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German Pages 96 [100] Year 1917
HILFSBUCH ZUR
GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE SEIT KANT VON
DR RICHARD FALCKENBERG ORD. PROFESSOR DER PHILOSOPHIE IN ERLANGEN
DRITTE VERMEHRTE AUFLAGE
LEIPZIG V E R L A G V O N V E I T & COMP. 1917
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
MEINEM LIEBEN FREUNDE
KARL NIEMANN IN BERLIN
IN TREUER ANHÄNGLICHKEIT GEWIDMET
Vorwort In den Vorlesungen über die Kantische und nachkantische Philosophie hat sich mir, obwohl ich die Hörer auf meine „ G e schichte der neueren Philosophie" (7. Auflage 1913) verweisen konnte, mehr und mehr das Bedürfnis herausgestellt, resümierende Paragraphen zu diktieren. Zunächst geschah dies vereinzelt, bei schwierigeren Materien, besonders bei K a n t und Schelling; dann allmählich in weiterem Umfange, namentlich wo mir daran lag, am Schlüsse einer längeren Ausführung die entscheidenden Grundgedanken noch einmal in knapper Zusammenfassung herauszuheben. Diese Gewohnheit befestigte sich um so mehr, als den Hörern eine authentische Formulierung der Hauptpunkte sehr willkommen zu sein pflegt. Der damit verbundene Zeitverlust ließ jedoch den Wunsch aufkommen, jene Diktate mechanisch vervielfältigen zu lassen. Als ich nun daran ging, sie dem Drucke zu übergeben, wurde es freilich notwendig, zur Herstellung eines auch ohne Erläuterungen verständlichen Zusammenhanges nicht nur Überleitungen und Zwischenglieder einzuschalten (sowie den Tabellen Erklärungen beizugeben), sondern auch einfache Grundgedanken, Definitionen, Einteilungen mit aufzunehmen, für die es eines Diktates nicht bedurfte, und so eine gewisse — wenn auch keineswegs absolute — Gleichmäßigkeit anzustreben. So ist dieses anspruchslose Hilfsbuch entstanden. Wirklich diktiert worden ist kaum ein Drittel seines Textes. D a sich das Hilfsbuch auf das Wesentlichste beschränkt und von dem, worüber größere Verschiedenheiten der Auffassung bestehen, nur weniges berührt, wäre es möglich, daß es auch andere Dozenten nicht verschmähten, sich seiner als Grundlage für die Vorlesung zu bedienen; ebenso daß es den Studierenden bei der
VI
VORWORT
Vorbereitung auf die Prüfung zum Repetieren nützlich erschiene, sofern es ihnen die Mühe ersparte, sich zu diesem Zwecke einen Auszug aus dem zweiten Teile des größeren Werkes anzufertigen. Vielfach wird auch der Grundriß durch das Hilfsbuch ergänzt. Die Philosophie des Auslandes glaubte ich ausschließen zu sollen, da bei den Lehren eines Comte, Mill, Spencer, eines James, Guyau, Bergson usw. eine noch kürzere Fassung als die im 15. Kapitel des „Grundrisses" gegebene nur auf Kosten der Verständlichkeit möglich schien. In der 3. A u f l a g e ist ein Kapitel über W u n d t und Eucken hinzugekommen. E r l a n g e n , 23. Dezember 1898. Berchtesgaden,
18. August 1906.
Berchtesgaden,
18. August 1916.
R. F.
Inhalt Seite
Einleitung
x—4
a) D i e deutsche A u f k l ä r u n g
1
b) Lessing
!
c) Herder
2
d) Jacobi K a p . 1.
2
Immanuel
K a n t (1724—1804)
I. T h e o r e t i s c h e
5—33
Philosophie
6—20
1. Die A n s c h a u u n g s f o r m e n : R a u m und Zeit 2. Die Kategorien nebst den Verstandesgrundsätzen
9 . . . .
12
3. Die Ideen der V e r n u n f t
16
II. P r a k t i s c h e P h i l o s o p h i e
20—26
1. D a s Sittengesetz
20
2. Die drei Postulate der praktischen V e r n u n f t
22
3. D a s sittliche Motiv; P f l i c h t und Neigung
24
4. R e c h t , S t a a t und Geschichte
25
III.
Religionsphilosophie
26—29
IV.
K r i t i k der U r t e i l s k r a f t
29—33
1. Ä s t h e t i k
29
2. Teleologie
31
Von K a n t zu F i c h t e
33—34
K a p . 2.
J o h . G o t t l i e b F i c h t e (1762—1814)
34—36
K a p . 3.
F r i e d r i c h W . S c h e l l i n g (1775—1854)
36—42
1. Periode,
a) Naturphilosophie
36
b) Geistesphilosophie
38
2. Periode.
Identitätsphilosophie
38
3. Periode.
Positive Philosophie
39
a) Mystische Freiheitslehre
39
b) Philosophie der Mythologie und Offenbarung. K a p . 4.
Der Schellingsche
K a p . 5.
Wilhelm
Kreis.
H e g e l (1770—1831)
Schleiermacher ( 1 7 6 8 — 1 8 3 4 )
.
41 42—45 45—53
1. D e r S t a n d p u n k t
46
2. Organ der Philosophie
48
3. Die dialektische Methode
49
4. D a s S y s t e m
49
VIII
INHALT
Seite
Kap. 6.
J o h . F r i e d r i c h H e r b a r t (1776—1841) 1. Metaphysik
53—60 54
2. Psychologie
58
3. Praktische Philosophie Kap. 7.
58
A r t h u r S c h o p e n h a u e r (1788—1860)
60—64
1. Die Welt als Vorstellung (Erkenntnislehre)
60
2. Die Welt als Wille (Metaphysik)
62
3. Die Ideen und die Kunst (Ästhetik)
63
4. Die Verneinung des Willens (Ethik) Kap. 8.
Kap. 9.
Die Hegeische Linke: Strauß und F e u e r b a c h
Kap. 11.
65—66
D. Friedrich Strauß
65
Ludwig Feuerbach
65
Fechner und Lotze
66—72
G. Theodor Fechner
66
Hermann Lotze Kap. 10.
64 . . .
v. H a r t m a n n u n d N i e t z s c h e
69 72—75
Eduard von Hartmann
72
Friedrich Nietzsche
74
Neukantianer, W u n d t und Eucken
75—85
Die Philosophie seit 1870
75
Wilhelm Wundt
77
Rudolf Eucken
83
Namenregister
86—88
Einleitung. § a. Für die deutsche A u f k l ä r u n g ist charakteristisch i . e k l e k t i s c h e Verbindung einheimischer (Leihniz-Wolffscher) und ausländischer Gedanken, wodurch sich der Gegensatz des Rationalismus und Empirismus allmählich neutralisiert; 2. Bevorzugung der P s y c h o l o g i e (die Zeit der Selbstbeobachtung: Tagebücher, briefliche Gefühlsergüsse, Kultus der Freundschaft; von den metaphysischen Fragen interessieren nur die das Glück des Menschen und die Tugend betreffenden: Jenseits und Gottheit); 3. p o p u l ä r e Haltung der Philosophie, die — seit Chr. Thomasius (f 1728) — in verständlicher und eleganter Sprache sich an das größere Publikum wendend Vorurteile verscheuchen, Bildung verbreiten, die Köpfe aufhellen und die Herzen veredeln will (M. Mendelssohn, Garve, Lichtenberg, Platner); 4. Mangel an g e s c h i c h t l i c h e m Verständnis: dem Deisten stehen sich Vernunft- und positive Religion gegenüber wie Wahrheit und Irrtum. Eine Wandlung zum Besseren trat mit Lessing und Herder ein. MAX DESSOIR, Geschichte der neueren deutschen Psychologie, B a n d 1, 2. A u f l . 1902.
§ b. L e s s i n g (f 1781), dessen ästhetischen Untersuchungen im Verein mit Winckelmanns (1717—68) kunstgeschichtlichen Arbeiten (1764) der Geschmack der Deutschen tiefgehende Anregung und Klärung verdankt, war der erste, der historischen Sinn besaß und weckte. Die Vernunftreligion ist ihm nicht der Anfangs-, sondern der Endpunkt einer langen Entwicklung. Die Menschheit schreitet vom Instinkt zur Vernunft, vom Glauben zum Wissen fort. Die positiven Religionen sind die Schulklassen, in denen sie heranwächst und ihre Vernunft gebrauchen lernt, Altes und Neues Testament ihre Lehrbücher, die Religionsgeschichte eine „ E r z i e h u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s " " (1780) zur Selbständigkeit durch den göttlichen Pädagogen. Die Offenbärüng ist der Erziehung vergleichbar, 1. sofern sie Wahrheiten lehrt, die der Mensch auch ohne fremde Hilfe hätte finden können, nur daß dies viel Falckenbarg,
H i l f s b u c h . 3. A u f l .
I
2
EINLEITUNG
mehr Zeit gekostet hätte; 2. sofern auch sie methodisch, sich der jeweiligen Fassungskraft des Zöglings anpassend, schrittweise verfährt, einen bestimmten Lehrplan innehält. Nachdem sich der Monotheismus und die Unsterblichkeit bereits als demonstrierbar erwiesen haben, wird man mit der Zeit lernen, auch die übrigen geoffenbarten Glaubenslehren rationell zu beweisen, also in Vernunftwahrheiten zu übersetzen. In sittlicher Beziehung aber besteht der Fortschritt darin, daß die Beweggründe des Handelns reinere werden, daß man mehr und mehr das Gute um seiner selbst willen tun lernt, nicht um dadurch jenseitigen Lohn zu erwerben. C H R . S C H R E M P F , Lessing als Philosoph, Frommanns Klassiker der Philosophie, Band 19, Stuttgart 1906.
§ C.
Die von Hamann (1730—88) begründete Glaubens- oder Gefühlsphilosophie, das deutsche Gegenstück zu Rousseaus Reaktion gegen die Aufklärung, wird von H e r d e r (f 1803) und Jacobi weitergeführt. Nach Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte" 1784t. ist die Geschichte nur die Fortsetzung des Naturprozesses auf höherer Stufe. Beide Reiche gehorchen denselben Gesetzen, dort wie hier herrscht Entwicklung. Ein gradliniger Aufstieg führt von der niedersten Stufe der Natur bis zur höchsten des sittlichen Lebens. Die Natur hört nicht auf, wo das Geistige beginnt, sie ist selbst ein geschichtebildender Faktor. Wie des Menschen Vernünftigkeit nicht Grund, sondern Folge des Aufrechtgehens ist, so hängt die geistige Bes haffenheit der Völker von ihrem Wohnsitz, der Ergiebigkeit des Bodens, der Gunst des Himmelstrichs a b : ein andres Klima bringt andre Bedürfnisse, Gewohnheiten, Anschauungen mit sich; und von diesem naturbestimmten Charakter der Nationen wiederum hängen ihre Schicksale und Erfolge ab. Dauerhaft aber ist nur das Ersprießliche, Vernünftige. Alles was an Fähigkeiten in der Menschennatur liegt, soll zur Reife gebracht werden, und zwar überall, auf der ganzen Erde. Der Mensch soll durch Tätigkeit zu dem werden, was er an sich ist: die Geschichte ist der Fortschritt zur H u m a n i t ä t . CARL
SIEGEL,
Herder als Philosoph, 1907.
§ d. Friedrich J a c o b i (f 1819) ist der Erkenntnistheoretiker der Glaubensphilosophie. Er begründet die Notwendigkeit eines unmittelbaren Wissens. Er ist Intuitionist, Theist, Gteubensrealist. 1. Die Philosophie als B e g r i f f s Wissenschaft führt, wenn sie folgerecht verfährt (vgl. Spinoza!), unausweichlich zur Leugnung einer (außer-
EINLEITUNG
3
weltlichen, persönlichen) Gottheit und der Freiheit. Denn Verstandeserkenntnis will beweisen, d . h . aus Ursachen ableiten; es gibt kein andres Begreifen als das kausale. Folglich kann das Unbedingte, das Ursachlose (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Tugend) nicht begriffen werden; es hat keine Bedingungen, aus denen wir es erklären könnten. Wenn der Verstand das Göttliche beweisen will, setzt er es zu einem endlichen Gegenstande herab. Auf dem Wege des kausalen Begründens kommt man letzten Endes zu dem Begriffe des Weltalls, nicht zu dem eines jenseitigen Grundes der Welt. Nun verbürgt uns aber unser sittliches und religiöses G e f ü h l , daß Gott, Freiheit und Unsterblichkeit Realitäten sind; es muß daher von diesen höchsten Gegenständen eine andre Art der Überzeugung geben, die nicht ein Begreifen ist, sondern ein Ergreifen der Wahrheit durch Anschauung und Empfindung. 2. Das U n b e d i n g t e wird nicht gewußt, sondern g e f ü h l t u n d geahnt. Gott ist ein Objekt des Herzens, nicht des Verstandes; ein Gott, der gewußt würde, wäre kein Gott. Wir e r l e b e n ihn als unmittelbar gegenwärtig in unserem höheren Selbst. „Die Vernunftideen sind unser inwendigstes Bewußtsein." Der Mensch kann sich selbst nur zugleich mit Gott finden. Der wahre Begriff Gottes als eines überweltlichen Wesens würde uns verschlossen bleiben, wenn wir nicht in uns selbst eine aller Natur überlegene K r a f t fänden: unsere Freiheit! Der Glaube kommt jedoch nicht nur als nachträgliche E r g ä n z u n g zur Verstandeserkenntnis hinzu (der Verstand erkennt das Endliche, das Vernunftgefühl das Übernatürliche), sondern ist auch u r s p r ü n g l i c h e r als das Wissen. Denn alle Beweisführung geht auf oberste Sätze zurück, deren Wahrheit durch sich selbst evident ist! Der letzte Beweisgrund kann nicht selbst bewiesen werden. Also: 3. Das vermittelte Wissen des Verstandes setzt ein unmittelbares Wissen (Gefühl oder Glauben) voraus. Die Gegenstände des letzteren sind: 1. die Prinzipien der Beweise, die, selbst nicht mehr beweisbar, unmittelbar einleuchten; 2. das Übersinnliche; 3. die Realität der Außenwelt. — Alles Wirkliche ist Wunder, alles Wissen um ein Dasein, gleichviel ob sinnliches oder übersinnliches, Eingebung. Der Verstand ist kein Organ für Wirklichkeit, er kann nur gegebene Anschauungen formieren, bewegt sich in lauter Beziehungen. 4. Bei K a n t hat der V e r n u n f t g l a u b e nur praktische, bei Jacobi theoretische Bedeutung. Dort werden Gott, Freiheit und Unsterblichkeit nur gefordert, hier erfahren. bei K a n t Die „ I d e e n " sind der Vernunftglaube ist
Postulate kein
bei J a c o b i gegebene Wirklichkeiten, Wissen, höchstes (unmittelbares), 1*
4
EINLEITUNG
5. Auch in der Ethik ist Jacobi zum Teil Kants Gegner, zum Teil sein Bundesgenosse. Der Sittlichkeit liegt ein Naturinstinkt zugrunde, der aber nicht auf Glück ausgeht, sondern auf selbstloses Handeln. Nach K a n t verlangt das Sittengesetz von allen Menschen das Gleiche, nach Jacobi von jedem etwas Besonderes. Jacobi huldigt dem Ideal der s c h ö n e n S e e l e , für welche die Tugend zur zweiten Natur geworden ist, für welche eine Pflicht, ein sittliches Gebot nicht mehr existiert, weil sie, dem Pflichtgebot zuvorkommend, schon von selbst, aus Neigung und ohne Kampf mit widerspenstigen Trieben, das Gute zu tun bereit ist. Moral. Aufklärung
Kant
Quelle: N a t u r t r i e b
(Gesetz des Sollens, Pflicht) Uneigennützigkeit
Wesen: (Glückseligkeit) Jacobi FRIEDR. ALFRED
SCHMID,
Jacobi,
1908,
Aus der Literatur über den ganzen Zeitraum seien genannt: ÜBERWEG-HEINZE, G r u n d r i ß , B d . 4 , 1 1 . A u f l . , b e a r b e i t e t v o n KONST. OESTER-
REICH, 1916. W . WINDELBAND ( f 1915), Die Blütezeit der deutschen Philos. (zweiter Band der Gesch. d. neueren Philos.) 1880, 5. Aufl. 1911. Ders., Die Philosophie im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts, 2. Aufl. 1909. RICH. FALCKENBERG, Gesch. der neueren Philos., 1886, 7. A u f l . 1913. RUD. EUCKEN, Die Lebensanschauungen der großen Denker, 1890, 10. Aufl. 1912. JOH. VOLKELT, Vorträge zur Einführung in die Philos. der Gegenwart, 1892. L'. BUSSE (f 1907), Die Weltanschauungen der großen Philosophen der Neuzeit, 5. Aufl., herausgeg. von FALCKENBERG ( A u s N a t u r u, G e i s t e s w e l t , B d . 56), 1 9 1 2 . CARL SIEGEL, G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n
Naturphilosophie 1913.
EUCKEN, Die Träger des deutschen Idealismus, Berlin 1915.
Erstes
Kapitel.
Immanuel Kant (1724—1804). Hauptwerke: (1755. 1770. 1781. 1783. 1785. (1786. 1788. 1790. 1793. 1797. 1798. 1798. 1804.
Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.) De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (Dissertation), K r i t i k d e r r e i n e n V e r n u n f t . 2. Aufl. 1787. P r o l e g o m e n a zu einer jeden künftigen Metaphysik. G r u n d l e g u n g zur Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.) K r i t i k der p r a k t i s c h e n V e r n u n f t . K r i t i k der U r t e i l s k r a f t . Die R e l i g i o n innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Die Metaphysik der Sitten. Der Streit deT Fakultäten. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und Wolff.
Die 1900 begonnene Gesamtausgabe der preußischen Akademie bringt in der ersten Abteilung die Druckschriften, in der zweiten den Briefwechsel und läßt in der dritten und vierten den Nachlaß und die Vorlesungen folgen. Unter den älteren Ausgaben verdient die zweite HARTENSTEIN sehe (1867—68) den Vorzug. Literatur. FR. PAULSEN (F 1908), K a n t (7. Band von Fiommanns Klassikern der Philosophie), Stuttgart 1898, 4. Aufl. 1904. KUNO FISCHER (f 1907), Geschichte der neueren Philosophie, 3. u 4. (bzw. 4. u. 5.) Band. HERM. COHEN, Kants Theorie der Erfahrung, 2. Aufl. 1885. AL. RIEHL, Der philos. Kritizismus 1876—87, 2. Aufl. des ersten Bandes 1908.
6
KANT
J . VOLKELT, Kants Erkenntnistheorie, 1879. H. VAIHINGER, Kommentar zu Kants Kritik der r. Vernunft, Bd. I, Stuttgart 1881, Bd. II 1892. L BUSSE, Zu Kants Lehre vom Ding an sich, in Band 102 der Zeitschrift für Philos. u. ph. Kritik, 1893. R . FALCKENBERG, Kant und das Jahrhundert, 2. Aufl., Leipzig 1907. AUG. MESSER, Kants Ethik, 1904. E . KÖNIG, Kant und die Naturwissenschaft, 1907. H. COHEN, Kommentar zur Kr. d. r. V., in der Philos. Bibl., 1907. BR. BAUCH, Kant, in der Sammlung Göschen, 1911, 2. A u f l . 1916. P . MENZER, Kants Lehre von der Entwicklung, 1911. Ders., Kant, in „Große Denker", herausgeg. von E.V.ASTER, 1911. R . REININGER, Philosophie des Erkennens, 1911. A . STADLER ( t 1910), Kant, akad. Vorlesungen, 1912.
L Theoretische Philosophie. § 1.
Kants Entwicklung. Anfangs Anhänger der Wölfischen Philosophie, nähert sich Kant seit 1760 unter dem Einfluß englischer Denker dem Empirismus, ja er gelangt 1766 (Träume eines Geistersehers) zum Skeptizismus, wendet sich jedoch 1770 zum Rationalismus zurück und gewinnt durch nochmalige Schwenkung nach links 1781 den endgültigen Standpunkt des Kritizismus. Vgl. PAULSEN, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie, Leipzig 1875; E . ADICKES, Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung (im 1. Bande von VAIHINGERS „Kantstudien", Heft 1 und 2) 1896. §
Der Dogmatiker glaubt an die Erkenntnisfähigkeit der menschlichen Vernunft, der Skeptiker bezweifelt sie. Der kritische Philosoph u n t e r s u c h t die Möglichkeit der Erkenntnis und stellt ihre Quellen und Grenzen fest. § 3Während die aus der Wahrnehmung geschöpften oder „empirischen" Urteile nur einzelne Tatsachen, nicht Notwendigkeit aussprechen und durch Zusammenfassung vieler übereinstimmender Fälle immer nur approximative Allgemeinheit erreichen (bis jetzt ist noch keine Ausnahme beobachtet worden), gelten die aus reiner Vernunft entspringenden oder „apriorischen" Urteile s t r e n g a l l g e m e i n und n o t w e n d i g . Vor den „analytischen" Urteilen, deren Prädikat nur etwas herausstellt, was im Subjekt schon mitgedacht wird (Das Quadrat ist rechtwinklig, der Körper ist ausgedehnt), die somit unsere Erkenntnis nur v e r d e u t l i c h e n , zeichnen sich die „synthetischen", in denen das Prädikat dem Subjekt etwas noch nicht darin Enthaltenes hinzufügt, da-
KRITIK
DER
VERNUNFT
7
durch aus, daß sie unsere Erkenntnis v e r m e h r e n (Das Merkmal der Ausdehnung ist in dem Begriff des Körpers enthalten, das der Schwere nicht). Jene sind bloße Erläuterungs-, diese sind Erweiterungsurteile. § 4.
Wie verhalten sich die beiden Gegensatzpaare zueinander? Das empirische Urteil ist stets synthetisch (die Erfahrung lehrt uns fortwährend Neues). Das analytische ist stets apriori (um aus dem Subjektsbegriff ein Merkmal herauszuheben, das schon in ihm liegt, dazu bedarf es keiner Wahrnehmung). Mithin kann ein Urteil nicht zugleich analytisch und empirisch sein. Aber eine dritte Möglichkeit bleibt offen: gibt es apriorische Urteile, die unsere Erkenntnis nicht bloß verdeutlichen ? gibt es synthetische Urteile, die nicht aus der Erfahrung stammen ? Hume verneint, Kant bejaht diese Frage. Hume hatte irrtümlich alle Erkenntnis aus reiner Vernunft für bloß analytisch und eine Erweiterung des Wissens nur durch Erfahrung für möglich gehalten. Er übersah, daß Urteile z u g l e i c h a p r i o r i u n d s y n t h e t i s c h sein können; diese aber sind von besonderem Werte, weil sie sowohl allgemein und notwendig gelten als auch erweiternd sind. Daher lautet die Hauptfrage der Vernunftkritik: wie sind synthetische Urteile apriori möglich?
§ 5-
Drei Wissenschaften erheben den Anspruch, apriorische Synthesen zu enthalten: Mathematik (Das Ganze ist größer als der Teil), reine Naturwissenschaft (Kausalgesetz) und Metaphysik (Unsere Seele ist unsterblich, unser Wille ist frei). Die dritte ist insofern in einer übleren Lage, als ihre Urteile sich nicht einer so allgemeinen Zustimmung erfreuen, wie die der beiden andern. In der Metaphysik herrscht ewiger Streit; ihr fehlt das unwidersprechbar Überzeugende, was die mathematischen Erkenntnisse auszeichnet; als Wissenschaft vom Übersinnlichen muß sie von vornherein für ihre Sätze auf die empirische Bewährung verzichten, welche denen der Naturwissenschaft zuteil wird. Somit besteht gegründeter Verdacht, ob auch die Erkenntnisse, mit denen die Metaphysik prunkt, auf solidem Wege gewonnen und nicht
8
KANT
bloße Erschleichungen sind. Bei Mathematik und Physik fragen wir, wie und wodurch in ihnen synthetische Urteile apriori möglich sind, bei der Metaphysik, ob sie überhaupt zu solchen berechtigt ist. § 6.
Vorausnahme des Resultates. Die Möglichkeit apriorisch-synthetischer Urteile beruht in der Mathematik auf den reinen Anschauungen Raum (Geometrie) und Zeit (Arithmetik), in der reinen Physik auf den Begriffen und Grundsätzen des reinen Verstandes. Dagegen sind solche unmöglich in der Metaphysik, da weder die Kategorien noch die Vernunftideen zu einer Erkenntnis des Unerfahrbaren ausreichende Mittel darbieten. Einteilung.
transzendentale 1. Ästhetik: 2. Analytik: 3. Dialektik:
Sinnlichkeit Verstand Vernunft
Anschauungen Begriffe Ideen
(Mathem.) (r. Naturw.) (Metaph.).
§ 7K a n t will zwischen den entgegengesetzten Extremen des Rationalismus und des Empirismus vermitteln; jenem ist die Vernunft ein schöpferisches, diesem ein leidendes Vermögen. Er schlichtet den Streit durch die Unterscheidung zweier Faktoren der Erkenntnis: Form und Stoff. F o r m nennt er das, was der Geist aus eigenen Mitteln zur Erkenntnis beiträgt; S t o f f dasjenige, was er passiv empfängt. Die Erkenntnisformen entspringen aus dem eigenen Tun des Geistes, der Stoff (das Mannigfaltige der Empfindung) entsteht durch Affektion des Erkenntnisvermögens, wird aufgenommen, ist „gegeben". Empirismus. Die Vernunft ist passiv. Wahrnehmung die einzige Quelle.
Rationalismus. Kant. 2 Faktoren der Erkenntnis:
Stoff.
Die Vernunft ist aktiv. Angeborene Vorstellungen.
Formen.
Durch Affektion entstehende Empfindüngen (aposteriori).
Auffassungs- u. Tätigkeitsweisen des Erkenntnisvermögens (apriori).
Erst beides zusammen gibt Erkenntnis.
In der Erkenntnis steckt ein Doppeltes: ein Erfahrungsgegebenes und geistige Funktionen. Sie ist ein Formen, nämlich ein Ordnen und Verknüpfen oder Bearbeiten eines gegebenen Stoffes durch apriorische
DIE
ANSCHAUUNGSFORMEN:
RAUM
UND
ZEIT
9
Vorstellungen. Kant denkt rationalistisch über die Form, empiristisch über den Stoff der Erkenntnis. § 8Die Formen der Erkenntnis sind teils anschauliche, teils begriffliche. Anschauung und Begriff unterscheiden sich nicht (wie Leibniz meinte) dem Grade, sondern der Art nach. Die A n s c h a u u n g ist eine Einzelvorstellung, die sich unmittelbar, der B e g r i f f eine Allgemeinvorstellung, die sich bloß mittelbar auf ihren Gegenstand bezieht. Zur Erlangung fruchtbaren Wissens müssen sich beide v e r b i n d e n ; zur Erkenntnis gehört, daß uns Gegenstände gegeben sind und daß sie gedacht werden. Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer. i. Die A n s c h a u u n g s f o r m e n : R a u m und Zeit.
§ 9Raum und Zeit sind Formen unsrer Rezeptivität. Sie sind i . nicht Realitäten, sondern Vorstellungen, und zwar 2. weder empirisch noch Begriffe, sondern Anschauungen apriori. Den Beweis für die erste These hat Kant nur angedeutet. Der Versuch, Raum und Zeit als Wirklichkeiten zu denken, ist unausführbar. Denn sie sind unendlich; wer vermag sich ein grenzenloses Ding, die Zeit ohne Anfang und Ende als etwas Reales vorzustellen ? Der Raum ist die Bedingung äußerer Gegenstände, dieses eine Ding müßte also vor den übrigen dasein, damit sie in ihm Platz nehmen. Eine Wirklichkeit, die den wirklichen Dingen vorausginge, um sie in sich aufzunehmen, ist ein unmöglicher Gedanke. Alles Wirkliche verfließt in der Zeit; wenn auch sie etwas Wirkliches sein soll, worin verfließt denn sie ? in einer zweiten Zeit ? Raum und Zeit, als wirklich existierend gedacht, wären nicht Dinge, sondern „Undinge". Sie sind also subjektiv oder ideal ( = Vorstellungen). § io. Sie sind jedoch nicht willkürliche, sondern notwendige, allgemeingültige Vorstellungen, an die jeder uns gleich organisierte Geist gebunden ist und die deshalb für die uns gegebenen Gegenstände gelten. Trotz ihrer „transzendentalen Idealität" (d. h. obwohl sie erkenntnistheoretisch genommen bloße Vorstellungen, abgesehen vom anschauenden Subjekte nichts sind) kommt ihnen „empirische Realität" zu; sie sind ebenso wirklich wie alles, was in ihnen erscheint, ebenso wirklich wie die Körper und unsere seelischen Erlebnisse. — Was für Vorstellungen sind sie, empirische oder apriorische, Begriffe oder Anschauungen?
IO
KANT
§
Sie sind apriorische Anschauungen. Die v i e r B e w e i s e , die diese Behauptung erhärten sollen, sind so geordnet, daß die ersten beiden die A p r i o r i t ä t , die letzten beiden die A n s c h a u l i c h k e i t von Raum und Zeit erweisen. 1. Der Raum ist n i c h t ein durch Abstraktion gewonnener empirischer Begriff (wie Pflanze, Stein), etwa a b s t r a h i e r t von der Wahrnehmung des Neben- oder Außereinander der Körper, weil dieses Verhältnis des Nebeneinander immer schon die Vorstellung des Raumes voraussetzt. Außereinandersein bedeutet ja nichts andres, als sich an verschiedenen Punkten des Raumes befinden. Ebenso ist die Vorstellung der Zeit u r s p r ü n g l i c h e r als die des Nacheinander. 2. Die Vorstellung des Raumes ist eine n o t w e n d i g e , wir können von allem, was im Räume ist, absehen, vom Räume selbst nicht. Ebenso ist es unmöglich sich vorzustellen, daß es keine Zeit gebe. — Als ursprüngliche und notwendige Vorstellungen sind beide apriori. 3. Der Raum ist nicht eine Allgemeinvorstellung oder ein Begriff, sondern eine Einzelvorstellung oder eine Anschauung. Denn es gibt nur e i n e n e i n z i g e n Raum, zu dem sich die verschiedenen Räume nur als Ausschnitte oder Einschränkungen, nicht als Exemplare verhalten. Desgleichen setzen die Zeiten die e i n e Zeit voraus. 4. Der Raum ist u n e n d l i c h , er enthält eine unendliche Menge von Teilvorstellungen (nämlich Raumgrößen) in sich, was niemals bei einem Begriffe der Fall ist, der seine Exemplare vielmehr u n t e r sich befaßt. Der Baum ist in den Bäumen, aber der R a u m nicht in den Räumen, sondern sie sind in ihm enthalten. Ebenso stehen die Zeiten zur unendlichen Zeit nicht in dem logischen Verhältnis der Unterordnung der Individuen unter ihren Gattungsbegriff, sondern in dem anschaulichen Verhältnis der Teile zum Ganzen. In den Prolegomena kommt noch ein schon in einer vorkritischen Schrift verwendeter Gedanke als fünfter Beweis hinzu. Es gibt Richtungsunterschiede in Raum und Zeit (rechts—links, vorn—hinten, o b e n — unten, früher—später), die nicht logisch, sondern bloß anschaulich erfaßt werden können. Der linke Handschuh geht nicht auf die rechte Hand. § 12. Raum und Zeit sind reine Formen der Sinnlichkeit. Jener ist die Form des ä u ß e r e n , diese die des i n n e r e n Sinnes. Mit Locke unterscheidet K a n t die äußere Wahrnehmung (der Körper außer uns) und die innere (unserer eigenen psychischen Zustände und Tätigkeiten). R a u m und Zeit haben jedoch nicht die Welt so unter sich geteilt, daß, was dem einen gehört, dem andern entzogen wäre; sondern die Zeit ist
DIE
ANSCHAUUNGSFORMEN:
RAUM
UND
ZEIT
II
das übergreifende Glied: was im Räume ist, ist auch in der Zeit (etwa wie jede bayrische Stadt zugleich eine deutsche Stadt ist), aber nicht umgekehrt. Da die äußeren Erscheinungen unsere Vorstellungen sind, so fallen auch sie unter die Form der Zeit: die Zeit ist die Anschauungsform a l l e r , der Raum nur die der äußeren Erscheinungen. § 13« Konsequenzen. 1. Denken wir uns die Geister aus der Welt hinweg, so verschwinden mit ihnen Raum und Zeit. Nur f ü r u n s (nicht an sich) sind die Dinge in Raum und Zeit. Die räumlich-zeitlichen Eigenschaften kommen nicht den Dingen selbst, sondern nur unsrer Auffassung derselben zu. Die uns zugekehrte, unsrem Vorstellen zugängliche Seite des Dinges nennen wir seine E r s c h e i n u n g , die uns verborgene (oder das Ding wie es beschaffen sein mag abgesehen von unsrer Art es anzuschauen) das D i n g a n s i c h . 2. Zu jeder Erkenntnis gehört (außer dem Begriff auch) Anschauung. Unsere Anschauung ist gebunden an Raum und Zeit. Das Ding, wie es sich in Raum und Zeit darstellt, ist nur seine Erscheinung. Folglich erkennen wir die Dinge nur, wie sie uns erscheinen, nicht wie sie an sich sind. Unsere Erkenntnis ist auf die „ P h ä n o m e n a " beschränkt. Die D i n g e a n s i c h (die „ N o u m e n a " ) s i n d u n e r k e n n b a r . Nicht die Dinge an sich, nur die Erscheinungen sind i i n R a u m u - Z e l t (erkennbar. Die Dinge an sich existieren zwar (wenn sie nicht wären, könnten sie auch nicht erscheinen); wir können sie auch d e n k e n , aber nicht a n s c h a u e n , also auch nicht e r k e n n e n . Denn Erkennen = Anschauen + Denken. 3. Auch mich selbst erkenne ich nur, wie ich mir (im inneren Sinn) erscheine, nicht wie ich wahrhaft bin. Dies richtet sich gegen den Vorzug, den Descartes der inneren Wahrnehmung vor der äußeren eingeräumt hatte. 4. Eine Wissenschaft vom Übersinnlichen ist unmöglich. K a n t verwirft den „transzendenten", er erklärt für legitim den „transzendentalen" Vernunftgebrauch. Jener versucht (vergeblich) die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten und das jenseit der Erscheinung liegende Ansichseiende zu erkennen; dieser dagegen hält sich diesseit der Grenze und bemüht sich (mit Erfolg) die im Subjekt gelegenen „Bedingungen der Erfahrung", nämlich das Apriori zu erforschen. Transzendent verfährt die alte Metaphysik als vermeintliche Wissenschaft vom Unerfahrbaren, transzendental die Vernunftkritik oder Erkenntnistheorie. Das Erfahrbare oder die sich in den apriorischen Erkenntnisformen präsentierende Erscheinungswelt ist einer unübersteiglichen M a u e r vergleichbar, die
12
KANT
dem erkennenden verwehrt.
S u b j e k t den Anblick des dahinterliegenden
jenseit (hinter)
Erscheinung.
Dinge an sich
Stoff
Form
>• transzendente falsche Metaphysik
empirisch apriori Physik
Ansich
diesseit (vor) Erkenntnisvermögen o < Subjekt transzendentale Vernunftkritik
immanente Wissenschaft. Bei d i e s e r B e d e u t u n g von transzendental ( — k r i t i s c h , d . h . nicht die Dinge, sondern die Erkenntnis untersuchend) bildet den Gegensatz die dogmatische Metaphysik. Einen anderen Sinn erhält das W o r t , wenn es zur Kennzeichnung der M e t h o d e der Vernunftkritik gebraucht wird. Die N e u k a n t i a n e r preisen K a n t , weil er der unzulänglichen „ p s y c h o l o g i s c h e n " Erkenntnistheorie Lockes die echte, „ l o g i s c h e " , aus Prinzipien beweisende entgegengesetzt habe, welche die F r a g e vorans t e l l t : was liegt im Begriff der E r k e n n t n i s ? § 14« Zur Kritik. K a n t unterscheidet nicht scharf genug zwischen der Vorstellung eines Dinges als momentanem subjektivem Vorgange in unsrer Seele und dem vorgestellten Dinge. Jene heiße die subjektive Erscheinung, dieses die objektive Erscheinung. Der letzteren liegt ein unbekanntes Ding an sich zugrunde. E i n T u r m „ e r s c h e i n t " aus der Nähe betrachtet größer als aus der Ferne gesehen. E r „ i s t " irgendwie groß (objektive, allgemeingültige Erscheinung). Die Dinge an sich aber, welche diese Erscheinung in uns hervorrufen, sind nicht im R ä u m e und in der Zeit, haben also auch keine Größe. — Die o b j e k t i v e Erscheinung ist der Gegenstand, die subjektive ein Mittel der Erkenntnis.
2. D i e K a t e g o r i e n n e b s t d e n
Verstandesgrundsätzen.
a) A n a l y t i k der B e g r i f f e . § Der Verstand ist das Vermögen zu urteilen. D a r u m benutzen wir zur A u f f i n d u n g der Stammbegriffe des reinen Verstandes die Einteilung der Urteilsformen: jeder Urteilsform entspricht je eine Kategorie. Urteilsformen. Quantität.
Qualität.
Einzelne
Bejahende
Relation.
Modalität.
Kategorische
Problematische
Besondre
Verneinende
Hypothetische
Assertorische
Allgemeine
Unendliche
Disjunktive
Apodiktische.
ANALYTIK
DER
BEGRIFFE
13
Kategorien. Quant. Qual. Einheit Realität Vielheit Negation Allheit Limitation
Relat. Modal. Substanz und Akzidens Mögl.-Unmöglichkeit Ursache und Wirkung Dasein-Nichtsein Wechselwirkung(Gemeinschaft) Notwend.-Zufälligkeit
mathematische
dynamische.
Die dritte Kategorie in jeder Klasse vereinigt in sich die beiden vorhergehenden. (Diese „ a r t i g e " Bemerkung Kants hat den Anstoß zu Fichtes Triaden und Hegels dialektischer Methode gegeben.) § 16. Aul die Frage: wie kommt es, daß die Kategorien trotz ihres subjektiven Ursprungs objektive Geltung haben ? antwortet die „transzendentale D e d u k t i o n der reinen Verstandesbegriffe": sie sind objektiv gültig, weil n u r d u r c h s i e „ E r f a h r u n g " (im strengen Sinne = allgemeingültige Erkenntnis über Wahrnehmungsgegenstände) m ö g l i c h i s t . Alle Einheit, Ordnung und Gesetzmäßigkeit stammt aus der verknüpfenden Tätigkeit des Verstandes. A u s der bloßen „ W a h r n e h m u n g " , die nur Sukzession der Erscheinungen zeigt, machen wir o b j e k t i v e „ E r f a h r u n g " durch den hinzugefügten G e d a n k e n des B e w i r k t werdens des zweiten Ereignisses d u r c h das erste: die K a t e g o r i e der K a u s a l i t ä t o b j e k t i v i e r t die W a h r n e h m u n g zur E r f a h r u n g . In der W a h r n e h m u n g g e h t häufig die W i r k u n g der Ursache v o r a n : wir bemerken zuerst die W ä r m e des Zimmers, hinterher die des Ofens, die in W i r k l i c h k e i t jener v o r a n g i n g ; oder zuerst die Leiche des Selbstmörders und später die K u g e l , die seinen T o d b e w i r k t h a t . Die richtige Reihenfolge (die o b j e k t i v e Zeitfolge) der Erscheinungen stellen wir fest durch A n wendung des Begriffs der Ursache. Über die Frage, ob es sich hier u m eine L e i s t u n g des transzendentalen oder des empirisch-logischen Verstandes handle, und andre Schwierigkeiten in der Theorie der E r f a h r u n g siehe ROB. REININGER, K a n t ? L e h r e v o m inneren Sinn, W i e n 1900.
§
17-
Eine weitere Schwierigkeit bietet die Frage: wie werden die Kategorien auf Erfahrungsgegenstände anwendbar? Jene sind apriorische Begriffe, diese empirische Anschauungen; sie haben also nichts miteinander gemein. Der „ S c h e m a t i s m u s der reinen Verstandesbegriffe" antwortet: die Anwendung wird vermittelt durch die Schemata der Zeitanschauung, die als Dolmetscher dienen kann, da sie mit jeder der beiden Parteien etwas gemein h a t , nämlich gleich den Kategorien a p r i o r i , gleich den Wahrnehmungsobjekten a n s c h a u l i c h ist. Die vier Titel heißen: Zeitreihe,-inhalt,-Ordnung,-inbegriff. Jede Kategorie hat ihr eigenes Z e i t s c h e m a , das gleichsam die Anweisung gibt, jetzt diese bestimmte Kategorie anzuwenden. So ist die Beharrlichkeit in der Zeit
14
KANT
das Schema des Substanzbegriffs, das regelmäßige Nacheinander das Signal für die Anwendung der Kausalität, das Dasein zu aller Zeit das Zeichen für die der Notwendigkeit, das Dasein zu einer bestimmten Zeit der Fingerzeig für die der Wirklichkeit, die erfüllte oder die leere Zeit das Schema der Realität bzw. der Negation. § 18.
Gewöhnlich versteht man unter dem S u b j e k t i v e n das, was dem e i n z e l n e n Subjekt gehört im Unterschiede von andren Subjekten, das Individuelle; eine Meinung, ein Gefühl. Kant aber bezeichnet so auch das, was a l l e n S u b j e k t e n gleichmäßig zukommt, das Allgemeinmenschliche, was aus der Ausstattung des Geistes (nicht aus den Dingen, aus der Erfahrung) stammt, das Apriori. Die reinen Anschauungen und die Kategorien sind zwar (allgemein-)subjektiven Ursprungs, haben aber (trotzdem, oder vielmehr gerade deshalb) objektive Gültigkeit. § 19Die apriorischen Vorstellungen unterscheiden sich von den sogenannten „angeborenen Ideen" dadurch, daß sie nicht fertige Begriffe, sondern Verstandeshandlungen, nämlich Synthesen sind, durch die in das gegebene Mannigfaltige Einheit hineingebracht wird. Jede Kategorie ist ein Akt des Zusammenfassens und setzt eine oberste Einheit, eine Ursynthesis voraus: die transzendentale Apperzeption, das reine B e w u ß t s e i n , den alle unsere Vorstellungen begleitenden Gedanken „Ich denke". Von dem „empirischen" Ich, dem wandelbaren Gegenstande der Selbstbeobachtung, unterscheidet sich das „reine" Ich durch drei Merkmale: es ist stets nur wahrnehmendes S u b j e k t , nie wahrgenommenes Objekt; es ist b e h a r r l i c h , während die inneren Zustände des empirischen Ich in beständigem Flusse wechseln; es ist nicht individuell, sondern ü b e r p e r s ö n l i c h , in allen Geistern sich selbst gleich. (Von diesem reinen Selbstbewußtsein, dem höchsten Punkte, zu dem Kant emporklomm, glaubte Fichte als der Urtat des Geistes ausgehen und von ihm aus synthetisch das System der reinen Verstandeshandlungen entwickeln zu sollen.) b) A n a l y t i k der G r u n d s ä t z e . § 20.
Die empirischen, besonderen Naturgesetze sind nur nähere Bestimmungen gewisser allgemeinster Naturgesetze, die Kant Grundsätze des reinen Verstandes nennt, weil sie der Verstand nicht aus der Erfahrung abliest, sondern der Natur vorschreibt. D e r V e r s t a n d i s t d e r G e s e t z g e b e r der N a t u r , der Stifter der allgemeinen Natur-
ANALYTIK
DER
GRUNDSÄTZE
IS
Ordnung, er macht aus der bloßen Sinnenwelt, dem Gegebenen, eine „ N a t u r " , d. h. ein gesetzmäßig verknüpftes Ganze von Erscheinungen. K a n t vergleicht (in der Vorrede zur 2. Auflage der K r . d. r. V.) die Umwälzung der Denkweise, die er durchzusetzen hofft, mit derjenigen, die seinerzeit Koppernikus hervorgerufen hat. Dieser läßt die Sonne stillstehen und die Erde sich drehen. Dem heliozentrischen System entspricht das noozentrische, nach welchem sich nicht der Verstand nach den Gegenständen, sondern d i e G e g e n s t ä n d e n a c h d e m V e r s t ä n d e r i c h t e n . Die sonderbpre Lehre, daß sich die Dinge nach unsren Vorstellungen richter, verliert ihr Widersinniges, wenn man bedenkt, daß die Natur, der der Verstand ihre Gesetze diktiert, den gesetzlichen Zusammenhang der E r s c h e i n u n g e n (nicht der Dinge an sich!) bedeutet; Erscheinungen aber sind Vorstellungen des Gemüts und unterliegen als solche den Gesetzen des Vorstellungsvermögens. §
21.
Gemäß den vier Rubriken der Kategorientafel (Quantität, Qualität, Relation, Modalität) gibt es vier Klassen von Grundsätzen: 1. A x i o m e der Anschauung, 2. A n t i z i p a t i o n e n der Wahrnehmung, 3. A n a l o g i e n der Erfahrung, 4. P o s t u l a t e des empirischen Denkens überhaupt. x. Das Prinzip der Axiome der Anschauung lautet: alle Anschauungen sind extensive Größen. 2. Das Prinzip der Antizipationen der Wahrnehmung: die Empfindung und das ihr an dem Gegenstande entsprechende Reale hat eine intensive Größe, d. i. einen Grad. 3. Analogien der Erfahrung (über sie LAAS 1876): a) In allen Erscheinungen ist etwas Beharrliches; aller Wechsel der Erscheinungen ist nur Veränderung, nicht Entstehen oder Vergehen; das Qua,ntum der Substanz erfährt keine Vermehrung und keine Verminderung, b) Jede Begebenheit setzt etwas (eine Ursache) voraus, worauf sie nach einer Regel folge (das Kausalgesetz betrifft nicht das Dasein der Substanzen, sondern bloß die Zustandsveränderungen des Beharrlichen), c) Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Wechselwirkung untereinander. 4. Die Postulate enthalten Bestimmungen über Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit. Wir heben das mittlere heraus, nach welchem Empfindung das Kriterium der Wirklichkeit ist. §
22.
In den beiden ersten Teilen der Vernunftkritik hat K a n t nachgewiesen, daß und warum in Mathematik und reiner Naturwissenschaft
i6
KANT
apriorisch-synthetische Urteile möglich und berechtigt sind. i . Da Raum und Zeit apriorische Anschauungen sind, sind wir imstande, über räumliche und zeitliche (Zahlen-)Verhältnisse ohne Hilfe der Erfahrung allgemeine und notwendige Erkenntnisse zu gewinnen: in der Mathematik können wir k o n s t r u i e r e n , d . h . einem Begriff die zugehörige Anschauung verschaffen. 2. Auf Grund der Kategorien lassen sich unter Zuhilfenahme der reinen Anschauungen Sätze aufstellen, die für alle Erfahrung gelten, aber nicht aus der Erfahrung entnommen sind. 3. Nicht sehr verheißungsvoll dagegen steht es mit der Metaphysik. Als Gesetzgeber darf der Verstand nur für Erscheinungen auftreten, jenseit dieser Grenze hört seine Herrschaft a u f : die Kategorien sind nur auf Erfahrungsgegenstände anwendbar. Aber vielleicht gestatten uns die Ideen der Vernunft, die Grenze der Erfahrung zu überschreiten. Ein Verlangen, transzendente Erkenntnis zu erwerben, und ein Anlaß, solche für möglich zu halten, ist unstreitig vorhanden. Ist Metaphysik möglich ?
3. D i e I d e e n d e r V e r n u n f t . § 23. Auch bei der Vernunft leitet K a n t die transzendentale Funktion aus der logischen ab. Der Verstand urteilt, die Vernunft s< hließt. Jener ist die Quelle der Kategorien, diese die der Ideen. Aus den drei Schlußformen (kategorisch, hypothetisch, disjunktiv) ergeben sich drei Hauptideen: S e e l e , W e l t , G o t t , deren jede ein Unbedingtes ausdrückt. Die schließende Vernunft muß die Reihe der Bedingungen nach oben hin als vollendet, als ihrer Totalität nach gegeben betrachten (denn der erschlossene Satz ist bedingt durch vorhergehende Sätze, die ihrerseits wiederum von höheren Prämissen abhängeil usf; das hiermit geforderte Zurückgehen zu immef höheren Gründen kann jedoch nicht wirklich bis zu Ende ausgeführt werden, während ohne solchen Abschluß die K e t t e der Beweise im Leeren schweben würde). Dieser Gedanke einer unbedingten Totalität, einer vollendeten Unendlichkeit ist die Vernunftidee. § 24Die Vernunftideen unterscheiden sich von den Verstandesbegriffen oder Kategorien dadurch, daß ihnen niemals ein Gegenstand in der Anschauung gegeben werden kann. Sie sind bloße — aber notwendige — Gedanken, nämlich Aufgaben, Maximen, die unsrer Erkenntnis Regeln geben und sie vereinheitlichen: sie sind „ n i c h t konstitutive, sondern nur r e g u l a t i v e P r i n z i p i e n " . So ist die Idee der S e e l e der gedachte Einheitspunkt für die inneren, die des W e l t ganzen der für die äußeren Erscheinungen, die Idee G o t t e s der für alle Dinge über-
DIE
IDEEN DER
VERNUNFT
17
haupt. Diese Regeln der Forschung dürfen nicht — wozu eine verhängnisvolle Neigung in unsrer Vernunft liegt — für gegebene Gegenstände genommen und die Forderung, die Bruchstücke unseres Wissens einem S y s t e m der Erkenntnis einzugliedern, nicht als dogmatische Behauptung über das Wirkliche gedeutet werden. Die Ideen haben bloß eine hodegetische Bedeutung, sie geben nur Fingerzeige, die uns anleiten, wie Erkenntnisse zu suchen und die gefundenen zu vervollständigen seien. In Verkennung dieser nur wegweisenden Natur der Ideen hatte Wolff geglaubt, auf sie eine rationale Wissenschaft von der Seele, der Welt und Gott gründen zu können. Nachdem K a n t in der Analytik den ersten Teil der Wölfischen Metaphysik, die Ontologie, widerlegt hat, schreitet er in der Dialektik zur Kritik ihrer drei anderen Teile, der spekulativen Psychologie, Kosmologie und Theologie.
§ 25Die psychologische I d e e verleitet zu P a r a l o g i s m e n oder Fehlschlüssen, in denen irrtümlich der Begriff der Seele, der nur die formelle Bedeutung eines logischen Subjekts hat, das nie Prädikat sein kann, im metaphysischen Sinne einer realen Substanz genommen und die Einheit des Ich als Einfachheit des Seelenwesens gedeutet wird. Kant unterscheidet vier Paralogismen, den der Substantialität, Simplizität, Personalität und Idealität: die Seele ist Substanz, einfach, Einheit und geistig oder immateriell.
Nur durch empirische Beobachtung, nicht durch transzendente Spekulation vermögen wir da,s Seelenleben zu erkennen. Die Immaterialität, Unsterblichkeit usw. der Seele kann w e d e r b e w i e s e n n o c h w i d e r l e g t werden (weshalb die Behauptungen des Materialismus ebenso unhaltbar sind wie die des Spiritualismus); sie ist Sache des Glaubens.
§ 26. Die k o s m o l o g i s c h e n I d e e n stellen ein Ideal auf, dem nachgestrebt werden soll, das aber nie völlig erreicht werden kann. Faßt man sie nicht als Aufgaben („vervollständige die Erkenntnis unablässig; suche nach letzten Teilen, glaube jedoch niemals, solche gefunden zu haben"), sondern als Behauptungen oder Lehrsätze, so führen sie zu A n t i n o m i e n , d . i . zu einem Widerstreite zweier kontradiktorisch entgegengesetzter Sätze, deren jeder gleich bündig bewiesen werden kann. Die Thesen bejahen, die Antithesen verneinen folgende vier Fragen: 1. H a t die Welt in Zeit und Raum Grenzen? 2. Besteht das Zusammengesetzte aus einfachen Teilen? F a l c k e n b e r g , Hilfsbuch.
3. Aufl.
,
KANT
3. Gibt es neben den ireie Handlungen?
naturnotwendigen
Ereignissen
auch
4. Existiert in oder außer der Welt ein schlechthin notwendiges Wesen ? Auf welche Seite soll sich die Vernunft stellen? Das moralische Interesse ergreift für die Thesen Partei. Aber ein Wunsch ist kein Beweis. K a n t löst die Schwierigkeiten durch den „transzendentalen Idealismus". Er erklärt die Sätze der m a t h e m a t i s c h e n Antinomien (1 und 2) beide für falsch, die der d y n a m i s c h e n (3 und 4) beide für wahr, sofern im letzten Falle die Thesis für Dinge an sich, die Antithesis für Erscheinungen gelte. Zur 1. Antinomie. Man darf weder behaupten „die Welt ist beg r e n z t " noch „sie ist unbegrenzt"; das Weltall ist kein gegebenes Ganze und hat keine bestimmte Größe, es existiert nur in dem endlosen Vordringen unsrer Forschung zu weiter zurückliegenden Erscheinungen. Die erste Weltidee gibt uns nur die R e g e l : bleibe bei keinem Zeit- oder Raumpunkt als dem letzten stehen, halte nie den Regressus in der Reihe der Erscheinungen für vollendet. Zur 2. Antinomie. Auch die zweite Weltidee ist bloß ein Ausdruck der Unvollendbarkeit der Erfahrung. Sie darf nicht so ausgelegt werden, als lehre sie „es gibt letzte Teile der Materie" oder „es gibt keine". Sie enthält bloß die Vorschrift: laß keinen Teil, auf den du triffst, als den letzten gelten, sondern suche immer weiter. Die Forderung r a s t l o s e n W e i t e r s u c h e n s ist der wahre Sinn der mathematischen Weltideen. Sie ist eine Doppelforderung: glaube an ein Letztes (denn du sollst danach suchen), und glaube zugleich an die weitere Teilbarkeit (beruhige dich niemals bei dem Gefundenen). Die Idee im Sinne K a n t s ist einer Laterne vergleichbar, die dem Erkennenden vorgebunden wird mit der Weisung, soweit zu wandern, als ihr Licht ihm vorleuchtet. Hat er den P u n k t des Weges erreicht, der ihm zuerst als der äußerste erschien, so hat sich inzwischen der Lichtkreis vorgeschoben und er muß seinen F u ß weitersetzen. Erlahme nie in deinem Erkenntnisstreben! Zur 3. Antinomie. Bei den dynamischen Antinomien ist ein eigentlicher Widerspruch darum nicht vorhanden, weil die Streitenden von verschiedenen Gegenständen reden. Die Handlungen des Menschen als Erscheinung sind n o t w e n d i g und müssen nach dem Kausalgesetz „ e r k l ä r t " werden; dessen ungeachtet ist der Mensch als Ding an sich (sein intelligibler Charakter) f r e i und seine Handlungen unterliegen der moralischen „Beurteilung". So sind Naturnotwendigkeit und Freiheit vereinbar. Schelling und Schopenhauer haben sich den Begriff der intelligiblen Freiheit angeeignet. Über Sinn und Haltbarkeit der Kantischen
19 F r e i h e i t s l e h r e v g l . FALCKENBERG, Ü b e r den i n t e l l i g i b l e n C h a r a k t e r
(in
der Z e i t s c h r i t t f ü r P h i l o s . u. p h . K r i t i k , B d . 75) 1 8 7 9 ; W . WINDELBAND, Ü b e r W i l l e n s f r e i h e i t , 1904, e l f t e V o r l e s u n g .
§ 27. Die
theologische
K r i t i k der B e w e i s e
Idee
oder
fürs Dasein
das
Ideal
der
reinen
Vernunft.
Gottes.
1. D e r ( f ü r das G e f ü h l w i r k s a m s t e , a b e r logisch s c h w ä c h s t e ) logische
Beweis
aus
der
zweckmäßigen
Einrichtung
bestenfalls auf einen sehr weisen W e l t o r d n e r ,
aber
teleo-
der W e l t nicht
führt
auf
einen
a l l w e i s e n S c h ö p f e r der M a t e r i e . 2. D e r
kosmologische
Beweis
fordert
für
das
Zufällige
U r s a c h e , u n d d a dieser R e g r e s s u s n i c h t ins U n e n d l i c h e g e h e n
(eine
könne,)
schließlich eine ( n i c h t v o n a n d r e m a b h ä n g i g e , a l s o eine u n v e r u r s a c h t e , ) nicht zufällige
Ursache,
überschreitet
die Grenzen der E r s c h e i n u n g . 3. das
ontologische
jedoch
hiermit
Beide Beweise setzen
Argument
voraus,
das
unerlaubterweise überdies
dem
Inbegriff
aller
V o l l k o m m e n h e i t e n E x i s t e n z z u s c h r e i b t , weil i h m ohne diese eine V o l l kommenheit Prädikat
fehlen würde.
genommen,
I i i e r wird f ä l s c h l i c h die E x i s t e n z als
dessen
Hinzutritt
die
Merkmalsumme
ein
oder
den
B e g r i f f s i n h a l t v e r m e h r e , w ä h r e n d sie in der T a t n u r die P o s i t i o n
des
B e g r i f f s mit a l l e n seinen M e r k m a l e n , also n u r ein V e r h ä l t n i s z u u n s e r e m Erkenntnisvermögen, Das Dasein
das
Gegebensein
des
Gegenstandes,
ausdrückt.
ist n i c h t eine V o l l k o m m e n h e i t , s o n d e r n b e d e u t e t n u r
die
„ S e t z u n g " eines I n h a l t e s , d e r als n i c h t g e s e t z t e r , b l o ß m ö g l i c h e r , e b e n s o viele Merkmale
enthält
wie
als w i r k l i c h e r .
(Hundert
e n t h a l t e n n i c h t m e h r als h u n d e r t m ö g l i c h e , g e d a c h t e . ) (§ 102) f a ß t die E x i s t e n z a l s a b s o l u t e
wirkliche Auch
Taler
Herbart
Position.
Z u r n e g a t i v e n K r i t i k g e s e l l t sich w i e d e r u m eine p o s i t i v e E r g ä n z u n g . D i e t h e o r e t i s c h e V e r n u n f t i s t n i c h t f ä h i g , die E x i s t e n z der G o t t h e i t z u erhärten; aber sowenig
uns
sie v e r m a g
die
sie a u c h
Beweisversuche
der
nicht
mit
b r a u c h e n uns die d e r A t h e i s t e n z u s c h r e c k e n . b l e i b t die G o t t e s i d e e
bestehen.
Grund
Theologen
zu
bestreiten:
überzeugen,
Als regulatives
sowenig Prinzip
Sie d i e n t w e d e r z u r E r k e n n t n i s
des
W e s e n s G o t t e s n o c h z u r E r k e n n t n i s der W e l t , w o h l a b e r z u r B e u r t e i l u n g d e r W e l t : w i r d ü r f e n u n d sollen diese s o a n s e h e n , W e r k einer h ö c h s t e n V e r n u n f t
als
ob
sie
das
wäre.
Über Kants Gebrauch der Als-ob-Betrachtung handelt H . V A I H I N G E R , Die Philosophie des Als Ob, System der Fiktionen der Menschheit, 1911 (2. Aufl. 1913), S. 613—733. Nach V A I H I N G E R beruht unser ganzes Leben auf Fiktionen. 2*
20
KANT
§ 28. Metaphysik ist unmöglich. Diese Einsicht ist keineswegs für Moral und Religion gefährlich. Denn wenn die Hoffnung zerstört wurde, die Realität der Ideen bewiesen zu sehen, so sind wir zugleich von der Furcht befreit worden, daß das Gegenteil beweisbar sei. K a n t hat das W i s s e n eingeschränkt, um für den G l a u b e n Platz zu machen (Vorrede zur 2. A u f l . der K r . d. r. V.). Nicht der theoretische Verstand, wohl aber die praktische Vernunft vermag die Schwelle zu überschreiten, die ins Reich des Übersinnlichen führt. In der Erkenntnislehre war das Ding an sich nur ein negativer Grenzbegriff; in der Sittenlehre gewinnt er einen positiven Inhalt. Erkenntnistheorie. • 2. negat.
3. E t h i k .
Erfahrung.
I.posit.
Keine Metaph.
mor. Postulate.
Erk. der Erschei-
D . a. s. nicht
Wirklichkeit des Übersinnlichen.
nungen.
erkennbar.
prakt. Glaube.
K a n t hat gezeigt: 1. Es gibt apriorische Vorstellungen (Raum, Zeit, Kategorien), welche mathematische Erkenntnis und allgemeingültige Erfahrung oder Erkenntnis der Erscheinungen ermöglichen. 2. Durch die Ideen wird das Unenaiicne zwar gedacht, aber nicht erkannt, so daß auf sie eine Metaphysik des Übersinnlichen nicht gegründet werden kann. 3. Theoretisch l ä ß t sich nur die Möglichkeit der unsterblichen Seele, des freien Willens 'und der Gottheit dartun. Ihre Wirklichkeit wird zur Gewißheit erhoben für den praktischen Vernunftglauben.
H
Praktische Philosophie. 1.
Das
Sittengesetz. § 29-
Wille bedeutet das Vermögen, den Vorstellungen entsprechende Gegenstände hervorzubringen oder sich zu deren Hervorbringung zu bestimmen. Regeln, die der Wille sich gibt oder die ihm gegeben werden, heißen praktische Grundsätze. Sie zerfallen in subjektiv gültige M a x i m e n (ich nehme mir v o r , bei bewölktem Himmel nie ohne Regenschirm auszugehen) und allgemeingültige I m p e r a t i v e (wer ein Meister
21 werden will, übe sich beizeiten). Von den Imperativen gelten die h y p o t h e t i s c h e n nur unter bestimmten Voraussetzungen (willst du den Menschen gefallen, so sei höflich und zuvorkommend), die k a t e g o r i s c h e n dagegen unter allen Umständen oder unbedingt (du sollst nicht stehlen). Unter die erste Rubrik fallen die Klugheitsregeln, die uns Mittel empfehlen zu Zwecken, die in unserem Belieben stehen; unter die zweite die sittlichen Pflichten. Man kann nicht von jedem Menschen verlangen, daß er sich den Zweck setze, sich bei den Leuten beliebt zu machen, wohl aber, daß er sich des Unrechts enthalte. So wahr er ein Vernunftwesen ist, spricht eine ehrwürdige und nicht zum Schweigen zu bringende Stimme in ihm: du s o l l s t deine Pflicht erfüllen.
§ 3°-
Kant beginnt sein ethisches Werk mit einer Tempelreinigung: alles was in der Sittenlehre sein unlauteres Wesen getrieben hatte, das Streben nach Lust, das sogenannte wohlverstandene Interesse, weist er hinaus aus dem heiligen Räume. Die bisherigen Moralsysteme huldigen samt und sonders einem (offenbaren oder versteckten, gröberen oder feineren) E u d ä m o n i s m u s . Eudämonistisch ist jede Moralansicht, nach der die Tugend geübt werden soll um des Glückes willen, das sie erzeugt. Dieses Vorurteil muß mit der Wurzel ausgerottet werden: Glück und Tugend haben nichts miteinander gemein, P f l i c h t u n d N e i g u n g stehen im Gegensatz zueinander. Seine Pflicht erfüllen heißt: ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen unbedingt dem Vernunftgebote gehorchen. Das sittlich Gute besteht im Streben nicht nach Glückseligkeit, sondern nach Glückwürdigkeit.
§ 3i. Wenn es ein für alle Personen und Lebenslagen gleichmäßig verbindliches Sittengesetz geben soll, so darf es nur f o r m a l sein, nur eine Handlungsweise gebieten, aber dem Willen keine bestimmten Zwecke und zu begehrenden Objekte diktieren. Weil allgemeingültig, ist der kategorische Imperativ ein Urteil apriori und darf nichts Empirisches enthalten. Entfernen wir allen Inhalt, so bleibt nur die Form des allgemeinen Gesetzes übrig. Demgemäß muß seine Formel lauten: Handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann. Hieran haben wir ein untrügliches Erkennungszeichen dafür, ob eine Handlungsweise moralisch ist oder nicht: sie ist sittlich, wenn ihr Grundsatz sich dazu eignet, allgemeines Gesetz zu werden.
22
KANT
§ 32Jene rein formale B e s t i m m u n g erfährt weiterhin E r g ä n z u n g e n nach Seite des Inhalts der P f l i c h t . 1. Sache wohnt;
h e i ß t alles, dem
Vernunftwesen
oder
ein
bloß
Personen
relativer,
haben
äußerer
inneren
Wert
W e r t , sie sind S e l b s t z w e c k e , für sie g i b t es kein Ä q u i v a l e n t . haben einen „ P r e i s " , P e r s o n e n haben „ W ü r d e " . und
Bestechlichkeit die g r ö ß t e
bei-
(unersetzlichen) Sachen
D a r u m sind Kriecherei
Selbsterniedrigung.
A u s diesem
hältnis ergibt sich die V o r s c h r i f t : behandle nie Personen als
Ver-
Sachen,
respektiere die S e l b s t z w e c k n a t u r des Menschen in dir und anderen, 2. Befördere nach K r ä f t e n e i g e n e V o l l k o m m e n h e i t und f r e m d e Gl ü c k s e l i g k e i t . Prüfung
der
D e n n dies sind die einzigen Z w e c k e , die vor der
absoluten A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t
Stich
halten.
Glückseligkeit k a n n nicht P f l i c h t g e b o t sein, weil es ein
Die
eigene
Widerspruch
wäre, j e m a n d e n zu e t w a s zu v e r p f l i c h t e n , was er unvermeidlich schon v o n selbst (und gewöhnlich in übertriebenem
Maße) t u t ; die
fremde
V o l l k o m m e n h e i t nicht, weil für seine V e r v o l l k o m m n u n g jeder nur allein sorgen
kann.
Hiermit schlichtet K a n t den S t r e i t zwischen der eng-
lischen Glückseligkeits- und der d e u t s c h e n
Vollkommenheitsmoral.
2. D i e d r e i P o s t u l a t e d e r p r a k t i s c h e n
Vernunft.
§ 33W o h e r s t a m m t das Sittengesetz, wer g i b t es u n s ?
Die Ansichten,
die den Willen Gottes oder einen „ m o r a l i s c h e n S i n n " als
Gesetzgeber
betrachten, lehnt K a n t a b ; sie lassen das Gesetz v o n fremdher a n den Willen h e r a n k o m m e n , sie lehren eine' Heteronomie. V e r n u n f t es sich selbst, sie ist a u t o n o m .
Vielmehr g i b t die
D a s Sittengesetz ist eine
ursprüngliche T a t s a c h e ; es gehört zum W e s e n unserer V e r n u n f t , sich selbst zu verpflichten.
D ü r f e n wir demnach nach Gründen dieses
unableit-
baren F a k t u m s nicht suchen, so ist es doch u n v e r w e h r t , den B e d i n g u n g e n nachzufragen, unter denen allein es verständlich ist.
Das
Sittengesetz
wäre sinnlos, wenn der Mensch nicht die K r a f t besäße, seinen N e i g u n g e n und Begierden e n t g e g e n z u h a n d e l n ; es w ä r e u n d e n k b a r , w e n n wir n i c h t frei wären.
A u s der A u t o n o m i e folgt die F r e i h e i t .
I n d e m das Gesetz
Selbstbestimmung aus reiner V e r n u n f t g e b i e t e t , v e r b ü r g t es uns, wir ihrer fähig sind ( „ d u k a n n s t , d e n n du s o l l s t ! " ) .
daß
Dies ist d a s erste
von den sogenannten „ P o s t u l a t e n " , d. h. den theoretischen A n n a h m e n , die wir machen zu bloß p r a k t i s c h e m B e h u f : wir sollen dem S i t t e n g e b o t Folge leisten, also müssen wir a n unsre Freiheit glauben.
Kant räumt
der praktischen V e r n u n f t den „ P r i m a t " v o r der theoretischen ein und damit die B e f u g n i s , als das höhere V e r m ö g e n a n den Verstand die Z u -
DIE
DREI
POSTULATE
DER
PRAKTISCHEN
VERNUNFT
23
mutung zu stellen, gewisse Sätze gelten zu lassen, die mit dem, was sein s o l l , unzertrennlich verknüpft sind, sofern sie nur keinen Widerspruch in sich enthalten. Eine Erweiterung unserer Erkenntnis bringen die praktischen Postulate allerdings nicht zuwege, da wir intelligible Gegenstände (wie Kausalität aus Freiheit) nur denken, nicht anschauen können.
§ 34Für ein bloß sinnliches Wesen, wie Tier und Pflanze, gibt es nur Naturgesetze des Müssens. Für rein> geistige hat das Gute nicht die Gestalt der Pflicht, hier fehlt die Möglichkeit des Zuwiderhandelns; für den heiligen Willen Gottes gibt es kein Sollen, nur ein Wollen des Guten. Als Imperativ tritt es nur auf in Wesen, die beiden Welten angehören, der sinnlichen und der Vernunft weit. Als Ding an sich ist der Mensch gesetzgebend, als Erscheinung dem Gesetz unterworfen. •— Das im Gefühl der A c h t u n g enthaltene Moment der Unlust erklärt sich daraus, daß die strenge Majestät des Sittengesetzes den sinnlichen Teil des Menschen demütigt, während sie den vernünftigen Teil erhebt.
§ 35Außer der Freiheit sind es noch zwei Ideen, G o t t und U n s t e r b l i c h k e i t , deren Realität uns durch die praktische Vernunft verbürgt wird. Ihre Denkbarkeit ist in der Dialektik nachgewiesen worden, jetzt handelt es sich um die Wirklichkeit ihrer Gegenstände. Zu ihrer Begründung wird der Begriff des h ö c h s t e n G u t e s herangezogen. Einen Bestandteil desselben bildet das „oberste" Gut, die vollkommene Sittlichkeit. Damit es zum „vollendeten" Gute werde, muß noch ein weiteres hinzukommen, eine proportionale Verbindung von Tugend und Glück. Unsere Vernunft hegt den Wunsch, daß jeder genau so glücklich sei, wie er es durch seine sittliche Leistung verdient. Hienieden ist dieses Ideal nicht verwirklicht. Wir postulieren deshalb ein allmächtiges, allwissendes, allgerechtes und allgütiges Wesen, welches, zugleich Fürst der sittlichen Welt und Schöpfer der Natur, das Gleichmaß zwischen Glück und Tugend, das wir auf Erden vermissen, im Jenseits herstellen wird. Dieser „moralische" Gottesbeweis ist nach K a n t der einzige, der zum Ziele führt. § 36. Die Fortdauer der Seele muß noch aus einem anderen Grunde als um der Vergeltung willen postuliert werden. Sie wird praktisch erwiesen aus dem Vernunftgebot der Heiligkeit. Der menschliche Wille vermag — wegen der nicht abzustreifenden Sinnlichkeit — im Erdenleben der
24
KANT
Forderung der absoluten sittlichen Vollkommenheit nicht zu genügen. Es muß daher ein Leben nach dem Tode geben, damit er sich jenem (nie ganz erreichbaren) Ziele in unendlichem Fortschritt annähere.
§ 37Die Realität der drei Ideen kann nur geglaubt, nicht gewußt werden. Von der Verwerfung der theoretischen Gotteserkenntnis wird nichts zurückgenommen; eine spekulative Gotteslehre bleibt nach wie vor unmöglich. An ihre Stelle tritt die Moraltheologie, die Begründung des Gottesglaubens auf Bedürfnisse der praktischen Vernunft. 3. D a s s i t t l i c h e M o t i v ; P f l i c h t und N e i g u n g . § 38Ein wirklich moralischer Wert kommt nach Kant nur der Handlung zu, deren Beweggrund einzig und allein die Vorstellung des Sittengesetzes und die Achtung vor demselben, nicht aber irgendeine offene oder versteckte Neigung ist. Durch die geringste Beimischung von sinnlichen oder egoistischen Antrieben wird die L a u t e r k e i t der Gesinnung getrübt. Das einzige wahrhaft sittliche Motiv ist der Pflichtbegriff. Bloß „legal" ist eine Handlung, wenn sie zwar pflichtgemäß, aber nicht aus Pflichtgefühl, sondern um der Lust oder des Vorteils willen, den sie verspricht, also aus Eigennutz vollzogen wird; z. B. die Ehrlichkeit des klugen Kaufmannes, der sich vor Übervorteilung der Käufer hütet, um die Kundschaft nicht zu verlieren. „Moralisch" ist sie nur dann, wenn außer dem äußeren Tun auch die Gesinnung, die Triebfeder, mit dem Gesetz übereinstimmt, wenn die Handlung lediglich aus dem Gedanken „du sollst" entspringt; so die grundsätzliche Redlichkeit, die den Betrug meidet, weil er dem Vernunftgebot und der Menschenwürde widerspricht. § 39Zur Kritik. In einseitigem Dringen auf absolute Lauterkeit des Motives ist Kant in einen auch von den Stoikern begangenen Fehler verfallen: nur das Höchste der Sittlichkeit (Handeln lediglich aus Grundsatz) gilt ihm als echte Moralität; er unterläßt es, die verschiedenen G r a d e , die in der Sittlichkeit möglich sind, zu würdigen. Sein Ethometer kennt keine Abstufungen zwischen dem Siedepunkt und dem Nullpunkt; er glaubt nur dort wahre Sittlichkeit vorhanden, wo sie mit Sicherheit konstatierbar ist (d. h. wo die Handlung gegen alle Neigung geschieht). Er übersieht, daß der Grundsatz im Kampfe der Neigungen
RECHT,
STAAT
UND
GESCHICHTE
25
die bessere, die an sich schwächer ist, unterstützen und ihr zum Siege verhelfen, daß eine Handlung, zu der uns eine Neigung antreibt, gleichwohl aus Grundsatz geschehen kann. Man kann etwas mit Neigung tun, ohne es aus Neigung zu tun. Unter dem Namen des bloß legalen Handelns faßt Kant sehr verschiedenwertige Handlungsweisen, verwerfliche, unschuldige und löbliche, zusammen. Wir werden fünf Fälle unterscheiden müssen, wo er nur drei zählt. Die pflichtmäßige Handlung kann geschehen 1 . bloß aus Grundsatz, | gC olme^ 16 } Neigung
= Moralität,
2. aus Grundsatz u n d Neigung = 3. bloß aus (unschuldiger) Neigung (etwa Mitleid) 4. aus unedlen Motiven (Eitelkeit, Berechnung) = 5. gar nicht =
mehr als * I gute Legalität, schlechte ' pflichtwidr. Handeln.
4. R e c h t , S t a a t u n d G e s c h i c h t e . § 4°Durch die Rechtsgesetze wird die Freiheit des einzelnen so eingeschränkt, daß die Freiheit aller übrigen mit ihr zusammenbestehen kann. Das Recht umfaßt die Sphäre der erzwing baren Handlungen; Gesinnungen sind nicht erzwingbar, darum beschränkt sich das Rechtsgesetz darauf, Legalität des Tuns zu fordern. — Die Notwendigkeit der S t r a f e beruht auf dem Prinzip der Wiedervergeltung; die Gesichtspunkte der Besserung und des Schutzes sind nur von untergeordneter Bedeutung. Der S t a a t ist lediglich ein Rechtsinstitut, seine Aufgabe nicht das Wohl oder die Sittlichkeit der Bürger, sondern nur der Schutz ihrer Freiheit. Hume hatte die Ansicht des Hobbes (und Rousseau), der Staat sei durch V e r t r a g entstanden, als ungeschichtlich verworfen. Kant stimmt ihm bei, verteidigt aber die Idee eines ursprünglichen Vertrages als ideale Fiktion, die nicht eine historische Tatsache behaupte, sondern nur eine Regel gebe, an der man den Wert der Gesetze messen könne: gerecht ist ein Gesetz nur, wenn das Volk es sich hätte selbst geben können. In der Politik bekennt sich Kant zum Konstitutionalismus. Er verlangt „Freiheit der Feder" als ein unveräußerliches Recht des Staatsbürgers und T r e n n u n g d e r drei G e w a l t e n als Bedingung bürgerlicher Freiheit. Die gesetzgebende Gewalt gebührt der Volksvertretung, die ausführende dem Regenten (der auch ein mehrköpfiges Wesen sein kann), die richterliche ist einer durch Wahl zu ernennenden Anzahl von
26
KANT
Bürgern zu übertragen. Kant kennt nur zwei Verfassungen: die rechtmäßige, die er die republikanische nennt, in ihr ist die Exekutive von der Legislativen getrennt; und die unrechtmäßige: die despotische, bei der dies nicht der Fall ist. § 4i-
Das Ziel der Weltgeschichte ist die Errichtung der besten Staatsverfassung. Ein allgemeiner, die ganze Menschheit umfassender Friedenszustand, wie die Vernunft ihn fordert, kann nur von einem V ö l k e r b u n d e erwartet werden, der die Zwistigkeiten unter den Einzelstaaten durch Richterspruch entscheidet und so den Krieg überflüssig macht. Man soll dieses Ideal des e w i g e n F r i e d e n s , so wenig man auf seine baldige Verwirklichung hoffen darf, doch nicht aufgeben; es ist ein regulatives Prinzip, ein Ziel, auf das hin die Entwicklung zu lenken ist, gleichviel wie lange Zeit noch bis zu seiner Erreichung verstreichen mag. Die Aussichten, daß es je zu einer Beseitigung der Kriege kommen werde, wären gering, wenn nur die Pflicht uns auf diesen Weg wiese; glücklicherweise aber wirkt die Selbstsucht des Menschen in gleicher Richtung. Für die moralische Betrachtung fallen Natur und Freiheit als Gegensätze auseinander, für die geschichtliche konvergieren sie nach demselben Zielpunkt. Dieselbe Natur, welche die Völker durch Religionen und Sprachen getrennt hat, vereinigt sie auch wieder — durch ihren Eigennutz. Wenn die Moral es nicht fertig bringt, den Krieg zu verhindern, so wird ihm schließlich der Handelsgeist ein Ende machen als einem Hemmnis des Verkehrs. Gegen Mendelssohn, der ein Besserwerden nur bei dem einzelnen, nicht bei der Menschheit zugeben wollte, vertritt Kant die Überzeugung von dem unaufhörlichen Fortschreiten des Menschengeschlechts. Es ist Pflicht, sich an der Besserung der Menschheit aktiv zu beteiligen, folglich ist es Vernunftbedürfnis, an ihre Möglichkeit zu glauben. Auch fehlt es nicht an empirischen Bestätigungen; Kant verweist auf die einmütige und uninteressierte Begeisterung, mit der allerorten die Freiheitsideen der französischen Revolution begrüßt worden sind.
III. Religionsphilosophie. §
42.
Drei große Fragen sind es, die das Menschenherz bewegen: was kann ich w i s s e n ? was soll ich t u n ? was darf ich h o f f e n ? Auf die beiden ersten haben die Erkenntnislehre und die Sittenlehre geantwortet. Die dritte ist die Grundfrage der Religionslehre. Sie ist theoretisch und praktisch zugleich: was muß ich glauben, um mich zu ermutigen zu
RELIGIONSPHILOSOPHIE
27
der Erfüllung meiner sittlichen Pflichten ? Sein und Sollen, Natur und Freiheit greifen hier ineinander über. Der Gottesglaube wächst aus der Sittlichkeit hervor. Die M o r a l ist ursprünglich und unabhängig; die R e l i g i o n kommt als ein zweites zu ihr ergänzend hinzu: sie ist E r kenntnis —- besser Ansehung •— unsrer Pflichten als göttlicher Gebote. Die Sittengesetze verpflichten uns nicht deshalb, weil Gott uns ihre Befolgung auferlegt, sondern weil sie gelten, dürfen wir sie als göttliche Befehle betrachten. Denn zuerst muß der sittliche oder vernünftige Charakter einer Vorschrift feststehen, ehe man ihr einen göttlichen Ursprung beilegen darf. Religion hat keine andere Bedeutung, als den Einfluß des Sittengesetzes zu verstärken durch den Gedanken an die Majestät des göttlichen Gesetzgebers. Die V e r n u n f t r e l i g i o n enthält außer dem Sittengesetz nichts als die praktischen Postulate. Die g e s c h i c h t l i c h e n Religionen aber fügen ihnen noch eine Reihe positiver Sätze hinzu, die für offenbart gelten. Den Ursprung der Dogmen läßt der Rationalist dahingestellt, er beschränkt sich darauf, ihren Vernunftgehalt zu prüfen. Wieweit stehen die gegebenen Glaubenssätze mit der Vernunft in Einklang ? „ D i e Religion innerhalb der Grenzen der bloßen V e r n u n f t " 1 7 9 3 besteht aus vier Stücken, deren jedem eine allgemeine Anmerkung beigegeben ist. Wir verzeichnen die Grundgedanken.
§ 43« 1 . „ V o n der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem g u t e n " . Das r a d i k a l e B ö s e oder die Erbsünde ist der angeborene, aber (durch eine intelligible T a t = Sündenfall) selbstverschuldete Hang des Menschen, die sittlich gebotene Ordnung der Maximen umzukehren, nämlich die Neigung ü b e r die Pflicht zu stellen. Zum Sittlichwerden des Menschen wird also eine völlige Umschaffung des Charakters (Wiedergeburt) erfordert, die sich freilich in der Zeitwelt nur als ein allmähliches Besserwerden darstellen kann. E s darf uns trösten, daß Gott nicht auf unser stets mangelhaftes Tun, sondern auf das ernstliche Wollen des Guten blickt (Rechtfertigung durch den Glauben). — G n a d e n w i r k u n g e n kann die Vernunft weder als unmöglich noch als wirklich dartun. Tue das deinige zu deiner Besserung!
§ 44. 2. „ V o n dem Kampf des guten Prinzips mit dem bösen um die Herrschaft über den Menschen". Unter dem G o t t e s s o h n , durch den resp. um dessen, willen die Welt geschaffen worden, ist zu verstehen dia Idee des vollkommenen, Gott wohlgefälligen Menschen. An ihn
28
KANT
g l a u b e n bedeutet nicht: sicher sein, daß Jesus der Sohn Gottes sei, sondern: jenes Ideal der sittlichen Vollkommenheit in unsren Willen aufnehmen. Dies der philosophische Sinn der Logosidee. Der wiedergeborene Mensch trägt die Schmerzen, die der alte Adam verdient hat (stellvertretendes Leiden). — W u n d e r sind theoretisch fraglich, moralisch gleichgültig. Den religiösen gelegt werden.
Lehrsätzen
muß ein m o r a l i s c h e r
Sinn
unter-
§ 453. „ D e r Sieg des guten Prinzips über das böse". Die Menschen müssen, damit das Gute zur Herrschaft gelange, zu einer Tugendgesellschaft oder einem R e i c h e G o t t e s zusammentreten. Die Form dieses sittlichen Staates ist die K i r c h e , und zwar die eine, unsichtbare. Die Verschiedenheit der empirischen Religionen entsprang aus dem (nunmehr vermeidbaren) Irrtum, als bedürfe es neben dem sittlichen Lebenswandel noch eines besonderen Gottesdienstes, nämlich der Erfüllung statutarischer Gebote. Das Ziel der Religionsentwicklung ist die Auflösung des Geschichtsglaubens in den reinen Vernunftglauben. — Die sog. M y s t e r i e n sind entweder gar keine Geheimnisse (z. B. Dreieinigkeit = Heiligkeit, Güte und Gerechtigkeit Gottes) oder haben, falls sie es sind, für die Moral keine Bedeutung.
§ 46. 4. „Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Prinzips oder Religion und P f a f f e n t u m " . Der Kirchenglaube soll sich allmählich entbehrlich machen. Das zähe Festhalten an ihm und die Überordnung desselben über den Moralglauben ist A f t e r d i e n s t , Tugend der wahre Gottesdienst. — Die Sakramente als G n a d e n m i t t e l betrachten ist fetischistischer Religionswahn. § 47Zur Kritik. Die Trennung eines rationalen und eines positiven Bestandteiles der Religion war ein Erbstück aus der Hinterlassenschaft des Deismus. Der Fortschritt über diesen hinaus besteht darin, daß K a n t den Wert des Positiven gerechter beurteilt. Die Deisten sahen in diesem pure Unvernunft, etwas schlechthin Nichtseinsollendes; K a n t — und das gleiche gilt für Lessing — bemüht sich, in den positiven Lehren einen philosophischen Sinn zu finden, und erblickt in ihnen etwas, was zwar allmählich als nebensächlich erkannt und abgestreift werden soll, aber doch anfänglich notwendig war. Die reine V e r n u n f t r e l i g i o n liegt-nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft und kann sich
ÄSTHETISCHE
URTEILSKRAFT
29
nur a u s der positiven als ihrer unentbehrlichen Vorstufe entwickeln. So bezeichnet die Kantische Religionsphilosophie den Wendepunkt von dem abstrakten Rationalismus der Aufklärung zu dem spekulativen Rationalismus des 19. Jahrhunderts, sie ist die Brücke vom Deismus zu Hegel. IV. Kritik der Urteilskraft. § 48.
In der Wölfischen Schule fand Kant die Unterscheidung eines unteren und oberen Erkenntnis- und Begehrungsvermögens vor. Er fügte, an (Mendelssohn und) Tetens anknüpfend, noch als selbständige Tätigkeitsweise der Seele ein (niederes, sinnliches und ein höheres, geistiges) Gefühlsvermögen hinzu, für das er gleichfalls die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile apriori aufwarf. Er erhielt also sechs Seelenvermögen: (Erkennen) (oberes) (unteres)
Verstand sinnl. Anschauung,
(Fühlen) Urteilskraft sinnl. Gefühl der Lust u. Unlust,
(Wollen) prakt. Vernunft sinnl. Begehren.
Von der b e s t i m m e n d e n Urteilskraft (dem Verstände), die ein Besonderes unter ein „gegebenes" Allgemeine subsumiert, unterscheidet sich die r e f l e k t i e r e n d e Urteilskraft oder das obere Gefühlsvermögen dadurch, daß sie für ein gegebenes Besondere das Allgemeine „sucht". Ihre Aufgabe besteht nicht im Erkennen oder Bestimmen des Gegenstandes, sondern, wie ihr Name sagt, nur darin, daß sie über ihn reflektiert, die Natur nach Freiheitsgesetzen b e u r t e i l t . Das Prinzip solcher Beurteilung ist der Zweckbegriff. Es gibt nun zwei Arten von Zweckmäßigkeit: f o r m a l e oder subjektive ( = Schönheit) und reale oder objektive ( = Vollkommenheit). Jene findet statt, wo die Gestalt des Gegenstandes mit unserem Erkenntnisvermögen harmoniert, d.h. Phantasie und Verstand des Betrachters in lustvollen Einklang setzt; diese, wo sie mit dem eigenen Wesen des Gegenstandes übereinstimmt oder seiner Bestimmung entspricht. x. Ä s t h e t i k . § 49-
Die Definition des Schönen zählt vier Merkmale auf, die es gegen verwandte Wertbegriffe abgrenzen. Das Schöne unterscheidet sich vom sittlich Guten dadurch, daß es (gleich dem sinnlich Angenehmen) ohne B e g r i f f , vom sinnlich Angenehmen dadurch, daß es (gleich dem sittlich Guten) a l l g e m e i n und n o t w e n d i g , von beiden und dem
JO
KANT
Nützlichen dadurch, daß es in der bloßen Vorstellung gefällt oder ein u n i n t e r e s s i e r t e s Wohlgefallen erweckt, endlich vom Vollkommenen dadurch, daß es (bloß subjektiv zweckmäßig ist, nämlich) d u r c h die b l o ß e F o r m des Gegenstandes unser Anschauen und Denken in eine harmonische Tätigkeit versetzt. Das Kennzeichnende des ästhetischen Zustandes ist das begierdelose, rein kontemplative Verhalten des Subjekts; den Grund des Wohlgefallens bildet die Gestalt des Gegenstandes, in der das Mannigfaltige so zur Einheit zusammenklingt, daß durch ihren Anblick Phantasie und Verstand des Betrachters zu einhelliger Tätigkeit angeregt werden. „Angenehm heißt jemandem das, was ihn v e r g n ü g t ; schön, was ihm bloß g e f ä l l t ; gut, was g e s c h ä t z t , gebilligt, d. i. worin von ihm ein objektiver Wert gesetzt wird". Im ersten Falle bezieht sich das Wohlgefallen auf N e i g u n g , im zweiten auf G u n s t , im dritten auf A c h t u n g . — „Gunst ist das einzig freie Wohlgefallen . . . . Alles Interesse setzt Bedürfnis voraus, oder bringt es hervor".
§ S°Außer der im vorigen Paragraphen definierten „freien" Schönheit, die lediglich durch ihre Form gefällt (Arabesken, Blumen), kennt Kant noch eine „anhängende" Schönheit, bei der die Form nicht nur in sich harmonisch ist, sondern überdies auch mit dem Begriff oder Zweck des Gegenstandes übereinstimmt (Tempel, Mensch). Er hat hier die ausdrucksvolle und charakteristische Schönheit im Auge, die dort vorhanden ist, wo die äußere Gestalt treu und erschöpfend das innere Wesen des Dinges widerspiegelt. § 5i. Das Erhabene gefällt, weil es die Einbildungskraft der Vernunft unterwirft. Das m a t h e m a t i s c h Erhabene (Sternenhimmel, Meer) ist durch unbegrenzte Ausdehnung unserer sinnlichen Anschauung, das d y n a m i s c h Erhabene (Erdbeben, Überschwemmung) durch seine gewaltige Macht unserer Widerstandskraft überlegen. In beiden Fällen wird unsere Sinnlichkeit, da sie dem Eindruck nicht gewachsen ist, gedemütigt, zugleich aber durch die wachgerufene Idee des Unendlichen unsere Vernunft erhoben; das schlechthin Unendliche kann zwar nicht angeschaut, aber es kann gedacht werden. Die Erhabenheit der Stimmung des Betrachters wird dann durch eine unvermeidliche Subreption auf den Gegenstand übertragen, dessen Größe sie hervorruft. § 52G e n i e ist die Naturanlage, ohne Bewußtsein der Regeln exemplarische Werke hervorzubringen, deren Erzeugung unlernbar ist und die anderen Talenten als Muster der Nachfolge, nicht der Nachahmung dienen
31 Gegenüber dem „ G e s c h m a c k " als dem Vermögen, etwas (vielleicht an sich Häßliches) schön darzustellen, ist „ G e n i e " das Vermögen der Darstellung „ ä s t h e t i s c h e r I d e e n " , d. h. solcher das G e m ü t in S c h w u n g versetzender Vorstellungen der E i n b i l d u n g s k r a f t , die zu einem Begriffe des Verstandes viel Unaussprechbares hinzuzudenken veranlassen,
ohne
daß ihnen ein bestimmter Begriff völlig a d ä q u a t sein kann. (Lösung
der Antinomie.)
D a s Geschmacksurteil gründet sich nicht
auf einen bestimmten Begriff des Verstandes, wohl aber auf einen unb e s t i m m t e n Begriff der E i n b i l d u n g s k r a f t .
D a h e r k o m m t es, daß sich
über Schönheit z w a r s t r e i t e n , aber nicht d i s p u t i e r e n 0 . SCHLAPP, K a n t s Lehre v o m Genie, 1901. bei K a n t , Erlanger Dissert. 1906.
2.
läßt.
WILH. VOGT, Die ästhetische Idee
Teleologie.
§ 53D e n W i d e r s t r e i t zwischen den beiden S ä t z e n :
„ A l l e s in der N a t u r
m u ß nach bloß m e c h a n i s c h e n Gesetzen erklärt werden, (denn nur eine solche
Erklärung
ist
Erkenntnis)"
und
„einige
Naturerscheinungen
können n i c h t mechanisch erklärt werden, sondern fordern Zuhilfenahme von Z w e c k u r s a c h e n " löst K a n t so, d a ß er beiden R e c h t gibt.
Sie sind
vereinbar, sobald m a n sie als s u b j e k t i v e Regeln der F o r s c h u n g , nicht als
konstitutive
Prinzipien
oder
dogmatische
Behauptungen
nimmt.
§ 54bei
Die mechanische E r k l ä r u n g der N a t u r p r o d u k t e findet ihre
Grenze
den
hervor-
Organismen,
sofern
deren
Teile
sich
gegenseitig
bringen (Selbsterhaltung, W a c h s t u m . F o r t p f l a n z u n g ) und ihrer E x i s t e n z und Gestalt nach durch das G a n z e b e s t i m m t sind.
W e n n uns e t w a s
n ö t i g t , in der N a t u r neben der mechanischen K a u s a l i t ä t noch eine andere, eine z w e c k t ä t i g e , anzunehmen, so sind es die Lebewesen.
Um
ihren
B a u und ihre E n t s t e h u n g vollständig zu begreifen, m ü ß t e n wir
vom
Ganzen ausgehen und aus ihm D a s e i n und E i n r i c h t u n g der Teile ableiten.
Das will uns nicht gelingen.
W i r sind v o m unorganischen
Ge-
biete her g e w ö h n t , aus den Teilen das Ganze hervorgehen zu sehen; und weil dies bei den Organismen nicht z u t r i f f t , vielmehr das U m g e k e h r t e gefordert wird, darum haben sie e t w a s R ä t s e l h a f t e s für uns. In dieser Verlegenheit greifen wir zu d e m uns v o m Handeln an,
her geläufigen Zweckbegriff
menschlichen
und s e h e n die Organismen
so
a l s w ä r e die z w e c k m ä ß i g e A n o r d n u n g ihrer Teile das W e r k einer
bewußten A b s i c h t : wir haben den E i n d r u c k , als wenn hier in der Z u -
32
KANT
sammenstellung der Teile Überlegung gewaltet hätte. 1 Aber wir vermögen das Subjekt nicht anzugeben, welches diese Absicht hegte und ausführte. Man pflegt wohl zu sagen, „die N a t u r " verfolge und er eiche im Bau der organischen Wesen gewisse Absichten; das ist jedoch eine bloße Redensart, die für die Erkenntnis nichts leistet. Und der transzendente Begriff der Gottheit darf innerhalb der Naturwissenschaft nicht als Erklärungsprinzip angewandt werden.
§ 55Die teleologische Betrachtung will keine Erklärung, sondern bloß eine regulative Maxime der Beurteilung sein, die nur die Erkennbarkeit, nicht die Möglichkeit eines mechanischen Entstehens des Organischen leugnet. Aus dem Grundsatz der Forschung „die Naturvorgänge müssen so w e i t wie m ö g l i c h mechanisch erklärt werden" folgt nicht, daß sie sämtlich mechanisch erklärbar sind. Wenn anderseits die hylozoistische und die theistische Ansicht behauptet, es gebe Zwecktätigkeit in der Natur, so kann der kritische Philosoph wiederum nicht zustimmen; denn nur wir Menschen können bei der Beurteilung der Pflanzen und Tiere den Zweckgedanken nicht entbehren. Die „diskursive" Natur unsres Verstandes (dem die Gegenstände seiner Begriffe in sinnlicher Anschauung gegeben werden müssen) trägt die Schuld, daß wir uns nicht das Ganze selbst, sondern nur die V o r s t e l l u n g des Ganzen als den Teilen vorhergehend zu denken vermögen. Für einen „intuitiven" (göttlichen) Verstand oder eine i n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g , der alles Gedachte ohne weiteres zugleich ein anschaulich Gegebenes wäre, würden weder Möglichkeit und Wirklichkeit noch Mechanismus und Teleologie einen Gegensatz bilden. (Den intuitiven Verstand, den Kant dem Menschen abspricht, nimmt Schelling für den Philosophen in Anspruch als Organ der Spekulation.) Die Zweckbetrachtung ist so wenig der' unversöhnliche Feind der mechanischen Erklärung, daß sie dieser vielmehr die schätzbarsten Dienste erweist durch Stellung neuer Aufgaben (mit der Frage: was ist der Zweck des Herzens, der Lunge, der Leber?). § 56. Der verbreiteten Ansicht, der letzte Zweck der Natur sei der Mensch, steht das Bedenken entgegen, daß sich die Natur gegen ihn keineswegs 1 Wo wir, wie bei den lebendigen Wesen, ein Ganzes seinen Teilen bestimmend vorangehen sehen, können wir uns dies nicht anders verständlich, mundgerecht machen, als daß wir an die Stelle des Ganzen die V o r s t e l l u n g des Ganzen (den Zweckgedanken einer Intelligenz) treten lassen.
VON
K A N T ZU
FICHTE
33
vorsorglicher erweist als gegen die anderen Geschöpfe. Der Endzweck der Schöpfung ist der Mensch a l s m o r a l i s c h e s W e s e n ; nur bei einem solchen kann nicht weiter gefragt werden, wozu es da sei: die gute Gesinnung ist das einzige, dem absoluter Wert zukommt. § 57Mit Sokrates hat Kant gemein i . die Umlenkung von der Weltlehre zur Sittenlehre, vom Sein zum Sollen. Beide unterbauen 2. ihre Ethik mit einer Erkenntnistheorie. Sie haben 3. das, was ihre (skeptischen oder eklektischen) Zeitgenossen vorbereitet hatten, positiv durch schöpferische Systematik vollendet: sie sind sowohl die Mitkämpfer als auch die Überwinder der Sophistik resp. der Aufklärung.
§ 58. Den Übergang von Kants Vernunftkritik zu Fichtes Wissenschaftslehre vermitteln vier Denker, von denen nur der erste an den „Dingen an sich" festhält, die andren mit Jakobi (oben § d) diesen Begriff als widerspruchsvoll verwerfen. K . L e o n h . R e i n h o l d (1789) vermißt bei K a n t einen obersten Satz, aus dem sich der gesamte Inhalt der Vernunftkritik deduzieren ließe, und bietet als solchen seinen „ S a t z des Bewußtseins" an. Auch S. M a i m o n (1790) sucht nach einer gemeinsamen Wurzel des Denkens und des Anschauens und glaubt sie im „ B e wußtsein" zu erkennen. G. E. S c h u l z e (Änesidemus 1792, Neudruck der Kantgesellschaft 1911) erklärt, die beabsichtigte Widerlegung Humes sei K a n t nicht gelungen, und in der Konsequenz des kritizistischen Gedankenganges gelange man notwendig zum absoluten Idealismus, d. h. zur Leugnung einer Welt von Dingen außerhalb unsrer Vorstellungen. S i g . B e c k (1796) endlich führt aus, der Idealismus sei der einzig richtige „ S t a n d p u n k t " zum Verständnis der Vernunftkritik; von affizierenden Dingen an sich rede K a n t nur in pädagogischer Anbequemung an die naiv realistische Denkart des Lesers (so wie man den Kindern sagt, der Storch habe sie gebracht), in der „Deduktion der Kategorien" lüfte er den Schleier und zeige sein wahres Antlitz. Nach Änesidemus-Schulze hätte K a n t Idealist sein sollen, nach Beck ist er es gewesen und hat sich nur anfäftglich, um den Eingang in sein System zu erleichtern, einer realistischen Einkleidung bedient. § 59F r . S c h i l l e r (1759—1805) knüpft mit seiner ästhetischen Theorie an K a n t an. Während sich im sinnlichen Begehren und Genießen, F a l c k e a b e r g , Hilfsbuch.
3. Aufl.
3
FICHTE
34
ebenso aber auch im moralischen Wollen nur der halbe Mensch betätigt, setzt d a s S c h ö n e die beiden Seiten unsrer Natur, Sinnlichkeit und Vernunft, in Einklang: im ,,Spieltrieb" (der Beschäftigung mit dem Schönen) sind Stofftrieb und Formtrieb, die sonst ohne oder gegeneinander arbeiten, vereinigt und versöhnt. Nur durch ästhetische Bildung ist allseitige Entwicklung edler Menschlichkeit möglich. KÜHNEMANN, Schillers philos. Schriften u. Gedichte in A u s w a h l , in der Philos. Bibl. 1902, 2. A u f l . 1910.
Schillerfestheft der K a n t s t u d i e n
1905.
Über G o e t h e als Denker: H. SIEBECK ( F r o m m a n n s K l a s s . d. Philos., B d . 15) 1902, 2. A u f l . 1905. H E Y NACHER, Goethes Philosophie aus seinen W e r k e n , in der Philos. B i b l . 1905. BOUCKE, Goethes W e l t a n s c h a u u n g 1907. THEOB. ZIEGLER, Goethes W e l t a n s c h a u u n g 1914.
Zweites
Kapitel.
Joh. Gottlieb Fichte (1762—1814). 1792. 1794. 1796. 1798. 1800. 1806.
Hauptwerke. Versuch einer K r i t i k aller O f f e n b a r u n g . Grundlage der gesamten W i s s e n s c h a f t s l e h r e . Grundlage des Naturrechts. D a s S y s t e m der Sittenlehre. D i e B e s t i m m u n g des Menschen. — Der geschlossene Handelsstaat. D i e Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. •— Über das W e s e n des Gelehrten. •— Die A n w e i s u n g z u m seligen L e b e n oder a u c h die Religionslehre.
1808. R e d e n an die deutsche N a t i o n . (1810.) D i e T a t s a c h e n des Bewußtseins. 1817. (1813.) D i e Staatslehre. 1820. Fichtes n a c h g e l . W e r k e sind 1 8 3 4 — 3 5 in 3, die sämtl. W e r k e 1845—4-6 in 8 B ä n d e n , herausgeg. v o n seinem Sohne, erschienen. Eine sechsbändige A u s w a h l in chronologischer O r d n u n g h a t F . MEDICUS 1 9 0 8 — 1 2 v e r a n s t a l t e t ; die biographische Einleitung ist 1914 a u c h in Sonderausgabe erschienen. IMM. HERM. FICHTE, Fichtes L e b e n u. Briefwechsel, 2. A u f l . 1862. J . H. LÖWE, D i e Philosophie F i c h t e s , 1862. K . FISCHER, 5. (6.) B a n d . EMIL LASK (gefallen 1915), Fichtes Idealismus und die Geschichte 1902. FRITZ MEDICUS, Fichte, 13 Vorlesungen, 1905; ders., F i c h t e , in „ G r o ß e D e n k e r " . FALCKENBERO, Gedächtnisrede, Zeitschr. für Philos. u. p h . K r i t i k , B d . 156, 1914. §
6o,
Fichte vollendet den von K a n t angebahnten Idealismus 1. durch Beseitigung der Dinge an sich: auch die Empfindung wird von innen erzeugt, nicht von außen empfangen, sie ist das Resultat einer Selbstbeschränkung des I c h ; 2. dadurch, daß er der Kantischen Philosophie die Form eines geschlossenen Systems gibt. K a n t hat die notwendigen Handlungen der Intelligenz — die reinen Anschauungen und Begriffe
35
FICHTE
—
nur
als tatsächlich
aufgewiesen,
aber
nicht
aus
einem
obersten
Grundsatze deduziert.
Die dualistisch auseinanderfallenden T ä t i g k e i t e n
des
Denkens,
Anschauens
und
ebenso
des
Erkennens
bedürfen eines E i n h e i t s p u n k t e s , einer U r t a t des Ich.
und
Wollens
Z u m Prinzip der
Philosophie dürfen wir nicht mit dem Realismus (Spinoza) das
Sein
wählen, da von diesem keine B r ü c k e z u m D e n k e n h i n ü b e r f ü h r t , sondern allein idealistisch das B e w u ß t s e i n , sofern dieses, als wissendes das Sein in sich schließt. Charakterschwäche.
Sein,
Überdies r u h t die realistische A n s i c h t auf
Wer
sich zum
Gefühl der Freiheit des
Geistes
erhoben h a t , kann nicht R e a l i s t sein, sich nicht für ein D i n g halten.
§ 61. Die drei Grundsätze der Wissenschaftslehre sprechen die ursprünglichen
Tathandlungen
sich selbst.
2. E s
Außendingen).
3.
des
setzt Es
Geistes
setzt
einander beschränkend.
aus.
i.
sich entgegen sich
und
Das
Ich
setzt
ein N i c h t i c h das
schlechthin
(eine W e l t
Nichtich
als
von
teilbar
oder
Der dritte G r u n d s a t z der W e c h s e l w i r k u n g be-
s a g t : das Ich setzt sich einerseits als bestimmt durch das Nichtich (als erkennend), anderseits
als beschränkend
das Nichtich
(als
handelnd).
D a r a u s ergibt sich die S p a l t u n g der Wissenschaftslehre in einen t h e o r e t i s c h e n und einen p r a k t i s c h e n
Teil.
Jener deduziert die S t u f e n
des E r k e n n e n s : E m p f i n d u n g , A n s c h a u u n g , B i l d ; V e r s t a n d , U r t e i l s k r a f t , Vernunft;
dieser
die
a u ß e r d e m die F r a g e :
Stufen
des
ins Unendliche hinausströmende begrenzen
und
geschieht
dadurch
dies, d a m i t
gestellte W e l t .
Wollens.
Der
letztere
beantwortet
woher der , , A n s t o ß " , der das Ich n ö t i g t , die
T ä t i g k e i t anzuhalten,
Empfindung
Bewußtsein
entstehe
zu
produzieren ?
und
in
seine
sich selbst
diesem
zu
Offenbar eine
vor-
A b e r w a r u m m u ß es ein theoretisches Ich und O b j e k t e
für dieses geben ? W i r sind Intelligenz, handeln, Die
und
zum
Gegenstände
des Handelns. — absolute
des
d a m i t wir Wille sein können.
Handeln
gehört
Erkennens
sind
ein
zu
Wir
bewältigendes
die notwendigen
Hieraus erklärt es sich zugleich,
sollen
Material.
Widerstände
w a r u m sich
Ich in die vielen empirischen Einzeliche s p a l t e t :
nur
das Indi-
viduen können b e w u ß t e und handelnde W e s e n sein.
§ 62. In seiner Berliner Periode e r g ä n z t F i c h t e die L e h r e seiner Jenenser Zeit durch eine G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e und eine R e l i g i o n s l e h r e , nicht mehr im rastlosen H a n d e l n , sondern in der g a b e an G o t t das H ö c h s t e e r b l i c k t .
Seligkeit der
die Hin-
F r ü h e r w a r i h m die G o t t h e i t das 3*
36
FICHTE
SCHELLING
absolute Ich oder die moralische Weltordnung, jetzt rückt sie ihm als ein noch Höheres darüber hinaus. Wird hiermit dem Gebäude eine Kuppel aufgesetzt, so erfährt doch das Verhältnis des Ich zu seinen Produkten keine Veränderung. Fichte hat nicht zwei Systeme gelehrt; denn schon die ältere Lehre war pantheistisch, und die spätere bleibt idealistisch. FR. ALFRED SCHMID, Fichtes Philos. u. das Problem ihrer inneren Einheit, Freiburger Diss. 1904.
D r i t t e s Kapitel. Friedrich W . Schelling
(1775—1854).
Literatur: ED. v. HARTMANN, Schellings philosophisches System, Leipzig 1897. K . FISCHER, 6. (7.) Band, 3. Aufl. 1902. W.METZGER (F 1916), Die Epochen der Schelling sehen Philosophie von 1795—1802, 1911. 0 . BRAUN, Schelling in „Große Denker". Die erste Abteilung der Schelling sehen „ W e r k e " , 10 Bände, erschien 1856—61, eine schöne dreibändige Auswahl von 0 . WEISS 1907. Eine Ausgabe der Briefe sowie des Nachlasses bereitet O. BRAUN vor.
Erste
Periode.
a) N a t u r p h i l o s o p h i e . 1797. Ideen zu einer Philosophie der Natur (2. Aufl. 1803). 1798. Von der Weltseele. 1799. Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie.
§ 63. Schelling besaß, was Fichte fehlte: poetische Begabung, Phantasie und Natursinn. Diese machten es ihm unmöglich, in der Natur bloß ein Mittel für das Geistwerden des Geistes zu sehen. Bei Fichte hatte die Natur nur die Bedeutung eines Fußschemels, den sich das Ich zimmert und den es besteigt, um erkennendes und wollendes Bewußtsein werden zu können. Dem unbefangenen Blicke erscheint die Natur zu sehr von selbständigem Leben erfüllt, als daß sie nichts weiter sein sollte denn eine gesetzte Schranke. Fichte hat die Natur mit Unrecht völlig entgeistigt. Schelling erneuert Herders Naturauffassung. Auch Schelling fühlt sich auf transzendentalem Boden stehend, auch er will die bewußtlosen Hervorbringungen aufzeigen, die der Entstehung des Bewußtseins vorangehen. Er ist mit Fichte einig darüber, daß das Reich der Objekte Produkt der unbewußten Tätigkeit eines Ursubjekts ist und zu seinem Zweck das Bewußtsein hat. Bei beiden Denkern haben wir das gleiche Schema: 1. das Absolute,
2. die Natur,
3. der Geist.
NATUR-
UND
GEISTESPHILOSOPHIE
37
Aber das erste Glied wird nicht nach dem dritten, sondern nach dem zweiten b e n a n n t : das Absolute ist die schaffende N a t u r , die „ N a t u r als S u b j e k t " . Damit verändert sich auch der Charakter der „ N a t u r als O b j e k t " . Sie ist nicht ein Ungeistiges, ein Nichtich, sondern ein Vorgeistiges; nicht eine tote Schranke, sondern ein lebendiges Stufenreich, nämlich eine Stufenleiter immer besser gelingender Versuche, Ich zu werden: die N a t u r selbst entwickelt sich zum Geist, sie ist unbewußter, werdender Geist. Der Mensch ist das Auge, durch welches der Naturgeist sich selbst betrachtet.
§ 64.
F ü r die empirische Naturwissenschaft ist die N a t u r ein Sein, ein bloßes Objekt, für die spekulative Betrachtung dagegen ein Prozeß, ein schaffendes Prinzip (natura naturans). Die unendliche Produktivität (Weltseele) vermag s t a t t des unendlichen Produktes, auf das sie abzielt, nur eine endlose Reihe endlicher Produkte zu erzeugen durch Selbsthemmung. Die letztere besteht darin, daß einer beschleunigenden K r a f t eine zurückhaltende, begrenzende entgegenwirkt. Jedes Naturobjekt ist ein Hemmungspuiikt der allgemeinen N a l u r k r a f t , ist das Ergebnis einer positiven und einer negativen Tätigkeit: die Duplizität oder Polarität ist allgemeines Weltgesetz. Das erste Erzeugnis ist die allgemeine, unbestimmte Materie mit bloßen Dichtigkeitsgraden, das zweite die qualitativ differenzierte Materie mit ihren Bewegungserscheinungen ('= dynamischer Prozeß), das dritte das Reich der Organismen. Die wirkende N a t u r schafft mit drei K r ä f t e n : Schwere, Licht und Leben (Copula), die in allen Produkten tätig sind, jedoch nicht gleichmäßig. Die „Schwere" wiegt vor in den grob materiellen, massigen Erscheinungen, das „ L i c h t " (das Verstandartige) in den zarteren Phänomenen des Leuchtens und Klingens, der Wärme und der Bewegung, das beide verbindende „ L e b e n " in den Lebewesen, den beseelten Leibern. Die allgemeine M a t e r i e wird konstruiert aus Repulsion, Attraktion und Schwerkraft. Die Stufen des d y n a m i s c h e n Prozesses sind Magnetismus, Elektrizität und chemischer Prozeß. Die Potenzen des O r g a n i s c h e n sind Reproduktion, Irritabilität und Sensibilität. Die erste überwiegt in den Pflanzen, die zweite in den niederen, die dritte in den höheren Tieren. Je mehr die Reproduktion zurücktritt und die Empfindungsfähigkeit vorherrscht, um so höher s t e h t der Organismus. Über den Entwicklungsgedanken bei Scheliing vgl. C. IHMELS, Die Entstehung der organischen Natur nach Sch., Darwin und Wundt, Erlanger Diss. 1916.
SCHELLING
38
§ 65. Kritik. Die Einheit der Natur, ein durchgehendes Entwicklungsgesetz, die mannigfachsten Analogien zwischen den verschiedenen Naturstufen, das sind geistvolle Ideen, die nicht den Spott verdienen, mit denen man die spekulative Naturphilosophie zu überschütten liebt. WINDELBAND (Gesch. d. n. Ph. II. S. 286) hebt richtig hervor, die Tendenz einer einheitlichen Naturerklärung, die den heutigen Naturforschern als selbstverständlich erscheint, habe Schelling zuerst in universeller Weise auszuführen versucht. „Man hat vergessen, daß gerade für die Entwicklung der exakten Forschung der naturphilosophische Gedanke, die Natur wieder als ein Ganzes zu fassen und die Identität ihres Wirkens in der Mannigfaltigkeit ihrer Formen zu verstehen, eine mächtige Förderung gewesen i s t . " b)
Geistesphilosophie.
1800. S y s t e m des transzendentalen Idealismus. ( 1 8 0 2 — 1 8 0 5 . ) Philosophie der K u n s t , Jenaer und W ü r z b u r g e r Vorlesungen, g e d r u c k t im f ü n f t e n B a n d e der W e r k e .
§ 66. Hatte die Naturphilosophie die Entwicklung der Natur zur Intelligenz verfolgt, so schlägt die ihr koordinierte Geistesphilosophie den umgekehrten Weg vom Subjekt zum Objekt ein. Sie wiederholt in selbständiger Form den Inhalt der Fichteschen Wissenschaftslehre, fügt jedoch zum theoretischen und praktischen Teile als dritten die Philosophie der Kunst hinzu. Das Schöne ist die Einheit des Realen und Idealen, des Objektiven und Subjektiven, der Notwendigkeit und Freiheit, des Wissens und Handelns. Zweite
Periode.
Identitätsphilosophie. 1802. B r u n o , ein G e s p r ä c h . 1803. Vorlesungen über die Methode des a k a d e m i s c h e n S t u d i u m s .
§ 67. Natur und Geist sind zwei Erscheinungsweisen Eines Urwesens, welches, über den Gegensatz von Objekt und Subjekt wie über alle Gegensätze erhaben und schlechthin sich selbst gleich, die I d e n t i t ä t des Realen und Idealen ist. Außer dem Absoluten ist nichts; alles, was ist, ist die absolute Identität selbst. Diese ist nicht Ursache des Universums, sondern das Universum selbst, in seiner wahren Gestalt betrachtet. Mit Spinoza unterscheidet Schelling von der adäquaten Erkenntnis der Vernunft, die alles unter der Form der Ewigkeit und die Dinge
MYSTISCHE
FREIHEITSLEHRE
39
als Eins betrachtet, die verworrene Vorstellung der Reflexion (imaginatio), der die Dinge als viele und sich verändernde erscheinen. Der Philosoph muß sich über das gewöhnliche Denken erheben, die Dinge im Absoluten darstellen und zeigen, wie in jedem das ganze Absolute ausgedrückt ist. Jedes Einzelwesen ist relative Identität des Objektiven und Subjektiven, d. h. es ist weder nur real noch nur ideell, sondern beides, aber mit Übergewicht (quantitativer Differenz) des einen oder des anderen Momentes. R . = Id. +
abs. Identität
R . = Id. +
ÜlllMm: Natur
Geist
§ 68. Spätere Darstellungen fassen das Absolute als Trinität. Die drei göttlichen Potenzen E n d l i c h e s (Reales oder Sein), U n e n d l i c h e s (Ideales oder Denken) und E w i g e s (Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit) sind im Absoluten gleich absolut, während in den Einzelwesen zwar alle drei wirksam sind, doch so, daß immer eine von ihnen die übergeordnete ist. •— Als Stufen der r e a l e n Welt werden wiederum Schwere (Materie), Licht (Bewegung) und Organismus angeführt, als Stufen der g e i s t i g e n Welt werden Anschauen, Denken und Vernunft genannt. Eine andre Schrift bezeichnet als Potenzen des idealen Alls Wahrheit, Güte und Schönheit: W i s s e n ist die Hineinbildung des Stoffs in die Form, H a n d e l n die der Form in den Stoff, V e r n u n f t (Kunstwerk) die gegenseitige Durchdringung beider. Dritte Periode: positive a) M y s t i s c h e
Philosophie.
Freiheitslehre.
1809. Philos. Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit.
§ 69. Den Anstoß zu der neuen, theosophischen Wendung seines Denkens empfing Schelling von der Lektüre eines Buches von Eschenmayer: „Die Philosophie in ihrem Übergange zur Nichtphilosophie" 1803, worin das Heraustreten der Dinge aus Gott, in welchem sie als Ideen eingeschlossen waren, als ein Mysterium hingestellt wird, das nur dem Glauben, nicht dem Verstände zugänglich sei. Dies Problem macht Schelling zu dem seinigen in dem Aufsatz „Religion und Philosophie" 1804. Die Welt ist ihm nicht mehr eine notwendige Selbstdarstellung des Absoluten, von diesem zum Wirklichen gibt es keinen
4°
SCHELLING
stetigen Übergang, die Entstehung der sinnlichen Welt beruht auf einer frei gewollten Entfernung vom Absoluten, auf einem A b f a l l . Das Selbständigwerden der Ideen ist ein undeduzierbares Faktum. Der Punkt der äußersten Gottentfremdung, die Ichheit, ist zugleich der Anfang der Rückkehr; die Seele vermag ihre Selbstheit abzulegen und sich wieder der Gottheit hinzugeben: die Geschichte, die Heimkehr des Endlichen zum Absoluten, ist das Gegenstück der Schöpfung. Entzweiung aber und Versöhnung sind Momente des göttlichen Lebens selbst. Eine zweite Anregung, die Schelling auf dieser Bahn weiterführte, ging von den Werken Jakob Böhmes (f 1624) aus, auf die ihn sein Freund Baader hingewiesen hatte. Mit diesen Spekulationen verband sich endlich der Kantische Begriff der intelligiblen Freiheit.
§ 70Das Dasein des Endlichen hat seinen Grund in einem Sündenfall. Dieser muß irgendwie aus Gottes Wesen begreiflich gemacht werden. Wir dürfen Gott weder zum Urheber und Teilnehmer des Bösen machen, noch ihm das bloße Zusehen dabei lassen. Vor der starren Leblosigkeit des Spinozismus, vor seiner Leugnung der Freiheit und des Bösen rettet uns nur eins: wir müssen, um das Böse erklären zu können, in Gott etwas annehmen, was nicht Gott, sondern nur der Grund seiner Existenz ist, müssen vom wahren, vollkommenen Gott ein negatives, naturhaftes Prinzip in Gott unterscheiden. Auch Gott ist ein sich entwickelndes Wesen, auch in ihm geht dem Wirklichen seine Möglichkeit voraus, auch in ihm wächst das Vollkommene aus dem Unvollkommenen, das Bewußte aus dem Unbewußten hervor, denn alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht. Den Anfangszustand Gottes, die Natur in Gott haben wir uns als dunkles Wollen, als S e h n s u c h t nach Weisheit und Güte zu denken. Wie der Mensch dadurch Persönlichkeit ist, daß sich das Verstandlose, das Gefühl, dem Verstände unterwirft, so wird Gott dadurch Geist, daß sich die dunkle Region zu V e r s t a n d und Liebe verklärt. § 7iDie Welt zeigt neben bewundernswürdiger zweckmäßiger Ordnung und Schönheit vieles Zwiespältige und Ordnungslose, — ein Beweis, daß in der Natur die beiden Prinzipien „ G r u n d " und „ V e r s t a n d " miteinander ringen. Jede Kreatur zeigt dieses zweifache; der Partikularwille stammt aus dem Grunde, der Universalwille aus dem Verstände. Der Mensch soll und kann gleich Gott den Willen des Grundes dem Willen der Liebe unterwerfen (die Liebe kann sich nur verwirklichen,
SCHELLINGS
POSITIVE
PHILOSOPHIE
41
wenn ein Widerstrebendes da ist). Der dunkle Grund in Gott erklärt nur die Möglichkeit des Bösen (die Trennbarkeit des Eigenwillens vom allgemeinen Willen), wirklich wird es durch die eigene Schuld des Geschöpfes, das aus dem Zentrum heraustritt, um für sich selbst etwas zu sein. DPS intelligible Wesen des Menschen ist seine eigene (unzeitliche) T a t (Selbstprädestination). § 72Der theogonische Prozeß endet damit, daß Gott über den Gegensatz von Sehnsucht und Verstand zur Einheit beider hinausgeht. Diesem Schlußgliede der Entwicklung entsprechend fügt Schelling, um den Schein des Dualismus zu zerstören, hinterher noch ein Anfangsglied hinzu, eine Ureinheit, die der Trennung der beiden Prinzipien vorausgeht. Der Spaltung geht vorher die „Indifferenz", das reine WederNoch des Gegensatzes, während die Schlußeinheit, die „ I d e n t i t ä t " ( = Persönlichkeit und Liebe) das Sowohl-Alsauch, die Überwindung desselben bedeutet. Gottes Entwicklung bewegt sich von der Indifferenz durch den Gegensatz zur Identität. Mit dieser Gotteslehre glaubt Schelling Theismus und Pantheismus versöhnt zu haben. b) P h i l o s o p h i e d e r M y t h o l o g i e u n d Zweite A b t e i l u n g der W e r k e , 4 B ä n d e ,
Offenbarung.
1856—58.
§ 73-
Wiederum verschiebt sich die Aufgabe der Philosophie. Mit den Begriffen der Vernunft vermögen wir wohl das W a s der Dinge zu ergründen, aber an die E x i s t e n z reichen wir mit dem bloßen Denken nicht heran, sie kann nur erfahren werden (höherer Empirismus). Die Existentialphilosophie entnimmt ihre Tatsachen der Religionsgeschichte, in der sich die Entwicklung Gottes wiederholt. § 74-
Zunächst wird der Inhalt der rationalen oder negativen Philosophie in neuer Gestalt rekapituliert. Die d r e i göttlichen P o t e n z e n treten auf unter den Namen des Seinkönnenden ( — A), des rein Seienden ( + A) und des Geistes als Einheit von Können und Sein, von Wille und Idee ( ± A ) ; bei der Schöpfung betätigen sie sich als Stoff, Form und Zweck. Die Potenzen sind zunächst bloße unpersönliche Kräfte, sie werden zur wahren Trinität durch eine Entwicklung: anfänglich in Ruhe, geraten sie in Spannung, wobei sich ihre Vorzeichen umkehren, das Negative zum Positiven wird und umgekehrt. Um nämlich die
42
SCHLEIERMACHER
Natur eines freien Wesens zu sein, muß Gottes Natur ( + A, Objekt, Idee, Inhalt des Wollens) als aufheblich oder negativ gesetzt, dann aber durch das zum Sein erhobene Können oder Wollen frei anerkannt oder bestätigt werden. Nun ist Gottes Sein ein selbstgewolltes, er ist Herr über die Potenzen und damit lebendige, freie Persönlichkeit geworden. Auf diese Potenzenlehre beruft sich Ed. v. Hartmann, wenn er den Schopenhauerschen Willen und die Hegeische Idee so verknüpft, daß sie als gleich ursprüngliche Attribute des unbewußten Allgeistes erscheinen. Vgl. § 126.
§ 75Zwischen Suspension und Wiederherstellung des „ S e i n s " fällt die Schöpfung der ewigen Ideenwelt. Durch die Sünde des Menschen entsteht die zeitliche Sinnenwelt, zugleich wird die zweite Potenz, der Sohn, eine selbständige Macht. Auf den vorgeschichtlichen abstrakten Monotheismus, an dem das Judentum festhielt, folgte der heidnische Polytheismus. Nachdem auf den drei Stufen des mythologischen Prozesses die drei Potenzen nacheinander geherrscht haben, treten sie im wahren (trinitarischen) Monotheismus des Christentums vereinigt auf. Nicht der Lehrer, der Gegenstand der christlichen Religion ist Christus, der sich seiner unabhängigen Existenz entschlägt und durch den Tod seine Außergöttlichkeit aufgibt. A m Ende aller Dinge kehren Sohn und Geist mit der erlösten Welt in den Vater zurück. — Die Kirche durchläuft drei Zeitalter: das petrinische, paulinische und johanneische.
Viertes Der Schellingsche Kreis.
Kapitel. Friedrich Schleiermacher.
§ 76. Unter den Mitarbeitern Schellings haben sich ausgezeichnet die Naturphilosophen Steffens (f 1845), Oken (f 1851), Schubert (f 1860) und K . G. Carus (f 1869), die I d e n t i t ä t s p h i l o s o p h e n J . J . W a g n e r (f 1841), Fr. Krause (1781—1832; Panentheismus) und der Ästhetiker Solger ( | 1819), die R e l i g i o n s p h i l o s o p h e n Franz v. Baader (1765—1841) und Friedrich Schleiermacher (1768—1834). Schleiermachers Schriften. 1799. Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. (Zweite A u f l . 1806, dritte 1821.) B . PÜNJER (F 1885) hat eine vortreffliche kritische Ausgabe besorgt, Braunschweig 1879.
SCHLEIERMACHER
43
1803. Grundlinien einer K r i t i k der bisherigen
Sittenlehre.
l804f. Übersetzung der W e r k e Piatons. (1822. Der christliche Glaube, 2. A u f l . 1831.) A u s dem N a c h l a ß sind die Sittenlehre, die D i a l e k t i k u. a. herausgegeben worden. A u s g e w ä h l t e W e r k e in vier B ä n d e n , herausgeg. v o n O. BRAUN, 1 9 1 0 — 1 3 . W . DILTHEY, Leben Schl.s, B d . 1, 1870. Ders., A r t i k e l Schi, in der A l l g . deutschen B i o g r a p h i e . H . SÜSKIND, Der E i n f l u ß Schellings auf die E n t w i c k l u n g v o n Schl.s S y s t e m , 1909. Schi, der Philosoph des Glaubens, sechs A u f s ä t z e v o n ECK, HENSEL,
NATORP,
RADE,
TITJUS
und
TROELTSCH,
„Hilfe"
1910.
§ 77Philosophie ist ihrer Form nach systematisches Bewußtsein, ihrem Gegenstande nach Weltweisheit. Ihr erster Teil, die D i a l e k t i k , handelt von der Erkenntnis. Zum Wissen wird ein Denken dadurch, daß es vom Bewußtsein der Notwendigkeit begleitet oder allgemeingültig ist und dem Sein der Objekte entspricht. Es kommt zustande durch Zusammenwirken von Erfahrung und Vernunft. Die Empfindung verschafft uns den Inhalt unsrer Begriffe, die Intelligenz liefert die Form. Getrennt von der andern vermag keine von beiden etwas zu leisten; der Stoff für sich wäre chaotisch, das Denken für sich eine leere Form. Wahrnehmung und Denken gehen auf denselben Gegenstand, zwischen ihnen besteht nur ein relativer Unterschied: in jener findet ein Übergewicht der organischen, in diesem ein Übergewicht der intellektuellen Funktion statt. Das genaue Gleichgewicht der stoff- und der formgebenden Tätigkeit ist ein Ideal, das wir nie vollkommen erreichen. —- Voraussetzung der Möglichkeit des Wissens ist die Identität des Seins und Denkens. Wären sie zwei Substanzen, so wäre ihre Übereinstimmung ein rätselhafter Zufall; sie wird erklärlich, wenn wir Natur und Geist als Eigenschaften einer einheitlichen Substanz fassen. Das Absolute ist die Indifferenz von Realität und Idealität. Dieser Gedanke des Unterschieds- und Bestimmungslosen läßt sich jedoch nicht vollziehen (denn wir können nur Bestimmtes denken), freilich auch nicht entbehren. Die Idee Gottes ist ein notwendig Anzunehmendes, das aber hinter dem Vorhang bleibt; sie bezeichnet dasjenige, was nicht mehr gewußt werden kann, aber immer vorausgesetzt werden muß. Ein Begreifen also des Absoluten ist nicht möglich, wohl aber ein unmittelbares Innewerden desselben durch das G e f ü h l , welches selbst Identität ist, nämlich 1. des Subjektiven und Objektiven (da Fühlendes und Gefühltes zu einem Einzigen verschmelzen), 2. des Theoretischen und Praktischen, sofern Wissen und Wollen durch den Bindepunkt des Gefühls ineinander übergehen und in allen ihren Akten von dem Gefühl als der einheitlichen und permanenten Grundlage des Seelenlebens begleitet sind.
44
S C H L E I E R M A C H E IT
§ 78. Die R e l i g i o n wohnt und wurzelt weder im Verstände noch im Willen, sondern hat ihre eigene Provinz in unsrer Seele: ihr Organ und Sitz ist das Gemüt, sie ist G e f ü h l , und zwar Gefühl „schlechthiniger Abhängigkeit" vom Unendlichen. (Diese Erklärung richtet sich gegen Kant, der die Religion ganz in Sittlichkeit aufgehen läßt, und gegen Hegel, der in ihr ein nicht voll entwickeltes Denken sieht.) Religion ist zuständliches Bewußtsein, Frömmigkeit. Dogma und Kultus gehören nicht zum Kern der Religion, sie bilden bloß ihre Schale. Wenn der Mensch seine frommen Gefühle in Begriffe und Worte zu fassen sucht, entstehen positive Glaubenssätze, die nur als Ausdruck und Deutung der Empfindung, nicht als wissenschaftliche Lehrsätze genommen sein wollen, zumal sie sich unvermeidlich menschlicher Analogien bedienen. Es ist vollends ein Unglück, wenn die Kirche sie in verbindliche Symbole verwandelt. Ebenso sind Kultushandlungen zu dulden als Ausdruck und Belebungsmittel des religiösen Gefühls, von diesem losgelöst sind sie ein abergläubisches Tun. Religionen entstehen durch die Wirksamkeit von Männern, in denen ein religiöses Gefühl von neuer Beschaffenheit und ungewöhnlicher Wärme und Kraft erwacht, das sie einem Kreise von Anhängern mitteilen. Die christliche ist die höchste, weil sie von dem vollkommensten Religionsstifter herrührt, und die einzige, bei der der Stifter (als das realisierte Urbild der Menschheit) zugleich ihren idealen Inhalt bildet. — Hiernach kann es nur geschichtliche oder positive Religionen geben. Die Vernunftreligion ist eine nirgends verwirklichte Abstraktion. . § 79Intermezzo
über den Begriff
der
Individualität.
Des Individuums Wesen: es enthält a l l e s in b e s o n d e r e r Form;
Pflicht: a l l s e i t i g e Entfaltung: Goethe, Pflege des E i g e n t ü m l i c h e n : Schleierm. § 80.
Die beiden Gegenstände der Philosophie, „ N a t u r " und „Vernunft", können nach „empirisch-historischer" oder nach „spekulativer" Methode behandelt werden. So trennen sich Naturkunde und Naturwissenschaft, Geschichtskunde und Ethik. Die S i t t e n l e h r e ist spekulative Wissenschaft von der Vernunft; sie hat den Gegenstand mit der Geschichte, die Methode mit der Physik gemein.
HEGEL
45
Naturgesetz und Sittengesetz stehen sich nicht, wie Kant es darstellt, als unversöhnliche Gegensätze gegenüber, sie verhalten sich nicht wie Müssen (Sein) und Sollen. Das Sittliche verwirklicht sich in unsrem Handeln, das Sollen verwandelt sich mehr und mehr in ein Sein; dem Naturgesetz aber fehlt der Charakter des Sollens auch nicht ganz, es wird keineswegs immer vollständig erfüllt: auch in der Natur gibt es Nichtseinsollendes und Verfehlungen, abnorme Bildungen und Erkrankungen, die sich daraus erklären, daß die vegetativen und animalischen Kräfte über die mechanischen und chemischen ebensowenig eine absolute Herrschaft zu üben vermögen, wie der sittliche Wille über die niederen Begierden. Das Sittengesetz ist das höchste unter den Naturgesetzen, dasjenige, dem der vernünftige Wille unterworfen ist.
§ 81. Die Ethik ist unter drei Formen zu traktieren, von denen jede den gemeinsamen Gegenstand von einer besonderen Seite darstellt: als Güter-, Tugend- und Pflichtenlehre. Schleiermacher bevorzugt den Güterbegriff. Jede Einheit von Vernunft und Natur, die durch ein Handeln jener auf diese hergestellt wird, ist ein G u t . Das gütererzeugende oder sittliche Handeln ist teils o r g a n i s i e r e n d , teils s y m b o l i s i e r e n d : die Vernunft macht die Natur zu ihrem Werkzeug (Eigentum, Verkehr, Geselligkeit, Recht, Staatsverwaltung) oder zu ihrem Zeichen (Sprache, Kunst, Wissenschaft). Die sittliche Tätigkeit ist ferner teils i d e n t i s c h , so daß sich viele am selben Werke beteiligen (Wissenschaft, Staat), teils i n d i v i d u e l l , wobei der einzelne für sich handelt (Haus, Freundschaft). Die Vierteilung — sich kreuzende Gegensatzpaare — wird überall durchgeführt. Es gibt keine sittlich indifferente Handlung, keine, die bloß erlaubt (weder geboten noch verboten) wäre, die wir ebensogut tun als unterlassen dürften. In jedem Falle ist immer etwas ganz Bestimmtes Pflicht. Wo wir nicht imstande sind, durch Grundsatz und Beweis zu entscheiden, muß es dem sittlichen Takte überlassen bleiben, das Richtige zu treffen.
Fünftes
Kapitel.
Wilhelm Hegel (1770—1831). 1807. Phänomenologie des Geistes (Werke, Bd. 2). 1812—1816. Wissenschaft der Logik (W. 3—5). 1817. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriß (in den Werken, Bd. 6—-7, sehr vermehrt durch Zusätze aus den Vorlesungen über Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes).
46
HEGEL
1821. Grundlinien der Philosophie des R e c h t s ( W . 8). Sieben B ä n d e der W e r k e füllen die Vorlesungen, nämlich den 9. die Philosophie der Geschichte, den 10. die Ä s t h e t i k , den I i . und 12. die Philosophie der Religion, den 1 3 . — 1 5 . die Geschichte der Philosophie. A l s 19. B a n d h a t KARL V. HEGEL 1887 die Briefe h i n z u g e f ü g t . D i e zweite A u f l a g e der Religionsphilosophie h a t A . DREWS in gek ü r z t e r F o r m m i t E r l ä u t e r u n g e n neu herausgegeben, J e n a 1905. D i e R e c l a m a u s g a b e der Geschichtsphilosophie h a t BRUNSTÄD 1907, die N e u a u s g a b e n der H a u p t w e r k e für Meiners Philos. B i b l i o t h e k G . LASSON besorgt. Literatur-, K . KÖSTLIN, Hegel, T ü b i n g e n 1870. M. SCHASLER, Populäre Ged a n k e n aus .Hegels W e r k e n (aus der Philos. der Geschichte), 2. A u f l . Berlin 1873. K.FISCHER (8. B a n d der J u b i l ä u m s a u s g a b e ) 1901, 2. A u f l . 1 9 1 1 . W . DILTHEY, D i e Jugendgeschichte Hegels 1905. Die theologischen Jugendschriften h a t H . NOHL 1910 herausgegeben. B . CROCE, Lebendiges und T o t e s in Hegels Philosophie, d e u t s c h 1909. H. FALKENHEIM, Hegel, in „ G r o ß e D e n k e r " .
1. D e r
Standpunkt. § 82.
1. Hegel erneuert den durch Leibniz in Deutschland eingebürgerten, dann von K a n t bekämpften I n t e l l e k t u a l i s m u s . Bei Leibniz tritt uns diese Ansicht in psychologischer Form entgegen (das Denken ist die Grundkraft der Seele), bei Hegel dehnt sie sich über alle Wirklichkeit aus: die Welt ist realisierte Vernunft, jedes Ding Erscheinung eines Gedankens, das Geschehen Bewegung, Selbstentwicklung der Idee. Das Absolute oder das Subjekt des Weltprozesses wird demgemäß bestimmt als die logische I d e e , die zunächst „ a n sich" als ein Reich abstrakter Gesetze oder ewiger Wahrheiten (Kategoriensystem), hierauf „außer sich" in den dem idealen Inhalt fremden Formen der Äußerlichkeit Raum und Zeit, weiterhin „ a n und für sich" existiert, d. h. in der Menschenseele sich ihrer selbst bewußt wird, worauf sie in den Formen der Gesellschaft eine neue, höhere Objektivation erfährt, zuletzt aber in den höchsten geistigen Erscheinungen der K u n s t , Religion und Philosophie eine vollkommenere Absolutheit erwirbt, als sie am Beginne des Prozesses besaß. Die Philosophie oder der sich denkende Begriff ist die reifste Stufe der Entwicklung der Welt, Kunst und Religion (die Versöhnung des Geistes mit sich selbst — dort in Form der sinnlichen Anschauung, hier in Form des Gefühls und der Vorstellung) sind werdende Philosophie. Die drei haben denselben Inhalt: den absoluten d . h . mit sich versöhnten Geist; sie verhalten sich wie Knospe, Blüte und Frucht (vgl. § 93). •— Aus der Grundbestimmung des Intellektualismus gewinnen wir durch Analyse vier weitere Merkmale: Hegels Lehre ist panlogistisch begründeter Optimismus, sie ist Idealismus, Identitätsphilosophie und Entwicklungslehre.
DER
STANDPUNKT
47
§ 83. 2. Hegel ist o p t i m i s t i s c h e r P a n l o g i s t . Aus der Identischsetzung von Vernunft und Wirklichkeit ergibt sich die Aufgabe der Philosophie: sie soll das Wirkliche „begreifen" d . h . überall, in Natur und Geschichte, Vernunft nachweisen. Die vielbesprochene Stelle in der Vorrede zur „Philosophie des R e c h t s " von der Wirklichkeit des Vernünftigen und der Vernünftigkeit des Wirklichen gilt nur von den wesentlichen Formen der geistigen wie der materiellen Welt. Nicht alles Bestehende zu rechtfertigen — jeden Druckfehler und jeden Schnupfen als gut und sinnvoll zu preisen — war des Philosophen Meinung, sondern daß die Menschen in einem Staate leben, erklärt er für vernünftig, und die astronomischen Gesetze sind ihm objektivierte Vernunft. § 84. 3. Hegel huldigt gleich Schelling einer idealistischen Weltansicht, die nicht nach den Ursachen, sondern nach dem Sinn und Zweck der Dinge fragt, um darnach den Platz zu bestimmen, der ihnen im System des Universums und folgeweise der Philosophie gebührt. Die kausale Erklärung bleibt den empirischen Wissenschaften überlassen; die Philosophie erforscht statt der Bedingungen einer Erscheinung ihre Idee oder Bestimmung und ordnet sie einer Stufenleiter der Werte ein (was bedeutet der S t a a t für die Menschheit ?), sie gibt eine ideale (ästhetisch-teleologische) Interpretation. Von dem Idealismus seiner Vorgänger unterscheidet sich der Hegeische dadurch, daß er ein logischer ist gegenüber dem physischen Schellings und dem ethischen Fichtes. § 854. Auch Hegel ist Identitätsphilosoph. Denken und Sein sind identisch, in mehrfachem Sinne: a) Wie die Dinge gedacht werden müssen, so sind sie; b) Die subjektiven Formen des Denkens sind zugleich objektive Formen der Wirklichkeit; c) Natur und Geist sind im Grunde dasselbe Wesen, das Absolute offenbart sich unter diesen beiden Formen. Aber Schellings Nebenordnung der beiden Seiten verwirft Hegel und gibt der Natur wieder die dienende Stellung, die sie bei Fichte hatte: der Geist ist die höhere Offenbarung des Absoluten. Dazu ein zweiter Unterschied. Bei Schelling ist der Geist verinnerlichte Natur, bei Hegel die Natur entäußerter Geist. Oder deutlicher: von letzterem wird das Absolute nicht als produktive Natur, sondern als unbewußte Vernunft gefaßt. Das Absolute ist der Geist.
48
HEGEL
§ 86. 5. Evolutionismus. Hegel lehrt mit Heraklit: nichts ist, alles wird; der Krieg ist der Vater aller Dinge. Das Absolute ist nicht bloß Substanz, sondern auch Subjekt oder Sichselbstwerden, ein sich durch seine Entwicklung vollendendes Wesen. Ebenso ist jedes einzelne in den Fluß des Werdens hineingestellt, nur als werdendes kann ein Wesen sein Ziel erreichen, seinen Inhalt entfalten; die verschiedenen Momente, die es in sich enthält, müssen selbständig heraustreten, die verschiedenen Entwicklungsstufen mit voller Energie durchlebt werden. Das Hindurchgehen durch Widersprüche und Einseitigkeiten ist das Gesetz der Entwicklung, ohne Gegensatz kein Fortschritt. Der Kampf entbindet die Kräfte, alles muß sich durch Hemmung und Gegensatz hindurcharbeiten.
2. O r g a n d e r P h i l o s o p h i e . § 87. Als Hegel in die philosophische Bewegung eintrat, sah er zwei Systeme vor sich, das Schellingsche und das der Aufklärung, das ihm Kant repräsentiert. Mit jedem vermochte er nur zum Teil zu sympathisieren. Dort spricht ihn der Inhalt an (Philosophie ist spekulative Erkenntnis des Absoluten), hier die Form (Nur die Form des Begriffs kann die Allgemeinheit des Wissens hervorbringen). Aus Zustimmung und Ablehnung nach beiden Seiten hin ergibt sich folgende Position. 1 . Das Absolute ist (nach Schelling unmittelbar, nach Kant gar nicht, nach Hegel) mittelbar erkennbar durch ein zusammenhängendes System von Begriffen. 2. Das Organ der Philosophie ist nicht die Anschauung und nicht der Verstand (abstrakte Reflexion), sondern die Vernunft mit ihren „konkreten Begriffen". Hegel sucht einen Begriff, der nicht abstrakt, und eine Konkretheit, die nicht anschaulich ist: d e r k o n k r e t e V e r n u n f t b e g r i f f ist die höhere Einheit von Anschauung und Reflexionsbegriff. 3. Die Gegensätze — Allgemeines und Besonderes, Unendliches und Endliches — sind weder (wie bei Schelling) unmittelbar identisch, noch (wie bei Kant) ewig getrennt, sondern sie w e r d e n identisch vermittelst eines dialektischen Prozesses. Alles entwickelt sich durch Gegensätze zur Identität derselben. 4. Da alles Wirkliche Entwicklung, d. h. reale Bewegung ist, so muß die Wissenschaft, wenn sie ein treues Bild der Welt sein will, Gedankenbewegung oder D i a l e k t i k sein, sie muß zeigen, wie die Begriffe ineinander übergehen.
ORGAN
DER
PHILOSOPHIE
DIE
DIALEKTISCHE
3. D i e d i a l e k t i s c h e
METHODE
DAS
SYSTEM
4 9
Methode.
§ 88. In
seiner
Vereinzelung
ist j e d e r
Begriff
nur ein partieller A u s d r u c k der W a h r h e i t .
unvollkommen,
unwahr,
E r f o r d e r t zu seiner E r g ä n -
z u n g einen a n d r e n B e g r i f f , er s c h l ä g t u m in sein G e g e n t e i l .
Bei d e m
bloßen
kann
Nebeneinander
der
entgegengesetzten
Bestimmungen
n i c h t b l e i b e n , sie m ü s s e n m i t e i n a n d e r v e r m i t t e l t w e r d e n . herausgestellt,
daß
der
Begriff
einen
Widerspruch
es
E s h a t sich
enthält,
damit
ist
er in F l u ß g e k o m m e n ; die B e w e g u n g d r ä n g t w e i t e r z u r A u f s u c h u n g eines d r i t t e n B e g r i f f s , der die beiden M o m e n t e so in sich e n t h ä l t , d a ß sie eina n d e r n i c h t m e h r w i d e r s p r e c h e n : in der S y n t h e s e sind T h e s e u n d A n t i these e b e n s o s e h r v e r n e i n t , a l s a u f b e w a h r t .
D e r neue B e g r i f f ist j e d o c h
wiederum widerspruchsvoll und m u ß abermals umgedacht werden. dialektische
Methode
b e s t e h t in einem
heben v o n W i d e r s p r ü c h e n .
Die
steten Herausstellen und
Auf-
J e d e r f o l g e n d e B e g r i f f i s t reicher als die
v o r h e r g e h e n d e n , d e n n er e n t h ä l t sie in s i c h : die höhere S t u f e i s t allemal die W a h r h e i t d e r n i e d e r e n .
D e r erste B e g r i f f i s t d e r a b s t r a k t e s t e u n d
leerste, d a s reine S e i n ; der l e t z t e der a l l u m f a s s e n d e der a b s o l u t e n I d e e , der sich s e l b s t w i s s e n d e n Der
dialektische
Wahrheit.
P r o z e ß ist n i c h t ein b l o ß s u b j e k t i v e s
in u n s e r e m V e r s t ä n d e , sondern
besteht
Geschehen
d a r i n , d a ß der P h i l o s o p h
S e l b s t b e w e g u n g der S a c h e z u s i e h t und ihr n a c h g e h t , sich d e m des G e g e n s t a n d e s
der
Leben
überläßt. 4. D a s
System.
§ 89. D i e Logik i s t , d a n a c h § 85, 4 b D e n k - u n d S e i n s f o r m e n i d e n t i s c h , die
Denkgesetze
Metaphysik.
und
Kategorien
für
das
Sein
gültig
sind,
zugleich
Sie b e t r a c h t e t die I d e e in i h r e m A n s i c h s e i n , als n o c h n i c h t
v e r w i r k l i c h t e , als ein R e i c h nur erst g e l t e n d e r W a h r h e i t e n oder G e s e t z e . Sie e n t w i c k e l t d a s S y s t e m der K a t e g o r i e n u n t e r d e n Sein ( Q u a l i t ä t ,
Titeln
Quantität, Maß),
Wesen (Wesen, Erscheinung, Wirklichkeit) und B e g r i f f ( s u b j e k t i v e r B e g r i f f , O b j e k t , Idee). Als
B e i s p i e l der
Kausalität. kung,
Behandlungsweise
w ä h l e n w i r die K a t e g o r i e
D i e g e w ö h n l i c h e F a s s u n g der B e g r i f f e U r s a c h e u n d
die sie als v e r s c h i e d e n e ,
zeitlich
getrennte
Existenzen
der Wir-
nimmt
u n d g e r a d l i n i g die R e i h e d e r U r s a c h e n h i n a u f - oder die der W i r k u n g e n hinabzusteigen pflegt, ist unzulänglich.
Sie ü b e r s i e h t , d a ß die W i r k u n g
v o n der U r s a c h e n i c h t d u r c h einen z e i t l i c h e n Z w i s c h e n r a u m g e t r e n n t i s t , ü b e r s i e h t , d a ß R e z i p r o z i t ä t s t a t t f i n d e t , s o f e r n a u c h die U r s a c h e v o n der Falckenberg,
Hilfsbuch.
3. A u f l .
4
HEGEL
Wirkung abhängig ist (sie ist Ursache nur, insofern sie eine Wirkung hat), die Wirkung selbst als Ursache ihrer Ursache a u f t r e t e n kann (Regen — Nässe — Wolken —• Regen usf.), wobei sich das Bewirkte als Bewirkendes offenbart. So treiben diese Begriffe über sich selbst hinaus zu dem höheren der W e c h s e l w i r k u n g . Der Charakter eines Volkes und seine Verfassung bedingen sich gegenseitig. — Die Größe dieser Logik liegt in der Forderung und dem Versuche der Herstellung eines systematischen Zusammenhanges unter den Denkformen; ihre Schwäche ist die Eintönigkeit der Überleitung von einem Begriff zum andern vermittels eines Widerspruchs und seiner Lösung und die Verkennung der aktiven Mitwirkung des denkenden Subjektes beim Fortgange zum folgenden Begriff.
§ 9°Um wirklich zu werden, m u ß die Idee „in das Andere ihrer selbst übergehen", sich ins räumlich-zeitliche Außereinander begeben, sich zu einer Welt von Körpern erschließen. Hegel erzählt die Entäußerung des Logischen zur Materie als ein F a k t u m ; im Hintergrunde steht der Fichtesche Gedanke: sie geschieht um der Verinnerlichung willen; die Vernunft erniedrigt sich zur N a t u r , weil sie nur so die Erhöhung zum Geiste erlangen kann. Da die N a t u r die Idee in Form des Andersseins und der Äußerlichkeit ist, bringt sie dieselbe nicht zu adäquater Darstellung; sie ist das Ungeistige und ermangelt der Freiheit. Der Mechanismus regiert sie, neben dem sich der Zufall mächtig erweist; denn sie besteht aus einer Vielheit von Dingen, die sich zueinander gleichgültig verhalten. Daher manches Unkonstruierbare und mißlungene Bildungen. Drei Teile der Naturphilosophie: a) Die M e c h a n i k hat es mit dem Quantitativen (Raum, Zeit, Materie, Bewegung) zu tun. Die Materie hat ihr Zentrum außer sich (Gravitation). Der Planet vereinigt den zentralen Charakter der Sonne mit dem peripherischen des Kometen. Auf dem durch seine mittlere Stellung ausgezeichneten Planeten, der Erde, entwickelt sich das Absolute zu Leben und Vernunft, sie ist der Schauplatz der Geschichte. b) Die P h y s i k betrachtet das Qualitative an den Körpern. Hier werden die vier Elemente aus wohlverdienter Grabesruhe erweckt. c) Die O r g a n i k behandelt das Leben der Erde, der Pflanzen und der Tiere. Von der Pflanze, die eine Mehrheit zusammenlebender Individuen ist (der abgetrennte Zweig kann für sich weiter wachsen), zeichnet sich das Tier durch eine zentrale Einheit aus. Der Mensch erhebt sich zur Allgemeinheit des Gedankens.
DAS
SYSTEM:
LOGIK, NATUR-
UND
GEISTESPHILOSOPHIE
51
§ 9iDer subjektive Geist. Das Wesen des Geistes ist die F r e i h e i t ; das bedeutet nicht, er kommt als freier auf die Welt, sondern er muß sich durch eigne Arbeit zu dem machen, was er an sich (dem Begriffe, der Anlage nach) ist. E r muß die Abhängigkeit von der Natur, in die er hineingeboren wird, immer mehr abstreifen. Drei -Stufen: Seele (Anthropologie), Ich = Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft (Phänomenologie), Geist = theoretischer, praktischer, freier Geist (Psychologie). § 92Der objektive Geist. Der Geist objektiviert sich in einer sittlichen Welt. Drei Hauptstufen: Recht, Moralität und Sittlichkeit. Im R e c h t e gibt sich der Wille eine äußere Wirklichkeit, in der M o r a l i t ä t zieht sich die Freiheit in das Innere des Subjekts zurück, die S i t t l i c h k e i t ist die Verbindung und Wahrheit des Rechtlichen und Moralischen. Auf der mittleren Stufe erscheint das Gute als bloße Pflicht, als noch Unwirkliches. Sie ist mit einem unaufhörlichen Dualismus behaftet, die T a t kann nie der Pflicht ganz genügen. Zu dieser Inkongruenz zwischen Gesinnung und Handlung gesellt sich als weiterer Mangel die Fehlbarkeit des Gewissens; dieses kann eine Handlung für recht und pflichtmäßig erklären, die es in Wahrheit nicht ist. Auch ist der Pflichtbegriff ein unfruchtbares Prinzip, aus der formellen Übereinstimmung mit sich selbst lassen sich die besonderen Pflichten nicht ableiten. In der „Sittlichkeit" sind das äußere und das innere Dasein der Freiheit zur lebendigen Einheit des Guten und des Willens verknüpft. In einem sittlichen Gemeinwesen (Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat) ist es leicht zu erkennen, welche Pflichten der Einzelne, der ihm angehört, zu erfüllen hat. Das Gute gewinnt volle Realität in der „ S i t t e " , mit der sich das Subjekt durch Glauben und Vertrauen eins weiß. Wer ihr folgt, gehorcht einer Macht, die zu seinem eigenen Wesen gehört (Volksgeist, Standesgeist). So ist das Gute aus einer abstrakten Forderung zur Substanz des handelnden Geistes geworden. Die sittlichen Mächte sind der allgemeine Wille, das Vernünftige selbst. An die Stelle des Ich tritt das Wir. (Hiermit hat Hegel den falschen Individualismus der Aufklärung beseitigt.) In der natürlichen Gemeinschaft der F a m i l i e sind die Glieder durch Pietät verbunden, jedem ist die Ehre des Ganzen sein Heiligstes. In der b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t führt die Selbstliebe das Szepter, jeder sorgt für sich und die Seinigen, aber dabei befördert er, ohne sein Wissen und Wollen, das allgemeine Beste. Jeder sucht seinen 4*
52
HEGEL
Vorteil und nützt dennoch den Anderen. Die Arbeitsteilung zieht die Gliederung der Gesellschaft in Stände nach sich: Ackerbauer; Handwerker und Kaufleute; Gelehrte und Beamte. Das Schlußglied dieser Reihe bildet der S t a a t , die vollkommene Realisierung der Freiheit. Das Werden des vernünftigen Staates ist die G e s c h i c h t e . Die Hauptstufen der geschichtlichen Entwicklung sind die Volksgeister: der orientalische, griechische, römische, germanische Geist. Die Völker und die großen Männer sind die Geschäftsführer der Weltvernunft. ROBERT FALCKENBERG, Die R e a l i t ä t des o b j e k t i v e n Geistes bei Hegel, Falckenbergs A b h a n d l u n g e n zur Philosophie, H e f t 25, 1916.
§ 93Der absolute Geist ist die Versöhnung des Geistes mit sich selbst; objektiver Inhalt und subjektives Erleben werden hier eins. Solche Einheit des Idealen und Realen, des Unendlichen und Endlichen tritt uns entgegen in den Formen der Kunst, Religion und Philosophie, die sich verhalten wie Anschauung, Vorstellung und Begriff (vgl. § 82). § 94a) D i e K u n s t . In der Kunst wird die Idee ( = das Unendliche, wie es nicht den Gegensatz, sondern das Wesen des Endlichen bildet) unmittelbar dargestellt als ein Äußeres, das die Begeisterung des Genies geschaffen hat. Das Schöne ist Darstellung der Idee in sinnlicher Form. Zwischen den beiden Faktoren des Schönen, Gehalt und Gestalt, ist ein dreifaches Verhältnis möglich; danach gibt es drei Grundformen der Kunst. In der k l a s s i s c h e n Kunstform der Griechen findet vollkommene Harmonie beider Seiten statt (die Form ist ganz gesättigt vom Inhalt, weder ärmer noch reicher als er); in der s y m b o l i s c h e n der Orientalen, die ihr vorhergeht, überwiegt die sinnliche; in der r o m a n t i s c h e n oder christlichen, die ihr folgt, die geistige Seite. Die Einheit oder das Gleichgewicht der Form und des Inhalts wird zuerst gesucht, dann erreicht, endlich überschritten. Dennoch nimmt die romantische Kunst, wenngleich minder schön im Vergleich zur klassischen, als die reichere und geistigere den höheren Rang ein. Obwohl alle Künste in ihrer Entwicklung diese drei Stadien durchlaufen, so zeigt doch die Baukunst einen vorwiegend symbolischen-, die Plastik einen klassischen Charakter. Innerhalb der romantischen Künste kehrt dieser Gegensatz zwischen Musik und Malerei, zwischen Lyrik und Epik wieder. Wie aber die Dichtkunst als Einheit der Künste die höchste unter allen ist, so ist das Drama die endgültige Versöhnung des Musikalisch-Lyrischen mit dem Malerisch-Epischen.
53 § 95b) D i e R e l i g i o n .
W e n n die K u n s t das A b s o l u t e in der F o r m der
sinnlichen A n s c h a u u n g o f f e n b a r m a c h t e , so f ü h r t es die R e l i g i o n in die Innerlichkeit des D e n k e n s und F ü h l e n s ein.
Sie ist n i c h t a u s s c h l i e ß l i c h
G e f ü h l , sondern ein E r k e n n e n G o t t e s , allerdings noch n i c h t in der F o r m des B e g r i f f s (hierin besteht ihr U n t e r s c h i e d
v o n der P h i l o s o p h i e ,
die
das V o r s t e l l e n z u m W i s s e n erhebt).
Sie e n t w i c k e l t sich v o n der N a t u r -
religion
jüdische,
des
Religion
Orients
der
durch
freien
die
—
Subjektivität
zur
griechische,
römische
absoluten
Religion
C h r i s t e n t u m s , dessen I n h a l t die E i n h e i t v o n G o t t und Mensch G o t t ist der lebendige Geist in der
— des
bildet:
Gemeinde.
§ 96. c) D i e P h i l o s o p h i e die a d ä q u a t e
Form
f i n d e t f ü r den a b s o l u t e n I n h a l t der R e l i g i o n
des B e g r i f f s , sie ist die sich wissende
H i e r m i t v o l l e n d e t das A b s o l u t e wie es a n sich ist.
seine E n t w i c k l u n g
und
Wahrheit.
erkennt
sich,
Sie e x i s t i e r t in doppelter F o r m : als S y s t e m
(d.h.
als der W e g , den wir soeben g e g a n g e n sind) u n d als
Geschichte
der
Philosophie, in der die S t a n d p u n k t e in derselben R e i h e n f o l g e a u f t r e t e n , wie die K a t e g o r i e n der L o g i k . fassen ihrer
—
genauer:
der
Jede P h i l o s o p h i e ist das d e n k e n d e unmittelbar
vorhergegangenen
—
ErZeit;
sie erscheint i m m e r e t w a s s p ä t e r als der B i l d u n g s s t a n d p u n k t , den sie in Begriffen abspiegelt.
Sie ist g l e i c h s a m die T a g e b u c h n o t i z , die a m A b e n d
des soeben v e r f l o s s e n e n T a g e s a u f g e z e i c h n e t w i r d .
Sechstes
Kapitel.
Joh. Friedrich Herbart (1776—1841). 1808. H a u p t p u n k t e der
Metaphysik.
1808. A l l g e m e i n e p r a k t i s c h e 1813. L e h r b u c h
Philosophie.
zur E i n l e i t u n g
1 8 1 6 . L e h r b u c h zur P s y c h o l o g i e
in d i e
(2. A u f l .
Philosophie. 1834).
1 8 2 4 — 1 8 2 5 . P s y c h o l o g i e als W i s s e n s c h a f t , neu g e g r ü n d e t a u f E r f a h r u n g , Metaphysik und 1828—1829. Allgemeine (1831. Kurze
Mathematik. Metaphysik.
Enzyklopädie
der
Philosophie
p u n k t e n e n t w o r f e n , 2. A u f l .
aus
praktischen
Gesichts-
1841.)
( 1 8 3 6 . A n a l y t i s c h e B e l e u c h t u n g des N a t u r r e c h t s u n d der Moral.) 1850f. W e r k e ,
besorgt
von
G.HARTENSTEIN,
12
Bände,
1883f., ein e r g ä n z e n d e r 1 3 . B a n d f o l g t e 1893.
Die
2.
Ausgabe
KEHRBACH-
FLÜGELSche A u s g a b e in 15 B ä n d e n 1 8 8 9 — 1 9 1 6 h ä l t die c h r o n o l o g i s c h e R e i h e n f o l g e inne. \V. KINKEL, ( A u s Natur- und Denker"
1911.
Herbart,
Gießen
Geisteswelt,
1903.
B d . 164)
0. FLÜGEL, H e r b a r t s
1907.
R.LEHMANN,
Leben
Herbart,
u. in
Lehre „Große
HERBART
54
§ 97Unter den Denkern, die zwar auch an K a n t anknüpfen, aber die Fortbildung, welche die Philosophie bei seinen Nachfolgern, den Mitgliedern der idealistischen Schule, gefunden hat, mißbilligen, ist der Realist Herbart der wissenschaftlich hervorragendste, der Pessimist Schopenhauer die interessanteste Persönlichkeit. Auch J a k . Friedr. F r i e s ( 1 7 7 3 — 1 8 4 3 ) gehört zu ihnen. E r behauptet gegen Fichte, die apriorischen Formen der Erkenntnis seien auf empirischem Wege, durch Selbstbeobachtung, aufgefunden worden. Mit Fries teilt E d u a r d B e n e k e ( 1 7 9 8 — 1 8 5 4 ) den Standpunkt des „Psychologismus", wonach Erfahrungsseelenlehre die Grundlage aller Erkenntnis bildet.
§ 98. Nach Herbart sind die Dinge an sich nicht gänzlich unerkennbar. Die Philosophie muß zwar von dem tatsächlich Gegebenen, den E r scheinungen, der unbefangenen Weltansicht ausgehn, aber sie kann hierbei nicht stehen bleiben, weil die Begriffe der letzteren fehlerhaft sind. Sie muß versuchen, soweit möglich, zu der wahren Wirklichkeit, die der Erscheinung zugrunde liegt, vorzudringen, um dann — aus dem Sein den Schein erklärend — zum Gegebenen zurückzukehren. Sie ist B e a r b e i t u n g und Berichtigung d e r B e g r i f f e , welche die naive Weltansicht benutzt. Eine dreifache Bearbeitung ist erforderlich: eine l o g i s c h e (Verdeutlichung), der a l l e Begriffe unterzogen werden müssen; eine m e t a p h y s i s c h e , deren die „physischen" Begriffe bedürfen, bestehend in der Entfernung der Widersprüche, mit denen die Grundbegriffe unsrer Naturauffassung behaftet sind; dazu noch eine dritte in der praktischen Philosophie, welche die ä s t h e t i s c h e n oder Wertbegriffe des Schönen, Guten und Vollkommenen reinigt und präzisiert. So ergeben sich (außer der Logik) zwei voneinander unabhängige Teile der Philosophie: Metaphysik und Ästhetik. Die erstere, welche die Naturoder Erfahrungsbegriffe (Ding, Ursache usw.) denkbar zu machen hat, gliedert sich folgendermaßen: allgemeine Metaph.: Methodol., Ontol., Synechol., Eidolologie • I Naturphilos., Psychol., Religionslehre.
angewandte Metaph.:
1.
Metaphysik. § 99-
„ G e g e b e n " ist alles, was wir vorfinden, was uns aufgenötigt wird: nicht nur der Schein, sondern zugleich die Hindeutung auf ein Sein
METAPHYSIK
55
als Grund des Scheines (denn ohne Sein wäre kein Schein); nicht nur der rohe
S t o f f , sondern
auch
die
Form
der
Zusammenordnung
der
E m p f i n d u n g e n (denn hier findet ebenfalls ein Z w a n g s t a t t , wir können sie nicht beliebig ändern).
Sobald man über diese
Erkenntnisformen
reflektiert, stellen sie sich als widerspruchsvoll heraus. behrlich sind, können sie nicht a u f g e g e b e n ; spruchs
verlangt,
daß
der Widerspruch
D a sie unent-
da der S a t z des Wider-
gehoben
nicht in ihrer fehlerhaften F o r m festgehalten,
werde,
können
sie
sondern müssen umge-
dacht, durch E r g ä n z u n g berichtigt werden: die M e t a p h y s i k m u ß beiden, der L o g i k und der E r f a h r u n g zugleich entsprechen. dazu g e w ä h r t die M e t h o d e Ansichten.
der B e z i e h u n g e n
Die
oder der
Hilfsmittel zufälligen
(Eine gerade Linie k a n n als T a n g e n t e oder als
Radius
eines Kreises g e d a c h t werden, es ist ihr „ z u f ä l l i g " , ob m a n sie so oder so a u f f a ß t .
Derselbe T o n kann als Terz, als Quint a u f t r e t e n ,
ihm nicht wesentlich,
das eine oder andere zu sein.)
es ist
Es wird uns zu-
g e m u t e t , ein A einem B gleichzusetzen, dem es ungleich ist, e t w a Eines zugleich als Vieles zu denken.
Der Widerspruch verschwindet,
wenn
wir das A nicht als Eines, sondern vielfach setzen, aber so, d a ß die mehreren, in die wir A spalten, z u s a m m e n g e f a ß t werden.
V o n der Ver-
bindung des Vielen könnte g a n z wohl gelten, was v o n dem Einzelnen ungereimt wäre, nämlich daß es gleich B sei.
V o n dieser Methode er-
warten die v i e r G r u n d p r o b l e m e ihre Lösung.
§
i . Die
Inhärenz.
schaften zu.
Einheit des Dinges. schwer, h a r t .
Einem Dinge schreibt m a n verschiedene
Eigen-
Die Vielheit der E i g e n s c h a f t e n v e r t r ä g t sich nicht mit der Der Schnee ist weiß, k a l t , l o c k e r ; das Eisen grau,
Die E i g e n s c h a f t e n des Schnees sind einander f r e m d a r t i g :
m u ß das W e i ß e k a l t , das K a l t e locker sein?
Die E r f a h r u n g freilich ver-
k n ü p f t sie f e s t , aber sie kann nicht verhindern, d a ß der Begriff
des
Schnees auseinanderfalle in lauter Merkmale ohne Z u s a m m e n h a n g .
Die
S u b s t a n z , der wir die E i g e n s c h a f t e n beilegen, kann nicht w a h r g e n o m m e n werden.
A b e r angesichts der Urteile, die den Begriff jedes Dinges in
seine Merkmale zerlegen, entdecken wir, ohne welches sie gleichwohl
nicht
d a ß ihnen ihr S u b j e k t fehlt,
bestehen können.
Die
Forderung
dieses S u b j e k t s erzeugt den Begriff der S u b s t a n z , wir schieben die Einheit, den T r ä g e r der Merkmale unter. Der D i n g b e g r i f f m u ß umgearbeitet werden, so daß der Widerspruch ( v i e l e E i g e n s c h a f t e n e i n e s Gegenstandes) verschwindet. h a t verschiedene E i g e n s c h a f t e n , Qualität.
N i c h t ein Ding
sondern jedes nur eine
(unbekannte)
I n d e m aber das D i n g A mit den andern B C D
zusammen-
gerät, entspringt
der
Schein,
daß
dem
einen
Dinge
A
verschiedene
HERBART
56 Eigenschaften
ßyd
zukommen.
So
erscheint
der Schnee
im
Lichte
gesehen weiß, bei der Berührung mit der H a n d kalt. § 2. Die
Veränderung.
schiedene E i g e n s c h a f t e n , sein.
Man meint, ein D i n g habe sukzessive ohne deshalb aufzuhören,
ver-
dasselbe D i n g zu
D a s W a c h s war h a r t und wird unter der E i n w i r k u n g der W ä r m e
weich.
W i e k a n n etwas anders werden und dennoch dasselbe bleiben ?
Schon das gemeine D e n k e n n i m m t mit dem B e g r i f f e eine V e r v o l l s t ä n digung vor, sieht die Veränderung als „ W i r k u n g " einer „ U r s a c h e " an. A b e r die K o r r e k t u r ist u n g e n ü g e n d ; die drei möglichen F o r m e n K a u s a l i t ä t — äußere Werden —
oder innere Ursache
oder
ursachloses
bergen die härtesten Widersprüche in sich.
der
absolutes
Man
kommt
aus der Verlegenheit nicht anders heraus als durch die A n n a h m e , das w a h r h a f t W i r k l i c h e verändere sich gar nicht. es keine Ereignisse.
I m R e i c h e des Seins g i b t
Die L e u g n u n g der V e r ä n d e r u n g e n t h e b t uns jedoch
nicht der V e r p f l i c h t u n g , anzugeben, wie der Schein derselben zustande kommt.
W i r nehmen an, die einfache, unveränderliche
Qualität
des
einen Realen stehe zu der eines anderen im konträren Gegensatz, wie blau und v i o l e t t , und substituieren ihnen die A u s d r ü c k e a — b.
Lassen wir die zunächst isoliert gedachten
a + b
und
zusammentreten,
sich durchdringen, so werden die entgegengesetzten E l e m e n t e die Tendenz haben, sich aufzuheben.
A b e r die R e a l e n k o m m e n dem drohenden
Angriff zuvor, sie wehren sich und behaupten ihre Q u a l i t ä t . sollte erfolgen, S e l b s t e r h a l t u n g nicht e i n t r i t t " . schehens.
„Störung
hebt sie a u f , dergestalt, d a ß sie gar
Selbsterhaltung ist die einzig denkbare A r t des
Ge-
D e m n a c h wechseln in der T a t nur die Verhältnisse zwischen
den R e a l e n , im B e t r a c h t e r aber entsteht daraus der Schein wechselnder Eigenschaften der Dinge.
(Der T o n A h a t , wenn er m i t F zusammen-
k l i n g t , den C h a r a k t e r der T e r z , wenn mit D , den der Q u i n t ; er selbst bleibt derselbe, nur seine Beziehungen zu andern wechseln.)
A n sich
ist die Selbsterhaltung nichts als die ungestörte F o r t e x i s t e n z der Q u a l i t ä t , aber indem sich das Reale bald gegen diesen bald gegen jenen Störenfried verteidigt, erscheint sie als ein mannigfaltiges T u n .
(Teichmüller
hat Herbarts Realen treffend ein d u m m und s t u m m nur Seiendes genannt.) § i°2. (Das Sein.)
Schon der Begriff des Seins v e r b i e t e t , das Seiende als
veränderlich zu denken.
„ S e i n " bedeutet U n a b h ä n g i g k e i t des
Gegen-
standes sowohl v o n unserm Vorstellen als von andern Dingen, bedeutet unbedingte
S e t z u n g , die nicht z u r ü c k g e n o m m e n wird (Setzung nicht
im F i c h t e s c h e n
Sinne des S c h a f f e n s ,
sondern der A n e r k e n n u n g
eines
57
METAPHYSIK
für sich Bestehenden).
Sein kann nicht g e d a c h t werden ohne ein W a s ,
welches i s t ; das W a s und das Sein sind die beiden (nur in
Gedanken,
nicht in W i r k l i c h k e i t trennbaren) Seiten des Seienden oder Realen.
Wie
ist das Quäle zu denken, damit es die absolute Position ertrage ?
Es
m u ß schlechthin a f f i r m a t i v (ohne N e g a t i o n oder Beschränkung), e i n f a c h (ohne Vielheit und innere Gegensätze,
ohne Beziehung zu e t w a s
Ä u ß e r e m ) und q u a n t i t ä t s l o s (punktuell, nicht teilbar, nicht ausgedehnt, räum- und zeitlos) sein, und solcher R e a l e n gibt es — wegen der Mannigfaltigkeit des Scheines — u n b e s t i m m t v i e l e .
Dagegen sind R a u m und
Zeit nicht zu negieren von den Verhältnissen zwischen mehreren R e a l e n , die dem außenstehenden Beobachter erscheinen.
§ i°33. Die Materie. gedehnten.
Wie
E s g i b t keinen Ü b e r g a n g v o m E i n f a c h e n zum A u s kann aus raumlosen
Rea,len R ä u m l i c h e s
D a s eigentliche Problem liegt im S t e t i g e n Unendliche.
Wie
kann
ein
endliches
entstehen ?
mit seiner Teilbarkeit ins
Quantum
einer
unendlichen
S u m m e von Teilen gleich s e i n ? — H e r b a r t legt dem s u b j e k t i v e n R a u m unsrer A n s c h a u u n g einen i n t e l l i g i b l e n
Raum zugrunde,
der
jenem
entspricht, nur d a ß er nicht stetig i s t ; seine Dimensionen sind diskrete oder starre, d. h. aus einer endlichen S u m m e von P u n k t e n zusammengesetzte Linien.
Z u r E r k l ä r u n g des Scheines der A u s d e h n u n g statuiert
H . zwischen völligem kommenes
Ineinander und völliger T r e n n u n g ein
Zusammen,
Seine Naturphilosophie
eine
sieht
teilweise
Durchdringung
der
in der Materie nicht bloß träge
unvollRealen. Masse,
sondern l ä ß t das äußere Geschehen ( L a g e , G e s t a l t u n g , B e w e g u n g ) v o n den inneren Z u s t ä n d e n der Elemente
abhängen.
§ i°44. Das Ich.
Hier kehren die Probleme der Inhärenz und der Ver-
änderung wieder, und dazu gesellen sich neue spezielle
Widersprüche.
D a s Ich beansprucht das sich Wissende, also I d e n t i t ä t von S u b j e k t und O b j e k t zu sein; aber das S u b j e k t bedeutet das Gegenteil des O b j e k t s , das N i c h t o b j e k t ; daher k a n n auch im Selbstbewußtsein das Wissende nicht einerlei mit dem G e w u ß t e n sein. „ I c h " h e i ß t : das.sich Vorstellende. Dieser Gedanke ist u n v o l l e n d b a r : in dem „ s i c h " s t e c k t abermals
das
Ich, das s i c h V o r s t e l l e n d e ; wir geraten in eine unendliche Reihe v o n sich denkendem D e n k e n .
L ö s u n g : Im Selbstbewußtsein ist das Vorstellende
und das Vorgestellte durchaus nicht identisch, sondern die eine Vorstellungsreihe ist das w i s s e n d e , eine andere das g e w u ß t e I c h ; diese wird von jener „ a p p e r z i p i e r t " .
D a s Ich ist der D u r c h s c h n i t t s p u n k t sich kreu-
zender Vorstellungsreihen, von denen die eine das B e w u ß t s e i n a u s ü b t ,
5«
HERBART
die andere es erleidet. zu erklären.
N o c h ist der Schein eines beharrlichen Ichsubjekts
W i r unterscheiden jenen K r e u z u n g s p u n k t mehrerer Reihen
v o n diesen Reihen selbst und vermögen v o n jeder b e s t i m m t e n Vorstellungsreihe, die das jeweilige O b j e k t des Selbstbewußtseins bildet, abzusehen.
D a d u r c h lassen wir uns zu dem G l a u b e n verleiten
wir könnten
von a l l e n V o r s t e l l u n g e n ü b e r h a u p t absehen und behielten dann das reine Ich übrig. 2. P s y c h o l o g i e . § 105. Psychologie ist
die Lehre von den inneren Z u s t ä n d e n der
Seele,
bei denen es Verschiedenheiten der S t ä r k e , des H e m m u n g s g r a d e s und der V e r b i n d u n g g i b t .
Gegeben sind Vorstellungen und G e m ü t s z u s t ä n d e ,
sie sind zu erklären aus dem Seele;
daraus
sinkende,
ergeben
steigende,
sich
Gegensatze der Vorstellungen in E i n e r
Bewegungen
apperzipierende
und
der
Vorstellungen,
reproduzierte
nämlich
Vorstellungen.
H e r b a r t b e k ä m p f t die Theorie v o n den Seelenvermögen (Wille, V e r s t a n d , P h a n t a s i e sind A b s t r a k t i o n e n , die nichts erklären) und will alle seelischen Vorgänge
aus
der
Wechselwirkung
A b g e s e h e n v o n den E m p f i n d u n g e n ,
der
Vorstellungen
den ursprünglichen
ableiten.
Vorstellungen,
entspringen alle inneren Erscheinungen aus dem mechanischen der Vorstellungen,
die,
einmal entstanden,
in der
Seele
auch nachdem sie unter die Schwelle des B e w u ß t s e i n s sind.
Man h a t zu unterscheiden V e r s c h m e l z u n g
Getriebe
fortdauern,
hinabgesunken
der
gleichartigen
(Anblick und Gedächtnisbild eines Hauses), V e r k n ü p f u n g der gleichzeitigen disparaten (gelb und hart), H e m m u n g
der
entgegengesetzten
(gelb und rot) Vorstellungen.
Die H e m m u n g besteht in der V e r d r ä n g u n g
einer
Bewußtsein,
Vorstellung
aus
dem
der
Verwandlung
derselben
in ein bloßes Streben und l ä ß t sich der m a t h e m a t i s c h e n R e c h n u n g unterwerfen. stellen.
F ü h l e n und W o l l e n sind nichts Selbständiges neben dem V o r G e f ü h l ist
das
Eingeklemmtsein
einer Vorstellung
zwischen
andern, Begehren ihr Steigen gegen Hindernisse. 3. P r a k t i s c h e
Philosophie.
§ 106. D e r Grundbegriff der Sittenlehre ist nicht die P f l i c h t .
D e n n woher
erlangt der gebietende Wille (sei es S t a a t oder K i r c h e oder die eigne V e r n u n f t ) seine A u t o r i t ä t ?
welches ist das B a n d
der N ö t i g u n g ,
a u c h da noch R e s p e k t fordert, wo die G e w a l t f e h l t ? fehlen,
vor allem Sollen m u ß dasjenige feststehen,
V o r allem was dem
das Be-
Gebote
seine W ü r d e , dem Gehorsam seine A c h t b a r k e i t , der T u g e n d ihren R u h m , der P f l i c h t ihre Verbindlichkeit erteilt und den V o r w u r f des Despotismus
PRAKTISCHE
und der K n e c h t s c h a f t a b w e h r t .
PHILOSOPHIE
59
D e n T a t e n und den Gesinnungen k o m m t
ihr W e r t oder U n w e r t ursprünglich aus einem willenlosen oder
Vorziehen
Verwerfen.
Die
P f l i c h t entspringt
aus
den
„praktischen
Ideen",
deren
jede
durch ein ä s t h e t i s c h e s U r t e i l 1 g e f u n d e n wird, das nicht v o m Willen ausgeht, sondern über ihn ergeht.
Sie sind Vorbilder des Willens, dem
sie L o b oder Tadel weissagen, je n a c h d e m er sich so oder anders wenden werde.
E r s t aus ihrer Vereinigung l ä ß t sich das Ideal der T u g e n d und
der Begriff der P f l i c h t ableiten. Solcher praktischen Ideen oder Musterbegriffe g i b t es 5 resp. Dem
Einzelnen gelten die ursprünglichen
Ideen, der
10.
Gesellschaft
die
abgeleiteten. Ursprüngliche:
Abgeleitete:
Innere Freiheit (der Einsicht g e m ä ß , beharrlich und konsequent handeln)
Beseelte
V o l l k o m m e n h e i t (Stärke, T a p f e r k e i t )
Gesellschaft,
Kultursystem,
Wohlwollen ( G ü t e , Milde)
Verwaltungssystem,
R e c h t (Verhütung und Schlichtung des Streites)
Rechtsgesellschaft,
Billigkeit (Vergeltung: J.ohn und Strafe)
. . . Lohnsystem.
§ 107. Güter-, Pflichten- und Tugendlehre können nicht aufeinander reduziert werden und setzen als gemeinsamen Grund die Ideenlehre v o r a u s . Zur T u g e n d
gehören alle fünf ursprünglichen Ideen, inwiefern sie die
Gesinnung einer Person z u s a m m e n g e n o m m e n bezeichnen.
Man
die T u g e n d handelnd, so ergibt sich der Begriff der P f l i c h t .
Die W e r k e ,
die solches Handeln vollbringt, heißen s i t t l i c h e
denke
Güter.
D e r V e r p f l i c h t e t e erscheint allemal als untergeordnet einem H ö h e r e n ; daher S t a a t und K i r c h e uns an unsre P f l i c h t e n mahnen.
Inwiefern aber
der Mensch den A n s p r u c h m a c h t , durch eigne Z u s t i m m u n g jene M a h n u n g erst anzuerkennen,
erscheint er als sein eigner Gebieter.
Fortwährend
erzeugt der moralische Mensch aus dem T a d e l des M a n g e l h a f t e n in seinem T u n eine neue Stärke des Entschlusses, es besser zu m a c h e n ; und wiederum leistet die so gewonnene K r a f t niemals v o l l s t ä n d i g , was sie sollte.
Das
1 D i e j e n i g e A r t v o n Urteilen, die das P r ä d i k a t der V o r z ü g l i c h k e i t oder Verw e r f l i c h k e i t unmittelbar und unwillkürlich, also ohne Beweis und ohne Vorliebe oder A b n e i g u n g , den Gegenständen beilegt, h e i ß t ä s t h e t i s c h e s Urteil. W e n n sich a u s den ersten willenlosen W e r t b e s t i m m u n g e n , die u n m i t t e l b a r in dem G e d a n k e n irgend eines möglichen W o l l e n s entstehen, ein wirklicher V o r s a t z erzeugt h a t , fernerhin keiner unlöblichen Willensregung R a u m zu lassen: alsdann geben die nunmehr folgenden Begierden und H a n d l u n g e n A n l a ß , sie m i t jenem V o r s a t z zu v e r gleichen. Indem sie ihm nun mehr oder weniger angemessen g e f u n d e n werden, entsteht ein m o r a l i s c h e s Urteil.
6o
SCHOPENHAUER
Urteil ist kein Wille und kann nicht gebieten.
A b e r sein T a d e l wird
v e r n o m m e n , bis vielleicht, den Willen ihm g e m ä ß zu ändern, ein neuer Wille sich entschließt.
Dieser E n t s c h l u ß ist G e b o t , und der veränderte
Wille erscheint als gehorchend; beides z u s a m m e n als Selbstgesetzgebung.
Siebentes
Kapitel.
Arthur Schopenhauer (1788—1860). 1813. Über die vierfache W u r z e l des Satzes v o m zureichenden Grunde (Jenenser Doktordissertation). 1816. Über das Sehen und die F a r b e n (lateinisch 1829). 1819. H a u p t w e r k : Die W e l t als Wille und Vorstellung (2. A u f l . 1844). 1836. Über den Willen in der N a t u r . 1841. D i e beiden Grundprobleme der E t h i k , zwei Preisschriften: 1. Über die Freiheit des menschlichen Willens. 2. Über das F u n d a m e n t der Moral. 1851. Parerga und Paralipomena. ED. GRISEBACH h a t bei R e c l a m die W e r k e in 6 und den N a c h l a ß in 4 Banden herausgegeben. HERTSLETS Schopenhauerregister 1890 zitiert nach der FRAUENSTÄDTSchen A u s g a b e . Die neue DEUSSENSche A u s g a b e erscheint seit 1912 bei Piper in München. K . FISCHER, 8. (9.) B a n d . JOH. VOLKELT, (10. B a n d von F r o m m a n n s Klassikern der Philosophie) 1900, 3. A u f l . 1907. RICH. FALCKENBERG, A r t i k e l „ G e n i e " in REINS E n z y k l o p ä d i s c h e m H a n d b u c h der P ä d a g o g i k 1896, 2. A u f l . 1903—09 ( I I I , 327). R.LEHMANN, Schop. in den „ G r o ß e n D e n k e r n " 1 9 1 1 .
1. D i e W e l t a l s V o r s t e l l u n g §
Das
philosophische
(Erkenntnislehre).
108.
Urproblem
ist
die
Frage,
E r k e n n t n i s o b j e k t i v und was darin s u b j e k t i v sei. zuerst ergriffen von der W a h r h e i t ,
was
ist.
Seitdem
ist
das
unserer
daß wir z u n ä c h s t auf unser eigenes
B e w u ß t s e i n beschränkt sind und die W e l t uns allein als gegeben
in
Descartes wurde
Hauptbestreben
der
Vorstellung
Philosophen,
I d e a l e (das, was unserer E r k e n n t n i s allein angehört) v o n dem (dem u n a b h ä n g i g v o n ihr Vorhandenen) rein zu sondern.
das
Realen
Kant
hat
den S c h n i t t richtig g e f ü h r t : R a u m , Zeit und K a u s a l i t ä t liegen vor aller E r f a h r u n g in uns und gehören daher z u m s u b j e k t i v e n Anteil der Erkenntnis ; das D i n g a n sich aber bleibt als ein völlig U n b e k a n n t e s stehen. Der
cartesianische
Satz
cogito
ergo sum
und
der
Schopenhauer sehe
„ d i e W e l t ist meine V o r s t e l l u n g " drücken dasselbe v o n zwei Seiten a u s ; sie unterscheiden sich nur insofern, Subjekts,
als jener die U n m i t t e l b a r k e i t
dieser die Mittelbarkeit des O b j e k t s hervorhebt.
gestellte D i n g und die Vorstellung von ihm ist dasselbe:
Das Die
des vor-
Bilder
DIE
WELT
ALS
61
VORSTELLUNG
der Dinge allein sind das uns unmittelbar
Bekannte,
das
Gegebene.
D a s theoretische B e w u ß t s e i n zerfällt notwendig in S u b j e k t u n d jekt,
beides ist miteinander
gegeben; Objektivsein
heißt von
Obeinem
S u b j e k t vorgestellt werden, S u b j e k t i v s e i n bedeutet ein O b j e k t
haben.
§ 109V o n K a n t s K a t e g o r i e n behält Sch. nur die der Ursache
bei (die
a n d e r n elf sind blinde Fenster), sieht jedoch in ihr eine A n s c h a u u n g , nicht einen
Begriff,
und
f a ß t sie mit R a u m
einzigen P r i n z i p z u s a m m e n : alles Apriori,
der S a t z
vom
und
Zeit unter
der gemeinschaftliche A u s d r u c k der Gesetze unseres Er-
kenntnisvermögens, die allgemeine F o r m des O b j e k t i v s e i n s , daß
alle
einem
G r u n d e ist der Inbegriff
Objekte
in
gesetzmäßiger
Verbindung
und besagt,
miteinander
jegliches nur vermöge eines andern, mithin relativ ist.
stehen,
E r modifiziert
sich je nach dem Gebiete, auf das er a n g e w a n d t wird, und h a t so viele Gestaltungen, als es E r k e n n t n i s k r ä f t e gibt (reine Sinnlichkeit, V e r s t a n d , innerer
Sinn
Talionis
essendi,
oder
Selbstbewußtsein,
jiendi.
agendi,
§ 1. Seinsgrund:
Raum
V e r n u n f t ) , also v i e r :
und
"oZ e i t haben die B e s c h a f f e n h e i t ,
alle ihre Teile in einem Verhältnis (der L a g e , der Folge) stehen,
in H i n s i c h t auf
principium
cognoscendi.
daß
zueinander
welches jeder derselben durch einen
andern
b e s t i m m t und bedingt ist. 2. Grund schließlich
des
auf
Werdens:
Gesetz der K a u s a l i t ä t ,
Veränderungen
bezieht.
Wenn
eines oder mehrerer realer O b j e k t e eintritt, so m u ß vorhergegangen sein,
aus-
Zustand
ihm ein
andrer
auf den der neue regelmäßig, d. h. allemal, so
o f t der erstere d a i s t , folgt. Korollarien:
das sich
ein neuer
A u s dem K a u s a l g e s e t z ergeben sich zwei
das Gesetz der T r ä g h e i t (wonach jeder Z u s t a n d , es sei R u h e
oder B e w e g u n g , so lange unverändert fortdauert, bis eine äußere Ursache ihn verändert) und das der Beharrlichkeit
der S u b s t a n z (der
Träger
der wechselnden Z u s t ä n d e , die Materie, ist allem E n t s t e h e n und V e r gehen entnommen). die
Gleich der
N a t u r k r ä f t e — das,
allererst
erteilt, — v o n
was der
den
S u b s t a n z oder Materie bleiben Ursachen
endlosen
Kette
die F ä h i g k e i t der
Ursachen
zu
auch
wirken
und
Wir-
kungen unberührt. , — Die K a u s a l i t ä t t r i t t in der N a t u r unter drei verschiedenen F o r m e n a u f : im unorganischen Reiche erfolgt das Geschehen auf „ U r s a c h e n " im engsten Sinn, im Pflanzenleben auf „ R e i z e " , im Tierreiche auf „ M o t i v e " . Die E i n w i r k u n g des Motivs b r a u c h t nur m o m e n t a n zu sein, der R e i z bedarf einer gewissen D a u e r .
D o c h bezeichnen diese
drei Stufen nur G r a d e der E m p f ä n g l i c h k e i t der wirkenden Wesen.
62
SCHOPENHAUER
3. Grund des Handelns: Gesetz der M o t i v a t i o n , der durch das Erkennen hindurchgehenden Kausalität. Der Intellekt ist das Medium der Motive. Der Mensch kann die einander ausschließenden Motive gegeneinander abwägen, er handelt mit Überlegung, nach Plänen und Maximen; allein dadurch verliert das Gesetz der Kausalität nichts an seiner Sicherheit und Strenge: das stärkere Motiv bestimmt ihn und sein Tun erfolgt mit eben der Notwendigkeit, wie das Rollen der gestoßenen Kugel. — Die Motivation ist die Kausalität von innen gesehen. Hier sind wir nicht mehr äußere Zuschauer, der Kausalvorgang spielt sich in uns selbst ab und sein Inneres wird uns verständlich als ein durch eine Vorstellung hervorgerufener Willensakt. 4. Erkenntnisgrund: Der anschauende „ V e r s t a n d " , der mittels der Form der Kausalität aus dem Stoff der Empfindungen die objektive Körperweit aufbaut, kommt auch dem Tiere zu. Die bloß rezeptive, weibliche „ V e r n u n f t " , das Vermögen der Reflexion oder der a b s t r a k t e n B e g r i f f e , (mit ihr die Sprache und das Lachen) hat der Mensch vor ihm voraus. Denken ist Urteilen. Soll ein Urteil eine Erkenntnis ausdrücken, muß es einen zureichenden Grund haben. Dieser Grund kann sein ein andres Urteil, die Erfahrung, eine der apriorischen Erkenntnisformen oder eines der vier Denkgesetze; wonach man logische, empirische, transzendentale und metalogische Wahrheit zu unterscheiden hat. Rückblick: wendig.
Objekt = Vorstellung = Folge
2. D i e W e l t a l s W i l l e
eines
Grundes = not-
(Metaphysik).
§ inDie Welt ist Erscheinung, Vorstellung. Zum Ding an sich gelangen wir nicht auf dem Wege der Vorstellung, sondern müssen dazu einen ganz anderen, durch das Innere der Dinge führenden Weg einschlagen, der uns gleichsam durch Verrat die Festung öffnet. Der Verräter ist das Selbstbewußtsein. Unser Leib ist uns nicht nur von außen als Objekt gegeben, sondern außerdem von Innen — als W i l l e . Der Leib, von innen gesehen, ist Wille. Zwischen dem Willensakt und der Leibesaktion ist gar kein Kausalzusammenhang, sondern beide sind unmittelbar Eins und Dasselbe, welches doppelt wahrgenommen wird, im innern Sinn und in der äußern, räumlichen Anschauung. Wenn wir uns selbst als wollend erblicken, so erfassen wir damit unser wahres Wesen. Und wie der Wille das Ansich des Menschen, so ist er das Ansich der Welt, das metaphysische Substrat der gesamten Erscheinung. Was in Wolken, Bach und Kristall erscheint, ist der schwächste Nachhall jenes Willens, der vollendeter in den Organismen, am vollendetsten
DIE
WELT
ALS
WILLE
DIE
KUNST
63
im Menschen hervortritt. Die Natur ist die Sichtbarkeit des Willens zum Leben; die Erkenntnis nebst dem Bewußtsein kommt nur als ein Sekundäres auf den höheren Stufen hinzu. Der Wille ist das Gemeinsame in den Wesen, ihre Verschiedenheit gründet sich auf den Grad des Bewußtseins. Das subjektive Dasein der Pflanze müssen wir uns denken als ein schwaches Analogon von Behagen und Unbehagen, noch dumpfer da,s Innenleben des unorganischen Körpers; das Tier hat bereits eine Wahrnehmung seiner nächsten Umgebung. Die Steigerung der Intelligenz in der aufsteigenden Tierreihe ist eine fortschreitende Ablösung des Intellekts vom Willen, die vollkommen im Genie eintritt. Jenes innere Wesen, das sich in den Erscheinungen manifestiert, könnte auch als K r a f t , Trieb, Streben bezeichnet werden. Wir ziehen es vor, das universelle Grundwesen nach d e r Erscheinung, in der es sich am unverschleiertsten zu erkennen gibt, den Willen zu nennen. Die wesentlichen Eigenschaften des Weltwillens sind Einheit und Freiheit; Vielheit und Notwendigkeit kommt nur der Erscheinung zu. Von Raum, Zeit Und Kausalität als bloßen Formen unsrer Erkenntnis wird der Wille nicht berührt. Da der Satz vom Grunde für ihn nicht gilt, ist er ursachlos: das Wirken und Tun der Dinge ist notwendig, ihr Sein und Wesen frei. Und da es allein Raum und Zeit sind, wodurch das dem Wesen nach Gleiche und Eine dennoch als verschieden, als Vielheit neben- und nacheinander erscheint, so ist der Wille, dem das principium individuationis nichts anhaben kann, einfach, unteilbar und allgegenwärtig. 3. D i e I d e e n und die K u n s t ( Ä s t h e t i k ) . § naDie objektive Voraussetzung der Kunst bilden die (platonischen) Ideen, die subjektive die Befreiung des Intellekts von der Herrschaft des Willens (dessen bloßes Werkzeug er ursprünglich ist) und seine Erhöhung zum reinen Subjekt des Erkennens, zur begierdefreien Betrachtung. Solange der Verstand der Knecht des Willens zum Leben bleibt, sieht er an den Dingen nur das, was sie für den Begehrenden bedeuten; seine Betrachtung ist subjektiv und interessiert. Auf dieser niederen Stufe verharrt, wie das Tier, so der Durchschnittsmensch; auf ihr bewegen sich auch die Einzelwissenschaften mit ihrem Forschen nach den kausalen Verhältnissen der Dinge. Es gibt aber auch eine höhere, rein objektive Erkenntnisart, die des Künstlers und des Philosophen. Sein Blick sieht durch das Gewebe der Relationen die reine Form, das bleibende Wesen der Dinge hindurchscheinen; das Individuum repräsentiert ihm die Gattung. Diese ewigen Gattungstypen, die
64
SCHOPENHAUER
Objektivationsstufen des Willens, nennt Schopenhauer Ideen; sie sind ihm die Gegenstände der Kunst. In dem beglückenden Zustande der Kontemplation vergißt der Mensch sich selbst, geht ganz im Angeschauten auf; der Wille schweigt, damit ist auch die Individualität und alle Möglichkeit des Leidens aufgehoben. Die in einem Überschusse des Intellekts bestehende Anlage zum Vorwalten dieses Zustandes ist das Genie. •— Abgesondert von den anderen Künsten, deren Thema die I d e e n bilden (Dichtkunst: Idee der Menschheit, Baukunst: Kampf zwischen Schwere und Starrheit usw.), steht die M u s i k , deren viel mächtigere Wirkung sich daraus erklärt, daß sie nicht Ideen, typische Erscheinungsweisen des Willens, sondern den W i l l e n s e l b s t , sein Streben und seine Befriedigung, das Ebben und Fluten des menschlichen Herzens, darstellt. In der Skulptur sind Schönheit und Grazie die Hauptsache; in der Malerei erhalten Ausdruck, Leidenschaft, Charakter das Übergewicht.
4. D i e V e r n e i n u n g d e s W i l l e n s §
IJ
(Ethik).
3-
Der künstlerische Genuß bedeutet nur eine kurze Feierstunde, eine nur momentane Losmachung des Intellekts von der Dienstbarkeit unter dem Willen; das heilige Leben eine völlige Ertötung des Wollens. Die Sittlichkeit beruht auf der doppelten Überzeugung, daß die Welt durch und durch schlecht und daß das Einzeldasein nichtig, die Individuen Erscheinungen Eines Wesens seien. 1. Das Leben ist ein stetes Leiden, ein Geschäft, dessen Ertrag die Kosten nicht deckt. Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustande; keine Befriedigung aber ist dauernd, der Besitz des Gewünschten nimmt den Reiz weg. In gleichem Maße, wie sich die Intelligenz steigert, wächst auch die Qual. Die letzten Bestandteile unsres Lebens sind Schmerz und Langeweile. 2. Echte Tugend muß aus der intuitiven Einsicht entspringen, die im fremden Individuum dasselbe Wesen erkennt wie im eigenen. Alle Liebe ist M i t l e i d . Ist die Durchschauung des principii individuationis in geringerem oder höherem Grade die Bedingung der Gerechtigkeit und der Güte, so führt sie, wenn sie in voller K r a f t eintritt, die V e r n e i n u n g des Willens zum Leben herbei, die Resignation, die Heiligung und Erlösung. Der Eintritt solcher „Wiedergeburt" ist die einzige unmittelbare Äußerung der Freiheit des Willens.
STRAUSS
UND
FEUERBACH
65
Achtes Kapitel. Die Hegeische Linke: Fr. Strauß und L. Feuerbach. § 114Das erste Hauptwerk F r i e d r i c h S t r a u ß ' 1835 gab das Signal zu einer Spaltung der Hegeischen Schule. Der Streit drehte sich um das Verhältnis von Religion und Philosophie, welches Hegel dahin bestimmt hatte, daß der Unterschied zwischen beiden nur die Form betreffe: die Religion besitzt den gemeinsamen Inhalt in Gestalt der Vorstellung, die Philosophie in Gestalt des Begriffs (vgl. § 82 und 95). Das Übergehen der niederen in die höhere Stufe aber hatte er als ein Aufgehoben-, d. h. zugleich Konserviert- und Negiertwerden bezeichnet. Die konservativ-orthodoxe R e c h t e der Schule hielt sich an das Aufbewahrtbleiben, die radikale, fortschrittliche L i n k e an das Zerstörtwerden des Dogmas bei seiner Umsetzung in spekulative Wahrheit. Man stritt über die Unsterblichkeit des Menschen, die Gottmenschheit Christi und die Persönlichkeit Gottes. Die Unsterblichkeitsfrage war zuerst verhandelt worden, die zweite und dritte wurden durch die beiden berühmten Werke von D. Friedrich Strauß (1808—74) in den Vordergrund gerückt: das Leben Jesu 1 8 3 5 — 3 6 , die christliche Glaubenslehre 1 8 4 0 — 4 1 . Über Strauß ED. ZELLER MAIER
(An
der
Grenze
der
1874,
KUNO FISCHER 1 9 0 8 , T H . Z I E G L E R 1 9 0 8 ,
Philosophie)
HEINR.
1909.
§ "5Die evangelischen Berichte sind vorwiegend Mythen. Das Geschichtliche an ihnen ist nur die Einkleidung von Gedanken, die sich die Menschen über das Übersinnliche gemacht haben. Ihr Dichter ist der Geist der Gemeinde. Die mythische Erklärungsweise opfert die historische „ W i r k l i c h k e i t " des Erzählten, um dessen spekulative „ W a h r h e i t " festzuhalten. Der Gottmensch ist die Menschheit, als die Vereinigung beider Naturen, des Unendlichen und des Endlichen. Glauben und Wissen sind unverträglich: um Philosoph zu werden, muß man den Standpunkt des Glaubens verlassen, den D u a l i s m u s der Religion ablegen und sich zur Immanenz erheben. Das Ziel der Philosophie ist die Eliminierung des J e n s e i t s . Gott ist das Unendliche, das sich im Endlichen betätigt, die sittliche Weltordnung; seine Eigenschaften sind die Naturgesetze. § n6. Nach L u d w i g F e u e r b a c h (1804—72) ist die Religion ein Geschöpf der menschlichen Phantasie. Der Grund unsres Glaubens an göttFalckenberg,
Hilfsbuch.
3. A u f l .
5
66
FECHNER
liehe Mächte ist der U m s t a n d , daß wir nicht alles können, was wir m ö c h t e n ; der Z w e c k der Religion, diesen Widerspruch zwischen W ü n s c h e n Erreichen
aufzuheben.
Wir
erdenken
uns
höhere,
und
menschenähnliche
W e s e n , die alles können, was sie wollen, und erflehen ihren B e i s t a n d : die G ö t t e r sind K i n d e r unsrer W ü n s c h e , personifizierte I d e a l e .
Die
spätere Religion sieht in der früheren Götzendienst, sie erkennt,
daß
diese e t w a s Menschliches als G o t t v e r e h r t e ; der Philosoph
daß
weiß,
a u c h die höchste Religion den Fehler begeht, das menschliche ins A b s o l u t e zu erhöhen.
Wesen
W i e sich der Dichter heute nicht mehr an
die Musen w e n d e t , wie m a n sich im Falle der K r a n k h e i t nicht mehr auf die W i r k u n g des Gebetes v e r l ä ß t , sondern den A r z t zu Hilfe r u f t , so wird m a n sich m i t der Zeit entwöhnen, die Sittengesetze als Gebote Gottes zu b e t r a c h t e n .
An die Stelle des Glaubens an G o t t wird der Glaube an
uns selbst treten.
Der Mensch wird immer Ideale haben, aber er wird
sie nicht mehr als göttliche Personen a n b e t e n , sondern an ihrer
Ver-
wirklichung arbeiten. FRIEDR. JODL, L . Feuerbach ( 1 7 . B a n d v o n F r o m m a n n s Klassikern der Philos.) 1904. Feuerbachs W e r k e sind 1846—66 erschienen. E i n e Neuausgabe, ebenfalls in 10 B ä n d e n , h a b e n W . BOLIN und JODL besorgt, S t u t t g a r t 1903 f. D a s Wesen des Christentums 1841 und D a s W e s e n der Religion 1845 ist in Kröners Volksausg a b e , ersteres a u c h bei R e c l a m ers'bienen
Neuntes
Kapitel.
Theodor Fechner und Hermann Lotze. G. T h e o d o r F e c h n e r 1836. 1848. 1851. 1855.
(1801—87).
Büchlein v o m Leben nach dem T o d s , 7. A u t l . N a n n a , 4. A u f l . 1908. Z e n d a v e s t a , 3. A u f l . 1906. Atomenlehre.
191T.
1860. E l e m e n t e der P s y c h o p h y s i k , 3. A u f l . 1907. 1861. Über die Sec'lcnfrags, 2. A u f l . 1907. 1863. D i e drei Motive und Gründe des G l a u b e n s , 2. A u f l . 1910. 1876. Vorschule der Ä s t h e t i k , 2. A u f l . 1897—98. 1879. D i e T a g e s a n s i c h t gegenüber der N a c h t a n s i e h t . Über F . siehe LASSWITZ, erster B a n d v o n „ F r o m m a n n s Klassikern der Philos o p h i e " 1 , S t u t t g a r t 1896, 2. A u f l . 1902. 1 V o n dieser S a m m l u n g sind bis j e t z t z w a n z i g H e f t e erschienen: Fechner, H o b b e s (von TÖNNIES), K i e r k e g a a r d , Rousseau (beide v o n HÖFFDING), Spencer ( v o n GAUPP), Nietzsche, K a n t , Aristoteles (von SIEBECK), Piaton (von WINDELBAND), Schopenhauer, Carlyle (von HENSEL), L o t z e 1, W u n d t , Mill (von SAENGER), Goethe, die S t o a (von BARTH), Feuerbach, Descartes (von A . HOFFMANN), Lessing, E d . v . Hartmann.
67
FECHNER
§
" 7 -
Th. Fechner, berühmt als Begründer der Psychophysik und verdienstvoll durch seine Beiträge zur empirischen Ästhetik, hat auch als idealistischer-Metaphysiker Bedeutung. Nach der herrschenden Ansicht sind Licht und Klang nichts als tote Schwingungen materieller Elemente, nichts als blinde, stumme Wellenbewegungen des Äthers und der L u f t , die sich erst dann, wenn sie an einen bestimmten Punkt unsres Gehirns anlangen, wie durch Zauberschlag in die Empfindungen des Leuchtens und Tönens verwandeln. Die Sonne scheint nur zu scheinen, in Wahrheit ist sie ein finstrer, im Finstern seinen Weg suchender Ball. Die Geigen und Flöten schenken uns nicht ihren Ton, sondern empfangen ihn von uns. In dieser Überzeugung, daß es eine Täuschung sei, Licht, Farbe und Ton für etwas Wirkliches außer uns zu halten, stimmen die entgegengesetzten Richtungen völlig miteinander überein: der Idealist mit dem Materialisten, der Philosoph mit dem Physiker und beide mit dem Orthodoxen. Und eben weil sie behauptet, daß alles um den Menschen herum Nacht und Stille sei, nennt sie Fechner die N a c h t a n s i c h t . Ihre Wurzel liegt im Christentum, das der polytheistischen Vermischung von Gott und Natur eine ebenso verkehrte Trennung beider entgegengestellt hat. Theologie und Naturwissenschaft, sonst so wenig befreundet, haben hierin das gleiche Ziel verfolgt: jene hat die Natur aus Gott, diese Gott aus der Natur völlig ausgeschieden. Sollte sich nicht beides, die christliche Lehre von der Einheit Gottes und die heidnische von der Gottbeseelung der Natur, zur Eintracht miteinander aufheben lassen? Die T a g e s a n s i c h t fügt die beiden (halben) Weltansichten zu einer höheren Einheit zusammen. Sie unterscheidet in Gott zwei Regionen: die niedere ist die von Gott beseelte kreatürliche Welt, die höhere ist das, was Gott vor der Welt voraus hat. Gott ist sowohl in als über den Dingen. E r kennt alle unsere Gedanken, auch unsere Irrtümer, ohne sie zu teilen. E r sieht alles Sichtbare und hört alles Hörbare, und wie er die Dinge sieht, so sehen sie wirklich aus. Er sieht mit dem Lichte und hört mit dem Schalle seiner Welt alles, was in ihr geschieht. Sein Geist ist das allgegenwärtige Subjekt, dessen die Schwingungen bedürfen, um als Leuchten und Klingen empfunden zu werden. § n8. Die Tagesansicht stützt sich auf drei feste Grundpunkte: 1. Objektivität der Empfindung (die sinnliche Erscheinung reicht über die empfindenden Einzelsubjekte hinaus); 2. Beseelung der Pflanzen und der Gestirne (ein Stufenbau geistigen Lebens, gipfelnd in dem einheit5*
68
FECHNER
liehen Bewußtsein Gottes); 3. der menschliche Geist steht zum göttlichen im Verhältnis der Ein- und Unterordnung, wir sind Teilvresen Gottes, sind wissende und wirkende, aber dem höheren Wissen und Wirken untergeordnete Momente in Gott. Das Jenseits ist eine E r weiterung und Steigerung des diesseits schon in Gott geführten Lebens: was hier eng und dunkel ist, wird dort weit und hell sein.
§ ii9E s ist Aberglaube, die animalische Beseelung, zu der Nerven und Hirn unentbehrlich sind, für die einzig mögliche zu halten. Wie dem Tier das Denken, so fehlt der Pflanze Erinnerung und Vorblick, aber sie hat Empfindung und Trieb. Auch über sich hat der Mensch umfassendere Geister, Zwischenstufen zwischen ihm und Gott. Die E r d e ist, wenngleich ohne Lunge und Gehirn, ein beseelter Organismus, denn eine tote Mutter kann keine lebendigen Kinder gebären. Unser Bewußtsein ist ein Teil des Erdbewußtseins, das aus dem göttlichen Bewußtsein einen besonderen Kreis herausschneidet. — Körper und Geist sind nicht verschiedene Substanzen, sondern nur z w e i E r s c h e i n u n g s weisen desselben Grundwesens1. Das Materielle ist selbst ein Seelisches, aber in der Erscheinungsweise für andre. Die Atome sind punktuelle Kraftzentra. § 120. Die Methode der Tagesansicht bestand darin, Tatsächliches bis zum Glaubensabschluß zu erweitern; wie denn allenthalben das Wissen, dessen Gebiet sehr beschränkt ist, seine Fortsetzung vom G l a u b e n erwartet. Alles, was nicht unmittelbar erfahren wird und was nicht logisch feststeht, ist Glaubenssache; dahin gehören die Naturgesetze, das Dasein der Außenwelt, die Beseeltheit der Mitmenschen. Der Wert des Glaubens hängt ab 1 . von seiner Zusammenstimmung mit allem Wissen, 2. von dem Grade der Befriedigung, die er gewährt, seiner heilsamen Wirkung auf die Menschheit (man hat ein R e c h t , das Beste für das Wahrste zu halten), 3. von seiner Dauer, Ausbreitung und K r a f t .
1 Dieser auf Spinoza zurückgehende, von Schelling und Schopenhauer verfochtene parallelistische Monismus zählt, mannigfacher Modifikationen fähig wie er ist, auch unter den gegenwärtigen Denkern viele Anhänger. So Wundt, Haeckel, Fr. Paulsen (f 1908; Einleitung in die Philosophie 1892, 24. A u f l . 1 9 1 2 ) , E . K ö n i g . Eine gute Orientierung über die hier in Betracht kommenden Standpunkte und eine scharfsinnige Beleuchtung der Schwächen der Parallelismushypothese findet man bei
LUDWIG B U S S E , G e i s t u n d K ö r p e r , S e e l e u n d L e i b , 1 9 0 3 ; v g l . a u c h ERICH B E C H E R ,
Gehirn und Seele, 1 9 1 1 ; ROB.REININGER, Das psycho-physische P r o b l e m , \ V i e n i 9 1 6 .
LOTZE
Hermann Lotze 1843. L e b e n ,
Lebenskraft,
69
(1817—81).
in R u d . W a g n e r s
Handwörterbuch
der
Phy-
siologie. 1852. Medizinische P s y c h o l o g i e (anastat. N e u d r u c k 1856—64.
Mikrokosmus,
(5. A u f l .
Versuch
einer
1896).
Anthropologie.
3
Bände.
1896—1909).
1857. Streitschriften, erstes H e f t (gegen
I. H . F i c h t e ) .
1868. G e s c h i c h t e der Ä s t h e t i k in D e u t s c h l a n d ; N e u a u s g a b e in d e r P h i l o s . Bibl. mit Register 1874—79.
System
1913.
der
Philosophie:
(2. A u f l . 1 8 8 1 — 1 8 8 4 ) . in der P h i l o s . B i b l .
1.
Logik,
Metaphysik
2.
Neuausgabe mit Register von
G . MISCH
1912.
i 8 8 i f . D i k t a t e a u s d e n V o r l e s u n g e n , h e r a u s g e g , v . RF.HNISCH (8 H e f t e ) . 1882. P r i n z i p i e n der E t h i k ( J u l i h e f t v o n N o r d u. 1885—91.
Kleine
Schriften
(Abhandlungen,
Süd).
Rezensionen
und
Unge-
d r u c k t e s ) , h e r a u s g e g . v . PEIPERS, 3 B ä n d e . RICH. FALCKENBERG, H . L o t z e , e r s t e r T e i l : L e b e n u n d E n t s t e h u n g der S c h r i f t e n , n a c h den Briefen (12. B a n d v o n F r o m m a n n s Klassikern) 1901. in der A l l g e m . D e u t s c h e n B i o g r a p h i e ( 1 9 0 6 ) .
Ders., Artikel Lotze
GEORG MISCH h a t der N e u a u s g a b e d e r
L o g i k eine s c h ö n e E i n l e i t u n g u n d die d a n k e n s w e r t e Ü b e r s e t z u n g d e s v o n L o t z e f ü r die
Contemporary
letzten
vierzig
Review Jahren"
1880 g e s c h r i e b e n e n beigegeben.
Aufsatzes
FALCKENBEKG,
„Die
H. Lolze,
Philosophie
in
den
sein V e r h ä l t n i s
zu
K a n t u n d H e g e l u n d z u d e n P r o b l e m e n der G e g e n w a r t , V o r t r a g , g e h a l t e n in der K a n t g e s e l l s c h a l t z u H a l l e i m A p r i l 1 9 1 3 ( Z e i t s c h r . f. P h i l o s . u . p h . K r . WENTSCHER, L o t z e s L e b e n u n d W e r k e , H e i d e l b .
§
B d . 150).
MAX
1913.
121.
L o t z e z ä h l t sich zur idealistischen Schule, in deren
Gedankenkreis
er durch seinen Lehrer C h r . H. W e i ß e in Leipzig (f 1866) eingeführt worden
war, mißbilligt aber das
aus dem A b s o l u t e n zu deduzieren.
überkühne
Unternehmen,
die
Welt
E r zieht das vorsichtigere V e r f a h r e n
H e r b a r t s vor, das u m g e k e h r t von der gegebenen Erscheinung —
durch
U m a r b e i t u n g der mit Widersprüchen b e h a f t e t e n populären Vorstellungen über den Z u s a m m e n h a n g der Dinge —
zur wahren W i r k l i c h k e i t
zudringen s u c h t ; dieser WTeg f ü h r t ihn jedoch über das bloß
vor-
Seiende,
bei dem H e r b a r t als dem letzten stehn geblieben w a r , hinaus zu einem tieferen, einem idealen Grunde der W e l t , dem Guten. Erstlingswerk,
der (kleinen) Metaphysik
z u m „teleologischen
Idealismus"
v.
J.
Schon in seinem
1841, bekennt er
und schließt m i t den W o r t e n :
A n f a n g der M e t a p h y s i k ist nicht in ihr selbst,
sich „der
sondern in der E t h i k " ;
und später h a t er für seine Ü b e r z e u g u n g gern die Formel g e b r a u c h t , die W e l t der W e r t e Formen.
sei der Schlüssel für das Verständnis
So verbindet er r e a l i s t i s c h e
Resultaten.
Eine
andere
Aufgabe,
der W e l t
der
M e t h o d e mit i d e a l i s t i s c h e n die
der
Vermittlung
zwischen
E r k e n n e n und Glauben entsprang daraus, d a ß L o t z e in sich die B e r u f e
7°
LOTZE
des Mediziners und des Philosophen vereinigte. hatte,
den
Grundsätzen
der mechanischen
N a c h d e m er sich b e m ü h t
Naturbetrachtung
Eingang
in das Gebiet des organischen Lebens zu bereiten, fühlte er den A n t r i e b , dafür einzutreten, daß auch den Bedürfnissen des Gemütes ein A n s p r u c h auf B e r ü c k s i c h t i g u n g bei dem E n t w ü r f e der W e l t a n s i c h t zustehe. Wissenschaft hat R e c h t ,
Die
a m A n f a n g e der U n t e r s u c h u n g sich der zu-
dringlichen F r a g e n zu erwehren, m i t denen unsere W ü n s c h e ,
Träume
u n d H o f f n u n g e n das beginnende W e r k zu verwirren bereit s i n d ; aber sie darf sich nicht der V e r p f l i c h t u n g entziehen, im L a u f e der F o r s c h u n g sich zu ihnen z u r ü c k z u w e n d e n . Mikrokosmus,
will L o t z e
In seinem populären H a u p t w e r k e , dem
zeigen,
daß
der Widerspruch
zwischen
der
W i s s e n s c h a f t und den A n f o r d e r u n g e n des G e m ü t e s nur darum unauflöslich scheint, weil wir die Untersuchung zu früh abbrechen, und nachweisen, d a ß die Gültigkeit des M e c h a n i s m u s
schrankenlos,
aber
eine B e d eutung überall, eine untergeordnete ist.
§ 122Die
beiden
Geistigkeit
aller
wichtigsten
Ergebnisse
Dinge
die
und
seiner
Metaphysik
Unselbständigkeit
der
sind
i . „ D i n g " ist ein E t w a s , das wechselnde Zustände erleiden k a n n . haben wir eine Garantie d a f ü r , d a ß die einander ablösenden (Eis, Wasser, D a m p f ) wirklich Zustände d e s s e l b e n nicht
eine
Reihe
anderfolgen ?
verschiedener
Dinge,
die
nach
die
Einzelwesen, Worin
Zustände
Dinges sind und
einer
Regel
aufein-
D a ß die F o r d e r u n g eines beharrenden Trägers vieler und
wechselnder E i g e n s c h a f t e n e t w a s Wirkliches bedeute, lehrt uns allein das F a k t u m des Bewußtseins und der Erinnerung.
W i r unterscheiden unsre
Vorstellungen, Gefühle und W i l l e n s a k t e v o n dem beständigen I c h , dem sie angehören; hier erleben wir, d a ß und wie es möglich ist, d a ß ein S u b j e k t verschiedene Zustände erfahre.
In einem u n b e w u ß t e n , g e d ä c h t -
nisosen Wesen fehlt das gemeinsame S u b j e k t der vergangenen und der gegenwärtigen Zustände.
Folglich m u ß man a l l e n Dingen den C h a r a k t e r
des Fürsichseins beilegen.
R e a l i t ä t bedeutet G e i s t i g k e i t .
—
2. D a s
Sein der Dinge ist ein in B e z i e h u n g e n Stehen, ein voneinander Leiden und aufeinander Wirken.
Bei der K a u s a l i t ä t ist nun das V e r w u n d e r -
liche, d a ß und w a r u m sich das eine D i n g nach dem andern Wechselwirkung
richtet.
wäre unmöglich, wenn die realen Elemente g a n z
un-
ähnlich wären, so disparat wie e t w a gelb, weich und b i t t e r ; sie müssen vielmehr vergleichbare Reihen sein.
Glieder
einer
Reihe
oder
eines
Systemes
von
Sie wäre ferner unmöglich, wenn die Dinge völlig unab-
hängige Wesen,
S u b s t a n z e n im strengen
Sinne, w ä r e n ; sie wird
nur
verständlich, w e n n wir in ihnen bloße M o d i f i k a t i o n e n , A k t i o n e n oder Teile eines allumfassenden, einheitlichen Wesens, des A b s o l u t e n sehen.
LOTZE
71
D a s W i r k e n des einen Teiles des A b s o l u t e n auf den andern begreiflich, weil wir dergleichen in uns selbst erleben.
ist
uns
Ontologisch l ä ß t
sich übrigens nur der rein formelle Begriff des A b s o l u t e n als der allgemeinen S u b s t a n z b e g r ü n d e n ; seine E r f ü l l u n g mit realem Inhalt und d a m i t der wertvollere Teil der Gottesidee gründet sich auf sittliche Forderungen.
Die Religionsphilosophie zeigt, d a ß G o t t als Person g e d a c h t
werden m u ß und d a ß damit keineswegs eine Verendlichung g e s e t z t ist. Vollkommene
Persönlichkeit ist nur mit dem Begriff
eines
unend-
lichen Wesens vereinbar, dem endlichen Geiste ist bloß eine A n n ä h e r u n g dazu
erreichbar.
dingung
der
Seine
Endlichkeit
Persönlichkeit,
ist
sondern
nicht
eine
eine
erzeugende
hindernde
Schranke
Beihrer
Ausbildung. § 123. Die Kosmologie lehrt (mit K a n t , aber aus anderen Gründen)
die
S u b j e k t i v i t ä t des R a u m e s 1 , b e t r a c h t e t jedoch die räumlichen Verhältnisse
als
Symbol
unräumlicher,
intellektueller
Verhältnisse,
die
den
Grund für die L a g e und E n t f e r n u n g enthalten, in der uns die Dinge erscheinen.
Die Erkenntnislehre erweitert diesen G e d a n k e n dahin, daß
a l l e Elemente unsrer E r k e n n t n i s A u s d r ü c k e unsrcr s u b j e k t i v e n sind.
Natur
Die Sinnesempfindungen sind z w a r Folgen, aber nicht ähnliche
A b b i l d e r der äußeren Reize, durch die sie erregt werden. v o n den A n s c h a u u n g s f o r m e n und den Begriffen.
Dasselbe gilt
W e n n nun die
Er--
k e n n t n i s nicht allein v o n dem Gegenstande a b h ä n g t , sondern ebenso, j a vorwiegend v o n der N a t u r unsrer erkennenden Seele, wenn sie also kein A b b i l d
des W i r k l i c h e n liefert, wiefern darf dann v o n einer Ob-
j e k t i v i t ä t derselben gesprochen werden ? D a s Vorstellungsleben ist nicht b e s t i m m t , das außer ihm liegende R e a l e treu zu reproduzieren. mehr gehört zu den wichtigsten
Tatsachen
des W e l t i n h a l t s
die,
Vieldaß
äußere E i n w i r k u n g e n in den Geistern d?s n e u e P h ä n o m e n des E m p f i n dens, Vorstellens und Denkens erwecken.
Dieser V o r g a n g hat seinen
W e r t und seine B e r e c h t i g u n g in sich selbst (nicht in seiner
Überein-
s t i m m u n g mit einem Sein), ohne ihn wäre die W e l t nicht fertig.
Das
W e s e n der Dinge vollendet sich erst darin, d a ß es geistig erlebt wird. Mag unser Vorstellen in einzelnen Teilen der W i s s e n s c h a f t dazu dienen, einen T a t b e s t a n d zu ermitteln, im Ganzen der W e l t h a t es eine andere Stellung. eines
Die W a h r h e i t des Denkens besteht nicht in dem
äußeren
deutung;
es
Tatbestandes, gilt,
den
sondern in der
Sinn
der
Ergründung
Erscheinung
zu
Kopieren
seiner
verstehen.
BeDer
1 und der Zeit, wenigstens der Einen, unendlichen Zeit, w ä h r e n d (in der großen M e t a p h y s i k 1879) der Sukzession äußere R e a l i t ä t zugestanden wird. V g l . meine A b h a n d l u n g über die E n t w i c k l u n g der L o t z e s c h e n Zeitlehre im 105. B a n d e der Zeitschrift für Philosophie und philosophische K r i t i k , 1895.
72
LOTZE
letzte Grund für die Gestaltung der Welt und unsrer metaphysischen Gedanken über sie ist in der Idee des höchsten Gutes und Guten zu suchen. § 124Der menschlichen Erkenntnis ist es indessen unmöglich, aus dem Prinzip des Guten das Wirkliche und seine allgemeinen Gesetze abzuleiten. Für sie fallen die notwendigen G e s e t z e , die wirklichen T a t s a c h e n und die wertbestimmenden I d e e n oder Zwecke als nicht aufeinander zurückführbare Anfänge auseinander. Aber das Gemüt fordert und glaubt die E i n h e i t dieser drei Gewalten des Weltbaues und sieht sie in der Schönheit anschaulich vollzogen. Während sich nämlich das „ H ä ß l i c h e " gegen die Forderungen der Idee teils gleichgültig, teils feindselig verhält, das „ N o r m a l e " jene Gebote zwar in der Hauptsache, aber doch eben nur notdürftig erfüllt, erfreut das „Schöne" durch mühelosen, über das von der Idee geforderte Maß hinausgehenden Einklang des Wirklichen mit dem Seinsollenden, indem es dem Sinne der Idee auch im Einzelnen und in Kleinigkeiten entspricht, also freiwillig mehr leistet, als wozu es verpflichtet war. Im Schönen zeigen sich jene drei — die Gesetze, Formen und Werte — versöhnt und geeinigt; dadurch bestärkt es uns in der Überzeugung, daß der Mechanismus nur ein Mittel sei zur Realisierung der Werte.
§ "5In der praktischen Philosophie stellt Lotze zwölf sittliche Ideale auf, als oberstes das des Wohlwollens. Er besteht darauf, daß Wert nur das habe, was Gegenstand eines Genusses ist, hebt aber zugleich hervor, daß es verschiedene A r t e n der Lust gebe, unter denen die höchste und edelste die Befriedigung des Gewissens sei.
Zehntes
Kapitel.
Eduard v. Hartmann und Friedrich Nietzsche. E d u a r d v o n H a r t m a n n (1842—1906). 1869. P h i l o s o p h i e d e s U n b e w u ß t e n ( 1 1 . A u f l . 1904 in 3 Teilen; V o l k s a u s g a b e 1914). 1879. Phänomenologie des s i t t l i c h e n B e w u ß t s e i n s (2. A u f l . 1886).
EDUARD
1880. i881. 1882. i886. 1887. 1885.
( (
{
VON
73
HARTMANN
Zur Geschichte und B e g r ü n d u n g des Pessimismus (2. A u f l . 1891). D a s r e l i g i ö s e B e w u ß t s e i n der Menschheit. Die Religion des Geistes (2. A u f l . 1907). Die deutsche Ä s t h e t i k seit K a n t . Philosophie des Schönen. Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus (dritte
A u f l a g e v o n : D a s D i n g an sich 1871). 1889. D a s Grundproblem der E r k e n n t n i s t h e o r i e . 1896. K a t e g o r i e n l e h r e . 1898. E t h i s c h e Studien. 1899—1900. Geschichte der Metaphysik. 1901. Die moderne Psychologie. 1902. Die W e l t a n s c h a u u n g der modernen P h y s i k (2. A u f l . 1909). 1906. D a s Problem des Lebens, biologische Studien. 1 9 0 7 — 1 0 . S y s t e m der Philosophie im Grundriß, 8 B ä n d e . J . VOLKELT (Nord und Süd, J u l i h e f t ) 1881. (A. KROHN,) Streiizüge durch die Philosophie der G e g e n w a r t (Zeitschr. f. Philos. u. ph. K r i t i k , B d . 87 u. 89) 1885 bis 1886. ARTHUR DREWS, H a r t m a n n s philos. System 1902, 2. A u f l . 1906. Ders., D a s Lebenswerk H a r t m a n n s 1907. OTTO BRAUN, E d . v . H., F r o m m a n n s Klassiker B d . 20,
1909.
LEOP. ZIEGLER,
Das Weltbild
§
Hartmanns
1910
126.
E d . v. H a r t m a n n ergänzt den Pessimismus durch einen
Entwick-
lungsoptimismus und vereinigt in seinem P a n p n e u m a t i s m u s die obersten B e g r i f f e des Schopenhauerschen und des Hegeischen S y s t e m s .
A l s das
Absolute
und
bezeichnet er den A l l g e i s t oder das U n b e w u ß t e ,
dessen gleichwertige
Funktionen
den an sich inhaltslosen und
als
unver-
nünftigen W i l l e n und die an sich kraftlose I d e e (das Logische).
Der
Wille
der
ist
der
Grund
aller
Realität,
die
z w e c k m ä ß i g e n B e s c h a f f e n h e i t der W e l t .
Vorstellung
der
Grund
V o r der E n t s t e h u n g der W e l t
standen die beiden A t t r i b u t e des Urwesens in harmonischem gewicht.
Gleich-
Die E n d l i c h k e i t e n t s t e h t d a d u r c h , d a ß der Wille ohne Grund
a u s dem seligen Z u s t a n d e der L a t e n z (der bloßen P o t e n z ) in den unseligen des Daseins übertritt und sich in einer W e l t räumlich-zeitlicher Erschienungen darstellt.
U m diesen f a u x pas des Willens wieder g u t
zu machen, potenziert sich das Logische zum B e w u ß t s e i n , welches (in der Erkenntnis, d a ß bei der weit überwiegenden
S u m m e der
Unlust
und bei der Unerreichbarkeit des G l ü c k s das Nichtsein dem Sein vorzuziehen ist) dermaleinst nämlich
den Willen
d r ä n g e n wird.
der Qual
des
in die schmerzlose
Daseins Ruhe
ein
Ende
des Überseins
machen, zurück-
Sobald die Mehrzahl der bewußten Individuen zu der
Ü b e r z e u g u n g gelangt i s t , daß das Nichtsein der W e l t besser ist als ihr Dasein, wird auf dieser höchsten Bewußtseinsstufe die Idee v o m Daseinswillen
emanzipiert,
W e l t aufgehoben.
der
Wille
zum
Nichtsein
erregt
und
damit
die
74
NIETZSCHE
§
!27-
Die ethische Aufgabe ist kräftige Mitarbeit an der Erlösung des Absoluten vom Dasein durch Steigerung der Intelligenz und Förderung des Kulturfortschritts. — Die künftige Weltreligion wird ein aus der Synthese von Buddhismus und Christentum hervorgehender „konkreter Monismus" sein, d. h. Gott als eine Einheit denken, welche die innere Vielheit nicht ausschließt. Dem abstrakten Monismus der Inder gegenüber wird er jede Verflüchtigung des Unterschiedes zwischen Gott und Mensch abweisen, von dem christlichen Theismus aber sich dadurch unterscheiden, daß ihm Gott und Mensch nicht zwei Subjekte sind, sondern e i n e s , allerdings von verschiedenem U m f a n g : das menschliche Subjekt ist nichts anderes als eine individuelle Einschränkung Gottes, so daß die religiöse Geistesbetätigung im Menschen ebenso sehr göttliche wie menschliche Aktion genannt werden kann.
F r i e d r i c h N i e t z s c h e (1844—1900, seit 1889 geisteskrank). 1872. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (Werke, B d . ' i ) . 7 3 — 7 6 - Unzeitgemäße Betrachtungen, vier S t ü c k e : Strauß, Historie. Schopenhauer, Wagner (ebenda). l 8 7 8 f . Menschliches, Allzumenschliches (Werke, B d . 2 u. 3). 1881. Morgenröte ( W . B d . 4). 1882 f. Die fröhliche Wissenschaft ( W . B d . 5). 1883t. Also sprach Z a r a t h u s t r a , vier Teile ( W . B d . 6). Billige Kriegsausgabe 1916. 1886. Jenseits von Gut und Böse ( W . B d . 7). 1887. Zur Genealogie der Moral (ebenda). 1889. Götzendämmerung ( W . B d . 8). (1888). Der Antichrist (erster Teil des unvollendeten Werkes „ D e r Wille zur Macht, Versuch einer Umwertung aller W e r t e " , im 8. Bande der Werke) 1895. 1898. Gedichte und Sprüche. i8
Die zweite Abteilung der „ W e r k e " von B a n d 9 an bringt Nachgelassenes, Band 13—16 aus der Umwertungszeit. B a n d 1 7 — 1 9 füllen die Philologica, herausg. von HOLZER (f), CRUSIUS und N E S T L E , 1910—13. Die Taschenausgabe (10 Bände 1906, elfter 1914) fügt den Werken an chronologischer Stelle das Wichtigste aus dem Nachlaß ein. AL. RIEHL, Nietzsche der Künstler und der Denker (6. B a n d von Frommanns Klassikern der Philosophie), 4. Aufl. S t u t t g a r t 1905. THEOB. ZIEGLER, 1900. E . HORNEFFER, Vorträge 1900, 4. Aufl. 1903, erweitert 1908. RAOUL RICHTER ( F 1912), N., sein Leben und sein W e r k 1903, 2. Aufl. 1909. A. DREWS, Nietzsches Philosophie 1904. K . JOEL, N. und die R o m a n t i k 1905. RICH. M. M E Y E R (f 1914), N., sein Leben und seine Werke, 1913. Frau EL. FÖRSTER-NIETZSCHE, die sich auch an der Herausgabe der „ B r i e f e " (seit 1900) beteiligt, h a t ihrem Bruder in der zwei bändigen Biographie (1895—1904) und den kürzeren Darstellungen „ D e r junge N . " und „Der einsame N . " 1912—13 ein pietätvolles Denkmal errichtet.
NIETZSCHE
75
§ 128. Nietzsches Überzeugungen haben große W a n d l u n g e n erfahren, im wesentlichen
wird
man
drei
Perioden
seiner
Entwicklung
scheiden
d ü r f e n : eine r o m a n t i s c h e , deren Leitsterne Schopenhauer und R . W a g ner
sind,
ein
kurzes
aufklärerisches
Zwischenstadium
(„Mensch-
l i c h e s " ist dem Gedächtnis Voltaires gewidmet), in welchem die K u n s t , die früher die höchste S t u f e einnahm, von der kalten, positiven Wissens c h a f t v e r d r ä n g t wird, und (seit 1882) die letzte Periode, die auf eine Umwertung
aller
Werte
ausgeht.
Die
geltende,
die
christliche
Moral mit ihrem Ideal selbstlosen V e r z i c h t e s , der D e m u t , der H i n g a b e und
Sorge f ü r die A r m e n und Niedrigen ist demokratisch und sozia-
listisch, eine Moral der S c h w ä c h e , welche die S t a r k e n zu Dienern der Schwachen und K r a n k e n m a c h t und das erhält, was nicht erhalten zu werden verdient. Mehrzahl Minderzahl lichen
der
E n t s a g u n g und Mitleid hemmen den F o r t s c h r i t t .
Mittelmäßigen
und
Unbedeutenden
Vornehmen.
Wir
müssen
der
Werten zurückkehren:
g u t ist die
eignen K r a f t , sei es auch auf
Kosten
zu
den
und
Aristokrat.
Das
Ziel
echten,
über
der
Die die
ursprüng-
S t ä r k e , die E n t f a l t u n g
der a n d e r n ; denn der
trieb unseres Wesens ist ,,der Wille zur M a c h t " . vidualist
herrscht
der
Grund-
Nietzsche ist Indi-
Menschheit
liegt
in
ihren
höchsten E x e m p l a r e n , den starken A u s n a h m e m e n s c h e n , nicht in dem Wohl
der
meisten.
einer höheren
Art,
An
Darwin
Erhöhung
anknüpfend
des T y p u s
verlangt
Mensch
er
zum
Züchtung
löwenwilligen
„Ubermenschen".
Elftes
Kapitel.
Neukantianer, Wundt und Eucken. Literatur über die E n t w i c k l u n g der Philosophie seit dem A u f t r e t e n des Neukantianismus : BENNO ERDMANN, Die Philosophie der G e g e n w a r t B d . 1 9 — 2 0 ) 1879. RICH. FALCKENBERG, Über die gegenwärtige L a g e sophie 1890.
(Deutsche der
Rundschau,
deutschen
Philo-
OSWALD KÜLPE, Die Philosophie der G e g e n w a r t in Deutschland (Aus N a t u r und Geisteswelt, H e f t 41) 1902, 5. A u f l . 1 9 1 1 . KONST. OESTERREICH, Die deutsche Philosophie in der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts (Habilitationsvorlesung), Tübingen 1910.
§
I2
9-
D e m um die Mitte des 19. Jahrhunderts herrschenden
Materialis-
m u s wurde durch die neue K a n t b e w e g u n g ein E n d e gesetzt.
Eingeleitet
76
NEUKANTIANER
durch O t t o L i e b m a n n s Mahnruf „ K a n t und die Epigonen" 1865 und F r . A l b . L a n g e s Geschichte des Materialismus 1866, ist der mit Herrn. C o h e n s Erläuterungsschriften (1871, 1877, 1889) einsetzende N e u k a n t i a n i s m u s über die ursprünglichen Ziele einer genaueren Kantauslegung (der auch B. Erdmanns, Vaihingers und Adickes' „kantphilologische" Arbeiten dienen) und eines Rückganges auf den Standpunkt des Schöpfers der Vernunftkritik weit hinausgeschritten zu systematischen Neubildungen. Er umfaßt zwei Gruppen: die von Cohen, Natorp, Stadler, E. Cassirer u. a. vertretene M a r b u r g e r Schule, die den Schwerpunkt auf eine Philosophie der Physik legt, und die durch W i n d e l b a n d und seine Schüler repräsentierte H e i d e l b e r g e r Schule, in der H. Rickert die Systematisierung der vom Schulhaupte gegebenen, auch Lotzesche Elemente enthaltenden Anregungen übernommen hat und die sich um eine werttranszendentalistische Kulturphilosophie bemüht. Einig sind beide Richtungen in der Anerkennung absoluter Werte und in der Verwerfung des Dinges an sich, an dem der kantianisierende Positivismus AI. Riehls festhält. Eine ähnliche Mannigfaltigkeit zeigt die von Brentano ausgegangene österreichische Schule. Neben den Psychologen M a r t y und S t u m p f sind die um M e i n o n g zu nennen, der unter dem Namen der „Gegenstandstheorie" eine neue Disziplin geschaffen und durch sein Buch über Werttheorie seinen Schüler v. Ehrenfels zu ähnlichen Untersuchungen angeregt hat; ferner H u s s e r l , der, anknüpfend an Bolzanos „ S a t z an sich" und Lotzes Begriff der „ G e l t u n g " , in seinen Logischen Untersuchungen 1900—01 einen verdienstvollen und überzeugenden Kampf gegen den Psychologismus gekämpft hat und sich dem Ausbau einer Phänomenologie widmet. W i l h . D i l t h e y (f 1911) setzt der mit unbewährbaren Hypothesen arbeitenden, intellektuell „erklärenden" Psychologie als Grundlage der Geisteswissenschaften eine beschreibende und zergliedernde, aus dem Erleben schöpfende v e r s t e h e n d e entgegen und hat sich als Meister ihrer Anwendung in der Interpretation ästhetischer und historischer Erscheinungen erwiesen. Gegenüber metaphysikfeindlichen Richtungen fehlt es nicht an Bestrebungen, das sich mächtig regende Verlangen nach einer Weltanschauung zu befriedigen, das sich auch in der Wiederbelebung des Studiums der klassischen deutschen Philosophie kundgibt. Wundt, von der Naturforschung ausgegangen und Lehrer zahlreicher experimenteller Psychologen, ist in seiner Ethik und Metaphysik, fast zu seiner eigenen Überraschung, zu Ergebnissen gelangt, die gewissen Grundgedanken des spekulativen Idealismus nahe kommen; während E u c k e n , der sich mit philosophiehistorischen Arbeiten eingeführt hatte, einen noologisch begründeten Idealismus der Tat und der Wesensbildung verkündet.
77
WUNDT
HERM. SCHWARZ, G r u n d f r a g e n der W e l t a n s c h a u u n g igi2, l i s m u s als W e l t a n s c h a u u n g u n d LIEBMANNS H a u p t w e r k :
darin: Der Materia-
Geschichtsprinzip.
Zur
Analysis
der W i r k l i c h k e i t
1876, 4. A u f l .
1911.
H . COHEN, L o g i k 1902, 2. A u f l . 1 9 1 4 ; E t h i k 1904, 2 . A u f l . 1 9 0 7 ; Ä s t h e t i k i 9 i 2 . P . NATORP, D i e logischen G r u n d l a g e n der e x a k t e n W i s s e n s c h a f t e n ERNST
CASSIRER,
Das
Erkenntnisproblem
s c h a f t der n e u e r e n Z e i t 1 9 0 6 — 0 7 , 2. A u f l . W . WINDELBAND, der
Philosophie
1892,
Präludien 6. A u f l .
1884,
1912.
in
der P h i l o s o p h i e
1910.
und
Wissen-
1911.
5. A u f l .
1914.
Geschichte
Lehrbuch
und
der
Geschichte
Naturwissenschaft
(Rede)
1894, 3. A u f l . 1904. D i e P r i n z i p i e n der L o g i k 1 9 1 3 . E i n l e i t u n g in die P h i l o s o p h i e 1 9 1 4 . H . RICKERT, D e r G e g e n s t a n d der E r k e n n t n i s 1892, 3. A u f l . 1 9 1 5 . D i e G r e n z e n der
naturwissenschaftlichen
Begriffsbildung
1896—1902,
w i s s e n s c h a f t u n d N a t u r w i s s e n s c h a f t ( R e d e ) 1899, 3. A u f l . JOH. v . KRIES, L o g i k , T ü b i n g e n
2. A u f l .
1913.
1916.
FRANZ BRENTANO, P s y c h o l o g i e v o m e m p i r i s c h e n S t a n d p u n k t e ANTON
MARTY (F
1914),
Untersuchungen
Grammatik und Sprachphilosophie CARL STUMPF,
zur
1883—90,
A k u s t i k u n d M u s i k w i s s e n s c h a f t 1898£f.
fortgesetzt
allgemeinen
1910.
in
den B e i t r ä g e n
Philosophische R e d e n und Vorträge
ALEXIUS MEINONG, G e s a m m e l t e A b h a n d l u n g e n EDMUND HUSSERL,
1874.
G r u n d l e g u n g der
1908; Z u r S p r a c h p h i l o s o p h i e
Tonpsychologie
Kultur-
1915.
Logische Untersuchungen
zur 1910.
1913ff. 1900—OL,
2. A u f l .
1913.
Er
g i b t m i t MAX SCHELER U. a. seit 1 9 1 3 ein J a h r b u c h für P h i l o s o p h i e u n d p h ä n o m e n o logische F o r s c h u n g h e r a u s . s t u d i e n B d . 2 1 , S . 163,
PAUL LINKE, D a s R e c h t
der P h ä n o m e n o l o g i e ,
Kant-
1916.
W . DILTHEYS G e s a m m e l t e
S c h r i f t e n in 6 B ä n d e n
I9L3F. w e r d e n a u c h
einen
N e u d r u c k der v e r g r i f f e n e n E i n l e i t u n g in die G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n v o n 1883 b r i n g e n .
W i l h e l m W u n d t (geb. 1832). 1873—74.
G r u n d z ü g e der p h y s i o l o g i s c h e n P s y c h o l o g i e ( 6 . A . I 9 0 8 f f . ) .
1880—83. L o g i k
(3. A u f l . , 3 B ä n d e ,
1906—08).
1885. E s s a y s (2. A u f l . 1906). 1886. E t h i k
(3. A u f l . , 2 B ä n d e ,
1889. S y s t i m
1903).
der P h i l o s o p h i e (3. A u f l .
1907).
1892. V o r l e s u n g e n ü b e r die Menschen- u n d Tierseele, 2. A . (5. A . 1 9 1 1 ) . 1896. G r u n d r i ß 1900—09.
der P s y c h o l o g i e (9. A u f l . 1909).
V ö l k e r p s y c h o l o g i e (Sprache,
[Kunst,]
Mythus und Re-
l i g i o n , S i t t e ) , 2. A u f l . , 7 B ä n d e I 9 0 4 f f . ; 3. A u f l . 1901. E i n l e i t u n g 1910—11.
Kleine
in die P h i l o s o p h i e (6. A u f l .
I9iiff.
1913).
Schriften.
1 9 1 1 . E i n f ü h r u n g in die 1 9 1 1 . P r o b l e m e der
Psychologie.
Völkerpsychologie.
1 9 1 2 . E l e m e n t e der V ö l k e r p s y c h o l o g i e (2. A u f l . 1 9 1 3 ) . 1 9 1 2 . R e d e n u n d A u f s ä t z e (2. A u f l . 1 9 1 4 ) . 1 9 1 4 . S i n n l i c h e u n d übersinnliche W e l t . EDM. KÖNIG, W u n d t als P s y c h o l o g u n d als P h i l o s o p h ( F r o m m a n n s der P h i l o s o p h i e , B d . 13) 1901, 3. A u f l . 1909. modernen Psychologie,
deutsch
Klassiker
STANLEY HAI.L, D i e B e g r ü n d e r
der
1914. §
I3°-
F ü r uns heute ist der Begriff der Philosophie ein anderer als f ü r frühere J a h r h u n d e r t e .
N a c h d e m sich allmählich die sämtlichen Einzel-
wissenschaften, die sie ursprünglich in sich geschlossen, v o n ihr gelöst
W U N DT
78
und verselbständigt haben, bedarf es einer a l l g e m e i n e n
Wissenschaft,
die sich mit den Aufgaben beschäftigen soll, die eben wegen ihrer Allgemeinheit in keinem j e n e r
Sondergebiete
P l a t z finden können.
Die
Aufgaben des einen Gebiets reichen in die des andern hinüber und das Einheitsbedürfnis unserer Vernunft, das widerspruchsfreien
Zusammen-
hang der E r k e n n t n i s verlangt, e r s t r e c k t sich nicht nur auf das einzelne Arbeitsgebiet entfernteren
und
die einander
Zweige.
Keine
benachbarten,
Einzeldisziplin
sondern
läßt
sich
auf
die
aussondern
auch
aus
dem gesamten S y s t e m menschlicher E r k e n n t n i s , und die
fundamen-
t a l s t e n B e g r i f f e (wie Ursache, S u b s t a n z , Zweck) greifen in a l l e biete unseres Erfahrungswissens
ein;
Ge-
nicht anders verhält es sich mit
den allgemeinen G e s e t z e n des E r k e n n e n s , sowie mit den F r a g e n nach U m f a n g , Grenzen und S i c h e r h e i t der E r k e n n t n i s .
Die einzelnen
Wissenschaften setzen alle diese Probleme als gelöst voraus, indem sie sich b e s t i m m t e r vorläufiger Annahmen bedienen, die innerhalb unserer praktischen Lebenserfahrung entstanden sind, o h n e doch eine wissenschaftliche P r ü f u n g erfahren zu haben. bestimmung:
„Philosophie
ist
die
Daraus ergibt sich die Begriffs-
allgemeine
Wissenschaft,
welche
die durch die Einzelwissenschaften vermittelten E r k e n n t n i s s e z u e i n e m w i d e r s p r u c h s l o s e n S y s t e m z u v e r e i n i g e n , und die von der Wissenschaft benützten allgemeinen M e t h o d e n u n d V o r a u s s e t z u n g e n Erkennens
auf
ihre P r i n z i p i e n
zurückzuführen
hat."
In
des dieser
Definition liegt, daß die Philosophie nicht Grundlage der Einzelwissenschaften i s t , sondern sie z u r G r u n d l a g e h a t .
I n d e m sie aber ihren
Zweck darin sieht, deren Ergebnisse zu einer widerspruchslosen anschauung
zu verbinden,
Welt-
t r i t t sie hinwiederum jenen selbst
regu-
lierend und richtunggebend gegenüber; wo sich zwischen den Auffassungen auf verschiedenen Gebieten ein Widerspruch herausstellt, h a t sie dessen Grund aufzuklären und ihn dadurch zu beseitigen.
So s t r e b t sie die
Arbeit der Einzelwissenschaften, in denen sie ihre Probleme vorbereitet findet, w e i t e r z u f ü h r e n u n d z u
vollenden.
Der G e s ä m t i n h a l t menschlicher E r k e n n t n i s kann b e t r a c h t e t werden mit R ü c k s i c h t auf seine E n t s t e h u n g bindung
seiner
werdende,
die
Prinzipien.
Die
oder auf die s y s t e m a t i s c h e
Erkenntnislehre
Prinzipienlehre
das
gewordene
behandelt
Wissen.
Jene,
Verdas der
genetische H a u p t t e i l , dem die Psychologie das Material liefert, scheidet sich
in
formale
Methodenlehre
Logik
und
anschließt.
reale Der
Erkenntnistheorie,
zweite,
systematische
denen
sich
die
Hauptteil
der
Philosophie u m f a ß t die allgemeine Prinzipienlehre oder
Metaphysik,
die N a t u r p h i l o s o p h i e
Geistesphilo-
(Kosmo-
und Biologie)
und die
sophie, die sich in E t h i k n e b s t R e c h t s p h i l o s o p h i e , Ä s t h e t i k und Religionsphilosophie gliedert.
Die Philosophie der Geschichte endlich sucht
eine Anschauung des gesamten L e b e n s der Menschheit zu gewinnen.
VV'UNDT
79
§ 131Die Bewußtseinserscheinungen, auch die Vorstellungen, sind fortwährend fließende komplexe Prozesse. Vorstellen, Fühlen und Wollen sind nur verschiedene Seiten oder Eigenschaften unseres inneren Lebens, sie durchdringen sich bei allen Bewußtseinsakten und bilden ein untrennbares Ganzes, das erst durch die Abstraktion zerlegt wird. Von d e n Vorstellungen trennen wir als nicht auf Objekte bezogene Elemente des inneren Lebens die Gefühle und Willensregungen, die aufs engste zusammengehören: Fühlen und Wollen sind nicht sowohl verschiedene Vorgänge, als vielmehr verschiedene Entwicklungsstufen eines und desselben Geschehens; ebenso sind A u f m e r k s a m k e i t und Denken Funktionen gleicher Art, nur verschiedener Stufe. Das D e n k e n ist zu definieren als s u b j e k t i v e , selbstbewußte und beziehende T ä t i g k e i t . Das erste Merkmal grenzt es gegen diejenigen Bewußtseinsinhalte ab, die wir a l s Objekte a u f f a s s e n ; das zweite kennzeichnet es als W i l l e n s a k t ; d a s d r i t t e scheidet es von den seinen Inhalt ausmachenden Vorstellungen, denen es sich •— e t w a vergleichend — zuwendet. Das Denken erhebt sich zum E r k e n n e n in dem H i n z u t r i t t der Überzeugung von der R e a l i t ä t solcher Objekte und objektiver Beziehungen, die den Denkinhalten entsprechen. In der zeitlichen Entwicklung ist jedoch das Erkennen, das den Vorstellungen und deren Beziehungen eine reale Bedeutung beimißt, das Frühere. Allmählich aber scheidet sich infolge der Reflexion über Phantasie- und Erinnerungsbilder, die schon das vorwissenschaftliche Denken den realen Vorstellungsobjekten gegenüberstellt, der V o r g a n g des Erkennens von dem O b j e k t , auf das er bezogen wird und das er nachzubilden bestimmt ist. Die wissenschaftliche Analyse löst dann allmählich von den Vorstellungsobjekten Merkmale ab, bei denen sie zwingende Gründe beib r i n g t ; daß sie der Vorstellung und nicht dem Objekt angehören. Diese Verneinung des objektiven W e r t e s gewisser Vorstellungen und Vorstellungselemente leistet der irrtümlichen Auffassung Vorschub, die das Vorstellungsobjekt (das die Eigenschaft h a t , in untrennbarer Einheit Vorstellung u n d Objekt zu sein) in eine s u b j e k t i v e Vorstellung und ein u n a b h ä n g i g vom Denken existierendes Objekt zerlegt und sie als ursprünglich verschiedene reale Tatsachen a n n i m m t , die nachträglich aufeinander wirken sollen. H a t m a n einmal a u s dem primären V o r s t e l l u n g s o b j e k t das ihm inhärierende Merkmal, Objekt zu sein, beseitigt, so m ü h t m a n sich vergeblich ab, aus der subjektiven Vorstellung herauszukommen und einen Weg zu dem verlorenen Objekt zu finden. S u b j e k t und Objekt sind nur m i t e i n a n d e r da. Es gibt überhaupt kein S u b j e k t und kein Objekt außer in unserem zergliedernden Denken. Das W i r k l i c h e ist immer Denkendes und Gedachtes zugleich. Die Vorstellung ist zugleich reales Objekt.
8o
WUNDT
Indem sich das Denken genötigt sieht, die Merkmale jenes ursprünglichen Vorstellungsobjektes teils zu berichtigen, teils aufzuheben, z. B. die Qualitäten ins Subjekt zurückzunehmen, gelangt es zu dem B e g r i f f eines Objektes, das als verschieden von der Vorstellung und dennoch als ihre reale Grundlage betrachtet wird; ferner, infolge dieser Verschiedenheit des Begriffs von der Vorstellung, zu I d e e n von Objekten, die in gar keiner Vorstellung realisierbar und die auf ihren Erkenntniswert zu prüfen sind. So treten als Erkenntnis s t u f e n auseinander: Wahrnehmungs-, Verstandes- und Vernunfterkenntnis, von denen die erste dem praktischen Leben, die zweite der Einzelwissenschaft, die dritte der Philosophie angehört. Doch sind die Unterschiede fließende, die Tätigkeiten gehen ineinander über, und das normale Verhältnis ist das wechselseitiger Hilfeleistung. Der Gegensatz von Wahrnehmungs- und Verstandeserkenntnis ist von prinzipieller Bedeutung für die Bestimmung des Verhältnisses von Innen- und Außenwelt, das für Wundt nur eine Verschiedenheit von Gesichtspunkten der Betrachtung desselben Erfahrungsinhaltes bedeutet (vgl. KÖNIG, S. 60 bis 61 der 2. Aufl.). Aller Wahrnehmungsinhalt ist ursprünglich subjektiv und objektiv zugleich, indem der Vorstellungsanteil desselben dem Objekt, der Gefühlsanteil dem Subjekt zufällt. Das vorstellende Subjekt nimmt das Objekt ebenso als unmittelbar gegeben hin, wie sich selbst. Das S u b j e k t behält nun die ihm von Anfang an zukommende unmittelbare Realität unverändert bei und alle Berichtigungen beziehen sich immer nur auf die Genauigkeit seiner Selbstauffassung; unser eigenes Fühlen und Wollen kann niemals zum Gegenstand mittelbarer Erkenntnis werden. Dagegen machen sich für das O b j e k t durch den Widerstreit der Wahrnehmungen untereinander Korrekturen des ursprünglichen Vorstellungsinhaltes erforderlich (Ausscheidung gewisser Eigenschaften der Vorstellungen als bloß subjektiver: aus l o g i s c h e n Gründen wird ein Merkmal, etwa die Farbe, aufgehoben gedacht, das in der Anschauung selbst niemals beseitigt werden kann), die nur durch B e g r i f f e herbeizuführen sind, für welche die Vorstellungen nur noch die Bedeutung stellvertretender Symbole besitzen. Die nach Vornahme jener Korrekturen übrig bleibenden Objekte können nur noch begrifflich gedacht werden. Hiernach ist das erkennende Subjekt nur sich selbst w a h r z u n e h m e n , die objektive Welt aber bloß zu b e g r e i f e n , d. h. in Begriffen festzuhalten imstande. Das Ergebnis der inneren oder anschaulichen und der äußeren oder begrifflichen Erfahrung bearbeitet der Verstand nach seiner Regel des Satzes vom Grunde, indem er Koexistenz und Aufeinanderfolge in l o g i s c h e Abhängigkeiten, somit tatsächlichen Zusammenhang in notwendigen verwandelt. Die dabei benutzten reinen Begriffe der Substanz und Kausalität sind weder a priori noch Erfahrungserwerb, sondern
WuNDT
81
entspringen aus der Übertragung der logischen Verknüpfung von Grund und Folge auf die realen Vorgänge. § i3 2 In der Naturkausalität herrscht Äquivalenz: das Gesetz der Konstanz der Energie gestattet zwar Umformungen der Energie, aber keine Neuschöpfung. Im Gegensatz, aber nicht im Widerspruch zu ihm steht das psychische Prinzip der s c h ö p f e r i s c h e n S y n t h e s e , wonach die Resultante größer ist an Wert als die Summe ihrer Komponenten. Jedes aus einer Summe psychischer Elemente entstehende P r o d u k t ist ein eigenartiges seelisches Gebilde, das zwar in seinen einzelnen Eigenschaften in einer gesetzmäßigen Abhängigkeitsfunktion zu seinen Elementen steht, dabei aber in seinem Wertgehalt diese stets übertrifft. I m Klang verschmelzen die Tonempfindungen zu einer Einheit, die mehr ist als eine bloße Addition seiner Elemente; das gleiche gilt vom Akkord, und noch auffälliger zeigt es sich an verwickeiteren Erscheinungen wie dem Kunstwerk, dem logischen Zusammenhang. Dem Gesetz des geistigen Wachstums tritt zur Seite das Prinzip der H e t e r o g o n i e d e r Z w e c k e . Es besagt, daß die erreichten Zwecke über ihre Beweggründe hinausreichen, sofern ihnen auf dem Wege zwischen Anfang und Ende der Zweckreihe aus den ungewollten Nebenerfolgen neue Motive zuströmen. § 133-
Mitten im Zusammenhange der Erfahrung entstehen die m e t a p h y s i s c h e n Probleme: durch die reale Erkenntnis wird das Bedürfnis nach einer idealen Ergänzung erweckt, aber nicht befriedigt. Die Gesetze des Denkens nötigen zu einem R ü c k g a n g vom Gegebenen zu seinen n i c h t g e g e b e n e n B e d i n g u n g e n . Der Verstand will die T a t sachen der Wahrnehmung erklären, die V e r n u n f t sie ergänzen; jener will den Zusammenhang der Welt begreifen, diese ihn ergründen, indem sie das Verstandesgeschäft der Wirklichkeitsbearbeitung durch I d e e n ergänzt, die alle E r f a h r u n g umspannen und doch keiner E r f a h r u n g angehören. Die transzendenten Ideen (Seele, All, Unendlichkeit des Raums, der Zeit, der Materie, der Kausalität) sind bemüht, die von der Einzelerkenntnis nicht zu erreichende E i n h e i t der Weltbetrachtung herzustellen. Der H y p o t h e s e freilich vermag die Metaphysik noch weniger als die empirischen Einzelgebiete zu entraten, aber es ist unzutreffend, sie im Hinblick auf das unverkennbar Imaginäre der philosophischen Hypothesenbildung als „Begriffsdichtung" zu brandmarken. Die Wissenschaftlichkeit des Verfahrens wird gewahrt nicht durch Vermeidung, sondern durch den richtigen Gebrauch der Hypothese und F.-! I ck e n b e r g, Hilfsbuch. 3. Aufl.
6
82
die
WUNDT
klare
einen
Erkenntnis
im
ihrer
Empirischen
Bewegüng
Bedeutung.
beginnenden
ins T r a n s z e n d e n t e
muß
Die
Einheitsidee
Fortschritt
diesen F o r t s c h r i t t
in g l e i c h e r R i c h t u n g w e i t e r f ü h r e n .
muß
vorbereitet
durch
sein,
konsequent
die und
Empirismus und Skeptizismus,
w e l c h e die B e r e c h t i g u n g der l e t z t e n F r a g e n l e u g n e n , w e r d e n allein schon durch
die
Existenz
denkenden
des
Verbindung
logischen
Denkens
des E i n z e l n e n
selbst
nach dem
widerlegt.
In
P r i n z i p des
liegt die n o t w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g , d a ß eine T o t a l i t ä t
von
und
einzelne
Folgen
angenommen
werden
den kosmo-, psycho- und ontologischen — ein
individueller
ein u n i v e r s e l l e r z u einer u n e n d l i c h e n
jeder
jede
Ideen aber —
Regressus,
Bei
der
besonderer
zweifacher
gehöre.
zu
k n ü p f u n g als ein
Teil
müsse,
zu
der
drei
einer
der
Grundes Gründen Ver-
Arten
von
e r ö f f n e t sich
letzten
Einheit,
Totalität.
§ 134Den
für
die
substantiellen
Erklärung
Seelenbegriff
des
geistigen
ersetzt
Wundt
Geschehens durch
den
unbrauchbaren aktuellen.
Die
l e t z t e B e d i n g u n g j e d e r E r f a h r u n g i s t die reine A p p e r z e p t i o n , d a s ist der Wille.
D e r W i l l e des E i n z e l n e n f i n d e t sich j e d o c h i n
Ich
Willens-
g e m e i n s c h a f t e n ( F a m i l i e , V o l k ) e i n g e s c h l o s s e n , die m i t i h m in W e c h s e l w i r k u n g s t e h e n ; d i e F o r t s e t z u n g dieses W e g e s f ü h r t u n s z u e i n e m die ganze Menschheit umfassenden Gesamtwillen. nicht weniger Realität als das Einzelwollen.
Gemeinsames Wollen hat A l l e r d i n g s i s t alles g e m e i n -
s a m e W o l l e n z u g l e i c h i n d i v i d u e l l e s W o l l e n , weil ü b e r h a u p t j e d e s geistige Gesamtleben teilnehmen.
nur in d e n E i n z e l g e i s t e r n
Wirklichkeit
hat,
die a n
ihm
D i e s e T a t s a c h e a b e r , d a ß der G e s a m t w i l l e ü b e r a l l nur in
der ü b e r e i n s t i m m e n d e n
Willensrichtung
der E i n z e l n e n
bestehen
kann,
n i m m t i h m n i c h t das G e r i n g s t e a n seiner R e a l i t ä t u n d seine W i r k u n g e n sind u n v e r g l e i c h l i c h m ä c h t i g e r als die des I n d i v i d u a l w i l l e n s . G e g e n die A p r i o r i t ä t d e r s i t t l i c h e n B e g r i f f e s p r i c h t ihre V e r ä n d e r l i c h k e i t , g e g e n d e n R e l a t i v i s m u s , der in i h n e n z u f ä l l i g e E r z e u g n i s s e
wech-
selnder U m s t ä n d e s i e h t , ihre s i c h t l i c h einem Ziele z u s t r e b e n d e
gesetz-
mäßige Entwicklung.
A l s zugleich empirische und spekulative
Wissen-
s c h a f t h a t die E t h i k a u s d e n s i t t l i c h e n T a t s a c h e n d u r c h A n a l y s e P r i n z i p i e n zu g e w i n n e n .
die
D i e reife S i t t l i c h k e i t i s t das m ü n d i g g e w o r d e n e
K i n d v o n R e l i g i o n u n d S i t t e ; d a s religiöse L e b e n b e r u h t auf d e n E h r f u r c h t s - , das soziale auf den N e i g u n g s g e f ü h l e n .
Die sittlichen
Zwecke
u n d N o r m e n oder P f l i c h t g e b o t e z e r f a l l e n in i n d i v i d u e l l e ( S e l b s t b e g l ü c k u n g und
-Vervollkommnung;
und
allgemeiner
Selbstachtung),
Fortschritt)
und
soziale
humane
(öffentliche
(Hingabe
an
Wohlfahrt
die
Ideale);
die s i t t l i c h e n M o t i v e i n W a h r n e h m u n g s - ( S e l b s t - u n d M i t g e f ü h l ) , V e r s t a n d e s - (eigen- u n d g e m e i n n ü t z i g e T r i e b e ) u n d V e r n u n f t m o t i v e ( I d e a l -
EUCKEN
gefühle).
Das
Prinzip der
des
Einzel-
willens m i t d e m G e s a m t w i l l e n , der jenem als eine S t u f e n o r d n u n g
einheit-
licher Willensmächte Wundt versalen
Sittlichkeit
83
ist Ü b e r e i n s t i m m u n g
gegenübersteht.
entscheidet
sich gegen
Evolutionismus.
Unser
den
Utilitarismus
sittliches
V ö l k e r b e m i ß t sich nicht nach d e m
Urteil
und
über
für den
uni-
Menschen
und
G l ü c k , d a s sie g e n o s s e n oder
„ihren
Z e i t g e n o s s e n v e r s c h a f f t , s o n d e r n allein n a c h d e m , w a s sie f ü r die g e s a m t e Entwicklung
der
Jede geistige
S c h ö p f u n g u n d jedes ihr dienende H i l f s m i t t e l ist ein
Menschheit
in
alle
Zukunft
hinaus
geleistet
haben".
G ü t e r rein u m ihrer selbst, nicht u m ihrer beglückenden W i r k u n g —
in
selbstloser
Hingabe
an
die
Pflicht
—
erstreben,
ist
Gut; willen
sittliches
Leben.
Rudolf
Eucken
(geb.
1846).
1878. Die Grundbegriffe der G e g e n w a r t , seit der 3. A u f l . Geistige Strömungen der Gegenwart, 5. A u f ] , 1915. 1879. 1880. 1886. 1888. 1890.
1896. 1901. 1903. 1907. 1907.
betitelt:
Geschichte der philosophischen Terminologie. Über Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Beiträge zur Geschichte der neueren Philosophie, 2. A u f l . 1906. D i e Einheit des Geisteslebens in B e w u ß t s e i n und T a t der Menschheit (eingeleitet durch Prolegomena 1885). D i e Lebensanschauungen der großen D e n k e r . Eine E n t w i c k lungsgeschichte des Lebensproblems der Menschheit v o n P l a t o bis zur G e g e n w a r t , 1 1 . A u f l . 1917. D e r K a m p f u m einen geistigen Lebensinhalt, 2. A u f l . 1907. D e r W a h r h e i t s g e h a l t der Religion, 3. A u f l . 1912. G e s a m m e l t e A u f s ä t z e zur Philosophie und Lebensanschauung. Philosophie der Geschichte, in K u l t u r der G e g e n w a r t , S y s t e m a tische Philosophie, S. 247 ff. Grundlinien einer neuen Lebensanschauung, 2. A u f l . 1913.
1907. H a u p t p r o b l e m e der Religionsphilosophie der Gegenwart, 4. A u f l 1908. 1908. 1911. 1912. 1913.
1912. E i n f ü h r u n g in eine Philosophie des Geisteslebens. D e r Sinn und W e r t des Lebens, 4. A u f l . 1912 K ö n n e n wir noch Christen sein? E r k e n n e n und Leben. Zur S a m m l u n g der Geister.
RICH. FALCKENBERG, E u c k e n s K a m p f gegen den N a t u r a l i s m u s (aus der Festschrift der U n i v e r s i t ä t Erlangen zum 80. Geburtstage des Prinzregenten L u i t p o l d ) 1901. Ders., Zu R . E u c k e n s 70. Geburtstag, in der E u c k e n f e s t s c h r i f t der Z e i t s c h r i f t für Philosophie u. philos. K r i t i k , B d . 160, 1916. HERM. SCHWARZ, E u c k e n s L e h r e v o n den Stufen der W i r k l i c h k e i t , ebenda. Ders., D i e universale und charakteristische Religion bei E u c k e n , in derselben Zeitschrift B d . 155, 1914. H . LESER, Der Grundcharakter der E u c k e n s c h e n Philosophie, zuerst in Renners Philos. W o c h e n s c h r i f t 1906, dann in der zweiten Serie der E n z y k l o p ä d i e der Philosophie, C h a r l o t t e n b u r g 1907. EMILE BOUTROUX, E u c k e n s K a m p f um einen neuen Idealismus, L e i p z i g 1 9 1 1 .
6*
84
EÜCKEN
§ 135-
Das uns mit den Tieren gemeinsame n a t ü r l i c h e S e e l e n l e b e n ist nicht mehr als eine Begleiterscheinung und eine Hilfe des Naturprozesses, Werkzeug zur Selbsterhaltung, bescheidene Z u t a t , Anhang einer fremden Welt. Es bildet einen durchgängigen Widerspruch, indem es eine gewisse Innerlichkeit setzt und sie zugleich durch die völlige Bindung an ein Äußeres, durch die Versagung alles Selbstlebens wieder a u f h e b t ; ein Widerspruch, den das in aller Stärke des Lebensaffekts gehalt- und sinnlose Getriebe der Tierwelt jedem denkenden Beobachter eindringlich, ja erschütternd vor Augen stellt. E r löst sich auf einer höheren Stufe. G e i s t i g e s Leben, das den Menschen auszeichnet, ist selbständig gewordene und mit einem eigentümlichen Inhalt ausgestattete I n n e r l i c h k e i t . Aber im Streben zu sich selbst bleibt es zugleich mit der großen Welt befaßt, die es zu überwinden und in sich aufzunehmen strebt. Es behauptet, das Letzte, Allumfassende, der Kern der gesamten Wirklichkeit zu sein. Indem die Weiterbildung, die es in der Aneignung an den Dingen bewirkt, diese zur Höhe ihres eigenen Wesens f ü h r t , steigt in ihm das W e l t l e b e n zu seiner eigenen Vollendung auf. Als eine solche Stufe des Alls muß das Geistesleben von Haus aus ein Ganzes, ein sich selbst angehöriges Leben sein. Dies Ganze entwickelt sich mittels des Gegensatzes von Subjekt und Objekt, von K r a f t und Gegenstand, aber es bleibt eine ihm überlegene Einheit, die beide Seiten auch in der Scheidung zusammenhält. Dem Stande der Spaltung, des halbseitigen und zugleich leeren Lebens t r i t t hier der Stand seiner Einigung, der Stand der V o l l t ä t i g k e i t gegenüber: nur die s c h ö p f e r i s c h e S y n t h e s e erzeugt eine Innerlichkeit und zugleich eine volle, bei sich selbst befindliche Wirklichkeit. Ohne solche Vertiefung der Tätigkeit bis zum letzten Grunde wird immer eine starre Kluft zwischen einem dunklen Sein und einer abgelösten Tätigkeit bleiben; sie aber ist es, die das Leben unwahr m a c h t , indem sie das Eingehen des ganzen Wesens in das Wirken verhindert. Die von K a n t angebahnte Abgrenzung des Geistigen vom Bloßseelischen m u ß deutlich vollzogen werden: der Mensch erzeugt nicht das Geistesleben, sondern er gewinnt teil an ihm. E r k a n n es nur, wenn es von vornherein als Möglichkeit in ihm angelegt ist. Das Geistesleben ist bei ihm zugleich Tatsache und Aufgabe, innerster Kern und fernes Ziel, sein Leben wird ein unablässiges Suchen des eigenen Wesens. Der geschichtliche Prozeß erscheint als eine fortwährende Verinnerlichung nicht subjektiver, sondern substantieller A r t ; es m u ß sich d a m i t eine immer größere Entfernung von der unmittelbaren Lage vollziehen, die unter dem Gegensatz steht und daher einer vollen Innerlichkeit
EUCHEN
und einer echten R e a l i t ä t entbehrt.
85 Das menschliche L e b e n
gewinnt
einen rechten Sinn und W e r t nur, wenn es der V e r w i r k l i c h u n g
einer
in sich selbst gegründeten Geisteswelt dient. Der W e r d e p r o z e ß der Persönlichkeit l ä ß t sich beschreiben seits
als
Selbstvollendung
Selbstdarstellung
im
des
Geisteslebens
Individuum,
durch
andererseits
als
dessen
„einer-
lebendige
Vollentfaltung
der
im I n d i v i d u u m ruhenden Lebensmöglichkeiten durch den inneren Lebensk o n t a k t mit der überragenden W e l t des G e i s t e s " .
(Nähere A u s f ü h r u n g
in HERMANN MÜLLERS Erlanger Dissertation „ I n d i v i d u a l i t ä t s - und sönlichkeitsgedanke bei R . E u c k e n " 1916.)
Per-
D a s Geistesleben ist hierbei
Ziel und W e g , W i r k u n g und Ursache zugleich.
Der Einzelne
gliedert
sich in den Lebenskreis des Geisteslebens ein, setzt sein eigenes Selbst durch eigene T a t .
A b e r auch in diesem Sichselbstsetzen t r i t t er nicht
aus dem ihn allseitig u m f l u t e n d e n Alleben heraus, sondern bleibt in den, wenn auch nicht b e w u ß t empfundenen, so doch tatsächlich vorhandenen Stromkreis
des
Geistes eingeschaltet.
So stellt sich denn auch
diese
T a t . . . nicht als ein W e r k des Punktes heraus, 'sondern als eine W i r k u n g des Ganzen, das diesen emporhebt und an seinem Leben läßt'
(Gründl,
Kantische
einer
Gedanke
Hinausgehen
über
neuen des
die
Lebensansch. 2
S. 104)"
Transzendentalismus
Spaltung
n u n f t , im Vordringen zu einem
vollendet
in theoretische einheitlichen
Teilung, zu einer über die Einzelvermögen
teilnehmen
(ebenda).
und
sich
— erst
praktische
Quellpunkt
jenseit
hinausgreifenden
Der im Verder
Gesamt-
t ä t i g k e i t , wie sie sich in Konzentrationen, Energien und L e b e n s s y s t e m e n k u n d g i b t , in denen sich das Geistesleben tatsächlicher G e s t a l t u n g durchringt.
auf historischem
Boden
In solcher B e w e g u n g das
zu
Geistes-
leben zu immer vollerer Erschließung und D u r c h b i l d u n g zu
bringen,
ist A u f g a b e und Sinn der G e s c h i c h t e ;
lediglich
Geschichte verdient
das zu heißen, was solcher Selbstverwirklichung des Geisteslebens dient.
Namenregister A d i c k e s , E . 6. 76.
E s c h e n m a y e r 39.
Aristoteles 66
E u c k e n , R . V I . 5. 75. 76. 8 3 — 8 5 .
Aster, E . v . 6. B a a d e r , F r a n z v . 40. 42.
F a l c k e n b e r g , Rieh. V . 5. 6. 19. 34. 60. 69- 75- 83-
Barth 661.
F a l c k e n b e r g , R o b . 52.
B a u c h , B r . 6.
F a l k e n h e i m 46.
Becher, Erich 6 8 1 .
Fechner, G. Theodor 6 6 — 6 8 .
B e c k , Sig. 33.
Feuerbach, L u d w i g 6 5 — 6 6 . 66
Beneke, Fr. E d u a r d 54.
Fichte, J o h . Gottlieb 13. 14. 33. 34—36»
Bergson V I .
38. 46. 50. 54. 56.
B ö h m e , J a k o b 40.
F i c h t e , I m m . Herrn, (der Sohn) 34. 69.
Bolin, W . 66.
Fischer, K u n o 5. 34. 36. 46. 60. 65.
Bolzano 76.
F l ü g e l , 0 . 53.
B o u c k e 34.
Förster-Nietzsche, E l . 74.
B o u t r o u x , E m i l e 83.
F r a u e n s t ä d t 60.
B r a u n , O t t o 36. 43. 73.
Fries, J a k . Friedrich 54.
Brentano, F r a n z 76. 77. B r u n s t ä d 46. Busse, L . 5. 6. 68 Carlyle
661.
Carus, K . G . 42. Cassirer, E . 76. 77. Cohen, H. 5. 6. 76. 77. Comte V I . Croce, B . 46. Crusius 74. D a r w i n 37. 75. Deisten
I. 28.
Descartes 1 1 . 60. 66
Garve
1.
G a u p p 66 Goethe 34. 44. 6 6 1 . Griesebach, E d . 60. Guyau VI. Häckel 681. Hall, St. 77. H a m a n n 2. Hartenstein 5. 53. H a r t m a n n , E d . v . 36. 42. 6 6 1 . 7 2 — 7 4 . Hegel, K a r l von 46. Hegel, W i l h . 13. 29. 42. 44. 4 5 — 5 3 . 65. 69- 73-
Dessoir, M. 1.
Hensel 43. 6 6 1 .
Deussen 60.
H e r a k l i t 48.
D i l t h e y , W . 43. 46. 76. 77 Drews, A . 46. 73. 74.
H e r b a r t 19. 53—60. 69. Herder I. 2. 36. Hertslet 60.
E c k 43.
H e y n a c h e r 34.
Ehrenfels, v o n 76.
H o b b e s 25. 6 6 1 .
E r d m a n n , Benno 75. 76.
H ö f f d i n g 66
NAME NRE G ISTER
Hoffmann, A. 66 1 . Holzer 74. Horneffer, E . 74. Hume 7. 25. 33. Husserl, E d m u n d 76. 77.
Menzer, P. 6. Messer, Aug. 6. Metzger, W. 36. Meyer, Rieh. M. 74. Mill VI. 66 1 . Misch 69. Müller, Herrn. 85.
Ihmels, C. 37. Jacobi 2. 3. 4. 33. James VI. Jodl, Fr. 66. Joel, K. 74.
Natorp 43. 76. 77. Nestle 74. Neukantianer
76. 84.
12. 75—77.
N i e t z s c h e 6 6 1 . 72. 7 4 — 7 5 .
K a n t V. 3. 4. 5—33- 34- 4°- 44- 45- 46. 48. 54. 60. 6 1 .
87
1
6 6 . 69. 70. 7 3 .
85.
Kehrbach 53. Kierkegaard 66 Kinkel, W . 53. König, E . 6. 68 1 . 77. 80. Koppernikus 15. Köstlin, K. 46. Krause, Fr. 42. Kries, J o h . v. 77. Krohn, A. 73. Kühnemann 34. Külpe, O.75. Laas 15. Lange, Fr. Alb. 76. Lask, Emil 34. Lasson 46. Laßwitz 66. Lehmann, R. 53. 60. Leibniz 1. 5. 9. 46. Leser, H. 83. Lessing 1. 2. 28. 66 1 . Lichtenberg 1. Liebmann, Otto 76. 77. Linke, Paul 77. Locke 10. 12. Lotze, Herrn. 66 1 . 69—72. 76. Löwe, J . H. 34. Maier, Heinr. 65. Maimon 33. Marty 76. 77. Medicus, Fr. 34. Meinong 76. 77. Mendelssohn, M. 1. 26. 29.
75.
Nobl, H. 46. Oesterreich, Konst. 5. 75. Oken 42. Paulsen, Fr. 5. 6. 68 1 . Peipers 69. Platner 1. Piaton 43. 66 Pünjer, B. 42. R a d e 43. Rehnisch 69. Reinhold, K. Leonh. 33. Reininger, Rob. 6. 13. 68. Richter, Raoul 74. Rickert, H . 76. 77. Riehl, AI. 5. 74. 76. Rousseau 2. 25. 66 1 . Saenger 66 Schasler, M. 46. Scheler, Max 77. Schelling, Friedrich W. V. 18. 32. 36 bis 4 2 . 4 3 . 4 7 . 4 8 . 6 8 1 . Schiller, Friedr. 33—34. Schlapp, O. 3 1 . Schleiermacher, Friedr. 42—45. Schmid, Friedr. Alfred 4. 36. S c h o p e n h a u e r , A. 18. 42. 54. 60—64
66 1 . 6 8 l . 73- 74- 75Schrempf, Chr. 2. Schubert 42. Schulze, G. E. (Anesidemus) 33. Schwarz, Herrn. 77. 83. Siebeck, H. 34. 66 L . Siegel, Carl 2. 5. Sokrates 33.
88
NAMENREGISTER
Solger 42.
V a i h i n g e r , H . 6. 19. 76.
Spencer V I . 66
V o g t , W i l h . 31.
Spinoza 2. 35. 38. 40. 68 1 ,
Volkelt, J o h . 5. 6. 60. 73.
Stadler, A . 6. 76.
Voltaire 75.
Steffens 42. Stoa
661.
Stoiker
24.
W a g n e r , J . J . 42. W a g n e r , Rieh. 74. 75.
Strauß, D . Fr. 65. 74.
W a g n e r , R u d . 69.
S t u m p f , Carl 76. 77.
W e i ß , 0 . 36.
S ü ß k i n d , H . 43.
W e i ß e , Chr. H. 69. Wentscher, M a x 69.
T e i c h m ü l l e r 56. Tetens 29. Thomasius 1. Titius 43. Tönnies
661.
Troeltsch 43.
W i n c k e l m a n n 1. W i n d e l b a n d , W . 5. 19. 38. 6 6 1 . 76. 77. W o l f f 1. 5. 6. 17. 29. Wundt, W.
VI.
37. 6 6 6 8 \
77—83. Zeller, E d . 65. Ziegler, L e o p . 73.
U e b e r w e g - H e i n z e 5.
Ziegler, T h . 65. 74.
75.
76.
GESCHICHTE DER NEUEREN PHILOSOP H I E von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart im Grund« riß dargeftellt von Dr. R I C H A R D F A L C K E N B E R G , o. ö. Prof. an der Univ. Erlangen. Siebente, verbell, und ergänzte Auf= läge. gr. 8. 1913. Geh. M. 9.—, geb. in Ganzleinen M. 10.— Ein Buch von mäßigem Umfange und doch ein großartiges Werk. Großartig durch die Fülle des verarbeiteten Stoffes, da nicht allein alle Philosophen von Fach, sondern alle Männer, deren Denkarbeit bestimmend auf das Geistesleben der modernen Völker eingewirkt hat, Berücksichtigung gefunden haben.
ÜBER DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER DEUTSCHEN PHILOSOPHIE. A k a d e m i e Antrittsrede gehalten von Dr. R I C H A R D F A L C K E N B E R G , o. ö. Prof. an der Univ. Erlangen, gr. 8. 1890. Geh. M. —.60 Von demselben
Verfasser
ist
erschienen:
HERMANN LOTZE. E r f t e r T e i l : Das Leben und die Entitehung der Schriften nach den Briefen. Frommanns Klaffiker der Philofophie, Band 12. Stuttgart 1901. EUCKENS KAMPF GEGEN DEN NATURALISMUS. Aus der Luitpold = Feftfchrift. Erlangen und Leipzig 1901.
KANT UND DAS JAHRHUNDERT.
rede.
Zweite Auflage.
Gedächtnis-
Leipzig 1907.
ARISTOTELES' LEHRE VOM URSPRUNG DES MENSCHLICHEN GEISTES von ProfelTor Dr. F R A N Z B R E N T A N O ,
gr. 8.
1911.
Geh. M. 6.—
Der als verdienstvoller Aristoteles-Forscher bekannte gelehrte und geistreiche Verfasser hat in der vorliegenden Abhandlung eine von vielen schlechterdings für unlösbar gehaltene Frage, die zu den wichtigsten Fragen der aristotelischen Theologie und Psychologie gehört, zu sicherer, einhellig anerkannter Entscheidung gebracht.
HELLENIKA. Eine Auswahl philologischer u. philofophiegeschichtlicher kleiner Schriften. Von T H E O D O R G O M P E R Z . Erfter Band. gr. 8. Geh. M. 12.—. Zweiter Band. gr. 8. Geh. M. 11.— Dritter Band unter der PrelTe. An den Abhandlungen sind noch mehr als die schönen Ergebnisse, welche meist die verdiente Berücksichtigung gefunden haben, z. B, in den Ausgaben der Tragiker und in der Naucksehen Sammlung der Fragmenta trag. Gr., die Vorzüge der methodischen Forschung zu bewundern, welche besonders jüngeren Philologen zur Belehrung und Nachahmung dienen können.
V E R L A G V O N V E I T