereits vorhandenen Medien und deren Nutzung darf dabei nicht vernachlässigt werden, wie die hier vorgestellten Studien zeigen. Durch sie wird das Feld der mobilen Mediennutzung gerahmt, die sich auf komplexe Weise in die bestehende Medienlandschaft einordnet und sie zugleich neu strukturiert.
4.4 PLÄDOYER FÜR EINE BREITERE KULTURELLE KONTEXTUALISIERUNG VON MOBILKOMMUNIKATION Mobilkommunikation stellt, da sie in einem stetigen Wandel begriffen ist, einen schwer zu erfassenden Gegenstand dar. Unentwegt kommen Neuerungen auf den Markt, die die Möglichkeiten und Funktionen der mobilen Geräte erweitern. Somit ist weder abzusehen noch besiegelt, was für ein Medium das Mobiltelefon eigentlich darstellt. Es inkorporiert eine Vielzahl von Medien(-funktionen) und wird auf ebenso viel25 Eine der mit diesem Wandel zusammenhängenden Implikationen, auf die Henry Jenkins (2004) aufmerksam macht, ist die Neukonfiguration des Nutzers/Rezipienten, dessen Aktivität sich nicht mehr auf kreative oder gar widerständige Lesarten beschränkt, sondern der vermehrt selbst in die Produktion von Medientexten eingreift, etwa über selbstproduzierte Handyfilme (vgl. ebd.: 36).
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fältige und häufig auch überraschende, innovative Weise angeeignet und an den Alltag der Nutzenden angepasst. Aus diesen Gründen ergibt es sich von selbst, dass ein eingeschränkter Zugang in der Forschung nur einen Bruchteil dessen erfasst, was Mobilkommunikation ausmacht oder ausmachen könnte. Das Mobiltelefon als Technologie und Medium erfordert einen interdisziplinären und kulturwissenschaftlichen Zugang, der unterschiedlichste Aspekte zu berücksichtigen vermag und sie in eine systematische Betrachtung einordnet. Die Kultur, in die Mobilkommunikation eingebettet ist, stellt einen zentralen und bestimmenden Faktor dar, denn Technologien werden, so Krotz (2008b), erst da zu Medien, „wo sie eine kulturelle und gesellschaftliche Gestalt erhalten“ (ebd.: 49). Daher erscheinen vor allem die medien- und technikzentrierten Zugänge, die ein unmittelbares Einwirken der Medien auf die Gesellschaft behaupten, als limitiert. 4.4.1 Leerstellen der Mobilkommunikationsforschung
Die kultur- und kontextorientierten Ansätze erweitern den Blick nicht nur darauf, wie gesellschaftliche Zusammenhänge auf die Technologie abfärben, sondern machen auch auf Interdependenzen zwischen Technologie und Gesellschaft aufmerksam. Dennoch erscheinen auch diese Zugänge zum Teil beschränkt, wenn sie beispielsweise zu voreilig gesellschaftliche Veränderungen konstatieren, zu sehr von der Zukunft des Mediums, statt von seiner konkreten Gegenwart sprechen oder zu wenige Faktoren berücksichtigen, die die Implementierung begleiten. Auch wenn etwa in den Arbeiten von Castells erkundet wird, wie sich das Mobiltelefon in eine spezifische Gesellschaft und Kultur einordnet, und er beschreibt, wie die Netzwerkgesellschaft durch neue Medien und Möglichkeiten strukturiert wird, lässt sich doch bisweilen eine zu große Neigung feststellen, Generalisierungen zu treffen – wie etwa die griffigen Konzepte vom „Raum der Ströme“ oder der „zeitlosen Zeit“ suggerieren. Darüber hinaus gibt es eine Tendenz, die Aspekte eines lokal geprägten Alltags oder einer nationalen Kultur, die trotz der technologischen Transformationen noch immer ihre Gültigkeit haben, zu wenig zu beachten. Viele der kultur- und kontextorientierten Ansätze erscheinen auch deswegen limitiert, weil sie sich lediglich auf der Mikroebene auf Phänomene eines mit Mobilkommunikation zusammenhängenden, veränderten Alltags beziehen. Goffman wird vor allem deswegen so häufig bemüht, weil er sich auf die kleinen Settings des Alltags, in denen Mobilkommunikation sichtbar wird, auf einfache Weise beziehen lässt.26 26 Häufig handelt es sich bei den mit Goffman argumentierenden Studien um frühe Arbeiten, die Mobilkommunikation im öffentlichen Raum als Irritation beschreiben – eine Irritation, die inzwischen aber gar nicht mehr unbedingt als solche wahrgenommen wird.
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Welche spezifischen sozialen und kulturellen Ansprüche dazu führen, mobile Medien überhaupt nutzen zu wollen oder zu müssen, bleibt dabei unberücksichtigt. Als gleichsam naturhaftes Phänomen werden die Technologie und ihre Nutzung als zu gegeben und zu selbstverständlich angenommen. Diese Einschränkungen in der Perspektive erstrecken sich auf die unterschiedlichen Dimensionen, die in diesem Kapitel entfaltet wurden. Es gibt Studien, die durch die dargestellten Phänomene der Mobilkommunikation Impulse dafür erhielten, den Raum zu thematisieren. Dabei wird aber oft zu undifferenziert auf Raumaspekte eingegangen; es wird nur ansatzweise behandelt, was Räume – als Teil einer besonderen Geografie – von Mobilkommunikation ‚einfordern‘; es werden zu oberflächlich die Differenzen zwischen den öffentlichen Räumen verschiedener Kulturen herausgearbeitet. Aus diesem Grund ist es wichtig, eine Systematik in der Betrachtung zu entwerfen, die Raum als eigenständiges Merkmal betrachtet und beispielsweise folgende Zusammenhänge fokussiert: Das besondere Phänomen des privatisierten Raums des öffentlichen Nahverkehrs ist in einen städtischen Raum mit einer besonderen Struktur eingebunden, der wiederum Teil der Geografie eines Kulturraumes und einer Nation ist, die wiederum von unterschiedlichen Raumbegriffen und Raumvorstellungen geprägt sein mag. Auf ähnliche Weise sind die Arbeiten zum Thema Zeit zu betrachten. Die Studien, die Zeit und Mobilkommunikation verknüpfen, verweisen auf Möglichkeiten einer flexibleren Organisation des Alltags, aber die Anforderungen an diese Organisation werden von einer spezifischen Kultur gestellt – den Zwängen, die sie ausübt, der Zeit, die sie beansprucht, und die eine Anpassung der Menschen verlangt, bei der Mobilkommunikation auf spezifische Weise eine Rolle spielt. Oft fokussieren die gesichteten Arbeiten derartige Aspekte, wenn sie beispielsweise auf die besonderen Wünsche einer Nutzergruppe, wie z.B. von Jugendlichen, und das von dieser Lebensphase geprägte Zeithandeln eingehen, aber sie müssen dabei auch die Kultur, in der die Jugendlichen leben, mitberücksichtigen, sich z.B. mit Fragen auseinandersetzen, wie stark sie von Institutionen zeitlich beansprucht werden. Es genügt nicht, wie bereits erwähnt, die von Mobilkommunikation ermöglichten ‚Zeitinseln‘ zu erwähnen oder zu beschreiben, es muss auch erkundet werden, aus welchen Gründen es bedeutsam sein kann, dass Menschen auf die Möglichkeit zurückgreifen, kurze Momente mit Tätigkeiten zu füllen, die eine Entlastung bieten. Dann stellt sich zwangsläufig die Frage: Entlastung wovon? Ähnliche Fragen stellen sich bei dem Thema Beziehungen, gerade weil es dort auch um das (vermeintliche) Problem geht, dass durch Mobilkommunikation Beziehungen virtuell werden und die Technologie das soziale Areal verkümmern lässt. Verschiedene Arbeiten gehen auf diese Aspekte ein, wenn sie etwa die Möglichkeiten der Herstel-
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lung von Intimität mit Mobilkommunikation herausstellen. Sie könnten in diesem Punkt aber noch weitergehen, indem sie zum Beispiel beschreiben, vor welchem sozialen und kulturellen Hintergrund sich die von der Mobilkommunikation angebotenen Beziehungsoptionen situieren, oder indem sie erkunden, wie eine Beziehungskultur aussieht und was den Schatz geteilter Wert- und Normvorstellungen darstellt. Auch Phänomene der mobilen Medienkonvergenz und des Zusammenspiels unterschiedlicher Medien und Kommunikationstechnologien werden zu wenig vor dem Hintergrund einer kulturellen Spezifik betrachtet. Beispielsweise lässt der Transfer von Medienneuheiten von einer Kultur zur anderen häufig verkennen, welche Aspekte in der Adaption vergessen oder verändert werden. Konvergenz als Erscheinung, durch die das Mobiltelefon gekennzeichnet ist, wird darüber hinaus zu oft als eine natürliche Entwicklung hin zu einer immer größeren Vielfalt der inkorporierten Medienfunktionen gedeutet. Dass die Art der Integration eines Mediums in ein anderes Medium auch abhängig vom jeweiligen kulturellen und medialen Kontext ist, zeigt sich beispielsweise in den unterschiedlichen Formen der Integration von Schrift in das Mobiltelefon (siehe Kapitel 5.4.1).
4.4.2 Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation: Raum, Zeit, Beziehungen, Medien
Die genannten Defizite der dargestellten Ansätze und Untersuchungen hängen also einerseits damit zusammen, dass sie in der Erklärung und Interpretation ihrer Ergebnisse häufig nicht weit genug gehen und übergreifende kulturelle Zusammenhänge vernachlässigen. Andererseits verweisen viele dieser Studien auf eine weitere Problematik der Mobilkommunikationsforschung, bezieht sich diese doch häufig nur auf ein bestimmtes Setting, innerhalb dessen die Bedeutung kommunikativer Handlungen mit dem Mobiltelefon analysiert wird. Alltagssphären wie das Zuhause, der öffentliche Raum oder der Arbeitsplatz stellen aber immer nur einen relevanten Kontext der Mobilkommunikation dar; andere Sphären werden dann zwangsläufig vernachlässigt, obgleich sie für ein umfassendes Verständnis der Mobilkommunikation von ebenso großer Bedeutung sind: Sicherlich erfüllt die Aneignung des Mobiltelefons innerhalb der Familienkommunikation ganz bestimmte Funktionen; sie muss aber im Kontext mobiler oder beruflichsituativer Nutzungsweisen unter Umständen gänzlich anders bewertet werden. Diese Problematik einer fragmentierten Perspektivierung von Mobilkommunikation kann mit der Ausweglosigkeit des so genannten „radikalen Kontextualismus“ (Ang 2008) in Verbindung gebracht werden, der auf die potenzielle Unendlichkeit möglicher Kontextualisierungen der Medienkommunikation verweist. Da Forschende diesem
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Anspruch nicht gerecht werden können, plädiert Ang dafür, dass sie ein Bewusstsein für ihre standpunktbezogene und nur ausschnitthafte Arbeit entwickeln und ihre eigene Rolle bei der spezifischen Auswahl der relevanten Kontexte reflektieren (vgl. ebd.: 74). Angs Überlegungen lassen sich als Kritik an einer fehlenden Ordnung bei der Kontextualisierung von Medienkommunikation lesen, die an dieser Stelle aufgegriffen werden soll. Ein Weg, das Dilemma des radikalen Kontextualismus aufzulösen, führt über die Konkretisierung und Systematisierung zentraler Kontexte, wie sie hier auf Basis der bereits gewonnenen Einsichten zur Mobilkommunikation vorgenommen werden sollen. Dafür wird zunächst noch einmal knapp zusammengefasst, welche Schlüsse sich aus den definitorischen Annäherungen an die Mobilkommunikation, aus der überblicksartigen Darstellung der Forschungszugänge sowie aus der eingehenden Beschäftigung mit den kultur- und kontextorientierten Ansätzen ziehen lassen: • Bei den mobilen Kommunikationstechnologien handelt es sich um veränderliche Medien, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits einen beeindruckenden Wandlungsprozess vollzogen haben. Die ständige Weiterentwicklung des Mobiltelefons hat dazu geführt, dass es heute zu einer mobilen Allroundtechnologie avanciert ist, die zutiefst von dem Merkmal der Konvergenz geprägt ist, also der Integration verschiedener Medien und medialer Anwendungen in ein- und dasselbe Endgerät. Darüber hinaus – auch dies ist bereits dargelegt worden – ist die Mobilkommunikation ein „soziales Phänomen“ (Mock 2006: 195), sie interagiert in hohem Maße mit kulturellen Bedingungen und gesellschaftlichen Kontexten. • Die Zusammenschau der Forschungszugänge hat gezeigt, dass die Mobilkommunikation vor allem aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit an eine große Bandbreite von Alltagspraktiken Forschungsrelevanz erfährt. Darüber hinaus gerät das Mobiltelefon als Technologie in den Blick, die imstande ist, die Grenzen unterschiedlicher Lebensbereiche aufzulösen sowie verschiedene Alltagssphären miteinander zu verbinden und medial zu verdichten. • Bei der genaueren Sichtung der kultur- und kontextorientierten Ansätze hat sich herauskristallisiert, dass sich fast alle Forschungsarbeiten zur Mobilkommunikation einem der vier Themenfelder Raum, Zeit, Beziehungen und Medien zuordnen lassen. Auf eben jenen Feldern scheint das sich durch einen steten Wandel auszeichnende Zusammenspiel von Mobilkommunikation und Kultur besonders greifbar zu werden. Aus diesen Erkenntnissen lässt sich ein Verständnis von Mobilkommunikation ableiten, das für die Entwicklung einer Systematik fruchtbar gemacht werden kann: Mobilkommunikation hat das Potenzial, Raum und Zeit zu modifizieren, die Gestaltungs- und Organisations-
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prinzipien sozialer Beziehungen zu verändern und das Neben- und Miteinander von Medien und mediatisierten Kommunikationsformen neu anzuordnen. Diese Bestimmung öffnet den Blick für die vier grundlegenden kulturbezogenen Dimensionen der Mobilkommunikation, die zum einen für die Erforschung des Zusammenspiels von Mobilkommunikation und Kultur von besonderer Relevanz sind, zum anderen aber auch in engem Zusammenhang mit den Kapazitäten der Technologie stehen: (1) Raum: Mobiltelefone sind in erster Linie kleine, bewegliche und tragbare Technologien. Daher finden sie, anders als beispielsweise der Fernseher, Einsatz in ganz unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen. Als multimediale Konvergenzgeräte gehören Mobiltelefone zu den ersten Medien, die potenziell an jedem durch Menschen erreichbaren Ort die Realisierung aller drei Formen der mediatisierten Kommunikation (vgl. Krotz 2007a: 90) ermöglichen. Die mobilen Kommunikationstechnologien stehen somit nicht für einen bestimmten Raum, sondern für eine Vielzahl von Räumen und für eine ubiquitäre Aneignung. Die räumlichen Voraussetzungen, Bedingungen und (Macht-)Strukturen rahmen den Gebrauch des Mobiltelefons, sie lassen sich durch Mobilkommunikation aber zugleich verschieben und transformieren. Im Zuge dieser Prozesse müssen Raumgefüge neu bestimmt, Grenzen neu ausgehandelt werden. (2) Zeit: Mobiltelefone verfügen über ein breites Repertoire an Zeitsteuerungspotenzialen – also an Möglichkeiten, Zeit zu verdichten, zu füllen, zu entschleunigen, anzupassen oder zu modifizieren. Als individuelle, persönliche Geräte, die in der Regel ständig mitgeführt werden, sind sie jeder Zeit verfügbar und flexibel einsetzbar. Mit ihrer Hilfe lassen sich Leerzeiten überbrücken, alltägliche Handlungsabläufe synchronisieren, Verabredungen flexibilisieren oder spontane Massenversammlungen einberufen (z.B. zur Bündelung kollektiver Interessen und Aktionen, vgl. Rheingold 2002). Der Gebrauch mobiler Kommunikationstechnologien kann starre Strukturen interpersonaler Organisation durch „Real-Time Koordination“ und „Ad hoc Absprachen“ ablösen (Geser 2005: 47, 48). Ferner begünstigen Kamera- und Videofunktion, aber auch andere mediale Anwendungen im Mobiltelefon eine anpassungsfähige Zeitgestaltung, weil Inhalte reproduziert, vervielfältigt oder zeitlich gelenkt werden können. (3) Beziehungen: Mobiltelefone sind Beziehungsmedien par excellence. Die Möglichkeiten, Kontakte anzubahnen und Beziehungen zu pflegen haben sich mit ihnen potenziert. Nicht nur ist die Kulturtechnik des Telefonierens durch die Mobilität der Kommunikationstechnologie aus dem privaten, häuslichen Bereich in die öffentliche, äußere Welt getragen worden. Durch die Zugriffsmöglichkeit auf das Internet und dessen großes Angebot an onlinebasierten Kommunikationsformen ist darüber hinaus eine Vielzahl von Kommunikationska-
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nälen in ständiger Reichweite. Dies bedeutet zum einen, dass eine kommunikative Verbindung zu Freunden oder zur Familie jeder Zeit hergestellt werden kann, dass also durch die virtuelle Ko-Präsenz vertrauter Menschen jeder beliebige Ort Konnotationen des Privaten und Persönlichen erhalten kann. Zum anderen kann für die Aktivierung der im Mobiltelefon gespeicherten Kontakte auf ein breites Repertoire unterschiedlicher, sowohl synchroner als auch asynchroner, Kommunikationsformen zurückgegriffen werden. (4) Medien: Als mobile Konvergenztechnologien, in die verschiedene mediale Anwendungen und Funktionen integriert sind, interagieren Mobiltelefone auf komplexe Weise mit der sie umgebenden Medienlandschaft. Sie stehen mit anderen Medien in Verbindung, weil sie Teil derselben Kulturökonomie sind und weil sich Bezugspunkte dadurch ergeben, dass sie bestehende Medienanwendungen und -inhalte zu inkorporieren vermögen. Gerade durch ihre Hybridität und Vielgestaltigkeit sind Mobiltelefone angebunden an eine Vielzahl von Medien mit einer eigenen Genese, Geschichte und Ästhetik. Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Medien und medialen Formen, die in der Mobilkommunikation zusammenlaufen, bildet zusammen mit institutionellen und ökonomischen Verflechtungen den Rahmen, in den sich die Mobilkommunikation einordnet. Die vier aus der Definition mobiler Kommunikationstechnologien hergeleiteten Dimensionen lassen sich zusammenfügen zu einer begrifflichen Systematik für die kulturorientierte Analyse von Mobilkommunikation, die hier als kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation bezeichnet werden soll. Die kulturelle Infrastruktur zielt darauf, die Bedeutungsfelder von Mobilkommunikation und Kultur systematisch und in einer umfassenden Perspektive zusammenzuführen. Auf diese Weise soll das Analyseraster die Leerstellen von Studien füllen, die einseitig nur auf einzelne oder wenige kulturelle Aspekte und Kontexte der Mobilkommunikation Bezug nehmen. Der Begriff Infrastruktur, der in diesem Zusammenhang seiner ökonomischen und politischen Konnotationen entbehrt, erfasst somit Raum, Zeit, Beziehungen und Medien als eine Art Unterbau für die kulturspezifische Analyse von Mobilkommunikation. Mit diesen vier Dimensionen ist der Kulturbegriff zwar nicht vollständig erschöpft, diese stellen jedoch die zentralen Eckpfeiler der Mobilkommunikation dar, die mit den Parametern des Mobiltelefons korrespondieren. Eine umfassende Kontextualisierung ermöglichen sie auch deshalb, weil sie sich für die integrative Berücksichtigung weiterer Dimensionen eignen.27 27 So läge vielleicht nahe, die Dimension der Identität einzuführen, da das Mobiltelefon ein höchst individuelles Gerät ist, mit dem sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen Identitätsarbeit verrichten lässt. Nicht ohne Grund haben sich zahlreiche Studien damit befasst, wie das Handy als Ausdrucksmittel genutzt wird – wie es etwa als modisches Statement
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Abbildung 6: Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation Kultur
Raum
Zeit
Raumbezogene Zusammenhänge
Zeitbezogene Zusammenhänge
und Bedeutungsfelder
und Bedeutungsfelder
Mobilkommunikation Beziehungsbezogene Zusammenhänge
Medienbezogene Zusammenhänge
und Bedeutungsfelder
und Bedeutungsfelder
Beziehungen
Medien Kultur
Quelle: Eigene Darstellung Aus den Dimensionen Raum, Zeit, Beziehungen und Medien die Systematik einer umfassenden Betrachtung von mobiler Medienkultur zu erstellen, erklärt sich aus dem Anliegen, die vielfältigen Interdependenzen zwischen den Faktoren, die eine Medienkultur ausmachen, zu beschreiben. Die Nutzung einer Medientechnologie erfolgt nicht zufällig oder isoliert, sondern ist geprägt von der gegenseitigen Abhängigkeit dieser vier Faktoren, den Handlungen der Nutzerinnen und Nutzer und den technologischen Voraussetzungen. Um zu verstehen, wie eine Technologie Kulturen verändert, und wie Kultur den Technologiegebrauch rahmt, bedarf es einer umfassenden Kenntnis dieser beiden Elemente. Weil diese Kenntnis in einer zu eng geführten, auf sichtbare Phänomene beschränkten Forschung fehlt, kann nicht umfassend verstanden werden, welche Bedeutungen, welche Möglichkeiten, aber auch Probleme mit Mobilkommunikation verknüpft sind. Die erarbeitete Systematik führt zu einer geordneten Betrachtung der Dimensionen in den Einzelkapiteln, in denen von der Makroebene gesellschaftlicher Zusammenhänge auf die Mikroebene der konkreten Nutzung der Technologie gefolgert wird. Hepp (2006a: 15) weist darauf hin, dass sich die Forschung nicht auf das Mobiltelefon als Einzelphänomen konzentrieren, sondern stattdessen bei den weiteren Kontexten des Mediengebrauchs im Alltag und bei dessen fortschreitenden soziokulturellen Wandel ansetzen soll. Am Ende muss eine Perspektive gefunden werden, die die unterschiedlichen Ebenen der hier aufgedienen kann oder inhaltliche Möglichkeiten für Identitätspositionierungen bietet. Der Aspekt der Identität ist im Kontext der Mobilkommunikation jedoch so umgreifend und prägend, dass er in jeder der vier Dimensionen eine Rolle spielt und sich daher weniger für eine eigenständige Betrachtung eignet.
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stellten Systematik wieder zusammenführt. Sie können im Einzelnen besser betrachtet werden, sie sind aber, wie die Diskussion des Forschungsstands bereits gezeigt hat, so miteinander verflochten, dass sich die Nutzungsaspekte nur schwer zuordnen lassen und über die Dimensionen hinausweisen. Sich mit einer besonderen Kultur zu beschäftigen, wie es in dieser Arbeit mit dem Gegenstand Japan geschieht (siehe Kapitel 5), erklärt sich aus dem Anliegen, dieser Betrachtung einen Rahmen zu geben und eine Medienkultur möglichst genau zu erforschen, die wieder als Bezugs- und Vergleichspunkt für andere Medienkulturen dienen kann. Die ausführliche Arbeit von Horst und Miller zur Integration des Mobiltelefons in Jamaika hat gezeigt, dass eine auf eine Nation bezogene Studie nicht zu einer Essentialisierung einer spezifischen Kommunikationskultur führen muss, sondern dabei hilft, die sozialen und politischen Aspekte der Implementierung mobiler Kommunikation zu verstehen. Viele der gesichteten Arbeiten beziehen sich auf Japan und deuten an, dass die Mobilkommunikation in diesem Kulturraum ein interessantes Phänomen darstellt, was – wie bereits in der Einleitung beschrieben – zu der Gefahr führen kann, ein Bild von Japan als die ‚andere‘ Medienkultur zu konstruieren. Dieser gilt es gerade dadurch zu begegnen, dass die vielfältigen, diese Kultur formenden Faktoren dargestellt und reflektiert werden. Auf diese Weise kann verstanden werden, was Mobilkommunikation in Japan und von dort ausgehend auch in anderen Kulturräumen bedeutet, denn dadurch gewinnt eine Kontrastfigur Konturen, werden Unterschiede und Ähnlichkeiten deutlich, die die Erkundung von Mobilkommunikation in anderen Kontexten unterstützen. Auch wenn das Mobiltelefon damit immer noch nicht erfasst sein wird und es weiterhin wie kaum ein anderes Medium fortfahren wird, andere Medien und Nutzungsmöglichkeiten zu inkorporieren und sich zu verändern, ermöglicht dies zumindest die Annäherung an ein temporäres Verständnis von Mobilkommunikation.
5. DIE KULTURELLE INFRASTRUKTUR DER MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN „Nun zeigt sich, daß in diesem Lande (Japan) das Reich der Signifikanten derartig ausgedehnt und um so vieles weiter als die Sprache ist, daß der Austausch der Zeichen […] einen faszinierenden Reichtum, eine bestrickende Beweglichkeit und Subtilität besitzt.“ (Roland Barthes 1981 [1970]: 22f.)
Mit dem Ansatz, Raum, Zeit, Beziehungen und Medien als zentrale kulturelle Dimensionen zu erfassen, die für das Verständnis von Mobilkommunikation konstitutiv sind, ist der Anspruch verknüpft, verschiedene Forschungslinien zusammenzudenken und die Analyse nicht auf Einzelphänomene zu beschränken. Die Vielfalt an produktiven Erkenntnissen aus Studien, die lediglich Teilaspekte fokussieren, sollen in eine übergeordnete Perspektive integriert werden. Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation ist aber auch mit dem Desiderat verknüpft, die auf globale Zusammenhänge und Transformationen ausgerichteten Ansätze mit Auseinandersetzungen abzugleichen, die sich mit den konkreten, materiellen und lokalen Aspekten von Mobilkommunikation befassen. Auf diese Weise soll eine gewisse Zweiteilung der Forschung aufgelöst werden, bei der auf der einen Seite Mikrostudien und auf der anderen Seite generalisierende Konzepte stehen. Die auf Basis der kulturellen Infrastruktur erfolgende Untersuchung der Mobilkommunikation in Japan zielt dagegen auf deren Zwischenraum: Sie soll die Kleinteiligkeit der Mikrostudien überschreiten und die oft abstrakt benannten Kontextfaktoren in Metatheorien füllen. Für eine systematische kulturorientierte Analyse der Mobilkommunikation sind die einzelnen Felder des Analyserasters (siehe Abbildung 6) mit konkreten Inhalten zu füllen. Dies soll in den folgenden Kapiteln am Beispiel Japan geschehen. Entlang der vier Dimensionen werden die kulturellen Zusammenhänge der Mobilkommunikation
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herausgearbeitet, um dadurch tiefere Einblicke in die Interdependenzen von kulturellen Signifikationsprozessen und kommunikativem Handeln mit mobilen Medien zu erhalten. Die Arbeit ist theoretischkonzeptionell angelegt und stützt sich in erster Linie auf eine breite Literaturanalyse. Neben dem Literaturstudium fließen Beobachtungen, Experteninterviews, Gespräche mit japanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern1 sowie die Ergebnisse einer auf Kommunikationstagebüchern2 basierenden Fallstudie in die Arbeit mit ein. Diese Daten, die hauptsächlich explorativen Charakter haben, wurden im Frühjahr 2006 im Rahmen eines dreimonatigen Forschungsaufenthalts an der University of Tokyo erhoben. Sie haben einerseits zu einer offenen Erkundung des Feldes beigetragen und geholfen, die japanische Alltagskultur sowie die Rolle, die das Mobiltelefon darin spielt, besser zu verstehen. Andererseits dienten sie der Überprüfung, Reflexion und Interpretation der auf Basis der Literaturauswertung gewonnenen Erkenntnisse. Abgesehen von den offensichtlichen Einschränkungen, die mit einem weitgehenden Verzicht auf eigenes empirisches Material verbunden sind, birgt diese Herangehensweise auch einige konkrete Vorteile in sich. Zum einen umgeht sie zu einem gewissen Grad die Sprachproblematik, die darauf gründet, dass Kultur sehr stark von ihrer Sprache bestimmt ist, deren nuancierter Gebrauch auch bedeutet, in sie sozialisiert worden zu sein. Die Arbeit bezieht sich auf Studienergebnisse und damit auch auf Angebote einer Vermittlung durch Forschende, die in der japanischen Kultur und ihrer Sprache situiert sind. In der Interaktion mit den untersuchten Akteuren ist es ihnen in den eigenen empirischen Arbeiten möglich, spezifische Phänomene zu erfassen, die 1
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Die Interviews fanden im Mai und Juni 2006 in und um Tokio statt. Im Einzelnen handelte es sich um Gespräche mit Hitoshi Ienaka, dem Leiter der Cross Platform Business Section von KDDI, und mit Lawrence Cosh-Ishii, einem Digital Media Produzenten und Mitbegründer von Wireless Watch Japan. Ein drittes Interview wurde mit Mitarbeitern von d-pa geführt, einer Organisation, die den Transfer des terrestrischen Fernsehens vom analogen zum digitalen, auch für das mobile TV geeigneten Standard in Japan regelt. Im akademischen Bereich wurde der persönliche Kontakt zu den Mobilfunkforscherinnen und Mobilfunkforschern Misa Matsuda, Shin Mizukoshi sowie Daisuke Okabe und Aico Shimizu hergestellt. Für die Fallstudie wurden zwei Mitarbeiterinnen sowie zwei Mitarbeiter des Unternehmens Konica/Minolta (der Kontakt kam durch Prof. Dr. Yoshiaki Hashimoto zustande) gebeten, zwei Tage lang alle mit dem Mobiltelefon ausgeübten Aktivitäten in einem speziell zu diesem Zweck angefertigten Kommunikationstagebuch zu dokumentieren. Im Anschluss an die Testphase fand ein Gruppeninterview statt, in dem einzelne Ergebnisse aus den Tagebüchern vertiefend besprochen und die von den Probandinnen und Probanden gemachten Erfahrungen diskutiert wurden. Mithilfe eines Dolmetschers und Übersetzers wurden sowohl das Gespräch wie auch die Tagebücher auf Japanisch geführt.
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auf komplexe Weise von der japanischen Sprache und von kulturellen Kommunikationskonventionen bestimmt sind.3 Der zweite Vorteil einer theoriegeleiteten Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation in Japan besteht in der Breite der Untersuchung, die vielfältige, sich überschneidende und interagierende Kontexte zu berücksichtigen vermag. Eine derart umfassende Betrachtung der Mobilkommunikation in Japan wäre anhand einer empirischen Einzelstudie kaum zu leisten gewesen. So ist es ein wichtiges Anliegen der vorliegenden Untersuchung, die japanische Mobilkommunikation möglichst sorgfältig zu erforschen, sodass sie später auch für eine vergleichende Betrachtung verschiedener mobiler Medienkulturen herangezogen werden kann. Auf explizite Vergleiche soll in den folgenden Darstellungen zu den Praktiken der Mobilkommunikation im Kontext kultureller Bedeutungsfelder allerdings bewusst verzichtet werden. Grund hierfür ist, dass Japan nicht nur als Kontrastphänomen hervorgehoben, sondern als eigenständige, vielfältig strukturierte Medienkultur skizziert wird. Demnach ist es nicht das Ziel der folgenden Ausführungen, die Medienkultur Japans dadurch zu bestimmen, dass sie von anderen Medienkulturen abgegrenzt und ihre Einmaligkeit herausgestellt wird. Dies würde einem Vorgehen entsprechen, das in der Tradition einer als nihonjinron bezeichneten Forschungsrichtung stünde – der pseudowissenschaftlichen und als höchst bedenklich einzustufenden Untersuchung der Einzigartigkeit Japans, in der die unveränderliche Essenz, kulturelle Homogenität und nationale Überlegenheit des japanischen Volks beschworen wird (vgl. u.a. Hasegawa/Hirose 2005: 219; Mor3
Die Annahme eines sprachlichen Relativismus, wie sie von Benjamin Whorf unter Berufung auf den Sprachwissenschaftler Edward Sapir aufgestellt wurde, betont die Verknüpfung von Sprache, Kultur und Wahrnehmung: Menschliche Erkenntnis ist von der Sprache abhängig, deren semantische Struktur und Begriffsvorrat unser Denken und Handeln prägen (vgl. Whorf 1968). Unterschiedliche Kommunikationssysteme sind demnach der Ursprung für kulturelle Differenzen, die auch durch das Erlernen einer (Fremd-)Sprache – das ein ethnografischer Ansatz zur Untersuchung der Mobilkommunikation in Japan im Idealfall erfordern würde – nicht zu nivellieren sind. Für ein komplexes Verständnis der Aneignung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan mag es somit ein Gewinn sein, auf die Untersuchungen von japanischen Forscherinnen und Forschern zurückzugreifen. Zwar haben auch diese keinen vollständigen Zugriff auf die divergierenden und sich überlagernden Diskurse, die in der Sprache aufgehen (vgl. Clifford 1999: 484), sie stützen sich im Umgang und Gespräch mit den untersuchten Akteuren aber auf ein ähnliches Repertoire an Vorstellungen, Regeln und (Kommunikations-)Konventionen. Gerade in einer Kultur wie der japanischen, die auf einer stark kontextbezogenen und relationalen Sprache basiert (vgl. Kapitel 5.4.1), für die es nicht immer klare Regeln gibt, kommt den kulturell vermittelten Deutungsleistungen der Kommunikationspartner in der zwischenmenschlichen Interaktion eine besondere Bedeutung zu.
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ley/Robins 1995: 164). Vielmehr geht es darum, den Zusammenhängen von Kultur und Mobilkommunikation am Beispiel Japans systematisch nachzuforschen, ohne sie dabei zu essentialisieren. Die Unterteilung der einzelnen Dimensionen im Analyseraster der kulturellen Infrastruktur der Mobilkommunikation dient vor allem dazu, die identifizierten Phänomene und Zusammenhänge beschreibbarer zu machen. Letztlich sind die raum-, zeit-, beziehungs- und medienbezogenen Aspekte der Mobilkommunikation jedoch als sich überlagernde und sich zu einem Ganzen zusammenfügende Bedeutungsebenen zu denken, die es bei einer kultursensiblen Analyse von Mobilkommunikation zu berücksichtigen gilt. Innerhalb der vier Dimensionen wird den Verbindungen und gegenseitigen Einflussnahmen von kulturellen Voraussetzungen und mobilem Medienhandeln insbesondere dort nachgespürt, wo sie sich als sichtbare Phänomene aufdrängen und zu weiterführenden Überlegungen anregen. Wenngleich die Darstellung umfassend sein will, erhebt sie nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Einem dynamischen Kulturbegriff folgend versucht sie, die vielfältigen, teilweise widersprüchlichen und oftmals auch flüchtigen Manifestationen von mobiler Medienkultur in Japan Kontur zu geben und mit der gebotenen Sorgfalt zu ergründen. Die folgenden Unterkapitel sind so aufgebaut, dass sie zunächst allgemein in die jeweilige Kulturdimension einführen und deren Bedeutung für eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation reflektieren. Nach den einleitenden Ausführungen bildet die Darstellung kulturbezogener Felder und Themen in Japan den Rahmen, um die Rolle der Mobilkommunikation innerhalb dieser kulturellen Settings näher zu untersuchen und zu diskutieren.
5.1 RAUM Die Beschäftigung mit räumlichen Aspekten von Mobilkommunikation in Japan erfordert zunächst einen kurzen Einblick in die Bedeutung und Konzeptualisierung des Themas Raum, das seit einigen Jahren immer stärker ins Blickfeld verschiedener Wissenschaften geraten ist. In der Geografie, der Disziplin, die sich von jeher mit Fragen des physisch-materiellen Raums befasst hat, findet die Sensibilisierung für räumliche Zeichen und Bedeutungen ihre theoretische Fundierung in der Neuen Kulturgeografie (vgl. u.a. Crang 1998; Mitchell 2000; Sahr 2003). Unter Bezugnahme auf postmoderne und poststrukturalistische Theorien ist diese von den etablierten Methoden und Perspektiven abgerückt und widmet sich verstärkt den sozialen und kulturellen Praktiken, die mit der Konstruktion von Räumen verknüpft sind. Das aktuelle Interesse am Raum hat inzwischen aber auch die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften erfasst, die Raumkonzepte lange Zeit geschicht-
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lichen und zeitlichen Kategorisierungen untergeordnet haben und die „diskursive Verkopplung von Territorium und Kultur“ (Gebhardt et al. 2003: 3) erst seit Kurzem in den Vordergrund rücken (vgl. ebd.; Löw 2001: 9f.). Begrifflich schlägt sich die erhöhte Aufmerksamkeit für Raumdiskurse im so genannten spatial turn – oder auch „topological turn“ (Latka 2007) oder „topographical turn“ (Weigel 2002) – nieder, der für die Abkehr von dem Primat der Zeit steht und eine Gleichstellung von Zeit und Raum als Strukturierungsmerkmale von Kultur und Gesellschaft betont. Dieser Paradigmenwechsel ist eng verknüpft mit ökonomischen, politischen und medialen Transformationsprozessen und im Kontext einer Renaissance kultureller Differenzierungen und weiterer epistemologischer Wenden (cultural turn, linguistic turn, semiotic turn, pictorial turn) zu verstehen, die die Wissenschaftslandschaft seit den 1970er Jahren geprägt und restrukturiert haben (vgl. Gebhardt et al. 2003). Das den neueren Ansätzen zugrunde liegende Raumverständnis geht nicht mehr von einem essentialistischen Raumbegriff aus, sondern fußt auf der Einsicht, dass Raum genau wie Zeit eine soziale Konstruktion ist (vgl. u.a. ebd.; Bormann 2001; Löw 2001; Werlen 2003). „Raum ist hier – so muss die konzeptionelle Präzisierung lauten – nicht in erster Linie ‚an sich‘ bedeutsam, sondern als Konstruktion, d.h. als sozial, ökonomisch und politisch interpretierter, als symbolisierter Raum. Die Geographien (Physiognomien) unserer Alltagswelt, die uns umgeben, tragen Bedeutung, und diese Bedeutung wandelt sich mit der Transformation ihrer Gesellschaft, sie werden in deren Spielen kultureller Distinktion, Fragmentierung und Vielfalt ständig neu erfunden.“ (Gebhardt et al. 2003: 3)
Diese konstruktivistische Sichtweise, die Raum als kontextbezogen auffasst und seine Gegebenheiten kritisch infrage stellt, hat sich in den Kulturwissenschaften gegen ein objektivistisches Verständnis inzwischen weitgehend durchgesetzt. Entsprechende Fragestellungen interessieren sich weniger für die Materialität von Räumen, sondern versuchen primär zu ergründen, wie Räume sozial produziert werden, welche Machtstrukturen und Hierarchisierungen ihnen inhärent sind, welche Repräsentationen sie in sich tragen und wie ihre Konstruktion mit gesellschaftlichem Wandel interagiert. Die grundlegende Einsicht dieses Ansatzes besteht darin, Raum immer auch als Raumvorstellung, d.h. als einen abhängig von soziokulturellen Bedingungen vorgestellten und konstruierten Raum aufzufassen. Erst wenn die räumlichen Sinnstrukturen entschlüsselt werden, die sich in alltägliche Plätze und Orte eingeschrieben haben und unsere Raumwahrnehmung beeinflussen, sei ein Verständnis kultureller Erfahrungen möglich, wie Don Mit-
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chell (2000: 42) in seinem kulturgeografischen Einführungswerk hervorhebt.4 Im Kontext des technologischen Fortschritts diagnostiziert Martina Löw (2001) vor diesem Hintergrund geradezu eine Krise des Raums: „Durch schnelle Transporttechnologien, sekundengenaue Übertragungen von Informationen über die ganze Welt, schließlich auch durch die neuen Möglichkeiten, sich in virtuellen Räumen zu bewegen, scheint der Raum im Sinne eines materiellen Substrats völlig bedeutungslos zu werden.“ (Ebd.: 10)
Diese Befürchtung ist vor allem im Zusammenhang mit Mobilkommunikation immer wieder geäußert worden, da das Mobiltelefon häufig als Gerät betrachtet wird, das Distanzen überwindet und somit stärker noch als andere Medien traditionelle Raumkonzepte infrage stellt. Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation vermitteln den Eindruck, als löse sich der Raum auf, als verschwinde er in Folge unserer fundamental gewandelten Medienlandschaft und Kommunikationsverhältnisse. Dadurch, dass Medien und Kommunikationstechnologien imstande sind, zwei oder mehr Orte miteinander zu verbinden, virtuelle Räume zu schaffen und unsere geistige Präsenz von einer physischen Anwesenheit zu entkoppeln, hätten wir einen „Sinn für den Ort verloren“, schreibt etwa Höflich (2005: 19). Zugleich würden sie unser Bewusstsein stärker auf die entfernten Kommunikationsorte denn auf unsere konkrete Umgebung richten (vgl. ebd.: 20). Auf Basis dieser Überlegungen zu den veränderten Voraussetzungen einer von Medienkommunikation und Mobilität geprägten Gegenwart sind bereits einige Neukonzeptualisierungen des Raum-Zeit-Gefüges entstanden. Hierzu gehören etwa Augés Identifizierung von „Nicht-Orten“ (1994), worunter er identitäts- und charakterlose, zweckgebundene Räume der Passage wie Einkaufszentren oder Flughäfen fasst, oder Castells prozessuales Verständnis von Raum in der „Netzwerkgesellschaft“, als „Raum der Ströme“ (vgl. Castells 2001: 431ff.; siehe hierzu Kapitel 4.3.1). Die wissenschaftliche Debatte scheint sich zwischen der Vorstellung, dass räumliche Strukturen im Begriff sind sich aufzulösen, und der Wahrnehmung des Raums als neue Leitkategorie kultur- und medienwissenschaftlicher Fragestellungen zu bewegen (vgl. Bormann 2001: 240). Diese beiden Richtungen müssen jedoch nicht im Widerspruch zueinander stehen, denn sie nehmen beide Bezug auf den ge4
Diese kulturelle Dimension des Raums wurde bereits in den 1930er und 1940er Jahren von dem in den Geschichtswissenschaften breit rezipierten Sozialwissenschaftler Maurice Halbwachs erfasst, der in seiner Arbeit zum kollektiven Gedächtnis auf den Zusammenhang zwischen Raum, Erfahrung und Erinnerung hingewiesen hat (vgl. Halbwachs 1985).
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sellschaftlichen Wandel und die mit den Metaprozessen der Globalisierung und Mediatisierung (vgl. Krotz 2007a) zusammenhängenden nivellierten Vorstellungen von Raum und Zeit. Mit Morley (2007) ließe sich behaupten, dass der Raum im Zuge dieser Entwicklungen an Bedeutung noch hinzugewonnen hat, dass von der oft provokativ geäußerten Behauptung ‚geography is dead‘ nicht die Rede sein kann. Gerade die Frage nach dem physischen Aufenthaltsort, die fast jedes Mobiltelefonat einleitet, wird hier zu einem Identität stiftenden Moment: „As land lines are structured to fit stable, but collective social systems such as homes or institutions, personal identification is necessary. On the mobile, however, identification is replaced by geography, as it is not a question of who will answer, but of where that person is […].“ (Ebd.: 223)
Räumliche Bedingungen der Existenz haben also keineswegs an Relevanz verloren, vielmehr hat sich durch den Einfluss neuer Medien und Übertragungswege die „Organisation des Nebeneinanders“ verschoben (Löw 2001: 11), da Informationen immer schneller übertragen werden und die gegenwärtige Welt vielgestaltig miteinander verbunden ist. Ziel dieses Kapitels ist es, den Raum in seiner doppelten Bedeutung zu erfassen. Seiner kulturwissenschaftlichen Relevanz soll dadurch Rechnung getragen werden, dass zum einen seine physischmateriellen Bedingungen skizziert werden, zugleich aber, einem konstruktivistischen Ansatz folgend, auch reflektiert wird, wie Raum und Mobilkommunikation miteinander interagieren, wie also das Mobiltelefon als Werkzeug eingesetzt wird, um die Dimension Raum neu zu erfinden, um räumliche und symbolische Grenzen zu verschieben und Räume zu transformieren. Dabei ist es wichtig, zunächst die kulturgeografischen Besonderheiten der Orte zu erforschen, die hier im Mittelpunkt stehen sollen. Der japanische Kulturraum weist aufgrund seiner insularen Beschaffenheit beispielsweise eine größere Homogenität auf als andere Staaten, er schafft damit spezifische Voraussetzungen, die zum Teil als wichtige Motive für den Umgang mit neuen Medien und Kommunikationstechnologien gelten können. Mediennutzung ist mit den sich wandelnden Vorstellungen von Raum und Zeit untrennbar verbunden, bezieht sich aber immer auch auf die Materialität des Raums, in dem sie stattfindet. Räumliche Faktoren lassen sich demnach als Erklärungskontexte heranziehen, wenn es darum geht, eine tiefer gehende Analyse des mobilen Medienalltags in Japan vorzunehmen. Sie dürfen jedoch nicht als unhintergehbare Fixpunkte verstanden werden. Vielmehr ist Raum als ein dynamisches Gebilde zu denken, das sich mit und durch den Gebrauch von Medien verändert. Es geht hier somit nicht um kulturell festgelegte Unterschiede zwischen Räumen, sondern um die Aneignung von Raum unter spezi-
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fischen Voraussetzungen. Diese Perspektive verspricht Aufschluss darüber zu geben, wie in anderen Regionen unter vergleichbaren – oder auch kontrastierenden – Umständen Mediennutzung und Raum interagieren. Auf welche Weise räumliche Erfahrungen in den urbanen Zentren des japanischen Kultur- und Lebensraums strukturiert sind und welche Implikationen sich daraus für ein erweitertes Verständnis von Mobilkommunikation ergeben, wird im Folgenden zu lesen sein.
5.1.1 Geografische Strukturmerkmale
Nicht nur Industrie und Infrastruktur, auch die damit zusammenhängenden Lebens- und Arbeitsbedingungen eines Landes sind sehr stark von dessen Geografie geprägt. Seine geopolitischen Voraussetzungen sind maßgebliche Einflussfaktoren im Hinblick auf die Nutzbarmachung des Landes, die Produktionsschwerpunkte, das Ausmaß von Import und Export, aber auch hinsichtlich der Organisation des gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens in den Städten und auf dem Lande (vgl. Flüchter 1998). Als Inselstaat, der knapp 7000 Inseln umfasst, weist Japan einige Besonderheiten seines Naturraums auf, die vor allem deswegen eine Erwähnung finden sollen, weil sie u.a. zu einer Verstädterung und Verdichtung des japanischen Lebensraums geführt haben und somit als Erklärungsfaktoren für gewachsene kulturelle Formen des Zusammenlebens und der Alltagsorganisation herangezogen werden können. Flüchter (1998) weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die enge Verbindung zwischen den Bedingungen und Herausforderungen der Natur und den Reaktionen des japanischen Volks auf die geografischen Gegebenheiten ihres Landes nicht per se einer „geooder naturdeterministischen“ (ebd.: 23) Kausalität folgt und warnt entsprechend vor einer „Überschätzung von Geofaktoren“ (ebd.: 26). Diese sind hier nicht als eindimensionales Kausalitätsmodell für Wirtschaftlichkeit, Lebensgewohnheiten und Mentalität der Japanerinnen und Japaner zu verstehen, sondern als Teil einer umfassenden Betrachtung kultureller Rahmenbedingungen für die Medien- und Mobilkommunikation in Japan. Das Land besteht im Wesentlichen aus den vier Hauptinseln Hokkaidō im Norden, der mit über 230.000 Quadratkilometern größten und zentralen Insel Honshū, auf der sowohl Tokio als auch die Ballungszentren um Osaka und Nagoya angesiedelt sind, sowie Shikoku und Kyūshū im Süden des Landes. Die Inselgruppe beherbergt sehr unterschiedliche Klima- und Vegetationszonen, zwischen dem subtropischen Okinawa oder Süd-Kyūshū und dem kalten Hokkaidō schwanken die durchschnittlichen Temperaturen erheblich. Alle Landesteile weisen hohe Niederschläge auf, im Sommer ist die Luft üblicherweise sehr heiß und feucht, die Winter sind im ganzen Land meist kühl und
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trocken. Mit 380.000 Quadratmetern entspricht die Größe des japanischen Archipels etwa der von Deutschland, sein Anteil an der Weltbevölkerung ist jedoch ungleich größer. Knapp 128 Millionen Japanerinnen und Japaner bewohnen das Inselreich, das entspricht etwa 1,9 Prozent der globalen Gesamtheit. Japans Anteil an der Erdoberfläche liegt dagegen bei nur etwa 0,3 Prozent (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 8, 2). Die Bevölkerungsdichte des Landes entsprach im Jahr 2005 einem Wert von 343 Personen pro Quadratkilometer. Von allen Ländern mit mehr als zehn Millionen Einwohnern gehört Japan damit zu den fünf am dichtesten besiedelten Staaten der Welt, seine Dichte ist über sieben Mal so hoch wie der globale Durchschnitt, der bei 48 Personen pro Quadratkilometer liegt (vgl. Population Census of Japan 2005: 6). Die Oberflächenformen des Landes sind vor allem von der Geotektonik bestimmt, große Teile des Landes sind aufgrund der aus Bergen, Wäldern und Vulkanen bestehenden Landschaft nicht besiedelbar. Das Binnenland ist zu über 60 Prozent gebirgig und bewaldet, viele Landesteile sind auch wegen der rauen und steilen Bergketten sowie der kleinräumigen Zerstückelung und starken Reliefierung der Flächen nicht zu erschließen (vgl. Flüchter 1998). Lediglich wenige große Tieflandgebiete bieten Raum für Landwirtschaft und Städtebau: Wirtschaftlich genutzt werden etwa 50.000 Quadratkilometer, 12,6 Prozent der Bodenfläche, während Wohngebiete nur 4,9 Prozent des gesamten Staatsgebiets ausmachen (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 4). Das Land erstreckt sich von Nordosten bis Südwesten über 3.200 Kilometer, parallel zum kontinentalen Küstengebiet, aber mit mindestens 200 Kilometer Entfernung zum Festland. Es liegt damit außerhalb der Reichweite eines unmittelbaren, geografisch bedingten Einflusses anderer Staaten, sodass sich Klima und Vegetation, aber auch Wirtschaft und Brauchtum, relativ isoliert entwickelt haben (vgl. Flüchter 1998: 21). Ein wesentliches Merkmal der japanischen Inseln ist ihre Lage an der Schnittstelle dreier tektonischer Platten: der Eurasiatischen, der Pazifischen und der Philippinischen, was sich vor allem in den zerstörerischen Naturkräften bemerkbar macht, von denen das Land permanent bedroht ist. Hierbei handelt es sich in erster Linie um Erdbebenkatastrophen, gegen die Schutzmaßnahmen oder Frühwarnsysteme nur wenig auszurichten vermögen. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr geht zudem von den durch unterseeische Erdbeben ausgelösten riesigen Meereswellen aus, den Tsunamis, die auch für weit entfernt liegende Küstengebiete ein enormes Gefährdungspotenzial darstellen und genau wie die Erdbeben kaum vorherzusagen sind. In diese naturgegebenen Gefahren ordnen sich die 170 Vulkane in Japan ein: 70 von ihnen gelten als aktiv, unter ihnen auch der Fuji, der mit seinen 3776 Metern zugleich der höchste und bedeutendste Berg Japans ist (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 3).
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Die fortwährende Möglichkeit, einer Naturkatastrophe ausgesetzt zu sein, wird häufig mit den Eigenschaften Anpassungsfähigkeit, Genügsamkeit, Opferbereitschaft, Effizienz und Fleiß in Verbindung gebracht, die sich die Japanerinnen und Japaner über die Jahre angeeignet hätten, um auf Umwelteinflüsse flexibel reagieren zu können. Auch wenn solche Zuordnungen einen etwas zu einseitigen Zusammenhang zwischen geografischen Faktoren und einer japanischen Mentalität herstellen mögen, weisen sie doch auf einen wichtigen Aspekt hin, der das Bild und auch das Selbstverständnis der Japanerinnen und Japaner prägt. Zentral ist an dieser Stelle ein gewachsenes Bedürfnis nach schnellstmöglicher Kommunikation im Falle unvorhergesehener Naturgewalten. Dass die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes auf dichte Kommunikationsnetze und ein hohes Informationsniveau angewiesen sind, hat auch Auswirkungen auf die Entwicklung der Medienkultur. Darauf wird z.B. im Kontext der hohen Reichweite der Zeitung verwiesen: „Die Warnung vor Taifunen, Sturmwellen und in gewisser Weise auch Erdbeben (zumindest Nachbeben) ist eine wichtige Aufgabe der japanischen Medien der heutigen Zeit.“ (Hohenadl 2004: 102) Die Bedeutung der Zeitung als Informationsquelle zur Vorhersage von Naturkatastrophen hat ihren historischen Ursprung bereits im 17. Jahrhundert. In so genannten kawara-ban (wörtl. Ziegeldrucke, eine Art Flugblatt) wurde nicht nur über Clan-Fehden, Machtkämpfe und Intrigen berichtet, sondern auch regelmäßig vor Naturbedrohungen gewarnt (vgl. Muzik 1996: 20; Pohl 1981: 9).5 Inzwischen hat es im Hinblick auf diese Funktion eine deutliche Verschiebung gegeben. Neben den ‚klassischen‘ Medien der öffentlichen Kommunikation (Zeitung, Fernsehen, Hörfunk) erlauben heute insbesondere die digitalen Kommunikationstechnologien eine sofortige und zudem persönliche Verständigung im Falle eintretender Katastrophen. Das keitai kann in diesem Kontext die Aufgabe eines effektiven Frühwarnsystems übernehmen, die in Japan schon immer den Medien als einer ihrer spezifischen Anwendungsbereiche zugewiesen wurde. Die Sicherheitsfunktion des Mobiltelefons als psychische Entlastung und Erweiterung des individuellen Handlungsspielraums, wie sie beispielsweise in der Studie von Michael Feldhaus (2004) bezogen auf die familiäre Kommunikation nachgewiesen wurde, erhält vor diesem Hintergrund eine ganz neue Bedeutungsebene. Während es sich hierbei um einen möglichen Zusammenhang zwischen Naturbedingungen und der Ausschöpfung von Kommunikations5
Auch die Ausstrahlung des ersten regelmäßigen Radioprogramms in Japan Mitte der 1920er Jahre wurde in Folge einer Naturkatastrophe forciert. Das große Kanto Erdbeben von 1923 hatte gezeigt, wie wichtig eine schnelle und verlässliche Informationsquelle war, die im Zweifel über Leben und Tod entscheiden konnten (vgl. Foreign Press Center 1997: 51).
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wegen handelt, lassen sich im japanischen Städtebau eindeutige und signifikante Bezüge zur fortwährenden Erdbebengefahr herstellen. Die Problematik des knappen Wohnraums, die insbesondere die Innenstädte der großen Metropolregionen kennzeichnet, wird dadurch erheblich verschärft. Traditionelle Holzhäuser bieten zwar wenig Platz, haben aber den Vorteil, dass sie flexibler auf durch Erdstöße verursachte Schwingungen reagieren können als Gebäude aus Stein. Obwohl aufgrund von Fortschritten in der Konstruktion erdbebensicherer Hochhäuser seit einiger Zeit wieder verstärkt in die Höhe gebaut wird, gibt es selbst im Zentrum Tokios zahlreiche Häuser, die aus Sicherheitsgründen nur ein oder zwei Stockwerke hoch gebaut sind. Aufgrund von Platzmangel und wegen der hohen Grundstückspreise sind die Wohnhäuser oft klein und stehen dicht an dicht, sodass in den durch die Wohnviertel führenden Straßen kaum Platz für den Auto-, Rad- und Fußgängerverkehr bleibt. Die räumlichen Restriktionen scheinen als ein bedeutsames Motiv der japanischen Identität wahrgenommen zu werden. In einer etwas verfänglichen Terminologie ist etwa vom „Volk ohne Raum“ (Flüchter 1998) die Rede, auch von Japan als „Compact Culture“ (Lee 1982) oder „Diktatur der Miniaturisierung“ (Vahlefeld 1992). Die naturgegebenen Prädispositionen des Landes stellen einen wichtigen Kontext sowohl für die industrielle Entwicklung als auch für die Lebensgewohnheiten, Kommunikationsformen und das soziale Miteinander dar.6 Nachdem hier auf einige Verflechtungen und Beziehungen zwischen Geografie und Kultur bereits hingewiesen wurde, die im Weiteren näher ausgelotet und als relevante Rahmenbedingungen der Mobilkommunikation fruchtbar gemacht werden, sollen zunächst Prozesse der Landflucht und Verstädterung als spezifischer Raumkontext in den Blickpunkt genommen werden.
5.1.2 Bevölkerungsentwicklung und Urbanisierung
Das geografische Bild Japans ist von wenigen Großstädten und Ballungszentren geprägt. Dies hängt zum einen mit dem begrenzten Le6
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die abseitige Insellage Japans eine jahrelange Isolation zugelassen hat, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts, nach fast 300 Jahren der Abschottung vom Ausland, durch die von den Amerikanern erzwungene Öffnung des Landes ein Ende fand (vgl. Pohl 1991, 2005). Die Politik der Abkapselung, die das Land vor kulturellen Einflüssen anderer Staaten immunisierte, ging mit Wohlstand und innerer Stabilität einher. Sie stärkte somit das nationale Selbstbewusstsein, förderte Anpassungsleistungen an die widrigen Naturbedingungen und ließ vor allem auf die eigenen Kräfte und Ressourcen rückbesinnen: „Die gewollte Isolierung nach außen ermöglichte Japan eine Konzentration und Konsolidierung nach innen. Als eines der ganz wenigen Länder blieb das Inselreich von der weltumgreifenden Eroberung der imperialistischen Mächte politisch kulturell und wirtschaftlich unberührt, sein Strukturgefüge intakt und aktionsfähig.“ (Flüchter 1998: 21)
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bensraum und der damit verbundenen Problematik einer gleichmäßigen Besiedelung zusammen, zum anderen aber auch mit Beschäftigungsmöglichkeiten, Mobilitätsaspekten und kultureller Vielfalt, die die Städte bieten. Die Literatur zur Kultur und Gesellschaft Japans setzt sich auf vielfältige Weise mit den urbanen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten auseinander und beschreibt zahlreiche Phänomene, die in den großen Städten evident werden. Neben der raschen Industrialisierung erfassen Lützeler und BenAri (2004: 277) die massenhafte Abwanderung in die Städte als ein Kernelement des gesellschaftlichen Wandels in Japan nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Anzahl der offiziell in einer Stadt lebenden JapanerInnen hat sich in dieser Zeit verdreifacht, wobei der Maßstab für Stadt (shi), der sich auf Gemeindegrößen von zunächst 30.000 und später 50.000 Einwohnern bezieht, in den 1960er Jahren um eine präzisere Klassifizierung ergänzt wurde. Als Maß für die zunehmenden Ballungsprozesse diente nunmehr die Anzahl so genannter Densely Inhabited Districts (DID). Die DIDs definieren ein Gebiet, in dem die Bevölkerungsdichte bei einer Mindestbevölkerungszahl von 5000 Einwohnern mehr als 4000 Menschen pro Quadratkilometer beträgt (vgl. Flüchter 1998; Lützeler/Ben-Ari 2004). Wird diese Einheit zugrunde gelegt, so lebten im Jahr 2000 über zwei Drittel aller Japanerinnen und Japaner in einem DID. Ihre stärkste Verbreitung haben diese in den Metropolregionen an der pazifischen Küste (vgl. ebd.: 278). Offiziell urban, d.h. in einer shi, wohnten im Jahr 2000 knapp 100 Millionen Japanerinnen und Japaner, also fast 80 Prozent der Gesamtbevölkerung. Inzwischen haben 27 Millionen Menschen ihren Wohnsitz in einer der insgesamt zwölf Millionenstädte, was einem Bevölkerungsanteil von knapp 22 Prozent entspricht (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 19).7 Allein Tokio Stadt8 hat rund 8,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Die drei angrenzenden Präfekturen Kanagawa, Saitama und Chiba, die ebenfalls große städtische Agglomerationen beheimaten – darunter die zweitgrößte japanische Metropole Yokohama –, erweitern das Einzugsgebiet um knapp weitere 20 Millionen Menschen. In der Metropolregion Tokio leben somit über 32 Millionen Menschen, gut ein Viertel der Gesamtbevölkerung, die die Hauptstadt Japans zum größten Ballungsraum der Welt machen (vgl. ebd.; Flüchter 1996: 6). 7 8
Die Zahlen des aktuellen Statistical Handbook of Japan (2009) beziehen sich diesbezüglich auf das Jahr 2005. Im Allgemeinen wird unterschieden zwischen der Stadt Tokio und der gleichnamigen Präfektur, die rund 12 Millionen Einwohner zählt und damit die größte des Landes ist. Japan unterteilt sich in insgesamt 47 Präfekturen, die durch gewählte Parlamente und Gouverneure verwaltet werden, aber stärker als die deutschen Bundesländer von der Zentralregierung aus organisiert und geführt sind.
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Während der Bevölkerungszuwachs in den Gegenden um Osaka und Nagoya, der zweit- und drittgrößten Metropolregion, seit den 1960er Jahren weitgehend stagniert ist, hat der Zuwachs in Tokio bis in die 1980er Jahre angedauert und stabilisierte sich erst deutlich später auf hohem Niveau. Seit der massenhaften Abwanderung in die Städte und der zunehmenden Industrialisierung des Landes lässt sich also trotz der starken urbanen Konkurrenz ein Konzentrations- und Hierarchisierungsprozess zugunsten der Hauptstadt feststellen, der sich sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht bemerkbar macht. Japan gilt heute als ein von Tokio aus geführtes, zentralistisches Land, das einer Entwicklung unterliegt, die Flüchter (1998: 49) als „Pyramidisierung“ bezeichnet: Hier laufen die wirtschaftlichen und politischen Machtzentren zusammen, hier sind die renommiertesten Hochschulen und Bildungsinstitutionen angesiedelt und hier bündeln sich Dienstleistungsgewerbe und Kommunikationsbranche. Tokio ist nicht nur Sitz der höchsten staatlichen Organe und Schaltstelle für nationale und internationale Handelsbeziehungen, sondern zugleich wichtigster Medienstandort im Land – so gut wie alle PR- und Werbeagenturen, Zeitungsverlage und Rundfunkstationen haben in der Stadt ihren Hauptsitz. Diese Konzentration macht Tokio zu einem Ort, an dem Meinungsbildungsprozesse stattfinden, populäre Trends gesetzt und Modeerscheinungen hervorgebracht werden, die durch die relative Homogenität der Bevölkerung rasch Verbreitung finden. Die Tendenz zu einer stärkeren Homogenität der Bevölkerung, die Tokio von anderen kulturellen Zentren wie New York oder Paris unterscheidet, wird dadurch verstärkt, dass soziale Unterschiede in Japan noch immer deutlich geringer ausfallen als in anderen Industriestaaten. Die japanische Gesellschaft wird häufig als „90 percent middle-class“ beschriebsen (Lützeler/Ben-Ari 2004: 286) und dies macht sich auch in den urbanen Strukturen von Städten wie Tokio bemerkbar: Es gibt kein so deutliches Sozialgefälle wie in vielen westlichen Großstädten, die von Randbezirken umgeben sind, in denen der Anteil von Sozialwohnungen und Einwohnern mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich hoch ist. Aufgrund der hohen Grundstückspreise sind auch Besserverdienende gezwungen, sich in den Vororten oder weniger attraktiven Außenbezirken der Hauptstadt niederzulassen. Innerstädtische Brennpunkte und so genannte Problemviertel oder ‚No-go-Areas‘ sind weitgehend unbekannt, politische Maßnahmen und sozialer Wohnungsbau haben städtischen Umstrukturierungen und Gentrifizierung entgegengewirkt. Von drohenden Segregations- und Veränderungsprozessen der Bevölkerungsstruktur als Folge der gezielten Aufwertung von einzelnen Stadteilen ist die Metropolregion um Tokio – genau wie die anderen japanischen Großstädte – somit kaum betroffen.
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Die japanischen Metropolen als global cities: Stadtentwicklung, Vernetzung und Multizentrismus Als fortschrittliche und von wenigen urbanen Zentren dominierte Stadtgesellschaft steht das heutige Japan geradezu paradigmatisch für eine Urbanisierungsentwicklung, die Castells (2002: 549) als einen der wesentlichen räumlichen Transformationsprozesse des 21. Jahrhunderts identifiziert. Es spiegelt tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsund Globalisierungsprozesse wider, die auch in anderen führenden Industrienationen zu beobachten sind – eine Intensivierung internationaler Beziehungen und Verflechtungen, die Ausdifferenzierung der Gesellschaft nach Lebensstilen und Konsummustern und eine zunehmende Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl. Gebhardt et al. 2003; Hepp 2003; Wood 2003). Die Hauptstadt Tokio repräsentiert in diesem urbanen Setting das Bild einer postmodernen, durch weitläufige Areale (sub-)urbaner Wohngebiete gekennzeichneten Großstadt. Genau wie London, New York oder Los Angeles, die sich als „primary nodes in the interconnected, increasingly informationbased global economy“ (Mainwaring et al. 2005: 269) charakterisieren lassen, markiert sie den Knotenpunkt einer transnational organisierten kapitalistischen Ökonomie und fügt sich mit ihren international operierenden Konzernen und Finanzzentren in das Bild einer globalen Stadt ein. Im Rahmen der „Global-City-Debatte“ zeichnet sich die globale Stadt, wie Gerald Wood (2003: 141) mit Verweis auf Sassen (1994) und Parkinson (1994) deutlich macht, durch eine räumliche Konzentration transnationaler Großunternehmen aus, die nach einer Verlagerung und Reorganisation ihrer industriellen Produktionsstätten die zu bewältigenden kommunikativen und distributiven Aufgaben von einer zentralen Schaltstelle aus bündeln. Dabei spielt der gezielte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zum Zwecke der ubiquitären Vernetzung eine signifikante Rolle. Der Standort, von dem aus die ökonomischen Aktivitäten kontrolliert und gesteuert werden, muss bestimmte Merkmale aufweisen und über die notwendige Infrastruktur verfügen, um zu einem Knotenpunkt der Weltwirtschaft zu werden. Folglich sind in der Regel nicht die vom Fordismus geprägten großen Industriestädte die Gewinner der Globalisierung, sondern die Metropolen, die das produktionsorientierte, hoch spezialisierte Dienstleistungsgeschäft – insbesondere Bankwesen und Finanzmarkt – anführen und am besten vernetzt sind, und zwar sowohl im Hinblick auf einen leistungsstarken Technologie- und Telekommunikationssektor als auch bezüglich gut ausgebauter Verkehrsnetze und Transportlinien (vgl. Wood 2003). Als eine der wichtigsten globalen Städte profiliert sich Tokio mit eben diesen Eigenschaften. Japans international günstige Zeitzonenlage und geografische Einbettung in den ostasiatischen Ballungsraum
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stärken sowohl die Handlungsfähigkeit als auch die Marktposition der Hauptstadt (vgl. Flüchter 1998: 22). Begünstigend wirkt sich zudem der breit angelegte Ausbau eines gut funktionierenden Kommunikationsnetzes aus, den ManfredPohl bereits Anfang der 1990er Jahre identifizierte: „Die Lebensadern Tokyos nach außen sind nicht nur Straßen und Schienen: Gittermasten mit komplizierten Antennenanlagen und rot-weiße Sendetürme überragen die Hochhäuser. Über Glasfaser-Kabel, Fax-Verbindungen, Hochfrequenz-Funk und drahtlosen Fernsprechverkehr sind die Zentren zahlloser Großkonzerne in Tokyo mit der Welt und dem Rest Japans verbunden: In Tokyo ist die ‚Kommunikationsgesellschaft‘ schon Wirklichkeit.“ (Pohl 1991: 28)
Das Vorhandensein der technologischen Infrastruktur ist eines der konstitutiven Kennzeichen der Netzwerkgesellschaft, in der sich Raum, wie Castells (2001) im ersten Teil seiner umfassenden Trilogie zum Informationszeitalter darlegt, von einem „Raum der Orte“ (space of places) zu einem „Raum der Ströme“ (space of flows) gewandelt hat. Verkürzt gesagt geht es Castells in diesem Ansatz darum, die Neukonfiguration des Raums als Ort transnationaler Informationsflüsse und multilateraler Konnektivitäten deutlich werden zu lassen. Angesichts der universell verfügbaren Informationstechnologien und Vernetzungsmöglichkeiten treten in seiner Perspektive territorial gefasste Gemeinschaften in den Hintergrund. Vielmehr stütze sich die Organisation unserer heutigen Gesellschaft auf soziale Netzwerke, die unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen existieren und von wechselnden Machtstrukturen durchzogen sind. „This is not just any kind of networking, but the specific kind of power networking that works through information technology.“ (Castells 2002: 548) Obwohl die Netzwerkgesellschaft zentrale, allgemein gültige Themen und Motive umfasst, wie beispielsweise räumliche Transformationsprozesse und strukturellen Wandel, weist Castells darauf hin, dass sie sich in verschiedenen Regionen und Kulturen in ganz unterschiedlichen Formen und Ausprägungen manifestieren kann (vgl. ebd.). Mit Blick auf die Organisation japanischer Städte ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass eine Netzwerkstruktur gleich auf mehreren Ebenen wirksam wird. Vernetzungspraktiken hängen einerseits mit den neu entstandenen technischen Voraussetzungen zusammen, andererseits sind sie als soziale Praxis historisch bereits im frühjapanischen Gemeindewesen verankert. In geschlossenen Dorfgemeinschaften, so genannten mura, herrschten komplexe Abhängigkeitsverhältnisse, wobei der Status jedes einzelnen Mitglieds genau festgelegt war. Eine ähnliche Netzwerkstruktur, die unter dem Namen keiretsu
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bekannt ist, ist in der japanischen Wirtschaft auch heute noch wirksam und wird von internationalen Marktteilnehmern häufig als unfaires Handelshemmnis moniert. Das Phänomen untermauert die große Macht und Einflussmöglichkeit japanischer Unternehmensgruppen, deren Handlungsspielraum durch die gegenseitige Inbesitznahme von Aktien durch Aktiengesellschaften derselben wirtschaftlichen Verbundgruppe hergestellt wird (vgl. Eli 1998: 286ff.). Die Verflechtungen bestehen aber nicht nur auf ökonomischer Ebene, sie sind ebenso auf personeller Ebene zu finden. In Anbetracht der wirtschaftlichen Vorreiterrolle Japans, vor allem auf dem Gebiet der hochentwickelten Technologien, lässt sich behaupten, dass die auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene greifenden Netzwerkstrukturen ihren Motor in den Informations- und Kommunikationstechnologien finden, auf denen das Geflecht aus Beziehungen und komplexen Verbindungen seit einigen Jahren aufgebaut ist. Mit der starken Diffusion mobiler Medien und Kommunikationstechnologien hat das vielfältige Aspekte und Bereiche des täglichen Lebens durchdringende Netzwerkprinzip inzwischen die nächste Stufe erreicht. Castells spricht in diesem Zusammenhang von dem Entstehen einer mobilen Netzwerkgesellschaft: „The mobile network society is simply the enhancement of the social structure conceptualized as the network society by new, wireless communication technologies.“ (Castells et al. 2007: 6) Dieses von Castells und Mitautoren erst kürzlich geprägte Label scheint insbesondere auf Japan und die japanischen Großstädte zuzutreffen. Nicht nur industriell hat sich das Land auf die Herstellung von tragbaren, kabellosen Kleinsttechnologien spezialisiert (vgl. Lee 1982; Matsuda 2005a), auch ist dessen urbane Geografie in hohem Maße von der Omnipräsenz des Mobiltelefons geprägt. Darüber hinaus weisen die japanischen Metropolen weitere Merkmale postmoderner Stadtentwicklung auf, wie sie der Stadtsoziologe Edward Soja (1996) beispielhaft für Nordamerika anhand der Stadt Los Angeles skizziert hat.9 Hierzu gehören etwa die Auflösung konzentrischer Stadtstrukturen, die Ausbildung unabhängiger Teilgesellschaften und der Aufbau gut vernetzter Technologiezentren abseits der großen Städte (vgl. Wood 2003).10 Während urbane Fragmentierungsprozesse vielfach als eine aktuelle Entwicklung angesehen wer9
Diese Ähnlichkeiten bestehen, wenngleich sich japanische Städte von dem vom Individualverkehr dominierten Los Angeles deutlich unterscheiden mögen. 10 Für die Ankurbelung regionaler Technologie- und Entwicklungszentren wurde 1980 vom Ministry for International Trade and Industry (MITI) beispielsweise das Projekt „Technopolis“ ins Leben gerufen. Das Vorhaben beinhaltet die Erschaffung moderner Siedlungen abseits der großen Metropolen, die sowohl der Förderung von Spitzentechnologie als auch der Stärkung regional-politischer Interessen dienen sollten (vgl. Flüchter 1998: 34ff.).
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den, ist der Grundstein für dezentrale Strukturen in Japan bereits im 17. Jahrhundert gelegt worden. Die japanischen Stadtgesellschaften umfassten damals zwar teilweise schon über eine Millionen Bewohnerinnen und Bewohner, sie unterstanden aber feudaler Kontrolle, sodass es kein einendes Bürgertum, sondern eine Aufsplitterung entlang von Berufsgruppen und sozialer Zugehörigkeit gab. Trotz ökonomischer Betriebsamkeit fehlten den Städten zu jener Zeit die physischen Merkmale der Stadtentwicklung, wie etwa ein Marktplatz, der nicht nur funktionale Zwecke erfüllt, sondern auch Symbol für Autonomie und Ausdruck eines bürgerlichen Klassenbewusstseins ist. Noch heute mangelt es vielen japanischen Metropolen an einem definierten Stadtkern, der als wirtschaftliches und politisches Zentrum der Stadt fungiert.11 Zwar existieren in den Städten inzwischen Rathäuser, die diese Funktion übernehmen könnten, sie sind aufgrund der selbst für den öffentlichen Haushalt kaum erschwinglichen Mietpreise jedoch häufig in Randgebieten angesiedelt (vgl. Lützeler/Ben-Ari 2004: 280f.). Eine weitere Besonderheit, die zu einer Unübersichtlichkeit des japanischen Stadtraums beiträgt und die in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll, ist das Fehlen von Straßennamen. Bereits Barthes weist in „Das Reich der Zeichen“ (1981 [1970]) auf dieses herausstehende Merkmal Tokios hin: „Die größte Stadt der Welt besitzt praktisch keine Klassifizierung; die Räume, aus denen sie besteht, sind namenlos.“ Geschriebene Adressen existieren zwar, sie sind jedoch nicht nach Straßen und Hausnummern geordnet, sondern markieren lediglich Stadtviertel und Häuserblock. Die Ziffer, die jedem Haus zugeordnet ist, sagt etwas über dessen Baudatum, nicht aber über dessen Lage aus. Unbekannte Adressen lassen sich demnach nicht durch logisches Erschließen eines rationalen Systems, sondern oft nur mit Unterstützung von Ortskundigen und Anwohnern auffinden. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird hier zum probaten Hilfsmittel zur Bewältigung der Namenlosigkeit. Orientierung bieten die über das Stadtgebiet verteilten Polizeihäuschen, sehr häufig kommen aber auch improvisierte Skizzen zum Einsatz, die von Passanten bereitwillig an11 In seinen Aufzeichnungen über Japan weist Roland Barthes (1981) auf eine Paradoxie der japanischen Hauptstadt hin: Zwar besitze Tokio durchaus ein Zentrum, das sich jedoch durch eine Leere auszeichne, die im Gegensatz zur Fülle westlicher Großstadtzentren stehe. Denn die Mitte Tokios wird durch das großzügige Grundstück des kaiserlichen Palastes ausgefüllt, Wohnsitz des derzeit regierenden Kaisers Akihito und seiner Familie. „Eine der beiden mächtigsten Städte der Welt ist also um einen undurchsichtigen Ring aus Mauern, Wassergräben, Dächern und Bäumen herum angelegt, dessen eigentliches Zentrum nicht mehr als eine flüchtige Idee ist; und diese Idee hat nicht die Aufgabe, Macht auszustrahlen, sondern lediglich den Zweck, einer ganzen städtischen Bewegung den Halt ihrer zentralen Leere zu geben und den Verkehr zu einem beständigen Umweg zu zwingen.“ (Ebd.: 50)
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gefertigt werden und den Weg von einem bekannten Anhaltspunkt zum unbekannten Zielort weisen (vgl. ebd.; siehe auch Krotz/Hasebrink 2002: 46).12 Auch Medien erhalten vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung: Während Barthes (1981: 54) Anfang der 1970er Jahre auf die Präsenz von „großen roten Telefonen“ hinweist, „die an fast allen Straßenauslagen installiert sind“, machen Krotz und Hasebrink (2002: 46) auf die Nutzung des Faxgeräts durch Privatleute aufmerksam, mit deren Hilfe Gästen im Vorfeld eines Besuchs ein Lageplan geschickt wird; „dies mag für die breite Durchsetzung von Faxmaschinen auch im Haushalt eine Rolle gespielt haben“ (ebd.).13 Inzwischen haben mobile Navigationsdienste, wie sie das keitai bietet, geografische Suchfunktionen in ihr Anwendungsspektrum mit aufgenommen und ergänzen das Repertoire medialer Hilfsmittel zum Zurechtfinden in der Großstadt. Seit einigen Jahren gibt es Programme speziell für Fußgängerinnen und Fußgänger,14 die sich von ihrem Mobiltelefon durch unbekannte urbane Landschaften leiten lassen, ohne dabei auf die Kommunikation mit anderen angewiesen zu sein. Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf die japanischen Metropolen festhalten, dass eine multizentrische Stadtentwicklung hier historische Wurzeln hat und nicht als Folge einer aktuellen „Einhegungsbewegung“ (Short 1996: 32) entstanden ist. Voneinander abgeschottete, im Hinblick auf sozioökonomische Ressourcen stark polarisierende Gebiete wie gated communities oder verarmte Innenstadtbezirke bilden eher die Ausnahme. Großstädte wie Tokio präsentieren sich als weit ausgedehnte Areale, die ebenso dicht wie unübersichtlich besiedelt sind und fast ausschließlich in Form der sich netzförmig ausbreitenden Bahnhöfe sichtbare Orientierungspunkte in der urbanen Landschaft bieten. Weitgehend homogen verteilt sich die Stadtbevölkerung auf die durch unzählige Straßen und Schienen verbundenen Wohnflächen. Das städtische Leben ist für die meisten Japanerinnen und Japaner durch lange Wege zwischen Zuhause und Arbeitsplatz 12 Barthes (1981: 52) stellt fest, dass die Japanerinnen und Japaner in der Verfertigung solcher Zeichnungen brillieren, und erfreut sich an der „graphischen Geste“, die das Suchen von Adressen zu einem willkommenen Kommunikationsanlass machen. 13 Tatsächlich ist das Faxgerät in japanischen Privathaushalten recht stark verbreitet und hat auch zuletzt noch Zuwächse für sich verbuchen können. Laut Communications Usage Trend Survey 2008 betrug der Anteil von Haushalten, die im Fiskaljahr 2007 im Besitz eines Telefax waren, rund 55,4 Prozent und lag damit erstmals auch über dem ehemaligen Höchstwert von 53,9 Prozent im Jahr 2003 (vgl. ebd.: 8). Zur weiteren Bedeutung von Faxgeräten im Rahmen der japanischen Schreibkultur siehe auch Kapitel 5.4.1. 14 Ein Beispiel ist das von KDDI im Jahr 2003 eingeführte EZ Navi Walk, das genau wie ein Navigationssystem für Autos sprachgesteuert zum Zielort führt und etwa auch bei eingeschlagenen Umwegen Neuberechnungen des Weges auf Basis des aktuellen Standorts vornimmt.
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gekennzeichnet, aber auch durch den Aufenthalt in einem öffentlichen Raum, der durch Knappheit und Enge geprägt ist und den man sich – wie in dem einführenden Zitat bereits artikuliert – „durch Gehen und Sehen, durch Gewöhnung und Erfahrung“ (Barthes 1981: 55) erschließen muss. Mobile Kommunikationstechnologien als Schöpfer symbolischer Räume Wie bereits deutlich wurde, verdienen mobile Technologien in den japanischen Metropolen bei der Erzeugung und Aufrechterhaltung komplexer Netzwerke, deren vielschichtiges Wirken und Interagieren ein zentrales Merkmal postmoderner Stadtentwicklung ist, ein besonderes Augenmerk. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Folgenden näher erläutert werden soll, ist das Potenzial der Mobilkommunikation, symbolische Raumressourcen hervorzubringen. Denn das Mobiltelefon trägt massiv zu einem neuen Erleben städtischen Raums bei. Die Art, wie wir Orte wahrnehmen und aneignen, ist durch mobile Technologien modifiziert, wenn nicht gar umfassend verändert worden. Durch die allgegenwärtige Möglichkeit instanter Konnektivität und virtueller Gemeinschaft wird der Stadtraum auf neue Weise erfahrbar. Nicht mehr als Fremde, als geduldete Besucher allgemeinen Eigentums, durchqueren wir die Stadt, sondern als Kolonialisten der öffentlichen Sphäre. Mit dem Mobiltelefon lassen sich private Oasen erzeugen, in denen trotz fremder Umgebung mit vertrauten und nahe stehenden Personen kommuniziert wird und Menschen im unmittelbaren Nahbereich ausgeblendet werden. „[…] like the Walkman, if by a different means, the mobile phone also insulates its users from the geographical place that they are actually in and enables them to fill the empty spaces of the city with their own reassuring soundtrack. Often the user pays no attention to those who are physically close to them, while speaking to others who are far away, and to that extent, the momentary community of those in the same place or situation is shattered by these external forms of connectivity.“ (Morley 2007: 221)
Mobile Technologien werden diesem Verständnis nach als Mittel zur Konstruktion symbolischer und persönlicher (Stadt-)Räume eingesetzt. Morley stellt in diesem Kontext ihr Potenzial heraus, als eine Art geschützter (Privat-)Raum zu fungieren, sozusagen als eine „mobile ‚gated community‘“ (ebd.), die das Resultat verschiedener ineinander greifender Prozesse und Strategien des Ausschlusses und der Vergemeinschaftung ist. Die im öffentlichen Raum genutzten Kleinstgeräte repräsentieren in dieser Lesart ein Machtpotenzial. Sie stellen einen symbolischen Wert dar, der sich nicht am Geschäftswert räumlicher Ressourcen ori-
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entiert. Indem öffentliche Orte durch den Einsatz persönlicher Medien und Kommunikationstechnologien nach individuellen Bedürfnissen vereinnahmt werden, lassen sich mit ihnen die dem Raum eingeschriebenen Dominanzverhältnisse zeitweise aufbrechen oder transformieren. Michel de Certeau hat in dem für die Cultural Studies wichtigen Werk „Die Kunst des Handelns“ (1988) auf die Praxis der aktiven Aneignung des städtischen Raumes hingewiesen und dabei – in Analogie zur sprachwissenschaftlichen Unterscheidung von langue und parole – auf die Differenzierung zwischen Orten und Räumen zurückgegriffen. Ort bezeichnet eine momentane, stabile Konstellation von festen Punkten, während Raum ein Ort ist, mit dem etwas gemacht wird. Das ‚Machen‘ verweist auf die Möglichkeit der Transformation einer vorgegebenen räumlichen, restriktiven Ordnung durch aktive Aneignung: „So wird zum Beispiel die Straße, die der Urbanismus geometrisch festlegt, durch die Gehenden in einen Raum verwandelt.“ (de Certeau 1988: 218) Technologien wie der Walkman oder das Mobiltelefon können somit zu Medien der Verwandlung eines Ortes in einen Raum werden, mit dem die Auflösung einer abstrakten Ordnung über das Individuum einhergeht. In dem wohl bekanntesten Kapitel dieser Arbeit „Gehen in der Stadt“ wird diese Verwandlung vor allem mit der alltagsästhetischen Praxis einer sinnlichen Aufladung des städtischen Raumes in Verbindung gebracht. Im Zusammenhang mit einer Vereinnahmung von Raum durch die Aneignung mobiler Kommunikationstechnologien hat sich die japanisch-amerikanische Mobilfunkforscherin Mizuko Ito (2005b) mit der keitai-Nutzung Jugendlicher in ‚kontrollierten‘ Räumen – das Zuhause, die Schule, öffentliche Plätze und Straßen – beschäftigt. Ito verdeutlicht auf Basis ihrer ethnografisch angelegten Studie, wie sich japanische Jugendliche mithilfe des Mobiltelefons, insbesondere seiner textbasierten Anwendungen, innerhalb des regulierten Rahmens institutionalisierter Umgebungen Freiräume schaffen und die Regeln, Konventionen und „power geometries of place“ (ebd.: 131) unterlaufen. Sie resümiert, dass sich die Jugendlichen mittels ihrer keitaiKommunikation partiell zwar der Kontrolle von Autoritäten entziehen, dass es sich dabei aber weniger um subversive Handlungen in einem makropolitischen Sinn handelt. Vielmehr würde hierbei eine Form von lokalem Widerstands gegen etablierte soziale Strukturen und Regeln praktiziert, der sich lediglich auf der Mikroebene entfaltet (vgl. ebd.: 146). Der spezifische Gebrauch des Mobiltelefons an Orten, denen bestimmte Macht-Dynamiken inhärent sind, lässt die Jugendlichen ihren niedrigen sozialen Status überwinden. In diesem Kontext scheint der Hinweis auf einen widersprüchlichen Aspekt der Aneignung angebracht: Während durch die keitaiNutzung einerseits ein Zugewinn an Macht bzw. Handlungsspielraum festgestellt werden kann, entstehen dadurch zugleich neue Zwänge
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und Erwartungen, die die Einhaltung bestimmter Normen und Konventionen erfordern: „While mobile phones have become a vehicle for youth to circumvent the power geometries of place such as the home, the classroom and the street, they have also created new disciplines and power geometries, the need to be continuously available to friends and lovers and the need always to carry a functioning mobile device. These disciplines are accompanied by new sets of social expectations and manners.“ (Ebd.: 144)
Um dieser Ambivalenz des Mobiltelefons Ausdruck zu verleihen, wird von Arnold (2003) die Metapher des Januskopfes bemüht: Mobile Medientechnologien statten uns mit einem Mehr an Freiheit und Handlungsoptionen aus, zugleich schränken sie uns ein und binden uns an neue Regeln und Übereinkünfte. Oder, mit den Worten von Virpi Oksman (2009: 120) ausgedrückt: „However, the mobile phone is not just an empowering and liberating agent, for it can be used also as a means of social control and supervision. Thus, mobile technologies often perform in ‚Janus-faced‘ ways that give rise to multiple implications.“ Dieses Paradox der mobilen Mediennutzung lässt sich mit dem von Michel Foucault in seinen posthum veröffentlichten Vorlesungen geprägten Begriff der „Gouvernementalität“ erläutern, der in den Kulturwissenschaften in den letzten Jahren vermehrt diskutiert wurde (vgl. Thomas 2009). Foucault verweist damit auf eine neue Form des Regierens, die die unmittelbar ausgeübte Macht durch die freiwillige Selbstregulierung des Subjekts ersetzt und mit einer modernen liberalistischen Ideologie einhergeht. Das Prinzip der Freiheit wird, so Foucault, zu einem wichtigen Element einer neuen Machttechnologie, die nicht über Verbote, sondern über Zwänge Macht ausübt. Foucault bezeichnet diese Macht als das Produkt einer konstanten Aktivität: „Es [gouverner; Anm. C.P.] bezieht sich auf die Herrschaft, die man über sich selbst und über andere ausüben kann, über seinen Körper, aber auch über seine Seele und seine Art zu handeln. Und schließlich bezieht es sich auf einen Umgang, auf einen zirkulären Prozeß oder auf einen Austauschprozeß, der von einem Individuum zum anderen übergeht.“ (Foucault 2006: 183)
Vor diesem Hintergrund trägt jedes Element der Befreiung durch Aneignung auch das Moment der Unterwerfung in sich, nämlich hinsichtlich der durch den Gebrauch der Technologie selbst auferlegten Zwänge. Neue situative Raumerfahrungen mit Mobilkommunikation An die Idee einer mit neuen Regeln und Erfordernissen verbundenen Schaffung virtueller Räume knüpft Ito in einem weiteren Text näher
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an. Darin entwickelt sie zusammen mit ihrem Kollegen Daisuke Okabe in Anlehnung an Goffmans Theorie sozialer Situationen eine Art Phänomenologie von Raumerfahrungen, die durch die Präsenz des Mobiltelefons geprägt sind. Auf Basis ihrer empirischen Untersuchungen identifizieren die beiden Autoren drei im Kontext mobiler schriftlicher Kommunikation auftretende „technosocial situations“ – Raum- und Gesprächssituationen, in denen durch mobile Kommunikationspraktiken die Wahrnehmung des urbanen Raums sowie gängige Vorstellungen von Präsenz und Co-Präsenz herausgefordert werden. Das Mobiltelefon untergrabe diesem Ansatz folgend die herkömmliche Bedeutung von Orten und sozialen Situationen und schaffe neue, ‚technosoziale‘ Räume mit eigenen Konventionen und flexibleren Grenzen: „Mobile phones create new kinds of bounded places that merge the infrastructures of geography and technology, as well as technosocial practices that merge technical standards and social norms.“ (Ito/Okabe 2005: 260) Bei den von Ito und Okabe definierten und hier näher umrissenen ‚technosozialen Situationen‘ handelt es sich um den „mobile text chat“ (die mobile textbasierte Unterhaltung), die „ambient virtual copresence“ (die ständige virtuelle Co-Präsenz) und das „augmented ‚flesh meet‘“ (das erweiterte persönliche Treffen). Anhand von Kommunikationstagebüchern, in denen sämtliche mit dem Mobiltelefon ausgeführten Handlungen von den Probandinnen und Probanden dokumentiert wurden, wurde nachgezeichnet, auf welche Weise sich keitai-Nutzerinnen und -Nutzer in einem „mobile text chat“ engagieren. Diese Form mobiler Unterhaltung ist mit einem Telefongespräch vergleichbar, findet aber ausschließlich über den Transfer von Textnachrichten statt, die in kurzem Abstand ausgetauscht werden und herkömmlichen Konversationsmechanismen unterliegen, also trotz der Asynchronität einen definierten Anfang und ein Ende haben. Für das Entstehen einer solchen Unterhaltung ist der Aufenthaltsort des Initiators entscheidend, denn das Gespräch wird für gewöhnlich in Situationen begonnen, in denen Wartezeiten zu überbrücken sind oder soziale Konventionen es verbieten, die Gesprächsfunktion des Mobiltelefons zu gebrauchen. Während der Interaktion werden verschiedene Orte passiert und durch die Aufrechterhaltung der ‚individuellen Alltagserzählung‘ – des persönlichen, mittels Textnachrichten geführten Gesprächs – miteinander verbunden und vertraut gemacht. Inhaltlich reproduzieren diese Unterhaltungen meist nur das Alltagsgeschehen und gehen kaum über den Austausch von Belanglosigkeiten hinaus. Im Fall permanenter Kontaktaufnahme, den Ito und Okabe als „ambient virtual co-presence“ klassifizieren, reißen die textbasierten Gespräche im Verlauf eines Tages nicht ab, der Zustand ständigen Verbundenseins wird hier zur Norm. Mobile Kommunikation vermag damit zu kompensieren, dass kein gemeinsamer geografischer Ort ok-
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kupiert wird. Durch den fortwährenden und ubiquitären Austausch von Textnachrichten wird mithilfe des keitai ein symbolischer Sozialraum hergestellt, der spezifischen Regulierungen unterliegt und in dem sich die Kommunikationspartner ‚begegnen‘ können. „These messages define a social setting that is substantially different from direct interpersonal interaction characteristic of a voice call, text chat, or face-to-face one-on-one interaction. These messages are predicated on the sense of ambient accessibility, a shared virtual space that is generally available between a few friends or with a loved one. They do not require a deliberate opening of a channel of communication but are based on the expectation that someone is in ‚earshot‘.“ (Ito/Okabe 2005: 264)
Ito und Okabe machen deutlich, dass auch persönliche Treffen durch Mobilkommunikation eine Transformation erfahren haben. Verabredungen beginnen und enden im virtuellen Raum mobiler E-Mail-Kommunikation, zeitlich und räumlich sind sie nicht mehr abhängig von einer tatsächlichen Zusammenkunft. Ebenso erhalten persönliche Begegnungen neue Akzente, indem räumlich entfernte Gesprächspartner mittels mobiler textbasierter Kommunikationspraktiken in die PeerKommunikation mit eingebunden werden. Durch die Aufrechterhaltung paralleler Netzwerke werden diese Begegnungen verdichtet – Ito und Okabe (2005) sprechen hier von einem „augmented ‚flesh meet‘“ (ebd.: 266), einer erweiterten Form des persönlichen Treffens. Zur Interaktion von symbolischen und realen (Stadt-)Räumen Anhand dieser Darstellungen sollte deutlich geworden sein, dass urbane Räume kein starres Gebilde sind und keine festen Grenzen haben, sondern dass sie auf spezifische Weise konstruiert werden. Mobilen Informations- und Kommunikationstechnologien wird dabei eine äußerst wichtige Position zuteil, denn sie haben das Navigieren im öffentlichen Raum und die Erfahrungen des Alltags einer Transformation und Neustrukturierung unterzogen. Der öffentliche (Stadt-)Raum wird nicht mehr zwangsläufig als Ort erlebt, an dem man Fremden begegnet und sich auf diese einlassen muss. Mobile Technologien erlauben stattdessen die Kommunikation mit der Peergruppe und den Rückzug ins Private (vgl. Höflich/Hartmann 2007). Fujimoto (2005: 98) bezeichnet Mobiltechnologien wie das keitai in diesem Zusammenhang als „territory-generating apparatuses“, die jeden Winkel des öffentlichen Raums in einen persönlichen und privaten Bereich transformieren können. Dies geschieht quasi unterwegs, in jeder Minute und bei jeder im öffentlichen Raum getätigten Bewegung, bei der das keitai eine Rolle spielt – wobei es sich häufig um flüchtige und beiläufige Praktiken handelt. Auf diese Aneignung ‚im Vorbeigehen‘ weist das Konzept des „nagara mobilism“ hin: „Nagara (while-doing-something-
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else) refers to the state of multitasking separately, in parallel, and asynchronously while walking, moving, or playing“ (ebd.: 80). Die Rolle des Mobiltelefons als Instrument, das der Schöpfung symbolischer (Stadt-)Räume dient ist somit stets mitzudenken. Fest steht allerdings auch, dass der Gebrauch nicht zwangsläufig oder in immer gleicher Weise und Ausprägung zu Entgrenzungen und neuen Raumerfahrungen führt oder die Entstehung und Transformation von sozialen Regeln und Umgangsformen mit sich bringt. Um einen einfachen Technikdeterminismus zu vermeiden, muss eine Vielzahl kontextueller Faktoren bei der Betrachtung sozialer und technologischer Praktiken berücksichtigt werden. Diese Überlegungen sind keineswegs nur auf Japan zu beziehen, sie erhalten aber angesichts der Spezifik japanischer Stadträume eine umso höhere Signifikanz. Aufgrund des begrenzten Lebensraums und der hohen Mietpreise in den japanischen Großstädten verlassen beispielsweise viele junge Leute ihr Elternhaus erst mit der Eheschließung oder nach Eintritt in das Berufsleben. Ihr soziales Leben findet vielfach außer Haus statt, denn das Zuhause kann ihnen keine intime Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeit geben, weil Rücksicht auf die Bedürfnisse der familiären Gemeinschaft zu nehmen ist (siehe auch Kapitel 5.1.4 und 5.3.1). Für Treffen mit Freunden wird daher mit den Orten vorlieb genommen, die der öffentliche Raum bietet, „[…] young people are seeing the city, broadly conceived, as a place to spend their free time“ (Okada 2005: 47). Das keitai übernimmt dabei nicht nur koordinierende Aufgaben, sondern füllt und verdichtet diese regulierten und nicht frei verfügbaren Orte mit individuellen Sinngehalten. Der Ort wird im Sinne de Certeaus zu einem Raum gemacht. Mit John Fiske, der sich auf de Certeau bezieht, ließe sich dies als eine kreative, populärkulturelle Praktik bezeichnen, die eine Möglichkeit der Kompensation bietet. Einem solchen Verständnis folgend kann dem keitai hier als Teil der Populärkultur die Fähigkeit zugesprochen werden, knappen Raum aufzuwerten und trotz ökonomisch beschränkter Ressourcen mit Bedeutungen aufzuladen. „[…] producing […] variety, richness, density is […] the work of popular creativity; it is the people’s art of making do with what they have (de Certeau, 1984), and what they have is almost exclusively what the social order that oppresses them offers them.“ (Fiske 1992: 158)
Vor diesem Hintergrund bergen mobile Technologien in Japan ein immenses Potenzial für eine selbst bestimmte Lebens- und Beziehungsgestaltung, die aufgrund der Limitationen städtischen Raums, aber auch im Kontext weiterer Besonderheiten der japanischen Kulturgeografie, eine umso größere Relevanz erhalten. Deren zwiespältigen Akzente im Hinblick auf die erhöhten Anforderungen bei der
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Selbstregulierung des Subjekts durch neue soziale Zwänge dürfen dabei jedoch nicht ignoriert werden. Raumdiskurse und japanische Jugendkultur Mit Blick auf spezifische Ausprägungen der japanischen Jugendkultur fokussiert der folgende Abschnitt die Interdependenzen zwischen der symbolischen Vereinnahmung von öffentlichem Raum durch Jugendliche und den Transformationsprozessen, von denen die japanische Gesellschaft gegenwärtig gekennzeichnet ist. Das Augenmerk liegt hier speziell auf jüngeren Nutzerinnen und Nutzern, weil diese im Hinblick auf den Wandel von Raumdiskursen eine entscheidende Rolle spielen. Wie bereits in Kapitel 4.2.1 dargelegt, hat das Forschungsinteresse an Jugendlichen in den letzten Jahren stark zugenommen, weil man sich von ihnen wichtige Impulse und Hinweise auf künftige Entwicklungen in der Mobilkommunikation verspricht. Junge Leute gelten nicht nur als überraschende, sondern auch als besonders kreative Early Adopter: Sie wussten das keitai schon frühzeitig für ihre eigenen kommunikativen und sozialen Bedürfnisse zu instrumentalisieren, integrierten es rasch in ihren Alltag und wurden damit zu wichtigen Indikatoren für den durch Mobilkommunikation initiierten Wandel von Kommunikation und Gesellschaft.15 Diese intensive Adaption durch Jugendliche wird aber nicht nur positiv gesehen. Die starke Präsenz von Mobiltelefonen innerhalb der japanischen Großstädte sowie der massive Gebrauch dieser Technologie durch Teenager und junge Erwachsene wurden seit Beginn der 1990er Jahre als ernstzunehmendes soziales Problem angesehen (vgl. Matsuda 2005a: 23). Viele Japanerinnen und Japaner assoziierten das keitai mit einem Verfall der Sitten und machten es für Regelverletzungen im öffentlichen Raum verantwortlich. Der Technologie wurde ein Konfliktpotenzial insbesondere im Hinblick auf die Verständigung zwischen den Generationen unterstellt, bei denen unterschiedliche Vorstellungen über korrekte Verhaltensweisen in Verkehrsmitteln, Geschäften und auf den Straßen kollidierten. Die darin zum Ausdruck kommenden Ängste und Vorwürfe können als Symptome einer Irritation betrachtet werden, die auf die Intensität der Transformation von Öffentlichkeit und Kommunikation durch das keitai hinweisen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Zielgruppe jüngerer Nutzerinnen und Nutzer ist auch deswegen notwendig, damit diese Transformationen deutlich werden. Im Kontext der Popularisierung von Pager, PHS und keitai durch weibliche Jugendliche (siehe auch Kapitel 2.1) spricht Kenichi Fuji15 Der große Stellenwert junger Frauen für die Popularisierung mobiler Kommunikationstechnologien ist bereits ausführlich an anderer Stelle diskutiert worden (vgl. Kapitel 2.1).
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moto von einer „Girls’ Pager Revolution“, die ihm zufolge mit einer verstärkten Präsenz junger Leute im öffentlichen Raum einherging. In der inzwischen weit vorangeschrittenen Integration mobiler Kommunikationstechnologien in den jugendlichen Alltag sieht er Indizien für einen mit der Technologie zusammenhängenden Paradigmenwechsel, mit dem sich kulturelle Wertvorstellungen und die Wahrnehmung des öffentlichen Raums gewandelt haben. Dieser Wandel sorgte für eine neue Wahrnehmung des zuvor von männlichen, traditionellen Werten besetzen Raums. Waren es zuvor vor allem ältere, konservative Männer, die mit Zeitung und Zigarette die Insignien einer klassischen Informationskultur vor sich hertrugen und anhand der diesen Gegenständen inhärenten Symbolik ihren Machtanspruch auf den öffentlichen Raum ausdrückten, so sind es heute so genannte kogyaru, die den öffentlichen Raum symbolisch besetzen. Der Begriff kogyaru setzt sich aus den Bezeichnungen für Mädchen und Kind zusammen. Er bezeichnet junge Frauen, die sich übertrieben modisch anziehen, ihre Haare blond färben und mit ihren oft üppig dekorierten keitai (siehe ausführlicher Kapitel 5.4.3) die Straßen und öffentlichen Plätze bevölkern. Mithilfe mobiler Medien stecken sie ein eigenes semi-privates Areal ab, in dem sie ihr Handeln stärker an der Peergruppe orientieren können und sich partiell den Erwartungen entziehen, die die Umwelt an sie richtet. Im öffentlichen Bewusstsein werden diese Mädchen meist unweigerlich mit dem Gebrauch tragbarer Kommunikationstechnologien in Verbindung gebracht. Die Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch Jugendliche und ihren exzessiven Gebrauch mobiler Kommunikationstechnologien geriet auch durch deren Etikettierung als jibetarian ins Blickfeld. Die Bezeichnung setzt sich aus jibeta (Boden) und der englischen Endung ‚-rian‘ zusammen und bezieht sich auf Jugendliche beiderlei Geschlechts. Sie verweist aber auf das gleiche urbane Phänomen wie kogyaru: auf junge Japanerinnen und Japaner, die vor Bahnhöfen und in belebten Vierteln die Straßen belagern, dort ihre Freunde treffen und durch ihr indiskretes Sozialverhalten, die auffällige Kleidung und ihre meist schrillen Frisuren nicht nur die traditionellen Werte und Normen der japanischen Gesellschaft herausfordern, sondern sich für alle sichtbar den öffentlichen Raum zu Eigen machen und auf diese Weise eine das Stadtbild prägende Präsenz auf der Straße gewinnen (vgl. Fujimoto 2005: 97; Matsuda 2005a: 26). Sie irritierten einerseits durch die symbolische Beanspruchung öffentlichen Areals, die ihren sichtbaren Ausdruck im Aussehen und Benehmen der kogyaru und jibetarian findet, und zum anderen durch dessen tatsächliche Besetzung, die im Sinne de Certeaus einen Ort in einen Raum verwandelt. Die Kritik an diesen Jugendlichen zielte vor allem auf deren unangepasstes und vermeintlich schlechtes Benehmen. Im Mittepunkt stand dabei die als rücksichtslos wahrgenommene, selbstbewusste und unüberhörbare keitai-Nutzung,
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die teilweise auch in öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen den nach Hause pendelnden Arbeitnehmern praktiziert wurde. Die kritischen Stimmen dürften aber auch Ausdruck einer Befürchtung gewesen sein, bestimmte gesellschaftliche Veränderungen und die Herausforderung bestehender Machtverhältnisse nicht mehr aufhalten zu können.16 An diesem Punkt zeigen sich die komplexen Folgen eines Zusammenspiels mobiler Medientechnologien mit dem städtischen Raum, die letztendlich in der Neubesetzung von Territorien durch jugendkulturelle, medientechnologisch avancierte Formationen kulminiert. Es werden aber auch die durch die symbolische Neukonfiguration des Raums hervorgerufenen Irritationen und Ängste und damit einhergehende Regel- und Grenzverschiebungen deutlich.
5.1.3 Verkehr und Mobilität
Ein Aspekt, der eng mit der Nutzung der urbanen Stadträume zusammenhängt, in diesem Kontext aber eine gesonderte Erwähnung finden soll, ist das Verkehrs- und Transportsystem und die Bedeutung von Mobilität in der japanischen Gesellschaft. Eines der Kernprobleme im japanischen Transportwesen besteht darin, dass die widrigen Naturbedingungen den landesweiten Aufbau einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur sowohl schwierig als auch kostspielig gestalten, weil hohe Summen in den Bau und die Instandhaltung von Tunnel, Brücken und Trassen investiert werden müssen (vgl. Flüchter 1998: 20). Zwar gab es im Schienenverkehr schon in den 1960er Jahren ein mit Deutschland und Frankreich vergleichbares Streckennetz, die Wege verliefen aber überwiegend eingleisig, waren kurvenreich und der Transport erfolgte entsprechend langsam und beschwerlich. Da der Straßenverkehr aufgrund schlecht ausgebauter Landwege keine wirkliche Alternative bot, kam der Küstenschifffahrt in dieser Zeit eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Biehl 1982: 50f.). Dies änderte sich mit der Inbetriebnahme der auf einem separaten Bahnnetz verkehrenden Hochgeschwindigkeitszüge shinkansen, die seit Mitte der 1960er Jahre die großen Städte und Wirtschaftszentren verbinden, insbesondere Osaka und Tokio – die „zwei Augen Japans“ (Pohl 1991: 16). Die Schienen des shinkansen verlaufen größtenteils auf Stelzen, sodass die 16 Matsuda (2005a: 27) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Handlungen, Einstellungen und Werte junger Leute schon immer der Kritik der älteren Generationen ausgesetzt waren, dass jedoch Medien in dieser kritischen Wahrnehmung seit den 1980er Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen und der Umgang mit ihnen in gleicher Weise thematisiert wird wie die Jugendlichen selbst. Unter Bezugnahme auf Saeko Ishita (1998) spricht sie hier von einer „unhappy marriage of youth and media theory“ (ebd.), die auch im Kontext der Nutzung von Pager und keitai Anwendung fand.
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Züge über die weitläufigen und dicht besiedelten Vorortlandschaften einfach hinweg gleiten können. Vor allem diese Unabhängigkeit vom Nah- und Güterverkehr macht die japanischen Schnellzüge äußerst resistent gegen Verspätungen. Die nationalen Verbindungswege werden darüber hinaus durch einen gut organisierten und stark frequentierten Flugverkehr ergänzt. Bedingt durch die urbane Raumknappheit sind die Verkehrswege innerhalb der großen Metropolregionen umso dichter und effizienter angelegt. Aufgrund der immensen Größe der städtischen Areale und der Notwendigkeit, vom Wohn- zum meist weit entfernten Arbeitsort zu gelangen wird in Städten wie Osaka oder Tokio ein enormes Verkehrsaufkommen produziert. Das häusliche Leben der Städter spielt sich für gewöhnlich mehr in den Vororten denn in den urbanen Zentren ab, da der Großteil der Bevölkerung aufgrund der skizzierten Wohnungssituation in der städtisch geprägten Peripherie ansässig ist. Das typische Zuhause eines Stadtbewohners befindet sich in den Außenbezirken und ist meist günstig an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen. Anhand der Ausbreitung der Wohnsiedlungen entlang der gut ausgebauten Schienennetze lässt sich nachvollziehen, dass die private Motorisierung in Japan erst relativ spät einsetzte (vgl. Lützeler/Ben-Ari 2004: 288). Die Besiedelung der suburbanen Gebiete hat sich sternenförmig ausgebreitet und konzentriert sich vor allem um die Haltestationen der stark frequentierten Vorortzüge. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das nicht nur in den Vorstädten, sondern im gesamten Stadtgebiet erkennbar wird: Die Gebiete um eine U- oder SBahn-Station herum sind in Japan besonders belebt, hell erleuchtet und von Kaufhäusern und Vergnügungszentren umsäumt. Je weiter man sich von den Haltestellen wegbewegt, desto weniger Geschäfte, Spielhallen und Restaurants finden sich am Straßenrand. Die Eisenbahngesellschaften sind an der kommerziellen Infrastruktur zum Teil mitbeteiligt, der Beitrag des Schienenverkehrs bei der Erschließung und Gestaltung der suburbanen Entwicklung ist demnach erheblich und stellt eine wichtige Kontrastfigur zu der durch den Individualverkehr gesteuerten Suburbanisierung in den USA dar. Wie teilweise bereits die Ausführungen zur Stadtentwicklung deutlich gemacht haben (siehe Kapitel 5.1.2), wird das Stadtbild einer Metropole wie Tokio nicht von einem dominierenden Stadtkern oder Handelszentrum geprägt. Es existieren vielmehr eine Vielzahl gleichrangiger Schmelzpunkte, die das ‚gefühlte‘ Zentrum der jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohner darstellen und unterschiedliche Arten von Einkaufs-, Ausgeh- und Freizeitmöglichkeiten bieten (vgl. Lützeler/Ben-Ari 2004: 281). „Japans Städte, besonders aber Tokyo, sind von einem dichten Netz privater, kommunaler und staatlicher Schnellbahnen überzogen, um deren einzelne
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Bahnhöfe dynamische kleine und große Einkaufs- und Vergnügungszentren entstanden sind, die an den Schnittpunkten von Privat- und Staatsbahnen eigene unabhängige ‚Innenstädte‘ markieren können. Eine Riesenstadt wie Tokyo ist nicht ein homogenes Ganzes, sondern eine dichte Zusammenballung von ‚Dörfern‘ und Städten.“ (Pohl 1991: 22)
Die großen Firmen und Hauptsitze zahlreicher Unternehmen sind trotz der weiträumigen und multizentrischen Ausdehnung des Stadtgebiets jedoch mehrheitlich in den Innenstadtbezirken ansässig (vgl. Lützeler/ Ben-Ari 2004: 290). Aufgrund der dichten Besiedelung und der ausgedehnten Einzugsgebiete verbringen viele Japanerinnen und Japaner deshalb einen nicht unerheblichen Teil ihres Berufsalltags innerhalb der Transportmittel des öffentlichen Nahverkehrs. Für viele sind tägliche Pendelzeiten von bis zu zwei Stunden pro Strecke üblich (vgl. u.a. Hohenadl 2004: 84; Lützeler/Ben-Ari 2004: 290; Pohl 1991: 27). 75 Minuten betrug die durchschnittliche Fahrtzeit der in Tokio arbeitenden Angestellten bereits Mitte der 1990er Jahre, ein Drittel der Pendler benötigte sogar über 90 Minuten pro Wegstrecke – deutlich mehr als in anderen Metropolen wie etwa New York mit einer durchschnittliche Pendelzeit von ‚lediglich‘ 50-60 Minuten (vgl. Flüchter 1996: 10).17 Angesichts des weiteren Anwachsens der Hauptstadt-Bevölkerung dürften sich diese Werte bis heute noch erhöht haben.18 Resümierend bleibt festzuhalten, dass die Mobilität innerhalb Japans trotz einer fortschrittlichen Verkehrsinfrastruktur nicht unproblematisch ist, da sie Einschränkungen durch die zahlreichen Berglandschaften, eine generelle Raumknappheit und nicht zuletzt die Archipelsituation 17 Dabei sind es deutlich mehr Männer, die jeden Tag die weiten Strecken durch den Berufsverkehr auf sich nehmen. Japanerinnen finden – insbesondere nach der Familiengründung – eine Anstellung häufiger im Umfeld ihres Zuhauses. Selbst wenn sie nicht nur als Hausfrau tätig sind, sondern einer beruflichen Beschäftigung nachgehen, sind sie somit oft von den innerstädtischen Wirtschafts- und Machtzentren ausgeschlossen und bleiben den Wohngegenden der Vororte verhaftet (vgl. Lützeler/Ben-Ari 2004: 290). 18 Der innerstädtische Autoverkehr bietet keine günstige Alternative, weder aus finanzieller noch aus zeitökonomischer Perspektive. Während die Fahrtkosten für Bus und Bahn durch die Firmen häufig subventioniert oder erstattet werden, fallen im Straßenverkehr Gebühren sowohl für die Nutzung der Stadtautobahnen als auch für die in der Stadt rar gesäten Parkplätze und die Neuzulassung eines Wagens an, die nur bei Nachweis eines Einstellplatzes gewährt wird (vgl. Flüchter 1996: 10f.). Ein weiteres Problem ist die Verkehrsdichte, die zu langen Staus und Wartezeiten auf den Straßen führt. Da in den geschäftigen Zeiten ein Vorwärtskommen nur im Schritttempo möglich und die Pünktlichkeit am Arbeitsplatz somit nicht garantiert ist, verlassen sich die meisten Arbeitnehmer schließlich doch auf den sowohl Zeit als auch Kosten sparenden Massenverkehr auf Schienen (vgl. ebd.; Pohl 1991: 27).
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des Landes erfährt. Diese Defizite lassen sich zumindest teilweise durch die Nutzung von flexiblen und ortsunabhängigen Informations- und Kommunikationstechnologien kompensieren, die zwar nicht die faktische Mobilität erhöhen, jedoch kommunikative Distanzen überwinden und auf diese Weise zu einer virtuellen Mobilität beitragen. Die virtuelle Mobilität bietet einen erweiterten Handlungsspielraum und erhält vor allem für die arbeitende Stadtbevölkerung eine wichtige Bedeutung, da diese dazu gezwungen ist, einen beachtlichen Teil ihrer Lebenszeit auf dem Weg zwischen Wohn- und Arbeitsort zu verbringen. Unsichtbare Grenzziehungen im öffentlichen Stadtverkehr Die Fahrten im regelmäßig ausgelasteten, aber dennoch effizienten und fast immer pünktlichen öffentlichen Transportsystem sind von der Erfahrung der generellen Raumknappheit des Landes und der Flächenengpässe in den Stadtgebieten geprägt, wie Yoshio Sugimoto in seiner Darstellung der japanischen Pendelsituation anschaulich beschreibt: „In a crowded environment, urban dwellers in Japan learn early in life how to cope with the pressure of many people living in limited space. On station platforms in urban centers, passengers line up in two or three rows in an orderly manner. During rush hours, Tokyo subways and railways use ‚pushers‘ to push workers into overpacked trains.“ (Sugimoto 1997: 53)
Derartige Schilderungen, die auf die in den Stoßzeiten extreme räumliche Enge in Nahverkehrszügen und auf Bahnhöfen verweisen, finden sich in fast allen einschlägigen Publikationen zur japanischen Kultur und Gesellschaft wieder. Die in den überfüllten Zügen verbrachte Zeit kann physisch und psychisch äußerst belastend und Kräfte zehrend sein und wird von Flüchter (1996: 10) als einer der entscheidenden „Agglomerationsnachteile“ Tokios bezeichnet. Er skizziert die Pendelsituation als unerträglich, sie bedeute „zweimal täglich eingeschlossen zu sein wie in einer Gefängniszelle“ (ebd.). Auch Pohl (1991) macht auf die außerordentliche physische Nähe fremder Menschen aufmerksam, die in den Zügen dicht an dicht stehen, er wendet allerdings ein: „[…] und doch scheint es, als sei jeder vom Nachbarn durch eine unsichtbare Membran getrennt“ (ebd.: 29). Offensichtlich gibt es Möglichkeiten und Praktiken, diese widrige Situation zu bewältigen und sich gegenseitig einen geschützten Bereich zuzugestehen. Bei der Schaffung von „Distanz auf engstem Raum“ (ebd.) spielen die verfügbaren mobilen Medien eine entscheidende Rolle, da sie als Agenten der Atomisierung dienen können. Mainwaring et al. (2005: 278) definieren Informations- und Kommunikationstechnologien, tragbare Spielcomputer und mobile Musikabspielgeräte, die unterwegs in Gebrauch genommen werden, als „cocooning items“. Durch ihren
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Einsatz im öffentlichen Raum konstruieren sie eine unsichtbare Mauer, die eine Grenze zieht zwischen dem Selbst und den anderen. Mit der Nutzung der Geräte lässt sich selbst an Orten höchster räumlicher Enge ein privates Terrain schaffen, in dem man sich in eigene Vorstellungswelten flüchten und sich vor Interaktionen mit anderen abschirmen kann. „One might also make an argument that a technology such as the Walkman, routinely used by many young people to create their own autonomous space both within the household and outside, is an intrinsically solipsistic technology – or, in Stephen Bayley’s striking phrase, a ‚sod-you machine‘ for switching off unwanted interaction with others (Bayley, 1990).“ (Morley 2003: 448)
Genau wie der Walkman, der zu seiner Zeit der Kritik ausgesetzt war, zu einer Vereinzelung und Fragmentierung der Gesellschaft beizutragen (vgl. Du Gay et al. 1997: 91), kann das Mobiltelefon als persönliche Individualtechnologie symbolische Distanz zu den Mitfahrenden schaffen. „If the Walkman is, in this sense, a privatizing technology, then […] the mobile phone is perhaps the privatizing (or individualizing) technology of our age, par excellence.“ (Morley 2003: 451) Mobile Technologien kreieren virtuelle Räume, in denen Mitmenschen in unmittelbarer Nähe ausgeblendet werden, wodurch spontane Kommunikation und Interaktion mit Fremden verhindert wird. Diese durch Mediennutzung praktizierte Einkapselungstaktik ist vielfach als unsozial und gesellschaftsschädigend kritisiert worden. Sie repräsentiert genau die Art von Ängsten, die mit künftigen Entwicklungen und technologischem Fortschritt oft in Verbindung gebracht werden (vgl. Mainwaring et al. 2005: 278). Eine solche Kritik übersieht jedoch, dass die Anwendung von Demarkationsstrategien eine wichtige Voraussetzung für ziviles Leben in der Großstadt ist. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah Georg Simmel (1995 [1903]: 116) den Großstädter einer „Steigerung des Nervenlebens“ ausgesetzt. Um die vielfältigen Sinneseindrücke, Reize und ständigen Kontakte zu verarbeiten und sich eine „Selbsterhaltung gegenüber der Großstadt“ zu bewahren, müsse er sich eine Form von Distanz schaffender „Reserviertheit“ zulegen: „Wenn der fortwährenden äußeren Berührung mit unzähligen Menschen so viele innere Reaktionen antworten sollten, wie in der kleinen Stadt, in der man fast jeden Begegnenden kennt und zu jedem ein positives Verhältnis hat, so würde man sich innerlich völlig atomisieren und in eine ganz unausdenkbare seelische Verfassung geraten.“ (Ebd.: 116f.)
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Die Aura der Unpersönlichkeit und der Privatheit, die so zu bewahren versucht wird, ist für Sennett (1991: 111) ein wichtiges Element seiner Beschreibung von Zivilisation, womit er die auf ein stilles Einvernehmen beruhende Anwendung bestimmter Umgangsweisen meint, die das Zusammenleben in der Stadt vereinfachen. Gerade in den limitierten Räumen des japanischen Nahverkehrs müssen strategische, auf Abstand zielende Verhaltensweisen bemüht werden. Lediglich die Art und Intensität der symbolischen Grenzziehungen variiert dabei gemäß den verfügbaren Ressourcen. Ohne mediale Hilfsmittel ist die Distanz zu den Mitfahrenden deutlich schwieriger und auf qualitativer Ebene weniger aktiv und selbst bestimmt herzustellen. Als alternative Abgrenzungsmechanismen bieten sich körperliche Rückzugspositionen an, etwa das Schließen der Augen oder Senken des Kopfes.19 Printmedien wie die Tageszeitung, die ebenso der Regulierung von Nähe und Distanz dienen könnten, sind im japanischen Verkehrsalltag kaum für diesen Zweck geeignet. Im Gegensatz zu miniaturisierten Technologien wie dem keitai beanspruchen sie mehr Raum, der in Pendelzügen häufig nicht gewährt werden kann. Zwar weist Hohenadl (2004: 84f.) zu Recht darauf hin, dass der Umfang der Zeitung durch die der traditionellen japanischen Schreibweise von oben nach unten geschuldeten vertikale Faltung verkleinert wird und diese Technik zusammen mit dem insgesamt kleineren Format der japanischen Blätter eine Platz sparende Lektüre erlaubt. Die Ergebnisse aus einer vom Premierminister in Auftrag gegebenen Volksbefragung sowie einer vom japanischen Zeitungsverband NSK durchgeführten Studie zur täglichen Zeitungsnutzung belegen jedoch, dass nur eine verschwindend geringe Minderheit der Pendlerinnen und Pendler auf dem Weg zur Arbeit zur Zeitung greift (vgl. ebd.: 85). Hier ließe sich anführen, dass sich das Umblättern der Seiten in den vollen Zügen als wenig praktikabel erweisen könnte und dass das Lesen in der Bahn durch ständiges Aus- und Umsteigen zahlreicher Fahrgäste behindert wird. Zudem lässt die Masse an Menschen nicht zu, das Lesen in der Bahn zu einer privaten Angelegenheit zu machen, da Umstehende zum Mitlesen angeregt werden oder zumindest sehen können, womit sich der andere inhaltlich gerade beschäftigt.20 19 Mit den Praktiken, Nähe und Distanz im öffentlichen Raum herzustellen hat sich auch Erving Goffman beschäftigt. Dieser sieht in der „geistigen Absenz“ ein geeignetes Mittel, „um sich eine Zeit lang in eine spielerische Welt zu begeben“ (1971: 74), in der man inmitten einer sozialen Situation für sich allein ist. In diese „Art von innerer Emigration“ könne man sich beispielsweise durch Nebentätigkeiten wie Tagträumen, Summen oder das gedankenverlorene Spielen an Fingern oder Haaren flüchten, die eine „Entfernung von allen öffentlichen konkreten Angelegenheiten innerhalb der Situation“ signalisierten (ebd.). 20 In diesem Zusammenhang ist auffällig und muss erwähnt werden, dass japanische Leserinnen und Leser ihre Bücher, die sie unterwegs dabei
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Mit dem Gebrauch des Mobiltelefons, insbesondere seiner textbasierten Kommunikations- und Unterhaltungsangebote, kann ein Rückzug in private Sphären nicht nur auf mentaler Ebene erfolgen, sondern auch aktiv-gestalterisch. Gerade die mobile E-Mail-Kommunikation und das Abrufen von Nachrichten über das mobile Internet stellen Beschäftigungen dar, die eine unsichtbare Mauer errichten und vor der Außenwelt abschirmen. Dabei kann es sich auch um dienstliche Tätigkeiten handeln, die ansonsten im Büro oder Zuhause durchgeführt werden müssten. Auf diese Weise legitimiert sich die Überbrückung von Leerzeiten und Transiträumen durch einen praktischen Sinn und Zweck. Die durch den unfreiwilligen Aufenthalt in den Massentransportmitteln verlorene Zeit und damit ein gewisses Maß an Autonomie kann so wieder gewonnen werden. Dabei ist ein wichtiger Nutzungsaspekt die Diskretion im Umgang mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der mobilen Informations- und Kommunikationstechnologien. Denn in Japan unterliegen die öffentliche Räume und Verkehrsmittel einer Vielzahl von Normen und Regulierungen, die es auch bei der Mobilkommunikation zu beachten gilt. Die Integration des keitai in das komplexe Regelwerk des urbanen Verkehrsalltags Eben diese Bestimmungen und Verbote, von denen das Handeln im öffentlichen (Verkehrs-)Raum geprägt ist, sind in diesem Abschnitt Gegenstand der Auseinandersetzung. Anhand von Beobachtungen und Interviews, die im Rahmen eines ethnografisch orientierten Forschungsansatzes durchgeführt wurden, haben Okabe und Ito (2005: 206) zwischen Juli 2002 und Februar 2003 den Gebrauch des keitai in U-Bahnen und Nahverkehrszügen der zwei Metropolregionen um Tokio und Osaka untersucht. Unter Rekurs auf die verhaltenstheoretischen Überlegungen von Erving Goffman legen die beiden Autoren dar, wie die Mobilfunknutzung als Regelverletzung im gemeinschaftlich genutzten Raum des öffentlichen Personennahverkehrs betrachtet wird. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass lediglich die Anwendung lautloser Funktionen innerhalb der stark frequentierten Verkehrsmittel akzeptiert ist, mobiles Telefonieren dagegen als unhöflich gilt und häufig mit Blicken und Gesten der Mitfahrenden sanktioniert wird (vgl. ebd.: 208ff.). Sugimoto weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der öffentliche Raum in Japan stark reguliert ist und zu gleichen Teilen von sozialen Konventionen und unausgesprochenen Regeln wie von offiziellen Verboten, Ansagen und Hinweisschildern kontrolliert wird: haben, häufig mit einem zusätzlichen Einband versehen, der nicht nur möglichen Beschädigungen vorbeugt, sondern zugleich als Schutz der Privatsphäre dient, da niemand sehen kann, um was für einen Titel es sich dabei handelt.
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„Japanese train conductors constantly announce what passengers should and should not do, saying for instance, ‚Do not stand near the door,‘ ‚Hold on to a strap,‘ ‚Make room for other people,‘ and ‚Let us offer seats to senior citizens.‘ Railway stations broadcast such announcements as ‚Please stand behind the white line as a train is approaching the station,‘ ‚Stand in two rows in an orderly manner until the train arrives,‘ and ‚Would you kindly not jostle one another when you step into the train.‘ Streets and public spaces are studded with signs with such instructions as ‚Keep out‘ and ‚No admittance.‘“ (Sugimoto 1997: 251)
Diese Strategien der Kontrolle, bei denen durch das ständige Erinnern an die erwünschten Verhaltensnormen in dezenter, zugleich aber unübersehbarer Weise Macht ausgeübt wird, sind Teil eines, wie Sugimoto (1997: 245ff.) es ausdrückt, „friendly authoritarianism“, durch den die japanische Gesellschaft gekennzeichnet ist.21 Dieser bestehe nicht nur aus den sichtbaren Praktiken der Machtausübung, sondern konstituiert sich ferner durch gegenseitige Kontrolle sowie durch geteilte und tief verankerte Moralvorstellungen (vgl. ebd.). Der Gebrauch des Mobiltelefons hat sich in das umfassende Regelwerk zur Nutzung des öffentlichen (Verkehrs-)Raums nahtlos einzureihen. „Keitai manners in trains in Japan are part of a broad palette of behaviors that are policed explicitly and persistently by public transportation institutions. […] Even more than buses, trains in urban centers are characterized by precise technical and social regulation and very low rates of disorder, whether it be poor manners, a late train, graffiti, or litter.“ (Sugimoto 1997: 245)
Als das keitai Anfang der 1990er Jahre erstmals in dieses von starren Verhaltensnormen geprägte Setting eindrang, begann ein mehrjähriger Aushandlungsprozess, in dessen Verlauf sich sowohl verbindliche Richtlinien als auch ein allgemeiner Konsens zum korrekten Umgang 21 Während das Telefonverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln sehr ernst genommen wird und es in Japan selbst in den Hauptzeiten auffallend still in den voll gedrängten Wagen ist, gibt es im öffentlichen Raum auch Regeln, die mehrheitlich gebrochen werden. Beispielsweise hält sich kaum jemand an das Verbot, auf Gehwegen Rad zu fahren. Ebenso werden die zur Hauptverkehrszeit ausschließlich für Frauen vorgesehenen U-Bahn-Wagen (zum Schutz vor Belästigungen oder sexuellen Übergriffen, die in der Enge der Waggons leicht getätigt und genauso einfach kaschiert werden können) trotz zahlreicher Hinweisschilder auch von männlichen Pendlern heimgesucht. Die Autorität einer roten Fußgängerampel wiederum ist absolut, auch in einer noch so verlassenen Gegend wird eine Straße nicht überquert, bevor das grüne Licht die Erlaubnis dazu erteilt. Diese Beispiele veranschaulichen, dass eine Gesellschaft eben doch immer komplexer ist als die über sie existierenden Bilder und Vorurteile.
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mit dem Mobiltelefon etabliert haben. Um diesen Prozess der Entwicklung von Gebrauchsformen, die in einer Gesellschaftlich mehrheitlich auf Akzeptanz stoßen, nachzuvollziehen, haben Okabe und Ito ergänzend zu ihrer Nutzerstudie eine Auswertung der zwischen 1991 und 2001 erschienenen Zeitungsartikel zur Anwendung des keitai in öffentlichen Verkehrsmitteln vorgenommen. Die Inhaltsanalyse lenkt den Blick auf den sich im Zuge der Verbreiterung der Nutzerkreise wandelnden Diskurs, an den die Verständigung über Verhaltensvorschriften für den Mobilfunkgebrauch eng anknüpft. In der Anfangsphase des Mobiltelefons, als fast ausschließlich männliche Geschäftsleute im Besitz dieses Geräts waren, wiesen die ersten Ansagen in den Zügen freundlich darauf hin, dass bei der Nutzung des keitai Rücksicht auf die Mitfahrenden zu nehmen sei. Als sich die Technologie Mitte der 1990er Jahre zunehmend und verstärkt unter Jugendlichen ausbreitete und in diesem Kontext zu einem Gegenstand öffentlichen Ärgernisses wurde (vgl. Matsuda 2005a), änderte sich die Form der Ansprache durch die Verkehrsgesellschaften. Um anhaltenden Beschwerden insbesondere älterer Fahrgäste zu begegnen, wurden die Nutzerinnen und Nutzer nun explizit dazu aufgefordert, ihr keitai während der Fahrt auszuschalten: „[…] the meanings surrounding keitai shifted dramatically toward issues of regulation and control as youth became dominant actors in this space, and the case of public transportation is one arena where this shift played out“ (Okabe/Ito 2005: 215). Zu derselben Zeit entstand durch Weiterentwicklungen der mobilen Technologie die Möglichkeit einer diskreteren Nutzung: 1995 führte NTT DoCoMo das erste Modell mit Vibrationsalarm ein, 1997 stand der Short Message Service in allen Netzen zur Verfügung und ab 1999 wurden dank der Implementierung von i-mode die textbasierten Unterhaltungs- und Kommunikationsformen immer beliebter (vgl. ebd.: 213f.). Die oben beschriebene Verhaltensnorm, die sich bis heute durchgesetzt hat – nämlich lautlose Kommunikationsmodi zu tolerieren, störende Gespräche jedoch abzustrafen, sofern sie nicht in entschuldigender Pose angenommen und schnell wieder beendet werden – kann somit als das Resultat eines Zusammenspiels verschiedener Diskurse, sozialer Akteure und technologischen Wandels angesehen werden: „The web of negotiations and interactions that characterize even the particular setting of public transportation is indicative of the complexity of the process through which new technologies become established in an evolving social and cultural ecology.“ (Ebd.: 217)
Offensichtlich kann die spezifische Bedeutung des Verkehrsraums, wie das Beispiel Japan demonstriert, als wichtiges Element der kulturellen Infrastruktur von Mobilkommunikation herangezogen werden: Die keitai-Nutzung wird in die bestehende Alltagspraxis des ‚Pendel-
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obligats‘ eingebettet und erfüllt dabei wichtige Funktionen. Sie schafft Distanz auf engstem Raum und etabliert ein privates Areal inmitten der Öffentlichkeit einer Zwangsgemeinschaft von Mitreisenden. Mobilkommunikation verändert auf diese Weise die Wahrnehmung des öffentlichen Raums, sie wird zugleich aber mitbestimmt von äußeren Faktoren, durch die der öffentliche Raum gekennzeichnet ist. D.h. sie muss sich den Regeln und Zwängen anpassen, die den Verkehrsraum durchdringen, schafft dabei jedoch selbst neue Regeln und Zwänge, denen sich wiederum die Nutzerinnen und Nutzer anpassen.22 Mit Blick auf das Zuhause, dessen Konstruktionen im folgenden Kapitel im Zentrum stehen, wird die Bedeutung der durch Mobilkommunikation neu erschaffenen Räume im Folgenden noch näher erläutert.
5.1.4 Zuhause und Häuslichkeit
Die Knappheit der raumbezogenen Ressourcen ist ein Motiv, das sich auch bei der Betrachtung des japanischen Wohnraums wiederfindet. Pro Person standen in Japan im Jahr 2005 durchschnittlich 35,7 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, während dieser Wert in den DID noch deutlich geringer ausgefallen sein dürfte (vgl. Population Census of Japan 2005: 66).23 Mieten und Grundstückspreise sind gerade in den großen Städten so hoch, dass sich viele Japanerinnen und Japaner den Wohnraum, den sie eigentlich benötigten, nicht leisten können und mit beengten Wohnverhältnissen vorlieb nehmen müssen. Ein kleines Eigenheim ist bei einem durchschnittlichen Einkommen selbst am äußersten Stadtrand kaum zu finanzieren. Dabei schlagen insbesondere die hohen Bodenpreise zu Buche, denn für ein Grundstück ist häufig eine doppelt so große Summe zu entrichten wie für das Haus, das darauf gebaut werden soll (vgl. u.a. Hoyt 1988: 150; Pohl 1991: 27).24 Die hohen Miet- und Immobilienpreise haben die Form des häuslichen Zusammenlebens geprägt. Lange Zeit war in Japan das Modell 22 Dass sich die Regeln und die Erfordernisse einer diskreten Nutzung mit bestimmten Anwendungen der Medientechnologie verknüpfen lassen, stellt auch einen unmittelbaren Impuls für die Entwicklung des keitai und der spezifischen Ausdifferenzierung seiner Funktionen dar. 23 Zum Vergleich: In Deutschland betrug im Jahr 2006 die von einer Person im Durchschnitt bewohnte Fläche 42,9 Quadratmeter (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland 2008), während sich dieser Wert 2005 in den USA auf 69,8 Quadratmeter summierte (vgl. U.S. Census Bureau 2006: 48). 24 In vielen Publikationen über Japan findet sich in diesem Zusammenhang der anschauliche Hinweis auf den Immobilienwert des im Zentrum von Tokio gelegenen kaiserlichen Palastbezirkes. Auf dem Höhepunkt der Bubble Economy, in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, sei dieser Schätzungen zufolge größer gewesen als der Grundstückswert von ganz Kalifornien (vgl. u.a. Dambmann 2002).
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der traditionellen Großfamilie vorherrschend, was nicht nur auf konfuzianische Wert- und Beziehungsvorstellungen, sondern auch auf wirtschaftliche Überlegungen zurückzuführen ist. Obwohl die Anzahl der Haushalte, in denen drei Generationen unter einem Dach leben, in den letzten Jahren merklich abgenommen hat und sich auch in Japan ein Wandel der Wohnstrukturen in Richtung kleinerer Haushaltsgrößen abzeichnet, lag der Anteil älterer Menschen, die mit der Familie eines ihrer Kinder lebten, Anfang der 1990er Jahre noch bei etwa 50 Prozent (vgl. Flüchter 1998: 41). Der Anteil der alleine oder zu zweit lebenden Senioren hat zwischen 1975 und 2007 eklatant zugenommen, von 3,3 Prozent auf 18,8 Prozent. Knapp die Hälfte der Senioren-Haushalte wird von nur einer Person bewohnt (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 19). Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass das Modell des Drei-Generationen-Haushalts vielfach durch Wohnarrangements abgelöst wurde, in denen die Großeltern nach wie vor durch ihre Familienangehörigen versorgt werden, weil sie beispielsweise in einer benachbarten Wohnung ansässig sind oder eine separate Wohnung in demselben Haus wie ihre Kinder bewohnen, einem so genannten „‚three-storey two-family‘ house“ (Hendry 2003: 34). Das Aufrechterhalten der familiären Bande, dem von je her eine große Bedeutung in der japanischen Beziehungsgestaltung zuteil wird, spielt auch im modernen Japan eine vergleichsweise große Rolle (siehe auch Kapitel 5.3.1): „There is still a strong sense of obligation to the older generation in Japan, whether co-residence is practised or not, and the three-storey houses with separate entrances would seem to offer a good compromise.“ (Hendry 2003: 37) Seit den 1970er Jahren hat vor allem die Anzahl der SingleHaushalte drastisch zugenommen. Das Statistics Bureau Japan ermittelte für das Jahr 2005, dass 29,5 Prozent aller Haushalte nur von einer Person bewohnt waren. Dominierend im Hinblick auf die Haushaltszusammensetzung war die Lebensform als Kleinfamilie, die 2005 57,9 Prozent aller japanischen Haushalte ausmachte. Die durchschnittliche Personenzahl eines Haushalts, die zwischen den 1920er und 1950er Jahren noch rund fünf betrug, sank bis 1970 auf einen Wert von 3,41 und lag im Jahr 2005 bei nur noch 2,55 Mitgliedern pro Wohneinheit.25 Aufgrund dieser Tendenzen ist zu erwarten, dass die Anzahl der 25 Zum Vergleich: Mit 2,08 Personen, die im Jahr 2007 durchschnittlich in einem Haushalt lebten, ist die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland deutlich geringer. Auch hier ist sie seit Jahren rückläufig, während die Zahl der ‚kleinen‘ Haushalte stetig zunimmt. Der Anteil der Einpersonenhaushalte erhöhte sich im Jahr 2007 auf 39 Prozent (1991: 34 Prozent), Mehrgenerationenhaushalte machten 31 Prozent aller Haushalte in Deutschland aus. In 24 Prozent aller Haushalte lebten ausschließlich Seniorinnen und/oder Senioren über 65 Jahre (vgl. Rübenach/Weinmann 2008: 772f.).
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japanischen Haushalte künftig noch steigen wird, während die Gesamtbevölkerung bereits abnimmt (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 17). Angesichts des akuten Raummangels stellt eine solche Prognose die japanische Gesellschaft vor zusätzliche Herausforderungen. Dem kaum zu deckenden Bedarf an Wohnraum wird teilweise durch bauliche Maßnahmen begegnet: Häuser stehen in Japan dicht an dicht beieinander, ragen wenigstens dort, wo es die Erdbebengefahr zulässt, möglichst weit in die Höhe und füllen ohne Rücksicht auf eine koordinierte Stadtplanung oder ein geordnetes Zusammenspiel architektonischer Stile jeden freien Platz in den ausgedehnten Stadtlandschaften. Wohnmodelle und Strategien der Raumgewinnung innerhalb des Zuhauses Ausreichend Platz gilt auch im privaten Bereich des Zuhauses als kostbares Gut und Statussymbol.26 Innerhalb der Wohnung oder des Hauses werden oft verschiedene Strategien der Raumgewinnung angewendet, durch die räumliche Beschränkungen kompensiert werden. In einem typischen japanischen Zuhause sind die klassischen mit Tatamimatten ausgelegten Zimmer üblicherweise multifunktional eingerichtet. Da die wenigen Einrichtungsgegenstände flexibel verstellbar sind, können Räume je nach Bedarf und Anlass mit Sitzkissen, Tisch oder Schlafmöglichkeiten ausgestattet werden. Traditionelle japanische Möbelstücke wie Einbauschränke und vor allem der Futon sind für diese Alltagspraktiken der Raumvergrößerung in besonderer Weise geeignet. Er wird nach der Nachtruhe zusammengerollt in einem Schrank verstaut, um einem niedrigen Tisch Platz zu machen, an dem gegessen und studiert wird (vgl. Steger 2004: 189). In den Zimmern, in denen geschlafen wird, wird somit auch Besuch empfangen, Gästen Tee serviert oder an den häufig zu findenden buddhistischen Familienaltars der unlängst verstorbenen Verwandten gedacht (vgl. Hendry 2003: 31). In den Wohnarrangements spiegelt sich die Vorstellung wider, dass die häusliche Gemeinschaft und nicht das Individuum im Vordergrund steht. Eine Raumaufteilung, bei der jedem Familienmitglied ein eigenes Zimmer zusteht, ist in der Regel nicht vorgesehen. Die in Form eines eigenen Rückzugsraums gewährte Privatsphäre wird – soweit möglich – am ehesten den noch schulpflichtigen Kindern eines Haushalts zugestanden. Oft steckt hinter dieser Maßnahme jedoch keineswegs die Vorstellung, dass Kinder und Jugendliche aus entwicklungspsychologischen Gründen einen eigenen Platz zum Schlafen und einen 26 Eine subtile Methode, um in einer Stadt wie Tokio großzügige Wohnverhältnisse zu demonstrieren, sei die Zurschaustellung eines großen Hundes, der als Haustier gehalten wird. Dieser lasse den Schluss zu, dass seine Besitzer Eigentümer eines Hauses mit Garten oder zumindest einer geräumigen Wohnung seien, wie mir in Japan berichtet wurde.
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Ort des Rückzugs brauchen. Ganz im Gegenteil ist es in Japan lange Zeit üblich gewesen, dass sich Kinder selbst noch im Teenageralter mit ihren Eltern oder Müttern ein Zimmer teilten.27 Diese Praxis des „co-sleeping“ (Steger 2004: 374)28 ist auch heute noch bis zum Schuleintritt gängig, wie Steger in ihrer umfassenden Monografie „(Keine) Zeit zum Schlafen? Kulturhistorische und sozialanthropologische Erkundungen japanischer Schlafgewohnheiten“ darlegt (ebd.: 384f.). Ein eigenes Zimmer wird später vor allem deshalb gewährt, damit die Kinder konzentriert und ohne Ablenkung ihr hohes Lernpensum erfüllen können (siehe auch Kapitel 5.2.1). Steger (2004: 386) weist in diesem Zusammenhang auf das Pflichtgefühl der Eltern hin, den Kindern angesichts der hohen Leistungsanforderungen und zahlreichen Prüfungen im japanischen Schulsystem ungestörtes Lernen in einem eigenen Zimmer zu ermöglichen. Auf diese Weise soll der soziale und berufliche Aufstieg des Nachwuchses schon frühzeitig gefördert werden. Zunehmend sind die Studier- und Schlafzimmer der Kinder mit Fernseher, Computer, Internetzugang und weiteren Technologien wie etwa einem Kühlschrank ausgestattet. Seit Mitte der 1990er Jahre kam bei den meisten Jugendlichen das Mobiltelefon als Erweiterung des individuellen Medienrepertoires hinzu. Mit dem vermehrten Aufkommen persönlicher Technologien – sei es in Form von stationärer Computertechnik oder mobiler Unterhaltungselektronik – und insbesondere durch das keitai haben sich die Möglichkeiten, das Kinder- und Jugendzimmer als autonomes Areal zu gestalten, deutlich erhöht (vgl. ebd.). Der Abnabelungsprozess Jugendlicher, bei dem auch in Deutschland und anderswo die durch das Mobiltelefon gewonnenen Freiheiten eine wichtige Rolle spielen (vgl. z.B. Döring 2004; Feldhaus 2004), wird in Japan massiv durch äußere Faktoren behindert. Aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes und der hohen Kosten, die für Wohnraum aufgebracht werden müssen, ist das Auszugsalter bei Verlassen des Elternhauses in Japan vergleichsweise hoch. Viele junge Erwachsene leben auch nach ihrem Schul- und Universitätsabschluss noch bei ihren Eltern. Aspekte wie Bequemlichkeit und familiäre Anbindung sind dabei ebenfalls von Bedeutung, wie Hendry (2003: 35) herausstellt: „Some young people with quite well paying jobs have been dubbed ‚parasite singles‘ because they continue to rely on parental support, perhaps even living in the family home, instead of setting themselves up and having children of their own.“ Laut Steger (2004: 27 Historisch war es Sitte, dass Kinder bei der Geburt des nachfolgenden Kindes im mütterlichen Schlafgemach Platz machen mussten und aus diesem Grund in das Zimmer einer anderen weiblichen Verwandten (Tante, Großmutter) umquartiert wurden (vgl. Steger 2004: 384). 28 Je nach Auslegung ist unter „co-sleeping“ das Zusammenschlafen der Eltern und Kinder in demselben Bett oder in demselben Zimmer, aber in unterschiedlichen Betten zu verstehen (vgl. Steger 2004: 376).
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386) ist dieses Phänomen der ‚parasitären Singles‘, die trotz Volljährigkeit und eigenem Einkommen im Haus ihrer Eltern leben, durch die aufwändige Ausstattung der Kinder- und Jugendzimmer mit den neuesten technologischen Errungenschaften noch weiter begünstigt worden. In diesem Zusammenhang übernehmen Medientechnologien die zwiespältige Rolle des Gebens und Nehmens von Freiheiten: Sie erlauben eine innerhäusliche Privatheit, aber verhindern eine komplette Emanzipation von der Familie. Zur Konstruktion selektiver Gemeinschaften mit mobilen Medien Mit der Präsenz neuer Medien, die in Wohn- und Kinderzimmer eingezogen sind oder für den individuellen mobilen Gebrauch zur Verfügung stehen, verändert sich auch die Bedeutung des Zuhauses. Ein Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des Fernsehens seit den 1950er Jahren und einer Aufwertung des eigenen Heims als Freizeitstätte ist bereits vielfach hergestellt und dokumentiert worden (vgl. z.B. Hartley 2002; Hickethier 2007; O’Sullivan 1991; Spigel 2002): Nachdem das Fernsehen aus den provisorischen Vorführsälen und vom öffentlichen Raum der Elektrogeschäfte in die Wohnstuben der Privathäuser gewandert ist, ist es dort domestiziert und zu einem festen Bestandteil häuslicher Routinen und Interaktionen geworden. Mit der zunehmenden Diffusion digitaler Medien erfahren wir derzeit eine umgekehrte Bewegung, die sich in neuen, außerhäuslichen Formen des Medienkonsums niederschlägt.29 Geradezu paradigmatisch steht dabei das Mobiltelefon für die Tendenz der Medien, ihr klassisches Umfeld zu verlassen und aus den Wohnungen auf die Straße und in den öffentlichen Raum zu ziehen. Technologien wie das Transistorradio und der Walkman haben diese Bewegung bereits vor einiger Zeit eingeläutet (vgl. Weber 2008). Mit der Popularisierung von mp3-Playern, Mobiltelefonen und anderen personalisierten Kleinstgeräten erfährt die Verlagerung der Mediennutzung in den öffentlichen Raum zurzeit jedoch eine unerwartete Dynamisierung. Unsere Erfahrung von Raum – sei dies nun der private Raum des Zuhauses oder der öffentliche Raum der Großstädte – ist mit Technologie- und Medienentwicklung eng verknüpft, wie die bisherigen Ausführungen bereits gezeigt haben. Während der Fernseher im Wohnzimmer den Ort markiert, „where the global meets the local“ (Morley 1997), so vermag das Mobiltelefon einen Anklang von Lokalität im Globalen herzustellen, indem es die engsten Bezugspartner in ständiger Reichweite hält. Unabhängig vom eigenen Auf-
29 In diesem Zusammenhang ist beispielsweise das Public Viewing zu nennen, eine in Deutschland durch die WM 2006 vorangetriebene Wiederbelebung der kollektiven Fernsehrezeption, die ihren historischen Vorläufer in den Fernsehstuben der 1930er Jahre hat.
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enthaltsort wird das Lokale durch die mobile Technologie repräsentiert, mit der sich der Kontakt zu engen Vertrauten permanent aufrecht erhalten lässt. Es bezeichnet in diesem Sinne also keinen Ort, sondern einen Raum, der durch die virtuelle Präsenz von Freunden und Familienangehörigen aktiv konstruiert wird. Für diese soziale Praxis des ‚heimisch Machens‘ des öffentlichen Raums durch die unterwegs per keitai hergestellte Verbindung zum sozialen Netzwerk, hat Ichiyo Habuchi (2005: 167) den Begriff des „telecocoon“ eingeführt. Der Terminus erfasst, wie sich Privatheit, Exklusivität und ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit mithilfe mobiler Kommunikationstechnologien auch außerhalb des Zuhauses herstellen lässt. „There is a zone of intimacy in which people can continuously maintain their relationship with others who they have already encountered without being restricted by geography and time; I call this a telecocoon.“ (Ebd.) Die Idee des telecocoon basiert auf empirischen Forschungsergebnissen, die zeigen, dass das Privileg ständiger Kontaktbereitschaft oft nur einem kleinen Kreis der engsten Bezugspartner zugestanden wird: Obwohl die Adressbücher eine Vielzahl von Einträgen enthalten, wird mittels des Mobiltelefons meist nur mit einer geringen Zahl von Freunden und Verwandten kommuniziert (vgl. Matsuda 2005a: 30). Matsuda weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die über das keitai moderierte Beziehungsgestaltung höchst selektiv erfolgt und dabei hauptsächlich mit Personen in Kontakt getreten wird, die in der näheren Umgebung leben und auch regelmäßig persönlich getroffen werden. In Anlehnung an Nakajima et al. (1999) spricht sie von einer „full time intimate community“ (ebd.). Der Ausdruck telecocoon verweist jedoch noch stärker auf ein Moment der Ausgrenzung und Einschließung sozialer Formationen: Nur die engen Bezugspartner sind Teil des telecocoons, Fremden wird genau wie entfernten Bekannten der Zugang bewusst verwehrt. Mittels des keitai wird also eine vertraute Zone geschaffen, zu der nur Auserwählte Zutritt haben. Diese markiert eine klare Grenzziehung zur äußeren Umgebung, stellt folglich eine „Dialektik des Innen und Außen“ her (Silverstone 2007: 174). Die Entscheidung, wie der Zutritt in diesen persönlichen Bereich genau reglementiert ist, obliegt dem jeweiligen Individuum. Dieses Potenzial, ein virtuelles halböffentliches Areal regulierter sozialer Beziehungen zu etablieren, bekommt in Japan eine besondere Bedeutung: Es entfaltet sich nämlich vor dem kulturellen Hintergrund eines begrenzten Wohnraums, verschiedener familiärer und ökonomischer Abhängigkeiten und nach wie vor geltender Konventionen und sozialer Zwänge im Kontext des Zuhauses. Gerade im Lebensabschnitt zwischen zwanzig und dreißig, wenn viele ledige Kinder in Japan aus den genannten Gründen noch zu Hause leben und von den Annehmlichkeiten der elterlichen Versorgung profitieren – sowohl in finanzieller als auch in infrastruktureller Hinsicht –,
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könnte das Mobiltelefon die wichtige Funktion übernehmen, eine erforderte Unabhängigkeit zu ermöglichen. Die Koordination von beruflichen und privaten Kontakten erfolgt per keitai weitestgehend selbstbestimmt, sodass trotz räumlicher Nähe keine Beeinträchtigungen durch familiäre Aufsicht in Kauf genommen werden müssen. Gesellschaftliche Zwänge dominieren, wie weiter unten noch zu lesen sein wird (siehe Kapitel 5.3), viele Lebensbereiche im japanischen Alltag – so auch die individuelle Freundschafts- und Beziehungsgestaltung, die sich den Interessen der Gruppe oder familiären Gemeinschaft unterzuordnen haben. Die freie Sozialisationsmöglichkeit außerhalb der von sozialer Kontrolle geprägten Strukturen japanischer Familien ist somit eine Option, die das keitai bei gleichzeitiger räumlicher Anbindung an das Verwandtschaftsgefüge bereitstellt. „Without mobile phones there is a form of screening of a student’s calls by parents or other family members who may answer the phone first and then pass it on to the student.“ (Ayukawa 2003: 153) Weil das keitai die Steuerung technikvermittelter kommunikativer Handlungen von der häuslichen Gemeinschaft zum mobilen Individuum verlagert, also dezentriert, unterstützt es die einzelnen Familienmitglieder dabei, sich der sozialen Kontrolle und Überwachung zu entziehen. Außer Haus zu Hause: keitai-Kommunikation und virtuelle Wohngemeinschaften Die Konstruktion selektiver Gemeinschaften mittels Mobilkommunikation wird hier im Kontext der Bedeutung des Zuhauses diskutiert, weil sich daran die Möglichkeit anschließt, eine Art virtuelle, von überall zugängliche Wohngemeinschaft zu kreieren. Diese entsteht dadurch, dass mithilfe des keitai unabhängig von familiären Einflüssen darüber entschieden werden kann, wer zum persönlichen Beziehungsnetz gehört und wie die alltägliche Kommunikation mit den engsten Vertrauten ausgestaltet wird. Obwohl ihr Alltag nicht zwingend auf räumlicher Ebene geteilt wird, sind die einzelnen ‚Mitbewohnerinnen‘ und ‚Mitbewohner‘ über das, was in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld passiert, genauestens unterrichtet und nehmen zumindest auf kommunikativer Ebene daran teil. „Evidently, one of the things that the mobile phone does is to dislocate the idea of home, enabling its user, in the words of the Orange advertising campaign in the UK, to ‚take your network with you, wherever you go‘.“ (Morley 2007: 220). Lediglich die ‚Idee des Zuhauses‘ wird hier übernommen, nämlich einen sicheren und stabilen Ort darzustellen, in dem Vertrautheit und Intimität möglich sind und durch den man sich von einem wie auch immer gearteten Draußen abgrenzt. Roger Silverstone (2007) macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass das Zuhause nicht nur als ein bestimmter physischer Ort zu verstehen ist, sondern vielmehr als ein Raum, „der sehr stark psychologisch aufgeladen ist“ (ebd.: 174).
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In Anlehnung an den von Silverstone und Haddon (1996) begründeten Domestizierungsansatz spricht Morley von einer „dislocation of domesticity“ (2007: 216), wenn er auf diese emotionale Bedeutung des Zuhause verweist, die auch in den öffentlichen Raum transportiert werden kann. Das Mobiltelefon identifiziert er dabei – neben Auto und Walkman – als eine Technologie, die das angenehme Gefühl von Häuslichkeit von seinen örtlichen Bindungen befreit hat. Diese Sichtweise impliziert, dass das Mobiltelefon weniger als eine Technologie, die räumliche Distanzen überwindet, anzusehen ist, sondern vielmehr als ein Beziehungsmedium, das vor allem die Funktion erfüllt, mit den engsten Freunden und Familienangehörigen in fortwährendem Kontakt (oder präziser: in fortwährender Kontaktmöglichkeit) zu stehen. Durch diese Funktion, eine ständige Verbindung nach Hause aufrecht halten zu können, vermag das Mobiltelefon den öffentlichen Raum zu transformieren und darin „Konnotationen eines Zuhauses“ (Peil 2007a: 232) zu schaffen. Nicht auf das Zuhause als geografischer Ort, als festes, räumliches Gefüge, wird hier hingewiesen, sondern auf das Zuhause, das als virtueller Raum zu jeder Zeit und an jedem Ort hergestellt werden kann und mit bestimmten Gefühlen von Nähe und Geborgenheit verbunden ist (vgl. ebd.). „In these terms, what the mobile phone does is to fill the space of the public sphere with the chatter of the hearth, allowing us to take our homes with us, just as a tortoise stay in its shell, wherever it travels.“ (Morley 2007: 224) Die Metaphorik der Schildkröte, derer sich Morley hier bedient, verweist explizit auf die Möglichkeit, ein Gefühl von Zuhause auch außerhalb der eigenen vier Wände, an jedem beliebigen Aufenthaltsort, herzustellen. Tragbare Kommunikationstechnologien, allen voran das Mobiltelefon mit seinen vielfältigen Funktionen und Anwendungsmöglichkeiten, die zur Unterhaltung, Alltagsorganisation, aber insbesondere „zur Kontaktpflege im sozialen Nahbereich“ (Röser 2007a: 27) genutzt werden, haben in entscheidender Weise zu dieser Mobilisierung und Dislokalisierung von Häuslichkeit beigetragen (vgl. Morley 2003, 2007). Dies muss keineswegs bedeuten, dass neue Medien und Kommunikationstechnologien die Zentralität des Zuhauses destabilisieren (vgl. Morley 2003), sie können es jedoch transformieren und seine Bedeutungen in den öffentlichen Raum verlagern. In Japan muss diese Entwicklung vor dem Hintergrund der beschriebenen Wohn- und Lebensverhältnisse verstanden werden, die letztlich sehr unterschiedliche Ausprägungen von medieninduzierter Häuslichkeit hervorbringen. Die Ausweitung des Zuhauses durch eine Form mobiler Häuslichkeit stellt zumindest teilweise die Reaktion auf einen Mangel dar. Denn die mediale Konstruktion von Symbolräumen in den japanischen Großstädten ist immer im Zusammenhang mit der Knappheit des (Wohn-)Raums zu betrachten. Die Wohnungen und Häuser vieler Japanerinnen und Japaner sind klein, sie bieten weniger persönlichen Rückzugsraum als
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dies in einem Großteil Europas oder in den USA der Fall ist und sind auf ein Leben in Gemeinschaft ausgerichtet. Da die häufig verschiebbaren Wände in den traditionellen japanischen Holzhäusern so dünn sind, dass jedes Geräusch nach außen dringt, ist die häusliche Privatsphäre eingeschränkt.30 Dies könnte, wie bereits in Kapitel 5.1.2 dargelegt, ein Grund dafür sein, dass insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene sich außerhäusliche Räume suchen, in denen sie unter sich und für sich alleine sein können und nicht der familiären Enge ausgesetzt sind. Okada (2005: 46f.) zeigt, dass gerade junge Leute seit Mitte der 1970er Jahre immer weniger Zeit in ihrem Zuhause verbringen – eine Entwicklung, die auch als Folge einer zunehmenden Urbanisierung und Konsumorientierung anzusehen ist. Aufgrund der großen innerstädtischen Distanzen zwischen Wohnund Arbeitsort oder Schule werden viele Stunden des Tages außer Haus verbracht. Das soziale Leben verlagert sich auf die Straßen der urbanen Zentren, die tagtäglich von Millionen Menschen okkupiert werden. Das Mobiltelefon ist in dieser „culture of flow and deterritorialisation“ (Morley 2003: 453 mit Verweis auf Tomlinson 2001: 17) ein verlässlicher Fixpunkt, es bietet Halt und ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität inmitten der kollektiven Hast und Betriebsamkeit des modernen mobilen Lebens. Das keitai erfüllt also einerseits die Funktion, der häuslichen Kontrolle und dem häuslichen Raum zu entkommen, andererseits dient es selbst dazu, ein kontrollierbares und Sicherheit bietendes Areal des Häuslichen im ungesicherten Außenraum zu schaffen. Es hat nicht nur die telefonische Erreichbarkeit von räumlichen Restriktionen befreit und gestattet den fortwährenden Anschluss an die Peergruppe; es bietet auch einen Ausweg aus den meist beengten Wohnverhältnissen und schafft durch seine Möglichkeiten der unbeaufsichtigten Beziehungsgestaltung zugleich eine Art Privatsphäre im öffentlichen Raum. Das keitai steht damit für die signifikante Erscheinung einer Umkehrung, nämlich dass sich Facetten von Privatheit leichter im außerhäuslichen öffentlichen Raum herstellen lassen als in der Halböffentlichkeit des Zuhauses.31 Dadurch dass das unbe30 Auch die Außenwände, die oft kaum Schutz vor Lärm bieten, können nicht für eine akustische Privatheit sorgen, sodass nicht nur jegliche Aktivitäten der eigenen Familienmitglieder ständig wahrgenommen werden, sondern zwangsläufig auch am Leben der Nachbarn teilgenommen wird (vgl. Dambmann 2002: 44). 31 Das häusliche, durch Medien unterstützte Einrichten in der Öffentlichkeit nimmt in Japan im Zusammenhang mit dem Internet noch eine andere Form an, über die in letzter Zeit des Öfteren auch in Deutschland berichtet wurde: Als eine „moderne Version der Tagelöhner“ (o.A. 2007) werden in den japanischen Großstädten wohnungslose Menschen beschrieben, die tagsüber einer meist niedrig entlohnten Arbeit nachgehen und sich zum Leben und Schlafen in eines der zahlreichen, rund um die Uhr geöffneten Internet-Cafés einmieten. Diese bieten
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kannte Umfeld mittels mobiler Kommunikation mit persönlichen Bedeutungen angereichert und verdichtet wird, lassen sich an jedem beliebigen Ort mit dem Häuslichen assoziierte Sinnstrukturen schaffen. Diese können sich beispielsweise im Kontakt zu engen Bezugspartnern und Familienmitgliedern manifestieren, mit denen über das keitai kommuniziert wird, oder etwa in der Beschäftigung mit vertrauten Inhalten, auf die über das mobile Internet zugegriffen wird. Mobilkommunikation steht hier sowohl für eine Bewegung der Aneignung öffentlichen Raums wie auch für eine Grenzziehung innerhalb dieses Raumes, die dessen Öffentlichkeit modifiziert. Exkurs: hikikomori und otaku als Extremformen ‚medialer Häuslichkeit‘ Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, auf welche Weise Medien und insbesondere das keitai zu Konstruktionen von Häuslichkeit beitragen. Dabei verweisen die beschriebenen Praktiken und Phänomene auf unterschiedliche Formen des Rückzugs und der Vergemeinschaftung, die ihre Manifestationen in der symbolischen Herstellung von Privatzonen finden. Solche Zonen werden aber nicht nur temporär im öffentlichen Raum geschaffen, sie existieren auch innerhalb des Zuhauses und werden in ihrer radikalsten Form als eine ‚Zivilisationskrankheit‘ angesehen, die ihren Ursprung und ihr größtes Aufkommen in Japan hat. Als hikikomori und otaku werden in Japan Menschen bezeichnet, die sich freiwillig in die eigenen vier Wände und das eigene Medienuniversum zurückziehen. Medien wie der internetfähige Computer, teilweise auch das Mobiltelefon, dienen dabei als Abgrenzungsund Ermöglichungswerkzeuge. Sie fördern die Abkapselung von der Familie, stellen gleichzeitig aber die Kommunikation mit der Außenwelt sicher, erlauben beispielsweise die Bestellung von Lebensmitteln, Büchern und anderen Waren, die Erledigung von Bankgeschäften oder auch die Kommunikation mit Gleichgesinnten. Zwar sind mobile Kommunikationstechnologien beim Einschluss in die häusliche Sphäre von nachrangiger Bedeutung, die Mechanismen ähneln aber der per keitai ausgelebten Praxis des telecocooning. In beiden Fällen lässt sich der Wunsch rekonstruieren, einen intimen Privatbereich zu kreieren – standardmäßig eine kleine Parzelle mit Rechner, Internetanschluss und Multimediaausstattung, häufig darüber hinausgehend auch kostenlose Getränke und Duschen an (vgl. ebd.). Im Vergleich zu den hohen Mietpreisen sind die Internet-Cafés deutlich günstiger, bestenfalls auch bequemer und zentraler gelegen als ein eigenes Zimmer. Für diejenigen, die in der Situation sind, so leben zu müssen, wird das Mobiltelefon noch zentraler, um für Freunde, Familienangehörige, aber auch potenzielle Arbeitgeber erreichbar zu bleiben. Internet und keitai markieren hier den entscheidenden Unterschied zur herkömmlichen Obdachlosigkeit, bei der die Wohnungslosigkeit oftmals auch das Ende der sozialen Beziehungen und Rückzug aus der Arbeitswelt bedeutet.
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sei es nun innerhalb der häuslichen oder innerhalb der öffentlichen Gemeinschaft –, der vollständig der eigenen Kontrolle unterliegt und eine eindeutige Grenze zwischen dem Drinnen und Draußen markiert. Vor diesem Hintergrund ist der folgende Abschnitt als ein Exkurs zu verstehen, der sich mit der selbst gewählten ‚Verhäuslichung‘ der eigenen Existenz und der signifikanten Rolle, die Medien dabei spielen, auseinandersetzt und sich anschlussfähig zeigt an die Debatte um Konstruktionen von Häuslichkeit. Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist das Phänomen des cocooning, das zwar nicht neu ist, wie Volker Grassmuck (1999) ausführt, das jedoch mit Zunahme der medialen Möglichkeiten an Attraktivität gewonnen hat. Den Nährboden für eine extreme Häuslichkeit sieht er in einer „Krise des öffentlichen Raums“ (ebd.: 157) begründet, in Japan wird sie aber auch mit der Verbreitung von Kinderzimmern und der Bereitstellung eines autarken Raums innerhalb der familiären Wohnung in Verbindung gebracht (vgl. Steger 2004: 386). Angesichts einer vergleichsweise hohen Zahl von Jugendlichen, die die elterliche Wohnung nicht mehr verlassen und sich in ein häusliches Eremitendasein flüchten, gibt es in Japan eine begriffliche Ausdifferenzierung dieses Verhaltens. Diese schlägt sich in unterschiedlichen Termini nieder, lässt aber auch eine Neigung dazu erkennen, mittels komplexer sprachlicher Ausschlussmechanismen Lebensformen zu pathologisieren, um damit die eigene Lebensform als das Normale ausweisen zu können.32 So sind diese Begriffe auch immer das Produkt eines Diskurses, der zwischen Ausschluss des Abweichenden und Bestimmung von Normalität pendelt. In seiner stärksten Ausprägung ist das Phänomen unter dem Namen hikikomori (sich einschließen) bekannt, einer extremen Form der ‚Nesthockerei‘, bei der die Betroffenen über einen längeren Zeitraum das Haus nicht verlassen33 und den sozialen Kontakt zu Mitmenschen auf ein Mindestmaß reduzieren oder sogar ganz abbrechen. Der von
32 Diese Mechanismen folgen einem in den Kulturwissenschaften häufig beschriebenen wiederkehrenden Muster der Konstruktion des problematischen Anderen, das die eigene Position als das Normale erscheinen lässt. David Morley (2000: 128ff.) weist darauf in seiner Auseinandersetzung mit Suburbanität und Fernsehen hin: So sind beispielsweise gated communities, geschlossene Wohnanlagen, als Folge einer Konstruktion von Angst vor einem gefährlichen Außenraum aufzufassen. Dieser wird häufig mit Kriminalität assoziiert und dem symbolischen Raum einer geschützten Innenwelt gegenübergestellt, die sich als das Normale ausweist. 33 Der Rückzug erfolgt jedoch nicht aufgrund einer akuten Angststörung, wie etwa der Agoraphobie, die mit Panikattacken und ähnlichen körperlichen Symptomen einhergeht. Sie muss vielmehr als eine selbst gewählte Isolation innerhalb des geschützten Bereichs der häuslichen Umgebung verstanden werden.
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dem Psychologen Tamaki Saito geprägte Begriff bezeichnet sowohl das Krankheitsbild (akuter Rückzug aus der Gesellschaft) als auch die Menschen, die sich oft monatelang, manchmal auch über Jahre, in ihren Zimmern verkriechen und sich dem Berufsleben und anderen gesellschaftlichen Anforderungen verweigern (vgl. Coulmas 2007a).34 Japan ist nicht nur Ursprungsland dieses Syndroms, sondern gilt auch als Nation mit den meisten Betroffenen. Von einer Million ist die Rede, die Dunkelziffer wird aber weitaus höher eingeschätzt, da psychische Krankheiten in Japan vielfach noch als Stigma angesehen und oft verheimlicht werden. Die Krankheit bezeichnet somit keinen Einzelfall, sie wird vielmehr als eine spezifisch japanische Form der Depression charakterisiert und daher auch als gesellschaftliches Problem betrachtet (vgl. ebd.; Neidhart 2005; Rees 2002). Während es Schulverweigerer und Aussteiger auch in anderen Ländern gibt, sei das Syndrom in Japan Coulmas (2007a) zufolge als das Resultat von Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen zu begreifen einschließlich des damit einhergehenden Wertewandels von einem ausgeprägten Konformitätsdenken zu einem stärkeren Streben nach Individualismus. Eine weitere Ursache liege in den veränderten demografischen Entwicklungen, den hohen Lebenserwartungen und niedrigen Geburtenraten, die zur Folge hätten, dass sich die Erwartungen der Eltern meist nur auf einen einzigen Nachkommen fokussieren, auf dem ein entsprechend hoher Druck lastet. Vielfach wird auch das harte Schulsystem verantwortlich gemacht, weil hier von früh an eine enorme Leistungsbereitschaft gefordert wird und sich viele hikikomori diesen Anforderungen nicht gewachsen fühlen (siehe auch Kapitel 5.2.1). Versagensängste und Unsicherheit, oft auch Ablehnung oder Schikanen durch die Mitschülerinnen und Mitschüler gehen Symptomen wie Lustlosigkeit, abnehmender Kommunikationsbereitschaft und schließlich dem Rückzug und der Isolation meist voraus. Wie Neidhart (2005) ausführt, handele es sich auch um eine Wohlstandskrankheit, denn eine Familie müsse vermögend genug sein, um sich einen hikikomori leisten zu können. Steht ein eigener Rückzugsraum aus Platzgründen nicht zur Verfügung, so gibt es für die Betroffenen weniger Möglichkeiten, ihre selbst gewählte Isolation auszuleben – obgleich auch Fälle bekannt sind, bei denen sich hikikomori jahrelang in der familiären Küche eingesperrt haben (vgl. Rees 2002). 34 Überwiegend handelt es sich bei den hikikomori um Männer, die von der Außenwelt vollständig isoliert auch im Erwachsenenalter noch bei ihren Eltern leben und sich in keinem Anstellungs- oder Ausbildungsverhältnis befinden. Sie schlafen häufig tagsüber, stehen erst gegen Abend auf und halten sich nachts mit dem Konsum von Manga, Computerspielen oder Fernsehserien wach. Ihr Zimmer verlassen sie nur dann, wenn die Chance besteht, dass sie sich unbemerkt im Haushalt bewegen können, etwa um sich Essen zu beschaffen oder das Badezimmer aufzusuchen.
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Bereits seit Beginn der 1980er Jahre kursiert in Japan der Begriff des otaku, der zwar ebenfalls Menschen bezeichnet, die den Großteil ihrer Zeit zu Hause verbringen und kaum enge persönliche Beziehungen eingehen, bei denen im Zentrum aber ihre besondere Sammelleidenschaft steht. Michael Manfé, der sich in seiner Monografie „Otakismus“ (2005) umfassend mit diesem kulturellen Phänomen auseinander gesetzt hat, stellt als wichtigstes Charakteristikum den „eigenwilligen, ja obsessiven Medienumgang“ der otaku heraus (ebd.: 15). Otaku haben sich „aus der Leibwelt ihrer Eltern in eine vernetzte digitale Sphäre abgesetzt“ (Grassmuck 1999: o.S.), sie haben ihr Leben in eine virtuelle Welt verlagert oder ganz spezifische Inhalte und Figuren der virtuellen Welt in den Mittelpunkt ihres realen Lebens gerückt.35 Wörtlich bedeutet otaku Haus, otaku ließen sich demnach als „Zuhauslinge“ (ebd.: o.S.) bezeichnen, die sich als Reaktion auf die zunehmende Geschwindigkeit und Flexibilisierung zahlreicher Lebens- und Alltagssphären in der vollkommenen Erschließung eines überschaubaren Gegenstandbereiches üben. Kommunikativ verschlossen und von der Außenwelt weitgehend isoliert widmen sie sich vollständig ihrem monothematischen Interessengebiet und bauen sich mithilfe von PC und Internet eine mediale Parallelwelt auf. Ein wichtiger Unterschied zwischen den otaku und hikikomori bestehe laut Lawrence Eng (2003) darin, dass sich letztere – nicht ohne einen gewissen Stolz – selbst als otaku bezeichnen und somit als Teil einer Subkultur identifizieren.36 Die otaku folgen damit auch einer von Erving Goffman in „Stigma“ (1967) beschriebenen Strategie der Identitätskonstitution von Außenseitern: Sie mindern die negativen Effekte der Zuschreibungen und Antizipationen, mit denen ihre problematische Identität verbunden ist, und machen sie zu positiv besetzten Bausteinen einer selbst bestimmten Identität.37 Die Strittigkeit der Begriff35 Objekt der Begierde kann aber auch eine Puppe, ein Sportteam oder eine Sängerin sein, insofern ist ein otaku nicht ausschließlich über seine Computerleidenschaft definierbar. 36 Eng (2003) betont, dass der Name als Bezeichnung für die Betroffenen innerhalb der otaku-Subkultur selbst entstanden sei, er hält es daher für unwahrscheinlich, dass die negativen, mit dem Stigma des häuslichen Rückzugs konnotierten Bedeutungen bewusst provoziert wurden. Bezug nehmend auf Toshio Okada, einen der namhaftesten otaku-Spezialisten, verbindet er die Namensgebung mit der zweiten Bedeutung von otaku, einer förmlichen und unpersönlichen Form der Anrede (vgl. Manfé 2005: 15f.). Zwei Galionsfiguren der Manga- und Anime-Szene hätten sich aus Distinktionsgründen mit der Siezform otaku angeredet, diese sei im weiteren Verlauf von den Fans aufgegriffen worden und habe sich bis heute im Sprachgebrauch zur Bezeichnung der Personen durchgesetzt (vgl. Eng 2003). 37 Goffman (1967: 41f.) macht diese Strategie an dem Phänomen deutlich, dass es innerhalb einer afroamerikanischen Gemeinschaft akzeptiert sein kann, sich gegenseitig mit dem negativ konnotierten Wort Nigger anzureden.
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lichkeit spielt insofern eine Rolle, als dass beide Termini stark negativ besetzt sind38 und für einen Diskurs in der japanischen Gesellschaft stehen, der von Sorge und Angst vor Gewalttaten und anderen Verbrechen geprägt ist. Medienberichte über otaku thematisieren selten den gesellschaftlichen Kontext des Phänomens, vielmehr beschränkt sich die Debatte oft darauf, den Betroffenen eine Affinität zu Gewalt und Kriminalität zu unterstellen. Reißerische Artikel über junge Vatermörder, Busentführer oder Messerstecher, die im Nachhinein als hikikomori oder otaku identifiziert wurden, unterstützen die stereotype Wahrnehmung dieser Subkulturen als besonders gewaltbereit (vgl. Eng 2001; Larimer 2000). Die Schuld an solchen Entgleisungen wird häufig den stets verfügbaren Medien und Kommunikationstechnologien gegeben, von denen es heißt, dass sie eine individuelle, konsumzentrierte und an instanter Bedürfnisbefriedigung orientierte Lebensführung fördern und für den „turn toward privatism, or an intense interiority“ (McVeigh 2002: 31) verantwortlich sind. Obgleich sich otaku und hikikomori dahingehend voneinander unterscheiden, dass Medien einen unterschiedlichen Stellenwert in ihrem Alltag einnehmen – bei den einen als Lebensinhalt, bei den anderen als Zerstreuung und Ablenkung von der Ödnis des immergleichen und beschränkten Alltags –, so lässt sich für beide Gruppen eine Verflechtung von Raumkonstruktionen und Mediennutzung feststellen. Gemeinsam ist ihnen auch das Bedürfnis, in einer für sie immer unübersichtlicher gewordenen Welt ein eigenes, selbst definiertes Terrain vollkommen zu beherrschen. Auf diese Weise versuchen sie Sicherheit und Stabilität zu finden, die sie in der Welt ‚draußen‘ vermissen. Die Erschließung eines Terrains erfolgt bei den hikikomori ausschließlich in geografischer Hinsicht, nämlich in Form des eigenen Zimmers, das als Rückzugsort gewählt wird. Bei den otaku ist die Besetzung eines bestimmten Gebiets sowohl geografisch als auch symbolisch zu verstehen, sie erfolgt nicht nur in der bewussten Einschränkung der eigenen Mobilität, sondern auch in der Begrenzung des Interesses auf nur einen thematischen Gegenstand. Unabhängig davon, ob diese Phänomene teilweise auch das Produkt eines Diskurses der Pathologisierung von Lebensformen sind, symbolisieren sie Extremformen von Mediennutzung, die auf einen signifikanten Zusammenhang hinweisen: Der Rückzug zeigt an, dass sich der öffentliche Raum transformiert und zunehmend als problematisch empfunden wird; zugleich sind Medien an der Zerstörung öffentlichen Raums und seiner Erset38 Im europäischen und amerikanischen Sprachgebrauch war und ist der Begriff nicht so negativ besetzt wie in Japan. Aber selbst in Japan hat inzwischen ein Denken eingesetzt, in dem die otaku zwar als seltsam und sozial unbeholfen, dafür aber als Connaisseure eines virtuellen Medienuniversums eingeschätzt werden, die im heutigen Informationszeitalter durchaus ihre Daseinsberechtigung haben (vgl. Larimer 2002).
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zung durch einen virtuellen Raum beteiligt. Er lässt sich daher auch als ein Zeichen der Überforderung mit der mit mobilen Medien verknüpften flexiblen Gestaltung öffentlicher Areale deuten. Aber auch die Bedeutung des Zuhauses hat durch Medien eine Transformation und Neustrukturierung erfahren, wie abschließend konstatiert werden kann. Die am Beispiel der zwei Extremformen hikikomori und otaku vorgestellten Praktiken des cocooning markieren dabei das eine Ende der Skala, während das Bestreben, das Zuhause mithilfe mobiler Technologien von seiner Ortsbezogenheit zu befreien und in den öffentlichen Raum zu verlagern, das andere Ende darstellt. Beide Erscheinungen der Beschränkung auf der einen und der Ausweitung und Dislozierung der häuslichen Zone auf der anderen Seite verweisen auf die Komplexität von Mediennutzung, die zugleich Räume zerstört oder massiv infrage stellt und neue Räume hervorbringt. Mithilfe des keitai lassen sich mit dem eigenen Heim assoziierte Sinnstrukturen – Intimität, Geborgenheit und Gemeinschaft ebenso wie Stabilität und gesellschaftliche Anbindung – auch in der außerhäuslichen Sphäre herstellen. Das Zuhause mittels mobiler Medien auf den Außenraum zu projizieren bedeutet aber auch, dass dessen Zwänge und Regeln geltend gemacht werden können und soziale Beziehungen einer Ordnung unterlegt werden. Aneignung ist immer auch als Verschiebung zu begreifen, die neue Räume und neue Konventionen schafft. Der abstrakte, von festen Beziehungen und Regeln bestimmte Ort wird also nicht nur zum Raum, ‚mit dem etwas gemacht wird‘, sondern er wird auch immer wieder in einen Ort zurückverwandelt, der neue Bestimmungen und Positionen für diejenigen, die ihn okkupieren, vorsieht (vgl. de Certeau 1988).
5.1.5 Zwischenfazit Raum
Auf Basis der vorgenommenen Analyse des mobilen Medienalltags in Japan lassen sich die raumbezogenen Kontexte der Mobilkommunikation zu insgesamt sechs Bedeutungsfeldern bündeln, die aufeinander bezogen sind und sich zum Teil gegenseitig bedingen. Diese Zusammenhänge spielen eine wichtige Rolle für die spezifische Ausdifferenzierung der Medientechnologie und ihrer Aneignung: (1) Restriktionen des physikalischen Raums: Japan ist zutiefst gekennzeichnet von einer Knappheit an Raum. Dieser Mangel wird auf mehreren Ebenen spürbar: Er zeigt sich einerseits in der Begrenztheit bewohnbarer Flächen, ist andererseits wichtiges Merkmal des häuslichen Zusammenlebens und äußert sich überdies – vor allem in den urbanen Zentren des Landes – in einer dichten Besetzung des öffentlichen Raums, der kaum Rückzugsmöglichkeiten bietet oder Nischen für persönliche Ausgestaltungen bereit hält. Ohne geodeterministisch
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zu argumentierten stellt die Raumknappheit ein wesentliches Motiv der japanischen Gesellschaft dar, hat beispielsweise Einfluss auf Industrie und Infrastruktur und die Organisation von Wohn- und Arbeitsstrukturen. Der mit der Aneignung des Mobiltelefons realisierte Wandel des Raum-Zeit-Gefüges nimmt hier seinen Ursprung, d.h. neue, mit Mobilkommunikation zusammenhängende Formen der Raumwahrnehmung finden vor dem Hintergrund einer besonderen Raumsituation statt, die von einem Mangel bestimmt ist. Das keitai bietet in diesem Setting eine sowohl kommunikative als auch aktivgestalterische Möglichkeit, einen symbolischen Raum zu besetzen, der zur individuellen Verfügung steht, der weder mit anderen geteilt noch legitimiert werden muss und in dem soziale Normen, Regeln und Konventionen teilweise außer Kraft gesetzt sind. (2) Strategien der Raumgewinnung: Entlang dieser Überlegungen zur Materialität des Raums erhält das keitai Bedeutung als eine Technologie zur Gewinnung von (symbolischem) Raum. Die technologischen Möglichkeiten des keitai kompensieren das Defizit der erzwungenermaßen außerhalb des Zuhauses verbrachten Zeit und transformieren die öffentlichen Durchgangsorte in persönliche Areale. Diese temporären Räume sind gekennzeichnet durch den Kontakt zu einem stabilen Netzwerk von engen Freunden und Familienangehörigen, das an jedem beliebigen Ort aktiviert werden kann. Indem es eine symbolische Distanzierung von den Menschen des unmittelbaren physischen Nahbereichs ermöglicht, erlaubt das keitai ein neues Erleben des städtischen Raums, es lässt sich für einen in der Öffentlichkeit praktizierten Rückzug ins Semi-Private einsetzen. Die mediale Konstruktion von Symbolräumen dient nicht nur der Vereinnahmung von Raum, sie unterstützt zugleich die Erschließung von Parallelwelten. Der Begriff ist hier nicht negativ konnotiert im Sinne einer Realitätsflucht gemeint, sondern bezeichnet die bewusste Hinwendung zu einer selbst gewählten, virtuell stets präsenten Gemeinschaft von persönlichen ‚Kontakten‘ im Gegensatz zu einer Zwangsgemeinschaft von Menschen, die zufällig denselben physischen Ort besetzen. (3) Urbanisierung, Vernetzung und gesellschaftlicher Wandel: Diese den öffentlichen Raum durchdringenden Prozesse sind Teil eines komplexen Wandels der japanischen Gesellschaft, die sich in der Verstädterung, der Mobilisierung der Lebensstile, den multiplen Vernetzungen auf technologischer, ökonomischer und sozialer Ebene sowie Verbesserungen der Infrastruktur und dem damit angestiegenen Konsum ausdrücken. Technologien wie das Mobiltelefon nehmen in dieser Entwicklung einen zentralen Platz ein, denn in den Mikroprozessen der Aneignung spiegelt sich der gesellschaftliche Wandel: Das keitai wird genutzt, um im Rahmen gesellschaftlicher Konventionen und räumlicher Restriktionen örtliche Spielräume zu erweitern, um bestehende Grenzen auszuloten und sich in neu konfigurierten Räumen
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selbst bestimmt zu positionieren. Es wird dabei zu einem selbstverständlichen Attribut jugendlicher (Sub-)Kulturen, die den öffentlichen Raum für sich reklamieren. Diese werden bereits durch die Tatsache ihrer Sichtbarkeit zu Katalysatoren des Wandels, weil sie eine im offenen Raum ausgelebte Form von Intimität und Häuslichkeit vorführen, in der sich das Subjekt nicht als anonymer Teil in der Masse begreifen muss. Die Akzente, die die Nutzung dabei setzt, sind vielschichtiger und bisweilen auch zwiespältiger Natur, sie dienen keineswegs dem offenen Bruch mit den geregelten Strukturen der Gemeinschaft, sie führen zu keiner völlig von Zwängen befreiten Virtualisierung der Lebenswelt, sondern allenfalls zu ihrer graduellen Veränderung. (4) Markierung von Grenzen: Die Markierung von Grenzen hängt mit den Strategien der Raumgewinnung eng zusammen, da es bei der Konstruktion von symbolischen Räumen nicht nur um die Vereinnahmung von Raum geht, sondern immer auch um die Herstellung eines Innen und eines Außen. Das Ziehen von Grenzen spielt eine Rolle sowohl bei der Schaffung einer „full time intimate community“ (Matsuda 2005a: 30), eines geschlossenen Kreises nahe stehender und per keitai ständig erreichbarer Personen, als auch beim bewussten Rückzug aus der Öffentlichkeit durch die Hinwendung zu den Inhalten, Kommunikations- oder Unterhaltungsoptionen des keitai. Während sich die Grenzziehungen einerseits auf die Zugehörigkeit oder NichtZugehörigkeit zu sozialen Formationen beziehen lassen, können sie andererseits, indem die Funktionen des keitai im Sinne einer Demarkationsstrategie Anwendung finden, eine physische Abkopplung von Mitmenschen anzeigen. (5) Dezentralisierung des Zuhauses: Unter dem Einsatz mobiler Kommunikationstechnologien verschiebt sich auch die Bedeutung des Zuhauses. Vor allem junge Menschen verbringen seit den 1970er Jahren immer weniger Zeit zu Hause, Arbeitnehmer pendeln täglich lange Strecken zu ihrem Arbeitsplatz und zurück und halten sich auch aufgrund der langen Bürozeiten viele Stunde außerhalb ihres Zuhauses auf. Durch das Mobiltelefon und den potenziell fortwährenden Kontakt zur Familie verteilt sich das Zuhause auf mehrere Räume, es lässt sich als eine Vorstellung von Vertrautheit und Intimität auch fernab seiner tatsächlichen Lokalität herstellen.39 Das keitai bietet einen Fixpunkt in einer „culture of flow and deterritorialisation“, wie Morley 39 Anders als beispielsweise die USA kann sich die japanische Gesellschaft nicht den Luxus einer Raum und Ressourcen verschlingenden Wohnform leisten. Ihr Augenmerk richtet sich stärker auf die Möglichkeiten der Etablierung einer außerhäuslichen Existenz, in der Medien wie dem keitai eine wichtige Rolle zukommt. Mobile Medien und Kommunikationstechnologien könnten in Japan somit eine ähnliche Funktion innehaben wie das Fernsehen bei der Konstruktion der amerikanischen Suburbia (vgl. hierzu auch Morley 2000).
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(2003: 453) auf John Tomlinson (2001: 17) Bezug nehmend ausführt, es leistet einen Beitrag zur Verlängerung der häuslichen Bedeutungssphäre und transportiert die Idee des Zuhauses in den öffentlichen Raum. Aber auch das Zuhause selbst verändert sich durch die Nutzung mobiler (und stationärer) Kommunikationstechnologien. Während sich mit Medien wie dem keitai im öffentlichen Raum mediale Konstruktionen von Häuslichkeit vornehmen lassen, kann ihr Einsatz innerhalb des Zuhauses Fragmentierungs- und Vereinzelungstendenzen unterstützen – dies geht mitunter so weit, dass bei Extremformen wie hikikomori, also Menschen, die sich aus der Gesellschaft zurückgezogen haben und ihr Zuhause nicht mehr verlassen, gar von einer Pathologisierung der Medienkommunikation gesprochen werden kann. (6) Regeln und Konventionen des öffentlichen Raums: Die Ausdifferenzierung des keitai findet im Rahmen von Verhaltensregeln, Normen und Konventionen statt, die im öffentlichen Raum Gültigkeit beanspruchen. Diese unterliegen zwar einem ständigen Aushandlungsprozess, sind also nicht beständig, üben aber nichtsdestotrotz einen massiven Einfluss auf den Umgang mit dem keitai aus und stellen auch einen wichtigen Impuls für die Ausdifferenzierung der Technologie dar. Da in Japan ein breiter Konsens über den Verzicht auf hörbare Kommunikationsmodi innerhalb der Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs herrscht, kommen hier insbesondere die schriftbasierten (Kommunikations-)Funktionen des Mobiltelefons zum Einsatz. Der Gebrauch passt sich den Regeln und Zwängen an, die den Verkehrsraum durchdringen, zugleich schafft das keitai jedoch neue Regeln und Zwänge, denen sich wiederum die Nutzerinnen und Nutzer anpassen – etwa der Erwartung zu genügen, ein keitai zu besitzen, allerorts kommunikativ erreichbar zu sein und auf Änderungen von Treffpunkten u.ä. flexibel reagieren zu können.
5.2 ZEIT Zeit gehört genau wie Raum zu den grundlegenden Strukturierungsmerkmalen von Kultur und Gesellschaft. Nicht nur Konzeptionen von Geschichte, Tradition und gesellschaftlichem Wandel, sondern vor allem auch zeitliche Vorstellungen und Umgangsweisen mit Zeit sind wichtige Bestandteile kultureller Diskurse. Während sich bezogen auf den Raum erst seit Kurzem die Einsicht durchgesetzt hat, dass Raum nicht als etwas Gegebenes, sondern als soziale und kulturelle Konstruktion aufzufassen ist, fußt diese Erkenntnis für die Kategorie Zeit schon länger auf einem breiteren Selbstverständnis (vgl. Löw 2001: 9f.). Dabei handelt es sich um eine Perspektive, „[…] die Zeit nicht als ein kosmisches a priori begreift, sondern als Teil einer kulturellen Umwelt, die sich der Mensch als seine Lebenssphäre erschafft“ (Ass-
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mann 1999: 9). Wichtige Impulse für die Verknüpfung von Zeit und kulturellem Kontext stammen u.a. von Fernand Braudel und der Annales-Schule, die ein neues Verständnis von Geschichte prägen, bei dem der Zeit der geschichtlichen Ereignisse eine soziale Zeit der Alltagserfahrung und der longue durée gegenübergestellt wird (vgl. Highmore 2002: 48f.). Daraus leitet sich ein Ansatz ab, der die Wandelbarkeit von Zeit und die davon geprägten unterschiedlichen Zeitbegriffe untersucht. Zeit muss also immer in ihren jeweiligen Zusammenhängen betrachtet werden, in denen sie unterschiedliche Funktionen erfüllt. Im Zentrum des sozialtheoretischen Interesses steht somit die Frage, wie Zeit kulturell hergestellt und strukturiert wird und welche sozialen Bedeutungen sie erzeugt. Bormann (2001: 167ff.) unterscheidet diese konstruktivistische Sichtweise, die Zeit als soziale Kategorie und Zeitkonzeptionen als soziales Handeln versteht, von objektivistischen Ansätzen, die sich als soziologische Makrotheorien mit der Klassifikation von historischen Zeitabschnitten beschäftigen und Zeit als messbare Größe interpretieren. Obwohl die einzelnen Schwerpunktsetzungen differieren, ist den als objektivistisch eingestuften Betrachtungen gemein, dass sie sich für Veränderungen der Zeitwahrnehmung innerhalb unterschiedlicher Epochen und Entwicklungsstufen interessieren und diese mit ihren jeweiligen sozialen Kontexten in Beziehung setzen. Ausgehend von der Feststellung, dass Zeit „ein von Menschen geschaffenes Orientierungsmittel“ ist (Elias 1985: XXI), gerät hier ins Blickfeld, welche signifikante Rolle die Zeit bei der komplexen Organisation menschlicher Gesellschaften gespielt hat. Eine als „Nicht-Zeit“ charakterisierte Phase markiere dabei, so Irene Neverla (1992: 29), die sich u.a. in ihrer Habilitationsschrift „Fernseh-Zeit“ (ebd.) mit Mediennutzung und Zeithandeln auseinandergesetzt hat, den Anfangspunkt der historischen Entwicklung von Zeitbegriffen. Vorstellungen und Wahrnehmungen von Zeit habe es in urtümlichen Gesellschaften nur punktuell gegeben, das Jetzt war die einzige bekannte Zeitdimension, auf die Bezug genommen wurde. Denn aufgrund der Nähe der Menschen zu den Abläufen der Natur waren zeitliche Abstimmungen zur Koordinierung sozialer Interaktionen kaum notwendig (vgl. Neverla 1992, 1994, 2007). Im Verlauf des Zivilisationsprozesses hat sich das Zeitbewusstsein sukzessive gewandelt, wobei der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft einen besonderen Wendepunkt darstellte: „Während in einfachen Agrargesellschaften ein Zeitbegriff üblich war, der sich als zyklisch, natur- und subjektbezogen beschreiben läßt, hat der abstrakte Zeitbegriff der modernen Gesellschaft mit deren hochdifferenzierten und hochkomplexen Interaktionsgefügen völlig andere Gestalt angenommen. Hier verläuft Zeit kontinuierlich (ohne Anfang, ohne Ende, ohne Un-
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terbrechung), abstrakt (losgelöst von individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen) und mathematisch (in gleichmäßig metrische Einheiten unterteilt).“ (Neverla 1994: 79)
Die abstrakt-lineare Zeit ist mit dem ökonomischen Prinzip der Gewinnmaximierung eng verknüpft, wie Neverla weiter ausführt (vgl. ebd.: 80; auch: 1992: 30ff.; 2007: 43). Zeit wird in modernen Gesellschaften zu einem Wirtschaftsgut, zu einer knappen Ressource, die es dem Diktat der Effizienz zu unterwerfen gilt. Die Impulse für ein solches Zeitbewusstsein, das sich an der Logik des Kapitals orientiert und Strategien des Zeitmanagements erforderlich macht, kommen aus dem Produktionssektor (vgl. Rinderspacher 1985: 41). Es schlägt sich auch in der Sprache nieder, etwa in Begriffen wie Zeitnot, Zeitdruck oder Chronokratie (vgl. Beuthner 2002: 134; Bormann 2001: 172), die die Gefahren zeitökonomischer Leitvorstellungen betonen. Darüber hinaus kommt es in Wendungen zum Ausdruck, die auf eben jenen marktwirtschaftlichen Zusammenhang verweisen (‚Zeit ist Geld‘). Effizienz und Erfolg sind vor allem mit dem Begriff der Uhrenzeit assoziiert, die, worauf Castells (2001: 488) hinweist, die Herrschaft über Raum und Gesellschaft übernommen habe und entscheidend für die Konstitution des modernen Kapitalismus gewesen sei. Zeit – Medien – Kultur Der Wandel des Zeitbegriffs ist mit Fortschritten in Wissenschaft und Technik untrennbar verbunden. Oft wird das Thema Zeit im Kontext der Entstehung immer neuerer und schnellerer Medien und Kommunikationstechnologien diskutiert, die nach und nach fast alle Bereiche unseres alltäglichen Lebens durchdrungen haben. Als soziale Zeitgeber geben Medien immer auch Auskunft darüber, welche kulturellen Zeitvorstellungen in der Gesellschaft kursieren, und sind daher wichtige Indikatoren für ein sich wandelndes Verständnis von Zeit (vgl. Neverla 2007: 45).40 Die Möglichkeiten digitaler Datenübertragungswege spielen eine signifikante Rolle bei den derzeitigen Umbrüchen der Zeitstrukturen und stellen unsere gewohnten Erfahrungen mit Zeit vor neue Herausforderungen: Die fortwährende Verfügbarkeit von elektronischen Medien, von Echtzeit-Kommunikation per Internet und Mobiltelefon sowie die Tatsache sofortiger Nachrichtenübermittlung 40 Medien sind Indikatoren gesellschaftlicher Zeitvorstellungen, zugleich aber auch, wie der historische Blick zeigt, Motoren der Veränderung: „Während die frühesten Medien wie Flugblätter und Flugschriften noch den zeitlichen Charakter occasionellen Erscheinens hatten, entsprachen die periodischen Medien Zeitschrift und Zeitung einer zyklischen Zeitvorstellung und schließlich die kontinuierlich sendenden elektronischen Medien Funk und Fernsehen der abstrakt-linearen Zeitvorstellung.“ (Neverla 2007: 45)
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in alle Teile der Erde und die ständige Reproduzierbarkeit, Wiederholbarkeit und zeitliche Manipulierbarkeit (Zeitlupe, Vorspulen, Pausieren) von Medieninhalten sind nur einige der Optionen, die den gesteigerten Handlungsspielraum individueller Zeitgestaltung verdeutlichen und Ausdruck eines veränderten Umgangs mit Zeit sind. Prozesse, die vormals mehrere Tage in Anspruch nahmen, können heute per E-Mail in wenigen Sekunden verrichtet werden. Bei Lash und Urry (1994) ist in diesem Zusammenhang von einer „time-space compression“ (ebd.: 242) die Rede, von einer Raum-Zeit-Verdichtung, die zu einer Homogenisierung von Lebensformen führen kann, weil alle zu jeder Zeit mit allen verbunden sind und dadurch Unterschiede ihre Bedeutung verlieren. Die Begriffe der Beschleunigung und Vergleichzeitigung sind dabei die zentralen Markierungspunkte eines neuen zeitlichen Selbstverständnisses geworden, das sich in allen Lebensbereichen bemerkbar macht – in der Arbeits- wie in der Ausbildungs- und in der Freizeit. Im Zuge dieser Entwicklungen scheint das Festhalten an einem abstrakt-linearen Zeitbegriff zunehmend problematisch, da dieser nicht die Pluralität und Variabilität zu erfassen vermag, die Merkmale einer neuen Zeitwahrnehmung sind. Aktuelle theoretische Entwürfe stellen daher die Flexibilisierung und Individualisierung des Zeitbegriffs heraus und sehen in der bewussten Reflexion des eigenen Umgangs mit Zeit eine wichtige Komponente der Veränderung. Auch das von Castells bei seiner Analyse der Netzwerkgesellschaft eingeführte Konzept der „zeitlosen Zeit“ (timeless time), die von der Eliminierung herkömmlicher Abfolgen und Rhythmen geprägt ist und dadurch undifferenziert wird, kann als Abkehr von einer abstrakt-linearen Zeitlichkeit verstanden werden (vgl. Castells 2001: 485ff.; siehe auch Kapitel 4.3.2). In anderen Auseinandersetzungen, in denen die Selbstverständlichkeit bisheriger Zeitvorstellungen infrage gestellt wird, ist von einer variablen Zeit oder von reversiblen Zeitlichkeiten die Rede (vgl. Ahrens et al. 1994). Neverla (2007) schlägt den Begriff der „polychronen Zeit“ vor, um den gegenwärtigen Transformationsprozessen im Erleben und Gestalten von Zeit gerecht zu werden. Die polychrone Zeit zeichne sich durch „eine Heterogenität der Zeitordnungen im Neben- und Miteinander“ aus. Zeit wird hier als ein Phänomen verstanden, „[…] das nicht durchgehend abstrakt, kontinuierlich, mathematisch und linear erscheint, sondern auch konkret, diskontinuierlich und revidierbar“ (ebd.: 44). Das Mobiltelefon – von Neverla (2007: 46) als „Verkörperung der Polychronie“ bezeichnet – vereinigt das gesamte Repertoire digitaler Zeitsteuerungspotenziale in sich. Durch die Auflösung starrer Zeitstrukturen (z.B. Überbrückung von Leerzeiten, Synchronisierung und Flexibilisierung von Handlungsabläufen) schafft das Mobiltelefon auf der einen Seite zeitliche Freiräume und fördert einen Zuwachs an persönlicher Autonomie, bringt auf der anderen Seite aber auch neue Verpflichtungen und Abhängigkeiten mit sich. Dazu zählen der
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Zwang zur Reziprozität und der soziale Druck, erreichbar zu sein, genauso wie die Aufgabe, zeitlich-technisch anschlussfähig zu bleiben und sich aktiv mit dem technischen Fortschritt auseinander zu setzen, d.h. Gebrauchsanweisungen zu studieren, Geräte zu warten und sich über neueste Entwicklungen zu informieren (vgl. Burkart 2007: 159). Verschließt man sich diesen Anforderungen, so drohe der soziale Ausschluss, wie Mizuko Ito (2003a) in ihrer Skizzierung des japanischen Mobilfunk-Alltags anschaulich verdeutlicht: „To not have a keitai (cell phone) is to be walking blind, disconnected from just-in-time information on where and when you are in the social networks of time and space.“ (Ebd.: o.S.) Die mit dem Mobiltelefon neu entstandenen Möglich- und Verbindlichkeiten entfalten sich jedoch kulturspezifisch. Wenn das Mobiltelefon für individuelle Praktiken der Zeitverdichtung oder Entschleunigung genutzt wird, so geschieht dies im Rahmen eines gemeinsamen Bezugskonzepts kultureller Erfahrungen und Vorstellungen: „Kulturelle Formungen der Zeit sprechen also immer schon in unsere eigensten persönlichen Erfahrungen hinein, das individuelle Erleben ist nicht ablösbar von überindividuellen kulturellen Mustern, die der Zeit ihre radikale Irrationalität und Unzugänglichkeit nehmen.“ (Assmann 1999: 8f.)
So sei ein Merkmal von Kulturen, wie Rudolf Wendorff (1980) konstatiert, dass sie sich „durch eigene Formulierungen ihres Zeitverständnisses“ (ebd.: 11) auszeichnen. In einem Text von Jens Heise (2004: 341) zur Zeitphilosophie des Japaners Tetsurô Watsuji finden sich bereits einige Hinweise darauf, wie sich das japanische von einem westlichen Zeitverständnis unterscheiden könnte: In der japanischen Kultur herrsche eine weitaus weniger von evolutionär-linearen Entwicklungen geprägte Vorstellung von Zeit, sie ziele nicht auf die endgültige Überwindung vergangener Zustände, sondern ist stärker von Überlagerung und Integration anstatt von der Ordnung eines Nebeneinanders geprägt. Auch wenn die Festlegung solch kultureller Unterschiede problematisch sein kann, so deutet die Beschreibung eine Affinität der japanischen Gesellschaft für ein augenblickliches Zeitverständnis an, das für den Gebrauch mobiler Kommunikationstechnologien von Bedeutung ist. Die Strukturierung der einzelnen Unterabschnitte dieses Kapitels orientiert sich zunächst am Zyklus der Lebenszeit und rückt wichtige soziale Zeitgeber wie Schule, Arbeitsplatz und Freizeitinstitutionen ins Blickfeld, die den japanischen Alltag bestimmen. Hiervon ausgehend wird nach unterschiedlichen Zeitvorstellungen gesucht, die sich in der japanischen Gesellschaft identifizieren lassen und die ein wichtiges Fundament für die Aneignung und Nutzung des Mobiltelefons darstellen. Zentral geht es schließlich um spezifische Formen des
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Zeithandelns im Kontext der Mobilkommunikation, d.h. es wird analysiert, auf welche Weise sich das keitai in bestehende Zeitgefüge einordnet oder wie es diese ggf. zu transformieren vermag. Im Mittelpunkt steht das Interesse an den durch den Gebrauch des keitai vorgenommenen Konstruktionen von Zeit und ihren Bedeutungen, Funktionen und Zusammenhängen.41
5.2.1 Schul- und Ausbildungszeit
Die zeitliche Strukturierung von Kindheit und Jugend ist in Japan von einem signifikanten Gegensatz zwischen früher Kindheit und daran anschließender Schulzeit bestimmt. Bevor japanische Mädchen und Jungen in das rigide und auf Leistung ausgerichtete Schulsystem eintreten, erleben die meisten von ihnen eine mehrere Jahre andauernde Phase unbeschwerten Kindseins. Wie in dem japanischen Sprichwort „nanasai made kami no uchi“ („bis zum Alter von sieben Jahren in der Hand der Götter“) zum Ausdruck kommt, werden Kinder während ihrer ersten sechs Lebensjahre als gottgleich angesehen und stehen unangefochten im Mittelpunkt der Familie. In diesem Alter müssen sie noch keinerlei Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, ein Bewusstsein von Schuld wird ihnen abgesprochen. Auf die Einsicht bauend, dass die Natur des Kindes von Grund auf gut ist, sind viele Eltern in dieser Zeit besonders nachsichtig und wohlwollend. Das häufige Tolerieren abweichenden Verhaltens durch die Eltern resultiert aus dem Wissen, dass die Kinder sich früh genug strengen gesellschaftlichen Normen und Anforderungen unterzuordnen haben und dieser kindliche Freiraum bereits mit dem Schuleintritt ein Ende haben wird (vgl. Mathias 1998: 431; Neuss-Kaneko 1990: 129ff.). Das Familienleben ist in dieser Zeit auf das Wohl des Kindes fokussiert.42 Dies bedeutet vor allem für die Mütter eine persönliche Einschränkung, denn von ihnen wird erwartet, dass sie wenigstens die ersten fünf Jahre nach der Geburt ihres Kindes zu Hause bleiben um die mütterlichen Pflichten zu erfüllen (vgl. Manfé 2005: 27f.; Krotz/Hasebrink 2002: 69f.). Die Aufgabe der Erwerbstätigkeit zu41 Da jede Bewegung im Raum auch eine Bewegung in der Zeit ist, lassen sich gewisse Überschneidungen mit Aspekten des Raum-Kapitels nicht vermeiden. So ließen sich die räumlichen Verdichtungen, die sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln der japanischen Transportnetze zeigen, unter der Überschrift „Zeit“ auch als fremdbestimmte Zeit oder als ‚tote‘ Zeit interpretieren, die mithilfe des keitai mit individuellen Sinngehalten gefüllt werden kann. 42 Aufgrund dieser privilegierten Position innerhalb der Familie ist in vielen Texten zum japanischen Familiensystem davon die Rede, dass die Kinder in diesen ersten Jahren ihres Lebens die vielleicht glücklichste Zeit überhaupt erleben.
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gunsten der Kindererziehung ist für japanische Frauen auch heute noch vorherrschende Realität, während den Ehemänner noch immer die Rolle zugeschrieben wird, für den familiären Unterhalt zu sorgen. Das Festhalten an diesem traditionellen Modell familiären Zusammenlebens wird durch die Politik und durch gesellschaftlichen Druck bekräftigt. Auch die staatlichen Institutionen gehen von einer Versorgung der Kinder durch ihre Eltern aus und sind nicht auf die Bereitstellung eines umfassenden Betreuungsangebots ausgerichtet. Zwar gibt es inzwischen auch in Japan Krippen und Kindertagesstätten, doch ist die Aufnahme in eine entsprechende Einrichtung häufig von der Erfüllung zahlreicher Auflagen abhängig und wird mitunter nur dann bewilligt, wenn eine alternative Unterbringungsmöglichkeit bei Verwandten explizit ausgeschlossen ist.43 Japanische Kinder wachsen somit vor allem in der Obhut ihrer Mütter auf. Die physische Nähe führt zu einer engen Bindung, von denen die Väter aufgrund ihrer Abwesenheit weitestgehend ausgeschlossen sind. In der Regel bewahren sie nicht nur eine deutlich größere Distanz zu den Kindern, sondern mischen sich auch in erzieherische Belange kaum ein. Im Gegensatz zu Strafen und Ermahnungen bevorzugen viele Mütter als Erziehungsmaßnahme das Ignorieren unerwünschter Handlungen, ausgehend von der Ansicht, dass Kinder durch Nachahmung und Hereinwachsen in gesellschaftliche Umgangsformen das richtige soziale Verhalten lernen. Da sie noch nicht wissen können, wie sie sich in bestimmten Situationen zu verhalten haben oder welche Verhaltensweisen im Gegensatz zu anderen akzeptiert sind, wird frühkindliches Fehlverhalten durch die Eltern immer wieder entschuldigt. Für Außenstehende mag diese äußerst permissive Haltung der Eltern als Grund dafür angesehen werden, warum japanische Kinder in der Öffentlichkeit oftmals verwöhnt erscheinen oder durch schlechtes Benehmen auffallen (vgl. Boesch 1978: 209ff.; Krotz/Hasebrink 2002: 69f.; Mathias 1998: 431; Neuss-Kaneko 1990: 129ff.). Das japanische Ausbildungssystem: Aufbau, Grundsätze und Ideale Obwohl Japan bei den PISA-Studien, in denen seit einigen Jahren Schulleistungen international vergleichend untersucht werden, bisher überdurchschnittlich gut abgeschnitten und das japanische Erziehungswesen dadurch große Aufmerksamkeit erfahren hat, ist es Gegenstand widersprüchlicher Einschätzungen. Der positiven Bewertung 43 Anzeichen für einen allmählichen Wandel dieser Verhältnisse äußern sich zurzeit zwar noch nicht in einer radikalen Ablehnung traditioneller Geschlechterrollen, aber stattdessen in der Zunahme von Single-Haushalten, insbesondere von Frauen, die alleine leben und sich auf diese Weise einer konservativen Form des Zusammenlebens entziehen (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 67f.).
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des hohen Niveaus japanischer Bildungseinrichtungen steht die Kritik an den uniformen Lehrplänen und Lernzielen, an der Unterdrückung einer individuellen Lehrgestaltung und an einer Ideologie unbedingter Leistungsbereitschaft gegenüber. Japan gilt als „Bildungsganggesellschaft“ (Teichler 1998: 416), das Ideal der Meritokratie und das Prinzip lebenslangen Lernens sind gesellschaftlich fest verankert und stellen die Basis für eine harte Bildungsauslese im Schul- und Karriereverlauf dar, einen hohen Einsatz in der Aus- und Weiterbildung sowie eine bereits im Alltag zu beobachtende ausgeprägte Bildungsbesessenheit (vgl. Manfé 2005: 32). Die extreme Regulierung des Lebens durch die institutionelle Eingebundenheit in das Bildungssystem steht in starkem Kontrast zu der frühkindlichen Freiheit. Historisch zurückzuführen ist sie auf die radikale Modernisierung des Bildungswesens Ende des 19. Jahrhundert, die auch als Grundlage für die rasche Industrialisierung Japans und damit zusammenhängende Prozesse der gesellschaftlichen Neuorganisation angesehen wird. Ziel dieser ersten großen Bildungsreform war es, gleichzeitig Wissen aus aller Welt zusammenzutragen und zu vermitteln sowie traditionelle Werte zu fördern. Durch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht 1872 und die Verfolgung eines strengen Bildungswettbewerbs sollte das Schulsystem schon zu Zeiten der MeijiÄra44 eine Elite rekrutieren, die führende Posten im Staatsdienst, in der Industrie und Politik auszufüllen imstande war (vgl. Kumagai 1996; Pohl 1991; Teichler 1998). Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das japanische Bildungswesen unter dem Einfluss der US-amerikanischen Militärregierung erneut reformiert, die leitenden Grundsätze von Wettbewerb und Auslese hatten jedoch weiterhin Bestand. Es fand aber eine behutsame Anpassung des auf konfuzianischen Werten wie Gehorsam, Disziplin und Unterordnung basierenden Erziehungssystems an modernere Vorstellung von Individualismus und Freiheit statt. Vor allem das Prinzip der freien und allgemein zugänglichen Bildung wurde nach 1945 weiter festgeschrieben: Allen Japanerinnen und Japanern sollte über die Grundschulzeit hinaus der Besuch an einer weiterführenden Schule garantiert werden (vgl. ebd.). Seit 1947 umfasst die Schulpflicht in Japan neun Jahre. Das Schulsystem ist dreigliedrig, d.h. die ersten sechs Jahre verbringen die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule, danach besuchen sie für drei weitere Jahre die Mittelstufe und darauf aufbauend auf freiwilliger Basis eine Oberschule. Die Oberschulen schließen an ein allgemein 44 Meiji ist der Name des japanischen Kaisers Mutsuhito, dessen Regentschaft von 1868 bis 1912 den Beginn einer neuen Regierungsform markiert. Unter der Bezeichnung Meiji-Restauration werden die umfassenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüche verstanden, die Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge einer radikalen Modernisierung, Verwestlichung und Öffnung Japans eingeleitet wurden.
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bildendes Schulsystem an, das die Lehrpläne und den geforderten Lernstoff landesweit vereinheitlicht hat. Nur die wenigsten schließen ihren Schulbesuch bereits nach der Pflichtzeit ab, für fast alle Japanerinnen und Japaner ist der Besuch einer Oberschule und somit eine mindestens zwölfjährige schulische Ausbildungsphase die Regel. Knapp 97 Prozent eines Jahrgangs wechselte Ende der 1990er Jahre von der Mittel- an die Oberschule, etwa 50 Prozent studierte im Anschluss daran an einer der Universitäten und Hochschulen des Landes (vgl. Foljanty-Jost 2004). Da deutlich über die Hälfte der Universitäten und fast alle Fachhochschulen und Junior Colleges in privater Hand sind, ist im tertiären Bildungssektor für die Ausbildung der Kinder viel Geld zu zahlen. Hinzu kommen Kosten, die bereits während der Schulzeit entstehen, etwa für den Besuch einer privaten Oberschule oder für die Teilnahme an außerschulischen Bildungsangeboten wie Nachhilfekursen oder Clubaktivitäten. Das Besondere am japanischen Schulsystem ist die aus den strengen Zulassungsprüfungen resultierende hohe Arbeitsbelastung, die mit jedem Übergang in eine weiterführende Schule einhergeht. In Japan gibt es einen enormen Wettbewerb zwischen den Hochschulen, die Hierarchie wird von den großen staatlichen und ehemals kaiserlichen Universitäten von Tokyo (Tōdai) und Kyoto (Kyōdai) angeführt. Mit einem abgeschlossenen Studium an einer dieser äußerst angesehenen Institutionen kann auch mit einem späteren beruflichen Erfolg gerechnet werden, da sowohl private wie auch staatliche Spitzenunternehmen hier ihren Nachwuchs rekrutieren. Die gewählte Fächerkombination oder die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen sind dabei von nachrangiger Bedeutung, allein das Ansehen der besuchten Universität ist entscheidend. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet dies, dass die wichtigsten Selektionsentscheidungen für ihre spätere Karriere bereits getroffen werden, bevor sie volljährig sind, nämlich mit Zulassung oder Ablehnung an den entsprechenden Ober- und Hochschulen. Auch die Oberschulen unterliegen einem starken Wettbewerb, ihr Ruf und Ansehen lassen sich daran messen, wie viele ihrer Absolventinnen und Absolventen an einer der renommierten Universitäten im Land studieren. Für die Wahl eines bestimmten Oberschulentyps ist der Platz auf der Prestigehierarchie entscheidend, weniger wichtig ist auch hier die inhaltliche Ausrichtung der Schule (allgemein bildend oder berufsorientiert).45 Letztlich läuft die gesamte schulische Laufbahn auf die Bewältigung der beiden entscheidenden Prüfungsphasen 45 Pohl (1991: 247) beschreibt, dass sich der Konkurrenzkampf um die begehrten Studienplätze immer weiter nach unten verschoben hat, dass es inzwischen auch universitätseigene Kindergärten gibt, deren Besuch an das erfolgreiche Abschneiden in einer Aufnahmeprüfung gekoppelt ist, weil die Chance auf einen späteren Studienplatz deutlich erhöht wird.
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hinaus, für die sich im allgemeinen Sprachgebrauch der Ausdruck „Prüfungshölle“ etabliert hat. Die größten Anstrengungen richten sich auf das Ziel, an einer der großen Universitäten im Land studieren zu dürfen, Schulnoten haben dagegen nur einen „informierenden Stellenwert“, wie Teichler ausführt (1998: 416). Die immense Bedeutung des schulischen Wettbewerbs, die rücksichtslose Auslese und der ungebrochene Eifer, mit dem Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer gleichermaßen an der Erfüllung der Prüfungsziele arbeiten, sind laut Manfé die sichtbarsten Zeichen eines „freiwilligen Bildungszwangs“ (2005: 30). Zu der enormen Lernbereitschaft trage einerseits der Glaube an die Offenheit des Systems bei und andererseits die Zuversicht, dass sich der Bildungserfolg sowohl in beruflicher als auch in sozialer Hinsicht in hohem Maße auszahlen wird. Da in den Prüfungen mehr Wert auf abrufbares Faktenwissen als auf die Demonstration kreativer Fähigkeiten gelegt wird, hat sich in Japan die Ansicht verbreitet, dass jeder Mensch einen hohen Ausbildungsstandard erreichen kann, wenn er nur fleißig genug dafür lernt. Nach dem Bestehen der anspruchsvollen Eignungstests und der Beendigung des Studiums affirmieren im Berufsleben Firmengrundsätze wie das Senioritätsprinzip (Lebensalter als maßgebliches Kriterium für den beruflichen Aufstieg innerhalb eines Unternehmens) und das Prinzip der Dauerbeschäftigung (lebenslange Anstellung) den hohen Stellenwert einer qualifizierten Ausbildung (vgl. Teichler 1998: 415f.) Alltag und Zeithandeln von Schülerinnen und Schülern Vor dem Hintergrund des skizzierten Ausbildungssystems soll im Folgenden der Alltag japanischer Schülerinnen und Schüler in den Blick genommen werden, der von einem hohen Grad an institutionalisierter Lern- und Freizeit und einer damit einhergehenden Knappheit individueller Zeitressourcen gekennzeichnet ist. Das Leben der Kinder und Jugendlichen findet hauptsächlich in der Schule oder in anderen bildungsnahen Einrichtungen statt. Schon der tägliche Schulbesuch beansprucht mehr Zeit als in Deutschland: An fünfeinhalb Tagen in der Woche werden jeweils 32-34 Schulstunden à 50 Minuten unterrichtet, zwei Samstage im Monat sind unterrichtsfrei (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 79; Sugimoto 1997: 111). Das Konzept der Ganztagsschule ist in Japan vorherrschend, oft dauert der durchschnittliche Schultag aber deutlich länger als es der Pflichtunterricht vorschreibt. Dies liegt zum einen an den täglichen Clubaktivitäten, die seitens der Schule zu unterschiedlichen Themen- und Aktivitätsfeldern angeboten werden, und zum anderen an den privaten Bildungseinrichtungen, die zusätzlich besucht werden, damit der prüfungsrelevante Stoff unter fachkundiger Anleitung wiederholt werden kann und das geforderte Fachwissen auswendig gelernt wird.
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Da die knappe Mehrheit der Schülerinnen und Schüler neben dem regulären Schulunterricht ein privates Nachhilfeinstitut besucht, sind die organisierten Nachhilfeanbieter in Japan inzwischen zu einem beachtlichen Wirtschaftssektor herangewachsen. Gesine Foljanty-Jost (2004: 94) beziffert die Anzahl der Mittelschülerinnen und -schüler, die im Jahr 1999 eine private Nachhilfe- oder auch Paukschule genannte juku 46 besuchten, auf 58 Prozent. Bei den Ober- und Grundschulen lag dieser Wert bei knapp über 30 Prozent.47 Je höher die Klassenstufe innerhalb der neunjährigen Pflichtschulzeit, desto wahrscheinlicher ist die Teilnahme an zusätzlichen Kursen, die entweder Unterrichtsdefizite ausgleichen, spezielles Anschauungs- und Lernmaterial zu Verfügung stellen oder auf Tests und künftige schulische Anforderungen vorbereiten (vgl. ebd.; Pohl 1991: 246; Krotz/Hasebrink 2002: 81). In der Oberschule fällt der Anteil derjenigen, die ein Nachhilfeinstitut besuchen, wieder geringer aus, weil ein Teil der Schülerinnen und Schüler im Anschluss an die Schulzeit mit einer Berufsausbildung beginnt und sich somit nicht auf die Aufnahmeprüfungen an den Universitäten vorbereiten muss (vgl. Stevenson et al. o.J.: 331). Neben dem Besuch der privaten Nachhilfeinstitute nehmen viele Kinder und Jugendliche die Freizeit- und Sportangebote der schulinternen Clubs (bukatsudō) wahr. Das Clubsystem in Japan hat eine lange Tradition und knüpft historisch an die Ausbildung der Samurai an, die von harter Selbstdisziplin, Ausdauer, Nachahmung und Routine geprägt war. Auch heute haben die Clubs noch immer einen besonderen Stellenwert innerhalb des japanischen Schulsystems, da ihnen eine wichtige erzieherische Funktion zugeschrieben wird. Schule gilt nach der Familie als zentrale Instanz für den Sozialisationsprozess von Kin46 Im Allgemeinen wird zwischen jukus und yobikos differenziert. Während Letztere auf die Vorbereitung der universitären Zulassungsprüfungen spezialisiert sind und sich mit ihrem einjährigen Kursangebot insbesondere an Schulabgänger richten, die beim ersten Versuch durch die Aufnahmetests ihrer bevorzugten Hochschule durchgefallen sind und ein ganzes Jahr bis zur nächsten Prüfungsphase zu überbrücken haben, unterscheiden sich jukus hinsichtlich ihrer akademischen oder nicht-akademischen Ausrichtung. Die nicht-akademischen jukus bieten vor allem für jüngere Schülerinnen und Schüler eine Reihe von kulturorientierten Kursen an, in denen ein Musikinstrument erlernt werden kann oder Kalligrafie, Ikebana und ähnliche Künste unterrichtet werden. Weitaus bedeutender sind jedoch die akademischen jukus, die darauf angelegt sind, den offiziellen Lehrplänen vorauszueilen, schwierige Themen vertiefend zu bearbeiten oder prüfungsrelevanten Lernstoff zu wiederholen. Darüber hinaus gibt es auch jukus, die sich auf bestimmte Fächer oder Lernformen spezialisiert haben oder einen besonders fokussierten Unterricht in Kleingruppen oder Tandems anbieten (vgl. Stevenson et al. o.J.: 329ff.). 47 Bei den Oberschulen ist zum Teil auch von deutlich höheren Prozentsätzen die Rede (vgl. z.B. Pohl 1991: 246).
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dern und Jugendlichen. In den Clubs geht es nicht nur um die Ausübung eines Hobbys, das Erlernen eines speziellen Handwerks oder um sportliche Betätigung, sondern vor allem um die Förderung des Sozialverhaltens, dem in der japanischen Gesellschaft eine hohe Priorität eingeräumt wird. Das schulische Freizeitangebot ist mit dem Anspruch verknüpft, die Clubangehörigen zu verantwortungsbewussten, disziplinierten und auf das Wohl der Gemeinschaft bedachten Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen sowie Defizite des regulären Schulunterrichts zu kompensieren, der keine Freiräume für die Förderung individueller Stärken und die Entwicklung von Sozialkompetenz lässt. Insbesondere Eigenschaften wie Loyalität, Gruppenorientierung und Konformität sollen hier vermittelt werden. Clubaktivitäten sind in der Regel freiwillig, werden aber durch die Lehrer stark befürwortet und gefördert.48 Den Schülerinnen und Schülern steht es üblicherweise frei, aus einem breiten Repertoire an Sport- oder künstlerisch ausgerichteten Kursen zu wählen.49 Aufgrund der mehrmals wöchentlich oder sogar täglich stattfindenden Treffen entscheiden sie sich für einen Club, dem während der gesamten Schulzeit die Treue gehalten wird (vgl. Cave 2004; Stevenson et al. o.J.: 333ff.).50 Die bukatsudōs sind teilweise massiver Kritik ausgesetzt, vor allem angesichts der dort angewandten Disziplin und Strenge. Bisweilen handelt es sich dabei um gezielte Einschüchterungsmaßnahmen, die schon zu Suizidversuchen und sogar Todesfällen im Kontext des Clubsystems geführt haben. Medienberichte über Kinder, die von anderen Clubmitgliedern schikaniert oder von Aufsichtspersonen misshandelt wurden, haben zu einer zunehmenden Infragestellung der hier vorgelebten Werte und Zen-Traditionen51 beigetragen. Nur formal einem Lehrer unterstellt, beruhen die Clubs auf einem System der 48 In einigen Schulen ist die Teilnahme zumindest im ersten Schuljahr verbindlich. Im Zuge eines allmählichen Wertewandels in der japanischen Gesellschaft und einer damit einhergehenden Annäherung an die Vorstellung von individuellen Entfaltungsmöglichkeiten lässt sich hier aber zunehmend der Trend zu einer größeren Wahlfreiheit feststellen. 49 Zu den gängigsten Angeboten gehören Baseball, Tennis, Volleyball, Schwimmen, Fotografie, Orchester, Kalligrafie und Teezeremonie – für jede Interessenlage wird die passende Freizeitmöglichkeit geboten. 50 Zwar ist es durchaus möglich, den Club zu wechseln oder bei einer weniger anspruchsvollen oder zeitraubenden Clubtätigkeit zwei verschiedene Angebote wahrzunehmen. Dies ist jedoch eher die Ausnahme, da sich die Clubmitglieder meist stark mit ihrer Disziplin identifizieren und hart an sich arbeiten, um ihre Leistung zu verbessern und innerhalb des hierarchisch strukturierten Clubsystems aufzusteigen. 51 Cave weist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Zen Tradition seishin kyōiku hin, eine Form der spirituellen Ausbildung, in der die uneingeschränkte Härte gegen das Selbst als Tugend betrachtet wird und die Schülerinnen und Schüler von irdischen Bedürfnissen und Wünschen befreit werden sollen (vgl. Cave 2004: 412).
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Selbstorganisation, das ein Großteil der Verantwortung – beispielsweise für die Anleitung jüngerer Mitglieder – den älteren Jahrgängen auflastet. Genau wie im späteren Berufsleben gilt in den bukatsudōs das Senioritätsprinzip: Die neuen Mitglieder haben sich den älteren unterzuordnen und müssen sich anfangs mit weniger attraktiven Aufgaben und Beschäftigungen zufrieden geben. Umgekehrt erwerben sie damit für später das Recht, über den Weg der nachfolgenden Generation zu bestimmen (vgl. Cave 2004; Stevenson et al. o.J.: 333ff.). Positiv gewertet wird dagegen die große Bedeutung des Gemeinschaftssinns, den eine Clubzugehörigkeit unterstütze. Der starke Wettbewerbsgedanke vieler Schülerinnen und Schüler werde in der Fachliteratur überbewertet, führt Toyama-Bialke (2004: 66ff.) aus. Schule sei nicht nur ‚Prüfungshölle‘, sondern auch ein wichtiger Ort der Sozialisation, an dem eine Reihe nicht-akademischer Fähigkeiten und Qualifikationen vermittelt würden. Bei Cave (2004: 407) ist zu lesen, dass in den Sportclubs kaum innerschulische Wettkämpfe ausgetragen werden, sondern lediglich vor größeren Turnieren zu Übungszwecken gegeneinander gespielt werde. Anders als die US-amerikanischen Schulen bringe das japanische System keine individuellen Siegerpersönlichkeiten hervor, die als Repräsentanten ihres Clubs oder ihrer Schule eine besondere Position für sich beanspruchen. Vielmehr stehe die Gemeinschaft im Vordergrund, die auch dadurch gefördert werde, dass selbst leistungsschwache Mitglieder konsequent in die Aktivitäten des Clubs eingebunden werden.52 Ein weiterer wichtiger Aspekt der zeitlichen Regulierung des schulischen Alltags äußert sich in der Limitierung von Erholungsphasen. Das straffe Schul- und Sozialisationsprogramm der Jugendlichen lasse äußerst wenig Zeit zum Schlafen, wie Brigitte Steger (2004) in ihrer umfassenden Monografie zum Schlafverhalten in Japan feststellt. Gerade der Besuch der jukus stelle eine außerordentliche Zusatzbelastung für die Schülerinnen und Schüler dar, die häufig nicht vor 22 Uhr nach Hause kommen. Das Jugendalter in Japan sei auch deshalb, so Steger (ebd.: 230), von einer extrem kurzen Nachtschlafdauer geprägt.53 Die Auffassung, dass die Schlafenszeit den als wichtiger er52 Ein weiteres Indiz für das stärker ausgeprägte Gemeinschaftsgefühl an japanischen Schulen sei zudem der gemeinsame Putzdienst, der regelmäßig ausgeführt würde. Auch gebe es in der japanischen Sprache nicht so viele stigmatisierende Ausdrücke, mit denen Einzelne als zugehörig zu einer bestimmten Außenseitergruppe diffamiert würden. 53 Anscheinend sind viele von ihnen dazu gezwungen, sich an dem alten japanischen Sprichwort yontō goraku zu orientieren, was übersetzt bedeutet, dass diejenigen schulisch reüssieren, denen vier Stunden Schlaf in der Nacht ausreicht, diejenigen aber scheitern, die fünf Stunden schlafen (vgl. Steger 2004: 230). Gerade während der anstrengenden Prüfungsphasen ruhen sich viele Jugendliche nach der Schule kurz aus und legen sich zum Schlafen hin, um dann gegen späten Abend aufzu-
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achteten Lernzeiten geopfert werden müsse, ist in Japan – entgegen üblicher Ansichten in Deutschland – weit verbreitet (vgl. ebd.: 234ff.). Schlaf- und Lernrhythmen werden von den Schülerinnen und Schülern um ihren institutionalisierten Schulalltag herum organisiert. Bei dem Erreichen ihrer Bildungsziele erfahren sie in der Regel Unterstützung durch die Familie: In den arbeitsintensiven Phasen versuchen die Eltern, insbesondere die Mütter, jegliche Anstrengung von ihren Kindern fernzuhalten und entbinden sie von anderweitigen häuslichen Pflichten. Zu Hause wird den Jugendlichen zugestanden, die Zeit selbstständig zu strukturieren und zu gestalten, um sie optimal für Lernzwecke ausnutzen zu können. Während sich die alltägliche Lernpraxis der elterlichen Kontrolle oft entzieht, lastet stets der familiäre Druck auf dem Kind, die gewährten Freiheiten durch den erfolgreichen Abschluss der Schulkarriere zu vergelten. Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf den Alltag japanischer Schülerinnen und Schülern festhalten, dass ihre Zeit weniger individuell gestaltet werden kann als dies in vielen anderen Ländern der Fall ist. Ihre Schulzeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie hauptsächlich innerhalb des institutionalisierten Rahmens der Schule und anderer Bildungs- und Förderungseinrichtungen verbracht wird.54 Eine Betreuung und Aufsicht durch Lehrende oder ältere Schulkameraden finden in den Clubs und Nachhilfeschulen auch außerhalb des Pflichtunterrichts statt und werden als wichtiger Teil der Erziehung angesehen. Für Manfé, der die Bildungsbesessenheit der Japanerinnen und Japaner in seiner Monografie „Otakismus“ (2005) kritisch reflektiert, ist das Wetteifern in Schule und Weiterbildung nicht Folge eines ‚natürlichen‘ Wissensdrangs, sondern resultiere aus dem Zwang, fortwährend lernen zu müssen und informiert zu sein.55 Ausdruck dieses Zwangs stehen und bis tief in die Nacht zu lernen. Der eigentliche Nachtschlaf verkürzt sich auf diese Weise auf drei oder vier Stunden. Vormittags sind viele müde und können sich nicht konzentrieren, teilweise wird im Unterricht auch geschlafen. Vor dem Hintergrund, dass es in ihrem Frontalunterricht schwierig ist, alle Schülerinnen und Schüler aktiv einzubeziehen, tolerieren viele Lehrenden dieses Verhalten, zumal die Schlafenden weder stören noch die soziale Ordnung im Klassenzimmer gefährden. 54 Ein weiteres Beispiel hierfür findet sich bei Regine Mathias (1998), in deren Text über Jugend und Familie in Japan zu lesen ist, dass, nachdem in Japan zur Förderung des Familienlebens der schulfreie Samstag eingeführt wurde, zahlreiche Institutionen organisierte Beschäftigungsangebote für diesen Tag in ihr Programm nahmen. Auch in den Ferien sind die Kinder und Jugendlichen größtenteils institutionell eingebunden, da die Schulclubs ihr Freizeitprogramm kontinuierlich über das Jahr anbieten. 55 Dies sei seiner Ansicht nach auch eine wichtige kulturelle Voraussetzung für die Entstehung des otaku-Phänomens in Japan (vgl. Kapitel 5.1.4).
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seien darüber hinaus diverse ‚Uniformierungsbestrebungen‘ an den Schulen – neben einer vorgeschriebenen Kleiderordnung etwa auch das Bemühen, die Vermittlung von Lehrinhalten zu synchronisieren (vgl. ebd.: 32; Foljanty-Jost 2004: 98f.). Potenziell freie Zeit für außerschulische und individuelle Aktivitäten wird von den Clubs beansprucht, welche ihnen einen institutionellen Rahmen geben, so dass eine Verschränkung von freier Zeit, die auf private Lebensbereiche gerichtet ist, und okkupierter Zeit, die auf öffentliche Institutionen gerichtet ist, stattfindet. Angesichts eines zeitlich und inhaltlich derartig straff durchstrukturierten Schullebens lässt sich die These formulieren, dass dadurch die Notwendigkeit gefördert wird, innerhalb des Regiments der Uhr flexible Zeitoasen zu schaffen, die die Möglichkeit einer Entlastung und von individuell gestalteten Alltagsbereichen bieten. Das Studium als gesellschaftlich sanktionierte Latenzphase Im rigiden japanischen Gesellschaftssystem lässt sich die Universitätszeit als eine gesellschaftlich sanktionierte Latenzphase begreifen, die einen wichtigen Einfluss auch auf die individuelle Zeitgestaltung in dieser Periode hat. Mit dem Start der universitären Ausbildung tritt bei den durch die ‚Prüfungshölle‘ gegangenen Schulabgängern eine meist schlagartige Veränderung ihres Alltags ein. Für die Studierenden beginnt eine Lebensphase, in der sie ihre Zeit zwischen Universität, Zuhause und Nebenjob vergleichsweise unangestrengt und frei von überzogenen Leistungsansprüchen gestalten können. Das höchste Ziel ist mit der Immatrikulation an der gewünschten Hochschule bereits erreicht, die Zeit des Studierens dient somit auch als Kompensation für die Einschränkungen und Anstrengungen der Schulzeit (vgl. Teichler 1998: 416). „One irony of Japan’s education scene lies in the sharp contrast between stringent school and slack universities. While primary and secondary education in Japan produces highly trained pupils, Japan’s universities remain a resting space of „leisure land“ for many youngsters. Exhausted both mentally and physically by examination hell, they seek relaxation, enjoyment, and diversion in their university life.“ (Sugimoto 1997: 129)
Da ein Ausleseprozess innerhalb des Universitätssystems nicht vorgesehen und es auch nicht üblich ist, Prüfungskandidatinnen oder -kandidaten durchfallen zu lassen,56 ist der Studierendenalltag in Japan deutlich weniger lernintensiv als die Schulzeit. Der Workload ist sowohl zeitlich als auch inhaltlich vergleichsweise einfach zu bewältigen. Als fleißig und engagiert gelten vor allem die Kommilitoninnen 56 Dieses Prinzip gilt auch für das japanische Schulsystem, das die Wiederholung einer Klassenstufe generell nicht vorsieht.
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und Kommilitonen, die in den Vorlesungen und Seminaren anwesend sind – weitestgehend unabhängig von ihren dort erbrachten Leistungen.57 Für den späteren beruflichen Erfolg spielen diese tatsächlich keine ausschlaggebende Rolle, da allein das Ansehen der Universität zählt und weder die Fachdisziplin noch der Notendurchschnitt entscheidend sind. Entweder rekrutieren die großen Unternehmen künftige Angestellte direkt an den führenden Universitäten oder akzeptieren Bewerbungsschreiben ausschließlich von den dortigen Absolventinnen und Absolventen – der Ansicht folgend, dass sie bereits durch das Bestehen der Aufnahmeprüfung Ausdauer, Fleiß und Ehrgeiz unter Beweis gestellt haben (vgl. Sugimoto 1997: 111f., 116, 130). Aufgrund der vergleichsweise geringen Studienanforderungen, die mit wenigen Ausnahmen (z.B. bei den Ingenieurwissenschaften und in der Medizin) auf einen Großteil der Studierenden zutreffen, bezeichnet Sugimoto (1997: 129) das Studium in Japan als eine Art Moratorium vor dem Einstieg in das Berufsleben: „Higher education means not so much productive pursuit of knowledge as a consumption phase of relatively uncontrolled leisure time.“ (Ebd.: 130) Die jungen Erwachsenen probieren in dieser Phase unterschiedliche Lebensentwürfe aus; wer es sich leisten kann oder an einer von der Heimatstadt entfernten Universität studiert, zieht von zu Hause aus. Um angesichts der neu hinzugewonnenen Freiheit verschiedene Hobbys, Freizeitvergnügen und gewachsene Konsumbedürfnisse – zu denen in erster Linie auch die Nutzung des Mobiltelefons gehört – finanzieren zu können, üben fast alle Studierenden eine Nebenbeschäftigung aus, eine so genannte arubaito (abgeleitet vom deutschen Begriff Arbeit). Diese Jobs umfassen vor allem Tätigkeiten im Bildungssektor (z.B. private Nachhilfe) und im Dienstleistungsgewerbe (z.B. Bedienung in Restaurants, Cafés oder 24-Stunden-Läden) und werden in der Regel fest in den curricularen Ablauf des Studiums eingebunden (vgl. ebd.).58 Häufig handelt es sich um Nebenbeschäftigungen, die nachts verrichtet werden, wie Steger (2004: 243) darstellt. Der unstete Schlafrhythmus ändert sich im Studium somit kaum: Geschlafen wird vielfach tagsüber in der Bahn oder auch in den Vorlesungen, nachts wird gearbeitet und gelernt. Am Abend und in der Nacht finden aber auch viele freizeitliche Aktivitäten statt, etwa Kneipenbesuche, Karaoke, Spielhallen- und Clubaufenthalte. Durch das Pausieren des öffentli57 Genau wie es in Japan mehr darauf anzukommen scheint, beim Aufnahmetest in Englisch gut abzuschneiden als tatsächlich Englisch sprechen zu können (vgl. Steger 2004: 241), so folgt auch das Studium dem Leitgedanken, dass die Bemühungen ein Ziel zu erreichen als höher zu bewerten sind als die tatsächlichen Ergebnisse dieser Bemühungen (vgl. ebd.). 58 Die japanische Wirtschaft ist auf diese Arbeitskraft, die von der Gruppe der Studierenden erbracht wird, inzwischen stark angewiesen.
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chen Nahverkehrs zwischen 1:00 Uhr nachts und 6:00 Uhr morgens funktioniert die urbane Mobilität in dieser Zeit nur eingeschränkt, das soziale Leben und die Konsummöglichkeiten sind davon jedoch kaum beeinträchtigt. Gerade in den großen japanischen Städten gibt es zahlreiche rund um die Uhr geöffnete Buchläden, Kneipen und conbinis – kleine Gemischtwarenhandlungen, deren Produktpalette von Fertignahrung über Alkohol- und Tabakwaren bis hin zu Zeitschriften, Süßigkeiten und Haushaltswaren reicht (vgl. ebd.: 244). Allgemein lässt sich für den Alltag japanischer Studierender festhalten, dass er im Gegensatz zur stark getakteten Schulzeit von einer flexibleren Zeitgestaltung geprägt ist. Zwar bilden auch während des Studiums feste Zeitgeber wie das universitäre Veranstaltungsangebot Markierungspunkte im Tagesablauf, diese werden jedoch anders als der Schulunterricht nicht als unhintergehbar verstanden. Die Präsenz in Seminaren und Vorlesungen signalisiert zwar Lernbereitschaft und studentische Einsatzfreude, wird aber kaum kontrolliert. Entsprechend gering fallen die Anwesenheitszeiten in den universitären Kursen aus, wozu zusätzlich die gängige Praxis vieler Hochschullehrerinnen und -lehrer beiträgt, die Veranstaltungen gelegentlich ausfallen zu lassen – ohne dass sie deswegen Sanktionen befürchten oder die Fehlzeiten später nachholen müssten (vgl. Sugimoto 1997: 130). Das Studium lässt sich demnach als eine Phase begreifen, in der vielfältige Freiräume wahrgenommen werden und über zeitliche Ressourcen frei verfügt wird – Bedingungen, wenn nicht gar Privilegien, die in einer reglementierten und zum Teil bis ins Detail durchorganisierten Gesellschaft wie Japan nicht selbstverständlich sind. Funktionen des keitai im japanischen Schul- und Studienalltag: Zeitverdichtung, Organisation und Sicherheit Die vorangegangenen Abschnitte haben dargestellt, welche Zeitordnungen den japanischen Schul- und Studienalltag bestimmen und zugleich Einblicke in kulturelle Zeitvorstellungen geliefert. Es ist festgestellt worden, dass sich gerade Kinder und Jugendliche während ihrer Schul- und Ausbildungszeit einer Reihe von vorgegebenen Zeitstrukturen zu unterwerfen haben oder sich diesen – teils auch aufgrund sozialer Zwänge – freiwillig anpassen. Im Folgenden wird analysiert, auf welche Weise sich das keitai in die spezifische Umwelt der Schule und Hochschule einfügt und innerhalb dieser Institutionen den Umgang mit Zeit zu gestalten oder modifizieren hilft. Dabei wird insbesondere das mit der Nutzung mobiler Technologien einhergehende Potenzial herausgestellt, Zeit zu verdichten und innerhalb fremdbestimmter Zeitphasen private Zeitinseln zu generieren. Das keitai spielt darüber hinaus eine Rolle zur optimalen Ausnutzung und Organisation der beschränkten zeitlichen Ressourcen, durch die dieser Lebensabschnitt gekennzeichnet ist. Zusätzlich wird es als Sicherheitsmedium gebraucht,
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mit dessen Hilfe Zeit, die von Kindern aufgrund ihrer eigenen schulischen Verpflichtungen und der Abwesenheit ihrer berufstätigen Eltern alleine verbracht wird, neue Konnotationen erhält.59 Die Schulzeit ist in Japan von einer starren zeitlichen Ordnung bestimmt, die Anwesenheit erfordert und den zeitlichen Rahmen für Hobbys und andere Tätigkeiten wie spielerische und kreative Beschäftigungen einschränkt (vgl. u.a. Linhart 1998: 7; Neuss-Kaneko 1990: 131). Und trotz der Tendenz zu einer starken Kontrolle der Lernenden können Möglichkeiten der individuellen Zeitgestaltung vor allem deshalb wahrgenommen werden, weil die Konzentration auf die Tatsache der Anwesenheit Freiräume für die Art der verbrachten Zeit in Schule und Universität lässt. Diese Freiräume werden auf einfallsreiche Weise dazu genutzt, mit dem Mobiltelefon zu kommunizieren, zu spielen oder Kontakte zu knüpfen. Aufgrund des weit verbreiteten Frontalunterrichts, der geringen Einbindung der Schülerinnen und Schüler in die Ausgestaltung der einzelnen Unterrichtsstunden und Klassengrößen von oft über vierzig Personen gilt der Unterricht an japanischen Schulen als äußerst ermüdend. Die den Kindern und Jugendlichen aufgezwungene Rolle, dem Geschehen im Klassenzimmer als weitgehend passive Zuhörerinnen und Zuhörer folgen zu müssen, lässt sich durch das keitai teilweise aufbrechen. Denn der Austausch von Kurznachrichten, die über das Mobiltelefon versendet werden, kann die in der Schule verbrachten Stunden nicht nur unterhaltsamer gestalten und verdichten, sondern gibt den Schülerinnen und Schülern auch ihre, wenngleich tonlose, Stimme zurück. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass der Unterricht nicht gestört wird, da die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung einen großen Stellenwert in der japanischen Gesellschaft hat. Auch wenn sie nicht unterrichtsrelevant sind, werden stille Aktivitäten – und hierzu zählen durchaus auch das Schlafen im Unterricht oder die Nutzung lautloser Funktionen des keitai – eher toleriert als ständiges Nachfragen oder leise Gespräche mit dem Sitznachbarn (vgl. Steger 2004: 234). In Anlehnung an Mizuko Ito ließe sich die Praxis der in der Schule per keitai vollzogenen Zeitverdichtung als Möglichkeit begreifen, sich einer von einem spezifischen Zeitregiment bestimmten Machtstruktur zu entziehen. Anhand ihrer empirischen Studie hat Ito (2005b: 131) dar59 Die Aspekte Organisation und Sicherheit sind auch in deutschsprachigen Studien zur Mobilkommunikation immer wieder genannt und diskutiert worden (vgl. u.a. Döring 2002, 2006; Feldhaus 2003, 2004, 2007; Götzenbrucker 2005). So hat Michael Feldhaus (2004), der sich mit den Funktionen des Mobiltelefons für das familiäre Zusammenleben beschäftigt hat, feststellen können, dass gerade die Sicherheitsfunktion des Mobiltelefons in der Frühphase dessen Marktexistenz ausschlaggebend für eine Anschaffung war, beim späteren Gebrauch des Gerätes allerdings an Relevanz verlor.
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gelegt, wie sich japanische Jugendliche innerhalb institutionalisierter und von Erwachsenen kontrollierter Umgebungen mithilfe ihres Mobiltelefons Freiräume schaffen und so die „power geometries of place“ untergraben (siehe auch Kapitel 5.1.2). Ito weist darauf hin, dass sich die festgelegten Machtstrukturen spezifischer Räume durch Mobilkommunikation stellenweise aufbrechen lassen. In ähnlicher Weise kann diese These auf die Verdichtung nicht frei verfügbarer Zeiten übertragen werden: Die Schülerinnen und Schüler unterlaufen das dominierende Zeitregiment, indem sie die durch ihren Stundenplan erzwungenen Einschränkungen umgehen und die für Lernen und Ausbildung vorgesehene Zeit mit kommunikativen Elementen und individuellen Sinngehalten füllen, sie also zumindest partiell in eine autonome Zeit transformieren. Da die Jugendlichen vordergründig konform handeln, werden die existierenden Machtverhältnisse, Normen und Strukturen durch diese Aktivität nicht grundlegend infrage gestellt. Ähnlich wie das Unterlaufen der „power geometries of place“ (Ito 2005b: 131) lassen sich die keitai-Praktiken als kleine subversive Akte des Widerstands verstehen, die sich allein in der kaum merkbaren Unterrichtszeitverweigerung ausdrücken. Zeit durch Mobilkommunikation zu verdichten, sie stärker mit auf die eigene Identität bezogenen Aktivitäten und Sinngehalten auszufüllen, wird während des Studiums nicht weniger bedeutsam. Dass die Universität eine Art geschützten Zwischenraum darstellt, der Anwesenheit fordert, aber in noch stärkerem Maße als die Schule in der dort verbrachten Zeit andere nicht-universitäre Tätigkeiten duldet, kann den kreativen Umgang mit mobilen Kommunikationstechnologien sogar noch intensivieren. Dabei kollidieren, wie sich mit Castells (2001) behaupten lässt, die traditionellen Formen der Zeitbeanspruchung in einer sequenziellen Zeit, in der Abläufe und Zustände aufeinander folgen, mit einem neuen Zeitverständnis. Denn digitale und konvergente Medientechnologien wie das keitai, oder auch der Computer, sind durch Merkmale der Vergleichzeitigung und Synchronität gekennzeichnet. Von der durch sie geförderten nicht-sequenziellen Zeit werden zunehmend Vorstellungen und Handeln derer geprägt, die sich dieser Medien bedienen: „Die Zeitlosigkeit des Multimedia-Hypertextes ist ein entscheidendes Merkmal unserer Kultur, das das Denken und das Gedächtnis der Kinder formt, die in diesem neuen kulturellen Kontext aufwachsen.“ (Ebd.: 518) Damit verbunden ist auch ein Wandel des Bildungsverständnisses, wie Castells deutlich macht: „Während Enzyklopädien menschliches Wissen nach dem Alphabet geordnet haben, bieten die elektronischen Medien Zugang zu Informationen, Ausdruck und Wahrnehmung entsprechend den Impulsen der Konsumierenden oder der Entscheidungen der Produzierenden. Auf diese Weise verliert die gesamte Ordnung sinnhafter Ereignisse ihren internen chronologi-
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schen Rhythmus und wird abhängig vom sozialen Kontext ihrer Nutzung in Zeitsequenzen organisiert. Damit ist dies zu ein und derselben Zeit eine Kultur des Ewigen und Ephemeren.“ (Ebd.)
Indem sie traditionelle Zeitvorstellungen unterlaufen, bieten mobile Kommunikationstechnologien einerseits Möglichkeiten zur Verdichtung von Zeit und sie bilden andererseits, wie an dieser Stelle deutlich wird, ein Gegengewicht zu der zeitlichen Beanspruchung am Ort der Schule oder der Universität. Castells folgend handelt es sich hier allerdings nicht nur um den bewussten Gebrauch einer Technologie, mit der zeitliche Ordnungen und Zwänge unterlaufen werden können, sondern auch um das Eindringen einer technologisch bestimmten neuen Bedingung der Zeitlosigkeit, die mit dem keitai ihre Verkörperung im schulischen Raum findet und das allmähliche Aufbrechen einer starren Ordnung in Gang setzen kann. Ein zweiter Aspekt, der neben den Praktiken der Zeitverdichtung eine Rolle für die Wahrnehmung und Gestaltbarkeit von Zeit im Kontext von Schul- und Ausbildungsphasen spielt und durch die zeitlichen Restriktionen gerahmt wird, ist die Organisationsfunktion des keitai. Denn gerade die Tatsache, dass japanische Schülerinnen und Schüler einen großen Teil ihres Alltags im engen Korsett fester zeitlicher Strukturen verbringen, verlangt eine komplexe Organisation und Planung der zur Verfügung stehenden Lücken im Tagesverlauf. Diese Notwendigkeit verlagert sich während des Studiums, das keitai stellt in dieser Phase vor allem ein Abstimmungsmedium innerhalb eines sich durch größere Flexibilität auszeichnenden Lebensabschnitts dar. Es gewinnt an Bedeutung zur Koordination des Alltags zwischen Universität, Nebenjob und Zuhause und unterstützt damit die Aufrechterhaltung eines Lebensstils, bei dem die durch das Studium gebotenen Freiräume effektiv genutzt werden können. Hierfür sprechen auch die Ergebnisse einer Studie von Misa Matsuda (2006: 9), die auf Basis ihrer Untersuchung der Mobilkommunikation im Leben japanischer Berufsanfänger herausgefunden hat, dass die keitai-Nutzung mit dem Eintritt in das Berufsleben abnimmt. Dies hat sicherlich mit der bedeutenden Rolle junger Menschen (Schülerinnen und Schüler, Studierende) als Nutzende von Medientechnologien und Konsumierende von Medienangeboten zu tun; offensichtlich stellen aber auch die organisatorischen Funktionen des keitai im weniger strukturierten Studienalltag eine besondere Notwendigkeit dar, die sich in einer im Vergleich zum späteren Berufsalltag höheren Nutzungsfrequenz niederschlägt. Matsuda (ebd.: 6f.) setzt sich in diesem Zusammenhang damit auseinander, wie sich der Alltag Studierender verändert hat, nachdem das Mobiltelefon in Japan eine flächendeckende Verbreitung fand. Anstatt, wie es früher üblich war, für abendliche Zusammenkünfte einen zentralen Treffpunkt wie die Mensa oder ein Café zu vereinbaren,
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dort zu warten, bis sich der Freundeskreis versammelte, und anschließend gemeinsam zum eigentlichen Zielort zu wechseln, werden Verabredungen mit dem keitai heute zeitsparender, effizienter und just in time abgestimmt. Vor dem Hintergrund solcher Verwendungszwecke und Nutzungsweisen erhält das Mobiltelefon, wie Günter Burkart (2007) erläutert, die Bedeutung eines Zeitregulators: „Das Mobiltelefon ersetzt in diesem Sinn ein Stück weit die Uhr – nicht, weil es selbst eine Uhr enthält, sondern weil es eine flexiblere Kontrolle über die Koordination von Handlungen ermöglicht. Die Planung einer Verabredung, die eine Anreise erfordert, kann noch während der Reise geändert und angepasst werden.“ (Ebd. 2007: 159)
Während durch Mobilkommunikation zwar einerseits Wartezeiten verringert werden, schränkt die soziale Praxis des mobilen Koordinierens andererseits die Möglichkeit spontaner Begegnungen ein, wie Matsuda (2006) resümiert. Das keitai leistet damit einen Beitrag zu einer strafferen Organisation von freier Zeit, in der nichts mehr dem Zufall überlassen wird. „The keitai fixes appointments and accelerates the reduction of chance encounters and spontaneous gatherings.“ (Ebd.: 7) Hier wird auf die Implikationen der Entstehung einer zwar flexibleren Zeit, aber damit auch dominanteren Beanspruchung von Zeit durch mobile Medientechnologien hingewiesen. Ein weiterer Aspekt des Zeithandelns mittels Mobilkommunikation, der in der Schul- und Ausbildungszeit signifikant wird, betrifft die Sicherheitsfunktion des keitai. Denn während der langen Schultage und auf den Wegen, die zwischen Schule, zu Hause und juku zurückgelegt werden, dient das keitai in hohem Maße auch als Sicherheitsund Beaufsichtigungswerkzeug (vgl. Miyaki 2005; Matsuda 2006). Hier geht es weniger darum, Zeit zu modifizieren oder neu zu arrangieren, sondern um den Umgang mit unbeaufsichtigter Zeit.60 Der Sicherheitsaspekt entfaltet sich auf mehreren Ebenen, da durch das keitai zum einen die tatsächliche Sicherheit gesteigert wird, etwa weil sich damit von überall ein Notruf tätigen lässt. Zum anderen kommt die mobile Technologie einem Sicherheitsbedürfnis dadurch entgegen, dass aufgrund eines ständigen virtuellen Anschlusses an die Welt die gefühlte Sicherheit zunimmt – sowohl für die Eltern als auch für die Kinder. 60 Die Einordnung des Sicherheits- als Zeitaspekt mag auf den ersten Blick nicht offensichtlich erscheinen, sie erfolgt aber aus dem Verständnis heraus, dass Zeit im Sinne Norbert Elias’ vor allem der Abstimmung sozialer Handlungen dient und soll an dieser Stelle zeigen, wie sich die Koordination des familiären Zusammenlebens durch die Sicherheitsfunktion des keitai verschoben hat. Überschneidungen mit den Themen Raum und Beziehungen sind hier jedoch besonders evident.
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Matsuda (2006) identifiziert in der japanischen Gesellschaft bereits seit Ende der 1990er Jahre eine „aura of public insecurity“ (ebd.: 13), eine zunehmende Unsicherheit und Ängstlichkeit im Alltag, die – obgleich sie in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Gewalttaten und Verbrechen in Japan steht, das nach wie vor als eines der sichersten Länder der Welt gilt – häufig den Anstoß für die Ausstattung von jüngeren Schulkindern mit einem Mobiltelefon gegeben haben. Damit können sich Eltern sowohl per Anruf über den Aufenthaltsort und das Wohlergehen der Kinder informieren als sie auch mittels der in die Mobiltelefone eingebauten GPS-Funktion jederzeit und überall orten (vgl. ebd.: 13f.). Von einer Tokioter Bahngesellschaft, die anhand eines elektronischen Systems Eltern automatisch per SMS über die Fahrtroute ihrer Kinder informiert,61 werden die Möglichkeiten des „virtual parenting“ (Morley 2003: 447) sogar noch weiter ausgeschöpft. Das Mobiltelefon wird damit zu einem Kontroll- und Organisationsinstrument des familiären Alltags, das sich in die bestehende Ordnung einbinden lässt. Es befreit die Eltern durch die flexibler gestaltbare elektronische Kontaktaufnahme von der Notwendigkeit einer tatsächlichen Ko-Präsenz (siehe auch Feldhaus 2004), aber es erweitert auch die Zonen einer möglichen Überwachung. Mit dem veränderten Sicherheitsempfinden, das durch Mobilkommunikation entstehen kann, ist somit auch ein Wandel der Koordination sozialer Prozesse eingeleitet worden.
5.2.2 Arbeitszeit
Verbindungen von Zeithandeln und Mobilkommunikation im Kontext von Arbeitszeit zu diskutieren erscheint vor allem deshalb ertragreich, weil Veränderungen von Zeitvorstellungen häufig mit der Arbeitssituation der Menschen in Verbindung gebracht werden. Nach einer durch Religion, Rituale und Jahreszeiten geordneten Zeitwahrnehmung gibt es eine von einem durchorganisierten arbeitsteiligen Produktionsprozess bestimmte Zeit, in der, wie weiter oben bereits angedeutet, die Uhrenzeit über Raum und Gesellschaft herrscht (vgl. Castells 2001: 488). In der Netzwerkgesellschaft finde aber, so Castells, ein Wandel dieses Verhältnisses statt. Durch die Entwicklung neuer Produktionsund Organisationsformen werde die Beherrschung der Zeit der Arbeitenden ‚von oben‘ durch eine verstärkte Beanspruchung der zeitlich flexibleren Selbstregulierung der Arbeitenden ersetzt (vgl. ebd.: 493). 61 Die Monatskarte der Kinder enthält eine Nummer, die von den Durchgangstüren der Bahn eingelesen wird und den Vorgang an das Mobiltelefon der Eltern meldet. Von den Informationen profitieren die Eltern vor allem dann, wenn das Kind von der vorgesehenen Route abweicht und versehentlich an einer falschen Station aussteigt.
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Die Adaption und Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien können dabei als Teil dieses Wandels angesehen werden, wie vielfach hervorgehoben wird (vgl. z.B. Gant/Kiesler 2001; Geser 2005; Wajcman et al. 2009). In der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Arbeitszeit in Japan ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass die Arbeitskultur des Landes in weiten Teilen noch immer von einem traditionellen Verständnis von Erwerbsarbeit geprägt ist. Gleichzeitig sind hochkomplexe Medien wie das keitai Teil der Arbeits- und Lebenskultur in Japan und nehmen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse. Die Spezifika des japanischen Arbeitslebens sind bereits in einer Vielzahl von Publikationen dokumentiert worden, die auf unterschiedliche Weise zur Mythenbildung über den Arbeitseifer und die hohe Arbeitsmoral der Japanerinnen und Japaner beigetragen haben. Die Vorstellung, dass in Japan deutlich mehr, fleißiger und gewissenhafter gearbeitet wird als in westlichen Industrieländern und dass die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitsgeber vor allem von Loyalität, Pflichtbewusstsein und Ergebenheit gekennzeichnet ist, ist eine nicht nur außerhalb des Landes, sondern auch in Japan weit verbreitete Ansicht (vgl. Steger 2004: 183). Diese Auffassung ist durch den genauen Blick auf den japanischen Arbeitsalltag im folgenden Abschnitt jedoch zu hinterfragen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die Arbeitszeiten in Japan seit den 1970er Jahren, als die Einführung der Fünftagewoche beschlossen wurde, verkürzt haben. Zwar ließ sich diese Arbeitszeitregelung bis heute nicht überall durchsetzen, da sie durch inoffizielle unternehmensinterne Beschlüsse häufig untergraben wurde – Angestellte mussten beispielsweise jeden zweiten Samstag ‚freiwillig‘ zur Arbeit antreten oder Weiterbildungskurse an Wochenenden besuchen. Mit weiteren Gesetzesänderungen zur tariflichen Arbeitszeit in den Jahren 1987 und 1993 hat sich jedoch eine deutliche Verbesserung des Lebensstandards der meisten Japanerinnen und Japaner eingestellt (vgl. Linhart 1998: 13f.). Im Jahr 2008 betrug die tatsächlich geleistete monatliche Arbeitszeit in Japan durchschnittlich 149 Stunden bei rund 19 Arbeitstagen im Monat (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 142). Dies bedeutet einen kontinuierlichen Rückgang seit Ende der 1980er Jahre, sodass sich die durchschnittliche Arbeitszeit in Japan zuletzt auf einem mit den USA vergleichbarem Wert einpendelte – während in Ländern wie Deutschland und Frankreich früher wie heute deutlich weniger Stunden am Arbeitsplatz verbracht werden (vgl. ebd.: 143). Zum Umgang mit Zeit im japanischen Arbeitsalltag Obwohl diese Statistik deutlich macht, dass die durchschnittliche Arbeitszeit in Japan nicht eklatant aus dem Rahmen fällt, die Werte mitunter sogar mit Ländern wie den USA vergleichbar sind, prägen ex-
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treme Zustände oft das Japanbild im Ausland. Sowohl Medienberichte, z.B. über Überstunden und Urlaubsverzicht, als auch die japanbezogene Fachliteratur haben dazu beigetragen, den Mythos der japanischen „working-bee society“ aufrecht zu erhalten (Linhart 1998: 14). Dieser Mythos muss jedoch dahingehend relativiert werden, wie Steger (2004: 186f.) argumentiert, dass in Japan zwar viele Stunden am Arbeitsplatz verbracht werden, diese Präsenzzeit aber nicht mit der Produktivität der geleisteten Arbeitsstunden gleichzusetzen ist.62 Darüber hinaus trägt die enge Verzahnung von Berufs- und Privatleben zu dem Eindruck bei, dass sich die japanische Gesellschaft hauptsächlich für ökonomische Aspekte des Alltags interessiert. Die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ist vor allem auf verschiedene Initiativen der japanischen Unternehmen zurückzuführen. Firmen bieten oft zahlreiche ‚Gratifikationen‘, um die Bindung zwischen Angestellten und Unternehmen zu festigen, beispielsweise Sport- und Sprachkurse oder auch die Bereitstellung günstiger Wohnheime und Feriendomizile. Teilweise versuchen Arbeitgeber anhand von organisierten Verkupplungsaktionen63 auch gezielt in die privaten Beziehungsstrukturen der Arbeitnehmer einzugreifen (vgl. Hendry 2003: 166). Nach Büroschluss ist es üblich, den Feierabend mit Kolleginnen und Kollegen bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch oder KaraokeSingen einzuleiten und nicht direkt nach Hause zu fahren (siehe auch Kapitel 5.2.3). Da es schwierig ist, sich diesen gesellschaftlichen Erwartungen zu entziehen, bedeutet dies für die Angestellten auch, dass im Arbeitsleben – genau wie in der Schulzeit – ein großer Teil des Tages fremdbestimmt abläuft. Qualitäten wie Loyalität, Arbeitseifer und Interesse werden dem Arbeitgeber hauptsächlich über die Gestaltung von Zeit vermittelt, weniger durch die Demonstration von Arbeitsergebnissen. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, geht es in Japan vor allem um Engagement und Einsatz. Wichtiger als das tatsächliche Ergebnis sind die Anstrengungen und Bemühungen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Als besonders guter und eifriger Angestellter gilt, wer regelmäßig lange und bis in die späten Arbeitsstunden im Büro präsent ist – weitgehend unabhängig davon, was tatsächlich geleistet wird. Wenig akzeptiert ist 62 Bei den zu Hause anfallenden Arbeiten zeigen berufstätige japanische Männer dagegen vergleichweise wenig Einsatz, wie Steger konstatiert (2004: 187). Angesichts des in Japan weit verbreiteten traditionellarbeitsteiligen Geschlechterverhältnisses werden sie im privaten Bereich stärker entlastet. 63 Informelle Treffen, die speziell ausgerichtet werden, um junge Menschen unterschiedlichen Geschlechts einander vorzustellen und näher zu bringen, haben in Japan eine lange Tradition und sind auch heutzutage noch gängige Praxis – wenn sie auch nicht immer zur Hochzeit führen, wie es das traditionelle miai (Ehevermittlung) ursprünglich vorsieht (vgl. Hendry 2003: 40).
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es, den Arbeitsplatz zu verlassen, bevor der Chef nach Hause geht.64 Die Arbeitszeit in Japan ist somit durch ihre intensive Ausdehnung gekennzeichnet, und zwar sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Hinsicht. Als vertikale zeitliche Ausdehnung lassen sich die täglich im Büro abgeleisteten Arbeitsstunden bezeichnen, horizontal zeitlich ausgedehnt ist die Lebensdauer, die bei ein- und demselben Arbeitgeber verbracht wird. Denn das Prinzip der lebenslangen Anstellung wird erst seit Kurzem allmählich aufgeweicht; ursprünglich waren mit dem Eintritt in eine Firma die innerbetriebliche Karriere besiegelt und der weitere Lebensweg vorherbestimmt. Dieses spezifische Merkmal prägt das Leben japanischer Angestellter stärker als alle anderen Aspekte des täglichen Lebens, wie Joy Hendry herausstellt (Hendry 2003: 165). Vor diesem Hintergrund hat sich außerhalb Japans das homogene Bild eines typisch japanischen Angestellten festgesetzt, eines so genannten sarariman (abgeleitet aus dem englischen Kompositum salary man). Dieser steht seinem Arbeitgeber zu jeder Zeit zur Verfügung, nimmt zur Not auch den Tod durch Erschöpfung in Kauf, für den sich in Japan seit den 1980er Jahren der eigenständige Begriff karōshi etabliert hat (vgl. Linhart 1998: 9; Kumagai 1996: 41).65 Generell lässt sich in Japan eine hohe Bereitschaft erkennen, auf das Privatleben weitgehend zu verzichten und sogar Nächte im Büro zu verbringen, wenn dies erforderlich ist oder angebracht scheint.66 Daraus resultierende Erschöpfungssymptome gelten – selbst wenn sie tagsüber zu Schlafpausen während der Arbeitszeit führen – als sichtbare Insignien für besonderen Fleiß und Einsatz (vgl. Steger 2004: 265).67 Die Anerkennung einer solchen Leistung offenbart die Bedeutung von (Prä64 Offenbar handelt es sich bei dieser Praxis um eine sehr gängige Art der Machtdemonstration, durch die den auf der Hierarchieebene weiter unten angesiedelten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihr Platz gewiesen wird, wie aus eigener Erfahrung bekannt ist. 65 Karōshi bezeichnet Todesfälle wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle, die durch akute Überarbeitung ausgelöst werden und als japanisches Phänomen auch auf internationaler Ebene mediale Beachtung fanden (vgl. Kanai 2008: 209). 66 Wie u.a. anhand eigener Beobachtungen und Befragungen jüngerer japanischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer festgestellt wurde, zeichnet sich in den letzten Jahren ein Wandel dahingehend ab, dass Angestellte mehr Zeit mit ihren Familien oder mit selbst gewählten Freundinnen und Freunden verbringen wollen und daher versuchen, sich den beruflich-gesellschaftlichen Anforderungen in Teilen zu entziehen. 67 Obwohl auch in Japan das Schlafen am Arbeitsplatz im Grunde nicht vorgesehen ist, kommt es häufig vor und wird leicht entschuldigt. In ihrer Erkundung japanischer Schlafgewohnheiten beschäftigt sich Steger (2004) ausführlich mit dem in Japan im Vergleich zu westlichen Vorstellungen verschobenen Verhältnis von Tag- und Nachtschlaf.
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senz-)Zeit im japanischen Arbeitsleben und die damit zusammenhängenden Mechanismen von Zeithandeln im beruflichen Kontext. Die Bedeutung mobiler Kommunikationstechnologien in der Arbeitszeit Anhand der beschriebenen Arbeitsstrukturen in Japan ist bereits deutlich geworden, dass Arbeit im Kapitalismus die Herrschaft der Uhr über das Leben bedeutet. Die Konzentration auf die Tatsache der Präsenz anstelle von Arbeitseffizienz lässt aber auch hier Freiräume zur individuellen Gestaltung dieses Alltags, bei der mobile Kommunikationstechnologien eine wichtige Rolle spielen. Zwar sind dabei weniger die Mobilitätsaspekte des keitai von Bedeutung, weil Arbeit auch in Zeiten einer zunehmenden Mobilisierung von Gesellschaft vielfach lokal ist und in einem definierten Terrain ausgeübt wird. Als Individualtechnologie bietet es im Gegensatz zum PC jedoch besondere Möglichkeiten der Zeitgestaltung während der Arbeitszeit. Arbeit genießt in Japan, wie bereits dargestellt, einen signifikanten Stellenwert, sie okkupiert einen dominanten Platz im täglichen Leben und tangiert in großem Maße auch den Bereich der Freizeit. Eine klare Trennung und Abgrenzung dieser beiden Sphären ist schon allein deshalb kaum möglich, weil ein Arbeitsplatz auch heute noch vielfach als Anstellung auf Lebenszeit verstanden wird und zwischen dem Unternehmen und den neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihren Familien von Beginn an enge Bande geknüpft werden, die über etliche Jahre Bestand haben (vgl. Coulmas 2005: 186ff.).68 Praktiken zur selbstbestimmten Gestaltung des Alltags entfalten sich somit stärker innerhalb der Schranken des Arbeitslebens. Die Nutzung des keitai erlaubt in diesem Setting die temporäre Transzendenz des Raum-Zeit-Gefüges. Mit ihm lassen sich Zeitinseln kreieren, in denen eine Anbindung an andere Orte, Menschen und Tätigkeiten stattfindet – beispielsweise durch Kommunikation, Zerstreuung oder den Abruf von Informationen. Das Mobiltelefon hilft Freiräume zu schaffen, indem es die am Arbeitsplatz verbrachte Zeit verdichtet und neu konnotiert. Während das soziale Gefüge dadurch nicht erschüttert wird, die langen Arbeitszeiten also nicht infrage gestellt werden oder eine Verkürzung ihrer vertikalen Ausdehnung erfahren, können zugleich individuelle Kommunikationsbedürfnisse wahrgenommen und Beziehungen außerhalb des Arbeitskontextes gepflegt werden. Diese Möglichkeit des eskapistischen Ausbruchs aus dem Zeitkorsett der Arbeit mithilfe 68 Die engen Beziehungen zwischen japanischen Angestellten, den Kolleginnen und Kollegen und der Firmenleitung steht Coulmas (2005) zufolge in der Tradition einer „Kultivierung des Familienmodells“ (ebd.: 189), die ihre Wurzeln einerseits in japanischen Familialismus (vgl. Kapitel 5.3.1), andererseits in der Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit habe (vgl. ebd.: 186ff.).
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des keitai entfaltet ihre besondere Bedeutung vor dem Hintergrund sehr langer und in der Zwangsgemeinschaft von Kolleginnen und Kollegen verbrachter Arbeitstage.69 Digitale Technologien wie das Mobiltelefon bieten somit ein temporäres Entrinnen von der Logik der Zeit in der kapitalistischen Gesellschaft, wie Castells (2001: 490) konstatiert. Dies kann als eine Form der individuellen Ermächtigung angesehen werden und eine Entlastung von der bestimmenden Struktur von Arbeit bedeuten. Zugleich steigen mit der ständigen Verfügbarkeit der Mobilkommunikation die Anforderungen einer größeren Flexibilität.70 Mit dem Einsatz digitaler Kommunikationstechnologien erhöhen sich die Ansprüche an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und es wird eine größere zeitliche Selbstregulierung notwendig (vgl. Castells 2001: 493). Das der Nutzung persönlicher Kommunikationstechnologien zugeschriebene Ermächtigungspotenzial wird durch diese Inanspruchnahme des Individuums konterkariert. Beispielsweise findet die zeitliche Selbstregulierung darin Ausdruck, dass mittels Mobilkommunikation die im privaten Bereich des Zuhauses und während der Arbeitswege verbrachte Zeit in Arbeitszeit transformiert wird. Hierfür sprechen mobilfunkbezogene Nutzungspraktiken, wie sie etwa Daisuke Okabe untersucht hat, der sich in mehreren ethnografisch orientierten Studien mit der Mobilkommunikation im japanischen Alltag auseinandergesetzt hat. Auf Basis einer international vergleichenden Studie zur Nutzung sogenannter mobile kits (vgl. Okabe et al. 2005; Ito et al. 2007; siehe auch Kapitel 4.2.2) legt er dar, wie sich durch das Zusammenspiel verschiedener digitaler Medien bei einigen seiner Probandinnen und Probanden die Arbeit allmorgendlich in die außerberufliche Sphäre der Bahnfahrt verlagerte: Um bereits im Zug beruflich relevante Texte lesen, E-Mails beantworten und Arbeitsmaterialien sichten zu können, übertrugen die befragten Personen zu Hause am Morgen die aktuell benötigten Dokumente vom stationären PC auf das keitai. Auf diese Weise konnten die Daten auf dem kleineren Display der mobilen Geräte schon während der Fahrt bearbeitet werden, der Arbeitsbeginn 69 Typischerweise wird in Japan in Großraumbüros gearbeitet, in denen eine physische Einbindung in den Zusammenhang der Arbeitsgruppe gewährleistet ist und die ständige Ko-Präsenz der Kolleginnen und Kollegen wenig Nischen für individuelle Freiräume lässt (vgl. Pohl 2005: 192). 70 Zeitliche wie inhaltliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind jedoch Eigenschaften, die den japanischen Angestellten auch schon im analogen Zeitalter abverlangt wurde, indem sie etwa zu Beginn ihrer Betriebslaufbahn etliche betriebliche Stationen und Abteilungen zu durchlaufen haben, um unterschiedliche Arbeitsweise, Prozesse und Organisationseinheiten kennen zu lernen (vgl. Coulmas 2005: 192; Hendry 2003: 165).
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wurde somit nach vorne verlagert und erfuhr eine vertikale zeitliche Ausdehnung. Das Mobiltelefon diente hier der Umgestaltung der Bahnfahrt in Arbeitszeit. Im Gegensatz zur Mitnahme von haptischen Arbeitsutensilien erfolgte diese Konversion auf einfache und diskrete Weise, da die benötigten Dokumente digital und miniaturisiert im Display der Mobiltechnologie gelesen und bearbeitet werden konnten. Das keitai lässt sich in diesem Kontext als Katalysator für die komplexen Verschränkungen verschiedener Zeit- und Erlebensformen verstehen. Für die Überlagerung von Arbeitszeit und ‚freier Zeit‘ und die Transformation von Zeitzonen durch den Einsatz mobiler Kommunikationstechnologien ließen sich weitere Beispiele anführen. Das Potenzial, die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben durchlässiger zu machen, ist jedoch keine Eigenschaft, die speziell und ausschließlich dem keitai in Japan zugeschrieben wird. Mithilfe des Mobiltelefons lassen sich abwesende Mitarbeiter in laufende Arbeitsprozesse einbinden oder Kolleginnen auch im Urlaub kontaktieren, wenn deren Führungskompetenz benötigt wird. Dieser Aspekt der durch Mobilkommunikation ermöglichten ständigen Erreichbarkeit, der mit „flexibleren Formen interpersonaler und intraorganisationaler Koordination“ (Geser 2005: 46) verbunden ist, ist in zahlreichen Publikationen thematisiert und diskutiert worden (vgl. z.B. Burkart 2007: 70-76; Gant/ Kiesler 2001; Wajcman et al. 2009). Er erhält in Japan jedoch eine besondere Signifikanz angesichts von (Arbeits-)Zeitvorstellungen, in denen die Präsenzzeit, d.h. die am Arbeitplatz verbrachte oder in Gemeinschaft mit den Kolleginnen und Kollegen verbrachte Zeit, mehr zählt als die Aktivitäten, die diese Zeit ausfüllen, und die Ergebnisse, die daraus resultieren. Ihre Bedeutung entfalten Mobiltechnologien in Japan vor dem Hintergrund, dass sie als Instrumente der Arbeitszeitverlängerung Katalysatoren für die Überschreitung von Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sind, die in Japan aufgrund der familienähnlichen Strukturen in den Betrieben ohnehin nicht sehr trennscharf sind. Gleichzeitig vermögen sie Zeit zu verdichten, indem die Kommunikations- und Unterhaltungsfunktionen des keitai am Arbeitsplatz im Sinne einer temporären Entlastung auch dafür genutzt werden, die dem Primat der Arbeit untergeordnete Zeit mit privaten Inhalten und Kommunikationsbeziehungen zu unterlegen. Hierfür öffnen sich Freiräume, weil die bestimmende Ideologie einer an Präsenz und weniger an Ergebnissen interessierten Zeitordnung nicht so sehr auf eine Selbstorganisation des Arbeitenden und eine Verinnerlichung von Regeln fokussiert erscheint, sondern eher darauf, von ihm das Befolgen von Konventionen und äußerer Regeln zu verlangen. Es zeigt sich hier, dass die mobile Kommunikationstechnologie zu einem flexiblen Instrument wird, das genau die Freiräume ausfüllt, die innerhalb einer spezifischen Form der Strukturierung des Arbeitsalltags zu finden sind.
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5.2.3 Freizeit
Dieses Kapitel setzt sich zunächst mit den Entstehungsbedingungen von Freizeit auseinander, bevor es auf die unterschiedlichen Bedeutungsebenen dreier japanischer Begriffe eingeht, durch die Freizeit definiert wird. Anschließend geht es in einer groben historischen Übersicht darum, wie sich die Diskurse und damit einhergehende Orientierungen von Freizeit gewandelt haben. Es folgt eine Darstellung gegenwärtiger populärer Formen der Freizeitgestaltung, bevor im Anschluss daran analysiert wird, wie sich die Nutzung des keitai in diese Aktivitäten einfügt und auf welche Weise das internetfähige Mobiltelefon selbst zu einem Freizeitinstrument wird. Neben der Schul- und Arbeitszeit bildet die Freizeit eine dritte Dimension sozialer Zeit, die sich im Zusammenhang mit der keitaiNutzung in Japan näher zu betrachten lohnt. Im Allgemeinen hat für individuelle Lebensformen der Begriff der Freizeit erst mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft und der industriellen Produktion eine Bedeutung erhalten, wie Henri Lefebvre in seiner „Kritik des Alltagslebens“ (1977) herausgestellt hat. Während der bäuerliche Alltag von einer organischen Verbindung von Arbeit und Familienalltag gekennzeichnet war, fand im Zuge der veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen eine Ausdifferenzierung des Alltags statt, aus der sich die Freizeit als eigenständiger Bereich herausentwickelte. Die Entstehungsbedingungen von Freizeit sind demnach stark von der Reglementierung der Arbeit und damit einhergehenden Entfremdungsphänomenen bestimmt (vgl. ebd.: 39f.): „Die moderne Zivilisation der Industriegesellschaft erzeugt erst durch die parzellierte Arbeit zunächst ein allgemeines Bedürfnis nach Freizeit, und dann im Rahmen dieses Bedürfnisses differenzierte konkrete Bedürfnisse.“ (Ebd.: 41) Lefebvre verweist damit auf das dialektische Zusammenspiel von Arbeit und Freizeit in der kapitalistischen Gesellschaft, in der Freizeit sowohl einen Bruch mit dem Alltag der Arbeit als auch einen Bruch mit dem Familienalltag darstellt (vgl. ebd.: 42). Die Freizeit stelle dabei nicht nur ein Mittel zur individuellen Regeneration dar, durch das der reglementierte Arbeitsalltag besser ertragen wird, sondern es wird im Zuge der Entwicklung von Freizeitaktivitäten als bedeutender wirtschaftlicher Faktor selbst zu einem Gegenstand ökonomischer Ausdifferenzierung. Wie alle Industrienationen ist auch Japan von der Unterscheidung der beiden Sphären Arbeit und Freizeit gekennzeichnet, die in Folge von Modernisierungsprozessen entstanden ist. Zeit wurde im Zuge dieser Unterteilung zu einem zählbaren ökonomischen Gut, zu einer „quantifiable, controllable and plannable resource at hand“ (Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 492). Auf diese Bedeutung von Zeit als quantifizierbare Größe nimmt der Terminus yoka Bezug, einer der drei laut Manzenreiter und Ben-Ari im Japanischen gebräuchlichen Bezeich-
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nungen für Freizeit. Das Wort, das sich aus den Silben yo (übrig bleiben) und ka (freie Zeit) zusammensetzt, steht für ein Mehr an Zeit oder für die Restzeit, die nach der Arbeitszeit zur freien Verfügung übrig bleibt: „[…] this term fits the logic of modern capitalism which regards time as a sellable and consumable entity with distinct monetary value“ (ebd.: 493). Der Begriff bezieht sich weniger auf eine qualitative Dimension von Freizeit, sondern bezeichnet einen Symbolwert, der sich in Zeiteinheiten messen und gegen andere Werte aufwiegen lässt. Stärker an qualitativen Implikationen von Freizeit orientiert sich der aus dem Amerikanischen adaptierte Begriff rejā (leisure), der Ende der 1950er Jahre Eingang in den japanischen Wortschatz fand und im Hinblick auf Freizeit einen Diskurswechsel einleitete. Die Bezeichnung tauchte als Schlagwort in einer Vielzahl von Termini auf, die dem Lebensgefühl dieser Dekade Ausdruck verliehen. Vor allem die aktive Komponente von Freizeit betont der Begriff asobi (Spiel), der nicht so sehr auf einen Zustand oder eine Zeiteinheit zielt, sondern den Aspekt der Selbstverwirklichung ins Zentrum rückt und zugleich Anwendung in kritischen Diskussionen über Freizeit als soziales Problem fand (vgl. ebd.). Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten verweisen auf die Diskursabhängigkeit von Freizeit, deren Bedeutung sich über die Jahre gewandelt hat. Obgleich sie parallel exstieren und sich nicht gegenseitig abgelöst haben, markieren die Begriffe unterschiedliche Phasen der Wahrnehmung und des Verständnisses von Freizeit (vgl. ebd.: 493f.). Während in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Wiederaufbau Priorität hatte und Freizeit als unproduktive oder gar verschwendete Zeit angesehen wurde, zeichneten sich bereits in den 1950er Jahren einige wesentliche Tendenzen in Bezug auf das Freizeitverhalten in Japan ab, die über etliche Jahre Bestand haben sollten. Hierzu zählte etwa die anhaltend große Popularität von Pferdewetten, Autorennen und Glückspielen, die große Bedeutung der betrieblichen Freizeitorganisation71 sowie erste Bemühungen, Freizeit aktiv auszufüllen und durch den Besuch von Diskussionsveranstaltungen, Theater-, Musikund Literaturkursen an Weiterbildungs- und Selbstverwirklichungsdiskurse anzubinden (vgl. Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 499ff.). 71 Den Angestellten vor allem größerer Unternehmen wurde eine Vielzahl von Freizeitmöglichkeiten geboten, wie beispielsweise Sport- und Badetage, Picknicks, Ausflüge und Feste. Den weitaus größten Anteil des betrieblichen Freizeitvergnügens machten und machen jedoch regelmäßig veranstaltete „drinking parties“ aus (Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 503), die nicht nur integrativ wirken sollten, sondern durch die auch wichtige unternehmerische Ziele verfolgt wurden: „These occasions are ostensibly held for creating integration and maintaining cooperation at the workplace, yet may actually involve the expression of intense workrelated grievances and the management of organizational conflicts.“ (Ebd.: 504)
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Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1960er und 1970er Jahren wuchsen Freizeit- und Konsumkultur immer enger zusammen.72 Der leichte Rückgang der Arbeitszeiten und Überstunden in den 1960er Jahren sowie die verbesserten ökonomischen Bedingungen bildeten den Nährboden für eine größere Kommerzialisierung der Freizeit. Es stand nun mehr Geld und Zeit zur Verfügung, gleichzeitig trieben staatliche Institutionen eine breit angelegte Förderung der Freizeitindustrie voran – teils um die Wirtschaft anzukurbeln, teils aber auch der Auffassung folgend, den Menschen zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft ein breiteres Repertoire an Möglichkeiten des Ausgleichs bieten zu müssen (vgl. ebd.: 505; Steger 2004: 191).73 Neben der Regierung beteiligten sich auch größere Unternehmen an der Einrichtung von Erholungsheimen, Sportplätzen und ähnlichen Freizeitstätten für die Angestellten. Solche und ähnliche Initiativen sorgten in dieser Dekade für eine „normalization of leisure“ (Manzenreiter/ Ben-Ari 2004: 510): Zwar schränkten zeitliche Zwänge die Ausübung von Freizeitaktivitäten noch immer stark ein, es festigte sich in dieser Zeit aber die Vorstellung, dass Freizeit und Konsum einen eigenständigen Wert darstellen, der für die persönliche Entwicklung und Regeneration als essentiell angesehen wurde: „Replacing former concepts of leisure as recreation from hard labor or the search for short-term distractions and pastimes, personal fulfillment and self-deployment became new objectives.“ (Ebd.: 512) Als eine längerfristige Entwicklung lässt sich die allmähliche Verschiebung von einer vornehmlich passiv ausgeübten Freizeit zu einer stärkeren Orientierung an Konzepten der aktiven Freizeitgestaltung feststellen. Freizeit galt als Investition in die Zukunft, für die sich der Einsatz von Zeit rechtfertigte. Zur Förderung von Kreativität, Sozialität und Persönlichkeit schienen vor allem sportliche und kulturelle Aktivitäten als geeignete Zeitvertreibe. Spätestens in den 1980er Jahren fand die Freizeit zunehmend auch um ihrer selbst Willen statt und musste nicht notwendiger Weise einen bestimmten Zweck erfüllen. Spaß und sinnfreies Vergnügen sollten ein Gegengewicht zu den Zwängen des Berufslebens bilden, das trotz der gewachsenen Freizeit72 Japan hat sich in den Jahren der erfolgreichen Industrialisierung zu einem Land entwickelt, das von vielen als eine beispielhafte Konsumgesellschaft charakterisiert wird. Obwohl Freizeit nicht generell mit Konsum gleichzusetzen ist, sind diese beiden Sphären aufgrund ihrer engen Verzahnung auch nicht getrennt voneinander zu denken (vgl. Manzenreiter Ben-Ari 2004: 490). So wird Freizeit in Japan heute „als Zeit definiert, in der man Geld für Unterhaltung ausgibt“, wie Krotz und Hasebrink (2002: 71) feststellen. 73 Auf diese Weise sollte auch einer mit der umfassenden Elektrifizierung der Haushalte und Medien wie Fernsehen und Radio zusammenhängenden zunehmenden Passivität innerhalb des familiären Zusammenlebens entgegen gewirkt werden.
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industrie seinen Stellenwert als alles dominierende Alltagssphäre nicht einbüßte.74 Während der Medien- und insbesondere der Fernsehkonsum seit Mitte der 1990er Jahre immer weiter anstiegen, gewannen zugleich auch die außerhäuslichen Aktivitäten an Bedeutung. Heute finden die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen in Japan – darunter auswärts Essen gehen, Karaoke singen und Ausflüge unternehmen – außerhalb des Zuhauses statt, wie die über die Freizeitpräferenzen der Japanerinnen und Japaner informierenden Statistiken des Japan Productivity Center for Socio-Economic Development (JPC-SED) belegen (vgl. White Paper of Leisure 2007).75 Häufig stellt dabei der Akt der Konsumption den eigentlichen Freizweitwert dar, der Verbrauch von Zeit und Geld wird zum sinnstiftenden Moment der Freizeitgestaltung. Wesentlich beigetragen zu dieser Entwicklung haben die intensive Segmentierung des Marktes und die Entdeckung und Ansprache neuer und immer kleinerer Zielgruppen. Vor allem die Seniorinnen und Senioren wurden als kaufkräftige Konsumierendengruppe mit Wachstumspotenzial erkannt, ebenso zielten Marketingkampagnen vermehrt auf Frauen und Jugendliche unterschiedlicher sozialer Schichten. Abschließend lässt sich somit eine starke Ausdifferenzierung der japanischen Freizeitindustrie festhalten, durch die bei der „search for amusement under constraints of growing time pressure“ vielfältige Interessen bedient werden (Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 519). Zwischen Bewegung und Stillstand: Dominante Muster der (Frei-)Zeitgestaltung Die enge Verbindung von Freizeit- und Konsumkultur manifestiert sich auch in dem konstant hohen finanziellen Aufwand, der in Japan jährlich für Freizeitbelange ausgegeben wird.76 Gerade der Wunsch nach kurzweiliger Zerstreuung und Aktivität rückt Freizeitbeschäftigungen ins Zentrum, die üblicherweise mit Kosten verbunden sind, wie Spielhallenbesuche, Reisen sowie die Teilnahme an kulturellen 74 Die andauernde Dominanz der Arbeit war jedoch nicht nur den betrieblichen Arbeitszeitmodellen geschuldet, sondern rührte auch daher, dass zugebilligte Spielräume und Urlaube aus Angst vor Sanktionen oder aus Rücksicht auf die Kolleginnen und Kollegen häufig nicht in Anspruch genommen wurden, wie es in Japan teilweise auch heute noch üblich ist. 75 Aus dem Statistical Handbook of Japan 2009 geht zudem hervor, dass sich die für ‚aktive‘ Freizeitbeschäftigungen (Hobbys, Ehrenämter und Sport, aber auch Internetnutzung) täglich aufgewendete Zeit im Jahr 2006 auf eine Stunde und 17 Minuten summierte (vgl. ebd.: 182). 76 Die Einnahmen der Freizeitindustrie sind allerdings im Jahr 2006 um 1,6 Prozentpunkte auf 78,9 Billionen Yen gesunken und fielen damit erstmals seit 15 Jahren unter die 80 Billionen Yen Marke – ein Rückgang, den JPC-SED vor allem in den etwas geringeren Aufwendungen für Glücksspiele wie Pachinko (s.u.) begründet sieht (vgl. White Paper of Leisure 2007).
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Veranstaltungen und Kursen.77 Ohne einen umfassenden Entwurf zu den Freizeitvorlieben der Japanerinnen und Japaner liefern zu wollen oder zu können, sollen im Folgenden drei übergeordnete Thesen zu den Freizeitvorlieben in Japan formuliert werden, die auf Basis der Literatursichtung zur japanischen Freizeitindustrie entwickelt wurden. Diese bilden den Ausgangspunkt für eine darauf aufbauende Analyse der keitai-Nutzung im Kontext von Freizeit. (1) Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, wie essen, baden und schlafen, werden zu bewusst erlebten Freizeitritualen aufgewertet: Schon seit Langem gehören zu den beliebtesten Formen der Freizeitgestaltung alltägliche Handlungen, die durch zeitliche Ausdehnung und durch rituellen Vollzug innerhalb einer Gemeinschaft eine Aufwertung als arrangierte Freizeitbeschäftigung erfahren. Während im oft hektischen Berufsalltag wenig Zeit für alltägliche Routinen bleibt, werden in der Freizeit bewusst Freiräume geschaffen, in denen diesen Tätigkeiten in Ruhe und mit Genuss nachgekommen wird. Auswärts zu essen78 gilt bei den meisten Japanerinnen und Japanern als eine besonders attraktive Freizeitbeschäftigung, die durch die überall im Stadtgebiet zu findenden Restaurants, Cafés und izakayas79 begünstigt wird und sich zeitlich flexibel in den Tagesablauf integrieren lässt. Essen erfüllt – wie etwa beim abendlichen Restaurantbesuch mit Kolleginnen und Kollegen – nicht nur eine wichtige gesellschaftliche Funktion, sondern stellt im hektischen japanischen Alltag eine wiederkehrende, mit sinnlichen Reizen aufgeladene Ruhepause dar, bei der auch das ästhetische Vergnügen an kunstvollen Arrangements der Speisen eine Rolle spielt.80 Eine große Bedeutung wird in Japan auch dem rituellen Baden zugeschrieben. Ursprünglich erfüllten die Gemeindebäder (furoya) als Mittelpunkt einer Nachbarschaftssiedlung die Aufgabe, Gemeinschaft zu stiften, denn sie boten nicht nur den kostengünstigen Besuch eines 77 Zu den in Japan besonders beliebten Sportarten zählen Golf, Baseball, Tennis und Bowling. Das Kursangebot reicht von Kochkursen über Gruppen, in denen klassische Brettspiele wie go oder shogi vermittelt werden, bis hin zur Lehre traditioneller japanischer Künste wie Ikebana, Kalligrafie oder das Schreiben von Haikus. Der sicherlich nicht zu vernachlässigende Bereich der Mediennutzung wird in diesem Kapitel nicht weiter vertieft, sondern in Kapitel 5.4 gesondert behandelt. 78 Auf der bereits zitierten Rangliste der bevorzugten Freizeitaktivitäten rangiert an erster Stelle der „Food Service“ (vgl. White Paper of Leisure 2007). 79 Izakayas sind (Trink-)Lokale, in denen auch Essen serviert wird. Die Speisen werden in kleineren Portionen und als Vorspeisen bestellt, in der Mitte des Tisches platziert und von allen geteilt. 80 Nahrung hat in der japanischen Gesellschaft generell einen hohen Stellenwert, das Land zeichnet sich durch seine besondere Esskultur und das breite Spektrum an Lebensmitteln unterschiedlichster Art und Güte aus sowie durch das aparte Aussehen und die kunstvolle Zubereitung und Präsentation der Speisen, die immer auch dekorativen Charakter haben (vgl. Barthes 1981: 33ff.).
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heißen Bades, sondern auch die Möglichkeit eines regen politischen und gesellschaftlichen Austauschs. Obwohl seit den späten 1950er Jahren Bäder und Badewannen in Privathaushalten zur Regel wurden, gibt es heute nach wie vor stark frequentierte öffentliche Badehäuser, die z.B. direkt nach oder sogar während der Arbeitszeit zur Entspannung aufgesucht werden (vgl. Hashizume 1995: 15). Darüber hinaus wird Erholung und Ausgleich im Tagschlaf 81 gesucht, wobei dieses Interesse mit dem Begehren vieler Japanerinnen und Japaner kollidiert, ihre Freizeit aktiv zu gestalten. Dem Konflikt zwischen eigenem Anspruch, gesellschaftlichen Erwartungen und individuellem Bedürfnis nach Ruhe und Erholung wird häufig dadurch begegnet, dass während anderer, vordergründig aktiver und anregungsreicherer Freizeittätigkeiten geschlafen wird, z.B. auf Reisen oder beim Besuch von Sportveranstaltungen und Aufführungen.82 (2) Spiele und Aktivitäten, die hier unter dem Begriff des ‚TechnoEskapismus‘ zusammengefasst werden, stellen ein äußerst wichtiges Segment der japanischen Freizeitindustrie dar. Diese These bezieht sich auf die in Japan hervorstechende Popularität elektronischer Geräte und Gadgets, auf die bei der Ausübung von Hobbys und freizeitlichen Beschäftigungen zurückgegriffen wird (siehe auch Kapitel 5.4.3). An der Spitze dieses Bereichs steht das seit Jahren die Glücksspielindustrie anführende Pachinko, aber auch Karaoke, Videospiele und die Nutzung von Konsolen – sowohl in so genannten gēmu sentā (video game centers), die überall im Stadtgebiet zu finden und meist bis spätabends geöffnet sind, als auch zu Hause (vgl. Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 514)83 – fallen unter diese Rubrik. Pachinko ist ein mit einem Flipper ver81 Passive Freizeitbeschäftigungen wie faulenzen oder schlafen, die unter dem Begriff gorone (herumliegen, ein Schläfchen machen) zusammengefasst wurden, erfreuten sich vor allem in den 1950er Jahren einer großen Beliebtheit. Mit der Verbreitung des häuslichen Fernsehgeräts etablierte sich die von gorone abgeleitete Bezeichnung terene (‚vor dem Fernseher ein Nickerchen machen‘), die auch als Beschäftigung das gewöhnliche Dösen zunehmend ablöste (vgl. Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 506; Steger 2004: 188f.). 82 Diese Beobachtung haben vor einigen Jahren einige Konzerthäuser aufgegriffen, die spezielle Schlafkonzerte in ihr Programm aufnahmen, bei denen durch die Art der Bestuhlung und durch die spezielle Geräuschkulisse eine den Schlaf in besonderer Weise begünstigende Atmosphäre hergestellt wird, in der die Besucherinnen und Besucher gut einschlafen und sich entspannen können. „Ein Schlafkonzert stellt sozusagen den Höhepunkt oder die Essenz dieser Entwicklung dar. Es ermöglicht, die soziale Anforderung, die Freizeit aktiv zu gestalten, mit dem persönlichen Wunsch in Einklang zu bringen, in Ruhe zu schlafen.“ (Steger 2004: 215) 83 Rolf Nohr (2006: 223) macht in Bezug auf Videospiele darauf aufmerksam, in welch starkem Maße digitale Kultur mit einer Kultur des Arbeitens verbunden ist, was sich etwa daran zeigt, dass Computerspiele die bei der Arbeit rhythmisierten Handlungsprozesse in sich aufnehmen und damit quasi Arbeit in einem Freizeitkontext fortsetzen.
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gleichbares, aber weniger Eigenaktivität voraussetzendes Automatenspiel,84 das alleine und überwiegend von Männern in eng bestückten, grell beleuchteten und mit lauter Musik beschallten Spielhallen gespielt wird (vgl. Manzenreiter 1998; Nagashima 1998; Sugimoto 1997: 226f.). Das Spiel ist leicht zugänglich – sowohl in räumlicher Hinsicht, da die Pachinko-Hallen an jeder Bahnstation sowie zahlreich in Einkaufs- und Vergnügungszentren zu finden sind, als auch in Bezug auf die hierfür benötigten Fähigkeiten und Kenntnisse. Von vielen Angestellten wird Pachinko zur Entspannung nach der Arbeit auf dem Nachhauseweg gespielt, wo es, wie Tsutomo Hayama (1995: 33) feststellt, als ein „Erholungsprogramm im Vorübergehen“ dient. „Der Ort vermittelt den Eindruck summenden pulsierenden Lebens weitab vom Stumpfsinn des Alltäglichen. Pachinko besteht zudem aus einer völlig simplen Tätigkeit, deren Ergebnis nach wenigen Sekunden feststeht. Auch jemand, der nur ein paar Minuten Zeit hat, kann für einen Moment hereinkommen und sich entspannen, denn Spielhallen sind überall in bequemer Nähe gelegen, und eine Runde kostet nur hundert Yen.“ (Ebd.: 32f.)
Da das Glücksspiel in Japan offiziell verboten ist und daher von den Pachinko-Betreibern keine Geldbeträge ausgezahlt werden dürfen, werden die Gewinne in Form von Sachwerten, wie Spielzeug, Schokolade und Zigaretten ausgegeben. Tatsächlich sind jedoch hinter jeder Pachinko-Halle kleine „cashing shops“ (Sugimoto 1997: 226) aufgestellt, die die Gewinne in Bargeld umtauschen, sodass von Neuem in die Automaten investiert werden kann. Es verbindet sich hier eine ökonomische Prägung von Freizeit, die mit der bestimmenden Logik von Zeit korrespondiert, mit der Möglichkeit einer flexiblen und ad hoc ausführbaren Freizeitgestaltung. Karaoke85 wurde Mitte der 1970er Jahre in Japan erfunden, ist aber in großen Teilen Asiens weit verbreitet und findet inzwischen auch in einigen europäischen Ländern eine zunehmende Akzeptanz. Entgegen den in Deutschland geläufigen Vorstellungen findet Karaoke in Japan nicht auf Bühnen in Bars oder Kneipen, sondern in extra hierfür eingerichteten Karaoke-Stuben statt.86 Der Rahmen ist somit 84 Eine kleine Kugel, die in den vertikal aufgestellten Maschinen von oben nach unten kullert, muss ihren Weg in bestimmte Löcher finden, um bei erfolgreicher Zielfindung eine ganze Reihe kleiner Kugeln als Gewinn an den Spieler oder die Spielerin zurückzuzahlen. 85 Übersetzen lässt sich der Begriff mit ‚leeres Orchester‘, da die Gesangsspur der begleitenden Musik leer bleibt und von den Beitragenden mithilfe eines mit Text unterlegten Musikvideos gefüllt wird. 86 In den Karaoke-Stuben haben je nach Bedarf ein, zwei, sechs oder mehr Leute Platz, für spezielle Anlässe ist es auch möglich, große Gruppenräume zu reservieren. Die Räume werden stundenweise oder für die ganze Nacht gemietet und sind nicht für den Eintritt Fremder gedacht.
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äußerst intim, lediglich die eigenen Freunde oder Kolleginnen stellen das Publikum, vor dem die Lieder dargeboten werden. Kunihiro Narumi (1995) beschreibt Karaoke als eine „elektrische Geisha“, denn es übernimmt genau wie die japanischen Unterhaltungskünstlerinnen die Aufgabe, andere zu musischen Selbstdarstellungen zu ermutigen, unerkannte Talente zu entdecken und für eine gute und konforme Atmosphäre zu sorgen. Darüber hinaus kommt Karaoke dem Bedürfnis nach ungezwungener Geselligkeit entgegen und es entspricht dem Kollektivitätsprinzip, wobei ähnlich wie bei Pachinko auf Gespräche fast vollständig verzichtet wird – diejenigen, die gerade nicht singen, sind entweder mit dem Aussuchen der Lieder beschäftigt oder beteiligen sich mit den bereitgestellten Percussioninstrumenten als Backgroundmusiker am Geschehen. Als Hauptmotivation für das Karaoke-Singen vermutet Sugimoto (1997: 226) die gemeinschaftliche Entspannung und das kurzzeitige Ausbrechen aus dem kaum Freiräume bietenden und stark reglementierten japanischen Alltag (vgl. auch Narumi 1995; Shitamachi 2000). Zwar sind beim Karaoke auch eine expressive Funktion und die Möglichkeit der Selbstdarstellung von Bedeutung, aber diese Aktivitäten finden in einem sehr stark von Ritualen und von Gemeinschaftsaspekten bestimmten, eng abgegrenzten Raum statt, der nur eine kleine Bühne für Selbstdarstellungen bietet. (3) Mobilität, das Motiv des Unterwegsseins und die Überwindung räumlicher Distanzen gehören zu den wichtigsten Attributen von Freizeit in Japan. Tourismus bildet hier den dritten Komplex der in Japan favorisierten Freizeitbeschäftigungen, er hat in den letzten Jahren noch an Attraktivität und Bedeutung hinzugewonnen (vgl. Manzenreiter/ Ben-Ari 2004: 509, 518). Hierunter fallen Kurztrips im Inland ebenso wie Fernreisen ins Ausland, aber auch Ausflüge, wobei die bloße Freude am Zug- und Autofahren („doraibu“, von dem englischen drive abgeleitet) ebenfalls eine Rolle spielt. Zeitlich finden derartige Unternehmungen meist stark verdichtet statt, da häufig nicht länger als zwei oder drei Tage am Stück Urlaub genommen, aber dennoch ein eng getaktetes Freizeitprogramm erfüllt wird (vgl. Hendry 2003: 202ff.).87 Mit den Getränke servierenden Kellnerinnen und Kellnern wird über eine Gegensprechanlage kommuniziert, die in jedem Raum installiert ist. 87 Zu den Merkmalen japanischer Arbeitskultur gehört es, dass Angestellte nur an wenigen Tagen im Jahr Urlaub nehmen (vgl. Linhart 1998: 14). Offiziell stehen ihnen ab dem zweiten Jahr der Betriebszugehörigkeit zwischen sechs und 20 bezahlte Urlaubstage zu, häufig wird dieses Pensum jedoch nicht vollständig ausgeschöpft. Ein Grund dafür ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ab ihrem dritten Krankheitstag nur noch 60 Prozent des Gehalts ausgezahlt bekommen und daher angehalten werden, Urlaubstage für den Krankheitsfall aufzusparen (vgl. Manzenreiter/Ben-Ari 2004: 509). Ein weiterer Grund ist die hohe Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber sowie den Kolleginnen und Kollegen, denen durch das eigene Fehlen am Arbeitsplatz keine Mehrbelastung zugemutet werden soll, und seit Kurzem auch die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.
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Förderlich für den Tourismus waren zum einen die schrittweise Einführung der Fünftagewoche, wie Steger (2004: 209f.) herausstellt, und zum anderen die günstige Zusammenlegung mehrerer nationaler Feiertage: In der so genannten golden week, von Ende April bis Anfang Mai, während des bon festivals im August oder um Neujahr herum gibt es jedes Jahr drei geballte Phasen hintereinander liegender Feiertage, die trotz der oftmals überlasteten Verkehrswege mit Vorliebe für kleinere Reisen und Ausflüge im Inland genutzt werden, ohne dass dabei auf zusätzliche Urlaubstage zurückgegriffen werden müsste. Während diese zeitliche Strukturierung vor allem ein temporäres, segmentiertes Unterwegssein und Urlaubsverhalten fördert, bedürfen längere Aufenthalte einer besonderen Rechtfertigung. So werden gerade Überseereisen häufig als pauschale Gruppenurlaube unter dem Deckmantel eines Bildungsanspruchs organisiert, durch den die nötige Legitimationsbasis für eine längere, also ein- oder zweiwöchige Abwesenheit vom Arbeitsplatz geschaffen wird (vgl. Kato 1995: 55). Die Inlandreisen erfüllen nicht selten den Zweck, den unter dem ersten Punkt aufgeführten Alltagsritualen wie essen und baden nachzugehen und ihnen fernab des Zuhauses bewusst Zeit einzuräumen (vgl. Steger 2004: 210f.).88 Der Überblick zu den Freizeitvorlieben in Japan spricht für eine starke Ökonomisierung des Freizeitlebens. Die Suche nach Unterhaltung und Zerstreuung, die unmittelbar in Anspruch genommen werden können, sobald sich im Alltag eine Zeitnische dafür öffnet, steht im Vordergrund. Dabei unterstützt das Ausgeben von Geld, z.B. für die Anmietung von Karaoke-Stuben, den Besuch von Veranstaltungen oder die Teilnahme an Glücksspielen, die Konstruktion eines als Freizeit markierten Bereichs. Allein aus ökonomischer Perspektive hat Freizeit somit einen wichtigen Stellenwert in Japan. Da sie häufig im Arbeitskontext und zusammen mit Kolleginnen und Kollegen veranstaltet wird, stellt sie jedoch nicht per se ein eindeutiges Gegensatzpaar zur Arbeit dar. 88 In den Bereich der Tourismusindustrie fallen darüber hinaus die so genannten love hotels, in denen stundenweise oder auch die ganze Nacht Zimmer zum Zweck der ungestörten Zweisamkeit angemietet werden können. Vor dem Hintergrund der oft engen und nicht selten mehrere Generationen umfassenden Großstadtwohnungen werden diese Etablissements nicht nur spontan oder zu besonderen Gelegenheiten aufgesucht, sondern dienen auch langjährigen Paaren als anonymer Zufluchtsort zur Herstellung von Intimität. Ähnlich wie die Badehäuser bieten love hotels Ruhepausen im Alltag, sie sind mit verspielten Attributen aufgeladene Stätten der sofortigen Bedürfnisbefriedigung, die einen größtmöglichen Kontrast zu Arbeitsleben bilden. Love hotels gibt es in ganz unterschiedlichen Preisklassen, manche sind aufwändig ausgestattet, stellen Ausrüstung wie Videokameras u.ä. zur Verfügung oder orientieren sich bei ihrer Einrichtung an einem bestimmten Motto (Unterwasserwelt, Manga-Style etc.) (vgl. Hendry 2003: 205; Sugimoto 1997: 226f.).
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Cave (2004: 403) weist in diesem Zusammenhang, bezugnehmend auf Rohlen (1989: 26f.), auf die Bedeutung gemeinschaftlicher Aktivitäten hin – innerhalb der Schulclubs ebenso wie im Arbeitsleben und in der Freizeit –, bei denen es um die geteilte Anstrengung, aber auch das geteilte Vergnügen geht, durch die eine soziale Gemeinschaft gestärkt wird. Manfé (2005: 26) macht darauf aufmerksam, dass für die Freizeitgestaltung gilt, was auch in den Schulen üblich ist, nämlich eine starke Organisation und Regulierung der gemeinsam verbrachten freien Zeit. Diese zeigt sich nicht zuletzt in dem vergleichsweise großen Angebot an Weiterbildungskursen und Seminaren, die einen relativ verbindlichen Rahmen für den Freizeitvertreib schaffen. Moriya (1995: 39) spricht in diesem Kontext von einer Tradition der „Unterrichtskultur“, die sich im Bestreben vieler Japanerinnen und Japaner äußert, sich durch die freiwillige Teilnahme an Kursen kontinuierlich weiterzubilden. Die neben der Arbeit praktizierte Investition in die Förderung von körperlicher und geistiger Aktivität zeichne sich durch großen Eifer und Fleiß aus, wie Manfé (2005: 26) herausstellt: „So werden etwa Aktivitäten, die Entspannung und Vergnügen bringen sollen, mit einer Zurschaustellung großer Disziplin verfolgt. Vielfach hat es den Anschein, als sei der ganze Spaß wegorganisiert.“ Hier offenbart sich der von Lefebvre beschriebene dialektische Zusammenhang von Arbeit und Freizeit, da beide Bereiche rational gestaltet werden und ähnlichen Mechanismen unterliegen (vgl. Lefebvre 1977: 45). Freizeit, die eilig und effektiv abgearbeitet wird, ist demnach nicht als Bruch, sondern als Fortsetzung von Arbeit mit anderen Mitteln zu verstehen (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 73). Der Mangel an tatsächlicher Freizeit, an Muße sowie der Freiheit, den Tag nach Belieben gestalten und zeitlich strukturieren zu können, scheint zumindest eine Ursache dafür zu sein, dass die Japanerinnen und Japaner trotz der nachweislich gestiegenen Möglichkeiten der Freizeitausübung eher unzufrieden mit ihrer Lebensqualität sind, wie Umfragen zur Lebenszufriedenheit zeigen. Die deutliche Diskrepanz zwischen hohem Einkommensniveau und Lebensglück lässt sich wohl auch anhand des deklarierten Mangels an Zeit erklären und dem Bewusstsein, dass finanzieller Wohlstand die persönlichen (Zeit-)Entbehrungen auf Dauer nicht kompensieren kann (vgl. Kumagai 1996: 34; Steger 2004: 192). Resümierend bleibt festzuhalten, dass viele Freizeitaktivitäten in Japan stark ritualisiert ablaufen und von festen Regeln bestimmt sind. Vor dem Hintergrund der im straffen Arbeitsalltag nur in Maßen zur Verfügung stehenden Zeit ist die japanische Freizeitkultur darauf ausgerichtet, kleine, in den Arbeitsalltag eingewobene Areale zu schaffen. Diese bieten zeitliche Freiräume für die Wahrnehmung von Aktivitäten, die vor allem durch ihre Anbindung an die Konsumkultur als Freizeit bestimmt werden. Da die Freizeitaktivitäten nicht selten einer ebenso komplexen zeitlichen und sozialen Organisation unterworfen
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sind wie das Arbeitsleben, lassen sie sich davon nicht immer klar abgrenzen, sind mitunter gar als Fortsetzung von Arbeit unter anderen Voraussetzungen zu begreifen. Die Rolle des keitai bei der Strukturierung von Freizeit Das keitai ist im Kontext der japanischen Freizeitkultur als eine Technologie zu verstehen, die sich flexibel in den Alltag einpassen lässt und die Möglichkeit schafft, kleine unbesetzte Momente im Alltag mit Tätigkeiten auszufüllen. Mobilkommunikation übernimmt hier die Aufgabe, Leerzeiten zu okkupieren, sie so auszunutzen, dass sie im Sinne einer Ökonomisierung der Zeit optimal genutzt werden. Dass der Aspekt der Zeitausnutzung als eine wesentliche Komponente der keitai-Kommunikation in Japan empfunden wird, untermauern u.a. die Ergebnisse einer Studie von Brian J. McVeigh (2002: 22), in der japanische Studierende nach den Nutzungsmotiven bei der Mobilkommunikation gefragt wurden. Das keitai galt bei ihnen als ideales Instrument, um Zeit zu sparen oder effektiv zu gestalten, etwa dadurch, dass bei der mobilen E-Mail-Kommunikation schneller auf den Punkt gekommen wird als in den durch Floskeln und Höflichkeitsformen angereicherten mündlichen Konversationen. Als Technologie zur Verdichtung von Zeit grenzt sich das keitai somit von Medien wie dem Fernseher oder dem PC ab, denen stärker Konnotationen einer Zeitverschwendung anhaften, wie May und Hearn mit Verweis auf Kenichi Ishii (2004) deutlich machen: „Indeed, the study found that mobile internet use is a ‚time-enhancing‘ appliance while the traditional anchored down PC increasingly becomes a ‚time-displacing‘ device.“ (May/Hearn 2005: 205) Fernsehen fördert allerdings eine stärker auf den Medieninhalt fokussierte und von ihm absorbierte Tätigkeit, während das keitai mehr von einer flüchtigen oder kurzzeitigen Aufmerksamkeit bestimmt ist. Mit Blick auf die Tendenzen des Freizeitverhaltens in Japan wird deutlich, wie das keitai dem Wunsch nach aktiver Freizeitgestaltung und dem Bedürfnis nach unverzüglicher Ablenkung und Zerstreuung in den kleinen Lücken des Alltags gleichermaßen entgegen kommt. Als multimediale Kommunikationstechnologie und mobiles Unterhaltungsmedium (vgl. Peil 2006) bietet es ein abwechslungsreiches Repertoire für den sofortigen Zeitvertreib. Die inhaltliche Ebene der Nutzung ist dabei von nachrangiger Bedeutung, im Vordergrund stehen die Zerstreuung und der Aspekt der Zeitausfüllung, also die Tatsache, dass Zeit für kurze erfüllte Momente verwendet wird und nicht einfach verstreicht – ein Aspekt, der, wie weiter oben gezeigt wurde, ein entscheidendes Merkmal der Konzeptualisierung von Freizeit in Japan darstellt. ‚Killing time‘ (hima tsubushi) führt auch McVeigh (2002: 22) als ein von seinen Probandinnen und Probanden wiederholt artikuliertes Motiv für die häufige Nutzung des keitai und seiner unterhaltungszentrierten Funktionen an. Dass einer der Informanten äu-
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ßerte, nicht zu wissen, was er ohne Mobiltelefon in seiner freien Zeit anfangen sollte, unterstreicht einmal mehr, wie sehr die in Japan dominierende Vorstellung von Freizeit an die Investition von Zeit in die Ausübung bestimmter Tätigkeiten gebunden ist. Als Technologiegebrauch, der unbesetzte Zeiten ausfüllt und vornehmlich der Unterhaltung und Entspannung dient, knüpft die keitaiNutzung überdies an die in Japan äußerst populäre Beschäftigung des Pachinko-Spielens an, wie durch das folgende Zitat von Manzenreiter (1998) deutlich wird: „Furthermore, as pachinko can be played anywhere and at any time it is best suited to the needs of himatsubushi („squashing time“), which refers to the Japano-characteristic „do-complex,“ meaning that an empty space of time that is not spent in activity is not supposed to be.“ (Ebd.: 366)
Die Parallele zwischen keitai-Nutzung und Pachinko-Spiel bezieht sich nicht nur auf den Aspekt der Zeitausfüllung, sie lässt darüber hinaus eine wichtige Ambivalenz des Mobiltelefons in Japan erkennbar werden. Diese besteht darin, dass durch den Gebrauch des keitai einerseits Freizeit konstruiert wird. Denn seine vielfältigen und kreativen Anwendungsmöglichkeiten machen das keitai zu einem idealen Medium der Besetzung zeitlicher Freiräume. Andererseits entsteht Freizeit eben erst durch diese Besetzung, weil sie in Japan als ein Bereich angesehen wird, der aktiv auszufüllen und zu gestalten ist. Da die Ausübung von Hobbys und anderen Freizeitvergnügen in Japan nur in zeitlich limitiertem Rahmen und kondensierter als anderswo stattfinden können (vgl. Linhart 1998: 13), kommt dem keitai zugute, dass es eine zu jeder Zeit und an jedem Ort zugängliche Option der komprimierten Freizeitgestaltung bietet, Freizeit also verdichten und auf diese Weise ausdehnen kann (vgl. May/Hearn 2005: 196). Das keitai übernimmt die Rolle eines Freizeitmediums, mit dem sich Zeitinseln der Zerstreuung und aktiven Entspannung schaffen lassen. Vor dem Hintergrund, dass Individuen zeitlich stark beansprucht werden, sind diese Zeitinseln in Japan wichtiger Bestandteil der Freizeitkultur, die eng getaktet ist und sich zu einem großen Teil aus eben solchen kurzen, aber dennoch relativ deutlich abgesetzten Zeiträumen zusammensetzt. Hier kommt auch wieder die organisatorische Funktion des Mobiltelefons ins Spiel: Als Organisationsinstrument hilft das keitai bei der Konstruktion von Zeitinseln, die auch durch andere Beschäftigungen als die Mobilkommunikation selbst ausgefüllt werden.89 89 Steger beschreibt in diesem Zusammenhang, wie pocket bell und keitai den praktischen Zweck erfüllen, kleinere Ruhepausen vor dem Arbeitgeber zu verheimlichen. Offiziell melden sich die Angestellten im Büro zu einem auswärtigen Diensttermin ab, sind bei Bedarf aber über ihr
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Die mit dieser mobilen Technologie verbundene Ambivalenz kommt nun darin zum Ausdruck, dass das keitai andererseits die Rhythmen und Gesetzmäßigkeiten der Arbeit auf den Bereich der Freizeit überträgt.90 Lash und Urry (1994: 244) sprechen davon, dass digitale Technologien und die durch sie erzeugte ‚augenblickliche Zeit‘ den Ort als sekundär erscheinen lassen und dessen Herrschaft über Menschen, die eine festgelegte Zeit an einem Ort wie dem Arbeitsplatz oder der Schule verbringen, aufhebt. Diese das Mobiltelefon als Mittel der Ermächtigung fassende Perspektive wird durch die Herausstellung seines Potenzials zur Konstruktion von Zeitinseln unterstützt. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass auf diese Weise auch neue Zwänge und Regimenter geschaffen werden. Denn die als Merkmal der japanischen Freizeitkultur bereits herausgearbeitete Fortschreibung der Arbeitszeit in den Bereich der Freizeit wird durch das keitai potenziert – sowohl als Medium der Freizeitverdichtung, das dafür sorgt, dass Zeit nicht ‚ungenutzt‘ bleibt, als auch als Mittel der Freizeitorganisation, das die Freizeit durch flexible ad-hoc-Verabredungen einer noch strafferen und vielfältig segmentierten Struktur unterwirft.
5.2.4 Zwischenfazit Zeit
Das Kapitel hat entlang sozialer Zeitgeber wie Schule und Arbeitsplatz unterschiedliche Verbindungen zwischen kulturell geprägten Zeitmustern, Zeitvorstellungen und Umgangsweisen mit Zeit in Japan und ihrem Zusammenspiel mit mobilfunkbezogenen Möglichkeiten und Erfordernissen hergestellt. Die Ausführungen lassen sich zu fünf übergeordneten Bedeutungsfeldern zusammenfassen. Diese Bereiche sind nicht klar von einander abgrenzbar, sie sind aufeinander bezogen, stellen aber jeweils die Akzentuierung eines spezifischen Spannungsfeldes dar. (1) Intensive zeitliche Beanspruchung in den zentralen Sozialisationsinstanzen: Sowohl in der Schulzeit als auch im späteren Berufsleben findet ein Großteil des Alltags innerhalb von Ausbildungsinstitutionen und am Arbeitsplatz statt. Zeit für Muße, zur freien, unbeaufsichtigten Gestaltung steht in Japan in geringerem Maße zur Verfügung als in Ländern wie Großbritannien oder den USA (vgl. Kumagai 1996: 40f.). keitai zu erreichen, wenn sie heimlich einen Abstecher ins öffentliche Bad, in die Saunen oder ein love hotel unternehmen (vgl. Steger 2004: 199f.). 90 Auch dies mag für das Pachinko-Spiel ebenso gelten wie für die keitaiNutzung. Denn die Beziehung von Mensch und Maschine bestimmt den Arbeitsprozess, angesichts ihrer Erweiterung auf die Sphäre der Freizeit ließe sich argumentieren, dass durch die spielerische Auseinandersetzung mit Technologien arbeitsbezogene Handlungsmuster eingeübt und gefördert werden (vgl. Manzenreiter 1998: 366).
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Der japanbezogenen Fachliteratur zufolge tritt dieser Mangel mit dem Eintritt des Kindes in die Schule und im Jugendalter eklatant in Erscheinung, da durch die starke zeitliche Beanspruchung der Entwicklungsfreiraum enorm eingeengt wird (vgl. Mathias 1998: 433). Die freie, also von institutionellen Zwängen abgekoppelte Zeit verringert sich zusätzlich dadurch, dass neben der Schule Nachhilfe- und andere Förderkurse besucht werden und ein Großteil der Freizeit vom schulisch geprägten Clubwesen beansprucht wird. Auch im Arbeitsleben ist die Freizeit oftmals entweder im Berufskontext angesiedelt oder wird zur individuellen Persönlichkeitsförderung in die Teilnahme an Weiterbildungsangeboten investiert. Die Eingebundenheit in institutionell gerahmte Zeitordnungen prägt auch den Charakter der Zeit: Durch die vertikale Ausdehnung von Präsenzzeiten im Büro oder in der Schule kommt der quantitativen Ebene von Zeit eine vergleichsweise große Bedeutung zu, sie dient hier auch der Artikulation von Arbeitseifer, Lernbereitschaft und Loyalität. Die Zeit ist vordergründig als Arbeitsoder Lernzeit gerahmt, die qualitative Ebene gerät dabei in den Hintergrund. Das keitai schafft hier die Möglichkeit einer Zeitverdichtung, es kann die im institutionellen Kontext verbrachte Zeit in persönliche Zeit umwidmen, da die Fokussierung auf den Aspekt der Anwesenheit gestalterische Spielräume lässt. Phasen fremdbestimmter Zeit erfahren durch die Nutzung des keitai somit eine Transformation in eine Zeit der persönlichen Kommunikation oder Unterhaltung. (2) Starke zeitliche Reglementierung des Alltags: Neben der zeitlichen Beanspruchung ist die starke Reglementierung und straffe Organisation des japanischen Alltags hervorzuheben. Es hat den Anschein, dass jedwede zur Verfügung stehende Zeit in ein Raster einzufügen und einem klar umrissenen Definitionsrahmen zu unterwerfen ist. Regulierungsmaßnahmen kennzeichnen nicht nur die Schulzeit und den außerschulischen Alltag, sondern auch das spätere Berufsleben, da Angestellte oft auch nach der Arbeit noch im Einflussbereich des Unternehmens verbleiben (vgl. Kumagai 1996: 42). Das keitai kann in diesem durchstrukturierten Alltag eine Entlastungsfunktion bieten, mit seiner Hilfe lassen sich das bestimmende Zeitregiment untergraben und temporäre Auszeiten von der dominierenden Struktur von Schule oder Arbeit schaffen. Es kann argumentiert werden, dass die zum Großteil in einem vorgegebenen und von Lehrern, Arbeitgeberinnen oder Kollegen überwachten Rahmen verbrachte Zeit eine selbstständige und aktive Gestaltung von Freizeit beeinträchtigt. Als stets verfügbare und leicht zugängliche Technologie bietet sich das keitai dafür an, freie Zeit zu besetzen und mit Tätigkeit zu füllen, dabei aber weder die institutionell festgelegten Orte zu verlassen noch aus den übergeordneten Strukturen auszubrechen, sondern auf bekannte Muster der Beschäftigung (Spiel, Kommunikation, Technologie- und Mediengebrauch) zurückzugreifen.
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(3) Überlagerung von Arbeits- und Freizeit: Dadurch dass die Aus- und Weiterbildung ebenso wie der Beruf große Teile des Alltags einnehmen und angesichts einer in den Betrieben weit verbreiteten „Kultivierung des Familienmodells“ (Coulmas 2005: 189) häufig in den Bereich der Familie hineinragen, gibt es in Japan zahlreiche Überschneidungen der beiden Sphären Arbeit und Freizeit. Die Freizeit selbst unterliegt ähnlichen Organisationsprinzipien wie die Arbeitszeit, es lässt sich die Tendenz erkennen, sie in Anbindung an die Konsumkultur mit Tätigkeiten auszufüllen und auf diese Weise als Freizeit zu markieren. Das keitai intensiviert die Übertragung der die Arbeit dominierenden Rhythmen und Zeitstrukturen auf die Freizeit zu intensivieren. Zum einen kommt es als Instrument der Arbeitszeitverlängerung zum Einsatz, indem es vormals unbesetzte Zeitphasen effektiv auszunutzen und an den Kontext der Arbeit anzubinden hilft. Zum anderen kann es auch in Bezug auf die Freizeit komplexe Organisationsund Abstimmungsaufgaben wahrnehmen und durch Synchronisierung und Flexibilisierung von Handlungen und Abläufen eine optimale Ausnutzung der beschränkten zeitlichen Ressourcen forcieren. Auf unterschiedlichen Ebenen wird Zeit auf diese Weise einem ökonomischen Prinzip unterworfen, das es zu steuern und zu organisieren gilt. (4) Zeitordnung der Integration als wichtiges Strukturprinzip: Die intensive Ausdehnung von Zeit, die innerhalb eines institutionellen Rahmens wie der Schule oder dem Arbeitsplatz verbracht wird, stellt einen signifikanten Hintergrund für die mithilfe des keitai realisierte Generierung von Zeitinseln dar. Kleine, in den Alltag eingewobene Zeitareale, die einen temporären Ausbruch aus den übergeordneten institutionalisierten Praxen bieten, erhalten ihre spezifische Bedeutung angesichts des hohen Stellenwerts von Präsenzzeit in Japan. Das keitai unterstützt hier eine Struktur der Überlagerung und Integration, wie sie der Philosoph Tetsurō Watsuji für das in Japan vorherrschende Zeitverständnis identifiziert hat, das weniger von einer Ordnung des Nacheinanders geprägt sei und nicht auf die endgültige Überwindung vergangener Zustände ziele (vgl. Heise 2004). Als Technologie, die Zeit neu konnotieren kann, indem sie z.B. eine virtuelle Verbindung zu Freundinnen und Freunden herstellt bzw. aufrecht erhält oder die Anbindung an eine Spiel- und Unterhaltungskultur erlaubt, lässt sich das keitai als Katalysator für die komplexe Verschränkung verschiedener Zeit- und Erlebensformen begreifen. Konzepte wie die polychrone Zeit (vgl. Neverla 2007) oder die zeitlose Zeit (Castells 2001) sind hier insofern anschlussfähig, als dass durch das keitai tatsächlich eine Pluralität und Variabilität von Zeitlichkeit gefördert zu werden scheint. Diese Heterogenität von Zeitordnungen entfaltet sich im japanischen Alltag jedoch innerhalb einer linearen und kontinuierlichen Zeitstruktur, die trotz der zunehmenden Modellierbarkeit von Zeit nachhaltig wirksam bleibt.
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(5) Ineinandergreifen von medientechnologisch induzierten Veränderungen und alltäglichem Zeithandeln: Zuletzt sind alle diese Entwicklungen auch vor dem Hintergrund von durch Medientechnologien gewandelten Zeitvorstellungen – wie der oben erwähnten ‚polychronen Zeit‘ oder der ‚zeitlosen Zeit‘ – zu sehen. Die Veränderung der Akzente von Zeitwahrnehmung, die auch in Begriffen wie „softened time“ (Rheingold 2002: 190) oder „time-space compression“ (Lash/Urry 1994: 242) deutlich werden, treffen auf einen von spezifischen Defiziten und Ordnungen bestimmten japanischen Alltag, innerhalb dessen sie sich entfalten. Die Auseinandersetzung mit dem Zeithandeln in Japan zeigt, dass diesen Begriffen erst in den konkreten Zusammenhängen Bedeutung gegeben werden kann. Das Ergebnis des Ineinandergreifens von medieninduzierten Veränderungen und alltäglichem Zeithandeln lässt sich als eine durch mobile Medientechnologien auf vielfältige Weise segmentierte und aufgebrochene Zeit begreifen. Diese bietet innerhalb von durch Institutionen wie Schule und Arbeitsplatz geprägten Zeitordnungen konkrete Möglichkeiten, unerfüllte Zeit zu besetzen oder Zeitdefizite zu kompensieren.
5.3 BEZIEHUNGEN Auch wenn das Feld Beziehungen hier zu analytischen Zwecken einer eigenständigen Betrachtung unterzogen wird, hängt es mit räumlichen und zeitlichen Arrangements eng zusammen (siehe auch Kapitel 4.3.3).91 Es ist in diesem Kapitel daher nicht intendiert, die Diskussion räumlicher und zeitlicher Phänomene im Zusammenhang mit Mobilkommunikation in Japan als abgeschlossen zu betrachten, da sie naturgemäß auch Eingang in die Beschäftigung mit sozialen Beziehungen und Interaktionen findet. Der Fokus wird jedoch dahingehend verschoben, dass im Zentrum dieses Abschnitts zwischenmenschliches Handeln und Formen der Beziehungsgestaltung stehen. Dabei wird der Blick vor allem auf die traditionellen und gewachsenen Strukturen des Zusammenlebens in Japan gerichtet, wie sie sich im heutigen Alltag ausdrücken und einen wichtigen Bezugspunkt für die Mobilkommunikation darstellen. Im Einzelnen geht es darum zu ergründen, wie Menschen im täglichen Leben miteinander interagieren, wie sie Beziehungen aufbauen und sich in verschiedenen sozialen Kontexten zueinander verhalten. Aus einem makrosoziologischen Verständnis heraus findet dabei eine 91 Giddens (1979: 202ff.) weist darauf hin, dass raum-zeitliche Beziehungen integraler Bestandteil einer jeden sozialen Interaktion sind: „The extension of social systems in space and in time is an evident feature of the overall development of human society.“ (Ebd.: 203f.) Mit der scheinbar banalen Feststellung kritisierte er schon frühzeitig den weit verbreiteten Ausschluss dieser Dimensionen bei der Analyse des Sozialen.
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Annäherung an Interaktionsprozesse statt, bei der nach den übergeordneten gesellschaftlichen Strukturen gefragt wird, durch die Einstellungen, Verhaltensweisen und soziales Handeln mitbestimmt werden. Ohne einem einfachen sozialen Determinismus zu folgen, lassen sich verschiedene kulturell geprägte Faktoren wie Gesellschaftssystem, Werte und Traditionen heranziehen, um ein grundlegendes Verständnis über die in einem kulturellen Raum vorherrschenden sozialen Interaktionsmuster zu erlangen. Zu berücksichtigen ist aber, dass sich Interaktionsprozesse weder allein auf soziale und kulturelle Erklärungen reduzieren lassen noch anhand von individuumszentrierten, psychologischen Ansätzen hinreichend begründet werden können. Soziale Interaktionen sind vielmehr Handlungen, die ihrerseits zu der Konstruktion von sozialen Systemen und Individuen beitragen, die folglich Wissen, Erwartungen und Vorstellungen generieren, von denen die Ordnung sozialer Realitäten abhängt. Diese Position, die Gesellschaft als das Resultat fortwährender Interaktionsprozesse versteht, in denen symbolische Handlungen, Perspektivübernahmen und Deutungsleistungen erfolgen, die diese Interaktionen beeinflussen, wird vor allem von Vertretern des symbolischen Interaktionismus verfolgt (vgl. u.a. Blumer 1969; Mead 1968). So kommt hier auch eine mikrosoziologische Ebene ins Spiel: Da das Soziale keine Konstante darstellt, sondern wandlungsfähig ist, wird die makrosoziologische Perspektive durch theoretische Ansätze ergänzt, die sich stärker auf kleinere soziale Einheiten fokussieren und konkrete Zusammenhänge von Kommunikation – und somit auch Medienkommunikation – erfassen. Soziale Beziehungen haben sich über die Zeit hinweg stark verändert. Während vormoderne Gesellschaften durch die unmittelbare Nähe zu Angehörigen überschaubarer Gemeinschaften geprägt waren, hat sich der Interaktionsradius in der heutigen Zeit enorm erweitert. Gemeinschaft wird nicht mehr nur innerhalb einer Primärgruppe von im lokalen Umfeld wohnenden Familienmitgliedern und Freunden hergestellt. Das Sozialleben hat sich ausdifferenziert und spezialisiert – nicht zuletzt aufgrund der fast alle Bereiche des täglichen Lebens durchdringenden Medien und der damit verbundenen Vielzahl an Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten. Der Handlungsspielraum und die Entscheidungsmacht im Hinblick auf die Art, den Ort und die Zeit der Interaktionsaufnahme und Beziehungsgestaltung haben sich auch dadurch vergrößert, dass mithilfe von Kommunikationstechnologien wie dem Mobil- oder Festnetztelefon über geografische Grenzen hinweg kommuniziert werden kann. Beziehungen und Medienkommunikation: Grenzen einer Systematisierung Kommunikation wird von Krotz (2007b: 5) als die notwendige Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung sozialer Interaktio-
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nen92 und darauf aufbauender Beziehungen genannt. Diese ließe sich als ein Mechanismus zur Herstellung sozialer Beziehungen fassen: Ihr übergeordneter Sinn liege nicht in einer einzelnen Interaktion, sondern diene der Knüpfung von „situationsübergreifenden Beziehungen“ (ebd.). Im Zusammenhang mit Medien kann zunächst zwischen verschiedenen Arten von Interaktionen unterschieden werden. Eine grundlegende Differenzierung ist etwa die Abgrenzung dialogischer Formen (z.B. Kommunikation per Telefon, Brief oder E-Mail) von quasi-dialogischen Formen der Interaktion, bei denen soziale Verbindungen zwischen Medien der öffentlichen Kommunikation (Fernsehen, Radio, Zeitung) und einem anonymen und potenziell endlos großen Kreis Rezipierender hergestellt werden (vgl. Thompson 1995; 2005).93 Unterschiedliche Beziehungsformen lassen sich aber auch auf Basis der verschiedenen Kommunikationstypen ableiten, wie sie in Kapitel 3.2.2 vorgestellt wurden: Soziale Beziehungen wurzeln demnach in der interpersonalen Kommunikation, unabhängig davon, ob sie Face-to-Face oder mediatisiert stattfindet; parasoziale Beziehungen basieren auf der Kommunikation mit standardisierten, allgemein adressierten Kommunikaten und pseudosoziale Beziehungen ergeben sich als neuer Typus aus der interaktiven Kommunikation, „weil derartige Beziehungen wechselseitig erscheinen, es aber nicht sind“ (Krotz 2007b: 11).94 Mit Moores (2005: 73f.) ist darauf hinzuweisen, dass angesichts solcher Systematisierungen zu berücksichtigen ist, dass soziale Inter92 Während Beziehungen, wie in Kapitel 4.4.3 dargestellt, als übersituative und stabilisierte Interaktionsmuster zu verstehen sind, meint soziale Interaktion ein situatives, aufeinander bezogenes Handeln von Menschen (vgl. Krotz 2001: 77). Kommunikation stelle laut Krotz (ebd.) eine Form der Interaktion dar, bei der Informationen übertragen und Bedeutungen generiert werden. 93 Mit den von Thompson (2005) als „mediated quasi interaction“ bezeichneten Interaktionen beschäftigt sich auch der von Horton und Wohl bereits Mitte der 1950er Jahre begründete Ansatz der parasozialen Interaktion, der in der Kommunikationswissenschaft eine breite Rezeption erfahren hat (vgl. Horton/Wohl 1956). Dieser schreibt Medien wie dem Fernsehen quasi-dialogische Aspekte zu und befasst sich vor allem mit der Wahrnehmung und Verarbeitung von Fernsehcharakteren (‚QuasiDialogpartnern‘) durch die Zuschauerinnen und Zuschauer. Thompson (2005) macht deutlich, dass auch eine solche Form der Interaktion, selbst wenn sie nur ein beschränktes Maß an Reziprozität zulässt, als soziale Interaktion zu bezeichnen ist: „But mediated quasi interaction is, nonetheless, a form of interaction. It creates a certain kind of social situation in which individuals are linked together in a process of communication and symbolic exchange. It also creates distinctive kinds of interpersonal relationships, social bonds and intimacy (what I call ‚nonreciprocal intimacy at a distance‘).“ (Ebd.: 33f.) 94 Weiterführende Systematisierungsansätze unterscheiden verschiedene Kommunikations- und Interaktionsformen etwa dahingehend, ob sie einseitig oder wechselseitig, öffentlich oder privat, direkt oder vermittelt stattfinden (vgl. Pürer 1993: 18).
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aktionen nicht isoliert stattfinden. Verschränkungen und Überlagerungen verschiedener Kommunikations- und Beziehungstypen sind in einem zunehmend mediatisierten Alltag möglich und auch wahrscheinlich. Das heißt, dass sich Menschen fast ständig in Situationen befinden, die in irgendeiner Form von Medienkommunikation geprägt sind; sehr häufig sind Medien somit wesentlicher Bestandteil von Interaktionen: Wenn während eines persönlichen Treffens das Mobiltelefon klingelt, wenn eine Diskussion von einem im Hintergrund laufenden Fernseher begleitet wird oder wenn im Internet-Café gleichzeitig via Internet und mit den räumlich Anwesenden interagiert wird, so handelt es sich dabei um Beispiele für pluralistische und hybride Formen sozialer Interaktionen. Eine weitere Problematik der Kategorisierung von sozialen Interaktionsformen in von mediatisierter Kommunikation gekennzeichneten Gesellschaften ergibt sich aus den Spezifika von Medien wie dem internetfähigen Computer oder Mobiltelefon. Da diese Technologien sowohl für die interpersonale wie auch für die interaktive Kommunikation und die Medienrezeption eingesetzt werden können, sind mit ihnen oft vielschichtige Interaktionsformen verbunden, die sich nur schwer einem klar definierten Typus zuordnen lassen (vgl. ebd.). Systematisierungen können somit oft eine Hürde bei der Identifizierung und Analyse neuer kommunikativer und sozialer Praktiken darstellen, die durch neue Medien ermöglicht werden und vormals als sicher gegoltene Grenzen überschreiten. Durch technologische Entwicklungen und die Anpassung der Menschen an komplexere Medienumgebungen haben sich die sozialen Beziehungen verändert. Es ist ein Repertoire an neuen, teils bisher unbekannten Interaktionsformen entstanden, die sich nicht immer anhand konventioneller Kriterien oder Kategorien beschreiben lassen. Ein auf gesellschaftlichem Konsens beruhendes Regelwerk muss sich für sie erst noch durchsetzen. Menschen nehmen das Verhalten ihres Gegenübers wahr, sie versuchen es zu interpretieren und vorauszusagen, um auf diese Weise Kenntnisse über die Regeln des sozialen Lebens zu erlangen, die dabei helfen, angemessen auf andere zu reagieren und das eigene Verhalten verstehbar zu machen. Diese Regeln sind aber nicht stabil, sondern unterliegen im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Veränderungen einem fortwährenden Wandel. Verschiebungen und Aushandlungsprozesse finden insbesondere dann statt, wenn eine neue Technologie Teil des sozialen Lebens wird. Dies verdeutlicht beispielsweise die mit der Verbreitung des Mobiltelefons zusammenhängende Veränderung der Kulturtechnik Telefonieren: Mit dem Mobiltelefon kann an fast jedem beliebigen Ort mit anderen, geografisch entfernten Menschen kommuniziert werden. Spezifische Verhaltensmuster, die für ein ortsgebundenes Telefongespräch Gültigkeit besaßen, bieten hier nun keine Orientierung mehr, weil Mobiltelefonate nicht am intimen Ort des Zuhauses, sondern unterwegs in
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der Öffentlichkeit und teils im Beisein von Dritten geführt werden. Während des Gesprächs, bei dem sich die Telefonierenden auf abwesende Personen und Orte beziehen, wird die Umwelt ausgeblendet oder nur eingeschränkt wahrgenommen – selbst wenn andere Menschen physisch anwesend sind und zu freiwilligen oder unfreiwilligen Mithörenden des Gesprächs werden (vgl. u.a. Höflich 2005; Höflich/Gebhardt 2005b; Ito/Okabe 2005; Ling 2004; 2005). Inzwischen haben sich die Gebrauchsweisen für das per Mobiltelefon realisierte private Telefonieren im öffentlichen Raum verfestigt, wobei sich kulturell höchst unterschiedliche Konventionen herauskristallisiert und etabliert haben. Dies bedeutet aber nicht, dass die Entstehung neuer und ungewohnter Situationen nicht mehr möglich wäre. Mit der ständigen Weiterentwicklung der mobilen Kommunikationstechnologie wandelt sich auch ihr Gebrauchsradius und damit öffnen sich weitere Untersuchungsfelder für die Analyse sozialer Interaktionen.95 Im folgenden Abschnitt stehen im Zentrum die von der keitaiKommunikation geprägten und durch sie modifizierten sozialen Interaktionsformen und deren Entfaltung in der von spezifischen Beziehungsstrukturen gekennzeichneten japanischen Gesellschaft. Der Fokus richtet sich im Besonderen auf die Erkundung kommunikativer Situationen und Settings, in denen Kultur, Technologie und Mensch mit dem vorrangigen Ziel der Beziehungsgestaltung aufeinander treffen. Bevor im Anschluss tiefer gehend auf soziale Interaktionsmuster mit Mobilkommunikation eingegangen wird, werden zunächst die den verschiedenen Beziehungsebenen zugrunde liegenden Werte und Orientierungssysteme reflektiert, die das Zusammenleben in Japan prägen. Beziehungen in Japan Japan wird häufig als eine Kultur beschrieben, die sich im Kontrast zu Ländern wie den USA am Kollektivismus orientiert. Eine Einordnung von Kultur als kollektivistisch oder individualistisch – wie sie gerade in der interkulturellen Kommunikationsforschung häufig vorgenommen und als universell einsetzbares Erklärungsmuster herangezogen wird – greift aber vielfach zu kurz, um zu einem tatsächlichen Verständnis kultureller Unterschiede beizutragen. Nishida (1996: 109) kritisiert daran zum einen, dass schon die Begriffe Kollektivismus und Individualismus im Japanischen anders konnotiert sind als im Englischen. Die korrekte japanische Übersetzung für Kollektivismus laute zentai-shugi – eine Bezeichnung, die häufig auch für die Beschreibung 95 Hier wäre nur an die mobile Rezeption von Fernsehsendungen zu denken, die während einer Bahnfahrt im Beisein mitreisender Fahrgäste stattfindet, oder an das Engagement in einem über das mobile Internet zugänglichen Chatforum, das mittels Navigationsfunktion die geografische Nähe zu den virtuellen Gesprächspartnern anzeigt.
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diktatorischer Staatsformen gebraucht werde. Üblicher sei daher der Ausdruck aidagara-shugi, der aber stärker auf den relationalen und kontextabhängigen Charakter der japanischen Gesellschaft verweist: „[…] members of a contextualistic society share aidagara (interpersonal context), valuing things between people, including relationships and situations.“ (Ebd.) Auch Joy Hendry (2003: 57f.) deutet die Problematik der Begrifflichkeit an, indem sie erläutert, mit welchen Konnotationen die japanischen Bezeichnungen für Individualismus (kojinshugi) und Individualität (kosei) belegt sind. Kojinshugi unterscheide sich nur wenig von dem mit Egoismus zu übersetzenden Begriff wagamama, ist somit eindeutig negativ konnotiert. Dagegen stünde kosei für das Ideal der persönlichen Selbstverwirklichung, das akzeptiert würde, solange es nicht mit den Interessen anderer konfligiere. Des Weiteren betont Hendry, dass die Ausbildung einer individuellen Persönlichkeit trotz Gruppendenkens und Gemeinschaftssinns auch in Japan eine zentrale Rolle spiele: „It should be emphasised, however, that the development of the individual child is not neglected in all this collective activity.“ (Ebd.: 55) Um die Limitationen der KollektivismusIndividualismus-Dichotomie zu überwinden, scheint es daher angebracht, der Beschäftigung mit japanischen Wertvorstellungen und Beziehungsstrukturen ein Bezugssystem zugrunde zu legen, das mit Dimensionen operiert, die ihren Ursprung in der japanischen Sprache und Kultur haben (vgl. Nishida 1996: 109). Einen fruchtbaren Ansatz hierzu liefert Joy Hendry in ihrem Kapitel „Socialisation and classification“ (2003: 46ff.), in dem sie sich mit den einschlägigen Konzepten zum Sozialverhalten in Japan auseinander setzt. Eine wichtige Klassifikation, durch die das gesellschaftliche Zusammenleben in Japan strukturiert wird, ist die Unterscheidung zwischen uchi (drinnen) und soto (draußen). Ursprünglich bezeichnet uchi die unter einem Dach zusammenlebende Hausgemeinschaft, während soto alles das meint, was außerhalb des Hauses liegt. Die beiden Begriffe sind stark wertebehaftet und stehen symbolisch für den Kontrast zwischen der Sauberkeit und Reinheit des Hauses und dem Schmutz und den Gefahren der äußeren Welt.96 Die Trennung zwischen drinnen und draußen ist nicht allein für die japanische Gesellschaft kennzeichnend, wie etwa die Studien von David Morley zur medialen Konstruktion des Zuhauses zeigen, die über die Mechanismen der Inklusion und Exklusion hergestellt wird. Die „boundary maintenance“ ist allgemein ein wichtiger Aspekt des sozialen Handelns, bei dem Medien eine besondere Rolle spielen können (vgl. Morley 2000: 141). Die be96 Rituale wie das Ausziehen der Schuhe im Eingangsbereich, das Waschen beim Nachhausekommen oder der Gebrauch standardisierter Floskeln beim Eintreten oder Verlassen des Hauses verleihen dieser symbolischen Grenzziehung zusätzlich an Gewicht (vgl. Hendry 2003: 47f.).
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sondere Form der Grenzziehung und -aufrechterhaltung in Japan, die sich auch in einem erweiterten Verständnis als die Unterscheidung in Eigengruppe und Fremdgruppe übersetzen lässt, rückt hier wegen ihrer konstitutiven Rolle für das gesellschaftliche Leben in den Fokus der Betrachtung. Diese Unterscheidungen bildeten, so Bachnik (1994: 3), einen „major organizational focus for Japanese self, social life, and language“. Im Laufe eines Lebens wird jeder Japaner einer Vielzahl von uchiGruppen zugehörig. Dies kann der erweiterte Verwandtenkreis sein, die Kindergartengruppe, Schulklasse oder Bürogemeinschaft. Soto bezieht sich dann immer auf die Menschen, die nicht Teil dieser Gemeinschaft sind oder anderen Gruppen angehören. Wichtig ist, worauf Bachnik (1994: 6ff.) verweist, dass mit uchi und soto Gegensätze und Grenzen nicht immer auf die gleiche Weise, sondern stets wieder neu definiert werden. Die beiden Kategorien sind fließende Konzepte abhängig von dem jeweiligen Kontext, in dem sie sich entfalten. Das heißt, was in der einen Situation uchi ist, kann bei anderer Gelegenheit soto sein und umgekehrt. Die japanische Sprache hält eine Reihe weiterer Begriffspaare bereit, durch die die Trennung zwischen einem Außen und einem Innen konstituiert wird, beispielsweise omote (Vorderseite, oberflächliche Erscheinung) und ura (Rückseite; das, was vor anderen versteckt wird), giri (soziale Verpflichtung) und ninjo (persönliche Gefühle) oder tatemae und honne (vgl. Bachnik 1994: 6). Diese Wörter bezeichnen das öffentliche Handeln und die ‚wahren‘ Gefühle, sie stehen für das Verhalten, das innerhalb und außerhalb einer uchi-Gruppe erwartet wird (vgl. Hendry 2003: 49f.). Auch bei tatemae und honne handelt es sich um Begriffe, die nicht fixiert sind und bei denen es zahlreiche Nuancierungen und Abstufungen gibt: „In practice, there is a range of levels of politeness which varies depending on situations and a variety of relationships, and there are various degrees of closeness as well.“ (Ebd.: 50) Im alltäglichen Umgang mit Freunden wie mit Fremden werden komplexe Anpassungsleistungen erforderlich – Goffman würde hier von Situationsmanagement sprechen –, bei denen das Verhältnis von öffentlich-repräsentativem Handeln und dem Agieren als Privatperson genau zu reflektieren ist. Durch Gesten (z.B. Art und Tiefe der Verbeugung) und Mimiken, insbesondere aber durch die japanische Sprache, die für jede Art von sozialer Beziehung einen spezifischen Begriffsapparat bereithält, kann dieses Verhältnis genau ausbalanciert werden.97 97 Dem Gebrauch und der Funktion von Sprache soll im Kontext von Mobilkommunikation ein separates Kapitel gewidmet werden (vgl. Kapitel 5.4.1). Da mittels Sprache auf vielschichtige Weise zwischen Beziehungsebenen differenziert wird, stellt sie aber auch im Rahmen der hier vorgenommenen Diskussion ein wichtiges Bezugsfeld dar.
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Die nuancierte Gestaltung von Beziehungen, die einem komplexen Regelwerk unterliegt, ist in Japan von enormer Bedeutung. Denn die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und die Integration und Partizipation in einer definierten und anerkannten Gemeinschaft werden als äußerst wichtig erachtet.98 Sie finden ihre ideologische Fundierung in drei Leitideen der japanischen Kultur und Gesellschaft – dem Harmoniegedanken, dem Hierarchieprinzip und dem Grundsatz der Gegenseitigkeit (vgl. ebd.; Hendry 2003: 50ff; Manfé 2005: 16). Spätestens mit dem Eintritt in das Schulalter sollen Kinder dazu erzogen werden, sich angepasst zu verhalten und nicht aus dem Rahmen zu fallen oder die Stabilität der Gruppe zu gefährden. Indem sie von Eltern und Lehrern wiederholt dazu angehalten werden, sich in die Lage anderer zu versetzen, sollen sie lernen, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und auf die Interessen anderer Gruppenmitglieder Rücksicht zu nehmen. Orientierung bieten dabei die hierarchischen Strukturen, von denen Gruppen gekennzeichnet sind und von denen vor allem diejenigen profitieren, die älter sind oder einer Gruppe schon länger angehören. Wie bereits in Kapitel 5.2.1 in der Auseinandersetzung mit dem schulischen Clubwesen deutlich wurde, lassen sich Hierarchieprinzip und Homogenität zwar einerseits als Mittel zur Herstellung von Harmonie werten (vgl. Hendry 2003: 52). Sie werden andererseits aber auch als Ursachen für massiven Gruppendruck und rücksichtslosen Zwang zur Konformität angesehen, wie beispielsweise in den Darstellungen von Manfé (2005: 35) deutlich wird.99 Manfé moniert vor allem, dass das Anderssein und die Ausgliederung aus einer Gemeinschaft in Japan so stark stigmatisiert werden, dass die Ausprägung individueller Werte nur sehr eingeschränkt stattfinden kann. Das von Gemeinschaften erfüllte Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Teilhabe wird in Japan – vielleicht mehr als anderswo – auf Kosten der persönlichen Freiheit befriedigt.100 98 „Losing or damaging relations with others is one of a Japanese person’s greatest fears.“ (Nishida 1996: 111) 99 Gruppen- und Konformitätsdruck können beispielsweise auch als Ursachen dafür angeführt werden, warum das keitai gerade unter japanischen Jugendlichen eine relativ rasche Verbreitung erfahren hat. Homogenisierungsprozesse, die im Zusammenhang mit dem Mobiltelefon sicherlich auch anderswo festzustellen sind, scheinen sich in Japan, wo das Ideal der Gleichheit angestrebt wird, deutlich schneller zu vollziehen, während gerade in Deutschland zu beobachten ist, dass es in Implementierungsphasen neuer Technologien immer auch Personen gibt, die sich bewusst – und zu einem Teil sicherlich aus Gründen des Distinktionsgewinns – der Aneignung dieser Innovationen verwehren. 100 Silverstone macht deutlich, dass der Wunsch nach Zugehörigkeit von einer solchen Ambivalenz stets begleitet ist: „Dieses Zugehörigkeitsgefühl kann auch erdrückend sein. Die Grenzen und die Barrieren, die uns schützen, schränken uns zugleich ein. Und doch hassen wir es, ausgeschlossen zu sein, nicht dazuzugehören.“ (Silverstone 2007: 187)
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Nachbarschaften, Freundeskreise oder Verwandtschaftsbeziehungen sind nicht nur geschützte Räume, die von gegenseitigem Vertrauen, Solidarität und Unterstützung bestimmt sein können, solche Gemeinschaften sind auch wichtiger Bezugspunkt für die Identitätsbildung. Medien hängen mit den Prozessen der Gemeinschaftsbildung eng zusammen, da sie neue Formen sozialer Beziehungen und Gruppierungen möglich machen.101 Mit neueren Technologien wie dem Mobiltelefon sind spezifische Möglichkeiten der Gemeinschaftsbildung verbunden, die sich sowohl von Face-to-Face-Begegnungen als auch von Telefongesprächen und von der E-Mail-Kommunikation abgrenzen. Aufgrund seines Potenzials, das Sozialleben in ständiger Reichweite zu halten (vgl. Peil 2007a: 230), ist es zum Beispiel Ausdruck einer virtuellen Meta-Gemeinschaft aller darin gespeicherten Kontakte.102 Das mobile Gerät dient so als ein ständiger Begleiter, der situationsabhängig und je nach Bedarf die Mitgliedschaft in der einen oder anderen sozialen Gruppierung realisieren kann. In den folgenden Abschnitten wird analysiert, welche Rolle das Mobiltelefon bei den sozialen Interaktions- und Aushandlungsprozessen innerhalb und außerhalb von Gemeinschaften einnimmt. Eine Strukturierung des Kapitels erfolgt dabei entlang verschiedener sozialer Einheiten, innerhalb derer die Funktion und der Einsatz des keitai näher beleuchtet werden. Aufbauend auf einer Darstellung der in Japan dominierenden Vorstellungen von Vergemeinschaftung diskutieren die Ausführungen Fragen nach der Festlegung und Auflösung sozialer Grenzen und nach der Konstruktion realer wie virtueller Gemeinschaften durch Mobilkommunikation. Es wird geprüft, inwieweit das keitai zum Erhalt bestehender sozialer Gruppierungen beiträgt und als Mittel zur Etablierung neuer Formen der Vergemeinschaftung eingesetzt wird.
5.3.1 Familie
Gemeinschaften sind, worauf Roger Silverstone (2007: 202) hinweist, immer auch imaginierte und virtuelle Gemeinschaften, d.h., sie stellen das Produkt einer symbolischen Konstruktion dar, welche die aktive Partizipation aller Beteiligten erfordert. Gemeinschaften wie die Fami101 Darunter fällt beispielsweise die Konstruktion von symbolischen und sich aus einer Vielzahl von Individuen zusammensetzenden Rezeptionsgemeinschaften, die sich „durch gleichzeitigen Medienkonsum als Teilnehmer einer nationalen Kultur vereinen“ (Silverstone 2007: 191). 102 „For these young people, the mobile phone is almost always with them, a constant presence that accompanies them even as they move about the house. It is less about the ability to communicate ‚on the go‘ but more the fact that social relations are always close at hand.“ (Ito 2004: 9f.)
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lie beruhen auf sowohl materiellen wie auch symbolischen Grundlagen (vgl. ebd.: 192), und aus diesem Grund lässt sich die Familie nicht ausschließlich als das Gegebene betrachten, sondern auch als das Symbolische, das zum Gegenstand einer komplexen Ideologie werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Familie in Japan als wichtigste Sozialisationsinstanz anzusehen, die bestimmte Voraussetzungen für die Mobilkommunikation liefert, aber zugleich auch einen zutiefst von Ideologie, Imagination und symbolischen Aushandlungen bestimmten Ort darstellt. Die Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Strukturen und Bedingungen des japanischen Familienlebens findet einen wichtigen Ausgangspunkt in der Beschäftigung mit der Tradition des ie, dem japanischen Familiensystem, dessen Werte und Hierarchievorstellungen bis heute in der Mentalität vieler Japanerinnen und Japaner verankert sind und Vorstellungen von Gemeinschaft und sozialen Beziehungen prägen. Das ie, das konfuzianischen Idealen folgend die familiäre Gemeinschaft innerhalb eines Mehr-Generationen-Haushalts organisierte, ist auch heute noch ein Bezugspunkt kultureller und nationaler Identität in Japan. Nach wie vor wird es herangezogen, wenn es darum geht, die ‚kollektivistische‘ Orientierung Japans zu erklären oder auf die Einzigartigkeit und Homogenität des Landes hinzuweisen (vgl. Hendry 2003; Kumagai 1996; Ölschleger 2004; Neuss-Kaneko 1990; Sugimoto 1997). Das ie als Ursprung japanischer Familienorganisation Die Konstruktion von Grenzen zwischen einem Innen und einem Außen stellt eine symbolische Dimension sozialer Interaktionen dar. Dabei ist das Bild der Familie ein wichtiger Kristallisationspunkt für diese Unterscheidung, die die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft bestimmt und durch die Konturierung von Verwandtschaftsverhältnissen, Hierarchien, Regeln, Freiräumen und Selbstbildern das Verhalten und die Beziehungen der Menschen prägt. Der Rahmen dieser Unterscheidung wird in Japan sehr stark von der Ideologie des ie bestimmt, einem Begriff, der sich weniger als Familie denn als Haus oder Haushalt übersetzen lässt.103 Ursprünglich geht diese Form des familiären Zusammenlebens auf ein in Samurai-Familien gelebtes Modell zurück, in dem mehrere Generationen und Verwandte – mitunter auch Nichtverwandte wie Arbeiter und Angestellte – als eine Einheit zusammenlebten. Alle Mitglieder dieser Einheit, auch bereits Verstorbene oder noch nicht geborene Nachkommen, bildeten zusammen das ie. Die interne Struktur des ie
103 Im Englischen findet Hendry (2003: 26) die Bedeutung des Wortes am ehesten in der Bezeichnung ‚House of …‘ (z.B. Windsor) wieder, da dieser ähnlich wie dem Ausdruck ie Konnotationen von Kontinuität und Vererbung anhaften.
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war streng hierarchisch aufgebaut, es gab ein familiäres Oberhaupt, das weit reichende Kompetenzen hatte und alle Entscheidungen traf, die für die Belange der Hausgemeinschaft von Bedeutung waren. Dem Hausvorstand nachgestellt war zunächst der älteste Sohn, die weiteren Positionen wurden entlang von Verwandtschaftsgrad und Geschlecht entschieden, wobei jüngere Brüder, entfernte Verwandte und Frauen im Allgemeinen weniger Rechte hatten. Wichtiges Strukturmoment dieser sozialen Organisationsform ist, das Wohl, den Erhalt und die Beständigkeit der Einheit generell individuellen Befindlichkeiten und Bedürfnissen überzuordnen: „The continuing entity was more important than any individual member, and individual members were expected to find their raison d’être in the maintenance and continuity of the ie.“ (Hendry 2003: 27). Durch das Primat der Kontinuität, das auf Erhalt der Gruppe zielt, wurde es möglich, die Erbfolge auch auf Personen zu übertragen, bei denen zu den ursprünglichen Mitgliedern des ie keine Blutsverwandtschaft bestand. Stand beim Tod des Vaters kein eigener Sohn zur Verfügung, konnte die Leitung des Hauses einem Mann übertragen werden, der durch Heirat mit der Tochter Eingang in die Familie gefunden hatte. Auch Adoptionen oder die Zeugung unehelicher Kinder kamen infrage, um den Fortbestand des ie zu gewährleisten (vgl.: Hendry 2003: 28; Ölschleger 2004: 353). Üblicherweise war jedes ie mit einem bestimmten Berufsstand assoziiert. Die berufliche Spezialisierung gewährleistete die Versorgung aller Haushaltsmitglieder, von denen jedes seinen Teil zur Wirtschaftlichkeit des ie beitrug. Der Anführer des ie kann eher als Treuhänder des ie beschrieben werden, da er nicht als Besitzer, sondern eher als der Verwalter eines gemeinsamen Besitzes verstanden wurde (vgl. Ölschleger 2004: 335). Er verteilte die Aufgaben, war für den Ahnenkult zuständig und genoss einige Privilegien z.B. beim Essen und Baden. Er konnte in bestimmten Fällen aber auch entmachtet werden, wenn er etwa zu despotisch handelte und für die Gemeinschaft nicht mehr tragbar war. Innerhalb des Systems war sowohl die Versorgung der Kinder als auch die der Alten gesichert, wobei es nicht zwingend die Eltern sein mussten, die sich um die Kinder kümmerten. Vielmehr wurde jedem Individuum gemäß seiner Fähigkeiten und hierarchischen Stellung im Familiengefüge ein Aufgabenbereich zugewiesen. Frauen hatten sich dabei ihren Männern unterzuordnen und mussten, wenn sie gerade erst in die Familie eingeheiratet hatten, auch den Anweisungen ihrer Schwiegermutter folgen. Wurde nach einiger Zeit festgestellt, dass sie nicht in das ie hineinpassten, so konnte die Ehe zugunsten einer passenden Verbindung auch wieder aufgelöst und die Frau in ihr ursprüngliches ie zurückgeschickt werden. Die Heirat wurde nicht als ein Abkommen zwischen zwei Individuen betrachtet, sondern als Arrangement zwischen zwei verschiedenen ie, die auf diese Weise zusammenfanden. Liebesbeziehungen zweier gleichberechtig-
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ter Partner spielten in dem ie keine Rolle.104 Das Verhältnis der ieMitglieder untereinander zeichnete sich vor allem durch Wohlwollen, Loyalität und Pflichtgefühl und weniger durch Intimität und persönliche Zuneigung aus (vgl. ebd.). Für Söhne, die in der Erbfolge weiter unten platziert waren, bestand die Möglichkeit, ein eigenes ie zu gründen, das als Ableger eine spezielle hierarchische Verbindung mit dem Haupthaus einging. Zusammen mit anderen patrilinearen Niederlassungen bildete das abgezweigte ie eine größere Einheit, die sich dōzoku nannte. Die ie-Beziehungen innerhalb des dōzoku zeichneten sich durch gegenseitige Unterstützung sowie durch Kooperationen in wirtschaftlichen, religiösen und politischen Angelegenheiten aus. Das soziale Konstrukt des ie bot somit eine Grundlage für die Bildung komplexer Netzwerke, die sich bis heute in der japanischen Gesellschaft wiederfinden lassen. Die Vorstellung, dass alle japanischen Familien vom Kaiserhaus abstammen, wurzelt ebenso in der Idee des ie als kleinster und elementarster Einheit sozialer Gefüge wie teils auch noch heutige Unternehmens- und Organisationsstrukturen, wie Ölschleger (2004: 354) herausstellt. Das ie stellt folglich ein Basismodell für die japanische Gesellschaft dar, in der – anders als dies in den stärker an individualistischen Konzepten orientierten westlichen Kulturen der Fall ist – die eigenen Ziele und Wünsche hinter das Interesse der Aufrechterhaltung der Gruppe zurückgestellt werden. Damit ist das ie Teil einer übergeordneten Ideologie: „Das ie wurde ahistorisch als unveränderliche Konstante der japanischen Geschichte und gleichzeitig als gesellschaftliches und staatliches Grundmuster menschlicher Beziehungen verstanden.“ (Neuss-Kaneko 1990: 83) Aus diesem Grund blieben Elemente des ie auch nach der Öffnung Japans in der Meiji-Ära 1868 und der erzwungenen Anpassung an westliche Rechtsvorstellungen erhalten. Die neuen gesetzlichen Bestimmungen beinhalteten ein patriarchalisches und zutiefst hierarchisches Familienkonzept, das das Recht der familiären Gemeinschaft zuungunsten des Individuums stärkte, dem Hausvorstand das Sorgerecht für die Mitglieder der Hausgemeinschaft übertrug und überdies gewisse Sonderrechte einräumte (vgl. Neuss-Kaneko 1990: 59ff.). Ebenso fanden konfuzianische Moralvorstellungen über den Umweg des „kaiserlichen Erziehungsedikts“ Eingang in die Gesetzgebung (ebd.: 64; vgl. auch Kumagai 1996: 16). In jenem Erlass wurden familienbezogene Werte wie kindlicher Gehorsam (kō) festgeschrieben sowie Loyalität, Treue und Unterwürfigkeit dem Kaiser gegenüber (chu) gefordert – die „Essenz japanischen Nationalwesens“ (NeussKaneko 1990: 64). 104 Eine zu große Zuneigung zwischen Eheleuten konnte bisweilen sogar als nachteilig empfunden werden, wenn sie die familiäre Gemeinschaft durcheinander brachte.
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Modernisierung des traditionellen Familiensystems und zeitgenössische Familienstrukturen Nach Ende des zweiten Weltkriegs wurde die japanische Gesetzgebung umfassend reformiert. Mit der neuen Verfassung von 1946/1947 war das traditionelle japanische Familiensystem in Form des ie offiziell abgeschafft worden, individuelle Persönlichkeitsrechte und die Gleichstellung von Mann und Frau wurden gesetzlich verankert. Eine familiäre Einheit bestand nun aus den Ehepartnern und ihren Kindern, schloss also nicht mehr die gesamte Großfamilie mit ein. Die Einführung dieser neuen Rechtsform stellte einen wichtigen Schritt im Modernisierungsprozess des japanischen Staates dar, obgleich sie keinen unmittelbaren Umbruch der familiären Strukturen auslöste, sondern lediglich einen allmählichen Wandel einleitete. Ziel dieser durch den Gesetzgeber initiierten Entwicklung war es, die undemokratischen Familienideale von bedingungslosem Gehorsam und erzwungener kollektiver Einmütigkeit zugunsten freiheitlicher Werte wie Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und Schutz der Würde des Einzelnen zu beseitigen. Im Zuge dieser Neuordnung gewann das Konzept der Kernfamilie zunehmend an Akzeptanz, wenn auch zahlreiche Konstellationen, Vorstellungen und Handlungsweisen, die sich auf die Tradition des ie zurückführen lassen, bis heute Bestand haben (vgl. Ölschleger 2004: 354ff.; Neuss-Kaneko 1990: 102ff.). Von dem Antagonismus zwischen traditionellen und moderneren Vorstellungen von Familie ist auch das gegenwärtige Familienleben in Japan teils noch geprägt. Gerade die ältere Generation ist es gewohnt, hohe Erwartungen an die Kinder zu stellen und davon ausgehen zu können, später bei ihnen wohnen zu dürfen oder von ihnen gepflegt zu werden. Diese Einstellung konfligiert zunehmend mit dem Bewusstsein für das Recht auf eine individuelle Lebensgestaltung der Jüngeren (vgl. Hendry 2003: 37). Da es von älteren Menschen aber immer noch als überaus stigmatisierend und als Gesichtsverlust empfunden wird, in ein Altersheim überzusiedeln, gibt es eine hohe Bereitschaft bei den erwachsenen Kindern, ihre Eltern später zu sich zu nehmen und für sie zu sorgen. Eine Selbstverständlichkeit ist die Aufnahme der Eltern in den Haushalt eines ihrer Kinder aber heute auch in Japan nicht mehr. Der deutliche Rückgang von Mehrgenerationenhaushalten hat sich vor allem zugunsten von Single-Haushalten und alternativen Wohnkonstellationen, wie Wohn- und partnerschaftlichen Lebensgemeinschaften, ausgewirkt, während sich der prozentuale Anteil von Kernfamilien in den letzten 80 Jahren nicht wesentlich verändert hat. Insbesondere lässt sich ein deutlicher Anstieg von alleine oder in Partnerschaft lebenden alten Menschen konstatieren, deren Wohlergehen aber noch immer, auch aus der Entfernung, im Interesse der Familienmitglieder steht (vgl. Kumagai 1996: 17; Statistical Handbook of Japan 2009):
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„Nevertheless, the reciprocal concern between generations seems to be alive and well in many families, whatever their living arrangements, and the principles of benevolence for loyalty between parent and child have yet to be eradicated at their original level.“ (Hendry 2003: 38)
Findet eine Integration in die Familie eines Kindes statt, wird häufig ein Arrangement getroffen, bei dem die Eltern zu ihrer Tochter ziehen, sofern deren Lebenssituation und Wohnkonstellation dies zulassen (vgl. Gössmann et al. 2004: 208). Während es früher üblich war, dass im Falle eines Betreuungsverhältnisses die Töchter ihren Beruf aufgaben, um sich in Vollzeit um Eltern oder Schwiegereltern zu kümmern, hat gerade in den letzten Jahren ein neues Modell an Popularität gewonnen, bei dem die Alten – ähnlich wie betreuungsbedürftige Kinder – in Tagesstätten für Seniorinnen und Senioren untergebracht werden und erst abends zu den Familien zurückkehren. In einer Gesellschaft wie Japan, die stärker als andere von Problemen des demografischen Wandels und der Überalterung betroffen ist,105 wird zunehmend nach Lösungen wie dieser gesucht, die einerseits kostengünstiger als Heimplätze sind und anderseits nicht der Berufstätigkeit von Frauen im Weg stehen. Sie sollen ein akzeptable Alternative für ältere Menschen bieten, die der Familie nicht zur Last fallen, aber auch nicht ins Heim abgeschoben werden wollen. Die Pflege der Eltern ist nur einer von vielen Bereichen, die deutlich machen, welchen Einfluss die Familienstrukturen des ie bis heute haben. Auch lange nach der Abschaffung des ie-Systems zeigen viele japanische Familienmodelle noch eine enge Verbundenheit zwischen den Generationen, die sich zwar nicht mehr in einer streng hierarchischen und von ökonomischer Abhängigkeit gekennzeichneten Organi105 In keinem Land wird ein so hohes Durchschnittsalter erreicht wie in Japan (im Jahr 2008 hatten neugeborene Mädchen eine Lebenserwartung von 86 Jahren, Jungen von 79 Jahren), der gesellschaftliche Alterungsprozess verläuft deutlich schneller als in den USA oder in Europa (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 13). Gleichzeitig werden immer weniger Kinder geboren. Die Geburtenrate ist von 2,13 im Jahr 1970 auf 1,37 (2008) gesunken, wobei seit dem Tiefstand von 2005 der Trend wieder langsam aufwärts geht (vgl. ebd.). Die Zahlen sind vergleichbar mit der Situation in Deutschland, wo durchschnittlich 1,3 Kinder zur Welt gebracht werden (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland 2006). Die zunehmende Lebenserwartung, die vor allem auf Fortschritte in der medizinischen Versorgung, ein allgemein stärker ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein und die relativ ausgeglichenen Lebensbedingungen zurückzuführen ist, hat den Anteil der Erwerbstätigen deutlich zurückgehen lassen. Japan befindet sich in einer „demographic crisis“ (Sugimoto 1997: 73): immer weniger Beschäftigte (zuletzt 64,5 Prozent mit absteigender Tendenz) müssen für die Versorgung von immer mehr Menschen aufkommen, die nicht zur Produktivkraft des Landes beitragen (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 11).
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sationsform manifestiert, der das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung aber als grundlegendes Element des japanischen Familienlebens nach wie vor eingeschrieben ist. Die Familie stellt somit einen wichtigen Bereich einer auf spezifischen Vorstellungen von Gemeinschaft beruhenden Gesellschaft dar, in der die Verfolgung individuumszentrierter Lebensentwürfe von sekundärer Bedeutung ist. Mobilkommunikation und familiärer Wandel Anhand des Gebrauchs von stationären und mobilen Kommunikationstechnologien in Japan lassen sich Symptome eines Wandels familiärer Beziehungen beschreiben, die sich als Tendenzen der Individualisierung deuten lassen. Mobilkommunikation bezieht sich zwar auch auf die Artikulation von Gruppenidentitäten und auf die boundary maintenance, die mit der Ideologie des ie verknüpft ist. Sie verbindet sich aber in der Konstruktion der Familie mit einer größeren Aktivität und Flexibilität, durch die bestimmte Freiheiten gesichert werden können und auf Veränderungen reagiert werden kann. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt wurde (siehe Kapitel 5.1.4), hat sich die Zeit, die junge Leute in ihrem Zuhause verbringen, in den letzten 20 Jahren verringert. Freizeit findet heute größtenteils außerhäuslich statt und es zeigt sich inzwischen die Tendenz, sie etwas stärker an individuellen Vorlieben und beruflichen Notwendigkeiten auszurichten als in früheren Zeiten (siehe auch Kapitel 5.2.3). Diese Entwicklung, die sich auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen bemerkbar macht, korrespondiert mit einem gewandelten Verständnis von Beziehungen. Familiäre Kommunikation wird zunehmend als etwas angesehen, das aktiv hergestellt und gepflegt werden muss; zu investieren sind insbesondere Zeit und Engagement, damit die Familie als solche funktioniert. Die gewachsene Aufmerksamkeit für die Anforderung, das familiäre Zusammenleben der eigenen Gestaltungsmacht zu unterwerfen, machte sich Mitte der 1980er Jahre die Kampagne einer privaten Telefongesellschaft zunutze, in der für so genannte kaeru calls geworben wurde (vgl. Matsuda 2005b: 130f.). Es handelt sich dabei um Telefonanrufe, in denen die Familie zu Hause (üblicherweise Frau und Kinder) darüber informiert wird, zu welcher Zeit der Anrufende (üblicherweise der Vater) abends von der Arbeit nach Hause zurückkehrt. Matsuda sieht in dieser kulturellen Praktik, die in Japan als Symbol für einen liebevollen und fürsorglichen Umgang in der Familie steht, einen relevanten Bezugsrahmen für die Bedeutung der innerfamiliären Mobilkommunikation: „Behind the image of loving phone contact is an emergent social equation: if family bonds are embodied in these routine communications, without these forms of contact the family could disintegrate. This pervasive conception of the family, popular now, was unthinkable a mere fifty years ago.“ (Ebd.: 131)
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Die Werbekampagne zur Popularisierung von kaeru calls kann im Zusammenhang mit einem allgemein gewachsenen Bewusstsein für die Bedeutung von Kommunikation in Japan seit den 1980er Jahren gesehen werden.106 Die Nutzung des Mobiltelefons bindet sich an diesen Diskurs an, in dem die technisch vermittelte Kommunikation mit Beziehungspflege und dem Streben nach familiärem Zusammenhalt assoziiert ist. Da dem Festnetztelefon schon in früheren Zeiten zugeschrieben wurde, zur Wahrnehmung familiärer Aufgaben und als Vergemeinschaftungswerkzeug eingesetzt zu werden, verlieren Befürchtungen, dass durch das keitai familiäre Strukturen aufgelöst werden – etwa weil sich die Kommunikation so individualisiere, dass kein Familienmitglied mehr über die Kontakte der anderen Bescheid wisse – ihre Deutungshoheit. Das Bild der Familie, die sich regelmäßig per keitai kontaktiert und mittels mobiler Technologien zu kommunizieren versucht, passt sich offenbar einem gesellschaftlichen Kontext an, in dem es die Neigung gibt, Familie als imaginierte und daher hergestellte Gemeinschaft aufzufassen, in der ein quantitativer Anstieg der familiären Kommunikation positiv konnotiert ist. Als mobile Medientechnologie, die kommunikative Verbindungen vereinfachen oder ermöglichen kann, fügt sich das Mobiltelefon in die bestehenden Familienstrukturen ein. Mit der Zunahme der über das Mobiltelefon abgewickelten familiären Beziehungsgestaltung findet in der Regel keine Neustrukturierung der Familien-Kommunikation statt. Vielmehr zeigen sich keitai-Konnektivitäten vor allem dort, wo auch ohne technische Hilfsmittel schon viel kommuniziert wird, wie etwa in der Mutter-Kind-Interaktion (vgl. Matsuda 2005b: 132f.). Das keitai hat die gewachsenen Formen der familiären Interaktionen somit nicht grundlegend verändert, sondern lediglich Verschiebungen herbeigeführt – in Abhängigkeit von kulturellen Bedingungen, Strukturen und Vorstellungen. Auf eine dieser Verschiebungen macht etwa Jun Ayukawa (2003: 153) aufmerksam, die die Verbreitung des keitai mit einem häufigeren und längeren Fernbleiben Jugendlicher von ihrem Zuhause in einen Zusammenhang bringt. Ein Grund für diese Entwicklung sei das durch das keitai vermittelte Gefühl der Sicherheit, das das elterliche Kontrollbedürfnis befriedigt. Das Mobiltelefon fungiert hier als eine Art „Nabelschnur zwischen Eltern und Kindern“ (Glotz et al. 2006: 15), die die jederzeitige Kontaktaufnahme zwischen Eltern und Kindern und die gegenseitige Vergewisserung des Wohlergehens ermöglicht. Ayukawa ist der Ansicht, dass mit dem keitai Jugendlichen größere Freiheiten zugestanden werde. Die Eltern er106 Dies zeigt sich beispielsweise auch in der Wahrnehmung mangelnder Familienkommunikation als soziales Problem und wird darüber hinaus anhand der zahlreichen Untersuchungen deutlich, in denen danach gefragt wird, wie viel Zeit im Alltag für Gespräche zwischen Mann und Frau oder mit den Kindern bleibt (vgl. Möhwald 2004).
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füllen ihre Aufsichtspflicht durch das Aufrechterhalten des Kontaktes, ohne notwendig über ihren tatsächlichen Aufenthaltsort informiert zu sein. Dadurch habe sich bei vielen die Einstellung im Hinblick auf Ausgehzeiten und Erziehungsfragen gelockert: „However, with the widespread use of mobile phones, parents have become less strict in enforcing curfews. Children have convinced their parents that they can call and check up on them at any time, so the parents have relented and allowed their children to stay out late or overnight at a friend’s house.“ (Ayukawa 2003: 154)
Hier zeigt sich eine Parallele zu Feldhaus’ Untersuchung der Funktionen des Mobiltelefons innerhalb von Familien in Deutschland: Wichtiges Motiv für die Mobilfunknutzung bei den Eltern war die Erweiterung des eigenen Handlungsspielraums bei der Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben. Indem sie sich und ihre Kinder mit einem Mobiltelefon ausstatteten, wussten die Eltern, dass sie im Notfall erreichbar sind und hatten auf diese Weise Kontrolle über Situationen, in denen sie nicht persönlich anwesend sein konnten (vgl. Feldhaus 2004: 108). Im Kontrast zu dieser positiven Interpretation der Kontrollfunktion durch das keitai wäre jedoch anzumerken, dass die Ermöglichung von Freiheiten auf der Basis einer virtuellen und symbolischen Ausweitung der von den Eltern kontrollierten Zonen im Leben des Kindes erfolgt. Diese Ausweitung bedeutet, dass auch dieser Bereich kein von dem familiären Leben gesonderter Bereich bleibt. Hier zeigt sich die Tendenz, dass die von dem keitai gebotenen Freiräume keine Transformation der Ordnung anzeigen, sondern auf die Integration des Medienhandelns in diese Ordnung verweisen. Dies wird sich auch in den folgenden Abschnitten zeigen, die danach fragen, in wie weit das keitai kommunikative Verbindungen innerhalb der Familie zu intensivieren, modifizieren oder umzugestalten vermag. Im folgenden Abschnitt wird aber auch deutlich, wie bestimmte Anwendungen des keitai im Zusammenspiel mit den die japanische Kultur prägenden Gemeinschaftsvorstellungen einige mit digitaler Technologie verknüpfte Ungleichheiten auszugleichen helfen können. Die keitai-Nutzung älterer Menschen im Kontext der Digital Divide Debatte Die Aufmerksamkeit wird zunächst auf den keitai-Gebrauch Älterer gerichtet und somit auf Angehörige einer Nutzergruppe, die in Bezug auf eine medientechnologische Deprivation oft als gefährdet angesehen wird. Als problematisch gilt, dass viele ältere Menschen – wie auch andere benachteiligte Teile der Gesellschaft – entweder weniger schnell den Anschluss an medientechnologische Entwicklungen finden oder von Innovationen wie dem Internet und dem Mobiltelefon gänzlich ausgeschlossen bleiben. Diesen im Kontext der Digital Divide Debatte
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erhobenen Befürchtungen ist durch die Verbreitung des internetfähigen keitai in Japan gerade auch in den als weniger technik- und onlineaffin erachteten Zielgruppen entgegengesteuert worden, wie die folgenden Ausführungen veranschaulichen. Die symbolische Prägung der Generationenbeziehung durch die Tradition des ie kann dabei als eine wichtige Voraussetzung für die Implementierung des Mobiltelefons in das Medienmenü von älteren Nutzerinnen und Nutzern angesehen werden. Sowohl beim keitai als auch beim stationären Computer handelt es sich um hochentwickelte Technologien, die den Anschluss an das Internet bzw. den Zugang zu internetäquivalenten Diensten bieten (siehe Kapitel 2.2). Gerade für ältere Menschen, die in der Regel keine beruflichen Kontakt zu Medientechnologie haben, scheint das keitai leichter zugänglich zu sein als der PC, wie die Zahlen zur Verbreitung beider Geräte belegen. Im Jahr 2008 nutzten 75,4 Prozent der japanischen Gesamtbevölkerung ein keitai und 64,1 Prozent machten von einem Computer (nicht Internet!) Gebrauch. Während ausschließlich bei den unter 20-Jährigen die Computernutzung weiter verbreitet war als der keitai-Gebrauch, ließ sich in allen anderen Altersgruppen eine größere Reichweite des keitai feststellen. Dabei gilt: je höher die Altersgruppe, desto deutlicher die Differenz zwischen Reichweite von keitai und PC, wie die Angaben in Abbildung 7 verdeutlichen (vgl. Communications Usage Trend Survey 2008: 8). Abbildung 7: Keitai- und PC-Nutzung nach Altersgruppen Usage Rate of Mobile Phones and PCs (by age groups, end of 2008, in %) 97,3
100
89,3
90 80 70
96,7
94,8
90,4 86,0
83,6
85,7
88,4
Mobile phone PC
78,6
75,4 67,9
64,1
63,6 54,5
60
48,5
50
40,6
40
29,8
27,3
30
25,4 20,6
20 6,2
10 0 Total (n=13,680)
6-12 (n = 1,028)
13-19 (n = 1,499)
20-29 (n = 1,729)
30-39 (n = 1,956)
40-49 (n = 2,449)
50-59 (n = 2,862)
60-64 (n = 1,091)
65-69 (n = 302)
70-79 (n = 538)
80 and up (n = 226)
Quelle: Communications Usage Trend Survey 2008: 8 Angesichts der vergleichsweise hohen Bereitschaft älterer Japanerinnen und Japaner, Zeit und Geld in die Beschäftigung mit dem keitai zu investieren, ist zu prüfen, in wie weit das keitai von Älteren für den Zugang zum Internet genutzt wird. Die oben aufgeführten Nutzungsdaten bezogen sich lediglich auf den Gebrauch der Basistechnologien PC und Mobiltelefon, und nicht speziell auf die Nutzung des Internets. Bei der Berücksichtigung der Inanspruchnahme von Onlineanwendungen zeigt sich, dass in den letzten Jahren ein Wandel eingesetzt
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hat: Während im Jahr 2005 Onlineanwendungen per keitai in der Altersgruppe der über 65-Jährigen deutlich seltener in Anspruch genommen wurde als per Computer, hat sich dieses Verhältnis inzwischen umgekehrt (vgl. Communications Usage Trend Survey 2005 und 2007107). Von denjenigen, die täglich auf das Internet zugreifen, nutzen mehr Menschen über 65 Jahre ihr keitai für den Onlinezugang als den PC. Das Anwendungsspektrum des keitai bleibt in den höheren Altersgruppen also nicht begrenzt, für viele stellt sich die Mobiltechnologie als eine geeignete Möglichkeit dar, regelmäßig auf die Dienste des Internets zuzugreifen. Die in Bezug auf weniger internetaffine Menschen geäußerte Hoffnung, dass das keitai zu einer Reduzierung des Digital Divide beitragen könne, scheint für die ältere Generation also durchaus ihre Berechtigung zu haben.108 Die durch Traditionen geprägten Verpflichtungen der jüngeren Generation gegenüber der älteren könnten ein wichtiger Impuls dafür sein, dass ältere Menschen in Japan mithilfe von Kommunikationstechnologien wie dem keitai stärker in familiäre Kommunikationsprozesse integriert werden. In den Texten zur Mobilfunknutzung von Seniorinnen und Senioren finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass die Einbindung der Großelterngeneration in die familiäre Kommunikation eine wichtige Rolle für die Anschaffung eines keitai spielt. Die Initiative zum Kauf geht nicht unbedingt von den Älteren aus, häufig werden diese durch ihre Angehörigen mit einem mobilen Kommunikationsgerät ausgestattet, die nach Möglichkeiten suchen, ihre älteren Verwandten anschlussfähig zu halten.109 Diese Versuche sind aber 107 Im Communications Usage Trend Survey 2008 liegen hierzu keine Angaben vor. 108 Dabei muss jedoch Erwähnung finden, dass es sich beim stationären und mobilen Internet um zwei verschiedene Zugangstechnologien handelt, die analog zur Beschaffenheit ihrer jeweiligen Hard- und Software mit unterschiedlichen Implikationen verbunden sind und keinen gleichwertigen Onlinezugang bieten (siehe hierzu ausführlicher Kapitel 5.4.2). 109 In seinem keitai log auf der Internetseite „Japan Media Review“ beschreibt der Japaner Toshiharu Nakamura (2004), wie seine Familie gemeinsam die Entscheidung traf, den Großvater zu seinem 80. Geburtstag mit einem Mobiltelefon auszustatten – einerseits um ihn auf diese Weise mit seinen Freunden in Kontakt zu bringen (von denen einige bereits ein keitai besaßen) und andererseits um ihn in allen Lebenslagen, gerade in Notfällen oder auf Reisen, erreichen zu können. Um mögliche Irritationen des Großvaters von vornherein auszuschließen, wurde das Mobiltelefon von der Familie altengerecht präpariert, bevor es als Geschenk übergeben wurde: Man wählte ein Gerät mit besonders großem Display, schrieb eine zusätzliche, personalisierte Gebrauchsanweisung und speicherte wichtige Nummern von Familienmitgliedern in das Gerät ein. Zudem wurde dem Medium anhand eines Fotos der beiden Enkel auf dem Display eine persönliche, familiäre Note gegeben, wodurch Ängste vor der Technologie gemindert und die Anreize zu ihrer Nutzung und Aneignung erhöht wurden (vgl. Kapitel 5.4.3).
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auch von dem Bedürfnis motiviert, durch den keitai-Gebrauch eigene Freiräume zu erweitern. Es handelt sich hier um ein ähnliches Motiv wie die von Ayukawa (2003) und Feldhaus (2004) beschriebene Möglichkeit der Kontrolle von Kindern in außerhäuslichen Bereichen durch mobile Kommunikationsmedien. Diese Möglichkeit bezieht sich in Japan wegen des gesellschaftlichen Drucks, ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der sozialen Gemeinschaft nicht auszuschließen, auch auf die ältere Generation.110 Als Technologie zur Wahrnehmung kommunikativer Aufgaben innerhalb der Familie eignet sich das keitai nicht nur aufgrund seiner im Vergleich zu PC/Internet leichteren Bedienbarkeit und größeren Handlichkeit. Auch die geringeren Anschaffungskosten und die weniger aufwändige technische Infrastruktur spielen eine Rolle für die größere Zugänglichkeit der Medientechnologie, worauf Misa Matsuda (2005a: 33) hinweist (siehe auch Kapitel 2.2). Dass sich die Hardware des keitai modifizieren und nach individuellen Vorlieben gestalten lässt, erleichtert den Abbau weiterer Hürden (siehe Kapitel 5.4.3). Die Möglichkeiten der Personalisierung und Anpassung an die spezifischen Gebrauchsformen der Nutzerinnen und Nutzer machen das keitai zu einer Technologie, die Ältere nicht überfordern muss und ihnen unmittelbare Gratifikationen bieten kann. Das mobile Medium wird durch einen aktiven Prozess der Aneignung ‚familiär‘ gemacht und durch die symbolische Markierung als Familienmedium – beispielsweise anhand von in die Technologie integrierten Fotografien der Enkel – den traditionellen Vorstellungen von sozialen Beziehungen angepasst. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Implementierung des keitai nicht vor dem Hintergrund einer Zersetzung sozialer Beziehungen stattfindet, sondern auch ausdrücklich ihrer Aufrechterhaltung dient. Lebensstile und Zusammenleben von Frauen und Männern Eine traditionelle Geschlechterrollenverteilung ist in Japan noch immer weit verbreitet, obgleich die vollständige Gleichberechtigung von Mann und Frau seit Kriegsende in der unter Einfluss der USA ent110 Die Aussicht auf gesellschaftliche Partizipation und Integration ist neben den geringen Betriebsrenten sicherlich auch ein Grund dafür, warum sich viele ältere Menschen – sofern sie noch fit genug dafür sind – nach ihrer Pensionierung um eine (meist weniger qualifizierte und niedrig entlohnte) Anstellung bemühen. Im so genannten „silver business“ (Hendry 2003: 35) können sich Pensionäre in Arbeitsprogrammen engagieren, die von der Regierung unterstützt werden; meist handelt es sich um Hilfsarbeiten, wie die Verkehrsregelung vor Baustellen und Parkplatzausfahrten u.ä. (vgl. ebd.: 36). Bei der Entscheidung für die Anschaffung eines keitai dürfte bei einigen somit auch das Motiv eine Rolle gespielt haben, Beschäftigungsangebote flexibel wahrnehmen zu können, jederzeit erreichbar und einsatzbereit zu sein und den Anschluss an neuere Entwicklungen nicht zu verpassen.
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standenen japanischen Gesetzgebung verankert ist (vgl. u.a. Hendry 2003; Ölschleger 2004). Bis heute zeigen sich deutliche Geschlechterunterschiede in fast allen Bereichen des täglichen Lebens – angefangen bei den verschiedenen gesellschaftlichen Erwartungen, die an Männer und Frauen gestellt werden, bis hin zu ungleichen Rollenzuweisungen in Wirtschaft, Politik, Arbeitsleben und innerhalb der Familie. Modernisierungsprozesse haben das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zwar verändert und Impulse für einen allmählichen Wandel gesetzt, zentrale Asymmetrien aber nicht aufgehoben. Im Mittelpunkt dieses Abschnitts stehen die in Japan gelebten Geschlechterrollen und ihre historische Fundierung. Die Nutzung des keitai findet, wie im darauf folgenden Abschnitt dargestellt wird, ihre Grenzen innerhalb der Unterscheidung von weiblicher und männlicher Lebenswelt. Im häuslichen Zusammenleben ist die mobile Technologie in vielerlei Hinsicht als Medium zur Reproduktion und Affirmation einer traditionellen Aufgaben- und Rollenverteilung zu verstehen. Die japanische Gesellschaft lässt sich als äußerst androzentrisch begreifen, sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Stellung der Frau vorwiegend noch immer im privaten oder halböffentlichen Bereich gesehen wird (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 64). Nach konfuzianischer Lehre ist die Frau dem Mann untergeordnet, sie hat seinen Anweisungen Folge zu leisten und ihn zu ehren. Lange Zeit war das familiäre Miteinander von dieser Grundidee geprägt, obwohl schon während der Meiji-Regentschaft erste Reformen umgesetzt wurden, die den Frauen mehr Rechte und Freiheiten einräumten. Innerhalb der ehelichen Partnerschaft war es traditionell der Mann, der das Sagen hatte und der über die Belange der Frau bestimmte. Arrangierte Ehen, die der Zusammenführung zweier Hausgemeinschaften dienten, waren in der Meiji-Zeit die übliche Form der Verheiratung. Liebesehen waren gesetzlich erst seit 1946/1947 vorgesehen, als mit Artikel 24 eingeführt wurde, dass die Eheschließung ausschließlich auf dem Willen der beiden Partner basieren sollte (vgl. Gössmann et al. 2004: 206). Auch wenn inzwischen die meisten Hochzeiten aus gegenseitiger Zuneigung (ren’ai kekkon) geschlossen werden, hält sich die Tradition der arrangierten Ehe in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen bis heute – der Norm entsprach sie noch bis in die 1960er Jahre hinein (vgl. Kumagai 1996: 22; Gössmann et al. 2004: 206).111 111 Geplante Arrangements zur Förderung von Begegnungen zwischen alleinstehenden Männern und Frauen sind in Japan auch heute noch beliebt. Zu so genannten miai werden Menschen beiderlei Geschlechts zum Zweck des gegenseitigen Kennenlernens eingeladen. Solche Verabredungen sind auch deshalb beliebt, weil japanische Freundeskreise eher gleichgeschlechtlich orientiert sind, was die zufällige Bekanntmachung von Männern und Frauen erschwert (vgl. Hendry 2003; Mathias 1998).
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Die Ehe genießt in Japan einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Der Druck zu heiraten ist heute zwar nicht mehr ganz so groß wie in früheren Zeiten, auch hat sich das Alter für die Eheschließung deutlich nach hinten verschoben. Traditionelle Beziehungsmuster und konventionelle Vorstellungen vom partnerschaftlichen Zusammenleben regulieren jedoch nach wie vor die persönliche Beziehungs- und Lebensgestaltung (vgl. Kumagai 1996: 21).112 Dessen ungeachtet hat sich in den letzten Jahren die Zahl derer erhöht, die sich für eine alternative Lebensform entscheiden, was zugleich eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz für das Leben Alleinstehender oder unverheirateter Paare gefördert hat. Ein Teil der jungen Leute trifft heute bewusst die Entscheidung, unverheiratet zu bleiben, um auf diese Weise die finanziellen und zeitbezogenen Freiheiten in Anspruch zu nehmen, die in einer ehelichen Partnerschaft nicht mehr zur Verfügung stünden. Dies gilt insbesondere für Frauen, die sich vor der Erfüllung ihrer Pflichten als Hausfrau und Mutter bewahren und stattdessen mehr Zeit für Beruf und Hobbys aufwenden wollen. Denn trotz der gestiegenen Vielfalt an Lebensstilen ist die Rolle der Frau innerhalb des familiären Zusammenlebens noch immer im Haushalt angesiedelt.113 Die klassische Rollenverteilung, bei der sich die Frau zu Hause um Haushalt und Kinder kümmert und der Mann einer beruflichen Tätigkeit außer Haus nachgeht, hat sich in Japan zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1960er Jahren gefestigt. Mit Verweis auf Ochiai (1996: 6) sprechen Gössmann et al. (2004: 208) von einer Phase der „housewifization“, in der die japanischen Frauen in Spezialund Teilöffentlichkeiten in die private Sphäre abgedrängt wurden: „In accordance with the ideal of the ‚good wife and wise mother‘ (ryōsai kenbo), women took sole responsibility for the inside (uchi) which allowed men to concentrate fully on the demands of the outside (soto).“ (Ebd.) Diese Entwicklung ist somit auch im Zusammenhang mit dem weiter oben dargelegten Strukturprinzip zu verstehen, bei dem das Innen (die familiäre Gemeinschaft) und das Außen (das öffentliche Leben) eine starke Trennung erfahren. 112 Ein in Japan verbreitetes Sprichwort, in dem junge Frauen mit einem Weihnachtskuchen verglichen werden, weil beide nach dem 24. (Lebensjahr respektive Dezember) keine ‚Abnehmer‘ mehr finden, verweist auf den Zwang, in der Lebensphase zwischen 20 und 30 unabhängig von persönlichen Vorstellungen und Wünschen bestimmten gesellschaftlich sanktionierten Verhaltensmustern zu folgen (vgl. Kumagai 1996: 21). 113 Dies war keineswegs immer so, im vormodernen Japan konnte man es sich gar nicht leisten, auf die Arbeitskraft der Frauen zu verzichten. Gerade in ländlichen Gegenden waren Familien auf die Mithilfe der Frauen angewiesen, und auch im industriellen Sektor kamen sie zum Einsatz – etwa in der Textilverarbeitung, einem Bereich, in dem sogar die Mehrzahl der Angestellten weiblich war (vgl. Gössmann et al. 2004: 201ff.).
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In ihrem Beitrag „Gender“ zum Band „Modern Japanese Society“ stellen Gössmann et al. (2004) heraus, in welcher Weise sich die berufliche Marginalisierung von Frauen manifestiert. Die Problematik bestehe vor allem darin, dass der Arbeitsmarkt von einem tief sitzenden Geschlechter-Dualismus geprägt ist. Dieser drücke sich nicht darin aus, dass Frauen gar nicht beschäftigt seien, sondern vor allem in der Art ihrer Anstellung. Japanerinnen werden überdurchschnittlich oft als Teilzeitkräfte besetzt und sind hauptsächlich im Dienstleistungssektor beschäftigt. Sie arbeiten häufig in Positionen, die schlechter bezahlt sind als die ihrer männlichen Kollegen und die weniger Aufstiegschancen bieten. Somit differenzieren sich auch in der Arbeitswelt unterschiedliche geschlechterbezogene Areale aus. Laut Gössmann et al. sei dies ein strukturelles Problem der japanischen Unternehmensorganisation, bei der langfristig vor allem in qualifizierte männliche Mitarbeiter investiert werde, damit diese als fester Kern der Belegschaft in leitende Positionen aufrücken können. Frauen mit vergleichbarer Ausbildung werden weitaus weniger gefördert und üben häufiger Hilfstätigkeiten aus, die kaum Aussicht auf beruflichen Aufstieg bieten. Aufgrund der Perspektivlosigkeit hinsichtlich ihrer Beförderungschancen wechselten sie öfter den Arbeitsplatz, wodurch der Weg aus ihrer marginalisierten Position heraus erschwert werde. Überdies bedeute eine Teilzeitbeschäftigung, wie sie von etwa 40 Prozent der weiblichen Angestellten wahrgenommen wird, nicht nur eine kürzere Arbeitszeit, sondern sei meist auch mit einer weniger herausfordernden und betriebsrelevanten Aufgabe verbunden, die vornehmlich Routinetätigkeiten umfasst und geringere Sozialversicherungsleistungen beinhaltet. Die dichotome Geschlechterverteilung im Familien- und Arbeitsalltag sei somit maßgeblich auf jene soziale Ungleichheit fördernden Unternehmensstrukturen zurückzuführen: „Whereas male employees are seen as the main breadwinner, women – in spite of their high employment rate – are conceived primarily as mothers and housewives. […] The ‚mother and housewife behind the export front‘ is expected to take single-handed responsibility for the care and educational success of children, the nursing of infirm or elderly relatives and the network of family and neighbors, thus setting her husband free for his duty as ‚corporate warrior.‘ In other words, this polarized and segregated division of domestic labor is institutionalized in the enterprise regulations and social policy of ‚enterprise centered society‘ as current research has pointed out, and it shapes men’s and women’s different career opportunities.“ (Ebd.: 205)
Diese Einschätzung wird dadurch unterstützt, dass japanische Frauen üblicherweise auch in jenen Familien den Haushalt alleine führen, in denen beide Partner berufstätig sind. Oft werden auch Erziehungs- und
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Betreuungsaufgaben ausschließlich von der Mutter erfüllt, was inzwischen als ein unter dem Schlagwort des ‚abwesenden Vaters‘ diskutiertes soziales Problem wahrgenommen wird: Wie bereits in Kapitel 5.2.2 dargestellt, verbringen japanische Arbeitnehmer vergleichsweise viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz und sind indirekt dazu verpflichtet, ihr Sozialleben auch nach Arbeitsschluss und am Wochenende mit den Kolleginnen und Kollegen zu teilen (vgl. u.a. Neuss-Kaneko: 1990: 132f.). Wegen ihrer mit enormem Zeitaufwand verbundenen dienstlichen Verbindlichkeiten schaffen es viele Väter nicht, eine feste Bindung zu ihren Kindern aufzubauen oder für sie als männliche Identifikationsfigur präsent zu sein.114 Die Mutterrolle wird aufgrund der alleinigen Zuständigkeit der Frau für die Kindererziehung, die in Japan einen hohen Stellenwert genießt, aufgewertet und findet hohe gesellschaftliche Anerkennung. Zugleich lastet ein großer Druck auf den Müttern, weil ihre erzieherischen Erfolge an den schulischen Leistungen der Kinder bemessen werden. Ihre relativ verantwortungsvolle Position im häuslichen Alltag, die durch ihre Rolle als Verwalterin des familiären Einkommens bekräftigt wird, wird mitunter als Zeichen von Macht und Einfluss interpretiert. Dies verkennt aber, wie stark diese Macht von einem die Entfaltungsmöglichkeiten der Frauen einschränkenden Alltag flankiert wird. Als Indikator für die immer noch bestehende Wirksamkeit der traditionellen Strukturen des ie verweist Sugimoto (1997: 136ff.) auf die Funktionsweise und Einflussnahme des japanischen Meldewesens (jūmin-hyō) und der Familienregistrierung (koseki). Indem diese behördlichen Systeme den Haushalt und nicht die Einzelperson in den Akten führen, die Nennung eines familiären Vorstands erfordern und bürokratische Vorgänge wie die Einreichung von Scheidungen oder die Registrierung allein erziehender Elternteile mit stigmatisierenden Eintragungen belegen, untermauern sie eine patriarchalische Ordnung und unterstützen die Ideologie des ie: „Though every society has some system of registration […] Japan’s family registration system differs from others in using the household as the unit, packaging a range of information into each koseki, and socially ostracizing those who do not fit into the male-dominated conventional family structure promoted by the koseki system. […] Thus, the understanding of gender relations in Japan requires an in-depth knowledge of the working of the family registration system, which affects all Japanese at every turn of their lives, functioning as an often invisible, but highly effective, way of maintaining patriarchal order.“ (Ebd.: 142) 114 Sicherlich gibt es auch Männer, die ihre Vaterrolle aktiver ausfüllen und zu Hause präsenter sind, diese stellen bisher noch eher die Ausnahme dar, zumal die japanischen Unternehmensstrukturen diesen Weg auch nicht vorsehen und der gesellschaftliche Druck eine solche, von der gegenwärtigen Norm abweichende Prioritätensetzung erschwert.
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Wie an dieser Stelle deutlich wird, sind Strukturen, die eine ungleiche Macht- und Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern fördern, tief in der japanischen Gesellschaft verwurzelt, auch wenn sich in den letzten Jahren ein allmählicher Wandel in den Einstellungen gegenüber Rollenvorstellungen von Frauen und Männern feststellen lässt. So hat sich der Prozentsatz von Frauen, die den Mann als Ernährer und den Platz der Frau zu Hause sehen, von 36,6 Prozent im Jahr 1987 auf 22,3 Prozent im Jahr 2000 deutlich verringert. Und bei den Männern ist dieser Unterschied sogar noch signifikanter, der Prozentsatz sank von 51,7 im Jahr 1987 auf 32,9 im Jahr 1995 (vgl. Gössmann et al. 2004: 209). Das überlieferte Verständnis, dass ‚der Mann nach draußen und die Frau nach drinnen gehört‘ (oto wa soto, tsuma wa uchi) scheint an Deutungsmacht zu verlieren, aber dennoch ist das Prinzip der häuslichen Arbeitsteilung in vielen japanischen Familien noch nicht angekommen. Der Grund dafür, dass der Wandel in den Vorstellungen sich noch nicht auf der Handlungsebene durchschlägt, hat wohl auch damit zu tun, dass es „nicht nur ein familiäres, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem“ sei, wie Neuss-Kaneko (1990: 125) ausführt. Denn in Japan gibt es immer noch eine deutliche Unterscheidung von Männer- und Frauenwelt. Aktivitäten finden vorwiegend getrennt nach Geschlechtern statt, sodass beide Ehepartner hauptsächlich in ihren eigenen Sphären leben und sich vergleichsweise wenig Zeit für gemeinsame Hobbys, Gespräche und Freizeitbeschäftigungen nehmen (vgl. ebd.: 124f.). Die auf der Ideologie des ie basierende familiäre Gemeinschaft lässt demnach ausdifferenzierte und getrennte Lebenswelten von Mann und Frau entstehen, von denen ihre sozialen Beziehungen geprägt werden. Keitai und Doing Gender in der häuslichen Familienkommunikation Dieser Abschnitt zeigt, wie sich mobile Kommunikationstechnologien in vorgeprägte Muster sozialer Interaktionen einordnen und von den kulturellen Bedingungen des häuslichen Zusammenlebens in Japan mitbestimmt werden. Dabei wird deutlich, wie entgegen technikdeterministischer Vorstellungen die Nutzung des keitai ihre Grenzen in den Bedingungen der Asymmetrie und in der Ausdifferenzierung der Lebenswelten der Geschlechter findet. Morley (2007: 8) weist darauf hin, dass die Rhetorik des technologischen Determinismus verkennt, dass durch Medien- und Kommunikationstechnologien nicht völlig neue Verhältnisse geschaffen werden, sondern dass das Alte im Neuen weiter bestehen bleibt. Medien werden in bestehende soziale Interaktionen integriert, wobei sich die Akzente und Dynamiken innerhalb von Beziehungen verschieben können (vgl. ebd.). Dieser Zugang, der die Einordnung einer Medientechnologie in ein soziales Gefüge beschreibt, findet sich bei Shingo Dobashi (2005) in seiner Studie zur Domestizierung des keitai in japanischen Haushal-
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ten. Ausgehend von der Annahme, dass Hausfrauen eine zentrale Rolle bei der Domestizierung neuer Medientechnologien spielen, hat sich Dobashi mit der genderspezifischen Nutzung des Mobiltelefons und anderer Technologien innerhalb des Zuhauses beschäftigt.115 Das keitai sei zwar eine mobile Technologie, es stelle aber, wie Dobashi argumentiert, gerade für Hausfrauen ein wichtiges häusliches Medium dar. Gerade die Betrachtung des keitai als ‚nicht-mobiles Medium‘, wie sie bei Dobashi vorgenommen wird, führt, so könnte behauptet werden, dessen Integration in bestehende Machtverhältnisse und Beziehungsstrukturen vor. Die Untersuchung stellt sich in die Tradition einer Reihe von Studien, die von einem „social shaping of technology“ ausgehen und sich vor allem für die menschlichen Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen im Zusammenhang mit medientechnologischem Wandel interessieren (vgl. Lievrouw 2006: 248). Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich von der Annahme einer einseitigen Determinierung sozialer Verhältnisse durch Technologien distanzieren und die Bedeutung situativer und sozialer Kontexte bei der Mediennutzung unterstreichen. „It follows that keitai takes on different characteristics for users in different social positions.“ (Dobashi 2005: 219) Anhand seiner qualitativen Befragung von insgesamt 20 Haushalten in Tokio und Yokohama zeigt Dobashi, wie die Nutzung des keitai dazu beiträgt, die arbeitsteilig gelebten Geschlechterrollen innerhalb der Paarbeziehung zu stabilisieren. Der Mobilkommunikation von Hausfrauen wohne keine freiheitlich-emanzipatorischen Akzente inne, wie Dobashi (2005: 225f.) feststellt, und es trage nicht zu einem Wandel der Geschlechterpositionierungen bei. Hier kann eine interessante Parallele zu der Arbeit Tania Modleskis über das Fernsehen und die zeitliche Organisation der Hausarbeit gezogen werden. Modleski legt in ihrem Aufsatz „Die Rhythmen der Rezeption“ (1987) dar, dass sich der Gegenstand der Soap Opera in seiner Dramaturgie und Gestaltung dem Rhythmus der häuslichen Arbeit und der weiblichen Lebenswelt anpasst, damit aber die Festlegung auf eine bestimmte Form der Geschlechtsartikulation fortschreibt. Auf eine ähnliche Weise korrespondiert auch die Nutzung des keitai mit der zeitlichen und organisatorischen Struktur häuslicher Pflichten und hilft somit, ein traditionelles Doing Gender zu reproduzieren. Anders als der PC wird das keitai von Hausfrauen in ihrem häuslichen Alltag zwar als praktische und aneignungsfähige Technologie 115 Dobashi (2005) knüpft mit seiner Untersuchung an den von Silverstone, Hirsch und Morley (1992) entwickelten Domestizierungsansatz an und nimmt auch auf historische Studien u.a. von Claude Fischer und Lynn Spigel Bezug, die zeigen, dass Medien wie Telefon und Radio entscheidende Impulse für eine massenhafte Verbreitung durch ihre Nutzung innerhalb des häuslichen Kontextes erhalten haben und dass Frauen einen maßgeblichen Anteil an deren Umdeutung als Alltagsmedium hatten (siehe hierzu auch Röser 2007a).
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wahrgenommen, die individuell und zu jeder Zeit verfügbar ist.116 Da es als Onlinemedium, insbesondere zum Schreiben und Empfangen von E-Mails, jedoch hauptsächlich deswegen dem Computer vorgezogen wird, weil es parallel zur Nutzung das Verrichten häuslicher Arbeiten erlaubt, wird es zum Komplizen der Affirmation einer herkömmlichen Rollenverteilung: „[…] on the one hand, keitai assists housewives’ activities, but on the other hand, it reinforces and reproduces their roles. In other words, keitai enable housewives to use e-mail and the Internet while taking care of their existing responsibilities.“ (Dobashi 2005: 225) Die Partizipation an der keitai-Kommunikation ist somit nicht mit einem Aufbrechen arbeitsteiliger Geschlechterrollen verbunden, sondern unterstützt im Sinne eines „Re-Gendering“ (Röser 2007b: 169) die traditionelle Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter. In Japan, wo die Differenzen in Bezug auf die soziale Geschlechterpositionierung besonders ausgeprägt sind, scheint sich die Nutzung des keitai widerstandslos in den häuslichen Alltag von Frauen einzufügen, ohne dabei die bestehende Machtrelationen zu verändern oder herauszufordern. Es wird deutlich, dass sich die sehr unterschiedlichen Erwartungen und Kommunikationsanforderungen, mit denen Männer und Frauen in Japan konfrontiert sind, in der Nutzung von mobilen Kommunikationstechnologien widerspiegeln. Mit dem keitai nehmen Mütter Kommunikationsaufgaben wahr, die in den Kernbereich dessen fallen, was als ‚Hausfrauenarbeit‘ definiert wird – nämlich das Kümmern um die Belange von Kindern und Ehemännern, das Wirken als kommunikative Schaltzentrale und die Stabilisierung der familiären Gemeinschaft. Die Erreichbarkeit durch das Mobiltelefon bezieht sich für die Frau darauf, tagsüber Kontakt mit den Kindern zu halten und damit die Bindung mit ihnen zu verfestigen, während die Väter die mobilen Geräte vorwiegend für die Pflege außerhäuslicher Kontakte und beruflicher Netzwerke nutzen (vgl. Dobashi 2005: 226ff.). Das keitai wird offenbar weniger dazu gebraucht, den ‚abwesenden Vater‘ stärker in das Familienleben zu integrieren, sondern vor allem 116 Ein entscheidender Unterschied zum persönlichen Mobiltelefon bestehe laut Dobashi (2005) darin, dass Männer und Kinder zu Hause meist die Hauptnutzer des stationären Internets sind und ihr PC-Gebrauch innerhalb der familiären Gemeinschaft Vorrang hat. Gerade Hausfrauen und Mütter werden in Bezug auf die häuslichen Nutzungsrechte des gemeinschaftlich genutzten Computers häufig als letztes Glied in der Kette angesehen, während sie auf ihr eigenes keitai jeder Zeit Zugriff haben: „Despite the shared ownership, unequal access is often an unspoken understanding. In contrast to the father’s and the children’s justified business or academic uses of the computer, women who do not have an outside job do not have such explicit reasons for use. As a result, uses of the computer by housewives are positioned as less important compared to uses by other members of the family.“ (Ebd.: 231)
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zur Intensivierung der Kommunikation zwischen Mutter und Kind. Im Sinne eines traditionellen Rollenverständnisses bleibt der Vater von der Eltern-Kind-Kommunikation weitgehend ausgeschlossen, obgleich die Technologie aufgrund ihrer universellen Einsetzbarkeit dieses Ungleichgewicht innerhalb der Familienkommunikation eigentlich aufheben könnte. „These processes clearly reflect proactive decisions by the participants. Nonetheless, these proactive decisions are made within the frame of social roles that have been inequitably predetermined. Many housewives in the survey pointed to their spouses and children as persons with whom they exchange keitai communication. This indicates that keitai for them is a tool to maintain existing family ties rather than to develop new social relationships.“ (Ebd.: 226)
Diese Nutzung des keitai affirmiert also die Geschlechterdichotomie zwischen dem das Öffentliche repräsentierenden Mann und der in den privaten Bereich abgedrängten Frau (vgl. ebd.: 228). In seinem abschließenden Resümee weist Dobashi (2005: 232ff.), mit der AkteurNetzwerk-Theorie argumentierend, darauf hin, dass Technologien und soziale Einheiten wie die Familie nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, sondern als technosoziales Hybrid zu verstehen sind: Weder dringt das keitai in die komplexen Strukturen des familiären Alltags ein und führt darin automatisch zu Umbrüchen im häuslichen Zusammenleben, noch wird es gänzlich von den dortigen Verhältnissen absorbiert. Seine Präsenz im Sozialgefüge Familie konstruiere vielmehr ein neues Ganzes, das sowohl soziale als auch technische Elemente mit ihren je spezifischen Voraussetzungen beinhalte. Aber gerade in diesem Fall scheint sich zu zeigen, dass sich das ‚neue Ganze‘, das von dieser Interaktion konstituiert wird, nur wenig von dem ‚alten Ganzen‘ einer in unterschiedliche Lebenssphären unterteilten und traditionelle Rollen zuschreibenden gesellschaftlichen Wirklichkeit unterscheidet. Und es zeigt auch, wie viel von den Möglichkeiten mobiler Kommunikation innerhalb spezifischer Konstellationen ungenutzt bleiben kann, sodass es tatsächlich zu keinen tiefgreifenden Veränderungen von kommunikativen Praktiken und den damit zusammenhängenden sozialen Formationen kommt.
5.3.2 Freunde
Insbesondere in den großen japanischen Städten und bei jüngeren Leuten hat der Freundeskreis die Nachbarschaft als nächstbedeutende Sozialisationseinheit nach der Familie weitgehend abgelöst (vgl. Hendry 2003: 53ff.). Die Beziehungen zwischen Bekannten und
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Freunden werden inzwischen stärker nach individuellen Vorlieben und Interessen gestaltet. Sie sind weniger förmlich als in früheren Zeiten und nicht mehr ganz so stark von traditionellen Prägungen und Hierarchien bestimmt. Ein Einstellungswandel zeigt sich in der Emotionalisierung sozialer Kontakte, die heute mehr auf Sympathie denn auf Verpflichtung aufbauen. Zugleich deutet diese Entwicklung einen Orientierungsverlust bei der Gestaltung von Freundschaftsbeziehungen und das Verschwinden vormals stabiler sozialer Netzwerke an (vgl. Möhwald 2004: 403f.). Diese aktuellen Veränderungsprozesse, durch die das alltägliche Miteinander eine stärkere individuelle Prägung erfährt, stehen in einem Dialog mit den traditionellen Werten, wie Loyalität und Gruppendenken, die sich auch nach dem wirtschaftlichen Aufstieg des Landes und der Modernisierung nach westlichem Vorbild der Kultur einschreiben. Die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppierungen ist in Japan für die Konstruktion der eigenen Identität äußerst wichtig. Da mit dem Ausschluss aus einer Gemeinschaft Gesichtsverlust und Isolation drohen, werden teils auch hohe persönliche Einschränkungen in Kauf genommen, um nicht aus dem sozialen Netz herauszufallen (vgl. Hohenadl 2004: 98f.; Krotz/Hasebrink 2002: 57ff.). Die Nutzung des keitai ist hier von dem Antagonismus zwischen einem kollektivistisch geprägten Denken und Handeln und einer zunehmenden Konzentration auf die individuellere Gestaltung von Beziehungen bestimmt. Das keitai unterstützt Freundschaftsbeziehungen und damit die Bildung von Netzwerken außerhalb der Familie, die eine Alternative zu traditionellen Beziehungsformen darstellen, die aber ihrerseits von einer das selbstbestimmte Vorgehen relativierenden Gruppenidentität beeinflusst werden. Kontakt und Kontinuität in Freundschaftsbeziehungen Die soziale Anbindung an eine Gemeinschaft ist vor allem in der Schule von essentieller Bedeutung: „Im traditionellen Japan ist das Individuum von Kindheit an damit konfrontiert, dass es an einem konkret definierten, anerkannten Raum partizipiert. Ohne diesen Raum verliert es sich in seiner Existenzlosigkeit. In keiner sozialen Gruppe integriert zu sein, ist für Menschen in Japan eine völlig untolerierbare Situation, da die Akzeptanz in einer Gruppe die nötige Sicherheit gibt.“ (Manfé 2005: 16)
Da, wie bereits erwähnt, Schule und Clubaktivitäten den größten Teil des Tages besetzen (siehe Kapitel 5.2.1), wird die Freizeit von Schülerinnen und Schülern überwiegend mit den Peers verbracht. Üblicherweise besteht der erweiterte Freundeskreis aus der Gruppe der Gleichaltrigen, die dieselbe Klasse oder dieselben Kurse besuchen. Innerhalb
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dieser Gemeinschaften bilden sich Gruppierungen und teilweise auch engere Verbindungen. Freundschaften, die außerhalb der Schule oder vergleichbarer Institutionen geschlossen werden, sind dagegen eher ungewöhnlich und oft nicht von langer Dauer. Spontane und zufällige Bekanntschaften stellten eher die Ausnahme dar – zumindest bis Telefon und keitai eine relativ unverbindliche Kontaktaufnahme mit Fremden möglich machten, worauf im folgenden Kapitel (5.3.3) noch näher eingegangen wird. Die Beziehungen und freundschaftlichen Verbindungen, die während der Schul- und Studienzeit entstehen, gewinnen auch dadurch an Gewicht, dass auf sie oft ein Leben lang zurückgegriffen wird. Denn in der japanischen Gesellschaft wird der persönlichen Vermittlung von Kontakten eine große Bedeutung beigemessen. Das heißt, dass die dauerhafte Aufrechterhaltung eines großen Netzwerkes an sozialen Kontakten auch insofern wichtig ist, dass es den Zugang zu anderen Gruppen eröffnen und noch im späteren Berufsleben wertvolle Funktionen erfüllen kann (vgl. u.a. Mathias 1998: 435).117 Der dauerhaften Pflege von Freundschaften, die bereits in der Schule geschlossen werden, wird somit ein hoher Stellenwert beigemessen. Mobile Kommunikationstechnologien erleichtern dabei die wichtige Aufgabe, mit ehemaligen Schulkameraden Kontakt zu halten und für eine Kontinuität in der Beziehungsgestaltung zu sorgen. Misa Matsuda (2005b: 126f.) macht in diesem Kontext auf den Zusammenhang zwischen der Ausdifferenzierung von Begriffen für die Markierung unterschiedlicher Beziehungsebenen und der Popularität von Pagern Mitte der 1990er Jahre aufmerksam. Umgangssprachlich gibt es im Japanischen für viele Arten der sozialen Verbindung einen eigenständigen Begriff, durch den die Qualität der Freundschaft, die Zeit oder der Ort des Kennenlernens kenntlich gemacht werden: Jimo-tomo leitet sich etwa von jimoto no tomodachi ab und bezeichnet einen Freund oder eine Freundin aus der Nachbarschaft mit unterschiedlicher Schulzugehörigkeit. Chu-tomo und ona-chu stehen für onaji chugaku ni kayotta tomodachi und kategorisieren Freundinnen und Freunde aus der Mittelschule, die inzwischen eine andere Schule besuchen. Die Entstehung dieser Ausdrücke und der darin implizierten Abstufungen bringt Matsuda (ebd.) damit zusammen, dass sich durch die Verfügbarkeit des Pagers die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme vervielfältigt und neue Formen der Beziehungsgestaltung entwickelt haben. Anhand einer Untersuchung der Mobile Communication Research Group von Ende 2001 mit über 1800 Personen zwischen 12 und 69 Jahren kommt Matsuda zu dem Ergebnis, dass zunächst der Pager und später auch das keitai enorm dazu beigetragen haben, den Kontakt zu 117 In Japan fungieren nicht nur Freundinnen und Kollegen als so genannte ‚Türöffner‘ im Berufsalltag, sondern beispielsweise auch alle Studierenden desselben Professors, selbst wenn sich diese nie zuvor persönlich begegnet sind.
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ehemaligen Schulkameraden langfristig zu halten. Insbesondere die textbasierten Anwendungen sind hierbei von Bedeutung, weil die asynchronen Kommunikationsformen mobiler Kommunikationstechnologien eine neue Art der Gegenwärtigkeit ermöglichen. Durch sie kann auf eine unaufdringliche, eher unpersönliche und unverfängliche Weise kommuniziert werden, womit größere Spielräume in der Beziehungsgestaltung verbunden sind. Zudem erleichtern asynchrone Kommunikationsformen das flexible Senden von Nachrichten zu unterschiedlichen Zeitpunkten, wodurch sich die Kommunizierenden gemäß ihres je spezifischen Tagesrhythmus’ der gegenseitigen Präsenz und Anteilnahme vergewissern können (vgl. ebd.) Matsuda weist darauf hin, dass dadurch zwar neue Arten von Freundschaften konstruiert werden, diese Praxis aber nicht zu einer Heterogenisierung des Freundeskreises führe. Denn hierbei gehe es weniger darum, neue Kontakte zu schaffen als bereits geschlossene Freundschaften über eine zeitliche und räumliche Distanz hinweg zu erhalten. „By supporting ongoing relationships with former friends, keitai e-mail makes it possible to be friends with people in different places and under different circumstances. In this sense, types of friendships are on the increase, but this does not necessarily translate to the diversification of friendships.“ (Ebd.: 127)
Auch Castells et al. (2004) stellen einen Bezug zwischen der Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien und der Bedeutung von Vergemeinschaftungsprozessen innerhalb einer gruppenorientierten Kultur wie Japan her. Vor dem Hintergrund, dass soziale Kontakte und Verbindungen in Japan auf privater und beruflicher Ebene als äußerst wertvoll gelten, interpretieren sie den Aspekt der Kontakt- und Beziehungspflege als wichtige Kontextbedingung für den Aufstieg des mobilen Internets (siehe Kapitel 2.2). Denn mithilfe der mobilen Textanwendungen, wie Kommunikation per E-Mail oder Kurzmitteilung, lässt sich der Kreis der Bekannten, Freundinnen und Kollegen auf einfache, flexible und diskrete Weise verwalten und selbst über einen längeren Zeitraum der physischen Abwesenheit aufrecht halten: „Collectively oriented cultural tendency plays a part in the fast growth of wireless Internet. Lots of the services provided on mobile Internet aim at sustaining and reinforcing existing social relationships. And the majority of emails being exchanged among mobile phones are among people with intimate relationships (e.g., families and close friends). Researchers such as Barnes and Huff thus believe the rapid growth of mobile Internet usage owes to the normative beliefs in Japanese society that attach high values to interpersonal relationships.“ (Castells et al. 2004: 104)
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Genau wie Matsuda betonen Castells et al. die Bedeutung bereits existierender Verbindungen, die durch Mobilkommunikation eine Intensivierung – zunächst einmal auf quantitativer Ebene – erfahren. Für sie bietet das keitai einen zusätzlichen Kommunikationskanal zur gegenseitigen Kontaktaufnahme, für den Austausch untereinander und zur Pflege des sozialen Netzwerkes. Die mobile Technologie sei durch bestimmte Eigenschaften charakterisiert, die einerseits die Soziabilität unterstützen – etwa durch die Möglichkeiten der asynchronen, zeitlich und räumlich unbeschränkten Schrift- und Oralkommunikation – andererseits mit neuen Verbindlichkeiten verbunden sind – etwa der Verpflichtung, diese Möglichkeiten auch tatsächlich auszuschöpfen. So ist es aufgrund der gewandelten Erwartungen und Kommunikationsanforderungen heute kaum mehr möglich, sich dem keitai zu entziehen und auf das durch Mobilkommunikation erweiterte Repertoire der Kontakt- und Beziehungsgestaltung bewusst zu verzichten: „Particularly for young people, having a cellular phone is a critical factor of life, since it is now becoming the most prevalent tool of communication for that age group. For many people, being disconnected from a communication circuit means being unassured of one’s position, or even suffering from a sense of loss of self.“ (Hashimoto 2005: 100).
Soziale Beziehungen werden mit dem keitai offenbar weniger auf der inhaltlichen Ebene des Austauschs von Informationen gestaltet, sondern insbesondere auf der Ebene der Aufrechterhaltung des Anschlusses an andere. Das Mobiltelefon dient damit der Sicherung des eigenen Status’ innerhalb einer Gruppe. Keitai-Kommunikation zur Förderung virtueller und realer Begegnungen Vor allem in der Anfangsphase der Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien in Japan haben sich zahlreiche Studien mit der Frage befasst, ob sich durch eine Verlagerung der Beziehungsgestaltung in den virtuellen Raum der Mobil- und Onlinekommunikation die Intensität sozialer Beziehungen verändert. Ausgehend von der oft vernommenen Kritik, dass durch Medienkommunikation soziale Beziehungen Gefahr laufen zu verkümmern, untersuchte Yoshiaki Hashimoto (2005: 98f.) im Jahr 2000 die Mobilkommunikation von Menschen jungen und mittleren Alters in und um Tokio.118 Als ein Ergebnis dieser Studie wurde festgehalten, dass mehr als ein Viertel der Befragten die Ansicht vertrat, dass die Nutzung des keitai mit einer Zunahme an 118 In einer Fragebogenstudie mit 515 Personen zwischen 15 und 39 Jahren und anschließenden Gruppeninterviews wurden keitai-Nutzerinnen und -Nutzer zu ihrem Kommunikationsverhalten mittels mobiler Medien befragt.
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Face-to-Face-Kontakten einherginge, dass sich aus der Mobilkommunikation also mehr Gelegenheiten für persönliche Begegnungen ergeben würden. Diese Erkenntnis weist Parallelen zu den Befunden von Kenichi Ishii (2004) auf, der sich Anfang der 2000er Jahre mit dem unterschiedlichen Gebrauch des mobilen und stationären Internet beschäftigt hat (siehe auch Kapitel 5.2.3). Ishii legt dar, dass eine häufige Nutzung des mobilen Internets in engem Zusammenhang mit dem Aufbringen eines hohen Zeitaufwands für persönliche Treffen steht. Mobiles und stationäres Internet ließen sich demnach insbesondere entlang ihrer unterschiedlichen sozialen Funktionen differenzieren, wie Castells et al. (2004) unter Bezugnahme auf Ishii deutlich machen: „The key difference is that, while high-intensity PC Internet users tend to spend less time with friends and families, heavy mobile Internet users are actually more active in interpersonal communications and socializing […].“ (Ebd.: 105) Offenbar unterstützt das keitai in besonderer Weise die Soziabilität von Menschen, da es vielfach für eine enge und regelmäßige Vernetzung mit Freunden und Familienangehörigen eingesetzt wird. Häufig geht es dabei um das Arrangement von persönlichen Treffen, sodass diese Kontakte nicht nur virtuell gestaltet werden, sondern ihre Entsprechung in realen Zusammenkünften finden. In einer gruppenorientierten und durch eine Vielzahl sich überlagernder sozialer Netzwerke strukturierten Kultur wie Japan kommt dem keitai als Medium zu Herstellung von Konnektivitäten in zweierlei Hinsicht eine Schlüsselrolle zu: Zum einen erleichtert es die Aufrechterhaltung auch von losen Netzwerken und sichert somit eine dauerhafte Stabilität von Freundschaften, die vom Zentrum in die Peripherie abgerückt sind – etwa zu alten Schulkameraden oder ehemalige Arbeitskollegen. Wie bereits im Abschnitt zur Organisation der familiären Kommunikation deutlich wurde, wird auf die Kontinuität sozialer Gefüge in Japan besonders viel Wert gelegt. Unter den gegenwärtigen Bedingungen einer flexibleren Lebensführung und erhöhten Mobilität kann das keitai dazu beitragen, diese Kontinuität zu bewahren.119 Zum anderen findet das keitai Anwendung, um neben einer virtuellen auch eine ‚reale‘ Soziabilität zu fördern. Das heißt, dass es häufig für die ort- und zeitunabhängige Vereinbarung von Face-toFace-Treffen genutzt wird, demnach nicht nur einen eher flüchtigen Austausch per SMS oder E-Mail unterstützt, sondern die soziale Beziehungspflege auch auf der Ebene von persönlichen Begegnungen zu intensivieren hilft. Es zeigt sich hier die Vielfalt der Möglichkeiten in 119 Dabei steht es zugleich für eine höhere Selektivität bei der Gestaltung sozialer Beziehungen, die mit einer allgemeinen Tendenz zu einem größeren Hedonismus und mehr Selbstbestimmung bei der Freundeswahl korrespondiert, wie im folgenden Abschnitt noch näher zu sehen sein wird (vgl. Hashimoto 2005: 101).
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der Art der Aufrechterhaltung von Beziehungen, die das keitai bietet, und in der virtuelle und nicht virtuelle Beziehungen zusammenspielen. Diese Vielfalt entsteht vor dem Hintergrund, dass sich soziale Gruppierungen immer weniger aus Nachbarn oder Gemeindemitgliedern zusammensetzen und stattdessen stärker auf individuellen Selektionsentscheidungen basieren, somit vermehrt auch Personen umfassen, mit denen nicht zwingend ein gemeinsamer institutioneller oder geografischer Raum geteilt wird. Mittels mobiler Kommunikationstechnologien findet hier aber keine Versetzung sozialer Beziehungen in eine virtuelle Sphäre statt, sondern eine Verknüpfung dieser Beziehungen mit neuen technologischen Möglichkeiten der Interaktion. Soziale Selektivität und Vergemeinschaftung im networked individualism Verschiebungen in der Organisation von Gemeinschaft hängen mit Medienentwicklungen und technischem Fortschritt eng zusammen, wie bereits der historische Blick auf vordefinierte soziale Gruppierungen wie die Familie oder Gemeinde zeigt, die durch den Ausbau des Verkehrswesen eine Erweiterung und Flexibilisierung erfuhren. Mit der Verbreitung von Internettechnologien wie Computer und Mobiltelefon haben sich die Formen der Gemeinschaftsbildung weiter gewandelt. Dieser Transformationsprozess findet aktuell Ausdruck in der Entstehung loser und stärker am Individuum ausgerichteter Netzwerke, für die Miyata et al. (2005) mit Bezug auf eine frühere Publikation Barry Wellmanns (1997) den Begriff des „networked individualism“ geprägt haben. Gemeint ist damit eine Form der Vergemeinschaftung, die weniger auf der Teilnahme an verabredeten Gruppenaktivitäten denn auf einer durch Onlinemedien hergestellten Konnektivität von Individuen basiert. Solche „person-to-person networks“ habe es zwar schon im Vorfeld der Durchsetzung mobiler Onlinemedien gegeben, wie Miyata et al. (2005: 429) herausstellen, durch die neuen Medientechnologien sei diese Verlagerung aber unterstützt und forciert worden: „The change from place-based inter-household ties to individualized person-to-person interactions and specialized role-to-role interactions has been facilitated by the Internet and especially by wireless personal communication: mobile phones, PDAs and webphones (Wellman, 2001). […] Changes in the nature of computer-mediated communication both reflect and foster the development of networked individualism in networked societies. Complex social networks have always existed, but recent technological developments in communication have afforded their emergence as a dominant form of social organization.“ (Ebd.: 430)
Mobile Kommunikationstechnologien erleichtern den Aufbau flexibler, persönlicher Netzwerke und fördern auf diese Weise das Verge-
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meinschaftungsprinzip der individuellen Netzwerkbildung. Die Betonung liegt hierbei auf der Verbindung von einzelnen Menschen – und nicht von Orten, Haushalten oder Institutionen –, die für den Alltag mit digitalen Medien kennzeichnend ist. An jedem Ort und zu jeder Zeit lässt sich mit dem keitai eine spezifische Form von Gemeinschaft konstruieren, die von den Interessen und kommunikativen Bedürfnissen des Individuums abhängt, das sie herstellt. Mit dieser Entwicklung ist eine größere Selektivität bei der Beziehungsgestaltung verbunden, wie Matsuda (2005b) anhand ihres Konzepts der „selective sociality“ darlegt (siehe Kapitel 4.3.3). Das selektive Vorgehen bei der Kommunikation per keitai äußert sich vor allem darin, dass aus einer Vielzahl an Kontakten, die im Mobiltelefon gespeichert sind, oft nur ein überschaubarer Kreis von Personen ausgewählt wird, mit denen regelmäßig kommuniziert wird. Diese bei japanischen Jugendlichen beobachtete Praxis, den keitai-Kontakt zu einer kleinen Bezugsgruppe aus dem sozialen Nahbereich nie ganz abreißen zu lassen, ist in der japanischen Forschung zur Mobilkommunikation immer wieder herausgestellt worden. Von einer „ultraconnectedness“ (Miyata et al. 2005: 433) ist etwa die Rede, von der Konstruktion eines „telecocoon“ (Habuchi 2005: 167) oder einer „full time intimate community“ (Matsuda 2005a: 30). Alle Begriffe verweisen auf die Persistenz eines intimen und höchst selektiven Netzwerkes, das im virtuellen Raum der keitai-Kommunikation gepflegt wird und ein Gefühl der Zugehörigkeit herstellt. Diese Tendenzen einer zunehmenden Selektivität und Individualisierung bei der Gestaltung von Freundschaftsbeziehungen, wie sie hier im Zusammenhang mit der Nutzung des keitai diskutiert wurden, ist keine notwendige Folge technologischen Fortschritts. Sie verlaufen in Japan parallel zu einem verschiedene gesellschaftliche Bereiche umfassenden Individualisierungs- und Liberalisierungstrend, der eine allmähliche Aufweichung sozialer Konventionen und Verhaltensnormen in Gang gesetzt hat (vgl. Möhwald 2004: 409). Dieser Prozess ist durch die Verbreitung mobiler Individualmedien – von Transistorradio und Walkman bis hin zu Pager und keitai – beschleunigt worden. Hierfür spricht in diesem Zusammenhang vor allem ihr Potenzial, soziale Beziehungen unabhängiger und freier zu gestalten und ohne Legitimationsdruck mit anderen Menschen auch außerhalb traditioneller, institutionalisierter oder ortsgebundener Gemeinschaften zu interagieren.120 120 McVeigh (2002: 25ff.) nennt darüber hinaus zwei weitere Aspekte der keitai-Nutzung, die den Beitrag mobiler Kommunikationstechnologien zu einer Verstärkung von Individualisierungsprozessen deutlich werden lassen: 1. Die Darstellung eines spezifischen Looks: Das keitai spielt in Japan eine wichtige Rolle als ‚fashion item‘. Anhand von Phonestraps, Bildschirmschonern, Stickern und Handytaschen wird der mobilen Technologie eine persönliche Note verliehen. Die Art der individuellen
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Dieser Aspekt der Mobilkommunikation, der eine größere Autonomie und Flexibilität bei der Beziehungsgestaltung betont, spielt eine besondere Rolle angesichts der in Japan nach wie vor dominierenden Gruppenstrukturen, von denen die Prozesse der Vergemeinschaftung geprägt sind. Miyata et al. (2005: 445) schreiben dem keitai daher in diesem Kontext ein emanzipatorisches Potenzial zu, weil es als Motor der Individualisierung die ausgeprägte Gruppenidentität und das Gemeinschaftsdenken in Japan herausfordert. Denn in gleichem Maße wie die hinzugewonnenen Freiheiten die Autonomie des Einzelnen erhöhen, schränken sie die in Japan noch immer profilierte Macht traditioneller Gruppen ein. Durch die per keitai ermöglichten Kommunikationswege und Interaktionsformen sind jene Gemeinschaften gezwungen, einen Teil der Kontrolle über ihre Mitglieder abzugeben: „The multiplicity of communities should reduce informal social control and increase autonomy. It is easier for people to leave unpleasantly controlling communities and increase their involvement in other, more accepting ones.“ (Ebd.: 446) Die starke Orientierung an Gruppen und institutionalisierten Formen der Vergemeinschaftung stellt somit auch deshalb einen wichtigen Hintergrund für die Mobilkommunikation dar, weil das keitai einen sanktionsfreien Raum bietet, um den Zwängen und Restriktionen von beständigen Gruppenstrukturen temporär zu entkommen. So wird deutlich, dass medienbezogene Vergemeinschaftungsformen wie networked individualism im Zusammenspiel von technischen Möglichkeiten, gesellschaftlichen Transformationsprozessen und sozialen, sich kulturspezifisch entfaltenden Ansprüchen entstehen.121 keitai-Ausstattung dient häufig mehr als die Marke oder der Preis des Mobiltelefons als Distinktionsmerkmal und betont die Subjektivität des Besitzers bzw. der Besitzerin. Die große Popularität von Hello Kitty und anderen cute characters ist nur ein Beispiel für die enorme Bedeutung persönlicher Elemente für die individuelle Aneignung und den Gebrauch des keitai (siehe hierzu ausführlich Kapitel 5.4.3). 2. Der Ausdruck intimer Gefühle: McVeighs Befragung unter Studierenden einer Tokioter Universität legte offen, dass per keitai-Kurzmitteilung und mobiler E-Mail Themen und Gefühle artikuliert werden, die von Angesicht zu Angesicht nicht gesagt würden. In einer restriktiven Gesellschaft wie Japan, in der durch persönliche Offenbarung der stark stigmatisierte Gesichtsverlust droht, lassen sich gewisse Angelegenheiten anscheinend besser über den mobilen Schriftverkehr als im persönlichen Gespräch ausdrücken. Durch diesen ‚Enthemmungseffekt‘ des keitai werden, wie McVeigh ausführt, engere Bindungen zu Freunden möglich, bei denen das individuelle Gefühlsleben der Bezugspartner im Mittelpunkt steht. 121 Einschränkend ist mit Möhwald (2004) darauf hinzuweisen, dass sich Individualisierungstendenzen in der japanischen Gesellschaft zwar auf der Ebene veränderter Einstellungen identifizieren lassen, sich aber kaum auf der Handlungsebene niederschlagen, sondern allenfalls in einem veränderten Konsumverhalten zum Ausdruck kommen. Das keitai scheint in diesem Kontext als Versuchsfeld zu fungieren, auf dem
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5.3.3 Fremde
Eine weitere Dimension der sozialen Beziehungsgestaltung stellen die Interaktionen mit Fremden dar. Die japanische Gesellschaft ist durch das Gruppenempfinden und die oft lebenslange Loyalität zu den Mitgliedern einer Gemeinschaft ebenso gekennzeichnet wie durch die bewusste Distanzierung von Fremdgruppen. Zwar ist im kulturellen Bewusstsein die Idee vom japanischen Volk als höchste aller Gruppen verankert, die sich durch den Glauben an die universelle Abstammung vom japanischen Kaiserhaus begründet. Doch manifestiert sich diese Vorstellung stärker in der Abgrenzung zu anderen Nationen und zur Außenwelt als in einer gruppenübergreifenden Solidarität und Hilfsbereitschaft. Die einzelnen Gruppen sind in der Regel klar voneinander abgegrenzt, obgleich individuelle Zugehörigkeiten pluralistischer Natur sind und sich dadurch Knotenpunkte und Überschneidungen ergeben. Japan kann somit als eine partikularistisch orientierte Netzwerkgesellschaft angesehen werden, die aus weitgehend unverbundenen sozialen Einheiten besteht, welche durch das gemeinsame Gefühl, einer einmaligen und unverwechselbaren Nation anzugehören, zusammengehalten werden (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 58). In der Positionierung der Gruppen zueinander wird noch einmal deutlich, wie sehr die japanische Gesellschaftsordnung auf einer Unterscheidung von innen (uchi) und außen (soto) beruht (vgl. Hendry 2003: 47ff.): Zum Innen gehören diejenigen, die in dieselbe Gruppe eingebunden sind, das Außen bilden die Mitglieder anderer Gruppen. Moralische Verpflichtungen und Ansprüche auf Hilfeleistungen und Unterstützung bestehen lediglich innerhalb der Beziehungen zu Mitgliedern der eigenen Gruppe, nicht gegenüber Fremden. Das bedeutet, dass Verhaltensweisen, die innerhalb einer Gruppe als selbstverständlich gelten oder erwartet werden, nicht auf die Außenbeziehungen122 übertragbar sind: „Der eigenen Gruppe zu dienen gilt als soziales Ideal. Einer fremden Gruppe schuldet man nichts, sie bleibt draußen, auch außerhalb der Normen.“ (Dambmann 2002: 46) Im Hinblick auf die Interaktionen mit Fremden bedeutet dies, dass hier vieles erlaubt ist, was sich in den eigenen Gruppen oder zu Hause sowohl mit der eigenen Identität als auch mit unkonventionellen Werten und Beziehungsvorstellungen herumexperimentiert wird. Traditionelle Formen der Vergemeinschaftung werden auf diese Weise weder zerstört noch grundlegend infrage gestellt, das keitai bietet vielmehr eine zusätzliche Möglichkeit der sozialen Beziehungsgestaltung, bei der neue und stärker auf die Interessen des Individuum gerichtete Regeln und Konventionen ausgehandelt werden. 122 Mit Außenbeziehungen sind sowohl Beziehungen zu anderen japanischen Gruppen als auch Kontakte zu Ausländerinnen und Ausländern gemeint, die ebenfalls als soto gelten (gemäß der Vorstellung, dass außerhalb Japans keine übergeordnete Gruppe mehr existiert).
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verbietet. Im öffentlichen Raum wird das Verhalten gegenüber Fremden aber von einem komplexen Regelwerk unausgesprochener Vorschriften und Bestimmungen gesteuert, da hier die Notwendigkeit besteht, ein tadelloses Bild von sich zu wahren. Bei Zusammenkünften mit Angehörigen von Fremdgruppen ist dementsprechend einer Vielzahl formeller Standards zu folgen.123 Dabei wird im Sinne der Unterscheidung von tatemae und honne (s.o.) eine eindeutige Trennung zwischen öffentlichem und privatem Selbst vorgenommen. Werte wie Höflichkeit, Freundlichkeit und Harmoniestreben sind für das öffentliche Handeln und Interagieren leitend. Eine Orientierung bietet das von allen angestrebte Ziel, eine gute Atmosphäre herzustellen und das Gegenüber nicht durch deutliche Worte oder kritische Nachfragen in eine unangenehme Situation zu bringen. Der Umgang mit Unbekannten lässt sich in Japan somit als formgewandt und freundlich, aber auch als distanziert beschreiben, da es für emotionale Nähe aufgrund des festgelegten Regelrepertoires kaum Spielraum gibt.124 Die Konstruktion des intimate strangers in der Tele- und Onlinekommunikation In dieses Feld der Regulierung der Interaktion mit Unbekannten greift mobile Kommunikation auf besondere Weise ein. Denn ein Bereich, den die Nutzung mobiler – und auch stationärer – Kommunikationstechnologien in Japan schon frühzeitig besetzte, ist der Kontakt zu fremden Menschen. Die medienvermittelte Beziehungsaufnahme einander unbekannter Personen ist in Japan nicht nur weit verbreitet, sondern blickt entlang verschiedener Medien und Mediendienste bereits auf eine zwar kurze, aber dynamische Geschichte zurück. Die Attraktivität von Beziehungen, in der die Akteure anonym bleiben können, muss im Zusammenhang mit den stark formalisierten Interaktionen verstanden werden, die in Japan den zwischenmenschlichen Umgang kennzeichnen. Viele der Regeln und Konventionen, von denen das Interagieren im öffentlichen Raum geprägt ist, sind in der mediatisierten interpersonalen Kommunikation außer Kraft gesetzt. Denn die Kommunikation mittels Medien vereinfacht die Artikulation von 123 Die Regeln und Konventionen im öffentlichen Raum tangieren in besonderem Maße auch die keitai-Kommunikation, wie bereits in Kapitel 5.1.3 herausgestellt wurde. Zwar gibt es auf der Straße kaum Einschränkungen im Hinblick auf die Nutzung des Mobiltelefons, in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt jedoch eine Reihe von Vorschriften, auf die anhand von Verbots- und Hinweisschildern und ebenso durch die mahnenden Blicke und abweisenden Gesten der Mitreisenden aufmerksam gemacht wird. 124 Die nach wie vor große Bedeutung von Heiratsvermittlern in Japan erklärt sich somit auch dadurch, dass sich das Knüpfen neuer Kontakte angesichts solcher Konventionen oftmals schwierig gestaltet, worauf Krotz und Hasebrink (2002: 60) hinweisen.
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Gefühlszuständen, die sich von Angesicht zu Angesicht nicht immer offen ansprechen lassen (vgl. McVeigh 2002). Dass die Diskussion bestimmter Themen und privater Anliegen in der eigenen Peergruppe vermieden wird, hängt vor allem mit der großen Bedeutung der persönlichen Fassade (vgl. Goffman 1971) und der Angst vor drohendem Gesichtsverlust zusammen. Damit sind nicht nur Scham und Schuldgefühle verbunden, sondern auch das Risiko, aus der Gruppe ausgeschlossen und sozial isoliert zu werden. Durch eine aufrichtige und vertrauliche Kommunikation, die ausschließlich mediatisiert stattfindet, wird dieses Risiko beschränkt.125 Hidenori Tomita (2005: 186) spricht in diesem Zusammenhang von einer „facelessness of cyberspace“, die vor den Gefahren der Ausgrenzung in der modernen japanischen Gesellschaft schützt. Ausgehend von seinen Überlegungen zu den per Medien wie Telefon, Pager und keitai geschlossenen Bekanntschaften mit Fremden hat Tomita (ebd.) das Konzept des „intimate strangers“ entwickelt. Darunter fasst er die intime Beziehung zwischen Menschen, die ausschließlich medienvermittelt miteinander interagieren. Die Intimität entstehe dadurch, dass sich Internetverbindung oder Telefonleitung wie eine schützende Membran um das legen, was sich zwischen den Interaktionspartnern ereignet. Das Gefühl, in einem geschützten Raum zu kommunizieren, würde auch dadurch hervorgerufen, dass diese Beziehungen innerhalb kürzester Zeit aufgebaut und wieder abgebrochen werden können: „[…] the anonymity provided by cyberspace enables us to disappear in an instant and to disengage from online relationships at any time. With a relationship maintained under the protective wing of anonymity, there is a dramatic acceleration of the deepening of intimacy.“ (Ebd.: 186)
Tomita betont, dass diese Art der Beziehungsgestaltung nicht erst mit dem Aufkommen von Pager und keitai entstanden ist, sondern ihre Wurzeln in der Festnetzkommunikation hat. Das Telefon wurde auf vielfältige Weise in Dienstleistungen eingebunden, die auf die professionelle Verkupplung von Männern und Frauen zielten. Bereits Mitte der 1980er Jahre gab es in Japan kommerzielle Anbieter von Konferenzschaltungen und Servicerufnummern für das anonyme Kennenlernen anderer Telefonteilnehmer, wobei die Impulse meist von der DatingIndustrie ausgingen (ebd.: 184ff.). Zum einen gab es die so genannten Telefon-Dating-Clubs (terekura) – Etablissements, in denen Männer 125 Das Bedürfnis nach Erfahrung von Intimität, das ein wichtiges Motiv für die keitai-Kommunikation mit Fremden ist, bringen Holden und Tsuruki (2002: 42) darüber hinaus mit den unpersönlichen und bürokratischen Strukturen der japanischen Gesellschaft zusammen, die als „corporate society“ den Nährboden für die Sehnsucht nach Nähe und Vertrautheit biete.
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sich in ein privates Zimmer einmieteten, wo sie Anrufe von Frauen erhielten, die eine kostenlose terekura-Nummer gewählt hatten. Daraus konnte ein persönliches Treffen resultieren, wenn sich die Frau gerade in der Nähe aufhielt; teilweise blieb der Kontakt aber auch auf das Telefonat beschränkt (vgl. Tomita 2005: 186f.). Zum anderen stellte NTT ab Mitte der 1980er Jahre Services wie dengon dial zur Verfügung – eine Art elektronisches schwarzes Brett, das ebenfalls für die telefonische Kontaktaufnahme zu Fremden genutzt wurde.126 Dial Q2, ein weiterer von Tomita genannter Dienst, bot bei der Wahl einer kostenpflichtigen Servicenummer den Zugang zu sprachbasierten Informationen, arrangierte telefonische blind dates oder vernetzte mehrere Personen gleichzeitig in einer so genannten party line (vgl. ebd.: 187f.). Mit der Verbreitung von Onlinemedien Internet und Mobilkommunikation hat sich die deai-Kultur in Japan noch intensiver in den Bereich der mobilen (Medien-)Kommunikation verlagert (vgl. Habuchi 2005: 166). Deai bedeutet auf Japanisch Begegnung, der Begriff deai-kei steht für eine spezifische Form der Begegnung (vgl. Holden/ Tsuruki 2002: 34) und fasst Onlinedienste zusammen, durch die das Kennenlernen von Fremden initiiert wird. Die meisten deai-kei-Seiten stellen mit Partneragenturen vergleichbare Onlineportale dar, die Funktionen und Anwendungen mit ähnlichen Gratifikationen in sich vereinen wie seiner Zeit die terekura. So gingen die Serviceleistungen, die zuvor von den Telekommunikationsunternehmen angeboten wurden, Ende der 1990er Jahre in Internetanwendungen wie deai-kei, Chatforen und ähnlichen Plattformen auf. Sie ordnen sich damit in eine spezifische Tradition des medial arrangierten Kennenlernens ein, wobei sich die Spielarten der Kontaktanbahnung im Kontext des Medienwandels verändert haben. „Beginning in the 1980s, Japan has seen the emergence of new forms of telephone communications that have enabled people to form intimate relationships with anonymous others – intimate strangers. Intimate strangers have continued to exist with changing media communications […].“ (Tomita 2005: 199f.)
Auch durch Filme und Fernsehserien, die dieses Motiv aufgreifen, ist bei vielen Japanerinnen und Japanern die Beziehung zu einem intimate stranger mit der romantischen Idee verknüpft, soziale Grenzen zu 126 Nutzerinnen und Nutzer riefen die dengon dial Zentrale an, um nach der Eingabe einer Rückrufnummer und eines Zugangscode persönliche Nachrichten aufzuzeichnen oder abzuhören. Der Service konnte von überallher in Anspruch genommen werden, stellte also quasi einen der ersten mobilen Kommunikationsdienste dar. Der Kontakt zu Fremden wurde dadurch hergestellt, dass man einfache, auch von anderen genutzte Zahlenkombinationen als Rückrufnummer angab, über die man sich anhand von hinterlassenen Nachrichten austauschte (vgl. Tomita 2005: 187).
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überwinden und ein „real me“ konstruieren zu können (ebd.: 191). Die Aussicht, die sozialen Rollenzuweisungen und Positionierungen, von denen die Selbstdarstellung und das Handeln im materiellen Raum bestimmt sind, in der medialen Interaktion mit Fremden temporär abzustreifen, scheint in einer Gesellschaft, die nur wenig Möglichkeiten für die Überschreitung sozialer Grenzen oder die Entfaltung einer nichtkonformen Identität bietet, ihren besonderen Reiz zu haben. Deai stellt somit ein Forum dar, auf dem die Nutzerinnen und Nutzer aktiv Aspekte ihrer Identität verhandeln können – Aspekte, die in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht ausgedrückt werden können. „Deai enables a relatively unregulated, unsurveilled stage for people to create and forge new selves. It affords trial, but also enables multiple errors, without retribution and with (often) little personal consequence.“ (Holden/Tsuruki 2002: 41) Wichtig dabei ist, dass das in der Virtualität des Internets praktizierte Identitätsmanagement weitgehend folgenlos bleibt. Für andere gleichsam unsichtbar, fügt es sich vordergründig in die Konformität der japanischen Gesellschaft ein und stellt konventionelle Vergemeinschaftungsprozesse nicht infrage. Von beru-tomo bis deai-kei: Mobilkommunikation und Beziehungsspiele Pager und keitai lasen sich in diesem Zusammenhang als Medien verstehen, die eine „culture of intimacy“ in die Anonymität des öffentlichen Raums getragen haben (Habuchi 2005: 170). Analog zu den kommerziellen Vermittlungsdiensten per Festnetztelefon entwickelten sich seit Ende der 1980er Jahre auch in der Mobilkommunikation medienbezogene Praktiken der Kontaktaufnahme – dies jedoch abseits der Dating-Industrie durch die kreativen Aneignungspraktiken der Nutzerinnen und Nutzer. Vor allem Jugendliche hat bereits am Pager die Möglichkeit fasziniert, mit Menschen zu kommunizieren, die nicht der eigenen Gruppe angehören und zu denen keinerlei persönliche Verbindung besteht. Dieses Motiv fand Ausdruck in einem Phänomen, für das sich der Begriff beru-tomo (oder auch bell-tomo; wörtlich: Klingel-Freund) etablierte, dem von den Medien viel Beachtung geschenkt wurde (vgl. Matsuda 2005a: 27). Beru-Tomo bezeichnet die Praxis, mithilfe des Pagers anonyme Kontakte herzustellen. Es handelt sich dabei um einen intensiven kommunikativen Austausch zwischen Menschen, die sich nicht kennen. Um eine solche Freundschaft zu initiieren, wurde eine kurze Nachricht mit Bitte um Kontaktaufnahme an einen beliebigen Adressaten geschickt.127 Sobald die Nachricht auf dem Display des adressierten Pa127 Da in Japan für Pager nur ganz bestimmte Vorwahlnummern vorgesehen waren, konnte willkürlich eine Nummer angewählt und darauf gehofft werden, dass sich dahinter ein interessanter und gesprächsbereiter Empfänger verbirgt.
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gers erschien, konnte sie an einem öffentlichen Telefon mithilfe der Tastenfelder beantwortet werden. Obgleich die Botschaften über einen Austausch von Belanglosigkeiten anfangs meist nicht hinausgingen, entstanden aus diesen Kontakten heraus häufig auch langfristige Freundschaften oder gar intime Beziehungen (vgl. Habuchi 2005: 172; Tomita 2005: 188ff.). Manche Jugendliche investierten in diese Art moderner Brief-Freundschaften täglich eine Vielzahl von Textnachrichten. Für sie erfuhr der Freundeskreis auf diese Weise eine Erweiterung um eine Art virtueller uchi-Gruppe, die aus zwei oder auch mehreren Personen bestehen konnte. Oft fand die Kommunikation ausschließlich über die mobile Technologie des Pagers statt. Eine persönliche Begegnung war keine zwingende Voraussetzung für eine beru-tomo Beziehung, wurde aber arrangiert, wenn dies von beiden Seiten gewollt war. Beru-tomo war vielfach – aber nicht immer – mit dem Ziel der Partnerfindung verknüpft. Bei der beschriebenen Praktik des zufälligen Adressierens anderer Pager war es jedoch relativ unwahrscheinlich, einen geeigneten Beziehungs- oder Sexualpartner zu finden. Dies änderte sich mit der allmählichen Verdrängung des Pagers durch das keitai. Denn da die Mobiltelefone mit ihren unterschiedlich langen Vorwahlen und Rufnummern nicht mehr per Zufallsverfahren angewählt werden konnten, musste einer über das keitai geführten E-MailFreundschaft zunächst die Bekanntmachung durch eine gemeinsame Bezugsperson vorausgehen. Der Erstkontakt konnte dann relativ unverbindlich per Mobiltelefon vollzogen werden, wobei die Kommunikation direkt und nicht wie beim terekura über den Umweg einer öffentlichen Telefonzelle stattfand. Ähnlich wie beim shokai, einer durch Dritte arrangierten Begegnung zwischen Mann und Frau,128 erfüllt dieses als mail-tomo bezeichnete Verfahren den Zweck, zwei einander unbekannte Menschen verschiedenen Geschlechts zusammenzubringen. Die Mobilkommunikation ist hier Teil einer spezifischen Kultur der Begegnung, bei der der Rolle des Vermittlers ein besonderer Stellenwert zukommt.129 So führt Habuchi (2005: 173f.) die große Popularität anonymer, medienvermittelter Freundschaften auf die japanische Tradition der arrangierten Ehe zurück, wie sie teilweise auch heute noch praktiziert wird. Mail-tomo lässt sich in diesem Sinne als eine medienbasierte und mit unterschiedlichen Implikationen verbundene Alternative zu arrangierten Zusammenkünften verstehen. 128 Im Gegensatz zu miai (s.o.) soll shokai nicht zu einer Eheschließung führen, sondern dient lediglich dem Kennenlernen zweier Menschen (vgl. Habuchi 2005: 173). 129 Die Bedeutung der Vermittlung bei der Initiierung romantischer Beziehungen drückt sich auch in anderen Formen des institutionalisierten Kennenlernens von Männern und Frauen aus, etwa in so genannten gurūpu kōsais, organisierten Gruppentreffen zum Zweck der Partnerfindung (vgl. Holden/Tsuruki 2002: 35).
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Analog zur Entstehung der deai-Seiten im Internet differenzierten sich durch i-mode auch die Möglichkeiten, per Mobiltelefon neue Kontakte herzustellen, weiter aus. Deai-kei wurde zu einer Onlineanwendung, die maßgeblich von keitai-Nutzerinnen und -Nutzern in Gebrauch genommen wurde.130 Die unterschiedlichen Onlineportale, die gegen eine geringe Gebühr per Mobiltelefon angewählt werden, ermöglichen die Bekanntschaft mit potenziellen Freundinnen, Partnern oder auch Menschen, die dieselben Interessen teilen. Deai-kei steht somit für eine avancierte Form der medialen Begegnung mit anderen Menschen: Das Kennenlernen kann relativ einfach, flexibel und kostengünstig stattfinden. Weder ist man dabei auf ein Zufallsverfahren wie bei beru-tomo angewiesen noch auf einen festen Ort wie bei der stationären Onlinekommunikation oder bei terekura. Weil auf den deai-kei-Seiten in der Regel die Einrichtung eines persönlichen Profils vorgesehen ist und gezielt nach Personen mit bestimmten Personenmerkmalen gesucht werden kann, können sowohl die Suche nach Personen als auch deren Ansprache gezielter vorgenommen werden. Dank der Mobilität ist eine Kontaktaufnahme an jedem Ort und zu jeder Zeit möglich und obgleich eine befreundete Person oder ein fixer Standort bei der Vermittlung wegfallen, sorgt die durch die Internetplattform gegebene institutionelle Rahmung für die Illusion einer schützenden Instanz. Zusätzlich können beim mobilen deai-kei ortsbezogene Mobilfunkdienste in Anspruch genommen werden, durch die angezeigt wird, ob sich in der unmittelbaren Nähe Menschen mit ähnlichem Profil oder ähnlichen Interesse aufhalten, mit denen sich ein kurzfristiges persönliches Treffen vereinbaren ließe. Die Möglichkeiten und Wege, mit Fremden medial in Kontakt zu treten und die Beziehung zu ihnen auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu gestalten, erfuhren mit dem keitai und vor allem mit dem mobilen Internet eine enorme Erweiterung. Deai-kei war als mobile Onlineanwendung ausgesprochen populär.131 In gleichem Maße wie die Seiten ihre Anhängerschaft vergrößerten, wuchs aber auch die öffentliche Kritik an ihnen. Die Medien griffen wiederholt Fälle von Kindesprostitution, Raubüberfällen und Gewaltverbrechen auf, die in irgendeiner Form mit deai-kei assoziiert waren. Negative Aspekte wurden vor allem dadurch überbetont, dass die deai-Seiten in den Kontext einer halbkriminellen Sexindustrie gestellt wurden. Die Nutzung durch Jugendliche galt in der Öffentlichkeit als gefährdend und problema130 Das internetbasierte deai-kei wurde schon allein deswegen zu einem Großteil per keitai in Anspruch genommen, weil sich das Internet in japanischen Haushalten anfangs nur sehr langsam verbreitete und viele Japanerinnen und Japaner seit 1999 mit ihrem webfähigen Mobiltelefon online gingen (vgl. Matsuda 2005a: 33; Tomita 2005: 190). 131 Es lassen sich allerdings keine genauen Angaben zur Entwicklung der Nutzerzahlen finden.
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tisch.132 Die sich mit deai-kei befassenden Medienberichte stellten insbesondere die flüchtigen und unverbindlichen Bekanntschaften zwischen Männern und Frauen in den Vordergrund, während die Entstehung von Freundschaften, die aufgrund des heterogenen Angebots an unterschiedlichen deai-Plattformen ebenfalls möglich war, kaum thematisiert wurde (vgl. Habuchi 2005; Holden/Tsuruki 2002; Matsuda 2005a; Tomita 2005). Diese Polarität von einer breiten Faszination für die per keitai in Anspruch genommenen Kupplungsdienste auf der einen und einer durch die tendenziöse Medienberichterstattung geförderten Stigmatisierung solcher Angebote auf der anderen Seite ist in einem übergreifenden gesellschaftlichen und historischen Kontext zu betrachten, durch den die Bedeutung der Mobilkommunikation mit Fremden gerahmt ist. Die Konstruktion eines intimate strangers, die mit dem Mobiltelefon auf ganz unterschiedliche Weise erfolgt, bewegt sich im Spannungsfeld der Fortsetzung traditioneller Vergemeinschaftungsformen und den Versuchen, diesen etwas entgegen zu setzen – ohne sie dabei grundsätzlich infrage zu stellen. Als traditionell lässt sich der große Stellenwert einer institutionalisierten Vermittlung begreifen, der sich auch in der Mobilkommunikation manifestiert. Bei beru-tomo findet er Ausdruck in der notwendigen Zwischenschaltung einer Telefonzelle, bei mail-tomo übernimmt wie in der Face-to-Face Kommunikation ein gemeinsamer Freund oder eine gemeinsame Freundin diese Funktion und bei deai-kei hat die Institution der Onlineplattform den Status einer Vermittlungsstelle inne. Wie bei einem herkömmlichen Kennenlern-Arrangement übernimmt die Vermittlungsinstanz einen Teil der Verantwortung für das Zustandekommen der Verbindung und gibt Sicherheit, indem sie für die Interaktionspartner bürgt – sie stellt seine Art „protective umbrella“ für die durch sie entstehende Beziehung dar (Holden/Tsuruki 2002: 43). 132 Ein Phänomen, das in diesem Kontext mit Besorgnis verfolgt wurde, war die soziale Praxis des puchi iede (petit iede), das Fernbleiben Jugendlicher von Zuhause für einen Zeitraum von ein paar Stunden oder sogar mehreren Tagen (vgl. Steger 2004: 386). Die Wendung ist eine Komposition aus einem französischen und einem japanischen Begriff und bedeutet übersetzt so viel wie ‚kleiner Ausreißer‘. Üblicherweise bezieht sich der Ausdruck auf Mädchen im Teenageralter, die kurzzeitig von Zuhause abhauen, bei Freunden unterkommen oder auf der Straße leben, dabei aber immer die Intention haben, wieder nach Hause zurückzukehren. Um sich zu finanzieren, bieten sich einige von ihnen älteren Herren als Begleiterinnen an oder verkaufen ihre Wäsche an eine zahlungswillige männliche Kundschaft. Mit seinen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu Fremden spielt das keitai eine entscheidende Rolle bei der Organisation derartiger sexueller Dienstleistungen. Über die mobile Technologie lassen sich Mädchen Fotos von ihren potenziellen Kunden zuschicken und entscheiden auf dieser Grundlage über eine tatsächliche Begegnung. Die gefühlte und durch das keitai symbolisierte Kontrolle scheint sie dazu zu verführen, eine problematische Freiheit für sich zu beanspruchen, die in sexuelle Ausbeutung münden kann (vgl. Ayukawa 2003; Matsuda 2005a).
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Ein weiterer Rückgriff auf traditionelle Formen der Beziehungsgestaltung zeigt sich in der Aneignung von deai-kei zur Eingliederung in bestimmte Gruppen. Die deai-Seiten bieten Vergemeinschaftungspotenziale für Menschen, die in der gleichen Stadt leben, ein Hobby teilen oder auf andere Weise eine Interessengemeinschaft bilden, die wegen der Undurchlässigkeit des japanischen Gruppensystems auf konventionelle Weise aber nicht zueinander finden. Deai-kei bietet in diesem Sinne die Zugehörigkeit zu Gruppen, deren Grenzen poröser sind und deren Aufnahmekonventionen einem weniger komplexen und intransparenten Regelwerk unterliegen: „[…] deai-inflected lifestyle sectors may be seen as functioning like traditional clubs or communal associations: tools for steering through the societal soup, for gaining stability and reconnecting.“ (Holden/Tsuruki 2002: 44) Die mobilen Onlinepraktiken folgen hier den gewohnten Vorstellungen der Gruppenbildung, sie tragen aber zu der Pluralisierung von Lebensformen und Sozialisierungsmöglichkeiten bei. Gleichzeitig entbehren die über deai hergestellten Gemeinschaften vielfach die Verbindlichkeiten traditioneller Netzwerke, da sie ohne Rechtfertigungsdruck oder Furcht vor Sanktionen wieder verlassen werden können und Werte wie Stabilität und Langfristigkeit im Internet anders gewichtet sind. Einen temporären Ausbruch aus der traditionellen Gruppensozialisation bieten mail-tomo und deai-kei dort, wo sie zu einer Vergemeinschaftung außerhalb von hierarchischen und institutionellen Zwängen eingesetzt werden und das ansonsten schwer zu realisierende Kennenlernen von Menschen ermöglichen, die nicht Teil des persönlichen Netzwerks sind. Denn mittels des keitai lassen sich Freundschaften knüpfen und Beziehungen aufnehmen, die an den von sozialer Kontrolle geprägten Strukturen von Gruppen und Familien vorbeiorganisiert werden. Die mobile Medientechnologie kann in diesem Zusammenhang als „tool of empowerment“ bezeichnet werden, „[…] affording users the opportunity to forge social connections of their choosing, less fettered by institutional codes and less subject to organizational hierarchies and regulations“ (Holden/Tsuruki 2002: 45f.). Habuchi (2005: 181) stellt fest, dass gerade in Japan viele junge Leute beklagen, innerhalb der Peergruppe nicht die eigenen Interessen ausleben zu können und daher neue Freundschaften in der keitai-Kommunikation suchen, die stärker entlang von individuellen Bedürfnissen gestaltet werden können. Die vehemente Kritik an Phänomenen wie beru-tomo und deai-kei, die auf eine Kriminalisierung und Stigmatisierung damit verbundener Praktiken und Dienste zielte (s.o.), ordnet sich in diese Zusammenhänge ein. Denn der mit der zunehmenden Popularisierung von keitaiKommunikation entfachte Besorgnisdiskurs133 bezog sich nicht nur 133 Der keitai-bezogene Besorgnisdiskurs entfaltete sich in Japan vor allem auf drei Ebenen, wie in Peil (2007a: 226) näher ausgeführt wird:
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auf die Gefahren, die von den unautorisierten Begegnungen zwischen Männern und jungen Frauen ausgingen. Er schloss auch die Befürchtung mit ein, dass die Beziehungsfähigkeit junger Leute gefährdet sei, da durch das keitai interpersonale nicht-mediatisierte Beziehungen vermieden würden. Die Erweiterung persönlicher Netzwerke und das über das keitai geregelte Beziehungsmanagement wurden mit einem Verlust der Fähigkeit in Verbindung gebracht, sich ohne Zuhilfenahme von Medien sozial zu verhalten. Vorgeworfen wurde vor allem jungen Leuten, dass sie aus Unsicherheit oder aus Angst vor emotionalen Verletzungen kaum mehr imstande seien, in der materiellen Welt miteinander zu interagieren und von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren (vgl. Matsuda 2005a: 28). Regelmäßige Medienberichte über extreme keitai-Nutzungen mystifizierten die Echtheit und Tiefe von Face-to-Face Beziehungen und nährten die negative Zukunftsvision einer Gesellschaft, in der nur noch über Medien kommuniziert wird.134 Derartige Reaktionen zeugen von den großen Irritationen, die durch die Durchdringung des Alltags von den neuen medialen Formen der Beziehungsgestaltung hervorgerufen wurden. Sie sind aber auch Ausdruck einer unreflektierten „moral panic“ (Matsuda 2005a: 25; vgl. auch Hall et al. 1978), einer unverhältnismäßigen Reaktion auf die vermeintlichen Gefahren der Mobilkommunikation, deren negativen gesellschaftlichen Folgen teils aus Einzelfällen abgeleitet und vielfach überschätzt wurden. Zugleich sprechen sie aber auch für eine Beharrungskraft traditioneller Vorstellungen von Vergemeinschaftung, in denen neuartige und abseits der Gruppenidentität gelagerte Kommunikationswege und Beziehungsformen auf eine vordergründige Kritik und Skepsis stoßen, weil sie die gewachsenen Strukturen und die Stabilität des Systems zu gefährden scheinen.
5.3.4 Zwischenfazit Beziehungen
Anhand der Darstellungen zur Mobilkommunikation im Kontext der Beziehungsgestaltung in Japan ist deutlich geworden, dass das keitai ein Beziehungsmedium par excellence ist. Diese Erkenntnis wird u.a. Neben den bereits genannten Aspekte wurden Regelverletzungen im öffentlichen Raum beklagt sowie Bedenken über eine mögliche gesundheitliche Gefährdung durch die von den Mobiltelefonen ausgehenden elektromagnetischen Strahlungen geäußert. 134 So schreibt Miwa Suzuki (2008) in ihrem Artikel „Uns verbindet nur ein Apparat“, dass das Leben japanischer Schülerinnen und Schüler durch das keitai bestimmt werde, dass die Technologie nicht nur Gefahren wie Telefonterror und Cyber-Mobbing, sondern auch ein enormes Suchtpotenzial berge. Kinder und Jugendliche würden davon abhängig, weil sie sich durch die vermittelte Kommunikation sicherer fühlten und das keitai „als eine Art emotionale Krücke“ brauchten (ebd.).
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durch Befunde unterstützt, die zeigen, dass die Inhalte vieler keitaiKommunikate phatischen Charakter haben und keinen instrumentellen Zweck erfüllen. Häufig geht es lediglich um die Vermittlung einer virtuellen Kopräsenz, die durch Nachrichten über den Aufenthaltsort oder den aktuellen Gemütszustand hergestellt wird. Als „sweet nothings“ (Ito 2004: 12) erhalten die austauschbaren Inhalte die Funktion, Referenz auf andere zu affirmieren und dem Beziehungsleben eine größere Gestaltungsvielfalt zu geben. Die Zusammenhänge, die weiter oben beleuchtet wurden, sollen abschließend wieder zu sechs übergeordneten Bedeutungsfeldern verdichtet werden. Dadurch wird auf komprimierte Weise anschaulich, wie das keitai in die verschiedenen Bereiche des sozialen Beziehungsgefüges integriert wird, wie es darin Funktionen übernimmt und wie ihm Bedeutung verliehen wird. Diese Prozesse lassen sich allgemein als die Integration in eine bestehende Ordnung verstehen, in der die Mobilkommunikation einerseits ihre Begrenzung findet, und die andererseits das Beziehungsrepertoire erweitert, verschiebt und modifiziert. (1) Wandel von geschlossenen Gruppen zu individuenzentrierten Netzwerken: In fast allen Bereichen des sozialen Lebens in Japan werden die starke Gruppenorientierung, die Bedeutung von Zugehörigkeit und die vorrangige Verfolgung von Gemeinschaftsinteressen deutlich, durch die das soziale Handeln geprägt ist. Seit einigen Jahren sind hier allerdings grundlegende Transformationsprozesse im Gange, im Zuge derer sich Lebensformen ausdifferenzieren und Gemeinschaft stärker auf Basis von individuellen Bedürfnissen hergestellt wird. Damit ist auch ein Bewusstsein dafür gestiegen, dass Beziehungen – sowohl im Freundeskreis als auch innerhalb der Familie – aktiv hergestellt werden und ihre Aufrechterhaltung Investitionen bedarf. Das keitai lässt sich als Teil dieses Wandlungsprozesses begreifen, es hilft dabei, selektive Gemeinschaften zu bilden und die simultane Verbindung zu unterschiedlichen Netzwerken zu aktivieren. Gleichzeitig schafft es aber auch neue Möglichkeiten für gruppenbezogenes und kollektives Handeln. Somit ersetzt oder zerstört das keitai bestehende Gemeinschaften nicht, sondern verändert lediglich ihre Konstruktionsmuster und verleiht dabei der großen Bedeutung sozialer Interaktionen Ausdruck. Es fügt sich in eine globale Tendenz vielfältigerer Vernetzungsprozesse durch mobile Kommunikationstechnologien ein, die aber in Japan vor dem Hintergrund einer gruppenfixierten sozialen Identität stattfindet und sich dort intensiviert. Damit ist das keitai zugleich Motor eines Wandlungsprozesses wie Bestandteil bestehender sozialer Formationen. (2) Ausloten von Grenzen: Die soziale Ordnung ist in Japan stark von Gegensätzlichkeiten geprägt, durch die Zusammenleben und Beziehungsgestaltung strukturiert sind. Leitend ist dabei die Unterscheidung von einem Innen und einem Außen, wodurch Momente der Aus-
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grenzung und Einschließung sozialer Formationen hervorgehoben werden. Damit korrespondiert auch die starke Trennung von öffentlichem und privatem Handeln. Das keitai fungiert innerhalb unterschiedlicher Settings als Instrument zur Auslotung oder Modifikation solcher Grenzen. Teilweise erlaubt es durch die ‚unsichtbaren‘ Mobilfunkpraktiken auch eine temporäre Überschreitung dieser Grenzen, aber keine Aufhebung der damit verknüpften Ordnung. Die Mobilkommunikation lässt sich hier als ein Versuchsfeld begreifen, auf dem neue Formen der Interaktion erprobt werden. Sie entfaltet nicht notwendig eine Wirkmacht auf der Handlungsebene, aber sie beeinflusst langfristig diese Dualismen, modifiziert sie und verschiebt die damit einhergehenden Grenzen. (3) Beharrlichkeit traditioneller Familienstrukturen: In fast allen Bereichen des familiären Zusammenlebens zeigt sich eine starke Dominanz traditioneller Vorstellungen von Familie. Obwohl sich auch hier Veränderungsprozesse nachweisen lassen, familiäre Wohnmodelle im Wandel sind und Familie als etwas verstanden wird, das aktiv hergestellt werden muss, macht sich ihre symbolische Prägung durch das ie, also die traditionelle, Generationen umfassende japanische Familienordnung, auch heute noch deutlich bemerkbar. Das keitai unterstützt diese gewachsenen Strukturen, indem es etwa zur Integration und besseren Vernetzung innerhalb der Familie eingesetzt wird. Einerseits ist dies mit der Aufhebung oder Entschärfung von Ungleichheiten verbunden, wie sie im Kontext der Digital Divide Debatte in Bezug auf die Teilhabe und den Zugang älterer Menschen zu neuen Medientechnologien befürchtet werden: Weil ihre Motivation zur mobilen Telefon- und Internetnutzung auf vielfältige Weise mit den Belangen und Interessen der Familie verwoben ist, findet ein leichterer Anschluss an aktuelle Entwicklungen im Bereich der Mobilkommunikation statt. Andererseits führt dies zu einer Reartikulation von geschlechtsgebundenen Rollenmustern, die eine Dichotomie zwischen dem häuslichen und öffentlichen Bereich festschreiben: In der Familienkommunikation wird das keitai von Frauen zur Organisation des Familienalltags eingesetzt, während Männer es in ihrer Funktion als öffentliche Repräsentanten und Ernährer des Haushalts nutzen. Die Möglichkeiten des keitai finden hier also ihre Grenzen innerhalb von Bedingungen, in denen Lebenssphären bipolar angeordnet sind und Traditionen Beharrungskraft entfalten. Das Potenzial des keitai, sich in bestehende Strukturen einzuordnen, unterstützt in letzterem Fall eine ungleiche Macht- und Rollenverteilung. (4) Nuanciertes Beziehungsmanagement: Freundschaften und freundschaftliche Beziehungen haben einen äußerst großen Stellenwert in der japanischen Gesellschaft. Sie sind von Konstanz geprägt und werden über Jahre aufrechterhalten. Da in Japan die Vielzahl unterschiedlicher Beziehungsebenen je spezifischen Kommunikations-
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formen zugeordnet ist, vermag das keitai durch seine unterschiedlichen Kommunikationsmodi ein nuanciertes Beziehungsmanagement zu unterstützen. Das heißt: Freundschaften sind durch ihre Abstufungen definiert und für jede Art der Freundschaft hat sich ein bestimmtes Repertoire an Interaktionsformen etabliert. Dieses Repertoire kann durch das keitai weiter ausgeschöpft werden, weil jenes auch schriftliche und asynchrone Wege der Kommunikation und damit verschiedene Kommunikationstypen unterstützt, auf denen Beziehungen aufbauen. Auf diese Weise wird die Soziabilität insgesamt eher gestärkt als zersetzt oder zerstört, was sich auch in der Förderung nicht mediatisierter Face-to-Face Begegnungen durch Mobilkommunikation niederschlagen kann. Das keitai ist somit Handlungsträger und Bezugspunkt innerhalb eines Netzes von Beziehungen virtueller und nicht-virtueller Form. (5) Bedeutung der Vermittlung: Als Bezugspunkt von Beziehungen wird das keitai zu einem neuen Akteur innerhalb einer spezifischen Kultur der Begegnung, bei der der Rolle des Vermittlers eine besondere Bedeutung zukommt. Die Geschlossenheit des Gruppensystems erschwert die Kontaktaufnahme mit Fremden und verringert die Möglichkeit, Personen außerhalb des Gruppensystems kennenzulernen. Daraus leitet sich in Japan eine Tradition von arrangierten Begegnungen ab, bei der Veranstaltungen und Personen die Rolle eines Vermittlers einnehmen, um einander unbekannte Menschen zusammenzubringen. Diese Praxis hat sich seit den 1980er Jahren zunehmend in den Bereich der Medienkommunikation verlagert – Medien übernehmen hier im wörtlichen Sinn ihre originäre Funktion der Vermittlung. Mit dem keitai haben sich innerhalb einer einzigen Medientechnologie verschiedene Formen dieser Vermittlungsleistung verdichtet. Das keitai dient hier nicht nur als Plattform für kommerzielle Vermittlungsdienste, sondern wird durch kreative Aneignungspraktiken zu einem Vermittlungsinstrument, das neue Formen der Begegnungen mit Fremden hervorbringt. (6) Pluralisierung von Beziehungsformen: So hat das keitai insgesamt zu einer Pluralisierung und Diversifikation von Beziehungsformen beigetragen. Denn mit dem keitai lassen sich herkömmliche Selektionsmuster umgehen und neue Formen der Vergemeinschaftung herstellen. Auch wenn die mobile Technologie insgesamt wohl stärker zu einer Intensivierung bestehender Verbindungen genutzt wird, ist dieser Aspekt vor dem Hintergrund einer die freien Sozialisationsmöglichkeiten einschränkenden Gesellschaft von Bedeutung. Wie problematisch soziales Handeln außerhalb der konventionellen Gruppenstrukturen auch heute noch empfunden wird, zeigen die großen Irritationen, die die mobilfunkbezogenen Praktiken zum Knüpfen neuer Freundschaften und Beziehungen in der Öffentlichkeit nach sich gezogen haben. Hier deutet sich an, dass mit der keitai-Kommunikation letztlich mehr Implikationen und Wandlungsprozesse verbunden sind
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als die vordergründige Einordnung in das bestehende gesellschaftliche Beziehungsgefüge vermuten lässt.
5.4 MEDIEN Aktuelle Medienentwicklungen finden derzeit insbesondere entlang der Schlüsselbegriffe Konvergenz und Digitalisierung Eingang in die wissenschaftliche Debatte. Mit Konvergenzentwicklung ist hier ganz allgemein die Auflösung technischer und inhaltlicher Grenzen zwischen einzelnen Medien gemeint – die Verschmelzung von Medien, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik innerhalb eines Geräts. Digitalisierung benennt die Umwandlung von analogen Signalen wie Bild, Text und Ton in digitale Zahlencodes und bezeichnet somit die Verbreitung eines spezifischen Medienstandards, der es erlaubt, Informationen leichter zu speichern, zu bearbeiten und zu übertragen (vgl. Hans-Bredow-Institut 2006: 95). Dieser technische Wandel ist mit weitreichenden Implikationen für die Weiterentwicklung und Nutzung von Medien verbunden, worauf u.a. Friedrich Krotz hinweist (2007a: 88). Ihm zufolge führt die Tatsache, dass „digitale Medien aufgrund ihrer Verbundenheit mit der Universalmaschine Computer und ihrer Vernetzung alle anderen Medien simulieren können“, zu einer Entgrenzung von Medienkommunikation: Immer mehr Bereiche des täglichen Lebens werden von Medienkommunikation durchdrungen, sodass „Sinnprovinzen und Handlungsbereiche“ (ebd.: 94; Hervorh. im Orig.) einzelner Medien nur noch schwer voneinander unterscheidbar sind. Die Wahrnehmung audiovisueller Inhalte ist beispielsweise nicht mehr auf den Raum des Kinos oder die häusliche Rezeptionssituation des Fernsehens beschränkt. Vielmehr können audiovisuelle Inhalte – etwa auf den Displays mobiler Medien – in neue Bereiche des Alltagslebens eindringen. Dadurch werden nicht nur die Möglichkeiten medienvermittelten Handelns vergrößert, sondern es zeigt sich auch die Notwendigkeit, das Zusammenwirken unterschiedlicher Medien genauer zu untersuchen. Der Prozess der Digitalisierung und die damit verbundene Entstehung von Konvergenzmedien bedeutet aber nicht, wie u.a. Henry Jenkins (2006) deutlich macht, dass deshalb ältere Medien verdrängt oder substituiert werden; vielmehr kann von einer dynamischen Koexistenz alter und neuer Medien die Rede sein:135
135 In vereinfachter Form wurde diese Erkenntnis von Wolfgang Riepl (1913) bereits in analogen Zeiten formuliert, woraus das so genannte Riepl’sche Gesetz hervorging. Kern dessen ist, dass alte durch neue Medien nicht ersetzt werden, sondern dass beide parallel existieren, sich im Zuge des Medienwandels jedoch funktional ausdifferenzieren.
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„Each old medium was forced to coexist with the emerging media. That’s why convergence seems more plausible as a way of understanding the past several decades of media change than the old digital revolution paradigm had. Old media are not being displaced. Rather, their functions and status are shifted by the introduction of new technologies.“ (Ebd.: 14)
Um die Wechselwirkungen von alten und neuen Medien zu verstehen, lässt sich auf das Konzept der Remediatisierung zurückgreifen, das auf die Wandelbarkeit und auf die Übergänge von Medien verweist. Den Überlegungen der Remediatisierungstheorie folgend ist ein Medium, so Bolter und Grusin (2000: 55), nicht als eindeutig von anderen Medien separiert zu denken: „No medium, it seems, can now function independently and establish its own separate and purified space of cultural meaning.“ (Ebd.) Vielmehr sind alle Medien Teile eines veränderlichen Ensembles, das einem dynamischen Prozess der Reorganisation unterliegt. Diese Reorganisation betrifft neben der funktionalen Ebene von Medien gleichermaßen institutionelle, ästhetische und symbolische Aspekte. Somit gehen auch Bolter und Grusin nicht von einer Ersetzung alter Medien aus, sondern von einem Interagieren verschiedener Medien, deren Zusammenspiel sich durch die aktuelle Medienentwicklungen seit einiger Zeit intensiviert habe (vgl. ebd.). Im Remediatisierungsprozess mobiler Kommunikationstechnologien werden die Traditionen älterer Medien und die ihnen zugeschriebenen Bedeutungen übertragen, wie Larissa Hjorth (2007) deutlich macht: „Technologies such as mobile media re-enact earlier co-present practices such as SMS re-mediating 19th century letter writing traditions. As Bolter and Grusin (1999) note, ‚remediation‘ – as an extension of McLuhan’s (1964) argument – conceives of the new and old technologies in a dynamic, non-causal way that explains why the content of new technologies is often that of previous media. In new media discourses we can find many examples of the content or spectres of the older media.“ (Ebd.: 370)
Neue Medien sind somit an die Geschichte älterer Medien angekoppelt und werden in eine spezifische, kulturell geprägte Medienarchäologie und -umgebung eingebettet (vgl. ebd.: 374). Sie reagieren auf andere Medien, ahmen diese nach, konkurrieren mit ihnen und verändern sie und sich selbst in einem fortlaufenden Prozess der Remediatisierung.136 Aus diesen Erkenntnissen heraus erklärt sich der Anspruch, das keitai (und jedes andere Mobiltelefon) als Teil einer spezifischen Me136 Bolter und Grusin (2000: 55) betonen, dass Remediatisierungsprozesse nicht linear verlaufen, dass also nicht nur neue Medien Funktionsweisen und Strukturen der älteren aufgreifen, sondern dass auch ältere Medien durch neuere einer Remediatisierung ausgesetzt sind – etwa wenn das Fernsehen versucht, eine Ästhetik des Internets zu adaptieren.
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dienlandschaft zu verstehen: Die mobile Medientechnologie ersetzt nicht andere Medien, sondern fügt sich in ein ihr vorausgehendes Ensemble von vorhandenen und genutzten Medien in Japan ein, erhält darin ihre Bedeutung und setzt zugleich eine Neukonfiguration der sie prägenden Medienkultur in Gang. In einer kulturorientierten Analyse von Mobilkommunikation stellen Medien daher eine vierte, sowohl zentrale als auch übergreifende Dimension dar, die hier Berücksichtigung finden soll. Denn nur mit Blick auf ihre Verbindungen zu anderen Medien und Technologien sind die Bedeutungen mobiler Kommunikationspraktiken differenziert zu erfassen. In der Auseinandersetzung mit Medien in Kapitel 3.2.3 ist bereits dargelegt worden, dass für diese Arbeit ein Verständnis von Mediennutzung als kommunikatives Handeln leitend ist. Demnach sind Medien im Sinne eines Funktionsbegriffs als Mittel zur Ermöglichung von Kommunikation zu verstehen (vgl. Mock 2006: 187). Zugleich wird ihnen jedoch eine substanzielle Dimension nicht gänzlich abgesprochen. Das bedeutet, dass an der verengten Perspektive von technikzentristischen Ansätzen zwar Kritik geübt wird, dass an diese aber insofern angeknüpft werden kann, als dass von einer den Medien inhärenten, auf den Vermittlungsprozess einwirkenden Logik ausgegangen wird. Denn Medien bringen, indem sie auf die Erfahrungen und Wahrnehmungen von Menschen Einfluss nehmen, immer ein strukturierendes Moment in die durch sie vermittelte Kommunikation ein. Bedeutungen werden somit nicht nur auf der inhaltlichen, sondern auch auf der sinnlichen Ebene entfaltet, wie sich mit McLuhan (1968) argumentieren lässt.137 137 McLuhan, der mediale Inhalte für weitestgehend unwesentlich und medientheoretisch irrelevant hält, geht in seinen Überlegungen jedoch noch deutlich weiter, weshalb ihnen hier nicht in aller Konsequenz gefolgt wird. Wie bereits in Kapitel 3.2 und 4.2.3 angesprochen, sind es für ihn die Techniken und ihre Wirkungsweisen, die Raum- und Zeitdimensionen verändern und auf diese Weise einen Wandel von Kultur und Gesellschaft einleiten. McLuhans Theorie beruht auf einem ganzheitlichen Medienbegriff, bei dem das Zusammenspiel der verschiedenen Sinne betont wird. In seiner anthropologischen Bestimmung fungieren Medien als Extensionen des menschlichen Körpers und Nervensystems. Sie ergänzen oder ersetzen die Sinnesorgane – beispielsweise erweitert die Filmkamera die visuelle Wahrnehmung und das Telefon den menschlichen Hörsinn –, wodurch Defizite der Wahrnehmung kompensiert werden. Gleichzeitig wandeln sich durch die medial hervorgerufene Neuorganisation der Sinnestätigkeit auch die Bedingungen der menschlichen Existenz und Erfahrung (vgl. McLuhan 1968). Medienhistorisch lässt sich dieser Wandel am Beispiel der Schrift nachvollziehen, durch deren Möglichkeiten der Fixierung und Speicherung von Gedanken sich die mentalen Strukturen der oralen Kulturen fundamental geändert haben. In gleicher Weise habe der Buchdruck durch den Wegfall der bei handgeschriebenen Manuskripten erforderlichen akustischen Lektüre zu einer weniger sinnlichen Erfahrung von Sprache geführt, darüber hinaus aber auch grundsätzliche Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in Gang gesetzt (vgl. Spahr 1997: 61f.).
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Wenn das keitai Funktionen und Leistungen anderer Medien in sich aufnimmt, dann bedeutet dies neben der Erweiterung seiner Gebrauchsmöglichkeiten auch eine Veränderung des medialen Charakters der einverleibten Anwendungen: Eine Zeitung, die als mobiler Download bezogen und auf dem kleinen Display des Mobiltelefons in elektronischer Form gelesen wird, ist etwas anderes als das haptische Format, das zu Hause am Küchentisch rezipiert wird. Es mag ähnliche Inhalte transportieren, setzt durch seine spezifische Materialität und Beschaffenheit jedoch ganz eigene Akzente und ist auch mit unterschiedlichen Implikationen bei der Aneignung verbunden. Medien sind demnach, wie anhand dieses Beispiels deutlich wird, nicht allein Mittler, sondern auch Konstrukteure von Kultur und in dieser Auffassung als eine eigenständige kulturelle Dimension zu betrachten. Während diese Überlegungen an späterer Stelle wieder aufgegriffen und näher erläutert werden, geht es in der Auseinandersetzung mit japanischer Sprache und Schrift zunächst um die beiden grundlegenden Zeichensysteme, auf denen alle Prozesse des Verstehens und Deutens aufbauen. Die Schrift stellt eine der wesentlichen Kulturtechniken zur Herstellung, Speicherung und Distribution von Informationen dar (vgl. Kloock 1997). Sie ist als kulturelle Errungenschaft anzusehen, die durch ihre Funktion, Botschaften und Erzählungen zu fixieren, wichtige Voraussetzung für den Erhalt von Erinnerungen und Traditionen und somit für die (Weiter-)Entwicklung von Kultur ist. Über die Vermittlung von Inhalten hinaus beeinflusst Schrift die Wahrnehmung und das Denken der Menschen. Für die Ausdifferenzierung des keitai spielt die kulturelle Bedeutung des Schriftlichen eine entscheidende Rolle. Mit der besonderen Bedeutung der Schriftfunktion im keitai offenbart sich auch eine komplexe Interaktion zwischen Oralität und Schriftlichkeit, die hier ebenfalls Gegenstand der Analyse ist (vgl. Ong 1999; Havelock 1999). Sprache und Schrift werden im folgenden Abschnitt insbesondere im Hinblick auf ihre Rolle im japanischen Alltag untersucht, wobei das Augenmerk darauf gerichtet ist, auf welche Weise sie bei den in der Mobilkommunikation ablaufenden Prozessen der Sinnbildung und Bedeutungsproduktion eingesetzt werden.
5.4.1 Schrift und Sprache
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Sprache und Schrift in Japan und ihrer Rolle bei den Anwendungen und Nutzungsweisen des keitai. Schriftlichkeit wird vor allem durch ihren Kontrast zur Mündlichkeit konturiert, wobei die je spezifischen Möglichkeiten der Speicherung von Wissen, Vorstellungen und Werten herauszustellen sind. So hängt Mündlichkeit mit einer größeren Flüchtigkeit von Inhalten, mit dem Fehlen eines fixierten Originaltextes und mit einer stärkeren Betonung
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von Gegenwärtigkeit zusammen. Mit der Einführung der Schrift ist die Option verbunden, Gesagtes festzuhalten und dadurch ein dauerhaftes Speichermodell zu schaffen, das unabhängig von mündlicher Aufführung und Wiederholung existiert (vgl. Assmann 2006: 60). Schrift bedeutet aber nicht nur die Option der Speicherung, sondern auch eine veränderte Aktivität des Geistes, worauf insbesondere Eric A. Havelock und Walter J. Ong in ihren Arbeiten hingewiesen haben. Gegenstand ihrer Auseinandersetzung war der mit dem Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit verbundene Wandel des Denkens, Wahrnehmens und Erfahrens: „Ohne die Schrift könnte das literalisierte Bewußtsein nicht so denken, wie es denkt, nicht nur dann, wenn es sich mit dem Schreiben beschäftigt, sondern auch, wenn es seine Gedanken in oraler Weise ausdrückt. Mehr als jede andere Erfindung hat das Schreiben das menschliche Bewußtsein verändert.“ (Ong 1999: 95)
Die Entstehung von Schrift ist in erster Linie als eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Abstraktion zu begreifen. Erst mit dem Schreiben begann eine „Abtrennung des Wortes vom Lebenszusammenhang, in dem allein gesprochene Wörter existieren können“ (Ong 1999: 98). Das aufschreibbare Wissen wurde damit unabhängig von Raum und Zeit, es musste nicht mehr in einen unmittelbaren Kontext gelebter Erfahrungen und Handlungen gestellt werden (vgl. Kloock 1997: 246). Weil die Schrift Entfernung schafft und das Bewusstsein für die vermittelten Inhalte steigert, legt sie die Grundlage für die menschlichen Fähigkeiten, kausal und abstrakt zu denken, eine kritische Distanz zu den Dingen zu entwickeln und den eigenen Standpunkt zu reflektieren (vgl. ebd.: 243f.). Zwischen Adaption und Anpassung: Die japanischen Schriftsysteme Schriftsysteme können in Aufbau und Form stark divergieren. Die besondere Leistungsfähigkeit des griechischen Alphabets liegt für Havelock beispielsweise darin, dass es die gesprochene Sprache in einzelne Teile zerlegen und damit die Verschriftlichung beliebiger Lautfolgen ermöglichen kann (vgl. Assmann/Assmann 1990: 8f.). Im Gegensatz zur Alphabetschrift bauen die chinesischen Schriftzeichen – die Grundlage der japanischen Schrift sind und in Japan kanji heißen138 – auf einem logografischen Prinzip auf. Das heißt, dass ein Zeichen ein ganzes Wort repräsentiert und folglich eine Idee vermittelt. Weder zeigt es seine phonetischen Komponenten an noch gibt es die Lautung der Sprache wieder (vgl. Havelock 1999: 88). Einen Bildcharakter haben 138 Die japanische und chinesische Sprache, Grammatik und Syntax weisen dagegen kaum Parallelen auf.
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die chinesischen Schriftzeichen aber nur in einem eingeschränkten Sinn. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich um semantisch-phonetische Zeichen, also um einfache oder zusammengesetzte Symbole und um Bedeutungs- und Aussprachezeichen, die keine Piktogramme darstellen. Oft zeichnen sie sich aber durch eine bildlich-assoziative Qualität aus (vgl. Grassmuck 1998: 202f.; Robinson 1996: 182ff.).139 Für den alltäglichen Gebrauch wird in Japan heute das Beherrschen von knapp 2000 kanji vorausgesetzt. Allein für das Entziffern von Zeitschriften und Romanen sind aber oft schon mehr als 3000 kanji erforderlich. Wer über einen höheren Bildungsabschluss verfügt, kennt häufig 5000 oder sogar noch mehr Zeichen (vgl. Grassmuck 1998: 2002). Sozialer Status ist offenbar eng an die Fähigkeit gebunden, kanji lesen und schreiben zu können. Das hohe Prestige der chinesischen Schriftzeichen dürfte auch ein Grund dafür sein, warum sie in Japan bis heute Verwendung finden, ohne zwingend vonnöten zu sein.140 Denn schon im neunten Jahrhundert wurden die kanji um spezifische japanische Symbole, die so genannten kana, ergänzt, die für die vollständige Transkription der japanischen Sprache ausreichend wären (vgl. Brown 1993). Bei den kana handelt es sich um die zwei phonetisch identischen Silbenschriften hiragana und katakana, die jeweils 46 verschiedene Zeichen umfassen. Sie wurden ergänzend zu den kanji eingeführt, um grammatikalische Verfeinerungen vornehmen, Hinweise auf die richtige Aussprache geben und Wörter aus anderen Sprachen aufschreiben zu können.141 Bereits hier zeigt sich die besondere Flexibilität der japanischen Sprache und Schrift: Während es mit den chinesischen Schriftzeichen schwierig wäre, technische Spezialbegriffe, Markennamen oder auch eine Reihe von aus dem Englischen, Deutschen oder Französischen 139 Daher ist die chinesische Schrift auch nicht als Ideografie aufzufassen, wie fälschlicherweise häufig angenommen wird. Denn die meisten Schriftzeichen sind eben „keineswegs unvermittelte Bilder oder natürliche Ikonen, die einen nichtphonetischen Zugang zu Gedanken, Begriffen, Gefühlen und den Dingen selbst eröffnen“ (Brown 1993: 184). Brown bezeichnet diesen Irrtum als Form von Orientalismus, der selbst einen bekannten Philosophen wie Jacques Derrida dazu verführt habe, die chinesische Schrift als von Ideogrammen beherrscht anzusehen (vgl. ebd.). 140 Abgeschafft werden könnten die chinesischen Schriftzeichen aber schon deshalb nicht, weil künftige Generationen dann nicht mehr imstande wären, überlieferte Texte und historische Literatur zu lesen (vgl. Dambmann 2002: 102). 141 Hiragana ist deutlich weiter verbreitet, weil sowohl Vor- und Nachsilben als auch die im Japanischen zahlreich zu findenden Partikel mit dieser Silbenschrift geschrieben werden. Das phonetische katakana füllt die Lesebücher von Schulanfängern und wird für das Schreiben von ausländischen Namen und fremdsprachigen Begriffen verwendet, die in den japanischen Wortschatz adaptiert wurden (vgl. u.a. Erlinghagen 1974: 23).
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entlehnten Wörtern darzustellen, ist dies fast wortgenau mit den katakana möglich.142 So kann etwa auch die Vielzahl der im Bereich der Computertechnologie entstandenen Wortneubildungen ins Japanische aufgenommen und in ein speziell hierfür geeignetes Schriftsystem transformiert werden – Beispiele hierfür sind die japanischen Wörter meru für E-Mail, pasokon als Abkürzung für Personal Computer oder softo als Kurzform von Software. Krotz und Hasebrink (2002) weisen in diesem Kontext auf die „Variabilität und Adaptionsfähigkeit der japanischen Sprache“ hin (ebd.: 48). Sie bringen diese mit den Anpassungsleistungen in einen Zusammenhang, die dem Land seit seiner historischen Entwicklung immer wieder aufgezwungen wurden. Eine solche Leistung stelle auch die Modifikation der chinesischen Schrift dar, die von den Japanern übernommen, durch die Einführung der kana aber ‚japanisiert‘ wurde. Es könnte hier auch von einer besonderen Rezeptionsfähigkeit gesprochen werden, „die sowohl die schnelle Aneignung neuer Verfahren und die Nachahmung und Weiterentwicklung industrieller Prozesse ermöglicht, wie auch das Verhältnis zur engeren Schrift und Sprache bestimmt“ (Erlinghagen 1974: 22). Die Übernahme fremder Schriftsysteme ist zwar für viele Kulturen kennzeichnend (vgl. Brown 1993: 185), die japanische Anpassungsfähigkeit scheint jedoch auffällig ausgeprägt, was die Vermutung nahe legt, dass sie aufgrund der im historischen Zeitverlauf immer wieder an sie herangetragenen Ansprüche für einen „interkulturellen Transfer“ besser geeignet ist als andere Systeme (Krotz/Hasebrink 2002: 48). Neben dem hohen Ansehen, das die chinesischen Schriftzeichen und deren Kenntnis genießen, sind sie auch wegen der im Japanischen zahlreich vorhandenen Homophone von Bedeutung, die sich aus der verhältnismäßig geringen Zahl von insgesamt ca. 200 Silben ergeben (vgl. u.a. Grassmuck 1998: 203). An den kana lässt sich (nur) die Aussprache eines Wortes ablesen, das unter Umständen mehrere Bedeutungen hat, während die kanji bereits auf die spezifische Bedeutung einer Lautfolge verweisen. Zwar gibt es in allen Sprachen Homophone, also gleich klingende Wörter mit unterschiedlichen Wortbedeutungen, sie sind jedoch in Japan besonders häufig, sodass dem Kontext des Gesagten hier mehr Gewicht zukommt als anderswo (vgl. Robinson 1996: 203). Auch dadurch, dass ein und dasselbe Zeichen verschiedene Bedeutungen haben kann oder auf unterschiedliche Weise gesprochen wird, erschließt sich der Sinn der geschriebenen und gesprochenen Sprache oft erst im Zusammenhang. 142 Da katakana eine Silbenschrift ist, werden außer bei den Vokalen komplette Silben wiedergegeben, sodass die Begriffe eine leichte Modifikation erfahren. Aus dem englischen Begriff für Weihnachten (christmas) wird beispielsweise kurisumasu, Baseball wird zu besuboru und das deutsche Wort Arbeit, das im Japanischen zur Bezeichnung eines Jobs gebraucht wird, schreibt sich in der Silbenschrift arubaito (vgl. Dambmann 2002: 108f.).
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Vor eben diesem Hintergrund ist die häufig parallele Gebrauchsweise von Sprache und Schrift in Japan zu verstehen. Im Alltag macht sich die enge Verbindung der beiden Ausdrucksformen darin bemerkbar, dass oft Zettel und Stift herangezogen und zur Unterstützung des gegenseitigen Verständnisses eingesetzt werden – insbesondere wenn es darum geht, Orts- und Personennamen auseinander zu halten (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 49; Robinson 1996: 205; Dambmann 2002: 102).143 Grassmuck (1998: 203) äußert diesbezüglich, dass die japanischen Phoneme weniger determiniert und eindeutig seien und einer komplexen grafischen Differenzierung gegenüberstehen. Die Bedeutung des Aufschreibens und Zeigens von Wörtern habe ihm zufolge aber noch eine weitere Dimension: „Die Funktion dieser Geste ist also nicht nur die kommunikative der Disambiguierung von Homonymen. Das individuelle Schriftgedächtnis selbst beruht auf einer kinetisch-motorischen Speicherung. Ein Kanji besteht aus bis zu 60 einzelnen Strichen. Wörter werden nicht als abstrakte, unkörperliche Einheiten memoriert. Sie sind – zumindest auch – auf eine kinetischmotorische Weise gespeichert, als ein Bewegungsfluß der Pinselspitze von Strich zu Strich.“ (Ebd.: 203f.)
Neben der Auflösung von Zweideutigkeit hat das Hinzuziehen der Schrift offenbar auch mit der sinnlichen Erfahrung des Schreibens zu tun, die im Prozess der Aneignung von Zeichen eine signifikante Rolle spielt. Kennzeichen der Sprache und Konventionen des Sprachgebrauchs Die Kontextbezogenheit der japanischen Schrift findet ihre Entsprechung in der Sprache. Eindeutige Positionierungen und Stellungnahmen sind im Japanischen selten. Gesprächsinhalte werden oft nur angedeutet oder durch standardisierte Phrasen, Redundanzen und Floskeln verschleiert. Deswegen sind es gerade die hintergründigen Details, die in der japanischen Sprache von enormer Bedeutung sind: die Stimme, der Tonfall, eine beiläufig scheinende Geste oder eine bewusst eingesetzte Pause. Solche Zusatzinformationen können aussagekräftiger als die sich häufig wiederholenden Gemeinplätze sein, die bei der interpersonalen Kommunikation ausgetauscht werden. Aufgrund der jahrelangen Isolierung des Landes und der Homogenität seiner Bevölkerung sind die sprachlichen Spielregeln und Kommunikationskonventionen untereinander bekannt. Vieles kann unausgesprochen bleiben, weil 143 Ist kein Schreibwerkzeug zur Hand, kommen andere Hilfsmittel zum Einsatz, z.B. pantomimische Schreibbewegungen in die Luft oder auf den Handteller oder verbale Beschreibungen der korrekten Strichart eines Zeichens (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 49; Robinson 1996: 205; Dambmann 2002: 102).
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Andeutungen und Abkürzungen für ein gegenseitiges Verständnis ausreichen. Schweigen gilt in Japan als Tugend, es wird nicht als Zeichen fehlender Kommunikation gewertet, sondern durch Blicke und Gesten mit Inhalten gefüllt. Stille ist somit regulärer Kommunikationsmodus, der gerade in öffentlichen und geschäftlichen Situationen bewusst eingesetzt wird (vgl. Nishida 1996: 112). Die Vieldeutigkeit, von der die japanische Sprache gekennzeichnet ist, rührt aber auch daher, dass sie den Hörenden zum Teil erhebliche Ergänzungsleistungen abverlangt. Verben werden nicht konjugiert,144 Plural- und Singularformen fehlen und auf die Nennung eines Subjekts wird in den meisten Sätzen vollständig verzichtet. Bedeutungen erschließen sich daher oft erst aus dem Zusammenhang, dem in Japan ein besonderer Stellenwert zukommt (vgl. Erlinghagen 1974: 27f.). Eine deutliche sprachliche Differenzierung zeigt sich im Japanischen allerdings im Hinblick auf die unterschiedlichen Anredeformen. Abhängig vom jeweiligen Gegenüber wird nicht nur zwischen einer informellen Du- und einer offiziellen Sie-Form unterschieden. Vielmehr drückt sich in der spezifischen Form der Anrede der genaue Beziehungsgrad zwischen den Sprechenden aus. Durch die Adressierung werden neben dem genauen Verwandtschaftsverhältnis (Mutter, jüngster Sohn, ältere Schwester etc.) auch der soziale Status und die jeweilige (berufliche) Hierarchie-Ebene der Interaktionspartner hervorgehoben. Japanisch gilt somit als eine relationale Sprache, die darauf angelegt ist, Beziehungsgeflechte, soziale Positionierungen und Formen der Vergemeinschaftung sprachlich zu reproduzieren. Im Gegensatz zu westlichen Kulturen scheinen in Japan für die Selbstwahrnehmung die Beziehungen zu anderen Menschen zentral zu sein, da ein von den sozialen Strukturen unabhängiges „Ich“ kaum artikuliert wird.145 Sprachliche Vielfalt und Variation entstehen im Japanischen darüber hinaus durch die Anpassung von Verben und Substantiven an komplexe Höflichkeitsregeln. Die japanische Sprache ist bekannt für spezifische Ausdrucksweisen, die je nach Situation und Anlass variieren – von besonders bescheiden über formell bis gewöhnlich. Verben existieren nicht nur in einer neutralen, sondern auch in einer Höflichkeitsform, die beispielsweise in Gegenwart von Vorgesetzten, Geschäftspartnern oder Lehrern Anwendung findet. Bei Substantiven wird Respekt durch das Voranstellen der Silbe ‚o‘ ausgedrückt, die jedoch nicht bei jedem Wort hinzugefügt werden darf. Dass es für diese Art der sprachlichen Differenzierung keine nachvollziehbaren Regeln, 144 Bei dem Gebrauch von Wörtern wie kuru kann somit nicht unterschieden werden, ob es als „ich komme“, „sie kommt“, „wir kommen“ oder auch „sie werden kommen“ zu übersetzen ist. 145 Vielfach wird daraus eine Kontextabhängigkeit und Instabilität des japanischen Selbst abgeleitet (vgl. Hasegawa/Hirose 2005: 223f.; Krotz/Hasebrink 2002: 48).
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sondern nur Konventionen gibt, macht es für Fremde umso schwieriger, die Feinheiten der japanischen Umgangsformen zu beherrschen (vgl. Dambmann 2002: 105ff.; Erlinghagen 1974: 28). Dies gilt auch in Bezug auf das undurchsichtige Zahlensystem146 und die Ausdifferenzierung spezifischer Geschlechtersprachen: Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrer Sprache durch den Gebrauch eigener Begrifflichkeiten, aber auch durch charakteristische Betonungen und verschiedene Stimmlagen (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 48).147 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die japanische Sprache einerseits durch Vieldeutigkeiten und Ambivalenzen gekennzeichnet ist, wie Nishida (1996: 112) auf den Punkt bringt: „Speech is ambiguous from beginning to end.“ Ihre Kontextgebundenheit sowie die über lange Zeit gewachsenen sozialen Übereinkünfte über ihre Anwendung unterstreichen diese charakteristischen Eigenschaften. Andererseits lässt sich in bestimmten Bereichen eine im Vergleich zu europäischen Sprachen genauere Ausdifferenzierung feststellen – dies vor allem im Hinblick auf die Interaktion mit anderen Menschen, bei der durch sprachliche Abstufungen eine relationale Positionierung sowohl der eigenen Person als auch der Gesprächspartner vorgenommen wird. Differenzierungen im Sprachgebrauch erfolgen auf mehreren Ebenen – entlang des Geschlechts, des sozialen Status, der beruflichen Hierarchie oder des Verwandtschaftsverhältnisses – und durch unterschiedliche Praktiken, wie etwa durch bewusste Auslassungen, bedeutungsvolles Schweigen, spezifische Betonungen oder spezielle Gesten (vgl. Krotz/Hasebrink 2002: 48). Die Digitalisierung der Schrift In seinem Aufsatz „Die japanische Schrift und ihre Digitalisierung“ beschreibt Volker Grassmuck (1998) den komplizierten Weg von der japanischen Handschrift bis zu ihrer Technisierung, auf dem sich die kanji als größtes Hindernis erwiesen. Der enorme Zeichenbestand des 146 Das japanische Zahlensystem zeichnet sich durch die parallele Existenz mehrerer Arten zu zählen aus. Für abstrakte Angaben, Rechnungen in der Mathematik oder im Zahlungsverkehr gibt es ein Zahlensystem, das seinen Ursprung im Chinesischen hat, aber nicht für das Zählen von Gegenständen verwendet wird. Die traditionelle japanische Zählweise gilt für konkrete, leblose Dinge, während dünne flache Gegenstände, wie Briefmarken oder Zeitungen, wiederum anders gezählt werden als runde wie Stifte oder Flaschen. Insgesamt enthält der japanische Wortschatz eine nicht geringe Anzahl unterschiedlicher Zähleinheitswörter, die als Suffixe an Zahlenangaben angehängt werden und jeweils einem bestimmten abstrakten Begriff oder einer Gruppe von Gegenständen zugrunde liegen (vgl. u.a. Dambmann 2002: 107). 147 So sorgt die Anwendung der japanischen Sprache von männlichen Ausländern, die mit einer Japanerin liiert und naturgemäß durch deren Sprachgebrauch geprägt sind, in Japan nicht selten für Erheiterung aufgrund ihrer oft typisch weiblichen Wortwahl und Betonung.
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Japanischen sei Grund dafür gewesen, dass sich der in Japan schon im 16. Jahrhundert bekannte Typendruck nicht durchsetzte, sondern bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Holzsiegeldruck für die Vervielfältigung von Schriften dominierend war.148 Diese Technik, für deren Popularität auch ästhetische Aspekte eine Rolle spielten, tat der Zirkulation von Büchern und Druckerzeugnissen seit dem 17. Jahrhundert zwar keinen Abbruch, sie verhinderte aber die „[…] Einführung eines diskreten typographischen Zeichensatzes. Die mechanische Reproduktion von Wort und Bild treibt die Abstraktion von der schreibenden Hand nicht voran.“ (Ebd.: 208) Als später die ersten Schreibmaschinen (taipu-raitâ) aus dem Ausland importiert wurden, gab es folglich noch keine typografische Tradition der japanischen Schrift. Die Geräte waren fremdartig, fast futuristisch, galten als „mediale Schaltstellen zum Westen“ und konnten lediglich die lateinischen, horizontalen Schriften reproduzieren (ebd.: 209). Mit der Erfindung der ersten für die japanische Schrift geeigneten Schreibmaschine, die etwa 3000 kanji aufschreiben konnte, änderte sich dies um 1930. Sie war, wie Grassmuck ausführt, einem mechanischen Setzkasten ähnlich und fand in Japan keine massenhafte Verbreitung, wurde lediglich von professionellen Typistinnen für offizielle Dokumente gebraucht (vgl. ebd.). Auch im weiteren Prozess der Computerisierung der japanischen Schrift stellten die kanji die größte Hürde dar. Im Gegensatz zum griechischen Alphabet sind sie unlogisch, sie basieren nicht auf einem einheitlichen und schlüssigen System, das sich auf einfache Weise in die Codes der Computersprache transformieren ließe. Und gerade die PC-Tatstatur scheint wenig dafür geeignet, die Eingabe von mindestens 2000 verschiedenen Schriftzeichen zu organisieren (vgl. Robinson 1996: 209). Durch Doppelbelegung der Tasten war es seit den 1960er Jahren zwar möglich, neben den Buchstabenschriften auch katakana in den Computer ein- und über den Drucker wieder auszugeben. Ein komplexes System zur Umformung und Digitalisierung der kanji war zu dieser Zeit aber noch nicht erfunden.149 Den ersten kanji-fähigen Heim-PC brachte Toshiba Ende der 1970er Jahre auf den japanischen Markt. Mit dem so genannten wâpuro oder auch wâdo purosessâ, dem Textverarbeitungssystem für die japanische Sprache, das zugleich auch einen einfachen, nur zur Textverarbeitung genutzten Computer bezeichnet, wurde der Computer in Japan umfas148 Holzschnitte waren im Gegensatz zum Typensatz mit geringeren Investitionskosten verbunden und angesichts der Vielzahl der im Japanischen verwendeten Zeichen schneller zu erstellen und zu modifizieren. 149 Neben anderem wurde hierfür eine Methode entwickelt, bei der die kanji als vierstelliger Code eingegeben wurden. Darüber hinaus gab es so genannte kanji-Tabletts, auf denen die Zeichen mit einem Stift angewählt werden konnten. Beide Erfindungen setzten sich allerdings langfristig nicht durch.
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send popularisiert. Denn erstmals konnte die Möglichkeit, digital zu schreiben, von einem breiten Rezipientenkreis in Anspruch genommen werden. „Waren bewegliche Typen und Schreibmaschine professionelle Werkzeuge, so stellte der Wapuro den ersten Schritt überhaupt von der Handschrift zur technisierten Schrift für potentiell jeden dar.“ (Grassmuck 1998: 213) Die Eingabe der Schrift in den Computer erfolgt im Japanischen phonetisch, d.h., es werden zunächst die lateinischen Buchstaben in eine Standard-Tastatur eingetippt, die in einem zweiten Schritt in kana-Silben umgeformt werden.150 Auf die Ebene der kanji gelangt man durch Betätigung einer Umwandlungstaste, die die kana-Silben mit einem Wörterbuch abgleicht. Für das eingetippte Phonem wird dann das am häufigsten gebrauchte kanji auf dem Bildschirm präsentiert. Da es aufgrund der zahlreichen Homonyme oft mehrere Möglichkeiten gibt, kann aus einer Liste von Alternativen das richtige kanji ausgewählt werden, sollte es sich beim ersten Vorschlag nicht um das gewünschte Zeichen handeln (vgl. ebd.: 214). Obwohl es laut Grassmuck näher am japanischen Schriftgebrauch wäre, das Zeichen nicht durch die phonetische Eingabe zu generieren, sondern aus seinen grafischen Bestandteilen zusammenzusetzen, hat sich diese Form der Eingabe im alltäglichen PC-Gebrauch durchgesetzt. Es war somit auch Vorbild für die Textanwendungen im keitai. Hier vollzieht sich die Umwandlung der japanischen Schrift auf ganz ähnliche Weise, obgleich die Ziffern auf der Telefontastatur nicht nur mit Buchstaben, sondern auch mit den japanischen Silben belegt sind.151 Die kanji werden genau wie bei der Textverarbeitung im PC in einem Umwandlungsprozess der Phoneme erzeugt, bei dem mehrere Möglichkeiten ins Spiel gebracht werden, aus denen es das korrekte Zeichen auszuwählen gilt. Diese Eingabe erscheint aus westlicher Perspektive als mühsam, hat sich in Japan aber dennoch massenhaft durchgesetzt, und zwar in erstaunlich kurzer Zeit. Bis in die 1980er Jahre hinein war hier noch die traditionelle Handschrift vorherrschend, während digitale Textverarbeitungssysteme in anderen Ländern auf eine Nutzerschaft trafen, die bereits durch die Schreibmaschine sozialisiert worden war. Es verwundert daher kaum, dass sich der Computer in Japan nicht so schnell 150 Ein „t“ erscheint auf dem Bildschirm zunächst also als „t“, wird aber als Silbe „ta“ in hiragana angezeigt, wenn daraufhin ein „a“ eingegeben wird. Mit einer speziellen Tastaturbelegung ist es alternativ allerdings auch möglich, die kana direkt in den PC einzugeben. 151 Die Eingabe der kana kann somit direkt stattfinden bzw. erfolgt gegebenenfalls durch mehrmaliges Drücken einer einzelnen Taste, die immer mit mehreren Silben belegt ist. Neben der Ziffer 2 in der oberen Reihe der Telefontastatur ist beispielsweise das hiragana-Zeichen für „ka“ zu lesen, das darauf verweist, das diese Taste mit den Silben „ka“, „ki“, „ku“, „ke“ und „ko“ belegt ist, darüber hinaus aber auch mit den ebenfalls auf der Taste angezeigten Buchstaben „A“, „B“ und „C“.
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verbreitete wie in den westlichen Industrienationen, denn der Einstieg in das digitale Schreiben erfolgte hier mit erheblich größerem Lernaufwand. So stellte die Textverarbeitung am PC für die breite Masse die erste Möglichkeit überhaupt dar, das Medium Schrift von der Hand zu lösen und in einer technisierten Form wiederzugeben (vgl. Grassmuck 1998).152 Die facettenreiche Nutzung des keitai und insbesondere seiner schriftlichen Kommunikationsmodi könnte teils auch mit eben dieser fehlenden Schreibmaschinenkultur in Japan zusammenhängen, durch die eine Vorherrschaft des Desktop-Mediums noch nicht so stark ausgebaut war. Die mobilen Geräte stellen somit auch eine wichtige Sozialisationsinstanz für das technisierte Schreiben dar. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der japanischen Mobilkommunikation Das wichtige Zusammenspiel von Sprache und Schrift in der Alltagskommunikation gilt als eine der Ursachen dafür, dass Japan eine der niedrigsten Analphabetismusraten weltweit hat.153 Die enorme Bedeutung der Schrift, die sich u.a. in dem Vorhandensein dreier verschiedener Schriftsysteme ausdrückt, korrespondiert auch mit der starken Beanspruchung der mobilen textbasierten keitai-Funktionen. Mit Blick auf die Geschichte und Entstehung der japanischen Mobilkommunikation ist schon im Entwicklungsprozess des Pagers die herausragende Rolle der Schrift erkennbar geworden. Wie in Kapitel 2.1 bereits dargestellt, waren die ersten Pager in Japan nicht darauf angelegt, schriftliche Botschaften zu transportieren. Dennoch entwickelten Teenager ein System, mit dem sie sich mithilfe ihrer Pager auf Zahlencodes basierende Nachrichten zuschicken konnten. Auf Unternehmensseite wurde diese populäre, durch Jugendliche geprägte Nutzungspraktik in den Nachfolgemodellen aufgegriffen. Nach Implementierung der neuen, für jedermann zugänglichen Pager-Funktion konnte der mobile schriftliche Austausch von Mitteilungen auch ohne vorherige Verständigung über ein gemeinsames Referenzsystem in Anspruch genommen wer152 Die Technisierung der Schrift hatte in Japan zuvor lediglich auf einer anderen Ebene stattgefunden, nämlich durch den Gebrauch des Telefax. Anders als die E-Mail schien dieses Gerät wie geschaffen für die japanischen Schreibgewohnheiten und die Vorliebe für handgeschriebene Dokumente (vgl. Kleinsteuber 1996). Die Verbreitung des Faxgeräts in Privathaushalten ist seit Ende der 1990er Jahre von 34,2 Prozent im Jahr 1999 auf einen Höchstwert von 55,4 Prozent im Jahr 2007 enorm angestiegen und folgt trotz der massenhaften Verfügbarkeit mobiler und digitaler Allround-Medien erst seit 2008 einem leicht rückläufigen Trend (vgl. Communications Usage Trend Survey 2008: 7; siehe auch Robinson 1996: 208). 153 Krotz und Hasebrink (2002: 49f.) weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass Analphabetismus in Japan relativ ist, da niemand alle Schriftzeichen kennen kann, während er in Schriftkulturen, die auf dem griechischen Alphabet basieren, absolut ist.
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den (vgl. Okada 2005: 51; siehe hierzu ausführlich Kapitel 2.1). Ähnlich wie dies von Claude S. Fischer (1992) für das Telefon beschrieben wurde, unterlag somit auch der Pager einem Prozess der Umdeutung durch die Nutzerinnen und Nutzer.154 Er wurde durch den spezifischen Technologiegebrauch Jugendlicher von einem auf die Herstellung oraler Kommunikation abzielenden Gerät in ein Medium der schriftlichen Kommunikation transformiert.155 Sein spezifischer Gebrauch trug nicht nur zu einer enormen Popularisierung mobiler Kommunikationstechnologien bei, sondern ebnete auch den Weg dafür, dass sich das Medium Schrift in der Mobilkommunikation langfristig durchsetzen und etablieren konnte. Für die große Bedeutung der schriftbasierten Mobilkommunikation ist zudem die besondere Art der Ansprache relevant, die durch das Senden von Textnachrichten möglich wird. Schrift bedeutet nicht nur eine im Vergleich zur Sprache unterschiedliche Form der Wahrnehmung – eine stärkere Abstraktion im Kontrast zur größeren Unmittelbarkeit von Oralität –, sie ist aufgrund ihres asynchronen Charakters auch diskreter und unaufdringlicher im direkten Kontakt mit anderen Menschen. Unter Rekurs auf den Psychiater Ken Ohira (1995) stellt Matsuda (2005a: 28f.) dar, wie im Zusammenhang mit dem Aufkommen und der Verbreitung der Pager-Technologie eine neue als new yasashisa bezeichnete Umgangsform in Japan zum Thema wurde. Yasashisa bedeutet Freundlichkeit und Besonnenheit und meint einen respektvollen, harmonischen Umgang miteinander. Die Charakterisierung dieses Verhaltens als neu (new) bezieht sich auf die bedachtsamere und taktvollere Art der Kontaktaufnahme, die durch den Pager und seine Formen der schriftlichen Kommunikation möglich wurde. Weil mittels mobiler Textnachrichten persönliche Freiräume und Gefühle besser respektiert werden können als durch die Direktheit oraler Kommunikation, steht new yasashisa für eine neue Form der Rücksichtnahme: Beispielsweise entfällt die Aufdringlichkeit eines Telefonläutens, der Empfänger oder die Empfängerin kann eigenständig darüber entscheiden, wann und wie die Kommunikation erwidert wird. Er oder sie bekommt die Rolle des bzw. der aktiv Handelnden zuge154 Es zeigt sich eine deutliche Analogie zu den Frühzeiten des Telefons, das anfangs ebenfalls mit einem ausschließlich geschäftlichen Gebrauch assoziiert wurde und von den Telekommunikationsunternehmen als reines ‚Businesstool‘ vermarktet wurde. Als Hausfrauen anfingen, das Telefon für private Gespräche und zur Stabilisierung sozialer Beziehungen zu nutzen, sahen sie sich der Kritik ausgesetzt, das Gerät falsch anzuwenden und seinem Zweck zu entfremden (vgl. Fischer 1992: 232f.; siehe auch Klaus 2007). 155 Ein weiteres Indiz für die Bedeutung von Schrift für die Identität von Jugendkulturen lässt sich in der so genannten kawaii-Kultur finden, die ihren Ursprung in einem veränderten Umgang mit der japanischen Sprache und Schrift hat (siehe Kapitel 5.4.3).
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wiesen und muss sich nicht den sofortigen Anforderungen der Kommunikationssituation unterwerfen, sondern kann den Gesprächsfortgang von eigenen Zeitvorstellungen abhängig machen. Diese Möglichkeit größerer Rücksichtnahme fällt umso mehr ins Gewicht, als dass es in den Inhalten mobiler Textnachrichten selten um die Artikulation eines bestimmten Anliegens oder um einen Informationsaustausch im eigentlichen Sinn geht, wie Ito (2004) dargelegt hat (siehe Kapitel 5.3.4). Die schriftlichen Mitteilungen dienen vor allem der gegenseitigen Existenzvergewisserung und erfordern in der Regel keine sofortige Reaktion. Sie ermöglichen ein unauffälliges Eindringen in den Kommunikationsraum des anderen, ohne dabei zu stören oder laufende Aktivitäten zu unterbrechen. Das Störpotenzial der Mobilkommunikation ist dabei nicht nur vom Individuum aus zu denken, sondern betrifft auch die Öffentlichkeit. Die Verbreitung von Medientechnologien wie Pager und keitai und die damit verbundene zunehmende Durchdringung des Alltagslebens mit Formen von Medienkommunikation hat neue Regeln für die Kommunikation im öffentlichen Raum entstehen lassen. Die Durchsetzung mobiler Schriftlichkeit ist auch vor diesem Hintergrund zu betrachten: Wo orale Kommunikationsmodi verboten oder nicht erwünscht sind – etwa im Raum des öffentlichen Nahverkehrs, wie bereits in Kapitel 5.1.3 anhand des dort wirksamen Verhaltenskodex’ dargestellt wurde –, entsteht ein Nährboden für alternative Verständigungspraktiken, die sich inmitten von täglich in die Stadtzentren pendelnden Menschenmassen unaufdringlicher gestalten lassen als für jedermann wahrnehmbare Telefongespräche. Ein weiterer Aspekt, der die Bedeutung mobiler schriftlicher Kommunikation in Japan unterstreicht, hängt mit dem Charakter der Schriftzeichen zusammen. Bevor es mit dem mobilen Internet möglich wurde, Nachrichten als E-Mail mit einer Länge von bis zu 10.000 Zeichen zu verschicken, gab es beim japanischen Short Message Service genau wie in Deutschland eine Zeichenbegrenzung pro gesendeter Nachricht. Weil Japanisch eine logografische Schrift ist, bei der ein Zeichen ein ganzes Wort und nicht nur einen einzelnen Buchstaben repräsentiert (s.o.), konnten und können in den mobilen Kurznachrichten mehr Inhalte transportiert werden als dies bei den buchstabenbasierten Mitteilungen der Fall ist (vgl. Bell 2005: 68).156 Stärker als dies in Sprachen mit lateinischer Schrift möglich ist, avancierte das keitai unter diesen Voraussetzungen zu einem literarischen Werkzeug, das an verschiedene Schreib- und Lesetraditionen in Japan anknüpft. Eine dieser Traditionen, die hier näher aufgegriffen werden soll, ist die besondere Affinität zu kurzen, prägnanten Textformen. Dies 156 Genevieve Bell (2005) veranschaulicht dies anhand chinesischer SMS-Erzählungen, die den Mobilfunkkunden in serieller Form angeboten werden.
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zeigt sich beispielsweise in der Popularität des Haiku, das als einer der kürzesten Gedichtformen überhaupt seinen Ursprung in Japan hat. Mobile Kurznachrichten sind, sofern sie exakt die maximal erlaubte Zeichenanzahl enthalten, bereits an anderer Stelle als moderne Form des Haiku beschrieben worden (vgl. Ling/Yttri 2002: 158). Ähnlich wie die SMS eine Begrenzung der Zeichen erfordert, gibt auch das Haiku ein genaues Silbenmuster vor, in das sich der Text einpassen muss. Und ähnlich der mobilen Nachricht stellt auch das Haiku eine Momentaufnahme des Alltags dar und bringt bestimmte situative Gefühlslagen zum Ausdruck. Bei beiden handelt es sich um stärker affektive denn informationsorientierte Textformen, die hauptsächlich um ihrer selbst Willen existieren. Ihre Inhalte müssen entschlüsselt werden, denn sie verzichten zumeist auf Eindeutigkeit. Auch dies gilt für das Haiku, das in der Regel in hiragana geschrieben wird, genauso wie für die mobile Kurznachricht: Bei den Haiku wird vielfach mit der Mehrdeutigkeit der Homonyme gespielt, während für die Kurznachricht von jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern besondere, auf den ersten Blick nicht zu durchschauende Schreibweisen entwickelt worden sind.157 Somit scheint das Zeichen – mit der Terminologie der Semiotik gesprochen – in der japanischen Mobilkommunikation eine zum Bezeichneten ebenbürtige Position einzunehmen, wie durch die unterschiedlichen Spielarten mobiler Schriftlichkeit anschaulich demonstriert wurde. Der über Belanglosigkeiten oft nicht hinausgehende Inhalt von Kurznachrichten ist offenbar nicht wichtiger als die Formen seiner Enkodierung, die durch die kreative Schöpfungskraft der Nutzerinnen und Nutzer einen ganz eigenen Charakter erhalten. In einer vergleichbaren Lesart will Barthes auch das Haiku verstanden wissen, dessen Sinn nicht dazu bestimmt sei, durchdrungen zu werden, sondern dessen Worte und Bedeutung gleichwertig nebeneinander stehen (vgl. Barthes 1981: 98f.). Auch die so genannten kaomoji oder emoji, wie in Japan Emoticons als Erweiterung computerbasierter Schrift genannt werden, lassen sich als Schriftzeichen betrachten, die nicht nur gelesen, sondern auch gesehen werden. Die digitalen Symbole, die in der japanischen Internetkommunikation erstmals 1986 in Erscheinung traten, sind zwar in fast allen Kulturen zu finden. In Japan sind sie aber besonders stark verbreitet und – da sie anders als die Smileys in Deutschland nicht gedreht gelesen werden und somit variabler sind – äußerst facettenreich. In ihrer Studie über den Gebrauch von kaomoji stellen Katsuno und Yano (2002) heraus, dass diese auf eine spezifische Form 157 Damit ist zum Beispiel die bereits im Zusammenhang mit dem Pager erwähnte Ziffernkodierung gemeint oder das so genannte gyaru-moji (wörtlich etwa: Mädchen-Alphabet), bei dem japanische Zeichen durch ähnlich geformte lateinische Buchstaben, Zahlen oder Symbole ersetzt werden.
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der Beziehungspflege verweisen. Weil durch die grafische Darstellung von Gesichtern körperliche Ausdrucksformen in Zeichen verwandelt werden, seien die kaomoji als eine Übertragung unmittelbarer Gefühle, aber auch als Extensionen des Körpers im Sinne McLuhans zu begreifen: „Kaomoji […] become electronic prostheses not only of the face (and other parts of the body) but also of emotion that accompanies social interaction.“ (Ebd.: 209) Dabei lassen sich die kaomoji aber nicht auf handfeste Bedeutungen festlegen, als „online surrogate face“ sollen sie vor allem wahrgenommen werden (ebd.: 218). Verwendung finden die Symbole vor allem in der spontanen Kommunikation, die auf einen verkürzten Austausch in Echtzeit gerichtet ist. Weil das keitai diese Art der Kommunikation eher unterstützt als das stationäre Internet, sind die mobilen Textnachrichten in stärkerem Maße mit dem Gebrauch von kaomoji assoziiert als E-Mails, die von einem DesktopPC aus geschrieben werden. Hierzu passt, dass die Nutzung von schriftbasierten Kommunikationsmodi und von kaomoji insbesondere bei Jugendlichen mit der Verbreitung von Pager, keitai und i-mode stark angestiegen ist (vgl. Katsuno/Yano 2002: 212). Mit kaomoji versehene Kommunikate haben meist einen flüchtigen, leichten und spielerischen Charakter, wie Katsuno und Yano (2002: 219ff.) hervorheben. Sie eignen sich vor allem für unverbindliche Mitteilungsformen, die nichtsdestotrotz von emotionalem Gehalt sind, indem sie etwa auf die eigene Existenz verweisen oder die Gegenwart anderer bestätigen. Die beiden Autoren wollen die Nutzung von kaomoji aber nicht als eine verkümmerte Form des Schreibens verstanden wissen, sondern als „secondary literacy“ (ebd.: 17). Diese ordne sich zwischen der auf die Gegenwart bezogenen oralen Kommunikation und der abstrakten, auf Geschlossenheit gerichteten schriftlichen Kommunikation ein. Kaomoji haben in Japan auch deshalb einen so hohen Stellenwert, wie Katsuno und Yano weiter ausführen, weil sie Teil einer Kultur sind, in der Schrift immer auch eine ästhetische und nicht nur eine semantische Funktion erfüllt. Dies zeigt sich etwa in Medien wie den Manga, die den Gebrauch von kaomoji beeinflussen und in deren schematisierten Darstellungen eine ähnliche Zwischenstellung zwischen Schrift und Bild eingenommen wird wie dies bei den japanischen Smileys der Fall ist (vgl. ebd.: 213; siehe Kapitel 5.4.2).158 158 Eine Rolle spielt auch der bereits beschriebene Umwandlungsprozess von lateinischen Zeichen auf der Tatstatur in kana und kanji auf dem Bildschirm. Durch die Umwandlung bestimmter Tastenkombinationen in kanji ist den Nutzerinnen und Nutzern der ähnlich gestaltete Gebrauch von kaomoji nicht fremd. So lasse sich beispielsweise dem Wort niko für Lächeln relativ einfach auf der Tastatur das kaomoji für Lächeln zuordnen (vgl. Katsuno/Yano 2002: 211). Inzwischen kann in der schriftlichen keitai-Kommunikation bei einer Vielzahl von Wörtern ausgewählt werden, ob das kanji oder das entsprechende (Smiley-) Symbol angezeigt und eingesetzt werden soll.
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Zusammengefasst zeigt sich eine ausgeprägte Schriftkultur in ganz unterschiedlichen Bereichen des japanischen Alltags. Dieser besondere Stellenwert der Schriftlichkeit findet sich letztlich auch im keitai wieder: Die Nutzung schriftbasierter Funktionen hat wesentlich zu der Popularisierung mobiler Technologien beigetragen, sie hat die Durchsetzung und Verbreitung innovativer Entwicklungen (i-mode) begünstigt, das technisierte Schreiben vorangetrieben, neue Interaktions- und Umgangsformen hervorgebracht und eine Reihe kreativer Prozesse in Gang gesetzt. Diese reichen von kleineren Akten des Widerstands – z.B. Teenager, die durch den Austausch von Textnachrichten im Klassenzimmer die „power geometries of place“ unterlaufen (Ito 2005b: 131, siehe ausführlicher Kapitel 5.1.2) – bis hin zur Transformation traditioneller Schreib- und Lesegewohnheiten.
5.4.2 Medienübergänge
Nachdem die Auseinandersetzung mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der keitai-Kommunikation bereits gezeigt hat, in welcher Weise die Nutzung des Mobiltelefons an spezifische Facetten der japanischen Schriftkultur anknüpft, stehen im folgenden Abschnitt die Übergänge und Schnittstellen zwischen der Mobilkommunikation und den mit ihr interagierenden Medien im Zentrum der Betrachtung. Ausgangspunkt ist dabei das keitai als ein von Konvergenz geprägtes mobiles und multimediales Allroundmedium, das interaktive Möglichkeiten, mediale Anwendungen und ein immer größeres Informations- und Unterhaltungsrepertoire in sich vereint. Vor allem durch die Durchsetzung des mobilen Internetstandards i-mode hat das keitai schon frühzeitig die Entwicklung von einem Medium der mediatisierten Face-to-FaceKommunikation zu einem Medium für die Rezeption von standardisierten Medieninhalten und für die Nutzung interaktiver Funktionen nachvollzogen (vgl. Krotz 2007a). Aufgrund des Konvergenzcharakters des Mobiltelefons erscheint eine genaue Untersuchung der Medienlandschaft, in die es sich einfügt, umso wichtiger: Andere Medien existieren nicht nur neben dem keitai und interagieren mit ihm, sondern sind als inkorporierte Anwendungen auch Teil von ihm. Im Prozess der Einverleibung erhalten sie neue Akzente und verändern zugleich auch Form und Gestalt der Mobilkommunikation. Anschauliches Beispiel hierfür sind die in Japan äußerst populären Handy-Romane, die seit einigen Jahren von sich reden machen. Die Romane werden auf dem kleinen Bildschirm des keitai nicht nur gelesen, die mobile Technologie eignet sich auch für das Verfassen der Texte. Einer Vielzahl von Hobby-Autorinnen und -Autoren ist auf diese Weise der Einstieg in den Literaturbetrieb gelungen. Im Jahr 2007 schafften es gleich fünf der auf den kleinen Mobiltastaturen ge-
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tippten Romane in die Top Ten der japanischen Bestsellerlisten (vgl. Coulmas 2007b; Onishi 2008). Die Texte, die so entstehen, sind in signifikanter Weise von den Voraussetzungen des Mediums geprägt – etwa durch die den Schreibprozess kennzeichnende Mobilität und spezifische Zeitlichkeit oder auch durch die Restriktionen, die von der kleinen Tastatur und dem limitierten Bildschirm ausgehen. Das neue Genre der Handyliteratur berührt und verändert zugleich auch den herkömmlichen Buchmarkt, da die erfolgreichsten keitai-Romane als Bücher publiziert werden und einen Wandel der traditionellen Literatur in Gang gesetzt haben. Indem sie den Blick auf japanische Medientraditionen und ihre Schnittstellen zur Mobilkommunikation richten, beschäftigen sich die folgenden Abschnitte mit solch medialen Übergängen und ihrer kulturellen Fundierung. Sie bieten einerseits einen Überblick über die Medienlandschaft,159 in die sich die Mobilkommunikation in Japan einordnet, und ergründen andererseits, welche Aspekte der japanischen Fernseh-, Zeitungs- und Spielkultur eine Integration in das keitai unterstützen. Der hohe Stellenwert von Zeitungen in der japanischen Gesellschaft, die Ästhetik der Manga-Comics, Japans Vorreiterrolle in der Computerspielindustrie sowie visuelle Traditionen in Film und Fernsehen – sie alle bilden wichtige Hintergründe für die Nutzung des keitai und wie sich darin Medieninhalte und -anwendungen entfalten. Das Internet und die Etablierung des keitai als mobiles Konvergenzmedium Im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen dem stationären und dem mobilen Internet in Japan sind vor allem drei Aspekte von besonderem Belang: (1) Das keitai hat entscheidend dazu beigetragen, das Internet in Japan zu verbreiten und eine „Blockade“ in der Diffusion der Technologie zu überwinden (Castells et al. 2004: 243). (2) Die Einführung von i-mode im Jahr 1999 war eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung einer Vielzahl an Übergängen und Schnittstellen zwischen Medien. Denn das keitai entwickelte sich vor allem durch seinen Internetzugang zu einem multimedialen Konvergenzmedium und zur Schlüsseltechnologie für die Intensivierung von (Re-) Mediatisierungsprozessen. (3) Zudem ist das mobile Internet in Japan als nicht primär abhängig vom stationären Internet, seinen Formen und Inhalten zu betrachten. Es konnte sich eigenständig entwickeln 159 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Medienlandschaft Japans kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, auch wenn sie sicherlich höchst aufschlussreich und anschlussfähig für diese Arbeit wäre. Das Vorhaben muss in der gebotenen Kürze und Knappheit umgesetzt werden, sodass sich die Darstellung auf Aspekte beschränkt, anhand derer die Bezüge zur Mobilkommunikation besonders deutlich werden.
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und wurde nicht in negativer Weise vom stationären Internet abgegrenzt. Der in Kapitel 5.4.1 beschriebenen Schriftkultur lässt sich die Funktion zuordnen, den Schritt zu multimedialen Anwendungen auf dem keitai vorbereitet zu haben. Schon vor der Einführung des mobilen Onlineproviders war die große Bedeutung schriftlicher Kommunikationsmodi Indiz dafür, dass sich die keitai-Nutzung weiter ausdifferenzieren und nicht auf die Inanspruchnahme der Telefonfunktion beschränken würde. Die elektronische Verarbeitung der japanischen Schrift sowie die Darstellung von Bildern auf den mobilen Bildschirmen stellten zwar zunächst eine Herausforderung für die Hersteller der Hardware dar (siehe Kapitel 5.4.1). Sie waren zugleich aber auch ein Grund dafür, dass das keitai von Anfang an mit großen, lichtstarken und scharfen Displays ausgestattet wurde und komplexe Grafiken verarbeiten konnte (vgl. Coulmas 2008: 6). Auf diese Weise war eine notwendige technische Voraussetzung geschaffen, die mobile Technologie als Lese-, Schreib- und Bildmedium nutzen zu können. Die Implementierung des Internets in das keitai ebnete den Weg für die mobile Medienrezeption, beispielsweise von Zeitungs- und anderen Informationsangeboten. Diese wiederum waren laut Williams (2003) ausschlaggebend dafür, dass das neue Angebot mit alltagsrelevanten Inhalten gefüllt werden und i-mode sich als technologische Innovation durchsetzen konnte: „Japanese content providers for information services like the news have played a key role in boosting the wireless Internet as a medium in Japan […].“ (Ebd.: 75) Nicht lange nach der Einführung des keitai-Internets waren alle großen Medienunternehmen auf dem mobilen Onlinemarkt vertreten – neben den allgemeinen Tageszeitungen auch Nachrichtenagenturen, Rundfunkveranstalter und englischsprachige Nachrichtendienste. Ihre Inhalte wurden an die technischen Vorgaben des jeweiligen mobilen Internetanbieters angepasst und in der Regel zu einem geringen monatlichen Abonnementpreis zum Empfang auf den mobilen Endgeräten angeboten (vgl. ebd.: 76). Gerade die breite Auswahl hochwertiger und attraktiver Inhalte, die von den etablierten Medienunternehmen bereitgestellt und auf die technischen Voraussetzungen des keitai abgestimmt wurden, trugen laut Williams zu dem massenhaften und langfristigen Gebrauch der mobilen Onlinedienste bei und transformierten sie von einer von der Technologie angebotenen Möglichkeit in ein alltagsintegriertes Medienangebot. Der Erfolg dieser Angebote bei den Nutzerinnen und Nutzern und deren Zugriff auf ein weites Spektrum mobiler Onlineanwendungen können nicht losgelöst von der Entwicklung des stationären Internets in Japan betrachtet werden. Denn nach Einführung von i-mode fand die weitere Entwicklung und Ausdifferenzierung des Internets vor dem Hintergrund des spezifischen Zusammenspiels beider Zugangs-
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technologien statt. In Kapitel 2.2 wurde bereits dargelegt, dass von der Implementierung des mobilen Onlinedienstes wichtige Impulse für eine beschleunigte Diffusion des in Japan bis dahin noch wenig verbreiteten Internets ausgingen. Der Startschuss für das kommerzielle Internet war in Japan im Jahr 1993 gefallen, als die ersten beiden Lizenzen für Zugangsprovider an zwei ausländische Unternehmen vergeben wurden. Im Gegensatz zu den auf diesem Sektor damals führenden USA fand der Ausbau der Internettechnik zunächst jedoch verzögert statt, sodass sich die Internetverbreitung gerade in den Anfangsjahren vergleichsweise langsam entwickelte (vgl. Cooper-Chen 1997: 221; Matsuda 2005a: 32f.). Matsuda zufolge verpasste Japan vor allem durch das Platzen der Spekulationsblase und die daran anschließenden wirtschaftlichen Folgen, unter denen das Land in den 1990er Jahren litt, den Anschluss an aktuelle Entwicklungen im Bereich der digitalen Online- und Informationstechnik (vgl. ebd.). Cooper-Chen (1997) nennt außer der Wirtschaftskrise weitere Gründe, warum das Internet nach seiner Einführung in Japan keinen so großen Widerhall in der Bevölkerung fand. Zum einen führt sie eine geringe Verbreitung von Heim-PCs an, die Anfang der 1990er Jahre nur in jedem zehnten japanischen Haushalt vorhanden waren. Ein weiterer Punkt sei die behäbige Struktur des staatlichen Telefonanbieters Nippon Telephone and Telegraph (NTT) gewesen, der mit der Bereitstellung der technischen Infrastruktur überfordert war und die Kunden durch hohe Kosten und lange Wartezeiten von der Einrichtung eines Internetzugangs abhielt. Weitere Gebühren kamen für den Verbindungsaufbau und die Nutzungszeiten hinzu, sodass der finanzielle Aufwand ganz allgemein einen Hinderungsfaktor für die schnelle Verbreitung des Internets darstellte. Darüber hinaus hätte laut CooperChen auch die im Internet dominierende Sprache Englisch für viele Japanerinnen und Japaner eine abschreckende Wirkung gehabt und das Interesse am neuen Medium geschmälert (vgl. ebd.: 221f.).160 Die Zurückhaltung der Japanerinnen und Japaner im Hinblick auf die heimische Nutzung internetfähiger Computer deutet Cooper-Chen (1997: 222) auch im Kontext der großen Beliebtheit der als wâpuro bezeichneten, einfach ausgestatteten Computer, die nahezu ausschließlich für die Textverarbeitung genutzt wurden (siehe Kapitel 5.4.1). Letztere konnten Anfang der 1990er Jahre noch Zuwächse verzeich160 Im japanischen Schulsystem ist Englisch zwar ein reguläres Schulfach, der Sprachunterricht besteht allerdings zu einem Großteil aus Übersetzungs- und Leseübungen, während kaum Sprachpraxis vermittelt wird. Zur Nutzung von Internetseiten wäre zwar vor allem die Lesekompetenz für das Verständnis der Inhalte ausschlaggebend, diesbezüglich besteht in Japan aber die Schwierigkeit, dass die Schriftzeichen einem gänzlich anderen Schriftsystem entspringen und somit erst mühsam entziffert werden müssen.
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nen, während die Reichweite herkömmlicher PCs auf einem deutlich geringeren Niveau nahezu stagnierte. Computer waren zu dieser Zeit eher in Haushalten anzutreffen, deren Mitglieder über ein vergleichsweise hohes Einkommen und eine gute Ausbildung verfügten und die den PC bereits an ihrem Arbeitsplatz kennen gelernt hatten. Erst seit Mitte der 1990er Jahre war die Reichweite der wâpuro rückläufig, im Jahr 2000 verbuchten die Geräte ihren größten Rückgang in der Haushaltsaustattung, nämlich von 44,7 auf 33,7 Prozent. Im gleichen Jahr legten vor allem die Heimcomputer zu, von 50,5 auf 58,0 Prozent. Ihre Reichweite war seit 1997 um insgesamt 30 Prozentpunkte angestiegen, sodass sich spätestens um die Jahrtausendwende die Durchsetzung des PCs gegenüber den wâpuro herauskristallisierte. Zugleich war damit in eine Vielzahl japanischer Haushalte auch die nötige technische Voraussetzung für eine stationäre Internetnutzung eingezogen (vgl. Communications Usage Trend Survey 2002: 1).161 Angesichts der eher langsamen und verhältnismäßig mühsamen Einführung des Internets in die japanischen Haushalte über stationäre PCs hat das keitai demnach eine wichtige Rolle bei der Implementierung des Internets in Japan übernommen. Dessen Verbreitung sei, wie häufig angemerkt wird, erst durch das keitai massiv vorangetrieben worden (vgl. u.a. Matsuda 2005a). Mögliche Gründe hierfür sind darin zu suchen, dass das Mobiltelefon in Japan über verschiedene soziale Grenzen hinweg zugänglicher ist als der Computer. Es hat als internetfähige Onlinetechnologie auch Menschen an das Internet heranführt, bei denen die Anschaffung und der Gebrauch einer stationären Zugangstechnologie eine zu große Hürde für die Nutzung darstellt (siehe hierzu auch Kapitel 2.2). Der Mythos einer sich in Japan dank mobiler Internetzugänge schließenden Digitalen Spaltung wird allerdings durch die unterschiedliche Qualität der beiden Onlinezugänge in Frage gestellt. Hier lässt sich mit dem Begriff der „Digital Inequalities“ operieren, mit dem Nicola Döring (2006) auf „systematische Unterschiede in der Art der Handy-Nutzung in Verbindung mit Personenmerkmalen“ hinweist (ebd.: 5). Während sich Döring auf die Nutzungsdifferenzen verschiedener Bevölkerungsgruppen bezieht, die die durch das Mobiltelefon 161 Im Hinblick auf den heutigen Stand der stationären Internettechnik in Japan lässt sich allgemein ein rascher Fortschritt diagnostizieren: Im Jahr 2006 gab es knapp 10.000 Internetanbieter, von denen die meisten aber nur regional aktiv waren (vgl. Löhr 2009: 959). Eine Breitbandverbindung existierte in zwei Dritteln aller japanischen Haushalte. Seit 2005 nimmt die Anzahl der DSL-Zugänge kontinuierlich ab, während die noch schnelleren Glasfaserverbindungen an Bedeutung gewinnen. Diese machten im Jahr 2007 bereits 31,3 Prozent aller Internetverbindungen aus, Anbieter von Kabel-Zugängen versorgten rund 16,6 Prozent aller Internet-Haushalte mit Onlinediensten (vgl. Communications Usage Trend Survey 2008: 5).
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zur Verfügung gestellten Möglichkeiten unterschiedlich ausschöpfen, kann der Begriff auch zur Erklärung der ungleichen Onlinenutzung per keitai- und PC-Internet herangezogen werden. Unabhängig von Personenmerkmalen oder Präferenzen der Nutzerinnen und Nutzer sind die Differenzen zwischen mobiler und stationärer Internetnutzung vor allem in der unterschiedlichen Materialität der jeweiligen Hardware begründet. Die Zugangstechnologien differieren in Bezug auf die Größe von Gerät und Display und hinsichtlich der Kosten und Geschwindigkeit der Datenübertragung. Auf inhaltlicher Ebene lassen sich ebenfalls Unterschiede feststellen: Der Onlinezugang per Mobiltelefon ist als deutlich unterhaltungsorientierter zu charakterisieren als die Internetnutzung am Heim-Computer, wie u.a. Kaigo (2003) anhand einer empirischen Untersuchung festgestellt hat. Ferner wird das mobile Internet insgesamt länger für die E-Mail-Kommunikation genutzt, während die Informationssuche und das Surfen zu den Anwendungen gehören, die vor allem mit dem stationären Internet ausgeführt werden (vgl. ebd.; Löhr 2009: 959; Communications Usage Trend Survey 2008). Darüber hinaus spielen auch die voneinander abweichenden Nutzungskontexte in die Aneignung des Mediums mit ein und stellen ‚digitale Ungleichheiten‘ der Internetnutzung dar. Diese Ungleichheiten sind jedoch auch auf das spezifische Verhältnis von stationärem und mobilem Internet in Japan zu beziehen, da sie hier nicht unbedingt als Defizite der mobilen Nutzungsform gegenüber der nicht-mobilen Nutzungsform zu bewerten sind. Wie in Kapitel 2.2 bereits dargestellt, wurde i-mode als eigenständiges Internet konzipiert, das in Form und Inhalt auf die Bedingungen des keitai und seiner Nutzung abgestimmt ist und nicht nur eine reduzierte oder visuell unbefriedigende Version des stationären Internets anbietet. Ihm kommt daher die Rolle zu, eine alternative, in Japan vielgenutzte Variante des Internets anzubieten, die das Onlinemedium an neue Orte eines mobilen, außerhäuslichen Alltags geführt hat. Die Zeitung als Informations- und gesellschaftliches Integrationsmedium Japan lässt sich in besonderer Weise als eine informationsorientierte Gesellschaft charakterisieren, in der der Erhalt von Macht und Kapital an die Verarbeitung und Verbreitung von Informationen gebunden ist, die in der Regel unter spezifischen technologischen Bedingungen erzeugt und weitergegeben werden. Medien der öffentlichen Kommunikation dienen dabei als wichtige Informationslieferanten, sie stellen Wissen zur Verfügung und erfüllen eine Thematisierungsfunktion, bieten Gesprächsstoff und tragen durch ihre großflächige Streuung zu einer Homogenisierung alltäglicher Wissensbestände bei. Die Angleichung von Wissen hat in Japan eine besondere Bedeutung, wie Manfé (2005) herausstellt, weil davon ausgegangen wird, dass die Homoge-
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nität einer Gruppe mit der Homogenität von Wissen eng korrespondiert (vgl. ebd.: 32). Die regelmäßige Lektüre einer überregionalen Tageszeitung oder die Rezeption eines nationalen Fernsehprogramms ließe sich somit auch als eine Integrationsleistung verstehen – als der Versuch, sich den unterstellten oder spürbaren Anforderungen des sozialen Zusammenlebens anzupassen. Diese Rolle muss im Auge behalten werden, wenn es um die Integration von Zeitungsinhalten in die neue Medientechnologie des keitai geht. Ein Großteil der tagesaktuellen Informationen und Nachrichten wird durch die Tagespresse bereitgestellt, die in Japan äußerst weit verbreitet ist, einen wichtigen Stellenwert im Alltag vieler Japanerinnen und Japaner hat und Teil der stark ausgeprägten Lesekultur ist. Obwohl sich seit einigen Jahren ein leichter Abwärtstrend bei Auflagenzahlen und Reichweite abzeichnet (vgl. Pressnet 2010), sticht das Land noch immer durch eine beispiellose Zeitungsdichte hervor. Im Jahr 2008 zirkulierten in Japan 121 verschiedene Zeitungen, darunter die fünf großen nationalen allgemeinen Tageszeitungen Yomiuri Shimbun (mit einer Auflage von über 10 Millionen162), Asahi Shimbun, Mainichi Shimbun, The Nikkei und Sankei Shimbun sowie eine Vielzahl von Regionalzeitungen, Lokalzeitungen, Fachzeitungen und so genannte Sportzeitungen (vgl. Statistical Handbook of Japan 2009: 184). Die tägliche Gesamtauflage aller in Japan erscheinenden Zeitungen betrug im Jahr 2008 51,29 Millionen Exemplare (vgl. Pressnet 2010), sie war damit fast doppelt so hoch wie in Deutschland (25,95 Millionen Exemplare pro Erscheinungstag, vgl. Pasquay 2008).163 Noch immer bezieht nahezu jeder Haushalt eine Zeitung im Abonnement, erst im Jahre 2008 sank der vom japanischen Verband der Zeitungsverleger ermittelte Durchschnittswert auf knapp unter 1,0 Zeitungen pro Haushalt (vgl. Pressnet 2010). Ein besonderes Charakteristikum des japanischen Pressesystems ist die hohe Rate von 94,6 Prozent per Abonnement vertriebener Zeitungen im Vergleich zu nur knapp 5 Prozent am Zeitungsstand verkaufter Exemplare (vgl. Pressnet 2010). Anders als in Deutschland gibt es in Japan zwar keine klassische Boulevardpresse, jedoch wird 162 Die Auflagenzahlen beziehen sich auf die Morgenausgabe der jeweiligen Zeitung, die auch für die Berechnung der Gesamtauflage maßgeblich ist. Vier der fünf überregionalen sowie zahlreiche regionale Zeitungen bieten darüber hinaus eine spezielle Abendausgabe zum Verkauf an, deren Auflage allein bei der Yomiuri Shinbun bei knapp vier Millionen liegt. Morgen- und Abendausgabe einer Zeitung bilden zusammen ein Set. 163 Den sehr hohen Auflagenzahlen des japanischen Zeitungsmarktes steht eine vergleichsweise geringe Diversifikation unterschiedlicher Titel gegenüber. Löhr (2004) führt dies auf den forcierten Konzentrationsprozess der Zeitungen während des 2. Weltkrieges zurück. Nach Kriegsende ging die Anzahl der Zeitungen von 765 Exemplaren (1938) auf 54 Exemplare zurück (vgl. ebd.: 439).
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deren Rolle teilweise von dem Genre der Sportzeitungen übernommen. Diese ähneln in Aufmachung und Gestaltung den Erzeugnissen der Boulevardblätter und auch ihr inhaltlicher Fokus hat sich in den letzten Jahren immer stärker von Sportmeldungen auf andere Gebiete wie aktuelle Nachrichten, politische Ereignisse und Human Interest Themen ausgeweitet. Ein breites Themenspektrum wird darüber hinaus durch den Zeitschriftenmarkt gedeckt, der sich mit ganz ähnlichen Entwicklungen wie die Zeitungslandschaft konfrontiert sieht. Mit seinen 4540 vom Verlagsjahrbuch gelisteten Titeln ist er breit gefächert und auflagenstark, auch wenn die Verlage wegen der seit den 1990er Jahren andauernden Absatzkrise einen kontinuierlichen Rückgang der Auflagenzahlen, Reichweiten und Titel zu verzeichnen haben. Allgemein kann der Markt als stark fluktuierend beschrieben werden. Im Jahr 2006 gab es knapp zweihundert Neuerscheinungen (195), aber fast ebenso viele eingestellte Titel (187) sowie 56 Titeländerungen und elf Wiedererscheinungen.164 Die allgemeinen Tageszeitungen, vor allem die „big three“ (Löhr 2004: 441) – Yomiuri Shimbun, Asahi Shimbun, Mainichi Shimbun – sehen sich einem Qualitätsjournalismus verpflichtet. Im Hinblick auf politische Themen sind sie um Ausgewogenheit bemüht: Weder lassen sie sich unterschiedlichen politischen Richtungen zuordnen noch verfolgen sie einen zu deutlich herausgestellten Meinungsjournalismus – dies korrespondiert mit einem als gering eingestuften politischen Interesse der Leserschaft (vgl. Hohenadl 2004: 69f.).165 Eine relativ homogene und regierungskonforme Berichterstattung wurde und wird in Japan nach wie vor durch das dort einzigartige kisha club System gefördert. Es bietet den in diesen Vereinigungen organisierten Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit, von den entsprechenden Institutionen schnell und direkt mit Nachrichten versorgt zu werden. Die Geschlossenheit dieses Systems, das lange Zeit ausländischen Korrespondenten und freien Journalisten den Zugang verweigerte, sowie die hohe Bindung der Berichterstatter an die Institutionen sind wiederholt 164 Zu den Zeitschriften, die in den letzten Jahren noch einen Zuwachs verzeichneten, gehören vor allem Hobbyzeitschriften, die sich thematisch auf Gehirntraining, Sudoku und Malen fokussieren, sowie Frauenzeitschriften, die sich mit praktischen Tipps und Lifestyle-Themen speziell an die Zielgruppe der 30- bis 40-Jährigen richten. Besondere Verluste erlitten neben den Mangas die einst sehr erfolgreichen und den Markt dominierenden Computerzeitschriften, deren Leserinnen und Leser vielfach ins Internet abgewandert sind (vgl. Löhr 2009: 953). 165 Etwas stärker politisiert hat sich die Berichterstattung in Japan seit der Initialzündung durch die vorübergehende Abwahl der bis dato knapp 40 Jahre regierenden Liberaldemokratischen Partei im Jahr 1993, die zeitweilig zu einem kritischeren und an politischen Zusammenhängen interessierten investigativen Journalismus führte (vgl. Foreign Press Center Japan 1997: 35f.).
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kritisiert worden. Anne Cooper-Chen (1997) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in keinem Land der Welt eine solch ausgeprägte Form der Selbstzensur wie in Japan herrsche, weil die einem kisha club angehörigen Journalistinnen und Journalisten aus Angst vor Ausschluss aus der Interessengemeinschaft die Informationsgeber nicht mit Sensationsmeldungen verärgern wollen (vgl. ebd.: 29ff.; Foreign Press Center Japan 1997: 36ff.). Zusammenfassend lässt sich das japanische Pressewesen anhand der starken Verbreitung der Tageszeitungen, der geringen Bedeutung der Boulevardpresse, aber auch anhand einer fehlenden Vielfalt von Presseerzeugnissen und einer politisch zurückhaltenden Berichterstattung charakterisieren. Informationen stehen im Vordergrund, Meinungsbildungsprozesse und Unterhaltung spielen eine weniger wichtige Rolle. Die breite Diffusion der Tageszeitung in Japan fügt sich ein in das Bild einer informationszentrierten Gesellschaft, in der die Kenntnis von Daten, Zahlen und Fakten ein zentrales Bildungsziel ist, das auch im Alltag eine hohe Wertschätzung erfährt (vgl. Manfé 2005: 27). Informationen stellen eine wichtige Ressource dar, auf die in sozialen Situationen zurückgegriffen wird. Das in den Tageszeitungen vermittelte Wissen erfüllt im Alltag somit eine Integrationsfunktion. Es garantiert den Anschluss an aktuelle Diskurse, sorgt für ähnliche Wissensbestände und ermöglicht aufgrund vergleichbarer Einsichten in gesellschaftliche Themen und Ereignisse einen kommunikativen Austausch. Dass die Zeitung mit dem keitai konvergiert, liegt schon alleine deswegen nahe, weil sie, wie John Urry (2006) feststellt, als die Frühform eines mobilen Mediums bezeichnet werden kann. Das Unterwegssein mit der Zeitung im Zug habe im 19. Jahrhundert neue Erlebensund Wahrnehmungsformen hervorgebracht, die das Presseerzeugnis als verwandt mit modernen mobilen Medien wie dem Walkman erscheinen lasse (vgl. ebd.: 368). Vor diesem Hintergrund scheint es sich anzubieten, Nachrichteninhalte auf das internetfähige keitai zu übertragen. Durch die Veränderungen der Markt- und Medienstrukturen ist das Zeitungswesen zunehmend darauf angewiesen, neue Formate zu etablieren. Sowohl der Zeitungs- als auch der Zeitschriftenmarkt deuten zwar auf eine ausgeprägte Lesekultur in Japan hin. Auch die niedrige Analphabetismusrate sowie die allgegenwärtige Präsenz und Relevanz von Schriftzeichen, unterstreichen das Ansehen, das das Lesen und der differenzierte Umgang mit Texten im japanischen Alltag erfahren. Jedoch zeigen sich im Zuge der Digitalisierung deutliche Wandlungsprozesse im Hinblick auf die Struktur der Leserschaft traditioneller Printmedien, die in den letzten Jahren enorm gealtert ist.166 166 Die Reichweite der japanischen Tageszeitungen fällt in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen am höchsten und bei den 15- bis 30-Jährigen am geringsten aus (vgl. WAN 2007: 412; Angaben für das Jahr 2006).
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Angesichts der großen Konkurrenz durch digitale Medien orientieren sich gerade Jugendliche stärker an Medien wie Internet und Mobiltelefon und wenden sich in zunehmendem Maße von den klassischen Printmedien ab. Die japanischen Zeitungen bemühen sich daher seit einiger Zeit um eine Neupositionierung auf dem Pressemarkt (vgl. Löhr 2009: 952). Alternative Geschäftsfelder haben an Bedeutung gewonnen, sodass sich eine Entwicklung intensiviert hat, die bereits seit den 1950er und 1960er Jahren das japanische Medienwesen prägt und zu engen Verbünden zwischen Zeitung, Radio und Fernsehen geführt hat.167 Diese Fusionierung unterschiedlicher Medien zu „Informationskonglomeraten“ (Kato 1998: 178) manifestiert sich heute darin, dass inzwischen alle großen Zeitungen als Dachmarken fungieren, unter denen ein breites Spektrum von Produkten und Dienstleistungen angeboten wird. Darüber hinaus wird versucht, das umfassende Informationsangebot auszubauen und neue Medien in die Distribution der produzierten Inhalte einzubeziehen. Den Bemühungen um eine Integration von Zeitungsinhalten auf das keitai steht also bereits ein diversifizierter Markt gegenüber, der die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Medien durchlässig erscheinen lässt. Bei dem Prozess dieser Umorientierung spielt das keitai eine wichtige Rolle. Während es für die Verlage nicht einfach ist, in einem ‚Umsonst-Medium‘ wie dem (stationären) Internet Gewinne zu erwirtschaften, gibt es von den Verlagshäusern im Mobilfunkbereich seit der Einführung von i-mode eine Vielzahl neuer, zum Teil sehr erfolgreicher Angebote. Vor allem Asahi schaffte es bereits im Jahr 2001 mit dem Verkauf von mobilen Zeitungsabonnements Geld zu verdienen, was mit dem unternehmenseigenen Internetauftritt www.asahi.com zu dieser Zeit noch nicht gelang. Das mobile Zeitungsabonnement richtete sich bewusst an jüngere Zielgruppen und erreichte diese mit der Strategie, ein breites Informationsangebot mit regelmäßig aktualisierAuch verbringen jüngere Leserinnen und Leser (15 bis 19 Jahre) mit 12,4 Minuten an Wochentagen und 15,7 Minuten an Sonn- und Feiertagen täglich deutlich weniger Zeit mit der Tageszeitung als die 60- bis 69-Jährigen, die pro Tag durchschnittlich 38,1 Minuten (wochentags) bzw. 41,5 Minuten (an Sonn- und Feiertagen) für das Zeitungslesen aufwenden (vgl. Löhr 2009: 951; Angaben für das Jahr 2005). 167 Bereits seit den 1950er Jahren investieren die meisten Zeitungen sowohl in Radio- und Fernsehbeteiligungen als auch in die Unterhaltungs- und Konsumgüterindustrie. Medien und Institutionen, aber auch unterschiedliche ökonomische Areale gehen so ineinander über, was sogar so weit führen kann, dass Zeitungen und assoziierte Fernsehsender das gleiche Personal teilen. Zur Existenzsicherung wird heute vor allem auf Strategien des Branding gesetzt, sodass unter dem Namen des publizistischen Aushängeschilds auch Sprach-, Koch- und Weiterbildungskurse ebenso wie Reisen und Immobilien vermarktet werden (vgl. Foreign Press Center Japan 1997: 31; Löhr 2004: 445; Kato 1998: 178).
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ten Schlagzeilen, Sportnachrichten und Unterhaltungsthemen zu liefern (vgl. Stevens 2003). In einer vergleichenden Studie zur Nutzung mobiler Nachrichten in Schweden und Japan weist Westlund (2010) darauf hin, dass gerade bei jungen Menschen in Japan das Interesse besteht, die Informationsangebote des mobilen Internets zu nutzen und diese auch eher dazu bereit sind, für diese Dienste zu zahlen als ältere Nutzerinnen und Nutzer (vgl. ebd.: 103). In solchen Angeboten finden die medienaffine Jugendkultur und die große Bedeutung, die der Zeitung als integratives, auf Konsens ausgerichtetes Medium einer informationellen Gesellschaft zugesprochen wird, offensichtlich zusammen. Es muss hier aber auch auf die Unterschiede zwischen der klassischen Zeitung und den mit dem keitai konvergierenden Varianten hingewiesen werden. Neben der Informationsvermittlung erfüllt die Zeitung in hohem Maße eine den Alltag strukturierende Funktion, indem sie klar definierte Nutzungssituationen anbietet, wie etwa die morgendliche Lektüre am Frühstückstisch (vgl. Morley 2007: 324). Solche deutlich gekennzeichneten Rezeptionskontexte vermischen sich aber zunehmend im Zuge von Mediatisierungsprozessen (Krotz 2007a: 95). Die personalisierte und flexible Nutzung von Nachrichtendiensten per internetfähigem Mobiltelefon stellt eine neue Möglichkeit dar, die gerade für eine von Mobilität bestimmte Kultur wie Japan relevant ist. So ordnet sich die Übertragung von Zeitungsinhalten auf das keitai einerseits in den Kontext einer an Informationen interessierten Lesekultur in Japan ein und leistet weiterhin ihre auf diese Gesellschaft bezogene Integrationsfunktion, schafft aber für diese Inhalte auch neue Kontexte einer flexibilisierten, individualisierten Nutzung. Orientierung am Bild: Audiovisuelle Medien, Anime und Manga Japan hat einen spezifischen Bilderschatz hervorgebracht, mit dem dessen Kultur immer wieder in Zusammenhang gebracht wird. Die darauf basierende Bildkultur gilt es im vorliegenden Abschnitt zu erfassen und ihre Übergänge zu den Gebrauchsformen und Funktionen des keitai zu analysieren. Es soll deutlich werden, dass es Schnittstellen zwischen einer visuellen Orientierung der japanischen Kultur und dem keitai gibt, die es erleichtern, das keitai zu einem Träger audiovisueller Inhalte zu machen. Japanerinnen und Japaner wird ein direkterer Zugang zu visuellen Zeichen zugeschrieben, „weil ihre Schrift ihnen mehr visuelles Differenzierungsvermögen abverlangt“ (Krotz/Hasebrink 2002: 49). Eine in Japan stark verbreitete visuelle Orientierung sei laut Anne CooperChen (1997) auch ein Grund für den großen Stellenwert des Fernsehens. Durchschnittlich knapp vier Stunden täglich wurde im Jahr 2006 täglich ferngesehen, Tendenz steigend, während die Reichweite des Radios seit Jahren rückläufig ist und die tägliche Nutzungsdauer im
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gleichen Jahr bei nur gut 34 Minuten lag (vgl. Löhr 2009: 958).168 Die klassische Funktion eines Nebenbei-Mediums scheint in Japan somit insbesondere durch das Fernsehen erfüllt zu werden. Für die Popularität des Bildmediums führt Cooper-Chen (1997: 106) darüber hinaus dessen Kapazität an, innerhalb der geschützten Grenzen des Zuhauses den Blick auf die außerhalb liegende Welt zu richten, ohne dabei die ausgeprägte Dichotomie von uchi und soto zu gefährden (siehe hierzu Kapitel 5.3). Das Fernsehen spielt für die Rezipierenden damit eine Rolle, die es auch in anderen Kulturen spielt, nämlich sich der Welt ‚da draußen‘ zu versichern und Vorstellungen imaginärer Gemeinschaften ‚drinnen‘ zu festigen (vgl. Ellis 2001: 73).169 In Texten zur japanischen Kultur wird die Besonderheit der visuellen Darstellung immer wieder herausgestellt. Am Ende des 19. Jahrhunderts kam der Begriff des ‚Japonismus‘ auf, der die Begeisterung europäischer Künstlerinnen und Künstler für die japanische Grafik und ihre einfache Eleganz bezeichnet. Mit dieser Begeisterung war auch die westliche Vorstellung einer herausgehobenen Stellung von Ästhetik im japanischen Alltag verbunden (vgl. Hijiya-Kirschnereit 2004: 80). Als Elemente dieser Ästhetik werden häufig eine stärkere Schematisierung und Abstraktion sowie eine nicht-westliche Raumauffassung in bildlichen Darstellungen genannt. Für Roland Barthes stellt Japan in seiner viel zitierten Arbeit „Das Reich der Zeichen“ (1981) 168 Eine genaue Darstellung des Rundfunksystems würde an dieser Stelle zu weit führen. Erwähnenswert erscheint lediglich, dass sich auf dem japanischen Fernsehmarkt, der von Anfang an dualistisch strukturiert war, aktuell ähnliche Tendenzen wie in Deutschland zeigen: Durch den Ausbau der technischen Infrastruktur hat die Sendervielfalt stetig zugenommen; immer mehr Programme bieten zielgruppenspezifische Angebote an, sodass sich das Fernsehen zunehmend den individuellen Wünschen, Interessen und Zeitvorstellungen der Zuschauerinnen und Zuschauer anpassen lässt und im Gegensatz zum Radio eine wichtige alltagsbegleitende Funktion erfüllt. Letzteres erlebt eine kurze goldene Ära im Zuge des Wirtschafstaufschwungs der Nachkriegszeit, die jedoch Ende der 1950er Jahre mit der zunehmenden Verbreitung des Fernsehens wieder endete. Ein spätere Erfolgswelle war dem Radio beschert, als es sich im Zuge seiner Weiterentwicklung zum Transistorradio als kleiner, mobiler, persönlicher Alltagsbegleiter bewährte, der aufgrund seiner Handlichkeit zu jeder Zeit sowohl auf Fußwegen als auch im Auto mitgenommen werden konnte (siehe hierzu auch Kapitel 5.4.3). Heute hat das Radio einen vergleichsweise geringen Stellenwert im ‚kulturellen Medienensemble‘ Japans. Seine Qualitäten beweist es allenfalls im Bereich der lokalen Berichterstattung, für die es eine Nachfrage gibt, die durch das Fernsehen nicht gedeckt ist (vgl. Löhr 2004, 2009; Cooper-Chen 1997). 169 In Japan führt dieser Zusammenhang wie in anderen Nationen auch zu einer Homogenisierung der Lebensformen, der Anpassung ländlicher an städtische Kulturen und der Einebnung der Dialekte durch das Leitbild einer von Nachrichtensprecherinnen und -sprechern vorgeführten Hochsprache (Kato 1998: 174).
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eine stärker auf die Zeichen als auf das Bezeichnete bezogene Kultur dar. Barthes sieht die Auseinandersetzung mit Japan als eine Möglichkeit, sich aus dem Logozentrismus der Sprache zu befreien, sich der Signifikate zu entledigen und den Zeichen selbst, den Signifikanten, zuzuwenden (vgl. Dosse 1999: 79). Diese Ambition mag zu Projektionen und Zuschreibungen führen, die Unterschiede zu stark herausstellen und der japanischen Kultur nicht gerecht werden, aber es lassen sich damit bestimmte Aspekte der visuellen Kultur und Darstellungstraditionen Japans deutlich machen. Ein Beispiel hierfür ist Barthes Beschäftigung mit bunraku, dem japanischen Puppentheater, bei dem, für den Zuschauer oder die Zuschauerin deutlich sichtbar, eine riesige Puppe von mehreren Menschen bewegt wird. Im Gegensatz zum Marionettentheater westlicher Prägung werde darauf verzichtet, eine anthropomorphe Illusion zu erzeugen. Das Publikum sieht zugleich die Erzeugung der Illusion selbst, kann aber auch, so Barthes, die Anmut der Gesten dieser Figuren in größerer Klarheit wahrnehmen (vgl. Barthes 1981: 80ff.). Barthes spricht hier von einer sinnlichen Abstraktion, die auch in den Theatertheorien Brechts, der sich sehr für das Kabuki-Theater interessierte, eine wichtige Rolle spielte. Daraus lassen sich bestimmte Orientierungen in der visuellen Kultur herauslesen, die bis heute Gültigkeit haben. Dass die japanische Kultur stärker auf das Zeichen als auf das Bezeichnete bezogen ist, lässt sich auch als „eine Kunst der perfekten Oberfläche“ bezeichnen, die, so Hijiya-Kirschnereit (2004: 86), ihre Wurzeln in der traditionellen japanischen Kunst habe, sich aber auf vielfältige Weise auch in der modernen Medienkultur, in Mangas, in den Bildwelten des Fernsehens und der Computerspiele wiederfindet. Mögliche Gründe für diese besondere Ausdifferenzierung einer japanischen Ästhetik lassen sich beispielsweise an der Filmgeschichte erläutern. Japans Filmkultur wird mit einer moderneren, abstrakten Erzählweise verbunden. Der japanische Film lege größeren Wert auf visuelle Stimulation, das Erzählen spielt eine andere Rolle als im Hollywoodfilm oder im europäischen Kino. Dies erklärt sich auch aus den Eigenheiten der (teilweise) isoliert vom westlichen Kino abgelaufenen Entwicklung, die etwa den benshi, den so genannten Kinoerzähler, hervorgebracht hat. Dass bis weit nach Ende der Stummfilmzeit Bilder von einem Sprecher kommentiert wurden, führte zu einem Kino, das weniger Wert auf das Erzählte als auf das Entwerfen von Bildern legt (vgl. Komatsu 1999: 166f.). Eine wichtige Rolle bei der Hervorbringung des abstrakteren Stils haben zudem die japanischen Theatertraditionen des Kabuki und des Nô gespielt, die auf einer stärker ritualisierten und stilisierten Darstellung basieren (vgl. ebd.). Die Erfolge des japanischen Kinos im Westen in den 1950er Jahren mit den Filmen von Yasujiro Ozu, Akira Kurosawa und Kenji Mizoguchi prägen noch heute das Verständnis
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vom japanischen Film. In allen ihren Filmen lassen sich Aspekte einer alternativen, nicht-westlichen Erzählform wiederfinden.170 Ein Hang zur Abstraktion und Vereinfachung zeigt sich aber nicht nur im Bereich des Kunstkinos, sondern auch auf dem Sektor des Unterhaltungsfilms. Durch die relative Isolation Japans und einen verhältnismäßig großen Binnenmarkt für filmische Erzeugnisse konnten sich spezifische filmische Formen im Bereich des populären Films ausbilden. Diese Eigenständigkeit zeigt sich etwa an den weltweiten Erfolgen, die das japanische Kino von den 1950er Jahren bis in die 1980er Jahre hinein mit den Godzilla-Filmen hatte. Bis heute bringt Japan immer wieder ein populäres Genrekino hervor, das auf der ganzen Welt Anhänger findet.171 Seit Mitte der 1980er Jahre adaptiert die Filmindustrie in zunehmendem Maße Mangas und versucht damit, an deren enorme Popularität in der japanischen Kultur anzuknüpfen (vgl. Komatsu 1998: 681). Die daraus entstandenen Anime stellen seitdem eines der erfolgreichsten und populärsten Kinogenres dar – wie insbesondere an den Filmen von Hayao Miyazaki deutlich wird, der mit Sen To Chihiro No Kamikakushi (Chihiros Reise ins Zauberland) im Jahr 2001 neben seiner Anerkennung in Japan den international größten Filmerfolg einer nicht aus Hollywood stammenden Produktion feiern konnte (vgl. Peil 2003). Anime und Manga sind weitere Beispiele für eine in der japanischen Kultur zu findende Schematisierung der Darstellung, bei der die 170 In den Filmen Ozus wird wenig Wert auf eine dramatische Darstellung gelegt. Die scheinbar konflikt- und inhaltsarmen Dramen ordnen sich mit der Reihung bewusst komponierter Bildtableaus in den Fluss des Alltags und seiner wiederkehrenden Ereignisse ein, weswegen die Filme meist auch nach Jahreszeiten benannt werden. In Kurosawas Rashomon, einer der größten künstlerischen Erfolge des japanischen Kinos im Westen, wird eine Geschichte mehrere Male aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt und dabei auch die unterschiedliche Perspektivierung der Handlung verdeutlicht. Auch Mizoguchi fokussiert stärker auf die Darstellung von Gefühlen als auf das Entfalten einer dramatisch zugespitzten Handlung (vgl. Komatsu 1998). 171 In den letzten Jahren galt dieser Erfolg vor allem dem Genre des sogenannten J-Horrors. J-Horror lässt sich als eine Auseinandersetzung mit moderner Medienkultur betrachten. Die Filme geben, so David Kleingers (2005), den Widerspruch zwischen den archaischen, in der Mythologie und Kultur Japans verankerten Geistererscheinungen und der Moderne wieder, der eine friedliche Koexistenz beider Seiten nicht zulasse. Aus diesem Grund thematisieren J-Horror-Filme auch die unheimliche Seite von Digitalisierung und Mediatisierung, weil sich die Geister häufig der neuesten Medientechnologien bedienen. In dem Film The Call (2003) von Takashi Miike wird dem Mobiltelefon eine prominente Rolle als unheilvoller Träger des Grauens zugewiesen. Das Mobiltelefon wird buchstäblich lebendig, wenn es durch die Summerfunktion angetrieben über eine Tischplatte wandert und einen todbringenden Anruf anzeigt. Dies weist auf die Rolle einer allgegenwärtigen Technologie in der Gesellschaft hin, die auch Ängste schürt, welche auf diese Weise dargestellt oder verarbeitet werden.
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Konzentration vor allem auf das Bild, aber ebenso auf Gefühle gelenkt wird. Die daraus abgeleiteten Bildformen sind ubiquitär und finden auch Eingang in das Display des keitai. Dass sich Mangas in besonderer Weise dazu eignen, per Mobiltelefon rezipiert zu werden, hängt auch mit der Ähnlichkeit beider Wahrnehmung zusammen. Bei CooperChen (1997) wird darauf hingewiesen, dass sich Mangas als besonders handliche und zugängliche Medien begreifen lassen. Sie seien „faster and easier to read than a novel, more portable than a television set“ (ebd.: 101). Dadurch würden sie zu idealen Medien für den urbanen, japanischen Alltag: „Manga are perfectly fitted to a crowded, urbanized, workaholic society that depends heavily on public transportation and has little space outdoors for children to engage in physical activity.“ (Ebd.) Diese Anpassungsfähigkeit resultiere aus der in der Mangaästhetik angelegten Möglichkeit, eine Seite im Ganzen zu erfassen, während westliche Comics eine stärkere lineare Konzentration erforderten. Die Informationen der einzelnen Bilder würden unmittelbar absorbiert und durch die Informationen der geschriebenen Worte ergänzt; dabei stünden der Schnelligkeit und Flüchtigkeit der Rezeption die dabei erfassten intensiven visuellen Reize gegenüber (vgl. ebd.). Bei den Ausführungen Cooper-Chens zu den Rezeptionsformen der Mangas wird eine verblüffende Übereinstimmung zu den Nutzungsweisen des keitai deutlich, wie sie in Kapitel 5.1 und 5.2 dargelegt wurden. Vielfach würden die Mangas von Schülerinnen und Schülern gelesen, die im Alltag einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind und sich mithilfe der Mangas auf flexible Weise für kurze Momente in Fantasiewelten flüchteten (vgl. Cooper-Chen 1997: 101). Somit scheint die Manga-Lektüre ähnlichen Motiven zu unterliegen wie die Nutzung des keitai als Freizeitmedium. Da sich die japanischen Comics ebenfalls durch eine individuelle, auf kurze Momente bezogene Nutzung auszeichnen, die sich einem stark von äußeren Zwängen bestimmten Alltag anpasst, lassen sie sich zu einem gewissen Grad als Vorläufer des keitai verstehen. Anders als etwa das Fernsehen erfordern sie keine lange Verweildauer zum Erfassen der Erzählung, sondern vermitteln den Lesenden für kurze Momente ein intensives Rezeptionserlebnis, durch das im Alltag kleine erfüllte Zeitinseln geschaffen werden. Nicht zuletzt spielt auch die Ubiquität der Mangakultur eine Rolle für deren Adaption in der keitai-Kommunikation, da sie Figuren und Symbole kreiert, an die sich die Kommunikation der Menschen anbinden kann. Ihre leichte Erfassbarkeit macht die Mangaästhetik geeignet dafür, in mobile Textbotschaften integriert zu werden. Sie kann dabei der Personalisierung dienen oder die Funktion erfüllen, auf vermittelte Weise Gefühle zu artikulieren. Diese Art der Kommunikation, die einfach wahrnehmbare, in der Kultur verankerte und anerkannte visuelle Symbole verwendet, lässt sich in besonderer Weise für die Kontrolle und Verwaltung des eigenen Ausdruckspotenzials einsetzen.
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Resümierend bleibt festzuhalten, dass sich die audiovisuelle Kultur Japans häufig als eine Reduktion auf das Wesentliche begreifen lässt. Dies spielt eine signifikante Rolle bei der Implementierung des davon geprägten Bilderreservoirs in das keitai. Vereinfachte Darstellungen sind auf den kleinen Displays leicht wahrzunehmen, die Mangafiguren, die mit der Betonung bestimmter Details Gefühle transportieren sollen, funktionieren, simpel ausgedrückt, auch auf dem keitai. Der in der visuellen Kultur Japans zu identifizierende Hang zur Abstraktion erleichtert die Aufnahme von Bildern in die Technologie des Mobiltelefons, wodurch auch die Grenzen zwischen Film, Manga, Anime und keitai durchlässiger erscheinen. Die japanischen Bildtraditionen weisen auf eine Präferenz für eine am Lesen von Zeichen orientierte und weniger auf die konzentrierte Erfassung der Inhalte gerichtete Wahrnehmung hin. Der Übergang zwischen den audiovisuellen Vorbildern und den auf dem keitai zu findenden Darstellungen ist also insofern erleichtert, dass bei beiden eine ähnliche Rezeptions- und Lesekompetenz gefordert ist. Hijiya-Kirschnereit (2004: 86) spricht von „den flächen- und linienorientierten Wahrnehmungsformen der Bildschirmgeneration“, die mit der japanischen Kunsttradition ebenso wie mit der Manga- und Animekultur kompatibel seien. Daher lässt sich auch von einer Analogie zwischen populärkulturellen Bilddarstellungen, den sie hervorbringenden Kunsttraditionen und den Wahrnehmungsformen, die von den Displays der keitai beansprucht oder hervorgebracht werden, sprechen. Allerdings besteht in der Kennzeichnung dieser visuellen Kultur immer auch die Gefahr der Überbetonung von Differenzen. Das Phänomen des „cool Japan“ (Roberts 2009: o.S.) mache das Land inzwischen zu einer der wichtigsten Marken der internationalen Popkultur, wie Martin Roberts in FlowTV schreibt. Dies habe mit einem Japan zugeschriebenen subkulturellen und subversiven Charakter zu tun, der u.a. wegen der Vermischung von hohen und populären Kunstformen einen Kontrast zum westlichen Mainstream bilde. Roberts kritisiert die dabei deutlich werdende undifferenzierte Sichtweise auf die japanische Kultur, bei der ihr von westlichen populärkulturellen Eliten Bedeutungen des Exotischen und des Anderen zugeschrieben werden. Gerade dies spricht dafür, die Besonderheiten der visuellen Orientierung in Japan einzuordnen und verstehbar zu machen. So lassen sich die Reduktion des Inhalts, die Zurückhaltung in der Darstellung von Details, die Vielschichtigkeit und Multiperspektivität sowie die starke Abstraktion in der Repräsentation von Figuren und Dingen als Kennzeichen einer zugänglichen, erfassbaren und damit auch attraktiven visuellen Kultur begreifen. Zugleich haben diese Aspekte eine Affinität zu bestimmten Medienplattformen und sind ein Grund dafür, dass das keitai nicht nur als Kommunikationsmedium, sondern in hohem Maße auch als visuelles Medium wahrgenommen wird.
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Visual kei, cosplay und purikura Mit der seit einigen Jahren auch in Deutschland bekannten Jugendszene visual kei verweist ein weiteres aus der audiovisuellen Kultur Japans stammendes Phänomen auf die Bedeutung visueller Zeichen. Visual kei, das Marco Höhn (2008: 199) als „optisches System“ oder „visuelle Herkunft“ übersetzt, nimmt vordergründig Bezug auf einen aus Versatzstücken verschiedener japanischer Musikrichtungen bestehenden Musikstil, verweist aber in stärkerem Maße auf die ästhetischen Komponenten dieser Musik und der sie repräsentierenden Bands. Die Betonung des Visuellen bezieht sich hauptsächlich auf den androgyn anmutenden Look der Bandmitglieder, deren schrille Frisuren, extravagante Outfits und auffälliges Make-up den visual kei Stil prägen (vgl. ebd.: 199). Die Jugendszene stelle somit „nicht so sehr eine Kristallisation um Musik(stile), sondern vielmehr um die optische Erscheinung der Musiker“ dar (ebd.: 200). In der so genannten cosplay-Szene (abgeleitet von costume und play) wird die visuelle Orientierung noch deutlicher, da es hier darum geht, als möglichst originalgetreue Kopie des eigenen Idols aufzutreten – sei dies ein Manga- oder AnimeCharakter oder auch ein realer Protagonist aus der visual kei Szene. Wichtige Aspekte von visual kei sind die Netzwerkbildung mithilfe neuer Medien sowie der Wettbewerbscharakter (vgl. Höhn 2008: 201f.). Bei den Großveranstaltungen der Szeneanhänger ist ein Ziel, möglichst häufig und bestenfalls professionell fotografiert zu werden. Durch Kommentierungen der Bilder auf Internetplattformen kann einer Darstellung zusätzlich Anerkennung verliehen werden (vgl. ebd.: 204). In diesem Zusammenhang bietet das keitai mit seiner KameraFunktion nicht nur die Möglichkeit, diese Selbstinszenierungen zu dokumentieren und mit anderen zu teilen. Es hat auch einen Einfluss auf die Intensität der Verbreitung dieser Jugendszene, die vor allem durch Onlinemedien zu einer translokalen, sich über vielfältige Peer-to-PeerNetzwerke fortzeugenden Medienkultur avanciert ist. Höhn bezeichnet visual kei gar als das Produkt einer deterritorialisierten Medienkultur, „[…] welche in Deutschland auf ganz andere jugendliche Lebenslagen trifft als in Japan und vielleicht gerade deshalb eher bzw. ausschließlich als visuell-ästhetisches Phänomen funktioniert“ (ebd.: 205). Während visual kei in anderen kulturellen Räumen nur über Äußerlichkeiten funktioniert und sich keine spezifische Agenda damit verbinden lasse, seien die mit dieser Praxis verbundenen kommunikativen Handlungen in Japan noch immer an eine lokale Szene gebunden und ordnen sich in einen spezifischen kulturellen Kontext ein. Elemente von visual kei und cosplay, wie etwa das in Szene setzen und sich fotografieren lassen als soziale, gemeinschaftsstiftende Handlung, finden sich in einer weiteren in Japan verbreiteten kulturellen Praxis wieder. Auch diese lässt interessante Übergänge zur keitaiKommunikation deutlich werden. Es handelt sich dabei um Praktiken,
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die rund um die Herstellung, Bearbeitung und Archivierung sogenannter Print Club Foto Sticker (purikura) zu beobachten sind. Hierfür stehen in Japan seit Mitte der 1990er Jahre landesweit hochentwickelte und geräumige Fotoautomaten zur Verfügung, die im urbanen Raum in der Regel zu mehreren gruppiert innerhalb von Spielcentern zu finden sind.172 Neben ausgefallenen Lichteffekten und einer Vielzahl unterschiedlicher, auswählbarer Hintergründe sind die Automaten häufig mit weiteren ‚Gimmicks‘ ausgestattet – beispielsweise von der Decke hängende Ringe, an denen man sich festhalten und hochziehen kann. Nach einer kurzen Aufnahmesession erfolgt die sofortige Verzierung und Beschriftung der Fotos an parallel zu den Automaten aufgestellten Computern mit Touch Screen, die für eine begrenzte Zeit zur Nutzung freigeschaltet sind. Dieser Teil der digitalen Nachbearbeitung, bei dem die kreativen Gestaltungspraktiken der Nutzerinnen und Nutzer ins Spiel kommen, ist mindestens genauso wichtig wie die Fotoperformance selbst. Anschließend kann ausgewählt werden, wie viele FotoSticker ausgedruckt werden sollen und es stehen Tische mit Scheren bereit, an denen die Bögen durchgeschnitten und die Bilder unter den Anwesenden verteilt werden. Purikura waren und sind vor allem bei jungen Mädchen extrem beliebt, die oft bei jedem sozialen Anlass und persönlichen Treffen davon Gebrauch machen und anschließend die Aufnahmen in speziellen Alben sammeln, untereinander austauschen oder kleine persönliche Gegenstände damit schmücken und individuell gestalten (vgl. Okabe et al. 2006; Okabe et al. 2009; Okada 2005: 55ff.). Im Repertoire der visuellen Kommunikationspraktiken japanischer Jugendlicher hat purikura einen eigenen Platz, der auch nach dem Aufkommen der keitai-Kamera kaum an Stellenwert eingebüßt hat. Denn aufgrund der Einbettung in eine lokale Infrastruktur bietet purikura visuelle Kommunikationsmodi an, die sich mit dem keitai nicht in gleicher Form realisieren lassen. Zugleich sind sowohl purikura als auch die keitai-Kamera und der herkömmliche Fotoapparat Teile einer mobilen visuellen Medienkultur, die den japanischen Alltag auf vielfältige Weise durchdringt: „Like digital cameras, camera phones, and other new mobile media technologies, purikura represent the growing influence and pervasiveness of visual media in the everyday lives of young people.“ (Okabe et al. 2009: 88) Dabei erfüllt jede Technologie ganz eigene Funktionen: Während mit dem Fotoapparat die besonderen Momente im Leben festgehalten werden, wie Urlaube, Feste und andere Feierlichkeiten, sind die Bilder der keitai-Kamera flüchtiger. Sie dokumentiert aus einer radikal subjektiven Perspektive individuelle Eindrücke und kleine spezielle Mo172 Okada schreibt (2005: 56), dass die ersten Automaten im Jahr 1995 aufgestellt wurden und es zwei Jahre später bereits 45.000 Geräte in ganz Japan gab.
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mente oder Abweichungen des Alltags, unterstützt so gesehen also auf bildhafte Weise eine Art persönliche journalistische Tätigkeit (vgl. Okabe et al. 2006: 4): „[…] camera phones capture the more fleeting and unexpected moments of surprise, beauty and adoration in the everyday.“ (Okabe 2004: 16) In Form dieser Bilder werden im keitai auch Erinnerungen und Erlebnisse gespeichert, die bei Bedarf abgerufen und mit Freunden ausgetauscht werden können (vgl. ebd.; siehe auch Peil 2007a). Eine solche Archivierungsfunktion erfüllen auch die purikura. Anders als beim keitai stehen hier aber Menschen, Gesichter und soziale Beziehungen im Fokus. Mit dem keitai werden vor allem Objekte, Situationen und Orte aufgenommen, die purikura repräsentieren dagegen soziales Kapital und Status, indem sie Freundschaften, Vernetzungen und Positionen innerhalb von Peergruppen sichtbar machen (vgl. Okabe et al. 2006: 4). Darüber hinaus dienen sie einem kommunikativen Zweck und ermöglichen sozialen Austausch; sie verleihen sozialen Zusammenkünften eine zusätzliche und nachhaltige Bedeutung und bieten überdies eine Plattform für Formen der Selbstdarstellung und Identitätsbildung (vgl. Okabe et al. 2009: 76ff.). Purikura stellen eine ritualisierte Praxis des Fotografiertwerdens in sozialen, gruppen- oder paarbezogenen Kontexten dar, die sich im Schnittfeld der japanischen Bild- und Spielkultur bewegt. Genau wie das keitai sind die dabei entstehenden Bilder und Alben als mobile, miniaturisierte und persönliche Medien zu verstehen, durch die soziale Beziehungen greifbar gemacht und in ständiger Reichweite gehalten werden. Aufgrund ihrer stationären Infrastruktur stellen sie nichtsdestotrotz eine Besonderheit innerhalb der japanischen Jugendkultur dar: „While exhibiting many features that align with recent forms of mobile media, purikura occupy a unique niche within the media ecology of youth in Japan. Purikura are an accessible, inexpensive form of visual culture that is keyed to the aesthetics and sensibilities of teenage girls.“ (Okabe et al. 2009: 87)
Als eigenständiges Medium gehört purikura nicht nur wegen seiner vielseitigen Gestaltungs- und Modifikationsoptionen noch immer zu den populärsten Medienaktivitäten Jugendlicher. Durch die von ihm gebotenen Übertragungs-, Transfer- und Adaptionsmöglichkeiten – etwa durch das Versenden der Bilder vom stationären Apparat des Automaten zur mobilen Technologie des keitai – hat es auch der visuellen Kultur Japans eine neue Dimension hinzugefügt. Mobilität und Spielen Mit Anbietern wie Nintendo oder Sony ist Japan führend auf dem Sektor der Konsole basierten und kleinen, tragbaren Computerspiele (vgl. Chan 2008b: 188; siehe hierzu auch Kapitel 5.4.3). Die Vorrei-
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terposition bezieht sich auch auf den Bereich der „keitai game culture“ (Hjorth 2007: 370),173 wobei sich der Vorsprung u.a. in der technischen Ausstattung der Mobiltelefone manifestiert: Als die meisten Mobiltelefone in den USA noch schwarz-weiße Bildschirme hatten, waren die Mobiltelefone in Japan bereits mit farbigen Displays ausgestattet und konnten anhand von speziellen Javaskripten einfache Computerspiele adaptieren (vgl. Hall 2005: 49). Mobiles Spielen per keitai bedeutet vor allem eine ubiquitäre Verfügbarkeit des Spielens an jedem Ort und zu jeder Zeit. Die keitai-Spiele ordnen sich auf flexible Weise in den Alltag ein, fordern zugleich aber auch weniger Aufmerksamkeit und Hingabe als die auf den stationären PCs oder Konsolen verfügbaren Spiele: „Because they can share in our lives, available near constantly for interconnected play, these electronic game experiences are disposable, subject to the unpredictable demands of real life, so at once the games are always present and negligible. They are for passing moments, not the object of focused attention.“ (Ebd.: 49)
Es handelt sich somit um eine andere Form des Spielens. Das Display, aber auch die Gestaltung des Mobiltelefons und die Handhabbarkeit seiner Tastatur, verhindern, dass es auf dem keitai visuell überzeugende, innovative Spiele gibt, in denen sich die Spielenden auf intensive Weise verlieren. Die meisten von ihnen seien daher einfache Spiele, wie Hall (2005: 50) weiter ausführt, und erfüllten vor allem eine nostalgische Funktion, indem sie sich auf die Frühzeit der Computerspielkultur und die ersten in öffentlichen Spielcentern installierten Spiele beziehen.174 Diese Limitationen des mobilen Spielens seien durch die Verbesserung oder Vergrößerung der Displays nicht aufzuheben (vgl. ebd.). Durch technische Weiterentwicklungen im Spielbereich kann den besonderen Möglichkeiten des Mobiltelefons allerdings eine spezifische Funktion gegeben werden, sodass die mobilen Spiele imstande 173 Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass mobile Spiele nichtsdestotrotz ein vergleichsweise kleines Segment der japanischen Computerspielindustrie darstellen (vgl. Chan 2008a: 15). 174 Quandt und Wimmer (2006: 46) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass mobile Spiele, die wegen ihrer Beiläufigkeit auch „casual mobile games“ genannt werden, meist nur einen ‚Zusatznutzen‘ auf einer Medientechnologie darstellen, die nicht primär auf das Spielen ausgerichtet ist. Dieser Nutzen zeige sich darin, wie Chan (2008a) deutlich macht, dass sie Leerzeiten ausfüllen und die Abkapselung in öffentlichen Räumen ermöglichen: „From an industry perspective, these „pick up and play“ games are geared for intermittent bouts of mobile play, ostensibly for „killing time“ or while traveling on Japan’s ubiquitous public transport networks.“ (Ebd.: 16)
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sind, mehr zu leisten als kurze Momente mit Aktivitäten zu füllen. Hall sieht deren Innovationspotenzial vor allem darin, mit location based technologies verbunden zu sein und dadurch den jeweiligen Aufenthaltsort und die lokale Vernetzung mit anderen Spielern spielerisch einzubeziehen (vgl. ebd.: 50; Chan 2008a: 18). Die realen Räumlichkeiten, in denen sich die Nutzerinnen und Nutzer bewegen, werden in diesen Spielen zu einer Spielfläche und verwandeln die darin anwesenden Personen zu Spielfiguren (vgl. Krotz/Schulz 2006). Damit gewinne „die Rolle des Handys als Interpretationsfolie sozialer Wirklichkeit an Bedeutung“ (ebd.: 61), denn hier werden dem mobilen Spielen durch eine Veränderung der Alltagswelt neue Bedeutungen verliehen; es bleibt nicht darauf reduziert, Spiele, die auch zuhause gespielt werden können, auf andere Orte und Nutzungskontexte zu verlagern. Sowohl Krotz und Schulz als auch Hall weisen auf japanische Spiele hin, mit denen sich diese Möglichkeit realisieren lässt. In dem von Krotz und Schulz (2006) genannten Spiel Mogi müssen die Spielerinnen und Spieler durch Umherlaufen in einem realen Stadtteil Tokios die dort versteckten virtuellen Objekte finden. Dabei konkurrieren sie mit anderen Mitspielerinnen und Mitspielern, denen sie beim Auffinden der virtuellen Objekte an den realen Orten zuvorkommen müssen. Durch „Icons“ werden die Spielgegner auf dem Display des Mobiltelefons sichtbar, während sie im realen Umfeld des Stadtteils unerkennbar und anonym bleiben. Über das Mobiletelefon kann mit ihnen kommuniziert werden, was nicht nur der Koordination von Teams dient, sondern auch dem Kennenlernen und der persönlichen Begegnung anderer Spielerinnen und Spieler (vgl. ebd.: 62). Dies führe nicht allein zu der Transformation des öffentlichen in einen subjektiv erfahrbaren Raum, sondern offenbare auch die Möglichkeit einer neuen Form der interaktiven Kommunikation: „Damit entstehen Szenarien, die öffentliche Situationen als kommunikatives Gestaltungsmoment integrieren und medienbezogene wie zwischenmenschliche Kommunikations- und Interaktionsformen in spielerischen Kontexten zusammenführen.“ (Ebd.: 61; Hervorh. im Orig.)
Während dieses Beispiel als eine von vielen Praktiken betrachtet werden kann, mithilfe des keitai den öffentlichen Raum mit Bedeutung zu füllen (siehe Kapitel 5.1.2), kommt bei Hall (2005) auch auf andere Weise der Bezug zu Japan ins Spiel. Er bezieht sich auf ein von DoCoMo für dessen i-mode-Kunden angebotenes Online Multiplayer Game, das Samurai Romanesque heißt. In diesem Spiel werden nicht nur Vernetzungsmöglichkeiten und lokale Aspekte betont, es ordnet sich auch durch seinen visuellen Stil stärker in die japanische Populärkultur ein. Spieler oder Spielerin wandert als virtuelle Samurai-Figur durch ein feudales Japan. Jedem Dorf, das der Samurai betritt, ist eine lokale
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Besonderheit zugeordnet, wodurch räumliche Bezüge herausgestellt werden. Mit den anderen Spielerinnen und Spielern kann gekämpft werden, es findet aufgrund der gewahrten Anonymität aber kein direkter kommunikativer Austausch statt. Neben dem Ortsbezug dieses Spiels ist hier vor allem auf seine Schnittstellen zur visuellen Kultur Japans hinzuweisen. Die vereinfachte Ästhetik in der Darstellung der Samurais orientiert sich an den Reduktionen und Schematisierungen der Manga- und Animeästhetik: „That the characters are slight and cutefied might only be uniquely Japanese but it is important to note here that anything must be shrunk to fit these sorts of screens. It is the shorthand of expression evolved into a pervasive media mode in Japan: the tiny body and larger head. The gestures of the face must be written larger than the flailing of the limbs. Heads teetering on top of squat or skinny frames serve expression, emotion that can be read from a distance, or within a few pixels.“ (Ebd.: 53)
Die japanische Ästhetik und die davon bestimmte Populärkultur bringen auf dem Display der keitai lesbare und erfassbare Figuren hervor, die durch ihre kulturelle Grundierung die Identifikation mit ihnen erleichtern. Hall macht darauf aufmerksam, dass der Nutzung mobiler Medien durch den Einsatz von Avataren, die mit den keitai-Displays kompatibel sind, spezifische Bedeutungen verliehen werden. Dies veranschaulicht er anhand eines weiteren Beispiels aus der japanischen Mobilkommunikation, bei dem durch die Interaktion mit einer im keitai integrierten Spielfigur Medium, Kommunikation und Spiel auf interessante Weise fusionieren.175 Man mag sich zu Recht fragen, warum eine virtuelle Figur Medienhandeln kommentieren sollte, und dies auch eigenartig und problematisch finden. Doch Hall verbindet damit auch eine Utopie der Verwandlung von jedweden kommunikativen Handlungen in ein Spiel: „It’s the feeling that all of life’s activities, the banal ones, the insignificant ones, are now part of a system of accumulating value.“ (Ebd.: 55) Die Beispiele verweisen auf die bedeutsame Rolle des Spielerischen bei der Veralltäglichung von Medien in Japan. Denn das Spie175 „The J-Phone T06 from Toshiba sold in Japan in late 2001 came Ulala standard. This purpled-haired orange skirted lady broadcasts intergalactic news in Space Channel 5, a popular console dancing game from Sega. Here on this phone Ulala was not meant for play as a protagonist but as a phone intermediary and companion. As people call and email you, she keeps track. If enough friends engage your device, you ‚unlock‘ her greater powers; she will do special dances during which you can watch her short skirt swoosh up over her orange pixel panties. The phone comes to tease you about the minutes you’ve already spent online, or plays into your perception of your popularity.“ (Hall 2005: 54)
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len kann dazu beitragen, die Konnotation einer ‚kalten‘ Technologie zu mindern und ihre aktive Aneignung zu fördern (vgl. Daliot-Bul 2007: 955). Die Idealisierung der spielerischen Komponenten des keitai, durch die Übergänge zwischen Alltag, Spiel und Medium geschaffen werden, stellt auch ein wesentliches Element in den Strategien der Anbieter dar. Mobilfunkanbieter wie TUKA setzten in den späten 1990er Jahren bewusst auf die Integration von Spielfunktionen, um das keitai populär zu machen (vgl. ebd.: 956). Aktuelle Spiele wie Mogi sind für die Industrie auch deswegen interessant, weil sie nicht nur ältere und zahlungskräftigere Spielerinnen und Spieler ansprechen, sondern auch deutlich mehr Frauen als herkömmliche Spiele erreichen (vgl. Chan 2008a: 20). Zudem übernehme das Spielerische teils auch die Funktion, Zwänge und Regeln des sozialen Miteinanders auszusetzen und korrespondiere in dieser Hinsicht mit einem übergreifenden Individualisierungstrend, der in der japanischen Gesellschaft allmählich zu beobachten sei (vgl. Daliot-Bul 2007: 957). So lassen sich auf mehreren Ebenen Zusammenhänge herstellen zwischen digitalen Spielen und mobilen Medien. Das kleine Display des keitai eignet sich für beiläufige und einfache Spiele, deren Nutzung sich flexibel in flüchtige Momente des Alltags einfügen lässt. Durch Spiele, die lokale Bezüge der ‚realen Welt‘ in sich aufnehmen und durch Vernetzungsmöglichkeiten neue Spiel- und Kommunikationssituationen schaffen, geht die Integration in den Alltag aber auch mit dessen Transformation einher. Die schematisierte und vereinfachte Darstellung von Objekten und Spielfiguren, die sich in die visuelle Tradition der japanischen Kultur einordnen, erleichtert die Übertragung auf die keitai-Bildschirme und die Wahrnehmung und Identifikation mit den Figuren. Indem die mobilen Spiele zu jeder Zeit verfügbar sind, zum Teil neue Interaktionsformen schaffen und der Technologie den Akzent von Kälte nehmen, lassen sie sich als Motoren sowohl einer Veralltäglichung des keitai als auch einer Veralltäglichung des Spielens begreifen.
5.4.3 Medientechnologien als Bedeutungsträger
Abschließend soll in diesem Rahmen noch ein weiterer Aspekt von Medien ins Spiel kommen. Er knüpft an die These einer „double articulation“ von Medientechnologien an, die im Kontext des innerhalb der britischen Cultural Media Studies entwickelten Domestizierungsansatzes (siehe Kapitel 4.2.3) herausgearbeitet wurde. Die Bedeutung von Medien umfasst demnach zwei Ebenen – neben einer von den Inhalten ausgehenden symbolischen Ebene eine zweite, die sich auf die Materialität des Mediums, auf das Medium als technisches Artefakt, bezieht (vgl. Silverstone/Haddon 1996: 62; siehe auch Röser 2007a;
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Röser/Peil 2010; Hartmann 2006, 2008; Livingstone 2007). Darin ist impliziert, dass eine Medientechnologie wie das Mobiltelefon auch als konsumierbares Objekt „Gegenstand von Bedeutungszuschreibungen“ (Röser/Peil 2010: 223) wird und „eine eigene symbolische Bedeutung“ (Hartmann 2008: 406) erhält.176 Die symbolische, auf den Gegenstand gerichtete Bedeutung von Medien wie dem Mobiltelefon werde laut Morley etwa auch daran sichtbar, dass viele Nutzerinnen und Nutzer ihre Geräte nicht vollständig überblickten und über zahlreiche Funktionen nicht Bescheid wüssten. Dies stelle die neuen Technologien in einen ähnlichen Kontext wie ihn symbolische Objekte innerhalb von traditionellen Kulturen für sich beanspruchen. Das Verlangen, immer neuere und bessere Versionen eines Geräts zu besitzen, ließe sich dementsprechend als ein „desire to possess the magical qualities associated with ‚newness‘“ (Morley 2007: 295) erklären. Zentral dabei ist die mögliche Anbindung der Nutzerinnen und Nutzer an die Bedeutungen, die einer Medientechnologie in einer bestimmten Kultur zugeschrieben werden.177 „Of all the technical objects of our era, it is perhaps the mobile phone that currently carries the heaviest symbolic burden. Evidently this is not unrelated to the fact that the device, in its more sophisticated versions, is indeed fast becoming the hub of much of our electronic communications […]. However, the mobile phone clearly performs many symbolic as well as practical functions. It is not only the most expensive object ever to be routinely carried about the person in modern, affluent societies, but it is also itself an ‚icon of the new̒ […].“ (Ebd.: 301)
Das Mobiltelefon kommuniziert, auch wenn es nicht für die Kommunikation verwendet wird, ließe sich hier resümieren. Nicht nur anhand 176 Etwas verwirrend erscheint an dieser Stelle, dass nicht nur von einer symbolischen Ebene der Medieninhalte, sondern auch von einer symbolischen Bedeutung von Medien als Gegenstände die Rede ist. David Morley spricht beispielsweise von der symbolischen Dimension von Medien, wenn er die Bedeutungen meint, die ihnen als fetischisierte Gegenstände zugeschrieben werden: „[…] the last thing we should do is to make the mistake of imagining that media and communications technologies are desired, consumed and used simply for their functional purposes, increasingly ‚marvellous‘ as these may appear. […] everything that the anthropology of material consumption tells us indicates that, beyond their practical uses, communications technologies often have symbolic meanings that make them also function as powerful totems and fetishes for their owners.“ (Morley 2007: 297) 177 Der schon eine Weile andauernde Hype um das iPhone und die bei vielen gefestigte Vorstellung, dass es sich bei diesem Gerät um etwa Besonderes, nie Dagewesenes und ästhetisch Wertvolles handelt, durch das das iPhone allen anderen Mobiltelefonen überlegen ist, ist ein gutes Beispiel hierfür.
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des spezifischen Fabrikats, sondern auch durch sein Design, durch dekorative Aufkleber und Anhänger artikuliert es die kulturelle Identität seines Besitzers oder seiner Besitzerin (vgl. ebd.). Die bedeutungsstiftende Dimension des Mediums als Objekt beschränkt sich aber nicht auf eine vom Individuum zugeordnete Bedeutung. Medientechnologien werden auch durch kulturelle Prägungen zu Bedeutungsträgern. Daher beschäftigt sich dieses Kapitel mit den symbolischen Bedeutungen, die dem keitai im Rahmen der japanischen Kultur zugewiesen werden. Insbesondere wird dabei berücksichtigt, dass sich Japan durch die Besonderheit einer dem Land zugeschriebenen hohen Technologieaffinität auszeichnet. Von dieser Auffassung werden die Implementierung, der Gebrauch und die Bedeutung des keitai mitbestimmt. Es finden in diesem Zusammenhang daher medienbezogene Moden und Phänomene Beachtung, in deren Kontext sich das keitai als Konsumobjekt einordnet – etwa die in Japan omnipräsente Kultur der Niedlichkeit (kawaii-Kultur), die Tradition der tragbaren Unterhaltungselektronik oder die Tendenz zu einer Idealisierung des Kleinen (vgl. Peil 2010). Zur großen Bedeutung kleiner Technologien Mit der Größe des Mobiltelefons hängt zusammen, dass es sich als etwas Nahes, als alltagsbegleitendes, dem eigenen Lebensstil und der eigenen Identität angepasstes Medium betrachten lässt (vgl. Mizukoshi et al. 2006: 6). Seine kompakte, handliche Form führt dazu, ihm spezifische Bedeutungen zu verleihen. Diese gegenstandsbezogenen, symbolischen Bedeutungen sind auch von weitergehenden kulturellen Faktoren abhängig, durch die Technologien bestimmte Konnotationen erhalten. Die Wahrnehmung und Produktion elektronischer Geräte ist beispielsweise auch von dem jeweils gängigen Technikappeal einer Zeit abhängig (vgl. Weber 2008: 19). Weber weist darauf hin, dass Kleinsttechnologien noch bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein als negativ, als bloße Spielerei und qualitativ minderwertig galten: „[…] eine Miniaturisierung wurde erst über die Jahrzehnte hinweg nicht mehr als Zeichen einer potentiellen Qualitätseinbuße, sondern als Insignie des Technikfortschritts bewertet“ (ebd.). Miniaturisierten Technologien positive Bedeutungen zuzuschreiben hänge demnach nicht von ihrem praktischen Wert ab, sondern vor allem von der Rolle, die sie durch unterschiedliche diskursive Rahmungen beispielsweise in der Populärkultur einnehmen (vgl. ebd.).178 Auf dem Sektor kleiner technologischer Geräte kommen Japan und dem keitai eine besondere Bedeutung zu. Die mobile Kommunikationstechnologie fügt sich scheinbar nahtlos in die japanische Tradi178 Eine Auseinandersetzung mit mobilen Kleinsttechnologien lässt sich kulturwissenschaftlich somit auch als ein Kampf um Bedeutung begreifen, an dem Japan auf besondere Weise beteiligt ist.
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tion der tragbaren Unterhaltungselektronik ein, die mit der Popularität des Transistorradios begann und sich mit dem Erfolg von Walkman, Tamagotchi und Gameboy fortsetzte (vgl. Castells et al. 2004: 108; vgl. auch Peil 2007b, 2010). Japans Avantgardestellung im Bereich der mobilen Onlinedienste, die von Matsuda (2005a: 33) als „keitai IT revolution“ bezeichnet wird, korrespondiert mit dem Siegeszug vieler Kleinsttechnologien, die in diesem Land entwickelt und weltweit verkauft wurden. In diesem Hang zu einer Miniaturisierung wird oft ein konstitutiver Moment der japanischen Medienkultur gesehen (vgl. Lee 1982). Lee, der für Japan den Begriff der „compact culture“ geprägt hat, bringt ihn beispielsweise mit der Geografie des Landes zusammen, die weder Raum noch Ressourcen für den Aufbau riesiger Produktionsstätten bereithält. Anders als die USA, deren Ausdehnung und Vereinnahmung von Raum sich in der Produktion großer Technologien spiegelt, hat sich Japan auf die Fabrikation von kleinen Dingen spezialisiert. „[…] one aspect of the Japanese mind is an imaginative power that seeks to make things smaller, that idealizes the dwarf over the giant. This has found expression in many forms of Japanese culture. It is seen in the miniatured trees of bonsai and in rock gardens, where space itself is scaled down. In modern times, first the transistor and now the personal computer are evidence of this same tendency.“ (Ebd.: 24)
Die Geografie eines Landes, die räumliche Situation in den Städten und Wohnungen sowie die Verkehrsstrukturen sind sicherlich wichtige Faktoren, die zu erklären helfen, welche Art von Konsumgüter idealisiert werden und zu den bestimmenden Leitmedien einer Kultur werden.179 Lee geht es in seinen Ausführungen, die eine Verbindung zwischen Objekten wie dem japanischen Faltfächer, Literaturgenres wie dem Haiku, und Technologien wie dem Transistorradio herstellen, aber auch darum, eine Traditionslinie kleiner Produkte in Japan zu beschreiben und so die kulturelle Bedeutung neuer elektronischer Miniaturen stärker zu betonen (vgl. ebd.). Die compact culture wird auch deswegen als wesenhaft für die japanische Kultur und Ästhetik beschrieben, weil sie mehr ist als eine Spielerei. Vielmehr hat sie dazu geführt, das Land auf dem Weltmarkt über eine deutlich identifizierbare Produktlinie zu positionieren und ein positives nationales Selbstbild zu konstruieren (vgl. Matsuda 2005a). So trug das Transistorradio – das nicht in Japan erfunden, dort aber „zu einem populären und handlichen Massenkulturgut weiterentwickelt“ wurde (Peil 2007b: 88) – in den 1950er und 1960er Jahren 179 So lässt sich etwa auch die Faszination für große Autos verstehen, welche die Imagination der USA und ihr Bild in der Welt prägen.
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dazu bei, das zuvor eher negative Bild der japanischen Industrie in der Welt zu verändern (vgl. Lee 1982: 154). In den 1980er Jahren war es der von Sony produzierte Walkman, der einen Anlass dazu lieferte, im Ausland das Bild einer technologieaffinen und fortschrittlichen Nation zu kreieren (vgl. du Gay et al. 1997; Yoshimi 1999: 170). In den 1990er Jahren führte schließlich die Produktion und Perfektionierung mobiler Medientechnologien dazu, Japans Rückstand im Bereich der digitalen Unterhaltungselektronik zu überwinden. Er bedeutete zugleich auch eine Wiederbelebung der Wirtschaft und des nationalen Selbstbewusstseins (vgl. Matsuda 2005a: 32ff.). Hjorth (2007) weist darauf hin, dass sich in den letzten Jahren über mobile Kleinsttechnologien und andere japanische Produkte so etwas wie eine mit dem Konsum moderner Güter verbundene asiatische Identität gebildet habe. Obwohl Japan im Asien-Pazifik-Raum geschichtlich noch immer eine zwiespältige Rolle spiele, wird das Land dort als „technological centre that symbolized well-made products“ (ebd.: 373) wahrgenommen. Nicht nur der Konsum von handlichen Elektrogeräten, sondern auch populärkulturelle Güter wie der J-Pop finden dort mehr Widerhall als beispielweise westliche Produkte (vgl. ebd.). Es wird deutlich, dass die japanischen Güter hier mehr bezeichnen als nur die Spezialisierung auf eine bestimmte Produktlinie. Somit lässt sich verstehen, warum versucht wird, die Produktion des Landes mit Besonderheiten der japanischen Kultur zu erklären und gegenüber anderen Kulturen zu positionieren. Für Lee (1982: 165) ist der Erfolg in der Fähigkeit der japanischen Industrie begründet, Produkte an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen. Aus dieser Fähigkeit konstruiert er einen Unterschied zu anderen mit Technologie und Forstschritt verbundenen Nationen: Während in den USA alles auf die Entdeckung des Neuen und Unbekannten ausgerichtet sei, interessiere sich die japanische Kultur eher für das Bekannte, versuche mit dem zu arbeiten, was bereits da ist und dieses zu assimilieren und dem Alltag anzupassen (vgl. ebd.: 166). Diese Erklärung korrespondiert mit dem Bild einer disziplinierten, genügsamen Nation. Yoshimi (1999) weist im Unterschied zu Lee auch auf die diskursiven Strategien hin, die die elektronischen Produkte in der Werbung begleiten und sie mit bestimmten Werten verbinden. In seiner Beschreibung der Elektrifizierung der japanischen Nachkriegskultur legt er dar, wie Japanerinnen und Japaner dazu gebracht wurden, den relativ begrenzten Raum ihre Wohnung deshalb mit einer Vielzahl kleiner elektronischer Geräte zu füllen, weil sie mit einem modernen Lebensstil assoziiert wurden (vgl. ebd.: 152). In den 1950er und 1960er Jahren wurde in der Werbung großer Elektronikkonzerne immer wieder das Bild von japanischen Technologien gezeichnet, deren auf der ganzen Welt bewunderte Qualität untrennbar mit der japanischen Tradition und Ästhetik verbunden seien (vgl. ebd.: 162).
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Die mobilen Geräte wie der Walkman bezeichnen tatsächlich eine Abkehr von der elektronischen Ausstattung des Zuhauses und dem daran anknüpfenden, an die USA als Vorbild angelehnten Lebensstil.180 Es fand vielmehr eine Zuwendung zu mobileren und individualistischeren Lebensentwürfen statt: „[…] Sony has continually tried to promote its products as something that ‚moved away‘ from household electric appliances“ (Yoshimi 1999: 168). Mit den tragbaren Musikplayern begann die Werbung in Japan allmählich darauf zu verzichten, auf die Grundierung der Herstellung dieser Produkte in der japanischen Kultur hinzuweisen. Allerdings entstand und festigte sich im Westen erst in dieser Zeit das Bild einer fortschrittlichen, technikverliebten Nation (vgl. ebd.: 170), das Züge eines „techno-orientalism“ trägt (Morley/Robins 1995: 168). Es wird an dieser Stelle deutlich, dass kleine mobile Mediengeräte auf vielfältige Weise zum Gegenstand von Projektionen werden, nicht nur in Japan selbst, sondern auch in anderen Ländern und ihren auf Japan bezogenen Vorstellungen. Durch die ihnen zugeschriebenen positiven Konnotationen, die u.a. auf ihrem Einfluss auf das nationale Selbstbild und auf die Etablierung einer asiatisch-pazifischen Konsumkultur basieren, sind Kleinsttechnologie wie das keitai wichtige Bestandteile eines modernen Lebensstils und integrieren sich auf diese Weise in die japanische Kultur. Heute kommt den miniaturisierten Technologien insbesondere in Form so genannter Gadgets eine hohe symbolische Bedeutung zu; dabei kommt es vor, dass diese den eigentlichen Gebrauchswert des Gegenstandes übertreffen. Gadgets werden von Waldt (2009) als technische Geräte bezeichnet, die das Nützliche mit dem Verspielten und Ästhetischen verbinden, „die besonders handlich sind, mit originellen Funktionen aufwarten und sich in einem ansprechenden Design präsentieren“ (ebd.: o.S.). Zahlreiche Gadgets stammen aus Japan. Nicht nur der äußerst erfolgreiche Tamagotchi ist hier entstanden, auch Bücher über „Unuseless Japanese Inventions“ (Kawakami 1995, 1997) lassen das Land als Ursprung einer Fülle von Gadgets erscheinen, von denen viele über den Status einer kuriosen, verspielten Technologie nicht hinausgeraten.181 Beispielsweise war die japanische Industrie Anfang der 1970er 180 Dass es in den USA der 1950er Jahre ähnliche diskursive Strategien in der Werbung und in den Frauenzeitschriften gegeben hat, mit denen beispielsweise der Technologie des Fernsehens ein Platz innerhalb der modernen, suburbanen Lebensformen zugewiesen wurde, wird bei Spigel (2002) deutlich. 181 Auch Morley (2007: 252) macht auf die experimentellen Arbeiten Kenji Kawakamis aufmerksam und bezieht sich auf dessen chindogu („unuseless objects“), einer in Japan beheimateten Form der Technologieparodie. Chindogu sind als eine Reflexion über medientechnologische Innovationen und ihre symbolischen Bedeutungen zu verstehen, durch die auf die Unbrauchbarkeit, die viele Gadgets auszeichnet, aufmerksam gemacht wird (vgl. ebd.).
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Jahre auch daran beteiligt, ein tragbares und miniaturisiertes Taschenfernsehen auf den Markt zu bringen, das sich als populäres Alltagsmedium letztlich aber nicht durchsetzen konnte (vgl. Peil 2007b). Möglicherweise übernehmen solche Geräte aber die wichtige Funktion, technologische und kommunikative Innovationen zu erproben. Mit Erfindungen wie dem von Sony produzierten Roboterhund AIBO wird auch mit den Möglichkeiten der interaktiven Kommunikation zwischen Mediengeräten und Menschen experimentiert, über deren Potenzial für zukünftige Entwicklungen sich derzeit noch wenig sagen lässt (vgl. Krotz 2007a: 92). Der AIBO ist vor allem wegen seines autonomen Modus interessant, der ihn gemäß der seinem Programm eingebauten Bedürfnisse für den Nutzer oder die Nutzerin unerwartet reagieren lässt. Indem es ihm beispielsweise möglich ist, Kommunikation zu simulieren, stellt er mehr als die bloße Imitation eines Tieres dar (vgl. ebd.: 133ff.). Während sich der AIBO auch in Ländern wie den USA und in Europa verkauft hat – seine Produktion ist von Sony inzwischen eingestellt worden –, könnte, worauf Krotz (2007a: 147) hinweist, seine noch größere Akzeptanz in Japan auch damit zu tun haben, dass der dort verbreitete Shintoismus nicht so eindeutig zwischen Dingen, Menschen und Göttern trenne, sondern allen einen Platz in der Welt zuweise. Anschlussfähig für diese Arbeit erscheint vor allem die Überlegung, dass technische Geräte wie das Tamagotchi oder der AIBO durch ihren auf das Verspielte und nicht auf den Gebrauch bezogenen Charakter auf die Möglichkeiten neuer medientechnologisch geprägter, interaktiver Kommunikationsformen vorbereiten. Damit könnten sie auf eine ähnliche Weise wie die mobilen Spiele und Unterhaltungsanwendungen dabei helfen, Medientechnologien wie das keitai in den Alltag zu integrieren. Fabrikationen der Niedlichkeit Ein kulturelles Feld, auf dem zahlreiche der hier bereits angesprochenen Aspekte der japanischen Medienkultur wie die Bedeutung des Spiels und die Ästhetik von Manga und Anime auf verdichtete Weise aufeinandertreffen, ist die kawaii-Kultur, die japanische Kultur der Niedlichkeit. Mit der im japanischen Alltag inzwischen omnipräsenten kawairashisa (Niedlichkeit) korrespondieren auch der im letzten Abschnitt thematisierte Hang zur Miniatur und die Idealisierung der Winzigkeit, die in der Entwicklung und Produktion kleiner, tragbarer Technologien zum Ausdruck kommen.182 182 Die beiden Abschnitte zur kawaii-Kultur überschneiden sich inhaltlich mit dem Aufsatz „‚Hello Kitty‘ im japanischen Medienalltag. Zur Integration mobiler Kommunikationstechnologien in alltagskulturelle Praktiken der Verniedlichung“ (Peil 2010). Die Ausführungen werden hier aber in den Kontext der kulturellen Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan gestellt und beziehen sich weniger auf den Alltag als Sphäre kreativer Aneignungspraktiken.
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Ihre aktuelleren Ursprünge hat die kawaii-Kultur in einer als burikko-ji 183 bezeichneten neuen Art zu schreiben, die japanische Jugendliche in den 1970er Jahren erfanden. Dieser neue Schreibstil, der durch seine runden Formen sowie kleine, in den Text eingefügte Bilder und Symbole gekennzeichnet war, knüpfte ästhetisch an einen westlichen Schreibgebrauch an und kann auf ähnliche Weise wie der spätere Aneignungsprozess des Pagers als eine kreative Umdeutungspraktik Jugendlicher angesehen werden. Burikko-ji markiert den Beginn einer neuen Jugendbewegung, die sich ausgehend von der Infantilisierung der japanischen Schrift und Sprache später auf zahlreiche andere Bereiche des alltäglichen Lebens ausdehnte (vgl. Kinsella 1995: 222ff.). Als kulturelles Phänomen sind die vielfältigen Formen der Verniedlichung auch als Teile eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels in Japan zu verstehen, der sich in der zunehmenden Zurückdrängung traditioneller Künste zugunsten von zeitgenössischer Mode und Populärkultur zeigte (vgl. ebd.: 224). Nachdem als Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1980er Jahre die Nachfrage nach Konsumgütern gestiegen war, wurden die sich zunächst nur im Prozess des Schreibens ausdrückenden Verniedlichungspraktiken der Jugendlichen nach und nach vermarktet. Die kindlich anmutende Schrift wurde in Printmedien und Werbung eingesetzt und später als spezieller Schriftstil auch in Textverarbeitungsprogramme aufgenommen. Mit niedlich bedruckten Schreibwaren, Geschenkartikeln und Haushaltsgütern entwickelte sich parallel auch die so genannte Fancy Goods Industrie zu einem erfolgreichen Wirtschaftszweig, deren Produktdesign deutlich erkennbar von der kawaiiKultur inspiriert ist. „The crucial ingredients of a fancy good are that it is small, pastel, round, soft, loveable, not traditional Japanese style but a foreign – in particular European or American – style, dreamy, frilly and fluffy. Most fancy goods are also decorated with cartoon characters. The essential anatomy of a cute cartoon character consists in its being small, soft, infantile, mammalian, round, without bodily appendages (e.g. arms), without bodily orifices (e.g. mouths), non-sexual, mute, insecure, helpless or bewildered.“ (Kinsella 1995: 226)
Diese Beschreibung verweist nicht nur auf die in Japan ausgeprägten visuellen Formen der Abstraktion und Schematisierung, wie sie im 183 Zur Bezeichnung der neuen Schriftform war eine Vielzahl von Namen im Umlauf, wie Sharon Kinsella ausführt: „The new style of handwriting was described by a variety of names such as marui ji (round writing), koneko-ji (kitten writing), manga ji (comic writing) and burikko ji (fakechild writing).“ (Kinsella 1995: 222)
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Abschnitt zur Bildorientierung bereits dargestellt und historisch fundiert wurden. Sie sprechen auch eine weitere Bedeutungsebene des Begriffs kawaii an, die hier zum Ausdruck kommt. Das Wort übersetzt sich nämlich nicht nur als niedlich, süß oder liebevoll, sondern wird auch mit den negativen Konnotationen von Schwäche, Mitleid und Verletzlichkeit verbunden (vgl. ebd.: 221f.). Tatsächlich erscheint das Aussehen vieler Charaktere der kawaii-Kultur auf den ersten Blick bemitleidenswert, da ihnen häufig Gliedmaßen fehlen und die Proportionen nicht stimmen. Das wohl prominenteste Beispiel hierfür ist die schlicht gezeichnete Figur Hello Kitty, deren Darstellung sich häufig auf das runde, weiße, mundlose Katzengesicht und die rote Schleife auf dem Kopf beschränkt. Hello Kitty, die Mitte der 1970er Jahre von der Firma Sanrio entworfen und auf den Markt gebracht wurde und sich inzwischen zu einem globalen und weltweit erfolgreichen Medienphänomen entwickelt hat,184 ist aber nur eine von zahlreichen Figuren. Mit dem Pinguin Badtz-Maru, dem Kaninchen My Melody oder der blauen Roboterkatze Doraemon wird die von einer Ideologie des Konsumismus und der Marktakkumulation geprägte kawaii-Kultur (vgl. McVeigh 2000: 242) von weiteren Charakteren repräsentiert, denen neben ihrer Niedlichkeit teils auch Eigenschaften wie Schwäche oder Passivität anhaften. Die Zwiespältigkeit, aber auch die Komplexität des Begriffs kawaii und der sich daran orientierenden Alltagskultur wird hier deutlich. Einerseits knüpft kawaii-Kultur an die Verklärung einer von Glück und Geborgenheit bestimmten Kindheit an und glorifiziert die mit dem Vorschulalter assoziierten Werte von Freiheit und Sorglosigkeit (siehe hierzu Kapitel 5.2.1). Indem die Kindheit idealisiert wird, kann den Zwängen und persönlichen Einschränkungen durch Institutionen wie Schule und Arbeitsplatz etwas entgegen gesetzt werden. Andererseits ist dieser opponierende Charakter der kawaii-Kultur nur auf einer latenten Ebene vorhanden, da der Protest nicht wie in anderen Jugendbewegungen durch rebellisches Aufbegehren demonstriert wird, sondern sich im Rückzug in eine imaginierte Kindheit und im Konsum artikuliert (vgl. Kinsella 1995: 241). Eine weitere Differenz zu anderen Jugendkulturen besteht in der Rolle junger Frauen, die Vorreiter der kawaiiKultur sind und diese dominieren, obwohl seit den 1980er Jahren auch immer mehr Männer mit einem androgynen Look zur Ästhetik der Niedlichkeit gefunden haben (vgl. ebd.: 243). Kawaii-Kultur lässt sich somit auch als eine Art weiblicher Machtanspruch verstehen bzw. als Ausdruck von Widerstand gegen männlich konnotierte Werte wie Produktivität, Rationalität, Ordnung und Kontrolle. 184 In ihrem Heimatland ist ihr im Frühjahr 2008 vom Minister für Verkehr, Tourismus und Infrastruktur gar der Posten der offiziellen Botschafterin ihres Landes übertragen worden.
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Problematisch wird das Spiel mit Zuschreibungen und kindlichen Stilisierungen wegen seiner sexuellen Konnotationen. Durch das Vorspielen einer kindlich weiblichen Sexualität besetzen die Frauen den öffentlichen Raum und verbinden ihren Machtanspruch mit der Demonstration einer spezifischen Weiblichkeit (vgl. Fujimoto 2005). Indem sie sich verniedlichen, die eigene Schwäche und Verletzlichkeit offen zur Schau stellen, machen sie sich dabei aber zum Objekt einer in Japan als lolicon (Lolita-Komplex) bezeichneten männlichen Fantasie. Zwar ließe sich mit Mary Ann Doane (1985) argumentieren, dass gerade das Spiel mit der Sexualität und die offensichtliche Repräsentation eines Bildes von Weiblichkeit eine Distanz schaffen kann, durch die die Frauen den mit Macht besetzten männlichen Blick abwehren. Deutlich wird an dieser Stelle aber, dass sich die Niedlichkeit, deren Potenzial im Unterlaufen statischer Vorstellungen von Geschlecht durch Auffälligkeiten und Überbetonungen liegt, als ein permanenter Balanceakt darstellt zwischen weiblicher Ermächtigung auf der einen und ihrer Herabsetzung auf der anderen Seite. Diese widersprüchliche Form der kawaii-Kultur, die inzwischen deutlich mehr als eine Jugendkultur ist, ist im japanischen Alltag allgegenwärtig. Das widersprüchliche Spiel mit gegenläufigen Bedeutungen von Macht und Entmachtung zeigt sich etwa auch daran, dass selbst Institutionen wie die Polizei mit Figuren und Maskottchen auf sich aufmerksam machen, um auf diese Weise zugänglich und nahbar zu erscheinen (vgl. McVeigh 2000: 242). Wenn niedliche Konterfeis darüber hinaus Straßenschilder und Lehrmaterialien zieren, so lässt sich hier von einer Art kultureller Hegemonie sprechen, die die kawaiiKultur für sich beansprucht. Sie ist zugleich Ausdruck einer ganz unterschiedliche Ebenen der japanischen Gesellschaft umfassenden ‚Feminisierung‘, die auch den Bereich der mobilen Kommunikationstechnologien erfasst hat. Keitai-Kommunikation und kawaii-Kultur Das keitai nimmt einen nahezu beispiellosen Platz in der kawaii-Kultur ein, weil es als kleiner, kompakter und persönlicher Alltagsbegleiter äußerst empfänglich für Strategien der Verniedlichung ist. Geradezu idealtypisch scheint es sich für individuelle Umgestaltungen (z.B. in eine mobile Textnachricht integrierte Bilder, Symbole und Fotos) und kreative Dekorationen (Anhänger, Sticker) zu eignen. Sowohl auf Software- als auch auf Hardwareebene unterliegen die keitai vielfältigen Formen der Verzierung und Personalisierung, sodass der Eindruck entsteht, als kulminierten in ihm die Möglichkeiten identitätsstiftender Darstellungsweisen. Es zeigt sich hier, dass das Mobiltelefon im Gegensatz zum heimischen Telefon oder Computer äußerst aneignungs- und anpassungsfähig ist und sich daher eher mit individuellen Bedeutungen aufladen
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lässt. Durch kreative Praktiken kann es von einem massenindustriell gefertigten Produkt in eine persönliche Habseligkeit transformiert werden: „Mobile phones are lightweight, portable, and easy to be customized as a wearable item to suit different lifestyles and fashions. As a result, keitai decorations and their associated cultural expressions have become the latest epitome of the culture of kawaii.“ (Castells et al. 2004: 110)
Die Vereinnahmung durch die kawaii-Kultur kann dem keitai eine vielen Technologien anhaftende Aura des Kalten und Leblosen nehmen, womit sie eine ähnliche Funktion wie das mobile Spielen für die Veralltäglichung der mobilen Kommunikationstechnologie übernimmt (siehe Kapitel 5.4.2). Diese Praxis lässt sich, wie McVeigh (2002: 26) ausführt, als „techno-cute“ charakterisieren und bringt zwei gegensätzliche Begriffe und Bedeutungsebenen zusammen: „Techno-cute merges the two esthetics/ethics of cold, complicated contraptions, unfeeling objects, and serious effort and labor, with warm, understandable social relations, emotional connections, and playful times and leisure.“ (Ebd.)
Larissa Hjorth spricht in diesem Zusammenhang von einer „form of ‚humanising‘ the dehumanised technological spaces“ (Hjorth 2005: 39; Herv. im Orig.): Kawaii-Kultur vermag scheinbar unüberwindbare Dualismen – zwischen Mensch und Maschine, zwischen Technik und Gefühl – aufzubrechen, erleichtert damit den Zugang zu Technologien und ermöglicht alternative Aneignungsweisen. Diese Gegensätze verbindende und ausgleichende Kraft der kawaii-Kultur hat u.a. dazu beigetragen, das keitai schon frühzeitig aus einer männlich definierten Deutungshoheit von Informations- und Kommunikationstechnologien zu lösen und in weibliche Lebenszusammenhänge einzubinden (siehe Kapitel 2.1). Hjorth (2002) spricht der Affinität von kawairashisa und keitai-Kommunikation daher das Potenzial zu, traditionelle Rollenmuster und Dominanzverhältnisse zu entkräften: „[…] the colonization of high-tech spaces such as the Internet by the cute characters usually associated with the female realm in Japan is an important signifier of the power afforded women by this new technology“ (ebd.: 52). Die Leistung der Frauen im Hinblick auf die Popularisierung mobiler Kommunikationstechnologien erschöpft sich nicht in der Hervorbringung und Darstellung eines neuen Konsumentinnentyps (vgl. Castells et al. 2004: 110), sondern zeigt sich unmittelbar auf der Seite der Produktion. Wichtigstes Beispiel hierfür ist die überaus erfolgreiche Karriere von Mari Matsunaga, die eine der maßgeblichen Ent-
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wicklerinnen von i-mode war und bis in die oberste Führungsebene von NTT DoCoMo gelangte. In der von Tradition und Hierarchien bestimmten, männerdominierten Welt von Entwicklern und Ingenieuren galt Matsunaga als Fremdkörper. Dennoch hatte sie großen Einfuss auf die Konzeptionierung des auf Einfachheit und Zugänglichkeit ausgerichteten mobilen Onlineangebots und setzte dabei vor allem auf ein hohes Identifikationspotenzial der technologischen Innovation (vgl. Rohwer 2000; Stoker 2000). „For me, i-mode is a declaration of independence. It’s ‚I‘ mode, not company mode. That’s the message I wanted to deliver: this is me in individual mode. Japan’s system of lifetime employment, which always meant you had to live your life for the company, is crumbling. The ‚i‘ in i-mode is about the internet and information, but it’s also about identity.“ (Matsunaga; zit. nach Stoker 2000: o.S.)
In den strategischen Überlegungen bei der Entwicklung des mobilen Internetdienstes spielte die kawaii-Kultur eine wichtige Rolle. Aufgrund von Erfahrungen mit dem Pager und dessen noch äußerst begrenzten Möglichkeiten der Verniedlichung sorgte Matsunaga für den Zusatz von kleinen, stimmungsvollen emojis in das bestehende Schriftangebot von i-mode (vgl. Matsunaga 2001: 147ff.). Sie sollten Anschluss an die Lebenswelten junger Frauen und Mädchen bieten und die zunächst fremdartige Technologie mit vertrauten und leicht zugänglichen Attributen ausstatten. Innerhalb des Prozesses der Verbreitung und Veralltäglichung des keitai kam der kawaii-Kultur somit sowohl die Funktion einer vermittelnden Instanz als auch der eines Katalysators zu. Durch die Möglichkeiten und Spielarten der Niedlichkeit konnte die Technologie ‚zum Freund‘ gemacht werden; individuelle Anpassungen und Formen der Personalisierung stellten „ein wichtiges Begleitphänomen zum Aufstieg der medial vermittelten Kommunikation“ dar (vgl. Hjorth 2006: 62). Diese Individualisierung der Technologie zeigt sich vor allem in den oben beschriebenen Praktiken, die auf das keitai als Artefakt ausgerichtet sind und in denen die spezifische Rolle von miniaturisierten, handlichen Technologien als Träger symbolischer Bedeutungen deutlich wird. Mit den kleinen Versatzstücken der kawaiiKultur wird nicht nur der kalte Akzent der Technologie verschleiert, sondern auch eine Nähe und Intimität zur Technologie angezeigt. Diese Selbstinszenierung mithilfe der Technologie, die das von Matsunaga für i-mode beanspruchte Identifikationspotenzial verdeutlicht, sei, so Larissa Hjorth (2002), eine typische Erscheinung der japanischen Medienkultur, die auch als ein modisches Statement gelesen werden kann (vgl. Katz/Sugiyama 2006: 322f.).
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Obwohl persönliche Anpassungen des keitai geschlechterübergreifend praktiziert werden,185 nehmen Frauen die Möglichkeiten der individuellen Gestaltung bewusster wahr, wie Hjorth (2002: 53) anhand einer empirischen Untersuchung dargestellt hat. Der Gebrauch niedlicher Symbole und Figuren im Umgang mit dem Mobiltelefon sei Ausdruck eines komplexen Spiels mit den vielfältigen Bedeutungen der Niedlichkeit, bei dem statische Vorstellungen von Geschlecht unterlaufen werden (vgl. ebd.). So stehen manche Frauen Hello Kitty als Symbol für die marginalisierte Rolle der Frau in der japanischen Gesellschaft durchaus kritisch gegenüber, weisen ihr aber als Ausdrucksmittel im keitai alternative Bedeutungen zu. Durch die Integration in die technisierte Welt der Mobilkommunikation erfahren die niedlichen Charaktere eine Re-Interpretation und erhalten zum Teil oppositionelle Bedeutungszuschreibungen (vgl. ebd.: 55). Aber auch diese Praxis ordnet sich in die japanische Kultur ein und findet ihre Schranken innerhalb gesellschaftlicher Normen und Machtstrukturen. So wird mit den verschiedenen, auch non-konformen Bedeutungen der Niedlichkeit vor allem gespielt, wofür gerade das keitai einen flüchtigen und weitgehend sanktionsfreien Raum bietet. Indem sich die Nutzerinnen und Nutzer Hello Kitty und Co. in Form von keitaiAnhängern, -Bildern oder -Aufklebern auf spezifische Weise aneignen und sie in bestimmte Formen der Selbstdarstellung integrieren, demonstrieren sie individuellen Stil, geben zugleich aber dem Konformitätsdruck nach, der durch die Dominanz dieses Konsumtrends entsteht (vgl. McVeigh 2000: 227, 234f.). Auf der Ebene der Medieninhalte kann der Hang zur Niedlichkeit diskreter ausgelebt werden, zumal es eine Reihe spezialisierter Software-Angebote für persönliche Anpassungen und Modifikationen des keitai gibt. Dies betrifft nicht nur Display-Hintergründe und Klingeltöne, sondern auch die Personalisierung von Nutzerprofilen auf mobilen Datingseiten und Onlinecommunities. Auf diese Weise erweitern sich die virtuellen (Frei-)Räume, in denen mit der Bedeutungsvielfalt niedlicher Charaktere gespielt werden kann, ohne dass dabei soziale Sanktionen gefürchtet werden müssen oder Konflikte mit dominierenden gesellschaftlichen Vorstellungen entstünden. Letztlich hat sich mit der Vereinnahmung des keitai durch die kawaii-Kultur die Feminisierung einer von männlicher Definitionshoheit bestimmten Technologie und ihre Integration in weibliche Lebenswelten vollzogen. Das von der Niedlichkeit geprägte Spiel mit widersprüchlichen Bedeutungen hat nicht nur die Möglichkeiten weiblicher Identitätsbildung vergrößert, sondern auch den Akzent der Kommuni185 Auch in den Händen japanischer Männer sind Mobiltelefone mit Hello Kitty Anhängern zu finden, sei es um ihre Idealvorstellung einer traditionellen Weiblichkeit zu symbolisieren oder als männlicher Konsument auf ironische Weise mit den an sie herangetragenen Bedeutungen zu spielen (vgl. Hjorth 2002: 55).
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kationstechnologie verändert. Die kawaii-Kultur ermöglicht damit auch die Beanspruchung eines weiblichen Ortes innerhab der mobilen Medienkultur Japans. Dieser drückt sich nicht nur in Konsumpraktiken aus, sondern manifestiert sich auch auf Seiten der Produktion. Das Spiel mit den Bedeutungen, bei dem traditionelle Geschlechtervorstellungen unterlaufen oder durch ironische Übertreibungen bestätigt werden, findet jedoch vor dem Hintergrund einer noch immer von traditionellen Rollenzuweisungen bestimmten japanischen Kultur statt. Die positive Konnotation miniaturisierter Technologien und die Ausschöpfung einer sich in ihnen konstituierenden kawaii-Kultur bietet jedoch ein Potenzial zur symbolischen Verdichtung eines von bestimmten Defiziten gekennzeichneten Alltags (vgl. Fiske 1992: 156).
5.4.4 Zwischenfazit Medien
Die Auseinandersetzung mit verschiedenen japanischen Medientraditionen, die sich auf spezifische Weise im keitai wiederfinden, hat noch einmal die Relevanz einer medienkulturellen Einbettung der Mobilkommunikation hervorgehoben. Als ein von Konvergenz geprägtes Medium bietet das Mobiltelefon in besonderer Weise Anknüpfungspunkte für Interaktionen zwischen alten und neuen Medien. Die Übergänge, Remediatisierungsprozesse und Bedeutungszuschreibungen, die hier identifiziert werden konnten, lassen sich zu insgesamt sieben Bedeutungsfeldern zusammenführen, in denen die Produktivität einer das Zusammenwirken von Mobilkommunikation und anderen Medien berücksichtigenden Perspektive sichtbar wird. (1) Flexibilität, Omnipräsenz und Autorität der Schriftlichkeit: Die Schrift zeichnet sich als ein komplexes, unterschiedliche Zeichensysteme inkorporierendes Medium durch eine hohe Ausdruckskraft aus, wodurch ihr eine große Autorität in der japanischen Gesellschaft zugewiesen wird. Sie ist durch ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bestimmt, was sich beispielsweise in der Adaptionsfähigkeit europäischer Begriffe und Wendungen zeigt. Die Allgegenwart und Autorität des Schriftlichen, die Japan als eine schriftdominierte Kultur erscheinen lassen, ist ein entscheidender Impuls für ihre Übertragung auf das keitai und ebnet den Weg für schriftliche Kommunikationsmodi in einem mobilen Kommunikationsmedium. Die Fähigkeit des keitai, die Schriftfunktion in sich aufzunehmen, weist ihm eine entscheidende Rolle als Sozialisationsmedium für ein technisiertes Schreiben in Japan zu. Seit seinen Anfängen hat sich das keitai zu einem stark von der Schrift geprägten Medium entwickelt und schließt als solches auch an Schreib- und Lesetraditionen der japanischen Kultur an. (2) Kontextbezogenheit und Vieldeutigkeit der japanischen Sprache und Schrift: Der Kontextbezogenheit der japanischen Sprache und
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Schrift wird in der Mobilkommunikation durch den umfassenden Einsatz von emojis entsprochen, die eher wahrgenommen als gelesen werden. Diese Praxis knüpft an den Bildcharakter der japanischen Schrift an, in der ein Zeichen ein ganzes Wort repräsentiert. In der Vieldeutigkeit der Schrift manifestiert sich auch die Affinität zwischen literarischen Formen wie dem Haiku und den für das keitai adaptierten Textformen: beide Schrift- und Kommunikationspraktiken verweisen nicht nur auf eine kurze, prägnante, bedeutungsreiche Ausdrucksform, sondern auch auf einen ästhetischen Charakter von Schrift, der mit dem semantischen gekoppelt ist. Die Möglichkeit, mit Schriftzeichen viele und teils auch mehrdeutige Inhalte transportieren zu können, erklärt nicht nur die starke Beanspruchung der mobilen textbasierten keitai-Funktionen, sondern hat auch zu einer kreativen Weiterentwicklung von mit Schrift verbundenen Kommunikationspraktiken durch Jugendliche geführt. Die Nutzung schriftbasierter Funktionen kann somit als wichtiger Ausgangspunkt für die Transformation des keitai von einem Gerät zur Herstellung oraler Kommunikation zu einem multimedialen Konvergenzmedium betrachtet werden. (3) Gesellschaftliche Relevanz des Lesens und Informierens: Als informations-, schrift- und leseorientierte Gesellschaft ordnet Japan Informationsmedien wie der Zeitung die wichtige gesellschaftliche Funktion zu, eine Integrationsleistung zu erbringen. Mit dem keitai ergibt sich nicht nur die Möglichkeit, die Inhalte der Zeitung auf ein mobiles Medium zu übertragen, sondern ihre Lektüre auch flexiblen, individualisierten Nutzungsformen anzupassen und für medienaffine Jugendliche attraktiv erscheinen zu lassen. Somit bilden sich neue Kontexte für die Inhalte eines integrativen, auf Konsens ausgerichteten Mediums. Die Bedeutung des Lesens innerhalb der japanischen Kultur bringt auch Formen wie den Handyroman hervor, der sich durch die mit dem mobilen Medium verbundenen Schreibbedingungen als ein neues literarisches Genre konstituiert hat. Dadurch erscheint das keitai auch als ein mit Kunst und Literatur kompatibles und sie erweiterndes Medium. (4) Ästhetik der Schematisierung und Abstraktion: Die auf japanischen Kunsttraditionen beruhenden Stile der Schematisierung und Abstraktion haben zugängliche und attraktive visuelle Formen entstehen lassen, die verschiedene Schnittstellen zum keitai bieten. Sowohl Bildende Kunst und Film wie auch mobile Spiele, Manga und Anime partizipieren an dieser übergreifenden Bildkultur und haben u.a. leicht zu erfassende Figuren hervorgebracht, die mit dem kleinen Display des keitai und der von ihm geforderten Wahrnehmung äußerst kompatibel sind. Die grafischen Traditionen Japans, die sich in populärkulturellen Medien wie Film und Manga fortzeugen, führen zu einer Kunst der Oberfläche, die eine ähnliche Lesekompetenz fordert wie moderne audiovisuelle Medien. Die Kompatibilität des keitai mit diesen Dar-
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stellungstraditionen bedeutet nicht nur die Einordnung des keitai in die visuelle Kultur Japans, sondern ist auch ein wichtiger Faktor dafür, dass das keitai als ein visuelles Medium wahrgenommen wird. (5) Eigenständigkeit und Komplexität visueller Kommunikationspraktiken: An Phänomenen wie visual kei und purikura zeigt sich die Überschneidung von visueller Kultur mit komplexen Formen der Netzwerkbildung und des Medienhandelns. Die Selbstinszenierungspraktiken, die bei visual kei bedeutsam werden, finden im keitai ein flexibles Medium der Dokumentation und der Übertragung. Purikura übernimmt als eine an eine lokale Infrastruktur gebundene Praxis des Fotografierens, der Selbstinszenierung und des Austauschs von Fotografien eine besondere soziale Funktion. Diese wird durch die mit der keitai-Kamera verbundenen kommunikativen Praktiken auf produktive Weise ergänzt, indem Letztere vor allem der Erfassung flüchtiger Momente und deren Teilen mit Freundinnen und Freunden dient. Die Verknüpfung von Fotografie, Bearbeitung und Übertragung konturiert sowohl purikura als auch die mit dem keitai verbundene Fotofunktion als personalisierte, adaptionsfähige Medien, die den japanischen Alltag durchdringen. Das keitai bekommt so einen Platz in einer hochgradig mediatisierten Kultur zugewiesen, in der Technologien, die Hervorbringung visueller Inhalte sowie die Kommunikation und Netzwerkbildung eine enge Allianz bilden. (6) Spiele(reien) als Wegbereiter und Katalysatoren der Veralltäglichung von Medientechnologien: Die Ausbildung einer eigenständigen keitai game culture hat zu einer aufeinander bezogenen Veralltäglichung sowohl des keitai als auch des Spielens beigetragen, durch die der mobilen Kommunikationstechnologie Akzente des Kalten und Fremden genommen werden. Mobiles Spielen unterstützt eine in flüchtige Momente des Alltags eingepasste Form des Spielens und hat auf diese Weise neue Alltagssphären entstehen lassen. Durch location based technologies ermöglicht das keitai eine veränderte Form des Spielens und der Wahrnehmung, in der reale und virtuelle Geografien miteinander verschränkt sind. Dadurch entsteht idealerweise eine ‚verspielte‘ Kommunikation, durch die unterschiedlichste, zuvor getrennte Bereiche des Erlebens, Erfahrens und der Interaktion zusammengefügt werden und neue technologiebasierte Kommunikationsformen erprobt werden. (7) Bedeutung der Miniaturisierung und Niedlichkeit: Das keitai ist Träger symbolischer Bedeutungen und schließt als Teil der compact culture u.a. an eine positive Besetzung von miniaturisierten Technologien in der japanischen Kultur an. In der mit der Popularität von Kleinsttechnologien eng korrespondierenden kawaii-Kultur kulminieren fast alle genannten Aspekte der japanischen Medienkultur, wie Miniaturisierung, visuelle Orientierung, Spiel mit Bedeutungen und Veralltäglichung von Technologien. Die kawaii-Kultur hat zu ei-
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ner Feminisierung vormals männlich konnotierter Bereiche beigetragen und dadurch nicht nur Nutzerinnen an die mobile Kommunikationstechnologie heranführt, sondern auch auf der Produktionsseite eine stärkere Partizipation von Frauen und die Ausbildung einer dem Alltag angepassten, personalisierten Medientechnologie gefördert. Damit erweist sich das mobile Gerät nicht nur als Träger von Bedeutungen, sondern auch als wichtiger Bezugspunkt einer Identität, bei der die mit Technologien verbundenen geschlechtlichen Dualismen eine Aufhebung finden können.
6. DISKUSSION UND AUSBLICK
Einer der Ausgangspunkte dieser Arbeit war die Feststellung, dass sich Japan als eine mobile Medienavantgarde begreifen lässt – nicht, weil hier die Zukunft einer mobilisierten und mediatisierten Gesellschaft schon heute zu beobachten ist, sondern weil sich die Interaktionen von mobiler Mediennutzung und Kultur auf signifikante Weise verdichten. Gerade darin liegt das Potenzial, Erkenntnisse für die Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation auch in anderen kulturellen Zusammenhängen zu gewinnen. Durch die Untersuchung der kulturbezogenen Bedeutungsfelder der Mobilkommunikation in Japan, wie sie in Kapitel 5 erfolgte, sind Mechanismen und wiederkehrende Motive in der Nutzung des Mobiltelefons deutlich geworden. Daraus lässt sich ein kulturorientiertes Verständnis von Mobilkommunikation ableiten, das sich nicht allein auf die japanische Kultur, sondern auf das Wechselspiel zwischen Mobilkommunikation und kulturellen Kontexten allgemein bezieht und somit als Orientierung für die Forschung dienen kann. Dieses abschließende Kapitel führt die zentralen Aspekte und Erkenntnisse der in Kapitel 5 vorgenommenen Analysen in zwei Modellen zusammen. Ziel dabei ist es, anhand von Systematisierungen und Abstraktionen die Interdependenzen von kulturbezogenem Handeln und mobilen Kommunikationspraktiken sichtbar zu machen. Das erste Modell bildet die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan ab und veranschaulicht das Zusammenspiel von Mobilkommunikation und Kultur auf dem spezifischen Terrain Japans (Kapitel 6.1). Das zweite Modell stellt eine Verallgemeinerung dieses Modells und dessen Erweiterung dar, indem darin auch übergreifende Strukturierungsmerkmale berücksichtigt werden. Es ist als ein kulturorientiertes Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation zu verstehen und soll eine Übertragbarkeit der Einsichten von Japan auf andere Kulturen ermöglichen (Kapitel 6.2). In der anschließenden Reflexion der Ergebnisse werden anhand eines theoretischen Rückbezugs auf die in Kapitel 3 und 4 genannten Forschungsdesiderata schließlich die
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Reichweite und die Perspektiven der beiden Modelle und des hier gewählten Ansatzes deutlich gemacht (Kapitel 6.3).
6.1 DIE
INFRASTRUKTUR DER MOBILKOMMUNIKATION IN JAPAN: EINSICHTEN UND REFLEXIONEN KULTURELLE
Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation diente hier als ein differenziertes und umfassendes Analyseraster für die Untersuchung und Einordnung von Aneignungsweisen des keitai in Japan. Systematisch und theoriegeleitet wurden entlang der vier Dimensionen Raum, Zeit, Beziehungen und Medien die kulturellen Zusammenhänge der Mobilkommunikation herausgearbeitet. Deren Erforschung wurde insbesondere durch die bereits vorhandenen empirischen, häufig ethnografisch orientierten Forschungsarbeiten zur Nutzung mobiler Medienund Kommunikationstechnologien in Japan angeregt, basiert aber auch auf der intensiven Beschäftigung mit japanischer Alltagskultur. Durch die Berücksichtigung historischer, gesellschaftlicher und sozialer Kontexte ist es gelungen, Bedeutungen von Mobilkommunikation innerhalb eines breiten kulturorientierten Sinnzusammenhangs zu beleuchten. Nur durch diese Bezugnahme auf einen umfassenden kontextuellen Rahmen wird mobile Mediennutzung als kommunikatives Handeln innerhalb einer spezifischen Kultur und Gesellschaft greifbar. Die in Abbildung 8 dargestellten Zusammenhänge geben den Blick frei auf die kulturellen Motive, Muster und Mechanismen der Mobilkommunikation in Japan. Die Grafik zeigt die Bedeutungsfelder der Mobilkommunikation, die jeweils unterteilt sind in kulturelle Voraussetzungen (KV) auf der einen, äußeren Seite und darauf bezogene kommunikative Praktiken (KP) mit dem Mobiltelefon auf der anderen, inneren Seite. Diese Aspekte stehen nicht in einem Kausalitätsverhältnis zueinander, sondern verweisen auf die Formen des Zusammenspiels von Mobilkommunikation und Kultur, wie sie am Beispiel der keitai-Nutzung in Japan nachvollzogen wurden. Die Übersicht macht auf prägnante Weise anschaulich, auf welchen Ebenen sich unter den jeweiligen Dimensionen die kulturellen Zusammenhänge der Mobilkommunikation konkretisieren. Anders als die Zwischenfazits bietet diese Darstellung durch die Differenzierung zwischen Aspekten, die von der Kultur ausgehen und Aspekten, die stärker auf die mobilfunkbezogenen Praktiken bezogen sind, eine Sortierung der Bedeutungsfelder. Herauszustellen ist, dass diese Darstellung nicht als statisch und zeitlos zu verstehen ist, sondern dass sie lediglich Einblicke in ein temporäres kulturorientiertes Verständnis der Mobilkommunikation liefern kann. Sie erfasst Momentaufnahmen innerhalb
DISKUSSION UND AUSBLICK
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Abbildung 8: Das Modell der kulturellen Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan Kultur
Raum
Zeit
• • • •
Knappheit öffentlicher und privater Räume Hoher Grad d. Urbanisierung u. Vernetzung Stark regulierter Stadt- und Verkehrsraum KV Bedeutung der Mobilität und der Nutzung des öffentlichen Transportsystems ---------------------------------------------------------------------------------• Konstruktion symbolischer Räume • Markierung von Grenzen und physische KP Abkopplung von Mitmenschen • Verlagerungen des Zuhauses
• Intensive zeitliche Beanspruchung in Ausbildungs- und Arbeitsinstitutionen • Straffe zeitliche Reglementierung d. Alltags KV • Überlagerung von Arbeits- und Freizeit • Zeitordnung der Integration ---------------------------------------------------------------------------------• Praktiken der Zeitverdichtung • Wahrnehmung von Entlastungsfunktionen KP • Übertragung von Zeitstrukturen • Besetzung von Leerzeiten
Mobilkommunikation • Ausloten von Grenzen • Nuanciertes Beziehungsmanagement KP • Selektion, Integration und Vernetzung • Erprobung von Interaktionen ---------------------------------------------------------------------------------• Starke Gruppenorientierung und Relevanz von Zugehörigkeit • Aktualität traditioneller Familienstrukturen KV • Stellenwert der Vermittlung von Kontakten • Signifikanz der Kontinuität in Beziehungen
• Vielfältige Adaptionen mobiler Schriftlichkeit • Remediatisierung des Internets KP • Spiel mit technischen Potenzialen u. Identität • Wandel technolog. Bedeutungszuschreibungen ---------------------------------------------------------------------------------• Allgegenwart und Autorität der Schriftlichkeit • Ästhetik der Schematisierung und Abstraktion • Relevanz des Lesens und Informierens KV • Bedeutung von Miniaturisierung, Niedlichkeit, Spiel und visuellen Kommunikationspraktiken
Beziehungen
Medien Kultur
Quelle: Eigene Darstellung eines laufenden Prozesses und ordnet sie in größere Kontexte ein. In diesem Prozess des gegenseitigen Bedingungsverhältnisses von Mobilkommunikation und Medienkultur verändern sich sowohl die kulturellen Kontexte des Medienhandelns als auch das Medienhandeln selbst durch die von ihm ausgehenden Wandlungsprozesse. Die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan bildet vier Kulturdimensionen ab, die in der Aufarbeitung des Forschungsstands zur Mobilkommunikation und in der Beschäftigung mit den prägenden Merkmalen mobiler Kommunikationstechnologien als die zentralen Ebenen für eine kulturorientierte Betrachtung von Mobilkommunikation herausgefiltert wurden. In dieser Abbildung und ihrer Darstellung der in den Zwischenfazits gesammelten Erkenntnisse werden kulturbezogene Zusammenhänge deutlich, die als konstitutiv für die Aneignung und Ausdifferenzierung der Mobilkommunikation in Japan erscheinen und im Folgenden exemplarisch erläutert werden. Bezogen auf die Dimension Raum lassen sich Praktiken identifizieren, die mit dem keitai vollzogen werden und, in mehr oder weniger deutlicher Weise, auf Defizite an physischen Räumen oder auf die Bedingungen der Urbanisierung und Vernetzung reagieren. Die Praktiken beziehen sich auf Möglichkeiten, die mit Mobilkommunikation wahrgenommen werden, weil es ein deutlich hervortretendes Hand-
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lungsmotiv gibt. Dazu gehört etwa das Motiv, sich Raum zu verschaffen oder Grenzen zu ziehen, aber auch das Motiv, spezifischen Regeln und Konventionen im öffentlichen Raum zu folgen und etwa in den Bussen und Bahnen des Nahverkehrs nur stumme Funktionen des keitai zu nutzen. Das Modell bezieht sich aber auch auf Veränderungen, die von der Mobilkommunikation ausgehen, beispielsweise Verlagerungen des Zuhauses oder die Entstehung neuer Formen der Grenzmarkierung, die auf eine mobile Form der Vernetzung reagieren. Das Modell erfasst somit ein Zusammenspiel von Kultur und kommunikativen Praktiken, es erfasst spezifische Faktoren, die sich auf die Kultur Japans beziehen, sowie Faktoren, die stärker auf allgemeine Veränderungen und Verschiebungen bezogen sind, die durch Mobilkommunikation ins Spiel kommen. Die Frage etwa, wie sich die Bedeutung des Zuhauses verlagert (siehe Kapitel 5.1.4), lässt sich auch in anderen Kulturen stellen, auch wenn dort andere Motive für diese Verlagerung gelten mögen. Bei der Dimension Zeit lassen sich ähnliche Zusammenhänge feststellen. Es wird eine Entdifferenzierung zeitlicher Strukturen sichtbar, die allgemein mit der Nutzung mobiler Technologien in einen Zusammenhang gebracht wird und die zu einer Übertragung von Strukturen der Arbeit auf die Strukturen der Freizeit führen kann. Es zeigen sich aber auch japanspezifische Faktoren einer kulturellen Prägung durch eine Zeitordnung der Integration und der besonders starken zeitlichen Beanspruchung des Individuums. Das Mobiltelefon wird hier zu einem ‚Fluchtmedium‘ zur Befreiung aus dieser zeitlichen Beanspruchung oder es fungiert in der Schule und am Arbeitsplatz als Medientechnologie, die sich dem Bedürfnis nach der flexiblen Besetzung von Leerzeiten anpasst. Auch in der Dimension Beziehungen zeigt sich gerade durch die Unterteilung in kulturelle Voraussetzungen und kommunikative Praktiken, wie sich einerseits eine Tendenz zur Flexibilisierung und Entgrenzung von Beziehungsstrukturen feststellen lässt, aber auch wie die Kontinuität von Kultur gewahrt wird. Allgemein kristallisiert sich eine relativ starke Beharrungskraft traditioneller Strukturen heraus, die mithilfe der Mobilkommunikation allerdings modifiziert werden. Dass sich mit dem keitai ein nuanciertes Beziehungsmanagement vollziehen lässt, verweist zugleich auf die Möglichkeiten einer neuen Kommunikationstechnologie wie auch auf die kulturellen Anforderungen, die an sie aufgrund existierender Interaktionsmuster gestellt werden. Das Modell macht an diesem Punkt besonders deutlich, dass es nicht um die ‚Naturgewalt‘ einer Technologie geht, die neue und von den Zwängen und Bedürfnissen der Gesellschaft befreite, virtuelle Beziehungen schafft, sondern um eine Technologie, die sich in die bestehenden Strukturen einpassen lässt und sie dadurch auch zu verschieben oder zu verändern vermag. Auch die Dimension Medien stellt den Aspekt der Kontinuität heraus. Sie erfasst und konturiert die kulturellen Aspekte einer spezifischen
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japanischen Ästhetik und Medienkultur, die dem keitai vorausgeht und in die es sich als ein von Konvergenz geprägtes Medium einpasst. Die symbolischen Bedeutungen, die der mobilen Kommunikationstechnologie zugeschrieben werden, sind ebenso wie die Option der Artikulation von Identität, die es bietet, vor dem Hintergrund der japanischen Kultur zu verstehen – ihrem Interesse für kleine Technologien, dem daraus entstandenen Selbstbild, aber auch der Affinität zu schriftlichen und visuellen Ausdrucksmitteln und deren Autorität und Bedeutung. Mit den vier Dimensionen Raum, Zeit, Beziehungen und Medien sind in dieser Arbeit die übergreifenden kulturellen Kontexte der Mobilkommunikation untersucht worden. Dahinter steht die Vorstellung, dass sich die Bedeutungen mobilkommunikativen Handelns stets innerhalb dieser Kulturdimensionen konstituieren und ihr Zusammenspiel daher in empirischen wie theoretischen Forschungsansätzen einer näheren Untersuchung und Reflexion bedarf. Anhand dieses Ansatzes konnte eine Vielzahl kultureller Bedeutungsfelder einbezogen werden, so auch mit der Mobilkommunikation zusammenhängende Aspekte des Körpers, der Identität und des Geschlechts, die hier zwar nicht explizit fokussiert wurden, aber als Teilaspekte in den analysierten Dimensionen aufgingen. Alle diese Faktoren, die der Mobilkommunikation ihre spezifische Form geben, gehören zusammen und erfordern eine integrative Perspektive, die dies berücksichtigt. Es zeigt sich aber allzu oft die Tendenz, die kulturellen Zusammenhänge des Technologiegebrauchs aus den Augen zu verlieren. Dies gilt auch für eine Vielzahl von Arbeiten zur japanischen Mobilkommunikation, die den ökonomischen Aktivitäten, Marketingstrategien und Produktionsaspekten einen sehr großen Stellenwert beimessen (siehe Kapitel 2.2). Sicherlich spielen diese Aspekte für die Ausgestaltung des Mobiltelefons eine Rolle, sie werden jedoch zu oft in den Vordergrund gerückt und sind dadurch limitiert, dass sie die Signifikationsprozesse der Mobilkommunikation nur von der Technologie und von Seiten der Produzierenden aus beleuchten. Oft wird dabei vernachlässigt, dass die Nutzerinnen und Nutzer aktiv handelnde Subjekte sind, die Medientechnologien nur dann aneignen, wenn sich diese in ihrem Alltag als brauchbar und funktional erweisen (vgl. Röser 2007a: 23). Jener Alltag ist sowohl von den individuellen und situativen Kontexten der Menschen geprägt als auch von den kulturellen Rahmenbedingungen, die ihre Lebenswelt kennzeichnen und die in dieser Arbeit in den Blick genommen wurden. Dennoch darf hier nicht ignoriert werden, worauf Krotz und Schulz (2006) hinweisen, dass die Mobilkommunikation mit dem Metaprozess der Ökonomisierung des sozialen Handelns sowie von Kultur und Gesellschaft verbunden ist: „Auch das Mobiltelefon ist letztlich ein Einbezug der zwischenmenschlichen Kommunikation in marktbezogenes Handeln, und bei allem, was man damit
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macht, sind der Hersteller und die Telefongesellschaft mit ihren Interessen beteiligt.“ (Ebd.: 65)
Aus einer Perspektive, die sich vorwiegend auf das Medienhandeln der Menschen und deren Aneignungspraktiken bezieht, gerät diese Tatsache leicht aus dem Fokus, und es wäre Teil einer eigenen Arbeit, diese Zusammenhänge genauer zu ergründen.1
6.2 DAS KULTURORIENTIERTE KONTEXTUALISIERUNGSKONZEPT DER MOBILKOMMUNIKATION Beziehen sich diese Erkenntnisse zunächst nur auf Japan, so soll die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan in einem zweiten Schritt so abstrahiert werden, dass sie auf andere Kulturen übertragen werden kann. Das daraus hervorgehende Modell, das hier als das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation bezeichnet wird, soll ein Bewusstsein dafür schaffen, welche kulturellen Voraussetzungen Mobilkommunikation beeinflussen und welche der von mobilen Kommunikationstechnologien angebotenen technischen Potenziale realisiert oder relevant werden können. Mit dem Modell ist der Anspruch verknüpft, Mobilkommunikation nicht als isolierte Praxis zu betrachten, sondern sie immer in einen weiter gefassten kulturellen Rahmen einzubetten, der den mit dem Mobiltelefon verbundenen Mediatisierungsprozessen eine spezifische Kontur gibt. Hierfür werden nicht nur die japanspezifischen Bedeutungsfelder verallgemeinert, sondern das Modell wird durch vier Begriffe ergänzt, die das spezifische Verhältnis von kulturellen Kontexten und Mobilkommunikation präzisieren. Ausgangspunkt für die Bestimmung dieser übergreifenden Strukturierungsmerkmale ist eine Erkenntnis, die sich in der Auseinandersetzung mit dem keitai immer wieder aufgedrängt hat, nämlich über die besondere Anpassungsfähigkeit des Mobiltelefons. Es handelt sich bei 1
Ein eigenes und wichtiges Desiderat der Forschung stellt in der Tat eine ähnlich gelagerte Auseinandersetzung mit den kulturellen Kontexten der Produzierenden als handelnde Subjekte dar, deren Entwicklungen und ökonomische Strategien ebenso in einer Kultur situiert sind wie die Nutzungsmotive der Konsumentinnen und Konsumenten. Eine solche Perspektive, die prinzipiell auch von den Cultural Studies gefordert wird, wird u.a. in Ansätzen gefolgt, die im Umfeld der Actor Network Theory und des Social Shaping of Technology angesiedelt sind und beispielsweise das soziale Umfeld der Entwicklerinnen und Entwickler von Technologien erkunden (vgl. Lievrouw 2006). Dieses Gebiet konnte von der vorliegenden Arbeit zwar nicht erfasst werden, sie könnte aber Anregungen dazu liefern, es in einer anderen Studie aufzuarbeiten.
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dem keitai um eine bewegliche und handliche Technologie, die sich in unterschiedliche Kontexte integrieren lässt und auf flexible Weise kommunikative Handlungen und mediale Verbindungen ermöglicht. Die Adaptierbarkeit des Mobiltelefons und seine Fähigkeit, Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer aufzugreifen und auf veränderte Handlungskontexte zu reagieren, stellt eine entscheidende technologische Voraussetzung der Mobilkommunikation dar: Mediales Handeln mit dem Mobiltelefon ist auf andere Weise zu erforschen als etwa der Umgang mit dem innerhalb des Zuhauses platzierten Fernseher – schon allein deswegen, weil die Kontexte der Mobilkommunikation vielfältiger sind und weil die mobile Kommunikationstechnologie in verschiedenen Situationen auf sehr unterschiedliche, eine Vielzahl von Optionen umfassende Weise angeeignet und mit Bedeutungen aufgeladen wird. Diese Anpassungsfähigkeit bedeutet allerdings nicht, dass die Technologie ein leeres Feld darstellen würde, das beliebig mit Bedeutungen gefüllt werden kann. In der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Medienkultur ist immer wieder auf die gegenseitigen Einflüsse und Bezugnahmen von Technologie und Kultur hingewiesen worden. Das heißt, dass eine als offenes Feld verstandene Kultur, die durch die Praxis der Bedeutungszuschreibung definiert ist (vgl. Hall 2002: 108), zwar den Kontext für Medienaneignungen liefert, zugleich aber auch von Medien verändert wird. Da Medientechnologien der Kultur nicht gegenüberstehen, sondern als Teil von ihr aufzufassen sind, muss auch das keitai zugleich als Bestandteil von Kultur wie auf sie einwirkend und sie verändernd begriffen werden. Dies geschieht aber nicht anhand von massiven Eingriffen, sondern – wie anhand des kulturorientierten Kontextualisierungskonzept und seiner übergreifenden Strukturierungsmerkmale anschaulich wird – durch hintergründige, flüchtige und flexible Formen der Einordnung in bestehende Arrangements. Die Anpassungsfähigkeit des Mobiltelefons sowie seine wechselnden Rollen und Funktionen in divergierenden Kontexten sind eng mit den Prozessen des Ausgleichs, der Überlagerung, Erweiterung und Entgrenzung verknüpft, die in der Auseinandersetzung mit mobiler Medienkultur in Japan als übergreifende Strukturierungsmerkmale identifiziert wurden. Diese bezeichnen die Eingriffspotenziale der Mobilkommunikation in kulturelle Wandlungsprozesse und helfen, die Zusammenhänge zwischen Mobilkommunikation und Kultur besser zu erklären. Die Begriffe sind nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen, sie bieten aber unterschiedliche Akzentsetzungen und machen jeweils spezifische Tendenzen der Interaktionsmöglichkeiten von Mobilkommunikation und Kultur sichtbar. (1) Ausgleichsprozesse: Die übergreifende Betrachtung der kulturellen Kontextualisierung der Mobilkommunikation hat gezeigt, dass das keitai auf vielfältige Weise dafür eingesetzt wird, bestimmte Defizite – materieller oder nicht-materieller Art – auszugleichen. Es deutet
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sich hier an, dass es sich bei dem Mobiltelefon um eine Technologie handelt, die gebraucht wird. Da sie aufgrund ihrer Größe und Mobilität in ganz unterschiedlichen Kontexten als Kommunikations-, Informationsund Unterhaltungsmedium dient, kann mit ihr flexibel auf Einschränkungen reagiert und können deren Konsequenzen abgemildert werden. Dieser Aspekt bedeutet auch, einen „technologischen Zentrismus“, den Hepp (2006a: 17) der Mobilkommunikationsforschung vorwirft, infrage zu stellen. Hepp stellt mit Verweis auf das Konzept der mobilen Privatisierung von Raymond Williams heraus, dass Medientechnologien auch zum Ausgleich der bei einem soziokulturellen Wandel entstehenden Defizite gebraucht werden und nicht einseitig auf die Gesellschaft einwirken. Solche Kontexte sollten berücksichtigt werden, indem das Mobiltelefon beispielsweise als Medium verstanden wird, das auf gesellschaftliche Entwicklungen der Mobilisierung reagiert und Handlungsfähigkeiten eröffnet (vgl. ebd.: 18f.). Sein Ausgleichspotenzial verkörpert das Mobiltelefon somit auch durch seine Fähigkeit der individuellen Anpassung an die Situationen, in denen sich Menschen befinden. Das keitai lässt sich in bestehende Abläufe einordnen, um darin neue Optionen zu schaffen, die genutzt und mit Bedeutung aufgeladen werden. Es fügt sich auf mehreren Ebenen in die Zusammenhänge der japanischen Kultur ein und setzt im Sinne eines Ausgleichs von Defiziten Impulse für Veränderungen: Auf der Ebene des Raums vermag das keitai sowohl die Raumknappheit als auch die mit räumlichen Einschränkungen verbundene Notwendigkeit, viel Zeit im außerhäuslichen Raum zu verbringen, auszugleichen. Strategien der Raumaneignung und -gewinnung spielen dabei eine zentrale Rolle. Auf der Ebene der Zeit agiert es als eine flexible Medientechnologie für die Schaffung von Zeitinseln innerhalb eines rigiden Zeitregiments. Auf der Ebene sozialer Interaktionen konturiert es sich in besonderer Weise als Beziehungs- und Vermittlungsmedium, das Hindernisse in der Kontaktaufnahme mit Personen überbrückt, die außerhalb einer spezifischen Gruppe angesiedelt sind. Auf der Ebene der Medien überwindet es Begrenzungen, die den Konsum von stationären Medien kennzeichnen (z.B. Größe des Fernsehers, aufwändige und teure Infrastruktur des Internets). Die Kommunikation mit dem keitai stellt sich hier als die Möglichkeit dar, innerhalb von durch Defizite bestimmten Verhältnissen Freiräume zu schaffen oder Zugänge zu Medien zu erleichtern. Dieser Aspekt des Ausgleichs schließt an Ansätze der Cultural Studies an, die Medienhandeln als Ausnutzen von Gelegenheiten innerhalb von Zwängen und Macht bestimmten Kontexten verstehen (vgl. de Certeau 1988; Fiske 1992).2 Dieser Aspekt lässt sich aber auch an den Ansatz des Digital Divide anschlie2
Zu diesen Zwängen können physikalische Limitierungen genau wie herrschende Zeitregimenter oder spezifische Beanspruchungen durch soziale Zwänge gehören.
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ßen, indem die Frage danach gestellt wird, welche medientechnologischen Defizite und Ungleichheiten zwischen Medienhandelnden das Mobiltelefon auszugleichen vermag. In dieser Hinsicht kann an Studien wie der von Horst und Miller (2006) angeknüpft werden, die aufzeigen, wie das Mobiltelefon in Jamaika den fehlenden Anschluss an eine telekommunikative Festnetz-Infrastruktur auszugleichen hilft. (2) Erweiterungsprozesse: Erweiterungsprozesse zeigen sich vor allem in einer Flexibilisierung der Kommunikations- und Handlungsformen durch die Einführung und Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien. Diese Prozesse lassen sich im Vergleich zu den Ausgleichsprozessen in geringerem Maße als bedingt von eindeutigen kulturellen Kontextfaktoren begreifen. Vielmehr stehen sie im Zusammenhang mit allgemeinen Tendenzen der Flexibilisierung und Zunahme von Handlungsformen durch digitale Medientechnologien. Im Zusammenspiel von japanischer Kultur und keitai-Kommunikation drücken sich die Erweiterungsprozesse zum Beispiel in flexibleren Formen des Zeithandelns aus, die zu einer Segmentierung der zur Verfügung stehenden Zeit führen. Sie manifestieren sich aber auch in einem durch die Möglichkeiten des „perpetual contact“ (Katz/Aakhus 2002) erweiterten Beziehungsrepertoires, das verdeutlicht, auf welche Weise die Mobilkommunikation zur Ergänzung bestehender Formen des sozialen Handelns und der Interaktion verwendet wird. In ähnlicher Weise deutet der Begriff der „technosocial situation“ (Ito/Okabe 2005: 260; siehe auch Kapitel 5.1.2) auf eine Erweiterung der räumlichen Arrangements und der davon bestimmten Handlungsformen durch Mobilkommunikation hin. Diese schafft mehr Möglichkeiten, sorgt aber auch für Irritationen, indem sie Menschen Anpassungsleistungen an ungewohnte Situationen abverlangt. Erweiterungsprozesse verweisen demnach auf neue und erweiterte Situationen, Räume, Beziehungen sowie mediale Rezeptions- und Interaktionskontexte (z.B. durch keitai-Spiele, mobiles Internet), die es zu untersuchen gilt. Der Begriff soll das Interesse der Forschenden auf Entwicklungen richten, die zwar mit unterschiedlichen Bedingungen von Kultur und mit wechselnden Kontexten interagieren, sich aber nicht als Kompensation von Defiziten oder als mit anderen Handlungsformen konfligierend begreifen lassen. (3) Überlagerungsprozesse: In der Auseinandersetzung mit mobiler Medienkultur in Japan ist mehrfach deutlich geworden, dass die mit der Mobilkommunikation verbundenen erweiterten Möglichkeiten des kommunikativen Handelns weder einen Bruch oder eine Ersetzung der vorhandenen Strukturen initiieren noch zu einer von äußeren Zwängen befreiten Virtualisierung der Lebenswelt führen; vielmehr lassen sie sich am ehesten mit Prozessen der Überlagerung in Verbindung bringen. Durch die Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien werden Impulse eher zu leichten Verschiebungen bzw. Überlagerungen als zu einer radikalen Umwälzung der bestehenden Verhältnisse
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gesetzt. Im Hinblick auf Japan zeigt sich dieser Aspekt beispielsweise im halböffentlichen Raum des Nahverkehrs, in dem die stumm vollzogenen keitai-Nutzungen toleriert werden, während andere Kommunikationsformen unerwünscht sind. Auf der Ebene von Beziehungen wird der Aspekt der Überlagerung in den neuen mediatisierten Optionen der Kontaktaufnahme zu Fremden deutlich. Diese ermöglichen einerseits neue Interaktionspraktiken auf der Mikroebene, stellen andererseits aber die bestehenden Formen der Vergemeinschaftung, bei denen Vermittlungsprozesse eine besondere Rolle spielen, nicht infrage. Formen der Überlagerung zeigen sich aber auch auf der Ebene der Anschlussfähigkeit des Mobiltelefons an die seine Nutzung rahmende Medienkultur. Als Konvergenzmedium schafft das keitai keine fundamental neuen Gegenstände oder Medienästhetiken, sondern schließt an japanische Darstellungstraditionen an, wie zum Beispiel die visuellen Formen der Mangakultur. Insgesamt zeigt sich in der Beschäftigung mit japanischer Medienkultur, wie stark sich die mit Mobilkommunikation vollzogenen Prozesse der Mediatisierung als integriert in bestehende Ordnungen und als diese Ordnungen überlagernd begreifen lassen. Durch seine Anpassungsfähigkeit wird das Mobiltelefon zu einem Gerät, das nicht nur zur Konstruktion neuer Kommunikations- und Handlungsformen dient, sondern auch zur Aufrechterhaltung der vorhandenen Strukturen – etwa der Fortschreibung traditioneller Geschlechterdualismen, wie am Beispiel der keitai-Nutzung von Hausfrauen deutlich wird (vgl. Dobashi 2005; siehe Kapitel 5.3.1). Die Hoffnung darauf (oder auch die Angst davor), dass neue Medientechnologien ebenso neue, virtuelle, von den materiellen Bedingungen und gesellschaftlichen Vorstellungsmustern befreite Formen des kommunikativen Handelns der Menschen schaffen, findet vor dem Hintergrund dieser in einer avancierten Medienkultur gewonnenen Erkenntnis ihre Relativierung. Es rückt für die Forschung somit der Aspekt in den Fokus, dass die durch die Nutzung des Mobiltelefons eingeleiteten Wandlungsprozesse differenziert zu betrachten sind und dass in ihnen häufig eine gewisse Beharrungskraft lokaler Strukturen sichtbar wird.3 (4) Entgrenzungsprozesse: Entgrenzungsprozesse beziehen sich auf die zunehmenden durch Mobilkommunikation hervorgebrachten Verflechtungen unterschiedlicher Situationen und auf das stärkere In3
Diese Einsicht korrespondiert zu einem gewissen Grad mit den Implikationen des Domestizierungsansatzes – sieht man einmal von dessen Perspektivierung des Häuslichen als zentralen Kontext des Medienhandelns ab. Denn sie fordert, die Aneignung einer Technologie in einem erweiterten kulturellen Zusammenhang zu betrachten, als eingebettet in die ‚Routinen einer Gesellschaft‘, d.h. in die vielfältig strukturierten räumlichen Kontexte, Beziehungsformen und Alltagspraktiken, die durch Mobilkommunikation verschoben, aber nicht aufgehoben werden.
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einandergreifen verschiedener Arten der Medienkommunikation. Der Begriff ist ein wichtiger Bestandteil des Mediatisierungskonzepts und bezeichnet dort Aspekte der Vermischung und Entdifferenzierung von Einzelmedien, die neue Zusammenhänge der Mediennutzung entstehen lassen (Krotz 2007a: 85). Krotz und Schulz (2006) stellen heraus, dass alle drei Typen der mediatisierten Kommunikation mit dem Mobiltelefon verfügbar sind: „Kommunikation per technischen Medien mit anderen Menschen etwa beim Telefonieren, Rezeption allgemein adressierter, standardisierter Inhalte etwa beim Musikhören oder im Internet surfen sowie interaktive Kommunikation mit dem Computer als Gegenüber beim Computerspielen.“ (Ebd.: 60)
Das bedeutet, dass Kontexte des Medienhandelns, die zuvor deutlich voneinander getrennt waren, immer stärker miteinander verbunden werden. Entgrenzungsprozesse tauchen in der Analyse der mobilen Medienkultur Japans immer wieder als das Motiv neuer, durch mobile Medienkommunikation geschaffener Räume und Situationen auf. Auch die von Ito und Okabe (2005: 260) definierten „techno-social situations“ lassen sich in diesem Sinne als Phänomene der Entgrenzung verstehen. Damit wird stärker als durch den Begriff der Erweiterung auf die Irritationen und Herausforderungen verwiesen, die das Entstehen neuer Situationen begleiten und den Medienhandelnden ein komplexes Situationsmanagement abfordern. Entgrenzungserscheinungen zeigen sich in Japan auf vielfältige Weise, beispielsweise in der mobilen Rezeption von Medieninhalten oder der Anwendung der keitai-Spielfunktionen im öffentlichen Nahverkehr. Diese Entgrenzung ist dort einerseits mit dem Potenzial verbunden, selbstbestimmte Areale zu schaffen. Andererseits führen diese medienbezogenen Praktiken dazu, dass zuvor klar voneinander abgegrenzte Situationen und kommunikative Handlungen nicht mehr eindeutig bestimmt werden können und unterschiedliche Kommunikationsformen wie das Spielen, das Schreiben von E-Mails oder die Face-to-Face-Kommunikation auf engstem Raum stattfinden. In der Erkundung dieser Prozesse müssen sowohl die unterschiedlichen Formen der Hervorbringung dieser Situationen als auch die unterschiedlichen Muster der Anpassung und der Bewältigung von ihnen fokussiert werden, wobei die Unterschiede als abhängig von den jeweiligen kulturellen Kontexten zu betrachten sind. Zusammen mit den entlang der vier Dimensionen identifizierten kultur- und mobilkommunikationsrelevanten Themen und Zusammenhängen stellen die hier erläuterten Prozesse das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation dar (vgl. Abbildung 9). Das Modell unterstreicht das Zusammenspiel von Mobilkommunikation und den kulturellen Dimensionen, in die sie eingebettet ist und mit denen sie interagiert. Es erfasst zugleich die zentralen Bezüge, die
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sich aus der Analyse der mobilen Medienkultur Japans ergeben haben, wie auch die Prozesse, die die von der Technologie angebotenen Möglichkeiten und deren Aneignung in kulturellen Kontexten charakterisieren und die mit ihr verbundenen Wandlungsprozesse zu erklären helfen. Abbildung 9: Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation Kultur Überlagerungsprozesse
Raum
• Vom physikalischen Raum geschaffene Handlungsmotive • Urbanisierung und Grad der Vernetzung • Regeln, Konventionen und Erfordernisse des öffentlichen Raums • Bedeutungen des Zuhauses
Ausgleichsprozesse
Mobilkommunikation
• Gruppenbildung und Vergemeinschaftungsprozesse • Traditionelle Familien- und Beziehungsstrukturen • Modernisierungs- und Individualisierungstendenzen • Vermittlung und Management von Kontakten
Beziehungen
Zeit
• Zeitliche Beanspruchung in institutionellen Kontexten (Schule, Arbeit) • Temporale Strukturierung des Alltags • Verhältnis von Arbeits- und Freizeit • Formen der Zeitwahrnehmung und Zeitvorstellung
• • • •
Entgrenzungsprozesse
Bedeutung von Sprache und Schriftlichkeit Zusammenwirken alter und neuer Medien Symbolische Bedeutung von Technologien Populärkulturelle Spezifika
Medien
Erweiterungsprozesse
Kultur
Quelle: Eigene Darstellung Dieses Modell impliziert nicht, dass damit vollständig erfasst werden kann, auf welche Weise Mobilkommunikation mit einer Kultur interagiert. Es bietet aber eine Orientierung, welche Themenfelder und Erscheinungen zu erkunden und welche Faktoren zu berücksichtigen sich für die Forschung als lohnend erweisen kann. Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation versteht sich als eine Forderung, die Forschung nicht einseitig auf bestimmte Aspekte zu fokussieren, sondern die Aneignung von Mobilkommunikation immer in einen größeren Rahmen kultureller Kontexte einzufügen: So lässt sich beispielsweise die temporale Strukturierung des Alltags nicht nur als eine mit dem Mobiltelefon zu realisierende Möglichkeit der Flexibilisierung verstehen, sondern auch als Reaktion auf bestimmte Formen der zeitlichen Beanspruchung durch Institutionen. Ebenso darf die symbolische Bedeutung einer Technologie nicht allein auf die Tatsache reduziert werden, dass eine Medientechnologie auch modisches Artefakt sein kann, sondern es muss dabei auch erforscht werden, welche Rolle Medientechnologien für das (Selbst-)Verständnis einer Kultur spielen.
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6.3 PERSPEKTIVEN
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REICHWEITE
DER
STUDIE
In diesem abschließenden Kapitel zu den Perspektiven und zur Reichweite der vorliegenden Arbeit werden die Erträge des kulturorientierten Kontextualisierungskonzepts der Mobilkommunikation diskutiert und einer weiterführenden Reflexion unterzogen. Die Arbeit selbst nimmt dadurch, dass sie theoretisch-konzeptionell angelegt ist und sich nicht systematisch auf eigene empirische Untersuchungen stützt, eine reflexive Position gegenüber Forschung und Theorie ein. Diese zeigt sich nicht nur in der Erarbeitung einer Systematik für die Mobilkommunikationsforschung, sondern auch in der Reflexion der von Mobilkommunikation geforderten Forschungsperspektiven. Diese Reflexion bezieht sich hier auf den Aspekt der Übertragung auf andere Kulturen (1), auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen lokalen und globalen Aspekten der Entwicklung von mobiler Medienkommunikation (2), auf die Beziehung zwischen der Mikroperspektive und der Makroperspektive in der Beschäftigung mit Mobilkommunikation (3), und auf die Notwendigkeit der Vermeidung eines Technologie-Exotismus (4). Diese Punkte greifen besonders signifikante oder produktive Erkenntnisse der Arbeit auf und beziehen sie auf Möglichkeiten der Perspektivierung von Mobilkommunikation. (1) Die vorliegende Arbeit trägt dazu bei, die Spezifik von mit mobilen Medientechnologien verbundenen Entwicklungen innerhalb einer von bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen geprägten Kultur zu erfassen, indem sie ein kultursensibles Analyseraster für die Mobilkommunikationsforschung anbietet. Sowohl die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan als auch das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept setzen Impulse für ein allgemeines, auf andere Kulturen übertragbares Verständnis von Mobilkommunikation. Denn die Auseinandersetzung mit der mobilen Medienkultur Japans perspektiviert den Blick auf andere mobile Medienkulturen. Dabei rücken sowohl die Ähnlichkeiten, die von analogen Erscheinungen und übergreifenden Strukturierungsmerkmalen abhängig sind, als auch die Unterschiede, die von den kulturellen Kontexten geprägt werden, in den Fokus. Die Möglichkeit der Übertragung soll hier nur beispielhaft anhand von zwei Bedeutungsfeldern demonstriert werden, die bei einer an diesem Modell orientierten Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation in Deutschland signifikant werden. Auf einen möglichen Vergleich zwischen Japan und Deutschland bezogen würde die Anwendung des Modells erstens nahelegen, dass der mobilen Medientechnologie als Bedeutungsträger in Deutschland andere Akzente innewohnen als in Japan. Dieser Aspekt wird vom kulturorientierten Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation durch das Feld „Symbolische Bedeutung von Technologien“ innerhalb
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der Kulturdimension Medien angesprochen (siehe Abbildung 9). In der intensiven Beschäftigung mit der mobilen Medienkultur Japans zeigte sich, dass die dem Land zugeschriebene Technologieaffinität nicht aus dem Nichts kommt, sondern seine Wurzeln u.a. in nationalen Selbstbildern hat. In Deutschland ist die Fixierung auf Kleinsttechnologien stärker eine Sache technologieaffiner Subkulturen, für die von bestimmten Medientechnologien eine große Anziehungskraft ausgeht. Mobiltelefone wie das iPhone und ähnliche Apparate scheinen innerhalb dieser Formationen vor allem um ihrer selbst Willen und nicht aufgrund spezifischer Funktionen gekauft zu werden; sie erlauben Distinktionsgewinne und stellen für die eigene Identität ein Ausdruckspotenzial bereit. Offensichtlich handelt es sich hierbei um global erwerbbare Geräte, die unabhängig von einer Kommunikationsfunktion, die sie innerhalb spezifischer kultureller und gesellschaftlicher Settings übernehmen, ihre Bedeutungen entfalten. Aber es spielt dabei eben doch eine Rolle, aus welchen Ressourcen eine Kultur Bedeutung schöpft oder welche Ressourcen sie für die Identitätskonstitution gebraucht. In Deutschland ist die Begeisterung für Technologien zwar immer noch eine Frage der kulturellen Kontexte, in die sie eingebunden ist, verweist aber stärker auf individuelle Vorlieben bzw. auf das Selbstverständnis von Subkulturen oder von bestimmten, relativ homogenen soziokulturellen Formationen. Wenn etwa im Umfeld einer Zeitschrift wie De:Bug, die sich der Beschäftigung mit ‚elektronischen Lebensaspekten‘ verpflichtet hat, von den Möglichkeiten mobiler Technologien gesprochen und immer voller Sehnsucht nach dem weiterentwickelten und fortschrittlichen Japan geschielt wird,4 so wird dabei außer Acht gelassen, dass den technologischen Möglichkeiten dort vor dem Hintergrund spezifischer kultureller Voraussetzungen und Einstellungen Bedeutung gegeben wird, die es in Deutschland nicht in der gleichen Form gibt. Die Annahmen, die über die Zukunft der Mobilkommunikation mit Blick auf die Avanciertheit der japanischen mobilen Medienkultur gemacht werden, sind nur dann relevant oder produktiv, wenn sie diese Zusammenhänge, durch die Technologien ihren Sinn erhalten, erfassen. Die im Modell genannten Bedeutungsfelder lassen sich zweitens als Ausgangspunkt dafür verstehen, das spezifische Stadt-Land-Gefälle in Deutschland zu reflektieren und danach zu fragen, wie diese kulturelle Voraussetzung mit den hier dargelegten Prozessen des Ausgleichs, der Überlagerung, Entgrenzung oder Erweiterung zusammenspielen. Dieser Punkt bezieht sich auf die beiden Aspekte „Vom physikalischen 4
Es lassen sich in De:Bug Deutungsmuster finden, alle Innovationen auf dem Sektor der mobilen Medientechnologien Japan zuzuordnen. Neben der dort vehement vertretenen Ansicht der Avanciertheit japanischer Medienkultur zeigt sich dies etwa in Sätzen wie „Japaner werden schon mit einem in die Hand implantierten Handy geboren“ (Dauerer 2007: o.S.) und ähnlichen Aussagen.
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Raum geschaffene Handlungsmotive“ sowie „Urbanisierung und Grad der Vernetzung“ im Bedeutungsfeld Raum, die im kulturorientierten Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation in Abbildung 9 dargestellt sind. Deutschland weist eine geografische Struktur und Verkehrssituation auf, die sich deutlich von Japan abheben. Diese Unterschiede spielen für die Erkundung von Mobilkommunikation eine signifikante Rolle. So weisen Castells et al. (2004: 38) darauf hin, dass sich die SMS-Kommunikation in den USA aufgrund der vom Individualverkehr geprägten Mobilität in geringerem Maße ausgebildet hat als in Ländern mit einem stark frequentierten öffentlichen Nahverkehr. Für die Analyse des mobilen Medienhandelns in Japan würde die Berücksichtigung dieses Faktors alleine aber nicht ausreichen, um die Ausdifferenzierung bestimmter Nutzungsformen zu erklären, da hier zusätzlich auch die durch die Regeln des öffentlichen Raums nahegelegte Präferenz für stumme Funktionen eine signifikante Rolle spielt. Forschungsarbeiten, die sich mit Mobilkommunikation in Deutschland beschäftigen, müssten hier in Betracht ziehen, welche Rolle das Mobiltelefon innerhalb einer nicht so sehr von einigen wenigen urbanen Ballungsräumen bestimmten Geografie einnimmt, und danach fragen, welche Defizite, wie beispielsweise eine provinzielle Isolation, durch Mobilkommunikation ausgeglichen werden könnten. Sie müssten aber auch die Interaktion unterschiedlicher Faktoren berücksichtigen, indem sie etwa danach fragen, welche Regeln im öffentlichen Raum herrschen und die mobilkommunikativen Praktiken beeinflussen. (2) Der hier verfolgte Ansatz relativiert Arbeiten, die pauschal auf einen durch neue Medientechnologien verursachten globalen Wandel hinweisen. Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation lässt sich als Anregung dazu lesen, den Zusammenhang zwischen globalen und lokalen Veränderungen des kommunikativen Handelns durch mobile Kommunikationstechnologien zu verstehen und dabei ihre Rolle als äußerst anpassungsfähige Medien zu reflektieren. Die auf Basis der kulturellen Infrastruktur vorgenommene Untersuchung der Mobilkommunikation in Japan hat anhand der Analyse verschiedener mobilfunkbezogener Erscheinungen und Phänomene gezeigt, dass die Nutzung des keitai mit einer Vielzahl kultureller Voraussetzungen interagiert und sich auf flexible Weise in unterschiedliche Zusammenhänge und Situationen einordnet. Diese Einsichten lassen sich als Einwände gegen Ansätze verstehen, die vorschnell von Veränderungen in einem globalen Maßstab sprechen und dabei einzig von der Technologie und ihren Kapazitäten ausgehen. Hier wird die Notwendigkeit deutlich, das Mobiltelefon als Forschungsgegenstand anders zu behandeln als die ‚klassischen‘ Medien der öffentlichen Kommunikation. Das Mobiltelefon ist kein Medium, das eindeutig und massiv Impulse der Veränderung setzt – solche Prozesse lassen sich eher mit dem
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Fernseher, dem Kino oder auch dem stationären Internet in Verbindung bringen. Denn Medien wie das Fernsehen oder das Kino schaffen auf offenkundigere Weise Kommunikations- und Rezeptionsorte, die von der Forschung vergleichend erkundet werden können. Dies gilt nicht so sehr für eine kleine, anpassungsfähige und mit kulturellen Kontexten verflochtene Technologie wie das Mobiltelefon. Dessen Potenzial liegt weniger darin, Mensch und Welt miteinander in Beziehung zu setzen – was für das Fernsehen wichtig gewesen ist und ihm eine Globalisierungstendenz eingeschrieben hat (vgl. Morley 2000) –, sondern eher darin, mobile Vernetzungen zwischen Menschen zu bilden.5 Das Mobiltelefon ermöglicht eine individuellere Form der Rezeption von Medieninhalten und die Bündelung von Medieninteressen, die zuvor an bestimmte Orte, Zeiten, Mediengeräte oder Programmstrukturen gebunden waren (vgl. Krotz/Schulz 2006: 61). Diese individualisierte Form des Medienhandelns hebt die besondere Rolle des Mobiltelefons hervor. Vor diesem Hintergrund schließt die Arbeit auch an eine Kritik an, die u.a. von John Tomlinson (2006) formuliert wurde. Die unterstellte globale Tragweite von Schlüsselbegriffen wie Freiheit, Allgegenwart oder Unmittelbarkeit, die mit medientechnologischen Entwicklungen verbunden und als unentbehrlich für einen „erfolgreichen, modernen Lebensstil“ betrachtet werden (ebd.: 69), lässt sich infrage stellen. Diese Begriffe suggerieren, dass Medientechnologien überall auf der Welt dieselben Bedeutungen haben und zu ähnlichen Entwicklungen führen – wohingegen Tomlinson zu einem eigenen Verständnis des von Medientechnologien initiierten Wandels gelangt. Er bezweifelt, dass Prozesse der Deterritorialisierung und der Globalisierung den physischen Ort und dessen kulturelle Besonderheiten zerstören, und weist darauf hin, dass gerade mobile Medientechnologien das Lokale betonen, das Nahe zusammenbringen und zur Aufrechterhaltung von persönlichen Netzwerken gebraucht werden, indem sie einer ‚Kultur des Flusses‘ durch die Ermöglichung eines beständigen Bezugspunktes etwas entgegen setzen (ebd.: 78). Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept der Mobilkommunikation verdeutlicht, dass die mobile Kommunikationstechnologie aufgrund ihrer besonderen Anpassungsfähigkeit sehr stark von lokalen Zusammenhängen geprägt ist. Aus diesem Grund vollzieht sich die 5
Dies scheint mitunter auch einer der Gründe dafür zu sein, dass das Mobiltelefon immer noch von einigen Vertreterinnen und Vertretern des Fachs als nicht im Kern der Kommunikationswissenschaft liegend betrachtet wird. Durch seine Ausrichtung auf die interpersonale Kommunikation und aufgrund seiner individualisierten Nutzungsformen ist es mit deutlich anderen Implikationen verbunden als die klassischen, früher als Massenmedien bezeichneten Medien der öffentlichen Kommunikation (siehe Kapitel 4.1).
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Implementierung des Mobiltelefons auch nicht überall gleich. Heike Weber weist in ihrer Auseinandersetzung mit Mobilkommunikation darauf hin, dass die Technologie zwar im globalen Maßstab ähnliche Geräte hervorbringen mag, dass dies aber nicht zu homogenen Nutzungen führe. Sie sieht es als eine Herausforderung für zukünftige Forschung an, der Frage nachzugehen „wie sich die globalen Produktdesigns zur lokal situierten Konsumtion im Einzelnen verhalten“ (Weber 2008: 313). Es bleibt daher fraglich, ob eine transkulturelle Perspektive der Erforschung des Mobiltelefons tatsächlich gerecht würde. Zwar stellt es ein flexibles Ermöglichungsinstrument zur Herstellung von Konnektivitäten dar. Da ein Großteil dieser Konnektivitäten aber auf den Nahbereich bezogen ist und zur lokalen Netzwerkbildung gebraucht wird, verweist die Auseinandersetzung mit Japan vor allem auf die Relevanz von lokalen oder kulturell verankerten Aspekten dieser Möglichkeiten. Die Arbeit hat anhand des Zusammenspiels der keitaiKommunikation mit zeitlichen, räumlichen, beziehungs- und medienbezogenen Aspekten der Medienkultur gezeigt, wie stark sich das Mobiltelefon in bestehenden Arrangements einfügt. Seine Aneignung kann somit nur verstanden werden, wenn auch die Kultur verstanden wird, in der das Gerät genutzt wird – so sehr sie auch im Ganzen von globalen oder transkulturellen Entwicklungen geprägt sein mag. (3) Die vorliegende Arbeit unterstreicht die Relevanz der parallelen Erkundung von Mikrostrukturen und Makrostrukturen der Mobilkommunikation. Die Aneignung des Mobiltelefons legt aufgrund der mit ihr verbundenen Erweiterung interpersonaler Kommunikationsformen eine auf die Mikrostrukturen bezogene Forschung nahe. Sie braucht aber die Einordnung in weiterführende kulturelle Rahmen, um sich nicht in Details zu verlieren. Zwar wird in Punkt 2 die Reichweite von Erkenntnissen über globale Entwicklungen mobiler Medienkulturen relativiert. Dies bedeutet aber nicht, dass die spezifischen Praktiken nicht auch von übergeordneten Merkmalen abhängig wären. In der Erarbeitung der kulturellen Infrastruktur der Mobilkommunikation Japans hat sich ein Zugang als relevant erwiesen, der ausgehend von den theoretischen Implikationen der Cultural Studies multiperspektivisch verfährt und eine Vielzahl kultureller Faktoren berücksichtigt, die bei der Aneignung von mobilen Medientechnologien eine Rolle spielen. Dadurch ist deutlich geworden, dass es beispielsweise nicht ausreicht darauf hinzuweisen, dass der erste mobile Internetdienst i-mode durch eine transparente Preispolitik und ein ausgeklügeltes Marketingkonzept zu einer erfolgreichen Anwendung wurde (genau hier zeigen sich die Schwächen eines einzig auf die Ökonomie reduzierten Zugangs). Es genügt aber auch nicht darauf hinzuweisen, dass Japan als eine relationale Kultur großen Wert auf die Aufrechterhaltung sozialer Netzwerke und Pflege einer
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Gruppenidentität legt und hierfür internetfähige Mobiltelefone als geeignete Medien erscheinen. Das kulturorientierte Kontextualisierungskonzept basiert vielmehr auf dem Anspruch, unterschiedliche Aspekte miteinander in Beziehung zu setzen und von den Makro- zu den Mikrostrukturen zu gelangen – von den kulturellen Rahmungen und Kontextfaktoren, zu denen geografische Aspekte oder kulturell geprägte Zeitvorstellungen gehören, bis zu den Mikrostrukturen eines mediatisierten Alltag, in dem sichtbar wird, wie das Mobiltelefon in konkreten Situationen und unter spezifischen Einflüssen und daraus resultierender Bedürfnisse angeeignet wird. Nur eine Perspektive, die Makro- und Mikrostrukturen zusammen denkt und deren Zusammenspiel berücksichtigt, macht die Annäherung an ein Verständnis von Mobilkommunikation möglich. Denn nur wenn verstanden wird, was Kultur von der Mobilkommunikation ‚fordert‘, lassen sich die Handlungsmotive einordnen, die zu einer besonderen Ausdifferenzierung des Mobiltelefons führen. Der hier verfolgte Ansatz verweist zugleich auf die Notwendigkeit, bei der Kontextualisierung des alltäglichen Medienhandelns eine zu einseitige Ausrichtung auf die Mikroperspektive zu vermeiden und sich nicht in kleinteiligen Analysen zu verlieren. Bei so anpassungsfähigen und individuell gebrauchten Medientechnologien wie dem Mobiltelefon richtet sich der Blick häufig auf einen durch Mobilkommunikation auf verschiedene Weise veränderten Alltag – etwa auf neue Formen der Beziehungsgestaltung oder auf flexibler werdende Formen des Zeithandelns. Durch den zu beobachtenden Wandel solcher Mikropraktiken findet die Forschung, gerade wenn sie sich als ethnografisch versteht, viele Möglichkeiten anzusetzen. Aber in der Perspektive auf den mediatisierten Alltag liegt auch die Gefahr, weiterreichende Einflussfaktoren und kulturelle Bedingungen aus dem Auge zu verlieren. In der Diskussion des Forschungsstands (Kapitel 4.2 und 4.3) wurde darauf hingewiesen, dass beispielsweise Theorien wie die von Erving Goffman zur Untersuchung der Mobilkommunikation oft herangezogen werden. Sie erscheinen produktiv, weil sie einen eng geführten Blick auf die kommunikativen Praktiken der Mikroebene, etwa die der „micro-coordination“ (vgl. Castells 2001; Green 2002), erlauben und bestimmte Felder, wie beispielsweise die Bedeutung der Mobilkommunikation im öffentlichen Raum, als erforscht und abgeschlossen erscheinen lassen. Es ist aber wichtig, die flüchtigen Momente der Mobilkommunikation als „partial totalities that reflect larger wholes“ zu sehen, worauf Gardiner (zit. nach May/Hearn 2005: 205) hinweist – einem Verständnis folgend, dass Erkenntnisse über den Medienalltag zugleich auch Erkenntnisse über die Gesellschaft und Kultur vermitteln. Aus diesem Grund hat die vorliegende Arbeit auf die Notwendigkeit verwiesen, den Blick auf die konkreten Erscheinungen von Mobilkommunikation mit einer Perspektive auf die Kultur, in die diese eingebettet sind, zu
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koppeln. Übergeordnetes Ziel war dabei ein allgemeines Verständnis der Strukturen und Möglichkeiten von Mobilkommunikation zu erlangen. Letztlich lassen sich auf diese Weise Einsichten gewinnen, die auf andere kulturelle Räume übertragbar sind, indem sie auch übergeordnete Strukturierungsmerkmale im Wechselverhältnis von Mobilkommunikation und Kultur und deren Wandel erfassen. Damit eröffnet sich die Perspektive, das keitai sowohl als kontextabhängige als auch als kontextprägende Technologie zu erfassen. (4) Aus dem Ansatz der Arbeit ergibt sich ein komplexes Verständnis von avancierten Medienkulturen, das durch die reflektierte Einordnung ihrer innovativen Potenziale einen naiven Technologie-Exotismus vermeidet. Medien sind nicht naturhaft oder selbstverständlich, ihre Nutzung unterliegt einer Vielfalt von Einflussfaktoren. Sie sind kulturelle Produkte, denen unter spezifischen Voraussetzungen von den Nutzenden Bedeutungen zugewiesen werden, die zugleich aber auch durch ihre spezifische Materialität auf das Handeln der Menschen und ihre Formen der Bedeutungsproduktion einwirken. Aus diesem Grund müssen Perspektiven, in denen Japan als eine mobile Medienavantgarde gesehen wird, durch Untersuchungen der Motive, die die avancierteren Nutzungsweisen erklären helfen, ergänzt werden. Eine eingeengte Sicht auf diese Rolle Japans findet sich etwa bei dem Science Fiction Autor und Theoretiker der Cyberkultur William Gibson. Gibson nimmt in dem Artikel „Modern Boys and Mobile Girls“ (2001) das Phänomen der mobile girls als Anlass dazu, Japan als eine Nation der „ultimate early adopters“ und als die „global imagination’s default setting for the future“ zu bezeichnen. Er betrachtet Japan als ein zufällig zustande gekommenes Reservoir für unsere Vorstellungen einer technologischen Zukunft. Gibson illustriert diese Ansicht mit der Schilderung der Medienkompetenz ‚mobiler Mädchen‘ in Japan: „Consider the Mobile Girl, that ubiquitous feature of contemporary Tokyo street life: a schoolgirl busily, constantly messaging on her mobile phone (which she never uses for voice communication if she can avoid it). The Mobile Girl can convert pad strokes to kanji faster than should be humanly possible, and rates her standing in her cellular community according to the amount of numbers in her phone’s memory. What is it that the Mobile Girls are so busily conveying to one another? Probably not much at all: the equivalent of a schoolgirl’s note, passed behind the teacher’s back. Content is not the issue here, but rather the speed, the weird unconscious surety, with which the schoolgirls of Tokyo took up a secondary feature (text messaging) of a new version of the cellular telephone, and generated, almost overnight, a micro-culture.“ (Gibson 2001: o.S.)
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Gibson scheint das Phänomen der mobile girls als gegeben und nicht weiter erklärbar zu betrachten. Seine Beobachtungen lassen sich aber durch die kulturorientierte Kontextualisierung dieses Medienhandelns erklärbar machen. Geht es hier wirklich nicht um Inhalte, scheint es sich bei der SMS tatsächlich ‚nur‘ um das Äquivalent einer heimlich ausgetauschten, auf Papier geschriebenen Nachricht zu handeln? Der Blick auf die kulturelle Infrastruktur der Mobilkommunikation in Japan macht vielmehr deutlich, dass es bei diesen Aneignungen nicht um eine eigenartige („weird“) oder bizarre Praxis medienaffiner Jugendlicher geht, sondern um Handlungen, die einen Grund haben. Die flüchtig ausgetauschten Nachrichten lassen sich als eine von den in dieser Arbeit erfassten Praktiken deuten, Leerzeiten auf flexible Weise auszufüllen und sich einem restriktiven, zeitlich beanspruchten Alltag zu entziehen. Ihr Inhalt kann eine Rolle spielen als eine mediatisierte Form des Ausdrucks von Gefühlen in einer Kultur, die sich mit der Verbalisierung von Emotionen schwer tut und in der das Mobiltelefon als Beziehungsmedium gebraucht wird, das einerseits bestehende Beziehungsstrukturen aufrechterhält und andererseits den Kontakt mit Fremden erleichtert. Schließlich kann der Gebrauch mobiler Medientechnologien für die mobile girls nicht nur Ausdruck einer subkulturellen Avanciertheit sein, sondern auch als eine Identitätsoption verstanden werden, als ein Ausdruck von Emanzipation, von Expertentum und der Besetzung des öffentlichen Raums. In diesem Sinne ist Japan nicht zufällig ein Reservoir unserer Vorstellungen im Hinblick auf technologischen Fortschritt, wie Gibson behauptet, sondern hat aus bestimmten Gründen Nutzungsformen hervorgebracht, die erst später oder auch gar nicht in anderen Kulturen relevant geworden sind. Diese Gründe zu erkennen und für ein allgemeines Verständnis von Mobilkommunikation produktiv zu machen, ist eines der Ziele dieser Arbeit gewesen. In einem Text von 1995 in der Zeitschrift Convergence beschreibt Roger Silverstone die Herausforderung für die Erforschung von Medientechnologien: „The futures of technologies are uncertain because the status of technology as culture is uncertain. And to remedy, or at least to try to remedy, something of this uncertainty we need to approach innovation as a cultural process, recognising that both producers and consumers are themselves mediators of the meaning of the objects, machines and services that pass through their hands.“ (Ebd.: 13)
Diese Arbeit hat versucht, den mit mobilen Medien verbundenen Wandel von Kommunikation als einen kulturellen Prozess zu erfassen und durch den Bezug auf die spezifische Kultur Japans etwas von dieser Unsicherheit zu nehmen.
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Cultural Studies Marian Adolf Die unverstandene Kultur Perspektiven einer Kritischen Theorie der Mediengesellschaft
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