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German Pages 652 Year 2022
BERKA/KREISER
Logik-Texte
KAREL BERKA/LOTHAR
KREISER
Logik-Texte Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik
Dritte, erweiterte Auflage Unter Mitarbeit von Siegfried Gottwald und Werner Stelzner
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1983
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1086 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin 1983 Lizenznummer : 202 • 100/251/83 Printed in GDR Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", 7400 Altenburg Einband und Schutzumschlag: Rolf Kunze LSV 0145 Bestellnummer: 7540194 (5815) DDR 4 2 , - M
Inhaltsverzeichnis Vorwort zur dritten Auflage
IX
Einleitung
XI
I
II
III
Zur Geschichte der Logik Einführung 1. J . J u n g i u s , Logica Hamburgensis (Auszug) 2. G. W. L e i b n i z , Projet et Essais pour arriver ä quelque certitude pour finir une bonne partie des disputes et pour avancer l'art d'inventer (Gekürzter Nachdruck) 3. B. B o l z a n o , Wissenschaftslehre (Auszug) Die Algebra der Logik Einführung 1. G. B o o l e , The Mathematical Analysis of Logic, Being and Essay Towards a Calculus of Deductive Reasoning (Auszug) 2. Ch. S. P e i r c e , On the algebra of logic. A contribution to the philosophy of notation (Nachdruck) 3. E. S c h r ö d e r , Vorlesungen über Algebra der Logik (Exakte Logik) — (Auszug)
V
16 18 23 25 28 53
Klassische Logik Einführung 1. G. F r e g e , Function und Begriff (Nachdruck) 2. G. F r e g e , Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens (Auszug) 3. G. F r e g e , Anwendungen der Begriffsschrift (Nachdruck) 4. D. H i l b e r t — P. B e r n a y s , Grundlagen der Mathematik (Auszug) . . 5. D. H i l b e r t — W. A c k e r m a n n , Grundzüge der theoretischen Logik (Auszug) 6. A. M o s t o w s k i , On a generalisation of quantifiers (Nachdruck) . . . .
IV
1 9
Mehrwertige Logik Einführung 1 . E . L. P o s t , Introduction to a general theory of elementary propositions (Gekürzter Nachdruck) 2. J . L u k a s i e w i c z , Philosophische Bemerkungen, zu mehrwertigen Systemen des Aussagenkalküls (Gekürzter Nachdruck) 3. M. W a j s b e r g , Ein Axiomensystem des dreiwertigen Aussagenkalküls (Gekürzter Nachdruck)* 4. J . S l u p e c k i , Der volle dreiwertige Aussagenkalkül (Gekürzter Nachdruck)*
57 63 82 107 112 117 123
129 133 135 150 152
Modale Logik Einführung 154 1. W. T. P a r r y , Ein Axiomensystem für eine neue Art von Implikation (analytische Implikation) — (Nachdruck) 163 2. O. B e c k e r , Zur Logik der Modalitäten (Gekürzter Nachdruck) . . . . 165
V
3. G. H. v. W r i g h t , An Essay in Modal Logic (Auszug) 172 4. S. A. K r i p k e , Semantical analysis of modal logic I. Normal modal propositional calculi (Gekürzter Nachdruck) 177 VI
VII
Intuitionistische Logik Einführung 1. A. H e y t i n g , Die formalen Regeln der intuitionistischen Logik (Gekürzter Nachdruck) 2. A. K o l m o g o r o f f , Zur Deutung der intuitionistischen Logik (Nachdruck) 3. K. G ö d e l , Zum intuitionistischen Aussagenkalkül (Nachdruck) . . . . 4. K. G ö d e l , Eine Interpretation des intuitionistischen Aussagenkalküls (Nachdruck) 5. K. G ö d e l , Zur intuitionistischen Arithmetik und Zahlentheorie (Gekürzter Nachdruck) Regellogik Einführung 1. G. G e n t z e n , Untersuchungen über das logische Schließen (Nachdruck). . 2. E. W. B e t h , Semantic entailment and formal derivability (Gekürzter Nachdruck) 3. P. L o r e n z e n , Ein dialogisches Konstruktivitätskriterium (Nachdruck)
V I I I Kombinatorische Logik Einführung 1. M. S c h ö n f i n k e l , Über (Nachdruck) IX
X
VI
182 188 193 199 200 201 203 206 262 266 273
die Bausteine
der
mathematischen
Logik
Widerspruchsfreiheit — Vollständigkeit — Unabhängigkeit Einführung 1. D. H i l b e r t , Mathematische Probleme (Gekürzter Nachdruck) 2. G. G e n t z e n , Die Widerspruchsfreiheit der Stufenlogik (Nachdruck) . . . 3. J . L u k a s i e w i c z , Ein Vollständigkeitsbeweis des zweiwertigen Aussagenkalküls (Gekürzter Nachdruck) 4. K. G ö d e l , Die Vollständigkeit der Axiome des logischen Funktionenkalküls (Nachdruck) 5. L. H e n k i n , The completeness of the first-order functional calculus (Gekürzter Nachdruck)* 6. J . C. C. M c K i n s e y , On the independence of Hilbert and Ackermann's postulates for the calculus of propositional functions (Gekürzter Nachdruck) Das Entscheidungsproblem Einführung 1. P. B e r n a y s — M. S c h ö n f i n k e l , Zum Entscheidungsproblem der mathematischen Logik (Gekürzter Nachdruck) 2. D. H i l b e r t — W. A c k e r m a n n , Grundzüge der theoretischen Logik (Auszug) 3. P. F i n s l e r , Pormale Beweise und die Entscheidbarkeit (Nachdruck) . . 4. K. G ö d e l , Einige metamathematische Resultate über Entscheidungsdefinitheit und Widerspruchsfreiheit (Nachdruck) 5. K. G ö d e l , Über formal unentscheidbare Sätze der Piincipia Mathematica und verwandter Systeme I (Nachdruck)
275 286 294 296 303 305 315 323 329 332 337 340 346 347
XI
Antinomien Einführung 371 1. A. N. W h i t e h e a d — B. R ü s s e l , Principia Mathematica (Auszug) . . 375 2. K. G r e i l i n g — L. N e l s o n , Bemerkungen zu den Paradoxien von Russell und Burali-Forti (Gekürzter Nachdruck) 382
XII
Syntax — Semantik Einführung 1. D. H i l b e r t , Die logischen Grundlagen der Mathematik (Gekürzter Nachdruck) 2. A. T a r s k i , Grundlegung der wissenschaftlichen Semantik (Gekürzter Nachdruck)* 3. A. T a r s k i , Der Wahrheitsbegriff in den Sprachen der deduktiven Disziplinen (Nachdruck) 4. A. T a r s k i , Über den Begriff der logischen Folgerung (Gekürzter Nachdruck)* 5. K. S c h r ö t e r , Was ist eine mathematische Theorie? (Nachdruck). . . . 6. G. F r e g e , Sinn und Bedeutung (Nachdruck)
Anhang: A. T a r s k i ,
Der Wahrheitsbegriff
in den formalisierten
(Nachdruck)
384 395 396 402 404 413 423
Sprachen 443
Literaturverzeichnis
547
Personenregister
605
Stichwortverzeichnis
613
Verzeichnis logischer Symbole
632
* Vorgenommene Kürzungen beziehen sich nur auf Fußnoten.
VII
Vorwort zur 3. Auflage Die hiermit dem Leser vorgelegte 3., erweiterte Auflage ist um eine noch differenziertere Betrachtung der modernen Logikentwicklung bemüht. Die editorischen Prinzipien der voraufgehenden Auflagen sind bis auf einen, freilich wichtigen Gesichtspunkt beibehalten worden. Wie aus der Einleitung zu den bisherigen Auflagen ersichtlich, wurde angenommen, daß sich die Unterscheidung zwischen der Extensionalität und der Nicht-Extensionalität interpretierter Ausdrücke eines Kalküls deckt mit dem Unterschied zwischen klassischer und nichtklassischer Logik. Unter dieser Voraussetzung schien uns z. B. der Aufbau einer epistemischen Logik ohne eine durch pragmatische Aspekte erweiterte Semantik nicht möglich. Die Neugestaltung des V. Kapitels (Modallogik) korrigiert das damals vermutete und nunmehr verworfene Zusammenfallen beider Unterscheidungen. Die klassische Logik wurde in Rücksicht auf Fragestellungen ergänzt, die sich für die Logikentwicklung insgesamt als bedeutsam erwiesen. Das hatte auch Einfluß auf die Gestaltung anderer Kapitel, so besonders die Kapitel I X und X . Die Veränderungen haben nur an einer Stelle zur Kürzung eines bisher abgedruckten Textes geführt. Das Kapitel I I der „Begriffsschrift" von G. F r e g e , der „Darstellung und Ableitung einiger Urteile des reinen Denkens" gewidmet, wurde herausgenommen und dafür die vom gleichen Autor stammende Arbeit „Sinn und Bedeutung" aufgenommen. Sonst sind alle bisherigen Texte auch in die 3. Auflage übernommen worden, in zwei Fällen (II. 1. und X.5.) erfolgte sogar der nunmehr vollständige Abdruck. Um die gegenwärtige Entwicklungsperiode der formalen Logik, für die die bisherige Bezeichnung „moderne Logik" beibehalten wurde, noch klarer in die Geschichte dieser Wissenschaft einzuordnen, ist das Kapitel I nicht nur um einen Text, sondern in seiner Einleitung auch um eine allgemeine Systematisierung der Geschichte der formalen Logik ergänzt worden Es versteht sich, daß dabei nicht mehr als Grundsätze einer solchen Systematisierung und deren skizzenhafte Umsetzung angegeben werden konnten. Das Literaturverzeichnis enthält wiederum nur in mindestens einem Kapitel angezeigte Arbeiten. Auch ist nicht jede einschlägige Zeitschrift durch einen Beitrag, der in ihr erschien, vertreten. Das ist einzig und allein den genannten editorischen Prinzipien geschuldet, stellt also auf keinen Fall ein Werturteil dar. Wir waren um eine Auswahl der Literatur bemüht, die den unterschiedlichen Standpunkten in der wissenschaftlichen Diskussion gerecht wird. Hier aber vollkommene Parität und Neutralität anstreben zu wollen, ist utopisches Ideal. Zu mehr als einer leitenden Maxime der Auswahl kann man sich daher nicht verpflichten. Den technischen Aufbau der dritten Auflage haben wir im Vergleich zu den voraufgehenden etwas abgeändert. Im Interesse eines leichteren Gebrauchs der Registerteile haben wir uns nunmehr entschlossen, sie an das Ende des Buches zu rücken. Dadurch kommt die als Anhang gekennzeichnete Arbeit von A. T a r s k i „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen" vor diese Registerteile zu stehen. Es sei deshalb an dieser Stelle ausdrücklich darauf IX
aufmerksam gemacht, daß sich die Register nicht auf die erwähnte Arbeit von A. T a r s k i beziehen. An der Überarbeitung der Einleitungen zu einzelnen Kapiteln und des Literaturverzeichnisses waren Siegfried Gottwald und Werner Stelzner in einem solchen Umfang beteiligt, daß eine Würdigung ihrer Mitarbeit den Herausgebern ein besonderes Bedürfnis ist. Wir danken Frau G. Liebau, Herrn B. Liebau und Herrn D. Mielke für ihre Mitwirkung bei der technischen Fertigstellung des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturbögen. Leipzig, Frühjahr 1982 Karel Berka
X
Lothar Kreiser
Einleitung 1. Aufgabe und technischer Aufbau des Buches Die Wissenschaft der Logik gehört mit zu den ältesten Wissenschaften. Ihr Begründer ist A r i s t o t e l e s (384— 322 v. u. Z.). An der Grammatik (der griechischen Sprache) orientiert, entwickelte er die Logik im engen Zusammenhang mit seinen Untersuchungen des sich konstituierenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Denkens. Von gewissen Modifikationen abgesehen, behielt sie bis in das 19. J a h r h u n dert ihre durch A r i s t o t e l e s geprägte Form. Zu dieser Zeit erwies sie sich als nicht mehr ausreichend zur Bewältigung der durch die neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaften aufgeworfenen logischen Probleme. Bereits in der klassischen deutschen Philosophie wird die Unzulänglichkeit der aristotelischen oder, wie man auch sagt, der traditionellen formalen Logik reflektiert. Bei K a n t erfährt sie eine erkenntnistheoretische „Aufstockung" in Gestalt der transzendentalen Logik, während H e g e l sie in seinem philosophischen System einer ontologischen Umdeutung unterzieht, die wenig von ihrer ursprünglichen Form bestehen läßt. Die hier und in der Folgezeit im Rahmen philosophischer Strömungen unternommenen Begründungs- und Erweiterungsversuche der traditionellen formalen Logik beinhalten vielfach Fragestellungen, die heute als erkenntnistheoretische, methodologische oder gar als psychologische Probleme angesehen werden. Die Logik wurde mehr als jemals zuvor in ihrer Geschichte zum Feld scharfer philosophischer Auseinandersetzungen. Der Fortschritt vollzog sich fast unbemerkt. E r begann mit dem Versuch, logische Tatbestände mit Hilfe mathematischer Methoden und mathematischer Begriffsbildung zu erfassen. Erste Untersuchungen in dieser Hinsicht stammen von G. W. L e i b n i z (1646—1716). Sie blieben ohne historische Wirkung und wurden erst Anfang unseres J a h r h u n d e r t s wiederentdeckt. Mit den Arbeiten von G. B o o l e (1815—1864), A. D e M o r g a n (1806—1871), W. S. J e v o n s (1835-1882) und Ch. S. P e i r c e (1839-1914) setzen diese Bestrebungen erneut ein, n u n aber mit nachhaltigem Erfolg. Durch die sich in der Folgezeit herausbildende moderne oder mathematische Logik wird nicht einfach der Bestand des logischen Wissens neu erschlossen. Das logische Wissen wird innerhalb weniger Jahrzehnte durch Erkenntnisse a n Tiefe und Umfang derart erweitert, daß die Herausbildung der modernen Logik als ein revolutionierender Sprung in der Geschichte der Logik angesehen werden kann. Mit dieser Entwicklung ist auch eine Vergrößerung des Anwendungsbereiches der Logik verbunden. Die Logik wurde seit A r i s t o t e l e s als eine rein theoretische Wissenschaft aufgefaßt. Ihr Anwendungsbereich war das wissenschaftliche Denken, und ihre Funktion bestand darin, die f ü r dieses Denken geltenden logischen Gesetze bewußt zu machen. Die Logik stellte eine propädeutische Wissenschaft f ü r alle anderen Wissenschaften dar. Diese propädeutische Funktion hat sie auch in Gestalt der modernen Logik beibehalten. Sie hat sogar an Bedeutung gewonnen. Das Eindringen der Wissenschaften XI
in alle Lebensbereiche bringt mit sich, daß die Anforderungen an das theoretische Denken steigen. Die moderne Logik hat nicht nur eine propädeutische, sondern auch eine instrumentale Bedeutung für die Wissenschaften. Sie stellt die Erkenntnisse und Verfahren zur Verfügung, um die logischen Grundlagen des theoretischen Aufbaus wissenschaftlicher Hypothesen und Theorien zu erforschen. In diesem Sinne ist sie nicht nur seit G. F r e g e s grundlegenden Untersuchungen in der Mathematik wirksam, sondern z. B. auch in der Journalistik (Argumentationslogik) oder in den Rechtswissenschaften (normative Logik). Die moderne Logik wird zunehmend methodologisches Instrument jeder Wissenschaft zum Zwecke rationeller und exakter Theorienbildung. Seit den dreißiger Jahren ist ein drittes, erstmals nicht rein theoretisches Anwendungsfeld der modernen Logik hinzugekommen. Man fand, daß sich die Relaisschaltungen mit den Mitteln der modernen Logik theoretisch beschreiben lassen. Bald darauf wurden andere Anwendungsmöglichkeiten entdeckt. Nicht nur Relaiskontakt-Schaltungen, sondern auch andere diskret arbeitende Geräte können zweckmäßig durch den Formalismus der mathematischen Logik beschrieben werden. Die Aufgabe unserer Textauswahl läßt sich kurz wie folgt charakterisieren: Der (deutschsprachige) Nachdruck von Arbeiten (oder Teilen aus ihnen), in denen relevante Probleme der modernen deduktiven Logik in grundlegender Weise behandelt werden, soll eine echte Möglichkeit der historischen Ergänzung und sachlicher Vertiefung des ein- oder mehrjährigen Logikstudiums geben. Aus dieser Aufgabenstellung erhellt schon zweierlei: E r s t e n s handelt es sich bei diesem Buch um kein Lehrbuch; seine Lektüre setzt gewisse elementare Kenntnisse der modernen Logik voraus. Es ist eine Textauswahl, die wenigstens auszugsweise zum Literaturstudium für jeden Logikunterricht an Universitäten, Hoch- und Fachschulen benutzt werden kann. Auszugsweise deshalb, weil das Buch auch Texte zu solchen Problemen bzw. Logiken enthält, die im allgemeinen in einem Einführungskursus in die moderne Logik nicht berücksichtigt werden können. In dieser Hinsicht besitzt das Buch einen relativ selbständigen Charakter. Zur Erleichterung des Verständnisses wird jedem Kapitel eine Einführung vorangestellt. Diese Einführung enthält sowohl eine kurze historische Übersicht zum Kapitelinhalt als auch Literaturhinweise, die den Problemen entsprechend angeordnet sind. Auf diese Anordnung kommen wir nachfolgend noch detaillierter zu sprechen. Zweitens ist die Auswahl der Texte wesentlich durch pädagogische Gesichtspunkte bestimmt. Die Studientexte wurden mit der Absicht ausgewählt, einen möglichst großen Kreis von Studenten (und anderer Logikinteressenten) anzusprechen. Deshalb mußten bei der Textauswahl verschiedenartige und in ihren Anforderungen an die Logik unterschiedliche Ausbildungsrichtungen berücksichtigt werden. Wir haben versucht, dem dadurch gerecht zu werden, daß wir grundlegende, aber möglichst allgemeinverständliche Texte auswählten, d. h. solche Texte, in denen die jeweilige Problematik mehr inhaltlich als ihrer technischen Behandlung nach dargelegt wird. So enthält z. B. der gekürzte Nachdruck einer im X . Kapitel unter Ziffer 5 abgedruckten Arbeit von K. Gödel nur den erläuternden 1. Teil. In jedem Fall ließ sich das freilich XII
nicht realisieren. Die Erfahrung wird zeigen, ob die Art der Auswahl den gewünschten Nutzen für den Leser hat. Es versteht sich daher, daß wir für jede Anregung zur Verbesserung der inhaltlichen und formalen Gestaltung der Textauswahl dankbar sind. Das Auswahlprinzip brachte mit sich, daß erstens von einigen Logikern mehrere, von anderen hingegen keine Arbeiten vertreten sind, und zweitens, daß nicht in jedem Fall die Arbeiten von Logikern aufgenommen werden konnten, in denen ein bestimmtes logisches Problem zuerst aufgeworfen oder beantwortet wurde. Beide Diskrepanzen werden durch entsprechende Hinweise in den Einführungen beseitigt. Wir wollen aber ausdrücklich betonen, daß die Auswahl in keiner Weise eine Wertung der Leistungen dieses oder jenes Logikers darstellt. Zu einzelnen Passagen oder Ausdrücken in den Texten wurden von uns Anmerkungen hinzugefügt. Um sowohl ihre Zahl als auch den Umfang der einzelnen Einführungen klein zu halten, wurden zusammenhängende Texte, wenn möglich, ganze Arbeiten ausgewählt. Als kommentierte Textauswahl allein zur modernen Logik unterscheidet sich das hier vorgelegte Buch sowohl von einer Problemgeschichte der formalen Logik (J. M. B o c h e n s k i [1956]) als auch von einem reinen Nachdruck logischer Texte zu einem speziellen Problem (wie z. B. bei M. D a v i s [1965] oder J . v. H e i j e n o o r t [1967]). Die Texte sind in 12 Kapitel mit jeweiliger Einführung eingeteilt. Alle Texte sind, soweit nicht Übersetzungen in die deutsche Sprache erforderlich waren und bis auf die Berichtigung offensichtlicher Druckfehler, originalgetreu nachgedruckt. Auf berichtigte Druckfehler wird in einer Anmerkung hingewiesen. Auslassungen im Text werden durch [...] angezeigt und sind dann erfolgt, wenn bereits in anderen Texten vorliegendes oder — in bezug auf das Thema des Kapitels — Nebenfragen betreffendes formuliert ist. Der originalgetreue Nachdruck brachte eine Vielfalt benutzter symbolischer Ausdrucksmittel mit sich. Eine erläuternde Zusammenstellung aller vorkommenden Symbole logischer Funktoren und Operatoren findet der Leser im Anhang; natürlich erfolgen entsprechende Erläuterungen, wenn notwendig, in den Einführungen oder in den Anmerkungen zum ausgewählten Text. I n den Einleitungen selbst wird eine einheitliche logische Symbolik benutzt, und zwar — vor allem aus drucktechnischen Gründen — die klammerfreie Symbolik von J . L u k a s i e w i c z . Im Interesse eines wissenschaftlichen Belegs von Zitaten aus der Textauswahl wird für den Benutzer die ursprüngliche Paginierung in einer eckigen Klammer am Rande des Nachdrucks jeweils in der Höhe der betreffenden Zeile angegeben und das erste Wort durch eine Längslinie gekennzeichnet. Es kommen unterschiedliche Arten von Anmerkungen (Fußnoten) vor. Anmerkungen, die von den Autoren der einzelnen Texte stammen, werden jeweils durchgehend numeriert, aber mit einer rechten runden Klammer versehen. Anmerkungen unsererseits in den einzelnen Texten bzw. in den Einführungen werden ebenfalls wieder auf den jeweiligen Text bzw. die jeweilige Einführung bezogen durchgehend numeriert, sind aber mit einer rechten eckigen Klammer versehen. Anmerkungen zu Fußnoten werden durch ein eckiges Klammerpaar angezeigt. Fußnoten und Anmerkungen findet der Leser am Ende der jeweiligen Einführung bzw. des jeweiligen Textes. Es
xni
kommen Verweisungen auf die Textauswahl selbst vor. Dazu wird in einem runden K l a m m e r p a a r das jeweilige Kapitel u n d eventuell noch ein Abschnitt in ihm angegeben. Bezieht sich ein Autor auf eine Arbeit, die auch in der Textauswahl abgedruckt wird, fügen wir der entsprechenden F u ß n o t e des Autors den Hinweis auf das Kapitel und den Abschnitt hinzu, in dem sie in der Textauswahl zu finden ist. Die bibliographischen Angaben in den Einführungen oder Anmerkungen werden im Hinblick auf das Literaturverzeichnis wie folgt gegeben: Name des Autors und Erscheinungsjahr der betreffenden Arbeit. Erschienen in dem J a h r mehrere Arbeiten des Autors, wird an die Jahreszahl als Unterscheidungsindex ein kleiner lateinischer Buchstabe, mit a beginnend, angefügt, z. B. K . G ö d e l [1932a]. Aus dem Literaturverzeichnis sind d a n n unter dem Namen des Autors und der genannten Jahreszahl mit bzw. ohne Unterscheidungsindex die weiteren bibliographischen Angaben ersichtlich. Das Literaturverzeichnis selbst erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die in den Einführungen angegebene Literatur ist eingeteilt (1) in solche, in der ein logisches Problem zum ersten Mal aufgeworfen oder gelöst wird, (2) in der dieses Problem in einer heute gängigen F o r m ausführlich behandelt wird, eventuell auch u n t e r Einschluß weiterer logischer Problemstellungen u n d (3) in solche, in der es mehr u m einen Überblick u n d eine E i n f ü h r u n g in die Untersuchungen zu diesem Problem geht. Die erste Art von Literatur folgt im Text unmittelbar nach dem Namen des betreffenden Logikers, die zweite Art wird „Weitere L i t e r a t u r " u n d die dritte Art „Ergänzende L i t e r a t u r " genannt. Unvollständig ist vor allem die dritte Art von Literaturangaben. Mitunter wird in den Einführungen wie auch den Anmerkungen nur durch runde K l a m m e r u n g abgesetzte Literatur angegeben, in der sich der Leser über auftretende logische Begriffsbildungen oder logische Verfahren informieren kann, die in unserem Zusammenhang nur Erwähnung erfahren konnten.
2. Zu inhaltlichen Fragen der
Textauswahl
E s sollen Texte aus dem Gebiet der Geschichte der modernen Logik ausgewählt werden. Der Leser wird erwarten dürfen, zu erfahren, was wir dabei unter „moderner" Logik verstehen. U n d zwar auch dann, wenn, wie in unserem Fall, die Auswahl dadurch erleichtert wird, daß bestimmte Arbeiten zu gewissen Themen bereits allgemein als klassisch oder grundlegend angesehen werden. Die Bestimmung dessen, was Gegenstand der modernen Logik sei, ist sehr umstritten. E s ist k a u m möglich, eine Definition zu geben, die von allen Logikern akzeptiert würde. Zu viele Probleme überkreuzen sich in dieser Frage, die, dazu noch in grundlegenden Aspekten, sowohl in die Philosophie als auch in die Grundlagenforschung der Mathematik führen. Dazu k o m m t , daß sich die moderne Logik in einer Entwicklungsphase befindet, die den Umkreis dessen, was ihr zugänglich ist und was nicht, noch keineswegs sicher abstecken läßt. Viele Formen sprachgebundener Ausdrucksweisen, zu deren logischer S t r u k t u r es in vorausgegangenen Entwicklungsformen der Logik höchstens ansatzweise Untersuchungen gab, werden heute intensiv XIV
erforscht. So liegen z. B. erste Untersuchungen zu einer Fragelogik (M. P r i o r - A. N. P r i o r [1955]; N. D. B e l n a p jr. [1963]; L. A q u i s t [1965]) und zu einer Zeitlogik (A. N. P r i o r [1957], [1967]; N. R e s c h e r [1965]) vor. Wir schließen uns zunächst einer Definition von G. K l a u s ([1966], S. 7) an, wonach die Logik die Wissenschaft von den allgemeinsten Strukturen des richtigen Denkens ist. Diese Strukturen haben sich historisch herausgebildet, und zwar auf der Grundlage der gesellschaftlichen Praxis im Prozeß der ideellen Aneignung der objektiven Realität (die physiologischen Bedingungen des Denkens vorausgesetzt). Daß die Resultate logischer Untersuchungen, die logischen Systeme, auch außerhalb des Denkens Anwendung finden, ergibt keinen Widerspruch zu dieser Definition. Aber die Definition besagt nichts über die bestehenden Unterschiede etwa zwischen der traditionellen formalen Logik und der modernen Logik. Ein Weg wäre, die durch das Adjektiv „modern" zu bezeichnenden Eigenschaften durch eine Gegenüberstellung der traditionellen formalen Logik und der modernen Logik herauszuheben. Dieses methodische Verfahren setzt jedoch wenigstens eine Vorstellung von dem voraus, was unter „moderner Logik" zu verstehen sei. Wir wollen unsere Auffassung von den Beziehungen her begründen, die die hier zur Sprache kommenden logischen Systeme zueinander haben, wobei die klassische Logik als ein unbestrittener Bestandteil der modernen Logik zugrunde gelegt wird. Schränken wir uns auf die klassische Logik (einschließlich der Tarskischen Semantik) ein, so könnte man die moderne Logik definieren als die Wissenschaft von der Folgerungsrelation. Bei geeigneter Deutung dessen, was unter den „allgemeinsten Strukturen des richtigen Denkens" zu verstehen ist, läßt sich sicher ein Zusammenhang mit der oben wiedergegebenen allgemeinen Definition von „Logik" herstellen. Wesentlich für unsere Verfahrensweise ist nun, daß die Tarskische Semantik von denselben Voraussetzungen Gebrauch macht wie die klassische Mathematik. Diese Voraussetzungen lassen sich durch folgende drei Punkte charakterisieren: 1. die Anerkennung des Unendlichen als Aktual-Unendliches; 2. die Existenz mathematischer (und logischer) Objekte an sich; 3. die Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten. Der klassische Standpunkt ist innerhalb der Mathematik nicht unwidersprochen geblieben. Seine heute wohl schärfste Entgegensetzung, die sich besonders im Anschluß an die Bemühungen um die Ausschaltung von Antinomien (Kap. XI) herausbildete, ist der mathematische Intuitionismus. Sein finitärer Standpunkt (Priorität des Endlichen vor dem Unendlichen als eines nur potentiell möglichen), seine Einschränkung der Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten und seine „Ersetzung des an sich Wahren durch das effektiv Verifizierbare, des an sich Falschen durch das effektiv Falsifizierbare und des an sich Existierenden durch das effektiv Konstruierbare" (H. S c h o l z — G. H a s e n j a e g e r [1959], S. 8) läßt eine volle Entwicklung der Tarskischen Semantik nicht mehr zu. Die logische Explikation dieses nichtklassischen Standpunktes ergibt einen von der klassischen Logik verschiedenen Bestandteil der modernen Logik. In der Textauswahl wird er im VI. Kapitel dargelegt — die klassische Logik ist Gegenstand des III. Kapitels. XV
Charakteristisch für die klassische Logik sind desweiteren die semantischen Voraussetzungen der Zweiwertigkeit von Aussagen und der Extensionalität betrachteter Aussagenverbindungen. Die klassische Logik ist eine extensionale Logik. Daß gerade sie historisch eine bevorzugte Ausarbeitung erfuhr, hat in erster Linie außerlogische Gründe, die in der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung zu suchen sind. Bezüglich der nicht-extensionalen oder intensionalen Systeme kann man grundsätzlich folgende Fälle unterscheiden: Erstens ein System, in dem der Wahrheitswert von zusammengesetzten Aussagen nicht nur von dem Wahrheitswert der einfachen Aussagen abhängt, z. B . ein System mit Aussagenformen vom Typus „Er glaubt, daß . . . " (im Unterschied zu einem extensionalen System mit Aussagenformen vom Typus ,,Es ist nicht der Fall, daß . . . " , „entweder . . . oder" usw.). Eine solche Logik wurde noch nicht entwickelt. Ein solches System überschreitet offensichtlich die übliche semantische Grundlage einer Logik, indem pragmatische Aspekte, die formal (jedenfalls bis jetzt) nicht erfaßbar sind, berücksichtigt werden müssen. Zweitens ein System, in dem als Denotate von Aussagen andere Werte als Wahrheitswerte in Betracht kommen, in dem aber die hier vorkommenden aussagenlogischen Konstanten durch Wertmatrizen mit einer endlichen Anzahl von Werten nicht definierbar sind. Solche nichtextensionalen Systeme liegen in Gestalt der Modallogik mit den klassischen Modalwerten „möglich", „notwendig" und „unmöglich" vor (Kap. V). Drittens ein System, in dem man neben Aussagen auch Befehlssätze, Sollsätze usw. zuläßt, wie das in der Sollsatzlogik bzw. deontischen Logik der Fall ist. Die Deutung des Begriffes einer nicht-extensionalen Logik als einer Modallogik bedarf folgender Ergänzungen: Man muß erstens beachten, daß der Begriff der Aussage im klassischen Sinne, d. h. als semantische Kategorie mit den Denotaten „wahr" und „falsch", breiter gefaßt ist. Die Annahme, daß die Denotate von Aussagen in diesem weiten Sinne keine Wahrheitswerte sind, ist zwar kein hinreichender Grund für eine Modallogik. Wir müssen auch das zweite Merkmal solcher logischer Systeme beachten, nämlich die Nichtdefinierbarkeit durch endliche Wertetafeln. Gerade dadurch unterscheidet sich eine Modallogik von einer mehrwertigen Logik (Kap. IV), die eine extensionale Logik ist. Die logischen Systeme der klassischen Logik werden in Gestalt formalisierter Sprachen entwickelt. Es wird über diese Sprachen gesprochen, wenn, ausgehend von den Begriffen „wahr" und „falsch", definiert wird, was ein „allgemeingültiger Ausdruck", ein „erfüllbarer Ausdruck" oder ein „unerfüllbarer Ausdruck" jeweils in diesen Sprachen ist. Da dazu auf die Bedeutung von „wahr" und „falsch" Bezug genommen wird, ist diese Metasprache eine semantische Sprache. Die logische Semantik als eine Theorie dieser und gleichartiger semantischer Begriffe ist in dieser Hinsicht eine metalogische Theorie. Auf sie kommen wir im X I I . Kapitel zu sprechen, und zwar in ihrer durch A. T a r s k i gegebenen Begründung (vgl. dazu auch Anhang). Wir bemerken, daß dabei semantische Probleme, wie sie etwa durch den finitären Standpunkt aufgeworfen werden (untersucht z. B . von S. C. K l e e n e [1959]), nicht zur Sprache kommen. Der naturgemäß begrenzte Umfang einer Textauswahl veranlaßte uns zu dieser Beschränkung. Für weitergehendes Interesse muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden. XVI
Wesentliche Probleme der Metalogik (in einem in der Einführung zum X I I . Kapitel erläuterten Sinne des Wortes) werden im VIII., IX., X. und X I . Kapitel behandelt. Das Thema des VII. Kapitels ist die Regellogik, während das II. Kapitel Texte aus jener Entwicklungsphase der modernen Logik enthält, die man heute als die Periode der „Algebra der Logik" bezeichnet. In mehr informativer Form ist das I. Kapitel neben J . J u n g i u s vor allem den beiden bedeutendsten Vorläufern der modernen Logik gewidmet: G. W. L e i b n i z und B. B o l z a n o . Mit der Spiegelung an der klassischen Logik haben wir zwar eine Begründung gegeben, warum wir die einzelnen Themen zur modernen Logik rechnen, aber keinesfalls eine Definition dieses Terminus. Das ist das eine. Zum anderen ist diese Spiegelung zwar für unsere Zwecke recht nützlich, aber bietet sicherlich keine ausreichende Möglichkeit, um durch sie einen allgemeinen Leitfaden zur Klassifikation alles dessen zu finden, was den Bestand der modernen Logik ausmacht oder gar ausmachen kann. Die Spiegelung gibt nur eine erste, noch grobe Einteilung eines sozusagen an den Rändern noch offen bleibenden Feldes gegenwärtiger logischer Untersuchungen, die keinen wertenden Einfluß auf die Kapitelfolge hat. Der Umfang der gegenwärtigen logischen Forschungen ist wesentlich größer, als es in der Textauswahl zum Ausdruck kommt. So haben wir in Hinblick auf die mit dieser Textauswahl verfolgte Aufgabenstellung Abstand genommen von der Aufnahme von Arbeiten, die in speziell mathematische Theorien führen. Weitgehend durchgearbeitete Bereiche wie die Definitions- und Klassifikationslehre konnten ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Dasselbe gilt von den ständig wachsenden Anwendungen der Logik in Wissenschaft und Technik. Eine weitere wesentliche Einschränkung der Textauswahl besteht darin, daß sie sich ausschließlich auf die deduktive Logik beschränkt. Der begrenzte Umfang unserer Textauswahl würde nur eine bruchstückhafte Berücksichtigung weiterer Gebiete der modernen Logik zulassen, deren Wert im Hinblick auf ihre Zielstellung nur sehr gering wäre. Sowohl die Geschichte als auch der gegenwärtige Entwicklungstand z. B. der induktiven Logik müssen daher einer besonderen Textsammlung dieser Art vorbehalten bleiben. Die vorliegende Textauswahl widmet den semantischen Fragen der modernen Logik besonderes Augenmerk. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dabei die Tarskische Arbeit: „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen". So, wie sie vorliegt, ist sie zu lang und hätte bei einer Aufnahme in das Kapitel X I I die Proportionen der einzelnen Kapitel zueinander verschoben. Zu einer nur auszugsweisen Wiedergabe konnten wir uns nicht entschließen. Um sie aber auch nicht wegfallen lassen zu müssen, haben wir sie als Anhang der Textsammlung angefügt und, darauf möchten wir den Leser aufmerksam machen, ohne Angleichung an die moderne Orthographie und ebenso fast ohne Berichtigung ihrer Druckfehler nachgedruckt. Wo ausnahmsweise eine solche Korrektur erfolgte, wird die ursprüngliche Textstelle in eckigen Klammern folgend angegeben. Sofern es nur um einen allgemeinen Einblick in die semantische Grundlegung der klassischen modernen Logik geht, sei der Leser auf die im Kapitel X I I nachgedruckten Arbeiten von A. T a r s k i verwiesen. Karel Berka 2
Berka-Kreiser
Lothar
Kreiser XVII
I
Zur Geschichte der Logik Das Verständnis des Logischen hat sich in unserem Jahrhundert in tiefgreifender Weise verändert. Im Hinblick auf die Fülle der Themen, die noch bis in die dreißiger Jahre wie selbstverständlich unter dem Titel „Logik" geführt wurden, erscheint diese Veränderung heute wie die radikale Ausästung eines Baumes, und es fehlt nicht an Stimmen, die Schere und Säge von unbefugter Hand an falscher Stelle angesetzt sehen (vgl. z. B. G. J a c o b y [1962]). Und doch, um im Bilde zu bleiben, nicht seiner Früchte, sondern des überwuchernden Laubes wegen, durchsetzt von dürrem Holze, drohte der durch Jahrtausende gewachsene Stamm der Logik, dessen Hauptwurzeln im griechischen Kulturkreis der Antike liegen, im Sturmwind der neuen Entwicklung des wissenschaftlichen Erkennens auseinander zu brechen, seiner Gestalt verlustig zu gehen, wie H. S c h o l z ([1981], 2. Auflage, S. 21) sagt. Nur dem ersten Anschein nach auf das dürre Gestrüpp eines Kalküls zurechtgestutzt, treibt das Kernholz nunmehr einen fruchtbringenden Zweig nach dem anderen, Lichtung um Lichtung den neuen Gestaltungsprinzipien gemäß ausfüllend. Die Frage nach den Prinzipien der neuen Gestaltungsform jedoch, die Frage sozusagen nach der natura naturata, zwingt dazu, aus dem Bilde herauszutreten. Die Frage ist kurz gesagt die: Wie lassen sich in Vergangenheit und Gegenwart hervorgebrachte Erkenntnisresultate, einschließlich ihrer Begründungsverfahren, als zur Logik gehörig in eine auch für die Zukunft offene Klassifikation bringen? Die Antwort hängt vom Verständnis des Logischen ab, und das ist nicht ein für allemal außerhalb seines Erkennens gegeben. H. S c h o l z entnahm die Kriterien einer historischen Standortbestimmung der Logik ihrer neuesten Entwicklungsgestalt, der mathematischen Logik (Logistik). Sie galt ihm als die gegenwärtig reifste Erkenntnis des Logischen ([1931], 2. Auflage, S. 21). Damit wird die Geschichte der Logik Vorgeschichte der Logistik. Eine gewisse Berechtigung kann dieser Sichtweise nicht abgesprochen werden. Es darf nur der geschichtliche Prozeß in der Rückschau nicht einfach als die Verteilung einer Menge von Persönlichkeiten in einer Ebene verflacht verstanden werden, mit der Dimension der Zeit einerseits und der Dimension einer Annäherung jeweiliger logischer Anschauungen an die Logistik andererseits. Eine solche platte Geschichtsauffassung kann man H . S c h o l z auf keinen Fall nachsagen. Einer anderen Gefahr hingegen ist er, zumindest in der angeführten Arbeit [1931], nicht ganz entgangen. Aus zeitbedingter Problemsicht (aber welche könnte man auch sonst haben?) ist es leicht möglich, zu Überhöhungen von zwar gegenwärtigen, nicht aber für das Logische selbst relevanten Aspekten seines Erkennens zu kommen. E s ist der Kalkül, der sich bei H. S c h o 1 z aus einem Mittel in den eigentlichen Gegenstand logischer Erkenntnis zu verwandeln droht. Wie aber ist uns Logisches gegeben? Auf Logisches ist nicht wie auf einen beliebigen Gegenstand, der unser Wahrnehmen auslöst, hinweisbar. Empirisch ist es nicht unabhängig von einer das Erkennen leitenden Theorie aufweisbar. I n Rücksicht darauf wird von einer Theorie T gesagt, sie habe Logisches zum Gegenstand, wenn die 2*
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Sätze von T ihrem ausgedrückten Sinn nach Aussagen sind über eine nicht leere Menge (sprachlich irgendwie) mitteilbarer Gedanken mit bestimmten Eigenschaften sowie bestimmten Beziehungen zwischen diesen Eigenschaften derart, daß alle Theoreme von T wahre Aussagen über eindeutig ausgezeichnete Eigenschaften sind, oder die Sätze von T ihrem Sinn nach Aussagen über ein n-Tupel von Theorien der eben definierten Art sind (n > 1). Eine Theorie der ersten Art heißt eine empirische logische Theorie, und eine Theorie der zweiten Art, also eine Theorie, in der über mindestens eine empirische logische Theorie ausgesagt wird, heißt eine abstrakte logische Theorie oder auch eine metalogische Theorie. Erlaubt der Kontext von dieser Unterscheidung abzusehen, so wird schlechthin von einer logischen Theorie gesprochen. Zwei empirische logische Theorien Tj und T 2 sind bedeutungsgleich genau dann, wenn es einen Isomorphismus zwischen beiden Theorien gibt, bei welchem sich die Theoreme von Tj und T 2 eineindeutig entsprechen. Logisches unterscheidet sich für das Erkennen demnach über die Bedeutungsverschiedenheit empirischer logischer Theorien. An der gegebenen Definition einer logischen Theorie ist wesentlich, daß Logisches etwas mit irgendwie mitteilbaren Gedanken Verbundenes ist. Das schließt nicht aus, daß ein als sprachliches Ausdrucksmittel in einer logischen Theorie entwickelter Kalkül außer in Gedanken in noch anderen Bereichen ein Modell (erfüllende Interpretation) besitzt, denn nicht diese Sprache ist der gegebenen Bestimmung gemäß das Logische; sie ist die syntaktische Abbildung einer Art von Logischem. Das Vorhandensein einer Interpretation eines Kalküls über einem Bereich von Gedanken und über einem Bereich, der keine Gedanken enthält (sondern z. B. elektrische Schaltungen), besagt aus kybernetischer Sicht, daß gleiche Steuerungs- und Regelungsgesetze in ansonsten ihrer Natur nach verschiedenen Bereichen vorliegen. Man kann deshalb auch so tun, als ob man durch Analyse von Prozeduren in Bereichen, die keine Gedanken sind (etwa ,reinen' Sprachzeichen als bloßen materiellen Gebilden), zu Einsichten in .Logisches gelangen könne. Das Verfahren geht äußerlich nur deshalb auf, weil wenigstens sein Konstrukteur schon eine metalogisch formulierte Hypothese über Logisches hat, durch die er sich leiten läßt. Die Last der gegebenen Definition hat der im Definiens vorkommende Begriff des Gedankens zu tragen. Er, wie auch der Begriff Sinn, wird hier in der von G. Frege ([1892], [1966], [1973], [1976]) gewiesenen Richtung verstanden (vgl. zu dieser Auslegung auch L. K r e i s e r [1979], [1979a], sowie auch XII). Die algebraische Charakterisierung einer strukturierten Gedankenmenge ist eine, wenn möglich, erstrebenswerte Form der Beschreibung von Logischem, aber durch die Definition einer logischen Theorie nicht notwendig gefordert. Die Definition läßt ferner offen, wie Logisches im Gedanklichen existiert. Ob dementsprechend zur Einsicht in ein Logisches als Objekte sprachlich präsente Gedanken, des Näheren als Aussagen ausgewiesen, in Rücksicht auf ihre wahrheitsfunktionalen Zusammenhänge zu analysieren sind, oder ob die Objekte mit Handlungen korrelierte sinnvolle Sprechakte sind, das ist für sie eine ebenso untergeordnete Frage wie die, was alles in eine metalogische Theorie aufgenommen werden kann, um von hier aus eine empirische logische Theorie so weit als möglich als Prozedur von Handlungen aufzubauen. Nur das sei noch bemerkt. Die Tatsache, daß es logische Theorien gibt, weist 2
darauf hin, daß die Eigenschaften von mitteilbaren Gedanken nicht minder als die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen konstanter Natur sind. Eine vollständig ausgedrückte Aussage, die wahr ist, behält diese Eigenschaft, wann, wo und von wem auch immer reproduziert und ob von ihm in dieser Eigenschaft gewußt oder nicht gewußt. In der marxistisch-leninistischen Philosophie wird dieser Tatbestand durch die erkenntnistheoretische Kategorie der Objektivität der Wahrheit ausgesprochen. Ein vollständig ausgedrückter Gedanke, der nur mit Wahrscheinlichkeit behauptbar ist, hat zum Zeitpunkt seines Behauptens genau einen Wahrscheinlichkeitsgrad. K a n n der Wahrscheinlichkeitsgrad mit der Zeit erhöht werden, so entspricht dem eine Folge verschiedener Gedanken, die zwar sinn-, aber nicht bedeutungsgleich sind. Auf diese Weise kann eine logische Theorie auch Veränderung, Bewegung erfassen. Die Geschichte der Logik umfaßt alle Erkenntnisbemühungen, die im Themenkreis einer gegebenen logischen Theorie oder mehrerer gegebener logischer Theorien liegen, mögen sie auf inhaltliche Erweiterung, Verbesserungen aller Art oder auf metalogische Untersuchungen hinauslaufen. Die Geschichte der Logik umfaßt aber natürlich auch solche Erkenntnisbemühungen, die auf das theoretische Erfassen einer neuen Art von Logischem zielen, gleichgültig, ob dieses Bemühen sich zunächst im Rahmen einer letztlich andersartigen Aufgabenstellung vollzieht oder nicht. Denn Problemstellungen, die eine weitere Erkenntnis von Logischem auslösen, entspringen auch aus dem Wechselverhältnis der Logik insbesondere mit anderen Wissenschaften, selbst wenn spätere Analyse findet, daß bereits logische Betrachtungen vorliegen, die sich als in diese Richtung weisend deuten lassen. Wechselbeziehungen entstehen aus der Sicht der Logik durch Anwendungen logischer Erkenntnisse, etwa um eine Menge gegebener physikalischer Aussagen über einen ihnen gemeinsamen Objektbereich zu axiomatisieren oder logische Strukturen juristischer Argumentationsweisen aufzudecken. Solche Bestrebungen gehören zur Geschichte der jeweils anwendenden Wissenschaft, die ihrerseits mit Recht jede dabei erfolgte Modifikation von Einsichten in das Logische der Logik selbst zuweist. Einen erweiterten Begriff von Geschichte der Logik erhält man, wenn man zur Logik noch ihre Geschichtsschreibung und schulmäßige Darstellung hinzunimmt. (Zu Fragen der Geschichtsschreibung in der Logik vgl. noch G. S c h e n k [1980]). So sehr nun auch Persönlichkeiten oder Schulen, die es zu einer ersten und bewußten Formulierung einer logischen Theorie gebracht haben, wie A r i s t o t e l e s , die Stoa oder G. F r e g e , eine geschichtlich herausragende Stellung einnehmen, so wird man, gemäß dem oben Bemerkten, doch nicht jene Bemühungen in einer Geschichte der Logik übersehen, die als eine ihrer Folgen Einsichten in das Logische eröffneten, wie das etwa durch die Eleaten, die Sophisten oder durch P i a t o n geschah. Die versuchte Bestimmung einer logischen Theorie läßt Wissen unter der Bezeichnung „ L o g i k " zusammenfassen; die jeweils historisch gegebene Gesamtheit solchen Wissens macht die Logik aus. Der Name „ L o g i k " ist (jedenfalls bis jetzt) nicht Bezeichnung einer einzigen logischen (Gesamt-) Theorie. Das Erkennen von Logischem ist stets mit einer gewissen Auffassungsweise desselben verbunden. Periodisierungsmöglichkeiten der Geschichte dieses 3
Erkennens ergeben sich, aus zeitlich gehäuft auftretenden Gemeinsamkeiten in Auffassungsweisen des Logischen. Um den tatsächlich geschichtlichen Prozeß logischen Wissens zu erfassen, ist seine Periodisierung gesellschaftlichsozial zu fundieren. In einer ersten, sehr allgemeinen, innere Differenzierungen und Übergänge zunächst unbeachtet lassenden Periodisierung kann man vier zeitlich aufeinander folgende Abschnitte in der Geschichte der Logik unterscheiden: die aristotelische Logik (Antike), die terministische Logik (Mittelalter), die traditionelle formale Logik (Neuzeit) und die theoretische Logik (Gegenwart). Die aristotelische Logik hat die von A r i s t o t e l e s entwickelten Einsichten in Logisches zur Grundlage. Er formuliert diese Einsichten in seinen, unter der Bezeichnung ,,Organon" zusammengefaßten Schriften ( A r i s t o t e l e s [1975]). Da er als erster eine empirische logische Theorie schuf, wird er als Begründer der Wissenschaft Logik angesehen. Logisches stellt sich A r i s t o t e l e s dar in Begriffsbeziehungen, und es ist in einer nur wahre oder falsche Aussagen umfassenden Rede enthalten, wenn diese unter einen gültigen Syllogismus oder eine Folge gültiger Syllogismen fällt. Die Gültigkeit eines Syllogismus beruht auf der Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch, des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten und des Identitätssatzes. Die Gültigkeit wiederum dieser Sätze wird nach A r i s t o t e l e s durch die Ontologie, die philosophische Lehre von dem Seienden, insofern es ist, gerechtfertigt. Das Logische dieser Auffassung nach ist also nur Anderssein von Strukturbeziehungen zwischen Klassen von an sich Seiendem, auf welche sich die Begriffe als ihrem jeweils Allgemeinen beziehen. Seiner Auffassungsweise von Logischem zufolge ist Logik für A r i s t o t e l e s sowohl Organon als auch philosophische Disziplin. Die Zuordnung zur Philosophie wird, wenn auch mit wechselnden Begründungen, bis in die Neuzeit beibehalten. Geschichte der Logik ist so im großen Umfange zugleich auch Geschichte der Philosophie. Erst in der Gegenwart wird Logik auch als nichtphilosophische Wissenschaft anerkannt. Das hängt auch mit einer Veränderung dessen zusammen, was unter „Philosophie" verstanden wird. In Rücksicht auf die marxistisch-leninistische Philosophie hat man gute Gründe, die theoretische Logik ihr nicht als Teildisziplin einzuordnen. Sie ist ihr ein Organon, aber das ist sie für jede andere Wissenschaft auch. Die Periode der aristotelischen Logik schließt auch die (in heutiger Sprechweise) aussagenlogischen Bestrebungen der Stoa ein, deren Verbindung mit den logischen Lehren von A r i s t o t e l e s ein bevorzugtes Thema neuplatonischer Kommentatoren in der Spätantike war. Mit dem Ausdruck „terministische Logik" wird „die eigentliche Neuschöpfung des Mittelalters" ( J . P i n b o r g [1972], S. 14) auf dem Gebiete der Logik bezeichnet. An ihrer Ausarbeitung haben u . a . P e t r u s H i s p a n u s , W i l h e l m v o n S h y r e s w o o d und R o g e r B a c o n mitgewirkt, an ihrer späteren Synthese mit der aristotelischen Logik vor allem W i l l i a m von O c k h a m und J o h a n n e s B u r i d a n u s . Gefördert durch den Nominalismus (vgl. dazu z. B . N. I. K o n d a k o w [1978], Stichwort Nominalismus bzw. Logik, traditionelle), wird das Logische nicht mehr in Seinsstrukturen, sondern allein in Sprachstrukturen einer Gebrauchssprache realisiert gesehen, was vornehmlich durch semantische und syntaktische Untersuchungen am Beispiel der 4
lateinischen Sprache dargestellt wird. In der Auffassungsweise des Mittelalters ist Logik „die Lehre von der Wahrheit und Falschheit der Sprache (De sermone vero et falso, wie man in der Frühscholastik formuliert) oder die Lehre von den Zeichen als Zeichen, d. h. von der Metasprache, die der Intellekt geschaffen hat, um über die Struktur der Erkenntnis und der Sprache reden zu können (De entibus rationis oder de secundis intentionibus, wie es in der Hochund Spätscholastik heißt)" (J. P i n b o r g [1972], S. 12). Die Rechtfertigung der Universalität und der allgemeinen Gültigkeit von Logischem hatte A r i s t o t e l e s zu einem Rückgriff auf seine Metaphysik veranlaßt. Durch die Verlagerung des Logischen in das Sprachliche stellt sich die Frage nach einer Rechtfertigung der Verbindlichkeit des Logischen für alle Benutzer einer Sprache, welche in sich dieses Logische enthält, auf eine neue Weise. Die mit dem gesellschaftlichen Umbruch einhergehende Aufwertung und Neubelebung der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften und der Mathematik, verschärft und erweitert die Problemstellung, indem an logisches Wissen noch die Forderung des Nachweises seiner Nützlichkeit für das wissenschaftliche Erkennen hinzutritt. Die Wegbereiter der traditionellen formalen Logik, F r a n c i s B a c o n und D e s c a r t e s , beantworten diese Frage durch Verwerfung aller bisherigen Logik. F r . B a c o n preist an ihrer Stelle die (zu schaffende) induktive Logik, und D e s c a r t e s ersetzt sie durch seine Methodenlehre. Die durch die programmatischen Ideen der Aufklärung getragene neue Auffassungsweise kündigt sich an: Logisches ist nicht in an sich seienden Strukturen zu suchen, mögen sie als der Realität oder der Sprache zugehörig betrachtet werden; Logisches ist vielmehr Produkt und Norm des menschlichen Denkens. Logik wird Denklehre, und das jeweils hinzutretende Adjektiv, wie z. B. normative, richtige, vernünftige, wahrheitsfindende (Logik), deutet an, worin der Geltungsgrund für das Logische in seinem wechselnden Schwerpunkt innerhalb dieser allgemeinen Auffassung gesehen wird. Logisches ist Gesetzmäßigkeit allein zwischen Eigenschaften von Denkfähigkeiten, Geistestätigkeiten, Denkfunktionen, oder wie auch immer bezeichnet. Die sogenannte „Logik von Port R o y a l " ( A n t o i n e A r n a u l d und P i e r r e N i c o l e ) hat im Anschluß an D e s c a r t e s diese Auffassung zum ersten Male am deutlichsten und am nachhaltigsten mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht: „Die Logik ist die Kunst, seine Vernunft in der Erkenntnis der Dinge gut zu leiten, sowohl um sich selbst zu unterrichten als auch um darüber die anderen zu belehren. Diese Kunst besteht in den Überlegungen, die die Menschen über die vier Haupttätigkeiten ihres Geistes, das Vorstellen, das Urteilen, das Schließen und das Anordnen angestellt haben" (A. A r n a u l d [1972], S. 25). Der Bezug auf das Denken (statt auf die Gedanken, unabhängig vom hervorbringenden Denken betrachtet) ordnet die Logik ein in den Umkreis aller auf die Erforschung von Denken gerichteter Untersuchungen, vor allem psychologischer, gnoseologischer und methodologischer Art. Wenn auf der einen Seite dabei das Logische oftmals seine Eigenständigkeit verliert und nur noch als spezieller, abrundender Aspekt in Problemstellungen auftritt, die im Grunde anderen Wissenschaften als der Logik eigen sind, so kommt es doch durch diese Einbettung in übergreifende Fragestellungen auf der anderen Seite auch zu Einsichten in Anwendungsgrenzen anerkannten logischen Wissens, insbesondere der Aristotelischen Syllogistik. In diesem Zusammenhang lieferten die besten 5
traditionellen formalen Logiker (wie z.B. A. A r n a u l d , J o h a n n H e i n r i c h L a m b e r t [1764], J o h n S t u a r t Mill [1843]) Beiträge zur Logik, durch welche die traditionelle formale Logik das Recht für sich in Anspruch nehmen, kann, eine Periode in der Geschichte der Logik darzustellen. Gleich am Anfang dieser Periode steht mit ein Werk, welches diese fruchtbare Seite im hervorragenden Maße repräsentiert: Die Logica Hamburgensis von J o a chim J u n g i u s [1957]. Dieses von G. W. L e i b n i z hochgeschätzte Werk gibt eine Behandlung der Relationen, die wert ist, mit ihr die nachfolgenden Textauszüge zu beginnen (I. 1.). Daß die Logica Hamburgensis am Ende einer Darstellungsperiode logischen Wissens steht, die durch die scholastischen Summulae logicales gekennzeichnet ist, hat ihre Wirkungsgeschichte eingeschränkt. Aber die „stilgeschichtlich überholte Gestalt der Logica Hamburgensis" entsprang den Zwängen, denen J. J u n g i u s mit diesem Auftragswerk des Hamburger Scholarchates unterlegen war (vgl. J. J u n g i u s [1957], S. XVIff.). Ein Vergleich der Logica Hamburgensis mit der bereits erwähnten Logik von Port Royal: La Logique ou l'art de penser läßt die beiden Grundtendenzen innerhalb der traditionellen formalen Logik erkennen. Die eine Tendenz ist die Herabsetzung der aristotelischen Logik insgesamt, verbunden mit dem Versuch, in den so entstandenen Freiraum eine neue, mehr oder minder berechtigt als logisches System bezeichnete Lehre einzufügen. Die andere Tendenz besteht in einer Weiterarbeit auf der Grundlage eben dieser aristotelischen Logik, mit mehr oder minder starker Modifizierung oder gänzlicher Verwerfung nur ihrer Ontologie. J o a c h i m J u n g i u s gehört dieser, J o h n S t u a r t Mill der anderen Tendenz an. Aus der durch J. J u n g i u s repräsentierten Tendenz ragen mit G. W. L e i b n i z und B. B o l z a n o zwei Persönlichkeiten heraus, die in ihren logischen Anschauungen diejenigen der traditionellen formalen Logik in einer auf die Neuzeit gerichteten Weise übersteigen. Das 19. Jahrhundert ist die Blütezeit von Systemen der traditionellen formalen Logik, die der durch J. St. Mill vertretenen Tendenz angehören. Aber etwa um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts beginnt sich spürbar das theoretische Umfeld der Logik zu verändern, sowohl durch eine sich zunehmend auffächernde Wissenschaftsentwicklung als auch durch den sich anbahnenden Prozeß der Bildung von Theorien mit Theorien als Modellen bedingt. In ihrem Bemühen um theoretische Begründung gewonnener Erkenntnisse ist es die Mathematik, die nicht nur neue Anforderungen an die Logik stellt, sondern sogleich auch in Gestalt der Algebra der Logik (II.) von 'ihr Besitz ergreift. Eine neue Auffassungsweise des Logischen beginnt sich, freilich noch auf unadäquate Weise, Geltung zu verschaffen. Wenn es auch G. F r e g e vorbehalten bleibt, der richtigen Fassung in Gestalt der klassischen Logik (III.) Ausdruck zu geben, die neue, gegenwärtige Periode der Logikentwicklung beginnt mit den Arbeiten von A. De Morgan und vor allem G. Boole. Aus der Sicht der klassischen Logik (als einer Realisierungsform der Auffassungsweise des Logischen in der Periode der theoretischen Logik) werden die logischen Einsichten von G. W. L e i b n i z und B. B o l z a n o in ihrer grundlegenden Bedeutung für eben diese Auffassungsweise erkennbar. Die voraufgehende Periode der Logikgeschichte konnte sie nicht in sich aufnehmen, sie hat sie daher unbeachtet gelassen. Die Mehrzahl der logischen Werke von G.W. 6
L e i b n i z ist erst zu Beginn unseres Jahrhunderts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, ein Verdienst von L. C o u t u r a t [1901]. Weitere Literatur: Th. Z i e h e n [1920]; F. E n r i q u e s [1927]; J. J o r g e n s e n [1931]; Ph. B o e h n e r [1952]; O. B e c k e r [1957]; T. K o t a r b i n s k i [1957]; C. P r a n t l [1957]; P. S. P o p o v [i960]; W. K n e a l e - M. K n e a l e [1962]; W. R i s s e [1964], [1970]; E. K a p p [1965]; N. I. S t j a i k i n [1967]; K. B e r k a [1970], [1977]; G. S c h e n k [1973]; M. F r e d e [1974]; P. S. P o p o v - N. I. S t j a i k i n [1974]; F. K u r t [1978], [1978a]; A. S e i f e r t [1978].
Drei Forderungen sind es im wesentlichen, die G. W. L e i b n i z an die von ihm angestrebte neue Logik, die mathesis universalis (logistica oder logica mathematica) stellt (1.2.): Erstens den Aufbau einer characteristica universalis, d. h. eines Zeichensystems, dessen Grundzeichen Charaktere von Grundbegriffen sind und deren Kombination die Charaktere aller anderen Begriffe ergeben soll; zweitens die Bildung eines calculus ratiocinator, d. h. eines Kalküls, der eine rein rechnerische Behandlung aller in den Zeichen der characteristica universalis ausgedrückten Aussagen gestattet und drittens die Formulierung einer ars iudicandi, d. h. eines Verfahrens, durch das in bezug auf beliebige, in den Zeichen der characteristica universalis ausgedrückten Aussagen entschieden werden kann, ob sie wahr oder falsch sind (vgl. H. S c h o l z [1931], [1942], [1961]; G. S c h i s c h k o f f [1947], R. K a u p p i [i960]). G. W. L e i b n i z hat seine Forderungen in Arbeiten aus den Jahren 1679, 1686 und 1690 zu realisieren versucht (vgl. K. D ü r r [1930], [1947]). Historisch tritt das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " (H. Scholz) verschiedentlich wieder auf, so bei Chr. W o l f f (1679-1754), J . A. v o n S e g n e r (1704-1777), G. P l o u c q u e t (1716-1790), J . H. L a m b e r t (1728-1777), G. J . v o n H o l l a n d (1742-1784), G. F. C a s t i l l o n (1747-1814) und S. M a i m o n (1753-1800). Die erste Gestalt der modernen Logik, die Algebra der Logik, entstand jedoch unabhängig von diesem „ L e i b n i z - P r o g r a m m " . Wird das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " auf die Logik eingeschränkt, so entspricht innerhalb der modernen Logik der ersten Forderung die Aufstellung eines Systems von Definitionsregeln, der zweiten Forderung die Bildung eines Logikkalküls und der dritten Forderung die Formulierung eines Entscheidungsverfahrens in bezug auf Ausdrücke dieses Kalküls. Aber auch bei Einschränkung auf die Logik läßt sich dieses Programm nicht realisieren. Die mathesis universalis würde dann nämlich ein Entscheidungsverfahren enthalten, mit dessen Hilfe man alle zur Diskussion stehenden semantischen Fragen sozusagen rein rechnerisch beantworten könnte. Auf Grund der Dialektik von relativer und absoluter Wahrheit ist es vom Standpunkt der marxistischen Philosophie von vornherein als unmöglich anzusehen, ein solches, die Logik insgesamt umfassendes Programm positiv zu lösen. Die auf K. G ö d e l zurückgehenden Erkenntnisse haben das bestätigt und gezeigt, daß schon in bezug auf die deduktive Logik das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " nicht realisierbar ist (vgl. X.) Das bedeutet aber nicht, daß bei weiterer Einschränkung das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " nicht realisierbar wäre, es also nicht Teilgebiete der Logik gäbe, in denen von jeder einschlägigen Formel durch ein 7
Entscheidungsverfahren (X.) feststellbar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen sie wahr oder falsch ist. Das ist z. B. in der klassischen Aussagenlogik der Fall. Ebenso wie G. W. L e i b n i z hatte auch B. B o l z a n o keinen unmittelbaren Einfluß auf die weitere Entwicklung der modernen Logik ausgeübt. Die Bedeutung seiner Wissenschaftslehre [1837] wurde zuerst von E. H u s s e r l [1900—1901] erkannt, sie erfuhr aber erst durch W. D u b i s l a v [1931a] und H. S c h o l z [1937] eine richtige Bewertung. (Vgl. noch Y. B a r - H i l l e l [1952], G. B u h l [1961] und J . B e r g [1962]). Den wichtigsten Beitrag B. B o l z a n o s finden wir in seinen Untersuchungen über die Ableitbarkeit und die Abfolge (I. 3.), die von denselben Begriffsbildungen ausgehen, wie die später völlig unabhängigen Untersuchungen von G. G e n t z e n (VII. 1.) und A. T a r s k i (XII. 4.). Zwischen dem Folgerungsbegriff von B. B o l z a n o und dem von G. G e n t z e n sowie A. T a r s k i bestehen jedoch gewisse Unterschiede. Für B. B o l z a n o f o l g t M, N, 0 , ... aus A, B, C, . . . gerade nur dann, wenn (1) jedes (semantische) Modell von A, B, C , . . . auch ein Modell von M und N und 0 und . . . ist; mit anderen Worten, wenn jeder der Schlußsätze M, N, 0 , ... aus den Prämissen A, B, C , . . . einzeln ableitbar ist. Und (2), wenn die Prämissen der Grund für die Schlußsätze sind. B. B o l z a n o , der damit einen sehr starken Folgerungsbegriff einführte, würde offensichtlich das Ableiten aus einer widerspruchsvollen Prämissenmenge — entsprechend der Formel CKpNpq — ablehnen. Für A. T a r s k i hingegen ist bereits die erste Bedingung zur Definition des Folgerungsbegriffes hinreichend. Um von einer Folgerungsbeziehung im Sinne von G. G e n t z e n sprechen zu können, genügt es, wenn es zu jedem (semantischen) Modell von A, B, C , . . . ein (semantisches) Modell von einem der M, N, O , . . . gibt, oder anders, wenn wenigstens einer der Schlußsätze aus der Prämissenmenge ableitbar ist. Der Folgerungsbegriff von G. G e n t z e n ist allgemeiner. Enthält jedoch die Folgerungsmenge gerade nur einen Schlußsatz, sind das Bolzanosche und das Gentzensche Folgern identisch (vgl. K. S c h r ö t e r [1955—1958], I, 60f.). B. B o l z a n o erkannte auch, daß der Folgerungsbegriff nur dann exakt festgelegt werden kann, wenn man entscheiden kann, welche Begriffe logische Begriffe sind. Dieses fundamentale Problem der logischen Semantik, das sowohl zur scharfen Unterscheidung von Logik und Mathematik wie auch für eine philosophische Grundlegung der Logik von größter Bedeutung ist, konnte in der modernen Grundlagenforschung (J. G. K e m e n y [1948], [1956]; A. D. G e t m a n o v a [1959]) bisher nur teilweise positiv gelöst werden. In seiner Klassifikation von Aussagen findet man ferner schon zwei wichtige Bestandteile der modernen Semantik. Erstens eine Einteilung von Aussagen in allgemeingültige („allgemeingültige", „vollgültige"), z. B. „Der Mensch Cajus ist sterblich"; unerfüllbare („allgemein- oder durchaus ungültige"), z. B. „Der Mensch Cajus ist allwissend", und solche, die weder das eine noch das andere sind, wie z. B. „Das Wesen Cajus ist sterblich" ([1837], Bd. II, § 147, S. 78f., S. 82). Die veränderliche Vorstellung, d. h. diejenige Vorstellung im jeweiligen Satz, die als veränderlich angesehen wird, ist in allen angegebenen Beispielsätzen die mit ,Cajus' bezeichnete Vorstellung. Bedingung für den einzusetzenden Namen einer Vorstellung ist, daß sie gegenständlich ist, d. h., daß mindestens ein Gegenstand durch sie vorgestellt wird. 8
Zweitens eine Unterscheidung von „analytischen Sätzen in der engeren Bedeutung" („logisch analytische", „identische", „tautologische Sätze"), z. B. „A ist A", und analytischen Sätzen „in der weiteren Bedeutung" („bloß analytische"), z. B. „Ein Mensch, der sittlich böse ist, verdient keine Achtung" ([1837], Bd. II, § 148, S. 84). Für diese Einteilung gibt B . B o l z a n o eine Begründung, die mit der von W. O. Quine [1953] in gleicher Weise vorgenommenen Einteilung weitgehend übereinstimmt. Ergänzende Literatur: J . J 0 r g e n s e n [1931]; T. K o t a r b i r i s k i [1957]; P. S. P o p o v [i960]; W. K n e a l e - M. K n e a l e [1962]; N. I. S t j a i k i n [1967],
I. 1 J. Jungius
Logica
Hamburgensis* | VIII.
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Tom Prädikament der Relation im allgemeinen.
1. Das Prädikament1] der RELATION wird von den Griechen xaT7)yopia TWV 7tpo? TI genannt, d. h. Kategorie jener (Dinge), die in Bezug stehen zu etwas. 2. Es besitzt nämlich diese Kategorie das Eigentümliche, daß der größte Teil jener (Dinge), die in ihr enthalten sind, zweckmäßiger durch konkrete Begriffe als durch abstrakte ausgedrückt werden. 3. Relate (TOC 7tp6? TI) nennt man solche, von denen gilt, daß sie das, was sie sind, für andere sind, oder die sich in irgendeiner Weise oder irgendeinem Fall auf anderes beziehen. 4. Die Relation, auch Verhältnis oder Bezugnahme geheißen, ist ein Akzidens, dem gemäß man sagt, ein Subjekt sei auf etwas bezogen, wie z. B . Herrschaft eine Relation ist, weil Simo, welcher Subjekt der Herrschaft ist, oder dem die Herrschaft als einem Subjekt inhäriert, diesem Akzidens zufolge der Herr des Davus genannt wird; ebenso ist Knechtschaft eine Relation, weil ihr zufolge Davus, dem die Knechtschaft als einem Subjekt inhäriert, der Knecht des Simo genannt wird. Und ebenso ist Gleichheit eine Relation, weil ihr zufolge die Linie, die Subjekt dieser Relation ist, hinsichtlich einer arideren Linie gleich genannt wird. 5. Terminus (Grenze) der Relation ist jene Sache, die die Relation in Betracht zieht, oder auf die sich das Relatum bezieht, oder das, in dem die Relation selbst ins Ziel kommt, wie z. B. Terminus der Herrschaft, die in Simo ist, Davus ist, und umgekehrt: Terminus der Knechtschaft, die in Davus ist, Simo ist, und ebenso ist Terminus der Gleichheit, gemäß dem man sagt, daß eine dreieckige Fläche einer quadratischen gleich sei, die quadratische Fläche-, Terminus aber der Gleichheit, gemäß dem man sagt, daß eine quadratische Fläche einer dreieckigen gleich sei, ist die dreieckige Fläche. 9
6. Korrelate sind zwei Relate, welche Subjekte und Termini unter sich vertauschen, oder von denen das Subjekt des einen, Terminus des anderen ist und umgekehrt. So sind Vater und Sohn Korrelate, weil z. B. David, Subjekt der einen Relation, das die Philosophen Vaterschaft nennen, Terminus der anderen Relation ist, die sie Sohnschaft nennen und die in Salomon ist; umgekehrt ist Salomon Terminus der Vaterschaft, die in David ist. Ebenso sind Lehrer und Schüler für einander Korrelate, weil Subjekt der früheren Relation, z. B. Aristoteles, Terminus der späteren Relation ist; und umgekehrt ist Alexander, der Subjekt der späteren Relation ist, Terminus der früheren. 7. Korrelate sind unter sich entweder von gleicher oder von verschiedener Art. 8. Korrelate von gleicher Art oder gleichförmige Korrelate sind die, welche, insoweit sie Relate sind, derselben Definition oder Wesenheit angehören. So wenn z. B. ein Quadrat einem Dreieck, und umgekehrt dieses jenem gleich ist, Korrelate von gleicher Art vorliegen, weil man jedes von beiden bezüglich des anderen im selben Sinn gleich nennt. 9. Korrelate von verschiedener Art, der Art nach differente oder ungleichförmige Korrelate nennt man die, welche verschiedene Definitionen besitzen, wie z. B. Knecht und Herr | Korrelate verschiedener Art sind, weil die Definition des Herrn eine andere ist als die des Knechts; ebenso sind Überfluß und Mangel; Lehrer und Schüler; Befehlender und Gehorchender; Großvater und Enkel Korrelate verschiedener Art. 10. Die Korrelate der gleichen Art werden von den mittelalterlichen Philosophen Relate der Aequiparanz genannt; solche von differenter Art aber Relate der Disquiparanz. 11. Korrelate von übereinstimmender Art sind meistens auch Synonyme, d. h. sie werden mit dem gleichen Namen bezeichnet, wie z. B. zwei Gleiche oder zwei Ähnliche. 12. Und von diesen wird bisweilen auch so gesprochen, wie wenn es sich um eine einzige Relation zwischen beiden Beziehungsgliedern handelte, obgleich immer zweierlei Beziehungen aufzufassen sind. So sagen wir z. B. daß eine Freundschaft zwischen Orest und Pylades bestehe, obschon die Freundschaft, die Orest gegenüber Pylades empfindet, eine andere ist als jene, die Pylades dem Orest entgegenbringt. Ebenso steht es beim Vertragsverhältnis zwischen zwei Kaufleuten, bei der Gleichheit zwischen zwei Figuren, oder beim Abstand zwischen zwei Körpern. 2 ] 13. Es kommt auch vor, daß man Korrelate von verschiedener Art oder ungleichförmige Korrelate unter einem gemeinsamen Namen vereinigt, wie z. B. „coniunx" (Ehebund) sowohl vom Gatten als von der Gattin-, „stipulans" (Kontraktpartner) sowohl von jenem, der um den Kontrakt nachsucht, als auch von jenem, der ihn zusichert, gesagt wird. Paronyme oder Denominative werden solche genannt, von denen eines den Namen vom andern übernimmt; Subalterne, von denen eines dem andern untergeordnet ist, oder von denen eines unter dem andern steht; Privativ — entgegengesetzte, von denen eines die Privation des andern ist. 14. Ja selbst bei abstrakten Worten drängt sich diese Homonymität auf, wie man z. B. sagt, daß ein Mandat (Auftrag) zwischen zweien vollzogen wird, obgleich die Verpflichtung des Mandanten eine andere ist als die des Mandatärs; 10
oder wie man von der Bürgschaft zwischen dem (die Bürgschaft) heischenden und dem sie gewährenden; vom Ehebund zwischen dem Gatten und der Gattin spricht. Ebenso drücken auch die Griechen die Relation des Mietens und Vermietens mit einem einzigen Wort (¡¿iaikoa^) aus. 15. Zuweilen sind Heteronyme Korrelate derselben Art. Wie z. B. Bruder und Schwester Relate derselben Art sind, mögen sie auch dem Namen nach verschieden sein; die Definition beider nämlich ist die, daß sie gemeinsame Eltern haben; daß aber das eine männlich, das andere weiblich ist, liegt außerhalb der Wesenheit dieser Relation, weshalb sie auch für die Griechen Synonyme sind. Ebenso ist Knecht und Magd eine Relation gleicher Art, weil dieselbe Relation des Knechts und der Knechtin, der Knechtin und der Magd, des Hausherrn und der Hausfrau besteht. 16. Korrelate werden eigentlich die Relate in concreto genannt; dennoch dehnt man die Bezeichnung auch auf abstrakt gefaßte Relationen selbst aus. So nennt man Tun und Leiden; Überfluß und Mangel; Herrschaft und, Knechtschaft; Recht und Verpflichtung; Besitzen und Besessen-werden Korrelate. 17. Oft bilden mehr als zwei (Glieder) ein Korrelatum, was dann eintritt, wenn die Relation mehrere Termini in Betracht zieht, wie z. B. Exzess, Exzedens und Defiziens; Kautionsstellung, Kaution und Kautionsannahme; Kläger, Angeklagter und Richter; "ebenso bezieht sich ein Miterbe auf den anderen, auf das Erbe selbst und auf den Erblasser.3] 18. Bisweilen ist eines der Korrelate anonym (namenlos), wie z. B. im freien Staatswesen das, was dem Magistraten entspricht, falls man es nicht, mit vielen, Untergebener oder Untertan nennen will, was die Griechen mit ap^cov xai. apxofxsvo? bezeichnen. So ermangelt auch dem Korrelat des Objektes einen Namen. 19. Die Relation ist einerseits eine in der Sache selbst liegende, innerliche, andererseits eine bloß zukommende, äußerliche Relation. 20. Die Dinge selbst, die in einem innerlichen Bezug auf andere bezogen sind, nennt man Relate gemäß dem Gesagtwerden; jene aber, die in einem äußerlichen Bezug stehen, nennt man Relate gemäß dem Sein. |IX. Von der inneren ßelation.
1. Die in der Sache liegende, innere Relation ist jene, die gemäß dem ihr bezüglichen Ding so innerlich ist, daß sie von ihm nicht abgelöst werden kann, oder daß das bezügliche Ding niemals ohne diese Relation auftritt. Sie ist entweder gemeinsam oder eigentümlich. 2. Gemeinsam ist die, welche an kein Prädikament gebunden ist, sondern die durch mehrere Prädikamente sich gleichsam hindurchzieht. Solch eine Relation besteht zwischen Ganzem und Teil, zwischen Subjekt und Inhärierendem, zwischen der inneren Ursache und ihrem Verursachten.4] 3. Das GANZE ist einerseits essentiell andererseits quantitativ. 4. Ein essentielles Ganzes ist jenes, das so aus den seine Wesenheit konstituierenden Teilen besteht, daß sie sich gegenseitig durchdringen und dem Orte nach nicht getrennt sind. Solch ein Ganzes ist der aus Seele und Leib bestehende 11
lebendige Körper-, ebenso jeder beliebige, aus Stoff und Form konstituierte, natürliche Körper. 5. Ein quantitatives Ganzes ist jenes, dessen Teile unter sich und dem Orte nach distinkt sind, oder das außer einander liegende Teile hat. Es ist zweifach : Hinsichtlich seiner Teile gleichgeartet und ungleichgeartet. 6. Das gleichgeartete Ganze ist jenes, dessen Teile von gleicher Art oder Definition mit dem Ganzen sind, wie z. B. Wasser ein quantitatives gleichgeartetes Ganzes ist, weil es außer einander liegende Teile hat und jeder beliebige quantitative Teil von ihm Wasser ist. So sind Feuer, Luft, Holz, Haut, Milch, Blut gleichgeartete quantitative Ganze. 5 ] 7. Das ungleichgeartete quantitative Ganze ist jenes, dessen Teile sich dem Wesen und der Definition nach unterscheiden, wie z. B. der Baum ein ungleichgeartetes quantitatives Ganzes ist, weil er örtlich unter sich distinkte, nach Wesen und Definition verschiedene Teile hat, wie Wurzel, Stamm oder Strunk, Äste, Zweige, Blätter, Blüten, Rinde, Mark. Ebenso ist das Lebewesen ein ungleichgeartetes quantitatives Ganzes, weil es aus Teilen besteht, die sich dem Orte nach gegenseitig unterscheiden, nämlich Kopf, Hals, Brust, Bauch, Beine usw. Und ebenso ist der Kopf wiederum ein ungleichgeartetes Ganzes, weil er aus Augen, Ohren, Mund, Zunge, Nase usw., besteht. 8. I m Quantitativen ist die gerade Linie ein gleichgeartetes quantitatives Ganzes, weil sie nämlich in gerade Linien zerfällt. Die Peripherie ist ein ungleichgeartetes quantitatives Ganzes, sie zerfällt nämlich nicht in Peripherien, sondern in Bogen ; ebenso zerfällt der Kreis nicht in Kreise, sondern in Halbkreise, Quadranten, Sextanten oder andere, durch ihre Definition vom Ganzen abweichende Teile. 9. Auch die Qualität hat auf Grund ihrer Intensität Teile, welche bisweilen Grade genannt werden, wie z. B. eine intensive Wärme mehr Grade hat als eine schwache. 6 ] 10. Der Teil k a n n auch unterschieden werden in einen nächstliegenden und einen fernerliegenden Teil. 11. Nächstliegender Teil ist jener, zwischen den und dem Ganzen kein anderer Teil fällt, so wie die Seele und der Körper nächstliegende Teile des Lebewesens sind. 12. Fernliegender Teil ist jener, der Teil eines Teiles ist, wie z. B. der Kopf und die Füße fernliegende Teile des Lebewesens sind, weil sie Teile des organischen Körpers, der Teil des Lebewesens ist, sind. [ ]7] [431]
IX. Von der äußerlichen Relation. 1. Die äußerliche Relation, die f ü r diese Kategorie eigentümlich ist, ist einerseits einfache, anderseits zusammengesetzte. 2. E I N F A C H E ist diejenige, welche nicht in mehrere Beziehungen aufgelöst werden kann, da sie nämlich aus einem einfachen Fundament hervorgeht. 3. Fundament der Relation, was andere auch gründenden Grund nennen, ist aber das, was Ursache oder günstige Gelegenheit ist, damit eine Relation im Subjekt entspringt. 12
4. Das Fundament ist einerseits gemeinsames oder transzendentes, anderseits das einem bestimmten Prädikament eigentümliche. Deshalb wird die Relation als eine, bald aus dem transzendenten, bald aus dem prädikamentalen Fundament entspringende bezeichnet. 5. TRANSZENDENTES Fundament der Relation ist entweder die Einheit oder die Vielheit. 6. Aus der Einheit entspringt die Identität, d. h. die Übereinstimmung zweier Dinge gemäß der Wesenheit. | 7. Aus der Vielheit entspringt die Verschiedenheit, sonst auch Distinktheit [432J genannt, die eine Nichtübereinstimmung zweier Dinge gemäß der Wesenheit ist. 8. Beide gehen durch alle Prädikamente hindurch, d. h. sie können ein Subjekt aus jeder möglichen Gattung der Seienden haben, denn man nennt sowohl die Substanz bezüglich der Substanz, als die Quantität bezüglich der Quantität, als irgend eines der übrigen Akzidentien bezüglich eines anderen entweder identisch oder verschieden, ja sogar die Relation bezüglich der Relation. 9. Die Grade der Identität und Verschiedenheit werden gemäß den Prädikabilien unterschieden, wie solche identischer sind, die der Zahl als die der Art nach, und solche die der Art als die der Gattung nach, und solche die der untergeordneten als der obersten Gattung nach, identisch sind. 10. Umgekehrt aber sind solche verschiedener, die der obersten als der untergeordneten Gattung nach und die, welche der Gattung als der Art nach und die, welche der Art als bloß der Zahl nach, verschieden sind. 11. Unter den sowohl kontinuierlichen als diskreten Quantitäten ist die (Relation) als Identität wie als Verschiedenheit eine zwiefache: Einerseits gemäß der Determination der Quantität, anderseits gemäß ihrer Art. 12. Diejenige, welche die Identität ist, nennt man auf Grund der Determination Gleichheit oder Parität; aber die Verschiedenheit wird Ungleichheit oder Imparität genannt. Daher sagt man auch, daß die e i n e der unter sich verglichenen Quantitäten größer oder übermäßig sei, die a n d e r e ¿feiner oder unter dem Maß, während die d r i t t e , der Unterschied, das Übermaß oder der Mangel ist. 13. Diejenige, welche der Art gemäß im Quantitativen Identität oder Verschiedenheit ist, behält den gemeinsamen Namen bei, wie z. B. die gerade Linie hinsichtlich der geraden der Art nach dieselbe ist, mag sie auch ungleich sein; die gerade Linie hinsichtlich der gekrümmten kann, auf Grund der Determination gleich sein, mag sie auch gemäß der Art verschieden sein. 14. Diejenige (Relation) zwischen den Qualitäten, welche die Identität ist, wird Ähnlichkeit, diejenige aber, welche die Verschiedenheit zwischen jenen beiden ist, wird Unähnlichkeit genannt. Wie z. B. die gelbe Farbe der gelben ähnlich, der roten unähnlich ist. Ebenso ist die kreisförmige Gestalt der kreisförmigen, die quadratische der quadratischen ähnlich, die kreisförmige der quadratischen aber unähnlich. 15. Zuweilen wird der Begriff der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit so sehr ausgedehnt, daß er die Identität und auch die Verschiedenheit, die zwischen den Tätigkeiten und Leiden, ja sogar den Relationen besteht, umfaßt. 16. Die Paronyme oder Konkreta dieser Relation werden im einen Sinne vom nächstliegenden, im andern Sinne vom fernliegenden Subjekt, d. h. von der Sub13
stanz prädiziert, so daß hier das Homonymische im Hinblick auf das Eine zutrifft, wie z. B . der zylindrische Körper dem sphärischen gleich genannt wird, weil die Körperhaftigkeit oder Größe des Zylinders der körperhaften Größe des Sphäroids gleich ist; ebenso wird ein Baum dem anderen gleich, größer oder kleiner genannt, weil er entweder gleiche, größere oder kleinere Höhe, Dicke oder Massigkeit besitzt im Vergleich zur Höhe, Dicke oder Massigkeit des andern. Ebenso sagt man, daß die Blume der Blume ähnlich oder unähnlich sei, weil entweder Farbe, Gestalt oder Vermögen der einen, der homogenen Qualität der andern, als ähnlich oder unähnlich erfaßt wird. 17. Das aus einem bestimmten Prädikament hergeholte Fundament der Relation ist entweder die Zahl, die kontinuierliche Quantität, die Größe, die Zeit, oder schließlich Tun und Leiden. 18. Die aus der Zahl als Fundament hervorgegangene Relation wird Verhältnis, von den Griechen Xóyo; genannt, wie| z. B . das Doppelte und die Hälfte, bzw. Einzweitel\ das Dreifache und das Drittel, bzw. Eindrittel; das [433] Anderthalbfache und Zweidrittel-, das Vier- \ drittelfache und Dreiviertel usw. Hierher gehören auch die Maße und die Beziehungen des Gemessenen. 19. Die Relation, die ihr Fundament in der kontinuierlichen Quantität besitzt, ist diejenige des Extremen und des Mittleren. 20. Diejenige aber, welche in der Größe fundiert wird, ist die Relation des Konvergierenden, Parallelen, Sekanten, Tangenten, Geraden oder Senkrechten, Schiefen, Angrenzenden oder Nächstfolgenden, der Distanz oder des Intervalls. 21. Die in der Zeit fundierte Relation ist die des Früher, des Zugleich und des Später. 22. Die Kategorie der Relationen des Tuns und Leidens ist äußerst ergiebig, da hier ein Fundament reichlicher vorhanden ist als bei den meisten-andern, weshalb auch die Mannigfaltigkeit der Relationen, gemäß den verschiedenen Arten und Weisen des Tuns und Leidens, eine vielfache ist. 23. Vom Tun als oberster Gattung kommt die Relation der Wirkursache her. 24. Von den Arten des Tuns stammen die Arten und Modi der Wirkursache ab, wie z. B . die des Hervorbringens oder Erzeugern, des Bewahrens, des Instrumentalen, d. h. dessen, das Bewegtes bewegt oder etwas Erlittenes bewirkt; ebenso die des Bewegers, des Urhebers, des Erzeugers. 25. Unter „effizient" wird entweder das verstanden, was bewirken kann, und so mit der inneren Relation des Vermögens zusammenfällt, oder es wird für das genommen, was in Wirklichkeit wirkt, und das zur Kategorie des Tuns gehört, oder es wird schließlich als das aufgefaßt, was bewirkt, und in diesem Sinne endlich ist es eine vom Tun als Fundament herstammende äußerliche Relation. 26. Unter anderen berühmt ist die Einteilung der Relation in eine solche, die man gemäß der Natur und eine solche, die man gemäß der Setzung bezeichnet .[ ]8] [434] | 32. Eine ZUSAMMENGESETZTE äußere Relation ist jene, die aus mehreren Fundamenten entstanden, in mehrere einfache Relationen aufgelöst werden kann; wie z. B . die Relation des Großvaters, des Enkels, des Bruders; der Großvater ist nämlich der Vater des Vaters; der Enkel ist der Sohn des Sohnes; der Bruder, der die gleichen Eltern hat. Ebenso der Mitknecht, der denselben Herrn hat. 14
33. Die zusammengesetzte Relation ist zwiefach; entweder entsteht sie nämlich aus homogenen bzw. gattungsgleichen Fundamenten, oder aus heterogenen Fundamenten. 34. Aus gattungsgleichen Fundamenten, wie z. B. aus der Gattung der Tätigkeit, Großvater und Enkel; ebenso ist Freund der, welcher Wohlwollenden wohlwill. Oder z. B. aus der Kategorie der Quantität: Hoher ist das, was vom Erdmittelpunkt weiter entfernt ist; tiefer, was ihm näher liegt.9] 35. Aus gattungsverschiedenen Fundamenten hervorgegangene Relationen sind: Kollegen und Genossen-, Kollegen nämlich sind die, welche vom gleichen Amt sind; Genossen die, welche im gleichen Geschäft tätig sind. Von derselben Ordnung sind die Relationen des Bruders, des Mitknechtes, des Miterben. 36. Ebenso werden gemäß der zusammengesetzten Relation Figuren gleich hoch genannt, d. h. solche, die gleiche Höhe oder gleichen Abstand des Scheitelpunktes von der Basis haben. Ebenso ist eine zusammengesetzte Relation die des gemeinschaftlichen Maßes, des gemeinsamen Schnittes, Segmentes. Ebenso die des Onkels, des Neffen, des Schwagers, des Stiefvaters, des Stiefsohnes usw. 37. ATTRIBUTE der Relation sind die folgenden. 38. I. Relate, die sich durch inneren Bezug aufeinander beziehen, können ein Konträres besitzen. Wie z. B. die Tugend dem Laster und die Wissenschaft dem Irrtum konträr entgegengesetzt ist. 39. Die übrigen Relate lassen eine Kontrarietät nicht zu, außer sie würden begrenzt. Wie z. B. der Reiche dem Armen, d. h. der vieles dem wenig Besitzenden, entgegengesetzt wird. 40. II. Einige Relate lassen ein Mehr und Minder zu. Wie z. B. irgend ein Ähnliches mehr oder minder ähnlich sein kann. 41. III. Relate sind reziprok (müssen sich wechselweise fordern). Wie z. B. Die Wissenschaft, Wissenschaft des Wißbaren; der Sinn, Sinn des Sinnlichwahrnehmbaren; der Flügel, Flügel des Geflügelten; der Verlobte, Verlobter der Verlobten; der Gläubiger, Gläubiger des Schuldners ist. • 42. IV. Relate sind von Natur gleichzeitig. Wie z. B. im selben Moment, da Davus anfängt Diener des Simo zu sein, beginnt Simo Herr des Davus zu sein. 43. Relate sind von überaus schwacher und hinfälliger Wesenheit, so sehr, daß sie oft kaum von bloßen Gedankendingen abstehen und mit Mühe sich von diesen unterscheiden lassen. * Logica Hamburgerisis hoc est Institutiones Logicae. In usurn Schot. Hamburgensis conscriptae, et sex libris comprehensae Autore Joachimo Jungio Phil, ac Med. D. Oymnasij ac Scholae classicae Bettore. Unter diesem Titel erschien die Logica Hamburgensis 1638 beim Hamburger Ratsbuchdrucker Jacob Rebenlin. Der vorliegende Text ist entnommen aus: J o a c h i m i J u n g i i , L o g i c a H a m b u r g e n s i s . E d i d i t R u dolf W. Meyer. I n A e d i b u s J . J . A u g u s t i n H a m b u r g i , MCMLVTI. Diese Ausgabe enthält den bearbeiteten Originaltext und die deutsche Übersetzung, die hier übernommen wird. Die abgedruckten Teile zu den Relationen entstammen dem Ersten Buch der Allgemeinen Logik, Kapitel VIII, I X , X . '] J u n g i u s folgt hier A r i s t o t e l e s , der das repöcn als Kategorie entdeckte. Als Prädikament ist die Relation eine allgemeinste Gattung (Kategorie), die in eine Reihe von Gattungen und Arten zerfällt. J u n g i u s untersucht allgemeine Eigenschaften 3
Berka-Kreiaer
15
der Relation als Kategorie, d. h. allgemeinste Relationseigenschaften. Die Klasse der Relationen zerfällt in die Klasse der inneren und äußeren Relationen, welche ebenfalls von J u n g i u s näher untersucht werden. Ansonsten enthält die Lógica Hamburgerisis noch an anderer Stelle interessante Bemerkungen zu den Relationen. J u n g i u s bestimmt hier diese Relationen zu recht als schwach symmetrisch. Diese wie alle anderen allgemeinen Relationseigenschaften finden ihre Anwendung in der Dialektik von J u n g i u s (Buch V). 3 ] Dieser Paragraph zeigt, daß J u n g i u s auch mit dreistelligen Relationen arbeitet. 4 ] Die inneren Relationen strukturieren semantische Felder, sie stellen so eine logische Basis für die Dialektik und die Rhetorik dar. Die äußeren Relationen sind Strukturbeziehungen zwischen Objekten. Im Buch V, XII, 14 werden solche Relationen unter dem Gesichtspunkt der Transitivität analysiert. 6 ] J u n g i u s charakterisiert hier eine kollektive Menge. Auf einer so veistandenen Menge und der Beziehung zwischen Teilen und dem Ganzen (einer Gesamtheit) baut später St. L e á n i e w s k i [1929] seine Mereologie auf. 6 ] J u n g i u s zeigt hier, daß Qualitäten sich durch eine intensive Reihe repräsentieren lassen. Die Teile einer solchen Reihe sind durch Kontinuität miteinander verbunden. '] [ ] In den Paragraphen 13—41 diskutiert J u n g i u s die inneren Relationen zwischen Subjekt und Inhärierendem und zwischen der inneren Ursache und ihrem Verursachten. 8 ][ ] In 5 Paragraphen stellt J u n g i u s diese Relationssetzungen vor. 9 ] In den Paragraphen 34—36 ist bereits der Gedanke der RelationsVerkettung (des Relationsproduktes) enthalten. Es sei noch angemerkt, daß auf der Basis von heterogenen Fundamenten Äquivalenzrelationen entstehen und auf der Basis homogener Fundamente Ordnungsrelationen. Inwieweit J u n g i u s . s i c h darüber bewußt war, ist nicht eindeutig beantwortbar.
I. 2 G. W. L e i b n i z Projet et Essais pour arriver á quelque certitude pour finir une bonne partie des disputes et pour avancer Vart d'inventer*1] [15]
| Die Menschen haben etwas von dem Weg, zur Sicherheit zu gelangen, gewußt: davon ist die Logik des Aristoteles und der Stoiker und besonders das Beispiel der Mathematiker ein Beweis; und ich kann noch das der römischen Rechtsgelehrten hinzufügen, bei denen mehrere Schlußfolgerungen in den Digesten sich in nichts von einem Beweise unterscheiden. Indessen ist man diesem Wege nicht gefolgt, weil er ein wenig unbequem ist und man auf ihm langsam und bedächtigen Schrittes gehen muß. Ich glaube aber, es ist dies nur deshalb so, weil man die Ergebnisse nicht gesehen hat. Man hat nicht bedacht, von welcher Bedeutung es sein würde, die Prinzipien der Metaphysik, der Physik und der Ethik mit derselben Gewißheit aufstellen zu können wie die Elemente der Mathematik. N u n habe ich gefunden, daß man mit diesem Mittel nicht nur eine gesicherte Erkenntnis mehrerer wichtiger Wahrheiten erreichen, sondern auch zu einer bewundernswürdigen Erfindungskunst und zu einer Analyse gelangen würde, die in anderen Stoffgebieten etwas Ähnliches erzeugen würde wie die Algebra bei den Zahlen. 16
Ich habe sogar eine erstaunliche Tatsache gefunden, nämlich daß man durch die Zahlen alle Arten von wahren Sätzen und Folgerungen darstellen kann. 2 ] Es sind mehr als 20 Jahre her, daß ich den Beweis dieser wichtigen Erkenntnis fand und auf den Gedanken einer Methode kam, die uns unfehlbar zur allgemeinen Analyse der menschlichen Erkenntnisse führt — wie man nach einer kleinen Abhandlung 3 ] urteilen kann, die ich damals drucken ließ, worin manches ist, was den Jüngling und den Lernenden verrät ; aber die Grundlage ist gut, und ich habe seither so viel darauf erbaut, als andere Geschäfte und Ablenkungen mir erlaubten. Ich fand also, daß es gewisse, nicht absolut, aber doch für uns ursprüngliche Ausdrücke gibt, nach deren | Aufstellung alle Schlußfolgerungen in der Art [16] der Zahlen bestimmt werden könnten ; und selbst in Rücksicht auf diejenigen, bei denen die gegebenen Umstände oder die data zur Bestimmung der Frage nicht genügen, könnte man nichtsdestoweniger mathematisch den Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmen. Ich habe bemerkt, daß der Grund, warum wir uns außerhalb der Mathematik so leicht täuschen und die Geometer in ihren Schlußfolgerungen so glücklich sind, nur der ist, daß man in der Geometrie und den anderen Teilen der abstrakten Mathematik Proben oder fortlaufende Beweise ausführen kann, und zwar nicht nur über den Schlußsatz, sondern noch in jedem Augenblick und bei jedem Schritt, den man von den Prämissen aus tut, indem man das Ganze auf Zahlen zurückführt. In der Physik jedoch widerstreitet nach vielen Schlußfolgerungen die Erfahrung oft dem Schlußsatz; indessen berichtigt sie diese Schlußfolgerungen nicht und bezeichnet nicht die Stelle, wo man sich getäuscht hat. In der Metaphysik und der Ethik ist dies viel schlimmer: Oft könnte man hier Erfahrungen über die Schlußsätze nur auf eine sehr unbestimmte Art machen, und bei den Gegenständen der Metaphysik ist die Erfahrung manchmal in diesem Leben ganz unmöglich. Das einzige Mittel, unsere Schlußfolgerungen zu verbessern, ist, sie ebenso anschaulich zu machen, wie es die der Mathematiker sind, derart, daß man seinen Irrtum mit den Augen findet und, wenn es Streitigkeiten unter Leuten gibt, man nur zu sagen braucht: „Rechnen wir!" ohne eine weitere Förmlichkeit, um zu sehen, wer recht hat. Wären die Worte gemäß einem Kunstgebilde gemacht — was ich für möglich halte, worauf jedoch diejenigen nicht gekommen sind, die Universalsprachen 4 ] erdacht haben —, so könnte man zu diesem Erfolg durch die Worte selbst gelangen, was von einem unglaublichen Wert für das menschliche Leben sein würde. Inzwischen gibt es einen anderen weniger schönen Weg, der schon gangbar gemacht ist, während der andere ganz neu angelegt | [17] werden müßte. Er besteht darin, daß man sich nach dem Beispiel der Mathematiker der Charaktere bedient, die geeignet sind, unseren Geist zu fixieren, und darin, daß man einen Beweis in Zahlen beifügt. * in: L. C o u t u r a t , Opuscules et Fragments Inédits de Leibniz, F. Alcan, Paris [1903], S. 175 — 176. Ubersetzung übernommen aus: G. W. L e i b n i z , Fragmente zur Logik, Akademie-Verlag, Berlin (1960), S. 15 — 17 (Gekürzter Nachdruck). C o u t u r a t datiert diese Arbeit um das Jahr 1686. 3*
17
2
] Besonders in den Arbeiten (April 1679) „Elemente der allgemeinen Charakteristik", „Elemente des Kalküls", „Elemente des allgemeinen Kalküls", „Forschungen zum allgemeinen Kalkül", „Vorschrift zur Prüfung der Folgerungen durch Zahlen", „Regeln, nach denen über die Gültigkeit der Polgerungen und über die Formen und Modi der kategorischen Syllogismen mit Hilfe von Zahlen geurteilt werden kann", „Kalkül der Folgerungen". Vgl. G. W. L e i b n i z [1960], S. 1 7 0 - 2 3 8 . 3 ] Hinweis auf die Schrift Disse.rtatio de Arte Combinatoria ... Leipzig 1666. Abgedr. in G. W. L e i b n i z [ 1 8 7 5 - 1 8 9 0 ] , Bd. 4, S. 2 7 - 1 0 2 . 4 ] Zu diesem Thema sind folgende Arbeiten erschienen: C. B e c k , The Universal Character (1657); G. D a l g a r n o , Ars Signorum vulgo Character Universalis et Lingua Philosophica (1661); J. J. B e c k e r , Character sive Clavis (1661); A. K i r c h e r , Polygraphia Nova et Universalis (1663) und J . W i l k i n s , Essay towards a Real Character and a Philosophical Language (1668).
I. S B. B o l z a n o
Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und größtenteils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherige Bearbeiter.* [113]
| § 155. B e s o n d e r e A r t e n d e r V e r t r ä g l i c h k e i t , u n d z w a r a) d a s V e r h ä l t n i ß d e r A b l e i t b a r k e i t .
2) Wenn wir behaupten, daß gewisse Sätze A, B, C, D, . . . M, N, 0, . . . in dem Verhältnisse der Verträglichkeit 1 ] stehen, und zwar hinsichtlich der Vorstellungen i, j, ... 2 ]: so behaupten wir der gegebenen Erklärung zu Folge nichts Mehres, als daß es gewisse Vorstellungen gebe, die an der Stelle der i, j , . . . jene Sätze sämmtlich in wahre verwandeln. Ob es nicht außer diesen Vorstellungen, welche die Sätze A, B, C, D, ... M, N, 0, . . . sämmtlich wahr machen, noch einige andere gebe, die nur den einen oder den andern Theil derselben allein, nicht aber alle wahr machen, und wenn dieses ist, welche von den gegebenen Sätzen sich öfter als die übrigen wahr machen lassen: das ist bisher ganz unentschieden; wohl läßt sich aber begreifen, daß diese Fragen von Wichtigkeit sind. Denken wir uns also zuerst den Fall, daß unter den miteinander verträglichen Sätzen A, B, C, D, . . . M, N, 0 , . . . das Verhältniß bestehe, daß alle Vorstellungen, die an der Stelle der veränderlichen i, j , . . . einen gewissen Theil dieser Sätze, namentlich alle A, B, C, D, . . . wahr machen, auch die Beschaffenheit haben, einen gewissen anderen Theil dieser Sätze, namentlich die M, N, 0, . . . wahr zu machen. Das besondere Verhältniß, das wir auf diese Art zwischen den Sätzen A, B, C, D, . . . einerseits, und den M, N, 0 , . . . andrerseits denken, wird schon aus dem Grunde von einer großen Merkwürdigkeit seyn, weil es uns in den Stand setzt, sofern wir einmal wissen, daß es vorhanden sey, aus der erkannten Wahrheit der A, B, C, D, . . . so [114] fort auch die Wahrheit der M, N, 0, . . . zu | entnehmen. Ich gebe also dem Verhältnisse, das zwischen den Sätzen A, B, C, D , . . . von der einen, und M, N, 0, . . . von der andern Seite bestehet, den Namen eines Verhältnisses 18
der A b l e i t b a r k e i t ; und sage, daß die Sätze M, N, 0 , . . . a b l e i t b a r wären aus den Sätzen A, B, C, D, . . . hinsichtlich auf die veränderlichen Theile i, j , . . . , wenn jeder Inbegriff 3 ] von Vorstellungen, der an der Stelle i, j, . . . die sämmtlichen A, B, C, D, ... wahr macht, auch die gesammten M, N, 0 , . . . wahr macht. Zur Abwechslung, und, weil es bereits so gebräuchlich ist, werde ich zuweilen auch sagen, daß die Sätze M, N, 0, ... aus dem Inbegriffe der Sätze A, B, C, D , . . . f o l g e n , g e f o l g e r t oder e r s c h l o s s e n werden können 4 ]; die Sätze A, B, C, D , . . . werde ich die V o r d e r s ä t z e oder P r ä m i s s e n , die M, N, 0 , . . . aber die sich aus ihnen ergebenden N a c h - oder S c h l u ß s ä t z e nennen. In wiefern endlich das hier beschriebene Verhältniß zwischen den Sätzen A, B, C, D , . . . und M, N, 0 , . . . die größte Aehnlichkeit hat zwischen dem Verhältnisse umfaßter und umfassender Vorstellungen, will ich mir selbst erlauben, die Sätze A, B, C, D , . . . u m f a ß t e , die M, N, 0, . . . aber die sie u m f a s s e n d e n zu nennen. 3) Die Annahme, daß alle Vorstellungen, die an der Stelle der i, j, . . . die Sätze A, B, C, D , . . . wahr machen, auch die Sätze M, N, 0 , . . . wahr machen, setzet noch gar nicht voraus, daß dieses auch umgekehrt seyn müsse, d. h. daß alle Vorstellungen, welche die Sätze M, N, 0 , . . . wahr machen, auch die Sätze A, B, C, D, ... wahr machen. Das Verhältniß der A b l e i t b a r k e i t muß also nicht nothwendig ein wechselseitiges seyn. 5 ] So macht wohl jedes Paar Vorstellungen, das an der Stelle der A und B den Satz: Alle A sind B, wahr macht, auch den Satz: Einige A sind B, wahr; und dieser ist also von jenem ableitbar; allein nicht umgekehrt macht jedes Paar Vorstellungen, das an der Stelle der A und B den Satz: Einige A sind B, wahr macht, auch wahr den Satz: Alle A sind B. Also ist nicht auch umgekehrt dieser von jenem ableitbar. 4) Wenn irgend einer der Sätze A, B, C, D , . . . , aus welchen die Sätze M, N, 0, . . . ableitbar seyn sollen, hinsichtlich auf die Vorstellungen i, j, . . . , z . B. der Satz A, | nicht eine einzige der letztern in sich schließt: so können wir ihn [115] auch weglassen, und von den noch übrigen Sätzen B, C, D, . . . behaupten, daß die Sätze M, N, 0, . . . auch schon aus ihnen allein ableitbar Seyen, hinsichtlich auf die Vorstellungen i, j, Denn unter diesen Umständen muß der Satz A wahr seyn, und bleibt es jederzeit, was man auch immer für Vorstellungen an die Stelle i, j, . . . setze: so oft also nur die Sätze B, C, D, . . . alle wahr werden, werden auch A, B, C, D , . . . und mithin auch M, N, 0, . . . wahr. 5) Wenn gewisse Sätze M, N, 0, ... ableitbar seyn sollen aus gewissen anderen A, B, C, D, . . . , und unter jenen ist irgend ein falscher befindlich: so muß auch unter diesen irgend ein falscher stecken. Denn wären alle A, B, C, D, . . . wahr: so müßten es auch alle M, N, 0, . . . seyn; weil sonst nicht wahr wäre, daß jeder Inbegriff von Vorstellungen, der an der Stelle der i, j , . . . die A, B, C, D , . . . wahr macht (nämlich die Vorstellungen i, j , . . . selbst), auch die M, N, 0, . . . wahr macht. 6) Wenn alle Sätze, die aus den Sätzen A, B, C, D, . . . in Hinsicht auf gewisse Vorstellungen i, j, . . . ableitbar sind, wahr sind: so müssen die Sätze A, B, C, D, . . . selbst wahr seyn. Denn zu den verschiedenen Sätzen, die sich aus A, B, C, D, . . . ableiten lassen, was immer für Vorstellungen die i, j , . . . seyn mögen, gehören gewiß auch die Sätze: A ist wahr, B ist wahr, C ist wahr 19
u.s.w. Sind also alle Sätze, die sich aus A, B, C, D, ... ableiten lassen, wahr: so müssen auch diese es seyn. Sind aber diese wahr, so sind auch die Sätze A, B, C, D, ... selbst wahr. [191]
| §. 162. V e r h ä l t n i ß der Abfolge.
1) Unter Wahrheiten6] herrscht, wie ich im nächsten Hauptstücke umständlicher zu zeigen hoffe, ein sehr merkwürdiges Verhältniß, vermöge dessen sich einige derselben zu andern als Gründe zu ihren F o l g e n verhalten. So sind die beiden Wahrheiten, daß die drei Winkel eines Dreieckes zusammen zwei rechte betragen, und daß ein jedes Viereck in zwei Dreiecke zerlegt werden kann, deren sämmtliche Winkel die Winkel des Vierecks bilden, der Grund [192] von der Wahrheit, daß die | vier Winkel eines jeden Viereckes zusammen vier rechten gleich kommen. Eben so liegt in der Wahrheit, daß es im Sommer warmer ist als im Winter, der Grund von jener anderen Wahrheit, daß das Thermometer im Sommer höher steht als im Winter, und diese letztere dagegen läßt sich als eine Folge der ersteren betrachten. Da sich nun die Benennung Abfolge für das Verhältniß einer Folge zu ihrem Grunde gleichsam von selbst darbietet: so erlaube ich mir zu sagen, daß Wahrheiten, die sich zu andern, wie die Folge zu ihrem Grunde verhalten, in dem Verhältnisse einer Abfolge zu denselben stehen. Die eben angeführten Beispiele aber zeigen, daß eine Wahrheit, die zu gewissen andern in dem Verhältnisse einer Folge zu ihren Gründen stehet, stets7] auch noch aus diesen letzteren a b l e i t b a r ist, vorausgesetzt, daß wir nur eben gewisse Vorstellungen als die veränderlichen ansehen. [ ] Da aber Sätze, die man durch einen willkürlichen Austausch der Vorstellungen aus gegebenen wahren erhält, nicht immer wahr seyn müssen: so wird begreiflich, wie auch unter Sätzen, die falsch sind, ein Verhältniß der Ableitbarkeit bestehen könne, welches von einer solchen Beschaffenheit ist, daß die Wahrheiten, die man erzeugt, wenn man statt der veränderlichen Vorstellungen gewisse andere setzt, jedesmal in dem Verhältnisse der Abfolge zu einander stehen. So ist es mit den zwei Sätzen: „In dem Orte X ist es wärmer als in dem Orte Y ; " und: „in dem Orte X stehet das Thermometer höher als in dem Orte Y ; " wenn die Vorstellungen X und Y als die einzigen veränderlichen gelten. Denn daß diese Sätze beide falsch werden können, wenn wir statt X und Y was immer für beliebige Vorstellungen setzen, ist außer Zweifel. So oft wir aber zwei solche Vorstellungen wählen, dabei der erste Satz wahr [193] wird; wird auch der zweite eine Wahrheit, und dieß zwar eine | solche, die zu der ersten sich wie eine Folge zu ihrem Grunde verhält. Wohl zu bemerken ist jedoch, daß das so eben Gesagte nicht etwa überall, wo ein Verhältniß der Ableitbarkeit bestehet, Statt finde. So ist das Verhältniß zwischen den beiden nur eben betrachteten Sätzen ein wechselseitiges; denn wie sich aus dem Satze: In X ist es wärmer als in Y, ableiten läßt der Satz: In X stehet das Thermometer höher als in Y; so läßt sich auch umgekehrt aus dem Satze: In X stehet das Thermometer höher als in Y, recht füglich ableiten der Satz: In X ist es also wärmer als in Y. Gleichwohl wird Niemand sich einfallen lassen, den letzteren dieser Sätze, auch wenn sie beide wahr sind, als eine aus dem ersten fließende Folge, und diesen sonach als Grund von jenem zu betrachten. [ ] Nicht jedes Verhältniß der A b l e i t b a r k e i t ist also so beschaffen, daß es auch, 20
w e n n die S ä t z e desselben i n s g e s a m m t w a h r sind, ein zwischen i h n e n b e s t e h e n des V e r h ä l t n i ß d e r Abfoige a u s d r ü c k t . O h n e Zweifel a b e r wird ein V e r h ä l t n i ß d e r A b l e i t b a r k e i t , d e m diese B e s c h a f f e n h e i t z u k ö m m t , m e r k w ü r d i g g e n u g s e y n , u m eine eigene B e z e i c h n u n g zu verdienen. I c h will es s o n a c h ein V e r h ä l t n i ß der f o r m a l e n A b f o l g e n e n n e n , w ä h r e n d dasjenige, d a s zwischen w a h r e n S ä t z e n b e s t e h e t , z u m d e u t l i c h e r e n U n t e r s c h i e d e d a s V e r h ä l t n i ß einer m a t e r i a l e n A b f o l g e heißen m a g . I c h sage also, d a ß die S ä t z e M, N, 0 , . . . z u d e n S ä t z e n A, B, C, . . . hinsichtlich auf die Vorstellungen i, j, . . . in d e m V e r h ä l t nisse einer f o r m a l e n A b f o l g e s t e h e n oder a u s i h n e n f o r m a l a b f o l g e n o d e r f o l g e n , w e n n jeder Inbegriff v o n Vorstellungen, d e r a n d e r Stelle d e r i, j, die s ä m m t l i c h e n A, B, C, . . . w a h r m a c h t , a u c h die s ä m m t l i c h e n M, N, 0 , . . . in W a h r h e i t e n u n d z w a r solche v e r w a n d e l t , die zu d e n W a h r h e i t e n A, B, C, . . . sich wie eine e c h t e Folge zu ihrem G r u n d e v e r h a l t e n . 8 ]
* Bde. I - I V , Sulzbach 1837 (Gekürzter Nachdruck aus Bd. II, S. 1 1 3 - 1 1 5 , S. 191 bis 193). *] Wenn es Vorstellungen gibt, die, an die Stelle der i, j, . . . gesetzt, die Sätze A, B, C, D , . . . insgesammt wahr machen, so besteht nach B o l z a n o zwischen diesen Sätzen das Verhältnis der V e r t r ä g l i c h k e i t oder E i n s t i m m u n g , und die Sätze A, B, C, D, . . . selbst werden v e r t r ä g l i c h , e i n s t i m m i g oder e i n h e l l i g genannt. (Vgl. Bd. II, § 154, S. 100). Vgl. noch § 164, 197ff. 2 ] Die Vorstellung i, j, ... haben die Bedeutung von Variablen. Vgl. z. B. Bd. I, § 69, S. 311: „ . . . wiefern wir gewisse andere Theile i, j, ... in ihr als v e r ä n d e r l i c h ansehen . . . " ; Bd. I, § 108, S. 514 ,,... indem wir uns vorstellen, daß gewisse, in der gegebenen Vorstellung vorkommende Bestandtheile i, j, . . . v e r ä n d e r l i c h wären." „Sätze mit veränderlichen Theilen" (Bd. II. § 147, S. 80, 82) bzw. „Sätze mit veränderlichen Vorstellungen" (Bd II, § 154, S. 107f.) haben dann die Bedeutung von Aussagenformen. 3 ] Unter einem „Inbegriff (gewisser Dinge)" versteht B o l z a n o dasselbe wie „eine Verbindung oder Vereinigung dieser Dinge, ein Zusammenseyn derselben, ein Ganzes, in welchem sie als Theile vorkommen" (Bd. I, § 82, S. 393), bzw. „ein Etwas, das Zusammengesetztheit h a t " (ebenda, S. 394). 4 ] Zur Ableitbarkeitsbeziehung vgl. noch Bd. II, § 164, S. 198f: „Jeder Inbegriff von Vorstellungen, der an der Stelle der i, j, ... in den Sätzen A, B, C, . . . M, N, 0 , ... die Sätze A, B, C, . . . insgesammt wahr macht, — hat — die Beschaffenheit, auch die Sätze M, N, 0, ... insgesammt wahr zu machen." Der gewöhnlichste Ausdruck, in den wir Sätze von dieser Art kleiden, ist bekanntlich: „Wenn A, B, C, . . . wahr sind: so sind auch M, N, 0 , ... wahr". Nicht selten sagen wir aber auch: „Aus A, B, C, . . . f o l g e n oder sind a b l e i t b a r oder lassen sich s c h l i e ß e n die M, N, 0, . . . u. s. w." H. S c h o l z ([1937] S. 460, Anmerk. 48) betont mit Recht, daß dieser Sprachgebrauch die im Text getroffene Unterscheidung von Ableitbarkeits- und Folgebeziehung nicht trifft. 5 ] Die Ableitbarkeitsbeziehung ist zwar reflexiv und transitiv, aber nicht symmetrisch. Vgl. H. S c h o l z [1937] S. 450. 6 ] Unter einer „Wahrheit" im Sinne von B o l z a n o müssen wir eine „objektive Wahrheit" bzw. eine „Wahrheit an sich" verstehen d. h. „jeden beliebigen Satz, der etwas so, wie es ist, aussagt", wobei es unbestimmt bleibt, „ob dieser Satz von irgend Jemand wirklich gedacht und ausgesprochen worden sey oder nicht" (Bd. I, § 25, S. 112). — Zur Kritik dieses philosophischen Standpunkts vgl. Einführung zum XII. Kapitel. 7 ] Mit H. S c h o l z [1937] S. 453, Anmerk. 42 lesen wir anstatt „öfters" „stets". 21
8
] Zur formalen Abfolge vgl. noch Bd. II, § 168, S. 207: „Sagen wir aber, daß die Sätze M, N, 0 , . . . zu den A, B, C,... ein Verhältniß der f o r m a l e n Abfolge behaupten: so sagen wir eigentlich Folgendes aus: ,Das Verhältniß der Sätze M, N, 0, . . . zu den Sätzen A, B, C, . . . hat die Beschaffenheit, daß jeder Inbegriff von Vorstellungen, der an der Stelle der i, j , . . . die A, B, C, . . . wahr macht, auch die M, N, 0, . . . zu solchen Wahrheiten macht, die eine Folge der ersteren sind'. Der gemeine Ausdruck ist nur: M ist, weil A ist; oder M folgt aus A."
22
II
Die Algebra der Logik Die Periode der modernen Logik wurde durch G. B o o l e s (1815—1864) Werk The Mathematical Analysis of Logic. Being an Essay Towards a Calculus of Deductive Reasoning (1847) eröffnet. Im gleichen J a h r erschien auch A. D e M o r g a n s Formal Logic or the Calculus of Inference, Nesessary and Probable. Man könnte die neue Entwicklungsperiode der formalen Logik auch mit beiden Werken ansetzen, aber die einen Abschnitt in dieser Periode prägenden Intentionen bringt das Werk von G. B o o l e zum ersten Male und klar ausgeführt zum Ausdruck. Während nämlich A. D e M o r g a n den Versuch unternahm, die aristotelische Logik exakter darzulegen und um die Relationsaussagen sowie Relationsschlüsse zu erweitern, stellte sich G. B o o l e die Aufgabe, eine neue Logik auf algebraischer Grundlage aufzubauen. Er entwickelte einen rein extensionalen abstrakten Kalkül, der algebraisch dieselbe Struktur hat wie ein sogenannter Boolescher Verband (vgl. z. B. P. R. H a i m o s [1963]; R. S i k o r s k i [i960]; H. M e h r t e n s [1979]). Die Grundbegriffe der Booleschen Algebra der Logik (II. 1.) sind die Multiplikation (d. h. die Auswahloperation), die Addition, die als Kontravalenz mit der Wahrheitsmatrize „0110" zu deuten ist, und die Subtraktion (1 — x), die der Negation entspricht. Die Inklusion wird durch die Gleichheit dargestellt. Die Boolesche Algebra der Logik ist grundsätzlich eine binäre Algebra mit dem Gesetz xn = x, die man entweder als eine Aussagenlogik deuten kann, wenn man die Symbole „1" und „ 0 " als „wahr" und „falsch" interpretiert, oder als eine Klassenlogik, wenn man „1" als Zeichen der „Universalklasse" und „ 0 " als Zeichen für die „leere Klasse" auffaßt. Die Hauptbestandteile dieser Algebra sind (1) die Theorie der Auswahlfunktionen, d. h. die Theorie der Wahrheitsfunktionen, und (2) die auf dem Absorptions- und Expansionsgesetz beruhende Entwicklung (development), d. h. die Herstellung der kanonischen (ausgezeichneten) Normalform. Die Boolesche Algebra enthält aber noch nicht die beiden Ableitungsregeln, die Abtrennungs- und Substitutionsregel. Die von G. B o o l e gegebene Gestalt einer Algebra der Logik wurde dann von anderen Logikern dieser Epoche systematisch durchgearbeitet, vertieft und ergänzt. W. S t. J e v o n s [1864] hat die Boolesche Kontravalenz durch die Alternative, die Subtraktion durch die Negation (bzw. das Komplement) und die noch stark algebraisch gefaßte Entwicklung durch eine tatsächliche kanonische alternative Normalform ersetzt. Die Inklusion, die bereits J . D. G e r g o n n e (1771—1859) bekannt war, wurde vor allem von Ch. S. P e i r c e [1870] und E. S c h r ö d e r [1890—1905] systematisch untersucht. In dieser Zeit kommt es auch zu einer Differenzierung zwischen den beiden möglichen Interpretationen der Algebra der Logik und zur Herausbildung weiterer Konzeptionen, die unmittelbar den Aufbau der klassischen Logik beeinflußten. Der erste Logiker, der die Aussagenlogik als eine selbständige Theorie anerkannt hat, war H. Mc Coli [1877/78]. E r schuf eine algebraisch aufgebaute Aussagenlogik, jedoch nicht als Interpretation der Algebra der Logik, sondern als eigenständige Logik. Ch. S. P e i r c e [1931—1958] führte in seinen Arbeiten aus den Jahren 1880, 1885 und 1896 die Wahrheitsmatrizen 23
ein, behandelte in einer allgemeinen Weise die Problematik der Wahrheitswerte und definierte in ausdrücklicher Anlehnung an P h i l o n aus Megara (um 300 v. u. Z.) den Implikationsbegriff. Später hat B. R u s s e l l die Philonische Implikation als materiale Implikation bezeichnet. Er führte noch die formale Implikation IlxCrpxipx ein, d. h. eine Allaussage, deren quantorenfreier Kern die Form einer Implikation hat (vgl. z. B. B. R u s s e l l [1919], S. 21, 38, 158, 163; A. N. W h i t e h e a d B. R u s s e l l [1910-1913], Bd. I, S. 20, 139). Vgl. dazu auch die Einführung zu Kapitel V. In "der Klassenlogik wurde die graphische Darstellung der kategorischen Aussagen, wie sie bereits L. E u l e r (1707—1783) eingeführt hatte, von J . V e n n [1881] und L. C a r r o l l [1896] weiter entwickelt. G. P e a n o [1889] führte die Elementrelation in die Klassenlogik ein und schuf eine sich auch auf andere Bestandteile der klassischen Logik (III. Kapitel) beziehende einheitliche Symbolik. Seinem ganzen Wirken nach ist G. P e a n o allerdings mehr zur nächsten Entwicklungsetappe der modernen Logik zu rechnen, die durch die Intention und Leistungen von G. F r e g e gekennzeichnet ist. Die Relationslogik wurde besonders von Ch. S. P e i r c e [1880] und E. S c h r ö d e r [1890 bis 1905] untersucht. O. H. M i t c h e l l [1883] und später auch Ch. S. P e i r c e (II. 2.) haben — ohne Kenntnis der Ergebnisse von G. F r e g e [1879] — Untersuchungen zu den prädikatenlogischen Qualifikationen durchgeführt. Trotz dieser verschiedenen Tendenzen, die natürlich für die Herausbildung der klassischen Logik von großer Bedeutung waren, wurde die Algebra der Logik auch in ihrer ursprünglichen Fassung weiter bearbeitet. Zahlreiche Arbeiten zur Theorie der logischen Gleichheiten und Ungleichheiten lieferte P. S. P o r e c k i j [1884], [1898/1899], [1900-1901], [1904], [1908]. Eine zusammenfassende Monographie zur Algebra der Logik wurde von A. N. W h i t e h e a d [1898] verfaßt. (Vgl. auch L. C o u t u r a t [1905]). Den Höhepunkt der selbständigen Ausarbeitung der Gedanken von G. B o o l e und zugleich den Abschluß dieser Etappe repräsentieren E. S c h r ö d e r s Vorlesungen über die Algebra der Logik, die in komprimierender Weise von E. M ü l l e r bearbeitet wurden. Vgl. E. S c h r ö d e r [1909-1910]. Die Axiomatisierung der Algebra der Logik durch E. S c h r ö d e r und A. N. W h i t e h e a d wurde besonders von E. V. H u n t i n g t o n [1904] untersucht. H u n t i n g t o n hat drei verschiedene axiomatische Systeme gegeben. Das erste ist eine vereinfachte Fassung des Whiteheadschen Axiomensystems mit drei Grundbegriffen und zehn Axiomen, das zweite eine komprimierte Form des Schröderschen Systems mit zwei Grundbegriffen und zehn Axiomen und das dritte eine Modifikation des zweiten Systems mit zwei Grundbegriffen und neun Axiomen. H. M. S h e f f e r ([1913], S. 482) hat ein noch vereinfachteres axiomatisches System aufgestellt. Es enthält zwei Grundbegriffe — die Klasse K und eine binäre Kombinationsregel | — und fünf Axiome: (1) Es gibt wenigstens zwei verschiedene if-Elemente. (2) Wenn a und b iT-Elemente sind, so ist auch a | b ein iC-Element. Df a' = a ] a (3) Wenn a und die angegebenen Kombinationen von a if-Elemente sind, so auch («')' = a. 24
(4) Wenn a, b und die angegebenen Kombinationen von a und b if-Eleraente sind, so auch a \ (b \ b') = (5) Wenn a, b, c und die angegebenen Kombinationen von a, b und c KElemente sind, so auch (a | (b | c))' = (b' | a) [ (c' | a). Diese Axiome stellen ein widerspruchsfreies und unabhängiges Axiomensystem dar. Weitere Literatur: C. I. L e w i s [1918], E. W. B e t h [1947a]; W. K n e a l e [1948]; S. G. G i n d i k i n [1972],
Mit den Bemühungen um eine Axiomatisierung der Algebra der Logik sind zugleich auch theoretische Untersuchungen verbunden, die für die moderne Logik insgesamt von Bedeutung sind. So hat E. S c h r ö d e r (II. 3.) — wie zuerst von A. C h u r c h [1939] bemerkt — zur Beseitigung logischer Widersprüche in der Klassenlogik Festlegungen getroffen, die der Russellschen Typentheorie (vgl. XI. 1.) sehr nahe kommen. Eine Neubelebung des Interesses an der Booleschen Algebra der Logik findet man in den Arbeiten von A. T a r s k i [1935a], [1938] und M. H. S t o n e [1936]. In den Vordergrund treten Zusammenhänge, die sich aus der Booleschen Algebra als einer mathematischen Theorie ergeben, wie z. B. die Beziehungen der Algebra und der Topologie zur modernen Logik. Untersucht werden auch die Anwendungsmöglichkeiten algebraischer Methoden zur Behandlung logischer (vgl. z. B. L. R i e g e r [1967]) oder metalogischer Fragen (vgl. z. B. H. R a s i o w a — R. S i k o r s k i [1963]; A. R o b i n s o n [1951]). Diese Tendenzen der Algebra der Logik führten P. R. H a i m o s [1956], [1962] sowie H. R a s i o w a [1974] weiter. Die semiotischen Untersuchungen, ausgelöst durch die Arbeiten von Ch. S. P e i r c e , haben auch auf die Entwicklung der mathematischen Linguistik großen Einfluß (vgl. z. B. D. A. B o c v a r — J . A. S c h r e i d e r [1972]).
II. 1 G. B o o l e
The Mathematical Analysis of Logic, Being an Essay Towards a Calculus of Deductive Reasoning*) I Die Grundprinzipien
[15]
Das Symbol 1 (oder die Einheit) wird zur Darstellung des Universums benutzt. Es soll jede denkbare Klasse von Objekten umfassend verstanden werden, gleichgültig, ob sie wirklich existieren oder nicht. 1 ] Es wird vorausgesetzt, daß man dasselbe Individuum in mehr als einer Klasse vorfinden kann, da es mehr als eine Qualität mit anderen Individuen gemeinsam haben kann. Die Buchstaben X, Y, Z sollen zur Darstellung der individuellen Elemente von Klassen benützt werden; X ist auf jedes Element einer Klasse angewandt, 25
als Elemente dieser bestimmten Klasse, und Y auf jedes Element einer anderen Klasse, als Elemente einer solchen Klasse, usw., entsprechend der angenommenen Sprache von Abhandlungen über Logik. Weiter soll eine Klasse von Symbolen x, y, z gedacht werden, die folgenden Charakter haben: Es wird vorausgesetzt, daß das Symbol x, welches auf irgendeinen Individuen oder Klassen enthaltenden Gegenstand bezogen ist, aus diesem Gegenstand alle die X herausgreift, die er enthält. In einer ähnlichen Weise wird vorausgesetzt, daß das auf irgendeinen Gegenstand bezogene Symbol y aus ihm alle Individuen der Klasse Y herausgreift, die in ihm inbegriffen sind, usw. Wenn kein Gegenstand ausgedrückt wird, werden wir annehmen, daß 1 (das Universum) der gemeinte Gegenstand ist, so daß wir x= x
(1)
haben werden. Die Bedeutung beider Termini ist die Auswahl aller X aus [16] dem Universum, die es enthält, und das Ergebnis der Operation, | ausgedrückt in der Umgangssprache, ist die Klasse X, d. h. die Klasse, deren jedes Element ein X ist. Aus diesen Voraussetzungen folgt, daß das Produkt xy sukzessive die Auswahl der Klasse Y und die Auswahl solcher Individuen der Klasse X aus der Klasse Y darstellen wird, die in ihm enthalten sind. Das Ergebnis ist die Klasse, deren Elemente sowohl X wie Y sind. Und in einer ähnlichen Weise wird das Produkt xyz eine zusammengesetzte Operation darstellen. Seine sukzessiven Elemente sind die Auswahl der Klasse Z, die Auswahl solcher Elemente der Klasse Y aus ihr, die in ihr enthalten sind, und die Auswahl aller Individuen der Klasse X aus dem so erhaltenen Ergebnis, die es enthält. Das Endergebnis ist die gemeinsame Klasse von X, Y und Z. Hinsichtlich der Natur der Operationen, die die Symbole x, y, z darstellen, werden wir sie als Auswahlsymbole bezeichnen. Ein Ausdruck, in dem sie vorkommen, wird eine Auswahlfunktion genannt werden, und eine Gleichung, deren Elemente Auswahlfunktionen sind, wird als eine Auswahlgleichung bezeichnet. 2 ] Es wird nicht notwendig sein, daß wir hier diejenige gedankliche Operation, die wir durch das Auswahlsymbol dargestellt haben, einer Analyse unterwerfen müssen. Sie ist kein Akt der Abstraktion — entsprechend der üblichen Auffassung dieses Terminus —, da wir das Konkrete niemals außer Sicht verlieren. Sie kann jedoch wahrscheinlich als eine Ausübung der Fähigkeiten des Vergleichens und der Aufmerksamkeit bezeichnet werden. Unser gegenwärtiges Interesse ist eher auf die Gesetze der Kombination und der Sukzession gerichtet, durch die ihr Ergebnis geleitet wird und für sie wird es genügen, folgendes zu bemerken. 1. Das Ergebnis eines Auswahlaktes ist von der Gruppierung oder Klassifikation des Gegenstandes unabhängig. Deswegen ist es gleichgültig, ob wir aus einer Gruppe von Objekten, die als ein Ganzes betrachtet werden, die Klasse X herausgreifen, oder ob wir die Gruppe in zwei Teile aufteilen, die X aus ihnen gesondert herausgreifen und dann die Ergebnisse in einem zusammengesetzten Begriffe verbinden. 26
Wir können dieses Gesetz mathematisch durch die Gleichung z(u + v) — xu -f- xv ausdrücken, | wobei u + v den ungeteilten Gegenstand, und u und v seine Teilkomponenten darstellen. 2. Es ist gleichgültig, in welcher Reihenfolge zwei sukzessive Auswahlakte durchgeführt werden. Das Ergebnis ändert sich nicht, ob wir aus der Klasse der Tiere die Schafe herausgreifen und aus den Schafen diejenigen, die gehörnt sind, oder ob wir aus der Klasse der Tiere die gehörnten herausgreifen und aus ihnen solche, die Schafe sind. In beiden Fällen gelangen wir zur Klasse gehörnte Schafe. Der symbolische Ausdruck dieses Gesetzes ist xy = yx. 3. Das Ergebnis eines gegebenen Auswahlaktes, der zweimal oder beliebig vielmal nacheinander durchgeführt wird, ist dem Ergebnis desselben Aktes, der einmal durchgeführt wird, gleich. Wir haben also xx = x
oder
x% — x\
und vorausgesetzt, dieselbe Operation werde ra-mal durchgeführt, haben wir xn = x, was der mathematische Ausdruck des oben angegebenen Gesetzes ist. Die Gesetze, die wir in symbolischen Formen x(u + v) = xu -f- xv
(1),
xy = yx
(2),
x» = x
(3),
festgelegt haben, | sind für die Grundlegung eines Kalküls ausreichend. Aus dem ersten von ihnen ist ersichtlich, daß die Auswahlsymbole distributiv, aus dem zweiten, daß sie kommutativ sind; Eigenschaften, die sie mit den Symbolen der Quantität gemeinsam haben, und kraft deren alle Verfahren der üblichen Algebra im gegenwärtigen System anwendbar sind. Das einzige und genügende Axiom, das in dieser Anwendung inbegriffen ist, besagt, daß an äquivalenten Gegenständen durchgeführte äquivalente Operationen äquivalente Ergebnisse liefern. Das dritte Gesetz (3) werden wir Indexgesetz nennen. Es ist den Auswahlsymbolen eigentümlich und ist von großer Wichtigkeit, da es uns ermöglicht, unsere Ergebnisse auf Formen, die für eine Interpretation geeignet sind, zurückzuführen. Aus der Tatsache, daß die Verfahren der Algebra auf das gegenwärtige System angewendet werden können, darf man jedoch nicht schließen, daß sich die Interpretation einer Auswahlgleichung durch solche Verfahren nicht 27
[19] ändert. Der Ausdruck einer Wahrheit kann durch | eine legitime Operation nicht negiert werden, aber er kann eingeschränkt werden. Die Gleichung y = z impliziert, daß die Klassen Y und Z äquivalent sind, Element für Element. Multiplizieren wir sie durch einen Faktor x, erhalten wir: xy — xz, was besagt, die Individuen, die der Klasse X und Y gemeinsam sind, sind auch den Klassen X und Z gemeinsam und umgekehrt. Das ist ein vollkommen legitimer Schluß, aber die Tatsache, die er ausdrückt, ist weniger allgemein als jene, die in der ursprünglichen Aussage behauptet wurde. * Cambridge — London. [1847]. Nachdruck; Basil Blackwell, Oxford 1951 (Übersetzung von S. 15—19; mit Auslassung von zwei Fußnoten ungekürzt). x ] Zur logischen Problematik dieser Begriffsbildung vgl. E . S c h r ö d e r (II. 3.). a ] Terminologische Bemerkung zur Übersetzung: Auswahlsymbol — elective symbol, Auswahlfunktion — elective function, Auswahlgleichung — elective equation, Indexgesetz — index law.
II. 2 Ch. S. P e i r c e
On the algebra of logic. A contribution to the philosophy [180]
of notation*
11. — Drei Arten von Zeichen. Jede Beschreibung oder Aussage bezieht sich entweder auf einen Gegenstand, zwei Gegenstände oder auf eine Mehrzahl von Gegenständen. So z. B . hat ein Teilchen Masse, zwei Teilchen ziehen sich an, ein Teilchen rotiert um die Gerade, die zwei andere verbindet. Ein Sachverhalt, der sich auf zwei Gegenstände bezieht, ist ein zweistelliges Merkmal oder eine zweistellige Relation; aber eine Relation, die eine bloße Kombination von zwei unabhängigen Sachverhalten ist, die sich auf die zwei Gegenstände beziehen, kann ausgeartet genannt werden, ebenso wie man zwei Geraden einen ausgearteten Kegelschnitt nennt. In gleicher Weise muß man ein mehrstelliges Merkmal oder eine verbundene Relation ausgeartet nennen, wenn es eine bloße Verbindung von zweistelligen Eigenschaften ist. Ein Zeichen steht in einer verbundenen Relation zu dem bezeichneten Gegenstand und zum Bewußtsein. Wenn diese dreistellige Relation nicht von ausgearteter Art ist, ist das Zeichen mit seinem Objekt nur als Folge einer geistigen Assoziation verbunden und ist von einer Gewohnheit abhängig. Solche Zeichen sind immer abstrakt und allgemein, weil Gewohnheiten allgemeine Regeln sind, denen der Organismus unterworfen worden ist. Sie sind zum größten Teil konventionell und beliebig. Sie umfassen alle allgemeinen Wörter, den Hauptteil der Rede und jegliche Art, eine Mitteilung zu übertragen. Der Kürze halber will ich sie Symbole nennen. 28
Aber wenn die dreistellige Relation zwischen dem Zeichen, seinem Objekt und dem Bewußtsein ausgeartet ist, stehen wenigstens zwei der drei Paare Zeichen
Objekt
Zeichen
Bewußtsein
Objekt
Bewußtsein
in zweistelligen Relationen, die die dreistellige Relation bilden. Eines dieser zusammenhängenden Paare muß aus dem Zeichen und seinem Objekt bestehen, denn wenn das Zeichen mit seinem Objekt nur durch das Bewußtsein verbunden wäre, das beide separat betrachtet, würde es die Zeichenfunktion überhaupt nicht erfüllen. Angenommen, die Relation des Zeichens zu seinem Objekt bestände nicht in einer geistigen Assoziation, so muß eine direkte zweistellige | Relation des Zeichens zu seinem Objekt bestehen, die unabhängig ist von [181] dem Bewußtsein, das das Zeichen benutzt. Im zweiten der drei gerade erwähnten Fälle ist diese zweistellige Relation nicht ausgeartet, und das Zeichen bezeichnet sein Objekt ausschließlich dadurch, daß es tatsächlich mit ihm zusammenhängt. Von dieser Art sind alle natürlichen Zeichen und physikalischen Symptome. Ich nenne ein solches Zeichen einen Anzeiger; ein ausgestreckter Zeigefinger gehört zu dieser Klasse. Der Anzeiger sagt nichts aus; er sagt nur „Da!". E r zieht einfach unseren Blick auf sich und lenkt ihn gewaltsam auf ein bestimmtes Objekt, und das ist alles. Demonstrativ- und Relativpronomen sind fast reine Anzeiger, weil sie Dinge bezeichnen, ohne sie zu beschreiben; ebenso verhält es sich mit den Buchstaben einer geometrischen] Figur und den unteren Indizes, die in der Algebra einen Wert von einem anderen unterscheiden, ohne diese Werte anzugeben. Der dritte Fall ist der, wo die zweistellige Relation zwischen dem Zeichen und seinem Objekt ausgeartet ist und in einer bloßen Ähnlichkeit zwischen ihnen besteht. Ich nenne ein Zeichen, das für etwas steht, nur weil es ihm ähnelt, ein Ikon. Ikone treten so vollständig an die Stelle ihrer Objekte, daß man sie kaum von ihnen unterscheiden kann. So verhält es sich mit den Figuren in der Geometrie. Allerdings ist eine Figur, soweit sie eine allgemeine Bedeutung hat, kein reines Ikon; aber mitten in unseren Überlegungen vergessen wir jene Abstraktion in großem Maße; und die Figur ist für uns das Ding selbst. Auch wenn man ein Gemälde betrachtet, gibt es einen Moment, wo wir das Bewußtsein darüber verlieren, daß es nicht das Ding ist; der Unterschied zwischen der Wirklichkeit und der Kopie verschwindet, und es ist für den Augenblick ein reiner Traum, keine bestimmte Existenzform und doch nicht allgemein. In dem Augenblick betrachten wir ein Ikon. Ich habe mich bemüht, den von mir gemachten Unterschied 1 ) zwischen Ikonen, Anzeigern und Symbolen zu verdeutlichen, um folgenden Satz zu formulieren: In einem vollständigen System logischer Bezeichnung müssen diese verschiedenartigen Zeichen alle verwendet werden. Ohne Symbole gäbe es nichts Allgemeines in den Behauptungen; denn sie sind die einzigen allgemeinen Zeichen; und Allgemeinheit ist für das Schlußfolgern wesentlich. Nehmen wir z. B. die Kreise, durch die Euler die Beziehungen zwischen Begriffen darstellt. Sie erfüllen zwar die Funktionen von Ikonen, aber ihr Mangel an Allgemeinheit und ihre Unzulänglichkeit, Sätze auszudrücken, muß 29
jeder empfunden haben, der sie benutzt hat. Hr. Venn wurde daher dazu veranlaßt, ihnen Schraffierungen hinzuzufügen, und diese Schraffierung ist ein konventionelles Zeichen von der Art eines Symbols. In der Algebra sind sowohl die quantitativen als auch die funktionalen Buchstaben von dieser Art. Aber Symbole allein sagen nichts über den Gegenstand der Betrachtung aus; und das kann in der Tat nicht durch allgemeine Ausdrücke beschrieben werden; es kann nur angedeutet werden. Die wirkliche Welt kann von einer Welt der [182] Phantasie nicht durch irgendeine | Beschreibung unterschieden werden. Daher braucht man Pronomen und Anzeiger, und je komplizierter der Gegenstand wird, desto nötiger braucht man sie. Die Einführung von Anzeigern in die Algebra der Logik ist das größte Verdienst von Hrn. Mitchells System.2) Er schreibt Flt um auszudrücken, daß der Satz F für alle Objekte im Universum wahr ist, und Fv um auszudrücken, daß er für manche Objekte wahr ist. Dieser Unterschied kann nur in ungefähr dieser Weise gemacht werden. Anzeiger sind ebenfalls erforderlich, um zu zeigen, in welcher Art andere Zeichen miteinander verbunden sind. Allein mit diesen beiden Arten von Zeichen kann jeder Satz ausgedrückt werden, aber man kann damit nicht schlußfolgern, denn Schlußfolgern besteht in der Beobachtung, daß dort, wo gewisse Relationen bestehen, gewisse andere gefunden werden können, und es erfordert folglich die Darstellung der betrachteten Relationen in einem Ikon. Es ist lange ein Rätsel gewesen, wie es möglich sein konnte, daß die Mathematik einerseits ihrem Wesen nach rein deduktiv ist und ihre Schlüsse apodiktisch zieht, während sie andererseits eine so reiche und offensichtlich endlose Reihe von überraschenden Entdeckungen präsentiert wie jede betrachtende Wissenschaft. Vielfältig sind die Versuche gewesen, das Paradoxon zu lösen, indem man die eine oder die andere dieser Behauptungen umstößt, aber ohne Erfolg. Die Wahrheit scheint jedoch zu sein, daß jedes deduktive Schlußfolgern, sogar ein einfacher Syllogismus, ein Element der Beobachtung enthält. Deduktion besteht nämlich in der Konstruktion eines Ikons oder einer Figur, wo die Relationen ihrer Teile völlig analog zu den Teilen des betrachteten Objekts sind, im Experimentieren mit diesem Bild in der Vorstellung, und im Beobachten des Ergebnisses, um unbemerkte und verborgene Relationen zwischen den Teilen festzustellen. Nehmen wir z. B. die syllogistische Formel, Alle M sind P S
ist
M
S
ist
P.
Das ist wirklich eine Figur der Relationen zwischen S, M und P. Die Tatsache, daß der Mittelbegriff in den beiden Prämissen auftritt, ist tatsächlich dargestellt, und das muß gemacht werden, sonst ist die Bezeichnungsweise ohne Wert. Was die Algebra betrifft, so besteht das Wesen dieser Kunst gerade darin, daß sie Formeln darbietet, mit denen man formal umgehen kann, und darin, daß wir durch die Beobachtung der Auswirkungen solcher Manipulationen Eigenschaften finden, die man sonst nicht entdecken könnte. Bei solchem formalen Umgang werden wir von früheren Entdeckungen geleitet, die in allgemeinen Formeln eingebettet sind. Das sind Modelle, die wir bei unserem Verfahren nachahmen dürfen, sie sind die Ikone par exellence der Algebra. Die Buch30
staben der angewandten Algebra sind gewöhnlich Symbole, aber die usw. einer allgemeinen Formel, wie z. B.
x,y,z
(x + y) z = xz + yz, \ sind Leerstellen, die mit Symbolen gefüllt werden müssen, sie sind Anzeiger [183] von Symbolen. Es ist wahr, daß solch eine Formel durch eine abstrakt formulierte Regel (sagen wir, daß die Multiplikation distributiv ist) ersetzt werden k a n n ; aber keine Anwendung solch einer abstrakten Behauptung könnte gemacht werden ohne deren Übertragung in eine verstehbare Vorstellung. I n dieser Abhandlung beabsichtige ich, eine Algebra zu entwickeln, die der Behandlung aller Probleme der deduktiven Logik a d ä q u a t ist; dabei zeige ich im weiteren Verlauf, welche Arten von Zeichen notwendigerweise auf jeder Stufe der Entwicklung verwendet werden müssen. Ich werde so zu drei Objekten kommen. Das erste ist die Ausweitung der Stärke der logischen Algebra auf die Gesamtheit ihres eigentlichen Gebietes. Das zweite ist die Darstellung von Prinzipien, die der gesamten algebraischen Bezeichnungsweise zugrunde liegen. Das dritte ist die Aufzählung der wesentlich unterschiedlichen Arten notwendigen Schließens; denn wenn die Bezeichnungsweise, die f ü r die Darstellung eines Schlusses ausreicht, sich als unzulänglich f ü r die Erklärung eines anderen herausstellt, ist es klar, daß letzterer ein Schlußelement enthält, das im früheren fehlt. Dementsprechend sollte das betrachtete Verfahren ein Verzeichnis von Kategorien des Schließens ergeben, deren Bedeutung nicht von der algebraischen Art der Betrachtung des Gegenstandes abhängt. Ich werde nicht in der Lage sein, die Algebra genügend zu vervollständigen, u m einfache Methoden dafür angeben zu können, wie man zu logischen Schlüssen gelangt: Ich kann lediglich eine Methode angeben, durch die jeder legitime Schluß erreicht werden kann, und jeder falsche vermieden wird. Aber ich zweifle nicht daran, daß es anderen, wenn sie diesen Gegenstand aufgreifen, gelingen wird, der Bezeichnungsweise eine Form zu geben, in der sie höchst nützlich f ü r mathematische Arbeiten sein wird. Ich hoffe sogar, daß das, was ich getan habe, sich als ein erster Schritt zur Lösung eines der Hauptprobleme der Logik erweisen wird, das darin besteht, eine Methode für die Entdeckung von Methoden in der Mathematik zu schaffen.' I I . — Non-relative
Logik.
Nach der üblichen Logik ist ein Satz entweder wahr oder falsch, u n d kein weiterer Unterschied wird anerkannt. Das ist die deskriptive Konzeption, wie die Geometer sagen; die metrische Konzeption bestände darin, daß jeder Satz mehr oder weniger falsch ist, die Frage ist, in welchem Maße. Wir schließen u n s hier der ersteren Ansicht an. E s seien Sätze durch Größen dargestellt. Es seien v und f zwei konstante Werte, und es sei der Wert der Größe, die einen Satz darstellt, v, wenn der Satz wahr ist, und f, wenn der Satz falsch ist. Folglich, wenn x ein Satz ist, wird die Tatsache, daß x entweder wahr oder falsch ist, so geschrieben (x - f ) ( v - x) = 0 . 4
Berka-Kreiser
31
[184] | Daher bedeutet
( * - f) (V - y) = 0,
daß entweder x falsch ist oder y wahr ist. Man kann sagen, daß das dasselbe ist wie ,wenn x wahr ist, ist y wahr'. Ein hypothetischer Satz ist im allgemeinen nicht darauf beschränkt anzugeben, was tatsächlich geschieht, sondern er gibt an, was in einem Universum von Möglichkeiten ausnahmslos wahr ist. Der vorliegende Satz ist jedoch auf den einen individuellen Sachverhalt begrenzt, den aktuellen. Wir sind so bereits im Besitz einer logischen Bezeichnungsweise, die imstande ist, Syllogismen zu behandeln. Man nehme z. B. die Prämissen ,wenn x wahr ist, ist y wahr', und ,wenn y wahr ist, ist z wahr'. Das schreibt man (x - f) (v - y) = 0 (y - f) (v - z) = 0. Man multipliziere das erste mit (v — z) und das zweite mit (x — f) und addiere das. Wir erhalten (X
- f) (v - f) (v -
z)
= 0,
oder, wenn man es durch (v — f) dividiert, was nicht 0 sein kann, (x - f) (v - z) = 0 und das ergibt die syllogistische Schlußfolgerung „wenn x wahr ist, ist z wahr." Aber diese Bezeichnungsweise hat einen Nachteil; sie drückt die Sätze auf zwei verschiedene Arten aus, in der Form von Größen und in der Form von Gleichungen; und die Größen sind von zweierlei Art, nämlich solche, die entweder gleich f oder v sind, und solche, die gleich Null sind. Um dem abzuhelfen, werden wir keine Gleichungen mehr verwenden und keine Operationen ausführen, die andere Werte als I oder v ergeben. Von Operationen mit einer einfachen Variablen benötigen wir nur eine. Denn es gibt nur zwei Dinge, die über einen einzigen Satz von ihm selbst gesagt werden können, daß er wahr ist und daß er falsch ist, x = v und x = f. Die erste Gleichung wird durch x selbst ausgedrückt, die zweite durch eine beliebige Funktion 0 von x, die die Bedingungen erfüllt = f, 0f = v. Die einfachste Lösung dieser Gleichungen ist 0x = f + v — x. Ein Produkt von n Faktoren der beiden Formen (x — f) und (v — y) ist, wenn nicht Null, gleich (v — f)B. Man schreibe P für das Produkt. Dann ist P Y — - die einfachste Funktion der Variablen, die v wird, wenn das (v — I)n 1 Produkt verschwindet, und f, wenn nicht. Auf diese Weise kann jeder Satz, der sich auf ein einziges Individuum bezieht, ausgedrückt werden. Wenn wir algebraische Zeichen mit ihren üblichen Bedeutungen benutzen 32
wollen, hängen die Bedeutungen der Operationen gänzlich von denen von f und v ab. Boole wählte | v = 1, f = 0. Diese Festlegung ergibt die folgenden [186] Formen: 1+ v — x = 1— x was man am besten x schreibt. (x — f) (v — y) v
~
f 7 ~ f —
„
-
— xy
x + xy =
v - Î (v - x) (v - y) (v - z) = x + y + z — xy — xz — yz + xyz (v - f) 2 (x — ! ) ( « — I)
V- -
^
,
= 1- x y =
xy.
Mir scheint, daß, wenn man das strenge Boolesche System benutzt, das Zeichen gänzlich weggelassen werden sollte. Boole und sein Anhänger, Hr. Venn (mit dem ich niemals uneinig bin, ohne seine Bemerkungen nutzbringend zu finden), ziehen es vor, x -{-xy statt xy zu schreiben. Ich gestehe, daß ich den Vorteil davon nicht sehe, denn das distributive Prinzip trifft ebensogut zu, wenn man schreibt xyz = xz yz xyz
= xz.
yz.
Die Festlegung von v = 1,1 = 0 entspricht der üblichen Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten. Aber es ist nicht notwendig und oftmals auch nicht vorteilhaft) Wahrscheinlichkeiten auf diese Weise zu bestimmen. Ich nehme an, daß Boole bei der Formulierung seiner Algebra mit den Buchstaben zuerst Sätze oder Ereignisse bezeichnen wollte. Wie er den Gegenstand darstellt, sind sie Klassennamen; aber es ist nicht notwendig, sie so zu betrachten. Nehmen wir z. B. die Gleichung t = n -f- hf, was bedeuten möge, daß die Gesamtheit der Steuerzahler sich aus allen Einheimischen und den einen Hausstand besitzenden Ausländern zusammensetzt. Wir können die Bedeutung durch eines der beiden folgenden Bezeichnungssysteme erhalten, die sich in der Tat eher grammatisch als logisch unterscheiden. Zeichen
Signifikation 1. System
Signifikation 2. System
t n h
Steuerzahler Einheimischer Hausstandbesitzer Ausländer
Er Er Er Er
f 4*
ist ist ist ist
ein ein ein ein
Steuerzahler Einheimischer Hausstandbesitzer Ausländer 33
j 186] | Es gibt keinen Anzeiger, der zeigt, wer das „ E r " im zweiten System ist, aber das ist bedeutungslos. Wenn man sagt, daß er ein Steuerzahler ist, so ist das das gleiche, wie wenn man sagt, er ist ein Einheimischer oder ein Hausstandbesitzer oder ein Ausländer. So gesehen, sind die Konstanten 1 und 0 einfach die Wahrscheinlichkeiten für denjenigen, der weiß, was wahr und was falsch ist; und so wird das ganze System einheitlich gemacht. Was mich betrifft, so ziehe ich es im Moment vor, f und v keine bestimmten Werte zuzuordnen, ich setze die logischen Operationen auch nicht mit irgendwelchen bestimmten arithmetischen gleich, wobei ich die Möglichkeit offen lasse, dies hiernach in der Art zu tun, die am geeignetsten erscheint. Außerdem ist das ganze System, die Arithmetik in den Gegenstand einzuführen, gekünstelt, und moderne Vertreter Booles benutzen es nicht. Die Algebra der Logik sollte aus sich selbst entstehen, und die Arithmetik sollte aus der Logik hervorgehen, anstatt auf sie zurückzugreifen. 1 ] Gehen wir zum Anfang der Betrachtungen zurück, und nehmen wir an, daß das Schreiben eines Buchstaben allein bedeutet, daß ein gewisser Satz wahr ist. Dieser Buchstabe ist ein Symbol. Es besteht eine allgemeine Übereinkunft, daß auf den tatsächlichen Sachverhalt oder auf irgendeinen anderen Bezug genommen wird. Diese Übereinkunft muß mit Hilfe eines Anzeigers festgelegt worden sein und kommt bis zu einem bestimmten Grad ohne andere Anzeiger aus. Die Verneinung eines Satzes wird durchgeführt, indem ein Strich darüber gezogen wird. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß die grundlegende und hauptsächliche Form der Relation zwischen zwei Sätzen die ist, die wir ausgedrückt haben in der Form: (x - f) (v - y) v- f Wir werden das schreiben x- + fjaiVjZi) • Aus diesen beiden Prämissen kann wenig geschlossen werden. Um zu obiger Schlußfolgerung zu kommen, ist es notwendig, hinzuzufügen, daß die Klasse [202] der X eine endliche Menge ist; wäre das nicht | notwendig, träfe die folgende Art des Schließens zu (wenn das begrenzte Universum aus Zahlen besteht), denn es stimmt genau mit DeMorgans Schema überein. Es gibt eine ungerade Zahl, die Primzahl ist; Jede ungerade Zahl hat ihr Quadrat, das weder Primzahl noch gerade ist; Folglich gibt es eine Zahl, die weder ungerade noch gerade ist. 5 ) 50
Wenn wir nun sagen, daß eine Menge von Gegenständen endlich ist, ist es dasselbe, wie wenn wir sagen, daß, wenn wir innerhalb der Klasse von einem zum anderen gehen, wir notwendigerweise zu einem der Individuen gelangen werden, die wir bereits passiert haben; das heißt, wenn jedes einzelne der Menge in irgendeiner eineindeutigen Beziehung zu irgendeinem der Menge steht, dann steht zu jedem einzelnen der Menge irgendeins in derselben Relation. Das schreibt man so: nßnuEvZ,nt{cf
+ x«, + xvrußv + x8(xt +
rtßs)}.
Wenn wir das mit den beiden Prämissen und der zweiten Definitionsformel für c vereinigen, erhalten wir EaZjißn^EjiiZj
n,nrneijfngxayac,
~t~ r^iVjZj)
{Cß + %u+ xvrußv + xs(xt + rlßs)} (cr + reyg + ffyw
+
\e}).
Wir setzen nun « für ß und für y, a für u und für e, j für t und für /, v für g. Der Faktor mit i muß wiederholt werden, indem man zuerst s und dann v für i setzt. Der Boolesche Teil reduziert sich so auf (xs + fjasVjZj) CaXayaTaavXvTjavyjZjlaj + TjasyjZjX^Kj(xv -f- TjavyjZj) {vaav -(- Tjav -(- 1aj) , was nach Weglassen von Faktoren ergibt VaHi^-ai "i- XjZj. Wir erhalten so.die Schlußfolgerung: EjXjZj. E s ist klar, daß dieses Verfahren durch eine mehr ikonische und weniger logisch analytische Bezeichnungsweise sehr abgekürzt werden könnte. Wie streng analytisch das vorliegende System ist, wird offensichtlich, wenn wir überlegen, daß jede Substitution von Indizes, von denen neun verwendet wurden, um zu dem letzten Schluß zu kommen, ein anderer Vorgang des Schließens ist. Das Weglassen von (yafjlaj) ergibt zehn Schlußschritte zwischen den Prämissen und der Schlußfolgerung des Syllogismus der transponierten Quantität. * in: The American Journal of Mathematies 7, 1885, S. 180—202; Neudruck in Ch. Hartshorne — P. Weiss, Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Cambridge, Harvard University Press [1933], Bd. III, S. 210—249. Vgl. Proceedings American Academy of Arts and Sciences, Bd. VII, S. 294, 14. Mai, 1867. 2) Studies in Logic, von Mitgliedern der Johns Hopkins Universität. Boston: Little & Brown, 1883. [Der Titel der zitierten Arbeit von O. H. Mitchell lautet: On a new algebra of logic]. 1 ] Mit dieser Bemerkung geht Ch. S. Peirce über die Intentionen der Algebra der Logik hinaus. Diese programmatische Idee wird in den Arbeiten von G. Prege und B. Russell voll wirksam (vgl. Kapitel III). 3 ) Es ist interessant zu beobachten, daß dieser Schluß dilemma-artig ist. In der Tat schließt das Dilemma das fünfte Ikon ein. Von den Humanisten der Renaissance 51
wurde das Dilemma erst aus der Rhetorik in die Logik gebracht; und zu der Zeit wurde Logik mit so wenig Genauigkeit betrieben, daß das besondere Wesen dieser Art des Schließens nicht beachtet wurde. Das führte mich dazu, anzunehmen, daß die ganze non-relative Logik aus den Prinzipien der alten Syllogistik herleitbar wäre, und dieser Irrtum ist in Kapitel I I meiner Arbeit im dritten Band dieser Zeitschrift enthalten. Mein Freund, Professor Schröder, entdeckte den Fehler und zeigte, daß die distributiven Formeln (x + y) z —< xz + yz (x + z) (y + z) —< xy + z nicht aus syllogistischen Prinzipien abgeleitet werden konnten. Ich selbst hatte das unabhängig davon entdeckt und im wesentlichen dasselbe festgestellt (Studies in Logic, S. 189). Es besteht eine gewisse Uneinigkeit im Hinblick auf die Definition des Dilemmas (siehe Keynes' ausgezeichnete Formal Logic, S. 241); aber die geeignetste Definition wäre ein Syllogismus, der von den oben erwähnten distributiven Formeln abhängt. Die distributiven Formeln xz + yz —< (x -f y) z xy + z—i(x + z) (y + z)
4
sind streng syllogistisch. Die von DeMorgan hinzugefügten Arten sind im Prinzip dilemma-artig, da sie von dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten abhängen. ) Ich will nur nebenbei bemerken, daß die Quantifizierung numerisch gemacht werden kann; sie erzeugt so die numerisch bestimmten Schlüsse von DeMorgan und Boole. 2 Angenommen, wenigstens — der Gesellschaft tragen weiße Schlipse und wenigstens 3 ® — tragen Abendanzüge. Es bedeute w ,er trägt einen weißen Schlips' und d ,er trägt 4 einen Abendanzug'. Dann lauten die beiden Sätze Y
(w)
und
- j (d).
Diese müssen miteinander multipliziert werden. Aber wir müssen daran denken, daß 2 . 3 xy usw. eine Abkürzung für x + y ist und müssen daher schreiben: — w -\ d. 3 4 ~2 2 / 1\ Nun ist — w die Verneinung von — w, und diese Verneinung muß I > —) w geschrie3 3 y 3J ben werden, oder mehr als — des Universums (der Gesellschaft) tragen keine weißen Schlipse. Also ® 7 ' "
(»7)
ä
'
Aus den zusammengefaßten Prämissen wird so
Nun ergibt 52
-i-j
+ | > -j - j d : Möglich
+ -^-j {w + d ) .
Wir erhalten so: Möglich ^
(w +
d),
und das ist: ^Wenigstens j ^ j (w +
d),
welches die Conclusio ist. ] Im Original steht versehentlich: q^jic6 ) Ein anderes Beispiel von DeMorgan ist folgendes: „Angenommen, jemand stellt beim Überprüfen der Einkäufe vom Tage anhand seiner Kontoauszüge fest, daß er sicherlich ebenso Viele Schecks auf seine Bank ausgestellt hat (und vielleicht noch mehr) wie er Einkäufe gemacht hat. Aber er weiß, daß er einige seiner Einkäufe mit Geld oder anders als mit Schecks bezahlt hat. Er schließt daraus, daß er Schecks für irgendetwas anderes als die Einkäufe dieses Tages ausgestellt hat. Er schließt durchaus richtig." Angenommen jedoch, das was geschah, war folgendes: E r kaufte etwas und stellte einen Scheck dafür aus; aber statt mit dem Scheck zu bezahlen, zahlte er bar. Aber er machte einen weiteren Einkauf für denselben Betrag und stellte einen anderen Scheck aus. Anstatt jedoch mit diesem Scheck zu zahlen, zahlte er mit dem zuvor ausgestellten. Und so fuhr er unaufhörlich oder ad infiniturn fort. Die Prämissen bleiben selbstverständlich wahr, aber der Schluß ist falsch. 2
IL 3 E. Schröder
Vorlesungen über die Algebra der Logik (Exakte Logik)* | Am letzten Beispiel, der Subsumtion 0 l* 1 ] läßt sich übrigens schon [245] darthun, daß es in der That unzulässig ist, unter 1 eine so umfassende, sozusagen ganz offene Klasse, wie das oben geschilderte „Universum des Diskussionsfähigen" (von Boole) zu verstehen.2] Wie ausgemacht ist, sollte nämlich 0 in jeder Klasse, welche aus der Mannigfaltigkeit 1 herausgehoben werden kann, mitenthalten sein, sodaß 0 ={= a gilt, 0 sollte Subjekt zu jedem Prädikate sein. Verstünden wir nun unter a die Klasse derjenigen Klassen der Mannigfaltigkeit, welche gleich 1 sind, [und dies wäre ja, wenn wir alles Denkmögliche in die Mannigfaltigkeit 1 hereinziehen dürfen, gewiß erlaubt], so umfaßte diese Klasse wesentlich nur ein Objekt, nämlich das Symbol 1 selbst, beziehungsweise das Ganze der Mannigfaltigkeit, die seine Bedeutung ausmacht — ausserdem aber auch „nichts" mithin 0. Da nun also 1 und 0 die Klasse derjenigen Objekte ausmachten, welche gleich 1 zu gelten haben, so müßte nicht nur: 1 = 1, sondern auch: 0 = 1 anerkannt werden. Denn ein Prädikat, welches einer Klasse zukommt (hier das Prädikat, identisch gleich 1 zu sein), muß auch jedem Individuum dieser Klasse zukommen, gemäß Prinzip II. 3 ] In einer solchen Mannigfaltigkeit, wo 0 = 1 gälte, würde jede Möglichkeit der Unterscheidung zweier Klassen oder auch Individuen von vornherein ausgeschlossen sein; hier wäre dann alles „warst". [ ] Wir werden die Gleichung: 0=1 53
[246] | n u r anzuerkennen vermögen f ü r eine völlig leere Mannigfaltigkeit 1, eine Mannigfaltigkeit, welche selbst gar Icein Element oder Individuum enthält — u n d eine solche schließen wir von unsern Betrachtungen grundsätzlich aus. Die vorstehende Überlegung würde — mutatismutandis — auch statthaft gewesen sein, wenn man in ihr das Symbol 1 von Anfang an durch den Namen irgend einer speziellen Klasse 6 der erstbetrachteten Mannigfaltigkeit ersetzt hätte; sie würde ebenso auf die absurde Gleichung 0 = 6 geführt haben. Und zwar wie folgt: Es gelte 0 a für jede Klasse a. Versteht man unter a die Klasse derjenigen Gebiete, welche gleich 6 sind, so muß diese neben 6 (welches ja von allen Gebieten ganz allein gleich 6 ist) auch die identische 0 enthalten, was eben die Subsumtion 0 ^ a behauptet. Dann muß also auch 0 ein solches Gebiet sein, welches gleich b ist; es folgt (im Widerspruch mit obigem) so:
0 = 6— für jedes b!
Diese Überlegungen zeigen, dass Boole's universelle Interpretation der 1 in der T h a t eine zu weitgehende gewesen.1) I m eigentlichen Gebietekalkul, f ü r die Gebiete a einer Mannigfaltigkeit 1 von P u n k t e n z. B., läßt sich die Subsumtion 0 ^ a, wie wir schon sahen, ganz unumschränkt aufrecht erhalten. Doch ist n u n die Frage zu beantworten, inwiefern sich diese Gesetze des Kalküls auch auf die Mannigfaltigkeit, gebildet aus allen möglichen Klassen, aus irgendwelchen Objekten des Denkens werden übertragen lassen. E s ist gezeigt, daß es unzulässig ist, diese Mannigfaltigkeit 1 vollkommen bestimmungslos, sie gänzlich uneingeschränkt oder offen zu lassen, indem sich gewisse denkmögliche Formulierungen der Prädikatklasse a schon in (2 X ) 4 ] als unzulässig erwiesen. Wie m u ß sie n u n aber beschaffen sein, damit auf sie angewendet, die Regeln des Kalküls, insbesondere die Def. (2 X ), zu Widersprüchen in sich nicht mehr führen können? Ich will die Antwort auf diese schwierige Frage zu geben versuchen. Wir haben es zunächst zu t h u n mit einer Mannigfaltigkeit von irgend welchen „Dingen" — Objekten des Denkens überhaupt — als ,,Elementen" oder „Individuen". Diese mögen (sämtlich oder auch zum Theil) von vornherein gegeben, oder aber (zum anderen Theil oder sämtlich) nur begrifflich irgendwie bestimmt sein. Denn völlig bestimmungslos dürfen sie, wie schon gezeigt, nicht bleiben. D a m i t die Symbole 0 und 1 etc. nach den Regeln des Kalküls in dieser Mannig[247] faltigkeit verwendbar seien, wird dieselbe hinsichtlich | der Art, wie ihre Elemente gegeben oder auch begrifflich bestimmt sein dürfen, gewisse Anforderungen zu erfüllen haben. Als eine erste Anforderung haben wir schon in § 7 unter Postulat ((1+)) die n a m h a f t g e m a c h t : daß die Elemente der Mannigfaltigkeit sämtlich vereinbar, miteinander ,,verträglich" sein müssen. 5 ] Nur in diesem Falle bezeichnen wir die Mannigfaltigkeit mit 1. Im andern dagegen ziehen wir f ü r dieselbe den Namen oo vor als des einzigen (Zahl?)-Zeichens aus dem Bereich der Arithmetik, welches daselbst eine definitive unerfüllbare Forderung (die: mit 0 multipliziert 1 zu geben) ausdrückt (wogegen die anfängliche Unmöglichkeit andrer Symbole, wie —1, i = ]/—!, etc., sich bekanntlich durch Erweiterung des 54
Zahlengebiets beheben ließ), als des spezifischen Symboles, also der Unmöglichkeit. [ ] Eine Mannigfaltigkeit, welche demnach oo zu nennen wäre, lassen wir im „identischen" Kalkül außer Betracht. Sind die Elemente der Mannigfaltigkeit vereinbar, so lassen sich in derselben kollektiv nach Belieben Systeme, „Gebiete" aus ihren Elementen zusammensetzen, in ihr abgrenzen, es lassen sich m. a. W. auch zwecks distributiver Verwendung irgendwie Klassen von Individuen aus ihr hervorheben. Und insbesondere gehören auch ihre Individuen selbst mit zu den Klassen, welche wir dann, wenn sie eben zu nur einem Individuum zusammenschrumpfen, als „monadische" oder ,,singuläre" Klassen bezeichnen mögen. Durch jenen Prozeß der beliebigen Hervorhebung von Klassen von Individuen der ursprünglich gedachten Mannigfaltigkeit wird nun (im Allgemeinen) eine neue, noch viel umfassendere Mannigfaltigkeit entstehen, geschaffen, nämlich die der Gebiete oder Klassen der vorigen. So ist die Mannigfaltigkeit der Punktgebiete der Tafelfläche eine viel umfassendere als die Mannigfaltigkeit ihrer Punkte; denn während die letztere als Gebiete, Punktklassen, nur irgend welche Flächen enthält, umfaßt die erstere außer diesen selben Flächen (als ihren „singulären" Klassen) auch noch alle denkbaren Gattungen von Flächen, z. B. die Gattung der kreisförmigen Flächen, als Klassen in sich. Jedes Individuum der letztern Mannigfaltigkeit ist ein Punktgebiet, eine Fläche, die auch in Linie, Punktgruppe oder Punkt zusammenschrumpfen kann. Jedes Individuum der erstem ist eine Gattung von Punktgebieten, die ebenso auch in ein einzelnes Punktgebiet schrumpfen kann und notwendig auch alles vorige mit in sich schließt. | Die neue Mannigfaltigkeit könnte man als die „zweite Potenz" der vorigen [248] — besser wohl als deren „erste abgeleitete oder derivirte Mannigfaltigkeit" bezeichnen. Von ihr ließen sich abermals eine (eventuell) neue, noch umfassendere Mannigfaltigkeit „ableiten", welche als die derivirte der ersten derivirten oder als die zweite abgeleitete Mannigfaltigkeit der ursprünglichen zu bezeichnen wäre. Und so fort. Wie aus den vorausgeschickten Überlegungen zu ersehen ist, darf nun die Bedeutung der identischen 1 sich von der ersten jedenfalls nicht über die zweite, deren „abgeleitete" Mannigfaltigkeit, mit erstrecken, noch weniger also über noch höhere von den abgeleiteten Mannigfaltigkeiten. Und damit auch in der ursprünglichen Mannigfaltigkeit die Subsumtion (2 + ) 6 ] aufrecht erhalten werden könne, ist von vornherein erforderlich (und hinreichend), dass unter ihren als „Individuen" gegebenen Elementen sich keine Klassen befinden, welche ihrerseits Elemente derselben Mannigfaltigkeit als Individuen unter sich begreifen. •Bildet man auch nur eine singuläre „Klasse" in ebendieser und ließe solche als ein neues Individuum derselben zu, so drängte augenblicklich wieder die identische Null sich zu ihr hinzu, schlüpfte sozusagen durch die Thür der Def. (2 X ) in sie ein. Ich werde eine Mannigfaltigkeit der genannten Art eine „reine" nennen — im Gegensatz zu einer „gemischten", bei welcher obige Anforderung nicht durchaus erfüllt ist, also wenigstens einzelne Elemente Klassen sind, die schon andere Elemente derselben als Individuen enthalten. 55
Damit der identische Kalkül auf eine Mannigfaltigkeit anwendbar sie eine reine Mannigfaltigkeit sein von vereinbaren Elementen.
sei,
muß
* 1. Bd., Leipzig 1890 (Gekürzter Nachdruck der 4. Vorlesung, § 9, Konsequenzen der Adjungirung einer Nullklasse. S. 245—248). 1 ] Mit „a 5" bezeichnet E. S c h r ö d e r die Beziehung des Enthalten- oder Identischseins eines Gebietes a („Subjektgebiet") mit dem Gebiet b („Prädikatgebiet"). Vgl. ebenda S. 126ff. bzw. S. 159f. 2 ] Das „Universum des Diskussionsfähigen" (universe of discourse) ist die von B o o l e in die algebraische Logik eingeführte Klasse alles Denkbaren, d. h. dessen, wovon überhaupt gesprochen werden könne. Die Kiitik dieser Begriffsbildung durch E. S c h r ö d e r wird ihrerseits wieder durch G. P r e g e (Kritische Beleuchtung einiger Punkte in E. S c h r ö d e r s Vorlesungen über die Algebra der Logik; Archiv für systematische Philosophie, I. Band, 4. Heft, S. 435—456) einer das Problem aber offenbar gar nicht in seiner Bedeutung auch für sein logizistisches Programm erkennenden kritischen Analyse unterzogen. 3 ] Das Prinzip I I ist die Transitivität der Subsumtion. Vgl. ebenda S. 170. J ) Bei der Abfassung meines „Operationskreis etc." hatte ich diesen Umstand noch nicht beachtet. 4 ] „... und zwar erfolge die Definition (2 X ) der „identischen Null" dadurch, daß wir die Subsumtion O^za als eine allgemeingültige, nämlich für jedes Gebiet a unsrer Mannigfaltigkeit anzuerkennende hinstellen. Dies will sagen: 0 nennen, wir ein Gebiet, welches zu jedem Gebiet a in der Beziehung der Einordnung steht, welches in jedem, Gebiet der Mannigfaltigkeit enthalten ist" (E. S c h r ö d e r , ebenda S. 188). 5 ] Nur dadurch, so besagt das Postulat ((1+)) außer dem im Text folgenden noch, könne die Mannigfaltigkeit „als ein Ganzes" gedacht werden (vgl. ebenda S. 212). 6 ] Die Definition (2+) der „identischen Eins" lautet: „1 nennen wir ein Gebiet, zu welchem jedes Gebiet a in der Beziehung der Einordnung steht, in welchem jedes Gebiet der Mannigfaltigkeit enthalten ist" (ebenda S. 188).
56
III
Klassische Logik Das Kernstück der modernen Logik ist die zweiwertige extensionale Logik, die sogenannte klassische Logik. Zu einem großen Teil ist sie das Werk von G. Frege. Bereits in G. F r e g e s Begriffsschrift [1879] (III. 2.), die mit Recht nur mit den Ersten Analytiken des A r i s t o t e l e s verglichen werden kann, findet man neben theoretischen Einsichten, die Gemeingut der modernen Logik wurden, wie z. B. eine klare Unterscheidung zwischen Variablen und Konstanten, Gesetzen und Regeln, die Begriffe der logischen Funktionen (Aussagefunktionen) und Quantoren, die Semantik von Sinn und Bedeutung, auch das erste axiomatische System der klassischen Logik. Alle diese Erkenntnisse, die in einer Reihe anderer Arbeiten Freges [1884], [1891] (III. 1.), [1892], [1893—1903] weiter untersucht und vertieft wurden, fanden lange keine entsprechende Beachtung. Zum Teil ist das auch durch F r e g e s eigentümliche, von der üblichen „algebraischen" Symbolik stark abweichende, zweidimensionale Schreibweise bedingt. Die Bedeutung der Fregeschen Arbeiten als Beginn einer neuartigen Entwicklungsform der modernen Logik wurde zuerst von B. R u s s e l l erkannt. R u s s e l l leistete nicht nur bedeutsame Beiträge zu ihrer weiteren Ausarbeitung, sondern folgte auch den mit der Entwicklung dieser Logik verbundenen Intentionen G. F r e g e s : Begründung der Mathematik durch die Logik (vgl. Anmerkung4] zu DI. 1.). In der Symbolik schloß sich B. R u s s e l l weitgehend der von G. P e a n o und seiner Schule [1889], [1894], [1895—1908] geschaffenen Symbolik an. Nach einer Reihe von bereits für sich zum Teil nachhaltig wirksamen Vorarbeiten, besonders [1903], [1908], schuf B. R u s s e l l zusammen mit A. N. W h i t e h e a d das monumentale Grundwerk der klassischen Logik, die Principia Mathematica [1910—1913]. Dieses Werk bildet einerseits den Abschluß der vorhergehenden, andrerseits den unmittelbaren Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung der modernen Logik. In der klassischen Logik wird nach dem Vorbild G. F r e g e s und im Unterschied zu der Algebra der Logik eine klare Trennung von Aussagen- und Klassenlogik vorgenommen. Die Aussagenlogik wird als die elementare und zugleich fundamentale deduktive Theorie an die Spitze des systematischen Aufbaus der Logik gesetzt. Von besonderer Bedeutung für die klassische Logik ist die Theorie der Wahrheitsfunktionen, die ein semantisches Modell des Aussagenkalküls ist. In bezug auf diese Interpretation wurde auch die Matrizenmethode entwickelt, von der bereits G. B o o l e ([1847], S. 49ff.) Kenntnis hatte. Ch. S. P e i r c e [1885] und E. S c h r ö d e r ([1890-1905], Bd. II) war sie ebenfalls bekannt. Systematisch wurde diese Methode jedoch jeweils unabhängig von E. L. P o s t ([1921], S. 169ff.), J . Lukasiewicz [1921] und L. W i t t g e n s t e i n [1921] ausgearbeitet und als aussagenlogisches Entscheidungsverfahren (X.) eingeführt. Eine Übertragung dieser Methode auch auf die Prädikatenlogik wurde zum ersten Male von A. L. F o s t e r [1931] vorgenommen, später und unabhängig von ihm durch G. H. v. W r i g h t [1957]/[1948], [1957]/[1949]. (Vgl. auch L. B o r k o w s k i - J . S l u p e c k i [1958]; S. S a i t o [1963]). 57
Weitere Literatur: I. I. ¿ e g a l k i n [1927]; J. L u k a s i e w i c z — A. T a r s k i [1930], S. 32ff.; J. H. W o o d g e r - W. P. F l o y d [1935/36]; J. K a l i c k i [1950]; H. H e r m e s [1951]; H. A. S c h m i d t [i960]; N. R e s c h e r [1962], Ein anderes aussagenlogisches Entscheidungsverfahren liefert die auf G. B o o l e ([1854], S. 72ff.) zurückgehende und besonders von D. H i l b e r t und seiner Schule entwickelte verneinungstechnische und kanonische (ausgezeichnete) Normalform (vgl. z. B. D . H i l b e r t - W . A c k e r m a n n [1928], S. 13ff.). Der syntaktische Aufbau konzentrierte sich auf die Axiomatisierung der Aussagenlogik. Das erste Axiomensystem hat G. F r e g e ([1879], S. 25—50) geschaffen. Die A x i o m e dieses Systems sind: (1) CpCqp
(2) CCpCqrCCpqCpr
(3)
CCpCqrCqCpr
(4) CCpqCNqNp
(5) CNNpp
(6)
GpNNp.
Eine Vereinfachung des Axiomensystems gaben J . L u k a s i e w i c z und A . T a r s k i ([1930], S. 35). Das A x i o m (3) wurde eliminiert, da es sich aus den A x i o m e n (1) und (2) ableiten läßt, und die A x i o m e (4) — ( 6 ) durch ein neues A x i o m CCNpNqCqp ersetzt. Andere Axiomensysteme stammen z. B. von : a) A . N . W h i t e h e a d CAppp
CqApq
B. R u s s e l l ([1910], S. 100):
CApqAqp
CApAqrAqApr
CCqrCApqApr;
b) D. H i l b e r t ([1923], S. 153): CpCqp
CCpCpqCpq
CCpCqrCqCpr
CCqrCCpqCpr
CpCNpq
CCpqCCNpqq; c) D . H i l b e r t -
W . A c k e r m a n n ([1928], S. 22): CAppp
CpApq
CApqAqp
CCpqCArpArq;
d ) J. L u k a s i e w i c z ([1929], S. 45, 121ff.): CCpqCCqrCpr
CCNppp
CpCNpq.
Aus diesen Belegen ist ersichtlich, daß man bemüht war, die Anzahl der A x i o m e soweit als möglich zu verringern. Diese Tendenz erreicht ihren Höhepunkt im Axiomensystem von J. G. P . N i c o d [1917], das nur ein A x i o m enthält: DDpDqrDDtDttDDsqDDpsDps. M. W a j s b e r g [1932] verringerte die in diesem A x i o m enthaltenen Aussagenvariablen und führte folgendes A x i o m ein: DDpDqrDDDsrDDpsDpsDpDpq. Ein ähnliches eingliedriges Axiomensystem stammt von J. L u k a s i e w i c z (J. L u k a s i e w i c z — A . T a r s k i [1930], S. 37), der auf Grund von Vorarbeiten A . T a r s k i s (vgl. St. L e s n i e w s k i [1929], S. 58) folgendes A x i o m aufgestellt hat: CCCpCqpCCCNrCsNtCCrCsuCCttsCtuvCuw. 58
Die Möglichkeit, verschiedene Axiomensysteme aufzustellen, ist durch die Auswahl von primitiven, nichtdefinierten Grundbegriffen bedingt. So sind z . B . im System von A. N. W h i t e h e a d — B. R u s s e l l [1910—1913] die Alternative und die Negation Grundbegriffe, wobei die anderen aussagenlogischen Funktoren folgendermaßen definitorisch eingeführt werden: Cpq —Dt ANpq Dpq =D{ ANpNp
Kpq =DJ Epq
NANpNq =D/KCpqCqp.
Ähnlich sind im System von J . L u k a s i e w i c z [1929] die Implikation und die Negation nichtdefinierte Grundbegriffe, während die anderen Funktoren wie folgt definiert werden: Apq =Df GNpq Dpq —Di CpNq
Kpq =Df Epq =Di
NCpNq KCpqCqp.
Zu den Axiomensystemen sei noch folgendes bemerkt. Der im Nicodschen Axiomensystem auftretende Funktor D ist der von H. M. S h e f f e r ([1913], S. 487) eingeführte Funktor der Unverträglichkeit mit der Wahrheitsmatrix „ O l l i " . Daß man übrigens nicht nur mit Hilfe des Shefferschen Funktors alle anderen klassischen Aussagefunktoren definieren kann, sondern dasselbe auch der Nicodsche Funktor mit der Wahrheitsmatrix ,,0001" leistet, hat E. Z y l i n s k i [1925] bewiesen. A. T a r s k i [1923] hat gezeigt, daß auch die Äquivalenz als Undefinierter Grundbegriff benutzt werden kann. Ähnlich hatte schon C. E. V a n H o r n [1917] vorgeschlagen, die Aussagenlogik mit Hilfe eines einzigen nichtdefinierten Grundbegriffs, dem Funktor „Deltation" zu axiomatisieren. Trotzdem gibt man aus methodologischen Gründen einem axiomatischen Aufbau der Aussagenlogik mit mindestens zwei Grundbegriffen den Vorzug. So z. B. mit den Funktorenpaaren N—C, A—N oder K—N. Im allgemeinen benutzt man heute das von D . H i l b e r t und P. B e r n a y s ([1934], S. 66) stammende Axiomensystem, das fünf Grundbegriffe enthält, demnach ohne Definitionen auskommt. In symmetrischer Weise werden dabei für jeden Grundbegriff drei Axiome angenommen: I. Formeln der Implikation: CpCqp
CCpCCpqCpq
CCpqCCqrCpr
II. Formeln der Konjunktion: CKpqp
CKpqq
CCpqCCprCpKqr
III. Formeln der Alternative (im Original Disjunktion): CpApq
CqApq
CCprCCqrCApqr
IV. Formeln der Äquivalenz: CEpqCpq
CEpqCqp
CCpqCCqpEpq 50
V. Formeln der Negation: CCpqCNqNp
CpNNp
CNNpp.
Ein ähnliches Axiomensystem stellte G. Asser ([1959], S. 78) auf. Weitere Literatur: K. S c h r ö t e r [1943]; A. R o s e [1949]; W. A c k e r m a n n [1950].
Auf der Grundlage des Aussagenkalküls wird dann der Prädikatenkalkül der ersten Stufe (der engere Funktionenkalkül im Sinne H i l b e r t s ) aufgebaut. Dazu wird z. B. in der bekannten Fassung von D. H i l b e r t und W. A c k e r mann ([1928], S. 53ff.) das axiomatische System des Aussagenkalküls um die Axiome CüxFxFy und CFyZxFx erweitert, und die beiden Ableitungsregeln des Aussagenkalküls um weitere spezifische prädikatenlogische Regeln ergänzt (IX. 6.). Dieser ursprüngliche Aufbau der Prädikatenlogik (III. 4.) brachte jedoch gewisse Schwierigkeiten mit sich und deswegen zieht man es heute vor, den Aussagenkalkül nicht um weitere Axiome, sondern nur um spezifische prädikatenlogische Regeln zu erweitern. Im allgemeinen wird dazu folgendes Regelsystem angenommen: Die Abtrennungsregel, die Regel der vorderen Generalisierung, die Regel der hinteren Generalisierung, die Regel der vorderen Partikularisierung, die Regel der hinteren Partikularisierung, die Regel der gebundenen Umbenennung und die Regel der speziellen vollfreien Umbenennung (vgl. z. B. K. S c h r ö t e r [1955-1958], I , S . 68). Beim Übergang zum Prädikatenkalkül der ersten Stufe mit Identität werden in den üblichen Darstellungen noch zwei Axiome, nämlich Ilxlxx
und
IIxIIyCIxyCFxFy,
hinzugefügt. Der Prädikatenkalkül der ersten Stufe (mit oder ohne Identität) kann desweiteren durch die Aufnahme der Kennzeichnungsterme erweitert werden, d. h. durch Ausdrücke der Art: „dasjenige x, für das Fx gilt". Die logische Analyse der Kennzeichnungsterme, die auf G. F r e g e [1893] zurückgeht, wurde besonders von B. R u s s e l l [1905] aufgegriffen und unter dem Namen „Deskriptionstheorie" weitergeführt (vgl. auch [1919], Kap. 16). Eine weitergehende logische Präzisierung, verbunden mit ihrer Vervollkommnung zu einer logischen Theorie, stammt von K. S c h r ö t e r [1956]. Die Kompliziertheit des Ableitens in einem axiomatischen System der Prädikatenlogik wird seit den Untersuchungen von G. Gentzen [1934] (vgl. auch G. Gentzen [1969]) in zahlreichen Darstellungen (vgl. z. B. H. Hermes [1963], Fr. v. K u t s c h e r a [1967], R. M. S m u l l y a n [1968], A. B. M a n a s t e r [1975], L. B o r k o w s k i [1976]) durch Anwendung regellogischer Methoden (VII.) vermieden. Der Prädikatenkalkül der ersten Stufe mit Identität und Kennzeichnungstermen wird oft auch (in bezug auf die moderne Logik) als „elementare Logik" bezeichnet. Erweiterungen sind in verschiedenen Richtungen erfolgt: Nach dem Vorbild der Principia Mathematica kann man eine Klassen- und Relationslogik 60
aufbauen; im Anschluß an D. H i l b e r t kann man zur Prädikatenlogik zweiter, dritter usw. Stufe und schließlich zur vollen Stufenlogik übergehen; Anregungen von A. Mostowski [1957] führten zur Hinzunahme zusätzlicher verallgemeinerter Quantoren, und A. T a r s k i [1958] regte die Untersuchung von infinitären Logiken an, in denen unendlich lange Ausdrücke zugelassen sind (vgl. auch M. Makkai [1977]). Der Klassenkalkül im engeren Sinne des Wortes ist ein Kalkül, in dem nur Klassen betrachtet werden, deren Elemente Individuen sind. Dieser Kalkül geht auf G. B o o l e zurück (vgl. H.) und ist mit dem monadischen, d. h. einstelligen Prädikatenkalkül der ersten Stufe isomorph. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß man — unter gewissen Einschränkungen (XI.) — zu jeder Eigenschaft eine Klasse von Objekten, die diese Eigenschaft haben, konstruieren kann, bzw. daß man anstatt des prädikatenlogischen Ausdrucks Fx den klassenlogischen Ausdruck xzF setzen kann (vgl. z . B . Er. v. K u t s c h e r a [1967]). Der Klassenkalkül ist ausreichend, um darin die klassische Syllogistik genau darzustellen (D. H i l b e r t — W. Ackermann [1928]). Sobald man aber beliebige Klassen voraussetzt, z. B. auch solche, deren Elemente selbst wieder Klassen sind, liegt eine echte Erweiterung der elementaren Logik vor. Dasselbe gilt für die Beziehung der Relationskalküle zum zwei- und mehrstelligen Prädikatenkalkül. Der Relationskalkül, der ursprünglich in den Principia Mathematica als eine selbständige logische Theorie auftritt (vgl. z. B. R. Ca m a p [1929]) wird heute als Bestandteil des Klassenkalküls aufgefaßt. Dies geht auf N. Wieners [1914] Reduktion von Relationen auf Klassen zurück und deren Verbesserung durch C. K u r a t o w s k i [1921] (vgl. noch W. O. Quine [1945a]), wonach die n-stelligen Relationen Klassen von geordneten n-Tupeln (n 2g 2) sind. Der Prädikatenkalkül der zweiten Stufe gestattet auch die Quantifizierung von Prädikatenvariablen und die Benutzung von Prädikatenprädikaten, d. h. von Prädikaten, die Eigenschaften von bzw. Beziehungen zwischen (auf Individuen bezogenen) Prädikaten darstellen. Der Übergang vom Prädikatenkalkül der ersten zu dem der zweiten Stufe kann iteriert werden und führt zu Prädikatenkalkülen höherer Stufen. Iteration ad infinitum führt zum Stufenkalkül, auch (einfache) Typentheorie genannt. Weitere Literatur: D. H i l b e r t — W. A c k e r m a n n [1928], A. C h u r c h [1956], H. Scholz — G. H a s e n j a e g e r [1961], G. Asser [1981].
Schon der Prädikatenkalkül der zweiten Stufe steht in engem Zusammenhang mit wichtigen Problemen der Mengentheorie. Erst recht gilt dies für den Stufenkalkül, dessen Herausbildung auch historisch eng verbunden ist mit dem Versuch, die Beziehungen zwischen Logik und Mengenlehre zu klären. Schwächere Erweiterungen der elementaren Logik als den Prädikatenkalkül der zweiten Stufe erhält man durch Hinzunahme weiterer Quantoren zu IIx: „für alle x" und Zx: „es gibt ein x". Schon im Rahmen der elementaren Logik benutzt man oft den Quantor ITlx: „es gibt genau ein x", aber dieser ist mittels II, Z definierbar und führt nicht zu einer echten Erweiterung der Ausdrucksfähigkeit. Die von A. Mostowski [1957] (III. 6.) diskutierten verall61
gemeinerten Qaantoren ergeben dagegen wirklich mehr Ausdrucksfähigkeit. Untersucht worden ist insbesondere die Hinzunahme von Anzahlquantoren Q*x: „es gibt it« viele x", speziell von Q 0 x: ,,es gibt unendlich viele x" und von Q { x: „es gibt überabzählbar viele x". Weitere häufig betrachtete verallgemeinerte Quantoren sind der Chang-Quantor QcX: „es gibt ebenso viele x mit ... wie überkawpt Individuen" und der von K. H ä r t i g [1965] eingeführte H ä r t i g Quantor \x mit zwei Wirkungsbereichen, für den IxH^x) H2(x) bedeutet: „es gibt ebenso viele x mit H\(x) wie x mit H2(x)". Neben eigenständigen Untersuchungen zu solchen Logiken mit verallgemeinerten Quantoren findet man viele Betrachtungen über ihre Anwendungen zur Formalisierung von (meist mathematischen) Theorien ebenso wie Ansätze zu weiterer passender Verallgemeinerung des Quantorenbegriffs. Weitere Literatur: G. F u h r k e n [1964], [1965]; P. L i n d s t r ö m [1966]; M. Y a s u h a r a [1966], [1966a]; H. J. K e i s l e r [1968], [1970]; J. L. B e l l - A. B. S l o m s o n [1969]; W. I s s e l [ 1 9 6 9 - 7 0 ] ; P. A c z e l [1970]; A. S l o m s o n [1972], [1976]; J. B a r w i s e [1974]; H. H e r r e - H. W o l t e r [1975]; Y. N. M o s c h o v a k i s [1974]; S. S h e l a h [1975]; J. M a k e w s k y - S. S h e l a h - J. S t a v i [1976]; J. B a r w i s e [1978]; J. A. M a k o w s k i [1978]; D. S e e s e [1978],
Für die nichtelementaren Logiksysteme mit verallgemeinerten Quantoren ist es nicht mehr immer möglich, Axiomensysteme zu finden, aus denen alle mit den jeweiligen Ausdrucksmitteln formulierbaren allgemeingültigen Ausdrücke ableitbar sind. So sind beispielsweise die Logiksysteme mit den Quantoren Q0 bzw. I nicht axiomatisierbar, dagegen sind die Logiksysteme mit den Quantoren Qu Qm oder Qc axiomatisierbar (vgl. J . L. B e l l — A. S l o m s o n [1969], A. S l o m s o n [1976]). Zahlreiche Resultate über diese nichtelementaren Logiksysteme hängen auch von mengentheoretischen Voraussetzungen ab; akzeptiert man beispielsweise das Konstruktibilitätsaxiom und die Nichtexistenz unerreichbarer Kardinalzahlen (s. etwa J . R. S h o e n f i e l d [1967] für diese Begriffe), so gibt es bei den Anzahlquantoren nur drei „interessante" Fälle: Q0, Qx und Q,„ — denn für jeden anderen Anzahlquantor Q& fällt die Menge der bzgl. der Logik mit Qa allgemeingültigen Ausdrücke mit der Menge der allgemeingültigen Ausdrücke bzgl. Q0, Qs oder Q01 zusammen. Statt durch zusätzliche Quantoren kann die Sprache des Prädikatenkalküls der ersten Stufe auch dadurch ausdrucksfähiger gemacht werden, daß man z. B. unendlich lange Alternativen, etwa der Form AIx\Ix2Ix?> oder auch unendlich lange Konjunktionen als korrekte Ausdrücke und als Bestandteile solcher zuläßt, wenn nur in ihnen lediglich endlich viele verschiedene Variable vorkommen. Die so erweiterte Sprache wird mit L„,ltu bezeichnet. Gestattet man nicht nur Alternativ- und Konjunktionsbildung über abzählbar unendliche Ausdrucksmengen, sondern sogar über Ausdrucksmengen mit weniger als « Elementen, « eine Kardinalzahl, so erhält man die Sprache La(u. Ist ß eine weitere Kardinalzahl, so läßt man schließlich in der Sprache La/ä auch noch die simultane Quantifizierung (mittels 77, U) von Variablenmengen 62
mit weniger als ß Elementen zu. Nach ihrer Einführung bei A. T a r s k i [1968] wurden diese Sprachen zuerst von C. R. K a r p [1964] systematisch untersucht. Weitere Literatur: A. Tarski [1962]; W. Hanf [1964]; D. S c o t t [1965]; E. L o p e z E s c o b a r [1965], [1965a]; A. Mostowaki [1968]; D. W. K u e k e r [1975]; M. A. D i c k man [1975].
Da jedoch schon die Ausdrucksmenge von L„,ia, überabzählbar ist, hat man auf Anregung von G. K r e i s e l [1965] (s. auch [1968]) auch geeignete, sog. zulässige Teilsprachen von L ^ diskutiert. Diese Untersuchungen benötigen aber umfangreiche mengen- und rekursionstheoretische Hilfsmittel; der Grundgedanke dabei ist, nur solche Ausdrucks- und Ableitungsmittel zuzulassen, die mit genau festgelegten „quasifiniten" Hilfsmitteln definierbar sind. Weitere Literatur: J. B a r w i s e [1968], [1969], [1973], [1975]; H. J. K e i s l e r [1971]; M. Makkai [1977],
III. 1 G. F r e g e
Function und Begriff* | Vor längerer Zeit 1 ) hatte ich die Ehre, in dieser Gesellschaft über das [1] Ganze von Bezeichnungen vorzutragen, das ich Begriffsschrift 1 ] genannt habe. Heute möchte ich nun diese Sache von einer anderen Seite her beleuchten und einige Ergänzungen und neue Fassungen mittheilen, deren Nothwendigkeit sich mir seitdem ergeben hat. Es kann sich dabei nicht um eine vollständige Darlegung meiner Begriffsschrift, sondern nur darum handeln, einige Grundgedanken ins Licht zu setzen. Ich gehe von dem aus, was in der Mathematik Function genannt wird. Dieses Wort hat nicht gleich anfangs eine so weite Bedeutung gehabt, als es später erlangt hat. Es wird gut sein, unsere Betrachtung bei der ursprünglichen Gebrauchsweise zu beginnen und erst dann die späteren Erweiterungen ins Auge zu fassen. Ich will zunächst nur von Functionen eines einzigen Arguments sprechen. Ein wissenschaftlicher Ausdruck erscheint da zuerst in seiner ausgeprägten Bedeutung, wo man seiner zum Aussprechen einer Gesetzmäßigkeit bedarf. Dieser Fall trat für die | Function ein bei der Entdeckung der höheren [2] Analysis. Da zuerst handelte es sich darum, Gesetze aufzustellen, die von Functionen im Allgemeinen gelten. In die Zeit der Entdeckung der höheren Analysis ist also zurückzugehen, wenn man wissen will, was zuerst in der Mathematik unter dem Worte „Function" verstanden wurde. Auf diese Frage erhält man wohl als Antwort: „unter einer Function von x wurde verstanden ein Rechnungsausdruck, der x enthält, eine Formel, die den Buchstaben x einschliesst." Danach würde z. B. der Ausdruck 2 * x3 -j- x 6
Berka-Kreiser
63
eine Function von x
2 • 23 + 2
eine Function von 2 sein. Diese Antwort kann nicht befriedigen, weil dabei Form und Inhalt, Zeichen und Bezeichnetes nicht unterschieden werden, ein Fehler, dem man freilich jetzt in mathematischen Schriften, selbst von namhaften Verfassern, sehr oft begegnet. Ich habe schon früher 2 ) auf die Mängel der gangbaren formalen Theorien in der Arithmetik hingewiesen. Man spricht da von Zeichen, die keinen Inhalt haben, noch haben sollen, legt ihnen dann aber doch Eigenschaften bei, die nur einem Inhalte des Zeichens vernünftigerweise zukommen können. So auch hier: ein blosser Ausdruck, [3] die Form für einen Inhalt kann | das Wesen der Sache nicht sein, sondern nur der Inhalt selbst. Was ist nun der Inhalt, die Bedeutung von „2 • 2 3 + 2 " ? Dieselbe wie von „18" oder von „3 • 6 " . In der Gleichung 2 • 2 3 + 2 = 18 wird ausgedrückt, daß die Bedeutung der rechtsstehenden Zeichenverbindung dieselbe sei wie die der linksstehenden. Ich muss hier der Ansicht entgegentreten, dass z. B . 2 + 5 und 3 + 4 zwar gleich, aber nicht dasselbe seien. Es liegt dieser Meinung wieder jene Verwechselung von Form und Inhalt, von Zeichen und Bezeichnetem zu Grunde. Es ist ebenso, als ob man das wohlriechende Veilchen als verschieden von Viola odorata ansehen wollte, weil die Namen verschieden klingen. Die Verschiedenheit der Bezeichnung kann allein nicht hinreichen, eine Verschiedenheit des Bezeichneten zu begründen. Hier ist die Sache nur dadurch weniger durchsichtig, dass die Bedeutung des Zahlzeichens 7 nichts sinnlich Wahrnehmbares ist. Die jetzt sehr verbreitete Neigung, nichts als Gegenstand anzuerkennen, was nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, verleitet dann dazu, die Zahlzeichen selbst für die Zahlen, für die eigentlichen Gegenstände der Betrachtung zu halten 3 ); und dann wären ja freilich 7 und 2 + 5 verschieden. Aber eine solche Auffassung [4] ist nicht zu halten, weil man gar nicht | von irgendwelchen arithmetischen Eigenschaften der Zahlen sprechen kann, ohne auf die Bedeutung der Zahlzeichen zurückzugehen. Die Eigenschaft der 1 z. B., mit sich selbst multiplicirt sich selbst wieder zu ergeben, wäre eine reine Erdichtung; keine noch so weit getriebene mikroskopische oder chemische Untersuchung könnte jemals diese Eigenschaft an dem unschuldigen Gebilde entdecken, das wir Zahlenzeichen Eins nennen. Man spricht vielleicht von einer Definition; aber keine Definition ist in der Weise schöpferisch, dass sie einem Dinge Eigenschaften verleihen könnte 2 ], die es nun einmal nicht hat, ausser der einen, das auszudrücken und zu bezeichnen, wofür die Definition es als Zeichen einführt 4 ). Dagegen haben die Gebilde, die wir Zahlzeichen nennen, physikalische und chemische Eigenschaften, die von dem Schreibmittel abhängen. Man könnte sich denken, dass einmal ganz neue Zahlzeichen eingeführt würden, wie die arabischen z. B . die römischen verdrängt haben. Niemand wird im Ernste annehmen, dass man dadurch ganz neue Zahlen bekäme, ganz neue Gegenstände der Arithmetik mit bisher noch unerforschten Eigenschaften. Wenn man also von den Zahlzeichen ihre Bedeutung unterscheiden muss, so wird [5] man auch den Ausdrücken „ 2 " , „1 + 1", „3 — 1", „ 6 : 3 " dieselbe | Bedeutung zuerkennen müssen; denn es ist gar nicht abzusehen, worin der Unterschied bestehen sollte. Man sagt vielleicht: 1 + 1 ist eine Summe, aber 6 : 3 64
ein Quotient. Was ist aber 6:3? die Zahl, welche mit 3 multiplicirt 6 ergiebt. „Die Z a h l " , nicht „eine Zahl" heißt es; mit dem bestimmten Artikel deutet man an, dass es nur eine einzige giebt. Nun ist (1 + 1 ) + (1 + 1 ) + (1 + 1) = 6, und also ist (1 + 1) eben die Zahl, welche als (6:3) bezeichnet wurde. Die verschiedenen Ausdrücke entsprechen verschiedenen Auffassungen und Seiten, aber doch immer derselben Sache. Die Gleichung x2 = 4 würde sonst nicht nur die beiden Wurzeln 2 und —2, sondern auch (1 + 1) und unzählige andere erhalten, die von einander verschieden, wenn auch in gewisser Hinsicht einander ähnlich wären. Indem man nur zwei reelle Wurzeln anerkennt, verwirft man die Ansicht, das Gleichheitszeichen bedeute kein völliges Zusammenfallen, sondern nur eine teilweise Uebereinstimmung. Halten wir daran fest, so sehen wir, dass die Ausdrücke „2 • l 3 + 1", „2 • 2® + 2 " , „2 • 4 3 + 4 " Zahlen bedeuten, nämlich, 3, 18, 132. Wenn nun die Function wirklich nur Bedeutung eines Rechnungsausdrucks wäre, so wäre sie eben eine Zahl; und etwas Neues hätten wir damit für die Arithmetik nicht gewonnen. Nun pflegt man freilich bei dem Worte „Function" an Ausdrücke zu denken, [ in denen [6] eine Zahl durch den Buchstaben x nur unbestimmt angedeutet ist, wie etwa „2-x3 + » " ; aber damit ist nichts geändert; denn dieser Ausdruck deutet dann eine Zahl auch nur unbestimmt an; und ob ich ihn hinschreibe, oder nur „x", macht keinen wesentlichen Unterschied. Dennoch werden wir eben durch die Schreibung mit dem unbestimmt andeutenden „x" auf die richtige Fassung hingeleitet. Man nennt x das Argument der Function und erkennt in „2 • I 3 + 1", „2 • 4» + 4 " , „2 • 5 3 + 5 " dieselbe Function wieder, nur mit verschiedenen Argumenten, nämlich 1, 4 und 5. Daraus ist zu ersehen, dass in dem Gemeinsamen jener Ausdrücke das eigentliche Wesen der Function liegt; d. h. also in dem, was in „2 • z 3 + x" noch ausser dem „x" vorhanden ist, was wir etwa so schreiben könnten »2 • ()3 + ()". 6*
65
Es kommt mir darauf an, zu zeigen, dass das Argument nicht mit zur Function gehört, sondern mit der Function zusammen ein vollständiges Ganzes bildet; denn die Function für sich allein ist unvollständig, ergänzungsbedürftig oder ungesättigt zu nennen. Und dadurch unterscheiden sich die Functionen von den Zahlen von Grund aus. Und aus diesem Wesen der [7] Function erklärt es sich, | dass wir einerseits in „2 • l 3 + 1" und „2 • 2 3 + 2" dieselbe Function erkennen, obwohl diese Ausdrücke verschiedene Zahlen bedeuten, während wir andererseits in „2 • l 3 + 1" und „4 — 1" trotz des gleichen Zahlenwerthes nicht dieselbe Function wiederfinden. Wir sehen nun auch, wie man leicht dazu verführt wird, gerade in der Form des Ausdrucks das Wesentliche der Function zu sehen. I n dem Ausdrucke erkennen wir die Function dadurch, dass wir ihn zerlegt denken; und eine solche mögliche Zerlegung wird durch seine Bildung nahe gelegt. Die beiden Theile, in welche der Rechnungsausdruck so zerlegt wird, das Zeichen des Arguments und der Ausdruck der Function sind ungleichartig, da ja das Argument eine Zahl, ein in sich abgeschlossenes Ganzes ist, was die Function nicht ist. Man kann dies vergleichen mit der Theilung einer Strecke durch einen Punkt. Man ist dann geneigt, den Theilungspunkt zu beiden Theilstrecken zu rechnen. Wenn man aber die Theilung rein vornehmen will, nämlich so, dass nichts doppelt gerechnet wird und nichts ausfällt, so darf man den Theilpunkt nur zu der einen Theilstrecke rechnen. Diese wird dadurch völlig in sich abgeschlossen und ist dem Argumente zu vergleichen, während der anderen etwas fehlt. Der Theilpunkt nämlich, den man ihren Endpunkt nennen könnte, gehört nicht zu ihr. Erst dadurch, dass man sie durch diesen Endpunkt oder eine Strecke mit zwei Endpunkten ergänzt, erhält man aus ihr etwas Vollständiges. Wenn ich nun z. B. sage „die Function 2 • x3 + [8] so ist x nicht als | zur Function gehörig zu betrachten, sondern dieser Buchstabe dient nur dazu, die Art der Ergänzungsbedürftigkeit anzudeuten, indem er die Stellen kenntlich macht, wo das Zeichen des Arguments einzutreten hat. Wir nennen nun das, wozu die Function durch ihr Argument ergänzt wird, den Werth der Function für dies Argument. So ist z. B. 3 der Werth der Function 2 • x2 + x für das Argument 1, weil wir haben 2 • l 2 + 1 = 3. Es giebt Functionen wie z. B. 2 + x — x oder 2 -f- 0 • x, deren Werth immer derselbe ist, was auch ihr Argument sei; wir haben 2 = 2 + x — x und 2 = 2 + 0 • x. Wenn man nun das Argument mit zur Function rechnete, so würde man die Zahl 2 für diese Function halten. Aber dies ist unrichtig. Obwohl hier der Werth der Function immer 2 ist, so ist die Function selbst doch von 2 zu unterscheiden; denn der Ausdruck einer Function muß immer eine oder mehrere Stellen aufweisen, welche zur Ausfüllung durch das Zeichen des Arguments bestimmt sind. Die Methode der analytischen Geometrie bietet nun ein Mittel, uns die Werthe einer Function für verschiedene Argumente anschaulich zu machen. Indem wir nämlich das Argument als Zahlenwerth einer Abscisse und den zugehörigen Werth der Function als Zahlenwerth der Ordinate eines Punktes betrachten, erhalten wir eine Gesamtheit von Punkten, die sich der Anschauung in den gewöhnlichen Fällen als Curve darstellt. Jeder Curvenpunkt entspricht einem Argumente mit dem zugehörigen Functionswerthe. 66
| So giebt z. B.
[9]
y = x2 — 4x
eine Parabel, wobei „y" den Werth der Function und den Zahlenwerth der Ordinate ebenso andeutet wie „x" das Argument und den Zahlenwerth der Abscisse. Vergleichen wir hiermit die Function x(x — 4), so finden wir, dass sie allgemein für dasselbe Argument denselben Werth hat wie jene. Wir haben allgemein x2 — 4% = x(x — 4), welche Zahl auch für x genommen werde. Daher ist die Curve, die wir aus y — x2 — 4x erhalten, dieselbe wie die aus y = x(x — 4) hervorgehende. Ich spreche das so aus: die Function x(x — 4) hat denselben Werthverlauf wie die Function x2 — 4x. Wenn wir schreiben x2 — 4x = x(x — 4), so haben wir nicht eine Function der anderen, sondern nur die Functionswerthe einander gleich gesetzt. Und wenn wir diese Gleichung so verstehen, dass sie gelten soll, was für ein Argument auch für x eingesetzt werden möge, so haben wir damit die Allgemeinheit einer Gleichung ausgedrückt. Wir können dafür aber auch sagen „ der Werthverlauf der Function x(x — 4) ist gleich dem | der [10] Function x2 — 4x" und haben darin eine Gleichung zwischen Werthverläufen. Dass es nun möglich ist, die]Allgemeinheit einer Gleichung zwischen Functionswerthen als eine Gleichung aufzufassen, nämlich als eine Gleichung zwischen Werthverläufen, ist, wie mir scheint, nicht zu beweisen, sondern muss als logisches Grundgesetz 3 ] angesehen werden 5 ). Es mag nun auch eine kurze Bezeichnungsweise für den Werthverlauf einer Function eingeführt werden. Zu dem Zwecke ersetze ich das Zeichen des Arguments in dem Ausdrucke der Function durch ein griechisches Vokalzeichen, schliesse das Ganze in Klammern ein und schicke ihm denselben griechischen Buchstaben mit einem Spiritus lenis vorher. Danach ist z. B. s(e2 — 4e) der Werthverlauf der Function x2 — 4x und a((£2 _ 4£) = a(« • (a - 4))" 67
den Ausdruck dafür haben, dass der erste Werthverlauf derselbe wie der zweite ist. Die griechischen Buchstaben sind absichtlich verschieden gewählt, um anzudeuten, dass nichts dazu nöthigt, denselben zu nehmen. [11]
| „a;2 - 4x = x(x -
4)"
drückt zwar denselben Sinn aus, wenn wir es wie oben verstehen, aber in anderer Weise. Es stellt den Sinn dar als Allgemeinheit einer Gleichung, während der neu eingeführte Ausdruck einfach eine Gleichung ist, deren rechte Seite sowohl wie die linke eine in sich abgeschlossene Bedeutung hat. In „x2 — 4x = x(x — 4 ) " deutet die linke Seite, allein betrachtet, nur unbestimmt eine Zahl an und ebenso die rechte Seite. Wenn wir blos „x2 — 4x" hätten, so könnten wir dafür auch ,,\ß — 4y" schreiben, ohne den Sinn zu ändern; denn ,,y" deutet ebenso wie ,,x" nur unbestimmt eine Zahl an. Wenn wir aber beide Seiten zu einer Gleichung vereinigen, so müssen wir beiderseits denselben Buchstaben wählen und drücken dadurch etwas aus, was weder die linke Seite für sich, noch die rechte Seite, noch das Gleichheitszeichen enthält, nämlich eben die Allgemeinheit, freilich die Allgemeinheit einer Gleichung, aber doch in erster Linie eine Allgemeinheit. Wie man eine Zahl unbestimmt durch einen Buchstaben andeutet, um Allgemeinheit auszudrücken, hat man auch das Bedürfnis, eine Function unbestimmt durch Buchstaben anzudeuten. Man bedient sich dazu meistens der Buchstaben / und F in der Weise, dass in ,,f(x)" und ,,F{x)" x das Argument vertritt. Hier kommt die Ergänzungsbedürftigkeit der Function dadurch zum [12] Ausdruck, dass der Buchstabe / oder F eine Klammer | mit sich führt, deren Innenraum zur Aufnahme des Argumentzeichens bestimmt ist. Danach deutet Jf(e)" den Werthverlauf einer Function an, die unbestimmt gelassen ist. Wie ist nun die Bedeutung des Wortes Function beim Fortschreiten der Wissenschaft erweitert worden? Man kann dabei zwei Richtungen unterscheiden. Erstens nämlich ist der Kreis der Rechnungsarten erweitert worden, die zur Bildung einer Function beitragen. Zu der Addition, Multiplication, Potenzierung und deren Umkehrungen sind die verschiedenen Arten des Grenzüberganges hinzugekommen, ohne dass man allerdings immer ein klares Bewusstsein von dem wesentlich Neuen hatte, das damit aufgenommen werde. Man ist weiter gegangen und sogar genöthigt worden, zu der Wortsprache seine Zuflucht zu nehmen, da die Zeichensprache der Analysis versagte, wenn z. B . von einer Function die Rede war, deren Werth für rationale Argumente 1, für irrationale 0 ist. Zweitens ist der Kreis dessen erweitert worden, was als Argument und Functionswerth auftreten kann, durch Aufnahme der complexen Zahlen. Hiermit mußte zugleich der Sinn der Ausdrücke „Summe", „Product" u.s.w. weiter bestimmt werden. 68
In beiden Richtungen gehe ich nun weiter. Zunächst nehme ich zu den Zeichen - f , —, u. s. w. die zur Bildung eines Functionsausdruckes dienen, | noch hinzu Zeichen wie = , > , < , sodass ich z. B . von der Function x2 = 1 [13] sprechen kann, wo x wie früher das Argument vertritt. Die erste Trage, die hier auftaucht, ist die nach den Werthen dieser Function für verschiedene Argumente. Setzen wir einmal der Reihe nach für x — 1, 0, 1, 2, so erhalten wir ( - 1 ) 2 = 1, 0 2 = 1, 1 2 = 1,
2 2 = 1. Von diesen Gleichungen sind die erste und dritte wahr, die anderen falsch. Ich sage nun: „der Werth unserer Function ist ein Wahrheitswerth" und unterscheide den Wahrheitswerth des Wahren von dem des Falschen. Den einen nenne ich kurz das Wahre, den andern das Falsche. Hiernach bedeutet z. B . „2 2 = 4 " das Wahre ebenso, wie etwa ,,2 2 " 4 bedeutet. Und es bedeutet „2 2 = 1" das Falsche. Demnach bedeuten „2 2 = 4 " , „2 > 1", „2* = 4 2 " dasselbe, nämlich das Wahre, sodass wir in (22 = 4) = (2 > 1) eine richtige Gleichung haben. Es liegt hier der Einwand nahe, dass „2 2 = 4 " und „2 > 1 " doch ganz Verschiedenes besagen, ganz verschiedene Gedanken ausdrücken; aber auch „2 4 = 4 2 " und „4 • 4 = 4 2 " drücken verschiedene Gedanken aus; und doch kann man „ 2 4 " durch ,,4 • 4 " ersetzen, weil beide Zeichen dieselbe Bedeutung haben. Folglich haben auch „2 4 = 4 2 " und ,,4 • 4 = 4 2 " dieselbe Bedeutung. Man sieht | hieraus, dass die Gleichheit der Bedeutung nicht die Gleichheit [14] des Gedankens zur Folge hat. Wenn wir sagen, „der Abendstern ist ein Planet, dessen Umlaufszeit kleiner ist als die der Erde", so haben wir einen anderen Gedanken ausgedrückt als in dem Satze „der Morgenstern ist ein Planet, dessen Umlaufszeit kleiner ist als die der Erde"; denn, wer nicht weiss, dass der Morgenstern der Abendstern ist, könnte den einen für wahr, den anderen für falsch halten; und doch muss die Bedeutung beider Sätze dieselbe sein, weil nur die Wörter „Abendstern" und „Morgenstern" mit einander vertauscht sind, welche dieselbe Bedeutung haben, d. h. Eigennamen desselben Himmelskörper sind. Man muss Sinn und Bedeutung unterscheiden. 4 ] „ 2 4 " und „4 • 4 " haben zwar dieselbe Bedeutung; d. h. sie sind Eigennamen derselben Zahl; aber sie haben nicht denselben Sinn; und daher haben „2 4 = 4 2 " und „4 • 4 = 4 2 " zwar dieselbe Bedeutung, aber nicht denselben Sinn; d. h. in diesem Falle: sie enthalten nicht denselben Gedanken6). Mit demselben Rechte also, wie wir schreiben „2 4 =
4-4" 69
können wir auch schreiben „(2 4 = 4 2 ) = (4 • 4 = 4 2 )" und „(2 2 = 4) = (2 > 1)". [15]
] Ferner könnte gefragt werden, zu welchem Zwecke denn die Zeichen = , > , < in den Kreis derer aufgenommen werden, die einen Functionsausdruck bilden helfen. Es scheint jetzt die Meinung immer mehr Anhänger zu gewinnen, dass die Arithmetik weiter entwickelte Logik ist, dass eine strengere Begründung der arithmetischen Gesetze auf rein logische und nur auf solche zurückführt. 5 ] Auch ich bin dieser Meinung und gründe darauf die Forderung, dass die arithmetische Zeichensprache zu einer logischen erweitert werden muss. Wie dies in unserem Falle geschieht, wird nun anzudeuten sein. Wir sahen, dass der Werth unserer Function x2 — 1 immer einer der beiden Wahrheitswerthe ist. Wenn nun für ein bestimmtes Argument, z . B . — 1, der Functionswerth das Wahre ist, so können wir das so ausdrücken: „die Zahl —1 hat die Eigenschaft, dass ihr Quadrat 1 ist", oder kürzer: „—1 ist eine Quadratwurzel aus 1", oder ,,—1 fällt unter den Begriff der Quadratwurzel aus 1". Wenn der Werth der Function x2 = 1 für ein Argument, z. B . 2, das Falsche ist, so werden wir das so ausdrücken können: „2 ist nicht Quadratwurzel aus 1" oder „2 fällt nicht unter den Begriff Quadratwurzel aus 1". Wir sehen daraus, wie eng das, was in der Logik Begriff genannt wird, zusammenhängt mit dem, was wir Function nennen. J a , man wird geradezu sagen können: ein Begriff ist eine Function, deren Werth immer ein Wahrheitswerth ist. Auch der Werth der Function (x + l)2 = 2(x + 1)
[16] | ist immer ein Wahrheitswerth. Wir erhalten das Wahre z. B. für das Argument — 1 und werden dies auch so aussprechen können: —1 ist eine Zahl, die um 1 kleiner ist als eine Zahl, deren Quadrat ihrem Zweifachen gleich ist. Hiermit ist das Fallen der Zahl —1 unter einen Begriff ausgedrückt. Nun haben die Functionen x2 = 1 und (x + l) 2 = 2(x + 1) für dasselbe Argument immer denselben Werth, nämlich für — 1 und + 1 das Wahre, für alle anderen Argumente das Falsche. Nach dem früher Festgestellten werden wir also sagen, dass diese Functionen denselben Werthverlauf haben, und dies so in Zeichen ausdrücken: é(e2 = 1) = á(( 4 " oder „1 + 3 = 5 " nur Ausdrücke von Wahrheitswerthen, ohne dass damit etwas behauptet werden soll. Diese Trennung des Urtheilens von dem, worüber geurtheilt wird, erscheint unumgänglich, weil sonst eine blosse Annahme, das Setzen eines Falles, ohne gleich über | sein Eintreten zur urtheilen, nicht ausdrückbar wäre. Wir bedürfen also eines besonderen Zeichens, um etwas behaupten zu können. Ich bediene mich hierzu eines senkrechten Striches am linken Ende des Wagerechten, sodass wir z. B. mit „| 2 + 3 = 5" behaupten: 2 + 3 ist gleich 5. Es wird also nicht blos wie in »2 + 3 = 5" ein Wahrheitswerth hingeschrieben, sondern zugleich auch gesagt, dass er das Wahre sei7). Die nächst einfache Function mag die sein, deren Werth gerade für die 73
Argumente das Falsche ist, für welche der Werth von x das Wahre ist, und deren Werth umgekehrt für die Argumente das Wahre ist, für welche der Werth von x das Falsche ist. Ich bezeichne sie so
-T-x, wobei ich den kleinen senkrechten Strich Verneinungsstrich nenne. Ich fasse diese Function auf als eine Function mit dem Argumente x:
(_,_ *) = (_,_(
X)),
indem ich die beiden wagerechten Striche verschmolzen denke. Es ist aber auch (
( t « ) ' ) = (-r-®),
weil der Werth von -r-x immer ein Wahrheitswert ist. Ich fasse also in ,,-t— x" die beiden Strichtheile rechts und links vom Verneinungsstriche als Wagerechte auf in dem vorhin erklärten besonderen Sinne des Wortes. Es bedeutet demnach z. B . »-i—2 2 = 5 " das Wahre, und wir können den Urtheilsstrich abbringen: h - 2 * = 5; [23] | und damit behaupten wir, dass 2 2 = 5 nicht das Wahre ist, oder dass 2 2 nicht 5 ist. Es ist aber auch -1-2 das Wahre, weil
2 das Falsche ist: 1^2;
d. h. 2 ist nicht das Wahre. Wie ich die Allgemeinheit darstelle, wird an einem Beispiel am besten zu erkennen sein. Es solle ausgedrückt werden, dass jeder Gegenstand sich selbst gleich ist. Wir haben in
x—x
eine Function, deren Argument durch „x" angedeutet ist. Es soll nun gesagt werden, dass der Werth dieser Function immer das Wahre ist, was man auch als Argument nehmen möge. Ich verstehe nun unter
,,-t-m" das Wahre, wenn die Function /(x) als Werth immer das Wahre hat, was auch ihr Argument sein möge; in allen anderen Fällen soll [24]
|,,-w-/(a)" 74
das Falsche bedeuten. Für unsere Function x — x haben wir nun den ersten Fall. Es ist also a —v. = a das Wahre; und wir schreiben dies so: a i —w | — a = a.
Die wagerechten Striche rechts und links von der Höhlung sind als Wagerechte in unserem Sinne aufzufassen. Statt „ a " könnte irgend ein anderer deutscher Buchstabe gewählt werden mit Ausnahme derjenigen, die wie f, als Functionsbuchstaben dienen sollen. Diese Bezeichnungsart gewährt die Möglichkeit, die Allgemeinheit zu verneinen wie in
Es ist nämlich — v i — a 2 = 1 der Falsche, weil nicht für jedes Argument der Wert der Funktion x2 = 1 das Wahre ist. Wir erhalten nämlich z. B . für das Argument 2 • 2 2 = 1; das ist das Falsche. Ist nun — — a sche, so ist — , — w —
a2
2
= 1 das Fal-
= 1 das Wahre nach dem, was über den Verneinungs-
strich oben festgestellt ist. Wir haben also = 1; d. h. „nicht jeder Gegenstand ist Quadratwurzel aus 1", oder „es giebt Gegenstände, die nicht Quadratwurzeln aus 1 sind". Kann man auch ausdrücken, dass es Quadratwurzeln | aus 1 gebe? Gewiss! [25] man braucht nur statt der Function x2 = 1 die Function -r-x2
= 1
zu nehmen. Aus
entsteht durch Verschmelzung der Wagerechten „
"
1—„2 U = 1I" .
Dies bedeutet das Falsche, weil nicht für jedes Argument der Werth der Function -r-a; 2 = 1 das Wahre ist. Es ist z. B . —i— l 2 = 1 75
das Falsche, weil l 2 = 1 das Wahre ist. Da n u n also — v S — r - a2 = 1
das Falsche ist, so ist
w—T-a2 = 1
das Wahre:
|-i—^
a 2 = 1;
d. h. „nicht f ü r jedes Argument wird der Werth der Function —— i x^ = 1 das Wahre", oder „nicht f ü r jedes Argument wird der Werth der Function x2 = 1 das Falsche", oder „es giebt mindestens eine Quadratwurzel aus 1". E s mögen hier noch einige Beispiele in Zeichen und Worten folgen: r-a>0 es giebt mindestens eine positive Zahl; [26] I
|—i—xS—r- a < 0
es giebt mindestens eine negative Zahl; | — i — w — r - a 3 - 3a 2 + 2a = 0 es giebt mindestens eine Wurzel der Gleichung x3 - %x2 + 2x = 0. Hieraus ist zu sehen, wie die wichtigen Existentialsätze auszudrücken sind. Deuten wir einen Begriff unbestimmt mit dem Functionsbuchstaben / an, so haben wir in -i—^—r-
f(a)
die Form, in der die letzten Beispiele, abgesehen vom Urtheilsstriche, enthalten sind. Die Ausdrücke i n
— t — r - a 2 = 1",
,^—t—,-
a > 0",
a < 0",
„ - , — t — ^ a 3 - 3a 2 + 2a = 0 " gehen aus dieser Form in ähnlicher Weise hervor, wie z. B. aus x2 hervorgehen „ l 2 " , 2 2 ", „3 2 ". Wie wir n u n in x2 eine Function haben, deren Argument durch „x" angedeutet ist, so fasse ich auch ^ - ¿ - ^ / ( o r 76
als Ausdruck einer Funktion auf, deren Argument durch „ / " angedeutet wird. Eine solche Function ist offenbar grundverschieden von den bisher betrachteten; denn als ihr Argument kann nur eine Function auftreten. Wie nun Functionen von Gegenständen grundverschieden sind, so sind auch Functionen, deren Argumente Functionen sind und sein müssen, grundverschieden von Functionen, deren Argumente Gegenstände sind und nichts | Anderes [27] sein können. Diese nenne ich Functionen erster, jene Functionen zweiter Stufe. Ebenso unterscheide ich Begriffe erster und zweiter Stufe 8 ). Functionen zweiter Stufe hat man eigentlich in der Analysis längst gehabt, z. B . in den bestimmten Integralen, sofern man die zu integrierende Function als Argument betrachtet. Es mag noch etwas über Functionen mit zwei Argumenten hinzugefügt werden. Wir erhielten den Ausdruck einer Function, indem wir das zusammengesetzte Zeichen eines Gegenstandes zerlegten in einen gesättigten und einen ungesättigten Theil. Wir zerlegen so z. B . das Zeichen „3 > 2 " des Wahren in „ 3 " und „x > 2 " . Wir können den ungesättigten Theil „x > 2 " weiter in derselben Weise zerlegen in „ 2 " und >
y",
wo nun „y" die leere Stelle kenntlich macht, welche vorher durch „ 2 " ausgefüllt war. Wir haben in x>y eine Function mit zwei Argumenten, deren eines durch „x", deren anderes durch „ y " angedeutet ist, und in 3 > 2 haben wir den Werth dieser Function für die Argumente | 3 und 2. Wir haben [28] hier eine Function, deren Werth stets ein Wahrheitswerth ist. Solche Functionen mit einem Argumente haben wir Begriffe genannt; solche mit zwei Argumenten nennen wir Beziehungen. Beziehungen haben wir z. B . auch in x2 + y2 = 9 und in während die Function
x2 + y2 > 9, x2 + y2
als Werthe Zahlen hat. Wir werden sie also nicht Beziehung nennen. Es mag hier eine nicht der Arithmetik eigenthümliche Function angeführt werden. Der Werth der Function
TZy 77
sei dann das Falsche, wenn als «/-Argument das Wahre und zugleich als xArgument ein Gegenstand genommen wird, der nicht das Wahre ist; in allen anderen Fällen sei der Werth dieser Function das Wahre. Der untere wagerechte Strich und die beiden Theile, in die der obere durch den senkrechten zerlegt wird, sind als Wagerechte aufzufassen. Demzufolge kann man als Argumente unserer Function immer x und y ansehen, d. h. Wahrheitswerthe. Wir unterscheiden unter den Functionen mit einem Argumente solche erster und zweiter Stufe. Hier ist eine grössere Mannigfaltigkeit möglich. [29] Eine Function mit zwei Argumenten kann in Beziehung | auf diese von derselben oder von verschiedenen Stufen sein: gleichstufige, ungleichstufige Functionen. Die bisher betrachteten waren gleichstufige. Eine ungleichstufige Function ist z. B. der Differentialquotient, wenn als Argument genommen werden die zu differenzirende Function und das Argument, für welches differenzirt wird, oder das bestimmte Integral, sofern als Argumente die zu integrirende Function und die obere Grenze genommen werden. Die gleichstufigen Functionen können wieder in solche erster und zweiter Stufe eingetheilt werden. Eine solche zweiter Stufe ist z. B.
F(f( 1))> wo „F" und ,,/" die Argumente andeuten. Man muss bei den Functionen zweiter Stufe mit einem Argumente unterscheiden, je nachdem als dies Argument eine Function mit einem oder eine solche mit zwei Argumenten erscheinen kann; denn eine Function mit einem Argumente ist so wesentlich verschieden von einer solchen mit zwei Argumenten, dass die eine nicht an eben der Stelle als Argument auftreten kann, wo die andere es kann. Einige Functionen zweiter Stufe mit einem Argumente verlangen als solches eine Function mit einem Argumente, andere verlangen eine Function mit zwei Argumenten, und diese beiden Klassen sind scharf geschieden. b b= a '—/(e> a) /(e,b) [30] | ist ein Beispiel einer Function zweiter Stufe mit einem Argumente, die als solches eine Function mit zwei Argumenten verlangt. Der Buchstabe / deutet hierbei das Argument an, und die beiden durch das Komma getrennten Stellen in der auf „ / " folgenden Klammer machen bemerklich, dass / eine Function mit zwei Argumenten vertritt. Bei den Functionen mit zwei Argumenten wird die Mannigfaltigkeit noch größer. Wenn wir von hier auf die Entwicklung der Arithmetik zurückblicken, erkennen wir ein stufenweises Aufsteigen. Zuerst rechnete man mit einzelnen Zahlen, mit der 1, der 3 usw. 2 + 3 = 5, 78
2-3 = 6
sind Lehrsätze dieser Art. Man schritt dann zu allgemeineren Gesetzen fort, die von allen Zahlen gelten. I n der Bezeichnung entspricht dem der Uebergang zur Buchstabenrechnung. In (a-{-b)-c
=
a-
b +
b-
c
haben wir einen Lehrsatz dieser Art. Damit war man bei der Betrachtung einzelner Functionen angelangt, ohne noch das Wort im mathematischen Sinne zu gebrauchen und seine Bedeutung erfasst zu haben. Die nächst höhere Stufe war die Erkenntniss allgemeiner Gesetze von Functionen und damit die Prägung des Kunstausdruckes „Function". In der Bezeichnung entspricht dem die Einführung von Buchstaben wie /, F zur unbestimmten Andeutung von Functionen. In
haben wir einen Lehrsatz dieser Art. Damit hatte ] man nun einzelne Func- [31] tionen zweiter Stufe, ohne jedoch das zu erfassen, was wir Function zweiter Stufe genannt haben. Indem man dies thut, macht man den nächsten Fortschritt. Man könnte denken, dass dies so weiter ginge. Wahrscheinlich ist aber schon dieser letzte Schritt nicht so folgenreich wie die früheren, weil man statt der Functionen zweiter Stufe im weiteren Fortgang Functionen erster Stufe betrachten kann, wie an einem anderen Orte gezeigt werden soll. Damit ist aber der Unterschied zwischen Functionen erster und zweiter Stufe nicht aus der Welt geschafft, weil er nicht willkürlich gemacht, sondern in der Natur der Sache tief begründet ist. Man kann auch statt der Functionen mit zwei Argumenten Functionen eines einzigen, aber komplexen Arguments betrachten, wobei jedoch der Unterschied zwischen den Functionen mit einem und denen mit zwei Argumenten in ganzer Schärfe bestehen bleibt. * Unveränderter Nachdruck eines Vortrages, gehalten in der Sitzung vom 9. 1. 1891 der Jenaischen Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaft. Jena 1891. Das Vorwort wurde weggelassen. !) Am 10. Januar 1879 und am 27. Januar 1882. !] Vgl. Begriffsschrift (IH. 2.). 2 ) Die Grundlagen der Arithmetik, Breslau 1884, § 92 u. ff., und Sitzungsberichte der Jenaischen Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaft, Jahrg. 1885, Sitzung vom 17. Juli. 3 ) Vergleiche die Aufsätze: „Zählen und Messen erkenntnistheoretisch betrachtet" von H. v. H e l m h o l t z , und „Über den Zahlenbegriff" von Leopold K r o n e c k e r . (Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctorjubiläum gewidmet, Leipzig 1887.) 2 ] Die Nichtkreativität einer Definition ist ein Grundpostulat in G. F r e g e s Definitionslehre, wie sie sich aus den über seine Werke verstreuten Ausführungen zur Definition ergibt. Wir zitieren eine charakteristische Bemerkung G. F r e g e s dazu aus dem 1. Band seiner Grundgesetze der Arithmetik. (Jena, 1893, S. XIII): „Es kommt darauf an, sich klar zu machen, was Definieren ist und was dadurch erreicht werden kann. Man scheint ihm vielfach eine schöpferische Kraft zuzutrauen, während dabei 7
Berka-Kreiaer
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weiter nichts geschieht, als dass etwas hervorgehoben und mit einem Namen bezeichnet wird. Wie der Geograph kein Meer schafft, wenn er Grenzlinien zieht und sagt: den von diesen Linien begrenzten Theil der Wasserfläche will ich Gelbes Meer nennen, so kann auch der Mathematiker durch sein Definieren nichts eigentlich schaffen. Man kann auch nicht einem Dinge durch blosse Definition eine Eigenschaft anzaubern, die es einmal nicht hat, es sei denn eine, um so zu heissen, wie man es etwa benannt hat. Dass aber ein eirundes Gebilde, das man mit Tinte auf Papier hervorbringt, durch eine Definition die Eigenschaft erhalten sollte, zu Eins addirt, Eins zu ergeben, kann ich nur für einen wissenschaftlichen Aberglauben halten. Ebenso könnte man durch blosse Definition einen faulen Schüler fleissig machen. Unklarheit entsteht hier leicht durch die mangelnde Unterscheidung von Begriff und Gegenstand. Wenn man sagt: „Quadrat ist ein Rechteck, in dem zusammenstossende Seiten gleich sind", so definirt man den Begriff Quadrat, indem man angiebt, welche Eigenschaften etwas haben muss, um unter diesen Begriff zu fallen. Diese Eigenschaften nenne ich Merkmale des Begriffes. Aber, wohl gemerkt, diese Merkmale des Begriffes sind nicht seine Eigenschaften. Der Begriff Quadrat ist nicht ein Rechteck, nur die Gegenstände, die etwa unter diesen Begriff fallen, sind Rechtecke, wie auch der Begriff schwarzes Tuch weder schwarz noch ein Tuch ist. Ob es solche Gegenstände giebt, ist durch die Definition unmittelbar noch nicht bekannt. Nun will man z. B. die Zahl Null definieren, indem man sagt: sie ist etwas, was, zu Eins addirt, Einsergiebt. Damit hat man einen Begriff definirt, indem man angegeben hat, welche Eigenschaft ein Gegenstand haben muss, um unter den Begriff zu fallen. Aber diese Eigenschaft ist nicht Eigenschaft des definirten Begriffes. Wie es scheint, bildet man sich nun vielfach ein, man habe durch die Definition etwas geschaffen, was zu Eins addirt, Eins ergiebt. Grosse Täuschung ! Weder hat der definirte Begriff diese Eigenschaft noch leistet die Definition Gewähr dafür, dass der Begriff erfüllt sei. Das bedarf erst einer Untersuchung. Erst wenn man bewiesen hat, dass es einen Gegenstand und nur einen einzigen von der verlangten Eigenschaft giebt, ist man in der Lage, diesen Gegenstand mit dem Eigennamen „NULL" zu belegen. Die Null zu schaffen, ist also unmöglich." 4 ) Es handelt sich dabei immer darum, mit einem Zeichen einen Sinn oder eine Bedeutung zu verbinden. Wo Sinn und Bedeutung ganz fehlen, kann eigentlich weder von einem Zeichen, noch von einer Definition die Rede sein. 3 ] Dieses Grundgesetz wurde von G. F r e g e als 5. Axiom in sein klassenlogisches Axiomensystem aufgenommen, auf das er in Verwirklichung des Iogizistischen Programmes (vgl. 8]) Arithmetik und Analysis zu begründen versuchte (Grundgesetze der Arithmetik, Bd. I, S. 20). Wie fest G. F r e g e von der Möglichkeit einer logischen Fundierung der Mathematik überzeugt war, kann man aus folgenden Bemerkungen im 1. Band seiner Grundgesetze der Arithmetik entnehmen: „Und nur das würde ich als Widerlegung anerkennen können, wenn jemand durch die Tat zeigte, daß auf anderen Grundüberzeugungen ein besseres, haltbareres Gebäude errichtet werden könnte, oder wenn jemand mir nachwiese, daß meine Grundsätze zu offenbar falschen Folgesätzen führten. Aber das wird keinem gelingen" (S. XXVI). Der Druck des 2. Bandes seiner Grundgesetze der Arithmetik war noch nicht abgeschlossen, da erhielt G. F r e g e einen vom 16. 6. 1902 datierten Brief von B. R u s s e l l , der ihn zu einem Nachwort zum 2. Band veranlaßte, in dem wir lesen: „Einem wissenschaftlichen Schriftsteller kann kaum etwas Unerwünschteres begegnen, als daß ihm nach Vollendung einer Arbeit eine der Grundlagen seines Baues erschüttert wird. In diese Lage wurde ich durch einen Brief des Herrn Bertrand Russell versetzt, als der Druck dieses Bandes sich seinem Ende näherte" (S. 253). Es handelt sich in diesem Brief darum, daß B. R u s s e l l eine Antimomie aufwies, die sich aus dem Axiomensystem F r e g e s rekonstruieren läßt (vgl. Einführung XI). Damit war für G. F r e g e die einzig mögliche rein theoretische Grundlage der Mathematik zerstört, d. h. das logizistische Programm gescheitert. 80
5
) In manchen Wendungen der üblichen mathematischen Ausdrucksweise entspricht wohl das Wort „Function" dem, was ich hier Werthverlauf einer Function genannt habe. Aber Function in dem hier gebrauchten Sinne des Wortes ist das logisch Frühere. 4 ] Diese Unterscheidung spielt eine zunehmende Bolle im Zusammenhang mit den semantischen Begründungsversuchen der Logik. Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen in der Einführung zum XII. Kapitel. 6 ) Ich verkenne nicht, dass diese Wendung zunächst willkürlich und künstlich erscheinen mag, und dass eine eingehendere Begründung gefordert werden könnte. Man vgl. meinen nächstens erscheinenden Aufsatz über Sinn und Bedeutung in der Zeitschrift für Philosophie und phil. Kritik 100, [1892], S. 25—50. [G. F r e g e faßt hier seine Ausführungen dazu wie folgt zusammen: „Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus seinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung" (G. F r e g e [1966], S. 46).]. 5 ] Diese Auffassung bezeichnet man als logizistisch und spricht so von einem logizistischen Programm bzw. vom Logizismus als einer der großen Strömungen in der mathematischen Grundlagenforschung. Die bedeutendsten Vertreter dieses Programms sind G. F r e g e , B. R u s s e l l , A. N. W h i t e h e a d („Principia Mathematica"), R. C a r n a p und A. C h u r c h . Das logizistische Programm schließt ein, daß erstens alle Begriffe der Mathematik mit Hilfe logischer Begriffe definierbar sein müssen und zweitens, daß alle Aussagen wenigstens der reinen Mathematik aus logischen Axiomen ableitbar sein müssen. Um diese Konzeption über den definitorischen und deduktiven Aufbau der Mathematik zu rechtfertigen, war in erster Linie eine logische Fassung des Zahlbegriffes erforderlich. G. F r e g e [1884] hat dazu tiefgehende und heute noch fundamentale Untersuchungen durchgeführt. Das Resultat ist kurz gesagt, daß die Zahlen Eigenschaften von Begriffen sind. Diese Auffassung hat später durch B. R u s s e l l [1919] eine extensionale Umdeutung erfahren und fand in folgender Definition der Kardinalzahl ihren Ausdruck: Die Zahl einer Klasse ist die Klasse aller jener Klassen, die mit ihr gleichmächtig sind. Für den deduktiven Aufbau der Mathematik hat sich das logizistische Programm als nicht tragfähig erwiesen. Allein schon um die von B. R u s s e l l in F r e g e s Hauptwerk [1893—1903] entdeckte Antinomie zu vermeiden, mußten neben den offensichtlich logischen Axiomen auch das Reduzibilitätsaxiom (XII., Einführung) angenommen werden. Von diesem Axiom kann m a n jedoch nicht behaupten, daß es ein logisches Axiom ist. Das gleiche gilt vom Unendlichkeits- und Auswahlaxiom, die Existenzannahmen sind. „ R u s s e l l hatte aus diesem Grunde mit Recht Bedenken dagegen, sie als Grundsätze der Logik aufzustellen. Denn die Logik hat es ja nur mit den möglichen Formen zu tun und darf nicht darüber Aussagen machen, ob etwas existiert oder nicht. R u s s e l l fand einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit. Er überlegte, daß die Mathematik ebenfalls eine rein formale Wissenschaft sei; daher darf auch sie von Existenz nicht im absoluten Sinn, sondern nur bedingungsweise sprechen: wenn Gebilde von der und der Art existieren, dann auch Gebilde von der und der Art, die sich aus jenen logisch ergeben. Er verwandelte deshalb einen mathematischen Satz, etwa S, der das Unendlichkeitsaxiom U oder das Auswahlsaxiom A erfordert, in einen Bedingungssatz; Nicht S, sondern U id S bzw. A ZD S wird als Behauptung aufgestellt. Dieser Bedingungssatz ist dann aus den Grundsätzen der Logik ableitbar" (R. C a r n a p [1931], S. 95f.). Mit dieser Auffassung der Mathematik als einer formalen deduktiv-hypothetischen Wissenschaft entfernte sieh B. R u s s e l l vom logizistischen Programm zumindest in der Fregeschen Fassung. Denn die Wahrung des Bezugs der Mathematik zur objektiven Realität ist ein besonderes Anliegen des logizistischen Programms, das kritisch der formalistischen Auffassung D. H i l b e r t s gegenübergestellt wird (vgl. R. C a r n a p 7*
81
6
)
']
7
)
8
)
[1930], S. 309). Das Reduzibilitätsaxiom konnte aufgegeben werden, das Unendlichkeitsaxiom und das Auswahlaxiom aber sind nicht in logische Axiome umwandelbar. Damit scheiterte das logizistische Programm an eigenen, inneren Schwierigkeiten. Bei einem seiner heutigen Vertreter, A. C h u r c h , hat es daher auch eine Abschwächung insofern erfahren, als er zwar die erste These über die Definierbarkeit aller mathematischen Begriffe mit Hilfe logischer Begriffe annimmt, nicht aber die zweite These über die Ableitbarkeit aller mathematischen Aussagen aus logischen Axiomen. Die Auffassung der Wahrheitswerte als Gegenstände ist bei G. F r e g e eine Konsequenz aus seinen Festlegungen über den Sinn und die Bedeutung von Ausdrucksarten einer (gewöhnlichen oder einer formalisierten) Sprache (vgl. G. F r e g e [1892]. Eine ausführliche Darstellung der diesbezüglichen Ansichten von G. F r e g e findet der Leser bei Ch. T h i e l [1965]). Entsprechend der Bemerkung, das, was „Gegenstand" ist, sei nicht definierbar, spricht G. F r e g e auch Von einer Undefinierbarkeit dessen, was „Wahrheit" ist (vgl. G. F r e g e [1973], S. 41, sowie Einleitung zu ebenda, S. X X V I I I ff.). Mit „früher" bezieht sich G. F r e g e auf seine Begriffsschrift (III. 2.), in der es dazu heißt: „Der wagerechte Strich, aus dem das Zeichen — | gebildet ist, verbindet die darauf folgenden Zeichen zu einem Ganzen, und, auf dies Ganze bezieht sich die Bejahung; welche durch den senkrechten Strich am linken Ende des wagerechten ausgedrückt wird. Eä möge der wagerechte Strich Inhaltsstrich, der senkrechte Urtheilsstrich heißen" (S. 86f.). Ohne Urteilsstrich stellt der auf den Inhaltsstrich folgende beurteilbare Inhalt eine „blosse Vorstellungsverbindung" dar (ebenda S. 86). Der Urteilsstrich kann nicht zur Bildung eines Functionsausdruckes gebraucht werden, weil er nicht mit anderen Zeichen zusammen zur Bezeichnung eines Gegenstandes dient. „i—2 + 3 = 5" bezeichnet nichts, sondern behauptet etwas. Vgl. meine Grundlagen der Arithmetik (Breslau 1884) § 53 am Ende, wo ich statt „zweiter Stufe" „zweiter Ordnung" gesagt habe. Der ontologische Beweis für das Dasein leidet an dem Fehler, daß er die Existenz wie einen Begriff erster Stufe behandelt.
III. 2 G. F r e g e
eine der arithmetischen
Begriffsschrift, nachgebildete Formelsprache
des reinen
Denkens*1]
Vorwort [III]
| D a s E r k e n n e n einer wissenschaftlichen W a h r h e i t d u r c h l ä u f t i n d e r R e g e l m e h r e S t u f e n der Sicherheit. Z u e r s t vielleicht a u s einer u n g e n ü g e n d e n Z a h l v o n Einzelfällen e r r a t h e n , wird d e r allgemeine S a t z n a c h u n d n a c h sicherer befestigt, i n d e m er d u r c h S c h l u s s k e t t e n m i t a n d e r n W a h r h e i t e n V e r b i n d u n g e r h ä l t , sei es d a s s a u s i h m F o l g e r u n g e n abgeleitet werden, die auf a n d e r e Weise B e s t ä t i g u n g f i n d e n , sei es dass er u m g e k e h r t als Folge schon f e s t s t e h e n d e r S ä t z e e r k a n n t wird. E s k a n n d a h e r einerseits n a c h d e m W e g e g e f r a g t w e r d e n , auf d e m ein S a t z allmählich e r r u n g e n w u r d e , a n d r e r s e i t s n a c h der Weise, wie er n u n schliesslich a m f e s t e s t e n z u b e g r ü n d e n ist. E r s t e r e F r a g e m u s s m ö g licherweise i n B e z u g auf verschiedene Menschen verschieden b e a n t w o r t e t 82
werden, letztere ist bestimmter und ihre Beantwortung hängt mit dem innern Wesen des betrachteten Satzes zusammen. Die festeste Beweisführung ist offenbar die rein logische, welche, von der besondern Beschaffenheit der Dinge absehend, sich allein auf die Gesetze gründet, auf denen alle Erkenntnis beruht. Wir theilen danach alle Wahrheiten, die einer Begründung bedürfen, in zwei Arten, indem der Beweis bei den einen rein logisch vorgehen kann, bei den andern sich auf Erfahrungsthatsachen stützen muss. 2 ] Es ist aber wohl vereinbar, dass ein Satz zu der ersteren Art gehört und doch ohne Sinnesthätigkeit nie in einem menschlichen Geiste zum Bewusstsein kommen könnte. 1 ) Also nicht die psychologische Entstehungsweise, sondern die vollkommenste Art der Beweisführung liegt | der Eintheilung zu Grunde. Indem ich [IV] mir nun die Frage vorlegte, zu welcher dieser beiden Arten die arithmetischen Urtheile gehörten, musste ich zunächst versuchen, wie weit man in der Arithmetik durch Schlüsse allein gelangen könnte, nur gestützt auf die Gesetze des Denkens, die über allen Besonderheiten erhaben sind. Der Gang war hierbei dieser, dass ich zuerst den Begriff der Anordnung in einer Reihe auf die logische Folge zurückzuführen suchte, um von hier aus zum Zahlbegriff fortzuschreiten. Damit sich hierbei nicht unbemerkt etwas Anschauliches eindrängen könnte, musste Alles auf die Lückenlosigkeit der Schlusskette ankommen. Indem ich diese Forderung auf das strengste zu erfüllen trachtete, fand ich ein Hindernis in der Unzulänglichkeit der Sprache, die bei aller entstehenden Schwerfälligkeit des Ausdruckes doch, je verwickelter die Beziehungen wurden, desto weniger die Genauigkeit erreichen liess, welche mein Zweck verlangte. Aus diesem Bedürfnisse ging der Gedanke der vorliegenden Begriffsschrift hervor. Sie soll also zunächst dazu dienen, die Bündigkeit einer Schlusskette auf die sicherste Weise zu prüfen und jede Voraussetzung, die sich unbemerkt einschleichen will, anzuzeigen, damit letztere auf ihren Ursprung untersucht werden könne. Deshalb ist auf den Ausdruck alles dessen verzichtet worden, was für die Schlussfolge ohne Bedeutung ist. Ich habe das, worauf allein es mir ankam, in § 3 als begrifflichen Inhält bezeichnet. Diese Erklärung muss daher immer im Sinne behalten werden, wenn man das Wesen meiner Formelsprache richtig auffassen will. Hieraus ergab sich auch der Name „Begriffsschrift". Da ich mich fürs erste auf den Ausdruck solcher Beziehungen beschränkt habe, die von der besonderen Beschaffenheit der Dinge unabhängig sind, so konnte ich auch den Ausdruck „Formelsprache des reinen Denkens" gebrauchen. 3 ] Die Nachbildung der arithmetischen Formelsprache, die ich auf dem Titel angedeutet habe, bezieht sich mehr auf die Grundgedanken als die Einzelgestaltung. Jene Bestrebungen, durch Auffassung des Begriffs als Summe seiner Merkmale eine künstliche Aehnlichkeit herzustellen, haben mir dabei durchaus fern gelegen. Am unmittelbarsten berührt sich meine Formelsprache mit der arithmetischen in der Verwendungsweise der Buchstaben. | Das Verhältnis meiner Begriffsschrift zu der Sprache des Lebens glaube [V] ich am deutlichsten machen zu können, wenn ich es mit dem des Mikroskops zum Auge vergleiche. Das Letztere hat durch den Umfang seiner Anwendbarkeit, durch die Beweglichkeit, mit der es sich den verschiedensten Umständen anzuschmiegen weiss, eine grosse Ueberlegenheit vor dem Mikroskop. Als optischer Apparat betrachtet, zeigt es freilich viele Unvollkommenheiten, die nur in Folge seiner innigen Verbindung mit dem geistigen Leben gewöhnlich unbe83
achtet bleiben. Sobald aber wissenschaftliche Zwecke grosse Anforderungen an die Schärfe der Unterscheidung stellen, zeigt sich das Auge als ungenügend. Das Mikroskop hingegen ist gerade solchen Zwecken auf das vollkommenste angepasst, aber eben dadurch für alle andern unbrauchbar. So ist diese Begriffsschrift ein für bestimmte wissenschaftliche Zwecke ersonnenes Hilfsmittel, das man nicht deshalb verurtheilen darf, weil es für andere nichts taugt. Wenn sie diesen Zwecken einigermassen entspricht, so möge man immerhin neue Wahrheiten in meiner Schrift vermissen. Ich würde mich darüber mit dem Bewusstsein trösten, dass auch eine Weiterbildung der Methode die Wissenschaft fördert. Hält es doch Baco für vorzüglicher, ein Mittel zu erfinden, durch welches Alles leicht gefunden werden kann, als Einzelnes zu entdecken, und haben doch alle grossen wissenschaftlichen Fortschritte der neueren Zeit ihren Ursprung in einer Verbesserung der Methode gehabt. Auch L e i b n i z hat die Vortheile einer angemessenen Bezeichnungsweise erkannt, vielleicht überschätzt. Sein Gedanke einer allgemeinen Charakteristik, eines calculus philosophicus oder ratiocinator2) war zu riesenhaft, als dass der Versuch ihn zu verwirklichen über die blossen Vorbereitungen hätte hinausgelangen können. Die Begeisterung, welche seinen Urheber bei der Erwägung ergriff, welch' unermessliche Vermehrung der geistigen Kraft der Menschheit aus einer die Sachen selbst treffenden Bezeichnungsweise entspringen würde, [VI] liess ihn die Schwierigkeiten zu gering schätzen, die einem [ solchen Unternehmen entgegenstehen. Wenn aber auch dies hohe Ziel mit Einem Anlaufe nicht erreicht werden kann, so braucht man doch an einer langsamen, schrittweisen Annäherung nicht zu verzweifeln. Wenn eine Aufgabe in ihrer vollen Allgemeinheit unlösbar scheint, so beschränke man sie vorläufig; dann wird vielleicht durch allmähliche Erweiterung ihre Bewältigung gelingen. Man kann in den arithmetischen, geometrischen, chemischen Zeichen Verwirklichungen des Leibnizschen Gedankens für einzelne Gebiete sehen. Die hier vorgeschlagene Begriffsschrift fügt diesen ein neues hinzu und zwar das in der Mitte gelegene, welches allen andern benachbart ist. Von hier aus lässt sich daher mit der grössten Aussicht auf Erfolg eine Ausfüllung der Lücken der bestehenden Formelsprachen, eine Verbindung ihrer bisher getrennten Gebiete zu dem Bereiche einer einzigen und eine Ausdehnung auf Gebiete ins Werk setzen, die bisher einer solchen ermangelten. Ich verspreche mir überall da eine erfolgreiche Anwendung meiner Begriffsschrift, wo ein besonderer Werth auf die Bündigkeit der Beweisführung gelegt werden muss, wie bei der Grundlegung der Differential- und Integralrechnung. Noch leichter scheint es mir zu sein, das Gebiet dieser Formelsprache auf Geometrie auszudehnen. Es müssten nur für die hier vorkommenden anschaulichen Verhältnisse noch einige Zeichen hinzugefügt werden. Auf diese Weise würde man eine Art von analysis situs erhalten. Der Uebergang zu der reinen Bewegungslehre und weiter zur Mechanik und Physik möchte sich hier anschliessen. In den letzteren Gebieten, wo neben der Denknothwendigkeit die Naturnotwendigkeit sich geltend macht, ist am ehesten eine Weiterentwickelung der Bezeichnungsweise mit dem Fortschreiten der Erkenntnis vorauszusagen. Deshalb braucht man aber nicht zu warten, bis die Möglichkeit solcher Umformungen ausgeschlossen erscheint. Wenn es eine Aufgabe der Philosophie ist, die Herrschaft des Wortes über 84
den menschlichen Geist zu brechen, indem sie die Täuschungen aufdeckt, die durch den Sprachgebrauch über die Beziehungen der Begriffe oft fast unvermeidlich entstehen, indem sie den Gedanken von demjenigen befreit, womit ihn | allein die Beschaffenheit des sprachlichen Ausdrucksmittels behaftet, so wird [VII] meine Begriffsschrift, für diese Zwecke weiter ausgebildet, den Philosophen ein brauchbares Werkzeug werden können. Freilich giebt auch sie, wie es bei einem äussern Darstellungsmittel wohl nicht anders möglich ist, den Gedanken nicht rein wieder; aber einerseits kann man diese Abweichungen auf das Unvermeidliche und Unschädliche beschränken, andrerseits ist schon dadurch, dass sie ganz andrer Art sind als die der Sprache eigentümlichen, ein Schutz gegen eine einseitige Beeinflussung durch eines dieser Ausdrucksmittel gegeben. Schon das Erfinden dieser Begriffsschrift hat die Logik, wie mir scheint, gefördert. Ich hoffe, dass die Logiker, wenn sie sich durch den ersten Eindruck des Fremdartigen nicht zurückschrecken lassen, den Neuerungen, zu denen ich durch eine der Sache selbst innewohnende Nothwendigkeit getrieben wurde, ihre Zustimmung nicht verweigern werden. Diese Abweichungen vom Hergebrachten finden ihre Rechtfertigung darin, dass die Logik sich bisher immer noch zu eng an Sprache und Grammatik angeschlossen hat. Insbesondere glaube ich, dass die Ersetzung der Begriffe Subject und Praedicat durch Argument und Function sich auf die Dauer bewähren wird. Man erkennt leicht, wie die Auffassung eines Inhalts als Function eines Argumentes begriffbildend wirkt. Es möchte ferner der Nachweis des Zusammenhangs zwischen den Bedeutungen der Wörter: wenn, und, nicht, oder, es giebt, alle u. s. w. Beachtung verdienen. Im Besondern sei nur noch Folgendes erwähnt. Die in § 6 ausgesprochene Beschränkung auf eine einzige Schlussweise wird dadurch gerechtfertigt, dass bei der Grundlegung einer solchen Begriffsschrift die Urbestandtheile so einfach wie möglich genommen werden müssen, wenn Uebersichtlichkeit und Ordnung geschaffen werden sollen. Dies schliesst nicht aus, dass später Uebergänge von mehren Urtheilen zu einem neuen, die bei dieser einzigen Schlussweise nur in mittelbarer Weise möglich sind, der Abkürzung wegen in unmittelbare verwandelt werden. In der That möchte sich dies bei einer spätem Anwendung empfehlen. Dadurch würden dann weitere Schlussweisen entstehen. | Nachträglich habe ich bemerkt, dass die Formeln (31) und (41) in die einzige [VIII] | (-,-,- a = a) zusammengezogen werden können, wodurch noch einige Vereinfachungen möglich werden. Die Arithmetik, wie ich im Anfange bemerkt habe, ist der Ausgangspunkt des Gedankenganges gewesen, der mich zu meiner Begriffsschrift geleitet hat. Auf diese Wissenschaft denke ich sie daher auch zuerst anzuwenden, indem ich ihre Begriffe weiter zu zergliedern und ihre Sätze tiefer zu begründen suche. Vorläufig habe ich im dritten Abschnitte einiges von dem mitgetheilt, was sich in dieser Richtung bewegt. Die weitere Verfolgung des angedeuteten Weges, die Beleuchtung der Begriffe der Zahl, der Grösse u. s. w. sollen den Gegenstand fernerer Untersuchungen bilden, mit denen ich unmittelbar nach dieser Schrift hervortreten werde. J e n a , den 18. December 1878. 85
I. Erklärung der Bezeichnungen
[1]
| § 1. Die in der allgemeinen Grössenlehre gebräuchlichen Zeichen zerfallen in zwei Arten. Die erstere umfasst die Buchstaben, von denen jeder entweder eine unbestimmt gelassene Zahl oder eine unbestimmt gelassene Function vertritt. Diese Unbestimmtheit macht es möglich die Buchstaben zum Ausdrucke der Allgemeingiltigkeit von Sätzen zu verwenden wie in (a
b) c = ac -*r bc.
Die andere Art umfasst solche Zeichen wie + , —, ]T, 0, 1, 2, von denen jedes seine eigenthümliche Bedeutung hat. Diesen Grundgedanken der Unterscheidung zweier Arten von Zeichen, der in der Grössenlehre leider nicht rein durchgeführt ist3), nehme ich auf, um ihn für das umfassendere Gebiet des reinen Denkens überhaupt nutzbar zu machen. Alle Zeichen, die ich anwende, theile ich daher ein in solche, unter denen man sich Verschiedenes vorstellen kann, und in solche die einen ganz bestimmten Sinn haben. Die erstem sind die Buchstaben, und diese sollen hauptsächlich zum Ausdrucke der Allgemeinheit dienen. Bei aller Unbestimmtheit muss aber daran festgehalten werden, dass ein Buchstabe die Bedeutung, welche man ihm einmal gegeben hat, in demselben Zusammenhange beibehält. Das Urtheil. § 2. Ein Urtheil werde immer mit Hilfe des Zeichens ausgedrückt, welches links von dem Zeichen oder der Zeichenverbindung steht, die den Inhalt des Urtheils angiebt. Wenn man den kleinen senkrechten [2] Strich am linken Ende des wagerechten | fortlässt, so soll dies das Urtheil in eine blosse VorStellungsverbindung verwandeln, von welcher der Schreibende nicht ausdrückt, ob er ihr Wahrheit zuerkenne oder nicht. Bedeute z. B. I
-44)
das Urtheil: „die ungleichnamigen Magnetpole ziehen sich an"; dann wird A nicht dies Urtheil ausdrücken, sondern lediglich die Vorstellung von der gegenseitigen Anziehung der ungleichnamigen Magnetpole in dem Leser hervorrufen sollen, etwa um Folgerungen daraus zu ziehen und an diesen die Richtigkeit des Gedankens zu prüfen. Wir umschreiben in diesem Falle durch die Worte „der Umstand, dass" oder „der Satz, dass". Nicht jeder Inhalt kann durch das vor sein Zeichen gesetzte | ein Urtheil werden, z. B. nicht die Vorstellung „Haus". Wir unterscheiden daher beurtheilbare und unbeurtheilbare Inhalte.5) Der wagerechte Strich, aus dem das Zeichen | gebildet ist, verbindet die darauf folgenden Zeichen zu einem Ganzen, und auf dies Ganze bezieht sich 86
die Bejahung, welche durch den senkrechten Strich am linken Ende des wagerechten ausgedrückt wird. Es möge der wagerechte Strich Inhaltsstrich, der senkrechte Urtheilsstrich heissen. Der Inhaltsstrich diene auch sonst dazu, irgendwelche Zeichen zu dem Ganzen der darauf folgenden Zeichen in Beziehung zu setzen. Was auf den Inhaltsstrich folgt, muss immer einen beurtheilbaren Inhalt haben. § 3. Eine Unterscheidung von Subject und Prädicat findet bei meiner Darstellung eines Urtheils nicht statt. Um dies zu rechtfertigen, bemerke ich, dass die Inhalte von zwei Urtheilen in doppelter Weise verschieden sein können: erstens so* dass die Folgerungen, die aus dem einen in Verbindung mit bestimmten andern | gezogen werden können, immer auch aus dem zweiten [3] in Verbindung mit denselben andern Urtheilen folgen; zweitens so, dass dies nicht der Fall ist. Die beiden Sätze: „bei Plataeae siegten die Griechen über die Perser" und „bei Plataeae wurden die Perser von den Griechen besiegt" unterscheiden sich in der erstem Weise. Wenn man nun auch eine geringe Verschiedenheit des Sinnes erkennen kann, so ist doch die Uebereinstimmung überwiegend. Ich nenne nun denjenigen Theil des Inhaltes, der in beiden derselbe ist, den begrifflichen Inhalt. Da nur dieser für die Begriffsschrift von Bedeutung ist, so braucht sie keinen Unterschied zwischen Sätzen zu machen, die denselben begrifflichen Inhalt haben. Wenn man sagt: „Subject ist der Begriff, von dem das Urtheil handelt", so passt dies auch auf das Object. Man kann daher nur sagen: „Subject ist der Begriff, von dem hauptsächlich das Urtheil handelt." Die Stelle des Subjects in der Wortreihe hat für die Sprache die Bedeutung einer ausgezeichneten Stelle, an die man dasjenige bringt, worauf man die Aufmerksamkeit des Hörers besonders hinlenken will. (Siehe auch § 9). Dies kann beispielsweise den Zweck haben, eine Beziehung dieses Urtheils zu andern anzudeuten, und dadurch dem Hörer die Auffassung des ganzen Zusammenhanges zu erleichtern. Alle Erscheinungen nun in der Sprache, die nur aus der Wechselwirkung des Sprechenden und des Hörenden hervorgehen, indem der Sprechende z. B . auf die Erwartungen des Hörenden Rücksicht nimmt und diese schon vor dem Aussprechen eines Satzes auf die richtige Fährte zu bringen sucht, haben in meiner Formelsprache nichts Entsprechendes, weil im Urtheile hier nur das in Betracht kommt, was auf die möglichen Folgerungen Einfluss hat. Alles, was für eine richtige Schlussfolge nöthig ist, wird voll ausgedrückt; was aber nicht nöthig ist, wird meistens auch nicht angedeutet ; nichts wird dem Errathen überlassen. Hierin folge ich ganz dem Beispiel der mathematischen Formelsprache, bei der man Subject und Prädicat auch nur gewaltsamerweise unterscheiden kann. Es lässt sich eine Sprache denken, in welcher der Satz: „Archimedes kam bei der Eroberung von Syrakus u m " in folgender Weise ausgedrückt würde: „der gewaltsame Tod des Archimedes bei der Eroberung von Syrakus ist eine Thatsache". Hier kann man zwar auch, wenn man will, Subject und Prädicat unterscheiden, aber das Subject enthält den ganzen Inhalt, und das Prädicat hat nur den Zweck, diesen als | [4] Urtheil hinzustellen. Eine solche Sprache würde nur ein einziges Prädicat für alle TJrtheile haben, nämlich „ist eine Thatsache". Man sieht, dass im gewöhnlichen Sinne von Subject und Prädicat hier keine Rede sein kann. Eine solche Sprache ist unsere Begriffsschrift Prädicat für alle Urtheile.
und das Zeichen |
ist ihr
gemeinsames 87
Bei dem ersten Entwürfe einer Formelsprache liess ich mich durch das Beispiel der Sprache verleiten, die Urtheile aus Subject und Prädicat zusammenzusetzen. Ich überzeugte mich aber bald, dass dies meinem besondern Zwecke hinderlich war und nur zu unnützen Weitläufigkeiten führte. § 4. Die folgenden Bemerkungen sollen die Bedeutung der Unterscheidungen, welche man in Bezug auf Urtheile macht, für unsere Zwecke erläutern. Man unterscheidet allgemeine und besondere Urtheile: dies ist eigentlich kein Unterschied der Urtheile, sondern der Inhalte. Man sollte sagen: „ein Urtheil von allgemeinem Inhalte", „ein Urtheil von besonderm Inhalte". Diese Eigenschaften kommen nämlich dem Inhalte auch zu, wenn er nicht als Urtheil hingestellt wird, sondern als Satz. (Siehe § 2). Dasselbe gilt von der Verneinung. In einem indirecten Beweise sagt man z. B . : „gesetzt, die Strecken AB und CD wären nicht gleich." Hier enthält der Inhalt, dass die Strecken AB und CD nicht gleich seien, eine Verneinung, aber dieser Inhalt, obgleich der Beurtheilung fähig, wird doch nicht als Urtheil aufgestellt. Es haftet also die Verneinung am Inhalte, einerlei ob dieser als Urtheil auftrete oder nicht. Ich halte es daher für angemessener, die Verneinung als ein Merkmal eines beurtheilbaren Inhalts anzusehen. Die Unterscheidung der Urtheile in kategorische, hypothetische und disjunctive scheint mir nur grammatische Bedeutung zu haben. 6 ) Das apodiktische Urtheil unterscheidet sich vom assertorischen dadurch, dass das Bestehen allgemeiner Urtheile angedeutet wird, aus denen der Satz geschlossen werden kann, während bei den assertorischen eine solche Andeutung fehlt. Wenn ich einen Satz als nothwendig bezeichne, so gebe ich dadurch einen [5] Wink über meine Urtheilsgründe. Da aber hierdurch der begriffliche Inhalt \ des Urtheils nicht berührt wird, so hat die Form des apodiktischen Urtheils für uns keine Bedeutung. Wenn ein Satz als möglich hingestellt wird, so enthält sich der Sprechende entweder des Urtheils, indem er andeutet, dass ihm keine Gesetze bekannt seien, aus denen die Verneinung folgen würde; oder er sagt, dass die Verneinung des Satzes in ihrer Allgemeinheit falsch sei. Im letzteren Falle haben wir ein particulär bejahendes Urtheil7) nach der gewöhnlichen Bezeichnung. ,,Es ist möglich, dass die Erde einmal mit einem andern Weltkörper zusammenstösst" ist ein Beispiel für den ersten, und „eine Erkältung kann den Tod zur Folge haben" ist eins für den zweiten Fall. Die Bedingtheit.] § 5. Wenn A und B beurtheilbare 8 ) Inhalte bedeuten, so giebt es folgende vier Möglichkeiten:
88
bedeutet nun das Urtheil, dass die dritte dieser Möglichkeiten nicht stattfinde, sondern eine der drei andern. Wenn
1
B
verneint wird, so besagt dies demnach, dass die dritte Möglichkeit stattfinde, dass also A verneint und B bejaht werde. Aus den Fällen, in denen 1
—B
bejaht wird, heben wir folgende hervor: 1) A muss bejaht werden. Dann ist der Inhalt von B ganz gleichgiltig. Z. B. | A bedeute: 3 x 7 = 21, B bedeute den Umstand, dass die Sonne scheint. Es sind hier nur die beiden ersten der genannten vier Fälle möglich. Ein ursächlicher Zusammenhang | zwischen beiden Inhalten braucht nicht [6] vorhanden zu sein. 2) B ist zu verneinen. Dann ist der Inhalt von A gleichgiltig. Z. B. B bedeute den Umstand, dass ein Perpetuum mobile möglich sei, A den Umstand, dass die Welt unendlich sei. Hier ist nur der zweite und vierte der vier Fälle möglich. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen A und B braucht nicht zu bestehen. 3) Man kann das Urtheil
fällen, ohne zu wissen, ob A und B zu bejahen oder zu verneinen sind. Es bedeute z. B. B den Umstand, dass der Mond in Quadratur steht, A den Umstand, dass er als Halbkreis erscheint. In diesem Falle kann man
mit Hilfe des Fügeworts „wenn" übersetzen: „wenn der Mond in Quadratur steht, so erscheint er als Halbkreis". Die ursächliche Verknüpfung, die in dem Worte „wenn" liegt, wird jedoch durch unsere Zeichen nicht ausgedrückt, obgleich ein Urtheil dieser Art nur auf Grund einer solchen gefällt werden kann. Denn diese Verknüpfung ist etwas Allgemeines, dieses aber kommt hier noch nicht zum Ausdrucke (Siehe § 12). Der senkrechte Strich, welcher die beiden wagerechten verbindet, heisse Bedingungsstrich. Der links vom Bedingungsstriche befindliche Theil des oberen wagrechten Striches ist der Inhaltsstrich für die eben erklärte Bedeutung der Zeichenverbindung
89
an diesem wird jedes Zeichen angebracht, das sich auf den Gesammtinhalt des Ausdruckes beziehen soll. Der zwischen A und dem Bedingungsstriche liegende Theil des wagerechten Striches ist der Inhaltsstrich von A. Der wagerechte Strich links von B ist der Inhaltsstrich von B. Hiernach ist leicht zu erkennen, dass I
B
r
[7] den Fall leugnet, wo A verneint, B und r bejaht würden. Man muss dies aus —.
A I
und r
B
ebenso zusammengesetzt denken, wie
TZ' aus A und B. Zunächst haben wir daher die Verneinung des Falles, wo •A
TZ
verneint, und r bejaht wird. Die Verneinung von 1
—B
bedeutet aber, dass A verneint und B bejaht wird. Hieraus ergiebt sich, was oben angegeben ist. Wenn eine ursächliche Verknüpfung vorliegt, so kann man auch sagen: ,,A ist die nothwendige Folge von B und J 1 "; oder: „wenn die Umstände B und r eintreten, so tritt auch A ein". Nicht minder erkennt man, dass
r
I-
A
TZB
den Fall leugnet, wo B bejaht wird, A und F aber verneint werden. Wenn man einen ursächlichen Zusammenhang zwischen A und B voraussetzt, kann man übersetzen: „wenn A die nothwendige Folge von B ist, so kann geschlossen werden, dass /"stattfindet." 4 ] § 6. Aus der in § 5 gegebenen Erklärung geht hervor, dass aus den beiden Urtheilen A
I' 90
B
und
|-
-B
das neue Urtheil I folgt. Von den vier oben aufgezählten Fällen ist der dritte durch
B, der zweite und vierte aber durch
V ausgeschlossen, sodass nur der erste übrig bleibt. | Man könnte diesen Schluss etwa so schreiben:
1
[8]
—B
I I
B
A. Dies würde umständlich werden, wenn an den Stellen von A und B lange Ausdrücke ständen, weil jeder von ihnen doppelt zu schreiben wäre. Deshalb brauche ich folgende Abkürzung. Jedes Urtheil, welches im Zusammenhange einer Beweisführung vorkommt, wird durch eine Nummer bezeichnet, die da, wo dies Urtheil zum ersten Male vorkommt, rechts daneben gesetzt wird. Es sei nun beispielsweise das Urtheil 1
— oder ein solches, das
I — — A 1
—B
—B
als besondern Fall enthält — durch X be-
zeichnet worden. Dann schreibe ich den Schluss so: (X):
I K
B
Hierbei ist es dem Leser überlassen, sich aus | Urtheil
B und |
A das
B
1
zusammenzusetzen und zuzusehen, ob es mit dem angeführten Urtheile X stimmt. Wenn beispielsweise das Urtheil | B durch X X bezeichnet ist, so schreibe ich denselben Schluss auch so: 1
(XX)::
|
—B A. 91
Hierbei zeigt das doppelte Kolon an, dass hier auf andere Weise als oben aus den beiden hingeschriebenen Urtheilen das durch X X nur angeführte | B gebildet werden müsse. Wäre noch etwa das Urtheil | J 1 durch X X X bezeichnet worden, so würde ich die beiden Urtheile
h TZ
[9]
B
(XXX)::
(XX)::
n |-
r
A B
-B
noch kürzer so schreiben:
n (XX, X X X ) : :
• A.
I n der Logik zählt man nach Aristoteles eine ganze Reihe von Schlussarten auf; ich bediene mich nur dieser einen — wenigstens in allen Fällen, wo aus mehr als einem einzigen Urtheile ein neues abgeleitet wird —. Man kann nämlich die Wahrheit, die in einer andern Schlussart liegt, in einem Urtheile aussprechen in der Form: wenn M gilt, und wenn N gilt, so gilt auch A, in Zeichen:
I n
M
•N. Aus diesem Urtheile und | N und | M folgt dann | A wie oben. So kann ein Schluss nach irgend einer Schlussart auf unsern Fall zurückgeführt werden. Da es sonach möglich ist, mit einer einzigen Schlussweise auszukommen, so ist es ein Gebot der Uebersichtlichkeit, dies auch zu thun. Hierzu kommt, dass andernfalls auch kein Grund wäre, bei den Aristotelischen Schlussweisen stehen zu bleiben, sondern dass man ins Unbestimmte hinein immer noch neue hinzufügen könnte: aus jedem in einer Formel ausgedrückten Urtheile in den §§ 13 bis 22 könnte eine besondere Schlussart gemacht werden. Es soll mit dieser Beschränkung auf eine einzige Schlussweise jedoch keineswegs ein psychologischer Satz ausgesprochen werden, sondern nur eine [10] Formfrage im Sinne der grössten Zweckmässigheit entschieden | werden. Einige von den Urtheilen, die an die Stelle von Aristotelischen Schlussarten treten, werden in § 22 No. 59, 62, 65 aufgeführt werden. 92
Die Verneinung. § 7. Wenn an der untern Seite des Inhaltsstriches ein kleiner senkrechter Strich angebracht wird, so soll damit der Umstand ausgedrückt werden, dass der Inhalt nicht stattfinde. So bedeutet z. B.
I—1— „A findet nicht statt". Ich nenne diesen kleinen senkrechten Strich den Verneinungsstrich. Der rechts vom Verneinungsstriche befindliche Theil des wagerechten Striches ist der Inhaltsstrich von A, der links vom Verneinungsstrich befindliche Theil dagegen ist der Inhaltsstrich der Verneinung von A. Ohne den Urtheilsstrich wird hier so wenig wie anderswo in der Begriffsschrift ein Urtheil gefällt. A fordert nur dazu auf, die Vorstellung zu bilden, dass A nicht stattfinde, ohne auszudrücken, ob diese Vorstellung wahr sei. Wir betrachten jetzt einige Fälle, in denen die Zeichen der Bedingtheit und der Verneinung mit einander verbunden sind.
bedeutet: „der Fall, wo B zu bejahen und die Verneinung von A zu verneinen ist, findet nicht statt"; mit andern Worten: „die Möglichkeit beide, A und_B, zu bejahen, besteht nicht": oder ,,A und B schliessen einander aus". Es bleiben also nur folgende drei Fälle übrig: A wird bejaht und B wird verneint; A wird verneint und B wird bejaht; A wird verneint und B wird verneint, Nach dem Vorhergehenden ist leicht anzugeben, welche Bedeutung jeder der drei Theile des wagerechten Striches vor A hat. Es bedeutet
„der Fall, wo A verneint und die Verneinung von B bejaht wird, | besteht [11] nicht"; oder „beide, A und B, können nicht verneint werden". Es bleiben nur folgende Möglichkeiten übrig: A wird bejaht und B wird bejaht; A wird bejaht und B wird verneint; A wird verneint und B wird bejaht. 93
A und B erschöpfen zusammen die ganze Möglichkeit. Die Wörter „oder" und „entweder — oder" werden nun in zweifacher Weise gebraucht: „A oder B" bedeutet erstens nur dasselbe wie x
i
also dass ausser A und B nichts denkbar ist. Z. B . : wenn eine Gasmasse erwärmt wird, so vermehrt sich ihr Volumen oder ihre Spannung. Zweitens vereinigt der Ausdruck „A oder B" die Bedeutungen von I 1
B
und von
I , U-5
in sich, sodass also erstens ausser A und B kein Drittes möglich ist, und dass zweitens A und B sich ausschliessen. Von den vier Möglichkeiten bleiben dann nur die folgenden beiden bestehen: A wird bejaht und B wird verneint; A wird verneint und B wird bejaht. Von den beiden Gebrauchsweisen des Ausdruckes ,,A oder B" ist die erstere, bei der das Zusammenbestehen von A und B nicht ausgeschlossen ist, die wichtigere, und wir werden das Wort „oder" in dieser Bedeutung gebrauchen. Vielleicht ist es angemessen zwischen „oder" und „entweder — oder" den Unterschied zu machen, dass nur das Letztere die Nebenbedeutung des sich gegenseitig Ausschliessens hat. Man kann dann
t
;
übersetzen durch „A oder B". Ebenso hat
r-r
die Bedeutung von ,,A oder B oder F". [12] I T I bedeutet n 94
wird verneint", oder „der Fall, wo A und B beide bejaht werden, tritt ein". Die drei Möglichkeiten, welche bei - r
Ä
I B
bestehen blieben, sind dagegen ausgeschlossen. Demnach kann man I^r-r-A
1
B
übersetzen: „beide, A und B, sind Thatsachen". Man sieht auch leicht, dass
r
z
durch „A und B und 7 1 " wiedergegeben werden kann. Will man „entweder A oder B" mit der Nebenbedeutung des sich Ausschliessens in Zeichen darstellen, so muß man
n•BA TIBA
und
a
—.— A" B ausdrücken. Dies giebt:
oder auch
ni
Statt, wie hier geschehen, das „und" durch die Zeichen der Bedingtheit und der Verneinung auszudrücken, könnte man auch umgekehrt die Bedingtheit durch ein Zeichen für „und" und das Zeichen der Verneinung darstellen. Man könnte etwa
{I
als Zeichen für den Gesammtinhalt von r und A einführen und dann j— A durch
[13]
•B
(——A
-B wiedergeben. Ich habe die andere Weise gewählt, weil der Schluss mir bei dieser einfacher ausgedrückt zu werden schien. Der Unterschied zwischen „und" und „aber" ist von der Art, dass er in dieser Begriffsschrift nicht ausgedrückt wird. 8
Berka-Kreiser
95
Der Sprechende gebraucht „aber", wenn er einen Wink geben will, dass das Folgende von dem verschieden sei, was man zunächst vermuthen könnte. 1
—B
bedeutet: „von den vier Möglichkeiten tritt die dritte, nämlich dass A verneint und B bejaht werde, ein." 4 ] Man kann daher übersetzen: „B und (aber) nicht A findet statt". Ebenso kann man die Zeichenverbindung
übersetzen.
bedeutet: „der Fall, wo A und B beide verneint werden, tritt ein". Man kann daher übersetzen: .weder A noch B ist eine Thatsache". Die Wörter: „oder", „und", „weder — noch" kommen hier selbstverständlich nur insofern in Betracht, als sie beurtheilhare Inhalte verbinden. Die I n h a l t s g l e i c h h e i t . § 8. Die Inhaltsgleichheit unterscheidet sich dadurch von der Bedingtheit und Verneinung, dass sie sich auf Namen, nicht auf Inhalte bezieht. Während sonst die Zeichen lediglich Vertreter ihres Inhaltes sind, sodass jede Verbindung, in welche sie treten, nur eine Beziehung ihrer Inhalte zum Ausdrucke [14] bringt, kehren sie plötzlich ihr eigenes Selbst hervor, sobald sie durch [ das Zeichen der Inhaltsgleichheit verbunden werden; denn es wird dadurch der Umstand bezeichnet, dass zwei Namen denselben Inhalt haben. So ist denn mit der Einführung eines Zeichens der Inhaltsgleichheit nothwendig die Zwiespältigkeit in der Bedeutung aller Zeichen gegeben, indem dieselben bald für ihren Inhalt, bald für sich selber stehen. Dies erweckt zunächst den Anschein, als ob es sich hier um etwas handle, was dem Ausdrucke allein, nicht dem Denken angehöre, und als ob man gar nicht verschiedener Zeichen für denselben Inhalt und also auch keines Zeichens für die Inhaltsgleichheit bedürfe. Um die Nichtigkeit dieses Scheines klar zu legen, wähle ich folgendes Beispiel aus der Geometrie. Auf einer Kreislinie liege ein fester Punkt A, um den sich ein Strahl drehe. Wenn der Letztere einen Durchmesser bildet, nennen wir das dem A entgegengesetzte Ende desselben den zu dieser Lage gehörigen Punkt B. Dann nennen wir ferner denjenigen Schnittpunkt beider Linien den zu der jedesmaligen Lage des Strahles gehörigen Punkt B, welcher sich aus der Regel ergiebt, dass stetigen Lagenänderungen des Strahles immer stetige Lagenänderungen von B entsprechen sollen. Der Name B bedeutet also so lange etwas Unbe96
stimmtes, als noch nicht die zugehörige Lage des Strahles angegeben ist. Man kann nun fragen: welcher Punkt gehört der Lage des Strahles an, in der er zum Durchmesser senkrecht steht? Die Antwort wird sein: der Punkt A. Der Name B hat also in diesem Falle denselben Inhalt wie der Name A; und doch könnte man nicht von vornherein nur Einen Namen brauchen, weil erst durch die Antwort die Rechtfertigung dafür gegeben ist. Derselbe Punkt ist in doppelter Weise bestimmt:
'
1) unmittelbar durch die Anschauung, 2) als Punkt B, welcher dem zum Durchmesser senkrechten Strahle zugehört. Jeder dieser beiden Bestimmungsweisen entspricht ein besonderer Name. Die Nothwendigkeit eines Zeichens der Inhaltsgleichheit beruht also auf Folgendem: derselbe Inhalt kann auf verschiedene Weisen völlig bestimmt werden ; dass aber in einem besondern Falle durch zwei Bestimmungsweisen wirklich Dasselbe gegeben werde, ist der Inhalt eines Urtheils. Bevor dies erfolgt ist, müssen den beiden Bestimmungsweisen entsprechend zwei verschiedene Namen dem dadurch Bestimmten verliehen werden. Das Urtheil aber bedarf zu seinem Ausdrucke eines Zeichens der | Inhaltsgleichheit, welches jene beiden [15] Namen verbindet. Hieraus geht hervor, dass die verschiedenen Namen für denselben Inhalt nicht immer blos eine gleichgiltige Formsache sind, sondern dass sie das Wesen der Sache selbst betreffen, wenn sie mit verschiedenen Bestimmungsweisen zusammenhängen. In diesem Falle ist das Urtheil, welches die Inhaltsgleichheit zum Gegenstande hat, im kantischen Sinne ein synthetisches. Ein mehr äusserer Grund zur Einführung eines Zeichens der Inhaltsgleichheit liegt darin, dass es zuweilen zweckmässig ist, an der Stelle eines weitläufigen Ausdrucks eine Abkürzung einzuführen. Dann hat man die Gleichheit des Inhalts der Abkürzung und der ursprünglichen Form auszudrücken. Es bedeute nun I
(A^B):
das Zeichen A und das Zeichen B haben denselben begrifflichen Inhalt, sodass man überall an die Stelle von A B setzen kann und umgekehrt. Die Function. § 9. Denken wir den Umstand, dass Wasserstoffgas leichter als Kohlensäuregas ist, in unserer Formelsprache ausgedrückt, so können wir an die Stelle des Zeichens für Wasserstoffgas das Zeichen für Sauerstoffgas oder das für Stickstoffgas einsetzen. Hierdurch ändert sich der Sinn in der Weise, dass „Sauerstoffgas" oder „Stickstoffgas" in die Beziehungen eintritt, in denen zuvor „Wasserstoffgas" stand. Indem man einen Ausdruck in dieser Weise veränderlich denkt, zerfällt derselbe in einen bleibenden Bestandteil, der die Gesammtheit der Beziehungen darstellt, und in das Zeichen, welches durch andere ersetzbar gedacht wird, und welches den Gegenstand bedeutet, der in diesen Beziehungen sich befindet. Den ersteren Bestandtheil nenne ich Function, den letzteren ihr Argument. Diese Unterscheidung hat mit dem begrifflichen Inhalte nichts zu thun, sondern ist allein Sache der Auffassung. Während 8*
97
in der vorhin angedeuteten Betrachtungsweise „Wasserstoffgas" das Argument, „leichter als Kohlensäuregas zu sein" die Function war, können wir denselben begrifflichen Inhalt auch in der Weise auffassen, dass „Kohlensäuregas" Argument, „schwerer als Wasserstoffgas zu sein" Function wird. Wir | brauchen dann nur „Kohlensäuregas" durch andere Vorstellungen, wie „Salzsäuregas", „Ammoniakgas" ersetzbar zu denken. „Der Umstand, dass Kohlensäuregas schwerer als Wasserstoffgas ist" und „der Umstand, dass Kohlensäuregas schwerer als Sauerstoffgas ist" sind dieselbe Function mit verschiedenen Argumenten, wenn man „Wasserstoffgas" und „Sauerstoffgas" als Argumente betrachtet; sie sind dagegen verschiedene Functionen desselben Arguments, wenn man „Kohlensäuregas" als dieses ansieht. Es diene noch als Beispiel „der Umstand, dass der Massenmittelpunkt des Sonnensystems keine Beschleunigung hat, falls nur innere Kräfte im Sonnensysteme wirken". Hier kommt „Sonnensystem" an zwei Stellen vor. Wir können dies daher in verschiedener Weise als Function des Argumentes „Sonnensystem" auffassen, jenachdem wir „Sonnensystem'' an der ersten oder an der zweiten oder an beiden Stellen durch Anderes — im letzten Falle aber beide Male durch Dasselbe — ersetzbar denken. Diese drei Functionen sind sämmtlich verschieden. Dasselbe zeigt der Satz, dass Cato den Cato tödtete. Wenn wir hier „Cato" an der ersten Stelle ersetzbar denken, so ist „den Cato zu tödten" die Function; denken wir „Cato" an der zweiten Stelle ersetzbar, so ist „von Cato getödtet zu werden" die Function; denken wir endlich „Cato" an beiden Stellen ersetzbar, so ist „sich selbst zu tödten" die Function. Wir drücken jetzt die Sache allgemein aus: Wenn in einem Ausdrucke, dessen Inhalt nicht beurtheilbar zu sein braucht, ein einjaches oder zusammengesetztes Zeichen an einer oder an mehren Stellen vorkommt, und wir denken es an allen oder einigen dieser Stellen durch Anderes, überall aber durch Dasselbe ersetzbar, so nennen wir den hierbei unveränderlich erscheinenden Theil des Ausdruckes Function, den ersetzbaren ihr Argument. Da demnach etwas als Argument und zugleich an solchen Stellen in der Function vorkommen kann, wo es nicht ersetzbar gedacht wird, so unterscheiden wir in der Function die Argumentstellen von den übrigen. | Es möge hier vor einer Täuschung gewarnt werden, zu welcher der Sprachgebrauch leicht Veranlassung giebt. Wenn man die beiden Sätze: „die Zahl 20 ist als Summe von vier Quadratzahlen darstellbar" und „jede positive ganze Zahl ist als Summe von vier Quadratzahlen darstellbar" vergleicht, so scheint es möglich zu sein, „als Summe von vier Quadratzahlen darstellbar zu sein" als Function aufzufassen, die einmal als Argument „die Zahl 20", das andre Mal „jede positive ganze Zahl" hat. Die Irrigkeit dieser Auffassung erkennt man durch die Bemerkung, dass „die Zahl 2 0 " und „jede positive Zahl" nicht Begriffe gleichen Ranges sind. Was von der Zahl 20 ausgesagt wird, kann nicht in demselben Sinne von „jede positive ganze Zahl", allerdings aber unter Umständen von jeder positiven ganzen Zahl ausgesagt 98
werden. Der Ausdruck „jede positive ganze Zahl" giebt nicht wie „die Zahl 20" für sich allein eine selbständige Vorstellung, sondern bekommt erst durch den Zusammenhang des Satzes einen Sinn. Für uns haben die verschiedenen Weisen, wie derselbe begriffliche Inhalt als Function dieses oder jenes Arguments aufgefasst werden kann, keine Wichtigkeit, solange Function und Argument völlig bestimmt sind. Wenn aber das Argument unbestimmt wird wie in dem Urtheile: ,,du kannst als Argument für „„als Summe von vier Quadratzahlen darstellbar zu s e i n " " eine beliebige positive Zahl nehmen: der Satz bleibt immer richtig", so gewinnt die Unterscheidung von Function und Argument eine inhaltliche Bedeutung. Es kann auch umgekehrt das Argument bestimmt, die Function aber unbestimmt sein. In beiden Fällen wird durch den Gegensatz des Bestimmten und Unbestimmten oder des mehr und minder Bestimmten das Ganze dem Inhalte nach und nicht nur in der Auffassung in Function und Argument zerlegt. Wenn man in einer Function ein bis dahin als unersetzbar angesehenes Zeichen9) an einigen oder allen Stellen, wo es vorkommt, ersetzbar denkt, so erhält man durch diese Auffassungsweise | eine Function, die ausser den bisherigen [18] noch ein Argument hat. Auf diese Weise entstehen Functionen von zwei und mehr Argumenten. So kann z. B . „der Umstand, dass Wasserstoffgas leichter als Kohlensäuregas ist" als Function der beiden Argumente „Wasserstoffgas" und „Kohlensäuregas" aufgefasst werden. Das Subject ist in dem Sinne des Sprechenden gewöhnlich das hauptsächliche Argument; das nächst wichtige erscheint oft als Object. Die Sprache hat durch die Wahl zwischen Formen und Wörtern, wie Activum — Passivum, schwerer — leichter, geben — empfangen die Freiheit, nach Belieben diesen oder jenen Bestandtheil des Satzes als hauptsächliches Argument erscheinen zu lassen, eine Freiheit, die jedoch durch den Mangel an Wörtern beschränkt ist. § 10. Um eine unbestimmte Function des Argumentes A auszudrücken, lassen wir A in Klammern eingeschlossen auf einen Buchstaben folgen, z. B.: 4>(A).
Ebenso bedeutet
W(A, B)
eine Function der beiden Argumente A und B, die nicht näher bestimmt ist. Hierbei vertreten die Stellen von A und B in der Klammer die Stellen, welche A und B in der Function einnehmen, einerlei ob dies einzelne, oder für A sowohl wie für B mehre sind. Daher ist W{A, B) von W(B, A) im Allgemeinen
verschieden. 99
Diesem entsprechend werden unbestimmte Functionen mehrer Argumente ausgedrückt. Man kann I *(A) lesen: „A hat die Eigenschaft ". |
W(A,B)
mag übersetzt werden durch „ B steht in der W-Beziehung zu A" oder „B ist Ergebnis einer Anwendung des Verfahrens W auf den Gegenstand A". Da in dem Ausdrucke