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German Pages 266 [268] Year 2015
Rita Casale, Barbara Rendtorff (Hg.) Was kommt nach der Genderforschung?
2008-01-15 14-24-12 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 031a168362911632|(S.
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Rita Casale, Barbara Rendtorff (Hg.)
Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung
2008-01-15 14-24-12 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 031a168362911632|(S.
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Rita Casale, Barbara Rendtorff Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-748-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
»Was kommt nach der Genderforschung?« – Ein Vorwort RITA CASALE, BARBARA RENDTORFF Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forschung. Plädoyer für die historische Perspektive in der Geschlechterforschung CLAUDIA OPITZ
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Kommentar zum Beitrag: Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forschung. PIA SCHMID
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»Intersectionality« – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung? GUDRUN-AXELI KNAPP
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Kommentar zum Beitrag: »Intersectionality« – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung? HELGA KELLE Mit ›Gender‹ in der Bewegung? Eine Antwort auf die Frage ›Was kommt nach der Genderforschung?‹ aus der Perspektive von Frauenbewegung SILVIA KONTOS Kommentar zum Beitrag: Mit ›Gender‹ in der Bewegung? BETTINA DAUSIEN
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59
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Die Erziehungswissenschaft im Jahr 2007: Potential und Grenzen feministischer Wissenschaftskritik in einer »handlungsorientierten« Wissenschaft JULIANE JACOBI Merkwürdige Selbst-Vergessenheit? Thematisierungsdynamiken im Kontext feministischer Theoriebildung SUSANNE MAURER
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Über den (möglichen) Beitrag der Psychoanalyse zur Geschlechterforschung BARBARA RENDTORFF
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Matrix der Differenz. Zum Unterschied zwischen gender und sexueller Differenz IDA DOMINIJANNI
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Gender – ein epistemisches Ding? Zur Geschichtlichkeit des Verhältnisses von Natur, Kultur, Technik und Geschlecht ASTRID DEUBER-MANKOWSKY
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Kommentar zum Beitrag: Gender – ein epistemisches Ding? EVA BORST
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Vom Begriff zur Repräsentation: Die Transformation der Kategorie gender EDGAR FORSTER
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Zwischen Aktivismus und Akademie. Die Zeiten feministischen Wissens SABINE HARK
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Kommentar zum Beitrag: Zwischen Aktivismus und Akademie KARIN PRIEM
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Formwandel politischer Institutionen im Kontext neoliberaler Globalisierung und die Relevanz der Kategorie Geschlecht BIRGIT SAUER
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Kommentar zum Beitrag: Formwandel politischer Institutionen im Kontext neoliberaler Globalisierung und die Relevanz der Kategorie Geschlecht EDGAR FORSTER Autor/-innen
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» Was k ommt nac h der Ge nderforsc hung?« – Ein Vorw ort RITA CASALE, BARBARA RENDTORFF
Das Anliegen dieses Bandes können wir mit einem Satz zusammenfassen: die Debatten über die Probleme und Stagnationen, die Ideen und Überlegungen zu Stand und Zukunft der Geschlechtertheorie als interdisziplinäres Thema zusammen zu führen, zu gegenseitiger Anregung. Zu diesem Zweck hat die Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft ihre Jahrestagung 2007 in ein »Interdisziplinäres Gespräch« umgewandelt, was auch für die Beteiligten aus den Nachbardisziplinen ein seltenes Vergnügen war (zu einigen Beiträgen, die als Vorträge bei dieser Tagung gehalten worden waren, finden sich auch die dort vorgetragenen Kommentare in diesem Band). Die Vorträge und ausführlichen Diskussionen reflektierten, wie innerhalb der beteiligten Disziplinen, in Erziehungswissenschaft und Soziologie, in Philosophie, Politikwissenschaft und Geschichte seit der produktiven Zeit der feministischen Theorieansätze mit wechselnden Konjunkturen diskutiert wurde und wird, unterschiedlich intensiv und mit verschiedenen Schwerpunkten. Manche dieser konjunkturellen Entwicklungen waren in mehreren Disziplinen ähnlich bestimmend – so die Debatte um den Wechsel in der Bezeichnung des eigenen Arbeitsfeldes, der eigenen Theorien und Thematiken: als es »altmodisch« und nicht mehr angemessen erschien, die Sektionen und Kommissionen in den »Standesorganisationen« der Disziplinen als »Frauenforschung« zu bezeichnen, vollzogen sich (unter heftigen Debatten) Namenswechsel von »Frauenforschung« zu »Geschlechterforschung«, oder »Frauen- und Geschlechterforschung« oder gleich zu »Genderforschung« – ein Ausdruck, der in den 1980er Jahren als Label noch nicht verbreitet war. Das kann man als Entpolitisierungsprozess diskutieren, oder als Prozess der Differenzierung theoretischer Positionen und Perspektiven, oder auch als taktisch notwendige Stra-
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tegie innerhalb der akademischen Institutionen – in jedem Fall aber gab der Siegeszug der Kategorie »gender« in allen beteiligten Disziplinen Anlass zur Selbstvergewisserung über den Fokus und die Perspektive der eigenen Forschungsarbeiten. So findet sich auch in fast allen Beiträgen dieses Bandes eine Bezugnahme auf Joan Scotts Aufsätze zum Begriff »gender«, den sie zunächst populär gemacht und später grundsätzlich problematisiert hat – hiervon ist auch der Titel dieses Bandes inspiriert worden. Andere Debatten verliefen zwischen den Disziplinen sehr unterschiedlich: So sind die Erziehungswissenschaften durch die immer gegebene Verknüpfung der Geschlechterperspektive mit dem Handeln unter institutionellen Bedingungen (Schule, Jugendarbeit) einerseits und der Nähe zu psychologischen Entwicklungsaspekten (im Zusammenhang mit Kindheit, Jugend, Alter) anders auf die Auslegung und Anwendung geschlechtertheoretischer Überlegungen angewiesen als die Philosophie oder die Geschichtswissenschaft, da etwa die Geschlechtergeschichte zwar immer interdisziplinär angelegt ist, aber keine vergleichbare Nähe zu Handlungsnotwendigkeiten aufweist. Auch die Akademisierung der feministischen Theorie hat in den Disziplinen unterschiedliche Formen angenommen und unterschiedliche Effekte erzeugt, wie auch die Institutionalisierung von Geschlechterforschung teilweise sehr verschieden verlaufen ist (und noch verläuft). Die Austrocknung der Geisteswissenschaften mit ihrem seit Jahren anhaltenden Stellenabbau war der Etablierung von Geschlechterforschung dabei natürlich besonders abträglich – z.B. in Erziehungswissenschaft mit einem Verlust von etwa einem Drittel ihrer Stellen binnen zehn Jahren. Die mit der Einführung von Ba/Ma-Studiengängen einhergehende Curricularisierung könnte deshalb zwar Chancen bergen, führt aber vielerorts zum Wegfall von Geschlechterforschung, ihrer Marginalisierung oder ihrer Reduktion auf einen Spiegelstrich unter anderen (wie z.B. »Umgang mit Heterogenität«, Migration oder Behinderung). Es gibt unter differenztheoretischer Perspektive enge Verbindungen zwischen interkulturellen bzw. Migrationstheorien und Geschlechtertheorien, doch steht zu befürchten, dass diese Verkoppelung zu ihrer begrifflichen und systematischen »Verdünnung« führen wird – unterschlägt sie doch, dass hinter diesen Forschungsschwerpunkten breite, ausgearbeitete Theoriefelder liegen. Die Theorieentwicklung, die sich in der angesprochenen NamensVerschiebung ausdrückt, hat jedenfalls die Disziplinen alle erfasst, wenngleich sie unterschiedlich aufgefasst und ausgestaltet wurde: als Verbreiterung der Perspektive über die parteiliche Betrachtung der Frauenbelange hinaus, als Orientierung an Konstruktivismus und Dekonstruktivismus und auf der Seite der gesellschaftlichen Öffentlichkeit parallel dazu als sich entwickelnde Art von Akzeptanz, wie sie sich etwa in Gender-Mainstrea-
»W AS KOMMT NACH DER GENDERFORSCHUNG?« – EIN VORWORT | 11
ming-Regelungen ausdrückt. Einige Autor/-innen bleiben nah an den Fragen ihrer Disziplinen, andere nehmen die Fragestellung des Bandes zum Anlass für Rekonstruktionen von Theorie-Entwicklungen, zu grundsätzlichen Überlegungen zum Begriff »gender«, seinem Potential und seinen Fallen und Grenzen. Manche setzen auf Repolitisierung, andere auf Historisierung oder auf die Anstrengung des Begriffs. Alle (auch wenn man ja das Ende nicht verraten soll) kommen zu dem Schluss, dass nicht etwa ein »Ende« der Geschlechterforschung ansteht, sondern im Gegenteil ihre »Retheoretisierung«, ein neuer Schub von Ausdifferenzierung – und alle sehen im Austausch und in der Lust an einer (streitig-kontroversen) Debatte eine hochwirksame Anregung ihrer eigenen Arbeiten. Unterschiedliche Perspektiven können eigentlich nur produktiv sein – zumal sich alle Beteiligten mit einer Thematik befassen, die sich vielleicht wirklich nicht klarer als mit der Konstellation »sex/gender-System« bezeichnen lässt. In diesem Sinne wünschen wir unseren Leser/-innen eine anregende Lektüre. Die Herausgeberinnen, im September 2007
Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forsc hung. Plädoyer für die historische Perspektive in der Gesc hlec hterforsc hung CLAUDIA OPITZ
Wenn ich hier ein Plädoyer für die historische Perspektive in der Geschlechterforschung halten will, so weist das darauf hin, dass ich diese Perspektive für gefährdet halte – und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, weil sich, wie ich im Folgenden durch einen kurzen Rückblick auf die Genese der Geschlechterforschung zeigen werde, aus dem »Geist« der Frauenbewegung der 1970er Jahre und seines revolutionären Anspruchs eine gewisse »Geschichtsvergessenheit« oder doch eine ebenso heftige wie permanente Traditionskritik auch in die Geschlechterforschung hinübergerettet hat; und zum zweiten, weil durch den »linguistic turn« eine Ablösung des marxistischen Paradigmas erfolgte, die ebenfalls zu dieser »Geschichtsvergessenheit« beigetragen hat. Dazu kommen noch andere Faktoren, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, wie etwa die Tatsache, dass durch den »cultural turn« bzw. die Debatte um Interkulturalität und Intersektionalität usw. die Kategorienflut sich (nicht nur) in der GenderForschung so exponentiell erweitert hat, dass die historische Dimension vieler Phänomene und Entwicklungen darüber gerne vergessen oder jedenfalls in den Hintergrund gedrängt wird. Ich werde mich im folgenden vor allem auf die Frage des ambivalenten »Erbes« der Frauenbewegung in Bezug auf die Historizität von Geschlechterbeziehungen und -ordnungen konzentrieren, um davon ausgehend für die Rückbesinnung auf die historische Dimension zu plädieren und dafür auch einige Anregungen bzw. Argumente zu liefern.
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1 . E i n e ( u n - ) ve r g e s s e n e T r a d i t i o n s l i n i e : D a s » r e vo l u t i o n ä r e P r o j e k t « Die Neue Frauenbewegung der 70er und frühen 80er Jahre ist – wie die meisten sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts – mit dem Anspruch aufgetreten, eine radikale Veränderung der Gesellschaft bewirken zu wollen; sie wollte Geschlechterverhältnisse revolutionieren. Oberflächlich betrachtet war die frühe feministische Forschung deshalb ausgesprochen »geschichtsträchtig«. Der feministische Anspruch auf Umsturz der Geschlechterverhältnisse (bzw. ein Ende der Männerherrschaft) wurde insbesondere durch den »Blick zurück«, die Betrachtung der historischen Entwicklungen bzw. der Vor-Geschichte der modernen Geschlechterbeziehungen zu profilieren und zu legitimieren gesucht. Die Idee eines Jahrtausende alten hierarchischen Mit- oder sogar: Gegeneinanders der Geschlechter – das lastende Erbe des Patriarchats – war der Hintergrund dieser Beschäftigung mit Geschichte. Eine solche Perspektive ließ die auf Egalität von Männern und Frauen und/oder auf weibliche Autonomie zielenden Ideale und Utopien der Frauenbewegung als umso radikaleren Bruch mit der Vergangenheit erscheinen. Diese »goldene Zeit« des historischen Denkens ist indes aus heutiger Sicht trügerisch: Die Vergangenheit erscheint hier als höchst ambivalente Veranstaltung – changierend zwischen einem mehrtausendjährigen Patriarchat und einer trotz alledem unverdrossenen »Suche nach der weiblichen Vergangenheit«. Um dafür ein besonders anschauliches und wirkungsmächtiges Beispiel zu nennen, sei an dieser Stelle an Simone de Beauvoirs »Das andere Geschlecht« erinnert. Schon zwei Jahrzehnte, bevor sich die Neue Frauenbewegung Ende der 1960er-Jahre in den USA und Europa formierte, hat de Beauvoir einen kritischen Blick auf die Lage der Frauen in ihrer Zeit geworfen. Ihre etwa 700 Seiten umfassende Analyse der Geschlechterverhältnisse der Gegenwart begründete sie im Ersten Buch des »Deuxième Sexe« mit einer kenntnisreichen Betrachtung der biologischen, psychischen und schließlich materiellen (Not-)Lage des weiblichen Geschlechts – und deren Genese. Dabei ging sie von der Grundüberzeugung aus, dass »in der Gegenwart […] die Vergangenheit (lebt), und in der Vergangenheit […] die gesamte Geschichte von den Männern gemacht worden (ist).«1 Die Frage, »woher [es] kommt, dass diese Welt immer den Männern gehört hat und dass heute erst die Dinge in einer Wandlung begriffen sind«, versucht de Beauvoir, trotz ihres im Prinzip a-historischen Grundkonzepts, dennoch mittels einer fulminanten Reise durch Zeiten und Orte 1
Simone de Beauvoir: Le deuxième Sexe, Paris: Gallimard 1949 (dtsch. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1951, S. 14).
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der Weltgeschichte bis hinein in die jüngste Vergangenheit und die Geschichte der französischen Frauenbewegung zu beantworten. Sie bietet dabei ein komplexes Bündel an Erklärungsmomenten in historisch spezifischen Situationen an, bleibt jedoch insgesamt bei ihrer Grundannahme, dass »die Teilung der Geschlechter […] tatsächlich etwas biologisch gegebenes, nicht ein Moment der Menschheitsgeschichte« sei.2 Die nachfolgende Generation von Feministinnen, die sich mit der Vergangenheit befassten, haben dies wie de Beauvoir meist im Hinblick auf die Genese der modernen Geschlechterbeziehungen oder genauer: der Geschlechterungleichheit getan.3 De Beauvoirs (aus der marxistischen Historiographie stammende) Grundannahme, dass es einen »ursprünglichen« oder »urzeitlichen Kampf« gegeben haben muss, in dem die Frauen ihre gleichberechtigte oder sogar Vormachtstellung eingebüsst haben müssen, ist in der Folge von der frühen feministischen Geschichtsbetrachtung relativ unhinterfragt übernommen worden, die dann auch gleich noch ein wirkungsvolles Etikett für die ununterbrochene Unterdrückung der Frau durch den Mann fand, nämlich »das Patriarchat«. So skizzierte die amerikanische Aktivistin Kate Millet in ihrem für die Neue Frauenbewegung diesseits wie jenseits des Atlantiks bahnbrechenden Buch »Sexual politics« 1969 u.a. die Umrisse einer »Patriarchatstheorie«. Es sei an der Zeit, so forderte sie, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern als Herrschaftsverhältnis zu begreifen und die Gesellschaft als Patriarchat, denn alle Macht liege in Händen der von Geburt an privilegierten Männer. Dabei sei die Frage nach dem Ursprung des Patriarchats weniger wichtig als die nach seiner jüngsten Geschichte und Gegenwart. Die marxistische Soziologin Juliet Mitchell hielt allerdings in ihrer Schrift »The Woman’s Estate« (1971) dagegen, dass eine derartige Theorie, die über Räume und Zeiten hinweg das Patriarchat als Universalie behauptete, damit die Geschichte »still stellte«, bzw. zum Mythos entstellte, was dem Anliegen von Frauen, ihre politischen Rechte einzufordern und zu realisieren, eher hinderlich als förderlich sei, da sie aus der Geschichte keinerlei Anhaltspunkte für eine eigene Welt- und Wertvorstellung gewinnen könnten. Sie plädierte dafür – und viele Forscherinnen sind ihr darin gefolgt –, feministischen Widerstand gegen das Patriarchat ernst zu nehmen – auch dies in Anlehnung an die sozialistische Theorie und ihre Betonung des Klassenkampfes als treibender Kraft in der Geschichte.4 Die feministische 2 3
4
Ebd. Zu Simone de Beauvoirs Geschichtsphilosophie und Historiographie siehe die entsprechenden Beiträge in: Ingrid Galster (Hg.), Simone de Beauvoir: Le deuxième sexe. Le livre fondateur du féminisme moderne en situation, Paris: Honoré Champion 2004. Karin Hausen: »Patriarchat. Vom Nutzen und Nachteil eines Konzepts für Frauengeschichte und Frauenpolitik«, in: Journal für Geschichte 5 (1986); Claudia Opitz: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen: edition discord 2005, besonders Kap. I.1.
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Geschichtsbetrachtung sollte infolgedessen eine sein, die den Frauen eine »eigene Geschichte« zumesse insoweit, als sie dem Patriarchat Widerstand geleistet hätten – und wenn schon nicht mit Gewalt, dann mit »Listen der Ohnmacht«.5 Die Erforschung der Alten und Neuen Frauenbewegung(en) und ihrer Leistungen und Probleme, die bis heute unvermindert andauert, hat hier ihre Wurzeln, ebenso wie die Entdeckung zahlreicher »großer Frauen« in der Vergangenheit, seien dies nun Herrscherinnen, Kämpferinnen oder Künstlerinnen. Auch die Suche nach einem vor-geschichtlichen (oder z.B. auch außereuropäischen) Matriarchat geht auf diese Denkfigur zurück.6 Letztlich ist auch das Konzept der »Frauengeschichte« bzw. der »herstory«, das in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die feministische historische Forschung dominierte, daraus hervorgegangen, das insbesondere dazu geeignet schien, die »blinden Flecken« und Auslassungen der sogenannten »his-story«, also der von Männern dominierten Geschichte und Geschichtsschreibung, zu kompensieren und damit zu überwinden. Dass das Konzept enge Verbindungen zum Differenz-Feminismus und seinen Zielen aufweist, liegt auf der Hand. Immerhin hat es gegenüber dem kämpferischen Impetus der Patriarchatsforschung ein tröstliche utopische Komponente: Schließlich sollte in einer fernen Zukunft Frauengeschichte und allgemeine (bzw. Männer-)Geschichte zusammengeführt und zu einer einzigen, wirklich »allgemeinen« Geschichte vereinigt werden.7 Aus dieser Zeit stammt denn auch das Projekt vom »Um-Schreiben der Geschichte« als wichtigem Schritt auf dem Weg zu einer Veränderung von Geschlechterbeziehungen im Hier und Jetzt. Ich komme auf das »Um-Schreiben der Geschichte« später zurück. An dieser Stelle möchte ich nur festhalten, dass sich die frühe Frauenforschung mit und nach de Beauvoir sehr eng an marxistische Geschichtsbilder angelehnt und damit gleichsam das »revolutionäre Projekt« mit eingekauft hat. Die historische Dimension ist hier allerdings eng umschrieben als »Vor-« oder als »Gegen-Geschichte« des Patriarchats. Die Vielfalt historischer Erscheinungsformen von Männlichkeit und/oder Weiblichkeit, von gesellschaftlichen Formationen und Beziehungsformen wird verflacht bzw. »zugerichtet« hin auf eine reformerische oder auch revolutionäre Gegenwart. Dass sich unter seiner Ägide diesseits und jenseits des Atlantiks dennoch eine große Zahl von Zentren für Frauenforschung oder women’s studies – Programme etablieren konnte, darf dabei aber nicht ver-
5
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Vgl. Claudia Honegger/Bettina Heintz (Hg.), Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen, Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1994, besonders die Einleitung. Vgl. C. Opitz: Um-Ordnungen, Kap. I.1. Vgl. Gerda Lerner: »Die Herausforderung der Frauengeschichte«, in: Dies.: Frauen finden ihre Vergangenheit. Grundlagen der Frauengeschichte, Frankfurt a.M./New York: Campus-Verlag 1995, S. 163-175 (am. Original 1977).
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gessen werden. Für eine Institutionalisierung war offenbar die identitätspolitische Ausrichtung der »Frauenforschung« nicht per se hinderlich.8
2. Von der Frauen- zur Geschlechterforschung – oder: Wider die Identitätssuche in der Vergangenheit Gegen die Funktionalisierung und Verflachung von Geschichte für moderne feministische Identitätsbildung und -politik startete gegen Ende der 1980er Jahre eine jüngere Generation von Philosophinnen. Sie propagierten die Kategorie »Geschlecht« als zentrale Strukturkategorie einer radikalisierten feministischen Gesellschaftsanalyse, die im Übrigen nicht notwendigerweise auf Frauen (und Männer), sondern auf Machtverhältnisse aller Art zielt. So schlug 1986 Joan Scott vor, die umstrittene und historisch kontingente Kategorie »Frau« durch die Kategorie »Geschlecht« bzw. »Gender« als Grundkategorie der Forschung zu ersetzen. Scott definiert Geschlecht erstens als »konstitutives Element von gesellschaftlichen Beziehungen«, das »auf wahrgenommene Unterschiede zwischen den Geschlechtern« gründet; und zweitens als »eine wesentliche Art und Weise, um Machtbeziehungen Bedeutung zu verleihen. Veränderungen in der Organisation gesellschaftlicher Beziehungen entsprechen immer auch Veränderungen in der Repräsentation der Macht, die Richtung der Veränderung ist jedoch nicht unbedingt immer dieselbe.«9 In Anlehnung an die französischen Geschichts- und Kulturtheoretiker Jacques Rancière und Jacques Derrida formulierte sie im weiteren eine Position der kritischen Reflexion aller wissenschaftlichen bzw. historiographischen Kategorien, insbesondere aber derjenigen der »Frau« und der »Frauengeschichte«: »Wenn wir, statt nach der Behandlung von Frauen in 8
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Allerdings war auch schon diese Entwicklung innerhalb der Frauenbewegung begleitet von heftigen Auseinandersetzungen um »autonome« vs. »integrative« Konzepte und Institutionen, nicht ganz unähnlich den aktuellen Auseinandersetzungen um »gender mainstreaming«. Joan Scott: »Gender – a useful category of historical analysis«, in: American historical Review 91 (1986), S. 1053-1075 (dtsche Übersetzung, in: Nancy Kaiser (Hg.), Selbst bewusst. Frauen in den USA, Leipzig: Reclam 1994, S. 53). Ähnlich schrieb bereits 1983 Gisela Bock: »Versuche, die Frauensituation als Ausbeutung durch Männer zu beschreiben und analog der Ausbeutung von Männern in den Kategorien einer Klassenanalyse […] zu definieren, führten in Sackgassen: […] Die Ablehnung dieser Konsequenz führte zu der Einsicht, dass – da Frauen in allen Klassen anwesend sind – die Klassen-Termini weder den Gemeinsamkeiten, noch den Besonderheiten der Frauensituation noch ihrer Beziehung zur Gesellschaft ausreichend Rechnung tragen.« Gisela Bock: »Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven«, in: Karin Hausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte, München: Beck 1983, S. 34.
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einer früheren Zeit zu fragen, uns darum kümmern, wie und unter welchen Umständen die Geschlechterdifferenz sich auf ihre Behandlungen auszuwirken begann, hätten wir die Basis für eine Analyse von Frauengeschichte gelegt, die keine bloße Wiederentdeckung unserer selbst in der Vergangenheit darstellt.«10 Das bedingt allerdings, wie sie weiter schreibt, »eine gewisse Ent-Identifizierung von den Objekten unserer Untersuchung, eine bewusste Anstrengung, uns von den uns gleich erscheinenden Anderen zu trennen. Das Verhältnis von Identität und Identifizierung verändert sich. Wenn Identität als kontingentes historisches Ereignis und nicht als unveräußerbares Eigentum betrachtet wird, entsteht analytische Distanz nicht nur zwischen uns selbst und unseren Objekten, sondern auch gegenüber unserem Selbstverständnis.«11 Umgekehrt bewirke eine homogenisierte Identitätsbildung, nach Joan Scott, Stillstand, Ghettoisierung, A-Historizität – was sie selbst dazu bewog, jeglicher Art von identitätsbezogener Geschichtsschreibung eine Absage zu erteilen.12 Damit waren der »Frauengeschichte« als Unterdrückungs- wie als Gegengeschichte zur vorherrschenden (»Männer-«)Geschichte konzeptionell die Grundlagen entzogen – aber diesmal nicht von Seiten uneinsichtiger Vertreter des status quo, sondern unter dem Vorzeichen einer radikalisierten, gleichsam wissenschaftlichen Revolution, eines Paradigmenwechsels also, der indes, wie noch zu zeigen sein wird, seinerseits viele Fragen offen lässt. In den 1990er Jahren setzte sich der Begriff »Geschlecht« bzw. »Gender« und der »postmoderne« selbstreflexive Ansatz, den Scott vorschlug, nicht nur im us-amerikanischen, sondern auch im deutschsprachigen Raum sukzessive durch.13 Es wurden nun verstärkt die »Geschlechterdifferenz« und die »Geschlechterordnung« untersucht, die »Konstruktion von Geschlecht« in verschiedenen Kontexten wurde zur bevorzugten Themenwahl. Die Frauenforschung wurde mehrheitlich abgelöst durch die Geschlechterforschung – Sprache, Bilder, Medien und »Diskurse« wurden zu
10 Joan Scott: »Nach der Geschichte?« In: Werkstatt Geschichte 17 (1997), S. 23. 11 Ebd. 12 »In diesen Geschichten […] erscheint das Leid der Gegenwart dauerhaft und anhaltend, und es erscheint daher umso intensiver und unmoralischer. Aus der Perspektive einer langen Geschichte erscheinen Forderungen umso legitimer. Doch gleichzeitig überlagern sich Vergangenheit und Gegenwart, und Identität wird als universale, ahistorische Erzählung von Ausschluss und Leiden verdinglicht. Wenn aber Identität zum Synonym für Ausschluss und Leiden wird, bedeuten Wiedereingliederung und ein Ende des Leidens auch ein Ende von Identität. Daher lässt sich aus dieser Perspektive keine Zukunft vorstellen.« Ebd. S. 17. 13 Zum Begriff der Postmoderne, wie ich ihn verstehe, vgl. Christoph Conrad/Martina Kessel: »Geschichte ohne Zentrum«, in: Dies. (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994, S. 9-36.
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den wichtigsten Forschungsgegenständen erhoben, ökonomische Abhängigkeiten und materielle Interessen traten in den Hintergrund. Gleichzeitig gewann diese neue Spielart feministischer Forschung an Akzeptanz und positivem Echo in der akademischen (Männer-)Welt – ohne dass allerdings die Protagonistinnen den grundsätzlich revolutionären Gestus in der Sprache und im Auftreten hätten vollends abschütteln können und wollen, den sie, noch immer Teil einer feministischen Bewegung, gleichsam von ihren Vorgängerinnen geerbt hatten.14 Diese »Kulturrevolution« innerhalb der akademischen Frauenbewegung ging im Übrigen nicht ohne Widerspruch vonstatten. Schon 1985 publizierte eine der Begründerinnen der Frauengeschichte in der BRD, Annette Kuhn, ein flammendes Plädoyer für »Identitätsgewinnung durch Frauengeschichte« gegen allerhand ihrer Meinung nach »relativierende« neue Einflüsse;15 in den USA tobt der Flügelkampf von »modernen« (d.h. marxistisch-identitätspolitischen) und »postmodernen« (also kulturkritischselbstreflexiven) Feministinnen seit zwanzig Jahren.16 Und rechtzeitig zu Beginn des neuen Jahrtausends meldete sich gar die »Erfinderin« von »Gender«, Joan Scott, selbst zu Wort, um das »Ende von Gender« zu verkünden – weil es, so ihre Analyse, als kritisches Instrument zur Analyse von Machtverhältnissen ausgedient hätte.17 Infolgedessen meint Scott nun – »gegen einen ziemlich breiten feministischen Konsens« – behaupten zu können, »gender sei vielleicht nicht mehr die nützliche Kategorie, die sie einmal war – nicht, weil ›der Feind‹ die Oberhand gewonnen hätte, sondern weil diese Kategorie die jetzt anstehende Arbeit nicht zu leisten vermag.«18 Als zentrales »Unvermögen der Kategorie gender« bezeichnet Scott »die Weigerung, sich auf das körperliche Geschlecht einzulassen.«. Dabei lasse sich weder auf der begrifflichen noch viel weniger auf der konzeptionellen Ebene das biologische vom sozialen Geschlecht klar unterscheiden. Um die unproduktive Trennung von körperlichem und identitätsbasiertem Geschlecht zu überwinden, schlägt Scott in Anlehnung an die Überlegungen der Kognitionspsychologin Elizabeth Wilson den Rückgriff auf die Psychoanalyse vor. Sie geht dabei von der Annahme aus, 14 Vgl. Claudia Opitz: »Gender – eine unverzichtbare Kategorie der historischen Analyse. Zur Rezeption von Joan W. Scotts Studien in Deutschland, Österreich und der Schweiz«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 95-115. 15 Annette Kuhn: »Identitätsgewinnung durch Frauengeschichte – Gefahren, Grenzen, Möglichkeiten«, in: Geschichtsdidaktik, H.2 (1985), S. 117-128. 16 Vgl. Ulrike Strasser: »Intime Antagonisten. Postmoderne Theorie, feministische Wissenschaft und die Geschichte der Frauen«, in: traverse. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1 (2001), S. 37-49. 17 Joan Scott: »Die Zukunft von gender. Fantasien zur Jahrtausendwende«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 39-64. 18 Ebd., S. 53f.
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»dass die Kategorien ›Mann‹ und ›Frau‹ Ideale zur Regulierung und Kanalisierung von Verhalten, nicht aber empirische Beschreibungen tatsächlicher Personen sind, die diesen Idealen nie gerecht werden können.«19 Dabei ermöglichten soziale und politische Institutionen die Erfüllung dieser normativen Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale, bisweilen erzwängen sie sie sogar. Wie dies genau vor sich geht, versucht Scott gewissermaßen in einer »psycho-historischen Wende« durch den Blick ins Innere historischer Akteurinnen (und ggf. auch Akteure) herauszufinden. Den Kernbegriff ihrer neuerlichen Beschäftigung mit »sex and gender« stellt dabei der der »phantasies«, der individuellen und vor allem der kollektiven Phantasien dar, in denen sich ihrer Auffassung nach ebenso sehr die Dimension der »sexuellen Differenz« wie die der »gesellschaftlichen« resp. »kulturellen Konstruktion von (Geschlechts-)Identitäten« finden lässt, denen ja schon die frühe Frauenforschung – als »weibliche Erfahrung« vs. »gesellschaftlicher Norm« – ihr Hauptaugenmerk gewidmet hat. Ob es eine solche psychische bzw. psycho-analytische Wende braucht, um die Genese von Identitäten bzw. die Identifizierung von Akteur/-innen und deren Handlungen zu analysieren, wäre weiter zu diskutieren. Sie erinnert jedenfalls enorm an die Ausführungen Simone de Beauvoirs – und sie ruft sofort auch Erinnerungen an die Debatten der 1970er Jahre wach. Ist Scott das nicht bewusst – oder leidet gerade die Historikerin hier gleichsam unter einem akuten Schub von Geschichtsvergessenheit? Mir scheint das Problem, um zu meinem Ausgangsstatement zurückzukommen, weniger ein persönliches von Joan Scott zu sein, sondern vielmehr ein strukturelles der feministischen (Geschichts-)Forschung und Historiographie20: Es steht dahinter eben jener revolutionär-radikale Gestus, der – in durchaus nobler Absicht, nämlich zur Radikalisierung von feministischer Analyse und Handlungsweise – die eigene Vergangenheit und Traditionsbildung vernachlässigt, ja, geradezu ausblendet, auch auf die Gefahr hin, die Entwicklung der Diskussion zurückzudrehen gleichsam zum Punkt Null der Neuen Frauenbewegung. Oder verbirgt sich hierin vielleicht sogar eine uneingestandene Sehnsucht nach dem »status quo ante«, wo sich revolutionäre Politik und radikale Analyse noch nicht so weit voneinander entfernt hatten?
19 Ebd. 20 Diese strukturelle Schwäche hat schon vor Jahren die Kulturkritikerin Genevieve Fraisse für den französischen Kulturraum kritisch erhellt. Vgl. Geneviève Fraisse: »Feministische Singularität. Kritische Historiographie der Geschichte des Feminismus in Frankreich«, in: Feministische Studien 4 (H.2) 1985, S. 134-140.
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3 . P r o b l e m e u n d P e r s p e k t i ve n vo n » G e n d e r « – o d e r : N a c h d e r G e n d e r - F o r s c h u n g i s t vo r der Gender-Forschung Aus meiner Sicht sollte Scotts durchaus berechtigte Kritik am eingeschränkten Gebrauch oder auch an gewissen konzeptionellen Schwächen der Kategorie »Gender« – gerade mit Blick auf die vielfältigen Errungenschaften und Erkenntnisse, die sowohl die Frauenforschung, wie aber auch die Geschlechterforschung bereitstellen – nicht dazu führen, diese erneut grundsätzlich in Frage zu stellen bzw. hinter sich zu lassen. Unzweifelhaft bedarf das Forschungsprogramm, das von Scott als Vertreterin einer äußerst sprachtheoretisch orientierten Gender-Forschung entworfen wurde, eines gewissen Korrektivs – mit Blick auf die historische Forschung und die Historiographie in zwei Richtungen. Wenn Scott nämlich schreibt: »Im Gegensatz zu einer Geschichtsschreibung, die die Wurzeln politisierter Identitäten in verschiedenen kulturellen Kontexten und Erfahrungen verankert sieht und diese Identitäten damit essentialisiert, schlage ich vor, Geschichten zu schreiben, die die Produktion von Identität durch einen zugleich homogenisierenden und differenzierenden Prozess untersuchen«,21 dann stellt sie damit die feministische Geschichtsschreibung, aber darüber hinaus die gesamte GenderForschung vor ein erkenntnistheoretisches und ein praktisches Problem: Sie löst dann über die Geschichte die Kategorie Geschlecht auf – und umgekehrt. Das wäre in der Tat das Ende von »Gender« wie aber auch von Gender-Forschung – eben so, wie es das Ende der Frauenforschung bedeutete, die Kategorie »Frau« aus ihrem Zentrum zu holen und zu entessentialisieren. Denn Geschichte dient ja nicht nur zur Erbauung oder Unterhaltung, sondern sie hat eine genuin identitätsschöpfende und -stabilisierende Funktion. Damit würde die Geschlechterforschung ohne (ihre) Geschichte auch jegliche Identität verlieren – und umgekehrt büßte die Geschlechtergeschichte ihren zentralen Gegenstand ein und wiese infolgedessen keine (eindeutige) Richtung mehr auf. Sie könnte letztlich gar keine Geschichte(n) mehr erzählen, schon gar nicht die von weiblicher Diskriminierung und männlicher Dominanz. Der Vorwurf, die Kategorie »Geschlecht« bzw. »Gender« entpolitisiere die feministische Forschung und Diskussion, erscheint insofern berechtigt, als eine selbst-reflexive Genderforschung im o.g. Sinn keine klare Stoßrichtung mehr hat – und sich insofern weder für revolutionäre, noch auch für reformerische Politiken besonders eignet – aber übrigens auch nicht für
21 J. Scott: Nach der Geschichte?, S. 24.
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andere, etwa konservative Politiken.22 Dagegen hat sie m.E. sehr viel Potential, um sich in ganz verschiedene Richtungen kritisch zu engagieren und zu äußern – und zwar sowohl innerakademisch wie auch darüber hinaus. Ob sich aus diesem Grund Gender-Forschung innerhalb des akademischen Feldes tendenziell besser positionieren wird bzw. positioniert hat als dies die Frauenforschung konnte, scheint mir indes fraglich; als akademische (Teil-)Disziplin eignet sie sich letztlich weniger als jene, gerade weil ihr der klar umrissene Gegenstand fehlt. Die überkommenen Kategorien der feministischen wie auch der sogenannten »allgemeinen« Wissenschaft werden unter ihrer Oberhoheit einer kritischen Sichtung unterzogen und meist ebenso massiv infrage gestellt, wie die frühe feministische Theorie »das Patriarchat« angeprangert und infrage gestellt hat.23 Damit einher geht selbstredend auch eine massive Infragestellung dessen, was »feministisch«, ja, was überhaupt »politisch« ist – ganz zu schweigen davon, dass Utopien, denen eine wie auch immer geartete Frauenbewegung nachstreben könnte oder wollte, kaum mehr erdacht und entwickelt werden können, wo die »Ortslosigkeit« nicht nur der Frau, sondern jeglichen Subjekts mittlerweile praktisch ein anerkanntes Faktum ist.24 Die Hinwendung zur »postmodernen« Geschlechterforschung kommt indes auf jeden Fall einer Entkoppelung von feministischer Forschung und Bewegung gleich. Vor allem aber hat die solcherart institutionalisierte kritische (Selbst-)Reflexion unter dem Vorzeichen von »Gender« dem Projekt einer feministischen Geschichtsbetrachtung ein gutes Stück weit den Boden entzogen, und damit (gewissermaßen als unbeabsichtigte Nebenwirkung) auch der historischen Dimension in der Geschlechterforschung25 – wenn auch mit dem Versprechen, die feministische Forschung wie die Frauenbewegung (oder was von ihr übrig ist) vor falschen Gewissheiten und falschen Geschichtsbildern zu bewahren. Dies aber scheint mir je länger desto mehr problematisch – und zwar für beide Seiten, für die Geschichtsforschung wie aber auch für die Geschlechterforschung: Die historische Geschlechterforschung riskiert, ihre Motivations- und Legitimationsgrundlage einzubüßen, die Geschlechterforschung koppelt sich potentiell von einer zentralen Instanz der SelbstReflexion, aber auch der Selbst-Konstituierung ab. Hier setzt denn auch 22 Dies behaupte ich gegen Joan Scott selbst, die ja in ihrem gender-kritischen Aufsatz die Funktionalisierung des Gender-Begriffs im politischen Raum durch verschiedenste Interessengruppen demonstriert und geißelt. 23 C. Opitz: Um-Ordnungen, besonders Teil II. 24 Vgl. Rosi Braidotti: Nomadic Subjects: Embodiment and Sexual Difference in Contemporary Feminist Theory, New York: Columbia University Press 1994; Rosi Braidotti: »On Conceptual Personae and Historical Narratives«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 65-75. 25 Das lässt sich an Scotts Kategoriendefinition selbst sehr gut ablesen. Hier spielt die zeitliche Dimension kaum eine Rolle. Vgl. J. Scott: Gender, S. 64ff. und unten.
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mein Plädoyer für die historische Dimension in der Geschlechterforschung an – und zwar wiederum in zwei Richtungen. Zum einen gegenüber der Geschlechterforschung im allgemeinen, für deren Zukunftsperspektiven mir eine Rückbesinnung auf Historizität und Entwicklungszusammenhänge unerlässlich erscheint – und zwar insbesondere auch als ein wirksames Gegenmittel gegen jene vermeintlich »radikale« Präferenz des Bruchs, der sich bei genauerem Hinsehen als wenig radikale und weiterführende Tendenz zur Repetition, als Attitüde erweist. Zum anderen aber auch gegenüber einer ebenfalls unter dem Vorzeichen von Radikalisierung formulierten, aber stark verkürzten kritischen Perspektive auf feministische Historiographie. Das radikal »postmoderne« Projekt, für das u.a. von Joan Scott geworben wurde, ist ein radikal ahistorisches Projekt insofern, als hier historische Prozesse weitgehend aufgelöst sind zugunsten von »Feldern«, »Netzwerken« und »sites«, statt Gruppen, Personen und Institutionen. Entwicklungszusammenhänge und -prozesse treten dagegen in den Hintergrund. Die damit verbundene Sorge, eventuell eine einseitige »große Erzählung« oder ein problematisches »Metanarrativ«26 – wie etwa das von der Befreiung der Frauen in der Moderne oder die Entwicklung »Vom Patriarchat zur Partnerschaft«27 – zu verbreiten und sich damit ggf. in einen Prozess einzuschreiben, durch den neue Machtstrukturen und Hierarchien entstehen könnten bzw. generiert werden, ist im Zeitalter der Foucault-Rezeption nicht völlig von der Hand zu weisen. Darüber aber geflissentlich jegliche Hierarchisierungen der Kategorien und gleichsam alle »Meta-Narrative« zu vermeiden, hat wenig mit »revolutionärer« oder doch kritischer Wissenschaftspraxis zu tun, sondern eher mit intellektueller Feigheit. Die Geschichte wird ansonsten allenfalls noch durch Chronologie zusammengehalten – eine zugegebener-
26 Der Begriff des Meta-Narrativs oder der Meta-Erzählung und seiner Kritik ist der »postmodernen« Theorieentwicklung eingeschrieben. Er stammt ursprünglich von Jean F. Lyotard und zielt insbesondere auf die unkritische Verherrlichung der Moderne in allen Formen von Geschichtsdarstellungen, aber auch, darüber hinausgehend, in der Darstellung und Reflexion der Moderne als solcher. Die Debatte um (Meta-)Narrative ist eine, die genuin um Deutungszusammenhänge ringt – wie etwa Epochengrenzen oder auch größere historische Entwicklungslinien, wie z.B. die Staatsbildung, u.ä.m. (Vgl. dazu Conrad/Kessel 1994, sowie aus der Sicht der Geschlechtergeschichte vgl. Hunt 1998, bes. S. 82ff.). 27 So der Tenor einiger älterer historischer Überblicksdarstellungen. Vgl Barbara Becker-Cantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frauen und Literatur in Deutschland von 1500 bis 1800, Stuttgart: Metzler 1987; Michael Mitterauer/Reinhard Sieder: Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, München: Beck 1977. Zur Diskussion solcher MetaNarrative siehe auch die Einleitung von Georges Duby und Michelle Perrot in: Dies. (Hg.), Geschichte der Frauen, Bd. 1: Altertum, Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag 1994.
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maßen nicht sehr erkenntnisträchtige Kohärenzklammer, in der »Kontingenz« letztlich nur noch mit »Zufall« zu übersetzen ist.28 Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich in den letzten Jahren eine Art Gegenbewegung – insbesondere, aber nicht nur – in der historischen (Gender-)Forschung formiert, die wieder stärker subjekt- und akteurszentriert argumentiert und die weiterhin durchaus an den Kategorien »Mann« und »Frau« (z.T. auch als Geschlechtergruppen) festhält, ohne sie dadurch gleich zu essentialisieren oder zumindest einer feministischen Identitätsgeschichte das Wort zu reden.29 Und nicht zuletzt aus diesem Grund fordern prominente Geschlechterhistorikerinnen immer vehementer, am Projekt des »Umschreibens der Geschichte« festzuhalten und neue Narrative mit mittlerer Reichweite unter Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht zu entwerfen, auch um den Preis, die überkommenen »großen Erzählungen« nur zu »reformieren« und nicht völlig über den Haufen zu werfen.30 Es wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine geschlechter-gerechtere Welt des Wissens und Denkens, hätten wir wenigstens einige »MesoNarrative« aus Gender-Perspektive, statt uns nur an den altüberkommenen Meta-Narrativen kritisch abzuarbeiten. Doch wie wäre aus der De- eine Rekonstruktion der Narrative zu schaffen? Hier hilft meines Erachtens ein Blick – zurück – auf Joan Scotts Gender-Konzeptualisierung von 1986 weiter. Scott reflektiert hier nämlich, wenn auch nur knapp, über die Historizität als Gegenstand der Gender-Forschung und fragt sich: »Wenn also die Ausdrucksformen des sozialen Geschlechts [d.h. Gender, C.O.] und der Macht sich gegenseitig konstruieren, wie findet dann Veränderung statt?«.31 Die Antwort auf diese Frage lautet, »dass Veränderungen an vielen Orten initiiert werden können. Große politische Erhebungen, die alte Ordnungen ins Chaos stürzen und neue gebären, können die Bedingungen (und somit die Organisation) des sozialen Geschlechts auf der Suche nach neuen Formen der Legitimation revidieren. Aber dies muss nicht geschehen; so haben alte Vorstellungen des sozialen Geschlechts/Gender auch dazu gedient, neue Regimes zu bestätigen. […] Der Ausgang wird von politischen Prozessen bestimmt,
28 Ein Konzept, das übrigens durchaus nicht neu ist in der Geschichte: besonders bedeutsam war es in der Epoche der Renaissance. 29 Vgl. dazu etwa die Ausführungen von Erika Hebeisen in der Einleitung zu ihrer Dissertation. Erika Hebeisen: Leidenschaftlich fromm. Die pietistische Bewegung in Basel 1750-1830, Köln: Böhlau 2004. 30 Vgl. Lynn Hunt: »The Challenge of Gender. Deconstruction of Categories and Reconstruction of Narratives in Gender History«, in: Hans Medick/Anne-Charlott Trepp (Hg.), Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, Göttingen: Wallstein 1998, S. 59-97. 31 J. Scott: Gender, S. 64.
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politisch deshalb, weil verschiedene Akteure und verschiedene Bedeutungen miteinander um die Vorherrschaft ringen.«32 Wandel wie Persistenz sind also jedem dieser »Machtkämpfe« rund um Geschlechterdifferenzen und Geschlechterordnungen inhärent; sie lassen sich nicht von vornherein bestimmen. Die Geschichte hat also keine (eindeutige oder gar notwendige) Richtung, aber sie weist doch immerhin sicht- und messbare Entwicklungen auf. Scott beendet ihre Ausführungen mit dem Hinweis, dass »das Wesen dieser Prozesse, der Akteure und ihrer Handlungen […] nur im spezifischen lokalen und temporalen Kontext determiniert werden« kann – und das bedeutet vor allem, dass es weder überzeitliche Kategorien von Raum, Nation oder Klasse gibt, noch solche von »Mann« und »Frau«. Dieser Hinweis ist nun nicht nur für die historische, sondern für jede Gender-Forschung im Grunde genommen die Verpflichtung, die zentralen Kategorien und Forschungsgegenstände in diesem Sinn historisch zu »verorten«. Diese Pflicht zur Reflexion der historischen Entstehungsbedingungen und damit auch der »semantischen Aufladungen« unserer Begrifflichkeiten und Kategorien gilt letztlich oder eigentlich sogar in erster Linie für den Begriff »Gender«/Geschlecht selbst – der sich nicht nur aus der linguistischen Theorie (oder der Psychiatrie), sondern vor allem auch aus dem usamerikanischen akademischen Umfeld herleitet – und der in seiner deutschen Übersetzung noch eine ganz andere, eigene Geschichte erzählt vom Zusammenhang von Geschlecht und Geschlechtlichkeit, aber auch z.B. von Geschlecht und (vormoderner) Herrschaft, die auf Generativität und »Zweigeschlechtlichkeit« basierte (»Geschlechterherrschaft«) und schließlich davon, dass im Deutschen »Sex« vs. »Gender« nur mühsam mit »natürlichem« bzw. »sozialem Geschlecht« übersetzt werden kann, weil im deutschen Begriff »Geschlecht« beide Dimensionen so untrennbar miteinander verwoben sind, dass vielleicht nicht zufällig die vehementeste Kritik an der »sex«-»gender« Trennung zuerst von einer deutschen Historikerin, nämlich Gisela Bock, formuliert wurde.33 Um zum Schluss zu kommen: Die Debatte über Gender als zentraler Kategorie feministischer Forschung dauert nun schon gut zwanzig Jahre. Dies ist durchaus ein Grund, das bisher Geleistete kritisch zu reflektieren – aber sicher keiner, die bisherige Forschung allesamt hinter sich zu lassen in der trügerischen Überzeugung oder auch nur Hoffnung, etwas »ganz Neues«
32 Ebd. 33 Gisela Bock: »Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte«, in: Geschichte und Gesellschaft 14 (3) (1988), S. 364-391. Zur begriffs- wie diskursgeschichtlichen Dimension dieser Thematik vgl. Ute Frevert: Mann und Weib und Weib und Mann. Geschlechterdifferenzen in der Moderne, München: Beck 1995.
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würde das bisher Bekannte und Überkommene in einem »revolutionären Moment« gleichsam unerheblich machen. Die »Entdeckung« der Kategorie Gender und damit die Genese der Geschlechterforschung erscheint mir in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel gewesen zu sein, der die Bezeichnung »revolutionär« durchaus verdient – wenn wir dabei in Rechnung stellen, dass bis heute noch keine Revolution so revolutionär war, dass sie nicht einerseits viele Vorläufer hatte, und andererseits, dass hier in vieler Hinsicht gleichsam »das Kind mit dem Bade ausgeschüttet« wurde – in unserem Zusammenhang also: wichtige und weiterführende Überlegungen aus der »Frauenforschung« vorschnell aufgegeben bzw. zu Unrecht vergessen wurden, die es lohnte, wieder in Erinnerung zu rufen bzw. weiter zu entwickeln. Der nach wie vor jungen Gender-Forschung steht es deshalb meines Erachtens sehr gut an, sich ihrer eigenen Tradition immer wieder zu versichern und sie kritisch zu befragen. Sich einfach von ihr loszusagen, ist dagegen die falsche Politik – denn hier gilt: »Nach der Genderforschung ist vor der Genderforschung«. Wer das Erreichte in der Überzeugung hinter sich lässt, nichts mehr von »damals« brauchen zu können, ist ja bekanntlich dazu verurteilt, die gleichen Fehler immer wieder zu machen. Und umgekehrt, die »permanente Revolution« auszurufen, führt lediglich zu einer ständigen Entwertung des Erreichten. Auch aus diesem Grund – und nicht nur wegen meiner »(dé-)formation professionelle« – wollte ich hier aus der Geschichte der Gender-Forschung Erkenntnisse darüber gewinnen, wo und wie genau die historische Dimension in der Geschlechterforschung – zumindest ein Stück weit – verloren ging, aber auch, wie wir diese »Amnesie« überwinden können. Meine wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass wir uns gerade durch historische Reflexion stärken können und sollten für die Auseinandersetzungen um Kategorien, Theorien und wissenschaftliche Deutungsmuster, die ja noch längst nicht alle zugunsten der Genderforschung entschieden sind. Ein wissenschaftliches »mainstreaming«, nein, eine wissenschaftliche Wirksamkeit der Genderforschung ist ohne diese Unterstützung eigentlich nicht zu haben, ließe sich eine solche Forderung nach Anerkennung doch sonst ausschließlich auf moralische »Wiedergutmachung« gründen – kein sehr überzeugendes Argument in einem ansonsten rationalistisch begründeten wissenschaftlichen setting. Auch für unsere eigenen, d.h. die Kategorien und Erklärungsmuster der Geschlechterforschung, können wir deshalb durch die historische Perspektive Entscheidendes gewinnen. Insofern ist mein Plädoyer für die historische Dimension in der Genderforschung weniger ein konservatives Rufen nach Traditionsbindung und Pietät gegenüber den Altvorderen, sondern sollte vielmehr als ein Versprechen verstanden werden, dass auch vor bzw.
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hinter dem Horizont der Gegenwart (der Genderforschung) noch vieles Interessante, Neue, Nützliche und Wichtige zu entdecken ist.
Literatur Beauvoir de, Simone: Le deuxième Sexe, Paris: Gallimard 1949 (dtsch. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1951). Braidotti, Rosi: »On Conceptual Personae and Historical Narratives«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 65-75. Braidotti, Rosi: Nomadic Subjects: Embodiment and Sexual Difference in Contemporary Feminist Theory, New York: Columbia University Press 1994. Becker-Cantarino, Barbara: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frauen und Literatur in Deutschland von 1500 bis 1800, Stuttgart: Metzler 1987. Bock, Gisela: »Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven«, in: Karin Hausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte, München: Beck 1983, S. 23-60. Bock, Gisela: »Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte«, in: Geschichte und Gesellschaft 14(3) (1988), S. 364-391. Duby, Georges/Perrot, Michelle (Hg.), Geschichte der Frauen, Bd. 1: Altertum, Frankfurt a.M./New York: Campus 1994. Fraisse, Geneviève: »Feministische Singularität: Kritische Historiographie der Geschichte des Feminismus in Frankreich«, in: Feministische Studien 4(H.2) 1985, S. 134-140. Frevert, Ute: Mann und Weib und Weib und Mann. Geschlechterdifferenzen in der Moderne, München: Beck 1995. Galster, Ingrid (Hg.), Simone de Beauvoir: Le deuxième sexe. Le livre fondateur du féminisme moderne en situation, Paris: Honoré Champion 2004. Hausen, Karin: »Patriarchat. Vom Nutzen und Nachteil eines Konzepts für Frauengeschichte und Frauenpolitik«, in: Journal für Geschichte 5 (1986), S. 1221. Hebeisen, Erika: Leidenschaftlich fromm. Die pietistische Bewegung in Basel 1750-1830, Köln: Böhlau 2004. Honegger, Claudia/Heintz, Bettina (Hg.), Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen, Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1994. Hunt, Lynn: »The Challenge of Gender. Deconstruction of Categories and Reconstruction of Narratives in Gender History«, in: Hans Medick/AnneCharlott Trepp (Hg.), Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, Göttingen: Wallstein 1998, S. 59-97. Kuhn, Annette: »Identitätsgewinnung durch Frauengeschichte – Gefahren, Grenzen, Möglichkeiten«, in: Geschichtsdidaktik, H.2 (1985), S. 117-128.
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Lerner, Gerda: »Die Herausforderung der Frauengeschichte«, in: Dies., Frauen finden ihre Vergangenheit. Grundlagen der Frauengeschichte, Frankfurt a.M./New York: Campus 1995, S. 163-175 (am. Original 1977). Mitterauer, Michael/Sieder, Reinhard: Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, München: Beck 1977. Opitz, Claudia: »Gender – eine unverzichtbare Kategorie der historischen Analyse«. Zur Rezeption von Joan W. Scotts Studien in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 95-115. Opitz, Claudia: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen: edition discord 2005. Scott, Joan: Gender – a useful category of historical analysis, in: American historical Review 91 (1986), S. 1053-1075 (dtsche Übersetzung, in: Nancy Kaiser (Hg.), Selbst bewusst. Frauen in den USA, Leipzig: Reclam 1994, S. 2775). Scott, Joan: »Nach der Geschichte?« In: Werkstatt Geschichte 17 (1997), S. 523. Scott, Joan: »Die Zukunft von gender. Fantasien zur Jahrtausendwende«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 39-64. Strasser, Ulrike: »Intime Antagonisten. Postmoderne Theorie, feministische Wissenschaft und die Geschichte der Frauen«, in: traverse. Zeitschrift für Geschichte 1 (2001), S. 37-49.
Kommentar z um Be itrag: Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forschung. PIA SCHMID
Claudia Opitz plädiert als Historikerin dafür, in der Genderforschung eine historische Perspektive beizubehalten. Ihr geht es um Legitimität und Notwendigkeit historischer Geschlechterforschung. Historische Genderforschung bzw. eine historische Perspektive in der Geschlechterforschung sieht sie nämlich gefährdet, und zwar, was angesichts der aktuellen Situation zunehmender Verteilungskämpfe an deutschen Universitäten durchaus nahe liegen könnte, nicht etwa, weil historische Genderforschung forschungspolitisch marginalisiert oder verdrängt werde. Die Gefährdung, so Opitz, komme vielmehr von »innen«, durch Entwicklungen innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung der letzten etwa 30 Jahre, Entwicklungen, die sie unter dem Begriff »Geschichtsvergessenheit« subsumiert. Zum einen sieht sie diese Geschichtsvergessenheit auf Seiten der Frauenbewegung, die Geschichte vordringlich identitätspolitisch in Dienst genommen habe (Stichworte: Traditionskritik und revolutionärer Anspruch), zum anderen in der Forschung, genauer: bei (Ex)Genderforscherinnen (Stichwort: linguistic turn), denen die eigene Kategorien problematisch geworden seien; auch hier ist »Identität« im Spiel, allerdings als Identitätskritik. Beispielhaft dafür steht die amerikanische Historikerin Joan W. Scott, die, wie Opitz ausführt, Mitte der 1980er Jahre vehement dafür plädiert hatte, gender als analytische Kategorie zu nutzen, um dann 2001 zu der Einschätzung zu gelangen, dass gender sich zur Analyse von Machtverhältnissen nicht eigne. Im Zentrum dieser kategorialen Infragestellung steht bekanntlich immer wieder der Essentialismusverdacht: nach Geschlecht oder auch nach Frauen und Männern zu fragen, laufe letztlich, so die Kritik, immer darauf hinaus, vorhandene Geschlechterverhältnisse zu
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reifizieren. Allerdings, so Claudia Opitz, macht sich eine Gegenbewegung zu derartigen postmodernen Positionen bemerkbar, die »stärker subjektund akteursorientiert argumentiert und die weiterhin an den Kategorien ›Mann‹ und ›Frau‹ festhält« und dabei die Scylla des Essentialismus genauso wie die Charybdis der Identitätspolitik anscheinend zu umschiffen versteht. Wie das gelingt, bleibt allerdings offen, was nach meinem Dafürhalten insofern nicht problematisch ist, als Essentialismus und Identitätspolitik mittlerweile zu Chiffren bzw. zu Generalargumenten ohne Tiefenschärfe geworden sind, die so wie sie unterstellt werden auch umgangen werden können. Lässt sich das, was Claudia Opitz hier für Geschlechterforschung und historische Forschung ausgeführt hat, wobei es mir nicht um ihre These geht, dass beide einander brauchten, sondern um die Darstellung der Theorieentwicklung und die Auseinandersetzungen inklusive Infragestellungen des kategorialen Rahmens historischer Frauen- und Geschlechterforschung, auch für die Erziehungswissenschaft konstatieren, genauer: für die historische Erziehungswissenschaft? Ich würde sagen: nein; derartige theoretische oder kategoriale Infragestellungen finden in der historischen Erziehungswissenschaft und in der erziehungshistorischen Genderforschung nicht statt oder schaffen es allenfalls in ambitionierte Fußnoten. Ob das bedauerlich ist (ich finde es nicht unbedingt) oder nicht, möchte ich hier nicht zur Debatte stellen. Aber dass entsprechende theoretische Auseinandersetzungen weitgehend fehlen oder bestenfalls zögerlich geführt werden, verweist auf den Status – oder vielleicht könnte man sagen: das disziplinäre Selbstverständnis der historischen Erziehungswissenschaft und auch der Frauen- und Geschlechterforschung in diesem Bereich.1 Beide sind, so meine These, ganz anders als Genderforschung in der Geschichte, mit starken Legitimationsproblemen konfrontiert. Geschichte als Fach muss sich nicht legitimieren, die Historische Erziehungswissenschaft steht dagegen unter Legitimationsdruck. Die Erziehungswissenschaft konzeptualisierte sich seit der von Heinrich Roth ausgerufenen »realistischen Wende« zunehmend als (kritische) Sozialwissenschaft, die durch empirische Forschung zu ihrem Wissen komme, und nicht mehr vordringlich durch auf »Verstehen« zielende Auslegung vor allem historischer Texte, besonders solcher der so genannten Klassiker. Für die historische Erziehungswissenschaft, die ja unter dem Dach der sich als Leitdisziplin verstehenden Allgemeinen Erziehungswissenschaft stand und steht, bedeutete das disziplinintern einen Reputationsverlust. Zum einen macht sich das fachintern in einem Legitimationsdruck
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So fällt in den Arbeitstagungen zur Frauen- und Geschlechterforschung in der Historischen Erziehungswissenschaft, die wir in Halle bzw. Wittenberg seit 1996 ausrichten, immer wieder eine Abstinenz gegenüber Rahmentheorien, allgemeiner: gegenüber einem theoretischen Zugriff auf erziehungshistorische Fragestellungen auf.
KOMMENTAR: NACH DER GENDER-FORSCHUNG IST VOR DER GENDER-FORSCHUNG | 31
bemerkbar. Bekanntlich befinden wir uns derzeit in einer Hochphase empirischer Forschung in der Erziehungswissenschaft (wobei ich diese empirische Orientierung lediglich feststellen und nicht etwa beklagen möchte), und das macht sich darin bemerkbar, dass historische Forschung in der Erziehungswissenschaft weniger zählt als empirische. Legitimationsdruck geht aber auch von den Studierenden aus. Viele von ihnen suchen im Studium nach Handlungsanweisungen, und die sind noch eher über Sozialisationstheorie zu haben als etwa über die Analyse von Rousseaus Weiblichkeitskonzept. Eine weitere Dimension des Legitimationsdrucks ist hausgemacht: die Historische Erziehungswissenschaft verfügt meines Erachtens über kein ausgeprägtes disziplinäres Selbstbewusstsein und glaubt, sich legitimieren zu müssen2 – so jedenfalls verstehe ich die bis heute wiederholte Legitimationsfigur »historia magistra vitae«, dass man aus der Geschichte der Pädagogik lerne und sich deshalb mit ihr beschäftigen müsse.3 Überzeugender scheint mir dagegen zu sein, darauf zu bestehen, dass historisches, und das heißt auch geschlechterhistorisches Wissen der Pädagogik Reflexionswissen zur Verfügung stellt. Die Vergangenheit lässt sich als ein Laboratorium verstehen, erziehungshistorische Forschung würde dann sozusagen eine historische Empirie beisteuern, die die Bandbreite möglicher Lösungen von pädagogischen Fragestellungen historisch genauso im Blick hat wie die Vielzahl von möglichen Herangehensweisen an pädagogische Probleme.4 Dass erziehungshistorische Geschlechter-, Frauen- und Männerforschung dabei eine wichtige Perspektive verfolgen und beachtliche Ergebnisse aufzuweisen haben, liegt auf der Hand: sie bieten eine erziehungshistorische Empirie von Geschlechterverhältnissen und -ordnungen.
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Das ist umso erstaunlicher angesichts der hohen Forschungsintensität in der Historischen Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum. Erziehungswissenschaftliche Qualifikationsarbeiten argumentieren nämlich in einem bemerkenswerten Ausmaß, wenn man die Jahre 1993 bis 2003 zugrunde legt etwa zu einem Neuntel, ganz oder in Teilen historisch, während nur 3,5 Prozent der erziehungswissenschaftlichen Professuren eine historische (Teil)Denomination haben. Vgl. Pia Schmid: Storia dell’educazione in Deutschland, in: Annali di storia dell’educazione e nelle istituzioni scolastiche 12/2005, S. 303-308. Vgl. z.B. Bernhard Schwenk: Historische Pädagogik, in: Dieter Lenzen (Hg.), Pädagogische Grundbegriffe. Bd. 2. Reinbek: Rowohlt 1989, S. 11611179, hier S. 1161f. Vgl. Juliane Jacobi: »Lektüre schützt vor Neuentdeckung: Zur Funktion der historischen Bildungsforschung für die Erziehungswissenschaft«, in: Micha Brumlik/Hans Merkens (Hg.), bildung.macht.gesellschaft. Beiträge zum 20. Kongress der DGfE, Opladen: Barbara Budrich Verlag, S. 43-57.
»Intersectionalit y« – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung? GUDRUN-AXELI KNAPP
Die Leitfrage dieses Buches lautet: »Was kommt nach der ›Genderforschung‹?« Mein Beitrag bezieht sich darauf mit einer anderen Frage: »Intersectionality – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung?« Kommt also nach der »Genderforschung« etwas Neues und heißt dieses Neue »Intersectionality«? Die »vom Vom zum Zum«-Perspektive (Jandl), die durch die Überschriften angeboten wird, soll gleich zu Beginn etwas zurecht gerückt werden. Ich gehe zum Einen davon aus, dass nach der Genderforschung auch Genderforschung kommt. Zum Anderen denke ich, dass »Intersectionality«, der Blick auf Überschneidungen zwischen unterschiedlichen Formen von Ungleichheit und Differenz, nicht so neu ist, wie es manchmal behauptet wird. Verändert haben sich allerdings die diskursiven Konstellationen und die wissenschaftspolitischen wie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen wir uns mit Fragen von Geschlechterverhältnis, Geschlechterdifferenz und sozialen Differenzierungen innerhalb der Genus-Gruppen befassen. Es hat etwas mit solchen Konfigurationsverschiebungen zu tun, dass Frauenforschung als alt, feministische Theorie als überholt, Gender Studies als erfolgreich etabliert und intersektionelle Ansätze als etwas Neues wahrgenommen werden können. Keine dieser Aussagen ist völlig haltlos – und trotzdem trifft keine ohne Einschränkung zu. Neben regionalen Unterschieden legen auch disziplinspezifische Variationen es für den deutschsprachigen Raum nahe, von ungleichzeitigen Entwicklungen auszugehen. Während etwa die Medizin auf ihre Weise gerade anfängt, die »Frauen« zu entdecken und damit auch endlich die »Männer«, die sie bislang für den Menschen hielt, sind in den Kulturwissenschaften dekonstruktive Perspektiven auf Fabrikationen und Repräsentationen von Gender seit längerem vorherrschend. Die Verwendung des
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Adjektivs »feministisch« in Selbstbeschreibungen wissenschaftlicher Tätigkeit und als Bezeichnung von Einrichtungen der Geschlechterforschung ist dagegen fächerübergreifend seltener geworden. Es hat sich herumgesprochen, dass ein Profil als feministische Wissenschaftlerin nicht unbedingt karriereförderlich ist und sogar zu einem Alleinstellungsmerkmal im negativen Sinne werden kann – ungeachtet des in den Massenmedien gefeierten neuen F-Klasse-Feminismus der Alpha-Mädchen.1 Gleichzeitig artikuliert sich unter Studierenden eine Nachfrage nach kritischer, inklusive feministischer Theorie, die durch das Angebot von ein oder zwei GenderModulen mit Berufsfeldorientierung nicht befriedigt werden kann. Gegenüber »Frauenforschung« und »feministischer Theorie« haben sich das englische »Gender« und die »Gender Studies« disziplinübergreifend als marktgängig erwiesen, in jüngerer Zeit ergänzt und herausgefordert durch »Diversity Studien«. Wie ist »Intersectionality«, die Perspektive einer systematischen Verknüpfung verschiedener Formen von Diskriminierung, Ungleichheit und Differenzierung in diesem Feld situiert? Zur Erinnerung: Auch in der deutschsprachigen Frauenbewegung und -forschung stehen Unterschiede unter Frauen von Anfang an als interne Kritik- und Korrekturperspektive auf der Agenda. Das ist nachlesbar. Für Studentinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen aus dem eher linken Politik- und Theoriespektrum ist die politische Selbstpositionierung im Bezug auf das Verhältnis von Klasse und Geschlecht sowie die Reflexion des Zusammenhangs von Kapitalismus und Patriarchalismus der zentrale Ausgangspunkt nach 1968. In den 1970er Jahren erscheint eine Vielzahl an Texten aus der sich eben formierenden Frauenforschung, die sich kritisch an der Studentenbewegung bzw. linker Theorie und Politik abarbeiten und die sich gleichzeitig daran machen, das Verhältnis der Geschlechter im Rahmen einer Theorie der kapitalistischen Klassengesellschaft begrifflich zu bestimmen und empirisch zu erforschen.2 In den ersten Dokumentationen der Berliner Sommeruniversität finden sich schon Debatten über Differenz. Die Unterscheidung zwischen »Frauen« und »Lesben«, die 1 2
Vgl. SPIEGEL Nr. 24/11.6.2007. Vgl. Regina Becker-Schmidt u.a.: »Frauenarbeit in der Fabrik – Betriebliche Sozialisation als Lernprozess? Über die subjektive Bedeutung der Fabrikarbeit im Kontrast zur Hausarbeit«, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 14, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981, S. 52-75; Regina BeckerSchmidt u.a.: »Familienarbeit im proletarischen Lebenszusammenhang: Was es heißt, Hausfrau zu sein«, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 14, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981, S. 75-87; Ursula Beer: »Marxismus in Theorien der Frauenarbeit. Plädoyer für eine Erweiterung der Reproduktionsanalyse«, in: Feministische Studien 2 (1983), S. 136-146; Christel Eckart/ Ursula G. Jaerisch/Helgard Kramer: Frauenarbeit in Familie und Fabrik, Frankfurt a.M., New York: Campus 1979; Sylvia Kontos: Die Partei kämpft wie ein Mann. Zur Frauenpolitik der KPD 1918-1933, Frankfurt a.M. 1979; Ludmilla Müller: »Die Wertlosigkeit der Kinderaufzucht im Kapitalismus«, in: Prokla 22, 6.Jg. (1976).
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später so manches AStA-Referat als Selbstbezeichnung übernommen hat, stammt aus dieser Zeit. Die Berliner Sommeruniversität 1977 widmet sich dem Thema »Frauen als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte«. 1984 erscheint der Band »Schwesternstreit. Von den heimlichen und unheimlichen Auseinandersetzungen zwischen Frauen«.3 Er thematisiert neben eher individuellen Differenzen in Bezug auf Fragen von Emanzipation und Frauenpolitik u.a. Verhältnisse von Klasse/Geschlecht, Heterosexualität/Homosexualität. Anja Meulenbelts Bücher »Weiter als die Wut« und »Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus«4 werden 1983 bzw. 1988 in der Frauenoffensive veröffentlicht; vom 23. bis 25. März 1984 fand in Frankfurt der »Erste gemeinsame Kongress ausländischer und deutscher Frauen« statt, dokumentiert in dem Konferenzband »Sind wir uns denn so fremd?«5 (1984). Antisemitismus und Rassismus werden früh zum Thema. 1988 eröffnet Karin Windaus-Walser unter dem Titel »Gnade der weiblichen Geburt?«6 in den Feministischen Studien eine Debatte über den Umgang der Frauenforschung mit Nationalsozialismus und weiblichem Antisemitismus. Um das Sichtbarmachen der Existenz schwarzer Deutscher geht es in dem Band »Farbe bekennen – AfroDeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«,7 der 1986 von Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz herausgegeben wird. Der Titel des von Ursula Beer zusammengestellten ersten Bandes der Publikationsreihe der »Sektion Frauenforschung in den Sozialwissenschaften« lautet: »Klasse Geschlecht«.8 1988 veröffentlicht Ann Anders das Buch »Schlüsseltexte der Neuen Frauenbewegung seit 1969«;9 in den darin dokumentierten Texten werden Ungleichheit und Differenz unter Frauen wieder vor allem bezogen auf Klasse und Sexualität diskutiert. Ich selbst habe unter anderem 1988 in dem Artikel »Die vergessene Differenz«10 in 3
Birgit Cramon-Daiber: Schwesternstreit. Von den heimlichen und unheimlichen Auseinandersetzungen zwischen Frauen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1984. 4 Anja Meulenbelt: Weiter als die Wut, München: Frauenoffensive 1983; Anja Meulenbelt: Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus, München: Frauenoffensive 1988. 5 Arbeitsgruppe Frauenkongress (Hg.), Sind wir uns denn so fremd? Dokumentation des 1. gemeinsamen Kongresses ausländischer und deutscher Frauen vom 23. bis 25. März 1984 in Frankfurt, Frankfurt a.M. 1984. 6 Karin Windaus-Walser: »Gnade der weiblichen Geburt? Zum Umgang der Frauenforschung mit Nationalsozialismus und Antisemitismus«, in: Feministische Studien, 6. Jg., (1) (1988), S. 102-115. 7 Katharina Oguntoye/May Opitz/Dagmar Schultz (Hg.), Farbe bekennen. Afro-Deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte: Orlanda 1986. 8 Ursula Beer (Hg.), Klasse Geschlecht. Feministische Gesellschaftsanalyse und Wissenschaftskritik, Bielefeld: ajz 1987. 9 Ann Anders: Schlüsseltexte der Neuen Frauenbewegung seit 1969, Frankfurt a.M.: Athenäum 1988. 10 Gudrun-Axeli Knapp: »Die vergessene Differenz«, in: Feministische Studien 6/1 (1988).
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den Feministischen Studien die Ausblendung von Unterschieden unter Frauen in der Geschlechterforschung kritisiert; 1990 erscheint das Heft »Geteilter Feminismus. Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass«11 der Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. 1990 erscheint ebenfalls der von Ute Gerhard, Mechtild Jansen, Andrea Maihofer, Pia Schmid und Irmgard Schultz herausgegebenen Konferenzband »Welche Gleichheit und welche Differenz?«,12 in dem Cornelia Klinger mit Blick auf die im Vergleich zu Klasse und »Rasse« spezifische Konstitution geschlechtsbezogener Herrschaft auf Beantwortung der Frage drängt, von welcher Gleichheit und welcher Differenz die Rede sei. Zwar später als in den USA, aber noch in den 1980er Jahren haben auch feministische Ethnologinnen und Kulturanthropologinnen sowohl auf Grenzen der Verallgemeinerung von Aussagen über »Frauen« bzw. patriarchale Herrschaft aufmerksam gemacht als auch die Funktionalisierung der »Anderen« im eigenen Emanzipationsdiskurs reflektiert.13 Diese Auflistung früher Beiträge zur deutschsprachigen Debatte ist das Ergebnis eines kursorischen Streifzugs durch meine Bücherregale und bei weitem keine systematische und repräsentative Dokumentation der feministischen Auseinandersetzung mit Unterschieden unter Frauen. Diese steht noch aus. Im Rückblick betrachtet haben wir es mit einer Mischung unterschiedlicher Anstöße aus verschiedenen Kontexten zu tun, die Frauenforschung und -politik nicht nur von ihren Anfangstagen an bewegt haben, sondern die aus meiner Sicht geradezu konstitutiv und spezifisch sind für die Lernprozesse und Kritikformen im feministischen Kontext.14 Die Geschichte der Entdeckung und Erforschung von Gemeinsamkeiten unter Frauen, in deren Zuge kulturelle Ordnungsmuster und systematische Zusammenhänge von Hierarchie und Differenz im Verhältnis der Genus-Gruppen allererst sichtbar gemacht wurden, ist begleitet von vielfältigen und im Laufe der Jahre vernehmlicher werdenden Stimmen, die aus dem Inneren des zu11 Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis Nr. 27, Autorinnenteam: Geteilter Feminismus. Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass. Köln 1991. 12 Cornelia Klinger: »Welche Gleichheit und welche Differenz?«, in: Ute Gerhard/Mechtild Jansen/Andrea Maihofer u.a. (Hg.), Differenz und Gleichheit, Frankfurt a.M., Ulrike Helmer Verlag 1990, S. 112-120. 13 Vgl. Arbeitsgruppe Ethnologie Wien (Hg.), Von fremden Frauen. Frausein und Geschlechterbeziehungen in nichtindustriellen Gesellschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989; Ilse Lenz/Ute Luig: Frauenmacht ohne Herrschaft. Geschlechterverhältnisse in nichtpatriarchalischen Gesellschaften, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1990. 14 Vgl. Gudrun-Axeli Knapp: »Aporie als Grundlage: Zum Produktionscharakter der feministischen Diskurskonstellation«, in: Gudrun-Axeli Knapp/Angelika Wetterer (Hg.), Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II, Münster: Westfälisches Dampfboot 2003, S. 240-266.
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nehmend weiter gespannten feministischen Netzwerks heraus Differenzierungen ins Spiel bringen und Schieflagen bzw. Überverallgemeinerungen in der Wissensproduktion kritisieren. Es sind Interventionen von »Betroffenen«, die ihre eigenen Erfahrungen und Probleme in Texten der Frauenforschung ungenügend repräsentiert sehen, und es sind Stimmen von Frauen, die sich diese Argumente solidarisch oder aus wissenschaftlichinhaltlichen Gründen zu eigen machen, ohne identitätspolitisch zu argumentieren. In Deutschland ist es häufig die historische Erfahrung mit der genozidalen Identitätspolitik im Nationalsozialismus, die den Anstoß gibt, gegen Tendenzen der Idolisierung und Homogenisierung von Frauen zu argumentieren. Die antiessentialistische Weiblichkeitskritik der 1980er Jahre fragt auf diesem Erfahrungshintergrund, wo denn die vielbeschworene Einfühlsamkeit und das Empathievermögen von Frauen waren, als die jüdischen Nachbarn abgeholt wurden oder als sich Wächterinnen bei ihrem Dienst in den Konzentrationslagern durch Grausamkeit hervortaten.15 Die frühe und mit der personellen, fachlichen und inhaltlichen Ausweitung der Frauenforschung zunehmende Selbstkritik ist ein Indikator von Lern- und Differenzierungsprozessen, wie sie in jedem sich neu formierenden Wissenschaftsdiskurs stattfinden. Sie gehören zum Normalgeschäft wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion. Spezifisch für die Lernprozesse in der Frauen- und Geschlechterforschung ist dabei, dass sie sich im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik, Theorie und Praxis artikulieren und auch selbst explizit verorten. Im Einzugsbereich von Fragen der Frauenpolitik stellen sie sich in anderer Weise als in der EpistemologieDebatte, in der Gesellschafts- und Ungleichheitstheorie sind sie anders konstelliert als in den verschiedenen empirischen und fachspezifisch konturierten Gegenstandsbereichen, denen sich die Frauen- und Geschlechterforschung widmet. Besondere Akzente und Dynamiken gewinnt diese Auseinandersetzung durch die zunehmende Rezeption einschlägiger Texte aus den USA. Dort werden seit Mitte der 1970er Jahre Überschneidungen von Race/Ethnicity, Class und Gender vor allem im Kontext des Black und Chicana Feminism thematisiert.16 Die Metapher »intersectionality« wird 1989
15 Vgl. Christina Thürmer-Rohr: Vagabundinnen. Feministische Essays, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1987. 16 Vgl. Angela Davis: Women, Race & Class, New York: Vintage Books 1983; Hooks, Bell: Ain’t I a Woman. Black women and feminism, Boston: South End Press 1982; Gloria Hull/Patricia Bell Scott/Barbara Smith (Hg.), All The Women are White, all the Blacks are Men, But some of Us are Brave, The Feminist Press at The City University of New York 1982; Cherrie Moraga/Gloria Anzaldua (Hg.), This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color. Watertown, MA: Persephone Books 1981; Audre Lorde: Sister Outsider, Berkeley: Crossing Press 1984.
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von der Jura- Professorin Kimberlé Crenshaw17 in die Diskussion gebracht und geht auf transatlantische Reise in den politischen Arenen der Menschenrechtspolitik, in denen auch Crenshaw sich als Aktivistin bewegt. Hier wird »Intersectionality« vor allem mit Fragen multipler Diskriminierung und sozialer Verletzbarkeit verbunden, die unsichtbar werden unter den sich überlagernden Sichtschatten feministischer und antirassistischer Kritik und Politik. Unnachahmlich bringt dieses Problem schon 1982 der Titel der Aufsatzsammlung von Gloria Hull, Patricia Bell Scott und Barbara Smith auf den Punkt: »All the Women are White, all the Blacks are Men, But some of Us are Brave«.18 Auf den parallel stattfindenden deutschsprachigen Diskurs um Klasse/Geschlecht übersetzt hätte ein entsprechender Slogan lauten können: »Alle Frauen sind Mittelschicht, die Arbeiterklasse besteht aus Männern. Aber einige von uns machen den Mund auf« – wenn auch in der Regel woanders als an den Universitäten, wo Töchter aus Arbeiterfamilien auch damals selten sind. Aber zwischen Frauenforschung, autonomen oder links orientierten Feministinnen und Gewerkschaftsfrauen gab es in dieser Zeit auch Austausch und Formen der Vernetzung. Im Versuch, sich zu verbünden, war Differenz Dauerthema. Ich erinnere (mich) an die Geschichte des »Frauenauflaufs« in Niedersachsen, eines ab 1985 über mehrere Jahre stattfindenden Treffens autonomer feministischer Gruppen unterschiedlicher Ausrichtung (z.B. der Frauenstammtisch Nienburg) mit Parteifrauen (GRÜNE, Frauenpartei, SPD) und Gewerkschaftsfrauen in der Heimvolkshochschule Springe, auf dem intensive Auseinandersetzungen über die Beziehung zwischen Theorie und Praxis und über unterschiedliche Interessenlagen von Frauen stattfanden. Wie weit entfernt man 1969 von intersektionellen Differenzierungen noch sein konnte, mag ein Zitat aus Karin Schrader-Kleberts im Kursbuch veröffentlichten Text »Die kulturelle Revolution der Frau«19 illustrieren, in dem es heißt: »Die Frauen sind die Neger aller Völker und der kollektiven Geschichte. Für die Neger wie für die Frauen geht es jetzt darum, die Geschichte der Gewaltanwendung zu erkennen und die Gewalt, deren Produkt sie sind, gegen die Unterdrücker selber zurückzuwenden, sich vom Status des Opfers und Objekts in den des Subjekts und Handelnden zu versetzen.«20 All the Women are White – all the Blacks are Men …but feminists can learn.
17 Kimberlé Crenshaw: »Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics«, in: University of Chicago Legal Forum 139 (1989). 18 Vgl. G. Hull u.a.: All The Women are White. 19 Karin Schrader-Klebert: »Die kulturelle Revolution der Frau«, in: Ann Anders (Hg.), Schlüsseltexte der Neuen Frauenbewegung seit 1968, Frankfurt a.M.: Athenäum 1969, S. 52-76. 20 Ebd.
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Während es in Deutschland in der Auseinandersetzung um Vermittlungen von Klasse und Geschlecht Kontinuitäten gibt, die mit der Geburt zumindest einer der starken Strömungen des neueren Feminismus aus dem Geist der Studentenbewegung und einer spezifischen Theoriekonstellation zusammen hängen, und während die Kritik der Heteronormativität die Geschichte der Geschlechterforschung von Anfang an durchzieht,21 werden Interferenzen zwischen Geschlecht und Ethnizität vor allem im Zuge der sich formierenden Migrationsforschung relevant. Stellvertretend für frühe Kritiken an ethnozentrischen Schlagseiten in der deutschsprachigen Frauenforschung seien Anita Kalpaka, Nora Räthzel, Helma Lutz, Annette Treibel, Sabine Hebenstreit, Cornelia Mansfeld, Birgit Rommelspacher genannt. Seit den 1990er Jahren gewinnt diese Diskussion an Schub durch das Engagement einer nachwachsenden Generation von Wissenschaftlerinnen mit eigenem Migrationshintergrund, für die etwa Sedef Gümen und Encarnacion Gutiérrez Rodriguez stehen, und durch die allgemein wachsende Aufmerksamkeit für Fragen der Migration und sozialer Partizipation.22 Zweifellos müssen die feld- und disziplinspezifischen Verlaufsstrukturen und Thematisierungsformen in der älteren Diskussion um Differenz und Ungleichheit unter Frauen noch genauer rekonstruiert werden. Dennoch dürfte auf dem Hintergrund meiner knappen und unsystematischen Skizze schon nachvollziehbar sein, dass das geläufige Erzählmuster, nach dem die Frauen- und Geschlechterforschung eine Entwicklung vom differenzvergessenen essentialistischen Universalismus hin zu einem differenzsensiblen dekonstruktiven Postfeminismus durchlaufen hat, irreführend ist. Teilweise resultiert es aus der unreflektierten Übernahme von narrativen Formeln, die im angloamerikanischen Diskurs des »Post-modernism« gängig wurden.23 Die affirmative Übernahme dieser sich selbst kritisch gerierenden Erzählform hat sicher einiges mit Unkenntnis und Vergessen zu tun. Da jedes Erzählen von Geschichte aus einer Position der Nachträglichkeit heraus erfolgt, kommen unweigerlich Umschriften ins Spiel, die aus den sich ver21 Vgl. Sabine Hark: Deviante Subjekte. Die paradoxe Politik der Identität, Opladen: Leske + Budrich 1996. 22 Für einen Überblick s.: Encarnación Rodriguez Gutiérrez: »Postkolonialismus: Subjektivität, Rassismus und Geschlecht«, in: Ruth Becker/Beate Kortendiek (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden: VS-Verlag 2004, S. 239-248; Helma Lutz: »Migrations- und Geschlechterforschung: Zur Genese einer komplizierten Beziehung«, ebd., S. 276-285 sowie Nora Räthzel: »Rassismustheorien: Geschlechterverhältnisse und Feminismus«, ebd., S. 239-248. 23 Vgl. Gudrun-Axeli Knapp: »Postmoderne Theorie oder Theorie der Postmoderne? Anmerkungen aus feministischer Sicht«, in: Gudrun-Axeli Knapp (Hg.), Kurskorrekturen. Feminismus zwischen Kritischer Theorie und Postmoderne, Frankfurt a.M./New York: Campus 1998, S. 25-84.
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ändernden Perspektiven und Politiken der Aufmerksamkeit in der Gegenwart gespeist sind. Mit Politiken der Aufmerksamkeit und Kämpfen um Anerkennung im Wissenschaftsbetrieb sind rhetorische Strategien verbunden. Eine verbreitete Strategie ist dabei die der Übertreibung, die Markierung des Neuigkeitswerts oder des Erkenntnisfortschritts gegenüber etwas Vorgängigem, das im gleichen Zuge als überholt und veraltet konstruiert wird.24 Derartige Formen der Erzählung verdichten sich zu Beginn der 1990er Jahre im deutschsprachigen Raum zu einem Interdiskurs über eine Krise oder einen Bedeutungsverlust der Kategorie Geschlecht. Diese Diskursverdichtung und die sie befördernde Rhetorik wecken den Eindruck, es mit einer grundsätzlichen Neukonfigurierung der Geschlechterforschung zu tun zu haben. Es sind drei unterschiedliche Diskursfelder, aus denen die grundlagenkritischen Impulse einer gelegentlich auch »postfeministisch« genannten Diskussion kommen: Zum einen aus der Sex/ Gender Debatte, in der es vor allem um die De-Naturalisierung des Geschlechtsunterschieds, die Kritik universalisierender Konzepte von Geschlechterdifferenz, die Kritik des Geschlechterdualismus und seiner heterosexuellen Normierung geht; zum anderen aus dem Bereich der postmodernen Zeitdiagnosen. Deren Zentrum bilden Thesen einer Auflösung kollektiver Soziallagen und Sinnbezüge (Individualisierung/Pluralisierung) und die damit verbundene Einschätzung des sinkenden Erklärungsgehalts von Strukturkategorien wie »Geschlecht« oder »Klasse«. Last but not least intensiviert sich die Diskussion um Differenzen unter Frauen. Eine besondere Dynamik entsteht in diesem Feld durch den Zusammenstoß strukturtheoretisch argumentierender Ansätze, die Race, Class, Gender in Termini von Macht, Herrschaft und Ungleichheit fokussieren (z.B. Patricia Hill Collins’ »matrix of dominance«25) mit dekonstruktivistischen Ansätzen, die eine radikale grundlagenkritische Infragestellung des Referenzsubjekts feministischer Kritik formulieren (Wer ist »Wir«?) und dabei in der berechtigten Kritik identitätspolitischer Fundierungen theoretisch auch den Rahmen unterminieren, in welchem überhaupt Aussagen über strukturelle Probleme im Geschlechterverhältnis gemacht werden können. Die produktiven Einsichten der neueren Intersektionalitätsdiskussion, die die dekonstruktivistischen Einwände ernst nehmen und dennoch an der Notwendigkeit und Möglichkeit feministischer Kritik festhalten, entstehen nach meiner Wahrnehmung mitten im Feld dieses Zusammenstoßes. Es sollte deutlich geworden sein, dass die Frage, was an der intersektionellen Perspektive »neu« ist, nicht leicht zu beantworten ist. Ungeachtet ihrer längeren Vorgeschichte gilt aber, dass diese Perspektive als neu wahrge24 Vgl. Sabine Hark: Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005. 25 Patricia Collins Hill: Black Feminist Thought. Knowledge, Consciousness, and the Politics of Empowerment, New York & London: Routledge 1990.
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nommen wird. Dies illustriert die Erfahrung einer amerikanischen Kollegin, die in Holland lebt und lehrt und die im November 2006 im Rahmen eines Gastaufenthalts in Deutschland ein zweitägiges Seminar zu Intersektionalität veranstaltet hat. Das Seminar sollte ursprünglich für eine kleine Gruppe Studierender der Gender Studies angeboten werden. Zu ihrer Überraschung, so Kathy Davis, kamen nicht nur Studierende, sondern Doktorandinnen und Kolleginnen aus Städten der ganzen Region, bereit, ihr Wochenende zu opfern und sich – auch noch auf Englisch – mit Fragen der Beziehung zwischen unterschiedlichen Formen von Ungleichheit und Differenz, auseinander zu setzen. Kathy Davis notiert: »While this interest in my course was obviously gratifying, it was also puzzling. Why the sudden concern with ›intersectionality?‹ I wondered. My curiosity increased as I discovered that most of the participants were not at all sure what the concept meant, let alone how it should or could be used in their own fields of inquiry. At the same time, however, they were all convinced that intersectionality was absolutely essential to feminist theory and they had no intention of ›missing the boat‹.«26 Ähnliche Berichte gibt es aus anderen europäischen Ländern.27 Bei dem Versuch, die Frage zu beantworten, was den gegenwärtigen Bedeutungszuwachs einer kombinierten und integrierten Sicht auf Geschlecht, Klasse, Ethnizität im deutschen Sprachraum begründet, gilt es, unterschiedliche miteinander zusammenhängende Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen Veränderungen in Kultur und Gesellschaft, die es dringlicher machen, mit komplexeren Konzepten von Ungleichheit und Differenz zu arbeiten.28 Zum anderen Veränderungen in den Rahmenbedingungen der Produktion, Zirkulation und Rezeption von wissenschaftlichem Wissen. Und last but not least innerhalb des Diskurses der Geschlechterforschung eine gewisse Erschöpfung des überkommenen Themenspektrums bei gleichzeitig aufgrund der wachsenden Zahl von Nachwuchswissenschaftler/-innen gestiegenem Themen- und Distinktionsbedarf, der zu einer Erweiterung des Forschungsfeldes drängt. Der Generationenwechsel an den Hochschulen findet unter den Bedingungen von Transformations-
26 Vgl. Kathy Davis: Intersectionality as Buzzword: A sociology of science perspective on what makes a feminist theory successful, 2007 (im Erscheinen). 27 Vgl. Ann Phoenix/Pamela Pattynama: »Editorial«, in: European Journal of Women’s Studies, 13(3) (2006), S. 187-192. 28 Als Mastertrends gelten u.a. ökonomische, politische und kulturelle Globalisierung, Migrationsbewegungen, Europäische Integration, Individualisierung und soziale Diversifizierung von Lebenschancen. Vgl. Hans-Peter Müller: »Soziologie in der Eremitage? Skizze einer Standortbestimmung.«, in: Eva Barlösius/Hans-Peter Müller/Steffen Sigmund (Hg.), Gesellschaftsbilder im Umbruch. Soziologische Perspektiven in Deutschland, Opladen: Leske + Budrich 2001, S. 37-65.
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prozessen statt, die nicht nur die Inhalte, sondern auch die überkommenen Formen wissenschaftlicher Produktion und Kommunikation verändern.29 Besonders deutlich wird das an der veränderten Zeitökonomie im Wissenschaftsbereich, die umwegige Bildungsprozesse und Suchbewegungen des »Erinnerns, Wiederholens, Durcharbeitens« (Freud) zunehmend ausschließt. Es sind die Steuerungsmechanismen des New Public Management, die Vermarktlichung der Wissensproduktion und die technologisch und durch Konkurrenz forcierte Erhöhung der Umschlaggeschwindigkeit von Wissen, die das Umsichgreifen einer innovationistischen Rhetorik begünstigen. Nach Richard Sennett verweisen solche Phänomene auf grundlegendere Umstellungen von Modalitäten der Anerkennung in der »Kultur des neuen Kapitalismus«.30 Anerkennung gründet sich danach zunehmend weniger auf vergangene Arbeit, belohnt wird das Versprechen auf Höchstleistungen in der unmittelbaren Zukunft. Damit werden die Praxen auf Vorderbühne und Hinterbühne diskrepanter, sie sind zunehmend schwerer synthetisierbar und führen zu einem gespaltenen, zynischen, Bewußtsein: von ein- und denselben Akteur/-innen werden auf der Vorderbühne Ankündigungen und Vorgaben formuliert, die bereits in der nächsten Runde von Zielvereinbarungen überboten werden müssen, obwohl sie auf der Hinterbühne kaum eingehalten werden können – es sei denn, über Substanzreduktion und die Überausbeutung von sich selbst und anderen. Diese Dynamik, in der Formen der Irrealisierung, Nützlichkeitszwänge aber auch -chancen und harte Verteilungsrealitäten auf anarchische Weise zusammenwirken, treibt das Karussell von »post« und »new« an. Nach meinem Eindruck ist die Verkürzung der Halbwertzeit von Wissensbeständen auf spezifische Weise ausgeprägt in Fächern und Themenfeldern, die, wie zumindest Teile der Gender Studies, eine nicht nur in Kauf genommene, sondern gewollte Nähe zur Nützlichkeit im Sinne der Expertise für politische und praktische Handlungskontexte haben. Wer ein Thema oder ein Problem auf die Agenda bringen und dort halten will, kommt nicht umhin, diese Mechanismen der Vermarktung zu bedienen. Ich denke, dass sich das an den Konjunkturen von »Gender« und »Diversity« empirisch gut studieren lässt. Vielleicht liegt auch ein Aspekt des »Neuen« des Konzepts der Intersektionalität darin, dass es sich unter den veränderten Übersetzungsverhältnissen zwischen Gesellschaft, Wissenschaft, Politik sowohl materialiter als auch rhetorisch als innovativ ausweisen lässt. Zum einen, weil es in der Tat bisher im deutschsprachigen Raum noch unzureichend bearbeitete aber
29 Vgl. Ulrich Beck: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002; H.-P. Müller, »Soziologie in der Eremitage?, S. 37-65. 30 Richard Sennett: Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin: Berliner Verlag 2005.
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zunehmend als brisant wahrgenommene gesellschaftliche Problemzusammenhänge ins Spiel bringt. Zum anderen, weil dies unter einem Etikett abläuft, das unter den Bedingungen dieser Übersetzungsverhältnisse zwischen unterschiedlichen Märkten (noch) hervorragend funktioniert. Zwar hat es viele andere Metaphern gegeben, mit denen Feministinnen versucht haben, die Vermittlungsverhältnisse zwischen Gender, Class, Ethnicity (etc.) zu fassen,31 durchgesetzt hat sich schließlich »intersectionality« als einfaches Label für eine weitreichende Programmatik. Die Grundidee von »Intersectionality«, wie sie von Kimberlé Crenshaw in ihrer politischen Aufklärungs- und Bildungsarbeit propagiert wird, ist faszinierend klar und einfach und wird von ihr in einem Interview mit folgendem Bild erläutert: The concept »grew out of trying to conceptualize the way law responds to issues where both race and gender discrimination were involved. What happened was like an accident, a collision. Intersectionality simply came from the idea that if you’re standing in the path of multiple forms of exclusion, you are likely to get hit by both. These women are injured, but when the race ambulance and the gender ambulance arrive at the scene, they see these women of color lying in the intersection and they say, ›well, we can’t figure out if this was just race or just sex discrimination. And unless they can show us which one it was, we can’t help them‹.«32 Im Laufe der Jahre und getragen durch zahllose Auslegungen ist »Intersectionality« zu einem Passepartout geworden, einem Stenogramm, das zu mehr Komplexität in der Gesellschaftsanalyse einlädt und der feministischen Theorie erweiterte Perspektiven suggeriert. Auf dem Hintergrund eines theoretisch noch zu wenig gefassten Unbehagens an der Gesellschaftsentwicklung und einer verbreiteten Verunsicherung in den sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die von einer grundbegrifflichen »Erosionskrise« (Negt) befallen zu sein scheinen, gewinnt »Intersectionality« in der politischen Psychologie der Geschlechterforschung eine spezifische Funktion und Bedeutung. Es klingt wie ein Versprechen auf Zukunft, das etwas von dem alten feministischen Impetus der Gesellschaftskritik in die Gegenwart transportiert – ohne dass es an inhaltliche Festlegungen geknüpft wäre. Wie seinerzeit der Terminus »Postmodernism« erscheint mir auch »Intersectionality« so etwas wie der Name für einen heuristischen Entwurf im konstruktivistischen Sinne (geworden) zu sein, mehr eine allgemeine Rahmung als ein Begriff.33 Vermutlich ist es aber gerade die Verknüpfung 31 Candace West/Sarah Fenstermaker: »Doing difference«, in: Gender & Society (9) (1995), S. 837; Candace West/Sarah Fenstermaker: »Doing Difference«, in: Esther Ngang-ling Chow/Doris Wilkonson/Maxine Baca Zinn (Hg.), Race, Class, and Gender: Common Bonds, Different Voices, London 1996, S. 357-384. 32 Kimberlé Crenshaw im Interview: www.abanet.org/women/perspectives/ Spring2004CrenshawPSP.pdf, last visited 20.06.07. 33 Vgl. G.-A. Knapp: »Postmoderne Theorie oder Theorie der Postmoderne?«, S. 25-84.
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von Anschaulichkeit (das Bild der Kreuzung) mit dem Abstraktionsgrad eines »Plastikworts«,34 welche die schnellen Reisen dieses Konzepts in den unterschiedlichen Politik- und Wissenschaftskontexten ermöglicht hat. Indem es seinen Herkunftskontext verlässt und sich von überall her mit Bedeutung auflädt, wird es gewichtiger und diffuser zugleich. Kathy Davis vertritt in ihrem Text »Intersectionality as Buzzword: A sociology of science perspective on what makes a feminist theory successful« nicht nur die – von mir geteilte – Auffassung, dass es gerade die Unterbestimmtheit des Konzepts ist, die einen Gutteil seiner Erfolgsgeschichte ausmacht. Sie ist darüber hinaus der Auffassung, dass es auch diese Offenheit ist, die intersectionality zu einer »good feminist theory« macht: »Good theory does not produce normative straightjackets for monitoring feminist inquiry in search of the ›correct line‹, it encourages each feminist scholar to engage critically with her assumptions in the interest of reflexive, critical, and accountable feminist inquiry.«35 Ich stimme im Prinzip zu, denke aber, dass man zwischen einer »guten Theorie« und einer produktiven Heuristik oder Problematisierung noch deutlicher unterscheiden kann und sollte. Und ob aus »Intersectionality« überhaupt »good theory« im engeren Sinne werden kann, halte ich aus Gründen, die vor allem mit der Architektur der Metapher zusammen hängen, für zweifelhaft. Aber ich denke, wie Kathy Davis, dass eine intersektionelle Perspektive bessere Forschung und Theoriebildung anregen kann. Das Potential dazu kann in den unterschiedlichen Arbeitsgebieten und inhaltlichen Feldern sehr verschieden sein. Wer sich mit Fragen der Subjektkonstitution oder der psychosozialen Entwicklung befasst, wird auf andere Konstellationen und Bedeutungen von Geschlecht, Ethnizität, Klasse stoßen als diejenige, die aus einer gesellschaftstheoretischen Perspektive nach »Achsen der Ungleichheit« fragt. Gleichzeitig wirft das Konzept der Intersektionalität eine Reihe von Fragen auf, die quer liegen zu den inhaltlichen Feldern und die eine gemeinsame metatheoretisch-methodologische Theorie-Baustelle ergeben. Wie realisiert man etwa den Anspruch, Geschlechterverhältnisse einerseits nicht unabhängig von anderen Strukturkategorien zu fassen, mit denen sie in einer Konfiguration oder einem gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhang stehen, aber andererseits auch nicht in einer Weise auf Überschneidungen zu schauen, die die je spezifische Konstitution der unterschiedlichen Teilungsverhältnisse ausblendet? Diese Frage fasst Barbara Risman mit Verweis auf die »both/and-strategy« von Patricia Hill Collins so zusammen: »We cannot study gender in isolation from other inequalities, nor can we only study inequalities ›intersection‹ and ignore 34 Uwe Pörksen: Plastikwörter: die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart: Klett-Cotta 1988. 35 K. Davis: Intersectionality as Buzzword, S. 12.
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the historical and contextual specificity that distinguishes the mechanisms that produce inequality by different categorial divisions, whether gender, race, ethnicity, nationality, sexuality, or class.«36 Von einer anderen Systematik her hat die Ungleichheitsforscherin Leslie McCall37 das Feld beschrieben, das die Diskussion über Intersektionalität strukturiert. McCall unterscheidet drei Zugangsweisen: anti-kategoriale Perspektiven, die sie vor allem in dekonstruktivistischen und poststrukturalischen Theorien vertreten sieht; intra-kategoriale Zugangsweisen, die Fragen von Differenz und Ungleichheit im Rahmen einer der jeweiligen Kategorien in den Blick nehmen, sei es Klasse, »Rasse«, Ethnizität oder Geschlecht und – drittens – inter-kategoriale Zugangsweisen, die die Verhältnisse und Wechselwirkungen zwischen den Kategorien zu analysieren suchen. In der Geschlechterforschung war es der intra-kategoriale Fokus auf Ungleichheit und Differenzen unter Frauen, der sowohl in der Epistemologie-Debatte als auch in der gegenstandsbezogenen Forschung die Aufmerksamkeitsräume verändert und neue Probleme in den Blick gerückt hat. Was bedeutet es zum Beispiel für feministische Kritik, wenn Gleichstellungsgewinne von Frauen bestimmter Schichten in weltweitem Maßstab durchgesetzt werden auf der Basis von Umverteilungen der Hausarbeit an andere Frauen? In den Mittelpunkt rücken hier Fragen wie die nach der widersprüchlichen Positionierung von Frauen aus unteren Schichten oder Migrantinnen gegenüber ihren Arbeitgeberinnen.38 Andererseits erweist sich dieser Fokus auf Frauen als zu eng, wenn es nicht nur darum geht, die damit verbundenen Erfahrungen und Konflikte von Hausarbeitgeberinnen und Hausarbeitnehmerinnen zu beschreiben, sondern wenn diese Relation auch theoretisch expliziert werden soll. Das Geschlechterverhältnis erschließt sich, wie der Name sagt, durch den vergleichenden Blick auf Relationen zwischen den Genus-Gruppen. Um gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse handelt es sich aber auch bei den anderen »Achsen der Ungleichheit und Differenz«. Wen sie in welchen Relationierungen auf welche Weise trennen und verbinden und wie sie jeweils als Konfigurationen von Macht und Herrschaft verfasst sind (etwa als Klassenrelationen oder ethnisierte Relationen), kann an der Genus-Gruppe Frauen allein nicht erkannt werden. Eine am Konzept der Intersektionalität orientierte Theorie fragt danach, wie Geschlechterverhältnisse, Klassen36 Barbara Risman: »Gender as a Social Structure: Theory Wrestling with Activism.«, in: Gender & Society 18 (4) (2004), S. 248-257. 37 Leslie McCall: »The Complexity of Intersectionality«, in: Signs: Journal of Women in Culture and Society 30 (3) (2005), S. 1771-1802. 38 Claudia Gather/Birgit Geissler/Maria S. Rerrich: Weltmarkt Privathaushalt. Bezahlte Haushaltsarbeit im globalen Wandel. Münster: Westfälisches Dampfboot 2002. Forum Frauenforschung Band 15; Helma Lutz/Susanne Schwalgin (Mitarb.): Vom Weltmarkt in den Privathaushalt. Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung, Opladen u.a.: Budrich 2007.
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verhältnisse und Konfigurationen von Ethnizität in der Sozialstruktur und in der institutionellen Verfasstheit einer gegebenen Ökonomie und Gesellschaft, im nationalen wie im transnationalen Zusammenhang, verbunden sind? Und sie fragt danach, was mit diesen spezifisch verfassten, aber interdependenten Relationalitäten unter den Bedingungen sozialer, politischer und ökonomischer Transformation geschieht, die wir gegenwärtig erleben. Ich gehe davon aus und darin liegt auch meine Betonung einer gesellschaftstheoretischen Perspektive begründet, dass man intra-kategoriale Fragen nach Ungleichheit und Differenz innerhalb der Genus-Gruppen ohne eine inter-kategoriale Ausrichtung nicht beantworten kann. Es gehört zur Dialektik feministischer Aufklärung, dass sie in der Abarbeitung an den Aporien des feministischen »Wir« Fragen aufgeworfen hat, die sie innerhalb des eigenen Rahmens nicht mehr beantworten kann. Dass sie es getan hat, lese ich als Zeichen ihrer Vitalität. Es gibt viele produktive Möglichkeiten, intersektionelle Perspektiven aufzugreifen. Mich persönlich interessiert »Intersectionality« zum einen wegen der methodologischen und grundlagenkritische Aspekte, die damit verbunden sind. Dabei teile ich grundsätzlich Cornelia Klingers etwas pointiert vorgetragene Einschätzung: »Es ist sinnlos, auf die sich überlagernden oder durchkreuzenden Aspekte von Klasse, Rasse und Geschlecht in den individuellen Erfahrungswelten hinzuweisen, ohne angeben zu können, wie und wodurch Klasse, Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind.«39 Zum anderen, und mit Bezug auf die von Klinger angesprochene theoretische Frage, interessiert mich »Intersectionality« wegen des damit verbundenen »queertreibenden« Potentials für die Gesellschaftsanalyse und Zeitdiagnose. In der gegenwärtig geführten Diskussion über gesellschaftliche Transformationsprozesse, über veränderte Formen und Wahrnehmungen von Ungleichheit und Differenz, über Phänomene der Globalisierung und transnationaler Verflechtungen in Geschichte und Gegenwart, wird intensiv darum gerungen, die Begrifflichkeiten der Gesellschaftsanalyse so zu reformulieren, dass sie der Komplexität gegenwärtiger Konstellationen angemessen ist. Auf dem Hintergrund dieser Debatten im sozialwissenschaftlichen Fächerspektrum und im kritischen Rekurs auf Fragestellungen der älteren Kritischen Theorie und Michel Foucaults lese ich die Triade von Race/Ethnicity, Class und Gender als Aufforderung zu einer ReInspektion der europäischen Moderne und »Intersectionality« als eine Orientierung für dieses Unterfangen. Obwohl ich mir der Schwierigkeiten durchaus bewusst bin, denke ich, dass eine integrierte Sicht auf unterschiedliche Formen von Ungleichheit und Differenzierung hilfreich dabei 39 Cornelia Klinger/Gudrun-Axeli Knapp/Birgit Sauer (Hg.), Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt a.M./New York: Campus 2007, S. 37.
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wäre, die »historische Ontologie« (Foucault) des Ortes besser begreifen zu können, an dem wir leben. Ich sehe in einem solchen Projekt keine Neuauflage des wissenschaftlichen Euro- und Ethnozentrismus, sondern die geteilte und gemeinsame Arbeit an einer fundierteren Kritik und Aneignung der europäischen Moderne unter den Bedingungen zunehmender weltgesellschaftlicher Verflechtung. Die Gesellschaften Europas formieren bzw. entfalten sich historisch als zugleich moderne, expansiv-kapitalitische, bürgerlich-patriarchale, nationalstaatlich verfasste und in unterschiedlichem Ausmaß imperiale Gesellschaften. Theorien, die arbeitsteilig jeweils nur eines dieser Merkmale aufgreifen oder betonen (das Moderne, die kapitalistisch-expansive Wirtschaftsweise, die bürgerlich-patriarchale Kultur und Herrschaft oder die nationalstaatliche (bzw. imperiale) Verfasstheit) können diesen Strukturzusammenhang aus unterschiedlichen Herrschafts- und Vergesellschaftungsformen nicht begreifen, dessen erneute Transformation wir im Zeichen von Europäischer Integration und Globalisierung erleben. Ein tiefenscharfer Blick auf diese Gesellschaftsgeschichte müsste von der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit ausgehen zwischen historischen Verheißungen von Gleichheit, Solidarität und individuellen Rechten, die sich auf die Rationalitätsformen einer als nichtparteilich konzipierten Wissenschaft und einer universalistischen Ethik stützen einerseits und politisch-wissenschaftlichen wie ökonomischen Diskursen und Praxen andererseits, die Differenzen und Ungleichheiten entlang der Achsen von Geschlecht, Klasse, Rasse und Ethnizität erfinden, legitimieren, hinnehmen, missbrauchen, ausbeuten, institutionalisieren und dabei spezifische strukturelle Konstellationen von Herrschaft und Ungleichheit etablieren. Im Versuch, diese Konstellationen zu analysieren, gälte es zugleich, die gruppentheoretische Einengung der Kategorien Klasse, Geschlecht, Ethnizität zu überwinden und die spezifischen Herrschaftslogiken zu analysieren, die in den Verhältnissen von Klasse, Geschlecht, Nation/Ethnizität/»Rasse« miteinander interagieren und teilweise fusionieren. Mit dem Konzept der Intersektionalität, davon bin ich überzeugt, hat die feministische Theorie auch für solche Fragestellungen wichtige Impulse gegeben. Als Antwort auf die im Titel meines Beitrags aufgeworfene Frage: »Ist ›Intersectionality‹ ein neues Paradigma feministischer Theorie?« lässt sich resümieren: Fragen der Vermittlung oder der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Formen sozialer Ungleichheit und Differenz sind in der Geschlechterforschung bzw. in bestimmten Fachkonstellationen der Gender Studies in den vergangenen Jahren deutlicher vom Rand ins Zentrum gerückt. Neu wäre damit nicht die Frage an sich sondern das stärkere Gewicht, das dieser Thematik im Rahmen dieses Wissenschaftsfeldes beigemessen wird. Für den deutschsprachigen Diskurs der Geschlechterforschung gilt, dass sich das Spektrum der Thematisierung von Ungleichheit und Verschiedenheit unter Frauen im Vergleich zu den 1980er Jahren er-
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weitert hat. Vor allem die Auseinandersetzung mit Ethnizität und »Race« ist intensiver geworden. An Bedeutung gewonnen haben auch Fragen wie Alter und Religion. In der inhaltlichen Ausdehnung dieses Spektrums reflektieren sich sowohl reale sozialstrukturelle und kulturelle Veränderungen als auch die Internationalisierung der Geschlechterforschung und nicht zuletzt die personelle Differenzierung der Gruppe von Wissenschaftler/innen, die heute Geschlechterforschung und Gender Studies betreiben. Wir haben es hier also mit perspektivischen Verschiebungen und Erweiterungen zu tun, nicht mit einer völlig neuen Agenda. Eher neueren Datums ist im deutschsprachigen Diskurs die intensivere Reflexion metatheoretischer bzw. methodologischer Implikationen einer intersektionellen Perspektive. Diese Diskussion wird im angloamerikanischen Raum schon seit längerem geführt. Das Aufnehmen dieser Debatten im deutschsprachigen Kontext findet allerdings unter gesellschaftlichen und politischen Bedingungen statt, die anders sind als in Großbritannien, Nordeuropa oder den USA. In den USA war der Diskurs um Differenz lange Zeit stark durch identitätspolitische Traditionen und dem entsprechende Fokussierungen auf Gruppen, Gruppenidentitäten, Gruppenrechte, Gruppenrepräsentationen geprägt, in die das Konzept der »Intersectionality« auf spezifische Weise interveniert hat. Im europäischen und deutschen Kontext ergeben sich aus einer intersektionellen Perspektive auf Differenz und Ungleichheit teilweise andere Forschungsfragen. Dies hängt, wie sich besonders gut am Beispiel des Gebrauchs von »Klasse« und »Rasse« belegen lässt, mit anderen gesellschaftlich-politischen Realitäten ebenso zusammen wie mit unterschiedlichen Theorietraditionen. Vergleichsweise klare Unterschiede und dementsprechende Verständigungsschwierigkeiten in der transnationalen Diskussion über Intersektionalität erwarte ich im Bereich der Gesellschaftstheorie weil es hier ausgeprägte länderspezifische Konventionen und Akzentsetzungen gibt. Gleichzeitig zwingen die Entwicklungen im Bereich politischer, kultureller und institutioneller Globalisierung dazu, diese Diskussionen auch in der Geschlechterforschung zu führen. Wenn nach der Genderforschung auch Genderforschung kommt und zumindest in Teilen dieser Forschung der feministische Impetus erhalten bleibt, dann wird man um die Auseinandersetzung mit einer intersektionellen Perspektive nicht herumkommen – und dies nicht nur wegen der innovationistischen Rhetorik, die inzwischen auch den Diskurs über Intersektionalität als »neues Paradigma« oder latest news begleitet. Der wichtigere, substantielle, Grund dafür liegt in der Dialektik einer intra-kategorialen Kritik begründet, die einen inter-kategorial formulierten Theoriehorizont voraussetzt, den es noch gar nicht gibt und zwar nicht nur nicht in der Geschlechterforschung, sondern in den Sozialwissenschaften insgesamt. Dazu gehört auch die anti-kategoriale Perspektive, die Leslie McCall in ihrer Feldbeschreibung als einen separaten poststrukturalistischen Strom er-
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wähnt. Für mich ist die anti-kategoriale Perspektive nicht der Widerpart eines integrativen Blicks auf komplexe Ungleichheit und Differenz, sondern, im Gegenteil, sein unverzichtbares Element. Der dekonstruktive Impetus wird immer wieder dazu nötigen, kategoriale Reifikationen aufzulösen. Gleichzeitig ist die anti-kategoriale Einstellung selber zu relativieren, weil eine kritische feministische Theorie nicht aufhören kann, auch nach dem Zusammenspiel der verschiedenen soziokulturellen Reifikations- und Herrschaftsmechanismen zu fragen, die aus Unterscheidungen Ungleichheitsverhältnisse machen.
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Kommentar z um Be itrag: »Intersectionalit y« – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung? HELGA KELLE
I. Ich teile Axeli Knapps Einschätzung, dass in der Frauen- und Geschlechterforschung so neu nicht ist, was seit einigen Jahren mit dem Konzept der intersectionality bezeichnet wird. Die reflexive Wendung der Fragestellung in Knapps Beitrag – wie kann neu erscheinen, was nicht neu ist? – leuchtet mir absolut ein. Die Kontextualisierung dieser Frage im Rahmen gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen, im Rahmen neuer Bedingungen »der Produktion, Zirkulation und Rezeption von wissenschaftlichem Wissen« und in Hinblick auf eine »Erschöpfung des überkommenen Themenspektrums«, überzeugt ebenfalls. Ich teile Knapps Einschätzung, dass intersectionality »in der politischen Psychologie der Geschlechterforschung eine spezifische Funktion und Bedeutung« gewinnt; und dass die Attraktivität des Konzepts unter den gegenwärtigen Bedingungen des Wissenschaftsbetriebs gerade in seiner »Unterbestimmtheit« begründet liegt. – Die wissenschaftssoziologische Einordnung des Erfolgs des Konzepts Intersektionalität lässt empirische Geschlechterforscherinnen m.E. aber auch, in Hinblick auf eine methodologische Ausformulierung dieses Konzepts, etwas unbefriedigt zurück. Zu der Frage, inwiefern eine intersektionelle Perspektive bessere Forschung und Theoriebildung anregen kann – dazu hätte ich mir konkretere methodologische Hinweise gewünscht. Wie macht man gute empirische Forschung unter intersektioneller Perspektive, ohne an der Komplexität der Anforderungen zu verzweifeln? Die Fragen, was die Forschung in den Blick zu bekommen beanspruchen kann
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und was nicht, gehen beim sampling los: Bereits die konzeptionellen Überlegungen zur Zusammensetzung der zu untersuchenden Gruppen dürften sich in der Regel unterscheiden, je nach dem, ob diese Überlegungen aus der Perspektive der Geschlechterforschung oder der Intersektionalität angestellt werden. In diesem Zusammenhang ist an die methodologischen Diskussionen zu erinnern, die sich an das Konzept »Doing difference«1 anschlossen. Diesem Konzept wurde von gesellschaftstheoretisch orientierten Sozialwissenschaftlerinnen vorgeworfen, zu stark mikrosoziologisch anzusetzen; das Konzept der Intersektionalität setzt demgegenüber stärker makrosoziologische Akzente. Das Verhältnis beider Ansätze wäre m.E. weiter zu diskutieren, denn die methodologischen Anschlussfragen sind auch beim intersektionellen Ansatz nicht unbedingt leichter zu beantworten.
II. »Intersection« kann im Deutschen Knotenpunkt, Kreuzung, Schnittmenge, Schnittfläche, Schnittpunkt, Übergang oder Überschneidung bedeuten; bei all diesen Bedeutungen drängt sich die Frage auf: Intersektion von was? M.E. kann der Begriff der intersectionality selbst noch kein Konzept für dieses »was« beinhalten. Wie kann aber dasjenige sozial- oder gesellschaftstheoretisch bestimmt werden, was sich da kreuzt, überschneidet, ineinander übergeht etc.? Diese Frage durchzieht den Beitrag von Knapp. Ich nenne noch einmal zwei Bestimmungen und ihre Probleme: 1. Theoretikerinnen nehmen sozialstrukturelle Kategorien der Differenzierung und Ungleichheit an: Im Kontext der Intersektionalitätsdebatte geht es v.a. um die Trias Geschlecht, Klasse, Ethnie. Die Diskussionen der Frauen- und Geschlechterforschung sind allerdings seit ihren Anfängen von einer Kritik an den deterministischen und reproduktionstheoretischen Implikationen sozialstrukturellen Denkens durchzogen. 2. Theoretikerinnen verstehen Differenzkategorien als identitätspolitische Kategorien. Die Dilemmata und Paradoxien der Identitätspolitiken benachteiligter Gruppen – mit Goffman könnte man sagen: die Paradoxien des Stigmamanagements – sind im akademischen Feminismus ebenfalls breit diskutiert worden. Es gibt m.E. eine Spannung in dem Beitrag Knapps, die den Umgang mit den Kategorien betrifft: Bei aller Kritik stellt der Beitrag doch ein Plädoyer für das Konzept der intersectionality als heuristischer Kategorie dar, einerseits. Andererseits plädiert Knapp zum Schluss doch auch für eine dezidierte Übernahme einer »anti-kategorialen Perspektive« in der femi1
Candace West und Sarah Fenstermaker: »Doing difference«, in: Gender and Society, Bd. 9 (1995), S. 8-37.
KOMMENTAR: »INTERSECTIONALITY« – EIN NEUES PARADIGMA? | 57
nistischen Theoriebildung, um »kategoriale Reifikationen aufzulösen«. Die Geschlechterforschung hat sich ausführlich mit dem Problem beschäftigt, wie eine kategoriale analytische Perspektive an der Hervorbringung der Phänomene beteiligt ist, die die Forschung zu analysieren beansprucht. Eine entscheidende theoretische Frage scheint mir deshalb zu sein, ob das Konzept der intersectionality ohne Vorabbestimmung dessen, was sich da kreuzt, überschneidet etc. auskommen kann. Hilft da schon die Flucht in ein heuristisches Verständnis von Intersektionalität – eine Methodik zur Gewinnung neuer Erkenntnisse, die sich dann im Prozess möglicherweise doch nicht auf die Kategorien festlegt, die sie vorausgesetzt hat? Oder die Betonung, dass sozialstrukturelle Ungleichheitskategorien selbstverständlich nur als relationale zu verstehen sind? Dies wäre weiter zu diskutieren. Die anti-essentialistische Kritik ist nicht nur in der Geschlechterforschung, sondern auch z.B. in der Migrationsforschung ausbuchstabiert worden; die Gefahr der Essentialisierung ist m.E. noch nicht gebannt, wenn die Überschneidungen, Kreuzungen etc. von Kategorien in den Blick genommen werden. Deshalb hat Knapp auch die anti-kategorialen, dekonstruktivistischen Zugangsweisen so stark fokussiert. Sie bezieht sich in ihrem Verständnis von Intersektionalität ganz zentral darauf, dass sich intra-kategoriale Fragen nicht ohne inter-kategoriale Ausrichtung bearbeiten lassen. Mir scheint nach der langen Diskussion um die »Kritik der Kategorie Geschlecht« die Frage entscheidend zu sein, inwiefern das Konzept der Intersektionalität schon als solches zur theoretischen und methodologischen Reformulierung der Kategorien der Gesellschaftsanalyse beitragen kann. Bei Knapp lautet der Vorschlag etwa so: Das Intersektionalitätskonzept basiert auf der Annahme, dass Ungleichheitsstrukturen nicht anhand einzelner Kategorien erklärt werden können, sondern nur anhand von Achsen der Differenz. Zu erforschen, welche Achsen dies je situiert sind, muss Gegenstand konkreter Analysen in konkreten Feldern sein – die Vorstellung von Achsen beugt damit einer Reifizierung von monolithisch verstandenen Kategorien vor.
III. Wenn man nun das Konzept intersectionality auf den Gegenstandsbereich der Erziehungswissenschaft bezieht, so scheint mir, dass eine maßgebliche Erweiterung der häufig genannten Trias race, class, gender ins Auge gefasst werden muss, und zwar Alter als Kategorie der gesellschaftlichen Ordnung. Die generationale Differenz von Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und Erwachsenen auf der anderen Seite begründet und legitimiert gesellschaftliche Erziehungsverhältnisse, die in kritischen Traditionen erziehungswissenschaftlichen Denkens auch als Herrschaftsverhältnis-
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se analysiert wurden und werden. Die generationale Differenz liegt dabei quer zu den anderen Differenzkategorien – darüber wäre weiter theoretisch zu reflektieren. Im Rahmen der Soziologie der Kindheit ist eine ähnliche Kritik an einer intra-kategorialen Analyse geäußert worden, wie Knapp sie in ihrem Beitrag für die Fokussierung auf die Genusgruppe der Frauen formuliert hat: Mit einer Fokussierung auf »Kindheit« und Ungleichheiten zwischen Kindern allein lässt sich noch kein analytischer Blick auf die generationale Ordnung als einem gesellschaftlichen Ungleichheitsgenerator gewinnen. Das Anregungspotential des Intersektionalitäts-Ansatzes für die Erziehungswissenschaft kann m.E. an den Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung aus den letzten Jahren verdeutlicht werden, die Auskunft geben über die im Bildungssystem von Benachteiligung betroffenen Gruppen – wer mag, kann übrigens die Kunstfigur des katholischen Arbeitermädchens vom Lande als ein frühes Zeugnis intersektionellen Denkens reinterpretieren. Im gegenwärtigen Bildungsdiskurs werden Benachteiligungsstrukturen eher in der Figur des Jungen mit Migrationshintergrund aus einem sozialen Brennpunkt verdichtet. Mit einer Perspektive der Identifizierung von Risikogruppen, also einer Perspektive auf die Gruppen der Benachteiligten innerhalb der Kategorie der Kinder und Jugendlichen, lässt sich aber noch nicht wirklich eine analytische Perspektive auf die inter-kategorialen Konfigurationen der Generationen (und Geschlechter und Klassen) gewinnen, die im Bildungs- und Erziehungssystem in Form gegossen sind und die die Ungleichheiten unter den Kindern zu aller erst bedingen. So lese ich die Anregungen (nicht nur) für die Erziehungswissenschaft, die Knapps Beitrag enthält, als Aufforderung zu komplexeren theoretischen Konzeptualisierungen der Genese von sozialer Ungleichheit. Wenn die erziehungswissenschaftliche Ungleichheitsforschung über eine Verdoppelung der Stigmatisierung von Risikogruppen hinausgelangen will, wird sie auf diese komplexeren Theorien angewiesen sein.
Mit ›Gender‹ in der Bew egung? Eine Antw ort auf die Frage ›Was kommt nach der Genderforschung?‹ aus der Perspektive von Frauenbew egung SILVIA KONTOS
Ich nähere mich der Fragestellung dieses Bandes aus der Perspektive der Frauenbewegung, die einerseits den Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Überlegungen bildet, sich andererseits aber auch gut eignet, um die Beweglichkeit und Veränderbarkeit der Kategorien zu thematisieren. Wenn alle Evidenzen im Fluss sind, wie der schöne Titel des Buches von Disselnkötter heißt1, dann scheint es mir nahe liegend, dass sich diese Fluidität gerade an den Erfahrungen sozialer Bewegungen, also für die Kategorie ›Gender‹ an den Erfahrungen und Veränderungen der Frauenbewegung (und inzwischen auch an denen der Rudimente von Männerbewegung) gut diskutieren ließe. Ich möchte mich im Folgenden jedoch weniger auf die Kategorie ›Geschlecht‹ als solche beziehen, oder auf ›Männer‹ resp. ›Frauen‹, sondern auf das, was ihre Bedeutung für die Frauenbewegung als soziale Bewegung ausmacht, nämlich dass diese Kategorien ein Herrschaftsverhältnis bezeichnen; ein Herrschaftsverhältnis, auf das wir heute sehr viel differenzierter schauen als zu Beginn der neuen Frauenbewegung, auf die ich mich hier beziehe, das sich überdies beständig verschiebt und verändert, das aber auch in der Begrifflichkeit von ›Hegemonie‹ noch als ein solches bezeichnet werden kann. Und nur solange wir dies tun, macht es auch Sinn von einer ›Frauenbewegung‹ als einer Emanzipationsbewegung zu sprechen. 1
Andreas Disselnkötter u.a. (Hg.), Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland, Duisburg: DISS 1997.
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Nun droht der Theorie und Forschung zur Frauenbewegung ja schon seit längerer Zeit ihr Gegenstand abhanden zu kommen. Vorbei die glorreichen Zeiten, in denen noch selbstevident war, was und wer ›die neue Frauenbewegung‹ war, als über Organisationskerne, Bewegungsmilieus und innere Hierarchien debattiert werden konnte. Aber wenn der ›backlash‹, die ›Atempausen‹ oder ›Flauten‹ gar kein Ende nehmen wollen, dann müssen wir uns als Akteurinnen wie als Forscherinnen schon fragen, ob es gegenwärtig überhaupt noch Sinn macht, von ›Frauenbewegung‹ zu reden. Ich plädiere trotz allem, was auf den ersten Blick dagegen spricht, dafür, die Perspektive einer ›Frauenbewegung‹ beizubehalten. Denn es bewegt sich auch heute noch viel im Geschlechterverhältnis, genauer: vor allem Frauen bewegen nach wie vor viel im Geschlechterverhältnis, und es ist, so meine These, eher eine Schwäche der Theorien über soziale Bewegungen, dass sie – fixiert auf deren heroische Phasen – keinen adäquaten Begriff für die Komplexität ›gesellschaftlicher Bewegungen‹ entwickelt, die sich nur in Ausnahmephasen zu einer ›sozialen Bewegung‹ verdichten wie sie die Bewegungsforschung im Auge hat. Ich möchte deshalb den Begriff ›sozialer Bewegung‹, den ich hier unterlege, in Richtung auf eine allgemeine gesellschaftliche Bewegung erweitern, die hochverdichtete, organisationsintensive und sichtbare Phasen ebenso einschließt wie Phasen zäher, dispersiver, unübersichtlicher Auseinandersetzungen, in denen weder Freund und Feind klar zu unterscheiden sind noch Erfolge und Misserfolge. Und ich möchte vor allem die Frauenbewegung aus dem Bürgerkriegsmodell des 19. Jahrhunderts herauslösen, in dem es um strategische Optionen und Bündnisse, um Terraingewinne und Offensiv- bzw. Defensivoperationen ging. In einer Bewegung, die mehr als andere von der permanenten Veränderung ihres Kontextes und einer kontinuierlichen Selbstveränderung ihrer Akteure ausgehen muss, ist eine Selbstdeutung, die von feststehenden Begriffen, Zielen, Programmen und ihnen zugeordneten Mitteln ausgeht, wenig überzeugend. Auch die Entwicklung der feministischen Theorie ist kein gradliniges Voranschreiten zur ›Wahrheit‹, sondern in ihren unterschiedlichen Windungen und Wendungen selbst Bestandteil der von ihr untersuchten gesellschaftlichen Verhältnisse. Das schließt einen Gewinn an Realitätshaltigkeit und Erklärungskraft nicht aus, sondern ergänzt eine fortschreitende Erkenntnis um deren Schranken durch ihre Einbettung in den jeweiligen Stand der Geschlechterauseinandersetzungen und in deren wissenschaftlicher Thematisierung.
I. Bei einem sehr kursorischen Blick auf die Entwicklungsschritte feministischer Theorie seit dem Aufbruch der neuen Frauenbewegung finden wir als deren Ausgangspunkt in den siebziger Jahren eine Art Sozialisations-
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theorie, die sich vor allem gegen die Naturalisierung von hierarchisierten Geschlechterdifferenzen wandte, die krasse Benachteiligung von Frauen auf die ›naturgegebenen‹ Bildungsdefizite der Mädchen zurückführte. Ganz im Sinne der Alarmstimmung der Bildungskatastrophe der sechziger Jahre forderte sie politisch mehr Chancengleichheit im Bildungssystem ein und natürlich auch größere Bildungsanstrengungen der Mädchen selbst. Die geschlechterpolitische Diagnose war, dass es traditionelle Überhänge in der bundesrepublikanischen Gesellschaft waren, Modernisierungsrückstände, die mit einem bildungspolitischen Aufbruch hinweggefegt werden könnten. Dieser Bildungsoptimismus in der Geschlechterpolitik entsprang einerseits der langen Tradition sozialdemokratischer Politik der Chancengleichheit sowie der allgemeinen Aufbruchstimmung der sozialliberalen Koalition und wurde später – auch gut sozialdemokratisch – auf Chancengleichheit im Beruf ausgeweitet und unter dem Motto ›Mädchen können das auch‹ vor allem als Erweiterung der beruflichen Optionen von Mädchen propagiert. Diagnose und Programm wurden von den singulären Sozialwissenschaftlerinnen an deutschen Hochschulen vorgetragen (ich denke da vor allem an Helge Pross), von denen Cornelia Klinger sagt, dass sie uns keine (wissenschaftlichen) Mütter waren.2
II. Die nächste Wendung der feministischen Theorie verdankte sich theoretisch der breiten Rezeption der Marx’schen Theorie im Gefolge der Studentenbewegung, politisch einer tiefen Enttäuschung über die technokratische Wendung der sozialliberalen Reformpolitik, die die von ihr selbst geweckten Hoffnungen auf eine gründliche Revision der politischen Struktur des ›CDU-Staats‹ dementierte. Auch wenn die Marxrezeption nach 1968 z.T. in überaus traditionellen Bahnen verlief, so bot die gleichzeitige Rezeption von kritischer Theorie, Psychoanalyse und der unorthodoxen Strömungen des Marxismus doch die Möglichkeit, ungeklärte Probleme der Kapitalismustheorie aufzugreifen und auf dem Hintergrund ausbleibender Revolutionen in den Industrieländern, des Faschismus und der Nachkriegsprosperität neue hinzuzufügen. Zwar wandte sich die feministische Theorie Ende der siebziger Jahre mehr oder weniger geschlossen der Arbeit von Frauen zu, um den Sperren und Widerständen gegen den sozialliberalen Bildungsoptimismus auf den Grund zu gehen, aber die theoretische Aneignung marxistischer Theorie war von vornherein kritisch und geschah überdies auf dem Hintergrund
2
Cornelia Klinger: Zwischen Generationen und Disziplinen, Vortragsmanuskript Wien 1999, S. 2.
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der anlaufenden neuen sozialen Bewegungen, die die gesellschaftlichen Konfliktkonstellationen nachhaltig verschieben sollten. Ob theoretische Konzepte der ›geschlechtliche Arbeitsteilung‹, des ›weiblichen Arbeitsvermögens‹ oder der ›doppelten Vergesellschaftung‹, alle entstanden in der Auseinandersetzung mit der Marx’schen Theorie und ihrer Weiterentwicklung nach 1968 und sie versuchten eine Eigendynamik der Geschlechterverhältnisse zu begründen. Die theoretische Frage, die damit aufgeworfen wurde, war die nach dem Verhältnis zentraler gesellschaftlicher Konfliktstrukturen zueinander, eine Fragestellung, die mit der Reihung von Klasse, ›Rasse‹ und Geschlecht und der Formel von ihrer ›Verschränkung‹ bis heute nicht wirklich gelöst ist.3 Politisch, d.h. auf der Ebene der aufblühenden Frauenbewegung, bedeutete diese Fragestellung eine Emanzipation aus der politischen Vormundschaft der Linken und personell – aus der Jahrgangsperspektive von Cornelia Klinger – das Auftreten von ›älteren Schwestern‹, die der Studentenbewegung »mit Enttäuschung und nicht selten sogar mit Verbitterung den Rücken gekehrt hatten, als ihnen klar wurde, wie wenig Auswirkung die Parolen von Emanzipation und Revolution auf die eingefahrenen Geschlechterverhältnisse und die Situation von Frauen hatten – und nach Meinung ihrer männlichen Mitstreiter – auch gar nicht haben sollten.«4 Die Suche nach den Gründen für das Fortbestehen hierarchischer Geschlechterverhältnisse in der Organisation gesellschaftlicher Arbeit war demnach eine komplexe Mischung von Anlehnung an den und Bruch mit dem damals hegemonialen Paradigma kritischer Gesellschaftstheorie. Im Kontext des Ensembles der neuen sozialen Bewegungen und ihren neuen Themen (Ökologie, Frieden, Technologiekritik) hat sich in der Folgezeit auch die feministische Theorie zunehmend aus der alleinigen Orientierung auf die gesellschaftliche Arbeit herausgelöst und sich unbekümmert um eingespielte Relevanzstrukturen allem zugewandt, was unter einer ›Frauenperspektive‹ neue Erkenntnisse versprach. Es war die Blütezeit einer unendlichen Fülle von Themen nach dem Schema ›Frauen und…‹ oder ›Frauen in…‹ Naturwissenschaft und Technik, in der Medizin, in der Philosophie, in der Pflege, in den Medien, in der Kunst usw. Vor allem aber entdeckten Frauen ›ihre eigene Geschichte‹ und zwar zunächst die der ›alten Frauenbewegung‹, was es erlaubte, eine eigene politische Genealogie zu konstruieren und auch auf diesem Hintergrund den hegemonialen Ansprüchen der ›neuen Linken‹ entgegen zu treten. Die Ausdifferenzierung von Frauenforschung und -wissenschaft über alle Felder der Wissenschaft hinweg hatte jedoch gravierende Folgen für die feministische Theoriebildung. Denn genau in dem Maße, wie eine 3 4
Vgl. dazu Gudrun-Axeli Knapps Auseinandersetzung mit dem Konzept der Intersektionalität in diesem Band. Cornelia Klinger: Zwischen Generationen und Disziplinen, Vortragsmanuskript, Wien 1999, S. 3.
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›Frauenperspektive‹ in allen Fächern und Disziplinen eingefordert und in Ansätzen auch durchgesetzt wurde, hat sich feministische Theorie auf die theoretischen Diskurse der Einzelwissenschaften eingelassen und verlor damit einen einheitlichen theoretischen Zugriff. Hier wiederholt sich, was wir aus der Entwicklung der Frauenbewegung dieser Jahre schon kennen: ihre Ausdifferenzierung in die unterschiedlichsten Projekte und Politikfelder und die Professionalisierung der Akteurinnen ist Ausdruck ihrer Produktivität, führt aber mit den unterschiedlichen Erfahrungen und Zwängen letztlich zu einem Verlust an gemeinsamen Erfahrungen, Deutungen und Erklärungen. Die Suche nach den Ursachen für Hierarchie und Marginalisierung konnte nun nicht mehr in einem einzigen Theorierahmen formuliert werden, sondern orientierte sich zunehmend an den jeweiligen wissenschaftlichen Diskursen der Einzeldisziplinen.
III. Ich sagte ›letztlich‹, denn zunächst gewann mit dem Differenzfeminismus der achtziger Jahre ein Theorieentwurf die Deutungshoheit, der die Einheit der Frauen theoretisch erst noch einmal aufwendig begründet und überhöht hat. Seine Kernaussage, dass das hierarchische Geschlechtersystem in die ›Tiefenstruktur‹ von Gesellschaft und Subjekten, in die Wissensdiskurse, die Denkweisen, Wahrnehmungen und Körperkonzepte abgesenkt ist, und deshalb von Anstrengungen zur Gleichberechtigung oder zur Chancengleichheit in Erziehung, Bildung und Arbeit nicht erreicht wird, sondern ebenso tiefgehende Veränderungen in der Selbstwahrnehmung und in der Politik von Frauen erfordert, artikulierte die emphatische Aufbruchsphase der neuen Frauenbewegung und ließ sich politisch in eine Begründung für die ›autonomen‹ Projekte übersetzen. Sie allein schufen – zumindest der Idee nach – die ›befreiten Räume‹, in denen Frauen die Chance hatten, die Wahrnehmungs- und Denkweisen als Voraussetzung ihrer politischen Praxis zu reflektieren und daraus Ansätze zu einer eigenständigen Frauenpolitik zu entwickeln. Bezogen auf die Mobilisierung von Frauen, die Entfaltung von Fraueninitiativen und den Reichtum neuer Ideen war diese Phase von Frauenbewegung und Frauenwissenschaft außerordentlich produktiv und auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Akzeptanz und die Umverteilung von Ressourcen eigentlich sehr erfolgreich. Mit der Theorie der Geschlechterdifferenz im Rücken, die Männer prinzipiell von den neuen Erkenntnissen und politischen Projekten ausschloss, konnten die autonomen Projekte in einem ersten Sturm in den achtziger Jahren erstaunlich viele Gelder und Stellen akquirieren. Neben der Überzeugungskraft eines differenzpolitischen Programms war das jedoch auch deshalb möglich, weil die ökonomische Prosperität und die gesellschaftspolitische Öffnung der siebziger
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Jahre Spielräume geschaffen hatte. Die Ausstattung der Frauenprojekte mit Ressourcen erfolgte weniger auf Kosten der Männer, sondern wurde aus erweiterten Verteilungsspielräumen bestritten und vermied so die direkte Konkurrenz mit den Männern. So wurde meines Wissens keine einzige ›Frauenprofessur‹ auf Kosten der bestehenden ›Männerprofessuren‹ eingerichtet, sondern es wurden zusätzliche Mittel bereitgestellt. Das Gleiche gilt für Forschungsetats, Stellen für Frauenhäuser, Mädchenprojekte usw. Dass diese Ausweitung der Ressourcen für neue Projekte noch während der ganzen achtziger Jahre anhielt (z.T. noch bis heute anhält), liegt daran, dass sie als ›Modernisierungsschritte‹ verbucht werden konnten und dass der gleichzeitig einsetzende Sozialabbau zunächst andere Bereiche traf, nämlich die klassischen sozialen Sicherungssysteme, die während der siebziger Jahre ebenfalls ausgebaut worden waren. Diese Kürzungen gingen zwar ›Auf Kosten der Frauen‹,5 aber es waren Frauen als Rentnerinnen, Sozialhilfeempfängerinnen und Steuerzahlerinnen, während die ›autonomen‹ Projekte noch lange Zeit florierten und ausgebaut werden konnten. Allerdings sollten diese Erfolge auch nicht überschätzt werden. Heute lässt sich sagen, dass in den meisten Feldern letztlich nur eine marginale Institutionalisierung durchsetzbar war und die Mehrheit der Projekte, die damals gegründet wurden, inzwischen wieder von der Bildfläche verschwunden ist. Unbestreitbar ist aber auch, dass es seit dieser Zeit eine Ausweitung sozialer Dienstleistungen im Hinblick auf frauenspezifische Angebote gibt und dass auch in unserem eigenen Bereich, den Hochschulen, Schwerpunkte, Forschungstöpfe und Professuren zu Frauen-, bzw. Genderthemen eingerichtet wurden und bislang auch gesichert werden konnten, die es vorher nicht gab. Allerdings enthielt diese erfolgreiche Kombination von Differenztheorie und Projektpraxis einige Schwachpunkte, die nur auf den ersten Blick zu übersehen waren. Die oben skizzierte Erfolgsgeschichte war schon deshalb nicht von Dauer, weil sie weder ihre eigenen Bedingungen reflektierte noch den identitätspolitischen Überschuss des feministischen Aufbruchs, der die inneren Spannungen und Differenzen nur für eine begrenzte Zeit in den Hintergrund treten ließ. Der starke Homogenisierungsdruck des Differenzfeminismus, erfahren in den vielen engen Gruppenzusammenhängen der Initiativen und Projekte mit ihrer emotionalen Dichte und ihren unübersichtlichen Machtverhältnissen, konnte die realen Differenzen zwischen den Lebensverhältnissen, Erfahrungen und politischen Praxen der beteiligten Frauen, und noch mehr der nicht in die Bewegungsnetzwerke eingebundenen Frauen, nicht verdecken. Die von Anfang an unzureichend bearbeitete Heterogenität der Bewegung verschärfte sich mit ihrem politischen Erfolg. Bereits die Differenzen des Anfangs (Studentinnen/Nicht-Studentinnen, Lesben/Heteras, 5
Ute Gerhard/Alice Schwarzer/Vera Slupik (Hg.), Auf Kosten der Frauen. Frauenrechte im Sozialstaat, Weinheim, Basel: Beltz 1988.
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Mütter/Nicht-Mütter) waren nicht ausgetragen, sondern eher vertagt worden. Und je mehr die neue Frauenbewegung mit ihren Ideen und Projekten in fast allen gesellschaftlichen Bereichen Interesse und Aufnahme fand, je mehr Feministinnen die Universitäten verließen und sich in den diversen Berufsfeldern durchsetzten, und schließlich: je länger die Frauenbewegung anhielt und sich die Bewegungserfahrungen auch biographisch ausdifferenzierten, also deutlich unterscheidbare ›Generationen‹ mit spezifischen Durchsetzungschancen sichtbar wurden, desto weniger konnten diese Unterschiede mit der Begrifflichkeit des Aufbruchs (›Wir Frauen‹) zur Deckung gebracht werden. Die Stärke, die die Frauenbewegung anfangs aus ihrer identitätspolitischen Fundierung gezogen hatte, verwandelte sich unter der Hand in eine Schwäche. Differenzierungen und Differenzen entstanden aber auch außerhalb des Bewegungsnetzwerks im engeren Sinn. Der Frauenaufbruch in den Projekten hatte einen Reflex in den großen Verbänden, Parteien und gesellschaftlichen Institutionen, von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen und von den Grünen bis zur CDU. Auch dieser Parteien- und Verbändefeminismus hat sich differenztheoretischer Argumentationen bedient, um die Kritik an der männlichen Dominanz in ihren Organisationen zu formulieren und Ansprüche auf Ressourcen und Positionen im Namen ›der Frauen‹ zu erheben. Allerdings war er ungleich größeren Legitimationszwängen ausgesetzt als die ›autonomen‹ Projekte und musste sich dementsprechend von Anfang an der Kooperation von Männern in der eigenen Organisation bzw. Institution versichern und sich auf einen allgemeinen politischen Konsens beziehen. Die grüne Formel von der ›Geschlechterdemokratie‹ ist Ausdruck einer solchen Bindung an einen übergreifenden politischen Konsens. Auch das politische Sichtbarwerden der Migrantinnen trug zur Ansammlung spannungsreicher Differenzen bei und mit dem Aufeinanderfallen ganz unterschiedlicher Frauenkulturen in Deutschland-Ost und Deutschland-West wurden die Feier der Geschlechterdifferenz und der Bezug auf Frauen als Einheit vollends unhaltbar.
IV. Es waren diese zentrifugalen Entwicklungen, die den bewegungspolitischen Boden für den Siegeszug dekonstruktivistischer Ansätze in den neunziger Jahren legten. Sie wurden komplettiert durch eine Verschiebung der politischen Koordinaten in der Gesamtgesellschaft, die mit dem Stichwort Neoliberalismus gekennzeichnet ist. Für Frauen bedeutet die neoliberale Politik der Re-Kommodifizierung der Arbeitskraft einen Kommodifizierungsschub, d.h. dass sie für ihre Unterhaltssicherung mehr als je zuvor auf die Erwerbsarbeit verwiesen werden. Die neoliberale Emanzipation der Frauen zu Marktsubjekten baut
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systematisch ihre privaten Unterhaltsansprüche gegenüber den Ehemännern ab. Auf dem Hintergrund dieser marktradikalen Modernisierung der Geschlechterverhältnisse geriet auch die differenzorientierte Frauenbewegung unter einen desintegrativen Druck. Ihre Projekte und Initiativen spalteten sich in die dem Neoliberalismus kompatiblen Teile, die mit der Schleifung der Bastion des Familienernährers ganz nebenbei auch die Ansprüche an einen Familienlohn erledigten, und in die von der Dynamik des entfesselten Arbeitsmarkts abgekoppelten Bereiche einer erweiterten sozialen Arbeit mit den Verliererinnen der marktorientierten Emanzipation. Denn Frauen, die aufgrund schlechter Ausgangsvoraussetzungen oder riskanter ›Familienkarrieren‹ (Trennung, Scheidung, Gewalt, Krankheit usw.) bei dem verallgemeinerten Run auf gut bezahlte oder auch nur existenzsichernde Arbeitsplätze nicht mithalten können, gerieten nun unter verstärkten Druck, der sozialpädagogisch aufgefangen werden musste. Die Projektpolitik spaltete sich in die endlose und zumeist kommerzialisierte Qualifikationsspirale bereits hoch qualifizierter Frauen einerseits (von der Karriereberatung über das Kreativitätstraining bis zum Coaching: frau ist nie gut genug!) und in die mühseligen Prozesse der Begleitung von Frauen auf ihren Kleinstschritten hinaus aus einem Leben, das nach wie vor von Armut, Enge, Gewalt und alten und neuen Zwängen gekennzeichnet ist. Und dazwischen blieb kein Raum mehr für gemeinsame Perspektiven oder auch nur für den Versuch, die disparaten Erfahrungen und Interessen aufeinander zu beziehen. Die Diskrepanz zwischen den vielfältigen ›objektiven‹ Spaltungsprozessen und einer Theorie, die nach wie vor gegen ›Identitäten‹ zu Felde zieht, hat Tove Soiland zu der These veranlasst, dass sich die Gender-Theorie mit der Kritik an der Normativität von Geschlecht und den damit verbundenen disziplinären Praktiken auf eine Machtformation bezieht, die eigentlich schon überholt ist, oder vorsichtiger formuliert, dass sie mit der Konzentration auf die Identitätspolitik das neue, neoliberale Machtdispositiv in den Geschlechterverhältnissen vernachlässigt, das mit den Vorgaben von Offenheit, Freiheit und Eigenverantwortung arbeitet.6 Etwas überspitzt ließe sich sagen, dass der Neoliberalismus in einem ganz handfesten Sinn Spaltungen durchsetzt und traditionelle Identitäten dekonstruiert und die Gender-Theorie, als eine Theorie, die die soziale Gestaltung der Geschlechterverhältnisse auf die Kategorie selbst ausweitet, ihre Einbindung in die neoliberalen Reorganisationsprozesse nicht ausreichend reflektiert
6
Tove Soiland: »Kritische Anmerkungen zum Machtbegriff in der GenderTheorie«, in: Widersprüche 95 (2005); Katharina Pühl/Birgit Sauer: »Geschlechterverhältnisse im Neoliberalismus«, in: Urte Helduser u.a. (Hg.), under construction?, Frankfurt a.M./New York: Campus 2004.
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hat (genauso wenig, übrigens, wie der Differenzfeminismus seine Einbindung in die Modernisierungsoffensive der siebziger Jahre). Um Einwänden zuvor zu kommen: ich sage damit nicht, dass die Gender-Theorie die Geschlechtertheorie des Neoliberalismus ist. Sie ist eine herrschaftskritische Theorie, aber sie ist in neoliberale Politik verwickelt. Mit Butler zu sprechen: »Die Performativität beschreibt diese Beziehung des Verwickeltseins in das, dem man sich widersetzt, dieses Wenden der Macht gegen sie selbst, um alternative Modalitäten der Macht zu erzeugen und um eine Art der politischen Auseinandersetzung zu begründen, die nicht ›reine‹ Opposition ist, eine ›Transzendenz‹ derzeitiger Machtbeziehungen, sondern ein schwieriges Abmühen beim Schmieden einer Zukunft aus Ressourcen, die unweigerlich unrein sind.«7 Sie verdankt zumindest einen Teil ihrer Plausibilität den gesellschaftlichen Spaltungsprozessen des Neoliberalismus und sie gab der Fiktion einheitlicher politischer Subjekte in den Geschlechterauseinandersetzungen, die schon durch die vorangegangenen Entwicklungen mehr als brüchig war, theoretisch ›den Rest‹. Aber sie ist nicht einfach ein Reflex neoliberaler Politik und schon gar nicht ihre Legitimation. Sie hat sehr erfolgreich Beschränkungen und Blockaden der feministischen Theoriebildung durchbrochen und hegemoniale Strukturen in der Geschlechterpolitik problematisiert. Ihre Dekonstruktion politischer Subjekte, auch des ›Wir‹ in Frauenbewegung und Frauenforschung, verstehe ich deshalb nicht als bloße Demontage sondern als Aufforderung, einen komplexeren, realitätsgerechteren und den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen angemesseneren Subjektbegriff für die laufenden Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern zu entwickeln. An dem Begriff der Geschlechterkonflikte und Geschlechterauseinandersetzungen halte ich jedoch vorerst fest, auch wenn nach der dekonstruktivistischen Kritik weniger denn je klar ist, wie weit die Kategorie ›Geschlecht‹ reicht und was die Dynamik von Geschlechterauseinandersetzungen ausmacht. Denn der Dekonstruktivismus ist im Hinblick auf seine politische Umsetzung und im Verhältnis zu sozialen Bewegungen, soweit ich das sehen kann, noch nicht sehr weit gekommen. Fixiert auf die Entdeckung immer neuer/alter Essentialismen und befangen in einem unendlichen Regress der Aufdeckung hegemonialer Praktiken (auf die Kritik an der Zwangsheterosexualität folgt die an der Vereindeutigung der Homosexualität, auf die am ›weißen‹ Rassismus, die am ›schwarzen‹, auf die Forderung nach Anerkennung der Multiethniziät die Kritik an deren inneren Machtverhältnissen usw.) erschöpft er sich oft genug in der Kritik und verliert darüber nicht nur den Umbau der Geschlechterverhältnisse ›von oben‹ aus dem Blick, sondern auch das Problem, politischen Widerstand dagegen zu organisieren.
7
Judith Butler: Körper von Gewicht, Berlin: Berlin-Verlag 1995, S. 318.
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Dieser politischen Schwäche entspricht die Akademisierung des radikalen Feminismus, die allerdings nicht erst mit dem universitären Siegeszug des Dekonstruktivismus begonnen hat, sondern schon vorher mit der Krise der Frauenprojekte und dem unbegriffenen Nebeneinander von Projekt- und Gleichstellungspolitik. Akademisierung meint hier einen zunehmenden Verlust des Blickkontakts mit der Frauenpolitik ›draußen‹, die unter den wachsenden Druck neoliberaler Effizienzkriterien geriet und, wenn sie sich diesem nicht anpassen konnte, als ›sozialpolitischer Klimbim‹ der achtziger Jahre zurückgefahren wurde.8 Insofern ist die Akademisierung des Feminismus ein Erfolg, soweit sie sich auf die Entfaltung, Ausdifferenzierung und Professionalisierung der Theoriearbeit bezieht, aber sie ist eben auch eine Verlustgeschichte, nämlich die Geschichte des Verlustes der politischen Intervention in eine veränderte Welt der Geschlechter. Die überlassen feministische Wissenschaftlerinnen inzwischen fast vollständig der klassischen Lobbyarbeit der Feministinnen in Parteien und Verbänden, die nunmehr die schier unlösbare Aufgabe haben, die divergierenden Interessen eines dekonstruierten Subjekts in verhandelbare Politik zu übersetzen und in den traditionellen Arenen politischer Macht durchzusetzen. Was es stattdessen braucht, ist m.E. der Wiederanschluss der feministischen Theorie • an die dramatische Reorganisation der Geschlechterverhältnisse durch den Neoliberalismus und die Reflexion auf die Einbettung feministischer Theorie und Politik in die Spannungen und Verwerfungen dieses Projekts. Dazu gehören für mich vor allem Themen wie Armut, Entsolidarisierung, Migration, sexuelle Gewalt oder die Kommerzialisierung des Körpers; • von der Subjektseite her an die Frage, warum ein so großer Teil der Gesellschaft diesen Prozess mitträgt, warum etwa der freie Fall der sozialen Sicherungssysteme bis heute von erstaunlich Vielen nachvollzogen wird; für Frauen speziell die Frage, wer von der neoliberalen Umstrukturierung der Geschlechterverhältnisse profitiert und wer verliert, eine Rechnung, die eben nicht mehr nur zwischen Frauen und Männern aufgemacht werden kann; • und schließlich der Wiederanschluss der feministischen Theorie an Fragen der politischen Implikationen ihrer Differenzierungen und Erkenntnisse. Mehr als zuvor ist die Theorie unter den Bedingungen einer weniger spektakulären Bewegung in den Nischen und Zwischenräumen der Geschlechterverhältnisse aufgerufen, sich mit den politischen Transformationen der theoretischen Debatten zu beschäftigen. Der Differenz-Feminismus hielt für dieses Problem eine griffige Lösung bereit: Feministische Theorie und politische Praxis waren (zumindest der 8
Z.B. wurden die Frauenbildungsprojekte überall dort radikal beschnitten, wo sie sich nicht auf die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt bezogen.
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Idee nach) in den überschaubaren, autonomen Frauenprojekten gebunden. Wir haben gesehen, dass diese Projekte so ›überschaubar‹ und ›autonom‹ nicht waren und dass sich bereits ihr Konzept einer politischen Großwetterlage verdankte, die Frauen erhebliche Spielräume einräumte. Das ist heute anders. Ein großer Teil der Projekt- und auch der Forschungsarbeit ist eingemeindet und über die Finanzierungsmodalitäten auf neoliberale Modernisierungspolitik ausgerichtet worden. Radikaler Feminismus muss sich deshalb neue Orte für die Verknüpfung von Theorie und Politik suchen. Und diese Orte können nach dem Durchgang durch die dekonstruktivistische Kritik nicht in einem fiktiven ›Jenseits‹ der herrschenden Geschlechterverhältnisse liegen, nicht in einem archimedischen Punkt ›außerhalb‹ der Interaktionen von Männern und Frauen, sondern mittendrin, und zwar genau an den ›hot spots‹, wo über ein neues Arrangement der Geschlechter gestritten wird, einschließlich des Streits darüber, was denn die Geschlechterkategorien in diesem oder jenem Kontext eigentlich zu bedeuten haben.
V. Und damit tauchen neue Akteure auf der geschlechterpolitischen Bühne auf, die ich bei meinen bisherigen Erörterungen über Frauenpolitik und Frauenbewegung geflissentlich übergangen habe. Ich habe mich bislang eher auf die inneren Differenzierungen und Problematisierungen der Frauen bezogen und die Entwicklung auf Seiten der Männer außer Acht gelassen. Diese Auslassung bedeutet jedoch nicht, dass sie kein Thema waren. Selbst im Differenzfeminismus waren sie als Dominanzfigur allgegenwärtig. Und der Dekonstruktivismus nimmt nicht nur die Vereindeutigung der Kategorie der ›Frauen‹ zurück sondern auch die der ›Männer‹ und schafft damit sowohl den Raum als auch den Zwang, Geschlechterverhältnisse und -konflikte zu reformulieren. In Abwandlung einer Forderung aus der Staatstheorie der achtziger Jahre nach ›bringing the state back in‹ bedeutet Gender-Theorie nicht zuletzt: ›bringing men back in‹. Durch die Rücknahme der Kollektivhaftung und der eindeutigen Schuldzuweisungen, die es Männern so schwer gemacht haben, einen eigenen Zugang zur Kritik der Geschlechterverhältnisse zu finden, eröffnet sich endlich die Chance für eine wirkliche Auseinandersetzung. Das setzt nicht nur neue Perspektiven auf Seiten der Frauen voraus sondern vor allem Veränderungsprozesse bei den Männern. Nicht, dass die Konfrontationsstrategie der achtziger Jahre wirklich falsch gewesen wäre. Als es darum ging, Geschlechterkonflikte als politische Konflikte zuallererst zu etablieren, war sie dem Stand der Auseinandersetzungen durchaus angemessen. Aber inzwischen sind Bewegungen auf beiden Seiten erkennbar, und Differenzierungen, Differenzen und Auseinandersetzungen in Wider-
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sprüchen, die zunächst nur im privaten oder halböffentlichen Rahmen möglich waren, sind mittlerweile politikfähig geworden. Dass dieser Stand der Dinge nicht bedeutet, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern erledigt hätten, versteht sich von selbst. Im Gegenteil: war es schon für Frauen schwierig und langwierig genug, sich nicht nur als Opfer von Ausbeutung und Gewalt zu begreifen, sondern die eigene Beteiligung an den hegemonialen Strukturen und Praktiken zu erkennen, um wie viel schwieriger ist es für Männer, die ihrige zu erkennen und aufzunehmen. Die Aneignung ihrer hegemonialen Geschichte wird Frauen nicht immer gefallen. Sie wird Widerspruch und Zurückweisungen enthalten, Verteidigungsmanöver und ungenierte Rückgriffe in die Klamottenkiste hegemonialer Männlichkeit. Damit daraus nicht einfach deren Reorganisation wird, bedarf es auch der Bereitschaft der Frauen, sich auf diese neue Stufe der Auseinandersetzungen einzulassen. Das setzt voraus, dass Frauen das Monopol auf die Kritik der Geschlechterverhältnisse aufgeben, das lange eine der Quellen ihrer Macht gewesen ist. Wie schwierig dieser Schritt ist und welche Risiken die Bewegung in unübersichtlichem Terrain birgt, möchte ich abschließend an meinen Erfahrungen mit einem Genderprojekt am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Wiesbaden erläutern, das ich im letzten Jahr zusammen mit einem Kollegen durchgeführt habe. Das Projekt war ein Lehrforschungsprojekt, das mit einem gemischten Team und mit vier Semesterwochenstunden über ein Jahr nicht nur personell sondern auch zeitlich relativ gut ausgestattet war und damit unserer Erwartung nach genügend Raum für Entwicklungsprozesse ließ. Das Thema war ›Männer als Minderheit‹ und spiegelte zunächst ganz schlicht die Zahlenverhältnisse unter den Studierenden an unserem, und vermutlich an allen anderen sozialen Fachbereichen wider. Gleichzeitig bezeichnete es für mich eine Gender-Konstellation, die sehr viel komplexer und in der Analyse anspruchsvoller ist als die an den Hochschulen übliche männliche Dominanz vs. weibliche Unterrepräsentation und die gängige These von der Marginalisierung von Frauen. Auf die Frage nach den Auswirkungen einer männlichen Minderheitenposition auf das Geschlechterverhältnis war ich im Zusammenhang mit einem Projekt des Gemeinsamen Frauenforschungszentrums der hessischen Fachhochschulen gekommen, das die Genderreflexivität in der Lehre an hessischen Hochschulen verbessern sollte und vor allem die Entwicklung von ›Gender-Kompetenz‹ in naturwissenschaftlich-technischen Fächern im Blick hatte. Diese Ausrichtung von Gender-Kompetenzprogrammen und GenderTrainings ist zwar notwendig, aber eben nicht ausreichend, denn sie zielt in erster Linie auf die Erhöhung des Frauenanteils in diesen Fachrichtungen und weniger auf die Problematisierung der Geschlechterverhältnisse jenseits der ›Marginalität‹.
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Diese Problemstellung entsprach auch nicht meinen Alltagserfahrungen an einem (historisch und von den Zahlenrelationen her gesehen) ›Frauenfachbereich‹. Nicht nur stellen Frauen die deutliche Mehrheit der Studierenden (mit steigender Tendenz!), auch das Kollegium ist an unserem Fachbereich seit langen Jahren quotiert und sowohl die Beschäftigten als auch die Adressat/-innen der sozialen Arbeit sind ganz überwiegend Frauen,9 was ebenfalls zu einer starken Stellung der Frauen am Fachbereich beiträgt. Was mich an dieser Kontrastkonstellation interessierte, war dreierlei: • Historisch lassen sich bei aller Vorsicht deutliche Terraingewinne der Frauen in Hochschule und Wissenschaft feststellen, die zwangsläufig das Problem weiblicher Macht aufwerfen, und zwar nicht nur als Problem hegemonialer Praktiken unter Frauen, sondern auch als Problem hegemonialer Praktiken gegenüber Männern. Je mehr Frauen gesellschaftlich an Repräsentanz und Einfluss gewinnen, desto mehr stellt sich zumindest in bestimmten Bereichen das Problem einer weiblichen Hegemonie. Die komplexen Über- und Unterordnungen am FB ›Soziale Arbeit‹ schienen mir ein gutes Feld, um in der Verfolgung der Frage nach einer ›weiblichen Hegemonie‹, die ich in einer Kritik an Connells Begriff ›hegemonialer Männlichkeit‹ entwickelt hatte,10 weiter zu kommen. • Mein zweiter Interessenstrang betraf die Transformation hegemonialer Männlichkeit unter den Bedingungen eines Minderheitenstatus. Im Gegensatz zu Frauen, die als Minderheit schnell marginalisiert werden, gelingt es Männern scheinbar mühelos, auch als Minderheit Führungspositionen zu übernehmen, die situative Unterrepräsentation in die Kostbarkeit der Seltenheit umzumünzen und daraus Attraktivität wie Macht zu gewinnen, wie uns jeder Blick in eine deutsche Hauptschule oder in die Leitungsgremien von sozialen Projekten oder Verbänden zeigt. Meine Vermutung war, dass dieser Transformationsprozess so mühelos denn doch nicht ist, sondern eine Frauenmehrheit als Bedrohung wahrgenommen wird, die Selbstbehauptungsmechanismen und Brüche im männlichen Selbstwertgefühl hervorruft; • und mein drittes Interesse galt schließlich der Frage, wie solche komplexen Machtverhältnisse an Studierende vermittelt werden können, die sich in der Mehrheit zum ersten Mal explizit mit Genderfragen befassen. Am Anfang des Projekts hatten wir ziemliche Mühe, den Studierenden unsere Ausgangsfrage nach Männern in einer Minderheitsposition und 9
Lotte Rose: Gender und Soziale Arbeit, Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 2007. 10 Silvia Kontos/Michael May: Endbericht des Projekts ›Männer als Minderheit‹, Wiesbaden 2007.
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ihren Konsequenzen für die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen nahe zu bringen. Der Fachbereich wurde übereinstimmend als egalitär beschrieben, Hierarchien als überwunden angesehen. Erst nach der Arbeit in geschlechtergetrennten Gruppen, nach teilnehmenden Beobachtungen in Seminaren und nach einer Aufarbeitung von Literatur über andere Berufsfelder, in denen Männer eine Minderheit darstellen, gelang es allmählich, die egalitäre Selbstdarstellung des Fachbereichs zu durchbrechen und bei männlichen wie weiblichen Studierenden ein Bewusstsein für diffizile Unter- und Überordnungen zu schaffen, die zwar diffus wahrgenommen wurden, aber schwer zu begreifen waren, weil sie in der schlichten Formel von ›Unterdrückung‹ oder ›Ausgrenzung‹ nicht aufgingen. Fortschreitende Einsichten in hegemoniale Praktiken beider Seiten hat dann – wie nicht anders zu erwarten – auch zu entsprechenden emotionalen Frontstellungen und Identifikationen mit der eigenen Gruppe geführt, und zwar unter Einschluss der Lehrenden, die sich der Vergeschlechtlichung der Seminargruppe nicht haben entziehen können. Im Gegenteil: teilweise haben wir für die Gruppe Stellvertreterkämpfe geführt. Nicht zuletzt dieser Souveränitätsverlust und die Tatsache, dass wir die Akzentuierung der Geschlechtergrenzen entgegen unseren ursprünglichen Intentionen bis zum Schluss nur unzureichend haben wieder auflösen können, bringt mich zu der Frage, ob unser Vorgehen, das im Grunde genommen den Lernprozessen der Frauenbewegung und der schrittweisen Beteiligung von Männern an Genderthemen entsprach, als didaktisches Prinzip falsch war; anders formuliert: braucht man/frau erst einen Begriff von Geschlechtern, um ihn dann wieder auflösen zu können? Hinsichtlich der ersten Frage nach den hegemonialen Praktiken von Frauen habe ich in diesem Projekt durchaus einige Erkenntnisse gewonnen. Jenseits des gerade für die soziale Arbeit nach wie vor maßgeblichen Subtextes von Männern als Tätern und Frauen als Opfern sind es vor allem subtile Entwertungsstrategien, die Frauen gegenüber Männern anwenden, die sich ›anmaßen‹, sich zu ›Frauenthemen‹ zu äußern.11 Hier werden weibliche ›Territorien‹ gegen männliche ›Übergriffe‹ verteidigt und Sperren gegen das Eindringen von Männern in die ›Kompetenzzentren‹ von Frauen errichtet, die im Verein mit der verbalen Forderung nach der Übernahme von Verantwortung einen klassischen Doublebind konstruieren. Darüber hinaus werden sie mit der schärfsten Waffe im Geschlechterkampf bedroht, indem ihnen die Männlichkeit abgesprochen wird. Die Entwertung von Männern, die soziale Arbeit studieren, als ›Weicheier‹ fand sich sowohl auf Seiten der Studentinnen wie auch auf Seiten der Professoren/Professorinnen und vermutlich finden auch entsprechende Selbstentwertungen statt, aber die wurden im Projekt nicht öffentlich. Die Abwehr der Frauen gegenüber Männern, die sich nicht an die Geschlechter11 Vgl. L. Rose, Gender und Soziale Arbeit, a.a.O.
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grenzen halten, ist auf dem Erfahrungshintergrund zu verstehen, dass solche ›Übertritte‹ den Bruch mit der traditionellen Männlichkeit nicht selten mit einer Verlagerung hegemonialer Praktiken verbinden. So schwingen sich Männer wie Köche oder Coiffeure, die sich auf explizit weibliches Gelände begeben, meist gleich zu Experten auf und verlängern damit ihre hegemonialen Ansprüche in diese sozialen Räume hinein. Nichtsdestotrotz reproduziert die Entwertung von Männern in Frauenbereichen bzw. Frauenberufen nicht nur die gesellschaftliche Entwertung der Frauen durch die Frauen selbst, sondern sie blockiert zudem eine Umverteilung von Arbeit und Macht und den Rückbau der Zuordnung von Berufen und Tätigkeiten nach Geschlecht. Mit den Entwertungsstrategien zur Verteidigung ›weiblicher Territorien‹ haben wir eine klassische Verschränkung hegemonialer Praktiken vor uns, in der die Defensivstrategien der Frauen dazu beitragen, hegemoniale Männlichkeit zu stützen, weil sie sich auf eine Auseinandersetzung mit Männern ›an der Heimatfront‹ nicht einlassen. Etwas anders sieht es bei der Deutungsmacht aus. Nach den Erfahrungen im Projekt (und diese Einsicht lässt sich durchaus auf andere Bereiche der Geschlechterinteraktion verlängern), üben Frauen Macht vor allem darüber aus, das sie (gern auch ungefragt) Deutungen abgeben, über sich und andere, mit Vorliebe aber über Männer und ihre Interessen, Motivationen, Defizite und Beschädigungen. D.h. sie machen diese zu Objekten ihrer ›mütterlichen‹ Bemühungen, ihnen auf die Sprünge zu helfen. Sie kennen deren Wünsche und Bedürfnisse, noch ehe sie ihnen selbst bewusst sind, und ohne die Hilfe von Frauen würden sie ihnen auch gar nicht erst bewusst werden. Diese Infantilisierung von Männern durch die Deutungskompetenz und Deutungsmacht von Frauen ist besonders in den Fachbereichen und Fachgebieten ausgeprägt, die qua Profession die Deutung von Handlungen und unklaren Motivationslagen erfordern (Soziologie, Psychologien, soziale Arbeit usw.), aber sie lässt sich vermutlich auf die Geschlechterverhältnisse insgesamt erweitern, und sie enthält m.E. eine Art ›Gegenhegemonie‹, die über die bloße Abwehr von hegemonialer Männlichkeit hinausgeht. Sie kommt vor allem dann ins Spiel. wenn Männer an ihren eigenen hegemonialen Ansprüchen scheitern (und welcher Macho hat nicht seine schwachen Seiten oder Stunden) und kann erklären, warum es Frauen gar nicht so selten gelingt, hegemoniale Männlichkeit gleichzeitig zu stützen und auszuhebeln. Für die zweite Frage nach der Reorganisation hegemonialer Männlichkeit unter den Bedingungen eines Minderheitenstatus hat das Projekt für mich am wenigsten Klarheit gebracht. Ausschlaggebend für meine Verwirrung in diesem Punkt ist die Aussage einiger Studentinnen, dass sich das Projekt unter der Hand zu einem Männeremanzipationsprojekt entwickelt habe. Mit einem ›Männeremanzipationsprojekt‹ an einem ›Frauenfachbe-
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reich‹ wäre zwar eine Voraussetzung für einen egalitären Diskurs der Geschlechter hergestellt. Gleichzeitig erhebt sich der Verdacht, dass unter dem Dach eines Gender-Projekts eine Reorganisation hegemonialer Männlichkeit stattgefunden hat, die eben diesen Diskurs unterläuft. • Obwohl ich ›Männer als Minderheit‹ von vornherein als ein Genderthema begriffen habe, legte bereits der Titel nahe, dass sich das Projekt vor allem mit der Situation von Männern befassen würde und diese zu verbessern suche. Und diese vermeintliche Schwerpunktsetzung ist im Verlauf des Projekts nie ganz aufgelöst worden, so dass sich die Männer im Projekt latent als Opfer definieren konnten. • Dieses Ungleichgewicht, das ihnen zudem das eigene Selbstverständnis als Opfer aus der Hand nahm, hat die Studentinnen erbittert. Die Erbitterung zeigte sich vor allem in der Enttäuschung über die ›Zurückhaltung‹ der Studenten in den gemeinsamen Reflexionsrunden, in denen diese sich nur wenig äußerten und sich entweder ›hinter dem Professor versteckt‹ (so der Eindruck der Studentinnen) oder auf klassische Distanzierungsmechanismen zurückgegriffen haben. • So verlief auch die gendergetrennte Gruppenarbeit für beide Gruppen sehr unterschiedlich: Der emphatische Bezug von Frauen auf Frauen ist Vergangenheit, und das ist auch bei den jungen Frauen deutlich zu spüren, die selbst nie ein Teil der Frauenbewegung gewesen sind. Hier ist eher Differenzierung und Selbstkritik angesagt. Dennoch ist gerade auch bei den jungen Frauen der Wunsch nach einer Stärkung des Selbstbewusstseins und nach einer ›Positivierung des Weiblichen‹ zu spüren. Diese positiven Identifikationsprozesse fanden zwar in der Frauengruppe auch statt, hatten aber nicht die gleiche Vehemenz wie die Selbstidentifikation der Männer als Männer, weil sie nicht so neu und durch die Diskurse der Frauenbewegung und der feministischen Theorie bereits vielfach gebrochen waren. Auch diese Ungleichzeitigkeit der Emphase in der Identifikation mit dem eigenem Geschlecht trug zum Ungleichgewicht im Projekt bei und dazu, dass der Wunsch der Frauen nach einer Balance von Kritik und Selbstkritik bei den Männern eher auf einen Überhang positiver Identifikationen mit der Kategorie ›Mann‹ stieß. Welche Konsequenzen für die Frage »Was kommt nach der Genderforschung?« ziehe ich aus diesen Erfahrungen? Nachdem ich so lange über Geschlechterauseinandersetzungen und Hegemonie gesprochen habe, ist wohl klar, dass ich an der Kategorie ›Geschlecht‹ für unsere Gesellschaft festhalte und die soziale Trennlinie, die mit dieser Kategorie verbunden ist, auch als eine begreife, die mit komplexen Formen der Macht ausgestattet ist, für die wir noch immer keine adäquate Begrifflichkeit haben. Hegemonie ist der Begriff, mit dem ich im Moment am besten zurecht komme.
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Das heißt jedoch nicht, dass die Geschlechterkategorien feststehende Größen wären, sondern sie sind prozessierende Kategorien, deren Bedeutungsgehalt immer wieder neu verhandelt werden muss. Im Zuge der Entstehung der neuen Frauenbewegung sind diese Kategorien mit Bedeutung aufgeladen und überausgestattet worden, was zwar die Konstitution von Frauenbewegung erleichtert, vielleicht sogar überhaupt erst ermöglich hat, aber es war höchste Zeit, sie wieder zu ›entladen‹ und ihren konstruktiven Gehalt wieder sichtbar werden zu lassen. Das macht Frauenbewegung ungleich schwieriger, denn diese braucht, so scheint mir, eine zumindest vorläufige positive Identifikation mit ihrem Subjekt. In ironischer Anlehnung an Butlers Strategie einer subversiven ›Travestie‹ habe ich deshalb an anderer Stelle eine ›subversive Schizophrenie‹ vorgeschlagen,12 die in bestimmten Kontexten und historischen Situationen ein politisches Subjekt ›Frauen‹ unterstellt, wohl wissend, dass davon im Ernst nicht gesprochen werden kann, und den Begriff eher als eine Leerstelle, als einen diskursiven Raum versteht, in dem zu klären ist, was jeweils damit gemeint ist. Eine genderpolitische ›Schizophrenie‹ hielte bis auf weiteres an der grundlegenden Relevanz des Geschlechterkonflikts und an der Rede von ›Männern‹, ›Frauen‹ und ›ihren Interessen‹ fest. Sie verflüssigt und vervielfältigt diese Bestimmungen jedoch und changiert bewusst zwischen vorläufigen ›Gewissheiten‹ und ihrer prinzipiellen Ungewissheit, zwischen Distanz gegenüber den eigenen politischen Entwürfen und Organisationen und der Sicherheit, zumindest für eine Weile ›bei sich‹ und ›im Recht‹ zu sein. Bei allen Schwierigkeiten, die ich eben angesprochen habe, sind Gender-Projekte von der Art, wie wir sie an unserem Fachbereich probiert haben, aus meiner Sicht ein Weg, die schwierige Balance von Verflüssigung und Konfrontation zu halten und als Frauen in Bewegung zu bleiben, ohne hinter die Einsichten einer kritischen Gendertheorie zurückzufallen.
Literatur Butler, Judith: Körper von Gewicht, Berlin: Berlin-Verlag 1995. Disselnkötter, Andreas u.a.: Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland, Duisburg: DISS 1997. Gerhard, Ute u.a. (Hg.), Auf Kosten der Frauen, Weinheim: Beltz 1988. Klinger, Cornelia: Zwischen Generationen und Disziplinen, Vortragsmanuskript, Wien 1999. Kontos, Silvia: »Brüche – Aufbrüche – Einbrüche«, in: Joachim Beerhorst/Alex Demirovic/Michael Guggemos (Hg.), Kritische Theorie im gesellschaftlichen Strukturwandel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004. 12 Silvia Kontos: »Brüche – Aufbrüche – Einbrüche«, in: Joachim Beerhorst/ Alex Demirovic/Michael Guggemos (Hg.), Kritische Theorie im gesellschaftlichen Strukturwandel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004.
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Kontos, Silvia/May, Michael: Endbericht des Projekts ›Männer als Minderheit‹, Wiesbaden 2007. Soiland, Tove: »Kritische Anmerkungen zum Machtbegriff in der GenderTheorie«, in: Widersprüche 95/2005. Pühl, Katharina/Sauer, Birgit: »Geschlechterverhältnisse im Neoliberalismus«, in: Urte Helduser u.a. (Hg.), under construction? Frankfurt a.M./NY: Campus 2004. Rose, Lotte: Gender und Soziale Arbeit, Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 2007.
Kommentar z um Be itrag: Mit ›Gender‹ in der Bew egung? BETTINA DAUSIEN
Silvia Kontos greift die Fragestellung der Tagung »aus der Sicht der Frauenbewegung«, also aus einem gesellschaftsanalytischen und -politischen Blickwinkel auf. Von diesem Standort aus setzt sie drei Problemebenen miteinander in Beziehung: die Frage feministischer Theoriebildung (Ebene des wissenschaftlichen Diskurses), eine Analyse der Frauenbewegung (Ebene der gesellschaftlichen und politischen Prozesse) und schließlich die Frage konkreter intersubjektiver Geschlechterbeziehungen – und zwar in einem pädagogischen Rahmen, am Beispiel eines Lehrforschungsprojekts an der Hochschule (Ebene der sozialen Praxis empirischer Subjekte). Die Spannung zwischen diesen Ebenen ist beträchtlich, ihr Zusammendenken macht den Reiz des Beitrags aus. Sehr überzeugend sind Silvia Kontos’ Überlegungen zum Zusammenhang zwischen den ersten beiden Ebenen, zwischen feministischer Theoriediskussion und Gesellschaftsanalyse. Insbesondere die Anregung, dekonstruktivistische Ansätze in der Genderforschung im Kontext aktueller ökonomischer Entwicklungen und neoliberaler Politiken zu reflektieren – ohne sie leichter Hand zu diskreditieren (!) – eröffnet (selbst-)kritische Denkmöglichkeiten, die für eine lebendige, nicht zum Dogma erstarrende feministische Wissenschaft unverzichtbar sind. Diese Anregung lässt sich auch auf erziehungswissenschaftliche Problemstellungen beziehen, etwa auf die Frage, wie das Individualisierungstheorem und die aktuell propagierte Idee selbst organisierten Lernens, deren unübersehbare Korrespondenz zu neoliberalen Gesellschaftskonzepten und schließlich Thesen zur Dekonstruktion eindeutiger Geschlechterkategorien miteinander zusammenhängen. Ein Punkt, an dem dieser widersprüchliche Zusammenhang genauer diskutiert werden könnte, ist das Paradigma der »geschlechtsspezifischen Sozialisation«. Hier wäre zu untersuchen, wie die mit der femi-
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nistischen Theoriedebatte der 1990er Jahre einhergehende »Schwächung« des Sozialisationsparadigmas, das besonders in den 1970er Jahren eine kritische, zugleich aber weithin akzeptierte Erklärung für gesellschaftliche Ungleichheit (auch zwischen den Geschlechtern) geliefert hatte, nun, gut dreißig Jahre später, zusammenfällt mit einem Wiedererstarken von Argumenten, die soziale Ungleichheiten (keineswegs nur der Geschlechter) auf genetische oder soziobiologische Faktoren zurückführen. Ohne alte Debatten und zu Recht kritisierte Probleme des Sozialisationsparadigmas zu wiederholen, gälte es zu fragen, wie in diesen Debatten die Spielräume erziehungswissenschaftlichen Denkens und pädagogischen Handelns und damit auch gesellschaftlicher und (bildungs-)politischer Gestaltungsmöglichkeiten verschoben und neu verhandelt werden. Meine folgenden Überlegungen setzen allerdings an einer anderen Stelle in Silvia Kontos’ Beitrag an, die m.E. weniger überzeugend entwickelt ist: an der Reibungsfläche, die zwischen den beiden ersten Ebenen einerseits und der dritten, auf die soziale Praxis konkreter Subjekte bezogenen Ebene entsteht. Die Spannung zwischen Theorie und Politik einerseits und deren »Umsetzung« in soziale Praxis andererseits wird von der Autorin als problematisch markiert, in der Anlage des Beitrags aber in gewisser Weise reproduziert. Der Bericht über ein konkretes Praxisprojekt an der Hochschule, in dem es um die Geschlechterkonstruktionen von Studierenden und Lehrenden und um – erwartete, angestoßene, ausgebliebene, enttäuschte – Lernprozesse geht, steht relativ unverbunden neben den theoretischen Rekonstruktionen zum Zusammenhang von (Gender-)Theorie und (Frauenbewegungs-)Politik. Eine erziehungswissenschaftliche Perspektive kann m.E. genau hier einhaken: bei der Frage nämlich, wie individuelle und kollektive Bildungsprozesse in jenem Spannungsfeld gedacht und empirisch untersucht werden können. Begreift man »Bildung« mit der Tradition der Disziplin als eine Relation zwischen Selbst und Welt, zwischen individuellem Wissen/Habitus und kollektiver Kultur/kultureller Praxis, so lässt sich diese Frage genau in der Differenz, dem Sprung »zwischen« Theorie und Praxis, »zwischen« politischer Bewegung und individuellen Geschlechterkonstruktionen im Alltag platzieren. Im Hinblick auf eine Bearbeitung der Frage erscheinen drei Gedanken aus Silvia Kontos’ Beitrag festhaltenswert: a) die Kritik an einem »heroistischen« Bewegungsmodell: Die Autorin hält es für eine »Schwäche der Theorien über soziale Bewegungen, dass sie – fixiert auf die heroischen Phasen sozialer Bewegungen – keinen adäquaten Begriff für die Komplexität ›gesellschaftlicher Bewegung‹ entwickelt« haben. Das Plädoyer, die Analyse der »Frauenbewegung aus dem Bürgerkriegsmodell des 19. Jahrhunderts heraus(zu)lösen«, dem die Autorin in ihrem eigenen Sprachgebrauch lei-
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der nicht durchgängig folgt,1 wirft die Frage nach einem alternativen Modell auf, mit dem die Frauenbewegung (und andere soziale Bewegungen) als weniger spektakuläre, weniger »sichtbare« Bewegung der Akteure in einer widersprüchlichen Alltagspraxis begriffen werden können. Damit eng verbunden ist die Frage nach einer b) Theorie des (politischen) Subjekts, die ebenfalls auf heroische, vereinheitlichende Identitätskonstuktionen (»wir/die Frauen«, »ihr/die Männer«) verzichten kann und stattdessen in der Lage ist, »einen realitätsgerechteren und den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen angemesseneren Subjektbegriff für die laufenden Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern zu entwickeln«. Die Frage einer angemessenen Subjekttheorie ist keineswegs nur für die gesellschaftsanalytische Perspektive der Autorin relevant, sondern trifft den Kern erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung: Wie sind handlungsfähige Subjekte denkbar, die sich in gesellschaftlichen Kontexten bilden, die einerseits durch Macht- und Ungleichheitsstrukturen (u.a. entlang der Differenzachse Geschlecht) konstituiert sind und diese auch in den Prozess der Subjektbildung »einschreiben«, die aber andererseits durch die soziale Praxis der Subjekte auch immer wieder neu gebildet – reproduziert, stabilisiert, irritiert, verändert – werden? Im Kontext der Erziehungswissenschaft ist diese Frage schließlich nicht nur eine der Theorie, sondern auch eine der pädagogischen Praxis. Mit Kontos kann deshalb als dritter Punkt die Frage nach c) neuen Orten der Verknüpfung von Theorie und Politik festgehalten werden. Was bei Kontos ohne weitere Explikation als »Umsetzung« von Theorie in politische Praxis oder (im Kontext des Lehrprojekts) als »Vermittlung« von Theorie bezeichnet wird, kann (und muss) im erziehungswissenschaftlichen Diskurs transformiert und differenziert werden. Ich schlage vor, die Frage nach Orten der Verknüpfung von Theorie und Politik zu reformulieren als Suche nach (neuen) Bildungsräumen, die es Subjekten ermöglichen, Wissen und Erkenntnis über die Gesellschaft und ihre eigene Position innerhalb der Gesellschaft mit Handlungsstrategien, mit gestaltender gesellschaftlicher Praxis zu verknüpfen. Im Weiterdenken des Zusammenhangs zwischen Frauenbewegung, handlungsfähigen Subjekten und Bildungsräumen möchte auch ich die drei Ebenen Wissenschaft, Praxis, Politik unterscheiden: In wissenschaftlicher Hinsicht ist die anspruchsvolle Aufgabe, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen (Geschlechter-)Strukturen, kollektiven Identitätsformationen und -bewegungen sowie individuellen Subjekten und ihren Geschichten zu denken, m.E. nicht durch eine abstrakte 1
Vgl. etwa ihre Rede vom »Siegeszug dekonstruktivistischer Ansätze« oder von der »Schleifung der Bastion des Familienernährers«.
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Bildungstheorie zu lösen, da diese Gefahr läuft, Identitätskonstruktionen normativ zu behaupten und zugleich je konkrete gesellschaftliche Verhältnisse, etwa den Neoliberalismus der Gegenwart, zu affirmieren. Ein möglicher Ausweg kann – so meine These – über eine historisch-empirisch fundierte Theoriebildung im Modus der Rekonstruktion gesucht werden. Diese geht freilich mit einem bescheideneren Geltungsanspruch einher. Sie verzichtet auf eine allgemeingültige Subjekttheorie, die von spezifischen Kontexten abstrahiert, und zielt stattdessen auf konkrete, kontextrelative Aussagen über komplexe Konfigurationen von individuellen und kollektiven Bildungsprozessen in einem je begrenzten historisch-gesellschaftlichen Kontext. Als Beispiel für einen empirisch-rekonstruktiven Ansatz dieser Art2 kann die drei Frauengenerationen umfassende biographieanalytische Studie von Christine Thon (2008) zitiert werden. Sie untersucht Bildungsprozesse im Kontext der (zweiten) westdeutschen Frauenbewegung und ermöglicht dabei ein Verständnis von »sozialer Bewegung«, das dem von Kontos geforderten nicht-heroischen Konzept der Frauenbewegung nahe kommt. In Thons Studie wird diese Idee empirisch greifbar, indem »die« Frauenbewegung als biographische und intergenerationale Bildungsbewegung rekonstruiert wird, in der Kontinuitäten und Brüche, Widersprüche und Umwege erkennbar werden. Damit wird zugleich ein Politikverständnis nahe gelegt, das sich auf die Alltagspraxis biographischer Subjekte beziehen lässt. Studien, die in dieser Weise Theoriebildung und empirische Forschung miteinander verzahnen, liefern keine definitiven Antworten und erst recht keine »Theorie für alle Fälle«, wie klassische Sozialisations- oder Gesellschaftstheorien (vgl. Korte 1995). Aber sie liefern historisch-empirisch konkrete und zugleich theoretisch reflektierte Rekonstruktionen, die als mehr oder weniger gehaltvolle Bausteine in einen fortlaufenden Prozess erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung und -reflexion eingehen. An die Stelle der »großen Erzählungen«, die, wie Kontos aufweist, theoretisch und politisch problematisch geworden sind, können damit Forschungskonzepte treten, die nach den »kleinen Geschichten« fragen und den Horizont der »großen Fragen« dennoch nicht aus dem Blick verlieren. Eine systematisch fragende Haltung kann auch auf der Ebene pädagogischer Praxis aufschließend sein. Das Projektbeispiel, von dem Kontos berichtet, ist in gewisser Weise typisch für pädagogische Prozesse, insbesondere im Kontext von Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Hochschulen – und insbesondere im Hinblick auf eine aufklärerische Geschlechterpädagogik. Der Bildungsprozess wird »deduktiv« konzipiert,
2
Die methodologische Seite dieser These habe ich am Beispiel des Diskurses um geschlechtsspezifische Sozialisation an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Bettina Dausien: Sozialisation – Geschlecht – Biographie. Theoretische Diskurse und Forschungsperspektiven, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008).
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d.h. er wird von dem Wissen auf Seiten der Lehrenden aus gedacht und verfolgt bestimmte Ideen der »Vermittlung«. Die Studierenden, aber auch die Lehrenden sind andererseits diesem »Plan« nicht gefolgt, sondern haben – entgegen der Intention – Geschlechtertypisierungen auf unerwartete Weise verstärkt, ja u.U. sogar überhaupt erst in Kraft gesetzt. Aus dieser singulären Erfahrung bruchlos auf hegemoniale Strukturen im Geschlechterverhältnis zu schließen oder Generations- und Geschlechtertypisierungen erneut zu bekräftigen,3 ist m.E. voreilig. Das beschriebene Dilemma gehört zur Grundstruktur pädagogischen Handelns: Ohne einen Entwurf möglicher Bildungsprozesse geht es nicht, andererseits ist Bildung immer ein offener Prozess, der von den Subjekten auf eigensinnige, wenngleich nicht vollständig steuerbare Weise gestaltet wird. Pädagogische Professionalität beweist sich gerade in einem reflexiven Umgang mit diesem Dilemma. Betrachtet man Bildung als einen Prozess der Re-Konstruktion von Sinn, in dem reflexive Subjekte je für sich und in Interaktion mit anderen Erfahrungen, Wissen und Handeln (neu) verknüpfen, so bietet sich auch als Leitlinie pädagogischer Praxis ein fragend-rekonstruktives Konzept an: Welche Erfahrungen machen Studierende mit geschlechterbezogenen Typisierungen? Was »bewegt« sie? Was »steckt« womöglich »hinter« ihrer Wahrnehmung eines egalitären Umgangs an der Hochschule? An welchen Stellen beziehen sie sich selbst aktiv auf ihre Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsklasse und wie stehen diese Bezugnahmen zu anderen Zugehörigkeitskategorien in Beziehung? Und auch: Was steht »hinter« den Typisierungen der Lehrenden, die ihre eigene Geschichte mit der Frauenbewegung haben? Um derartige Fragen auf eine Weise zu bearbeiten, dass daraus Bildungsprozesse werden können, bedarf es schließlich nicht nur bestimmter Methoden der Rekonstruktion, sondern auch pädagogisch gerahmter sozialer Räume, in denen (differente) Erfahrungen gemacht und kommuniziert, Sichtweisen kontrastiert und stehen gelassen werden können, Räume, in denen Reflexion und Irritation möglich werden und Umgang mit Differenzen geübt werden kann. Wenn derartige pädagogische Reflexionsräume schließlich als öffentliche Räume begriffen und gestaltet werden, dann besteht die Möglichkeit, dass aus Bildungsprozessen politische Prozesse werden. Diese Perspektive als explizit erziehungswissenschaftliche zu begreifen, dürfte nicht unstrittig sein. Aber gerade hier könnte die Frage, was »nach der Genderforschung« kommt, eine mögliche Antwort finden: eine reflexive, sich ihrer politischen Position und Wirkung diskursiv versichernde Genderforschung. Und diese wird, wie Kontos’ Beitrag schließ-
3
Die geschieht in dem Text von Silvia Kontos allerdings sehr subtil und wird vor allem an Formulierungen deutlich, in denen von »wir« und »uns« die Rede ist, ohne dass die damit verbundene Perspektive erläutert oder gar mit denkbaren anderen Perspektiven kontrastiert wird.
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lich auch verdeutlicht, keine Frauenforschung, d.h. keine nur von/ für Frauen betriebene Forschung mehr sein.
Literatur Dausien, Bettina: Sozialisation – Geschlecht – Biographie. Theoretische Diskurse und Forschungsperspektiven, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, im Erscheinen. Korte, Hermann: »Eine Theorie für alle Fälle. Talcott Parsons, Robert K. Merton und der Strukturfunktionalismus«, in: Ders. (Hg.), Einführung in die Geschichte der Soziologie, 3. Aufl., Opladen: Leske + Budrich 1995, S. 173190. Thon, Christine: Frauenbewegung im Wandel der Generationen. Eine Studie über Geschlechterkonstruktionen in biographischen Erzählungen, Bielefeld: transcript Verlag 2008.
Die Erz iehungsw issenschaft im Jahr 2007: Potential und Grenzen feministischer Wissenschaftskritik in einer »handlungsorientierte n« Wisse nschaft JULIANE JACOBI
Einleitung Im Februar 1968 fand in Berlin ein vom SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) und anderen linken studentischen Gruppierungen veranstalteter großer Protestkongress statt, der seinerzeit als »Vietnamkongress« firmierte. Für mich blieb eine Erfahrung im Gedächtnis, die mir beim Nachdenken über mein Thema einfiel: ein Gerücht, das unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Umlauf gebracht wurde: Im hinteren Foyer gäbe es etwas Unerhörtes zu sehen: Frauen, die eine Art Kindergarten eingerichtet hätten. Dem ging ich nach: Da saßen sie dann, eine Gruppe spielender Kinder und einige Frauen, in den modern verglasten Repräsentationsräumen der männlich dominierten Charlottenburger Technischen Hochschule. Zwei Welten, die man bis dahin noch nie zusammen gesehen hatte. Der Zusammenhang von sozialer Bewegung, Frauenfrage und Pädagogik ist in dieser Szene wie in einem Vergrößerungsglas zu sehen. Die selbst organisierte Kinderbetreuung auf dem Vietnamkongress gilt heute als eine der Initialzündungen nicht nur für die Kinderladenbewegung sondern auch für die neue Frauenbewegung in der BRD. Kinderladenbewegung und Frauenbewegung haben die erziehungswissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik Deutschland seit den sechziger Jahren geprägt. Es sind nicht die einzigen Einflussfaktoren gewesen, aber es sind diejenigen, über die wir auf dieser Tagung diskutieren müssten, wenn wir uns unserer Geschichte als feministische Erziehungswissenschaftlerinnen vergewissern wollen.
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I. Wissenschaft und Politik Es sind immer spezifische Konstellationen, die Anstöße für produktive Theoriebildung, in diesem Fall feministische, in der Wissenschaftstheorie gegeben haben. Diese Anstöße entwickeln dann jedoch innerhalb des Wissenschaftssystems eine Dynamik, die von anderen Faktoren bestimmt ist als von der sozialen Bewegung, denn das Wissenschaftssystem funktioniert nach anderen Regeln als das politische Geschehen. Allein deshalb ist die in der Einladung zu dieser Tagung global formulierte These, die Akademisierung neutralisiere die Sprengkraft des Feminismus, zu problematisieren. Die kritischen Impulse der Frauen- und Geschlechterforschung im Wissenschaftsbetrieb selbst büßen ihre Kraft nicht durch mangelnden Bezug zur sozialen Bewegung ein, sondern durch mangelnde theoretisch und methodisch abgesicherte Forschung und durch mangelnde institutionelle Verankerung. Der letzte Punkt, die institutionelle Verankerung, ist, wie uns die Wissenschaftsforschung lehrt, extrem relevant für Entwicklungen der Forschung. Aus pragmatischen Gründen konzentriere ich mich auf einer inhaltlichen Ebene auf die Einflüsse feministischer Wissenschaftskritik auf den wissenschaftlichen Diskurs des mainstreams der Erziehungswissenschaft, eine Engführung, die durchaus anfechtbar ist. Die Klage über die »Neutralisierung« durch die akademische Institutionalisierung ist so alt wie die feministische Wissenschaftskritik selbst. Sie gehört zum ideologischen Erbe marxistisch geprägter sozialer Bewegungen in Europa. Dieses Erbe geht davon aus, dass wissenschaftliche Erkenntnis abhängig ist von den »gesellschaftlichen Triebkräften«, dass diese sich in sozialen Bewegungen organisieren und diese wiederum die richtigen Fragen generieren. Mit diesem Verweis soll nicht infrage gestellt werden, dass die wissenschaftstheoretische Weiterentwicklung des Feminismus, wenn er seine kritische Funktion behalten will, notwendig ist und dass in dieser Weiterentwicklung auch das Verhältnis von sozialer Bewegung und Gegenstand der Forschung immer wieder neu durchdekliniert werden muss. Beispiele dafür sind die alte Trias Geschlecht, Klasse und Rasse, die seit ca. dreißig Jahren als Kategorien der feministischen Analyse diskutiert werden.1 Ein anderes Beispiel ist die neue Analyse der Funktionsweise von Macht, die durch Michel Foucaults Arbeiten angestoßen wurde, oder auch Luisa Muraros Überlegungen zur weiblichen Genealogie.2 Die »Akademisierung« des Feminismus gehört zu dem gleichen Diskurs und ist als Klage oder Anklage genauso alt wie die neue Frauenbewe1
2
Vgl. dazu Gisela Bock: »Geschlechtergeschichte auf alten und neuen Wegen«, in: Dieter Langewiesche/Paul Nolte/Jürgen Osterhammel (Hg.), Zeiten und Räume. Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 2006, S. 45-66 (=Sonderheft Geschichte und Gesellschaft). Luisa Muraro: Die symbolische Ordnung der Mutter, Frankfurt a.M.: Campus 1993.
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gung, fand und findet jedoch in verschiedenen Rahmungen statt. Die Akademisierung wird vor allem von Sozialwissenschaftlerinnen, zu denen auch die Mehrheit der Erziehungswissenschaftlerinnen rechnet, beklagt. Andere Disziplinen wie bspw. die Geschichtswissenschaft und die Literaturwissenschaft sind von dieser Klage weniger stark heimgesucht. Obwohl gerade in diesen Disziplinen von weltweiten politischen und sozialen Bewegungen, namentlich dem Kolonialismus und Postkolonialismus, neue Forschungsfragen generiert, neue Kanondiskussionen angeregt wurden. Nun ist die Erziehungswissenschaft aufgrund ihres Gegenstandes »Erziehung« in einer besonders prekären Situation. Ihre Konstitution durch diesen Gegenstand macht sie anfällig für das Versprechen, gesellschaftsveränderndes Potential zu generieren. Ihre im Gegenstand liegende Nähe zur Ethik verkompliziert ihren Umgang mit der Empirie. Weil sie immer den Spagat zwischen analytisch und methodisch abgesicherter Forschung und normativen Entscheidungen machen muss, ist es für Erziehungswissenschaftlerinnen besonders notwendig, aber wohl auch besonders schwierig, die wissenschaftsheoretische Frage, wie man das Verhältnis von sozialer Bewegung und Wissenschaft definiert, zu beantworten. Für den Zusammenhang von sozialer Bewegung und Wissenschaftskritik möchte ich noch einmal auf die kleine Szene, die ich am Anfang vorgestellt habe, eingehen. Die Kinderladenbewegung hat das pädagogische Denken und Handeln in der alten Bundesrepublik nachhaltig beeinflusst. In ihrer Rede auf der SDS-Delegiertenkonferenz im September 1968, die als Auftakt zur neuen Frauenbewegung in der BRD gilt, verknüpfte eine der Initiatorinnen jener Kinderbetreuung auf dem Vietnamkongress, Helke Sander, die Kinderfrage unmittelbar mit der Frauenfrage. Die in der Folge im Zusammenhang mit den sozialen Bewegungen zwischen 1960 und 1970 neu aufgegriffene und weiterentwickelte feministische Wissenschaftskritik gehört zu den produktivsten intellektuellen Ansätzen in der Erziehungswissenschaft der letzten vierzig Jahre.3 Wieweit dieser Ansatz in die etablierte erziehungswissenschaftliche Forschung Eingang gefunden hat, ist das Thema dieses Beitrags.
II. Wege ins »Establishment«? Im Folgenden soll nach dem Grad und der Gestalt der Institutionalisierung des wissenschaftlichen Diskurses in einem der Kernbereiche der Erziehungswissenschaft, dem der Schul- und Bildungsforschung, gefragt werden. Die empirische Bildungsforschung ist momentan, und dies sicher auch auf längere Sicht, der Bereich der Erziehungswissenschaft, der in so3
Die Präzisierungen dieser These verdanke ich Meike Baader. Vgl. Meike Baader: 68 und die Erziehung, in: Tobias Schaffrik, Sebastian Wienges (Hg.): 68er-Spätlese – was bleibt von 1968? Wiesbaden 2007 (im Druck).
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genannte prestigehaltige Forschungsformen expandiert: Da gibt es Geld, Ansehen, das man theoretisch jedenfalls für die Untersuchung über die Formen der Reproduktion von Geschlechterdifferenzen, in welchem theoretischen Bezugsrahmen auch immer (Ungleichheit, diversity), nutzen könnte. Zur Erweiterung dieser Bestandsaufnahme muss der Blick auf die Impulse der Frauen- und Geschlechterforschung für kulturwissenschaftliche Forschungsrichtungen in der Erziehungswissenschaft ausreichen. Aus pragmatischen Gründen konzentriere ich mich auf das Terrain, in dem ich mich am besten auskenne: die historische Bildungsforschung. Dass die Sozialpädagogik unberücksichtigt bleibt, wird deren Bedeutung für die Etablierung der Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft nicht gerecht.4 Da in der Sozialpädagogik die Problematik der Verschränkung von Wissenschaft und Politik jedoch eine besondere Komplexität birgt, wäre dies ein eigener Vortrag.5
II.1. Zu den Anfängen der Frauenforschung in der Bildungsforschung in der Bundesrepublik 1969 veröffentlichte die Soziologin Helge Pross eine Studie zur Bildungsbeteiligung von Mädchen. Diese sehr informative Untersuchung hatte nur einen Mangel: Sie erschien ca. 10 Jahre zu früh. Das gelbe Bändchen in der legendären Edition Suhrkamp erlitt ein »weibliches« Schicksal: Es wurde nicht gehört respektive wenig gelesen.6 Erst durch die »neue« Frauenbewegung der siebziger Jahre und die Bildungsexpansion wurde in Westdeutschland das Thema Mädchen und Frauen im Erziehungsprozess interessant. Die frühen erziehungswissenschaftlichen Forschungen zu Geschlechterfragen sind deshalb mit einem doppelten Fokus angelegt: Differenzen zwischen Jungen und Mädchen wurden unter der Perspektive der Verbesserung des sozial benachteiligten Status von Frauen untersucht. In diesem Zusammenhang steht auch der 6. Jugendbericht der Bundesregierung, der unter dem Titel »Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland« Anfang der achtziger Jahre Grundlinien der Jugend- und Kinderpolitik aufstellte, die man heute als »Gender mainstreaming« bezeichnen würde. Auffällig ist in diesem Fall wissenschaftlicher Politikberatung, dass der 6. Jugendbericht eine ungewöhnlich lange Serie von Expertisebänden generierte, von denen Carol Hagemann-Whites Forschungsbericht zu den Befunden der Entwicklungs-
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Ich verweise auf den Beitrag von Silvia Kontos in diesem Band. Vgl. dazu die diskurstheoretische Studie von Birgit Althans: Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, Frankfurt a.M.: Campus 2007. Helge Pross: Über die Bildungschancen für Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1969.
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psychologie und der Sozialisationsforschung bahnbrechend für die gesamte Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft war.7 Zur Bildungspartizipation legte Klaus Hurrelmann8 »Koedukation, Jungenschule auch für Mädchen« vor, eine im Wesentlichen deskriptive Untersuchung der Unterschiede von Jungen und Mädchen im westdeutschen Schulsystem in Bezug auf Bildungsbeteiligung und Bildungsprofile. Fragen, wie die Unterschiede zustande kommen, standen spätestens seit Mitte der achtziger Jahre auf der Forschungsagenda von feministisch orientierten Wissenschaftlerinnen.9 Monographische Pionierarbeiten, wie die hier vorgestellten, haben den Weg für eine breitere »Ungleichheitsforschung« in der Schul- und Bildungsforschung aus feministischer Perspektive geöffnet, die sich in der Folge auf Koedukation als Unterrichtsform und ihre Auswirkungen auf die schulische Sozialisation von Jungen und Mädchen, auf Kurswahlverhalten im Rahmen des Sekundarschulwesens und auf Studienfachwahl respektive Berufsfindungsprozesse konzentriert hat. Wie diese Themen der Frauenund Geschlechterforschung Eingang in die Zeitschrift für Pädagogik, lange Zeit das einzige allseits anerkannte Journal der etablierten Erziehungswissenschaft, gefunden haben, hat Karin Priem rekonstruiert.10 Ich stelle die Ergebnisse, erweitert um die Analyse der letzten Jahrgänge (nach 1999) vor.
II.2. Koedukation, Rousseau und die Lehrerinnen Seit 1987 hat die Zeitschrift für Pädagogik Themen aus der Frauen- und Geschlechterforschung als »Schwerpunktthemen« in einzelnen Ausgaben berücksichtigt. Im Vordergrund standen zunächst institutionengeschichtliche Themen und solche, die der spezifisch deutschen Tradition der Pädagogik als einer geistesgeschichtlich, historisch selbstreflexiven Disziplin, verpflichtet waren. Gleichzeitig hat die historische Bildungsforschung seit den siebziger Jahren in Anlehnung an die Leitwissenschaft Geschichte eine deutliche Wendung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte vollzogen, die sich in diesen Beiträgen niederschlug: Arbeiten zur Geschichte des höheren Mädchenschulwesens und des Frauenstudiums, Wiederentdeckung 7
Carol Hagemann-White: »Sozialisation: weiblich -männlich?« Alltag und Biografie von Mädchen, hg. v. d. Sachverständigenkommission Sechster Jugendbericht Bd.1, Opladen: Leske + Budrich, 1984. 8 Klaus Hurrelmann u.a.: Koedukation – Jungenschule auch für Mädchen. Alltag und Biografie von Mädchen, hg. v. d. Sachverständigenkommission Sechster Jugendbericht Bd. 14, Opladen: Leske + Budrich, 1986. 9 Marianne Horstkemper: Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen: eine Längsschnittstudie über Mädchensozialisation in der Schule, Weinheim u.a.: Juventa 1987. 10 Vgl. Karin Priem: »Frauen- und Geschlechterforschung in der Themenauswahl der Zeitschrift für Pädagogik«, in: Feministische Studien 17 (1999), S. 79-88.
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der feministischen Denktraditionen durch die Auseinandersetzung mit den Meisterdenkern fanden Eingang in die Zeitschrift. Der erste Artikel zur Koedukation von der Bildungssoziologin Sigrid Metz-Göckel resümierte 1987 den damaligen Stand der Debatte, der sich empirisch auf die obengenannten deskriptiven Daten und Studien zum 6. Jugendbericht bezog sowie auf eine eigene Studie der Autorin zum Vergleich zwischen privaten höheren Mädchenschulen und dem seit den siebziger Jahren koedukativen staatlichen höheren Schulen.11 Metz-Göckel ging es vor allem um die Plausibilisierung der Vermutung einer unterschiedlichen Interesssenentwicklung der Mädchen im koedukativen Unterricht und eine daraus resultierende Benachteiligung der Mädchen. Dass die einzige weibliche Herausgeberin in der Redaktion der Zeitschrift, Doris Knab, bereits 1970 in einem Handbuchartikel eine ähnliche, in der Tradition der »alten« Frauenbewegung, sehr sorgfältig argumentierende Problemanzeige zur Koedukation veröffentlicht hatte, die mit der Pross-Studie das Schicksal teilte, dass sie kaum Aufmerksamkeit auf sich zog, sei am Rande erwähnt.12 1992 erschien zum Thema »Koedukation« ein Schwerpunktheft. Dieses Heft 1, eingeleitet durch eine kritische Auseinandersetzung mit Rousseau, enthielt drei Aufsätze aus der empirischen Schulforschung: Ein Bericht über neue französische Untersuchungen zu den Wirkungen von Geschlecht und sozialer Herkunft auf die Schullaufbahn und die Berufswahl13 stand neben einer Studie von Heinz Giesen und Mitarbeiterinnen über Studienfachwahl und Jürgen Baumerts Analyse der Daten aus einer Schulleistungsstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung aus der Umstellungsphase des bundesrepublikanischen höheren Schulwesens auf Koedukation (1968/69) unter dem Aspekt des Vergleichs zwischen koedukativen und nichtkoedukativen Gymnasialklassen. Erhärtet wurde u.a. von Baumert der Verdacht, dass die vermeintlichen Leistungsvorteile nichtkoedukativer Schulen, insbesondere von Mädchenschulen, auf die Eingangsauslese dieser Schulen zurückzuführen waren. In Hinblick auf die Interessenpolarisierung war ein deutlicher Effekt der Koedukation nachzuweisen. Baumerts Ergebnisse decken sich mit denen von Studien aus anderen Ländern.14 1992 erschien auch das erste Heft der Zeitschrift für Pädagogik, das den Schwerpunkt »Frauenforschung« hatte (Heft 6). Es
11 Vgl. Sigrid Metz-Göckel: »Licht und Schatten der Koedukation«, in: Zeitschrift für Pädagogik 33 (1987), S. 445-474. 12 Vgl. Doris Knab: Artikel »Mädchenbildung«, in: Josef Speck/Gerhard Wehle, Handbuch pädagogischer Grundbegriffe Bd. 2, München: Kösel 1970, S. 57-92. 13 Vgl. Marie Duru-Bellat: L’école des filles. Quelle formation pour quels roles sociaux? Paris: Harmattan 1990. 14 Vgl. Jürgen Baumert: »Koedukation oder Geschlechtertrennung«, in: Zeitschrift für Pädagogik, 38 (1992), S. 83-110 und die Zusammenfassung in Kai S. Cortina: Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2004, S. 96-99.
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enthielt wieder einen Beitrag zu Rousseau. Als weitere Beiträge zur Bildungsforschung im engeren Sinn sind der Überblick über feministische Schul- und Unterrichtsforschung von Elke Nyssen und Bärbel Schön und der Aufsatz zur »weiblichen« Professionalisierung des Lehrerberufs von Dagmar Hänsel zu nennen.15 Fünf Jahre danach wurde ein Schwerpunktheft mit dem Titel »Geschlechterforschung« von einem feminismuskritischen Artikel zum Thema »Die neuere Koedukationsdebatte zwischen Wissenschaftsanspruch und praktischem Orientierungsbedürfnis« (Rainer Drerup) eingeleitet.16 Der Artikel löste einen Schlagabtausch zur Koedukationsforschung aus, aus dem sich jedoch keine Anregungen zu analytischen Dimensionen für die Empirie entwickelten.17 Das Schwerpunktheft 1997 enthält neben dem Beitrag zur Koedukation einen Beitrag zur Bedeutung der Kategorie »Geschlecht« im Zusammenhang mit der der »Ethnizität« für die Forschung über Jugendliche aus Migrantenfamilien (Leonie Herwartz-Emden), einen Beitrag zum geschlechtstypischen Wahlverhalten in der Sekundarstufe (Peter Martin Roeder/Sabine Grunert) und einen Beitrag zur sogenannten Feminisierung des Lehrberufs von mir, in dem grundsätzlich infrage gestellt wird, dass es eine homogene »weibliche« Berufskonstruktion, wie sie beispielsweise von Dagmar Hänsel angenommen wird, über die letzten 200 Jahre gegeben hat.18 Ein Beitrag zur Männer- und Jungenforschung verweist auf die vorhandenen Ansätze in der Sozialisationsforschung sowie auf die sich daraus ergebenen Forschungsdefizite (Rainer Hofmann). Fast zehn Jahre später erschien das nächste Schwerpunktheft zur »Genderforschung«, diesmal verantwortet von Christina Allemann-Ghionda, der neuen ›einzigen Frau‹ in der Redaktion. Neben zwei historischen Beiträgen zur Geschichte von Frauen im Lehrberuf, finden sich drei theoretisch orientierte Beiträge, die z.E. den Zusammenhang Klasse, Gender oder Ethnie thematisieren (Allemann-Ghionda), zum anderen die Grenzen der empirischen Bildungsforschung aufzeigen, wenn die Kategorie »Geschlecht« unzureichend theoretisiert wird (Claudia Crotti) und schließlich Geschlechterdimensionen im Zusammenhang von Bildungspolitik und Sozialpolitik thematisieren (Sabine Larcher).
15 Vgl. Themenschwerpunkt »Frauenforschung«, in: Zeitschrift für Pädagogik 38 (1992). 16 Vgl. Themenschwerpunkt »Geschlechterforschung«, in: Zeitschrift für Pädagogik 43(1997). 17 Vgl. Margret Kraul u.a.: »Bewegungs- oder Wissenschaftsorientierung in der Koedukationsdebatte – ein segregierter Diskurs«, in: Zeitschrift für Pädagogik 44 (1998), S. 263-271. 18 Peter Lundgren hat die Interpretation der Berufsgeschichte von Hänsel ebenfalls aus der Sicht der sozialgeschichtlichen Daten zur Professionsgeschichte infrage gestellt. Vgl. Peter Lundgren: »Die Feminisierung des Lehrerberufs: Segregierung der Geschlechter oder weibliche Präferenz?«, in: Zeitschrift für Pädagogik 45 (1999), S. 121-135.
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Neben der immer wieder auftauchenden Thematik der Lehrerinnen und Lehrer und der Professionalisierung des schulischen Lehrens19 waren Koedukation und Ungleichheit in der Schulpädagogik und in der empirischen Bildungsforschung die herausragenden Forschungsfelder, die durch die Einbeziehung der Kategorie Geschlecht neue Forschungsfragen generiert haben. Der Zusammenhang mit dem 6. Jugendbericht und mit der Frauenbewegung, die in Deutschland einen nicht unerheblichen Teil ihrer Aktivistinnen vor unter Studentinnen und jüngeren Nachwuchswissenschaftlerinnen an den Hochschulen fand, liegt auf der Hand. 1997 befanden wir uns im Übergang von der ersten Etappe »geprägt durch öffentliche politische Aktivitäten, in der der Anspruch an soziale Gleichheit und Wertschätzung von Frauen und Männern und geschlechtstypischen Tätigkeiten den zentralen Fokus bildete« in eine zweite, »in der mit dem Aufkommen der sogenannten »Differenz«-Perspektive die politische Zielrichtung der »Gleichheit« an einender Kraft verliert und in verschiedene, z.T. tief zerstrittene Theorierichtungen zerfällt«, wie es im Einladungstext zur Tagung »Was kommt nach der Genderforschung« hieß. Die Titel der Zeitschrift für Pädagogik dokumentieren diese semantische Entwicklung auf fast lächerliche Weise: »Frauenforschung« (1992), »Geschlechterforschung« (1997), »Genderforschung« (2006). Der thematische Schwerpunkt »Koedukation« signalisiert die »Einflugschneise« in den mainstream. Nun werden diejenigen, die sich in diesem Feld auskennen, fragen, ob ich nicht die außerhalb der Zeitschrift für Pädagogik dokumentierten Forschungen zur Koedukation in diesem Forschungsüberblick berücksichtigen müsste. Festzustellen ist: Keines der nachfolgenden Entwicklungsprojekte und der Begleitforschung erlaubt eine eindeutige Antwort darauf, ob sich die von Baumert vor nunmehr 15 Jahren konstatierten Effekte des koedukativen oder nicht-koedukativen Unterrichts, wenn man sie denn für unerwünscht hält (Interessenspreizung, Leistungsdifferenzierung bei Koedukation), verringern lassen. Insofern habe ich mir erlaubt, auf diese Forschungen nur sehr kursorisch einzugehen. Dass die Probleme, wie man diese Frage überhaupt angemessen empirisch operationalisieren könnte, geklärt wären, wird, wer sich diese Forschungen genauer angeschaut hat, nicht behaupten können.20
19 Dieses Thema findet sich nicht nur unter historischem Aspekt besonders häufig in der Zeitschrift für Pädagogik, sondern wird auch in größeren empirischen Studien aus der Soziologie und Erziehungswissenschaft dokumentiert: Karin Flaake: Berufliche Orientierungen von Lehrerinnen und Lehrern: eine empirische Untersuchung, Frankfurt a.M. u.a.: 1989 (Forschungsberichte des Instituts für Sozialforschung Frankfurt a.M.); Luise WinterhagerSchmid: Berufsziel Schulleiterin: Professionalität und weibliche Ambition, Weinheim: Deutscher Studienverlag 1997; Walburga Hoff: Schulleitung als Bewährung, Opladen: Leske + Budrich 2005. 20 Vgl. stellvertretend Barbara Rendtorff: Erziehung und Geschlecht. Eine Einführung, Stuttgart: Kohlhammer 2006, S. 38-51. Der Bildungsbericht der
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Im Folgenden soll nun anhand der Bildungsberichte der Arbeitsgruppe des Max-Planck-Instituts gefragt werden, wie im mainstream der deutschen Bildungsforschung die Kategorie »Geschlecht« Eingang gefunden hat.
II.3 Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland Seit 1979 wurde von der Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-PlanckInstitut für Bildungsforschung viermal in jeweils überarbeiteter Neuauflage ein Bericht über das deutsche Bildungswesen vorgelegt.21 2003 erschien eine wiederum deutlich revidierte Fassung.22 Der Bildungsbericht dokumentiert den mainstream der Bildungsforschung in der BRD, wird verantwortet von Mitarbeitern des einzigen Max-Planck-Instituts, in dem erziehungswissenschaftlich geforscht wird.23 Ich bin bei der Analyse zunächst vom Stichwortregister ausgegangen, da ich für die ersten Auflagen (1979/ 1980 erweitert; 1984) in den Kapitelüberschriften keinerlei thematisch ausgewiesene Berücksichtigung der Variable »Geschlecht« ausmachen konnte. So lässt sich bis in die Fassung von 1994 nachzeichnen, dass da, wo gehäuft Einträge unter mehreren einschlägigen Stichworten, nämlich »Geschlechtsspezifische Differenzierung«, »Mädchen«, »Frauenanteil«, »Lehrerinnen/Lehrer« (erst seit 1994) auftauchen, es sich immer um die Kapitel zur Weiterbildung und 1994 zusätzlich zur Berufsausbildung handelt. Beide Kapitel wurden von Beate Krais verfasst, das Weiterbildungskapitel in Zusammenarbeit mit Luitgard Trommer. Die Stichworte »Männeranteil«, »Jungen« gab es im Bildungsbericht des Max-Planck-Instituts bis 1994 überhaupt nicht. Der Index ist 2003 drastisch verschlankt und enthält kein einziges Stichwort, das auf Geschlechterforschung verweist. 1994 verändert sich das eher geschlechtslose Bild der deutschen Bildungslandschaft ein ganz klein wenig. Erstmals taucht der Begriff »Geschlecht« als thematisch ausgewiesener Schwerpunkt in Kapitelüberschriften auf. Relevante bildungssoziologische Fragestellungen, die sich aus der Geschlechterdifferenz ergeben könnten, wie die nach der Bedeutung für Schulerfolg, Berufswahl, Bezug zur ethnischen Herkunft, um nur einige zu nennen, werden jedoch nicht aufgegriffen. Man kann dem Gesamtbericht
Max-Planck-Forschergruppe kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, vgl. ebd. S. 96-99. 21 Arbeitsgruppe Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Hg.). Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland; Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1884, 1990 und 1994. 22 Kai Cortina u.a.: Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2003. 23 Dass einige der Autoren (Diether Hopf/Achim Leschinsky/Peter Martin Roeder/Kai Cortina) des Bildungsberichts gleichzeitig die Zeitschrift für Pädagogik herausgeben, gehört in die Sparte Wissenschaftssoziologie, die ich hier weitgehend unberücksichtigt gelassen habe.
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auch keine Informationen über die Geschlechterverteilung im hochselektive deutschen Sekundarschulwesen entnehmen. Ist es vielleicht in den folgenden neun Jahren bis zum Erscheinen des Bildungsberichts 2003 zu einer Etablierung dieser Forschungsperspektive gekommen? Im Bildungsbericht 2003 wird erstmalig die Kritik am Universalismus von Theorien, die die Eigenlogik des Schulsystems für Entwicklungsprozesse u.a. auch mit Hinweis auf die Einwände aus der Geschlechterforschung, formuliert und darauf hingewiesen, dass universalistische Theorien nur begrenzt über den tatsächlichen Zustand in der Praxis Aussagen treffen. Diese Erkenntnis ist jedoch bei weitem nicht in die Einzelbeiträge eingesickert. Nur die Bildungssoziologen Karl Ulrich Mayer und Heike Solga gehen in ihren jeweiligen Beiträgen über das Hochschulwesen und die »Bildungsverlierer« der Geschlechterfrage nach. In den Beiträgen zur Berufsbildung und zur Weiterbildung, in denen in den vorangegangenen Auflagen die Geschlechterdimension immer berücksichtigt worden war, wird die Kategorie Geschlecht nicht an einer einzigen Stelle erwähnt: Ein Blick auf die Autoren erklärt das rätselhafte Verschwinden: Mit Martin Baethge und Peter Faulstich zeichnen ältere weiße universalistischen Ansätzen verfallene Männer verantwortlich. Komisch ist das natürlich nur begrenzt.
II.4 Historische Bildungsforschung Sieht es in der eher kulturwissenschaftlich geprägten historischen Bildungsforschung, die angesichts der Repräsentanz in der Frauen- und Geschlechterforschung in der Zeitschrift für Pädagogik als relativ etabliert angesehen werden konnte, anders aus? Zwei Schlaglichter aus dem letzten Jahr: 1. DGfE-Kongress Frankfurt 2006: Symposium Bildung und Familie: Weder im einleitenden Referat (Klaus-Peter Horn) noch in dem Beitrag zur Bildungsgeschichte einer Seidenfabrikantenfamilie (Carola Groppe) wird thematisiert, dass die Kollegin und der Kollege nur von der »Hälfte« der Familie, nämlich von den Männern sprechen.24 2. Die jüngste Ausgabe des Jahrbuchs für historische Bildungsforschung ist mit drei Beiträgen zur Wissenschaftsgeschichte bestückt, die überblicksartig den Stand der Forschung referieren: Hans Malmede zur Kindheits- und Familienforschung, Heinz-Elmar Tenorth zur Wissenschaftsgeschichte, Karin Priem zu Tendenzen in der Historischen Bildungsforschung: Für Malmede gibt es den Geschlechteraspekt überhaupt nicht, wichtige historische Arbeiten, wie die Studien von Rebek24 Nachzulesen jetzt in: Zeitschrift für Pädagogik 52 (2006): Schwerpunkthema Thementeil 1: Bildungssystem, Familie und Gesellschaft. Historische Analysen zur (Re-)Produktion von sozialer Ungleichheit.
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ka Habermas25 und Anne-Charlott Trepp26 zur Familiengeschichte werden gar nicht erwähnt. Gleiches gilt für den Beitrag von H.-E. Tenorth. Die feministische Perspektiverweiterung Disziplingeschichte ist ihm kein Halbsatz wert und sogar Karin Priem, die selbst eine wissenschaftsgeschichtliche Studie zum Einfluss von Geschlechterkonstellationen auf die Theoriebildung eines der Mandarine der deutschen Pädagogik in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts vorgelegt hat, erwähnt den innovativen Schub der Frauen- und Geschlechterforschung für die historische Bildungsforschung nicht, obwohl sie drei Arbeiten hervorhebt, die im Rahmen eines expliziten Forschungszusammenhangs zur Geschlechtergeschichte entstanden sind.27 Dass das Ende der »Großen Erzählungen« auch damit zu tun hat, dass es sich um die Erzählungen von toten weißen Männern handelt, kommt nicht zur Sprache.28 Fazit: Geschlechterforschung ist auch in der Historischen Bildungsforschung mitnichten im mainstream angekommen.29
III. Schluss Das Thema »Geschlecht« ist in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft und Erziehungssoziologie nach dem Zweiten Weltkrieg seit Helge Pross’ Studie von 1969 kontinuierlich bearbeitet worden. Einen Aufschwung bekam diese Forschung im Zuge der Frauenbewegung in den frühen achtziger Jahren. Sie konzentrierte sich, sofern sie Schul- und Ausbildungsfragen betraf, sehr bald auf die Thematik der Koedukation und deren Folgen für geschlechtsdifferenzierte Leistungsprofile, Interessenentwicklung und Studienfach-/Berufswahl von Mädchen. Von Anfang an kompensatorisch angelegt als Untersuchung der Benachteiligung von Mädchen im koedukativen Schulsystem, produzierte sie aufgrund dieser Herkunft sehr bald auch anwendungsbezogene Schulforschung im Rahmen von Modellprojekten und pädagogischen Programmen. Einen zweiten Schwerpunkt bildeten Forschungen zum geschlechtstypischen Berufsver25 Rebekka Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750-1850), Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 2000 (= Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte Bd. 14). 26 Anne-Charlott Trepp: Sanfte Männlichkeit und selbstständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum 1770-1840, Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1996. 27 Edith Glaser: Fachfrau oder Naturbegabung, unveröffentlichte Habilitationsschrift, Halle 2000, Habermas s. Fußnote 25; Ellen Schwitalski: »Werde, die du bist«: Pionierinnen der Reformpädagogik, die Odenwaldschule im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Bielefeld: transcript 2004. 28 Jahrbuch für historische Bildungsforschung Bd.12, 2006. 29 Es gibt Ausnahmen, so z.B. Hans-Ulrich Musolff: »Stichwort: Säkularisierung der Schule in Deutschland«, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (2006), S. 155-170.
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ständnis von Lehrerinnen und Lehrern. Hier standen die frühen Forschungen in enger Beziehung zur Frauenbewegung an den Schulen und bedeuteten vor allem historische und professionelle Selbstvergewisserung. Die Fragestellungen, die sich in Bezug auf das Geschlecht des Lehrers/der Lehrerin ergeben, sind auch bisher noch keineswegs erschöpfend auf die Schul- und Unterrichtsforschung ausgedehnt worden. Einen deutlichen Schwerpunkt hat die deutsche erziehungswissenschaftliche pädagogische Forschung im Rahmen der historischen Rekonstruktion der Erziehungsgeschichte als Geschlechtergeschichte gehabt, und zwar sowohl im Sinne einer intellectual history als auch einer Institutionengeschichte. Die Vermutung, dass sie in dieser Teildisziplin eine gewisse Anerkennung erlangt hat, hat sich nicht bestätigt. Auch im mainstream der empirischen Bildungsforschung nimmt sie eine marginale Stellung ein. Während die kritische Geschlechterforschung bereits die Plausibilität von statistischer Signifikanz thematisiert,30 ist die deskriptive Bildungsberichterstattung noch nicht einmal bei deren Darstellung angekommen. Der internationale Vergleich, auch der innereuropäische, zeigt da erstaunliche Defizite, die einer eigenen Analyse bedürften.31 Der Rückblick auf knapp dreißig Jahre Frauen- und Geschlechterforschung in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft markiert zwei wichtige Aspekte für unsere Diskussion: Die Verdrängung die Geschlechterfrage im pädagogischen Denken, die vor allem im zwanzigsten Jahrhundert stattgefunden hat, bedeutet, dass es für die Geschlechterforschung auch immer um die Aneignung verschütteter feministischer Denktraditionen gegangen ist und geht.32 Diese Selbstvergewisserung lehrt jedoch auch: Entscheidende Fragen, die die Geschlechterforschung bisher bearbeitet hat, sind weiterhin offen bzw. bedürfen einer ständigen Revision: Aus der historischen Perspektive stellt sich diese Aufgabe vor allem durch die Veränderungen, die unter dem Stichwort »Weltentwicklung, Postkolonialismus« zusammengefasst werden können. Erziehung ist von Entwicklungen der internationalen Beziehungen auf vielfältige Weise betroffen. Die Konsequenzen für eine feministische Subjekttheorie ebenso wie für institutionelle Anforderungen 30 Claudia Crotti: »Ist der Bildungserfolg bzw. -misserfolg eine Geschlechterfrage?«, in: Zeitschrift für Pädagogik 52 (2006), S. 363-374. 31 Jacqueline Lauffer u.a.: Le travail du genre. Les science sociales du travail à l’épreuve des differences de sexe, MAGE, Paris 2003, dort die Beiträge im Kapitel III: Sociologie: entre éducation et marché, le sexe du travail aujoud’hui, S. 117- 208. 32 Dazu haben beispielsweise die Quelleneditionen von Elke Kleinau/Christine Mayer (Hg.), Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts, 2 Bde., Weinheim: Deutscher Studienverlag 1996, die auch auf die Arbeit der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der DGfE zurückgehen, beigetragen. Vgl. auch Juliane Jacobi: »Geschlecht«, in: Dietrich Benner/Jürgen Oelkers (Hg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Weinheim/Basel: Beltz 2004.
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fordern alte Theorieangebote heraus. Dass Erziehung in der Weltgesellschaft innerhalb neuer Klassenwidersprüche entlang der Geschlechterlinie stattfindet, hat die soziologische Geschlechterforschung bereits in den Blick genommen.33 Die Erforschung von deren Auswirkungen auf die historische Rolle von Frauen im Erziehungsprozess,34 für die Erziehung der Geschlechter, beispielsweise geschlechtstypische Normen und deren Weitergabe, steht in den allerersten Anfängen.35 Ähnliches gilt für die pädagogischen Auswirkungen der momentan gerade stattfindenden Modernisierung des Vorschulbereichs, insbesondere der Ausweitung der Krippenerziehung.36 Auf der theoretischen aber auch auf der empirischen Ebene, die in das Feld der Allgemeinen Pädagogik führt, ist das Argument, dass das diversity-Konzept die Gefahr in sich trägt, durch erzieherische Einwirkung Differenzen zu reifizieren, genauso wenig entkräftet wie die Frage nach wie vor vollkommen offen ist, ob und wenn welche Bedeutung das Geschlecht des Lehrerpersonals im Unterricht dafür hat. Die Dekonstruktion der Bildungsgeschichte als Geschichte der Männlichkeit steckt in den Kinderschuhen ebenso wie viele ihrer Dimensionen als »Frauengeschichte« noch der Aufarbeitung harren. Dass sich die Geschlechterforschung für die Erziehungswissenschaft nicht erledigt hat, möchte ich abschließend an einem Beispiel klar machen: Barbara Rendtorff entwickelt in ihrer Einführung »Erziehung und Geschlecht« die Perspektive der Verflüssigung von Geschlechternormen im Erziehungsprozess. Ob diese Perspektive die einzige feministisch mögliche ist, sei dahingestellt. Aber, gehen wir von einer Zustimmung aus: Wie eine Verflüssigung zu sichern wäre und in Lehrerbildung, Elternschulung, Erzieherinnenausbildung etc. erfolgreich umgesetzt werden kann, darüber wissen wir vergleichsweise wenig. In einer Gesellschaft, deren Mitglieder aufgrund von geographischem Herkommen und Klassenlage individuell und kollektiv mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen konfrontiert sind und mit diesen umgehen müssen, lassen sich sicher keine einfachen Ant33 Ich nenne nur den Sammelband von Barbara Ehrenreich/Arlie Russell Hochschild (Hg.), Global woman: nannies, maids, and sex workers in the new economy, New York: Henry Holt and Company, Metropolitan Books 2003; Helma Lutz: Vom Weltmarkt in den Privathaushalt. Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung. Opladen: Leske + Budrich 2007. 34 Vgl. die Arbeiten von Elke Kleinau/Wolfgang Gippert: »Deutsche Lehrerinnen im viktorianischen England«, in: Zeitschrift für Pädagogik 52 (2006), S. 338-349. 35 Beispielsweise die Studien von Sigrid Nökel: Die Töchter der Gastarbeiter und der Islam: zur Soziologie alltagsweltlicher Anerkennungspolitiken; eine Fallstudie, Bielefeld: transcript 2002. 36 Das historische »Labor« der DDR ist in dieser Hinsicht auch noch nicht erschöpfend erforscht. Zur Anregung empfehle ich Ulrike Pilarczyks Diagnose von 1990 in Bezug auf Geschlechternormen in der DDR. Vgl. Ulrike Pilarczyk: »Menschenbild und Frauenbild – eine kritische Anmerkung zu unserem Umgang mit dem Erbe aus bildungshistorischer Sicht«, in: Pädagogische Forschung 31 (1990), S. 71-78.
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worten finden. Theoretisch geht es um eine Neudimensionierung des Sozialisationsbegriffs, empirisch geht es um seine Operationalisierung. Aus diesen Forschungsfragen ergeben sich die Anfragen an die Bezugsdisziplinen. Der kritische Impuls des Feminismus für die Erziehungswissenschaft ist noch keineswegs erlahmt und von einer Etablierung des Diskurses über Geschlechterbeziehungen kann nur sehr begrenzt die Rede sein. Davon würde ich erst sprechen, wenn Geschlecht genauso wie Klasse, selbstverständlich in immer wieder zu revidierenden theoretischen Konzeptionalisierungen, für die Analyse von Erziehungsverhältnissen ausgedient hätte. Dies würde einen epochalen Umbruch der menschlichen Gesellschaft bedeuten, der zwar theoretisch vorstellbar, angesichts der gegenwärtigen Lebensverhältnisse jedoch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Die Gefahr der Neutralisierung der Erkenntnisse aufgrund von Akademisierung habe ich in dem Feld, was ich hier ausgewählt habe, noch nicht erkennen können. Affirmative Forschung wird natürlich auch in feministischer Tonlage betrieben, aber solange ich und Kolleginnen und Kollegen gemeinsam oder auch im Streit mit mir Erkenntnisse produzieren, die andere zum Nachdenken über die gegebenen Geschlechterverhältnisse anregen könnten, bin ich’s zufrieden. Dass die Frauenbewegung und die aus ihr resultierende Neubelebung des internationalen Feminismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein intellektuelles Potential für die Erziehungswissenschaft generiert haben, das noch lange nicht ausgeschöpft ist, steht außer Frage.
Literatur Althans, Birgit: Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, Frankfurt a.M.: Campus 2007. Arbeitsgruppe Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Hg.), Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1884, 1990 und 1994. Baader, Meike: 68 und die Erziehung, in: Tobias Schaffrik, Sebastian Wienges (Hg.): 68er-Spätlese – was bleibt von 1968? Wiesbaden 2007 (im Druck). Baumert, Jürgen: »Koedukation oder Geschlechtertrennung«, in: Zeitschrift für Pädagogik 38 (1992), S. 83-110. Bock, Gisela: »Geschlechtergeschichte auf alten und neuen Wegen«, in: Dieter Langewiesche/Paul Nolte/Jürgen Osterhammel (Hg.), Zeiten und Räume. Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 2006, S. 45-66 (=Sonderheft Geschichte und Gesellschaft). Cortina, Kai u.a.: Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2003.
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DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT IM JAHR 2007 | 99
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Merkw ürdige Selbst-Vergessenheit? Thematisierungsdynamiken im Kontext feministischer Theoriebildung SUSANNE MAURER
»Was kommt nach der Genderforschung?« Diese Frage war als Provokation gedacht und konnte offenbar auch provozieren. Vor dem Hintergrund des innerdisziplinär andauernden und nach wie vor unerlässlichen Kampfes um Anerkennung der Perspektiven und Beiträge der Frauen- und Geschlechterforschung wurde eine solche Frage von vielen Kolleginnen als politisch problematisch, als »falsches Signal« empfunden. Wenn die Frage als Abgesang auf die Geschlechterforschung »in postfeministischer Perspektive« erscheint, so lässt sich das artikulierte Unbehagen nachvollziehen. Auch, wenn die Frage wörtlich – im Sinne einer Fortschritts-Logik – und nicht als rhetorische Figur der Problematisierung verstanden wird. Anders herum gefragt: Dürfen wir in einer Zeit, in der mit Einführung der neuen Studiengänge »Gender@Wissen«1 (von Braun/Stephan 2005) anscheinend nur noch erarbeitet werden kann, wenn es sich ins Format der Module fügt, und in der mit der »Modularisierung des Wissens« erkenntniskritische Perspektiven des feministischen Denkens zu verschwinden drohen, eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Erkenntnis-Geschichten forcieren? Geht es in diesem historischen Moment und in einer von Akkreditierungs-Zumutungen durchsetzten institutionellen Gemenge-Lage nicht vielmehr darum, Bestands-Sicherung zu betreiben, Erkenntnis-Errungenschaften zu dokumentieren und zu kanonisieren und damit für eine ›ordentliche Überlieferung‹ resp. »Lehrbarkeit« (und »Prüfbarkeit«!) tauglich zu machen?
1
Christina von Braun/Inge Stephan (Hg.), Gender@Wissen. Ein Handbuch der Geschlechter-Theorien, Köln: Böhlau 2005.
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Ich möchte in diesem Beitrag dafür argumentieren, sich nicht nur mit »Entwicklungs-Geschichten feministischen Denkens« auseinanderzusetzen, sondern auch die Thematisierungsdynamiken im Kontext feministischer Theoriebildung genauer in den Blick zu nehmen. Von welchen (bestimmbaren) Faktoren hängt in welchen (ganz bestimmten) Situationen ab, über was wir nachdenken können/wollen/müssen – und auf welche Weise? Mit dieser Frage verbindet sich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit: Es geht dabei weniger um die erarbeiteten Befunde, Erkenntnisse und (kontroversen) theoretischen Konzeptionen, auch weniger um die Dekonstruktion bisheriger (als zu begrenzt empfundener) Denkangebote und Analyse-Möglichkeiten, sondern viel mehr um die Fragen, an denen sich die feministischen Denkbewegungen historisch-konkret abgearbeitet haben – und heute abarbeiten müssen. (Welch ein Unterschied, wenn wir in »Gender-Modulen« als »feministische Erkenntnis« nicht die »Geschichte der Antworten« zu überliefern versuchen, sondern die Geschichte des Fragens!) Die Tagung »Was kommt nach der Genderforschung?« ist aus dem Anliegen heraus entstanden, eine wahrgenommene Entwicklung im deutschsprachigen Raum zu hinterfragen und zu diskutieren: dass nämlich mit der Einführung und Verwendung des englischen Begriffes »Gender« (für Forschung und politische Praxis in Bezug auf Geschlechterverhältnisse) der Auseinandersetzung mit »Geschlecht« scheinbar etwas von ihrer (ver)störenden Qualität genommen wird.2 Wenn sich aus dieser Beobachtung die Befürchtung ergibt, damit könne der Frauen- und Geschlechterforschung, auch der Männlichkeitsforschung, der kritische Stachel abhanden kommen, so lässt sich hier die Frage anschließen, wie eine Praxis des Nachdenkens zu »Geschlecht« aussehen könnte, die die bisherigen Erkenntnis-Erfahrungen aufnimmt und mit Bezug auf heutige Problemstellungen weiterentwickelt. Dabei wäre der inzwischen deutlich herausgearbeiteten Heterogenität und Relationalität von sozialen Verortungen, Zugehörigkeiten und »Identitäten« oder Subjektpositionen sicherlich ebenso Rechnung zu tragen, wie der Heterogenität und Relationalität von Kategorien und Konzepten. An einer Geschichte feministischer Thematisierungen bzw. Problematisierungen zu arbeiten, ermöglicht eines jedenfalls ganz bestimmt: Feministische Theorieentwicklung und Theoriebildung werden als konflikthafte und kontroverse gesellschaftliche Prozesse erkennbar.
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»Gender« erscheint dabei u.U. nur noch als »eine Variable unter vielen«, die Wirklichkeiten mit-konstituiert (ein solcher Befund korrespondiert in etwas irritierender Weise mit feministischen Visionen, die die Bedeutung von Geschlecht als diskriminierendes Merkmal relativiert sehen wollen) oder wird – als Kategorie nicht weiter hinterfragt – zum alles entscheidenden Merkmal einer radikalen leiblichen Differenz (so bspw. in der neuen »Medizin für Frauen«).
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F e m i n i s t i s c h e D e n k - B ew e g u n g e n i n Zeit und Raum Nicht nur die Frage nach den konkret gelebten Geschlechterverhältnissen oder nach den konkret erlebten Wirkungen der Kategorie Geschlecht verlangt nach einer dezidiert historischen Perspektive und einer gesellschaftspolitischen Kontextualisierung – auch die Frage danach, wie »das Zeichen Geschlecht« jeweils besetzt wird. Der Bereich der Erkenntnis ist ein Feld gesellschaftlicher, institutionell und disziplinär vermittelter Praxis – ein Umstand, der zumindest in den Anfängen der Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts kaum vergessen werden konnte; auch hier gilt es also sehr konkret die jeweiligen Kontexte und Arenen zu bestimmen, in denen um Bedeutung und Artikulationsmöglichkeiten gekämpft wird. Wird bei Versuchen der Rekonstruktion feministischer Denk-Bewegungen zum Zwecke der kritischen Bilanzierung außer Acht gelassen, welche erkenntnispolitischen Strategien sich damit jeweils verbunden haben, so kann nur ungenügend herausgearbeitet werden, inwiefern diese Strategien der Legitimierung von Ansprüchen auf gesellschaftliche Teilhabe dienten – oder doch zumindest dienen sollten. Wird heute bspw. (zurecht!) der homogenisierende Effekt der Rede von/über »Frauen« problematisiert, so sollte dabei nicht vergessen werden, dass eine entsprechende Begriffspolitik und Deutungspraxis nicht zuletzt entwickelt wurde, um kollektive (übrigens auch individuelle!) Handlungsmöglichkeiten zu entfalten. Der Feminismus braucht die Frauen, aber er muss nicht wissen, wer sie sind (vgl. Judith Butler 1993). Frauen als konkrete historische Individuen – also als Verschiedene – konnten für sich über den Referenzpunkt »Geschlecht« einen eigenen historischen und gesellschaftlichen Ort rekonstruieren und begründen, konnten damit immer wieder auch zu einem »kollektiven Subjekt« der Geschichte und gesellschaftlicher Veränderung werden. So war bspw. die Idee der »Gleichheit« von Frauen (in Bezug auf den Referenzpunkt »Geschlecht«) im Kontext der Frauenbewegungen eng verknüpft mit dem Postulat der Solidarität unter Frauen. Mit Hilfe dieses Postulats konnte die Hypothese der Gleichheit dann wiederum kritisch hinterfragt werden – so z.B. sehr früh auf internationalen Frauenkongressen, in der Konfrontation von privilegierten »weißen« Frauen mit Frauen aus anderen Ländern und Erdteilen; so auch in der innergesellschaftlichen Konfrontation zwischen Frauen, die sich immer wieder plötzlich als Angehörige verschiedener Klassen bzw. auf Seiten der Dominanzkultur oder auf Seiten einer ethnischen oder kulturellen Minderheit wiederfanden. Mit Hilfe der Idee der »Gleichheit« und vermittelt über das – darauf sich beziehende – Postulat der Frauensolidarität konnte also auch soziale Ungleich-
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heit unter Frauen thematisiert werden, wenn auch auf durchaus irritierende und verunsichernde Weise. Frauen sollten sich solidarisieren als Frauen, unabhängig von Klasse, Hautfarbe, Herkunft. Das Betonen der Gemeinsamkeit in der Erfahrung von Unterdrückung und Diskriminierung, von Enteignung und Entwertung der Früchte eigener Arbeit, eigener Kreativität, hatte historisch und politisch zweifellos eine wichtige Funktion. Der dabei ebenfalls entstehende homogenisierende Effekt ist die problematische Schattenseite dieser Geschichte – vielfach kritisiert von Feministinnen selbst, die dabei unter anderem von Foucault’schen Denkangeboten Gebrauch machten. In der inzwischen ausgearbeiteten – und manchmal auch allzu schnell und nur oberflächlich bemühten – Kritik an den so genannten »Identitätspolitiken« wird häufig nicht gesehen oder erinnert, dass hier nur eine bestimmte Ausprägung und Facette3 einer Politik reflektiert wird, die sich auf »Identität« bezieht.4 Der Begriff »Identitätspolitik« erscheint in mancher Hinsicht paradox – bindet er doch zwei unterschiedliche Begriffe zusammen, die zumindest auf den ersten Blick verschiedenen Sphären entstammen. Wird »Identität« als Etwas-Bestimmtes-Sein oder -Werden verstanden und dem Bereich der Person (den »Selbst-Verhältnissen«) zugeordnet, so kann »Politik« im Unterschied dazu den Bereich der Beziehungsverhältnisse zwischen den Personen (z.B. im Kontext eines Staatengebildes) markieren und steht in der Regel nicht für »Sein«, sondern für »Handeln«. Um noch eine weitere Ebene deutlich zu machen: Wird im Vorgang der »Identifizierung« Wirklichkeit auf einen bestimmten Aspekt begrenzt oder festgelegt, so kann politisches (Ver-)Handeln neue SpielRäume eröffnen und Wirklichkeit damit »in Bewegung« bringen. Bereits in einem solchen Versuch der Ausformulierung wird dabei die Eindeutigkeit einer entsprechenden Zuordnung fraglich: Wenn Politik dazu dient, zu strukturieren, zu ordnen, zu regeln und zu begrenzen, wenn politische Positionen erstarren und nicht mehr verhandelbar erscheinen, und wenn Identifizierung Strukturierung von Wirklichkeit ermöglicht und damit Anhalts- und Ausgangspunkte für Handeln bietet, so schieben sich beide Begriffe in ihren Bedeutungen auf bemerkenswerte Art und Weise ineinander. Im Rückgriff auf den englischen Ausdruck »identity politics« kann das Verständnis noch weiter verdeutlicht werden: »politics« verweist auf die 3
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Durchgesetzt hat sich die Verwendung des Begriffs »identity politics« im Sinne der Bezugnahme auf eine ganz bestimmte Teilgruppen-Zugehörigkeit (z.B. schwarze lesbische Feministin). Das Beispiel verweist dabei selbst bereits auf »Identität« als Schnittfläche oder Konfiguration unterschiedlicher Zugehörigkeiten. – Es lohnt sich meines Erachtens, auch »um die Begriffe herum« zu denken, ganze Begriffsfelder zu betrachten. Vgl. hierzu und auch für das Folgende: Susanne Maurer: Zwischen Zuschreibung und Selbstgestaltung. Feministische Identitätspolitiken im Kräftefeld von Kritik, Norm und Utopie, Tübingen: edition diskord 1996.
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Frage nach spezifischen Strategien, nach der Art und Weise, in der etwas angegangen oder mit etwas umgegangen wird. Ähnlich wie mit dem Begriff »negotiating gender« (Igor Kopytoff 1991) wird mit dem Begriff »identity politics« schon im Medium der Begriffsbildung angezeigt, dass »Identität« nicht etwa eine essentielle, »unhintergehbare« Kategorie darstellt, sondern historisch-gesellschaftlich konstituiert/konstruiert und damit auch verhandelbar ist. Es geht also weniger um die ganz bestimmte Identitätspolitik einer ganz bestimmten Gruppe, sondern ganz grundsätzlich um die Frage nach »Identität« als Medium, als Ausgangspunkt und Fluchtpunkt von »Politik«. Man kann die These formulieren, dass die Bedeutung feministischer Identitätspolitiken mit dem prekären Subjekt-Status5 von Frauen in Verbindung steht: Frauen bzw. weiblichen Individuen wurde historisch und kulturell dieser Status in spezifischer Weise vorenthalten. Identitätspolitik von Frauen kann daher immer auch als Bewältigungsversuch oder -strategie, als Gegen-Bewegung zu der damit verbundenen existentiellen Verunsicherung verstanden werden. Der Gegenstand ist komplex; er verweist auf nicht weniger als auf • die strukturellen und symbolischen Bedingungen »weiblicher Existenz«, • die Psychodynamik bzw. die Subjektivität der Individuen im Kontext ihrer jeweiligen Lebensgeschichte (als Zeit-Achse zur Strukturierung von Erfahrung), • die Gruppendynamik bzw. die Identitäts- oder Zugehörigkeitskonstruktionen im Kontext oppositioneller Kollektive (als Raum-Achse zur Verortung im Feld gesellschaftlicher Beziehungen) und auf • die Dimension der Erkenntnismöglichkeiten bzw. der Modalitäten des Denkens und Sprechens. Um die drei Dimensionen des Individuellen, des Kollektiven und des Erkenntnistheoretischen hier noch einmal erkennbar zu machen und zu konkretisieren: Individuen geht es im Kontext von Frauenbewegung und Feminismus um die Anerkennung ihres Mensch-Seins, um ihre persönliche Würde und ihre Würde »als Frau«: darum, dass ihre persönlichen, »weiblichen« Erfahrungen als Teil des Allgemeinen, des Gesellschaftlichen wahrgenommen und anerkannt werden; darum, dass sie mit ihrer Geschichte, ihrer Arbeit, ihrem Denken und ihrem Begehren sichtbar werden und Wertschätzung erfahren. Um sichtbar zu werden, müssen sie erkennbar sein.
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Damit sind hier die durchaus verschiedenen Dimensionen des SubjektBegriffs angesprochen: das (bürgerliche) Subjekt der Erkenntnis und des Gesellschaftsvertrags, das (kollektive) Subjekt der Geschichte und das einzelne Individuum als Subjekt einer – gesellschaftlich vermittelten – Lebensgeschichte oder Biographie.
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Sie müssen sich beschreiben, kennzeichnen, Gestalt geben. Damit ist ein Prozess der Identifizierung verbunden, auch die Suche nach so etwas wie »persönlicher Identität«: sich von anderen unterscheiden, um Individualität zu gewinnen. Im Kontext der Frauenbewegung werden einzelne Frauen miteinander zum »kollektiven Subjekt der Geschichte«. Sie werden zu einer gesellschaftlichen Kraft, die etwas in Bewegung bringt. Unter Bedingungen der Geschlechterhierarchie wird die »Kategorie Geschlecht« zum Kriterium der Diskriminierung; im Kontext der Frauenbewegung wird sie zum Kriterium der Verbindung – sie dient der gegenseitigen »Identifizierung« mit dem Ziel der Zugehörigkeit und Gemeinsamkeit. Abstrakt entsteht hier eine Kollektividentität über das unspezifische Kriterium Frau-Sein; konkret werden Kollektividentitäten konstruiert über das Kriterium »gemeinsame Betroffenheit«. Leicht werden abstrakte und konkrete Kollektividentitäten dabei verwechselt und vermischt6; die die feministischen Debatten immer wieder durchziehenden Kontroversen um Gleichheit und Differenz unter Frauen sind nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu sehen. Feministisches Denken kritisiert bisherige Identifizierungen des »Weiblichen«, die zur Unterordnung, Abwertung und Ausgrenzung konkreter weiblicher Individuen und des »weiblichen Geschlechts als Gruppe« führen oder beitragen. Dabei nimmt feministisches Denken selbst (zwangsläufig) wieder Identifizierungen des »Weiblichen« vor. Feministische Denkerinnen kritisieren wiederum den Zusammenhang von »Identitätslogik und Gewalt« auch in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse. Vernunft- und Erkenntniskritik in feministischer Perspektive werden daher notwendigerweise immer wieder zur Selbstkritik, die sich auf die eigenen identitätslogischen Verfahren richtet. Gleichzeitig ist nach deren individuellen und kollektiven Funktionalitäten im Hinblick auf »weibliche Subjekt-Werdung« und Handlungsfähigkeit zu fragen.
Zwischenbilanz: Feministische Bewegungen haben der Kritik an herkömmlichen Vernunftkonzeptionen und Denkgewohnheiten aus der Perspektive der »Erfahrungen von Frauen« eine neue Facette hinzugefügt und damit auch noch die bisherige Kritik kritisiert: Die »Logik« geschlechtsbezogener Ausblendungen und Verdeckungszusammenhänge ist deutlich geworden. Negierung und Abwertung weiblicher Arbeit und Erfahrung wurden als solche erkannt und kritisiert, in der Erkenntnis, dass »das Menschliche« sich als »Allgemeines« nur behaupten kann, wenn es die Erfahrungen und Perspektiven der Verschiedenen umfasst bzw. bewusst würdigt und anerkennt – und zwar unabhängig davon, ob sich die »Differenz« dabei aus »Ge6
Vgl. Hilge Landweer: Das Märtyrerinnenmodell, Pfaffenweiler: Centaurus 1990, S. 23.
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schlechtergrenzen« bestimmt oder noch anderen Grenzziehungen entstammt. Damit steht nicht nur die »Verfasstheit der Geschlechterverhältnisse« zur Disposition – auch die Verhältnisse unter Frauen sind zu problematisieren, ebenso wie die »Verhältnisse« jeder einzelnen Frau in und mit sich selbst.
Erkenntnispolitiken und Grenzerfahrungen Mich interessiert feministisches Denken nicht zuletzt in seiner Qualität als kollektive (Such-)Bewegung – als Praxis, mit der bestimmte (Erkenntnis-) Erfahrungen gemacht werden und die auch an Grenzen stößt. Mich interessiert das Unbehagen, das auf solche Grenzerfahrungen verweist und das die Paradoxien feministischer Denk-Versuche zum Vorschein bringt, letztlich auch die Komplexität erlebter und gelebter Wirklichkeiten deutlich werden lässt, auf die jene sich beziehen. Ich möchte an dieser Stelle an eine sehr frühe Arbeit von Cheryl Benard erinnern, die in einer politikwissenschaftlichen Studie zu den »Ambivalenzen oppositionellen Denkens«7 die systematischen Schwierigkeiten herausgearbeitet hat, die sich für eine »politische Theorie« nicht-hegemonialer oppositioneller Bewegungen ergeben. Benard untersucht, wie solche Bewegungen »auf der Ebene der symbolischen und argumentativen Konstruktion eines Gesellschafts- und Weltbildes ein Bewusstsein ihrer selbst und eine Identität ausbilden«.8 Ihr Text ist für mich hier aus verschiedenen Gründen interessant: Es handelt sich zum einen um ein frühes Beispiel einer feministischen Diskursanalyse, die sich auf den feministischen Diskurs selbst bezieht und versucht, diesen systematisch aufzuschlüsseln. Indem sich Benard u.a. auch mit Autorinnen wie Carla Lonzi und Monique Wittig auseinandersetzt, nimmt sie bereits zu Beginn der 1980er Jahre einige Überlegungen vorweg, die erst zehn Jahre später, mit der Diskussion um Butlers Studie »Gender Trouble«, die in deutscher Übersetzung 1991 erschien – nun offenbar unter veränderten diskursgeschichtlichen und diskursiven Voraussetzungen – eine breitere Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum erreichten. Die von Benard in ihrer Studie vorgenommene Parallelisierung und Kontrastierung von Schwarzer (»Black Power«) Bewegung und Frauenbewegung entfaltet dabei eine erkenntnisfördernde (selbst-)kritische Wirkung: Widersprüchliche, ambivalente Elemente des feministischen Diskurses können in der vergleichenden Perspektive offenbar anders wahrgenommen und in ihrer Funktion und Bedeutung für die Bewegung analysiert werden. 7
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Cheryl Benard: Die geschlossene Gesellschaft und ihre Rebellen. Die internationale Frauenbewegung und die Schwarze Bewegung in den USA, Frankfurt a.M.: Stroemfeld 1981, S. 7. Ebd., S. 2.
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Benard untescheidet prinzipiell zwei Haupt-Strategien im Kontext oppositioneller Bewegungen, die nur scheinbar im Widerspruch zueinander stehen: Während die eine – an Gleichberechtigung und Gleichstellung orientierte – Strömung Inhalte und Forderungen der jeweiligen oppositionellen Bewegung in die bestehenden Institutionen der Gesellschaft hineintragen will und »auf Anerkennung seitens der dominanten Ordnung besteht«, demonstriert die andere – an »Autonomie« und »Differenz« orientierte – Strömung provokative Nicht-Anerkennung der herrschenden Regeln; sie verweigert sozusagen die Kooperation mit dem System. Funktional betrachtet lässt sich das außerordentlich verschiedene Agieren beider Richtungen vielleicht als »strategische Parallelaktion« auffassen, als eine Art Arbeitsteilung mit verschiedenen Mitteln, wobei gerade der scharfe Kontrast die jeweilige Position oder Strömung erst wirklich konstituiert und deren Kraft entfalten hilft.9 Gleichwohl sind sich die konkreten, in den verschiedenen Richtungen engagierten Individuen über das Vorhandensein eines gemeinsamen Bezugsrahmens nicht unbedingt einig. So kann jede Richtung der anderen bspw. vorwerfen, die »eigentlichen Ziele« zu verraten, »der Bewegung« zu schaden etc. Die Hintergründe für derartige Kontroversen und für die teilweise unversöhnlichen Haltungen der Beteiligten sind komplex und verweisen unter anderem auf die identitätspolitische Funktion solcher Abgrenzungskämpfe. Benard versucht, die prototypische Entstehung und Entwicklung einer oppositionellen Bewegung in ihrem Verhältnis zur hegemonialen Ordnung bzw. Kultur zu beschreiben und kommt dabei auch auf einige identitätspolitisch relevante Momente zu sprechen: »Oppositionstheorie muss in jeder Phase der Reaktion auf Herrschaft die benötigten Unterlagen und ›Beweise‹ liefern. Sie muss z.B. • beweisen, dass Unterordnungsbereitschaft keine natürliche Eigenschaft der Gruppe ist, sondern anerzogen und aufgezwungen wurde. • Zugleich muss sie spezifische Eigenschaften der Gruppe darstellen.10 Das bringt sie mitunter in die schizophrene Situation, auf der einen Seite die Existenz rassischer/geschlechtstypischer Charaktereigenschaften zu leugnen und auf der anderen die Existenz des eigenen, spezifischen ›Wesens‹ zu behaupten. • Sie muss therapeutisch-rhetorische Maßnahmen entwerfen, um die Selbstund Fremdeinschätzung der Gruppe anzuheben. • Sie muss Strategien entwerfen, um die Verhaltensformen der Gruppe zu ändern, wobei sie stets betonen muss, dass diese Verhaltensformen früher positiv und notwendig waren und die Überlebens- und Innovationsfähigkeit der Gruppe beweisen.
9 Vgl. ebd., S. 129f. 10 Damit verbindet sich u.a. die Absicht, die Gruppe als solche »nach außen« und als Bezugsgruppe »nach innen« erkennbar zu machen.
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Ein zentrales Problem für oppositionelle Theorie ist die Frage nach dem ›Widerstand‹: Akzeptierte die Gruppe ihre Unterordnung widerstandslos oder kämpfte sie dagegen?«11
An dieser Stelle möchte ich aus den von Benard herausgearbeiteten prototypischen Entwicklungsetappen einige herausgreifen, die mir für die jetzige Situation erhellend zu sein scheinen: Die dominante Gesellschaft versucht (nach und zum Teil auch gleichzeitig mit verschiedenen anderen Strategien der Kontrolle), die rebellische Gruppe zu assimilieren; das bedeutet, dass deren Angehörige letztlich zwar in untergeordneten Positionen bleiben sollen, aber innerhalb des Systems die Chance einer relativen »Verbesserung«, eines relativen sozialen Aufstiegs erhalten. In diesem Zusammenhang sieht sich das dominante System auch genötigt, seine Geschichte umzuschreiben (so werden bspw. die historischen Leistungen von Frauen nun eher wahrgenommen und auch dokumentiert, ohne allerdings eine grundlegende Selbstkritik bezüglich der verwendeten Kategorien und Maßstäbe, z.B. im Hinblick auf »historische Bedeutung«, zu entwickeln). Die oppositionelle Gruppierung versucht indessen, in einem Prozess der »Umwertung aller Werte« neue Möglichkeiten der Situationseinschätzung, der Selbstwahrnehmung wie der Bewusstseinsformen zu entfalten. Dazu gehört auch die Umwandlung von Individual- in Sozialpsychologie – ein Prozess der Herausbildung eines kollektiven Bewusstseins, einer »kollektiven Identität«. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, welche zentrale Bedeutung die Auseinandersetzung um Namen, Benennungen, um Sprache überhaupt hat. Die »relative Identität« einer untergeordneten Gruppe wird von der oppositionellen Theoriebildung bspw. mit dem Bild des »Spiegels« kritisch zum Ausdruck gebracht. Sie ergibt sich aus der jeweiligen Leistung und Funktion für die dominante Gruppe. Welche Unsicherheiten in der eigenen Selbstwahrnehmung, in Bezug auf die Wirklichkeit der eigenen Existenz für Angehörige der unterlegenen Gruppe daraus erwachsen können, zeigt sich in den häufig verwendeten Metaphern der »Unsichtbarkeit« bzw. der »Unwirklichkeit«. Die Bemühungen der oppositionellen Gruppierung um Distanz zu vorhandenen Systemen der Welterklärung mit dem Ziel, auch den ideologischen, konzeptuellen Hegemonien zu entgehen, führen also gleichzeitig auf das Feld der Diskussion um eine eigene »kollektive Identität«. Ein solcher Prozess wird zum Teil mit der Konstruktion ganzer Wertsysteme verbunden (erinnert sei hier an die Debatte um eine »feministische« und/oder »lesbische« Ethik). Die Perspektive ist eine radikale Kulturkritik, die im Falle einiger Theoretikerinnen soweit geht, die »Aufhebung der Kultur« überhaupt zu fordern.12 11 Vgl. ebd., S. 134ff. 12 Vgl. ebd., S. 22.
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Hintergrund für eine solche Radikalisierung der Perspektive der Kritik im Sinne einer Dekonstruktion oder auch Destruktion (damit etwas anderes überhaupt entstehen kann), war historisch sicherlich der hohe Grad an »Selbstverständlichkeit«, den gerade die Geschlechterverhältnisse zu haben schienen. So umfassend oder »totalisierend«, wie diese »Selbstverständlichkeiten« die alltäglichen Interaktionen und die Wahrnehmungsund Funktionsweisen des Denkens bestimmten, so umfassend und grundlegend musste offenbar die darauf sich beziehende Kritik formuliert werden. Nancy Fraser hat (mit Bezug auf Karl Marx) einmal formuliert, dass eine gute Theorie die »Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche« sei.13 Damit spricht sie die kritisch-utopische Qualität theoretischer Reflexionen an. Ich selbst habe mich in meinen eigenen Studien wiederholt auf eine Denkfigur von Seyla Benhabib (1992) bezogen, die Kritische Theorie – als solche betrachte ich auch feministisches Denken – mit einem Spannungsfeld von Kritik, Norm und Utopie in Verbindung bringt. Erst indem diese drei Qualitäten aufeinander bezogen gedacht werden, lassen sich mehrdeutige oder auch widersprüchliche feministische (Erkenntnis-)Strategien m.E. angemessen begreifen. In den utopischen Bildern, wie sie von sozialrevolutionären Bewegungen entworfen werden, zeigen sich die (Gesellschafts-)Kritiken und Ideen für eine »bessere Zukunft« vielleicht am konsequentesten; auch die Hoffnungen und Ängste in Bezug auf die gegenwärtigen realen Verhältnisse sind darin enthalten und können im Medium des utopischen Bildes umso deutlicher sichtbar werden.14 Dabei tritt die Zwiespältigkeit von »Utopie« in Erscheinung: In ihr als ausgearbeitetem Bild zeigen sich die Tücken der jeweils zugrunde liegenden Erklärungsmodelle oder Politik-Konzepte (mit potentiell aufklärerischer Wirkung), der Reiz des Bildes vermag jedoch auch über Schwachpunkte hinwegzutrösten und zu -tragen, fordert also nicht zwangsläufig zur Auseinandersetzung heraus. In jedem Fall ist »Utopie« ein Gesellschaftsentwurf, der auf einer ganz bestimmten Sicht und Analyse der Gegenwart beruht. Wenn »Utopie« aber den Aspekt »Kein Ort« (ou topos) meint, dann wäre denkbar, dass dieses »Kein Ort« bedeutet: »nicht ein Ort«, also »kein bestimmter Ort«. Damit können einerseits die Außenseiten-Erfahrungen der Ausgegrenzten, der »Fremden« zum Thema gemacht werden, zum anderen die Erfahrungen der »Freiheit« im Sinne von »Ungebundenheit«. Mit der radikalen Verab-
13 Nancy Fraser: »Clintons Umbau des Sozialsystems«, in: Das Argument, Heft 202 (1992), S. 174. 14 Vgl. hierzu etwa Cornelia Klinger: »Radikalfeminismus, Science Fiction und das Verhältnis zur Natur«, in: Karen Nölle-Fischer, (Hg.), Zukunft, gibt’s die? Feministische Visionen für die neunziger Jahre, München: Frauenoffensive 1989, S. 155f.
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schiedung der Identitätslogik scheint hier auch die Möglichkeit der Verlorenheit, der Isolation auf. Sich nomadisch zwischen den Grenzen zu bewegen – den Grenzen gesellschaftlicher Norm und Reduzierung auf der einen Seite, den Grenzen des subjektiv Aushaltbaren, Lebbaren auf der anderen –, damit ist eine bestimmte Vision, eine bestimmte subversive Strategie angesprochen, auch eine von manchen gelebte Erfahrung: Bewegung und Aufbruch in Permanenz. Die Vorstellung, Utopisches sei lebbar im Gegenwärtigen, erscheint – oder stilisiert sich – hier als Immer-Wieder-NeuAufbrechen, als permanentes Experiment, als permanentes Riskieren der eigenen Sicherheit, der eigenen Existenz. Ein solcher Entwurf – nicht allein bezogen auf die Dimension des individuellen oder kollektiven Lebens, sondern auch in Bezug auf das Denken selbst, wird bspw. von Gilles Deleuze mit dem Begriff »pensée nomade« bezeichnet.15 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Kraft für den Weg durch den Raum des »Unbehaust-Seins« sich letztlich nicht doch auch aus konkreteren Bildern speist. Die Bewegung der Grenzüberschreitung – Kritik – ist m.E. von der Sehnsucht nach Verortung (Zugehörigkeit, Stimmigkeit, Gültigkeit) durchzogen. Lust an der als Reichtum entdeckten Vielfalt bringt den Wunsch nach Einheit, nach Eindeutigkeit nicht zum Verschwinden. Etwas muss/soll gelten, das hat auch mit der Anerkennung von Wirklichkeit/en zu tun. Damit wäre unter Umständen die Möglichkeit einer (ethisch und kritisch begründeten) Normativität gegeben, die sich ihrer eigenen Relativität und Vorläufigkeit bewusst bleibt. Im Blick auf die Subjektivität einzelner Frauen, aber auch auf die Handlungen feministischer Kollektive, zeigen sich die gesellschaftlichen Positionen, auf die Frauen unter Bedingungen der Geschlechterhierarchie verwiesen werden. Selbst-Setzung – z.B. mittels feministischer Identitätspolitiken – kann dabei als Versuch betrachtet werden, mit gesellschaftlichen Zuschreibungen kritisch-utopisch umzugehen. Dass auf diesem Weg erneut problematische und normativ wirkende Zuschreibungen sowohl in Bezug auf sich selbst, als auch in Bezug auf andere vorgenommen werden, verweist auf die bereits erwähnten Funktionalitäten von Identitätskonstruktionen und Identifizierungen. Der oppositionelle Kontext »Frauenbewegung und feministische Theoriebildung« bildet für die Frage nach solchen Funktionalitäten einen konkreten Horizont, innerhalb dessen die Qualitäten des Kritischen, des Utopischen und des Normativen in den verschiedensten Verknüpfungen aufscheinen. Die Kritik an »Identität« bezieht sich dabei vor allem auf geschlossene Identitätskonzeptionen, die sich – ähnlich wie die Vorstellung von einem »einheitsverbürgenden Subjekt« – empirisch ohnehin nicht halten lassen (davon weiß nicht zuletzt die sozialpädagogische Expertise). Die Erfahrung des Fragmentarischen und Situativen, der Kontextabhängigkeit und des historischen, gesellschaftlichen 15 Vgl. Gilles Deleuze: Nietzsche – ein Lesebuch, Berlin: Merve 1984.
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Wandels – die sich in der Erfahrung und Metapher der »Fremdheit« verdichtet – hat den geschlossenen Konzeptionen von »Identität« und »Zugehörigkeit« vom Moment ihrer Konstituierung an Ideen von »fragmentierten Wirklichkeiten«, von »offenen Systemen« und »bewegten Strukturen« oder »Strukturen in Bewegung« als kritischen Impuls zur Seite gestellt.16 Die verschiedenen Denkmöglichkeiten beweg(t)en sich (erkenntnis-)historisch allerdings meist in einem hierarchischen Verhältnis zueinander17 – nicht zuletzt deshalb, weil die »Geschlossenheit« einer Denkfigur eine nicht zu unterschätzende Attraktion aufzuweisen hat, die sich unter anderem ihrer »klaren Gestalt« verdankt. Parodistische Verfahren, wie sie – bspw. von Judith Butler in ihrem Buch »Gender Trouble« – als Möglichkeiten feministischer Politik vorgeschlagen werden, sind geeignet, die »klare Gestalt« der »klaren Identität« durch Übersteigerung bis ins Absurde oder durch bewussten permanenten Wechsel der »Identitäts-Positionen« zu hinterfragen, zu problematisieren und tendenziell auch aufzulösen. Aber gerade solch parodistische Verfahren sind nur denkbar, wenn ihnen als Bezugspunkt die »klare Gestalt« des »klaren Identitäts-Bildes« zur Verfügung steht. Ihre ganze Wirkung – das (auch selbstreflexive) befreiende Lachen derjenigen, denen etwas zugeschrieben wird, und das getroffene, betretene Lachen derjenigen, die Zuschreibungen vornehmen (oder vice versa?) – erreichen parodistische Verfahren gerade dann, wenn die implizit vorausgesetzten Bilder kulturell präsent und allen Beteiligten bekannt sind. Fehlen solche allseits bekannten Bilder als gemeinsamer Referenzpunkt, funktioniert die Parodie nicht.18 »Wir Konkordianer müssen auseinander halten.« Mit diesem Ausspruch eines Mitglieds der Internet-Regierung (Quelle nicht mehr rekonstruierbar) möchte ich zu der Frage überleiten: Bestimmen wir uns gesellschaftlich über unsere Verschiedenheit oder über etwas, das uns verbindet? Der Umgang mit Heterogenität bleibt offenbar nach wie vor eine Herausforderung, stellt eine nicht gerade leicht zu bewältigende Aufgabe dar. Selbst wenn nun »diversity politics« die 16 Vgl. Stuart Hall: »The Question of Cultural Identity«, in: Stuart Hall/David Held/Tony McGrew (Hg.), Modernity and its Futures. Cambridge: Polity Press 1992, S. 273-326. 17 Vgl. Brigitte Rauschenbach: Nicht ohne mich. Vom Eigensinn des Subjekts im Erkenntnisprozess, Frankfurt a.M.: Campus 1991. 18 In ihrem Buch »Bodies that Matter« (deutsch: Körper von Gewicht, Berlin: Berlinverlag 1995) formuliert Judith Butler denn auch die Strategie der ReSignifikation; damit ist gemeint, dass der Diskurs von den Akteurinnen und Akteuren ja immer wieder erneut mit Bedeutung versehen werden, also resignifiziert werden muss. Da dies niemals eindeutig geschehen kann, bleibt immer ein Rest, der nicht in die vorgegebene Kategorisierung passt. Somit liegt in der Resignifikation die Möglichkeit der Veränderung des Diskurses »von innen heraus«.
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weiter oben diskutierten »identity politics« abzulösen scheinen, so ist damit noch keine Lösung des Problems verbunden. Diversitäts-Bewusstsein lässt günstigenfalls erkennen, dass sich »Gleichheiten und Unterschiede« je nach Kontext unterschiedlich konstellieren, also je nach Situation unterschiedlich an Bedeutung resp. Gewicht gewinnen oder auch verlieren.19 Im ungünstigen Fall führt die Rede von »diversity« zu einer Vorstellung von vervielfältigter Differenz, die auf seltsame Weise dem sogenannten Egalitäts-Mythos20 entgegenarbeitet – Ungleichheit erscheint dann nicht mehr als Problem, denn alle sind ja darin gleich, dass sie ganz vielfältig verschieden sind. Die in den vielfältigen Konstellationen von Differenz nach wie vor enthaltenen – auch gewaltsamen – Einschlüsse und Ausschlüsse müssen als »soziale Ungleichheiten« aber nach wie vor thematisiert werden können, und hier zeigt sich die Bedeutung der genauen Bestimmung von konkreten Ungleichheiten in ganz konkreten Situationen, die wir letztlich nur mit Hilfe eines komplexen Instrumentariums empirischer Sozialforschung vornehmen können. Politisches Anliegen (nicht nur) feministischer Kritik und Selbstkritik war und ist es, diejenigen Mechanismen der Klassifizierung zu dekonstruieren, die zur Ausschließung führen. Die Entwicklung feministischer Theoriedebatten hat gezeigt, dass bestimmte problematische Tendenzen wie bspw. die Ontologisierung oder Naturalisierung von Geschlecht, ebenso wie die Positivierung und Moralisierung von Identitätskonstruktionen einer kritischen Selbstreflexion zugänglich gemacht werden können; hieran hat die erkenntnispolitische Strategie der Dekonstruktion sicherlich einen starken Anteil, aber auch die im Kontext der Kritischen Theorie oder marxistischen Denkens entwickelten Verfahren der Ideologiekritik (vgl. etwa die Arbeiten von Regina Becker-Schmidt und Gudrun Axeli Knapp oder auch von Frigga Haug). Bei einer Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichten – wie sie im Rahmen unserer Tagung ja vielfach und aus unterschiedlichen Perspektiven heraus vorgenommen wurden – sollten die Interessen, aus denen heraus sich die jeweiligen erkenntnispolitischen Strategien und Entscheidungen entwickeln und an denen sie sich ausrichten, jedenfalls nicht vernachlässigt werden. Sicher, auch diese Interessen sind nicht eindeutig; hier vermischen sich kritisch-oppositionelle Impulse mit Impulsen der unmittelbaren, auch pragmatischen Problembewältigung und nicht zuletzt Impulse der Selbstbehauptung und Absicherung. Von besonderer Bedeutung 19 Ein anderer Versuch, der Vielfalt und Vielschichtigkeit in der Konstellation von Differenzen beizukommen, ist das analytische Konzept der »Intersectionality«. Vgl. hierzu den Beitrag von Gudrun Axeli Knapp in diesem Band. 20 Vgl. z.B. Maria Funder/Steffen Dörhöfer/Christian Rauch: Geschlechteregalität – mehr Schein als Sein. Geschlecht, Arbeit und Interessenvertretung in der Informations- und Telekommunikationsindustrie. Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 74, Berlin: edition sigma 2006.
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ist dabei sicherlich das weiter oben bereits thematisierte Interesse an Handlungsfähigkeit. Notwendige und berechtigte Kritiken an den Wahrheits- und Machtwirkungen, auch am Hegemonialen feministischen Denkens (vgl. den Beitrag von Kontos in diesem Band) haben dies meines Erachtens zu berücksichtigen. Astrid Deuber-Mankowsky nimmt in ihrem Beitrag ein Wort von Heidegger auf und bezeichnet »Gender« oder »Geschlecht« als »ein epistemisches Ding« – solange es eben eine Frage bleibt und bleiben kann. Spätestens an dieser Stelle wird die Bedeutung von Thematisierungsräumen bewusst – und es ist daran zu erinnern, dass solche Thematisierungsräume nicht auf das Wissenschaftssystem begrenzt sind, sondern sich – neben den »Gegen«-Öffentlichkeiten Sozialer Bewegungen – bspw. auch in den verschiedenen Bereichen künstlerischer Auseinandersetzung eröffnen.
E i n e Ar t Au s b l i c k : Feministisches Denken und Pädagogik Ein nicht unwesentliches Element, das das Selbstverständnis und die Selbstbehauptungsanstrengungen der Frauen- und Geschlechterforschung im Gefüge der Disziplinen beeinflusst, sind die Abwertungsprozesse, denen sie sich immer wieder ausgesetzt sieht, und an denen sie auf paradoxe und komplizierte Weise auch selbst beteiligt ist. Der eingangs referierte (disziplinpolitische) Einwand von Kolleginnen, mit einer kritischen Betrachtung der »Genderforschung« zum jetzigen Zeitpunkt würde mühsam und nur prekär Etabliertes im Zuge öffentlich geübter (Selbst-)Kritik womöglich zusätzlich destabilisiert und letztlich preisgegeben, ist vor einem solchen Hintergrund zu sehen.21 Hier zeigt sich deutlich das Geflecht der Abhängigkeiten von geltenden Anerkennungssystemen. Auch feministische Erkenntnis ist eben nicht unabhängig von ihren Produktions-, Distributions- und Rezeptionsverhältnissen22 zu betrachten. Ein »dekonstruktivistischer Anspruch« (im Sinne einer »Demystifizierung der herrschenden Symbolischen Ordnung«) lässt sich nicht zuletzt dahingehend formulieren, dass – neben den eigenen theoretischen Vorannahmen und Konzepten, deren alltagsweltlichen Voraussetzungen und politischen Konnotationen – auch die eigenen institutionellen (und disziplinären!) Abhängigkeiten zu reflektieren sind, ebenso wie die eigene Position in der Scientific Community. 21 Die Frage ist allerdings, auf was genau sich die kritische Auseinandersetzung bezieht. In unserem Fall ging es ja nicht darum, das Nachdenken über Geschlecht einzustellen, sondern dieses Nachdenken vielmehr erneut zu schärfen und mit den bisherigen theoretischen und wissenschaftspolitischen Erfahrungen bewusst und kritisch umzugehen. 22 An dieser Stelle ließe sich auch die Frage nach den Überlieferungsverhältnissen im Schnittfeld von Generation und Geschlecht stellen.
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Ich nehme in diesem letzten Abschnitt nun bewusst eine disziplinäre Perspektive ein, denn die Machtfelder und das Gefüge der Disziplinen sind eine starke Einflussgröße, wenn es um Thematisierungschancen und -dynamiken geht. Dabei möchte ich insbesondere auf eine systematische Verbindungsstelle zwischen Pädagogik und Feminismus zu sprechen kommen. Die Pädagogik hat sich in Wissenschaft und Praxis mit der Notwendigkeit des Handelns auseinanderzusetzen, und kann sich dabei der normativen Dimension nicht entziehen. Das unterscheidet sie von anderen Geistesoder Sozial- und Kulturwissenschaften. Meines Erachtens stellt gerade dieses – stets zu reflektierende – Theorie-Praxis-Verhältnis nicht nur ein Problem, sondern auch eine spezifische Ressource dar – und hierin besteht auch ein spezifischer Beitrag der Pädagogik für feministische Wissenschaft und Praxis.23 Erziehungswissenschaft und feministische Wissenschaft haben einiges gemeinsam: Sie müssen sich um eine (selbst-)kritische Normativität bemühen, die auch als brüchige und konflikthafte, als umstrittene Normativität deutlich wird. Wissenschaftliche Forschung und Erkenntnis befinden sich dabei stets im Spannungsfeld politischer und ethischer Fragen, was sich unter den gegebenen Bedingungen für den eigenen disziplinären Status nicht unbedingt vorteilhaft auswirkt. Gesellschafts- und Subjektperspektiven bzw. Mikro- und Makroebene sind in der Pädagogik auf spezifische Weise vermittelt: Es geht dabei nicht nur um die Frage, warum unter bestimmten Rahmenbedingungen auf eine bestimmte Weise gehandelt wird (Verstehen bzw. Erklären), sondern auch darum, wie sich dieses Handeln verändern kann. Hier ist also eine spezifische Aufmerksamkeit für die Praktiken der Menschen ausgebildet worden – immer auch mit Blick auf die Möglichkeiten der Entwicklung und Überschreitung des Gegebenen. Dieser Aspekt der Transformation, der in der Pädagogik mit dem Bildungsbegriff gefasst wird, verweist auf das »pädagogische Element«, das jeder sozialen Bewegung und gesellschaftskritischen Strömung innewohnt, die auf eine Erweiterung der Lebensmöglichkeiten von Menschen zielt. Es geht hier immer auch um Selbstveränderung und Selbstbefreiung, um »Emanzipation« (vgl. Maurer 2001) – und nicht nur um die Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und konkreten Lebenssituationen. Sicherlich wird nicht jede Spielart der Pädagogik sich selbst die Aufgabe der Zeitkritik und der gesellschaftspolitischen Einmischung stellen. Dennoch gibt es Strömungen einer kritischen Erziehungswissenschaft, deren Erkenntnisanliegen mit denen feministischen Denkens korrespondieren.
23 Das ließe sich beispielhaft an der Sozialen Arbeit zeigen, wo die konkrete Auseinandersetzung mit den Lebensbewältigungsstrategien der Adressatinnen und Adressaten immer wieder zu Weiterentwicklungen und Präzisierungen in der Theoriebildung führt. Vgl. hierzu etwa die Studien von Maria Bitzan, Ulrike Graff oder Claudia Daigler.
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Die pädagogische Frauen- und Geschlechterforschung und das feministische Denken im Kontext der Pädagogik haben sich in den vergangenen Jahren vielfältig von anderen Disziplinen inspirieren lassen – so wurden Begriffe und Denkfiguren ebenso aufgenommen wie Methodenrepertoires. Ich teile allerdings nicht die Auffassung, dass es sich hierbei lediglich um einen Theorie-»Import« handelt. Vielmehr wäre – ganz im Sinne einer kontextualisierenden Erkenntnisstrategie – nach den konkreten erziehungswissenschaftlichen Frage- und Problemstellungen zu fragen, in denen bestimmte Begriffe und Analytiken sowie methodische Zugänge genutzt werden und sich als produktiv erweisen. Zu fragen wäre zudem nach der konkreten Praxis bzw. nach den Modi der Nutzung dieser Erkenntnis-Instrumentarien, die – so meine Vermutung – stets auch zu deren Transformation führt (ganz im Sinne der Vorstellung von Rezeption als aktiver und gestalterischer Praxis). Sicherlich wird Frauen- und Geschlechterforschung sich auch in Zukunft als interdisziplinäre oder transdisziplinäre Forschung gestalten müssen und wollen – an den Fragen, den anstehenden Problemen mehr orientiert als an den einzelnen Disziplinen (innerhalb derer sie sich dennoch ebenfalls zu organisieren suchte und heute auch behaupten muss). Dennoch (und deshalb!) gilt es meines Erachtens, auch die disziplinären Potentiale bewusst auszuloten und – gerade angesichts von real existierenden Asymmetrien und Hierarchien zwischen den Disziplinen – in Bezug auf bestimmte Gegenstandsbereiche zu rekonstruieren. Silvia Kontos hat uns daran erinnert, dass Geschlechterkonflikte im sozialen Nahraum ausgetragen werden (vgl. ihren Beitrag in diesem Band). Und für die Gestaltung konkreter Praxis im sozialen Nahraum ist nicht zuletzt die Pädagogik zuständig. Wenn wir zudem davon ausgehen, dass die Kritik binärer Kategorien uns der Aufgabe einer konkretisierenden Rede von Männern, Frauen und ihren Interessen (in ganz bestimmten Lebenszusammenhängen, Lebenslagen und -situationen) nicht enthebt, dann ist auch hier die Pädagogik mit ihren spezifischen Aufmerksamkeiten und Expertisen gefragt. Verschiebt sich der Akzent der Aufmerksamkeit überdies – wie etwa Gudrun Axeli Knapp anmerkt – vom (Geschlechtswesen) Sein zum (Geschlechtswesen) Werden – dann ist das in der Tat auch ein pädagogisches Projekt! Denn Prozesse der Sozialisation, der Erziehung, der Subjektbildung und des damit verbundenen »doing and undoing gender« gehören wesentlich zum Gegenstandsbereich der Pädagogik. Dass dabei auch kollektive Themen (wie etwa Solidarität, Gerechtigkeit, Mitgefühl) wiedergewonnen werden müssen, macht ebenfalls eine Schnittstelle zwischen Pädagogik und Feminismus aus. Einen entscheidenden Bezugspunkt hierfür bildet das kritisch-utopisch-normative Projekt der Menschen- und Bürgerrechte, das nicht zuletzt über die feministische Aus-
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einandersetzung zu einem dynamischen und partizipatorischen Konzept hin geöffnet wurde24 – in Anerkennung von Partikularität und Differenz.
Literatur Annuß, Evelyn: »Umbruch und Krise der Geschlechterforschung: Judith Butler als Symptom«, in: Das Argument, Jg. 38 (1996), Heft 216 (»Befreiung in der Postmoderne«), Berlin, S. 505-524. Baisch, Katharina u.a. (Hg.), Gender Revisited. Subjekt- und Politikbegriffe in Kultur und Medien. Stuttgart/Weimar: Metzler 2002. Becker-Schmidt, Regina/Knapp,Gudrun-Axeli: Feministische Theorien zur Einführung, Hamburg: Junius 2003. Benard, Cheryl: Die geschlossene Gesellschaft und ihre Rebellen. Die internationale Frauenbewegung und die Schwarze Bewegung in den USA, Frankfurt a.M.: Stroemfeld 1981. Benhabib, Seyla: Kritik, Norm und Utopie. Die normativen Grundlagen der Kritischen Theorie, Frankfurt a.M.: Fischer 1992. Benhabib, Seyla: Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit, Frankfurt a.M.: Fischer 1999. Bitzan, Maria/Klöck, Tilo: Wer streitet denn mit Aschenputtel? Konfliktorientierung und Geschlechterdifferenz – eine Chance zur Politisierung sozialer Arbeit? München: AG Spak 1993. Bitzan, Maria/Bolay, Eberhard/Thiersch, Hans (Hg.), Die Stimme der Adressaten. Empirische Forschung über Erfahrungen von Mädchen und Jungen mit der Jugendhilfe. Weinheim und München: Juventa 2006. Braun, Christina von/Stephan, Inge (Hg.), Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien, Köln: Böhlau 2005. Bußmann, Hadumod/Hof, Renate (Hg.), Genus. Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften – ein Handbuch, Stuttgart: Kröner 2005. Butler, Judith: Bodies that matter: on the discursive limits of »sex«. New York/London: Routledge 1993 (deutsch: Körper von Gewicht, Berlin: Berlinverlag 1995). Butler, Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001. (Originalausgabe unter dem Titel »The Psychic Life of Power. Theories in Subjection«. Stanford University Press 1997). Daigler, Claudia: Biografie und sozialpädagogische Profession. Eine Studie zur Entwicklung beruflicher Selbstverständnisse am Beispiel der Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen, Weinheim: Juventa 2007.
24 Vgl. Ute Gerhard: »Für ein dynamisches und partizipatorisches Konzept von Grund- und Menschenrechten auch für Frauen«, in: Das Argument, Jg. 42 (2000), Heft 234 (»Wie universell sind die Menschenrechte?«), Berlin, S. 923.
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Deleuze, Gilles: Nietzsche – ein Lesebuch, Berlin: Merve 1984. Faulstich-Wieland, Hannelore/Budde, Jürgen: Chancen und Probleme bei der Dramatisierung von Geschlecht, in: jugendstile, Jg., Nr. 4, 2004, S. 3-8. Fraser, Nancy: »Clintons Umbau des Sozialsystems«, in: Das Argument, Heft 202 (1992). Frey, Regina/Kuhl, Maria: »Wohin mit Gender Mainstreaming? Zum Für und Wider einer geschlechterpolitischen Strategie«, in: Hertzfeld, Hella u.a. (Hg.), GeschlechterVerhältnisse. Analysen aus Wissenschaft, Politik und Praxis, Berlin: Dietz 2004, S. 192-208. Funder, Maria/Dörhöfer, Steffen/Rauch, Christian: Geschlechteregalität – mehr Schein als Sein. Geschlecht, Arbeit und Interessenvertretung in der Informations- und Telekommunikationsindustrie. Forschung aus der Hans-BöcklerStiftung, Bd. 74, Berlin: edition sigma 2006. Gerhard, Ute: Atempause. Frankfurt a.M.: Fischer 1998. Gerhard, Ute: »Für ein dynamisches und partizipatorisches Konzept von Grundund Menschenrechten auch für Frauen«, in: Das Argument, Jg. 42 (2000), Heft 234 (»Wie universell sind die Menschenrechte?«), Berlin 2000, S. 9-23. Graff, Ulrike: Selbstbestimmung für Mädchen. Theorie und Praxis feministischer Pädagogik, Königstein: Ulrike Helmer 2004. Hall, Stuart: »The Question of Cultural Identity«, in: Hall, Stuart/Held, David/McGrew, Tony (Hg.), Modernity and its Futures. Cambridge: Polity Press 1992, S. 273-326. Hark, Sabine: Dis/Kontinuitäten. Feministische Theorie, Opladen: Leske + Budrich 2001. Hark, Sabine: Queer Interventionen, in: Feministische Studien, Jg. 11 (1993), Heft 2 (»Kritik der Kategorie ›Geschlecht‹«), S. 103-109. Hartmann, Jutta: Vielfältige Lebensweisen. Dynamisierungen in der Triade Geschlecht – Sexualität – Lebensform, Opladen: Leske + Budrich 2002. Haug, Frigga: »Gender – Karriere eines Begriffs und was dahinter steckt«, in: Hertzfeld, Hella u.a. (Hg.), GeschlechterVerhältnisse. Analysen aus Wissenschaft, Politik und Praxis, Berlin: Dietz 2004, S. 15-32. Hauskeller, Christine: Das paradoxe Subjekt. Widerstand und Unterwerfung bei Judith Butler und Michel Foucault, Tübingen: edition diskord 2000. Hertzfeld, Hella/Schäfgen, Katrin/Veth, Silke (Hg.), GeschlechterVerhältnisse. Analysen aus Wissenschaft, Politik und Praxis, Berlin: Dietz 2004. Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Klinger, Cornelia: »Radikalfeminismus, Science Fiction und das Verhältnis zur Natur«, in: Karen Nölle-Fischer (Hg.), Zukunft, gibt’s die? Feministische Visionen für die neunziger Jahre, München: Frauenoffensive 1989, S. 155-173. Kopytoff, Igor: »Women’s Roles and Existential Identities«, in: Sanday, Peggy Reeves/Goodenough, Ruth Gallagher (Hg.), Beyond the second sex: new directions in the anthropology of gender. Philadelphia 1991, S. 75-98. Landweer, Hilge: Das Märtyrerinnenmodell, Pfaffenweiler: Centaurus 1990.
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Über den (möglichen) Beitrag der Ps ychoanal ys e z ur Geschlechterforschung BARBARA RENDTORFF
»Freuds Lehre und der Feminismus sind auf demselben Nährboden gewachsen« – so beginnt Shulamith Firestone 1970 (in ihrem vom deutschen Verlag als »wichtigstes Manifest der neuen Frauenbewegung der USA« angekündigten Buch »Frauenbewegung und sexuelle Revolution«) ihre Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse –, »beide waren zu gleicher Zeit Reaktionen auf die jahrhundertelange, wachsende Privatisierung des Familienlebens, mit seiner extremen Unterdrückung der Frauen, seiner sexuellen Repression und den daraus entstehenden Neurosen.« Zunächst waren die emanzipativen Frauenbewegungen der 1920er Jahre auch sehr erfolgreich, verharrten aber ab einem gewissen Zeitpunkt in einer eigenartigen Stellung: »Eine erwachte Klasse, die nicht wusste, was sie mit ihrem Bewusstsein anfangen sollte.«1 Dass die Psychoanalyse dagegen in den USA zur »Religion unserer Tage« avancierte, sei, so Firestone, ein Sieg der Psychoanalyse über den Feminismus, die »als kleineres von zwei Übeln« funktional gemacht werden konnte mit Hilfe ihrer Banalisierung durch »neo-konservative Revisionisten«, die die Anpassung an die gegebenen Verhältnisse zum Ziel der Kur erklärten, so dass die alte Freudsche Psychoanalyse, ihrer Brisanz entkleidet, »dazu benutzt [wurde], den feministischen Aufstand auszulöschen«.2 Dass Firestone vorrangig daran interessiert ist, die Fixierung der Feministinnen auf psychische geschlechtliche Strukturen und Befindlichkeiten aufzulösen und durch das Engagement in politischen Organisationen zu ersetzen, lässt sie eine problematische Richtung einschlagen, die mit dem
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Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt a.M.: Fischer 1975, S. 43, 61f. Ebd., S. 69.
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Ziel der »Befreiung der Frau von der Tyrannei der Fortpflanzung durch jedes nur mögliche Mittel«3 das Weibliche biologisiert und verwirft, und verführt sie zu einer tendenziösen und verkürzenden Lektüre Freuds. Dennoch ist ihre Haltung gegenüber der Psychoanalyse deutlich ambivalent: Sie sieht einerseits sehr wohl, dass ›da etwas ist‹, und weist es zugleich aufgrund ihrer Auffassung von politischer Strategie von sich; sie sieht die Banalisierung der Psychoanalyse durch Freuds Nachfolger und die Interessen der Gesellschaft, sich dieses Instrument zunutze zu machen, und gibt doch seinem »Unvermögen, die Gesellschaft selbst in Frage zu stellen«, die Schuld an dieser Entwicklung.4 Ähnliche Argumentationsfiguren finden sich auch bei anderen Feministinnen der ersten Stunde, so konstatiert etwa Kate Millett (1971): »Wohl gingen die unglücklichen Übertreibungen eines vulgären Freudianismus weit über Freuds Absichten hinaus, doch fand der Anti-Freudianismus in Freuds Werk seine Ausgangsbasis.«5 Dieser Aufsatz ist im übrigen ein sehr beeindruckendes Zeitzeugnis, weil er exemplarisch verdeutlicht, wie die durch die Erkenntnis der gesellschaftlichen Unterdrückung von Frauen evozierte Empörung auch in tendenziöse Lesarten des Vorgefundenen münden kann. Auch Gayle Rubin schrieb in ihrem vieldiskutierten Aufsatz zur »politischen Ökonomie von Geschlecht« 1975, dass die »radikalen Implikationen« von Freuds Theorie sowohl von ihren Adepten als auch den Kritiker/ -innen in der Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegung »radikal unterdrückt«, uminterpretiert und verschoben wurden, »bis das Potential für eine kritische psychoanalytische Gendertheorie nur noch in den Symptomen ihrer Verleugnung sichtbar wurde – eine komplexe Rationalisierung von unhinterfragten Geschlechterrollen.« Deshalb nennt sie die Psychoanalyse eine »verhinderte feministische Theorie«.6 Dass die Psychoanalyse seit Beginn der Frauenbewegungen heftige, teilweise radikal ablehnende, teilweise auch ambivalente und kontroverse Reaktionen nach sich gezogen hat, hat sicherlich zwei einfache Gründe. Zum einen ist die Sexualität, besser: das Sexuelle für beide das zentrale Thema (auch da, wo es nicht explizit im Vordergrund steht) ihrer Verstehens- und Verfahrensweisen – denn zumindest für die frühe feministische Bewegung spielte die Analyse des eigenen Denkens und Fühlens eine entscheidende Rolle, sobald klar geworden war, dass die gesellschaftliche
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Ebd., S. 191. Ebd., S. 47. Kate Millett: »Freud und der Einfluss der Psychoanalyse«, in: Sexus und Herrschaft, München: Desch 1971, wieder abgedruckt in: Carol HagemannWhite: Frauenbewegung und Psychoanalyse, Frankfurt a.M.: Roter Stern 1979, S. 277-321, hier S. 280. Gayle Rubin: The Traffic in Women: Notes on the ›Political Economy‹ of Sex, in: Rayna Reiter (Hg.), Toward an Anthropology of Women, New York 1975; deutsch in: Gabriele Dietze/Sabine Hark (Hg.), Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Königstein: Helmer 2006, S. 93.
ÜBER DEN (MÖGLICHEN) BEITRAG DER PSYCHOANALYSE | 123
Benachteiligung von Frauen viel mehr eine Sache der Überzeugungen und des Glaubens aller Beteiligten an (vermeintliche) naturhafte Geschlechtsaspekte war, also mehr ein Problem der symbolischen Ordnung als nur der gesellschaftlichen Machtverteilung. So setzten die Frauen auf Veränderung durch Selbstreflexion und Selbst-Veränderung und durch kollektive Selbstbetrachtung z.B. in den Selbsterfahrungsgruppen der ersten Jahre. Die andere Schwierigkeit liegt darin, dass Geschlechtlichkeit und gesellschaftliche Geschlechterordnung so unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass jede politisch-emanzipative Bewegung die kulturellen und symbolischen Konzepte von männlich und weiblich tangiert und jede wissenschaftliche Thematisierung von Geschlecht auch die Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft berührt – und da waren sich Feminismus und Psychoanalyse hinsichtlich ihrer Ziele und des Beitrags der Psychoanalyse zu diesem Themenkomplex zutiefst uneinig. Die feministischen Leserinnen Freud übersehen dabei oftmals, dass das psychoanalytische Theoriemodell weit weniger starr und festgelegt ist, als die flüchtige und kursorische Lektüre (oder die Lektüre vereinfachender Sekundärtexte) es erscheinen lassen mag. Freuds Werk ist aber (erfreulicherweise) dadurch gekennzeichnet, dass es sich ständig in fortschreitender Entwicklung befindet, man sieht, wie sich die Gedanken entwickeln, wie Vermutungen überprüft und Irrwege erkannt werden, und er teilt auch seine vorläufigen Einschätzungen getreulich mit – die Beschränkung der Lektüre auf einige, insbesondere auf frühe Texte führt also gerade auch in Bezug auf das Konzept von Weiblichkeit zu deutlichen Verkürzungen, zumal Freud selbst mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass wohl jeder »von innerlich tief begründeten Vorlieben beherrscht [werde], denen er mit seiner Spekulation unwissentlich in die Hände arbeitet.«7 Wir sehen hier einen Autor, der um die Vorläufigkeit zumindest einiger seiner Theorieaspekte weiß (der sie aber da, wo er sich seiner Sache sicher ist, selbstbewusst vertritt) – und so verfährt auch die Psychoanalyse selbst: Sie betrachtet den Menschen als jemanden, der die Gründe seines Handelns nur teilweise kennt, während ihm ganze Bereiche des unbewussten Antriebs seines Handelns verborgen bleiben, die gleichwohl aber wirksam sind – nicht nur durch die in die Umgangssprache eingegangenen »unbewussten Wünsche«, sondern indem sie unser bewusstes Handeln begleiten, irritieren durch ein »winziges Zögern vor dem Sich-Schließen des Gedankens«,8 oder seine Richtung ablenken. Sie interessiert sich dabei für die spezifische Wirkungsweise und ›Formbestimmtheit‹ des Unbewussten – ein Aspekt, der dann insbesondere von Lacan weiterentwickelt wird.
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Vgl. Sigmund Freud: »Jenseits des Lustprinzips«, in: Studienausgabe Bd. III, Frankfurt a.M.: Fischer, S. 268. Vgl. Rolf Peter Warsitz: Zwischen Verstehen und Erklären. Die widerständige Erfahrung der Psychoanalyse bei Karl Jaspers, Jürgen Habermas und Jacques Lacan, Würzburg: Königshausen & Neumann 1990, S. 222.
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Deshalb geht also die Psychoanalyse davon aus, dass das Handeln des Menschen (auf nicht gänzlich verstehbare Art und Weise) Ausdruck seiner subjektiven Erfahrungen ist und daher mit den Strukturen seiner gesellschaftlichen Umgebung wie auch den Gegebenheiten seines Körpers und seiner Geschlechtlichkeit aufs Engste verknüpft ist. Sie betont also das »Naturmoment menschlicher Leibgebundenheit« ebenso wie die Tatsache, dass die »Bildung des Subjekts [] zu jeder Zeit Aushandlung des Konflikts zwischen innerer Natur und Gesellschaft« ist, und sie will diesen Konflikt »aufklären, nicht schlichten«.9 »Die Psychologie entsteht im Feld der metaphysischen Spaltung Psyche/Soma, die Psychoanalyse dagegen aus dem Untergraben einer solchen Zweiteilung.« Wenn die Psychoanalyse »etwas Neues zu sagen hat, dann über den Körper.«10 Durch seine Nachfolger/-innen sind Freuds Theoriemodell und -ansätzen einige Umdeutungen zugefügt worden, die diesen zentralen Ausgangsgedanken teilweise außer Kraft setzen oder überdecken wollen, indem sie die Wirkungen des Unbewussten missinterpretieren, wenn sie beispielsweise suggerieren, das Aufdecken von Vergangenem könne zu einer letztendlichen Beruhigung führen oder »das Chaos der Triebe zur Ordnung erziehen« wollen11 – und diese bewegen sich weitaus stärker in einer Logik der Gegenüberstellung von Gelingen und Misslingen, als dies in Freuds Perspektive lag. So kritisiert Lacan in scharfen Worten insbesondere die Ich-Psychologie für ihre Umdeutungen, ihr Zielen auf ›success‹ und ›happiness‹ und ihre Zähmung des Unbewussten, so dass in seinen Augen zugespitzt formuliert »die amerikanische Psychoanalyse keine Psychoanalyse ist«.12 Denn aus der ›alten‹ Freudianischen Perspektive geht es der Psychoanalyse niemals darum, eine Richtung vorzugeben, sie will auch keine Ziele formulieren und vor allem hat sie niemals behauptet, dass die verstörende und unkontrollierbare Wirkung des Unbewussten jemals aufhören würde – denn das wäre der psychische Tod des Subjekts. Sie hält so gesehen weder den Trost letztendlicher Beruhigung oder Befriedigung bereit, noch das Versprechen, sich selbst vollständig kennen oder beherrschen zu können. Hier zeigt sich nun bereits ein Aspekt, der die Psychoanalyse zu einer interessanten Verbündeten für die Geschlechterforschung machen könnte: sie unterstützt nicht ein normatives Vergleichen, sondern entlastet gerade-
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Hans-Joachim Busch: »Kritische Theorie des Subjekts und emanzipatorische Praxis. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Psychoanalyse«, in: Oliver Decker/Christoph Tücke (Hg.), Kritische Theorie – psychoanalytische Praxis, Gießen: Psychosozial 2007, S. 172f. 10 Ricardo Rodulfo: Kinder – gibt es die? Die lange Geburt des Subjekts, Freiburg: Kore 1996, S. 288. 11 Vgl. Lilian Berna-Siemons: »Kindheit – Konstruktion – Deutung«, in: Arbeitshefte Kinderpsychoanalyse 16 (1992), S. 100. 12 Christoph Braun: Die Stellung des Subjekts in Lacans Psychoanalyse, Berlin: Parodos 2005, S. 291, 311.
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zu von der Orientierung an den Maßstäben anderer (z.B. von Männern für Frauen), sie legt nicht fest, wie jemand sein solle, sondern hält Entwicklungen in ihrem Ausgang prinzipiell offen und beweglich. Doch ist die Psychoanalyse ja aus feministischer Sicht nicht auf dieser, ihrer strukturellen Ebene kritisiert worden, sondern vor allem und explizit für Freuds Konzeption des Weiblichen. Diese Kritik kreist im Wesentlichen um den Vorwurf, dass das männliche Geschlecht in einer Vorrangstellung gesehen werde, während das weibliche als abgeleitetes, marginalisiertes und vor allem durch den Penismangel als defizitär konzipiert werde. Außerdem bezieht sich die Kritik oft auf das Konzept des Penisneids, Freud Beschreibung des Babys als Penisersatz für Mädchen und Mutter, die Bedeutung der Mutterschaft für die Frau und ihren möglichen schuldhaften Beitrag zur kindlichen Entwicklung. Es geht mir im Folgenden nicht darum, Freud gegen seine Kritiker/ -innen in Schutz zu nehmen, auch nicht darum, die berechtigten Hinweise auf Schwachstellen und die Einflüsse patriarchalischen Denkens auf die Theoriebildung zu unterschlagen – zweifellos gehört Freud zur »patrizentrischen« Linie der Psychoanalyse.13 Mich interessiert an dieser Stelle vorrangig, ob und inwiefern wir trotz dieser Kritiken in der Geschlechterforschung etwas mit der Psychoanalyse anfangen können. Und dafür ist es nicht unwichtig, zu überprüfen, ob die kritischen Abrechnungen mit der Psychoanalyse angemessen sind und ob es sich bei den inkriminierten Passagen um zentrale psychoanalytische Theoriebausteine handelt oder eher um Aspekte, die man mit Freud gegen Freud lesend auch anders interpretieren und deshalb auch in eine andere Richtung weiterführen könnte. Damit steht und fällt auch die Frage, inwieweit wir der Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie durch (den ebenfalls patrizentrischen) Lacan vertrauen können. In seiner frühen Schrift (1905) »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« beschreibt Freud die sexuelle Entwicklung, ohne dabei die Unterschiedlichkeit der Geschlechter zum zentralen Thema zu machen. Er ist hier sogar deutlich zurückhaltend, z.B. wenn er, im Konjunktiv verbleibend, schreibt: »Ja, wüsste man den Begriffen ›männlich‹ und ›weiblich‹ einen bestimmteren Inhalt zu geben, so ließe sich…«14 usw. In einer zehn Jahre später hinzugefügten Fußnote heißt es noch einmal ganz explizit, dass die Begriffe weiblich und männlich keineswegs so »unzweideutig« seien, wie
13 Vgl. Franz Zimmermann: »Über die Begrenztheit der psychoanalytischen Theorien, dargestellt am Beispiel der Thematisierung der Geschlechterdifferenz durch die Theorien von Freud, Rank, Ferenczi, Klein und Lacan«, in: PSYCHE 61 (2007), S. 252-281, hier S. 258. 14 Vgl. Sigmund Freud: »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905), in: StA. Bd. V, S. 123.
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allgemein angenommen, dass sie zu den »verworrensten« Begriffen der Wissenschaft gehören und dass überhaupt »weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird«,15 diese blieben »theoretische Konstruktionen mit ungesichertem Inhalt«.16 In dem bald darauf geschriebenen Text »Die ›kulturelle‹ Sexualmoral und die moderne Nervosität« von 1908 geht es um den gesellschaftlichen Beitrag zur Formung des Sexualverhaltens, wobei Freud hier betont, wie die Frauen unter der repressiven gesellschaftlichen Sexualmoral zu leiden hätten und dadurch »an schweren und das Leben dauernd trübenden Neurosen erkranken«, während Männer sich mit Hilfe der »doppelten Sexualmoral« retten können, die die Gesellschaft für sie bereithält, und an der man ja erkennen könne, »dass die Gesellschaft selbst, welche die Vorschriften erlassen hat, nicht an deren Durchführbarkeit glaubt.«17 Auch dies klingt deutlich vorsichtiger als meistens unterstellt. Diejenigen Texte, in denen Freud sich dann explizit und ausführlich mit der Geschlechterunterscheidung befasst, sind v.a. »Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds« von 1925 und der Text »Über die weibliche Sexualität« von 1931, der v.a. die Bedeutung der frühen Mutterbindung für das Mädchen herausarbeitet, wobei er die »überraschende« Entdeckung der Wichtigkeit der präödipalen Vorzeit für das Mädchen (immerhin war er bereits 75 Jahre alt!) mit der »Aufdeckung der minoisch-mykenischen Kultur hinter der griechischen« verglich.18 Gerade in diesem letzteren Text wird immer wieder deutlich, dass es Freud in seinem Theoriemodell immer und in erster Linie um die psychischen Repräsentanzen anatomischer Gegebenheiten ging und nicht um deren unterstellte direkte Eigenwirkung (auch wenn er selber das nicht immer korrekt einhält). So arbeitet er z.B. deutlich heraus, dass die Mutter nicht als individuelle gegenüber dem Kind versagt, sondern dass sie angesichts der Gier der kindlichen Libido notwendig versagen muss, und dass dies ein Strukturaspekt jener ersten Beziehung zur Mutter ist. Auch die häufig kritisierte Formulierung, das ›kleine Mädchen sei ein kleiner Mann‹, klingt im Kontext des Originals weniger vereindeutigend als in der Rezeption. Denn Freud beschreibt in diesem Abschnitt, dass das kleine (präödipale) Mädchen nicht weniger intelligent sei (eher etwas »lebhafter« als der Knabe), dass ihre aggressiven Impulse »an Reichhaltigkeit und
15 Ebd. 16 Bruce Fink: Das Lacansche Subjekt. Zwischen Sprache und jouissance, Wien: Turia + Kant 2006, S. 140. 17 Sigmund Freud: »Die ›kulturelle‹ Sexualmoral und die moderne Nervosität« (1908): in: StA. Bd. IX, S. 9-32, hier S. 24, 25. 18 Sigmund Freud: »Über die weibliche Sexualität« (1931), in: StA. Bd. V, S. 276. Die beiden letztgenannten Texte bilden auch die Grundlage für die berühmte 33. Vorlesung »Die Weiblichkeit«, der fünften in der »Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« von 1933 (vgl. StA. Bd. II).
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Heftigkeit nichts zu wünschen übrig lassen«, dass sich das kleine Mädchen mit ihrer Klitoris ebenso wie der kleine Junge mit dem Penis »lustvolle Sensationen« verschafft und insgesamt der Unterschied zwischen den Geschlechtern gegen ihre Übereinstimmung zurücktrete. In diesem Kontext soll die inkriminierte Formulierung deshalb heißen: bis hierher sind Mädchen und Jungen nicht qua Geschlecht unterschieden hinsichtlich ihrer Lust und Aktivität. Da, wie wir wissen, für Freud die männliche Entwicklung die Vorlage für die »normale« Entwicklung ist, steht dann hier in der Tat jener kritisierte Satz. Doch wichtiger ist an dieser Stelle, dass der Unterschied zwischen weiblich und männlich eben nicht von hier aus abgeleitet wird und nicht aus einer Gegenüberstellung von aktiv und passiv, wie es oft zu lesen ist, denn Freud warnt hier und anderswo stets ausdrücklich davor, aktiv und passiv mit männlich und weiblich gleichsetzen zu wollen: das solle man tunlichst »vermeiden«, es sei »unzweckmäßig« und bringe »keine neue Erkenntnis«.19 Möglicherweise ist die Dimension, die am schwersten zu verstehen ist, dass es sich bei der Psychoanalyse um ein Strukturmodell handelt, dass sie nicht von individueller Schuld, realem oder verantwortetem Mangel handelt, und dass für sie auch konkrete Ereignisse nicht an sich von Wichtigkeit sind, sondern immer nur sofern sie in die psychische Strukturbildung eingegangen sind, und insofern bei jedem Menschen ganz eigene und unvorhersehbare Effekte auslösen. Die Psychoanalyse ist weit entfernt davon, das Subjekt als »determiniert« zu begreifen, oder als Opfer seiner frühkindlichen Erfahrungen – im Gegenteil: zwar desillusioniert das Konzept des Unbewussten die Vorstellung eines authentischen, rationalen ›freien Willens‹, aber gerade weil es nicht als ein konkretes ›Wissen‹ begriffen wird, sondern als Struktur, »im Wartestand«,20 weil es etwas dynamisch Unbestimmtes und Diskontinuierliches an sich hat, ist es eben nicht vollständig unterworfen. Dies ist in der Ethik der Psychoanalyse die unbedingte und unteilbare Freiheit des Subjekts (und zentrales Thema der Psychoanalyse Jacques Lacans21). Gerade dieser Aspekt von Unbestimmbarkeit macht die Psychoanalyse bei allen inspirierenden Impulsen auf die Geschlechterforschung (und auf die Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre) aber auch so völlig ungeeignet als politische Ratgeberin. Dieser Umstand hat das Verhältnis der emanzipationsinteressierten Frauen zur Psychoanalyse nachhaltig gestört, in der ›neuen‹ Frauenbewegung ebenso wie in den zwanziger Jahren.
19 S. Freud: Weiblichkeit, S. 547ff. 20 Jacques Lacan: Das Seminar Buch XI, Weinheim: Quadriga 1987, S. 29ff. 21 Vgl. z.B. Jacques Lacan: Das Seminar Buch VII, Weinheim: Quadriga 1996; Bruce Fink: Subjekt; Ch. Braun: Subjekt; Markus Verweyst: Das Begehren der Anerkennung. Subjekttheoretische Positionen bei Heidegger, Sartre, Freud und Lacan, Frankfurt a.M.: Campus 2000.
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Man kann nämlich durchaus den Eindruck gewinnen, dass schon damals manche der konkretisierenden und festlegenden Lesarten von Freuds Texten und Theorieansätzen zumindest teilweise eher Interpretationen, Zuspitzungen oder Umgewichtungen der Leserinnen und Schülerinnen Freuds waren. Gerade die Konzeption von Weiblichkeit wird dabei – teilweise vermeintlich in Freuds Sinne, wie bei Helene Deutsch, teilweise aus einer Kritik heraus, wie von Karen Horney – auf eine einengende, verkürzende und vereindeutigende Weise rezipiert. Das ist zumindest bei den feministisch engagierten Autorinnen historisch verständlich und vielleicht verzeihlich, führte aber z.B. bei Horney einerseits zu einer biologistischen Annahme einer ›wahren‹ Weiblichkeit, und zu einer kulturalistischen Deutung psychoanalytischer Theoreme als einfachem Ausdruck patriarchalischer Machtansprüche, aus der dann der Stoff für ihre Einwände geformt wurde.22 Juliet Mitchell, eine Autorin, die immer differenziert, kritisch und kenntnisreich die psychoanalytische Theorie verteidigt hat, hat schon in den 1970er Jahren diese Umdeutungen herausgestellt und mit harschen Worten kritisiert. Sie attestiert Helene Deutsch ein »widerwärtiges Psychologisieren« (»distasteful«, schreibt sie), das zur Theoriebildung nichts beigetragen habe, wohl aber einer normativen Moral und untergründigem Biologismus den Weg geebnet habe, und auch Karen Horney gehe es v.a. um die moralische Bewertung der von Freud beschriebenen Unterschiede.23 Für den entscheidenden Differenzpunkt in der in den 20er Jahren geführten (und in die Theoriegeschichte als »Freud-Jones-Debatte« eingegangenen) Auseinandersetzungen hält sie die Tatsache, dass Horney und Jones, weil sie die biologische und die psychische Realität zu eng miteinander verlöten würden, den in ihren Augen ›ungerechten‹ Ausführungen Freuds auf einer Ebene der kulturellen und sozialen Realität begegneten, während Freud immerfort dazu mahnt, klarer zwischen Seelischem und Biologischem zu unterscheiden und die Psychoanalyse von der Biologie, der Anatomie und Physiologie klarer zu trennen.24 Karen Horney ihrerseits richtet sich mit ihren Einwänden, dass der sogenannte »Männlichkeitskomplex« der Frauen als eine sekundäre Bildung, als Reaktion auf männliche Entwertungstendenzen zu interpretieren sei, neben Freud vor allem gegen Helene Deutsch, also gegen eine Position, die Freud gegenüber als vereindeutigend beschrieben werden kann, was Horneys Einwänden naturgemäß eine andere Färbung gibt. 22 Vgl. Karen Horney: »Flucht aus der Weiblichkeit. Der Männlichkeitskomplex der Frau im Spiegel männlicher und weiblicher Betrachtung« (1926), in: Carol Hagemann-White: Frauenbewegung und Psychoanalyse, Frankfurt a.M., Stroemfeld/Roter Stern 1979, S. 129-146. 23 Vgl. Juliet Mitchell: Psychoanalyse und Feminismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1976, S. 156. 24 Vgl. J. Mitchell: Psychoanalyse, S. 161; vgl. auch Elfriede Löchel: Verschiedenes. Untersuchung zum Umgehen (mit) der Differenz in Theorien zur Geschlechtsidentität, Diss. Frankfurt a.M. 1987, S. 69ff.
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Doch waren es natürlich gerade die kulturalistischen Einwände gegen die Psychoanalyse, die in der Zeit der Neuen Frauenbewegung Einfluss auf die Debatten nahmen – nicht zuletzt weil nicht viele der Beteiligten sich überhaupt mit den Primärtexten befassten. Die (feministische) Geschlechterforschung und -theoriebildung, die in den späten 1960er Jahren entstand und mit der Frauenbewegung einen enormen Aufschwung bekam, war naturgemäß dringend daran interessiert, Theorien zu bezweifeln, die auf eine Minderwertigkeit des Weiblichen hinausliefen,25 oder die Unterlegenheit bzw. Unterordnung der Frauen unter die Männer zu legitimieren schienen, und noch später, gegen Ende der 1980er Jahre, fragen die Autorinnen auch, inwiefern die durch die Frauenbewegung induzierten gesellschaftlichen Veränderungen nun eine Reformulierung psychoanalytischer Grundannahmen nötig machten.26 Es entstanden in dieser Zeit eine ganze Reihe von feministischen (oder an Geschlechterforschung interessierten) Texten, sowohl im engeren Sinne psychoanalytische als auch zunehmend solche, die psychoanalytische Denkfiguren in andere Theorien übertrugen – v.a. in die Literatur- und Kulturwissenschaft – oder sich Freuds Texte mit explizit dekonstruktivistischer Absicht vornahmen. (Dies hier auszuführen und zu würdigen, wäre unmöglich.) Zum Teil tauchen hier dieselben Fragen, Einwände und Knotenpunkte auf, wie sie schon in den zwanziger Jahren theorieleitend waren, aber oftmals sind sie angeschärft durch die politischen Erfahrungen der Frauenbewegung und den durch diese erweiterten Blick der Autorinnen. Zentrale Aspekte sind beispielsweise die Frage nach einer originären Weiblichkeit, die Haltbarkeit von Freuds These der Unkenntnis des kleinen Mädchens in Bezug auf die Vagina, das weibliche Lustempfinden, das Verhältnis des kleinen Mädchens zu Mutter und Vater vor und in der ödipalen Krise, die Frage einer spezifischen weiblichen Über-Ich-Bildung und eines weiblichen Schuldgefühls. Die Frauenbewegung hatte ja als ihr vielleicht wichtigstes Kennzeichen zunächst bei den beteiligten Frauen einen enormen Schrecken ausgelöst: vor jeder Empörung gegen diverse Ungerechtigkeiten stand die sozusagen ›schockartige‹ Erkenntnis, dass Frauen umfassend und seit Menschengedenken als ein ›abgeleitetes‹ Geschlecht den ›zweiten‹ Platz nicht nur im gesellschaftlichen öffentlichen Leben, sondern v.a. auch in den kulturellen Denkweisen über Menschen und ihre Lebensäußerungen hatten. Dieser Schrecken führte verständlicherweise zu dem Impuls, eine Art Gerechtigkeit herzustellen (und zuweilen auch: Wiedergutmachung zu fordern). Politisch ließ sich Gerechtigkeit nicht anders denken als auf der Basis von Gleichheit – und infolgedessen (auch wenn der Zusammenhang hier grob verkürzt ist) wird die Literatur dieser Jahre ganz maßgeblich von 25 Vgl. z.B. Janine Chasseguet-Smirgel (Hg.), Psychoanalyse der weiblichen Sexualität (1964), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974. 26 Vgl. z.B. Shahla Chehrazi: »Zur Psychologie der Weiblichkeit«, in: PSYCHE 42 (1988), S. 307-327, hier S. 212.
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der Tendenz bestimmt, Parallelen, noch dazu gleichwertige, zwischen der Entwicklung zur Weiblichkeit und zur Männlichkeit zu suchen, zu konstruieren, die als negativ eingeschätzten Aspekte der psychoanalytischen Theorie neu zu diskutieren, zu bestreiten und anders zu bewerten. Auch die Studentenbewegung hatte sich zuvor viel auf die Psychoanalyse bezogen, nicht zuletzt infolge der insbesondere von der Kritischen Theorie eng verbundenen Diskussionen über Psychoanalyse und Marxismus als Analyseinstrumente für den autoritären Charakter der bürgerlichen Gesellschaft und insbesondere des Mannes. Diese politischen Interessen hatten in der Beschäftigung mit der Psychoanalyse zu einer Versoziologisierung des Blicks, der Auffassungen von psychoanalytischen Konzepten wie auch von Sexualität, Geschlechterverhältnissen und Identitätsbildung geführt – an diese knüpfte nun auch die Frauen-/Geschlechterforschung an, und damit waren die kommenden Verständigungsschwierigkeiten gewissermaßen vorprogrammiert. Denn wo es Soziologie und Politik darum geht, zu erklären, wie die (gesellschaftlichen) Zusammenhänge funktionieren, dass und wie die Internalisierung von Normen zum Funktionieren gesellschaftlicher Abläufe beitragen, und wie sie sich planen und steuern lassen, da macht die Psychoanalyse ja das genaue Gegenteil: sie zeigt, dass all das nicht funktioniert, dass die Subjekte weder ihre Triebenergien noch deren unbewusste Wirkrichtungen (Lacan würde sagen: ihr Begehren) ›im Griff haben‹. Und weil es in der Perspektive der Psychoanalyse keine Kontinuität des Seelenlebens gibt, kann es auch keine stabile sexuelle Identität geben,27 zumal das kognitive ›Wissen‹ um die eigene Geschlechtszugehörigkeit ja nicht notwendig in eine widerspruchsfreie Geschlechtsidentität mündet.28 Eine solche Auffassung von Subjekt und Identität musste also kollidieren mit dem Wunsch nach politischer Planbarkeit und Emanzipation durch Steuerung der Verhältnisse. Dazu kommt, dass Freud bis zuletzt, auch nachdem er nach 1925 deutlich vorsichtiger und differenzierter in Bezug auf sein Verständnis von Weiblichkeit geworden war, beharrlich darauf bestanden hatte, dass sich die psychosexuelle Entwicklungen von Mädchen und Jungen nicht als Parallele denken lässt,29 wie ja überhaupt Männlichkeit und Weiblichkeit merkwürdig bewegliche, instabile Bildungen seien (auch wenn er selbst allzu oft Penis und Phallus bzw. Phallus-Haben mit »Mann-Sein« verwechselt30), die letztlich aus ihrer Verschiedenheit zueinander generiert werden. (So lehnte Freud ja auch Jungs Konzept eines parallel zum Ödipus 27 Vgl. Jacqueline Rose: Sexualität im Feld der Anschauung, Wien: Turia + Kant 1996, S. 94. 28 Vgl. Wolfgang Mertens: Entwicklung der Psychosexualität und der Geschlechtsidentität, 2 Bde., Stuttgart: Kohlhammer 1994, Bd.1, S. 50f. 29 Vgl. Sigmund Freud: Sexualität, S. 276, wo es heißt: »Alle Erwartungen eines glatten Parallelismus zwischen männlicher und weiblicher Sexualitätsentwicklung haben wir ja längst aufgegeben.« 30 Vgl. ebd., S. 279.
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gedachten »Elektrakomplexes« ab.31) Auch in dieser Hinsicht schien die Psychoanalyse also ein Hemmschuh auf dem Weg zur Gleichberechtigung und den an Gleichheit orientierten Emanzipationsvorstellungen des größten Teils der Frauenbewegung zu sein – es ist daher bedauerlich, dass die politisch/feministischen Debatten sich auf die Frage konzentrierten, wie Frauen »sind«, und nicht die Psychoanalyse als Theorie für die Weiterentwicklung der Fragen der Geschlechtsidentität nutzen konnten. In der Nach-Frauenbewegungszeit haben dann einige Analytikerinnen theoretische Ausdifferenzierungen der Geschlechterauffassungen formuliert, die sich meist auf einzelne Aspekte (und dabei sehr häufig auf den Penisneid) konzentrierten, die aber, soweit ich das erkennen kann, wenig rezipiert wurden und deshalb auch insgesamt die Theoriebildung nicht nachhaltig beeinflusst haben: z.B. die Anregung von Shahla Chehrazi, den Penisneid als Vollständigkeitswunsch aufzufassen (d.h. das kleine Mädchen wolle einen Penis »zusätzlich zu Vagina und Klitoris«;32 oder der Beitrag von Doris Bernstein, die die Beziehung des kleinen Mädchens zur Mutter durch die Nicht- (bzw. nur partielle) Sichtbarkeit des Genitales erschwert sieht, so dass das Mädchen sich nicht selbst von der Intaktheit des Körpers überzeugen könne, sondern »der Mutter glauben und vertrauen« müsse,33 was auf eine spezifische Schwierigkeit des Mädchens in der Autonomieentwicklung hinauslaufen würde. Die amerikanische Analytikerin Elizabeth Mayer argumentierte, dass Frauen nicht etwa nur an sich selbst etwas ›Fehlendes‹ bemerken würden, sondern ihrerseits Männer als »sealed over«, als versiegelt, verschlossen empfinden würden, weil diese keinen Zugang zu ihrem aus weiblicher Sicht als reichhaltig vorgestellten Körperinneren hätten.34 Auch sie betont, wie die anderen erwähnten Autorinnen, die These, dass Kinder die unterschiedliche genitale Ausstattung zunächst eben als unterschiedlich wahrnehmen und nicht von Beginn an die »Penislosigkeit«, also den »Mangel« des Mädchens als exklusiv empfinden – auch Freud hatte übrigens entsprechende Bemerkungen kleiner Mädchen erwähnt: »Hast Du auch ein Portemonnaie? Der Walter hat ein Würstchen, ich hab ein Portemonnaie.«35 Mayer verstärkt diesen Aspekt noch: »Mummy has a vulva … and Emily has a vulva … but Mummy, Daddy has something funny in his vulva!«36
31 Vgl. ebd., S. 278 (auch wenn hier möglicherweise auch die Konkurrenz zu Jung eine Rolle gespielt haben mag – vgl. W. Mertens: Entwicklung, Bd.2, S. 26). 32 S. Chehrazi: Weiblichkeit, S. 311. 33 Doris Bernstein: »Weibliche genitale Ängste und Konflikte«, in: PSYCHE 47 (1993), S. 530-559, hier S. 548. 34 Elizabeth L. Mayer: ›Everybody must be just like me‹: Observations on female castration anxiety, in: Intern. Journal of Psycho-Analysis 66/1985, S. 331-347, hier S. 345. 35 Sigmund Freud: Die Traumdeutung, StA. Bd. II, S. 366. 36 E.L. Mayer: Everybody, S. 345.
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Den Aspekt der Autonomie fasst auch Christina von Braun ins Auge: in dem komplexen Text »Nicht Ich« vertritt sie die These, dass die Sprache für beide Geschlechter unterschiedliche Bedeutung habe: Da im Verhältnis der Mutter zum Sohn beider Verschiedenheit als »andere Sexualwesen« bereits geklärt sei, bedürfe er nicht der Sprache, um sich von ihr abzugrenzen. Das kleine Mädchen jedoch brauche ein Hilfsmittel, um sich von der (allzu ähnlichen und nahen) Mutter zu unterscheiden und eine eigene sexuelle Identität zu erlangen. Sie kultiviere folglich früher und aus anderen Gründen den Gebrauch der Sprache. Wo der Junge die Sprache also erst braucht, um mit dem anderen (Geschlecht) in Beziehung zu treten, hat sie für das Mädchen zuallererst die Funktion der Unterscheidung als »konstitutives Element der sexuellen Identität« und Autonomieentwicklung.37 Hier könnte ein Ansatz liegen zum Verständnis der beobachtbaren früheren Sprachkompetenz kleiner Mädchen. Unabhängig von den Theoriedebatten im Kontext der feministischen und der Geschlechterforschung hatte sich in Frankreich seit den 1950er Jahren eine andere Strömung psychoanalytischer Theoriebildung entwickelt. Auch für ihren zentralen Protagonisten, den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan, dessen Programm es war, Freud mit Freud zu überdenken und weiterzudenken, und der dabei vor allem an der Struktur der psychoanalytischen Theorie gearbeitet hat, ist die Sprache ein ganz zentrales Strukturmoment der menschlichen Entwicklung. Lacan hat eine ganze Reihe neuer zentraler Begriffe und Strukturen erfunden und ins Spiel gebracht. Die für unser Thema vielleicht produktivste Innovation ist die strenge systematische Unterscheidung zwischen dem Realen, dem Imaginären (dem Register der Bilder und Vorstellungen) und der Ebene des Symbolischen, auf der die Bedeutung der Objekte ganz von ihrer konkreten Materialität gelöst ist. Dies lässt sich etwa am Beispiel des Vaters erläutern: die Unterscheidung zwischen dem »imaginären« Vater, der stark sein muss, um stärker als die Mutter zu sein (der »Schöpfer-Vater«38) und seiner symbolischen Funktion als demjenigen, der Mutter und Kind voneinander ›trennt‹ und ihnen untersagt, ein und alles für den anderen zu sein, sie dadurch voreinander schützt (und insofern auch als Trennender von ihnen ersehnt wird) – diese Unterscheidung gestattet es, das väterliche Handeln ebenso wie die Phantasien in Bezug auf den Vater differenzierter als nur auf ihrer konkret-anschaulichen Ebene zu verstehen.
37 Vgl. Christina von Braun: Nicht ich: Logik, Lüge, Libido, Frankfurt a.M.: Neue Kritik 1985, S. 156. 38 Vgl. Philippe Julien: »Die drei Dimensionen der Vaterschaft in der Psychoanalyse«, in: Edith Seifert (Hg.), Perversion der Philosophie. Lacan und das unmögliche Erbe des Vaters, Berlin: Edition TIAMAT 1992, S. 163-178, hier S. 176.
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Für Lacan sind Sprache und Sprechen insgesamt dadurch charakterisiert, dass sie zwar Beziehung ermöglichen, aber die Worte doch zugleich und vor allem auch immer Trennung und Verlust bedeuten, die Sprache als symbolisches System bringt also immer einen Verlust an sinnlicher Materialität, an Konkretion, an Vorstellung mit sich: das Wort ist immer ein »Mord an der Sache«. Das bedeutet, dass sich Beziehungen gerade durch das Mittel herstellen, das sie als vollständige (als (symbiotisches) Ineinander-Aufgehen) unmöglich macht. Lacan ist in vieler Hinsicht ein strukturalistischer Denker geblieben, aber zugleich sind das Unaufklärbare, das Nicht-Sagbare, das Immerschon-Verlorene usw. zentrale Figuren seines Theoriemodells, da ganz grundlegend immer das Nichtgelingende und Nichtpassende als das Produktive angesehen wird: Den Analytiker »interessiert immer gerade der Mangel an Entsprechung zwischen den Wörtern und den Dingen«.39 Das Lacansche Subjekt ist deshalb »durchgestrichen«, das heißt, es existiert nur als »gespaltenes«, von einem grundlegenden Mangel, von der Sprache als einem Riss durchzogenes – und ein Repräsentant dieses ursprünglichen Mangels ist die Geschlechterdifferenz. Lacans Einsatz beim Weiterdenken der Freudschen Psychoanalyse besteht vor allem darin, dass er Begriffe und Figuren aus der strukturalen Linguistik in sein Theoriegebäude überträgt und dort dem neuen Zweck entsprechend zu einer »Signifikanten-Theorie« umarbeitet. Der »Signifikant« ähnelt als Konzept in mancher Hinsicht Freuds »Vorstellungsrepräsentanz« und ist zentral für das Konzept der Strukturierung des Unbewussten. Lacan trennt die sprachlichen Elemente Signifikant (Bezeichnendes) und Signifikat (Bezeichnetes) voneinander ab, degradiert die ›Sachbedeutung‹ des Signifikats und konzentriert sich auf die Strukturwirkung des Signifikanten. Der Signifikant wird so als ein an sich bedeutungsloses Element aufgefasst, er entsteht »als die Markierung eines Ortes, an dem etwas anderes verschwunden ist«40 und bekommt seine Bedeutung erst als Differenz: in Bezug, in Verbindung mit anderen und Verweisung auf andere Signifikanten – er macht also Effekte, entwickelt ein »Kraftfeld«.41 Wenn ein Subjekt einem Signifikanten »unterstellt« wird, sei es in Form von Zuschreibungen wie »Du bist wie dein Vater«, »Er ist der Hübsche«, oder auch seine Position betreffend: »(m)eine Frau«, »der Herr Pfarrer« usw., dann ergeben sich daraus Erwartungen und Zwänge, Verbindungen und Bedeutungen, die aus der Gesamtheit der mit diesem Signifikanten für andere verbundenen Bedeutungen sowie dem Widerstand des Subjekts gegen diese Festlegungen emergieren. Nach diesem Konzept wird also alles Konkrete nur hinsichtlich seiner Bedeutung für anderes betrachtet. Das hat nun den unbestreitbaren Vorteil, dass man von hier aus eben nicht mehr 39 Zitiert bei B. Fink: Subjekt, S. 251. 40 Ebd., S. 245. 41 R. Rodulfo: Kinder, S. 24.
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fragen muss »Wie sind Frauen?« oder »Wie bin ich?«, sondern danach, was jemand für andere oder einen anderen repräsentiert, in Bezug auf andere und innerhalb des Systems der Signifikanten darstellt. Problematisch wird dieses Theoriemodell vor allem dadurch, dass es bei Lacan ein Element gibt, das aus der Struktur der Signifikanten herausragt, das alle anderen organisiert, und das ist der Phallus, der als »reiner« (»oberster«) Signifikant gewissermaßen das vollständige Genießen repräsentiert (hier gibt es eine Verbindung zu Freuds »Urvater«, der, nachdem die Söhne ihn getötet hatten, als Repräsentant des Inzestverbots und des psychoanalytischen Gesetzes »stärker als der lebende« geworden war42). Auch Lacan betont, dass es der Psychoanalyse nicht um die biologische Wirklichkeit (das reale Organ Penis) geht, sondern um die Vorstellung, die sich das Subjekt davon macht – insofern ist dieses Konzept ein Fortschritt gegenüber dem Totschlagsbegriff »Penisneid«, denn in Bezug auf den Phallus sind alle gleich: niemand »hat« ihn. Lacans zentrale Aussage zum Geschlechtsverhältnis ist nun, dass Frauen und Männer in Bezug auf den Phallus unterschiedlich positioniert sind (wobei weiblich und männlich nicht naturhaft, also als psychischer Ausdruck anatomischer Ausgangsbedingungen gedacht seien, sondern als Positionierungen innerhalb eines symbolischen Systems, so dass z.B. eine Person mit einem männlichen Körper durchaus in einer ›weiblichen‹ Begehrensposition sein kann). Diese unterschiedliche Positionierung führt dann notwendigerweise dazu, dass die Männer (über das Gesetz des Urvaters, die Kastration) einen direkten Zugang zum Gesetz (zum Geistigen) haben, die Frauen aber nicht. Das gibt der männlichen Position nicht nur ein anderes Gewicht, sondern privilegiert sie: »Die symbolische Ordnung in ihrem initialen Funktionieren ist androzentrisch. Das ist eine Tatsache«, schreibt Lacan (in einem allerdings recht frühen Seminar43). »Phallus« steht bei Lacan also als Signifikant für das Begehren und Genießen und zugleich für dessen Unerfüllbarkeit. Für dieses Konzept, das Kernstück seiner Theorie, ist Lacan vielfach kritisiert worden – einerseits auf philosophischer Ebene, weil mit dem Ausnahmesignifikanten Phallus ein metaphysisches Moment die Basis der Theorie bilde (so z.B. Derrida), und auch von feministischer und psychoanalytischer Seite, weil er damit Freuds phallozentrisches Denken festschreibe. Dagegen rücken die Lacanianer in letzter Zeit verstärkt ein anderes Moment der Konstruktion in den Blick: den Begriff »jouissance«, das Genießen. Systematisch betrachtet ist jouissance ein über die eigentliche Lust hinausgehendes (und deshalb verbotenes) Genießen – dies wird der Seite der Frauen zugerechnet und Lacan gerät am Beispiel der Mystikerinnen darüber geradezu in neidvolle Verzückung (was aber auch ein wenig wie ein verdächtiger Überschuss wirkt).
42 Sigmund Freud: Totem und Tabu, in: StA. Bd. IX, S. 333. 43 Jacques Lacan: Das Seminar Buch II, Weinheim: Quadriga 1991, S. 333.
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Das Genießen ist »jenseits des Phallus« situiert, d.h.: es ist außerhalb der symbolischen Ordnung (im »Realen«), und also ist es stumm. Es kann nicht kommuniziert werden. Die Mystikerinnen, die Lacan anführt, sind sozusagen in stummer, einsamer Verzückung – und gerade deshalb gibt es zu denken, dass sich in Lacans Loblied der jouissance auch so auffällig abfällige Töne mischen. Das sei doch »niedlich« (mignon), schreibt er, so ein Genießen jenseits des Phallus, von dem die Frau gleichwohl »nichts weiß« und nichts sagen kann, das würde doch dem MLF44 eine ganz andere »consistence« geben45 – und außerdem erinnert diese Aufteilung doch wieder sehr an die uralte Gegenüberstellung von Lust und Genießen als aktiv und passiv (von der doch Freud und Lacan immer wieder gesagt hatten, sie sei absolut nicht geeignet, die Geschlechterdifferenz zu repräsentieren) und wirkt ein wenig wie ein Trostpreis von zweifelhaftem Wert.46 Tragen wir also zusammen, was wir als Bausteine für eine Antwort auf unsere Ausgangsfrage gefunden haben. Zunächst einmal ist die Psychoanalyse eine Theorie, die den Menschen als Sexualwesen und als Sprachwesen auffasst. Sie betont in ihrem Bemühen, das Handeln von Menschen zu verstehen, die Leibgebundenheit und Strukturbezogenheit, das Unbewusste und die tendenzielle Unbestimmbarkeit menschlichen Handelns. Die Nähe und Ähnlichkeit zwischen Feminismus/Geschlechterforschung und Psychoanalyse liegt also zum einen darin, dass Sexualität und Geschlecht, Geschlechtsidentität und gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse für beide den zentralen Fokus darstellen, und dass beide darauf vertrauen, dass das Bewusstmachen der mit diesen verbundenen Strukturen, Begrenzungen und Verleugnungen gewissermaßen aus sich selbst heraus Veränderungen evozieren könnten. Das macht sie zu Verbündeten. Aber der Skandal der Psychoanalyse war ja von Anfang an ihr Angriff auf die Idee einer rationalen Selbststeuerungsfähigkeit des Menschen und seine Kontrolle über sich selbst und die Welt – also gewissermaßen auf das Herz des Humanismus.47 Die Frauenbewegung – als Impulsgeberin der Geschlechterforschung – wollte aber genau das: teilhaben an diesem Gestaltungsprojekt und selber an Gestaltungsmacht dazugewinnen. Das macht die Psychoanalyse zu ihrer natürlichen Gegnerin und ließ die feministische Bewegung sich enttäuscht von ihr abwenden, während sich die Psychoanalyse, vielleicht weil sie die Frauenthematik zu 44 Es handelt sich um die französische Frauenbewegung Mouvement de libération des femmes. 45 Jacques Lacan: Das Seminar Buch XX, Weinheim: Quadriga 1991, S. 81. 46 Übrigens heißt das wichtigste, mittlere Kapitel im o.a. Sem. XX., das sich wesentlich mit dem Geschlechterverhältnis befasst, »Gott oder das Genießen der Frau« – es ist sicher nicht unwichtig, diese Verbindung Urvater-PhallusGott-Mann im Auge zu behalten. 47 Vgl. z.B. Juliet Mitchell: Frauen – die längste Revolution. Feminismus, Literatur, Psychoanalyse, Frankfurt a.M.: S.Fischer 1987, S. 166f.
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sehr nur als eine gesellschaftspolitische verstanden hatte, sich weiterhin wenig für die damit verbundene Theorieproblematiken interessierte. Aus diesem wechselseitigen Desinteresse (oder: dieser gegenseitigen Enttäuschung) sind beide nach meinem Eindruck bis heute nicht herausgetreten. Produktive Momente, an denen die Geschlechterforschung ansetzen und weiterarbeiten könnte, sehe ich vor allem an drei Punkten. Da ist zum einen die produktive Unterscheidung der drei Register (RSI) – sie ermöglicht es, klarer zwischen den imaginären Bildern von weiblich und männlich und der Bedeutung der Geschlechterunterscheidung im Ganzen der symbolischen Ordnung zu differenzieren. Zweitens ist auch die radikale Ablehnung der Symmetrie bzw. Parallelität von weiblich und männlich fruchtbar: Sie entlässt uns aus der Fixierung darauf, die Frauen immer mit den Männern und ihren Positionen zu vergleichen. Damit wären aber auch alle Konzepte der Angleichung, des vergleichenden Bemessens und der Gleichheit vom Tisch, was uns dazu zwingt, Entwürfe von Gleichberechtigung auf andere Konzepte aufzubauen als auf Gleichheit. Drittens gibt uns die von der Psychoanalyse im Kern (bei allen Verirrungen im Einzelnen) vertretene These der Nicht-Identität von realem Körper und (psychischer) Bedeutung die Möglichkeit einer »Rückeroberung des Körpers«, indem sie einen immer wieder gemachten Kurzschluss verhindern hilft und anzeigt, dass die Verbindung des weiblichen Körpers mit Kreatürlichkeit und Vergänglichkeit (dem ›Sein zum Tode‹) nicht diesem Körper selber anhaftet, sondern Ergebnis einer kulturtypischen Spaltung ist, die im selben Zug der männlichen Seite das Phantasma zuordnet, die Endlichkeit, die Begrenzungen des Lebens, die Furcht und die Kränkung der Sterblichkeit überwinden zu können (denn das Gegenteil des Todes ist ja nicht das Leben, sondern die Unsterblichkeit) und den Männern damit gleichzeitig die Chance nimmt, selber als Geschlechtswesen gesehen zu werden. Als politische Konsequenz und zugleich als Ansatz für die Theoriebildung ergibt sich dann, dass die Geschlechterforschung sich in Theorie und Praxis vor allem mit der Struktur und dem Funktionieren jener Spaltungsprozesse befassen müsste, die darauf abzielen, im Denken und in den Körperpraxen Differenz durch Eindeutigkeit zu ersetzen. Die vorrangige Orientierung der Theorie, von Frauen und Frauenpolitik an für neutral oder für männlich gehaltenen Körperaspekten verstärkt nicht nur die Abwertung des Weiblichen, sondern unterstützt die Spaltung der widersprüchlich zusammengehörenden Aspekte menschlicher Existenz, die auseinanderzuhalten der gesellschaftliche Auftrag der Geschlechterordnung ist.
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Matrix der Differenz. Zum Unterschied zw ischen ge nde r und sexueller Differenz IDA DOMINIJANNI
I. Glasgow, Juli 1991, internationales Symposium zur feministischen Theorie.1 In der politisch-biographischen Erzählung, die Nancy K. Miller dem Publikum präsentiert, kann der Feminismus, zwischen Inkubation und voller Entfaltung, bereits auf eine Geschichte von drei, die women’s studies von zwei Jahrzehnten zurückblicken.2 Zum Ende jener Achtziger Jahre, die von Kathleen Martindale als »das Jahrzehnt des Subjekts«3 bezeichnet werden, stehen auf der Konferenz folgende Themen auf der Tagesordnung: Geschlecht und Differenz, Poststrukturalismus und Postmodernismus, Sexualität und Textualität, Identität und Parodie, Begehren und Politik. Doch die unerwartete Performance der V Girls bringt die Ordnung durcheinander. Die V Girls sind fünf junge, amerikanische Studentinnen, die mit einem heiteren Stück in perfektem dekonstruktivistischem Stil eine liebevolle und zugleich spitzzüngige Entweihung der women’s studies und des feministischen Nahkampfs mit der philosophischen und literarischen Tradition in Szene setzen. Während die feministische Theorie die Parodie als Gegengift zur essentialistischen Konzeption entdeckt, ist sie bei ihren Nachfolgerinnen also bereits selbst zum Objekt der Parodie geworden: wie immer ist die Fähigkeit zur Autoironie ein Zeichen guter Gesundheit, aber
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Einige Beiträge der Konferenz erschienen im Sammelband: Paola Bono (Hg), Questioni di teoria femminista, Milano: La Tartaruga 1993. Nancy Miller: »Decenni«, in: P. Bono: Questioni, a.a.O., S. 117-138. Kathleen Martindale: »L’in-discreto soggetto lesbico si rifiuta di negoziare«, in: Questioni, S. 37-60.
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auch ein Signal dafür, dass der Virus der Akademisierung und Entpolitisierung den theoretischen Korpus des Feminismus anzugreifen droht.4 Chicago, 1999. Die Zeitschrift »Critical Inquire« veröffentlicht eine harte Auseinandersetzung zwischen Susan Gubar, Robyn Wiegman und Carolyn Heilbrun zum Stand der amerikanischen women’s studies. In ihr werden subtile theoretische Konflikte über den Status des Subjekts, über das Verhältnis von gender und sexueller Differenz, Universalismus und sozialen, kulturellen und ethnischen Differenzen von weniger subtilen akademischen und generationsspezifischen Konflikten begleitet – manchmal auch hervorgerufen. Damit einher geht ein evidenter aber resignierter Verlust der politischen Dimension der feministischen Epistemologie.5 Gubar, Feministin und in den Siebziger Jahren Pionierin der women’s studies, wirft den postmodernen Feministinnen der Achtziger und Neunziger Jahre, der sogenannten »Generation der Differenzen« vor, die Kategorie »Frau« in Frage gestellt zu haben, um gegen deren vermeintlichen Essentialismus und Eurozentrismus die Vermehrung der ethnischen, kulturellen und sexuellen Identitäten (und die dazugehörige Vermehrung der akademischen Fachrichtungen) zu setzen. Dagegen wirft Wiegman Gubar in ihrer Antwort vor, eine ursprüngliche feministische Orthodoxie verteidigen zu wollen, die sich den Entwicklungen der nachfolgenden Generationen verschließe. Heilbrun, die die Debatte und die Härte der Auseinandersetzung kommentiert, erkennt in diesem Generationenstreit einen Bruch der Genealogie und eine Neigung zum Muttermord, die von den Kämpfen um die akademische Macht genährt werde. Als Gegenbeispiel dient ihr der italienische Feminismus, der ihrer Meinung nach gegen solche Tendenzen immun sei, dank seines nicht-akademischen Charakters und der theoretischen und praktischen Arbeit zur Mutter-Tochter-Beziehung. Rom, 2007. Auf meinem Schreibtisch liegt das druckfrische Exemplar einer Zeitschrift, die einen Blick auf die feministische Generation wirft, die zu Beginn des neuen Jahrtausends aus der no-global Bewegung hervorging und sich für die Frage interessiert, »was vom Feminismus bleibt«, angesichts des Generationenumbruchs und der neuen Raumordnungen in der globalen Welt.6 Im Verlauf der Argumentation kommt auf beeindru-
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Wie sich dann tatsächlich im Verlauf derselben Konferenz herausgestellt hat, vgl. die Einführung von Paola Bono in: Questioni, S. 7-17. Über die Parodie sprach auch Jean Grimshaw: »Politica, parodia, identità«, ebd., S. 200-208. Teile der Diskussion wurden in Italien veröffentlicht, vgl.: Federica Giardini (Hg.), »Di cosa soffre la critica femminista. Politica, sapere, università in uno scambio tra studiose nord-americane«, in: Dwf Nr. 45-46, 2000, S. 7499. Donne di mondo, »Zapruder« n.3, 2007. Vgl. vor allem das Editorial »Femminismi di frontiera dagli anni Settanta a oggi« von Liliana Ellena e Elena Pericola, S. 2-7 und die Artikel von Vincenza Perilli: »L’analogia imperfetta«, S. 8-25 und von Paola Guazzo: »Traduttrici e traditrici«, S. 26-38.
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ckende Weise die amerikanische Debatte der vergangenen zwei Jahrzehnte zum Vorschein: ethnische, soziale und kulturelle Differenzen versus sexuelle Differenz, Homosexualität versus Heterosexualität, identitäre Verstreuung versus politisches Subjekt »Frau«. In diesem Fall gilt die Polemik nicht der gesamten Generation des historischen Feminismus der Siebziger Jahre, sondern der »Hegemonie« des Gedankens der sexuellen Differenz, auf den sich der Frauenbuchladen in Mailand und die philosophische Gruppe »Diotima« in Verona beziehen. Der Differenzgedanke wird selbstredend des Essentialismus beschuldigt und soll sogar »ein Hindernis« sein für die Analyse der Ausdifferenzierungen und Hierarchisierungen nach Ethnie, Klasse und sexueller Orientierung, wie sie sich in der globalen Welt und in ihren pluralen und nomadischen Subjektivitäten darbieten. Es versteht sich von selbst, dass die poststrukturalistischen, postkolonialen und queeren Theorien des internationalen Spektrums, von Donna Haraway bis zu Rosi Braidotti und Judith Butler sic et simpliciter dem italienischen Gedanken der Differenz entgegengesetzt werden, auch dann, wenn die Übereinstimmungen größer sind als die Divergenzen. Auch in anderen Fällen haben sich im italienischen Feminismus theoretische, genealogische und generationsspezifische Probleme mit der parallelen Tendenz zur Akademisierung der women’s studies und/oder zur Verdrängung des ursprünglichen Konfliktkerns zwischen den Geschlechtern überschnitten. Dass die Kategorie gender gegen die der sexuellen Differenz in Stellung gebracht wird und der Differenzgedanke auf der Grundlage von Argumentationen, die aus dem amerikanischen Kontext importiert werden und die reale Entwicklung des italienischen Feminismus ignorieren, des identitären Essentialismus beschuldigt wird, ist mir bereits aus einem anderen Kontext der militanten Linken vertraut: In diesem Fall waren die Frauen, die die Polemik anführten, nicht mehr ganz so jung. Sie hatten sich in der Phase des »Rücklaufs« der achtziger Jahre zusammengefunden und suchten – in einer bizarren ödipalen Dreieckskonstruktion – eine enge genealogische Verbindung zu der revolutionären 68er- und 77erBewegung, während sie gleichzeitig mit dem Feminismus brachen. Von dem Gedanken, dass es zwischen diesen Bewegungen und dem Feminismus in den siebziger Jahren bezüglich der Sexualität zu einem Bruch gekommen war, wurden sie nicht einmal gestreift.7 Andererseits passiert es mir im universitären Bereich immer häufiger, dass ich junge, intelligente und kompetente Wissenschaftlerinnen treffe, die Geschlechterforschung betreiben und auf diese ihre akademische Karriere gründen, die aber allen Fragen bezüglich ihres Verhältnisses zum Feminismus ausweichen: sie benutzen das Geschlecht als eine unverzichtbare historische, soziologische und linguistische Kategorie auf erkenntnis7
Ich habe diesen Zusammenhang bereits früher genauer analysiert, vgl. dazu meinen Artikel »Gioco a tre« in: Via Dogana, Nr. 75, 2005, S. 4-5.
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theoretischer Ebene, doch »säubern« sie sie von jeder konfliktgeladenen Implikation und entreißen sie somit dem Kontext der politischen, intellektuellen und sexuellen Auseinandersetzung, dem sie eigentlich entstammt. War das Vertrauen von Carolyn Heilbrun bezüglich der eigenen Abwehrkräfte des italienischen Differenzfeminismus unbegründet? Nein, denn die Nicht-Institutionalisierung der gender studies, die Arbeit zur Mutter-Tochter-Beziehung und andere Faktoren, die man hinzufügen könnte (der »Vorrang der Praxis«, der dem Gedanken der sexuellen Differenz eine theoretische Autonomie verliehen hat, so dass er sich nicht auf diese oder jene philosophische Schule reduzieren lässt; die Orientierung an der symbolischen Homosexualität, die die Trennung von Hetero- und Homosexuellen aufgehalten hat; die Zugehörigkeit zu einem bis vor wenigen Jahren überwiegend monokulturellen nationalen Kontext), haben den italienischen Feminismus tatsächlich sowohl vor den Tendenzen zur Akademisierung und zur Entpolitisierung als auch vor Generationskonflikten, die anderswo viel zerstörerischer gewirkt haben, bewahrt. Doch ganz offensichtlich haben sie ihn nicht vollständig geschützt, und hätten es auch nicht gekonnt: der Gedanke und die Praxis der sexuellen Differenz werden sowohl durch die Veränderungen des nationalen und internationalen Kontexts als auch durch die Schwierigkeiten, Traditionen und Genealogien zu bilden, beständig auf die Probe gestellt, die eigenen Ansätze müssen sich in der Gegenwart bewähren und dürfen sich nicht – hierin stimme ich mit Wiegman überrein – hinter der Verteidigung des bereits Gewussten und bereits Gemachten verschanzen.8 Trotzdem stellt die Tatsache, dass in Italien Konflikte auftauchen, die sich bereits anderswo manifestiert haben, oder Fragen, deren Interpretation durch das Echo von Konflikten, die anderswo erlebt wurden, vorgezeichnet sind, ein Problem dar, das es an und für sich zu untersuchen gilt. Erstens: Wie stark wirkt in dieser auf verschiedenen Bühnen wiederholten Inszenierung die linguistische, akademische und publizistische Hegemonie der amerikanischen women’s studies? Muss diese Hegemonie ertragen und nachgeahmt werden oder kann sie stattdessen, ausgehend von anderen Entwicklungen und Kontexten, hinterfragt werden?9 Was passiert, wenn wir in die internationalen Karten der feministischen Theorie den Gedanken der italienischen Differenz, der üblicherweise ausgeschlossen wird, einzeichnen und »ernst nehmen«, wie es Teresa De Lauretis schon vor ei-
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Vgl. dazu meinen Aufsatz »Nella piega del presente«, in: Diotima, Approfittare dell’assenza. Punti di avvistamento sulla tradizione, Napoli: Liguori 2002, S. 187-223. Zur Hegemonie des US-amerikanischen Feminismus vgl. Via Dogana Nr. 25, 1996 und den Beitrag von Paola Bono: »Un problema di egemonia«, in der online-Zeitschrift von Diotima »Per Amore del Mondo«, Herbst 2006, vgl. www.diotimafilosofe.it.
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nigen Jahren forderte?10 Könnten wir durch Übersetzungsarbeiten und – gegebenenfalls auch kontrovers geführte – Auseinandersetzungen kreative Auswege aus den Sackgassen der internationalen Debatte finden, anstatt uns auf ihre ermüdenden Wiederholungen einzustellen? Zweitens: In all diesen Konflikten zwischen verschiedenen feministischen Generationen, die ich hier als Beispiel angeführt habe, vollzieht sich eine mal mehr mal weniger bewusste und polemische Verschiebung von der Kategorie der sexuellen Differenz zu gender. Was korrespondiert dieser Verschiebung, was bewirkt sie, was wird dadurch gewonnen und was wird dadurch verloren, was zeigt sich durch sie und was wird durch sie verborgen? Haben die Tendenzen zur Akademisierung, zur Entpolitisierung und zur Entsexualisierung, wie ich sie eben skizziert habe, etwas mit dieser Verschiebung zu tun, und was genau? Lässt sich die alte, wirklich sehr alte Frage nach dem Verhältnis von sexueller Differenz und den sozialen, ethnischen und kulturellen Differenzen und die Frage nach dem Verhältnis von sexueller Differenz und Differenzen des Begehrens und der sexuellen Orientierung tatsächlich innerhalb der gender theory besser systematisieren und lösen als im Rahmen des Gedankens der sexuellen Differenz? Handelt es sich wirklich um eine frontal zu führende Auseinandersetzung zwischen gender theory und dem Gedanken der sexuellen Differenz? Drittens: Ist der Poststrukturalismus nach vier Jahrzehnten feministischer Theorie und im theoretischen Kontext des neuen Jahrtausends wirklich die einzige und letzte Station der feministischen Theorie? Oder ist es möglich und notwendig, die theoretischen und politischen Probleme, die auch der Poststrukturalismus ungelöst oder jedenfalls offen gelassen hat, in neuer Weise anzuordnen? Vor allem aber: Wie haben wir nach vier Jahrzehnten feministischer Theorie und im theoretischen Kontext des neuen Jahrtausends die Schlagkraft von dieser oder jener theoretischen Position politisch, d.h. ausgehend von den politischen Ergebnissen anstatt von den philosophischen Prämissen, einzuschätzen? Ich werde versuchen, diese Fragen genauer auszuführen und auch einige Antworten vorschlagen, allerdings erst nach einer Vorbemerkung und einem Exkurs; Erstere zu den internationalen Kriterien, nach denen die Karten der feministischen Theorie erstellt werden, und Letzteren zum Gebrauch der Kategorien gender und sexuelle Differenz.
10 Teresa De Lauretis: »The Essence of the Triangle, or, Taking the Risk of Essentialism Seriously: Feminist Theory in Italy, the U.S., and Britain«, in: »Differences« n.1/2, 1989. Eine gekürzte Version dieses Aufsatzes erschien in italienischer Übersetzung unter dem Titel »La pratica della differenza sessuale e il pensiero femminista in Italia« in: Dwf Nr. 15, 1991, S. 37-56.
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II. Wie bereits an anderer Stelle angemerkt wurde, ist die Frage nach den Kriterien für eine Kartographie der feministischen Theorie eine philosophische Frage an sich, in der es darum geht, auf welche Art und Weise eine so umfangreiche und vielfältige Produktion geordnet, überliefert und »kanonisiert«11 wird: in der es also um ihre – kontroverse – Institutionalisierung geht. Wenngleich sich diese Frage jeder kritischen Theorie stellt, so kompliziert sich das Problem im Falle der feministischen Theorie aufgrund von mindestens vier Faktoren: ihrer starken politischen Motivation, ihrer kontextabhängigen und zugleich globalen Dimension, ihrer interdisziplinären Ausrichtung, vor allem aber auf Grund der von ihr selbst eingeführten Problematisierung des Begriffs der »Tradition« und der damit verbundenen Praktiken der Kanonisierung und Institutionalisierung.12 Eine Theorie, die aus der Analyse des Ausschlusses von Frauen aus der phallologozentrischen Tradition hervorgeht, ist gewarnt, oder sollte gewarnt sein, vor den Fallen, in die sie gerät, wenn sie ihrerseits versucht, sich zur Tradition auszubilden: Es geht dabei immer um Strategien der Inklusion und der Exklusion, der Aufwertung und der Abwertung; es geht um beabsichtigte Fortsetzungen und nicht beabsichtigte Auslassungen, um Gegenwärtiges und Fehlendes, um Übersetzung und Verrat; und erneut um phallologozentrische und ödipale Fallen. Jede Karte der feministischen Theorie ist deshalb nicht nur notwendigerweise partiell und unvollständig, wie jede Karte, sondern muss auch als ein Index von Machtstrukturen und ein Effekt verschiedener Praktiken gelesen werden. Ebenso muss sie in Bezug auf ihre Position, die sie gegenüber dem Problem der Tradition einnimmt – der patriarchalen Tradition, aus der wir kommen und der feministischen Tradition, die wir zu konstruieren beabsichtigen – analysiert werden. Wenngleich immer begleitet von den dazugehörigen Vorbemerkungen zur Komplexität und Schwierigkeit des Unternehmens, so folgt fast die gesamte internationale Kartographie zur feministischen Theorie einer etablierten Einteilung oder setzt diese voraus. In dieser Einteilung wird die entscheidende Partie zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten ausgetragen, genauer gesagt stehen sich in einer frühen Phase die erste Generation der französischen und nordamerikanischen Feministinnen gegenüber, später dann die maîtres-à-penser (Männer) des französischen Poststrukturalismus und die zweite und dritte Generation von nordamerikanischen Feministinnen. Die Periodisierung beginnt üblicherweise mit Simone de Beauvoirs 1956 publiziertem Buch »Das andere Geschlecht«, 11 Rosi Braidotti: »Feminist Philosophies«, in: Mary Eagleton (Hg.), A Concise Companion to Feminist Theory, Malden-Oxford: Blackwell 2003. 12 Vgl. Diotima: Approfittare dell’assenza, a.a.O.
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womit man die Epoche der gender theory als eröffnet betrachtet (und damit nicht zufällig Virginia Woolfs 1935 publizierten Text »Die drei Guineen«, der den Gedanken der sexuellen Differenz einführt, unerwähnt lässt). Sodann fährt man fort, die auf beiden Seiten des Atlantiks folgenden Phasen feministischer Theoriebildung zu ordnen, je nach Abweichung und Zugehörigkeit zu oder Kritik an den großen und weniger großen Denktraditionen der Moderne und Postmoderne: Liberalismus, Marxismus, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Dekonstruktion. Tatsächlich aber ordnet die Abfolge weniger, als sie den Bruch, den der Feminismus in der Geschichte der Philosophie bewirkte, neutralisiert, indem sie dessen Mehr∗ auf einen bereits existierenden Bezugsrahmen zurückbezieht. Natürlich vereinfache ich, womit ich den geduldigen und noch dazu sehr nützlichen Rekonstruktionen Unrecht tue, die die geo-philosophischen Kreuzungen, die disziplinären Überschneidungen und die intellektuellen und politischen Beziehungen, die seit nunmehr vier Jahrzehnten das komplexe Geflecht der internationalen feministischen Theorie ausmachen, berücksichtigen.13 Doch die Vereinfachung ist notwendig, um eine banale Überlegung und eine hoffentlich weniger banale Provokation verständlich zu machen. Die banale Überlegung besteht darin, dass die feministische koiné, die sich in der entscheidenden, oben skizzierten Gegenüberstellung konstituiert, einige Auslassungen mit sich bringt, unter anderem eben die des italienischen Differenzgedankens. Dabei wäre es nützlich und produktiv irritierend, diesen wieder ins Spiel zu bringen. Die Provokation behauptet, dass vier Jahrzehnte intensiver Aktivität ganz offensichtlich die feministische Theorie, oder ein Großteil der feministischen Theorie, nicht emanzipiert haben. Sie hat sich gegenüber der philosophischen Tradition nicht aus der Ergänzungsrolle oder genauer gesagt aus einer ödipalen Position befreien können, in der die Frauen nicht aufhören, gegeneinander um die Liebe des Vaters zu kämpfen, ob dieser nun Marx, Foucault oder Lacan, Deleuze oder Derrida heißt. Sie opfern ∗
A.d.Ü.: Das italienische Wort »eccedenza« wird üblicherweise als »Überfluss« oder »Übermaß« übersetzt. Diese Übersetzung verzerrt die italienische Bedeutung: Während »Überfluss« auf ein quantitatives Moment verweist und darüber hinaus negative Konnotationen mit sich führt, betont »eccedenza« ein qualitatives Moment und ist eindeutig positiv konnotiert. Deshalb habe ich mich entschieden, »eccedenza« als ein »Mehr« wiederzugeben. 13 Neben dem bereits zitierten, von Mary Eagleton herausgegebenen Companion wären hier mindestens zu nennen: Allison Jaggar/Iris Marion Young (Hg.), A Companian to Feminist Philosophy, Malden-Oxford: Blackwell 1998; Robert W. Connell: Questioni di genere, Bologna: Il Mulino 2006, bes. S. 195-224 [engl. Gender, Cambridge: Polity Press 2002]; Franco Restaino/Adriana Cavarero: Le filosofie femministe, Torino: Paravia 1999. Der Aufsatz von Cavarero in diesem zuletzt genannten Werk (»Il pensiero femminista. Un approccio teoretico«, S. 122-131) zeichnet, ausgehend von der Originalität des italienischen Feminismus, eine andere Karte der feministischen Theorie, deren Entwurf ich weitestgehend zustimme.
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ihm die Beziehung mit der Mutter beziehungsweise durchsetzen die Genealogie des feministischen Gedankens mit Dissens, anstatt diese durch den Konsens über die gemeinsamen, unhintergehbaren Errungenschaften abzusichern.14 Würde der Gedanke der italienischen Differenz ins Spiel gebracht, so brächte das sofort einen ersten Vorteil. Denn wenngleich die feministische Theorie als ganze, vor jeder inhaltlichen Unterscheidung, durch die Reflexion, was es bedeutet, zu denken und durch die Erfindung einer Modalität des Denkens, die mit der Körperlichkeit und mit der Erfahrung verwurzelt ist, charakterisiert werden kann15, so ist doch unbestritten, dass der italienische Differenzgedanke diesbezüglich eine besondere Radikalität aufweist. Er präsentiert sich nicht so sehr als Theorie, sondern eher als theoretische Praxis, die nicht nur an dieser Verwurzelung festhält, sondern gleichzeitig auf eine Verschiebung der Autorität vom männlichen zum weiblichen Wort abzielt. Auf diesem Wege verändert sich die Beziehung zur Tradition, der Differenzgedanke schafft eine Distanz zu den in ihr verankerten »ismen« – deshalb ist es auch kein Zufall, dass er in der feministischen Kartographie nicht auftaucht. In diesem Zusammenhang sind zwei für die philosophische Gruppe Diotima konstitutive »Regeln« besonders aufschlussreich. Zwei ihrer Gründerinnen erzählen, wie es zu diesen Regeln kam: »Die ersten sechs Monate sollten als Versuchsphase gelten, und in dieser Phase sollten wir selbst die Texte verfassen, an denen wir arbeiten wollten […] ohne Texte von anderen zu kommentieren und ohne uns auf bereits definierte philosophische Positionen zu beziehen. Stattdessen wollten wir uns mehr oder weniger auf die Erkenntnisse der politischen Frauenbewegung stützen. […] Zusätzlich zu der uns selbst auferlegten Vorschrift, uns nicht auf externe Autoritäten zu beziehen, hatten wir eine zweite negative Vorschrift, nämlich die, keine Definition der verwendeten Termini zu geben. Entweder sie bekamen durch den Diskurs einen Sinn oder sie erhielten eben keinerlei Sinn. Das bedeutete, dass wir uns nicht an das halten konnten, was schon früher von anderen gesagt worden war, wenn es nicht jetzt und hier, in unserem Kreis, sich als bedeutungsvoll erweisen konnte. […] Tatsächlich bewirkten die beiden Regeln […] den Widerhall fremder Gedanken zu verhindern […]. Auf diese Art starb für uns, und in uns, unsere gesellschaftliche Rolle, die darin besteht, die Worte anderer zu wiederholen.«16 14 Zu den ödipalen Dynamiken der philosophischen Tradition und dem Versuch, diese zu unterlaufen, indem Genealogien des feministischen Gedankens konstruiert werden, vgl. Wanda Tommasi: »Di madre in figlia«, in: Approfittare dell’assenza, a.a.O., S. 7-25. 15 R. Braidotti: Feminist Philosophies, S. 212. Es sei en passant angemerkt, dass sogar Braidotti, obwohl sie zum italienischen Feminismus bedeutsame Verbindungen hatte, dies in ihren Rekonstruktionen der feministischen Theorie auslässt. 16 Chiara Zamboni/Luisa Muraro: Kurze Chronik der Gruppe »Diotima«, in: Der Mensch ist zwei. Das Denken der Geschlechterdifferenz, Wiener Frau-
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Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich nicht um einen separatistischen Rückzug vom Text und Kontext des mainstream. Die dekonstruktive Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition ist ständig am Werk, sogar mit einer größeren Reichweite als anderswo, da sich der italienische Differenzgedanke weniger als anderswo auf die für das späte 20. Jahrhundert typischen »post«-Szenarien – postmetaphysisch, postmodern, poststrukturalistisch – begrenzt und immer bereit ist zu produktiven Rückgriffen auf frühere Zeiten und Texte, von Platon zur mittelalterlichen Mystik und zur politischen Philosophie der Moderne. Es handelt sich eher um einen Schnitt, in Erinnerung an die Einladung Carla Lonzis, mit dem überlieferten Wissen aus taktischen Gründen »tabula rasa« machen zu können, um für einen hervordrängenden feministischen Gedanken Raum zu schaffen.17 Die Dekonstruktion des patriarchalen Texts wird als notwendige, aber weder hinreichende noch unendliche Arbeit aufgefasst, die in der philosophischen Praxis – und in der praktischen Philosophie – des »von sich selbst Ausgehens« und durch die Veränderung des Selbst an eine Grenze stößt.18 Das ist ein erster entscheidender Punkt. Die Praxis des »von sich selbst Ausgehens« verlangt mehr als die Praxis der Positionierung, die einem großen Teil der zeitgenössischen feministischen Theorie gemeinsam ist. Diese Praxis darf nicht so verstanden werden, als ginge es nur darum, die Voraussetzungen des Gedankens und die Verankerung des denkenden Subjekts mit seiner eignen »Situation« zur Darstellung zu bringen; im Gegenteil dazu geht es um die Fähigkeit, sich loszumachen – buchstäblich »auszugehen« – um sich dem Risiko der Veränderung des Selbst zu öffnen und sich entfernt vom Ausgangspunkt wiederzufinden. Luisa Muraro hat
enverlag, Wien 1989, S. 198 und 200. Zamboni hat jüngst an den Sinn dieser beiden Regeln erinnert und erzählt, wie sie sich im Laufe der Jahre veränderten: »Im Fall der Praxis der mündlichen Philosophie bei »Diotima« änderte sich mit der Zeit die Regel, in unseren Diskussionen keine Philosophen und Philosophinnen zu zitieren. Wir begannen nach einiger Zeit, uns auch auf sie zu beziehen, ohne dass wir diese Änderung explizit vereinbart hatten. Offensichtlich kam es zu dieser Veränderung, als genug Autorität durch das Wort der anderen vorhanden war, so dass wir uns – unter anderem – auch auf schriftlich vorliegende Theorien beziehen konnten.« Vgl. Chiara Zamboni: »Ein philosophischer und politischer Streit über das Verhältnis von Praxis«, auf: www.bzw-weiterdenken.de/artikel-3-55.htm (30.09.2007). Zur Praxis des »Von sich selbst Ausgehen«, auf die ich noch zu sprechen komme, vgl. Diotima: La sapienza di partire da sé, Napoli: Liguori 1997. Einige Aufsätze aus diesem Sammelband wurden ins Deutsche übersetzt, vgl. Diotima: Die Welt zur Welt bringen. Politik, Geschlechterdifferenz und die Arbeit am Symbolischen, Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag 1999. 17 Vgl. Carla Lonzi: E’ già politica, Scritti di Rivolta Femminile, Torino 1977, S. 104 und Annarosa Buttarelli: »Tabula rasa«, in: Diotima: Approfittare dell’assenza, a.a.O., S. 143-154. 18 Vgl. Luisa Muraro: »Von sich selbst ausgehen und sich nicht finden lassen«, in: Diotima: Die Welt zur Welt bringen, a.a.O., S. 18-37.
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diese Praxis wirkungsvoll definiert als »ein Denken, das nicht an die Logik der Identität gebunden ist und das daher dazu fähig ist, sich an der Zufälligkeit vorwärtszubewegen«.19 Diese Praxis kennzeichnet den Gedanken der Differenz nicht nur rein methodologisch, sondern auch substantiell: er ist deshalb tatsächlich eher theoretische Praxis als Theorie. Er ist weniger ein abstrakter Gedanke, denn ein kontextbezogenes Denken, in dem sich Theorie und Erfahrung, Gedanke und Handlung, Ziele und Mittel, Aussagen und das Subjekt der Aussage nicht voneinander abgrenzen, sondern einander korrespondieren. Damit wird verhindert, dass die sexuelle Differenz zu einer »Frage« wird, die unabhängig von demjenigen/derjenigen, der/die die Differenz verkörpert, gestellt werden kann. Es handelt sich also um eine Praxis, in der »die Untersuchung über die Geschlechterdifferenz mit der symbolischen Verarbeitung der Differenz Hand in Hand geht, die beim untersuchenden Denken stattfindet«, oder anders ausgedrückt, in der »die Differenz bedeutend wird und […] sich zu einem denkenden Denken macht.«20 Im Gegensatz zur geläufigen Bedeutung darf der Genetiv der in der Wendung »Gedanke der sexuellen Differenz« nicht im objektiven, sondern muss im subjektiven Sinne verstanden werden. Die sexuelle Differenz ist kein Signifikat, sondern ein Signifikant. Anders ausgedrückt, der Gedanke der sexuellen Differenz definiert keine Identität, sondern eine Bewegung weiblicher Subjektivität. Damit aber sind wir bereits bei der zentralen Charakteristik des Differenzgedankens, auf die ich erst nach dem angekündigten Exkurs über die kontroverse Frage der Beziehung zwischen sexueller Differenz und gender zurückkommen werde.
III. Wie inzwischen allgemein bekannt, besteht zwischen den Kategorien gender und sexuelle Differenz ein lexikalischer Unterschied, der auf Unterschiede in der philosophischen Terminologie, und im kulturellen, sozialen und politischen Kontext auf Unterschiede zwischen der angloamerikanisch und der französisch geprägten feministischen Theorie verweist. Viele dieser Differenzen haben sich im Laufe der Zeit und in Folge des Austauschs zwischen beiden Sphären aufgelöst. Es erscheint jedoch hilfreich, an die Anfänge zu erinnern, um die spätere Entwicklung sowohl bezüglich der Übereinstimmungen als auch der Divergenzen besser erforschen zu können und um die Problempunkte zu bestimmen, die erneut thematisiert werden sollten, um die Diskussion voranzubringen.
19 Ebd., S. 29. 20 Diotima: Der Mensch ist zwei, S. 57 und 59.
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Zuletzt hat sich Rosi Braidotti in ihrem Buch Metamorphoses21 zu diesem Punkt geäußert. Sie sieht in der paradigmatischen Differenz der beiden Kategorien die Gründe für eine »transatlantische Verbindungslosigkeit« zwischen dem anglophonen und französischen Bereich. Braidotti weist die Vorwürfe des Essentialismus, des Universalismus (verstanden als prinzipielle Forderung, die die kulturellen Differenzen vernachlässigt) und des Heterosexismus, die in den letzten zwei Jahrzehnten seitens der gender theory gegen den Gedanken der sexuellen Differenz erhoben wurden, zurück, und wirft dagegen ihrerseits der gender theory sozialen Konstruktivismus, Sexualfeindschaft und »Frauenphobie« sowie einen verkürzten und irreführenden Gebrauch der Psychoanalyse vor. Die »Verbindungslosigkeit« beginnt ihrer Meinung nach Mitte der Siebziger Jahre, als die berühmt gewordene Behauptung von Simone de Beauvoir »Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht«, mit der in den fünfziger Jahren die Konstruktion der Frau als »anderes Geschlecht« nicht mehr dem biologischen Schicksal sondern den sozialen Imperativen zugeschrieben wurde, im sex-gender-Schema von Gayle Rubin22 und in der Kritik des Heterosexismus von Monique Wittig23 zur strengen Unterscheidung erstarrte. Das Paar sex-gender – wobei bekanntlich »sex« für das biologischeanatomische-natürliche Faktum der Differenz zwischen Männern und Frauen steht, welches von sich aus die beiden Geschlechter nicht hierarchisiert, während »gender« auf eine kulturelle und soziale Konstruktion verweist, die »den Mann« und »die Frau«, das Männliche und das Weibliche definiert, normiert und hierarchisiert – marginalisiert das Geschlecht und die Sexualität zugunsten von gender, konzipiert den Körper als passive Oberfläche für Einschreibungen und Verinnerlichungen von linguistischen und soziokulturellen Codes, entwirft ganz rational jede Veränderung als eine rein gesellschaftliche und voluntaristische Veränderung, unabhängig von der psychischen Dimension des Imaginären und des Unbewussten.
21 Rosi Braidotti: »Metamorphoses. Towards a Materialist Theory of Becoming«, Cambridge: Polity Press 2002; ich zitiere aus der it. Übersetzung: In metamorfosi. Verso una teoria materialista del divenire, Milano: Feltrinelli 2003, S. 41ff. In ihrer Analyse der »transatlantischen Verbindungslosigkeit« wendet sich Braidotti in rauem Ton an Judith Butler, die ihr in Undoing gender, New York: Routledge 2004, S. 192-203, antwortet. Bezüglich dieses Dialogs befinde ich mich in der eigenartigen Situation, dass ich den Prämissen, nicht aber den politischen Konsequenzen Braidottis zustimme, während ich umgekehrt die politischen Konsequenzen, nicht aber die Prämissen Butlers vertreten kann: ein kleines Zeichen dafür, wie beweglich unsere Positionen sind und wie unbegründet viele Polemiken zur »Positionierung«. 22 Gayle Rubin: »The Traffic in Women. Notes on the »Political Economy« of Sex«, in: Rayna Reiter (Hg.), Toward an Anthropology of Woman, New York: »Monthly Review«, 1975, S. 157-210. 23 Monique Wittig: Aus deinen zehntausend Augen, Berlin: Sappho, Amazonen-Frauenverlag 1977.
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Nach Meinung Braidottis lassen sich diese Defizite – dank der doppelten Prägung durch Wittig – auch im Denken Judith Butlers ausmachen, sie werden dort sogar noch deutlicher. Butler kritisiert zwar bekanntlich die Polarisierung von sex und gender, doch nur um den gender-Pol noch deutlicher zu betonen, so dass auch das Geschlecht auf eine ausschließlich linguistische und kulturelle Konstruktion reduziert wird. Die Kosten dieser Operation trägt das Subjekt des Differenzgedankens, für das der Körper weder ein reines biologisches Faktum noch ein reines soziales Konstrukt ist, sondern die Schnittstelle zwischen Natur und Kultur, zwischen Materiellem und Symbolischem, und die Sexualität – im Einklang mit der psychoanalytischen Auffassung des Begriffs – weder ein natürliches Attribut noch eine Chance zur Identität ist, sondern ein primärer, weitestgehend unbewusster Ort der konfliktgeladenen Subjektkonstitution, »die konstitutive soziosymbolische Gussform, in die die menschliche Subjektivität gegossen wird.«24 Diesen begrifflichen Unterschieden zwischen den beiden Paradigmen des gender und der sexuellen Differenz fügt Braidotti noch einige kontextabhängige Unterschiede hinzu, die in den letzten zwei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts auf beiden Seiten des Atlantiks zu beobachten waren. Am auffälligsten von allen ist sicherlich die Sexualfeindschaft im amerikanischen (feministischen oder nicht feministischen) öffentlichen Diskurs, der in den 80er und 90er Jahren Sexualität entweder auf Gewalt reduzierte (mit den juristischen Kampagnen gegen sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Pornographie und Prostitution); oder aber auf Transgression, so dass zuletzt die Heterosexualität abgewertet und die gay, lesbian und queer Bewegung zum alleinigen Sinnbild des Begehrens und der Lust wurde.25 Auf dieses Szenario, das sich mutatis mutandis heute in Italien wiederholt, werde ich am Ende zurückkommen. Doch bleiben wir zunächst bei den begrifflichen Differenzen der Kategorien sexuelle Differenz und gender, denn ich will noch einen meiner Meinung nach entscheidenden und nicht zufällig in der ganzen Debatte verschwiegenen Unterschied deutlich machen. Das Schema sex-gender setzt nämlich mehr oder weniger ausdrücklich – auch in seiner raffiniertesten und komplexesten Entfaltung – eine Hypothese voraus: die einer ursprünglichen Gleichwertigkeit der beiden Geschlechter und einer Tendenz zur Auflösung des gender, die die Geschlechter zur Gleichwertigkeit zurückführt. Um es vereinfacht zu sagen: Ohne die soziokulturelle Konstruktion des gender wären Männer und Frauen gemäß der gender theory trotz ihrer biologischen Differenz gleich. Doch diese Konstruktion kann dekonstruiert und eliminiert werden, Männer und Frauen können wieder wie im Ursprung gleichwertig werden oder ihre sex-gender-identity variieren, wo-
24 R. Braidotti: In metamorfosi, S. 48. 25 Ebd., S. 42-45.
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bei aber auch die Diversifikation zur Gleichwertigkeit oder zur InDifferenz tendiert.26 Umgekehrt ist für den Gedanken der sexuellen Differenz der Unterschied zwischen den Geschlechtern sowohl ein Anfangs- als auch ein Zielpunkt. Doch anders als die essentialistischen Interpretationen behaupten, geht es nicht um eine zu enthüllende und reproduzierende »Essenz«, sondern um eine von der Natur, der Kultur, dem Imaginären und dem Symbolischen bewirkten Effekt, der zu dekonstruieren und neu zu deuten ist. Es handelt sich um einen »Ursprung«, nicht weil zu ihm zurückzukehren wäre, sondern weil aus ihm die Subjektivität und die ursprünglichen symbolischen Formen hervorgehen. Beauvoirs Slogan »Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht« kehrt sich um zu dem Satz »Man wird als Frau geboren, der Unterschied wird gemacht«. »Frau« ist dabei der in der Sprache des anderen bestimmte – unbestimmte – Name des Geschlechts, die Differenz entwickelt sich, wenn der Name ausgehend von sich selbst neu bestimmt wird. Aus dieser Perspektive ist das Geschlecht das, was hinter uns liegt, unsere Herkunft, die Institution der Weiblichkeit, wie sie vom patriarchalen Imaginären und dessen symbolischer Ordnung konstruiert wurde, von der wir uns aber mit dem Feminismus distanziert haben. Die Differenz ist das mögliche »zu-kommende«, das Frau-Werden im Wechsel der Position von der »Anderen des Selben«, in der sie von der patriarchalen Ordnung definiert und eingeschlossen ist, zur unvorhergesehenen, störenden und destabilisierenden Position der »anderen des Anderen«. Bekanntlich wird dieser Prozess im Werk von Luce Irigaray als Übergang der Frau vom Objekt zum Subjekt der Sprache beschrieben. In diesem Übergang werden durch eine politisch-philosophische Handlung die Strukturen des Imaginären und des Symbolischen verändert. Die Stärken dieser Handlung liegen in der Dekonstruktion des patriarchalen Textes, in der mimetischen und subversiven Wiederaneignung seiner Vorstellungen von der Frau, in der Rekonstruktion der Mutter-Tochter-Beziehung und der weiblichen Genealogie, auf deren Verdrängung die patriarchale Ordnung basiert. Ich kann hier freilich nicht diese komplexe Konstruktion noch einmal im Einzelnen wiederholen, doch liegt mir daran, zwei Punkte hervorzuheben und ausführlicher zu behandeln. Erstens. Der Übergang der Frau vom »Anderen des Selben« zur »anderen des Anderen« bewirkt den entscheidenden Bruch mit der binären phal26 Ich verwende hier absichtlich den Begriff »Gleichwertigkeit«, aber ich könnte auch den der »Gleichheit« verwenden, insofern, wie wir gleich sehen werden, diese ontologische Voraussetzung der Gleichwertigkeit auf politischjuristischer Ebene automatisch auf eine Politik der Gleichheit verschoben wird, die ihrerseits die Gleichwertigkeit unausgesprochen voraussetzt. Zu dieser entscheidenden Überlagerung von sexueller In-Differenz und Gleichheit in den politischen Konstruktionen der Moderne vgl. A. Cavarero: Il pensiero femminista, S. 122-131.
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logozentrischen Logik und damit gleichzeitig den Bruch mit der Identitätslogik. Tatsächlich bedingt dieser Übergang die Aufgabe der weiblichen Identität, die es in der binären Logik sowieso nur als Spiegelbild der männlichen Identität gab, und die Öffnung auf ein Werden, das sich nicht auf eine Identität fixiert oder zurückzieht. Die Differenz bestimmt sich nicht mehr allein über die Unterscheidung vom anderen, sondern funktioniert als Dispositiv zur Öffnung der Identität, als »das, was Differenz macht«, das die Identität teilt, multipliziert, destabilisiert und immanent in Frage stellt. Die Figur der Frau als »das Geschlecht, das nicht eins ist« bedeutet nichts anderes als diese Zerstörung des Einen, des Identischen und der dazugehörigen Logik.27 Nicht zufällig vermehren sich innerhalb der Frauenbewegung sofort die Differenzen zwischen den Frauen, autorisiert und buchstäblich »entfesselt« durch den Schnitt der Differenz, der von Beginn an den Zusammenschluss in eine politische kompakte Identität verhindert. Ungeachtet ihrer essentialistischen Verkürzungen und trotz der identitären Rückfälle, die im weiteren Verlauf ihres Denkens sicherlich zu finden sind,28 eröffnet und autorisiert Irigaray meiner Meinung nach eine Interpretation der sexuellen Differenz als Matrix der Differenz und offenen Signifikanten. Als solche sorgt die sexuelle Differenz dafür, dass die Frauen von der Identität des Anderen, dass jede Frau von der Identität »Frau« und dass jeder und jede von der eigenen Identität abweicht. Damit erfasst – und befördert29 – sie nicht nur die Unterschiede innerhalb des weiblichen
27 Luce Irigary: Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin: Merve 1979; zitiert wird aus der it. Übersetzung: Questo sesso che non è un sesso, Milano: Feltrinelli 1977, p. 54. Zu Irigarays Theorie und gegen deren essentialistisch geprägte Interpretationen seitens des anglophonen Feminismus vgl. die ausgezeichnete Monographie von Margaret Whitford: Luce Irigaray. Philosophy in the Feminine, London-New York: Routledge 1991. 28 Meiner Meinung nach ist es wahr, dass Irigaray in eine zwar nicht essentialistische, aber doch identitäre Position zurückfällt, wenn sie sich bemüht, die Frauen in ihrer Gesamtheit vorzustellen, als kollektives politisches Subjekt, und insbesondere in den 90er Jahren als Pfeiler einer Art »dualer Demokratie« (vgl. La democrazia comincia a due, Torino: Bollati Boringhieri 1994). Aus Gründen, die ich im nächsten Abschnitt deutlich machen werde, sehe ich hierin, im Unterschied zu Braidotti, nicht den verständlichen Zug eines »strategischen Essentialismus«, sondern eine regelrechte theoretische Kluft zwischen der ontologischen Ebene der Subjektkonstitution und der politischen Ebene der verändernden Handlung, eine Kluft, die man genauso in den meisten Konzeptionen der gender theory ausmachen kann. 29 In ihren ersten Werken insistiert Irigaray mehrfach auf der Notwendigkeit, die unbestimmte Einheit des Geschlechts aufzukündigen und die Unterschiede zwischen den Frauen zu artikulieren, um sich mit dieser entscheidenden Operation der weiblichen Einförmigkeit des phallogozentrischen Imaginären zu entziehen. Die symbolische Aufarbeitung der Mutter-Tochter-Beziehung ist der erste Akt dieser Operation.
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Geschlechts, sondern kritisiert auf ontologischer Ebene den Begriff der Identität selbst.30 Zweitens. Irigarays Konstruktion bewirkt einen entscheidenden Wechsel bezüglich der Bedeutung von Politik und der Bedingungen von politischer Veränderung. Ausgehend von der Korrespondenz31 zwischen symbolischer und gesellschaftlicher Ordnung und – gegen Lacan – ausgehend von der Möglichkeit und der Notwendigkeit, die symbolische Ordnung zu verändern, um die weibliche Existenz zu verändern, wird »Politik« für den Gedanken der sexuellen Differenz zur der die symbolische Ordnung verändernden Handlungsebene. Genau dieser Punkt, die Formulierung einer Politik des Symbolischen, macht die besondere Charakteristik des italienischen Feminismus aus. Durch die Erfindung von (nicht nur) linguistischen Praktiken, die Neubestimmung der Differenz und der weiblichen Genealogie kann gleichzeitig auf die Veränderung des Selbst und der symbolischen und sozialen Ordnung eingewirkt werden. In den 1960er Jahren war es die Praxis der Selbsterfahrung (»pratica dell’autocoscienza«) und die Praxis des Unbewussten (»pratica dell’inconscio«); seit den 1980er Jahren geht es in den Praktiken um die Beziehung von Frauen untereinander, um Disparität und Autorität (»pratica dell’affidamento«). Bei allen drei Praktiken steht die Aufarbeitung der primären Beziehung zur Mutter, die den Austausch zwischen Frauen autorisiert und garantiert, im Mittelpunkt.32 Anstatt auf diese Praktiken zurückzukommen, sie im einzelnen nachzuerzählen und zu analysieren, lohnt es sich eher bei dem Begriff der »politischen Praxis« wie er im Feminismus der italienischen Differenz gebraucht wird, zu verweilen. Wie ich bereits im Zusammenhang mit der Praxis des »Von sich selbst Ausgehen« in der philosophischen Arbeit erwähnt habe, ist diese Praxis weder ein Mittel noch eine Methode, um ein dem/der Handelnden äußerliches Ziel zu erreichen: sie ist ein signifikanter und performativer Akt, der im Moment des Geschehens und im Kontext, 30 Ich möchte anmerken, dass ich hier, anders als Braidotti, nicht das Echo von Deleuze, sondern eher das von Heidegger oder Derrida vernehme: Braidottis Verbindung scheint mir auf philosophischer und politischer Ebene erzwungen. 31 Luisa Muraro spricht dagegen von einer Komplizenschaft: »Zwischen der symbolischen Ordnung und der gesellschaftlichen Ordnung existiert eine ungeklärte Komplizenschaft: materielle Abhängigkeiten, die zu logischen Bedürfnissen werden und umgekehrt, Bedingungen der symbolischen Produktion, die sich in gesellschaftlichen Anordnungen ausdrücken.« Vgl. Luisa Murao: Maglia o uncinetto. Racconto politico-linguistico sulla inimicizia tra metafora e metonimia, Roma: manifestolibri 1995, S. 89. 32 Diesbezüglich verweise ich auf: Libreria delle donne di Milano, Non credere di avere dei diritti. La generazione della libertà femminile nell’idea e nelle vicende di un gruppo di donne, Torino: Rosenberg&Sellier 1987. [dt: Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis, hg. v. Libreria delle donne di Milano, Berlin: Orlanda Frauenverlag 52001.] Für eine fortlaufende Betrachtung der Praktiken und ihrer Auswirkungen vgl. die Zeitschrift der Libreria delle donne di Milano »Via Dogana«.
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in dem er geschieht, Sinn und reale Effekte erzeugt. Die Praxis ist der Ort, an dem sich das Subjekt der Differenz konstituiert und zeigt, an dem die Veränderungen in der symbolischen Ordnung bewirkt werden und sich verifizieren lassen. Anders ausgedrückt: In den Praktiken der symbolischen Aufarbeitung der Beziehung zur Mutter enthüllt sich die weibliche Subjektivität und »gestaltet sich« als eine grundsätzlich relationale Subjektivität. Umgekehrt destabilisiert und verändert das Auftauchen der symbolischen Struktur der Mutter-Tochter-Beziehung die individualistisch-ödipale Struktur der patriarchalen Ordnung und vermittelt und autorisiert damit gleichzeitig das weibliche Wort.33 Es lohnt sich, hier noch einmal zu betonen, dass die Macht der Sprache, ein Schwerpunktthema aller feministischen Theorie, im Gedanken und in der Praxis der sexuellen Differenz eine andere Ausprägung erfährt als in den meisten Konzeptionen der gender theory, weil sie der talking cure der psychoanalytischen Praxis mehr verdankt als der Foucaultschen Ordnung des Diskurses. Die Sprache ist nicht nur das Dispositiv, das die Norm einverleibt, wiederholt und übermittelt, sondern die Sprache schafft auch innerhalb der Norm Durchgänge und Brüche, sie ist es, die uns aus der Normierung befreien und neu positionieren kann. Die Sprache schreibt uns unsere Erfahrung vor, aber sie erlaubt uns auch, sie anders neu zu schreiben; sie repräsentiert uns und erlaubt uns, uns nur in dieser entfremdeten Form zu repräsentieren, aber sie gestattet uns auch, diese Entfremdung zu benennen, indem wir sie in unseresgleichen wiedererkennen und auf diese Weise verarbeiten können.34 Sie ist die Sprache der Metapher, die vom Körper und von der Erfahrung abstrahiert, aber sie ist auch die Sprache der Metonymie, die die Nähe zum Körper und zur Erfahrung zu bewahren weiß.35 Die Sprache ist somit der Käfig, der uns diszipliniert, gleichzeitig aber auch der Schlüssel, um aus ihm herauszukommen. In den Worten Foucaults könnte man behaupten, dass im Feminismus der italieni33 Vgl. Luisa Muraro: Die symbolische Ordnung der Mutter, Rüsselsheim: Christel Göttert Verlag 2006 und die gesamte darauffolgende Arbeit der philosophischen Gruppe Diotima, insbesondere Diotima: Il cielo stellato dentro di noi, Milano: La Tartaruga 1992 [vgl. dazu Andrea Günter: Der Sternenhimmel in uns, Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2003] und Diotima: L’ombra della madre, Napoli: Liguori 2007. Die Bearbeitung der Beziehung zur Mutter als symbolische Struktur unterscheidet die Position des italienischen Differenzgedankens von der Theorie der Objektbeziehungen, wenngleich diese Beiträge der gender theory ebenfalls die Beziehung zur Mutter in den Mittelpunkt stellen. Vgl. Nancy Chodorow: La funzione materna, Milano: La Tartaruga 1991 [dt. Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie der Geschlechter, München: Frauenoffensive 1985]. 34 Vgl. Adriana Cavarero: »Ansätze zu einer Theorie der Geschlechterdifferenz«, in: Der Mensch ist zwei, a.a.O., S. 65-102. 35 Vgl. L. Muraro: Maglia e uncinetto; meine Einführung in den Text: »La lingua del contatto«, ebd., S. 7-47 und Chiara Zamboni: Unverbrauchte Worte. Frauen und Männer in der Sprache, Rüsselsheim: Christel Göttert Verlag 2004.
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schen Differenz die diskursiven Praktiken eher bezüglich der Subjektwerdung eingesetzt werden, als sie mit Blick auf die Subjektunterwerfung analysiert würden; d.h. sie erscheinen als Praktiken subjektiver Freiheit und nicht nur als Praktiken der Disziplinierung durch die Macht. Jedenfalls zeigt sich hier ein bedeutender Unterschied zwischen dem italienischen und dem amerikanischen Kontext. In der gender theory, und insbesondere in Judith Butlers frühen Texten,36 wird – wie erst kürzlich von Chiara Zamboni37 festgestellt – Foucaults Konzeption der diskursiven Praktiken mit einer allumfassenden und konventionellen Auffassung von Sprache und einer Geschlechterkonzeption als reine linguistische Konstruktion gleichgesetzt. Während dagegen im italienischen Feminismus, wie wir gesehen haben, die sexuelle Differenz zwar in der Sprache »geschieht«, aber nicht zur reinen linguistischen Konstruktion wird. Die Sprachauffassung des italienischen Differenzgedankens ist weder rein konventional noch so allumfassend, dass die extralinguistischen Elemente des Realen (und der Praktiken selbst, denn diese sind zwar überwiegend diskursiv, aber nicht nur; zu denken wäre hier etwa an die Geste des feministischen Separatismus und an seine explosive Wirkung auf den sozialen Kontext) für nichtig erklärt würden. Im Unterschied zu Zamboni bin ich der Meinung, dass in diesem Zusammenhang eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Butlers Theorie der Performativität zwar wichtige Unterschiede, aber auch ebenso wichtige Berührungspunkte deutlich machen würde. Tatsächlich wird in Das Unbehagen der Geschlechter die parodistische Praxis der Subversion der Geschlechtsidentität ausdrücklich auf das Ziel ausgedehnt, die identitären Grundfesten der feministischen Politik im allgemeinen zu destabilisieren, auch dort, wo sie sich als Aufzählung von verschiedenen Identitäten38 präsentieren; vor allem aber hat die parodistische Praxis das noch allgemeinere Ziel, das identitäre Fundament der Politik tout court zu destabilisieren. Aus dieser doppelten Zielsetzung folgt die Notwendigkeit, die philosophischen Grundlagen einer Politik der Repräsentation zu kritisieren und für eine nicht-identitäre Individualität angemessene Formen von agency zu entwickeln. Das aber bedeutet nichts anderes, als die Politik neu zu erfinden, oder, wie Butler schreibt, »den Begriff von Politik zu erweitern«: »Würden die Identitäten nicht länger als Prämissen eines politischen Syllogismus fixiert und die Politik nicht mehr als Satz von Verfahren verstanden, die aus den angeblichen Interessen vorgefertigter Subjekte abgeleitet werden, so könnte aus dem Niedergang der alten eine neue Konfiguration der Politik entstehen.«39 36 Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991; Dies.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin: Berlin Verlag 1995. 37 Ch. Zamboni: Ein philosophischer und politischer Streit, a.a.O. 38 J. Butler, Das Unbehagen, a.a.O. 39 Ebd., S. 218. Zu den Verbindungen zwischen den Sprachauffassungen in der feministischen Theorie, der Psychoanalyse und der Theorie Foucaults muss
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IV. Damit sind wir auf dem Terrain der Politik, besser: der Neudefinition von Politik angekommen. Wie ich anfangs bemerkt habe, lassen sich meiner Meinung nach anhand der politischen Ergebnisse die verschiedenen philosophischen Positionen zum feministischen Subjekt verdeutlichen und überprüfen. Dies geschieht entlang von Linien, die nicht mit jenen, die traditionell zwischen dem Gedanken der sexuellen Differenz und der gender theory gezogen werden, zusammenfallen und die sich auch nicht ganz an die von Braidotti eindrucksvoll skizzierte »transatlantische Verbindungslosigkeit« halten. Ich vermute, dass der Blick durch die politische Brille hilft, den begrifflichen Nebel zu lichten, der sich in der feministischen Theorie um die Begriffe Subjektivität, Differenz, Identität und Gleichheit zusammenballt und der in einigen ungeklärten Verschiebungen von der ontologischen zur soziologischen Ebene, von der Kategorie der Subjektivität zu jener der Identität, vom Begriffspaar Identität-Differenz zum Begriffspaar Gleichheit-Differenzen immer wieder aufkommt. Zwischen Philosophie und Politik erscheint es hilfreich, noch einmal bei Irigarays Theorie zu verweilen, um im Rückblick die kühne Hypothese, mit der die Ethik der sexuellen Differenz anhob, erneut zu reflektieren: »Die sexuelle Differenz stellt eine der Fragen oder die Frage dar, die in unserer Epoche zu denken ist«, denn sie »würde den Horizont einer noch unbekannten Fruchtbarkeit eröffnen«, doch »[a]lles widersetzt sich und verhindert, dass dieses Neue, dieses Ereignis offenbar, sichtbar wird.«40 Lassen wir den Diskurs zu der »Frage« für einen Moment beiseite, und befragen wir stattdessen die »Epoche«: Welche ist »unsere Epoche«, die Epoche, von der Irigaray spricht, was definiert sie als solche? Welche Brüche und Widersprüche zeichnen sie als Konfliktfeld aus, in dem die Differenz als »Frage« erscheint und sich »alles« ihrem Ereignis »widersetzt«? Philosophisch betrachtet, so muss man sagen, ist es eine »schielende« Epoche: auf ontologischer Ebene ist es die Epoche vom Ende des modernen Subjekts und der Erscheinung des postmodernen, posthumanistischen, poststrukturalistischen Subjekts; auf politischer Ebene ist es immer noch die Epoche der modernen Gleichheit, die weiterhin, trotz tausend Aporien, als Imperativ der demokratischen Zivilisation gilt.
angemerkt werden, dass Butler in ihren letzten Büchern auch auf das analytische Setting zu sprechen kommt, insofern es eine Situation vorstellt, die den Begriff des Sprechakts verändert (und damit die Dynamik der Anerkennung), vgl. J. Butler: Undoing Gender, a.a.O., S. 171-173. und: Kritik der ethischen Gewalt, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007, a.a.O. 40 Luce Irigaray: Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 11. Meine Interpretation unterscheidet sich hier von derjenigen Judith Butlers – vgl. J. Butler, Undoing Gender, S. 177-180.
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Mit dem Feminismus der siebziger Jahre erscheinen die Frauen sowohl als philosophisches als auch als politisches Subjekt in diesem Spannungsfeld zwischen postmoderner Ontologie und spätmoderner Politik. Genauer betrachtet, wenn wir den Blick noch weiter in die Geschichte der Frauen zurückwerfen, kündigen sie die Spannungen an und nehmen sie sie vorweg. Seit der Französischen Revolution sind sie der Stachel im Fleisch der Kreatur, die auf den Namen modernes Individuum hört und der gesamten begrifflichen Konstellation der modernen Politik: ein Mehr, das die individualistisch-egalitäre Logik der Moderne zuerst nicht berücksichtigt und später zu assimilieren versucht, ohne dass es ihr gelingt, dieses Mehr zu absorbieren.41 Während der Periode, die mit der 68er-Bewegung beginnt und die Rahmenbedingungen schafft, innerhalb derer die Gleichheitsforderungen ihre maximale Ausbreitung erfahren, drückt sich dieses Mehr der Frauen im Bekenntnis zur sexuellen Differenz aus. Hier werden die Dinge und die Namen der Dinge komplizierter. Ist das Bekenntnis zur sexuellen Differenz ein Bekenntnis, das sich der Gleichheit widersetzt? Ja und nein. Nein, insofern, wie Carla Lonzi früh bemerkte, (juristische) Gleichheit und (ontologisch-existenzielle) Differenz zwei unvergleichbare Prinzipien sind;42 und insofern, wie Luisa Muraro später schrieb und ich selbst auf meine Weise hier zu argumentieren versuche, »die Differenz all das bedeutet, was sie bedeutet, wenn sie nicht in Opposition zur Gleichheit, sondern zur Identität gestellt wird.«43 Wie wir gesehen haben, spielt sich das Bekenntnis zur sexuellen Differenz auf dem Gebiet der Identität ab, gegen die Logik des Einen und des Identischen. Doch wie die Untersuchungen zur Archäologie des modernen Politikverständnisses von Cavarero und 41 Die Bibliographie zum Verhältnis der Frauen zur modernen Gleichheit ist längst zu umfangreich, um hier vollständig zitiert zu werden. Ich verweise auf Adriana Cavarero, die meiner Meinung nach die Aporien der Gleichheitslogik aus der Sicht der sexuellen Differenz glänzend analysiert hat: Adriana Cavarero: Il pensiero femminista. Un approccio teoretico, a.a.O., und außerdem auf Maria Luisa Boccia: La differenza politica. Donne e cittadinanza, Milano: Il Saggiatore 2002. Zur Gleichheit als epochalem Bruch in der Geschichte und in der Geschichtsphilosophie der Geschlechterdifferenz vgl. Geneviève Fraisse: La differenza fra i sessi, Torino: Bollati Boringhieri 1996, S. 72ff. Ich habe das Problem des Verhältnisses zwischen weiblichem Mehr und dem Ende des modernen politischen Paradigmas an anderer Stelle ausführlicher entwickelt, vgl. Ida Dominijanni: »Eredi al tramonto. Fine della politica e politica della differenza«, in: Mario Tronti et.al.: Politica e destino, Roma: Sossella 2006, S. 125-143, und Dies.: »L’eccedenza della libertà femminile«, in: Ida Dominijanni (Hg.), Motivi della libertà, Milano: Franco Angeli 2001, S. 47-88. 42 Vgl. Carla Lonzi: Sputiamo su Hegel, Scritti di Rivolta femminile, Milano 1974, S. 20-21. Eine dt. Übersetzung des Textes von Lonzi erschien unter dem Titel »Wir pfeifen auf Hegel«, in: Internationale Marxistische Diskussion Nr. 5, 1975. 43 Luisa Muraro: Jenseits der Gleichheit, in: Diotima, Jenseits der Gleichheit. Über Macht und die weiblichen Wurzeln der Autorität, Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag 1999, S. 149-189, hier S. 176.
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anderen zeigen, vereinigt sich in der Politik der Moderne das Prinzip der Gleichheit mit genau dieser Logik des Einen und des Identischen, indem es gleichzeitig sowohl als Prinzip der juristisch-politischen Ordnung fungiert, als auch als Prinzip der ontologisch-politischen Assimilierung, im vorliegenden Fall der Assimilierung der weiblichen Differenz mit der seriellen Identität des neutralen Individuums. Auf diese Weise opponiert das Bekenntnis zur sexuellen Differenz auch der Gleichheit; verstanden nicht so sehr als juristisches Prinzip (obwohl sich auch dieses als problematisch erweist), denn als Dispositiv zur Assimilation. Ontologie und Politik stützen sich also im modernen Individuum gegenseitig. Als der Feminismus begann, war dieser Zusammenhalt jedoch schon auseinandergebrochen, der Feminismus versetzte ihm nur den entscheidenden Schlag. Die Krise des einen, neutralen, rationalen und seriellen Individuums, das die ontologische Basis der politischen Konstruktion der Moderne bildete, ist in der Psychoanalyse, in der Philosophie und in den Geisteswissenschaften längst konstatiert worden, ohne dass es der Politik gelungen wäre, sich deshalb eine neue Gestalt zu geben: das postmoderne Subjekt bewegt sich nämlich seit Jahrzehnten zwischen den Trümmern der Politik der Moderne. Nun, ich werde nicht die Litanei wiederholen, die alle Texte der feministischen Theorie einleitet: die sexuelle Differenz erscheint und »spricht« im philosophischen, poststrukturalistischen Kontext, der die Krise des Subjekts und des modernen Individuums bescheinigt. Das ist nicht das Problem, sondern: absorbiert der Poststrukturalismus das Mehr der sexuellen Differenz? Erfasst der philosophische Kontext, der die Bedingungen dafür schafft, dass der Diskurs und das Subjekt der sexuellen Differenz erscheinen können, das Subjekt und den Diskurs der sexuellen Differenz vollständig? Meiner Meinung nach nicht: zwischen dem einen und dem anderen bleibt eine Asymmetrie – eine Dissonanz, wie sie uns Rosi Braidotti in ihrem ersten Buch so vortrefflich beschrieben hat44 und wie aus Irigarays Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen philosophischen Text, von Nietzsche zu Derrida und Deleuze, ersichtlich wird. Die Dekonstruktion und die Auflösung des modernen Subjekts fallen nicht mit dem Erscheinen des feministischen Subjekts zusammen, Derridas différance ist nicht die sexuelle Differenz, das FrauWerden der deleuzeschen Philosophie ist nicht das PhilosophinnenWerden der Frauen, Foucaults Blick auf die Sexualität ist nicht der feministische Blick auf die Sexualität, das biopolitische Paradigma der zeitgenössischen italienischen Philosophen ignoriert den geschlechtlichen Körper und die Reproduktion des Lebens durch die Mutter usw. Auch wenn – und das muss mit demselben Nachdruck gesagt werden – diese Diskurse uns nicht nur berühren und uns betreffen, sondern wir uns teilweise aus ih44 Rosi Braidotti: Dissonanze. Le donne e la filosofia contemporanea. Verso una lettura filosofica delle idee femministe, Milano: La Tartaruga 1994 [engl: Rosi Braidotti, Patterns of Dissonance, Cambridge: Polity Press 1991]
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nen begründen und diese Diskurse ihrerseits, mehr oder weniger explizit, durch das politische und philosophische Ereignis des Feminismus angeregt wurden, so bleibt festzuhalten, dass sich das Subjekt der sexuellen Differenz nicht allein in der Sprache der Dekonstruktion und der Auflösung aussprechen kann, wenn es nicht mit dem Verlust seines eigentlichen politischen Antriebs und dem Verlust seiner »Lust am Sein«, die es bewegt, bestraft werden will.45 In der Epoche, in der die Ontologie der Postmoderne und die Politik der Moderne so auseinander weisen, erscheint meiner Meinung nach »das Problem« der sexuellen Differenz im Vergleich zur einen wie zur anderen Seite als ein Mehr. Meines Erachtens besteht das Projekt der sexuellen Differenz darin, eine politische Ontologie der Gegenwart zu umreißen, die den Strabismus, das »Schielen« der Epoche korrigiert und die Politik ausgehend vom geschlechtlichen Subjekt neu denkt oder, besser noch, neu erfindet. Das erste Problem, das aus dieser Perspektive in den Blick gerät, besteht darin, dass in vielen sowohl europäischen als auch amerikanischen feministischen Theorien das Schielen eher stärker denn schwächer wird: je gespaltener, differenzierter, aufgelöster und postmoderner das Subjekt auftritt, umso mehr erscheint es innerhalb eines demokratischen Horizonts, der zu einer Art unanfechtbarem Apriori erhoben wird, wenn nicht gar zu einer unbestreitbaren Religion, im alten Gewand der Individualität, der Rechte, der Repräsentation und der modernen Gleichheit.
45 Luisa Muraro hat sich jüngst zu diesem Punkt geäußert (»Thinking Experience«, in: Per amore del mondo, Herbst 2006, www.diotimafilosofe.it) und – anschließend an Joan Scotts »The Evidence of Experience« (in: Critical Inquire Nr. 17, 1991) eine Theorie der Erfahrung als realistische Schwelle vorgeschlagen, an der die dekonstruktivistische »Auflösung« des weiblichen Subjekts zum Stillstand kommt. Dieser Aufsatz von Scott, Autorin von entscheidender Relevanz für die poststrukturalistische amerikanische Theorie, sollte als Fortsetzung und teilweise Korrektur ihrer früheren Aufsätze (»Gender. A Useful Categogory of Historical Analysis«, in: American Historical Review Nr. 5, 1986 und »Deconstructing equality – versus – difference: or the uses of poststructuralist theory for feminism«, in: Feminist Studies Nr. 1, 1988) gelesen werden, in denen Scott begründet, warum sie zur Analyse von gender den poststrukturalistischen Bezugsrahmen wählt. Von der Theorie der Erfahrung als Schwelle für das dekonstruktivistische Verfahren, die »das Dilemma« zwischen Essentialismus und Nominalismus zu vermeiden weiß, spricht auch Linda Alcott in »Cultural Feminism versus Poststructuralism«, in: Signs Nr. 3, 1988. Alcott folgt ihrerseits Teresa De Lauretis: Alice doesn’t, Bloomington: Indiana University Press 1986. Zu den »Verwandtschafts- nicht: Abstammungsbeziehungen« zwischen dem italienischen Gedanken der sexuellen Differenz und dem französischen Poststrukturalismus hat sich auch Antonio Negri ziemlich deutlich geäußert. Er gesteht jenem einen Vorteil gegenüber diesem zu, sofern es um den praktischpolitischen und konfliktgeladenen Charakter der Kategorie der Differenz geht und um die Verschiebung des Widerstands von den Rändern ins Zentrum des Systems, vgl. Antonio Negri: La differenza italiana, Roma: nottetempo 2005, insbesondere S. 19-22.
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Dieses Problem ist der poststrukturalistischen amerikanischen gender theory nicht unbekannt, wenn sie in Form einer selbstkritischen Reflexion selbst auf die Kluft, die sich zwischen den dekonstruktivistischen Strategien des Subjekts und der politischen agency auftut, zu sprechen kommt46: eine Reflexion, die das Problem reproduziert anstatt es zu lösen, insofern eine traditionelle Idee der agency und der Politik, die den Überlegungen zum Status des Subjekts nicht gerecht werden, impliziert ist. Schärfer und radikaler stellte Linda Alcoff bereits vor einigen Jahren die Frage nach der spontanen Übereinstimmung von poststrukturalistischer Dekonstruktion des Subjekts und dem klassischen liberalen politischen Horizont: wenn das Subjekt vollständig konstruiert ist, so endet seine Dekonstruktion mit der Bestätigung der Neutralität, mit der konsequenten Bestätigung des sozialliberalen Vertrags.47 Damit sind wir auf das zentrale Problem gestoßen: die postmoderne Ontologie des Subjekts riskiert es, die moderne politische Logik des Einen, die bekanntermaßen schon immer die Logik des Einen-Vielen sein konnte, in Form des fragmentierten und differenzierten Vielfältigen zu überbieten. Das Ergebnis ist eine Radikalisierung der Demokratie, die die identitäre Wurzel und Neigung, sowie den neutralisierenden Charakter unangetastet lässt und somit gegen die Perspektive der sexuellen Differenz wirkt.48
V. Zwei Faktoren tragen meiner Meinung nach dazu bei, dass ein großer Teil der feministischen Theorie zu diesem Ergebnis gelangt. Einerseits die fortschreitende Verschiebung von der Kategorie der Subjektivität zur Kategorie der Identität49; mit dieser Verschiebung fällt die poststrukturalistische theoretische Operation, die das Subjekt entwertet und auf einen gesellschaftlich und kulturell konstruierten Effekt reduziert, auf das fruchtbare Terrain der heutigen, zunehmend multikulturellen, pluri-identitären und postkolonialen Gesellschaften. Daraus folgt andererseits die semantische und begriffliche Verwirrung, die sich ergibt, wenn diese verschiedenen 46 Vgl. Leslie Wahl Rabine: »A feminist politics of non-identity«, in: Feminist Studies Nr. 1, 1988; Chris Weedon: »Subjects«, in: Mary Eagleton: A Concise Companion to Feminist Theory, a.a.O., S. 128. 47 Linda Alcoff: »Cultural Feminism versus Post-structuralism«, a.a.O. (Hier zitiert nach der ital. Übersetzung: Femminismo culturale e post-strutturalismo, in: Memoria Nr. 25, 1989, S. 20.) 48 Zur identitären Wurzel und Neigung der Demokratie vgl. Mario Tronti: »Per la critica della democrazia politica«, in: Marcello Tarì: Guerra e democrazia, Roma: manifestolibri 2005, S. 15-24 und meinen Kommentar in Eredi al tramonto, a.a.O. 49 Vgl. Marisa Forcina: Artikel »Differenza sessuale« in Enciclopedia filosofica, Milano: Bompiani 2006.
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Identitäten als »Differenzen« und als »Politik der Differenzen« oder »Politik der Differenz« benannt werden, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Politik der Identitäten und um eine Identitätspolitik handelt. Auf diese Weise wird die Geschlechtsidentität an die kulturellen, ethnischen und sozialen Identitäten angepasst. Am Ende dieser Operation, gleich ob sie sich auf dem Weg des klassischen liberalen Pluralismus oder auf dem Weg einer Politik der Anerkennung vollzieht, steht auf jeden Fall die Integration des Geschlechts in das Modell der repräsentativen Demokratie, das von einer Politik der Parität und der Gleichstellung getragen und trotz der radikalen Kritik, der es selbst in der amerikanischen Debatte ausgesetzt war,50 von einem unerschütterlichen Glauben an die Grammatik der Rechte gestützt wird.51 Mir ist bewusst, dass ich eine äußerst komplexe Debatte vereinfache und mich gegenüber gut artikulierten und mutigen Positionen ins Unrecht setze, die die egalitäre Syntax problematisiert haben und einen unermüdlichen Kampf sowohl gegen die neutralisierende Matrix des neo-kontraktualistischen Liberalismus als auch gegen die entgegengesetzte identitäre Matrix des Kommunitarismus geführt haben.52 Doch handelt es sich um eine Vereinfachung, die durch die Stellung, die der Frage der Identität in der globalen Gesellschaft, im Frieden und im Krieg, zukommt, in gewisser Weise gerechtfertigt ist. Im Krieg, insofern sie die »große Erzählung« vom »Zusammenstoß der Zivilisationen«, dem »Zusammenstoß« zwischen dem Westen und dem Islam legitimiert. Im Frieden, insofern das multikulturelle, angelsächsische Modell einerseits (welches sich als eine Strategie der Toleranz erwiesen hat, die gegenüber den kulturellen Unterschieden gleichgültig bleibt) und das französische Assimilationsmodell andererseits (welches sich dagegen als eine Strategie des intoleranten Egalitarismus erwiesen hat) gleichzeitig in die Krise geraten sind und deshalb Zweifel aufkommen, ob der moderne Leviathan mit der Logik des Einen-Vielen Konflikte von starker symbolischer Bedeutung, wie sie den Identitätskonflikten zukommt, lösen kann.
50 Vgl. Elizabeth Wolgast: La grammatica della giustizia, Roma: Editori Riuniti 1991. 51 Vgl. Diana Sartori: »Du Sollst. Ein mütterliches Gebot.«, in: Diotima: Jenseits der Gleichheit, a.a.O. S. 11-44. 52 Unerlässlich sind hier die Verweise auf Iris Marion Young: Justice and the Politics of Difference, Princeton: Princeton University Press 1990 und Seyla Benhabib: The Claims of Culture: Equality and Diversity in the Global Era, Princeton: Princeton University Press 2002. Im Mai 2006 hatte ich während des ersten Philosophie Festivals in Rom im Verlauf einer Konferenz zum Thema »Universalismus und Differenz« die kostbare Gelegenheit, mit Benhabib persönlich über diese Probleme zu diskutieren; vgl. die Veröffentlichung der Diskussion in: Micromega Nr. 3, 2007. Bei dieser Gelegenheit hat Benhabib mir auch ein Interview gegeben, vgl. Ida Dominijanni: »Differenza, tiro a due sponde«, in: il manifesto 21/05/2006.
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Dagegen verlangen die überzeugendsten Lösungsvorschläge dieser Konflikte eine begriffliche und praktische Umkehrung von der Identität zur Subjektivität. Ich denke dabei an die Narration als Praxis der transkulturellen Kommunikation, wie sie von Seyla Benhabib aufgezeigt wurde; an die gebrochene, hybride, gemischte Gestalt, die die Identität – sich de facto auflösend – in der postkolonialen Literatur annimmt,53 und an Judith Butlers Neuinterpretation der Dialektik der Anerkennung als ein Prozess, der sich in der Begegnung mit dem Anderen vollzieht, nicht um zu verteidigen, was man ist, sondern um sich einem anders-Werden zu öffnen. Dieser Prozess verlangt demnach nicht den Schutz, sondern den Verlust von Identität, die Suspension des Zwangs zur Selbsterhaltung.54 In den neuen Konstellationen der globalen Welt stirbt die Souveränität des Leviathan zusammen mit der Souveränität des Ich. Diese gleichzeitige Agonie verlangt es, den Strabismus zwischen postmoderner Ontologie und spätmoderner Politik zu korrigieren, in Richtung eines »Universalismus der Differenz«.55 Er folgt politisch aus einer Ontologie, die man als antiidentitäre Ontologie der Differenz definieren könnte. Mir scheint, dass dank der feministischen Theorie der vergangenen Jahrzehnte diese neue politische Ontologie Form annimmt und in der Krise der gegenwärtigen Politik bereits wirksam ist. Ich glaube nicht, dass die neue Ontologie im Sinne einer multiplen, nomadischen Subjektivität zu verstehen ist, die alles in der Positivität und in der Produktivität des Begehrens aufzulösen vermag. Nicht nur, weil meines Erachtens die Vielfältigkeit keineswegs gegen Rückfälle in die Logik des Einen immun ist, sondern weil ich denke, dass die Zeit gekommen ist, über die geheime Syntonie nachdenken, die, ohne jede Absicht zwischen dieser narzisstischen Neigung der zeitgenössischen Subjektivität und dem mobilen, flexiblen, auf die konsumistische Erfüllung der Bedürfnisse konzentrierten Profil des zeitgenössischen Kapitalismus besteht.56 Vielmehr ist der Schlüssel zu einer neuen Konstitution der Subjektivität und, damit zusammenhängend, zu einer neuen Form des soziosymbolischen Vertrags in der Struktur der Beziehung zu finden. Die Struktur der Beziehung, wie sie aus der primären Beziehung mit der Mutter hervorgeht, bricht mit der individualistischen Form, den Ansprüchen auf Transparenz und der Prädisposition zur Einverleibung des modernen Subjekts. Die Struktur der Beziehung ersetzt die Illusion seiner Souveränität und Autonomie durch das Bewusstsein seiner konstitutiven Abhängigkeit 53 Auch hier verweise ich auf eine persönliche Begegnung, in diesem Fall mit Homi Bhaba, vgl. Ida Dominijanni/Brett Neilson: »Il passato che non vuole passare, il futuro che non vuole aspettare«, in: il manifesto 12/11/2006. 54 Vgl. J. Butler: Kritik der ethischen Gewalt. 55 Vgl. Giacomo Marramao: Passaggio a Occidente, Torino: Bollati Boringhieri 2003. 56 Vgl. Elisabeth Roudinesco: La famiglia in disordine, Roma: Meltemi 2006, S. 149.
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und Fragilität; von Geburt an liefert sie es der wechselseitigen Betrachtung aus und verlangt von ihm, sich einer Ethik der Kommunikation, die die Macht, aber auch die Grenzen der Sprache kennt, zu stellen. Die Struktur der Beziehung bildet die ontologische Basis, die es ermöglicht, schließlich auch die atomistische Form moderner und postmoderner Gesellschaften, den abstrakten Charakter der Gleichheit, die patriarchale Prägung der Brüderlichkeit, die absoluten Ansprüche auf Freiheit, die Omnipotenz der Souveränität und der Entscheidung, die ödipale, auf dem Opfer basierende Wurzel des sozio-symbolischen Vertrags und nicht zuletzt das traurige Abdriften der heutigen »Politik bei Sonnenuntergang«57 zu überwinden. Es ist kein Zufall, dass diese relationale Gestalt der Subjektivität als Schlüssel zur Entzifferung und zur Überwindung der – buchstäblich – explosiven Widersprüche der globalen Welt nach dem 11. September, von Denkerinnen unterschiedlicher Herkunft entworfen wird.58 Doch bleibt dem italienischen Feminismus der Differenz der Vorteil, diese relationale Subjektivität in der Praxis der Beziehungen zwischen Frauen erprobt zu haben. Diese hat neue symbolische Formen und soziale Vermittlungen erzeugt, die in der Gegenwart, jenseits der allgegenwärtigen juristischen Vermittlung, das heißt gegen die Verkürzung der Politik auf Fragen des Rechts und der Rechte, bereits wirksam sind.59
VI. Ich hoffe, damit erklärt zu haben, warum ich die Vorwürfe des Essentialismus und des »prinzipiellen« Universalismus, die gegen den Gedanken der sexuellen Differenz erhoben werden, für unbegründet halte. Außerdem hoffe ich, deutlich gemacht zu haben, dass die wichtigste Bruchlinie im Innern der feministischen Theorie über zwei Punkte verläuft – die Kategorie der Identität und das politische Ziel der sozialdemokratischen Parität – und das Feld der feministischen Theorie im Vergleich zur Aufteilung, die aus der strengen Unterscheidung in Differenzdenken und gender theory hervorgeht, anders teilt.
57 Vgl. Anm. 33. Der Ausdruck »Politik bei Sonnenuntergang« stammt aus: Mario Tronti: La politica al tramonto, Torino: Einaudi 1998; für einen Kommentar aus der Perspektive der sexuellen Differenz verweise ich erneut auf meinen Aufsatz Eredi al tramonto, a.a.O. 58 Vgl. insbesondere J. Butler: Kritik der ethischen Gewalt; Dies.: Gefährdetes Leben, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005 und Adriana Cavarero: Orrorismo, Milano: Feltrinelli 2007. 59 Vgl. Diana Sartori: »Ma non affidiamo il futuro ai diritti« in: Aa. Vv., Globalizzazione e diritti futuri, Roma: manifestolibri 2004, und meinen eigenen Text »Prima dei diritti«, in: Marcello Tarì, Guerra e democrazia, a.a.O., S. 125-132.
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Mir bleibt, den dritten Vorwurf zu betrachten, den des Heterosexismus und der Verschlossenheit gegenüber der subversiven Macht des lesbischen und homosexuellen Begehrens. Damit wird das Bild noch komplizierter, doch die Kritik an der Kategorie der Identität bleibt entscheidend, wird sogar doppelt wichtig, denn jetzt erscheint sie nicht nur als sozio-politische, sondern auch als psychoanalytische Kategorie. Im Vergleich zur Freudschen Theorie wird der Akzent vom Unbewussten als Ort der Ausbildung der Sexualität zum Ich verschoben, das nunmehr als Ort der Verarbeitung und der bewussten Organisation von Konflikten, die die Zugehörigkeit und die sexuelle Rolle betreffen, betrachtet wird.60 Wenn ich es richtig verstehe, so betritt die Politik der sexuellen Identitäten die amerikanische Bühne als eine Mischung aus dieser Interpretation der Psychoanalyse und einer Interpretation der Politik der Anerkennung; dass sich der Konstruktivismus und das Foucaultsche Paradigma zur Analyse der Sexualität auf Kosten des Freudschen Paradigmas durchsetzen konnten, tat dann noch sein Übriges. Aber kann man das sexuelle Begehren, egal ob homo oder hetero, wirklich wie eine Identität konzipieren und behandeln, noch dazu wie eine Identität, die vollständig sozial und diskursiv durch Normen, Wissen und Mächte konstruiert ist? Oder ist es vielmehr so, dass seine identitäre Darstellung konstruiert wird, dass ein Begehren, das in jedem/jeder von uns das beweglichste, aber auch das unergründlichste und, weil weitestgehend unbewusst, das am wenigsten darstellbare ist, auf einen Namen festgelegt wird? Weit entfernt davon, die Geschlechtsidentitäten durch Strategien der Festlegung und der Anerkennung zu kontrollieren, tendiert Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter eher dazu, diese zu destabilisieren und aufzusprengen. Wie ich bereits in Bezug auf die politisch ausgerichtete Identität erklärt habe, stimme ich mit ihr in diesem Punkt überrein. Die Strategie dieser Destabilisierung ist bei Butler nach Das Unbehagen der Geschlechter vielschichtiger geworden: es ist nicht die omnipotente Geste eines Subjekts, dass sich parodistisch eine sexuelle Identität nach Maß »anfertigt«. Das Geschlecht »auflösen« ist eine komplexe Operation, in der sich die persönliche Dimension des Begehrens, die kollektive Dimension des politischen Handelns und die soziale Dimension der Norm kreuzen; sie gemahnt an eine tragische Dimension der Subjektivität, auf der Kippe zwischen Autonomie und Abhängigkeit, sie hat es mit schmerzempfindlichen Körpern und Strategien des Überlebens, der Anerkennung und
60 Vgl. zur Rekonstruktion der Theorie der core gender identity von Robert Stoller (Ders.: Sex and Gender. On the Development of Masculinity and Femininity, New York: Aronson 1968) Reimut Reiche: Triebschicksal der Gesellschaft. Über den Strukturwandel der Psyche, Frankfurt a.M.: Campus 2004, und Robert W. Connell: Questioni di genere, a.a.O., S. 155-161.
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der Lebensqualität zu tun.61 Die Entwicklung der Butlerschen Theorie rechtfertigt deshalb in keiner Weise jene »ungenierte« Rezeption, die aus ihr die Anweisung zu einer vollständigen Emanzipation des Körpers von den natürlichen und biologischen Bindungen62 oder zu einem leichtfertigen »Austausch« der sexuellen Identität ableitet. Diese Rezeption ruft jedoch die Prämissen des Butlerschen Diskurses auf den Plan, insofern sie an den Konstruktivismus und an eine Konzeption der Sexualität als Quelle der – wenngleich nicht essentialistischen, so doch konstruierten – Identität, die mehr dem Territorium des Ich denn dem des Unbewussten zuzuschreiben ist, gebunden bleibt. In jedem Fall muss die Rezeption als Symptom einer Auslegung, die die queer theory entwickeln kann, interpretiert werden, die paradoxerweise, gegen jede Intention, damit endet, dass ent-körperlichte und ent-sexualisierte Wucherungen von gender gestärkt werden.63 Das war das erste Problem, auf das ich aufmerksam machen wollte. Das zweite bezieht sich mehr auf das Verhältnis von Heterosexualität und weiblicher Homosexualität und die damit verbundene Frage nach dem Verhältnis von gesellschaftlicher und symbolischer Ordnung sowie deren Veränderungsmöglichkeiten. Eine Frage, die, wie wir gesehen haben, im Zentrum der Theorie Irigarays steht und die auch sehr stark in Butlers Denken pulsiert64 – mit dem entscheidenden Unterschied, dass für Irigaray der Dreh- und Angelpunkt der symbolischen Ordnung, auf den es einzuwirken gilt, um sie zu verändern, die Forclusion, die Verwerfung der Mutter-Tochter-Beziehung ist, während es für Butler die heterosexuelle Norm ist (was zu zwei verschiedenen Interpretationen des ödipalen Musters führt, auf die ich hier nicht näher eingehen kann65). Daraus folgen offensichtlich zwei verschiedene theoretisch-politische Strategien: für Irigaray (und den italienischen Gedanken der sexuellen Differenz) verändert sich die symbolische Ordnung, indem die Mutter-Tochter-Beziehung dem Symbolischen zugeführt wird; für Butler, indem die heterosexuelle Norm subversiv unterlaufen wird. Im ersten Fall führt der Weg über die symbolische Homosexualität zwischen Frauen, wie wir sie im italienische Feminismus praktiziert haben, im zweiten Fall über das homosexuelle und queere Begehren. Mir scheint, dass der erste Weg nicht nur theoretisch fundierter, sondern auch strategisch weitsichtiger ist, insofern sein politisches Projekt zur Subversion der phallogozentrischen Ordnung sowohl die
61 Vgl. die Einführung von Olivia Guaraldo: »La disfatta del gender e la questione dell’umano«, in: Judith Butler, La disfatta del genere, Roma: Meltemi 2006, S. 7-22. 62 Vgl. beispielsweise Michael Hardt/Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt a.M.: Campus 2004. 63 Vgl. R. Reiche: Triebschicksal der Gesellschaft. 64 Vgl. Judith Butler: Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001 und Dies.: Undoing gender. 65 Ich verweise nochmals auf die Kritik Braidottis an Butler, die mir in diesem Punkt überzeugend erscheint.
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Heterosexuellen als auch die Homosexuellen einschließt und außerdem die Möglichkeit zur Veränderung der Beziehung zwischen Männern und Frauen offen lässt. Doch ich weiß, nicht zuletzt aus einem inzwischen weit zurückliegenden Dialog mit Teresa De Lauretis, dass dieses Argument alle diejenigen wenig überzeugt, die dagegen die Besonderheit und die größere subversive Macht des homosexuellen Begehrens behaupten oder die symbolische Homosexualität für eine Umgehung des Problems halten,66 und ich weiß darüber hinaus, dass dieses Urteil, wie alle theoretischen Urteile, die in der Erfahrung gründen, angehört und in seinem Anspruch auf Wahrheit ernstgenommen werden muss. Ich lasse diese Frage und die Auseinandersetzung deshalb offen. Was mich allerdings, nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der theoretischen Ebene, nicht überzeugt, ist, dass die Homosexualität der Seite der Norm, der Normalität und der Normativität zugeschlagen wird. Meiner Meinung nach riskiert oder beinhaltet diese einseitige Festlegung, dass die symbolische Ordnung, oder besser Unordnung, in der wir heute leben beziehungsweise die Wirkungen der feministischen Revolution, die in ihr bereits wirksam sind, falsch eingeschätzt werden. So sehr die heterosexuelle Norm und Normativität weiterhin die Politik der Parlamente und Kirchen beherrscht, wie sich in allen westlichen Demokratien bezüglich der Legalisierung der homosexuellen Paare zeigt, so zeigt sich doch gleichfalls, dass die heterosexuelle Beziehung nicht erst seit heute jedes Kennzeichen von »Normalität« verloren hat, wie sowohl die soziologischen, psychologischen, psychoanalytischen Untersuchungen belegen (als auch die Tagesgeschehnisse und die Kontaktanzeigen der Boulevardpresse). Aus dieser Sicht erscheint die Wiederholung der Norm tatsächlich wie das performative Zitat einer Struktur, die umso mehr betont werden muss, je tiefgreifender sie beschädigt wird: Das nicht zu sehen bedeutet, das enorme Unbehagen, das der Feminismus bezüglich der Beziehungen zwischen Frauen und Männern bereits erzeugt hat und die herausragende Rolle, die die Homosexualität im »Sexualitätsdispositiv« der westlichen Gesellschaften zu Beginn des neuen Jahrtausends übernommen hat, zu unterschätzen.67
VII. Ich komme zum Ende und kehre zum Ausgangspunkt zurück. Trotz der »transatlantischen Verbindungslosigkeit« und vor allem dank der Stimmen, die nicht von den zwei Küsten des Atlantiks kommen, haben die gender theory und der Gedanke der sexuellen Differenz eine gemeinsame 66 Vgl. Teresa De Lauretis: La pratica della differenza sessuale e il pensiero femminista in Italia, a.a.O., S. 50-54. 67 Bezüglich dieses letztgenannten Punktes verweise ich noch einmal auf R. Reiche: Triebschicksal der Gesellschaft.
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theoretische Agenda, die sich an der keineswegs leichten Aufgabe, eine politische Ontologie zu entwerfen, die der globalen Welt und ihren Widersprüchen angemessen ist, messen muss. Würde man sich heute, in einem veränderten Kontext, damit aufhalten, die selben Kontroversen von vor zwanzig Jahren zu reproduzieren, so wäre dies eine unnötige Energieverschwendung; Energie, die der nützlicheren Aufgabe, aus den jeweiligen Erinnerungs- und Erfahrungsspeichern zu schöpfen und sich neuen Erfahrungen zu öffnen, entzogen wäre. Die italienische Erfahrung einer Theorie, die die Praxis als konstitutives Element bewahrt, ist ein hilfreiches Gegengift gegen die Tendenz zur Akademisierung des feministischen Wissens, die übrigens auch im angloamerikanischen Bereich, nicht erst seit heute, kritisiert wird. An dieser Tendenz ist, meiner Meinung nach, die strukturalistische (mehr als die poststrukturalistische) Genese des Begriffs »gender« nicht unbeteiligt, seine Verwendung im Bereich der Gesellschaftsanalyse ist einerseits sehr flexibel, andererseits leicht entpolitisiert oder entpolitisierend, jedenfalls von den politischen Motivationen der feministischen Theorie abstrahierbar. Dabei sei angemerkt, dass kein Begriff unversehrt in die Geschichte eingeht. Wenn »gender«, wie Judith Butler bemerkt hat,68 durch die Ideologie des Vatikan, die »gender« als Synonym für Homosexualität und Transsexualität fürchtet und die gay-lesbian studies, die ihm die Zugehörigkeit zum Geschlecht und zur Sexualität entziehen, um sie für sich in Anspruch zu nehmen, einem doppelten Angriff ausgesetzt ist, so riskiert die »sexuelle Differenz«, dem Vatikan, der dazu tendiert, sie erneut zu essentialisieren, um seine Ideologie von der Frau-Mutter zu stärken, und den Biowissenschaften, die dazu tendieren sie erneut zu naturalisieren und sie ihrer engen Verwandtschaft mit der Psychoanalyse zu entziehen, zu sehr zu gefallen. Andererseits, wenngleich »gender«, wie Butler hervorhebt, in der Sprache der Vereinten Nationen Legitimation erfahren hat, so ist es doch gerade diese Leichtigkeit, mit der sich »gender« im offiziellen politischen Vokabular behaupten konnte, die mehr als verdächtig ist: wenn der Begriff in Italien von Berufspolitikern, Frauen und Männern, gebraucht wird, so ist er nichts anderes als die politisch korrekte Version des alten Begriffs »Frauenfrage«, mit der gesamten Ladung an Selbstbemitleidung, Emanzipationismus, Paternalismus und Frustration, die dieser Begriff mit sich führt; sowie eine hervorragende Abschirmung, um im institutionellen Theater nicht einmal von weitem das Echo der Sexualität widerhallen zu lassen. Schließlich zeigt seine leichte (wenngleich fast immer enttäuschende) Aufnahme in die progressive Agenda seine Kompatibilität mit dem liberaldemokratischen Pluralismus: in einer Welt, in der sich die Demokratie in Quoten aufteilt, wenn sie nicht gerade mit Bomben exportiert wird, verweigert man niemandem, erst recht nicht dem schönen Geschlecht, eine 68 J. Butler: Undoing gender, S. 174ff.
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Quote in einem Parlament oder in einem Verwaltungsrat. Nicht zuletzt deshalb spreche ich weiterhin lieber von der sexuellen Differenz: weil sie etwas Unbeugsames und nicht Darstellbares evoziert, weil sie der politischen Rationalität die sexuelle und geschlechtliche Wurzel des menschlichen Zusammenlebens immer wieder präsentiert, wie ein verdrängtes Gespenst oder eine offene Rechnung. Übersetzt aus dem Italienischen von Catrin Dingler
Gender – ein epistemisches Ding? Zur Geschichtlichkeit des Verhältnisses von Natur, Kultur, Technik und Geschlecht ASTRID DEUBER-MANKOWSKY
Meine Überlegungen zur Frage »Was kommt nach der Genderforschung?« gehen von zwei Beobachtungen aus. Die erste bezieht sich auf die Veränderungen im Bereich der »Genderforschung« und die spezifische Geschichtlichkeit des Begriffs Gender selbst, die andere auf die Lehre und das Verhältnis der Studierenden zu ihrem Fach Gender Studies. Den Beobachtungen zum Studium entlang der Kategorie Gender werde ich die Frage anschließen, wie sich das politische Programm des Gender Mainstreaming und die um dieses entstandenen Diskurse zu den neueren Tendenzen in der Forschung verhalten, welche sich zunehmend an Fragen ausrichten, die sich durch die Veränderungen des Wissens von der Natur und der Kultur und des Verhältnisses von Gesellschaft und Technik stellen. Diese Veränderungen lassen sich an der aktiven Rolle ablesen, welche der Technik, bzw. den in Technologien materialisierten Wissensprozessen und Geschichten in den Science Studies, der Wissenschaftsgeschichte und der Medienwissenschaft, aber auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften zugesprochen wird. Die Aufmerksamkeit für die aktive Rolle des Technischen in der Wissensproduktion korrespondiert mit den tief greifenden Veränderungen der alltäglichen Lebenswelt, die mit den digitalen Medientechnologien und dem Eintritt der Lebenswissenschaften in den Alltag einhergehen. Wir brauchen nur an die Veränderungen zu denken, wie heute gestorben wird, wie gezeugt und geboren wird, was es heißt, gesund oder krank zu sein, wie die Selbstversorgung und Selbstführung organisiert wird, wie Risiken verteilt werden und wie Politiken der Technologien und Selbsttechnologien eingeübt und im Kontext neuliberaler Regime dis-
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kutiert werden.1 Diese Veränderungen korrelieren mit nachträglichen Bedeutungsverschiebungen der Kategorie Gender. Meine Antwort auf die Frage, was nach der Genderforschung komme, besteht in dem Vorschlag, Gender als eine Frage des Wissens zu verstehen; als ein »epistemisches Ding« in dem Sinne, in dem Hans-Jörg Rheinberger den Begriff in die Wissenschaftsgeschichte eingeführt hat. Epistemische Dinge sind nach Rheinberger »die Dinge, denen die Anstrengung des Wissens gilt – nicht unbedingt Objekte im engeren Sinn, es können auch Strukturen, Reaktionen, Funktionen sein.«2 Rheinberger geht es darum, das Primat der im Werden begriffenen wissenschaftlichen Erfahrung gegenüber ihrem begrifflichen und verfestigten Resultat zur Geltung zu bringen. Dabei betont er, dass die begriffliche Unbestimmtheit nicht defizitär, sondern handlungsbestimmend und das meint zukunftseröffnend ist. Das epistemische Ding ist mithin zugleich die Frage, die den Forschungsprozess eröffnet, wie auch dessen Ergebnis. Dabei nimmt es während der gesamten Zeit aktiv am Forschungsprozess teil. Diese Teilnahme manifestiert sich durch die Widerstände, die es den Forschenden entgegensetzt, das heißt konkret: durch die Fragen, die es aufwirft. Epistemische Dinge sind Diskursobjekte und präsentieren sich in einer »charakteristischen, irreduziblen Vagheit und Verschwommenheit«3 – eben darin erweist sich ihre Materialität, ihre Produktivität und ihre Zukunftsfähigkeit.
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Vgl. Gesa Lindemann: Die Grenzen des Sozialen. Zur sozio-technischen Konstruktion von Leben und Tod in der Intensivmedizin, München: Fink 2002. Sarah Franklin: »Making representations. The parliamentary debate on the Human Fertilisation and Embryology Act«, in: Jeanette Edwards u.a. (Hg.), Technologies of Procreation. Kinship in the Age of Assisted Conception. 2nd Edition, New York: Routledge 1999, S. 127-165. Desw. Sarah Franklin/Susan McKinnon (Hg.), Relative Values. Reconfiguring Kinship Studies, Durham/London: Duke University Press 2001; Sara Franklin/Celia Roberts: Born and Made. An Ethnography of Reimplantation Genetic Diagnostics, Princeton/New Jersey: Princeton University Press 2006. Einen gute Einführung in die Diskussion der neuen Technologien im Bereich der Ethnologie gibt Michi Knecht: »Ethnographische Wissensproduktion und der Körper als ethnografisches Objekt im Feld moderner Reproduktionsmedizin«, in: Beate Binder, Wolfgang Kaschuba (Hg.), Ethnographie Europäischer Modernen, Münster: Waxmann, S. 429-438. Einen Einblick in die Bedeutung der Medientechnologien für die Globalisierung geben Manuel Castells/Jack Linchuan Qui/Mirela Fernandez-Ardeval, Araba Sey: Mobile Communication and Society A Global Perspective. Information Revolution and Global Society, Cambridge, Massachussetts: The MIT Press 2006. Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006, S. 27. Vgl. ebd., S. 27.
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1. Die Forschung entlang der Kategorie Gender Die feministische Forschung entlang der Kategorie Gender zeichnet sich dadurch aus, dass sie seit ihren Anfängen mit ihrem Gegenstand zugleich die Kategorie Gender selbst problematisierte. Den Gegenstand der Gender Studies verstehe ich im Folgenden als Genealogie der Machtverhältnisse und Archäologie des Geschlechts im Verhältnis zur Geschichte der Sexualität, des begehrenden Körpers, der Institutionen, der Disziplinar- und Regierungssysteme, der Identität, der Kategorien Race/Ethnicity, Class, sexuelle Orientierung, Alter etc. und der Wissenssysteme der Natur und der Kultur. Die Problematisierung der eigenen epistemologischen Grundlagen oder, um es mit Judith Butler zu formulieren, das Forschen entlang kontingenter Grundlagen kann als Bestandteil des kritischen Selbstverständnisses der Gender Studies betrachtet werden; wobei Gender Studies hier in einem weiten Sinn als Geschlechterstudien figurieren, um die sich (und die sich gleichermaßen um) Sexuality Studies, Männlichkeitsstudien, Queer Studies, Transgender Studies, Critical Whiteness Studies etc. sammeln, differenzieren und lösen.4 Die Problematisierung der eigenen Grundlagen geschah und geschieht jedoch nicht programmatisch, sondern ereignet sich unvorhersehbar und krisenhaft. Die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze fasst diese Krisen als »Erschütterungen« des Gender-Paradigmas durch vier »anti-universalistische Lernerfahrungen«,5 die jede für sich zu einer Bedeutungsverschiebung und Neudefinition von Gender führte. Die erste anti-universalistische Erfahrung war, Dietze folgend, die Entwicklung des Gender-Paradigmas selbst. Es richtete sich gegen den diagnostizierten Androzentrismus. Die zweite anti-universalistische Herausforderung bildete die Kritik der Woman of Color an der Gleichsetzung von weiblicher Erfahrung mit der Erfahrung weißer Mittelklassefrauen. Auf diese Herausforderung durch den Vorwurf des Rassismus und Eurozentrismus reagierte, wie Dietze weiter ausführt, die Genderforschung mit dem Konzept von Whiteness als einer sowohl unsichtbaren wie hegemonialen Norm, welches zugleich eine neue Forschungsperspektive eröffnete und die Interdependenz der Kategorien Gender und Race bzw. Ethnicity in den Blick rückte. Die dritte anti-universalistische Lernerfahrung zielte auf die Sex-GenderDifferenz und die mit der Annahme eines ›natürlichen‹ gegebenen, biologischen Sexes einhergehende Privilegierung der heterosexuellen Mutter als Prototyp für Weiblichkeit. Diese vor allem durch Judith Butler formulierte 4
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Zum ambivalenten Verhältnis von Gender- und Queer Studies vgl. Annette Schlichter: »Queer at Last? Straight Intellectuals and the Desire for Transgression«, in: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 1/4 (2004), S. 543-564. Gabriele Dietze: »Allegorien der Heterosexualität. Intersexualität und Zweigeschlechtlichkeit – eine Herausforderung der Gender Studies?«, in: Die Philosophin. Intersex und Geschlechterstudien. 28 (2003), S. 9-35, hier: S. 10.
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und bekannt gewordene Kritik an der heterosexuellen Matrix führte zur Forderung, das Konzept der Heteronormativität in das Gender-Paradigma aufzunehmen und sich damit vor Augen zu halten, welche Ausschlüsse die Gender Studies im Zuge ihrer Disziplinwerdung produzieren. Die vierte Herausforderung ortet Dietze schließlich im Diskurs der Intersexualität und der Kritik an der körperlich definierten Zweigeschlechtlichkeit. Sie würde, so Dietze, »die Norm der Geschlechterpolarität selbst zum Gegenstand machen«, womit das »Ordnungssystem der geschlechtlich definierten Binarität selbst […] in einem seiner wichtigsten Zeichensysteme, der Übereinkunft, dass es nur zwei mögliche Körper gibt, zur Diskussion« stünde.6 Man könnte Dietzes Darstellung weitere Erschütterungen – etwa durch die Men- bzw. Männlichkeitsstudien – hinzufügen. Man könnte den Schwerpunkt auch mehr auf die Verzweigungen und Abspaltungen legen, welche durch die genannten Erschütterungen induziert wurden oder die Differenzen zwischen den Diskursen unterschiedlicher disziplinärer, geographischer und/oder kultureller Herkünfte mehr hervorheben. Unbezweifelbar ist jedoch, dass das Gender-Paradigma mehrere signifikante Bedeutungsverschiebungen durchlaufen hat und dass diese Bedeutungsverschiebungen nicht unabhängig waren von bestimmten medizinischen Praktiken und Technologien wie den endokrinologischen Hormonbehandlungen, plastischen Verfahren der Chirurgie und den Wissensbeständen der Lebens- und Sexualwissenschaften. Dass der Begriff Gender nie über eine gesicherte Bedeutung verfügte, hängt nicht zuletzt mit seiner Vor- und Entstehungsgeschichte zusammen. Donna J. Haraway hat in ihrem 1991 erschienenen Artikel »›Gender‹ for a Marxist Dictionary: The Sexual Politics of a Word«7 darauf hingewiesen, wie sehr die Begriffsgeschichte von Gender, der Sex/Gender Unterscheidung, wie sehr die Gender Studies selbst geprägt sind durch die Tatsache, dass die Errichtung von Gender als einer kritischen Kategorie sich auf ein Genderkonzept stützte, dass seinerseits als ein Wissensprodukt, als ein Knoten von Bedeutungen und Technologien von Sex und Gender aus den »normalisierenden, liberalen, interventionistisch-therapeutischen, empirischen und funktionalistischen Lebenswissenschaften« in den USA der Nachkriegszeit hervorgegangen war. Die von Haraway zitierten »Life Sciences« umfassten Psychologie, Psychoanalyse, Medizin, Biologie und die Sozialwissenschaften gleichermaßen und widmeten sich dem Problem, wie mit Hilfe technischer, medizinischer und institutioneller Diskurse und Technologien bis hin zu staatlichen Erziehungs- und Bildungsprogrammen »Gender Identity« hergestellt und gesichert werden kann. Zu nennen ist 6 7
Vgl. ebd., S. 13. Donna J. Haraway: »›Gender‹ for a Marxist Dictionary: The Sexual Politics of a Word«, in: Simians, Cyborgs, and Women, New York: Routledge 1991, S. 127-149.
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hier einerseits das 1958 am Medical Centre for the Study of Intersexuels and Transsexuels der University of California 1958 eingerichtete Gender Identity Research Project, dessen Forschungsergebnisse von dem Psychoanalytiker Robert Stoller veröffentlicht und generalisiert wurden.8 Robert Stoller führte den Begriff Gender Identity 1963 am Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Stockholm ein. Sex war für Stoller verbunden mit Biologie, das meint, wie Haraway differenziert, mit Hormonen, Genen, dem Nervensystem und der Morphologie, Gender mit Kultur, das heißt mit dem Wissenssystem der Psychologie und der Sozialwissenschaften.9 Zu erwähnen sind andererseits das Projekt des Psychoendokrinologen John Money und seine Veröffentlichungen mit Anke Ehrhardt. Gemeinsam entwickelten und popularisierten sie an der 1966 gegründeten Gender Identity Clinic der Medical School der John’s Hopkins University eine interaktionistische Version des Gender-Identitäts-Paradigmas.10 Money führte den Begriff Gender-Role bereits 1955 ein und weitete ihn später zu dem Begriff der Gender-Identity-Role aus. Bekannt geworden ist Money insbesondere durch den viel diskutierten so genannten Fall John/Joan bzw. Bruce/Brenda. Bruce war ein Junge, dessen Penis bei der rituellen Beschneidung durch einen Unfall irreparabel verletzt wurde und der unter der Behandlung und auf Rat von Money als Mädchen erzogen und in Brenda umbenannt worden war. Während die Geschlechtsumwandlung in Moneys Augen erfolgreich verlief, stellte sie für Bruce/Brenda eine nicht endende Leidensgeschichte dar. Er verübte nach einer erneuten Geschlechtumwandlung 2004 und nach einer erneuten Umbenennung in David, als Ehemann und Vater von drei adoptierten Kindern Selbstmord.11 Der Fall wurde, wie Claudia Lang pointiert formuliert, »zum ideologischen Schlachtfeld des Natur-Kultur-Gegensatzes und damit in gewisser Weise auch zwischen Bio- und Sozialwissenschaften und führte zu einem Paradigmenstreit im medizinischen Umgang mit Intersexualität«.12 So präsentierte der Biologe Milton Diamond in den späten neunziger Jahren die Geschichte von David Reimer in einer medienwirksamen Kontroverse als Beleg für seine biologistische und als Widerlegung der sozial-konstruktivistischen Argumentation John Moneys.13
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Zu der aktuellen Diskussion in Deutschland vgl. Claudia Lang: Intersexualität. Menschen zwischen den Geschlechtern, Frankfurt a.M.: Campus 2006. D. Haraway: »›Gender‹ for a Marxist Dictionary«, S. 133. Vgl. ebd. Vgl. ausführlich: C. Lang: Intersexualität, S. 163ff. Desw. G. Dietze: »Allegorien der Heterosexualität«, S. 16ff. Lang weist darauf hin, dass der Selbstmord von David Reimer nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit den Geschlechtsumwandlungen gestellt werden kann. C. Lang: Intersexualität, S. 163. Zur Kontroverse zwischen Money und Diamond vgl. Anne Fausto-Sterling: Sexing the Body: How Biologists Construct the Body, New York: Basic Books 2000, S. 67ff. Desw. Lang: Intersexualität, S. 165ff.
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Die Forschungen von Stoller und Money folgten dem »Lehrsatz« der Physiologie, nach dem man aus der Pathologie eines Organs sehr viel über das normale Verhalten eines Organs erfahren könne. Entsprechend bildete das Ziel ihrer Forschungen über Trans- und Intersexualität nicht die Erschütterung der Zweigeschlechtlichkeit und die Öffnung für neue Positionen und sexuelle Differenzen, sondern im Gegenteil, das dezidierte Ziel war die Produktion von Gender Identity, ein Konzept, das seinerseits als Norm fungierte und das Regime der Heteronormativität umso fester etablierte.14 Die Prägung des Begriffspaars Sex/Gender erscheint im Kontext von Michel Foucaults Untersuchungen zu Sexualität und Wahrheit als produktiver Einsatz des Sexualitätsdispositivs, an der Schnittstelle der Disziplinierung des Körpers und der bevölkerungspolitischen Produktion von Wissen über das Leben und der Regulierung der Gattung.15 Die Unterscheidung eines kulturellen Geschlechts (Gender) und eines biologischen Geschlechts (Sex) wurde Anfang der siebziger Jahre in die feministische Wissenschaftskritik eingeführt.16 Dabei entsprang die kritische Kraft der Kategorie Gender, nach ihrer Entwendung aus dem medizinischen und psychoanalytischen Diskurs der 60er Jahre, ihrer Einbindung in die Frage nach dem Ursprung des Wissens über die Differenz zwischen Kultur und Natur und der kritischen Befragung der entsprechenden Ursprungsentwürfe. So hatte die Anthropologin Gayle Rubin in ihrem methodologischen Artikel The Traffic in Women aus dem Jahr 1975 die Einführung des »sex/gender-Systems« verbunden mit einer kritischen Revision der Erklärungsmodelle, welche die Psychoanalyse auf der einen und die Ethnologie auf der anderen Seite vom Verhältnis und der Entstehung der Kultur aus der Natur in Verbindung mit der Differenz der Geschlechter gaben. In Ermangelung eines »eleganteren Ausdrucks« hatte Rubin, wie sie schreibt, auf das Begriffspaar sex/gender zurückgegriffen, um »die Vorkehrungen, durch die ein Gesellschaftssystem biologische Geschlechtlichkeit in Produkte menschlicher Aktivität transformiert und innerhalb deren diese transformierten Sexualbedürfnisse befriedigt werden«, das »sex/gender-System«17 zu nennen. Die Ausgangspunkte ihrer Analysen bildeten zum einen Claude Levi-Strauss’ These, welche den Ursprung der Kultur im Frauentausch vermutete, und zum anderen Freuds psychoanalytische Theorie, welche die Frage nach der Geschlechtsidentität mit der Internalisierung der symbolischen Ordnung verband. Beide – sowohl die 14 Dies zeigt Gabriele Dietze sehr klar in ihrer Darlegung des Vorgehens von Money im Fall John/Joan. G. Dietze: »Allegorien der Heterosexualität«, S. 17f. 15 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Band 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977, S. 171. 16 Ann Oakley: Sex, Gender and Society, London: Harper and Row 1972. 17 Gayle Rubin: »The Traffic in Women: Notes on the Political Economy of Sex«, in: Toward an Anthropology of Women, Rayna R. Reiter (Hg.), New York: Monthly Review Press 1975, S. 157-210.
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strukturalistische Anthropologie als auch die Psychoanalyse – basierten auf der Annahme eines immanenten Zusammenhangs zwischen der Herausbildung der Differenz zwischen Kultur und Natur und der Differenz der Geschlechter. Während jedoch sowohl Strauss wie auch Freud die Geschlechterdifferenz – im Unterschied zur Differenz Natur/Kultur – als naturgegeben voraussetzten und die Entstehung der Kultur selbst – wie weiland Kant18 – aus der vermeintlich naturgegebenen Geschlechterdifferenz erklärten, führte Rubin das sex/gender System ein, um die kulturellen Ursprünge der so gedeuteten Geschlechterdifferenz aufzudecken. Das Motiv war, die kulturelle Bedingtheit der angeblichen »Natürlichkeit« der Geschlechterhierarchie nachzuweisen. In Rubins epistemologischen Überlegungen wurde das sex/gender-System zu einem Schlüssel, um das Funktionieren der sexuellen Unterdrückung zu rekonstruieren und zu kritisieren. Sie verband die Einführung des sex/gender-Systems mit dem Traum »einer androgynen Gesellschaft ohne soziale Geschlechter und Geschlechtsidentitäten (nicht aber ohne geschlechtliche Differenz), in welcher die geschlechtliche Anatomie weder die Identität noch das Handeln, noch die Sexualität der Einzelnen bestimmt«.19 Die kritische Kraft der Kategorie Gender entsprang, um es zusammenzufassen, daraus, dass die Kritik der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der Ungleichheit der Geschlechter verbunden wurde mit der wissenschaftskritischen Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Archäologie des wissenschaftlichen Wissens über die Grenze zwischen Natur und Kultur und der Grenze zwischen den Geschlechtern.20 Anders als Stoller und Money banden die Vertreterinnen der Gender Studies die Kategorie Gender in den Kontext der Frage nach dem Zusammenhang von Herrschaft, Wissen und Macht ein. Die Forschung entlang der Kategorie Gender war damit, um es anders zu formulieren, involviert in aktuelle epistemologische und erkenntniskritische Fragen, die im Kontext der Diskussionen um das postmoderne Wissen ausgetragen wurden. So leitete Joan Scott in ihrem einflussreichen Essay »Gender: eine nützliche Kategorie der historischen Analyse« aus dem Jahr 1986 ihren Vorschlag, Gender als eine analytische Kategorie zu verstehen, mit der Bemerkung ein: »Mir scheint es bedeutsam, dass der Gebrauch von Gender gerade während eines großen erkenntnistheoretischen Durcheinanders auftritt, welches in einigen Fällen unter Sozialwissenschaftlerinnen zu einer Verlagerung von wissenschaftlichen auf literarische Paradigmen führt (von einer Betonung der Ursache zur Betonung der Bedeutung, die verschiedenen Arten der Bedeu18 Vgl. ausführlicher zu Kants Behandlung der Geschlechterdifferenz: Astrid Deuber-Mankowsky: Praktiken der Illusion. Kant, Nietzsche, Cohen, Benjamin bis Donna J. Haraway, Berlin: Vorwerk 8 2007, S. 72-99. 19 G. Rubin: »The Traffic«, S. 159. 20 Judith Butler: »Das Ende der Geschlechterdifferenz?«, in: Jörg Huber/Martin Heller (Hg.), Interventionen 6, Konturen des Unentschiedenen, Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld 1997, S. 25-45.
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tungen vermischend, wie Clifford Geertz es formulierte). […] In dem durch diese Debatte eröffneten Raum stehen die Feminist/-innen auf der Seite der Kritik der Wissenschaft durch die Geisteswissenschaft und der Kritik der Empirie und des Humanismus durch die Poststrukturalisten. So haben die Feminist/-innen nicht nur angefangen, eine eigene theoretische Stimme zu finden, sondern sie haben auch noch wissenschaftliche und politische Bündnispartner gefunden«.21 Scott wendet sich zunächst gegen die Reduktion der Kategorie Gender auf den physischen Unterschied der Geschlechter als einzige Variable, radikalisiert in der Folge jedoch die Frage nach der Konstitution der Geschlechterdifferenz und nach Legitimierung ihrer Erkennbarkeit, indem sie Gender als analytische Kategorie als die Verbindung folgender zwei Teildefinitionen mit den weiteren Unterteilungen bestimmt: »1. Gender ist ein konstitutives Element von gesellschaftlichen Beziehungen und gründet auf wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern; 2. Gender ist eine wesentliche Weise, in der Machtbeziehungen Bedeutung verliehen wird.«22 Mir kommt es hier vor allem auf die Formulierung an, nach der Gender auf wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern gründe. Denn mit dieser Formulierung löste Scott die Geschlechterunterschiede von den physischen Körpern; sie entsubstantialisiert die Geschlechterdifferenz und öffnet die Frage des Unterschieds und der Identität der Geschlechter für wahrnehmungsästhetische und medientheoretische Fragen. Die epistemischen Fragen, die sich im Anschluss an Butlers These der Performativität von Sex und Gender stellen, werden heute vor allem im Kontext von medientheoretischen Überlegungen diskutiert.23 Die Forschung entlang der Kategorie Gender führte in der Folge immer tiefer in die Fragen nach dem Verhältnis von Wissen und Körper, Sprache und Welt, von Natur und Geschichte, Medialität und Materialität, Natur und Kultur und, auf erkenntnistheoretischer Ebene, immer tiefer in die Paradoxa, denen sich das Denken ausgesetzt sieht, wenn es versucht, die Differenz zwischen Natur und Kultur zu erfassen. Die Erfahrung, entlang der Kategorie Gender statt zu einfachen Antworten zu immer mehr Fragen zu finden, hat sich in Form einer unabgebrochenen methodologischen Reflexion auf die Potenzen und Grenzen des Begriffspaars Sex und
21 Joan Scott: »Gender. Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse«, in: Dorothee Kimmich u.a. (Hg.), Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart, Stuttgart: Reclam 1997, S. 416-440, hier S. 430. 22 J. Scott: »Gender«, S. 430. 23 Wie sehr sich die mediale Bedingtheit von Gender in der performativen Konstitution der Medien selbst wiederholt und einholt, hat Andrea Seier in ihrer vor kurzem veröffentlichten Dissertation dargelegt: Remediatisierung. Die performative Konstitution von Gender und Medien. Reihe: Medienwelten. Braunschweiger Schriften zur Medienkultur. Bd. 6. Münster: Lit Verlag 2007.
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Gender niedergeschlagen. Da Gender Studies transdisziplinär angelegt sind und Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen an ähnlichen Fragen arbeiteten, kamen auch die Grenzen der einzelnen Disziplinen ins Spiel, die ihrerseits methodisch reflektiert sein wollten.
2. Die Frage der Technik Hält man sich die von Donna Haraway bereits 1991 problematisierte Archäologie des Begriffspaars Sex und Gender vor Augen, so scheint sich ein Kreis zu schließen, wenn sich ein Teil der »Genderforschung« aus verschiedenen disziplinären Standpunkten in den letzten Jahren dem Verhältnis der Kategorie Gender zur Geschichte des Wissens und den in der Technik materialisierten Wissenspraktiken selbst zuwendet. Kam die Kategorie Gender zunächst als Nahtstelle und Grenze zwischen Natur und Kultur und damit als ein transdisziplinärer Gegenstand der Wissenschaften vom Menschen auf der einen und der Naturwissenschaften auf der anderen Seite in den Blick, so führen die im Feld der Gender Studies behandelten Gegenstände viele Wissenschaftlerinnen zur Problematisierung der im Rahmen der Lebenswissenschaften – die heute die Genetik, die Reproduktionsmedizin, die Agrarwissenschaften und die Neurowissenschaften umfassen24 – generierten Technologien und Wissensgegenstände und ihrer Verflechtung mit dem lebensweltlichen Alltag. Zwischen die Konzepte Natur – Kultur, Zweigeschlechtlichkeit, Körper und Wahrnehmung schob sich die Frage nach der Technik. Die kontroversen Diskussionen um Donna J. Haraways Cyborgmanifesto25 mögen als Symptom dafür gelten, dass sich die in Technologien materialisierten Diskurse und Wissensgeschichten, die technischen Dinge und Medientechniken immer deutlicher als eigenwillige Aktanten und Mitspieler in der Produktion und Gestaltung von gesellschaftlichen Realitäten in den Vordergrund rückten. Es dauerte freilich, bis das Ausmaß dieser neuen Herausforderung Konturen annahm. Dies korrespondierte mit der Einsicht, dass die Technisierung des Wissens eigene Logiken, Politiken, Notwenigkeiten, Wissenspraktiken und -produkte, Diskurse, Medien, Dinge und Dispositive hervorbringt, die Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse, Tod und den Ursprung des Lebens, Krankheit und Gesundheit ebenso neu zu denken verlangt, wie die Kategorie des Geschlechts und der Identität und das Verhältnis von Gender und Sex selbst.26 24 Vgl. Kerstin Palm: »Lebenswissenschaften«, in: Christina von Braun u.a. (Hg.), Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien, Köln: Böhlau 2005, S. 180-199. 25 Vgl. dazu ausführlich: A. Deuber-Mankowsky: Praktiken der Illusion, S. 278ff. 26 Vgl. die Verweise in Fußnote 1. Zur Frage, wie Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse neu gedacht werden, möchte ich den von Sarah Franklin
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Wie sehr sich mit der Aufnahme relationistischer Konzepte der Science Studies, wie sie exemplarisch und federführend etwa von Donna J. Haraway vertreten werden, der Zugang zur Frage der Technik wandelt, zeigt etwa der vergleichende Blick in Barbara Dudens 1991 veröffentlichtem Buch Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Missbrauch des Begriffs Leben27 und Bettina Bock von Wülfingens 2007 erschienene Studie Genetisierung der Zeugung. Eine Diskurs-und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte28. So erscheint die Verwandlung des weiblichen Körpers in ein technologisch-organisches wissenschaftliches System bei Duden als Alptraum und die historische Besinnung auf die Faktizität weiblicher Körpererfahrung als Remedium gegen eine bedrohliche Zukunft. Bock von Wülfingen dagegen sucht lebbare Zukünfte in einer Redefinition von Technik als Technologien und der Einschreibung von gesellschaftlichen Praxen in diese Technologien und verzichtet dabei konsequent auf die Bezugnahme auf Erfahrungen von körperlicher Integrität und oder auf Entitäten wie den Körper, die Frauen bzw. Männer, die Gesellschaft oder eben die Technik. Mit feinem Gespür für das Ausmaß der sich im Gang befindlichen Veränderungen des Verhältnisses von Natur, Kultur, Körperwahrnehmung, Technik und Wissen untersuchte die Historikerin Barbara Duden in den späten achtziger Jahren die Bedingungen, »unter denen im Laufe einer Generation neue Techniken und Sprechweisen das Verständnis und das Erleben von Schwangerschaft umgestülpt haben.«29 »Denn«, so begründete sie ihr Forschungsinteresse, »in wenigen Jahren wurde aus dem Kind ein Fötus, aus der schwangeren Frau ein intrauterines Versorgungssystem, aus dem Ungeborenen ein Leben und aus dem ›Leben‹ ein säkularkatholischer, also allumfassender Wert.«30 Die Möglichkeit, dass sich der »Schoß von Frauen« vom »›Lebensraum‹ des Kindes unter dem Herzen zum bedrohten Immunsystem« verwandeln konnte, stellte für Duden eine »geschichtstheoretische«, eine »heikle epistemologische Frage« dar. Duden zitierte in ihrem Buch die bekannte Stelle aus der Einleitung zum zweiten Band der Geschichte der Sexualität von Michel Foucault, um das Motiv ihres Fragens und den befreienden Effekt zu beschreiben, den die von ihr praktizierte Körpergeschichte habe: »Es war Neugierde, jene Neugierde, die den Historiker zu einer Art Besessenheit berechtigt, nämlich zu einem Wissenwollen, dem es nicht auf die Bewältigung der Vergangenheit an-
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und Susan McKinnon herausgegebenen Band Relative Values. Reconfiguring Kinship Studies hervorheben. Barbara Duden: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Missbrauch des Begriffs Leben, Hamburg/Zürich: Luchterhand-Literaturverlag 1991. Bettina Bock von Wülfingen: Genetisierung der Zeugung. Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte, Bielefeld: transcript 2007. B. Duden: Der Frauenleib, S. 10. Vgl. ebd.
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kommt, sondern auf die Distanz zur eigenen Selbstverständlichkeit.«31 Diese Distanzgewinnung deutet Barbara Duden im Folgenden als eine Möglichkeit, sich von dem Alptraum zu befreien, als welcher sich ihr die zeitgenössischen Veränderungen der Körperwahrnehmung der schwangeren Frauen darstellte. Die wissenschaftliche Neugier half ihr, wie sie zum Schluss des Buches schreibt, »zu einem Lachen über den Spuk«, von dem ihr Essay handle.32 Für Duden stellt die Auseinandersetzung mit den Körpererfahrungen von Frauen aus dem 18. Jahrhundert die Möglichkeit dar, sich von der Körpererfahrung ihrer Gegenwart zu lösen, die, wie sie detailliert und präzise analysiert, bestimmt ist von technowissenschaftlichen, systemtheoretischen, kybernetischen und religiösen Metaphern. Die historische Neugier verhalf ihr zu einer Wiederbesinnung auf den weiblichen Körper, der als eine für sich bestehende Bezugsgröße der Wahrnehmung rekonstituiert wird. Damit hielt sie freilich zugleich an eben jenem Denken der Geschlechterdifferenz fest, das sich im Zuge der Moderne herausgebildet hat. Die Zweigeschlechtlichkeit steht für Duden nicht unter dem Verdacht der Heteronormativität oder des Essentialismus, sondern sie stellt die natürliche Referenz für eine kritische Position dar, welche die Technisierung der Wissensproduktion, die Technisierung der Wahrnehmung, der Körperwahrnehmung und der Gesellschaft als einen »Spuk« erscheinen ließ. Damit führten, wie man zugespitzt formulieren könnte, Dudens Körpergeschichte und ihre Analyse der Gegenwart gerade nicht zu einer Veränderung im Denken, wie Foucault sie intendierte, sondern sie führten im Gegenteil zu einer Rekonstituierung des Paradigmas der Aufklärung und der Moderne. Die dargestellte Referenz auf eine naturgegebene Einheit von Körper und Geschlecht fehlt in der kürzlich erschienenen Studie der Biologin und Wissenschaftstheoretikerin Bettina Bock von Wülfingen. Sie beruft sich auf Foucaults Diskursanalyse, die sie im Sinne einer wissenschaftlichen Methode zur Datenerhebung und -deutung anwendet. Die Genetisierung der Zeugung ist der Versuch, die emanzipatorischen Potentiale innerhalb der stattfindenden Veränderungen im Verhältnis von Technologien, Wissen, Gesellschaft und Alltag zu eruieren und die Ambivalenzen innerhalb der Diskursstränge ausfindig und für eine emanzipatorische Politik nutzbar zu machen. Dabei geht es Bock von Wülfingen nicht weniger als Duden um die von Duden so präzise formulierte Fetischisierung und Sakralisierung des Fötus und, damit einhergehend, der Fetischisierung und Sakralisierung des »bloßen« bzw. abstrakten Lebens. Anders als Barbara Duden macht Bettina Bock von Wülfingen ihre Kritik jedoch nicht an der Besinnung auf den Körper und die weibliche Körpererfahrung fest. Bock von Wülfingen versteht Technik und Technologie im Anschluss an feministische Lesarten der sich auf Bruno Latour stützenden Science- und Techno31 Vgl. ebd., S. 17. 32 Vgl. ebd., S. 132.
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logy Studies als »Teil des sie gestaltenden Diskurses«.33 Mit Donna Haraway, Karen Barad u.a. geht Bettina Bock von Wülfingen davon aus, dass die Politik nicht jenseits, sondern in der Technik selbst liege. Das meint: Was ein bestimmtes Artefakt oder eine Technologie möglich mache, wie einschränkend sie seien, welche Ausschlüsse sie produzieren, sind als politische und nicht als technikontologische Aspekte zu verstehen. Artefakte, soziale Strategien und politische Ziele sind in dieser Perspektive nicht voneinander zu trennen. Ausgehend von der Verwobenheit von Technologien und Diskursen – Haraway nennt sie materiell-semiotische Knoten – und vor dem Hintergrund des Konzeptes der foucaultschen Gouvernementalität – der Kunst der Fremd- und Selbstregierung – stellt Bock von Wülfingen schließlich die Forderung nach einer »Integration der Gesellschaft in Technologie«34 auf. Das Geschlecht wird in diesem methodischen Zugang ebenso de-essentialisiert und in Praktiken überführt, wie »die Technik«, oder »die Gesellschaft«. Unter Anwendung des Gouvernementalitätskonzepts denkt Bock von Wülfingen konkret an die Einrichtung von interdisziplinären Gender Walk in Centres, in denen Entscheidungen in Bezug auf Hormontherapien, Schönheitsoperationen, Geschlechtsoperationen, Kinderwunsch etc. unabhängig vom Konzept der Gender Identity beratend begleitet werden. Dabei sollen freilich, anders als zur Zeit üblich, Entscheidungen gegen eine Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Technologien als ebenso einschneidend und der Begleitung bedürfend behandelt werden, wie Entscheidungen für deren Inanspruchnahme. Das politische Ziel orientiert sich hier an einem Technologien und Politiken verbindenden Relationismus, in dem, wie Bock von Wülfingen in Anlehnung an Donna Haraway formuliert, im Verbund mit den Dingen und neuen Technologien »Bedeutungen und Körper, in denen sich leben lässt, in integrativ-partizipativem Sinne konstruiert werden«.35 Die Folge ist, dass die Forschung entlang der Kategorie Gender nicht mehr isoliert von diesem Geflecht von Relationen stattfindet. Gender wird in komplexer Weise als Moment einer sich in Interaktion befindlichen Vielzahl von Kategorien analysiert, die aufeinander prallen, sich überlagern und überschneiden.36 Diese Entwick33 34 35 36
B. Bock von Wülfingen: Genetisierung, S. 62. Vgl. ebd., S. 323. Vgl. ebd., S. 324. Diese Fokussierung auf die Interdependenz und die Interaktion macht, wie Sybille Hardmeier und Dagmar Vinz unterstreichen, auch das zentrale Charakteristikum des Ansatzes der Intersektionalität aus. »Er fokussiert«, so Hardmeier/Vinz, »erstens nicht auf die Addition von Diskriminierungsachsen, sondern auf die Interaktion und Interdependenz derselben. Intersektion verweist auf Kreuzungen, Überlagerungen und Überschneidungen. Das Konzept ist folglich mehrdimensional, soll Pluralität abbilden und zeichnet ein multiples und widersprüchliches Subjekt.« Sybille Hardmeier/Dagmar Vinz: »Diversity und Intersectionality – eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft«, in: Femina Politica 1/2007, S. 23-33, hier S. 26.
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lung kann als Ende einer bestimmten Weise der Geschlechterforschung betrachtet werden, sie kann jedoch auch, wie etwa Haraway vorschlägt, als Ausweitung und Komplexitätsgewinn ausgelegt werden: »Gender is always complexly part of many other categories that pull against it, with it, constantly. All of those issues have led feminist theorists to be writing about all sorts of things that at first blush don’t look like topics in feminist theory, but are. The sensibilities of feminist theory are brought to those other topics, and those other topics turn out to be at the heart of things to do with positioning, insistence of gender, sexuality, species, being.«37 Diese Forschung, in der die Kategorie Gender sich gelöst hat vom Konzept der Genderidentität, sich weder am Körper, noch an der Differenz von Natur und Kultur orientiert, sondern die Gesellschaft und die Politik in die Technologie zu integrieren sucht, ist nicht weniger dem Versuch geschuldet, anders zu denken, als man denkt, als das Buch von Barbara Duden. Es ist allerdings ein Denken, das sich nicht mehr auf das Paradigma der Aufklärung und dessen Denken der Geschlechterdifferenz und der Konzepte von Natur, Kultur und Technik stützt, sondern versucht, sich auf neue Wege einzulassen.
3. Das Studium: Gender, ein epistemisches Ding Doch lässt sich diese Komplexität, um nun von der Forschung auf die Institutionalisierung der Genderforschung in der Lehre zu kommen, Studierenden vermitteln? Wie erscheint diese hochkomplexe und voraussetzungsvolle »Genderforschung«, wenn man sie aus der Perspektive der Studierenden betrachtet? Meine Beobachtung mag vielleicht überraschen: Die Komplexität ist den Studierenden zumutbar, wenn sie nur zu einem besseren Verständnis der Gegenwart führt, in der wir und in der sie leben. Die Thematisierung des Verhältnisses der Kategorien Gender und Sex zu den Wissenschaften des Menschen auf der einen und den Naturwissenschaften auf der anderen Seite, die Erkenntnis der Geschichtlichkeit dieser Unterscheidung, die Beschäftigung mit Intersexualität, Transsexualität, Transgender und deren Verbindung zu medizinischen Technologien und der Geschichte der Endokrinologe, die Veränderungen der Geschlechterund Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse durch die Reproduktionstechnologien, Queer Studies und die Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit – alle diese in den letzten Jahren in den Fokus gerückten Themen lassen das Studium der Gender Studies für viele Studierende zu einem »Versuch« werden, der, um ein weiteres Mal auf Michel Foucault zurück zu kommen, eine im wörtlichen Sinn zu verstehende Denkerfahrung, eine 37 Donna J. Haraway: »Conversations with Donna Haraway«, in: Donna Haraway. Live Theory. Joseph Schneider (Hg.), New York, London 2005, S. 131f.
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»verändernde Erprobung seiner/ihrer selber ist«. Gender löst sich dabei von dem Konzept der Genderidentität und wird zu einem epistemischen Ding38, einem Objekt des Wissens, das Wissen zum Objekt des Begehrens und die Erkenntnis zur Übung seiner selbst. In diesem Sinn antwortete ein Student des im WS 2005/6 an der RuhrUniversität Bochum eröffneten Masterstudiengangs Gender Studies. Kultur – Kommunikation – Gesellschaft, auf die Frage, was es für ihn bedeute, Gender Studies zu studieren, in einer E-Mail folgendermaßen: »In allen Lebensbereichen prägt Gender das Selbstbild von Personen genauso, wie die Form ihres Umgangs mit anderen Menschen. Als Fundamentalkategorie wirkt es sowohl auf die Konstruktion persönlicher Identitäten, als auch in Form einer Strukturdeterminante, anhand derer sich Gesellschaft organisiert. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Gender könnte also dabei helfen, die Perspektive des unmittelbaren Alltags zu ergänzen, um so zu einem umfassenderen Verständnis seiner Einflussbereiche und Wirkungsmechanismen zu gelangen. Diese Verschränkung von wissenschaftlicher Abstraktion und der alltäglichen Präsenz persönlicher Erfahrungen machen Gender Studies für mich so interessant. Der große Einflussbereich, den die Kategorie Geschlecht innerhalb der Gesellschaft abdeckt, erfordert einen interdisziplinären Analyseansatz, so dass die vielfältigen Formen der Annäherung – beispielsweise aus philosophischer, soziologischer oder auch kunsthistorischer Perspektive – einen weiteren Anreiz für Menschen mit einem breiten Spektrum an Interessen darstellen können. Auch die Verknüpfung mit aktuellen Debatten (demographischer Wandel, Organisation des Arbeitsmarktes etc.) sowie die Aufhebung sozialer Ungleichheit und der Ausblick auf zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen als mögliche Konsequenzen eines innovativen Forschungs-Diskurses sind Gründe meiner Begeisterung für Gender-Studies.« Wenn ich Gender als »epistemisches Ding« – als eine Frage des Wissens und der Forschung – bezeichne, und zugleich sage, dass Studierende der Gender Studies ihr Studium im Sinne von Michel Foucault als eine Erfahrung, als eine Übung ihrer selbst verstehen können, so ist das zugleich beschreibend und programmatisch gemeint.39 Beschreibend, weil mir die Differenzierung, die Jörg Rheinberger mit dem Begriff des epistemischen Dings zwischen technischen und epistemischen Dingen einführt, um das Verhältnis zwischen epistemischen und technischen Momenten im For38 Vgl. H.-J. Rheinberger: Experimentalsysteme, S. 25. 39 Konkret zeigt sich eine Entwicklung in diese Richtung darin, dass zunehmend Forschungsprojekte und Förderungsprogramme für Promovend/-innen zum Thema Geschlecht und Wissen eingerichtet und entwickelt werden. Ein prominentes Beispiel ist das aus dem Magisterstudiengang »Gender Studies/ Geschlechterstudien« an der Humboldt-Universität zu Berlin hervorgegangene Graduiertenkolleg »Geschlecht als Wissenskategorie« (www.geschlecht-alswissenskategorie.de vom 5.5.2007).
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schungsprozess als bewegliches zu definieren, auch für das Verhältnis von Gender, Sex, Technik, Kultur und Natur überzeugend erscheint. Programmatisch, weil die Einführung des Begriffs des epistemischen Dings die Frage provoziert und wach hält, wie Veränderungen, die Produktion von Neuem und Unvorhergesehenem, möglich sind, ohne auf Konzepte wie Fortschritt und Entwicklung zu rekurrieren. So geht es Rheinberger mit der Einführung des Begriffs des epistemischen Dings zunächst um eine Differenzierung zwischen den Anteilen, welche den technischen Dingen und dem experimentellen Denken im Prozess der Forschung zukommt. Anstatt das philosophische Denken dem Technowissen gegenüberzustellen, plädiert er – im Wissen um die mythenbildende Kraft von Namen und Wörtern – mit der Kreierung des Begriffs des epistemischen Dings dafür, »das Denken als nach wie vor konstitutiven Teil experimenteller Arbeit zu begreifen, als in ihr verkörperter Bewegung des Aufschließens, das immer schon in seinen technischen Bedingungen haust, diese aber zugleich transzendiert und einen offenen Horizont für das Auftauchen unvorwegnehmbarer Ereignisse schafft.«40 Rheinberger wehrt damit sowohl die Vorstellung ab, die Wissenschaft gehe als Technowissenschaft im Technischen auf, als auch deren Gegenpart, Denken könne sich in einem von technischen Dingen freien Raum ereignen. Das käme dem Versuch gleich, entmaterialisiert zu denken. Wie sehr sich das Konzept des epistemischen Dings von einem solchen Unternehmen absetzt, zeigt sich etwa in dem explizit formulierten Ziel, dem »Primat der Theorie« zu entgehen und auf die »Materialitäten, an denen sich die Forschung abarbeitet«41 besonderes Augenmerk zu legen. Worin aber zeigen sich diese Materialitäten? Rheinberger nähert sich ihnen auf einem Umweg, über die Erfahrung, in »nicht mehr ableitbarer Weise in epistemische Praktiken, in experimentelle Situationen verwickelt zu sein«. Eben diese Erfahrung gilt es als Ausgangs- und als Mittelpunkt des experimentellen Denkens darzustellen. Rheinberger kreiert dazu einen weiteren Begriff: den des Experimentalsystems und setzt ihn an Stelle des Begriffs des »empirischen Denkens«.42 Als »kleinste Einheit der Forschung« löst das Experimentalsystem die Vorstellung des Forschungsprozesses als eines Subjekt-Objekt-Verhältnisses und eines Testverfahrens, in dem das Experiment dazu dient, Hypothesen zu verifizieren bzw. zu falsifizieren, durch die Vorstellung eines Prozesses ab, an dessen Herausarbeitung der Erkenntnisgegenstand ebenso beteiligt ist wie die Forschenden und die technischen Dinge, die Aufschreibesysteme und Techniken der Darstellung. Wie Rheinberger in exemplarischen Fallstudien zeigt, sind zukunftseröffnende Experimentalsyseme so eingerichtet, »dass sie noch unbekannte Antworten auf Fragen geben, die der Experimentator ebenfalls noch gar 40 H.-J. Rheinberger: Experimentalsysteme, S. 33. 41 Vgl. ebd., S. 23. 42 Vgl. ebd., S. 11.
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nicht klar zu stellen in der Lage ist.«43 Gut eingerichtete Experimentalsysteme entstehen, so könnte man zusammenfassen, im Rückgriff auf Vorhandenes, in einem Prozess der Wiederholung, in dessen Verlauf nach Differenzen getastet wird. Es sind Systeme, die sich differentiell reproduzieren.44 Mit dem Modell des Experimentalsystems und des epistemischen Dings löst Rheinberger die Produktion von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen von der Vorstellung des klassischen Repräsentationsdenkens. So entlehnt er den Begriff des »repräsentationalen Kontexts«, um den Anteil zu betonen, den die Techniken der Repräsentation an der Erscheinung des epistemischen Dings haben. Die Materialität zeigt sich mit anderen Worten immer erst nachträglich in Form von Spuren, die sich niederschlagen als Schrift: als tabellarische Aufzeichnungen, Kurven, Diagramme. Epistemische Dinge sind, wie Rheinberger unter Rückgriff auf Derridas Denken der Différance zusammenfasst, »Bündel von Inskriptionen«45. Die Materialität des epistemischen Dings erweist sich in der Variation, dessen Widerständigkeit in der Verfehlung der Wiederholung, die ohne Verfehlung und ohne Variation nicht mehr als ein repetitiver Leerlauf wäre. Damit korreliert die Materialität des epistemischen Dings mit der Widerständigkeit und mit der spezifischen, sich als Verfehlung manifestierenden Materialität, die Judith Butler – ebenfalls unter Bezugnahme auf Derridas Begriff der Iterabilität und des Denkens der Différance – im Hinblick auf Gender festgestellt hat: Die Materialität von Gender erweist sich in den Verfehlungen von repetitiven Anweisungen, die binären Geschlechtercodes zu wiederholen. Gender wird ebenso wie das epistemische Ding als ein Diskursobjekt gedacht, dessen Stabilität durch regelgeleitete Wiederholung von Aussagen und den Einsatz von bestimmten Technologien, Medien und Darstellungsweisen garantiert wird. Dabei korrelieren Materialtät und Widerständigkeit darin, dass sich in der Verfehlung der Wiederholung Unberechenbares, eben Kontingentes ereignet, das zugleich neue Möglichkeiten und die Möglichkeit der Subversion identitätsfixierten und reduktionistischen Denkens eröffnet. »Wenn die Regeln, die die Bezeichnung anleiten«, so schreibt Butler in Das Unbehagen der Geschlechter, »nicht nur einschränkend wirken, sondern die Behauptung alternativer Gebiete kultureller Intelligibilität ermöglichen, d.h. neue Möglichkeiten für die Geschlechtsidentität eröffnen, die den starren Codes der hierarchischen Binaritäten widersprechen, ist eine Subversion der Identität nur innerhalb der Verfehlungen repetitiver Bezeichnung möglich.«46 Die Frage ist, wie Butler lakonisch und pointiert daraus schließt, »nicht ob, sondern
43 44 45 46
Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 89. Vgl. ebd. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 213.
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wie wir wiederholen«.47 Mit den Konzepten des epistemischen Dings und des Experimentalsystems schreibt Rheinberger diese Frage – die Frage, wie wir wiederholen – in die Wissenschaftsgeschichte und damit zugleich in die Vorstellung ein, die wir von der Wissenschaft, den Natur-, Technound Lebenswissenschaften, schaffen. Die Bezugnahme auf Derridas Begriffe der Spur, der Nachträglichkeit, der Schrift, des Graphems, der Wiederholung, des Kontexts, auf Foucaults Genealogie und Diskursanalyse soll dazu beitragen, »das Erscheinungsbild der Wissenschaft als monolithisches Unternehmen gründlich und nachhaltig zu hinterfragen«.48 Die Bezugnahme auf diese repräsentationskritischen Formen des Denkens und des Wissens eröffnet, wie man mit Haraway formulieren könnte, die Möglichkeit einer besseren und komplexeren Darstellung der Wissenschaft, der technischen Dinge und unserer technischen Lebensform.
Nachtrag: Gender Mainstreaming 1999 wurde Joan W. Scott mit dem Hans-Sigrist-Preis der Universität Bern für Gender Studies ausgezeichnet und hielt zu diesem Anlass eine Preisrede mit dem Titel »Die Zukunft von Gender. Phantasien zur Jahrtausendwende«49. Statt die Geschichte der Kategorie Gender als Erfolgsgeschichte zu präsentieren, hielt Scott einen kritischen Rückblick und bezweifelte, ob Gender als kritische Analysekategorie überhaupt eine Zukunft habe. Und dies, obwohl ›Gender‹ innerhalb kurzer Zeit zum zentralen Begriff einer der wichtigsten Bewegungen in der Wissenschaftsforschung am Ende des 20. Jahrhunderts geworden war, und obwohl Scott selbst durch ihren bereits zitierten Aufsatz »Gender: A Useful Category of Historical Analysis« aus dem Jahr 1986 dazu beigetragen hatte. Was brachte Joan W. Scott dazu, die Preisrede als Anlass für eine Abrechnung mit der Geschichte des Begriffs Gender zu benutzen? 1999 hat die EU mit der Verabschiedung des Amsterdamer Vertrags ihre Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, im Rahmen des »Gender Mainstreaming« die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Die Bundesrepublik setzte diese Forderung im Jahr 2002 mit der Erklärung des »Gender Mainstreaming« zum Regierungsprogramm um. Dies ist auf den ersten Blick ein politischer Erfolg, erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch als sehr zweischneidig und bei dieser Zweischneidigkeit setzt Scotts Kritik an. Mit der Einbindung der Kategorie Gender in das Regie47 Vgl. ebd., S. 217. 48 H.-J. Rheinberger: Experimentalsysteme, S. 225. 49 Der Vortrag ist in englischer Originalversion unter dem Titel »Millenial Fantasies. The Future of Gender in the 21st Century« (S. 19-38) und der deutschen Übersetzung (aus d. Amerik. v. Caroline Arni) dokumentiert in: Gender. Die Tücken einer Kategorie. Joan W. Scott. Geschichte und Politik. Claudia Honegger/Caroline Arni, Zürich: Chronos 2001, S. 39-64.
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rungsprogramm »Gender Mainstreaming« gehe eine Bedeutungsverschiebung einher, in deren Verlauf sich Gender aus einer kritischen Analysekategorie in ein Synonym für »Männer« und/oder »Frauen« verwandele. Ich möchte zur Illustrierung der genannten Bedeutungsverschiebung eine Erklärung zitieren, die auf der offiziellen Homepage der EU der Einführung in das Programm des »Gender Mainstreaming« vorangestellt ist: »Die Maßnahmen zur Gleichstellung erfordern ein ehrgeiziges Konzept, das von der Anerkennung der weiblichen und der männlichen Identität sowie der Bereitschaft zu einer ausgewogenen Teilung der Verantwortung zwischen Frauen und Männern ausgehen muss.«50 »Gender Mainstreaming« präsentiert sich hier als ein Programm, das mit der ausgewogenen Teilung der Verantwortung nicht nur die Geschlechterteilung, sondern auch die Vorstellung einer bestimmten weiblichen und männlichen Geschlechteridentität perpetuiert. Joan W. Scott sah diese Entwicklung bereits aus der Formulierung des »Gender Mainstreaming« Konzepts voraus, wie es während der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 verabschiedet wurde. Treffend beschrieb sie das Programm in der Hauptsache als eine Aufforderung, »Statistiken und statistische Prognosen nach Geschlecht aufzuschlüsseln«.51 Wie genau Scott die Zukunft von Gender im Hinblick auf die Konsequenzen eines Regierungsprogramms »Gender Mainstreaming« voraussah, wird durch die Veröffentlichung eines Gender-Manifests bestätigt, das im Januar 2006 in Kooperation zwischen dem genderbüro Berlin und dem GenderForum Berlin entstand.52 In diesem Manifest, das von sechs Genderexpert/-innen verfasst wurde, die zum großen Teil selbst in der GenderPraxis, also der Gender-Beratung und Gender-Fortbildung tätig sind, formulieren die Autor/-innen ihre Beunruhigung angesichts der Beobachtung, dass im Bereich von Gender-Training und Gender-Beratung Geschlechterkonzepte dominieren, welche die aktuelle heteronormative Ordnung der Geschlechter reproduzieren statt verändern. Häufig würden die Bezeichnungen »Frauen« oder »Männer« einfach ersetzt durch das populär gewordene »Gender«. Des Weiteren stellen sie fest, dass Gender Mainstreaming zunehmend als »neoliberale Reorganisationsstrategie zur Optimierung ›geschlechterspezifischer Humanressourcen‹« interpretiert werde. Gender diene als Analysekategorie, um Geschlechterunterschiede – zumeist mithilfe statistischer Verfahren – mit dem Ziel zu diagnostizieren, eine vermeintliche Geschlechtsneutralität zu widerlegen. Beunruhigend finden die Verfasser/-innen des Manifestes, dass dabei zugleich Unterschiede inner50 http://europa.eu.int/comm/employment_social/equ_opp/gms_de.html vom 21.3.2007. 51 J. Scott: Die Zukunft von gender, S. 58. 52 Das Manifest wurde u.a. abgedruckt in: Switchboard. Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit. Nr. 177/August-September 2006, S. 4-7. Der Text steht als PDF-Datei im WWW unter der Adresse: www.maennerzeitung.de vom 21.2.2007.
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halb der »Genustypen« ausgeblendet und eine Homogenisierung von Männern und Frauen stattfinde. Das Fazit ist ernüchternd. Hatte Scott doch Recht, als sie, »gegen einen breiten feministischen Konsens«, zu dem Schluss kam, »gender sei vielleicht nicht mehr die nützliche Kategorie, die sie einmal war – nicht, weil der Feind die Oberhand gewonnen hätte, sondern weil diese Kategorie die jetzt anstehende Arbeit nicht zu leisten vermag«?53 Scott bezieht sich, wenn sie von der anstehenden Arbeit spricht, auf die Kritik des Wissenschaftsdiskurses, der im Rahmen des wachsenden Einflusses der Gentechnologie und der Fortschritte der Reproduktionsmedizin in den USA bereits zu großen Teilen von neodarwinistischen Evolutionstheorien beherrscht wird. Dies trifft auf die mit der Neurobiologie verbundene Emotionsforschung ebenso wie die Evolutionspsychologie, die Mikrobiologie und die Informationstechnologie zu. Dieser Bewegung im Wissenschaftsbetrieb sei, so lautet die These von Scott, mit der Kategorie Gender nicht mehr beizukommen. Ihre Kritik an dem Begriff Gender zielt auf zwei Punkte. Der eine betrifft die bereits behandelte Verschleifung der Kategorie Gender im Lauf ihrer Institutionalisierung, die im Gebrauch von Gender als Synonym für Frauen und Männer im Programm des »Gender Mainstreaming« kulminierte. Der andere den Zusammenhang zwischen dieser reduktionistischen Verwendung von Gender und der biologistischen Auslegung von Gender im Rahmen reduktionistischer Auslegungen der Evolutions- und Kognitionstheorien. »In den Vereinigten Staaten (und in den Vereinten Nationen) ist gender zu einer Frage des allgemein üblichen Sprachgebrauchs geworden und wird gewohnheitsmäßig als Synonym für Frauen dargeboten, für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, für das biologische Geschlecht. Manchmal steht der Begriff für die sozialen Regeln, die Männern und Frauen auferlegt werden, aber nur selten verweist er auf das Wissen, das unsere Wahrnehmungen von Natur organisiert. […] Kaum jedoch wird danach gefragt, wie die Bedeutungen von ›Frauen‹ und ›Männer‹ diskursiv gebildet und verfestigt werden, welche Widersprüche diese Bedeutungen durcheinander bringen, was die Begriffe ausschließen, welche Variationen subjektiv erfahrener ›Weiblichkeit‹ in verschiedenen normativen Geschlechterregimes sinnfällig gewesen sind, welches der Zusammenhang ist – und ob es einen solchen gibt – zwischen gegenwärtigen wissenschaftlichen Auffassungen etwa über Kognition oder Evolution einerseits und Geschlechterdifferenz andererseits.«54 Dies ist ein ernüchterndes Fazit. Mit dem Vorschlag, Gender als epistemisches Ding zu verstehen, habe ich versucht, eine Alternative zu formulieren, um weder die Genderforschung noch die Wissenschaften, noch unsere technischen Lebenformen in einer reduktionistischen Darstellung zu verkürzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang zum Schluss an einen 53 J. Scott: Die Zukunft von gender, S. 42. 54 Vgl. ebd., S. 59.
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Vorschlag erinnern, den Donna J. Haraway bereits 1986 formulierte: Statt die Spannung, die das Begriffspaar sex-gender erzeugt, aufzugeben, fordert sie, das biologische und das kulturelle Geschlecht als zwei unterschiedliche miteinander verflochtene Wissenssysteme verstehen zu lernen. Dazu gehört, die vermeintlich natürlichen Gegebenheiten mit ihrer Medialität und ihrer spezifischen Geschichtlichkeit und ihren Ursprüngen aus Wissenschaften, Ökonomie und Technik zu konfrontieren. Da die von Haraway vorgeschlagene Rückbindung des sex/gender-Systems an zwei unterschiedliche Wissenssysteme die Annahme unmöglich macht, es gäbe eine der Kultur voraus liegende Natur, die nicht ihrerseits Produkt eines wissenschaftlichen Systems – zum Beispiel der Biologie – sei, könnte dies die Kategorie Gender, verstanden als epistemisches Ding, entgegen Scotts Bedenken doch zu der anstehenden Arbeit einer Kritik der reduktionistischen Spielarten biowissenschaftlicher, neurobiologischer und neodarwinistischer Theorien im gegenwärtigen Wissenschaftsdiskurs befähigen. Diese Kritik könnte dann verbunden werden mit jenem Anliegen eines »verantwortungsvollen Umgangs mit der Kategorie Gender«, der sich, wie die Autor/-innen des Gender-Manifests betonen, der »Gender-Paradoxie« bewusst sei und »die Gleichzeitigkeit der Herstellung und Überwindung von Geschlecht zum produktiven Ausgangspunkt des Handelns« nehme. Die Frage ist, um Judith Butler noch einmal zu zitieren, nicht ob, sondern, wie wir wiederholen.
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Kommentar z um Be itrag: Gender – ein epistemisches Ding? * EVA BORST
Dem Wissenschaftshistoriker und Biologen Hans-Jörg Rheinberger verdanken wir den Begriff »epistemisches Ding«. »Epistemische Dinge sind Dinge«, so schreibt Rheinberger, »denen die Anstrengung des Wissens gilt – nicht unbedingt Objekte im engeren Sinn, es können auch Strukturen, Reaktionen, Funktionen sein. Als epistemisch präsentieren sich diese Dinge in einer für sie charakteristischen, irreduziblen Verschwommenheit und Vagheit.«1 Die begriffliche Unbestimmtheit sieht er demnach als Voraussetzung für eine wissenschaftliche Erfahrung von unvorwegnehmbaren Ereignissen. Das heißt: Epistemische Dinge verkörpern das, was man noch nicht weiß. Sie sind noch nicht begrifflich gefasst, sie sind aber auch nicht mehr nur abwesend. Sie sind im Moment ihrer Erscheinung Mischgebilde, hybride Strukturen, die in einem Ensemble von experimentellen Anordnungen im Labor (Experimentalsystemen) erst hervorgebracht werden und ständigen Umdefinitionen ausgesetzt sind, insofern sie sich als historisch wandelbar erweisen. Rheinberger zufolge erhalten epistemische Dinge innerhalb dieser Experimentalsysteme dann Bedeutung, wenn sie materielle Spuren (Grapheme), wie etwa Fraktionierungsmuster oder eine Matrix radioaktiver Zähleinheiten, hinterlassen und in Repräsentationsräumen zur Darstellung gelangen. Im Anschluss an Derridas Konzept der »différance« gesteht er den Graphemen, diesen materiellen Spuren, eine von den Wissenschaftlern hervorgebrachte Semantik zu, die aber ständig in Bewegung ist: »Es ist das Verschiebende, die treibende Materialität der Spur, welche * 1
Der Kommentar basiert auf dem Text des Vortrags bei der Tagung »Was kommt nach der Genderforschung« (Marburg, Mai 2007). Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Göttingen: Wallstein 2001, S. 24.
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die Bedeutung des Verschobenen umstößt.«2 Epistemische Dinge werden demnach im Forschungsprozess selbst hervorgebracht, dabei aber ständig um- oder überschrieben: »Wissenschaftsobjekte, nicht als materielle Dinge an sich, sondern als epistemisch konfigurierte Objekte, sind ständig im Fluss befindliche transversale Verkettungen von Darstellungen.«3 Ein epistemisches Ding ist daher nicht reines Objekt des Wissens, sondern es entsteht im Zwischenraum eines nur ungefähren Wissens über das Objekt selbst und dessen zeichenhaften Spuren. Mehr noch aber ist das epistemische Ding aufgespannt zwischen dem, was wir gewöhnlich Naturwissenschaften nennen, und dem, was uns im weitesten Sinne unter dem Begriff der Geisteswissenschaften vertraut ist. Wie sehr auch die Naturwissenschaften auf ihren empiristischen Charakter beharren und zum Teil naiv konkretistisch argumentieren mögen, so müssen sie doch zur Kenntnis nehmen, dass sie erst im kulturellen Kontext Bedeutung erlangen. In der Kultur, besser vielleicht noch: in der technologischen Zivilisation, die, wie Rheinberger betont, »von einem rhizomatischen Geflecht technischer Systeme überzogen und beherrscht«4 wird, war es nicht die Wissenschaft, die die Technologie hervorgebracht hat. Vielmehr verdankt sich die Wissenschaft unserer »technologischen Lebensform«,5 die im Geflecht von Experimentalsystem und epistemischem Ding in Erscheinung tritt. In anderen Worten: Ein epistemisches Ding erscheint als epistemisches Ding in Abhängigkeit von der technologischen Möglichkeit, die eine bestimmte historische Zeit bereithält, und durch die in ihr zum Ausdruck kommenden Regelhaftigkeiten ihrer experimentellen Anordnungen in dem Moment, in dem ihm Bedeutung zugeschrieben wird. Rheinberger fokussiert dabei insbesondere die Molekularbiologie. Die Frage, »Gender – ein epistemisches Ding?« findet genau innerhalb dieser Rahmung ihren Ort, wenn auch auf eine etwas andere als die vorgestellte Weise, denn es handelt sich beim Gegenstand »gender« nicht darum, dass die Untersuchung einer Problematisierung folgt, die sich im Zuge von Experimentalsystemen im Kontext der Molekularbiologie stellt, sondern an der Schnittstelle von Medizin und Psychoanalyse, also im Zusammenhang mit den Lebenswissenschaften. Mit Knorr-Cetina allerdings könnte man diese Lebenswissenschaften auch als »Reparaturwissenschaften«6 bezeichnen, insofern sie nämlich dazu dienen, »Normalisierungsleistungen« zu erbringen, so etwa im Umgang mit Transsexualität. Dabei gilt das Labor nicht mehr als abgeschlossener Raum mit Arbeitsbank, wie noch in der Molekularbiologie, sondern als ein Verbundsystem »verschie2 3 4 5 6
Ebd., S. 11. Ebd., S. 246. Ebd., S. 248. Ebd., S. 249. Karin Knorr-Cetina: »Das naturwissenschaftliche Labor als Ort der »Verdichtung« von Gesellschaft«, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 17, Heft 2, April 1988, S. 91.
KOMMENTAR: GENDER – EIN EPISTEMISCHES DING? | 193
dener medizinischer Disziplinen sowie nicht-medizinischer Professionen (z.B. die psychotherapeutisch ausgerichtete Sexualforschung, E.B.)«.7 Das Untersuchungsobjekt zirkuliert innerhalb dieser unterschiedlichen Disziplinen und wird in der und durch die Zirkulation als Objekt konstitutiert. Dabei geht Knorr-Cetina, wie Rheinberger auch, davon aus, dass das Objekt erst durch Zeichen, die im Forschungsprozess Bedeutung erlangen, sichtbar wird. In den Horizont dieser Überlegungen können wir nun auch Stollers Forschungen zur Intersexualität einordnen, denn Stoller greift auf den neuen Begriff »gender« mit der Intention zurück, eine »core-genderidentity« zur Befestigung eines normativen Systems von Zweigeschlechtlichkeit festzustellen. Er folgt damit also einer Normalisierungsstrategie. Das wissenschaftsgeschichtliche Interesse von Astrid Deuber-Mankowsky gilt nun gerade dieser Kategorie »gender«, die sie in ihrer Historizität entfaltet und in ihren unterschiedlichen Bedeutungssträngen nachzeichnet, wobei, mit dem Wissenschaftsanthropologen Paul Rabinow gesprochen, »Assemblages«,8 Konjunkturen und Knotenpunkte sichtbar werden, die den Existenzmodus des Begriffs in einem jeweils neuen Licht zeigen, ihn also unter neuen Bedingungen in ein vorher nicht da gewesenes Gefüge einrücken. Die Tatsache seiner Entstehung verdankt der Begriff »gender« einer günstigen Verflechtung von Medizin, Psychoanalyse, Gesellschaft und Moral, wobei der ethische Aspekt implizit in Form einer Normalisierungsstrategie zum Ausdruck kommt. Im Moment seiner Entstehung als Bezeichnungsform für einen bestimmten geschlechterrelevanten Sachverhalt konstituiert er zwar eine Wirklichkeit, die aber kontingent, vorübergehend, nie abgeschlossen ist. Unter diesen erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten wird auch verständlich, dass feministische Wissenschaftlerinnen in den 1970er Jahren damit begannen, den Begriff »gender« mit neuen Bedeutungen zu versehen, um ihn im Gefüge von Gesellschaft und Geschlecht bzw. von Natur und Kultur neu und in Abgrenzung zu Stollers Normalisierungsversuchen zu konstellieren. Nicht mehr als gesellschaftlicher Stabilisator zur Rechtfertigung eines heteronormativen Geschlechterverhältnisses erlangte er sinnstiftende Funktion, sondern umgekehrt als kritische Instanz gegenüber einer Naturalisierung von Geschlechtlichkeit wurde er zum Marker für die kulturellen und gesellschaftlichen Konstruktionen von Geschlecht mit ihren machtvollen Zu- und Einschreibungen. Natur und Kultur sind aber nicht deutlich voneinander zu scheiden, wie dies noch nach dem cartesianischen Modell vorstellbar wäre. Sie sind wechselseitig aufeinander bezogen, insofern es sich beide Male um Artefakte handelt, die durch Technologien vermittelt sind. Was bedeutet das nun?
7 8
Ebd. Paul Rabinow: Anthropologie der Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 23-25.
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Hans-Jörg Rheinberger bedient sich zur Illustrierung dieses Gedankenganges eines Beispiels aus der Ökologie und macht deutlich, dass die Lebensform, die von Beginn an die menschliche Existenz bestimmt, uns in ein Verhältnis zur Natur setzt, das getragen ist von technologischen Überlegungen: »Jedes Ökosystem hat heute technologische Aspekte; vielleicht wird es das wichtigste sein zu erkennen, daß auch umgekehrt kein technisches System ohne ökologische Komponenten auf die Dauer überlebensfähig und zu erhalten ist.«9 Das heißt, Natur ist ein Artefakt menschlicher Lebensform wie auch umgekehrt Kultur zum Artefakt der Natur wird. Eben dies meint Astrid Deuber-Mankowsky, wenn sie davon spricht, dass sich »[z]wischen die Konzepte Natur-Kultur, Zweigeschlechtlichkeit, Körper und Wahrnehmung […] immer deutlicher die Technik [schob]«. Angesichts des von Deuber-Mankowsky verwendeten Imperfekts »schob« wäre allerdings zu fragen, ob dies eine moderne Erfahrung ist oder ob wir nicht schon immer unsere Existenz dieser »technologischen Lebensform« verdanken, ob sich also lediglich unser Wahrnehmungsmuster unter den Bedingungen einer historischen Epistemologie verändert hat. Ich denke, Letzteres ist der Fall. Welche Bedeutung erhält nun in diesem Kontext der Begriff »gender« als epistemisches Ding? Gehen wir von seinem ursprünglichen Bedeutungsgehalt aus, dann fällt auf, dass der Begriff nicht als kulturelles Konstrukt gedacht war, sondern zur Kennzeichnung eines geschlechtlichen Zustandes, der Stoller zufolge von drei Determinanten abhängt: »First, the anatomy and physiologie of the external genitalia, by which is meant the appearance of and sensation from the visible and/or palpable genitalia, and second, the attitudinal forces of the parents, siblings, and peers. [Third a] ›biological force,‹ I mean energy from biological sources […], which influences gender identity formation and behaviour«.10 Stoller spricht also nicht mehr nur von »sex«, sondern von »gender«, um deutlich zu machen, dass soziales Verhalten von körperlichen Merkmalen abhängt. Natur und Kultur avancieren dabei gleichermaßen zu essentialistischen Kategorien und »gender« zum Zeichen eines Analogieschlusses zwischen Natur und Kultur. Diese Annahme wurde von feministischen Wissenschaftlerinnen kritisiert, »gender« seiner biologistischen Konnotation entkleidet und als kulturelles Konstrukt gesetzt, und dies aus politischen Gründen. Die Annahme, man könne »sex« von »gender« scheiden, führte aber zu einem Fehlschluss, der sich darin zeigt, dass im Modus einer binären Opposition die beiden Begriffe stets aufeinander verwiesen bleiben. Wiewohl sie zwar der Idee nach zwei unterschiedlichen Existenzweisen zugerechnet werden, so stehen sie doch in einem wechselseitigen, deterministischen Ableitungsverhältnis. Was als Kultur erscheint, ist jener Rest, der nicht mehr der 9 Hans-Jörg Rheinberger: Iterationen, Berlin: Merve 2005, S. 46. 10 Robert Stoller: Sex and Gender. On the Development of Masculinity and Femininity, London: Hogarth 1968, S. 65/66, Hervorhebung im Original.
KOMMENTAR: GENDER – EIN EPISTEMISCHES DING? | 195
fundierenden Natur zugerechnet werden kann. Auf erkenntnistheoretischer Ebene hat eine solche Konfiguration fatale Folgen, denn der ursprünglichen Natur ist demzufolge niemals zu entkommen. Astrid DeuberMankowsky führt das am Beispiel von Barbara Dudens Ansatz vor Augen. Mit dem Zugriff der Technik auf den weiblichen Körper ist eine Bedrohung verbunden, die Duden offenbar dazu verleitet, sich der eigenen Körperlichkeit als »eine für sich bestehende Bezugsgröße der Wahrnehmung« zu versichern, dabei aber »das Denken der Geschlechterdifferenz« fortzuschreiben. Anders Bettina Bock von Wülfingen, die in ihren Ausführungen versucht, das emanzipatorische Potenzial der Technologisierung der Körper freizulegen und dafür plädiert, Technik als etwas aufzufassen, das immer schon von politischer und gesellschaftlicher Relevanz war. Technologien, besser vielleicht das Reden über Technologien ist in Diskurse eingelassen, die sich mit anderen Diskurssträngen verbinden und machtvolle Positionen beanspruchen. Innerhalb dieses Geflechts, aber vermittelt über das Konzept der Gouvernementalität werde es nach Bock von Wülfingen möglich, wie Foucault es nennt: nicht dermaßen regiert zu werden,11 wobei zu bemerken bleibt, dass wir der Regierung nicht entkommen können. Der Begriff »gender« wird dabei nicht mehr als eine Identitätskategorie gesehen, sondern als eine relationale Größe, die in ihrer jeweiligen Kontextualisierung zu unterschiedlichen Bedeutungen findet. Wenn Deuber-Mankowsky mit Bock von Wülfingen fordert, die Gesellschaft in die Technik zu integrieren, dann meint sie vermutlich das, was 1988 bereits von Knorr-Cetina festgestellt wurde: dass das naturwissenschaftliche Labor ein Ort der »Verdichtung« von Gesellschaft ist. Dort, wo Naturwissenschaft ihren genuinen Ort hat, im Labor, sind immer schon auch gesellschaftliche, kulturelle und politische Strukturen am Werk. Das heißt, die Erzeugung von Natur als Artefakt geschieht im Prozess ihrer Laboratisierung.12 Man könnte nun auch sagen, dass es sich dabei um einen Prozess der Kulturalisierung von Natur handelt. Übertragen auf das sex/gender-System heißt das nichts anderes, als dass »sex« als vorkulturelle Kategorie an Gültigkeit verliert und historisch wird. »Sex« ist demnach ein Produkt unseres Wissens, das in Forschungsprozeduren hervorgebracht und mit Bedeutung aufgeladen wird. Eine heute nicht mehr haltbare Zuschreibung war, dass »sex« diejenige Kategorie sei, die als unhintergehbar und ursprünglich zu gelten hat, und damit in einen überzeitlichen Horizont eingerückt wurde. Die historische Epistemologie13 könnte einen Beitrag 11 Vgl. Michel Foucault: Was ist Kritik?, Berlin: Merve 1992. 12 Vgl. Knorr-Cetina 1988, S. 88. 13 Vgl. dazu auch die Beiträge anderer kritischer Naturwissenschaftler/-innen, Philosoph/-innen oder Sozialwissenschaftler/-innen wie etwa Bruno Latour, Gaston Bachelard, Donna Haraway, Karin Knorr-Cetina. Historische Epistemologie meint in diesem Zusammenhang die Problematisierung natur- und geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse im Hinblick auf ihre Plausibilität und ihren Wahrheitsgehalt im geschichtlichen und gesellschaftlichen Fortgang.
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dazu leisten zu fragen, in welcher Weise »sex« als epistemisches Ding hervorgebracht wird, und zwar im Zusammenhang mit den neueren Forschungen zur Molekularbiologie, zur Evolutionspsychologie, zur Genetik und zur Reproduktionsmedizin. So steht auch für Joan Scott niemals außer Frage, dass die Verwendung des Begriffs »gender« historisch und in einem kritischen Sinn politisch notwendig war. Was er aber verschleiert, ist die einfache Tatsache, dass auch der Begriff »sex« kontingent und nur historisch zu begründen ist. Daher plädiert sie neuerdings dafür, sich mit der »epistemischen Autorität der Biologie selbst«14 auseinanderzusetzen und ihre Geschichte aufzuschreiben. Denn wenn von Natur die Rede ist, dann handelt es sich immer nur um Repräsentationen von Natur, aber nicht um die Natur als ursprüngliche Entität. Angesichts einer zu beobachtenden Banalisierung des Begriffs »gender« und angesichts seiner Vereinnahmung durch die Lebenswissenschaften im Modus einer Normalisierungsleistung wie zu Zeiten Stollers, bietet es sich an, den Begriff »sex« in seinen kontingenten Bezügen genauer auszuleuchten, um Auskunft über jene Strategien der Lebenswissenschaften zu erhalten, die darauf zielen, ein heteronormatives Regime der Zweigeschlechtlichkeit zu re-etablieren und damit Einfluss auf soziale sowie politische Entscheidungen zu erhalten. Neben »gender« sollte auch »sex« als ein epistemisches Ding sowohl in der Lehre wie auch in der Forschung ernst genommen und beide sowohl in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit wie auch in ihrer Bedingtheit dargestellt werden. Erst in ihrer Verschränkung werden dann auch die jeweiligen Absichten der damit befassten Akteure klarer erkennbar. Nicht um kausale oder arbiträre Verbindungen geht es dabei, sondern darum, sich der historischen Qualität einer Biologie bewusst zu werden, die mit dem Erfassen ihrer materiellen Zeichen als Grapheme in Erscheinung tritt, innerhalb eines Darstellungsraums Bedeutung erlangt, diese aber zu einem späteren Zeitpunkt und unter Einsatz neuerer Technologien sowie Interpretationsschemata wieder einbüßt, gar völlig in Vergessenheit gerät. Mit Derrida wäre also der »différance« von Signifikant und Signifikat auf die Spur zu kommen, aber auch den Verwicklungen und Verstrickungen mit anderen sinnstiftenden Wissenschaftssystemen. Für die Erziehungswissenschaften hätte das die Konsequenz, dass sie ein verstärktes Augenmerk auf solche Naturwissenschaften legen müsste, die versuchen, qua ihrer vermeintlichen Autorität die Unverrückbarkeit der Zweigeschlechtlichkeit zu behaupten und gleichzeitig beanspruchen, Ein-
Es handelt sich um eine kritische Wissenschaftsgeschichte, die davon ausgeht, dass jede Erkenntnis zwar kontingent ist, innerhalb bestimmter Wissensformationen aber bedeutsame Positionen anzunehmen und machtvolle wissenschaftstheoretische Strukturen zu etablieren vermag. 14 Joan Scott: »Die Zukunft von Gender«, in: Claudia Honegger, Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 47.
KOMMENTAR: GENDER – EIN EPISTEMISCHES DING? | 197
fluss auf pädagogische Entscheidungen zu haben, wie beispielsweise eine bestimmte Richtung der Neurowissenschaft. Gerade in den Neurowissenschaften lässt sich die Hervorbringung von epistemischen Dingen im Zusammenhang von Experimentalsystemen besonders gut beobachten, greifen sie doch mit ihren bildgebenden Verfahren auf materielle Spuren zurück, die einer Interpretation bedürfen, eine Interpretation, die allerdings ihrerseits im historischen Verlauf fortgesetzt um- oder überschrieben wird und daher höchst instabil oder, um es mit Rheinberger zu sagen, verschwommen und vage ist. Es wäre also von großem Interesse zu erfahren, in welchem Verhältnis sich die zu ihrer jeweiligen Zeit zur Verfügung stehenden Technologien und/oder Experimentalsysteme auf die kulturelle Hervorbringung von »sex« auswirkten. Für die Pädagogik zumal wäre disziplin- und wissenschaftshistorisch zu fragen, inwieweit sie selbst an der produktiven Erzeugung einer bestimmten Auffassung von »sex« beteiligt war und inwiefern sie heute, wie auch schon in der Vergangenheit, der Versuchung erliegt, naturwissenschaftliche Erkenntnisse zur anthropologischen Grundlage ihres pädagogischen Handelns zu machen.
Vom Be griff zur Re prä se ntation: Die Transformation der Kategorie gender EDGAR FORSTER
Gender sei eine brauchbare analytische Kategorie, um historische Prozesse zu untersuchen, argumentiert Joan W. Scott Mitte der 1980er Jahre.1 Etwa fünfzehn Jahre später, 1999, zweifelt sie, ob gender nicht ohnmächtig sei gegen den Ansturm soziobiologischer Behauptungen, die aus anatomischen Geschlechtsunterschieden soziale Ordnungen ableiten und einen backlash orchestrieren. Gender sei nicht mehr die nützliche Kategorie, die sie einmal war, weil sie nicht imstande sei, die jetzt anstehende Arbeit zu leisten.2 In diesen fünfzehn Jahren haben sich an Universitäten Gender Studies etabliert, die eine ungeheure Fülle an theoretischen und empirischen Studien hervorgebracht haben; Männerforschungen, die sich auf gender beziehen, werden institutionalisiert; und Gender Mainstreaming wird als politische Top down-Strategie in vielen Staaten implementiert. Weder diese politischen Erfolge noch die zahlreichen theoretischen Studien zum sex-gender-Konzept beseitigen die Zweifel an der zentralen theoretischen Grundlage, die feministische Forschungen und Gender Studies gleichermaßen beflügelt hat. Scott äußert sich skeptisch über die theoretische Schlagkraft des Begriffs (gegen neue biologistische Theorien), über seine Funktion als politische Waffe im feministischen Kampf gegen Ungleichheit und als kritischer Stachel gegen den Status quo in Theorie und Praxis.
1
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Vgl. Joan Wallach Scott: »Gender: A Useful Category of Historical Analysis«, in: Joan Wallach Scott, Gender and the Politics of History, New York/ Oxford: Columbia University Press 1988, S. 28-50. Vgl. Joan Wallach Scott: »Die Zukunft von gender. Fantasien zur Jahrtausendwende«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 39-63.
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Dies müsste zu denken geben, wenn gender ein zentraler Begriff der eigenen Forschungsarbeit ist und für die Konstitution des Feldes der Männerforschung, in dem ich mich bewege, eine weitgehend akzeptierte Grundlage darstellt. Profitieren wir von einer bestimmten Lesart von gender? Handelt es sich dabei um eine Niedergangsgeschichte, in der gender seine anfängliche Verknüpfung von politischem Instrument und theoretischem Konzept bereits eingebüßt hat? Der Siegeszug der Gender Studies basierte dann, wie jede Geschichte, auf dem Verlust einer anderen Geschichte: von unerfüllten Hoffnungen, von in Vergessenheit geratenen Erfahrungen und Denkweisen. Könnte dieser Verlust nicht die Quelle des Unbehagens mit dem Begriff gender sein? Dieser Spur nachzugehen, ist das Ziel des vorliegenden Beitrags. Zunächst werden die zentralen Argumente rekonstruiert, die Joan W. Scott veranlasst haben, ihre Auffassung über die Brauchbarkeit der Kategorie gender zu verändern. Diese Vermutung soll zweitens an einem Artikel geprüft werden, der für das sex-gender-Konzept oft als Inauguraltext bezeichnet wird: The Traffic in Women: Notes on the ›Political Economy‹ of Sex von Gayle Rubin.3 Meine – vorsichtige – Behauptung lautet, dass Scotts Erschöpfungsthese damit zu tun hat, dass gender im Laufe der kurzen Geschichte der Gender Studies zunehmend auf eine Repräsentationsfunktion beschränkt bzw. als Repräsentationsproblem untersucht wird, dass es sich aber bei Rubins sex/gender system vor allem um die Erfindung eines Begriffs handelt, und zwar in der speziellen Art und Weise, wie Deleuze und Guattari in Was ist Philosophie? den Begriff konzipieren: als eine Realität eigener Art.4 Von dieser Revision wäre eine Klärung des Status’ des Begriffs gender und damit eine Antwort auf die Frage zu erwarten: Welcher Begriff von gender ist in Hinkunft geeignet, unserer Weigerung, den Status quo zu bedienen, Ausdruck zu verleihen?
1. Gender – eine brauchbare Kategorie? Den ersten Entwurf zu Gender: A Useful Category of Historical Analysis trägt Joan W. Scott im Dezember 1985 auf einer Tagung der American Historical Association vor. Ein Jahr später wird der Text in der American Historical Review publiziert, und eine überarbeitete Fassung erscheint 3
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Vgl. Gayle Rubin: »The Traffic in Women: Notes on the ›Political Economy‹ of Sex«, in: Rayna R. Reiter (ed.), Toward an Anthropology of Women, New York/London: Monthly Review Press 1975, S. 157-210 (dt. Übersetzung: Gayle Rubin: »Der Frauentausch. Zur ›politischen Ökonomie‹ von Geschlecht«, in: Gabriele Dietze/Sabine Hark (Hg.), Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Königstein: Ulrike Helmer Verlag 2006, S. 69-122). Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari: Was ist Philosophie? Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996.
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1988 in ihrem Buch Gender and the Politics of History. Mehr als zehn Jahre nach der Einführung des Begriffs in feministische Diskurse durch Gayle Rubin zieht Scott darin eine Zwischenbilanz über die Nützlichkeit der Kategorie gender und entfaltet im Anschluss daran eine eigene Definition, die aus zwei Aspekten zusammengesetzt ist: Gender sei ein konstitutives Element sozialer Beziehungen, die auf wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern (sexes) beruht. Zweitens sei gender als eine zentrale Art und Weise zu verstehen, wie Machtverhältnisse in einer Gesellschaft reproduziert werden. Die Zukunft von gender. Fantasien zur Jahrtausendwende lautet der Titel des zweiten Artikels, in dem Scott etwa fünfzehn Jahre später, aufgrund eines »alptraumhaften Szenarios«, dass der biologische Determinismus wiederkehrte, erhebliche Zweifel am Begriff gender äußert. Das Unvermögen der Kategorie gender bestehe in ihrer Untauglichkeit, den extremen Behauptungen der Evolutionspsychologie theoretisch stichhaltige Argumente entgegensetzen zu können. Dieses Unvermögen hänge mit der Konzeption der Kategorie zusammen, nämlich die mit ihrem Gebrauch verbundene Weigerung (was einst ihre Stärke gewesen sei), sich auf das körperliche Geschlecht einzulassen. Was hat Scott zu dieser Änderung ihrer Auffassung bewogen? Gibt es neue Erkenntnisse der sogenannten Evolutionspsychologie, die das Konzept von gender erschüttern? Zwingen uns Ergebnisse aus neodarwinistischen Studien, unsere Positionen zu verändern? Nichts davon ist bei Scott zu finden. Die Veränderung wird ausgelöst, weil die Physik ihre Vormachtstellung als Leitwissenschaft verliert, und es nicht absehbar ist, welche Auswirkungen die hegemoniale Stellung von Molekularbiologie und Neurobiologie auf die Geschlechterforschung haben wird. Die Evolutionspsychologie könnte, so Scott, »aus einer machtvollen Position heraus hundert Jahre feministischer Kritik zurückwerfen, wenn nicht gar aufheben«5. Die Zukunft von gender hängt also davon ab, wie der Wahrheitsraum ›Geschlecht‹ durch die Molekularbiologie und Neurobiologie reorganisiert wird.6 Wenn Scott behauptet, dass gender nicht mehr die nützliche Kategorie sei, die sie einmal war, dann liegt der Grund nicht darin, dass die Erkenntnisse über die soziale Konstruktion von Geschlecht widerlegt wurden, sondern darin, dass gender als theoretische Kategorie in diesem Wahrheitsraum keinen Platz hat und Erkenntnisse, die sie hervorbringt, keinen Wahrheitswert annehmen. Ihnen haftet der Geruch an, dass es sich um ›bloße‹ Konstruktionen handelt, die ideologisch fundiert seien, während die Evolutionspsychologie unstrittig Tatsachen hervorbringe. Die einstige Stärke und die jetzige Schwäche des Begriffs gender basieren auf dem gleichen Prinzip: Sie lassen sich nur in Bezug auf einen Wahrheits5 6
J.W. Scott, Die Zukunft von gender, S. 42. Der Wahrheitsraum ›Geschlecht‹ definiert jenen diskursiven Raum, der die Voraussetzung für wahre und falsche Propositionen bildet.
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raum definieren, der gender zu einem schlagkräftigen Begriff macht oder als untaugliche Kategorie, Geschlechterverhältnisse zu analysieren, verkümmern lässt. Der Wahrheitsraum ist aber diskursiv erzeugt und unterschieden von wahren oder falschen Propositionen. Für Scott liegt die Wurzel des Problems im sex-gender-Konzept, weil dieses sex als physischen Referenten von gender zwar immer mitgeführt, gleichzeitig aber marginalisiert und damit seinen ›naturhaften‹ Status unkritisiert fortgeschrieben habe. Die Dekonstruktion des sex-gender-Konzepts habe die epistemologischen Unzulänglichkeiten deutlich gemacht. Gegen Scotts Kritik lassen sich zwei Einwände geltend machen: Der erste Einwand betrifft die imaginäre Überhöhung des Gegners, der Evolutionspsychologie und der ihr zugrunde liegenden biologischen Forschungen. Weder sind ihre Grundlagen so stabil noch ihre Daten so zwingend, wie manche Forscher/-innen und vor allem die populärwissenschaftliche Rezeption suggerieren. Innerhalb der molekularbiologischen Forschungen gibt es selbstverständlich widersprüchliche Aussagen über Ergebnisse, deren Interpretationen und Aussagekraft.7 Ian Hackings Analyse dessen, was wir »soziale Konstruktion« nennen, legt nahe, dass der Abstand zwischen sex und gender, zwischen Natur und Kultur für die Erklärung von Phänomenen wie Geschlechterdifferenz überschätzt wird, weil sich beide Bereiche durch Biolooping und Klassifikationslooping wechselseitig affizieren.8 Der zweite, gewichtigere Einwand betrifft die Ebene, auf der sich das Problem gender stellt: Handelt es sich bei der Kritik am Begriff gender um ein epistemologisches Problem? Aber wenn es ein solches ist: Warum wird es erst jetzt artikuliert?9 Hängt dies damit zusammen, dass gender ein epistemologisches Problem mit einem politischen Projekt verknüpft und veränderte politische Bedingungen auch ein epistemologisches Problem virulent werden lassen? Donna Haraway verbindet in der Definition von 7
8 9
Vgl. Anne Fausto-Sterling: Myths of Gender. Biological Theories about Women and Men, New York: Basic Books 21992; Anne Fausto-Sterling: Sexing the Body. Gender Politics and the Construction of Sexuality, New York: Basic Books 2000; Donna J. Haraway: Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature, New York: Routledge 1991; N. Katherine Hayles: How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics, Chicago/London: The University of Chicago Press 1999; Nikolas Rose: The Politics of Life Itself. Biomedicine, Power, and Subjectivity in the Twenty-First Century, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2007. Ian Hacking: Was heißt ›soziale Konstruktion‹. Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften, Frankfurt a.M.: Fischer 1999. Joan W. Scott (Gender: A Useful Catogory, S. 41) weist darauf hin, dass das Konzept gender im wissenschaftlichen Diskurs zusammen mit einer epistemologischen Wende auftaucht: »a shift from scientific to literary paradigms among social scientists«, verbunden mit Fragen der Konstruktion von Realität und der Mächtigkeit des Subjekts. Diese Verknüpfung legt es nahe, die Kategorie gender unter dem Gesichtspunkt der Epistemologie zu problematisieren.
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Geschlecht eine politische mit einer epistemologisch relevanten Dimension: »Despite important differences, all the modern feminist meanings of gender have roots in Simone Beauvoir’s claim that ›one is not born a woman‹ […] and in women as a collective historical subject-in-process.«10 Eine kritische Genealogie des sex-gender-Systems müsste im Bewusstsein begonnen werden, dass es sich nicht um ein epistemologisches Problem handelt, sondern um ein politisches Projekt. Das bedeutet, nicht zu fragen, ob sex die Wahrheit über das Geschlecht aussagt, wen und was gender repräsentiert, welche Einschränkungen und epistemologischen Probleme mit Repräsentationsfragen verbunden sind. Gender ist keine Kategorie, die eine wie immer sozial konstruierte Geschlechtsidentität repräsentiert, sondern ein Begriff, der einen Wahrheitsraum mit höchst unterschiedlichen Komponenten organisiert. Ob Geschlecht biologisch fundiert oder sozial konstruiert ist, wäre dann nur eine Komponente dieses Wahrheitsraums. Andere Komponenten lassen sich folgendermaßen formulieren: Wie entsteht ein kollektives Subjekt der Geschichte, auf das Haraway bei ihrer Analyse der Entstehungsbedingungen von gender hingewiesen hat? Wie formiert sich eine politische Bewegung? Wie bildet sich Widerstand gegen herrschendes Denken, gegen dominante Praktiken und gegen scheinbar natürliche Gewohnheiten und welche Funktion kommt darin gender zu? Auf welcher Ebene müsste der Widerstand gegen die Evolutionspsychologie angesiedelt werden? Zusammengefasst: Gender auf der epistemologischen Ebene zu problematisieren, bedeutet, daraus ein Problem der Repräsentation zu machen. Als politisches Projekt verknüpft gender heterogene Praktiken und Diskurse, die einen Wahrheitsraum definieren, innerhalb dessen auch (aber nicht nur) epistemologische Fragen angesiedelt sind. Es wird zu prüfen sein, ob nicht das von Gayle Rubin behelfsmäßig eingeführte sex/gender system mit dem Anspruch aufgetreten ist, einen solchen, von einer feministischen Vision inspirierten Wahrheitsraum zu organisieren. Die folgenden Relektüren werden also nicht in erster Linie die Schwierigkeiten der sex-genderDichotomie aufnehmen: ›Gibt es den Mann oder die Frau?‹ oder: ›Ist der Begriff Patriarchat angemessen, um Dominanzbeziehungen zwischen Männern und Frauen zu adressieren?‹ – diese Fragen zielen allesamt auf Repräsentation. Stattdessen soll der Status des Konzepts gender untersucht werden, um neue Perspektiven im Hinblick auf gegenwärtige politische und theoretische Fragen zu eröffnen. Dafür bietet sich zunächst der Artikel Gender: A Useful Category of Historical Analysis aus zwei Gründen an: 10 Donna J. Haraway: »›Gender‹ for a Marxist Dictionary«, in: Donna J. Haraway, Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature, New York: Routledge 1991, S. 127-148, hier S. 131. Vgl. auch die deutsche Übersetzung: Donna J. Haraway: »Geschlecht«, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus, Band 1, hgg. im Auftrag des Instituts für Kritische Theorie von Frigga Haug, Hamburg: Argument 2003, Sp. 408-422, hier Sp. 408.
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Zum einen argumentiert Scott, warum gender eine brauchbare Kategorie für historische Analysen darstellt. Zum anderen aber verbindet sie diesen Nachweis mit einer Kritik an verbreiteten Verwendungsweisen des Begriffs gender und problematisiert den Status des Begriffs in historischen Untersuchungen. Die Schwierigkeiten mit dem Begriff gender als analytischer Kategorie lassen sich bereits an den unterschiedlichen Verwendungsweisen im wissenschaftlichen Kontext erkennen: Gegen den biologischen Determinismus, der in Begriffen wie ›sex‹ und ›sexual difference‹ steckt, hebt gender erstens den Aspekt der sozialen Konstruktion von Geschlechtsidentität hervor. Zweitens wird gender als relationale Kategorie begriffen. Männlichkeit und Weiblichkeit definieren sich wechselseitig, und für die Untersuchung von sozialen Ordnungen und historischen Prozessen sei die relationale Analyse von Männern und Frauen aufschlussreich. Drittens, und wie Joan Scott schreibt, »in addition, and perhaps most important«11, wird der Begriff gender von jenen Forscherinnen forciert, um deutlich zu machen, dass diese Forschungen disziplinäre Paradigmen fundamental transformieren würden.12 Gender leistet hier zwei Aufgaben: Erstens wird die Repräsentation von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen in historische Analysen eingeführt, zweitens geht es aber nicht nur darum, Geschichte auf bislang vernachlässigte Felder auszudehnen und marginalisierte historische Ereignisse aufzuwerten, sondern darum, bisherige Einsichten in Geschichte grundlegend zu korrigieren. Durch gender wird die gesamte Geschichte affiziert. Gender fungiert als Kraft der Reorganisation derjenigen Komponenten, aus denen sich Geschichte zusammensetzt. Scott zufolge haben sich feministische Historikerinnen aus zwei Gründen für brauchbare theoretische Formulierungen des gender-Konzepts interessiert: Erstens ging es nach vielen Fallstudien darum, dieses Wissen zu synthetisieren, um auf einer allgemeineren Ebene Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Geschichte des Geschlechterverhältnisses erklären zu können, das hartnäckige Fortbestehen von Ungleichheit genauso wie radikal unterschiedliche soziale Erfahrungen zwischen Frauen und Männern. Zweitens: Trotz der Vielzahl an qualitativ ausgezeichneten historischen Arbeiten blieb der Status von Frauengeschichtsschreibung in der Disziplin marginal. Es schien nicht zu genügen, zu zeigen, dass Frauen eine Geschichte haben und dass Frauen in der ›großen‹ Geschichte eine wichtige Rolle spielen. Diese deskriptiven Studien haben zu einer gewissen An11 Joan W. Scott, Gender: A Useful Category, S. 29. 12 »We are learning that the writing of women into history necessarily involves redefining and enlarging traditional notions of historical significance, to encompass personal, subjective experience as well as public and political activities. It is not too much to suggest that however hesitant the actual beginnings, such a methodology implies not only a new history of women, but also a new history« (Gordon/Buhle/Dye, zit.n. J.W. Scott, Gender: A Useful Category, S. 29).
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erkennung und, gleichzeitig, zu einer Separation, einem Nischendasein geführt, auf doppelte Weise: Ab sofort sollten sich Frauen um Frauengeschichte kümmern; Frauen sind für die Geschichte von Sexualität und Familie zuständig, Männer dagegen für die – ungleich wichtigere – politische und ökonomische Geschichte. Solange Frauen nicht dazu übergingen, die theoretischen Konzepte der Geschichtswissenschaft anzufechten, erweiterte Frauengeschichte allenfalls das Feld der Geschichte, ohne aber ihren theoretischen Rahmen zu transformieren. Gender sollte also zugleich ökonomische Ungleichheit und unterschiedliche Erfahrungen von Frauen und Männern erklären, die Auffassung über die Konzeption des historischen Wissens verändern und die Wissenschaftsorganisation und die Stellung der Historikerinnen darin reorganisieren. Der Begriff gender als ›analytische Kategorie‹ scheint seine Stärke darin zu haben, solche kontingenten – also weder natürlichen noch beliebigen – Zusammenhänge artikulieren zu können. Diese Verwendungsweise von gender unterscheidet sich von der bloß deskriptiven Verwendung, die für zahlreiche Untersuchungen typisch ist: Gender wird synonym für das Wort ›Frauen‹ oder ›Männer und Frauen‹ verwendet. Als deskriptive Funktion hat gender im wissenschaftlichen Diskurs eine bestimmte Funktion: »Gender seems to fit within the scientific terminology of social science and thus dissociates itself from the (supposedly strident) politics of feminism.«13 Die analytische Kategorie gender, so lässt sich folgern, artikuliert die reiche und heterogene Geschichte des Feminismus. Gender ist nicht nur eine epistemologische Kategorie, die das Verhältnis von Natur und Kultur thematisiert, sondern auch eine politische Kategorie, mit deren Hilfe es möglich sein sollte, gesellschaftliche Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Wenn man nun noch davon ausgeht, dass diese Elemente dynamisch sind und sich gegenseitig affizieren, verstärken, korrigieren usw., dann wird deutlich, dass es um eine Untersuchung eines Begriffsnetzes gehen muss und nicht darum, den Begriff von bestimmten, namentlich politischen Gehalten zu reinigen. Scotts eigene Definition von gender behält die Komplexität dieser Geschichte: »gender is a primary way of signifying relationships of power«14. Gender erklärt die stabilisierende Kraft von Machtbeziehungen. Geschlecht und Macht lassen sich nicht voneinander trennen, denn jeder dieser Terme erklärt die Wirkung des anderen. Bei Scott fundiert dies in ihrem ersten Definitionsteil: »gender is a constitutive element of social relationships based on perceived differences between the sexes«15. Die Probleme, die später zum Artikel Die Zukunft von gender führen werden, kündigen sich hier an. Sexuelle Differenzen, die Kategorien Mann und Frau sind aufgrund ihrer essentialisierenden Kraft anrüchig geworden und 13 Ebd., S. 31. 14 Ebd., S. 42. 15 Ebd.
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werden durch kulturelle Codes, durch gesellschaftliche Normen, durch Produktionsformen substituiert. Gleichzeitig bleiben sie die stumme Quelle aller Differenzen. Sind nicht die »perceived differences between the sexes« das Ergebnis einer langen Geschichte, die wir ändern wollen? Die Schwierigkeiten, die der Begriff gender aufwirft, zeigten sich darin, dass das sex-gender-Konzept zunehmend in Kritik geriet, dass aber seine »taktische Brauchbarkeit«16 im politischen Kampf sein Überleben sicherte. Gender ist epistemologisch unnütz, aber politisch brauchbar. Man müsse aus taktischen Überlegungen daran festhalten, obwohl wir um seinen theoretisch prekären Status wissen. An dieser Argumentation wird die Entkoppelung von Gender Studies und Feminismus, von feministischer Theorie und Praxis, von Akademie und politischer Bewegung als theoretische Anstrengung deutlich; aber auch, dass der Begriff der Repräsentation auch die Frage der Politik, der politischen Bewegung, der Produktion von politischem Widerstand, der politischen Repräsentation betrifft. An Gayle Rubins ›Gründungstext‹17 soll nun geprüft werden, ob die Verknüpfung von Repräsentation und Politik den Begriff gender von Anfang an begleitet hat.
2. Die Erfindung des Begriffs gender Der Begriff gender führt eine eigentümliche Existenz: Er scheint ebenso problematisch wie notwendig zu sein. Deskriptiv verwendet, reproduziert er Differenzen, die problematisiert werden müssten, und als analytische Kategorie führt er entweder in epistemologische Aporien der sex-genderLogik oder er verknüpft heterogene Komponenten, die nicht zusammengehören. Diese Kontradiktionen sind das Ergebnis einer wechselvollen Geschichte des Feminismus: des Verhältnisses von Frauenbewegung und feministischer Theorie, der Transformation des Feminismus in Gender Studies, des Verhältnisses von Rassismus, Klassenfrage und Geschlechterfrage, des Widerstreits unterschiedlicher feministischer Paradigmen, des kulturellen backlash in den 1980er Jahren usw. Der Begriff gender hat die Geschichte dieser Kämpfe miteinander verknüpft; als Türöffner für die akademische Etablierung und die Männerforschung, als Waffe der Entpolitisierung, als Legitimation universitärer Forschung, als epistemologisches Konzept, um die soziale Konstruktion von Geschlecht zu erklären. Gender ist der Resonanzkörper dieser Geschichte. Meine These lautet, dass in Gayle Rubins Text The Traffic in Women: Notes on the ›Political Economy‹ of Sex der Begriff gender als solcher Re16 Donna J. Haraway, Geschlecht, Sp. 411. 17 Rubins Text ist freilich kein Gründungstext des Feminismus, sondern des sex-gender-Konzepts und als solcher eine wichtige Zäsur in der akademischen Diskussion über die Ursachen der Unterdrückung von Frauen.
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sonanzkörper, mit anderen Worten, als philosophischer Begriff erfunden wurde. Er drückt keine gegebene Erkenntnis aus und ist nicht als Repräsentation zu betrachten, sondern besitzt eine eigene Realität: »er setzt sich selbst in sich selbst«18. Und die »Pädagogik des Begriffs« gender sind die »Bedingungen des Erschaffens als Faktoren von singulär bleibenden Momenten«19. Ein Begriff besitzt keine Essenz und keinen Kern, sondern Komponenten, durch die er definiert wird, und genau genommen erfindet Rubin nicht den Begriff gender, sondern den Begriff »sex/gender system«. Gender ist auf sex bezogen und mit diesem Teil eines Netzes, das aus weiteren Komponenten besteht, die zusammen ein »fragmentarisches Ganzes«20 bilden. Wenn der Begriff gender eine Erfindung ist, eine Selbstsetzung in sich selbst und eine Realität eigener Art, wie ist dann seine Beziehung zum Feminismus, zu seiner Theorie und zu seiner Praxis? Jeder Begriff verweist auf ein Problem oder auf Probleme, die man im Hinblick auf eine Lösung für schlecht gesehen oder schlecht gestellt hält, und die »Pädagogik des Begriffs« ist gewissermaßen die Brücke zwischen Problem und Begriff. Dies hebt Rubin hervor, wenn sie den Begriff »sex/gender system« erfindet, »for lack of a more elegant term«21: »Instead, I want to sketch some elements of an alternate explanation of the problem.«22 Das Problem, auf das Rubin mit der Erfindung des Begriffs »sex/gender system« antwortet: Wie kann die weitreichende und tiefgreifende Unterdrückung und Unterordnung von Frauen erklärt werden? Von der Antwort hängt die Wahl geeigneter Strategien und Taktiken ab, mit denen feministische Visionen einer egalitären Gesellschaft realisiert werden können. Das Wissen verknüpft sich mit Politik, die Analyse der Unterdrückung mit der Revolution.23 Wenn das Begriffsnetz sex/gender system ›besser‹ ist als 18 G. Deleuze/F. Guattari, Was ist Philosophie? S. 17. Ihre Konzeption des Begriffs in Was ist Philosophie? bildet den theoretischen Rahmen für die Analyse von Gayle Rubins Text. 19 Ebd. 20 Ebd., S. 21. Von einem fragmentarischen Ganzen spricht man, weil jede Komponente totalisiert wird. Zugleich aber gibt es eine Wucherung der Komponenten, die selbst wiederum Begriffe werden, die aus Komponenten gebildet sind. 21 G. Rubin, The Traffic in Women, S. 159. Erfindungen von Begriffen werden oft von solchen oder ähnlichen Redewendungen begleitet; dem Begriff haftet etwas Künstliches an, er hat sich noch nicht eingebürgert und gewissermaßen ›die Sache‹ in sich aufgenommen. Allmählich erst verschwindet das kontingente Moment der Erfindung und mit der Naturalisierung verbindet sich nicht selten ein Begriffsrealismus. 22 Ebd., S. 158. 23 Selbst bei Scott klingt diese Komponente nach: Der Begriff gender werde in der Geschichtswissenschaften von einigen Forscherinnen forciert, um deutlich zu machen, dass diese Forschungen disziplinäre Paradigmen fundamental transformieren würden (vgl. J.W. Scott: Gender, A Useful Category, S. 29).
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vorangehende Begriffe, so deshalb, weil es eine »unbekannte Resonanz spürbar macht, ungewöhnliche Schnitte vollzieht, ein Ereignis herbeiführt, das uns überfliegt«24. Diese unbekannte Resonanz findet ihren Ausdruck in Shulamith Firestones berühmtem Manifest Frauenbefreiung und sexuelle Revolution von 1970: »Die Spaltung in geschlechtsspezifische Klassen – die Klasse der Männer und die Klasse der Frauen – ist so tief verwurzelt, dass sie nicht mehr zu erkennen ist. Oder sie erscheint lediglich als oberflächliche Ungleichheit, die mit ein paar Reformen – vielleicht der vollständigen Eingliederung der Frauen in den Arbeitsprozess – aufgehoben werden kann. Doch die spontane Reaktion einfacher Männer, Frauen und Kinder kommt der Wahrheit am nächsten: ›Das? Das kann man doch nicht ändern. Ihr müsst übergeschnappt sein!‹ Genau das ist es, davon sprechen wir. Die spontane Reaktion – die Befürchtung, dass die Feministinnen, wenn auch vielleicht noch unbewusst, die biologische Grundvoraussetzung der bestehenden Gesellschaft verändern wollen – ist ehrlich. So tiefgreifende Veränderungen lassen sich nicht einfach in traditionelle Denkkategorien einordnen, beispielsweise als ›Politik‹ abstempeln. Das heißt jedoch nicht, dass diese Begriffe nicht zutreffen, aber sie sind viel zu eng. Der radikale Feminismus sprengt ihre Grenzen. Gäbe es ein anderes, umfassenderes Wort als Revolution, wir würden es benutzen.«25 Firestones Manifest ist Teil eines bis heute anhaltenden Kulturkampfes, der die ideologischen Auseinandersetzungen um Familie, Kunst, Erziehung, Recht und Politik als tiefgreifenden Konflikt zwischen ›Progressiven‹ und ›Orthodoxen‹ analysiert, »a war of ideology, it’s a war of ideas, it’s a war about our way of life. And it has to be fought with the same intensity, I think, and dedication as you would fight a shooting war«26. Es handelt sich um eine Frage moralischer Autorität, also die Grundlage für Entscheidungen, was gut und schlecht, richtig und falsch, akzeptabel und inakzeptabel ist usw. Diese moralische Autorität ist zutiefst mit Vorstellungen darüber verknüpft, was ›Amerika‹ sei, what America is really all about. Der Kampf um Frauenrechte, gegen die Diskriminierung Schwuler und Lesben, für das Recht auf Abtreibung sind wesentliche politische Forderungen auf der Seite der ›Progressiven‹. Sie lassen sich aber nicht von Debatten über den Kampf gegen Rassendiskriminierung, für das Recht auf freie Meinungsäußerung, Debatten über ein offenes Schulsystem und academic freedom ablösen.
24 G. Deleuze/F. Guattari, Was ist Philosophie? S. 35. 25 Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt a.M.: Fischer 1975 (orig. 1970: The Dialectic of Sex), S. 9. 26 J.L. Sullivan/J. Pierseson/G. Marcus, zit.n. James Davison Hunter: Culture Wars. The Struggle to Define America, New York: Basic Books 1991, S. 64. Vgl. auch David Farber: The Age of Great Dreams. America in the 1960s, New York: Hill and Wang 1994.
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Gender, mit der Revolution27 verknüpft, hat eine Geschichte und ein Werden. Der Begriff Gender entfaltet seine Wirkung nicht durch die Bedeutung, die ihm seine Geschichte verleiht, sondern durch den Schnitt, die Erfindung und Neuschaffung, die ihn von seiner grammatikalischen Bedeutung oder Verwendungsweisen durch den Sexologen John Money oder den Psychoanalytiker Robert Stoller trennt.28 Das Werden des Begriffs gender betrifft dagegen sein Verhältnis zu anderen Begriffen auf derselben Ebene, denn im Grunde gibt es gender nur als Artikulation in der doppelten Bedeutung von ›Verkoppelung‹ und ›Ausdruck‹. Der Begriff Gender geht seinen Komponenten nicht voraus, ist kein erster Begriff und bildet nicht das Zentrum eines Erfahrungsfeldes. »[…] that sexual systems cannot, in the final analysis, be understood in complete isolation. A fullbodied analysis of women in a single society, or throughout history, must take everything into account: the evolution of commodity forms in women, systems of land tenure, political arrangements, subsistence technology etc. Equally important, economic and political analyses are incomplete if they do not consider women, marriage, and sexuality.«29 Gender ist überall, nur nicht bei sich selbst und wie alle Begriffe reicht gender ins Unendliche.30 27 »Als Begriff und Ereignis ist die Revolution selbstbezüglich oder genießt eine Selbst-Setzung, die sich in einem immanenten Enthusiasmus erfassen lässt, den in den Sachverhalten oder im Erleben nichts, nicht einmal die Enttäuschungen der Vernunft, zu schmälern vermag. Die Revolution ist die absolute Deterritorialisierung an jenem Punkt, an dem diese nach der neuen Erde, dem neuen Volk ruft.« (G. Deleuze/F. Guattari, Was ist Philosophie, S. 116f.) – »Ähnlich die Revolutionen und die Gesellschaften der Freunde, Gesellschaften des Widerstands, denn erschaffen heißt widerstehen: reine Werdensprozesse, reine Ereignisse auf einer Immanenzebene. Was die Geschichte vom Ereignis erfasst, ist seine Verwirklichung in Sachverhalten oder im Erleben; das Ereignis in seinem Werden, in der ihm eigenen Konsistenz, in seiner Selbstsetzung als Begriff aber entzieht sich der Geschichte.« (Ebd., S. 129) 28 Es muss nicht eigens betont werden, dass Geschichte ständig neu geschrieben wird. Nachträglich werden Kontinuitäten hergestellt, wo ehedem Brüche und Schnitte hervorgehoben worden sind. Geschichtsschreibung ist ein Kampfplatz, und die Begriffe, die verwendet werden, organisieren die Komponenten zur Stabilisierung des ›Es gibt‹ oder zur Vorbereitung sozialer und politischer Transformationen. Der Bestseller As Nature Made Him. The Boy Who Was Raised as a Girl von John Colapinto beschreibt die Geschichte von David Reimer, dessen Geschlechtsumwandlung im Kindesalter durch John Money zu einem medizinisch Aufsehen erregenden Fall wurde. Das Buch behandelt nicht nur eine Fallgeschichte ärztlicher Arroganz und Willkür, sondern Colapinto reanimiert die alte Kontroverse nature vs. nurture zu neuem Leben, um sie zugunsten von nature zu entscheiden und damit zugleich gegen die feministische These von der sozialen Konstruktion von Geschlecht vorzugehen (vgl. John Colapinto: As Nature Made Him. The Boy Who Was Raised as a Girl, New York: Harper Collins 2000). 29 G. Rubin, The Traffic in Women, S. 209f. 30 »Begriffe reichen also ins Unendliche […].« (G. Deleuze/F. Guattari, Was ist Philosophie? S. 26)
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Die Verkettung der Komponenten ist historisch-gesellschaftlich erzeugt. Deswegen lautet Rubins Schlussfolgerung, dass das »sex/gender system must be reorganized through political action«31. Reorganisation ist genau genommen Deterritorialisierung als die stärkste Vision feministischer Politik. Es gehe nicht um die »eliminiation of men, but for the elimination of the social system which creates sexism and gender«32. Weiter: »But we are not only oppressed as women, we are oppressed by having to be women, or men as the case may be. I personally feel that the feminist movement must dream of even more than the elimination of the oppression of women. It must dream of the elimination of obligatory sexualities and sex roles. The dream I find most compelling is one of an androgynous and genderless (though not sexless) society, in which one’s sexual anatomy is irrelevant to who one is, what one does, and with whom one makes love.«33 Davon sind wir weit entfernt. Wir sind vom Werden zur Geschichte zurückgekehrt, aber nicht zur Neuerfindung von gender, sondern zur Geschichte einer allmählichen Ermüdung, der langsamen Abnützung eines Begriffs, und zwar in dem Moment, in dem der Begriff in Propositionen aufgeht, die eine bestimmte Wirklichkeit, das ›Es gibt …‹ repräsentiert. Davon handeln Scotts Fantasien zur Jahrtausendwende: »Viele feministische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit dem Begriff arbeiten, tun dies gar unter ausdrücklicher Ablehnung der Prämisse, dass ›Frauen‹ und ›Männer‹ historisch variable Kategorien sind. Dies alles hat zur Verdinglichung der Mann/Frau-Opposition als grundlegender und grundsätzlicher Differenz geführt (oder anders gesagt: zur Akzeptanz evolutionspsychologischer Begriffe und Ideen), und entsprechend ist der Kategorie gender ihre einstmals radikale akademische und politische Aktionsund Wirkmacht abhanden gekommen.«34 Im Kern hat diese Kritik bereits Rubin geäußert: »The organization of sex and gender once had functions other than itself – it organized society. Now, it only organizes and reproduces itself. The kinds of relationships of sexuality established in the dim human past still dominate our sexual lives, our ideas about men and women, and the ways we raise our children. But they lack the functional load they once carried. One of the most conspicuous features of kinship is
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G. Rubin, The Traffic in Women, S. 203. Ebd., S. 204. Ebd. J.W. Scott, Die Zukunft von gender, S. 59. Konsequent erfindet Scott neue Begriffe, um die durch die problematische Verwendung des Begriffs gender aufgeworfenen Probleme neu zu situieren. Statt von gender spricht sie von »sexual difference«, um deutlich zu machen, dass man in (historischen) Analysen nicht von einer gegebenen Differenz ausgehen kann, sondern die Herstellung von Differenz selbst zum Gegenstand der Analyse macht. An die Stelle von sex tritt der Begriff »biological sex«, das ein historisch variables Konzept bezeichnen soll.
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that it has been systematically stripped of its functions – political, economic, educational, and organizational. It has been reduced to its bares bones – sex and gender«.35 Der Skandal wäre die Feststellung, dass sex/ gender für sich genommen nichts bedeutet und repräsentiert. Naturalisierung und die soziale Konstruktion des Geschlechts sind – heute, in westlichen Wohlstandsgesellschaften – zwei sich ergänzende Strategien, unablässig sex/gender zu signifizieren, um die politisch bedeutsameren Artikulationen von Begehren, Reproduktion, Macht und life itself zu trennen und die Reinheit des Geschlechts und der Geschlechtsidentität darzustellen. Bei den Artikulationen zu bleiben, hieße, sich jeglicher Transzendenz zu widersetzen.
3. Resümee: G e s c h i c h t e , R e p r ä s e n t a t i o n , Ar t i k u l a t i o n Meine These war, dass gender die Transformation vom Begriff zur Proposition vollzogen hat und von der Artikulation zur Repräsentation übergegangen ist. Etwas überspitzt formuliert steht für den Begriff oder die Artikulation die Forderung »Equal Pay is Not Enough. We want the Moon«, die in den frühen 1970er Jahren auf einem Plakat von Sheila Rowbotham zu lesen war. Die Proposition oder die Repräsentation drückt sich exemplarisch in Judith Butlers Behauptung »Die Frau gibt es nicht« aus. Zwischen beiden Statements gibt es keine Beziehung. Es handelt sich nicht um komplementäre Positionen, die sich zu einem Ganzen verschweißen lassen, und wir erkennen darin auch nicht zwei Phasen einer Geschichte des Feminismus, die aufeinander folgen, auch wenn beide Positionen immer nur in einem spezifisch historisch-gesellschaftlichen Kontext realisiert werden und auf je unterschiedliche Weise kontextbildend sind. Eine Form der Nützlichkeit dieser Unterscheidung liegt darin, dass daraus keine Erfolgs- oder Niedergangsgeschichte von gender, des Feminismus oder der Gender Studies geschmiedet werden kann. Die luziden sex-gender-Analysen sind nur im Rahmen der Repräsentationskritik ein Erfolg, und die Frage, wen der Feminismus repräsentiert, stellt sich nur, wenn politische Bewegungen unter dem Aspekt der Stellvertretung und der legitimen politischen Autorität betrachtet werden. Die ›falsche‹ Historisierung lässt es heute, auch im Rückblick auf die damaligen Verhältnisse, lächerlich erscheinen, die Revolution zu denken, wie es Feministinnen vor vierzig Jahren getan haben. Dies ist aber nicht allein auf die aktuellen sozialen und politischen Verhältnisse zurückzuführen, sondern auf die Art und Weise, wie Theorien ihr Verhältnis zur Politik, zu politischen Bewegungen und zur Geschichte gesellschaftlicher Kämpfe begreifen. Dies sind die wesentlichen Merkmale der Unterscheidung zwischen Begriff und Proposition. 35 G. Rubin, The Traffic in Women, S. 199.
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Lynne Segal schreibt in ihrem Buch Why Feminism? keine Geschichte des Feminismus; ihre ›Geschichte‹ nennt sie Generations of Feminism.36 Generationen markieren nicht einfach historische Phasen (diese sind bei Segal Gegenstand einer Problematisierung), sondern sie definieren sich durch gemeinsame Hoffnungen und Träume, durch gemeinsame Ziele und Kämpfe. Der Blick zurück auf Rowbothams Feminismus der ›Siebziger‹ zeigt, wie unterschiedliche Erfahrungen von Frauen mit politischen Kämpfen verknüpft werden, aber anders als in den Schriften der späteren Repräsentationskritikerinnen oft pauschal behauptet wird, basieren diese frühen gemeinsamen Kämpfe nicht auf der trügerischen Gewissheit eines einheitlichen Subjekts des Feminismus.37 Stattdessen formiert sich die Politisierung in consciousness-raising groups, die für die Herstellung kollektiver Erfahrungen und der Solidarisierung in politischen Bewegungen eine zentrale Rolle spielten. Sie transformieren das Selbstverhältnis, alltägliche Erfahrungen, die politische Praxis und die theoretische Arbeit. Bettina Apthekers beschreibt in Tapestries of Life diese Prozesse und das Buch ist selbst das Ergebnis einer solchen Transformation.38 Lynne Segal plädiert am Ende von Generations of Feminism für einen Mut zum Anachronismus – auch in der Geschichtsschreibung. Sie räumt deswegen Acts of MemoryProjekten, die sich mit der Geschichte der Frauenbewegung auseinandersetzen – eine wichtige Funktion ein, damit ihr Werden nicht von der Geschichte ausgelöscht oder deformiert wird: »For amnesia about political movements is not only an innocent effect of general forgetfulness, but is socially produced, packaged, promulgated, and perpetuated.«39 Wenn sich die Männerforschung nicht zur Komplizin dieses produzierten Vergessens machen will, indem sie diese Fragen ›von gestern‹ zurücklässt und einem Begriff von gender den Vorzug gibt, der, von allen Kämpfen gereinigt, eine Differenzkategorie darstellt, dann muss sie sich für einen Arbeitsbegriff von gender entscheiden, der die Geschichte des Zusammenhangs von Frauenbewegung, feministischer Theorie und Praxis, Gender Studies, Männerforschung und Männlichkeitspolitik thematisiert. Der von Robert W. Connell geprägte Begriff der »patriarchalen Dividende«40 könnte als »Kampfbegriff«41 für eine Repolitisierung des Begriffs
36 Lynne Segal: Why Feminism? Gender, Psychology, Politics, New York: Columbia University Press 1999. 37 Vgl. ebd., S. 18f. 38 Bettina Aptheker: Tapestries of Life. Women’s Work, Women’s Consciousness, and the Meaning of Daily Experience, Amherst: The University of Massachusetts Press 1989. 39 Rachel DuPlessis/Ann Snitow, zit.n. L. Segal, Why Feminism? S. 11. 40 Robert W. Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen: Leske + Budrich 1999. 41 Das Wort »Kampfbegriff« ist Maria Mies entlehnt, die den Begriff »Patriarchat« als Kampfbegriff wiederentdeckt hat, um den systemischen Charakter der unterdrückerischen und ausbeuterischen Verhältnisse zu bezeichnen (vgl.
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gender in der Männerforschung dienen, denn er bringt Männer als Kollektiv hervor, das sich über die gemeinsame Verantwortung definiert, politisch gegen Diskriminierung und Unterdrückung zu kämpfen. Diese Verantwortung geht aus der Artikulation von alltäglichen Erfahrungen und politischer Intervention hervor und sie benennt und überschreitet Geschlecht. Männlichkeit wird durch den Kampf gegen jede Form von Herrschaft paralysiert.
Literatur Aptheker, Bettina: Tapestries of Life. Women’s Work, Women’s Consciousness, and the Meaning of Daily Experience, Amherst: The University of Massachusetts Press 1989. Colapinto, John: As Nature Made Him. The Boy Who Was Raised as a Girl, New York: HarperCollins 2000. Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen: Leske + Budrich 1999. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Was ist Philosophie? Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996. Farber, David: The Age of Great Dreams. America in the 1960s, New York: Hill and Wang 1994. Fausto-Sterling, Anne: Myths of Gender. Biological Theories about Women and Men, New York: Basic Books 21992. Fausto-Sterling, Anne: Sexing the Body. Gender Politics and the Construction of Sexuality, New York: Basic Books 2000. Firestone, Shulamith: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt a.M.: Fischer 1975 (orig. 1970: The Dialectic of Sex). Hacking, Ian: Was heißt ›soziale Konstruktion‹. Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften, Frankfurt a.M.: Fischer 1999. Haraway, Donna J.: »›Gender‹ for a Marxis Dictionary«, in: Haraway, Donna J., Simians, Cyborgs, and Women (1991), S. 127-148. Haraway, Donna J.: Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature, New York: Routledge 1991. Haraway, Donna J.: »Geschlecht«, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus, Band 1, hgg. im Auftrag des Instituts für Kritische Theorie von Frigga Haug, Hamburg: Argument 2003, Sp. 408-422. Hayles, N. Katherine: How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics, Chicago/London: The University of Chicago Press 1999. Hunter, James Davison: Culture Wars. The Struggle to Define America, New York: Basic Books 1991. Maria Mies: Patriarchat und Kapital. Frauen in der internationalen Arbeitsteilung, Zürich: Rotpunktverlag 51996, hier S. 55ff.).
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Mies, Maria: Patriarchat und Kapital. Frauen in der internationalen Arbeitsteilung, Zürich: Rotpunktverlag 51996. Rose, Nikolas: The Politics of Life Itself. Biomedicine, Power, and Subjectivity in the Twenty-First Century, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2007. Rubin, Gayle: »The Traffic in Women: Notes on the ›Political Economy‹ of Sex«, in: Reiter, Rayna R. (Hg.), Toward an Anthropology of Women, New York/London: Monthly Review Press 1975, S. 157-210 (dt. Übersetzung: Gayle Rubin: »Der Frauentausch. Zur ›politischen Ökonomie‹ von Geschlecht«, in: Gabriele Dietze/Sabine Hark (Hg.), Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Königstein: Ulrike Helmer Verlag 2006, S. 69-122). Schmitt, Eberhard: Repräsentation und Revolution. Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien régime in Frankreich (1760-1789), München: Beck 1969. Scott, Joan Wallach: Gender: »A Useful Category of Historical Analysis«, in: Scott, Joan Wallach, Gender and the Politics of History, New York/Oxford: Columbia University Press 1988, S. 28-50. Scott, Joan Wallach: »Die Zukunft von gender. Fantasien zur Jahrtausendwende«, in: Honegger, Claudia/Arni, Caroline (Hg.), Gender. Die Tücken einer Kategorie, Zürich: Chronos 2001, S. 39-63. Segal, Lynne: Why Feminism? Gender, Psychology, Politics, New York: Columbia University Press 1999.
Zw ischen Aktivismus und Akademie. Die Zeiten feministischen Wissens SABINE HARK
(Post-)Feministische Zeiten Seit geraumer Zeit ist das im englischsprachigen Raum unter dem Namen False Feminist Death Syndrome bekannte Phänomen, nämlich Feminismus als überholtes, erbärmliches Auslaufmodell der Geschichte darzustellen, um die Gerechtigkeitsanliegen von Frauen abzuwehren, auch in den deutschen Feuilletons angekommen; und dies ironischerweise verstärkt, seit jene bis dato feministisch unverdächtigen Politikerinnen – Mittelstürmerin Ursula von der Leyen und Angela Merkel als back up – sich daran gemacht haben, bundesdeutsche Geschlechterarrangements auch institutionell zu modernisieren. Betrachtet man den Chor jener, die das Lied vom Ende des Feminismus singen, genauer, so sind höchst unterschiedliche Stimmen zu hören. Neben den notorisch misogynen und homophoben Tiraden Volker Zastrows in der FAZ1 und – etwas weicher konturiert – von René Pfister im Spiegel2, oder den Äußerungen der auch seit langem als notorisch antifeministisch bekannten Mariam Lau, die die feministische Bewegung zum 8. März 2005 in der Welt für »Jahre der männerfeindlichen Hetze, des geschürten Misstrauens, der Warnungen vor Frauenschändern und sexuellem Missbrauch mit Steckbriefen auf Damentoiletten«3 kritisierte, sind auch
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Volker Zastrow: »Politische Geschlechtsumwandlung«, in: FAZ vom 19.06.2006, S. 8, und Volker Zastrow: »Der kleine Unterschied«, in: FAZ vom 07.09.2006, S. 8. Vgl. René Pfister: »Regierung: Der neue Mensch«, in: Der Spiegel vom 30.12.2006, S. 27-29. Vgl. www.welt.de/print-welt/article556691/Feminismus_am_Ende.html; vom 21.05.2007.
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solche Stimmen zu hören, die zwar vehement »einen neuen Feminismus« fordern, zugleich jedoch meinen, sich von einem wie auch immer »alten« Feminismus distanzieren zu müssen. Auch in diesen Stimmen sind jene bekannten Missklänge der »mehr oder weniger lesbischen, in jedem Fall ›extremistischen‹ Megäre«, die Feminismus ein Image so schlecht wie das der Deutschen Bahn beschert hätte (so die F-Klasse-Frontfrau Thea Dorn in der Wochenzeitung Das Parlament4) deutlich vernehmbare Untertöne. In unzähligen Artikeln, Interviews und Radiogesprächen beschwört Dorn, die rhetorisch für eine durchaus feministisch angehauchte Modernisierung der Geschlechterverhältnisse streitet, zugleich immer wieder das Zerrbild einer feministischen Bewegung, die lesbisch dominiert war, sich in der Opferrolle eingerichtet hatte und in der der Griff zum Lippenstift ebenso vergällt war wie sie nie aus den Latzhosen raus gewachsen ist. Die ›ja-aber-Stimme‹ ertönt aber auch in der ZEIT. Diese ließ im Sommer 2006 unter dem Titel »Wir brauchen einen neuen Feminismus« fünfzehn beruflich erfolgreiche Frauen, unter ihnen auch feministische Theoretikerinnen wie Barbara Holland-Cunz, Bilanz über Geschlechterfragen ziehen, tat jedoch in einer erläuternden Redaktionsnotiz kund, »einen neuen Feminismus zu fordern war in den letzten 20 Jahren so ziemlich das Unsouveränste, was man als Frau tun konnte«, denn »man outete sich damit nicht als kämpferisch, sondern als schwach«.5 Und schon einige Jahre zuvor, im April 2002, hatte sich die ZEIT in einem Artikel mit dem vielsagenden Titel »Männer, Frauen, Fantasien«, der vom Aufschwung einer »Fachrichtung« namens ›Gender Studies‹ an deutschen Universitäten berichtete, jener Stimme bedient. Auch hier konnte der Autor Daniel Wiese seine Erleichterung darüber, dass in jenem akademischen Aufschwung der Gender Studies »das feministische Vokabular des Geschlechterkampfes allmählich einer kühleren Betrachtungsweise weicht«,6 kaum verhehlen. Denn durch diese ›kühlere Betrachtungsweise‹ erlangten die ›Gender Studies‹, die zwar »aus der feministischen Frauenforschung« hervorgegangen seien, aber anders als diese »auch Männer einbeziehen«,7 in dessen Augen ein Niveau professioneller, mit den Regeln und Anforderungen der Wissenschaft und der Universität, aber auch des Arbeitsmarktes kompatibler Reife. Dass sich die »immer noch mächtigen feministischen Impulse« ebenso verflüchtigen werden wie die vom ZEIT-Autor hinsichtlich der Stärkung der »verschwindenden männlichen Minderheit« als »erschwerend« angesehene Haltung mancher Professorin, »Gender Studies als eine Fortsetzung 4 5 6 7
Thea Dorn: »Die bewegte Frau«, in: Das Parlament Nr. 7 vom 12.02.2007, S. 1. Redaktionsnotiz: »Wir brauchen einen neuen Feminismus«, in: Die Zeit vom 24.08.2006, S. 49. Daniel Wiese: »Männer, Frauen, Fantasien«, in: Die Zeit vom 11.04.2002, S. 79. Vgl. ebd.
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der Frauenforschung unter neuem Etikett« zu verstehen, schien ihm dabei nur eine Frage der Zeit zu sein. Und dies insbesondere dann, wenn »die Gender Studies selbst einer gender-kritischen Prüfung« unterzogen würden, das heißt sich stärker als bisher für Männer öffneten. »Die Verantwortlichen könnten dabei von Verona Feldbusch lernen.« Diese hatte im »Fernsehduell mit Alice Schwarzer« gesagt: »›Ich habe nichts gegen Männer‹«.8 ›Dem‹ Feminismus ist auch hier eine eigentümlich phantasmagorische, geisterhafte Schattenexistenz beschieden. Wir erfahren nichts über die Ziele, Absichten und Inhalte von Feminismus, nichts über seine divergenten und kontroversen theoretischen Herkünfte und Zuschnitte, nichts über die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Feminismus als politischem Projekt und Feminismus als akademischem Wissensfeld. Stattdessen figuriert Feminismus als Emblem für einen archaisch anmutenden ›Geschlechterkampf‹, in dem feministische Professorinnen Männern den Zugang zum Wissen verwehren. Vor allem aber treibt er sein Unwesen als Gespenst aus der Geschichte, das nicht einsehen will, dass es in der Gegenwart keinen Platz mehr hat – es sei denn um den Preis der Karikatur. Im Lichte der neuen Welle antifeministischer Rhetorik betrachtet sind Wieses Fantasien über Frauen, Männer, den Feminismus und die Gender Studies indes weniger idiosynkratisch als vielmehr selbst emblematisch zu verstehen, nämlich als Emblem für die gegenwärtige historische Situierung von Feminismus. Lynne Segal beschreibt diese lakonisch als »passé, predictable, prosaic; yet the common sense of our age«.9 Und Angela McRobbie argumentiert, die gegenwärtige Situation von Feminismus zeichne sich durch eine eigentümliche Koexistenz zweier sich scheinbar widersprechender Phänomene aus. Einerseits würde Feminismus als politische Bewegung von Frauen und als kritisches Erkenntnisprojekt vehement zurückgewiesen, geschmäht, ja »geradezu gehasst«.10 Andererseits seien die feministischen Themen und Anliegen Teil historischer Objektivität, Teil des ›gesunden Menschenverstandes‹ geworden. Der Preis, den Feminismus dafür entrichte, politisch und institutionell berücksichtigt zu werden, sei daher zugleich als historisch überholt positioniert zu werden: »Damit dem Feminismus Rechnung getragen werden kann, muss er als bereits verstorben betrachtet werden«.11 Dass Feminismus Teil historischer Objektivität geworden ist, Teil institutioneller Vorgaben und institutionellen Handelns, ist unstrittig, zeigt es sich doch an einer Vielzahl von Entwicklungen und Phänomenen. Die 8 Vgl. ebd. 9 Lynne Segal: Why Feminism?, Cambridge: Polity Press 2000, S. 3. 10 Angela McRobbie: »Wozu Mütter und Väter? Judith Butler, Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod. Neuordnungen der Verwandtschaftsverhältnisse, Verwerfung des Feminismus«, in: Das Argument 252 (2003), S. 648-657, hier S. 648. 11 Ebd., S. 657.
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»Verstaatlichung« von Frauenpolitik seit den 1980er Jahren, eine Fülle von Gesetzen und Verordnungen, die die Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel haben, eine international stetig wachsende Zahl von Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen, die mit der Durchsetzung von »Frauenrechten« befasst sind, sowie supranationale (EU) und nationale Politiken des Gender Mainstreaming sind dafür wohl die herausragenden Beispiele. Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern gilt zudem den meisten Frauen und Männern in den Gesellschaften des Westens heute als umgesetzt respektive zum Greifen nah. Geschlechtsbezogene Benachteiligungen existieren in der Wahrnehmung von (jungen) Frauen und Männern kaum noch beziehungsweise werden als Einzelfälle und nicht als Teil eines allgemeinen Musters gewertet. Dieser Wahrnehmung korrespondiert die auch von Frauen- und Geschlechterforscher/-innen vorgetragene Einschätzung, Gleichheit sei als Norm heute weltweit etabliert. Der im ZEIT-Artikel anvisierte gender turn scheint insofern in der Tat Indikator dafür zu sein, dass die gesellschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Konstellationen und Kräfteverhältnisse, innerhalb derer der akademisch gewordene Feminismus heute agiert, grundsätzlich verschieden sind von denjenigen zu Beginn des feministischen Wissensprojektes in den 1970er Jahren. Feminismus muss deshalb als historisches Projekt verstanden werden – und zwar nicht nur in dem Sinne, dass er als eine Kraft in der Geschichte zu verstehen ist, er Geschichte macht, also auf geschichtlich gewordene Verhältnisse einwirkt, sondern selbst historisch gemacht und damit Veränderungen und Reartikulationen ausgesetzt ist.
Politics of Location Zeit also, selbst nach den Zeiten des akademischen Feminismus zu fragen. Die Frage nach der Zeit aber ist im Kern – und gewissermaßen paradox – eine Frage der Orte, ist Zeitlichkeit doch nur relativ in Bezug auf Lokalität zu denken. Worum es daher vis-à-vis einer post- und oft auch antifeministischen Konstellation geht, will man die Zeitlichkeit von akademischem Feminismus bedenken, ist, jenen Ort, an dem sich dieser befindet, kritisch in Augenschein zu nehmen. Eine solche politics of location (Adrienne Rich)12 halte ich nicht zuletzt deshalb für dringlich, da der gegenwärtige Moment für den akademisch gewordenen Feminismus ein entscheidender ist. Denn dessen aktuelle akademische Institutionalisierung, insbesondere im Zeichen von gender, hat das Potenzial, feministische Theorie und Praxis insgesamt zu reartikulieren. 12 Vgl. Adrienne Rich: »Notes Towards a Politics of Location«, in: Dies., Blood, Bread and Poetry. Selected Prose 1979-1985, London: Virago Press 1986.
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Abstrakt formuliert geht es einer solchen politics of location darum, das Paradox zu durchdenken, dass sich selbst als »kritisch«, »dissident« oder »widerständig« verstehende Wissensprojekte von jenen Einrichtungen der Wissenschaft, von deren Praktiken und Mechanismen, von den dort etablierten Reproduktions- und Austauschverhältnissen, die verändert werden soll(t)en, selbst ermöglicht, produziert und formiert werden. Dass dies der Fall ist, ist unstrittig und kaum der Rede wert. Allerdings – und darin steckt die Herausforderung – ist gerade die Teilhabe an jenen herrschaftsförmig verfassten Ökonomien die prekäre Voraussetzung für die Existenz jener kritischen Projekte. Auf eine kurze Formel gebracht: Partizipation bedingt Dissidenz, hegt diese jedoch zugleich ein. Was aber bedeutet es genau, davon zu sprechen, dass das neue feministische Wissen von den etablierten akademischen Ökonomien form(at)iert wird? Als ein Wissen, das den Status von wissenschaftlichem Wissen beansprucht, muss neues Wissen akademische Glaubwürdigkeit erst erwerben und Geltung organisieren. Denn diesem wird nicht einfach, weil es »besseres« Wissen ist, Anerkennung gewährt. Es muss sich vielmehr durchsetzen in Organisationen, die mit einer vergeschlechtlichten »Geschäftsordnung der Wissenschaft«, wie Friederike Hassauer13 es genannt hat, aufwarten können, Organisationen, in denen Spuren geschlechtlichen Alltagswissens intensiv konserviert werden, dass nämlich Wissenschaft eine ›männliche‹ Tätigkeit ist und Wissenschaftler Männer sind, sich folglich wissenschaftliche Autorität »nicht symmetrisch auf Weiblichkeit zuschieben« lässt.14 Organisationen zudem, die von Interessengegensätzen und internen Machtkämpfen um Weltdeutungen und theoretische Vorherrschaften, um Ressourcen, Anerkennung und Renommee geprägt sind. Das etablierte Wissen wird sich also gegen das neue Wissen verteidigen – und dies geschieht womöglich am effektivsten nicht durch Segregation und Marginalisierung, durch verstärkte Verteidigung der eigenen Grenzen und Verweigerung von Anerkennung – obwohl auch dies probate Mittel sind –, sondern durch die Gewährung eines »eigenen Zimmers« (Virginia Woolf15) in den »Häusern des Wissens« (Jürgen Mittelstraß16), wie bescheiden auch immer dieses sein mag. Wiederum auf eine kurze Formel gebracht: Nicht repressiv und ausschließend, sondern produktiv und einschließend setzt sich die etablierte Wissenschaft mit der feministischen Herausforderung auseinander. Wahrscheinlich ist vor diesem Hintergrund daher eher die Aufrechterhaltung der herrschaftsförmigen Routinen des wissenschaftlichen Feldes 13 Friederike Hassauer: »Die Matrix des Wissens. Autorität und Geschlecht«, in: Freiburger Frauenstudien 12 (2002), S. 49-77, hier S. 52. 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. Virginia Wolf: Ein Zimmer für sich allein, Berlin: Gerhard Verlag 1987 [1928]. 16 Vgl. Jürgen Mittelstraß: Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998.
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als deren Infragestellung. Wahrscheinlich ist eher die Orientierung an der vorgefundenen Organisationskultur sowie die Reproduktion und Stabilisierung gegebener Hierarchien als deren Transformation. Wahrscheinlich scheint eher die Orientierung an bereits existierenden Standards zum Beispiel von Wissenschaftlichkeit oder Bewertung als die verändernde Intervention in diese. Wahrscheinlich ist eher die Reproduktion segregierender Praktiken als deren Dekonstruktion. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen mithin die bekannten Brechtschen Mühen der Ebene. Aus einer Position der Marginalität kann nicht umstandslos auf widerständige Erkenntnis oder gar emanzipatorische Praxis geschlossen werden. Das politische Projekt der »Herrschaftsabsage« (Christina Thürmer-Rohr17) lässt sich nicht umstandslos in ein Projekt ›kritische Wissenschaft‹ übersetzen; ebenso wenig schließt das intellektuelle Projekt einer kritischen Theorie zwingend eine institutionelle Praxis ein, in der Marginalisierung und Segregierung, Normalisierung und Disziplinierung keine Rolle spielen. Tatsächlich kann die Positionierung an den Grenzen gerade hegemoniale Anordnungen von Zentrum und Peripherie bestätigen oder neue installieren, statt sie wirkungsvoll zu unterlaufen. Ebenso kann die wie auch immer bescheidene Integration in abgelagerte herrschaftliche Strukturen kritische Potenziale erschöpfen und gegenkulturelle Kräfte binden. Es kann beispielsweise dazu führen, dass das neue Wissensprojekt selbst gate keeping-Funktionen gegenüber anderen intellektuellen Innovationen und Kritikansprüchen übernimmt. Der inhaltliche Anspruch der ›Herrschaftsabsage‹ ist insofern zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine dissidente Wissenspraxis. Doch gerade weil Kritik und Regulierung zwar spannungsreich, gleichwohl intim miteinander verkoppelt sind, gilt es, die nicht selbst geschaffenen Umstände und Bedingungen, unter denen wir handeln, das heißt Wissen produzieren, distribuieren und konsumieren, kritisch zu reflektieren. Es gilt, die »herrschaftsbedingten Grenzen im eigenen Denken und Handeln«18 im Sprechen und Schreiben, Lehren und Publizieren, im institutionellen Agieren und Reagieren beständig neu zu befragen. Denn die Anstrengung, »so genau wie möglich zu bestimmen, wessen und welches Handeln unter welchen Umständen ermöglicht oder beschränkt wird19, ist eine unabdingbare Voraussetzung, um der selbst gestellten Aufgabe eines Herrschaft transformierenden Wissensprojektes gerecht werden zu können.
17 Vgl. Christina Thürmer-Rohr: »Denken der Differenz: Feminismus und Postmoderne«, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis 39 (1995), S. 87-97. 18 Ebd. S. 44. 19 Vgl. Peter Wagner: Soziologie der Moderne, Frankfurt a.M./New York: Campus 1995, S. 15.
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Feministische Tempi Die Frage nach der Zeit des Feminismus, danach, inwiefern das feministische Denken betrachtet werden sollte »als nur ein kurzer Moment in dem Gedanken der anthropomorphen Identität […], der gegenwärtig den Horizont und die wissenschaftliche Zukunft unserer Gattung überzieht«, wie Julia Kristeva in ihrem berühmten Aufsatz »Women’s Time« geschrieben hatte,20 kann und soll daher nicht als schon entschieden gelten. Insofern ein Ziel von Feminismus die radikale Transformation hierarchischer Geschlechterverhältnisse ist und Ziel des feministischen Wissensprojektes die Transformation allen (wissenschaftlichen) Wissens und dessen vergeschlechtlichter disziplinärer Ordnung, wäre der Feminismus in der Tat als ein solch ›kurzer Moment am Horizont der Wissenschaft‹ zu verstehen. Denn bei Erreichen dieser Ziele hätte er sich zweifellos historisch überflüssig gemacht. Frauenforschung, so Ute Gerhard in Frankfurt am Main bei der Anhörung zum ersten Frauenforschungslehrstuhl der BRD schon 1986, sei letztlich nur als »Übergangssituation« denkbar, da sie auf »die Beseitigung eines grundlegenden Widerspruchs« ziele, auch wenn dies sehr lange dauern könne.21 Nur wenig früher hatte die US-amerikanische Historikerin Nancy Cott hoffnungsvoll prognostiziert, in the long term seien Women’s Studies aus einer separaten Perspektive nicht notwendig, da die von diesen vorgeschlagene Perspektive zur normalen, allgemein akzeptierten geworden sein würde – wobei sie diesen long term mit ungefähr fünfzig Jahren bezifferte. Obgleich wir uns also auch nach Cotts optimistischer Zeitrechnung noch mitten in dem von ihr prognostizierten long term befinden, muss(te)n allerdings, wie Irene Dölling in »Das Veralten der Frauenforschung«22 argumentiert, manche ihrer Thesen und Grundannahmen bereits ›veralten‹, da die Gegenstände feministischer Reflexion – die soziale und politische Situation von Frauen und Männern, die Institutionalisierungen des Geschlechterverhältnisses, soziale und kulturelle Formationen, Diskurse und Repräsentationen – selbst in signifikanten Hinsichten ›veralten‹, das heißt sich historisch verändern. Um auf der ›Höhe der Zeit‹ argumentieren zu können, sind demzufolge Revisionen nicht nur unvermeidlich, sie sind sogar notwendig. 20 Vgl. Julia Kristeva: »Women’s Time«, in: Toril Moi (Hg.), The Kristeva Reader, New York: Columbia UP 1986, S. 187-213. 21 Ute Gerhard: »Alte und Neue Frauenbewegung als soziale Bewegung – ein soziologischer Vergleich unter besonderer Berücksichtigung der Arbeit von Frauen«, in: Autonomes Lesben- und Frauenreferat Universität Frankfurt (Hg.), Dokumentation zum Frankfurter Frauenlehrstuhl, Frankfurt a.M.: Selbstverlag 1986, S. 145-157, hier S. 156. 22 Vgl. Irene Dölling: »Das Veralten der Frauenforschung«, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung 37 (1996), S. 601-619.
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Muss aber, um die Frage nach der Zeit des Feminismus beantworten zu können, nicht dessen historisch-politische von der institutionellen und diese wiederum von der theoretischen Zeit des Feminismus unterschieden werden, da diese in sehr unterschiedlichen Tempi und damit ungleichzeitig zueinander verlaufen? Wenn beispielsweise im Studienjahr 2002/2003 zwar (erstmals) mehr als 50 % der Studienanfänger/-innen Frauen sind, der Anteil von Frauen an der bundesdeutschen Professor/-innenschaft im Jahr 2001 jedoch erst bei 11,2 % liegt, was in absoluten Zahlen bedeutet, dass 4.216 von insgesamt 37.661 Professuren mit Frauen besetzt sind – wobei der Anteil an den C4-Professuren lediglich 7,7 % (absolut: 967) beträgt –, wenn im Jahr 2001 die insgesamt 103 auf allen Hierarchieebenen existierenden Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung gerade mal 0,3 % aller Professuren an deutschen Universitäten ausmachen, in welchem Verhältnis steht dann diese institutionell-politische Zeit etwa zur Zeit der feministischen Theorie, in der im »Wettlauf um die Theorie« (Barbara Christian23) einerseits immer mehr zu gelten scheint, dass das jeweils Aktuellste auch das Beste ist, andererseits aber auch – da auch Theoriebildung der eigenen Geschichtlichkeit Rechnung tragen muss – Konzepte, Kategorien und Begriffe notwendig ›veralten‹ und folglich überdacht werden müssen? Und wie verhält sich diese schon in sich heterogene Zeit der Theorie wiederum zur Zeit von feministischen ›Generationen‹ oder zur institutionellen Zeit der Entwicklung, Durchsetzung und Etablierung feministischen wissenschaftlichen Wissens, etwa zu den großen Ungleichzeitigkeiten, die hier zwischen den Fächerkulturen der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften und den Natur- und Technikwissenschaften existieren? Worum also geht es, wenn in einer postfeministischen gesellschaftlichen Konstellation auch Geschlechterforscher/-innen Begründungen für Gender Studies generieren, in denen ›Frauen‹ und ›Feminismus‹ als Zeichen der Stationen eines Irrwegs figurieren, von dem wir dank der Kategorie ›Gender‹ wieder auf den rechten Weg zurück in eine viel versprechende Zukunft gefunden haben? So als sei ›Gender‹ per se immun gegen die Art von Ausschlüssen und Ausblendungen, die heute mit den Kategorien ›Frau‹ und ›Feminismus‹ assoziiert werden. Worum geht es in dem Bemühen, eine konsistente, widerspruchsfreie und zugleich umfassendere Repräsentation versprechende Benennung zu finden, wie sie die Bezeichnung Gender Studies gegenüber ›feministischer Theorie‹ oder ›Frauenforschung‹ darzustellen scheint? Welche Effekte werden die verschiedenen Benennungen für das Wissen haben, das in diesen Namen produziert wird? Nach welchen Kriterien wird was kanonisiert und was weggelassen? Welche Theorien, Ansätze, Namen haben das Potenzial, akademisch zu zirkulieren und welche nicht? Wer entscheidet darüber? Wie antworten wir auf 23 Vgl. Barbara Christian: »Der Wettlauf um die Theorie«, in: Nancy Kaiser (Hg.), Selbst Bewusst. Frauen in den USA, Leipzig: Reclam 1994, S. 76-95.
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die Dynamiken der Homogenisierung der eigenen (Theorie-)Geschichte oder auf Dynamiken diskursiver Enteignung von ›innen‹ wie von ›außen‹? Wie können (noch) gemeinsame (?) feministische Ansprüche an die und in der Wissenschaft definiert werden, wenn Feminismus selbst ein Feld widerstreitender und konfligierender Positionen ist? Mehr noch: Sind die gegenwärtigen, wenngleich nach wie vor prekären Institutionalisierungserfolge der Gender Studies im Lichte von McRobbies und Martins Überlegungen als Teil der Erfolgsgeschichte von Feminismus zu bewerten oder als Zeichen seines Niedergangs – oder sind sie gar beides? Sollte Rosi Braidottis24 und Joan Scotts25 Kritik, Gender habe zur Delegitimierung von Feminismus beigetragen, zutreffen, tragen dann die Gender Studies nicht zur Zurückweisung von Feminismus bei statt zu seiner Reartikulation?
Zw i s c h e n Ak t i v i s m u s u n d Ak a d e m i e Was also folgt aus der Kritik und welche Konsequenzen wären zu ziehen aus den angesprochenen Transformationen: für die Zukunft von Feminismus, für die zukünftige Entwicklung von ›Frauen- und Geschlechterforschung‹, von Gender Studies – oder wie auch immer wir dieses Unterfangen in Zukunft nennen mögen. Was bedeutet es in einer Zeit fundamentaler materieller, politischer und kultureller Veränderungen im akademischen Leben, die nicht nur den Stellenwert wissenschaftlichen Wissens, dessen Herstellung, Vertrieb und Gebrauch beeinflussen, sondern auch eben jene, die dieses Geschäft betreiben, als akademische Subjekte neu konstituieren, sich als Produzent/-innen und Konsument/-innen kritischen Wissens zu verstehen und zu agieren? Welche intellektuellen und institutionellen Antworten haben wir auf die Transformation der Universität zur ›unternehmerischen Hochschule‹ (Burton R. Clark26), auf die marktförmig organisierte Steuerung der Wissensproduktion? Welches feministische Wissen – wenn überhaupt – wird in einer solchen Situation nachgefragt werden? Wie reflektieren wir in unserem Wissen, aber auch in unseren institutionellen Praxen und Politiken, dass Feminismus in die Universitäten um-
24 Vgl. Rosi Braidotti: »Gender und Post-Gender. Die Zukunft einer Illusion«, in: Frankfurter Frauenschule (Hg.), Zur Krise der Kategorien. Frau – Lesbe – Geschlecht. Materialienband – Facetten feministischer Theoriebildung, Bd. 14, Frankfurt a.M.: Selbstverlag 1994, S. 7-30. 25 Vgl. Joan Scott: »Die Zukunft von gender. Fantasien zur Jahrtausendwende«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.), Gender – die Tücken einer Kategorie. Joan W. Scott, Geschichte und Politik, Zürich: Chronos 2001, S. 39-63. 26 Vgl. Burton R. Clark: Creating Entrepreneurial Universities. Organizational Pathways of Transformation, Surrey: Pergamon 1998.
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zog, dort ein wenn auch immer noch bescheidenes ›Heim‹ gefunden hat, von den Rändern ins Zentrum gerückt ist? Haben sich dadurch dessen Position und die der Protagonist/-innen des akademischen Feminismus verändert? Die Position der kritischen Marginalität ist jedenfalls nicht mehr umstandslos reklamierbar, gleichwohl das Heim bescheiden und mit Hypotheken belastet und gleichwohl Integration in die akademischen Organisationen nicht umstandslos mit Assimilation an deren Werte und Praxen gleichzusetzen ist. Wie gehen wir beispielsweise in der Lehre damit um, auf Studierende zu treffen, für die die Frauenbewegung bereits diffus ›Geschichte‹ ist, Teil einer Epoche, die nicht mehr ihre Zeit ist und die für sie allenfalls in den Berichten von ›Zeitzeug/-innen‹ lebendig wird? Studierende, für die zugleich Feminismus in einer bestimmten Artikulation und Institutionalisierung zum common sense gehört, Bestandteil der Institution »Universität« ist, nicht erkennbar als Zeichen für politische, soziale und kulturelle Kämpfe – und darüber hinaus unter Umständen Teil ihres prüfungsrelevanten Wissens? Stellt zudem, wie Teresa de Lauretis fordert, »die Kritik jedes Diskurses, der sich mit dem Geschlecht befasst, einschließlich derjenigen, die als feministisch produziert oder angeboten werden, einen lebenswichtigen Teil des Feminismus«27 dar, was bedeutet es dann, Feminismus als akademisches Wissen curricular zu verstetigen? Was sind die »Geltungsgründe der feministischen Kritik«, wenn die »Bezugnahme auf ein epistemisches und politisches Referenzsubjekt« – ›Frauen‹ – zugleich unverzichtbar und unmöglich ist?28 Und ist diese Bezugnahme auf ein ›epistemisches und politisches Referenzsubjekt Frau‹ tatsächlich unverzichtbar? Wenn schließlich zutrifft, dass die gegenwärtigen intellektuellen und institutionellen Formationen erschöpft sind, welche neuen Formationen sind dann denkbar? Welche intellektuellen und institutionellen Antworten hat der akademisch gewordene Feminismus anzubieten für die komplex miteinander verwobenen Herausforderungen einer globalisierten, homogenisierenden und zugleich zunehmend fragmentierten und segregrierenden Welt? Wem und auf welche Fragen antwortet das feministische Wissen? Wem gegenüber sind wir verantwortlich und welche Verantwortung erkennen wir an? Wer sind diejenigen, denen im und mit dem feministischen Wissen Rechnung getragen wird? Nach welchen Kriterien wird das Wissenswerte vom nur Wissbaren unterschieden? Kurzum: Wie kann gegenwärtig noch feministisch gedacht werden?
27 Vgl. Teresa de Lauretis: »Technologien des Geschlechts«, in: Elvira Scheich (Hg.), Vermittelte Weiblichkeit: Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie, Hamburg: Hamburger Edition 1996, S. 57-93. 28 Gudrun-Axeli Knapp: »Aporie als Grundlage: Zum Produktionscharakter der feministischen Diskurskonstellation«, in: Dies./Angelika Wetterer (Hg.), Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II, Münster: Westfälisches Dampfboot 2003, S. 240-265, hier S. 243.
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Und wie, schließlich, kann Feminismus bedacht werden? Wie berücksichtigen wir das Moment der Nachträglichkeit, die Erfahrung, dass »Beschreibungen der Vergangenheit nicht Repräsentationen des Vergangenen sind, sondern nachträgliche Auswahlen, Umschriften, Neuperspektivierungen«29? Wie können wir, ohne nostalgisch oder gar konservativ, aber auch ohne geschichtslos zu werden, das heißt ohne die eigene politische und intellektuelle Herkunft zu verdrängen, der Geschichtlichkeit des eigenen Denkens »in der grundlegenden Ambiguität des Sozialen«30 Rechnung tragen, wenn aufgrund »der Unmöglichkeit, die Bedeutung irgendeines Kampfes eindeutig zu etablieren«31, kein Denken geschützt ist vor seinem diskursiven – und institutionellen – Äußeren, das es umformt? Reicht es aus, wie Nancy Fraser32 plädiert, den Ausrufungen einer post-feministischen Ära trotzig entgegen zu halten, dass »es solange nicht Zeit sei, von Postfeminismus zu sprechen, wie wir nicht vom Postpatriarchat sprechen können«33?
Die Zeit der Institution Doch müssen diese Fragen – und damit die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit dissidenter Partizipation nicht gestellt werden im Zusammenhang mit der Frage nach der institutionellen Zeit des akademischen Feminismus? Wie steht es mit der Autorität von Frauen in der Wissenschaft? Hatten sie genügend Zeit, akademisch relevantes Kapital zu akkumulieren? Anerkennbar zu werden? Sind mit der Beseitigung der rechtlichen Barrieren auch die kulturellen Klippen und die in die organisatorischen Strukturen eingelassenen Hürden überwunden? Ist Geschlecht in der Wissenschaft tatsächlich ein Unterschied, der keinen Unterschied macht? Die Gleichsetzung von Intellektualität mit männlichem Geschlecht nachhaltig unterbrochen? Ist die Tatsache, dass die Wissenschaft als autonome Sphäre sich als exklusiv männliche Sphäre etablierte, hundert Jahre nach der Zulassung von Frauen irrelevant? Wenn aber Geschlecht doch ein Unterschied sein sollte, der einen Unterschied macht, was bedeutet dann das offensive Sprechen des Feminismus von Geschlechterungleichheit? Welche
29 Gudrun-Axeli Knapp/Angelika Wetterer: »Vorwort«, in: Dies. (Hg.), Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II, Münster: Westfälisches Dampfboot 2003, S. 7-12, hier S. 9. 30 Ernesto Laclau/Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien: Passagen 1991, S. 233. 31 Ebd. 32 Vgl. Nancy Fraser: »The Uses and Abuses of French Discourse Theories for Feminist Politics«, in: Dies./Sandra Lee Bartky (Hg.), Revaluing French Feminism. Critical Essays on Difference, Agency, and Culture, Bloomington: Indiana UP 1992, S. 177-194. 33 Ebd. S. 191, Übersetzung S.H.
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Implikationen hat das Unterfangen, Geschlecht zu einer wissenschaftlich relevanten Kategorie zu machen und damit ein eigenes Territorium zu besetzen und zu gestalten? Sprechen feministische Wissenschaftlerinnen heute mit der gleichen Autorität wie ihre Kollegen? Werden ihre Beiträge gehört? Und von wem? Fragen wir also nach »Homo. Academica«. Ist sie, wie Friederike Hassauer34 anlässlich ihrer eigenen Antrittsvorlesung wortgewaltig konstatierte, in »der symbolischen Ordnung der Institution« tatsächlich noch immer nicht repräsentiert, auch wenn sie mittlerweile als »Seltenheitsmitglied« in ihr vorkommen dürfe?35 Trifft es zu, dass sie, immer wieder »bei ihrem ersten Auftreten symbolisch nicht member of the club, sondern Geschlecht« repräsentiert, dass ihre »bloße Anwesenheit die informelle Kommunikation der Brüderhorde mit ihren Clubregeln und dem old boys network« irritiert? Werden Wissenschaftlerinnen, so sie einmal angekommen, unzweifelhaft »aufgesogen und unsichtbar im main stream der male science, weil ihre Abweichungsenergie erschöpft ist«? Hat sich folglich etwas »geändert in den wenigen Jahren, seit die Institution sich auf ihre zwar singuläre, aber konstante Anwesenheit einrichtet«? Nein, antwortet sie selbst ebenso energisch wie unmissverständlich: »Wissenschaft als Beruf ist Männerdomäne geblieben. Wissenschaft als Beruf stattet den homo academicus aus mit Habitus, mit Bildungskapital, mit universitärem Machtkapital, mit symbolischem Kapital – alles gebunden an ›die im Feld wirksame Eigenschaft‹, an das stärkste Machtpotential: männliches Geschlecht. Was hat sich geändert? Nur die Besteckfragen. Konversationelle Usancen. Sprachregelungen.«36 Rufen wir uns die numerische Zusammensetzung nach Geschlecht in den akademischen Organisationen in Erinnerung, so müssen wir Hassauer Recht geben. Die ›Besteckfragen‹, die ›konversationellen Usancen und Sprachregelungen‹ haben sich geändert, wer das Besteck führt, ist dagegen immer noch vergleichsweise eindeutig entlang der Genusgrenze geregelt. Jedenfalls sind die akademischen Organisationen gegenwärtig noch weit davon entfernt, Wissenschaftlerinnen im gleichen Maße wie Wissenschaftler zu beteiligen. Der Selbstverständlichkeit, »Wissenschaft als Beruf« dauerhaft ausüben zu können, sind Wissenschaftlerinnen statistisch gesehen seit Max Webers gleichnamigem Vortrag 1917 nur unwesentlich näher gekommen. Und so langsam, wie sich numerisch die Organisationen der Wissenschaft von homosozialen zu geschlechtergerechten wandeln, so langsam wandelt sich die symbolische Ordnung, jene vergeschlechtlichte »Ge-
34 Vgl. Friederike Hassauer: Homo. Academica. Geschlechterkontrakte, Institution und die Verteilung des Wissens, Wien: Passagen 1994. 35 Ebd. S. 32. 36 Ebd.
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schäftsordnung der Wissenschaft« (Hassauer37). Zwar existiert eine geschlechtsbezogene stabile Exklusivität der Wissenschaft heute nicht mehr, stattdessen haben wir es zu tun mit einem komplexen Muster aus Inklusion und Reproduktion von Ungleichheit, aus »rhetorischer Präsenz und faktischer Marginalität« (Angelika Wetterer38), aus einem Nebeneinander von Gleichheitsdiskursen und »asymmetrischer Geschlechterkultur« (Ursula Müller39). Dieses Muster umschreibt dabei nicht nur die Chancen von Frauen, Wissenschaftlerin zu werden und zu bleiben, in diesem Koordinatennetz und im Spiel um Anerkennung entscheiden sich auch die Chancen und die Reichweite des feministischen Wissensprojektes. Denn tatsächlich ist Anerkennung in akademischen Institutionen die einzig gültige Währung, die Voraussetzung, um gehört zu werden – und gerade deshalb ein knapp gehandeltes Gut. Ein Gut, dessen Distribution politisch umkämpft ist, und das, wie Pierre Bourdieu40 anmerkt, im wissenschaftlichen Feld paradoxerweise nur von den eigenen Kolleg/-innen gewährt werden kann, von jenen also, die zugleich Konkurrent/-innen um eben dieses Gut sind, da nur im wissenschaftlichen Feld die Konkurrent/ -innen zugleich die primären Konsument/-innen der eigenen Produkte sind. Wem nun Zutritt gewährt wird, wer die Chance hat, Anerkennung und Reputation zu erwerben und aufgrund dieser Reputation autorisiert zu sprechen, ist aber reguliert durch jene bis heute wirksame vergeschlechtlichte Geschäftsordnung. An die Gewährung von Anerkennung ist mithin eine paradoxe Bedingung der Macht geknüpft: Wer um Anerkennung ansucht, muss bereits über Kapital verfügen, um überhaupt mitspielen zu können, muss sich als institutionell an/erkennbar präsentieren – und ist damit unweigerlich bereits in die existierenden Machtrelationen eingetreten. Gerade das, was verändert werden soll, ist also zugleich das, was Anerkennbarkeit garantiert. Feministische Wissenschaftlerinnen finden sich mithin in der Situation, zwar die Kräfteverhältnisse im Feld Wissenschaft umstürzen zu wollen, mit ihrem Einsatz aber genau diesen Kräfteverhältnissen ihre Anerkennung zu erweisen, ja gar auf der Einhaltung der Regeln zu bestehen. Dissidenz und Partizipation sind, mit anderen Worten, unauf37 Vgl. Friederike Hassauer: »Die Matrix des Wissens. Autorität und Geschlecht«, in: Freiburger Frauenstudien 12 (2002), S. 49-77. 38 Vgl. Angelika Wetterer: »Noch einmal: Rhetorische Präsenz – faktische Marginalität. Die kontrafaktischen Wirkungen der bisherigen Frauenförderung im Hochschulbereich«, in: Lydia Plöger/Birgit Riegraf (Hg.), Gleichstellungspolitik als Element innovativer Hochschulreform, Bielefeld: Kleine Verlag 1998, S. 18-34. 39 Vgl. Ursula Müller: »Asymmetrische Geschlechterkultur in der Hochschule«, in: Aylâ Neusel/Angelika Wetterer (Hg.), Vielfältige Verschiedenheiten. Geschlechterverhältnisse in Studium, Hochschule und Beruf, Frankfurt a.M./ New York 1999, S. 135-160. 40 Pierre Bourdieu: »The Specificity of Scientific Field and the Social Condition of the Progress of Reason«, in: Social Sience Information 14 (1975), S. 19-47.
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löslich verknüpft: Teilhabe, ja Akzeptanz der herrschenden Spielregeln ist die paradoxe Voraussetzung für Veränderung. Betrachten wir vor diesem Hintergrund das Feld der wissenschaftlichen Disziplinen und die Reichweite des feminist turn, so kann auch mehr als zwanzig Jahre nach der Feststellung von Barrie Thorne und Judith Stacey41, dass es nicht auf das von Feministinnen produzierte Wissen allein ankomme, sondern auch auf dessen Akzeptanz, nicht von einer solchen ›breiten Akzeptanz‹ der feministischen Transformation gesprochen werden. Der akademisch gewordene Feminismus, an dem zwar in mancherlei Hinsicht kein Weg vorbeiführt, ist noch längst keine anerkannte Stimme in den ›Häusern des Wissens‹. Feststellbar ist quer durch das Fächerspektrum eine unterschiedlich tiefe Kluft zwischen dem Niveau ihrer institutionellen Verstetigung einerseits und dem Grad der Akzeptanz ihrer Ansätze, Konzepte und Debatten andererseits. Die Geschichte der Etablierung des akademisch werdenden Feminismus kann zwar durchaus als Erfolgsgeschichte erzählt werden. Sieht man jedoch genauer hin, ergibt sich ein deutlich heterogeneres Bild. Zwar sei, so Karin Hausen, das »Projekt der feministischen Wissenschaftskritik nach Inhalt, Reichweite und Anspruch zweifellos bemerkenswert«42. Doch entsprechend bemerkt werde es nicht: »Die in über zwanzig Jahren in der internationalen Forschung erzielten Ergebnisse, methodischen Erfahrungen und theoretischen Einsichten der Frauen- und Geschlechterforschung erfreuen sich keineswegs allgemeiner Aufmerksamkeit, prinzipieller Akzeptanz, kritischer Auseinandersetzung und Verbreitung in der scientific community.«43
Ungleichzeitigkeiten Versuchen wir ein kurzes Fazit, so sind es wohl vor allem die komplexen und komplizierten Bedingungen, widerständiges Wissen zu produzieren – insbesondere jenes Paradox, dass die Bedingungen, innerhalb derer kritisches Wissen produziert werden kann, Teil des Zusammenhangs ist, der begriffen werden muss –, denen kontinuierlich Rechnung zu tragen ist. Feministisches wissenschaftliches Wissen wird immer umstrittenes Wissen sein, ein Wissen, das wissenschaftliche und akademische Hegemonien anficht, das aber selbst von außen wie von innen angefochten wird. Es ist ein Wissen, das sich in Ungleichzeitigkeiten und Gegenläufigkeiten entwickelt 41 Vgl. Stacey Judith/Thorne Barrie: »Feministische Revolution in der Soziologie? Ein Vergleich feministischer Ansätze in der Geschichte, Literaturwissenschaft, Anthropologie und Soziologie in den USA«, in: Feministische Studien 4/2 (1985), S. 118-130. 42 Karin Hausen: »Frauenforschung als Wissenschaftsreform«, in: Sabine Lang/Birgit Sauer (Hg.), Wissenschaft als Arbeit – Arbeit als Wissenschaftlerin, Frankfurt a.M./New York: Campus 1997, S. 203-210, hier S. 206. 43 Ebd.
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und insofern in Zeit und Raum veränderlich ist. Ein Projekt, in dem Affirmation und Dissidenz, Partizipation und Transformation, Subversion und Normalisierung, Kritik und Regulierung oftmals nur schwer zu unterscheiden sind. Und ein Projekt, das von Beginn an von Aporien, den daraus erwachsenden Ambivalenzen, Befürchtungen und Hoffnungen begleitet ist, die es bis heute strukturieren – und die noch in den Versuchen, sich von dieser Geschichte zu trennen, auffindbar sind.
Literatur Bourdieu, Pierre: »The Specificity of the Scientific Field and the Social Condition of the Progress of Reason«, in: Social Science Information 14 (1975), S. 19-47. Braidotti, Rosi: »Gender und Post-Gender. Die Zukunft einer Illusion«, in: Frankfurter Frauenschule (Hg.), Zur Krise der Kategorien. Frau – Lesbe – Geschlecht, Frankfurt a.M.: Selbstverlag 1975, S. 7-30. Brown, Wendy: »Die Unmöglichkeit der Women’s Studies«, in: Gabriele Dietze/Sabine Hark (Hg.), Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Königstein: Ulrike Helmer 2006, S. 123-151. Christian, Barbara: »Der Wettlauf um die Theorie«, in: Nancy Kaiser (Hg.), Selbst Bewusst. Frauen in den USA, Leipzig: Reclam 1994, S. 76-95. Clark, Burton R.: Creating Entrepreneurial Universities. Organizational Pathways of Tansformation, Surrey: Pergamon 1998. Dorn, Thea: »Die bewegte Frau«, in: Das Parlament Nr. 7, 12.02.2007, S. 1. Dölling, Irene: »Das Veralten der Frauenforschung«, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung 37 (1996), S. 601-619. Fraser, Nancy: »The Uses and Abuses of French Discourse Theories for Feminist Politics«, in: Dies./Sandra Lee Bartky (Hg.), Revaluing French Femism. Critical Essays on Difference, Agency, and Culture, Bloomington: Indiana UP 1992, S. 177-194. Gerhard, Ute: »Alte und neue Frauenbewegung als soziale Bewegung – ein soziologischer Vergleich unter besonderer Berücksichtigung der Arbeit von Frauen«, in: Autonomes Lesben- und Frauenreferat Universität Frankfurt (Hg.), Dokumentation zum Frankfurter Frauenlehrstuhl, Frankfurt a.M.: Selbstverlag 1986, S. 145-157. Hahn, Barbara: »Geschlechterforschung und Gender Studies«, in: Renate Kroll (Hg.), Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart/Weimar: Metzler 2002, S. 157. Hänsch, Ulrike: Individuelle Freiheiten – heterosexuelle Normen in Lebensgeschichten lesbischer Frauen, Opladen: Leske + Budrich 2003. Haraway, Donna: »Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive«, in: Sabine Hark (Hg.), Dis/
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ZWISCHEN AKTIVISMUS UND AKADEMIE | 231
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Kommentar z um Be itrag: Zw isc he n Ak tivis mus und Aka demie KARIN PRIEM
Der Feminismus ist nicht tot, solange Autorinnen wie Sabine Hark ihn in ihren Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Texten so lebendig halten. Dennoch scheint unabhängig von der Frage, ob der Feminismus inzwischen überwunden ist oder nicht und ob dies zutreffend und wünschenswert ist oder nicht, eine tendenzielle Einigkeit darüber zu herrschen, dass dessen Existenz als subversives Projekt wohl selbst schon historisch geworden ist und nur kurze Zeit abseits des Etablierten andauern konnte: außerhalb der Universität und außerhalb aller normierenden institutionellen Kontexte. Es besteht also begründeter Verdacht, der alte, ursprüngliche und eigentliche Feminismus in seiner vorakademischen, politisch subversiven und wissenschaftskritischen Form habe sich während seines zielstrebigen Gangs durch die Institutionen in eine paradoxe Situation manövriert, die einerseits auf Anerkennung zielte und andererseits gerade so dem eignen kritischen Impetus zuwiderlief. Die Entwicklung des Feminismus ist damit möglicherweise durch einen verhängnisvollen Ortswechsel geprägt, der auch ideell vom Subversiven zum Etablierten verlief und damit die revolutionäre Kraft verlor. Es lohnt sich daher, die Universität als einen der Schauplätze und als ein vielleicht wesensfremdes Feld des Feminismus genauer zu betrachten. Feministisches Wissen, so betont auch Sabine Hark, wird inzwischen vor allem an Universitäten produziert und dieser spezifische Ort wird durch interne Regeln und Praktiken, männlichkeitsbetonte Entwürfe der wissenschaftlichen persona sowie eine institutionsgebundene Grammatik beherrscht, die insgesamt auf feministisches Denken und Handeln problematische Rückkopplungseffekte ausüben. Alles in allem hat das wissenschaftliche Feld auf den Feminismus wohl vor allem durch seine internen Hier-
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archien und Torhüter korrumpierend gewirkt. Dabei scheint die Situation, oberflächlich betrachtet und entgegen aller Kassandrarufe, positiv zu sein: Denn – das wird von Sabine Hark hervorgehoben – das Wissenschaftssystem hat die dissidente Wirkung der feministischen Forschung nicht durch Ausschluss, sondern gerade durch eine Regie dosierter Anerkennung subtil untergraben und damit strategisch klug geführt. Das revolutionäre Potential des Feminismus wäre auf diese Weise in den Geschäftsgängen der Universität langsam verpufft und die ihm verpflichteten Forscherinnen insofern eingemeindet und diszipliniert, als sie nun selbst Teil eines Systems sind, dessen Mechanismen sie einst zu unterbinden trachteten. Die Universität ist aus dieser Sicht für den Feminismus ein ungesunder Ort, der vielleicht besser nie betreten worden wäre und wo die feministische Forschung gerade in unserer Gegenwart einen langsamen Tod stirbt. Diese Aussage lässt sich aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht relativieren. Denn die Trennlinie zwischen Frauenbewegung und Wissenschaft ist inhaltlich und personell mit hoher Wahrscheinlichkeit nie vollkommen scharf verlaufen. Die Protagonistinnen der neueren Frauenbewegung während der 1980er Jahre gehörten häufig zum Personal der Universitäten, zumindest aber hatten sie in vielen Fällen eine akademische Bildung durchlaufen. Bei ihrem Gang durch die Institutionen verfügten sie als Akteurinnen bereits über feldspezifische Kenntnisse, wenngleich dieses Wissen wohl eher durch negative Erfahrungen geprägt und geschärft worden war. Zudem schufen sie sich in der Regel keine völlig neuen wissenschaftlichen Arbeitsgebiete, sondern konnten an eine vorhandene Tradition weiblichen Forschens anschließen, welche durch die Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts schon angestoßen und immer noch Teil des kulturellen Gedächtnisses war. Erinnert sei hier nur an zahlreiche sozial- und kulturwissenschaftliche Studien, die u.a. in einem von Elisabeth Boedecker herausgegebenen Verzeichnis der zwischen 1908 und 1933 entstandenen Doktorarbeiten von Frauen aufzufinden sind.1 Insofern müssen wir vielleicht auch im Hier und Jetzt nicht mit dem unmittelbar bevorstehenden Ende des Feminismus rechnen. Denn es ließe sich durchaus eine angenehmere Alternative dazu entfalten: die inzwischen mindestens 100jährige weibliche akademische Tradition entlang ebenso traditioneller Forschungsgebiete von Frauen, wo seit langem und mit hoher Kontinuität in einer kritisch hinterfragenden Weise bekannte Problemstellungen und Fragen immer wieder aufgegriffen und neu bearbeitet werden. Dazu gehören Themen wie weibliche Bildung und Koedukation, Mutterschaft und Beruf, 1
Elisabeth Boedecker (Hg), 25 Jahre Frauenstudium in Deutschland. Verzeichnis der Doktorarbeiten von Frauen 1908-1933, zusammengestellt unter Mitarbeit v. Ingeborg Colshorn u. Elsa Engelhardt, Heft I – IV. Hannover 1935-1939. Vgl. auch: Edith Glaser/Karin Priem: »Wissenschaftsforschung, Disziplin Erziehungswissenschaft und Geschlecht«, in: Edith Glaser/Dorle Klika/Annedore Prengel (Hg.), Handbuch Gender und Erziehungswissenschaft, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004, S. 18-24.
KOMMENTAR: ZWISCHEN AKTIVISMUS UND AKADEMIE | 235
Familienleben und -politik, Mode, Konsum und Ökonomie, Literatur und Kunst, die medizinische Erforschung des weiblichen Körpers, Frauenarbeit und soziale Lage von Frauen sowie vieles andere mehr. Sollten also angesichts dieser institutionell fest verankerten Forschungstraditionen die Kassandrarufe nicht doch verhaltener klingen? Denn die Grenze vom Subversiven zum Etablierten verläuft keineswegs immer so eindeutig, stellt vielleicht eher eine kreative Nahtstelle dar und warum sollte das beklagte Paradoxon in dieser hochgradig produktiven Spannung nicht gerade bewusst und gewollt fortbestehen? Im übrigen birgt der argumentative Rekurs auf einen ursprünglichen und der Wissenschaft wesensfremden Feminismus die Gefahr eines anderen, weitaus weniger inspirierenden, Paradoxons: Dieses ließe sich als ein unerbittliches Pochen auf moralische Autorität beschreiben, das – selbst eine Geste der Macht – wiederum essentialistisch auf jene unverrückbare ganzheitliche und bessere Natur der Frau verwiest, die sich im Grunde mit politischer und institutioneller Teilhabe an der Macht nicht vereinbaren lässt. Was die verschiedenen Zeithorizonte des Feminismus angeht, so scheint eine Analyse in der Tat schwierig zu sein, da hier zahlreiche Ungleichzeitigkeiten zwischen Theorieproduktion, damit einhergehendem Begriffswandel, zwischen Generationenlagerung und institutioneller Umsetzung zum Tragen kommen. So hat der Feminismus aus heutiger Sicht zweifelsohne eine vergangene Zukunft, gleichzeitig aber auch eine zukünftige Gegenwart, von der wir eine Vorstellung haben und auf die wir vorausschauend und planend unseren Blick richten. Und beide Zeitrichtungen implizieren ständige Vor- und Rückgriffe: nicht nur in der biografischen Zeit, sondern auch in der Zeit der Theorie sowie ihrer jeweiligen Begriffe und der Zeit der Institutionen. Die vorliegende Aufsatzsammlung und die dazugehörigen Kommentare sind ebenfalls Ausdruck dieses Ineinandergreifens verschiedener Zeitachsen. Zeitachsen betreffen aber auch vorhandene Geschlechterordnungen. Auch Geschlechterordnungen sind historisch fortlaufenden Vor- und Rückgriffen, ständigen Veränderungen, sich wandelnden Differenzen und Reformulierungen ausgesetzt. Daher hat das feministische Anliegen bereits in seinem Gegenstand und damit in der Sache eine Art Überlebensgarantie und kann so auf Dauer gestellt werden: Die historische Wandlungsfähigkeit, die soziale wie kulturelle Vielfalt der Geschlechterordnungen in Raum und Zeit lässt die feministische Position nie veralten. Allerdings müsste sie in der Lage sein, aus immer wieder neuen Perspektiven an traditionelle Fragestellungen anzuschließen. Die »Geschlechterforschung« wäre so gesehen weniger als Niedergang und Enteignung, sondern eher als Erweiterung der feministischen Position zu werten. Denn es sind die ständig im Wandel befindlichen semantischen und praxeologisch auffindbaren Distinktionen von Geschlecht, die uns den Stoff für unsere Fragen und Projekte liefern.
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Sabine Hark hat in ihrem Beitrag wesentlich weiterführende Fragen in Bezug auf die Zukunft des Feminismus und der Geschlechterforschung gestellt, die hier nicht alle beantwortet werden können. Zum Schluss möchte ich aber nochmals einen Aspekt herausgreifen, der sich wie ein roter Faden durch den Beitrag zieht. Es handelt sich um ein Qualitätsmerkmal feministischen Wissens, das von Sabine Hark immer wieder mit »widerständig« beschrieben wird. Offenbar ist es vor allem dieser selbstgewählte Anspruch, der zur fortlaufenden Selbstbefragung und Kritik der Frauen- und Geschlechterforschung Anlass gibt. Widerständigkeit als fortlaufende Hinterfragung, dies zeigt nicht zuletzt der Beitrag von Sabine Hark, birgt neben der Gefahr der Moralisierung, die oben bereits kritisch diskutiert wurde, auch ein hohes Maß an fortlaufender wissenschaftlicher Produktivität und unbequemer Schärfe. Ein historischer Blick auf das Forschungsfeld zeigt, dass Widerständigkeit grundsätzlich nur durch einen immer wieder neuen Angriff auf den Objektivitäts- und allgemeinen Geltungsanspruch wissenschaftlichen Wissens fortbestehen kann. Und spätestens Evelyn Fox Keller hat dies Mitte der 1980er Jahre deutlich ausgesprochen.2 Insofern möchte ich einen Gedanken aufgreifen, der vor allem von Barbara Rendtorff3 für die Erziehungswissenschaft formuliert wurde. Er verweist auf eine differenztheoretische Grundlagenforschung, die einen universellen und dynamisierenden Effekt auf die Begriffs- und Wissensordnungen aller Disziplinen und Teildisziplinen ausüben könnte. Was die Erziehungswissenschaft anbetrifft, so müssten folgerichtig zunächst deren allgemeinpädagogische Fundamente gründlich renoviert werden.
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Evelyn Fox Keller: Reflections on Gender and Science, New Haven: Yale University. Press 1985 (dt. München: Hanser-Verlag 1986 u. d. T. Liebe, Macht und Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft?). Vgl. z.B. Barbara Rendtorff: »Theorien der Differenz – Anregungen aus Philosophie und Psychoanalyse«, in: Edith Glaser/Dorle Klika/Annedore Prengel (Hg.), Handbuch Gender und Erziehungswissenschaft, S. 102-112. Dort finden sich in der Literaturliste weitere Beiträge der Autorin zum Thema.
Formw andel politischer Institutionen im Kontext neoliberaler Globalisierung und die Re le va nz der Kate gorie Gesc hlec ht BIRGIT SAUER
1. Ökonomische Globalisierung und d i e T r a n s f o r m a t i o n vo n S t a a t l i c h k e i t . Kontexte der Re-Politisierung der Kategorie Geschlecht Die Frage nach dem gesellschaftstheoretischen Potenzial und dem zukünftigen Gehalt politikwissenschaftlicher Geschlechterforschung möchte ich vom politikwissenschaftlichen Gegenstand her beantworten – also von aktuellen Prozessen der Veränderung politischer Institutionen, Verfahren und Normen im Kontext ökonomischen und sozialen Wandels. Mein Beitrag möchte gleichsam die politischen und politikwissenschaftlichen Bedarfe abstecken, aus denen sich eine Re-Formulierung von (politikwissenschaftlicher) Geschlechtertheorie ergibt, und Vorschläge für die Verbindung von Geschlechtertheorie und Gesellschafts- bzw. Staatstheorie machen. Ökonomische Globalisierung und politische Internationalisierung verändern nicht nur internationale, sondern auch nationale Institutionen, Normen und Koordinaten politischen Handelns. Seit mehr als einer Dekade setzt sich sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung mit der Frage auseinander, welche Bedeutung diese ökonomischen und politischen Transformationen für Geschlechterverhältnisse, welche Folgen sie für Frauen und Männer haben, aber auch wie Geschlechterverhältnisse diese Transformationsprozesse beeinflussen. Eine Kernfrage lautet: Ist mit den ökonomischen und politischen Veränderungen die Möglichkeit der Neukodierung jener politischen Normen und Institutionen verbunden, die hierarchische Zweigeschlechtlichkeit in je unterschiedlichen nationalstaatli-
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chen Geschlechterregimen konservieren und immer wieder reproduzieren, gegeben? Ist post-nationale Staatlichkeit auf internationaler Ebene eine Form der demokratischen und geschlechtersensiblen »Zivilisierung« androzentrischer (National-)Staatlichkeit? Die feministische Literatur der vergangenen Dekade war in der Regel eher skeptisch gegenüber den Folgen der ökonomischen Globalisierung für Frauen. Weit positiver wird in der politikwissenschaftlichen Geschlechterdebatte aber die Internationalisierung von Politik und Staatlichkeit perzipiert.1 Den daraus entstehenden neuen Formen politisch-staatlicher Steuerung (»Governance«) wird ein Mehr an zivilgesellschaftlicher, auch frauenbewegter Intervention und damit inklusivere, partizipatorischere und responsivere Formen politischer Entscheidungsfindung unterstellt.2 Ohne Zweifel sind Frauen seit den vergangenen beiden Dekaden in politischen Institutionen auf nationaler wie auf internationaler Ebene präsenter und sichtbarer geworden. Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass nationalstaatlich eingehegte Geschlechterregime aufbrechen, und neue Geschlechteridentitäten sowohl in der Erwerbsarbeit (Lissabon-Ziele der EU) wie auch als Grundlage politischen Handelns (zivilgesellschaftliches, ehrenamtliches Engagement) »angerufen« werden. Die These, die ich aber im Folgenden plausibilisieren möchte, ist, dass die größere Sichtbarkeit von Frauen in nationalen und internationalen politischen Institutionen kein hinreichender Beleg dafür ist, dass ungleiche und diskriminierende Geschlechter-, aber auch Ethnizitäts- und Klassenverhältnisse durch diese neuen Formen von Staatlichkeit überwunden werden. Vielmehr, so mein Argument, haben die transformierten politischen Kontexte und die Reskalierung staatlicher Institutionen und Verfahren3 die Organisation von geschlechts- und klassenspezifischen sowie ethnischen Ungleichheitsstukturen im globalen kapitalistischen Kontext zur Grundlage. Die neu entstehenden politischen Institutionen und Verfahren können
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Vgl. u.a. Mary K. Meyer/Elisabeth Prügl (Hg.), Gender Politics in Global Governance, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers1999; Barbara Holland-Cunz: »Politiktheoretische Überlegungen zu Global Governance«, in: Dies./Uta Ruppert (Hg.), Frauenpolitische Chancen globaler Politik. Verhandlungsverfahren im internationalen Kontext, Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 25-44. Vgl. u.a. Barbara Holland-Cunz: Politiktheoretische Überlegungen, S. 26; Barbara Holland-Cunz/Uta Ruppert: »Globale Politik, politische Verhandlungen, frauenpolitische Chancen. Einleitung«, in: Diess. (Hg.), Frauenpolitische Chancen globaler Politik. Verhandlungsverfahren im internationalen Kontext, Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 11-17, hier S. 16. Christoph Görg: »Räume der Ungleichheit. Die Rolle gesellschaftlicher Naturverhältnisse in der Produktion globaler Ungleichheiten am Beispiel des Millennium Ecosystem Assessments«, in: Cornelia Klinger/Gudrun-Axeli Knapp/Birgit Sauer (Hg.), Achsen der Ungleichheit, Frankfurt a.M., New York: Campus 2007.
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deshalb nur einen höchst begrenzten Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit leisten. Um mein Argument noch weiter zu treiben: Geschlechterungleichheit bildet eine Ressource der Transformation von Staatlichkeit. Aus diesem Grunde verschwindet Geschlechterungleichheit nicht im post-nationalen Staat. Vielmehr werden Geschlechterverhältnisse verkompliziert und vertieft entlang anderer Ungleichheitsachsen wie Klasse und Ethnizität. Diese Entwicklungen bilden den zentralen Kontext der Re-Formulierung politikwissenschaftlicher Geschlechterforschung. Darüber hinaus – und dies ist ein weiterer Aspekt meiner Argumentation – wird die politische Handlungsfähigkeit von Frauen und Frauenbewegungen in ganz spezifischer Weise angerufen: Die Rede vom »Post-Feminismus« oder von der »neuen F-Klasse«4 fügt sich ein in eine Strategie der De-Thematisierung von Geschlechterungleichheit durch die hegemoniale diskursive Einbindung frauenbewegten Engagements. Mein Beitrag möchte auch diese strategische Funktionalisierung feministischer Politiken, Subjektivierungs- und Wissensformen im Projekt der Veränderung staatlicher Steuerung deutlich und zum Ausgangspunkt geschlechter- und gesellschaftstheoretischer Reflexion machen.
2. Der Staat als Institutionalisierung von Ungleichheitsstrukturen. F e m i n i s t i s c h e An a l ys e p e r s p e k t i ve n Meine Thesen basieren auf einem umfassenden, d.h. gesellschaftstheoretisch fundierten Konzept von Staatlichkeit und politischer Regulierung. Um die Transformation von Staatlichkeit aus einer Geschlechterperspektive analysieren zu können, müssen deshalb neben der politischen Repräsentationsebene – also neben der Analyse der politischen Institutionen und Akteure – auch die gesellschaftlichen und ökonomischen Grundlagen dieser neuen Form von Staatlichkeit in den kritischen Blick genommen werden. Das folgende Staatskonzept fasst den Staat als einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang auf der Makro-, Meso- und Mikroebene. Darüber hinaus sollen »die individuellen/psychischen, strukturellen/institutionellen und symbolischen/repräsentativen Dimensionen«5 von Staatlichkeit in den Blick gekommen werden. In diesem Sinne ist der Staat erstens ein soziales 4 5
Thea Dorn: Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird, München: Piper 2006. Andrea Maihofer: »Gender in Motion: Gesellschaftliche Transformationsprozesse – Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen? Eine Problemskizze«, in: Grisard, Dominique u.a. (Hg.), Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung, Frankfurt a.M., New York: Campus 2007, S. 281-315, hier S. 294.
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Kräftefeld, ein soziales Verhältnis, das, was Poulantzas auch die materielle Staatsdimension nennt6 (Makroebene). Staatlichkeit ist mithin ein Terrain, auf dem sich soziale und kulturelle Differenzen zu konflikthaften Ungleichheitsstrukturen verknüpfen und verdichten (z.B. aufgrund von Arbeitsteilung) und das Ausschluss und Marginalisierung reproduziert. So wie moderne Staaten ein Geschlecht haben, so haben sie eine Sexualität und grenzen auf der Grundlage von Ethnizität bzw. Nationalität aus; in der Regel ist darüber hinaus modernen Staaten eine dominante Mehrheitsreligion eingeschrieben. In diesem staatlichen Kräftefeld entstehen je nationalstaatsspezifische Klassen-, Geschlechter- und ethnische Regime – das, was Encarnacion Gutierrez Rodriguez als »Geschlechtsethnizität« bezeichnet.7 Zweitens ist der Staat ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen und Mächten, der staatliche Institutionen und Normen ausbildet. Die institutionelle Gesamtheit des Staates, das Set von Organisationen, Regeln und Normen zur Durchsetzung von gesellschaftlicher Ordnung, ist also die herrschaftsförmige »Verdichtung« von gesellschaftlichen Verhältnissen und Ungleichheitsstrukturen,8 auch von Geschlechterungleichheit, im bürokratischen Staatsapparat, gezähmt durch ein liberal-demokratisches Institutionengefüge (Mesoebene). Dieses Institutionengefüge entfaltet auch eine symbolische Dimension der (Geschlechter-)Repräsentation. Staaten manifestieren sich drittens als Diskurse über soziale und politische Zusammenhänge und Identitäten, mithin als Projekte, die hegemonial durch spezifisches Herrschaftswissen abgesichert werden müssen (Mesoebene). Staaten sind Diskurse, in denen hegemoniale Wahrnehmungs- und Wissensformen von Geschlecht und Sexualität, von Klasse und Ethnizität, sowie von Religion, Behinderung und Alter erarbeitet bzw. ausgehandelt und schließlich in gesetzliche Normen gegossen und institutionalisiert werden. Grundlegende Techniken moderner hegemonialer Staatsdiskurse sind Trennungen zwischen den gesellschaftlichen Sphären öffentlich und privat bzw. Staat, Markt und Haushaltsökonomie sowie zwischen Nationalstaaten. Und die mit diesen Grenz»regimen« verbundenen Differenzstrukturen waren und sind in der (westlichen) Moderne immer Modi der Konstruktion von Ungleichheit: Staatsgrenzen konstruieren Ungleichheit qua Ethnizität bzw. Nationalität, die Verfügung über Produktionsmittel und die Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit produziert Ungleichheit qua Klasse und der Zugang zu Erwerbsarbeit bzw. die Zuschreibung auf 6
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Nicos Poulantzas: »Die Internationalisierung der kapitalistischen Verhältnisse und der Nationalstaat«, in: Joachim Hirsch/Bob Jessop/Nicos Poulantzas: Die Zukunft des Staates. Denationalisierung, Internationalisierung, Renationalisierung, Hamburg 2001, S. 19-69. Encarnacion Gutierrez Rodriguez: Intellektuelle Migrantinnen – Subjektivität im Zeitalter von Globalisierung, Opladen 1999, S. 252. N. Poulantzas: Die Internationalisierung.
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Reproduktionsarbeit konstruiert Ungleichheit qua Geschlecht, und Geschlechterkonstruktionen sind wiederum ohne die Idee der Heterosexualität nicht zu denken, sondern ganz unmittelbar damit verknüpft. Viertens werden soziale Positionen und politische Identitäten nicht schlicht zwangsweise durch staatliche Normen und Institutionen verordnet, sondern sie müssen aktiv angeeignet bzw. von den Individuen »entworfen« und »gelebt« werden (Mikroebene). Staatlichkeit ist mithin eine Schnittstelle von politischen Institutionen, gesellschaftlichen Machtverhältnissen, Subjektivierungsweisen und individuellen Praktiken. Der Staat ist somit nicht nur ein repressiver Apparat, sondern auch eine Praxis, die Staatlichkeit potenziell verändern kann. Auch Geschlechterregime, sexuelle Identität, Ethnizität und Religion sowie Klassenzugehörigkeit sind Formen sozialer Praxis und ständiger sozialer Auseinandersetzung bzw. Veränderung.
3. Die geschlechtsspezifische Materialität sich transformierender Staatlichkeit – n e u e G e s c h l e c h t e r ve r h ä l t n i s s e o d e r e i n androzentrischer Geschlechterkompromiss? Der catch all-Begriff »Globalisierung« umfasst ökonomische, soziale, politische wie auch kulturelle Transformationsdynamiken.9 Globalisierung bezeichnet die Entgrenzung von Nationalstaaten durch medial-kommunikative Vernetzung und Migrationsbewegungen, die Internationalisierung politischer Entscheidungsorgane, die Verringerung räumlicher und zeitlicher Distanzen durch rasche Kommunikations- und Interaktionsmedien, vor allem aber die nahezu weltweite Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsweise. Die »Entfesselung« des Kapitalismus nach dem Niedergang des Realsozialismus und die »Entbettung« von Kapital- und Finanzströmen aus sozialen Zusammenhängen10 schufen in den Nationalstaaten, dem einstigen politischen »Bett« des Kapitalismus, neue materielle Grundlagen von Staatlichkeit, von politischer Ordnung und Entscheidung11 sowie neuartige Formen politisch-demokratischer Repräsentation auf nationaler, vor allem aber auf internationaler Ebene. Im Kontext ökonomischer Globalisierung erodieren Staaten nicht, sie fransen auch nicht einfach aus, 9
Vgl. Marianne Beisheim/Georg Walter: »›Globalisierung‹ – Kinderkrankheiten eines Konzepts«, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 4. Jg., H. 1 (1997), S. 153-180, hier S. 155ff. und 160ff. 10 Vgl. Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999. 11 Vgl. Elmar Altvater/Birgit Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Münster: Westfälisches Dampfboot 1996, S. 107.
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sondern sie werden reorganisiert bzw. reskaliert12 – und zwar auf allen vier oben diskutierten Ebenen. Globale ökonomische Restrukturierung, Neoliberalismus und die Transformation des Politischen sind keine Transformationen jenseits der Geschlechterlogik, sondern sie sind immanent vergeschlechtliche Prozesse, die sich einerseits auf spezifischen Geschlechterarrangements stützen, diese andererseits reproduzieren und dabei freilich auch modifizieren.13 Die geschlechtsspezifische Grammatik gegenwärtiger Transformationen ruht auf Grenzverschiebungen zwischen Markt, Staat, Alltag bzw. Familienökonomie und zwischen (National-)Staaten auf. Mit diesem Modell der dynamisierten Verschiebung zwischen gesellschaftlichen Sphären und der darin eingelagerten Transformation von Geschlechterverhältnissen soll ein Ansatz der mehrdimensionalen und ungleichzeitigen Analyse von aktuellen Geschlechterverhältnissen vorgeschlagen werden, der die Idee respektiert, dass es möglicherweise nicht die eine Logik von aktuellen Veränderungsprozessen gibt, »sondern mehrere, viele gleichzeitig nebeneinander«.14
Grenzen zwischen Markt und Familienökonomie In Staaten des Nordens werden traditionelle Formen von Erwerbsarbeit und die damit verbundene Zweiteilung der Gesellschaft in männliche Erwerbsarbeiter und in Reproduktionsarbeiterinnen neu zugeschnitten. Das geschützte Segment lebenslanger – männlicher – Vollerwerbstätigkeit wird ebenso »entgrenzt« bzw. aufgelöst, wie die fest gefügten Familien- und Reproduktionsarbeitsverhältnisse. Immer mehr Männer fallen aus dem formalisierten Erwerbsleben heraus und sind ungeschützt den kapitalistischen Verwertungsbedingungen ausgesetzt – eine Unmittelbarkeit, die früher vornehmlich Frauen bzw. Reproduktionsarbeiterinnen traf. Mit der Ausrichtung nationaler Produktion am internationalen Wettbewerb geraten traditionelle Formen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung wie auch überkommene Geschlechteridentitäten ins Wanken, und man kann von einer »Feminisierung« marktvermittelter Arbeit im dreifachen Sinne sprechen15: Feminisierung bedeutet zum ersten die steigende Zahl erwerbstätiger Frauen in der sogenannten »Ersten« wie auch in der »Dritten« Welt. Feminisierung bedeutet zum zweiten eine Prekarisierung und Informalisierung von Arbeitsverhältnissen: nämlich den Anstieg diskontinuierli12 Vgl. Ch. Görg: Räume der Ungleichheit. 13 Vgl. Marianne H. Marchand: »Reconceptualising ›Gender and Development‹ in an Era of ›Globalisation‹«, in: Millenium. Journal of International Studies, Vol. 25, H. 3 (1996), S. 577-603, hier S. 602. 14 A. Maihofer: Gender in Motion, S. 311. 15 Vgl. auch Isabella Bakker: »Who Built the Pyramids? Engendering the New International Economic and Financial Architecture«, in: femina politica, H. 1 (2002), S. 13-25, hier S. 18f.
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cher Erwerbskarrieren, nicht-existenzsichernder Teilzeitarbeit und neuer Selbstständigkeit.16 Feminisierung von Arbeit bedeutet drittens eine Absenkung des Lohnniveaus auf das von Frauenarbeit – also von »Zuarbeit«. Die Feminisierung von Erwerbsarbeit ist – so lässt sich zusammenfassen – ein Aspekt der widersprüchlichen Neubestimmung des Verhältnisses von produktiver und reproduktiver Arbeit, Markt und Familienökonomie.
Grenzen zwischen Staat und Familienökonomie Die Deregulierung von Erwerbsarbeit ist in den westlichen Wohlfahrtsstaaten von einer (Re-)Pivatisierung einst staatlich organisierter Bereiche der Care-Arbeit begleitet. Die steigende Arbeitsmarktintegration von Frauen erfolgt zeitgleich mit dem Rückzug des Sozialstaates aus spezifischen Versorgungsbereichen. Privatisierung von Care-Arbeit heißt sowohl Refamiliarisierung wie auch Vermarktlichung bzw. Kommodifizierung. Die »Be-Grenzung« des Wohlfahrtsstaates, sprich sein Abbau, hat mithin eine Redefinition der Privatheit von Frauen zur Folge, was sie als Sphäre der Selbstbestimmung prekarisiert, wie nicht zuletzt der demographische Diskursdruck deutlich macht. Da Fürsorgearbeit nach wie vor eine Form schlecht bezahlter Arbeit ist, produziert diese Politik neue Geschlechterverhältnisse in der sogenannten Privatheit: Die soziale Verantwortung für die kommenden ebenso wie die Reproduktion gegenwärtiger Generationen bleibt an das weibliche Geschlecht gebunden, wenn auch mit Unterschieden in Bezug auf die Klassenposition und den ethnischen Hintergrund von Frauen. Die Integration von Frauen in die Erwerbsarbeit westlicher Industriegesellschaften erfolgt häufig auf der Basis einer Ausdehnung informeller weiblicher Arbeitsverhältnisse in der Hausökonomie. In den flexibilisierten, ent-normalisierten »FürsorgeMärkten« sind meist Reproduktionsarbeiterinnen aus dem Süden oder aus Osteuropa in völlig ungesicherten Arbeitsverhältnissen beschäftigt.17
Grenze zwischen Staat und Markt Der Markt wird unter dem Zauberwort »Deregulierung« gegenüber der staatlichen Sphäre vergrößert, d.h. sozialstaatliche Regelungen von Arbeit und Alltag werden minimiert. Während im Sozialstaatsprojekt des Fordismus vornehmlich der Klassenunterschied »bearbeitet« und soziale Siche16 Vgl. Jane Jenson: »Instroduction: Some Consequences of Economic and Political Restructuring and Readjustment«, in: Social Politics, Spring (1996), S. 1-11, hier S. 6. 17 Vgl Birgit Rommelspacher: »Neue Polarisierung und neue Konvergenzen: das Geschlechterverhältnis im Zeitalter der Globalisierung«, in: Gert Schmidt/Rainer Trinczek (Hg.), Globalisierung. Ökonomische und soziale Herausforderungen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts (Soziale Welt Sonderband 13), Baden-Baden: Nomos 1999, S. 243-258, hier S. 245.
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rungssysteme, wenn auch frauendiskriminierend etabliert, wurden, wird nun der sozialen Frage Relevanz und Regelungsbedarf abgesprochen. Die diskursive Verleugnung von Klasse als eine die Gesellschaft strukturierende Kategorie in den EU-Antidiskriminierungsrichtlinien ist wohl das bemerkenswerteste Defizit dieser Politik. Im Kontext nationaler Sozialpolitiken geht damit aber eine wichtige Dimension auch für Geschlechtergleichheit verloren, öffentliche Diskurse werden weg von sogenannten »weichen« politischen Themen wie Sozial-, Gleichstellungs- oder Frauenpolitik geschoben. Jene staatlichen Sektoren, die historisch eng mit Männlichkeit verknüpft waren – nämlich Militär, Polizei und Bürokratie, aber auch bevölkerungspolitisch relevante Apparate – gewinnen im globalen Restrukturierungsprozess an Macht.
Grenze zwischen national und international Durch die neoliberalen Entgrenzungsbewegungen werden auch die Formen der internationalen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung rekonfiguriert. In der Ära des nationalen Kapitalismus wurde Arbeitsteilung entlang Produktionszonen und Märkten von Nationalstaaten geteilt, und die internationale geschlechtsspezifische Arbeitsteilung basierte auf einer Verdoppelung von Ungleichheitsstrukturen in den Ländern der Peripherie, nämlich auf dem Export geschlechterungleicher Arbeitsformen und der »Hausfrauisierung« von Erwerbsarbeit in den Ländern des Südens als Zuarbeit zu den »maskulinisierten« sogenannten »Zentren«. Die international ungleiche Arbeitsteilung wurde in der vergangenen Dekade durch Produktionsverlagerungen und Migrationsströme entterritorialisiert, sie ist nicht mehr ausschließlich an Lokalität geknüpft, vielmehr kehrt das internationale Fließband zurück in die Metropolen. Dies hat zur Folge, dass formale und informelle Arbeitsmärkte in den Ländern des Südens wie auch in den Ländern des Nordens stärker ineinander greifen. Die formelle Ökonomie (der Industriestaaten) braucht zunehmend die informelle, halb-öffentliche (des Südens). Dies lässt überall auf der Welt neue geschlechtlich kodierte Arbeitsplatzpositionen entstehen: Je formalisierter eine Arbeit ist, um so wahrscheinlicher ist es, dass sie ein weißes männliches Reservat bleibt, je informalisierter sie ist, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von einer nicht-weißen Reproduktionsarbeiter/-in erbracht wird. Neoliberale Entgrenzungspraktiken bedeuten in erster Linie die erleichterte Grenzüberschreitung für Kapital, Waren und Dienstleistungen, sie bedeuten aber auch Begrenzungen, nämlich den Ausschluss von Menschen. Die neuen Grenzregime sind in der Regel geschlechtsselektiv und rassistisch, konstruieren sie doch Subjekte, die auf lokalen oder nationalen Arbeitsmärkten »brauchbar« sind, und solche, die »wertlos« sind. Neue Fragmentierungen entstehen entlang existierender Sollbruchstellen wie
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Geschlecht, Klasse und Ethnizität, so dass der (National-)Staat in diesem Prozess nach wie vor ein Verdichtungsort von geschlechtsspezifischen, klassenspezifischen und ethnischen Identitäten ist.
4 . F o r mw a n d e l p o l i t i s c h e r I n s t i t u t i o n e n . T r a n s f o r m a t i o n u n d G o u ve r n e m e n t a l i s i e r u n g des Staates Die oben genannten vier Grenzverschiebungen erfordern eine Re-Organisation nationaler und internationaler staatlicher Institutionen, Prozesse und Normen sowie neue Formen demokratischer Repräsentation und politischen Handelns. Dieser Formwandel kommt begrifflich im politischen Paradigma »Governance« zum Ausdruck. »Governance« ist als die politische Regulation »globalisierter« sozialer und ökonomischer Verhältnisse zu begreifen, sie ist jene politische Form, die die neoliberale Restrukturierung braucht, um das globale Projekt der kapitalistischen Transformation voran zu treiben. Banaszak, Beckwith und Rucht beschreiben die Transformation staatlicher Institutionen mit vier der Computersprache entlehnten Metaphern: »uploading« von staatlicher Entscheidungskompetenz (auf die internationale Ebene), »downloading« (auf die regionale Ebene), »offloading« (in die Zivilgesellschaft) sowie »lateral loading« (in neue Gremien politischer Steuerung).18 Daran angelehnt will ich im Folgenden vier Dimensionen der Neuorganisation staatlicher Institutionen genauer in den Blick nehmen – die internationale Ebene (uploading), das Element der Verhandlungsdemokratie auf nationalstaatlicher Ebene (lateral loading), die Ebene der Zivilgesellschaft (offloading), ergänzt um den Aspekt der Gouvernementalisierung des Staates.
Internationale Ebene (uploading) Mit dem Ende des nationalstaatlichen Regelungsprimats gegenüber Kapital und Arbeit geben Nationalstaaten zunehmend Kompetenzen an supranationale Gremien und Regime wie beispielsweise die EU oder die Welthandelsorganisation (WTO) ab. Denationalisierung bzw. Internationalisierung des Nationalstaates sind frauenpolitisch durchaus reizvolle Perspektiven, war doch der Nationalstaat nie sehr frauenfreundlich. Insbesondere die Einbeziehung von NGOs und die daraus sich möglicherweise ergebenden nicht-hierarchischen und kooperativen Formen der Entscheidung gelten als demokratietheoretisch bedeutsame Merkmale von »Governance«. 18 Lee Ann Banaszak/Karen Beckwith/Dieter Rucht (Hg.), Women’s Movements Facing the Reconfigured State. Cambridge: Cambridge University Press 2003. S. 8ff.
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»Governance«-Formen könnten einen Weg zur globalen »Geschlechterdemokratie« weisen.19 Politik jenseits des Nationalstaats, in internationalen Netzwerken der Kooperationen zwischen Frauen aus dem Süden und dem Norden öffnete im vergangenen Jahrzehnt in der Tat neue feministische Handlungsräume. Die Geschichte von Frauen-NGOs auf den UNKonferenzen kann in dieser Hinsicht ebenso als Erfolgsgeschichte geschrieben werden, wie das Steuerungsinstrument CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women). Die quantitative Repräsentation von Frauen in internationalen Gremien wie der Weltbank und der UNO oder auf EU-Ebene konnte sichtbar erhöht werden20 und internationale Frauenbewegungen wurden zu einem zentralen Baustein von »Global Governance« (vgl. Ruppert 2002: 61). Auf EUEbene etablierte sich beispielsweise die European Women’s Lobby (EWL) als Bestandteil der akkreditierten NGO-Szene. Auch die substantielle Repräsentation von Frauen, der »output« von Politiken konnte in der vergangenen Dekade deutlich gesteigert werden: In internationalen Regulierungsregimen waren Frauengruppen erfolgreich in der Lage, die politische Agenda zu vergeschlechtlichen21 und das Politikfeld »internationale Frauenpolitik« zu etablieren.22 Feministischen Expertinnen gelang es, das Geschlechterwissen wichtiger internationaler Institutionen wie UNO und Weltbank zu erhöhen und diese Organisationen für Geschlechterfragen zu sensibilisieren. Die internationale Frauenbewegung gab beispielsweise entscheidende Impulse, Frauenrechte (u.a. reproduktive Rechte, Schutz vor Gewalt gegen Frauen) in die Menschenrechtsagenda einzuschreiben.23 Doch mit der Neubestimmung der Koordinaten des politischen Raums waren auch auf internationaler Ebene eine Remaskulinisierung politischer Institutionen und die Einengung des Gestaltungsspielraums für feministische Politik verbunden. Auch supranationale Institutionen sind historisch unter Ausschluss von Frauen entstanden, auch ihnen ist ein maskulinistischer Bias eingeschrieben. Die neuen Institutionen internationaler Staatlichkeit sind ganz offensichtlich »bemannt«: In mächtigen Institutionen wie der 19 Ilse Lenz: »Geschlechtsspezifische Auswirkungen der Globalisierung in den Bereichen Global Governance, Arbeitsmärkte und Ressource«. Gutachten für die Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten«, www.bundestag.de 2002, S. 82. 20 Vgl. Francine D’Amico: »Women Workers in the United Nations: From Margin to Mainstream?«, in: Mary K. Meyer/Elisabeth Prügl (Hg.), Gender Politics in Global Governance, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers 1999, S. 19-40. 21 Vgl. M. Meyer/E. Prügl: Gender Politics, S. 5. 22 Uta Ruppert: »Aufgaben und Chancen im Rahmen der Globalisierung, um die Situation der Frauen in der Gesellschaft zu verbessern.« Gutachten für die Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten«, www.bundestag.de 2002, S. 60. 23 Vgl. M. Meyer/E. Prügl: Gender Politics, S. 3, 7.
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Weltbank, dem IWF, der Europäischen Zentralbank oder der WTO, aber auch in transnationalen NGOs sind Frauen signifikant unterrepräsentiert.24 Frauenbewegungen aus dem Norden wie aus dem Süden fehlt es an Ressourcen – an Finanzierung, professionellem und symbolischem Kapital –, um als machtvolle Player in den internationalen »Governance«-Strukturen zu partizipieren.25 Die neoliberale Rahmung von »Global Governance«, die ökonomistische Hegemonie der internationalen Organisationen kreiert und privilegiert darüber hinaus »market-friendly NGOs«.26 Auch feministische Organisationen laufen Gefahr, zu einem »trade-related feminism« zu mutieren27 und emanzipatorische Ziele geraten ins Hintertreffen. Frauen sind auch in substantieller Hinsicht in »Global Governance«Strukturen unterrepräsentiert, ihre Interessen werden nur selektiv wahrgenommen. Geschlecht wurde zwar zu einer zentralen Kategorie der internationalen Politik, und Frauen aus der sogenannten »Dritten Welt« wurden in ihrer Bedeutung für ökonomisches Wachstum und für Bevölkerungspolitik, kurz: für Entwicklung erkannt. Geschlechtergleichstellung avancierte aber so viel eher zu einer Ressource für ökonomisches Wachstum in den Ländern der Peripherie28 als zur Grundlage für Emanzipation. Die Supranationalisierung von Politik relativiert zwar die maskulinistischen Repräsentationen der Nationalstaaten, ohne aber Maskulinismus als hegemonialen Diskurs selbst zu beseitigen. In den neuen politischen Formen sind Frauen zwar sichtbarer integriert; doch die mit diesen Strukturen verknüpften geschlechtsspezifischen und ethnisierten Anrufungsformen und Praxen sind in ein macht- und herrschaftsvolles Setting integriert, das die Verknüpfung von Geschlecht, Ethnizität und Klasse in ihrer Herrschaftsförmigkeit re-konfiguriert: Weißsein, Mannsein und Zugehörigkeit zur weltweit agierenden neuen Klasse der »Hyperbourgeoisie«29 werden reartikuliert und zur sozialen Grundlage von Macht im internationalisierten Staat.
Nationaler Verhandlungsstaat (lateral loading) Die Transformation von Nationalstaaten lässt sich an der Informalisierung und Privatisierung von Politik in sogenannten Verhandlungsnetzwerken der »post-nationalen« Demokratie festmachen. Staatliche Institutionen
24 I. Lenz: Geschlechtsspezifische Auswirkungen, S. 79, 84ff. 25 Vgl. U. Ruppert: Aufgaben und Chancen, S. 60. 26 Anne Sisson Runyan: »Women in the Neoliberal ›Frame‹«, in: Mary K. Meyer/Elisabeth Prügl (Hg.), Gender Politics in Global Governance, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers 1999, S. 210-220, hier S. 212. 27 Vandana Shiva 1995: 37, zit. in: ebd.: 218. 28 so im Weltbankbericht 2001, Kap. II, zit. in: U. Ruppert: Aufgaben und Chancen, S. 56. 29 Denis Duclos: »Die Internationale der Hyperbourgeoisie«, in: Le Monde Diplomatique (deutsche Ausgabe), August (1998), S. 10-11.
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werden im nationalen Politikprozess zunehmend zu bloßen Vermittlern zwischen nicht-staatlichen Akteuren, sie sind aber nicht mehr privilegierte Akteure. Auf nationalstaatlicher Ebene gelten mithin sowohl die Konsultation von (Frauen-)NGOs, die sukzessive Öffnung nationaler Parlamente und Regierungen für Frauen, aber auch Bürger/-innenforen, bürgerfreundlichere Verwaltungen und staatsfeministische Politikgestaltung als Ausweise des Wandels patriarchaler Institutionen und Prozesse. Doch diese Rekonfiguration nationaler politischer Räume bedeutet zugleich eine dichtere Knüpfung eines geschlossenen Netzwerks, und die Entscheidungsfindung in Verhandlungssystemen erfolgt in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Privatisierung und Informalisierung heißt, dass Politik einer kontrollierenden Öffentlichkeit tendenziell entzogen bleibt. Verhandlungsregime ziehen aber nicht nur eine Entdemokratisierung, sondern auch eine Remaskulinisierung nach sich, denn sie schwächen jene Repräsentationsorgane und Aushandlungsprozesse wie beispielsweise Parlamente, in die sich Frauen einen quotierten Zugang erkämpft haben. Die Entöffentlichung bzw. Informalisierung von Politik hat mithin zur Folge, dass Entscheidungen in männerbündischen Seilschaften getroffen werden, denn diese Arkanisierung von Politik ist in der Regel mit einer Homogenisierung des Arkanums verbunden – eben auch einer Geschlechterhomogenisierung. Die intensivere Form der informellen Verflechtung zwischen Interessenverbänden, Bürokratie und privaten Akteuren, zu denen auch zivilgesellschaftliche Gruppen gehören, erhöht also tendenziell den Männereinfluss und erschwert erfolgreiche Interventionen institutioneller Frauenund Gleichstellungspolitik. »Governance« kann somit auch auf nationalstaatlicher Ebene nicht an sich als eine gegenhegemoniale Form der Politisierung begriffen werden. Hierarchische Zweigeschlechtlichkeit kann nicht durch demokratischere Spielregeln innerhalb der neuen Verhandlungsnetzwerke überwunden werden.30 Auch eine klarere »Verpflichtung zu demokratischer Repräsentation und Verantwortung« (Lenz 2002: 81) allein wird im transformierten Staat nicht zu mehr Geschlechterdemokratie führen. Vielmehr muss stets die Dominanz ökonomischer Interessengruppen und maskulinen Interessen – z.B. erwerbsbezogene oder bevölkerungspolitische Interessen – sichtbar gemacht werden.
»Offloading«. Die Rolle der Zivilgesellschaft Die hegemoniale Überformung von Gleichstellungspolitik im staatlichen Transformationsprozess liegt insbesondere in der Nutzung der »Ressource« Zivilgesellschaft begründet. Die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Wissensformen in staatliche Steuerung ist eine neue Regierungsweise zur Durchsetzung neoliberaler Hegemonie. Die trans30 So. z.B. B. Holland-Cunz: Politiktheoretische Überlegungen, S. 43.
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formierte Staatlichkeit zielt nämlich auf Technologien der Macht, die Partizipation, Beteiligung und Engagement – »Tugenden« der Zivilgesellschaft – umfasst. Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement sind Konzepte, »mit denen an die ›Eigenverantwortung‹ der Bürger/innen im Gemeinwesen appelliert wird«.31 Der Freiheitsanspruch zivilgesellschaftlicher Gruppen – auch der Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre – wird umgedeutet in einen Zwang zu Selbststeuerung, Autonomie und Risikomanagement. Gender Mainstreaming und Diversitätspolitik sind Beispiele für eine solche Aneignung feministischer Theorie und Praxis. Sie wurden Teil eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses über die Legitimation von (Geschlechter-)Politik, über verallgemeinerbare gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen, über die Rolle des Staates und des Rechts sowie über die Neuartikulation von Demokratie und Partizipation. Gender und Diversity als Wissensformen von Frauenbewegung bzw. der Geschlechterforschung um multiple Diskriminierung, so steht zu befürchten, werden als Wissenskomplexe angeeignet, um die neue ökonomische Regierungsrationalität durchzusetzen bzw. zu legitimieren. Ein zentraler Begriff der Frauenbewegung, nämlich Differenz, ein Begriff, der in der feministischen Debatte nie unumstritten war, aber in einer produktiven Diskussion in Gleichheit »aufgehoben« wurde,32 wird im EU-Setting diskursiv gegen soziale Gleichheit gewendet. Der Expropriationsprozess sozialer Bewegungen besteht also darin, dass experimentelles und noch ungewisses Wissen, das im Identitätsbildungs- und Politisierungsprozess von Bewegungen ein Element der Stärke und des »empowerment« ist, nun im Verschiedenheitsdiskurs still gestellt wird. Dies ist freilich ein Prozess, der nicht neu ist, und den Antonio Gramsci als »passive Revolution« bezeichnet hat.33
Gouvernementalisierung des Staates Die Veränderung des Staates bedeutet – in der Sprache Foucaults34 – auch seine Gouvernementalisierung, d.h. eine fundamental neue Form des Regierens, neuer Formen der Durchsetzung von politischer Entscheidung, gesellschaftlicher Ordnung und Herrschaft durch staatliche Institutionen. 31 Stefanie Wöhl: Mainstreaming Gender. Widersprüche europäischer und nationalstaatlicher Geschlechterpolitik, Königstein/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2007, S. 112. 32 Vgl. Andrea Maihofer: »Gleichheit und/oder Differenz? Zum Verlauf einer Debatte«, in: Eva Kreisky/Birgit Sauer (Hg.), Geschlechterverhältnisse im Kontext politischer Transformation (PVS-Sonderheft 28), Opladen: Westdeutscher Verlag 1998, S. 155-176. 33 Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Hamburg: Argument 1991. 34 Michel Foucault: »Die Gouvernementalität«, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 41-67.
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Neoliberale Restrukturierung von Staatlichkeit ist nicht nur eine neue Technik des Regierens durch nationalstaatliche Institutionen, sondern auch des »Selbstregierens« und Selbstmanagements der Individuen.35 Der Strategie- und Diskurswandel neoliberaler Staatlichkeit impliziert mithin neuartige Formen der Disziplinierung von Menschen, nämlich die »Anrufung« von Staatsbürger/-innen vornehmlich als Konsument/-innen, Klient/-innen und Kund/-innen sowie als »selbst-verantwortliche« Individuen.36 Die neuen Technologien des Selbst basieren auf Effektivität und Leistung und den damit verbundenen Formen von Abwertung und Ausgrenzung, aber auch einen Zwang zur Selbststeuerung, verbrämt als Wahl-Freiheit. Darüber hinaus rücken neue hegemoniale Produktionsweisen, die die Kommunikationsfähigkeit, die kognitiven Fähigkeiten, Wissen und Wissensmanagement von Individuen fordern, ins Zentrum kapitalistischer Entwicklung. Die Arbeit der Menschen an sich selbst wird mithin auch Teil der neuen ökonomischen Regierungsrationalität. Kern dieser neuen kapitalistischen Subjektivierungsstrategie ist die Erhaltung und Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit (employability) der geschlechtslos gedachten Individuen mit dem Ziel der Steigerung ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit, aber auch jener der Unternehmen. Hohe Flexibilität im Arbeits- wie auch im Freizeitverhalten wird zu Grundlagen für Erfolg – und dazu wird die Erosion traditioneller Geschlechterregime in Kauf genommen. Die »Gouvernementalisierung« des Staates macht den Staat als Herrschaftsgefüge also nicht obsolet, sondern verlagert vormals externe Disziplinierungsweisen in die Individuen hinein. Das permanente Selbstmanagement von Unterschieden ist eine Form des »feinen« neoliberalen Regierens, der Kontrolle und der Inkorporierung des Wissens um die Unmöglichkeit von Gleichheit.
5. Die Zukunft der Kategorie Geschlecht in d e r P o l i t i kw i s s e n s c h a f t Transformierte Staatlichkeit und formgewandelte politische Institutionen etablieren neue Steuerungsformen von Geschlechterverhältnissen, die den herrschaftlichen Zugriff auf Subjekte sowie auf autonome Denk- und Handlungszusammenhänge in der Zivilgesellschaft verschleiern. Neue Geschlechterentwürfe werden in paradoxen Prozessen gleichzeitiger Persistenz und radikaler Veränderung erarbeitet und den Individuen abverlangt. Über den Weg der EU-Politik wird dazuhin die diskursive Negierung von Klassenkonflikten und sozialer Ungleichheit in die Nationalstaaten hineingetragen. Gender Mainstreaming und Diversitätspolitik sind ein Aspekt
35 Vgl. ebd. 36 L.A. Banaszak/K. Beckwith/D. Rucht: Women’s Movements, S. 8.
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der Neuformatierung bzw. Re-Interpretation von Bedürfnissen, die soziale Ungleichheit dethematisiert. Nancy Fraser will deshalb »das Projekt des Feminismus in einer sich globalisierenden Welt neu erfinden«.37 Diese Art »neuer Feminismus« müsste sowohl den feministischen Umverteilungsgestus der 1970er Jahre wie auch die identitätspolitische Bewegung der Anerkennung der Geschlechterdifferenz verbinden und als transnationale Bewegung auf eine Veränderung von politischen Räumen abzielen. Dies bedeutet, die »neu sichtbare(n) Meta-Ungerechtigkeit«, das »misframing« von Verantwortung für Ungleichheit, zu kritisieren. Die transnationale feministische Bewegung der »Repräsentation« muss die »Manipulation von politischen Räumen«38 beenden und Gerechtigkeit dort einfordern, wo Ungerechtigkeit entsteht, nämlich auf der transnationalen Ebene. Feminismus sollte also eine transnationale Bewegung des Kampfes um politische Skalierung werden. Die Erarbeitung einer maskulinistischen Hegemonie internationalisierter Staatlichkeit und neuer politischer Institutionen ist ein noch unvollendetes Projekt, in das Frauenbewegungen eingreifen, das sie verändern können. Viele Weichen des Projekts sind freilich schon gestellt, doch die Widersprüche zwischen politischen Räumen öffnen Chancen für gegenhegemoniales politisches Handeln. Als feministische Perspektive bleibt die paradoxe Intervention anti-staatlicher Politik mit staatlichen Akteuren auf nationaler wie auf internationaler Ebene – also auch das Engangement in »Governance«-Strukturen und in neu formatierten staatlichen Institutionen. Staats- und herrschaftskritische Reflexionen müssen aber unbedingt Teil eines solchen emanzipatorischen Projekts bleiben, will es nicht im Kampf um ökonomische und maskulinistische Hegemonie unterliegen. Um die Frage dieses Bandes noch einmal abschließend aufzugreifen: Was kommt nach der Genderforschung? Aus politikwissenschaftlicher Perspektive muss die Antwort lauten: Gender-plus-Forschung im doppelten Sinn. Einmal als Analyse des paradoxen und ungleichzeitigen Verdichtungszusammenhangs von Ungleichheitsstrukturen, also der Intersektionalität von Geschlecht, Klasse, Ethnizität und Sexualität, zum anderen als feministische politische Interventionen. Frauenpolitik und Geschlechterforschung sollten nämlich nicht übersehen, dass es gerade Teil des neoliberalen Diskurses ist, existierende frauenpolitische und geschlechterforscherische Zusammenhänge, Widerstände und Widerständigkeiten zu negieren und zu desartikulieren. Doch
37 Nancy Fraser: »Lageverzeichnis der feministischen Imagination: Von Umverteilung über Anerkennung zu Repräsentation«, in: Dominique Grisard u.a. (Hg.), Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung, Frankfurt a.M., New York: Campus 2007, S. 259-280, hier S. 260. 38 Ebd., S. 277.
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nach wie vor ist der weibliche Alltag Quelle des Widerspruchs und des Widersprechens. Feministische Handlungsperspektive kann es sein, diese widersprüchlichen weiblichen Alltagspraxen, die Lücken und Brüche, die die neoliberale Restrukturierung dort hinterlässt und durch »misframing« vertuscht, sichtbar zu machen, zu politisieren und zu verändern. Diese transnationale »Küchenpolitik«39 ist nach wie vor ein Weg zu mehr Demokratie. Und sie ist Ausgangspunkt für geschlechterkritisches wissenschaftliches Fragen.
Literatur Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Münster: Westfälisches Dampfboot 1996. Bakker, Isabella: »Who Built the Pyramids? Engendering the New International Economic and Financial Architecture«, in: femina politica, H. 1 (2002), S. 13-25. Banaszak, Lee Ann/Beckwith, Karen/Rucht, Dieter (Hg.), 2003: Women’s Movements Facing the Reconfigured State, Cambridge: Cambridge University Press. Beisheim, Marianne/Walter, Georg: »›Globalisierung‹ – Kinderkrankheiten eines Konzepts«, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 4. Jg., H. 1 (1997) S. 153-180. D’Amico, Francine: »Women Workers in the United Nations: From Margin to Mainstream?«, in: Mary K. Meyer/Elisabeth Prügl (Hg.), Gender Politics in Global Governance, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers 1999, S. 19-40. Dorn, Thea: Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird, München: Piper 2006. Duclos, Denis: »Die Internationale der Hyperbourgeoisie«, in: Le Monde Diplomatique (deutsche Ausgabe), August (1998), S. 10-11. Elson, Diane: »International Financial Architecture: A View from the Kitchen«, in: femina politica, H. 1 (2002), S. 26-37. Foucault, Michel: »Die Gouvernementalität«, in: Ulrich Bröckling/Susan-ne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 41-67. Fraser, Nancy: »Lageverzeichnis der feministischen Imagination: Von Umverteilung über Anerkennung zu Repräsentation«, in: Dominique Grisard u.a. (Hg.), Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung, Frankfurt a.M./New York: Campus 2007, S. 259-280. 39 Vgl. Diane Elson: »International Financial Architecture: A View from the Kitchen«, in: femina politica, H. 1 (2002), S. 26-37.
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Görg, Christoph: »Räume der Ungleichheit. Die Rolle gesellschaftlicher Naturverhältnisse in der Produktion globaler Ungleichheiten am Beispiel des Millennium Ecosystem Assessments«, in: Cornelia Klinger/Gudrun-Axeli Knapp/Birgit Sauer (Hg.), Achsen der Ungleichheit, Frankfurt a.M., New York: Campus 2007. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte, Hamburg: Argument 1991. Gutierrez Rodriguez, Encarnacion: Intellektuelle Migrantinnen – Subjektivität im Zeitalter von Globalisierung, Opladen: Leske + Budrich 1999. Holland-Cunz, Barbara: »Politiktheoretische Überlegungen zu Global Governance«, in: Dies./Uta Ruppert (Hg.), Frauenpolitische Chancen globaler Politik. Verhandlungsverfahren im internationalen Kontext, Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 25-44. Holland-Cunz, Barbara/Ruppert, Uta: Globale Politik, politische Verhandlungen, frauenpolitische Chancen. Einleitung, in: Diess. (Hg.), Frauenpolitische Chancen globaler Politik. Verhandlungsverfahren im internationalen Kontext, Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 11-17. Jenson, Jane: »Introduction: Some Consequences of Economic and Political Restructuring and Readjustment«, in: Social Politics, Spring (1996), S. 1-11. Lenz, Ilse: »Geschlechtsspezifische Auswirkungen der Globalisierung in den Bereichen Global Governance, Arbeitsmärkte und Ressource«. Gutachten für die Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten«, www.bundestag.de 2002. Maihofer, Andrea: »Gleichheit und/oder Differenz? Zum Verlauf einer Debatte«, in: Eva Kreisky/Birgit Sauer (Hg.), Geschlechterverhältnisse im Kontext politischer Transformation (PVS-Sonderheft 28), Opladen: Westdeutscher Verlag 1998, S. 155-176. Maihofer, Andrea: »Gender in Motion: Gesellschaftliche Transformationsprozesse – Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen? Eine Problemskizze«, in: Dominique Grisard u.a. (Hg.), Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung, Frankfurt a.M., New York: Campus 2007, S. 281-315. Marchand, Marianne H.: »Reconceptualising ›Gender and Development‹ in an Era of ›Globalisation‹«, in: Millenium. Journal of International Studies, Vol. 25, H. 3 (1996), S. 577-603. Meyer, Mary K./Prügl, Elisabeth (Hg.), Gender Politics in Global Governance, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers: 1999. Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999. Poulantzas, Nicos: »Die Internationalisierung der kapitalistischen Verhältnisse und der Nationalstaat«, in: Joachim Hirsch/Bob Jessop/Nicos Poulantzas: Die Zukunft des Staates. Denationalisierung, Internationalisierung, Renationalisierung, Hamburg 2001, S. 19-69.
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Rommelspacher, Birgit: »Neue Polarisierung und neue Konvergenzen: das Geschlechterverhältnis im Zeitalter der Globalisierung«, in: Gert Schmidt/Rainer Trinczek (Hg.), Globalisierung. Ökonomische und soziale Herausforderungen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts (Soziale Welt Sonderband 13), Baden-Baden: Nomos 1999, S. 243-258. Runyan, Anne Sisson: »Women in the Neoliberal ›Frame‹«, in: Mary K. Meyer/ Elisabeth Prügl (Hg.), Gender Politics in Global Governance, Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers 1999, S. 210-220. Ruppert, Uta: »Aufgaben und Chancen im Rahmen der Globalisierung, um die Situation der Frauen in der Gesellschaft zu verbessern«, Gutachten für die Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten«, www.bundestag.de 2002. Wöhl, Stefanie: Mainstreaming Gender. Widersprüche europäischer und nationalstaatlicher Geschlechterpolitik, Königstein/T.: Ulrike Helmer Verlag 2007.
Kommentar z um Be itrag: Formw andel politischer Institutionen im Kontext neoliberaler Globalisierung und die Re le va nz der Kate gorie Gesc hlec ht EDGAR FORSTER Ich möchte mit einer disziplinären Vorbemerkung zum Begriff governance beginnen: Während die Politikwissenschaft mit diesem Begriff Regulationsformen bezeichnet, die auch mit der Hoffnung auf nicht-hierarchische, kooperative Politikformen verknüpft sind, wird der Begriff educational governance in der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Diskussion vor allem im Kontext von Bildungssteuerung verwendet. Dabei spielen universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen eine wichtige Rolle bei der Informalisierung von Politik. Evidence-based eduacational policy liefert das Stichwort für die Durchsetzung von Bildungsreformen, die vor allem auf Druck der OECD und der damit verbundenen Forschungsinstitutionen initiiert und politisch durchgesetzt werden. Der Beitrag von Birgit Sauer artikuliert eine fortschrittsskeptische These. Sie lautet im Kern, dass die größere Sichtbarkeit und Repräsentation von Frauen in nationalen und internationalen Institutionen kein hinreichender Beleg dafür sei, dass ungleiche und diskriminierende Geschlechter-, aber auch Ethnizitäts- und Klassenverhältnisse durch neue Formen von Staatlichkeit überwunden werden. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene würden frauenpolitische Handlungsspielräume demokratisch erweitert. Beobachtbar seien vielmehr Praxen der Instrumentalisierung und Verschließung. Birgit Sauer begründet ihre These damit, dass Geschlechterungleichheit und andere Ungleichheiten Ressourcen für die Transformation von Staatlichkeit bilden. Deswegen könne die Transformation von Staaten nur einen begrenzten Beitrag zur mehr Geschlechtergerechtigkeit leisten. Anstatt Geschlechterungleichheit aufzulösen, werden Geschlechterverhältnisse »verkompliziert bzw. multipliziert und ver-
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tieft«. Feministische Identitätspolitiken und Subjektivierungsformen würden im Projekt der Veränderung staatlicher Steuerung strategisch funktionalisiert und gehörten damit zu jener Maschinerie, die ungleiche Klassenund Geschlechterverhältnisse reproduzieren. Nebenbei sei bemerkt, dass Männerbewegungen und Männerforschungen ähnlich begriffen werden können: Die allerorts konstatierte Krise der Männlichkeit bildet die Grundlage von Praxen, die Frauen- und Geschlechterforschung, aber auch Geschlechterpolitik wie Gender Mainstreaming als Ressource für eigene Resouveränisierungen instrumentalisieren. Um ihrer These Plausibilität zu verleihen, müsste erstens deutlich werden, von welcher Staatstheorie Birgit Sauer ausgeht. Zweitens: Wie verkomplizieren, vervielfältigen und vertiefen aktuelle Transformationsprozesse, die oft unter dem Etikett »Globalisierung« zusammengefasst werden, diese Geschlechterverhältnisse, obwohl es auf der Ebene von Sichtbarkeit auch Fortschritte in der Realisierung von Geschlechterdemokratie gibt? Dies könnte drittens zu einer Einschätzung der aktuellen Situation des Feminismus und der Geschlechterforschung führen, vor allem hinsichtlich der Frage der Relevanz des Politischen in der Geschlechterforschung, von dessen Paralyse durch poststrukturalistische Verschiebungen nicht zuletzt auch eine bestimmte Form der Männerforschung profitiert hat. Erstens also, welcher Staatsbegriff stützt die These von der fortgesetzten Diskriminierung? Genauer: Weshalb plädiert Birgit Sauer für ein umfassendes Konzept von Staatlichkeit und politischer Regulierung? Wenn es stimmt, dass die heute etwas bessere Repräsentation von Frauen in politischen Institutionen noch nichts über die tatsächliche Geschlechterdemokratie aussagt, dann rückt tatsächlich das Verhältnis zwischen der politischen Repräsentationsebene und der gesellschaftlichen und ökonomischen Ebene in den Blickpunkt. Oder, aus staatstheoretischer Perspektive: Die Analyse des Staates als bürokratischer Apparat und als liberal-demokratisches Institutionengefüge müsste, wie Sauer ausführt, mit einem Staatsbegriff konfrontiert werden, der ein soziales Kräftefeld umfasst. Der Staat als Projekt der Vereinheitlichung und Grenzziehung maskiert das soziale Terrain, auf dem Kämpfe um hegemoniale Wahrnehmungs- und Wissensformen ausgetragen, Klassenkämpfe modernisierungstheoretisch reformuliert und Ethnie als machtvolle Differenzkategorie reproduziert werden. Spätestens in dem Moment, da Staat und Zivilgesellschaft als ineinander verwoben dargestellt werden und Staatlichkeit als »eine Schnittstelle von politischen Institutionen, gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Subjektivierungsweisen« begriffen wird, verwandelt sich das »›Staatsprojekt‹, also die hegemoniale Sichtweise von gesellschaftlicher Ordnung« in ein totales Projekt, das jeden Widerstand in sich aufnimmt und, völlig immunisiert, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, heterosexuelle Zwangslogiken usw. fortschreibt.
KOMMENTAR: POLITISCHE INSTITUTIONEN UND DIE KATEGORIE GESCHLECHT | 257
Daran schließt der zweite Aspekt an, nämlich die These, dass Geschlechterverhältnisse vertieft und verkompliziert würden: Unterhalb einer zunehmend liberaleren Repräsentation des Geschlechterverhältnisses in demokratisch legitimierten politischen Institutionen sei von Geschlechterdemokratie kaum etwas zu bemerken. Dort wird aber zunehmend Politik gemacht – jenseits aller demokratischen Legitimation. Zugespitzt: Demokratisch legitimierte politische Institutionen gewinnen im gleichen Zug an Kontur in Sachen Geschlechterdemokratie wie sie an politischem Einfluss verlieren (im Anschluss an Altvater/Mahnkopf spricht Sauer vom »Formwandel in der Architektur« der Staatsappaarate). Die angeführten Grenzverschiebungen (zwischen Markt und Familienökonomie, Staat und Familienökonomie, Staat und Markt) belegen dies: Re-Privatisierung von CareArbeit, Prekarisierung und Feminisierung von Arbeit; und nach dem 11.09.2001 die – reale und rhetorische – Umwandlung des Staates in einen Hochsicherheitstrakt: Polizei und Überwachung statt Sozial-, Gleichstellungs- und Frauenpolitik; schließlich gleichermaßen Nationalisierung von Sicherheit und Transnationalisierung von Waren-, Finanz- und Dienstleistungsströmen. Wie spielen diese beiden Ebenen der Repräsentation des Geschlechterverhältnisses mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen zusammen? Das wäre meine Frage danach, wie man sich in konkreten Praxen die Vertiefung, Verkomplizierung, Multiplizierung von Geschlechterverhältnissen vorstellen muss? Wie würde dies etwa am Beispiel des Gewaltschutzgesetzes und des Wegweiserechts aussehen?1 Was wäre die Funktion des Staates auf der Ebene der Repräsentation des Geschlechterverhältnisses? Welche Geschlechterlogik reproduziert das Gesetz? Ich komme zum dritten und letzten Aspekt, nämlich zu einer Einschätzung der aktuellen Situation des Feminismus und der Geschlechterforschung im Kontext der von Birgit Sauer vorgetragenen Analysen. Wenn sich tatsächlich feststellen lässt, dass sich die Repräsentation des Geschlechterverhältnisses an der »Oberfläche« der sichtbaren und zunehmend symbolischen, aber zahnlosen Politik von der Politik als Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung abspaltet und die demokratische Legitimation von Staatsorganen nicht mehr identisch ist mit zentralen Entscheidungsträgern, dann könnte man sich fragen, ob diese Entwicklung nicht mit einer ebensolchen theoretischen Operation einhergeht, für die die Dichotomie von sex und gender exemplarisch stehen könnte.
1
Das österreichische Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie (GeSchuG) ist am 1. Mai 1997 in Kraft getreten. Das Gesetz erlaubt der Polizei/Gendarmerie gewalttätige Personen aus der Wohnung zu weisen und ihnen die Rückkehr für zehn Tage zu verbieten. Der Schutz, der durch die Wegweisung für die Opfer von Gewalt gegeben ist, kann durch einen Antrag bei Gericht auf drei Monate verlängert werden.
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Müsste es also politisch nicht darum gehen, Demokratie nicht in Begriffen von Repräsentation und Anerkennung zu denken, sondern in Begriffen von Partizipation, der politischen Intervention und des Aushandelns? Und auf der theoretischen Ebene wäre möglicherweise auch eine Verschiebung von der Repräsentation und des Zeichens hin zur Produktion, der Praxis und der Situiertheit des Wissens fruchtbar.
Au tor/-innen
Eva Borst, HD Dr., z.Zt. Vertretungsprofessorin für »Allgemeine Pädagogik« an der Universität Mainz. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Anthropologische und sozialisationstheoretische Voraussetzungen von Bildung und Erziehung, Bildungstheorie, Systematik und Geschichte der Pädagogik, Wissenschaftstheorie, Gender-Studies, Pädagogik der Anerkennung, Auswirkungen von Beschleunigung und Ökonomisierung auf Erziehungs- und Bildungsprozesse. Veröffentlichungen u.a.: Anerkennung der Anderen und das Problem des Unterschieds. Perspektiven einer kritischen Theorie der Bildung, Baltmannsweiler 2003; Ideologien und andere Scheintote: McKinsey bildet, in: Pongratz/Wimmer/Reichenbach (Hg.), Bildung-Wis-sen-Kompetenz, 2007; Einführung in die Theorie der Bildung (erscheint 2008). Rita Casale, wissenschaftliche Oberassistentin am Pädagogischen Institut an der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkte: vergleichende Bildungsgeschichte, historische Geschlechterforschung und neuzeitliche Philosophie. Neure Veröffentlichungen: L’esperienza-Nietzsche di Heidegger. Tra nichilismo e Seinsfrage, Neapel 2005; Geschlechterforschung in der Kritik, Opladen 2005 (Mitherausgeberin); Bildung und Rationalisierung bei Max Weber. Beiträge zur historischen Bildungsforschung, Bad Heilbrunn 2006 (Mitherausgeberin); Methoden und Kontexte. Probleme der historischen Bildungsforschung, Göttingen 2006 (Mitherausgeberin); Ökonomien der Geschlechter, Opladen 2007 (Mitherausgeberin). Bettina Dausien, Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Empirische Bildungsforschung am Institut für Allgemeine Pädagogik der Universität Flensburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Bildung und Lernen im Lebenslauf, »lifelong learning«, Sozialisationsforschung, bes. interaktionstheoretische und konstruktivistische Ansätze so-
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zial- und erziehungswissenschaftlicher Geschlechterforschung, Theorien und Methoden der Biographieforschung, Methoden und Methodologien qualitativer Sozialforschung, reflexive Professionalisierung pädagogischen Handelns, Biographie und politische Bildung. Neuere Veröffentlichungen: Sozialisation – Geschlecht – Biografie. Theoretische Diskurse und Forschungsperspektive, Wiesbaden 2007; Sozialisation und Geschlecht. Theoretische und methodologische Perspektiven, hg. mit Helga Bilden, Opladen 2006. Astrid Deuber-Mankowsky, Professorin am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und Geschäftsführende Direktorin des MA Gender Studies. Kultur-Kommunikation-Gesellschaft. Publikationen u.a. Praktiken der Illusion. Kant, Nietzsche, Cohen, Benjamin bis Donna J. Haraway. Berlin 2007; Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin. Das virtuelle Geschlecht und seine metaphysischen Tücken, Frankfurt a.M. 2001; Der frühe Walter Benjamin und Hermann Cohen. Jüdische Werte, Kritische Philosophie, vergängliche Erfahrung, Berlin 2000. Aufsätze u.a. Repräsentationskritik und Bilderverbot, in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart, Heft 22/2007, S. 109-118, Bewusstseinstrom in Fünfpunkteins. Zu Marlene Streeruwitz’ Hörspiel ›Wunschzeit‹ In: »Aber die Erinnerung davon.« Materialien zum Werk von Marlene Streeruwitz. Hg. v. Bong, Jörg, Spahr, Roland, Vogel, Oliver. Frankfurt a.M. 2007, S. 119135. Natur/Kultur, in: Gender@Wissen. Ein Handbuch der GenderTheorien. Hg. Braun, Christina von u. Stephan, Köln 2005, S. 200-220. Konstruktivistische Ursprungsphantasien. Die doppelte Lektion der Repräsentation, in: Under construction. Konstruktivistische Perspektiven feministischer Theorie und Forschungspraxis, Hg. Urte Helduser u.a., Frankfurt a.M., New York 2004, S. 68-80. Ida Dominijanni, Journalistin der italienischen Zeitung »il manifesto«, Lehrbeauftragte für politische Philosophie am Fachbereich Philosophie der Universität »Roma 3«, Mitglied der italienischen Philosophinnengemeinschaft Diotima und des Centro di Studi per la Riforma dello Stato«. Autorin zahlreicher Essays über die Theorie der sexuellen Differenz, Neure Veröffentlichungen: L’impronta indecidibile, in: Diotima: L’ombra della madre, Napoli 2007, S. 177-196, Lo stile della differenza, in: Alberto Martinengo (Hg.), Figure del conflitto. Identità, sfera pubblica e potere nel mondoglobalizzato. Valter Casini Editore, Roma 2006, S. 343-353, Eredi al tramonto. Fine della politica e politica della differenza, in: M. Tronti: Politica e destino, Rom: luca sossella editore S. 125-143, Si può. Procreazione assistita: norme, soggetti, poste in gioco, Rom 2005 (zusammen mit Simona Bonsignori u. Stefana Giorni), Motivi della libertà (Herausgabe), Mailand 2001.
AUTOR/-INNEN | 261
Edgar Forster, lehrt Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg und ist Mitglied des Interdisziplinären ExpertInnenrates für Gender Studies an der Universität Salzburg. Arbeitsschwerpunkte: Allgemeine Pädagogik, Gender Studies, Globalisierung und Bildung. Aktuelle Forschungsinteressen: Die Geschichte der Massen und die Transformation des politischen Subjekts, educational governance. Neuere Publikation aus dem Bereich Gender Studies: Wie Phönix aus der Asche: Die Wiedergeburt des Mannes, Feministische Studien 2/2006 (Schwerpunktheft) (hg. gem. mit Rita Casale und Anna Maria Stuby), Feminisierung und Geschlechterdifferenz, in: Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft 3/2007, S. 61-75. Sabine Hark, PD Dr. phil., derzeit Vertretung der Professur »Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung« am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Veröffentlichungen zu Feministischer Theorie, Queer Theorie, Wissenschaftssoziologie und forschung, soziale Ungleichheit, poststrukturalistische Subjekttheorien; zuletzt: Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt a.M. 2005; Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, hg. mit Gabriele Dietze, Königstein 2006; Transformationen von Wissen, Mensch und Geschlecht. Transdisziplinäre Interventionen, hg. Mit Irene Dölling, Dorothea Dornhof, Karin Esders und Corinna Genschel, Königstein 2007; Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie, Wiesbaden 2007. Juliane Jacobi,, geb. 1946, lehrt Historische Pädagogik an der Universität Potsdam. Sie veröffentlichte zuletzt: Martin Buber Werkausgabe Bd. 8. Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert, Gütersloh 2005. Elementar- und Berufsbildung der Mädchen im halleschen Waisenhaus (1695-1769), in: Hanschmidt, Alwin/Musolff, Hans-Georg (Hg.), Elementarbildung und Berufsausbildung 1450-1750. Köln/Weimar/Wien 2005, S. 225-246. »Entzauberung der Welt« oder »Rettung der Welt«. Mädchen- und Frauenbildung im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (2006) Heft 2, S. 171-186. »Zwischen christlicher Tradition und Aufbruch in die Moderne«. Das Hallesche Waisenhaus im bildungsgeschichtlichen Kontext, (Hg.) [Hallesche Forschungen Bd. 22], Tübingen 2007. Helga Kelle, Dr. phil., ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt schulische und außerschulische Bildungsprozesse von Kindern an der J.-W.-Goethe-Universität Frankfurt a.M. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kindheits-, Geschlechter- und Schulforschung sowie Methoden und Methodologie qualitativer Sozialforschung. Neuere Veröffentlichungen: Ganz normale Kinder. Heterogenität und
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Standardisierung der kindlichen Entwicklung. Weinheim: Juventa 2008 (Hg. zus. mit Anja Tervooren); Bildungsgeschichten. Geschlecht, Religion und Pädagogik in der Moderne. Festschrift für Juliane Jacobi. Köln: Böhlau 2006 (Hg. zus. mit Meike Baader und Elke Kleinau).«Altersgemäße Entwicklung« als Maßstab und Soll. Zur praktischen Anthropologie kindermedizinischer Vorsorgeuntersuchungen. 52. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik (2007), S. 96-108. »Ganz normal«: Die Repräsentation von Kinderkörpernormen in Somatogrammen. Eine praxisanalytische Exploration kinderärztlicher Vorsorgeinstrumente. Zeitschrift für Soziologie (ZfS) 36. 3 (2007), S. 199-218. Gudrun-Axeli Knapp, Professorin am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Leibniz Universität Hannover. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Sozialpsychologie der Geschlechterdifferenz, Soziologie des Geschlechterverhältnisses, Ungleichheit/Intersektionalität. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Entwicklungen feministischer Theorie und Fragen der Interferenz von Klasse, Geschlecht, Ethnizität. Jüngere Buchpublikationen u.a. mit Angelika Wetterer (Hg.), Soziale Verortung der Geschlechter. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik, Münster 2002 (2. Auflage 2002) und Dies. (Hg.), Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II, Münster 2003. Silvia Kontos, Dr. phil., Professorin für Sozialwissenschaft an der Fachhochschule Wiesbaden. Fachliche Leiterin des GFFZ (Gemeinsames Frauenforschungszentrum der Hessischen Fachhochschulen); 2003 Visiting Fellow beim IWM Wien. Veröffentlichungen u.a.: Die Partei kämpft wie ein Mann. Zur Frauenpolitik der KPD 1918-1933, Frankfurt a.M. 1979; »Brüche – Aufbrüche – Einbrüche«, in: Joachim Beerhorst/Alex Demirovic/Michael Guggemos (Hg.), Kritische Theorie im gesellschaftlichen Strukturwandel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004; Endbericht des Projekts ›Männer als Minderheit‹ (zusammen mit Michael May), Wiesbaden 2007. Susanne Maurer, Jahrgang 1958, Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sozialpädagogik an der Universität Marburg. Forschungsgebiete: Frauen- und Geschlechtergeschichte der Sozialen Arbeit, Feministische Wissenschafts- und Erkenntniskritik, Soziale Bewegungen (insbesondere Frauenbewegungen), soziale Konflikte und gesellschaftliches Gedächtnis. Letzte Veröffentlichungen: Soziale Arbeit zwischen Aufbau und Abbau (mit B.Bütow/K.A.Chassé), Wiesbaden 2006; Goevernementalität und Erziehungswissenschaft (mit Susanne Weber), Wiesbaden 2006. Claudia Opitz, Dr. Phil., geb. 1955. Studium der Geschichte, Germanistik und Soziologie in Konstanz und Paris; Promotion 1985; Habilitation 1991.
AUTOR/-INNEN | 263
1991-1994 Universitätsprofessorin für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. Seit 1994 Ordentliche Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Basel. Wiss. Beirätin u.a. für die Feministischen Studien und für die französische historische Zeitschrift »Clio«; Mit-Koordinatorin des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit. Seit 2004 Forschungsrätin beim Schweizerischen Nationalfonds. Forschungsschwerpunkte: Frauen- und Geschlechtergeschichte der frühen Neuzeit, Französische Geschichte, Aufklärungsforschung, Geschichte der Politischen Theorie, Theorie und Methodik der Geschlechtergeschichte. Veröffentlichungen u.a.: Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Münster u.a. 2002; Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen 2005; Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2006. Weitere Informationen unter www.histsem.unibas.ch. Karin Priem, Dr., Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Arbeitsschwerpunkte: Historische Bildungsforschung, Disziplin- und Wissenschaftsgeschichte, Biographieforschung. Verööfentlichungen zuletzt: Erziehung un dshcule im kulturellen Gedächtnis, in: Liedtke/Matthes/Miller-Kipp: Erfolg oder Misserfolg? Urteile und Bilanzen in der Historiographie der Erziehung, Bad Heilbrunn 2004; »In fremden Kleidern« – Autobiographie und Materialität der dinge, in: Rieger-Ladich/Koller: Grenzgänge. Pädagogische Lektüren literarischer Texte, Bielefeld 2005. Barbara Rendtorff, Dr. phil. habil., z.Zt. Vertretungsprofessorin für Schulpädagogik/Sekundarstufe an der Universität zu Köln. Lange Jahre Mitarbeiterin in einer autonomen Frauen-Bildungs-Einrichtung, dann nach der Habilitation Vertretungs- und Gastprofessorin an verschiedenen Universitäten. Arbeitsschwerpunkte: Theorie der Geschlechterverhältnisse; Tradierung von Geschlechterauffassungen in Kindheit, Schule und Jugendalter; Veröffentlichungen zuletzt: Erziehung und Geschlecht, Kohlhammer 2006. www.Barbara-Rendtorff.de Birgit Sauer, Dr. phil., Politikwissenschaftlerin, Univ.-Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Gastprofessorin an der Kon-Kuk-Universität in Seoul/Korea, an den Universitäten Klagenfurt/ Österreich, Mainz/Deutschland und an der Florida Atlantic University/ USA. Forschungsschwerpunkte: Politik der Geschlechterverhältnisse, Gender und Governance/Critical Governance-Studies, Staats-, Demokratie und Institutionentheorien sowie vergleichende Policy-Forschung. Jüngste Publikation: Politikwissenschaft und Geschlecht. Konzepte – Verknüpfungen – Perspektiven, Wien (UTB/WUV), 2004, hg. mit Sieglinde Rosenberger
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und Gendering the State in the Age of Globalization, Rowman and Littlefield 2007, hg. mit Melissa Hausmann. Pia Schmid, geb. 1951 in Leipzig, seit 1993 Professorin für Historische Erziehungswissenschaft an der Universität Halle. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Geschichte von Erziehung und Bildung, besonders des 18. Jahrhunderts; Geschlechtertheorien und Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit; historische Kindheitsforschung; Herrnhuter Brüdergemeine als pädagogische Landschaft; (Auto)Biographik, Religion und Genese von Subjektivität. Veröffentlichungen: Kinderkultur als Forschungskonstrukt. Ein Ereignis aus dem Jahr 1727, in: Zeitschrift für Pädagogik. 52. Jg. 2006, H. 1, S. 127-148; Pädagogik im Zeitalter der Aufklärung, in: Harney, Klaus/Krüger, Heinz-Hermann (Hg.), Einführung in die Geschichte der Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit. 3., erw. u. akt. Aufl. Opladen 2006, S. 15-36.
Gender Studies Elke Frietsch, Christina Herkommer (Hg.) Nationalsozialismus und Geschlecht Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, »Rasse« und Sexualität im »Dritten Reich« und nach 1945 Mai 2008, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-854-4
Marie-Luise Angerer, Christiane König (Hg.) Gender goes Life Die Lebenswissenschaften als Herausforderung für die Gender Studies April 2008, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-832-2
Gabriele Dietze Weiße Frauen in Bewegung Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken April 2008, ca. 450 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-517-8
Paula-Irene Villa (Hg.) Schön Normal Sozial- und kulturwissenschaftliche Blicke auf somatische Selbsttechnologien April 2008, ca. 250 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-889-6
Sigrid Adorf Operation Video Eine Technik des Nahsehens und ihr spezifisches Subjekt: die Videokünstlerin der 1970er Jahre März 2008, 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-797-4
Ines Kappert Der Mann in der Krise oder: Eine konservative Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur März 2008, ca. 232 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-897-1
Uta Fenske Mannsbilder Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960 März 2008, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-849-0
Christine Thon Frauenbewegung im Wandel der Generationen Eine Studie über Geschlechterkonstruktionen in biographischen Erzählungen Februar 2008, ca. 400 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-845-2
Rita Casale, Barbara Rendtorff (Hg.) Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung Februar 2008, 266 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-748-6
Katrin Oltmann Remake | Premake Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960 Februar 2008, ca. 336 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-700-4
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Gender Studies Ursula Mıhçıyazgan Der Irrtum im Geschlecht Eine Studie zu Subjektpositionen im westlichen und im muslimischen Diskurs
Ulrike Brunotte, Rainer Herrn (Hg.) Männlichkeiten und Moderne Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900
Januar 2008, 290 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-815-5
2007, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-707-3
Sylvia Pritsch Rhetorik des Subjekts Zur textuellen Konstruktion des Subjekts in feministischen und anderen postmodernen Diskursen
Daniel Devoucoux Mode im Film Zur Kulturanthropologie zweier Medien
Januar 2008, 514 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN: 978-3-89942-756-1
Margarete Menz Biographische Wechselwirkungen Genderkonstruktionen und »kulturelle Differenz« in den Lebensentwürfen binationaler Paare Januar 2008, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-767-7
Ute Frietsch, Konstanze Hanitzsch, Jennifer John, Beatrice Michaelis (Hg.) Geschlecht als Tabu Orte, Dynamiken und Funktionen der De/Thematisierung von Geschlecht 2007, 270 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-713-4
2007, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-813-1
Anette Dietrich Weiße Weiblichkeiten Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus 2007, 430 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-807-0
Sven Glawion, Elahe Haschemi Yekani, Jana Husmann-Kastein (Hg.) Erlöser Figurationen männlicher Hegemonie 2007, 218 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-733-2
Corinna Tomberger Das Gegendenkmal Avantgardekunst, Geschichtspolitik und Geschlecht in der bundesdeutschen Erinnerungskultur 2007, 362 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-774-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Gender Studies Marit Cremer Fremdbestimmtes Leben Eine biographische Studie über Frauen in Tschetschenien
Carmen Leicht-Scholten (Hg.) »Gender and Science« Perspektiven in den Naturund Ingenieurwissenschaften
2007, 204 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 978-3-89942-630-4
2007, 188 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 978-3-89942-674-8
Tanja Maier Gender und Fernsehen Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft
Lutz Hieber, Paula-Irene Villa Images von Gewicht Soziale Bewegungen, Queer Theory und Kunst in den USA
2007, 280 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-689-2
Nadja Sennewald Alien Gender Die Inszenierung von Geschlecht in ScienceFiction-Serien 2007, 314 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-805-6
Claudia C. Ebner Kleidung verändert Mode im Kreislauf der Kultur 2007, 170 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-618-2
Marion Mangelsdorf Wolfsprojektionen: Wer säugt wen? Von der Ankunft der Wölfe in der Technoscience 2007, 312 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-735-6
Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film Zum Verhältnis von Gender und Medium 2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-563-5
2007, 262 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-504-8
Ingrid Hotz-Davies, Schamma Schahadat (Hg.) Ins Wort gesetzt, ins Bild gesetzt Gender in Wissenschaft, Kunst und Literatur 2007, 310 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-595-6
Marion Hövelmeyer Pandoras Büchse Konfigurationen von Körper und Kreativität. Dekonstruktionsanalysen zur Art-Brut-Künstlerin Ursula Schultze-Bluhm 2007, 284 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-633-5
Bettina Bock von Wülfingen Genetisierung der Zeugung Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte 2007, 374 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-579-6
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Gender Studies Jürgen Martschukat, Olaf Stieglitz (Hg.) Väter, Soldaten, Liebhaber Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader
Ursula Link-Heer, Ursula Hennigfeld, Fernand Hörner (Hg.) Literarische Gendertheorie Eros und Gesellschaft g3ei Proust und Colette
2007, 432 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-664-9
2006, 288 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-557-4
Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch Gesten des Zeigens Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen
Alice Pechriggl Chiasmen Antike Philosophie von Platon zu Sappho – von Sappho zu uns
2007, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-580-2
2006, 188 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-536-9
Sabine Grenz, Martin Lücke (Hg.) Verhandlungen im Zwielicht Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart 2006, 350 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-549-9
Constanze Bausch Verkörperte Medien Die soziale Macht televisueller Inszenierungen 2006, 250 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-593-2
Bettina Mathes Under Cover Das Geschlecht in den Medien 2006, 186 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-534-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de