Representing the Future: Zur kulturellen Logik der Zukunft [1. Aufl.] 9783839430156

The future just isn't what it used to be. Or is it? A look at historical, current, multireligious, international, a

149 79 1MB

German Pages 238 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Das Erdächtnis.Zur kulturellen Logik der Zukunft
Prognosekulturen an Finanzmärkten
Zukunft »chinesischer Prägung«?.Zukunftskonzepte in der Volksrepublik China seit 1949
On the Confrontation between Perennial Models in 19th Century Halmahera (Indonesia)
Modelle der Bezugnahme auf Zukünftiges
Future of the Past.History of Architectural Paradigms, Pragmatic Concerns, Social Innovations and Envisioning Narratives
Zukunftswissen im mittelalterlichen Lateineuropa.Determinanten sozialen und politischen Handel s, wenn die Zeit gemessen ist
Translation, the Introduction of Western Time Consciousness into the Chinese Language, and Chinese Modernity
Autorinnen und Autoren
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Representing the Future: Zur kulturellen Logik der Zukunft [1. Aufl.]
 9783839430156

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Andreas Hartmann, Oliwia Murawska (Hg.) Representing the Future: Zur kulturellen Logik der Zukunft

Edition Kulturwissenschaft | Band 66

Andreas Hartmann, Oliwia Murawska (Hg.)

Representing the Future: Zur kulturellen Logik der Zukunft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

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Inhalt

Das Erdächtnis Zur kulturellen Logik der Zukunft

Andreas Hartmann, Oliwia Murawska | 7

Prognosekulturen an Finanzmärkten

Ekaterina Svetlova, Karl-Heinz Thielmann | 17

Zukunft »chinesischer Prägung«? Zukunftskonzepte in der Volksrepublik China seit 1949

Nicola Spakowski | 39

On the Confrontation between Perennial Models th in 19 Century Halmahera (Indonesia)

Jos D.M. Platenkamp | 73

Modelle der Bezugnahme auf Zukünftiges

Bernd Mahr | 111

Future of the Past History of Architectural Paradigms, Pragmatic Concerns, Social Innovations and Envisioning Narratives

Slobodan Dan Paich | 179

Zukunftswissen im mittelalterlichen Lateineuropa Determinanten sozialen und politischen Handeln s, wenn die Zeit gemessen ist

Felicitas Schmieder | 197

Translation, the Introduction of Western Time Consciousness into the Chinese Language, and Chinese Modernity

Sinkwan Cheng | 217

Autorinnen und Autoren | 233

Das Erdächtnis Zur kulturellen Logik der Zukunft A NDREAS H ARTMANN , O LIWIA M URAWSKA

Erinnerungen leiten aus Wahrscheinlichkeiten Gewissheiten ab, Prognosen aus Gewissheiten Wahrscheinlichkeiten. Ungewiss sind sie zunächst beide, die Gewissheit der Erinnerung ebenso wie die Wahrscheinlichkeit der Prognose. Allerdings: Die Zukunft richtet über die Prognose, hingegen richtet die Erinnerung über die Vergangenheit. Die Zukunft ist ein Chamäleon der Zeit. Schwer zu erkennen, liegt sie auf der Lauer, wartet und passt sich an jede ihrer Umwelten an. Dabei bleibt sie stets sie selbst, ein Chamäleon der Zeit. Wie lässt sich der Speicher benennen, der Aufschluss gibt über das menschliche Vorstellungsfeld dessen, was sich in Zukunft ereignen wird? Wir entbehren ein Wort für die Gesamtheit der Wissens- und Bewusstseinsinhalte, die einem Menschen oder einer Gruppe im Hinblick auf die Zukunft zur Verfügung steht. Es soll die Gefäße, Speicher, Archive bezeichnen, in denen diese Wissens- und Bewusstseinsinhalte aufbewahrt sind und aus denen sie je nach Bedarf abgerufen werden. Es soll darüber hinaus den kognitiven und operativen Werkzeugbestand bezeichnen, über den ein Mensch oder eine Gruppe verfügt, um solche Bewusstseins- und Wissensinhalte herzustellen. Im Blick auf die Vergangenheit gibt es das Wort Gedächtnis. Wir greifen auf etablierte und systematisch aus-

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differenzierte Konzepte des individuellen, kommunikativen oder kulturellen Gedächtnisses zu. In Ermangelung eines auf die Zukunft bezogenen Komplementärbegriffs sehen wir uns zu einer Wortschöpfung herausgefordert: Erdächtnis. Ist das Wort schön? Auf Anhieb klingt es fremd und vertraut zugleich. Wichtiger ist hier, dass es das Gemeinte trifft. Unser Begriff Erdächtnis ist vorläufig und sieht gelassen seiner Ablösung durch einen genaueren und schöneren Term entgegen. In seiner Vorläufigkeit bezeichnet das Erdächtnis den individuellen bzw. kollektiven, zu einem gegebenen Zeitpunkt zugänglichen Speicher sowie die kognitiven und operativen Herstellungsweisen der Gesamtheit des auf die Zukunft gerichteten Erdachten und Erdenklichen. Ebenso wie das Gedächtnis ist auch das Erdächtnis ein individuelles und ein kollektives Bewusstseinsreservoir. Das heißt, es schlummert – ganz wie das Gedächtnis – weitgehend im Unbewussten, befindet sich im Halbschlaf der Latenz. Erst in den Erinnerungen, in der Aktivierung des Gedächtnisses entstehen die Bilder der Vergangenheit, und erst in den Ahnungen, den Erwartungen, den Vorhersagen entstehen die Bilder der Zukunft. Beide, die Erinnerung wie die Prospektion, greifen auf das genannte Bewusstseinsreservoir zu, auf ein Denkprinzip und einen Bilderschatz, die zuvor schon vorhanden waren und nur darauf warteten, erwählt und artikuliert und zum Leben erweckt zu werden. Wie das Gedächtnis auf die Substanz und auf Geschehnisse einer Vergangenheit referiert, die auch jenseits und unabhängig von individuellen und kollektiven Erinnerungen existieren, so wird es auch immer zukünftige Ereignisse geben unabhängig von den Gedanken und Prognosen, welche die Menschen zuvor dazu angestellt haben: Irgendetwas hat sich ereignet, und irgendetwas wird sich ereignen. Dies sind die generellen Grundvoraussetzungen und Grundannahmen jeglicher Gedächtnis- und Erdächtnistätigkeit. Wir bezeichnen diese Grundannahmen als Geschehensgewissheit. Somit stellt Geschehensgewissheit eine universelle anthropozentrische, auf die temporale Struktur der Welt gerichtete Bewusstseinsqualität und Bewusstseinskonstante dar.

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Gewährleistet wird dies durch eine allgemeine Eigenschaft der sozialen Natur des Menschen. Sie besteht darin, dass alles soziale Sein auf Kommunikation, Austausch und Reproduktion basiert. Und Austauschbeziehungen jedweder Art bringen zwingendermaßen soziale Dynamik und damit einhergehend Ereignisse hervor. Die soziale Naturwüchsigkeit von Ereignisstrukturen bzw. die ontologische Geschehensnotwendigkeit garantiert ihrerseits die genannte Geschehensgewissheit, mit der das Gedächtnis und das Erdächtnis operieren. Wir sind in die Ereignishaftigkeit des Seins hineingeboren, und nur dank dieses dynamischen Prinzips ist es möglich und sinnhaft, über die Zeitmodi Zukunft und Vergangenheit nachzudenken. Über dieses dynamische Prinzip gibt es zu allen Zeiten und an allen Orten ein Vorwissen. Die Annahme liegt nahe, dass dieses Vorwissen zum Bestand unserer natürlichen evolutionären Ausstattung gehört. Damit wäre erklärbar, dass das temporale Denken überall auf der Welt in Ereignisstrukturen eingebunden ist (man denke z.B. an die Ubiquität von Ursprungsmythen). So rekurriert auch die Erwartung, verstanden als »vergegenwärtigte Zukunft«1, notwendigerweise auf das Geschehensprinzip, d.h. auf Ereignisse welcher Art auch immer und unabhängig davon, ob sie eintreten oder nicht. Wie Individuen und Kollektive jedoch die Bewegung in der Zeit und das Geschehensprinzip jeweils wahrnehmen, konzeptualisieren, mit Inhalt und Bedeutung füllen, ist kulturbedingt, an Tradition und Sozialisation gebunden und basiert auf Austausch- und Aushandlungsprozessen. Der affektive, intellektuelle und Erkenntnis generierende Stoff, der die Erwartung und das Erdächtnis konstituiert, gehört dabei ebenso zu den kulturellen und historischen Variablen wie die Bedeutungsgehalte dessen, worauf sich Erwartung und Erdächtnis beziehen. Dieser Band geht in Einzelstudien der Pluralität und Variabilität der Zugriffe auf das Erdächtnis nach und widmet sich den vielfältigen Organisationsformen des prognostischen Wissens. Dieses ist auf

1

Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, S. 355.

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immer andere Weise soziokulturell und diskursiv gerahmt und geformt, an die unterschiedlichsten Akteure gebunden und zugleich subjektübergreifend und subjektenthoben in Medien, Objekten, Institutionen, Riten und Kommunikationstechniken eingelagert. Hier ist nicht der Ort, das Gesamtrepertoire dieser Wissensorganisation nochmals systematisch zu inventarisieren, wie dies für das Feld der Vergangenheit und des Gedächtnisses recht erschöpfend2 und für das der Zukunft und der Prospektion vielfach und instruktiv unternommen wurde.3 Wo die Dimensionierung des prognostischen wie des memorierenden Denkens zur Debatte steht, bildet in der Regel der Raum das Modell für die Zeit. Die Zukunft liegt ›vorne‹, die Vergangenheit ›hinten‹, von ›Nähe‹ und ›Ferne‹ ist die Rede, von unterschiedlichen ›Radien‹, von ›Reichweite‹, vom »Erfahrungsraum« oder vom »Erwartungshorizont«.4 Das räumliche Denken veranschaulicht und versinnlicht das Denken in zeitlichen Distanzen und Füllungen, zugleich verfestigt es dadurch die Vorstellung, soziale Zeit sei per se in Analogie zum Raum vektoriell und in Gestalt von Abständen organisiert. Oft zeigt erst der kulturelle Kontrastvergleich, dass auch all diese quasi naturalisierten Kategorien auf gesellschaftlicher Konvention beruhen und deshalb

2

Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992; Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, 1., vollst. überarb. u. erg. Aufl., München 2005 sowie Halbwachs, Maurice: Les cadres sociaux de la mémoire, Paris 1925.

3

Vgl. Koselleck (wie Anm. 1); Rinderspacher, Jürgen P.: »Zukunft als Weltanschauung«, in: Elke Holst, Jürgen P. Rinderspacher, Jürgen Schupp (Hg.), Erwartungen in die Zukunft. Zeithorizonte und Wertewandel in der sozialwissenschaftlichen Diskussion, Frankfurt a.M./New York 1994, S. 19-44; Sloterdijk, Peter (Hg.): Vor der Jahrtausendwende: Berichte zur Lage der Zukunft, Frankfurt a.M. 1990; Macho, Thomas: Vorbilder, Paderborn 2011.

4

Koselleck (wie Anm. 1), S. 356.

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nicht ungeprüft unter die anthropologischen Universalien zu zählen sind. Ob die kulturelle Logik der Zukunft auf die Reproduktion oder Transformation, auf die Statik oder Dynamik eines gegebenen Systems ausgerichtet ist, ob ihr eine passiv-fatalistische oder eine aktivprometheische Welthaltung zugrunde liegt: Der Möglichkeitsspielraum zukünftiger Ereignisse ist prinzipiell unendlich weit. Dank dieser ihrer Kontingenz ist Zukunft als Gesamtheit opak, strukturlos, der Einsicht verschlossen. Prognosen und prognostische Erkenntnissysteme jedweder Art führen Ordnung erst ein, und zwar indem sie filtern und selektieren, indem sie den Möglichkeitsspielraum begrenzen, ihn in separate Einheiten zerlegen, kurz indem sie bestimmte Elemente als ereignisstiftend favorisieren und andere vernachlässigen. Erst durch eine solche Praxis entsteht jene fragile Überschaubarkeit, die nicht nur in Expertisen, sondern auch im Alltag das Verhältnis des Menschen zur Zukunft charakterisiert. Wenngleich fragil, so bietet diese Überschaubarkeit doch Sicherheit insofern, als sich nun eher abschätzen lässt, was zu erwarten steht. Die Zukunft wird somit an die Leine genommen, ihre Wildheit domestiziert, ihr Wuchern kultiviert, beschnitten. Niklas Luhmann fand für diese ständig aufs Neue in Gang gesetzte Prozedur des Erkennbarmachens von Zukunft den treffenden Ausdruck »Defuturisierung«5. Vergleichbar den unterschiedlichen Sprachen, die ihren Phonembestand durch Selektion und Beschränkung des phonetisch Möglichen generieren und aus diesem ihrem jeweiligen Rohstoff Bedeutung tragende Strukturen errichten, sind auch die verschiedenen Gedächtnisse und Erdächtnisse als soziale Organe der Bedeutungsproduktion anzusehen, die den einzelnen Mitgliedern von Gedächtnis- bzw. Erdächtnisgemeinschaften eingepflanzt sind. Und wie die Sprachen die Wirklichkeit erst qua Diskontinuierung, Separation und Klassifikation mit Be-

5

Luhmann, Niklas: »Die Zukunft kann nicht beginnen: Temporalstrukturen der modernen Gesellschaft«, in: Peter Sloterdijk (wie Anm. 3), S. 119-150, hier S. 130.

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deutung ausstatten und sagbar machen, so machen Gedächtnisse und Erdächtnisse die Zeiten der Vergangenheit und der Zukunft erst dadurch vorstellbar, dass sie selektierenderweise Ordnungslosigkeit in Ordnung, Nicht-Struktur in Struktur, Kontinuität in Diskontinuität, Amorphes in Form, Chaos in Kosmos transformieren. Das soziale Doppelorgan Gedächtnis und Erdächtnis gibt dem Menschen um den Preis der Einschränkung – ganz im defuturisierenden Sinne – ein Instrument zur Kosmisierung der Zeit an die Hand. Die in diesem Band versammelten Beiträge lassen gerade in ihrer disziplinären Heterogenität erkennen, dass prognostisches Wissen an kontextuell variierende Basisprämissen, Erkenntniswerkzeuge und Trägergruppen gebunden ist, die überhaupt erst die Bedingungen der Ermöglichung eines Erdächtnisses und einer kulturellen Logik der Zukunft darstellen. Um hinter dem naturalistischen Schleier der Zukunft deren fundamentale Kultürlichkeit in den Blick zu bekommen, bedurfte es unserer Überzeugung nach des hier gewählten kontrastiven Verfahrens. Ekaterina Svetlova und Karl-Heinz Thielmann befassen sich in ihrem Beitrag mit »Prognosekulturen an Finanzmärkten«. Sie gehen von der Beobachtung einer Paradoxie aus, die darin liegt, dass es zum einen äußerst schwierig und häufig sogar unmöglich ist, exakte Prognosen für Finanzmärkte abzugeben, und dass zum anderen in der Öffentlichkeit regelmäßig als unzweifelhaft und gesichert deklarierte Vorhersagen verbreitet werden. Sie diagnostizieren eine Kluft zwischen der für das breite Publikum bestimmten Schau- bzw. Showseite von Finanzprognosen und der weit realitätsnäheren, der Öffentlichkeit vorenthaltenen Hinterbühne des Vorhersagewissens, auf der sich die Experten bewegen und miteinander austauschen. Vor dem Hintergrund ihrer Analyse plädieren Svetlova und Thielmann für eine begriffliche Abgrenzung von Prognosen und Vorhersagen. Nicola Spakowski begibt sich auf Spurensuche nach den futurologischen Diskursen in der Volksrepublik China seit ihrer Proklamation im Jahr 1949. Wissenschaftliche Zukunftsforschung begleitete und flankierte die politischen und ideologischen Konzepte von Fortschritt

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und gesellschaftlicher Entwicklung seit Gründung des kommunistischen Staates. In Interaktion mit diesen Konzepten war auch die chinesische Zukunftsforschung in einem stetigen Wandel begriffen, den Spakowski in drei Phasen unterteilt (Wettlauf der Systeme, Zukunft als wissenschaftliches Problem, internationaler Wettbewerb im Zeitalter der Globalisierung). Aus ethnologisch-historischem Blickwinkel zeichnet Jos D.M. Platenkamp die Fragmentierung einstmals holistischer Modelle nach, die prognostischen Praktiken zugrundeliegen. An einem empirischen Beispiel aus Halmahera (Indonesien) reflektiert er die Kollision der kosmologischen Vorstellungen der niederländisch-calvinistischen Missionare des 19. Jahrhunderts mit jenen der einheimischen Bevölkerung. Platenkamp deckt damit die kulturelle wie historische Bedingtheit von Zukunftsvorstellungen exemplarisch auf. Bernd Mahr geht in seinem Beitrag systematisch und mit einem modelltheoretischen, logisch-philosophischen Ansatz den Fragen nach, wie ein Akt der »Bezugnahme auf Zukünftiges«, des Zugriffs auf die Zukunft, erklärt werden kann und welche Annahmen eine erfolgreiche bzw. gescheiterte Bezugnahme fundieren. Diese Problematik betrachtet er aus drei Perspektiven: der reflektierenden Perspektive der Wissenschaften, der vermittelnden Perspektive der Mathematik sowie der erzeugenden Perspektive der Psychologie. Zudem beleuchtet er philosophische, psychologische und mathematische Modelle zur Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges, vergleicht diese miteinander und analysiert sie im Hinblick auf seine eingangs formulierten Fragen. Im Zentrum der Ausführungen von Slobodan Dan Paich stehen städtebauliche Utopien in ideengeschichtlicher und künstlerischer Sichtung. Unter dem Titel »Future of the Past« stellt er drei urbanistische Zukunftsvisionen vor, deren Strukturmuster er auf Äquivalenzen und Differenzen hin vergleicht. Dabei handelt es sich um Thomas Campanellas »City of the sun«, um Ebenezer Howards »Garden Cities of To-morrow« sowie um Paichs eigene Zukunftsentwürfe. Diese präsentierte er im Jahr 1975 anlässlich einer Ausstellung in der britischen Stadt Letchworth, deren bauliche Realisierung auf Howards

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utopischen Plänen beruht. Angesichts der Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Wahrscheinlichkeiten von Vorhersagen fragt Paich grundsätzlich nach der Gestaltbarkeit von Zukunft. Felicitas Schmieder behandelt in ihrem Beitrag über »Zukunftswissen im mittelalterlichen Lateineuropa« das Thema der Endzeitprophezeiung. Sie beleuchtet die seit der Spätantike bestehenden Bemühungen der Christen, die Zeit vor dem prophezeiten Ende aktiv zu nutzen. Schmieder zeigt, wie man die gesellschaftlichen Nutzungs- und Handlungsspielräume zu erweitern suchte, um eine politisch und moralisch bessere Welt bereits in der Gegenwart beginnen zu lassen. Als Agenten dieser Diesseitsorientierung benennt sie Endzeitpropheten, welche ihre apokalyptischen Voraussagen unter Aufbietung eines dezidiert eschatologischen Vokabulars auf die jeweils gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und die regionale Politik abstimmten. Sinkwan Cheng untersucht das Eindringen der westlichen Prognosekultur in die chinesische Gesellschaft und Politik, und sie legt dar, wie tiefgreifend dieser Einfluss die chinesische Sprache und das chinesische Denken verändert hat. Chengs Beobachtung nach haben Übersetzungen westlicher Texte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts neue zeitliche Dimensionen in die bis dahin temporal indifferente chinesische Sprache eingeführt und damit ein Bewusstsein für die Linearität der Zeit geschaffen. Westlich konnotierte Begriffe wie Fortschritt, Dynamik oder Entwicklung führten zu einer Verzeitlichung der Sprache und zu einem weltanschaulichen Wandel. Sie transportierten neue Zukunftsvorstellungen und hatten bedeutsamen Anteil an der Modernisierung Chinas. Gedankt sei an erster Stelle den Autorinnen und Autoren dieses Bandes für ihre Beiträge und für die inspirierte und inspirierende Zusammenarbeit. Zu den Herausgebern stieß zunächst in lektorierender und schließlich auch in organisatorischer Funktion Michael Geuenich hinzu, dessen Expertise und persönlicher Einsatz mit der trockenen Umschreibung einer redaktionellen Mitarbeit nicht annähernd gewürdigt wären. Nicht zuletzt ihm verdankt der Band sein Gesicht. Der transcript

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Verlag hat die Realisierung angenehm und professionell begleitet. Die Gesellschaft für Volkskunde Münster und das Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie in Münster haben zur Drucklegung dankenswerterweise finanziell beigetragen.

Prognosekulturen an Finanzmärkten E KATERINA S VETLOVA , K ARL-H EINZ T HIELMANN

W AS IST PARADOXAL AN DEN W IRTSCHAFTSPROGNOSEN ? Es ist ein alljährliches Ritual. Zum Jahresende können wir in den Zeitungen die Prognosen der Anlagestrategen von Banken und Investmentfirmen lesen. Sie teilen uns mit, wie sich ihrer Ansicht nach die Zinsen sowie die Kurse von Aktien, Währungen und Rohstoffen entwickeln werden. Manchmal können wir auch noch ihre missglückten Vorhersagen vom Vorjahr begutachten, meist mit einem hämischen Kommentar versehen, dass sie ja wohl dieses Mal wieder völlig schief gelegen haben. In der Tat zeigt die Vergangenheit, dass es praktisch nie gelingt, die Entwicklungen an den Kapitalmärkten richtig vorherzusagen. Die Unfähigkeit der Ökonomen und Finanzmarktexperten, genaue Vorhersagen zu liefern, haben auch die wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt.1 Nassim Taleb fand diesen Umstand einfach »skan1

Vgl. Betz, Gregor: Prediction or Prophecy? The Boundaries of Economic Foreknowledge and Their Socio-Political Consequences, Wiesbaden 2006; Montier, James: Behavioural Investing. A Practitioners Guide to Applying Behavioural Finance, Chichester 2007; Spiwoks, Markus/Bedke, Nils/Hein,

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dalös«2: Er nannte die Prognostiker auf den Märkten »leere Anzüge«3, weil sie Vorhersagen machen, immer falsch liegen, aber nie zugeben, dass sie einfach nicht imstande sind zu prognostizieren. Sie müssten sich nach einem anderen Job umschauen, so Taleb.4 Die Gründe, warum Wirtschaftsprognostiker sich nach einem anderen Job umschauen sollten, wurden in der Literatur ausführlich diskutiert. 5 Ökonomische Ereignisse sind einmalig, sie wiederholen sich nicht, insbesondere weil sie sozialer Natur sind. Soziale Ereignisse wie Revolutionen oder technologische Innovationen können nicht vorhergesagt werden, weil sie komplex und nicht linear sind; kollektive menschliche Handlungen haben oft unvorhersehbare Konsequenzen,6 unter anderem weil sie oft die Umstände verändern, unter denen gehandelt wird; das gilt für alle strategischen Situationen wie Schach aber auch für die Finanzmärkte.7 Taleb fasste es so zusammen: »Prediction requires knowing about technologies that will be discovered in the future. But that very knowledge would almost automatically allow us to start developing those technologies right away. Ergo, we do not know what we will

Oliver: »Topically Orientated Trend Adjustment and Autocorrelation of the Residuals – An Empirical Investigation of the Forecasting Behavior of Bond Market Analysts in Germany«, in: Journal of Money, Investment and Banking 14 (2010), S. 16-35. 2

Taleb, Nassim Nicholas: The Black Swan. The Impact of the Highly Improbable. New York 2007, S. 137.

3

Ebd., S. 145.

4

Vgl. ebd., S. 163.

5

Für einen Überblick vgl. Betz (wie Anm. 1).

6

Vgl. Popper, Karl Raimund: The Poverty of Historicism, London 2002.

7

Vgl. Shackle, George L.S.: Expectations in Economics, Cambridge 1949 sowie Shackle, George L.S.: Uncertainty in Economics and Other Reflections, Cambridge 1955.

P ROGNOSEKULTUREN AN FINANZMÄRKTEN | 19

know.« Das heißt, »[…] to understand the future to the point of being able to 8

predict it, you need to incorporate elements from this future itself.«

Da die Elemente der Zukunft, die für eine erfolgreiche Vorhersage notwendig sind, nicht bekannt sind, sind die Prognosen sehr schwierig. Genau dies wissen auch die Prognostiker; trotzdem geben sie jedes Jahr erneut Prognosen ab. Die Analyse der abgegebenen Prognosen deckt gewisse auf den ersten Blick unverständliche Gemeinsamkeiten auf, die in diesem Artikel untersucht werden. Paradox erscheint zum Beispiel, dass immer wieder sehr genaue kurzfristige zeitpunktbezogene Prognosen gemacht werden, die die Form einer Zahl (manchmal bis zur zweiten Nachkommastelle) annehmen, und das, obwohl Prognosen unmöglich sind. Warum denn sich auf eine Zahl festlegen? Weiterhin ist auffallend, dass Prognostiker in dem Finanzmarkt viel öfter auf die Ereignisse setzen, die – statistisch gesehen – eher unwahrscheinlich sind, und hiermit die Erfolgsquote ihrer Prognosen mindern. Darüber hinaus fällt eine relativ starke Gleichförmigkeit der Prognosen auf: Die meisten Analysten sind ›vorsichtige Optimisten‹, die einen moderaten Anstieg der Kurse erwarten; einige wenige sind ›mahnende Warner‹, die den Weltuntergang vorhersagen. Wir illustrieren im Folgenden diese Paradoxien am Beispiel der jährlichen Performance des deutschen Aktienindex DAX seit 1990. Von André Kostolany stammt ein schönes Bild, in dem er Wirtschaft und Börse mit einem Spaziergänger vergleicht, der mit seinem Hund einen Weg entlang geht.9 Wie der Spaziergänger vorankommt, ist schon nicht ganz einfach vorherzusagen. Es gibt zwar Faktoren, die man kennt und deshalb gut einschätzen kann, so z.B. sein Alter und die Beschaffenheit des Schuhwerks, ob er trainiert oder unsportlich und ob er motiviert oder lustlos ist. Viel schwieriger ist es, die Beschaffenheit des Weges einzuschätzen, der noch vor ihm liegt. Ist der Weg gerade

8

Taleb (wie Anm. 2), S. 172.

9

Vgl. Kostolany, André: Das ist die Börse, Stuttgart 1962.

20 | S VETLOVA/THIELMANN

und flach oder gibt es Hindernisse, die man überwinden bzw. umgehen muss? Allerdings kann man davon ausgehen, dass der Spaziergänger zumindest die eingeschlagene Richtung weiter verfolgt. Wie der Hund vorankommt, ist praktisch unmöglich vorherzusagen. Mal läuft er voraus, mal bleibt er lange zurück. Mal verschwindet er im Gebüsch, mal geht er eng bei seinem Herrchen. Vielleicht lässt er sich auch von einem anderen Hund ablenken. Bleibt er beharrlich zurück, zwingt er gelegentlich den Spaziergänger sogar zu einem kurzen Halt. Der Mann ist ein Bild für die Gesamtwirtschaft, der Hund für die Börse. Der Spaziergänger folgt einem relativ stabilen Ablauf, hat aber mit Unterbrechungen zu kämpfen. Dies ist schon schwer vorherzusagen, wie die vielen ungenauen Konjunkturprognosen jedes Jahr belegen. Mit einer Prognose für den Jahresendstand eines Aktienindex müssen die Anlagestrategen aber den Weg des Hundes vorhersagen, der völlig erratisch umherläuft. Dies ist kurzfristig praktisch unmöglich; eine Prognosezahl bis zur zweiten Nachkommastelle wird wegen der hohen unvorhersehbaren Schwankungen fast immer von dem realisierten Wert abweichen. Wenn man genauer die Wertentwicklung des DAX in den vergangenen 22 Jahren betrachtet (Tab. 1), so stellt man fest, dass es sieben Verlustjahre (ca. 1/3 aller Jahre) und 15 Gewinnjahre (ca. 2/3) gab. Die nominale Rendite lag im arithmetischen Mittel bei 11,3% p.a. Im geometrischen Mittel, welches die langfristige Zuwachsrate besser beschreibt, lag sie bei 8% p.a. Bereinigt um die Inflationsentwicklung ergibt dies im geometrischen Mittel eine reale Wertsteigerung von ca. 6% jährlich. Diese Durchschnittsrendite entspricht auch in etwa dem unteren Ende der realen jährlichen Durchschnittsrenditen zwischen 4,9% und 9,5% für deutsche Aktien, die von Forschern der London Business

P ROGNOSEKULTUREN AN FINANZMÄRKTEN | 21

School in »The Millenium Book«10 für die 20-jährigen Zeiträume zwischen 1950 und 2000 (mit einer Ausnahme) ermittelt worden sind. Tabelle 1: Jährliche DAX-Renditen von 1991-2012 (eigene Darstellung) Inflationsnominal

rate

real

12,9%

2,6%

10,3%

1992

-2,1%

5,0%

-7,1%

1993

46,7%

4,4%

42,3%

1994

-7,1%

2,8%

-9,9%

1995

7,0%

1,8%

5,2%

1996

28,2%

1,4%

26,8%

1997

46,2%

1,9%

44,3%

1998

18,4%

1,0%

17,4%

1999

39,1%

0,6%

38,5%

2000

-7,5%

1,4%

-8,9%

2001

-19,8%

1,9%

-21,7%

2002

-43,9%

1,5%

-45,4%

2003

37,1%

1,0%

36,1%

2004

7,3%

1,7%

5,6%

2005

27,1%

1,5%

25,6%

2006

22,0%

1,6%

20,4%

2007

22,3%

2,3%

20,0%

2008

-40,4%

2,6%

-43,0%

2009

23,8%

0,4%

23,4%

2010

16,1%

1,1%

15,0%

2011

-14,7%

2,3%

-17,0%

2012

29,1%

2,0%

27,1%

ø

11,3%

2,0%

9,3%

1991

10 Vgl. Dimson, Elroy/Marsh, Paul/Staunton, Mike: The Millenium Book. A Century of Investment Returns, London 2000.

22 | S VETLOVA/THIELMANN

Diese Zahl – real 6% – dürfte somit auch ein realistischer Schätzwert für die durchschnittliche jährliche Wertentwicklung deutscher Aktien in Friedenszeiten sein. Abbildung 1: Jährliche DAX-Renditen von 1991-2012: Abweichungen vom Mittelwert (eigene Darstellung) Anzahl Jahre 9 8 7

6 5 4 3 2

1 0 Abweichung max. negative negative 10% Abweichung mehr Abweichung als -30% zwischen -30% und -10%

positive Abweichung zwischen 10% und 30%

positive Abweichung mehr als 30%

Insofern sollte man – oberflächlich betrachtet – meinen, dass eine moderate Prognose einer Renditesteigerung von ungefähr 3 bis 10% jährlich für den Aktienmarkt gar nicht so falsch sein kann. Allerdings ist bemerkenswert, wie stark die realisierten Indexwerte für die einzelnen Jahre von den Durchschnittswerten abweichen. Lediglich in zwei Jahren (1995 und 2004) lag die tatsächliche Rendite innerhalb dieser Zone von 3 bis 10% (Abb. 1). In nur vier Jahren war die Rendite weniger als 5% von der Durchschnittsrendite entfernt. Hingegen gab es acht Jahre, in denen die Wertentwicklung mehr als 20% vom Durchschnittswert abwich. Aufgrund dieser starken Schwankungen ist es also relativ unwahrscheinlich, dass ein Durchschnittsergebnis bei einer Renditeprognose herauskommt. Es ist sogar

P ROGNOSEKULTUREN AN FINANZMÄRKTEN | 23

wahrscheinlicher, dass es zu einer deutlichen Abweichung von dem Durchschnittsergebnis kommt. Weiterhin fällt auf, dass es genauso viele Jahre mit Renditeschwankungen über 40% (sog. fat tails) gab wie Jahre, in denen halbwegs durchschnittliche Renditen erwirtschaftet wurden. Die Durchschnittsrendite kam also genau so häufig vor wie ein extremer Ausschlag. Die negativen Jahre hatten einen Kursverlust von durchschnittlich 19,4%. Nur ein Verlustjahr (2001) kommt in die Nähe dieses Durchschnittswertes. In fast einem Drittel der Verlustjahre waren die Einbußen über 40%. In schlechten Jahren gab es also mehr fat tails als Durchschnittsergebnisse. In Jahren mit Kursgewinnen betrug die Durchschnittsrendite 25,6% p.a. Immerhin lagen sechs von 14 Gewinnjahren in der Nähe dieses Durchschnittswertes, vier allerdings auch mehr als 10% darüber. In zehn der betrachteten 22 Jahre hat der DAX ein Anlageergebnis von mehr als 20% erwirtschaftet. Für einen Analysten, der am Jahresanfang einen Wertgewinn von 20% und mehr für den Aktienmarkt schätzt, ist also die Wahrscheinlichkeit richtig zu liegen ca. vierfach so groß wie für einen Strategen, der eine Performance von 3 bis 10% schätzt. Schaut man sich allerdings die Prognosen der Börsenexperten genauer an, so stellt man eine erstaunliche Tatsache fest: In jedem Jahr sagt die überwiegende Anzahl der Spezialisten für ihren Aktienmarkt eine Kurssteigerung von ca. 3 bis 10% vorher. So finden sich für das Jahr 2013 die meisten Prognosen laut einer »Handelsblatt«-Umfrage in einem Bereich von 7.800 bis 8.400.11 Für den DAX zum Jahresende 2013 liegt die durchschnittliche Schätzung bei 8.029, also einem Plus von ca. 5,5%. Zwar gibt es für dieses Ergebnis immer die unterschiedlichsten Argumente, es kommen aber paradoxerweise immer solche ähnlich moderaten Vorhersagen heraus. Nur gelegentlich wagt sich einmal ein Pessimist mit einer negativen Prognose heraus, wie in

11 Vgl. Kokologianis, Georgios/Landgraf, Robert/Sommer, Ulf: »Dax-Rally geht weiter«, in: Handelsblatt vom 02.01.2013, S. 4-5.

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diesem Jahr die Saxo-Bank mit der Prognose für den DAX von 5.000.12 Vorhersagen, dass der Aktienmarkt 20% oder noch mehr zulegen könnte, werden nur von Außenseitern geäußert und sind wieder sehr selten. Das sind alles interessante, wenn nicht in der Tat paradoxale Patterns, denen wir in diesem Artikel auf den Grund gehen wollen. Trotz der fundamentalen Einsicht, dass Prognosen, insbesondere kurzfristige, so gut wie unmöglich sind, wird oft sehr präzise vorhergesagt: Es reicht, wie erwähnt, ein kurzer Blick in die Zeitungen am Jahresende. Warum finden wir nach wie vor Prognosen, die eine genaue Zahl darstellen, obwohl klar ist, dass diese Zahl sich so gut wie nie realisiert? Weiterhin sind die Wirtschaftsvorhersagen auffallend gleichförmig, orientieren sich an den historischen Durchschnitten, obwohl die Statistik zeigt, dass diese Prognosen – im Vergleich zu ›Ausreißern‹ – eine sehr niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Warum werden also Prognosen mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit so stark vermieden? Warum sind sie in ihrer Masse so auffallend ähnlich? Diesen Phänomenen gehen wir auf den Grund, indem wir den Begriff von ›Prognosekulturen‹ einführen und behaupten, dass diese Kulturen die Form und Genauigkeit der Vorhersagen in den Finanzmärkten stark beeinflussen (Abschnitt 2). Wir unterscheiden zwischen ›Show-Kultur‹ und ›Ergebnis-Kultur‹. Die öffentlichen Prognosen werden meistens im Rahmen der ›Show-Prognosekultur‹ gemacht. Diese Prognosen werden dem Publikum (auf der »Vorderbühne« im Sinne von Goffman)13 präsentiert und wesentlich von den Erwartungen des Publikums mitbestimmt. Wir zeigen, wie diese Erwartungen die

12 Vgl. Deutsche Wirtschafts Nachrichten: »Saxo Bank: ›Welt-Finanzsystem befindet sich bereits im Zustand wie zu Kriegszeiten‹« vom 28.12.2012. URL: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2012/12/28/saxo-bank-welt -finanzsystem-befindet-sich-bereits-im-zustand-wie-zu-kriegszeiten vom 19. 11.2014. 13 Vgl. Goffman, Erving: The presentation of self in everyday life, Garden City 1959.

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Zahlenform und die Gleichförmigkeit von Prognosen bedingen (Abschnitt 3). In einer ›Ergebnis-Kultur‹, wo Vorhersagen ›hinter der Bühne‹ formiert und in der Regel nicht kommuniziert werden, sondern eher der internen Entscheidungsfindung dienen, nehmen Prognosen die Form eines Trends, einer Abschätzung der Marktdynamik an und bleiben oft unpräzise (Abschnitt 4). Um diese zwei Prognosearten – eine genaue Prognose als Zahl und eine ungenaue als Trendaussage – voneinander abzugrenzen, schlagen wir eine begriffliche Unterscheidung zwischen Prognose und Vorhersage vor.

P ROGNOSEKULTUREN In unserem Ansatz folgen wir der Tradition des sich gerade etablierenden Zweigs der Wirtschaftssoziologie, nämlich den Social Studies of Finance, und behaupten, dass die genaue Beobachtung der ›Praktiken der Prognoseproduktion und –kommunikation‹, der Prognosekulturen (forecasting cultures), einen Aufschluss darüber geben kann, warum und wie in den Finanzmärkten vorhergesagt wird. Genauso wie heutzutage von den Wissenskulturen (epistemic cultures) als Praktiken der Wissensherstellung und des Wissensgebrauchs gesprochen wird, 14 so ist es wichtig zu fragen, wie Prognosen – in den konkreten Marktsituationen von konkreten Wirtschaftsakteuren – gemacht, kommuniziert und wahrgenommen werden. Was bedeuten Prognosen für die Akteure? Warum ignorieren sie so oft die Unmöglichkeit der Vorhersagen? Ist das ein Teil der Prognosekultur? Was sind weitere Elemente dieser Kultur? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, wurde eine empirische Untersuchung durchgeführt. Die Datenbasis bilden 28 problemorientierte Interviews mit einer Gruppe professioneller Anleger an den Finanzmärkten, vorwiegend Portfoliomanagern, die in Investmenthäu-

14 Vgl. Knorr-Cetina, Karin: Wissenskulturen. Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen, Frankfurt a.M. 2002.

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sern in Frankfurt am Main und in Zürich tätig sind. Portfoliomanager beschäftigen sich mit der langfristigen Anlage von Kundengeldern in Wertpapieren, um für ein bestimmtes Investmentprofil maximale Rendite zu erwirtschaften. Das Geld wird in Form von Investmentfonds (auch Portfolios genannt) angelegt, die sich nach der Art der Wertpapiere (Aktien, Anleihen etc.) unterscheiden. In den Interviews wurden die Portfoliomanager der Aktienfonds verschiedener Ausrichtungen (europäische Aktien, Small/Mid Caps, Emerging Markets) sowie ein Portfoliomanager für den Rentenmarkt befragt. Ergänzend liegen der Untersuchung die Daten zugrunde, die während einer teilnehmenden Beobachtung in der Asset-ManagementAbteilung einer Schweizer Privatbank gesammelt wurden. Das sind vor allem Aufzeichnungen und Transkriptionen interner Sitzungen wie zum Beispiel morning meetings und Anlageausschusssitzungen sowie die Diskussionen mit externen Experten. Schriftliches Material – interne und externe Analysen, Mitteilungen, Newsletters – wurde während des Aufenthalts ebenso gesammelt und später ausgewertet. Die Auswertung der Interviews, der Feldnotizen, der Beobachtungsprotokolle und der Dokumente erfolgte nach den Prinzipien der Grounded Theory.15 Die empirische Analyse erlaubte, die Praktiken der Vorhersagen detailliert zu beobachten und den Begriff der Prognosekulturen zu verdichten. Die Prognosekulturen sind so organisiert, dass sie ihren Teilnehmern erlauben, sinnvoll über die Zukunft zu sprechen und von diesen Diskursen zu profitieren. Die Prognostiker wie auch die Rezipienten der Prognosen benutzen eine bestimmte Rhetorik und zeigen Verhaltensmuster, die die Form und die Reichweite der Prognosen im Wesentlichen erklären. Wir haben herausgefunden, dass sich Prognosekulturen – je nachdem, wie die Vorhersagen produziert und präsentiert werden – unterscheiden. Es gibt Kulturen, in denen Vorhersagen ausschließlich zum

15 Vgl. Corbin, Juliet M./Strauss, Anselm L.: Basics of qualitative research: techniques and procedures for developing grounded theory, 3. Aufl., Los Angeles 2008.

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Zwecke der Präsentation gemacht werden, d.h. für eine Audienz, die diese Prognosen für die eigenen Entscheidungen benutzt (zum Beispiel liefern Volkswirte und Wertpapieranalysten den Portfoliomanagern Prognosen, die sie dann zurate ziehen, um zu entscheiden, in welche Wertpapiere sie das Geld investieren). Wir nennen diese Art der Prognoseproduktion ›Show-Prognosekulturen‹. Und es gibt Kulturen, wo Vorhersagen sozusagen für den eigenen Gebrauch, als Basis für die eigenen Handlungen produziert werden (zum Beispiel bilden die Portfoliomanager eigene Prognosen, die sie nicht kommunizieren müssen, sondern direkt in die Entscheidungen umwandeln). Das sind die ›Ergebnis-Kulturen‹. Wir werden zeigen, dass die Form der Prognosen – eine zeitbezogene Punktprognose oder eine ›ungenaue‹ Trendprognose – von der Art der Prognosekultur abhängt, in der sie produziert werden. Um diese Unterscheidung der Prognosekulturen theoretisch zu verankern, schlagen wir vor, auf die Theatermetapher von Goffman zurückzugreifen.16 Einige Autoren haben bereits Prognosen in den Märkten aus dieser interaktionistischen Perspektive betrachtet.17 Sie haben sich vorwiegend auf die Bedeutung von Status für die Analysten und die Wege der Statusproduktion in dem Präsentationsmodus (auf der Vorderbühne) konzentriert. Wir möchten diese Perspektive erweitern, indem wir erstens die interaktiven Elemente, insbesondere sozial bestimmte Situationsregeln des Prognoseprozesses, empirisch untersuchen und uns zweitens auch dem Verlauf der Vorhersagenerstellung

16 Vgl. Goffman (wie Anm. 13). 17 Vgl. Giorgi, Simona/Weber, Klaus: »Marks of distinction: Presentation style as a source of status among security analysts«, Working paper, Columbia Business School 2007. URL: http://www4.gsb.columbia.edu/null/ download?&exclusive=filemgr.download&file_id=7231 vom 19.11.2014 sowie Reichmann, Werner: »›Epistemic Participation‹ – Economic forecasts and the new relationship between scientific subjects and objects«, Paper im Rahmen des 105th Annual Meeting der American Sociological Association, Atlanta (USA), 14.-17.08.2010.

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auf der »Hinterbühne« widmen, was in der Literatur bis jetzt noch nicht explizit gemacht wurde. Auf diesem Wege versuchen wir, die in der Einleitung angesprochenen Prognoseparadoxien zu erklären.

P ROGNOSTISCHE S HOW -K ULTUREN ODER P ROGNOSEN AUF DER V ORDERBÜHNE Viele Prognostiker präsentieren ihre Vorhersagen dem Publikum auf der Vorderbühne (in der Presse, in TV-Sendungen, auf Roadshows etc.). Die Absicht auf der Vorderbühne ist, einen Eindruck (impression) zu machen und so das Publikum zu überzeugen, die präsentierten Ansichten zu teilen. Die Analysten wollen einen Einfluss ausüben, und die Stärke dieses Einflusses hängt von dem Status der Analysten ab.18 Giorgi und Weber demonstrieren überzeugend, dass eine wichtige Quelle des Status der Präsentationsstil ist; sie zeigen, wie die Audienz – je nachdem wie präsentiert wird – über die Relevanz der Prognosen und die Bedeutung der Darsteller urteilt; für die Analysten ist deswegen der Präsentationsstil das Instrument, die Beurteilung des Publikums zu beeinflussen.19 Insbesondere zeigen Giorgi und Weber, dass sich der Status des Prognostikers vergrößert, je mehr sich der Präsentationsstil eines Analysten den Erwartungen der Kapitalanleger (oder allgemein: des Publikums) anpasst. Deswegen bemühen sich die Vorhersager im Rahmen dieser ›Show-Prognosekultur‹, den Stil und die Form ihrer Prognoseleistung so zu regulieren, dass sie das »Eindrucksmanagement«20 auf der Vorderbühne erfolgreich bewältigen. Die Erwartungen des Publikums bedingen aber nicht nur, wie die Vorhersagen präsentiert, sondern auch wie sie produziert werden. Die 18 Vgl. Aspers, Patrik/Beckert, Jens: »Value in Markets«, in: Jens Beckert/ Patrik Aspers (Hg.), The Worth of Goods. Valuation and Pricing in the Economy, New York 2011, S. 3-40, hier S. 20. 19 Vgl. Giorgi/Weber (wie Anm. 17), S. 2. 20 Goffman (wie Anm. 13).

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inszenierte Anhänglichkeit an Publikumserwartungen auf der Vorderbühne bestimmt sowohl die Form als auch die Qualität der Vorhersagen. Das Publikum erwartet nämlich, dass eine genaue numerische Vorhersage geliefert wird. Hierzu eine charakteristische Aussage eines Finanzmarktprognostikers (Abteilung Tactical Asset Allocation, Zürich) in Bezug auf die Renditevorhersage: »Was man von mir erwartet, ist ein Punkt-Forecast, es ist ein Point Estimator, und zwar ein Vektor zu einem Zeitpunkt in einer bestimmten Höhe, über den ich eine Aussage treffen soll.« Die Phrase »Was man von mir erwartet« bezieht sich auf die Audienz, der die Vorhersage präsentiert wird; der Prognostiker ist sich also der Erwartung der Audienz, eine präzise numerische Vorhersage zu bekommen, voll bewusst und orientiert sich danach. Diese Erwartung ist mit dem implizierten kulturellen Glauben an die wissenschaftliche, ernste und zuverlässige Natur von Zahlen verbunden.21 Das ist auch ein Ausdruck des modernen Wunsches nach klarem Wissen in dem Wirtschaftsfeld.22 Man glaubt, dass Zahlen Verwirrungen und Zweideutigkeiten ausschließen. Um die Erwartungen des Publikums zu erfüllen, bemühen sich die Wirtschaftsanalysten, ihre Vorhersagen starr, formell, zahlenorientiert und künstlich genau erscheinen zu lassen. Weil es auf der Vorderbühne Konvention ist, eine wissenschaftlich gerechtfertigte und eindeutige Definition der Situation zu präsentieren, werden Unklarheiten und Unwissenheit heruntergespielt und größtenteils ausgeschlossen. In den Meetings zwischen Portfoliomanagern (Audienz) und den Wertpapieranalysten (Darsteller der Prognosen) wurde zum Beispiel oft beobachtet, dass, sobald die Analysten anfingen, die sich widersprechenden Argumente darzustellen und hiermit unpräzise zu werden, die Portfolio-

21 Vgl. Porter, Theodore M.: Trust in numbers. The pursuit of objectivity in science and public life, Princeton 1995. 22 Vgl. Zaloom, Catlin: »How to read the future: The yield curve, affect, and financial prediction«, in: Public Culture 21, 2 (2009), S. 245-268, hier S. 245.

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manager oft die Diskussion mit der Frage beendeten: »So, what is your target price?« Das Publikum erwartet eine in Zahlen ausgedrückte Vorhersage; zum Beispiel »am Ende des Jahres wird die Inflationsrate 4% sein« oder »der Zielkurs für eine Aktie ist 101 $ in einem Jahr«. Solche numerischen Behauptungen werden gewöhnlich, wie schon erwähnt, durch die Spezifizierung eines Zeitraumes begleitet (d.h. wann das vorhergesagte Ereignis eintreffen soll). Verbunden mit diesem Wunsch nach der Präzision ist der Wunsch nach der Präsentation von nur einem möglichen Szenario. Zum Beispiel, wie unsere empirische Forschung in der schweizerischen Bank demonstriert, wird die Diskussion von mehreren wirtschaftlichen Szenarien in den Strategiemeetings von Bankvolkswirten größtenteils gemieden: Die alternativen Szenarien werden zwar erwähnt (zum Beispiel waren das Anfang 2008 ›keine‹, ›moderate‹ oder ›starke‹ Rezession für die USA), allerdings wird nur ein Szenario detailliert dargestellt und besprochen (nämlich die »moderate« Rezession). Die Argumente werden an das präsentierte Szenario ›angepasst‹. In diesem Sinne sind die Produktion von numerischen Vorhersagen, die genaue Angabe des Zeitpunktes des Eintretens und die Konzentration auf nur ein Szenario Elemente der ›Show-Prognosekultur‹. Weiterhin scheinen die Erwartungen des Publikums sogar die Bandbreite der Prognosen mitzubestimmen, indem die ›Zuschauer‹ Analysten in bestimmten ›Rollen‹ akzeptieren und belohnen, in den anderen aber ablehnen. So bevorzugt das Publikum anscheinend die vorsichtig erscheinenden Anlageexperten. Die moderat positiven Vorhersagen von 3 bis 10% sind mit der Rolle eines ›vorsichtigen Optimisten‹ vereinbar, die bei dem Publikum sehr populär ist. Dabei finden sich Analysten auf einer ›sicheren‹ Seite, was ihr Wohlbefinden und ihre Karriere betrifft. Sie minimieren im Fall der moderaten Prognosen ihre kognitiven Dissonanzen (zum Beispiel vermeiden sie die permanente Angst, sich zu irren, die mit einer radikalen, öffentlich kommunizierten Prognose meist verbunden ist). Die Analysten orientieren sich in ihrem Verhalten an der berühmten Weisheit John Maynard Keynes’:

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»[I]t is better for reputation to fail conventionally than to succeed unconventionally.«23 Wenn Analysten von vornherein wissen, dass ihre Prognose nur falsch sein kann und sie sie trotzdem kommunizieren müssen, ist es völlig rational, sich dem Konsensus anzunähern, da dann alle gleichmäßig falsch sind und man nicht Gefahr läuft, sich durch eine besonders falsche Vorhersage stark zu blamieren. Gleichzeitig wagen sich einige Analysten in die Rolle des ›mahnenden Warners‹. Es gelingt einigen von ihnen – allerdings nur, wenn ihre düstere Vorhersage sich einmal bewahrheitet hat – einen hohen Status im Markt zu erlangen. Einige Strategen werden inzwischen so stark auf die Rolle des ›mahnenden Warners‹ festgeschrieben, dass sie in der Öffentlichkeit unter Spitznamen wie ›Dr. Doom‹ Nouriel Roubini wahrgenommen – und geachtet – werden. Wie man auf dem Ruf eines Crash-Propheten ein ganzes Berufsleben aufbauen kann, zeigt das Beispiel von Elaine Garzarelli, die 1987 als einzige Anlagestrategin den Oktobercrash vorhersagte. Sie war zwar mit ihren Prognosen insgesamt wenig erfolgreich und leistete sich in den Jahren nach 1987 einige spektakuläre Fehleinschätzungen (z.B. 2003, als sie auf dem Tiefpunkt des Marktes weitere schlechte Zeiten vorhersagte).24 Ein auf der Basis ihrer Prognosen aufgebauter Investmentfonds zeigte nur eine sehr mäßige Performance und wurde nach einigen Jahren wieder eingestellt. 25 Dennoch wurde sie aber in der Folge ihres Prognoseerfolges 1987 in Leserumfragen elf Jahre lang als

23 Keynes, John Maynard: »The General Theory of Employment, Interest and Money«, in: John Maynard Keynes, Collected Writings of John Maynard Keynes, Bd. 7, London 1973 [1936], hier S. 158. 24 Vgl. Business Week Online: »Elaine Garzarelli: It’s All in the Timing« vom 24.03.2003. URL: http://www.businessweek.com/bw50/content/mar 2003/a3826051.htm vom 19.11.2014. 25 Vgl. Norris, Floyd: »Garzarelli Is Ousted by Lehman«, in: The New York Times vom 27.10.1994. URL: http://www.nytimes.com/1994/10/27/business/ garzarelli-is-ousted-by-lehman.html?scp=1&sq=Elaine%20Garzarelli&st=cse vom 19.11.2014.

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Top-Quantanalystin vom »Institutional Investor« geführt26 und gehörte lange zu den bestbezahlten Strategen an der Wall Street. Die Prognostiker, die betont negative Vorhersagen machen, setzen auf den erhöhten Aufmerksamkeitswert von Verlustprognosen. Verluste werden von Anlegern viel stärker wahrgenommen als gleich hohe Gewinne. Dieses aus den Behavioral Economics bekannte Phänomen führt zur sogenannten Verlustaversion.27 Anleger haben Angst, Verluste zu machen, und wenn sie welche machen, fürchten sie, sich diese einzugestehen. Prognostiker können also eine erhöhte Aufmerksamkeit erwarten, wenn sie ihr Publikum vor hohen Verlusten warnen. Die Prognose für einen Kursanstieg von 15% und höher hingegen würde den Prognostiker als leichtsinnig und übertrieben optimistisch erscheinen lassen, auch wenn sie eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 50% hat. Seltsamerweise werden sehr optimistische Prognosen vom Publikum als nicht wissenschaftlich und unseriös angesehen. Dies hat möglicherweise damit zu tun, dass Renditen von 15% jährlich oder mehr in der Regel von Anbietern unseriöser Kapitalanlagen versprochen werden. Zusammenfassend sei angemerkt, dass in den Prognosekulturen, wo Prognosen öffentlich kommuniziert werden müssen, vor allem die (inszenierte) Wissenschaftlichkeit und Seriosität als Gütekriterien und auch als Statusquellen für Analysten gelten. Dies bedingt, dass Vorhersagen eine Zahlenform annehmen und gleichförmig sind, indem sie eher in einem moderat positiven Bereich liegen.

26 Vgl. Norris (wie Anm. 25). 27 Vgl. Kahneman, Daniel/Knetsch, Jack L./Thaler, Richard H.: »Anomalies. The Endowment Effect, Loss Aversion, and Status Quo Bias«, in: The Journal of Economic Perspectives 5, 1 (1991), S. 193-206.

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P ROGNOSTISCHE E RGEBNIS -K ULTUREN UND S TRATEGIEN DER P ROGNOSEVERMEIDUNG Anders ist es in den Prognosekulturen, wo Prognosen unsichtbar bleiben können. Nach Goffman können die Schauspieler ihre Rollen, die sie auf der Vorderbühne spielen oder spielen würden, hinter der Bühne fallen lassen, weil das Publikum dort nicht zugelassen ist. Im Fall der Finanzvorhersagen bedeutet das, dass ein Eindruck der Allwissenheit, der Präzision und der vollkommenen Voraussicht auf der Hinterbühne nicht erzeugt zu werden braucht.28 In der Tat werden die dort stattfindenden Diskussionen über die Zukunft durch weniger formelle Anforderungen charakterisiert; eine Darstellung der Situation als unsicher und nicht eindeutig ist zulässig. Die Prognosen nehmen auf der Hinterbühne eine andere Form an. Die Interviews demonstrieren, dass Finanzmarktspezialisten, die ihre Vorhersagen nicht öffentlich kommunizieren, Wirtschaften als nichtstationär und kompliziert sowie die Wirtschaftsereignisse als einzigartig und nicht wiederholbar betrachten. Sie gehen davon aus, dass solche Ereignisse nicht genau vorausgesagt werden können, deswegen streben sie auch nicht an, eine präzise Zahl oder einen genauen Zeitpunkt mit den künftigen Ereignissen zu verbinden. Ein Beispiel: In den Besprechungen zukünftiger Wirtschaftsentwicklungen intern mit den Teams (in den morning meetings oder in den Anlageausschusssitzungen) drücken Portfoliomanager eine eindeutige Skepsis bezüglich der prognostischen Punkt-Schätzungen aus und versuchen stattdessen, ihren Prognosen eine andere Form zu geben. Vorhersagen sind keine Zahlen mehr, sondern Aussagen über den Trend, über die mögliche Marktdynamik. Solche Prognosen liegen in den Augen der Marktspezialisten im Bereich des Machbaren; sie können realistisch sein. Zum Beispiel hat der schon oben zitierte Finanzanalyst (Abteilung Tactical Asset Allocation, Zürich) – nachdem er zugegeben hat, dass man sich den Erwartungen des Publikums, eine Prognosezahl zu liefern, grund28 Vgl. Goffman (wie Anm. 13).

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sätzlich fügen muss – betont, dass er so eine Prognose nicht ernsthaft abgeben kann: »Ich kann nur sagen, wie viel Potential hat der Markt […] ob er ihn heute hat oder in drei Wochen oder in drei Jahren, keine Ahnung […].« Grundsätzlich geben sich die Finanzmarktexperten auf der Hinterbühne mit einer weniger genauen Prognose zufrieden: »Prognose heißt […] eben nicht eine bestimmte Zahl, sondern eine bestimmte Dynamik« (unabhängiger Finanzberater, Frankfurt am Main). So eine Form der Vorhersagen ist völlig ausreichend, weil solche Prognosen die Anlageentscheidungen begründen und normalerweise nicht ein Teil der Kommunikation mit dem Markt sind. Der Status der Portfoliomanager hängt letztendlich nicht vom Erfolg oder Misserfolg der Prognosen ab, sondern vom Erfolg der Investitionsentscheidungen. Das Ergebnis wird an der Performance der verantworteten Fonds gemessen; Prognosen sind nur eines von mehreren Instrumenten, das positive Resultat zu erreichen. Deswegen sprechen wir in diesem Fall von ›ErgebnisPrognosekulturen‹. In einem Anlagebrief wurde die Vorgehensweise eines Fondsmanagers folgendermaßen beschrieben: »Der Markt folgt also Gesetzmäßigkeiten – ist er damit auch vorhersehbar? ›Wir machen keine Prognosen [als Zahlen, E.S./K.-H.T.]‹, betont der Anlageexperte. Prognosen sind für ihn reine Spekulation. Aber die Anlagespezialisten spüren Trends auf. Diesen folgen sie, solange die Trends halten. Wenn die Trends sich ändern, ändert sich auch die Anlagestrategie.« 29 Der Fondsmanager beobachte genau, »[...] was um uns herum an den Märkten vorgeht.« 30 Die Vorhersagen und Erwartungen werden »gerollt«, wie eine Portfoliomanagerin (Zürich) gesagt hat, um Entscheidungsgrundlagen ständig zu überprüfen. Die unterschiedlichen Arten, diese prognostische Dynamik zu erfassen, wurden in einigen Studien der Social Studies of Finance beschrieben, zum Beispiel die Assoziationen zwischen den Wertpapieren

29 Morgen-POST. Anlagebrief von morgen + partner AG, Dezember 2012. 30 Ebd.

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von den Arbitrage-Tradern anstatt genauer Vorhersagen.31 Auch in unserem empirischen Material haben wir eine Form solcher ungenauer Prognosen entdeckt, nämlich den plausibility check einer Konsensusmeinung. Dabei überlegen sich die Portfoliomanager, ob und wo die aggregierte Meinung des Marktes (Konsensus) sich in der Zukunft irren kann; sie konzentrieren sich auf die möglichen Trends der Konsensusentwicklung und nicht auf die genauen Zahlen. Diese Überlegungen erlauben es den Portfoliomanagern, in ihren Entscheidungen erfolgreich vom Konsensus abzuweichen.32 Das sind in einem gewissen Sinne Strategien der Prognosevermeidung, wenn Prognose als Zahl verstanden wird. Hinter der Bühne spricht man nicht ständig davon, was genau passieren kann, sondern davon, was anders verlaufen, was überraschen könnte. Portfoliomanager setzen ihre Fantasie (Einbildungskraft) ein, um gemeinsam alternative, parallele Szenarien darüber zu entwickeln, wie sich die Zukunft entfalten könnte. Es gibt keinen Druck vom Publikum, sich auf ein einziges Szenario zu fokussieren. Außerdem äußern die Marktteilnehmer auf der Hinterbühne viel öfter und deutlicher ihre Zweifel und ihr Unbehagen über die unvorhersehbare Zukunft; sie diskutieren offen ihr eigenes Nichtwissen. In einer internen Diskussion sagte zum Beispiel der Teamleiter der Portfoliomanagementabteilung einer Bank in Zürich: »Ich denke, dass unser Hauptproblem darin besteht, dass wir kein klares Szenario haben, auf das wir unsere Strategie orientieren. Wir schwanken... Das Bild ist absolut unklar.« Das sind Worte, die auf der Vorderbühne wegen des Drucks der Konventionen und des Eindrucksmanagements nie ausgesprochen werden könnten.

31 Vgl. Beunza, Daniel/Stark, David: »Tools of the trade: the sociotechnology of arbitrage in a Wall Street trading room«, in: Industrial and Corporate Change 13, 2 (2004), S. 369-400. 32 Vgl. Svetlova, Ekaterina: »Plausibility check of consensus. Expectation building in financial markets (2010)«, in: Journal of Financial and Economic Practice 10, 1 (2010), S. 101-113.

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Nicht alle Prognosen, die im Markt produziert werden, sind also pseudo-seriöse Zahlen. Allerdings meinen Marktspezialisten, wenn sie von den Prognosen sprechen, meistens die genauen Größenangaben mit einem präzisen Zeitbezug. Aus diesem Grund – um die begriffliche Verwirrung zu vermeiden – wäre es vielleicht in der künftigen Forschung hilfreich, die (von Nigel Gilbert in einem persönlichen Gespräch vorgeschlagene) Unterscheidung zwischen Prognose (prediction) und Vorhersage (forecast) weiterzuentwickeln. Eine Prognose wäre eine genaue Zahlenangabe über eine bestimmte relevante Wirtschaftsgröße wie das Bruttosozialprodukt oder den DAX. Eine Vorhersage ist eher eine gründliche Analyse dessen, was heute gewusst (und nicht gewusst) werden kann; sie beinhaltet mehrere Szenarien gleichzeitig, die »gerollt« werden, das heißt es findet ein permanenter Vergleich mit den Beobachtungen aus der realen Welt statt. Die Vorhersagen als Trendaussagen werden permanent angepasst; die Prognosezahlen können erst bei dem nächsten Kommunikationsanlass geändert werden; eine solche Änderung kann aber den Status des Analysten schädigen und wird deswegen ungern gemacht.

S CHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK Wir finden also an den Finanzmärkten zwei Arten von Prognosen, die auf zwei unterschiedliche Prognosekulturen zurückgeführt werden können: 1.

Prognose als präzise Zahlenangabe für einen bestimmten Zeitpunkt. Sie wird nur für ein externes Publikum vorgenommen und soll vor allem das glaubhafte Vorspielen der Seriosität und auch einer bestimmten Rolle ermöglichen. Die beliebteste Rolle ist dabei die des ›vorsichtigen Optimisten‹. Eine weitere von dem Publikum akzeptierte Rolle für Minderheitspositionen ist auch die des ›mahnenden Warners‹, der extreme Negativszenarien prognostiziert. Prognosen mit einer relativ hohen Eintrittswahrscheinlich-

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2.

keit – zum Beispiel der jährliche DAX-Anstieg von über 20% – werden sogar vermieden, weil diese nicht zu einer dieser Rollen passen. Prognosen sind vorwiegend Elemente einer ›ShowPrognosekultur‹. Vorhersagen als unpräzise Angaben für Tendenzen an den Finanzmärkten, die zwar in ihrer Richtung, nicht aber im Ausmaß oder für bestimmte Zeitpunkte vorhergesagt werden. Diese Prognosen werden intern zu dem Zweck gemacht, die Anlageergebnisse zu verbessern. Ihre Unbestimmtheit resultiert aus der Erkenntnis, dass Kapitalmärkte kurzfristig Schwankungen unterworfen sind, die so gut wie nie in ihrem Ausmaß und ihrer Dauer eingeschätzt werden können. Vorhersagen finden wir in einer ›ErgebnisPrognosekultur‹.

Wir erachten es für die weiteren Untersuchungen als essenziell, die vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Prognosen und Vorhersagen zu präzisieren und zu verdichten. Und obwohl eine Prognose nie genau stimmt, wagen wir trotzdem eine: Wir erwarten, dass der DAX weiterhin seinem langfristigen Wachstumspfad folgt und dabei in den nächsten 12 bis 15 Jahren einen Stand von 20.000 überschreitet. Fragen Sie uns aber bitte nicht, welchen Weg er dahin nehmen und wann dies genau passieren wird.

Zukunft »chinesischer Prägung«? Zukunftskonzepte in der Volksrepublik China seit 1949 N ICOLA S PAKOWSKI

Die internationale Politik hat China längst zu einem zentralen Faktor der globalen Zukunft erhoben, die chinesische Perspektive auf Zukunftsfragen ist im Westen aber weitgehend unbekannt. Dies verwundert umso mehr, als politische Diskurse in China immer auch Zukunftsdiskurse waren: Die Frage, welchen ›Weg‹ China gehen solle, um zukünftig ›reich und stark‹ zu sein, durchzog die politischen Debatten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als China durch den Angriff westlicher Mächte in eine tiefe und dauerhafte politische Existenzkrise geworfen wurde. Sie wurde zur Quelle von Bürgerkriegen und provozierte nicht zuletzt das maoistische Experiment der Schaffung einer neuen Gesellschaft. Der Glaube an Planbarkeit, technologische Machbarkeit und den Staat als gesellschaftliche Planungsinstanz ist bis heute eine Konstante chinesischer Politik. Zukunft ist somit ein zentrales Thema für das Verständnis Chinas. Der vorliegende Beitrag stellt einen ersten Versuch dar,1 dieses Thema in seinen Grundzügen wissenschaft1

Chinesische Zugänge zur Zukunft sind bisher nur sehr vereinzelt und ansatzweise in der Forschungsliteratur behandelt worden. Dies betrifft den Aspekt der Planung (vgl. Howe, Christopher/Walker, Kenneth R.: The Foundations of the Chinese Planned Economy. A Documentary Survey,

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lich zu erschließen und zukünftiger vertiefender Forschung zugänglich zu machen. Zukunftskonzepte gehören in den Bereich der Zeitforschung, welche die für unseren Zusammenhang wesentliche Feststellung getroffen hat, dass Zeit ein Produkt menschlicher Vorstellung und Gestaltung ist und als solches kontextuell variiert. 2 Übertragen auf den Gegenstand China erfordert Kontextualität, dass Zukunftskonzepte kultursensibel, aber nicht essentialistisch zu bestimmen sind. Chinesische Zukunftskonzepte sind als Produkte gesellschaftlicher Verhandlungsprozesse zu verstehen, in denen der Staat eine dominante, aber nicht alleinige Position einnimmt. Sie sind wechselhaft und manifestieren sich in der spezifischen Verknüpfung von übergeordneten Rahmenbedingungen – real und perzipiert –, gesellschaftlich tradierten indigenen Diskursbeständen, importierten Ideen und Anleihen aus den relevanten Feldern von Wissenschaft und Politik. Bei aller Wechselhaftigkeit können für Zukunftsdiskurse der Volksrepublik China dennoch drei Konstanten benannt werden: Erstens die bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreichende und sozialdarwinistisch gefärbte Sensibilität für internationale Konkurrenz und Chinas Entwicklungsdefizit gegenüber den westlichen, ›entwickelten‹ Gesellschaften sowie die daraus abgeleitete Notwendigkeit einer – mit

1953-1965, New York 1989; Heilmann, Sebastian: »Making Plans for Markets. Policy for the Long Term in China«, in: Harvard Asia Quarterly 13, 2 [2011], S. 33-40) und den Zukunftsroman (vgl. Zhao, Henry Y.H.: »A Fearful Symmetry. The Novel of the Future in Twentieth-Century China«, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 66, 3 [2003], S. 456-471). Eine Sondernummer von »China Information« (Juli 2012) ist dem Thema Zukunft gewidmet, nicht alle Beiträge setzen diesen Fokus aber konsequent um. In Zukunftsfragen hineinspielende Themen, wie z.B. Bevölkerungspolitik und Innovation, gehören hingegen zu etablierten bzw. sich gerade etablierenden Forschungsfeldern. 2

Vgl. Adam, Barbara: Time, Cambridge/Malden 2004.

Z UKUNFT » CHINESISCHER P RÄGUNG «? | 41

welchem Begriff auch immer belegten – nachholenden Entwicklung.3 Hier ist die auf Ernst Bloch zurückgehende und von Reinhart Koselleck für die Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Gesellschaften fruchtbar gemachte Beobachtung der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« in der Moderne hilfreich: »Mit der Erschließung des Globus traten räumlich die unterschiedlichsten, nebeneinander lebenden Kulturstufen in den Blick, die durch den synchronen Vergleich diachron geordnet wurden […]. Ein ständiger Impuls zum progressiven Vergleich wurde aus dem Befund gezogen, daß einzelne Völker oder Staaten, Erdteile, Wissenschaften, Stände oder Klassen den anderen voraus seien, so daß schließlich – seit dem achtzehnten Jahrhundert – das Postulat der Beschleunigung oder – von seiten der Zurückgebliebenen – des Ein- oder Überho4

lens formuliert werden konnte.«

Die Wahrnehmung der eigenen Zurückgebliebenheit schlägt sich in chinesischen Zukunftskonzepten auf zweierlei Weise nieder. Zum einen in einer nationalistischen Prägung sowie dem Ehrgeiz des Ein- und Überholens der westlichen Industriegesellschaften, zum anderen in der Orientierung an – wechselnden – ausländischen Entwicklungsvorbildern. Erst in den 2000er Jahren zeichnet sich die Möglichkeit ab, dass China internationale Spitzenpositionen einnehmen und selbst zum Entwicklungsvorbild aufsteigen könnte. Eine zweite Konstante speziell in der Geschichte der Volksrepublik China seit 1949 ist der sozialistische oder als sozialistisch ausgegebene Rahmen von Zukunftskonzepten. Bis heute verpflichtet sich der Parteistaat der Schaffung einer sozialistischen oder gar kommunistischen Gesellschaft als ultimativem Ziel der Entwicklung Chinas. Die Ansätze

3

Vgl. Dunmire, Patricia L.: »Knowing and Controlling the Future. A Review of Futurology«, in: Prose Studies 32, 3 (2010), S. 240-263, hier S. 248.

4

Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, S. 323f.

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der Realisierung dieses langfristigen Zieles waren aber so wechselhaft wie die Geschichte der Volksrepublik selbst. Oder anders ausgedrückt: Gerade Differenzen in der Frage, wie der Sozialismus zu erreichen sei, führten zu Konflikten und Brüchen innerhalb der politischen Elite. Sozialismus impliziert überdies Planung. Wirtschaftspläne und ganz allgemein ein planendes Element sind bis heute konstitutiv für Politikgestaltung in der Volksrepublik China. Auch der Faktor der Planung ist dabei allerdings kein reines China-Spezifikum, sondern stellt China in den Reigen der sozialistischen und nichtsozialistischen Gesellschaften der Hochmoderne.5 Eine dritte Konstante liegt in den autoritären politischen Strukturen der Volksrepublik China und dem Streben des Parteistaates, Zukunftskonzepte zentralistisch festzulegen und umzusetzen.6 Dieses staatlich beanspruchte Definitionsmonopol über Zukunft war aber nie unangefochten. Wie zu zeigen sein wird, galten die Repressionen und Umerziehungsmaßnahmen des maoistischen Staates auch alternativen Zukunftsentwürfen. Unter weniger repressiven Bedingungen haben seit den 1980er Jahren Zukunftsexperten und öffentliche Intellektuelle versucht, an Chinas Zukunftsgestaltung zu partizipieren. Der vorliegende Beitrag beabsichtigt, den Wandel von Zukunftskonzepten in der Volksrepublik China seit 1949 in seinen Grundzügen nachzuzeichnen. Es werden dabei drei Phasen unterschieden, in denen

5

Vgl. Schulze Wessel, Martin/Brenner, Christiane (Hg.): Zukunftsvorstellungen und staatliche Planung im Sozialismus. Die Tschechoslowakei im ostmitteleuropäischen Kontext 1945-1989, München 2010; Laak, Dirk van: »Planung. Geschichte und Gegenwart des Vorgriffs auf die Zukunft«, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 305-326; Doering-Manteuffel, Anselm: »Konturen von ›Ordnung‹ in den Zeitschichten des 20. Jahrhunderts«, in: Thomas Etzemüller (Hg.), Die Ordnung der Moderne. Social Engineering im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2009, S. 41-64.

6

Vgl. Callahan, William A.: »Shanghai’s Alternative Futures. The World Expo, Citizen Intellectuals, and China’s New Civil Society«, in: China Information 26, 2 (2012), S. 251-273, hier S. 252.

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je eigene politische und ideologische Rahmenbedingungen einen eigenen Zuschnitt von Zukunftskonzepten bedingten.

E RZIEHUNG ZUR DER S YSTEME – M AO Z EDONGS

Z UKUNFT UND W ETTLAUF D ER M OBILISIERUNGSANSATZ

Mit der Ausrufung der Volksrepublik China im Oktober 1949 wurde Zukunft in China den ideologischen Prämissen des MarxismusLeninismus und der spezifisch maoistischen Marxismusinterpretation unterworfen, wie sie insbesondere die Phase seit den späten 1950er Jahren bis zum Tode Maos 1976 prägen sollte. Der Historische Materialismus bildete die Grundlage einer teleologischen Konzeption der gesellschaftlichen Entwicklung, der zufolge sich die Geschichte entlang objektiver Gesetzmäßigkeiten entwickle, auf das historisch notwendige Endziel des Kommunismus hin bewege und dies – so die von Stalin 1938 zur Orthodoxie erhobene Sichtweise – in der Abfolge von fünf sogenannten ›Gesellschaftsformationen‹ (Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus) geschehe. Als Motor des Fortschritts galt der Klassenkampf, der jeweils eine neue Gesellschaftsformation hervorbringe.7 Innerhalb der Gesellschaft wurden die Interessen der Arbeiterklasse privilegiert und als gesamtgesellschaftliche Interessen ausgegeben. Auf dieser Grundlage konnten auch Zukunftsvorstellungen und -wünsche als homogen bzw. zu homogenisierend betrachtet werden. Ganz grundsätzlich imaginierte Mao Zedong das zukünftige sozialistische China als modernen, industrialisierten Staat.8 Praktisches Modell auf dem Weg in die sozialistische Zukunft war zunächst die Sowjetunion, die bis zum Bruch zwischen den beiden sozialistischen Staa7

Vgl. Knight, Nick: Rethinking Mao. Explorations in Mao Zedong’s

8

Vgl. ebd., S. 140f.

Thought, New York u.a. 2007, Kap. 5.

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ten im Jahr 1960 auch umfangreich Aufbauhilfe leistete. Zentrales Element dieser Nachbildung des sowjetischen Systems auf chinesischem Boden war zum einen die Planung, die sich vorrangig als Wirtschaftsplanung, 9 aber auch in anderen Formen wie dem Städtebau 10 oder der Realisierung von industriellen und infrastrukturellen Großprojekten manifestierte. (Es sei hier nur am Rande darauf hingewiesen, dass Planung gleichzeitig ein Erbe des Vorgängerregimes unter Chiang Kaishek darstellte und systemübergreifenden internationalen Trends entsprach.)11 Zum anderen wurde die Sowjetunion in den tiefen und vielfach gewaltsamen Eingriffen in die Gesellschaftsstrukturen nachgeahmt, die von der Enteignung bis zur physischen Ausschaltung des ›Klassenfeindes‹ reichen konnten. Hierdurch war auch alternativen Zukunftsentwürfen die materielle und politische Grundlage entzogen. Seit Gründung der Volksrepublik, und massiver seit den späten 1950er Jahren, kamen aber auch die Eigenheiten des Maoismus in der Umgestaltung Chinas zum Durchbruch, die Suche nach einem spezifisch chinesischen Weg und Maos voluntaristische Marxismusinterpretation: Auf dem Weg in die Zukunft spielte für Mao das politische Bewusstsein des Volkes eine mindestens genauso große Rolle wie die materielle (und in dieser Hinsicht ohne Zweifel rückständige) Basis des Landes. Mao kann als ›Beschleuniger‹ der gesellschaftlichen Entwick-

9

Vgl. Schüller, Margot: »Wirtschaftsplanung«, in: Brunhild Staiger/Stefan Friedrich/Hans-Wilm Schütte (Hg.), Das große China-Lexikon, Darmstadt 2003, S. 856-858.

10 Vgl. Stein, Susanne: »Durch ›Aufbau‹ zur Neuordnung der Gesellschaft. Städtebauliche Leitbilder in der Volksrepublik China, 1949-1959«, in: Etzemüller (wie Anm. 5), S. 279-299. 11 Vgl. Kirby, William C.: »Continuity and Change in Modern China. Economic Planning on the Mainland and on Taiwan, 1943-1958«, in: Australian Journal of Chinese Affairs 24 (Juli 1990), S. 121-141; van Laak (wie Anm. 5).

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lung bezeichnet werden, und er benutzte Mobilisierung, Propaganda und Kampagnen als Instrumente der Umgestaltung.12 Dieser erzieherische Ansatz im Kommunismus unter Mao Zedong schlug sich auch in Zukunftsfragen nieder, denn in der Perzeption der politischen Führung mussten die ›Massen‹ erst noch vom Zukunftsprojekt Sozialismus überzeugt werden: Was bedeutete Sozialismus konkret? Wie war er zu erreichen? Die Partei hatte offensichtlich festgestellt, dass die Bevölkerung – und auch das eigene Personal – unklare oder definitiv ›nicht korrekte‹ Vorstellungen bezüglich der Zukunft Chinas hegte, welche die Schaffung des Sozialismus behinderten. Vor diesem Hintergrund bildete sich in den frühen 1950er Jahren ein spezielles literarisches Genre heraus, welches auf den Begriff ›Erziehung zur Zukunft‹ gebracht werden könnte. Diese Literatur ist deshalb von Interesse, weil sie widerspiegelt, welche unmittelbaren Wunschvorstellungen, aber auch Ängste die Schlagwörter ›Sozialismus‹ und ›Kommunismus‹ in der Bevölkerung auslösten. Ganz grundsätzlich bestand die Hauptschwierigkeit darin, exakte Definitionen und Vorstellungen von Sozialismus und Kommunismus zu vermitteln und den korrekten Weg in die ferne Zukunft aufzuzeigen. Denn China befand sich in der Definition der Partei aktuell erst in der Phase der sogenannten ›neudemokratischen Revolution‹, auf die der – in der Sowjetunion bereits verwirklichte – Sozialismus folgen würde, um erst in einem dritten Schritt zur höchsten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, dem Kommunismus, überzugehen. 13 Der Weg dorthin war weit und nur durch harten Einsatz und Unterordnung des Einzelnen unter die kollektiven Ziele zu erreichen. Es mussten insbesondere unmittelbare, aber unrealistische Vorstellungen von einem besseren Leben (ge brandmarkt als »utopischer Sozialismus«) abgewehrt werden, und

12 Vgl. Knight (wie Anm. 7), Kap. 5; Strauss, Julia: »Morality, Coercion and State Building by Campaign in the Early PRC. Regime Consolidation and After, 1949-1956«, in: The China Quarterly 188 (2006), S. 891-912. 13 Vgl. z.B. Fu, Bailu: Women de qiantu. Gongchanzhuyi shehui (Unsere Zukunft. Die kommunistische Gesellschaft), Changsha 1952.

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es galt überdies, die Ängste vor radikalen Einschnitten in der Zukunft zu zerstreuen.14 Gefordert war auch nach der Staatsgründung und dem Abschluss der Bodenreform ein revolutionärer Weitblick, aus dem der Aufschub oder der Verzicht auf eine unmittelbare und individuelle Bedürfnisbefriedigung sowie die korrekten politischen Maßnahmen auf dem Weg in die Zukunft abgeleitet werden konnten.15 In der Erziehung zur Zukunft traten insbesondere zwei gesellschaftliche Gruppen hervor, die es zwar nicht als Klassenfeinde zu bekämpfen, aber doch in ihrer Zukunftsvision zu korrigieren galt. Eine erste Gruppe waren die Bauern, die mit dem Bodenreformgesetz von 1950 zunächst enorm von der Revolution profitiert hatten, langfristig aber auf die Kollektivierung vorbereitet werden mussten, was bedeutete, dass das gerade erhaltene Land am Ende wieder abzugeben war. Diese mehrheitlich illiteraten Bauern von den Vorteilen der Kollektivierung zu überzeugen, konnte nicht über abstrakte Positionsbestimmungen, sondern nur mit dem anschaulichen Beispiel gelingen. Speziell zu diesem Zweck wurde im April 1952 eine Besuchsdelegation, bestehend aus 178 Bauern zuzüglich 20 Dolmetschern, in fünf Gruppen in unterschiedliche Regionen der Sowjetunion geschickt, wo sie in einem Zeitraum von mehr als drei Monaten 72 Kolchosen, 28 staatliche Bauernmärkte, 22 Traktorenstationen sowie diverse landwirtschaftliche Schulen und agrarwissenschaftliche Versuchsstationen besichtigten.16 Die Eindrücke der angeblich begeisterten chine-

14 Jiang, Lu: Zou xiang guangming xingfu de shehuizhuyi qiantu (Einer glücklichen sozialistischen Zukunft entgegengehen), Nanchang 1953, Vorwort S. 1. 15 Vgl. beispielsweise Fu (wie Anm. 13). 16 Vgl. Zhao, Huaiyi/Jiang, Zaiqiu: Sulian de jintian jiu shi women de mingtian – Zhongnan qu nongmin daibiao fang Su guangan (Die Gegenwart der Sowjetunion ist unsere Zukunft – Eindrücke der Bauernvertreter der südlichen Zentralregion nach ihrem Besuch in der Sowjetunion), Hankou 1953 (1952), S. 9. Der städtische und industrielle Bereich spielte bei dieser Besuchstour eine untergeordnete Rolle, war aber nicht ganz ausgelassen, vgl.

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sischen Besucher wurden in Reiseberichten festgehalten, welche in Zeitungen, Zeitschriften und in Sammelbänden mit Titeln wie »Die Gegenwart der Sowjetunion ist die Zukunft Chinas« veröffentlicht wurden. Ziel dieser Texte war die Beseitigung von ›nicht korrekten‹ Auffassungen unter den Bauern, die sich zwischen egalitaristischen Visionen aufseiten der ärmsten Bauern und Angst vor Enteignung auf Seiten der relativ wohlhabenden Bauern bewegten: »Bei uns gibt es einige Bauern, die ein falsches Verständnis der sozialistischen Gesellschaft haben und meinen, Sozialismus bedeute ›aus der eisernen Reisschüssel zu essen‹, öffentlicher und privater [Besitz] seien nicht getrennt und es würden, ungeachtet, ob man gut oder schlecht gearbeitet habe, die Resultate gleichmäßig aufgeteilt. Es gibt einige mittlere Bauern, die befürchten, dass ihr Eigentum im Sozialismus verstaatlicht wird, und die es deshalb nicht wagen, sich den Gruppen für gegenseitige Hilfe anzuschließen. Dann gibt es auch noch einige Faulpelze, die auf ein Leben in Saus und Braus im Sozialismus warten möchten und nicht aktiv an der Produktion teilnehmen, um so die sozialistische 17

Gesellschaft zu schaffen. All diese Ideen sind falsch.«

Was die Reise bewirkte, waren durchweg drei Punkte: Erstens konnten die chinesischen Besucher der sowjetischen Kolchosen »mit eigenen Augen« sehen, was sie den Experten und Wissenschaftlern zuhause nicht glauben konnten.18 Konkret und zweitens stieg anscheinend die Überzeugung, dass Kollektivierung der richtige Weg auch für China sei, geschuldet der Logik, dass höhere Erträge auf Mechanisierung beruhen und diese wiederum auf größeren Ackerflächen. Größere Arbeitsflächen aber haben Kollektivierung zur Voraussetzung.19 Ein dritter Punkt war die Konkretisierung des ›Glücks‹ der sozialistischen Ge-

Li, Chuan: Sulian de jintian jiu shi women de mingtian (Die Gegenwart der Sowjetunion ist unsere Zukunft), Beijing 1954. 17 Zhao/Jiang (wie Anm. 16), S. 28. 18 Ebd., S. 7. 19 Vgl. ebd., S. 21-23.

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sellschaft, welches sich im Reichtum der Kolchosen und der einzelnen Bauernfamilien ausdrückte. In den Reiseberichten wurden darunter nicht nur alle Arten kultureller und sozialer öffentlicher Einrichtungen verbucht,20 viel wichtiger war vielmehr die konkrete Anschauung des wohlhabenden Lebens der ›kollektivierten‹ Bauernfamilien: »In jedem Haus ist der Boden mit Teppich belegt, die Wände sind tapeziert. Man isst zum Frühstück Milch und Eier, zu Mittag und zum Abendessen isst man Fleisch, und auch in der Kleidung bleibt man nicht hinter den Städtern zurück.«21 Was hier imaginiert wird, muss in der Vorstellung chinesischer (und vermutlich auch sowjetischer) Bauern Anfang der 1950er Jahre einem Schlaraffenland gleichgekommen sein. Wüssten wir nicht, dass es sich um ›Augenzeugenberichte‹ handelt, würden wir diese Texte dem Genre der utopischen Literatur zuordnen. Oder anders ausgedrückt (und diese Hypothese wäre im weiteren Verlauf der Forschung zu überprüfen): Reiseberichte könnten in Ländern nachholender Entwicklung das funktionale Äquivalent von utopischen Romanen und Science-Fiction darstellen. Insgesamt war die in dieser Literatur vermittelte Vision von Sozialismus und Kommunismus eine materielle. Es wurde vor einer voreiligen Zufriedenheit mit bescheidenen materiellen Verhältnissen (»30 mu Land; ein Rind; Frau und Kind gewärmt auf dem Kang«) 22 gewarnt, und es wurde auf die Rolle von »Elektrifizierung, Mechanisierung, Automatisierung« in der Schaffung des zukünftigen Wohlstandes hingewiesen.23

20 Vgl. z.B. Zhao/Jiang (wie Anm. 16), S. 26f. 21 Ebd., S. 14. 22 Xiao, Nong/Zi, Yu: Guanghui canlan de qiantu (Eine glänzende und strahlende Zukunft), Guangzhou 1952, S. 20. Ein mu entspricht der Fläche von 0,066 ha. Der Kang ist ein in Nordchina übliches Ofenbett. 23 Fu (wie Anm. 13), S. 7.

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Eine zweite wichtige Zielgruppe der zukunftsbezogenen Erziehungsliteratur war die gebildete Jugend.24 Dies bezeugt ein Band des kommunistischen, dem neuen Gesellschaftsmodell verpflichteten Philosophen Ai Siqi, der sich 1955 der Frage »Welches ist unsere großartige Zukunft?« (Shenmo shi women de yuanda qiantu) – so der Titel des Bandes – zuwandte.25 Ai griff in dem Band eine Debatte auf, die im Jahr 1954 durch einen Leserbrief an die einflussreiche und verbreitete Zeitschrift »Jugend Chinas« (Zhongguo qingnian) ausgelöst worden war und um die Zukunftsskepsis der Jugend, oder besser: ihre Skepsis gegenüber dem von der Partei vorgezeichneten Weg, kreiste. In besagtem Leserbrief hatte ein gewisser Shi Liancai, 21 Jahre alt, dargelegt, wie seine individuellen Karrierewünsche – Shi wollte wie seine Schulfreunde studieren und »Fachmann« werden – von seinen Vorgesetzten vereitelt worden waren. Der junge Shi hatte zunächst in einem halbjährigen Ausbildungsgang Buchhalter gelernt und war dieser Tätigkeit an verschiedenen, ihm zugewiesenen Arbeitsstellen nachgegangen, ohne Freude daran zu haben und ohne Hoffnung darauf, dieses Betätigungsfeld je wieder verlassen zu können. Seine Frustration gipfelte in den folgenden Worten: »Ich finde, dass das menschliche Leben auf der Welt einer mitreißenden Sache dienen muss. Ich hingegen sitze, wie früher die Buchhalter der Kaufleute, den ganzen Tag, führe Buch und rechne mit dem Abakus. Ich bleibe ein Leben lang ein einfacher Buchhalter, lebe still und unbemerkt so weiter. Das ist wirklich zu langweilig. Ich muss diese Umgebung verlassen, mein Talent entwickeln und 26

darf [die Vorstellung vom] Spezialisten der Zukunft nicht begraben.«

24 Eine weitere Gruppe sind Kader, die unter Verdacht stehen, ähnlich den Bauern, die Hände zu früh in den Schoß zu legen oder, ähnlich den Jugendlichen, zu sehr auf die eigene Karriere zu setzen, anstatt die Zukunft des Kollektivs im Auge zu haben; vgl. Zhao/Jiang (wie Anm. 16). 25 Vgl. Ai, Siqi: Shenmo shi women de yuanda qiantu? (Welches ist unsere großartige Zukunft?), Beijing 1955. 26 Ebd., S. 2.

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Ai Siqi diskutierte die Beschwerde Shi Liancais als Manifestation des Konfliktes zwischen Kollektivismus und »bürgerlichem Individualismus«.27 Seit Beginn der kommunistischen Bewegung hatte die individuelle Freiheit, wie sie bei Marx noch eine wichtige Rolle gespielt hatte, unter chinesischen Kommunisten nicht zu den Kennzeichen einer kommunistischen Gesellschaft gehört.28 Ai Siqi legte jetzt konkret dar, wie angeblich typisch bürgerliche Einstellungen wie Sucht nach Ruhm und Anerkennung oder das Streben nach einer ›Position‹ in der Gesellschaft, einer Haltung Platz machen müsse, bei der die Zukunft des Einzelnen in seinem Beitrag zum Ganzen bestehe. 29 Lobenswertes Beispiel hierfür war ein anderer Leserbriefschreiber, ein gewisser Genosse Zhu Zheng, der als Buchhalter im Ministerium für Geologie beschäftigt war, denn Zhu hatte offensichtlich in jeder einzelnen Zahl, die ihm in seiner Arbeit begegnete, die Zukunft Chinas vor Augen: »Was diese Arbeit anbelangt […], so ist keine einzige Zahl in meinen Augen und meinem Herzen eintönig oder uninteressant. Vielmehr lebt sie, denn sie repräsentiert das Ergebnis des großen Aufbaus des Vaterlandes. Ich empfinde in diesen Zahlen auf tiefe Weise, wie sich das Vaterland sprunghaft entwickelt. Wie glänzend ist die Zukunft des Vaterlandes! Ich empfinde in diesen Zahlen auch die große Bedeutung meiner Arbeit. Sie ist ein Bestandteil der sozialisti30

schen Sache des Vaterlandes. Wie glänzend ist meine Zukunft!«

Die Debatte um die frustrierte bzw. euphorische Jugend, exemplifiziert am Typus des Buchhalters, besaß übrigens Wurzeln in der Revolutionsphase, in der eine überenthusiastische Jugend von der Partei in konkrete, oftmals kleinteilige und kaum ›heroische‹ Tätigkeiten umge-

27 Ai (wie Anm. 25), S. 14. 28 Vgl. Knight, Nick: Imagining Globalisation in China. Debates on Ideology, Politics and Culture, Cheltenham u.a. 2008, S. 141. 29 Vgl. Ai (wie Anm. 25), S. 14. 30 Ebd, S. 25.

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lenkt wurde. 31 Im Gegensatz zur Formierungsphase des chinesischen Kommunismus in den 1910er und 1920er Jahren, als die junge Generation, in bewusster Abkehr von der konfuzianischen Verehrung des Alters, geradezu als Rückgrat der Erneuerung der Gesellschaft bejubelt wurde,32 wurde sie nun der Befehlsgewalt der Partei unterstellt. In einem späteren, von einem gewissen Lu Yang verfassten Band, »Mit der dörflichen Jugend die Zukunftsfrage diskutieren« (He nongcun qingnian tan qiantu wenti), war in einer Kapitelüberschrift die umgekehrte Logik ausgedrückt: »Das neue China hat der Jugend eine weite Zukunft erschlossen«33. Seit den späten 1950er Jahren waren Zukunftsvisionen und -gestaltung in China dann geprägt vom Bruch mit der Sowjetunion, die in ihren ›revisionistischen‹ Tendenzen nicht mehr als bereits realisierte Zukunft Chinas taugte. Mao drängte auf eine Beschleunigung der Entwicklung, und im Gegensatz zu den frühen 1950er Jahren, als der Sozialismus noch als fernes Ziel galt, wurde die ›sozialistische Umgestaltung‹ dann doch bereits 1956 für vollendet erklärt.34 Mit dem ›Großen Sprung nach vorn‹ (1958-1961) und der ›Großen Proletarischen Kulturrevolution‹ (1966-1976)35 fand der Maoismus dann seinen wahren

31 Vgl. Spakowski, Nicola: »Mit Mut an die Front«. Die militärische Beteiligung von Frauen in der kommunistischen Revolution Chinas (1925-1949), Köln u.a. 2009, Kap. 5. 32 Vgl. Frick, Heike/Leutner, Mechthild/Spakowski, Nicola (Hg.): »Die Befreiung der Kinder«. Konzepte von Kindheit im China der Republikzeit, Hamburg 1999. 33 Lu, Yang: He nongcun qingnian tan qiantu wenti (Mit der ländlichen Jugend die Zukunft besprechen), Jinan 1958 (1957), S. 8. 34 Vgl. Naughton, Barry: The Chinese Economy. Transitions and Growth, Cambridge 2007, S. 66f. Zum Sozialismus als fernes Ziel vgl. z.B. Fu (wie Anm. 13). 35 Diese offizielle Datierung der Kulturrevolution lässt unberücksichtigt, dass bereits in den frühen 1970er Jahren politische Maßnahmen in die Wege geleitet wurden, die in der Reformphase ab 1978 zum Tragen kamen. Hierzu

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Durchbruch. Aber wie viel Zukunftsorientierung unterlag diesen Exzessen des Maoismus? Nick Knight hat in seiner differenzierten Analyse des Werkes Maos davor gewarnt, den Großen Sprung und die Kulturrevolution als utopische Momente in der Geschichte der Volksrepublik zu werten, und geht im Gegenteil von »Mao’s declining confidence in the future«36 seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre aus. Zentral hierfür ist Maos weitere Entfernung von teleologischen und deterministischen Vorstellungen, die 1958, zum Zeitpunkt des Großen Sprungs, durch die Idee der ›permanenten Revolution‹ ersetzt wurden. Den philosophischen Ansichten Maos zufolge würde auch die zukünftige, sozialistische und kommunistische Gesellschaft von unaufhörlichen Widersprüchen, Konflikten und Weiterentwicklungen geprägt sein, bis hin zur Auslöschung aller Dinge und Zustände. Die folgende Aussage vom März 1958 belegt diesen Verlust der Vorhersehbarkeit von Zukunft im Denken Maos: »The universe, too, undergoes transformation, it is not eternal. Capitalism leads to socialism, socialism leads to communism, and communist society must still be transformed, it will also have a beginning and an end, and it will certainly be divided into stages, or they will give it another name, it cannot remain constant. […] There is nothing in the world that does not arise, develop and disappear. Monkeys turned into humans, humankind arose; in the end the whole human race will disappear, it may turn into something else, at that time the earth itself will also cease to exist. The earth must certainly be extinguished, the sun too 37

will grow cold […]. All things must have a beginning and an end.«

gehört auch die Bevölkerungspolitik (vgl. Greenhalgh, Susan: Just One Child. Science and Policy in Deng’s China, Berkeley u.a. 2008, Kap. 2). Eine differenzierte Behandlung der 1970er Jahre muss einem späteren Beitrag vorbehalten bleiben. 36 Knight (wie Anm. 7), S. 251. 37 Zit. nach ebd., S. 255.

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Aus bestimmbarem Fortschritt wurde so permanenter, aber der Richtung nach unbestimmbarer Wandel. Auf konkreter politischer Ebene muss allerdings wenigstens der Große Sprung als wichtiges Ereignis in der Geschichte der Zukunft Chinas gewertet werden. Er entsprang zum einem dem Mao zugeschriebenen Geist des »Einholens und Überholens« (gan chao), welcher die Logik der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« im Vergleich Chinas mit den entwickelten Gesellschaften exemplifiziert. Zum anderen ist er im Kontext der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges zu sehen, welche seit den späten 1950er Jahren nicht mehr nur zwischen Sozialismus und Kapitalismus, sondern auch innerhalb des sozialistischen ›Lagers‹ ausgetragen wurde. Die Stahlproduktion wurde hier zum alleinigen Kriterium der Wettbewerbsfähigkeit, denn sie war die Grundlage von Industrialisierung, Mechanisierung der Landwirtschaft und Rüstungswettlauf: »Was können wir heute produzieren? Wir können Tische und Stühle, Teetassen und Teekannen produzieren, aber wir können kein Auto, kein Flugzeug, keinen Panzer und keinen Traktor produzieren.« 38 Im März 1955 äußerte Mao erstmals den Wunsch, China solle im Verlaufe mehrerer Jahrzehnte die stärksten kapitalistischen Staaten einholen. 39 Diese Aussage konkretisierte er auf dem Achten Parteikongress im August 1956 wie folgt: »Der amerikanische Staat wurde vor 180 Jahren gegründet, und vor 60 Jahren hat seine [Stahl]produktion nur 4 Mio. Tonnen erreicht. Wir liegen 60 Jahre [hinter den USA] zurück. Wir könnten in 50 bis 60 Jahren aufholen. Dies ist eine Pflicht.« 40 In den folgenden Jahren wurden die an der Stahlproduktion gemessenen Entwicklungsziele immer ehrgeiziger. Bei seinem Moskaubesuch im November 1957 wurde Mao mit

38 Zit. nach Yan, Xiaorong: »Mao Zedong ganchao fada guojia de zhanlüe ji qi qishi« (Mao Zedongs Strategie des Ein- und Überholens der entwickelten Länder und die darin liegenden Anregungen), in: Neimenggu daxue xuebao (renwen shehui kexue ban) 3 (2007), S. 43-49, hier S. 45. 39 Vgl. ebd., S. 43. 40 Zit. nach ebd., S. 43.

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Chruschtschows Aussage konfrontiert, die Sowjetunion plane, die USA in fünfzehn Jahren zu überholen. Mao legte daraufhin für China das Ziel fest, Großbritannien in der Produktion von Stahl und industriellen Gütern in fünfzehn Jahren einzuholen. Später wurden die Zeiträume, die China zum Auf- oder Überholen benötigen würde, immer weiter reduziert. Im September 1958 schließlich ging Mao davon aus, dass China Großbritannien, bis auf die Produktion weniger Güter, bereits im folgenden Jahr überholen könne. 41 Dass unter diesen Maßgaben die professionellen Wirtschaftsplaner entmachtet wurden, ja Mao dem alten Grundsatz der ›ausgeglichenen‹ Entwicklung ›Unausgeglichenheit‹ geradezu als Vorteil entgegensetzte, verwundert hier kaum.42 Die irrationalen Maßnahmen des Großen Sprungs und seine desaströsen Folgen sind weitgehend bekannt: Sie führten China in eine Hungersnot und einen Sozialismus der Armut. Die Kulturrevolution ist in ihren destruktiven Impulsen dann noch weniger unter die zukunftsrelevanten Kapitel der chinesischen Geschichte zu rechnen. Man könnte allenfalls positiv vermerken, dass die Kehrtwende, die 1978 eingeleitet wurde, nur deshalb so radikal ausfallen konnte, weil die Kulturrevolution immer als abschreckende Gegenfolie heraufbeschworen werden konnte.43

D URCH W ISSENSCHAFT ZUM W OHLSTAND – D ER SZIENTISTISCH - TECHNOLOGISCHE ANSATZ D ENG X IAOPINGS Mit Deng Xiaoping kam ein Realist an die Macht, der den Slogan »die Wahrheit in den Tatsachen suchen« zum politischen Programm erhob und im Prinzip nur noch auf ein Ziel setzte: die Schaffung von Wohlstand. Dieser wurde nicht mehr in Tonnen der Stahlproduktion ausge41 Vgl. Yan (wie Anm. 38), S. 44. 42 Vgl. Howe/Walker (wie Anm. 1), Teil 1. 43 Vgl. MacFarquhar, Roderick/Schoenhals, Michael: Mao’s Last Revolution, Cambridge 2006, S. 3.

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drückt, sondern im Bruttoinlandprodukt pro Kopf und mit der Generierung von Wohlstand für die Bevölkerung als Ziel. Im Verlauf eines mehrjährigen, eher verwirrenden Prozesses der Korrektur von quantitativen Zielen und der Suche nach passenden Begrifflichkeiten bildete sich schließlich ein Entwicklungsmodell heraus,44 das seit 1987 mit der Phrase »in drei Schritten gehen« (san bu zou) benannt wird: Erstens die Grundversorgung gewährleisten (wenbao, wörtlich: Kleidung und Nahrung) – dieser Schritt galt damals als bereits vollzogen. Zweitens »bescheidenen Wohlstand« (xiaokang) herstellen – dies sollte »vorläufig« bis zum Jahr 2000 und »umfassend« bis zum Jahr 2020 gewährleistet werden. Und drittens »relativen Reichtum« (bijiao fuyu) schaffen – ein Entwicklungsniveau, das demjenigen der mittleren entwickelten Gesellschaften entsprechen sollte und bis zum Jahr 2050 zu realisieren sei. Der Prozess der Entwicklung blieb also ›nachholend‹ – allerdings mit einem neuen Kriterium. Der Motor dieser Entwicklung eines stetigen Wohlstandszuwachses waren Wissenschaft und Technologie.45 Die neue Vision einer wissenschaftlich-technologisch geleiteten Gesellschaftsentwicklung wurde von Deng bereits in diversen Reden der Jahre 1977 und 1978 dargelegt.46 Hier musste zum einen der Status von Wissenschaft als Produk-

44 Vgl. zu diesem Prozess Xia, Xinping: »Cong gongyehua dao quan fangwei xiandaihua – dui Zhongguo xiandaihua mubiao fazhan bianhua de lishe kaocha« (Von der Industrialisierung zur umfassenden Modernisierung – Eine historische Analyse der Entwicklung und Änderungen bei den Modernisierungszielen Chinas), in: Ningxia dangxiao xuebao 9 (2005), S. 4750; Qiu, Xinli: »Deng Xiaoping xiaokang shehui sixiang xingcheng de lishi kaocha« (Historische Untersuchung der Entwicklung von Deng Xiaopings Idee der Gesellschaft bescheidenen Wohlstands), in: Changbai xuekan 6 (2008), S. 23-25. 45 Vgl. Greenhalgh (wie Anm. 35), S. 93-98. 46 Vgl. insbesondere Deng, Xiaoping: »Some Comments on Work in Science and Education (August 8, 1977)«, in: Deng Xiaoping: Selected Works of Deng Xiaoping (1975-1982), Beijing 1984, S. 61-72; Deng, Xiaoping:

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tivkraft (und damit fortschrittsrelevant) und der Status von Wissenschaftlern als Arbeitern (und damit fortschrittliche Klasse) begründet werden. Gleichzeitig offenbaren diese Schlüsseltexte Dengs realistische Beurteilung der Rückständigkeit Chinas, seine Nervosität angesichts der weltweit stattfindenden Revolutionierung von Wissenschaft und Technik, aber auch sein Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit Chinas – vorausgesetzt, Wissenschaft und Technik erhielten einen zentralen Stellenwert.47 Die auf dieser Grundlage vorgenommene enorme ökonomische, gesellschaftliche und politische Umgestaltung wurde dann post hoc ideologisch legitimiert, wobei zwei Schritte entscheidend waren:48 Zunächst die Abkehr von existierenden Modellen der Gesellschaftsentwicklung, wie sie im Kontrast mit der Transformation der ehemals sowjetischen Staaten am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Während dort ein big bang-Ansatz verfolgt wurde, also die sofortige und gleichzeitige Anpassung an die politischen und ökonomischen Strukturen der kapitalistischen Industriestaaten, verfolgte China einen graduellen und experimentellen Weg. 49 Sprechende Metapher hierfür ist die Phrase »sich an den Steinen entlangtastend den Fluss überqueren« (mozhe shitou guo he).50 Mit einer Rhetorik der besonderen »nationalen Lage« (guoqing) Chinas, die national spezifische Maßnahmen notwendig mache, gelang schließlich der Ausbruch aus der marxistischen Ortho-

»Speech at the Opening Ceremony of the National Conference on Science (March 18, 1978)«, in: Deng (wie diese Anm.), S. 101-116. 47 Vgl. z.B. Deng (wie Anm. 46), S. 103. 48 Vgl. zu den ideologischen Anpassungen dieser Phase allgemein Sun, Yan: The Chinese Re-Assessment of Socialism, 1976-1992, Princeton 1995. 49 Naughton (wie Anm. 34), S. 86-88; Heilmann, Sebastian: »Economic Governance. Authoritarian Upgrading and Innovative Potential«, in: Joseph Fewsmith (Hg.), China Today, China Tomorrow. Domestic Politics, Economy, and Society, Lanham u.a. 2010, S. 109-126. 50 Vgl. He, Henry Yuhuai: Dictionary of the Political Thought in the People’s Republic of China, Armonk/London 2001, S. 77.

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doxie. Sie durchzieht seit den 1980er Jahren alle politischen Äußerungen und findet ihre wichtigste Manifestation in dem von Deng Xiaoping erstmals 1984 verwendeten Begriff des »Sozialismus chinesischer Prägung«.51 Zentrale und politisch besonders heikle Problematik eines reformierten Sozialismus war dabei selbstverständlich die Abkehr von der Planwirtschaft.52 Der ideologische Durchbruch kam hier im Jahr 1992, als der bis heute gültige Begriff der ›sozialistischen Marktwirtschaft‹ eingeführt wurde und Planung eher den Charakter von staatlicher Koordinierung annahm. 53 Ein zweiter wichtiger ideologischer Schritt war die Rückdatierung des Entwicklungsstandes Chinas. Bereits 1979 wurde von sozialistischen Theoretikern das Konzept des »nicht entwickelten Sozialismus« (bu fada shehuizhuyi) als Entwicklungsstufe des aktuellen China bzw. der »Anfangsphase des Sozialismus« (shehuizhuyi chuji jieduan) vorgelegt, innerhalb derer gewisse kapitalistische Praktiken legitim seien, solange sie der Entwicklung der Produktivkräfte dienten. Aufgrund der ideologischen Brisanz des Begriffes der Anfangsphase des Sozialismus (es wurde zunächst unterstellt, er suggeriere, dass China kein sozialistisches Land sei) wurde er aber erst auf dem 13. Parteitag 1987 offiziell von der Partei übernommen und ist bis heute gültig.54 Wissenschaftsgläubigkeit war das herausragende Kennzeichen dieser Phase, die Orientierung an ›objektiven Gesetzmäßigkeiten‹ zentrales Gebot, spezifische Zukunftsdiskurse folgten der übergeordneten Tendenz der Verwissenschaftlichung, und die disziplinäre Neuordnung des chinesischen Wissenschaftssystems spiegelte neue Auffassungen

51 Vgl. Deng, Xiaoping: »Build Socialism with Chinese Characteristics, 30.6.1984«, in: Deng Xiaoping: Speeches and Writings, Oxford u.a. 1987, S. 95-104. 52 Vgl. Sun (wie Anm. 48), Kap. 3. 53 Vgl. ebd., S. 82f. Siehe zur Planung Heilmann (wie Anm. 1) und den nächsten Abschnitt dieses Beitrags. 54 Vgl. Sun (wie Anm. 48), S. 184-187.

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von gesellschaftlicher Regulierung und neue gesellschaftliche Prioritäten wider. Zu den für diese Phase bezeichnenden disziplinären Neugründungen gehörten die »Zukunftsforschung« (weilai yanjiu oder weilaixue), die »Wissenschaftsforschung« (kexue xue), die »Wissenschaft von den Talenten« (rencai xue) – eine Disziplin, die sich mit der Ausbildung fähigen Personals befasst – und auch die »Entscheidungswissenschaft« (juece yanjiu). 55 Sie alle bringen den Szientismus der frühen Reformphase zum Ausdruck. Speziell die Zukunftsforschung genoss hohes Ansehen und die Unterstützung zentraler Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft. Zu letzteren gehörte Song Jian, ursprünglich Militärforscher, dessen disziplinärer Hintergrund die Kybernetik mit Waffensystemen als Anwendungsfeld war. Song wurde damals bekannt als wissenschaftlicher ›Vater‹ der Ein-Kind-Politik (siehe unten). 56 Zur Zukunftsforschung sagte er: »Die Zukunftsforschung ist eine Wissenschaft. Ihre Aufgabe besteht darin, gemäß den Entwicklungsgesetzen der objektiven Welt

55 Diese drei erstgenannten Disziplinen veranstalteten im November 1980 gemeinsam eine vielbeachtete Konferenz. Vgl. Yan, Jimin/Xiong, Benzhi: »Weilai yanjiu gongzuozhe de shenghui – ji Zhongguo weilai yanjiuhui shouji quanguo xueshu taolunhui« (Festliches Treffen der Zukunftsforscher – Die erste nationale wissenschaftliche Konferenz der chinesischen Zukunftsforschungsvereinigung), in: Weilai yu fazhan 2 (1981), S. 9-10, hier S. 9. Die »Entscheidungswissenschaft« wird als solche benannt in Du, Dagong: »Weilai yanjiu yao nuli wei si hua jianshe fuwu – Zhongguo weilai yanjiuhui lishizhang Du Dagong zai Shanghai shi weilai yanjiuhui chengli dahui shang de jianghua zhaiyao« (Die Zukunftsforschung muss sich bemühen, dem Aufbau der Vier Modernisierungen zu dienen – Abstract der Rede des Vorsitzenden der chinesischen Zukunftsforschungsgesellschaft, Du Dagong, bei der Gründungskonferenz der Zukunftsforschungsgesellschaft der Stadt Shanghai), in: Weilai yanjiu 3 (1982), S. 5-6. 56 Zum Hintergrund und Werdegang Song Jians siehe Greenhalgh (wie Anm. 35), S. 127-132.

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mit wissenschaftlichen Methoden die Zukunft vorauszusagen.« 57 Die Etablierung einer chinesischen Zukunftsforschung, die aus dem Westen als Disziplin bekannt gewesen zu sein scheint, wurde seit Mitte der 1970er Jahre lanciert.58 Sie scheint in der neuen politischen Führung schnell Gehör gefunden zu haben, denn sie wurde rasch institutionalisiert: Bereits im Januar 1979 wurde die »Chinesische Zukunftsforschungsgesellschaft« (Zhongguo weilai yanjiuhui) gegründet. 59 Diese rief bereits 1980 ihr Fachorgan »Zukunft und Entwicklung« (Weilai yu fazhan) ins Leben. Sie ist überdies Mitherausgeberin der Zeitschrift »Entwicklung« (Fazhan).60 Die Titel beider Zeitschriften offenbaren, wie stark die chinesische Zukunftsforschung auf Entwicklungsfragen zugeschnitten ist. Die chinesische Zukunftsforschungsgesellschaft war seit ihrer Gründung international ausgerichtet: Sie nahm an den großen internationalen Konferenzen der Zukunftsforschung teil und etablierte offizielle Kontakte zu internationalen Institutionen, die sich mit Zukunftsfragen befassten, so beispielsweise bereits 1981 zum Club of Rome.61 Ihre wissenschaftliche Agenda war in dieser Formationsphase an der internationalen Zukunftsforschung orientiert – unter die zukunftsrelevanten Fragen wurden z.B. gerechnet: »das Bevölkerungsproblem, das Problem von Ressourcen und Energiequellen, das Problem von Um-

57 Song, Jian: »Beiguan, leguan he weilaixue« (Pessimismus, Optimismus und Zukunftsforschung), in: Weilai yu fazhan 3 (1980), S. 2-3, hier S. 2. 58 Diese Information stammt aus einem Interview der Verfasserin mit Qin Lingzheng im Mai 2010. Qin war ein Zukunftsforscher der ersten Stunde. 59 Zur Geschichte der chinesischen Zukunftsforschungsgesellschaft vgl. »Zhongguo weilai yanjiuhui da shi ji«, in: Zhang, Wenfan (Hg.), Zhongguo weilai yanjiuhui chengli sanshi zhou nian jinian ce (Erinnerungsband anlässlich des dreißigjährigen Bestehens der Chinesischen Zukunftsforschungsgesellschaft), Beijing 2009, S. 81-116 sowie Zhang (wie diese Anm.). 60 Vgl. Zhang (wie Anm. 59), S. 3. 61 Zu den international ausgerichteten Aktivitäten und Kontakten vgl. Zhongguo weilai yanjiuhui da shi ji (wie Anm. 59).

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weltschutz und ökologischem Gleichgewicht usw.« 62 –, und die Zukunftsforschung gab sich international und universalistisch – ein bemerkenswerter Zug, denn zum damaligen Zeitpunkt galt der Marxismus-Leninismus noch als Leitideologie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Euphorie der ersten Jahre wurde lediglich 1983, im Zuge der ›Kampagne gegen geistige Verschmutzung‹, gedämpft, als die westliche Zukunftsforschung doch noch einmal als ›bürgerlich‹ gebrandmarkt wurde.63 Dieser Einwand blieb aber eine Episode. Die Auffassung von der Autonomie der Wissenschaften und der ›Gesetze‹ ihrer Teildisziplinen setzte sich seit den 1980er Jahren immer weiter durch. Der Hintergrund der Zukunftsforschung, der in manchen Beiträgen der damaligen Zeit anklingt, waren die großen Richtungsfragen, welche die politische Führung zu lösen hatte.64 Hier fanden Zukunftsforschung und Entscheidungsforschung einen gemeinsamen Gegenstand. Sie forcierten ein technokratisches Herrschaftsverständnis, das zwei Dimensionen umfasste: Zunächst die Vorstellung der wissenschaftlichen Steuerbarkeit von Gesellschaften. ›Wissenschaftlich‹ war dabei Gegenbegriff zu ›ideologisch‹ – eine Anspielung auf die groben Fehlentscheidungen Mao Zedongs, meist vage als ›linkes Denken‹ kritisiert.65 Gleichzeitig wurden die Komplexität moderner Gesellschaften und die Komplexität der anstehenden Probleme heraufbeschworen. Komplexe Probleme, so das Argument, könnten nicht mehr von einer einzigen Person gelöst werden; die Zukunftsforschung in ihrer inter-

62 Yan/Xiong (wie Anm. 55), S. 9. 63 Vgl. Wang, Huanmin: »Makesizhuyi shi wo guo weilai yanjiu de zhizhen« (Der Marxismus ist die Richtschnur der chinesischen Zukunftsforschung), in: Weilai yanjiu 2 (1983), S. 8-9. 64 So der Tenor von Wang, Haiyang/Wang, Xinrong: »Nuli shixian juece de kexuehua – ji ›juece de kexue fangfalun xueshu taolunhui‹« (Sich um die Verwissenschaftlichung der politischen Entscheidung bemühen – Die wissenschaftliche Konferenz zur wissenschaftlichen Methodologie der politischen Entscheidung), in: Ke yan guanli 3 (1981), S. 78-80. 65 Vgl. z.B. ebd., S. 78.

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disziplinären Verfasstheit könne hier Abhilfe schaffen.66 Die »Verwissenschaftlichung« politischer »Entscheidungen« (juece de kexuehua) galt den Zukunftsforschern geradezu als Schlüsselfrage der Zukunft der Gesellschaft.67 Wissenschaftlichkeit garantierten im damaligen chinesischen Verständnis – und übrigens auch in westlichen Planungszusammenhängen68 – vorrangig die Natur- und Ingenieurswissenschaften, insbesondere Systemtheorie und Kybernetik, die ihre positive Funktion im Militärischen bereits unter Beweis gestellt hatten und nun auf gesellschaftliche Fragen übertragen wurden. Statistik, Mathematik und elektronische Methoden der Datenerhebung wurden zu vorrangigen Instrumenten der Lösung gesellschaftlicher Probleme.69 Mit der Forderung nach Verwissenschaftlichung politischer Entscheidungen ging die neue wissenschaftlich-technokratische Elite – die das Stigma der bürgerlichen Klassenzugehörigkeit gerade erst abgelegt hatte – teilweise sogar einen Schritt weiter. Sie imaginierte sich in enger Beziehung zu den politischen Entscheidungsträgern, die sie als potentiell fehlbar, weil ideologisch beeinflusst oder an der Komplexität moderner Gesellschaften scheiternd darstellte. Elitarismus – und nicht Demokratie – galt implizit als Gegenrezept zu der Machtkonzentration und den irrationalen Entscheidungen unter Mao Zedong. Bevorzugte Form der Zusammenarbeit zwischen intellektueller Elite und Entscheidungsträgern war der think tank, wobei paradoxerweise die für den amerikanischen Antikommunismus im Kalten Krieg symptomatische

66 Dies wird z.B. dargelegt von Qin, Lingzheng: »Weilai yanjiu zai guojia juece zhong de yingyong« (Die Anwendung der Zukunftsforschung bei den staatlichen Entscheidungen), in: Weilai yu fazhan 2 (1981), S. 11-13 und 51, hier S. 51. 67 Vgl. Wang/Wang (wie Anm. 64), S. 78. 68 Vgl. van Laak (wie Anm. 5), S. 317f. 69 Vgl. Greenhalgh (wie Anm. 35); Qin (wie Anm. 66).

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RAND Corporation als Vorbild genannt wurde.70 Zusätzlich konnte natürlich auch der Entscheidungsträger selbst zum Erwerb von wissenschaftlichen Methoden und Fertigkeiten in Bereichen wie Mathematik, Statistik, Datenbanken, Computerlinguistik oder Diagrammen aufgefordert werden.71 Zentrales und in seiner Problematik geradezu als dramatisch konstruiertes Anwendungsfeld dieses Ansatzes war die Bevölkerungspolitik. Susan Greenhalgh hat in ihrer faszinierenden Studie »Just one child« gezeigt, wie der bereits zitierte Ingenieur Song Jian zur zentralen Figur der Bevölkerungswissenschaft werden konnte und mit Projektionen der Bevölkerungsentwicklung für einen Zeitraum von hundert Jahren der politischen Führung ein Bedrohungsszenario vorlegte, das sich so stichhaltig gab, dass eine drastische Ein-Kind-Politik die notwendige Konsequenz sein musste.72 Die simple Argumentation der Bevölkerungswissenschaft lautete, dass das Wachstum des Bruttoinlandproduktes bei einer höheren Kinderzahl vom Bevölkerungswachstum aufgefressen werde. Die angeblich ›komplexe‹ Gesellschaft der Kybernetiker bestand also am Ende doch nur aus zwei Größen. Die Formationsphase der chinesischen Zukunftsforschung um 1980 war ohne Zweifel gleichzeitig auch der Höhepunkt ihrer Sichtbarkeit. Professionalisierung und Sachorientierung in politischen Entscheidungen sowie Herrschaft von Technokraten setzten sich schnell als Strategien des Systemerhalts durch. Überdies führt die eher kurz- oder allenfalls mittelfristige Orientierung der chinesischen Zukunftsfor-

70 Vgl. Tong, Dalin: »Lun juece« (Über die politische Entscheidung), in: Weilai yu fazhan 3 (1981), S. 8-9. Tatsächlich wurden wichtige Reformentscheidungen der frühen Jahre von intellektuellen Zirkeln außerhalb der Universitäten und in enger Beziehung zu den Reformpolitkern des damaligen China vorbereitet (vgl. Naughton, Barry: »China’s Economic Think Tanks. Their Changing Role in the 1990s«, in: The China Quarterly 171 (2002), S. 625-635). 71 Vgl. Wang/Wang (wie Anm. 64), S. 80. 72 Vgl. Greenhalgh (wie Anm. 35).

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schung in ihren diversen Teildisziplinen dazu,73 dass sie sich kaum aus den Mutterdisziplinen heraushebt, welche durchweg auf gesellschaftliche Relevanz und den Beitrag zur Entwicklung Chinas verpflichtet sind.

Z UKUNFT IM Z EITALTER DER G LOBALISIERUNG : C HINA UND DER W ESTEN ZWISCHEN INTERNATIONALEM W ETTBEWERB UND S YSTEMKONVERGENZ War »Öffnung nach außen« (kaifang) unter Deng Xiaoping noch ein sehr kontrollierter Vorgang, dem nur begrenzte Teilbereiche der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft ausgesetzt waren, so wurde seit den 1990er Jahren China gezielt und umfassend der Interaktion mit dem Ausland ausgesetzt. Mit dem WTO-Beitritt 2001 wurde dieser Prozess unumkehrbar.74 Seit 1997 – also dem Ausbruch der asiatischen Finanzkrise – gehört der Begriff der ›Globalisierung‹ zum Wortschatz der chinesischen Regierung.75 Globalisierung – perzipiert und in ihren realen Strukturen – ist der Kontext, in dem Zukunftsdiskurse und Zukunftsgestaltung heutzutage stattfinden, sowohl in China als auch im Westen. Zwei Tendenzen sind dabei von zentraler Bedeutung: Erstens die – um mit Zygmunt Bauman zu reden – »Flüchtigkeit« einer globalisierten Moderne, bei der durch Deregulierung, Individualisierung, Flexibilität, Beschleunigung und Mobilität über Staatsgrenzen hinweg die Strukturen verloren gehen, welche die Voraussetzung für langfris-

73 Interview mit Qin Linzheng, Mai 2010. 74 Vgl. Naughton (wie Anm. 34), S. 104f. 75 Vgl. Knight, Nick: »Imagining Globalisation. The World and Nation in Chinese Communist Party Ideology«, in: Journal of Contemporary Asia 33, 3 (2003), S. 318-337, hier S. 326.

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tige Zukunftsvorstellungen und gesellschaftliche Planung sind.76 Auch der Staat als zentrale planerische Instanz wird durch Globalisierung geschwächt. Zweitens verdichtet sich die Interaktion zwischen Gesellschaften, die sich auf der einen Seite in einem verschärften Wettbewerb sehen, auf der anderen Seite aber auch einem Anpassungs- und Vereinheitlichungsdruck ausgesetzt sind. Was bedeutet all dies für Zukunftsdiskurse und Zukunftsgestaltung in China? Zunächst ist festzustellen, dass die chinesische Regierung ein Konzept von ›Globalisierung‹ pflegt, das in einem zentralen Punkt von gängigen Vorstellungen abweicht, nämlich der Rolle des Staates. 77 Globalisierung ist in China ein vom Staat initiierter und gesteuerter Prozess; Nationalstaaten bleiben in der chinesischen Vorstellung als Hauptakteure des internationalen Geschehens erhalten. Für unseren Zusammenhang entscheidend ist dabei, dass die Vorstellung von einem zwangsläufigen und damit vorhersehbaren, linearen historischen Prozess abgelöst wurde von einem extrem dynamischen Weltverständnis des ständig wechselnden Zusammenwirkens unkontrollierbarer globaler Kräfte. Den »Gelegenheiten« (jiyu) und »Herausforderungen« (tiaozhan) auf der ›globalen Bühne‹ ist mit »strategischen Entscheidungen« (zhanlüe juece) zu begegnen.78 Globalisierung bewirkt somit auch in der chinesischen Wahrnehmung eine ›Verflüchtigung‹, die

76 Bauman, Zygmunt: Flüchtige Moderne, Frankfurt a.M. 2000; vgl. hierzu auch Doering-Manteuffel (wie Anm. 5). 77 Zum Verständnis von Globalisierung und Globalgeschichte in China vgl. Knight (wie Anm. 75); Knight (wie Anm. 28); Spakowski, Nicola: »National Aspirations on a Global Stage. Concepts of World/Global History in Contemporary China«, in: Journal of Global History 4, 3 (2009), S. 475495. 78 Die Zunftsfrage unter strategischen Gesichtspunkten diskutiert beispielsweise Liao, Zhou: »Zhongguo weilai 20 nian ba da zhanlüe jiyu« (Acht große strategische Gelegenheiten für China in den kommenden 20 Jahren), in: Juece yu xinxi 9 (2003), S. 9.

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allerdings partiell ist, insofern Nationalstaaten die Hauptakteure internationaler Politik bleiben. Auch die innere Lage Chinas, die auf den Begriff der ›Pluralisierung‹ gebracht werden kann, spricht für ›Verflüchtigung‹. In der chinesischen Gesellschaft hat sich längst ein Werte- und Interessenpluralismus herausgebildet, der auch von der Regierung anerkannt wird. Kollektive Zukunftsvisionen sind damit kaum mehr denkbar, und Zukunftsdiskurse sind der Differenzierung unterworfen. William Callahan spricht sogar von einer »parallel society«, in der »citizen intellectuals« alternative Zukünfte entwerfen.79 Die aktuelle Gesellschaft erscheint in der chinesischen Wahrnehmung geprägt durch »Widersprüche« (maodun) und »Konflikte« (chongtu) – auch dies zentrale Begriffe der aktuellen Debatte –,80 wobei Widersprüche nicht mehr wie in der Philosophie Mao Zedongs als fortschrittsgenerierend gelten, sondern als Risikofaktoren für die gesellschaftliche Stabilität. Mit der Registrierung von Ungleichgewichten der Entwicklung, der hohen Kosten von ungebremstem Wachstum und des Wohlstandsgefälles zwischen Regionen und sozialen Gruppen sowie der darin liegenden sozialen und politischen Sprengkraft steht die Zukunftsfähigkeit Chinas ganz grundsätzlich in Frage. Ideen von sozialem Ausgleich und Nachhaltigkeit, wie sie von Hu Jintao, von 2002/03 bis 2012/13 Parteichef bzw. Staatspräsident, unter dem Begriff »wissenschaftliches Entwicklungskonzept« (kexue fazhanguan) gebündelt wurden, spiegeln einen gebremsten Fortschrittsglauben und Zukunftsoptimismus wider. Sie sind gleichzeitig Beispiel für die internationale Angleichung von Zukunftsdiskursen, hervorgebracht durch verstärkte Interaktion und Ideentransfer.

79 Callahan (wie Anm. 6), S. 253; vgl. auch Callahan, William A.: »China’s Futures and the World’s Future. An Introduction«, in: China Information 26, 2 (2012), S. 137-148 zu nationalistischen Tendenzen in nichtstaatlichen Zukunftsvisionen. 80 Typisches Beispiel hierfür ist die regierungsnahe Publikation: vgl. Ji, Shuoming/Zhou, Donghua: Zhongguo xinzheng (The New Deal of China), Beijing 2010.

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Bei aller ›Verflüchtigung‹ der inneren und äußeren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bleibt staatliche Planung aber ein zentrales Moment im politischen Prozess Chinas. Wie Sebastian Heilmann dargelegt hat, existieren Pläne in einer beachtlichen Vielfalt, was die Anwendungsbereiche, den Grad der Intervention und die Planungsfristen anbelangt. Heilmann hält Planung auch für einen zentralen Faktor in der relativ erfolgreichen ökonomischen Entwicklung Chinas. Pläne sind allerdings nur noch Steuerungsinstrumente (aus dem ›Fünfjahresplan‹ wurde deshalb auch ein ›Fünfjahresprogramm‹), welche die Marktkräfte als zentralen Koordinationsmechanismus unterstützen und nicht ersetzen.81 Die globale Entwicklungslogik, bei der das Wachstum des Bruttoinlandproduktes den Motor eines komplexen ökonomischen und gesellschaftlichen Gesamtprozesses darstellt, gilt auch für China. Das 2011 in Kraft getretene Zwölfte Fünfjahresprogramm (2011-2015) nennt als erstes Ziel »stabiles und relativ schnelles Wachstum« sowie eine geplante Wachstumsziffer von 7%.82 Konkrete Planung verlagert sich somit in Teilprozesse und ist in vielen Punkten kaum von international üblichen Agenden zu unterscheiden. Zentrale Bereiche des Planens im Kontext von globalem Wettbewerb sind auch in China Innovation, Umweltschutz und Energieeffizienz sowie die Ankurbelung der Binnennachfrage.83 Worin sich China unterscheidet, ist die Persistenz von Vorstellungen von Steuerbarkeit und Machbarkeit. So setzt die Ankurbelung der Binnennachfrage bei der Schaffung von Konsumenten an: Aus (wenig konsumierenden) ländlichen Bewohnern müssen (viel konsumierende) städtische Bewohner gemacht werden – Ausgangsüberlegung für ein gigantisches

81 Vgl. Heilmann (wie Anm. 1). 82 Zhonghua renmin gongheguo guomin jingji he shehui fazhan di shier ge wunian guihua gangyao (Abriss des 12. Fünfjahresprogramms der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Volksrepublik China) vom 16.03.2011. URL: http://www.gov.cn/2011lh/content_1825838.htm vom 19.11.2014. 83 Vgl. Heilmann (wie Anm. 1), S. 38.

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Urbanisierungsprogramm, das gerade umgesetzt wird.84 Konsum wird mittlerweile als Quelle von Wachstum verstanden – und nicht mehr wie bei Deng Xiaoping als dessen Zweck. Neben dem Planen ist die Verschiebung internationaler Machtstrukturen ein zentraler Themenbereich von Zukunftsdiskursen im Zeitalter der Globalisierung.85 Angesichts der erstaunlichen Dynamik der chinesischen Entwicklung und ihrer Auswirkungen auf den Weltmarkt ist China als solches zur globalen Zukunftsfrage geworden. Ideen von einem ›Aufstieg‹ oder rise Chinas, gepaart mit dem angeblichen ›Niedergang‹ oder decline der USA, werden sowohl in China als auch dem Westen diskutiert. Westliche Finanz- und Investmentkreise deklarieren, wann China die USA als größte Volkswirtschaft überholt haben wird (aktuell datiert die Investmentbank Goldman Sachs diesen Moment auf das Jahr 2027, die Zeitschrift »The Economist« auf 2019 und der Internationale Währungsfonds auf 2016).86 Auch die Rede vom 21. Jahrhundert als dem ›chinesischen Jahrhundert‹ ist zentral in westlichen Zukunftsdiskursen. 87 China wird hier eine potentielle Pionierstellung zugeschrieben, was auch erklärt, warum Innovation zu einem zentralen Thema der China-Debatte geworden ist: Wird es dem bishe-

84 Vgl. Li, Keqiang: »Releasing Growth Potential«, in: China Daily vom 20.02.2012. URL: http://www.chinadaily.com.cn/opinion/2012-02/20/ con tent_14643432.htm vom 19.11.2014. 85 Vgl. zum Folgenden Spakowski (wie Anm. 77) und Spakowski, Nicola: »Asia as Future – The Claims and Rhetorics of an ›Asian Century‹«, in: Marc Frey/Nicola Spakowski (Hg.), »Asianisms«, Regionalist Interactions, and Asian Integration, Singapur 2015 [im Druck]. 86 Vgl. Ross, John: »China’s Achievement is Literally the Greatest in World Economic History«, in: Key Trends in Globalisation vom 19.02.2012. URL: http://ablog.typepad.com/ vom 19.11.2014. 87 Vgl. Spakowski (wie Anm. 85).

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rigen ›Nachholer‹ und ›Nachahmer‹ gelingen, selbst zum Pionier zu werden, sowohl im rein technologischen als auch im allgemeinen Sinne?88 Die chinesische Regierung reagiert auf diese westlichen Projektionen gespalten: Zum einen werden aus legitimatorischen Gründen nationalistische Stimmungslagen im Land durchaus bedient – der Begriff »Chinas Aufstieg« (Zhongguo jueqi) gehört ins Alltagsvokabular der Staatsführung. 89 Zum anderen werden westliche Ängste vor chinesischen Großmachtbestrebungen abgewiegelt bzw. es werden dezidiert die Entwicklungsdefizite des Landes herausgestrichen – teils im Wissen um die Realitäten Chinas, teils aus dem Kalkül, die Übernahme globaler Verantwortung dadurch hinauszögern zu können.90 Ein letzter Teilaspekt von Zukunft im Zeitalter der Globalisierung ist die Frage der Zukunft der gesellschaftlichen Systeme: Was passiert mit Sozialismus und Kapitalismus, wenn Globalisierung die Grenzen zwischen Staaten und zwischen Systemen aufweicht? Aus chinesischer Sicht steht durch Globalisierung nichts weniger als die Spezifik des Sozialismus auf dem Spiel – und damit auch die Legitimation der Kommunistischen Partei. Rein rhetorisch muss sich diese weiterhin die Frage gefallen lassen, wann die von Marx in Aussicht gestellte sozialistische Weltrevolution zu erwarten sei.91 Wie bereits dargelegt, wird Globalisierung in der chinesischen Staatsführung als Faktum anerkannt, einmal mehr seit dem Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, bei der der chinesische Markt mit seiner starken Exportorientierung nicht vollständig vor den Verwerfungen des Weltmarktes

88 Zum

technologischen

Aspekt

vgl.

beispielhaft

Hout,

Thomas

M./Ghemawat, Pankaj: »China vs the World. Whose Technology Is It?«, in: Harvard Business Review (Dez. 2010), S. 94-103 sowie allgemein Spakowski (wie Anm. 85). 89 Vgl. Spakowski (wie Anm. 77), S. 485-490. 90 Vgl. z.B. Wu, Bangguo: »The Features of China’s Current Stage of Development«, in: Qiushi (englische Ausgabe) 1 (2011), S. 5-9. 91 Vgl. dazu vertiefend Kap. 4 in Knight (wie Anm. 28) und Spakowski (wie Anm. 77), S. 492-494.

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geschützt werden konnte.92 Im staatlichen Konzept von Weltordnung sind deshalb Vorstellungen von Verflechtung, Interdependenz, Interessenkonvergenz und Kooperation zentral. Ein Konferenzbericht zur Frage der Zukunft der »beiden Systeme« von 2011 bringt dies treffend zum Ausdruck: »Unter den Bedingungen der Globalisierung der Wirtschaft haben Sozialismus und Kapitalismus bereits ein allgemeines [Level] von gegenseitiger Abhängigkeit und gegenseitigem Einfluss überschritten und das Niveau erreicht, auf dem ›alle prosperieren, wenn einer prosperiert, und alle Schaden erleiden, wenn einer Schaden erleidet‹. Die Interessen der Staaten der beiden Systeme sind eng miteinander verflochten und verschlungen; ich existiere in dir und du existierst in mir (ni zhong you wo, wo zhong you ni); jede kleinste Veränderung kann die 93

Gesamtsituation beeinflussen.«

Gleichzeitig verwahren sich Parteitheoretiker gegen Vorstellungen von Konvergenz, wie sie mit Begriffen wie »Theorie von der Systemkonvergenz« (qutonglun) oder »Theorie der Verschmelzung« (jiaoronglun) artikuliert werden, und nehmen strikte definitorische Abgrenzungen von Sozialismus und Kapitalismus vor. 94 Dabei wird die Frage nach der Zukunft des Sozialismus aber kaum expliziert bzw. nur unbefriedigend beantwortet. In jüngerer Zeit wird auf die angebliche po-

92 Vgl. dazu Zheng, Bijian: »2012. Zhanlüe sheji nian« (2012. Das Jahr der strategischen Planung), in: Renmin Ribao (Auslandsausgabe) vom 01.01.2012, S. 1. 93 Zhang, Suyun/Zhang, Lei: »Jinrong weiji taishi xia ›liang zhi guanxi‹ xin tanxi« (Eine neue Analyse der »Beziehungen zwischen den beiden Systemen« in der Situation der Finanzkrise), in: Liaoning daxue xuebao (zhexue shehuikexue ban) 39, 2 (2011), S. 11-16, hier S. 13. 94 Vgl. Zhou, Xincheng: »Weilai shijie shi shehuizhuyi yu zibenzhuyi de jiaorong, jiehe ma?« (Ist die zukünftige Welt gekennzeichnet durch die Konvergenz oder Verschmelzung von Sozialismus und Kapitalismus?), in: Xuexi luntan 11 (2011), S. 75-80.

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sitive Performanz sozialistischer Staaten, allen voran natürlich China, in der Bewältigung der Wirtschaftskrise verwiesen.95 Kräftemäßig mag der Sozialismus momentan zwar unterlegen sein, so die parteinahe Einschätzung, sein Sieg bleibt aber langfristiges Ziel.96 Wie weit der Sozialismus mittlerweile in die Zukunft verschoben wird, verdeutlicht ein Ausspruch des damaligen Generalsekretärs der KPCh, Jiang Zemin, der auf dem 15. Parteikongress im Jahre 1997 von einem Zeitraum von »mindestens einem Jahrhundert« bis zum erfolgreichen Abschluss der »Anfangsphase des Sozialismus« sprach. Es werde laut Jiang allerdings noch viel länger brauchen, um ein vollständiges sozialistisches System zu konsolidieren und zu entwickeln.97 Im Westen ist die Systemfrage auf die Zukunft des Kapitalismus zugeschnitten, der durch die globale Wirtschaftskrise in seinen Grundfesten erschüttert ist. Von linker und ökologischer Seite wird nach Wegen gesucht, Wachstumsideologie und Finanzmarktkapitalismus ganz zu überwinden. Wo allerdings innerhalb der kapitalistischen Logik diskutiert wird, bildet China die Gegenfolie zur Konstruktion eines westlichen ›liberalen Kapitalismus‹, der von China in seinen Grundsätzen herausgefordert wird und in Zeiten der Hinterfragung neoliberaler Glaubenssätze besondere Konjunktur genießt. Die Diskussion um die Modellhaftigkeit Chinas bezog sich zunächst auf China als potenzielles Modell für Entwicklungsländer, welche sich dem neoliberalen Washington Consensus entziehen und einem sogenannten ›Beijing Consensus‹ anschließen könnten. Verwandt hiermit war auch die Debatte über das ›chinesische Modell‹.98 Mit dem Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise und der Beobachtung, dass China relativ unbeschadet aus dieser hervorging, wurde die Frage nach dem Modellcharakter

95 Vgl. Zhang/Zhang (wie Anm. 93), S. 12. 96 Vgl. ebd., S. 15. 97 Vgl. Knight (wie Anm. 75), S. 332. 98 Zu beiden und weiteren Begriffen vgl. Breslin, Shaun: »The ›China Model‹ and the Global Crisis. From Friedrich List to a Chinese Mode of Governance?«, in: International Affairs 87, 6 (2011), S. 1323-1343.

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Chinas auf die Zukunft der westlichen Industrieländer ausgeweitet. Neider verweisen auf die Effektivität des autoritären Staates – oft im Gegensatz zur angeblichen ›Dysfunktionalität‹ des politischen Systems der USA. 99 So gestand der »New York Times«-Kommentator Tom Friedman 2009 in einem Interview: »You detect the envy of someone who wants his own government to act democratically with the same effectiveness that China can do autocratically.« 100 Der Begriff des ›China envy‹ hat hier seinen Ursprung. Ebenso wird auf die Vorzüge langfristigen politischen Planens und Handelns verwiesen – im Gegensatz zur Kurzfristigkeit von Wahlzyklen demokratischer Gesellschaften und von globalen Kapitalmärkten.101 Die neue paradigmatische Funktion Chinas kommt am besten in dem Buchtitel »What the US can learn from China« zum Ausdruck. 102 Von den Kritikern wird hingegen vehement das liberale Element der westlichen kapitalistischen Staaten verteidigt, und China wird als Vorreiter eines sogenannten ›Staatskapitalismus‹ angeprangert, also eines Wirtschaftssystems, in dem autoritäre Staaten selbst als ökonomische Akteure fungieren, um Wohlstand zu schaffen und damit das politische System zu stabilisieren. Der »Economist« prognostizierte 2012 diesbezüglich: »The defining battle

99

Vgl. Naß, Matthias: »Die Versuchung heißt China«, in: Die ZEIT 22 (2011) vom 26.05.2011, S. 57.

100 Friedman, Tom: Transcript of Fresh Dialogue Interview, Part One vom 18.09.2009. URL: http://www.freshdialogues.com/2009/09/18/tom-friedmantranscript-of-fresh-dialogues-interview/ vom 19.11.2014. 101 Vgl. Heilmann (wie Anm. 49), S. 113, 123; auch Shi, Jianxun: »Mei Ou zhai weiji. Emeng hai hui zuo duo jiu?« (Die Schuldenkrise der USA und Europas. Wie lange wird der Albtraum noch anhalten?), in: Renmin Ribao vom 14.10.2011, S. 1. 102 Vgl. Lee, Ann: What the U.S. Can Learn from China. An Open-Minded Guide to Treating Our Greatest Competitor as Our Greatest Teacher, San Francisco 2012.

72 | S PAKOWSKI

of the 21st century will be not between capitalism and socialism but between different versions of capitalism.«103

S CHLUSS Der vorliegende Beitrag ist mit dem Begriff »Zukunft chinesischer Prägung« überschrieben, der die Ambivalenz zwischen einem spezifisch chinesischen Zukunftskonzept und einer chinesischen Prägung der globalen Zukunft, wie sie in jüngerer Zeit vielfach prophezeit wird, ausdrückt. Bezüglich der ersten Dimension wurde ein essentialistisches Verständnis der ›chinesischen Prägung‹ zurückgewiesen. Es wurde vielmehr die Kontextualität chinesischer Zukunftsvorstellungen aufgezeigt und ihr Wandel in Abhängigkeit veränderter nationaler und internationaler Kontexte nachgezeichnet. Überdies wurde deutlich gemacht, dass China nicht ein Fall der Einzigartigkeit von Zukunftskonzepten ist, sondern Parallelen zu anderen ›sich nachholend entwickelnden‹, sozialistischen und – in der Hochmoderne systemübergreifend vorkommenden – planenden Gesellschaften aufweist. Bezüglich der zweiten Dimension des Begriffes kann hier nur auf die Desavouierung von Zukunftsprognosen durch die großen Einbrüche der jüngsten Zeit – Finanz- und Wirtschaftskrise, Atomkatastrophe von Fukushima – verwiesen werden. Ob China zukünftig mehr sein wird denn Projektionsfläche westlicher ideologischer Debatten, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden.

103 Wooldridge, Adrian: »Special Report. State Capitalism«, in: The Economist vom 21.01.2012, Special report, S. 1-18, hier S. 18.

On the Confrontation between Perennial Models in 19th Century Halmahera (Indonesia) J OS D.M. P LATENKAMP »[...] the confidence that we place in the incorrigible vagueness we call certainty.« JOSÉ SARAMAGO, SMALL MEMORIES*

P ROGNOSTICATION

AS

V ALORISATION

Prognostication – the culturally specific praxis of foretelling future events – requires the presence of two types of representations in the cultural repertoire of the society in question.1 One type of representa*

Saramago 2010: 143.

1

The research reported here is part of the French-German research project »Local Traditions and World Religions: The Appropriation of ›Religion‹ in Southeast Asia and Beyond«, funded by the Agence Nationale de la Recherche and the Deutsche Forschungsgemeinschaft. I gratefully acknowledge the financial support of the latter, and thank Prof. Jarich Oosten, Prof. Christian Postert and Dr. Roy Jordaan for their perceptive comments.

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tion concerns the distinction, held to be self-evident by the society’s members, between ›the past‹, ›the present‹ and ›the future‹. Models of chronological processes upheld in the society in question therefore reflect such distinctions in the syntactic categories of its language informing its models of cognition,2 in its logical canons of causation, and in its norms of action. Only if ›the future‹ is acknowledged as being different from ›the present‹ and ›the past‹ may prognostication be distinguished from experience, speculation from knowledge and uncertainty from certainty. A second type of representation required for prognostication to be imaginable and ideologically acceptable calls such an epistemic distinction between the past and the future into question. It stipulates that future events are not uncertain and potentially erratic phenomena but are determined by the same principles of order that have also governed past events. In the case of prognostication linguistic and cognitive models predicated on the absolute distinction between the past and the future are superseded by models of a perennial order that declare this very distinction irrelevant. To examine the simultaneous agency of these two mutually exclusive types of representations in the system of representations of a given society as a whole, and the values assigned to them, a social anthropological theory about the structural organisation of value systems is expedient. Such a theory, the outlines of which have been proposed by Louis Dumont, stipulates that social value systems irrespective of their cultural distinctiveness generally display a particular pattern of structural organisation (Dumont 1980a). At one level, two or more sets of ideas, and the values ascribed to each of these, may be opposed to one another as mutually exclusive – in our case: the non-identity of the past and the future excludes the possibility of the past and the future being determined by the same principles of order. At another level, however, one of the sets of representations transcends this very opposition in that it applies to both opposed sets of representations. In the theoretical

2

The nature of the connections between linguistic and cognitive categorisations of time is contested. See Carroll 1997; Deutscher 2010.

P ERENNIAL

MODELS IN

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language employed by Dumont: there is an »encompassment of the contrary« (englobement du contraire).3 Decisive is Dumont’s argument that whenever one set of representations is attributed such an encompassing status this set is assigned a higher value than the opposing representations that it encompasses. In our case this argument would imply that, whenever the past and the future are considered as being determined by the same principles of perennial order – and this is the basic axiom of any prognostic praxis –, this would be valued higher than the idea that the future can only be assessed as an unpredictable and erratic course of events. The axiom of a perennial order, in which any form of prognostication is grounded, would be assigned a superior value by definition. Not only do distinct societies in which widely diverging forms of prognostication are practised conceptualise such ordering principles differently, also in single societies, ›modern‹ and ›non-modern‹ alike, the simultaneous presence of different, and often competing, prognosticating practices and the different perennial orders in which these practices are grounded, is the rule rather than the exception. Therefore, a comparative analysis of the representations, in terms of which various societies conceptualise their ordering principles of prognostication, provides us with the means to analyse not only the representations in question but also their different orders of values per se. The very fact that prognostication is a universally human yet socio-culturally specific praxis identifies it as a privileged object of comparative research, transcending conventional boundaries between different types of societies and their perennial orders, be these conceived as ›modern‹ or ›nonmodern‹, ›scientific‹ or ›pre-scientific‹, ›religious‹ or ›secular‹.

3

In such a case, [A] is both opposed to and identical with [B], a ›logical scandal‹ if the logic of binary oppositions were the only one accepted as valid (Dumont 1980b).

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I NTEGRAL VERSUS F RAGMENTED OF P ERENNIAL O RDER

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Conventional historiographies of Modernity portray its particular Weltbild as the outcome of a fragmentation of originally holistic systems of representations, in which cosmological, religious, ethno-scientific and socio-political variables used to be integrated, into distinct and mutually incompatible models of perennial order. Because of their cosmomorphic assumptions, according to which the order of society reflects that of the universe at large (e.g. Durkheim/Mauss 1963; van Wouden 1968; Coppet/Iteanu 1995), non-modern holistic models extended their prognostic power to ›natural‹, ›social‹, ›political‹ and ›cosmological‹ domains alike, so that, for instance, social or political transgressions in the past were predicted to result in cosmological or economic disasters to come. In accordance with these models’ encompassing character, transcending the contrast between the past and the future, the chronology of cause and effect could effortlessly be neutralised. The future would be caused by present, the past be understood to have been caused by events still to come – witness the case of eschatological and millenarian models. Highest value was attributed to the holistic order per se and the perennial order operative in each domain of action was authorised only to the extent that its interrelatedness with the orders in other domains was in evidence. Representations such as ›sacred kingship‹, ›natural law‹ and ›universal harmony‹ bear witness of such holistic orders. In the wake of the »mechanisation of the world picture« (Dijksterhuis 1961), however, different domains of knowledge and action each began to claim their own idiosyncratic models of perennial order. This fragmentation of the holistic order inevitably resulted in competing claims set by different time-transcending orders and the values assigned to them. An epistemological imperialism emanated from the various fragmented domains of order so that, for instance, temporal processes in the social, political or economic domains began to be claimed subject to timeless orders defined by alternative and com-

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peting perennial models from the one or the other domain exclusively (see presently). Prognostication has now become an arena in which specific epistemological discourses compete for the hegemony of their particular models, transcending, and encompassing the contrast with, other discourses. In other words, while rejecting the cosmo-morphic holism of non-Modernity, Modernity itself has produced an incessant competition for holism among its fragmented models. Whether, however, comparable competitions among different holistic models (particularly between ›global‹ and ›local‹ ones) have occurred in nonmodern Europe as well, remains a moot point.

P RO - GNOSIS

AND

R ETRO - GNOSIS

To identify the encompassing models of perennial order solely in terms of their prognostic power obscures another of these models’ dimensions. The very claim to the timelessness of the orders in question demands that these models may serve not only to predict the future but also to explain the past. Claims for the overall validity of models of perennial order can only be sustained if they enable one ›with the benefit of the hindsight‹ to re-interpret the past in accordance with the order that one deems to determine the present and the future. Socialanthropological researches have brought this Janus-faced characteristic of perennial models to light. Aimed at fore-telling the future and retelling the past, that is, at pro-gnosis as well as retro-gnosis, the models, narrated in myths and enacted in rituals, may serve to explain a hitherto ›falsely understood‹ past as much as an ›unknown future‹. And whereas in indigenous perspective the chronology of cause-and-effect is upheld (›because that is what actually happened in the past, this is what will happen in the future‹), from an external anthropological point of view this chronological relation is inverted: ›because this is what they wish to happen in the future, that is what they say has happened in the past‹.

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Not only non-modern mythical and ritual discourses tend to display such patterns, also Modernity’s competition for the epistemic supremacy among its fragmented models of perennial order gives rise to incessant attempts at rewriting the past in terms of one of these fragmented models only. These attempts may range from the ideological ›re-invention‹ of the origin of the Nation so as to legitimise politically efficacious images of ›eternal‹ national identities,4 to reconstructing the ›evolutionary‹ development of the human species, presumably authorising particular normative models of future social, economic or political ›behaviour‹ (e.g. Wilson 2000). In other words, for prognostic models to be convincing, their retrognostic validity should be demonstrated as well.

C OMPETING H IERARCHIES

OF

V ALUES

Irrespective of the question about its ›objective‹ validity, the modern praxis of prognostication entails not only the mobilisation of particular models of perennial order deemed valid only within their own domains proper (the ›laws‹ of natural science, those of market economics, the ›eternal sovereign nation-state‹, or the ›Divine order of the universe‹) but also a claim for Truth, judging the validity of perennial models from other social domains in terms of their own particular epistemology. The scientific discourses, in which modern prognostic models tend to be formulated, should not detract us from the fact that the very claim

4

To give but one recent example: after the establishment of the independent Slovakian State in 1993, its political ideologues endeavoured to ground the origin of the ›national identity‹ of the Slovakian ›people‹ in a revaluation of its early-mediaeval history, in the appearance of a first vernacular edition of the Bible contrasting with contemporary Hebrew, Greek and Latin editions, and of a ›national‹ iconography rejecting both Hungarian and Austrian heraldic codes (Kornosová 2009); see also Renan 1882; Anderson 1991; Kapferer 1988.

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to have the models from one domain encompass those of other domains reflects a bid not only for epistemic but also for moral hegemony. Thus if the ›laws of the market‹ enacted by ›rational-choice actors‹ are believed to predict the economic actions in the future and to explain those of the past, the models describing such ›laws‹ constitute a discourse to conceptualise and to morally valorise ›non-economic‹ actions as well, so that »if something has no price it has no worth« (cp. Judt 2010). This is what Dumont aptly identified as the »triumph of the economic ideology« (Dumont 1977). Similarly, discourses modelling the perennial characteristics of human behaviour in genetic or evolutionary terms tend to interpret and value the most divergent forms of social action in terms of presumed genetic determinants of, or the evolutionary ›benefits‹ for, the human species (Sahlins 1976). This results not only in attempts to identify the ›genetic foundation‹ of the human species as the ultimate explanation of all forms of social action (e.g. »the God gene«, Hamer 2005; cp. Zimmer 2004; Wade 2009) or the ›evolutionary rationale‹ of altruism and reciprocity (e.g. Axelrod/ Hamilton 1981; Simon 1990; Nowak/Sigmund 1998), it also questions the validity of those social actions, the genetic foundation or ›evolutionary benefits‹ of which cannot be attested. Similarly, perennial models grounded in the scriptural religions of Modernity characteristically claim to set the standards for the moral valorisation of ›nonreligious‹ domains of action (from ›economy‹ to ›science‹ and ›art‹) as well.5 It is evident that such attempts to explain and socially value past and future actions in all domains of society in reference to models of perennial order that derive from the epistemological discourse of one of them (whether of ›economics‹, ›genetics‹, ›politics‹ or ›religion‹) – that is, to explain and socially value the whole in terms of one of its parts exclusively – necessarily result in a twofold reductionism (cp. Kapferer 2005). Not only are the values, steering actions in different

5

Needless to say that such standards differ widely among the various scriptural religions.

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social domains of the own society, subordinated to – if not ignored altogether in favour of – those of the single epistemological discourse in question, the latter discourse is also claimed to be of universal relevance, thereby ignoring the differences between societies in these respects. It should be emphasised that such reductionist discourses are radically different from the holistic ones of non-modern societies. Also in the latter, distinct domains of action and forms of prognostication may be governed by different perennial models. However, as will be argued presently, the validity of such different models ultimately depends on the question to what extent these models are conceptually interconnected within a hierarchically ordered epistemic and moral whole. The competition for epistemic hegemony among the fragmented discourses of Modernity and the perennial models derived from them appears to preclude such an inclusion of different models into an overall hierarchical order. Such a claim can only be sustained if the validity of the single perennial model concerned radically invalidates the claims set by all other perennial models. The intransigent debates between the radical proponents of biological evolutionism or genetic and neurological determinism, on the one side, and those of Christian dogma and ethics, on the other, are but one example. Neither one of these models propounded can be connected to the other. On the contrary, the ›truth‹ of the one ›falsifies‹ the other.6

6

It is of great interest that, while the Roman Catholic Church only reluctantly concedes the scientific validity of astronomy’s perennial models – witness the rehabilitation of Galileo Galilei in 2008 –, Islamic scholars have recently taken a much less reductionist stance in assessing the relative validity of science and religion. Thus in an open letter, published in response to Pope Benedict’s lecture in 2006 before a Regensburg University audience on the comparative merits of Christianity and Islam (His Holiness Pope Benedict XVI 2006) thirty-eight Islamic religious leaders from all over the world formulated the Islamic position in this respect as follows: »[…] the dichotomy between ›reason‹ on the one hand and ›faith‹ on the

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This basic contrast between modern and non-modern prognostic practices, and the radically different epistemologies and moralities these entail, may be illustrated by a comparison between prognostic models applied in non-modern healing practices and those employed in modern bio-medical diagnosis and therapy. Both modern and non-modern modalities of healing are grounded in models with prognostic and retrognostic applications. These models stipulate that the past, present and future conditions of any person are subject to same perennial order; that illness involves a disturbance of that order; and that acts of healing involve an attempt to re-establish that order. The models of biomedicine are declared eternally valid. It would be inconceivable that they should not have applied in the past and would not apply in the future. This axiom is the foundation of all bio-medical praxis. It enables a medical doctor to connect his diagnosis of the patient’s present condition with his anamnesis of that in the past and to predict the therapy’s results in the future. Also the models employed in the non-modern conceptualisation and enactment of healing are attributed a perennial validity. Such models generally concern the ways in which persons are embedded in orders of social and cosmological relationships, on which these persons’ spiritual, mental and physical condition is dependent but which trans-

other [as articulated by the Pope] does not exist in precisely the same form in Islamic thought. Rather, Muslims have come to terms with the power and limits of human intelligence in their own way, acknowledging a hierarchy of knowledge of which reason is a crucial part […] the intellectual explorations of Muslims through the ages have maintained a consonance between the truths of the Quranic revelation and the demands of human intelligence, without sacrificing the one for the other« (H.E. Allamah Abd Allah bin Mahfuz bin Bayyah et al. 2006: 2; emphasis mine, J.P.); cited in Platenkamp 2007a: 100. Bauer (2011) has drawn attention to the premodern Arab-Islamic propensity of accepting »ambiguity« in these respects.

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cends the lifetime of each individual. Knowledge of the principles of such orders enables a healer to determine the past events that have led to a patient’s present condition and to predict the outcome of his healing acts. But apart from such shared prognostic and retrognostic attributes, the modern and non-modern models of perennial order in question are radically different. For whereas the epistemology and social valorisation of the bio-medical models are the outcome of the historical processes of fragmentation referred to earlier, dissociating natural science from religion, the models of non-modern socio-cosmic principles of order tend to still reflect holistic properties. In many if not all societies such non-modern healing procedures and bio-medical treatments exist side by side. However, in modern societies the bio-medical sciences disqualifying as ›non-scientific‹ the non-modern so-called ›alternative‹ forms of healing practised in the same society (such as acupuncture or homeopathy) falsify their epistemologies. By contrast, in non-modern societies the two forms of healing and their radically different epistemologies tend to be integrated into hierarchically ordered wholes. Let me analyse this basic distinction by examining the confrontation, in the second half of the 19th century, between the non-modern forms of healing practised by societies in North Halmahera (North Moluccas, Eastern Indonesia),7 and the perennial orders in which these were grounded on the one side, and the forms of healing practised by Dutch Calvinist missionaries reflecting their particular perennial orders on the other.

7

Most of the 19th and early 20th century data derive from the ethnolinguistically closely related societies of Galela, Tobelo and Toburu and have been reported by Dutch Calvinist missionaries of the Utrechtse Zendingsvereniging (Utrecht Missionary Society). They are supplemented by those I collected among Tobelo between 1979 and 1982.

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P ERENNIAL O RDERS OF N ORTH H ALMAHERAN S OCIETIES The North Halmaheran societies of the 19th century did not know an epistemological separation between domains of scientific, social and religious knowledge and action. Prior to the introduction of the Gregorian calendar by Dutch missionaries in 1887 (van Dijken 1888), their life proceeded in a cyclical order of time, which framed most of their communal activities (van Baarda 1895; van Dijken 1882, 1888; van der Roest 1904; cp. Platenkamp 1988: 36-46). The order was governed by the cycle of the Pleiades (o pariama8), after which the year as a whole was named as well (o pariama moi, »one year«). Emerging at sunset above the northern horizon at the end of November and disappearing from view by the end of April, the period marked by the Pleiades’ visibility was subdivided in intervals that were named after the successive appearance of marine species off the coast. During that period the inhabitants of the villages performed the major communal rituals of secondary burial, marriage and village ancestor worship. But once the Pleiades had vanished from the firmament, the women, children and the aged left the villages for their garden territories to start cultivating the rice and other crops, while adult men would depart for overseas to collect gum copal in other islands and to fish the seas for species that could be marketed in the major trade centres of the North Moluccas. The money earned enabled them to fulfil their ritual exchange obligations once they had returned home; so would the rice that the women had reaped by the time the Pleiades had become visible again. The annual appearance and disappearance of the Pleiades thus governed the contraction and dispersal of the village populations, situating social movements and economic actions in an ever-recurring rhythm. Several facts indicate that this pattern of social activities was embedded also conceptually in this overall cosmological cycle. The dis8

All indigenous lexemes in this section are Tobelo unless indicated otherwise.

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appearance of the Pleiades from view coincided with the emergence, in two successive waves, of large amounts of tiny sea worms (Lycidice kükenthali, Fischli 1900: 106) on the sea surface, the first by the end of April, the second one lunar month afterwards. 9 The first wave was called »the child of the Pleiades« (o pariama ma ngohaka), the second one »the mother of the Pleiades« (o pariama ma leha/awa). Hence as soon as – in indigenous perspective – the Pleiades had ›sunk‹ into the Pacific Ocean, their ›children‹ and ›mothers‹ emerged from the sea, an event signalling that the time to sow the rice had arrived. Both the use of these labels for ›mother‹ and ›child‹, and their connection with the cultivation of rice, indicate that one conceived of a process of reproduction on a cosmic scale, associating the ›regenerative‹ cycles of stars and their marine ›progeny‹ with that of the rice. In the early 1980s, more than a century after the first Calvinist missionary interventions, certain aspects of this overall model were still in evidence. The idea that the reproduction of ›life‹ in the rice plants should be connected with the ›reproduction‹ of stars in the form of marine species, for instance, was manifest not only in the rule that village people should gather the sea worms from the sea surface before starting to sow the rice, but also in the practice of enhancing the growth of rice plants by scattering sands collected from the sea bottom over the rice fields. One also shielded the fields from inauspicious spiritual influences by inserting »medicines« (ma houru) composed of parts of marine species at their borders. Moreover, one conceived of the growth of the rice as a process analogous to that of human pregnancy and birth: rice plants bearing seeds were designated as »being pregnant« (i tilibu), while harvesting, performed with the knife also used to cut the umbilical cord, was subject to ritual precautions similar to those

9

See Platenkamp (1988: 39-41) for the biological details of this phenomenon and for the astronomical conjunction between the Pleiades’ and lunar cycles allowing for a precise prediction of the appearance of these Polychaeta species.

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governing childbirth; both types of injunctions served to prevent the »life« (ma gikiri) from »fleeing« from the rice (Platenkamp 1996). Once harvested and brought into the villages the ›life‹-bearing rice became subject to further ritual actions. It served as a major gift, transferred in marriage rituals along with the bride from her House10 to that of the groom. Both the rice and the bride were valued for their capacity to reproduce ›life‹ in the form of a new generation of rice plants and of children respectively. After such affinal relationships had been established they continued to be valorised by the ongoing transfer of these gifts of rice, until they were terminated at the death of the people concerned to be replaced by a new generation of affines (Platenkamp 1988). Whereas the harvesting of the rice seeds (›the children‹) would necessarily lead to the immediate death of the plants (›the mothers‹), the bride and her children would be granted a life time (provided they complied with the ritual injunctions that governed all social life) until their death would transform them into the ancestors of their Houses and villages. In successive ascending generations 11 these deceased would continue to supervise and authorise as »ancestral images« (o gomanga nanga gurumini) the social life of their descendants. But once these ancestors were no longer recalled by name and venerated in relics stored in the houses’ shrines and village temples, such »supreme ancestors« (wongemi) would vanish from the social consciousness to enter into the universe as anonymous »stars« (wonge-wongemi). From this reservoir of cosmic forms of existence the Pleiades once a year ›descended into the sea‹ to generate those ›life‹ forms that would enhance the reproduction of the rice and a new generation of humans. In this perennial order of circulation on a vast socio-cosmic scale the cognisance and valuation of past, present and future human exist-

10 The lexeme o tau denotes »house« as a building as well as a category of relatives subject to the same ancestors (o tau moi ma nyawa, »people of one house«). The latter meaning is rendered here as ›House‹. 11 Three ascending generations were terminologically acknowledged: tohora generation +3, dotumu generation +4, and galuwewe generation +5.

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ences were grounded. This order entailed the ever-recurring conversion of ancestral ›images‹ – deprived by collective oblivion of their individual social identity – into their marine ›mothers‹ and ›children‹ whose incorporation into the villages was instrumental in reproducing human and vegetable life in turn.12 Yet instead of these conversions being understood as part of an autonomous chain of ›natural‹ transformations taking place independent of ›religious‹ interventions (as the modern paradigm of ecology would perceive this), the sustenance of this order required an incessant ritual activity on the part of people. In 1980 Tobelo still argued, for instance, that if one were to neglect scooping up the worms from the sea surface »the Pleiades/worms would wonder whether there are no more human beings left on earth«. Failure to bring the ›mothers and children‹ of the Pleiades (the ›progeny‹ of anonymous ancestors) into the village society would signal the alienation of the humans from this cosmic cycle. Neither was the reproduction of rice and people conceived as a mere physical process. On the contrary, the reproduction of the ›life‹ embodied in humans and rice plants required that brides born from and the rice cultivated by a House be ritually transferred along relations of affinity to other Houses. But the fecundity of the bride and the fertility of the rice would only be efficacious if their transfer was authorised by the ancestral ›images‹ of the ›life‹-receiving Houses. Embodied in money and other valuables, purchased by adult men but ›owned‹ by their ancestors, these ›images‹ had to be transferred to the ›life‹-giving Houses in return, so as to ensure that the bride would not die prematurely or her children suffer from any physical or mental deficiencies. Just as this incorporation by means of the ritual transfer of ›life‹ into the village societies required their ancestral authorisation by means of counter transfers, likewise only the performance of the first and secondary mortuary rituals would ensure

12 Comparable socio-cosmological cycles involving the transformation of Polychaeta species have been reported a.o. from Laboya, Sumba, East Indonesia (Geirnaert-Martin 1992) and New Ireland, Papua New Guinea (Küchler 2002).

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that the dead would indeed be transformed into those ancestral ›images‹, whose agency would make possible this acquisition of ›life‹ from the House’s affines and its embodiment in its living progeny. In the final analysis, therefore, it was the compliance with these ritual imperatives that ensured that the society would partake in the perennial cosmological circulation and thereby be granted its continued existence. Although the existence of human beings and the timing of their social activities were thus embedded in the overall order of conversions in the universe at large, the rituals themselves that should grant the society its participation in this cycle of socio-cosmological transformations were conducted exclusively in the social domains (ma hoana) of villages, Houses and their cultivated gardens. But while the cosmic model of cyclical time governed the ritual actions performed in these social domains, these were located within an encompassing world of forests, the skies and the deep sea. In this world the founding ancestors of the hoana domains no longer wielded any authority. Instead, »spirits« (generic o tokata) were acknowledged as the »owners« (ma dutu) of the ›life‹ that was contained in the forest soil and animated the undomesticated plants and animals, fish and birds. The non-social identity of these spiritually ›owned‹ domains surrounding the espace social (Condominas 1980) of the villages and their gardens (any ›ecological‹ understanding of these domains as ›natural habitats‹ would be spurious) was evident from the fact that in them neither the parameters of spatial and temporal order of the village society nor those determining human life pertained. The spirits themselves, being ›invisible‹, ›smell-less‹ and ›eternally old‹ lacked those features that signify human life as a process of growth, decay and metabolism. When they appeared in dreams and trance experiences they did so as ›name-less‹ and ›face-less‹ beings, that is without those attributes that identify and value the social Gestalt of humans. And whenever the latter would venture into their domains the reliable signs of spatial and temporal order such as the direction of the flow of rivers and the course of planets and stellar constellations became confused so that the traveller lost his way. Indeed, whereas these spirits were believed to have originated in

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the past, in their current condition they had frozen this past into an eternal present (Platenkamp 2007b). These spiritual domains, therefore, represented a perennial order altogether different from that of the cyclical order of time governing socio-ritual life. Instead of being part of a cosmic cycle, in which ancestral ›images‹ – as ›stars‹ oblivious of their past social identity – were converted into the ›progeny‹ of Pleiades in an annual rhythm steering all social actions, the non-social spirit domains represented a time-less reservoir of ›life‹ that was not yet, or no longer, embodied in the social modalities of existence of humans and their domesticated plants and animals. It is the conjunction between the ›ancestral‹ perennial order and that of the ›spirits‹ that set the parameters for a second process of overall circulation, namely, that of ›life‹. Originating in the non-social spirit domains, ›life‹ could be incorporated into the social domains by the imposition of ancestral authority on its ritual transfers, but it would be returned eventually into the spirit domains. Myths articulated how the bodies of the first human beings had been moulded from the forest soil subject to spirits, but only the genesis of the first ancestors, subordinating these spirits to their authority, provided these first humans with a lifespan (Platenkamp 2005). Once again, instead of being perceived as a ›natural‹ process the circulation of ›life‹ needed to be sustained by ritual actions. I already referred to those actions that effectuated the incorporation and socialisation of ›life‹ along relations of affinity. But also the de-socialisation of ›life‹ and its return into the spirit domains demanded protracted ritual efforts. At death each person’s ›life‹ must be ritually conducted in these domains in order to »lose its smell of decay«, before his ›image‹ as a »cleansed image« (ma gurumini i tebin’oka) could be re-incorporated into the village society (Platenkamp 1988: 152-189). In this perspective, the time span of each person’s existence stretching from birth to final ancestral oblivion – and with it the social relevance of linear time – was carved out from this timeless spiritual universe. This ontological condition was entirely dependent on the protection by the Houses’ ancestors and on their progeny’s adherence to the ritual injunctions that these ancestors had imposed. Only

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the ancestors would be able to protect the embodiment of life, originating from the timeless spirit domain, into their descendants for the duration of their life. Without this protection human life would be reduced to a spiritual and non-social condition in a universe, in which the notion of progressive time has lost all relevance. The fact that the validity of progressive time adhered only to the sociality of human life and to the ancestral order of the village societies had a fundamental bearing upon the perception of the past and the role of other peoples in past events. Western sources have amply documented the European interventions in the North Moluccas from the 16th century onwards. But whereas according to Western canons of historiography the very fact that the peoples involved once lived in the past does not deprive them retrospectively of their human status, the local societies did conceive of other peoples from the past in such terms. Historical events were mythically transformed, so that their protagonists could be withdrawn from the parameters of social life and be relegated to the a-historical domain of spirits. This is important: whereas the own ancestors continued to participate in the social life of their descendants until social oblivion finally converted them into ›stars‹, »other people/life forms« (o nyawa ma homoa) partook in an altogether different ontological cycle. Their demise took them out of the social order for good. Being relegated to the non-social spirit domains they were no longer part of any temporal cycle. This fate was not only mythically ascribed to the (historically attested) society of Moro people who until the end of the 16th century lived in the North Halmaheran Peninsula but exist as moroka spirits ever since,13 but also to those foreign Hindu-Buddhist and Islamic societies, the protagonists of which

13 Elsewhere I have described how the Moro society of Morotia and Morotai after its historically documented destruction by the Ternatan sultanate in the late 16th century has survived in Tobelo mythology. This attributes to the Mor’oka the status of spirits living in the non-social domain (Platenkamp 1993); see Sprenger (2006: 250-251) for comparable conceptualisations of ›strangers‹ among the Rmeet of North Laos.

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exist ever since as widadari and jini14 spirits in the forests, the skies and the deep sea. Likewise the 16th century presence of Portuguese garrisons in the region has left its traces in the spirit images of »old men whose heads are covered with iron helmets and whose faces are hidden by long grey hairs« appearing in the early 1980s before the mind’s eye of Tobelo healers in trance. Practices of prognosis and retrognosis were grounded in these contrasting models of perennial order. Any prediction of events to come required an assessment of the extent to which people acted – in the present and the past – according to the ritual injunctions issued by the ancestors. Current transgressions inevitably led to the expectation that ancestral retaliations would strike the living in the future. Such retaliations varied from the infliction of illness, droughts or injuries to – in cases of incestuous marriage – catastrophic floods, earthquakes and volcanic eruptions (Platenkamp 1990). Such expectations had a retrognostic dimension too. The very occurrence of such misfortunes and disasters in the present proved beyond doubt that transgressions had taken place in the past, leading to a protracted search among the people affected for hitherto unknown acts of transgression and their perpetrators. To give but one example: when in 1980 the volcano in Ternate island erupted and its debris paralysed all maritime traffic in the region, a rumour spread in Muslim Ternate that Chinese merchants had desecrated a copy of the Qur’an, whereas Tobelo scrutinised the marriages contracted in the past for a case in which close cognates had married (without the parties necessarily having been aware of such a kinship connection).

14 The lexeme widadari derives from Sanskrit vidyadhari, »bearer of wisdom« (Stutley 1977: 332), the lexeme jini from Arabic ğinn (collective) »invisible demons«, the root of which is reflected in the verb ğanna »to hide, to turn dark«, in ğanin »foetus«, and ğinna »being possessed [by spirits]«, »insanity« (Wehr 1985: 203).

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The connection between the cyclic order of socio-cosmic ancestral conversions and the timeless order of the spirit domains profoundly informed the conceptualisation of illness and healing. For irrespective of the particular type of ancestral retaliation inflicted, they all generated a de-socialisation of the person affected. They ultimately deprived the victim of being part of the cosmic cycle of ancestral reproduction, inserting him into the a-temporal domain of non-social spirits existing beyond the social order. The withdrawal of ancestral protection from a House following its members’ failure to comply with their injunctions generated the particular condition (›illness‹ 15 ), in which a person’s ›life‹ prematurely returns into its spiritual domains of origin. It gave free reign to the agency of spirits to »consume« (ha ol*omo) the patient’s ›life‹. This aetiology informed a logic and praxis of »healing« (ho hohouru), according to which the sequence of anamnesis, diagnosis and therapy were the inverse of that of standard bio-medical praxis. For only after a therapy had proved successful could the spiritual »origin« (ma ahali) of the illness be diagnosed, and a particular transgression and its ancestral retaliation be identified as its cause. An analysis of this logic therefore must start from the therapy. This generally consisted of administering »medicines« (ma houru) to the patient composed of vegetable and/or animal ingredients.16 Whatever the botanical or zoological species of which these were composed, they were collected in non-social domains subject to one or another category of spirits. When, after successive applications of different ›medicines‹ to a patient (often by different healers) one of them proved to be

15 The fact that the notion of »illness« could only be rendered by loanwords – the Tobelo lexemes hangihara, penyakè and the Galela lexeme sangisara derive from Indonesian sangsara, penyakit (Hueting 1908: 126; van Baarda 1895: 369) – signals that an understanding of ›illness‹ as a condition of the body was derived from abroad as well. 16 See Platenkamp (1996) for a comprehensive analysis of this praxis.

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effective, then the habitat from which that was taken identified both the particular domain, into which the ›life‹ of the patient was in the process of returning, and the type of spirits that had provoked this return. The application of parts of the species that originated from that domain thus mediated the return to the patient of his ›life‹, which the spirits of that domain were ›consuming‹: illness: spirit domain/habitat

›life‹

patient

healing: spirit domain/habitat ≈ species ≈ ingredients

›life‹

patient

Let us recall that the spirit domains, into which the patient’s life was prematurely returning, were part of the non-social, a-temporal universe encompassing the hoana village domains. The withdrawal of ancestral protection from the patient, allowing the spirits to appropriate his ›life‹ in the first place, entailed a de-socialisation of the patient. No longer being shielded by his House’s ancestors his person gradually assumed the properties of the non-social spiritual domains themselves. His diminishing social identity became manifest for instance when he lost his capacity to speak or to focus his eyes, and staggering in indiscriminate direction his body displayed symptoms that were understood to identify the spirit domain in question. For instance, a patient who was plagued by a high fever and breathed very fast might be diagnosed as follows: »his life is suspended from the skies, is being touched (i daene) by the hot sun and the howling winds« (Platenkamp 1996: 326-327). Only after having administered a therapy that succeeded in recuperating the patient’s ›life‹ could the healer establish the diagnosis in socio-cosmological terms, that is, to identify the particular spirit that provoked the return of the patient’s life into that spirit’s domain in the non-social universe. However, the mere retrieval of the patient’s ›life‹ from the spirit domain could not bring about the reconstitution of his social identity. The latter required the re-imposition of the ancestral authority over the patient as part of the social order of his village and his House and the super-ordination of this social order over the non-social spirit domains. In the case, discussed earlier, of the transfer of ›life‹ in

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humans and rice along affinal relations, it was the counter transfer of money and valuables embodying ancestral ›image‹ that authorised the incorporation of ›life‹ into the social order. Likewise, the recuperation of the patient could only be confirmed and his person be re-socialised if similar valuables are transferred to the healer. Without such transfers any attempt to heal the patient would be futile. It should therefore be emphasised that it was not the mere application of so-called ›ethnomedical‹ expertise that was deemed to be effective. This would presume a conceptualisation of healing analogous to biomedicine, that is as interventions in a patient as a socially autonomous and neurobiologically defined organism. On the contrary, whatever the pharmacological merits of the ingredients administered, in indigenous understanding it was the subordination of the patient’s ›living‹ condition to the ancestral order of society – manifest in the dependency of his ›life‹ on the ritual exchange injunctions – that enabled one to prognosticate his ›healing‹ and to diagnose retrognostically spirit interventions as the efficient cause and ancestral retaliations of past transgressions as the final cause of his affliction.

T HE P ERENNIAL O RDER OF THE D UTCH C ALVINIST M ISSION The North Halmaheran categorical distinction between an ancestral order embedded in circular time and governing social life, and a timeless universe surrounding the hoana domains of villages and gardens, contrasted sharply with the Dutch Calvinist missionary conceptions of socio-cosmological order. Instead of valuing the forests, the sea and the skies as the domains of spirits – the a-temporal and de-socialised remnants of other peoples from times gone by – they axiomatically subordinated all peoples of the world, hence also those of Halmahera and their territories to the supreme order as conceptualised by Calvinist religion. Having entered Halmahera in the 1860s they perceived the pertinence of this order in the natural and the social world alike. Far

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from depriving the non-domesticated domains of the indices and values of human sociality per se, the missionaries witnessed in ›nature‹ »[…] the greatness and majesty of the Infinite One (Dutch den Oneindigen17) revealed in the works of his fingers« (BUZ 1865: 191) – a Divine omnipresence that encompassed society and nature in the past, the present and the future alike. The North Halmaheran societies had ontologically transformed other societies from the past into a perennial, a-temporal spiritual presence guarding over domains of ›life‹ not yet, or no longer, socialised. The missionaries, however, differentiated between societies in accordance with the prevailing utopian paradigm of world history as a progressive development towards social and moral perfection without depriving any of them of their human condition. Applying not only such social-evolutionary axioms but also Biblical tenets they included the societies in an overall scheme of valuation, scrutinising each of them so as to assign them their proper place in this universal ›historical‹ order. In their judgements they accordingly employed religious, moral, phenotypic as well as pseudo-psychological criteria. They divided the peoples of North Halmahera in three main classes. Lowest ranked the Muslim inhabitants of those coastal villages where the Sultanate of Ternate had stationed its administrative and judicial representatives. At a higher level they placed the non-Muslim peoples – ›Alfurs‹ in the parlance of the day – such as Tobelo, Galela, Tobaru and Sahu, mainly living in settlements in the interior. They themselves ranked highest, along with the Dutch colonial officials and other Europeans, as representatives of the Christian peoples of the Western World. Particularly the moral and intellectual ›inferiority‹ attributed to Ternatan Muslims relative to the ›Alfur‹ peoples was put forward in a remarkably vehement derogatory manner. The Muslims living in coastal Galela village, for instance, were deemed »morally completely degenerated, inert, dumb and ignorant (zedelijk geheel ontzenuwd, traag, dom en onwetend). […] It is evident than they stand far beneath the Alfurs of the Lake [Galela]; these are a sturdy people,

17 All English translations of Dutch source quotations are mine, J.P.

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much more original (oorspronkelijk)« (BUZ 1866: 174). Such relative valuations18 reflected the ambiguity inherent in the social evolutionist paradigm to which Dutch ethnologists in the latter part of the 19th century subscribed. For whereas world history would direct societies towards an increasing social, religious and moral perfection, it might also result in a fragmentation of the ›wholeness‹ that was in evidence in those societies that ›still‹ displayed an ›original‹ state of humankind. Not only these qualifications of ›uncivilised‹ and ›unspoiled‹ formed an ill-matched pair, also the process of ›development‹ itself might result in moral advancement – witness the case of Western civilisation – but also in moral regression (Platenkamp/Prager 1994). These perceptions were informed above all by the tenets of Christian religion. Whereas the ›superstitious‹ beliefs of the ›Alfurs‹ marked them as ›original‹ peoples, Muslims were deemed to have »degenerated« into a state of »atheism« (BUZ 1871: 64). Yet the missionaries derived other qualifications from this paradigm as well. They assumed the ›Alfurs‹ to manifest the moral and physical qualities generally ascribed to those early stages of humankind, when development had ›not yet‹ resulted in physical decay and social and moral degeneration. Hence »there are strong and even truly beautiful people among them, with whom one immediately sympathises because of their beautiful looks and the less corrupted (minder bedorven) expression of their face« (BUZ 1866: 174). They were »proud«, »benevolent« and »highly passionate«, having a »delicate sense of truth and deceit« (BUZ 1867: 3). By the same token, having not yet been exposed to the beneficial impact of Western civilisation they lacked the faculty to form and communicate abstract thought. Galela language was deemed »very poor in names of concepts (namen voor begrippen). […] The original

18 Sens (2001) has demonstrated how already between 1770 and 1820, the prevailing generalised idea of human beings in imagined strange environments propagated by the travellers’ reports of wondrous beings, was gradually replaced in Dutch perception by a postulated »hierarchy of civilisations« at a global level.

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language possesses only words to express oneself in daily intercourse according to the limited development (ontwikkeling) of those speaking it« (BUZ 1867: 2). Such cognitive deficiencies the missionaries deduced above all from the people’s persistent indifference towards the blessings of Protestant Christianity. They were »heathens in the full meaning of the word, for they are totally insensitive […] to the salvation of their soul.« For »since the people stand on a very low level, they have no spirituals needs« (BUZ 1887: 119). And even though the presumed »empty space of their insensitivity« enabled them to face death and »enter eternity with such calm, quiet and reassurance« shielding them from experiencing emotional disturbance and despair (so that »there are no suicides among Alfurs«), they had »no or little conception (denkbeeld) of Divine worship (Godsvereering)« either. »They do have many customs, morals and habits but one absolutely cannot place them with any certainty in the domain of their religion« (BUZ 1869: 55). The missionaries ascribed this deficiency in intellectual faculties and religious awareness to the people’s particular historical past. Whereas they themselves were unaware of it, a retrognostic application of both the social-evolutionist and the Biblical models of world history provided the clue. »The origin of these customs the Alfur [himself] does not know, but I am convinced that were we to trace [this origin], we would enter the domain of atrocities and cruelty« (BUZ 1869: 55). Myths from the Old Testament furnished the model accounting for the ›historical‹ genesis of such differentiations among peoples and their cognitive and moral achievements. For example, the linguistic diversity in the North Moluccas (where both Austronesian and Papua Phylum languages are spoken) originated in the Biblical episode of the Tower of Babel and had been provoked by »the Pentecostal miracle« (BUZ 1867: 5). Let us recall once more how the North Halmaheran peoples situated human sociality in the ancestral order of their own villages but relegated other societies from the past to the a-temporal domains of nonsocial spirits – reservoirs ›life‹ that was no longer, or not yet, embodied in humans and their domesticated species. Any endeavour, whether

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through regular affinal transfers or by acts of healing, to incorporate this ›life‹ into the social order required that this ›life‹ and its spirit ›owners‹ be subordinated to the society’s ancestral authority. To some extent the missionaries perceived this indigenous socio-logic. »[…] Ancestral customs and habits have a greater valid authority (geldig gezag) among them than written and sworn laws in many another country […]«, yet this did not imply that their social order should be granted a status valuable per se. For in a society where ancestral injunctions were not laid down in codified laws the »Sun of Justice« could not »spread its rays in full midday« (BUZ 1869: 56). And although illiteracy and the »lack of reason« made it difficult »to proclaim Christ among them by words«, this was the task the missionaries had set themselves. The ancestral injunctions and the ritual actions which these informed would have to be eradicated in favour of a social order in full accordance with universally valid Divine commands. Hence the prayer uttered by one of the missionaries: »Oh, Spirit of reason (Geest des verstands), fill our hearts, so that we may attempt to destroy those customs, morals and habits with caution and carefulness«; to which a Divine voice answers: »Thou, violator (aanrander) of these customs, morals and habits, lean and support yourself on the living God, for without His wise leadership thou will turn from peacemaker into a disturber of order« (BUZ 1869: 56).

M ISSIONARY I NTERVENTIONS H EALING P RACTICES

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This missionary task to subject the local societies to the perennial order of Calvinist Christianity and thereby to raise their status within the overall order of universal humankind involved the attempt to radically transform these societies’ understanding of the universe. It aimed at replacing the conceptual contrast, described earlier, between the social domains under ancestral authority and the non-domesticated spirit domains by a Manichean-type of moral distinction between God and

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Satan, good and evil. The missionaries perceived any ritual interaction between the social and non-social domains, aimed at the incorporation of ›life‹ from the spirit domains into those of the villages and their Houses, as an inadmissible – if not unthinkable – ascription of positive value to Satan. In doing so they persistently ignored the basic distinction between spirits and ancestors as the two core categories of cosmological agency. In line with their perception of both ›nature‹ and society as manifestations of God’s omnipotence they categorically qualified the different types of authority (›ownership‹), which people assigned to spirits and ancestors respectively, as the same illegitimate assumption of Divine power that in the beginning of Biblical time had alienated Satan from God. Hence the supreme village ancestors (wongemi), called to the village temples to authorise rituals of warfare and secondary funeral and of focal importance in the construction of communal social identity, the missionaries categorically identified as ›Satan‹, even though they hardly grasped their significance. They merely were »something connected with their religious ideas (voorstellingen), about which not more could be heard« (BUZ 1865: 196). Nevertheless the sooner the ancestors would be morally disqualified and subjected to God the better. »It is about time that the Conqueror of Satan is made known to them, so that here, where the throne of Satan stands, the community of our dear Redeemer may be founded too« (BUZ 1865: 194). The missionaries’ conception of an omnipresent God thus excluded by definition any positive valuation of indigenous ancestors and spirits and the ritual practices in which these were involved. They therefore strove to prevent people from fulfilling their kin-specific obligations in conducting the elaborate mortuary rituals that would transform the dead into ancestral ›images‹. Reducing all ritual tasks to ›satanic‹ practices they fundamentally failed to understand their significance for people’s participation in the cosmological cycle. Burning ancestral shrines and actually challenging the ancestors to strike their descendants in revenge of this spiritual auto-da-fé (BUZ 1874: 136) they simply dismissed the fact that in indigenous understanding such ac-

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tions would provoke disastrous ancestral retaliations indeed.19 When, in 1873, a prolonged period of drought threatened to ruin the rice harvest they rejected people’s requests to pray to the Christian God for rain as long as Ternatan Muslims in Galela mosques implored Allah to do so and Galela themselves made offerings to their ancestors to that end (BUZ 1874: 53-58). Under no circumstances were they prepared to ask for Divine intervention as long as the »Alfur attributes to our prayer an idolatrous magical force (afgodische tooverkracht)« (BUZ 1874: 66). Such a categorical exclusion of any cosmological conceptions and the ritual actions grounded in them that were not in accordance with Calvinist orthodoxy time and again led to dramatic consequences. When, in 1873, a missionary was called to a Galela child in high fever he observed laying next to the child a healer in trance. He thereupon smashed the bottle he had brought with him, throwing the quinine into the air saying: »[...] if you practice [spirit] possession/trance (Galela gominhati), the child will die«. »That afternoon«, he reported, »I was called to the child again, alas, only to close its eyes« (BUZ 1874: 59). This practice to make the supply of medication conditional on the people’s subscribing to the Christian faith was more than a mere strategy of conversion. It reflected the missionaries’ conviction that modern medication would only be efficacious if it were authorised by God. Ultimately it was He who healed, an agency mediated by the medicines

19 More than a century later, this devaluation of ancestral agency, resounding in the sermons preached from the pulpits in Protestant Churches in Tobelo still provoked bewilderment among the believers. »How can [the ministers] say so? Do not these ancestors (ma gomanga) help and protect us?« Yet the indigenous Christian Church’s (Gereja Masehi Injili Halmahera) persistent demonisation of ancestors and spirits alike – supported by the political rejection of all indigenous beliefs not according with the conception of ›religion‹ as defined by the Pancasila ideology of the Suharto State (identifying animis cosmology with kommunis political ideology) – by that time had resulted in a subversive praxis of sacrifice and healing, the knowledge of which could be transmitted (also to the anthropologist) in secrecy only.

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supplied by missionaries, just as it was Satan, disguised as the ancestors and spirits addressed in the healing rituals, which the missionaries believed to cause illnesses in the first place. This Calvinist aetiology was all the more remarkable in view of the ideas propagated by the medical profession in Europe at the time. Postert (2004) has drawn attention to the fact that in the second half of the 19th century a materialist conception of the human body had gained supremacy. Elaborating on the Cartesian mechanistic model of the body and principally rejecting both Romanticist ideas and popularmedical practices as ›irrational‹ and ›superstitious‹, it had culminated in the emergence of a positivist-defined and state-controlled biomedicine as an autonomous domain. There »the notion of ›popular medicine‹ became a battle concept of an institutionalising medical corps that attempted to marginalise non-academic forms of healing and monopolise the competence in treatment« (Postert 2004: 47; translation mine, J.P.). Rather than following the medical guild in this rejection of all ›supernatural‹ influences on the condition of the human body the missionaries, although not questioning the usefulness of biomedical treatment as such, believed its efficacy dependent upon the authority of an omnipotent God. Instead of subscribing to a perennial order of the ›natural laws‹ governing the condition of human body they situated such an order in the all-encompassing domain of Calvinist cosmology, stipulating that the seemingly random occurrence of illness was ›predestined‹ by a God who ultimately determines the ›medical‹ condition of humankind in the past, the present and the future – a hierarchical logic not principally different from that of ›popular‹ medicine in Europe at the time.

T HE S UBORDINATION OF C ALVINIST R ELIGION TO N ORTH H ALMAHERAN S OCIO -C OSMOLOGY While this perennial, all-encompassing order of Calvinist Christianity at the time was contested by the European medical profession claiming

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epistemological autonomy for its own fragmented domain of biomedicine, in North Halmahera its contestation emerged from the altogether different but no less encompassing cosmological order of the local societies. Several facts indicate that this holistic order did not allow for a value differentiation between the domains of ›religion‹, ›biomedicine‹ and ›society‹. The very presence of Dutch missionaries and colonial officers in their midst could not be dissociated from the collective memory, preserved in myths, of the first appearance of and interactions with the Dutch in the region. The United East Indian Company (Vereenigde Oost-Indische Compagnie), the superior firepower of which according to the myths had enabled the Ternatan sultanate to destroy the Moro villages and transform their inhabitants into eternally present spirits (Platenkamp 1993), had been dissolved in 1799 and replaced by the Netherlands Indies colonial administration. Some two hundred years later, however, the people, failing to distinguish between social, political and religious identities, not only still perceived all Dutch present as members of this kompani, they also expected that conversion to Christianity would turn them into »Company people« (Indonesian orang kompani) themselves (BUZ 1908: 21). This classificatory holism profoundly annoyed the missionaries, since it deprived them of a status that they claimed to be authorised by the tenets of ›religion‹ exclusively. Hence they judged the people being »totally indifferent concerning anything resembling religion (alles wat naar godsdienst zweemt), they do not hate Christianity at all, no, it just has no attraction for them. If tomorrow the Government would issue an order that all must go to church on Sunday, be baptised and become Christian, this would be heard just like an order that ›the [Dutch] Resident is approaching, all must go to the beach‹. […] When we discuss this they say: ›but, sir, you did not order us‹. But if they are instructed to do something of their own (vermaand uit eigen beweging te doen) [the paradox escapes this missionary] that differs from what they are used to, it is always: ›this is not our custom‹« (BUZ 1880: 57). Precisely because the identity ascribed to the missionaries derived from the kompani’s past, they tended to be valued as non-social beings,

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sharing a spirit identity with all those ›strangers‹ who existed in the timeless non-social domains. When, in the early 1880s, the first Christian village in Galela had been founded and given the Biblical name of ›Duma‹ (Isaiah 21:11-12) – proclaiming a somewhat premature victory over ›Babylonian heathendom‹ 20 –, the Galela named the place m[o]rodoko, »habitation of the invisible [Moro] people« (BUZ 1887: 72 note 1) since its inhabitants were forbidden to partake in the ritual exchanges generating human sociality. 21 Likewise, unknown agricultural implements used by the missionaries identified them as »working for the jinni [spirit]« (BUZ 1867: 184). This valorisation of the Calvinist religion and its missionary representatives in terms of the overall order of North Halmaheran sociocosmology was also extended to the aetiology of illness and the praxis of healing. In line with the experimental procedures discussed earlier, in which a successful healing identified retrognostically the spirit that in the absence of ancestral protection had caused the illness, one deduced from a successful bio-medical therapy applied by the missionaries not only the efficacy of their medicines as such but also Dutch ›spirits‹ as the ›origin‹ of the illness cured.22 One therefore did not hesitate to engage such Dutch spirit agency whenever one’s own healers proved unable to cure illnesses »that have been caused by a foreign power (uitheemsche macht)« (BUZ 1887: 43). The missionaries indignantly refused to be engaged in such experimental healing procedures

20 »[...] Babylon is fallen, is fallen; and all the graven images of her gods he hath broken unto the ground […]« (Holy Bible, King James’ Version, Isaiah 21:9). 21 When I myself in 1979 first appeared in the Tobelo village of Paca, the village people assigned me a house to live in that – as I learned much later – had been evacuated long ago because the presence of spirits had led to the death of its inhabitants. 22 In the 1980s Tobelo still argued that illnesses cured by »western medicines« (Indonesian obat barat) identified these as »western illnesses« (Indonesian penyakit barat) (Platenkamp 1996).

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involving ›satanic‹ forces. So when a man asked a missionary to write a note that he could use to expel a spirit from large tree growing in his rice field, the latter angrily refused, saying »the devil does not live in the tree but in your heart« (BUZ 1874: 184). Another missionary described a ritual, in which several healers in succession attempted to heal an elderly man, as »a scene of blind, coughing, crippled sorcerers seeking for the medicine that might heal the ill one […]. Under their screams and shouts the dying calls his sons«. The latter being converted Christians invoked God instead. »What a contrast, children called at their Father in Heaven, the aged at the devil in hell« (BUZ 1900: 148). The Calvinist axiom that »diseases and weaknesses are sent by our Lord and have nothing to do with tribal spirits« (BUZ 1903: 118) informed a prognostic praxis that was accorded superior efficacy. For instead of contesting the North Halmaheran perennial order invoked in the local healing rituals with that of the ›natural laws‹ of biomedicine as the foundation of medical prognostication, it was the perennial order of Calvinist religion that should entirely invalidate the local cosmology. »[…] Christians who put their faith in the Lord cannot be affected by heathen sorcery« (BUZ 1903: 118). Paradoxically, such a universally valid Calvinist cosmology should also transcend the sociopolitical value distinctions, which the missionaries assigned to ›Alfurs‹, ›Muslims‹ and Christian Europeans in accordance with socioevolutionist thought. This ideological consequence they were not prepared to accept. When one missionary attempted to forbid a man to perform a mortuary ritual, saying that all deceased »must appear before God« instead, the man argued that this may be true for the Dutch but not for them. The missionary rejoined that »before God all people are equal«, but not without lamenting that »this appeals to their hubris (hoogmoed), that they are equal to whites« (BUZ 1874: 190-191).

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C ONCLUSION The idea that past, present and future events be determined by perennial orders is the epistemic precondition of all prognostic praxis. By subordinating the erratic events unfolding in the course of an individual person’s lifetime to conditions of existence deemed continuously present and permanently valid a value is proclaimed far superior to that adhering to any unpredictable state of being. For whereas societies in the present and in the past may conceive of such orders and their implementation in specific domains of knowledge and action in very different forms, they reflect the fundamental endeavour undertaken in all cultures to impose regularity on irregularity, continuity on discontinuity, knowledge on ignorance and permanence on transiency. A comparative analysis of their perennial orders therefore allows us a privileged insight in the ways societies construct the systems of ideas and values, in terms of which their social actions are conceptualised and valorised. Particularly in those cases in which different perennial orders are confronted and contrasted with each other – whether as alternative types within a single society or between those of different ones – can their outlines be drawn more sharply and their properties identified with greater precision. The societies of North Halmahera in the second half of the 19th century offer such a case. Their incorporation into the Dutch colonial empire and their becoming exposed to the tenets of Calvinist religion generated an ideological arena, in which different models of perennial order – each with its particular hierarchical structure – competed for epistemic and moral hegemony. The local societies subjected a timeless order of spirit domains containing ›life‹ not yet or no longer embodied in people to the ancestral order of the social domains governed by the cyclical transformation of ancestral ›images‹ at a cosmic scale. This hierarchical subordination, ensured by the ritual imperatives issued by the ancestors, not only allowed for the incorporation of ›life‹ from the spirit domains into the village societies but also for the inclusion of other societies into these spiritual realms, hence into the societies’

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repertoire of ideas and values as a whole. The prognosis and retrognosis practised in healing rituals testified to this holism. In ascribing aetiological meaning and value to the representation of other societies in past and present – including the Dutch – one ignored the distinctions maintained by the latter between ›political‹, ›social‹ and ›religious‹ domains of knowledge and action. The Dutch Calvinist missionaries vehemently condemned this hierarchical subordination of foreign agency to the perennial orders of the spirit and social-ancestral domains. They endeavoured to implement a radically different perennial order instead. In contemporary Europe earlier forms of holism that had once subjected the condition of the human body and mind to religious and cosmological parameters and that still resounded in the ›superstitions‹ of ›popular‹ medicine had become fragmented. This had generated mutually exclusive domains of knowledge and action, creating an unbridgeable gap between biomedical science and Christian religion. The missionaries rejected these epistemic and moral disjunctions. They propagated an all-encompassing hierarchical duality of God and Satan, thus setting the parameters for the social, psychological and moral valuation of all peoples in the present and the past, ranking them according to the extent they acknowledged this religious ›truth‹. Attributing a universal and supreme validity to Calvinist cosmology they not only subordinated the efficacy of biomedical treatment to Divine agency but also dismissed the significance of the indigenous perennial orders for the reproduction of the social order per se. Only if people were prepared to subscribe to their perennial order might a positive value be assigned to their existence; if not, their life would belong to the realm of Satan. Ultimately, therefore, they envisaged a terrestrial ›kingdom of God‹ in which all ›Babylonian‹ distinctions between different societies had been ›conquered‹ by the perennial order of the Calvinist faith.

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Modelle der Bezugnahme auf Zukünftiges B ERND M AHR

V ORBEMERKUNG Nehme ich erfolgreich auf Zukünftiges Bezug, wenn ich von der bevorstehenden Ankunft des Zuges um 14:35 Uhr spreche, von der befürchteten Niederlage der Heimmannschaft, vom Naturgesetz der konstanten Geschwindigkeit der Lichtausbreitung im Vakuum, vom Tag des Jüngsten Gerichts, davon, dass zukünftig Information verfügbar sein wird wie Luft, davon, dass ich mir vorstelle, dass künftig Einhörner auf unseren Wiesen weiden werden, oder auch von der Gesamtheit des Zukünftigen und zugleich davon, dass alles Zukünftige unbestimmt ist? Scheitert eine Bezugnahme auf Zukünftiges, wenn ich mich irre, wenn es anders kommt als erwartet, wenn es keine absolute Sicherheit gibt, wenn nicht existiert, wovon die Rede ist, wenn ich in Metaphern spreche, wenn ich mir etwas vorstelle, und wenn nicht bestimmt werden kann, was gemeint ist? Wir nehmen aber nicht nur mit sprachlichen Mitteln auf Zukünftiges Bezug, sondern auch mit jeder Entscheidung und jeder Handlung, deren Folgen eventuell erst später eintreten, z.B. mit einer Wette, mit einem militärischen Präventivschlag, mit dem Einbau einer Heizung

112 | M AHR

oder auch mit jeder im Affekt ausgeführten schützenden Bewegung.1 Scheitert eine solche Bezugnahme, wenn das intendierte Ergebnis der Entscheidung oder Handlung nicht eintritt? Und scheitert die schützende Bewegung in ihrem Bezug auf einen erwarteten Schlag, wenn sie in dem Sinne erfolgreich ist, dass sie den Schlag verhindert? Und wenn eine Bezugnahme auf Zukünftiges scheitert, wann scheitert sie dann: Scheitert sie zum Zeitpunkt des Bezugnehmens, scheitert sie, wenn das Scheitern noch ungewiss ist, oder erst dann, wenn die Verhältnisse klar sind, oder scheitert sie nie, obwohl sie doch scheitert, weil das Ereignis ihres Erfolgs nie eintritt, es aber zu keiner Zeit die Möglichkeit gibt, den Erfolg auszuschließen? Ohne Zweifel ist die Aussage wahr, dass ich sterben werde; aber nehme ich mit ihr auf etwas Zukünftiges Bezug, d.h. auf das Ereignis meines Todes, oder auf etwas Gegenwärtiges, d.h. auf die Eigenschaft meiner Sterblichkeit? In diesem Aufsatz geht es um die Frage, wie der Akt der Bezugnahme auf Zukünftiges erklärt werden kann und welche Annahmen und Vorstellungen einer erfolgreichen Bezugnahme auf Zukünftiges oder deren Scheitern zugrundeliegen.2 Zu diesem Zweck diskutiere ich drei Perspektiven auf die Bezugnahme und eine Auswahl von Modellen.3 Es zeigt sich, dass der Akt der Bezugnahme auf Zukünftiges in

1

Diese Beobachtung steht im Widerspruch zur Behauptung der Sprachgebundenheit von Zukunft und Zukünften; vgl. Grunwald, Armin: »Prognostik statt Prophezeiung – Wissenschaftliche Zukünfte für die Politikberatung«, in: Daniel Weidner/Stefan Willer (Hg.), Prophetie und Prognostik – Verfügungen über Zukunft in Wissenschaften, Religion und Künsten, München 2013, S. 81-95, hier S. 87ff.

2

Ich frage in diesem Aufsatz nicht, mit welchen natürlich- oder formalsprachlichen Mitteln wir über zukünftige Sachverhalte sprechen können, in welchen Modellen dieses Sprechen interpretiert werden kann, wann es konsistent ist, und welche Implikationen Aussagen über Zukünftiges haben.

3

Die Auswahl der Modelle ist notwendig subjektiv. Sie kann nicht den Anspruch erheben, erschöpfend zu sein, in dem Sinne, dass durch die ausgewählten Modelle alle für die Erklärung des Akts der Bezugnahme auf Zu-

M ODELLE DER B EZUGNAHME AUF Z UKÜNFTIGES | 113

der Literatur sehr verschieden erklärt wird und dass die Unterschiede der Erklärung bei den Bedingungen des Erfolgs und des Scheiterns besonders deutlich werden. Auch wenn Zukünftiges, im Gegensatz zu Vergangenem, als etwas verstanden wird, dessen Unbestimmtheit nicht nur im fehlenden Wissen, sondern, gleichsam verschärfend, auch in der unbestimmten Existenz des Kommenden liegt, so wird die Frage des Erfolgs oder Scheiterns einer Bezugnahme auf Zukünftiges doch vorwiegend als eine Frage gesehen, die sich mit der Bezugnahme auf Vergangenes, dessen Existenz als Gewesenes bestimmt ist, nicht anders stellt. Überhaupt zeigt sich, dass die verschiedenen Erklärungen der Bezugnahme weniger die Zeitlichkeit dessen betreffen, auf das Bezug genommen wird, als vielmehr den Akt des Bezugnehmens für sich. Die hier behandelte Frage nach der Bezugnahme auf Zukünftiges steht im Zusammenhang der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu dem, was ihm in seinem Bewusstsein als Welt oder Möglichkeit erscheint. Sie ist daher eng mit den Fragen nach der Bestimmung des Seins und der Existenz, der Möglichkeit des sicheren Wissens und der Erklärung von Raum und Zeit verbunden. Den folgenden Ausführungen liegt die Überzeugung zugrunde, dass, trotz des von uns unabhängigen Vorhandenseins einer uns umgebenden und uns selbst enthaltenden realen Welt, unsere Möglichkeiten der Bezugnahme grundsätzlich der Auffassung unterliegen, die wir in jeweiliger Gegenwärtigkeit von dieser Welt und ihrem zeitlichen Verlauf haben, und dass daher jede Bezugnahme ein Bezugnehmen auf den Inhalt einer Auffassung ist, weil für uns, so nahe wir dieser realen Welt und ihrem Verlauf in der Zeit auch immer kommen, diese Welt nicht anders als durch unsere Auffassung von ihr zugänglich ist. Für uns ist diese Welt deshalb eine aufgefasste Welt. 4 Von dieser Vermittlung durch unser

künftiges relevanten Aspekte abgedeckt sind. Eine Bedingung der Auswahl war, dass die ausgewählten Modelle auf das Denken in den Wissenschaften maßgebenden Einfluss hatten oder noch haben. 4

Anmerkung der Herausgeber: Um der Charakteristik des Aufsatzes gerecht zu werden, haben wir auf Wunsch des Autors von einer redaktionellen

114 | M AHR

Auffassen sind auch die Kategorien der Ontologie, die Sicherheit des Wissens und die Dinge in ihrer Objektivität nicht ausgeschlossen. Sie sind nicht absolut, d.h. nicht von jeglichem Einfluss des auffassenden Subjekts unabhängig. Diese Überzeugung begründet auch das am Ende dieses Aufsatzes skizzierte Modell der Auffassung, das als Konzeptualisierung des Zusammenhangs der Bezugnahme verstanden werden kann.

W AS

IST EINE

B EZUGNAHME

AUF

Z UKÜNFTIGES ?

Zu sagen, was Zukünftiges ist, ist weder selbstverständlich noch trivial. Darüber hinaus ist es eine Frage der Auffassung. Und was es heißt, auf etwas Bezug zu nehmen, ist nicht weniger verwoben, und ebenfalls eine Frage der Auffassung. Auffassungen lassen sich aber befragen. Zukünftiges und Bezugnahme Als Zukünftiges gilt uns im Alltag das, was, soweit wir dies erkennen können, im Zeitverlauf der realen Welt möglicherweise sein wird, selbst wenn es dann tatsächlich niemals kommt. Wenn wir mit diesem Verständnis von ›Zukünftigem‹ sprechen oder etwas ›zukünftig‹ nennen, ist bei genauerer Betrachtung jedoch nicht klar, was genau wir damit meinen. Insbesondere ist unklar, was das ist, von dessen Zukünftigkeit wir sprechen, und was es bedeutet, zukünftig zu sein. Und klar ist auch nicht, von welcher Perspektive aus und auf welche Sicherheiten gestützt wir Aussagen über Zukünftiges machen können. Wenn hier mit der Absicht einer analysierenden Betrachtung von Zukünftigem die Rede ist, muss es aber zumindest eine Ahnung davon geben, was das bedeuten soll: Als Zukünftiges soll hier jeder Gegenstand und jeder Sachverhalt verstanden werden, dessen Existenz oder Bestehen in

Überarbeitung der typographischen Stilmittel (Kursivierung, einfache Anführungszeichen) abgesehen.

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der Zukunft für möglich erachtet wird. Auch diese Formulierung stützt sich auf Begriffe, die erklärungsbedürftig sind.5 Aber sie legt doch fest, dass hier mit dem Wort ›Zukünftiges‹ nicht etwas gemeint ist, das tatsächlich in der Zukunft existieren oder bestehen wird, sondern etwas, dessen Qualifizierung als zukünftig vom Erachten eines Subjekts abhängt. Auf Zukünftiges beziehen wir uns, wenn wir etwas planen, eine Prognose abgeben, etwas datieren, das in der Zukunft liegt, oder einem Gesetz zeitlose Gültigkeit zuschreiben. Auf Zukünftiges beziehen wir uns auch, wenn wir einen Wunsch haben oder etwas erwarten wie das Ergebnis einer Handlung oder das Eintreten eines Geschehens, etwa bei einer Investitionsentscheidung, die ja die Vorstellung einer zukünftigen wirtschaftlichen Situation voraussetzt und im Allgemeinen mit einer bestimmten Erfolgserwartung verbunden ist. Und auf Zukünftiges beziehen wir uns auch dann, wenn wir etwas fürchten, selbst wenn wir davon kein Bewusstsein haben. So kann man allgemein sagen, dass wir uns auf Zukünftiges beziehen, wenn wir uns in einem geistigen Zustand befinden, der auf Zu-

5

In groben Formulierungen: Als Gegenstand wird hier etwas verstanden, das Eigenschaften hat und in Beziehungen zu anderen Gegenständen stehen kann; wir sagen, dass ein Gegenstand in einer Welt existiert, wenn er in dieser Welt vorhanden ist; als Sachverhalt wird hier ein Zusammenhang von Eigenschaften und Beziehungen von Gegenständen verstanden; auch ein Sachverhalt kann ein Gegenstand sein; und wir sagen, dass ein Sachverhalt in einer Welt besteht, wenn er in dieser Welt als Gegenstand existiert; als Welt wird hier ein mit dem Verlauf der Zeit sich ändernder Zusammenhang existierender Gegenstände und bestehender Sachverhalte bezeichnet; Realität und reale Welt bezeichnen das, was uns in unserem Bewusstsein als die uns umgebende und uns selbst umfassende Welt erscheint; Gegenstände und Sachverhalte heißen real, wenn sie zur Realität gehören; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind Begriffe, die Abschnitte des Zeitverlaufs einer Welt bezeichnen, in denen Gegenstände und Sachverhalte früher als jetzt, jetzt bzw. später als jetzt existieren können.

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künftiges gerichtet ist, d.h. auf etwas, dessen Existenz oder Bestehen in der Zukunft wir zum Zeitpunkt der Bezugnahme für möglich erachten. Mit dieser Formulierung kommt zur Erklärungsbedürftigkeit des Zukünftigen noch die Erklärungsbedürftigkeit des Bezugnehmens hinzu. Weil weder das Zukünftige noch die Bezugnahme auf Zukünftiges, und auch das Bezugnehmen für sich, nicht an die Sprache gebunden sind, kann eine Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges nicht alleine von der Sprache ausgehen. Ihre Erklärung ist deshalb kein ausschließliches Thema der Grammatik 6 oder der Sprachsemantik. Deshalb soll Bezugnahme hier auch nicht als Referenz mit sprachlichen Mitteln verstanden werden, sondern in einem grundlegenden und nicht notwendig an Sprache gebundenen Sinn, wenngleich der Sprechakt der Referenz7 ein wichtiger Fall des Bezugnehmens ist. Eine Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges ist auch nicht eine Frage der Kategorisierung von Existierendem, wenn man dabei Existenz als etwas Absolutes versteht, d.h. als etwas, das von jeglichem auffassenden Geist unabhängig ist. Denn dann blieben die Beziehungen zwischen dem Geist und den Dingen, und damit auch das, was eine Bezugnahme konstituiert, von der Erklärung unberührt. Vielmehr verlangt eine Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges, den Akt des Bezugnehmens durch

6

Mit den Mitteln der Sprache kann auf Zukünftiges verwiesen werden. Die deutsche Grammatik erlaubt es, mit sechs ihrer zehn Wortarten zeitlich auf die Zukunft bezogene Bestimmungen und Modifikationen auszudrücken: Durch Verben (z.B. durch die Zeitformen des Futur oder durch ihre inhaltliche Bedeutung wie in ›ich erwarte‹), durch Substantive (z.B. ›das Werden‹ oder ›das Zukünftige‹), durch Adjektive (z.B. ›baldige Ankunft‹, ›künftige Generationen‹ oder ›unmögliches Ereignis‹), durch Adverbien (z.B. ›heute‹, ›bald‹, ›künftig‹ oder ›immer‹), durch Präpositionen (z.B. ›in Folge des‹) und durch Konjunktionen (z.B. ›bevor‹ oder ›wenn‹). Darüber hinaus kann man in Sätzen auch unmittelbar über Zukünftiges sprechen (z.B. »Die Zukunft ist ungewiss«).

7

Vgl. Searle, John R.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, Frankfurt a.M. 1971, S. 114-149.

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eine Beziehung zwischen einem Subjekt und einem Objekt zu erfassen und auf etwas zu stützen, das der Sprache, der Logik, der Handlungstheorie und auch der Ontologie voraus geht: die Intentionalität, d.h. die Eigenschaft oder Charakteristik geistiger Zustände, auf etwas gerichtet zu sein.8 Auch wenn die folgenden Formulierungen zur Bezugnahme nicht ohne weiter gehende Erklärungen klar sind, können sie der Diskussion dennoch eine Orientierung geben. Dass solche Erklärungen stark von Annahmen und Überzeugungen abhängen, zeigen die nachfolgend diskutierten Modelle, die für die Bezugnahme, und speziell auch für die Bezugnahme auf Zukünftiges, einen erklärenden Rahmen bilden. Allgemein soll hier unter einer Bezugnahme auf ein Objekt ein Akt eines Subjekts verstanden werden, dem ein intentionaler geistiger Zustand des Subjekts zugrundeliegt, der auf das Objekt der Bezugnahme gerichtet ist. Wir erwarten, dass es durch eine Bezugnahme auf etwas zu einer intentionalen Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Bezugnahme kommt, d.h. zu einer Beziehung zwischen dem Subjekt und dem, auf das der intentionale geistige Zustand, in dem sich das Subjekt befindet, gerichtet ist. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den Annahmen des erklärenden Modells und von den konkreten Gegebenheiten der Bezugnahme ab. Deshalb sagen wir, dass eine Bezugnahme scheitert, wenn es durch den ihr zugrundeliegenden intentionalen Zustand nicht zu einer intentionalen Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Bezugnahme kommt. Anderenfalls, sagen wir, ist sie erfolgreich.

8

Zu den Begriffen der Intentionalität siehe unten die Ausführungen zu Brentano, Twardowski, Husserl und Searle. Während Brentano und Twardowski Intentionalität als Charakteristik psychologischer Akte verstehen, spricht Searle von Intentionalität als einer Eigenschaft, die ein psychischer Zustand haben kann. Ich folge hier Searles Sprechweise. Als intentionalen Akt bezeichne ich einen Akt, dem ein intentionaler Zustand zugrundeliegt.

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Gründe für das Scheitern einer Bezugnahme können sein, dass das Objekt der Bezugnahme nicht existiert oder dass seine Identität durch die Bezugnahme nicht eindeutig bestimmt ist. Das ist insbesondere bei der Bezugnahme auf Zukünftiges häufig der Fall. Aber auch unabhängig von den Annahmen eines erklärenden Modells fallen die Existenz eines intentionalen Zustands in der Bezugnahme auf Zukünftiges und die Existenz einer Beziehung zwischen einem intentionalen Zustand eines Subjekts und Zukünftigem nicht in eins, weil es bei allem, was wir gegenwärtig wahrnehmen, fühlen, denken, sagen, urteilen und tun, auch ohne eine Bezugnahme zu einer Beziehung zum Zukünftigen kommt. Denn durch den Verlauf der Zeit, wie wir ihn allgemein verstehen, ist alles Wahrgenommene, Gefühlte, Gedachte, Gesagte, Geurteilte und Getane in dem Sinne beständig, dass es immer etwas sein wird, das in der Vergangenheit wahrgenommen, gefühlt, gedacht, gesagt, geurteilt oder getan wurde. Solche Beziehungen, die nicht nur intentionale Zustände eines Subjekts, sondern jedes gegenwärtige Bestehen eines Sachverhalts mit Zukünftigem verbinden, gehören zu den Möglichkeitsbedingungen von Verantwortung, Erinnerung, Erfahrung, Vergessen und Wissen, und sind eine Voraussetzung unserer Geschichte. Beziehungen dieser Art sind unvermeidlich. Wir sind ihnen ausgesetzt. Auch wenn diese unvermeidlichen, durch die Beständigkeit bestehender Sachverhalte konstituierten Beziehungen keine intentionalen Beziehungen sind, können sie dennoch Akten der Bezugnahme zugrundeliegen. Das zeigen zwei Beispiele, die zugleich die instrumentelle Funktion des intentionalen Zustands für die Bezugnahme verdeutlichen: Wenn wir, als erstes Beispiel, unsere Meinung über ein vergangenes Ereignis sagen, damit wir sie irgendwann später dann schon gesagt haben, dann ist der damit vollzogene Sprechakt auf Vergangenes gerichtet, sodass es direkt zu einer Bezugnahme auf Vergangenes kommt; indirekt kommt es durch die Absicht der Sprechhandlung aber auch zu einer (erfolgreichen) Bezugnahme auf Zukünftiges, das das intendierte in der Zukunft liegende Es-schon-Gesagthaben ist. Und wenn

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wir, als zweites Beispiel, in einem Gespräch darauf bestehen, dass wir unsere Meinung über das Vergangene, das gerade Thema ist, schon gesagt haben, obwohl wir, als wir sie sagten, unser späteres DaraufZurückkommen nicht intendiert hatten, dann beziehen wir uns auf das Es-schon-Gesagthaben, das als Sachverhalt in der Gegenwart nur deshalb besteht, weil das Gesagthaben beständig ist. Beide Beispiele machen also von der Beständigkeit bestehender Sachverhalte Gebrauch: Im ersten Beispiel erzeugt der auf die Vergangenheit gerichtete Sprechakt auch eine Bezugnahme auf Zukünftiges, im zweiten Beispiel dagegen liegt dem auf die Gegenwart gerichteten Sprechakt trotz der Beständigkeit des Gesagthabens kein auf Zukünftiges gerichteter intentionaler Zustand zugrunde, sodass es deshalb auch zu keiner Bezugnahme auf Zukünftiges kommt. Fragen zur Bezugnahme auf Zukünftiges Ein Modell, das den Akt der Bezugnahme auf Zukünftiges erklärt, setzt analysierende Betrachtungen voraus, durch die erkannt wird, welche Beziehungen und Zusammenhänge das Charakteristische der Bezugnahme auf Zukünftiges konstituieren. Solchen Betrachtungen stellen sich vordringlich drei Fragen: 1.

2. 3.

Wie, allgemein, steht ein Akt der Bezugnahme mit einem intentionalen Zustand in Beziehung, der auf das Objekt der Bezugnahme gerichtet ist? Von welcher Natur ist dieses Objekt der Bezugnahme, besonders im Fall von Zukünftigem? Unter welchen Voraussetzungen ist eine Bezugnahme erfolgreich und wann scheitert sie, insbesondere eine Bezugnahme auf Zukünftiges?

Antworten auf diese drei Fragen zur Bezugnahme sind nicht unabhängig voneinander. Sie liegen nicht auf der Hand, weil sie nicht einfach aus dem abgeleitet werden können, was unserem Bewusstsein vorder-

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gründig als natürlich erscheint. Darüber hinaus sind sie widerständig, weil man sie nicht beantworten kann, ohne dabei in grundlegende ontologische Probleme verwickelt zu werden. Eines der Probleme stellt sich dadurch, dass in einem Modell der Bezugnahme erklärt werden muss, wie eine intentionale Beziehung auf Gegenstände oder Sachverhalte zustande kommen kann, deren Identität zum Zeitpunkt der Bezugnahme eventuell nicht oder nicht genau genug bestimmt ist, und für die es zu diesem Zeitpunkt noch keine und, wenn man das so sagen kann, in den meisten Fällen sogar niemals eine Zeit der realen Welt gibt, in der sich ihre Existenz oder ihr Bestehen und ihre Identität erweisen. Damit verbunden sind auch die Fragen, ob Scheitern und Erfolg Eigenschaften einer Bezugnahme sind oder Ereignisse, deren Eintreten in der Zeit liegt. Natürlich kann man zur Lösung dieses Problems ein deterministisches Prinzip des Geschehens annehmen oder das Wirken eines über der Zeit stehenden Wesens, durch das feststeht, was wird. Denn dann ist die Existenz zukünftiger Gegenstände und Sachverhalte zumindest grundsätzlich entschieden, und Erfolg und Scheitern wären Eigenschaften, auch wenn wir deren Bestimmtheit nicht kennen, weil wir nicht mit Sicherheit sagen können, was zukünftig der Fall sein wird.9 Einer solchen Annahme fehlt jedoch die rationale Grundlage. Denn sie geht von etwas aus, über das wir als Sterbliche nichts wissen. Die im Folgenden diskutierten Perspektiven und Modelle zeigen jedoch, dass bei ihren Erklärungen Aspekte der Zu-

9

Hier gibt es einen erwähnenswerten Bezug zur Unentscheidbarkeit der Termination von Berechnungen: Zwar ist durch eine Turingmaschine bestimmt, ob sie bei einer Eingabe terminieren wird oder nicht, aber es gibt keine Turingmaschine, die das entscheiden kann (siehe hierzu die Church’sche und das Halteproblem für Turingmaschinen). Daraus kann man schließen, dass mit der Turingmaschinen eigenen Endlichkeit der Zahl der Symbole, Zustände und Instruktionen, trotz eines unbegrenzten Vorrats an Speicherplatz, die Existenz zukünftiger Situationen mit deren Eintreten zwar erkennbar ist, aber nicht in allen Fällen algorithmisch entschieden werden kann. Dieser Endlichkeit der Mittel unterliegen auch Menschen.

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künftigkeit gar nicht im Vordergrund stehen, sondern Aspekte, die die Akte des Bezugnehmens allgemein betreffen und die nur dadurch, dass die Bezugnahme auf etwas auch die Bezugnahme auf Zukünftiges einschließt, ein zusätzliches Gewicht haben. Als zentrales Problem stellt sich, dass man bei der Beantwortung der Fragen zur Bezugnahme auch Situationen erfassen muss, bei denen das Objekt der Bezugnahme nicht existiert. Folgt man mit einer Erklärung des Akts der Bezugnahme der allgemein vertretenen Striktheitsbedingung der Ontologie, die für die Existenz einer Beziehung die Existenz der durch sie in Beziehung stehenden Entitäten voraussetzt,10 dann käme es im Fall der Nichtexistenz zwischen dem Bezug nehmenden Subjekt und dem Bezugsobjekt zu keiner intentionalen Beziehung. Dann würde die Bezugnahme scheitern. Bei diesem Verständnis der Dinge würden Bezugnahmen auf Zukünftiges jedoch fast immer scheitern – und auch bei Bezugnahmen auf Vergangenes und Gegenwärtiges wäre das häufig der Fall. Es fragt sich deshalb, ob es für die Erklärung des Bezugnehmens angemessen ist, besonders auch bei der Bezugnahme auf Zukünftiges, den Akt der Bezugnahme als etwas zu betrachten, das fast immer misslingt. Denn was misslingt, ist doch, dass wir die Sicherheit finden, die wir mit der Wahrheit suchen. Deshalb muss aber der Akt des Bezugnehmens nicht scheitern. Der Verweis auf diese Probleme der Zukünftigkeit und der Nichtexistenz gibt keine Hinweise auf einen Weg zu ihrer Lösung. Zudem steht auch die Formulierung dieses Verweises auf tönernen Füßen, weil sie sich auf ein noch vages ontologisches Verständnis von Welt, Existenz, Wahrheit und Zeit stützt. In den Modellen, die den Akt der Be-

10 Obwohl die Annahme der Striktheit für Beziehungen eine verständliche und verbreitete Forderung der Ontologie ist, sieht sich Reinhardt Grossmann in seiner ontologischen Analyse der Welt gezwungen, bei intentionalen Beziehungen von dieser Annahme abzuweichen; vgl. Grossmann, Reinhardt: The Existence of the World. An Introduction to Ontology, London 1998, S. 91-96 und 112-115.

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zugnahme erklären, muss deshalb eine Lösung gefunden werden, die auch begrifflich fundiert ist. Von kritischer Bedeutung ist bei diesen Modellen das Verständnis des Objektbezugs. Sehr leicht kann es seine Selbstverständlichkeit aus einer ungerechtfertigten Idealisierung ziehen. Eine solche Idealisierung kann sich vor allem in den Auffassungen zur Trennung von Subjekt und Objekt und zu den möglichen Beziehungen zwischen beiden zeigen. Zwar ist es intuitiv naheliegend, das Objekt der Bezugnahme vom Subjekt zu trennen, weil uns Objekte in unserem Bewusstsein als etwas erscheinen, das abgegrenzt ist und das uns als etwas von uns Unabhängiges gegenüber steht, aber für die Erklärung des Begriffs vom Objekt ist dessen unüberbrückbare Trennung vom Subjekt problematisch. Denn sie kann nicht leicht aufrechterhalten werden, wenn man erklären will, wie es bei einer Bezugnahme zu einer intentionalen Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Bezugnahme kommt. Wie immer der Objektbezug auch verstanden wird, er ist vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Frage nach der Zugänglichkeit zu sehen, der Frage nach der (epistemischen) Erreichbarkeit der Wahrheit, verstanden als subjektunabhängige Richtigkeit von Aussagen. Die Frage der Zugänglichkeit berührt die Grenzen der Möglichkeit sicheren Wissens und verbindet ontologische und epistemische Aspekte der Bezugnahme.

D REI P ERSPEKTIVEN IM H INBLICK AUF DAS B EZUGNEHMEN Unter den vielen Perspektiven, von denen aus man auf Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt blicken kann, sind im Hinblick auf das Bezugnehmen besonders drei herausgehoben. Zum einen der Blick, der von einer subjektunabhängigen realen Welt ausgeht und in einem Objekt etwas sieht, das dem Subjekt als eine außerhalb und unabhängig von ihm existierende Entität gegenübersteht, die zu dieser Welt gehört und die sich dem Subjekt in ihrer Erscheinung zeigt, zu der das Subjekt eine Beziehung herstellt. Diese Perspektive soll hier reflektierend hei-

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ßen. Zum zweiten der Blick, der zwischen das Subjekt und die reale Welt eine Ebene von Axiomen oder Modellen einzieht, auf deren Objekte das Subjekt bei einer Bezugnahme referenzierend Bezug nimmt. Diese Perspektive soll hier vermittelnd heißen. Und zum dritten der Blick, der vom Subjekt ausgeht, das bei der Bezugnahme über Leistungen der sinnlichen Wahrnehmung und des Gehirns einen Bezug zu etwas herstellt, das ihm in seinem Bewusstsein als Objekt erscheint. Diese Perspektive soll hier erzeugend heißen. Bei allen drei Perspektiven stellen sich die drei Fragen zur Bezugnahme gleich: In welchem Sinne ist eine Bezugnahme auf etwas ein intentionaler Akt, was ist das Objekt der Bezugnahme und wann scheitert eine Bezugnahme? Die Antworten, die aus den jeweiligen Perspektiven gegeben werden, sind natürlich nicht gleich. Die reflektierende Perspektive der Wissenschaften Die reflektierende Perspektive wird vor allem in den Natur- und empirischen Wissenschaften eingenommen. Sie gehen von Objekten und Phänomenen aus, deren Absolutheit und Objektivität sie annehmen, und formulieren Aussagen, deren Richtigkeit sie durch Messungen, Experimente, Modelle und logisches Schließen begründen. In der Überzeugung, sich auf diese Weise der Wahrheit ihrer Aussagen annähern zu können, versuchen sie, soweit ihnen das möglich ist, subjektive Einflüsse auf Beobachtungen, Experimente, Modellbildungen und Schlussfolgerungen zu vermeiden. Idealerweise nennen sie die Voraussetzungen ihrer Befunde, wodurch ihre Aussagen einen deduktiven und nicht bestreitbaren Charakter erhalten.11 Objekte im Sinne der reflektierenden Perspektive sind Gegenstände und messbare Sachverhalte in der Welt, deren Objektivität als gesichert angenommen wird. Sie sind im ontologischen Verständnis der reflektierenden Perspektive kategorial von den Vorstellungen des Subjekts

11 Vgl. Poser, Hans: Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 2001.

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getrennt. Die Bezugnahme auf sie erfolgt durch ihre Identifikation, die die Trennung zwischen dem Bezug nehmenden Subjekt und dem Objekt der Bezugnahme überwindet. Dafür müssen Objekte definiert sein und wiedererkennbar oder reproduzierbar, und es muss das Erfülltsein der mit ihrer Identifikation verbundenen Identitäts- oder Erfüllungsbedingungen12 nachgewiesen und überprüft werden – indem sie z.B. wiederholt charakterisiert, gezeigt, benannt, beschrieben oder im Hinblick auf gegebene Klassifikationen in ihrem Typ oder in der Wahrscheinlichkeit ihres Vorkommens bestimmt werden. Die Identifikation von etwas ist ein intentionaler Akt. Ein wichtiges Ziel der Natur- und empirischen Wissenschaften ist die Vorhersagbarkeit von Ereignissen und Verhalten. Den Erfolg der damit einhergehenden Bezugnahme auf Zukünftiges rechtfertigen sie entweder mit Aussagen, deren zeitübergreifender Gesetzescharakter anerkannt ist, und die dadurch als zu jeder Zeit, also auch zukünftig, richtig angenommen werden, oder sie versuchen, das Scheitern der Bezugnahme dadurch zu vermeiden, dass sie ihre Vorhersagen für einen gewissen Zeitraum statistisch durch zeitliche Extrapolation und mit Argumenten der Skalierbarkeit, der Trägheit, der Stetigkeit und der Kontinuität absichern. Mit der Annahme der Objektivität von Gegenständen und Phänomenen, verstanden als deren subjektunabhängiges Gegebensein und Bestehen, stellt sich unabweisbar die Frage der Zugänglichkeit. Beim Verstehen der Wahrheit und ihrer Erreichbarkeit hat es eine lange Tradition, zwischen dem mit den Gedanken Erfassten und dem mit den Sinnen Wahrgenommenen zu unterscheiden.13 Während die Überzeu-

12 Vgl. Searle (wie Anm. 7); Searle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes, Frankfurt a.M. 1987. 13 Auch diese Unterscheidung wurde kontrovers diskutiert. Zum Beispiel äußert sich Platon despektierlich zu Protagoras’ homo-mensura-Satz: »Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, dass sie sind und der nicht Seienden, dass sie nicht sind.« (zitiert nach Platon: Theaitetos, 151e) Mit der Aussage, dass eine (sichtbare) Tangente einen (sichtbaren) Kreis an

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gung weit verbreitet ist, dass Aussagen, die von Beobachtungen abhängen, trotz aller Bemühungen um die Neutralität der Methoden, keine zweifelsfreie Bestätigung finden können und deshalb nicht sicher gewusst werden, sind die Überzeugungen zur Erreichbarkeit der Wahrheit durch die Kraft des Denkens kontrovers. Die vermittelnde Perspektive der Mathematik In gewissem Sinne nimmt auch die klassische Mathematik14 eine reflektierende Perspektive ein, weil sie gegebene Objekte betrachtet, die sie zu beschreiben und zu charakterisieren versucht. Aber ihre Perspektive ist vermittelnd. Denn sie geht bei ihren Aussagen und Beweisen nicht direkt von den Gegenständen und Phänomenen der (realen) Welt aus, sondern von (vermittelnden) Axiomen oder Modellen, die sie, ge-

mehr als einem Punkt berührt, steht Protagoras im Widerspruch zur Zugänglichkeit des ›Einsehbaren‹ durch das ›Wissen‹ (vgl. Platons Liniengleichnis in Platon: Der Staat, 509d-511e). Aristoteles löste den Konflikt später mit einer Zwei-Welten-Theorie auf: »Auch das ist nicht wahr«, sagt er, »dass es die Geometrie mit sichtbaren und vergänglichen Größen zu tun hat. Denn dann ginge sie ja zugrunde, wenn diese zugrunde gehen. Aber auch die Astronomie hat es nicht mit sichtbaren Größen und nicht mit diesem sichtbaren Himmelsgewölbe zu tun. Denn die sichtbaren Linien sind ja gar nicht von solcher Art, wie sie der Mathematiker meint! Denn von den sichtbaren Linien ist keine so gerade oder so gebogen, wie sie sich der Mathematiker denkt. Denn den sichtbaren Kreis berührt das Lineal nicht nur in einem Punkte, sondern es steht damit genau so, wie es Protagoras behauptete, als er die Mathematiker zu widerlegen suchte. Es sind auch die Bewegungen und Kurven am Himmel durchaus nicht gleich denen, über die die Astronomie ihre Forschungen anstellt, und die mathematischen Punkte haben durchaus nicht dieselbe Natur wie die sichtbaren Gestirne.« (Aristoteles: Metaphysik II 2, 997b) 14 Das Attribut ›klassisch‹ soll hier eine Abgrenzung gegenüber der intuitionistischen und der konstruktiven Mathematik ausdrücken.

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stützt auf die Annahme einer gerechtfertigten Abstraktion und Formalisierung, an die Stelle der Welt und ihrer Gegenstände und Phänomene setzt. Aus Axiomen leitet sie mit Hilfe von Beweisregeln der zugrundegelegten Logik Sätze und Theoreme ab.15 Und über Modelle,16 die sie im Allgemeinen als mengentheoretische Strukturen repräsentiert, formuliert sie, auf begriffliche Definitionen gestützt, Aussagen, die sie mit Argumenten beweist, die dadurch als korrekt begründet sind, dass sie als formale Ableitungen in der zugrundeliegenden Logik implementiert werden können.17 Axiomatisierungen und Modellbildungen sind keine Argumente. Sie entsprechen nicht formalen Ableitungen einer Logik, sondern sind subjektabhängige Setzungen, die in der Praxis auf Prinzipien der Formalisierung und der Gestaltung gestützt sind. Sie gelten als adäquat, wenn sie natürlich und leistungsfähig erscheinen, wenn die Aussagekraft und die Zusammenhänge der aus ihnen bzw. über sie beweisbaren Sätze und Theoreme überzeugen, und wenn sich deren Anwendbarkeit,

15 Mit den auf Giuseppe Peano, Gottlob Frege, David Hilbert und andere zurückgehenden Grundlagen der Mathematik wurde diese Technik des mathematischen Arbeitens zum Standard und in der sogenannten Metamathematik selbst zum Gegenstand mathematischer Betrachtung. Zu den bedeutendsten Ergebnissen der Metamathematik gehören die Theorie der Berechenbarkeit und die zum Paradigma für rechnende Maschinen gewordene Turingmaschine, die eine der Grundlagen heutiger Computer ist. 16 Modelle wurden durch Alfred Tarski zum Werkzeug der Mathematik. Der vermutlich erste Gebrauch seines Begriffs ›Modell‹ findet sich in Tarski, Alfred: »Über den Begriff der logischen Folgerung«, in: Actes du Congrès international de philosophie scientifique. Sorbonne, Paris, 1935, Bd. 7 Logique, Paris 1936, S. 1-11; zur Modelltheorie in der Mathematik vgl. z.B. Kreisel, Georg/Krivine, Jean-Louis: Modelltheorie. Eine Einführung in die mathematische Logik und Grundlagentheorie, Berlin u.a. 1972. 17 Vgl. Poser (wie Anm. 11); Salmon, Wesley C.: Logik, Stuttgart 1983; Ehrig, Hartmut/Mahr, Bernd et al.: Mathematisch-strukturelle Grundlagen der Informatik, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg 2001, S. 221-460.

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soweit sie diese Funktion haben, bestätigt. Ein frühes Beispiel dieser Technik der vermittelnden Perspektive ist Euklids Geometrie,18 die mit ihrer axiomatischen Grundlegung und der Strenge ihrer Beweise für viele Wissenschaften zum Vorbild des Strebens nach Objektivität geworden ist. Der Mathematik gelang es, sich mit der axiomatischen und der modelltheoretischen Methode von der Unschärfe und Überladenheit empirischer Gegenstände19 zu befreien und der mit den Mitteln der Logik nicht zugänglichen erfahrbaren Welt zu entgehen. Gleichzeitig eröffnete sie dadurch, dass sie die sie interessierenden Welten und deren Objekte in möglichst überschaubaren Axiomen und Modellen formulierte, auch für den Sinn und die Interpretation ihrer Aussagen einen formalen mathematischen Zugang. So entwickelte sie sich zu einer Disziplin mit streng deduktiven Theorien. Die Bezugsgrößen der vermittelnden Perspektive der Mathematik sind formalsprachliche Gegenstands- und Sachverhaltsbeschreibungen wie Variablen, Konstanten, Terme und Formeln oder aber mathematische Objekte. In der klassischen Mathematik sind mathematische Objekte dadurch ausgewiesen, dass sie eine Darstellung als wohldefinierte Menge20 oder Klasse haben, die ihre Identität21 bestimmt. Die Bezug-

18 Vgl. Euklid: Die Elemente, Thun/Frankfurt a.M. 1997. 19 Konkrete und abstrakte Gegenstände, die wahrgenommen, gedacht oder mit anderen Mitteln beobachtet werden, sind im Allgemeinen in dem Sinne unscharf, dass die Granularität ihrer Betrachtung und die Grenzen ihrer Extension nicht genau bestimmt sind; und sie sind im Allgemeinen in dem Sinne überladen, dass sie sehr viel mehr beobachtbare als aktuell interessierende Merkmale besitzen; siehe in dieser Hinsicht auch Freges Ausführungen zur »Trennung des Gedankens von den Umhüllungen« (1897) in Frege, Gottlob: »Logik«, in: Gottlob Frege: Nachgelassene Schriften, ed. Hans Hermes/Friedrich Kambartel/Friedrich Kaulbach, 2., rev. u. erw. Aufl., Hamburg 1983, S. 137-163, hier S. 150-161. 20 Die Mengenlehre wurde von Georg Cantor begründet. Für die Praxis mengentheoretischer Modellierung ist die Wohldefiniertheit einer Menge von grundlegender Bedeutung: »Eine Mannigfaltigkeit (ein Inbegriff, eine

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nahme auf Objekte, im Sinne der vermittelnden Perspektive, erfolgt wesentlich durch Benennung, durch definitionsgemäßen Namensgebrauch, durch Konstruktion, durch Transformation, durch das Auswahlprinzip, durch den Nachweis der Eindeutigkeit ihrer Existenz oder durch einen Beweis des Erfülltseins begrifflicher Bestimmungen. Nicht so einfach lässt sich die Frage beantworten, wie in der Mathematik Subjekt und Objekt der Bezugnahme getrennt sind. Die ausgesprochenen, niedergeschriebenen oder elektronisch realisierten Symbole formalsprachlicher Beschreibungen sind als physikalische Gegenstände natürlich extern. Worauf aber mit solchen Symbolen Bezug genommen wird, beim Schreiben und auch beim Lesen, ist strittig. Denn einerseits gibt es, auch heute noch, das pythagoreische Verständnis, dass Mathematik in der Natur ist, die sich uns als eine Sprache der Natur offenbart. Diesem Verständnis entsprechend läge dann auch das in der Natur, worauf Bezug genommen wird. Subjekt und Objekt wären nach diesem ontologischen Verständnis also strikt getrennt. Andererseits ist jeder Symbolgebrauch an Vorstellungen gebunden, ähnlich

Menge) von Elementen, die irgendwelcher Begriffssphäre angehören, nenne ich wohldefiniert, wenn auf Grund ihrer Definition und infolge des logischen Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten es als intern bestimmt angesehen werden muß, sowohl ob irgendein derselben Begriffssphäre angehöriges Objekt zu der gedachten Mannigfaltigkeit als Element gehört oder nicht, wie auch, ob zwei zur Menge gehörige Objekte, trotz formaler Unterschiede in der Art des Gegebenseins einander gleich sind oder nicht« (Cantor, Georg: »Über unendliche lineare Punktmannigfaltigkeiten. Nr. 3. Mathematische Annalen 20:113-121«, in: Georg Cantor, Abhandlungen mathematischen und philosophischen Inhalts, ed. Ernst Zermelo, Hildesheim 1966 [1932], S. 149-157, hier S. 150). 21 Zwei Mengen sind identisch, wenn sie, dem Sinne nach, entweder die gleichen Elemente haben (extensionale Gleichheit) oder durch keine Eigenschaft unterschieden werden können (Leibniz-Gleichheit); aus der LeibnizGleichheit folgt die extensionale Gleichheit; vgl. Quine, Willard van Orman: Die Mengenlehre und ihre Logik, Braunschweig 1973.

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wie dies auch bei mathematischen Objekten der Fall ist, deren Identität durch ihre Darstellung als Mengen oder Klassen bestimmt wird. Mengen, wie Georg Cantor sie versteht, sind aber Gegenstände der Vorstellung. Sie sind »Objekte […] unserer Anschauung oder unseres Denkens«22. In diesem meist als ›platonisch‹ bezeichneten Verständnis der Mathematik sind Objekte, auf die Bezug genommen wird, etwas, das in der Vorstellung beheimatet ist, sodass die Trennung zwischen Subjekt und Objekt in der Bezugnahme eher konzeptuell als kategorial ist. Die Bezugnahme auf Zukünftiges ergibt sich für die vermittelnde Perspektive einerseits durch die im Sinne der Logik zu verstehende Allgemeingültigkeit von Aussagen und Deduktionen – die dadurch zeitlos sind – und andererseits, in expliziter Form, durch die Bezugnahme auf Objekte im Rahmen von Axiomatisierungen und Modellbildungen von Phänomenen der Zeit und der Möglichkeit, wie dies in Zeitlogiken und Modelltheorien geschieht.23

22 Georg Cantors Definition einer Menge lautet: »Unter einer ›Menge‹ verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die ›Elemente‹ von M genannt werden) zu einem Ganzen.« (Cantor, Georg: »Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre [Erster Artikel]. Mathematische Annalen 46:481-512«, in: Cantor [wie Anm. 20], S. 282351, hier S. 282) 23 Vgl. Gabbay, Dov M./Woods, John (Hg.): Handbook of the History of Logic, Bd. 7, Amsterdam/Oxford 2006. Ein Beispiel für eine Modelltheorie der Zeit hat Saul Kripke mit seiner Mögliche-Welten-Semantik für die modal-logischen Operatoren ›möglich‹ und ›notwendig‹ gegeben. Seine möglichen (zukünftigen) Welten sind Modelle und nicht mögliche (zukünftige) Realitäten; gegebene Modelle erfüllen als bestimmte Formen der Vorstellung die Existenzbedingungen mathematischer Objekte, sodass sich die problematische Frage der Möglichkeit einer Existenzbestimmung nicht stellt. Zu ›Kripke-Strukturen‹ vgl. z.B. Goldblatt, Robert: »Mathematical Modal Logic. A View of its Evolution«, in: Gabbay/Woods (wie diese Anm.), S. 1-98; vgl. auch Bab, Sebastian: εµ-Logik. Eine Theorie proposi-

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Die erzeugende Perspektive der Psychologie Nicht primär um Absolutheit, Existenz, Objektivität und Wahrheit geht es bei der erzeugenden Perspektive auf Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt. Sie zielt auf andere Aspekte. Deshalb ist sie mit der reflektierenden und der vermittelnden Perspektive auch nicht unbedingt unverträglich. Das zentrale Element ihres Blicks ist die Eigenschaft der Intentionalität, die Eigenschaft, auf etwas gerichtet zu sein. »Intentionale Inexistenz« wurde von Franz von Brentano in seiner »Psychologie vom empirischen Standpunkt« 24 als Charakteristik »psychologischer Akte« oder »Phänomene« ausgewiesen, durch die sich diese von physikalischen Akten und Phänomenen unterscheiden. Er teilt die psychologischen Akte in drei Klassen, in »Vorstellungen«, »Urteile« und »Wollungen« wie Liebe, Hass und andere Gefühle. Dem psychologischen Akt der Vorstellung schreibt Brentano eine besondere Rolle zu: Er ist Teil jedes psychologischen Akts, weil, wie er argumentiert, etwas, das geurteilt oder gefühlt wird, immer schon vorgestellt sein muss. Wie alle psychologischen Akte sieht er auch Vorstellungen an »inneres Bewusstsein« gebunden. Der Begriff der Vorstellung, der sich mit der Philosophie Kants in Deutschland aus dem alten Begriff der Idee und dem englischen Begriff der idea entwickelt hat, wird später von Reinhardt Grossmann nicht als »representation«, sondern als »presentation (to the mind)« ins Englische übersetzt.25 Der Begriff hat maßgeblich die Wissenschaftslehre des 19. Jahrhunderts geprägt und

tionaler Logiken, Aachen 2007, S. 31-78; vgl. in diesem Zusammenhang auch Williamson, Timothy: Modal Logic as Metaphysics, Oxford 2013. 24 Vgl. Brentano, Franz von: »Psychologie vom empirischen Standpunkt. Von der Klassifikation der psychischen Phänomene«, in: Franz von Brentano: Sämtliche

veröffentlichte Schriften,

ed.

Thomas

Binder/Arkadiusz

Chrudzimski, Bd. 1, Heusenstamm 2008. 25 Vgl. Reinhardt Grossmanns Übersetzung von Twardowski, Kasimir: On the Content and Object of Presentation. A Psychological Investigation, Den Haag 1977, S. VII-VIII.

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insbesondere, nicht zuletzt durch Bernhard Bolzano,26 auch die Grundlagen der Mathematik. Das zeigt sich am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts besonders deutlich in der Cantor’schen Mengenlehre und in der Diskussion um die Grundlagen der Logik.27 Vorstellungen werden gehabt. Es kann sie auch von Zukünftigem geben. Auch kann es Vorstellungen von etwas geben, das nicht existiert, wie die Vorstellung von einem goldenen Berg oder die Vorstellung von einem runden Viereck, auch wenn es für letzteres nicht einmal eine Anschauung gibt. Der Gedanke, dass aus der Nichtexistenz des Vorgestellten zu schließen ist, dass es Vorstellungen gibt, die keinen Gegenstand haben, auf den sie als intentionale Akte gerichtet sind, führt jedoch zu einem Widerspruch, wenn man gleichzeitig annimmt, dass etwas, das geurteilt wird, auch vorgestellt sein muss – denn ein Urteil der Nichtexistenz setzt ja dennoch eine Vorstellung von dem voraus, was als nichtexistierend geurteilt wird. Diesen Widerspruch durch Vorstellungen, die keinen Gegenstand haben, hat der BrentanoSchüler Kasimir Twardowski deutlich gemacht, der in seiner Schrift »Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen«28 den intentionalen Akt der Vorstellung einer eingehenden logischen Analyse unterzog. Die Möglichkeit der Vorstellung nichtexistierender Gegenstände gibt den Fragen nach der Trennung von Subjekt und Objekt und dem Scheitern einer Bezugnahme eine neue Wendung.

26 Vgl. Bolzano, Bernhard: Wissenschaftslehre, Bd. 1-4, Sulzbach 1837 (Reprint: ed. Wolfgang Schultz, 2. Neudruck der 2. Aufl. Leipzig, 1929-1931, Aalen 1981). 27 Vgl. Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen I – Prolegomena zur reinen Logik, 7. Aufl., Tübingen 1993. 28 Vgl. Twardowski, Kasimir: Zur Lehre von Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen. Eine psychologische Untersuchung, ed. Rudolf Haller, München/Wien 1982.

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Die Verschiedenheit der Antworten auf die drei Fragen zur Bezugnahme zeigt sich nicht nur daran, aus welcher Perspektive sie formuliert sind, sondern, sehr viel konkreter, daran, auf welche Annahmen und Modelle der Erklärung sie sich stützen. Als Modelle haben diese Modelle der Bezugnahme ihren Ursprung nicht nur in Erfahrungen, Selbstbeobachtungen und Messergebnissen, sondern auch in religiösen Überzeugungen und in Theorien zur Wahrnehmung, zum Geist, zur Mathematik und zur Sprache. Sie formulieren Konzepte, die geeignet erscheinen, Vorstellungen und Befunde in einem widerspruchsfreien Zusammenhang darstellen zu können. Modelle sind aber weder wahr noch falsch. Sie sind, wenn man auf sie blickt und sie in ihrem Gebrauch beurteilen will, angemessen oder nicht. Ob sie angemessen sind, ist eine Frage in zwei Richtungen: Zum einen, ob sie in adäquater Weise wiedergeben, wovon sie ein Modell sind, und zum anderen, ob sie sich als adäquat erweisen, wofür sie ein Modell sind. Was dabei adäquat heißt, ist bei den Richtungen des ›wovon‹ und ›wofür‹ natürlich verschieden und kann genauer nur in der Konkretion ihres Gebrauchs bestimmt werden. Die Modelle der Bezugnahme haben im Hinblick auf das, wofür sie Modelle sind, neben ihrer Erklärungsfunktion vor allem die Rolle einer begrifflichen Grundlegung. Sie dienen der Fundierung von Theoriebildungen in den Sprachwissenschaften, in der Mathematik, in der Informatik und in anderen Bereichen und Disziplinen, in denen es um Beschreibung und Modellierung geht. Von kritischer Bedeutung ist bei erklärenden Modellen der Grad der Abstraktion. Sie können in der Granularität ihrer Konzepte sehr spezifisch sein, aber auch sehr allgemein. Bei allgemeinen Modellen impliziert ihr Gebrauch eine Konkretisierung der Konzepte.29

29 Vgl. Mahr, Bernd: »Modellieren. Beobachtungen und Gedanken zur Geschichte des Modellbegriffs«, in: Sybille Krämer/Horst Bredekamp (Hg.), Bild, Schrift, Zahl, München 2004, S. 59-86; Mahr, Bernd: »Ein Modell des Modellseins. Ein Beitrag zur Aufklärung des Modellbegriffs«, in:

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Parmenides: Bezugnahme durch Wissen und Meinen Eine geteilte Antwort auf die Frage der Zugänglichkeit gibt Parmenides. Er berichtet in seinem Lehrgedicht »Vom Wesen des Seienden«, dass ihm die Göttin auseinandersetzte, dass die »Sterblichen« durch ihren »schwankenden Verstand«30 notwendig dem bloßen Meinen verhaftet seien und dass »das Dünken der Sterblichen, worin keine wahre Verläßlichkeit ist« 31, nur dort seine Gültigkeit habe, wo es »allgemein« sei32 und wohin der einzig zu denkende Weg des Suchens führe, der »Weg der Überzeugung, denn die geht mit der Wahrheit«33. Dieses ihm als Sterblichem unmöglich zugängliche Wissen um die Wahrheit erfährt Parmenides von der Göttin, die zu treffen er einen beschwerlichen und nur mit göttlicher Hilfe befahrbaren Weg zurücklegen musste. Heute wird man sagen, dass Parmenides damit, dass er sich diese Wahrheit von der Göttin sagen lässt, nicht nur die Autorität seiner Rede bestärkt, sondern auch die mit der selbstbezüglichen Verneinung einhergehende Paradoxie vermeidet, dass er als Sterblicher verlässlich über die mangelnde Verlässlichkeit der Sterblichen sprechen könne.34 Aber die Göttin, die ihn über das Sein des Seins belehrt,

Ulrich Dirks/Eberhard Knobloch (Hg.), Modelle, Frankfurt a.M. u.a. 2008, S. 187-218; zu den epistemischen Grundlagen des Modellbegriffs und speziell zu konzeptuellen Modellen vgl. Mahr, Bernd: »On the Epistemology of Models«, in: Günter Abel/James Conant (Hg): Rethinking Epistemology, Bd. 1, Berlin/Boston 2012, S. 301-352. 30 Parmenides: Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente, übers. u. ed. Uvo Hölscher, Frankfurt a.M. 1969, S. 17, Fr. 6.4-6. 31 Ebd., S. 15, Fr. 1.30. 32 Parmenides: Über das Sein, übers. Jaap Mansfeld, ed. Hans von Steuben, Stuttgart 2004, S. 7, Fr. 1.32. 33 Parmenides (wie Anm. 30), S. 15, Fr. 2.4. 34 Die Paradoxie besteht darin: Würde Parmenides verlässlich reden, dann könnten wir uns auf das, was er sagt, nicht verlassen; würde er aber nicht verlässlich reden, dann könnten wir uns auf das, was er sagt, verlassen.

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und darüber, dass das Nichtsein nicht sein kann, ist der Ursprung aller Götter, das Schicksal und die Lenkerin der Entstehung der Welt, die aus Gegensätzen und deren Vermischung erwuchs. Zu der mit den Sinnen erfahrbaren Welt und ihrem Verlauf in der Zeit sagt sie: »So also sind nach dem Dünken (der Sterblichen) diese Dinge geworden und sind jetzt und werden so auch von jetzt an in Zukunft enden wie sie wachsen. Und denen haben die Menschen je einen Namen gegeben, bezeichnend jedes Ding.«35 Vergangenes und Zukünftiges sind in der erfahrbaren Welt. Das Sein aber, zu dem es nur den einen Weg des Denkens gibt, hat keine Vergangenheit und auch keine Zukunft: »[…] in den Grenzen mächtiger Fesseln ist es anfanglos, endelos […]. Denn die mächtige Notwendigkeit hält es in den Fesseln der Grenze, die es ringsum einschließt […].«36 Und sie mahnt Parmenides: »[B]eurteile mit dem Denken die hart bestreitende Widerlegung, die von mir vorgebracht ist. So bleibt einzig noch übrig die Rede von dem Weg, daß (etwas) ist. An ihm sind sehr viele Kennzeichen, daß Seiendes ungeworden und unvergänglich ist, ganz und einheitlich, und unerschütterlich und vollendet. Und es war nicht einmal und wird nicht (einmal) sein, da es jetzt zugleich ganz 37

ist, eins und zusammenhängend.«

Parmenides’ Lehrgedicht ist vieldeutig und eine Offenbarung im klassischen Sinne, eine Offenbarung der Wahrheit, des Denkens und des Seins. Ich glaube, dass es im Hinblick auf die Frage der Zugänglichkeit so gelesen werden kann, wie Chalmers es formuliert: »Wenn ich versuchen darf zusammenzufassen, so meine ich, daß es Belege gibt, die zeigen, daß bei dem Weg der Wahrheit und den Meinungen der Sterblichen dieselbe Welt zur Debatte steht, wie sie vom Standpunkt der Ewigkeit auf der einen Seite und der Zeit auf der anderen gesehen wird. Wahrheit kann

35 Parmenides (wie Anm. 30), S. 47, Fr. 19. 36 Ebd., S. 23, Fr. 8.25-31. 37 Ebd., S. 19-21, Fr. 7 und Fr. 8.1-6.

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sich nur auf das beziehen, was ewig ist, und nur das kann erkannt werden. Der grundsätzliche Irrtum der Menschen ist, daß sie annehmen, daß sie Erkenntnis über die Welt besitzen können, in der sie leben. Sie müssen mit etwas Geringerem als Erkenntnis zufrieden sein im Zusammenhang mit allem, was des ewigen Seins entbehrt. Gleichwohl ist ihre Welt keine Welt der Täuschung, sondern regiert von denselben göttlichen Kräften, die die Welt des Seins beherr38

schen.«

Die Differenz des mit den Sinnen Wahrgenommenen gegenüber dem mit den Gedanken Erfassten ist ein Graben, über den auch die Wissenschaften nur springen. Er trennt insbesondere die angewandte Mathematik von der erfahrbaren Welt.39 Leibniz: Bezugnahme durch das Erkennen von Gründen Um die Frage der Zugänglichkeit geht es auch bei Leibniz. Seine Spielräume und Rollen sind die gleichen, die Parmenides in Szene setzt. »In Gott unterscheidet sich die Existenz nicht vom Wesen […] daher ist Gott das notwendige Wesen. Die Geschöpfe sind kontingent, das heißt, die Existenz folgt nicht aus ihrem Wesen.«40 Leibniz argumentiert, dass dem Menschen sicheres Wissen über die erfahrbare Welt verwehrt ist. In seinem Traktat »Zum Begriff der Möglichkeit« fragt er nach einem Prinzip der Bestätigung des Kontingenten, dem vergleichbar, was es erlaubt, das notwendig Wahre und das notwendig Falsche

38 Chalmers, W.R.: »Parmenides and the Beliefs of Mortals«, in: Phronesis 5 (1960), S. 5-22, hier S. 22; zitiert nach Parmenides (wie Anm. 32), S. 76. 39 Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Sachverhalt findet sich in: Husserl, Edmund: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, 2., verb. Aufl., Hamburg 1982. 40 Leibniz, Gottfried Wilhelm: »Zum Begriff der Möglichkeit«, in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Kleine Schriften zur Metaphysik, ed. Hans Heinz Holz, Frankfurt a.M. 1996, S. 173-189, hier S. 179.

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mit »geometrischer Strenge« zu beweisen. 41 Dabei stößt er auf die menschlichen Grenzen, Gründe zu erkennen. Diese Grenzen zeigen ihm, dass Kontingentes nicht in gleicher Weise zugänglich ist wie Notwendiges, das durch eine Analyse der Begriffe in eine identische Gleichung überführt werden kann. »Bei kontingenten Sätzen aber«, schreibt er, »geht der Fortschritt der Analyse über die Gründe der Gründe ins Unendliche, so daß man niemals einen vollen Beweis besitzt, obwohl immer ein Grund für die Wahrheit besteht und von Gott allein vollkommen eingesehen wird, der allein mit einem Geistesblitz die unendliche Reihe durchläuft.«42

Und so kommt er zu dem Schluss: »Weil wir den wahren formalen Grund der Existenz nicht in jedem besonderen Falle erkennen können, da das einen Fortgang ins Unendliche einschließt, genügt es uns daher, daß wir die kontingente Wahrheit a posteriori, nämlich durch Erfahrung erkennen, und dennoch zugleich das als universell und allgemein annehmen, was durch Grund und Erfahrung selbst befestigt wird (soweit es uns gegeben ist, in die Dinge einzudringen), jenes von Gott unserem Geist eingepflanzte Prinzip, daß nichts ohne Grund geschieht und unter entgegengesetzten Dingen immer das geschieht, was mehr Grund hat.«43

Was in der Welt, und damit auch zukünftig, der Fall ist, ist für Leibniz also nur nach menschlichem Maß kontingent. Zwar hat es Gründe, aber

41 Eine Aussage ist kontingent, wenn sie einen Wahrheitswert besitzt, aber weder notwendig wahr noch notwendig falsch ist. Möglicherweise wahr heißt eine Aussage, die nicht notwendig falsch ist, und, entsprechend, möglicherweise falsch heißt sie, wenn sie nicht notwendig wahr ist. Die Formulierung ›geometrische Strenge‹ drückt einen Verweis auf die axiomatische Grundlegung der Geometrie durch Euklid aus. 42 Leibniz (wie Anm. 40), S. 181. 43 Ebd., S. 183f.

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der Mensch kann in der Endlichkeit, die ihn beschränkt, durch sie nicht zur Wahrheit vordringen. Nur Gott weiß von den kontingenten Wahrheiten. Weil sich dem Menschen die Notwendigkeit des ihm kontingent Erscheinenden nicht erschließt, kann er das Wahre in der Welt, d.h. das, was in ihr aus Gottes Perspektive notwendigerweise der Fall ist, aus eigenen Kräften nicht sicher wissen. Er kann sich dem nur nähern. Existenz, Objektivität und Wahrheit, in Bezug auf die erfahrbare Welt, sind in Leibniz’ Verständnis also zwar absolut, für den Menschen jedoch nicht zugänglich, d.h. sie können nicht sicher gewusst werden. Die Trennung von Subjekt und Objekt, so kann man daraus schließen, ist also nicht überbrückbar. Durch die Möglichkeit der Annäherung ist es jedoch möglich, die Trennung, wenn auch nicht durch sicheres, so doch durch gesichertes Wissen, man könnte sagen, zu überspielen. Dieses Verständnis wird heute weitgehend geteilt. Es anerkennt die Differenz von sicherem Wissen, das absolut ist und von jedem nur möglichen Zweifel frei, und gesichertem Wissen, das durch Erfahrung und Begründung befestigt ist, und es weiß von dem unvermeidlichen Risiko des Scheiterns, beim Eindringen in die Dinge endgültige Bestätigung zu finden. Frege: Bezugnahme durch Zeichengebrauch Gottlob Frege hat mit seinen Beiträgen zur Formalisierung und zur axiomatischen Grundlegung der Arithmetik44 die Mathematik des 20.

44 Vgl. Frege, Gottlob: »Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens«, in: Gottlob Frege: Begriffsschrift und andere Aufsätze, ed. Ignacio Angelelli, Hildesheim 2007; Frege, Gottlob: Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl, ed. Christian Thiel, Hamburg 1986; Frege, Gottlob: Grundgesetze der Arithmetik, Bd. 1 u. 2, Jena 1893/1903 (Reprint: Hildesheim 1998).

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Jahrhunderts entscheidend beeinflusst. 45 Er formulierte in seinen Schriften ein Modell der Semantik von Zeichen, das in seinen grundlegenden Annahmen der reflektierenden Perspektive zuzuordnen ist, das in seiner Anwendung mit den Mitteln seiner Begriffsschrift aber maßgeblich zur Begründung der vermittelnden Perspektive der Mathematik und zur »geometrischen Strenge« mathematischer Beweise beigetragen hat. Den Begriff der Bezugnahme, im Sinne der oben gegebenen Formulierung, gibt es bei Frege nicht. Dennoch lässt sich sagen, wie und worauf ein Subjekt in Freges Modell Bezug nimmt. Eine Bezugnahme erfolgt durch den Gebrauch von Zeichen: »Denn der sinnlichen Zeichen bedürfen wir nun einmal zum Denken«46, schreibt er 1882 in seinem Aufsatz »Über die wissenschaftliche Berechtigung einer Begriffsschrift«: »Deshalb verachte niemand das Zeichen!« 47 Weil aber dem Gebrauch von Zeichen, beim Schreiben und Lesen ebenso wie beim Sprechen und Hören, intentionale Zustände zugrundeliegen, die auf das gerichtet sind, was mit den Zeichen semantisch verbunden wird, ist sein Modell der Semantik zugleich ein Modell der Bezugnahme: »Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung.«48 Aber worauf wird nun mit Zeichen Bezug genommen: auf den Sinn, den wir ausdrücken, oder auf die Bedeutung, die wir bezeichnen? Und worauf nehmen wir bei Zukünftigem Bezug? Beim Gebrauch von Zeichen, namentlich beim Gebrauch von Eigennamen und Sätzen, unterscheidet Frege »Vorstellung«, »Sinn« und

45 »In allen logisch-analytischen Fragen verdanken wir das meiste Frege«, schreiben Whitehead und Russell im Vorwort zu ihren »Principia Mathematica« (Whitehead, Alfred North/Russell, Bertrand: Principia Mathematica. Vorwort und Einleitungen, Frankfurt a.M. 1986, S. 6). 46 Frege: Begriffsschrift (wie Anm. 44), S. 106. 47 Ebd., S. 107. 48 Frege, Gottlob: »Sinn und Bedeutung«, in: Gottlob Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, ed. Günther Patzig, 4., erg. Aufl., Göttingen 1975, S. 40-65, hier S. 46.

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»Bedeutung«. 1892 schreibt er in seinem Aufsatz »Sinn und Bedeutung«: »Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst, den wir damit bezeichnen; die Vorstellung, welche wir dabei haben, ist ganz subjektiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr subjektiv wie die Vorstellung, aber 49

doch auch nicht der Gegenstand selbst ist.«

Man könnte daraus schließen, dass mit dem Gebrauch von Zeichen auf deren Bedeutung Bezug genommen wird. Aber das wäre, wie sich zeigt, nicht ganz richtig. Vorstellung, Sinn und Bedeutung sind nach seinem Verständnis nicht nur aus logischer Sicht verschieden, sondern auch aus ontologischer. Denn während Frege in Vorstellungen etwas Subjektives sieht, sind Sinn und Bedeutung für ihn objektiv.50 Und auch Sinn und Bedeutung unterscheidet er noch (er nennt den Sinn eines Aussagesatzes einen »Gedanken«): »Man sieht ein Ding, man hat eine Vorstellung, man fasst oder denkt einen Gedanken. Wenn man einen Gedanken fasst oder denkt, so schafft man ihn nicht, sondern tritt nur zu ihm, der schon vorher bestand, in eine gewisse Beziehung, die verschieden ist von der des Sehens eines Dings und von der des Habens ei51

ner Vorstellung.«

Und so kommt er zu dem Schluss: »Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt noch Vorstellungen. Ein drittes Reich muß anerkannt

49 Ebd., S. 44. 50 Dies wird auch in der Analogie zwischen dem Sinn eines Zeichens und dem Objektivbild eines Fernrohrs deutlich, die Frege in seiner Erklärung des Sinns herstellt, vgl. ebd., S. 44f. 51 Frege, Gottlob: »Der Gedanke. Eine logische Untersuchung«, in: Gottlob Frege: Logische Untersuchungen, ed. Günther Patzig, Göttingen 1966, S. 30-53, hier S. 44 (Fußnote 5).

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werden.«52 Entsprechendes gilt auch allgemein, d.h. für den Sinn. Bemerkenswert ist hier die viel kommentierte Konzeption, dass nicht nur Gegenstände, sondern auch Gedanken objektiv sind, eine Konzeption, die die Mathematik zu einer Disziplin der Entdeckung und nicht der Erfindung macht. Noch bemerkenswerter erscheint mir jedoch, dass Vorstellungen, weil sie subjektiv sind, weder zum Reich der Gegenstände noch zum Reich der Gedanken gehören. Frege gibt dafür Gründe, aber vor allem rechtfertigt er damit seine Ablehnung des Psychologismus in der Logik. »Das eigentliche Ausdrucksmittel für den Gedanken ist der Satz«53, schreibt Frege. Formulierte Sätze haben jedoch »oft keinen vollständigen Sinn«, weil die »Winke« fehlen, die ihnen einen vollständigen Sinn verleihen. So muss zum Beispiel bei dem Satz »Es regnet«, ergänzt werden, wann und wo es regnet, damit dem Satz ein Wahrheitswert zugewiesen werden kann. Weil Ergänzungen aber verschieden sein können und dadurch auch ihr Wahrheitswert, drückt ein Satz folglich nicht immer denselben Sinn aus. 54 Hat ein Aussagesatz jedoch keine Teile, denen die Bedeutung fehlt, und bedarf er auch keiner Ergänzungen, dann drückt er einen »eigentlichen« Gedanken aus, der entweder wahr oder falsch ist. Die Bedeutung des Satzes ist dann entweder das »Wahre« oder das »Falsche«. Als Bedeutung ist dieses Wahre oder Falsche objektiv und durch den Sinn des Satzes bestimmt, unabhängig davon, ob wir dessen Wahrsein oder Falschsein anerkennen oder nicht.55 Aussagesätze mit Teilen, denen die Bedeutung fehlt, weil sie z.B. »Scheineigennamen« enthalten, drücken »Scheingedanken« aus. Sie können dementsprechend nicht wahr und nicht falsch

52 Frege (wie Anm. 51), S. 43; diese Konsequenz Freges ist der Auffassung vieler Ontologen nicht unähnlich, die nicht nur den Entitäten der Kategorie raum-zeitlicher Individuen Existenz zuschreiben, sondern auch abstrakten Entitäten; vgl. Grossmann (wie Anm. 10). 53 Frege (wie Anm. 19), S. 142f. 54 Vgl. ebd., S. 146. 55 Vgl. ebd., S. 144.

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sein. Sie sind »Dichtung«. So enthält der Satz »Tell schoß seinem Sohne einen Apfel vom Kopfe« den Scheineigennamen »Tell« und drückt damit einen Scheingedanken aus. Er kann deshalb nicht wahr und nicht falsch sein. Dennoch hat er natürlich einen Sinn. Aber durch diesen Sinn ist seine Bedeutung eben nicht das Wahre oder das Falsche, sondern Dichtung.56 Worauf mit dem Gebrauch von Zeichen Bezug genommen wird, ob auf deren Bedeutung oder auf deren Sinn, wird durch die folgende Erklärung Freges deutlicher: »Wenn nun der Wahrheitswert eines Satzes dessen Bedeutung ist, so haben einerseits alle wahren Sätze die gleiche Bedeutung, andererseits alle falschen. Wir sehen daraus, daß in der Bedeutung des Satzes alles einzelne verwischt ist. Es kann uns also niemals auf die Bedeutung eines Satzes allein ankommen; aber auch der bloße Gedanke gibt keine Erkenntnis, sondern erst der Gedanke 57

zusammen mit seiner Bedeutung, d.h. seinem Wahrheitswert.«

Worauf wir Bezug nehmen, ist also offenbar der Sinn zusammen mit seiner Bedeutung und, im Fall von Scheingedanken, eventuell auch der Sinn alleine. Was das Objekt der Bezugnahme ist, hängt also davon ab, worauf es uns ankommt. Die Bezugnahme auf Zukünftiges nimmt hier keine Sonderstellung ein. Denn Frege sieht in Zeitpunkten und Zeiträumen Gegenstände: »Örter, Zeitpunkte, Zeiträume sind, logisch betrachtet, Gegenstände«, schreibt er, »mithin ist die sprachliche Bezeichnung eines bestimmten Ortes, eines bestimmten Augenblicks oder Zeitraums als Eigenname aufzufassen. Adverbsätze des Orts und der Zeit können nun zur Bildung eines solchen Eigennamens […] 58

gebraucht werden.«

56 Vgl. ebd., S. 141f. 57 Frege (wie Anm. 48), S. 50. 58 Ebd., S. 57.

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Sätze, deren Bedeutung Dichtung ist, gehören nicht in den Bereich der Wissenschaft, sondern in den Bereich der Dichtkunst. Frege sucht mit seinem Modell der Semantik, die Wissenschaft und speziell die Logik gegenüber anderen Bereichen abzugrenzen. »Die Dichtkunst hat es, wie z.B. auch die Malerei, auf den Schein abgesehen«, schreibt er. »Die Behauptungen sind in der Dichtung nicht ernst zu nehmen: es sind Scheinbehauptungen: Auch die Gedanken sind nicht ernst zu nehmen wie in der Wissenschaft: es sind Scheingedanken. […] Um Scheingedanken braucht sich die Logik nicht zu kümmern.«

59

Die Grenze zwischen der Wissenschaft und der Dichtkunst sieht er nicht nur in der Differenzierung von Wahrheit und Dichtung, sondern auch in der Klarheit der Logik. Denn die Wissenschaft hat »[…] die Aufgabe, das Logische von allem Fremdartigen, also auch dem Psychologischen, zu reinigen, indem sie deren logische Unvollkommenheiten aufweist. Es handelt sich in der Logik um die Gesetze des Wahrseins, nicht um die des Fürwahrhaltens, nicht um die Frage, wie das Denken beim Menschen vor60

geht, sondern wie es geschehen muß, um die Wahrheit nicht zu verfehlen.«

Für die Suche nach der Wahrheit muss aber die Sprache eindeutig sein61 und es dürfen bei ihrem Gebrauch auch keine Fehler gemacht werden. Mit diesen Zielen rechtfertigt er seine Begriffsschrift, und an diesen Zielen orientiert sich auch seine Formalisierung der Arithmetik. Denn dadurch, so kann man Frege verstehen, sieht er die »Brücke zum Objektiven [nicht] abgebrochen«62. Es geht ihm darum, die Zugänglichkeit der Wahrheit aufrechtzuerhalten, und deshalb misstraut er auch jedem Einfluss des Subjekts. Aber er kann dieses Subjekt der Bezug-

59 Frege (wie Anm. 19), S. 142. 60 Ebd., S. 160f. 61 Vgl. Frege: Begriffsschrift (wie Anm. 44), S. 108. 62 Frege (wie Anm. 19), S. 155.

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nahme nicht loswerden, wie sich vielleicht am deutlichsten an seiner Definition des Urteils zeigt: »Wenn wir einen Gedanken innerlich als wahr anerkennen, so urteilen wir; wenn wir eine solche Anerkennung kundtun, so behaupten wir.«63 Wir können die Wahrheit zwar eventuell erreichen, weil sie objektiv besteht, aber wir haben sie nie. Wir können sie nur behaupten. Aber es geht nicht immer nur um die Wahrheit, denn »[w]ir können [auch] denken, ohne zu urteilen.«64 Brentano und Twardowski: Bezugnahme durch Vorstellung Im Sinne der eingangs gegebenen Erklärung ist eine Bezugnahme auf etwas ein Akt, dem ein intentionaler geistiger Zustand zugrundeliegt. Nach Brentanos Auffassung ist die Intentionalität, d.h. die Eigenschaft, auf etwas gerichtet zu sein, ein charakterisierendes Merkmal, das psychologische Akte vor physikalischen Akten auszeichnet. Ein anderes charakterisierendes Merkmal psychologischer Akte ist es, dass sie entweder eine Vorstellung sind oder dass ihnen ein Akt der Vorstellung zugrundeliegt. 65 Bei dieser Betrachtungsweise liegt das Wesentliche der Intentionalität also im Akt der Vorstellung. Dem folgend kann man eine Bezugnahme auf etwas dann auch dadurch erklären, dass sie ein Akt der Vorstellung ist oder aber ein Akt, dessen Grundlage eine Vorstellung ist. In beiden Fällen ist das Objekt der Bezugnahme dann der Gegenstand der Vorstellung. Twardowski verweist in seiner »Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen« darauf, dass angesichts der Doppeldeutigkeit des Begriffs des Vorgestellten scharf zwischen »Act«, »Inhalt« und »Gegenstand« einer Vorstellung unterschieden werden muss,66 und er bestimmt, was Inhalt und Gegenstand einer Vorstellung sind und in

63 Ebd., S. 150. 64 Ebd. 65 Vgl. Brentano (wie Anm. 24), S. 97ff. 66 Twardowski (wie Anm. 28), S. 34.

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welchem Verhältnis sie zueinander stehen.67 Besondere Bedeutung haben dabei Vorstellungen, deren Gegenstand im ontologischen Sinne nicht existiert. Der Gegenstand einer Vorstellung ist das Vorgestellte, d.h. das, worauf der intentionale Akt der Vorstellung gerichtet ist. Das Vorgestellte muss im ontologischen Sinne aber nicht existieren. Eine Vorstellung, deren Gegenstand in diesem Sinne nicht existiert, wie die Vorstellung eines runden Quadrats, ist dennoch nicht eine Vorstellung, die keinen Gegenstand hat. Sie ist keine »gegenstandslose Vorstellung«68. Denn jede Vorstellung hat einen Gegenstand. Nach Twardowskis Verständnis können Gegenstände von Vorstellungen deshalb alles sein: Sie sind, schreibt er, »[…] entweder real oder nicht real, sie sind entweder mögliche oder unmögliche, sie existieren oder existieren nicht. Allen gemeinsam ist, dass sie Objekt psychischer Acte sein können oder sind, dass ihre sprachliche Bezeichnung der Name ist, und dass sie, als Gattung betrachtet, das summum genus bilden, welches seinen üblichen Ausdruck im ›Etwas‹ findet.«69 Nicht reale, nicht mögliche und nicht existierende Gegenstände der Vorstellung haben dennoch eine Form von Existenz. Denn »[…] durch den Zusatz: als Vorstellungsgegenstand wird die Bedeutung des Ausdrucks Existenz modificiert; etwas als Vorstellungsgegenstand Existierendes existiert in Wahrheit gar nicht, sondern wird nur vorgestellt. Der wirklichen Existenz eines Gegenstandes, wie sie den Inhalt eines anerkennenden Urteils bildet, steht die phänomenale, intentionale Existenz dieses Gegenstands gegen70

über: sie besteht einzig und allein in dem Vorgestelltwerden.«

Zur Vorstellung eines Gegenstands kommt es durch den Inhalt der Vorstellung. Denn der Inhalt einer Vorstellung ist das, »durch das« der

67 Vgl. Twardowski (wie Anm. 28), S. 34ff. 68 Ebd., S. 20. 69 Ebd., S. 40. 70 Ebd., S. 24f.

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Gegenstand vorgestellt wird. Und durch den Inhalt einer Vorstellung ist dieser Gegenstand auch eindeutig bestimmt. Twardowskis Inhalt einer Vorstellung hat damit eine offensichtliche Entsprechung zu Freges Sinn, denn beide haben die gleiche instrumentelle Funktion, da auch bei Frege die Bedeutung eines Zeichens durch dessen Sinn bestimmt wird, sofern diese Bedeutung existiert. Der Inhalt einer Vorstellung liegt freilich im Subjekt, während Frege dem Sinn Objektivität zuspricht. Der Gegenstand einer Vorstellung erhält bei Twardowski also durch den Inhalt der Vorstellung eine Identität. Denn es kommt »durch« diesen Inhalt zur Vorstellung »eines« oder »als eines« »einheitlichen Ganzen«. Es kommt zur Vorstellung »des« Vorgestellten.71 Mit einer Vorstellung existiert (ontologisch) immer auch deren Inhalt, selbst wenn der Gegenstand (ontologisch) keine Existenz hat. So hat man z.B. bei der Vorstellung eines runden Quadrats durch die Definitionen des Rundseins und des Quadratseins eine Vorstellung, auch wenn es runde Quadrate nicht gibt und man von ihnen auch keine Anschauung haben kann. Anschauung und Vorstellung sind also etwas Verschiedenes. Natürlich kann der Inhalt einer Vorstellung auch der Gegenstand einer anderen Vorstellung sein. Auch wenn der realen Existenz eines Gegenstands die intentionale Existenz dieses Gegenstands »gegenüber steht«, kommt es nach Twardowskis Verständnis doch nicht zu einer Doppelung der Gegenstände in dem Sinne, dass den Entitäten, die in der Realität existieren, entsprechende Gegenstände der Vorstellung gegenüberstehen. Denn was sich »gegenüber steht«, sind zwei Existenzformen von ein und demselben. Denn auch existierende reale Entitäten können durch ihr Vorgestelltwerden eine intentionale Existenz haben. Damit ist in Twardowskis Modell jede Bezugnahme erfolgreich, weil jeder intentionalen Beziehung eine Vorstellung des Bezugsobjekts zugrundeliegt, und weil dieses Objekt, wie es Twardowski sieht, als Gegenstand der Vorstellung existiert, sodass es mit diesem über das Ontologische hi-

71 Ebd., S. 88-92.

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nausgehenden Verständnis von Existenz zu keinem Konflikt mit der Striktheitsforderung für Beziehungen kommt. Die Unmöglichkeit des Scheiterns gilt dann natürlich auch für die Bezugnahme auf Zukünftiges, das, als Gegenstand einer Vorstellung, »möglich oder unmöglich« ist. Twardowski umgeht mit der Modifikation des Existenzbegriffs nicht nur die Hürde der Striktheit für Beziehungen, die die Existenz einer Beziehung an die Existenz der in Beziehung stehenden Entitäten knüpft, sondern auch die Frage der Zugänglichkeit. Denn sie stellt sich ihm nicht, weil es durch den im Bewusstsein realisierten und dadurch existierenden Inhalt einer Vorstellung nur zu einer Vorstellung kommt, deren Gegenstand durch den Inhalt der Vorstellung zugänglich ist, nicht aber zu sicherem Wissen über etwas außerhalb des Subjekts. Das Subjekt, das eine Vorstellung hat, und das Objekt, das dadurch vorgestellt wird, gehören bei ihm nicht zu zwei ontologisch getrennten Welten. Sie sind nur konzeptuell getrennt. Ihn interessiert die Logik des Aktes der Vorstellung und er hat deshalb das Problem der Nichtexistenz in der Realität durch die Modifikation des Existenzbegriffs aus dem Weg geräumt. Husserl: Bezugnahme als Bewusstseinsleistung Mit sehr viel tieferen das Bewusstsein betreffenden Überlegungen, insbesondere zur »äußeren Wahrnehmung«, beschäftigte sich Edmund Husserl mit der Intentionalität.72 Eine Antwort auf die Frage, worauf in seinem Modell bei der Wahrnehmung Bezug genommen wird, ist jedoch weniger offensichtlich. Eine vermittelnde Rolle in der Wahrnehmung übernimmt bei ihm die »Auffassung«.73 Nach seinem Verständ-

72 Vgl. Føllesdal, Dagfinn: »Intentionalität und ihr Gegenstand«, in: Manfred Frank/Niels Weidtmann (Hg.), Husserl und die Philosophie des Geistes, Berlin 2010, S. 134-155. 73 Vgl. Husserl, Edmund: Ding und Raum, ed. Karl-Heinz Hahnengress/Smail Rapic, Hamburg 1991. Auf den Seiten 45 und 46 schreibt er: »Die Empfindungsinhalte für sich enthalten noch nichts von dem Charakter der Wahr-

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nis transformiert Auffassung »empfundene Inhalte«, oder »hyletische Daten«, wie er sie später nennt, in »darstellende Inhalte«, d.h. in etwas, das als etwas aufgefasst ist, d.h. in »objektives ›Transzendentes‹«, das dem wahrnehmenden Subjekt als das Gesehene als Objekt erscheint.74

nehmung, nichts von ihrer Richtung auf den einen wahrgenommenen Gegenstand; sie sind noch nicht das, was es macht, daß ein Dinggegenständliches in Leibhaftigkeit dasteht. Wir nennen diesen Überschuß den Charakter der Auffassung und sagen, daß die Empfindungsinhalte Auffassung erfahren. Durch die Auffassung gewinnen sie, die an sich gleichsam ein toter Stoff wären, beseelende Bedeutung derart, daß mit ihnen ein Gegenstand zur Darstellung kommt. Mit Beziehung darauf nennen wir die Inhalte darstellende Inhalte im Gegensatz zu den dargestellten nämlich den gegenständlichen Bestimmtheiten. Nachdem sich uns vorher schon als wechselndes Moment der Wahrnehmung abgehoben hat das Moment der Stellungnahme, wie Glaube, Unglaube u. dgl., so ist es selbstverständlich, daß wir den Begriff der Auffassung so eng fassen, daß für ihn diese Unterschiede irrelevant sind und es somit auf die bloße Perzeption bezogen ist. Die Auffassung ist es, die also die selbststellende und darstellende Wahrnehmung unterscheidet. Nur in der letzteren vollzieht sich die Beziehung auf den wahrgenommenen Gegenstand dadurch, daß ein der Wahrnehmung reell immanenter Inhalt als darstellender fungiert, als ein solcher, der nicht einfach gefaßt, sondern als etwas aufgefaßt wird, was er nicht selbst ist, sondern was mit seiner Auffassung erscheint. Zunächst ist das eine ganz rohe Analyse. Was in dieser ›Auffassung‹ liegt, werden wir noch studieren müssen. Zu beachten ist die Beschränkung auf den Typus der so genannten äußeren Wahrnehmungen, der physischen Dingwahrnehmungen.« 74 In Vorlesungen aus den Jahren 1925/26 äußert sich Husserl in seinen »Analysen zur passiven Synthesis« wieder zum Begriff der Auffassung; vgl. hierzu: Husserl, Edmund: »Die Prätention der Wahrnehmung«, in: Lambert Wiesing (Hg.), Philosophie der Wahrnehmung. Modelle und Reflexionen, Frankfurt a.M. 2002, S. 203-222. Husserl schreibt: »All die noematischen Momente, die wir in der noematischen Einstellung auf den Gegenstand und als an ihm aufweisen, konstituieren sich mittels der imma-

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Auffassung, im Sinne Husserls, hat damit einen instrumentellen Charakter: Sie verschattet, ergänzt und integriert und »durch sie« kommt es zu dem, was als Gesehenes bewusst wird. In dieser Funktion ist Husserls »Auffassung« Twardowskis »Inhalt einer Vorstellung« und Freges »Sinn« ähnlich. Auffassung ist nach Husserls Verständnis jedoch nicht repräsentiert. Er sieht in ihr eine »Bewußtseinsleistung«. Auch bei Husserl, so kann man es sehen, ist die Trennung zwischen dem wahrnehmenden Subjekt und dem, was ihm »als« wahrgenommenes Objekt erscheint, nicht von der gleichen Art, in der ein psychischer Zustand von einem Objekt der realen Welt getrennt ist. Denn das »objektive ›Transzendente‹« entsteht durch die »Bewußtseinsleistung« der »Auffassung«, und ist deshalb im ureigenen Sinne dem Subjekt zugehörig. Mit diesem durch das Bewusstsein des Subjekts Verursachten, das als Objekt erscheint, kommt es jedoch aus reflektierender Perspektive zu einer Doppelung, die die Frage nach der Trennung zwischen

nenten Empfindungsdaten und vermöge des sie gleichsam beseelenden Bewußtseins. Wir sprechen in dieser Hinsicht von der Auffassung als von der transzendenten Apperzeption, die eben die Bewußtseinsleistung bezeichnet, die den bloß immanenten Gehalten sinnlicher Daten, der sogenannten Empfindungsdaten oder hyletischen Daten, die Funktion verleiht, objektives ›Transzendentes‹ darzustellen. Es ist gefährlich, hierbei von Repräsentanten und Repräsentiertem, von einem Deuten der Empfindungsdaten, von einer durch dieses Deuten hinausdeutenden Funktion zu sprechen. Sich abschatten, sich in Empfindungsdaten darstellen ist total anderes als signitives Deuten.« (Husserl [wie diese Anm.], S. 216); »Es ist [im Jetzt der äußeren Wahrnehmung, B.M.] nicht ein schlichtes Haben des Gegenstands, in dem Bewußthaben und Sein sich deckt, sondern ein mittelbares Bewußtsein, sofern unmittelbar nur eine Apperzeption gehabt ist, ein Bestand von Empfindungsdaten, bezogen auf kinästhetische Daten, und eine apperzeptive Auffassung, durch die eine darstellende Erscheinung sich konstituiert; und durch sie hindurch ist also der transzendente Gegenstand bewußt als originaliter sich abschattender oder darstellender.« (ebd., S. 216f.)

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Subjekt und realem Objekt erneut aufwirft. Beispielsweise steht beim Sehen eines externen realen Gegenstandes, der dadurch zu einer Quelle »empfundener Inhalte« wird, diesem externen realen Gegenstand das »objektive ›Transzendente‹« gegenüber, das dem Subjekt als das gesehene Objekt erscheint. Einem mit den Augen wahrgenommenen realen Baum steht also, vermittelt durch eine Bewusstseinsleistung, das gegenüber, was dem wahrnehmenden Subjekt als gesehener Baum erscheint. Von dem realen Baum treffen die Augen des Subjekts aber nur die Lichtstrahlen, die seine ihm zugewandten Oberflächen reflektieren. Das wahrnehmende Subjekt sieht den Baum dagegen als etwas, das eine räumliche Ausdehnung hat und das man auch riechen, fotografieren und abholzen kann. Bezieht man sich nun bei der Frage nach der Trennung nicht auf das, was dem Subjekt als Objekt erscheint, sondern auf das reale Objekt, dessen Wahrnehmung auslöst, dass dem Subjekt etwas »als« Objekt erscheint, dann besteht zwischen dem Subjekt und dem Objekt doch eine durch die Differenzierung von innen und außen verursachte Trennung. Diese Trennung kann freilich durch die Sinnesleistungen der Wahrnehmung und durch Leistungen des Gehirns, auch über die Zeit hinweg, auf gewisse Weise überwunden werden. Stellt man nun die Frage, worauf angesichts dieser Doppelung des Objekts bei einer Bezugnahme Bezug genommen wird, dann muss man im Sinne Husserls wohl antworten: auf das, was dem Subjekt als Objekt erscheint, d.h. auf das »objektive ›Transzendente‹«.75 Die Bezugnahme beim Sehen eines Baumes, der vor den Augen ist, ist also auf den gesehenen Baum gerichtet und nicht auf den realen. Denn eine andere Möglichkeit hat der Mensch nicht.76 Eine Bezugnahme auf den realen Baum würde schon daran scheitern, dass die Information, die das Licht transportiert, das an den dem Auge zugewandten Oberflächen des realen Baums reflektiert wird, nicht ausreicht, seine Identität als Objekt der Bezugnahme zu bestimmen. Denn vom reflektierten

75 Vgl. Husserl (wie Anm. 73), §16, Der Gegenstand der Auffassung als Erscheinung. Eigentliche Erscheinung, S. 49-54. 76 Vgl. ebd.

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Licht alleine kann ja noch nicht einmal sicher auf die räumliche Gestalt des Gesehenen geschlossen werden, und schon gar nicht auf die Möglichkeit, den Gegenstand, der die Reflektionen verursacht, auch riechen, fotografieren und abholzen zu können. Diese Eigenschaften des Gesehenen sind durch die Auffassung erzeugt, die dem Gedächtnis und anderen Leistungen des Gehirns entspringt, und die in keinem Fall vom physischen Akt des Sehens des realen Baums alleine herrührt, der gerade vor den Augen ist. Sie sind deshalb keine realen Eigenschaften eines realen Baums vor den Augen, sondern erkannte Eigenschaften des gesehenen Baums, die, wie wir wissen, in dem realisiert sind, was unserem Bewusstsein als der reale Baum erscheint. Zwar können wir durch Erfahrung gesichertes Wissen über das objektive Sein dessen haben, was uns als realer Baum erscheint, sodass es naheliegend wäre, zu sagen, dass die erkannten Eigenschaften doch Eigenschaften des realen Baums sind, aber die dafür erforderliche Deckung von Sein und Bewusstsein kann es im Bewusstsein des Wahrgenommenen nicht geben. »Dinge existieren in der Zeit«, schreibt Husserl, »sie haben ihre Zeit, in der sie dauern, entstehen, vergehen, sich bewegen oder qualitativ verändern. Sie sind in der Zeit, aber im eigentlichen Sinn erfüllen sie nicht die Zeit. Zeitlichkeit gehört nicht zu ihren konstituierenden Bestimmtheiten. Dagegen gilt dies letztere von den zeitverbreiteten Objekten, den Vorgängen, den Veränderungen, wofern wir nicht das sich verändernde Objekt, sondern die Veränderung des Objekts 77

zum Gegenstand der Wahrnehmung machen.«

Aber Husserl studiert Zeit nicht als objektive Zeit, wie die Naturwissenschaften, sondern als Zeitbewusstsein in der Wahrnehmung:78

77 Husserl (wie Anm. 73), S. 88. 78 Vgl. Gloy, Karen: Philosophiegeschichte der Zeit, München/Paderborn 2008, S. 159-178; Seel, Gerhard: »Husserls Probleme mit dem Zeitbewusstsein und warum er sie nicht löste«, in: Frank/Weidtmann (wie Anm. 72), S. 43-88.

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»In objektiver Hinsicht mag jedes Erlebnis, wie jedes reale Sein und Seinsmoment, seine Stelle in der einen einzigen objektiven Zeit haben – somit auch das Erlebnis der Zeitwahrnehmung und Zeitvorstellung selbst. […] So wie das wirkliche Ding, die wirkliche Welt kein phänomenologisches Datum ist, so ist es auch nicht die Weltzeit, die reale Zeit […]. Nun mag es allerdings scheinen, wenn wir von Analyse des Zeitbewußtseins, von dem Zeitcharakter der Gegenstände der Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung sprechen, als ob wir den objektiven Zeitverlauf schon annähmen und dann im Grunde nur die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit einer Zeitanschauung und einer eigentlichen Zeiterkenntnis studierten. Was wir aber hinnehmen, ist nicht die Existenz einer Weltzeit, die Existenz einer dinglichen Dauer u. dgl., sondern erscheinende Zeit, erscheinende Dauer als solche. Das aber sind absolute Gegebenheiten, deren Bezweiflung sinnlos wäre. Sodann nehmen wir allerdings auch eine seiende Zeit an, das ist aber nicht die Zeit der Erfahrungswelt, sondern die immanente Zeit des Bewußtseinsverlaufs. Daß das Bewußtsein eines Tonvorgangs, einer Melodie, die ich eben höre, ein Nacheinander aufweist, dafür haben wir eine 79

Evidenz, die jeden Zweifel und jede Leugnung sinnlos erscheinen läßt.«

Bei Husserl ist die Zukünftigkeit des Objekts in der Bezugnahme auf Zukünftiges das Produkt einer Leistung des Bewusstseins, die sich auf das »Zeitbewußtsein« stützt und die dem Objekt als etwas, das erwartet ist, in einer »Erwartungsanschauung«80 Zukünftigkeit zuweist. Zukünftiges wird auf diese Weise durch Vergegenwärtigung konstituiert. Eine bestimmte Art der Bezugnahme auf Zukünftiges gibt es aber auch schon im Akt der Wahrnehmung selbst: durch »Protentionen, die das Kommende als solches leer konstituieren und auffangen« 81 . Protentionen sind eine Form der Erwartung, in jedem »Zeitfeld« des Bewusstseins.

79 Husserl, Edmund: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, ed. Martin Heidegger, Halle (Saale) 1928 (Reprint: Tübingen 2000), S. 3. 80 Ebd., S. 47. 81 Ebd., S. 44.

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Searle: Bezugnahme durch Erfüllungsbedingungen Um seine Bedeutungs- und Sprechakttheorie zu fundieren, beschäftigte sich später auch John R. Searle mit der Intentionalität.82 Er macht in seinem Modell große Anleihen bei Frege, auch wenn er, anders als dieser, der das Subjektive, soweit es ihm möglich war, auszugrenzen versuchte, die reflektierende Perspektive und die vom Subjekt ausgehende erzeugende Perspektive miteinander verknüpft. Er versteht Intentionalität als »diejenige Eigenschaft vieler geistiger Zustände und Ereignisse, durch die sie auf Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt gerichtet sind oder von ihnen handeln«83, oder, etwas allgemeiner formuliert, als »[…] die Eigenschaft des Geistes (Hirns), durch die er (es) andere Dinge zu repräsentieren vermag«84. Gemeinsam mit Brentanos Begriff der »intentionalen Inexistenz« ist das Gerichtetsein. Aber es gibt auch Unterschiede im Verständnis: Intentionalität ist bei Searle eine Eigenschaft von »Zuständen« oder »Ereignissen«, nicht aber von »Akten«. Sie ist deshalb auch nicht mit einer Absicht verbunden. Außerdem müssen geistige Zustände nicht notwendig intentional und intentionale geistige Zustände nicht notwendig bewusst sein. Nach Searles Verständnis sind intentionale geistige Zustände Repräsentationen. Als Repräsentationen bestehen sie »aus einem propositionalen Gehalt in einem psychischen Modus«, durch den der Geist »andere Dinge repräsentiert«. Dabei erfasst der propositionale Gehalt, ähnlich Freges »Sinn« und Twardowskis »Inhalt einer Vorstellung«, den (realen) Gegenstand oder Sachverhalt, von dem der intentionale geistige Zustand handelt. Searle trennt also scharf zwischen Subjekt und Objekt. Objekte sind bei ihm Entitäten der (realen) Welt und auf sie wird über Erfüllungsbedingungen Bezug genommen, auf die sich das Subjekt in Sprechakten und anderen Akten mit intentionalen Zuständen festlegt.

82 Vgl. Searle (wie Anm. 12). 83 Ebd., S. 15. 84 Ebd., S. 43.

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Hat ein intentionaler Zustand, ähnlich einem Sprechakt, eine »Ausrichtung«, von der Welt auf den Geist, wie bei einem Wunsch, dessen Nichterfüllung eine Angelegenheit der Welt ist, oder vom Geist auf die Welt, wie bei einer Überzeugung, deren Falschheit eine Angelegenheit des Geistes ist, dann liegen durch seinen propositionalen Gehalt die Erfüllungsbedingungen fest, die bestehen müssen, damit der Zustand seinem psychischen Modus entsprechend durch etwas in der (realen) Welt erfüllt werden kann. Der psychische Modus ist die Weise, in der der propositionale Gehalt gehabt wird, z.B. als etwas, das geglaubt, gewusst oder ersehnt ist. Erfüllt wird dann zum Beispiel das Wissen eines Sachverhalts dadurch, dass dieser Sachverhalt tatsächlich besteht, d.h. real ist und existiert. Bezieht sich das Wissen des Sachverhalts auf etwas, das tatsächlich nicht besteht, hat der Zustand zwar immer noch einen propositionalen Gehalt, er wird in seinem psychischen Modus des Wissens aber durch nichts erfüllt, wie im Weltbild einer flachen Erde, bei den Fotografien, die Marskanäle zeigen, in der Gravitationstheorie Newtons und bei der Überzeugung der Unabhängigkeit der Zeit vom Raum. Das Wissen solcher Sachverhalte ist dann »fiktiven Diskursen« vergleichbar, für die es als Sprechakte nichts gibt, von dem sie handeln. Solches Wissen ist, wenn man die Ausdrucksweise in Searles Sprechakttheorie übernimmt, »fiktional« und »handelt von nichts« und gehört deshalb in den Bereich der »Dichtung«. Searle orientiert sich bei der Behandlung intentionaler Zustände, die auf etwas gerichtet sind, das nicht existiert, an Freges Umgang mit Aussagen, deren Bedeutung weder das Wahre noch das Falsche ist – nicht nur konzeptionell, sondern auch in seiner negativ konnotierten Sprechweise.85 Als Konzept gibt es den Begriff der Bezugnahme in Searles Modell der Intentionalität nicht. Aber einen Hinweis, wie Bezugnahme im Sinne Searles zu verstehen ist, findet sich in seiner Sprechakttheorie, in der er den Sprechakt der »Referenz« diskutiert, den Akt des Verweisens, der ein wichtiger Fall von Bezugnahme ist. Für eine erfolgreiche Referenz verlangt Searle das Erfülltsein dreier Axiome, darunter das

85 Vgl. Searle (wie Anm. 7), S. 123.

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Existenzaxiom: »Alles, worauf verwiesen wird, muß existieren.«86 Ein Verweis auf etwas, das nicht existiert, ist als Referenz dementsprechend nicht erfolgreich. Der intentionale Zustand, der einem solchen Akt des Verweisens zugrundeliegt, ist »fiktional« und »handelt von nichts«, in dem Sinne, dass es nichts gibt, von dem er handelt. Wovon handelt dann ein Verweis auf Zukünftiges, dessen Existenz noch nicht gewusst oder bestimmt ist? Searle versteht »existieren« als ein Vorhandensein in der realen Welt, jedoch in einem zeitlosen Sinn: »Man kann auf das, was existiert hat oder existieren wird, genauso gut verweisen wie auf das, was jetzt existiert.«87 Was ist dann, wenn das, worauf man zu verweisen meint, tatsächlich niemals existieren wird, gleichgültig ob dies notwendigerweise oder kontingenterweise der Fall ist? Dann ist offenbar der Verweis zu keiner Zeit erfolgreich. Und was ist, wenn noch nicht bestimmt ist, ob existieren wird, worauf jemand zu verweisen meint, oder wenn derjenige, der den Verweis äußert, unabhängig von dem, was existieren wird, nicht mit Sicherheit weiß, ob es existieren wird? In beiden Fällen könnte dann das Existenzaxiom nicht erfüllt sein. Aber man kann dann insbesondere im zweiten Fall vermutlich auch dem strengen Axiom der Identifikation nicht genügen: »Wenn ein Sprecher auf einen Gegenstand verweist, dann identifiziert er diesen Gegenstand abgesondert von allen anderen Gegenständen für den Zuhörer oder ist in der Lage, dies auf Verlangen jederzeit zu tun.«88 Denn wie könnte man einen Gegenstand abgesondert von allen anderen Gegenständen identifizieren, wenn man nicht weiß, ob er existieren wird? Weil ja etwas, das nicht existiert, auch keine Identität hat. In beiden Fällen kann es dann offenbar zum Zeitpunkt des Verweisens nicht zu einer erfolgreichen Referenz kommen. Ähnlich wie Frege trennt auch Searle zwischen Realitätsbezug und Fiktion. Mit seinem Begriff der Erfüllbarkeit wird zwar angezeigt, was diese Trennung überbrückt, aber überwunden wird sie dadurch nicht.

86 Searle (wie Anm. 7), S. 121. 87 Ebd., Fußnote 3. 88 Ebd., S. 125.

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Problematisch ist, dass die Ausgrenzung des Nicht-Realen dem Alltag des Bezugnehmens und den Erfahrungen im Bemühen um die Wahrheit in den Wissenschaften nicht gerecht wird. Denn wie kann man erklären, dass auch über etwas, das als Objekt der Bezugnahme keine Existenz besitzt, sinnvoll gesprochen, gedacht und geurteilt werden kann und dass dadurch etwas ausgedrückt wird, wenn man gleichzeitig sagen muss, dass dieses Sprechen, Denken und Urteilen von nichts handelt? Denn es hat ja zum Beispiel jede Entscheidung zum Handeln als eine ihrer Voraussetzungen eine Bezugnahme auf eine zukünftige Situation, die nicht sicher existieren wird. Warum sollte durch eine solche Bezugnahme eventuell keine Beziehung hergestellt werden, wenn andererseits das, worauf vermeintlich Bezug genommen wird, doch immer noch sinnvoll befragt werden kann? Der Geschäftsmann, der eine Investitionsentscheidung trifft, muss ja sinnvollerweise auch nach dem return of investment fragen können, ohne dass die in seiner Frage enthaltene Bezugnahme gescheitert ist, wenn sich die Investition später dann doch nicht gelohnt haben wird. Zwar kann man, Searles Verständnis folgend, sagen, dass man etwas, das nicht existiert, dennoch hoffen, glauben oder erwarten kann.89 Aber das ändert nichts daran, dass der geistige Zustand mit dem entsprechenden psychischen Modus eine Fiktion ist und von nichts handelt, auch wenn man seinen propositionalen Gehalt kommunizieren und auf seine Erfüllungsbedingung Bezug nehmen kann, indem man z.B. fragt: »durch welchen daßSatz ist [der Zustand] näher bestimmt«.90 Freges Konzeption erscheint in diesem Punkt weniger restriktiv. Ein Ausweg aus dieser für die Bezugnahme unbefriedigenden Konzeption des Scheiterns wäre es, als das Objekt der Bezugnahme den propositionalen Gehalt des zugrundeliegenden Zustands zu bestimmen, weil der ja auch dann existiert, wenn das, worauf der Zustand gerichtet ist, nicht existiert. Das würde im Einklang mit Freges Objektivität des Sinns stehen und mit der darauf gegründeten Möglichkeit,

89 Vgl. Searle (wie Anm. 12), S. 19. 90 Ebd., S. 16.

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auch auf den Sinn Bezug zu nehmen. Aber den Gedanken, dass ein geistiger Zustand auf seinen propositionalen Gehalt gerichtet ist, lehnt Searle ab, weil das, worauf er gerichtet ist, das ist, wovon er handelt: Denn wenn man z.B. überzeugt ist, dass Einhörner grün sind, dann handelt diese Überzeugung von Einhörnern und nicht von dem propositionalen Gehalt dieser Überzeugung; und weil es keine Einhörner gibt, handelt sie deshalb von nichts. Twardowskis Analyse der Vorstellung legt noch eine andere Lösung dieses Adäquatheitsproblems der Modellierung nahe: Eine Bezugnahme, und damit auch eine Bezugnahme auf Zukünftiges, scheitert nie, weil das Objekt der Bezugnahme der Gegenstand einer Vorstellung ist, der als »das Vorgestellte« immer existiert. Aber auch diese Lösung wird von Searle mit scharfen Worten verworfen,91 weil bei dieser Konzeption des Umgangs mit Nichtexistierendem, wie er glaubt, die Unterscheidung von Gegenstand und Gehalt aufgehoben wird. Er sagt dazu: »Gemäß meiner Auffassung ist es entscheidend, zwischen dem Gehalt einer Überzeugung (d.h.: einer Proposition) und den Gegenständen einer Überzeugung (d.h.: gewöhnlichen Gegenständen) einen Unterschied zu machen.« 92 Zu einer Aufhebung der Unterscheidung kommt es aber gar nicht, wenn man den Gegenstand einer Bezugnahme als den Gegenstand einer Vorstellung versteht. Searles Verständnis der Intentionalität ist jedoch von der für ihn unumstößlichen Überzeugung geprägt, dass die Gegenstände, auf die intentionale Zustände gerichtet sind, »gewöhnliche Gegenstände« sind, also Objekte der realen Welt, und nicht Propositionen oder andere »intentionale Gegenstände«. 93 Deshalb will er auch Frege in dessen Forderung eines

91 Vgl. Searle (wie Anm. 12), S. 34f. 92 Ebd., S. 35. 93 Die Bezeichnungsweise ist nicht eindeutig (vgl. Twardowski [wie Anm. 28], S. 4): Twardowski nennt das, worauf eine Vorstellung gerichtet ist, den »Gegenstand der Vorstellung« und den Inhalt der Vorstellung das »immanente« oder »intentionale Objekt«. Searle nennt das Objekt, auf das ein intentionaler Zustand gerichtet ist, das »intentionale Objekt«.

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»dritten Reichs« nicht folgen,94 so wie er es ganz allgemein ablehnt, eine Klasse nicht-gewöhnlicher Gegenstände zuzulassen: »Die Möglichkeit fiktionalen Redens (selbst ein Ergebnis der Phantasie und des Vorstellungsvermögens) zwingt uns nicht zur Erschaffung einer Klasse von ›Bezugs‹-Gegenständen, die ›beschrieben‹ werden, die sich aber von gewöhnlichen Gegenständen unterscheiden und vermeintlich die Gegenstände alles Redens sind.«95 Das tat Twardowski mit seinen zwei Existenzformen auch nicht. Searle kann deshalb vermutlich auch der Bestimmung des Bezugsobjekts als »objektives ›Transzendentes‹« nicht folgen, die sich aus Husserls phänomenologischer Analyse ergibt.

D ER R AUM

DER

E RKLÄRUNG

Die skizzierten Modelle geben Antworten auf die eingangs formulierten Fragen zur Bezugnahme: Wie steht ein Akt der Bezugnahme mit einem intentionalen Zustand in Beziehung, der auf das Objekt der Bezugnahme gerichtet ist? Von welcher Natur ist dieses Objekt, besonders im Fall von Zukünftigem? Und: Unter welchen Voraussetzungen ist eine Bezugnahme erfolgreich und wann scheitert sie, insbesondere eine Bezugnahme auf Zukünftiges? Ein Vergleich der Antworten macht deutlich, wo die Unterschiede in den Modellen von Parmenides, Leibniz, Frege, Brentano bzw. Twardowski, Husserl und Searle liegen. In der Verschiedenheit der Modelle drückt sich jedoch weniger Gegensätzlichkeit aus als vielmehr ein Unterschied der Fokussierung. Zu diesem Unterschied kommt es nicht alleine durch die Verschiedenheit der Perspektive, die sie einnehmen. Denn keines der Modelle ist als Ganzes nur einer Perspektive zuzuordnen, und die drei Perspektiven stehen zudem nicht in einem unüberwindlichen Widerspruch zueinander. Gegensätzlich sind die Modelle nur punktuell und eventuell in der Proklamation der mit ihnen einhergehenden Überzeugungen ihrer Auto-

94 Vgl. Searle (wie Anm. 12), S. 247. 95 Ebd., S. 35.

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ren. Weil sie auch wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen, lässt sich, wenn man sie zusammen in den Blick nimmt, ein Bild der Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges erkennen, das die Gemeinsamkeiten der Konzeptualisierung im Vordergrund zeigt und in dem sich die zentralen Elemente der drei Perspektiven ergänzen. Der intentionale Akt der Bezugnahme Wie eingangs formuliert, ist eine Bezugnahme auf ein Objekt ein Akt eines Subjekts, dem ein intentionaler geistiger Zustand zugrundeliegt, der auf das Objekt der Bezugnahme gerichtet ist. Eine Bezugnahme ist also, wie bereits erklärt, ein intentionaler Akt. Intentionale Akte sind aber auch das Denken, Wissen und Meinen (Parmenides), das Begründen, Einsehen und Erkennen (Leibniz), das Ausdrücken von Gedanken und das Bezeichnen von Bedeutungen (Frege), das Vorstellen, Urteilen und Wollen (Brentano und Twardowski), das Sehen und Hören (Husserl) und das Wahrnehmen, Erleben, Beabsichtigen, Sprechen und Handeln (Searle). Zu allen diesen Akten gehört offensichtlich eine Bezugnahme. Sie ist derjenige Teil dieser Akte, der deren Intentionalität beherbergt, deren Gerichtetsein auf etwas. Weil im Begriff des Akts der Bezugnahme aber von spezifischen Formen des psychologischen Modus des zugrundeliegenden geistigen Zustands und vom Zusammenspiel der Aktionen abgesehen wird, die den Akt der Bezugnahme konstituieren, kann man im Begriff des Akts der Bezugnahme auch eine Abstraktion der mit den skizzierten Modellen in den Blick genommenen intentionalen Akte sehen. In allen Modellen wird die Annahme gemacht, dass aus Sicht des Subjekts eine externe reale Welt existiert. Sie hat bei Searle maßgeblichen Einfluss auf die Konzeptualisierung, da intentionale Zustände und Ereignisse auf Gegenstände und Sachverhalte dieser Welt gerichtet sind bzw. von ihnen handeln. Obwohl auch Husserl diese Annahme macht, weil er gelegentlich davon spricht, so fällt sie doch aus dem Rahmen seiner Betrachtung, weil das »objektive ›Transzendente‹« auf unhintergehbare Weise von der Bewusstseinsleistung der Auffassung

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abhängt und die Annahme der Existenz einer solchen Welt keine Notwendigkeit besitzt: »[E]s sei gar nicht abzusehen«, schreibt er, »wie eine absolute Notwendigkeit dafür, daß es eine Welt soll geben müssen, nota bene eine reale Welt als eine Dingwelt, (aufgezeigt werden kann). […] Warum muß aber eine Welt existieren und 96

existieren müssen (sic!)? Ich sehe in der Tat nicht ein, daß sie das müßte.«

So selbstverständlich, wie in den Modellen eine externe reale Welt angenommen wird, ist in ihnen auch der Gedanke der Trennung dieser Welt von dem Bezug nehmenden Subjekt und dessen geistigen Zuständen, Ereignissen oder Akten. Freilich fällt die Art der Trennung in den Modellen sehr verschieden aus, weil auch die Objekte der Bezugnahme sehr unterschiedlich konzeptualisiert sind. Aber die Frage der Zugänglichkeit der Wahrheit über die Objekte der realen Welt und die Frage nach der Möglichkeit einer Überwindung dieser Trennung in der Bezugnahme stellt sich in allen Modellen. Es ist wohl gerechtfertigt zu sagen, dass sich in allen Modellen eine Skepsis gegenüber der Zugänglichkeit erkennen lässt. In dem der erzeugenden Perspektive nahe stehenden Modell Twardowskis ist diese Skepsis vielleicht noch am wenigsten offensichtlich, denn ihm stellt sich die Frage der Möglichkeit sicheren Wissens nicht, weil der Akt der Vorstellung vom Akt des Urteils verschieden ist, und zudem auch existierende reale Objekte Gegenstände der Vorstellung sein können. Dennoch kann man in seiner Modifikation des Existenzbegriffs eine ausweichende Reaktion auf diese Frage sehen. Bei Husserl dagegen wird die Zugänglichkeit explizit ausgeschlossen, weil es die dafür erforderliche Deckung von Sein und Bewusstsein im Bewusstsein nicht gibt. Parmenides und Leibniz äußern sich zur Zugänglichkeit differenziert, aber eindeutig. Auch Frege äußert sich klar, wenn man seine Begriffe des Urteils und der Behauptung als Antwort versteht. Und auch bei Searle ist das Erreichen der Wahrheit einem Zyklus unterworfen,

96 Husserl (wie Anm. 73), S. 288 [Herv. i.O.].

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der sie letztlich unzugänglich macht: Denn »[e]s gibt keinen neutralen Standpunkt, von dem aus sich die Beziehungen zwischen intentionalen Zuständen und der Welt überblicken und dann nicht-intentional beschreiben ließen.« 97 Mit anderen Worten: Das Erfülltsein von Erfüllungsbedingungen ist unabwendbar vom Erfülltsein neuer Erfüllungsbedingungen abhängig, sodass der Versuch, darüber sicheres Wissen zu erlangen, sich in einem unendlichen Regress verläuft. Auch wenn der Zugang zur Wahrheit eine erfolgreiche Bezugnahme voraussetzt, ist die Frage nach den Bedingungen erfolgreichen Bezugnehmens nicht mit der Frage nach der Zugänglichkeit identisch. Die Modelle gehen sehr verschieden mit der Differenz dieser beiden Fragen um. Während die Frage der Zugänglichkeit, die mit der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis zur Welt eng verbunden ist, bei Parmenides und Leibniz im Vordergrund steht, spielt sie in den anderen Modellen nur am Rande eine Rolle und wird deshalb nur implizit oder in Nebensätzen beantwortet. Dagegen bildet die Frage nach der erfolgreichen Bezugnahme den Kern dieser Modelle. Ihre Beantwortung hat eine technische Natur. Die Modelle erklären, wie es in den betrachteten Akten zur Intentionalität kommt: durch eine Vermittlung. In allen Modellen gibt es die Konzeption von etwas, das zwischen dem geistigen Zustand oder Akt des Subjekts und dem Objekt, auf das der Akt der Bezugnahme gerichtet ist, vermittelt. Verschieden ist, wodurch diese Vermittlung zustande kommt. Bei Parmenides sind es sehr allgemein der menschliche Verstand und die Vergabe von Namen. Bei Leibniz sind es die Gründe. Bei Frege sind es der Sinn oder der Gedanke, an die, die objektiv sind und schon existieren, das Subjekt heran tritt. Bei Brentano und Twardowski ist es der Inhalt der Vorstellung, der zum Bewusstsein des Subjekts gehört. Bei Husserl ist es die Bewusstseinsleistung der Auffassung, durch die das objektive Transzendente zustande kommt. Und bei Searle sind es die Erfüllungsbedingungen, die durch den propositionalen Gehalt und die Ausrichtung des intentionalen Zustands bestimmt sind. Bei Twardowski und bei Husserl

97 Searle (wie Anm. 12), S. 46.

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führt die Vermittlung immer zu dem Objekt der Bezugnahme, in den anderen Modellen gibt es dafür Bedingungen. Das Objekt der Bezugnahme Wie eingangs erklärt, ist das Objekt einer Bezugnahme dasjenige Etwas, auf das der intentionale Zustand gerichtet ist, der der Bezugnahme zugrundeliegt. Was ist dieses Objekt, besonders im Fall von Zukünftigem? Bei Husserl ist es etwas, das im Geist eines Subjekts erzeugt ist und das ihm als etwas von ihm unabhängiges Gegenüberstehendes erscheint. Es gehört nicht zur »Dingwelt«, aber es ist als Leistung des Bewusstseins vorhanden. Bei Twardowski existiert es als Vorgestelltes und ist alles, das etwas ist, auch wenn es im ontologischen Sinne keine Existenz hat. In allen anderen Modellen ist es extern und objektiv. Auf die Frage nach dem Objekt der Bezugnahme gibt es sehr verschiedene Antworten. Das zeigen die skizzierten Modelle. Man muss wohl feststellen, dass es bei der Bestimmung der Weise der Existenz keine Wahrheit gibt, sondern nur Modelle. Bei der Modellierung der Existenz gibt es eine grundsätzliche Bedingung der Konzeptualisierung: Wenn Existieren Vorhandensein ist und wenn es etwas gibt, das nicht existiert, und wenn es nicht möglich ist, dass etwas existiert und zugleich auch nicht, dann muss es eine Grundgesamtheit geben, in der das Existierende und das Nichtexistierende vorhanden sind, und eine Institution, die in dieser Grundgesamtheit das Existierende vom Nichtexistierenden trennt. Wenn man dann sagt, dass etwas existiert oder dass etwas nicht existiert, dann ist von dem die Rede, was in dieser Grundgesamtheit vorhanden ist. Dann nimmt man mit dem Wort ›etwas‹ auf etwas in dieser Grundgesamtheit Bezug. Für den Redenden konstituiert diese Grundgesamtheit einen Raum unbedingten Vorhandenseins, der in dem Sinne positiv ist, dass er im Rahmen der Betrachtung die Negation des Vorhandenseins ausschließt. Auf der Grundlage dieser Gesamtheit können das bedingte Vorhandensein des Existierenden und das bedingte Nichtvorhandensein des Nichtexistierenden siedeln, und auf diese Gesamtheit bezieht

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sich der Redende, wenn er von etwas spricht, das existiert oder nicht. Es stellt sich deshalb die Frage, wie in den Modellen das Objekt der Bezugnahme konzeptualisiert ist: ob es in dieser Grundgesamtheit vorhanden ist oder im gesonderten Bereich des Existierenden liegt. Wenn es im Bereich des Existierenden liegt, hat die Rede von der Nichtexistenz kein Fundament. Ich glaube, dass man im Sein des Parmenides eine solche positive Grundgesamtheit sehen kann. Dem Einzelnen, das aus Gegensätzen und Vermischung entstanden ist und dem dieses Ganze des Seins zugrundeliegt, »haben die Menschen je einen Namen gegeben, bezeichnend jedes Ding.« Die Sterblichen haben die Dinge zwar benannt, aber sie haben sie nicht erzeugt. Auch bei Twardowski gibt es diese positive Gesamtheit. Sie ist nicht »ungeworden«, »unvergänglich«, »ganz«, »einheitlich«, »unerschütterlich«, »vollendet« und »zusammenhängend«,98 sondern eine Vielheit. Sie ist die Gesamtheit dessen, was der Gegenstand einer im Bewusstsein liegenden Vorstellung sein kann, dessen »sprachliche Bezeichnung der Name ist«, und das »seinen üblichen Ausdruck im ›Etwas‹ findet.«99 Das Einzelne in dieser Vielheit muss als Gegenstand der realen Welt nicht existieren, aber es hat als Vorgestelltes unbedingte Existenz. Denn man kann nicht sagen, dass man von etwas keine Vorstellung hat, es sei denn, man meint damit ›kein klares Bild‹. Diese Unmöglichkeit folgt aus der besonderen Rolle, die Vorstellungen unter den psychologischen Akten dadurch einnehmen, dass sie Teil jedes solchen Aktes sind. Worauf Bezug genommen wird, kommt in der Grundgesamtheit des ›Etwas‹ vor, denn sonst könnte man nicht urteilen, dass etwas nicht existiert. Bei Husserl ist das Einzelne des unbedingten Vorhandenseins das »objektive ›Transzendente‹«, das nicht repräsentiert ist, sondern eine Leistung des Bewusstseins. In welchem Sinne es das ist, zeigt er in seinen »Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins«. 100

98

Parmenides (wie Anm. 30), S. 19-21, Fr. 7 und Fr. 8.1-6.

99

Twardowski (wie Anm. 28), S. 40.

100 Vgl. Husserl (wie Anm. 79).

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Wodurch auch immer veranlasst, es ist ein Erzeugnis des Bewusstseins. Es kann keiner Negation unterliegen, hat in diesem Sinne unbedingte Existenz und ist das, worauf Bezug genommen wird. Es muss ihm in der Realität nichts entsprechen. In Leibniz’ Modell der Kontingenz ist das Ganze nicht bestimmt. In jedem Fall umfasst es das Mögliche. Aber: »Man muß es für sicher halten«, schreibt Leibniz, »daß nicht alles Mögliche existent wird; sonst könnte man keine Romanfigur ersinnen, die nicht irgendwo und irgendwann existieren würde. Vielmehr scheint es nicht geschehen zu kön101

nen, daß alles Mögliche existiert, weil es sich gegenseitig hindern würde.«

Das, was existent wird, ist durch Gründe und Gottes Vernunft existent. Es ist gegeben. Bezug nehmen, so scheint es, können wir aber offenbar auch auf das Mögliche und auch auf das nicht Existierende. Auch in Freges Semantik ist das Ganze nicht bestimmt. Es umfasst aber das Objektive, das Bedeutung oder Sinn eines Zeichens sein kann. In seiner Begriffsschrift hat das, was mit dem Allquantor ausgeschöpft werden kann, die Funktion einer positiven Grundgesamtheit. Das Einzelne ist dabei das, worauf mit Variablen, Konstanten und Termen Bezug genommen wird. Zwar gibt es bei Frege die Annahme einer realen Welt, aber sie hat nur einen sehr geringen Einfluss auf den Zusammenhang von Zeichen, Sinn und Bedeutung. Bedingt durch die Objektivität des Sinns und die Fokussierung der Wissenschaft und der Logik auf »eigentliche Gedanken« könnten Wahrheit und Gegenstände auch eine andere Seinsweise als die besitzen, zur Realität zu gehören. Dazu kommt es später auch unter der vermittelnden Perspektive der Mathematik durch die Formalisierung der Logik und die Modelltheorie Tarskis. Die Existenz eines Objekts wird dann zur Existenz von etwas, das die Eigenschaft hat, die dieses Objekt charakterisiert, und die positive Grundgesamtheit wird zur Trägermenge der semantischen Struktur, in der Variable mit Werten belegt, Konstante als Benennungen

101 Leibniz (wie Anm. 40), S. 185.

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verstanden und in Termen gefasste Gegenstandsbeschreibungen interpretiert werden, um in Formeln ausgedrückte Aussagen mit einem Wahrheitswert zu belegen.102 Bei Searle sind die Objekte der Bezugnahme als die »Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt« bestimmt, auf die intentionale Zustände und Ereignisse »gerichtet sind« oder von denen sie »handeln«. Das Ganze, das auch das Nichtexistierende umfasst, hat bei ihm keine Bestimmung und besitzt auch keine eigene Existenz. Zwar gehören zu intentionalen Zuständen auch »Phantasien« und »bloße Vorstellungen«, die als intentionale Zustände auch einen »Repräsentationsgehalt« haben, aber dieser Gehalt nimmt eventuell auf keinen Gegenstand in der Welt Bezug. Nur in einem »intensionalen« Sinn handelt zum Beispiel die Vorstellung eines runden Vierecks »von« einem runden Viereck, im »extensionalen« Sinn des »von«, um den es bei der Existenz geht, handelt sie nicht »von« einem runden Viereck, weil es runde Vierecke nicht gibt. Objekte der Bezugnahme sind bei Searle gewöhnliche Gegenstände oder Sachverhalte, die in der Welt existieren. Zur Verwirrung kommt es durch die Mehrdeutigkeit des Wortes »von«, sagt er.103 Mit dieser Konzeptualisierung des Objekts der Bezugnahme, könnte man ihm erwidern, kommt es aber auch dazu, dass nicht nur nichts zugänglich ist, sondern auch fast jede Referenz scheitert, weil sie wegen fehlender Existenz oder Unschärfe von nichts handelt. Erfolg und Scheitern einer Bezugnahme Wie eingangs formuliert, scheitert eine Bezugnahme, wenn es durch den ihr zugrundeliegenden intentionalen geistigen Zustand nicht zu einer intentionalen Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Bezugnahme kommt. Anderenfalls ist sie erfolgreich. Explizit oder implizit wird in allen skizzierten Modellen die Annahme der ontologischen Striktheit für Beziehungen gemacht, nach der die Existenz einer

102 Vgl. Ehrig/Mahr et al. (wie Anm. 17), S. 329-352. 103 Vgl. Searle (wie Anm. 12), S. 34-36.

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Beziehung die Existenz der in Beziehung stehenden Objekte voraussetzt. Weil ein geistiger Zustand in allen Modellen als etwas zu einem Subjekt Gehöriges verstanden wird, das durch seine Realisierung im Gehirn eine raum- und zeitabhängige Existenz besitzt, kann es durch eine Bezugnahme auf etwas nur dann zu einer intentionalen Beziehung zwischen dem geistigen Zustand und dem Objekt der Bezugnahme kommen, wenn dadurch das Objekt in seiner Identität bestimmt ist und im Sinne der dem Modell zugrundeliegenden Ontologie existiert. Die Forderung der Bestimmtheit erscheint unumgänglich, weil anderenfalls nicht zu erkennen oder zu sagen wäre, womit der infrage stehende geistige Zustand in Beziehung steht. Und die Forderung der Existenz erscheint unumgänglich, weil sinnfälligerweise nicht etwas Existenz haben kann, das Existierendes mit Nichtexistierendem verbindet. Die Modelle gehen auch mit den Fragen des Scheiterns und des Erfolgs wieder sehr verschieden um. In den Modellen von Twardowski und Husserl kann eine Bezugnahme auf etwas nie scheitern. Bei Husserl liegt das Objekt der Bezugnahme im Subjekt und hat, auch wenn es nicht repräsentiert ist, doch als Leistung des Bewusstseins Existenz. Und bei Twardowski existiert es als Vorgestelltes, wo immer es auch ist. Beide Konzeptualisierungen erfüllen die ontologische Striktheitsbedingung, indem sie die Existenz modifizieren. Searles Modell der Intentionalität ist der ontologischen Striktheitsbedingung ontologisch verpflichtet. Es nimmt in der Frage des Erfolgs eine reflektierende Perspektive ein und erklärt dann eine Bezugnahme für gescheitert, wenn das Objekt, auf das Bezug genommen wird, in der Realität nicht vorhanden ist. Erfolg und Scheitern sind bei Searle objektiv. In Freges Modell von Sinn und Bedeutung ist zwar die Annahme einer realen Welt existierender Gegenstände enthalten, aber das Objekt der Bezugnahme muss bei ihm nicht unbedingt die Bedeutung des Zeichens sein, mit dessen Hilfe das Subjekt Bezug nimmt. Es kann auch der Sinn des Zeichens sein oder der wahre oder falsche Gedanke, der, wenngleich objektiv, durch das Zeichen »erfasst« wird. Bei Frege stellt sich die Frage des Scheiterns damit differenzierter, denn sie bezieht mit der Möglichkeit der Wahl von Bedeutung oder Sinn als den

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möglichen Objekten einer Bezugnahme die Frage des Interesses mit ein, das in der »Wissenschaft« ein anderes ist als in der »Dichtkunst«. Scheitern ist immer das Scheitern an Anforderungen. Deshalb werden bei Frege und Searle auch an den Akt einer Bezugnahme Anforderungen gestellt. So muss bei Searles Referenz das referenzierte Objekt durch das Subjekt des Sprechakts eindeutig referenziert werden oder zumindest eindeutig referenzierbar sein. Und bei Frege müssen Existenz und Eindeutigkeit der Bezugnahme durch korrekte mathematische Ableitungen sichergestellt werden können. 104 Mit der Sicherung von Existenz und Eindeutigkeit im Akt der Bezugnahme, um Freges Bild zu gebrauchen, ist die »Brücke zum Objektiven [nicht] abgebrochen«. Die kategoriale Trennung von Subjekt und Realität ist dadurch jedoch nicht überbrückt und die Zugänglichkeit ist nicht hergestellt. Die Brücke ist als Konstrukt des Geistes eine ideale Größe und kann deshalb den Weg zur Realität, zum Objekt der Bezugnahme, nicht frei machen. Auch wenn der Akt der Bezugnahme in Freges und Searles Modell durch sicheres Wissen nicht erfolgreich vollzogen werden kann, so sind die in den Wissenschaften entwickelten Techniken der Objektivierung zur Sicherung von Existenz und Eindeutigkeit doch von außerordentlicher Bedeutung für gesichertes Wissen und erfolgreiche Kommunikation. Ihre Modelle reflektieren nicht die Wirklichkeit, sondern setzen Ziele. Die Unbestimmtheit des Zukünftigen Wir beziehen uns auf Zukünftiges, wenn der intentionale Zustand, der unserer Bezugnahme zugrundeliegt, auf Zukünftiges gerichtet ist, d.h. auf etwas, dessen Existenz oder Bestehen in der Zukunft wir zum Zeitpunkt der Bezugnahme für möglich erachten.

104 Damit bei solchen mathematischen Ableitungen Fehler besser vermieden werden können, hat Frege seine Begriffsschrift als formales zweidimensionales Notationssystem entwickelt.

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Bei der Bezugnahme auf Zukünftiges ist Objektivierung nur sehr eingeschränkt möglich. Denn die Unbestimmtheit zukünftiger realer Existenz geht über die Ungewissheit der realen Existenz von Gegenwärtigem und Vergangenem in grundsätzlicher Weise hinaus. Sie entzieht sich nicht nur weitgehend den Methoden der Naturwissenschaften, sondern auch den Möglichkeiten der Leistungen des Bewusstseins. Zukünftiges hat keine Zeugen und keine Dokumentation, Zukünftiges kann nicht erinnert werden und Erfahrungen im Hinblick auf Zukünftiges können nur über einen Analogieschluss aus den Erfahrungen im Hinblick auf vergangenes Zukünftiges gewonnen werden. Während die Existenz in der Gegenwart und Vergangenheit faktisch entschieden und dadurch als gesichertes Wissen, zumindest im Prinzip, zugänglich ist, fehlt der Existenz des Zukünftigen diese prinzipielle Zugänglichkeit des Faktischen. Nur wenn ein deterministisches Prinzip oder ein über der Zeit stehendes Wesen die Zukunft bestimmen würde, wäre auch die Existenz des zukünftig Realen entschieden, aber eben noch nicht faktisch, sondern nur als etwas, das uns erwartet. Obwohl also die Unbestimmtheit des Zukünftigen über die Ungewissheit der Existenz von Gegenwärtigem und Vergangenem in grundsätzlicher Weise hinausgeht, ist in keinem der skizzierten Modelle die Bezugnahme auf Zukünftiges als etwas Eigenständiges konzeptualisiert. Auch spielt die Zukünftigkeit von Objekten der Bezugnahme in keinem der Modelle eine gesonderte Rolle. Und auch im Hinblick auf ihren Zeitbezug werden in den Modellen die Akte der Bezugnahme nicht unterschieden, denn in allen Modellen wird auf zukünftige Objekte mit den gleichen Mitteln Bezug genommen, mit denen auch auf Objekte der Vergangenheit und der Gegenwart Bezug genommen wird. Wenn man, wie Searle, Existenz »in einem zeitlosen Sinn« versteht, kann man, wie schon zitiert, »auf das, was existiert hat oder existieren wird, genauso gut verweisen wie auf das, was jetzt existiert«.105 Zeitlose Existenz umfasst bei ihm demnach nicht nur Vergangenes und Gegenwärtiges, das tatsächlich Realität war bzw. ist, sondern auch das

105 Searle (wie Anm. 7), S. 121, Fußnote 3.

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Zukünftige, das tatsächlich Realität sein wird. Im Sinne der hier gegebenen Definition ist Zukünftiges dagegen etwas, dessen mögliche Existenz in der Zukunft liegt. Auch Searle kennt die Möglichkeit der Existenz, aber bei ihm wird die Differenz zwischen Tatsächlichkeit und Möglichkeit nicht durch eine Modifikation der Tatsächlichkeit des Existierens erreicht, sondern durch den allgemeinen Gedanken, dass objektiv die Möglichkeit besteht, dass eine Bezugnahme scheitert. Geht man davon aus, dass eine Referenz auf Zukünftiges ernst gemeint, oder, wie Searle es ausdrückt, »aufrichtig«106 ist, dann ist ein Akt der Referenz, so kann man aus seinem Modell schließen, mit dem intentionalen Zustand der Überzeugung verbunden, dass der Verweis nicht scheitert. Da der Akt eine Ausrichtung vom Geist auf die Welt hat, ist ein Scheitern demnach eine Angelegenheit des Geistes, sodass die Verantwortung für den Erfolg der Bezugnahme im Blick des Subjekts auf die Realität des Zukünftigen liegt. Denn das Subjekt, das durch den geistigen Zustand, in dem es sich befindet, Erfüllungsbedingungen festlegt, kann dabei möglicherweise den Anforderungen an eine erfolgreiche Referenz nicht genügen. Diese Beobachtung an Searles Modell besagt, dass Zeitabhängigkeit, und damit auch Zukünftigkeit, nicht ausschließlich als objektiver Sachverhalt gesehen werden kann, sondern auch als eine Angelegenheit des Subjekts verstanden werden muss, dem es auferlegt ist, in der Bezugnahme den Nebel der Unbestimmtheit zu durchdringen. Die Modelle zeigen auch, dass sich die Idee des Bezugnehmens, deren Grundlagen sie konzeptualisieren, nicht ändert, wenn das, worauf Bezug genommen wird, nicht in der Gegenwart oder Vergangenheit liegt, sondern in der Zukunft. Ein Grund für diese Stabilität der Idee könnte darin liegen, dass das Subjekt den Akt des Bezugnehmens, den es mit jedem Zeichengebrauch, mit jeder Vorstellung, mit der Bewusstseinsleistung der Wahrnehmung und mit jedem intentionalen Zustand vollzieht, als etwas Gegenwärtiges erlebt und dadurch zugleich mit der Vorstellung verbindet, dass das Objekt der Bezugnahme ge-

106 Searle (wie Anm. 12), S. 25f.

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genwärtig ist und gleichsam ›vor Augen‹, auch wenn es als zukünftig gedacht oder ausgesagt wird. Husserl vergleicht die anschauliche Vorstellung von künftigen Ereignissen in der Erwartung mit der anschaulichen Vorstellung von vergangenen Ereignissen in der Erinnerung. Die Vorstellungen vergangener und künftiger Ereignisse unterscheiden sich in der Richtung der mit ihnen verbundenen intentionalen Vorgänge. Deshalb sieht Husserl in der »Erwartungsanschauung« eine »umgestülpte Erinnerungsanschauung«. Und sie unterscheiden sich auch in der »Weise der Erfüllung«. Sie unterscheiden sich dagegen nicht prinzipiell im Grad ihrer Bestimmtheit. Charakteristisch für beide, aber insbesondere für die Erwartung von Künftigem, ist die »Offenheit« des Vorgestellten: »[…] prinzipiell ist ein prophetisches Bewußtsein (ein Bewußtsein, das sich selbst für prophetisch ausgibt) denkbar, dem jeder Charakter der Erwartung, des Seinwerdenden, vor Augen steht […]. Doch wird auch da manches Belanglose in der anschaulichen Antizipation der Zukunft sein, das als Lückenbüßer das konkrete Bild ausfüllt, das aber vielfach anders sein kann, als das Bild es bietet: es ist von vornherein charakterisiert als Offenheit.«107 Es gibt damit auch mit Husserls Modell keinen Anlass, die Akte der Bezugnahme auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges in grundsätzlicher Weise zu unterscheiden. In Sprechakten der Referenz kann auf Zukünftiges mit den das Futur betreffenden Ausdrucksmitteln der Sprache Bezug genommen werden. Freges Begriffsschrift dagegen hat keine dezidierten Ausdrucksmöglichkeiten des Zeitbezugs. Für Frege sind Zeitpunkte und Zeiträume Gegenstände. Als Gegenstände können sie mit anderen Gegenständen in Beziehung stehen und durch den Sinn von Zeichen erfasst werden. Zeitliches und Zukünftiges können dadurch zu Teilen von Gedanken werden, an die man »herantreten« und die man in Aussagen »ausdrücken« kann. Für Twardowski ist auch Zeitliches »etwas«, das vorgestellt ist, und ist daher als Teil komplexer Vorstellungen mit anderen Vorstellungen verbunden. Diese Beobachtungen zu den Möglichkeiten

107 Husserl (wie Anm. 79), S. 47.

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der Bezugnahme auf Zeitliches zeigen, dass in allen Modellen die Zukünftigkeit von Gegenständen und Sachverhalten, auf die Bezug genommen wird, als modifizierende Qualifizierung oder ein InBeziehung-Stehen ausgedrückt wird. Die Objekte der Bezugnahme auf Zukünftiges sind in den skizzierten Modellen deshalb nicht von anderer Natur als die Objekte der Bezugnahme auf Gegenwärtiges oder Vergangenes, sondern nur anders qualifiziert oder eingebunden. In anderen Worten, sie sind nur anders aufgefasst.

AUFFASSUNG UND Z EIT Abschließend skizziere ich zur Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges ein weiteres Modell, das Modell der Auffassung. Es hat seinen Ursprung in der Suche nach einer allgemeinen Theorie der Kontextabhängigkeit und wurde später zur epistemischen Grundlage für das Modell des Modellseins.108 Von seiner Klauselform ausgehend wurde es mathematisiert und in seinen Beziehungen zur Mengenlehre untersucht. In diesem Zusammenhang wurde auch seine Konsistenz bewiesen.109 Zur Fundierung eines allgemeinen Kontextmanagements wurde es inzwischen weiter entwickelt und auch in Teilen implementiert.110 Aus dem Bemühen, den im Modell konzeptualisierten abstrakten Begriff der Auffassung in den grundbegrifflichen Rahmen der Psycholo-

108 Vgl. Mahr, Bernd: »Gegenstand und Kontext. Eine Theorie der Auffassung«, in: Bernd Mahr et al. (Hg.), Prinzipien der Kontextualisierung (= KIT Report TU Berlin 141), Berlin 1997; Mahr: On the Epistemology of Models (wie Anm. 29). 109 Vgl. Wieczorek, Tina: On Foundational Frames for Formal Modelling. Sets, є-Sets and a Model of Conception, Dissertation, TU Berlin, 2008, Aachen 2009. 110 Vgl. Karbe, Thomas: Context and Context Management. EpsilonTheoretic Foundation and Operational Design, Dissertation, TU Berlin, 2014, Aachen 2014.

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gie und der Philosophie des Geistes einzuordnen, entwickelte sich eine Lesart des Begriffs der Auffassung,111 die auch der Anlass zu diesem Aufsatz wurde. Dies mag begründen, dass das Modell der Auffassung hier den Modellen zur Erklärung der Bezugnahme auf Zukünftiges als ein weiteres Modell hinzugefügt ist. Seine Entstehung ignorierend, kann man es auch als Konsequenz aus der Lektüre der hier skizzierten Modelle lesen. Es macht sich von den Differenzen der skizzierten Modelle weitgehend unabhängig und beschränkt sich auf die Aspekte der Subjekt- und Kontextabhängigkeit des Auf-etwas-Bezugnehmens. Es reflektiert die eingangs formulierte Überzeugung und stützt sich nicht auf ontologische Annahmen. Als Modell formuliert es dennoch einen Rahmen, der einer Ontologie nicht unähnlich ist. Bezugnahme durch Auffassung Dass jemand etwas auffasst, oder auch qualifizierend: dass jemand etwas als etwas auffasst, kann sehr verschieden formuliert sein, z.B. dass jemand etwas in bestimmter Weise sieht, versteht, denkt, beurteilt, wünscht, intendiert oder sich vorstellt. Gemeinsam ist diesen Ausdrucksweisen, dass mit ihnen ein intentionaler geistiger Zustand oder Akt gemeint ist, der eine gewisse Perspektivität besitzt: eine Subjektund Kontextabhängigkeit dessen, auf das er sich bezieht. Diese Gemeinsamkeit, die sich auch in der Phrase ›etwas auffassen‹ ausdrückt, ist eine geeignete Grundlage für eine Erklärung der Bezugnahme. Der mit den umgangssprachlichen Ausdrucksweisen gemeinte intentionale geistige Zustand der Auffassung steht nicht nur Husserls Auffassung als Bewusstseinsleistung nahe, sondern auch Twardowskis Akt der Vorstellung. Als geistiger Zustand ist er im Gehirn/Geist realisiert, aber er ist nicht notwendig bewusst. Was und wie etwas aufgefasst ist, ist eventuell im Gedächtnis verborgen, möglicherweise nur über die

111 Vgl. Mahr, Bernd: »Intentionality and Modeling of Conception«, in: Sebastian Bab/Klaus Robering (Hg.), Judgements and Propositions. Logical, Lingustic and Cognitive Issues, Berlin 2010, S. 61-87.

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Zeit hinweg zugänglich, und gegebenenfalls auch etwas, das das Subjekt nur durch gedankliche Leistungen zu erschließen vermag. Deshalb ist der intentionale Zustand der Auffassung nicht unbedingt eine Leistung des Bewusstseins, wie Husserl sie versteht, und auch nicht unbedingt eine »presentation to the mind« im Sinne Twardowskis. Er ist nicht durch die Limitierungen beschränkt, die sich aus der »Enge des Bewusstseins« ergeben.112 Die Idee der Auffassung ist allgemeiner.113 Sie lässt sich in ihrer Allgemeinheit mit Searles Begriff der Vorstellung vergleichen. Auch bei Searle gibt es den Begriff der Vorstellung, aber er steht bei ihm, wie auch bei Frege, nicht im Vordergrund der Betrachtung. Searle versteht Vorstellung als einen nicht notwendig bewussten intentionalen geistigen Zustand, der keine Ausrichtung hat, dessen propositionaler Gehalt keine Erfüllungsbedingungen festlegt, und der deshalb auch durch nichts erfüllt wird. Der psychologische Modus des geistigen Zustands einer Vorstellung ist damit, Searles Definitionen entsprechend, nichts anderes als der des Habens (eines propositionalen Gehalts). Vorstellung hat bei Searle also keine in ihr angelegte Beziehung zur Welt. Es ist aber auch, schreibt Searle, »bei einem Zustand des Vorstellens […] kein Fehlschlag, daß ihm nichts in der Welt entspricht.«114 Mit diesem Verständnis von Vorstellung als dem Haben eines propositionalen Gehalts lässt sich, ähnlich wie bei Twardowski, auch bei Searle argumentieren, dass jeder intentionale geistige Zustand

112 Twardowski (wie Anm. 28), S. 76. 113 Ohne Zweifel haben wir eine Auffassung von dem Grund, auf dem wir gehen, auch dann, wenn wir in ein Gespräch vertieft sind und wir den Grund mit unseren Schritten und Augen zwar wahrnehmen, uns das aber nicht bewusst ist; und ich habe z.B. von den reellen Zahlen eine Auffassung, die weit über das hinaus geht, was mir in einem Moment über sie bewusst sein kann. In dieser Hinsicht ist die Intentionalität der Auffassung allgemeiner als der an inneres Bewusstsein gebundene Akt der Vorstellung, von dem Twardowski spricht. 114 Searle (wie Anm. 12), S. 36.

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entweder eine Vorstellung ist oder auf einer Vorstellung beruht – weil ja jeder intentionale geistige Zustand einen propositionalen Gehalt hat.115 Anders als bei Twardowski ist Searles Begriff der Vorstellung jedoch nicht zur Erklärung des Akts der Bezugnahme geeignet. Denn weil einem Zustand der Vorstellung »nichts in der Welt entspricht«, würde eine Bezugnahme, der eine bloße Vorstellung im Searle’schen Sinne zugrundeliegt, immer scheitern. Eine Charakterisierung der Intentionalität der Auffassung kann sich deshalb nicht vollständig auf seinen Begriff der Vorstellung stützen. Sie muss bei der Bestimmung des Gegenstands einer Auffassung einen anderen Weg gehen. Im Hinblick auf die mit der Idee der Auffassung intendierten Subjektabhängigkeit, bietet sich daher Twardowskis Gegenstandsbegriff an, weil ein Gegenstand der Vorstellung »als Vorstellungsgegenstand« 116 immer existiert. Bestimmt man nun die Gegenstände von Auffassungen als diejenigen Objekte, von denen Twardowski sagt, »[…] dass sie, als Gattung betrachtet, das summum genus bilden, welches seinen üblichen Ausdruck im ›Etwas‹ findet«117, dann scheitert eine Bezugnahme, deren Intentionalität durch den geistigen Zustand der Auffassung konzeptualisiert ist, niemals. Der Kontext, von dem ein Gegenstand der Auffassung abhängig ist, ist nicht etwas, das im Akt des Auffassens als ein Äußeres gegeben ist, sondern etwas, das durch die Auffassung besteht. Er ist vom auffassenden Subjekt erzeugt, auf welche Weise und aufgrund welcher sinnlichen oder geistigen Veranlassungen auch immer. Dieses sehr allgemeine Verständnis von Kontext und Kontextabhängigkeit hat nicht nur weitgehende Entsprechungen mit Searles Idee eines propositionalen Gehalts, sondern auch mit der Idee des Inhalts einer Vorstellung, wie sie Twardowski erklärt, und damit auch mit Freges Idee des Sinns. Deshalb ist es naheliegend, den Inhalt einer Auffassung durch die subjektgebundene Kontextabhängigkeit des aufgefassten Gegenstands zu

115 Vgl. Mahr (wie Anm. 111). 116 Twardowski (wie Anm. 28), S. 24f. 117 Ebd., S. 40.

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bestimmen. Dies ist der Kern des Modells der Auffassung, das in abstrakten Konzepten die Intentionalität des Zustands der Auffassung erfasst.118 Die Idee einer aufgefassten Zeit Die 13 Klauseln des Modells der Auffassung beinhalten keine eigens ausgewiesenen Konzepte für die Zeit.119 Denn auch Zeit ist nach der

118 Die 13 Klauseln des Modells der Auffassung: (1) Eine Entität ist etwas, das ist. Alles, was ist, ist eine Entität. (2) Eine Entität ist der Inhalt einer Auffassung. (3) Je zwei Entitäten sind verschieden. (4) Eine Beziehung ist eine Entität, durch die Entitäten miteinander verbunden sind. (5) Eine Entität gehört zu einer Beziehung, wenn sie zu den Entitäten gehört, die durch diese Beziehung miteinander verbunden sind. (6) Ein Zusammenhang ist eine Entität, durch die Entitäten zu Beziehungen gehören. (7) Eine Beziehung gehört zu einem Zusammenhang, wenn die Entitäten, die zu dieser Beziehung gehören, durch diesen Zusammenhang zu dieser Beziehung gehören. (8) Eine Entität gehört zu einem Zusammenhang, wenn sie zu einer Beziehung gehört, die zu diesem Zusammenhang gehört. (9) Eine Auffassung ist eine Beziehung, durch die eine als Subjekt der Auffassung identifizierbare Entität, eine als Objekt (oder Gegenstand) der Auffassung identifizierbare Entität und ein als Kontext der Auffassung identifizierbarer Zusammenhang miteinander verbunden sind. (10) Der Inhalt einer Auffassung ist ein Zusammenhang, zu dem genau diejenigen Beziehungen gehören, die zum Kontext dieser Auffassung gehören und zu denen der Gegenstand dieser Auffassung gehört. (11) Eine Situation ist ein Zusammenhang, in dem alle Entitäten, die zu diesem Zusammenhang gehören, Auffassungen sind. (12) Ein Universum ist ein Zusammenhang, zu dem mit jeder Entität, die zu ihm gehört, auch eine Auffassung gehört, deren Inhalt diese Entität ist. (13) Ein Universum heißt reflexiv, wenn es zu sich selbst gehört.

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Idee des Modells etwas, das aufgefasst ist und das sich deshalb von anderem Aufgefasstem nicht grundsätzlich unterscheidet. Zeit und Zeitbezug werden, wenn sie nicht selbst zum Gegenstand werden, im Modell der Auffassung als Teile von Inhalten und Kontexten von Auffassungen verstanden und dadurch der Subjektivität, der Kontextualität und der Gegenwärtigkeit von Auffassungen unterworfen. Wie Zeit aufgefasst werden kann, ob als absolutes Existierendes, als ›a priori‹ der Vernunft oder als subjektives Zeiterleben, zeigen die Reflexionen zum Begriff der Zeit in den Naturwissenschaften, in der Anthropologie und in der Philosophie.120 Immer wird bei diesen Reflexionen in einem Modell beschrieben, wie Zeit erscheint, was Zeit sein könnte und wie die Phänomene der Zeitabhängigkeit und des Zeiterlebens als zur Zeit gehörige Einheiten und Merkmale in konsistenter Weise begrifflich erfasst werden können. Modelle sind veräußerte Auffassungen und als Modelle haben diese Beschreibungen der Zeit ihre Begründung in Beobachtungen, Erfahrungen und Theorien. Sie sind deshalb keine arbiträren Vorstellungen eines Subjekts, sondern Komplexe von Gedanken und Einsichten, die ihre Bestätigung in einem Begründungszusammenhang finden und die sich, dadurch objektiviert, von der Subjektivität des Subjekts ablösen. Hinter der Konzeption einer aufgefassten Zeit steht der Gedanke, dass sich geistige Zustände der Auffassung in der Bezugnahme auf

119 Ein erster, aber bisher nicht weiter geführter Versuch, Zeit im Verständnis der Allen’schen Zeitlogik in das Modell der Auffassung einzufügen, findet sich in Michelsen, Ellen: Zeitstrukturen, Dipl., TU Berlin, 2009. 120 Vgl. Flasch, Kurt (1993): Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XI. Buch der Confessiones, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2004, S. 15-226; Janich, Peter: Die Protophysik der Zeit. Konstruktive Begründung und Geschichte der Zeitmessung, Frankfurt a.M. 1980, S. 221-272; Gloy (wie Anm. 78); Müller, Thomas (Hg.): Philosophie der Zeit – Neue analytische Ansätze, Frankfurt a.M. 2007; Zimmerli, Walther Ch./Sandbothe, Mike (Hg.): Klassiker der modernen Zeitphilosophie, 2., erw. Aufl., Darmstadt 2007.

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Zeitliches nicht nur auf Zeitwahrnehmung und Zeitbewusstsein gründen, sondern auch auf Elemente von Modellen der Zeit, die in das individuelle Zeitverständnis integriert sind und als Zusammenhänge von Beziehungen in den Kontexten von Auffassungen der auffassenden Subjekte residieren. Aus solchen Modellelementen entstehen die Vorstellungen eines Zeitverlaufs, einer Zeitdauer, einer Gliederung des Zeitverlaufs in Abschnitte wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Vorstellungen eines Jetzt und einer Unendlichkeit, die Ideen eines Zeitpunkts, einer Datierung, der Gleichzeitigkeit, die Vorstellungen von dem, was sich mit sprachlichen Bestimmungen und Modifikationen der Zeit ausdrücken lässt wie nie, bald, anschließend oder immer, die Selbstverständlichkeit zeitlicher Beziehungen wie früher, später, vorher und nachher, die Vorstellung der linearen Anordnung von Zeitpunkten auf einer Zeitachse, der Gedanke einer fortgesetzten Teilbarkeit einer Zeitdauer, deren Teilung nie zu einem Zeitpunkt führt, die Ideen einer zeitlichen Wiederkehr, die Überzeugung von der Genauigkeit einer Uhr, die Qualifizierung von Wahrnehmungen wie lang, kurz, langsam und schnell, und vieles mehr, das als zeitabhängig und zeitläufig verstanden wird. Die Elemente verschiedener Zeitmodelle stehen dabei möglicherweise im Konflikt zueinander wie das Jetzt als Zeitpunkt, das keine Ausdehnung hat, und das Erleben des Jetzt, das eine Dauer besitzt. Außerdem gibt es bisher keine Auswahl elementarer Zeitelemente, aus denen sich alle Zeitvorstellungen zusammensetzen lassen und es gibt auch keine schlüssige Bestimmung zum ontologischen Status der Phänomene der Zeit, die ganz verschiedenen Welten anzugehören scheinen: der objektiven Welt der Tatsachen, der idealisierten Welt der Gedanken und der subjektiven Welt des Erlebens.121 Der Konzeption einer aufgefassten Zeit entsprechend wird Zukünftigkeit im Modell der Auffassung durch Beziehungen und Zusammenhänge erfasst, die modifizierende Attribute, Abhängigkeiten und Relationen ausdrücken. Man kann nun das Erfassen der Zukünftigkeit im Modell als eine Aufgabe der Modellanwendung sehen, die sich auf das

121 Vgl. Gloy, Karen: Zeit – Eine Morphologie, Freiburg/München 2006.

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Modell der Auffassung stützt. Man kann aber auch, um Zukünftigkeit im Modell zu erfassen, das Modell der Auffassung um Klauseln erweitern, die die Modellanwendung zur Erfassung der Zeit und der Zeitabhängigkeit einschränken. Damit würde das Modell an Allgemeinheit verlieren, aber an Konkretion gewinnen. Bei einem solchen Vorgehen wäre es naheliegend, den Entitäten eines Universums eine Existenzoder Ereigniszeit zuzuordnen, die selbst eine Entität ist. Die Konsistenz der Zeitzuordnung könnte dann dadurch gesichert werden, dass die Modelle, die die Klauseln interpretieren, bestimmte Abhängigkeiten der Zeitzuordnung für Beziehungen und Zusammenhänge erfüllen müssen. Wenn auf diese Weise jeder Entität eine Existenz- oder Ereigniszeit zugeordnet ist, ließe sich, damit zusammenhängend, jeder Entität auch eine Zeitstruktur zuordnen, die durch den Inhalt der Auffassung konstituiert wird und die als Zusammenhang das Geflecht der mit der Auffassung der Entität verbundenen Zeitstrukturen und Zeiten erfasst. Ein solches Vorgehen verlangte jedoch einige grundlegende Modellentscheidungen: Zum einen bei der Frage, wie im Modell die Rekursivität von Zeitstrukturen erfasst wird, die eventuell nicht fundiert werden kann, und zum anderen die grundsätzliche Frage, was unter der Existenz- und Ereigniszeit einer Entität zu verstehen ist. Dadurch, dass eine Auffassung durch das ihr zugrundeliegende Verständnis als intentionaler Zustand des Auffassens Gegenwärtigkeit besitzt, muss die einer Entität zugeordnete Existenz- und Ereigniszeit die gleiche Gegenwärtigkeit besitzen, die der Auffassung unterliegt, deren Gegenstand sie ist. Andererseits ist der Gedanke der Zukünftigkeit von einem Zeitmodell abhängig und kann nicht durch irgendeine Art der Gegenwärtigkeit beschränkt sein. Es ist deshalb nicht eine einzige Zeit, die einer Entität zugeordnet werden kann, sondern es muss, um mit dem Modell der Auffassung dem Akt der Bezugnahme auf Zukünftiges gerecht werden zu können, zumindest zwischen einer Existenz- und Ereigniszeit und einer Auffassungszeit unterschieden werden. Denn nur dann kann man sagen, dass mit einer Auffassung von Zukünftigem aus der Gegenwart heraus auf Zukünftiges Bezug genommen wird. Eine

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Erweiterung des Modells der Auffassung um eine Konzeptualisierung der Zeit steht jedoch noch aus.

S CHLUSS : Z UR B EZUGNAHME

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Die eingangs formulierten Fragen zur Bezugnahme lassen sich mit dem Modell der Auffassung so beantworten: Jedem Akt einer Bezugnahme liegt ein Zustand der Auffassung von dem zugrunde, worauf Bezug genommen wird. Dabei ist das Objekt der Bezugnahme der Gegenstand dieser Auffassung. Dieser Gegenstand ist zwar vom Subjekt der Auffassung konzeptionell getrennt, andererseits aber mit dem Subjekt durch die Auffassung verbunden, die eine Beziehung ist. Durch den Inhalt der Auffassung ist das Objekt der Bezugnahme in seinem Sosein bestimmt. Innerhalb eines Universums ist es auch selbst der Inhalt einer Auffassung. Dieser Inhalt muss nicht Teil der infrage stehenden Auffassung sein. Er kann, je nachdem, wie das Universum gestaltet ist, auch als Atom bestimmt sein, d.h. als unteilbares Abstraktum, oder als etwas, das innerhalb des Universums eine als objektiv aufgefasste Identität besitzt. Die Zukünftigkeit eines Objekts der Bezugnahme ist dann durch Beziehungen im Inhalt der Auffassung konstituiert, die, abhängig von Zeitmodellen im Kontext der Auffassung, das Objekt der Bezugnahme mit Zeit bestimmenden Elementen verbinden, z.B. mit einer Auffassungszeit, einer Existenzzeit oder auch mit einem Datum, einer erwarteten Zeitdauer, einer Qualifizierung durch eine Zeitbestimmung wie ›irgendwann‹, ›immer‹ oder ›nie‹, oder auch durch eine komplexe Zeitstruktur. In keinem Universum kann es eine Auffassung geben, die zum Scheitern einer Bezugnahme führt, und immer unterliegt eine Bezugnahme auf Zukünftiges der Gegenwärtigkeit der Bezugnahme.

Future of the Past History of Architectural Paradigms, Pragmatic Concerns, Social Innovations and Envisioning Narratives S LOBODAN D AN P AICH

I NTRODUCTION A trajectory from envisioned ideas to actualized projects is an aspect of history and history of ideas not often considered as subject in itself. The array of ignored, suppressed, disputed notions to fully implemented, half-realized, subverted or simply canceled projects can inspire rich reflection and probing. History of architectural and urban utopian ideas can be a contribution to this study of cultural manifestations emerging from idealized, programmatic or allegorical concepts to real, tectonically present projects. The Industrial Revolution with its unhealthy working and living conditions, urban overcrowding and mass abandoning of agricultural work has inspired many reformist ideas. This is the starting context of this paper that explores utopian thinking through a few examples of architectural city arrangement that embody or hope to inspire societal transformations.

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To unravel part of this history, we begin with a commemorative exhibition that asked for ideas for cities of the future. It was held as a part of the commemorative celebrations in 1975 in the English small town Letchworth, the world’s first Garden City, founded in 1903 by the prognostic urban design visionary Ebenezer Howard. A Garden City concept as articulated by Ebenezer Howard is a publicly owned and managed town that incorporates industrial production and separates it from the housing and social amenities an urban setting offers. Garden City concept was the predecessor of zoning regulations that emerged later in the 20th century. Apart from gardens and parks it signaled by its name, managed and incorporated agricultural land that offered mix use, created a variety of jobs and assets and a green belt feature that became part of the urban design in the following decades. Letchworth’s commemorative event invited new thinking about and representation of the urban future, the role of architecture and preconditions of the built environment that offers a unique starting point and junction for thinking about layered relationships between envisioned and real as well as between future and past. There is simplicity and understatement about Letchworth’s commemorative event. Seventy-five years after the conception and the creation of the Garden City the idea has been accepted, modified and watered down by suburban sprawl that took half of the concepts and commercialized them. It may appear as a modest example for open discourse and probing into the History of Architectural Paradigms, Pragmatic Concerns, Social Innovations and Envisioning Narratives. Letchworth’s seeming ordinariness tempers the loftiness of utopias into the context of facing implementation. It offers a view from brick and mortar to the presence of Plato’s Republic in the later Renaissance visions of the future.

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T HOMAS C AMPANELLA , »C ITY OF THE S UN « , 1602 To offer context and some historic perspective for the paper’s tentative theoretical assumptions, a comparative analysis includes historic antecedents centered around Thomas Campanella’s »City of the Sun« written in 1602. The intention is not to prove any hypothesis, but to point to similarities and differences of prognostic dynamics of urban planning and architectural design across time through chosen examples: »City of the Sun« was written in vernacular Italian and was created shortly after Campanella’s imprisonment while serving a life sentence for insubordination and heresy. It is an important Renaissance utopian writing about a faraway, almost inaccessible location and an ideal social order. The work is presented as a dialogue between a Grandmaster of the Knights Templar and a Genoese sea captain, using narrative form and description as veiled writing about the future of society and the shape and architectural arrangement of an ideal city. Campanella’s »City of the Sun« has many discreet references to Plato’s »Republic« and Timaeus written 2000 years before him. Plato’s works were re-evaluated and translated from Greek, in some cases Arabic, and presented at the newly opened Platonic Academy in Florence two centuries before Campanella wrote his influential »City of the Sun«. In Plato’s »Republic« Socrates addresses the central question »Is it always better to be just than unjust?« by broadening it to society and the creation of an ideal city. Socrates argues the plausibility and correlation between a just city and a just human is good and possible. To conjure an image of a desirable city, Socrates does not rely on known or ancient cities; he creates a model of a new city. In »The Republic« Socrates describes and creates a multi-layered urban paradigm, beginning with the primary causes that would bring fresh look into the nature of cities. Socrates intentionally creates a utopian, ideal city as a device to examine existing cities, their organization and individuals in them. But to bridge the actual and ideal, Socrates also hints that under the right circumstances his model can become real.

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Campanella’s »City of the Sun« opens with the city plan and configuration. The circular and concentric forms seem to be a favorite in utopian thinking looking for an ideal shape that is practical and symbolic. Campanella’s notions are voiced by the character of the Genoese captain who describes the city: »The greater part of the city is built upon a high hill, which rises from an extensive plain, but several of its circles extend for some distance beyond the base of the hill [...].« (Campanella 1901: 275) The captain continues by reporting on the two-mile diameter of the city and seven-mile circumference. The central hill adds to dimensions and articulation of the city, but it is clearly of a manageable and convivial size. The top of the hill is a flat circular public space, a terrace culminating with a centrally designed temple »built with wondrous art« (Campanella 1901: 277). Radiating outward from the temple »The City of the Sun« is laid out in seven concentric circles named after seven planets. Addressing precisely four cardinal points, the seven rings are accessed through four avenues and gates in the protective walls of each planetary section. The symbolic subdivision also has a defense purpose described by the narrating captain: »Furthermore, it is so built that if the first circle were stormed, it would of necessity entail a double amount of energy to storm the second; still more to storm the third; and in each succeeding case the strength and energy would have to be doubled; so that he who wishes to capture that city must, as it were, storm it seven times. For my own part, however, I think that not even the first wall could be occupied, so thick are the earthworks and so well fortified is it with breastworks, towers, guns and ditches.« (Campanella 1901: 275-276)

From the second enclosure onward the urban housing was described as a set of large mansions, »[...] all joined to the wall [...] in such a manner as to appear all one palace.« (Campanella 1901: 276) Promenading arcades and the ease of circulation point to designing public and private space well. Campanella’s work has interesting schemes for communal living, shared property and citizens’ involvement. It definitely

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pays elaborate homage to Plato’s/Socrates’ notion of philosopher kings and shows acute awareness of Plato’s articulation of a relation between the organizational features and values of society and the individual characteristics and values of persons. Like Campanella, Socrates and Plato were dissident thinkers of their time and used utopian notions to point to the shortfalls of the society in their day. Socrates was executed for his ideas. Writing from prison, Campanella critiques Feudal Society and the worldliness of the Church and heralds the more mobile and merit-structured society. It is noteworthy to mention the work of Thomas More, statesman and dissident at the court of Henry VIII. More’s political critique was through descriptions of an ideal society on the island Utopia, that gave the name to this genre. Utopia’s description was published in 1516, a century before Campanella’s »City of the Sun«. Thomas More was executed for his ideas in in the summer of 1535. The reason for mentioning this history of dissident social and planning prognostics in a paper on architectural history is to prepare the way of understanding the times and the achievement of Ebenezer Howard at the beginning of the 20th century.

E BENEZER H OWARD , »G ARDEN C ITIES OF T O -M ORROW «, 1902 (1898) The book originally was written with the title »To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform« in 1898 and revised and republished in 1902 with the title »Garden Cities of To-Morrow«. The social visionary Ebenezer Howard advocated creation of a new kind of town where trees, communal gardens and open spaces would be an organic organizing part of the city’s fabric, keeping industry separate from domestic architecture of residential areas. These were pioneering ideas of zoning as a legislative tool for urban development and introduced a number of ideas that became key concepts of urban and regional planning in the 20th century. In looking at Howard’s conceptual plans be-

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low, nonverbal and diagrammatic elements for envisioning the future are included in the closing remarks of this paper. Figure 1: Ebenezer Howard, The Three Magnets

Source: Howard 1902, p. 16

Ebenezer Howard (1850-1928) is an example of an architectural and planning visionary that did not emerge from an aristocratic or ecclesiastical background or from an architectural education. He came from a modest, hard working, tradesman’s upbringing where stability of family was based on the father’s dedication to hard work. In this context children finished their basic education at 15 and joined a trade, worked in their family business or flung themselves on the job market, working in factories or public work opportunities. Howard found himself in this context at 15 to begin his professional life. He probably graduated from this basic educational framework with some rudimentary skills in shorthand writing that became a center of his breadwinning throughout his life.

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Figure 2: Ebenezer Howard, Garden City

Source : Howard 1902, p . 22

Only after the First World War and in the 1930s and 1940s women emerged as professional secretaries in great numbers. Taking care of people’s books, accounting, correspondence and record keeping was a man’s job in Howard’s times. It created white-collar workers that distinguished themselves mostly in their minds and mutual support from the laboring workforce. At 15, Howard was an intelligent, curious young man interested in reading and books and joined the office worker job opportunity. He worked as a secretary to a charismatic and at times controversial congregational preacher Dr. Parker, who gave his sermons impromptu and relied on inspiration, so having someone to capture those thoughts was invaluable and this must have created a good working relationship and mentorship context for young Howard. Dr. Parker was known to address issues of land reform, working conditions and overcrowding slums in his sermons. Encouraged by Dr. Parker, Howard went to America. John W. Reps, Professor Emeritus from the

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Figure 3: Ebenezer Howard, Ward and Centre Garden City

Source : Howard 1902, p. 22

Department of City and Regional Planning at Cornell University writes about Howard: »[...] at twenty-one he came to America where in Nebraska he discovered he was not meant to be a farmer. At Chicago he used his knowledge of shorthand to obtained works as a reporter for the courts and newspapers. By 1876 he was back in England where he found a job with a firm producing the official Parliamentary reports, and it was at this occupation that he spent the rest of his life. Howard read widely and thought deeply about social issues, and out of this concern came his book in 1898 titled To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform.« (Reps 2002)

Although some members of the press, slum landlords and certain industrialists ridiculed Howard, he was never in danger and his ideas took root. John W. Reps writes:

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»Howard’s emphasis on the importance of a permanent girdle of open and agricultural land around the town soon became part of British planning doctrine that eventually developed almost into dogma. Its most impressive application was the plan for Greater London in 1944 and – following passage of the New Towns Act of 1946 – the creation of a ring of new towns beyond the London Greenbelt.« (Reps 2002)

The most important contribution Howard made was his deep understanding of issues of urban problems at hand and levelheaded approach to reform. He never allowed his visionary and envisioning abilities to get an upper hand, but always grounded them in doable, practical and verdant solutions. One can discreetly sense in the circular and concentric urban suggestions a possible reference to the rings of Campanella’s »City of the Sun« only if one has studied utopian antecedents. In the section »Town-Country Magnet« of Howard’s »Garden Cities of To-Morrow« after describing mortgaging and purchasing dynamics, Howard approaches the delicate and elusive notion of just and ethical governance and the issue of appointing wise trustees in this way: »The estate is legally vested in the names of four gentlemen of responsible position and of undoubted probity and honor, who hold it in trust, first, as a security for the debenture-holders, and, secondly, in trust for the people of Garden City, the Town-country magnet, which it is intended to build thereon. One essential feature of the plan is that all ground rents, which are to be based upon the annual value of the land, shall be paid to the trustees, who, after providing for interest and sinking fund, will hand the balance to the Central Council of the new municipality, to be employed by such Council in the creation and maintenance of all necessary public works – roads, schools, parks, etc.« (Howard 1902: 21)

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Without over insisting that it was done consciously or deliberately, we can see many issues brought up by Socrates were handled reasonably and credibly in Howard’s work and implemented in the English countryside.

S LOBODAN D AN P AICH , »C ITIES – AS C ONSTELLATIONS «, 1975 »Town And Country Tomorrow – Places fit to live in and how to create them« was the title of the Letchworth commemorative exhibition. S.D. Paich’s response to the occasion was an annotated map with drawings and text. The summation was both to response to architectural and paling issues of the commemorative occasion as well as to attempt to respond to the state of the professions interested with designing living and livable environments. Just as the Church became a collection of comfortable ecclesiastical neo-civil servants during the time of Campanella, Howard’s ideas were a response to the exploitation of fleeing serfs into industrial cities causing congestion and unhealthy environments. So the success of international style and modernist assertions reached their non-humanistic extent and both the environment and the culture found themselves in the value systems where function and mechanical paradigms were a ruling schooling and source of advice to young architects. Lewis Mumford’s writing and ideas exemplify the questioning of dominance of the international style in the mid-twentieth century. He was the prominent critic of architecture and planning, active from 1930 to 1960, he wrote about Howard’s ideas and contributed an introduction to the American edition of »Town and Country Tomorrow«. Mumford confronted the ›Modernist Movement‹ assertions exemplified by Le Corbusier’s bold suggestions of demolishing historic Paris and replacing it with a number of skyscrapers and pronouncements such as »Architecture is a Machine for living«. The following Mum-

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ford quotes and comments contextualize S.D. Paich’s project and subject of this chapter. In »Technics and Civilization«, Mumford writes: »The clock, moreover, is a piece of power-machinery whose ›product‹ is seconds and minutes: by its essential nature it dissociated time from human events and helped create the belief in an independent world of mathematically measurable sequences: the special world of science.« (Mumford 2010: 15)

Many of the predictions, critiques and warnings Mumford voiced in his work have become stark realties of our everyday life. Mumford’s ideas on mechanization and its effects on cultural well-being are expressed in the chapter »Art and the Symbol« from his book »Art and Technics«: »But the good fairy who presided over the development of technics did not succeed in forestalling the curse that accompained this genuine gift: a curse that came from this very overcommitment to the external, the quantitative, the measurable. For our inner life has become impoverished: as in our factories, so throughout our society, the automatic machine tends to replace the person and to make all his decisions – while, for its smoother working, it anesthetizes every part of the personality that will not easily conform to its mechanical needs.« (Mumford 2000: 10)

Mumford’s further quote on machines and the mechanical in the chapter »Cultural Integration« from his book »Art and Technics« may round off the background to the architectural and planning prognostic piece we are looking at in this chapter: »By contrast, we overvalue the technical instrument: the machine has become our main source of magic, and it has given us a false sense of possessing godlike powers. An age that has devaluated all its symbols has turned the machine itself into a universal symbol: a god to be worshiped. Under these conditions, neither art nor technics is in a healthy state.« (Mumford 2000: 138)

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S.D. Paich’s project offered an alternative not usually thought of in contemporary environmental design by introducing ›narrative methodology‹. The project is based on a story, not on soil samples or statistics, but a parting dialogue of a dying father entrusting his son with building Figure 4: Plans from »Cities – as Constellations«

Source: Slobodan Dan Paich

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a future city based on a model of functioning, large scale systems in nature. The naive story hoped to not only directly relate to the readers but also to discreetely open the quandary of what legacy the function dominated worldview will leave for the next generation. The drawing style of the project we are discussing for the Letchworth’s commemorative competition entry was rendered with sepia chalk, silverpoint pen and inks on gesso panels. On first look the drawings appear old fashioned antiquated, but the author hoped that to readers and spectators it will become clear that futuristic notions and configurations of building type drafted open understanding of the project into an extension in time in all directions that include past. It suggested a new set of building types, architectural arrangements, planning and social arrangement and possible poetic communication. The group of ten small cities is placed in the open country. They are on the perimeter of a curve which can be described approximately by an enthusiastic walker an Midsummer’s day if he or she starts at sunrise and walks until sunset. The entire group and the country within the curve are a single unit. The whole group is modeled on a solar system and, thought not as a literal copy, physically and functionally tries to be in tune with it. It represents it, or as if the idea of the galactic brotherhood of planets is enacted by this family of cities. The distance between the cities is about one and one and a half hour by foot and about five to seven minutes by silent monorail. To ensure the integrity of the cities the communication will be made possible in two ways; first – practical by rail; second – educational on foot. Practical way – this way will be achieved by a series of fast monorail trains acting as local trams and inter-city connecters. This fast, globular communication chambers can be quickly disconnected and changed around. But the inside is made beautiful with pleasant lighting, wallpaper and curtains and with shelves full of books and magazines. The educational way – a continuous pedestrian road runs through all the ten cities. This road goes through the landscaped parks and forests with lakes, canals and flowerbeds. In the continuous band of parks

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are situated schools and pavilions of education (pavilions of magnetism, pavilions of lightening, chemistry, natural sciences, aquariums, herbariums, archeological rooms, art tea rooms and many others). The entire curriculum of the schools can be brought to life by the visits to the pavilions. But these pavilions and wonder rooms are built for popular education and leisure time. This entire area, which through nature and parks unites all aspects of this vast family, is given to the educational section of the community to care for. Supervised children will help the gardeners and guardians. The whole schooling of the community will take place in this beautiful playground of science, art, landscape gardening, games and sports, archeology and joy of experiencing and learning not only from books.

I N C LOSING Questions about the possible relationship of ›Utopian Thinking‹ and ›Imagination‹ are very important for these concluding remarks, also the possibility that they are in some form present in everyone’s life: Imagining a larger kitchen or extra room, reorganizing the cellar. There is no human who at some stage has not envisioned an improved living condition through rearranging space. Even if it was never carried out the imagining articulated a need and offered a form of relief. Several examples of utopian discourse have in some way a societal function of opening possibilities and airing problems. Often naive, fanciful, impossible, even absurd, they are part of human ingenuity and a sapient need to externalize ideas and inner notions. Utopias often provoked by outer conditions can trigger imaginative leaps only possible in the recesses of consciousness. The following two examples may appear to have nothing to do with architectural or environmental history, but in the realm of envisioning and predicting societal solutions, they point to the diversity of externalizing ideas that is one of the features of Utopian thinking.

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The envisioning and modeling explorations of Nicola Tesla and Leonardo da Vinci outwardly look very different. It was with great detail that Leonardo drew his inventions and expressed his ideas. Leonardo’s drawing mastery and his notebooks were his lab and his first trials. The unified field between his internal imaginings and his sketchbook were a kind of matrix, a womb for his emerging ideas. On some pages we can almost follow his thoughts through the versions he refined in the drawings. For Tesla, the intense imaginings in his mind were his matrix; there, from an initial notion, he worked out the specific details and even tested them. His collaborators recorded that once Tesla tested an electro-motor that required eight hours of continuous running entirely in his mind. To save time, he ran the experiment at precisely double the speed, accelerating his imagined model and concentrating for four hours. Only when he was convinced about the validity of his imagined models – existing only in his mind – would he externalize and try those ideas with actual prototype materials. Making blueprints and drawings would slow him down and clog the flow of imagining and making. After testing his notions in his mind and confirming them with a working prototype, he probably delegated the technical drawing for patent and production to assistants. Like the pen and paper of Leonardo’s notebooks, the tangible materials, coils and wires in the initial prototype concluded his experiments. Campanella’s work at its core reflects an imaginative inner response to a need for reform of the Feudal Society and worldly politics and the power of the Church. Throughout the optimism of the narrative we do not detect the anguish of a prisoner sentenced for life, but rather a bright, open narrator, a reporter eager to bring us news of an ideal society. The internal poetic source is evident throughout, although the work shows knowledge of history and is full of potential crossreferencing. This range spans from pre-classical Chaldean Oracle to Plato, Pythagoras and then medieval and renaissance chronicles, thinkers and theologians to utopian predecessors like Thomas More. Even the choice of characters involved in the dialogue is potentially loaded. One being the Gran Master of Templars, an order disbanded and sup-

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pressed centuries earlier and a Genoese sea captain, not a Venetian sea captain, as Venice has more to do with the Indian Ocean than Genoa. But Venetians lured renaissance reformist Giordano Bruno to their city and handed him over to the inquisition that burned him and his books. Some of the notions and ideas are so fanciful to modern readers even if aware of the reference »City of the Sun« contains. Campanella’s writing appears as a political fairytale compared to Howard’s levelheaded, credible notions. We mentioned a potential discreete reference to Plato’s ethics and Campanella’s circular plan but Howard nowhere directly or visibly brings the past as a point of reference or authority for his plans of a garden city. The pressing urban problems are the guiding impetus to Howard’s imaginative response. Paich’s response on the other hand, because of looking into distant future inadvertently, became an allegory merging into perspective of time in some way in reverse of Campanella’s tale. The Genoese captain tells what it was while the protagonist of Paich’s discourse is facing the future and saying: »Only when I had finished these plans did I realize what my father wanted me to learn. By trying to attune the cities to family of Planets, I realized a possibility of attuning myself to cities and nature around me, not letting them dominate. Only in looking towards the vast unknown. I discovered that cities and nature also have their peers. But how to build them beyond this plans that I still have to find out.«

An open hypothesis here is that prognostic thinking ever present in all human actives could be a natural part and unifying field for the different notions, methodologies and organizational intentions. The issues of naïveté, idealization, wishful thinking and compensation as well as by now measurable foresight and social innovations in architecture and planning are part of utopian thinking communicable through visual and verbal vocabulary. Expressed through diagrams, emblems, envisioning perspectives, plans and elevations sometimes communicate more directly the intentions and the hopes for a better future.

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Considering difficulties, necessities and probabilities of forecasting, the concluding questions are: Is the prognostic design of the future a way for cultures to stay connected to continuous human values and helps meaningful elements of the past to flow into the future? What is the role and responsibility of urban planning and architectural history in helping this flow?

B IBLIOGRAPHY Campanella, Tommaso (1901): »The City of The Sun«, in: Charles M. Andrews (Hg.): Ideal Empires and Republics. New York: Dunne, S. 275-317. Howard, Ebenezer (1902): Garden Cities of To-Morrow, London: Sonnenschein. Howard, Ebenezer (1946): Garden Cities of To-Morrow. With an introductory essay by Lewis Mumford, London: Faber and Faber. Mumford, Lewis (2000): Art and Technics, New York: Columbia University Press. Mumford, Lewis (1970): The Myth of the Machine, New York: Harcourt Brace Jovanovich. Mumford, Lewis (2010): Technics and Civilization, Chicago, IL: University of Chicago Press. Paich, Slobodan Dan (2008): Problem-Solving Model as a Unifying Principal of Creativity in Art and Science. Speech held on the 6th Symposium on Art and Science of the 20th International Conference on Systems Research, Informatics & Cybernetics, 29.07.2008. Paich, Slobodan Dan (2013): Informed Response – Curriculums of Care, Center for Studies of Urban Culture. Speech held on the Symposium inaugurating China Lewis Mumford Research Center at the Center for Studies of Urban Culture, Shanghai Normal University, 19.-22.10.2013. URL: http://www.artship.org/inquiry_ paper_informedResponse.html vom 19.11.2014.

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Reps, John W. (2002): Introduction to Ebenezer Howard »Garden Cities of To-Morrow«. URL: http://urbanplanning.library.cornell.edu/ DOCS/howard.htm vom 19.11.2014.

Zukunftswissen im mittelalterlichen Lateineuropa Determinanten sozialen und politischen Handelns, wenn die Zeit gemessen ist F ELICITAS S CHMIEDER

Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass das von der Kirche dominierte europäische (lateinische) Mittelalter jenseitsbezogen gewesen sei. Die Menschen hätten im Bewusstsein, dass nach dem Ende der Zeiten eine Ewigkeit der Hölle oder des Himmels auf sie warte, ihr irdisches Handeln in Moral und Konsequenz ganz auf diese Ewigkeit bezogen. Reinhart Koselleck1 sprach in diesem Zusammenhang von »vergangener Zukunft«. Die Kirche habe sich als Heilsverwalterin der letzten Dinge (der ›Eschata‹) etabliert und als Institution stabilisiert, weil sie den Aufschub des Endes (mit der Erwartung von Belohnung oder Bestrafung für diesseitige Taten im Jenseits) zur Lenkung der Menschen verwenden konnte. Symptomatisch dafür ist nach Koselleck, dass sogar die zu erwartenden Ereignisse vor dem Ende der Zeiten biblisch festgelegt waren in einem starren, einem vorherbestimmten und un-

1

Vgl. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, S. 20, 22 und 29f.

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wandelbaren Endzeitszenario mit feststehenden Grundfiguren. Apokalyptische Prophetie habe dementsprechend die Zeit vernichtet, von deren Ende sie gelebt habe, mit deren Ende sie sich beschäftigt habe im Unterschied zu rationaler Prognose, die aufgrund der Analyse der eigenen Zeit eine Zukunft produziert habe. Wer die Zukunft schon kennt, weil sie längst entschieden ist, bemüht sich nicht: Eine offene Zukunft in dieser Welt, für die es sich zu interessieren, die es zu planen galt, konnte es so nicht geben. Koselleck war als Neuzeithistoriker auf die Forschungsergebnisse zu den anderen Zeiten angewiesen, um – dies sein explizites Vorhaben – das Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft in der neueren Geschichte zu analysieren, und er war das zu einer Zeit, als die Erforschung mittelalterlicher Prophetik und vor allem des prophetisch höchst lebendigen 13. bis 17. Jahrhunderts noch randständig bis nicht vorhanden war. Nach mehreren Jahrzehnten und bei näherer Sichtung der mittelalterlichen Quellen erweisen sich die angenommenen Voraussetzungen, Vorgehensweisen und Zusammenhänge allerdings als nicht so einfach, und das Ergebnis muss modifiziert werden. Tatsächlich hat Zukunft im Mittelalter mit Religion zu tun – doch da ist sie nicht allein. Die Sphäre dessen, was wir heute als Religion isolieren, lässt sich für die mittelalterliche lateineuropäische Denkweise nicht von allen anderen Kontexten trennen, sondern sie durchdrang alles. Tatsächlich hat die Weltgeschichte ein Ziel, das keineswegs gefürchtet, sondern erhofft wird, weil es Belohnung in Ewigkeit verspricht. Die Überlieferungen der christlichen Offenbarung boten in der Tat den Denkrahmen für grundsätzlich alle Deutungen der Welt und damit auch für Erwartungen an und Vorhersagen über die Zukunft. Und tatsächlich sind in der Bibel und in weiteren prophetischen Überlieferungen die letzten Ereignisse der Weltgeschichte vor dem Jüngsten Gericht samt den zentralen Handlungsträgern detailliert und in zwingender Abfolge beschrieben, sodass man meinen könnte, hier sei kein Raum für Varianten und erst recht keiner für Zukunftsplanungen. So festgelegt allerdings diese allerletzten Ereignisse auch erscheinen mögen, traten dennoch in vielen Epochen der Christentumsgeschichte Prediger der Endzeit und neue Propheten auf, die sich intensiv

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mit der Zeit vor diesem Ende befassten. Sie konnten das tun, weil – wie nahe das Ende auch gedacht wurde – immer noch Zeit bis dahin blieb. Wo Koselleck und andere in dieser ›Parusieverzögerung‹ (so der theologische Fachterminus) aber ein kirchliches Kontrollinstrument sehen, das alle Variationen als Häresie verdrängen musste, zeigt sich in der sozialen Realität des späten Mittelalters und der beginnenden frühen Neuzeit ein höchst lebendiges Spiel der Möglichkeiten. Wohl selten tritt ein wortgewaltiger Prediger auf, um den Leuten zu sagen: Zu spät, keine Chance mehr, legt die Hände in den Schoß und ergebt euch in euer Schicksal. Sondern die Drohung, die Ermahnung, die Aufforderung läuft stets darauf hinaus zu ändern, was man ändern kann, solange noch ein bisschen Zeit ist. Der Antrieb war im Mittelalter in individual- wie universaleschatologischer Hinsicht – also auf das persönliche Schicksal wie das Schicksal der Schöpfung und insbesondere der Menschheit als ganzer gerichtet – zweifellos der, im Jenseits, in der Ewigkeit, vor dem Jüngsten Gericht nicht allzu schlecht dazustehen. Aber das ausgelöste Verhalten, die Aktionen hatten Auswirkungen im Diesseits, denn alle Handlungen mussten jetzt geschehen, sehr bald, in der Zeit, die noch blieb. Und hier liegt auch der Punkt des Ganzen für die Prediger und die nachbiblischen Propheten: Sie predigten nicht (oder nur selten) vom nahen Ende, weil sie möglichst viele ihrer Zeitgenossen im Angesicht Gottes sehen wollten, sondern weil sie im Diesseits, in der irdischen, in der existierenden Welt etwas bewegen wollten, und sie konnten damit eine Atmosphäre großer Verdichtung und gesellschaftlicher Beschleunigung hervorbringen oder sich eine solche zunutze machen, in einer solchen auf besonders offene Ohren treffen. Weil das so war, war das biblische, das unverrückbare Endzeitszenario selbst schon früh an den Rand des Interesses getreten und eine Zeitspanne prophetisch etabliert worden, in der zwischen heute und dem Ende großer Handlungsspielraum blieb, Gottes Wünschen für die Welt näherzukommen und die diesseitige Welt zu verändern. Ziel dieses Aufsatzes ist es, in aller nötigen Kürze zu zeigen, wie sich die Christen seit der Spätantike bemühten, diese Zeit vor dem Ende (den eschatologischen Aufschub, eschatological delay) und damit

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ihre eigenen Handlungsspielräume vor dem Ende zu erweitern und damit eine bessere Welt, einen gerechten Ausgleich oder eine politische Wende deutlich vor dem Ende zu initiieren, die noch im Diesseits eintreten und zu erleben sein würden. Dazu sollen – nach einer kurzen Erinnerung an den Rahmen der christlichen Zeit- und Geschichtsvorstellung (der im Prinzip auch den beiden verwandten monotheistischen Weltreligionen eigen ist) – im Folgenden in grundsätzlichen Linien die Gewinnung von Zeit für die letzte, in der Zukunft liegende Epoche der Menschheitsgeschichte nachgezeichnet werden. Anschließend möchte ich als letzten Schritt beispielhaft zeigen, welche Möglichkeiten der Nutzung dieser gewonnenen Zeit nach Meinung der Propheten bestanden, um mahnend und beratend einzugreifen. Hierfür analysierten sie – den rationalen Prognostikern späterer Zeiten gar nicht unähnlich – den Zustand ihrer Gesellschaft und der regionalen bis großen Politik und bedienten sich dabei des eschatologischen Vokabulars. Gott also hat die Welt einst geschaffen und wird sie zu einem nur ihm bekannten Zeitpunkt wieder vernichten, das geht aus zahlreichen biblischen Stellen des Alten wie des Neuen Testaments hervor. Auch nachbiblisch war und blieb Prophetie möglich, und Gott konnte neue Propheten berufen, um der Menschheit Hinweise auf seine Planungen für die Welt und seine Erwartungen an die Christenheit zukommen zu lassen. Dabei sei unter Prophetie oder Prophezeiung und damit dem, womit ein Prophet sich beschäftigt, im Folgenden nicht nur die genuine, inspirierte (d.h. vom Spiritus Sanctus, dem Heiligen Geist, vermittelte) Zukunftsvision verstanden, sondern auch die Interpretation von älteren Texten durch inspirierte Zeitgenossen, die wie die Autoren selbst als Propheten bezeichnet werden sollen. Eine Trennung zwischen den beiden Aktionen und Akteuren ist müßig, weil für die Interpretation eben auch der Heilige Geist für nötig gehalten wurde und zudem nicht selten ein Interpret den Text, den er interpretierte, selbst geschrieben, aber zurückdatiert haben dürfte. So traten immer wieder Propheten auf und wurden auch immer wieder prophetische Texte aufgefunden, meist in der Form von ex eventu-Prophezeiungen (die vorgaben, vor langer Zeit

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entstanden und bisher verborgen geblieben zu sein, die damit aber durch die korrekte Vorhersage dessen, was die Menschen gerade erst erlebt hatten, die Glaubwürdigkeit ihres Blicks auf das erst noch Kommende erhöhten). Locus classicus für die Eschata, die Ereignisse also am Ende der Zeiten und damit unmittelbar vor dem letzten, dem ›Jüngsten‹ Gericht, zu dem Jesus Christus erneut auf die Erde kommen wird, sind die 22 Kapitel des letzten Buches der seit der Spätantike kanonischen Bibel, die Offenbarung (griechisch Apokalypse, lateinisch Revelatio), die der Apostel Johannes (mittelalterlich mit dem Lieblingsjünger Jesu und dem Evangelisten identifiziert) auf der Ägäis-Insel Patmos erhielt und an sieben bedrängte frühe christliche Gemeinden in Kleinasien übermittelte. 2 Viele der im Mittelalter aufgrund ihrer autoritativen biblischen Position extrem weit verbreiteten eschatologischen (endzeitlichen) Szenen und Figuren sind noch heute bekannt (wenngleich nicht zwingend ihr Ursprung), so die 24 Ältesten der Apokalypse, das Buch mit den Sieben Siegeln und die Posaunen der Apokalypse, die vier Tiere in Betrachtung des Lammes (Adler, Engel, Löwe und Stier, interpretiert als Evangelistensymbole praktisch überall an und in mittelalterlichen Kirchen und auch anderen Bauwerken zu finden), die Frau auf der Mondsichel, die Schalen des Zorns, die vier Reiter der Apokalypse, das Tier aus dem Meer, die Hure Babylon, die schrecklichen Völker

2

Vgl. Kretschmar, Georg: Die Offenbarung des Johannes. Die Geschichte ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend, Stuttgart 1985. Die meisten theologischen Grundlagenwerke, die sich mit der Johannesoffenbarung ebenso wie anderen prophetischen Texten der Bibel beschäftigen, historisieren diese nicht aus Selbstzweck, sondern um zu einem zeitlosen und in erster Linie für moderne Verhältnisse brauchbaren Verständnis zu kommen, und kümmern sich deshalb für unsere Zwecke zu wenig um die Wandlungen des Verständnisses durch die zweitausend Jahre Christentumsgeschichte oder um die jeweiligen gesellschaftlichen Zeitumstände (als Beispiel sei genannt Bongardt, Michael: Einführung in die Theologie der Offenbarung, 2., durchges. und korr. Aufl., Darmstadt 2009).

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Gog und Magog, der Leviathan und der Behemoth, der richtende Christus. Andere, die wir gerne dazurechnen, kommen allerdings nicht vor, kamen erst im Laufe der ersten Jahrhunderte des Christentums hinzu, aus dem Text interpretiert oder gar ergänzt, so die Figur des Antichrist. Hier interessieren allerdings weniger diese Bilder als der Grund, aus dem Johannes sie den Gemeinden übermittelte und damit die ersten drei Kapitel der Offenbarung, die eigentlich noch ganz unspektakulär sind. Johannes wendet sich in ihnen mit sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden, um sie zu loben für Standhaftigkeit und zu tadeln für Abweichungen. Er legt ihnen ans Herz, standhaft zu bleiben oder sich zu korrigieren, weil die Endzeit nahe ist mit all dem, was dann an Strafe für die Feinde dieser Gemeinden und an Belohnung für ihre eigene Standhaftigkeit zu erwarten ist. Es handelt sich dabei weniger um ein Drohszenario gegen Fehlverhalten als mehr um ein Versprechen: Haltet nur noch ein bisschen aus, ertragt Ungerechtigkeit, Verfolgung, böse Nachrede, dann werdet nicht nur ihr belohnt, sondern vor allem werden dann die, die jetzt über euch zu triumphieren scheinen, schrecklich bestraft werden, und sie werden wissen, warum! Die Offenbarung ist in dieser Lesart vor allem eine Durchhalteparole, die den gequälten Christen ermöglicht, in Rachephantasien zu schwelgen, aber nicht selbst Rache zu nehmen.3 Diese Spannung funktioniert allerdings nur, wenn und solange das Ende tatsächlich nahe ist, also letztendlich unter der frühchristlichen Überzeugung, dass Christi Wiederkehr unmittelbar bevorsteht und noch erlebt wird. Nach wenigen Generationen Erfahrung, dass die Welt bestehen bleibt, genügt das nicht mehr. Die Hoffnung auf Verände-

3

Vgl. Schmieder, Felicitas: »Gewaltbewältigung in einem ›Zeitalter der Gewalt‹. Mittelalterliche Prophetie als Sprache politischen Krisenmanagements«, in: Peter Burschel/Christoph Marx (Hg.), Gewalterfahrung und Prophetie, Wien 2013, S. 415-444. Der Aspekt der ›Tröstung‹ ist natürlich auch theologiegeschichtlich klar, vgl. Kretschmar (wie Anm. 2), S. 26.

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rung, auf Verbesserung der Situation der Christen ebenso wie auf Vernichtung der Gegner in der Welt wurde wichtiger, zumal in Zeiten und an Orten, in und an denen die Christen nicht länger unterdrückte Minderheit waren, sondern immer herrschaftsgewohnter wurden. Das Fortschreiben des apokalyptischen Szenarios kann als Ausweis der Tatsache gelesen werden, dass die Menschen der Vormoderne die Früchte der Veränderungen noch im Diesseits genießen wollten – diese Problematik scheint es gewesen zu sein, die unausgesprochen im Mittelalter die Propheten zu biblische Vorgaben interpretierenden Entwürfen trieb, die das Erleben und Genießen ermöglichten. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Apokalypse des Pseudo-Methodius.4 Wahrscheinlich ursprünglich in syrischer Sprache entstanden in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts im Vorderen Orient, wurde sie bald ins Griechische übersetzt und im 8. Jahrhundert auch ins Lateinische (»Revelatio« des Ps.-Methodius). Neue Apokalypsen sind nicht außergewöhnlich, wenn man sich eben klar macht, dass jegliche Prophetie göttlichen Ursprungs ist und damit mit dem griechischen Wort Apokalypse bezeichnet werden kann. Allerdings hießen vor allem oder zunehmend nur endzeitliche Prophezeiungen so. Kontext und Anlass für Ps.-Methodius war das Aufkommen des Islam in der Region des Heiligen Landes und damit in einer Gegend, die um 600 bereits jahrzehntelang unruhige Zeiten erlebt hatte: Sie gehörte zum Römischen Reich und war christlich, allerdings gab es gera-

4

Vgl. Ps.-Methodius: »Revelationes«, ed. Ernst Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen. Pseudomethodius, Adso und die Tiburtinische Sibylle, Halle (Saale) 1898, S. 1-96, hier die Textedition S. 59-96 (hiernach zitiert). Neuedition: Die Apokalypse des Pseudo-Methodius. Die ältesten griechischen und lateinischen Übersetzungen, ed. W.J. Aerts/G.A.A. Kortekaas (= Corpus scriptorum christianorum orientalium 569-570 = Subsidia 9798), Bd. 1: Einleitung, Texte, Indices Locorum et Nominum; Bd. 2: Anmerkungen, Wörterverzeichnisse, Indices, Leuven 1998; Übersetzung: Apocalypse of Pseudo-Methodius. An Alexandrian World Chronicle, übers. u. ed. Benjamin Garstad, Cambridge/London 2012, S. 74-139.

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de im syrischen Christentum zahlreiche Anhänger von durch die offizielle Kirche und ihre Konzilien (v.a. Chalkedon 451) als heterodox verurteilten Richtungen. Dazu kam die Eroberung Jerusalems 614 durch die zarathustrischen Perser (Sassaniden), die einherging mit dem Verlust der Reliquie des wahren Kreuzes und der Übergabe der Heiligen Stadt in jüdische Verwaltung für etwa zehn Jahre, die Rückgewinnung von Stadt und Reliquie durch Kaiser Heraklios 629 (triumphale Rückführung durch das hierfür angelegte Goldene Tor und Vertreibung der Juden) und schließlich die Eroberung durch die Muslime 638, die jüdische Siedlung wieder zuließen.5 Während mit den Persern ein altbekannter Feind bekämpft wurde, waren die neu, blitzschnell und offenbar unüberwindlich aufgekommenen Muslime erklärungsbedürftig. Nahegelegen hätte ihre Gleichsetzung mit den Endzeitvölkern Gog und Magog aus Kapitel 20 der Offenbarung (sie sollten dem inzwischen im apokalyptischen Szenario etablierten Antichrist zu Hilfe eilen, bevor Christus selbst sie vernichten würde). Das hätte bedeutet, dass mit dem Auftreten der Muslime das Ende der Welt unmittelbar bevorgestanden hätte – und genau das wollte der Prophet, der sich hinter dem Methodius-Namen (dem Namen eines um 300 lebenden Bischofs, der die Prophezeiung in die Vergangenheit verlegt) verbirgt, offenbar nicht sagen.

5

Vgl. Greisiger, Lutz: »Die Geburt des Armilos und die Geburt des ›Sohnes des Verderbens‹. Zeugnisse jüdisch-christlicher Auseinandersetzung um die Identifikation des Antichristen im 7. Jahrhundert«, in: Wolfram Brandes/Felicitas Schmieder (Hg.), Antichrist. Konstruktionen von Feindbildern, Berlin 2010, S. 15-37. Zur Alternative der Gog-und-MagogIdentifikation: Greisiger, Lutz: »Opening the Gates of the North in 627. War, Anti-Byzantine Sentiment and Apocalyptic Expectancy in the Near East prior to the Arab Invasion«, in: Rebekka Voss/Wolfram Brandes/Felicitas Schmieder (Hg.), Völker der Endzeit. Apokalyptische Vorstellungen und politische Szenarien/Peoples of the Apocalypse. Eschatological Beliefs and Political Scenarios, Berlin 2015 [im Druck].

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Antichrist, Gog und Magog sowie Christus als letztendlicher Sieger kommen durchaus bei ihm vor. Aber er schiebt vor deren Auftreten weitere Ereignisse und vor allem ein neues Volk (das die Bibel an anderer Stelle ebenfalls anbot) ins Szenario ein:6 Die Ismaeliten (Nachkommen des Ismael, Sohn Abrahams und der Dienerin Hagar) tauchen als siegreiches Volk auf, ohne weiteres identifizierbar mit den als stereotype Nomaden gezeichneten Muslimen (und von nun an durch die Jahrhunderte nicht nur eschatologisches Synonym für die Muslime). Die Prophetie greift die Ereignisse im Vorderen Orient auf, wenn sie die Ismaeliten zerstörerisch erobern und herrschen lässt,7 bevor sie besiegt werden vom »Kaiser der Griechen und Römer« (so die lateinische Version). 8 Die Erfahrung eines Hin und Her zwischen Römern und Persern spielt hier hinein und die aus dieser Erfahrung abgeleitete Hoffnung darauf, dass der Basileus in Konstantinopel wieder die Oberhand gewinnen wird. Es folgt bei Ps.-Methodius eine christliche Friedensherrschaft, bevor sich schließlich die Tore des Nordens, hinter die einst Alexander der Große Gog und Magog eingeschlossen hatte, öffnen und Antichrist auftritt. Dann wird der letzte Kaiser seine Krone auf Golgatha niederlegen, und mit den letzten Kämpfen und Christi Wiederkehr wird die Welt zu Ende gehen. Ps.-Methodius verändert das Endzeitszenario also eindeutig in Richtung auf Hoffnung in der Zeit. Die Unterdrückung der Gegenwart wird nicht durch Gog und Magog und den Antichrist, Christus und das Ende der Welt aufgelöst, sondern die Hoffnung auf Triumph und Wiederherstellung christlicher Herrschaft richtet sich auf eine Zeit vor dem Ende. Damit ist eine Zeitspanne geschaffen, in der man nicht allein gut bleiben oder besser werden kann (wie das schon in der JohannesApokalypse für die angesprochenen Gemeinden der Fall ist), sondern in der christliche Verantwortlichkeit gefragt ist, weil christliche Herrschaft in der Welt erfüllen kann, was Gott erwartet: Die Welt kann

6

Vgl. Ps.-Methodius (wie Anm. 4), c. 5, S. 66-69.

7

Vgl. ebd., c. 10, S. 80.

8

Ebd., c. 13, S. 89.

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christlich werden, ein Weltmissionsauftrag (der sich realistisch entwickelt hatte, seit das Christentum das Römische Reich übernommen hatte) kann erfüllt werden – zugleich aber haben die Christen auch mehr Chancen, Falsches ebenso wie Richtiges zu tun. Diese Entwicklung von der Prophetie für sich unterdrückt fühlende Minderheiten, die hoffen, dass ihr irdisches Leiden bald zu Ende geht, hin zur Prophetie für herrschaftsgewohnte Christen, denen die Möglichkeit und zugleich die Verantwortung für die Gestaltung der letzten Zeit gegeben wird, hat Zukunft. Nicht nur ist die »Revelatio« des Ps.Methodius extrem weit verbreitet im Osten wie im Westen: Hier gehört Ps.-Methodius zusammen mit Ableitungen (so der bekannte Brief Adsos von Montier-en-Der »De ortu et tempore Antichristi« aus dem 10. Jahrhundert)9 und Paralleltexten (wie die »Tiburtinische Sibylle«)10 zu den zentralen Endzeitquellen neben den biblischen Texten. Neben zahllosen Handschriften ist die Offenbarung des Ps.-Methodius in praktisch allen prophetischen Texten mehr oder weniger explizit eschatologisches Basiswissen des lateinischen Mittelalters, das kaum vom biblischen Wissen geschieden wird. Allerdings bleibt bei all dem die Gewissheit bestehen, dass es sich trotz aller Handlungsmöglichkeiten um den Anfang vom Ende handelt. Und so scheint es immer wieder Leute gegeben zu haben, die es unbefriedigend fanden, die Welt in Ordnung zu bringen, nur um das Werk

9

Vgl. Adso von Montier-en-Der: De ortu et tempore Antichristi necnon et tractatus qui ab eo dependunt, ed. D. Verhelst, Turnhout 1976; auch: »Epistola Adsonis ad Gerbergam regina de ortu et tempore Antichristi«, ed. Ernst Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen. Pseudomethodius, Adso und die Tiburtinische Sibylle, Halle (Saale) 1898, S. 104-113. Vgl. Konrad, Robert: De ortu et tempore antichristi. Antichristvorstellungen und Geschichtsbild des Abtes Adso von Montier-en-Der, Kallmünz 1964.

10 Vgl. Holdenried, Anke: The Sibyl and Her Scribes. Manuscripts and Interpretation of the Latin Sibylla Tiburtina c. 1050-1500, Aldershot/Burlington 2006.

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dann sogleich zerstört zu sehen, und die in den Schriften nach der Möglichkeit suchten, Gottes Plan so zu verstehen, dass die erreichte gerechte Welt in der Zeit weiterexistieren solle, bevor alles zu Ende ginge. Den nächsten großen Schritt in diese Richtung – groß, weil ähnlich einflussreich wie Ps.-Methodius – ging in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts der kalabresische Abt Joachim von Fiore († 1202).11 Während bis ins 12. Jahrhundert Prophetien – wie am Beispiel des Ps.Methodius zu sehen war – weitestgehend aus dem (christlichen) Osten in den lateinischen Westen importiert und hier übersetzt und höchstens adaptiert wurden, begann in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine Konjunktur von prophetischen Eigenarbeiten im Westen, die ihren Höhepunkt im 15. Jahrhundert noch lange nicht überschritten hatte (wobei mit der Reformation – der üblichen Epochengrenze, die sich hier nicht zum ersten Mal als fragwürdige Denkgrenze erweist – zwar neue Agenten und Ideen, aber kein neuer Geist hinzutraten). Joachim, der mit großer Sicherheit von der griechisch-lateinischen Mischkultur seiner Heimat Kalabrien profitierte, ist der bekannteste, wichtigste und folgenreichste Prophet dieser Zeit. Nach Joachim wird ein erster Antichrist die Welt, wie wir sie kennen, vernichten. 12 Überleben können

11 Vgl. Potestà, Gian Luca: Il tempo dell’Apocalisse. Vita di Gioacchino da Fiore, Rom u.a. 2004; Riedl, Matthias: Joachim von Fiore. Denker der vollendeten Menschheit, Würzburg 2004; Reeves, Marjorie: The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages: A Study in Joachimism, Oxford u.a. 1969 (2. Aufl.: Notre Dame u.a. 1993). 12 Vgl. Lerner, Robert E.: »Antichrists and Antichrist in Joachim of Fiore«, in: Speculum 60 (1985), S. 553-570. Die Vermehrung der Antichriste hat auch daneben durchaus Tradition, nicht allein als stilistische Möglichkeit, das Nicht-Eintreffen zu erklären, sondern als literarische Figur der Intensivierung und Steigerung – und böse Christenfeinde zur Identifikation kannte die Geschichte genug, vgl. hierzu Patschovsky, Alexander: »The Holy Emperor Henry ›the first‹ as one of the dragon’s heads of Apocalypse: on the image of the Roman Empire under German rule in the tradition of Joachim of Fiore«, in: Viator 29 (1998), S. 291-322.

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diesen Prozess nur die Guten, die Auserwählten, für die dann aber ein Tausendjähriges Reich des Friedens errichtet werden wird, in dem die Christenheit sich ihrer Errungenschaften und ihrer Belohnungen für ihre Gerechtigkeit erfreuen kann, bevor anschließend Welt und Zeit endgültig zu Ende gehen. Der ›eschatologische Aufschub‹ also, die Zeit, die vor dem Ende noch bleibt, interessiert die Propheten, die sich in diesem Rahmen bewegen und sich aktueller Ereignisse und Umstände annehmen. Das Ende ist sicher, aber wie man dorthin kommt, ist der Gestaltungskraft der mit freiem Willen begabten Menschen überlassen. Individual- wie universaleschatologisch kann man sich in dieser Zeit verdienen, was mit einem ganz persönlich und mit seiner sozialen Gruppe bzw. der ganzen Menschheit in der Ewigkeit geschieht. Oft wenden sich gerade apokalyptische Prophezeiungen – die kaum vom Ende reden müssen, weil es bekannt ist – an die Mächtigen. Denn nicht nur geht eher ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher = Mächtiger in den Himmel kommt (Mk 10, 25). Die Mächtigen können auch besonders viel bewegen: Kampf gegen die Ungerechtigkeit auf der Welt, Verbesserung der Lebensbedingungen aller, Vernichtung von Feinden jedweder Art, Hervorhebung der Guten, aber Unterdrückten. Handlungsspielräume wurden hier aufgemacht und Ratschläge bis hin zu konkreten politischen Richtungsweisungen gegeben, die zwar unter dem Memento des Endes standen, aber dieses diente in erster Linie als Antrieb, als Mahnung, die eigenen Aktionen zu beschleunigen. Wiederum ist hier einem verbreiteten Irrtum Einhalt zu gebieten. Zu Joachims Zeit galt Prophetie der Amtskirche keineswegs als ketzerisch, bedrohlich oder zu verbieten. Joachim besaß nicht nur von Papst Lucius III. seit 1284 die Erlaubnis aufzuschreiben, was auch immer er als Offenbarung sehe (licentia scribendi quemadmodum viderat per revelationem). Diese Lizenzerteilung unterstreicht zwar den in dieser Zeit auf vielen Feldern verifizierten Anspruch der Kurie, die theologische Oberaufsicht zu führen, doch zugleich die Möglichkeit, diese in vertrauensvoller Generalvollmacht aus der Hand zu geben. Joachim

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war direkt oder durch die Nutzung seiner Schriften Berater zahlreicher Päpste.13 Seine Ideen nahmen durchaus Bezug auf die Ereignisse seiner Zeit und aktuelle politische sowie gesellschaftliche Fragen, doch großteils noch sehr verhüllt, interpretierbar, wenig explizit und zudem an die Herrschenden selbst gerichtet. Als sich das mehr und mehr änderte und Joachims prophetische Ideen und die vielen Schriften, die nach seinem Tod in seinem Namen entstanden, immer stärker auch von sozialen Bewegungen inner- wie außerhalb des Klerus breit aufgegriffen wurden, versuchten die kirchlichen Wächter der Ordnung und des rechten Glaubens die Potentiale wieder einzufangen. Dennoch starben nur wenige Propheten im Spätmittelalter als Ketzer auf dem Scheiterhaufen.14 Eher sperrte man sie ein, sah aber gleichzeitig darauf, dass sie ihre Visionen niederschreiben konnten, hielt das Ergebnis unter Verschluss, doch vernichtete es nicht:15 Es konnte ja, in rechter Weise kontrolliert, durchaus echte Prophetie und damit vom Heiligen Geist vermittelte göttliche Wahrheit sein. Joachims Visionen und Interpretationen fanden also Nachfolger, die neue joachitische Texte schrieben oder auch mehr oder weniger unab-

13 Selbst der Joachim relativ fernstehende, eine gute Generation jüngere Papst Innocenz III. zitierte Joachims Prophetien, vgl. Egger, Christoph: Joachim von Fiore, Rainer von Ponza und die römische Kurie, in: Roberto Rusconi (Hg.), Gioacchino da Fiore tra Bernardo di Clairvaux e Innocenzo III. Atti del 5° Congresso Internazionale di studi gioachimiti. San Giovanni in Fiore, 16-21 sett. 1999, Rom 2001, S. 129-162. 14 Dies gegen Kosellecks Beispiele, vgl. Koselleck (wie Anm. 1), S. 22. 15 Vgl. Schmieder, Felicitas: »Prophetische Propaganda in der Politik des 14. Jahrhunderts: Johannes von Rupescissa«, in: Wolfram Brandes/Felicitas Schmieder (Hg.), Endzeiten. Eschatologie in den monotheistischen Weltreligionen [Beiträge zur Tagung Frankfurt am Main März/April 2005], Berlin/New York 2008, S. 249-260.

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hängig davon Visionen hatten sowie unbekannte ältere Texte auffanden oder bekannte wieder aufgriffen. Wenige Prophezeiungen geben unmittelbare Handlungsanweisungen, häufiger ist die mehr oder weniger verschlüsselte Warnung vor einer eigenen Aktion oder der eines anderen. So warnte Joachim selbst prophetisch die päpstliche Kurie im Vorfeld des Vierten Kreuzzuges (der 1204 mit der lateinischen Eroberung und Plünderung des ebenfalls christlichen Konstantinopel mit Billigung des Papstes endete), die Kirchenunion mit den »falschen Griechen« nicht gewaltsam herbeizuführen.16 Und 1243 versuchten Kardinäle wohl mit prophetischen Mitteln, dem damals neuen Papst die Gefahren der Politik Kaiser Friedrichs II. (1194–1250) zu verdeutlichen.17 Noch verbreiteter ist die Analyse der politischen und gesellschaftlichen Zustände der Gegenwart, ihre Kontextualisierung in der Entwicklung hin zum Ende, ohne dass direkt gesagt würde, womit Folgen abzuwenden oder hervorzubringen seien. Doch besteht so die Möglichkeit, gesellschaftliche Missstände und Ungerechtigkeiten ebenso anzuprangern wie persönliche Verfehlungen bestimmter Personen. Man kann einstimmen in die im Spätmittelalter immer lauter werdenden Rufe nach Reform des Reiches und der Kirche an Haupt und Glie-

16 So warnte offenbar (wenn ich es richtig entschlüssele) Joachim von Fiore im Vorfeld des Vierten Kreuzzuges die Kardinäle davor, Gewalt gegen die Griechen anzuwenden. Vgl. Schmieder, Felicitas: »Two unequal brothers split and reunited – The Greeks in Latin Eschatological Perceptions of Politics and History before and after 1204«, in: Gherardo Ortalli/Giorgio Ravegnati/Peter Schreiner (Hg.): Quarta crociata. Venezia – Bisanzio – Impero latino, Venedig 2006, S. 633-651, hier S. 639-641. 17 So die Sibilla Erithea Babilonica 1243, die den Kardinälen und dem neuen Papst Innocenz IV. die Pläne Friedrichs II. warnend vor Augen führte. Vgl. Jostmann, Christian: »Prophetie an der Kurie des 13. Jahrhunderts«, in: Brandes/Schmieder (wie Anm. 15), S. 215-229; Jostmann, Christian: Sibilla Erithea Babilonica. Papsttum und Prophetie im 13. Jahrhundert, Hannover 2006.

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dern. Eine der bedeutendsten Reformschriften der Zeit mit starkem eschatologisch-prophetischen Einschlag ist – und das unterstreicht den ›Sitz im Leben‹ dieser Art von Texten – überliefert unter dem Namen des Kaisers Sigismund, die »Reformatio Sigismundi«. 18 Doch auch schon viel früher kann eschatologische Kontextualisierung Reformen anschieben helfen. 19 Themen können die Verweltlichung des Klerus oder die Selbstbereicherung der Mönche durch das Bestehlen der Armen sein, und es können dabei Kräfte freigesetzt werden, die den Mächtigen zu Recht unheimlich werden; 20 es kann auch Frühformen des Nationalismus gehuldigt werden. Ob nun ein französischer Prophet seinen Landsleuten aufzeigt, dass die Zeiten der deutschstämmigen Kaiser gezählt seien und die Zukunft dem französischen Königshaus gehöre (einem Kaiser Karl, während die Deutschen auf einen neuen Friedrich hofften), 21 oder ob im 15. Jahrhundert erste Anklänge der Hochwertung von Deutschtum oder auch regionaler Identitäten (wie der Bürger von Nürnberg als wahre Helden der Endzeit) laut wurden:22

18 Vgl. Reformatio Sigismundi. Reformation Kaiser Siegmunds, ed. Heinrich Koller, Stuttgart 1964. 19 Vgl. Holdenried, Anke: »The Suffering People. Christian Tribulation, Eschatological Narrative, and the Eleventh-Century Ecclesiastical Reform Movement«, in: Voss/Brandes/Schmieder (wie Anm. 5). 20 Vgl. zur Bewegung der Fraticellen immer noch Grundmann, Herbert: Ketzergeschichte des Mittelalters, Göttingen 1963, S. G49-G51; zu anderen joachitischen Häresien vgl. z.B. Potestà, Gian Luca: Angelo Clareno. Dai poveri eremiti ai fraticelli, Rom 1990. 21 Vgl. Schmieder (wie Anm. 15); Möhring, Hannes: »Die Weissagungen über einen Kaiser Friedrich am Ende der Zeiten«, in: Brandes/Schmieder (wie Anm. 15), S. 201-213; allgemeinerer Überblick in Möhring, Hannes: Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung, Stuttgart 2000. 22 Vgl. Kneupper, Frances Courtney: »The Wirsberger Brothers: Contesting Spiritual Authority through Prophecy«, in: Voss/Brandes/Schmieder (wie Anm. 5); Kneupper, Frances Courtney: »Prophesying Germany: A Consid-

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All dies konnte in prophetischem Gewande offenbar besonders wirkungsvoll vorgebracht werden, und nun zunehmend auch aus Laienmund – man hat das gesamte Phänomen der prophetischen Diskussion von Zeitproblemen als die informellen Kräfte in der Kirche bezeichnet.23 Diese Kräfte konnten mit alledem eine Stimmung erzeugen, die die Mächtigen der Welt unter Zugzwang setzte, weil sie aufhetzen konnte und sollte. Man konnte so prophetisch Propaganda für die eigene Sache machen, und mehrere beteiligte Parteien konnten regelrechte Propagandaschlachten austragen, wie das bekannt ist für die 1240er Jahre zwischen dem Hof Kaiser Friedrichs II. und der päpstlichen Kurie seiner Zeit24 oder auch zwischen Hussiten und Katholiken im Raum der böhmisch-tschechischen Krone und darüber hinaus um 140025 (wobei der litauische Großfürst Witold-Vytautas so sehr zum Hoffnungsträger

eration of Germanness in Late Medieval Prophecy«, ungedr. Vortrag, der die entsprechenden Passagen von Kneuppers Chicagoer Dissertation von 2011 zusammenfasste: vgl. Kneupper, Frances Courtney: German Identity and Spiritual Reform at the End of Time: Eschatological Prophecy in Late Medieval Germany. Dissertation, North Western University Chicago, 2011, Ann Arbor 2011. 23 Vgl. Vauchez, André: »Les pouvoirs informels dans l’Église aux derniers siècles du Moyen Age: premier bilan«, in: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen-Age, Temps modernes 98, 1 (1986), S. 7-11. 24 Vgl. Schaller, Hans Martin: »Endzeiterwartungen und AntichristVorstellungen in der Politik des 13. Jahrhunderts«, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag, Bd. 2, Göttingen 1972, S. 924-947. 25 Vgl. Cermanova, Pavlina: »Gog and Magog: Using Concepts of Apocalyptic Enemies in the Hussite Era, in: Voss/Brandes/Schmieder (wie Anm. 5); allgemeiner vgl. Patschovsky, Alexander/Šmahel, František (Hg.): Eschatologie und Hussitismus, Prag 1996.

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wurde, dass man ihn gar als Menschensohn, als wiederkehrenden Christus apostrophieren konnte)26. Bezeichnenderweise stammt eine so unmittelbare Einschreibung der Gegenwart in die allerletzte Zeit wieder aus Kreisen mit Naherwartung des Jüngsten Gerichts. Üblicher ist es, dass das biblische Endzeitszenario als bekannte Drohkulisse im Hintergrund bleibt, auch einmal heraufbeschworen wird, um die Dringlichkeit zu erhöhen, dass aber eher der eschatologische Aufschub genutzt wird, und sei es durch die bereits erwähnte Möglichkeit einer ganzen Genealogie von Antichristen (die nicht zuletzt erklären kann, wieso immer wieder böse Feinde in der Welt auftreten, eventuell sogar zu Lebzeiten als Antichrist apostrophiert worden sein konnten und die Welt doch weiterbestehen konnte – und die zudem jegliche neue enttäuschte Deutung a priori entschuldigt). Doch selbst wenn in einigen Diskursen das nahe Ende zum ›bloßen Bild‹ geworden ist, so widerspricht das nicht der Beobachtung, dass die Endlichkeit der Welt-Zeit grundsätzlich akzeptiert war und bei aller Metaphorik der endzeitlichen Sprache der Hinweis auf das Ende ein echtes Argument gewesen ist: Es wird eine Spannung erzeugt, die überzeugenden Deutern vor allem in Krisenzeiten hohen Einfluss auf soziale Bewegungen ebenso wie auf höchste politische Kreise verschaffte. Angesichts der breitesten Überlieferung und der offensichtlichen Rezeption auf allen Ebenen politischer wie intellektueller Kreise müssen wir von einer ebenso breiten grundsätzlichen Akzeptanz der Möglichkeiten von Prophetie und von prophetischer Analyse und Mahnung ausgehen. Diese wurde auch nicht geschwächt dadurch, dass Vorhersagen immer wieder nicht eintraten (und jene Zeitgenossen, die davon abrieten, überhaupt konkrete Gegenwartsanalysen zu machen, wandten sich damit nicht gegen Prophetie als göttliche Gabe an sich)27

26 Vgl. Mickunaite, Giedre: Making a Great Ruler: Grand Duke Vytautas of Lithuania, Budapest u.a. 2006, bes. Anm. 279. 27 Vgl. Schmieder, Felicitas: »Gogs und Magogs ›natürliche Milde‹? Die Mongolen als Endzeitvölker im Wandel von Wissen und Wünschen«, in: Voss/Brandes/Schmieder (wie Anm. 5).

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– konnte man doch neben der Vermehrfachung der Endzeitfiguren auch ganz einfach darauf verweisen, dass selbst der inspirierte Mensch noch immer kein Gott, sondern ein Irrtümern unterlegener Mensch sei, und dass zudem Gott mit anderen zeitlichen Maßstäben rechnete als die Menschen. Auch die Tatsache, dass zahlreiche Prophetien offensichtlich (auch für die Zeitgenossen) Auftragsarbeiten waren, spricht nicht dagegen, dass alle Zeitgenossen von Gott gegebene prophetische Gabe für möglich hielten – denn mit Gottes Gabe spielte man nicht.28 Nach all dem sollte deutlich geworden sein, dass Prophetie zur politischen Sprache werden konnte, im Sinne eines sehr allgemeinen, deshalb aber ohne weiteres auf vormoderne Verhältnisse anwendbaren modernen Politikbegriffes, wonach politisches Handeln unter anderem »[…] die aktive Teilnahme an der Gestaltung und Regelung menschlicher Gemeinwesen« 29 sei, wobei im Sinne bestimmter Forderungen und Ziele Einfluss genommen wird, grundsätzlich unabhängig vom Erfolg dieser Einflussnahme. Doch sollte man sich hüten, der Prophetie eine solche Eindimensionalität zu verleihen: 30 Zum einen muss sie

28 Vgl. Schmieder, Felicitas: »Apokalyptik und Politik im 14. und 15. Jahrhundert«, in: Knefelkamp, Ulrich/Martin, Frank (Hg.), Der Antichrist. Die Glasmalereien der Marienkirche in Frankfurt (Oder), Leipzig 2008, S. 4552. 29 Schubert, Klaus/Klein, Martina: Das Politiklexikon. Begriffe – Fakten – Zusammenhänge, 5., akt. und erw. Aufl., Bonn 2011, hier S. 227, s.v. »Politik«. 30 Das Problem von politischer Prophetie – das nicht zuletzt von der jeweiligen Definition des Politischen abhängt, die ganz offensichtlich über die modernen Sprachgrenzen hinaus nicht gleich bleibt – ist immer wieder diskutiert worden. Vgl. Lerner, Robert E.: »Medieval Prophecy and Politics«, in: Annali dell’Istituto storico italogermanico in Trento 25 (1999), S. 417432. Vgl. grundsätzlich zu Joachims Einstellung zur politischen Apokalyptik: Potestà, Gian Luca: »Apocalittica e politica in Gioacchino da Fiore«, in: Brandes/Schmieder (wie Anm. 15), S. 231-248; Patschovsky, Alexander:

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nicht immer, schon gar nicht in einem konkreten Sinne, politisch sein, zum anderen ist sie wohl nie allein politisch. Sie nimmt stets Bezug auf einen ethisch-moralischen Rahmen, der religiös sanktioniert ist. Und sie hat stets eine soziale Dimension, selbst wenn sie vorgibt, sich an die gesamte Menschheit oder wenigstens die Christenheit zu wenden. Denn mittelalterliche Gesellschaft ist so selbstverständlich ständisch geprägt, dass dies auch in allen Äußerungen mitschwingt: Manch ein prophetischer Text ist allein schon durch seine lateinische Sprache und durch seine hochgradige Codierung einem ganz bestimmten Publikum vorbehalten und wohl auch für dieses bestimmt gewesen. Andere Texte greifen Probleme auf, die regional und sozial determiniert und damit in ihrem Verständnis ebenso wie ihrer Zielrichtung begrenzt sind. Wieder andere Texte verbreiten sich durch Abschrift und Übersetzung über den ursprünglichen Zielraum hinaus, sei dieser nun sozial oder regional definiert. Schließlich ist stets zu bedenken, dass Prophetie – sei sie uns nun in Text oder in Bildern überliefert – wohl stets weiterlebte und durch orale Verbreitung für uns nur schwer greifbare soziale Dynamiken entwickeln konnte. Mittelalterliche Endzeitprophetie steht mit all dem nicht in prinzipiellem Gegensatz zur ›rationalen Prognose‹ der Neuzeit. Sie ist nicht rational in einem modernen Sinne als vom menschlichen Verstand geleitet, sondern inspiriert und damit göttlich sanktioniert. Nichtsdestoweniger kann sie Gegenwartsanalyse sein und ist dies regelmäßig auch. Sie kennt keine offene Zukunft, keine endlose Zeit, die vor den Menschen liegt, weil die Geschichte auf ihr von Gott vorbestimmtes Ende zulief. Dennoch planten die mittelalterlichen Christen für die in der Zukunft liegende restliche Zeit. Und so sehr sie sich für diese Planungen an den Rahmen des göttlich Vorherbestimmten gebunden wussten, so wenig ließen sie sich davon beschränken: Wenn prophetisch begabte

»Prophetie und Politik bei Joachim von Fiore«, in: Martin Kaufhold (Hg.), Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters. Political Thought in the Age of Scholasticism. Essays in Honour of Jürgen Miethke, Leiden/Boston 2004, S. 27-42.

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Prediger die alten Schriften, die gesamte Bibel als göttliches Wort und damit mögliche Auskunft über Gottes Vorhaben wieder und wieder lasen, dann weil sie Bestätigung für das suchten, was sie selbst (oder auch ihre Auftraggeber) als richtig erkannt hatten. Das Ende war gewiss – den richtigen Weg dorthin zu finden, war den Menschen überlassen, und sie setzten dieses Wissen über die Zukunft um.

Translation, the Introduction of Western Time Consciousness into the Chinese Language, and Chinese Modernity S INKWAN C HENG

Time has been a politically charged concept in the West since antiquity.1 The Christians were able to face down their Roman executioners by proposing that the kingdom of the Christian God would outlast that of Rome, and that martyrdom would send them on to eternal life. Marx examined the quantification of time as the medium of the exploitative generation of surplus-value. Time is also a driving force behind nationalism and colonialism. Benedict Anderson discussed the homogeneous, empty time of the imagined community. The imposition of clock time by Western colonizers on the colonized radically disrupted and altered 1 I wish to thank the following institutions for their generous fellowship support that made this project possible: the Institute of Advanced Study at Durham University, Ustinov College and Hild Bede College at Durham University, and the International Institute for Asian Studies at Leiden University. Special thanks are also due to Professor Jing Guantao and Professor Liu Qingfeng for granting me access to their research data on semantic changes in late Qing and early modern China, as well as to their assistant Ms. Tzu-yu Hsu for her gracious help.

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native peoples’ relationships to labor and time by objectifying both as commodities. The new calendar imposed by the colonizer distorted the natives’ relations to customs and habits,2 to the self and to community. Above all, time conceived in terms of progress played critical roles for justifying both colonialism and decolonization. In short, time has been used as a tool of both oppression and liberation from a very early stage in Western culture. For this reason, time has been repeatedly a major issue for revolutions and revolutionaries. The French Revolution, for example, created a revolutionary calendar, and declared that time and human history began anew.3 Lenin promoted the revolutionary vanguards on the grounds that the elites were ahead of their time. Under the title »Translation, the Introduction of Linear Time Consciousness into the Chinese Language, and Chinese Social and Political Modernity«, my book project analyzes the importation of linear time into the Chinese language and its ramifications for Chinese politics and society. Due to space limit, this essay will confine itself to summarizing the main arguments of my book manuscript. My book demonstrates how, in the late nineteenth to the early 20th century,4 translations of Western texts introduced a new temporal di-

2

The colonizer also imposes a new calendar severing the natives’ ties to their own culture by institutionalizing new festivals and rituals to inscribe new cultural memories, routines and habits.

3

The idea of beginning anew, of wiping out hitherto existing history carries both liberating and totalitarian potentials. Time is thus also tied to violence. Part II of my project analyzes the violence during the Cultural Revolution in relation to the new time consciousness in China.

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Since the late 1890s, Chinese translations of Western concepts quite often went through the detour of Japanese translations. Before the First SinoJapanese War, however, Europe was China’s model, and translations were produced directly from Western texts. Direct translations gradually resumed after the end of 1905 due to a change in Japanese regulations regarding Chinese students. At around this time, the Chinese government once again promoted Europe and the United States instead of Japan for

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mension into the tenseless Chinese language and gradually brought about a linear time consciousness in China. The time consciousness gave the Chinese a new concept of the future and laid the path for China’s modernization. Drawing from Reinhart Koselleck’s Begriffsgeschichte, my book elaborates the subject at hand via an analysis of two waves of temporalization of the Chinese language. Particular attention is paid to the second wave given its radicality and its controversial social and political consequences. The book is divided into an introduction and two parts.

I NTRODUCTION The introduction to my book identifies a significant lacuna in current Translation Studies and Chinese Studies scholarships – a lacuna which my project undertakes to address. When discussing the contributions made by translation to China’s modernization process, scholars have been focusing on the content of the texts being translated. Hardly any attention has been paid to the ways in which translation, through effecting changes in the Chinese language, has transformed the Chinese people’s Weltanschauung at a fundamental level – only with that transformation did China become truly ready for modernity. For example, tenses did not exist in classical Chinese. But given the prominence of the temporal dimension in Western languages, time markers were gradually invented for the Chinese language as Chinese intellectuals engaged in translations of Western texts. These time markers brought a linear concept of time to Chinese society, and only with that new way of experiencing time could ›the modern‹ become conceivable for the Chinese people. It is not surprising that China’s linguistic revolutions took place alongside the country’s quest for scientific, economic and political modernity.

overseas studies. Translating from Western sources became the trend again in the second half of the 1910s, and certainly no later than 1919.

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P ART I. T HE T WO L INGUISTIC R EVOLUTIONS AND THE T EMPORALIZATION OF THE C HINESE L ANGUAGE China underwent two major linguistic revolutions: the New Culture Movement (1917-1923) and the Cultural Revolution (1966-1976). Continuous between the two waves was a temporalization of the Chinese language. Driven by an eagerness to launch China into the progressive future, both movements featured a strong temporalization of the Chinese language. Also connected to this modernization urge was an attempt to simplify the Chinese language in order to facilitate mass literacy and create for a new China an educated citizenry capable of withstanding challenges from various colonial powers. (Arguments for simplifying Chinese characters gained momentum with the New Culture Movement. In 1920, Qian Xuantong published his »Proposal for Reducing the Strokes of Chinese Characters« in »The New Youths«. His »Agenda for Adopting Existing Simplified Characters« was endorsed by the Education Department of the Nationalist Government in 1934.)5 5

The approved language reform was never put into effect under the Nationalist Government who could ill afford the expenditure of any energy and resources aside from coping with the increasing pressures from both Japanese aggression and the expansion of Chinese Communism. Arguments for character simplification in support of Chinese modernity began before the New Culture Movement (1917-1923). Lufei Kui’s 1909 proposal for using simplified characters in education is a case in point. The May Fourth Movement, however, helped bring to the forefront of many Chinese intellectuals’ attention that language reform would be fundamental for the modernization of China. Before long, participants in the Movement argued that traditional Chinese writing system should be either simplified or completely abolished. Fu Sinian, a leader of the May Fourth Movement, denigrated Chinese characters as »the scribbling of ox-demons and snake-gods« (牛鬼蛇神的文字). Lu Xun, a radical intellectual who waged war on the

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The temporalization of the Chinese language gathered full momentum after the First Sino-Japanese War in 1894-1895 when Chinese intellectuals recognized the urgency of modernization. One good example of this temporalization was the wide currency gained by the neologism yundong (used to translate the Western political concept ›movement‹) since the end of the 19th century – a term which gave the May Fourth and the Vernacular Movements their names, and which frantically multiplied during the Cultural Revolution. »Movement« was closely related to all kinds of »isms« which, as Koselleck pointed out, was a future-loaded expression prevalent in 18th and 19th century Europe. 6 All »isms« legitimized themselves in terms of what they promised to be, rather than what they were. All »isms« were thus asso-

»cannibalistic« feudalism (吃人的旧礼教), issued the following sensational warning: »Keep the Han script and China shall surely be destroyed« (汉字不灭, 中国必亡). Traditional Chinese writing continues to be blamed from time to time for holding back Chinese economy from the late 19th to the early 20th century. See, for example, Yen Yuehping’s »Calligraphy and Power in Contemporary Chinese Society« (2005). 6

A number of scholars have adopted Koselleck’s analysis about the temporalization of the German language to analyze a similar development in other European languages during the Sattelzeit (around 1750-1850). During this period, Western languages became charged with a strong future dimension and teleological overtone: »›Time‹ affected the entire linguistic stock and, from the period of the French Revolution at the latest, colored the entire political and social vocabulary. Since then, there has hardly been a central concept of political theory or social programs which does not contain a coefficient of temporal change, in the absence of which nothing can be recognized, nothing thought or argued, without the loss of conceptual force. Time itself becomes a title of legitimation open to occupation from all sides. Specific legitimizing concepts would no longer be possible without temporal perspective« (Koselleck 2004: 248).

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ciated with movement forward from the present into the future.7 Significantly, it is by virtue of being transformed into concepts of movement that these concepts »made obligatory intervention into everyday political affairs« (Koselleck 2004: 249).

P ART II. T HE C ULTURAL R EVOLUTION , THE R ADICAL T EMPORALIZATION OF THE C HINESE L ANGUAGE , AND ITS AMBIGUOUS L EGACY Eager to launch China forward into modernity, the New Culture Movement promoted not just the vernacular but also multiple temporalized expressions of Western origins such as ›movement‹, ›emancipation‹, ›progress‹ and ›development‹. 8 Compared to the New Culture Movement, the linguistic revolution launched by the Cultural Revolution was much more self-conscious, radical and aggressive in promoting a new concept of time to accelerate China’s modernization. Its consequences were also more controversial. This second linguistic revolution was multi-faceted, including the official replacement of simplified 7

All »isms« thus necessarily took on the form of »movement« – that is, moving from the present into the future. Take, for example, Koselleck’s remarks on »republicanism«: »Republicanism was therefore a concept of movement which did for political action what ›progress‹ promised to do for the whole of history. The old concept of ›republic,‹ which had previously indicated a condition, became a telos, and was at the same time rendered into a concept of movement by means of the suffix ›ism‹« (Koselleck 2004: 273).

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›Progress‹, ›development‹ and ›emancipation‹ – some of the best known key concepts promoted by the modern West in connection with its linear narrative about the telos of human history – had been eagerly embraced by Chinese intellectuals after the First Sino-Japanese War. Chinese reception of such Western ideas reached its first climax in the May Fourth Movement in 1919.

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for traditional characters and the radical equalization of everyone as ›Comrade‹ in salutations. Eager to rush China ahead during the Cold War period, the Chinese language was radically temporalized during this time. The term ›new‹ (新) became ubiquitous as, for example, the promises of a new society, a new China, and the destruction of the old for the new (破旧立新). 9 Equally omnipresent was the term ›modernization‹ (现代化), ›modern‹ invoking the concept ›new‹. Despite the fact that the word xin (新) had existed for centuries prior to the Cultural Revolution, it used to refer to periodic renewals on a cyclical temporal scheme. A good example would be Shang Tang’s famous saying recorded in »The Great Learning« (大学): »If it’s possible to renew oneself one day, one should renew oneself everyday« (苟日新, 日日新, 又日新). After the May Fourth Movement, the term became progressively associated with a radical breakthrough on a linear temporal scheme. However, it was during the Cultural Revolution that xin (新) truly took on the meaning of absolute newness in the French Revolution sense of starting ex nihilo, of which the Communist slogan »Destroy the old to establish the new« (破旧立新) is a rough equi-

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One good example is the campaign dubbed »Smashing the Four Olds, Establishing the Four News« (破四舊, 立四新) as per Article 16 of the Central Committee’s »Decisions Concerning the Launch of the Great Proletarian Cultural Revolution« (关于开展无产阶级文化大革命的决定) passed on August 8, 1966. The article called for the smashing of any residue of feudalistic and bourgeoisie elements in order to establish the »Four News«. »The Four Olds« refers to the old mindsets, old culture, old customs and old habits. Replacing all these ›outdated‹ elements were »The Four News« – new mindsets, new culture, new customs and new habits. According to Geremie R. Barmé, the ultimate goal of the campaign was »[...] to create a transformed, and universally applicable, Chinese civilisation under the guiding light of Mao Zedong Thought – though ›civilisation‹ itself was eschewed.« (Barmé 2013: xv)

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valent.10 This is not surprising: although the Cultural Revolution demonized the West, Communism originated from the West, and Marx was a great admirer of the French Revolution.11

10 The transplantation of xin (新) from a cyclical to a linear temporal scheme gave the word an emotional charge hitherto unknown. Xin became a promise of an absolutely new beginning – a promise of deliverance of the Chinese people from the oppressions of both feudal corruptions and foreign aggressions, and a promise to set China on an irreversible path of emancipation and self-determination. The new semantics of xin, in other words, inaugurated a new cultural matrix making possible various utopic programs for the radical remaking of the nation and its people. In the words of Melvin Richter: »[…] historicized and future-loaded concepts greatly increased the emotional charge, intensity, and polarization of passions in political and social life […]. Such changes in concepts of time also helped create the horizon within which political and social concepts functioned thereafter« (Richter/Richter 2006: 349-50). Interesting comparisons can be drawn between the semantic charge of xin in China’s newly acquired linear time consciousness, and the visionary semantics injected into the Western term ›revolution‹ when it was transposed from a cyclical to a linear temporal horizon. The latter term changed meaning with the French Revolution – from its original reference of ›revolting back‹ (as in the Glorious Revolution) to that of an absolute break with the past (as in the French Revolution). Until the late 18th century, the term had invoked the association of an astronomical body going around an orbit and returning to its original position. The Glorious Revolution in 1688, for example, alluded to the restoration of the rightful monarchy. Even violent forms of political disturbances were interpreted as disruptions which would finally be restored to their original order. With the French Revolution, however, the term ›revolution‹ changed meaning decisively. The French Revolution declared itself to have made an absolute break with previous human history in its entirety – a declaration the French sought to make good with the inauguration of a revolutionary calendar. From then on, »[…] ›Revolution‹ was completely temporalized, such that Jacob Burckhardt could define the French Revolution

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The eagerness to speed up modernization by destroying the old in order to facilitate the birth of the new saturated the language of the Cultural Revolution. In fact, future-loaded languages became benchmarks for separating the progressives from the conservatives and the counter-revolutionaries, with those preferring a slower temporal pace accused of holding China backwards. A problem inhabited this frantic valorization of the new in language. As Koselleck points out, the future-oriented languages of modernity are based on (future) expectations rather than (past) experience.12 In fact, ›the lesser the experience,

as ›the first period of our current revolutionary world epoch‹« (Koselleck 2004: 250). Set into a new linear temporality, ›revolution‹ became an irreversible proceeding precipitating an ever-extending self-determination of the whole humankind. As Melvin Richter observes: »Especially significant for establishing such horizons oriented towards the future were eschatologies, religious or secularized, which made political actors conceive of themselves as either already living in an unique period, or else in one that would make history by transforming the world as hitherto known.« (Richter/Richter 2006: 350) 11 Communism was more aggressive than many other movements in claiming the future for itself. The declaration by Marx and Engels from the first part of »The German Ideology« provides us with a glimpse into their rigorous future orientation: »Communism is for us not a state of affairs which is to be established, an ideal to which reality [will] have to adjust itself. We call communism the real movement which abolishes the present state of things. The conditions of this movement result from the premises now in existence« (emphasis mine, S.C.). 12 Koselleck characterizes such future-loaded languages as follows: »[…] they are not based on a predefined and common experience. Rather they compensate for a deficiency of experience by a future outline which is supposed to be realised. The basic pattern, the constitutive difference between the store of experience (Erfahrungshaushalt) and the horizon of expectation (Erwartungshorizont) in temporalization, marks all of these keyconcepts (Leitbegriffe).« (Koselleck 1997: 21)

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the greater the expectation‹, and the more visionary and ›inspiring‹ such language becomes. However, precisely because such language owes more to hope than experience and trumps experience with expectation, its visionary quality leaves unclear how such future goals are to be attained and what their costs would be. The last part of my project demonstrates how the abuse of a utopian language and social consciousness both reflect and effect chaos, conflicts, and violence during the Cultural Revolution.

O RIGINALITY 1. 2.

3.

4.

5.

OF THE

P ROJECT

No writing in any discipline to my knowledge traces China’s modernization to the temporalization of the Chinese language. Translation Studies scholars have overlooked the intimate links between language and consciousness when discussing the spread of modernity from the West to China by limiting themselves to the content of the texts being translated. Discussions of the Cultural Revolution so far have failed to detect the various neologisms and political jargons such as yundong and xin as symptomatic of a radical temporalization of the Chinese language during this period. The proposed topic has timely significance. In the age of globalization and digitalization, and with the rising prominence of China on the world stage as well as the ever-changing relationships between China and Taiwan, there are heated debates throughout East Asia as different countries feel the need to agree on a common adoption of either simplified or traditional characters. Note especially that such debates are by no means confined to the Greater China region, but include countries such as Korea and Japan. I am not aware of any previous studies that have considered how a language grounded in expectations rather than experience both reflects and effects chaos and conflicts during the Cultural Revolution.

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13 Anmerkung der Herausgeber: Mit * markierte Titel sind als weiterführend zu verstehen.

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Autorinnen und Autoren

Sinkwan Cheng war in den letzten 15 Jahren Fellow und Stipendiatin in verschiedenen europäischen Staaten sowie Nordamerika (darunter ein Rockefeller Fellowship, ein DAAD Fellowship, ein Institute for Advanced Study Fellowship der Durham University, UK sowie ein European Institutes for Advanced Study Fellowship). Ihre Werke erscheinen in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Russland und Spanien. Sie ist Herausgeberin des Sammelbandes »Law, Justice, and Power: Between Reason and Will«. Darüber hinaus publizierte sie in Zeitschriften wie MLN, Cardozo Law Review, American Journal of Semiotics, Law and Literature und Literature and Psychology. Professor Cheng hält Vorlesungen und Seminare in England, Deutschland, den USA, den Niederlanden, China, Südkorea, Macao und Hong Kong und ist derzeit Research Fellow und Visiting Professor an der Wesleyan University (USA). Andreas Hartmann, Prof. Dr., forscht und lehrt Volkskunde an der Universität Münster. Studium der Biologie, Mathematik, Musikwissenschaft, Ethnologie und Volkskunde in Freiburg, 1984 Promotion in letztgenanntem Fach mit der Dissertation über »Freiburg 1900. Zum städtischen Selbstbewußtsein der Jahrhundertwende«. Nach Wegstationen in Göttingen (Hochschulassistent), Hamburg (Vertretungsprofessur), Bamberg und seiner Habilitation in Marburg über Gedächtnisdiskurse im Kontext der Genese des Fachs Volkskunde ist er seit 1997

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Professor in Münster. Historisch, empirisch und kulturvergleichend arbeitend und publizierend; u.a. Feldforschung an der deutsch-deutschen Grenze und in Thailand. Zu seinen weiteren Forschungsschwerpunkten gehören kulinarische Volkskunde sowie indigene Kosmologien und Wissensordnungen. Er ist strukturalistischen und biologischen Erklärungsmodellen menschlichen Verhaltens zugeneigt. Bernd Mahr, Prof. Dr. rer. nat., hat Mathematik studiert und wurde im Bereich der Theoretischen Informatik promoviert und habilitiert. Nach Forschungs- und Lehraufenthalten in Israel und in den USA war er bis zu seinem Ruhestand 2012 Professor an der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik der TU Berlin. Er leitete die Arbeitsgruppe Formale Modelle, Logik und Programmierung sowie die Projektgruppe KIT mit Projekten in den Gebieten Künstliche Intelligenz, Medizininformatik und Telekommunikation. Er engagiert sich als Berater von Wirtschaft und Verwaltung sowie in internationalen Kooperationen, ist Autor einer größeren Zahl von Essays und Gründungsmitglied des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik an der HumboldtUniversität zu Berlin. Zurzeit ist Professor Mahr assoziierter Forscher im Berliner Exzellenzcluster »Bild Wissen Gestaltung«. Oliwia Murawska lehrt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Universität Münster im Fach Kultur- und Sozialanthropologie. Ihr Magisterstudium hat sie 2010 in den Fächern Volkskunde, Wirtschaftspolitik und Anglistik abgeschlossen und wurde 2014 in der Volkskunde an der Universität Münster promoviert, ihre Dissertationsschrift zur Nachfolge in Familienwerften befindet sich im Druck. Zu ihren aktuellen Forschungs- und Interessenschwerpunkten gehören u.a.: Ökonomische Anthropologie, Unternehmensethnographie, Überlieferungsprozesse, Erinnerungskulturen, maritime Volkskunde und Mensch-Tier-Beziehungen. Slobodan Dan Paich absolvierte das Royal College of Art in London und lehrte zwischen 1969 und 1985 Kunst- und Ideengeschichte an

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verschiedenen Londoner Instituten. In den Jahren von 1986 bis 1992 war er als Gastdozent an der University of California (Berkeley) tätig. Seit 1992 leitet Paich als geschäftsführender Direktor die von ihm mitbegründete »Artship Foundation«. Er war Vorstandsmitglied der »Society of Founders of the International Peace University« in Berlin und Wien und hatte dort den Vorsitz im Komitee Arts and Culture inne. S.D. Paich hielt zahlreiche Vorträge zur Kunst- und Ideengeschichte auf diversen internationalen Konferenzen. Darüber hinaus ist er als Künstler an vielen internationalen Ausstellungsprojekten beteiligt (darunter die Biennale 1985 in Venedig). Jos D.M. Platenkamp ist Professor für Sozialanthropologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Deutschland. Er führte Feldforschungen in den Nordmolukken (1979-1982), den Zentralmolukken (1989) und in Laos (1996-2006) zu den Systemen von sozialer Organisation, Kosmologie und Austausch dieser Gesellschaften in Vergangenheit und Gegenwart durch. Zurzeit erforscht er im Rahmen des französisch-deutschen Forschungsprojekts »Local Traditions and World Religions: The Appropriation of ›Religion‹ in Southeast Asia and Beyond« die Transformationen in den Bereichen Sozialstruktur, Ritual, Austausch und Kosmologie, welche durch die Einführung des Protestantismus und die Aufnahme der Gesellschaften in größere politische Gemeinwesen hervorgebracht wurden. Zu seinen Veröffentlichungen siehe URL: http://www.uni-muenster.de/Ethnologie/Personen/ Platenkamp/index.html. Felicitas Schmieder, Prof. Dr., ist seit 2004 Professorin für Geschichte und Gegenwart Alteuropas an der Fernuniversität Hagen. Nach ihrem Studium in Geschichte und Latein in Frankfurt am Main wurde sie 1991 promoviert und 2000 habilitiert. Sie ist u.a. Mitglied des Historischen Kollegs München und von »CARMEN: The Worldwide Medieval Network«. Darüber hinaus ist sie Recurrent Visiting Professor an der CEU in Budapest. Zu ihren Forschungsgebieten zählen mittelalterliche Wahrnehmungsgeschichte, Europa als Produkt interkultureller

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Kontakte, Prophetie als politische Sprache, mittelalterliche deutsche Stadtgeschichte, vormoderne Kartographie (Welt- und Landkarten) sowie europäische Erinnerungskultur. Nicola Spakowski ist Professorin für Sinologie an der Universität Freiburg. Sie hat Sinologie und Geschichte in Tübingen, Nanjing und an der FU Berlin studiert. 1997 wurde sie über populärwissenschaftliche Geschichtsbücher im heutigen China promoviert, 2006 über die militärische Partizipation von Frauen in der kommunistischen Revolution Chinas habilitiert. Ihr Forschungsinteresse gilt der Geschichte Chinas vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart mit den Schwerpunkten: Konzepte von Zeit, Vergangenheit und Zukunft, chinabezogene Frauenforschung und Fragen der Globalisierung sowie Internationalisierung und Regionalisierung Chinas. Ekaterina Svetlova ist zurzeit Senior Lecturer an der University of Leicester – School of Management und Fellow am Forschungskolleg Helveticum-Basel/Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP) »Zwischen Apokalyptik und ›unsichtbarer Hand‹. Krisenantizipation und transformative Innovation in Modellen negativer Zukunftsentwicklung« an der Universität Basel. Ihre Forschungsgebiete sind Wirtschaftsphilosophie und Wirtschaftssoziologie, Finanzmärkte und Entscheidungen unter Unsicherheit. Karl-Heinz Thielmann, Dipl.-Volkswirt, begann seine berufliche Laufbahn als Analyst für europäische Aktienmärkte beim »Dresdner Bank Investment Research« und war später mehrere Jahre als Fondsmanager beim »Deutschen Investment Trust DIT« (heute: »Allianz Global Investors«) tätig. Er ist seit 2001 unabhängiger Berater für Unternehmen, Vermögensverwaltungen und Privatpersonen in Kapitalmarktfragen und seit 2012 fungiert er als Initiator und Vorstand der »LONG-TERM INVESTING Research AG – Institut für die langfristige Kapitalanlage«. Weiterhin unterrichtet er Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft.

Edition Kulturwissenschaft Rainer Guldin Politische Landschaften Zum Verhältnis von Raum und nationaler Identität 2014, 296 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2818-0

Thomas Kirchhoff (Hg.) Konkurrenz Historische, strukturelle und normative Perspektiven Mai 2015, ca. 360 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2589-9

Inga Klein, Sonja Windmüller (Hg.) Kultur der Ökonomie Zur Materialität und Performanz des Wirtschaftlichen 2014, 308 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2460-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Edition Kulturwissenschaft Gudrun M. König, Gabriele Mentges, Michael R. Müller (Hg.) Die Wissenschaften der Mode Mai 2015, 224 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2200-3

Elisabeth Mixa, Sarah Miriam Pritz, Markus Tumeltshammer, Monica Greco (Hg.) Un-Wohl-Gefühle Eine Kulturanalyse gegenwärtiger Befindlichkeiten Mai 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2630-8

Christoph Wulf Bilder des Menschen Imaginäre und performative Grundlagen der Kultur 2014, 270 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2949-1

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