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German Pages 398 Year 2019
Anna Karin Männliche Hauptfiguren im Tristan Gottfrieds von Straßburg
Lingua Historica Germanica
Studien und Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Herausgegeben von Stephan Müller, Jörg Riecke, Claudia Wich-Reif und Arne Ziegler
Band 20
Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte e.V.
Anna Karin
Männliche Hauptfiguren im Tristan Gottfrieds von Straßburg Charakterisierung, Konstellation und Rede
Die Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 als Dissertation unter dem Titel „Figurencharakterisierung, Figurenrede und Figurenkonstellation der männlichen Hauptfiguren in Gottfrieds von Straßburg Tristan“ an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhems-Universität Bonn eingereicht und für die Drucklegung überarbeitet.
ISBN 978-3-11-057225-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-057247-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-057236-0 ISSN 2363-7951 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data wird noch eingefügt Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorbemerkungen Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2016/2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn als Dissertationsschrift angenommen. Dass diese Arbeit an der Schnittstelle zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft entstehen konnte, verdanke ich meinen Betreuerinnen, Prof. Dr. Claudia Wich-Reif und Prof. Dr. Elke Brüggen, deren Offenheit für eine interdisziplinäre Perspektive mich zur vorliegenden Studie ermutigt hat. Prof. Dr. Elke Brüggen möchte ich an dieser Stelle nicht nur dafür danken, dass sie das Thema meiner Dissertation angeregt hat, sondern vor allem auch dafür, dass sie schon während meiner Studienjahre wesentlich zu meiner Liebe für die mittelhochdeutsche Sprache beigetragen hat. Meiner Doktormutter Prof. Dr. Claudia Wich-Reif gilt ein besonders herzlicher Dank, der weit über die Betreuung meiner Dissertation hinausgeht. Du hast nicht nur meinen wissenschaftlichen Weg begleitet, sondern bist mir Mentorin und Freundin geworden. Für zahlreiche Gespräche, deine Offenheit, konstruktive Kritik und den Spaß, den wir (auch und gerade im gemeinsamen Arbeiten) hatten, danke ich dir von Herzen. Für die Aufnahme in die Reihe Lingua Historica Germanica danke ich den Herausgebern, Prof. Dr. Stephan Müller, Prof. Dr. Jörg Rieke, Prof. Dr. Claudia Wich-Reif und Prof. Dr. Arne Ziegler sowie der Gesellschaft für Germanistische Sprachgeschichte e.V. An dieser Stelle möchte ich auch meinen Lektorinnen, Dr. Elisabeth Kempf und Maria Zucker vom de Gruyter-Verlag, herzlich danken. Ohne die Hilfe und Geduld meiner Familie, Freunde und Kollegen hätte die Arbeit nicht entstehen können. Für die kritische, konstruktive und manchmal auch sehr lustige Auseinandersetzung mit meiner Arbeit sowie die zahlreichen Korrekturen unter Zeitdruck möchte ich Christine Lafos und Dr. Dorothée Goetze danken – ich bin sehr froh, dass ich euch habe und ihr eure Zeit und eure Nerven in meine Arbeit investiert habt. Stellvertretend für meine ganze wunderbare Familie möchte ich hier vor allem meiner Mutter, Ursula Karin, danken: Du hast mich stets dazu ermutigt, meinen Interessen nachzugehen und hast mich auf meinem Weg immer unterstützt, auch und gerade, wenn es einmal schwierig wurde. Meinem Ehemann Tobias Schröter-Karin gilt natürlich ebenfalls ein besonderer Dank: Deine Geduld, deine Bereitschaft, diesen Weg gemeinsam mit mir zu gehen, dein Rückhalt und deine Liebe haben ganz entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen, vor allem aber auch dazu, dass ich immer wieder Kraft schöpfen konnte und wusste, dass ich mich auch in schwierigen Zeiten zu hundert Prozent auf dich verlassen konnte und kann. Du bist mein Lieblingsmensch. Widmen möchte ich diese Arbeit meinem Vater, Anto Karin, der viel zu früh verstorben ist: Ich weiß, was dir diese Arbeit bedeutet hätte.
https://doi.org/10.1515/9783110572476-001
Inhalt IX
Tabellenverzeichnis I
Einleitung
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Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch 11 Figurenrede Redewiedergabemodus und Charakterisierung 13 16 Dialogische und monologische Figurenrede Dialogische und halbdialogische Figurenrede 16 Monologische und halbmonologische Figurenrede 19 21 Fernkommunikation über Briefe und Boten Redeumfeld 23 26 Figurenkonstellation und Figurengebaren Figurenkonstellation im Kontext der Rede 26 Körperliche Kommunikation 32 Explizite und implizite Charakterisierung durch Figurenrede Explizit-figurale Charakterisierung durch Figurenrede 37 Implizit-figurale Figurencharakterisierung durch Figurenrede
. . . . . . . III III.I . . . . . . . . . III.II . . .. .. ..
1
37 39
45 Figurencharakterisierung durch Figurenrede Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise 47 Tristan 50 50 Tristan in der Wildnis 53 Tristan im Kontext autobiographischen Erzählens 60 Tristan im (verbalen) Kampf versus Morold Kontextübergreifende Hinweise im Redeumfeld 63 Zwischenfazit 69 Marke 73 Marke, der künec 74 Die Markefigur im Wandel 76 86 Marke im Kontext der Bettgespräche Zwischenfazit 90 92 Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede 93 Tristan 94 Tristan, daz kint Tristan am Markehof 118 Tristans Aufstieg am Markehof 119 Tristans Abstieg am Markehof 134 Tristan als Liebender 142
VIII
. .. .. .. .. . .. .. .. . . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. . IV
Inhalt
wie ich disen kampf bespreche – Tristans Kampfdialoge 170 171 Tristan versus Morgan Tristan versus Morold 179 Tristan versus Urgan 202 206 Zwischenfazit 210 Die Irlandreisen Tristans erste Irlandreise 211 Die zweite Irlandreise – Tristan als Brautwerber 223 244 Zwischenfazit 250 Fazit 261 Marke 262 daz kanstu wol, daz tuo du mir: Marke als Rezipient Tristans Markes erste Begegnung mit Tristan 262 Die Jagd 266 267 Marke als Rezipient von Tristans musikalischer Darbietung Zwischenfazit 273 276 ich wil dîn erbevater sîn – Marke als Vaterfigur Marke als erbevater 276 285 Markes Schwertleite-Rede 289 Markes Eheverzicht Die Hofintrige 292 297 Zwischenfazit Marke zwischen Herrschaftssicherung und -gefährdung 299 Die Sphäre der Heimlichkeit: Die Listen 301 315 Die Sphäre der Öffentlichkeit Zwischenfazit 329 Fazit 334 Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation 344 346 Grundlegende und übergreifende Beobachtungen Sprachliche Überlegenheits- und Hierarchiedarstellung 351 Favorit, Gönner und Gegner 356 362 Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis Quellen 368 368 Literatur Index
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368
Tabellenverzeichnis Tabelle C.: Figurencharakterisierende Bezeichnungen im inquit Tabelle : Einfach pronominale und nominale Bezeichnung im inquit Tabelle : Befehlseinleitende verba dicendi Tabelle : Berufungen auf Gott im Kampfvorfeld des Moroldkampfes Tabelle : Adressierungen in den Kampfdialogen Tabelle : Adressierung der Frauenfiguren in Irland Tabelle : Berufungen auf Gott während der Irlandreisen Tabelle : Bezüge auf höfische Werte Tabelle : Tristans Fremdsprachenkenntnisse Tabelle : Bewertung der Reden anderer Figuren Tabelle : Aufforderung zur Reflexion Tabelle : Gottesbezüge außerhalb von Gebeten Tabelle : Rat versus Konzil Tabelle : Markes Adressierungen nach Aufkommen des Gerüchtes Tabelle : Markes Reden nach Aufkommen des Gerüchtes Tabelle : Adressierungen Markes Tabelle : Reden über Tristan Tabelle : Anweisungen, Gebote, Bitten Tabelle : Conventional pairs in Markes direkten Reden Tabelle : Übersicht der Redeszenen zwischen Tristan und Marke Tabelle : Nominale Anreden Markes an Tristan Tabelle : Nominale Anreden Tristans an Marke Tabelle : Statusdefinitionen
https://doi.org/10.1515/9783110572476-002
I Einleitung Der unmittelbarste Zugang zur Charakterisierung einer Figur in der Literatur führt über ihr Reden und Gebaren, durch das sie sich zu sich selbst, zu anderen Figuren, zu den jeweiligen Situationen und insgesamt ihrer Umwelt positioniert. Jean-Paul Sartre (2012: 211) schreibt: „[C]haque parole a des retentissements. Chaque silence aussi.“ Unabhängig des ursprünglichen Kontextes erscheint diese Feststellung nicht nur für die Kommunikation im Allgemeinen, sondern speziell auch für den Bereich der narrativen Figurenrede geradezu programmatisch. Jedes Sprechen, aber auch jedes Schweigen hat maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Figur, auf die Entwicklung der Figurenverhältnisse, auf den gesamten Plot (vgl. Classen 2002: 284). Grundsätzlich kann für Figurenreden angenommen werden, dass nur das, was für die Zeichnung und Entwicklung der Figuren und der Narration relevant ist, wiedergegeben wird und teils in direkter, teils in indirekter oder berichteter Rede im Rahmen von Redeszenen dargestellt wird. Somit zählen Redeszenen, wie Miedema und Hundsnurscher (2007: 1) feststellen, „(neben descriptiones und Erzählerkommentaren) zu den wichtigsten gestalterischen Mitteln, die dem Autor eines literarischen Textes zur Verfügung stehen.“ Nicht zuletzt diesem Umstand ist es geschuldet, dass der Forschungsbereich der ‚Figurenrede‘ in der Mediävistik und in der historischen Sprachwissenschaft in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt hat. Dieser Teilbereich der relativ jungen Disziplin der historischen Dialogforschung, der sich mit Redeszenen in fiktionalen wie nicht-fiktionalen Texten beschäftigt, zeigt sich in einer Reihe neuerer Publikationen. Noch in seiner 2005 erschienenen Einführung „Historische Dialogforschung“ beschreibt Jörg Kilian (2005: IX) den gesamten Forschungszweig als ein Wagnis, das er u. a. darin begründet sieht, „dass es eine ‚Historische Dialogforschung‘ als anerkannte Teildisziplin der germanistischen Linguistik und als Dach der mittlerweile überaus zahlreichen Einzeluntersuchungen noch gar nicht gibt, diese Disziplin vielmehr zu begründen ist.“ Nine Miedema und Franz Hundsnurscher stellen in der Einleitung zu ihrem 2007 publizierten Sammelband „Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik“ fest, dass die von Kilian angesprochenen Einzeluntersuchungen „sich nur in Einzelfällen auf Texte des Mittelalters [beziehen]“ (Miedema/Hundsnurscher 2007: 6). Exemplarisch für die Auseinandersetzung mit fiktionalen Texten sei hier auf Alexander Schwarz‘ 1984 erschienene Habilitationsschrift „Sprechaktgeschichte. Studien zu den Liebeserklärungen in mittelalterlichen und modernen Tristandichtungen“ verwiesen, die es sich zum Ziel setzt, „der Sprechakttheorie eine historische Dimension zu verleihen und damit eine neue wissenschaftliche Praxis zu begründen, die Sprechaktgeschichte als Vergleich der pragmalinguistischen Interpretation vieler Texte.“ (Schwarz 1984: 2; Unterstreichungen im Original). Seit den 2000er Jahren lässt sich ein Anstieg des Forschungsinteresses gerade auch an literarischen Redeszenen feststellen, wobei ganz unterschiedliche Schwerpunkte und Zugänge zu den Redeszenen gewählt werden. In seiner 2002 veröffentlichten Dissertationsschrift zur https://doi.org/10.1515/9783110572476-003
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I Einleitung
„Kommunikation in Wolframs Parzival. Eine Untersuchung zur Form und Funktion der Dialoge“ nutzt Andreas Urscheler Wilhelm Frankes (1986; 1990) Dialogtypologie, um auf dieser Basis für die Dialoge im Parzival eine Dialogtypologie zu entwerfen, die insgesamt der Analyse von Dialogen in mittelhochdeutscher Epik zugrundegelegt werden kann. Ebenfalls mit den Texten Wolframs befasst sich Martin Schuhmanns 2008 publizierte Dissertation mit dem Titel „Reden und Erzählen. Figurenrede in Wolframs Parzival und Titurel“, die einen Fokus auf die Funktion von Figurenreden für die Charakterisierung der Figur, für die Narration selbst, für die perspektivische Darstellung wichtiger Themen innerhalb der Handlung, den Vergleich zwischen Wolfram und Chrétien und für den Erzähler legt. Einen in Methodik und Werkauswahl sehr breit gewählten Zugang zur historischen Dialogforschung legt Anja Becker 2009 mit ihrer Dissertation „Poetik der wehselrede. Dialogszenen in der mittelhochdeutschen Epik um 1200“ vor, in der sie nicht nur versucht, für Redeszenen den Begriff der wehselreden einzuführen,¹ sondern sich in ihren Analysen mit dem Stil, der Struktur, der historischen Diskursanalyse und der anthropologisch-ontologischen Analyse der Reden auseinandersetzt. In der seit 2011 erscheinenden Reihe „Historische Dialogforschung“ werden ebenso Sammelbände wie Monographien mit unterschiedlichen Schwerpunkten herausgegeben. Bislang sind drei Bände erschienen, zwei Sammelbände zu den Themen „Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven“ (2011) und „Sprechen mit Gott. Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende“ (2013). Der dritte, 2016 als Monographie von Teresa Cordes unter dem Titel „Die Redeszenen in Chrétiens ‚Chevalier de la Charrete‘, in Ulrichs ‚Lanzelet‘ und im ‚Prosalancelot‘. Eine narratologische und sprachpragmatische Untersuchung“ publizierte Band, untersucht in komparatistischer Perspektive die Lancelotromane des deutschen und französischen Mittelalters. Gemein ist den vorgestellten Publikationen ihre interdisziplinäre Ausrichtung und Offenheit. Diese kann sich in einer „konsequente[n] Verknüpfung sprach- und literaturwissenschaftlicher Methoden“ (Miedema/Hundsnurscher 2007: 5) ebenso manifestieren wie in einer Verbindung verschiedener „linguistische[r] Teildisziplinen“ (Kilian 2005: IX), dem Einbezug kommunikationswissenschaftlicher Arbeiten und komparatistischer Perspektiven, der Verbindung und Nutzbarmachung von Theorien mit gegenwartssprachlicher Ausrichtung für ältere Sprachstufen. Nicht zuletzt spielt ein epochenspezifischer Blick in die benachbarten Disziplinen wie u. a. die Geschichts-, Kultur-, Rechts- und Religionswissenschaften grundsätzlich immer auch eine Rolle im Umgang mit historischen Quellen. Die Offenheit für die Verbindung unterschiedlicher Methoden ist Chance und Gefahr zugleich. Schaut man in den wissenschaftlichen Diskurs, der hier stellvertretend durch einige Rezensionen repräsentiert werden soll, wird deutlich, dass das, was in der Regel moniert wird, der Miedema (2011: 347) bezweifelt die Durchsetzungsfähigkeit dieses terminologischen Vorstoßes: „Abgesehen von der eigenwilligen Neudefinition des linguistisch bereits anders besetzten Begriffs turn lässt der Definitionsversuch dadurch an Transparenz vermissen, dass für keinen einzigen Text gezeigt wird, welche Szenen dieser Definition entsprechend als wehselreden zu bezeichnen wären.“
I Einleitung
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theoretisch-methodische Unterbau der monographischen Arbeiten ist. So streicht Wenzel (2004: 528) für Urschelers Dissertation die Gefahr des „modernen Vorurteils“ heraus, da „moderne Theorien und eigene Wissensformen […] einen ersten Zugang zum historisch Anderen eher verstellen als ermöglichen.“ Miedema (2011: 347; 350) konstatiert für Beckers Studie eine Disparatheit des methodischen Gesamtkonzepts und einen wenig überzeugenden theoretischen Anspruch, Becker (2011: 355) wiederum unterstellt Schuhmanns Studie fehlendes Potential, das sie auf harsche Weise mit dem fehlenden theoretischen Unterbau begründet: „Sie will fast schon rührend naiv einfach n u r interpretieren, n u r verstehen.“ Wie aber sieht nun ein Zugang zur Figurenrede aus, der der Analyse des Gegenstands gerecht wird, ihr weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an und am besten auch nicht die falsche Theorie zugrunde legt? Eine einfache und allgemeingültige Antwort auf diese Frage wird es nicht geben, Chance und Gefahr bleiben nebeneinander bestehen und das Verständnis für den Wert einer Methode bleibt abhängig von der Zielsetzung der Arbeit. Sollen die Texte dazu dienen, eine – vielleicht aus der gegenwartssprachlichen Praxis bekannte oder auch erst neue entwickelte – Methode auch für die historische Sprach- und Literaturwissenschaft zu etablieren? Oder soll die Methode in erster Linie dazu dienen, zu einem Verständnis des Textes oder etwa zur Figurenrede allgemein beizutragen? Und ist das Anliegen, einen Beitrag zu einem besseren Textverständnis leisten zu wollen, tatsächlich als naiv zu bewerten? In der vorliegenden Arbeit soll die Analyse der Figurenrede einen neuen Zugang zu den männlichen Hauptfiguren in Gottfrieds von Straßburg Tristan ermöglichen. Reuvekamp (2012: 52, Anm. 2) hält fest, dass anders als etwa „Erzählerfiguration, Erzählführung, Handlungsstrukturen, Bauformen und Gliederung von Texten, Zeit- und Raumdarstellung, poetologische Exkurse [und] intertextuelle Verknüpfungstechniken“ die „Technik der Figurendarstellung“ ein Desiderat der mediävistischen Forschung darstellt. Hierbei mangelt es nicht nur an „eine[r] Verständigung über die wesentlichen Beschreibungskriterien […], sondern es fehlt als Grundlage dafür eine Forschungsdiskussion, die eine solche Verständigung vorbereiten könnte“ (ebd.). Grundlegend für die Auseinandersetzung mit literarischen Figuren sind Ralf Schneiders 2000 erschienene Studie „Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans“ sowie Fotis Jannidis‘ (2004) Habilitationsschrift „Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie“. Beide Studien können einem Feld kognitionswissenschaftlich ausgerichteter Narratologie zugerechnet werden und begreifen Figuren als „textbasierte mentale Modelle, die in der narrativen Kommunikation im Zusammenspiel von Textinformationen und Personenvorstellungen des Rezipienten aufgebaut, erweitert und verändert werden“ (Reuvekamp 2014: 113). Einen Überblick über die Forschung zur literarischen Figur bietet nicht nur der 2010 erschienene, von Jens Eder, Fotis Jannidis und Ralf Schneider herausgegebene Sammelband „Characters in fictional worlds“, sondern auch insbesondere der von den Herausgebern gemeinsam verfasste gleichnamige Leitartikel in dem Band. Im Kontext der mediävistischen Germanistik ist für die Untersuchung von Figuren v. a. die Studie „Die Isolde-Weißhand-Gestalten im Wandel des Tristanstoffs“
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I Einleitung
von Ute Nanz (2010) hervorzuheben und überdies die Aufsätze von Silvia Reuvekamp (2012, 2014), die sich mit der Normativität der Figurenpoetik sowie der Frage, ob auch Figuren in mittelalterlicher Literatur als mentale Modelle verstanden werden können, auseinandersetzt. Markus Stock setzt in seinem 2007 erschienenen Beitrag zu „Lähelin“ den Fokus auf die sinnkonstituierende Funktion von Nebenfiguren und entfaltet 2010 in seinem Aufsatz „Figur: Zu einem Kernproblem historischer Narratologie“ die Frage nach der „Konturierung der Figur im höfischen Roman“ (Stock 2010: 188). Er erarbeitet beispielhaft am Erec-Roman Hartmanns von Aue, dass Figuren, obschon lange Zeit ausschließlich als „sekundär“, „Orientierungsgröße innerhalb der Handlung“ und „Oberflächenphänomen (ebd.: 189) betrachtet, mitnichten „statische Handlungsträger (existents)[!] deren Rolle vor allem darin besteht, das nächste Strukturereignis (event) zu ermöglichen“ (ebd.: 203), sind, sondern dass Figuren durchaus „selbst zum entscheidenden Ereignis“ (ebd.) werden können. Dass die Figurenauswertung ein Desiderat der Tristan-Forschung ist, macht Tomasek (2007: 100) in seiner Monographie über Gottfried explizit:² Auch wenn bereits mehrere Monographien über die Darstellung der Gestalten in Gottfrieds „Tristan“ […], die „Nebenfiguren“ […] oder die „Isoldegestalten“ sowie zahlreiche Einzelstudien vorliegen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine umfassende Auswertung der Figuren(konstellation) im „Tristan“ noch aussteht, wobei insbesondere das Verhältnis von personalen und schemabezogenen Aspekten […] bei der Figurenbehandlung zu untersuchen wäre.
Die Figurenrede als „ein[ ] narrative[s] Phänomen […], das zu den Grundkonstanten des Erzählens zu gehören scheint“ (Miedema 2010: 37), ist der Teilaspekt der Figurendarstellung, der meines Erachtens den wichtigsten Zugang zu einem umfassenden Verständnis der Figuren liefert. Gerade das kommunikative Handeln bestimmt den Eindruck, den nicht nur die Interaktanten innerhalb der Narration voneinander gewinnen, sondern den auch die Rezipienten von einer Figur erhalten; es ist eine Vermittlung figurenbezogener Informationen quasi aus erster Hand, aus der Perspektive der Figur selbst. Hierbei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei Figurenrede grundsätzlich um eine Art ‚verschobener‘ Erzählerrede handelt (vgl. Schuhmann 2008: 19 – 20), „die der Figurencharakterisierung ebenso dient wie der Kommunikation zwischen Werk und Rezipient“ (Karin 2014: 76).³ Die Wahrnehmung jedoch ist eine andere, vermitteln Figurenreden doch den Eindruck „eine[r] fremde[n]
Die Forschungslage zum Tristan bringt Classen (2002: 279) auf den Punkt: „Die Forschungsliteratur zu Gottfrieds von Straßburg Tristan ist mittlerweile so zur Legion geworden, und desgleichen die Fülle von interpretativen Thesen, methodologischer, inhaltlicher, ideologischer, stilistischer und komparatistischer Art, die bezüglich dieses Textes entwickelt worden sind, daß man sich heute kaum noch einen Überblick zu verschaffen vermag.“ Somit ist immer eine doppelte Adressierung anzunehmen, da der Text an sich ein dialogisches Medium ist: „Sprachverwendung ist immer gerichtet an einen Kommunikationspartner, sei er nun real anwesend oder nur gedacht oder der Sprecher selbst. In diesem Sinn sind alle Texte funktional dialogisch, auch wenn sie nicht immer formal dialogisch realisiert werden.“ (Weigand 1986: 118).
I Einleitung
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Rede im Erzählfluss“ (Schuhmann 2008: 13). Entsprechend spielen Figurenreden in den meisten literaturwissenschaftlichen Textanalysen zumindest eine Rolle für die Betrachtung unterschiedlichster Themenstellungen, in denen etwa die Position der Figur zum Untersuchungsgegenstand von Relevanz ist. Die Reden als Reden selbst stehen hierbei aber in der Regel weniger im Mittelpunkt, sie sind häufig einer anderen Themenstellung untergeordnet und werden stärker als Teil- denn als Hauptaspekt in die Analysen einbezogen. Hier nun soll ein Versuch unternommen werden, das Potential einer durchgehenden Betrachtung von Figuren im Kontext ihrer Reden auszuschöpfen und ein Bild der Figuren aus ihren Reden zu entwerfen. Hierzu wähle ich bewusst einen engen Zuschnitt, indem ich mich mit Gottfrieds Tristan auf ein Werk beschränke und mit Tristan und Marke auf zwei Figuren konzentriere. Diese Eingrenzung ist dem Ziel der Arbeit geschuldet: Für Tristan und Marke soll eine umfassende Charakterisierung durch die Auswertung ihrer Reden erstellt werden, so dass nicht nur Schlaglichter auf den Umgang der Figuren mit ihrer Sprache geworfen werden, sondern ein möglichst durchgängiges Bild gezeichnet werden kann. Die Beschränkung auf zwei Figuren ermöglicht es, diesen gerecht zu werden und sie in den wichtigsten Kontexten, in denen sie sprachlich agieren, eingehend analysieren zu können.⁴ Die Wahl Tristans und Markes ist einerseits ihrer besonderen Konstellation geschuldet, andererseits der Tatsache, dass durch diese beiden Figuren die wichtigsten Episoden im Tristan nach der Elternvorgeschichte⁵ abgedeckt sind und sie wiederum in unterschiedlichen Konstellationen gezeigt werden, so dass trotz der Beschränkung ein verhältnismäßig breiter Blick auf die gesamte Narration und somit auch auf das Spektrum von Reden in unterschiedlichen Kontexten möglich ist. Hinzu kommt, dass das Figurenpaar den größten Wandel in der Narration durchläuft und spätestens ab dem Eintritt Isoldes in die Konstellation beide Figuren als Rivalen wahrgenommen werden und ihr Verhalten in den Fragen um Schuld und Unschuld immer wieder gegeneinander abgewogen und bewertet wird (vgl. Kern 1988). Dabei muss sich vor allem Marke an Tristan messen lassen. Die beiden Männerfiguren werden sprachlich als different wahrgenommen, regelrecht als Gegenpole: Da, wo Tristans Sprechen als außergewöhnlich, innovativ, manipulativ und aktiv erscheint, wirkt Markes Sprache begrenzt, konventionell und reaktiv (vgl. Jacobson 1987: 248). Jedoch ist nicht nur die Wahrnehmung der beiden Figuren in ihrer Sprache grundverschieden, sondern es sind auch die Kontexte, in denen sie sprachlich in Erscheinung treten. Bleibt Marke im Grunde während der gesamten Narration an seinen Hof gebunden und kommuniziert ausschließlich in dessen Radius und mit anderen der höfischen Sphäre zugeordneten Figuren, wird Tristan in ganz unterschiedlichen räumlichen wie sozialen Umfeldern gezeigt. Tristans Ein komparatistischer oder auch stoffgeschichtlicher Vergleich soll hier keine Rolle spielen, sondern es geht mir darum, stringent innerhalb der Gottfried’schen Tristan-Version herauszuarbeiten, wie Tristan und Marke durch ihre Reden charakterisiert werden. Zwar ist Marke auch Teil der Elternvorgeschichte, tritt dort aber sprachlich noch nicht in Erscheinung.
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I Einleitung
Interaktionsradius verlangt von ihm und ermöglicht ihm gleichermaßen eine andere Variabilität als Marke, und Tristan schafft sich immer wieder neue Redeanlässe, durch die er diverse Facetten seines Sprachvermögens vorführen kann, mal als Schöpfer, Konstrukteur und Erzähler seiner eigenen Herkunftsgeschichten (vgl. Schausten 2001), mal als Initiator von Kämpfen, fast immer als Selbstdarsteller. Die unterschiedlichen Situationen bestreitet Tristan in unterschiedlichen Rollen, die teils mit Maskeraden und Identitätswechseln einhergehen. Es ergibt sich die Annahme, dass Tristans Sprachfertigkeit seine wahrscheinlich herausragendste Fähigkeit ist, mit der er andere Figuren und so das gesamte Handlungsgefüge maßgeblich beeinflusst. König Marke hingegen bleibt schlussendlich immer König Marke, egal, wie weit seine Rolle angereichert werden mag, egal, ob er gerade als vorbildlicher Herrscher oder schwankender König vorgeführt wird.⁶ Marke, so eine These, ist die Schilderung des genuin Höfischen – mit seinen positiven wie negativen Seiten – und bleibt diesem verhaftet, während Tristan ein Grenzgänger zwischen den Sphären ist, die Inkarnation höfischer Idealität ebenso wie ein „gemischter Charakter“ (Brunner 2011: 78), der sich selbst teils durch seine erzählte Herkunft als randhöfische Figur inszeniert und somit nicht nur mit Figuren unterschiedlicher Provenienz interagiert, sondern selbst als Figur mit divergierendem Hintergrund handelt und vorgeblich unterschiedlichen Sphären entstammt. Marke und Tristan sind in einer besonderen Konstellation miteinander verbunden. Ihr Verhältnis wächst innerhalb der Narration erst stückweise, um dann mit dem Eintritt Isoldes in die Konstellation ebenfalls stückweise zu zerbrechen. Gerade Marke wird, so meine These, so sehr auf Tristan bezogen und bezieht sich selbst so stark auf diesen, dass eine Charakterisierung Markes unabhängig von Tristan nicht möglich ist. Auch für Tristan bilden Marke und sein Hof über einen langen Zeitraum, „bis zur großen Zäsur des Minnetranks“ (Barandun 2009: 15), den steten Bezugspunkt seines Handelns. Die große Verschiedenheit auf der einen Seite, das Aufeinanderbezogensein auf der anderen prädestiniert beide Figuren für eine Analyse, die sowohl die Einzelfiguren als auch die Figuren innerhalb der gemeinsamen Konstellation und den Einfluss der Sprache auf diese in den Blick nehmen will. Denn Figurenrede und Figurenkonstellation bedingen sich gegenseitig: Die Konstellation erst ermöglicht einen Dialog der Figuren, jede Rede wiederum hat einen Einfluss auf die Entwicklung der Konstellation. Somit wird die Veränderung innerhalb des Figurengeflechts nicht nur maßgeblich durch die Reden der beteiligten Figuren bestimmt und durch diese vorangetrieben, sondern sie wird sich fast zwangsläufig auch in diesen Reden, im gesamten kommunikativen Prozess innerhalb der Konstellation widerspiegeln. Im konkreten Fall von Tristan und Marke steht etwa zur Untersuchung, wie weit sich erst die Etablierung der außergewöhnlichen Männerbeziehung und dann die Wandlung des Vertrauensverhältnisses in eines aus Misstrauen, Rivalität, Betrug, aber ebenfalls
Vgl. zur „kontroverse[n] Diskussion der Gestalt Marke“ in der Forschung Hauenstein (2006: 1– 11; Zitat: 1).
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Relikten der alten Zugewandtheit auch am sprachlichen Umgang der Figuren miteinander ablesen lässt. Die Analyse der Figuren über ihre Reden birgt nicht nur für die Figuren, sondern auch für die Figurenreden einigen Erkenntniswert: Ist eine Art figurenspezifischer Sprache in einem mittelhochdeutschen Versepos mit seiner (vermeintlichen?) Einheitlichkeit, Unnatürlichkeit, sprachlichen Überformung und Formelhaftigkeit überhaupt möglich? Zeman (2013: 391) kommt etwa zu dem Schluss, dass sich „die Dialoge im Versepos aufgrund ihrer schriftlichen Fixierung und dem hohen Elaboriertheitsgrad nicht grundsätzlich von der epischen Diktion unterscheiden[.]“ Insofern ist zu fragen, welche formalen und stilistischen Mittel die Figurenrede von der Erzählerrede abgrenzen. Bleibt sie eingebunden in die Erzählerrede oder lässt sich eine eigene Stimme der Figuren erkennen, die sich von den Stimmen anderer Figuren unterscheidet? Welche sprachlichen Entwicklungen lassen sich für eine Figur beobachten? Bleibt sie in ihrer Rede grundsätzlich konstant oder lassen sich Anpassungen erkennen, etwa an die Situation, die Konstellation und die Sphäre, in der eine Figur sich aufhält? Ist im Versepos eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und heimlicher, zwischen höfischer und unhöfischer Kommunikation festzustellen (vgl. hierzu insgesamt Miedema 2007; Karin 2017)? Wenn es Besonderheiten in der sprachlichen Zeichnung einer Figur gibt, handelt es sich hierbei eher um formale oder inhaltliche Merkmale, durch die die Figur von anderen unterschieden wird? Die Charakterisierung der Figuren soll über eine deskripitve Analyse der sie betreffenden Redeszenen erfolgen. Will eine solche Form der Analyse neue Erkenntnisse hervorbringen, gerade für einen so kanonisierten Text wie den Tristan mit solch einer breiten Forschungslage im Hintergrund, ist die Nähe zum Text grundlegend, der genaue Blick, die Relektüre des vermeintlich Bekannten, die Offenheit für Details in scheinbar unauffälligen Passagen. Schon 1989 fordert Schröder (1989/1994: 85) nachdrücklich: „Der Philologe tut gut daran, sich zunächst einmal an den Wortlaut des Textes zu halten und ihn nicht voreilig zu ‚hinterfragen‘, um ihn aus einer Überwelt vermeintlich zu erhellen.“ Seine Forderung hat ihre Aktualität nicht verloren (vgl. Barandun 2009: 213). Entsprechend wird hier versucht, mit unverstelltem Blick auf den mittelhochdeutschen Text zu schauen. Als Basis der Untersuchung dient ein theoretischer Überblick über die verschiedenen Komponenten, die im Kontext von Redeszenen charakterisierende Informationen übermitteln können. Hierzu zählen der Redewiedergabemodus, die Realisationsart der Rede, das Redeumfeld, die Figurenkonstellation und das Figurengebaren. Schließlich soll Manfred Pfisters (112001) für das Drama konzipierte, von Martin Schuhmann (2008) für die Wolfram’sche Epik adaptierte und modifizierte Verfahren der impliziten wie expliziten Figurencharakterisierung vorgestellt und für die Analyse des Tristan nutzbar gemacht werden. Gerade die Tatsache, dass in der für das Drama konzipierten Theorie zur Charakterisierung die Rede naturgemäß im Zentrum der Analyse steht, macht diese Theorie zu einem wertvollen Instrument für die Figurencharakterisierung über die Rede.
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Bereits die Auswahl der theoretischen Fundierung macht deutlich, dass die vorliegende Studie gezielt mit einer Verknüpfung sprach- und literaturwissenschaftlicher Kriterien und Methoden arbeitet und diese im Blick auf die Redeszenen engführt. So sollen ausgewählte Redeszenen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal in Rückgriff auf die vorangestellten theoretischen Ausführungen daraufhin untersucht werden, welches Bild der Figuren sie entwerfen, wie sie zur Charakterisierung der Figuren beitragen: Die formale Untersuchung der Redeszenen ist grundlegend für die Deutung der Rede im Kontext der Figur und des Werkes, der Kontext wiederum kann konstitutiv sein für die formale Gestaltung der Redeszenen. So kann etwa jeder Entscheidung des Erzählers, eine Rede direkt oder indirekt wiederzugeben, eine Bewertung der Figur innewohnen, eine Wertung der Relevanz der Rede innerhalb der Darstellung, aber auch eine Distanzierung von den Aussagen der sprechenden Figur. Letztlich zielt jede formale wie inhaltliche Analyse, jede quantitativ-qualitative Auswertung immer auf ihren Aussagewert über die behandelte Figur und deren explizite oder implizite Charakterisierung (vgl. Pfister 112001: 250 – 261; Schuhmann 2008: 43 – 121) – potentiell sowohl kontextbezogen wie -übergreifend. Hierbei ist immer der historische Hintergund einzubeziehen, die Besonderheiten der auf Hören und Sehen (vgl. Wenzel 1995) ausgelegten höfischen Kommunikation, die sich in einer spezifischen Lexik und kommunikativen Indirektheit (vgl. Miedema 2007), einer verbalen wie nonverbalen, inhaltlichen wie formalen Kontrolliertheit und Distanzierung zeigt (vgl. Lechtermann 2003: 89). Die Analyse wird in zwei Blöcke untergliedert: In einem ersten Schritt sollen inquit-Formeln, rede- und figurenqualifizierende Hinweise sowie insgesamt das Redeumfeld für die Charakterisierung der Figuren ausgewertet werden. Hierzu zählen ebenso die Bezeichnungen der Figuren innerhalb der Redeeinleitung wie die Benennung von Redeanlässen, die Wahl spezifischer oder allgemeiner verba dicendi. Die Qualifizierung und Einordnung einer Rede durch den Erzähler ist potentiell immer auch eine Einordnung der Sprecher selbst. Gerade erweiterte inquit-Formeln dienen der Steuerung der Rezipienten, der Lenkung des Verständnisses der Reden, der Darstellung der Intention und Referenzzuweisung (vgl. Miedema/Hundsnurscher 2007: 10; Becker 2009: 29 – 33; 79 – 80). In einem zweiten Schritt sollen dann die Figurenund Gedankenreden Tristans und Markes in größeren thematischen Zusammenhängen betrachtet werden. Für Tristan werden als thematische Überbegriffe seine Kindheit, der Markehof, seine Kämpfe und die Irlandreisen gewählt: Tristans Kindheit, weil sie nicht nur den Helden gerade im Kontext seiner Sprachbegabung einführt, sondern besonders unter dem Vorzeichen, dass hier das Motiv der Identitätssuche aus der Enfances-Literatur (vgl. insgesamt Wolfzettel 1974; Schausten 2001: 28 – 29) insofern aufgegriffen, aber auch variiert wird, als Tristan seine eigene Identität nicht sucht, sondern sich sprachlich eine Identität schafft und somit den Grundstein für seine Bewährungsprobe im Exil legt. Der Markehof ist für Tristan der zentrale Ort schlechthin, er ist immer wieder Ziel und Ausgangspunkt für den Helden, aber auch der Ort seiner Entwicklung, an dem er aufsteigen, seine Identität erfahren, sein Ansehen einbüßen und schließlich im Dreieck mit Marke und Isolde leben wird. Die
I Einleitung
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Kämpfe wiederum zeigen Tristan im Kontext spezifischer Redesituationen, die als kompetitive Dialoge nicht nur die Kämpfe selbst, sondern gerade auch die Vorverhandlungen zu diesen betreffen und Tristan im argumentativen Austausch mit unterschiedlichen Gegnern zeigen (vgl. Franke 1986: 88 – 89; 1990: 63 – 68; Urscheler 2002: 224– 242), aber auch als denjenigen, der sich darum bewirbt, die rechtliche Regelung des cornisch-irischen Konfliktes zu übernehmen. Die Irlandreisen stehen im Zeichen von Tristans Kunst und List, Maskeraden und Identitäten für sich einzusetzen und diese nicht nur über sein allgemeines Gebaren und Agieren, sondern insbesondere durch seine Herkunftsgeschichten darzustellen. Schließlich spielt auf der zweiten Reise auch Tristans Rolle als Brautwerber Markes eine entscheidende Rolle, da seine Werbung nicht nur durch den Kampf gegen den Drachen, sondern aufgrund der Umstände vor allem durch sein geschicktes Sprachhandeln zustandekommen kann. Durch die Vielfalt der Redesituationen und -konstellationen, in denen Tristan als Protagonist auftritt, aber auch durch den Facettenreichtum seiner Reden und ihr Gewicht für seine Zeichnung sowie für die Entwicklung der gesamten Narration liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf Tristan, der hier in einem insgesamt breiteren und ausführlicheren Rahmen betrachtet wird als Marke. Für die Untersuchung Markes werden drei Themenschwerpunkte gewählt. Der erste Themenschwerpunkt ergibt sich aus der These, dass Marke als auf Tristan Reagierender eingeführt wird, als einer, dessen Handeln sich konsequent als Reaktion auf Tristans Handeln herausstellt. Der zweite Themenschwerpunkt zeigt Marke als Vaterfigur Tristans, eine Rolle, die sich u. a. in diversen Reden manifestiert, die den Lehrdialogen (vgl. Kästner 1978) zugerechnet werden können. Der dritte Themenschwerpunkt bezieht sich auf Markes Handeln als Reaktion auf das Gerücht des Betrugs, das ihn zwischen Herrschaftssicherung und -gefährdung und zwischen öffentlicher und heimlicher Sphäre⁷ zeigt. Ein Teil der hier behandelten Redeszenen zeigt Tristan und Marke im kommunikativen Austausch, so dass es bezüglich einiger Redeszenen zu Überschneidungen kommen kann, die aber durch die jeweils figurenbezogene Perspektive andere Aspekte der Redeszenen beleuchten. Für jede Figur wird ein eigenes Fazit erstellt, das die durch die Rede vermittelten Figureninformationen für die Charakterisierung zusammenstellt. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Kapitel zur Konstellation der Männerfiguren. Neben übergreifenden Beobachtungen zur Konstellation soll vor allem die Darstellung von Hierarchie und Überlegenheit sowie die Entwicklung der Figurenbeziehung ausgewertet werden. Hierfür wird u. a. auf einige Ergebnisse der Einzelanalysen zurückgegriffen, so dass das Kapitel insgesamt als eine resümmierende Zusammenführung beider Figuren eine kapitelübergreifende Auswertung vornimmt.
Vgl. zum Einfluss von Öffentlichkeit und Heimlichkeit auf das Herrschaftshandeln Wenzel (1988).
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I Einleitung
Die Arbeit möchte zu einem umfassenderen, differenzierten Bild der männlichen Hauptfiguren⁸ des Tristan beitragen und neue Perspektiven auf Tristan und Marke eröffnen. Diese Perspektiven, die auf den Reden der Figuren beruhen, sind vielleicht die, die den Sichtweisen der Figuren am nächsten kommen, und diese Nähe ist es, die die Untersuchung sucht: die Nähe zum Text und die Nähe zu den Figuren selbst.
Da Marke über weite Strecken Tristans konstantester Interaktionspartner und die neben Tristan am durchgängigsten geschilderte männliche Figur ist, scheint es mir legitim, diesen Begriff für das Gefüge der Männerfiguren zu verwenden, obwohl Marke grundsätzlich eine Nebenfigur ist. Zur Unterscheidung von Haupt- und Nebenfiguren vgl. Nanz (2010: 36 – 38).
II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede Literarische Figuren sind die Handlungsträger der Narration. Sie „erwecken ganz selbstverständlich den Anschein, echte Menschen zu sein. Was uns die Texte nicht über sie erzählen, vor allem über ihr Innenleben, ergänzen wir spontan aus unserem eigenen Erfahrungsschatz“ (Schulz 2015: 8). Das, was über die Figuren berichtet wird, ist begrenzt auf eine „Reihe von Merkmalen, die stellvertretend für das ‚Gesamt‘ dieser fiktiven Person stehen […]. Zugespitzt formuliert, stellen uns Texte keine Personen vor, sondern Ensembles von Zeichen, aus denen unsere Einbildungskraft die Vorstellung von Menschen erzeugt“ (Ebd.: 10 – 11, vgl. auch Eder/Jannidis/Schneider 2010: 3, 6 – 7, Reuvekamp 2014: 112). Kognitionsnarratologisch kann man mit Schneider (2000: 35 – 98) Figuren als mentale Modelle auffassen, „die in der narrativen Kommunikation im Zusammenspiel von Textinformation und Personenvorstellungen des Rezipienten aufgebaut, erweitert und verändert werden“ (Reuvekamp 2014: 113).⁹ Für die Entwicklung eines solchen mentalen Modells sind also Informationen unterschiedlichster Provenienz grundlegend, das Weltwissen des Rezipienten spielt für die Charakterisierung ebenso eine Rolle wie die im Text vergebenen Informationen über die Figur selbst, aber auch solche über die fiktionale Welt (vgl. Schneider 2000: 80). Die im Text konkret auf die Figuren bezogenen Angaben lassen sich mit Jannidis als ‚Figureninformationen‘ bezeichnen. Unter diesen Terminus fällt „[jede] im Text in Bezug auf eine Figur gegebene Information. In der erzählten Welt wird daraus eine figurenbezogene Tatsache“ (Jannidis 2004: 253; vgl. auch 198 – 207). Durch die Begrenzung der Merkmale ist für die Charakterisierung einer Figur grundsätzlich jede vergebene, potentiell auch die „beiläufigste[ ]“ (Pfister 112001: 221)¹⁰ Information relevant, besonderer Wert kommt aber der „[Teilmenge der] in der Darstellung rekurrenten oder in der erzählten Welt stabilen Merkmale“ (Jannidis 2004: 252) zu. Von Bedeutung sind für die Be- und Auswertung dieser Merkmale die Dauer der Informationsvergabe, die Menge der Informationen und ihre Häufigkeit, Ordnung und Dichte, außerdem der Kontext, in dem sie vergeben werden sowie der Figurenkontext (vgl. ebd.: 220 –221). Die Vermittlung der Figureninformationen kann durch unterschiedliche Instanzen direkt oder indirekt erfolgen, durch den Erzähler (vgl. weiterführend Schulz 2015: 367– 368), „die Figur selbst (in verbaler Äußerung oder in
Dass auch mittelalterliche Figuren als mentale Modelle aufgefasst und untersucht werden können, führt Reuvekamp (2014) überzeugend vor. Pfister (112010: 222) hält fest: „Damit soll nicht behauptet werden, daß alle Informationen zu einer Figur in einem dramatischen [oder narrativen, Anm. A. K.] Text bedeutsam sind, daß es hier keinerlei zufällige Details gibt, sondern vielmehr, daß der ideale Rezipient zunächst einmal davon ausgeht, daß jedes Detail bezeichnend und bedeutsam ist, und daß er sich erst, wenn sich keinerlei Korrelationsmöglichkeit eröffnet, dazu entschließt, es als nicht charakterisierend, sondern die Kontingenz der realen Welt imitierend aufzufassen.“ https://doi.org/10.1515/9783110572476-004
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
innerer Auseinandersetzung […]) oder andere Figuren“ (Schneider 2000: 29). Unter einer direkten Charakterisierung ist die „direkte[ ] Zuschreibung von Figureninformationen“ (Jannidis 2004: 209) zu verstehen, beispielsweise die Beschreibung Riwalins als der was […] wol an gebürte künege genôz (Tr 247– 249). Eine indirekte Charakterisierung liegt dann vor, wenn „der Text eine stabile Eigenschaft des Inneren nicht ausdrücklich nennt, sondern den Leser diese aufgrund von Beschreibungen der Handlung, der Gedanken oder der Umgebung erschließen läßt“ (ebd.: 206). In diesen Bereich fallen also sowohl beschreibende Textpassagen wie z. B. Gewand- oder Turnierdeskriptionen als auch die Darstellung von (Inter‐)Aktion(en) einer oder mehrerer Figuren. Teilweise können direkte Charakterisierungen mit indirekten einhergehen. So kann beispielsweise der Verweis auf die weiße Haut einer Dame in einem mittelalterlichen Text auf der direkten Ebene einfach eine Aussage über die Hautfarbe sein, auf der indirekten kann der Rezipient darüber hinaus auf die adlige Stellung, die Reinheit und, dem Kalokagathia-Modell folgend, auf den positiven Charakter der Dame schließen. Für die Auswertung der vergebenen Informationen für die Charakterisierung ist, wie das gegebene Beispiel deutlich macht, der Einbezug des historischzeitgenössischen gesellschaftlichen wie literarischen Horizonts relevant, das Wissen um soziale wie fiktionale Stereotype, aber auch „die nicht-fiktionalen zeitgenössischen Diskurse“ (Nanz 2010: 16). Erst auf dieser Basis sind die „Spezifika einer Gestalt“ sowie der Grad ihrer Komplexität zu ermitteln, der sich daraus ableiten lässt, inwieweit eine Figur von den „gesellschaftlichen und literarischen Stereoptypen“ abweicht oder mit ihnen übereinstimmt (vgl. ebd.: 18). Miedema (2010: 38) stellt heraus, dass „[die] Figuren […] sich als Teil der fiktionalen Welt nicht zuletzt durch ihre Rede [konstituieren]“ und die Redewiedergabe „[eines] der wichtigsten […] Mittel zur Unterscheidung des Erzählers von den intradiegetischen Figuren ist[.]“ Jannidis (2004: 210) ordnet Handlungen und sprachliches Verhalten von Figuren den Quellen der indirekten Charakterisierung zu. Die Akzentuierung des „sprachlichen Verhalten[s]“ (ebd.) macht deutlich, dass literarische Sprachhandlungen eine eigene Handlungskategorie darstellen, der für die Figurencharakterisierung eine besondere Stellung zukommt. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, was unter dem Begriff sprachliches Verhalten zu subsummieren ist. Neben konkreten Figurenäußerungen, die dialogisch oder monologisch angelegt und in unterschiedlichen Redewiedergabemodi realisiert sein können, fällt hierunter beispielsweise die (ritualisierte) Körpersprache, also Mimik, Gestik und Gebaren einer Figur, mitunter aber auch explizites Schweigen.¹¹ Über das sprachliche Verhalten der Figuren lassen sich auf unterschiedliche Weise Charakterinformationen zu den Figuren extrahieren. Diese Informationen können durch die Figur in einem Eigenkommentar selbst explizit-figural gegeben
Zum Schweigen bemerkt Classen (2002: 284): „Zugleich wird die Sprache durch bedeutungsträchtiges Schweigen unterbrochen, durch das zwar nicht-verbale Kommunikation betrieben, dennoch aber ein wesentlich sozialer und intellektueller Austausch zustande kommt.“
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werden oder müssen implizit-figural aus der Weise, wie die Figur ihre Rede formuliert, erschlossen werden (vgl. Pfister 112001: 250 – 261; Schuhmann 2008: 43 – 74). Hierbei spielen sowohl formale als auch inhaltliche Aspekte eine Rolle. Zunächst soll die Bedeutung von Redewiedergabemodus, Realisationsart der Rede und Redeumfeld für die Figurencharakterisierung in den Blick genommen werden. Weiterhin soll untersucht werden, inwiefern sich die Figurenkonstellation auf die Figurenrede auswirkt und welche Rolle die nonverbale (Mit‐)Gestaltung der Reden im Kontext der Charakterisierung spielt. Abschließend soll die von Pfister für das Drama entwickelte und von Schuhmann für die Wolframʼsche Epik modifizierte Theorie der expliziten und impliziten Charakterisierung vorgestellt und für die Analyse des Tristan angepasst werden.
1 Redewiedergabemodus und Charakterisierung Die Figurenreden als konkrete Figurenäußerungen können in unterschiedlichen Wiedergabemodi realisiert werden, wobei die Wahl von direkter Rede oder indirekter Rede bzw. Redebericht nicht nur Einfluss auf die Wahrnehmung der Rede, sondern auch auf die Art der Charakterisierung der Figur durch ihre Rede hat. Die Funktion der Charakterisierung ist im Fall einer direkten Redewiedergabe am offensichtlichsten, da durch diese die Erzählerrede¹² durch Äußerungen einer anderen Instanz vermeintlich unterbrochen wird und der Eindruck einer „fremde[n] Rede im Erzählfluss“ (Schuhmann 2008: 13 – 14) entsteht. Problematisch ist das Fehlen einer graphischen Markierung der direkten Rede in mittelhochdeutschen Texten, wobei dennoch „inhaltliche, syntaktische und morphologische Kennzeichnungen Figurenrede von der Erzählerrede unterscheiden“, so z. B. inquit-Formeln, Anreden, Tempuswechsel („episches Präteritum des Erzählers, situative Gestaltung der Figuren“) und die Deixis (vgl. ebd.: 29 – 30; Zitate: 30). Diese „Kennzeichnung [ist] nur indirekt und interpretationsbedürftig“ (ebd.: 30) und es gibt durchaus Fälle, die nicht klar zu entscheiden sind. Die direkt wiedergegebene Figurenrede suggeriert dem Rezipienten, er habe es mit einer Originaläußerung der Figur zu tun, mit einer „getreue[n] Wiedergabe [der] Rede“ (Yeandle 2011: 95), hinter die die Perspektive des Erzählers zurücktritt.¹³ Genette (2010:
Teilweise wird direkte Rede auch innerhalb direkter Figurenrede wiedergegeben, wenn eine Figur Äußerungen einer anderen Figur wiedergibt. Müller (1981: 1– 6; Zitat: 3) unterscheidet Figurenrede und Erzählerrede danach, dass Erzählerrede als „Romanteile […], [die] nicht in ihrem Wortlaut von Figuren der Handlung ‚verantwortet‘ werden“, bestimmbar sei. Er spricht von einer Zweiteilung des Romans in Figurenrede auf der einen und Erzählerrede auf der anderen Seite, wobei er unter Figurenrede ausschließlich direkt dargestellte Rede fasst, nicht aber indirekte Redewiedergaben. Die Zweiteilung erfolge auf Basis der Besetzung der unterschiedlichen Sprecherrollen durch eine Figur oder den Erzähler. Eine so klare Unterscheidung
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
110) bezeichnet die direkte Rede als „‚mimetischste‘ Form […], die also, wo der Erzähler so tut, als rede nicht er, sondern die Person“¹⁴. Es wird hier kein unmittelbarer Wortlaut einer Figur abgebildet, so dass auch der Eindruck einer Eigenständigkeit der Rede der Figur eine Fiktion ist und die vermittelnde Instanz letztlich der Erzähler bleibt.¹⁵ Die direkte Rede einer Figur bildet hingegen das ab, was innerhalb der Fiktion die Originaläußerung der Figur ist, eine Äußerung, die auch für andere Figuren einen anderen Grad an Verlässlichkeit hat als etwa eine innerhalb einer Figurenrede wiedergegebene andere Figurenrede.¹⁶ Es handelt sich um die direkt dargestellte Sprachhandlung, mit der die Figur im Werk (inter‐)agiert. Somit erscheint die Figur in ihren eigenen, direkt geäußerten Reden am unmittelbarsten greifbar, die Informationen über die Figur wirken besonders ‚authentisch‘, da sie durch diese selbst vermittelt werden. Yeandle (2011: 94– 95) konstatiert in diesem Kontext: Mittelalterliche Autoren beziehen sich oft auf die Wahrhaftigkeit ihrer Geschichten durch Hinweise auf ihre Quellen […]. Analog dazu, wenn sie die Aussage eines Charakters wörtlich wiedergeben, sollte man davon ausgehen können, dass im Rahmen der Erzählfiktion dies ein zuverlässiges Zitat ist, das an und für sich die ‚genauen Worte‘ des Charakters wörtlich wiedergibt.
Indirekte Redewiedergaben unterscheiden sich von der direkten Rede dadurch, dass die Figur nicht selbst spricht, sondern der Erzähler ihre Rede wiedergibt, wobei sich „Figurenrede und Erzählerrede überlagern“ (Schuhmann 2008: 31; vgl. auch Urscheler 2002: 35). Hierbei kann die Form der Wiedergabe weiter differenziert werden, je nachdem, wie groß die „Distanz der indirekten Rededarstellung vom vorzustellenden ‚wirklichen‘ Wortlaut der referierten Äußerung“ (Müller 1981: 123) ist. Die indirekte Rede kommt der Darstellung einer direkten Rede verhältnismäßig nahe, kann aber Eingriffe durch den Erzähler aufweisen:¹⁷ Sie ist nicht aus Perspektive der Figur, sondern aus Perspektive des Erzählers geschildert, der die Rede also nicht nur syn-
halte ich für schwierig, da sich etwa im Fall indirekter Rededarstellungen Figuren- und Erzählerrede durchaus überlagern können. Kästner (1978: 27) spricht von der „als ‚gesprochen gemeinte[n]‘ Rede[.]“ Für den literarischen Kontext ist die Bezeichnung ‚Figur‘ treffender. „Es gehört zu den Binsenweisheiten der Literaturwissenschaft, daß die Figur etwas kategorial anderes ist als eine Person in der lebensweltlichen Wahrnehmung“ (Jannidis 2004: 9). Auch Pfister (112001: 221) macht diese Unterscheidung im Kontext seiner Dramentheorie deutlich, wobei seine Feststellungen auch auf epische Texte übertragbar sind. (Vgl. auch Nanz 2010: 10). „So eignet der Figurenrede eine grundsätzliche Ambivalenz: Einerseits erhebt in der Figurenrede die Figur scheinbar unmittelbar die Stimme, äußert sich in ihren ‚eigenen Worten‘ und gewinnt so für den Rezipienten Tiefenschärfe und Profil. Andererseits bleibt die Figur auch dort, wo sie ihre ‚eigene‘ Stimme erhebt, letztlich stumm, weil stets nur einer spricht, nämlich der Erzähler.“ (Philipowski 2007: 45 – 46). Hierbei bleibt zu beachten, dass der Erzähler ebenfalls eine fiktionale Figur ist, (vgl. Schuhmann 2008: 29, Anm. 46). In diesem Sinne kann man auch von primärer und sekundärer Äußerung sprechen. Hierbei bleibt zu berücksichtigen, dass auch die direkte Rede gegenüber einer realen Äußerung immer bearbeitet ist.
1 Redewiedergabemodus und Charakterisierung
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taktisch verändert, sondern außerdem Bewertungen vornehmen kann, Inhalte möglicherweise verknappt darstellt und z. B. in einen Redebericht überführt (vgl. Schuhmann 2008: 31; Genette 2010: 110). Zum Redebericht konstatiert Schuhmann (2008: 31– 32) mit Bezug auf Genette: „Ist die indirekt dargestellte Rede auf eine sehr kurze Inhaltszusammenfassung oder die Benennung eines Sprechakts reduziert (z. B. er klagete), wird von ‚Redebericht‘ gesprochen.“ Hierbei können die Grenzen zwischen indirekter Rede und Redebericht fließend sein, zumal beide Formen der Redewiedergabe wechselseitig ineinander übergehen können. Das Durchscheinen eines angenommenen ursprünglichen Wortlauts gibt einen Hinweis darauf, dass es sich um indirekte Rede handelt, während in einem Redebericht in „selbständigen Berichten die Tatsachen [wiedergegeben werden], die der Andere zum Gegenstand seiner Äußerungen gemacht hat“ (Behaghel 1928: 702, § 1342; vgl. auch Urscheler 2002: 36). Für einen fiktionalen Text bedeutet dies, dass der Erzähler die Rede der entsprechenden Figur (komprimiert) in seinen eigenen Worten wiedergibt. Die Abgrenzung von indirekter Rede und Redebericht wird dadurch erschwert, dass der Konjunktiv auch für das Mittelhochdeutsche nicht zwingend für die Darstellung einer indirekten Rede ist und die Formen einem Synkretismus unterliegen können: Nach Verben von auffordernder Bedeutung [wie bitten, heizen, gebieten, bevelhen, vgl. ebd.] steht der Konjunktiv […]. Nach Verba dicendi und Verba sentiendi im oben erörterten Sinne steht sowohl der Konjunktiv als auch der Indikativ. Der Konjunktiv wird bevorzugt, wenn der übergeordnete Satz (indikativisch‐)präterital ist. Der Konj. Prät. kann dann eine Einschränkung der objektiven Gültigkeit der Aussage bezeichnen, er kann aber auch lediglich der formale Indikator der indirekten Aussage sein. Es kann aber im abhängigen Satz auch der Indikativ stehen, wenn der Inhalt ausdrücklich als ein Faktum bezeichnet werden soll. (Paul 252007: § S 199).
Sowohl indirekte Rede als auch Redebericht können eine Vielzahl relevanter Figureninformationen liefern und somit zur Charakterisierung von Figuren beitragen¹⁸, wobei die Erzählerperspektive hier durchscheinen kann und direkte Eingriffe durch den Erzähler vorgenommen werden können (vgl. Yeandle 2011: 95). Diese Eingriffe wirken nicht nur verfremdend, sondern können für den Rezipienten auch wichtige Hinweise auf die Figur enthalten: Distanziert sich der Erzähler etwa von der referierten Aussage einer Figur, kann dies, abhängig von der Position des Erzählers, z. B. Schlüsse auf die Adäquatheit der Aussage im Wertekontext der dargestellten Gesellschaft zulassen und somit über die Stellung, Versiertheit im gesellschaftlichen Umgang, den Entwicklungsstand einer Figur u. ä. informieren. Aber auch bestimmte Sprechakte,
Urscheler (2002: 30) konstatiert mit Bezug auf Vološinov (1971): „Während in der indirekten Rede die referentielle Botschaft im Vordergrund steht, so charakterisiert die direkte Rede darüberhinaus [!] noch die sprechende Figur. In der direkten Rede offenbart sich ‚manner of speech‘, und zwar sowohl individuell wie auch typologisch.“ Dass die Charakterisierung einer Figur über direkte Rede offensichtlicher ist, ist ein zulässiger Gedanke – der indirekten Rede die Funktion der Charakterisierung abzusprechen, greift deutlich zu kurz.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
die eine Figur ausführt, tragen zu ihrer Charakterisierung bei. So sind beispielsweise Befehle und Handlungsanweisungen im Tristan in der Regel indirekt dargestellt. Dies gilt v. a. für solche Befehle, die durch Aufforderungsverben explizit dem Aufforderungskontext zugeordnet sind und so z. B. nicht indirekt in einer Rede formuliert werden: Für die Darstellung von Aufforderungen in direkter Rede lässt sich für die höfische Literatur eine Tendenz zur kommunikativen Indirektheit erkennen, so etwa statt der Äußerung eines direkten Befehls die Formulierung der Aufforderung als Bitte oder Frage (vgl. Miedema 2007: 191).¹⁹ Wenn einer Figur besonders viele dieser Reden zugewiesen werden können, kann dies auf eine hierarchische Höherstellung der Figur hinweisen oder auf (intellektuelle) Fertigkeiten, da sie in bestimmten Situationen in der Lage ist, das Handeln anderer Figuren anzuleiten. Eine strikte Trennung der verschiedenen Redewiedergabemodi ist nicht immer konsequent möglich, teilweise gehen direkte und indirekte Rede oder Redebericht ineinander über – die Gründe hierfür müssen jeweils für die konkreten Fälle analysiert werden.
2 Dialogische und monologische Figurenrede Eine der wesentlichen Fragen, um nicht nur die Rede einer Figur analysieren zu können, sondern auch eine Figur über ihre Rede charakterisieren und im Erzählkontext einordnen zu können, ist die Frage danach, wen die sprechende Figur adressiert. Wie die Aussage einer Figur zu bewerten ist, kann in Abhängigkeit von der Figurenkonstellation und der Äußerungssituation variieren. Zudem ist es relevant, ob die Äußerung auf Handlungsebene mit oder ohne weiteren Adressaten stattfindet. Es ist sinnvoll, zunächst zu unterscheiden, ob es sich um monologische, halbmonologische, halbdialogische oder dialogische Reden oder Sonderformen der Kommunikationsart handelt.
2.1 Dialogische und halbdialogische Figurenrede Das Konzept, der Aufbau, die Gestaltung und Vorstellung von Dialogen²⁰ kann stark variieren. Dies steht in Zusammenhang mit der Anzahl der Interaktanten, die an einem Dialog aktiv oder passiv partizipieren²¹, und den jeweiligen Dialogtypen, die unterschiedliche Ausrichtungen und Strukturen fordern können. Zunächst liegt den unterschiedlichen Definitionen ein unterschiedliches Verständnis von Sprache zugrunde, ob diese als monologisch (vgl. Opitz 1993: 111– 112) Vgl. zur Einleitung mit biten, heizen, gebieten, bevelhen Paul (252007: § S 199). Opitz (1993: 109) betont die Diffusität des Dialogbegriffs, der sich als zentraler Kulturbegriff „einer präzisen Definition wirksam entzieht.“ Diese Unterscheidung kann zu einer Differenzierung von Dialog zu Halbdialog führen.
2 Dialogische und monologische Figurenrede
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oder dialogisch verstanden wird. Hier wird mit Weigand (1986: 115) die Annahme eines grundsätzlich dialogischen Prinzips von Sprache vertreten. Die Bidirektionalität ist tragend für die funktionale Definition eines Dialoges: „Funktional dialogisch soll heißen, dass außer einem Sprecher/Schreiber in der Rolle des Senders auch ein Hörer/ Leser in der Rolle des Empfängers an der Sprachhandlung teil hat. Die Sprachhandlung erfüllt dann dialogische Funktion, auch wenn der Sprecher/Schreiber dies gar nicht beabsichtigt hat […].“ (Kilian 2005: 2; vgl. auch Weigand 1986: 118 – 120) Damit die Voraussetzungen für einen Dialog nicht nur funktional, sondern auch formal erfüllt sind, muss überdies eine Wechselseitigkeit vorliegen, so dass die Rollen von Sender und Empfänger einander abwechseln (vgl. Kilian 2005: 2; Weigand 1986: 118 – 120; Hess-Lüttich 2001: 1640). Wiehl (1974: 50) setzt nicht nur den Sender-/Empfängerwechsel voraus, sondern legt für literarische Dialoge den Redewiedergabemodus auf die direkte Rede fest. Hinzu tritt „eine gewisse thematische Bindung der Sprachhandlungen“ (Kilian 2005: 3) als „Verständigungshandlung“ (Hess-Lüttlich 2001: 1640; Kursivierung im Original). Je nach Medialität kann weiterhin differenziert werden, ob ein Dialog als Gespräch²² in der gesprochenen oder als Korrespondenz in der geschriebenen Sprache geführt wird (vgl. Kilian 2005: 5; Weigand 1986: 121). Zwar ist die Literatur per se ein schriftliches Medium, Sprachhandlungen können hier allerdings auch als gesprochen oder geschrieben dargestellt werden. Je nach Anzahl der Gesprächsteilnehmer lassen sich Dialoge weiter ausdifferenzieren in „Dialog[e] mit zwei Sprechern, die sogenannte Dyade, und Gruppengespräche; letztere können weiter in Triaden mit drei Sprechern sowie in grössere [!] Gruppen mit vier und mehr Gesprächsteilnehmern unterteilt werden“ (Urscheler 2002: 93).²³ Urscheler (ebd.) konstatiert für literarische Dialoge²⁴, dass Dyaden grundsätzlich überwiegen, da die duale Beziehung die Basis der Kommunikation bildet. Wie die Analyse von authentischen Gesprächen gezeigt hat, tendieren Triaden nämlich dazu, in eine Dyade mit einem zusätzlichen dritten Sprecher zu zerfallen, währenddem sich Vierergespräche oft in zwei simultane Dyaden aufspalten.
Ähnliches lässt sich auch für Gespräche zwischen Einzelfiguren und Gruppen beobachten (vgl. Wiehl 1974: 53). Antworten die in direkter Rede angesprochenen Gesprächspartner nicht oder sind die Reden zwar dialogisch aufgebaut, bestehen aber teils aus direkten und teils aus indirekten Redebeiträgen, liegen Halbdialoge vor (vgl. Becker 2009: 67). Hierbei können Aufbau und Gestaltung der Redeszene dafür sorgen,
Hess-Lüttich (2001: 1640) definiert den Terminus Gespräch als „sprachliche, vorzugsweise mündliche Gemeinschaftshandlung zweier oder mehrerer Kommunikatoren in direktem oder technisch vermittelten Kontakt und geteilter Situationsgebundenheit […].“ Urscheler (2002: 93) orientiert sich für diese Unterteilung an Beschreibungskriterien faktischer Gespräche, seine Beobachtungen lassen sich auch auf literarische Gespräche übertragen. Im Parzival.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
dass ein dialogischer Gesprächscharakter beibehalten wird (vgl. Wiehl 1974: 54– 55), die Redeszene kann aber ebenso in Richtung einer monologischen Darstellung tendieren (vgl. Philipowski 2007: 59). Um Anhaltspunkte für die Charakterisierung einer Figur aus der Anzahl und Aktivität oder Passivität der Gesprächsteilnehmer etwa einer Triade ziehen zu können, ist die Figurenkonstellation entscheidend. Zerfällt eine Triade tatsächlich in ein Zweiergespräch mit anwesendem Dritten, stellt sich die Frage, welche Figuren aktiv miteinander reden und warum gerade diese zwei Figuren das Gespräch führen und die dritte Figur nicht miteinbeziehen – oder ob sich die dritte Figur von sich aus nicht aktiv beteiligt. Hier wäre zu fragen, aus welchen Gründen sich die dritte Figur kommunikativ passiv verhält. Weiterhin muss festgestellt werden, ob die Figuren gleichberechtigt miteinander sprechen oder ob eine Figur dominierend das Gespräch leitet und es an ihr liegt, dass nur eine weitere Figur miteinbezogen wird. Dies kann z. B. im Fall einer asymmetrischen Kommunikationssituation der Fall sein, wenn sich etwa ein Herrscher mit Angehörigen seines Gefolges, also Untergebenen, berät. Auch die Entscheidung, eine Redeszene in direkte und indirekte Anteile zu gliedern, kann charakterisierende Wirkung haben, indem der Erzähler bestimmte Aussagen hervorheben kann oder der einen Figur ‚ihre‘ Stimme lässt, während er die indirekte Replik der anderen zum einen durch das Mittel der Indirektheit als weniger wichtig kennzeichnet, sie zum anderen aber auch aus seiner Perspektive schildern und bewerten kann (vgl. Wiehl 1974: 54– 55; II.1: 14– 16). Neben der Frage, wie viele Figuren in welchem Maße an einer Redeszene beteiligt sind, beeinflusst auch der Dialogtyp die Aussagekraft über den Charakter einer Figur und bietet eine gute Grundlage, um das Verhalten von Figuren werkintern, z.T. aber auch intertextuell vergleichen zu können. Ich orientiere mich für die Dialogtypologie an Urscheler (2002: 110), der, wie auch schon Franke (1986: 89 – 90; 1990: 63 – 68), grundsätzlich drei verschiedene Dialogtypen unterscheidet, nämlich (1) Komplementäre, (2) Kompetitive und (3) Koordinative Dialogtypen. Unter (1) fallen solche Dialoge, in denen ein Interaktant das Defizit des anderen z. B. durch die Weitergabe einer Information beseitigt. Unter (2) lassen sich Dialoge fassen, die nicht auf eine Beseitigung von Differenzen und somit die Überwindung unterschiedlicher Interessen und Handlungsziele ausgerichtet sind, sondern in denen einseitig eigene Ansprüche durchgesetzt werden sollen. Unter (3) werden solche Dialoge subsummiert, in denen „zwei Interaktanten zum Zwecke der Erreichung eines gemeinsamen, übergeordneten Handlungsziels zu einem Ausgleich ihrer jeweiligen individuellen Interessen oder Ansprüche gelangen müssen“ (Franke 1986: 88). Für die erste Gruppe arbeitet Urscheler (2002) folgende Dialogtypen heraus: Boten- (vgl. ebd.: 112– 136), Auskunfts- (vgl.ebd.: 136 – 173), und Lehrdialoge (vgl. ebd.: 174– 224; vgl. zu den Lehrdialogen insgesamt Kästner 1978). Unter die zweite Gruppe zählt er Kampf- (vgl. Urscheler 2002: 224– 242) und Streitdialoge (vgl. ebd.: 243 – 260). Die dritte Gruppe umfasst Aussöhnungsdialoge (vgl. ebd.: 261– 272) und als Besonderheit unterhaltungs-orientierte Dialoge (vgl. ebd. 272– 279) – Letztere unterscheiden sich von allen vorgenannten Dialogtypen dadurch, dass sie kein konkretes Kommu-
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nikationsziel verfolgen außer dem Herstellen, Verfestigen und Erhalten der Figurenbeziehungen (vgl. ebd.: 272– 273; Franke 1990: 81– 82; vgl. zur Typologie Urschelers auch Ukena-Best 2007: 158, Anm. 8). Charakterisierende Informationen erhält man über die Dialogtypen unter verschiedenen Fragestellungen. Welche Rolle nimmt eine Figur während eines Dialogs ein, ist sie Bote oder Empfänger, Lehrender oder Lernender, Herausforderer oder Herausgeforderter? Ist sie also agierender oder eher reagierender Gesprächspartner? Füllt sie die Rolle tatsächlich aus oder spielt sie aus irgendeiner Intention heraus nur die Rolle, um z. B. Informationen zu erhalten, die ihr eigentlich nicht zustehen? Dieser Aspekt kann z. B. bei der Untersuchung von Lügen und Listen in der folgenden Textanalyse eine wesentliche Rolle spielen. Hinzu kommt die Frage, ob sich die Figur dem Dialogtyp entsprechend verhält. Dies kann Einblicke in den Entwicklungsstand der Figur geben und Schlüsse über ihr Vermögen, sich adäquat zu verhalten, zulassen. Handelt es sich nicht um dialogtypkonformes (sprachliches) Agieren der Figur, stellt sich die Frage, warum sie sich anders verhält: Ist es ihre bewusste Entscheidung, die einer Intention folgt, oder ist sie möglicherweise schlicht (noch) nicht in den höfischen Umgangsformen unterrichtet? Oder gelten diese Umgangsformen nicht für sie, da sie möglicherweise nicht der höfischen Sphäre entstammt? Auch über für einen Dialogtyp untypisches Verhalten des Gesprächspartners einer Figur lassen sich Informationen über die Figur ablesen: Wie reagiert die Figur auf (vermeintlich) falsches Verhalten, ist sie in der Lage, es einzuordnen und einen höfischen Umgang damit zu finden, oder überfordert es sie möglicherweise?
2.2 Monologische und halbmonologische Figurenrede Einen Sonderfall sprachlichen Figurenverhaltens stellt der Monolog dar. Kilian (2005: 2; Zitate ebd.) hebt in Anlehnung an Weigand (1986: 118 – 120; 2009: 21– 22) hervor, dass es sich dem dialogischen Grundprinzip der Sprache folgend beim Monolog nicht um ein „Gegenbild“ zum Dialog, sondern um einen diesem „untergeordneten Spezialfall“ handelt. Die Unterscheidungskategorie ist die formale, nicht die funktionale Verwendung von Sprache, die Realisierung in der vorliegenden Kommunikationsform (vgl. Weigand 2009: 21). So hält Weigand (1986: 119) fest: Monologisch sind die Fälle der Sprachverwendung, die formal nicht dialogisch realisiert sind, d. h., die nicht auf eine bestimmte Reaktion eines konkreten Kommunikationspartners zielen. Doch auch Monologe sind eine Erscheinungsform dialogischen Sprachgebrauchs, denn funktional sind auch sie dialogisch orientiert, gerichtet an einen Kommunikationspartner; dieser bleibt aber – im Unterschied zu Briefen – unbestimmt, es ist kein konkreter, bestimmter Kommunikationspartner, sondern irgendeiner, jeder. Das heißt, die Reaktion ist nur potentiell angelegt, wird nicht realiter konkret erwartet.
Wie der Dialog kann auch der Monolog direkt oder indirekt realisiert sein und in Form von gesprochenen Reden und, dies ist ein Alleinstellungsmerkmal des Monologs, in
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Gedankenreden geäußert werden (vgl. Wiehl 1974: 55). Hierbei kann teils nicht entschieden werden, welche Äußerungsform vorliegt, in einigen Fällen gehen beide Formen ineinander über oder es wird vom Erzähler nicht konsequent unterschieden, ob eine Rede nur gedacht oder monologisch laut geäußert wird.²⁵ Häufig sind diese (inneren) Monologe funktional dialogisch aufgebaut, indem sie sich an eine (andere) Instanz oder Figur richten: Die Figur kann ihr eigenes Ich adressieren, also ein Selbstgespräch führen, oder auch ein fernes Du wie etwa einen abwesenden Geliebten, oder beispielsweise eine abstrakte Instanz wie Gott (vgl. Weigand 1986: 119; Wiehl 1974: 55 – 59). Wird eine Adressierung vorgenommen, sind die Reden also an einen „gedachten Kommunikationspartner gerichtet“ (Weigand 1986: 119), können sie, um eine teminologische Abgrenzung vorzunehmen, als ‚Halbmonologe‘ bezeichnet werden. Die Dialogizität solcher Halbmonologe ist in der mittelalterlichen Literatur besonders anschaulich: „Im Gebet erwartet der christliche Mensch des Mittelalters (und auch der Heide bei seinen Göttern) ein geradezu akustisches Hören seiner Bitten, und vielfach erfolgt auch eine Antwort von Gott oder einem Engel […].“ (Wiehl 1974: 57).²⁶ Auch hier können jedoch die Grenzen verschwimmen: So kann die Figur in einem solchen Halbmonolog etwa einleitend Gott adressieren, dem die Figur ein Problem schildert, dann abschweifen auf verbalisierte Momentaufnahmen der Figur, in denen sie sich z. B. orientiert, und schließlich in Handlungsentscheidungen der Figur münden.²⁷ Oft werden hierbei besonders ‚intime‘ Eindrücke vermittelt, etwa wenn die Figur in einer situativen oder emotionalen Notlage geschildert wird, in der sie eine Entscheidung treffen oder eine Handlungsstrategie entwickeln muss. Hübner (2003: 86) bezeichnet diese autokommunikativen Figurenreden als einzige literarische Bewusstseinsdarstellungen²⁸ und betont: „Die Etablierung und Entwicklung der Innenweltdarstellung ist eine der einschneidendsten Leistungen der höfischen Erzählkunst.“ Die Charakterisierung scheint noch unmittelbarer zu erfolgen als bei einer
Ähnliches beobachtet Schuhmann (2008: 34– 35) für Wolfram von Eschenbach: „Man könnte danach u. a. Gedankenreden von laut geäußerten Reden unterscheiden oder man könnte eine Rede ohne Gesprächspartner (also einen ‚Monolog‘) von einer Rede unterscheiden, die auf der Handlungsebene einen Adressaten hat. Allzu strikt sollte man solche Unterscheidungen für Wolfram jedoch nicht verfolgen, da er Kommunikationssituation und Äußerungsart in aller Regel nur dann klar bestimmt, wenn sie für das Verständnis der dargestellten Handlung Bedeutung erlangen sollen.“ Eine Antwort Gottes – und ähnliches kann auch für andere Personifikationen wie Frau Minne u. ä. gelten – erfolgt im Tristan wie auch bei Hartmann nicht über Sprache, sondern über (die Interpretation folgender) Ereignisse (vgl. Wiehl 1974: 57). Gerade in solchen Fällen, in denen eine Figur einer bedrohlichen Situation ausgeliefert ist, erfolgt oft ein zunächst an Gott gerichteter Monolog, der in eine allgemeinere, z.T. auch an andere Figuren gerichtete (Gedanken‐)Rede mündet (vgl. exemplarisch folgende Textpassagen in der Wildnisepisode: Tr 2490 – 2532, 2589 – 2619, 2653 – 2659, 2666 – 2669). „Wenn, beispielsweise, Lavinia im ‚Eneasroman‘ in einem Soliloquium über die Folgen der Liebe nachdenkt, ist das eine Bewußtseinsdarstellung; wenn sie dasselbe im Gespräch ihrer Mutter enthüllt, nicht.“ (Hübner 2003: 55)
2 Dialogische und monologische Figurenrede
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direkten Rede, die an eine andere Figur gerichtet ist, da das Innenleben der Figur in einem solchen Fall direkt abgebildet wird und die Figur sich in ihren Äußerungen keinen äußeren Gegebenheiten anpassen muss und man der Gedankenschilderung einer Figur unterstellen kann, dass diese aufrichtig erfolgt (vgl. zum Problem der Zuverlässigkeit einer Figur Jannidis 2004: 202– 203).²⁹ Eine besondere Stellung nehmen auch solche Monologe ein, in denen Figuren Abstraktes in großer Ausführlichkeit schildern und hierbei „sogar stellenweise den Erzähler ab[lösen]“ (Philipowski 2007: 59). Philipowski (ebd.: 63) konstatiert: Die Grenze zwischen bloßer Figurenrede und Exkurs sind fließend; den Charakter eines Exkurses nimmt Figurenrede dort an, wo sie die Gesprächssituation in den Hintergrund treten lässt und die Figur für die Dauer ihres Exkurses die Rolle eines kommentierenden Erzählers übernimmt.³⁰
Solche Exkurse zeigen besondere geistige Fähigkeiten der Figuren auf, entweder weil sie über enormes Wissen verfügen, oder weil sie aufgrund ihrer Begabung bestimmte Überlegungen entwickeln und ausführen können. Auch hier liegt wieder eine Charakterisierung vor, die einerseits grundsätzlich über die geistige Gabe der Figur, andererseits aber auch über den Inhalt des von ihr Referierten vorgenommen werden kann.
2.3 Fernkommunikation über Briefe und Boten Eine weitere, zwar grundsätzlich monologisch gestaltete, aber dialogisch konzipierte Kommunikationsform in der Nähe einer Figurenrede liegt vor, wenn eine Figur sich in einem Brief an eine andere wendet. Als sermo absentis ad absentem fungiert der Brief als Ersatz für das direkte Gespräch, das wegen der Trennung der Briefpartner nicht möglich ist. Der Brief simuliert ein Gespräch, indem der abwesende Adressat direkt angeredet wird. Die Anrede suggeriert die Vorstellung, die Briefpartner seien gar nicht voneinander getrennt. Außer in der einfachen Anrede zeigt sich die Gesprächsersatzfunktion des Briefs in weiteren Dialogmerkmalen, z. B. in Bezügen auf Vorgängerbriefe und auf vorausgegangene Gespräche, aber auch in Anspielungen auf soziale Beziehungen der Briefpartner zueinander. Briefe ermöglichen (vor allem im Briefwechsel) eine dialogische Kommunikation: Der Absender kann zum Adressaten werden und umgekehrt. Dieser Richtungswechsel in der Kommunikation ist auch dann möglich, wenn der Briefinhalt eher monologisch angelegt ist. (Wand-Wittkowski 2000: 22)
Dass aber gerade auch auf der Handlungsebene unzuverlässige Äußerungen einer Figur charakterisierend sein können, indem etwa das Beherrschen und bewusste Einsetzen von Lügen als besondere Fähigkeit hervortritt, spielt gerade für die Charakterisierung Tristans durch seine Rede eine entscheidende Rolle (vgl. hierzu insgesamt Karin 2014). Auch hier kann es sich grundsätzlich wieder um einen Halbdialog handeln oder, wenn eine andere Figur auf eine solche Rede reagiert, um einen Dialogbeitrag.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Für mittelalterliche Texte darf nicht vergessen werden, dass die Briefkommunikation in der Regel nicht allein über die schriftlich verfasste Nachricht stattfand, sondern dass diese durch einen Boten überbracht wurde, der wesentliche Teile der Nachricht mündlich überlieferte: „Das Wichtigste am Brief war im Mittelalter der B o t e […]. Oft genug stand in dem Brief nur Nebensächliches, während die Hauptsache dem Überbringer mündlich anvertraut worden war“ (Hoffmann 1964: 145; Sperrung im Original). Die überbrachten Botschaften gingen oft weit über den tatsächlichen Inhalt der Briefe hinaus (vgl. Wenzel 1997: 94– 95): „Im Extremfall enthielt der ausgehändigte Brief keine konkreten Nachrichten, sondern beglaubigte nur den Boten und dessen Bericht“ (Köhn 1986: 348). Nicht nur im Fall von geheimen und (z. B. politisch) brisanten Informationen war die Wahl des Boten elementar, da dieser als kommunikativer Stellvertreter agierte. Daher musste der Bote nicht nur so gewählt sein, dass Vertrauenswürdigkeit und Loyalität garantiert waren, sondern es musste darüber hinaus auch vor allem das Gelingen der Fernkommunikation gewährleistet sein (vgl. Wenzel 1997: 94– 101).³¹ Für die Charakterisierung einer Figur im Kontext von Brief- und Botenkommunikation stellen sich verschiedene Fragen. Einerseits geht es um die Darstellung der Inhalte der Nachrichten: Erfahren wir sie in direkter Rede – entweder als (schriftliche) Rede der Figur, die die Nachricht verfasst hat oder einem Boten mündlich aufträgt, sie zu übermitteln, oder erst in der Vermittlung durch den Boten? Oder übernimmt der Erzähler die Vermittlung des Inhaltes einer schriftlichen oder mündlichen Botschaft?³² Wie wird diese bewertet? Andererseits geht es um die Figur des Boten: Übernimmt die zu charakterisierende Figur möglicherweise Botendienste? Wie zuverlässig agiert die Figur in diesem Kontext? Werden möglicherweise die originale und die vermittelte Nachricht abgebildet und bieten die beiden Versionen so eine Möglichkeit, das Verhalten der Figur zu überprüfen? Ist die Figur bereit, sich um der Vermittlung einer Nachricht willen in Gefahr zu begeben? Welche Motivation hat sie, einen Botendienst zu übernehmen? Auf Seiten des Nachrichtensenders wiederum stellt sich die Frage danach, ob es sich um eine heimliche oder offizielle Nachricht handelt, ob eine solche Nachricht möglicherweise ein Hinterhalt für eine andere Figur ist und nach welchen Maßgaben die Figur einen Boten auswählt und wie sie diesen instruiert.
Urscheler (2012: 202) hält fest, dass die Boten im Parzival zumeist anonym bleiben und eine Namensnennung nur dann erfolgt, wenn die Botschaften besonderes Geschick ihrer Überbringer fordern. Wand-Wittkowski (2002: 62– 63; Zitate: 62) macht darauf aufmerksam, dass Briefe in der literarischen Darstellung oft Veränderungen der Briefgestalt unterliegen und bestimmte „Formlosigkeiten“ aufweisen wie das „Fehlen brieftypischer Anfänge und Schlüsse“, die entscheidend sind für das „Erscheinungsbild der Textsorte“. Insbesondere die indirekte Wiedergabe verändert die Darstellung, indem etwa die Anrede und hiermit ein „spezifisches Merkmal des Briefs, die Gesprächssimulation“, wegfällt. Letztere kann aber „durch direkt mitgeteilte Briefe ohne textsortenspezifische Anfänge und Schlüsse […] sogar akzentuiert werden.“
3 Redeumfeld
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3 Redeumfeld Ein direktes Mittel des Erzählers, um die Rede einer Figur zu charakterisieren, liegt in der Situierung und Benennung der vorliegenden Sprachhandlung. Ort dieser Benennungen sind einfache und erweiterte inquit-Formeln, die nicht nur das Vorliegen einer Sprachhandlung markieren,³³ sondern darüber hinaus die Rezeption der Rede maßgeblich beeinflussen, etwa „durch die Verwendung spezifischer Sprachaktverben“, „Präpositionalphasen und adverbiale Bestimmungen. Die inquit-Formel […] verbalisiert etwa Sprechweise, Adressierung und Begleitumstände und ermöglicht somit Referenzzuweisungen“ (Miedema/Hundsnurscher 2007: 10).³⁴ Die einfache inquit-Formel setzt sich aus der Nennung des Sprecher-Subjekts und einem verbum dicendi zusammen, z. B. er / sie sprach. Die Standardformel wird mit einem generellen Verb des Sprechens gebildet; im Mittelhochdeutschen handelt es sich in der Regel um das Verbum sprechen (vgl. Hundsnurscher 2007: 104– 105; vgl. weiterführend zum verbum dicendi sprechen ders. 2003: 31– 52; Becker 2009: 80 – 81). „Sprechen ist semantisch neutral, es sagt nichts über den Modus der Rede aus, sondern markiert lediglich ihren Vollzug.“ (Becker 2009: 81). Werden spezifische, semantisch differenziertere inquit-Verben benutzt, so kann neben der einfachen Redeankündigung beispielsweise auch der Redekontext spezifiziert werden, indem etwa die Gesprächsabfolge verdeutlicht wird (z. B. mit dem Verb antworten) oder „Ausdrucksqualitäten wie Lautstärke und Artikulationsform [angedeutet] (Er / sie rief: ‚…‘; Er / sie seufzte: ‚…‘)“ (Hundsnurscher 2007: 105) werden – hierdurch kann der Rezipient bereits auf Inhaltliches vorbereitet werden (vgl. Urscheler 2002: 55). Neben der Wahl des verbum dicendi gibt es weitere Möglichkeiten, die inquit-Formel zu variieren: Der Sprecher kann durch attributive Zusätze näher beschrieben werden (der stolze man sprach) oder es kann eine Umschreibung anstelle des Pronomens oder seines Namens einegesetzt werden (der ritter mit dem lewen sprach), seltener findet sich die Stilfigur des pars pro toto (sîn munt sprach…). Außerdem sind adverbiale Erweiterungen, die den Modus des Sprechens betreffen (z. B. jemerlîche, bluclîche) und Hinweise auf die Zuhörer bzw. Adressaten der Rede möglich (er sprach zuo dem küenege…). (Becker 2009: 81)
Neben Erweiterungen zählt Hundsnurscher (2007: 106 – 107; Zitat: 107) für das Mittelhochdeutsche zu den Variationen auch Permutationsformen der inquit-Formel: Neben der Standardform des einfachen Aussagesatzes, z. B. Êrec sprach: ‚daz sî getân […]‘ (Erec, v. 4807), mit Spitzenstellung von Sprechersubjekt und Verb gibt es die Zwischenstellung mit In-
Auf das Benutzen einer inquit-Formel kann auch verzichtet werden, etwa im Fall von Stichomythien – eine eindeutige Zuweisung der Rede zu einer Figur kann hierdurch erschwert werden (vgl. Hundsnurscher 2007: 57). Becker (2009: 79 – 80) hebt als primäre Funktion der inquit-Formeln die Referenzsicherung hervor.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
version ‚vernemet‘, sprach sîn geselle, [/] ‚waz ich des roubes welle […]‘ (Erec, v. 3338 f.) und die Nachstellung ‚nû enlât iuch niht belangen‘ [/] sprach der wirt zem gaste (Erec, v. 443 f.).³⁵
Nach Hundsnurscher (2007: 108) dominiert im Tristan die direkte Rede mit Zwischenstellung (vgl. auch Schwartzkopff 1909: 101; Becker 2009: 86), wobei die pronominale (z. B. „[…]“, sprach er, „[…].“) gegenüber der phrasalen Form (z. B. „[…]“, sprach diu künigin, „[…]“) überwiegt:³⁶ „Die vorgezogenen Redeteile sind, angepasst an das Versmaß, häufig redeeinleitende Ausdrücke und Anredeformen, die ebenfalls der Dialogreferenz dienen […].“ Außerdem werden „die vor die Redeeinleitung gezogenen Worte [oft, A.K.] besonders herausgehoben und betont“ (Becker 2009: 82). Einschübe können hierbei der Strukturierung und Gliederung einer Rede dienen, gerade wenn eine längere direkte Rede mehrfach in dieser Form unterbrochen wird: „Oft wird nach erneut eingeschobenen Redeeinleitungen ein neuer Gedanke formuliert oder eine andere Person [hier: Figur, A.K.] adressiert.“ (Ebd.) Die Nachstellung einer Redeeinleitung ist seltener zu finden und wenn tendenziell nach kürzeren Reden und der Form einer einfachen Redeeinleitung (vgl. ebd.). Hundsnurscher (2007: 110; Tristan-Zitate nach Ranke 41959) ermittelt für den Tristan sechs verschiedene Funktionstypen von inquit-Formeln: a) Adressatenverweis, z. B. diu wîse, ir muoter, zuo zir sprach […] (Tristan, v. 10284) […]. b) […] Hervorhebung der Rede durch sus, vgl.: […] sus riefens alle dar an: […] (v. 15579). Auf diese Weise wird explizit auf den Wortlaut der Rede hingewiesen. c) Hervorhebung des Situationsbezugs, z. B. […] „ei“ sprach der truhsaeze do (v. 9825), auch mit Relativbezug auf den Sprecher, z. B. Der guote Rual der sprach do […] (Tristan,v. 4171) […]. Diese kombinierten Formen dienen der Anpassung an das Versmaß. d) [R]edequalifizierende (Emotions‐)Hinweise[…], z. B. vil innecliche sprach er: „a […]“ (Tristan, v. 3956) […]. e) Einbeziehung redebegleitender Umstände […] durch und-Anschluss […], z. B. er kustin und sprach: „neve nu var […]“ (Tristan, v. 5042). f) [Hervorhebung eines] wiederholende[n] oder insistierende[n] Dialogbezug[es] [mit dem] Indikator […] aber, z. B. „genade, und got müez iuch bewarn!“ [/] sprach aber der guote Tristan (Tristan, v. 2784 f.).
Für die Charakterisierung sind vor allem d) und e) von Belang. Die redequalifizierenden Hinweise etwa können nicht nur einen Einblick in die Stimmung einer Figur geben, sondern z. B. auch in ihre Involviertheit in eine (Sprech‐)Situation, ihre (Un‐) Fähigkeit, sprachlich adäquat mit einer Situation umzugehen und auf eine andere Rede zu reagieren. Letztlich geht mit einer Qualifizierung der Rede in vielen Fällen auch eine Qualifizierung der Figur einher, deren Sprachhandeln bewertet wird: Ist Hundsnurscher zitiert den Erec nach Leitzmann/Wolff/Gärtner (72006). Und zwar im Verhältnis 3:1. Somit entspricht das Verhältnis „den allgemeinen Regeln der Verkettung nach Roland Harweg. Demnach besteht ein kohärenter Text aus einer (lückenlosen) pronominalen Verkettung, die von einer ‚vollen‘ Referenteneinführung ihren Ausgang nimmt: ‚volle‘ Referenten sind Eigennamen […] oder Nominalphrasen.“ (Hundsnurscher 2007: 108; für den Tristan ebd.: 110).
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eine Rede etwa klug formuliert, zeichnet dies den Sprecher ebenfalls als klug aus; spricht eine Figur tougenlîche, kann dies – je nach Kontext – z. B. darauf hindeuten, dass sie sich bewusst ist, dass ihr (Sprach‐)Handeln nach höfischen Maßstäben falsch ist und nicht öffentlich werden darf. Abhängig vom Zusammenhang kann dieses Handeln die Figur (gleichzeitig) als klug oder verschlagen charakterisieren. Teilweise wird der Zusammenhang von Rede- und Figurenqualifizierung explizit betont, indem dem Sprecher die Art, wie er spricht, als Fähigkeit attestiert wird (Tr 2773 – 2775): Tristan dô er den bîl ersach, wider die pilgerîne er sprach wîsliche, als er wol kunde.
„Hier wird die Tatsache, dass Tristan klug spricht, durch den Erzähler als grundsätzliches Können Tristans eingestuft – sowohl Klugheit als auch Eloquenz werden somit als Eigenschaften Tristans formuliert.“ (Karin 2014: 77; vgl. dort auch Anm. 8). Häufig kommen figurenqualifizierende – und somit charakterisierende – Hinweise in den Redeeinleitungen vor, vgl. z. B. die Bewertung der Sprecher als guot in den Beispielen unter c) und f). Indem die Sprecher – in diesem Fall positiv – bewertet werden, wird darüber auch die Rezeption der Rede gesteuert. Ähnliches gilt, wenn statt des Figurennamens Bezeichnungen wie diu wîse (vgl. das Beispiel unter a)) oder diu mortraete (Tr 12723) im inquit verwendet werden. Auch die Beschreibung redebegleitender Umstände kann Aufschluss über Handlungskompetenzen der Figuren und Kontexte geben. Hierzu zählen nicht nur diejenigen Beschreibungen, die in der (erweiterten) inquit-Formel stehen, sondern auch solche, die im Bereich der erweiterten Redeeinleitung³⁷ oder im redebezogenen Erzählerkommentar stehen.³⁸ Hier finden sich verschiedene Beschreibungen, nämlich […] Beschreibungen der Szene, innerhalb der sich das Gespräch vollzieht, häufig mit Hinweisen zum Ort (z. B. Saal, Zelt oder Turnierplatz), zu den anwesenden Figuren (Figuren werden eingeführt, ihre Gestalt bzw. Gesinnung beschrieben), zu den wichtigsten Requisiten (etwa zu Wappen, Kleidern, Speisen) und zur Zeit (als symbolische, vergehende oder ausschmückende). Oft wird auch berichtet, was während einer wehselrede geschieht: Man reitet durch den Wald, trifft auf
Unter den Begriff einer erweiterten Redeeinleitung fasse ich all jene Beschreibungskomponenten, die außerhalb des inquits konkret auf die Einleitung des Sprachhandelns bezogen sind und beispielsweise rituelle, nonverbale Elemente umfassen. Hundsnurscher (2007: 112) spricht für solche Fälle im Nibelungenlied von einer „ausgestaltete[n] inquit-Formel“. Becker (2009: 87) verortet Beschreibungen der redebegleitenden Umstände vor allem im Kontext von Erzählereinschüben. Hierunter fasst sie jene „epische[n] Verse, die in die Dialogszenen eingefügt werden und innerhalb dieses Erzählabschnitts ganz spezifische Funktionen übernehmen. Der Fokus liegt auf den Erzählereinschüben i n n e r h a l b der wehselreden; zuweilen wird es aber auch interessant sein, die epische Eröffnung oder den Abschluss eines Dialogs zu betrachten.“ Sowohl epische Eröffnung als auch Dialogabschluss lassen sich m. E. schwerlich als Erzählereinschübe bezeichnen, hierbei handelt es sich eher um Redeeinleitungen oder redebezogene Erzählerkommentare.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
andere Figuren, ein Bote kommt an usw. Eine wichtige Aufgabe der eingefügten [ebenso wie vorangestellten und abschließenden, A.K.] Erzählerrede besteht darin, die Wirkungen darzustellen, die sprachlich Geäußertes auf andere Figuren hat (weinen, lachen, in Ohnmacht fallen etc.). Daneben kann sie die Funktion übernehmen, Figuren auktorial zu charakterisieren, indem sie als gut, böse, tapfer, treu usw. beschrieben werden oder indem die verstellte Rede der Figuren mit wahren Intentionen kontrastiert wird. (Becker 2009: 87– 88)
Die redebegleitenden Umstände können entsprechend auch Aufschluss darüber geben, ob sich eine Figur z. B. dem höfischen Zeremoniell entsprechend verhält, ob sie dieses (bewusst) durchbricht, dem Sprechen besondere Ehrungen des Adressaten vorangehen lässt oder diese verweigert, ob sie einer anderen Figur besonders nahe steht oder sich möglicherweise explizit distanziert verhält – hier finden sich also häufig auch direkte oder indirekte Aussagen zur Figurenkonstellation.
4 Figurenkonstellation und Figurengebaren Wie eine Kommunikation im Kontext der höfischen Literatur aufgebaut ist, steht in direktem Zusammenhang mit der Figurenkonstellation. Das Verhältnis der Figuren zueinander kann maßgeblich sein für den Situationsbezug einer Rede, für das Kommunikationsziel und die Art und Weise, wie die Figuren miteinander kommunizieren. So kann einerseits die Kommunikation Aufschluss geben über das Figurenverhältnis, andererseits auch das Figurenverhältnis über die Kommunikation. Diese ist – nicht nur, aber gerade – im Mittelalter stark geprägt durch körperliche Kommunikationselemente, die gerade im höfischen Kontext wiederum in direkter Abhängigkeit von der Figurenkonstellation stehen. Im Folgenden wird zunächst erläutert, in welchen kommunikativen Kontexten die Figurenkonstellation eine besondere Rolle spielt, wie diese mit der höfischen (Sprach‐)Kultur zusammenhängt und welchen Einfluss diese wiederum auf das Gebaren der Figuren im Kontext höfischen Zeremonialhandelns hat.
4.1 Figurenkonstellation im Kontext der Rede Figurenrede bildet in der Regel fiktive Gespräche ab, die eine Figur mit einer anderen führt – oder, wie oben dargelegt, mit sich selbst (vgl. II.2.2: 19 – 20). Eine wesentliche Grundlage, um ein solches Gespräch verstehen und analysieren zu können, ist die Figurenkonstellation: Das Ensemble der Figuren in einem narrativen Text ist selten nur eine amorphe Masse, sondern ist unter Gesichtspunkten gegliedert, die auch Schlußfolgerungen auf die relevante Kommunikationsabsicht des Textes erlauben. Handlungsbezogene Muster, z. B. Protagonist und Gegenspieler, oder bedeutungsbildende Muster, z. B. Parallel- und Kontrastfigur, sind die wesentlichen Elemente. (Jannidis 2004: 107)
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Das Verhältnis der Figuren kann sich entsprechend in ihrer Kommunikation niederschlagen und diese beeinflussen. Dies kann verschiedene Ebenen – sowohl der Figurenzeichnung als auch der Figurenrede und der erzählten Welt – betreffen, die häufig nicht eindeutig separierbar sind und miteinander zusammenhängen (können). Zunächst stellt sich die Frage, welcher Sphäre die kommunizierenden Figuren entstammen: Gehören etwa beide Figuren der höfischen Sphäre an und sind in diesem Umfeld aufgewachsen, kann davon ausgegangen werden, dass sie mit den Besonderheiten höfischer Kommunikation vertraut sind und diese beherrschen.³⁹ Stammen die Figuren aus unterschiedlichen Sphären oder befindet sich z. B. eine ursprünglich höfische Figur zum Zeitpunkt der Kommunikation am Rande oder außerhalb der höfischen Welt, kann dies für eine asymmetrische Kommunikationssituation sorgen und somit deren Gelingen erschweren oder zum Scheitern der Kommunikation führen. Zwar ist es richtig, dass in der hochhöfischen Dichtung primär Figuren aus dem (Hoch‐)Adel zu Wort kommen (vgl. Urscheler 2002: 91), dennoch werden immer wieder Begegnungen mit außer- und randhöfischen Figuren geschildert, so dass sich durchaus Gespräche zwischen den Sphären untersuchen lassen. Nach Miedema (2007: 186) lassen sich höfisches und unhöfisches Sprechen anhand von Lexik (z. B. Anredepronomen), Syntax (z. B. Satzlänge, Komplexität der Sätze) und durch die Morphologie unterscheiden, wobei aber „keine mittelalterlichen deutschen Beispiele dafür bekannt [sind], dass die Autoren ihre unhöfischen Figuren bewusst gegen die Morphologie verstoßen lassen.“⁴⁰ Höfisches Sprechen ist hierbei z.T. durch dieselben Mittel gekennzeichnet wie modernes höfliches Sprechen: Höflichkeit äußert sich, so die diesbezüglichen Ergebnisse der sprachwissenschaftlichen Forschung, in der Verwendung bestimmter performativer Verben (z. B. ‚fragen‘, ‚bitten‘), Modalverben (etwa ‚dürfen‘) und Partikeln bzw. hedges (z. B. ‚nur‘, ‚ja‘, ‚doch‘), in der Wahl der Satzarten (insbesondere in der bevorzugten Verwendung von Frage- statt Aussagesätzen, sowie von Konditionalgefügen) und im Gebrauch des Modus (d. h. des Konjunktivs). Wichtiger noch ist jedoch die Tendenz zur Abschwächung der Illokutionsindikatoren, insbesondere im Bereich der Direktiva: Statt eines Befehls, einer Aufforderung, wird eine Bitte verwendet, die möglichst in Form einer Frage formuliert wird. So entstehen formen [!] kommunikativer Indirektheit, bei denen die eigentlichen Illokutionen nicht allzu offensichtlich zur Schau getragen werden. (Ebd.: 191)
„Die Erziehung im Haus der adligen Familie wird ergänzt und überhöht durch eine zweite, höfisch orientierte Sozialisation, durch höfische Lebensformen und Sprachregelungen, die insgesamt den Selbstdeutungs- und Darstellungszusammenhang des ‚höfischen Adels‘ gewährleisten.“ (Wenzel 1995: 16). Insgesamt ist es unmöglich, die Schicht, der die jeweiligen Figuren angehören, rein über ihre Sprache zu identifizieren: „Die mhd. Sprachüberlieferung gibt […] keine direkten Hinweise auf eine soziale Sprachschichtung; es fehlen entsprechende metasprachliche Äußerungen ebenso wie Belege für schichtspezifisches Sprechen in den Quellen selbst[.]“ (Paul 252007: 11, § E 8). Dennoch kann die Gestaltung der Figurenrede durchaus valente Hinweise auf eine Zuordnung der Figuren zu verschiedenen Sphären geben.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Höfischen Sprechern kann also ein besonders bewusster Umgang mit Sprache unterstellt werden; Lechtermann (2003: 83) spricht von einer „Domestizierung“ der Sprache als Mittel, mit dem der Adel sich von anderen Schichten abhebt. Auch Wenzel (1995: 146) betont: „Für den Hof wird der Gebrauch der Sprache zu einem Statusindikator ersten Ranges.“ Hierzu zählt „[das] Gebot, Ort, Zeit, Adressat, Inhalt und Form seiner Rede zu kontrollieren“ (Lechtermann 2003: 89) und die Sprache nicht zu missbrauchen. Thomasin von Zerklaere⁴¹ gibt etwa Spott, Lüge und Eigenlob (vgl. TZ 799 – 806; 839 – 910) als die drei Formen „der verbalen Entgleisung an, die am Hof auf jeden Fall zu vermeiden [seien]“ (Wandhoff 2002: 123) (TZ 831 832): rům, luͤge, spot, swer die drie hat, der mac niht heizen frie.
Eine weitere Besonderheit des höfischen Sprechens ist immer auch das Einsetzen französischer Ausdrücke, Ausrufe und Formeln.⁴² Dieses wird von Thomasin von Zerklaere als strîfeln bezeichnet und als positiv und vorbildhaft für die höfische Gesellschaft bewertet (TZ 651– 655) (vgl. auch Zotz 2002: 117): swer strifelt sine tuͤsche wol mit der welehische sam er sol, wan da lernt ein tuͤtsche man, der spœhen worte harte vil, ob erz gern tůn wil.
Bumke (102002: 112) konstatiert für das Ausgestalten der Rede mit französischen Elementen: „Offenbar galt es in der deutschen Hofgesellschaft als vornehm, so zu sprechen.“ Ergänzend stellt Zotz (2002) für die französischen Einsprengsel distanzsprachlichen Charakter fest, der sich u. a. in Grußformeln, Lobpreisen, Totenklagen und Kampfrufen zeigen kann, aber auch dort, wo in Liebesgesprächen eine sprachliche Distanzierung nötig ist. Diese distanzsprachlichen Marker können innerhalb der sozialen Gruppe des Hofes allerdings ebenso gut eingesetzt werden, um soziale Nähe herzustellen und die eigene Gruppenzugehörigkeit mithilfe der Sprache zu demonstrieren. Das Einsetzen französischer Elemente kann also auch Hinweise auf den Status einer Figurenbeziehung geben, bewusst eingesetzt oder vermieden werden, um andere Figuren – wie etwa die höfische Öffentlichkeit u. ä. – über den tatsächlichen Status hinwegzutäuschen. Dass Gottfried großen Wert auf das Beachten der Regeln höfischer Kommunikation legt – für sein Werk und insbesondere seine Figuren, die dieses Handeln vorführen – zeigt sich nicht zuletzt
Zitiert nach der Ausgabe von F. W. von Kries (1984); im Folgenden unter der Sigle TZ. Auch das Lateinische beeinflusst die höfische Sprache (vgl. Lechtermann 2003: 82– 83). Es bleibt dennoch festzuhalten, dass das Französische für die mittelhochdeutsche Epik die wichtigere Rolle spielt: „Für die große Dichtung der Zeit um 1200 sind die französischen Elemente sprachbestimmend geworden.“ (Bumke 102002: 117).
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daran, dass er seine Sprache geradezu programmatisch an den Regel des Hofes ausrichtet (vgl. Wenzel 1995: 18 f.)[.] (Karin 2017: 216)
Hierdurch werden auch die Hörgewohnheiten seines Publikums berücksichtigt (Tr 7950 – 7954): ich spriche ouch deste minner ê von iegelîcher sache, ê ich iu daz maere mache unlîdic unde unsenfte bî mit rede, diu niht des hoves sî.
Neben dem grundsätzlichen Hinweis auf die Zugehörigkeit zur höfischen Welt ist es eine Aufgabe des höfischen Sprechens, zusätzlich die Hierarchieverhältnisse höfischer Figuren abzubilden. Ein wichtiges Mittel hierfür ist die Lexik, die insbesondere über die nominalen und pronominalen Anreden Aufschluss über die jeweilige Stellung der Gesprächspartner gibt⁴³, etwa dann, wenn eine Figur eine andere nicht mit ihrem Namen, sondern ihrem sozialen Rang anspricht. Diese Titulaturen bilden nicht zwangsläufig nur den tatsächlichen Status der Sprecher ab, sondern dienen oft auch der Ehrenbezeichnung. Die sprachliche Distanzierung als Mittel der Höflichkeit und hövescheit zeigt sich weiterhin in der Wahl des Anredepronomens.⁴⁴ Dieses kann Aufschluss über das hierarchische Verhältnis geben, indem z. B. eine höhergestellte Figur mit dem pluralis reverentiae angesprochen, die niederrangige Figur antwortend geduzt wird.⁴⁵ „Sozialer Abstand bewirkt Asymmetrie der Anrede, Gleichstand lässt symmetrisches ir oder auch du zu, wenigstens bei den Oberen, bei den ‚Niederen‘ gilt
Behrmann (2001: 316) hält fest, dass verschiedene Einzelbedingungen wie die konkrete Dialogsituation, die regionalen Traditionen, die Gruppenzugehörigkeit sowie der soziale Rang der Beteiligten das Anredeverhalten bestimmen. Besch (2003: 2601– 2605) bestimmt als anredebestimmende Variablen das Alter, das Geschlecht, die soziale Position und die Situation. „Neben der Kommunikation der alten Höflichkeit setzt sich demnach in den aristokratischen Klassen und bei den Intellektuellen, ausgehend vom Vorbild der geistlichen Kommunikation, eine Kommunikation der neuen Höflichkeit durch, die das Merkmal der Distanz durch den Plural kennzeichnet.“ (Ehrismann 2000: 266). „Mit dem pluralis reverentiae beginnt eigentlich die europäische Höflichkeitskultur der Anrede. Die Anfänge führen zurück in die Latinität (Briefstil) des 4. Jh. n.Chr. […]. Es haben sich folgende Fachtermini eingebürgert: pluralis modestiae, auf eine einzelne Person bezogen, die sich mit dem nos = wir aus der ich-Position in die Gemeinschaft einreiht. Ähnlich der pluralis societatis, d. h. Einbeziehung des Publikums durch den Autor oder Redner. Schließlich wird mit der 1. Pers. Plural auch der pluralis majestatis gebildet, ursprünglich gebraucht im Zusammenhang der Macht in der römischen Kaiserzeit auf z.T. mehrere Personen, späterhin pluralisches Machtpronomen für Einzelherrscher. […] Der pluralis reverentiae erlebt mit den Jahrhunderten einen Siegeszug durch die Sprachen Europas. Er ist eben keine Selbstbezeichnung wie bei der 1. Pers. Plural, sondern eine von andern ehrend und verehrend zugesprochen. […] Das ist der Beginn der du-ir-Konvention in sozialer Verteilung, ir für Adel, Geistlichkeit, Regierende, überhaupt für alles Herausgehobene, du für das Volk.“ (Besch/Wolf 2009: 118 – 119; vgl. auch Besch 2003: 2600; 2605 – 2608).
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nur du.“ (Besch/Wolf 2009: 118 – 119; vgl. auch Besch 2003: 2605 – 2608; Behrmann 2001). Ändert sich im Verlauf der Narration das Verhältnis der Figuren, kann dies dementsprechend teilweise auch eine Veränderung der Anreden nach sich ziehen, indem etwa eine oder beide Figuren vom Ihrzen zum Duzen übergehen oder umgekehrt, wenn die Figuren einander gleichrangig geworden sind oder eine gesellschaftlich aufgestiegen ist. Auch ein Bruch im Verhältnis von zwei Figuren kann über die Anreden dargestellt werden, wenn eine Figur einer anderen das ehrende ir explizit verwehrt, um diese zu beleidigen (vgl. Besch/Wolf 2009: 119 – 121; Besch 2003: 2607). Grundsätzlich können Veränderungen im Verhältnis von Figuren die verschiedensten Bereiche ihres Sprachhandelns betreffen und teilweise unterschiedliche Sprechakte hervorrufen oder auch durch solche hervorgerufen werden. Exemplarisch ist hier etwa der Akt des Liebesgeständnisses, das auf unterschiedlichen Ebenen weitreichende Konsequenzen haben kann: Diese betreffen zunächst die persönliche bzw. intim-figurale Ebene, denn das „Liebesgeständnis ist wohl das höchste Risiko, das man in der Begegnung mit dem Du eingehen kann, denn man setzt sich selbst, als Person, aufs Spiel und das ist, wenn man es ganz ernst nimmt, mehr als das Leben“ (Haug 1997: 23). Dieses Risiko betrifft, gerade im mittelhochdeutschen Epos, aber eben nicht nur die ‚private‘ respektive nicht-öffentliche⁴⁶ Figur, sondern kann durchaus rechtliche und politische Konsequenzen haben, etwa wenn die Liebe den höfischen Regeln entgegensteht.⁴⁷ Aber auch ein geglücktes und höfisch-konformes Liebesgeständnis oder eine gelungene Brautwerbung, die in einer Eheschließung mündet, ziehen maßgebliche Änderungen der Figurenkonstellation nach sich, da eine Eheschließung nicht nur die Beziehung der zwei direkt hiervon betroffenen Figuren rechtlich neu definiert, sondern ebenfalls weitere Figuren hiervon betroffen sind: Neben Verwandtschaftsverhältnissen können sich auch soziale Ränge und Herrschaftsverhältnisse verändern, Feindschaften beigelegt werden etc. – die Anforderungen an das (kommunikative) Verhalten der Figuren können entsprechend von diesen Änderungen betroffen sein. Ein weiteres, für den Tristan wesentliches Beispiel für eine Veränderung in der Figurenkonstellation ist die Entwicklung von einem Vertrauensverhältnis in ein auf Misstrauen basierendes. Sprachlich kann sich das beispielsweise in Vorwürfen, Lügen und Listen sowie rechtsrelevant in Anklagen manifestieren. Insgesamt lässt sich festhalten, dass sprachliches Figurenverhalten die Beziehung von Figuren grundsätzlich immer beeinflussen kann, indem es einen Status verändert oder verfestigt. Hierbei ist eine Wechselwirkung anzunehmen: Ergeben sich Änderungen in der Figurenkonstellation, kann dies Einfluss auf die Figurenrede haben und das sprachliche Verhalten der Figuren nachhaltig verändern – umgekehrt kann aber Der Terminus ‚privat‘ ist anachronistisch (vgl. hierzu Schulz 2015: 77). Dies kann der Fall sein, wenn das (mögliche) Paar nicht gleichrangig ist und es sich bei der Beziehung um eine Mesalliance handeln würde, wenn das Geständnis ein sexuelles Verhältnis ohne das Sakrament der Ehe oder eine Beziehung neben einer geschlossenen Ehe nach sich zieht u. ä.
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auch die Figurenrede entsprechenden Einfluss auf die Figuren und ihr Verhältnis zueinander haben (vgl. Karin 2014: 78). Ein weiterer Aspekt, der Figurenrede und Figurenkonstellation zusammenführt, ist der Vergleich verschiedener Figurenreden. Erst über einen solchen lassen sich sprachliche Eigenheiten einer Figur bestimmen, indem das Sprachverhalten von dem anderer Figuren abgegrenzt wird. Somit ergibt sich die Möglichkeit, eine sprachliche Eigenheit einer Figur als spezifisches Figurenmerkmal festzustellen. Über den Vergleich von Figurenreden lässt sich darüber hinaus teilweise auch adäquates von inadäquatem Redeverhalten unterscheiden, indem das sprachliche Verhalten einer Figur das einer anderen kontrastiert.⁴⁸ In diesem Kontext ist festzuhalten, dass Figuren nicht nur in ähnlichen, vergleichbaren Situationen losgelöst voneinander zu betrachten sind, sondern insbesondere auch der direkte Vergleich in einer gemeinsamen Redeszene Aufschluss über das (sprachliche) Figurenverhalten ermöglicht. Verschiedene Komponenten der Figurenkonstellation und Redeszenengestaltung spielen eine Rolle, um die Reden einordnen zu können. Zu bestimmen ist etwa, in welchem Verhältnis die Figuren zueinander stehen: Sind sie verwandt, befreundet, verfeindet, neutral, einander bis zu dieser Rede unbekannt oder stehen sie in einem Dienst- oder anderen Hierarchieverhältnis zueinander? Handelt es sich um gleichgeschlechtliche oder gegengeschlechtliche Gesprächspartner? Ist eine Figur der anderen – z. B. durch Stellung, Wissen, Geschlecht – überlegen? Wie stellt sich die Überlegenheit dar, wenn diese Faktoren in Konkurrenz treten, eine Figur also z. B. zwar sozial höher steht, aber einen Wissensnachteil hat? Findet die Kommunikation auf freiwilliger oder erzwungener Basis statt, durch die eine Figur der anderen möglicherweise ausgeliefert ist? Diese Fragen können erste Hinweise darauf geben, ob es sich um eine symmetrische oder asymmetrische Kommunikationssituation handelt. Je nach Konstellation bleibt weiter zu untersuchen, ob auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Asymmetrien herrschen, weil eine Figur der anderen z. B. hierarchisch unterlegen, intellektuell jedoch überlegen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich u. a. die Frage, ob eine Figur es darauf anlegt, das Machtverhältnis im Gespräch zu ihren Gunsten zu ändern, ob ihr dies gelingt und wenn ja, durch welche Mittel: etwa durch subtile Manipulation, die es der zweiten Figur ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren, (verbal) gewaltsam, mit dem Ziel, die andere Figur zu entehren und vor der Hofgesellschaft bloßzustellen. Für jede Kommunikationssituation lässt sich hinterfragen, ob eine Figur in der Lage ist, die Gesprächssituation und ihr Gegenüber richtig einzuschätzen und dementsprechend zu reagieren, ob sie von einer Situation und / oder dem Gesprächspartner überfordert wird, ob es ihr gelingt, dem kommunikativen Rahmen entsprechend zu handeln oder ob sie diesen Rahmen (bewusst) verlässt.Wie dieser Rahmen gefasst wird, hängt unter
So vergleicht etwa Schuhmann (2008: 75 – 116) die Reden Parzivals und Gawans, um somit die Figurencharakterisierung als Funktion der Figurenrede zu erarbeiten.
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anderem davon ab, ob es sich um ein öffentlich⁴⁹, nicht-öffentlich oder sogar heimlich stattfindendes Gespräch handelt, das an seine Gesprächsteilnehmer selbstverständlich unterschiedliche Anforderungen stellt und ihnen unterschiedliche kommunikative Möglichkeiten und insgesamt Handlungsbedingungen bietet. Darüber hinaus können sich über Redeszenen explizite wie implizite Bewertungen der Figuren ergeben. Dies kann im Figurenkommentar verortet sein, wenn eine Figur eine andere aufgrund ihrer Rede oder ihre Rede selbst beurteilt. Hierbei kann auch ein Erkennen und Entlarven von Gesprächsstrategien durch eine Figur eine Charakterisierung und mögliche Bewertung der Figuren beinhalten: Die Figur, die die Strategie der anderen durchschaut, ist in dieser Situation tendenziell als sprachlich oder intellektuell überlegen gekennzeichnet. Eine Bewertung kann weiterhin durch einen Erzählerkommentar – gerade im Bereich der erweiterten inquit-Formel – erfolgen, der eine an der Redeszene beteiligte Figur oder ihre Rede betrifft. Über diese Bewertung kann dann die sprechende Figur bewertet werden, teilweise gleichzeitig aber implizit auch ihr Gesprächspartner. Dies ist etwa der Fall, wenn eine Figur oder ihre Rede als klug geschildert wird, während sie gerade verbal manipuliert wird – die erfolgreich manipulierende Figur wird somit implizit als klüger bewertet (vgl. Karin 2014: 83). Eine eigene kommunikative Rolle kommt – gerade im öffentlich-höfischen Kontext – dem repräsentativen Zeremonialhandeln und dem Einsatz von Gebärde, Gestik und Mimik zu, die auch wieder abhängig von der Konstellation und Situation der Rede sind und Hinweise auf die höfische Erziehung einer Figur geben können, aber auch auf ihr Vermögen, sie gezielt für ihre (kommunikativen) Zwecke nutzbar zu machen.
4.2 Körperliche Kommunikation Sprachliches Handeln ist häufig von nicht-mündlichem, aber dennoch kommunikativem Einsetzen des Körpers⁵⁰ begleitet, kann durch dieses ergänzt und teilweise ersetzt werden. „Innerhalb der Adelsgesellschaft […] ist der Körper in ein Netz der Repräsentation und Ritualisierung eingebunden; neben mündlicher oder verschriftlichter Sprache ist er ebenso Träger und Medium der Kommunikation.“ (Ackermann 2009: 79; vgl. auch Wenzel 1988c). Die Lesbarkeit des Körpers kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Dem Adaequatio-Konzept folgend, das auf der antiken Ka-
„Öffentlichkeit bildete sich im Mittelalter aus denen, die, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang auch immer, an öffentlicher (rechtlicher) Gewalt teilhatten und damit auch politisch-rechtlich voll handlungsfähig waren.“ (Thum 1990: 69). Dem Körper kommt in der höfischen Literatur eine Sonderrolle zu. Er besteht nicht nur aus der Gestalt, setzt sich nicht nur aus einem Innen und Außen zusammen, sondern ist auch geformt durch genealogische Entwicklungen und Zusammenhänge, durch seine Zugehörigkeit zur Sippe (vgl. Philipowski 2001: 364– 365. Für einen Überblick über die verschiedenen Diskurse und Perspektivierungen des Körpers in mediävistischer Forschung vgl. Ackermann 2009: 66 – 88).
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lokagathia-Vorstellung basiert, entspricht die äußere Erscheinung, das Ansehen, idealerweise den inneren Werten: Wer schön ist, ist auch gut – wer hässlich ist, hat einen defizitären Charakter (vgl. weiterführend Kellermann 2003b: 102 – 117).⁵¹ Verstärkt wird die Wirkung des Körpers durch Kleidung, Schmuck und Frisuren und in diesem Kontext gegebenenfalls auch durch seine Inszenierung. Diese wird ermöglicht durch eine Erziehung, die auf die Disziplinierung von Körper und Geist abzielt und den höfischen Menschen etwa bezüglich Kleidung, Gestik, Sprechweise und Tischsitten (aus)bildet (vgl. Bumke 1994: 71– 72). Die angestrebte Kongruenz von Innen und Außen ist eine der Grundlagen und ein wesentliches Ordnungsprinzip höfischer Kommunikation. Auch Schreiner (1990: 89) konstatiert: Die Fähigkeit, den Körper zum Träger intentionalen Handelns zu machen, ist ein Wesensmerkmal des Menschen. Der Zeichencharakter seiner Gebärden beruht, im Lichte mittelalterlicher Anthropologie betrachtet, auf der Verbindung von actus animi und actus corpori, von homo interior und homo exterior. Nur weil Leib und Seele eine Einheit bilden, besteht nach Auffassung mittelalterlicher Theologen und Literaten die Möglichkeit, an Bewegungen des Körpers (motus corporis) Bewegungen der Seele (motus animae) abzulesen, aus dem Gesicht (facies) einen Spiegel des Herzens (speculum cordis) zu machen und die Haltung des Körpers (gestus corporis) als Zeichen innerer Gesinnung (signum mentis) zu betrachten.
Der Körper wird hier also zum „Zeichenträger“⁵². In seiner Studie „Zur Theorie des Gebarens im Mittelalter“⁵³ macht Schubert (1991: 5) darauf aufmerksam, dass in der Forschung oft uneinheitliche Bezeichnungen für die verschiedenen Aspekte der Körpersprache zu finden sind und unter einzelne Begriffe wie ‚Geste‘, ‚Gestik‘ und ‚Gebärde‘ Verschiedenes gefasst wird. Je weiter der jeweilige Begriff verwendet wird, desto deutlicher wird die repräsentative, referentielle Bedeutung, die der Körper in der mittelalterlichen Wahrnehmung und Kommunikation einnimmt: „Die Ausdrucksbewegung des ganzen Körpers und seiner einzelnen Gliedmaßen ist schon von Augustinus als ‚Sprache mit sichtbaren Worten‘ bezeichnet worden.“ (Wenzel 1995: 160). Der Körper wird hier zu „einem Medium der Deixis […], zu einem Zeichenträger, der über sich selbst hinausweist“ (ebd.: 158). Während teils einzelne Gesten oder Gebärden separiert eingesetzt werden können, können Handlungsräume und Situationen teils auch eine Kombination mehrerer nonverbaler Handlungselemente aus unterschiedlichen Bereichen erfordern. Diesem Umstand trägt die folgende Begriffsdefinition Schuberts (1991: 6) Rechnung, der ich mich für die vorliegende Untersuchung anschließen möchte: Kellermann (2003b: 110, Anm. 30) hält hierzu fest: „Kalokagathia in christlichem Verständnis heißt: Es gibt keine einfache Parallelität von schön und gut, sondern es gibt eine gute Seele, die sich im schönen Körper zeigt, und eine böse Seele, die sich im häßlichen Körper zur Anschauung bringt.“ „Und dieser Körper als Demonstrationsfläche ist der repräsentative Körper, der den biologischen Körper in sich aufnimmt oder zum Verschwinden bringt, und das mittels leiblicher Gesten und Performanzen oder mittels am Leib getragener Kleidungsteile.“ (Kellermann 2003b: 110). Ackermann (2009: 79) hält fest, dass „die Methodik der mediävistischen Gesten- und Gebärdenforschung insgesamt recht disparat scheint.“ (Vgl. auch Kellermann 2003a: 4).
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Ich verstehe unter Gebaren die Summe aller einzelnen Ausdrucksbewegungen und Ausdruckshaltungen eines Menschen [hier: einer Figur, Anm. A.K.] sowie jede Form von Kommunikation, die nicht sprachlich vollzogen wird. Dies bezieht Kleidung, Haartracht und Objektadaption mit ein. Auf diese Weise kommen wir dem mittelalterlichen Verständnis, das hinter gebaerde und gebâren steht, am nächsten. Unter Gebärde und Geste verstehe ich gleichbedeutend die einzelnen Ausdrucksbewegungen, sowohl willkürlicher als auch unwillkürlicher Art. Jener Bereich der Gebärde, die vom Gesicht vollzogen wird, ist die Mimik. (Vgl. zur Etymologie von ‚Gebärde‘, ‚Gebaren‘ und ‚Geste‘, insbesondere auch für das Wortfeld im Mittelhochdeutschen ebd.: 1– 5)
Gebärden können verschiedenen Bereichen entstammen; so gibt es z. B. religiöse (im engeren Sinne auch liturgische), politische, juristische, repräsentative, emotionale und weitere Gebärden. Sie können mit einzelnen Körperteilen vollzogen werden, sie können aber auch den gesamtem Körper betreffen sowie Gegenstände und Personen (oder, in der Literatur, Figuren) einbeziehen (vgl. weiterführend Schmidt-Wiegand 1982: 365 – 366). Je nach Kontext können verschiedene Gebärden zum Einsatz kommen, gleichzeitig kann aber auch die Bedeutung einer in der Ausführung gleichen Gebärde in unterschiedlichen Kontexten variieren. Schreiner (1990: 104) führt dies anhand der vielfältigen Bedeutungen und rituellen Einsatzmöglichkeiten von Küssen eindrücklich vor und hält etwa für die Literatur fest: Es gibt Abschieds-[…], Begrüßungs-,Versöhnungs- und Todesküsse, den Kuß als Gebärde der Bitte und der Minne, als Zeichen partnerschaftlicher Gemeinsamkeiten und Intimität, den Kuß zwischen Herren und Vasallen, den Kuß gegenseitiger Anerkennung zwischen sozial Gleichrangigen, den Kuß beim Abschluß von Verträgen.
Während einige Gebärden als ikonisch und selbsterklärend eingestuft werden können, gibt es auch symbolische Gesten, die „ein soziales Wissen voraus[setzen] und […] deshalb ‚kulturspezifisch‘ […]“ (Philipowski 2000: 458) sind. Auch Thomasin hebt darauf ab, dass die Gebärden denjenigen, die sie zu deuten vermögen, viel vermitteln können (TZ 1527– 1530): da von [d.i. der körperliche Ausdruck, die Gebärde, A.K.] mach ein charger man, der die geberde erscheiden chan, bi der geberde, ob er wil, versten dinges harte vil.
Dieses Deutenkönnen ist aber wiederum Ergebnis der höfischen Erziehung und verlangt nach „höheren Erkenntnisfähigkeiten“, nach „imaginatio und memoria, ratio und intellectus […], weil sich der Zeichencharakter der Gebärde nur aus der Verbindung von actus animi und actus corporis, von homo interior und homo exterior erklären läßt“ (Wenzel 1995: 161). Umgekehrt ist das Wissen um die Bedeutung der Gebärden aber ebenfalls Voraussetzung, um diese entsprechend einsetzen zu können. An diesem Punkt lässt sich ansetzen, um Figurenmerkmale und Hinweise auf die Charakterisierung ermitteln zu können. Das Einsetzen oder Verstehen von Gebärden und Gebaren gibt, ähnlich wie die Fähigkeit einer Figur, höfisch zu sprechen, Auf-
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schluss über höfische Erziehung, Entwicklung und Versiertheit einer Figur. Wann bedient sich eine Figur Gebärden, setzt sie sie etwa redebegleitend oder anstelle einer verbalen Kommunikation ein? Inwieweit hat eine Figur Einfluss auf ihre körperliche Erscheinung und ihr körperliches Auftreten, ihr Gebaren? Entsprechen die Gebärden der für die entsprechende Situation festgelegten Konvention? Werden sie eingesetzt, um den Interaktionspartner zu manipulieren oder zu täuschen? Und entspricht das gesamte kommunikative Auftreten auch dem z. B. durch Kleidung und Hautfarbe vermittelten Status der Figur oder befindet sie sich in einem Zustand der Inadaequatio, der sich auf die Kommunikation auswirkt? Weiterhin bleibt zu beachten, dass Gebärden und Gebaren der Figuren auch genderspezifisch reglementiert sind, insofern, als einige Gebärden nur geschlechtergetrennt eingesetzt werden dürfen und die Anforderungen, die an das Auftreten von Männern und Frauen gestellt wurden, ebenfalls nach Geschlecht differenziert wurden (vgl. Wenzel 1995: 163 – 165; Schreiner 1990: 101). Hierbei werden Anforderungen an die Sprechweise und das Gebaren immer wieder miteinander in Verbindung gebracht. Wenzel (1995: 165) macht darauf aufmerksam, dass man trotz der Fülle an (geschlechterspezifischen) Verhaltensregeln nicht von „einem systematischen Code des höfischen Verhaltens“ sprechen kann: „Der Großteil der gültigen Regeln ist nicht explizit gemacht, […] sondern eingebunden in höfische Handlungszusammenhänge und deshalb primär aus der Darstellung dieser Handlungszusammenhänge zu erschließen.“ Wie sind die verschiedenen Gebärden und das Gebaren einer Figur zu bewerten? Wann handelt es sich um Zeichensprache, symbolisches Handeln oder Inszenierungen? Philipowski (2000: 463) konstatiert: Die Geste ist die Weise, auf die der Körper in Erscheinung tritt, nicht seine Sprache, denn Gesten bilden kein arbiträres Zeichensystem, in dem einem Signifikat ein beliebiger Signifikant zugewiesen wird, also kein System, dem sich der Körper als Exekutivorgan unterwürfe, um seine Affekte darzustellen, zu verhüllen oder zu symbolisieren. Wo dies stattfindet, wo also Handlungen beliebig ausgeführt, vermieden oder geplant werden können (wie im Fall der Verkleidung Tristans als Mönch), da ist von Inszenierungen zu sprechen, nicht von Gesten.
Philipowski (2000: 465) versteht Gesten als Dokumente der Wirklichkeit, Inszenierungen dagegen als Abbilder und unterscheidet (ebd.: 466): „Sie [d.i. die Geste, A.K.] ‚ist‘ und ‚bedeutet‘ nicht.“ Philipowski entwickelt hier einen Gestenbegriff, der der mittelalterlichen Körpervorstellung nahezukommen versucht, sich hierdurch aber vom mittelalterlichen Begriff der gebaerde entfernt, so dass ihre Definition hier nicht überzeugt. Die kulturspezifischen Gesten, also z. B. Rechtsgebärden und Gebärden in ikonographischer Kunst, sind durchaus in einem arbiträren Zeichensystem verankert, das Objektivität und Lesbarkeit gewährleisten konnte, wie u. a. Wenzel (1995: 161) herausstellt: „Die Bedeutung der Handlung ist durch Konventionen festgelegt, die dargestellte Handlung durch bezeichnende Gesten definiert“ (vgl. auch SchmidtWiegand 1982: 365). Vor allem bleibt festzuhalten, dass Inszenierung und Gesten sich gerade nicht ausschließen, sondern dass es Bestandteil des höfischen Körpers ist, sich
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in Szene setzen zu können – weil er die Sprache der Zeichen erlernt hat, weil er die Konventionen kennt, die die Zeichen brauchen, um lesbar zu sein, weil er sie bewusst einsetzen und somit seine Höfischkeit präsentieren kann. Höfischkeit beruht ja gerade auf Repräsentation, darauf, dass sie öffentlich sichtbar gemacht wird, auf einer Abgrenzung zum Nichthöfischen⁵⁴, auf einer Kontrolle – der disciplina – des Körpers, einer Kontrolle des Seins. Deshalb ist die Sphäre der Heimlichkeit eben auch die Sphäre des nichthöfischen Handelns, öffentliches Handeln dagegen Grundlage, um im höfischen Kontext Wirklichkeit sein zu können (vgl. Wenzel 1988b: 339 – 345). Wenzel (ebd.: 337) stellt heraus, dass sich die Adelsgesellschaft als „Idealgemeinschaft“ inszeniert und betont mit Bezug auf Habermas (51971: 21): In der öffentlichen Erscheinung des Herrn bestätigt sich die Legitimität von Herrschaft deshalb immer neu als eine sichtbare Aura der Herrschaft, durch „Insignien (Abzeichen, Waffen), Habitus (Kleidung, Haartracht), Gestus (Grußform, Gebärde) und Rhetorik (Form der Anrede, förmliche Rede überhaupt)“ – insgesamt also durch einen festgelegten Kodex ‚höfischen‘ Verhaltens.
Insofern kann auch die Wahrheit übers Gebaren sichtbar gemacht werden und über diese Sichtbarmachung im höfischen Weltbild erst den Status der Realisation erlangen. Gleichzeitig ist es aber auch möglich, dieses theoretisch verlässliche Zeichensystem für ein täuschendes In-Szene-Setzen zu nutzen und Gesten und Gebärden entsprechend einzusetzen, um innerhalb dieses Systems zu manipulieren. Wo aber fängt Manipulation tatsächlich an? Wird ein Herrscher bereits dann manipuliert, wenn eine Bitte durch einen Fußfall oder Tränen begleitet wird (vgl. zu den Bittgesten Althoff 1996)? Ist dies noch ein ‚Gewogen-Machen‘⁵⁵, der Versuch, den Herrscher mit traditionellen Mitteln für das eigene Ziel zu gewinnen und tatsächliche Unterwerfung, oder ist es eine gezielte Einflussnahme auf die Entscheidungsmöglichkeit eines Herrschers, der genötigt ist, einem öffentlichen Knie- oder Fußfall die entsprechende Reaktion folgen zu lassen? Althoff (1994: 471) stellt fest: „Bestimmte Zeichen forderten bestimmte Reaktionen, so dass es schon ein gewaltiges Aus-der-Rolle-Fallen bedeutete, wenn man diesen Konventionen nicht folgte.“ Somit wird Kommunikation kalkulierbar, berechenbar – und eben manipulierbar, indem diese Kalkulierbarkeit für das Erreichen von eigenen Zielen fruchtbar gemacht wird. Wie auch beim höfischen Sprechen hängt die Bewertung der Gebärden und des Gebarens von Konvention, Situation und Konstellation ab, auch die Reaktion auf das körperliche Verhalten und Kommunizieren. Figurenrede und Gebaren bzw. der Einsatz einzelner Gebärden gehören für eine funktionierende Kommunikation zusammen. Sie können sich gegenseitig unterstützen, teilweise ersetzen oder gehören, etwa beim
Hierzu hält Soeffner (1988: 521) treffend fest: „Gesten, Zeichen, Sprache sind Hilfsmittel, die Grenzen zwischen Individuen zu überwinden. Zugleich jedoch fungieren sie als Markierungen und Hinweisschilder, die auf diese Grenzen hinweisen.“ Wobei auch dieser Ausdruck schon auf eine Manipulation verweist.
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Gruß, konventionell zusammen und ergeben erst gemeinsam die adäquate höfische Interaktionsform. Es bleibt für die einzelnen Figuren und Redeszenen zu hinterfragen, ob Gebärde und Rede einander entsprechen oder möglicherweise das Gebaren etwas anderes ausdrückt als die Rede, ob das Kommunikationssystem regelkonform genutzt, unterlaufen oder etwa manipuliert wird – und ob diese Manipulation dann durch Figurenrede oder bestimmte Gebärden erreicht wird oder eben durch ihr Zusammenspiel.
5 Explizite und implizite Charakterisierung durch Figurenrede Eine Charakterisierung durch Figurenrede kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Neben eher formalen Fragen ist hierbei zu berücksichtigen, welcher Art die Informationen sind, die über die Figur gegeben werden und auf welche Weise sie gegeben werden: Handelt es sich um einen Eigen- oder Fremdkommentar, um (reine – sofern dies möglich ist –) Fakten oder perspektivisch zu wertende Aussagen, die explizit geäußert oder implizit erschlossen werden müssen? Lässt sich das Selbstverständnis einer Figur anhand einer Äußerung klar benennen und stimmt das Figurenselbstverständnis mit dem des Autors, Rezipienten und anderer Figuren überein? Hier soll auf Manfred Pfisters (112001) fürs Drama entwickelte „Repertoire möglicher Techniken der Figurencharakterisierung“ zurückgegriffen werden, „das die Vorteile hat, auf epische Texte übertragbar und einfach aufgebaut zu sein“ (Schuhmann 2008: 44). Pfister (112001: 251) benennt „vier Klassen von Techniken der Figurencharakterisierung: explizit-figurale, implizit-figurale, explizit-auktoriale und implizit-auktoriale[.]“ Für die Charakterisierung durch Figurenrede sind die explizitfigurale wie die implizit-figurale Technik relevant, die Schuhmann (2008: 43 – 121) für die Analyse des Parzival erprobt hat. Folgend sollen beide Techniken vorgestellt werden und ihre Grenzen und Möglichkeiten für die Analyse des Tristan herausgestellt werden.
5.1 Explizit-figurale Charakterisierung durch Figurenrede Für explizit-figurale Figurencharakterisierungen hält Pfister (112001: 251) fest, dass diese „durchgehend sprachlich“ sind: „Sie lassen sich aufteilen in den Eigenkommentar, in dem eine Figur gleichzeitig Subjekt und Objekt der Informationsvergabe ist, und den Fremdkommentar, in dem Subjekt und Objekt der Informationsvergabe nicht identisch sind.“ Hierbei liegt also eine Perspektivierung der Information aus Sicht der jeweils sprechenden Figur vor. Für den Eigenkommentar hält Pfister fest, dass eine Figur hierdurch ihr „Selbstverständnis“ (ebd.) explizit äußere, wobei die Glaubwürdigkeit der Äußerung auch davon abhänge, ob diese dialogisch oder monologisch geäußert werde (vgl. zur Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit einer Figur Jannidis
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2004: 202– 203). Die monologische Rede wird hier unter Vorbehalt als verlässlicher eingestuft; zwar kann auch hier ein „verzerrtes Selbstverständnis artikulier[t]“ (Pfister 11 2001: 251– 252) werden, beim dialogischen Eigenkommentar kommen jedoch als weitere Verzerrungsfaktoren die strategischen Absichten und partnertaktischen Programme dazu, die die Figur ihrem Dialogpartner gegenüber verfolgt und die zu einer bewußt falschen Selbstdarstellung greifen lassen können. (Ebd. 253)
Dies gilt grundsätzlich auch für den Fremdkommentar, wobei zu berücksichtigen ist, ob die Figur, über die explizite Informationen vergeben werden, an- oder abwesend ist. Gerade Pfisters (ebd.) Überlegungen zu „strategischen Absichten und partnertaktischen Programme[n]“ führen aber von dem weg, was als Selbstverständnis einer Figur verstanden werden kann; es führt vielmehr hin zu einem angestrebten Fremdbild. Hierdurch kann ein Hinweis darauf gegeben werden, dass die Figur reflektiert wahrnimmt, dass sie mit der Darstellung ihres tatsächlichen Selbstverständnisses nicht erfolgreich kommunizieren würde – die Ebene der Explizitheit ist mit solchen Überlegungen allerdings längst verlassen. Auch Schuhmann (2008) stellt fest, dass eine Figur zwar explizit Informationen über sich geben kann, dass diese aber nicht zwangsläufig ihr Selbstverständnis ausdrücken müssen. Er schlägt, um „Abgrenzungsschwierigkeiten“ zu umgehen, vor, „unter der expliziten Figurencharakterisierung all die explizit über die Rede der Figur vermittelten Informationen zu verstehen, die in irgendeiner Weise auf diese Figur bezogen sind“ (Schuhmann 2008: 44). Auf den Fremdkommentar geht Schuhmann nicht ein, obwohl auch diesem in vielfacher Hinsicht charakterisierende Funktion zukommen kann – einerseits, wie angemerkt, indem eine andere Figur fremdcharakterisiert wird. Andererseits kann ein Fremdkommentar auch die sprechende Figur charakterisieren, indem nicht nur ihre Perspektive auf eine andere Figur und mit dieser verbundene Ereignisse deutlich gemacht wird, sondern alleine der Umstand, dass diese Figur über Wissen verfügt, das eine andere Figur charakterisiert, implizit eine Charakterisierung der sprechenden Figur darstellt (vgl. Pfister 112001: 253 – 254). Hier soll unter explizit-figuraler Charakterisierung nun all jenes behandelt werden, was als „direkte[ ] Zuschreibung von Figureninformationen“ (Jannidis 2004: 209) verstanden werden kann – nur eben aus Figurenperspektive geschildert. Ob es sich um tatsächliches, figurenperspektivisch vermitteltes zuverlässiges Figuren-Faktenwissen oder um fingierte, strategisch vermittelte Angaben handelt, muss entsprechend für jeden Einzelfall überprüft und kontextuell eingeordnet werden. Dass sich hierbei explizit-figurale und implizit-figurale Charakterisierung immer wieder berühren bzw. überlagern, stellt Pfister (112001: 253 – 254) selbst heraus: Der explizite Eigen- und Fremdkommentar kann nicht isoliert betrachtet werden, da er immer mehr oder weniger stark durch implizite Selbstcharakterisierung überlagert wird. Durch die Art und Weise des expliziten Eigenkommentars charakterisiert sich gleichzeitig die Figur jeweils auf
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implizite Weise selbst, wobei die explizit vergebene Information durch die implizite entscheidend relativiert, ja sogar dementiert werden kann. Und analog charakterisiert sich eine Figur implizit dadurch, wie sie eine andere Figur explizit kommentiert.
Auch Schuhmann (2008: 45) betont die mangelnde Trennschärfe beider Kategorien und ihre Zusammengehörigkeit: Isoliert von der Form⁵⁶, also der impliziten Charakterisierung, und vom Kontext kann man die explizite Informationsvergabe über die Rede einer Figur nur betrachten, wenn man sie als besondere Spielart der Narration, als ein Verschieben von Informationen in die Figurenrede, als ein perspektivisches Darstellungsverfahren begreift […]. Uns interessiert hier aber gerade der Zusammenhang zwischen Figur und Rede, das, was die Rede speziell zur Konstitution eines Bilds der Figur beiträgt – und dafür gehören implizite und explizite Charakterisierung zusammen.
Es bleibt also auch für explizit genannte Informationen immer zu hinterfragen, wann sie von wem in welcher Reihenfolge und Weise genannt werden, welche Intention sich dahinter verbirgt und wer der Kommunikationspartner ist, um diese Informationen, die auf den ersten Blick „relativ einfach erkannt“ (ebd.) werden können, auch entsprechend ausdeuten, bewerten und für die Charakterisierung tatsächlich umfassend verwerten zu können.
5.2 Implizit-figurale Figurencharakterisierung durch Figurenrede Während die explizit-figurale Charakterisierung laut Pfister (112001: 251) „durchgehend sprachlich“ ist, gilt dies für die „implizit-figuralen Charakterisierungstechniken“ nur teilweise, da hierunter auch das Figurenaussehen, -verhalten und der „Rahmen, den sie [d. i. die Figur, A.K.] dafür schafft (Bekleidung, Requisiten, Interieurs)“ (ebd.: 257), fallen. Hiermit wird ein wesentlicher Teilbereich der Figurenkommunikation in die Charakterisierungstheorie miteinbezogen: Das Gebaren einer Figur, das dem mittelalterlichen Verständnis folgend auch „Kleidung, Haartracht und Objektadaption“ (Schubert 1991: 6; vgl. hierzu insgesamt Kapitel 5) einschließt. Nicht nur im Kontext der höfischen Repräsentation kommt u. a. der Kleidung eine explizite kommunikative Funktion zu, eine Ausweisfunktion, die eine Lesbarkeit des Menschen im mittelalterlichen System der Kleidersymbolik gewährleistet und gleichermaßen Selbst- wie Fremdverständnis explizit ausdrücken kann.⁵⁷ Auch das Verhalten ist im höfischen Kontext streng reglementiert, so dass für die höfische Literatur durch „Aussehen, […]
Die Form kann zwar implizit charakterisierend sein, jedoch sind Form und implizite Charakterisierung nicht gleichzusetzen; vielmehr ist die Form einer der Teilbereiche, die implizit charakterisierend eingesetzt und entsprechend gedeutet werden können. Bestimmte soziale Stellungen, Kontexte und Status verlangen nach unterschiedlicher Kleidung, die bewusst eingesetzt werden kann und i. d. R. wird, so etwa Pracht- und Bußgewänder, schadhafte Kleidung, Schand- und Pilgerkleider etc. (vgl. Brüggen 1993).
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Verhalten und […] Rahmen“ (Pfister 112001: 251) nicht nur eine implizite Selbstdarstellung gegeben ist, sondern darüber hinaus durchaus eine explizit-kommunikative Aussage getroffen werden kann. Wie auch im Bereich der Sprache kommt es hier also zu Überlagerungen expliziter und impliziter Charakterisierung (vgl. Schuhmann 2008: 45). Pfister (112001: 177– 178) hält für die implizite Charakterisierung fest, dass „der Rezipient aus der Explizitheit in die Implizitheit verwiesen und so mit der Aufgabe konfrontiert [wird], nicht Zeichen zu decodieren, sondern Anzeichen zu interpretieren […].“ Hierzu merkt Schuhmann (2008: 45 – 46) an: Zugleich ist die implizite Charakterisierung der Figur für ihr Verständnis sehr wichtig – sie überlagert die explizite Charakterisierung, […], sie kann das Verständnis dieser expliziten Charakterisierung verändern, und anders als die direkt vermittelten Informationen über die Figurenrede spiegelt sie nicht den Sprechstandpunkt der Figur wieder[!][.]
Wo im Kontext der Figurenrede in mittelhochdeutscher Epik lassen sich nun Hinweise auf implizit-figurale Charakterisierungen finden? Pfister (112001: 178) verweist für das Drama u. a. auf die „STILISTISCHE TEXTUR“, also die Frage nach der Charakterisierung des sozialen Hintergrunds einer Figur über ihre Sprache durch regiolektale oder soziolektale Merkmale wie das Benutzen von Dialekt, Hoch- und Fachsprache und einem elaborierten vs. restringiertem Code. Während die regiolektalen Merkmale für die Figurenrede in mittelhochdeutscher Epik zu vernachlässigen sind (vgl. Paul 252007: § E 8), spielen die soziolektalen Merkmale durchaus eine Rolle, so etwa das Beherrschen höfischer Kommunikations- und Sprachnormen in Abgrenzung zur weniger elaborierten und reglementierten Sprache der dörperheit (vgl. Karin 2017: 209). Hierzu zählen auch Kenntnisse in Fach- und Fremdsprachen: Während das Beherrschen und strîfeln des Französischen zur höfischen Sprecherkompetenz dazugehört, geht das Beherrschen weiterer Fremdsprachen über den erwartbaren Bildungsgrad einer höfischen Figur hinaus und grenzt sie somit von anderen ab. Ebenso verhält es sich mit terminologischen Kenntnissen in besonderen höfischen Disziplinen, etwa der Jagd, durch die Figuren charakterisiert und untereinander abgegrenzt werden können. Inwieweit das Einsetzen dieser Terminologie wiederum tatsächlich implizit gedeutet werden kann oder von der Figur explizit-strategisch eingesetzt wird, ist im Einzelfall zu unterscheiden.⁵⁸ Weiterhin zählen zur stilistischen Textur auch „alle relevanten Abweichungen von den ‚normalen‘ Häufigkeitsrelationen im Bereich der syntaktischen und lexikalischen Selektion und Kombination“ (Pfister 112001: 178 – 179) – also für die mittelhochdeutsche Epik der Bereich, in dem sich höfisches von unhöfischem Sprechen unterscheidet (vgl. Miedema 2007: 186). Darüber hinaus fallen hierunter beispielsweise auch der Wortschatz einer Figur und das Verwenden „idiomatischer oder klischee-
Das strategische Sprechen wiederum ist implizit auszudeuten und nicht als explizit-charakterisierender, also faktenvermittelnder Eigenkommentar zu deuten.
5 Explizite und implizite Charakterisierung durch Figurenrede
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hafter Wendungen“ (Pfister 112001: 179), wobei bestimmte wiederkehrende Formulierungen in der mittelhochdeutschen Epik durchaus auch der Reglementierung der höfischen Sprache geschuldet sein können und somit für den Einzelfall entschieden werden muss, ob das Verwenden bestimmter Wendungen, unabhängig von der Häufigkeit, tatsächlich figurenspezifisch ist oder ob diese Wendungen möglicherweise weniger als figurencharakteristisch sondern eher als figuren- und situationstypisch⁵⁹ zu bewerten sind.⁶⁰ Auch die Stringenz und Reihenfolge des Geäußerten kann für die implizite Charakterisierung von Bedeutung sein, „hier haben zum Beispiel eine streng logische Verbindung, eine mehr assoziative Reihung oder ein unverbundenes Nebeneinander Hinweischarakter auf die Bewußtseinsstruktur der Figur“ (ebd.: 178). Schuhmann (2008: 52– 53) ordnet u. a. die Bereiche „Wortschatz“, „syntaktische Form der Rede“, „Vertextungsstrategien (Umschreibungen, Sentenzen etc.)“, „in der Rede berührte semantische Felder“ und „die Reihenfolge bestimmter Informationen oder Sprechhandlungen in der Rede“ der „Form als Trägerin impliziter Charakterisierung“ zu. Den Begriff „Form“ führt er in Abgrenzung zum Begriff „Sprechakt“ ein. Unter Sprechakt versteht er u. a. in Hinblick auf das Kommunikationsziel, aber auch, um die „Handlungskomponente der Figurenrede [zu] betonen“ mit Bußmann (2002: 641) in einer weitgefassten Begriffsdefinition „jede Handlung, die sich in der Hervorbringung von sprachlichen Zeichen manifestiert“ (vgl. Schuhmann 2008: 49 – 50). Schuhmann (ebd.) verweist selbst darauf, dass eine eindeutige Trennschärfe in Zuordnung und Bewertung der Charakterisierungskomponenten zu Sprechakt oder Form nicht zu erreichen ist. Für die oben genannten Begriffe erscheint es mir insofern sinnvoller und treffender, mit der vorgeschlagenen Terminologie Pfisters zu arbeiten. Neben der stilistischen Textur spielt das „SPRACHLICHE VERHALTEN“ (Pfister 11 2001: 179) eine wichtige Rolle im Kontext der implizit-figuralen Charakterisierung. Hierbei steht die „Art und Weise“ (ebd.) des sprachlichen Interagierens der Figuren im Zentrum, also etwa das Eingehen auf eine „vorausgehende Replik“ (ebd.), in dem sich
Charakter und Typus unterscheiden sich nach Menge und Komplexität der Figurenmerkmale sowie danach, ob eine Figur, angestoßen durch die von ihr gemachten Erfahrungen, Veränderungen durchmacht bzw. Entwicklungen durchläuft (Charakter) oder nicht (Typus) (vgl. weiterführend Jannidis 2004: 103).Viele Figuren der mittelhochdeutschen Epik lassen sich grundsätzlich bestimmten Figurentypen zuweisen, dennoch sind sie nicht zwangsläufig rein schematisierte Typen, sondern können durchaus charakterliche Entwicklungen aufweisen (vgl. auch Schuhmann 2008: 48). Ob bestimmte Wendungen und Formulierungsweisen einer Figurenrede als charakteristisch oder typisch gedeutet werden müssen, ergibt sich über den Vergleich solcher Figurenreden, die „im Sprechakt, im abstrahierten Situationsbezug und im verfolgten Kommunikationsziel weitgehend übereinstimmen. Solche Vergleiche können zugleich allgemeine Züge der Sprachgestaltung im Werk deutlich machen, die nicht als Besonderheit der sprechenden Figur zugerechnet werden dürfen. Als Ergebnisse dieser Vergleiche stehen dann (hypothetische) generelle, nicht markierte Ausdrucksweisen für bestimmte Situationen, gegen die erst die individuellen Gestaltungen der Figurenreden in ihrer Form aussagekräftig werden“ (Schuhmann 2008: 53). Die Vergleiche können gleichermaßen textintern wie textextern vorgenommen werden.
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
zeigt, ob eine Figur auf die vorige Äußerung (argumentativ) eingeht oder diese in ihrer Antwort übergeht und ihre eigenen Gedanken weiter – möglicherweise monologhaft – vorträgt. Hierzu zählt ebenfalls die Länge der Figurenäußerung, wobei „eine stark ausgeprägte Tendenz zu monologischem Sprechen auf Egozentrik verweisen, […] häufiges Ins-Wort-Fallen […] auf Ungeduld oder Dominanzstreben schließen lassen [kann]“ (ebd). Ebenfalls bedeutsam sind partnertaktische Interaktionen, die von einer sprachlichen Anpassung an den Gesprächspartner bis hin zu einem Verstellen ihm gegenüber reichen können, wobei Letzteres wiederum explizit-strategische Züge annehmen kann (vgl. ebd.). Sowohl das sprachliche Verhalten als auch die stilistische Textur haben gemein, dass sie einerseits im Handlungskontext, andererseits aber auch auf Rezipientenseite Bewertungen ausgesetzt sind. Bewertet wird z. B. die Angemessenheit der Rede – hierbei ist zu unterscheiden, ob die Rede unter sozialen Gesichtspunkten angemessen formuliert ist, also etwa dem höfischen Sprachduktus folgt, oder ob sie eher strategisch angemessen ist, um das angestrebte Kommunikationsziel zu erreichen – etwa im Fall von Verstellung und List. Die Rede kann also je nach Perspektivierung gleichzeitig angemessen und unangemessen sein, indem sie zwar z. B. in der Formulierung den höfischen Regeln folgt, als Lüge aber inhaltlich als nichthöfisches Sprechen gewertet werden muss (vgl. Karin 2017: 211). Wesentlich für die implizite Charakterisierung und unabhängig von der werkinternen Rezeption durch andere Figuren ist hierbei immer, ob das von der Figur angestrebte Kommunikationsziel erreicht wird (vgl. Schuhmann 2008: 50). Letztlich gibt das Ziel dem Rezipienten Aufschluss darüber, wie die Rede gewertet werden soll – ob sie dem Ziel adäquat formuliert ist und dabei auch dem jeweiligen Gesprächspartner gerecht wird. Darüber hinaus kann das Kommunikationsziel selbst schon grundlegender Teil einer impliziten Charakterisierung sein. Ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der impliziten Charakterisierung beachtet werden muss, sind formale Aspekte der Figurenrede: „Wenn die Form der Äußerung dem Kommunikationsziel oder der Situation nicht angemessen ist, wird die Bewertung der zu Grunde liegenden Sprechhandlung und damit des Sprechers entscheidend beeinflusst.“ (Ebd.: 52). Hierunter fällt beispielsweise „die Artikulation der Rede (in schriftlichen Texten eventuell durch graphische Kennzeichnungen, eine besondere metrische Gestaltung, Enjambements etc. ausgedrückt) […] [sowie] die Art der Präsentation, direkt oder indirekt“ (ebd.: 53). Schuhmann (ebd.) schlägt als Vorgehensweise zur Ermittlung von formalen Besonderheiten, die charakterisierend wirken, den Vergleich mit anderen textinternen und textexternen Figurenreden vor, die entsprechend in Kommunikationsziel, Sprechakt und Situationsbezug übereinstimmen sollen. Diese Vorgehensweise bietet sich nicht nur für formale Markierungen charakterisierender Komponenten an, sondern eignet sich ebenso für alle inhaltlichen Markierungen, wobei Form und Inhalt der Figurenreden grundsätzlich nicht sinnvoll getrennt voneinander betrachtet werden können (vgl. auch ebd.). Schuhmann konzentriert sich für seine Auseinandersetzung mit der formalen Seite impliziter Charakterisierungen auf Metrik, Reim, Enjambement und Anakoluth und kann v. a. die Grenzen dieser formalen Mittel für die Charakterisierung in Wolframs Parzival auf-
5 Explizite und implizite Charakterisierung durch Figurenrede
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zeigen. Für die Metrik legt er die Annahme eines alternierenden Vierhebers zugrunde, wobei er verdeutlicht, dass Vierhebigkeit nicht tatsächlich vorausgesetzt werden kann (vgl. ebd.: 58). Einen tatsächlichen Einfluss von Metrik⁶¹ und Reim auf die Charakterisierung kann Schuhmann nicht nachweisen, merkt aber an, dass der Vortrag einen entsprechenden Einfluss auf die Rezeption als charakterisierendes Element haben könnte. Bezüglich Enjambements kommt Schuhmann zu dem Schluss, dass diese Sprecherwechsel markieren können; außerdem können sie helfen, Sprecher zu unterscheiden und eine Rede höfischer klingen zu lassen – auch dies muss allerdings durch die Situation der Rede gestützt werden und ist für den Einzelfall zu entscheiden, also nicht als generelle Eigenschaft von Enjambements zu werten. Grundsätzlich sind diese eher als rhetorische Mittel zur „Aufmerksamkeitslenkung“ (ebd.: 68) zu verstehen, die Inhalte durch ihre besondere Stellung herausheben und somit betonen (vgl. ebd.: 71). Für Anakoluthe stellt Schuhmann (ebd.) mit Berufung auf die „Mittelhochdeutsche Grammatik“ (Paul 241998: §494) die potentielle Möglichkeit fest, als Stilmittel „gebraucht zu werden, um eine Aussage eindrucksvoller hervorzuheben, als es die ganz korrekte Form vermöchte.“ Er schränkt diese Möglichkeit aber selbst ein, indem er darauf aufmerksam macht, dass die mittelhochdeutsche Syntax „ein Konstrukt ist, abgeleitet aus wenigen metrisch gebundenen Texten – und dieses Konstrukt noch dazu durch Unbestimmtheit geprägt ist, wie ein Blick in die Mittelhochdeutsche Grammatik zeigt“ (Schuhmann 2008: 72, vgl. auch Paul 241998: 283 – 285).⁶² Seine Analyse führt entsprechend vom Anakoluth weg und hat als Ergebnis, dass „[die] Komplexität einer Figurenrede […] durchaus kennzeichnend für die Figur sein [kann] […]. Anakoluthe (oder ihren Anschein) nutzt Wolfram für diesen Eindruck jedoch nur selten.“ (Schuhmann 2008: 74). Da Schuhmann (ebd.: 73) den Beleg, den er für die Untersuchung des Anakoluths anführt, nach seiner Analyse nur noch als „Behauptung eines solchen“ charakterisiert, kann er zu Anakoluthen faktisch keine Aussage treffen.⁶³ Die Konzentration auf die o.g. formalen Mittel zur impliziten Charakteri-
Für einen Beispielvers hebt Schuhmann (2008: 60 – 61) bei metrischer Unauffälligkeit eine Veränderung des Sprechrhythmus durch den Einschub einer Anrede zwischen zusammengehörige Satzglieder sowie ein Verb, das als einziges innerhalb des Verses dreisilbig ist, hervor und konstatiert eine daraus resultierende Hemmung des Sprechflusses. Hierin sieht er weniger eine charakterisierende Funktion als vielmehr eine Markierung des Sprecherwechsels. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass nicht nur metrisch gebundene Texte Grundlage der Grammatik Ingeborg Schröblers sind, wie auch dem Vorwort des Syntaxkapitels der 24. Auflage der „Mittelhochdeutschen Grammatik“ zu entnehmen ist. Dennoch bleibt die Syntax ein Konstrukt, das auf schriftlicher, variantenreicher Überlieferung basiert. Auch in der 25. Auflage der „Mittelhochdeutschen Grammatik“ verdeutlicht Prell (2007: VII – VIII) im Vorwort zur Syntax, dass „[eine] Beschreibung der mhd. Syntax auf der Grundlage eines einheitlichen, alle Zeiträume, Landschaften und Textsorten des Mittelhochdeutschen umfassenden Textkorpus […] somit weiterhin eine Aufgabe für die Zukunft [ist].“ Auch in der 25. Auflage der „Mittelhochdeutschen Grammatik“ ist der Paragraph zum Anakoluth getilgt, er findet nur noch Erwähnung in § S 226 und dort auch nur vorsichtig bezeichnet als „‚Anakolutherscheinung‘“ (Paul 252007: § S 226).
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II Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sierung erweist sich also als insgesamt wenig ergiebig, kann aber im Kontext durchaus Hinweise auf die Figurencharakterisierung geben. Um eine Figurenrede unter implizit-charakterisierenden Gesichtspunkten analysieren zu können, können alle im Kontext des vorliegenden Kapitels besprochenen Punkte entscheidende Hinweise geben. Am aufschlussreichsten ist in diesem Zusammenhang sicherlich die direkte Realisation der Rede, aber auch indirekte Rede und Redebericht können und müssen herangezogen werden: Hier wird die Bewertung der Rede potentiell etwas stärker gelenkt, je nachdem, wie neutral oder wertend der Erzähler die Rede vermittelt. Auch im Redeumfeld, gerade im Bereich der erweiterten inquit-Formel, werden Hinweise auf die Wertung der Figur im Kontext ihrer Rede, aber auch auf die Wertung der Rede selbst gegeben.⁶⁴ Je nach Figurenrede ist die Figurenkonstellation grundlegend, um sowohl den Situationsbezug als auch das Kommunikationsziel und hieraus resultierendes partnertaktisches Verhalten der Figuren ableiten zu können – in diesen Kontext fällt auch das Gebaren der Figur, das wiederum abhängig ist von der Figurenkonstellation. Und weiter ist auch alles, was explizit-figural gewertet werden kann, Gegenstand einer implizit-figuralen Analyse. Wie stark jede einzelne der angesprochenen Komponenten ins Gewicht fällt, ob eine inhaltlich herausstechende Rede auch formal besonders markiert ist oder nicht, ob nur ein oder alle hier vorgestellten Punkte in die Charakterisierung der Figur durch ihre Rede einbezogen werden können oder müssen, muss für den jeweiligen Einzelfall geprüft werden.
Hier können paralinguistische Hinweise etwa auf die Stimmmodulation gegeben werden, sowohl über redequalifizierende (Emotions‐)Hinweise als auch über spezifische verba dicendi wie z. B. ruofen (vgl. Hundsnurscher 2007: 110 – 111; Pfister 112001: 78).
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede Für die Charakterisierung einer Figur über ihr sprachliches Verhalten sind, wie gezeigt, unterschiedliche Aspekte und Teilbereiche der Kommunikation und ihrer literarischen Verschriftlichung relevant. Gemein haben diese Einzelaspekte, dass eine fundierte Aussage über die Figur in der Regel nicht durch eine separate Betrachtung und Analyse einzelner Elemente zu treffen ist, sondern erst die Summe und Kombination verschiedener Aspekte ein umfassendes Bild der Figur ermöglicht. Wie entwickelt sich die Figur, welche sozialen Voraussetzungen bringt sie mit, wie setzt sie sich zu anderen Figuren in Beziehung und welche Rolle spielt die sprachliche Interaktion überhaupt für die Figur? Wird sie in vielfältigen kommunikativen Rahmen gezeigt oder primär im selben Umfeld, in ähnlichen Konstellationen und Situationen? Bleibt sie in ihrem sprachlichen Umgang mit anderen Figuren und Situationen stringent oder ist sie eher wechselhaft gezeichnet? Wiederholen sich Merkmale oder bleiben sie vereinzelte Schlaglichter auf die Figur? Ist die Figurenzeichnung stereotyp und rein rollen- oder typengebunden oder lassen sich auch in einem mittelhochdeutschen Roman schon Reflexe von einer individuellen Figurenzeichnung erkennen? Eine Annäherung an diese Fragen, vor allem aber an die Figuren selbst soll in einer umfassenden Analyse der Figuren Tristan und Marke im Kontext unterschiedlicher Redeszenen erfolgen. Die Wahl der beiden Figuren ist durch verschiedene Aspekte motiviert. Am offenkundigsten ist das besondere Beziehungsgefüge, die besondere Konstellation, in der Tristan und Marke sich befinden. Dieses Gefüge ist nicht nur diversen Entwicklungen unterworfen und Einflüssen ausgesetzt, sondern zeigt zwei Figuren, die erst in einem symbiotischen, später in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stehen. Marke und Tristan sind bis zum Eintritt Isoldes in die Konstellation die primären Interaktionspartner füreinander, ein Großteil der dargestellten Figurenkommunikation zeigt beide Figuren im Austausch miteinander. Beide Figuren sind Männerfiguren, Tristan ist der Protagonist, Marke eine Nebenfigur, aber die wohl wichtigste männliche Nebenfigur im Roman. Sie werden über einen vergleichbaren Zeitraum gezeigt. Änderungen im Schicksal des einen Mannes wirken sich in der Regel auch mittelbar oder unmittelbar auf den anderen aus, so dass man im Grunde von einer teilweise gemeinsam vollzogenen Entwicklung und aufeinander aufbauenden Charakterisierung sprechen kann, wobei dies für Marke in einem stärkeren Rahmen als für Tristan zutrifft. Das Hauptaugenmerk soll auf Tristan als männlichem Protagonisten liegen. Tristan erweist sich als sehr firm im Umgang mit Sprache, die er nicht nur in Lügen und Listen gut für sich zu nutzen weiß und die er geradezu virtuos einsetzt, um seine Ziele zu erreichen (vgl. Karin 2014: 83). Er sticht aus dem gesamten Figurenensemble im Tristan schon dadurch heraus, dass seine Geschichte von seiner Geburt an erzählt wird⁶⁵ und auch seine Jugendzeit einen wesentlichen Teil der Narration ein Faktisch beginnt Tristans Geschichte bereits in der Elternvorgeschichte. https://doi.org/10.1515/9783110572476-005
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
nimmt. König Marke begleitet Tristan als Förderer und Vaterfigur, bevor die Dreiecksgeschichte um Tristan, Marke und Isolde beginnt. Er unterliegt als Figur großen Wandlungen und ist durch eine ausgeprägte Ambiguität und (vermeintliche?) Inkonsistenzen gekennzeichnet: Er entwickelt sich vom „höfischen König schlechthin“ (Karg 1994: 71) zur Vaterfigur bzw. zum Onkel Tristans, weiter zum gehörnten Ehemann und unsympathischen (vgl. Kern 1988), schwachen Gegenspieler des Liebespaares (vgl. Karg 1994: 86 – 87). Er wird vom stummen, aber vorbildlichen Herrscher der Elternvorgeschichte zum sprechenden, aber unterlegenen König, vom Ersten im Reich zum Dritten in der Beziehung. Die enge Verflechtung der Figuren bedeutet aber auch, dass ihre Entwicklung nicht unabhängig voneinander stattfindet und sich dies auch in der Charakterisierung der Einzelfiguren niederschlägt, da ein großer Anteil der Kommunikation im Tristan Kommunikation zwischen den genannten Figuren ist: Hierdurch ergibt sich, dass Bewertungen der einen Figur implizit wie explizit auch eine Bewertung der anderen enthalten oder nahelegen können, dass die Figuren Charakterisierendes in Gesprächen innerhalb dieser Konstellation äußern und ihr sprachliches Verhalten einem direkten Vergleich oder einer gemeinsamen Analyse unterzogen werden muss, um entsprechende Figureninformationen aus der Figurenrede ziehen zu können. In solchen Fällen wird in diesem Kapitel der Schwerpunkt jeweils auf die Figur gelegt, deren Charakterisierung aktiv untersucht wird – die anderen Figuren dienen in diesem Kontext nur der Vergleichsfolie (zur Konstellation vgl. insgesamt Kapitel IV: 344 – 367). Auch die übrigen Figuren, die als Gesprächspartner der jeweils behandelten Figuren fungieren, werden entsprechend in die Charakterisierung eingebunden, und hierfür relevante Informationen zu diesen Figuren werden ebenfalls einbezogen und ausgedeutet. Die Untersuchung soll in zwei Teile gegliedert werden, in die Charakterisierung der Figur 1. über das Redeumfeld und 2. über ihre Reden selbst. Unter das Redeumfeld werden hier das inquit und alle im Zusammenhang mit der Rede stehenden, nichtsprachlichen Handlungen der Figuren subsummiert. Diese werden durch den Erzähler wiedergegeben und können eine große Varianz vom einfachen über ein erweitertes inquit bis hin zu umfangreichen Beschreibungen der Figur selbst oder ihrer Handlungen aufweisen. Dass dieser Bereich zunächst eigenständig betrachtet werden soll, ist dem Umstand geschuldet, dass es sich hierbei immer um einen Erzählerkommentar handelt, dass die Perspektive auf die Figur also nicht über die Figur selbst, sondern quasi von außen erfolgt. Der Erzähler kommentiert und bewertet nicht nur die Rede, sondern situiert auch die Figur im Kontext ihrer Rede, so dass Redebewertungen implizit auch Figurenbewertungen transportieren. Der ‚eigenständige‘ Blick auf das Redeumfeld ist dergestalt zu verstehen, dass auf die Figurenreden selbst nur erläuternd eingegangen wird, um das Redeumfeld angemessen be- und auswerten zu können. Unterliegt die Bewertung der Figur und ihrer Reden durch den Erzähler großen Wandlungen? Bleibt sie stringent oder ist sie grundsätzlich variant? In einem zweiten Schritt, in dem auch das Redeumfeld an angezeigter Stelle mit einbezogen wird, soll untersucht werden, wie die Figur durch ihre eigenen Reden und,
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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wenn relevant, auch Gedankenreden charakterisiert wird. Welche Merkmale erweisen sich als figurenspezifisch? Zeichnet sich die Figur durch Besonderheit oder Konventionalität aus, wie bewusst und gezielt setzt sie ihre Sprache ein? Wie stark geht sie auf die Reden anderer Figuren ein und reflektiert diese? Ist das sprachliche Verhalten der Situation, der Stellung und Konstellation der Beteiligten adäquat und wie wird dies sprachlich manifest? Für die Beurteilung wird auch die Reaktion der anderen interagierenden Figuren einbezogen: Wie wird der Interaktant beurteilt oder gespiegelt? Welche Schlüsse lassen sich daraus auf die untersuchte Figur ziehen? Und was sagt der Gesprächsverlauf insgesamt über die untersuchte Figur aus? Die Ergebnisse der deskriptiven Einzelanalysen sollen für die jeweils untersuchte Figur abschließend insgesamt ausgewertet und zusammengestellt werden.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise Im Kapitel „II.3 Redeumfeld“ (23 – 26) wurde deutlich, dass das Umfeld eine bedeutende Rolle spielt, um die Rede einer Figur durch den Erzähler kommentieren und einordnen zu lassen, ihre Rezeption zu steuern und Bewertungen zu platzieren (vgl. Miedema/Hundsnurscher 2007: 10). Diese Bewertungen können explizit sowohl die Rede selbst als auch die Figur betreffen oder durch die Art der Bewertung implizit beide zugleich. Dies gilt auch dann, wenn die Hinweise zunächst explizit nur auf entweder die Rede oder die Figur bezogen zu sein scheinen: Wird eine Rede als klug bezeichnet, ist dies etwa zunächst ein Urteil über die Rede, lässt aber auch Rückschlüsse auf den Sprecher zu. Für die Figurencharakterisierung im Rahmen des Redeumfelds spielen vor allem folgende Aspekte eine Rolle, die im Kontext der Beschreibung der Rede durch den Erzähler vermittelt werden können: 1. (allgemeine) redequalifizierende Hinweise, 2. redequalifizierende Emotionshinweise, 3. figurenqualifizierende Hinweise – hierzu zählen auch Hinweise auf (besondere) Fähigkeiten der Figur, 4. die Einbeziehung redebegleitender Umstände inklusive des Figurengebarens, 5. das Einsetzen besonderer verba dicendi. Grundsätzlich sind diese Aspekte klar voneinander abgrenzbar, teilweise können sie aber auch in Kombination auftreten. Die entsprechenden Angaben können die Rede einleiten, in eingeschobener Position oder auch im Nachfeld der Rede stehen. Einige der Aussagen können als generelle Wertungen gedeutet werden und in gleicher oder ähnlicher Form wiederkehren, bei anderen ist der Situationsbezug ausschlaggebend und es muss überprüft werden, ob die Wertung aus der Situation heraus verallgemeinerbar ist oder ob sie situativ gebunden bleibt.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Exemplarisch lässt sich anhand von Tristans erster wörtlicher Rede vorführen, wie eng die Bewertungskriterien z.T. miteinander verknüpft werden. Auf dem Schiff norwegischer Kaufleute sieht Tristan ein Schachbrett, das ihn dazu veranlasst, die Kaufleute anzusprechen. Das aufmerksame Betrachten des Spiels kann als Initialmoment der folgenden Rede gewertet werden (Tr 2228 – 2229): Tristan der tugende rîche der sach ez vlîzeclîchen an.
Die folgende kurze Rede wird durch ein einfaches inquit an eingeschobener Position unterbrochen und durch einen Erzählerkommentar im Anschluss an die direkte Rede näher bestimmt (Tr 2230 – 2233): „ei“ sprach er „edelen koufman, sô helfe iu got! und kunnet ir schâchzabelspil? daz saget mir!“ und sprach daz in ir zungen.
Die Rede wird hier durch eine Kombination mehrerer der oben genannten Kriterien gerahmt. Zunächst werden die redebegleitenden Umstände genannt (4), in diesem Kontext wird aber zugleich eine Figurenqualifikation vorgenommen (3) und die Rede bezüglich der verwendeten Sprache näher spezifiziert (1). Hierbei hängen alle Elemente miteinander zusammen und bauen aufeinander auf. Zuerst wird Tristan als der tugende rîche bezeichnet. Hierdurch wird in positiver Weise seine höfische Bildung hervorgehoben, die sowohl die höfische Wesensart als auch das Beherrschen besonderer Fertigkeiten umfasst.⁶⁶ Sein Gebaren ist von Überlegtheit und Sorgfalt geprägt (vgl. hierzu Lexer 1878: 407). Auch das Interesse für das Schachspiel zeugt von Tristans Höfischkeit, wird doch im Zuge von Tristans Ausbildung explizit erwähnt, dass er auch in den höfischen Spielen unterrichtet ist (vgl. Tr 2121– 2122). Der Eindruck der Höfischkeit Tristans wird durch die höfische Redegestaltung verfestigt. Hier wird der Eindruck durch die Anrede, das grüßende Anbefehlen der Kaufleute an Gott und Tristans ständische Überlegenheit, die sich darin äußert, dass er als Kind erwachsenen Männern gegenüber direkte Aufforderungen formulieren kann, evoziert (vgl. III.II.1.1: 96). Besonders herausgestellt ist der Verweis darauf, dass Tristan die Sprache der Kaufleute beherrscht und offenbar fließend spricht. Durch die Nachstellung des Erzählerkommentars und sprach daz in ir zungen wird betont, wie überraschend und außergewöhnlich dieses Können Tristans ist. Und außergewöhnlich ist es tatsächlich, denn Tristan ist nicht nur in der Lage, sein Anliegen formvollendet höfisch in der Sprache der Norweger, also auf Altnorwegisch, genauer Altwestnordisch oder Norrön
Im Lexer werden unter tugent, tugende u. a. folgende Bedeutungen notiert: ‚brauchbarkeit, tauglichkeit (diese urspr. bedeut. nur im ahd.); männliche tüchtigkeit, kraft, macht; eigenschaft, bes. gute eigenschaft, vorzüglichkeit, tugend; edle feine sitte u. fertigkeit‘ (Lexer 1876: 1560).
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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(vgl. zur Abgrenzung, Bezeichnung und Unterteilung der nordischen Sprachen im Mittelalter Haugen 2015: 11– 13; vgl. außerdem Werner 1985: 172), zu formulieren, er kennt darüber hinaus auch Fachbegriffe aus dem Feld höfischer Gesellschaftsspiele in der Sprache der Kommunikationspartner, deren Beherrschen für sich schon als Rarität zu werten ist (vgl.Wolf 1966: 136).⁶⁷ Denn es ist eine Sprache, die lützel ieman kunde dâ (Tr 2237).⁶⁸ Entsprechend weckt erst das Verwenden der Fremdsprache das Interesse der Kaufleute an Tristan (vgl. Tr 2234– 2242). Sowohl das redeeinleitende Betrachten des Schachbretts als auch der Verweis auf die Sprache, derer er sich bedient, rahmen Tristans Rede mit rede- und figurenqualifizierenden Hinweisen und situieren sie im Handlungsverlauf: Die Rede wird als fremdsprachlich klassifiziert und das Beherrschen der fremden Sprache qualifiziert ihren Sprecher als hochgebildet und mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet. Die hier für Tristans erste direkte Rede konstatierten Beobachtungen illustrieren den engen Zusammenhang von Rede- und Figurenqualifikation. Auch das Gebaren kann schon über kleine Handlungen wie das Anschauen eines Schachspiels figurencharakterisierende Hinweise liefern. Der Auslöser einer Rede kann relativ direkt in ihrem Vorfeld erwähnt werden, teilweise liegen einige Verse mit weiteren rederelevanten oder aber auch nicht direkt auf die Rede bezogenen Informationen zwischen der Rede und der Schilderung des Redeanlasses. Hierdurch kann das Redeumfeld in den rede- und figurenrelevanten Informationen in quantitativer wie qualitativer Hinsicht stark variieren. Auch das Nachfeld der Rede kann wichtige Hinweise auf die Einordnung der Rede und der Figur geben. Dabei werden Informationen nachgeliefert oder besonders herausgestellt. Im Folgenden sollen ausgewählte Kontexte dazu dienen, Redeumfelder der Figuren zu untersuchen: Die Kontexte und Aspekte, in und unter denen die Figuren betrachtet werden, sind so ausgewählt, dass möglichst alle wichtigen Facetten, die die Figur generell oder wichtige Entwicklungsschritte in der Figurengestaltung betreffen, betrachtet werden können. Einige zeigen die Figuren in verallgemeinerbaren Situationen und unter generalisierbaren Gesichtspunkten, andere in solchen, die als singulär zu bewerten sind. Das Gesamtbild, das sich aus den analysierten Textstellen ergibt, wird jeweils in einem Zwischenfazit evaluiert.
Dass es sich hierbei um eine besondere Fertigkeit handelt, wird auch im Folgenden vom Erzähler wieder aufgenommen und erneut betont (vgl. Tr 2287– 2292). Dieser Umstand dürfte nicht nur für die anwesende parmenische Gesellschaft gelten, sondern auch mit den realen Bedingungen am Hof sowie den Erfahrungen der Rezipienten übereinstimmen: Während französische Einsprengsel auch auf Französisch wiedergegeben werden, wird die Sprache der Kaufleute hier nicht abgebildet – auch dies stellt das Besondere dieser Sprache im Vergleich zum am Hof bekannten Französischen heraus. Somit bleibt gewährleistet, dass die höfischen Rezipienten dem Text folgen können (vgl. zur Abbildung des Französischen auch Werner 1985: 168).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
1 Tristan Das Suchen nach Identität, das Durchspielen verschiedener Rollen und der mehrfache, variierende „Durchgang durch den Tod“ (Wenzel 1988a: 231)⁶⁹, überhaupt der Lebenslauf im „Kontext des Todes“ (Schausten 2001: 34), sind kennzeichnend für die Tristanfigur. Ebenfalls charakteristisch ist der besondere Umgang Tristans mit der Sprache⁷⁰, die es ihm überhaupt erst ermöglicht, Rollenbilder glaubhaft zu konstruieren und auszufüllen. Dieses besondere Sprachhandeln Tristans findet sich einerseits in seinen autobiographischen Äußerungen, in seiner „besondere[n] Disposition zur Selbstaussage“ (Wenzel 1984: 64; vgl. auch Schausten 2001: 46 – 47), die häufig elementarer Teil von Tristans lebenserhaltenden Lügen und Listen⁷¹ ist, andererseits im Dialog mit anderen Figuren, in dem Tristan die von ihm verkörperten Rollen auch sprachlich durchhalten muss. So kann er etwa als Kaufmann zwar am höfischen Leben teilhaben, ist aber eben nicht Teil des höfischen Körpers und unterliegt entsprechend anderen, z. B. standesabhängigen, Anforderungen an seine Kommunikation. Schausten (2001: 47) hält fest, „daß das auf die Tristanfigur applizierte Prinzip der Selbstnarration, das dem Helden die Möglichkeit bietet, sich selbst zu deuten und in unterschiedlichsten Kontexten zu präsentieren, zum Dreh- und Angelpunkt der Figurenkonstruktion wird.“ Wie Tristan sich selbst deutet, aber auch, wie er – und seine Rollen – von anderen Figuren, einschließlich des Erzählers, im Kontext der Figurenrede gesehen wird, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen. Zunächst soll das Redeumfeld in einigen ausgewählten Kontexten betrachtet werden: Tristans Aufenthalt in der Wildnis zeigt Tristan in der besonderen Situation des Auf-sich-Gestelltseins in einer gefährlichen Lage – Tristans Reaktion hierauf ist kommunikativer Natur, da er sich in Selbstgesprächen und Gebeten, die ineinander übergehen, mit seiner Notlage auseinandersetzt. Außerdem wird das wiederkehrende Motiv der Herkunftsberichte analysiert, da Tristan an verschiedenen Stationen seines Lebens immer wieder neue Identitäten konstruiert. Dann soll Tristan in der verbalen Auseinandersetzung mit Morold gezeigt werden, da hier ein besonders intensiver Austausch im kompetitiven Dialogkontext vorliegt. Schließlich sollen kontextübergreifende Beobachtungen die Charakterisierung des Helden durch die im Redeumfeld vermittelten Figureninformationen vervollständigen.
1.1 Tristan in der Wildnis Die Verquickung verschiedener Bewertungselemente wie bei der Schachspielszene (vgl. III.I.: 47– 49) findet sich auch, nachdem Tristan von seinen Entführern in Corn Hierbei handelt es sich nach Wenzel (1988a: 232) um ein Gliederungsprinzip des Tristan, das sich aber auch in anderen höfischen Epen wiederfindet. Grosse (1970: 293) hält fest, dass es sich bei Tristans Sprachfertigkeit um ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich mit anderen höfischen Helden handelt. Semmler (1991: 115) betont Gottfrieds Beurteilung dieser Lügen als Mittel der Selbstrettung.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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wall ausgesetzt wird. Die Not des ausgesetzten Kindes spiegelt sich deutlich in der Verbindung aus figurencharakterisierenden Hinweisen und Emotionshinweisen mit deutlichem Gebaren, aber ebenso in der Benennung Gottes als Redeadressat. Der erste Halbmonolog wird als Gebet⁷² stilisiert und Tristan auf diese Weise als Betender. Eingeleitet wird es durch Tristans Gebaren (Tr 2487– 2489): der trôstlôse ellende der vielt ûf sîne hende ze gote vil inneclîche: / [„…“].⁷³
Hervorgehoben werden hier gleichzeitig Tristans Zustand des Fremdseins und der Verzweiflung, die in einem Trost- und Hilfe-Suchen bei Gott münden und vom Ausstrecken der Hände zu Gott als Ausdruck innerer Bewegtheit begleitet werden, also einer typischen Gebetsgeste. Diese Art Geste dient nach Augustin weniger dem Gewogenmachen Gottes als vielmehr dazu, „die Seele in Bewegung zu setzen“ (Schmitt 1992: 276). Fenten (2007: 199) meint, dass Augustin davon ausgegangen [ist], daß Gebetsgesten des äußeren Körpers nicht ausgeführt werden und notwendig sind, um als Zeichen (indicia) Gott, der ja allwissend ist, das Innere des Menschen zu offenbaren, sondern um den Menschen selbst zu umso demütigerem und glühenderem Beten und Seufzen anzuregen.
Auch bei Tristans nächster Rede in der Wildnis handelt es sich wieder um ein Gebet – ausgelöst durch Tristans Gedanken an die ihm nahestehenden Menschen und seine Heimat (vgl. Tr 2582– 2585) –, das nach ähnlichem Muster eingeleitet wird (Tr 2586 – 2589): vil jaemerlîche er aber began ze gote clagen sîn ungemach; ze himel er inneclîche sach: „got“ sprach er „herre guoter, […].“
Als redequalifizierende Emotionshinweise fungieren hier sowohl die adverbiale Bestimmung des Redens als vil jaemerlîche als auch das besondere verbum dicendi clagen, das die Rede als Klage klassifiziert. Beide Hinweise wiederum charakterisieren Tristan in dieser Situation erneut als Leidenden. Die Adressierung an Gott, die sowohl direkt formuliert als auch über die Geste des Blickens⁷⁴ zum Himmel ausgedrückt Es handelt sich um eine Gebetssituation, in der zwar keine gesprochene Antwort erwartet wird, da sich die Worte an „ein stummes Gegenüber“ richten, aber die auf den Sprecher „zukommenden Ereignisse als eine Antwort [interpretiert]“ werden können (vgl. Wiehl 1974: 57). Neben der oben dargestellten Redeeinleitung folgt außerdem ein einfaches inquit in eingeschobener Position (vgl. Tr 2490). Wie zuvor das Ausstrecken der Hände wird auch das Blicken zum Himmel mit dem Adverb inneclîche bezeichnet.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
wird, spezifiziert die Klage als Gebet.⁷⁵ inneclîche hebt in beiden Fällen die besondere Beziehung des Kindes Tristan zu Gott hervor, indem es nicht nur die Dringlichkeit ausdrückt, die das Gebet für das sich selbst überlassene Kind in der Wildnis hat, sondern ebenfalls Tristans innere Zugewandtheit zu Gott.⁷⁶ Die Andacht, die trotz der von Angst und (menschlicher) Verlassenheit gekennzeichneten Situation in den Gebetseinleitungen vorherrscht, schwindet in dem Moment, als Tristan Pilger entdeckt, die sich ihm nähern. Zwar richtet Tristan auch die folgenden Worte an Gott, sie werden jedoch durch den Erzähler als Selbstgespräch bezeichnet und rücken den Aspekt der Furcht und Verlassenheit dadurch, dass in der Redeeinleitung kein Verweis auf Gott – und somit eine mitschwingende Hoffnung und möglicherweise rettende Instanz – folgt, stärker in den Vordergrund. Das redeeinleitende Moment ist das Erblicken der Pilger. Somit steht erneut eine optisch-sensuelle Handlung bzw. Erfahrung im Vorfeld einer Rede (Tr 2653 – 2654): Tristan dâ mite und er sʼersach, vorhtlîche er wider sich selben sprach:
Der Abbruch der andächtigen Stimmung ist damit erklärbar, dass mit den Pilgern, die Tristan noch nicht als solche identifizieren kann, eine potentiell gefährliche Konfrontation unmittelbar bevorsteht, die das Ausgeliefertsein des Kindes in dieser Situation hervorhebt. In dem Moment, als Tristan die Pilger an ihrer Kleidung und Ausstattung als solche erkennt, verkehrt sich seine Angst in Zuversicht und Freude (vgl. Tr 2660 – 2666, Zitat Tr 2665 – 2666): sîn gemüete wart ein lützel vrô. ûz vollem herzen sprach er dô: [„…“].
Die Redeeinleitung, das Aus-vollem-Herzen-Sprechen, verdeutlicht die Erleichterung, aber auch die Dankbarkeit des Kindes in diesem letzten an Gott gerichteten Halbmonolog in der Wildnis. Alle Einleitungen der (Gebets‐)Halbmonologe in der Wildnis sind durch Emotionalität geprägt. Tristan wird als allein und menschenverlassen, in der Situation aber gotteszugewandt und in der Abgeschiedenheit trotz aller Sorgen emotional auf Gott fokussiert charakterisiert.⁷⁷ Die Situation des Fremdseins, der Trostlosigkeit (vgl. Tr 2487) und des tief empfundenen Leides (vgl. Tr 2586) – eine Kombination, die beim Rezipienten durch das Kindsein des ausgesetzten Protagonisten den Eindruck einer
Die gesamte Hinwendung zum Gesprächspartner und insbesondere die Wendung des Blickes zu diesem geben Aufschluss über die körperliche Adressierung (vgl. Hartung 2001: 1350 – 1351). Auch im Folgenden sind Tristans Reden oft dadurch gekennzeichnet, dass er sich auf Gott beruft, sich an Gott wendet oder das (innere) Gespräch mit Gott sucht (vgl. III.II.1.5: 257– 259). Auch Grosse (1970: 294) betont die „Gottesnähe“ Tristans im Gebet in der Wildnis und konstatiert, dass diese „im Lauf der Erzählung kaum mehr erreicht werden dürfte[.]“
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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gesteigerten Brisanz und eines umso ausgeprägteren Zustands des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit hervorruft – wird im Redeumfeld durch das Beschreiben der Figurenreden als Gebetshandlung kontrastiert: Ein Handeln, in dessen Kontext zweimal betont wird, dass es auf inneclîche Weise vollzogen wird und das für ein NichtVerzweifeln, sondern ein Auf-Gott-Vertrauen steht. Dieses Handeln ist aus christlicher Perspektive ein logisches Verhalten, und unter dem Aspekt, dass Tristan hier noch Kind ist, etwas Besonderes: Tristan weint zunächst (vgl. 2482– 2486) und der Erzähler hebt hervor, dass dies die für diese Situation typische Handlung eines Kindes ist. Aber er verharrt nicht darin, sondern sucht sich mit Gott aktiv einen Ansprechpartner, auf den er vertrauen kann, der ihm aber ebenso die Möglichkeit gibt, in Form eines an ihn adressierten Selbstgespräches seine Lage intellektuell zu erörtern und so weitere Schritte zu unternehmen. Neben einer gewissen Frömmigkeit, mit der Tristan hier gezeichnet wird, werden bereits hier seine Findigkeit und sein intellektuelles Vermögen eingeführt. Dass Tristans Gebete keine reinen Gebete sind, sondern ein Übergang zwischen Gebet und Selbstgespräch, wird dadurch deutlich, dass in dem Moment, als weitere Menschen in die Situation eintreten, die Figurenrede explizit als Selbstgespräch gekennzeichnet ist, obwohl sie sich faktisch wieder an Gott richtet (vgl. Tr 2653 – 2654). Die Redeeinleitungen sind also auch Hinweise darauf, dass der junge Tristan sich von anderen Kindern abhebt und charakterisieren ihn als ungewöhnlich reif, klug und gottbezogen, wobei diese Zugewandtheit zu Gott mit einem gewissen Grad an Selbstbezogenheit und -reflexion einhergeht. Hierdurch wird bereits zu diesem Zeitpunkt Tristans Fähigkeit angedeutet, seine Geistesgaben zum Überleben einzusetzen.
1.2 Tristan im Kontext autobiographischen Erzählens Tristans Intellektualität und Findigkeit, wenn es darum geht, sein sowohl physisches als auch soziales (Über‐)Leben zu sichern, finden sich besonders im Bereich autobiographischer Narrationen. Immer wieder erzählt Tristan sein Leben in variierenden Rollen, die insbesondere durch seine Selbstdarstellung in der Figurenrede plausibel werden. Schausten (2001: 31) konstatiert: „So haben denn auch die ausgeprägten verbalen Selbstdarstellungen der Tristanfigur in der Forschung meist unter den Stichworten ‚Rollenfiktion‘, ‚Wahrheit und Lüge‘ bzw. ‚Sprachproblematik‘ Beachtung gefunden.“ Die Funktion der Figurenrede geht hier aber über das Erzählen von „bewußte[n] Biographie-Verstellungen“ hinaus, es dient eher der „Konstitution der spezifischen Identität“ des Helden (ebd.). Das Erzählen der eigenen Geschichte „erfordert die Identität zwischen Autor und Erzähler, insofern die Geschichte die des Autors ist; sie erfordert Identität auch zwischen Erzähler und Hauptfigur des Erzählten und impliziert eine rückblickende Erzählperspektive“ (ebd.: 40 mit Bezug auf Lejeune 1989). Bruss (1989: 273) ermittelt drei „‚Regeln‘ für den autobiographischen Akt“, wonach sich erstens eine Doppelrolle des Autobiographen ergibt: „Er ist Ursprung des Textgegenstands und zugleich Ursprung der Struktur, die sein Text aufweist.“ (Ebd.). Die zweite Regel bezieht sich auf den Informationsgehalt der Äußerungen: „Die Information und die Ereignisse, über die im
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Zusammenhang mit der Autobiographie berichtet wird, müssen unbedingt wahr sein, wahr gewesen sein oder hätten wahr sein können.“ (Ebd.: 274). Als dritte Regel benennt sie die Erwartungshaltung an die Rolle des Autobiographen zu dessen Verhältnis zu seinem Bericht: „Gleichgültig, ob das Mitgeteilte als falsch erwiesen werden kann oder nicht, ob es von irgendeinem anderen Standpunkt aus neu formuliert werden kann oder nicht: man erwartet von dem Autobiographen, daß er von seinen Aussagen überzeugt ist.“ (Ebd.). Wichtig ist also u. a. ein Erzählverhalten, das zumindest einen authentischen Eindruck, das Glaubwürdigkeit vermittelt. Diesen Eindruck zu erzielen ist dann eine besondere Aufgabe, wenn die Geschichte nicht den tatsächlich der eigenen Biographie zugrundeliegenden Ereignissen entspricht. Die erste autobiographische Narration Tristans findet statt, als Tristan in der Wildnis auf die Pilger trifft. „Die Provokationen, die als Auslöser der selbstbiographischen Äußerungen Tristans erzählt werden, sind im Text begründet durch seinen Status als Fremder, welcher Nachfragen der Personen auslöst, auf die er trifft.“ (Schausten 2001: 38). Die Kommunikation findet in der Wildnis statt und wird von Tristan mit höfischen Gesten eingeleitet (Tr 2672– 2673): nu sʼime begunde nâhen, höfschlîche er ûf gein in spranc, sîne schoene hende er vür sich twanc.
Dieses Gebaren⁷⁸ kontrastiert den Aufenthalt in der Wildnis, offenbart Tristans höfische Ausbildung und weist ihn damit als Mitglied der höfischen Gesellschaft aus, wobei sein Status auch durch die explizite Erwähnung der Schönheit seiner Hände ins Bild gesetzt wird. Tristans Strategie ist erfolgreich, die Pilger werden aufmerksam und grüßen ihn. Tristans Gruß wird gestisch durch das Neigen des Kopfes eingeleitet (vgl. Tr 2684), also wieder mit einer Geste, die ursprünglich Unterwerfung ausdrückt, hier aber der Ehrenbezeugung dient.⁷⁹ Auf die folgende Frage nach seiner Herkunft antwortet Tristan mit seiner ersten Identitätsgeschichte. In der zugehörigen Redeeinleitung werden entsprechend sowohl die Rede als auch vor allem Tristan qualifiziert (Tr 2692– 2694): Tristan der was vil wol bedâht und sinnesam von sînen tagen, er begunde in vremediu maere sagen:
Bei der Geste der gekreuzten Hände handelt es sich ursprünglich um eine Rechtsgebärde, die bei der Kommendation von den Unfreien zur Fesselung der Hände vollzogen wurde. Die Unterwerfungsgeste hat sich zur Höflichkeitsgeste gewandelt, über die Ehrerbietung ausgedrückt wird (vgl. Bumke 1994: 85; Schmidt-Wiegand 1982: 372). Das Betonen der Schönheit der Hände kontrastiert den ursprünglichen Unterwerfungsgestus, indem es auf Tristans sozialen Status verweist (vgl. zum Unterwerfungsgestus Schmidt-Wiegand 1982: 372).
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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Er wird als besonnen⁸⁰ und erneut auch für sein Alter ungewöhnlich reif (vgl. III.I.1.1: 53) charakterisiert,⁸¹ seine Rede als vremediu maere klassifiziert. Handelt es sich hierbei mit Schausten um eine „außergewöhnliche Begebenheit“ (Schausten 2001: 38) oder, wie Krohn (112006 (I): 169, Tr 2694) übersetzt, um eine „wunderliche Geschichte“? Oder wird auf diese Weise möglicherweise schon in der Redeeinleitung deutlich gemacht, dass Tristan hier eine Herkunftsgeschichte erzählt, die nicht seine ist?⁸² Jede dieser drei exemplarischen Deutungen demonstriert, dass die folgende Erzählung Tristans in jedem Fall mit den Hörerwartungen brechen und eine eigenständige, unbekannte Geschichte bieten wird, die vom bisher Erzählten abweicht; somit ist sie auch für den Rezipienten vremediu maere. ⁸³ Auch Tristans Verabschiedung von den Pilgern und seine Orientierung zu den Jägern nutzt der Erzähler, um Tristans Klugheit herauszustellen (Tr 2773 – 2775): Tristan dô er den bîl ersach, wider die pilgerîne er sprach wîsliche, als er wol kunde[.]
Angestoßen wird Tristans neue Handlungsmöglichkeit dadurch, dass er erblickt, wie Hunde einen gejagten Hirsch stellen, wodurch sich ihm die Möglichkeit bietet, seine Geschichte von der verlorenen Jagdgesellschaft auszunutzen, um zur nächsten Gesellschaft weiterzuziehen. Tristans Art zu sprechen – und hierdurch auch die Rede selbst – wird als wîslîche charakterisiert, das kluge Sprechen wiederum als grundsätzliche Eigenschaft Tristans: als er wol kunde. Gleichzeitig geht die Attribuierung des Sprechens als klug tatsächlich über eine Qualifizierung des Sprechens und Sprechers im Kontext nur des Redens hinaus, denn durch die Kausalität des Erblickens und Wahrnehmens von Gelegenheiten wird deutlich, dass Tristan generell klug ist. Er erkennt die Gelegenheiten als solche und nutzt sie entsprechend.⁸⁴ Die Aufmerksamkeit der Jäger bekommt Tristan, indem er sich ihnen gegenüber seine Fremdheit zunutze macht und fremde Jagdbräuche – das Entbästen des Hirsches mit Furkie und Curie – vorführt, die seiner Aussage nach in Parmenien üblich Jacobson (1987: 245) betont an dieser Stelle bereits die Kalkuliertheit von Tristans Sprechen: „His manipulation of language now does not only beautify reality, but masks it – it becomes calculated[.]“ Krause (1996: 143) hält fest, dass mit den genannten Attributen Schlüsselwörter vorliegen, die „eine charakteristische Grundstruktur seines [d. i. Tristan, A.K.] Wesens beschreiben.“ vremde kann unterschiedliche Bedeutungen haben und so neben dem Gegensatz zum Gewöhnlichen auch den Gegensatz zum Eigenen abbilden (vgl. Lexer 1878: 500). Die hövescheit und Klugheit Tristans wird während seines gesamten Zusammenseins mit den Pilgern betont, indem er sie etwa freundlich bittet, sie begleiten zu dürfen (vgl. Tr 2725), bei den folgenden Gesprächen jedoch Vorsicht walten lässt und nicht mehr Fragen als nötig beantwortet (vgl. Tr 2734– 2754). Beendet wird die Pilger-Episode parallel zu ihrer Einleitung durch den Höflichkeitsgestus des Verneigens; somit wird der im entsprechenden Redenachfeld als der guote Tristan (Tr 2785) bezeichnete Protagonist auch am Schluss dieser Episode erneut durch sein höfisches Auftreten charakterisiert (vgl. Tr 2785 – 2787).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sind (vgl. Tr 2788 – 3080).⁸⁵ Hierdurch „provoziert er nun selbst deren [d. s. die Hofleute Markes, A.K.] Neugier auf die eigene Person und, damit verbunden, seine Geschichte“ (Schausten 2001: 39). Tristan bemerkt diese Neugierde und kalkuliert sie ein. Sie gibt ihm die Möglichkeit, erneut eine Selbstnarration zu entfalten. Tristans Denkprozess und die Neugier der Hofleute Markes stellt der Erzähler Tristans Rede voran (Tr 3084– 3096): ir iegelîch begunde entwerfen sîniu maere, von welhem lande er waere und wie er dâ hin waere komen. sî haeten gerne vernomen sîn dinc und sîn ahte. diz nam in sîne trahte der sinnesame Tristan. vil sinneclîche er aber began sîn âventiure vinden. sîn rede diu enwas kinden niht gelîch noch sus noch sô. vil sinneclîche sprach er dô:
Der Fokus in dieser Schilderung liegt auf der Hervorhebung von Tristans Geistesgaben,⁸⁶ seiner Besonnenheit und Verständigkeit; einmal wird er selbst als sinnesam bezeichnet. Das Adverb sinneclîche wird zweimal verwendet, um sein Handeln – einmal das Ausdenken seiner Geschichte, dann das Formulieren derselben – zu beschreiben (vgl. Grosse 1970: 295). Durch das dreifache Verwenden der Bildungen mit sinne- in nur sechs Versen lenkt der Erzähler die Aufmerksamkeit auf Tristans Verstand. Deutlich wird dies auch, indem herausgestellt wird, dass Tristan seine Wirkung auf die Hofgesellschaft richtig einschätzen und dies kalkuliert für sein weiteres Handeln (aus‐)nutzen kann. Auch hier betont der Erzähler, dass Tristans Rede für ein Kind untypisch ist. Dadurch wird Tristans Sprachfertigkeit, aber auch seine ganze Person als außergewöhnlich und besonders reif charakterisiert. Neben den Bildungen mit sinne- spielen die Begriffe vinden und âventiure eine besondere Rolle, wie Kaminski (2008: 10) herausarbeitet: Denn durch den Begriff vinden, der ein „rhetorischer terminus technicus für die inventio ist“, wird Tristan durch den Erzähler seinerseits als Erzähler etabliert. Im Widerspruch hierzu steht der Begriff âventiure, der „auf narrativem Feld“ für die „Überlieferungsquelle“ steht, „aus der dem Erzähler seine Erzählung zufließt und die ihre Wahrheit verbürgt[ ]“ (ebd.). Auf diese Weise, so Ka-
Im Zuge des Entbästens wird Tristans Höfischkeit, Fremdheit und Wortgewandtheit hervorgehoben (vgl. Tr 2868: dô bat der hovebaere; Tr 2911– 2912: und wan daz ungebaere was / sînen schoenen handen, dô sprach er; Tr 2921– 2922: Tristan der ellende gast / „seht“ sprach er; Tr 3018: „seht“ sprach der wortwîse). Jacobson (1987: 246) sieht hier Tristans „transition from childhood to adulthood“ durch den Verlust von Tristans „linguistic innocence, by Tristanʼs use of linguistic skills to manipulate reality to achieve control over the situation at Markʼs court.“
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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minski (ebd.), etablieren die genannten Termini „den Maßstab professionellen Erzählens […] für Tristans Tun“ – wodurch Tristans rollenwidriges Verhalten umso stärker auffällt: Denn so sehr dem Erzähler beim Erfinden einer Figur samt ihrer Geschichte gestalterische Machtvollkommenheit eignet, so entschieden ist er im Fortgang denn doch an die einmal in die Welt gesetzten Vorgaben gebunden, darf ein und derselben Figur nicht nach Belieben bald diese, bald jene Geschichte zulegen, sie nicht ein ums andere Mal neu erfinden. (Ebd.: 11, vgl. dort auch die Ausführungen zu Tristans Selbstnarration vor der Folie des Literaturexkurses)
Eine besondere Stellung im Bereich der autobiographischen Erzählungen Tristans kommt seiner Schein-Identität auf den Irlandreisen als Spielmann⁸⁷ und Kaufmann⁸⁸ Tantris zu, „[in] beiden Fällen kann er nur mit Hilfe einer Maskierung auf der Insel Fuß fassen“ (Grosse 1970: 298). Wie tiefgreifend dieser Identitätswechsel ist, zeigt sich daran, dass Tristan anders als zuvor ebenfalls eine „Namensmaskierung“ (ebd.: 300) durchführt, um sein Überleben zu sichern. Die erste besondere Redeeinleitung während der ersten Irlandreise findet sich, als Tristan sich bereits in der Obhut Königin Isoldes befindet und diese ihm ihre Hilfe anbietet, unter der Bedingung, dass er im Gegenzug die Ausbildung ihrer Tochter Isolde übernimmt. In der Replik auf die Rede Königin Isoldes steht in eingeschobener Position ein inquit mit figurenqualifizierendem Hinweis auf den Status, den Tristan sich für Irland zugelegt hat (Tr 7861): sprach aber der sieche spilman.
Hiermit wird einerseits ein akuter Umstand angesprochen, der der Grund für Tristans Reise und Maskerade ist, nämlich seine Krankheit, und andererseits die Maskerade selbst. Die Bezeichnung Tristans offenbart nicht nur seine eigene Rollenidentifikation, sondern auch, dass der Erzähler die Maskerade mitmacht. Diese kann allerdings nur deshalb funktionieren, weil Tristan tatsächlich über die Fertigkeiten eines höfischen Spielmannes verfügt (vgl. Karin 2014: 78 – 79; Grosse 1970: 299) und diese Funktion schon an Markes Hof ausgeübt hat.⁸⁹ Tristan nimmt hier einen sozialen Status als höfischer Unterhalter an, den er bereits überwunden hat, um den Status des
„Die Spielmann-Maskierung, mit der sich Tristan unter die höfische Ebene stellt, erhöht nicht nur den Schutz vor Entdeckung, sondern auch die handlungsnotwendige, im mittelalterlichen Verständnis unüberwindbare Schranke zwischen den beiden Protagonisten.“ (Schweikle 1991: 137). Die Verkleidung als Kaufmann ist ein „beliebter Maskierungstopos. […] Der reisende Kaufmann hat manches mit dem aventiure suchenden Ritter gemeinsam, und doch sind beide Stände weit voneinander entfernt. Deshalb liegt der verfremdende Maskierungseffekt nahe.“ (Grosse 1970: 295). Tristans Können als Jäger und – insbesondere musikalischer – Unterhalter sowie seine Fremdsprachenkenntnisse, die ihm auch in Irland zugutekommen, sichern ihm auch schon seine Stellung bei Marke, bevor das Verwandtschaftsverhältnis bekannt wird (vgl. Tr 3721– 3741). Tristan kann hier also seine Identität auf einer tatsächlichen Erfahrung aufbauen.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Kranken überwinden zu können. Erst gesund kann er wieder vollwertiges Mitglied der höfischen Gesellschaft sein. Er nimmt eine tieferstehende soziale Position in Kauf, wodurch er trotzdem am höfischen Leben partizipieren kann.⁹⁰ Nach seiner Genesung will Tristan aus Sorge, erkannt zu werden, Irland verlassen (vgl. Tr 8142– 8158); erkannt zu werden, käme einem Todesurteil gleich. „Es wird explizit betont, dass Tristan überlegt, wie er der Gefahr entkommen könne, und dass er sich darüber im Klaren ist, dass die Isolden ihn nicht werden gehen lassen wollen.“ (Karin 2014: 79). Seine folgende Rede wird durch eine Kombination aus höfischem Zeremonialhandeln mit rede- und figurenqualifizierenden Hinweisen eingeleitet (Tr 8159 – 8163): er gie zer künniginne und begunde in schoenem sinne sîne rede besetzen an der stete, als er an allen steten tete. er kniete vür sie unde sprach:
Die Rede wird durch Tristans Gebaren, nämlich seinen Gang zu Isolde und sein Niederknien vor ihr, eingeleitet. Wieder wird sein klarer Verstand hervorgehoben, und zwar durch die Formulierung in schoenem sinne. ⁹¹ Auffällig ist die Umschreibung des Redens durch das Verb besetzen. Das MWB übersetzt die Textstelle mit ‚seine Worte fassen‘.⁹² Der Vorgang des Redebeginns ist hiermit korrekt wiedergegeben, aber gerade an dieser Stelle gehen die weiteren Konnotationen des Verbs verloren. Weitere Bedeutungen von besetzen sind u. a. ‚(militärisch) besetzen, in Besitz nehmen‘ und ‚etw. festsetzen, bestimmen‘ (vgl. ebd.). Die Assoziation des bestimmten und bestimmenden, möglicherweise sogar kriegerisch-gewalttätigen Handelns schwingt an dieser Stelle mit, ebenso im Zuge der folgenden Rede der Eindruck von Strategie. Gestützt wird dies durch die Formulierung an der stete / als er an allen steten tete, So, wie der Zustand des Krankseins mit der Rolle des Spielmanns verknüpft ist, verknüpft Tristan sein Gesundwerden in der folgenden direkten Rede ebenfalls mit seinem spil (Tr 7862– 7864): „daz ich sô wider komen kan / und mit spil genesen sol, / ob got wil, sô genise ich wol. / […].“ Das spil kann hier, entsprechend der relativen semantischen Breite des Ausdrucks, mehrdeutig sowohl als das Musizieren als auch als Schauspielen gedeutet werden – beides rettet Tristan letztlich gemeinsam das Leben (vgl. zur Semantik von spil Lexer 1876: 1091). Karin (2014: 80, Anm. 18) hält hierzu fest: „Übersetzungsmöglichkeiten wie ‚in schöner Weise‘ oder ‚mit feinem Anstand‘ (so z. B. Rüdiger Krohn in der Übersetzung der hier verwendeten Tristan-Ausgabe) sind sicher gefälliger. Da die vorliegende Textstelle aber Tristans allgemeines Sprechverhalten und somit auch -vermögen beurteilt, bin ich der Überzeugung, dass die Bedeutung des klaren Verstandes auf jeden Fall nicht außer Acht gelassen werden darf. Dass hieraus sicher auch resultiert, dass die Art und Weise des Vorgehens in höfischer Perspektive adäquat erfolgen muss und Tristan dies entsprechend beherrscht, steht außer Frage. […] Auch Semmler (1991: 115 f.) bezieht diese Formulierung in Abgrenzung zu Hartmann von Aue auf den Einfluss der geistigen Leistung auf die höfische Adäquatheit der Rede im Kontext der Lüge.“ MWB online, besetzen, http://www.mhdwb-online.de/wb.php?buchstabe=B&portion=1660&link_ lid=16896000#16896000 (02.12. 2016).
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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da Tristan an diesem Ort – wie auch an allen anderen Orten – seine Rede geradezu als (seine möglicherweise wirksamste) Waffe einsetzt: Mit der Rede belagert / umlagert er an der stete sein Gegenüber – wie er das an allen steten, also auch mit all seinen Kommunikationspartnern tut. Und tatsächlich kann man dies durch den Text hindurch beobachten, es wird bis zur besprochenen Passage immer wieder vorgeführt, in Gesprächen mit den Pilgern, den Jägern, Marke – oder eben an dieser Stelle mit der Mutter Isolde. (Karin 2014: 80)
Somit wird der Rezipient hier gewissermaßen vorbereitet auf einen „verbalen Angriff Tristans“ (ebd.), woraufhin die Geste des Niederkniens folgt, also einerseits eine Geste der Unterwerfung und Ehrerbietung, andererseits aber auch eine Geste aus Kalkül, die „den Interaktionspartner geradezu dazu nötigen kann, entgegenkommend seine Gunst zu beweisen“ (ebd.: 81). Auf diese Weise wird erneut Tristans überragender Verstand geschildert, sein sprachliches Verhalten wird als verallgemeinerbar charakterisiert. Durch das Verb besetzen wird die Aufmerksamkeit des Rezipienten darauf gelenkt, dass eine besondere Rede folgt, in der Tristan alles tun wird, um seine Interessen durchzusetzen; er wird verbal für sein Anliegen kämpfen. Das Gebaren Tristans zeigt ihn als versiert in den höfischen Umgangsformen und hebt durch das dahinterstehende Kalkül erneut Tristans Klugheit hervor und seine Fähigkeit, die höfischen Umgangsformen für seine Zwecke nutzbar zu machen.⁹³ Dass Tristan in dieser Situation nicht nur schauspielert, zeigt sich, nachdem er durch seine Geschichte von seiner vorgeblichen Ehefrau sein Ziel erlangt hat und Isolde ihm urloup gewährt. Sein Dank ist echt. Betont wird dies mit einer Redeeinleitung, die Tristan erneut als der ellende charakterisiert und die gestisch durch das Falten der Hände den beiden Isolden gegenüber begleitet wird. Das Händefalten wiederum betont Tristans innere Verbundenheit; er führt es physisch wie gedanklich aus (Tr 8215 – 8219): sus vielt der ellende ietwedere sîne hende des lîbes unde der sinne ietwederer küniginne, beidiu der muoter unde der maget. ⁹⁴
Tristans in der folgenden Rede formulierte Dankbarkeit, die ebenfalls durch die demütige Huldigungsgeste ausgedrückt wird, wird somit als authentisch gekennzeichnet. Die weiteren Herkunftsberichte Tristans von Beginn der zweiten Irlandreise an kommen ohne Redeeinleitungen mit charakterisierendem Potential aus.
Der Aspekt des Kampfes schließt aber auch an die erste Charakteristik beim Schachspiel an: Nicht nur, dass Tristan klug ist, er vermag auch mit dem Geist zu kämpfen. Schach ist nichts anderes ist als ein Stellvertreterkampf. Die direkt anschließende Rede wird durch ein einfaches inquit unterbrochen.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
1.3 Tristan im (verbalen) Kampf versus Morold Kampfhandlungen gehören zu den Standardsituationen mittelhochdeutscher Epik, die situationsabhängig häufig vor, während oder nach einem Kampf von Dialogen begleitet sind (vgl. Urscheler 2002: 224– 225). Urscheler (ebd.: 225) hält für das Vorfeld des Kampfes fest, dass hier die Begründung des Kampfes gegeben und die Modalitäten des Kampfes geregelt werden. Im Tristan lässt sich dies u. a. für die Auseinandersetzung vor dem Rechtskampf ⁹⁵ zwischen Tristan und Morold feststellen, in der Tristan, anders als Marke⁹⁶, aktiv für die Befreiung Cornwalls von den irischen Forderungen eintritt und Morold, der als alse starc, / als unerbermig unde als arc (Tr 5973 – 5974) beschrieben wird, zum Kampf herausfordert. Tristans erste Kampfansage richtet sich nur indirekt an Morold: Als Tristan von Parmenien nach Cornwall zurückkehrt, erfährt Tristan von Morolds Anwesenheit und Zins- bzw. Tributforderung, die gesamte Atmosphäre ist bestimmt durch den Eindruck von Verlust, Leid, Unterlegenheit und Demütigung (vgl. 5867– 6037). Tristan findet die Landbarone während der Tributsauslosung betend vor; ein Empfang, wie man ihn ihm unter normalen Umständen bereitet hätte, unterbleibt (vgl. 6038 – 6058). Der Empfang ist als inadäquat zu bewerten, er stellt einen Verstoß gegen das höfische Zeremoniell dar. Der Verstoß wiederum verdeutlicht das Ausmaß der Störung der höfischen Freude durch den Aggressor von außen und zeigt den Hof in einem desolaten, auf Überwindung hin angelegten Zustand. Hierauf geht Tristan nicht explizit ein, die ausführliche Schilderung der unterbliebenen Handlung, genauer: des unterbliebenen kommunikativen Akts, dient aber im Grunde bereits als erweiterte Redeeinleitung, indem Tristan auf die nicht stattfindende Kommunikation zunächst mit einem Auftreten reagiert, das die Spannung der gestörten Ordnung verdeutlicht (Tr 6049 – 6063):⁹⁷ Tristan kam zuo gegangen. wie wart aber er enpfangen? daz ist iu lîhte geseit: Tristan wart von der wârheit under allem dem gesinde von keinem muoterkinde noch ouch von Markes gruoze enpfangen niht sô suoze, als er doch waere getân, und haete sî diz leit verlân. Des nam aber Tristan cleine war,
„Ausdrücklich agiert er [d. i. Tristan, A.K.] im Dienst von Gott und Recht, wodurch die Entscheidung zu einer Art Gerichtskampf mit Gottesurteil stilisiert wird.“ (Huber 2013: 74– 75). Dass Marke überhaupt in diese Situation gelangt, wird entschuldigt, da er zu der Zeit, als er Gurmun zinspflichtig wurde, noch ein nicht wehrhaftes Kind war (vgl. Tr 5927– 5930). Die Ordnungsstörung zeigt sich ihrerseits auch darin, dass Tristan zwar vor Morold und Marke tritt, aber ebenfalls auf höfisches Grüßen verzichtet und die beiden in seiner Rede an die Barone faktisch ignoriert, obwohl er bewusst vor sie tritt.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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wan gienc et baltlîchen dar, dâ man in daz lôz dâ maz, dâ Môrolt unde Marke saz. „ir hêrren“ sprach er „[…].“
Tristans Rede richtet sich offiziell an die Landbarone (vgl. Tr 6063 – 6134), die er zum Widerstand gegen die Zinspflicht aufruft, die Redeeinleitung markiert aber durch Tristans Gebaren einen anderen Adressatenverweis: Tristan geht dorthin, wo das Losen stattfindet, aber auch, wo Morold und Marke sitzen. Tristans Rede richtet sich zwar an die Landbarone, ist aber de facto eine Ansprache an Morold und Marke.⁹⁸ Morold wird so eine Kampfansage erteilt, ohne dass er direkt adressiert wird;⁹⁹ und Marke – durch die Nennung an zweiter Stelle hinter Morold, der ihm überlegen ist, zurückgesetzt – erhält eine indirekte Handlungsaufforderung: Denn die Schmach, die Tristan den Landbaronen vor Augen führt, wiegt für den König, der nun kein Kind mehr ist, bedeutend schwerer. Die hier vorgenommene Figurenklassifizierung dient ebenfalls als Redequalifikator: Tristan tritt nicht irgendwie dorthin, sondern gienc et baltlîchen dar. Der Mut seines Auftretens wird durch das Adverb baltlîchen hervorgehoben, gleichzeitig auch durch die Entschlossenheit seiner Bewegung. Diese illustriert Tristans Tatendrang. Sie steht in deutlichem Kontrast zu den Landbaronen und Marke, die sich resigniert und untätig der Situation unterwerfen und bereits am Losverfahren teilnehmen. Tristans enormer Mut wird durch die Feigheit der von ihm Gescholtenen umso deutlicher gemacht und als Merkmal gezeichnet, das ihn von den Anwesenden unterscheidet. Nachdem die Landbarone den Wunsch äußern, Tristan solle ihr Kämpfer sein und Marke ihn nicht davon abbringen kann (vgl. Tr 6229 – 6250), wird Tristans erster verbaler Kontakt mit Morold durch sein Gebaren eingeleitet, indem er nun vor Morold tritt und seine Rede fortsetzt (Tr 6251– 6252): Wan gieng et hin, dâ Môrolt saz und redete aber dô vürbaz:
Die Formulierung dô vürbaz verdeutlicht, dass es sich um ein Fortsetzen der Rede handelt. Auf diese Weise wird noch einmal betont, dass auch die vorherigen Redeteile Hartung (2001: 1348 – 1349; vgl. auch 1350 – 1351) betont neben den sprachlichen Adressierungsformen und der Äußerungsgestaltung die Rolle der Körperorientierung als eine von drei Ebenen des Adressierungsverfahrens „(1) Körperorientierung: die optimale Koordination von Face-to-Face-Kommunikation ist nur gewährleistet, wenn zwischen den Gesprächsteilnehmern der visuelle Kanal etabliert ist. Vor allem im Herstellen und Halten des Blickkontaktes, aber auch in der Körperhaltung drückt sich daher die Adressierung aus.“ Dass Morold versteht, dass Tristans Ansagen durchaus ihm gelten, zeigt sich in einem Erzählereinschub im folgenden Gespräch zwischen Tristan und den Baronen (Tr 6221– 6225): Nu Môrolt der hôrte allez an / und verdûhte in sêre, daz Tristan / sô vaste nâch dem kampfe sprach, / dô erʼn sô kindeschen sach, / und truog im in dem herzen haz. Die Kampfansage erfüllt hier auch insofern ihren Zweck, als Morold durch diese Tristan als seinen Gegner ausmacht.
62
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
mit Beurteilungen von Morolds Auftreten bereits an denselben gerichtet waren. Dort bespricht Tristan ausführlich die Position von Recht und Unrecht und erläutert den Kampfanlass (vgl. Urscheler 2002: 225). Nachdem Tristan seine Position also schon indirekt vor Morold dargelegt hat, fragt Tristan diesen nach dem Grund für seinen Aufenthalt – und Morold antwortet ihm folgerichtig, dass ihm dieser bekannt sei (vgl. Tr 6253 – 6257). Hierauf folgt die Kampfbegründung, die Tristan offiziell macht, indem er Marke und sein Gefolge zur Zeugenschaft aufruft (vgl. Tr 6258 – 6259). Im erweiterten inquit in eingeschobener Position wird Tristan als der wîse Tristan (Tr 6260) bezeichnet, hierdurch liegt eine eindeutig positive Bewertung des Erzählers vor. Auch im Folgenden wird Tristan im Kontext der verbalen Auseinandersetzung mit Morold positiv von diesem abgegrenzt. Auf Morolds Vorwurf an Marke, eidbrüchig zu sein, antwortet nicht dieser, sondern wieder Tristan (Tr 6358): der höfsche Tristan aber dô sprach:
Läge hier tatsächlich ein Eidbruch vor, wäre dies auch ein Bruch mit den höfischen Werten. Dass Tristan gerade an dieser Stelle als höfsch[ ] bezeichnet wird, setzt ihn und seine Rede ins Recht und zeichnet ihn deutlich als Gegenfigur zum als unhöfisch bewerteten Morold.¹⁰⁰ Dass es sich im Vorfeld des Zweikampfes um eine rechtliche Auseinandersetzung handelt, zeigt auch die Tatsache, dass Tristan nach einem weiteren verbalen Schlagabtausch und dem Konsens darüber, dass es zum Zweikampf und nicht zum Krieg¹⁰¹ kommen soll, seine Rede unterbricht, um Morold seinen Handschuh zu bieten (Tr 6454– 6455): sînen hantschuoch zôh er abe. er bôt in Môrolde dar.
Hierbei handelt es sich um ein rechtlich ritualisiertes Vorgehen: Der Handschuh versinnbildlicht als Herrschafts- und Rechtszeichen die Hand und durch die Hand die ganze Person. […] Der Herausforderer steht also mit seinem Leben für seinen Rechtsstandpunkt ein. Die Geste mußte vom Gegner erwidert werden, andernfalls der gerichtliche Zweikampf nicht stattfinden durfte [!] (vgl. 6487). (Krohn 112006 (III): 128; vgl. auch Kellermann 2003: 112)
Erneut ruft Tristan Marke und sein Gefolge zur Zeugenschaft auf und betont in seiner Rede, dass er sich rechtskonform verhält (vgl. Tr 6456 – 6472). Insgesamt wird Tristan in dieser Episode im Kontext seines Sprachhandelns als herausragender Held beschrieben, der sein Auftreten und Sprachhandeln geschickt
Die Kampfgegner Tristans – außer Morgan – werden „als von teuflischer Art bezeichnet“ (Keck 1998: 205; vgl. zu den Gegnerfiguren außerdem Tomasek 2007: 100 – 101). Beide Optionen stehen zur Auswahl (vgl. Tr 6364– 3681).
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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und entschlossen einsetzt, um die höfische Rechtsordnung wieder herzustellen. Sein Auftreten wird als mutig geschildert und durch sein Gebaren auch als sehr zielgerichtet. – Mit seiner Körpersprache nimmt er z.T. eine andere Adressierung vor als durch seine Rede. Daneben zeichnet er sich durch seine Gelehrtheit und Höfischkeit aus, die sich etwa in seinem Rechtswissen widerspiegeln, das sich nicht nur in seinen Äußerungen zeigt, sondern auch darin, dass er Rechtsgesten mit Objektadaption – das Übergeben des Handschuhs an den Gegner als offizielle Kampfaufforderung – beherrscht und einsetzt. Seine hövescheit grenzt ihn von Morold ab und wird im Kontext der Reden auch erwähnt, um Tristans Position und (Sprach‐)Handeln als rechtens zu unterstreichen und Morolds Position als Unrecht zu beurteilen. Andererseits ist seine Höfischkeit Grundlage, um die gestörte höfische Ordnung wiederherstellen zu können. Tristan wird hier als sehr souverän charakterisiert, insbesondere auch im Vergleich zu den resignierten Landbaronen und Marke, die sich der unrechten Tributspflicht nicht entgegenstellen und in der akuten Situation ausschließlich fremdbestimmt auftreten. Sie verhalten sich ausgesprochen passiv – die Schilderung Tristans, die durch eine große aktive Körperlichkeit ausgezeichnet ist, hebt ihn durch diese Kontrastierung in seiner Rolle als Held, „Heilbringer“ (Huber 2013: 74; Keck 1998: 206) und Restaurator der höfischen Ordnung hervor.
1.4 Kontextübergreifende Hinweise im Redeumfeld In den Einzelanalysen hat sich gezeigt, dass Tristan im Kontext seines Sprechens oft als höfisch und klug charakterisiert wird. Dies deckt sich vor allem fürs erste Drittel des Romans mit dem Bild, das sich aus weiteren Redeeinleitungen ergibt. So wird Tristan im Umfeld seiner direkten Reden zweimal als der guote Tristan (Tr 2785, 3043) und dreimal als der höfsche Tristan (Tr 2793, 3427, 6358) bezeichnet, im Umfeld indirekter Reden als der hovebaere (Tr 2868), sein Reden als guotlîche (Tr 2725) und höfschlîche (Tr 3701). Nach seiner (zunächst verbalen) Auseinandersetzung mit Morold wird er in seinen Reden nicht mehr in dieser Weise attribuiert.¹⁰² Sein körperliches Kommunizieren im Redeumfeld sowie die verschiedenen Sprechanlässe stützen den Eindruck von Tristans hövescheit auch abseits der bereits besprochenen Textstellen. So etwa, wenn eine Handlung als unter höfischen Gesichtspunkten unangemessen bewertet wird und dies zu einer Sprachhandlung führt wie beim Entbästen des Hirsches (Tr 2911– 2912; vgl. auch Anm. 85): und wan daz ungebaere was sînen schoenen handen, dô sprach er
Hier wird die Höfischkeit Tristans durch sein Bewusstsein der Unangemessenheit und die daraus resultierende Rede wie über die Beschreibung seiner körperlichen Schönheit
Die Darstellung der Höfischkeit ist grundsätzlich ein Phänomen, das im ersten Romanteil zu verorten ist (vgl. weiterführend Sayce 1959: 407).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
hervorgehoben. Auch in der ersten Begegnung mit Marke weiß sich Tristan gekonnt auf höfische Weise in Szene zu setzen, indem er, nachdem er Marke gesehen hat, zunächst begunde in grüezen schône (Tr 3247), dann neue, explizit vremede[ ] horndône (Tr 3248) spielt, die die restliche Jagdgesellschaft nicht beherrscht, wodurch er sich aus der Gruppe heraushebt und sich sowohl als Jäger als auch bereits als talentierter Musiker darstellt (vgl. insgesamt Tr 3240 – 3255). Das Einreiten mit der Jagdgruppe und Tristans besonderes Hornspiel leiten den ersten Kontakt zu Marke ein (Tr 3254– 3258): der wol gezogen ellende der lie sîn hürnen unde sweic. vil schône er gein dem künege neic und sprach mit süezem munde vil suoze, als er wol kunde[.]
Tristans höfische Ausbildung¹⁰³ wird durch die Antonomasie der wol gezogen ellende besonders betont. Der Grad der Inszenierung wird deutlich, wenn Tristan auf das Hornspiel durch sein Schweigen eine Kunstpause folgen lässt. Durch die Stille, die auf das besondere akustische Signal folgt, wird die Aufmerksamkeit der Anwesenden gebündelt und die Spannung erhöht. In dieser Stille erweist Tristan dem König durch das Neigen des Kopfes Ehre. Die Ausführung der Ehrbezeichnung wird durch die Modaladverbiale vil schône charakterisiert, also ‚auf schöne, feine, anständige, geziemende, bescheidene, richtige, bedächtige, sorgfältige, freundliche weise‘ (Lexer 1876: 768). Tristans Sprechen wird als lieblich charakterisiert, und dieses Können wird als verallgemeinerbare Fähigkeit Tristans dargestellt: als er wol kunde. Gleichzeitig erscheint nicht nur Tristans Sprechen als lieblich, sondern seine ganze Person. Dieser Effekt wird durch die Formulierung mit süezem munde erreicht, die gleichermaßen Metonymie wie pars pro toto ist. Denn einerseits steht der Mund für Tristans Sprache, andererseits ist gerade der Mund im Kontext von descriptiones personae immer wieder literarischer Blickfang und Höfischkeitsausweis und damit auch konkret körperlich gemeint. Über die Art der Beschreibung wird Tristan sowohl optisch und hierdurch gemäß der Kalokagathia mit Blick auf sein Inneres beschrieben, als auch über die Art, wie er spricht – und dies trägt seinen Charakter wiederum nach außen Auch in gefährlichen Situationen im nichtöffentlichen Raum ohne Publikum hält Tristan sich an den höfisch-kommunikativen Verhaltenskodex, etwa, nachdem Isolde den Spielmann Tantris als Tristan enttarnt, also in einer Situation, in der Tristan in akuter Lebensgefahr schwebt (vgl. auch III.II.1.4.2.: 233 – 235). Nachdem er dem Bad entstiegen ist und auf die Damen wartet, setzt er, als diese zu ihm gehen, „auf rituelldemonstrative Mittel höfischer Kommunikation, um das Wohlwollen Brangaenes und der Isolden zu erreichen“ (Karin 2017: 214).Vor der Rede, in der Tristan um Gnade fleht, macht der Erzähler deutlich, dass es sich hier nicht um affektgesteuertes, sondern durchaus kalkuliertes und beherrschtes Verhalten handelt (Tr 10462): Tristan sîn sel-
Ebenso aber auch der Status des Fremdseins.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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bes niht vergaz. Tristans Verhalten ist bewusst inszeniert, indem er eine klassische Unterwerfungsgebärde des Fußfalls einsetzt, eine Gebärde, die grundsätzlich zum gängigen höfischen Repertoire gehört und im öffentlichen Raum in den Bereich „tendenziell kalkulierbarer Gebärden fällt“ (ebd.; vgl. auch Althoff 1994: 472– 473) (Tr 10463 – 10467): er vuor ûf balde gegen in und viel sâ gegen in allen hin und lac den höfschen süezen vlêhlîche zuo den vüezen und sprach ouch mit dem valle:
Die Fallhöhe Tristans wird verdeutlicht, indem er zuerst aufspringt: Das Aufstehen gehört zum Repertoire der ehrbezeugenden Begrüßungsgesten, kann aber ebenfalls die „Anerkennung […] gegenüber einer übergeordneten Gewalt“ (Schmidt-Wiegand 1982: 366)¹⁰⁴ ausdrücken. Das Aufspringen suggeriert eine große emotionale Betroffenheit und macht die Geste umso eindrucksvoller: Sie geht vom Springen ins Fallen über, also vom höchsten zum tiefsten Punkt. Dass es sich um eine wohlüberlegte Inszenierung handelt, macht der Verweis deutlich, dass Tristan sîn selbes niht vergaz. Er verliert die höfische Contenance nicht, sondern setzt bewusst auf die dramatisch gestaltete Gebärde. Schon während des Fallens fleht er um Gnade. – So eindrucksvoll, so wohlkalkuliert und höfisch die Geste auch ist: Ohne Publikum läuft sie ins Leere und kann ihre Wirkung nicht entfalten.¹⁰⁵ Entsprechend der Vorbildwirkung, die höfische Literatur für das höfische Publikum haben soll (vgl. Miedema 2007: 181), wird die Geste wenige Verse später erneut aufgenommen. Diesmal fällt Tristan Gurmun redeeinleitend zu Füßen und richtet sein Gnadengesuch an diesen (Tr 10661– 10663): und alse Tristan în gie, dem künege er sich ze vüezen lie. „genâde, hêrre künec!“ sprach er.
Hier wird durch Gurmuns Reaktion vorgeführt, wie „sowohl Fußfall als auch Friedenskuss als friedenssichernde Gebärden […] richtig funktionieren“ (Karin 2017: 215). Tristans Klugheit wird hervorgehoben, indem sein Sprechen als wîsliche (Tr 2775) und sinneclîche (Tr 3096) und er selbst als der wortwîse (Tr 3018), der wîse (Tr 6260) oder auch als nâchraete (Tr 18936) bezeichnet wird. Auch seine Bildung wird herausgestellt, z. B. durch Hinweise auf Tristans Sprachkenntnisse und das bewusste Hier wird das Stehen vor einem Sitzenden für den weltlichen und geistlichen Bereich angesprochen; die Geste des sich vor jemandem Erhebens kann aber grundsätzlich als Ehrerbietung gedeutet werden. Karin (2017: 214) hält hierzu fest: „Hier jedoch versagt die Gebärde und führt zu einer inadäquaten Reaktion der Damen, die in der Öffentlichkeit demütigend für alle Beteiligten wäre (Tr 10473 – 10479): diu liehte cumpanîe, / diu liehten alle drîe, / ieglîchiu warf ir ougen dan / und sâhen alle ein ander an. / si stuonden unde er lac alsô. / ‚vrouwe‘ sprach Brangaene dô / ‚der ritter lît ze lange dâ.‘“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Einsetzen dieser Sprachen je nach Situation, wie eingangs gegenüber den Kaufleuten (Tr 2233), an Markes Hof, wo er nach seinen Sprachkenntnissen gefragt wird und diese auch vorführt (Tr 3696 – 3703): und swer iht vremeder zungen von den bîlanden kunde, der versuohte in sâ zestunde: dirre sus und jener sô. hier under antwurte er dô höfschlîche ir aller maeren: Norwaegen, Îrlandaeren, Almânjen, Schotten unde Tenen.
Wie außergewöhnlich Tristans Sprachfertigkeit ist, zeigt sich in der Reaktion auf sein Antworten, denn sein Können evoziert Neid (Tr 3704– 3705): dâ begunde sich manc herze senen nâch Tristandes vuoge.
Dass Tristan auch konkrete Sprachen als nähesprachliches Mittel einsetzt, zeigt sich, als er nach der erfolgreichen Brautwerbung Kurvenal in Irland wiedertrifft. Dieser spricht ihn auf Französisch an, mithin so, dass die ebenfalls anwesenden Damen ihn verstehen können, und berichtet von seiner Sorge und seiner Annahme, Tristan sei tot – Tristan antwortet aber explizit auf Bretonisch (vgl. Tr 10736– 10737), also in der Sprache der Heimat, mit der er von der Möglichkeit Gebrauch macht, sich trotz der Anwesenheit der Damen vertraulich mit Kurvenal zu unterhalten und ihm diverse Anweisungen zu geben (vgl. insgesamt Tr 10704– 10765, III.II.1.4.2: 237, vgl. auch Tax 1971: 58). Ein Charakteristikum, das sich in Tristans Redeumfeld immer wieder findet, ist das der Fremdheit. So wird er nach seiner Entführung aus Parmenien in der Wildnis als der trôstlôse ellende (Tr 2487), ellender gast (Tr 2921), bei seiner ersten Begegnung mit Marke als der wol gezogen ellende (Tr 3256) und dreimal als der ellende (Tr 8215, 8876, 18752) bezeichnet: als er aus Irland abreisen möchte, als er erneut dorthin reist und schließlich in Arundel. Das erste und das dritte Beispiel zeigen, dass mit dem Fremdsein unterschiedliche Bereiche verknüpft sein können: einerseits die Einsamkeit und der Kummer des Fremdseins, in dem die heutige Bedeutung von Elend bereits anklingt¹⁰⁶, andererseits aber auch eine besondere Form von Bildung, durch die sich der Fremde von den Einheimischen abhebt oder die zumindest als bemerkenswert heraussticht und mit der fremden Herkunft verknüpft wird. Weitere Redeeinleitungen geben vor allem situationsspezifische Einblicke und solche, die das Figurenverhältnis abbilden; teilweise lassen sie sich bezüglich Tristans
Vgl. hierzu etwa das DWB, 3: 409: „da nun fremde und verbannung weh thun und unglücklich machen, nahm elend nach und nach den begrif von miseria an und der ursprüngliche trat vor diesem endlich ganz zurück“.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
67
Eigenschaften verallgemeinern. So wird etwa während der Minnetrankepisode der Umgang Tristans mit Isolde als besonders feinfühlig, (geziemend) körperlich und schon früh als zärtlich und vertraulich geschildert, indem festgehalten wird, wie Tristan Isoldes Aufnahme des Körperkontaktes, als sie sich an ihn lehnt (vgl. Tr 11970 – 11971), erwidert und sie in einem „tastende[n] Wechselspiel“ (Furstner 1957: 36; Huber 2013: 85) umarmt¹⁰⁷ und auf sanfte, leise Weise die Frage stellt, die schließlich zu Isoldes Minnerätsel führen wird (Tr 11978 – 11984): ir vriunt begunde ouch sî dar wider mit armen umbevâhen, ze verre noch ze nâhen, niwan in gastes wîse. er sprach suoze unde lîse: „ei schoene süeze, saget mir: waz wirret iu, waz claget ir?“
Hier wird die Dynamik im sich ändernden Verhältnis deutlich aufgezeigt, indem Tristan einerseits als ir vriunt beschrieben wird, seine Umarmung adäquaterweise aber in gastes wîse vollzieht. Derart wird die Spannung thematisiert, in der Tristan fortan stehen wird, die sein Handeln und seine Existenz nach dem Minnetrank ausmachen wird: Auf der einen Seite ist er der Geliebte Isoldes, auf der anderen Seite der Fremde oder ‚Gast‘ in der Ehe von Isolde und Marke. Tristans Überlegenheit Marke gegenüber wird nicht nur durch die Gespräche untereinander und Handlungen miteinander illustriert, sondern in einer der Redeeinleitungen deutlich hervorgehoben. Nachdem Tristan Marke die von Gandin entführte Isolde zurückbringt, weist er ihn heftig tadelnd zurecht (Tr 13438 – 13440): Tristan der brâhte Îsôte wider sînem oeheime Marke und strâfete in starke[ ].
Marke wird in der Redeeinleitung nicht seinem Stand gemäß mit königlichem Titel, sondern gemäß seinem Verwandtschaftsgrad zu Tristan als dessen Onkel bezeichnet. Dies ist insofern relevant, als Tristan es sich als Verwandter erlauben kann, seinen Onkel zu tadeln. Dies stünde ihm als Dienstmann seinem Herrn gegenüber nicht zu (vgl. Karin 2017: 213). Der Adressatenverweis mit der genauen Adressatenbezeichnung ist besonders relevant dafür, Tristans Handeln weiterhin als höfisch-korrekt werten zu können und dennoch die Überlegenheit Tristans durchscheinen zu lassen (vgl. III.II.1.2.3: 146 – 147).
Diese Umarmung steht im Kontrast zur ersten Umarmung auf dem Schiff, als Tristan die weinende Isolde trösten will, und zwar wie es einem Dienstmann geziemt, was Isolde wiederum nicht erträgt (vgl. Tr 11545 – 11575; Furstner 1957: 36; Huber 2013: 85).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Die Überlegenheit Tristans wird immer wieder – in unterschiedlicher Betonung – expliziert: Nach seinem Sieg gegen den Riesen Urgan wird beispielsweise geschildert, wie Tristan und Gilan gemeinsam heimreiten und ihr Gespräch wieder aufnehmen (Tr 16211– 16217): Nu Gilân unde Tristan, der sigesaelige man, hin wider ze hûse kâmen, ze handen aber genâme ir gelücke unde ir maere, Tristan der wunderaere der sprach zem herzogen zehant[.]
Hier werden zwei figurenqualifizierende Hinweise gegeben: Zunächst wird Tristan, der sigesaelige man, im Kontext des Glücksgefühls, gesiegt zu haben, geschildert, dann wird Tristans überragendes Heldentum weiter gesteigert hervorgehoben, indem er als wunderaere, also ‚Wunderwirker‘, bezeichnet wird. Trotz des direkten Bezugs auf den vorangegangenen Kampf wird hier auch auf Tristans vorangegangene Erfolge und Taten angespielt, so dass die Figurenqualifikation nicht rein situativ gebunden bleibt: So wird er wieder in die Nähe des heilsbringenden Heros gerückt (vgl. Keck 1998: 206), der auch solche âventiuren, die einen tödlichen Ausgang als unvermeidlich erscheinen lassen, zu einem glücklichen Ende führt.¹⁰⁸ Auch Tristans Leid wird in den Redeeinleitungen abgebildet, so etwa, nachdem Marke Tristan auf das Wirken Melots hin dazu auffordert, den Frauengemächern fern zu bleiben (vgl. Tr 14284– 14293). In dieser Situation bespricht Tristan sein Leid mit Brangäne. Zunächst wird dies in einem Redebericht verdeutlicht, der für beide über das spezifische verbum dicendi clagen als Klageakt klassifiziert ist (Tr 14391): si clagete ime und er clagt ir.
Nachdem Brangäne ihm die List mit den Spänen vorschlägt (vgl. III.II.1.2.4: 153), bedankt Tristan sich bei ihr für ihre Hilfe und Treue (vgl. Tr 14461– 14489). Diese Rede wird folgend immer wieder unterbrochen und durch diese Stückelung werden die Emotionalität und die Aufgewühltheit Tristans illustriert (Tr 14476 – 14483): weinende sprach er aber z’ir „getriuwe, saeligez wîp!“ hie mite twanc er si an sînen lîp mit armen nâhe und ange. ir ougen unde ir wange kuste er mit maneger quâle dicke und ze manegem mâle. „schoene“ sprach er „[…].“
Gilan rechnet mit Tristans Tod (vgl. Tr 16180 – 16184).
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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Dieser Eindruck wird erst durch den Erzählerkommentar hervorgerufen, der nicht nur den Eindruck einer kurzen Sprechpause vermittelt, sondern Tristans Sprechen durch das adverbiale Partizip weinende spezifiziert. Die separate Einleitung betont die folgende Exclamatio, „getriuwe, saeligez wîp!“, die die heftige Gemütsregung Tristans, aber auch seine Zugewandtheit zu Brangäne verdeutlicht. Hierauf baut dann die Intensität der weiteren Schilderung der redebegleitenden Umstände auf, die durch die eindringliche Körperlichkeit von Tristans Gebaren bestimmt ist: Tristan umarmt Brangäne nicht nur, sondern drückt sie fest an sich. Und es ist kein einfaches Drücken, sondern ein twingen ¹⁰⁹, das fern jeder höfischen Beherrschtheit ist. Tristan küsst Brangänes Augen und Wangen – nicht gesittet, maßvoll und beherrscht-kultiviert, sondern vollkommen unter dem Eindruck der enormen Qual. Der Effekt der verlorenen Selbstbeherrschung und des Ausmaßes der Qual wird durch die doppelte Verwendung des Indefinitpronomens manec erreicht. Tristan wird hier in einer unhöfischen Verfassung dargestellt, die auf einer unhöfischen Situation fußt, in einem Zustand, der Verzweiflung, Hoffnung und Dankbarkeit Brangäne gegenüber vereint. Doch ist Tristans Ausbruch nicht völlig frei von Berechnung zu deuten. Im Anschluss an seine Schilderung schwört Tristan Brangäne auf ihren Status als Vertraute des Liebespaares ein und befiehlt sich und Isolde ihr an (vgl. Tr 14483 – 14489).
1.5 Zwischenfazit Mit den Einzelanalysen konnte gezeigt werden, dass es häufig zu einer Verknüpfung der verschiedenen Elemente mit charakterisierender Funktion in einer erweiterten Redeeinleitung kommt,¹¹⁰ wobei das inquit in die Redeeinleitung integriert oder ausgelagert sein kann – in solchen Fällen folgt häufig eine einfache inquit-Formel als Einschub.¹¹¹ Oft wird das redeinitiierende Moment der Rede so vorangestellt, dass er als Teil der Redeeinleitung gewertet werden kann, teilweise leiten auch längere Ausführungen auf die Rede hin, indem sie etwa die Beweggründe für die Sprachhandlung darlegen (so z. B. vor der Kampfrede gegen Morold und der ersten Abreise aus Irland).
Die meisten Bedeutungen des Verbums twingen haben eine Semantik der Gewalt (vgl. hierzu Lexer 1876: 1602). Für die auf Tristan bezogenen Redeeinleitungen lässt sich das etwa an folgenden Stellen beobachten: Tr 2487– 2489, 2586 – 2588, 2692– 2694, 2773 – 2775, 2910 – 2911, 3014– 3015, 3092– 3096, 3256 – 3258, 3936, 6059 – 6062, 6454– 6455, 8159 – 8162, 8215 – 8219, 9461– 9462, 10310, 10462– 10467, 10661– 10662, 10736, 12011– 12013, 13438 – 13440, 14478 – 14479, 16211– 16217, 18648 – 18653, 19125 – 19127. Dieser Umstand lässt sich generell beobachten, exemplarisch seien hier die entsprechenden Textstellen der oben durchgeführten Analysen genannt, in denen die einfache inquit-Formel an eingeschobener Position folgt – die Stellen werden jeweils ab dem Vers angeführt, in dem die besondere Redeeinleitung beginnt: Tr 2228 – 2230, 2487– 2490, 2586 – 2489, 2684– 2585, 2692– 2695 (hier ist die inquit-Formel um einen Adressatenverweis erweitert), 8215 – 8220. Dies passt auch zu dem Ergebnis, dass die inquit-Formel im Tristan besonders häufig in Zwischenstellung auftritt (vgl. hierzu Schwartzkopff 1909: 101, Becker 2009: 86; Hundsnurscher 2007: 110).
70
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Die Initiatoren können sowohl dinglicher Natur sein, wie etwa das Schachbrett, als auch abstrakt in Tristans Überlegungen begründet. Ein wesentlicher Bestandteil der Redeeinleitungen ist Tristans Gebaren, das figurenqualifizierend zu deuten ist: Tristans Auftreten weist ihn als höfisch-kultiviert aus, kann Einblicke in Momente tiefer Frömmigkeit geben und verdeutlichen, dass Tristan beispielsweise auch mittelalterliche Rechtsgesten wie das Bieten des Handschuhs beherrscht (vgl. Tr 6454– 6455). Das Einsetzen höfischer Gesten kann hierbei unhöfische Situationen und Orte kontrastieren und dort gelingen, wie z. B. in der Wildnis, und Tristan anderen, ihm fremden Figuren gegenüber als höfisch ausweisen (vgl. III.I.1.2: 54) und somit ein stimmiges Bild der Figur zeichnen. Es kann in unhöfischen Situationen aber auch scheitern, wie Tristans Fußfall in Irland nach seiner Enttarnung belegt (vgl. Tr 10463 – 10467). Insgesamt kann Tristans körperlich-kommunikatives Verhalten als bewusst bis kalkuliert eingesetztes Handeln bewertet werden, das nicht als affektbasiert zu deuten ist, dafür aber Tristan selbst und seine Anliegen effektiv in Szene setzt und letztere unterstreicht. Bewertungen der Gesten durch den Erzähler, wenn etwa Tristans Art zu gehen als baltlîchen (Tr 6060) bezeichnet wird, charakterisieren in der Regel auch Tristan selbst innerhalb der jeweiligen Situation. Der Eindruck von Tristans Höfischkeit wird im Zuge der Redeeinleitungen, gerade zu Beginn der Tristan-Handlung, durch die Attribuierung Tristans als höfisch – entweder über figurenqualifizierende Hinweise oder adverbiale Redequalifikationen – evoziert (vgl. Tabelle 1), aber vor allem auch über sein Gebaren erzielt, zudem durch Hinweise auf Tristans Bildung, insbesondere auf das Beherrschen von Fremdsprachen. Hierzu zählt ferner das Hervorheben von Tristans Klugheit, das gerade auch über seine hervorragenden kommunikativen Fähigkeiten immer wieder dargestellt und im Kontext seiner Figurenreden betont wird. Auch Tristans Fremdsein wird in unterschiedlichen Situationen und Deutungen immer wieder betont, teils vor dem Hintergrund, dass Tristan tatsächlich landesfremd ist, wobei die Fremde die Einsamkeit oder auch die Situation des Ausgeliefertseins der Figur betont, teils aber auch, um Tristan aus der Menge herauszuheben und auf diese Weise seine Exotik im Figurenensemble darzustellen (vgl. auch Tabelle 1). Andere Redeeinleitungen sind stärker kontextgebunden, etwa die Schilderung von einem Sieg im Kampf. Hier liegen z.T. Einzelbenennungen vor, die sich auf eine bestimmte Situation beziehen, etwa als sigesaeliger man (Tr 16212), und Tristan innerhalb dieser beschreiben. Wird er aber wenige Verse später als der wunderaere (Tr 16216) bezeichnet, so wird deutlich, dass sich dies nicht nur auf den Einzelsieg bezieht, sondern dass Tristan immer wieder erstaunliche Siege erkämpft und Wunder vollbringt, und diese können sowohl kämpferischer als auch vor allem in ihrer Durchführung kommunikativer Natur sein, was verdeutlicht, dass auch die Einzelbezeichnungen sich in das Gesamtkonzept der Figur fügen. Gleiches gilt für die Schilderung emotionaler Aufgewühltheit im Redekontext – auch hier wird ein Zustand abgebildet, der nicht singulär ist, sondern verallgemeinerbar. Eine Übersicht über die figurencharakterisierende Bezeichnungen durch die Benennung oder attributive Erweiterungen des inquits gibt die folgende Tabelle:
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
71
Tabelle C.1: Figurencharakterisierende Bezeichnungen im inquit Bewertungsgröße
Realisierung im inquit
Okkurenzen
Belege
Höfischkeit
der guote Tristan der höfsche Tristan der hovebaere
, , ,
Fremdheit
Tristan der ellende gast der ellende der gast Tristan der ellende
Geistesgaben
der wortwîse der wîse Tristan Tristan der wunderaere Tristan der nâchraete
Alter
daz kint
Gesinnung
der gemuote Tristan
Maskerade
der sieche spilman der spilman
Umstand
Jener in dem bade der ûf dem orse
Soziale Konstellation
Tristan ir meister sîn weidegeselle / Tristan
f.
Gesamt
Wie herausgehoben die figurencharakterisierenden Bezeichnungen sind, wird durch den Vergleich mit den einfachen Sprecherbezeichnungen deutlich. 88-mal wird die Benennung Tristans als Sprecher im inquit als er realisiert, 82-mal als Tristan und in 17 Fällen kommt es zu einer Kombination der nominalen mit der proniminalen Bezeichnung durch direkte Wiederaufnahmen.Von insgesamt 209 Belegen entfallen also nur 22 auf besondere Benennungen (vgl. Tabelle 2): Tabelle 2: Einfach pronominale und nominale Bezeichnung im inquit Kategorie
Realisierung Okkurenzen Belege
pronominal
er
, , , , , , , , , – , , , f., , , , , , , – , , , f., , , , f., , , f., , , , , , , , , , , , , , , , , – , , , , , – , , , – , , ,
72
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tabelle : Einfach pronominale und nominale Bezeichnung im inquit (Fortsetzung) Kategorie
Realisierung Okkurenzen Belege , – , , , , , , , , , , , , , , , , f., , , , , , , , , f., , , ,
nominal
Tristan
Kombination nominaler und pronominaler Bezeichnung (direkte Wiederaufnahme) Gesamt
, , , , , , , , , , – , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , f., , , , , , , , , , , , , , , f., , , , , , , – ., , , – ,
f., f., – , f., f., f., – , – , – , f., f., – , – , f., – , –
Die Redeeinleitungen und redebezogenen Erzählerkommentare zeichnen ein Bild der Tristanfigur, das Tristan – durch seine Reden, aber auch durch den Bezug auf seine Taten als Redeanlässe und -verortungen – immer wieder als besonders darstellt: Tristan hat außergewöhnliche Fähigkeiten und eine herausragende Bildung; Tristan ist besonders höfisch – auch im Kontrast zu anderen Figuren (Morold) oder Orten (Wildnis); Tristans Besonderheit liegt auch im Fremden, das ihm immer zu eigen bleibt; Tristan ist ein besonderes Kind, das sich von anderen Kindern abhebt und außerdem als besonders fromm dargestellt wird; als Liebender widerfährt Tristan besonderes Leid – Tristan ist der besondere Held, der wunderaere. Hierbei wird Tristans Sprachhandeln auch dann, wenn es (nicht nur nach heutigen Maßstäben auf den ersten Blick) befremdlich erscheint, als positiv bewertet und Tristans Sprachvermögen als besondere Fähigkeit Tristans herausgestellt. Diese Charakterisierung wird in den Redeeinleitungen und Erzählerkommentaren gerade dadurch erreicht, dass die unterschiedlichen Qualifikatoren in Kombination auftreten und erst gemeinsam ein tatsächliches Bild der Figur zeichnen.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
73
2 Marke Die Markefigur vollzieht im Verlauf der Narration in ihrer Zeichnung eine der deutlichsten Wandlungen, vom vorbildlichen Herrscher hin zum gehörnten Ehemann und misstrauischen Zweifler, der durch seinen Argwohn auch sein Königreich gefährdet.Von Karg (1994: 68) wird Marke den Kategorien „[u]nwissend – argwöhnisch – fordernd – ausgebootet“ zugeordnet, wobei er auch in positiver Weise gezeichnet wird, die seine Herrscherqualitäten hervorhebt, wie etwa bei seinem Hoffest zu Beginn des Tristanromans, und vor allem durch folgende Tatsache: Marke „nimmt Tristan an seinem Hof auf und überträgt ihm Verantwortung. Er zeigt damit beidseitige Angemessenheit: Der Hof, sein Hof, ist des Besten würdig und umgekehrt.“ (Ebd.: 68 – 69). Die Wandlung vom „größten Förderer“ (Tomasek 2007: 104) Tristans zu dessen Gegenspieler erfolgt peu à peu. Spätestens ab dem Zeitpunkt, der Tristans Reise nach Irland begründet, nämlich Morolds Anwesenheit wegen der Tributpflicht Englands und Cornwalls gegenüber Irland, kippt das Verhältnis und auch die Darstellung:¹¹² Marke wird hier nicht mehr als vorbildlicher König gezeichnet, sondern zunehmend als schwacher, passiver Herrscher, der nicht nur die Hilfe anderer benötigt, um Aufgaben, die eigentlich die seinen wären, zu erfüllen, sondern der darüber hinaus sogar jemanden benötigt, der ihm Handlungsbedarf, Missstände und Desiderate vor Augen führt, wobei es irrelevant ist, ob diese Einflussnahme durch eine positiv dargestellte Figur wie Tristan oder später durch negativ gezeichnete Figuren wie Marjodo¹¹³ und Melot erfolgt. Marke wird zum Zweifler, und er trägt selbst dazu bei, „[d]ie königliche Ehekrise, die mit intimen¹¹⁴ Bettgesprächen beginnt (13675 ff.), […] schrittweise zum öffentlichen Skandal“ (ebd.) werden zu lassen. Zunächst wird Marke im Kontext seiner Redeeinleitungen als König betrachtet, dann wird der Bruch in der Darstellung der Figur herausgearbeitet, abschließend werden exemplarisch die intimen Bettgespräche für die Domänen von Zweifel und List herausgegriffen.
Tomasek (2007: 105) macht darauf aufmerksam, dass bereits „die groben Jagdsitten, die der junge Tristan dort [d. i. Markes Hof, A.K.] antrifft (vgl. 2788 ff.), erste Zweifel an seinem [d. i. Marke, A.K.] Ruf [wecken].“ Den ersten Gerüchten über Tristan und Isolde schenkt Marke keinen Glauben und wehrt sich gegen sie, kann sie aber dennoch nicht vergessen (vgl. Tr 13637– 13675). Intimität wird hier mit Baier (2005: 190 – 191) als „Strukturprinzip, das sich, bei aller notwendigen Historisierung auf das Mittelalter übertragen lässt“, verstanden. Maßgeblich ist hierbei das „Wechselverhältnis von Inklusion und Exklusion“, wobei eine „intime Bindung immer ein ‚exkludiertes Drittes‘ [konstituiert].“ Hierbei ist die Knüpfung an ein Geheimnis zentral: „In intimer Kommunikation ist es das Innere, das, nur auf einen exklusiven Anderen gerichtet, offenbart werden will und sich den übrigen gegenüber verschließt. Das damit exkludierte Dritte bleibt gleichwohl im Kommunikationsverhalten der Geheimhaltenden präsent – sei es allein durch den Zwang der Geheimniswahrung.“
74
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
2.1 Marke, der künec Seine erste Rede hält Marke während der ersten Begegnung mit Tristan, dem Kind. Bereits hier übernimmt Tristan den aktiven Part, indem er den König herausgehoben aus der Gruppe der Jäger grüßt (vgl. III.I.1.4: 64– 65; III.II.1.1: 113 – 114). Der König wiederum tritt mit seinem Gefolge gemeinsam auf und dankt Tristan (Tr 3262– 3268): Marke der wol gemuote und al sîn ingesinde die danketen dem kinde vil tugentlîchen unde wol, als man dem tugenthaften sol. „â!“ sprachen s’al gemeine grôze unde cleine, [„…“].
Marke wird hier mit Namen genannt, steht der Aufzählung der Sprechergruppe voran. Die Figur wird als rechtschaffen bzw. hochgestimmt (vgl. BMZ II: 268b) und somit höfischen Maßstäben gerecht charakterisiert. Dass er mit seinem Gefolge auftritt, betont seinen Status als König. Die Art und Weise, wie Tristan gedankt wird, wird sehr positiv bewertet, die Rede also als angemessen qualifiziert und die Sprecher darüber wiederum als höfisch, aber, und das fällt auf: Eine eigene Stimme hat Marke in seiner ersten Rede nicht.¹¹⁵ Er ist der Erste in einer Gesellschaft, aber seine Stimme ist aus dieser Gesellschaft nicht herauszulösen: Er repräsentiert die Gruppe, die Gruppe repräsentiert aber ebenso ihn. Dass es sich um eine Gruppenrede handelt, wird durch das eingeschobene inquit betont. Hierdurch entsteht ein deutlicher Kontrast zwischen Tristan und Marke: Tristan wird in dieser Szene deutlich aus der Jagdgesellschaft herausgehoben, Marke erscheint vor allem als Teil seiner Hofgesellschaft. Hier ist ein deutlicher Unterschied markiert zwischen dem besonderen Helden, der gerade dadurch, dass er âventiuren (auch im Fortgang der Handlung) im Alleingang besteht, seinen Status erlangt und festigt, und dem König, dessen Handeln immer auf den Erhalt und das Ansehen seines Hofes gerichtet sein muss. Hof und Herrscher bedingen einander: Der König braucht sein Gefolge und das Gefolge braucht den König. Nach dem allgemeinen Dank wird Marke seiner Position entsprechend geschildert. Seine anschließende Rede wird damit eingeleitet, dass er nach dem Jäger schickt, um Informationen über Tristan, den er genauer betrachtet, einzuholen (Tr 3273 – 3275): Der künec der nam des kindes war. den jeger den besande er dar: „sag an“ sprach er [„…“].
Auch Jacobson (1987: 248– 149) betont: „The court and courtiers per se often act as a chorus commenting on the action, seconding Markʼs comments, or giving verbal expression to Markʼs silence or inactivity.“
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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Als Auslöser der Rede kann der vorangegangene Auftritt Tristans mit der ersten Kommunikation gewertet werden, darüber hinaus aber das dadurch ausgelöste Betrachten Tristans, das Marke dazu veranlasst, sich über ihn zu informieren. Hierbei wird Marke seinem Status entsprechend als künec bezeichnet. Die Qualifikation der Figur als hochgestellt wird unter anderem dadurch betont, dass es Marke möglich ist, eine andere zu besenden. Auch die direkt anschließende Rede, in der Marke den Jäger anspricht, macht deutlich, dass er befugt ist, Befehle zu geben und dass diese von verschiedenen Figuren ausgeführt werden. Die Schilderung ist nicht ungewöhnlich und im Grunde nicht weiter erwähnenswert. Es handelt sich um ein Verhalten, das für einen König als adäquat und rollenkonform empfunden, das im Grunde von ihm erwartet wird. Gerade der Umstand, dass dieses Handeln keiner weiteren Kommentierung durch den Erzähler bedarf, dient der impliziten Charakterisierung in diesem und vergleichbaren Fällen durch die Redeeinleitung. Entsprechend häufig wird geschildert, dass Marke Befehle erlässt, was zumeist mit dem verbum dicendi heizen (14 Belege) eingeleitet wird. Diejenigen Befehle, die mit gebieten eingeleitet werden, weisen eine Tendenz zur Überführung in die kommunikative Indirektheit auf, da vier von fünf Belegen eine Paarformel mit biten bilden und die Befehle derart abgemildert erscheinen (vgl. Tabelle 3): Tabelle 3: Befehlseinleitende verba dicendi Verbum dicendi
Okkurenzen
Beleg
heizen
Paarformel: gebieten und biten bevelhen gebieten
; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ;
Gesamt:
Viele der figurenqualifizierenden Hinweise stellen Markes sozialen Status als König heraus, häufig dadurch, dass Marke als künec bezeichnet wird: So wird er 15-mal in Redeeinleitungen¹¹⁶ zu direkten Reden¹¹⁷ und 15-mal im Kontext indirekter Reden und Redeberichte¹¹⁸ mit seinem Titel genannt. Teilweise wird die Qualifikation weiter modifiziert, indem Marke z. B. als der rîche künec (Tr 4062), der künec sîn vriunt
Und insgesamt im inquit, also auch dort, wo es in eingeschobener Position steht oder im Anschluss an eine Rede. Vgl. Tr 3721, 4141, 4147, 4402, 5126, 8478, 13212, 13221, 14979, 15003, 15419, 15518, 15724, 17484, 18190. Vgl. Tr 3480 – 3481, 3610 – 3612., 4062– 4065, 4113 – 4120, 4346 – 4347, 8232– 8233, 13184– 31189, 13200 – 13201, 14016 – 14021, 14284– 14293, 15312– 15315, 15427, 17659 – 17668, 17686 – 17691, 18178 – 18183.
76
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
(Tr 8232) oder als der künec der hovebaere (Tr 13184) bezeichnet wird. Hiermit werden (auf den ersten Blick) Markes Herrschertugenden – seine Vornehmheit¹¹⁹ und seine Höfischkeit – hervorgehoben sowie eine Figurenkonstellation (in diesem Falle die Beziehung von Marke und Tristan) näher spezifiziert als freundschaftliches Verhältnis. Während die Bezeichnung Markes als der rîche künec sich aber gut in den Kontext einfügt – Marke wird hier als Gastgeber präsentiert, der Rual neu einkleiden lässt und sich seiner Position und der Situation adäquat verhält –, erscheint die Bezeichnung Markes als der künec der hovebaere problematisch: Hierbei handelt es sich um eine Schlüsselszene im Bruch der Markefigur, die entsprechend ausführlich unter III.I.2.2 analysiert wird. Egal wie inkonsistent Markes Zeichnung insgesamt anmuten mag, egal wie viele Rollen er im Verlauf der Handlung spielen muss¹²⁰ – das konsequente Charakteristikum für Marke bleibt sein Rang, ob er dem Bild eines idealen Herrschers entspricht oder nicht, so dass er noch in der letzten inquit-Formel zu einer direkten Rede als künec bezeichnet wird (vgl. Tr 18190).
2.2 Die Markefigur im Wandel Dass der Wandel Markes vom positiven Herrscher, vom Onkel und der Vaterfigur des Protagonisten zum Zweifler und Antagonisten sich auch in den Redeeinleitungen widerspiegelt, ist erwartbar. Wie bereits gezeigt, wird Marke in der Einleitung seiner ersten Rede als der wol gemuote (Tr 3262) bezeichnet, also positiv eingeordnet. Auch im Folgenden finden sich im Umfeld von Markes Reden viele positive Figurenqualifizierungen. So wird Marke beispielsweise der tugende rîche (Tr 4021) oder als der guote Marke (Tr 4155) bezeichnet. Als Rual ihm, um seinen Bericht über Tristans Herkunft und Riwalins und Blanscheflurs Geschichte zu verifizieren,¹²¹ einen Ring Blanscheflurs überreicht,¹²² wird zunächst Markes emotionale Reaktion hierauf gezeigt, die wiederum seine folgende Rede einleitet (Tr 4290 – 4294):
Für das Adjektiv rîch verzeichnet der Lexer (1876: 416) an erster Stelle ‚von pers.: von hoher abkunft, vornehm, edel, mächtig, gewaltig allg.‘. Der Begriff soll hier sicher nicht nur eine Bedeutungsnuance abbilden, sondern die Vorstellung von einem König, der sich durch die relevanten königlichen Tugenden auszeichnet, evozieren. „Marke muß Artus, Gunther, Branwen spielen – und nie wird ihm die Chance gegeben, eine dieser Rollen bis zum Ende durchzuhalten. Was Gottfrieds ‚Tristan‘ mit Marke treibt, ist ein kunstvoll-gekonntes Spiel, ein Spiel ohne Ende. Gespielt wird mit höfischen und heroischen Traditionen und mit den in ihnen möglichen Aussagen. Sie thematisieren Gegensätze, Widersprüche und Konflikte und loten im jeweiligen narrativen Umgang damit Lösungen und Katastrophen aus. Prinzipiell gäbe es die Eleganz eines arthurischen Weges, und es gäbe die heroische Tragödie. Gottfrieds Roman aber bricht ab.“ (Karg 1994: 87). Marke fragt zuvor rückversichernd nach, ob die Geschichte denn wahr sei (vgl. Tr 4285). Barandun (2009: 55) hält die Bedeutung des Rings für Tristans Identität fest: „Nicht nur weil Marke als einziger in der Lage ist, das vingerlîn (4287) seiner Schwester Blanscheflur zu identifizieren
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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der guote und gewaere Marke der nam ez und sach ez an. der jâmer, den er dô gewan, der wart aber dô vester. „â“ sprach er „süeziu swester […].“
Das Betrachten des Rings als Beweisstück ist Teil der Kommunikation zwischen Marke und Rual, die Geschichte des Rings als Familienerbstück (vgl. Tr 4294– 4297) wiederum Auslöser für Markes persönliche, emotionale Involviertheit, die sich auch durch seinen Seufzer vor dem eigentlichen inquit zeigt. Sowohl seine Reaktion als auch die Bewertung Markes als der guote und gewaere durch den Erzähler zeigen Marke von einer positiven, empathischen wie sympathischen Seite (vgl. auch III.II.2.2.1: 279 – 280).¹²³ Die positive Beziehung von Marke und Tristan wird mit folgenden zwei erweiterten inquit-Formeln zwischen den zwei Irlandreisen Tristans demonstriert, zunächst direkt nach Tristans Ankunft nach seinem ersten Irlandaufenthalt in der Einleitung der indirekt dargestellten Frage, wie es Tristan dort ergangen sei (Tr 8232– 8233): der künec sîn vriunt der vrâgte in dô, wieʼz ime ergangen waere.
Hier wird das enge Verhältnis der Männer herausgestellt, was gerade an dieser Position von Bedeutung ist, denn Markes Frage ist der Auslöser für Tristans Bericht über seine Irlandreise: Dieser Bericht führt auf die Schilderung Isoldes hin, durch deren Hinzukommen Marke als Bezugspunkt Tristans¹²⁴ abgelöst werden und die enge Beziehung der Männer in ein Gegnerverhältnis kippen wird. Die zweite Schilderung betrifft das Verwandtschaftsverhältnis von Marke und Tristan. Tristan, dem gegenüber sich die Stimmung am Hof zwischenzeitig gewandelt hat und der um sein Leben fürchtet, bittet sînen oeheim Marken (Tr 8379) darum, dem Wunsch der Landbarone – Marke soll sich eine Frau suchen und mit ihr einen Erben zeugen, so dass Tristan nicht mehr Erbe des königlichen Titels sein kann – nachzukommen. Die Bezeichnung
und damit Rûâles maere (4120) zu beglaubigen, ist Tintajol der richtige Ort, um Tristan über seine wahre Herkunft aufzuklären. Tintajol ist sein Schicksalsort.“ Zugleich wird hier durch den Rückgriff auf die Elternvorgeschichte Tristans erneut in Erinnerung gerufen, dass Marke bereits in der Vorgeschichte der Hintergangene ist, der die heimliche Liebe von Riwalin und Blanscheflur nicht nur nicht bemerkt, sondern folgerichtig auch nicht verhindern kann, dass seine Schwester „in der Heftigkeit ihres Liebesgefühls die Geleise des Schicklichen und rechtlich Gebotenen verläßt, deshalb gesellschaftliche Sanktionen fürchten und mit Riwalin heimlich fliehen muß“ (Kern 1988: 207). Eine Reaktion Markes auf Blanscheflurs Flucht und Fehlverhalten bleibt hier wie dort aus – hier wird der Verlust aktualisiert, aber von einem gesellschaftlichen Vorbehalt, auch und vor allem gegenüber Tristan, ist keine Rede. Im Gegenteil: „Sowohl Marke als auch Rual akzeptieren Tristans Herkunftsmakel.“ (Sosna 2003: 239). „Allein auf ihn, auf Marke, bleibt Tristan bis zur großen Zäsur des Minnetranks bezogen.“ (Barandun 2009: 15).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Markes als oeheim wird im inquit der Anwort Markes wiederaufgenommen (Tr 8386 – 8387): Sin oeheim der gewaere der sprach: „neve Tristan […].“
Das Verwandtschaftsverhältnis wird auch durch die Anrede Tristans als neve expliziert. Marke wird aber nicht nur als Verwandter beschrieben, sondern auch als gewaere, ‚zuverlässig‘, als jemand, der zu seinem Wort steht. Die Verlässlichkeit Markes kommt in der folgenden Rede deutlich zum Ausdruck, in der er klarmacht, dass er an Tristan als seinem Erben festhält und für seinen Schutz sorgen will. Gleichzeitig leitet er für Tristan aus der Situation heraus eine generelle Verhaltenslehre ab.¹²⁵ Marke bekleidet diverse Rollen. Er spricht als Onkel und Vaterfigur, der seinem Neffen den Rücken stärkt und ihn durch seine Handlungsanweisungen auf das Leben, das er für ihn vorgesehen hat, vorbereitet. Zugleich verteidigt er die von ihm geplante Erbfolge und demonstriert somit seine Macht, und zwar auch gegenüber Tristan. Marke ist in dieser Rede mehr idealer Herrscher und König als in vielen anderen Situationen, er wirkt hier nicht schwach, sondern in seinen Äußerungen zwar konventionell, aber stark und königlich. Dennoch lässt er sich schließlich durch Tristan umstimmen und die Erzählung steuert auf die gefährliche Brautwerbung zu – somit wird das positive Bild von Marke zügig wieder revidiert und er als beeinflussbar dargestellt (vgl. III.II.2.2.4: 292– 295). Die nächste Redeeinleitung mit figurenqualifizierenden Hinweisen markiert einen Wendepunkt. In der Zeit, als Marke noch kein Misstrauen gegenüber Tristan und Isolde hegt, kommt Gandin an Markes Hof und Marke nimmt ihn auf den Wunsch Isoldes hin ehrenvoll auf (vgl. Tr 13140 – 13152). Gandin weigert sich im Kontext von Mahl und Handwaschung auch auf mehrfache Aufforderung hin, seine Rotte abzulegen (vgl. Tr 13158 – 13164) – hierdurch wird ihm aber von vielen der am Hof Anwesenden unhöfscheit unde unvuoge (Tr 13168) angelastet und er wird verspottet (vgl. Tr 13169 – 13171). Anders Marke, der Gandin trotz seines irritierenden Auftretens auf Isoldes Bitte hin besondere Ehre erweist. Nach dem Essen fordert er ihn auf, die Rotte zu spielen (Tr 13184– 13189): der künec der hovebaere, Marke der tugende rîche
Gruenter (1964: 24) sieht in Markes Attribuierung als der gewaere einen „Ehrentitel“ und hält fest: „Marke tritt uns hier als gelassener Kenner der menschlichen Schwächen und ihrer höfischen Spezialitäten entgegen.“ Auch Hauenstein (2006: 51) wertet Markes Rede unter Einbeziehung von Markes Charakterisierung im erweiterten inquit positiv: „Gottfried hat den König an signifikanter Stelle – vor Beginn seiner beachtenswerten Rede – mit dem Beinamen ‚der gewaere‘ versehen. Nun macht der in der ‚triuwe‘-Bindung Zuverlässige mit eigenen Worten klar, daß der Zustand der ‚saelde‘, der Wert- und Heilsgewißheit, jederzeit ins Gegenteil umschlagen kann. Aussagen wie diese sind sonst der Ebene des Kommentars vorbehalten.“
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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der bat in offenlîche, ob er iht rotten kunde, daz er in allen gunde, daz sî vernaemen sîn spil.
Marke wird in der Einleitung dieser indirekten Rede gleich mehrfach charakterisiert. Seine Stellung als König wird hervorgehoben, seine Höfischkeit betont und ihm werden ritterliche Vorzüge, die tugenden, attestiert: Hierunter zählen u. a. ‚männliche tüchtigkeit, kraft, macht; […] vorzüglichkeit, tugend; edle feine sitte u. fertigkeit‘ (Lexer 1876: 1560). Weiterhin wird die Rede noch einmal explizit im öffentlichen Raum verortet.Wichtig ist dies alles insofern, als die indirekte Rede hier den Dialog zwischen Gandin und Marke eröffnet, in dem Marke Gandin im Motiv des rash boon¹²⁶ zusichert, ihm für sein Spiel das zu geben, „[…] swaz iu liep ist.“ (Tr 13196). Im weiteren Verlauf des Dialogs wird Marke noch zweimal im inquit als künec bezeichnet (vgl. Tr 13212, 13221). Das Herausstellen von Markes Stellung in den Redeeinleitungen ist insofern wichtig, als damit deutlich gemacht wird, dass er seinem Wort verpflichtet ist. Und darauf beruft sich auch Gandin (Tr 13222 – 13218): „hêrre, sô enwelt ir niht behalten iuwer wârheit? werdet ir des überseit, daz ir urwaere sît, so ensult ir nâch der selben zît dekeines landes künic wesen. heizet küneges reht lesen. […].“ ¹²⁷
Gandin bietet ihm an, einen Zweikampf um seinen Lohn auszutragen, mit Marke selbst oder jemandem aus seinem Gefolge (vgl. Tr 13236 – 13242). Marke, auch in diesem Kontext mit seinem Titel bezeichnet, reagiert, indem er schaut, ob jemand für ihn kämpfen will. Er findet keinen, noch Marke selbe enwolde niht vehten umbe Îsolde, wan Gandîn was von solher craft,
„Das in der höfischen Epik allgegenwärtige und in vielerlei Spielarten begegnende Motiv des rash boon macht die Gabe […] und den Umgang mit ihr zum Indikator für die Intaktheit des höfischen Verhaltens- und Wertesystems. Es führt die Beteiligten in konfliktträchtige Situationen, die ihre Haltung und Einstellung zu tragenden Werten der höfischen Gemeinschaft (v. a. milte, mâze, triuwe, êre) kenntlich machen und ihr Vermögen überprüfen, ihre Interessen, Ansprüche oder Emotionen im Sinne dieser Prinzipien zu regulieren.“ (Dicke 1998: 124). Hauenstein (2006: 74) spricht von einer „Entscheidung zwischen gesellschaftlichem Status und Isold, [in dieser] zeigt sich Marke weder in der Lage, seine ‚êre‘ zu opfern und seine monarchische Stellung zu gefährden – denkbar wäre eine nachträgliche und wohl auch berechtigte Korrektur seines uneingeschränkten Versprechens – noch bereit, für Isold alles aufs Spiel zu setzen.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sô menlîch und sô herzehaft: ir keiner kêrte sich dar an. (Tr 13249 – 13253)
Hier wird deutlich: Marke ist und wird zwar auf sein Königsein verpflichtet, verhält sich aber in dieser Situation nicht königlich, nicht so, wie man es von einem Herrscher, der als tugende rîche bezeichnet wird, erwarten darf. Er ist hier nicht der mächtige, sondern ein schwacher Herrscher – und mit ihm ist auch sein Gefolge schwach, so, wie es schon in der Episode mit Morold der Fall ist.¹²⁸ Indem Marke in den Redeeinleitungen als vorbildlicher Herrscher stilisiert wird, ist die Fallhöhe umso tiefer, wird sein öffentliches Versagen umso deutlicher und seine Demütigung umso tiefgreifender. Das Ausmaß des Spottes, dem er sich durch sein Verhalten aussetzt, wird durch die Charakterisierung gerade zu Beginn, aber auch während des Dialogs umso größer. In der Retrospektive wird die Vorbildlichkeit Markes hier aufgebaut, um sie umso deutlicher zu demontieren und ihn – auch gegenüber den Rezipienten – umso stärker der Lächerlichkeit preiszugeben. Wie schon zuvor erweist Marke sich neben Tristan, der Isolde schließlich zurückgewinnt und ihn, den Onkel, heftig tadelt, als unfähig und darüber hinaus als seiner Frau unwürdig, weil er nicht in der Lage ist, sie angemessen zu schützen.¹²⁹ Vielmehr ist er derjenige, der „gegen ein bißchen höfischen Unterhaltungsspaß leichtfertig seine Frau verschachert“ (Karg 1994: 68; vgl. auch Hauenstein 2006: 74). „Unter dem Gesichtspunkt der Sympathielenkung begründet sie [d. i. die Episode von Harfe und Rotte, A.K.] offenkundig Tristans Recht auf Isolde“ (Kern 1988: 215) und somit gleichzeitig Markes Scheitern als Ehemann. Auch Karg (1994: 68) schreibt, Marke zeige sich als der Königin „[in] keiner Weise […] würdig“ – die vorgeführte Leichtfertigkeit demonstriert darüber hinaus, dass Marke sich in der Situation eines König unwürdig erweist, denn er gibt nicht nur sich selbst, sondern seinen gesamten Hof der Lächerlichkeit preis. Wie schon angedeutet: Markes Falltiefe ist auch die seines Hofes. Insofern führt die auf den ersten Blick explizit positive Bewertung Markes durch den Erzähler in der Redeeinleitung sowie das Herausstellen seines Ranges dazu, zu unterstreichen, dass Marke nicht der Herrscher ist, der er zu sein scheint, dass er sich des Ranges eines Königs, der als der hovebaere und der tugende rîche bezeichnet wird, eben nicht als würdig erweist. Die Figurenqualifizierung verkehrt sich in eine Disqualifizierung.
„Angesichts des hohen Grads literarischer Bildung, den Gottfried seinem Publikum in zahlreichen literarischen Verweisen und Allusionen seines ‚Tristan‘ abverlangt, ist für die angeführte Szene mehr als nur zu vermuten, daß ihre Wirkung intertextuell auf den scharfen Kontrast berechnet ist, in dem sie zur oft gestalteten parallelen Situation von König und Hof im Rahmen der Artusepik steht. Kritik zumal am Verhalten der Ritterschaft ist unverkennbar auch dort im Spiel, doch bei Gottfried steigert sie sich zur Demonstration der Verächtlichkeit eines Hofes, der die eigene Königin geradezu teilnahmslos und ohne jede Gegenwehr ganz einfach verloren gibt.“ (Dicke 1998: 138). So ist eine der zentralen Aufforderungen Tristans an Marke, die gleichzeitig den Vorwurf, dass Marke nicht angemessen für Isoldes Sicherheit sorgt, impliziert (Tr 13450): „und hüetet mîner vrouwen baz!“ (Vgl. hierzu III.II.1.4: 67– 68, III.II.1.2.3: 146 – 147).
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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Marke verfällt nun immer stärker in die Rolle des Antagonisten des Paares. Dies zeigt sich im Kontext der Redeeinleitungen ganz deutlich in den Bettgesprächen (vgl. III.I.2.3: 86 – 90; III.II.2.3.1: 301– 311), darüber hinaus aber auch, wenn der Erzähler darstellt, wie Marke z. B. Melot Anweisungen gibt. Eine der indirekt dargestellten Reden wird etwa als heimlich qualifiziert (Tr 14365 – 14369): verholne bevalh er dô dem getwerge Melôte, daz ez Tristande unde Isôte zuo zʼir tougenheite lüge unde lâge leite.
Hier wird also eine Anweisung gegeben, die, um funktionieren zu können, der Heimlichkeit bedarf, um mit ebenfalls verborgenem Verhalten das Versteckspiel der Gegnerpartei aufzudecken. Gleichzeitig wird durch das appellative Verb bevelhen Markes hohe Stellung verdeutlicht. So ist Markes Handeln unter dem Gesichtspunkt der Herrschaftssicherung nicht ausschließlich negativ zu deuten, denn Marke und sein Hof bedürfen des Schutzes der Heimlichkeit: „Derart ist die Sphäre verborgenen Handelns keineswegs gleichgültig für die Sphäre der Herrschaftsausübung, denn allein die Nichtöffentlichkeit des Geheimen sichert Marke immer wieder seine Herrschaft.“ (Wenzel 1988b: 342). Auch Markes Aufforderung während der Aderlass-Episode, mit ihm zur Frühmesse zu gehen, richtet sich an Melot. Hierbei handelt es sich um einen geplanten Teil der List, die Tristan und Isolde mithilfe des gestreuten Mehls überführen soll. Markes Aufforderung ist eingebettet in die Schilderung einer Sphäre der Heimlichkeit, evoziert durch das Herausstellen des verdunkelten Raums und den Hinweis, dass sich das Gefolge längst zerstreut hat (vgl. Tr 15127– 15138). Dieser Umstand ist bedeutend für die Wertung der gesamten Situation: Dem Raum der Heimlichkeit fehlt diese Zeugenschaft [d. i. die Möglichkeit akustischer und optischer Wahrnehmung, A.K.], er ist häufig gekennzeichnet durch die Ausblendung des Lichts, durch die bergende Nacht, den verhüllenden Schatten […]. Die Zuordnung von Licht und Schatten, Öffentlichkeit und Heimlichkeit enthält deshalb nicht selten bereits eine Aussage über die Rechtlichkeit oder zumindest die moralische Bewertung einer Situation. (Ebd.: 345 – 346)
Markes Rede lautet wie folgt (Tr 15139 – 15144): nu man zer mettînstunde liuten begunde, Marke, der verdâhte man, der leite sich al swîgende an und hiez Melôten ûf stân und mit im hin zer mettîn gân.
Aus dem Kontext genommen, gibt lediglich die Umschreibung Markes als der verdâhte man einen Hinweis darauf, dass Marke ein Fehlverhalten an den Tag legt. Marke wird
82
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
nicht mit seinem Titel bezeichnet – er tritt in dieser Situation weniger als Herrscher auf, denn als argwöhnischer (Ehe‐)Mann. Es ist deutlich: Seine Anordnung ist faktisch nicht (nur) die Aufforderung an Melot, ihn zur Messe zu begleiten, sondern vor allem eine Aufforderung dazu, etwas zuvor Abgesprochenes umzusetzen: Und so streut Melot heimlich Mehl, bevor Marke und er zum Gottesdienst gehen. Markes Handeln erscheint hier besonders perfide, weil er das Signal zur Messe als Signal zur List missbraucht, um seinen Verdacht bestätigen zu lassen. Entsprechend hat auch sein Messbesuch gerade nichts mit christlichen Werten zu tun, im Gegenteil. Diese negative Bewertung Markes wird dadurch verdeutlicht, dass der Erzähler konstatiert (Tr 15152– 15153): ir andâht diu was under in vil cleine an kein gebet gewant.
Die List jedenfalls führt nicht zum gewünschten Erfolg, denn Marke erhält hier gleichzeitig einen Beweis für die Schuld (das Blut) und einen Beweis für die Unschuld (keine Spuren im Mehl) des Liebespaares. Als Resultat verstummt Marke (vgl. Ruberg 1978: 234, III.II.2.3.1: 313) (Tr 15224): nu sweig er unde gesprach nie wort,
Gleichzeitig erhalten Argwohn und Zweifel erneut Einzug in Markes Denken. „An den Versuchen, die Wahrheit zu beweisen, erhält eine zunehmend größere Öffentlichkeit Anteil, und die Entfaltung der Handlung bleibt bis zuletzt an den Denkhorizont gesellschaftlicher ‚êre‘ gebunden.“ (Hauenstein 2006: 77). Das Gerücht von Tristans und Isoldes Betrug an Marke hat sich in der Öffentlichkeit verbreitet und Marke muss dementsprechend reagieren. Dass er die Öffentlichkeit sucht, begründet Marke folgerichtig auch selbst seinen Beratern gegenüber damit, dass das Gerücht gʼoffenbaeret (Tr 15289) und in daz lant vermaeret (Tr 15290) sei. Auf ihren Ratschlag hin ruft Marke ein Konzil ein, das auf Markes Bitte und Befehl hin von vielen Geistlichen und Laien besucht wird (vgl. Tr 15312– 15315) und vor dem er als Kläger und Ratsuchender auftritt (Tr 15325 – 15330): Nu Marke an das concîlje gesaz, sînen lantvürsten clagete er daz, wie er beswaeret waere mit disem lastermaere, und bat si harte sêre durch got und durch ir êre, […].
Marke verlässt sich also nicht mehr nur auf seine engen Ratgeber, mit deren Hilfe er bislang das Liebespaar weder überführen noch entlasten konnte, sondern sucht eine öffentliche, rechtlich basierte Lösung des Problems, die schließlich im Gottesurteil münden wird. Es geht hier weniger um Markes persönliche Befindlichkeit, als darum,
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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dass das lastermaere zur Bedrohung für Markes Herrschaft werden kann. Der Begriff der Ehre wird hier in Markes Rede nicht ohne Grund eingeführt: So, wie er die Ehre seiner Berater in die Waagschale wirft, geht es darum, seine eigene Ehre zu retten bzw. zumindest den „äußerliche[n] Schein der êre“ (Wenzel 1988b: 353) zu wahren: „Für die öffentliche Urteilsfindung bleibt der Ordnungsverlust gegenstandslos, solange der Schein der Ehre dauert, denn der öffentliche Schein der Ordnung funktioniert nicht anders als die öffentliche Ordnung selbst (13074 ff., vgl. 13083).“ (Ebd.: 354). Marke wird hier also als König, als Repräsentant, geschildert, der auf eine öffentliche Ehrgefährdung reagieren muss, als einer, der nicht allein und heimlich handeln kann, sondern die Öffentlichkeit braucht. Sein clagen und die Tatsache, dass er inständig um Hilfe bittet, verweisen zwar auch auf eine emotionale Involviertheit, gerade durch das spezifische verbum dicendi clagen (vgl. zu den verschiedenen Bedeutungen Lexer 1872: 1601) wird aber zudem der juristische Kontext, in den die Situation überführt wird, angedeutet: Die Situation wird zur Hof- und Herrschaftsangelegenheit (vgl. III.II.2.3.2: 315 – 329). Auch als Marke Isolde und Tristan des Hofes verweist, macht er dies explizit öffentlich. Zuvor wird geschildert, wie Marke das Liebespaar anhand seines Gebarens, vor allem durch die getauschten Blicke, als solches identifiziert. Marke wird in seiner emotionalen Verstrickung geschildert, zwischen Zorn und Schmerz und jenseits der mâze (vgl. Tr 16515 – 16516). Dies führt einerseits zu seiner öffentlichen, andererseits zu seiner vielleicht offensten Ansprache in der Zeit Dreiecksverhältnisses. Markes erneuter Betrugsvorwurf erfolgt zwar nicht, wie Hauenstein (2006: 105) schreibt, „[g]egen alle Wahrscheinlichkeit“, aber er unterscheidet sich dadurch, dass er auf einer Gewissheit Markes gründet, die es ihm erlaubt, – unbeeinflusst von anderen – eigenständig eine Entscheidung zu treffen und diese „[o]hne Rücksicht auf die unanfechtbare Entscheidung des Gottesgerichts, sogar ohne öffentliches Verfahren“ (ebd.) öffentlich zu verlautbaren. In der Redeeinleitung wird Markes Leid besonders betont, außerdem der Aspekt der Öffentlichkeit und dass, obwohl Tristan und Isolde gleichermaßen zu ihm bestellt werden, nur Isolde ist diejenige, die konkret angesprochen wird (Tr 16535 – 16540): In disem blinden leide besande er si beide vür den hof in den palas, dâ al daz hovegesinde was. zʼÎsôte er offenlîche sprach, daz al der hof hôrte unde sach: [„…“].
Auffällig ist, dass Markes Leid hier als ‚blind‘ bezeichnet wird, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem er klarer sieht als je zuvor. Marke hat hier keinen faktischen Beweis, und für einen solchen interessiert er sich auch nicht mehr – dies wird ihm vorgeworfen, denn ern haete niht gegeben ein hâr, / waere ez gelogen oder wâr (Tr 16534– 16535) –, aber er gelangt für sich selbst zu einer Gewissheit und unabhängig von seiner Haltung entspricht diese tatsächlich der Wahrheit. In seinem blinden leide ist Marke
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
der einzige Sehende am Hof, der einzige, der Tristans und Isoldes Blicke richtig deutet (vgl. Hauenstein 2006: 111, 113). Die ‚blinde liebe‘ Tristans und Isolds und das ‚blinde leit‘ Markes, die in der Verbannungsszene als Gegensatzpaar zweier Extrempositionen wirken, setzen leitmotivisch insofern ein Signal, als das Stichwort der Blindheit nun auch auf Marke übertragen wird und ihn anders als bisher in die Minnethematik einbindet. Über wichtige Metaphern und Leitworte wird Marke in auffallender Weise mit dem Minnepaar in Beziehung gesetzt und ein gemeinsamer Bezugspunkt, die Minne, geschaffen. Der entscheidende Punkt, in dem Marke hier mit den Hauptgestalten vergleichbar wird, ist sein Empfinden als Minnender. (Ebd.: 110)
Blind ist Marke hier außerdem gegenüber den höfischen Regeln. Diese lässt er in seinem Handeln außer Acht, agiert hier weniger „in der übergeordneten Rolle als Repräsentant“, sondern in der Rolle des Minnenden (ebd.: 106). Hierbei bleibt natürlich auch zu berücksichtigen, dass Marke und Isolde verheiratet sind und Isolde als Königin ebenfalls Repräsentantin von Cornwall ist, während Tristan durch Markes Hochzeit nicht mehr als gesetzter Nachfolger Markes zu bewerten ist und er Isolde als Königin untersteht. Dass Isolde vor Tristan adressiert wird, ist daher folgerichtig – dass ausschließlich Isolde angesprochen wird, zeigt eine Verschiebung in der Konstellation an. Dass Marke die Rolle des Königs nie vollständig abgibt, dass sein Handeln stets an den Hof gebunden bleibt, auch wenn er selbst aus einer anderen Perspektive heraus handelt, wird durch den Verweis auf die Öffentlichkeit, durch die Rückbindung an den Hof, das Einbeziehen der Höflinge im Kontext einer Zeugenschaft deutlich.Wenzel (1988b: 348) hält fest: „So versucht der König schließlich, die geforderte Ordnung durchzusetzen, indem er Tristan und Isolde aus dem Raum der öffentlichen Wahrnehmung verbannt[.]“ Aber: Bevor das Paar aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt wird, wird es dieser zunächst explizit ausgesetzt. Dies ist kongruent mit Markes Handeln: In dem Moment, als er selbst nicht mehr heimlich handelt, gesteht er diese Heimlichkeit auch dem Liebespaar nicht (mehr) zu – oder, um es anders zu fassen: Er erlaubt es dem Liebespaar, zumindest einen echten öffentlichen Auftritt als Paar zu absolvieren. Somit werden Tristan und Isolde nicht nur vom Hof verbannt, sondern zunächst als Paar an den Hof gerufen. Hierdurch findet gewissermaßen eine Art Initiation der beiden in der Rolle der Liebenden bei Hofe statt und hebt die Liebe auf diese Weise aus der Sphäre des Verborgenen heraus,¹³⁰ in der das Paar nach höfischen Maßstäben nie einen realen Status erlangen kann. Die Initiation wird von einem Minnenden ausgelöst und von einem König vollzogen. Markes Handeln im Vorfeld der Rede verrät viel über das, was er später in der Rede auch ausdrückt, was gerade an dieser Stelle die Relevanz des Redeumfelds unterstreicht. Erst in dem
Hauenstein (2006: 113) hebt hervor, dass der Widerspruch von öffentlichem und heimlichem Handeln hier aufgehoben zu ein scheint und sich dies auch in Gottfrieds Verzicht auf die „charakteristische Lichtregie, das Gegenüber von Hell und Dunkel“ niederschlägt.
III.I Charakterisierung über inquit, Redeumfeld und redequalifizierende Hinweise
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Moment, als Marke beide Rollen – die des Liebenden und die des Königs – in der Öffentlichkeit erfüllt, zeigt er Haltung und gewinnt wieder an Würde (vgl. auch Barandun 2009: 139) zurück, einer Würde, die ihm zu Beginn der Tristan-Handlung durchaus inne ist. Dass dieser Zustand nicht von Dauer ist und Marke zu seinen Zweifeln zurückkehrt, ist bekannt und schlägt sich auch im Kontext der Redeeinleitungen nieder, und zwar just, nachdem Tristan und Isolde aus der Minnegrotte an den Hof zurückkehren. Die von Barandun (2009: 147) für diese Situation festgestellte Oberflächlichkeit der „neue[n] Harmonie am Markehof“ zeigt sich unter anderem genau in diesem Zweifeln. Obwohl es keinen erneuten Zwischenfall gibt, der Markes neuerliches Zweifeln ausgelöst haben könnte, ermahnt er Tristan und Isolde in einer indirekten Rede dazu, nicht wie ein verliebtes Paar aufzutreten. In der Einleitung dieser Rede wird Marke als der zwîvelaere bezeichnet (Tr 17712– 17720): Marke der zwîvelaere gebôt unde bat genôte Tristanden unde Îsôte, daz sî durch got unde ouch durch in ir vuoge haeten under in und die vil süezen blicke vermiten und verbaeren und niht so heinlîch waeren noch sô gemeine ir rede als ê.
Seine Rede wird in mehrfacher Hinsicht qualifiziert: Marke fordert nicht nur auf, sondern er bittet auch, wie die Paarformel gebôt unde bat verdeutlicht. In der Formel wird kommunikative Direktheit des stärker appellativen gebôt mit der höfischeren kommunikativen Indirektheit zusammengeführt und dadurch abgemildert, die situative Spannung wird aber dennoch verdeutlicht, indem durch das Adverb genôte die Dringlichkeit des Appells hervorgehoben wird: Es entsteht der Eindruck, dass der König sich geradezu flehentlich an das Paar wendet. Sowohl die Bezeichnung Markes als zwivelaere als auch die Betonung der Dringlichkeit und innerhalb der Rede der Rückgriff auf das Verhalten des Liebespaars vor der Verbannung führen Markes Äußerungen, bevor Tristan und Isolde an den Hof zurückkehren dürfen, ad absurdum, in denen er jach, daz er untaete / von Tristanden unde Îsolde / niemer gelouben wolde (Tr 17666 – 17668) (vgl. auch Barandun 2009: 147). Markes Gewissheit des Betrugs im Vorfeld der Minnegrottenepisode ist erneut zerstreut, diesmal durch eine Unschuldsvermutung, die aber – und das zeigt sich in Redeeinleitung und Rede sehr deutlich – nicht ausreicht, um Markes alte Zweifel tatsächlich zu zerstreuen. Das Paar ist zwar vorerst vor dem Hof rehabilitiert, vor Marke jedoch wird dieser Zustand faktisch nicht mehr erreicht. Der Bruch zwischen König und Liebespaar erweist sich als endgültig.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
2.3 Marke im Kontext der Bettgespräche Das Spiel aus Listen und Gegenlisten zwischen Isolde und Marke wird mit dem ersten von insgesamt vier Bettgesprächen des Königspaares eingeleitet.¹³¹ Die Listen in den Bettgesprächen sind „Redelist[en]“ (Hauenstein 2006: 77). Auffällig ist, dass sie zwar als Zwiegespräche geführt werden, aber auf beiden Seiten maßgeblich durch den Einfluss weiterer Figuren bestimmt und gelenkt werden. Auf Markes Seite ist die einflussnehmende Figur der Truchsess Marjodo¹³², auf Isoldes Seite handelt es sich um Brangäne. Neben dem Einfluss eines jeweiligen Dritten im Gespräch ist zudem der Ort wichtig: Dass die Gespräche im Bett stattfinden, situiert sie in einem vertrauten und vertraulichen, nicht-öffentlichen¹³³ Rahmen, dessen Intimität Sicherheit suggeriert, hier aber – wie grundsätzlich in der Beziehung zwischen Marke und Isolde – als Ort des Vertrauensmissbrauchs und Betrugs am Partner inszeniert wird (vgl. weiterführend III.II.2.3.1: 301– 310).¹³⁴ Nachdem Marjodo Zweifel an Isoldes Treue bei Marke geweckt hat, wird geschildert, wie Marke seine Frau auf Zeichen ihrer Untreue hin beobachtet, zunächst ohne etwas entdecken zu können. Dieses Beobachten findet naht unde tac (Tr 13675) statt. Die List wiederum ist eindeutig dem Zeitraum der Nacht zugeordnet, also dem „bevorzugte[n] Raum heimlichen Handelns, de[m] Raum für List und Gegenlist“ (Wenzel 1988b: 346) (Tr 13676 – 13683): eines nahtes, dô er bî ir lac und sî zwei triben under in ir wehselrede her unde hin, er rihtete unde leite mit einer kündekeite einen stric der küneginne und vienc si ouch dar inne. „nu vrouwe“ sprach er [„…“].
Zunächst wird eine gewöhnliche Situation geschildert: Marke liegt bei Isolde und das Paar unterhält sich in einer neutralen wehselrede, die Schilderung erscheint eher
Einen tabellarischen Überblick über die „Serie von List und Gegenlist“ gibt Hauenstein (2006: 75 – 77, vgl. zu den bettemaeren besonders 75). Zunächst allein durch den Umstand, dass Marjodo Markes Zweifel weckt. Auch Hauenstein (2006: 85) betont, dass dieser Bereich der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Baier (2005: 193 – 194) nennt zwei Orte, die im Tristan als „Räumlichkeiten von Intimität“ fungieren können, „zunächst der höfische Binnenraum der Kemenate mit dem obligaten Bett sowie der bulkolische Naturort. Innerhalb der Sphäre des Hofes sind alle Teilräume in den repräsentativen Herrschaftsraum eingewoben. Die Kemenate ist dabei ein durchaus tolerabler Rückzugsraum, wiewohl der Begriff wenig differenziert und mit einer Fülle von Denotaten verbunden ist.“ Dies beginnt bereits mit der Hochzeitsnacht, in der Brangäne Marke untergeschoben wird. Die Hochzeitsnacht „bietet nicht nur narrative, erzähllogische Momente, sondern eine Verbindung des aus der Tristanliebe exkludierten Dritten (Marke) mit den Intimitätslisten der Liebenden.“ (Baier 2005: 194; vgl. auch Gerok-Reiter 2002: 375).
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beiläufig, so dass die Ausgangssituation alltäglich erscheint. Markes Vorgehen wird nun als planvoll geschildert, als klug-verschlagene Strategie und als erfolgreich – schon vor der Wiedergabe der Rede selbst oder Isoldes Antwort.¹³⁵ Marke bereitet einen Fallstrick, einen Hinterhalt für Isolde, eine List, die sie nicht als solche durchschaut; sie geht Marke in die Falle.¹³⁶ Marke erscheint als kommunikativ erfolgreich, aber auch als unsympathisch: Seine Klugheit ist keine positive, und seine Verschlagenheit¹³⁷ fällt durch die Situierung der List im Rahmen der Vertrautheit umso stärker ins Gewicht: Wie schon bei der Schilderung des Kirchgangs in der Mehlstreuepisode (vgl. III.I.2.2: 81– 82) potenziert die Situierung der List den negativen Aspekt. Auch die zweite List findet nachts statt. Eingeleitet wird das Bettgespräch durch den Hinweis auf die Planung der List durch Marke unter Marjodos Einfluss und Beratung (Tr 13853 – 13859): Aber kam ez eines nahtes sô, als er ez unde Marjodô ensamet haeten ûf geleit, daz er aber sîne kündekeit Îsolde vür leite und sî mit kündekeite gerne haete ervaren baz.
Durch die doppelte Nennung betont der Erzähler Markes kündekeit, die Marke diesmal jedoch nicht dazu verhilft, sein Kommunikationsziel – Isolde besser zu ervaren ¹³⁸ – zu erreichen. Erneut legt Marke Isolde einen stric (Tr 13861), der Isolde schaden soll (vgl. Tr 13862). Die Wortwahl aus dem ersten Bettgespräch wird hier durch den Erzähler also wieder aufgenommen, dieses Mal jedoch ist Isolde durch Brangänes Beratung diejenige, die die Kommunikation zu ihren Gunsten wenden kann (vgl.
Der Ausgang der Bettgespräche wird bei allen vier Gesprächen durch den Erzähler vorweggenommen ( vgl. auch Barandun 2009: 116). Wessel (1984: 205 – 206) hebt hervor, dass die Jagdmetaphorik im Tristan gerade nicht nur zur Minnemetaphorik zu rechnen ist, sondern auch „als realisierte Metapher für Markes ‚Fallenstellerei‘ fungieren [kann], die mehrfach mit Hilfe von ‚rhetorischen‘ Jagdmetaphern charakterisiert wird.“ Gerok-Reiter (2002: 375) hebt die negative Konnotation der hier verwendeten Metaphorik hervor. Lexer (1872: 1771) gibt zu kündekeite die Bedeutungen ‚klugheit, list, verschlagenheit‘ an. Die Mehrdeutigkeit dieser Wendung ist sicher bewusst gewählt: Der Einfluss Marjodos würde sich in der Bedeutung ‚erwischen‘ widerspiegeln, während als Markes eigenes Ansinnen durchaus auch der Wunsch angenommen werden kann, Isolde besser zu ‚erforschen‘ und ‚kennenzulernen‘ und somit die Wahrheit zu finden – für die Marke sich grundsätzlich, wie im Verlauf der Handlung immer wieder verdeutlicht wird, wünscht, dass sie eben nicht im Betrug durch seine Ehefrau, sondern in ihrer Treue zu finden ist. Dieser Deutung steht allerdings die explizite Aussage des Erzählers entgegen, dass Marke seinen Hinterhalt ûf ir [d. i. Isolde, A.K.] schaden tihtete (Tr 13862) (vgl. zu den Bedeutungen von ervarn Lexer 1872: 688).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tr 13860 – 13865). Eingeleitet wird das Gespräch nun körperlich, indem Marke Isolde eng an sich, an sein Herz, drückt und küsst (Tr 13869 – 13873): der künec twanc die künigîn vil nâhen an daz herze sîn und kuste sî ze maneger stunt in ir ouge und in ir munt. „schoene“ sprach er [„…“].
Auffällig ist der ungewöhnliche Gebrauch der Präposition in. Hierdurch, so Barandun (2009: 117), wird „Markes Liebesoffensive eine zweideutige Heftigkeit [verliehen].“¹³⁹ Eine besondere Heftigkeit der Annäherung wird hier tatsächlich dargestellt, die durch das Verbum twingen (vgl. Anm. 109) und auch die Präpositionalphase ze maneger stunt unterstrichen wird. Die Szene ist emotional aufgeladen, Markes Handeln wirkt hier nicht mehr höfisch-kontrolliert, sondern affekthaft gelenkt. Im Zusammenhang mit seiner Rede, in der er angibt, die (angeblich) anstehende Trennung würde ihm den Verstand rauben (vgl. Tr 13873), dient es dazu, seinen Worten Glaubwürdigkeit zu verleihen. Nur: Sowohl dem Rezipienten als auch Isolde ist klar, dass es sich hier um eine List handelt, eine Inszenierung. Insofern scheint mir Baranduns (ebd.: 118) Annahme, dass die Leidenschaft Markes seinem Glauben entspringen könnte, „dass Blicke und Worte immer die Wahrheit verkünden“, nicht nachvollziehbar, bedient sich Marke hier doch selbst der Sprache und Körpersprache, um eine Falle zu stellen. Sein Gebaren ist m. E. als Teil einer Inszenierung zu sehen – denn echten Abschiedsschmerz drückt Marke hier nicht aus. Es setzt sich von anderen Kussszenen dadurch ab, dass Markes Verhalten als übertrieben gekennzeichnet wird. Die in verräterischer Absicht von Marke geküssten Körperteile Isoldes sind es dann, die Markes List gegen ihn kehren werden (vgl. Tr 13887– 13894). Markes kündekeite stößt an ihre Grenzen. Isolde, durch Brangäne geschult, stellt sich als die in der Situation klügere Figur heraus¹⁴⁰ (Tr 13865 – 13866): dâ vrumete in beiden [d.s. Isolde und Brangäne, A.K.] samet, daz list wider list gesetzet ist.
Der Erzähler bezeichnet Marke im Verlauf der Szene in Reaktion auf Isoldes Reden und Gebaren als einvalten man (Tr 13891). In der wenige Verse später folgenden Redeeinleitung wird Markes arglose Naivität erneut hervorgehoben (Tr 13904 – 13905): der geloubege Marke „schoene“ sprach er [„…“].
Zur handschriftlichen Überlieferung der Präposition zum Befund, dass sich „[i]n den anderen Kuss-Szenen […] keine Parallelen zu dieser lexikalischen Besonderheit [finden]“, vgl. Barandun (2009: 117, Anm. 138 und 139). Wie in Anm. 135 erwähnt, wird der Ausgang der Gespräche bereits im Vorfeld ihrer Schilderung vom Erzähler dargelegt.
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Betrachtet man die Einleitungen gemeinsam und bezieht Markes Darstellung im ersten Bettgespräch mit ein, zeigt sich, dass Marke es grundsätzlich versteht, eine List zu initiieren. Seine bis hierhin im Bettgesprächekontext dreimal erwähnte kündekeite stößt aber in dem Moment an ihre Grenzen, in dem eine Figur Markes eigene Waffen – Reden und Gebaren – aufnimmt und gegen ihn richtet. Eine List zu durchschauen und entsprechend zu re- und interagieren, gelingt ihm hier hingegen nicht. Wiederum auf Antreiben Marjodos will Marke Isolde ein weiteres Mal versuochen (Tr 14026) – Marjodo gibt ihm hierbei vor, wie er sie auf die Probe stellen soll. Wieder findet die Unterredung nachts im Bett statt (Tr 14027– 14032): Des nahtes, dô Marke aber lac, sîner bettemaere mit ir pflac, er leite ir aber mit vrâge sîne stricke und sîne lâge unde betruoc si aber dar în. „seht“ sprach er [„…“].
Sowohl in der Situierung der Redeszene als auch in der Wortwahl lassen sich deutliche Parallelen zu den vorangegangenen Bettgesprächen erkennen; wieder findet eine erst einmal gewöhnliche Unterhaltungssituation nachts im Bett statt, wieder bereitet Marke Isolde Fallstricke, und wieder wird der Ausgang des Gesprächs vorweggenommen. Unterschieden ist die Situation u. a. dadurch, dass Marke hier keine kündekeite mehr attestiert wird und er Isolde nicht mehr nur einen stric auslegt, sondern mehrere. Gottfried gebraucht die verstärkende Doppelform von stricke und lâge. Isolde wird nicht nur einfach in der Falle gefangen, sondern Markes Handeln wird gewertet und zwar als betriegen, also in den Kontext von Verlockung und Betrug gestellt (vgl. Lexer 1872: 240). Sein Agieren ist somit zwar vom Erzähler eindeutig negativ beurteilt, dennoch ist Marke erfolgreich und erreicht sein Kommunikationsziel. Während die ersten drei Bettgespräche auf Initiative Markes erfolgen, fällt das vierte und letzte Bettgespräch aus dem Rahmen, wie Barandun (2009: 118 – 119) festhält: Nachdem in den vorangehenden Nächten ihr [d.i. Isoldes, A. K.] Gesprächsanteil bereits kontinuierlich gewachsen ist, lässt sie Marke im letzten Bettgespräch überhaupt nicht mehr zu Wort kommen: under ir ame sî in nam (14158), und er verstummt unter ihren Küssen. Isolde hält sich dabei an das Vorbild, das Marke ihr selbst gegeben hat.
Hier zeigt sich der chiastische Aufbau der Bettgespräche: Während Marke sich im ersten auf seine Rede und verschlagene Klugheit verlässt und damit erfolgreich ist, spielt im zweiten Fall sein Gebaren eine wesentliche Rolle im Ausüben der List, wobei er scheitert. Das dritte Bettgespräch ist nun – abgesehen von der Körperlichkeit des Zusammenliegens, die sicher auch nicht unterschätzt werden darf – von Markes Seite aus rein verbal gestaltet. Die vierte bettemaere ist durch Körperlichkeit bestimmt,
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wobei diese und die gesamte Unterredung von Isolde ausgehen. Im Gegensatz zu Marke gelangt Isolde mit der Intensität ihres Körpereinsatzes zum Ziel; Marke ist dann erfolgreich, wenn er sich allein auf sein Reden verlässt.¹⁴¹ Marke durchschaut anders als Isolde die übertriebene Körperlichkeit nicht, sondern lässt sich manipulieren: „Dieses Vorspiel macht Marke gefügig und den Weg frei für Isoldes Monolog.“ (Ebd.: 119). Marke wird durch die Redeeinleitungen in den Bettgespräch-Szenen am Anfang einer Entwicklung gezeigt und in einem Kräftemessen mit Isolde – gleichzeitig aber auch unter dem Einfluss des Truchsesses Marjodo. Seine Listen und Fallstricke sind zu diesem Zeitpunkt noch stark beeinflusst von Marjodos Rat und Planung. Folglich sind auch Markes zweifelhafte kommunikative Erfolge nicht allein ihm zuzuschreiben, sondern vor allem auch seinem Truchsess. In den Momenten, in denen Marke nicht nur spricht, sondern sein Selbst – repräsentiert durch seinen Körper – einbringt, scheitert er; in dem Moment, als Isolde ihren Körper einsetzt, verlässt Marke die intellektuelle Ebene und befindet sich nicht mehr unter Marjodos, sondern unter ihrem Einfluss. Insgesamt zeigt Marke sich also am Anfang der Listen, der durch die bettemaeren markiert ist, vor allem als Beeinflusster, als einer, der erst noch ins Intrigenspiel hineinwachsen muss (vgl. ebd.: 117).
2.4 Zwischenfazit Unabhängig von den unterschiedlichen Entwicklungen und Rollen, die die Markefigur spielt bzw. durchmacht, gibt es eine Konstante in Markes Darstellung: Marke ist König. Markes Amt ist keine Rolle, sondern es ist das Charakteristikum Markes schlechthin. Es ist die Größe, an der Marke sein Handeln ausrichtet, und ebenso ist es der Maßstab, um Markes Handeln zu bewerten. Dieser Umstand lässt sich allgemein festhalten, aber auch durch und für die Darstellung Markes im Kontext seiner Reden, ihrer Einleitungen und insgesamt im Umfeld seines Sprachhandelns. Dieser Eindruck ergibt sich aus verschiedenen Komponenten, explizit durch die häufige Bezeichnung Markes als künec im inquit, implizit durch sein Verhalten. Hierunter fallen z. B. die Befehle, die Marke aufgrund seines Status geben kann. Noch wichtiger und wesentlicher ist die Gebundenheit Markes an seinen Hof, die in seinem Verhalten immer wieder deutlich wird. Etwa dann, wenn Marke Tristan begegnet und Markes Stimme zugleich die Stimme des Hofes ist, während die Stimme des Hofes auch Markes Stimme ist. Schon in dieser Szene wird deutlich: Hof und König sind nicht voneinander zu lösen und bedingen einander. Die Gebundenheit ist auch dann deutlich, wenn Marke versucht, Tristan und Isolde als Liebespaar zu entlarven, zunächst im Kontext der Bettgespräche und auch während der Mehlstreuepisode im Schutz der Heimlichkeit, in einem
Auch Barandun (2009: 117) stellt fest: „Die zwei Gespräche, die Marke in seinem Zweifel bestätigen, sind reine Wortgefechte. […] In den Gesprächen, in denen sich Isolde erfolgreich verteidigen kann, sind die Mittel der osculum-Stufe ausschlaggebend: Küsse und Umarmungen.“
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Rahmen, der die Öffentlichkeit ausschließt. Die Heimlichkeit dient sowohl auf Seiten des Liebespaares als auch auf Seiten Markes und seiner Berater der Herrschaftssicherung. In dem Moment, als das Gerücht um den Betrug an Marke am Hof laut wird, ist Marke gezwungen, öffentlich zu handeln, so im von ihm einberufenen Konzil. Auch als Marke das Paar in die Verbannung schickt, geschieht dies öffentlich, und er bleibt seiner Rolle als König verhaftet. Im Vordergrund ist Marke hier auf die Rolle des Minnenden bezogen, der durch sein Leid zum Handeln veranlasst wird. Die Konsequenz, die Marke zieht, kann er aber nicht als einfacher Minnender vollziehen, sondern er muss sie als König öffentlich machen, da das Verstoßen des Liebespaares nicht nur ein zwischenmenschlicher, sondern auch ein politischer Akt ist. Die Anwesenheit der von Marke als Liebespaar identifizierten Protagonisten am Hof würde eine Gefährdung der Ehre Markes und somit auch der seines Hofes bedeuten. Der Hof ist von allen Interaktionen mit dem Paar und von dessen Betrug immer auch betroffen und bedroht. Der Wandel der Markefigur lässt sich anhand der Bezeichnungen und Attribute, die ihm im Laufe der Narration zugeordnet werden, nachvollziehen. Wird Marke zunächst noch positiv dargestellt als Bezugspunkt Tristans und höfischer Herrscher, wenn er z. B. als der guote und gewaere (Tr 4290), der rîche künec (Tr 4062) oder Tristans vriunt (Tr 8232) bezeichnet wird, so wird mit einer vordergründig ebenfalls positiven Attribuierung in der Gandin-Episode, wenn Marke als der künec der hovebaere, / Marke der tugende rîche (Tr 13184 – 13185) bezeichnet wird, sich aber eben nicht wie ein höfischer Herrscher verhält, ein Wandel eingeläutet. Die Bezeichnungen Markes sind nun negativ konnotiert und dienen auf Rezipientenebene der Sympathielenkung, indem Marke von Tristans (in der Tendenz) positivem Bezugspunkt zum Antagonisten des Paares stilisiert wird und etwa der geloubege Marke (Tr 13904), der verdâhte man (Tr 15141), Marke der zwîvelaere (Tr 17712) genannt wird. Neben dieser Form der Figurenqualifikation wird auch Markes Sprachhandeln negativ bewertet, indem es z. B. in verholne bevalh er dô (Tr 14365) dem Kontext der Heimlichkeit zugeordnet oder in den bettemaeren deutlich als Hinterhalt gekennzeichnet wird (vgl. Tr 13676 – 13682, 13853 – 13865, 14027– 14031). Vor allem im Kontext der Listen, z.T. aber auch bereits vorher, wird gezeigt, dass Marke eine Figur ist, die unter dem Einfluss diverser anderer Figuren steht. Dies mag zum Teil auch damit zusammenhängen, dass es zu Markes Stellung als König gehört, in unterschiedlichen Situationen erst nach dem Austausch mit Beratern zu entscheiden und vor wichtigen Entscheidungen (die das Wohl des Reiches betreffen) aktiv einen Rat einzuberufen. Marke verlässt sich aber nicht nur auf das Urteil eines Konzils oder Rates, den er einberuft, sondern ist auch dem Einfluss von anderen Einzelfiguren ausgesetzt. Hierbei kann es sich um Tristan handeln, der sich etwa im Falle der Brautwerbung über Markes Entschluss hinwegsetzt, es kann sich aber auch um den Einfluss von Melot und Marjodo handeln, der im Kontext der Listen immer wieder klar formuliert wird. So wird etwa im Rahmen der Bettgespräche deutlich, dass Markes Sprachhandeln oft auf vorherigen Absprachen mit Marjodo beruht. Die Bewertung und Charakterisierung der Reden schließt im Endeffekt also nicht nur Marke,
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sondern zumindest mittelbar auch Markes Berater ein. Auch Isolde weiß Marke zu beeinflussen, und zwar durch den Einsatz ihres Körpers, wie die Analyse der Bettgespräche ergeben hat. Marke wird somit nur in wenigen Situationen als Figur geschildert, die autark Entscheidungen trifft, entsprechend handelt und ihre Interessen eigenständig formuliert und durchsetzt.¹⁴² Wenn er dies tut – so etwa, als er Tristan und Isolde verstößt–, wird er zwar nicht unkritisch geschildert, aber mit einer Würde, die ihm sonst spätestens seit der Schilderung des Betrugs fehlt.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede Der zentrale Gegenstand der Analyse der Charakterisierung durch Figurenrede ist die Darstellung der Figur im Kontext ihres sprachlichen Verhaltens. Hierzu werden die verschiedenen, in Kapitel „II. Theoretische Grundlagen zur Figurencharakterisierung durch Figurenrede“ (11– 44) eingehender vorgestellten, teils sehr unterschiedlichen Aspekte zusammengeführt, um die Rede umfassend betrachten und bewerten zu können: Wie wirken sich Redewiedergabemodus, Realisationsart der Rede, das Redeumfeld und die Figurenkonstellation auf die Darstellung dessen, was die Figur äußert, und hierüber auf das Bild, das der Erzähler von der Figur entwirft, aus? Die Situierung der Sprachhandlung innerhalb der Narration gibt Aufschluss darüber, wie Form und Inhalt der Rede selbst zu bewerten sind und welche Figurenmerkmale sich hierüber ermitteln lassen. Für die aus den Einzelanalysen resultierenden Merkmale ist dann zu unterscheiden, ob diese einer singulären Situation geschuldet sind und es sich somit um punktuelle Sprechverhaltensweisen oder -entscheidungen einer Figur handelt oder ob es sich um wiederkehrende Merkmale handelt, die auf grundsätzliche Eigenschaften der Figur schließen lassen, wobei auch Einzelentscheidungen etwa in Extremsituationen durchaus Aufschluss über grundlegende Charakteristika der Figur geben können. Hierbei können auch nur grob vergleichbare Situationen Hinweise auf die Wertung des Verhaltens geben, etwa wenn eine Figur sich in unterschiedlichen Extremsituationen tendenziell moralisch richtig oder falsch verhält oder sich gerade keine Tendenz ableiten lässt, sondern die Figur in jeder Situation unterschiedlich agiert. Neben dem gezeigten Verhalten spielt auch die Charakterisierung durch den Erzähler oder andere Figuren eine Rolle. Gerade für den Bereich der Erzählerkommentare bleibt zu hinterfragen, ob diese wörtlich zu verstehen sind oder es sich um ironisierende Äußerungen handelt, die wiederum eine eigene Form des Bewertens darstellen. Für die Wertungen durch andere Figuren spielt neben deren Darstellung auch das Figurenverhältnis eine entscheidende Rolle. Wird die wertende Figur als unzuverlässig dargestellt, wiegt ihr Urteil anders als das einer idealisierten Figur.¹⁴³ Der Einfluss von anderen Figuren auf Könige lässt sich im Tristan nicht nur für Marke, sondern auch für Gurmun feststellen (vgl. Karin 2017: 212– 214). Dies gilt grundsätzlich auch für die Instanz des Erzählers, der ebenso zuverlässig wie unzuverlässig sein kann.
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Weiterhin ist auch die Frage nach der Bewertung von Verhaltensweisen häufig abhängig vom Redekontext: Lügt eine Figur, richtet sich die Bewertung der Lüge etwa danach, ob die Figur aus einer lebensbedrohlichen Notsituation heraus handelt oder um ihres eigenen Vorteils willen. Ebenso kann sprachliches Verhalten in einer Situation angemessen, in einer anderen deplatziert sein oder zumindest zu kommunikativen Schwierigkeiten führen. So kann der kommunikative Erfolg abhängig vom Kommunikationsraum oder der sozialen Konstellation der Figuren sein. Diese Faktoren können dazu führen, dass grundsätzlich ähnlich aufgebaute Figurenreden ganz unterschiedlich zu bewerten sind. Um ein möglichst umfassendes Bild der Figuren im Kontext ihres Sprechverhaltens geben zu können und möglicherweise auch Entwicklungen in diesem Kontext herausstellen zu können, werden für Tristan und Marke Figuren- und Gedankenreden aus unterschiedlichen Kontexten herangezogen. Wenn es sich anbietet, werden ähnliche Dialogtypen oder Dialogsituationen gebündelt, um festzustellen, ob und inwiefern im Verlauf des Romans eine Entwicklung des Sprechverhaltens stattgefunden hat. Andere Redeszenen werden gewählt, weil sie entweder chronologisch relevant sind für die Figurenentwicklung oder die Figur in Kontexten gezeigt wird, die wichtig für den weiteren Handlungsverlauf der Narration oder den Entwicklungsverlauf der Figur sind.
1 Tristan Als Protagonist der Narration kommen Tristan die meisten Redeanteile innerhalb des Romans zu, die häufig sehr umfangreich sind und im Umfang die Redeanteile anderer Figuren z.T. weit überbieten, so etwa, wenn Tristans Interaktanten vor allem die Funktion haben, ihm ein Publikum zu bieten, dem er seine sprachlichen und insgesamt höfischen Fertigkeiten präsentieren kann. Hierbei wird Tristan in sehr unterschiedlichen Redekonstellationen gezeigt, die ihn in Interaktion mit Figuren verschiedener sozialer und territorialer Herkunft zeigen. Auch Tristan selbst wird durch seine Maskerade als Spielmann/Kaufmann Tantris in unterschiedlichen (sozialen) Rollen gezeigt, was sich auf sein kommunikatives Verhalten auswirkt. Insgesamt, so zeigen beispielsweise Tristans Herkunftsgeschichten, ist Tristan exzellent darin, sein Reden und Gebaren den Rollen, die er annimmt, anzupassen und diese (auch sprachlich konsequent) durchzuhalten. Wie Tristan durch seine Reden charakterisiert wird, soll in verschiedenen Kontexten und Episoden untersucht werden. Einen Bezugspunkt bildet Tristans Jugend: Wie wird er sprachlich eingeführt und wie weiß er seine Sprache schon als Kind in unterschiedlichen Situationen einzusetzen? Der Markehof soll als gesonderte Größe im Zusammenhang mit Tristans Sprachverhalten untersucht werden, da er im gesamten Roman immer wieder der Bezugspunkt für Tristan schlechthin ist. Tristan durchläuft hier diverse Entwicklungsstufen, die mit Aspekten wie Ankunft am Hof, Identitätskrise, Anerkennung und Neid, Betrug, Lügen und Listen zusammenhän-
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gen, und immer wieder entfernt er sich auf unterschiedliche Art und Weise vom Hof, um doch wieder zurückzukehren, so dass der Markehof als besonders geeignet dafür erscheint, um sprachliche Entwicklungen zu überprüfen. Eine weitere Untersuchungsgröße, die eine gute Basis für Vergleiche bietet, sind die Kampfdialoge Tristans, in denen er zwischen Recht und Unrecht auftritt und die ein sehr divergentes Bild von Tristan liefern: Gegen Morgan geht es Tristan darum, seine eigenen Ziele und unterschwellig vor allem die Vaterrache durchzusetzen, auf Ebene der Charakterisierung erfolgt ein Bruch, der die Idealität Tristans infrage stellt. Gegen Morold wiederum inszeniert sich Tristan als Heilsbringer und Rechtsvertreter, der sich nicht nur gegen den Feind, sondern im Vorfeld vor allem gegen den Markehof durchsetzen muss, um die Rolle des Kämpfers einnehmen zu können. Mit dem Riesen Urgan tritt dann ein völlig anderer Aspekt von Tristans Kampfdarstellungen hinzu: Hier kämpft er gegen einen unhöfischen Gegner, um das Hündchen Petitcrü zu erstreiten, so dass sich zeigen lässt, wie stark sich die Herkunft des Gegners auf die sprachliche Getaltung der Kampfdialoge auswirkt. Schließlich soll Tristan noch im Kontext seiner Irlandreisen betrachtet werden: Beide Reisen resultieren aus einer Versehrtheit des Helden, der er nur mithilfe von List und Maskierung beikommen kann. Im Zentrum steht Tristans Sprachgeschick, das es ihm ermöglicht, sich selbst aus gefährlichen Situation zu retten.
1.1 Tristan, daz kint Die Jugendgeschichte Tristans gehört zu den „wichtigsten Bearbeitungen des Enfancethemas im höfischen Roman“ (Wolfzettel 1974: 10). Als „herkömmliche Konstanten“ der Enfances bezeichnet Wolfzettel (ebd.: 9) das „Unrecht am Vater bzw. Tod des Vaters – Exil […] – niedere Erziehung und Durchbrechen der inneren Berufung“ und eine „zu erwartende Rachethematik[.]“ In Verknüpfung mit der arturischen Queste kann an die Stelle der Rachethematik „das Motiv des Ritters auf der Suche nach seiner eigenen Identität“ (ebd.; vgl. auch Schausten 2001: 28 – 29) treten. Die Einführung Tristans in den Roman zeigt Reflexe des Enfancethemas: Tristan weiß einleitend nichts vom Tod des Vaters, sondern hält sich für den Sohn seines Ziehvates Rual und glaubt, seine Herkunft zu kennen. Ihm wird eine außerordentliche Bildung zuteil, die gemeinsam mit seiner Sprachbegabung und dem Bedürfnis der Selbstinszenierung den Anstoß zu Tristans Entführung gibt, also in genannter Verbindung als Auslöser für seinen Gang ins Exil gewertet werden kann. Auf diesem Weg, der ihn an den Markehof führen wird, verkehrt Tristan die arturische Motivvariation der Identitätssuche des Helden in eine Identitätskonstruktion und führt somit ein Motiv ein, das sich im Verlauf der Narration wiederholen wird: Tristan wird als Erzähler seiner eigenen Identität gleichermaßen Schöpfer von neuen Identitäten, die in Teilen wahren Begebenheiten entsprechen, in anderen Teilen der Kreativität und Fabulierkunst Tristans entspringen. Im Folgenden soll Tristans Einführung eingehend analysiert werden. Tristan begegnet der Welt mit Sprache: Seine Vorführung von Sprache ist es, die ihn für die Kaufleute attraktiv erscheinen lässt. Seine Auseinandersetzung mit
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seinen existenziellen Ängsten und seiner Einsamkeit wird Tristan, nachdem die Kaufleute ihn ausgesetzt haben, in ein Gebet überführen und über dieses seine Situation problemlösungsorientiert analysieren und somit von der reinen Angst auf eine intellektuelle Ebene überführen. Schließlich führt auch der Kontakt zum Jägermeister und der Jagdgesellschaft über die Sprache, da Tristan den Kontakt durch eine Kritik am Vorgehen der Jäger beginnt. In Hinblick auf die oben skizzierte Entwicklung scheint es geradezu programmatisch, dass die ersten Fertigkeiten des Kindes Tristan, die genannt werden, kommunikative sind und auf seine höfische Ausbildung abzielen (vgl. zum Kindheitsbegriff im Mittelalter Gerok-Reiter 2009: 113 – 119) (Tr 2056 – 2061): Nu sî daz [d. i. Floraetes behütendes Verhalten Tristan gegenüber; A.K.] mit im haete getriben unz an sîn sibende jâr, daz er wol rede und ouch gebâr vernemen kunde und ouch vernam, sin vater der marschalc in dô nam und bevalch in einem wîsen man.
Zweierlei ist hieran wichtig: Erstens wird die Zusammengehörigkeit von Reden und Gebaren als kommunikativer Einheit betont, zweitens wird hier die Komplexität von Kommunikation deutlich. Denn hier geht es noch nicht direkt um ein Beherrschen aller möglichen Register, sondern um den Verstehensprozess, der der höfischen Kommunikation zugrundeliegt. Insofern ist es wichtig, dass Tristan Reden und Gebaren nicht nur vernemen kunde, sondern dass der Erzähler verdeutlicht, dass Tristan sie auch tatsächlich vernam, dass er also die Grundlagen der höfischen Kommunikation begreift und somit die Reife erreicht und die Voraussetzungen erfüllt, um im Alter von sieben Jahren ein weiterführendes Studium aufzunehmen (vgl. Wenzel 1995: 161; vgl. zum Alter weiterführend Sassenhausen 2007: 161; Gerok-Reiter 2009: 119). Dass Tristans sprachliche Erziehung einen besonderen Schwerpunkt bildet, zeigt, dass unter den Dingen, die Tristan erlernen soll, als erster Punkt vremede sprâche in vremediu lant (Tr 2063)¹⁴⁴ und als zweiter der buoche lêre (Tr 2065)¹⁴⁵ genannt werden.¹⁴⁶ Im Alter von 14 Jahren kehrt Tristan an den Hof zurück, und er ist jetzt „qua seiner Ausbildung ein puer senex, ein gelehrter Knabe“ (Sassenhausen 2007: 162).
Werner (1985: 170) zeichnet anhand von Tristans später vorgeführten Fremdsprachenkenntnis nach, dass Tristans Bildungsreise von der zeitgenössischen Praxis abweicht. Tristans Ausbildung zielt darauf, ihn auf seine Rolle als Landesherrn vorzubereiten (vgl. Okken 1996: 137). Das Erlernen der fremden Sprachen im Ausland spielt sicher auch eine Rolle in Bezug auf Tristans Anpassungsfähigkeit an die Gegebenheiten fremder Länder und Höfe im weiteren Verlauf der Narration (vgl. Grosse 1970: 291). Für Tristan ist es immer wieder der Umgang mit Sprache und Sprachen, der bestimmend für den Fortlauf der Handlung ist, insofern ist es konsequent, dass Tristans sprachliche und musische Bildung hier besonders hervorgehoben wird.
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Seine erste Rede illustriert, wie in Kapitel III.I (47– 49) ausführlich gezeigt, Tristans höfische Ausbildung in Reden und Gebaren: Er spricht die Kaufleute aus Norwegen auf Altnordisch (vgl. Werner 1985: 172) auf das Schachspiel an, das den Gesprächsanlass bildet. Tristan tritt als Kenner höfischer Gesellschaftspiele selbstbewusst auf und präsentiert seine außergewöhnlichen Sprachenkenntnisse, die auch Spezialvokabular wie die Bezeichnung des Schachspiels in der Fremdsprache umfassen (Tr 2230 – 2232): „ei“ sprach er „edelen koufman, sô helfe iu got! und kunnet ir schâchzabelspil? daz saget mir!“
Die Rede ist höfisch gestaltet und zeugt von Tristans Selbst- und Standesbewusstsein. Eröffnet wird sie durch die Interjektion ei – angesichts des Schachspiels Ausdruck freudiger Verwunderung – und die korrekte Anrede der Kaufleute mit ihrer Standesbezeichnung, die durch das Ehrwort edelen ¹⁴⁷ hier aufgewertet werden. Tristans Gruß wird durch ein Anbefehlen der Kaufleute an Gott auf höfische Weise ausgeführt – gleichermaßen ist Gott damit auch Teil von Tristans erster Rede. Die Rede geht dann recht unmittelbar in Tristans Frage über, ob die Kaufleute Schach spielen können. Der Eindruck der Unmittelbarkeit wird allein syntaktisch dadurch evoziert, dass sie mitten im Vers beginnt und durch ein Enjambement in den Folgevers übergeleitet wird sowie durch die an dieser Stelle eher ungewöhnliche Verwendung der Konjunktion und, mit der die Frage eingeleitet wird. Die ständische Überlegenheit Tristans wiederum zeigt sich darin, dass er als Kind in der Lage ist, den erwachsenen, aber sozial inferioren Kaufleuten ganz selbstverständlich direkte Befehle – hier die Aufforderung, Tristans Frage zu beantworten – zu erteilen. Neben Tristans ständischem Vorrang unterstreicht die sprachliche Form, die Redegestaltung mit dem geteilten Vers, Enjambement, Frage und Aufforderung die Dringlichkeit, die die gewünschten Informationen für Tristan haben. Hierdurch spiegelt sich Tristans höfische Kindlichkeit wider, denn im Grunde ist die von ihm gewünschte Information keine wichtige. Tristans Interesse an dem Schachspiel, die Frage nach dem Können der Kaufleute und die insistierende Antwortaufforderung wiederum können im Subtext auch als indirekte Spielaufforderung verstanden werden. Dies zeigt sich auch in der Antwort der Kaufleute, indem sich ein Kaufmann selbst als Schachgegner für Tristan anbietet und Tristan diesem Vorschlag zustimmt (vgl. Tr 2243 – 2247). Durch seine erste Rede erreicht Tristan, dass er die Aufmerksamkeit der anderen anwesenden Figuren auf sich zieht – in diesem Kontext insbesondere durch das vermeintlich beiläufige Präsentieren seiner außergewöhnlichen Fremdsprachenkenntnis. Er weckt das Interesse an seiner Person, so dass die Kaufleute auf seine Rede eingehen, er von einem der Kaufleute direkt zum gemeinsamen Spiel aufgefordert wird und somit eine Möglichkeit bekommt, weitere
edelen ist hier mit Okken (1996: 158, zu V. 2230) nicht in der Bedeutung ‚adlig‘ zu verstehen, sondern eher als sprachlicher Höflichkeitsgestus als ‚ausgezeichnet, vortrefflich‘.
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seiner erworbenen Fertigkeiten vorzuführen und sich und seine Bildung weiter und umfassender zu präsentieren. Diese Art Gesprächsverlauf, die Tristan eine Bühne und eine Möglichkeit bietet, sich darzustellen, indem er Gespräche so führt, dass er hierzu aufgefordert wird, wird sich auch im Folgenden immer wieder finden. Anlass hierfür bietet in der Regel der Umstand, dass Tristan gezwungen ist, sich neue soziale Gruppen zu erschließen und sich in diesen zu etablieren. Diese Entwicklung wird durch Tristans Entführung durch die Kaufleute, die seine „Exil-Bewährungs-Periode“ (Wolfzettel 1974: 11) einleitet, in Gang gesetzt. Nachdem Tristan von den Norwegern ausgesetzt wird, saz er unde weinde aldâ, / wan kint kunnen anders niht […] (Tr 2484– 2485). – „[Präsentiert] wird in dieser Szene ein weinender, ein verängstigter Tristan, der an dieser Stelle kein werdender Held mehr ist, sondern einfach ein Kind wie jedes andere“ (Gerok-Reiter 2009: 124).¹⁴⁸ Dann aber beginnt Tristan, der trôstlôse ellende (Tr 2487), sich mit seiner Situation auseinanderzusetzen und diese zu analysieren. Seine Gedanken bringt er zunächst in Form eines Gebets-Halbmonologs zum Ausdruck, der aber nach und nach in einen Monolog übergeht, in dem Tristan seine Wahrnehmungen schildert und hierbei eine Handlungsstrategie entwickelt.¹⁴⁹ Das Gebet wird, neben dem gestischen Falten der Hände (vgl. III.I.1.1: 51), durch die Interjektion ei eingeleitet, woraufhin Gott direkt adressiert wird¹⁵⁰ (Tr 2490 – 2499): „ei“ sprach er „ got der rîche, sô rîche dû genâden bist, sô vil güete als an dir ist, vil süezer got, sô bite ich dich, daz dû genâde wider mich und dîne güete noch begâst, sît daz du des verhenget hâst, daz ich alsus vervüeret bin. und wîse mich doch noch dâ hin, dâ ich bî liuten müge gesîn! […].“
Tristan bezeichnet Gott mit dem Zusatz der rîche und appelliert so bereits einleitend an dessen (All‐)Macht, indem er das Preisen der Macht Gottes auf gängige Weise in die Bezeichnung Gottes integriert. Tristan führt im Vorfeld seines Hilfegesuchs die göttliche Gnade und Güte an und wiederholt eine direkte Ansprache, wobei er ihn nun
Gerok-Reiter (2009: 121) erläutert im Vorfeld zu den Enfances, dass die in ihnen geschilderten Kindheitstopoi „immer über sich selbst hinaus[weisen]“ auf „den erwachsenen Helden“ und „die Zukunft“: „Die Kindheitstopoi sind nicht zugleich, sondern ausschließlich Topoi des werdenden Helden: Sie werden im Horizont der Zukunft amalgamiert und funktionalisiert.“ Außerdem weist sie (ebd.: 127) darauf hin, dass „sich in dieser Passage 22 Belege aus dem Wortfeld Angst (ellende, vorhte/ angest, weinen/ jamer), [finden], etwa ebenso viele wie Anspielungen auf Tristans außerordentliche Qualitäten.“ Die Art der Schilderung wirkt wie ein früher Vorläufer eines Bewusstseinsstroms. Der Gesprächsbeginn gleicht hier im Aufbau also den an die Kaufleute gerichteten Reden.
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kosend als vil süezer got anspricht, bevor er mit seiner Bitte – die er explizit als solche bezeichnet – an Gott herantritt. Durch die Anrede Gottes als süezer wird der Eindruck einer innigen Verbundenheit Tristans zu Gott erweckt. In der Formulierung seiner Bitte nimmt er die bereits eingeführten Größen Gnade und Güte wieder auf und bittet um diese. Außergewöhnlich für ein Gebet ist nun Tristans Begründung für sein Flehen um göttliche Hilfe, denn diese formuliert er regelrecht als Vorwurf an Gott (Tr 2496): sit das du des verhenget hâst. In Tristans Darstellung handelt es sich um ein aktives Zulassen der Entführung durch Gott und ergo muss dieser ihm, lapidar formuliert, nun auch wieder aus der Situation, die er ihm eingebrockt hat, heraushelfen. Der Tonfall ändert sich hier merklich: Ist die Bitte um Hilfe noch mit dem Preisen der guten Eigenschaften Gottes verbunden, so kippt die Begründung und wird zu einer Anklage Gottes, die suggeriert, dieser stünde in der Pflicht, Tristan zu helfen, und mündet in der direkt formulierten Aufforderung an Gott, ihm einen Weg zu Menschen zu zeigen. An dieser Stelle ist innerhalb der Figurenrede eine Zäsur zu setzen, da Tristan jetzt Gott nicht mehr direkt adressiert, sondern beginnt, seine Situation und Umgebung zu betrachten und zu reflektieren und diese Beobachtungen zu äußern. Ausgelöst werden diese Überlegungen durch die Opposition seines Wunsches nach Zivilisation und Gegenwart von Menschen zur Wildnis, in der er sich befindet, denn dise grôze wilde die vürht ich (Tr 2502). Grosse (1970: 293) hält fest: Aus den Gebeten und Selbstgesprächen, die Tristan in der wilden Einsamkeit zwischen Felsen, Bergen und Meer des unbekannten Landes führt, spricht große Furcht, die er empfindet, weil weit und breit keine Menschen zu sehen sind, die ihm im Gegensatz zur Natur, für deren Schönheit und Eigengesetzlichkeit er keinen Sinn hat, als Gesellschaft Existenzgrundlage und -notwendigkeit sind.¹⁵¹
Tristan schildert seine optischen Eindrücke von toup gevilde, / […] wüeste unde wilde (Tr 2507– 2508), aus denen seine Angst resultiert und die durch seine Angst vor wilden Tieren und dem drohenden Abend ergänzt wird. Er kommt zu dem Schluss (Tr 2519 – 2521): ich enîle hinnen balde, ich benahte in disem walde und enwirt mîn danne niemer rât.
Das Betrachten des ihm so fremden Terrains, das in der vorgenannten Erkenntnis mündet, bewirkt, dass Tristan sich nicht in ein solches Schicksal fügt, sondern einen „rationalen Problemansatz“ (Sassenhausen 2007: 163) entwickelt, der sich aus seinen optischen Eindrücken ergibt. Er sieht hôher velse und berge vil (Tr 2523) und will versuchen, auf einen von ihnen zu klettern, um von dort nach einer Siedlung Aus-
Grosse (1970: 293) bezieht sich hier auf die Figurenreden im Vorfeld der Pilgerbegegnung. Dass Grosse von „Gebeten und Selbstgesprächen“ spricht, macht deutlich, dass hier keine eindeutige Trennschärfe zwischen beiden Gesprächsformen vorliegt.
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schau zu halten (vgl. insgesamt Tr 2490 – 2532). Tristans Gebet mündet hier also in einen Gedankenfluss, der unmittelbar auf die Anrufung Gottes folgt. In Tristans Analyse der Situation zeigt sich nicht nur eine kindliche Furcht, sondern auch die Gabe zur Reflexion und zum Umgang mit für ein Kind scheinbar auswegslosen Situationen, was angesichts seines Alters außergewöhnliche intellektuelle Leistung darstellt.¹⁵² Nach einer Weile, in der er sich selbst – z.T. auf Händen und Füßen – einen Weg gebahnt hat¹⁵³, kommt Tristan ûf eine schoene strâze (Tr 2577) und setzt sich dort durch ruowe weinende nider (Tr 2581). Während des Ausruhens denkt er an die Seinen und sein Zuhause und beginnt ze gote clagen sîn ungemâch (Tr 2587). Dieses Gedenken findet sich in seinem folgenden Gebet wieder, in dem Tristan immer wieder die Perspektive der Eltern auf ihren Verlust Tristans lenkt. Der Halbmonolog ist durch diverse Adressatenwechsel geprägt, da Tristan neben Gott auch seine Eltern gemeinsam und einzeln direkt adressiert. Gleich zu Beginn der Rede, nach der Anrede Gottes, verdeutlicht er den Verlust der Eltern (Tr 2589 – 2591): „got“ sprach er „hêrre guoter, mîn vater und mîn muoter wie hânt si mich alsus verlorn! […].“
Er fährt fort, indem er sich auf das Schachspiel und die Jagdvögel bezieht, die er nun für sein Schicksal verantwortlich macht und die er infolge dessen selbst verflucht und für die er den Wunsch äußert, dass Gott sie verwünschen möge (Tr 2592– 2596): owê wie wol haete ich verborn mîn veigez schâchzabelspil, daz ich iemer hazzen wil! sperwaere, valken, smirlîn die lâze got unsaelic sîn!
Die Anpassungsfähigkeit Tristans an die Situation zeigt sich auch im Kontext der nun folgenden Gewanddeskription: Tristan ist höfischen Maßstäben entsprechend gekleidet – für einen Aufenthalt in der Wildnis ist diese Kleidung aber alles andere als funktional. Tristan reagiert, indem er die Kleidung etwa durch das Hochziehen des Rocks an die Situation anpasst (vgl. Tr 2534– 2562). Gerok-Reiter (2009: 124) konstatiert: „Das szenische Tableau eines verängstigten, weinenden Tristans, der sich unhöfisch, ja grotesk auf allen Vieren fortbewegt und dem seine höfische Kleidung nur lästig sein kann, scheint das bisherige Bild des brillanten Tristan ebenso wie das Schema der Geburt des Helden in scharfem Schnitt zu brechen.“ Grundsätzlich fällt der starke Kontrast zu den vorigen Beschreibungen Tristans hier deutlich ins Auge. Dennoch fügt sich das Verhalten Tristans m. E. durchaus auch stimmig in die Situation, denn Tristan ist hier außerhalb der höfischen Welt und zeigt durch sein Handeln und seinen Umgang etwa mit seiner Kleidung seine Fähigkeit, sich unterschiedlichsten Situationen anzupassen und zu unterscheiden, wo er höfisch handeln muss und wo er sich unhöfisches Verhalten erlauben kann oder sogar muss.
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Ein Ansatz von Selbstkritik könnte in der Formulierung mîn veigez schâchzabelspil vermutet werden, wobei das Adjektiv veige (vgl. zu den verschiedenen Bedeutungen Lexer 1878: 45) bereits einen Hinweis darauf gibt, dass Tristan weniger sein eigenes Handeln in Frage stellt, als vielmehr das Schachspiel als schicksalhaft betrachtet. Hierzu passt auch die Schuldzuweisung; nicht Tristans Handeln – das Erregen von Aufmerksamkeit und Herausstellen der eigenen Besonderheit – habe aus seiner Sicht zu der Entführung geführt, sondern das Schachspiel und die Jagdvögel, die Tristan hier aktiv schildert, wodurch er selbst in eine passive Rolle fällt (Tr 2597– 2599): die hânt mich mînem vater benomen, von der schulden bin ich komen von vriunden und von kunden.
Tristan beklagt den Schmerz, den sein Verlust denen, die ihm wohlgesonnen sind, zugefügt hat (vgl. Tr 2600 – 2603). Hierbei hebt er erneut insbesondere seine Eltern hervor, die er erst einzeln und dann gemeinsam adressiert (Tr 2604 – 2608): â süeziu muoter, wie du dich mit clage nu quelest, daz weiz ich wol. vater, dîn herze ist leides vol. ich weiz wol, ir sît beide sêre überladen mit leide.
Auffällig ist, dass er sein Wissen um das Leid der Eltern konkret und im Indikativ formuliert. Dieses Leid setzt Tristan (richtigerweise) als gegeben voraus. Das Wissen um sein Überleben jedoch kann er bei seinen Eltern nicht voraussetzen, wünscht es sich aber – für sie und für sich. Mit der Äußerung dieses Umstands adressiert Tristan wiederum mit einem Seufzer Gott und formuliert diesen Wunsch im Konjunktiv Präteritum, wodurch er ihn schon sprachlich als nicht realisierbar kennzeichnet (Tr 2609 – 2613): und ouwê hêrre, wiste ich doch, daz ir daz wistet, daz ich noch mit wol gesundem lîbe lebe, daz waere ein michel gotes gebe iu beiden unde dâ nâch mir.
Während der Äußerung des Wunsches findet außerdem wieder ein Adressatenwechsel statt und Tristan spricht seine Eltern an; Gott wird hingegen nur indirekt adressiert, indem die Erfüllung des Wunsches innerhalb des Gebets¹⁵⁴ als ein michel gotes gebe bezeichnet wird. Hierbei stellt Tristan klar heraus, dass das Wissen für die Eltern
Trotz der Adressatenwechsel kann die vorliegende Figurenrede durchgehend als ein Gebet betrachtet werden, da Tristan im Folgenden auf die hier formulierten Wünsche explizit an Gott gerichtet abschließend Bezug nimmt.
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wichtiger ist als für ihn, und setzt damit in dieser Hinsicht Prioritäten, die er auch entsprechend begründet (Tr 2614– 2617): wan zwâre ich weiz vil wol, daz ir kûme oder niemer werdet vrô, ezn gevüege danne got alsô, daz ir bevindet, daz ich lebe.
Tristan macht deutlich, dass das Wohlergehen seiner Eltern davon abhängt, ob Gott ihnen das Wissen über Tristans Überleben ermöglicht. Hierauf bezieht er, auch durch die Wiederaufnahme des Verbums gevüegen, seinen folgenden, wieder direkt (und doppelt) an Gott adressierten Appell, eben dies anzuschicken (Tr 2618 – 2619): [„]aller sorgaere râtgebe, got herre, nû gevüege daz!“
Auffällig ist der Wechsel an Adressierungen, mit denen Tristan zwei nicht direkt greifbare Instanzen anspricht – die Eltern und Gott. Während die Eltern aufgrund der räumlichen Distanz abwesend sind, kann Tristan sie dadurch, dass er sie in der Einsamkeit anspricht, zumindest gedanklich in seine Gegenwart bringen; er evoziert durch die Anrede also eine Nähe zu ihnen. Hierdurch und dadurch, dass er vor allem ihren Verlust herausstellt, aber nicht den seinen (vgl. auch Zotz: 2006: 101), und seine Sorge den Eltern gilt, rückt die Sorge um das eigene Überleben – Tristan befindet sich auf einem echten Pfad, also somit auch für ihn erkennbar auf dem Weg zurück in die Zivilisation – in den Hintergrund. Gott hingegen ist zwar nicht greifbar, aber allgegenwärtig. Diese Gegenwart Gottes ist Grundlage des Verständnisses der Rede, denn auch dann, wenn er nicht direkt adressiert wird, wird er von Tristan immer mitangesprochen, wird in Tristans Äußerungen immer mitgedacht, wobei Tristan teilweise gleichzeitig mit und über Gott spricht.¹⁵⁵ Neben der Adressierung ist besonders ein weiterer, inhaltlicher Umstand auffällig, der den von Tristan geäußerten Wunsch betrifft: Erwartbar wäre, dass ein entführtes, ausgesetztes Kind Gott darum bäte, wieder heimzukommen – dies jedoch formuliert Tristan mit keiner Silbe. Er äußert Sorge um das Wohlergehen der Seinen, jedoch nicht den Wunsch, zu ihnen zurückzukehren und sie im Zweifelsfall auf diese Weise von seinem Überleben in Kenntnis zu setzen. Dies passt zu den Herkunftsgeschichten, die Tristan bald darauf den Pilgern und Jägern erzählen wird, und die ihn nicht zurück nach Hause, sondern an den Markehof führen werden. Dies passt überdies dazu, dass Tristan sein halbes Leben mit Reisen verbracht hat, und er den Wert des Reisens für seine Bildung und Entwicklung als wichtig erkennt und es zudem gewohnt ist. Der Unterschied ist nun, dass er auf sich gestellt ist und ihm kein Lehrer
Eine ähnliche Form der indirekten Adressierung eines Anwesenden, aber nicht Angesprochenen findet sich beispielsweise auch in der Vorrede zum Morold-Kampf (vgl. III.I.1.3: 61, III.II.1.3.2: 180).
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mehr zur Seite steht – Tristan macht hier also einen Schritt aus der Kindheit heraus in die Eigenständigkeit. Zwar ist er nicht freiwillig auf diesen Weg gekommen, aber er geht ihn freiwillig weiter. Tristans Situation ändert sich, als er auf die Pilger trifft. Tatsächlich werden seine Wünsche und Bitten an Gott, wenn auch teilweise zeitverzögert, durch das Zusammentreffen mit den Pilgern erfüllt: Tristan ist somit wieder unter Menschen und die Pilger werden „Rual in Dänemark den entscheidenden Hinweis zur Wiederauffindung Tristans geben (3804 f.)“ (Grosse 1970: 294). Dennoch löst der Anblick der Pilger bei Tristan zunächst Furcht aus, die er wieder in einem Gebet äußert (vgl. Tr 2653 – 2659).¹⁵⁶ Auch seine Erleichterung, als er sie als Pilger erkennt, äußert sich in einem Ausruf der Dankbarkeit an Gott (Tr 2667– 2669): „lop dich, hêrre trehtîn! diz mugen wol guote liute sîn; ine darf kein angest von in haben.“
Nach der höfischen Begrüßung von Tristan und den Pilgern kommt es auf Nachfrage derselben, wer er sei und wer ihn hergebracht habe, zur ersten autobiographischen Äußerung Tristans, die vom Erzähler als vremediu maere (Tr 2694) eingestuft wird.¹⁵⁷ Tristan beantwortet die erste Frage damit, dass er aus disem Lande (Tr 2696) stamme – somit kann er „hinter dem Demonstrativum ‚von disem lande‘, das ihn der Namensnennung enthebt, nicht nur sein topographisches Nichtwissen kaschieren, sondern im Gegenteil auch noch in Differenz zu den ‚fahrenden‘ Pilgern selbstverständliche Zugehörigkeit vortäuschen“ (Kaminski 2008: 10). Dann erfindet er eine Begebenheit, mit der er begründet, warum er alleine im Wald ist. Er sei Teil einer Jagd(gesellschaft) gewesen, die er aber verloren habe – auf welche Weise, wisse er nicht. Ebenso, wie er das Land nicht benennt, macht er auch keine konkreten Aussagen über die Gesellschaft, mit der er unterwegs war und nennt z. B. keine Zugehörigkeit zu einem Hof, wie man es in dieser Situation erwarten könnte, sondern bleibt insgesamt sehr vage (vgl. Tr 2695 – 2721).
Auffällig ist, dass Tristans Rede im inquit als Selbstgespräch gekennzeichnet wird, die Rede selbst aber an Gott gerichtet wird. Hierin ist ein Bruch mit üblichen Darstellungen kindlicher Helden zu verzeichnen, wie GerokReiter (2009: 128) verdeutlicht: „Korreliert mit dem Aspekt der Hilflosigkeit, der Angst, der Fremdheit des Kindes, zeigen sich die Kindheitstopoi des werdenden Helden dann jedoch in einem Zwielicht, ja sie erscheinen konterkariert: Statt ‚mythenanaloge‘ Vorgaben zu sein, die den Helden in seiner Identität zweifelsfrei kennzeichnen, werden Tristans außerordentliche Qualitäten nun […] zu Inszenierungen durch Tristan selbst, zu manipulativen Funktionen seiner eigenen Überlebensstrategie, zu willkürlichen Mechanismen des Sich-Darstellens und Sich-Versteckens. Denn statt heroische Identität zu verbürgen oder nach und nach offen zu legen, avancieren die herausragenden Qualitäten des kindlichen Helden nunmehr zu Mitteln des defizienten Kindes, sich vom Fluchtpunkt der Defizienz aus eine soziale Identität allererst qua Selbstinszenierung zu erstellen.“
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Während er zu seiner Herkunft nur sehr wenige Angaben macht, ist die Schilderung der Situation des Verlaufens umso anschaulicher und detaillierter formuliert (vgl. auch Kaminski 2008: 12) (Tr 2704– 2717): wan âne stîc verreit ich mich, unz daz ich gar verirret wart. sus traf ich eine veige vart, diu truoc mich unz ûf einen graben, dane kunde ich mîn pfert nie gehaben, ezn wolte allez nider vür sich. zu jungest gelac pfert und ich beidiu z’einem hûfen nider. done kunde ich nie sô schiere wider ze mînem stegereife komen, ezn haete mir den zügel genomen und lief allez den walt în. sus kam ich an diz pfedelîn, daz hât mich unz her getragen.
Insbesondere den Verlust seines Pferdes schmückt Tristan aus: das Nichthaltenkönnen des Pferdes, der Sturz, das Liegen auf einem Haufen und die Tatsache, dass er nicht in der Lage war, den Steigbügel oder die Zügel zu erreichen, bilden die Situation plastisch und lebendig ab, wodurch die Schilderung einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit erhält. Auf diese ausgedachte Geschichte folgt eine wahre Aussage (Tr 2718 – 2719): nu enkan ich nieman gesagen, wâ ich bin oder war ich sol.
„An diese Feststellung […] knüpft Tristan nicht etwa die Bitte um Hilfe oder erklärende Auskunft an, sondern, wie es sich gehört, die Frage nach dem Reiseziel der Pilger.“ (Grosse 1970: 294). Tristan handelt hier außerhalb der höfischen Welt und gegenüber Figuren, die ebenfalls der außerhöfischen Sphäre zuzurechnen sind (vgl. ebd.), der Form nach den höfischen Konventionen entsprechend. Der Inhalt seiner Aussage aber wird dem höfischen Anspruch nach Wahrheit des Geäußerten nicht gerecht. Damit ist bereits ein typischer Zug von Tristans Reden in bestimmten Situationen gegeben: Wenn es die Umstände erfordern, stimmen Form und Inhalt der Reden nach höfischen Maßstäben nicht miteinander überein, führen aber zu einer für Tristan erfolgreichen Kommunikation¹⁵⁸, mit der er seine Ziele durchsetzt. Anders als später die Jäger haben die Pilger hier keinen Grund, Tristans Bericht anzuzweifeln, seine Aussagen erscheinen glaubwürdig und die Tatsache, dass Tristan zwar viel erzählt, aber wenig zu seiner
Dass die Kommunikation nur einseitig zum Ziel führt, zeigt sich daran, dass die Pilger sich weiterhin fragen, wer Tristan denn nun eigentlich sei (vgl. Tr 2752– 2754).
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Herkunft und nicht einmal seinen Namen verrät¹⁵⁹, verhindert nicht, dass Tristan sein Ziel erreicht und in Gesellschaft der Pilger weiterreisen kann. Im Gegenteil, der Fortlauf der Geschichte scheint Tristans Handeln als richtig zu bestätigen, indem sich die bis dato unwahre Geschichte als Vorausgriff auf kommende Ereignisse erweist. Grosse (1970: 294) ist zuzustimmen, wenn er konstatiert, dass Tristan „sich erzählerisch die Situation selbst [schafft], die er braucht und die für seine Existenz und ihre Bewährung wichtig ist“ (vgl. auch Kaminski 2008: 12– 13). Sassenhausen (2007: 163) hebt, die Zeit von der Entführung bis zum Ende der Pilgerbegegnung zusammenfassend, hervor, wie wichtig Tristans Bildung für das Meistern der gesamten Lage ist: Tristans „geschulte[s] Denkvermögen“ lässt ihn „seine Lage von einer Metaebene aus [beurteilen]“, die ihm eine Einschätzung der Folgen seines Handelns ermöglicht und ihn so zu einem erfolgreichen Agieren führt. Tristans enormer Bildungsstand fundiert also eine erfolgreiche Art der Krisenbewältigung, seine Erziehung, deren Schwerpunkt auf der Förderung des Verstandes lag […], hat seine Rationalität als eine gegenüber seiner Emotionalität ebenbürtige, wenn nicht gar übergeordnete psychische Komponente erstarken lassen, so dass er trotz seiner tief empfundenen Ängste abgeklärt und strategisch situativ adäquat zu handeln vermag. (Ebd.: 164)
Tristans Begegnung mit der Jagdgesellschaft läuft nun einleitend weitaus weniger höflich ab als die Begegnung mit den Pilgern. Sie findet statt, als die Jagd selbst beendet, der Hirsch bereits erlegt, aber noch nicht zerlegt ist.¹⁶⁰ Als Tristan sieht, wie der Jägermeister den getöteten Hirsch ins Gras gelegt hat, um ihn fürs Zerlegen vorzubereiten – allerdings auf unhöfische Weise, wie der Vergleich alsam ein swîn (Tr 2791) verdeutlicht (so auch Hermann 2006: 133) –, tritt er grußlos hinzu, fährt den Jägermeister regelrecht empört an und tadelt ihn für sein Vorgehen (Tr 2792– 2795): „wie nû, meister, waz sol diz sîn?“ sprach aber der höfsche Tristan: „lât stân! durch got, waz gât ir an? wer gesach ie hirz zewürken sô?“
Obwohl Tristan als Kind einem Angehörigen des Hofes, der überdies ein höfisches Amt innehat, auf eigentlich ungebührliche Weise gegenübertritt, wird er im inquit als der höfsche Tristan bezeichnet – hierdurch wird bereits angedeutet, dass Tristans implizit vermittelte Beurteilung zutrifft, dass das Vorgehen der Jäger dem höfischen Zeremoniell nicht adäquat ist (vgl. Krause 1996: 152). Formal entspricht die Redeszene ebenfalls den höfischen Konventionen: Tristan spricht den Jägermeister hier und
Schausten (2001: 39) hält fest, dass aber „[d]iese verheimlichte Lebensgeschichte“ die Pilger weiterhin beschäftigt. Schausten (2011: 149) hebt hervor, dass der Aspekt der Nahrungsbeschaffung hier in den Hintergrund gerückt wird, so dass die Jagd im Kontext des höfischen Zeremoniells zu betrachten ist, das hier zu einer Kulisse für Tristans Inszenierung seiner hövescheit wird.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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folgend mit dessen Titel meister an und ihrzt ihn, während der Jägermeister ihn, das kint, duzt. Tristan erwirkt mit seinem Auftritt ein Überraschungsmoment, das ihm die Aufmerksamkeit nicht nur des Jägermeisters sichert und sein Interesse an ihm weckt.¹⁶¹ Durch seine Frage wer gesach ie hirz zewürken sô? macht Tristan nicht nur deutlich, dass ihn das Handeln offenkundig irritiert, sondern auch, dass er weiß, dass man den Hirsch nicht sô, sondern eben auf andere Weise zerlegt. Tristan erhält das Interesse aufrecht und steigert es, indem er Informationen nur sehr langsam vergibt. Auf die Fragen des Jägermeisters „wie wiltu, kint, daz ich im tuo? / […] kint, kanstu ihtes iht dâ mite?“ (Tr 2798 – 2808), bestätigt Tristan zunächst, dass er etwas davon verstehe und dass dort, wo er herkommt, eine andere Sitte herrsche (vgl. Tr 2809 – 2811). Um Konkreteres hierüber zu erfahren, muss der Jägermeister erneut nachfragen (vgl. Tr 2812), woraufhin Tristan mit großer Selbstverständlichkeit und Souveränität antwortet (Tr 2813): „man enbestet dâ den hirz.“
Der Jägermeister muss eingestehen, dass in Cornwall niemand diese Kunst kenne¹⁶² und fordert Tristan entsprechend auf, ihm das Entbästen zu zeigen (vgl. Tr 2814– 2822) (vgl. Hermann 2006: 134; Mohr 1959b: 153; Schausten 2001: 39). Schausten (2011: 150) betont, dass es „die dem Helden zugeschriebene souveräne Beherrschung einer Fachsprache [ist], die ihm allererst die Möglichkeit eröffnet, der Hofgesellschaft vorzuführen, wie man einen Hirsch auf höfisch angemessene Weise zerlegt.“ In seiner Antwort wiederum gibt Tristan sich – ganz anders als in der Anfangssequenz – bescheiden und stellt sich und sein Können in den Dienst des Jägermeisters (Tr 2823 – 2829): Tristan sprach: „lieber meister mîn, sol ez mit iuwern hulden sîn und mag iu liep dar an geschehen, sô lâze ich iuch vil gerne sehen, als verre als ichs gemerket hân, wie mîn lantsite ist getân, als ir dâ vrâget umbe den bast.“
Schausten (2011: 158) hält richtig fest, dass durch Tristans Verhalten hier ebenfalls das Interesse der Rezipienten gelenkt wird, da Tristan „den Jägermeister des Königs imperativisch […] dazu auffordern kann, den ihm geläufigen Vorgang des Zerlegens abzubrechen“ und dieser sich überdies von Tristans Einwänden „verunsichern lässt“. „Es ist die Kenntnis eines der Hofgesellschaft von Cornwall unbekannten Begriffs, die es dem Helden ermöglicht, sich als ausgezeichneter Kenner einer besonderen, sozial relevanten Verhaltensform geschickt vor dem Hof in Szene zu setzen. […] Gottfried verwendet ein wohl auch seinem Publikum nicht bekanntes Verb und plausibilisiert so überzeugend im Hinblick auf die Markegesellschaft die Unkenntnis der sich hinter dem Wort verbergenden Technik […].“ (Schausten 2011: 149).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristan erweckt hier den Eindruck, sein Handeln sei nur eine Reaktion auf die Bitte des Jägers. Gleichzeitig relativiert er durch die Äußerung als verre als ichs gemerket hân sein Können. Tristans Auftreten in dieser Rede orientiert sich an den Regeln höfischer Kommunikation – dies zeigt sich in der Anrede, in der topischen Bescheidenheit und der Zurückgenommenheit, mit der Tristan nun kommuniziert und indem er das Wohlwollen seines Gesprächspartners hervorhebt. Der Jägermeister reagiert freundlich-amüsiert, er sach den jungen gast / vil guotlîche lachende an, / wan er was selbe ein höfscher man / und erkante al die vouge wol, / die guot man erkennen sol (Tr 2830 – 2834). Ihm wird vom Erzähler die Kompetenz, höfisches Verhalten als solches zu erkennen und anzuerkennen, zugebilligt, so dass seine Reaktion auf Tristans Rede eine positive Bestätigung derselben ist. Gleichzeitig wird hier wieder hervorgehoben¹⁶³, dass Tristan noch ein Kind, der Jägermeister aber ein Mann ist. Das Auftreten des Kindes, das sich hier ernsthaft um das Einhalten des höfischen Reglements bemüht, wirkt auf den erwachsenen Mann nicht nur erheiternd, sondern stimmt ihn auch wohlwollend-interessiert, so dass er dem Kind nicht nur die Möglichkeit bietet, seine Fertigkeiten zu präsentieren, sondern ihm darüber hinaus noch Hilfe zusagt, sollte Tristan diese benötigen (vgl. Tr 2835 – 2842). Tristan führt den Bast weitestgehend kommentarlos vor, erst zu dem Zeitpunkt, als er in Gefahr gerät, sich unhöfisch zu verhalten, beginnt er zu sprechen und delegiert die folgenden Arbeitsschritte (Tr 2910 – 2914): und wan daz ungebaere was sînen schoenen handen, dô sprach er: „wol balde zwêne knehte her! tuot diz dort hin danne baz unde bereitet uns daz!“
Hierbei wird erneut Tristans Standesbewusstsein deutlich. Er weiß, welche Handlungen sich für ihn schicken, und er ist es gewöhnt, Anweisungen zu geben. Dies zeigt sich etwa darin, dass Tristan hier keine Bitte formuliert, sondern explizit knehte (im Kontext der Rede dürften hiermit Knappen oder andere Dienende angesprochen sein¹⁶⁴) befehligt. Im Anschluss an den Bast versteht Tristan es weiter, das Interesse an seiner Person aufrecht zu erhalten, indem er den Jägermeister und die Jagdgesellschaft dazu auffordert, die Furkie zu erledigen (Tr 2921– 2926): Tristan der ellende gast „seht“ sprach er „meister, deist der bast und alse ist disiu kunst getan. nu geruochet ir her nâher gân
Auch die erste Anrede des Jägermeisters an Tristan als kint hebt auf Tristans Jugend ab (vgl. Tr 2798). So scheint hier die Bedeutungsvariante ‚junger mann in lernender u. dienender stellung‘ schlüssig (vgl. hierzu Lexer 1872: 1644).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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ir unde iur massenîe und machet die furkîe!“
Tristan verhält sich hier geschickt, indem er seine Aufforderung ganz selbstverständlich formuliert. Dass dies auf Aufmerksamkeit zielt, zeigt sich daran, dass die Furkie Teil der Jagdbräuche in Tristans Heimat ist (vgl. Tr 2953 – 2954), er also davon ausgehen kann, dass die Anwesenden, wenn sie den Bast nicht kennen, auch die Furkie nicht kennen werden. Er führt ihnen eine Wissenslücke in Form einer Handlungsaufforderung vor Augen. Sie müssen reagieren, können aber faktisch nicht anders handeln, als Tristan zu bitten, auch die Furkie vorzuführen.¹⁶⁵ Somit hat Tristan es geschafft, im Zentrum des Interesses zu stehen. Und auch im Anschluss verwendet er eine ähnliche Strategie, indem er erneut einen Jagdbegriff einwirft, den die Jagdgesellschaft nicht kennt (Tr 2960 – 2961): „[…] nu tâlanc weset ir gemant umbe iuwer curîe.“
Wie fremd ihnen dieser Begriff ist, stellen die Angesprochenen heraus, indem sie ausrufen (Tr 2964): wir vernaemen sarrazênsch baz!
Auch die Curie führt Tristan vor und erläutert auch noch den Begriff und seine Herkunft.¹⁶⁶ Wie schon in anderen Szenen sticht Tristan wieder nicht nur durch sein Benehmen und Wissen, sondern auch sein Wissen um Sprache(n) hervor. Er zeigt seine enorme Bildung, die nicht nur für sein Alter außergewöhnlich ist: Die Begriffe, die Gottfried verwendet, sind erst im 14. Jahrhundert in französischen Jagdbüchern zu finden, Gottfrieds Zeitgenossen konnten mit ihnen noch wenig anfangen. Alles spricht dafür, daß der Straßburger Dichter durch diese Neuheit bezweckt, seinen Helden auszuzeichnen und
Schausten (2011: 150) betont die Relevanz des „öffentlichen Ritualhandeln[s] im Rahmen der Jagd“ für das „höfische Selbstverständnis der Gesellschaft“: „Wie zentral ein solches Zeremonialhandeln in den Augen der höfischen Gesellschaft für die eigene Selbstdarstellung ist, darauf verweist die komplexe Anlage der Episode. Gottfrieds Tristanfigur deckt nämlich erst allmählich, in sukzessiven Hinweisen auf einen stetig komplizierter sich gestaltenden Vorgang die mangelnde Kenntnis von Fachvokabular und zugehörigem Zeremoniell als umfassendes Defizit einer sich höchsten höfischen Maßstäben verpflichtet wissenden Gemeinschaft auf.“ (Vgl. auch Krause 1996: 164– 165). Neben der Herkunftsklärung des Wortes hebt Kaminski (2008: 14– 15; Zitat 14) hervor, dass die Herkunft des Wortes noch eine weitere Ebene umfasst: „‚Von cuire‘ kommt ‚curîe‘ aber auch noch in ganz anderer Weise: durch Zerlegung und neue Zusammensetzung des Buchstabenmaterials. Per Anagramm wird aus der parmenischen Haut (‚cuire‘) so der ‚name curîe‘, den die dortige, einzig und allein durch Tristan repräsentierte ‚jegerîe‘ dafür ‚vunden und genomen‘ haben will.“ Kaminski stellt heraus, dass hier schon auf Tristans Umgang mit seinem Namen, den er im Anagramm Tantris für seine Lebensrettung neu zusammensetzt, vorausgedeutet wird.
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darauf hinzuweisen, daß hier etwas Unerhörtes, bislang Unbekanntes geschieht. Mit den drei Termini – entbesten, furkîe und im Folgenden noch der curîe – und der etymologischen Erläuterung wird dies vor Augen geführt. (Hermann 2006: 135)
Gleichzeitig wird Tristans kommunikatives Geschick in Szene gesetzt: Denn er gibt immer genau so viel preis, dass die Gesellschaft regelrecht gezwungen ist, bei ihm nachzuhaken und so dem höfischen Anspruch, die vorbildlichen Jagdbräuche kennenzulernen und somit eine kulturell-zeremonielle Aufwertung der eigenen Rituale durch das Übernehmen der neuen Rituale überhaupt erst zu ermöglichen, Genüge zu tun. Entsprechend wird Tristan auch in der zugehörigen Redeeinleitung als der wortwîse bezeichnet (Tr 3018 – 3028): „seht“ sprach der wortwîse „diz heizent sî curîe dâ heime in Parmenîe und wil iu sagen umbe waz. ez heizet curîe umbe daz, durch daz ez ûf der cuire lît, swaz man den hunden danne gît. als hât diu jegerîe den selben namen curîe von cuire vunden unde genomen. von cuire sô ist curîe komen. [… ].“
Neben den Informationen über die Etymologie von Curie gibt Tristan ganz nebenbei eine wichtige und richtige Information über seine eigene Herkunft: Er nennt sein Heimatland Parmenien. Diese Information bindet er allerdings so in seine Worterklärung ein, dass sie auf den ersten Blick eher wie eine Information zum Wort und weniger wie eine Information über Tristan wirkt – dass diese Information von den cornischen Jägern tatsächlich nicht auf Tristan selbst bezogen wird, zeigt sich später, als die Teilnehmer der Jagd darüber nachdenken, von welhem lande er waere (Tr 3086). Tristan beendet seine Vorführung des Basts, indem er durch das Herausstellen seiner Bescheidenheit seine Höfischkeit erneut beweist und sich dem Urteil der Jagdgesellschaft überantwortet (Tr 3035 – 3037): „[…] nu sehet an disen bastsite, da enist kein ander spaehe mite. nemt war, wie er iu gevalle.“
Auf geschickt-manipulative Weise gibt Tristan abschließend noch einige Anweisungen, wie die Jäger den Hirsch zum Hof bringen sollen. Er leitet seine Rede mit souveräner Bescheidenheit ein (vgl. Tr 3046 – 3048), bevor er er das weitere Vorgehen gemäß dem höfischen Zeremoniell erläutert (Tr 3051– 3059): „[…] der man der houwe sîne wit und wider ûf sunder iuriu lit.
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daz houbet vüeret an der hant und bringet iuwern prîsant ze hove nâch hovelîchem site. da hovet ir iuch selben mite. sô wizzet ouch ir selbe wol, wie man den hirz prîsanten sol. prîsantet in ze rehte!“
Nachdem Tristan den Anwesenden erklärt hat, wie man den Hirsch nâch hovelîchem site an den Hof zu bringen hat, um die eigene Höfischkeit unter Beweis zu stellen und so ergo das eigene Ansehen zu steigern, relativiert er seine Anordnungen, indem er ihnen, wissend, dass sie die von ihm vorgestellten Bräuche nicht beherrschen, unterstellt, dass sie ja selbst wüssten, wie sie vorzugehen hätten. Er endet mit einer Aufforderung, dass sie dies nun ja richtig tun sollen – hiermit macht er sich faktisch unentbehrlich für die Hofgesellschaft, die auch zuvor stärkeres Interesse an einer Vorführung als einer Schilderung der fremden Jagdsitten gezeigt hat. Das Resultat gibt Tristan recht, denn die Teilnehmer der Jagd sind nicht nur beeindruckt von seinem Wissen um die Kunst des Jagens, sondern fordern ihn dazu auf, sie zum Hof zu begleiten.¹⁶⁷ Anders als im Fall der Pilger ist also nicht mehr Tristan Bittsteller, sondern er ist der Gebetene, der die Hofgesellschaft durch seine Anwesenheit und sein Können aufwertet (vgl. Tr 3058 – 3077). Tristan zieht nun mit der Hofgesellschaft weiter, und seine „erstaunliche Souveränität im Umgang mit dem Hirsch, sein Verständnis für das Arrangement des höfischen Zeremoniells provozieren hier […] ein außerordentliches Interesse an seiner Herkunft“ (Schausten 2001: 39). Dieses Mal sind „[die] Voraussetzungen für die Beantwortung der Frage nach der Herkunft […] ganz anders als beim erstenmal: sie geschieht nach dem Erweis einer Leistung und in der höfischen Öffentlichkeit […]“ (Grosse 1970: 295) (Tr 3084 – 3089): ir iegelîch begunde entwerfen sîniu maere, von welhem lande er waere und wie er dâ hin waere komen. si haeten gerne vernomen sîn dinc und sîn ahte.
Dieser Umstand ist Tristan sehr bewusst (vgl. Tr 3090 – 3091) und durchaus kalkuliert und führt dazu, dass er „nicht einfach nur ein außergewöhnliches Ereignis (fremediu maere), sondern seine Geschichte (sîn aventiure, V. 3091) [erfindet] und […] damit
Schausten (2011: 159) hält fest, dass den Anwesenden hier Tristans strategisches Verhalten entgehe. Sowohl Erzählerkommentar als auch Figurenrede geben hier „Hinweise darauf gegeben, dass der Held die Vorliebe der Gesellschaft für alle Fragen und Formen höfisch-ästhetischen Verhaltens in sein Kalkül zieht, um diese nachhaltig zu beeindrucken.“
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erstmalig im Text sein Leben, seine eigene gesellschaftliche Identität selbst [konstruiert]“ (Schausten 2001: 39; vgl. Grosse 1970: 295) (Tr 3092– 3123): vil sinneclîche er aber began sîn âventiure vinden. sîn rede diu enwas kinden niht gelîch noch sus noch sô. vil sinneclîche sprach er dô: „jensît Britanje lît ein lant, deist Parmenîe genant. dâ ist mîn vater ein koufman, der wol nâch sîner ahte kan der werlde leben schône unde wol, ich meine aber, alse ein koufman sol. und wizzet endeclîche: ern ist doch niht sô rîche der habe unde des guotes sô tugentlîchen muotes. der hiez mich lêren, daz ich kan. nû kâmen dicke koufman von vremeden künicrîchen dar. der dinges nam ich sô vil war beide an ir sprâche und an ir siten, unz mich mîn muot begunde biten und schünden staetclîche in vremediu künicrîche. und wan ich gerne haete erkant unkunde liute und vremediu lant, dô was ich spâte unde vruo alsô betrahtic dar zuo, biz daz ich mînem vater entran und vuor mit koufliuten dan. als bin ich her ze lande komen. Nu habet ir al mîn dinc vernomen. ine weiz, wie’s iu gevalle.“
In der Redeeinleitung (vgl. III.I.1.2: 56 – 57) wird Tristans ungewöhnlicher Verstand herausgestellt und die Erwartung des Publikums geschürt, dass nun eine von der bereits erzählten Geschichte abweichende autobiographische Erzählung folgt. Diese setzt sich aus Komponenten zusammen, die mit Tristans tatsächlicher Herkunft übereinstimmen, und solchen, mit denen er sich eine Identität schafft, die begründet, dass er selbst aktiv den Weg in die Fremde gesucht hat und nicht Opfer einer Entführung geworden ist. Die Opferrolle würde nicht dem Bild des souveränen, höfischauftretenden Kindes entsprechen, als das Tristan sich inszeniert hat und das ihn zum Hof bringen soll.¹⁶⁸ Durch die Verknüpfung seiner eigenen Geschichte mit einer fin-
Flecken-Büttner (2011: 96) hebt hervor, dass Tristan über die Abwertung seiner Herkunft seine
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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gierten schafft Tristan sich eine Basis, mit der er diese Identität glaubwürdig durchhalten kann. Zu den Fakten in Tristans Bericht zählen die Nennung seiner Heimat Parmenien, die Ausbildung auf Anweisung des Vaters und der Umstand, dass er gemeinsam mit Kaufleuten nach Parmenien gereist ist. Zu den Abweichungen zählen Tristans soziale Herkunft als Kaufmannssohn und der Reiseanlass. Somit entsprechen Beginn, Mitte und Ende von Tristans Bericht den realen Gegebenheiten (vgl. Grosse 1970: 295). Aber auch die Passagen, die frei erfunden sind, sind z.T. zumindest an Tristans Identität angelehnt. Tristan schildert den Wissenshunger eines Kindes, das in fremden Ländern deren Sitten und Gebräuche lernen möchte – damit verweist er auf eine Ausbildung, die er tatsächlich genossen hat, die in der Perspektive des Kaufmannssohnes aber nicht als Erfahrung, sondern als Wunsch besteht. Passend zu Tristans tatsächlichen Talenten schildert er als Auslöser für sein Fernweh die Sprache und Gebräuche der erdachten Kaufleute; seine eigene Affinität für Sprachen, aber auch für Fremdes generell scheint hier durch.¹⁶⁹ Tristans fingierte Identität als Kaufmannssohn wiederum ist eine erdachte, die er nicht irgendwann einfach ablegt, sondern die gewissermaßen mit ihm wächst: Als Erwachsener wird er sich als Kaufmann ausgeben. Völlig überzeugend jedoch kann er diese Rolle nicht spielen, da sein ganzes Wesen – sein Aussehen, seine Bildung, seine hövescheit – dieser Rolle entgegenstehen. Auch und gerade der Verweis darauf, dass sein Vater ihm seine Bildung habe angedeihen lassen, sorgt, so auch Grosse (ebd.: 296), für Ungläubigkeit: „Die Diskrepanz zwischen der ungewöhnlichen Erziehung Tristans und der Herkunftsangabe weckt das Mißtrauen der Gesellschaft (3130); denn kein König wäre einer besseren Ausbildung fähig gewesen als der unbekannte Kaufmann.“ (Vgl. auch Schausten 2001: 44 sowie die Aussagen des Jägermeisters Marke gegenüber in Tr 3273 – 3317). Bis Rual jedoch Tristans tatsächliche Abkunft klärt, bleibt er trotz der Zweifel der Gesellschaft der Kaufmannssohn, als der er sich inszeniert. Tristan lässt seinen Herkunftsbericht offen enden, indem er konstatiert, dass er nicht wisse, wie sein Bericht der Jagdgesellschaft gefalle. Auf der einen Seite wird hier eine Floskel verwendet, die Tristan in ähnlicher Form bereits im Kontext der Jagdvorführungen benutzt hat, mit der er das Ende seines Redebeitrags markiert und indirekt um eine Reaktion der Beteiligten auf seine Ausführungen bittet. Auf der anderen Seite ist es in diesem speziellen Kontext darüber hinaus denkbar, dass Tristan sich tatsächlich rückversichert, wie seine Geschichte von der Jagdgesellschaft aufgenommen wird: Nehmen sie ihm seine Geschichte ab und reagieren wohlwollend darauf, hat er sein kommunikatives Ziel erreicht.
Selbstinszenierung aufwertet: „Anstatt bestenfalls Mitleid zu erregen, steigert er die Bewunderung, die ihm ohnehin schon zuteil wird, erscheint doch für einen Angehörigen des Kaufmannsstandes seine Wohlerzogenheit besonders ungewöhnlich (Tr. 3126 ff.).“ Schausten (2001: 42) hält fest: „Tristan fingiert und bezeugt hier unter Rückgriff auf das selbstbiographische Erzählmuster ein Selbst, das sich vor allem durch eine positive Haltung fremden Ländern und Menschen gegenüber auszeichnet und sich damit der aktuellen Situation anverwandelt.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Eine weitere Komponente, die Tristan offen gelassen hat, ist die Nennung seines Namens und – bei aller Ausführlichkeit der Schilderungen zu seinem Vater – auch die des Namens seiner „neuerlich erfundene[n] Vaterfigur“ (Schausten 2001: 42). Zwar lobt die Gesellschaft den Kaufmann und weist ihm das Attribut höfsch[] (Tr 3135) zu, ein Interesse am Namen des Vaters oder daran, den Jungen zu seiner Familie zurückzuschicken, besteht offenbar nicht. So erkundigt sich die Gesellschaft ausschließlich nach Tristans Namen, und er nennt ihnen seinen richtigen und erfüllt „an dieser Stelle ein wichtiges Kriterium der Autobiographie: Für Lejeune ist gerade der Eigenname des Autobiographen ‚die einzige unzweifelhaft außertextuelle Markierung, die auf eine tatsächliche Person verweist‘“ (ebd. mit Bezug auf Lejeune 1989: 23). Den Name Tristan wiederum empfindet die Jagdgesellschaft als unstimmig zu der ihnen vermittelten Identität: Man hätte Tristan besser juvente bêle et la riant, / diu schoene jugent, die lachende (Tr 3140 – 3141) genannt.¹⁷⁰ Wie schon im Akt der Benennung Tristans (vgl. Tr 1983 – 2022) wird hier die „Sprachauffassung“ des Mittelalters deutlich, die von einem durchgängigen Zeichenrealismus geprägt [ist], der von einer sinnhaften Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem ausgeht. […] So wird, die antike Rhetorik erweiternd, in der nach dem Ursprung der Personennamen – etwa aus der Gestalt des Körpers oder aus den Umständen der Geburt oder aus Ereignissen nach der Geburt – gefragt werden konnte, der Name zum Anzeiger zukünftigen göttlich gelenkten Geschehens (Ruberg 1982, 323 f.). Namenexegese wird zum Instrument nicht nur der Wesensfindung, sondern auch der Zukunftsdeutung. (Haubrichs 1995: 351– 352)
Unter dem Eindruck von Tristans Herkunftsgeschichte scheint sein Name weder zu seiner Vergangenheit noch zu seiner Zukunft, aber schon gar nicht zu seiner Gegenwart zu passen. Tristan, der in dieser Episode die Aufgaben des Jägermeisters übernommen hat, ordnet sich auf dem Weg nach Tintajol auch optisch dem Jägermeister zu, indem er für beide Laubkränze windet. Vor dem Burgtor übernimmt Tristan wieder das Kommando und gibt detaillierte Anweisungen, wie die Gesellschaft in die Burg einzureiten habe. Hierzu zählen Hinweise auf die richtige Gruppierung und Reihenfolge, in der die Hirschteile hineingebracht werden sollen, und ein geordnetes, nicht zu schnelles Einreiten bei Hof (vgl. Tr 3167– 3189). Tristan endet, indem er vorschlägt, selbst neben dem Jägermeister einzureiten, wobei er sich als dessen Diener stilisiert. Dafür bittet er um Zustimmung der Jagdgesellschaft (Tr 3187– 3189): mîn meister hie und ich sîn kneht wir rîten samet, dunk ez iuch reht und ob ez iu gevalle.
Diese Aussage wird für Tristans Tantris-Anagramm noch von Bedeutung sein (vgl. hierzu Kaminski, 2008: 15 – 18; Ruberg 1989: 317; III.II.1.4.1: 217).
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Tristans Anordnung mündet also in einem „geschickten Unterlegenheitsgestus[, mit dem der Held erreicht], dass er vom Zentrum einer öffentlich-visuellen Darbietung in die soziale Mitte der Jagdgesellschaft gelangt“ (Schausten 2011: 151). In der folgenden Replik sichern ihm die Anwesenden entsprechend zu, „swie sô du wilt, als wellen wir.“ (Tr 3191). Tristan gibt in der Folge weitere Anweisungen und lässt sich ein Horn bringen. Mit dem Spielen des Horns wird er das erste Mal auch seine musikalischen Fertigkeiten (die hier an die Jagd gebunden sind) zeigen (Tr 3192– 3196): „diz sî!“ sprach er „nu lîhet mir ein horn, daz mir ze mâze sî, und sît ouch des gemant dâ bî, swenn ich an hebe, sô hoeret mir, und alse ich hürne, hürnet ir!“
Durch das Hornspiel stellt Tristan sicher, auch beim Einreiten in die Burg eine Sonderrolle zu haben, da sich alle an ihm orientieren müssen. Er wird eine unbekannte Melodie (vgl. Tr 3224) spielen, die die anderen erst hören müssen, bevor sie miteinstimmen können; und er weiß darum, denn er fordert sie auf, erst auf ihn zu hören, bevor sie anfangen zu spielen. Seine Rede hier ist sehr selbstbewusst und direkt gestaltet; er muss sich nun nicht mehr rückversichern, sondern kann direkt die Führung übernehmen. Mit der besonderen Melodie sichert sich Tristan die Aufmerksamkeit der Hofgesellschaft und des Königs; sein Einreiten kann nicht unbemerkt bleiben. Es wird zu einem Schauspiel, bei dem Tristan quasi mit Gefolge auftritt. Während die Jagdgesellschaft Tristan zunächst auf dem Horn begleitet hat, wechselt dieser beim Anblick des Königs die Melodie. Das Hornspiel ist Part seines Grüßens, er spielt auf eine Weise, dass niemand ihm folgen kann. Damit lenkt er den Fokus allein auf sich (vgl. Tr 3240 – 3255). „In seinem Spiel deutet sich die vielleicht sogar wichtigste Kompetenz Tristans an, die Menschen seiner Umgebung zu erreichen und für sich einzunehmen. Jagd und Musik sind für Tristan nicht nur ‚artes‘, sondern Medien seiner Selbstpräsentation.“ (Hermann 2006: 136). Mit dem Ende des Liedes wendet Tristan sich an Marke. Er beginnt erst nach einer Pause, sich zu verneigen und zu sprechen, und steigert so die Erwartungshaltung und Dramaturgie seiner Inszenierung (Tr 3255 – 3262): der wol gezogen ellende der lie sîn hürnen unde sweic. vil schône er gein dem künege neic und sprach mit süezem munde vil suoze, als er wol kunde: „dêu sal le roi et sa mehnîe. künec und sîne massenîe die gehalte got der guote!“
Akzentuiert wird seine Rede durch das höfische Französisch, mit dem Tristan seine Rede einleitet: Er befiehlt Marke und sein Gefolge Gott an, wobei er den Segenswunsch
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
in der Landessprache wiederholt. Auffällig ist, dass er Marke zwar anspricht, aber nicht direkt adressiert, sondern in distanzierend-höfischer Weise über ihn und sein Gefolge in dritter Person spricht.¹⁷¹ Auf diese Weise erhält Tristan eine Form kommunikativer Indirektheit, die es ihm ermöglicht, noch vor dem König das Wort und auch die Initiative zu ergreifen und sich in höfischer Manier zu präsentieren. Tristans Strategie geht wieder auf, das Interesse des Königs an ihm ist geweckt. Bevor dieser jedoch direkt mit Tristan spricht, holt er zunächst beim Jägermeister Erkundigungen über ihn ein, wobei er Tristans Fähigkeit, sich gewählt auszudrücken, besonders hervorhebt. Der Jägermeister berichtet ihm von Tristans (von ihm angezweifelter) Herkunft und seiner Jagdkunst, wobei er ihn in höchsten Tönen lobt. Im Anschluss ruft Marke Tristan herbei, dessen feine Erscheinung vom Erzähler in einer descriptio personae noch einmal deutlich hervorgehoben wird. Diese verdeutlicht, dass Tristan der Inbegriff des höfischen Ideals ist (vgl. Tr 3273 – 3222).¹⁷² „Tristan rückt als Objekt des Interesses erst akustisch, dann visuell, dann im Bericht und im Folgenden in der Aussprache sowie im Dialog in das Wahrnehmungsfeld des Monarchen.“ (Hermann 2006: 138). Hierbei wird Tristan, wie Schausten (2011: 151) treffend bemerkt, als „Inkarnation männlicher Schönheit“ selbst zur „höfischen Jagdtrophäe“: Am Kulminationspunkt der ganzen Episode lanciert Gottfrieds Erzähler mithin sehr geschickt einen Zusammenhang der Jagdepisode mit der künftig sich entwickelnden Liebeshandlung. Die in seiner Physis sich dokumentierende Affinität zur Minne […] ist bei Tristans Eintritt in die Hofgesellschaft Cornwalls für alle sichtbar und wird von ihr als höchstes Attribut des Höfischen bewertet. (Ebd.)
Nach der ausführlichen Beschreibung des Jungen und vor allem der längeren Passage des Berichts des Jägermeisters über Tristan wird die erste Unterhaltung Markes und Tristans in einem „lebhafte[n] stilistischen Kontrast“ (Grosse 1970: 296) zu diesem Bericht in Form eines „rasch wechselnden Dialogs“ (ebd.) dargeboten. Der gesamte Dialog ist geprägt „durch die souveräne Beherrschung [und das Einsetzen, A.K.] des Französischen als Leitsprache höfischer Kultur“ (Schausten 2011: 152; vgl. auch Ehrismann 2000: 261– 262). Marke eröffnet das Gespräch standesgemäß, indem er Tristan wohlwollend als vriunt (Tr 3352) anspricht und fragt, ob sein Gegenüber Tristan heiße. Tristan bejaht und wiederholt, nun direkt an Marke gewandt, den er, ebenfalls standesgemäß, mit hêrre anspricht, den Segenswunsch auf Französisch (Tr 3354): „jâ hêrre, Tristan; dêu sal!“
Ehrismann (1903/1904: 155) betont die Feierleichkeit dieser Anrede. Grosse (1970: 296) hält fest, dass Tristans Begegnung mit der Jagdgesellschaft hier in „spiegelbildlicher Reihenfolge“ wiederholt wird.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Marke erwidert den Segenswunsch auf Französisch, woraufhin Tristan ihm auf Französisch dankt, wobei er die Ehrenbezeugungen in der Landessprache formuliert, um ihn und auch sein Gefolge Gottes Sohn anzubefehlen (Tr 3355 – 3359): „mercî“, sprach er „gentil rois, edeler künic curnewalois, ir und iur gesinde ir sît von gotes kinde iemer gebenedîet!“
Nachdem Tristan also Marke in der ersten Rede alleine angesprochen hat, hebt er Markes Stellung in der zweiten hervor, indem er ihm und seinem Gefolge Ehre erweist, wodurch er sich das Wohlwollen der höfischen Öffentlichkeit sichert und gleichermaßen seine eigene Höfischkeit präsentieren kann. Dies wird auch durch die Reaktion der Höflinge bestätigt, die Tristans Höfischkeit preisen (vgl. Tr 3360 – 3364).¹⁷³ Wichtiger ist jedoch die Reaktion Markes, der dem „Kulturbringer“ (Hermann 2006: 135) Tristan das Hofamt des Jägermeisters¹⁷⁴ anbietet und somit nicht nur seine Integration in die höfische Gesellschaft ermöglicht, sondern ihm überdies eine für ein Kind unerhörte¹⁷⁵ Karrierechance bietet. Tristan ergreift diese und verpflichtet sich Marke (Tr 3372– 3376): hier under sprach dô Tristan: „hêrre, gebietet über mich. swaz ir gebietet, daz bin ich. iuwer jeger und iuwer dienestman daz bin ich, alse ich beste kan.“
Tristan steht somit im Dienste Markes; er hat sich ihm öffentlich zuerkannt. Seine Formulierungen lassen verschiedene Schlüsse zu: Nicht nur nimmt Tristan das Hofamt des Jägermeisters an, er lässt sich und Marke Raum für weitere Entwicklungen,
Auch Hermann (2006: 139) betont, dass Tristans Rede seine Höfischkeit offenbart. Dass Tristan meister genannt wird, ist eine Besonderheit, denn diese Bezeichnung ist, wie Grosse (1989: 292) konstatiert, „für Helden der hochhöfischen Epik nicht üblich.“ Grosse (ebd.: 293) hält weiter fest, dass die im BMZ (II/1: 113b) verzeichnete Definition „auf alle mit Tristan verbundenen Belege zutrifft“. Dort heißt es: „der allgemeine begriff, der im mhd. das wort beherrscht, ist der des übertreffens, überlegenseins u. damit der auctorität, des massgebendseins. dies kann beruhen einmal auf der intelligenz u. den fähigkeiten, zweitens auf der macht, der persönlichen wie der amtlichen, einer person. überall wird es gedacht mit beziehung auf andere, die geringer an intelligenz oder macht sind. wo die jemandem zugestandene macht auf seiner höhern intelligenz beruht, kann man schwanken, welchen dieser beiden begriffe die vorstellung festgehalten hat, z. b. bei meister als lehrmeister.“ Wie ungewöhnlich dieses Angebot ist, zeigt auch die Reaktion der Höflinge (Tr 3371): hie wart ein michel lahter van. (Vgl. außerdem Schausten 2011: 152; Grosse 1989: 296).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
indem er ihm verspricht, zu sein, was immer Marke sich wünsche¹⁷⁶ – sein Bewusstsein, dass er die Fähigkeiten für weitere Ämter hat, klingt hier bereits an. Die Offenheit der Formulierung zeigt sich auch darin, dass Tristan jeger und dienestman sein kann. Einem konkreten Amtstitel lässt er einen allgemeineren Terminus folgen für jemanden, der generell im Dienste des Königs steht. Gerok-Reiter (2009: 130) betont in diesem Kontext die Kalkulation Tristans, mit der er andere Figuren in sein Spiel aus Selbstinszenierung einbindet und so zum Teil seiner eigenen Identitätsfindung macht: Denn es bildet gleichsam die Pointe dieser ebenso brillanten wie flexiblen Selbstinszenierung [der Jagdprozession, A.K.], dass der Inszenator Tristan schließlich die Bereitschaft suggerieren kann, sich von einem anderen die verschiedensten ‚Oberflächen‘, Rollen oder Funktionen als Identität zuweisen zu lassen. […] Der junge Tristan stellt sich einerseits in der Rolle des defizienten Kindes dar, dem der herre zu gebieten hat, andererseits ist er der souveräne Erzähler und Inszenator, der in klarer Regieführung Marke erst zu dieser Form des Gebietens herausgefordert hat in der Absicht, sich selbst einen neuen Identitätsrahmen zu verschaffen.
Tristan braucht Markes Anweisungen, die ihm einen Raum geben, in dem er sich entwickeln und in die „Welt der Erwachsenen“ (ebd.: 131) eintreten kann, und in diesem Raum will er Markes Anforderungen erfüllen, will sein, was Marke fordert: alse ich beste kan [Hervorhebung A.K.]. Tristan schließt hier nicht mit einer schlichten Floskel zu seinem Können und darüber, dass er alles bestmöglich erfüllen möchte. M. E. liegt die Akzentuierung hier denkbar anders, nämlich auf dem Personalpronomen. Somit deutet die Formulierung auf das voraus, was tatsächlich eintreten wird: Dass – egal, was Marke oder die Ereignisse am Markehof von Tristan erfordern – er der Beste sein wird. Durch die Jagdkunst und sein gesamtes höfisches – in allen Bereichen deutlich von Sprache getragenes – Auftreten erhält Tristan „in kürzester Zeit die Position […], die am Hof die begehrteste jeden Höflings ist, die der unmittelbaren Nähe zum Herrscher“ (Schausten 2011: 152).Vor allem aber gelingt Tristan hiermit der Schritt von der Kindheit in die Erwachsenenwelt, für den das Entdecken und Spielen mit seinen Fähigkeiten maßgeblich sind. Er kann diesen Schritt gehen, „indem er entdeckt, dass er Inszenator und Erzähler seiner selbst sein kann. Damit aber findet er zu einer gleichsam identitätslosen Identität: Er entpuppt sich als Spieler sui generis.“ (Gerok-Reiter 2009: 131). Die Schilderungen von Tristans Jugend zeichnen ihn vor allem im Kontext seiner auf seiner besonderen Ausbildung beruhenden und in Tristan angelegten Höfischkeit. Tristans Bildung wird sprachlich wieder und wieder vorgeführt, indem Tristan seine ungewöhnlichen Fremdsprachenkenntnisse präsentiert, das höfische Vokabular aufs Beste beherrscht und in unterschiedlichen Situationen gekonnt mit Fachterminologie umgeht. Dieses Fachvokabular stammt aus ganz unterschiedlichen Bereichen wie
Auch Schausten (2011: 152) hält fest: „Und Tristan wäre nicht Tristan, gäbe er sich mit dieser gelungenen Integration am Markehof zufrieden. Er werde, so lässt er den König wissen, alles sein, was dieser ihm gebiete[.]“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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höfischen Gesellschaftsspielen und der Jagd. Bei dieser benutzt Tristan ein Vokabular, das nicht nur dem Markehof, sondern auch den Rezipienten von Gottfrieds Tristan fremd ist und somit die Exklusivität von Tristans Kenntnissen verdeutlicht¹⁷⁷, eine Exklusivität, die bewirkt, dass Tristan bei Hofe inkludiert werden wird. Durch die Gestaltung seiner Reden weckt Tristan nicht nur das Interesse der anderen Figuren, sondern sichert sich auch ihre Anerkennung. Hierbei fällt – besonders in der Jagdepisode – auf, wie strategisch Tristan bereits als Kind mit Sprache umgeht und wie leicht er die Hofgesellschaft (allein) mit Sprache manipulieren kann. Die Weise, wie Gespräche verlaufen, ist bestimmt durch die Art und Reihenfolge von Tristans Informationsvergabe, die er immer genau so dosiert, dass Interesse entsteht und die anderen Figuren immer wieder Defizite eingestehen müssen, woraufhin sie bei Tristan um Erläuterung bitten. Somit ist die Kommunikationssituation durch Tristans Wissensvorsprung als asymmetrisch zu werten – selbst dann, wenn er mit ständisch gleichgestellten Figuren spricht. Besonders deutlich ist die Asymmetrie auch dadurch, dass Tristan noch ein Kind ist, also grundsätzlich davon auszugehen wäre, dass die Erwachsenen bei Hofe ihm überlegen sein müssten. Tristan spielt seine enorme kulturelle Überlegenheit souverän aus – auch das entspricht üblicherweise nicht kindlichem Verhalten. Gerade für die Jagdgesellschaft, die Tristans Version seiner Herkunftsgeschichte zwar nicht glaubt, aber akzeptiert, ist diese Ungleichheit umso deutlicher. Auf der Ebene des Gespräches schafft Tristan es zudem, seine Überlegenheit durch höfische Bescheidenheitstopoi, Unterlegenheitsgesten und Floskeln zu maskieren und in einem der höfischen Gesellschaft akzeptablen Rahmen zu kommunizieren. Während er ihr ihre Defizite vorführt, gibt er der Gesellschaft nicht das Gefühl, sie selbst vorzuführen. Hierbei hilft Tristan seine Fähigkeit, Situationen richtig einzuschätzen, sich ihnen anzupassen und sie für seine Zwecke zu nutzen. Er geht hierbei, wie der Erzähler immer wieder betont, sehr besonnen vor und handelt wohlüberlegt. Dazu kommt, dass er nicht selten die Reaktionen der anderen Figuren antizipiert (eine Ausnahme stellen hier die norwegischen Kaufleute dar). In diesen Kontext gehört auch das Erfinden von Identitäten, die es Tristan nicht nur ermöglichen, in die Zivilisation zurückzufinden, sondern auch an den Markehof zu gelangen und dort eine für ein Kind ungewöhnliche Karriere zu beginnen und den Schritt in die Erwachsenenwelt zu vollziehen. Tristan beherrscht die Feinheiten höfischer Kommunikation in Perfektion; sein gesamtes Auftreten ist von Souveränität geprägt. Dies zeigt sich sowohl dann, wenn er sich in einem Fachbereich komfortabel auskennt, als auch in schwierigen Situationen, in denen er sich ausgeliefert fühlt. So ist Tristan in der Wildnis erst einmal hilflos und das spiegelt sich auch in seinen Redebeiträgen, aber nur inhaltlich, nicht in seiner Art Gerok-Reiter (2009: 125) sieht Tristans Einzigartigkeit darin begründet, dass er „traditionell anerkannte Fähigkeiten besonders früh in ungewöhnlich souveräner Weise beherrscht.“ Indem das Kind die höfischen Normen nicht verlässt, sondern repräsentiert, ist es schon „als Kind […] ein vollkommener Erwachsener und eben deshalb die Ausnahmeerscheinung, die den Helden als solchen indiziert.“
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zu kommunizieren. Auch Gott gegenüber tritt Tristan souverän auf und kommuniziert sehr direkt. Eine Scheu vor ihm höheren Instanzen legt Tristan nicht an den Tag, dies betrifft sowohl seine Kommunikation mit Gott als auch in der weltlichen Sphäre die Gespräche mit dem Jägermeister: Beiden gibt er Anweisungen im Imperativ und macht seine Bedürfnisse, Meinungen und seine Anliegen selbstbewusst klar und stellt auch Forderungen. Die Geschehnisse, an denen Tristan in seiner Jugend aktiv beteiligt ist, werden immer zunächst durch seine Reden ausgelöst, so dass Tristans Reden und sein dazugehöriges Gebaren als Handlungsinitiatoren wirken und die Romanhandlung wesentlich voranbringen. Im Gesamtkontext des Romans fällt auf, dass viele der Verhaltensweisen und Maskeraden, derer sich Tristan im Verlauf der Narration bedient, bereits hier angelegt sind. Tristan wird auch als erwachsener Held auf die Rolle des Kaufmanns zurückgreifen, um seine Identität zu verstecken, und auch dann wird diese Maskerade nur eine Weile aufrecht zu erhalten sein, weil Tristans ganze Erscheinung diese Maskerade Lügen straft und das Kaufmannsbild nicht mit dem idealisiert dargestellten Helden übereinstimmen kann. Auch Redestrategien, in denen Tristan mit dosierten Informationen arbeitet und andere zum Nachfragen nötigt, gehören im weiteren Romanverlauf zu Tristans gängigem Repertoire, durch das er Gespräche lenkt und es schafft, die Spannung auf die von ihm gewünschten Informationen zu steigern. Durch diese Strategie bündelt er überdies die Aufmerksamkeit auf sich und versteht es, seine besondere Bildung auszustellen. Die wichtigsten Eigenschaften Tristans, die über die Figurenrede dargestellt werden, sind wohl seine kommunikative Geschicklichkeit und seine vorbildliche Höfischkeit. Tristans Sprachgeschick zeigt sich in seiner Fähigkeit, Figuren und Situationen einzuschätzen und Gespräche somit kalkulierbar zu halten und über Sprachstrategien zu beherrschen. Seine Höfischkeit präsentiert Tristan durch eine Kombination aus Bildung und Bildungsdarstellung sowie seinem eingestreuten Understatement, das seine Überlegenheit gar nicht kaschieren, sondern noch stärker – aber eben auf höfische Weise – betonen soll. Tristans Sprache ist höfisch, sie zeugt von Sprach- und Sprechtalent, weist seine Findigkeit aus und ist immer wieder durch ihren Zuschnitt auf die jeweilige Situation und Konstellation gekennzeichnet, durch die sie dem jeweiligen Kontext adäquat wird.
1.2 Tristan am Markehof Der Markehof ist für Tristan ein wichtiger Bezugsort: Dort nimmt sein Leben in der vorehelichen Zeugung seinen Ursprung. Als Kind kehrt er mit einer erfundenen Identität dorthin zurück, erfährt die Wahrheit über seine Herkunft und wird zu Markes Thronerben, so dass er sein eigenes Land aufgeben wird, um sich am Markehof zu vervollkommnen. Es ist der Ort, an den er Isolde als Braut für seinen Onkel bringen soll und den er mit ihr als Geliebte erreicht, an dem er sein Liebesleben aber gerade nicht wirklich ausleben kann, so dass er ihn für und wegen der verbotenen Liebe
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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immer wieder verlassen muss und zu dem er immer wieder zurückkehren wird. Der Hof ist der zentrale Ort für Tristan, der immer wieder Ausgangspunkt und Ziel der verschiedenen Stationen in seinem Leben ist.¹⁷⁸ Im Folgenden sollen nun verschiedene Aufenthalte Tristans am Markehof betrachtet werden. Beginnend soll Tristans Aufstieg betrachtet werden, der mit der Aufklärung über seine tatsächliche Herkunft durch Rual und die Ernennung Tristans zum Erben Markes einen vorläufigen Höhepunkt findet. Hierauf soll ein Blick auf Tristans Sprachverhalten im Kontext der Gefährdung seiner Stellung bei Hofe zwischen den Irlandreisen gelegt werden. Abschließend soll Tristans als Liebender am Markehof zwischen List und Leiden analysiert werden.
1.2.1 Tristans Aufstieg am Markehof Tristans Aufstieg am Markehof durchläuft verschiedene Etappen, die teils durch ihn, teils durch andere Figuren ausgelöst werden. Seine Etablierung beginnt bereits, indem er von Marke das Hofamt des Jägermeisters übertragen bekommt (vgl. III.II.1.1: 115 – 116). Durch die Präsentation weiterer Fertigkeiten kann er zu Markes Vertrautem aufsteigen. Schließlich ermöglicht Ruals Herkunftsbericht Tristan nicht nur den Empfang der Schwertleite, sondern auch die Teilhabe an der königlichen Erbfolge. Mit dem Morold-Kampf (vgl. III.II.1.3.2: 179 – 201) wird Tristan dann einerseits in seiner vollkommenen Überlegenheit dem Hof gegenüber gezeigt, gleichzeitig wird mit der Verwundung bereits Tristans Ausschluss aus der höfischen Gemeinschaft eingeleitet. In diesem Kapitel wird Tristans Aufstieg, der auf seiner Identitätskonstruktion und seinen Inszenierungen beruht, bis zum Eintreffen Ruals untersucht, bis zu dem Zeitpunkt also, als Tristan selbst nicht mehr Erzähler ist, sondern Rezipient seiner eigenen Geschichte wird. Nachdem Tristan bei seiner Ankunft am Hof Teil von des küneges ingesinde (Tr 3395) geworden ist, kommt es zu verschiedenen Präsentationen seiner Fertigkeiten; er muss sich nun auch vor Marke beweisen. Zunächst soll er dies tun, indem er Marke zur Jagd begleitet und auf dessen Aufforderung hin entsprechend seines Amtes als Jägermeister seine jagelist (Tr 3422) vorführen soll. Schon in seiner Reaktion auf diese Aufforderung zeigt sich Tristans geistige Überlegenheit über Marke: Er kann es sich erlauben, den König darauf hinzuweisen, dass er irrt, so dass er dessen Befehl verweigert (Tr 3426 – 3437):
Küsters (1986: 141) grenzt den Markehof vom Artushof ab und hebt so seine Bedeutung im Roman hervor. In Letzterem erkennt er eine „Funktion im poetischen System“, einen „statische[n] Bezugsrahmen für den ritterlichen Helden“, während dem Markehof als „ständige[m] Ort der Handlung“ eine quasi aktive Rolle „am Handlungsverlauf“ zukommt und der Hof „wie eine menschliche Gestalt mit den Hauptfiguren in eine eigentümliche, oft wechselseitige Interaktion [tritt].“ (Vgl. außerdem Sosna 2003: 237).
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„nein hêrre, ezn mac sô niht ergân.“ sprach aber der höfsche Tristan „heizet die jegere kêren dan, die suln die warte sâzen und suln von ruore lâzen. die erkennent hie ze lande sich und wizzent michel baz dan ich, wâ der hirz hin ziuhet und vor den hunden vliuhet. die erkennent die gelegenheit. sô bin ich, der hie nie gereit, und bin mitalle ein vremede kneht.“
Sein Widersetzen offenbart, wie schon die vorangegangene Jagdepisode, Tristans Souveränitat. Seine Rede wird durch das ruhige Verweigern des Befehls eingeleitet. Hierbei hält er sich insoweit an die Vorgaben höfischer Kommunikation, als er Marke standesgemäß mit hêrre anspricht. Er stellt klar, dass das, was der König gefordert hat, so nicht passieren kann. Auf diesen zwar schlichten, aber hierarchisch eigentlich unerhörten Einwand Tristans auf den ersten von Marke hier in direkter Rede dargestellten Befehl an seinen neuen Jägermeister folgt ein inquit, das Tristans hövescheit betont. Im Vergleich dazu scheint jedoch die Art und Weise, wie Tristan weiterhin mit Marke kommuniziert, noch unerhörter: Ähnlich wie in der ersten Jagdepisode gegenüber dem Jägermeister und seinen Jägern gibt Tristan jetzt Marke Anweisungen, wie er vorzugehen hat (vgl. Schausten 2011: 158; Tr 2794; III.I.1.1: 104– 112). Er wagt es somit nicht nur, einem durch Alter und Hofamt Höhergestellten Anordnungen im Imperativ zu geben, sondern gibt sogar dem Höchsten am Hof, dem König selbst, Befehle. Marke soll seinen Jägern Anweisungen geben, wie sie weiter zu verfahren haben. Somit befehligt Tristan über Marke die Jäger gleich mit. Tristan formuliert noch vor den Jägern, was diese zu tun haben, Marke wird Tristans Anweisungen nicht als Befehl wiederholen müssen, seine Zustimmung zu Tristans Äußerungen reicht aus. Im Prinzip ist also Tristan derjenige, der den Befehl gibt. Erst nachdem Tristan seine Anweisungen ausgesprochen hat, erläutert er Marke, warum er sich seinem Befehl nicht fügen will: Während die Jäger sich in der Gegend auskennen, ist Tristan fremd und kennt entsprechend das Terrain nicht. Tristans Argumentation ist überzeugend. Er erweist sich in der Situation als deutlich reflektierter als Marke. Bereits in dieser kleinen Passage deutet sich an, was in den folgenden Reden immer deutlicher zutage treten wird: Tristan ist Marke intellektuell überlegen. Auch, wenn aus Perspektive der ständischen Ebene eine Asymmetrie der Kommunikation dadurch gegeben ist, dass Marke als König Tristan hierarchisch überlegen ist, so ist die eigentliche nicht nur kommunikative Asymmetrie die, dass Tristan Marke intellektuell und sprachlich stets übertrifft. Auf diese Weise ergibt sich ein chiastisches Verhältnis von Macht und Intellekt. Im vorliegenden Fall gesteht Marke seine Gedankenlosigkeit ein, wie aus der Formulierung seiner Antwort hervorgeht (Tr 3438):
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daz weiz got, Tristan, dû hâst reht.
Tristan nimmt seiner Rede abschließend die mögliche Brisanz, indem er das soziale Verhältnis betont, in dem er zu Marke steht, und sich konträr zu seiner Rede, in der er sich sprachlich wie ein Herrscher verhält, als ein vremede kneht bezeichnet. Somit nutzt er seine sozial-funktionale Bezeichnung für einen Unterwerfungsgestus, mit dem er Markes Vorrangstellung hervorhebt und so trotz aller Souveränität und herrscherlichen Sprachgewalt mit topischer Bescheidenheit die höfische Ordnung wahrt. Eine der Schlüsselszenen in der Darstellung von Tristans Aufstieg ist die Musikvorführung am Hof, in der Tristan sein musisches Geschick mit seinem Talent für Sprache und Sprachen verbinden und vorführen kann. Wie schon im Umgang mit Markes Jagdgesellschaft ergreift Tristan die Initiative und übernimmt durch sein strategisch-manipulatives Sprechen die Gestaltung der Situation. Bereits der Beginn der Szene verdeutlicht Tristans Drang, sich darzustellen: Als er einen Harfner, von Gottfrieds Erzähler als meister sîner liste (Tr 3511) bezeichnet, hört, sucht er dessen Nähe und hört ihm aufmerksam zu, bis er nicht mehr an sich halten kann und den Harfner noch mitten im Stück anspricht (Tr 3522– 3531): waere ez im an den lîp geboten, ern möhte ez niht verswigen hân: sîn muot begunde im ûf gân, sîn herze daz wart muotes vol. „meister“ sprach er „ir harpfet wol. die noten sint rehte vür brâht, senelîche und alse ir wart gedâht. die macheten Britûne von mînem hêrn Gurûne und von sîner vriundinne.“
Die Dringlichkeit, die das Sprechen für Tristan hat, wird eindrücklich hervorgehoben, indem der Erzähler betont, dass nicht einmal die Androhung der Todesstrafe ihn davon hätte abhalten können. Tristans ganzer Sinn und sein Herz sind voll von der Stimmung, die die Musik bei ihm auslöst.¹⁷⁹ Zu erwarten wäre hier eine emotionale Rede, die ausdrückt, wie sehr die Musik Tristan bewegt. Tatsächlich kontrastiert seine Rede den Zustand der emotionalen Ergriffenheit, denn Tristan stellt sehr nüchtern Lieb (2002: 63) stellt heraus, dass es für diese Situation des „poetisch-literarischen Vortrags um 1200 wohl noch keine festen sozialen Arrangements gibt.“ Dies macht er u. a. daran fest, dass der Vortrag zwar räumlich fest situiert ist, jedoch neue Zuhörer zum Vortrag hinzukommen können und vor allem daran, „daß dieser neue Zuhörer [d. i. Tristan, A.K.] im folgenden [!] sogar in den Vortrag des harfaere hineinreden kann, ohne daß dafür irgendwelche Hemmschwellen überschritten werden müßten oder Sanktionen bereitstünden.“ Hier ist jedoch festzuhalten, dass die Möglichkeit von Sanktionen durchaus angedeutet wird, wenn betont wird, dass nicht einmal die Todesstrafe Tristan von seiner Rede hätte abhalten können.
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fest, dass der Harfner ein guter Spieler ist, dass er die Melodie¹⁸⁰ richtig spielt und den sehnsüchtigen Ton des Stück treffend interpretiert. Dazu gibt er noch Informationen über die Herkunft und das Thema des Stückes, das er als Lai Guiron nennt.¹⁸¹ Eine Gefühlsregung ist nicht zu erkennen, vielmehr tritt Tristan als Kritiker auf, der die Darbietung bewertet und auf diese Weise seine Sachkunde offenbart (vgl. auch Hermann 2006: 144). Hermann (ebd.) beurteilt dieses Verhalten Tristans, durch das er – wie stets – die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zieht, als gleichermaßen „geschickt und diskret.“ Geschickt agiert Tristan sicherlich, aber von Diskretion lässt sich schwerlich sprechen, wenn ein musikalischer Vortrag durch Reden mit dem Musiker unterbrochen wird und dies zudem mit einer Bewertung desselben – der zudem nicht irgendein Musiker, sondern ein meister ist – einhergeht, egal, wie dieses Urteil ausfällt. Tristan zieht so m. E. auf geradezu aufdringliche Weise die Aufmerksamkeit vom Harfner ab und lenkt sie auf sich, gleichermaßen versucht er mit einer kommunikativen Strategie (vgl. auch Seitz 1979: 238 – 239), die einen Eindruck seiner Kenntnisse vermittelt und mit der er (bei den Jägern) auch schon erfolgreich war, eine Reaktion des Harfners zu provozieren, durch die er wiederum in die Lage gelangen würde, seine Kenntnisse vertiefend vorzuführen. Der Harfner jedoch ignoriert Tristans Äußerungen zunächst und beendet den leich (vgl. Tr 3528 – 3531). Erst danach wendet er sich Tristan zu und fragt ihn, woher er die Melodie kenne und „ob er etwas von dieser Kunst verstehe“ (Hermann 2006: 144). Tristans Antwort ist „bescheiden[ ] und zurückhaltend[ ]“ (ebd.) (Tr 3536 – 3539): „jâ schoener meister“, sprach Tristan „ich haete es hie vor meisterschaft. nû hât ez aber sô cleine craft, daz ich vor iu niht engetar.“
Seine Rede ist höfisch gestaltet.Wie schon in der ersten Rede an den Harfner spricht er ihn seinem Status entsprechend als meister an, wobei er seine Anrede in der zweiten Rede mit der Antwortpartikel jâ verknüpft und durch das Adjektiv schoener ergänzt, wodurch er auf höfische Weise seine Achtung gegenüber dem ‚herrlichen Meister‘ und seinen Fähigkeiten zum Ausdruck bringt. Während der Meister Tristan als kint anspricht und duzt (vgl. Tr 3533 – 3546), ihrzt Tristan den Meister.¹⁸² Er gibt an, einst selbst sehr gut Harfe gespielt zu haben, und wechselt in einen Bescheidenheitstopos. Er relativiert seine Fähigkeiten, indem er mit Kalkül konstatiert, dass er sich nicht Mit Bezug auf das BMZ (II/1: 417b), in dem vermerkt ist, dass „note das in Frankreich übliche wort für instrumentalweise“ ist, hält Krohn (112006 (III): 74– 75) fest, dass der „Begriff hier zu verstehen [ist] als Synonym für den Leich (‚Melodie‘).“ „Der afrz. Lai Guiron behandelt die Geschichte eines Ritters, der wegen der Liebe zu seiner Dame von deren Ehemann getötet wird und dessen Herz ihr zum Essen vorgesetzt wird. Das Motiv vom ‚gegessenen Herzen‘ war in der mittelalterlichen Literatur sehr beliebt[.]“ (Krohn 112006 (III): 75). Das Duzen und Ihrzen ist im Tristan sehr genau und bewusst gestaltet und bildet Hierarchieverhältnisse und soziale Ebenen deutlich ab.
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traue, vor dem meister zu spielen. Dies ist ein geschickter Zug: Tristan nimmt dadurch implizit eine Spielaufforderung vorweg und mehr noch: Er fordert diese regelrecht ein, gerade auch in Kombination mit seinem in der ersten Rede präsentierten Wissen um die Musik und die Art und Weise, wie diese gespielt werden soll. Tristan kann das Repertoire seiner Künste hier öffentlich um eine Komponente erweitern, er weiß um das Interesse des Hofes an seinem Können. Auf die Aufforderung des Harfners, sich ein Instrument zu nehmen und die Musik, die in Parmenien gespielt wird, vorzuspielen, ziert Tristan sich nur halbherzig (Tr 3543 – 3545): „gebietet ir daz, meister mîn, und sol ez mit iuwerm urloub sîn, daz ich iu harpfe?“ sprach Tristan.
Tristan stellt zum wiederholten Mal seine Höfischkeit und auch seine Klugheit unter Beweis: Denn er suggeriert durch das Rückversichern, dass er auf den Wunsch des Harfners hin agiert und fordert, wie zuvor schon Marke, den Harfner „in klarer Regieführung […] zu dieser Form des Gebietens heraus[ ]“ (Gerok-Reiter 2009: 130), um so die Facetten seiner gewählten Identität auf eine Weise anzureichern, die ihn für den Hof umso attraktiver und unentbehrlicher erscheinen lässt. Tristans Harfenspiel fremder Melodien, eingeleitet durch das vorige Stimmen der Harfe¹⁸³, ist gekennzeichnet durch einen Wechsel von Liedern und Improvisationen und lockt den gesamten Hof herbei. Marke beobachtet die Szene und wunderte in des sêre, / daz er [d. i. Tristan, A.K.] sô höfsche lêre / und alsô guoten liste, / die er an im selben wiste, / alsô verhelen kunde (Tr 3579 – 3583). Dieser Erzählerkommentar verdeutlicht, wie stringent Tristans Verhalten in sich ist und wie sehr seine Handlungsstrategie mit seiner kommunikativen Strategie übereinstimmt: Tristan vergibt durch Rede und Handlung immer erst stückweise neue Informationen über sich und erweckt so die Aufmerksamkeit und das Interesse an seiner Person. Er setzt auf diese Weise immer wieder neue Maßstäbe, denen nur er gerecht werden kann, und weckt, indem er durch seine „Vorführungen im Zusammenspiel mit seinen fachbegrifflichen Erläuterungen die Gesellschaft mehr und mehr in den Zustand bewundernden Staunens versetzt“ (Schausten 2011: 160)¹⁸⁴, das „soziale[ ] Begehren“ (ebd.) der Höflinge. Tristan baut auf diese Weise seinen Status bei Hof weiter aus. Nachdem Tristan auf Markes Anordnung hin weitere Lieder gespielt hat und der Hof in immer größere Bewunderung verfällt, lässt Marke Tristan zu sich rufen, lobt Tristan stimmt die Harfe rehte als er si wolte hân. Jaroschek (2012: 49) hält für die Parallelstelle in der Tristrams saga ok Ísöndar fest: „Er nimmt die Harfe nicht nur, sondern stimmt sie vorher ausdrücklich. Dies könnte zum einen darauf hindeuten, dass die tatsächliche musikalische Praxis bekannt war, zum anderen aber auch auf das christliche Motiv des Instrumenten-Stimmens zurückzuführen sein, das mit dem harfespielenden König David verknüpft ist.“ (Vgl. zur Davidparalle und ihrer Variation in dieser Episode auch Lähnemann 2007: 182– 183). Schausten (2011: 160) bezieht sich hier auf die Jagdepisode. Ihre Beobachtung lässt sich jedoch auf Tristans Inszenierung als höfischer Spielmann übertragen.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sein Spiel und beauftragt ihn damit, nachts, wenn Tristan nicht schlafen könne, für ihn zu spielen (vgl. Tr 3646 – 3655). Tristan erklärt sich einverstanden, woraufhin Marke ihn fragt (Tr 3656 – 3657): „nu sage mir, kanstû kein ander seitspil noch?“
Tristan antwortet hierauf „nein hêrre“ (Tr 3657). Marke glaubt Tristan aber nicht und hakt nach. Dass Marke sich mit Tristans Antwort nicht zufrieden gibt, ist mit Tristans Art und Weise, sein Können immer nur stückweise preiszugeben und zu präsentieren, begründet. Darüber hinaus legt Tristans außergewöhnliches Talent auf der Harfe nahe, dass seine musikalische Bildung sich nicht nur auf ein einzelnes Instrument beschränkt, sondern ebenso umfassend ist wie Tristans gesamte bis hierhin offenbarte Bildung. Markes Vermutung, dass Tristan weitere Saiteninstrumente beherrscht, wird dadurch offenbart, dass er die Frage nach Tristans weiterem musikalischen Können rhetorisch stellt und ihr dadurch Gewicht verleiht, dass er sie sie an Tristans Bindung zu sich selbst knüpft. Diese Bedingung ist als indirekte Aufforderung und Ermahnung, die ganze Wahrheit zu sagen, zu verstehen (Tr 3658 – 3660): „nû iedoch? rehte als lieb als ich dir sî, Tristan, dâ vrâge ich dich es bî.“
Tristan reagiert entrüstet und gekränkt auf Markes implizite Unterstellung, nicht wahrheitsgemäß geantwortet zu haben. Dies zeigt sich darin, dass er prompt antwortet. Er spricht Marke standesgemäß mit seinem Titel an, hält ihm aber vor, dass er ihn nicht hätte ermahnen dürfen. Erst nach dem Ausdruck seiner Empörung offenbart Tristan sein weiteres Können und bindet es so in die Darstellung seiner höfischen Bescheidenheit ein (Tr 3661– 3682): „hêrre“ sprach Tristan al zehant „irn dörftet mich niht hân gemant sô verre, ich seite ez iu doch wol, sît ich’z iu doch sagen sol und ir ez wellet wizzen. hêrre, ich hân gevlizzen an iegelîchem seitspil und enkan doch keines alsô vil, ine kunde es gerne mêre. ouch hân ich dise lêre niht vil manegen tac getriben und zwâre ich bin derbî beliben under mâlen kûme siben jâr oder lützel mêre, daz ist wâr. mich lêrten Parmenîen
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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videln und symphonîen. harpfen unde rotten daz lêrten mich Galotten, zwêne meister Gâloise. mich lêrten Britûnoise, die wâren ûz der stat von Lût, rehte lîren und sambjût.“
Tristan relativiert seine Aussage in einer Weise, mit der erneut sein besonderer Status herausgestellt wird, denn er bewertet sein Können nicht nach höfischen Maßstäben, sondern nach seinen eigenen, die sich als höher erweisen als die des Hofes: Er schätzt die Dauer seiner siebenjährigen höfischen Ausbildung als zu gering ein, um auf den Instrumenten die Güte zu erreichen, die er selbst als angemessen empfindet.¹⁸⁵ Somit wertet er sein Kunstkennen- und können im Rahmen der höfischen Ausbildung auf, indem er seine eigenen Ansprüche noch über die allgemein anerkannten stellt. Wie absurd Tristans vorgeschobene Bescheidenheit hier eigentlich ist, wird deutlich, wenn man den Aufbau seiner Rede betrachtet. Er zählt insgesamt sechs Saiteninstrumente auf, die er beherrscht, und ordnet diese seinen Lehrmeistern zu. Hierbei beginnt er zunächst mit heimischen Lehrmeistern aus Parmenien und bekannten Instrumenten, nennt dann walisische und bretonische Lehrmeister, so dass deutlich wird, mit wie viel – auch personellem – Aufwand seine musikalische Ausbildung erfolgt und wie exquisit sie ist. Die Aufzählung der Instrumente, die von im Mittelalter insgesamt populären Instrumenten wie videl und harpfe bis zu einem eher gewöhnlichen Instrument wie der rotte ¹⁸⁶ reicht, gipfelt schließlich mit dem sambjût in der Nennung eines äußerst exotischen Instruments. Dass Tristans Aufzählung mit der videl beginnt und mit dem sambjût endet, verdeutlicht Tristan kalkuliertes Sprechen. Wie auch im Falle des Jagdjargons beendet er seine Rede mit einem nicht geläufigen Fachausdruck: „Über die Bedeutung von sambjût gibt es nur Vermutungen. Das Wort ist so nur bei Gottfried belegt […].“ (Krohn 112006 (III): 80). Somit präsentiert Tristan hier nicht nur seine außergewöhnlichen höfischen Fertigkeiten und seine persönliche Exklusivität und Idealität, sondern verdeutlicht, dass er kulturell gebildeter ist als Markes Hof, und er lenkt das Gespräch, indem er sein Gegenüber geradezu zwingt, um eine Erläuterung zu bitten. Marke fragt nach – und Tristan antwortet, indem er weniger auf das Instrument, als vielmehr auf seine eigenen Fähigkeiten eingeht (Tr 3683 – 3684):
Dies ist umso bemerkenswerter, als Tristan eine außergewöhnlich gründliche Ausbildung erhält (vgl. Sassenhausen 2007: 161). Kästner (1981: 72– 73) interpretiert die Rotte als niederes Spielmannsinstrument. Steger (1961: 144) argumentiert vorsichtiger und hält fest, „daß nach der Vorstellung der Dichter und wohl auch ihres Publikums, Kaiser und Könige und wohl alle Adeligen wie auch die varnde diet die Rotte führen können.“ Darüber hinaus konstatiert er, „daß das Rottenspiel mit zur Ausbildung des jungen Fürsten und Adligen gehört.“ (Vgl. zur Rotte insgesamt ebd.).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
„sambjût, waz ist daz, lieber man?“ „daz beste seitspil, daz ich kan.“ ¹⁸⁷
Marke wiederholt die Frage, um welches Instrument es sich konkret handelt, nicht – der Hof und die Rezipienten bleiben darüber weiter im Unklaren. Dadurch erhält Tristans Können den Status des die Exotischen, Unbekannten, das sich einer Prüfung durch den Hof entzieht. Mit seinem gesanglichem Vortrag hat Tristan eine weitere Komponente seiner Ausbildung vorgeführt. Sein Singen zeichnet sich durch Mehrsprachigkeit aus, so dass Marke sich dazu veranlasst sieht, Tristans Ausbildung weiter auf den Grund zu gehen. Er zählt die Sprachen, in denen Tristan gesungen hat – Bretonisch, Walisisch, Lateinisch und Französisch (vgl. Tr 3691– 3692) –, auf und fragt, ob er diese denn auch beherrsche. Tristan bejaht die Frage, diesmal ohne sich weiter bitten zu lassen oder Bescheidenheitstopoi einzupflegen, gerade heraus (Tr 3693 – 3694):¹⁸⁸ „hêrre, jâ, billîche wol.“
Tristans Antwort wird durch die Anwesenden überprüft, und der Erzähler führt im folgenden Redebericht Tristans Fremdsprachenkenntnisse vor (Tr 3700 – 3703): hier under antworte er dô höfschlîche ir aller maeren: Norwaegen, Îrlandaeren, Almânjen, Schotten unde Tenen.
Das sind nun gerade nicht die Sprachen, nach denen Marke Tristan gefragt hat, sondern weitere, wobei allein die Anzahl an Sprachen, in denen Tristan reagieren kann, auf die Gesellschaft beeindruckend wirken muss. Tristans Antworten wird vom Erzähler als höfisch gewertet, so dass das Niveau, auf dem Tristan die Sprachen beherrscht, verdeutlicht wird (vgl. III.II.1.1: 96).¹⁸⁹ Als wie erstaunlich Tristans Können empfunden wird, manifestiert sich in der Reaktion der Hofgesellschaft. Nicht nur, dass die Höflinge sich Tristans Bildung wünschen und gerne so wären wie er (vgl. auch Classen 1994: 90), sie setzen sein Können vor allem in Bezug zu seinem Alter, für das Tristans Können ganz außergewöhnlich ist (vgl. Tr 3704– 3720). „Tristan ist somit als Kind schon ein vollkommener Erwachsener und eben deshalb die Ausnahmeerscheinung, die den Helden als solchen indiziert.“ (Gerok-Reiter 2009: 125, vgl. auch Anm. 50). Tax (1971: 30) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass „alles andere, auch das, was er soeben alles vorgeführt hat, […] also erst einen Vorgeschmackt [bedeutete].“ Tax (1971: 30) bewertet dies durchaus treffend als „glatte Antwort“. Der Umgang mit der Sprache ist die Voraussetzung für die weitere Ausbildung (vgl. Tr 2056 – 2067).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Tristan sichert sich durch das Zeigen seiner Fertigkeiten endgültig das Ansehen des Hofes und verfestigt seine Position; er wird von Marke zu seinem gesellen (Tr 3725) erklärt, wird mit weiteren Aufgaben betraut und reich beschenkt (vgl. hierzu Kästner 1981: 53). Tristans Kommunikation, sein Gebaren und das Vorführen seiner Künste erweisen sich, wie immer, als enorm erfolgreich (vgl. zusammenfassend zu Tristans Aufstieg Flecken-Büttner 2011: 95). Tristans gesamtes Auftreten auf seinem Weg zum Markehof und am Markehof bis zur Festigung seiner Position dort zeichnet sich dadurch aus, dass Tristan immer wieder seine Idealität vorführt, inszeniert und andere so lenkt, dass diese seine Idealität geradezu abfragen (müssen) und ihm somit dazu verhelfen, eine ideale Identität zu konstruieren.¹⁹⁰ Um die exklusive Idealität als Identität inszenieren zu können, braucht Tristan ein Publikum, das in der Lage ist, die Idealität zu erkennen und anzuerkennen, das sich aber genauso von der Konstruktion einnehmen und blenden lässt und Tristan nicht hinterfragt. Tristan wiederum muss in der Lage sein, sein Publikum zu steuern und auf subtile Weise so zu lenken, dass das an ihm geweckte Interesse immer wieder zu dem Bedürfnis der Anwesenden führt, mehr von dem Wunderkind erfahren zu wollen. Auf diese Weise kann Tristan den Rahmen des höfischen Kommunizierens für sich nutzbar machen, um das bisher Gezeigte immer noch zu überbieten und ergänzen. Dabei überreizt er zwar teilweise den kommunikativen Rahmen, aber immer nur soweit, dass er am Ende durch das Provozieren des Nachfragens oder im vermeintlich (zu) direkten Umgang mit dem Herrscher seine Höfischkeit eben nicht in Frage, sondern umso eindrucksvoller unter Beweis stellt. Mit seinem Status als geselle des Königs hat Tristan eine Stellung in unmittelbarer Nähe des Königs erreicht (vgl. III.II.2.1.3: 270 – 273). Seinen Status bei Hof hat Tristan sich bis hierhin selbst erarbeitet und sich dabei als Regisseur (vgl. Gerok-Reiter 2009: 130) seines Schicksals erwiesen. Tristans weiterer Aufstieg vollzieht sich nun nicht aus eigenem Antrieb, sondern durch das Einwirken einer anderen Figur: Durch seinen Ziehvater Rual, der Tristan als Erzähler seiner Identität ablöst und diese aufdeckt.Vier Jahre nach Tristans Entführung gelangt Rual nach Tintajoel. Tristan ist nun kein Kind mehr, sondern steht als junger Mann kurz vor der offiziellen Initiation durch die Schwertleite (vgl. Tr 3912– 3924). Die Begegnung zwischen Rual und Tristan fällt sehr emotional aus. Ein alter Höfling richtet Tristan auf Wunsch des durch die Reise verwahrlosten, unhöfisch erscheinenden Ruals aus, dass ein sîn lantman waere dâ (Tr 3935). Tristan eilt sofort zu ihm. Sein Gruß ist eingebettet in die Schilderung Tristans „in einem seiner glücklichsten Momente“ (Flecken-Büttner 2011: 174) (Tr 3936 – 3945):
„Dieser Konstruktionscharakter sozialer Identität hat weitreichende Folgen. Als konstruierte Identität erscheint die superlative Erfüllung der Norm in ihrer Idealität in Frage gestellt. Der inszenatorische Charakter der so konstruierten Identität entlarvt sie als bloße Schaustellung an der Oberfläche.“ (Gerok-Reiter 2006: 158).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristan der kêrte dar iesâ, und al dâ mite daz er’n gesach, mit herzen und mit munde er sprach: „Nu müeze unser trehtîn iemer gebenedîet sîn, vater, daz ich dich sehen muoz!“ diz was sîn alrêrster gruoz. dâ nâch lief er in lachende an und kuste den getriuwen man, als ein kint sînen vater sol.
Die Szene ist beherrscht von der Darstellung der Zuneigung, die Tristan für Rual empfindet. In der Redeeinleitung wird die Emotionalität der Situation hervorgehoben, indem betont wird, dass Tristan mit herzen und mit munde spricht. Auch die Rede selbst ist emotional gestaltet, was einerseits durch den Lobpreis Gottes verdeutlicht wird, andererseits durch den an den Vater adressierten Ausruf, mit dem ehrliche Dankbarkeit ausgedrückt ist, den Vater (endlich) wiedersehen zu dürfen. Auf diesen alrêrste[n] gruoz folgt ein weiterer, nonverbaler, der durch seine Dynamik der eigentliche Vermittler von Tristans Glück ist: Tristan läuft lachend und gelöst auf seinen Vater zu und küsst ihn. Dass es sich hierbei nicht alleine um einen zeremoniellen Begrüßungskuss handelt, sondern damit die enge Verbindung der beiden ausgedrückt wird, wird durch den Erzählerkommentar verdeutlicht, dass sich dieses Verhalten für ein Kind seinem Vater gegenüber gehört. Die Beziehung der beiden wird auf diese Weise für den Rezipienten in den Mittelpunkt gerückt. Die Emotionalität des Wiedersehens lässt sich auch im folgenden Gespräch beobachten: Zunächst wird die Bedeutung, die Rual für Tristan hat – er steht für vater, muoter, mâge, man (Tr 3953), also Tristans Heimat, die durch ihn präsent und greifbar wird – akzentuiert. Weiter wird Tristans Sprechen im inquit zu seiner folgenden Rede als inneclîche (Tr 3956) bezeichnet. Er spricht seinen Vater kosend als trût vater mîn (Tr 3971)¹⁹¹ an und es kommt zu einem verhältnismäßig schnellen Sprecherwechsel, der z.T. ganz auf Redeeinleitungen verzichtet und im Verlauf der Rede kurzfristig stichomythische Züge annimmt.¹⁹² Auch, dass Tristan trotz Ruals heruntergekommenen Zustandes darauf besteht, dass dieser ihn zu Marke begleiten soll¹⁹³, zeigt, wie dringend und drängend es für Tristan ist, Rual Marke vorzustellen (vgl. insgesamt Tr 3952– 3992). Auf Markes Frage hin führt Tristan Rual als seinen Vater ein (vgl. Tr 4016 – 4019), und dies zieht
Hierbei handelt es sich um eine Wiederaufnahme der Anrede trût sun (Tr 3960) durch Rual, wodurch die Beziehung der beiden Sprecher hervorgehoben wird. Es handelt sich nur um eine kurze Frequenz, so dass der Effekt unter ästhetisch-rhetorischen Gesichtspunkten nicht überzubewerten ist. Hier wird durch den schnellen Sprecherwechsel, durch die kurzfristige Zeilenrede, eine Intensivierung des Gesprächs erreicht und somit die Erregung der Sprecher veranschaulicht (vgl. zu Stichomythien in der mittelhochdeutschen Zeit z. B. Becker 2009: 116 – 131; Müller 2007). Auch Classen (1994: 91) hebt die Intensität und Intimität des Gespräches hervor. Ruals Erscheinung steht dem Bild höfischer Idealität vollkommen entgegen, er ist unhovebaere (Tr 4029) und befindet sich in einem auf Überwindung angelegten Zustand der Inadaequatio.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
129
zunächst ein Erstaunen unter den Höflingen nach sich, da Ruals Erscheinen nicht zu den Schilderungen Tristans in seinen Identitätsberichten passt (vgl. Tr 4051– 4060). Während Tristan vor Ruals Ankunft die Szenerie am Markehof auch verbal dominiert, wird er nun sehr zurückgenommen geschildert und ausschließlich sein Gebaren dargestellt. Zwar kann und muss Tristan sich hier nun keine Identität mehr schaffen und sich selbst nicht darstellen, dennoch wird eine – die richtige – Erzählung über Tristans Herkunft im Folgenden im Zentrum stehen. Rual gibt Tristan und der Hofgesellschaft den wahren Sachverhalt bekannt: Er schildert das Schicksal Riwalins und Blanscheflurs zunächst in einem 40 Verse umfassenden direkten Bericht (4172– 4212) und dann in einer 26 Verse langen Passage indirekter Rede (4235 – 4261), die mit ihrer großen Anzahl von Konjunktionen schon syntaktisch andeutet, daß ihr inhaltlicher Spielraum sehr viel weiter ausgreift und größere Zusammenhänge nur in stichwortartigen Abbreviaturen bringt. (Grosse 1970: 297)
Tristan bleibt während des Herkunftsberichts stumm. Die Neuigkeiten, die er erfährt, scheinen ihm zunächst die Sprache zu verschlagen. Dies ist besonders auffällig, weil Tristan gewöhnlich derjenige ist, der den Verlauf der Konversationen dominiert und leitet. Auf die Aussage Ruals, dass Tristan ihm vremede (Tr 4138) sei, fragt nicht Tristan nach, sondern Marke, und auf Ruals anschließende Aussage hin, ich bin sîn man (Tr 4145), bleibt Tristan ebenfalls stumm: „Ein im Reim angebundener Vers genügt, um Tristans unmittelbare Reaktion eindrücklich zu zeigen: Tristan erschrac und sach in an (Tr 4144).“ (Flecken-Büttner 2011: 176). Tristan, dessen Auftreten sonst gerade durch sprachliche Souveränität bestimmt ist, die ihm dazu verhilft, Situationen zu meistern, wird hier im unmittelbaren Zustand des Schocks geschildert. Er kann zunächst nicht aktiv auf das Gehörte reagieren, sondern bleibt, wie der Rest des Hofes, auf Rual angewiesen, um eine Ausführung und Auflösung des hier Angedeuteten zu bekommen.¹⁹⁴ Für den Hof bedeutet Ruals Ankunft die Dekonstruktion von Tristans konstruierter Identität, für Tristan bedeutet es die Dekonstruktion dessen, was er bislang für seine Identität gehalten hat: „Während Tristan am Markehof von Beginn an handelnd und wissend auftrat, wird er nun in einen Zustand der Unwissenheit versetzt. Für einen kurzen Moment ist er ohnmächtig, orientierungslos und nicht mehr Herr über sich selbst.“ (Hermann 2006: 152). Marke ist derjenige, der die Konversation mit Rual aufrecht erhält, und al diu massenîe, / Marke und sîn barûnîe (Tr 4165 – 4166) sind auch einige Verse später diejenigen, die Rual nach Tristans Identität fragen – Tristan selbst ist es gerade nicht, er bleibt, als es sein Innerstes, sein Selbst(verständnis) betrifft, außen vor, ist stiller Zuhörer, einer, über den berichtet wird.Wie passiv Tristan
Kaminski (2008: 16) wertet die Begegnung Tristans mit Rual hier als „Niederlage“ für den „auktorial sich selbst entwerfende[n] Tristan“, der in Rual „im wahrsten Sinne des Wortes seinem Meister [begegnet]: demjenigen, der ihn ‚erfunden‘ hat und dem es nun beliebt, an die Stelle der Fiktion eine andere Geschichte zu setzen, die fortan als wahr gelten soll. Damit ist dem autonom sich glaubenden ‚Autor‘ seiner selbst vollends der narrative Boden unter den Füßen weggezogen, vielmehr muß er sein Leben unversehens als ‚Verhandlungssache Dritter‘ [Zitat Schausten 2001: 38; A.K.] erfahren.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
bleibt, zeigt sich auch darin, dass er die Reaktionen der Hofgesellschaft, ihren Schmerz und ihre Rührung, nicht teilt, sondern sich seine Emotionen von denen der anderen unterscheiden. Er fällt in diesem Kontext also auch aus dem identitätsstiftenden Kollektiv des Hofes heraus. Tristan stimmt nicht in die Klage ein, denn er kann es in dieser Situation nicht, treffen ihn Ruals Ausführungen doch völlig unerwartet (Tr 4266 – 4269): niwan Tristan al eine, der enmohte es niht beclagen, swes er dâ gehôrte sagen. in kam diu rede ze gâhes an.
Tristan wird erst von Marke wieder in die Situation und Interaktion ‚hineingeholt‘, indem dieser ihn zu sich heranruft und ihn auffordert, ihn zu küssen und ihm verspricht, sein erbevater zu sein (vgl. Tr 4299 – 4301). Schausten (2001: 36) hält fest: „Die ordnungsstiftende Funktion, die Marke, Rual und die Zuhörenden der öffentlichen Erzählung von Tristans Biographie für sein Leben zuschreiben, stellt sich für den Helden selbst nicht ein.“ Dies zeigt sich darin, dass Tristan weder am kollektiven Gefühl der Hofgesellschaft partizipiert noch auf Markes Angebot eingeht und grundsätzlich vorerst stumm bleibt. Erst nach einem „persönlichere[n] Gespräch“ (Flecken-Büttner 2011: 177) Ruals mit Marke und einer darauf folgenden konkreten Ansprache Ruals an Tristan tritt dieser wieder aktiv auf, „zum ersten Mal in dieser Szene ergreift Tristan das Wort und verleiht seinem jetzt doppelten Schmerz Ausdruck“ (ebd.) (Tr 4362– 4377): Tristan der sprach: „ich hoere wol: sich machent disiu maere alsô, daz ich ir spâte wirde vrô. ich bin, alse ich hân vernomen, ze wunderlîchen maeren komen. ich hoere mînen vater sagen, mîn vater der sî lange erslagen. hie mite verzîhet er sich mîn. sus muoz ich âne vater sîn, zweier vetere, die ich gewunnen hân. â vater unde vaterwân, wie sît ir mir alsus benomen! an den ich jach, mir waere komen ein vater, an dem selben man dâ verliuse ich zwêne veter an: in unde den ich nie gesach.“
Tristan charakterisiert Ruals Bericht zuerst als das, was er für ihn ist: eine Erzählung, die er gehört hat, eine Geschichte, die eben zunächst nicht mit seinem Leben übereinstimmt. Indem Tristan sagt, er sei ze wunderlîchen maeren komen, ordnet er Ruals Bericht ähnlich ein wie der Erzähler zuvor Tristans Herkunftsbericht, mit dem er an
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
131
den Markehof gelangt (vgl. Tr 2694). Tristan betont in seiner Rede den Aspekt des Hörens, des Rezipierens also: Er leitet seine Rede durch die Wendung ich hoere wol ein, betont, dass die Geschichte auf ihn gekommen ist alse ich hân vernomen, und leitet auch seine Zusammenfassung der Erzählug durch die Wendung ich hoere […] sagen ein. Hierdurch betont er implizit zweimal, dass seine eigene Geschichte hier zu einer Geschichte aus zweiter Hand verkommen ist und distanziert sich auf diese Weise von Ruals Bericht, der für Tristan absurd sein muss. Diese Absurdität und Paradoxie des Gehörten (vgl. auch Hermann 2006: 153) verdeutlicht er auch, indem er betont, dass sein Vater (Rual) derjenige ist, durch den er vom Tod seines Vaters (Riwalin) erfährt. Tristans Rede thematisiert seinen Verlust und Gewinn, wobei der Verlust gerade durch den Gewinn eines weiteren Vaters (Riwalin) ausgelöst und der ihm als Vater bekannte Rual als Vater abgelöst wird, so dass der Verlust für Tristan ergo den Gewinn weit übersteigt. Dies mündet in seinen Ausruf â vater unde vaterwân, / wie sît ir mir alsus benomen!, mit dem auch Tristan endlich klagen kann; allerdings beklagt er nicht, wie zuvor die Hofgesellschaft, das Schicksal seiner Eltern – der Verlust der Mutter spielt ohnehin keine Rolle in Tristans Äußerungen (vgl. auch Lenschen 1991: 213) –, sondern Thema seiner Klage ist sein eigener Verlust.¹⁹⁵ Das, was Tristan vor der Hofgesellschaft von Rual gehört hat, bedeutet für ihn nicht nur den Verlust zweier Väter und des damit verbundenen „subjektive[n] Vaterbild[es]“ (Lenschen 1991: 213), sondern insgesamt die „Infragestellung seines bisherigen Lebens, seines biographischen Ortes und seiner biographischen Zeit, welche für den Helden hier durch eine Erzählung ersetzt werden“ (Schausten 2001: 37). Insofern erscheint es passend, dass Tristan thematisiert, dass er Rual der Hofgesellschaft offenkundig fälschlich als seinen Vater vorgestellt habe und distanziert sich in seiner Formulierung an dem selben man von Rual, dessen Status er in seinem persönlichen Beziehungsgefüge in diesem Kontext nicht wirklich einordnen kann.¹⁹⁶ Für Tristan entsteht durch Ruals Rede eine „Identitätslücke“ (Hermann 2006: 153), die erst durch einen Ersatzvater – Marke – geschlossen werden kann. In seiner Antwort verdeutlicht Rual nicht nur, dass Tristan durch Marke doch einen neuen Vater gewonnen habe und er auch Tristans Vater sei, er macht Tristan auch darauf aufmerksam, dass seine Enthüllungen für ihn einen gesellschaftlichen Aufstieg bedeuten und leitet so zur Thematik der Schwertleite über. Durch die Schwertleite wird nicht nur Tristans sozialer Aufstieg manifestiert, sondern auch der offizielle Übertritt in die Welt der Erwachsenen vollzogen – insofern stellen Vaterverlust und -gewinn einen erneuten und zwar harten Bruch mit Tristans Kindheit dar. Dieser aber ist notwendig für Tristans weitere Entwicklung (vgl. auch Zotz 2006: 101). Anders als Tristan nimmt Marke seine neue Rolle direkt an, wie die Anrede zeigt; er tituliert Tristan nun als neve (Tr 4402) und fragt ihn nach seiner Meinung hin Zotz (2006: 91) hält fest, dass sich hier keine „Vaterliebe“ äußert, sondern Tristan „das traurige Geschick des Vaters […] und sein eigenes Schicksal als Waise“ beklagt. Auch Stein (1977: 306) betont die „prägnante, aber unpersönliche Ausdrucksweise“ dieser Textstelle.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sichtlich der Zulassung zur Schwertleite. „Wie die Hofleute und Marke läßt sich auch Tristan auf dieses Thema ein, in gewählten Worten demonstriert er, daß er für diesen Schritt die rechte Gesinnung hat.“ (Flecken-Büttner 2011: 178). Tristans Rede ist nun nicht mehr von Verwirrung und Unverständnis geprägt, sondern zeichnet sich wieder durch enorme Souveränität und hövescheit aus. Dies beginnt damit, dass er Marke im höfisch-formalen Rahmen verhältnismäßig vertraulich als trût hêrre (Tr 4405) anspricht. Auch ihrzt er ihn weiterhin.¹⁹⁷ Die Ausführungen seiner 40 Verse umfassenden Rede (vgl. Tr 4405 – 4445) beginnt Tristan nach der Anrede Markes mit einem konditionalen Satzgefüge, in dem er verdeutlicht, unter welchen Bedingungen er gerne Ritter würde und klarmacht, dass er diese Bedingungen als nicht erfüllt ansieht. Als Voraussetzungen zur Ritterschaft nennt er einerseits rîlîches guot (Tr 4406) und andererseits die entsprechende Ausbildung, damit ritterlîchiu werdekeit / an mir niht würde nider geleit (Tr 4412– 4413), wobei er sich selbst eine mangelhafte Ausbildung attestiert und seine Jugend als untätig und nicht auf Ritterschaft ausgerichtet beschreibt – dass dies nicht vollständig den Fakten entspricht, ist den Rezipienten – innerhalb und außerhalb der Narration – und auch Tristan selbst bewusst.¹⁹⁸ Er stilisiert so seine Bescheidenheit und konstatiert, dass er sich für seine vertane Jugend Vorwürfe mache. Tristan leitet so geschickt zu einer Erläuterung der ritterlichen Fertigkeiten über und führt aus, was Ritterschaft ausmacht, denn senfte und ritterlîcher prîs / diu missehellent alle wîs (Tr 4427– 4428) und verdeutlicht, dass er auch in diesem Bereich ausgebildet ist (Tr 4430 – 4431): ouch hân ich selbe wol gelesen, daz êre will des lîbes nôt.
Tristan erklärt, dass er sich anders vorbereitet hätte, hätte er früher von der Möglichkeit gewusst, Ritter werden zu können, und verdeutlicht, dass er das Versäumte nachholen will und die entsprechende Reife für die Schwertleite mitbringt (Tr 4442– 4443): wan mîn dinc stât billîche wol an lîbe und an dem muote.
Tristan endet geschickt, indem er mit dem Appell an Gott schließt, er möge ihm zu den Mitteln verhelfen, um diesen Schritt auch tatsächlich vollziehen zu können (Tr 4444 – 4445):
Während Marke Tristan im gesamten Roman durchgängig duzt, bleibt Tristan beim Ihrzen. Der soziale Rang bleibt hier also konsequent abgebildet. Dass Tristan neben seiner Ausbildung, die er durch Rual genossen hat, am Markehof auf den Schritt der Schwertleite durchaus vorbereitet worden sein muss, zeigt sich bei Ruals Ankunft am Hof, als ihm dort der ältere Höfling über Tristan sagt (Tr 1918 – 1923): „[…] ein knappe ist hie gesinde, / der sol schiere nehmen swert / und ist dem künege harte wert, / wan er kan kunst genuoge / und erkennet manege vuoge / und manege höfschlîchiu dinc […].“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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got râte mir zem guote, daz ich mit muote vollevar!
Durch das Adressieren Gottes verdeutlicht Tristan einerseits, wie wichtig die Schwertleite für ihn ist, andererseits ist klar, dass dieser Appell sich mehr oder minder subtil an Marke richtet, ihn mit den entsprechenden Mitteln auszustatten, was dieser auch, unter Verweis auf Tristans Besitz des Reiches Parmenien, zusagt und gleichzeitig nutzt, um Tristan eine Lehrrede über die königliche Tugend der milte zu halten (vgl. Tr 4446 – 4488; III.II.2.2.1: 282– 284). Im Anschluss kann Tristan mit den Vorbereitungen zur Schwertleite beginnen.¹⁹⁹ Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Nach dem Schock über die neue Väterkonstellation, der zunächst in Sprachlosigkeit, dann in eine klagende Reflexion mündet, findet Tristan just in dem Moment, in dem ihm ein reizvolles gesellschaftliches Ziel präsentiert wird, zu seiner höfischen Form zurück, ebenso zu seiner sprachlichen Souveränität und Subtilität. Er kann sich der neuen Situation nicht nur anpassen, sondern sie auch sprachlich gestalten: Auf mehr oder minder subtile Art und Weise stellt er nicht nur erneut seine Höfischkeit und Sprachgewalt heraus, sondern formuliert auch seine Bedürfnisse auf eine Weise, die ihre Erfüllung nach sich zieht, ohne dass Tristan Marke gegenüber zum Bittsteller wird. Marke gewährt Tristans Wünsche, ohne direkt darum gebeten zu werden. Indem Tristan Gott als Instanz anspricht, artikuliert er sein Anliegen auf eine Weise, die es Marke ermöglicht, ihm das Prinzip der milte nicht nur zu erklären, sondern auch vorzuführen. Dadurch wiederum erfährt auch der König in der Öffentlichkeit Anerkennung und Ehre. Tristan kommuniziert erneut erfolgreich. Durch die Art seiner Rede veranschaulicht er, dass er den nötigen muot für die Schwertleite besitzt und die Voraussetzungen für diese erfüllt (vgl. Stein 1977: 310 – 311): Er kennt die Anforderungen des Rittertums, gleichzeitig zeugen seine Äußerungen von seiner Bescheidenheit und Wohlbedachtheit. Er kann seine Bedürfnisse artikulieren, ohne in Gefahr zu geraten, sein Gesicht zu verlieren, weil er seinen Wunsch um (materielle) Hilfe nicht an Marke, sondern an Gott richtet. Markes Belehrungen über die milte als königliche Tugend wiederum machen deutlich, dass Tristan die Reaktion Markes – insbesondere auf Basis des neu entdeckten Verwandtschaftsverhältnisses und Markes Zusicherung, Tristans erbevater sein zu wollen – einkalkulieren kann. Flecken-Büttner (2011: 178) fasst als Resultat von Tristans Rede zusammen, dass „Rual und Marke, Parmenien und Cornwall [es Tristan] ermöglichen […], ins Erwachsenenleben einzutreten.“ Wie auch
Fromm (1967: 334– 336) betont hier nicht nur die Gezieltheit von Tristans Rede, sondern unterstellt ob Tristans herausgestellter Bescheidenheit und Bravheit die aristotelische Ironie der Bescheidenheit. Stein (1977: 308) widerspricht dieser Deutung und stellt, m. E. überzeugend, klar, dass hier tatsächlich eine Stilisierung auf die Höfischkeit hin vorgenommen wird, die ihre Entsprechung in der Kleiderallegorie der Schwertleite findet. Er unterstreicht, dass Tristans Bildung bezüglich seiner Fähigkeit zu formulieren und seines Wissens um die „konventionellen ritterlichen Ideale“ hervorgehoben wird.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
an anderen Stellen, die die relevanten Veränderungen und Ereignisse in Tristans Leben anstoßen – so die Entführung aber auch die Überfahrten nach Irland – sind wichtige Stationen im Leben des Helden mit dem Wechseln, Verändern, Erfinden und Erfahren von Identitäten verknüpft. Schausten (2001: 38) ist zuzustimmen, wenn sie für den Tristan festhält, dass „[b]iographische Muster“ im Tristan gerade nicht zur „Stabilisierung von Identität“ eingesetzt werden, sondern „um gerade die instabile Identität des Helden zu erzählen und damit beständig zu bestätigen.“ Die Instabilität dieser Identitäten ist Grundlage dafür, dass Tristan einen beispiellosen Aufstieg am Markehof vollziehen kann, der zu dem Zeitpunkt, als er sein Ansehen aus eigener Kraft heraus kaum noch steigern kann, dazu führt, dass er nicht nur durch sein Verhalten, Aussehen und Können auch als Kaufmannssohn als höfisch eingestuft wird, sondern dass er sich auch als von Geburt an höfisch und von Stand erweist und somit zum Erben Markes aufsteigen kann. Gemein haben alle Identitäten Tristans hier jedoch eins: Es sind immer wundersame, fremde, für einzelne oder viele Figuren (und teils auch für die Rezipienten) irritierende Erzählungen, durch die die Tristanfigur sich selbst neu erschafft oder neu erschaffen wird; es sind immer Erzählungen, die Umbrüche einleiten und bis zu diesem Punkt wesentliche Voraussetzungen dafür schaffen, dass Tristan den nächsten Schritt auf der sozialen Leiter nach oben erklimmen kann.
1.2.2 Tristans Abstieg am Markehof Tristans Einzigartigkeit und besonderen Fähigkeiten bringen ihm Ansehen und Bewunderung ein, solange er als Wunderkind den cornischen Hof aufwertet. Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter wird Tristan nicht nur vom Erzähler stärker als „gemischter Charakter“ (Brunner 2011: 78; vgl. insgesamt III.II.1.3.1: 171– 179) geschildert, sondern auch die Stimmung am Hof verkehrt sich ihm gegenüber in Unbehagen und Neid, schließlich in eine akute Bedrohung von Tristans Leben. Die Stimmungsänderung vollzieht sich schleichend: Bereits durch seine stinkende Verwundung im Morold-Kampf ist Tristan von der Gesellschaft ausgeschlossen (vgl. Kellermann 1999: 47; III.II.1.4.1: 211). Nach seiner Rückkehr aus Irland gelingt es ihm dann nicht mehr, sich in den Markehof zu integrieren. Tristans Abstieg und sein Umgang mit diesem sind deutlich an sein Sprechen geknüpft: Auslöser für die Irritation, die ihm entgegenschlägt, ist sein Bericht über seine Taten – so, wie Tristans Erzählungen in seiner Kindheit das Interesse an ihm geweckt haben, schüren sie nun die Ablehnung des Hofes. Tristans Versuch, die Situation zu entschärfen, vollzieht sich durch eine Unterredung mit Marke und schließlich in einer Beratung, an der die Landbarone partizipieren. Tristan selbst vollzieht in der für ihn bedrohlichen Situation einen deutlichen Wandel, der im Folgenden nachvollzogen werden soll. Bereits während der Schilderung der Freude und Erleichterung über Tristans Heimkehr wird deutlich, dass Tristans Erzählung darüber, wieʼz ime ergangen waere (Tr 8234), für enormes Erstaunen sorgt (Tr 8237– 8247):
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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des nam sʼouch alle wunder und begunden hier under vil schimpfen unde lachen und michel lachen machen von sîner verte in Îrlant […]. si jâhen, sine gevrieschen nie solhes wunders gemach.
Die Verwunderung der Hofleute über Tristans geradezu unbegreifliche Geschichte manifestiert sich in ihrer Reaktion, im Lachen und Scherzen, das ihnen einen noch positiven, aber auch distanzierenden Umgang mit Tristans Schilderung ermöglicht, aber auch in der Aussage, dass sie etwas derart Seltsames noch nie vernommen hätten. Bereits hier wird deutlich, dass Tristans Taten in eine Kategorie fallen, die auch Unglauben hervorrufen und die Zuhörer durchaus verunsichern kann. Tristan kann vorerst sein Leben bei Hofe wieder aufnehmen und zwar als niuborner man (Tr 8313). Diese Bezeichnung gibt einen Hinweis darauf, dass Tristan nicht einfach an sein altes Leben anknüpfen kann, sondern dass Neuerungen bevorstehen und er sich auch nicht auf seine alte Stellung verlassen kann, wenngleich dies zunächst so scheint: Marke und sein Hof sind Tristan erst ze sînem willen gereit (Tr 8317), dann aber kippt die Stimmung bei einigen Höflingen: „[G]erade die Tat, die geeignet war, ihn [d. i. Tristan, A.K.] als Nachfolger Markes zu legitimieren, ruft nun auch – gemeinsam mit der erstaunlichen Heilung – am Hof zersetzende Emotionen hervor“ (Flecken-Büttner 2011: 187) und Neid macht sich breit (vgl. zum Neid Przybilski 2004: 391– 392). Dieser wiederum führt zu Gerede und gefährdet zunächst Tristans Prestige bei Hof und in der Bevölkerung. Es wird der Vorwurf der Zauberei²⁰⁰ und Betrügerei laut²⁰¹, was schließlich in der Forderung an Marke mündet, sich eine Frau zu nehmen,
Jaeger (1984: 46) führt aus, wie gefährlich dieser Vorwurf für Tristan ist, da gerade ein Zauberer, der Einfluss auf den Herrscher hat, von der Todesstrafe bedroht ist. Tristan vollführt immer wieder Taten, die für die anderen Figuren schwer zu fassen sind und von ihnen mit der Zuschreibung zu (schwarzer) Magie erklärt werden. McDonald (2009: 193, Anm. 6) macht darauf aufmerksam, dass das in Vers 16216 für Tristan verwendete Epitehton der wunderaere ebenfalls als ‚Zauberer‘ übersetzt werden kann, und hält für die Episode nach Tristans Sieg gegen Urgan fest: „Note that it is Tristan’s enemies who perceive his blessedness to come from the Black Arts. The narrator, however, hints at no such thing when, after referring to Tristanʼs gelücke (16215; good fortune) upon his victory over the giant Urgan, the hero receives our epithet, Tristan der wunderære (16216).“ Hier entwickelt sich eine Sicht auf Tristans Wundertaten, die die erste Bewunderung ablöst und Tristan nicht mehr als für den Hof attraktiv, sondern potentiell gefährlich erscheinen lässt. „Many critics seem to feel that their [d.s. die Landbarone, A.K.] accusation of witch-craft is a trumped-up charge, although their circumstantial evidence would seem convincing enough in a medieval world where the black arts are viewed as a real threat to the common weal […]. How could Tristan defeat the invincible Morolt, fool his mortal enemy Isolde Mother into healing him and return safely from an Ireland, where all Englishmen are slain on sight? These questions are perfectly justified […].“ (Kerth 1990: 111).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
um einen leiblichen Erben zu zeugen.²⁰² Tristans „Anderssein“ (Hermann 2006: 188), das zuvor am Hof inkludierende Wirkung hatte, verliert hier seine Attraktion, rückt ihn in die Nähe des Gefährlichen und macht ihn dadurch zum gefährdeten Außenseiter. Marke verweigert sich der Forderung der Landbarone. Dadurch steigert er deren Neid, sogar Hass, in dem Maß, dass sie ihn vor Tristan nicht mehr verbergen und sich in einer Weise verhalten, daz er ervorhte den mort (Tr 8374). Die Furcht um sein Leben ist Anlass für ein Gespräch Tristans mit Marke (vgl. Przybilski 2004: 392). Tristan bittet Marke, sich dem Wunsch der Landbarone zu fügen, und artikuliert seine Furcht vor der tödlichen Gefahr (Tr 8379 – 8385): sînen oeheim Marke den bat er, daz er der lanthêrren ger z’einem ende braehte und durch got bedaehte sîn angest unde sîne nôt. er enwiste, wenne ez sîn tôt und sîn ende waere.
Im inquit adressiert Tristan Marke als seinen Onkel. Er bittet ihn drängend darum, ihn zu enterben. Ausdruck der Dringlichkeit ist einerseits die Wendung durch got, andererseits sind dies die Schlagworte angest, nôt und tôt. Der zuvor souveräne Sprachakteur Tristan agiert hier als Bittsteller, der Marke ersucht, um Gottes willen seine Perspektive einzunehmen. Dadurch macht er deutlich, dass Markes Entscheidung auch vor Gott Bestand haben muss. Er, der einem übermächtigen Feind wie Morold furchtlos gegenüber trat, macht hier seine Angst zur Grundlage, auf der Marke seine Entscheidung treffen soll (vgl. auch Hermann 2006: 188). Durch die Formulierung, dass er nicht wisse, wenne es sîn tôt / und sîn ende waere, wird deutlich, dass er zwar den Zeitpunkt nicht kennt, dass sein Tod aber ein Fakt sein wird, wenn Marke dem Willen der Landbarone zuwider handelt. Tristans Auftreten ist hier nicht auf Öffentlichkeit und Präsentation hin ausgelegt, es dient nicht wie zuvor dem Beweis der Höfischkeit, der Außergewöhnlichkeit und des Heldentums, sondern seinem nackten Überleben. Insofern ist es stimmig, dass die Rede indirekt wiedergegeben wird. Seine Formulierungen machen aber wiederum deutlich, wie souverän er in einer Situation, in der er als Bittsteller weder selbstbewusst noch forsch auftreten kann, seine Sprache einsetzt: Seine Rede ist Marke gegenüber suggestiv: Tristan macht ihn verantwortlich für den Ausgang der weiteren Handlung, und zwar vor Gott, da er den drohenden Mord an Tristan durch eine Zustimmung würde abgewendet haben können. Sein (gesellschaftliches) Leben, das er im Kampf gegen Morold zur Ehrgewinnung gerne und selbstbewusst einsetzt, ist nun, da seine Ehre am Hof ohnehin beschädigt
Karg (1994: 78) betont, dass das Drängen der Höflinge auf eine Heirat Markes nicht nur der Eifersucht auf Tristan geschuldet ist, sondern auch dem Umstand, dass „die Idealität und Perfektion des Herrschers auf dem Spiel [steht]: Er wäre unvollkommen ohne Frau.“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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ist, zweitrangig, das Überleben steht über dem gesellschaftlichen Ansehen. Genau ab diesem Zeitpunkt nimmt die Bedeutung, die das Ansehen und die Gesellschaft für Tristan haben, ab. Marke lehnt Tristans Ansinnen ab und erläutert ihm, dass Ansehen immer zu Neid führe und er darauf bedacht sein solle, sein Ansehen weiter zu steigern, gleichzeitig spricht er ihm Schutz zu und formuliert mit Nachdruck seinen Wunsch, dass Tristan sein Erbe sein soll. Marke schließt, indem er konstatiert (Tr 8422– 8423): swaz rede hier umbe wirt getân, des enfolge ich weder in noch dir.
Tristans Replik schließt unmittelbar an Markes Rede an; er bittet darum, sich vom Hof entfernen zu dürfen (Tr 8424– 8432): „hêrre, sô gebietet mir, sô wil ich von dem hove varn. ine mac mich vor in niht bewarn. sol ich bî disem hazze wesen, sone kan ich niemer genesen. ê ich sus angestlîche elliu künicrîche wolte haben ze mîner hant, ich waere ê iemer âne lant.“
Während er von Marke als neve (Tr 8387) adressiert wird, adressiert Tristan Marke als Herrscher und verleiht seiner Aufforderung, ihn ziehen zu lassen, damit offiziellen Charakter und Nachdruck. Er verdeutlicht, dass er sich vor den Höflingen nicht schützen kann. Auf Markes Vortrag über Ansehen und Ehre reagiert er, indem er hervorhebt, dass selbst die Gewalt über viele Königreiche ein zu hoher Preis für ein Leben in dieser Angst wäre und er lieber landlos wäre, als so leben zu müssen. Hierdurch veranschaulicht er, wie ernst ihm sein Anliegen ist – zumal Tristan ursprünglich von Parmenien an den Markehof zurückgekehrt ist, um sein Ansehen zu steigern. Es wird deutlich: „Er hat sein komplettes Selbstbewußtsein, sein Ziel und seine Wertorientierung verloren.“ (Ebd.). Hermann (ebd.: 189) argumentiert, dass Tristans Ängste auf der Konfrontation mit dem Neuen, dem Unbekannten zu begründen sind und sich in eine Reihe von Situationen einfügen, in denen Tristan ebenfalls Angst zeigt, so etwa als er in Cornwall ausgesetzt ist oder von Rual über seine wahre Identität aufgeklärt wird: In allen Fällen war es das Unbekannte, das nicht Entdeckte, das den Helden ängstigte und wie ohnmächtig erscheinen ließ. Tristans Angst kann daher auch als Angst vor sich selbst, vor seiner neuen Identität verstanden werden. Er kommt ja als ein anderer nach England zurück. Er ist nun nicht mehr der Mittelpunkt, sondern der Außenseiter, der vor einer gewissen Form der Heimkehrerproblematik steht. (Ebd.)
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Marke lässt sich zwar von Tristans Worten überzeugen, macht jedoch auch klar, dass er Tristan gerne die Treue gehalten hätte. Bedeutungsschwer konstatiert er in Hinblick auf die folgende Handlungsentwicklung (Tr 8438 – 8439):²⁰³ swaz sô nû hier ûz geschiht, dâ bin ich gâr unschuldic an.
Als König müsste Marke hier souveräner auftreten und Sorge dafür tragen, dass Tristan wieder integriert wird. Er dürfte sich nicht zum Spielball seiner Hofleute und Tristans machen lassen, sondern müsste für Stabilität bei Hof sorgen. Stattdessen lässt er sich von Tristan nicht nur emotional erpressen, sondern fordert ihn überdies dazu auf, ihm Handlungsanweisungen zu geben (vgl. Tr 8440 – 8442, vgl. auch III.II.2.2.4: 292– 296). Selbst in einer Situation, in der er nicht souverän und selbstbewusst auftritt, schafft Tristan es, seinen Willen auf eine Weise durchzusetzen, die ihn in eine bekannte Lage versetzt: Er wird zum Gestalter der Situation, ihm wird hier sogar vom König selbst die Regie übertragen. Tristan nutzt seine Schwäche, um zu seiner sprachlichen Stärke zurückzufinden und agieren zu können (Tr 8443 – 8449): „dâ besendet iuwern hoverât, der iuch hier ûf geleitet hât, und ervaret iegelîches muot: vrâget, wie si dunke guot, daz ir hie mite gebâret, ir willen sô gevâret, daz ez mit êren müge gestân.“
Die Rede wird nicht eingeleitet, sondern schließt direkt an Markes Rede an. Dadurch und durch die Aufeinanderfolge von Anweisungen wird auch sprachlich der Eindruck von Unmittelbarkeit geweckt, wodurch Tristans Handeln wieder planvoll und gesetzt erscheint. Tristans Anweisungen wirken wie stets nicht spontan, sondern durchdacht und vorbereitet. Indem er wieder zum Macher wird, gelangt er auch zurück zu den höfischen Werten. Hat er in der vorangegangenen Rede gesellschaftlichen Ruhm, versinnbildlicht durch Gewalt über Königreiche, hinten angestellt, so fordert er den König nun auf, beim Erforschen der Pläne der intriganten Hofleute derart vorzugehen, dass seine Ehre nicht gefährdet wird. Diese Äußerung erscheint absurd, war
Konecny (1977: 49) deutet diese Stelle so, dass Gottfried Marke hier „aller Verantwortung für den heraufziehenden Konflikt enthebt.“ Dem steht entgegen, dass der Gottfriedsche Erzähler hier nicht selbst spricht, sondern Marke die Worte aussprechen lässt, die an Pontius Pilatus erinnern (vgl. Mt 27,24: Videns autem Pilatus quia nihil proficeret, sed magis tumultus fieret: accepta aqua, lavit manus coram populo, dicens: Innocens ego sum a sanguine justi hujus: vos videritis.). Marke, der als König selbstverständlich die Verantwortung trägt und dessen Aufgabe auch die Lösung des Konfliktes wäre, lässt sich die Entscheidung abnehmen, distanziert sich aber von dieser und den Auswirkungen, die diese nach sich ziehen wird. Dass er sich verbal von jeder Verantwortung distanziert, bedeutet aber nicht, dass er tatsächlich frei von Schuld ist oder je sein wird.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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es doch Marke, der Tristan erst wenige Verse zuvor daran gemahnt hat, seine Würde und sein Ansehen gegen die Hofleute zu verteidigen. Tristan erweist sich in dem Moment, als Marke ihm das Handeln wieder überlässt, als ihm überlegen, wobei dieser Eindruck nicht nur implizit durch Tristans Sprechen in Imperativen erweckt wird, sondern auch der Tatsache geschuldet ist, dass Marke, der in seiner ersten Rede noch unnachgiebig und bestimmt aufgetreten ist, sich nun von Tristan mit nur einer einzigen weiteren Rede umstimmen lässt und daraufhin sein eigenes Vorgehen von Tristan anleiten lässt. Tristans Einschätzung der Situation erweist sich als richtig, denn der Rat der Höflinge zielt explizit darauf, Tristan zu töten (vgl. Tr 8452– 8453). Tristan soll am irischen Hof um Isolde werben. Neben seiner Kenntnis des Hofes durch den vorherigen Irlandaufenthalt begründen die Barone ihren Vorschlag damit, dass sie Tristan als wîse und wol bedâht / und saelic zʼallen dingen (Tr 8530 – 8531) charakterisieren. Dabei heben sie auch seine Sprachkenntnis hervor (vgl. Tr 8533). Werner (1985: 183) zieht hier eine Parallele zur Entführung Tristans durch die Norweger: „Wieder kommt Tristan gerade durch Sprachkenntnisse in Gefahr, wie damals ungewollt auf dem norwegischen Schiff; diesmal schreckt er freiwillig nicht zurück, auch wenn Marke die böse Absicht deutlich nennt.“ Die Sprachkenntnisse sind nun aber weniger der Auslöser der Gefahr als vielmehr Teil der Begründung, warum ausgerechnet Tristan die Aufgabe übernehmen soll. Marke wirft den Landbaronen die Tötungsabsicht vor und gemahnt sie an das, was Tristan für sie und ihre Nachkommen bereits geleistet hat. Er teilt ihnen mit, dass sie selbst nach Irland reisen und ihm nicht mehr zu Tristans Schaden raten sollen (vgl. Tr 8535 – 8544). Nun sind es aber nicht die Herren, die Marke widersprechen, sondern es ist Tristan selbst (Tr 8545 – 8557):²⁰⁴ „hêrre“ sprach aber Tristan „sine misseredent niht hier an. ez waere wol gevüege, swâ iuch der muot zuo trüege, griffe ich ez beltlîcher an und bereiter danne ein ander man. und ist ouch reht, daz ich ez tuo. herre, ich bin harte guot dar zuo. ez enwirbet zwâre niemen baz. gebietet et in allen daz, daz si selbe mit mir varn, hin unde her mit mir bewarn iuwer dinc und iuwer êre.“
Tristans Rede richtet sich an Marke, den er direkt adressiert, aber vor allem auch an die intriganten Höflinge, denen gegenüber Tristan seinen Status verteidigt – nicht den
Dieses Verhalten ist gerade in der Öffentlichkeit dem König gegenüber ungehörig – Konecny (1977: 49) wertet es treffend als ein Marke-in-den-Rücken-Fallen Tristans.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Status als Königserben, sondern den als Bester am Hof. Von Angst und Unsicherheit ist hier nichts mehr zu bemerken, im Gegenteil, Tristan stellt seinen Mut heraus, der den aller anderen – wie er in der Morold-Episode bereits bewiesen hat – übertrifft. Er formuliert dies zunächst im Konjunktiv und macht es abhängig von Markes Wünschen: Jede einzelne dieser Aufgaben würde Tristan tapferer erfüllen und bereitwilliger als jeder andere Mann, was vor allem auch bedeutet: als jeder andere der Anwesenden, die Tristan somit implizit abwertet. Hier ist ein Unterschied zu Tristans Verhalten am Hof zu dem Zeitpunkt, als er seinen Status das erste Mal erarbeiten musste, zu erkennen: Zu jenem Zeitpunkt war seine Außergewöhnlichkeit, sein BestSein für den Hof Attraktion und Aufwertung. Jetzt, da er einen neuen Status für sich erarbeiten muss, braucht er nicht mehr mit seinen Talenten zu kokettieren, sondern kann sie offen darlegen. Es ist bekannt, dass er der Beste ist. Tristan kann dies nun ganz frei aussprechen. Er bekräftigt seinen Status als Bester, indem er das, was er zuvor als Möglichkeit anreißt, auch im Indikativ als Faktum formuliert (Tr 8552– 8553): herre, ich bin harte guot dar zuo. ez enwirbet zwâre niemen baz.
Tristan formuliert seine Überlegenheit nicht nur, er führt sie auch vor, als er die Landbarone mit ihren eigenen Waffen schlägt. Er will die Reise nicht alleine antreten und fordert Marke dazu auf, die Landbarone mit ihm zu schicken. Er schließt, indem er den Landbaronen argumentativ einen Ausweg aus dieser Situation verstellt, weil er sie in dieser Angelegenheit auf Markes Ehre verpflichtet. Gleichzeitig führt er ihnen vor Augen, dass er ihnen – selbst bar des Status als Thronerbe – noch immer überlegen ist; da er derjenige sein wird, der die Brautwerbung ausführt, muss er auch derjenige sein, dem sie auf der Reise unterstellt sind. Auf Markes erneuten Einwand hin, der seine Sorge um Tristans Wohl hervorhebt, wird Tristan noch expliziter und bindet das Schicksal der Landbarone an sein eigenes (Tr 8561– 8563): hêrre, zewâre diz muoz wesen. suln si sterben oder genesen, daz muoz ouch mir mit in geschehen.
Er stellt heraus, dass der Tod durchaus ein Risiko auf der angedachten Reise darstellt, dass dieses Risiko so aber nicht mehr nur ihn betrifft – gleichzeitig macht er deutlich, dass er selbst ehrenvoll handelt und die Landbarone nicht ihrem Schicksal überlassen wird. Auf diese Weise unterstreicht er ihre Abhängigkeit von ihm. Während seine Rede wieder an Marke gerichtet ist, adressiert er mit seiner folgenden Aussage faktisch vor allem die Landbarone (Tr 8564– 8566): ich wil si selbe lâzen sehen, belîbet diz lant erben vrî, ob daz von mînen schulden sî.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Somit begründet er im Endeffekt auch, warum die Landbarone mit ihm reisen sollen: Er macht sie zu Zeugen seiner Taten und nimmt ihnen damit in Hinblick auf eine neuerliche Heimkehr jede Grundlage für das Streuen von Gerüchten, die Tristans Status gefährden könnten. Er beugt damit einer Situation wie der, in der er sich aktuell befindet, vor (vgl. Konecny 1977: 49). Nach der Begründung seines Vorhabens geht Tristan zum konkreten Planen der Reise über, er fordert Marke auf, seinen Baronen den Befehl, sich auf die Reise vorzubereiten, zu geben und führt an, dass er selbst das Schiff nach Irland steuern will. Die Rede wird damit beendet, dass er herausstellt, dass das Ende der Reise zwar ungewiss ist, dass aber der Gewinn Isoldes auf Kosten des Lebens aller an der Reise beteiligten ein lohnendes Ziel ist (vgl. Tr 8567– 8577). Die Reaktion der Berater Markes spricht für sich, sie werden alsô trûric nie / in allen ir jâren, / sô sî der rede wâren (Tr 8580 – 8582). Auf dem Weg nach Irland dann, in Furcht vor ihrem eigenen Tod und im Zustand der Abhängigkeit von Tristan, charakterisieren die Barone ihn in einer Weise, die verdeutlichen kann, warum Tristan für sie jenseits der bislang genannten Motive als Erbe des Thrones nicht infrage kommt, gar nicht infrage kommen kann (Tr 8660 – 8674): „wîsheit unde vuoge der ist harte vil an disem man. ist daz uns got gelückes gan, wir mugen wol mit im genesen, wollte er dekeiner mâze wesen an sîner blinden vrecheit. der ist ze vil an in geleit. er ist ze vrech und ze gemuot, ern ruochet hiute, waz er tuot. ern gaebe niht ein halbez brôt umbe uns noch umbe sîn selbes tôt. und iedoch unser bester wân der muoz an sînen saelden stân. sîn witze muoz uns lêre geben, wie wir gevristen daz leben.“
Tristans Handeln in der Episode scheint den Landbaronen recht zu geben, denn Tristan erweist sich tatsächlich weniger als König denn als Held.²⁰⁵ Die Sorge um sein Leben, die er am Hof Marke gegenüber betont, wird sekundär, wenn es darum geht, eine konkrete Herausforderung zu meistern, die Tristans erneut Gelegenheit bietet, seine Einzigartigkeit, seinen Mut und sein Geschick unter Beweis zu stellen.²⁰⁶
Eine differenzierte Ausführung zur Wirkung von Tristans Verhalten auf die Landbarone unter herrschaftsorientierter Perspektive gibt Kerth (1990: 112). Bereits in Parmenien zeigt Tristan wenig Interesse an der Übernahme herrscherlicher Pflichten, sondern eher daran, sich als Held beweisen zu können. Brunner (2011: 82) attestiert Tristan eine
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Solange die Hofkabale wenig konkret und ungewiss ist, steht Tristan vor einer Situation, die er nicht lösen kann. In dem Moment aber, wo er in der Lage ist, die Situation maßgeblich mitzubestimmen und zu gestalten, wandelt sich seine Unsicherheit schlagartig und er tritt erneut aus der Masse hervor und zeigt sich dieser – auch im Intrigenspiel – überlegen, weiß sie für seine Zwecke einzusetzen und offenbart in seinen Reden Geschick und Überlegenheit. Dabei macht Tristan sich die Pläne seiner Gegner zunutze, indem er sie nämlich gegen seine Feinde einsetzt und dies dergestalt formuliert, dass eine Weigerung der Landbarone nicht infrage käme, da sie dann ehrlos und gegen die Königstreue handeln würden. Gleichzeitig macht Tristan die Landbarone zu Zeugen seiner Taten, aber auch zu Gefährten, so dass der Ausgang der Reise auch auf sie zurückfällt. Sie müssen ihn unterstützen, da ihnen alternativ nicht nur der Verlust ihrer Ehre, sondern auch der ihres Lebens droht. Dass die Landbarone Tristans Tod und gesellschaftlichen Abstieg forcieren, bietet ihm im Ergebnis erneut eine Bühne, auf der er die Regie übernehmen, sich selbst inszenieren und in der folgenden Handlung auch als Bester beweisen kann.
1.2.3 Tristan als Liebender Nachdem Tristan und Isolde auf der Überfahrt von Irland nach Cornwall in der Minnetrank-Episode ihr verbales Können und das aufeinander gerichtete Kommunizieren vorführen konnten, wird ihre gemeinsame Kommunikation ab der Ankunft in Cornwall tendenziell indirekt dargestellt, wobei Tristan sich auch in Situationen, in denen er und Isolde nicht die miteinander Kommunizierenden sind, als Liebender geriert und sein Reden und Handeln diesem Umstand geschuldet sind. Als Liebender tritt Tristan nach der Überfahrt vor allem in folgenden Kontexten verbal in Erscheinung: ‒ als Retter Isoldes nach ihrer Entführung durch Gandin, ‒ in der Beratung mit Brangäne, der Tristan sein Leid klagt, ‒ als Verbündeter Isoldes in der List der Baumgartenszene, ‒ in der Petricrü-Episode in Abstinenz von Isolde, ‒ in der Minnegrotte-Episode, ‒ nach der Entdeckung durch Marke im Baumgarten während des Abschieds von Isolde, ‒ in der Isolde-Weißhand-Episode. Tristans Zustand als Liebender verkompliziert sein Verhältnis zum Markehof deutlich. Seine Bindung zum Hof wird immer wieder aufgebrochen, wenn Tristan allein oder mit Isolde dem Hof den Rücken kehren muss – so in der Peticrü- und der MinnegrotteEpisode und schließlich als Folge der Entdeckung durch Marke.
„Scheu, dauerhaft Herrscherpflichten zu übernehmen“, die sich in der Brautwerbungsepisode in „gesteigerter Form“ manifestiert: „Erbfolge und Königtum bedeuten dem Ruhelosen offensichtlich nichts. Tristan bleibt zunächst ein Mann der Tat und der Heldentaten.“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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In diesem Kapitel soll ein allgemeiner Einblick in Tristans kommunikatives Verhalten als Liebender am Markehof oder in Richtung des Markehofes gegeben werden. Zentral sind hierbei Tristans Auftreten in der Episode um „Harfe und Rotte“, seine Unterhaltung mit Brangäne und die Baumgartenepisoden, während in den anderen Episoden eher vereinzelte Reden und Aspekte das Bild des Liebenden komplettieren. Mit dem Beginn und dem Einlassen auf die Liebe ändert sich die kommunikative Situation Tristans und Isoldes, sie partizipieren nun an zwei verschiedenen kommunikativen Gemeinschaften: Zum einen als Teil der Hofgesellschaft des Markehofes an der kommunikativen Gemeinschaft des Hofes, zum anderen entwickeln die Liebenden innerhalb dieser kommunikativen Gemeinschaft eine gesonderte, die nur diese beiden einschließt und das Kommunizieren des Paares unter besondere Bedingungen, aber auch Möglichkeiten stellt: Innerhalb der höfischen Öffentlichkeit gelingt es dem Paar, sich über die Kommunikation einen intimen Ort zu schaffen, der über das Gebaren einerseits, über den Umgang mit Sprache andererseits führt und dem Paar zunächst noch die Partizipation am höfischen Leben ermöglicht, ohne Misstrauen zu erwecken (Tr 12965 – 12967): ir gebaerde, ir rede, ir maere oder swaz ir dinges waere, des nam in lützel ieman war.
Als Medium der nonverbalen Kommunikation erweisen sich hierbei vor allem die Blicke der Verliebten (vgl. Tr 12976 – 12983). Doch nicht nur die nonverbale, sondern gerade auch die verbale Kommunikation gerät zu Beginn des Aufenthaltes am Markehof regelrecht zum Spiel der Liebenden, in dem sich der „kommunikative Akt […] wegen seiner Undurchdringlichkeit als ein Geheimcode für die Liebenden [erweist], den die Außenstehenden nicht entschlüssen sollen“ (Classen 1994: 83) und vorerst auch nicht entschlüsseln können, da die Sprache der Liebenden aufgespalten wird in eine „öffentliche Sprache und eine Arkansprache der Liebe“ (Wenzel 1988a: 235) (Tr 12986 – 12996): an rede und an gebâre wâren si beidiu gênde, sitzende unde stênde vrîlîch und offenbaere. ir offenlîchiu maere, mit den si wunder kunden, diu begunden sʼunder stunden mit clebeworten underweben. man sach dicke in ir maeren cleben der minnen werc von worten als golt in dem borten.
Die Kommunikation der Liebenden spielt eine zentrale Rolle in ihrem Leben als Paar bei Hof – und ihre Kommunikation ist eine, die durch das Verwenden einer beson-
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
deren Lexik, die hier mit dem Terminus clebeworte eigens bezeichnet wird, ein intimes Sprechen im öffentlichen Raum zulässt. Wenzel (ebd.; vgl. auch 1995: 302) arbeitet die Besonderheit der hier verwendeten Sprache heraus: Die konspirative Sprache der Liebe schildert Gottfried derart als ein kostbares Gewebe mit öffentlicher Schauseite und nichtöffentlichen Symbolen für die Verständigung der Liebenden. Alle Informationen der öffentlichen Rede werden dupliziert im Hinblick auf das, was sie in der allgemeinen, höfisch konstituierten Welt, und das, was sie in der Welt der Liebenden bedeuten. Konsequenz der Doppeldeutigkeit ist die Sicherung von Nähe für die Liebenden, aber zugleich die Zersetzung der öffentlichen Rede: Res und Nomen, Sache und Begriff sind nicht mehr eindeutig einander zuzuordnen.
Diese Doppeldeutigkeit der Sprache separiert das Paar vom Hof als eigenständige Sprechergemeinschaft bei gleichzeitiger Einbindung ins höfische Kollektiv, so dass die Sphären von Öffentlichkeit und Heimlichkeit sich hier noch überlappen und dem Paar ein relativ unbefangenes Agieren ermöglichen, das ihre Liebe vorerst in den höfischen Alltag integriert. Gleichermaßen wird hier einmal mehr der bewusste Umgang mit Sprache akzentuiert, der mit der Herausbildung einer eigenen Lexik der Liebe eine neue Ebene erreicht. Die kommunikative Tarnung ist erst ab dem Moment gefährdet, als durch Marjodo das Gerücht über das Paar Marke gegenüber artikuliert wird und sich somit die Perspektive der Gesellschaft auf Tristan und Isolde ändert. In die noch unbeschwerte Zeit fällt die Episode um „Harfe und Rotte“, in der, wie Dicke (1998: 132) vorführt, „[m]otivgeschichtlich und vor dem Hintergrund des keltischen Erzähltyps“ strukturell an das Schema der gefährlichen Brautwerbung angeknüpft wird. Hier kommt der Bewährungsprobe, über die im normalen Schemaverlauf der Gatte seinen Anspruch auf die Königin legitimieren würde, eine andere Funktion zu, denn hier spalten sich die Aktantenfunktionen der Gattenrolle personell auf: der König liefert sich im rash boon dem Anspruch des Gegners auf die Königin aus, ohne sein eigenes Anrecht wahren zu können, während der zweite Part seiner angestammten Handlungsfuntkion – die Bewährung des Anrechts durch die Tat – auf den Geliebten übergeht, der auf diese Weise in die Schemaposition des legitimen Partners der Königin rückt. (Ebd.; vgl. dort auch 131– 135)
Nachdem Tristan von der Entführung Isoldes erfahren hat, macht er sich auf, um sie zu retten und an den Markehof zurückzuführen. Hierbei lassen sich mehrere Verbindungen zur gefährlichen Brautwerbung nicht nur in struktureller Hinsicht feststellen. Erneut bedient sich Tristan der Maskerade des Spielmannes²⁰⁷ und wie schon in Irland ist es Tristans Kalkül und (auch sprachlicher) List zu verdanken, dass er
Tristans zweite Irlandreise unternimmt er zwar als Kaufmann, von den Damen wird er jedoch als Spielmann Tantris erkannt – diese Rolle bleibt ihm bis zur Aufdeckung seiner wahren Identität folglich immanent.
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Isolde rückentführen kann.²⁰⁸ Er nutzt dabei dieselben Waffen wie Gandin, auf den er „spiegelbildlich […] bezogen“ (ebd.: 142) ist. Dies ist zunächst seinem Auftreten als waffenloser Spielmann geschuldet (vgl. Tr 13285). Tristan gibt sich Gandin gegenüber als Landsmann aus, der nach Irland zurückkehren möchte, und bittet darum, dass dieser ihn heimbringen möge (vgl. Tr 13298 – 13305). Hierauf erhält Tristan von Gandin nicht nur die Zusage für die Überfahrt, sondern darüber hinaus wie Gandin zuvor durch Marke ein Lohnversprechen – ich gibe dir die aller besten wât / die disiu pavilûne hât (Tr 13311– 13312) – für einen Dienst, den Gandin von Tristan erbittet: Dieser soll Isolde so trösten, dass sie aufhört zu weinen (vgl. zu dieser List Kästner 1981: 72). Tristan sagt zu und lässt sich wie Gandin „zu einer weiteren Probe seiner Kunst überreden (v. 13200 ff., 13420 ff.)“ (Dicke 1998: 142). Als Tristan schließlich mit Isolde, die im Zuge von Tristans List gemeinsam mit Tristan auf dessen Pferd sitzt, ein Stück fortgeprescht ist, beschimpft Gandin Tristan als gouch (Tr 13411) – Tristan nimmt diesen Begriff spiegelbildlich wieder auf, um Gandin die Symmetrie der Entführung und Rückentführung sprachlich und mit beißendem Spott vorzuführen, wodurch er gleichermaßen die Asymmetrie zwischen ihnen verdeutlicht (Tr 13412– 13422): „nein nein“ sprach Tristan „gouch Gandîn! vriunt, ir stât an des gouches zil. wan daz ir mit dem rottenspil dem künege Marke ertruget an, daz vüere ich mit der harpfen dan. ir truget, nu sît ouch ir betrogen. Tristan der hât iu nâch gezogen, biz daz er iuch beswichen hât. vriunt, ir gebt rîlîche wât. ich hân daz beste gewant, daz ich in dem gezelte vant!“
Tristan kostet seinen Erfolg sichtlich aus, er thematisiert, wie Gandin genarrt wurde und stellt so auf mehrfacher Ebene seine Überlegenheit heraus. Dies schafft er schon durch die Wahl seines Instrumentes, da die Harfe der Rotte²⁰⁹ im sozialen Ansehen weit überlegen ist: Tristan, der das höfischere Instrument beherrscht, erweist sich hier
Auch in Irland gehört zur gefährlichen Brautwerbung nicht nur das Erschlagen des Drachen, sondern durch den falschen Anspruch des Truchsesses eben auch das Ausschalten eines Minnekonkurrenten. Auch Barandun (2009: 41) betont diese Parallele und folgert: „Weil aber weder der irische Königshof noch der Markehof die begehrte Isolde vor Nachstellungen und Betrug schützen können, ist Tristan gezwungen, seine Erfolge öffentlich zu wiederholen.“ Kästner (1981: 72– 73) hebt den Kontrast von Harfe und Rotte hervor: „Sollte die Opposition Harfe – Rotte wirklich willkürlich sein? Meines Erachtens ist schon bei Steger in Zusammenhang mit der abwertenden Glosse zu Alanus ab Insulis aus dem 13. Jahrhundert (hoc instrumentum est multum volgare) erwogene These, die Rotte sei im 13. Jahrhundert unmodern geworden und die (Dreiecks‐) Harfe sei das modernere, sozial höher eingeschätzte Instrument, gerade durch Gottfrieds Aussagen zu erhärten.“ Kästner verweist zudem auf Tr 11360 ff. und Tr 16280 und bildliche David-Darstellungen, um den Status der Rotte als niederes Spielmannsinstrument zu belegen.
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sowohl als der bessere – weil höfischere – Musiker als auch als der erfolgreichere Taktiker (vgl. auch III.II.1.2.1: 116 – 117). Er zeigt die Parallelen der Situation deutlich auf, wenn er klar formuliert, dass aus dem Betrüger der Betrogene geworden ist. Einen besonderen Effekt erzielt Tristan, indem er die Namen aller beteiligten Männer und Minnekonkurrenten (vgl. Dicke 1998: 140) nennt: Auf diese Weise macht er deutlich, dass er derjenige ist, der im Endeffekt als einziger ein wahres Recht auf Isolde hat: Marke war Gandin unterlegen, dieser wiederum war Tristan unterlegen. Tristan formuliert hier also, dass er derjenige ist, der die Bewährungsprobe bestanden hat, und dies ist umso deutlicher, als er von sich selbst in der dritten Person spricht und somit eine Distanzierung bewirkt, die einerseits die Komik des Spottes hervorhebt, aber vor allem vermeintlich objektiv deutlich macht, dass nicht irgendein Spielmann derjenige ist, der Isolde rettet. Er verknüpft diese Tat explizit mit seinem Namen und hierüber mit seiner Person, auch für diejenigen, die Zeugen der Tat sind. Sein sich hieran anschließender Spott, der auf das gewählte ‚Gewand‘ als Lohn für seine Spielmannstätigkeit rekurriert, stellt eine deutliche Schmähung und Erniedrigung seines Kontrahenten dar und verbildlicht das Verhältnis von Superiorität und Inferiorität²¹⁰, gleichzeitig stellt er innerhalb der Spottrede noch einmal seinen Anspruch auf Isolde heraus. Tristans Position der Überlegenheit, aber auch der übernommenen Verantwortung für Isolde zeigt sich nicht nur im Spott gegenüber Gandin, sondern auch in seiner harschen und sehr direkten Zurechtweisung König Markes. Tristan zeigt seine Überlegenheit ihm gegenüber nun nicht mehr subtil, sondern sehr deutlich (Tr 13438 – 13450):²¹¹ Tristan der brâhte Îsôte wider sînem oeheime Marke und strâfete in starke: „hêrre“ sprach er „wizze crist, sô lieb als iu diu künegîn ist, sô ist ez ein michel unsin, daz ir si gebet so lîhte hin durch harpfen oder durch rotten. ez mac diu werlt wol spotten. wer gesach ie mêre künigîn durch rottenspil gemeine sîn?
Vgl. hierzu auch Dicke (1998: 142– 143), der auseinandersetzt, dass die Parallelen zwischen der Tristan- und der Gandin-Figur die Funktion haben, Tristans Überlegenheit besonders hervorzuheben. Dass sich Tristans Selbstsicherheit darauf gründe, dass Tristan Marke durch die Rückeroberung Isoldes hier dafür entschädige, dass er sie bei der ersten Übergabe nicht makellos übergeben habe und er hier nun wieder „in die Rolle des vorbildlichen Ritters geschlüpft“ sei, ist wenig plausibel, da der Erzähler zumindest andeutet, dass Tristan und Isolde vor der erneuten Übergabe Isoldes möglicherweise ruowe in den bluomen naemen (Tr 13434) und Isolde somit bei der erneuten Übergabe ebenfalls nicht ohne Makel übergeben werden würde (vgl. Barandun 2009: 111– 112).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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her nâch sô bewâret daz und hüetet mîner vrouwen baz!“
Im inquit der Rede wird das Verwandtschaftsverhältnis von Tristan und Marke betont; Tristan geht zu seinem Onkel, in seiner Rede adressiert er ihn wie üblich mit hêrre. Durch das Titulieren als hêrre und das ehrende Ihrzen wird die höfische Form gewahrt. Die Vorwürfe an seinen Onkel formuliert er unter emotionalen und herrscherlichen Gesichtspunkten. So bezieht er sich, um sein Unverständnis auszudrücken, auf die Gefühle, die Marke für Isolde hegt, und unter Betrachtung seiner Zuneigung kann Tristan konstatieren, dass Markes Verhalten ein michel unsin ist und ihn dafür tadeln, dass er sie so leichtfertig aufgibt durch harpfen oder durch rotten. „Vordergründig betrachtet, spielt Tristan mit harphen nur darauf an, daß er Isold durch sein Harfenspiel zurückerobert hat; man darf aber auch an seine erste Fahrt nach Irland denken, wo er alle – und nicht zuletzt Isold – damit bezaubert hat“ (Haug 2011: 573). Darüber hinaus kann Tristans Äußerung nicht nur vordergründig auf seine Rückeroberung Isoldes deuten, sondern auch ganz hintergründig: Hat Tristan doch bewiesen, dass Isolde ihm zusteht, dass er derjenige ist, der ihr würdiger Minnepartner ist und der in der Rangfolge der Minnekonkurrenten ganz oben steht, während Marke Isolde nicht nur an den Rottenspieler Gandin, sondern bereits viel früher an den Harfenspieler Tristan verloren hat, der diesen Anspruch durch seine Harfenlist erneut bestätigt hat. Die andere Ebene ist die herrscherliche, die Tristan durch die Herrschaftsbezeichnungen hêrre, künegîn / künigîn und vrouwen und in Opposition dazu durch die Begriffe unsin, spotten und gemeine sîn aufruft, wobei Letztere als Terminologie der Schande als Gegenkonzepte zum höfischen Ideal verstanden werden können und aufzeigen, wie sehr Marke durch sein Handeln oder vielmehr NichtHandeln und das Sich-Übertümpeln-Lassen im rash boon nicht nur seine eigene Ehre, sondern auch die Ehre Isoldes und faktisch durch die Schmach des Königspaares das Ansehen des gesamten Hofes aufs Spiel gesetzt und der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Besonders anschaulich wird dies, da Tristan den Spott selbst in seiner Ermahnung vorwegnimmt und die moralische Überlegenheit dessen, der spotten kann, somit an dieser Stelle deutlich durchklingt. Die Vorwürfe Tristans münden schließlich in die Ermahnung und Aufforderung Markes, und hüetet mîner vrouwen baz! ²¹² Marke wird dieser Aufforderung Folge leisten (vgl. Tr 13702– 13706) (vgl. Haug 2011: 573). Gleichermaßen wird durch das Personalpronomen deutlich: Tristan ordnet Isolde hier sich selbst zu, auf eine subtile, aber dennoch eindringliche Weise. Bezeichnet Tristan Isolde in der Formulierung zu Beginn seiner Scheltrede dann, wenn sie auf Marke bezogen wird, nur als diu künigîn, so dass hier keine persönliche Bindung ausgedrückt McDonald (1978: 262) weist für diese Stelle eine Parallele zu Ovids Amores nach, wo es heißt (Ovid, Amores, II, 19, 1– 2): Si tibi non opus est servata, stulte, puella, / At mihi fac serves, quo magis ipse velim. Der Aufforderung des Hütens folgt bei Ovid – auch in den weiteren Strophen – als Begründung, für dieses eigens geforderte Hindernis die Steigerung der Attraktivität und Verlockung, denn „supervision will make the forbidden fruit of love more tempting[.]“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
wird, so führt er gerade im letzten Satz Markes Scheitern mit der Bindung Isoldes an sich selbst zusammen. Bevor das Leiden des Paares und die Listen der Dreierkonstellation einsetzen, zeichnet sich die Sprache Tristans dadurch aus, dass er mit Isolde gemeinsam durch das Nutzen der Arkansprache eine Sprachgemeinschaft bildet. Zudem kann Tristan sich – ohne dass den anderen Figuren hier der Status der Minnekonkurrenz bewusst wäre – verbal gegen seine Kontrahenten durchsetzen und sich von diesen durch seine Überlegenheit abgrenzen. Diese manifestiert sich nicht nur im listigen Agieren, dem Einbinden und Verbalisieren von höfischeren Attributen wie der Harfe im Gegensatz zur Rotte, sondern sie äußert sich vor allem in Spott und Schelte – also in verbalen Akten, die anzeigen, dass die anderen Männer in ihrer Ehre beschädigt sind, wodurch Tristan nicht nur als erfolgreicher in seinem Handeln als die beiden anderen Männer hervortritt, sondern im Konkurrenzverhältnis der einzige ist, der ohne Makel dasteht. Die Schande der anderen Männer profiliert also wieder einmal Tristans Ansehen; sein erneuter Ehrgewinn geht mit dem Ehrverlust Gandins und Markes einher. Nach der Entdeckung der Liebenden durch Marjodo beginnt die Abfolge aus Listen und Gegenlisten, die in der Gandin-Episode bereits präludiert ist (vgl. Dicke 1998: 142). Bevor Marjodo Marke von dem ‚Gerücht‘ um Tristan und Isolde erzählt, schöpft Tristan aufgrund der ausbleibenden Kommunikation mit seinem Freund Verdacht für dessen Argwohn (vgl. Tr 13622– 13633). Hierdurch ist auch die Arkansprache gefährdet, da die Liebenden nun von Marke auf Zeichen des Betrugs hin beobachtet werden und er insbesondere ir rede und ir gebaerde (Tr 13666) in den Blick nimmt. Marke kann die beiden vorerst nicht des Betrugs überführen – den Grund hierfür nennt der Erzähler in einem Redebericht, der die Warnung und Vorsichtsmaßnahmen, die Tristan Isolde gegenüber artikuliert, referiert (Tr 13670 – 13672): wan Tristan der bat sîʼz bewarn und haete Îsolde kunt getân des truhsaezen arcwân.
Tristan zeigt sich verantwortlich für sich und Isolde und warnt sie vor der Gefahr, bevor sie dieser in den Bettgesprächen ohne Tristans Hilfe standhalten muss und bis durch das Einwirken des Zwerges Melot die direkte Kommunikation der Liebenden, die voneinander separiert werden, unterbunden wird (vgl. Tr 14274– 14349).²¹³ Unter dem Eindruck von Leid und Liebesqual verliert Tristans sprachliche Gewandtheit vorübergehend an Brillanz. Als Marke, um das Verhalten Tristans und
Auch an späterer Stelle tritt Tristan als Warnender auf, wenn er Isolde zwischen der Baumgartenszene und dem Aderlass vor Marjodo und Melot warnen will. Diese Rede ist ausformuliert und mit biblischer Metaphorik versehen: Die Kontrahenten werden als Schlange und Hund bezeichnet. Hierüber werden Tristans Menschenkenntnis und über die Bibelverweise seine Bildung sowie auch seine Religiosität betont (vgl. Tr 15080 – 15101; zu den Bibelstellen Okken 1996: 539 – 542).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Isoldes überprüfen zu lassen, eine Jagd veranstaltet, bleibt Tristan dieser mit einer recht einfallslosen Ausrede fern (Tr 14372– 14375): sîn weidegeselle Tristan beleip dâ heime und enbôt dem oeheime, daz er siech waere.
Auffällig ist, dass hier keine direkte Kommunikation zwischen Tristan und Marke stattfindet, sondern Tristan Marke sein Fernbleiben über einen Boten mitteilen lässt. So findet hier eine Distanzierung über das Medium der Kommunikation statt. Das Fernbleiben selbst ist umso auffälliger, wenn man betrachtet, dass Tristan sich als Jägermeister am Hof eingeführt hat, was noch dadurch betont wird, dass Tristan hier explizit als Markes weidegeselle bezeichnet wird. Dieser Terminus weist an dieser Stelle eine besondere Mehrdeutigkeit auf: „Markes weidegeselle ist Tristan in mehrfacher Hinsicht: einmal auf realer Ebene (vgl. v. 3723 ff.: auch für die Jagd macht der König ihn zu seinem gesellen) sowie metaphorisch als der von Marke Verfolgte und als der selbst auf der Liebesjagd Tätige.“ (Haug 2011: 588 – 589; vgl. auch Green 1975: 140). So einfallslos die Ausrede als solche jedoch erscheinen mag, so korreliert sie doch grundsätzlich mit dem Empfinden des Liebespaares, das auch in den Körperzeichen zu lesen ist (Tr 14315 – 14319): ietwederem begunde von stunde zu stunde herze unde craft geswîchen. bleichen unde blîchen begunde ir varwe unde ir lîp.
Die Haut der Liebenden offenbart ihr tiefes Leid²¹⁴, wobei die Bleiche, die Krankheitsoder sogar Todessymptom sein kann, in der mittelalterlichen Literatur üblicherweise ein „Erbleichen vor Schmerz oder aus Angst“ (Ernst 2007: 195) darstellt und somit als Indikator für seelische Ausnahmezustände und Erkrankungen fungiert. Insofern greift Tristan mit seiner Jagdabsage auf eine im Kern zutreffende Aussage zurück und verhält sich somit stringent zu seinem üblichen Verfahren der Täuschung, wobei hier keine Täuschung im engeren Sinne vorliegt, sondern der Begriff der Krankheit auf ein seelisches Leid rekurriert, das aber in der vorliegenden Form vom Hof nicht als „Dient die Haut in der Physiognomik als Indikator für bestimmte individuelle Charaktere oder ethnische Gemeinschaften und fungiert sie in ihrer unterschiedlichen Farbnuancierung als physisches Symptom im Rahmen einer humoralpathologisch fundierten, aber auch psychologierelevanten Temperamentenlehre, so fällt Hautveränderungen und -verfärbungen in den höfischen Romanen häufig auch die Aufgabe zu, seelische Regungen und Affekte abzubilden. Die höfischen Dichter greifen, bei dem Blick auf die Haut descriptio superficialis und descriptio intrinseca verknüpfend, in situativen Personenbeschreibungen zur psychologischen Veranschaulichung und Vertiefung gern auf dieses semiotische Potential zurück[.]“ (Ernst 2007: 194).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Krankheit, sondern als Betrug am König und somit letztlich am Hof insgesamt zu bewerten wäre (vgl. auch Green 1975: 140).²¹⁵ Das Liebesleid fügt Tristans Charakterisierung eine neue Nuance hinzu: War er bislang immer derjenige, der – gefragt oder ungefragt – die Aufgabe des Ratgebers übernommen hat, so steht er nun vor einer für ihn unlösbaren Situation, für deren Bewältigung er Hilfe benötigt und so vom Ratgebenden zum Ratsuchenden wird.²¹⁶ Er richtet sich an Brangäne, die Vertraute des Liebespaares, mit der er gemeinsam die Situation der Separation beklagt und seine Angst, durch diesen Kummer zu vergehen, formuliert (Tr 14391– 14397): si clagete ime und er clagt ir. „â reine“ sprach er „saget mir, welch rât gewirdet dirre nôt? wie gewirbe ich und diu arme Îsôt, daz wir sus niht verderben? ine weiz, wie wir gewerben, daz wir behalten unser leben.“
Die Vertrautheit der beiden Figuren zeigt sich nicht nur im gemeinsamen Klagen, sondern auch in der Anrede, die Tristan für Brangäne nutzt, wenn er sie mit einem Seufzer als „â reine“ anspricht, also auf eine Standestitulierung verzichtet und stattdessen positiv auf Brangänes Charakter abhebt. Dass diese Anrede indes nicht ganz korrekt ist, da Brangäne ihre Reinheit in der Hochzeitsnacht mit Marke verloren hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenngleich Tristan nicht zu unterstellen ist, dass er auf die verlorene Ehre Brangänes anspielt, sondern durch die Adressierung seine Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Brangäne hingegen greift ihren eigenen Ehrverlust und den Tristans und Isoldes in ihrer Antwortrede auf und übernimmt erneut die Verantwortung für das Unglück aller Beteiligten (vgl. Tr 14398 – 14409). Tristan bittet Brangäne explizit um Rat und formuliert sein Hilfegesuch als Fragen gleichwie Bitten als auch als Explikation des Leides, das wiederum ausdrücklich nicht nur seines, sondern seines und Isoldes ist. Dieses Leid ist das drohende verderben und die Gefährdung des Lebens. Somit verbalisiert Tristan deutlich, dass er den Zustand, in dem er und Isolde sich befinden, durchaus als (potentiell tödliche) Liebeskrankheit²¹⁷ empfindet.
Auch der Text selbst bestätigt die Deutung einer Minnekrankheit (vgl. Tr 14969 – 14978). Classen (2007: 91) etwa betont, dass Tristan „appears, almost from the point on after having completed his schooling, as fully accomplished and hardly in need of any outside helpers […].“ Tristans Bekenntnis zu Isolde über den Liebestrank hinaus macht die Verknüpfung der Tristanliebe mit dem Tod bereits deutlich und zeigt, dass dieser Umstand den Figuren selbst bewusst ist (vgl. Tr 12494– 12502) – hier nun aber ist die positive Verknüpfung mit dem Sterben aufgehoben, da der Tod durch den Schmerz nun nicht mehr nur hypothetisch, sondern für das Liebespaar in der Separation fühlbar wird und die Bedrohung der Liebe durch äußere Umstände nun zu einem konkreten Hindernis geworden ist, das unüberbrückbar scheint.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Tristans Ratlosigkeit, die Tatsache, dass er sich nicht selbst helfen kann, ist ein Novum, da Tristans bisher auch jede noch so auswegslos scheinende Situation zu lösen im Stande war.²¹⁸ Wie verzweifelt die Lage für ihn hier ist, wird durch das Mehrfachbetonen des Nichtweiterwissens besonders apostrophiert. Seine Souveränität, die sonst kennzeichnend ist für seine Reden, scheint in einer Art Auflösung begriffen zu sein. Dies deutet sich bereits an, wenn er seinem Onkel die Absage für den Jagdausflug nicht selbst mitteilt, dies äußert sich dann in der verzweifelten Rhetorik der Hilflosigkeit und mündet schließlich darin, dass Tristans Gebaren im Gesprächsverlauf jeder höfischen Diszipliniertheit entbehrt und die disciplina durch die emotio abgelöst wird. In Tristans Antwort auf Brangänes Rat zur List mit den Spänen charakterisiert Tristan Brangäne, indem er ihre außergewöhnliche Loyalität hervorhebt (vgl. Tr 14461– 14465). Darauf basierend definiert er seine Beziehung ihr gegenüber insofern, als er seine Dankbarkeit und Verbundenheit und hierüber implizit auch seine Zuneigung ihr gegenüber sehr eloquent ausdrückt (Tr 14466 – 14475): solte ich dekeine saelde haben, die solte ich iu wol kêren ze vröuden unde z’êren. swie kumberlîche ez aber nu stê, swie kûme sô mîn schîbe gê, wiste ich, wie ich nu kunde mîne tage und mîne stunde ze iuwern vröuden hin gegeben, ich wolte ouch deste kurzer leben. des getrûwet unde geloubet mir!“
Einerseits nimmt Tristan hier in leicht abgewandelter Form Brangänes Beteuerungen, was sie für Tristan und Isolde zu tun bereit wäre, auf (vgl. Tr 14450 – 14460) – durch die gegenseitigen Zusicherungen wird das Verhältnis der beiden als ein Gegenseitiges definiert, das das Glück und Wohl des anderen je über das eigene stellt und dessen Fundament die Treue ist. Andererseits können Tristans Beteuerungen aber auch als ein Einschwören auf die gemeinsamen Werte gelesen werden, wie sich im weiteren Verlauf seiner Rede zeigt. Die Situation ist emotional besonders aufgeladen, was insbesondere Tristans Gebaren illustriert, das den weinenden Tristan jenseits jeder höfischen Etikette zeigt, wenn er mit dem Ausruf „getriuwe, saeligez wîp!“ (Tr 14477) Brangäne in seiner Qual an sich zieht und ihre Wangen und Augen immer wieder küsst (vgl. III.I.1.4: 68 – 69). Das Weinen ist Teil der Redeeinleitung des Ausrufs, es charakterisiert aber nicht nur die Emotionalität der Rede, sondern ist mit Tomasek (1999: 13) auch Zeichen des gegenseitigen Verständnisses und der Solidarität Tristsans und Brangänes, denn „Gesten wie das gemeinsame Weinen, die Umarmung oder der Kuß
Im Zwist mit den Baronen im Vorfeld der zweiten Irlandreise hatte Tristan zumindest eigene Pläne, wie er die Situationen durch eine Veränderung der Erbfolge oder durch den Abschied vom Hof hätte klären können.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
[…] sind […] im Rahmen des gesellschaftlichen Codes der Gebärden als Zeichen solidarischer Haltung zu werten.“ Als Tristan seine Rede fortsetzt, befiehlt er sich und Isolde Brangänes Fürsorge an und gemahnt sie, nach den Maßstäben der Loyalität zu handeln (Tr 14483 – 14489): „schoene“ sprach er „ nû tuot wol und alse der getriuwe sol, und lâzet iu bevolhen sîn mich und die seneden sorgaerîn, die saeligen Îsôte. bedenket ie genôte uns beidiu samet, si unde mich.“
Das Einschwören auf den Wert der triuwe erreicht Tristan, indem er diesen programmatisch immer wieder aufruft: So benennt er ihn als triuwe (Tr 14463), über Personenbezeichnungen zweimal als getriuwe (Tr 14477, 14484) und fordert Brangäne auf, ihm zu getrûwen (Tr 14475). Die Voraussetzung, dass er Isolde und sich Brangäne – auch über ihren Rat hinaus – anbefehlen kann, ihr Schicksal in Brangänes Hände legen kann, gründet darin, dass sie die Position der Getreuen und Vertrauten zuverlässig und loyal erfüllt. Vertrauen und Treue sind hier eng miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Die Redeszene zeichnet sich durch eine besondere Nähe der Figuren zueinander aus, sie findet in einer Sphäre der Vertraulichkeit statt, die – dies machen schon die besprochenen Inhalte deutlich – außerhalb der Öffentlichkeit liegt und auf diese Weise Raum lässt für ein Gebaren, das außerhalb der höfischen Konvention steht. Dieses Gebaren, das die maßlose Verzweiflung, aber auch die Rührung und Dankbarkeit durch eine ganzkörperliche Involviertheit Tristans zum Ausdruck bringt, korreliert inhaltlich mit seiner Rede, deren Emotionalität durch Redeunterbrechungen und den eingeschobenen Ausruf betont wird, aber in Formulierung und Wertausrichtung dem höfischen Wesen ihres Sprechers verpflichtet bleibt und sich durch ein zielgerichtetes Sprechen auszeichnet. Die Nähe der Figuren findet sich auch in den Anreden (reine (Tr 14391); schoene (Tr 14461; 14483); getriuwe, saeligez wîp (Tr 14477)), die nicht auf Repräsentation, sondern auf ein Evozieren von Vertrautheit angelegt sind. Gerade dieses Schaffen von Nähe und Vertrautheit, das Erzeugen von Gemeinsamkeit ist etwas, das – wie schon das Ratsuchen Tristans – eine Wandlung in seinem Charakter erkennen lässt. War er in anderen Szenen, die ihn im verzweifelten Zustand gezeigt haben (wie etwa der Ankunft in Cornwall nach seiner Entführung oder während seiner Irlandreisen), immer primär darauf aus, aus der Gemeinschaft herauszustechen und seine Autarkheit nicht völlig aus der Hand zu geben, sondern als Regisseur über die Kommunikation die Handlungsverläufe kalkuliert zu gestalten, so gibt er sein Schicksal nun dezidiert in andere Hände, ist nicht mehr der Regisseur, sondern ein Akteur, der einem fremden Drehbuch folgt und sich nach Anweisungen anderer richtet. Er ist als Liebender kein Einzelspieler mehr, sondern eingewoben
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in einen Personenverbund, dem er bedingungslos zugehörig ist und bei dem er nicht, wie etwa bei der Entscheidung für den Markehof und gegen Parmenien, wählen kann, ob er Teil eines sozialen Gefüges sein möchte oder nicht. Tristan ist als Figur nicht mehr alleine zu denken, sondern – und auch dies zeigt seine Rede – immer im Verbund mit Isolde. Er agiert nicht mehr nur für sich und benötigt den Personenverbund, dem er sich anschließt, eben nicht mehr für die Inszenierung seiner selbst und Darstellung seiner Einzigartigkeit, sondern als Teil eines Gefüges, in dem ihm ein weibliches Äquivalent zur Seite steht. Anders als z. B. als Herrscher über Parmenien in der kämpferischen Auseinandersetzung mit Morgans Leuten zeigt sich Tristan nun nicht mehr ausschließlich auf sein eigenes Schicksal konzentriert, sondern muss Isoldes Schicksal mitdenken und in sein Tun miteinbeziehen. Diese Wandlung in Tristans Reden und Gebaren zeigt sich nach der Einnahme des Minnetranks (vgl. Tr 12078 ff.), im oben dargestellten Gesprächsverlauf mit Brangäne und dann vor allem in der sich bald anschließenden Baumgartenszene (vgl. zur stoff- und motivgeschichtlichen Einordnung Dicke 2002; Barandun 2009: 122– 123). Diese lebt von der Darstellung des, wie Dicke (2002: 217) es nennt, kongenialen Gemeinschaftshandeln des Liebespaares. Nach acht unentdeckten Treffen im Baumgarten kommt der Zwerg Melot dem Liebespaar auf die Schliche. Er berichtet Marke von den Treffen und arrangiert einen Hinterhalt, der das Liebespaar überführen soll (vgl. 14502– 14612). Der Baumgarten ist ein ambivalenter Ort, der als „Teil einer Übergangssphäre, die vom höfischen Kulturbereich in den Wald hinausweist“ (Baier 2005: 197)²¹⁹, dem Höfischen und Unhöfischen gleichermaßen einen Platz zuweist: „Sowohl höfische Begegnung als auch unhöfische Bedrohung sind in diesen Naturort eingewoben.“ (Ebd.). Wichtige Faktoren, die den Baumgarten als Ort für die Liebenden auszeichnen, sind eine Reduktion – aber eben nicht der völlige Ausschluss – der Öffentlichkeit auf der einen Seite, die Entfernung vom Hof auf der anderen Seite. Diese räumliche Distanz erschwert […] die Kommunikation der Liebenden. An dieser Stelle zeigt sich eindringlich, wie sich der Einfluss des exkludierten Dritten auf die Binnenkommunikation der Dyade vollziehen kann. Da die intime Kommunikation der Nähe unterbunden ist, greifen die Liebenden zu dem geheimen Zeichen des Initialenspans, das nur ihnen selbst, den Inkludierten, verständlich ist (V. 14423 – 14427). (Ebd.)
Die List mit den Spänen bedeutet eine haptische Erweiterung der Arkansprache der Liebenden, die nun nicht mehr rein innerhöfisch ihren Platz hat, sondern den Liebenden zumindest zeitweilig einen neuen Raum erschließt und sie selbst auf besondere Weise Nähe in die Fernkommunikation einweben lässt. Denn „diese Zeichen [sind] nicht bloß Mittler einer Nachricht […]; vielmehr werden sie durch die namentliche Signierung Stellvertreter der Liebenden“ (Kaminski 2008: 20). Außerdem wird „Der Gegensatz von Wald und Hof ist […] nicht nur topographisch zu verstehen als Unterscheidung von agrarischem und höfischem Bereich und nicht nur soziologisch als tatsächliche Alternative von bäuerlichem und adligem Leben, sondern primär moralisch als Abgrenzung der prämiierten von den nicht prämiierten adligen Verhaltensweisen.“ (Wenzel 1986: 280).
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über die Späne, so Baier (2005: 197– 198), „das verschlungene Initialenspiel wieder [aufgenommen], mit der die Einheit der Liebenden immer wieder deutlich gemacht wird. Gleichwohl trägt es auch die Distanz symbolisch in sich, die durch Markes Verdikt die Liebenden trennt.“²²⁰ Die Baumgartenszene ist nicht nur durch den Ort der Sphäre der Heimlichkeit zugeordnet, sondern auch durch ihre Situierung in der Nacht, die gleichermaßen „Gelegenheit für die Liebe zwischen Tristan und Isolde“ (Wenzel 1988b: 346) gibt wie auch der „bevorzugte Raum heimlichen Handelns, der Raum für List und Gegenlist“ (ebd.) ist. Die Heimlichkeit betrifft in dieser Szene nun sowohl das Stelldichein des Liebespaares als auch die List der Lauscher, die sich vor den Liebenden verbergen. Dass die Nacht hier die „Beschützerin der Liebenden“ (ebd.: Anm. 28) ist, wird deutlich, als die potentiell die Vertraulichkeit gefährdende, weil enthüllende Komponente des Mondlichts²²¹ hinzutritt, während Tristan die Späne, sîne boten (Tr 14616)²²², ins Wasser lässt und ihnen sinnend hinterher blickt – der Mondschein verrät nun aber gerade nicht die Liebenden, sondern lässt Tristan den Schatten der Lauscher erkennen und ermöglicht es ihm insofern, sein Verhalten der neuen Situation anzupassen (vgl. Tr 14615 – 14636). Tristans Blick ist, wie auch sonst, ungetrübt, er durschaut Situationen und kann sich ihnen anpassen – Liebe macht hier nicht blind. Tristans erste Reaktion auf seine Entdeckung ist ein Anrufen Gottes um Hilfe, so wie er es auch zuvor in bedrohlichen Situationen gemacht hat. Hier ist der Gebets-
Auch Kaminski (2008: 22) verweist auf den Zusammenhang mit dem Initialenspiel: „Doch unterliegen die Akrosticha im Tristan einer besonderen Darstellungslogik: versiegeln den Text nicht bloß paratextuell, wie ein Titelblatt, durch Autorname, Werktitel oder ähnliches als autorisiertes Werk, sondern nehmen kryptographisch, als abbreviatorische Zeichen für Eingeweihte, an der Fiktionsbildung teil. Wie Tristan seine Späne mit ‚ein[em] t‘, ‚ein[em] î‘ (14426 f.) signiert und darin zugleich ein Ikon für die ersehnte, durch die Übermittlung des Spans herbeizuführende Einheit der Liebenden schafft, so setzt auch der Autor, indem er seinen Text akrostichisch mit den Angaben von Absender, Empfänger und Titel versieht, im Medium dieser Signatur ikonisch etwas in Szene: das ‚Umarmungsspiel‘, dessen expressive Wirkung sich nur dann entfaltet, wenn dahinter die Vorstellung körperlicher Umarmung der Liebenden Raum gewinnt.“ Kaminski (ebd.) betont weiterhin den Umstand, dass hier eine Zergliederung der Namen in einzelne Buchstaben vorliegt und weist auf die im Verlauf immer weitere Entfernung der Einzelbuchstaben hin, die wiederum „mit fortschreitender Lektüre einen Prozeß des Sich-voneinander-Entfernens [abbilden].“ (Kaminski verweist hier auf Scholte 1942: 283, zieht aber einen späteren Abdruck heran). (Vgl. insgesamt zu den Akrosticha ebd. sowie Schirock 1984). Hahn (1963b: 27– 28) kontrastiert das Motiv des enthüllenden Mondlichts mit der Nacht selbst, die einen verbergenden Charakter habe und die Dunkelheit dem Schutz der Liebenden diene. Dabei entspreche „[d]ie nächtliche Finsternis […] dem Verborgenen und Dunklen des menschlichen Tuns […].“ Die Boten übernehmen hier tatsächlich eine – in indirekter Rede dargestellte – sprechende Aufgabe, wenn sie Tristans Nachricht übermitteln (Tr 14619 – 14621): die seiten ie genôte / der seneden Îsôte, / daz ir geselle ware dâ.
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halbmonolog angepasst an die Situation kein laut geäußerter, sondern ein gedachter (Tr 14637– 14656):²²³ „got hêrre“ dâhte er wider sich „beschirme Îsôte unde mich! ist daz si dise lâge niht bî disem schate inzît ersîht, sô gât si vür sich her ze mir. geschiht ouch daz, sô werden wir ze jâmer und ze leide. got hêrre, habe uns beide durch dîne güete in dîner pflege! bewar Îsôte an disem wege. beleite sunder alle ir trite. warne die reinen eteswâ mite dirre lâge und dirre archeit, die man ûf uns zwei hât geleit, ê s’iht gespreche oder getuo, dâ man iht arges denke zuo! jâ hêrre got, erbarme dich über sî und über mich! unser êre und unser leben daz sî dir hînaht ergeben!“
Die Dringlichkeit des Gebets zeigt sich in der dreifachen Anrufung Gottes,²²⁴ die die Rede in aufeinander aufbauende Bittabschnitte gliedert. Die erste Anrufung Gottes ist eine Bitte um den Schutz Gottes. Es ist der Wunsch, dass Gott die Liebenden beschirmen, also aktiv gegen einen Angriff verteidigen möge.²²⁵ Daraufhin erörtert Tristan das Szenario, dass Isolde die Falle nicht erkennen und entsprechend direkt zu ihm kommen könne – als Konsequenz würde dies Kummer und Leid der Liebenden bedeuten. Die Schilderung ist als indirekt formulierte Bitte zu verstehen, zu verhin-
Schnyder (2003: 249) sieht in dem Entdecken der Lauscher eine Umsetzung von 1 Kor 13,12 (Videmus nunc per speculum in enigmate tunc autem facie et faciem.), wobei Tristan die Gefahr nicht durch eine Suche, „sondern die ‚contemplatio cordis‘, das Bedenken in sînem herzen“ erkenne. „Nur so richtet er den Blick auf das ‚dunkle Bild‘ und erkennt darin, während Marke und Melot, den Blick auf das äußere Geschehen gerichtet, nicht zu erkennen vermögen. […] Richtet Tristan in seiner Angst ein Gebet an Gott, so anerkennt er hinter dem Schattenbild die ‚Wahrheit‘, in deren Schutz allein er sich und Isolde stellt, gibt er seinem Glauben und seiner Hoffnung Ausdruck.“ Weber (1953: 108) nimmt Tristans Anrufung Gottes hier nicht ernst, sondern degradiert diese zu „Gotteszitaten“, die er geradezu entrüstet als „Zeugnisse zerspaltenen Seelentums“ bezeichnet, die „aus den Untiefen inneren und äußeren Getriebenseins“ kämen und „mit christlicher Einstellung […] nur wenig mehr zu tun [haben].“ Dass Tristan Gott hier nicht für Unwahrheiten einbindet, übersieht er (vgl. Haug 2011: 592). beschirmen kann die Bedeutung ‚beschützen wie mit einem schilde (schirm), vertheidigen‘ tragen, wodurch gerade der aktive Schutz vor Feinden wie in einer kriegerischen Handlung betont wird (vgl. Lexer 1872: 208).
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dern, dass Isolde in die Falle tappt und ergo als Aufforderung, Isolde die Falle erkennen zu lassen. Die zweite Anrufung baut darauf konkret auf: Gott möge die Liebenden in seine Obhut nehmen. Tristan fleht Gott imperativisch an, Isolde auf dem Weg zu beschützen und ihre Schritte zu lenken. Er bittet ihn, Isolde eteswâ mite vor dem Hinterhalt zu warnen – auf welche Weise dies geschehen könnte, benennt er nicht, umso wichtiger aber, wann dies geschehen soll: bevor Isolde etwas sagen oder tun kann, das negativ ausgelegt werden könnte. Abschließend bittet Tristan um Gottes Erbarmen und befiehlt Gott seine und Isoldes Ehre und ihr Leben für diese Nacht an. Neben Tristans Verzweiflung werden auch seine Gotteszugewandtheit²²⁶ und die Reflektiertheit deutlich, mit der er die Situation grundsätzlich betrachtet. Sein Hauptaugenmerk liegt auf Isoldes Verhalten, gleichermaßen aber auch auf ihrem Schutz. Auch sein eigenes Leben hängt von Isoldes Handeln ab, dass er aber ihren Schutz über den seinen stellt, wird schon dadurch deutlich, dass er sie jeweils zuerst nennt, wenn er Gott um Schutz anfleht und sie insgesamt im Zentrum seines Gebetes steht. Mit Isoldes Erscheinen im Baumgarten beginnt „die unausgesprochene ad hocInszenierung völliger Unschuld, nicht in einseitiger Regie durch die Ehebrecherin, sondern in der Verantwortung und in vollendeter Konsonanz und in blindem gegenseitigen Verstehen beider Liebespartner“ (Dicke 2002: 218). Die Darstellung des Gemeinschaftshandelns ist hier mit Barandun (2009: 121) als singulär zu bewerten: „Ihre Fähigkeit, blitzschnell zu reagieren, und ihre Bravour, mit Zeichen und Worten gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen zu kommunizieren, beweisen Tristan und Isolde nur dieses eine Mal.“ Tristans Kommunikation Isolde gegenüber beginnt mit dem Unterlassen von konventionellen kommunikativen Zeichen wie z. B. einem Grüßen o. ä. Gerade aber dieses Unterlassen stellt eine nonverbale Kommunikation dar, da es sich um ein vom normalen Gebaren Tristans abweichendes Verhalten handelt, das anzeigt, dass auch das Zusammentreffen hier von den vorigen Zusammenkünften abweicht (Tr 14679 – 14682): nu daz si im kam sô nâhen, daz si beide ein ander sâhen, Tristan stuont allez ze stete, daz er doch nie dâ vor getete.
Dass Tristan Gott hier um Hilfe anfleht, spricht m. E. dagegen, aufgrund einer „Instumentalisierung Gottes“ in den Listen – auch im folgenden Dialog in der Baumgartenszene – wie Schnell (1992: 98 – 99) einen Gottesbegriff für den Tristan anzusetzen, bei dem es sich um „eine leere Hülle, die beliebig eingesetzt werden kann (und nur noch dank ihrer traditionellen offiziell-orthodoxen Bedeutung Beglaubigungskraft besetzt)“, handelt. Tristan beruft sich von Beginn an immer wieder auf Gott und ruft diesen in gefährlichen Situationen um Hilfe an. Schnyder (2003: 249) urteilt im Kontext der Baumgartenszene: „Die Liebenden stellen sich und stehen in Gottes Schutz.“ Auch Ruh (1980: 251) konstatiert: „Als besonders bedenklich schien der Kritik, daß Gott auch für Verstellung und List in Anspruch genommen wird; das beweist indes nur, daß Gottes Existenz und Gottes aktive Teilhabe am Leben des Menschen als selbstverständlich gelten, beweist auch den Glauben, daß Gott dem Menschen helfen kann und helfen will.“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Tristan verhält sich hier nicht nur anders, sondern bewusst distanzierend²²⁷, indem er entgegen seiner Gewohnheit die Distanz zu Isolde nicht durch ein Entgegenkommen verringert. Tristan übernimmt auf diese Weise die Warnung, um die er Gott gebeten hat, seine Bewegungslosigkeit beeinflusst auch die Bewegung Isoldes, die sich nun lîse gênde (Tr 14692) nähert – insofern tritt hier tatsächlich eine Lenkung der Schritte Isoldes ein und sie erkennt den Hinterhalt. Der Erzähler expliziert, dass das Erkennen ouch an dem gebâre, / den Tristan zʼir haete (Tr 14698 – 14699) liegt und ebenso erkennt sie an diesem Gebaren, dass auch Tristan den Hinterhalt erkannt hat (vgl. Tr 14710 – 14715). Isolde stellt in ihrer mehrdeutig formulierten Rede klar, dass das Treffen auf Tristans Initiative hin stattfindet, da dieser um eine Unterredung mit ihr gebeten habe, erfragt u. a. sein Ansinnen und beschwert sich über die Gerüchte bei Hof (vgl. Tr 14716 – 14792).²²⁸ Tristan nimmt Isoldes doppelsinnige Inszenierung von Tugend und Moral auf und nutzt ihre Beschwerde über die Gerüchte, um ihr – indirekt an die Lauscher adressiert – ein Leumundszeugnis auszustellen über ihre Absicht, richtig zu handeln, wobei er die Lügner dafür verantwortlich macht, dies zu verhindern. Tristan greift also bewusst die Zuhörer an, die ja gerade für die Gerüchte verantwortlich sind, und diskreditiert sie so Marke (der ebenfalls beteiligt ist) gegenüber. Er betont seine und Isoldes Unschuld, indem er sie mehrfach, leicht variiert, benennt, indem er von michelen unschulden (Tr 14802) spricht, akzentuiert, daz ich sô rehte unschuldic bin (Tr 14807), und herausstellt, dass Marke seinen Zorn und Hass ihm gegenüber âne schulde treit (Tr 14811). Die Inszenierung aus Unschuld gipfelt darin, dass Tristan schließlich seine Sorge um das Ansehen der involvierten Figuren nicht nur benennt, sondern als Begründung für seine vorgeblich geplanten nächsten Schritte heranzieht. So fordert er Isolde dazu auf, ihren Einfluss auf Marke geltend zu machen, so dass er und sie Tristan binnen der Frist einer Woche so begegnen sollen, als ob ir mir genaedic sît (Tr 14817), dann wolle er das Land verlassen. Tristan argumentiert, dass ein anderes Verhalten ihrer aller Ansehen gefährden würde (Tr 14820 – 14821): wir verliesen unser êre, der künec mîn hêrre und ir und ich,
da es ihre Feinde in ihren Gerüchten bestätigen würde. Tristan verpflichtet Isolde also auf den höfischen Wertecodex und inszeniert sich selbst als denjenigen, der bereit
Das Spiel mit Nähe und Distanz prägt die gesamte Episode. Distanz wird hier mit Zotz (2002: 127) nicht nur über Tristans körperliche Distanziertheit ausgedrückt, sondern auch durch die „Monologizität“ der Reden, das Vorspielen einer „geringe[n] emotionale[n] Beteiligung“ und die Äußerung der „Segenswünsche“ – hierdurch „entsteht der Eindrück größtmöglicher Distanz bei tatsächlichem größtem Einverständnis der Liebenden.“ Classen (2002: 294) betont, dass die Liebenden auf „eine List [zurückgreifen], die keineswegs neu ist, ja, die sie ständig in der Öffentlichkeit eingesetzt haben: die doppelte Sprache. Was sie zueinander sagen, besitzt zweifachen Sinn, der eine intendiert für die Lauschenden, der andere für einander bestimmt (14716 ff.).“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
wäre, seine Teilhabe am Leben des Markehofes für die Ehrrettung des Königspaares aufzugeben, sich selbst also regelrecht zu opfern. Seine Bitte, dass er den Markehof nicht mit des küniges unminnen (Tr 14828) verlassen wolle, positioniert er geschickt in die potentielle Rede der gemeinsamen Feinde. Diese Rede gibt er selbst als direkte Rede wieder und illustriert so besonders eindringlich die drohenden Gerüchte, indem er ihre mögliche Formulierung konkret vorwegnimmt. Durch diese Konkretisierung verliert die fingierte Rede einen Teil ihrer Optionalität und Zukünftigkeit und rückt über diese erste Realisierung in den Bereich des gegenwärtig Faktischen. Indem Tristan vorgibt, Markes unminnen vermeiden zu wollen und sich selbst als unschuldiges Opfer der Lügner stilisiert, das bereit ist, seine gesellschaftliche Stellung am Markehof aufzugeben, um so nicht nur sich selbst, sondern auch das Königspaar zu schützen, drückt Tristan implizit seine minne zu Marke aus und rückt auf diese Weise weniger seine Beziehung zu Isolde, sondern vielmehr seine Verbindung zu Marke in den Fokus seiner Überlegungen. Isolde wird zwar als Mitopfer dargestellt, vor allem aber benötigt Tristan sie in seiner Darstellung als Medium der Kommunikation mit Marke, die unter dem Einfluss der Lügner nicht mehr unmittelbar möglich scheint, sondern der Fürsprache einer anderen Figur bedarf. Hierin ist ein wesentlicher Wandel im Verhältnis von Tristan und Marke zu sehen:Vor seiner Liason mit Isolde hat Tristan seine Angelegenheiten immer selbst geregelt und Marke gegenüber keiner vermittelnden Instanz bedurft. Die Dringlichkeit dieser Angelegenheit muss Marke alleine dadurch verdeutlicht werden, dass Tristan, um ihn zu schützen, sich und Isolde des Risikos eines heimlichen Treffens aussetzt, obwohl ihm der Kontakt zu den Frauen von Marke untersagt wurde (vgl. Tr 14284– 14293). Isolde, die ebenfalls Tristans Unschuld betont, sagt ihm zögerlich und unter Schilderung ihrer Bedenken zu, Marke Tristans Bitte vorzutragen. Tristan bringt in seiner Antwort nicht nur seine Dankbarkeit zum Ausdruck, sondern nimmt den endgültigen Abschied für alle Fälle vorweg und diese Situation zum Anlass, noch einmal Isoldes Tadellosigkeit hervorzuheben (Tr 14892– 14906): „genâde vrouwe“ sprach Tristan „und swaz rede ir vindet dâ, daz enbietet mir iesâ. wirde aber ich ihtes gewar und lîhte alsô von hinnen var, daz ich iuch nie mêre sehe, swaz sô mir danne geschehe, vil tugenthafte künigîn, sô müezet ir gesegenet sîn von allem himelischem her! wan got weiz wol, erde unde mer diun getruogen nie sô reine wîp. vrouwe, iuwer sêle und iuwer lîp, iuwer êre und iuwer leben diu sîn iemer gote ergeben!“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Tristans Abschied erweist sich als Bestätigung seiner Glaubwürdigkeit. Seine Rede ist auf der Oberfläche unauffällig formuliert und entspricht den Vorgaben an das höfische Sprechen, indem Tristan Isolde standeskonform zweimal mit vrouwe und einmal mit künigîn anspricht und sie den höfischen Konventionen gemäß zum Abschied Gott anempfiehlt. Die Anreden entsprechen grundsätzlich der Distanziertheit und Hierarchieabbildung des höfischen Sprechens und damit einhergehend der Ehrung Isoldes und lassen nicht auf eine besondere Nähe der Sprecher schließen – auch dann nicht, als Tristan Isolde, immer noch im Rahmen der höfischen Normen nicht nur ihrem Status entsprechend als künigîn, sondern ehrend als vil tugenthafte künigîn anspricht. Diese Formulierung wäre für sich genommen immer noch im Bereich der höfischen Anredestandards zu verorten und würde nicht weiter auffallen – gerade dies aber macht es Tristan möglich, dergestalt subtil auf Isoldes Tugend abzuheben und hiermit einen Königinnenpreis einhergehen zu lassen, den er in den Segenswunsch einbindet, wobei gerade der Segenswunsch durch seine tendenzielle Formelhaftigkeit in den Bereich sprachlicher Distanzierung einzuordnen ist (vgl. Zotz 2002: 127). Auch hier rückt er Isoldes Tugendhaftigkeit gekonnt ins Zentrum, indem er seinen Segenswunsch mit Isoldes Reinheit begründet und diese als einzigartig herausstellt: Weder Meer noch Land hätten jemals eine reinere Frau getragen. Tristan hebt auf diese Weise nicht nur die Allumfasstheit von Isoldes Reinheit hervor, sondern benennt explizit alle Bereiche, in denen er und Isolde zusammen waren und somit theoretisch (und faktisch auch praktisch) Gelegenheit zum Betrug gehabt hätten. Indem er sie Gott auf diese Weise anempfiehlt, macht er Gott zum Zeugen seiner Aussagen, da der Segenswunsch nur dann in der überlagerten kommunikativen Ebene – durch den Segenswunsch wird auch Gott adressiert – erfolgreich sein kann, wenn Tristan von seinen Aussagen überzeugt ist. Marke wird so auf eindringliche Weise sein vermeintlicher Irrtum und sein unrechtes Handeln vorgeführt, umso stärker, als Tristan hier noch einmal den höfischen Schlüsselbegriff der êre verwendet. Hier findet sich also ein Rückbezug auf seine und Isoldes Reden und die Gefährdung der Ehre des Figurendreiecks durch Markes Verdächtigungen und die mit ihnen korrelierenden Gerüchte bei Hof. Gleichermaßen rundet der Segenswunsch die Szene auch kommunikativ ab – hatte Tristan sich selbst und vor allem Isolde doch bereits vor ihrem Eintreffen im stillen Gebet Gott anempfohlen.²²⁹ Die Kommunikation des Liebespaares erweist sich als auf den unterschiedlichen angesprochenen kommunikativen Ebenen erfolgreich.
Weber (1953: 110) urteilt nicht nur insgesamt scharf über das Gottesverhältnis der Figuren im Tristan, sondern verurteilt auch den Segenswunsch und sieht hierin einen „mühsam verhaltene[n] Liebesausbruch […], [der] höchstens subjektive Wahrheiten [enthält] und […] letztlich in die Reihe der Zweideutigkeiten [gehört].“ Zwar ist die Rede hier durch die doppelte Adressierung grundsätzlich darauf angelegt, von diesen verschiedenen Adressaten gedeutet zu werden, und sicher entspricht das Bild von Isoldes Reinheit nicht den Tatsachen; die Analyse Webers greift hier allerdings zu kurz und ist darum bemüht, Tristan eine Gottesferne, das „Gottwidrige[ ]“ (ebd.: 102) nachzuweisen und diesen per se als unchristlich zu charakterisieren.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Die eigentliche Schlüsselrolle des Dialoges kommt Isoldes Liebesgeständnis zu, das mit seiner doppelten Adressierung die Wahrheit gleichermaßen ent- und verhüllt (vgl. Schnell 1992: 238). Entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Dialoges ist jedoch die Verschränkung der Wortlist in den Reden beider Partner, die hier gemeinschaftlich handeln und in der Lage sind, ihren Dialog so aufzubauen, dass sie sich gegenseitig Handlungsbälle zuspielen, die ihnen jeweils eine schnelle und glaubwürdige Reaktion auf die Vorreden erlauben, wobei sie die Lauscher geschickt miteinbeziehen: Sie präsentieren ihnen ihre Perspektive auf das Unrecht, die wiederum nicht nur die eigene Unschuld, sondern auch die des Partners glaubwürdig illustriert. Isolde kann sich hierbei als liebende Ehefrau inszenieren, Tristan als treu ergebener Neffe und Höfling Markes, der seine eigene Teilhabe am Hofleben aufzugeben bereit ist, um nicht nur die eigene Ehre, sondern vor allem die des Königspaares und ergo des gesamten Hofes zu schützen. Dies wiederum macht eine Opposition zu den explizit als Lügner betitelten Verbreitern der Gerüchte um das Verhältnis auf, also Marke, Melot und auch Marjodo, es wirft vom moralischen Standpunkt her ein schlechtes Licht auf sie: Sie sind diejenigen, die als überführt und im Gegensatz zum Liebespaar schuldig erscheinen. Hier zeigt sich das sprachliche Können des Liebespaars in besonderer Weise, da es eben nicht eine der Figuren im Alleingang ist, sondern eine unabgesprochene, spontane gemeinsame List, die von einem schnellen Reaktionsvermögen, von einem Verlassenkönnen auf den Dialogpartner, von einem subtilen und mehrfachcodierten Umgang mit Sprache lebt (vgl. Barandun 2009: 121). Hierbei brillieren die Liebenden sowohl in ihren Einzelreden als auch im Aufeinander-Abstimmen des Gesagten, das Segmente der einzelnen Reden aufnehmen und variieren kann, dies aber nicht in einer Offensichtlichkeit praktiziert, die als überführend gewertet werden könnte. Abgesehen von einer weiteren Warnung an Isolde (vgl. Tr 15080 – 15101; vgl. Anm. 213) findet die folgende in der Narration dargestellte Kommunikation Tristans vor allem außerhalb des Markehofes statt, so etwa bei Tristans Reise zu Gilan, wo er Isolde das Hündchen Petitcrü erstreitet. In diesem Kontext sucht Tristan Kontakt zu Isolde, so dass eine Verbindung zum Markehof gegeben ist, wenn auch keine direkte. Über einen Boten will er ihr nicht nur den Hund zukommen lassen, sondern darüber hinaus auch Briefe.Während der Inhalt von Tristans Briefen keine weitere Rolle spielt, wird Isoldes Antwort referiert, da Tristan das Heimkommen gestattet wird. Insgesamt wird auf diese Weise nicht nur Tristans Rückkehr an den Hof initiiert, sondern darüber hinaus gezeigt, dass die Liebenden auch im Zustand der Trennung miteinander kommunizieren; dies haben sie bereits im Kontext der Initialspanlist getan, hier bedienen sie sich nun eines Botens und des Mediums, wobei der Bote offenbar tatsächlich nur die Briefe und nicht die Nachrichten überbringt und zudem ausschließlich mit Brangäne, nicht aber mit Isolde persönlich spricht (vgl. Tr 16271– 16293).²³⁰
Hier ist der Bote nicht wichtiger als die Briefe, die scheinbar Nachrichten enthalten, die nur für die
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Auch im Anschluss an die Verbannung der Liebenden vom Hof als Reaktion auf ihr Gebaren und ihren Aufenthalt in der Minnegrotte ist es ein Bote, der den Kontakt Tristans und Isoldes zum Hof wiederherstellt: Kurvenal richtet den Liebenden Markes Wunsch aus, sie möchten an den Hof zurückkehren. Tristan und Isolde freuen sich darüber, wenngleich vor allem durch got und durch ir êre (Tr 17698)²³¹. Die Kommunikation der Liebenden wird nun explizit eingeschränkt, und zwar sowohl auf verbaler wie nonverbaler Ebene: Marke fordert die Liebenden dazu auf, dass sie die vil süezen stricke / ir inneclîchen blicke / vermiten und verbaeren / und niht sô heinlîch waeren / noch sô gemeine ir rede als ê (Tr 17717– 17721) und untersagt ihnen dergestalt „[auch] die letzte Kontaktmöglichkeit“ (Tax 1971: 149). Die Arkansprache der Liebenden, die unter Beobachtung des Hofes und Markes Stück für Stück den Status einer wirklich geheimen Kommunikation verloren hat und zuletzt bereits rein aufs Gebaren bezogen schon zu offensichtlich war,²³² um die Liebe des Paares verbergen zu können, soll nun von außen unterbunden und verhindert werden. Unter dem Blick des argwöhnischen Königs und des Hofes ist nun aber im Grunde jede Form der Kommunikation zwischen den Liebenden eine vertraute, das Geheime ist längst offensichtlich – eine direkte Kommunikation der Liebenden wird entsprechend bis zu ihrer Entdeckung nicht mehr dargestellt. Das Verbot eines vertrauten Kontaktes, das bei der vertraulichen Kommunikation einsetzt, die Qual der übermäßigen huote ²³³ (vgl. 17817– 18114) führt schließlich zu einem Aufbäumen der Liebenden, zu einem bewussten Zuwiderhandeln gegen das königliche Verbot: Ein Bote lockt Tristan auf Isoldes Initiative hin zu ihr in den Baumgarten, unter dem Vorwand, dass Tristan Isolde dort sprechen solle (vgl. Tr 18159 – 18161). Das Sprechen wird hier zum Gegenstand der Verführung – und durch Markes Interpretation der Kommunikation und seinem daraus resultierenden Verbot steht das Sprechen an sich schon für einen Betrug, allein der kommunikative Akt stellt eine Zuwiderhandlung gegen die königlichen Anordnungen dar. So wird das Sprechen hier tatsächlich zum Synonym für das finale Stelldichein, durch das sich der Blick auf die beteiligten Figuren ändert. Isolde als Initiatorin wird zu Eva und Tristan zu Adam, der daz obez, daz ime sîn Eve bôt (Tr 18163)²³⁴, annimmt. Die „Analogie zum
Liebenden bestimmt sind (vgl. zur Relation von Boten und Briefen im Mittelalter z. B. Hoffmann 1964: 145). Haug (2011: 683 – 686) gibt einen guten Überblick über die umfangreichen mit dieser Wendung verbundenen Interpretationsvorschläge. Das Gebaren und insbesondere die Blicke der Liebenden hatten ihre Verbannung vom Hof bewirkt. „Gemäß seinen huote-Reflexionen sieht Gottfried die Schuld am Hervorbrechen des blinden Minneverlangens, das zur Trennung der Liebenden führt, nicht in seinem sinnlichen Charakter, sondern in der verwazenen huote (17845). Sie treibt die Liebenden zum Äußersten[.]“ (Hahn 1963a: 193.Vgl. zu einer Analyse des huote-Exkurses insgesamt ebd.). Weber (1953: 280) stellt hier einen Bezug zu Bernhard von Clairvaux her: „In concreto hatte schon Bernhard die Wendung ‚seine‘ Eva (= Adams Eva) gebraucht (vgl. 18163, auf Isolde bezogen) und, ganz auf Augustinus fußend, ausgesprochen, daß die im Zwange der Begierde Lebenden ‚Gott und sich
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Sündenfall“ (Haug 2011: 705) wird dadurch hervorgerufen, dass – im Gegensatz zur Minnetrank-Episode – ein bewusstes Handeln vorliegt, ein gezieltes Übertreten des königlichen Verbots. Marke entdeckt die Liebenden schlafend im Baumgarten, allerdings ohne Zeugen, und geht schweigend fort. Tristan sieht ihn im Fortgehen und dieses Sehen leitet seine Rede ein, seinen Ausruf, der zunächst nicht das eigene, sondern Brangänes Handeln für die Situation, in der sie sich befinden, verantwortlich macht (vgl. Dimpel 2011: 275) (Tr 18245 – 18253): Nu enwas ouch daz sô schiere nie, daz Marke von dem bette gie und harte unverre was dervan, sô daz erwachet ouch Tristan und sach in von dem bette gân. „â“ sprach er „waz habt ir getân, getriuwe Brangaene! weiz got Brangaene, ich waene, diz slâfen gât uns an den lîp.[“]
Tristans Vorwurf richtet sich an Brangäne – die er, auch wenn sie als Wächterin (vgl. hierzu Lienert 2006: 265) versagt hat, immer noch als getriuwe bezeichnet. Hier nur von einer vorwurfsvollen Ironisierung auszugehen (vgl. ebd.: 264), greift meines Erachtens zu kurz, weil Brangäne gerade in Liebesnöten immer die erste Ansprechpartnerin ist und ihre Loyalität dem Paar gegenüber die sie vor allen anderen auszeichnende Eigenschaft ist, die in Tristans Unterredungen mit ihr immer wieder Thema und oft auch Bestandteil der Anreden ist (vgl. Tr 12090 – 12096; 12101– 12122; 14461– 14475; 14477; 14483 – 14489). Brangäne begeht hier keinen Verrat, sondern eine Unachtsamkeit, die im Übrigen auch für sie selbst nicht folgenlos bleiben wird. So resümmiert Tristan die Folgen, die diz slâfen haben wird, lakonisch als tödlich. Erneut adressiert er die abwesende Brangäne. Seine Rede ist dialogisch gestaltet, aber faktisch ein Monolog an eine abwesende Instanz. Tristan erwartet hier keine Antworten, die Fakten liegen klar auf der Hand, aber er muss sie aussprechen, sich ihrer vergegenwärtigen, bevor er Isolde aufweckt. Auch macht seine Rede deutlich, dass das gefährdete uns eben nicht nur die Liebenden, sondern potentiell auch Brangäne einschließt, die den Liebenden zu Gelegenheit und Schutz verholfen hat – hierbei trifft Brangäne nicht die vollumfängliche Schuld des aktiven Ehebruchs, aber ihre Position bei Hof ist abhängig von Isoldes Ansehen, so dass zumindest auch Brangänes gesellschaftliches Leben und ihr Ansehen in Gefahr ist.²³⁵ selbst verloren‘ hätten (vgl. 17946, 17966!); vor allem aber hatte er die Idee des dämon meridianus (nach Psalm 90) ausgiebig hin und her gewendet.“ Der Bezug zu Bernhard ist hier durchaus gegeben, allerdings übersieht Weber, dass die Tristanliebe gerade nicht auf eine rein körperlich-sinnliche Ebene zu reduzieren ist (vgl. auch Hahn1963a: 193). Auch Wapnewski (1964: 356) hebt die Verdichtung der Spannung durch den Einbezug Brangänes sowie die in aller Schärfe erfolgte Demonstration ihrer Teilhabe an Tristans und Isoldes Schicksal hervor.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Erst nachdem er ihr Schicksal benannt hat, weckt Tristan Isolde und drückt in seiner Anrede sein Bedauern und über Kosenamen²³⁶ seine Liebe zu Isolde aus (Tr 18254– 18256): [„]Îsôt wachet, armez wîp! wachet, herzekünigîn! ich waene, wir verrâten sîn.“
Das Entsetzen und Erschrecken Tristans spiegelt sich in seinen Exklamationen, sein Drängen in der Doppelung der Aufforderung wachet wider. Auf ihre Nachfrage (vgl. zur Dramatisierung der Szene durch diese Unterbrechung Wapnewski 1964: 356), wie sie denn verraten seien, antwortet Tristan in einer abgeklärten Weise, die das Geschehnis zunächst referiert und auf die Konsequenzen hin analysiert (Tr 18258 – 18265): „mîn hêrre der stuont ob uns hie. er sach uns beide und ich sach in. er gât von uns iezuo dâ hin und weiz binamen alsô wol, sô daz ich ersterben sol. er wil ze disen dingen helfe unde geziuge bringen. er wirbet unseren tôt.[“]
Tristan schildert das Vorgefallene zunächst sehr stark aus seiner Perspektive und mit Bezug auf sich selbst. Seine Rede beginnt, indem er das Verhältnis, das er in diesem Moment zu Marke hat, über das Personalpronomen und die Titulatur zum Ausdruck bringt, indem er ihn als mîn hêrre bezeichnet. Auf diese Weise ist weder das Verwandtschaftsverhältnis mit eingebunden – dies passt aber auch zu den Anreden Tristans an Marke, die stets förmlich bleiben –, noch ist Isoldes und schon gar nicht das gemeinsame Verhältnis zu Marke in den Blick genommen. Tristan schildert, wie Marke die Liebenden und er selbst Marke erblickt hat und wie Marke direkt wieder weggegangen ist. Er deutet Markes Reaktion zuerst mit Blick auf die Konsequenzen für sich selbst. Er rahmt seine richtige Deutung von Markes Handeln, dass dieser Zeugen und Helfer holen wolle, indem er dessen Motivation für diesen Schritt benennt: Er, Tristan, soll sterben. Erst an zweiter Stelle benennt er die tödliche Konsequenz als eine gemeinsame. Wessel (1984: 556) folgert aus dieser Äußerungsfolge, dass Tristan an erster Stelle daran denke, sein eigenes Leben zu retten. Tristan definiert auf diese Weise aber auch das Verhältnis zwischen Marke, sich und Isolde neu, indem er einen Anschlag auf ihr Leben, anders als etwa auf dem Weg zur Minnegrotte, nicht mehr als die potentielle, sondern als die konkrete Gefahr einschätzt, und Marke unterstellt,
Ehrismann (1927: 306) spricht in diesem Zusammenhang von „aus Leid geborenen Liebeskosungsworte[n.]“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sich nun aktiv um den Tod der Liebenden zu bemühen, wobei er außer Acht lässt, dass Marke eine Tötung der Liebenden sofort selbst hätte vornehmen können.²³⁷ Erst auf die Schilderung von Markes Handeln hin nimmt er das gemeinsame Schicksal in den Blick und postuliert die Trennung als einzige mögliche Konsequenz (Tr 18265 – 18269): herzevrouwe, schoene Îsôt, nu müeze wir uns scheiden sô waetlîch, daz uns beiden sô guotiu state niemer mê ze vröuden widervert als ê.
Er eröffnet diesen neuen Sinnabschnitt mit der erneuten Anrede Isoldes mit „Liebkosungsworten“ (Ehrismann 1927: 306), wodurch seine Verbundenheit mit Isolde ausgedrückt wird, bevor er die Trennung durch das Adverb nu als unmittelbar anstehende Maßnahme benennt und durch die Wendung sô waetlich ²³⁸ die Wahrscheinlichkeit ausdrückt, dass die Trennung eine endgültige sein wird. Dass grundsätzlich auch ein gemeinsames Fortgehen möglich wäre, nur ohne die Option, erneut an den Markehof zurückzukehren, lässt Tristan außer Acht, obwohl nicht nur die gemeinsame Flucht seiner Eltern einen solchen Schritt als möglich aufzeigt (vgl. Tr 1554– 1565), sondern auch der Versuch Gandins, Isolde zu entführen, sowie die Verbannung der Liebenden vom Hof.²³⁹ Tristan erweist sich in seinem Handeln erwartungsgemäß als seinem Vater näher als seiner Mutter, da auch Riwalin ohne Zögern bereit war, Blanscheflur am Markehof zurückzulassen (vgl. Classen 2007: 96).²⁴⁰ Tristan ermahnt Isolde (vgl. Huby 1984: 214), sich die Liebe zu ihm bewusst zu erhalten, wobei er die Liebe rückblickend als lûterlîche minne bezeichnet und seine Treue verspricht (Tr 18266 – 18274): nu nemet in iuwer sinne, wie lûterlîche minne wir haben geleitet unze her, und sehet, daz diu noch staete wer. lât mich ûz iuwerm herzen niht!
Marke selbst gibt keinen konkreten Auftrag, die Liebenden zu töten, sondern bleibt allgemeiner, wenn er für den Fall, dass die Seinen den Betrug bezeugen können, um eine dem Landrecht entsprechende Sühne und Genugtuung ersucht (vgl. Tr 18234– 18244). Wäre Marke auf den Tod der Liebenden aus, so hätte er nach Combridge (1964: 133) rechtlich die Möglichkeit gehabt, die Liebenden sofort zu töten. Sein Recht hierauf setzt er eher über das nicht sofortige Eingreifen aufs Spiel (vgl. ebd.: Anm. 70. Vgl. auch Wapnewski 1964: 356). Das Adverb waetlîch kann die Bedeutungen ‚vielleicht, sehr leicht, vermutlich‘ tragen – ‚vermutlich‘ ist hier die passendste (vgl. BMZ III: 779a). Die Verbannung ist rechtlich allerdings von anderer Qualität als die Flucht, da die Verbannung die höfische Ordnung wieder herstellt, bei einer Flucht hingegen die Rechtsordnung verletzt bleibt. Wapnewski (1964: 357– 360) betont, dass erst Isoldes Rede Tristans Fortgang legitimiert und seiner Peinlichkeit enthebt.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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wan swaz dem mînem geschiht, dar ûz enkomet ir niemer. Îsôt diu muoz iemer in Tristandes herzen sîn.
Tristans Aufforderung an Isolde, sich ihrer Liebe zu vergegenwärtigen, bezieht sich durch die Einleitung mit nu auf den aktuellen Zeitpunkt und bildet damit die Basis, auf der seine weiteren Ausführungen von ihr verstanden werden sollen. Gleichermaßen lässt sich die Aufforderung durch Tristans Ausführungen ebenfalls als auf Dauer angelegt lesen, da er seine Liebe zu Isolde als beständig und gegen Widerstände gefeit deklariert. Auf seine Aufforderung, sie solle ihn nicht aus ihrem Herzen lassen, beschreibt er den Zustand seines eigenen Herzens: Denn egal, was auch immer diesem geschehe, so könne Isolde diesem niemer entkommen. Das Entkommen müsste eine aktive Flucht Isoldes voraussetzen.²⁴¹ Aber selbst, wenn Isolde es also darauf anlegen würde, vor Tristan zu fliehen, sein Herz zu verlassen, so würde sie dies nicht können. Tristan bekräftigt diese Aussage unbedingter Zugehörigkeit, indem er von der persönlichen Ebene, auf der er Isolde anspricht, in die dritte Person wechselt und somit das Faktische seiner Aussage betont, das er diesmal positiv formuliert, indem das niemer in ein iemer gewendet wird. Dieses Zusagen und Bekräftigen von Liebe und Treue bildet wiederum die Grundlage für die erneute Ermahnung Isoldes, Tristan nicht zu vergessen (Tr 18280 – 18283): nu sehet, herzevriundîn, daz mir vremede unde verre iemer hin zʼiu gewerre! vergezzet mîn durch keine nôt.
Tristan wendet seine Rede wieder ins Persönliche, indem er Isolde mit einem Kosewort anspricht und sie noch einmal zur Treue auch über Distanz und Trennung hinweg auffordert – diese sollen ihm in Isoldes Gunst nicht abträglich sein. Er bittet sie, ihn unter keinen Umständen zu vergessen. Während seine Beteuerungen und sein Einschwören auf die Treue durchaus sehr persönlich wirken (vgl. Wapnewski 1964: 360) und u. a. durch den gehäuften Gebrauch der Koseworte (vgl. Tr 18255; 18266; 18280) Nähe ausdrücken und erzeugen sollen, so wendet er seine Rede nun ins HöfischDistanzierende (Tr 18284– 18285): [„]dûze amîe, bêle Îsôt, gebietet mir und küsset mich!“
Diesen Wandel vollzieht Tristan stückweise. Lässt sich sein dûze amîe, bêle Îsôt durchaus noch den Koseworten zurechnen (so auch Wapnewski 1964: 360; Ehrisman
Die Bedeutung von mhd. entkomen stimmt mit nhd. entkommen überein (vgl. Lexer 1872: 573). Zu den heutigen Bedeutungsnuancen vgl. www.dwds.de/?view=1&qu=entkommen (28.08. 2018).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
1927: 306), so drückt die Verwendung des Französischen Distanzierung und Höfisierung der Sprache aus. „Die ritualisierte Anrede und die Stilisierung der Geliebten zur Herrin hilft [!] in der Unsicherheit und im Schmerz des Abschieds“, so Zotz (2002: 128). Die Höfisierung sieht Fromm (1954: 133) bereits in Tristans Beklagen, daz uns beiden / sô guotiu state niemer mê / ze vröuden widervert als ê (18267– 18269), das seine Entsprechung im Schlusswort finde, und Tristan dadurch, dass er sich „an dieser entscheidenden Stelle unüberhörbar des höfischen Komments bedient, abgesunken ist auf die im Prolog verachtete Ebene.“ Tristans Rede fügt sich durchaus in sein übliches Problemmanagement in Situationen ein, in denen er sich nicht durch Reden oder Kämpfen retten kann: Schon sein erster Abstieg bei Hof hat in ihm den Wunsch, Cornwall zu verlassen, hervorgerufen, hat ihn in einer Hilflosigkeit gezeigt, in der er sein (physisches) Überleben über seine soziale Stellung und sein Ansehen gestellt hatte (vgl. III.II.1.2.2: 136 – 137). Auch dort wäre er bereit gewesen, die ihm nächste Bezugsperson zu verlassen, auch dort war es u. a. das Verhältnis der beiden Figuren, das zu einer Bedrohung Tristans am Hof geführt hatte bzw. war Tristans Position als Günstling und Königserbe das Mittel der Wahl, ihn zu schwächen, indem ihm diese Position streitig gemacht wurde. Tristan hätte diese Position ohne zu zögern aufgegeben – so, wie er nun auch Isolde ohne zu zögern im Stich lässt und aus seinem eigenen Überlebenstrieb heraus handelt. Auffällig ist, dass er zuerst sein eigenes Leben als gefährdet beschreibt und erst dann in den Blick nimmt, dass ihr beider Leben in Gefahr ist. Dies bedeutet, dass er hier nicht nur seinem ersten Reflex zur Flucht nachgibt, sondern sich durchaus bewusst ist, dass Isolde „nicht minder gefährdet“ (Weber 1953: 184) ist. Obwohl Tristans Sprechen hier nicht rein ich-bezogen bleibt, sondern der Ichbezug, wie Wapnewski (1964:357) festhält, einem Wandel unterliegt, „der sich grammatisch ausdrückt dadurch, daß neben die 1. Person des Singulars die des Plurals tritt: unseren tot (18265), wir uns scheiden (267), uns beiden (268), wir haben (273)“, so bleibt sein Handeln faktisch doch davon bestimmt, dass er hier zwar verbal eine Einheit schafft, dass diese aber auf die Ebene der Sprache beschränkt bleibt und es keineswegs so ist, dass „Tristan […] sich und die Geliebte nur als eine Einheit denken [kann]“, wie Ehrismann (1927: 306) postuliert. Denn trotz seines sogar artikulierten Wissens, „daß beide ihr Leben verlieren können“ (Haug 2011: 709), denkt er weder daran, bei Isolde zu bleiben noch mit ihr gemeinsam zu fliehen. Hier zeigt sich ein Rückfall in alte Verhaltensmuster: Wie schon in vorangegangenen Situationen bleibt Tristans Verantwortlichkeit hier auf sich selbst bezogen. Er weiß sie zwar in schöne Worte zu kleiden und vermag es, „das hinter der Trennung stehende sittliche Problem […] der Treue“ (Wapnewski 1964: 357) auszudrücken.Während er Isolde aber auf diese Treue einschwört und seine eigene fest zusichert, wird er hieran faktisch sehr bald scheitern. Wapnewski (ebd.) folgert aus Tristans Vorgehen: Dieses Schicksal, dessen Verwirklichung so lange unanfechtbar war [!] als es gemäß dem Anspruch seiner Absolutheit gelebt wude, wird sich selbst dementieren, wenn der von ihm Betrof-
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fene aus ihm herausbricht. Nicht seine und Isolts Liebe wird gefährdet durch Tristans Untreue, sondern die Wahrheit ihres Seins.
Dies ist umso deutlicher, als Tristan hier sein eigenes Zugeständnis an die Liebe, seine Bereitschaft, diese Liebe alles sein zu lassen und den Tod für diese gerne in Kauf zu nehmen, wieder aufhebt und somit sein Bekenntnis zur Liebe über den Minnetrank hinaus Lügen straft (vgl. Tr 12494– 12502). Tristan bleibt bis zum Ende eine vereinzelte Figur: Er fällt stückweise aus der (kommunikativen) Gemeinschaft mit Isolde heraus, deren beiderseitige kommunikative Basis – geschaffen über das Enträtseln des Minnegständnisses, gefestigt über die Arkansprache der Liebe im höfischen Umfeld, angegriffen durch den Perspektivwechsel auf die Kommunikation der Liebenden durch Markes Höflinge und Marke selbst, abstrahiert in ein Sprechen und Singen über die Liebe in der Minnegrotte und schließlich verboten durch Marke als demjenigen (sowohl als der Dritte in der Beziehung als auch als Repräsentant des Hofes und der höfischen Welt), den die Arkankommunikation (die eben auch gerade die Gebärden der Liebe einschließt) gerade ausschließen soll, hier beendet wird durch einen Abschied, der in einer höfischen Floskel mündet, die die Distanzierung und Auflösung der Gemeinschaft in der Sprache geradezu greifbar macht.²⁴² Als Liebender am Markehof durchlebt Tristan eine enorme Wandlung – innerhalb seiner Rolle als Liebender, aber auch bezogen auf das Verhalten, das er in Situationen, in denen er andere Rollen bedient, zeigt bzw. bis hierhin gezeigt hat. Den größten Einschnitt stellt sicher Tristans (vorübergehendes) Heraustreten aus dem Status des Einzelnen dar: Tristan zeigt sich als Teil einer vom Hof abgesonderten kommunikativen Gemeinschaft mit Isolde, aber auch mit Brangäne, die besonderen Anteil an der Kommunikation der Liebenden hat. Beginnen diese ihr Leben am Hof zunächst verhältnismäßig unbeschwert und geschützt durch eine eingangs gut funktionierende Arkankommunkation, so ist es Brangäne, die den Liebenden hilft, diese Geheimkommunikation ab dem Zeitpunkt, ab dem sie durch den Perspektivwechsel des Hofes und der damit einhergehenden Beobachtung der Liebenden gefährdet ist, um ein neues Element zu erweitern, indem sie mit der Spanlist das Medium von hölzernen Boten einführt, denen die Liebenden aufgrund des Initialspiels auch als Identitäten inhärent sind. Die besondere kommunikative Verbindung von Tristan und Isolde zeigt sich jedoch nicht nur in der vom Erzähler berichteten Arkankommunikation, sondern insbesondere in ihrer Vorführung im Dialog in der besonderen Situation der ersten Baumgartenepisode. Tristan und Isolde zeigen sich hier in der Lage, ihre gesamte Kommunikation aufeinander abzustimmen: Reden und Gebaren sind so ausgerichtet, dass sie der doppelten Adressierung Rechnung tragen. Tristans Stehenbleiben etwa symbolisiert den vermeintlich unentdeckten Beobachtern Distanzierung – für Isolde bewirkt sie hingegen eine Warnung. Die Reden sind so aufgebaut, dass sie immer die
Anders als Tristan gelingt es Isolde jedoch, die Abschiedsszene durch ihre Worte wieder auf eine höhere Ebene zu führen und die Trennung zu entmaterialisieren (vgl. Wapnewski 1964: 361– 362).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
doppelte Adressierung in sich tragen und bei größtmöglicher Distanzierung Richtung Seiten der Beobachter doch eine in der Situation größtmögliche Nähe der Liebenden erzeugen. Hierbei gelingt durch ein Aufnehmen und Wiederaufnehmen von Inhalten und Ausdrücken eine moralische Bewertung, die ebenfalls doppelt funktioniert und das Liebespaar als unschuldig zeigt und auf diesem Weg den Beobachtern die eigene moralische Schuldigkeit vorführt, die nicht nur die Ehre des Paares, sondern die des gesamten Hofes gefährdet. Auf diese Weise wird die Arkansprache der Liebenden vorgeführt²⁴³, die durch die ambige Verständlichkeit des Gesagten ermöglicht, verschlüsselte Botschaften auszusenden, die den Liebenden andere Informationen vermitteln als den uneingeweihten Zuhörern, egal, ob bei Hof oder im Versteck im Baumgarten. Tristans Heraustreten aus der Rolle des Einzelkämpfers zeigt sich im Vorfeld der Baumgartenepisode auf besondere Weise in seinem Dialog mit Brangäne. Hierbei wird die Wandlung in Tristans Verhalten umso deutlicher, als er hier nicht als großer, geschickter Akteur hervortritt, sondern sich als Hilfesuchender an eine andere Figur wendet und dieser die Planung für das Kommende überlässt. Eine Besonderheit des Figurendreiecks Tristan – Isolde –Brangäne ist die ihnen gemeinsame, ausgeprägte kommunikative Begabung. Spricht und interagiert Tristan mit Isolde und Brangäne, ist augenfällig, dass diese ihm verbal gewachsen sind. Er kann ihre Ratschläge, Aussagen und Handlungsvorschläge annehmen, ohne sie steuern oder modifizieren zu müssen – dies ermöglicht es ihm, aus seiner Rolle des Besten und des Besserwissenden auszubrechen. Während durch die Liebe die kommunikative Gemeinschaft mit Isolde und Brangäne entsteht, zerbricht jedoch Tristans kommunikative Gemeinschaft mit Marke: War dieser zuvor derjenige, den Tristan auch bei Sorgen angesprochen – und im Zweifelsfall so lange beeinflusst hat, bis er das Geschehen in seinem Sinne lenken konnte –, so verringert sich die Kommunikation mit Marke ab dem Einsetzen seines Argwohns deutlich: Tristan kommuniziert über einen Boten mit ihm. Marke wiederum spricht beim Abschied explizit Isolde an, und Tristan gibt im Baumgarten passend zu dieser Entwicklung vor, einen Fürsprecher bei Marke zu benötigen. Der Verlust der symbiotischen Onkel-Neffe- und auch König-Günstling-Beziehung spiegelt sich auch im mangelnden direkten verbalen Austausch wider. Mit Tristans Wandel vom Vereinzelten zum Liebenden geht eine zumindest zeitweilige Verschiebung von Tristans Umgang mit Verantwortung einher, die er nun nicht mehr nur für das eigene, sondern auch für Isoldes Schicksal übernimmt. Dies zeigt sich u. a. darin, dass er Isolde vor den Fallen und Beobachtungen durch Marjodo, Marke und Melot warnt, besonders, wenn er in seinem Bittgebet in der Baumgartenszene vor allem Isoldes Schicksal in den Blick nimmt und die Bitte um ihren Schutz hervorhebt. Dabei betrifft dieser Schutz auch Tristan selbst, denn zu diesem Zeitpunkt verkörpern die Liebenden tatsächlich eine Einheit, ihr Schicksal scheint untrenn-
Vor allem Isolde weiß ihre Sprache doppelsinnig einzusetzen.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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bar verwoben. Eine besondere Form von Verantwortung übernimmt er, als er die entführte Isolde von Gandin zurückerobert und sich somit gegen seine Minnekonkurrenten durchsetzt: Hier kann er in Anlehnung an das erweiterte Brautwerbungsschema nicht nur seine Verantwortlichkeit gegenüber Isolde herausstellen, sondern erneut sein ‚Bestsein‘ beweisen und durch seine Überlegenheit deutlich machen, dass er als einziger adäquat für Isolde ist. Den Schaden seiner Gegner macht er über den beißenden Spott, mit dem er diese straft, deutlich. Marke, seinem Onkel und König gegenüber, kann Tristan gar rügend und mahnend auftreten und somit dessen Schande besonders hervorheben. Indem er die Ehrlosigkeit von Markes Verhalten aufzeigt und den Schaden, den auch Isolde aus dessen inaktivem, leichtsinnigen Verhalten hat, betont, apostrophiert er gleichsam, dass Isoldes Schande auf Marke bezogen ist, ihre Ehre jedoch durch Tristan gerettet werden kann. Auch später wird es Markes Argwohn sein, der die Schande am Hof öffentlich macht, und die List des Paares, die die Ehre immer wieder herstellt und somit durch das heimliche Handeln tatsächlich auch großen Anteil an der Herrschaftssicherung Markes hat – dies hebt Tristan durch seinen vorgeblichen Wunsch, den Markehof um der Ehre der im Verhältnisdreieck stehenden Figuren willen zu verlassen, hervor. Einen deutlichen Kontrast bieten zwei Gespräche, die einen ähnlichen thematischen Schwerpunkt bieten: Trennung und Treue. Sowohl in Tristans Gespräch mit Brangäne als auch in seiner Abschiedsrede an Isolde sind dies die zentralen Inhalte. Beide Redeszenen unterscheiden sich jedoch erheblich. Das Gespräch mit Brangäne dient nicht nur dem Beklagen der Trennungssituation, unter der die Liebenden und Brangäne leiden, sondern hat vor allem zum Ziel, diese Trennung zu überwinden – die Abschiedsszene hingegen findet nach der Vereinigung der Liebenden statt und zielt auf die bevorstehende Trennung. Während die Unterredung mit Brangäne sich durch eine große Emotionalität und fast maßlose Verzweiflung auszeichnet und jeder höfischen Gefasstheit entbehrt, ist Tristans Abschiedsrede in der Tendenz eher sachlich. Einen Schrecken, eine Bewegtheit, wie sie etwa durch das Seufzen Tristans ausgedrückt wird, findet sich dort nur in dem an Brangäne gerichteten Ausruf und dem Wecken Isoldes, das durch die Wiederholung der Aufforderung wachet (Tr 18245 – 18246) die gebotene Eile verdeutlicht, aber auch das Erschrecken über die Entdeckung. Seine Erläuterungen, die Analyse der Situation und der Entschluss fortzugehen sind – abgesehen von den persönlichen Koseworten – recht sachlich vorgetragen. Während Tristan in seiner Unterredung mit Brangäne sein Schicksal an das Isoldes koppelt und überdeutlich ist, wie sehr er sie braucht, so verdeutlicht Tristans schneller Entschluss zur Flucht in der Abschiedsszene, dass er zuerst sein eigenes und erst dann das gemeinsame Schicksal in den Blick nimmt. Das Beschwören der eigenen Treue und das Einschwören Isoldes auf diese zeichnet sich durch den Bildreichtum der Sprache und das Spiel zwischen persönlicher Anrede und Schilderung in der dritten Person als besonders eloquent aus. Tristans liebkosende Anreden an Isolde machen durchaus eine emotionale Verbundenheit deutlich. Insgesamt zeigt sich hier aber wieder Tristans kalkulierende Art, mit der er auch in anderen Situationen sein Vorgehen verbal zusammengefasst hat, aber sein Gegenüber vor vollendete Tatsachen
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
stellt und seinen Entschluss für die kommenden Handlungen bereits festgesetzt hat. Es handelt sich hier mehr um ein Informieren als eine Unterredung –von einer besonderen kommunikativen Gemeinschaft bleibt hier nicht viel übrig. Die emotionale Tiefe und Aufgewühltheit aus der Unterredung mit Brangäne sucht man hier vergebens. Im Fortgang vom Hof findet Tristan zur vollendeten und damit auch distanzierenden höfischen Form zurück, er macht Isolde im Abschied wieder zur Herrin, die er um das Gewähren, das Gebieten des Abschieds bittet, er geht als Einzelgänger. Die beschworene Treue bricht er moralisch schon, als er Isolde alleine den Gefahren, ja sogar dem potentiellen Tod aussetzt, und nur Isolde vermag es, Tristans Fortgehen auf eine andere Ebene zu heben, es als notwendig zu erklären und Tristans Ansehen so zu schützen. Tristan handelt hier aber wieder so, wie er bereits vor der Einnahme des Minnetranks gehandelt hatte: auf sein Überleben gerichtet, ohne Verantwortung für andere zu übernehmen, mit Bezug auf sich selbst.
1.3 wie ich disen kampf bespreche – Tristans Kampfdialoge Im Anschluss an seine Schwertleite tritt Tristan zwar in unterschiedlichen Konstellationen als Kämpfer auf, aber Kellermann (2002: 131) ist zuzustimmen, wenn sie konstatiert: „Ritterlich-höfische Zweikämpfe fehlen im Tristanroman Gottfrieds gänzlich.“ Entsprechend finden alle Zweikämpfe, an denen Tristan beteiligt ist, außerhalb der höfischen Sphäre statt:²⁴⁴ Herzog Morgan befindet sich auf der Jagd, als Tristan ihn angreift, die Kampfhandlung findet aber vor einer höfischen Öffentlichkeit statt. Mit Morold kämpft Tristan auf einer von der Öffentlichkeit gut einsehbaren, aber davon separierten Insel und zum Kampf mit dem Riesen Urgan muss Tristan in einen harte wilden walt (Tr 15965), ins Gebiet, in dem Urgan sich aufhält. Die Anlässe der Kämpfe und auch die Kämpfe selbst sind grundverschieden: Rache für den verstorbenen Vater,²⁴⁵ die Befreiung Cornwalls von einem unrechten Tribut und schließlich Tristans Wunsch, das Hündchen Peticrü für Isolde zu erstreiten. So unterschiedlich die Anlässe der Kämpfe sind, so unterschiedlich sind die Vorgehensweisen und die Dialoge, die vor oder während der Kämpfe geführt werden. Die Auseinandersetzungen mit den (zumindest ihrer Herkunft nach) höfischen Figuren Morgan und Morold lassen teilweise über einen Vergleich Rückschlüsse darauf zu, wie Tristans Verhalten einzuordnen und zu bewerten ist. Gemein ist allen hier besprochenen Kampfszenen, dass sie durch Reden eingeleitet werden; diese Reden unterscheiden sich jedoch voneinander und folgen unterschiedlichen Intentionen. Gemein ist diesen Kampfszenen
Hier werden nur solche Kämpfe berücksichtigt, die einen Kampfdialog einschließen; somit werden der Drachenkampf und der Krieg in Arundel nicht behandelt. Auch die Kämpfe, die nicht zustandekommen (also die unterbliebenen Kämpfe gegen den Truchsess und gegen Gandin), bleiben hier unberücksichtigt. Im Fall Morgans stellt sich die Frage, ob man aufgrund der Einseitigkeit von einer richtigen Kampfhandlung sprechen kann.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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ferner, dass sich anders, als es etwa im Artusroman üblich ist, keine Redeszene, die dem sicherheit nemen dient, anschließen kann – Tristan tötet seine Gegner.²⁴⁶ Reden im Vorfeld eines Kampfes können der Begründung und Ansage des Kampfes dienen, außerdem können Bedingungen wie Ort, Zeit, Waffen, etc., unter denen der Kampf ausgetragen werden soll, verabredet werden. Es kann der Versuch unternommen werden, einen Kampf abzuwenden²⁴⁷ oder auch bereits im Vorfeld des Kampfes ein verbales Kräftemessen stattfinden (vgl. Urscheler 2002: 225). Dieses verbale Kräftemessen spielt im Tristan im Kontakt mit höfischen Gegnern eine besondere Rolle und vermittelt den Eindruck, dass hier bereits das Ausfechten der Kämpfe beginnt. Im Folgenden sollen die Kampfdialoge Tristans mit Morgan, Morold und Urgan analysiert werden. Abschließend soll untersucht werden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich aus Tristans Kampfdialogen ergeben und welche Schlüsse diese auf Tristans Charakter zulassen.
1.3.1 Tristan versus Morgan Für Tristans ‚Kampf‘ gegen Morgan spielt das verbale Kräftemessen im Vorfeld eine herausragende Rolle, da Tristan es nach der verbalen Auseinandersetzung nicht mehr zu einem ritterlichen Zweikampf kommen lässt, sondern diesen durch die Tötung Morgans verhindert. Dennoch lässt sich die Auseinandersetzung mit Morgan in die Kampfhandlungen einreihen, weil sie genau als solche intendiert ist und schließlich in einer kriegerischen Auseinandersetzung mündet: Der Erzähler beschreibt Tristans Leid und Zorn darüber, dass Riwalin getötet wurde, und verdeutlicht, dass hierin die eigentliche Motivation Tristans liegt, nach Parmenien zurückzukehren (vgl. Brunner 2011: 77). Es handelt sich um einen Schmerz, den Tristan nicht artikuliert, der im Verborgenen bleibt und der nicht nur durch Riwalins Tod, sondern auch durch Morgans Leben begründet wird (vgl. Tr 5103 – 5109). Vor seiner Reise wird Tristan noch von Marke ermahnt, in Parmenien seine Angelegenheiten auf friedliche Weise zu klären (vgl. Tr 5146 – 5150). Tristan aber scheint von Anfang an an einer friedlichen Lösung nicht interessiert. Sein Schmerz ist ihm allgegenwärtig, auch wenn er ihn verborgen hält. Er ist schließlich, nachdem er seinen Vasallen ihre Lehen verliehen hat, der Anlass dafür, dass Tristan einen Rat einberuft. Tristans Anliegen wird durch Hierin unterscheidet sich der Tristanromans vom deutschen Artusroman, in dem mit Jones (2007: 139) eine Redeszene im Anschluss an die Kampfhandlung zwar nicht obligatorisch ist, „aber ihr Ausbleiben [auffällt] und […] unter Umständen selber aussagekräftig [ist.]“ Jones (ebd.) hebt hervor, dass demgegenüber „eine Redeszene v o r einem Zweikampf nicht unbedingt in den Bereich des zu Erwartenden [gehört].“ Dass das verbale Nachfeld der Kampfhandlungen im Tristan unbesetzt bleibt, ist dem Umstand geschuldet, dass Tristan seine Kontrahenten tötet, das verbale Vorfeld hingegen ist nicht nur besetzt, sondern spielt für die gesamte Kampfhandlung eine wesentliche Rolle, zumindest dann, wenn die Gegner dem höfischen Umfeld entstammen. Jones (2007: 139 – 140) hebt für den Artusroman hervor, dass das Fehlen eines Gesprächs zu peinlichen Situationen und vermeidbaren Kampfhandlungen führen kann, etwa wenn Verwandte aufeinandertreffen und miteinander kämpfen, ohne vorher miteinander gesprochen zu haben.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
den Erzähler in indirekter Rede referiert. Es ist eindeutig, dass die Indirektheit der Distanzierung dienen soll, gehen doch Tristans geschilderte Pläne und sein tatsächliches Anliegen weit auseinander (vgl. auch Przybilski 2004: 388; Jacobson 1987: 247) (Tr 5288 – 5301): hier under haete ie Tristan den tougenlîchen smerzen verborgen in dem herzen, der dâ von Morgân gie. der smerze der begab in nie weder vruo noch spâte. alsus gieng er ze râte mit mâgen und mit mannen und jach, er wolte dannen ze Britanje gâhen, sîn lêhen enpfâhen von sînes vîendes hant, durch daz er sînes vaters lant mit rehte haete deste baz.
Tristans Handeln erscheint in jeder einzelnen Komponente fragwürdig: Dies ist nicht nur durch die Heimlichkeit seiner eigentlichen Handlungsmotivation begründbar, sondern auch in der Reihenfolge seines Handelns. Beides ist juristisch angreifbar und entspricht nicht dem mittelalterlichen Recht. Er kann seine Beweggründe nicht öffentlich aussprechen, da er keine rechtliche Grundlage für sein Handeln hat: „Tristans tapferer, doch unbedachter Vater war nicht ermordet worden, sondern im Krieg gefallen, dass Morgan persönlich ihn getötet habe, wird nirgends gesagt. Das Motiv der Blutrache scheidet demnach aus.“ (Brunner 2011: 77– 78). Tristans Plan spiegelt sein unrechtes Handeln wider: Nachdem er selbst bereits als Lehnsherr gehandelt und Lehen vergeben hat, will er nach Britannien reisen, um Parmenien als sein Lehen zu empfangen – bislang hat er es nicht mit rehte ²⁴⁸, sondern muss es erst noch erbitten. Eine Formulierung wiederum lässt hier Tristans eigentliche Motivation für die Reise anklingen: Er bezeichnet Morgan nicht als seinen Lehnsherren, sondern explizit als seinen vîent. Diese Bezeichnung macht Tristan zu einem unglaubwürdigen Vasallen demjenigen gegenüber, zu dem er durch den Akt der Kommendation in ein Abhängigkeitsverhältnis treten würde und dem er im Zuge dessen den Treueeid leisten müsste (vgl. insgesamt Reinle 2002). Und noch mehr: Es lässt erahnen, dass Tristan
„Die vasallit. Kommendation begründete einen wechselseitigen Vertrag, der auf Lebenszeit des Mannes und wohl auch des Herrn befristet war und den Mann zu Dienst und Gehorsam gegenüber seinem Herrn verpflichtete, wofür der Herr ihm Unterhalt und Schutz gewährte.“ (Reinle 2002: 1416). Auch Krohn (112006 (III): 118) betont, dass Tristan Parmenien nicht einfach erben kann, sondern sich an das Lehnsrecht halten muss: „Morgan war der Lehnsherr Riwalins. Das Lehen aber vererbt sich nicht, sondern muss von Tristan neu erbeten werden. Sein Rechtsanspruch hierauf ist jedoch gekoppelt an die Frage, ob er ehelich geboren und also erbberechtigt ist.“ (Vgl. auch ebd.: 117).
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faktisch nicht in der friedlichen Absicht, sein Lehen zu erbitten, zu Morgan reist, sondern dass er dort als Aggressor auftreten will. Dies wird auch im Nachfeld der indirekten Rede deutlich, wo hervorgehoben wird, dass Tristan und sein Gefolge so vorbereitet und gerüstet sind, wie es derjenige sein soll, der ûf angestlîche tât / ernestlîchen willen hât (Tr 5307– 5308) (vgl. auch Brunner 2011: 76). Auch Tristans Anweisungen in Britannien verdeutlichen seine Absicht und sein unrechtes Vorgehen (Tr 5314– 5319): nû hiez er îlen balde, die ritter sich bereiten und under ir rocke leiten ir halsperge unde ir dinc, und sô daz nieman keinen rinc ûz dem gewande lieze gân.
Tristan verhält sich hier unehrenhaft, kalkuliert dies explizit mit ein: Er will seinem Feind keine Zeit lassen, eine Reaktion auf sein Eintreffen vorzubereiten – einen anderen Grund für die gebotene Eile gibt es nicht, Tristan nutzt den Überraschungsmoment. Vor allem aber „befiehlt [Tristan] den Rittern in seiner Begleitung, ihre Rüstungen sorgfältig unter den Gewändern und Reisemänteln zu verbergen“ (Brunner 2011: 76; vgl. auch Przybilski 2004: 388). Hiermit macht er – wie schon im Vorfeld der Reise durch die Art der Rüstung – seinem Gefolge implizit sein eigentliches Ansinnen deutlich, verbietet seinen Rittern aber, es nach außen zu tragen. Über die verborgenen Rüstungen setzt Tristan die Sprache der Kleidung, die bekanntermaßen ein wichtiger Bestandteil höfischer Kommunikation ist, außer Kraft, und agiert im Verborgenen. Auf diese Weise klassifiziert er sein gesamtes Handeln schon hier als unhöfisch. Dazu passt, dass die Handlung außerhalb des Morganhofes stattfindet, räumlich betrachtet in unhöfischer Sphäre, auf sozialer Ebene aber im Kontext einer höfischen Aktivität. Auffällig ist, dass es sich hierbei nicht um irgendeine Tätigkeit handelt, sondern um die Jagd, also genau die höfische Kulturtechnik, mit der Tristan vor seinem Eintritt an den Markehof seine Höfischkeit bewiesen hat. Hier nun wird sie zum Ausweis seiner taktischen Unhöfischkeit, zum Hinweis auf die Komplexität des Charakters, der mehrdimensional und sowohl positiv als auch negativ angelegt ist (vgl. Brunner 2011: 78; Lanz-Hubmann 1989: 108). Die Dimension der Unhöfischkeit wird deutlich, wenn man die Reaktion von Morgan und seiner Hofgesellschaft betrachtet. Diese begrüßen Tristan und sein Gefolge höfschlîche nâch dem hovesite (Tr 5354). Morgan, der die Absicht seiner geste (Tr 5363) nicht kennt, empfängt diese vil gestlîchen unde wol, / als man die geste enpfâhen sol (Tr 5365 – 5366), ebenso verfahren Morgans Leute. Das zeremonielle Grüßen wird in der Einleitung von Tristans folgender Rede als unmuoze bezeichnet (Tr 5370 – 5378):²⁴⁹
Das Grüßen erfolgt hier von Seiten der Gastgeber – ob Tristan und sein Gefolge das zeremonielle
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
nâch diser unmuoze, dô diz grüezen gar geschach, Tristan ze Morgâne sprach: „hêrre, ich bin komen dâ her nâch mînem lêhen unde ger, daz ir mir daz hie lîhet und mir des niht verzîhet, des ich ze rehte haben sol. sô tuot ir höfschlîch unde wol.“
Tristans Auftritt ist ausgesprochen selbstbewusst. Er stellt sich Morgan nicht vor und bittet ihn nicht um sein Lehen, sondern fordert es ein, wobei er direkt die Möglichkeit antizipiert, dass Morgan ihm das Lehen verweigern könnte, das ihm aber von Rechts wegen zustünde. Tristan nimmt sich überdies heraus, Morgans Verhalten zu bewerten, bevor dieser überhaupt antworten und reagieren kann – spräche Morgan ihm das Lehen zu, so handelte er nach Tristans öffentlich vorgetragener Meinung auf höfische und richtige Weise. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Morgans Verhalten anderweitig als falsch und unhöfisch bewertet werden müsste. Morgan geht zunächst nicht auf Tristans Anliegen ein, sondern erkundigt sich ganz sachlich und in höfischer Manier, wer und woher Tristan überhaupt sei, woraufhin dieser ihm seine Her- und Abkunft mitteilt, betont, dass er Riwalins Erbe sei und seinen Namen nennt. Morgan reagiert nun mit einer Absage, die einer öffentlichen Demütigung gleichkommt und damit begründet wird, dass er die Beziehung von Tristans Eltern als vriuntschaft (Tr 5402) abwertet und der Beziehung damit die Legitimität abspricht.²⁵⁰ Tristan nimmt den Begriff in seiner Antwort auf und hakt nach, wie Morgan dies meine (vgl. Tr 5403). Morgan verweigert Tristan eine genauere Auskunft und beharrt darauf, dass es sich hierbei um einen Fakt handele. Tristans Entgegnung stellt eine Interpretation der Aussage Morgans über seine persönliche Stellung und seinen Status dar. Er konkretisiert die Beleidigung und leitet noch einmal die daraus resultierenden rechtlichen Folgen ab (Tr 5406 – 5411):
Grüßen nur empfangen oder auch erwidern, wird nicht eindeutig gesagt, deutlich wird aber, dass es Tristan in diesem Augenblick lästig ist. Dies mag damit zusammenhängen, dass dem Grüßen im kämpferischen Kontext eine wesentliche Rolle zukommt: Ein „Zweikampf nach dem Willkommensgruß [ist] nicht erlaubt“ (Endres 1961: 3), und in Korrelation hierzu kann „die Verweigerung des Grußes oder der Grußerwiderung als Feindschaftserklärung aufgefasst“ werden (Jones 2007: 144; vgl. auch Fuhrmann 1993: 120). Der Umstand, dass das Grüßen von Seiten Morgans und seines Gefolges sehr herausgestellt, die Reaktion Tristans hierauf aber nicht expliziert wird, könnte einen Hinweis darauf geben, dass mit Tristans direkter Ansprache an Morgan, die keinen Gruß einschließt, formal bereits eine Kampfansage verbunden ist. Dies lässt sich anhand des Textes nicht endgültig belegen, liegt aber zumindest im Bereich des Möglichen und würde Tristans Auftreten und seinem Ansinnen entsprechen. Przybilski (2004: 388) wertet Morgans Verhalten rein positiv als das eines „disziplinierte[n] Herrscher[s]“, der auf der „Einhaltung rechtlicher Standards“ besteht. Dies greift m. E. zu kurz, da Morgan hier (und im Folgenden) ebenfalls bewusst demütigend vorgeht und Tristan öffentlich schmäht.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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„Hêrre“, sprach aber Tristan dô „bî disem maere erkenne ich mich. ir meinet ez alsô, daz ich niht êlîche sî geborn und süle dâ mit hân verlorn mîn lêhen und mîn lêhenreht.“ ²⁵¹
Tristan wahrt jetzt die höfische Form, indem er die höfische Adressierung beibehält. Er wertet Morgans Rede als Gerücht, dessen Aussage er wohl verstehe. Er distanziert sich von der Aussage Morgans, indem er den Inhalt des Gerüchtes durch das verbum sentiendi meinen nicht nur dezidiert als Morgans Perspektive darstellt, sondern darüber hinaus vom Zustand des Wissens abgrenzt und als reine Auslegung eines Sachverhalts beschreibt. Dieser Sachverhalt ist der Umstand, dass Morgan Tristan als illegitimes Kind beschreibt, woraus sich ableiten würde, dass Tristan keinen Rechtsanspruch auf Parmenien hätte. Morgan bestätigt dies, fügt allerdings hinzu, dass dies nicht nur seine eigene, sondern eine verbreitete Meinung sei. Er widerspricht somit nicht nur Tristans Rechtsanspruch, sondern diskreditiert öffentlich sein Ansehen und bekräftigt die Beleidigung, indem er sie als das Wissen vieler darstellt. Tristan reagiert, indem er Morgans Rede und auch seine Person scharf verurteilt (Tr 5414– 5424): „ir redet übel“ sprach Tristan „ich wânde doch, ez waere gevellec und gebaere, swer dem man leide taete, daz er mit rede ouch haete sin und vuoge wider in. haetet ir nu vuoge unde sin, sô leide als ir mir habet getân, ir möhtet mich doch der rede erlân, diu niuwe swaere wecket und alte schulde recket[.]“
Tristans Rede beginnt als Verurteilung von Morgans Rede, geht aber stückweise in eine Anklage Morgans über, in der er endlich das Erschlagen des Vaters anspricht, also die Schuld, die Morgan seiner Meinung nach ihm gegenüber hat. Er begründet, warum Morgan übel redet, stellt aber faktisch zunächst nicht Morgans Rede ins
Die Legitimität von Tristans Abstammung ist nicht ohne Weiteres geklärt. Combridge (1964: 32) führt in der Vorlage bei Thomas die Legitimität Tristans als gegeben an, weil nach englischem Recht der Zeitpunkt der Geburt und nicht der der Zeugung für die juristische Bewertung maßgeblich war, während deutschem Recht folgend der Zeitpunkt der Zeugung ausschlaggebend war (vgl. auch LanzHubmann 1989: 109 – 112). Hier stellt sich die Frage, welches Recht das gültige ist: In Hinblick auf die Rezipienten das deutsche oder in Hinblick auf die Stofftradition das englische? Meiner Meinung nach führt hier beides nicht zu einer Auflösung der Situation, sondern es wäre zu klären, wie der Status Tristans nach britannischem Recht zu bewerten wäre, also nach dem Recht, das Morgan hier anwenden muss.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Zentrum seiner eigenen Ausführungen, sondern beginnt mit einer Sittenlehre, nach der derjenige, der einem anderen Leid zufügt, diesem zumindest verbal mit Anstand und Vernunft zu begegnen habe. Aus dem allgemeinen moralischen Standpunkt wird nun ein konkreter, aus dem allgemeinen swer wird ein konkretes ir und aus dem hypothetischen Leid dasjenige, das Morgan Tristan zugefügt hat: Tristan wirft Morgan einen Mangel an Vernunft und Anstand vor, denn besäße Morgan diese Tugenden – dies leitet Tristan aus seiner vorangegangenen Sittenlehre und Morgans Schuld ab –, so hätte er Tristan die Rede erspart, die der alten Schuld ein neues Leid, die Verleumdung, hinzufügt. Tristan macht dies nun ganz explizit (Tr 5425 – 5429): ir sluoget mir den vater doch. hie mite endunket iuch noch mînes leides niht genuoc, irn jehet, mîn muoter, diu mich truoc, diu trüege mich kebeslîche.
Er beschuldigt Morgan hier persönlich, Riwalin erschlagen zu haben. Dies ist die alte Schuld, die zu begleichen Tristan eigentlich angereist ist. Hinzu kommt nun die neue Schuld, der Vorwurf der unehelichen Schwangerschaft Blanscheflurs, die nicht nur die Ehre der Mutter angreift, sondern Tristan auch zum Bastard machen würde. Den Tod des Vaters kann Tristan nicht mehr umkehren, er ist ein Fakt – dem Vorwurf gegen die Mutter und seinem daraus resultierenden Status jedoch muss Tristan vehement widersprechen, ihn widerlegen, da der Vorwurf öffentlich und auch vor Tristans Gefolge erfolgt ist und er somit seine Reputation wiederherstellen muss. Er ruft nicht nur Gott an, sondern erklärt sich bereit, den Beweis seiner rechtmäßigen Abkunft und der Ehe seiner Eltern zu erbringen, indem er diejenigen benennt, die ihm den Lehnseid geschworen haben. Abschließend betont er, dass es für ihn kein Problem darstellt, die Ehe der Eltern zu beweisen (Tr 5430 – 5444): sem mir got der rîche! ich weiz wol, sô manc edele man, des ich hie niht genennen kan, sîne hende mir gevalten hât. und haeten sî dise untât, der ir dâ jehet, an mir erkant, ir keiner haete sîne hant zwischen die mîne geleit. die wizzen wol die wârheit, daz mîn vater Riwalîn mîne muoter an daz ende sîn brahte vür ein êlîch wîp. ist daz ich daz ûf iuwern lîp bewaeren unde bereden sol, entriuwen daz berede ich wol.
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Tristans Rede zeigt hier durchaus Züge einer Kampfbegründung und lässt sich klar als verbales Vorfeld des Zweikampfes deuten, indem sie Morgans (vermeintliches) Fehlverhalten in einen größeren moralischen Kontext einordnet und rechtliche Terminologie wie die Begriffe schulde ²⁵², bewaeren ²⁵³ und bereden für die Argumenation heranzieht.²⁵⁴ Dass die Beweisführung der Legitimität Tristans nicht nur mit dem Terminus bewaeren, sondern mit der Doppelformel bewaeren unde bereden angeboten wird, rückt die Rede eindeutig in den Bereich der Kampfansagen, da bereden den Beweis einer Tatsache mittels eines Gerichtskampfes bezeichnen kann.²⁵⁵ Dass Morgan genau diese Bedeutung, die Tristan, indem er das bereden auch in seinem abschließenden Ausruf – entriuwen daz berede ich wol – als die Beweisalternative seiner Wahl betont, auch als Kampfforderung versteht, belegt seine Antwort (Tr 5445 – 5448): „ûz“ sprach Morgan „in gotes haz! iuwer bereden waz sol daz? iuwer slac engât keinem man, der ie ze hove reht gewan.“
Gleichermaßen verwehrt Morgan Tristan das Recht, seine Legitimität durch einen Kampf zu bestätigen, was aus seiner Perspektive ganz folgerichtig ist: „Als unehelich Geborener blieb Tristan vom ritterlichen Zweikampf, der nach der Art eines Gottesurteils seinen Rechtsanspruch hätte bekräftigen können, ausgeschlossen.“ (Krohn 11 2006 (III): 119). Indem Morgan Tristan den höfischen Zweikampf verweigert, nimmt er ihm eine der Möglichkeiten, sein Recht durchzusetzen. Eine Alternative wäre es dennoch gewesen, den „Familienstand der Eltern Tristans […] durch Zeugen [zu belegen] – tatsächlich hatte die Hochzeit in aller Öffentlichkeit stattgefunden“ (Brunner
Dass schulde ein rechtsterminologischer Begriff ist, zeigt sich bereits in den Bedeutungen, die im Lexer (1876: 810) hierzu verzeichnet sind: ‚schult ist im allgemeinen das verhältnis dessen, der für etwas als urheber einsteht, daher entweder die verpflichtung zu busse, ersatz, strafe oder auch das verdienst: verpflichtung etw. zu geben, das zu gebende […], vergehn, verschuldung sowol in bezug auf pflicht u. sittlichkeit als auf einen bewirkten schaden […].‘ Lexer (1872: 252) verweist auf den Gebrauch im rechtsterminologischen Kontext (vgl. auch DRW, II, Sp. 258). Jones (2007: 148) hält für den Artusroman Folgendes fest, das sich m. E. auch auf den Tristanroman übertragen lässt: „Das verbale Vorfeld des Zweikampfes bietet den Autoren des Artusromans unter anderem die Gelegenheit, auf gesellschaftliche und rechtliche Normen abzuheben, denen eine Herausforderung an einen ritterlichen Gegner und die sich anschließende Anwendung von Gewalt unterworfen werden müssen und durch deren Beachtung der Artusritter sich normalerweise vor anderen Waffentragenden auszeichnet.“ Tristan begründet hier durch seine Sittenlehre und den Verweis auf Morgans schulde den Zweikampf und ordnet Morgans Vergehen aus seiner Perspektive gesellschaftlich ein und begründet somit den Kampf, den er androht. Vgl. hierzu Lexer (1872: 187), wo zur Bedeutung u. a. angegeben wird: ‚besonders häufig in der rechtssprache: ‚beweisen, darthun (durch eid od. kampf)‘ (vgl. auch Combridge 1964: 139 – 140; DRW, I, Sp. 1561– 1564).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
2011: 78). Durch die Verweigerung des Kampfrechts wird Tristan erneut gedemütigt und nimmt sich dieses Recht nun einfach heraus (Tr 5449): „diz wirt wol schîn“ sprach Tristan.
Seine Rede leitet seine folgende, wenig ritterliche und schon gar nicht rechtskonforme Tat ein: Er rennt auf Morgan zu und erschlägt ihn auf äußerst martialische Weise (vgl. Tr 5450 – 5455), wobei insbesondere das Spalten des Kopfes symbolischen Charakter hat, denn „der Schlag gegen den Kopf, der bis zur Zunge, dem Werkzeug der Sprache, durchdringt, vergilt, das Vergehen in der Strafe spiegelnd, die Beleidigungen des Streitgesprächs“ (Rolf 1974: 256; vgl. Przybilski 2004: 388). In welchem Maße Tristan unrecht handelt, wird auch besonders dadurch hervorgehoben, dass „Morgans letzte Worte […] dem hove reht [gelten]“ (Küsters 1986: 145). Die Bewertung dieser Szene ist schwierig:²⁵⁶ Brunner (2011: 78) konstatiert: „Es ist ganz offensichtlich, dass Tristan den Tod seines Vaters und die dadurch ihm zugefügte Kränkung ohne Rücksicht auf irgendwelche Rechtsverhältnisse an dem Mann rächen wollte, dem er die Schuld gab.“ Dass Tristan seinen Vater rächen will, ist offensichtlich, und dass er beabsichtigt, dies kämpferisch zu vollziehen, wird dadurch belegt, dass Tristan seine Leute entsprechend gerüstet losschickt. Dagegen, dass Tristan von vornherein ohne Rücksicht auf die Rechtsverhältnisse vorgehen will, spricht aber der vorangegangene Dialog, in dem Tristan den Zweikampf fordert und sich damit aus seiner Perspektive auch in dem ihm zustehenden rechtlichen Rahmen bewegt. Die von Tristan im Vorfeld und während der Reise gegebenen Anordnungen legen nahe, dass Tristan sein Recht durchsetzen will und zwar in kämpferischer Form, die es ihm auch ermöglicht, seinen Feind zu töten und somit seinen Vater zu rächen. Tristans Kämpfe folgen aber nicht dem Schema höfischen Kämpfens, das als Ideal etwa in den Artusromanen vorgeführt wird und in dem das Leben des Besiegten geschont wird.²⁵⁷ Insofern dient es auch nicht dazu, eine Fehde beizulegen, sondern es wirkt durchaus – wie auch die Tötung Morolds zeigt – in der Form, dass zwar ein konkreter Rechtsanspruch durchgesetzt wird, dies aber nicht befriedend wirkt, sondern die Feindschaft zwischen den beteiligten Parteien vertieft. Tristan muss also auch dann, wenn er in einem Zweikampf nach höfischem Recht seine Forderung durchsetzen will, eine weitere kriegerische Kampfhandlung einkalkulieren.
Hierbei stellt nicht die Frage nach der Rechtlichkeit der Situation die Schwierigkeit dar, sondern die Frage nach Tristans Intention und Absicht. Bezüglich der Frage nach Recht und Unrecht attestiert Schnell (1992: 86; vgl. dort auch Anm. 78) der Tristan-Forschung eine „seltene[] Einmütigkeit“ in der Bewertung der Tötung Morolds als Unrecht. „Den höfischen Kampfesregeln gemäss sollte die Auseinandersetzung nach Möglichkeit nicht mit dem Tod des Verlierers enden. Primär geht es beim Kampf darum, eine Entscheidung herbeizuführen; nachher steht es dem Sieger zu, dem Unterlegenen das Leben zu schenken und das künftige Verhältnis zwischen den beiden zu definieren.“ (Urscheler 2002: 236).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Festhalten lässt sich, dass Tristan zwar nicht unbedingt plant, sich über höfisches Recht hinwegzusetzen, dies aber durchaus als Möglichkeit einkalkuliert.²⁵⁸ Belegt wird dies dadurch, dass er seine Leute eben nicht offen gerüstet mit sich führt, sondern diese ihre Rüstungen unter ihrer Gewandung verbergen lässt. Das Bild, das der Erzähler hier von Tristan zeichnet, ist ein negatives: Tristan handelt nicht nur ausschließlich in seinem eigenen Interesse, sondern gefährdet darüber hinaus auch bewusst sein Gefolge, stellt sich gegen den Ratschlag Markes und missachtet die Rechtslage. Tristans Auftreten setzt ihn hier in größere Nähe zu vorhöfischen Helden als zu höfischen Rittern, und verdeutlicht, dass gerade die Figur, die die Inkarnation der Höfischheit zu sein schien oder sich zumindest als solche inszeniert hat, einen deutlichen Anteil an Unhöfischheit hat. Diese Unhöfischheit geht nicht nur darauf zurück, dass Tristan mit der Ermordung unhöfisch handelt, sondern dass die Wertmaßstäbe des Hofes für ihn dann nicht gelten, wenn er seine eigenen Interessen durchsetzen will. Dann nämlich richtet er sein Verhalten nicht nur nicht nach den Werten der Hofgesellschaft, sondern handelt ihnen auch dann entgegen, wenn er durch sein unhöfisches Handeln nicht nur sein eigenes Ansehen, sondern auch das seines Gefolges – und darüber hinaus möglicherweise auch das Ruals und Markes – beschädigen könnte. Nicht der höfische Wille ist die Größe, nach der Tristan sein Handeln ausrichtet, sondern, und dies weist bereits voraus auf die Minnetrankszene, Tristan handelt „unter Wahrung [seines] Eigenwillens“ (Brunner 2011: 83) und seiner Selbstverantwortlichkeit. Seine Verantwortlichkeit endet aber auch genau dort, wo sie einsetzt: Bei sich selbst – somit erweist Tristan sich bereits hier als als Herrscher ungeeignet.
1.3.2 Tristan versus Morold Die nächste Kampfsituation schließt sich direkt an Tristans Rückkehr an den Markehof an. Eine der großen Differenzen liegt in Tristans Kampfmotivation: Überwog im Kampf gegen Morgan das Motiv der Rache und die Klärung der persönlichen und darauf aufbauend auch landesrechtlichen Verhältnisse Tristans (worin sich Tristans große emotionale Involviertheit gründete), so ist der in der folgenden Kampfhandlung mit Morold zu klärende Konflikt nicht Tristans eigener. Eine Parallele ist darin zu sehen, dass eine „genealogische Schuld zu begleichen“ (Huber 2013: 74) ist und Marke seit seiner Kindheit König Gurmun zinspflichtig ist. „In einem komplizierten zyklischen Rhythmus ist seither Tribut zu entrichten“ (ebd.), u. a. erscheint alle vier Jahre Morold, um „dreißig ausgewählte junge Männer als Geiseln fortzuschleppen“ (ebd.). Tristan kommt als (biographisch betrachtet) Fremder an den Hof zurück und ist der einzige, der von der Zinspflicht nicht betroffen ist (vgl. zum inquit in diesem Ka-
Insofern lässt sich m. E. schwerlich von einer „Affekthandlung“ sprechen, wie Hermann (2006: 156) dies tut.
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pitel insgesamt III.I.1.3: 60 – 63).²⁵⁹ Dies ermöglicht ihm aufgrund der Distanz zu den Geschehnissen einen klaren Blick auf die vorliegenden Angelegenheiten, ihre Reflexion und im Resultat schließlich die Möglichkeit, ein altes Muster am Markehof anzuwenden: Für Tristan gibt es wieder einmal die Möglichkeit, sich in denVordergrund zu rücken²⁶⁰ und die Darstellung seiner Höfischkeit zu komplettieren, indem er nun – nach der Schwertleite, die ihm dies zubilligt – auch als Kämpfer auftritt. Erneut ist das Vorfeld des Kampfes von besonderer Relevanz, da es Tristan eine Bühne gibt, auf der er seine Wortgewalt – sowohl den Angehörigen des Markehofes, vor allem aber auch seinem Gegner Morold – vorführen kann. Tristan erfährt bei seiner Rückkehr nach Cornwall direkt von der Ankunft Morolds, der von Marke / mit kampflîchen handen / den zins von beiden landen, / von Curnwal und von Engelant (Tr 5874– 5877) fordert. Eine mögliche Kampfhandlung liegt der Situation also bereits vor Tristans Ankunft zugrunde, wobei die Kampfhandlung aus einer Weigerung, den Zins zu leisten, resultieren würde und Morold als Vertreter Irlands derjenige wäre, der sie einleiten würde, um die Interessen Irlands durchzusetzen. Dass es nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommt, in der Marke und sein Gefolge sich zur Wehr setzen, wird einerseits damit begründet, dass die Länder für eine offene Kriegshandlung zu geschwächt waren, andererseits durch die Figur des Morold, die wie folgt charakterisiert wird (Tr 5973 – 5978): sô was ouch Môrolt alse starc als unerberming unde als arc, daz wider in lützel kein man, sach er in under ougen an, getôrste wâgen den lîp ihte mêre danne ein wîp. ²⁶¹
Küsters (1986: 146 – 147) hält zur rechtlich-politischen Grundlage der geschilderten Situation fest, dass Gottfried „hier den Begriff lantreht (5999) ein[führt], der den weiteren Verlauf bestimmen wird.“ Trotz der kritischen Einführung des Begriffs „im Zusammenhang der imperialen Expansion der Römer“ wird eine „traditionalisitische Position“ dadurch widerlegt, „daß die Formel lant unde reht (6427) zum Abschluß der Debatte eine positive, ja emphatisch bestätigende Konnotation erhält. Gottfrieds Kritik zielt vielmehr auf das Eindringen landfremden Rechts und untermauert damit den Immunitätsanspruch des territorialen Rechts- und Herrschaftsbezirks. Die Verteidigung dieser Rechtshoheit aber ist gutes Recht und sittliche Pflicht.“ (Vgl. auch Hermann 2006: 163 – 164). Auch Stein (1977: 340) betont, dass Kämpfe für Tristan u. a. eine Möglichkeit sind, sich in Szene zu setzen. M. E. ist Tristans Inszenierung v. a. im Vor- und Nachfeld des Kampfes zu sehen: Hier hat Tristan die Möglichkeit, nicht nur sein physisches Können unter Beweis zu stellen, sondern sich selbst durch seine scharfen, kämpferischen Reden darzustellen und einen Rahmen zu schaffen, in dem sein Kämpfen vom Hof rezipiert werden soll. Huber (2013: 74) verweist auf Aktualisierung eines „archaische[n], mythische[n] Erzählbestand[es]“ hin, die sich bereits in der Etymologie des Namens Morold zeigt, da diese „mit ‚Meer‘ in Verbindung gebracht“ wird. Er verweist auf die in irischen Sagen beheimateten Seeungeheuer Fomori, „die nur von einem Heros überwunden werden können“, ebenso wie auf die griechische Mythologie und den Sieg Theseus‘ über den Minotaurus, der ebenfalls Kinder als Tribut fordert. „Als historisches Substrat sieht man in dieses Mythen das Ringen von landsässigen Kulturen mit seefahrenden Erobe-
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Irland wird also sowohl als übermächtiger Gegner im Kriegsfall als auch in der Alternative Zweikampf geschildert und der Markehof im Vergleich zu Irland sowohl auf Reichs- als auch auf personaler Ebene als schwach. Als Tristan in Tintajol ankommt, wird gerade ausgelost, welche Kinder als Tribut an Irland übergegeben werden müssen. Dementsprechend kommt es zu einer defizitären Begrüßung Tristans, die eine Störung der höfischen Ordnung darstellt, und in der Kampfaufforderung Tristans mündet, mit der die höfische Ordnung wieder hergestellt werden soll (vgl. ausführlicher III.I.1.3: 60 – 61). Das verbale Vorfeld des Morold-Kampfes lässt sich in kampfinitiierende Dialogblöcke mit vordergründig unterschiedlichen Adressaten zweiteilen: Tristan spricht zunächst die Angehörigen des Markehofes – im Besonderen die Landbarone – an und im Anschluss hieran Morold. Tristans Körperorientierung (vgl. zur Körperorientierung als Adressierungsform Hartung 2001: 1348 – 1351) – er tritt explizit vor Marke und Morold, bevor er seine Rede an die Landbarone hält – verdeutlicht, dass das, was er sagt, faktisch auch bzw. gerade an Morold und Marke gerichtet ist. Hier liegt also bereits eine indirekte Kampfansage an Morold vor. Tristan beginnt den Dialog mit den Landbaronen, indem er alle versammelten Herren anspricht, die zur Losung erschienen sind, und ihnen ihre Schande und die, die sie dem Reich zufügen, vorhält. Dabei appelliert er auf unterschiedlichen Ebenen an das Schamgefühl der Anwesenden – durch Schmähung, indem er ihnen vorhält, dass sie ir edelkeit verkoufent (Tr 6066), durch die rhetorische Frage schamt ir iuch der schanden niht, / diu disem lande an iu geschiht? (Tr 6067– 6068) und durch das Aufzeigen eines angemessenen Verhaltens (Tr 6071– 6074): sô soltet ir billîche beide iuch und iuwer rîche alphaeren unde hêren und an den êren mêren!
Tristan weist die Landbarone so nicht nur deutlich zurecht, sondern auch auf ihre Verantwortung hin (vgl. Küsters 1986: 148), denn „durch ihren Lehnseid sind sie nach dem Rechtsgrundsatz des pro rege et patria verpflichtet, für König und Vaterland zu kämpfen und notfalls auch zu sterben“ (Hermann 2006: 165). Tristans Anklage steigert sich noch, als er ihnen das Schicksal ihrer Kinder vor Augen führt, die sie ze schalken unde zʼeigen (Tr 6083) geben. Er zeigt seine Verwunderung und Empörung darüber, dass keiner zum Zweikampf gegen das Unrecht antritt und führt an, dass der Tod im Falle einer Niederlage im Vergleich zur vorliegenden lange lebende nôt (Tr 6096) das kleinere Übel wäre.²⁶² Mit seinen Ausführungen über die Pflichten der Väter ihren
rern gespiegelt. Auch die Heiligenlegende kennt ähnliche Muster, etwa die Georgslegende mit dem Kampf gegen einen Menschenopfer fordernden Drachen.“ (Vgl. außerdem Denomy 1956: 229 – 232). Stein (1977: 341, insbesondere Anm. 211) betont die Stilisierung eines potentiellen Kampfes zu einem geistlichen und verweist auf die Ähnlichkeit des Tons zu dem in Kreuzzugsaufrufen in mhd. Kreuzzugsdichtung.
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Kindern und deren Freiheit gegenüber „gipfelt [Tristans Argumentation] […] in einem prinzipiellen Programm, wenn er die Freiheit der Kinder zum unveräußerlichen Gottesgebot und gleichsam zum Naturrecht erklärt“ (Küsters 1986: 148) (Tr 6103 – 6110): jâ suln vetere vür ir kint, wan sî mit in ein leben sint, ir leben geben: deist mit gote. ez ist gâr wider gotes gebote, der sîner kinde vrîheit der eigenschefte vür leit, daz er sî ze schalken gebe und er mit vrîheite lebe.
Tristan führt hier eine regelrechte Klage gegen die „landsässigen Barone, die sich in ihr Schicksal fügen“ (ebd.: 143) und verdeutlicht, dass ihr Handeln weder nach irdischen – gesellschaftlichen wie natürlichen – noch göttlichen Maßstäben tragbar und rechtens ist.²⁶³ Die Anklage und Verurteilung Tristans mündet nun aber nicht in einem reinen Aufzeigen des Missverhaltens der Barone, sondern darin, dass Tristan ihnen eine Handlungsalternative in Form eines „Ratspruch[s]“ (ebd.) vorschlägt, der sich am höfischen Ehrenkodex und der Maxime des gottgefälligen Handelns orientiert (Tr 6111– 6119): sol ich iu rât umbe iuwer leben nâch gote und nâch den êren geben, sô râte ich zwâre dar an, daz ir iu kieset einen man, swâ sô man den vinde under disem lantgesinde, der ze kampfe sî getân und an gelücke welle lân, weder er genese oder entuo.
Tristan nutzt seine Position als Ratgeber, um in für ihn typischer Manier Platz für eine Steigerung zu lassen. Vorerst spricht er nur ganz allgemein von einem Mann, den sie aussuchen sollten. Damit bringt er sich selbst noch nicht ins Spiel, sondern gibt den Landbaronen – zumindest in der Theorie – die Chance, einen aus ihrer Mitte für diese Aufgabe zu erwählen. Gleichermaßen relativiert er diese Möglichkeit durch die Formulierung swâ sô man den vinde / under disem lantgesinde. Mit Blick auf das bisherige Verhalten in dieser Causa am Markehof ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sich ein Freiwilliger findet, der sein Leben gegen den übermächtigen Morold riskiert. Tristan
Gruenter (1964: 119) konstatiert, dass Tristans Empörung viel stärker auf der „fassungslosen Nachgiebigkeit des Adels am Marke-Hof“ als auf der Tributforderung selbst beruht und dass diese „ins Zentrum der ritterlichen Würde (vrîheit) zielt.“
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relativiert gleichermaßen – und dies in der Öffentlichkeit und in dessen Beisein – Morolds Kraft, indem er auf den Beistand Gottes für denjenigen verweist, der mit dem rehten umbe gie (Tr 6128).²⁶⁴ Mit dieser Äußerung macht Tristan nicht nur den Landbaronen, sondern gerade auch Morold gegenüber deutlich, dass er nicht nur das Verhalten der Landbarone für feige und ehrlos hält, sondern auch Morolds Position für unrecht und ordnet dies bereits in einen religiösen Kontext ein, indem er über Gottes im Voraus unterstellte Unterstützung sein Ansinnen als legitim und rechtlich begründet darstellt.²⁶⁵ Tristan fordert die Landbarone abschließend dazu auf, sich schnell – möglichst direkt – zu beraten und appelliert noch einmal an geburt und êre (Tr 6134) der Landbarone, also an die mit ihrem Stand einhergehende Verantwortung. Die Landbarone antworten wie erwartet und stellen einhellig heraus, dass niemand Morold besiegen könne (vgl. Tr 6135 – 6137). Eine Beratung, ja eine Überlegung, ob es jemand gebe, der diese Aufgabe übernehmen könnte, scheint aus ihrer Perspektive völlig überflüssig. Tristan reagiert harsch, indem er ihnen diese Art der Rede untersagt und sie auffordert, die Entscheidung doch noch zu überdenken, wobei er sie eindringlich an ihre Herkunft erinnert, ihnen klar macht, dass sie auf einer Stufe mit Königen und Kaisern stehen, und sie darauf stößt, dass ihre Kinder derselben Abkunft sind, nun aber versklavt werden sollen (vgl. Tr 6138 – 6146).²⁶⁶ Tristan greift die Argumente aus seiner dialogeinleitenden Rede nicht von ungefähr auf, sondern zieht diese als Basis heran, um sich nun selbst als denjenigen zu präsentieren, der im Gegensatz zu den Landbaronen die erforderlichen Stärken besitzt, um den Kampf gegen Morold zu wagen. Mit der Wiederaufnahme und Bekräftigung seiner bereits genannten Argumente setzt Tristan die Barone unter Zugzwang, zeichnet sich aber gleichermaßen als ihnen überlegen aus und das sowohl bezüglich seines Wissens um ein dem Hof adäquates Verhalten in der vorliegenden Situation als auch bezüglich seiner Fertigkeiten, die gerade dadurch umso deutlicher herausstechen, dass die Barone sich nach der ersten Rede Tristans, die bereits an ihre Ehre und Verantwortung appelliert hat, immer noch weigern, so zu agieren, wie es die Wiederherstellung der höfischen Ordnung erfordern würde. Tristans Worte sollen also nicht nur die folgende Handlung der Landbarone beeinflussen, steuern und manipulieren, sondern sie zeigen auch, wie groß der Abstand zwischen Tristan und den Landbaronen tatsächlich ist: Er übersteigt die, die er zuvor als allen künegen ebengrôz / und aller keisere genôz (Tr 6141– 6142) bezeichnet hat, in jeglicher Hinsicht mit Leichtigkeit, er führt sie vor,
Tristan formuliert hier in Anlehnung an eine Sentenz in der Bedeutung „Gott verläßt die Gerechten nicht“ (vgl. hierzu weiterführend Eikelmann/Tomasek 2009: 454– 455). Hiermit nimmt Tristan bereits das vorweg, was er Morold selbst gegenüber später formulieren wird. Hermann (2006: 167) hinterfragt, welches Recht Tristan hat, den Landbaronen „ihre Verantwortung vorzubeten – wo liegt denn eigentlich seine? Seine Kinder sind nicht betroffen und er verliert kein Lehen[.]“ Hierbei übersieht er m. E. den Umstand, dass Tristan als von Marke eingesetzter Erbe sehr wohl eine Verantwortung für seine Erblande hat und ein Interesse daran, dass diese den höfischen Maßstäben gerecht werden.
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um sich selbst auf dieser Grundlage als strahlender Held inszenieren zu können. Somit tritt er von der Funktion des Beraters über in die Position des Retters (vgl. Küsters 1986: 149) (Tr 6147– 6159): und ist daz, daz ir keinen man niht muget geherzen hier an, daz er durch iuwer aller leit und durch des landes armekeit getürre nâch dem rehten in gotes namen vehten gegen dem einem manne, geruochet ir es danne an got gelâzen unde an mich, deiswâr, ir hêrren, sô wil ich mîne jugent und mîn leben durch got an âventiure geben und will den kampf durch iuch bestân.
Tristan formuliert sein Anliegen zunächst in Abhängigkeit der Bedingung, dass kein anderer Mann dazu ermutigt werden könnte, es zu wagen, gegen – wie er es auf Morold gemünzt abschätzig formuliert – dem einem manne zu kämpfen. Durch die Wahl der Vokabeln geherzen und getürre wird der Mut betont, den die Tat erfordert; durch das Fehlen des Mutes auf Seiten der Landbarone²⁶⁷ wiederum kann Tristan seinen eigenen Mut hervorheben. Er ordnet sich in seinen Formulierungen Gott zu und bereitet bereits hier die Opposition zu Morold vor, der später von den Angehörigen des Markehofes dem Teufel zugeordnet wird (vgl. Tr 6213). Durch seine Zuordnung zu Gott und das Erklären der Bereitschaft, die eigene Jugend und das eigene Leben für die Sache der Barone zu geben, rückt sich Tristan nicht nur in die Position des Helden, sondern es wird, wie Hermann (2006: 169 mit Verweis auf Stein 1979: 239) festhält, deutlich, daß Tristan sich als homo politicus inszeniert, der als einziger die Interessen des Gemeinwesens im Blick hat und daher zu ihrer Wahrung bestellt ist. Es ist richtig, daß Tristan, wie Stein es formuliert, keinen „eigenen politischen Ergeiz [!] [hat]“[.]²⁶⁸
Dies schließt nicht nur die Landbarone selbst, sondern auch diejenigen ein, die durch die Landbarone zum Kampf verpflichtet werden könnten. Dass es, wie Hermann (2006: 169) schreibt, Tristans Ehrgeiz sei, „das Gemeinwesen zu repräsentieren“, erscheint nicht schlüssig – denn gerade auf die Herrscherposition, innerhalb derer Tristan als Kopf des Gemeinwesens gleichzeitig auch sein wichtigster Repräsentant wäre, legt Tristan es, wie bereits gezeigt wurde, nicht an. Vielmehr entspricht es Tristans Wesensart, nicht etwas anderes, sondern sich selbst oder Entwürfe seiner selbst, darzustellen und so v. a. für sich selbst und seine eigenen Interessen zu stehen. Hierzu gehört es auch, dass Tristan sich immer hervortun und seine Bestheit vorführen muss.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Tristan erläutert den Anwesenden, warum gerade er für die Übernahme dieser Aufgabe geeignet ist: Würde er verlieren und sterben, bliebe im Endeffekt alles beim Alten (Tr 6162– 6169): ouch swie mir an der vehte iht anders danne wol geschiht, daz enschadet iu z’iuwerm rehte niht. gelige ich an dem kampfe tôt, dâ mite ist iuwer keines nôt weder abe noch an gekêret, geminret noch gemêret. sô stât ez aber rehte als ê. ²⁶⁹
„Land, König und vor allem die Barone gehen dabei überhaupt kein Risiko ein, ihre Rechtsposition verschlechtert sich auch im Falle einer Niederlage um kein Gran.“ (Küsters 1986: 149). Besonders stark macht Tristan nun den Einfluss Gottes auf den Kampf, und er zeigt, dass er nicht unbedacht in den Kampf hineingeht, sondern sich durchaus der Tatsache bewusst ist, dass es sich bei Morold um einen erfahrenen Kämpfer handelt, er selbst aber, wie er in einer expliziten Selbstbeschreibung äußert, ein Neuling und unerfahren ist²⁷⁰ (Tr 6173 – 6182): wan den ich eine sol bestân, als ich vil wol vernomen hân, der ist von muote und ouch von craft ze ernestlîcher ritterschaft ein lange her bewaeret man. sô gân ich alrêrest an an muote und an der crefte und bin ze ritterschefte niht alsô kürbaere, als uns nu nôt waere.
Tristan greift auch hier auf das Muster der Bescheidenheit zurück, wie er es bereits in den vorangegangenen Episoden getan hat; er beschreibt sich als nötige, wenn auch nicht beste Wahl, wobei er genau hierdurch wiederum im Falle eines Sieges das Ausmaß seines Erfolges ins Unermessliche steigern kann: Tristan ist bewusst, welchen Ruf Morold genießt, dass kein Mann, wenn Morold ihn ansieht, getorste wâgen den lîp / ihte mêre danne ein wîp (Tr 5977– 5978). Besiegt Tristan, der gerade erst die
Combridge (1964: 49) sieht hier eine Distanzierung Gottfrieds zur „Einrichtung des Zweikampfes als Mittel zur Erhärtung der Wahrheit“, da dieser hier als unzuverlässig gekennzeichnet wird. Auf seinen Kampf in der Auseinandersetzung um sein Lehen geht er nicht ein, möglicherweise, da ihm bewusst ist, dass er nicht den höfischen Rechtsvorstellungen gemäß gehandelt hat. Ein solches Bewusstsein ist ihm einerseits aufgrund der Heimlichkeiten im Vorfeld des Kampfes gegen Morold, andererseits dadurch, dass er sich im Vorfeld des Kampfes gegen Morold als Kenner des Rechts erweist, durchaus zu unterstellen.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Schwertleite erlebt hat, einen Ritter mit Morolds Ruf und Fähigkeiten, zeichnet ihn das in besonderer Weise aus. Tristan gibt sich allerdings – wie bekannt – auch für den Fall eines Sieges bescheiden und begründet einen möglichen Sieg damit, dass er zwô sigebaere helfe habe (Tr 6185), die mit ihm in den Kampf ziehen würden: Gott und das Recht, darüber hinaus noch seinen willigen muot (Tr 6187). Mit dem immer wieder erwähnten Beistand Gottes, dem Recht auf seiner Seite und seiner Entschlossenheit begründet Tristan seine Zuversicht, Morold zu besiegen, betont aber vor allem mit der göttlichen und rechtlichen Instanz noch einmal implizit die Notwendigkeit, sich gegen die Zinspflicht zu erheben. Trotz Tristans überzeugender Argumentation wollen die Barone zunächst nicht auf sein Angebot eingehen, danken ihm aber für iu trôst unde rât / unde den saeleclîchen wân (Tr 6196 – 6197), den Tristan ihnen vermittelt habe, betonen aber noch einmal, dass sie sich tatsächlich schon oft in dieser Causa beraten, sich aber nicht getraut hätten, wider disen vâlandes man (Tr 6213) zu kämpfen, wodurch sie die Gefährlichkeit Morolds hervorheben. Eine klare Antwort auf Tristans Angebot bleibt aus, ihre Tendenz scheint jedoch ablehnend. Tristan widerspricht ihnen vehement, indem er ihre Aussage durch seinen Ausruf „wie redet ir sus!“ (Tr 6214) abwiegelt und bekräftigt, dass nicht die reine Stärke ausschlaggebend ist (Tr 6215 – 6220): „jâ ist der dinge vil geschehen. man hât des wunder gesehen, daz unrehtiu hôhvart mit cleiner craft genidert wart. daz möhte ouch vil wol noch ergân, der ez getörste bestân.“
Tristans Aussage muss bei den mittelalterlichen Rezipienten und so auch bei den Landbaronen die Assoziation des Kampfes Davids gegen Goliath aufrufen, zu dem sich Tristan – ohne ihn direkt anzuzitieren – in Analogie setzt.²⁷¹ Haug (2011: 425) hält fest, „daß es Tristan selbst ist, der sich durch die Beteuerung seines Gottvertrauens und durch sein Kampfverhalten zu einem zweiten David stilisiert.“ Tristans Rede wird an dieser Stelle durch den Erzähler unterbrochen, um die Reaktion Morolds auf Tristans Reden, die in Morolds Perspektive bereits als initiierende Kampfreden²⁷² klassifiziert werden, zu schildern. Hierbei wird deutlich, dass Morold Tristan trotz seiner Jugend durchaus ernst nimmt, und er truog im in dem herzen haz (Tr 6225). Tristan etabliert sich durch seine bislang noch nicht direkt an Morold gerichteten Reden erfolgreich als dessen Feind. Er fordert die Herren nun noch einmal direkt auf, sich dazu zu äußern, wie er nach ihrem Gutdünken in der Situation verfahren solle Die Parallelen zum Kampf Davids gegen Goliath lassen sich nicht nur in der Rede Tristans erkennen, sondern in der gesamten Gestaltung des Kampfes (vgl. hierzu Denomy 1956; Ernst 1976: 14– 18; Huber 2013: 74– 75; korrigierte Textstellen für den Vergleich mit David liefern Okken 1996: 318 – 319 sowie Unterreitmeier 1994: 98). Dort heißt es, daz Tristan / sô vaste nâch dem kampfe sprach (Tr 6222– 6223).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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(vgl. Tr 6227– 6228), woraufhin sie vorsichtig zustimmen und gleichermaßen Hoffnung und Zweifel Ausdruck verleihen (Tr 6229 – 6233): „hêrre“ sprachen sʼalle dô „kunde ez iemer werden sô, der wân, den ir uns habet getân, daz der möhte vür sich gân: daz waere unser aller ger.“
Eine konkrete Antwort erhält Tristan weiterhin nicht, so dass er sich dazu veranlasst sieht, selbst noch einmal nachzufragen, ob dies denn der Wunsch der Herren sei. Dabei bestätigt er erneut sein Ansinnen, wenn auch auf sehr vage Art und Weise, die noch einmal die Abhängigkeit von Gott in der Angelegenheit verdeutlicht (Tr 6234– 6241): „ist iu daz liep?“ sprach aber er. „sît daz ez danne an dise vrist und her ze mir behalten ist, wil’s danne got geruochen, sô wil ich versuochen, ob iu got habe ûf geleit an mir dekeine saelekeit und ob ich selbe iht saelden habe.“
Tristan beendet das Gespräch, indem er sich regelrecht um den Posten des Helden bewirbt, indem er wieder bekräftigt, dass er nicht für den Erfolg garantieren kann, dass er den Kampf aber dennoch wagen will. Erst hierauf schaltet sich Marke ein, der Tristan erfolglos von seinem Vorhaben abbringen will. Marke und seine Barone müssen sich ebenso Tristans „kalkulierende[r] Vernunft“ (Küsters 1986: 149) geschlagen geben wie der kämpferischen Leidenschaft, die in markanter Opposition zur schicksalsergebenen, aber ebenso bequem-feigen Resignation des Markehofes steht. Jetzt wendet sich Tristan direkt an Morold, den er auch durch seine Körpersprache direkt adressiert, und fordert ihn auf, ihm sein Anliegen mitzuteilen (Tr 6251– 6254): Wan gieng et hin, dâ Môrolt saz und redete aber dô vürbaz: „hêrre“ sprach er „saget mir, sô helfe iu got, was werbet ir?“
Dass Tristan Morolds Anliegen kennt, hat er – in Morolds Beisein – bereits deutlich gemacht, hier nun beginnt Tristan die offizielle und öffentliche Inszenierung ihrer rechtlichen Auseinandersetzung.²⁷³ „Durch die öffentliche ‚Inszenierung‘ und ‚De-
Es handelt sich hierbei zwar um eine rechtliche Auseinandersetzung, aber nicht um eine gerichtliche Verhandlung, dennoch finden sich in der Episode einige gerichtliche Formen, „die dem
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
monstration‘ mittels nicht-sprachlicher und sprachlicher Handlungen erhielten die in den Vorverhandlungen getroffenen Absprachen ein höchstes Maß an Verbindlichkeit.“ (Weber 2010: 861). Diese öffentlichen Vorverhandlungen leitet Tristan durch die Aufforderung an Morold ein, seine Forderungen ihm gegenüber (öffentlich) zu äußern, und macht somit deutlich, dass er nun als der Rechtsvertreter des Markehofes agiert und derjenige ist, dem gegenüber Morold sich zu rechtfertigen hat und dem gegenüber er seinen Anspruch begründen muss. Hierbei kann der Ausspruch sô helfe iu got einerseits wie eine reine Formel wirken, andererseits kann man auch einen nicht nur auf den Vorreden beruhenden Appell an Morold erkennen, eine Bewertung der (zumindest moralischen) Rechtlichkeit der Situation vorzunehmen. Morold kommt Tristans Aufforderung jedoch nicht nach, sondern gibt sich verständnislos, da er ja den Sachverhalt kenne. Auffällig ist die Variation der Anreden: Tristan spricht Morold formal-korrekt als hêrre an, während Morold ihn in seiner Antwort als vriunt tituliert, also mit einer Anrede, die im Tristan nicht durch das Verringern von Standesbezeichnungen Nähe evoziert, sondern insbesondere im Gespräch mit Gegnern auch abwertend eingesetzt wird, indem gerade die distanzierenden Ehrbezeichnungen unterbleiben (vgl. Tr 13413; 13420; 14571; 15988). Daraufhin spricht Tristan alle Anwesenden an, wobei er zunächst Marke und sein Gefolge explizit adressiert und zum Zuhören auffordert. Dadurch beruft er sie als Zeugen für seine folgende Rede und den sich daran anschließenden Dialog, bevor er sich erneut an Morold wendet.²⁷⁴ In seiner insgesamt 73 Verse umfassenden Rede (vgl. Tr 6258 – 6332,V. 6260 ist ein inquit) betont Tristan das Unrecht, das Cornwall und England durch Irland gewaltsam erleiden müssen.²⁷⁵ Schlagwörter sind âne reht (Tr 6268), getwange (Tr 6270), gewalte (Tr 6271, 6277, 6299, 6307)²⁷⁶, schaden (Tr 6275) und unrehte (Tr 6277), unreht (Tr 6285). Das Unrecht, das ihnen widerfährt, ist nicht nur moralisch als solches zu bewerten: Durch die Formulierung âne rehte stellt Tristan heraus, dass die Zinsforderung einer rechtBeweisurteil nachfolgen, nämlich Kampfesgruß, die feierliche Formulierung der Basis der Beweisführung und Fristsetzen als vorbereitende Handlungen, das Sich-Waffnen der Parteien und das Abstecken des Ringes als Förmlichkeiten, die zur Ausführung des Beweisurteils gehören.“ (Combridge 1964: 53). Unterreitmeier (1984: 98) sieht in der Einleitung der Rede einen Hinweis auf Markes Passivität, die er mit Tristans Übernahme der Sprecherrolle für das Volk kontrastiert. Meines Erachtens handelt es sich hierbei aber um das Sicherstellen der rechtlichen Rahmenbedingungen (vgl. weiterführend Weber 2010: 861). Der Zuhörerschaft kommt vor der Etablierung der Urkunde als Rechtszeuge im Laufe des 13. Jahrhunderts die Rolle zu, das Verhandelte zu bezeugen. Zentral ist die audiovisuelle Wahrnehmung der Rechtshandlung. So wird die Bedeutung des Hörens im Rechtskontext durch alte Rechtsgesten veranschaulicht (vgl. Wenzel 1995: 62– 65, Schmidt-Wiegand, 1982: 371). Classen (2002: 329) stellt heraus, dass das Berichten von Tatsachen, die allen Anwesenden bekannt sind, vor allem dazu diene, diese in „ihrer politischen Dimension […] so deutlich wie möglich werden zu lassen[.]“ M. E. geht es hier nicht nur darum, den politischen Konflikt herauszustellen, sondern auch darum, die rechtliche Form zu wahren und entsprechend akribisch den Sachverhalt in der offiziellen Verhandlung mit Morold darzulegen, um sich entsprechend abzusichern. Beleg 6299 bezeichnet die Gewalt, mit der sich Markes Reiche zur Wehr setzen wollen, die anderen Belege bezeichnen die Gewalt, die ihnen von Irland zugefügt wurde.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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lichen Grundlage entbehrt und lediglich durch die zugefügte Gewalteinwirkung und Schädigung der Reiche und ihrer Bevölkerung durch die Iren durchgesetzt werden konnte. Tristans Argumentation verbindet zweierlei Formen von Gewalt: Die Gewalt, die Irland Markes Reichen zugefügt hat, rechtfertigt, dass diese sich nun wiederum gewaltsam, konkreter: kriegerisch dagegen wehren (müssen) und formuliert dies als Akt der Wiederherstellung des Rechtes (Tr 6296 – 6302):²⁷⁷ man sol ez wider kêren, daz unz her verkêret ist, wan unser aller genist muoz sus hin an gewalte wesen. sul wir iemer genesen, daz müeze wir beherten mit wîge und mit herverten.
Tristan erklärt den Widerstand gegen Irland auf diese Weise nicht nur zum Recht, sondern geradezu zur Pflicht (vgl. Küsters 1986: 150).²⁷⁸ Dabei macht er deutlich, dass es nicht nur um die Tribute des aktuellen Jahres geht, sondern dass er beabsichtigt, auch die bereits in Leibeigenschaft übergebenen Kinder zu befreien und Irland selbst anzugreifen (Tr 6325 – 6332): got sî, der mich noch des gewer! wan ich’s in sînem namen ger, daz ich noch mit mîn selbes hant den hervanen in Îrlant mit disen lantgenôzen alsô müez ûf gestôzen, daz daz lant und diu erde von mir gemindert werde! ²⁷⁹
Hiermit macht Tristan Irland formal bereits eine Kriegserklärung, die auf die Demütigung der Gegner zielt. Diese dient der Wiedergutmachung für das eigene Leid, und aus den Vorreden Tristans einerseits, aus den höfischen Werten andererseits ergibt
Küsters (1986: 149 – 150) stellt heraus, dass die Trennung von reht und gewalt eine Neuerung darstellt: „Diese Trennung kannte die frühmittelalterliche Adelsgesellschaft nicht. Bezeichnenderweise wird in den althochdeutschen Glossen bis ins 11. Jahrhundert ius mit kiuualt gleichgesetzt. Erst der Kirchenkampf und in seinem Gefolge die klerikalen Rechts- und Staatshistoriker haben seit dem 11. Jahrhundert eine Einstellungsweise herbeigeführt und den conflictus potestatis et iuris thematisiert.“ Die Alternativlosigkeit des Widerstandes liegt u. a. darin, dass „Hof und König sich in einer Lage [befinden], aus der es kein Entkommen gibt, wenn man nicht nur kreatürlich überleben, sondern sittlich überstehen will.“ (Gruenter 1964: 119). „Tristans Drohung, ihn [d. i. Morold, A.K.] bis dorthin [d. i. Irland, A.K.] zu verfolgen und mit Gottes Hilfe seiner Banner in Irland aufzupflanzen, hat in Bezug auf die späteren Ereignisse einen ironisch-erotischen Hintersinn […].“ (Huber 2013: 75).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sich, dass ein besonderer Anteil des Leides im Ehrverlust der Reiche Markes liegt. Tristan pflegt in sein Sprechen von einer kriegerischen Auseinandersetzung, die auch als aktive Bedrohung Irlands auf irischem Boden formuliert wird, Aussagen über das Erstarken der Reiche Markes ein, wodurch er die Reiche, die sich noch im direkten Vorfeld durch die Reden der Barone als wenig wehrhaft dargestellt haben, als ernstzunehmende Kriegsgegner inszeniert. Tax (1971: 39) nimmt an, dass Tristan Morold auf diese Weise zum Zweikampf verlocken will, was ja, wie sich ebenfalls aus den vorangegangenen Reden Tristans ergibt, der Plan ist. Meines Erachtens gehört dieses verbale ‚Aufplustern‘ Tristans tatsächlich in einen Bereich, der eigentlich in der germanischen Heldendichtung zu verorten ist und hier durchscheint: Tristans Rede erinnert relikthaft an eine Reizrede. Seine (gesamte) Ansprache (hierzu zählen auch bereits die vorangegangenen Reden der Episode) dient sicherlich auch dazu, den Gegner, Morold, zu reizen. Hierzu zählt auch die Tatsache, dass Tristan in Morolds Anwesenheit den Widerstand gegen ihn (und Irland) anleiert, wobei er ihn formvollendet ignoriert und sich abfällig über ihn äußert. Auch die an ihn gerichtete Kampfrede, die eine Schelte des Verhaltens Irlands mit einer Drohung gegen diesen Feind verbindet, verweist auf die Reizrede – nur eben in juristischer Überformung, die aber nicht rein sachlich, sondern durchaus leidenschaftlich und ausgesprochen eloquent vorgetragen wird.²⁸⁰ Durch diese juristische Überformung der Rede kann Tristan seinen Gegner gelassen reizen, zeichnet sich aber selbst nicht als unritterlich aus, sondern beweist über die Eloquenz und das Darstellen seiner juristischen Bildung vielmehr wieder seine Höfischkeit und baut diesen Eindruck im weiteren Verlauf des Dialoges noch aus, indem er die Legitimität seines Handelns herausstellt. Hierzu zählt auch, dass Tristan sich regelrecht als Kämpfer in Gottes Namen als Heilsbringer stilisiert; im kämpferischen Vorfeld beruft er sich insgesamt 24-mal auf Gott, davon 18mal in seiner Argumentation mit den Landbaronen und sechsmal im Dialog mit Morold (vgl. Tabelle 4): Tabelle 4: Berufungen auf Gott im Kampfvorfeld des Moroldkampfes Adressat
Realisierung
Okkurenzen Belege
Landbarone […] sô hât er iemer mêre / dort gotes lôn, hie êre. deist mit gote. ez ist gâr wider gotes gebote, […].
[ f., , , – , – , – ], [, – , f., f., f., f., , – ], [, f.], [, – ]
Jones (2007: 148 – 152) hält fest, dass sich im Artusroman gerade die als unhöfisch gekennzeichneten Figuren des scheltens und dröwens bedienen, das aber für einen höfischen Ritter als unangemessen betrachtet wird (vgl. zu den Reizreden in Heldendichtung und Artusroman ebd.: 152– 156; Urscheler 2002: 225).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
Tabelle : Berufungen auf Gott im Kampfvorfeld des Moroldkampfes (Fortsetzung) Adressat
Realisierung
Okkurenzen Belege
sol ich iu rât umbe iuwer leben / nâch gote und nâch den êren geben,[…]. und bitet den alle derzuo / durch gotes willen allermeist, […]. sî et an gote gemuothaft, der nie dekeinen muot verlie, / der mit dem rehten umbe gie durch got versinnet iuch doch noch. daz er […] / getürre nâch dem rehten / in gotes namen vehten […]. […] geruochet ir ez danne / an got gelâzen unde an mich […]. […] deiswâr, ir hêrren, sô will ich / mîne jugent und mîn leben / durch got an âventiure geben […] got lâze in iu ze guote ergân / und bringe iuch wider ze rehte! sî daz ez aber ze heile ergê, / daz ist binamen von gotes gebote. des endanket nieman niuwan gote. wan daz ich aber zer vehte / an gote und ouch an rehte / zwô sigebaere helfe hân, / die suln mit mir ze kampfe gân! […] wil’s danne got geruochen, […]. […] ob iu got habe ûf geleit / an mir dekeine saelekeit […]. wir suln ez allez gote ergeben. got selbe, der mit mir sol gân / ze ringe und ouch ze vehte, / der bringe reht ze rehte! Morold
„hêrre“ sprach er „saget mir, / sô helfe iu got, was werbet ir?“ wir suln dar selbe zuo komen, / swenne uns got schiereste lât.
f., [ f., f.], , f., f.
191
192
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tabelle : Berufungen auf Gott im Kampfvorfeld des Moroldkampfes (Fortsetzung) Adressat
Realisierung
Okkurenzen Belege
got sî, der mich noch des gewer! / wan ich’s in sînem namen ger, […]. […] sô getrûwen wir des gote wol […]. Tristan sprach aber: „diz muoz ich / mit gotes helfe erzeigen […].“ daz wil ich mit mîner hant / wâr machen und wârbaeren, / got unde der welt bewaeren […]. Gesamt:
Morold lehnt Tristans rechtliche Ausdeutung ab und beharrt darauf, dass die Iren nicht auf etwas verzichten würden, des wir ze rehte sulen hân (Tr 6339). Danach wendet er sich an Marke, um sich rückzuversichern, ob das, was Tristan, den er „ironisch, aber zutreffend iuwer voget, hêr Tristan (6352) [nennt]“ (Küsters 1986: 150; vgl. auch Hermann 2006: 177), denn tatsächlich dem Willen Markes und seines Gefolges entspricht, worauf Morold eine formelle Bestätigung der Rede- und Handlungsbefugnis Tristans erhält und Tristan faktisch zum „Führer der Staatsgeschäfte“ (Gruenter 1964: 121) avanciert. Morold reagiert mit der Schlussfolgerung, dass nun also ein Vertragsbruch vorläge (vgl. insgesamt Tr 6333 – 6357; vgl. auch Classen 2002: 330). Tristan, im inquit als der höfsche Tristan bezeichnet (vgl. III.I.1.3: 62), demonstriert in seiner Antwort Morold gegenüber seine Überlegenheit, als er dessen verbalen Angriff mit einem Verweis auf den geschlossenen Vertrag kontert. Er verurteilt Morolds Aussage als Falschaussage und leitet zu einer Sentenz (vgl. Eikelmann/Tomasek 2009: 454– 455) über, die Morolds Rede – und somit auch ihn selbst – auch auf allgemein-moralischer Ebene bewertet (Tr 6359 – 6361): nein, hêrre, ir misseredet hier an. ez lûtet übele, swer den man an sîne triuwe sprichet.
Im Anschluss stellt Tristan klar, dass niemand triuwe noch eit (Tr 6363) breche und belehrt Morold über einen Vertrag, den dieser selbst geschlossen hat. Dass Morold diesen Vertrag entweder selbst nicht genau kennt, oder, was wahrscheinlicher ist, wissentlich ignoriert, verstärkt die Opposition von Recht und Unrecht auf der Gegnerebene. Tristan spricht hier explizit nicht unpersönlich, und betont, dass Morold am Vertragsschluss beteiligt war (Tr 6364– 6365): ein gelübede unde ein sicherheit wart wîlent under iu getân
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
193
und führt damit die Falschheit und Unrechtlichkeit seines Handelns im Kontext der rechtlichen Auseinandersetzung, die beide miteinander führen, vor. Tristan betont, dass man sich an das getroffene Abkommen halten wolle und expliziert noch einmal die Bedingungen dieses Abkommens, in dem eben nicht nur die Zinspflicht festgehalten ist, sondern auch die Möglichkeit, sich gegen diese mit einwîge oder mit lanther (Tr 6372) zur Wehr zu setzen. Tristan unterstreicht, dass sich Marke und seine Landbarone somit im rechtlich vereinbarten Rahmen bewegen. Er fordert Morold dazu auf, sich zu beraten und zwischen Zweikampf und Krieg zu wählen, das Ergebnis dieser Beratung soll ihm, Tristan, mitgeteilt werden (vgl. Tr 6377– 6388). Hiermit leitet Tristan von der Begründung und Legitimation des geforderten Kampfes zum Abklären der Modalitäten der Auseinandersetzung über. Morold nutzt seine Gegenrede, um Tristan Vorhaltungen zu machen und seinen Standpunkt von Recht zu vertreten: Er sei in Frieden gekommen und habe nicht mit einer kriegerischen Auseinandersetzung gerechnet, sondern damit, wie gewohnt mit rehte und ouch mit minnen ²⁸¹ (Tr 6404) wieder heimzukehren. Er hebt hervor, dass die Kampfansage Tristans ihn überrascht hat und er entsprechend unvorbereitet auf den Kampf ist. Somit fällt aus seiner Perspektive die Wahl zwischen den Kampfmöglichkeiten weg, da er für einen Krieg nicht angemessen vorbereitet ist. Tristan handelt nun umsichtig, indem er Morold diplomatisch vorschlägt, er möge heimreisen und seine Streitmacht versammeln. Dieses entgegenkommende Verhalten verknüpft Tristan mit einer erneuten Drohung, durch die er Macht, Stärke, Unerschrockenheit und den Willen, nicht nur die anstehende Zinsforderung durch den Kampf zu klären, sondern auch begangenes Unrecht zu sühnen, verdeutlicht und die bereits angedrohte Kriegsführung in Irland wieder aufnimmt (Tr 6415 – 6428): und tuot ir des niht zwâre in disem halben jâre, sô nemet ir unser dâ z’iu war: sô komen wir sicherlîchen dar. man hât uns doch hie vor gezalt, gewalt hoere wider gewalt und craft wider crefte. sît man mit ritterschefte lant unde reht sol swachen, hêrren ze schalken machen und daz ein billîch wesen sol, sô getrûwen wir des gote wol, daz unser aller swachheit noch werde wider hin z’iu geleit.
„Die Formel mit rehte und mit minnen kommt aus der Rechtssprache. Dort heißt consilio vel iudicio (mit minne oder mit rehte) ‚durch Übereinkunft oder gerichtliches Urteil‘.“ (Krohn 112006 (III): 127– 128). Häufiger wird so der außergerichtliche Vergleich bezeichnet (vgl. DRW, IX, Sp. 653 – 654).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristans Drohung ist formal eingebunden in die Abklärung der Kampfbedingungen: Er nennt Morold den exakten Zeitraum, in dem er seine Streitmacht versammeln soll (ein halbes Jahr); andernfalls wird Tristan mit seiner eigenen Streitmacht in Irland einfallen, so dass seine Drohung auch als Handlungsalternative – ähnlich der Option, den Zins zu zahlen oder sich kämpferisch dagegen zu wehren – ausgelegt werden und somit schlicht in den Bereich der rechtlichen Modalitäten fallen könnte. Tristan verknüpft die Ansage allerdings mit einer sarkastisch gesetzten Sentenz (vgl. Eikelmann/ Tomasek 2009: 456 – 457) – man hât uns doch hie vor gezalt, / gewalt hoere wider gewalt / und craft wider crefte –, die für das steht, was Morold verkörpert: eine Herrschaft, die auf Gewalt, aber nicht auf Recht beruht.²⁸² Die Distanzierung von diesem Prinzip scheint auch im relativierenden Einschub und daz ein billîch wesen sol auf. Tristans Äußerung ist gespickt mit feinsinnigem Spott gegenüber Morold, der jedoch nur Drohung und Aufschneiderei aus Tristans Rede herausfiltern kann und den ironischen Angriff auf seine Person überhaupt nicht wahrnimmt, nun aber selbst auch mit Spott reagiert und seine Entscheidung, die Angelegenheit durch einen Zweikampf mit Tristan zu klären, verkündet (vgl. Tr 6429 – 6449). Classen (2002: 331) ist zuzustimmen, wenn er für das Gespräch zwischen Tristan und Morold resümmiert: Beide Kontrahenten operieren […] auf völlig unterschiedlichen Ebenen, aber sie streben betont danach, dem lauschenden Hof spezifische Wertvorstellungen nahezubringen, somit suggestive Wirkungen auszuüben – eine fundamentale Grundlage jeglichen kommunikativen Bemühens! Die entscheidende Frage besteht darin, wem es gelingt, durch seine Reden die adelige Gesellschaft Cornwalls auf seine Seite zu ziehen, ob also Angst oder Mut gewinnen bzw. wer von beiden sich durchsetzen und damit die Verbindung zur kommunikativen Gemeinschaft herstellen kann.
Tristan entscheidet diese Frage für sich; auf Morolds Entscheidung für einen Zweikampf hin leitet er nun einen neuen Abschnitt im Dialog ein. Nach einer Klassifizierung des Kampfes als Gottesurteil – Tristan sprach aber: „diz muoz ich / mit gotes helfe erzeigen, / und müeze den geveigen, / der unreht under uns beiden habe!“ (Tr 6450 – 6453) –, geht Tristan zur Kampfansage über, wobei er sich explizit um ein Einhalten der rechtlichen Gepflogenheiten bemüht. Dies zeigt sich nicht nur in der rechtsgestischen Redeunterbrechung, sondern auch in einem neuerlichen Einbeziehen der Öffentlichkeit. Denn die Rechtspraxis und die Tradierung des Rechts stützen sich darauf, daß die Zeugen einen Rechtsvorgang leibhaftig wahrnehmen, ihn ‚hören und sehen‘. Daraus resultiert die Wichtigkeit symbolischer Gesten und Gegenstände einerseits, von Rechtssprache und Schwurformeln andererseits. (Wenzel 1995: 62)
Vgl. hierzu Lanz-Hubmann (1989: 119), die darauf aufmerksam macht, dass die Morold- und Morgan-Episode einander „spiegelnd [kontrastieren]. Vertritt Tristan in der Morolt-Episode den Standpunkt: ‚Recht, welches durch Gewalt gesetzt wird, ist offenbares Unrecht‘, so schuf er in der Morgan-Episode selbst einen faktischen Rechtsstatus durch Gewaltanwendung[.]“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
195
Tristan zieht seinen Handschuh ab und bietet ihn Morold, bevor er sich an die anwesende Öffentlichkeit wendet (Tr 6454– 6472): sînen hantschuoch zôh er abe. er bôt in Môrolde dar. „ir hêrren“ sprach er „nemet war: der künec mîn hêrre und alle die, die hie sîn, die hoeren, wie ich disen kampf bespreche, daz ich daz reht niht breche. daz mîn hêr Môrolt, der hie stât, noch der in her gesendet hât, noch mit gewalt kein ander man zins ze rehte nie gewan ze Curnewal noch z’Engelant: daz wil ich mit mîner hant wâr machen und wârbaeren, got unde der welt bewaeren ûf disen hêrren, der hie stât, der unz her gevrumet hât daz laster und daz ungemach, daz disen zwein landen ie geschach.“
Er ruft die Anwesenden explizit als Zeugen für seine Kampffestsetzung auf, wobei sie genau darauf achten sollen, dass Tristan in seiner Formulierung nicht das Recht bricht. Insofern ist die Wendung wie / ich disen kampf bespreche sicher nicht nur als ein reines Anberaumen das Kampfes zu verstehen, sondern es ist durchaus ein Hinweis auf die Angemessenheit der Formulierung, auf eine Grundierung des Kampfes durch die verbale Kampfansage, so dass Combridge (1964: 142) treffend paraphrasiert: „wie ich diesem Zweikampf eine geziemend formulierte Grundlage verschaffe.“ Das verbale Vorfeld des Kampfes wird somit als Teil des Kampfes verstanden, den es begründet, einleitet, rechtlich absichert und regelt. Entsprechend formuliert Tristan hier noch einmal genau, was Gegenstand des Kampfes sein soll, benennt die Instanzen (Gott und die Welt), vor denen er beweisen²⁸³ will, dass niemand – weder Morold noch sonst irgendjemand – durch Gewalt jemals rechtens Zins von Cornwall und England gefordert habe. Reine Gewalt – so scheint es hier durch –, ist eben kein gültiges Rechtsprinzip. Tristan setzt so einen Kontrapunkt zu seiner vorangegangenen Rede, die das Gewaltprinzip ironisch dem Prinzip Aktion – Reaktion gemäß anwendet, gleichermaßen wirft seine Aussage ein kritisches Licht auf sein ‚selbst verliehenes‘ Lehen.²⁸⁴
Er bedient sich hier des rechtssprachlichen Terminus bewaeren (vgl. Lexer 1872: 252). Mohr (1959b: 154) resümmiert, dass Tristan seine „politische Aufgabe […] im juristischen Wortstreit so überlegen löst, daß Morolt schon als moralisch Geschlagener in den Zweikampf geht.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Der Kampf gegen Morold wird auf auf einer gut einsehbaren Insel halböffentlich ausgetragen (vgl. Tr 6721– 6731), eine Augenzeugenschaft ist also gewährleistet; Gespräche der Kontrahenten können aber nicht gehört werden. Eingeleitet wird die Kampfhandlung durch einen Dialog der Kontrahenten, der sich von der vorausgegangenen Redeszene deutlich unterscheidet. Dass sich die kommunikativen Modalitäten ändern, ist vor allem vor dem Hintergrund zu betrachten, dass für die Öffentlichkeit hier nun der „Schau-Charakter im Vordergrund steht“ (Behrmann 2001: 293) und das gesprochene Wort ohne Zeugenschaft lediglich zwischen den Kontrahenten eine Rolle spielt und auf sie, aber nicht mehr auf den Hof bezogen ist. Eingeleitet wird der Dialog durch eine deutliche Geste Tristans, die von ihm durchaus als kommunikativer Akt gemeint ist und die Zuschauerschaft einbezieht: Tristan lässt das Boot, das ihn zur Insel getragen hat, gezielt davontreiben und sitzt direkt auf sein Pferd auf (vgl. Tr 6791– 6793), wobei Letzteres Tristans Kampfbereitschaft signalisiert. Morolt, der Tristans Boot-Geste nicht deuten kann, spricht ihn an (Tr 6795 – 6797): „sag an“ sprach er „waz tiutet daz, durch welhen list und umbe waz hâstû daz schif lâzen gân?“
Was besonders auffällt, ist nicht unbedingt Morolds Nachfragen als solches, sondern die Tatsache, dass hier die Regeln höfischer Kommunikation aufgehoben zu sein scheinen. Nicht nur fällt die höfische nominale Anrede mit Titulatur weg, die Kontrahenten duzen sich ab diesem Zeitpunkt.²⁸⁵ Das Duzen, so hält Ehrismann (1903/ 1904: 127) fest, ist nur in bestimmten Konstellationen oder Situationen erlaubt – der Zweikampf ist eine davon.²⁸⁶ Hierdurch wird eine Entfernung vom höfischen Stilmittel der sprachlichen Distanzierung und Respektbezeugung erreicht. Dies fügt sich passend in den Zweikampf ein, der durch seine Körperlichkeit eine Nähe nicht nur zulässt, sondern verlangt, die dem höfischen Umgang normalerweise nicht adäquat ist. Das Duzen ist ein Vordringen, ein Grenzüberschreiten, im Grunde bereits ein Angriff auf die Höfischkeit des jeweiligen Gegners, das diesen herabwürdigt und gleichermaßen die eigene Herabwürdigung in Kauf nimmt. Dies verdeutlicht, dass „die Reden vor dem Kampf ein wesentlicher Teil der bewaffneten Auseinandersetzung“ (Urscheler 2002: 232) sind. Tristans Antwort an Morold zeugt von Eloquenz, er argumentiert weiterhin in der Art, wie er es auch im öffentlichen Raum getan hat, und vermittelt über die syntaktisch komplexe Gestaltung seiner Rede seine Sprachgewalt (Tr 6798 – 6806):²⁸⁷ Dass mit dem Wegfall der nominalen Anrede auch ein Wandel der pronominalen Anrede einhergeht, ist logisch, da beide Formen der Anrede aufeinander bezogen sind (vgl. Behrmann 2001: S. 297). Auf den Wechsel von Ihrzen zu Duzen selbst geht Ehrismann (1903/1904: 154) nicht ein, hält aber für die Kategorie „Zweikampf“ fest, dass Tristan und Morold sich duzen. Auch Miedema (2007: 186 – 187) wertet im Kontext des Kampfes Erecs gegen die Riesen syntaktische Komplexität als Hinweis auf den Grad der Höfischkeit des Sprechens.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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„daz hân ich umbe daz getân: hie ist ein schif und zwêne man, und enist ouch dâ kein zwîvel an, belîbent die niht beide hie, daz aber binamen ir einer ie ûf disem werde tôt beliget, sô hât ouch jener, der dâ gesiget, an disem einen genuoc, daz dich dâ her zem werde truoc.“
Er beginnt seine Erläuterung, indem er erst ein Faktum nennt – hie ist ein schif und zweene man – und durch die Reihung mit und und die doppelte Negation enist […] kein zwîvel die Faktizität seiner folgenden Ausführungen verdeutlicht. Auffällig ist die nun folgende ausgeprägte Verschachtelung aus konditionalen, explikativen und relativen Nebensätzen, die es, auch durch das Springen zwischen den Bezügen durch die pronominalen Wiederaufnahmen der Hauptbezugsgrößen schif und zweene man, schwierig macht, den Ausführungen auf Anhieb zu folgen. Er drückt auf diese Weise einen relativ einfachen Sachverhalt kompliziert aus: Wenn überhaupt, wird nur einer von ihnen die Insel lebend verlassen und ein Boot benötigen. Tristans Formulierung kann als sprachliches Imponiergehabe gewertet werden, das zusammen mit der Geste des Davontreibenlassens seines Bootes eine Demonstration seiner Entschlossenheit ist. Er erreicht damit, dass Morold diese Entschlossenheit (an)erkennt, wobei dieser dennoch versucht, Tristan zu überzeugen, vom Kampf abzulassen und ihm das Zinsrecht zu überlassen. Er verknüpft dies mit einer an eine Schmeichelei gekoppelte sprachliche Drohgebärde, indem er sein Bedauern darüber ausdrückt, Tristan erschlagen zu sollen, da ihm kein anderer Ritter je so gut gefallen habe wie Tristan. Tristan beharrt darauf, dass die Grundlage für eine Versöhnung die Abschaffung des Zinses wäre, während Morold betont, dass eine Versöhnung unter diesen Umständen ausgeschlossen sei: Ein Konsens kann hier nicht erreicht werden (vgl. Tr 6807– 6826). Tristan beendet hierauf die Unterredung, indem er herausstellt, dass die Verhandlung²⁸⁸, die beide miteinander führen, völlig sinnlos sei (Tr 6827– 6828): „sô trîbe wir“ sprach Tristan „vil harte unnütziu teidinc an.[“]
Er erklärt damit die Kommunikation für gescheitert und leitet zu einer Kampfansage über, die – anders als in der Öffentlichkeit – sehr informell gestaltetet ist und Morolds Drohung, ihn zu erschlagen, spöttisch wieder aufnimmt (Tr 6829 – 6832): [„]Môrolt, sît daz du danne mîn ze slahene sô gewis wilt sîn,
Durch das Lexem teidinc stellt Tristan erneut einen juristischen Kontext her (vgl. Lexer 1876: 1387– 1388).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
sô wer dich, wellestû genesen. hie enmac niht anders an gewesen.“
Tristan erweist sich auch in einer Lage, die für ihn eine Situation auf Leben und Tod ist, als eloquent und sprachlich souverän, wobei diese Souveränität verschiedene Ebenen betrifft. Während seine syntaktische Redegestaltung und Elaboriertheit ihn weiter als besonders höfisch ausweist, passt er seine Lexik insbesondere durch die Anreden, aber auch durch das Einfließenlassen von Vokabular, das dem Rechtswortschatz zuzurechnen ist, den Gepflogenheiten der Zweikämpfe an und schafft es auf inhaltlicher Ebene, die Kommunikation als solche zu bewerten und infolgedessen schließlich auf ironisierende Weise zu beenden. Ein Dialog wird während des Kampfes erst wieder aufgenommen, als Morold Tristan verwundet und ihn zur Aufgabe bewegen will. Er deutet seinen erfolgreichen Hieb gegen Tristan als Beleg dafür, dass Tristan sich im Unrecht befindet und teilt ihm mit, dass der Hieb mit dem Schwert, wenn auch nicht akut tödlich, so doch langfristig fatal ist, da das Schwert mit Gift versehen sei und nur Morolds Schwester Isolde ihn retten könne. Morold stellt aber nicht nur Tristans Genesung in Aussicht, sondern bietet ihm seine Freundschaft an: Er wolle alles, was er hat, geselleclîche (Tr 6959) mit Tristan teilen, wenn dieser ihm doch den Zins zugestehe (vgl. Tr 6931– 6961). Tristan lässt sich auf dieses Angebot Morolds nicht ein, sondern stellt in seiner Rede seine Loyalität, seine Verantwortlichkeit (und ebenso sein Bewusstsein für diese) und seinen Mut heraus. Er bekräftigt seine Position und seine Rede, die seinen folgenden Angriff einleitet, erscheint als eine Erneuerung seiner Kampfansage, die ihren Sprecher stärkt, den Gegner aber einschüchtern soll (Tr 6962– 6976): Tristan sprach: „mîne wârheit und mîn êre die engibe ich durch dîne swester noch durch dich. ich hân in mîner vrîen hant dâ her gevuort zwei vrîu lant, diu varnt ouch mit mir hinnen oder ich muoz ir gewinnen groezern schaden oder aber den tôt. ouch enbin ich noch ze solher nôt mit einer wunden niht getriben, daz ez allez hier an sî beliben. der kampf ist under uns beiden ie noch vil ungescheiden. der zins ist dîn tôt oder der mîn. hie enmac niht anders ane gesîn.“
Tristan stellt heraus, dass er eidbrüchig würde, ginge er auf das Angebot Morolds ein. Er betont erneut und auch unter dem Eindruck der Verwundung, dass er bis zum Letzten gehen wird, um die Freiheit Cornwalls und Englands zu bewahren. Gleichzeitig betont er, dass seine Verwundung nicht gleichbedeutend mit einer Entschei-
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dung des Kampfes ist. Tristan schließt seine Rede, indem er seine sprachliche Gewandtheit dadurch unter Beweis stellt, dass er den Zins abstrahiert, umdeutet und allegorisch als eine Bezahlung mit Morolds oder eben auch dem eigenen Tod fasst. Dass einer der beiden Kontrahenten den Tod finden wird, ist laut Tristan alternativlos. Mit dieser Aussage, die Tristans Kampfeswillen und seine tödliche Konsequenz betont, greift Tristan erneut an – diesmal mit der Hilfe Gottes auf seiner Seite und erfolgreich. Tristan begnügt sich jedoch nicht damit, Morold zu töten, sondern nutzt Morolds Schwäche, um ihn vor dem endgültigen Todesstoß zynisch zu verhöhnen. Tristan handelt hier – im Vergleich zum arthurischen Ideal und auch zu Morold, der Tristan zwar eine nicht sehr ehrenvolle, aber dennoch mögliche Alternative zum Tod geboten hat – unhöfisch, zeigt aber, dass er konsequent seinen eigenen Worte folgt und die Absprache, die den Tod eines der Kontrahenten einschließt, einhält. Tristan schließt den Kampf – vor der Enthauptung Morolds – so ab, wie er ihn initiiert hat: mit einer Demonstration seiner Sprachmächtigkeit. Er nimmt dazu die letzte Rede Morolds wieder auf und formuliert daraus eine Spottrede, die nicht zufällig durch die Beschreibung von Morolds Fall eingeleitet wird, der von Tristan zu einer ironisch-beißenden Erniedrigung seines Gegners auf allen Ebenen ausgestaltet wird (Tr 7061– 7080): Môrolt, daz trôstelôse her, do er âne craft und âne wer sô sêre türmelnde gie und sich an den val verlie, „wie dô, wie dô?“ sprach Tristan „sô dir got, Môrolt, sag an, ist dir dirre maere iht kunt? mich dunket, dû sîst sêre wunt. ich waene, dîn dinc übele stê. swie ez mîner wunden ergê, dir waere guoter wurze nôt. swaz sô dîn swester Îsôt von erzenîe hât gelesen, des wirt dir nôt, wiltû genesen. der rehte und der gewaere got und gotes waerlîch gebot die habent dîn unreht wol bedâht und reht an mir ze rehte brâht. der müeze mîn ouch vürbaz pflegen! disiu hôhvart diu ist iu gelegen!“ Schon der Anfang der Passage, ein Echo von Morolds höhnischem Ausruf wie dô? v. 6931, markiert den ironischen Tenor von Tristans Worten; weitere Ironiesignale sind mich dunket und ich waene sowie die Aufnahme von Morolds wellestu genesen v. 6935 durch wiltu genesen […]. Im zweiten Teil seiner Rede kehrt Tristan Morolds unreht-Behauptung gegen diesen und straft sie Lügen[.] (Haug 2011: 440)
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Auf diese Weise zerstückelt Tristan seinen Gegner nicht nur körperlich²⁸⁹, sondern auch verbal. Tristan erniedrigt Morold aber nicht nur im Töten selbst, sondern demontiert ihn auch bei den Iren, die ihn begleitet haben, und demütigt diese durch seine zynische Rede (Tr 7114– 7130): „ir hêrren“ sprach er „kêret hin, enpfâhet jenez zinsreht, daz ir dort ûf dem werde seht, und bringet iuwerm hêrren heim und saget im, daz mîn oeheim der künec Marke und sîniu lant diu senden ime den prîsant unde enbieten ime dâ bî: swenne ez an sînem willen sî, daz er’s geruoche unde ger, daz er sîne boten her nâch solhem zinse sende, wir enlâzen s’îtelhende niemer wider gekêren. mit sus getânen êren sende wir s’im hinnen, swie kûme wir’z gewinnen.“
Die Rede zeugt von Tristans Triumphgefühl über den einst übermächtigen Gegner und zeigt, wie sehr er die Verkehrung der Machtverhältnisse nun auskostet. Dies manifestiert sich einerseits in beißendem Spott, so etwa in den „ironischen Zinsanspielungen (Morolds ‚Vorausdeutung‘ der zins muoz mit mir hinnen, v. 6826, gewissermaßen bewahrheitend)“ (Haug 2011: 442), in der sarkastischen Bezeichnung des Leichnams Morolds als prîsant ²⁹⁰ und der Anspielung auf die sus getânen êren, mit denen auch Gurmuns Boten wieder fortgeschickt würden. Tristans Schändung Morolds erweist sich in seinen Worten also als bewusste Tat, als gezielte Demütigung des Feindes, die nicht nur als Rache für das vorausgegangene, ebenfalls mit Demütigung einhergehende Unrecht gegenüber England und Cornwall verstanden werden kann, sondern auch als gezielte Warnung an Gurmun. Andererseits zeigt sich die Veränderung der Machtverhältnisse, indem Tristan in dieser Rede ein Element aufnimmt, das
Die Zerstückelung des Körpers erfolgt hierbei nicht willkürlich, sondern nach einem Muster, das Kellermann (2002: 143) herausarbeitet: „Tristan überreicht seinen Handschuh zur Kampfansage, Morold repliziert die Geste. Morold schlägt Tristans Pferd den Vorderhuf ab, Tristan Morold die rechte Hand. Es ergibt sich also eine Reihe: zwei Handschuhe, die Vorderhand von Tristans Pferd, die rechte Hand Morolds. Und eine zweite Reihe der Verletzungen liest sich so: Morolds Helm fliegt unter Tristans Schwerthieb fort, sein Schädel wird zertrümmert, wobei Tristans Schwert geringfügig, aber folgenschwer beschädigt wird, und zuletzt nimmt Tristan sein Schwert in beide Hände und schlägt Morold den Kopf gänzlich ab.“ (Vgl. zur Verletzung Tristans durch Morold ebd.: 144– 146). „Die Segmentierung von Morolds Körper, seine Zurichtung als dreiteilige Geschenksendung, spielt zudem auf die Degradierung der Person zur Sache an.“ (Kellerman 2002: 143).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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zum verbalen Nachfeld des Kampfes gehört und in der Regel zwischen den Kampfgegnern selbst besprochen wird: Er „[definiert] das künftige Verhältnis zwischen den beiden“ (Urscheler 2002: 236). Dass Tristan und Morold nur Stellvertreter des eigentlichen Konfliktes waren, wird hier noch einmal deutlich, da Tristan nicht für sich, sondern explizit für Marke spricht und den Iren – dies ist ebenfalls ein übliches Element der Dialoge nach einem Kampf – als Botendienst aufträgt (vgl. ebd.: 237), Gurmun nicht nur den zur Nachricht degradierten Körper Morolds heimzubringen, sondern ihn auch über die Konsequenz zukünftiger ‚Botensendungen‘ zu informieren bzw. vielmehr diese durch den übersandten Körper Morolds zu veranschaulichen. Tristan erweist sich in den Dialogen, die den Zins und daraus resultierend den Moroldkampf betreffen, – wie üblich – als großer Kommunikator. Er versteht es, sein Reden den unterschiedlichen Redekonstellationen anzupassen. So tritt er den Landbaronen gegenüber beratend, scheltend, vorhaltend, aber dadurch auch motivierend auf und durch sein Anerbieten oder Bewerben um den ‚Posten‘ des Helden auch hoffnungsbringend, wobei seine Reden ebenfalls einen Angriff auf die Komfortzone der Landbarone darstellt, die sich mit dem demütigenden, aber bequemen Abkommen auf ehrlose Weise arrangiert haben. Er stilisiert sich zur Heilsfigur in Anlehnung an David und erweist durch die klugen Begründungen seines Anliegens und durch eine allgemeine sittlich-moralische und höfische Einordnung der vorliegenden Situation als kommunikativ erfolgreich. Und er wird zum rechtlichen Vertreter des Markehofes. Tristan ist Morold – wie den meisten anderen– sprachlich überlegen. Er ist nicht nur Initiator des Gesprächs und kämpferischer wie verbaler Herausforderer, sondern bestimmt das Gespräch auch argumentativ. Dies zeigt sich in Tristans Rechtsund Vertragskenntnissen, mit denen er Morolds Vertragsbruchunterstellungen mit Leichtigkeit abwehren und sich selbst auf diese Weise ins Recht setzen kann. Den Gerichtskampf sieht er nicht nur als reinen Vertragsbestandteil an, sondern erhebt diesen zum Gottesurteil und sich selbst auf diese Weise zum Kämpfer Gottes, ohne jedoch in völliger Hybris einen sicheren Ausgang des Kampfes in Aussicht zu stellen. Insgesamt zeichnet sich Tristans Reden und Gebaren als sehr bedacht aus und um rechtsgültiges Sprachhandeln und Gebaren bemüht, das zwar nicht vor Gericht stattfindet, aber dennoch vor Zeugenschaft mit dem Ziel, eine juristische Situation zu klären. Tristans sprachliche Strahlkraft ist nicht zuletzt seinem rhetorischen Vermögen geschuldet, das sich nicht nur in der Komplexität seiner Formulierungen zeigt, sondern darüber hinaus insbesondere im ironisierenden Einsatz von Sentenzen und Wiederaufnahmen der Aussagen Morolds, so dass Tristan sich diese in ironischer Überformung auf eine Weise zu eigen macht, mit der er die Aussagen seines Gegners und letztlich diesen selbst demontieren, degradieren und final vorführen kann. Hierin zeigt sich auch, dass die Enthauptung Morolds, mit der Tristan deutlich vom höfischen Wertekatalog abweicht, auf einer weiteren kommunikativen Ebene zielführend ist: Er lässt Morold gezielt nicht sicherheit nemen, gewährt ihm nicht den Botendienst, sondern macht ihn selbst zur überdeutlichen, demütigenden Botschaft an Gurmun und spricht hierdurch eine kriegerische, unmissverständliche Sprache.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristan erweist sich in dieser Episode als Kommunikator zwischen den höfischen Werten, die er manipulativ einsetzen, aber auch großräumig umschiffen kann. Beides geschieht bewusst und zielführend, wobei die Ermordung Morolds zwar als Botschaft an Gurmun ihre Berechtigung und bezogen auf die höfische Realität einen tatsächlichen, eben nicht idealisierten Kampfhabitus vorführen kann – ebenso zeigen sich hier aber bereits, wie schon in der Morgan-Episode, Kratzer am höfischen Ideal, das Tristan in seiner Jugend verkörpert hat. Für Tristan gelten immer mehr nicht mehr nur die höfischen Werte, sondern auch eigene Regeln, innerhalb derer er sich bewegt, die er für sich und seine – nicht nur kommunikativen – Zwecke einsetzt.
1.3.3 Tristan versus Urgan Der Kampf gegen Urgan unterscheidet sich von den anderen geschilderten Kämpfen bereits in der Wahl des Gegners: Tristan kämpft nicht gegen einen ebenbürtigen Ritter, sondern ein unhöfisches Wesen, er kämpft in Stellvertretung, aber keineswegs uneigennützig aus triuwe oder erbermde, sondern unter Vernachlässigung des Ritterethos in berechnender Ausnützung eines Blankoversprechens. (Kellermann 2002: 132)
Der Anlass für den Kampf – Tristan will für Isolde das Hündchen Petricrü erstreiten – spielt zwischen den Kontrahenten selbst keine Rolle und wird insofern unter ihnen auch nicht thematisiert, wobei für den Rezipienten zwei Parallelstellen zur Episode augenscheinlich werden: Tristan kämpft hier, unter dem blinden Versprechen, einen beliebigen Wunsch erfüllt zu bekommen, für Gilan, der Urgan zinspflichtig ist – „das berührt sich als Erlösertat mit dem Morold-Kampf und über den ‚rash boon‘ mit Gandins Raub der Königin“ (Huber 2013: 105; vgl. auch Dicke 1998: 124– 125). Mit dem Ziel, gegen Urgan zu kämpfen, macht Tristan sich auf den Weg zu diesem in eine Waldgegend, die sich – passend zu ihrem Bewohner – durch große Wildnis auszeichnet (vgl. Tr 15965). Tristan erreicht vor dem Riesen eine Brücke, über die dieser immer seine Beute führt, und lässt, als der Riese mit seiner Beute die Brücke erreicht, die Beute nicht hinüber. Somit verweigert Tristan dem Riesen nonverbal das Ausüben seiner Gewohnheiten und reizt ihn bereits vor dem ersten Kontakt. Dass das Reizen erfolgreich ist, zeigt sich darin, dass Urgan, sobald er werre an der brucke wart gewar, / er kêrte unstetelîche dar (Tr 15973 – 15974). Urgan trägt eine lange Stange bei sich, ein Ausweis seiner Unhöfischkeit,²⁹¹ und spricht Tristan, den er zunächst als bewaffneten Ritter wahrnimmt, „in der für Riesen typischen plumpen Weise mit geringschätzigem Ton“ (Ehrismann 1903/1904: 154) unwertlîch (Tr 15980) an. Er tituliert
Bei einer Stange handelt es sich „um ein derbes Schlaginstrument, das in mittelalterlicher Dichtung gewöhnlich nur Gestalten des außerhöfischen Bereichs, etwa Riesen und Bauern, zugewiesen wird. Es ist daher durchaus folgerichtig, in der ungewöhnlichen Waffe ein negatives Zeichen zu sehen, das dem unhöfischen Status seines Trägers Ausdruck verleiht.“ (Kasten 1977: 394).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Tristan verächtlich als vriunt ûf dem orse (Tr 15981), fragt ihn, wer er sei und nach seiner Handlungsmotivation. Dann kündigt er an, dass Tristan, so er sich nicht ergebe, mit seinem Leben bezahlen müsse (vgl. Tr 15981– 15986).²⁹² Tristan nimmt in seiner einzigen Rede im Umfeld dieses Kampfes die Anrede Urgans wieder auf und macht ihm in einfacher, aber bildhafter Sprache klar, dass er sich von Urgans Drohungen nicht beeindrucken lässt (Tr 15987– 15995): der ûf dem orse sprach zehant: „vriunt, ich bin Tristan genant. weistûʼs nu wol, nu vürhte ich dîne stange unde dich niht eine halbe bône. von diu sô var vil schône und wizze et waerlîche daz: dîn roup enkumet niht vürbaz, als verre als ichʼz erweren kan.“
Während der Erzähler im inquit die Worte des Riesen aufnimmt, verfährt Tristan ebenso mit der Anrede vriunt; diese Parallelsetzung, aber auch der Wechsel aus Frage und Antwort, vermitteln den ersten Eindruck der Nähe zur heldenepischen Reizrede (vgl. hierzu insgesamt Clover 1980), für die Clover (ebd.: 453) festhält: „The format of the exchange is highly stylized and is characterized by logical and syntactic parallelism: questions and answers, counterposed speeches, recurrent phrases, and symmetrical reasoning.“ Auch der weitere Verlauf der Rede zielt auf die Unhöfischkeit des Gegners: Tristan lässt ich sprachlich auf den Riesen ein, indem er dessen Kampfansage ironisch mit einem Vergleich abtut, der nicht der „üblichen Kampfmetaphorik“ (Miedema 2007: 186)²⁹³ zuzurechnen ist und die Geringschätzung seines Gegners zum Ausdruck bringt, da er weder ihn noch sein unhöfisches Kampfgerät auch nur eine halbe bône fürchte. Die Komik des Vergleichs macht den Riesen lächerlich. Auch die Tatsache, dass er Urgan wie ein Tier fortscheuchen will – von diu sô var vil schône – zeigt, dass Tristan seinen Gegner nicht ernst nimmt und ihm, im Gegensatz zu seinen Kontrahenten höfischer Provenienz, keinerlei Respekt und Ehrerbietung zukommen lässt. Dies wird auch dadurch ausgedrückt, dass er Urgan, der Tristan durchgängig ihrzt, von vornherein den pluralis reverentiae verwehrt und ihn duzt (vgl. Ehrismann 1903/1904: 154– 155), was in höfischer Perspektive sowohl der Niederkeit des unhöfischen Gegners als auch dem Kontext des Kampfvorfeldes entspricht. Tristan selbst macht hier keine direkte Kampfansage und es werden auch keine Kampfmodalitäten geklärt. Es handelt sich lediglich um ein Reizen der Gegner untereinander. Das Ver-
Urgan bezieht sich in seiner Rede floskelhaft auf die Zeugenschaft Gottes, was dem Umstand gemäß, dass er ein Riese ist, doch zumindest erstaunlich ist. Miedema (2007: 186) arbeitet einen ähnlichen Vergleich für den Erec heraus. Dort sind sich die Riesen der komischen Wirkung ihres Vergleichs in „V. 5483 […](‚[…] ich zerbræche dich als ein huon […]‘)“ nicht bewusst, sie bewegen sich aber ebenfalls außerhalb der „übliche[n] Kampfmetaphorik“.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
weigern der Forderung und Bedingungen des Riesen und das Spotten über diesen ist ebenso eine Herausforderung zum Kampf wie die Wendung als verre als ichʼz erweren kan ist, da hier ein kämpferisches erweren gemeint ist. Nicht nur Tristans Rede, sondern auch Urgans Antwort lässt den Reflex des vorhöfischen Reizrede deutlich aufscheinen, da er seinen Spott Tristan gegenüber nun auf seinem Wissen um Tristans vorangegangene Taten gegenüber Morold und Gandin aufbaut²⁹⁴ – die Worte des Riesen verweisen hier also auf genau die beiden Parallelstellen zur vorliegenden Episode (vgl. Lanz-Hubmann 1989: 132– 133) (Tr 15996 – 16011): „jâ“ sprach der rise „hêr Tristan, ir waenet haben bestanden Môrolden von Îrlanden, mit dem ir iuwer vehte mit grôzem unrehte umbe niht zesamene truoget und in durch hôhvart sluoget. ouch enist ez niht umbe mich gewant als umbe jenen von Îrlant, den ir mit schalle an kâmet und ime die schoenen nâmet, die blüejenden Îsolde, die er bereden wolde. nein nein, diu rivâge ist mîn hûs und heize ich Urgân li vilûs. wol balde von der strâzen!“
Der Spott des Riesen beinhaltet drei konkrete Vorwürfe, nämlich den des Kampfes (1) mit grôzem unrehte, (2) umbe niht und (3) das Erschlagen Morolds durch hôhvart, er wirft Tristan „failings of honour“ (Clover 1980: 453)²⁹⁵ vor. Durch die Spiegelung der Morold-Episode bewertet Urgan hier nicht nur den vorausgegangenen Kampf, sondern nimmt diese Wertung zudem implizit für den anstehenden Kampf vorweg. Zu (1) hält Lanz-Hubmann (1989: 135) die Parallelität der Ausgangslage – die Gegner sind Riesen, die einen Tribut einfordern – fest. Während die Frage nach dem Recht im Kontext der Morold-Episode gestellt werden muss und von den verfeindeten Parteien in einem kompetetiven Dialog auch ausführlich erörtert und verhandelt wird, stellt sich die
Jones (2007: 152) betont, dass „die Kenntnis, die die Kontrahenten voneinander haben, entweder durch vorherige persönliche Bekanntschaft oder durch Hörensagen“, „eine wesentliche Voraussetzung für die heldenepische Reizrede“ ist. Urgans Vorwürfe lassen sich thematisch den klassischen Beleidigungen der germanischen Reizrede zuordnen, die Clover (1980: 453) wie folgt zusammenstellt: „The repertory of insults reduces to a few major categories: appearance, acts of cowardice (deserting a battle), heroic failure (losing a battle), trivial or irresponsible behavior (pointless escapades, domestic indulgences, sexual dalliance), failings of honor (unwillingness or inability to extract due vengeance, hostile relations with kinsmen), alimentary taboos (eating corpses, drinking urine), and sexual irregularities (promiscuity for women; castration, bestiality, and passive homosexuality for men; incest for both).“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Frage nach der Rechtmäßigkeit im Falle Urgans, der seinen Tribut nicht auf Vertragsbasis, sondern durch die Bedrohung des Landes fordert, nicht. „Bezüglich dieses Punktes liegt also inverse Symmetrie vor.“ (Ebd). Zu (2) konstatiert Lanz-Hubmann (ebd.), dass verschiedene Ebenen berücksichtigt werden müssen: Auf der ersten Ebene findet in beiden Fällen der Kampf um einen Tribut statt, also um etwas Materielles. Auf der anderen Ebene ist die Motivation Tristans, im Morold-Kampf sein Leben aufs Spiel zu setzen, nicht durch irgendeine Gegenleistung für ihn motiviert; auch wenn man anmerken könnte, dass er als Erbe des Landes durchaus in eine Verantwortung für das Ansehen dieses Landes gerät. Im Falle des Kampfes gegen Urgan hat Tristan jedoch ein ganz konkretes, ihn selbst bzw. Isolde betreffendes Ziel, nämlich das Hündchen Petitcrü für Isolde zu erstreiten, so dass dieser Kampf „‚umbe lôn‘“ (ebd.) stattfindet. Auch diesen Punkt beurteilt Lanz-Hubmann als invers-symmetrisch. Die Frage, ob Urgans Vorwurf der (3) hôhvart zutrifft, ist abhängig von der eingenommenen Perspektive und Deutung der Tötung Morolds. Tristan setzt den Gerichtskampf von vornherein als Kampf auf Leben und Tod fest, was einerseits dem Status des Kampfes als Gottesurteil geschuldet ist, andererseits der Transformation des Boten in die Botschaft. Die Vorgehensweise Tristans im Gerichtskampf widerspricht der hövescheit und Morold selbst erweist sich seinem Gegner gegenüber als gnädiger, will er doch dessen Leben auch nach der Verwundung noch schonen. „So wäre Tristans Mord an Morolt durchaus als Hochfahrt auslegbar. Andererseits sind die Umstände des Morolt-Kampfes – die David-Gestalt Tristans – nicht dazu angetan, diesen dem Vorwurf der ‚hôhvart‘ auszusetzen“. (Ebd.: 134).²⁹⁶ Auch für diesen Punkt lässt sich mit Lanz-Hubmann eine inverse Symmetrie feststellen. Die Vorwürfe des Riesen sprechen verschiedene Ebenen an: Auf Rezipientenebene stellen sie eine Figurencharakterisierung Tristans in einem mit diesem geführten Dialog dar. Wichtig ist hier, dass die Charakterisierung von einer Instanz ausgesprochen wird, die selbst nicht nur durch ihre Klassifizierung als Riese, sondern auch durch ihr Auftreten, das Benutzen einer Stange als Waffe und das Einsetzen einer archaischen Reizrede als außerhöfisch gekennzeichnet wird, so dass sich dem höfischen Rezipienten die Frage nach der Verlässlichkeit der Aussagen des Riesen stellt. Interessant wäre es, wie Tristan sich zu dieser Charakterisierung seiner selbst äußern würde. Hierzu kommt es jedoch nicht, denn auf der Handlungsebene erfüllt die Rede ausschließlich den Zweck einer kampfinitiierenden Reizrede, der keine weiteren verbalen Auseinandersetzungen folgen, sondern an die sich der tatsächliche Zweikampf anschließt. Tristan muss sich hier nicht äußern, er verhandelt nicht unter seinesgleichen, muss den Kampf nicht juristisch legitimieren und sich selbst nicht rechtfertigen. Das verbale Vorfeld des Kampfes unterscheidet sich also deutlich von den vorausgegangenen Kämpfen.
Stein (1977: 340 – 344) sieht den Vorwurf der hôhvart hingegen als durchaus gerechtfertigt an und sieht in Urgans Urteil eine Demaskierung des Siegs Tristans über Morold.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
1.3.4 Zwischenfazit Die Kämpfe und Kampfdialoge, an denen Tristan beteiligt ist, werfen ein sehr unterschiedliches Licht auf die Figur und ihre Zeichnung. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, dass sich die Kämpfe grundsätzlich deutlich voneinander unterscheiden, aber in ihren Bewertungen immer wieder aufeinander bezogen werden. Diese Bezüge werden u. a. durch Reden hergestellt: einerseits indirekt, indem Tristan das Gewaltprinzip, das er in seinem Kampf gegen Morgan verfolgt, Morold gegenüber ironisch verurteilt, andererseits indem der Riese Urgan gegenüber Tristan eine klare Bewertung oder besser Verurteilung von dessen Kampf mit Morold artikuliert. Lanz-Hubmann (1980: 134– 135) zeigt auf, dass einerseits die Kämpfe gegen Morgan und Morold sowie andererseits die Kämpfe gegen Morold und Urgan inverse Symmetrien aufweisen (vgl. III.II.1.3.3: 204– 205). Eine größere Nähe zueinander weisen die Kampfdialoge Tristans mit Morgan und Morold auf. Dabei ist zunächst die Figurenkonstellation ausschlaggebend, da beide Gegner ihrer Herkunft und sozialen Verortung nach der höfischen Sphäre zugerechnet werden können. Die Zeichnungen und Bezeichnungen Morolds passen aber durchaus auch zu einer außerhöfischen Figur, da er durch seine Größe und Stärke in die Nähe der Riesen rückt und sowohl durch den Erzähler als auch die Landbarone dem Teufel zugeordnet wird. Mit dem Kampf gegen Urgan wiederum wird ein Kampf mit einer eindeutig unhöfischen Figur geschildert. Auch die Kampfanlässe haben einen deutlichen Einfluss auf die Konstellation der Gegner: In der Konstellation Tristan versus Morgan handelt es sich um einen Konflikt, in dem beide Figuren ihre eigenen Positionen vertreten; in der Konstellation Tristan versus Morold handeln beide Figuren als beauftragte Stellvertreter²⁹⁷ für Marke und Gurmun. In der Konstellation Tristan versus Urgan wiederum vertritt Tristan umbe lôn die Angelegenheit Gilans, während Urgan für sich selbst kämpft. Die spezifischen Konflikte, die die Basis für die Kämpfe bilden, haben Einfluss auf die Gestaltung der Kämpfe und die kompetitiven Dialoge im Rahmen derselben. Mit den höfischen Gegnern verhandelt Tristan Rechtsangelegenheiten, mit Urgan liefert er sich nur ein gegenseitiges Reizen. Die Figurenkonstellationen und die Rahmenbedingungen der Konflikte haben großen Einfluss auf die Redegestaltung. Besonders auffällig ist dies hinsichtlich der Lexik und hier wiederum im Bereich der Verwendung von Rechtsterminologie in den Verhandlungen mit Morgan und Morold und durch die Verteilung der Adressierung im nominalen und pronominalen Bereich, die sich in allen vorgeführten Dialogen unterscheiden (vgl. Tabelle 5):
Allerdings ist hervorzuheben, dass Tristan nicht gebeten oder beauftragt wird, als Stellvertreter zu agieren, sondern sich darum bewirbt, als Kämpfer und Unterhändler für Markes Reiche zu streiten.
207
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
Tabelle 5: Adressierungen in den Kampfdialogen Kampf vs. Morgan, Tr –
vs. Morold, Tr –
Sprecher
pronominal
Tristan
hêrre (; )
Ihrzen
Morgan
hêrre (; ) hêrre guot kneht ()
Ihrzen
Tristan
Kampfvorfeld: hêrre (; ; ; ) mîn hêr Môrolt () Kampf: Môrolt (; )
Kampfvorfeld: Ihrzen
Morold
vs. Urgan, Tr –
Adressierung nominal
Kampf: Duzen
Kampfvorfeld: vriunt (;) hêr Tristan (; ; ) Kampf: Tristan ()
Kampfvorfeld: Ihrzen
Tristan
vriunt ()
Duzen
Urgan
vriunt ûf dem orse () hêr Tristan (;
Ihrzen
Kampf: Duzen
Während Tristan und Morgan einander konsequent ihrzen, ändert sich das Anredeverhalten von Morold und Tristan, die einander in der öffentlichen Vorverhandlung gegenseitig ihrzen und mit Titulaturen ansprechen, im Kontext der Kampfhandlung dann aber zum Duzen übergehen und sich mit ihren Vornamen anreden. Im Kampf gegen Urgan wiederum wird über die Anrede die ständische Asymmetrie der Gegner zum Ausdruck gebracht: Während Tristan Urgan konsequent duzt, spricht dieser Tristan, wenn auch spottend, mit hêr Tristan an und ihrzt ihn. Der Kampf mit Urgan weist eine weitere Besonderheit bezüglich der Lexik auf: Tristan benutzt mit dem Bohnenvergleich (vgl. Tr 15991) einen Vergleich, der außerhalb der üblichen Kampfterminologie steht, und geht durch diese Form der Respektlosigkeit auf die Unhöfischkeit seines Kontrahenten ein (vgl. III.II.1.3.3: 202– 203). Insgesamt haben die kompetitiven Dialoge mit Morgan und Morold eher Verhandlungscharakter²⁹⁸ und bei Morold weiterführend auch die Funktion, die Kampfmodalitäten zu klären, so dass sie sich gut in das höfische verbale Vorfeld eines Kampfes einfügen. Die Vorreden zum Urgan-Kampf wiederum erinnern stärker an die vorhöfische Zeit, da sie eher als Reizreden denn als höfische Kampfansagen erscheinen. Hier ist also eine deutliche Unterscheidung im Bereich der Zuordnung zur höfischen respektive unhöfischen Sphäre auch über die Redegestaltung zu treffen.
Wobei in allen Dialogen durchaus ein Reizen und Verspotten des Gegners zu finden ist, hier allerdings stärker eingebettet in den Kontext einer argumentativen Auseinandersetzung.
208
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Gerade durch die Lexik wird verdeutlicht, dass Tristan klar differenziert, wie er mit den unterschiedlichen Sphären entstammenden Gegnern kommuniziert. Wie wird Tristan nun über die Kampfdialoge charakterisiert? Das Bild, das von Tristan – durch ihn selbst, den Erzähler und andere Figuren – gezeichnet wird, ist kein einheitliches. Während das Bild des durch Tristan bis zu diesem Zeitpunkt verkörperten höfischen Ideals in der Morgan-Episode erste Risse bekommt, kann Tristan sich in der Morold-Episode zum regelrechten Heilsbringer vom Typus eines Davids stilisieren, der Urgan-Kampf wiederum zeigt Tristan als überragenden Helden, wobei hier die Rede tendenziell im Hintergrund steht. In der Morgan-Episode ist die Disparatheit von Handlungsmotivation und Kommunikation für Tristans Zeichnung entscheidend: Will Tristan hier vordergründig die Vergabe seines Lehens klären, zielt seine Reise zu Morgan faktisch auf Vaterrache. Ersteres erfordert ein öffentliches Agieren, Letzerem liegen heimliche Absprachen zugrunde. Der Unterschied aus Öffentlichkeit und Heimlichkeit spiegelt sich auch im Redewiedergabemodus wider: Tristans heimliche Kampfvorbereitungen, die sich in den Anordnungen an seine Vasallen manifestieren, werden durch den Erzähler referiert; die Indirektheit der Rede dient der Distanzierung von Tristans Aussagen, aber wohl auch von seinem Verhalten, das so als zweifelhaft gekennzeichnet wird. Seine Auseinandersetzung mit Morgan hingegen wird in direkter Rede realisiert. Für die Moroldepisode spielt die Öffentlichkeit gerade im Kampfvorfeld eine wichtige Rolle, da sie selbst in die Auseinandersetzung miteinbezogen wird. Dabei ist der Markehof zuerst Verhandlungspartner, dann fällt ihm die rechtliche Funktion der Zeugenschaft zu, als Tristan mit Morold verhandelt. Auf die Rededarstellung wirkt sich das insofern aus, als auch inhaltlich Ähnliches wiederholt in direkter Rede vorgetragen wird: Auf diese Weise kann Tristan unterschiedliche Redekontexte und juristische Feinheiten betonen und sein Gespür für nuanciertes Kommunizieren einerseits, sein Wissen um die Wahrung rechtlicher Formalitäten andererseits präsentieren. Dadurch entsteht ein Kontrast zum Morgan-Kampf, in dem diese Feinheiten gerade nicht beachtet werden. Durch den Kontakt mit Morgan wird Tristan auf dreierlei Weise charakterisiert: Einmal, indem sein Verhalten durch Morgans Höfischkeit kontrastiert wird, dann explizit über Morgans Aussagen über Tristans Legitimität und schließlich durch seine Reaktion hierauf, die zunächst in Anbetracht der Situation verhältnismäßig besonnen wirkt, dann aber in einen unrechten, durch die Ansage im Vorfeld nicht als Affekt zu beurteilenden Gewaltakt mündet.Wichtig für die Bewertung von Tristans Verhalten ist vor allem, dass er nicht in der Absicht, einen Konflikt zu befrieden, zu Morgan aufbricht, sondern dass er sein Recht und seine Rache durchsetzen will, aber durch das Einplanen einer unangekündigten kriegerischen Auseinandersetzung eine Vertiefung der Feindschaft der beteiligten Parteien einkalkuliert. Tristan handelt hier zwar vordergründig als Herrscher, offenkundig ist aber, dass er faktisch die Rolle des Herrschers nicht ausfüllt, sondern als Held agiert, der nicht die Werte der höfischen Gesellschaft als Handlungsmaxime setzt, sondern sein persönliches Anliegen durchsetzen will.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Auch im Kampf gegen Morold spielt die Konstellation eine wichtige Rolle. Beginnend wird Tristan durch die Landbarone und Marke gespiegelt, deren Feigheit und Situationsergebenheit Tristan als Helden umso strahlender hervortreten lassen. Die Charakterisierung erfolgt nicht nur durch die Kontrastierung des aktiven Tristan mit den passiven Landbaronen, sondern auch dadurch, dass Tristan hier Wertmaßstäbe ansetzt und vermitteln kann, dass er die Landbarone angreift, in ihnen aber gleichermaßen die Hoffnung auf eine Beendigung der demütigenden Situation weckt. Weiterhin wird Tristan durch die Zeichnung seines Opponenten Morold charakterisiert, der als unhöfischer, riesiger, unbesiegbarer Gegner gezeichnet und als Gegenfigur zur Tristan aufgebaut wird. Gerade diese Übermächtigkeit des Gegners betont Tristans einzigartigen Mut und legt den Vergleich zu David nahe, den Tristans selbst andeutet. Anders als in der Morgan-Episode kann sich Tristan Morold gegenüber lange und ausdauernd Gehör verschaffen – dies hängt auch damit zusammen, dass Morold gegenüber die von ihm spöttisch vorgenommene Bezeichnung Tristans als Vogt öffentlich bestätigt wird und Tristan somit die rechtlichen Verhandlungen in Stellvertretung Markes für den Hof zu führen hat. Tristan erarbeitet sich somit faktisch ein weiteres Hofamt, er übernimmt weitere Rollen, wie er es bereits bei seiner Aufnahme am Markehof angekündigt hat (vgl. III.II.1.1: 115 – 116) – wobei er nicht die Rollen übernimmt, die Marke sich wünscht, sondern Marke und den Hof dazu bringt, ihm die Rollen zu übertragen, die er für sich bestimmt.²⁹⁹ In seinen Reden erweist sich Tristan Morold gegenüber als argumentativ überlegen, beweist seine Vertrags- und Rechtskenntnisse und stilisiert sich als Gotteskrieger. Anders als im Kampf gegen Morgan legt Tristan gegen Morold großen Wert darauf, die Form zu wahren. So beweist er einerseits, dass er auch Spezialwissen aus dem rechtlichen Umfeld besitzt, was sich unter anderem im Gebrauch von Rechtsterminologie und -gesten manifestiert, andererseits verdeutlicht dies umso mehr, dass er sich im Kampf gegen Morgan über bestehendes und ihm bekanntes Recht hinweggesetzt hat. Hierdurch wird erneut deutlich, dass Tristan sein Verhalten nicht an den Werten, mit denen er argumentiert und operiert, ausrichtet, sondern dass er diese Werte danach ausrichtet, ob sie mit seinen eigenen Zielen übereinstimmen. So macht er sie für sich nutzbar und setzt sie ein, um sich selbst gemäß der je von ihm gewählten Rolle in Szene zu setzen. Insgesamt lässt sich für die Kampfdialoge festhalten, dass sie Tristan in einem verbalen Betätigungsfeld zeigen, das er, wie die meisten anderen kommunikativen Felder, souverän beherrscht. Dies zeigt sich beispielsweise, indem er sich seinen Gegnern auch verbal anpassen und ihnen gegenüber unterschiedliche Rollen einnehmen kann, wobei die Rollen je von ihm selbst gewählt werden. Die Kampfhandlungen werden jeweils von Tristan initiiert, wobei er sich in Reden und Gebaren auf seine Gegner sowie im Vorfeld auf die unterschiedlichen Situationen einstellt, Risiken
Hier findet sich eine Parallele zu Tristans Etablierung am Markehof (vgl. III.II.1.2.1: 127).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
kalkuliert und bewusst eingeht.³⁰⁰ Seine Risikobereitschaft wiederum muss je nach Kampf unterschiedlich bewertet werden: Sie kann die Ichbezogenheit des Helden zum Ausdruck bringen, der das Heldentum über seine Herrschaftsverpflichtungen stellt, sie kann sein Gottvertrauen veranschaulichen, weil er überzeugt davon ist, für das göttlich legitimierte Recht zu kämpfen; schließlich kann sie auch dem erstrebten Lohn für einen erfolgreichen Kampf geschuldet sein. Die Souveränität Tristans zeigt sich weiterhin darin, dass er die kommunikativen Anforderungen an die unterschiedlichen Situationen des Kampfes kennt und einsetzen kann: Im Morgan-Kampf wird dies v. a. über die Gestaltung der Kampfansage deutlich, indem Tristan alle Elemente einer formalen Kampfansage verbindet. Im Morold-Kampf wird es besonders durch das situative Anpassen der Rede an den jeweiligen Teil des Kampfes deutlich: Die Redegestaltung variiert entsprechend zwischen dem Vorfeld des Kampfes, der Kampfsituation und dem Nachfeld des Kampfes, wobei Tristan hier entsprechend der Situation nicht mehr seinem Kampfgegner, sondern dessen Gefolge in Nachfolge Morolds den Botendienst aufträgt. Im Urgan-Kampf wiederum zeigt sich, dass für gänzlich unhöfische Gegner andere kommunikative Anforderungen gelten als für solche, die zumindest ihrem Stand entsprechend der höfischen Sphäre zugeordnet werden können. Bei allen Unterschieden in der Darstellung ist den Kampfhandlungen eins gemein: Tristan verhält sich im Abschluss der Kämpfe seinen Gegnern gegenüber alles andere als dem Idealbild eines höfischen Ritter, wie es die Artus-Romane vermitteln, konform. Dies zeigt sich in seinen finalen Gesten, die nicht nur den Tod für die jeweiligen Kontrahenten bedeuten, sondern immer auch eine Demütigung, eine Erniedrigung, eine Verstümmelung, die eine eigene Sprache sprechen. Eine Sprache der Gewalt, eine Sprache der Überlegenheit und möglicherweise Hybris, eine Sprache, die nicht dem höfischen Ton entspricht und verdeutlicht, was die eben nicht eindeutige Figurenzeichnung während der Kampfepisoden insgesamt veranschaulicht: Tristan ist kein reiner Typus, er ist nicht nur gut, nicht nur höfisch, nicht nur ideal – Tristan ist im Gegenteil das, was Brunner (2011: 78) einen „gemischte[n] Charakter“ nennt.
1.4 Die Irlandreisen Tristans Irlandreisen haben gemein, dass sie durch die Gefährdung des gesellschaftlichen wie physischen Lebens des Helden angestoßen werden. Die erste Reise folgt auf die Verwundung durch Morold, durch den Tristan erfahren hat, dass eine Heilung seiner Wunde nur durch dessen Schwester Isolde gelingen kann. Die zweite Reise unternimmt Tristan, als sein Leben durch die neidischen Barone bedroht wird und eine erfolgreiche Brautwerbung als Lösung des Konfliktes erscheint. Hinsichtlich beider Irlandreisen liegt aber eine mehrfache Gefährdung des Helden vor: Die Verwundung Tristans durch Morold hat nicht nur eine leibliche, sondern auch eine so-
In der Morgan-Episode unterliegt Tristan allerdings einer Fehleinschätzung der Situation und ist letztlich auf die Hilfe von Rual angewiesen.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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ziale Dimension, nicht nur Tristans physicher, sondern auch sein repräsentativer Körper ist versehrt, er wird gemieden und seine Identität ist angegriffen (vgl. Kellermann 2002: 144– 145). Die Bedrohung durch die Landbarone wiederum ist umgekehrt aufgebaut: Nachdem die Barone Tristan seinen Status am Hof neiden und ihn als Erben Markes nicht mehr anerkennen wollen, mündet die soziale Versehrung des Helden in eine akute Bedrohung seines Leibs. Die dritte Gefährdung geht von dem Land aus, das Tristan körperliche und soziale Heilung ermöglichen soll: Gurmun hat Cornwall aufgrund der Ermordung Morolds mit einem Bann belegt, er gebietet, dass swaz in der werlde lebendes dar / von Curnewâle kaeme, / daz man ime den lîp naeme, / ez waere wîp oder man (Tr 7208 – 7211). Die Reisen nach Irland bedeuten also eigentlich von vornherein den sicheren Tod. Entsprechend verbindet die Irlandreisen ein Identitätswechsel Tristans, der seine Identität in die des Spielmanns bzw. des Kaufmanns Tantris wechselt und sich so Zutritt zum Hof verschafft. Gleichermaßen werden die Reisen durch Tristans Verkleidung und seinen Identitätswechsel von vornherein der Sphäre der Heimlichkeit, der Verstellung, des Verborgenen und vor allem Verbergenden zugewiesen, das aber ein Offenbarendes einschließen muss: Denn auch hier muss Tristan, um erfolgreich zu sein, sein eigenes Können herausstellen, um die Aufmerksamkeit der Iren auf sich zu lenken und Isolde zu seiner Heilung zu veranlassen und um den Auftrag der Brautwerbung durch den Kampf gegen den Drachen und argumentatives Geschick erfüllen zu können. Tristans Rolle als Spielmann bzw. Kaufmann schlägt sich auch sprachlich nieder: nicht nur, indem Tristan seine Identitäten verbal erfinden und plausibel erzählen muss, sondern auch dergestalt, dass er sich seiner sozial inferioren Rolle auch kommunikativ anpasst. Ob und inwiefern hier eine Veränderung von Tristans sprachlichem Verhalten festgestellt werden kann oder inwieweit sich dieses in die bis hierhin erfolgte sprachliche Charakterisierung einfügt, sind die Fragen, unter denen die Irlandreisen untersucht werden sollen.
1.4.1 Tristans erste Irlandreise Den Ausgangspunkt für Tristans erste Irlandreise bildet die körperliche Versehrung Tristans durch Morold, die sich nicht nur im drohenden Tod Tristans, sondern auch in einer akuten Gefährdung seiner höfischen Identität manifestiert. Der Körper offenbart die Versehrtheit des Helden in mehrfacher Hinsicht: Er verfärbt sich durch das Gift so sehr, daz man in kûme erkande (Tr 7274); hierdurch wird angezeigt, dass Tristans Identität aus der Außenperspektive gefährdet ist.³⁰¹ Umso deutlicher wird der Angriff auf die Identität des Helden, indem der Erzähler berichtet, dass der Gestank der Wunde eine Entfremdung Tristans von seinem eigenen Körper bewirkt (vgl.
Die Verfärbung von Tristans Körper wird nicht näher spezifiziert. Es findet keine Descriptio der signa mortis statt, Tristans Haut erzählt hier also von schwerer Krankheit, aber noch nicht vom Tod (vgl. zur Zeichenhaftigkeit der Haut insgesamt Ernst 2007, hier aber besonders 154– 158).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tr 7275 – 7280; Kellermann 2002: 145).³⁰² Insgesamt erfährt Tristan hier eine „Marginalisierung“ und „Isolierung“, er fällt aus der Gesellschaft und muss demzufolge wieder in diese integriert werden (vgl. Kellermann 1999: 47). Dem drohenden Verlust der eigenen Identität begegnet Tristan, indem er sich eine neue schafft, die ihm das Leben retten soll.³⁰³ Tristans in einem Wechsel aus indirekter Rede und Redebericht dargestellte Entscheidung, trotz der auch dort für sein Leben bestehenden Risiken nach Irland zu reisen, teilt er zunächst seinem Onkel Marke und nach dessen Zustimmung auch Kurvenal mit (vgl. Tr 7293 – 7338). Zunächst wird nur der erste Teil der List verdeutlicht: Tristan gibt vor, zur Heilung nach Salerno zu reisen, überantwortet sîn gesinde und ander sîn dinc (Tr 7353) seinem Onkel und sticht nur mit seiner Harfe und acht Männern in See Richtung Dublin. Erst kurz vor der Ankunft am Zielort wird dem Rezipienten Tristans List in ersten Ansätzen offenbart und zwar zunächst über diverse aufeinanderfolgende Befehle Tristans (Tr 7420 – 7429): […] Tristan ime dô geben bat daz aller ermeste gewant, daz man in der barken vant. und als man ime daz ane getete, er hiez sich legen an der stete ûz der barken in daz schiffelîn. sîne harpfen hiez er ouch dar în und in der mâze spîse geben, daz er ir möhte geleben drî tage oder viere.
Tristan vollzieht seine ersten Schritte zur Wandlung seiner Identität, indem er nichtsprachliche, gleichwohl kommunikative Zeichen wählt, zuvorderst Gewand und Harfe, die auf zweierlei hinweisen, ohne dass dies hier bereits verdeutlicht würde: Tristan wählt eine Verkleidung, die ihn als aktuell nicht dem Hof zugehörig kennzeichnet und wählt mit der Harfe ein Instrument, das ihn der Berufsgruppe der Spielleute zuweist. Dadurch, dass er explizit das ermeste gewant wählt, wird überdies deutlich, dass die Verkleidung hier den defizitären Zustand hervorheben soll, in dem
Mit Verweis auf das antike Kalokagathia-Ideal sowie das christliche humilitas-Ideal verdeutlicht Kellerman (1999: 46 – 47) die Bedeutung des Körpers als Zeichenträger, der die dem menschlichen Betrachter unsichtbare schöne Seele im schönen Körper zur Anschauung und Erfahrung bringt und somit das dem Schönen zugrundeliegende Gute offenbart. „Die optischen, akustischen, manchmal gar olfaktorischen Signale, die der Körper aussendet, lassen ihn als harmonisches Gebilde erscheinen, als schöne Hülle für den guten Kern.“ Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass diese List gelingen kann, liegt in Tristans umsichtigem Handeln: Er hat seine Wunde vor den Iren versteckt und diese „Geheimhaltung der Wunde geschieht aus Tristans eigenem Antrieb und entspringt der Antizipation einer medizinisch notwendigen Reise nach Irland, die nahezu unmöglich wäre, wenn die Iren durch die Kenntnis von Tristans Verletzung schon vorgewarnt wären; daß Tristan so vorbedæhtic (V. 7904) war, lobt Gottfried an der entsprechenden Stelle.“ (Kellermann 2002: 144).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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die Rolle, die er verkörpert, sich befindet. Tristan kann es hier nicht darauf anlegen, als Bettler o. ä. zu erscheinen, da er mit seinem Plan die Aufnahme am irischen Hof und die Behandlung durch Isolde verfolgt. Der Bruch in und mit Tristans Identität wird u. a. durch den Umstand verdeutlicht, dass hier eine Häufung von Anordnungen vorliegt, die durch die verba dicendi biten und heizen eingeleitet werden und die den Wandel zu einer Position hin vollziehen, in der ihm sein Status das Anordnen und Gebieten gerade nicht mehr erlaubt – auch hierauf weist die Kleidung als Ausdruck seiner inszenierten Armut hin. In der folgenden direkten Rede, die an Kurvenal gerichtet ist, aber auch der Schiffsbesatzung gilt, ordnet Tristan seine Angelegenheiten und gibt für alle Eventualitäten konkrete Anweisungen, wodurch er sich als verantwortungsbewusst nicht nur seinem Gefolge, sondern auch den hier Anwesenden gegenüber erweist. Er schärft Kurvenal ein, für die Verschwiegenheit der Schiffsleute zu sorgen. Erst dann lässt er sich in dem kleinen Boot, in das er sich zuvor hat legen lassen, aussetzen (vgl. Tr 7432– 7489). Tristans vermeintlich führerloses Boot wird morgens von Bewohnern Dublins entdeckt, woraufhin sie Boten dorthin schicken. Tristan wählt als kommunikatives Mittel für den Erstkontakt Harfenspiel und Gesang, so dass er – ähnlich wie beim Einzug in den Markehof (vgl. III.II.1.1: 112– 113) – zuerst gehört und dann erst gesehen wird (vgl. auch Sosna 2003: 249). Die Boten nehmen das Spiel zʼeime gruoze (Tr 7520) wahr, halten es zunächst für ein Wunder und warten, bis Tristan aufhört zu spielen, bevor sie das Boot ergreifen und im widerstrît (Tr 7546) hineinschauen. Obwohl Tristans Spiel aufgrund seines schlechten Zustands nicht die Brillanz hat, die sein Musizieren am Markehof erreicht hat³⁰⁴, erzielt es die gewünschte Wirkung: Es weckt das Interesse der Dubliner an Tristan. Sein musikalisches Können ist immer noch außergewöhnlich und sichert Tristan trotz seines desolaten Zustands das Wohlwollen der Iren. Die Diskrepanz zwischen Tristans Harfenspiel und Gesang und seiner Erscheinung weckt die Neugier der Iren auf Tristans Geschichte, so dass sie ihn nicht nur freundlich begrüßen, sondern sogar darum bitten, dass er ihnen erzählen möge, was ihm zugestoßen sei. Hiermit erhält Tristan die Möglichkeit, seine durch deverbale kommunikative Zeichen bereits angedeutete Geschichte auszuformulieren. Dass es Tristans oberstes (kommunikatives) Ziel ist, an den irischen Hof zu gelangen, wird in seiner Rede für den Rezipienten subtil deutlich: So ordnet sich Tristan zunächst deutlich der höfischen Sphäre zu und beschreibt sein enormes Können als Spielmann, aber auch insgesamt seine höfische Bildung (Tr 7559 – 7568): „diz sage ich iu“, sprach Tristan, „ich was ein höfscher spilman
Salvan-Renucci (1999: 91) betont „das Verflachen der Kunstbotschaft zur unverbindlichen, nur so hingeworfenen […] Scheinaussage“, das im Gegensatz zur Wirkung von Tristans Musizieren auf die Iren steht, die Tristans Singen und Spielen als „eine […] unmittelbar einleuchtende, ihr Tiefstes ansprechende Offenbarung einer höheren Wahrheit erleben[.]“
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und kunde genuoge höfscheit unde vuoge. sprechen unde swîgen, lîren unde gîgen, harpfen unde rotten, schimpfen unde spotten, daz kunde ich allez alsô wol, als sô getân liut von rehte sol.[“]
Tristans Bericht entspricht bis hierher der Wahrheit: Er war tatsächlich Spielmann an Markes Hof, und sein Können stimmt mit dem von ihm geschilderten überein.³⁰⁵ Mohr (1959b: 157) hält zu Tristans Rede fest: Der Künstler stellt sich dar als Instrumentalist, als Beherrscher der ‚Hofkünste‘ (höfscheit unde vuoge), als Diplomat (sprechen unde swigen: in der Faustiniangeschichte der Kaiserchronik gehört dies zum Lerngut des heranwachsenden Fürsten, Kchr., V. 1648 ff.), aber auch als Kritiker der Gesellschaft mit eingeräumter Narrenfreiheit (schimpfen unde spotten; vgl. die Funktion Walthers und der mhd. Spruchdichter).
Auffällig ist, dass Tristan in seiner exemplifizierenden Auflistung der von ihm beherrschten höfischen Künste mit der Kommunikation beginnt. Die Künste zeichnen ihn nicht nur als Diplomaten aus, sondern sind insgesamt als die Grundlage für einen adäquaten höfischen Umgang zu betrachten. Faktisch ermöglichen erst sie die höfische Bildung, die auf der höfischen Kommunikation aufbaut (vgl. III.I.1.1: 95 – 96). Somit führt Tristan seine höfische Bildung durch die Art, wie er über sie redet, bereits vor.³⁰⁶ Anders als im Gespräch mit Marke gibt sich Tristan nicht bescheiden, sondern hebt sie hervor, hier über die Vielzahl der Instrumente, die er beherrscht, und stellt somit seine Attraktivität für den Hof heraus.³⁰⁷ Tristans weitere Schilderung verdeutlicht seine Fabulierkunst und seinen Sinn für Details. Er schildert sein eigenes Fehl Sosna (2003: 250) spricht in diesem Kontext davon, dass Tristan mit dem Spielmann Tantris „eine seiner Teilidentitäten benutzt, um die andere [d. i. der Ritter Tantris, A.K.] zu verbergen.“ Zwar ist die Rolle des Spielmanns biographisch tatsächlich Teil von Tristans Identität, dennoch würde ich eher davon sprechen, dass Tristan auf der Basis einer Teilidentität eine neue Identität mit einer insgesamt neuen Herkunftsgeschichte konstruiert. Sein Können und auch seine Erfahrungen bilden die Basis dafür, dass er die neue Identität überzeugend spielen kann. Dass dem Spielmann Tantris der echte Tristan immer eingeschrieben bleibt, ist schon am Anagramm, mit dem Tristan sich benennt, erkennbar. Dennoch ist Tantris keine reine Teilidentität, sondern eine konstruierte Identität mit eigener, hier auserzählter Vorgeschichte, die von Tristans tatsächlicher Spielmannsteilidentität deutlich abweicht. Nach Jackson (1973: 253 – 255) ist auch die Tatsache, dass Tristan hier viele Wortpaare verwendet, ein Indikator für die Höfischkeit seiner Rede, da der Einsatz von „‚conventional pairs‘“ charakteristisch für die Gestaltung der höfischen Atmosphäre ist. Grosse (1970: 299) hält für die gesamte Erzählung fest, dass immer wieder „Tristans großes Geschick und seine beachtliche Kunstfertigkeit als Spielmann hervorgehoben [werden], doch stets nur mit lobenden Urteilen, die als spürbare Resonanz des lebhaften Eindrucks entweder die Gesellschaft des Romans oder in scheinbar kritisch-objektiver Weise der Autor fällt.“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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verhalten, die Verleitung durch die durch seine Arbeit als Spielmann angehäuften Reichtümer zu einem Streben nach mehr als ihm zugestanden hätte (vgl. Tr 7569 – 7572). Hierdurch stellt Tristan sein Fehlverhalten heraus, aber ebenso sein enormes Können als höfischer Spielmann, das ihm seiner Erzählung zufolge überhaupt erst die Mittel für seine Hybris eingebracht hatte. Tristan schildert, wie er gemeinsam mit einem reichen Geschäftspartner zu handeln beginnt und beschreibt das Beladen ihrer Schiffe. Dabei flicht er geschickt seine angebliche Herkunft – Hispanje (Tr 7579) – ein und gibt als Ziel der Handelsreise Britannien an. Nun folgt der dramatische Wendepunkt in Tristans Geschichte, den er durch seine Hinweise auf das Verderben, das die Tätigkeit als Kaufmann ihm gebracht hat, bereits vorbereitet hat: Bei einem Piratenangriff sei nicht nur Tristans Geschäftspartner, sondern seien überhaupt alle Lebenden getötet worden (vgl. Tr 7581– 7585). Dass Tristan der einzige ist, der den erzählten Piratenangriff überstanden hat, stellt noch vor seiner Begründung seines Überlebens seine Besonderheit heraus, was darauf hinausläuft, dass er im Grunde zum Ausgangspunkt seiner Geschichte zurückkehrt, indem er sich auf seine Spielmannsidentität beruft, die ihn an den irischen Hof bringen soll (Tr 7586 – 7595):³⁰⁸ daz aber ich eine genas mit dirre wunden, die ich hân, daz hât diu harpfe getân, an der ir iegelîcher sach, als ich in selbe verjach, ich waere ein art spilman. sus gewan ich in mit noeten an diz selbe cleine schiffelîn und sô vil spîse dar în, daz ich ir hân biz her gelebet.
Seine Erzählung ist insofern besonders interessant, als Tristan den irischen Boten im Grunde vorführt, wie er mit verschiedenen Rollen spielt und diese für sein Überleben einsetzt. Tristan erklärt den Iren nicht nur nebenbei, wie er zu seiner Wunde gekommen ist, sondern spielt ihnen faktisch vor, wie er mit ihnen verfährt (vgl. Karin 2014: 78 – 79). Sein Überleben sichert Tristan seinen eigenen Ausführungen nach über eine Kombination von Schauen und Hören: Sein Status als Spielmann manifestiert sich gegenüber den Piraten einerseits in der Harfe als Sichtzeichen, andererseits in seiner Geschichte, die er in indirekter Rede wiedergibt. Hierbei fällt eine – in der Forschung durchaus umstrittene – Formulierung ins Auge: Tristan hält in distanzierender indirekter Rede fest, er waere ein art spilman. Sowohl Krohns (112006 (III): 135 – 136, dort auch mit alternativen Deutungsmöglichkeiten; 82– 83) Deutung, nach der
Sosna (2003: 249) stellt fest, dass der Kontrast von Spielmann und Kaufmann vor allem „der positiven Herausstellung des Spielmanns [dient].“ Buschinger (1987: 541) leitet hieraus ab, dass „der Spielmann eine größere Achtung zu genießen [scheint] als der Kaufmann“.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
die Formulierung als ‚seines Zeichens Spielmann‘ gelesen wird, als auch die Bedeutungsangabe im MWB, das ein Kompositum ansetzt und mit ‚von der Bestimmung her‘³⁰⁹ ein Spielmann übersetzt, machen deutlich, dass Tristan hier seine eigene Aussage relativiert. Denn während er den Iren gegenüber seine Identität als Spielmann als Faktum herausstellt, wird in seiner weiteren Erzählung, in der Tristan die sich überlagernden Rollen des Spielmanns und Kaufmanns händeln muss, deutlich, dass er zum Zeitpunkt des fiktiven Piratenangriffs nicht mehr Spielmann, sondern Kaufmann ist. Im Endeffekt führt er den irischen Boten so also sein Geschick vor, sich mit sprachlicher List zu retten, denn seine Erzählung macht deutlich, dass er den fiktiven Piraten nur eine Halbwahrheit erzählt, die ihn rettet. In leicht verschobener Sicht führt er also sein aktuelles Vorgehen – und die Boten – vor, die ihm gerade durch eine Geschichte glauben, in der er eben nicht die [ganze, Anm. A.K.] Wahrheit sagt. (Karin 2014: 79)
Semmler (1991: 114) konstatiert, dass Tristan durch seine Formulierung „die Glaubwürdigkeit seines eigenen Auftretens [thematisiert]“ und dabei „die Vorstellung [ausnutzt], der Augenschein sei von hoher Beweiskraft.“ Aus Perspektive der Iren ist dies zutreffend. Erst aus Sicht der Rezipienten wird die Doppelsinnigkeit hier deutlich.³¹⁰ Tristan baut seine Glaubwürdigkeit weiter aus, indem er auf das kleine Boot, in dem die Iren ihn vorgefunden haben, eingeht, das er von den Piraten mit gerade genug Nahrung, um bis jetzt zu überleben, bekommen habe. Seine Zeitangabe, er sei wol vierzic naht und vierzic tage (Tr 7598) auf dem Meer getrieben, rückt seine Fahrt in heilsgeschichtliche Perspektive, insbesondere als „Zeichen des irdischen Lebens, der Bedrängnis und Entsagung“ (Meyer/Suntrup 1999: 710; 713; vgl. Krohn 112006 (III): 136; Haug 2011: 449; Okken 1996: 363) und begründet seine Orientierungslosigkeit. Er mündet in einen „Appell an die Barmherzigkeit“ (Semmler 1991: 114) der Iren (Tr 7604– 7606): nu tuot ir hêrrren [!] alsô wol, daz iu lône unser trehtîn, und helfet mir, dâ liute sîn!
Tristans kommunikative Strategie geht auf – nach dem Vorbild der Piraten begründen die Iren Tristan gegenüber, dass sie ihm aufgrund seiner schönen Stimme und seiner Musik helfen wollen; was ihn hierhin gebracht habe, erachten sie als zweitrangig (vgl. Tr 7607– 7614). Indem sie nicht nur zusagen, Tristan zu Menschen zu
MWB online, http://www.mhdwb-online.de/wb.php?buchstabe=A&portion=2160&link_lid= 9408000#9408000 (28.08. 2018). Pasierbsky (1996: 169 – 170) arbeitet heraus, dass die Lügengeschichte Tristans sich „strukturanalog zu Tristans wahrer Geschichte von Verwundung und Heilung lesen“ lässt und somit in verschlüsselter Form durchaus die Wahrheit transportiert.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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bringen, sondern auch den Menschen in Dublin von ihm berichten, „reagieren [die Bewohner] exakt so, wie von Tristan intendiert“ (Semmler 1991: 114). Nachdem Tristan zunächst von einem Arzt gepflegt wird und sich weiter das Wohlwollen des Volkes mit handen oder mit munde (Tr 7670) erspielt, erfährt ein sehr gebildeter Priester, der der ehemalige Lehrer der alten und der aktuelle Lehrer der jungen Isolde ist, vom Schicksal des Spielmanns und berichtet Königin Isolde darüber, woraufhin diese ihn an den Hof holen lässt. Nachdem Königin Isolde Tristan untersucht hat, kommt es zu einem Gespräch zwischen den beiden. Auf ihre Aussage, dass er vergiftet sei, antwortet Tristan umgehend und stellt sich unwissend, er wisse nicht und könne auch gar nicht wissen, um was es sich handele, da ihm keinerlei ärztliche Kunst helfen könne (vgl. Tr 7774– 7777). Er verleiht seiner Hilflosigkeit Ausdruck, um dann in einen indirekten Appell an Isoldes Barmherzigkeit überzugehen (Tr 7778 – 7784): [„]nune weiz ich mêre, waz getuo, wan daz ich mich gote muoz ergeben und leben, die wîle ich mac geleben. swer aber genâde an mir begê, sît ez mir kumberlîche stê, dem lône got: mirst helfe nôt, ich bin mit lebendem lîbe tôt.“
In Tristans Rede vermischt sich die Perspektive der Spielmannsrolle mit den Fakten. So, wie er vorgibt, nicht zu wissen, dass er vergiftet wurde, widerspricht seine Aussage, er wisse nicht, was er noch tun solle, seinem Handeln, das sich dadurch auszeichnet, dass Tristan hier sehr planvoll agiert und kommuniziert. Er bezieht sich auch in der Spielmannsrolle in für ihn typischer Weise auf Gott, wirft sein Schicksal vorgeblich auf diesen und verweist gleichermaßen auf die Zeit, die ihm noch zum Leben bleibt, wobei dieser Hinweis vor allem eins verdeutlicht: Die Zeit ist knapp bemessen. Tristans Appell an die Barmherzigkeit Isoldes ist vordergründig gar nicht an diese gerichtet, weiß doch der Spielmann nicht um die heilerischen Fähigkeiten Isoldes. Entsprechend bittet Tristan nicht um Heilung oder eine konkrete Form der Hilfe, sondern konstatiert ganz allgemein, dass Gott es demjenigen, wer auch immer ihm Gnade erweise, lohnen solle. Aus Perspektive des Spielmanns ist dies ein schlichter Wunsch, eine Aussage, die bitterster Not entspringt, aber frei von Hintergedanken ist – aus Perspektive Tristans ist dies eine versteckte, geschickt-manipulative Aufforderung, die durch den Bezug auf Gott umso wirkungsvoller formuliert ist. Tristans abschließend geäußerte Verzweiflung wiederum ist rollenunabhängig echt: Er bestärkt, dass er auf Hilfe angewiesen ist und stellt heraus, dass er bei lebendigem Körper bereits tot ist. Hiermit ist nicht nur der akute Prozess des Sterbens am Gift gemeint, sondern besonders auch Tristans gesellschaftlicher Tod thematisiert, da er zwar noch lebt, aber keinerlei Teilhabe mehr am sozialen Leben hat, das konstitutiv für das Leben bei Hof ist und Tristans zuvor bereits thematisierte Exklusion aus seinem Umfeld und den Verlust seiner Identität aktualisiert (vgl. auch Classen 1994: 93).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Isolde geht anfangs nicht auf Tristans Ausführungen ein, sondern fragt ihn nach seinem Namen. Erst jetzt offenbart Tristan diesen, den er zwar hinter dem Anagramm Tantris verbirgt, gleichermaßen aber langfristig nicht vollständig verbergen können wird und der eine Verbindung zu Tristans früheren autobiographischen Erzählungen herstellt (vgl. Tr 7787). Es handelt sich bei Tantris nicht nur um eine Verkehrung der Buchstaben, sondern auch um eine Umkehrung der Namensbedeutung von Tristan. Dies ist umso auffälliger, als Tristan in seiner idealen Jugend die Jagdteilnehmer durch den für ihn scheinbar unpassenden Namen Tristan verstört hat und diesen nun, da sein Leben tatsächlich der Tristesse und Hoffnungslosigkeit preisgegeben scheint, ins Positive verkehrt (vgl. III.II.1.1: 111– 112). Kaminski (2008: 17) hält fest, wie Tristan sich über seinen Namen neu definiert: Doch Tristans auktoriale Ambitionen, sich aus festgelegtem Material neu zu entwerfen, reichen noch weiter: zielen ihrerseits auf einen sprechenden Namen, der nun aber nach dem Willen seines ‚Autors‘ spricht. Und also setzt der Sprachkünstler Tristan die abgetrennte Silbe ‚-tan‘, deren Entfernung das ‚Triste‘ seines Namens hatte verstummen lassen, vor die verbliebene Silbe ‚Tris-‘, um so mit der Zusammenfügung auch wiederum neue Schnitte zu ermöglichen: ‚Tan-tris‘, ‚Tantris‘. ‚Soviel Lachen‘[.]
Auf Isoldes auf Tristans Namensnennung folgende Zustimmung hin, ihm zu helfen, rühmt Tristan Königin Isolde, indem er gute Wünsche äußert, die er in Teilen auf Eigenschaften der Königin gründet.³¹¹ Er verleiht somit nicht nur seiner Dankbarkeit Ausdruck, sondern führt auch sein Können als höfischer Spielmann vor, dessen Aufgabe nicht nur die Unterhaltung, sondern insbesondere auch der Lobpreis seiner Gönner ist (Tr 7792– 7798): „genâde, süeziu künegîn, diu zunge diu gruone iemer, daz herze ersterbe niemer, diu wîsheit diu müeze iemer leben, den helfelôsen helfe geben, dîn name der müeze werden gewerdet ûf der erden!“
Nicht von ungefähr bittet Isolde hierauf um eine Vorführung von Tristans Harfenspiel und erwähnt, dass sie von seinem Können gehört habe. Tristan reagiert hierauf demonstrativ bescheiden, indem er anführt, dass seine ungeschiht (Tr 7806) ihn daran hindere, auf eine Art und Weise zu spielen, die Isolde gefällig wäre (vgl. Tr 7805 – 7808). Tristans Vortrag, zu dem auch die junge Isolde hinzukommt und somit das erste Mal im Roman auftritt, ist entgegen seiner Äußerungen exorbitant: Er spielt besser als
Classen (1994: 92) hebt hervor, dass Tristans Preis mit dem Ruhm von Isoldes Sprache beginnt, wodurch er Isoldes „Funktion als das Zentrum ihres eigenen Kommunikationsverbandes [betont], der durch Harmonie und Funktionalität bestimmt sein soll und in den er selber eindringen möchte[.]“
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je zuvor (vgl. Tr 7820 – 7821). Bedenkt man, welch eine Wirkung sein Spiel bereits am Markehof entfaltet hat, ist deutlich, wie sehr sein Spiel hier nun wirken muss und auch wirkt. Tristan gewinnt über sein Musizieren ir aller hulde (Tr 7831) (vgl. auch Sosna 2003: 251). Gleichzeitig aber, und dies trübt die Wirkung von Tristans Spiel, verbreitet seine Wunde weiterhin einen solchen Gestank, dass es den Anwesenden kaum möglich ist, eine Stunde in seiner Gegenwart auszuharren (vgl. Tr 7833 – 7838). Königin Isolde bietet Tristan nun einen Handel an, der die Begehrlichkeiten illustriert, die Tristans Auftreten schon zuvor am Markehof ausgelöst hat: Hatte sie ihm bereits ihre Hilfe zugesagt, so knüpft sie diese nun (gesetzt, dass Tristans Zustand sich bessert und der Gestank vergeht) daran, dass Tristan ihre Tochter Isolde unterrichten solle, wenn er noch weitere Fertigkeiten besitze. Sie endet, ohne ihm eine Entscheidungsoption zu lassen: Willigt er ein, wird sie ihm helfen, lehnt er ab, wird sie es unterlassen. Tristans Reaktion zeigt einen deutlichen Unterschied zu seiner Einführung am Markehof: Er gibt sein Können hier nicht nur zögerlich preis, sondern preist es selbst regelrecht an, um sich nicht nur den Platz am irischen Hof, sondern auch sein Überleben zu sichern. Er betont, dass er in der Lage ist, Isoldes Forderungen zu erfüllen, indem er klar macht, dass er genesen wird, wenn Isolde ihr Angebot ernst meint (Tr 7860 – 7880): „jâ ist ez danne alsô gewant“ sprach aber der sieche spilman „daz ich sô wider komen kan und mit spil genesen sol, ob got wil, sô genise ich wol. saeligiu küniginne, sît daz iuwer sinne alsô stânt, als ir dâ saget, umbe iuwer tohter diu maget, sô trûwe ich harte wol genesen. ich hân der buoche gelesen in der mâze und alsô vil, daz ich mir wol getrûwen wil, ich gediene iu wol ze danke an ir. dâ zuo sô weiz ich wol an mir, daz mîner jâre kein man sô manic edele seitspil kan. swaz ir dar über geruochet und her ze mir gesuochet, daz ist allez getân, als verre alse ich’s state hân.“
Eines ist hier besonders relevant: In dem Moment, in dem Tristan spricht, tut er dies explizit nicht als Tristan selbst, sondern als der sieche spilman, also in einer Rolle, die ihm ein direktes Kommunizieren in zweierlei Hinsicht erlaubt: Er ist ein höfischer Dienstleister, ein spilman, der seinen Platz am Hof erst noch sichern muss, und ist zudem ein siecher Bittsteller, der seine Fähigkeiten umbe lôn einsetzt – hiermit erkauft
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er sich seine Heilung. Er muss seine Dienste anpreisen. Ein grundsätzliches Abstreiten seines Könnens, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, würde der Rolle, die er verkörpert, nicht entsprechen. Hinzu kommt, dass Tristan nun nicht mehr das Wunderkind ist, das sich allein aus dieser Position heraus der Aufmerksamkeit, die sein besonderes Auftreten erzeugt, sicher sein kann: Er ist ein zwar noch junger, aber doch erwachsener Mann. Dennoch, so stellt er heraus, übertrifft er die anderen jungen Männer. Tristan macht klar, dass er der Beste auf den geforderten Gebieten in seinem Alter ist. Hiermit entspricht seine Art des Kommunizierens nicht der Art, wie er bisher sein Können vorgeführt hat, dafür aber entspricht das, was er äußert, der Wahrheit: Tristan IST der Beste auf den geforderten Gebieten.³¹² Der Handel zwischen Tristan und Königin Isolde kommt für beide erfolgreich zustande – Tristan wird geheilt und unterrichtet dafür. Durch seine Heilung gerät Tristan erneut in tödliche Gefahr, denn er muss fürchten, erkannt zu werden. Dies führt ihn zur ständigen Überlegung, wie er sich auf anständige Weise aus Irland verabschieden kann. Ihm ist bewusst, dass Mutter und Tochter Isolde ihn nicht einfach so werden gehen lassen, und er muss erneut zu einer sprachlichen List greifen. Die folgende Rede wird eingeleitet, „indem geschildert wird, wie Tristan dem höfischen Zeremoniell folgend das Vortragen seines Anliegens vorbereitet. Er geht zu Königin Isolde und beginnt mit klarem Verstand an diesem Ort seine Rede zu besetzen – so, wie er es an allen Orten tut.“ (Karin 2014: 80; vgl. zur Paraphrasierung ‚mit klarem Verstand‘ auch ebd.: Anm. 18). Dieses besetzen leitet einen verbalen Angriff ein, mit dem Tristan um sein Überleben kämpft (vgl. III.I.1.2: 58 – 59). Seiner Rede geht die Demutsgeste des Niederkniens voran, die im höfischen Zeichenkontext kalkuliert eingesetzt werden kann und dem Interaktionspartner ein bestimmtes Verhalten – hier das Wohlwollen und Entgegenkommen Isoldes – abverlangt (vgl. Karin 2014: 80 – 81; Althoff 1994: 470 – 471) (Tr 8159 – 8179): er gie zer küniginne und begunde in schoenem sinne sîne rede besetzen an der stete, als er an allen steten tete. er kniete vür si unde sprach: „vrouwe, genâde unde gemach und helfe, die ir mir habet getân, die lâze iu got ze staten gestân in dem êwigen rîche! ir habet sô saeleclîche mit mir geworben und sô wol, daz es iu got iemer lônen sol und ich ez iemer dienen wil unz an mînes tôdes zil, an swelher stat ich armer man iuwer lop gevürdern kan.
Eine weitere Wahrheit lässt sich mit Pasierbsky (1996: 169 – 170) der Aussage zuordnen, dass Tristan durch sein Harfenspiel gerettet wird.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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saeligiu künigîn, ez sol mit iuwern hulden sîn, daz ich wider ze lande var, wan mîn dinc stât alsô dar, daz ich langer niht belîben kan.“
Tristan spricht Isolde den höfischen Konventionen gemäß als vrouwe an und drückt seine Dankbarkeit für ihre Hilfe und Barmherzigkeit aus, indem er sie Gott anempfiehlt. Diese Einlassung ist zunächst nicht auffällig und kann als Ausdruck der Dankbarkeit ernstgenommen werden. An dieser Stelle aber deutet sie darüber hinaus auf kalkuliertes Sprechen: „In dem Moment, wo Gott aber die vorher gewährte Gunst in dem êwigen rîche (Tr 8166) belohnen soll, wird es für den Gesprächspartner vor Gott schwierig, eine neue Bitte abzuschlagen und somit die eigene Barmherzigkeit wieder zu relativieren.“ (Karin 2014: 81). Tristan macht deutlich, dass er Isolde für ihre Tat immer dienen will. Hier wird allerdings bereits angedeutet, dass er ihr nicht weiter den vereinbarten Dienst erbringen und ihre Tochter unterrichten will, sondern dass er ihr Ansehen bis zu seinem Tod immer weiter steigern möchte, wo auch immer er sich aufhalten wird; dies impliziert, dass er seinen Abschied vom Hof plant. Nachdem er sein Anliegen auf diese Weise vorbereitet hat, leitet Tristan die konkrete Bitte um urloup ein, indem er Isolde als saeligiu künigîn anspricht und mehr konstatiert als bittet, dass er fort muss – nicht ohne Isoldes Einverständnis. Tristan begründet und erläutert sein Anliegen vorerst nicht richtig, sondern hält lediglich – aber der Wahrheit entsprechend (vgl. Semmler 1991: 115) – fest, dass er nicht länger bleiben kann. Auf diese Weise „hält Tristan, der […] damit rechnet, dass der Abschied nicht so einfach gewährt werden wird, es sich […] offen, die Begründung später nachzuliefern und so auf die erwartete Ablehnung einzugehen“ (Karin 2014: 81). Isolde reagiert abweisend und tut „Tristans Unterwerfungsgestus, Dank und Preis […] als smeichen (Tr 8181) [ab], [sie durchschaut] also seine vordergründige Strategie […] und [verwehrt] entsprechend seine Bitte“ (ebd.). Tristan reagiert, indem er seine Autobiographie um ein weiteres Element ergänzt und vorgibt, eine Ehefrau zu haben. Hierbei geht er geschickt vor:³¹³ Bevor er über seine vorgebliche Ehe spricht, verneint er Isoldes Einwand und Anordnung, um sie dazu aufzufordern, grundsätzlich über das Sakrament der Ehe und die Liebe nachzudenken (Tr 8185 – 8188): „nein edeliu küniginne, nemet in iuwer sinne, wie ez umbe die gotes ê und umbe herzeliebe stê.[“]
Die Aufforderung, die Thematik zunächst zu überdenken, ist implizit ein Appell, keine voreilige Entscheidung zu fällen. Hierauf baut Tristan seine Geschichte um seine ei-
Sosna (2003: 251) hingegen bewertet diese Lüge Tristans als wenig filigran.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
gene Ehe auf – er betont die Liebe zu seiner Frau, ebenso, dass diese ihn für tot halten muss und ergo eine neue Ehe eingehen wird.³¹⁴ Tristan stellt nun vordergründig sein Lebensglück ins Zentrum seiner Argumentation, was dieser Glaubwürdigkeit verleiht (Tr 8195 – 8199):³¹⁵ [„]wirt s’einem andern gegeben, sô ist mîn trôst und mîn leben und al diu vröude dâ hin, ze der ich dingende bin, und enwirde niemer mêre vrô.“ ³¹⁶
Schnell (1982: 345 – 348) ordnet Tristans Argumentation dem „[Verschollenheitskasus] des römischen und kanonischen Eherechts“ zu und gibt einen Überblick über die verschiedenen rechtlichen Bestimmungen für den Fall, dass der Ehemann als vermisst gilt. Unter bestimmten, sich teilweise widersprechenden Voraussetzungen ist der Ehefrau das Eingehen einer zweiten Ehe erlaubt. Sollte jedoch der als vermisst geltende Ehemann zurückkehren, so heißt es „in allen Stellungnahmen, der Legisten wie der Kanonisten, […] daß […] die Frau zu ihrem ersten Ehemann ziehen müsse.“ Schnell betont, dass die kurze Dauer von Tristans Abstinenz, die weniger als ein Jahr betrage, diese Sorge nach geltenden Rechtsauffassungen der Zeit kaum begründet erscheinen lasse und Isoldes Reaktion noch stärker überrasche, da die Ehe nach Tristans Rückkehr fortbestehen, also mitnichten geschieden würde. Schnell bietet als Lösungen an, dass Tristan hier entweder „eine spitze Bemerkung gegen eine lasche Handhabung der einschlägigen kanonistischen Vorschriften durch Kleriker vorbringe[]“ und Gottfried hier „nicht gegen die Institution der Ehe, sondern für eine Respektierung des Ehebandes (ligamen matrimonii) eintritt“ oder aber Isolde nicht über das informiert sei, „was die canones für den Fall der Rückkehr eines vermißten Ehemannes vorschreiben.“ M. E. ist in Tristans Argumentation besonders das Eheband ausschlaggebend: Selbst wenn die Ehe formal-rechtlich mit Tristans Rückkehr wieder ihre Gültigkeit bekäme, so zeigt doch gerade der Tristan-Roman die verheerenden Folgen, die das Eintreten eines Dritten in eine Ehe haben kann. Tristan schildert seine Ehe gerade nicht nur als juristischen Vertrag, sondern als „auf Minne gegründet, von Gott gesegnet und von der Welt respektiert“ (Barandun 2009: 88). Abgesehen von der zeitlichen Frist, die eine Schwäche in Tristans Argumentation darstellt, wird die Ehe hier gerade auf Gott bezogen. Das bewusste Riskieren einer Neuverheiratung der fiktiven Ehefrau würde aber zumindest auf moralischer Ebene bedeuten, dass das Sakrament der Ehe leichtfertig aufs Spiel gesetzt würde und somit nicht nur Tristans Glück, sondern auch das seiner Ehefrau und deren potentiellen neuen Mannes gefährdet würde. Pasierbsky (1996: 173) wertet diese Passage als „eine sich selbst erfüllende Prophezeiung“, da Tristan mit Isolde später eine solche Frau an seiner Seite haben werde, und „daß Hoffnung, Lebensglück und Freude tatsächlich so untrennbar mit dieser Frau verbunden sein werden“, dass sein Ausspruch, ohne diese nicht mehr glücklich werden zu können, sich bewahrheiten würde. Dies ist z.T. nachvollziehbar, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist es aber gerade nicht: Isolde wird niemals Tristans Ehefrau sein, sondern Tristan wird es sein, der als Dritter in eine gotes ê eindringt, während Marke derjenige sein wird, der als Dritter in eine Beziehung tritt, deren Fundament die herzeliebe ist. Wichtiger ist hier also, dass Ehe und wahre Liebe bereits von Tristan als zwei Größen genannt werden. So wird deutlich, dass beide zwar miteinander verbunden sein, aber ebenso in Opposition zueinander stehen können. Barandun (2009: 88 – 92) stellt heraus, dass hier eine Besonderheit bezüglich der Lexik vorliegt, die Isolde nicht auffallen kann, die aber für den Rezipienten als Anspielung lesbar ist. So kommt etwa die Formulierung êlîch wîp „immer nur in zweifelhaften Kontexten“ vor; bei herzeliebe handelt es sich um einen „zentrale[n] Begriff aus dem Minnesang. Reinmar, Walther von der Vogelweide und Heinrich von Morungen benutzen ihn, um entgegen der geschraubten Minnetheorien ihrer Zeit die Minne in
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Tristan appelliert hier aber weniger an Isoldes Mitleid (vgl. Hollandt 1966: 93), sondern das faktisch zwingende Argument ist die Berufung auf die gotes ê, die Tristan seiner Argumentation subtil voranstellt und durch die Isolde „faktisch keine Wahl mehr [hat], sondern […] Tristan gehen lassen [muss], wenn sie sich nicht gegen Gott versündigen will. Dass sie ihn (nur) um Gottes Willen gehen lässt, drückt sie selbst explizit aus“ (Karin 2014: 82; vgl. Tr 8206 – 8207). Tristan erweist sich in diesem Dialog nicht nur als kommunikativ erfolgreich, sondern auch als großer Sprachstratege. Der Dialog, der zunächst zum Scheitern verurteilt erscheint, erweist sich als äußerst planvoll und kalkuliert in seinem Aufbau, indem Tristan sich Möglichkeiten offenhält, Gott von vornherein als moralische Instanz ins Gespräch einbindet, aber gleichermaßen auf einer persönlichen Ebene argumentiert, die sein Seelenheil in Abhängigkeit von Isoldes Entscheidung präsentiert. Im Endeffekt muss Isolde aber klar sein, dass nicht nur sein Glück, sondern ihr in Tristans erster Rede bereits ins Spiel gebrachtes Seelenheil von dieser Entscheidung abhängt: Dieses würde sie nämlich durch eine Entscheidung, die das christliche Sakrament der Ehe, das auch im Dekalog geschützt ist, zerstören könnte […], durch ihre Versündigung gefährden. (Ebd.)
Tristan gewinnt durch sein strategisches Sprechen den verbalen Kampf mit Isolde – dies wird gerade auch dadurch betont, dass Isolde in dem Moment, als sie sich Tristans Argumentation geschlagen geben muss, als diu wîse (Tr 8200) bezeichnet wird: Hierdurch wird Tristan, der sich ihr von Beginn des Gespräches an als überlegen erweist, implizit als entsprechend klüger und sprachlich geschickter als diu wîse dargestellt (vgl. ebd.).
1.4.2 Die zweite Irlandreise – Tristan als Brautwerber Tristans zweite Irlandreise steht im Kontext der gefährlichen Brautwerbung um Isolde, wobei er die typischen Stationen von Beratung, Werbungsfahrt, Freierprobe, Kemenatenszene und Heimführung der Braut absolviert (vgl. weiterführend Strohschneider 1997). In diesem Kapitel sollen die Werbungsfahrt und die Kemenatenszene betrachtet werden, wobei letztere Teil der ersteren ist und entsprechend in diese eingebunden behandelt wird. Im Zuge der Brautwerbung muss Tristan, der als Werbungshelfer³¹⁷ für Marke agiert, sich wie schon auf seiner ersten Irlandreise einer Geschichte bedienen, um in ihrer Sinnlichkeit und Rätselhaftigkeit zu thematisieren“; vröude wird im Tristan „von Anfang an als oberflächliches Vergnügen diskreditiert“ und schließlich sei die Wendung dâ heime Tristan – der immer als der Landlose gekennzeichnet wird – gerade fremd: „Wirklich beheimatet ist Tristan nur in seiner Liebe zu Isolde[.]“ Eine Besonderheit im Tristan ist, dass die gefährliche Brautwerbung narrativ nicht vom Werber, sondern vom Werbungshelfer aus aufgebaut ist. Der Werber müsste eigentlich entsprechend der Protagonist des Werbungsschemas sein – mit dieser „schemaverbürgten Rolle“ würde die Sicherung des Rechts an der Braut einhergehen. Hier ist aber nun der Werbungshelfer der Protagonist der
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Irland einreisen zu können. Er stellt den Landbaronen gegenüber im Vorfeld klar, dass er sich den Weg nach Irland nur übers Lügen wird ebnen können (Tr 8705 – 8706): den [d.s. die irischen Bürger, A.K.] muoz ich liegen disen tac, swaz ich in geliegen mac.
Hiermit schildert Tristan einen einfachen Sachverhalt, er macht dies aber auf eine Weise, die die Landbarone beunruhigen und ihnen die Gefahr der Reise vergegenwärtigen soll. So hält Barandun (2009: 67, Anm. 145) fest, dass „von liegen in Gottfrieds Roman nur selten die Rede“ ist und das Verb primär „in direkter Figurenrede, wenn die Sprechenden sehr aufgebracht sind, oder in den Exkursen“ vorkommt. Tristan behält recht, denn die Ankunft in Irland erweist sich dieses Mal als wesentlich weniger freundlich und entgegenkommend als bei der ersten Reise. Die Iren sind Fremden gegenüber feindlich eingestellt und haben die Anweisung, genau zu überprüfen, ob jemand aus Markes Reichen oder seinem Gefolge einzureisen versucht. Tristans Ankunft ist auch diesmal vom Wechseln seines Gewandes begleitet, das wieder die Funktion hat, seinen Träger zu maskieren, denn Tristan legt einen Reisemantel an, daz er sich haele deste baz (Tr 8756). Ebenfalls wie zu Beginn seiner ersten Irlandreise ist Tristan der Initiator der Kommunikation mit den Iren (vgl. Sosna 2003: 253), allerdings diesmal in deutlicher Unterscheidung zur ersten Irlandreise: Tristans freundliches Grüßen mit gebaerden und mit munde (8765) nimmt die Iren nicht für ihn ein, so dass er schließlich dem Marschall gegenüber in 73 Versen (vgl. Tr 8796 – 8869) ausführlich erläutert, wie und warum er nach Irland gekommen ist. Tristan inszeniert sich als Kaufmann³¹⁸ aus der Normandie, der mit zwei Handelspartnern auf dem Weg nach Irland gewesen sei, als sie durch einen Sturm getrennt worden seien; ob seine Partner noch lebten, wisse er nicht. Tristan geht hier also auf typische Gefahren des Kaufmannsberufs ein³¹⁹, die seiner Geschichte durchaus Glaubwürdigkeit verleihen können. Er gibt sich dem Marschall gegenüber unbeeindruckt und kämpferisch (vgl. Barandun 2009: 67), so wie einer, der es gewöhnt ist, gegen Widerstände ankämpfen zu müssen – er kündigt an, sich gegen die Iren im Zweifelsfalle auch zur Wehr setzen zu wollen. Tristan bietet gleichermaßen aber auch eine Alternative zu einer Auseinandersetzung an, wobei er in für ihn typischer Weise auf die gute Erziehung des Marschalls rekurriert und ihm somit wenig subtil den für ihn richtigen Weg aufzeigt,
übergeordneten Geschichte und somit auch der Brautwerbungshandlung. Dieser Umstand wiederum garantiert auf Rollenebene das Recht des Protagonisten an der Braut, der dem Werber durch seine Protagonistenrolle eben auch dem „regelhaft werbenden König“ vorgeordnet ist. Strohschneider (1997: 47– 49, Zitate 49) führt diese Konstellationsproblematik anhand des Nibelungenliedes vor. Sowohl die Verkleidung als Kaufmann als auch die als Spielmann sind bezogen auf das Schema der gefährlichen Brautwerbung traditionelle Verkleidungsrollen (vgl. Feistner 1996: 258). Zu den mit dem Kaufmannsberuf verbundenen Gefahren und Schwierigkeiten zählen etwa „damnus emergens (die erlittenen Schäden), lucrum cessans (Festlegen des Geldes), periculum sortis (die Gefahren, die auf den Zufall zurückzuführen sind), ratio invertitudinis (die Ungewißheit der kaufmännischen Tätigkeit)“. (Buschinger 1987: 533).
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sich aber gleichermaßen in seinem Handeln als Kaufmann erweist, denn Tristan schlägt dem Marschall einen Tausch vor, in dem er Ware gegen Sicherheit einsetzt (Tr 8852– 8858): [„]Geruochet aber ir iuwer zuht und iuwer êre an mir begân, der mâze als ich hie guotes hân, daz teile ich iu vil gerne mite umbe eine kurzlîche bite, daz ir mir und mîner habe schaffet vride in dirre habe, […].“
Würde der Marschall ihm den Schutz nicht gewähren, so Tristan, würde er wieder fortfahren. Tristan betont abschließend noch einmal seine Furchtlosigkeit (Tr 8869): [„]und vürhte iuch alle niht ein strô.“
Tristans Rede zeugt von der Erfahrenheit eines Kaufmanns, der sowohl die Widrigkeiten von Wind und Wetter als auch die potentielle Ablehnung und Gefährdung durch Bewohner fremder Länder gewohnt ist. So ist Sosnas (2003: 253) Urteil, dass die Lügengeschichte Tristans hier nicht den gewünschten Erfolg bringe, nicht ohne Weiteres zuzustimmen, denn Tristan stellt sich hier plausibel als Kaufmann dar, der die Gebräuche der Kaufleute kennt und sich diese zunutze macht. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Marschall auf einen Großteil der Rede Tristans nicht eingeht, sondern direkt in die Verhandlung um das Gewähren seines Schutzes einsteigt und fragt, was Tristan dem König für diesen Schutz biete (vgl. Tr 8873 – 8875). Tristan verspricht ihm eine großzügige Entlohnung für den Dienst, koppelt diese aber noch einmal an die Rückversicherung, sich auf den Marschall verlassen zu können (vgl. Tr 8876 – 8882). Nachdem die Landsleute des Marschalls dessen Zuverlässigkeit bestätigt haben, wird der Handel geschlossen, indem Tristan diesem den versprochenen Becher übergibt – der Handel wird also vor einer Zeugenschaft geschlossen und erlangt somit Rechtsgültigkeit: Tristan wird vride und genâde (8889) gewährt. Dass Tristan hier, wie Sosna (ebd.) kommentiert, die fehlende Wirkung seiner Harfe, die ihm bei seiner ersten Irlandreise die Sympathie der Iren eingebracht hatte, kompensiert und stattdessen zum Mittel der „Bestechung“ greifen müsse, ist eine Deutung, die sowohl Tristans Vorgehen falsch einordnet als auch die mittelalterlichen Handelsbräuche außer Acht lässt. Tristan zahlt keine Bestechung, sondern eine Steuer, durch die ihm der Königsschutz gewährt wird: „Dies ist eine Anspielung auf eine reale Begebenheit, denn die Kaufleute mußten u. a. Steuern für den Umsatz zahlen.“ (Buschinger 1987: 534; vgl. Combridge 1964: 57). Tristans Geschichte zielt nicht auf Barmherzigkeit und Hilfe ab: Er bedient sich der Kaufmannsverkleidung und
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verhält sich gemäß der an diese Verkleidung gekoppelten üblichen Vorgehensweisen, füllt die Rolle also überzeugend aus.³²⁰ Die Rolle des Kaufmanns hält Tristan auch Königin Isolde, der jungen Isolde und Brangäne gegenüber aufrecht, die ihn schon als Spielmann kennen. Nachdem die drei Damen den versehrten Tristan nach dem Drachenkampf durch das Glänzen seines Helms entdeckt, die Drachenzunge entfernt sowie ihm heilendes Theriak verabreicht haben, kommt Tristan zu sich. Als er aufwacht, sieht und erkennt er die drei Damen, wofür er Gott im Stillen dankt (Tr 9446 – 9460): er lag unlange, unz ez geschach, daz er beide ûf und umbe sach. Nû er der saeligen schar bî ime und umbe in wart gewar, er gedâhte in sînem muote: „â hêrre got der guote, dû hâst mîn unvergezzen. mich hânt driu lieht besezzen, diu besten, diu diu werlt hât, manges herzen vröide unde rât und maneges ougen wunne: Îsôt diu liehte sunne und ouch ir muoter Îsôt daz vrôlîche morgenrôt, diu stolze Brangaene daz schoene volmaene!“
Tristans Gedanken offenbaren nicht nur, dass er die Damen eindeutig wiedererkennt, sondern auch echte Freude darüber, sie zu sehen, außerdem seine hohe Achtung ihnen gegenüber, wie u. a. die Tatsache zeigt, dass er sie als diu besten [lieht, A.K.], diu diu werlt hât bezeichnet. Wie differenziert er sie betrachtet und erkennt, wird dadurch deutlich, dass er ihnen im Kontext christlicher Lichtmetaphorik kosmologische Vergleichsbilder zuordnet und sie hierüber unterschiedlich, aber ausschließlich positiv charakterisiert, wobei Isolde mit der Sonne vornehmlich dem Licht und somit Gott zugeordnet wird, ihre Mutter als vrôlîche und Brangäne als stolz bewertet werden.³²¹ Mit diesen Gedanken richtet Tristan sich auf, immer noch deutlich geschwächt, wie die Charakterisierung seines Redens als kaum hörbar belegt, und spricht die Anwesenden an (Tr 9461– 9463): hie mite genante er unde sprach kûme und kûmeclîchen: „ach, wer sît ir unde wâ bin ich?“
Pasierbsky (1996: 174– 175) betont, dass die Maskerade als Kaufmann erneut einen wahren Kern enthält, da die Brautwerbung Isoldes einen politischen Handel darstellt. Metaphorisch wird über die Gestirnsbilder ebenfalls die Zusammengehörigkeit Isoldes und Brangänes ausgedrückt (vgl. Lienert 2006: 265).
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Dass Tristan vorgibt, die Damen nicht zu erkennen und nicht zu wissen, wo er sich befindet, verwundert zunächst. Eine mögliche Erklärung ist, dass Tristan es ihnen überlassen will, ihn als Tantris zu erkennen, so dass er sich von vornherein, auch in seinem aktuell geschwächten Zustand, auf ihr Wohlwollen und ihre Hilfe verlassen kann – er kennt ja nicht das Anliegen der Damen und die Lügengeschichte des Truchsesses, so dass er zunächst erst wieder auf Heilung und Hilfe angewiesen ist, aber noch geschwächt und nicht in der Verfassung, eine lange Geschichte und Erklärung zu geben. Diese Strategie geht hier auf und „leitet das Kernstück der TristanTantris-Episode ein: das sukzessive Erkennen Tristans“ (Sosna 2003: 253). Wie entscheidend die Sichtzeichen hier sind, verrät die folgende Frage und Redeaufforderung der älteren Isolde³²², die Tristan, dem sie eben erst die Rüstung abgenommen haben, aufgrund dieser als Ritter anspricht und ihm Hilfe zusichert (vgl. Tr 9464– 9465). Tristan gibt sich weiter unwissend und wird von der jungen Isolde erkannt. Nach einer Rückversicherung durch die ältere Isolde fordert diese ihn auf, zu erzählen, woher, wie und warum er hergekommen sei. Tristan aber vertröstet sie mit Verweis auf seinen geschwächten Zustand, bittet um Unterkunft und Pflege und sagt zu, berichten zu wollen, was passiert ist, wenn er wieder bei Kräften ist (vgl. Tr 9467– 9492). Tristan hält somit nicht nur das Interesse an sich und seiner Geschichte aufrecht, sondern gelangt auch an den irischen Hof und somit an den Ort für die Brautwerbung. Am nächsten Tag kommt es erneut zu einem Gespräch zwischen Tristan und Königin Isolde, dort wird Tristan seine „letzte irische Lügengeschichte“ (Pasierbsky 1996: 175) erzählen, wobei sich auch diese aus wahren und erfundenen Teilen zusammensetzt. Er reagiert hier auf Isoldes Frage nach dem Zeitpunkt seines Eintreffens in Irland und seinem Grund, den Drachen zu erschlagen. Tristan, der als Spielmann oder Kaufmann für die Königstochter Isolde ein noch unangemessenerer Ehemann als der Truchsess wäre, kann nicht die reine Wahrheit berichten, die Brautwerbung an dieser Stelle und in seiner Verkleidung nicht vortragen. Er muss einen anderen Grund für den Kampf angeben. Tristan beginnt zunächst mit der Schilderung seiner Einreise in Irland und hält sich hierbei weitestgehend an die Fakten (Tr 9517– 9526): „vrouwe, daz wil ich iu sagen. ich kam in disen kurzlîchen tagen, es sint drî tage von hiute, ich und ander koufliute mit eime kiele in dise habe. dô kam ein roupher hinnen abe, ine weiz durch welhe geschiht,
Sosna (2003: 254) geht davon aus, dass die jüngere Isolde Tristan anspricht. Ich halte die Deutung, dass es sich um die ältere Isolde handelt, für plausibler, da sie als diu sinnerîche (Tr 9466) bezeichnet wird, also mit einer für die ältere Isolde typischen Zuschreibung. Weiter wird in der nächsten Redeeinleitung die sprechende Dame als diu junge Îsôt (Tr 9471) bezeichnet. Im Fortlauf des Gespräches spricht dann wieder die ältere Isolde, die jeweils als diu wîse (Tr 9476; 9478) bezeichnet wird. Eindeutiger lässt sich hier aber nicht klären, welche der Isolden spricht.
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die wolten uns, haete ich ez niht mit mînem guote underkomen, den lîp zem guote hân genomen.[“]
Zwar handelt es sich beim Part des Kaufleutetums um einen Teil der Maskerade, die Landung in Irland ist aber sehr nah an der Wirklichkeit: Im Grunde schildert Tristan aus seiner Perspektive, „wie ihm die Wachsoldaten im Hafen entgegengetreten seien, nämlich feindselig und auf Beute aus, sowie er selbst das Problem gelöst hat: Er kann sie durch großzügige Geschenke günstig stimmen“ (Pasierbsky 1996: 176). Der Erzähler ruft den Vergleich der Wachleute mit einem Räuberheer auf und bezeichnet sie als von rehte ein roupher (Tr 8752).³²³ Nicht stimmig ist Tristans Angabe, er wisse nicht, durch welhe geschiht – „Tristan/Tantris weiß nur zu gut, daß die irischen Grenzen gegen Eindringlinge aus Parmenien scharf bewacht werden und daß das Mißtrauen der Soldaten gegen ihn ja eigentlich berechtigt ist.“ (Ebd.). Tristan nutzt die Schilderung der konkreten ‚Begrüßung‘ durch das roupher, um über eine „allgemeine[ ] Reflexion über den Kaufmannsstand“ (ebd.) direkt die Begründung für den Drachenkampf zu liefern (Tr 9527– 9537): nu ist ez uns alsô gewant: wir müezen dicke vremediu lant heinlîchen unde bûwen und enwizzen wem getrûwen, wan man uns vil gewaltes tuot. sô weiz ich wol, mir waere guot, mit swelher slahte dingen ich’z dâ zuo möhte bringen, daz mich diu lant erkanden. künde in vremeden landen diu rîchet den koufman.
Dies ist eine Anspielung „auf die rechtliche Situation der Kaufleute in fremden Ländern […]: Dort müssen die Kaufleute, denen oft Gewalt angetan wird, anerkannt werden, um in Frieden Handel treiben zu können (9527– 37)“ (Buschinger 1987: 534). Gerade dies sei nun der Anlass für den Drachenkampf gewesen; auf diese Weise habe er sich vride unde genâde ³²⁴ bei der Bevölkerung sichern wollen (Tr 9538 – 9544): [„]seht, vrouwe, dâ gedâhte ich an, wan mir ist umbe den serpant daz lantmaere lange erkant und sloug in niuwan umbe daz. ich waene, daz ich deste baz
Barandun (2009: 67, Anm. 144) hebt hervor, dass nicht nur die Bezeichnung als roupher, sondern auch die ironisierende Beschreibung der bewaffneten Dubliner sie als Räuberbande darstellt. Tristan „gebraucht denselben Ausdruck wie in seinem Gespräch mit dem Marschall (8889)“ (Buschinger 1987: 534).
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vride unde genâde vinde bî disem lantgesinde.“
Mit seiner Maskierung als Kaufmann liefert Tristan eine halbwegs plausible Erklärung für den Drachenkampf, wobei das Kämpfen gegen den Drachen, um Sicherheit und Anerkennung in Irland zu erlangen, einen im Grunde unwahrscheinlich hohen Einsatz darstellt, da der Drachenkampf – gerade für einen Kaufmann, dem nicht die kämpferische Ausbildung eines Ritter eignet – ein potentiell höheres Risiko als die Einreise selbst in ein gefährliches Land darstellt. Auf diese Weise erhebt er aber explizit keinen Anspruch auf die junge Isolde und verhält sich seiner vermeintlichen Stellung entsprechend, wobei er sich aber gleichzeitig Isoldes Wohlwollen versichert. Diese „garantiert ihm lebenslänglich Sicherheit und Schutz“ (Buschinger 1987: 534) und gewährt ihm einen Wunsch, Tristan bittet aber nur erneut um Schutz und appelliert an Isoldes Verlässlichkeit, die, wie Tristan bewusst ist, für ihn eine Entscheidung über Leben und Tod bedeuten kann (Tr 9553 – 9558): „genâde, vrouwe, sô ergib ich mînen kiel unde mich vil verre an iuwer triuwe. seht, daz mich iht geriuwe, daz ich guot unde leben an iuwer triuwe hân ergeben.“
Tristan beruft sich zweimal auf Isoldes triuwe, die diese ihm anschließend mit Wort und Gebärde rechtsgültig verpricht.³²⁵ Im weiteren Verlauf des Gesprächs schildert Isolde Tristan die Problematik mit dem Truchsess und bittet ihn um Hilfe. Tristan sagt diese zu, wobei er erneut die von Isolde gewährte Sicherheit betont (vgl. insgesamt Tr 9570 – 9612). Tristan macht sich die Kaufmannsmaskerade gekonnt zunutze und inszeniert sie in einer Weise, die immer wieder Wahres mit Erfundenem mischt. Seine Geschichten und Taten laufen aber zuerst darauf hinaus, dass Tristan sich vride unde genâde sichert, erst vom Marschall, dann von Königin Isolde, wobei er im ersteren Fall die Sicherheit auf für Kaufleute übliche Weise über Abgaben erkauft und sie im zweiten Fall über eine Tat zur Anerkennung erstreitet. Dass er auf diese Weise auch das Recht auf Isolde gewinnt, ist zwar wesentlicher Teil des Brautwerberabenteuers, wird aber von
Isoldes Schwur lautet (Tr 9562– 9565): mîne triuwe und mîn êre, / sê hie, die nim in dîne hant. / daz dir niemer ze Îrlant / bî mînem lebene leit geschiht. [„]Den Schwur leistet sie zwar in der Sphäre der Heimlichkeit, seine Verlässlichkeit gründet jedoch darin, dass er sich an den formelhaft vorgetragenen höchsten höfischen Werten orientiert und er mit der rechtlich bindenden Gebärde des Handschlags bekräftigt wird. Schmidt-Wiegand (1982: 370 – 371) betont die Bedeutung von Handgebärden, um die „Willenshaltung“ einer Person, etwas zu tun, auszudrücken und erklärt, dass insbesondere der Handschlag – z. B. bei „Treueversprechen“ – unverzichtbar war. Der im konspirativen Rahmen geleistete Schwur ist für Königin Isolde tatsächlich bindend, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristan nicht erwähnt, da es für seine Ziele zunächst kontraproduktiv wäre. Tristan erweist sich hier als überaus geschickt und steckt sich auf diese Weise einen Handlungsrahmen, innerhalb dessen er Sicherheit von seiner Todfeindin erstritten hat und unter ihrem persönlichen Schutz steht. Um diese Sicherheit gewährleistet zu sehen, betont Tristan einerseits mit der triuwe die Werte, auf denen diese Sicherheit gründet und die für Isolde rechtsbindend sind, andererseits wiederholt er die Gewährleistung der Sicherheit Isolde gegenüber, um sich rückzuversichern und Isolde, so wirkt es, nicht nur auf die Absprache zu verpflichten, sondern sie ihr besonders einzuprägen, so dass er sich später wird auf sie berufen können – in der Kemenatenszene, die hier die Besonderheit aufweist, dass Tristan gerade in einem Zustand von Verwundbarkeit und Hilflosigkeit im Bade geschildert wird. Mit Tristans Genesung tritt ein, wovor er sich vor seiner ersten Abreise aus Irland gefürchtet hat: Dass seine Wiederherstellung dazu führen könnte, dass er erkannt wird.³²⁶ Verraten wird Tristan zunächst durch seinen Körper und dessen Sprache, denn die junge Isolde beobachtet ihn an lîbe und an gelâze (Tr 9994), betrachtet Hände, Augen, Arme und Beine, die als Ausweis von Tristans Adel fungieren und an den ez offenlîche schein, / daz er sô tougenlîche hal (Tr 9998 – 9999). Isolde überführt ihn schließlich über den Schwertsplitter und das durch diesen ausgelösten Sprachspiel mit den Namen Tristan und Tantris (vgl. hierzu Ries 1980: 322). Mit seinem Schwert in der Hand und ihrem neu gewonnenen Wissen geht sie zu Tristan, der im Bad sitzt, so dass die Szene „in der Abgeschiedenheit der nichtöffentlichen Gemächer und ohne Publikum stattfindet“ (Karin 2017: 214). Einerseits erzeugt dies für Tristan den Zustand des völligen Ausgeliefertseins, da er sich im Bad sitzend weder wehren noch Isoldes Fragen entziehen kann, andererseits ist Tristans Nacktheit hier auch gesellschaftlich relevant, denn „[i]hm stehen also weder Harfe noch Schwert als Identitätsfaktoren zur Verfügung“ (Sosna 2003: 255). Isolde fragt Tristan ganz direkt, ob er Tristan sei und er dementiert dies umgehend und ohne eine unterbrechende Redeeinleitung (Tr 10147): „nein, vrouwe, ich binʼz Tantris.“
Isolde lässt sich auf das Namensspiel nicht mehr ein – hat sie es doch längst durchschaut – und droht ihm Vergeltung für Morolds Tötung an. Tristan leugnet seine
Dass Isolde Tristan erkennt, ist auch insofern relevant, als es sich nach Kuhn (1980: 24) um eine Variation des Brautwerbungsschemas handelt, da in der Badszene nicht Marke, sondern Tristan als Werber legitimiert wird. Dies wird dadurch eingeleitet, dass Isolde in diesem den Mörder ihres Onkels erkennt und genau dies bedeutet, dass die Gefahr, die von Isolde ausgeht, sich konkret auf Tristan bezieht. „Umso deutlicher ist, daß hier Tristans, nicht Markes Legitimation für Isold gefährlich erprobt und stukturell bestätigt wird – woraus dann das ‚Versehen‘, das Trinken des irischen Hochzeits-Liebesgifts, als wieder rein strukturelle Zusammenführung der Partner sich ergibt. […] Die BrautwerberLegitimation der Erkennungsszene des Schemas zielt hier, im Sinn des Heilsbringermärchens umgestaltet, schon auf die Legitimität-Dialektik der Minneehe im Ehebruch.“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
231
Identität nicht weiter und appelliert an Isoldes Höfischkeit, um sich zu retten (Tr 10154– 10165): „nein süeziu juncvrouwe, nein! durch gotes willen, waz tuot ir? gedenket iuwers namen an mir. ir sît ein vrouwe unde ein maget. swâ man den mort von iu gesaget, dâ ist diu wunneclîche Îsôt iemer an den êren tôt. diu sunne, diu von Îrlant gât, diu manic herze ervröuwet hât, â, diu hât danne ein ende! owê der liehten hende, was zimet daz swert dar inne?“
Tristans Entsetzen über Isoldes Tötungsabsicht äußert sich zunächst in seinem redeeinleitenden Ausruf nein süeziu juncvrouwe, nein! Die Rahmung der Anrede Isoldes durch die Dopplung der Negationspartikel verstärkt den Ausdruck des Entsetzens gleichwie den Appellationscharakter, der Isolde dazu bewegen soll, ihr Handeln zu unterlassen. Die Adressierung als süeziu juncvrouwe kontrastiert ihr Auftreten und ihre Absicht: Durch die Bezeichnung als juncvrouwe hebt Tristan auf Isoldes Stellung ab, durch das Attribut süeziu darauf, wie sie sich als Dame von Stand verhalten sollte: ‚lieblich […], freundlich, gütig‘ (Lexer 1876: 1287). Die Anrede kann als eine Verpflichtung Isoldes auf ihre gesellschaftliche Stellung, auf die höfischen Werte gelesen werden, denen sie zuwider handelt. Die anschließende, ebenfalls als Ausruf aufzufassende Frage durch gotes willen, waz tuot ir?, fügt dem angesprochenenWertecodex die Christlichkeit hinzu: Isolde soll ihr Tun auch vor dem Hintergrund überdenken, dass sie es vor Gott rechtfertigen muss. Ihr (geplantes) Handeln widerspricht aber nicht nur christlichen Tugenden wie dem Erbarmen, sondern stellt einen klaren Verstoß gegen das fünfte Gebot dar. Tristans Sorge scheint indes weniger seinem gefährdeten Leben als eher dem Isoldes zu gelten, da sie durch einen Mord ihr gesellschaftliches Ansehen verlieren würde (vgl. auch Barandun 2009: 70). Tristan, dessen Identität gerade durch Isolde aufgedeckt wurde, fordert sie auf, ihre Identität zu bedenken und erinnert sie nicht nur an ihre Stellung, sondern auch an die mit dieser verknüpften Erwartungen und benennt die gesellschaftlichen Konsequenzen als sozial fatal. Er kontrastiert diese mit dem aktuellen Isolde-Bild als aufgehende Sonne von Irland. Er schließt, indem er sein Bedauern ausdrückt, in dem er, pars pro toto, ihre liehten hende beklagt, wobei gerade die weißen Hände Ausweis von Isoldes Adel sind, zu dem das gehaltene Schwert so gar nicht passen will. Der folgende Auftritt von Königin Isolde, die hinzutritt und Isoldes Benehmen infrage stellt, bestätigt Tristans Worte (vgl. Tr 10168 – 10174).³²⁷ Es schließt sich ein Gespräch der Frauen an, in dem
Auch außerhalb der Öffentlichkeit ermahnt Königin Isolde ihre Tochter zu höfischem Benehmen,
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Königin Isolde und ihre Tochter das Schicksal Tristans verhandeln. Als die junge Isolde verdeutlicht, dass sie sich für den von der Mutter geleisteten Eid nicht interessiert und konstatiert, Tristan solle sterben, ruft dieser die junge Isolde um Gnade an (Tr 10202): Tristan sprach: „merzî, bêle Îsôt!“
Es ist relevant, dass Tristan gerade auf Französisch fleht. Hierbei handelt es sich um einen „suggestiv-sprachliche[n] Appell an Isoldes hövescheit“ (Karin 2017: 214), durch den einerseits die Situation, dass Tristan Isolde ausgeliefert im Badezuber sitzt, „durch eine ritualisierte Unterwerfungsformel [kontrastiert wird]“ (Zotz 2002: 123).³²⁸ Andererseits erfolgt hier eine Anknüpfung „an das höfische Wertesystem, dem Isolt verpflichtet ist: die – mit dem französischen Fremdwort benannte! – moraliteit.“ (Ebd.: 124; vgl. zum Begriff der moraliteit Linden 2009: 122– 124). Das Französische wird, wie Zotz (2002: 123 – 124) festhält, eingesetzt, „um eine Distanz zu schaffen“, indem Tristan durch den Fremdspracheneinsatz versucht, „sich auf den sicheren Boden des Konventionalisierten zu retten“. Darüber hinaus schafft das Französische gleichzeitig gerade durch die Konvention auch Nähe zur gemeinsamen sozialen Gruppe und verweist so wieder auf die für das Kollektiv konstitutiven Werte.³²⁹ Hierzu zählt nicht nur, dass es sich für eine adlige Dame nicht schickt, einen – zumal wehrlosen, nackten, im Bad sitzenden – Ritter zu erschlagen, sondern dass es sich überdies auch im Kampf schicken würde, das Leben eines wehrlosen Gegners zu schonen.³³⁰ Die junge Isolde lässt sich von Tristans Flehen nicht beeindrucken, so dass Königin Isolde erneut intervenieren muss und darauf verweist, dass Tristan unter ihrem Schutz stehe. Tristan reagiert darauf, indem er Königin Isolde nicht nur dankt, sondern sie noch einmal nachdrücklich an ihren Schwur gemahnt (Tr 10217– 10221): wodurch die Unhöfischkeit von Isoldes Handeln noch vor einem Mord kommentiert wird (vgl. Karin 2017: 214; Miklautsch 1994: 94). Barandun (2009: 70) bewertet diesen Kontrast als komisch, Tristans Flehen als „übertrieben höfisch“ und spricht der Szene das „dramatische Potential“ ab, das bei Tristan existenzielle Sorgen hervorrufen könnte. Diese Auffassung teile ich nicht – die Szene ist außerhalb des höfischen Verhaltens- und Kommunikationsrahmens situiert, so dass die Handlungsweisen faktisch nicht mehr kalkulierbar sind und somit eine akute Gefährdung der Leben der Beteiligten darstellt: Auf physischer Ebene bei Tristan, auf gesellschaftlicher im Falle Isoldes. Zotz (2002: 124) spricht in diesem Kontext von „äußerliche[n] Werte[n]“ im Gegensatz zu „persönlichen Belangen“ – diese Vorstellung setzt einen verhältnismäßig modernen Wertebegriff voraus und widerspricht grundsätzlich der Tatsache, dass es sich um Werte und nicht um Normen handelt. Werte sind nicht rein äußerlich zu verorten, sondern gründen auf Moralvorstellungen, die von der jeweiligen Gesellschaft geprägt sind. Gerade für das Bild des höfischen Menschen sind diese Wertevorstellungen konstitutiv, und gerade für den höfischen Menschen ist eine strikte Einteilung in Inneres und Äußeres schwerlich trennscharf zu treffen, da das Innere immer auf das Äußere und das Äußere immer auf das Innere verweist (vgl. zur Szene auch Karin 2017: 214– 215). Wobei gerade Tristan selbst seinen Gegnern keine Sicherheit gewährt, sondern sie tötet, und somit selbst gegen den höfischen Verhaltenskodex verstößt; so ist er gerade auch mit Morold verfahren.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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„genâde vrouwe“ sprach Tristan „vrouwe, gedenket wol dar an, daz ich iu guot unde leben an iuwer êre hân ergeben unde enpfienget mich alsô.“
Zentral ist der Verweis auf Königin Isoldes êre, die als Schlüsselbegriff für ihr Handeln angesetzt werden kann. Die junge Isolde argumentiert klug dagegen, dass Königin Isolde den Schutz nicht Tristande gewährt habe (vgl. Tr 10222– 10226), woraufhin Tristan mit einer Wiederholung der französischen Exklamation um Gnade reagiert (vgl. Tr 10228 – 10229). Die junge Isolde ist zum Mord letztlich nicht fähig und wirft das Schwert weg. Ihre Mutter spricht daraufhin im Beisein des immer noch im Bad sitzenden Tristan mit ihr darüber, dass gerade durch den Anspruch des Truchsesses ein Problem vorläge, das zuerst der Klärung bedürfe (vgl. Tr 10284– 10309). Tristan schaltet sich hierauf wieder ins Gespräch ein und beginnt vorsichtig mit seinem diplomatischen Auftrag der Brautwerbung (Tr 10310 – 10336): Jener in dem bade der sprach dô: „saeligen vrouwen beide, eist wâr, ich hân iu leide und aber mit grôzer nôt getân. welt ir iuch, alse ir sult, enstân, sô wizzet ir wol, daz diu nôt niht anders was niwan der tôt. den lîdet nôte ein ieclîch man, die wîle er sich generen kan. swie’z aber dar umbe ergangen ist, swie’z iu nû ze dirre vrist ze dem truhsaezen ist gewant, daz kêret allez z’einer hant. dem sol ich ein guot ende geben, ich meine, ob ir mich lâzet leben und es enirre mich der tôt. vrouwe Îsôt und aber Îsôt, ich weiz wol, daz ir alle zît sinnic unde saelic sît, getriuwe unde bescheiden. möht ich mich hin z’iu beiden einer rede verlâzen und woltet ir iuch mâzen übeler gebaerde her ze mir und ouch des hazzes, des ir Tristande lange habet getragen, ich wolte iu guotiu maere sagen.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Bereits in der gemeinschaftlichen Adressierung der Damen wird durch die Attribuierung der saeligen vrouwen vorweggenommen, dass Tristan eine Botschaft für die beiden Isolden hat, die für die Damen ein positives Schicksal verheißt, die ‚glückbringend‘ (Lexer 1876: 581) sein wird. Erst nach diesem implizten Hinweis, der den Damen in Aussicht stellt, dass Tristan ihnen eine vorteilhafte Nachricht übermitteln wird, räumt er ein, dass er ihnen Leid verursacht hat, relativiert seine Schuld aber sofort: Er betont nicht nur, dass dies unumgänglich war, sondern hebt das Wissen der Isolden hervor, dass sein Vorgehen für ihn überlebensnotwendig war: sô wizzet ir wol, daz diu nôt / niht anders was niwan der tôt. Er leitet zu der Bedrängnis der Damen durch den Truchsess über und stellt in Aussicht, dass er in der Lage ist, den Konflikt für sie zu lösen, so sie sein Leben schonen. Er spricht die Damen, die er zuvor gemeinsam adressiert hatte, nun jeweils einzeln an. Auf diese Weise betont er die Verantwortung jeder einzelnen für den weiteren Verlauf und verpflichtet beide gleichermaßen auf ihre Tugenden, die Tristan durch die Hinleitung auf diese durch ich weiz als Fakten konstatiert und die die Voraussetzung dafür sind, dass sie sich Tristan gegenüber nun mäßigen. Auf diese Weise stellt er bereits die Bedinungen für weitere Verhandlungen und fordert ihr Entgegenkommen ein. Erst an dieser Stelle offenbart er seine Identität, indem er seinen Namen als identitätsverbürgenden Ausdruck in seine Rede übernimmt. Das Offenbaren seiner Identität ist die Voraussetzung dafür, dass er nun politisch als Brautwerber und Stellvertreter Markes agieren kann. Tristan kommt der Streit mit dem Truchsess nun sehr zupass, da er jetzt als derjenige auftritt, der in der Lage ist, diesen Konflikt im Sinne der beiden Isolden beizulegen. Am Ende seiner Rede deutet Tristan den Damen gute Neuigkeiten an, so dass die Rede durch die verheißende Attribuierung in der Anrede und das konkrete In-Aussicht-Stellen der positiven Informationen gerahmt wird, verrät aber noch nicht mehr. Dieses Vorgehen entspricht den für Tristan typischen Kommunikationsstrategien und ist hier von besonderer Relevanz, da er es als weitere Versicherung für sein Überleben nutzt und das Interesse an sich erfolgreich auf die Nachricht, die er überbringen könnte, umlenkt. Als Tristan dem Bad entstiegen ist, wartet er auf seinem Bett auf die Rückkehr der Damen. Das Bett dient hier nicht nur der Verortung der Szene in der Sphäre der Heimlichkeit, sondern situiert sie an einem intimen Ort: Die Brautwerbung kann hier im weitesten Sinne zu den Bettgesprächen gezählt werden, und dies weist darauf voraus, dass Isolde mit Tristan, dem rechtmäßigen Werber, in Zukunft ihr Lager teilen wird. Tristan bittet nun erneut um Gnade, wobei er sich höfischer Gebärden bedient, um sich das Wohlwollen der Damen zu sichern (Tr 10462– 10472). Tristan sîn selbes niht vergaz. er vuor ûf balde gegen in und viel sâ gegen in allen hin und lac den höfschen süezen vlêhlîche zuo den vüezen und sprach ouch mit dem valle: „genâde, ir süezen alle, habet genâde wider mich!
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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lât mich geniezen, daz ich durch iuwer êre und iuwern vromen her bin in iuwer rîche komen.“
Tristan wird hier als sehr aufmerksam und situationsbewusst beschrieben: Als die drei Damen kommen, springt er sofort auf und fällt ihnen flehentlich zu Füßen und leitet so seine Rede ein, mit der er immer noch sehr dringlich um Gnade bittet. Der Begriff genâde fällt zweimal, nun bedient sich Tristan allerdings anders als im Bad nicht mehr des Französischen. Schon im Fußfall beginnt Tristan zu flehen. Was wie Affekt wirken könnte – etwa durch das sofortige Aufspringen – ist eindeutig als Inszenierung und bewusstes Handeln, als kalkulierte Unterwerfungsgeste zu erkennen, denn es heißt im Vorfeld von Tristans kommunikativem Handeln, dass er sîn selbes niht vergaz. ³³¹ Sein Gnadengesuch richtet er an die Damen, die er gesammelt als süezen adressiert und so auf ihr Entgegenkommen einschwört, und schließt taktisch an seine vorige Rede an, indem er es ihnen als lohnend in Aussicht stellt, ihm Gnade zuteil werden zu lassen, da er durch iuwer êre und iuwern vromen gekommen sei. Dadurch, dass er nicht mehr preisgibt und es bei der Andeutung belässt, provoziert er einen kommunikativen Austausch. Tristans Taktik läuft zunächst ins Leere, seine Fußfallgebärde zeigt keine Wirkung. Sein Gebaren, die Inszenierung seiner selbst, fällt in den Bereich einer auf Öffentlichkeit angelegten Kommunikation, die ein Publikum benötigt, um ihre Wirkung zu entfalten – hier aber befinden sich Tristan und die Damen in der Sphäre der Heimlichkeit „und [die Gebärde, A.K.] führt zu einer inadäquaten Reaktion der Damen, die in der Öffentlichkeit demütigend für alle Beteiligten wäre“ (Karin 2017: 214) (Tr 10473 – 10479): diu liehte cumpanîe, diu liehten alle drîe, ieglîchiu warf ir ougen dan und sâhen alle ein ander an. si stuonden unde er lac alsô. „vrouwe“ sprach Brangaene dô „der ritter lît ze lange dâ.“
Die Situation löst sich erst auf den Rat Brangänes, Tristan zu versprechen, sein Leben zu schonen, denn [„]er geredet vil lîhte dâ bî / sînes vrumen aber eteswaz.“ (Tr 10494–
Barandun (2009: 70, Anm. 155) bescheinigt der Szene eine große Geste, sieht aber in der Wiederaufnahme der Fußfallgebärde Gurmun gegenüber eine Ausführung „[m]it weniger Schwung und ernsthafterem Zeremoniell“. Die Szene mit Gurmun entspricht dem höfischen Zeremoniell, allerdings bedeutet dies nicht, dass die Geste dort mit größerer Ernsthaftigkeit ausgeführt ist als hier: Hier dient die dramatischere Inszenierung der Verdeutlichung der tieferen Unterwerfung und knüpft daran an, dass Tristan sein Überleben noch nicht zugesichert ist. Als er vor Gurmun tritt, hat er bereits mit den Damen die Verhandlungen soweit geführt, dass ihm Sicherheit gewährt wird und sein Werbungsgesuch angenommen ist. Die Zusammenkunft mit Gurmun findet also unter deutlich anderen Vorzeichen statt, mit denen andere kommunikative Anforderungen an die Situation gestellt sind als hier.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
10945). Brangäne empfiehlt also, Tristan seine Rede fortsetzen zu lassen. Es wird deutlich, dass seine kommunikative Strategie nicht vollends so funktioniert, wie sie angelegt ist, dennoch aber letztendlich das Ankündigen und gleichzeitige Offenlassen einer positiven Nachricht seine Wirkung nicht verfehlt und dazu führt, dass es sich für die Damen lohnt, Tristan Sicherheit zu gewähren. Nachdem der Konflikt zwischen Tristan und den Isolden vorerst geklärt ist, beginnt Tristan erneut, in der Rolle des Werbungshelfers zu sprechen. Seine Rede, mit der er ein politisches Angebot überbringt und mit der er in die Verhandlungen einsteigt, richtet er explizit an Königin Isolde – die anderen Damen sind weiterhin anwesend, werden aber nicht mehr adressiert. Dies liegt daran, dass die ältere Isolde als Königin hier die Verhandlungspartnerin Tristans und die jüngere Isolde das Objekt der Verhandlungen ist. Ihr Status lässt es nicht zu, sie in die Verhandlungen einzubinden: Während Königin Isolde später Brangäne um Rat bittet, bleibt ihre Tochter in dieser Besprechung stumm. Bevor Tristan sein Angebot offeriert, betont er, dass die Voraussetzung für das Angebot ein freundschaftliches Verhältnis sein muss (Tr 10500 – 10514): Tristan greif an sîn maere wider. „Seht“ sprach er „vrouwe künigîn, welt ir nu mîn guot vriunt sîn, ich will iu daz in ein tragen noch innen disen zwein tagen (deiswâr ân allen argen list), iuwer tohter, diu iu lieb ist, daz s’einen edelen künic nimet, der ir ze hêrren wol gezimet, schoene unde milte, zem spere und zem schilte ein ritter edel und ûz erkorn, von künigen unz her geborn und ist ouch danne dâ bî vil rîcher, danne ir vater sî.“
Interessant ist der Aufbau der Rede: Nachdem Tristan zunächst das gute Verhältnis der Parteien als Voraussetzung genannt hat, aber gar nicht auf eine erneute Bestätigung desselben wartet, beginnt er mit der Ausformulierung des Vorschlags, unterbricht sich aber, nachdem er den Zeitraum genannt hat, in dem das hier noch nicht Konkretisierte passieren soll, um einen Einschub über seine Glaubwürdigkeit zu machen und zu betonen, dass hier keine List vorliegt. Sodann geht er darauf ein, dass Königin Isoldes Tochter Gegenstand des Handels ist und offeriert ihr einen edelen künic, den er (ihr an)preist und dessen Eigenschaften und Tugenden er hervorhebt. Er beschließt seine Rede damit, dass er der jungen Isolde einen Aufstieg ankündigt, da der um sie frei-
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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ende König bedeutend mächtiger³³² sei als König Gurmun. Tristans Angebot ist ein sehr konkretes, das sich aber gleichzeitig durch Vorsichtigkeit auszeichnet, da Tristan zwar das ‚Was‘ offen ausspricht, die Frage nach dem ‚Mit wem‘ aber im Unklaren lässt. Wichtig ist hier erst einmal nur das Ansehen des künftigen Ehemannes und die hiermit verbundene Aufstiegsmöglichkeit. Das ‚Wer‘ interessiert nicht, und es kommt von Seiten der Frauen auch zu keiner Nachfrage, um wen es sich denn handele. Tristans Informationen reichen völlig aus, um die Damen zu überzeugen. Nur: Tristans Glaubwürdigkeit ist noch nicht wieder hergestellt. Er muss sie nicht nur in der Brautwerbungsrede bekräftigen, sondern auch Königin Isolde gegenüber noch einmal bestätigen. Tristan bekräftigt seine Aufrichtigkeit, in dem er als Sicherheit für die getroffene Absprache den mit Isolde geschlossenen Schutzvertrag, also faktisch sein Leben, einsetzt. Hier zeigt sich eine deutliche Verbesserung der Position Tristans, da er nicht mehr nur als Bittsteller, sondern auch als Fordernder auftritt, indem er als Voraussetzung für das Brautwerbungsabkommen die Versöhnung für sich und die Damen verlangt (vgl. Tr 10519 – 10524). Auf Brangänes Rat hin – und über den Kopf der jungen Isolde hinweg, die offensichtlich gegen ihren Willen handeln muss, folgt die Versöhnung, die „dem höfischen Zeremoniell folgend“ (Karin 2017: 215) durch einen Friedenskuss besiegelt wird. Erst im Anschluss an diesen klärt Tristan die Damen nicht nur über sein gesamtes Vorgehen auf, sondern auch über Markes Identität und seinen eigenen Einfluss auf Marke – hierbei stellt Tristan die gesamte Unternehmung und Konstellation als Resultat seines Agierens dar (vgl. Tr 10537– 10579). Dies ist nur zum Teil richtig, da Tristan Marke ja erst aufgrund der zugespitzten Situation mit den Landbaronen ebenfalls zur Brautwerbung geraten hatte. Tristan fordert die Damen zwar auf, das, was er ihnen berichtet hat, geheim zu halten, stimmt aber zu, dass König Gurmun informiert wird, sofern ihm daraus kein Schaden erwachse, was Königin Isolde, die einen ähnlichen Einfluss auf Gurmun hat wie Tristan auf Marke (vgl. Karin 2017: 215), ihm zusichert. Die Versöhnung mit Gurmun wird ebenfalls geschildert und wirkt als Kontrastierung zur Szene im Bad, da hier nun die friedenssichernden Gebärden Fußfall und Friedenskuss erneut aufgenommen werden, wodurch der Erzähler vorführt, wie sie richtig funktionieren (vgl. Tr 10659 ff.). Dieses Kontrastieren von scheiterndem mit gelingendem Kommunizieren bestätigt, dass das kommunikative Handeln in der Narration ‚für die Rezipienten des Textes als Muster für eigenes sprachliches [und insgesamt kommunikatives, A.K.] Handeln intendiert gewesen sein könnte.‘ (Miedema 2007: 181). (Ebd.)
Der Abschluss der Brautwerbung liegt in der erneuten Verhandlung mit dem Truchsess.Wie bedeutend das höfische Gebaren in diesem öffentlichen, auf Herstellung des Rechts angelegten Verfahren ist, zeigt sich in Tristans Anweisungen an Kurvenal, der zwischenzeitig zu Tristan geführt wurde. Während dieser Tristan auf Französisch be-
Hier scheint mir die Bedeutung ‚von hoher abkunft, vornehm, edel, mächtig, gewaltig‘ (Lexer 1876: 416 – 417) deutlich sinnvoller als die Übersetzung mit ‚reich‘ (vgl. Krohn 112006 (II): 40; Tr 10514).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
grüßt, so dass die Anwesenden – Mutter und Tochter Isolde sowie Brangäne und Paranis – ihn verstehen können, spricht Tristan auf Bretonisch mit ihm und wahrt somit durch den Einsatz der Sprache die Möglichkeit, Kurvenal Anordnungen zu erteilen, die außer ihm keiner hören soll (vgl. Tr 10736 – 10744, vgl. auch Tax 1971: 58). Der Einsatz der gemeinsamen Landessprache garantiert ihnen die Wahrung der Vertraulichkeit in der Besprechung. Tristan ordnet nicht nur an, seine Mitreisenden über sein Überleben zu informieren, sondern bezieht diese nun in sein weiteres Agieren ein (Tr 10747– 10764): „nu“ sprach er „balde, gâ hin nider. sage mînen lanthêrren wider und ouch den rittern dar zuo, daz ir iegelîcher vruo mit sînen dingen sî bereit wol gestrichen unde gecleit mit der allerbesten wât, die ir iegelîcher hât, und nehmen mînes boten war. swenne ich in den sende dar, sô rîten her ze hove ze mir. ouch sende ich morgen vruo ze dir, sô sende mir den cleinen schrîn, dâ mîniu cleinoede inne sîn und mîniu cleider dâ mite, diu von dem allerbesten snite. dich selben cleide ouch alsô wol, alse ein hövesch ritter sol.“
Tristan bereitet den Auftritt der cornischen Gesandtschaft am irischen Hof vor. Dies äußert sich nicht nur in dem Befehl, dass die Landbarone am Hof erscheinen sollen, sondern darüber hinaus vor allem im Fokus, den Tristan in seinen Anweisungen auf die Kleidung³³³ legt. Hier wird die Wichtigkeit deutlich, die auf diesem Teilelement höfischer Repräsentation liegt. Durch die Anwesenheit der cornischen Gesandtschaft
Kleidung spielt im Kontext höfischer Empfänge eine wichtige Rolle: „Für die Begrüßung und den Empfang eines Gastes macht sich die Hofgesellschaft eigens zurecht. Der standesgemäßen Herrichtung des sals vergleichbar, kommt der prächtigen Kleidung der Gastgeber eine Doppelfunktion zu. Zum einen dient sie der würdigen und eindrucksvollen Repräsentation des Hofes […], zum anderen ist sie als Ehrung des Ankommenden […] gemeint. […] Häufiger erscheint die Ausstattung des Gastes mit höfischer Gewandung als Bestandteil des Empfangszeremoniells. […] Die Kostbarkeit der Gewandung fungiert dabei ebenso als Gradmesser der Anerkennung und Ehrung und damit der Reputation des Gastes wie als Indikator der Ressourcen und der Freigebigkeit des Gastgebers.“ (Brüggen 1993: 207). Beim geplanten Auftritt der cornischen Gesandtschaft handelt es sich nicht um eine typische Empfangszene, sondern im Mittelpunkt steht hier die Verhandlung, an der sie teilnehmen. Gerade aufgrund der gemeinsamen Vorgeschichte mit Irland ist es umso wichtiger, in der Öffentlichkeit über die Kleidung der Gäste das Ansehen nicht nur ihrer Heimat sondern auch des Gastgebers zu erhöhen und der Wertschätzung des Gastgebers auf diese Weise Ausdruck zu verleihen.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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vermehrt Tristan gleichermaßen Markes Ruhm, für den seine Leute einstehen und dessen Macht sie repräsentieren, als auch den Ruhm Gurmuns, der durch den hohen Besuch geehrt wird. Hier nun geht es um den öffentlichen Abschluss der Brautwerbung, also einen hochpolitischen Akt. Die Kleidung verdeutlicht nicht nur Reichtum und Macht, sondern sie spielt „ebenso wie der Ausdruck des Gesichts und die Bewegung der Glieder bei der Disziplinierung des Körpers eine Rolle“ (Bumke 1994: 87), wobei die Disziplinierung des Körpers³³⁴ wiederum Ausweis der Höfischkeit ist.³³⁵ Brüggen (1993: 211) hält für den Zeichenwert der Kleidung im Kontext öffentlicher höfischer Interaktion fest: Die schöne Erscheinung fungiert als äußeres Zeichen einer inneren Haltung; sie signalisiert Lebensfreude, festliche Stimmung, Weltzugewandtheit, und verbürgt die Bereitschaft zu einer spezifischen Form adliger Selbstdarstellung und friedvoller höfischer Interaktion.
Der Eindruck, den Tristan und Markes Gefolge bei ihrem öffentlichen Auftritt am irischen Hof hervorrufen, ist umso entscheidender, als zwar im Vorfeld mit dem irischen Königspaar bereits die Zukunft Isoldes verhandelt wurde, nun aber die Brautwerbung auch als Mittel des Friedensschlusses der verfeindeten Länder vor der höfischen Öffentlichkeit und zudem gegen die Forderung des Truchsesses Bestand haben muss. Die Kleidung dient erneut der Kommunikation und ihre Signalwirkung ist nicht überzubewerten – diesmal aber soll sie die Wahrheit nicht verschleiern, sondern verbürgen. Insofern ist sie wesentlicher Bestandteil einer Inszenierung, an der Tristan erneut nicht nur als Akteur, sondern auch als Regisseur beteiligt ist. Durch Tristans Rede wird sein Auftritt auf dem Hoftag in Weisefort bereits thematisch eingeleitet.Vor seinem Auftritt wird erwähnt, dass er sich gefeitierte alsô wol, / als ein volmüete ritter sol (Tr 10873 – 10874). Nachdem vor allem der Auftritt der jungen Isolde eine idealtypische Schilderung des Zusammenwirkens von höfischer Kleidung, die die natürliche Ästhetik des Körpers erhöht, aber nicht übertönt, und deren angemessener Präsentation bietet (vgl. Brüggen 1993: 205 – 206), wirkt Tristans Auftritt wie ein Pendant: In einer ausführlichen descriptio von Tristans Körper und Kleidung wird nicht nur seine Einzigartigkeit und Idealität hervorgehoben, sondern vor allem
Bumke (1994: 81– 82) betont, dass es in der „Erziehungslehre des gestischen Verhaltens […] um die Beherrschung aller körperlichen Bewegungen“, ihre Angemessenheit und Anständigkeit geht: „Diese Theorie der Gestik und besonders der Gedanke, daß sich in den Bewegungen des Körpers die Gesinnung des Menschen ausdrückt und daß durch Körperkontrolle der innere Sinn beherrscht werden kann, ist auch für die höfische Gebärdensprache grundlegend.“ (Vgl. auch Brüggen 1993: 218 – 219). „Höfische Kleidung war nicht nur ein Standesabzeichen und besaß […] nicht nur einen hohen Rang in der Ausstattung der adligen Gesellschaft, sondern nahm auch im Programm der höfischen Erziehung einen wichtigen Platz ein, weil die vorbildliche ‚Art des Tragens‘ ebenso erlernt und eingeübt werden mußte wie das höfische Sprechverhalten und die körperliche Bewegungskontrolle.“ (Bumke 1994: 90).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
der Umstand, dass hier der Zustand der Adaequatio wiederhergestellt ist (Tr 11098 – 11101):³³⁶ sîn geschepfede und sîn wât die gehullen wunneclîche in ein. si bildeten under in zwein einen ritterlîchen man.
Die Opposition von Körper und Stellung, die das Misstrauen Isoldes geweckt hatte, ist hier überwunden, und Tristans die Kleider betreffenden Anordnungen gehen auf und wecken das Interesse an ihm und seinem Gefolge, verbürgen aber auch seinen Status und bestätigen den Teil seines Versprechens an Königin Isolde, der besagt, dass der um Isolde freiende König mächtiger sei als ihr Vater. Die von Tristan und den Seinen vorgeführte Kleidung ist wesentlich exquisiter als alles, was an Kleidung bis hierhin in Irland zu sehen war (vgl. Tr 11201– 11217). Die Verhandlung wird fortgesetzt und der Truchsess versichert auf die Frage des Königs hin, er habe den Drachen getötet. Tristan widerspricht ihm und „[dadurch] wird der Truchseß auf seinen ursprünglichen Beweis zurückgeführt“ (Combridge 1964: 65). Tristan zeigt sich mit Leichtigkeit überlegen: Als der Truchsess den Drachenkopf als Beweis anführt, erwidert Tristan (Tr 11233 – 11239): „hêrre künec“ sprach Tristan dô „sît er des houbetes sô ze bewaerde wil jehen, sô heizet in daz houbet sehen. vindet man die zungen dâ, ich entwîche mînes rehtes sâ und wil von mîme criege gân.“
Tristans Rede illustriert seine – begründete – Siegesgewissheit und seinen Wissensvorsprung gegenüber dem Truchsess, gleichermaßen seine ihm eigene Souveränität. Er lässt die Zunge³³⁷ des Drachen bringen und fordert die anwesenden Herren auf, zu beurteilen, ob es sich um die richtige Drachenzunge handele. Dies wird bestätigt und der Truchess steckt hier eine große Niederlage ein, die sich darin äußert, dass er sich nicht mehr ernsthaft artikulieren kann, da er nicht weiß, was er sagen soll – eine echte
Im Gesamtkontext der Szene greift Haupts (2002: 60) Deutung, dass „Tristans Auftritt am Hof zu Irland (Trist. 11090 – 11149) […] vor allem die Funktion [hat], geschmackvolle und kostbare Kleidung sowie den dazu passenden Schmuck vorzuführen“, deutlich zu kurz. Classen (1994: 93) hält zur Bedeutung der Drachenzunge als „metaphorische[m] Symbol“ fest: „Zunächst ließ ihn aber die Zunge bewußtlos werden, d. h. sie verschlägt ihm die Sprache. Mit Hilfe genau dieses Organs aber vermag er später eine umso stärkere Sprache zu sprechen, als er die junge Isolde gegen die Ansprüche des Truchsessen verteidigt und übertragen ausgedrückt mit Hilfe des kommunikativen Instruments des Drachens eine neue Gemeinschaft mit den Frauen und gegen den Prätendenten schafft (11231 ff.).“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Form der (intendierten) Kommunikation bringt er offenkundig nicht mehr zustande (vgl. Tr 11246 – 11250). Tristan spielt seine Überlegenheit weiter aus, indem er über den Truchsess spottet und ihn durch einen ironischen Kommentar über den Hergang des Kampfes noch stärker der Lächerlichkeit preisgibt und erniedrigt³³⁸ (Tr 11257– 11264): „ir hêrren alle“ sprach Tristan „hie merket alle wunder an, wie sich diz hie zuo habe getragen. dô ich den trachen haete erslagen und ime mit lîhter arbeit ûz sînem tôten rachen sneit dise zungen und si dannen truoc, daz er in sider ze tôde sluoc.“
Combridge (1964: 66) hält hierzu fest: Tristan hat aber den eigenen Anspruch gegen den König noch nicht geltend gemacht, sondern nur seinen Einspruch gegen die Behauptungen des Truchsessen erhärtet. Jetzt erhebt er selber den Anspruch auf Isolde, und zwar sieht er infolge seiner Erfüllung der Auslobigungsbedingung und seiner Gespräche mit dem König sein Recht als einen schon erlangten Besitz an; auch ist sein Anspruch schon hinlänglich von den Urteilfindenden anerkannt worden. Seine Worte sind noch herausfordernder, noch geschäftsmäßiger als die des Truchsessen, weil sie nicht durch polterndes Geltenwollen, sondern durch eiskalte Sicherheit geprägt sind.
Dies manifestiert sich auch in der folgenden Rede (Tr 11275 – 11280): Nu daz dem valschen gebrast unde der valschelôse gast des hoves volge gewan „hêr künec“ sprach aber Tristan „nu sît der triuwen gemant: iuwer tohter stât in mîner hant.“ ³³⁹
Das gleiche Verhalten legt Tristan auch in der Episode um „Harfe und Rotte“ Gandin und Marke gegenüber an den Tag sowie Morold gegenüber nach seinem Sieg über diesen (vgl. III.II.1.2.3: 144– 147, III.II.1.3.2: 198 – 200). Die vermeintliche Opposition von valsche und valschelôse macht stutzig: Bezogen auf die Tötung des Drachen ist Tristan hier zwar tatsächlich ehrlich, „jedoch sein ganzes Benehmen am irischen Hof beruht bis zur Entdeckung auf Falschheit und Verstellung […].“ (Lanz-Hubmann1989: 121). Knopp (1983: 135) hält fest: „In motivation it is hard to see much difference between Tristan’s ‚list‘ and the stewardʼs. Both plan, through a stratagem, to force the Irish court into an alliance it would never agree to voluntarily and which it can only perceive repugnant.“ Knopp hält weiter fest, dass Listen und Falschheit hier auf der einen, die Ehre des Gurmun-Hofes auf der anderen Seite stünden und durch die Kontrastierung von valsch und valschelôs diese Problematik erst verdeutlicht würde. Dass Gurmun hier, wie Lanz-Hubmann (1989: 121) treffend festhält, zwischen zwei Allianzen wählen muss, die ihm nicht gefallen können – auf der einen Seite der unmännliche und ergo unherrscherliche Truchsess, auf der anderen Seite die Allianz mit dem Todfeind – ist hierbei grundsätzlich einleuchtend, andererseits ist Heiratspolitik durchaus ein probates Mittel der Befriedung verfeindeter Länder. Dass der Gur-
242
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Der König stimmt öffentlich zu, woraufhin der Truchsess wieder interveniert, Verrat unterstellt und einen Zweikampf fordert.Während Königin Isolde dies auch in Tristans Namen rundheraus und „mit scharfer Ironie“ (Combridge 1964: 66) verweigert, widerspricht Tristan ihr öffentlich (Tr 11301– 11308): „war umbe, vrouwe?“ sprach Tristan „ê danne er jehe, daz wir’n hier an gewalten unde unrehten, ich wil ê mit im vehten. hêrre unde vrouwe, sprechet dar, gebietet ime daz, daz er var wol balde wâfenen sich. bereite sich, als tuon ich mich.“
Obwohl eine „rechtliche Notwendigkeit“ (Combridge 1964: 67) hier nicht gegeben ist, ist Tristan bereit, sich gegen die Unterstellung des Truchsesses durch einen Gerichtskampf zu verteidigen. Tristans Rede zeugt – erneut – von seinem Selbstbewusstsein. Er weiß, dass er im Recht ist und um seine kämpferischen Fähigkeiten, auf die er sich verlassen kann. Anders als in vergleichbaren Situationen beruft Tristan sich hier nicht auf Gott – es geht nicht um sein Leben, von Tristans Seite aus liegt keine Täuschung mehr vor, die aufgedeckt werden könnte, und der Sachverhalt ist juristisch de facto geklärt, so dass ein Rückbezug auf die höchstmögliche Instanz hier unnötig wäre. Gleichermaßen zeugt die Tatsache, dass Tristan Isolde nicht nur widerspricht, sondern das irische Königspaar nun auffordert, dem Truchsess Anweisungen zu geben, von seiner Souveränität und seiner Eigenschaft, das Klären von Situationen zu übernehmen, zu gestalten und zu dirigieren. Tristan bleibt wieder einmal derjenige, nach dessen Willen der weitere Fortlauf gestaltet wird – oder zumindest würde, würde der Truchsess keinen Rückzieher machen. Erst jetzt wird Tristans Identität den Iren gegenüber aufgedeckt. Diese begrüßen den Friedensschluss. Gurmun „macht dem versammelten Adel das Abkommen mit Tristan bekannt“ (ebd.: 68) und dieser leistet auf Aufforderung Gurmuns hin gemeinsam mit Markes Vasallen öffentlich den Schwur, in dem Isolde Cornwall als Morgengabe zugesichert und ihr der Status als Herrin über England zugesprochen wird (vgl. insgesamt Tr 11367– 11397, vgl. zum rechtlichen Status der Dotierung der Braut Combridge 1964: 68 – 72). Hierauf wird Isolde Tristan durch Gurmun übergeben, und somit ist der offizielle Teil der Brautwerbung abgeschlossen. Tristan nutzt die neue Position Isoldes als Braut Markes nun auch dafür, sein im Moroldkampf artimunhof, an dem ein Großteil der Handlung selbst im Bereich der Heimlichkeit stattfindet und der in der Vorhandlung als unrechter Gegner des Markehofes dargestellt wurde, einen rein positiven Gegenpol zum Verhalten Tristans darstellen soll, überzeugt mich hingegen nicht. Vielmehr ist Tristan m. E. hier an einem Punkt angelangt, an dem er tatsächlich – frei von Identität, echter oder gespielter Rolle – aufgrund der legitimierenden Tat auch juristisch im Recht und somit im juristischen Kontext durch aus als valschelôs bezeichnet werden kann, während der Truchsess hier als Betrüger überführt wurde.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
243
kuliertes Ansinnen durchzusetzen und die als Tribut nach Irland geschickten Kinder wieder in die Heimat zu holen. Er agiert geschickt, indem er nicht nur in seinem eigenen Namen handelt – er tritt als Brautwerber Markes noch immer als dessen Stellvertreter auf.³⁴⁰ Er verfolgt auch die Vollendung seiner im Morold-Kampf begonnenen Ziele, erweckt aber den Anschein, vor allem in Isoldes Interesse zu handeln (Tr 11403 – 11413): Tristan der nam’s an sîne hant. „künec“ sprach er „hêrre von Îrlant, wir biten iuch, mîn vrouwe und ich, daz ir durch sî und ouch durch mich, ez sîn ritter oder kint, die her ze zinse geben sint von Curnwal und von Engelant, sie suln mîner vrouwen hant billîchen und von rehte sîn, wan sî ist der lande künigîn, daz ir ir die lâzet vrî.“
Tristan instrumentalisiert Isolde, die passiv und stumm bleibt, für seine Zwecke und setzt sie und das durch sie erworbene Friedensverhältnis ein, indem er es so darstellt, als wäre der Wunsch nach der Rückgabe des Menschenzinses vor allem auch ihr Anliegen – seine Formulierung erweckt den Anschein, als wäre Isolde die aktive Bittstellerin, wie das Subjekt wir, das Tristan als mîn vrouwe und ich spezifiziert, verdeutlicht. Während am Anfang der Bitte noch das wir steht, endet die Bitte darin, dass die betreffenden ritter oder kint Isolde übergeben werden sollen, da sie Königin von England und Cornwall sei – faktisch ist sie dies noch nicht, da sie Marke noch nicht geheiratet hat –, und Gurmun sie für Isolde freilassen soll. Während Isolde hier keine Stimme hat und somit selbst nach erfolgreicher Brautwerbung noch als Argumentationshilfe objektifiziert eingesetzt wird, geht Gurmun auf Tristans Anliegen ein und sagt die Freilassung zu. Der politische Konflikt der Reiche ist mit der erfolgreichen Brautwerbung beigelegt, die Länder untereinander sind befriedet. Der Konflikt zwischen Tristan und der jungen Isolde bedarf aber erst noch der Überfahrt nach Cornwall und der Wirkung des Minnetrankes, um beendet zu werden.
Combridge (1964: 75) problematisiert, dass die Formulierung durch mich nicht eindeutig zu deuten ist und sich die Frage stellt, ob Tristan „die von ihm erworbene Zinsfreiheit“ meint (hierzu verweist Combridge auf Tr 6305 – 6307) oder ob er „als Bevollmächtigter des Königs Marke [spricht]“. M. E. schließt sich beides nicht aus, denn auch, wenn Tristan vor dem Kampf gegen Morold verdeutlicht, dass die als Tribut an Irland übergebenen Kinder zurückverlangt werden, so tut er dies auch dort schon als Bevollmächtigter des Königs, in dessen Namen er die Verhandlung führt. So oder so bleibt Tristan faktisch Stellvertreter des Königs und agiert und artikuliert seine Forderungen in dessen Namen – in der Verhandlung, im Kampf und in der Brautwerbung, die schließlich den Konflikt final beendet.
244
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
1.4.3 Zwischenfazit Tristans kommunikatives Verhalten während der Irlandreisen setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen, die miteinander einhergehen müssen, um eine funktionierende Kommunikation gewährleisten zu können. Tristan muss in der neugeschaffenen Identität des Tantris die Anliegen der Figur Tristan durchsetzen und hierbei teilweise ganz unterschiedliche Rollen bedienen: Er ist erst höfischer Spielmann und gescheiterter Kaufmann, der dann doch als Kaufmann zurückkehrt und gleichzeitig Rollen wie die des Brautwerbungshelfers und Drachentöters mit der übergeordneten Rolle verbinden oder diese zwar integrieren, aber eben auch verbergen muss. Dies stellt besondere Anforderungen an Tristans kommunikatives Verhalten. Besondere Relevanz kommt in diesem Zusammenhang Tristans Umgang mit Zeichen zu, die er sich zunutze macht. Dies betrifft zunächst seinen Namen: Tristan wird für sich selbst zum Namensgeber, ist gleichzeitig der Bezeichnende und der Bezeichnete. Mit dem Anagramm Tantris wählt er einen Namen, in dem er sich selbst zwar eingeschrieben bleibt, aber gleichermaßen einen Bedeutungswandel herbeiführt: Er wählt für sich den scheinbar zu ihm passenden, positiven Namen mit der Bedeutung ‚Soviel Lachen‘ gerade in Situationen, in denen sein Leben akut gefährdet ist. Der andere Zeichenwert, den Tristan für seine Zwecke einsetzt, ist dem Gebaren zuzurechnen: Tristan wählt Maskeraden, die mit Verkleidungen einhergehen. Insgesamt spielt Kleidung eine große Rolle, leitet die Episoden ein und verdeutlicht den Zeichenwert der Kleidung: Als höfischer, ‚ausgeraubter‘ Spielmann wählt Tristan das Armutsgewand, das seine prekäre Situation verdeutlicht; als Kaufmann versucht er sich durch einen Reisemantel möglichst zu verbergen; in der Erkennungszene im Bad trägt Tristan gerade keine Kleidung und als er dem irischen Hof in der Verhandlung mit dem Truchsessen gegenübertritt, soll die Kleidung das, was sie bis dahin verbergen soll, verbürgen: Seinen Status und die mit diesem verbundene Glaubwürdigkeit und Ehre. Die vorige Diskrepanz seines Körpers und seines Status wiederum sind die Auslöser der Erkennungsszene. Um sich in seinen Rollen etablieren zu können, ist Tristan jedoch vor allem auf seine sprachlichen Fertigkeiten angewiesen, an erster Stelle seiner bereits erprobten und vorgeführten Fähigkeit, sich sprachlich selbst auf überzeugende und gleichermaßen gewinnende Weise zu erfinden. Tristan passt sich den unterschiedlichen Rollen an und erlangt so Glaubwürdigkeit. Dies zeigt sich z. B. im ersten Kontakt mit den Dublinern über die Musik³⁴¹, die in Verknüpfung mit Tristans Geschichte und der inszenierten Armut erfolgreich auf das Interesse und die Sympathien der Dubliner zielt. Als Kaufmann zielt Tristan nicht auf Sympathie und Mitleid, sondern auf Respekt und Anerkennung, vor allem aber darauf, vride unde genâde (Tr 9543) zu erlangen. Tristan kennt sich bezüglich beider Rollen mit den Gegebenheiten und Anforderungen aus, die mit den jeweiligen Berufen einhergehen, und kann sie in seine Rollenge-
Hier findet sich eine Parallele zu Tristans Einzug am Markehof (vgl. III.II.1.1: 112– 113).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
245
staltung einbeziehen und beide Rollen stringent und erfolgreich umsetzen. Insgesamt entspricht die Spielmannsverkleidung Tristan besser als die des Kaufmanns, sie ist ihm auf andere Weise inhärent. Schon als Tristan sich am Markehof als Kaufmannssohn ausgibt, fällt die Diskrepanz zu seinem ganzen höfischen Sein auf und führt zu Zweifeln an seiner Geschichte (vgl. III.II.1.1: 114; III.II.2.1.1: 263). Am irischen Hof führt diese Inadaequatio schließlich dazu, dass Isolde Tristans Status hinterfragt. Dass Tristan sich den Vorwürfen genau in dem Moment stellen muss, als er bar aller verkleidender und verbergender Accessoires ist, ist umso bezeichnender. Demgegenüber ist Tristan wirklich Künstler und war Spielmann am Markehof. Er kann diese Rolle entsprechend stärker dem Hof zuordnen und am Hofleben partizipieren. Anders als am Markehof bietet die Spielmannsrolle Tristan in Irland die Möglichkeit, von seinem sonst üblichen Sprachverhalten abzuweichen: Er kann und muss seine Bildung, seine sprachlichen und musikalischen Fertigkeiten anpreisen. Dabei verzichtet er zwar nicht völlig auf Bescheidenheitstopik, benennt aber seine Talente und stellt seine Bestheit klar heraus. Somit gibt die Rolle, die die wahre Identität Tristans verbergen soll, dieser doch wieder Raum: Tristan kann als Dienstleister das, was ihn besonders auszeichnet, verbal direkt präsentieren, ohne dadurch seine Höfischkeit zu gefährden. Innerhalb der Rolle kann Tristan also eine explizite Eigencharakterisierung vornehmen, die sonst im Bereich des Impliziten bleiben muss und die zwar hier auf die Rolle des Tantris gemünzt ist, aber faktisch auch und besonders für Tristan gilt. Neben solchen Abweichungen lassen sich auch charakteristische Züge für Tristans Kommunikation beobachten. Dies fängt damit an, dass Tristans Reden sich als sehr kalkuliert erweist. Außer in der Szene im Bad ist er derjenige, der jede Kommunikationssituation souverän steuert und so gestaltet, dass er seine Ziele erreicht. Dies betrifft seine Herkunftsgeschichten ebenso wie seine Bitte um urloup während der ersten Irlandreise oder seinen Auftritt auf dem Hoftag in Weisefort. Grundlegend für Tristans Argumentationen ist dabei immer wieder die Art und Weise, wie er seine Interaktanten manipuliert und durch teils subtile, teils sehr offensichtliche Mittel beeinflusst. Im höfisch gängigen Bereich befinden sich etwa die Adressierungen, mit denen Tristan die Damen anspricht. So entfallen von insgesamt 36 Adressierungen 16 Belege auf die einfache Titulierung mit vrouwe, 13 Belege werden durch Attribute wie süeziu, saeligiu, edeliu oder bêlê variiert, wobei diese sowohl die allgemeinen Standesbezeichnung vrouwe oder juncvrouwe wie auch die konkreten Amtsbezeichnung künigîn ergänzen und ebenso in Einzel- wie Gruppenadressierungen vorkommen können. In zwei Fällen liegen nominalisierte Adjektive vor. Die Variation der Anreden dient grundsätzlich der Ehrung, zielt auf diese Weise aber immer auf ein Gewogenmachen der Interaktanten, auf deren Wohlwollen und Empathie. So wird etwa in der Bad- und Kemenatenszene die Variation ganz zielgerichtet eingesetzt, um eine klare Verpflichtung auf höfische Werte vorzunehmen, aber auch, um implizit auf positive Nachrichten vorauszuweisen (vgl. III.II.1.4.2: 230 – 236; vgl. zur Übersicht Tabelle 6):
246
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tabelle 6: Adressierung der Frauenfiguren in Irland Adressat
Realisierung
Okkurenz
Belege
ältere Isolde
vrouwe süeziu künegîn saeligiu küniginne / künigîn edeliu küniginne Gesamt:
, , ,
beide Isolden
iu beiden Gesamt:
süeziu vrouwe, saelic wîp vrouwe
saeligest aller wîbe saelgiu vrouwe saeligiu künigîn Gesamt:
, , , , ,
jüngere Isolde
vrouwe süeziu juncvrouwe bêle Îsôt Gesamt:
,
ältere Isolde
vrouwe
vrouwe künigîn Gesamt:
, , , , ,
beide Isolden
saeligen vrouwen beide vrouwe Îsôt und aber Îsôt Gesamt:
beide Isolden, Brangäne
ir süezen alle saeligiu massenîe saeligen alle drîe ir schoenen, […] alle drî Gesamt:
Brangäne
vrouwe Gesamt:
. Irlandreise
. Irlandreise, als Tantris ältere Isolde³⁴²
. Irlandreise, als Tristan
Gesamt
Die Einordnung als ältere Isolde ist für folgende Belege nicht eindeutig, aber durch Kontext und Bezeichnung Isoldes als sinnerîche oder wîse wahrscheinlich: Tr 9467, 9477.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
247
Ein weiteres Mittel, das Tristan auch sonst häufig einsetzt, um seine Argumentationen abzusichern, aber auch, um seine Dankbarkeit auszudrücken, ist das Einbeziehen Gottes in seine Reden. Insgesamt 15-mal beruft sich Tristan während seiner Irlandreisen auf Gott, davon elfmal gegenüber den Isolden und Brangäne. Die meisten Belege entfallen auf Redeszenen mit der älteren Isolde (zehn Okkurenzen). Schon auf Tristans erster Irlandreise bindet er ihr allein gegenüber Gott insgesamt sechsmal in seine Reden ein. Dies kann eher subtil geschehen, etwa wenn er die Hoffnungslosigkeit seiner Situation beschreibt und um Hilfe bittet. Er kann seine Gesprächspartner aber auch dazu auffordern, Gott in die Reflexion ihrer Handlungsentscheidungen einzubeziehen, besonders dann, wenn sein Leben durch die Frauenfiguren mittelbar oder akut gefährdet ist, etwa, als er die ältere Isolde um urloup bittet, oder die jüngere Isolde in der Badszene davon abhalten will, ihn zu töten (vgl. Tabelle 7). Tabelle 7: Berufungen auf Gott während der Irlandreisen Gott
Interaktant
got
. Irlandreise
Okkurenzen Belege
ältere Isolde
beide Isolden Gesamt . Reise:
, , , , ,
. Irlandreise
trehtîn
heilant
Gesamt
ältere Isolde jüngere Isolde beide Isolden, Brangäne irischer Hof (Tristan gemeinsam mit der jüngeren Isolde) Gesamt . Reise:
, , ,
. Irlandreise irische Bevölerkung Gesamt
. Irlandreise irische Bevölkerung Gesamt
Ähnlich verfährt Tristan auch, wenn er in seinen Reden auf höfische Werte abhebt, vor allem êre und genâde (je acht Belege), triuwe (fünf Belege) und merzî (drei Belege). Teils nimmt er auf diese Weise eine (antizipierende) Bewertung des Verhaltens der anderen Figuren vor, teils unterstellt er ihnen die Werte, um ihnen deutlich zu machen, was gesellschaftlich oder auch nur von ihm selbst von ihnen erwartet wird, teils beruft er sich auf Absprachen, die vor dem Hintergrund z. B. der triuwe geschlossen
248
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
und somit bindend sind. 20 von insgesamt 24 Belege entfallen auf die zweite Irlandreise und werden in solchen Situationen und Konstellationen realisiert, in denen Tristan sich Sicherheit verschaffen muss. Alle genannten Werte spricht Tristan den beiden Isolden und dem Marschall gegenüber an, wobei er nur der jüngeren Isolde gegenüber auch auf Französisch um merzî, also um ‚genâde‘, fleht (vgl. Tabelle 8): Tabelle 8: Bezüge auf höfische Werte Wert
Interaktant
Okkurenzen
Belege
êre
. Irlandreise beide Isolden Gesamt . Reise:
. Irlandreise Marschall ältere Isolde jüngere Isolde beide Isolden, Brangäne Gesamt . Reise
, , ,
Gesamt:
. Irlandreise ältere Isolde beide Isolden Gesamt . Reise:
,
. Irlandreise Marschall ältere Isolde beide Isolden, Brangäne Gurmun Gesamt . Reise:
,
Gesamt:
. Irlandreise Gesamt . Reise:
. Irlandreise Marschall ältere Isolde beide Isolden Gurmun Gesamt . Reise:
Gesamt:
genâde ³⁴³ (Barmherzigkeit, Gnade, Schutz)
triuwe
(entriuwen) , (getriuwe)
In drei weiteren Belegen (7792, 9553, 10217) drückt Tristan über den Ausdruck genâde seine Dankbarkeit aus.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
249
Tabelle : Bezüge auf höfische Werte (Fortsetzung) Wert
Interaktant
Okkurenzen
merzî
. Irlandreise Gesamt . Reise:
. Irlandreise Isolde Gesamt . Reise
Gesamt:
Gesamt
Belege
, ,
Weiterhin typisch für Tristan ist die Strategie des sukzessiven Kommunizierens: Insbesondere dann, wenn sein Leben von der erfolgreichen Kommunikation abhängt, gibt er Informationen nur stückweise preis. Teils dient dies dem argumentativ steigernden Aufbau der Kommunikation, teils der Interessenslenkung, wobei das Interesse einerseits auf ihn selbst gelenkt werden kann, andererseits aber auch gerade von ihm weg und auf eine angedeutete Information hin, so dass seine Interaktanten gezwungen sind, die Kommunikation mit ihm aufrecht zu erhalten, um mehr zu erfahren. Auf diese Weise kann Tristan den Gesprächsverlauf steuern. Auch der differenzierte Umgang mit Fremdsprachen gehört zu Tristans üblichem Repertoire. Hierüber kann er sowohl auf auf die gemeinsame Gruppe rekurrieren und unhöfische Situationen durch das Französische und Konventionalisierte kontrastieren, wie auch andere Figuren aus Gesprächen ausschließen und in deren Beisein persönliche Absprachen treffen. Die Irlandreisen zeigen Tristan zwischen gelingender und misslingender Kommunikation. Dies gilt für sein Reden ebenso wie für sein Gebaren. Für Letzteres ist die dreimal vollzogene (vgl. Tr 8159 – 8184, 10462– 10479, 10661– 10668) und zweimal gescheiterte Fußfallgebärde besonders eindrücklich, die die Spannung aus öffentlichem und heimlichem, aber auch aus adäquatem und nicht angemessenem Handeln vorführt. Die Reisen selbst unterscheiden sich vor allem dadurch, dass Tristan während der ersten Reise seine Rolle konsequent durchhalten kann, auf der zweiten jedoch zwischen verschiedenen Rollen wechseln muss. Hierdurch gewinnt Tristans Darstellung an Komplexität: Er vollzieht Positionswechsel von angesehen, aber sozial inferior zu ausgeliefert, aber sozial äquivalent zu einer Stellung, in der er sozial auf gleicher Ebene agiert, durch seinen Wissensvorsprung aber eine kommunikative Superiorität aufweist und schließlich auch in der Öffentlichkeit vom Bittsteller zum Fordernden wird, der seine Anliegen durchsetzen kann. Insgesamt aber bleibt Tristan seinem charakteristischen Sprachverhalten treu und zeichnet sich durch Kalkulation, Manipulation, Souveränität, Situations-, Konstellations- und Rollenbewusstsein aus.
250
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
1.5 Fazit Tristans Leben steht schon früh im Zeichen kommunikativer Fertigkeiten – diese sind nicht nur Grundlage und Voraussetzung für seine höfische Ausbildung, sondern auch direkt mit dem ersten aktiven Auftreten des Helden verknüpft, das bereits mehrere charakteristische Züge Tristans einführt: Hierzu zählt sein Bedürfnis, seine Fähigkeiten vorzuführen und sich aktiv um ein Publikum zu bemühen, das ihn im Kontext seines außergewöhnlichen Könnens wahrnimmt. Typisch ist hierbei, dass sein sprachliches Können mit einer weiteren Fertigkeit korreliert: Im Kontakt mit den Norwegern ist es der Bereich höfischer Gesellschaftsspiele, den er mit der Fremd- und Fachsprachenkenntnis verbindet (vgl. III.I.1: 48 – 49; III.II.1.1: 95 – 96), in Cornwall ist es Tristans Geschick als Jäger, das nicht nur mit dem Vorstellen fremder Jagdsitten, sondern auch mit ihrer Benennung und etymologischen Herleitung einhergeht (vgl. III.II.1.1: 105 – 108), später dann das Musizieren, das wiederum nicht nur das Beherrschen von Instrumenten, die der Hofgesellschaft nicht alle bekannt sind, umfasst, sondern das durch den Gesang in fremden Sprachen ergänzt wird (vgl. III.II.1.2.1: 124– 126; III.II.2.1.3: 269 – 270). In den Verhandlungen zum Morold-Kampf und dem Kampf selbst ist nicht nur Tristans kämpferisches Können eine Ergänzung seiner ebenfalls kämpferischen Reden, sondern vor allem Tristans allgemeine und fallspezifische Rechtskenntnis sticht heraus (vgl. insgesamt III.I.1.3: 60 – 63; III.II.1.3.2: 179 – 201). Tristans Auftreten während der Jagd leitet hierbei ein Charakteristikum seines Sprechens ein: Tristan zieht und bündelt die Aufmerksamkeit anderer Figuren oder Figurengruppen auf sich, indem er Informationen so aufbereitet, dass er sie immer nur stückweise preisgibt, aber lohnend erscheinen lässt. Dies schafft er einerseits, indem er mit einer Terminologie operiert, die nur ihm bekannt ist und die anderen Interaktanten geradezu zwangsläufig dazu veranlasst, bei ihm nachzufragen und ihr Informationsdefizit auszugleichen, so etwa in der Vorführung der Jagd und der Musikinstrumente, die in der Nennung unbekannter Begriffe münden (vgl. Tr 2813; 2921– 2926; 2952– 2961; 3661– 3682). In diesen Kontexten verschafft der Umstand, dass die Begriffe nicht nur den Figuren innerhalb der Narration, sondern auch den zeitgenössischen Rezipienten neu sind, Tristan ein besonderes Maß an Exotik und Exorbitanz. Dies betrifft insbesondere den Grad der Bildung Tristans, zumal solche Momente vor allem im Bereich der Kindheit und Jugend des Protagonisten zu verorten sind. Das Bündeln und Wecken der Aufmerksamkeit erreicht Tristan auch, indem er Informationen ankündigt, die für andere Figuren von Relevanz sind, aber nicht ausführt, um welche Informationen es sich handelt – so etwa in Irland, als in der Bad- und Kemenatenszene sein Leben akut gefährdet ist und es überlebenswichtig für Tristan ist, das Interesse an sich und die Kommunikation mit den anderen Figuren aufrechtzuerhalten und so sein Leben zu sichern (vgl. III.II.1.4.2: 232– 236). Durch diese Form des Kommunizierens bündelt Tristan nicht nur das Interesse anderer Figuren auf sich, sondern zeigt sein strategisches Vorgehen, da er auf diese Weise die Reden der anderen Figuren antizipiert, steuert und beweist, dass er ihre Reaktionen im Vorfeld einschätzen und sich zunutze machen kann, um seine kommunikativen Ziele zu erreichen und durchzusetzen. Durch Tristans Wissensvorsprung sind solche Kommunikationssi-
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
251
tuationen als asymmetrisch zu bewerten, wobei Tristan – unabhängig von seiner in der jeweiligen Situation tatsächlichen, angenommenen oder vorgegebenen Stellung – den überlegenen Part darstellt und die Asymmetrie teilweise gerade durch die soziale Überlegenheit durch z. B. Stand und Alter seiner Gesprächspartner kontrastiert wird und so Tristans Außergewöhnlichkeit unterstreicht. Tristans Bildung einerseits, seine Findigkeit andererseits ermöglichen Tristan eine enorme Wandelbarkeit, die er insbesondere sprachlich teils initiiert, mit der er andernteils auf Umstände reagieren und sich diesen anpassen kann. Die Wandelbarkeit Tristans kann sich im Annehmen unterschiedlicher Identitäten ebenso äußern wie im Übernehmen von bestimmten Aufgaben, die wiederum mit Rollen- und Hofämtern verbunden sein können: Tristan ist ein höfisches Kind hoher Abkunft (wenn auch nicht im Wissen um seinen tatsächlichen Status), er wird (vorgeblich) Teilnehmer einer Jagdgesellschaft (vgl. III.II.1.1: 102, 104 – 113), wird Kaufmannssohn und Jägermeister (vgl. ebd.: 109 – 111, 115), höfischer Spielmann und Gefährte des Königs und Königsneffe (vgl. III.II.1.2.1: 126, 128 – 129), er wird Lehnsherr (vgl. III.II.1.3.1: 171– 172) und Kämpfer (vgl. III.II.1.3: 170 – 205), Ratgeber,Verhandlungsführer und offiziell Vogt (vgl. III.II.1.3.2: 191), als Verwundeter erneut höfischer Spielmann, gescheiterter Kaufmann, Lehrer der Königstochter und abstinenter Ehemann (vgl. III.II.1.4.1: 211– 222), er wird Brautwerber, Kaufmann und Drachentöter (vgl. III.II.1.4.2: 223 – 225), Repräsentant, Liebender, Minnekonkurrent, Ratsuchender (vgl. III.II.1.2.3: 142– 169) und ist schlussendlich immer wieder Held. Gemein haben diese Rollen, dass sie oft eine sich wiederaufnehmende Variation von Wahrheiten und Anlagen darstellen, die Tristan tatsächlich eigen sind, weil sie entweder auf seinem Charakter, seinem Können, seiner Herkunft oder seinen konstruierten Identitäten und dem mit diesen verbundenen Erfahrungsschatz beruhen, aber auch auf seiner Kenntnis aus den unterschiedlichsten Bereichen. Dementsprechend zeichnen sich seine Herkunfts- und Identitätsgeschichten durch eine enorme Detailfreude aus, die es ihm ermöglicht, wiederum sehr bewusst mit Informationen umzugehen: So schildert er den Pilgern gegenüber sehr eindrücklich den Verlust der Jagdgesellschaft, schafft es auf diese Weise aber, zwar eine Fülle an Informationen zu geben, aber eben nur die, die er vergeben möchte – andere Angaben zu sich als ‚Person‘ behält er für sich und steuert so, was er preisgeben möchte und was nicht, ohne unkommunikativ zu erscheinen (vgl. III.II.1.1: 102– 104). Tristan schafft sich durch das Illustrieren seiner Geschichten also eine ‚Pufferzone‘ für die tatsächliche Informationsvergabe und erreicht auf diese Weise zusätzlich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Diese beschränkt sich nicht nur auf das Fingieren von Identitäten durch phantasiereiche Schilderungen, sondern geht auch einher mit Kenntnissen über die Bräuche unterschiedlicher sozialer Gruppen. Besonders anschaulich wird dies, wenn Tristan sich auf der zweiten Irlandreise als Kaufmann ausgibt und seine Rede derart gestaltet, dass deutlich wird, wie gut er sich mit den realen Gegebenheiten des Kaufmannsberufs auskennt, wenn er Gefahren und Gebräuche aus diesem Bereich seinem eigenen (Sprach‐)Handeln zugrunde legt (vgl. III.II.1.4.2: 223 – 225). Seine Kenntnis von Gebräuchen und auch rechtsrelevanten Anforderungen an seine Rollen stellt Tristan auch in anderen Bereichen unter Beweis, so
252
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
etwa, wenn er mit Morold die rechtliche Auseinandersetzung über die Zinspflicht führt und hierbei bereits zuvor Verhandeltes öffentlich in einer Verhandlungsrede wiederholt, kontextualisiert und durch Rechtstermini und -gesten stützt (vgl. III.I.1.3: 60 – 66; III.II.1.3.2: 179 – 201). Insgesamt veranschaulicht das Spektrum von Tristans Rollen und Ämtern die Breite seiner höfischen Bildung, deren Grundlage, wie gezeigt, die Fertigkeit des höfischen Kommunizierens ist. Nicht nur Bereiche wie Gesellschaftsspiele, Jagd, Musik und Fremdsprachen deckt Tristan mühelos ab, sondern auch höfisches Recht, Ritter- und Kämpfertum mit ihren teils ganz eigenen Gepflogenheiten (über die Tristan sich allerdings teilweise auch hinwegsetzt). Dass sein Wissen über das rein Höfische hinausgeht, beweist er z. B. durch die Kaufmannsmaskerade. Grundsätzlich gelingt es Tristan, sich sprachlich auch an die Situation, ihre Sphäre und die Figurenkonstellation anzupassen. Wie differenziert er kommuniziert, zeigt sich besonders eindrücklich in den drei untersuchten Redeszenen aus dem Bereich des Kampfvorfelds: Während Tristan Figuren aus dem höfischen Umfeld in der höfischen Öffentlichkeit oder im Kontext höfischer Aktivitäten wie der Jagd konventionell ihrzt, fallen er und Morold nach der öffentlichen Verhandlung im direkten Umfeld des Kampfes ins Duzen; im Kampf gegen Urgan wiederum zeigt sich die Unhöfischkeit des Gegners darin, dass dieser Tristan zwar ihrzt, Tristan ihn jedoch duzt und mit Vergleichen, die jenseits höfischer Kampfterminologie liegen, reizt (vgl. III.II.1.3.4: 206 – 207; dort insbesondere Tabelle 5). Eine andere Form der Anpassung an Figurenkonstellationen gelingt Tristan auch mit seiner Fremdsprachenkenntnis, durch die er Sprachbarrieren überwinden und mit Figuren unterschiedlichster regionaler wie sozialer Provenienz kommunizieren kann. Insgesamt beherrscht Tristan (mindestens) neun verschiedene Sprachen, wobei er diese teilweise durch Gesänge vorführt, aber bestätigt, dass er die entsprechenden Sprachen auch spricht. Die einzige Sprache, die auch in der Fremdsprache abgebildet wird, ist die Hofsprache Französisch, die in Tristans Reden 14mal realisiert wird.³⁴⁴ Daneben spielt vor allem das Irische eine Rolle, das u. a. in der Begründung, warum gerade Tristan die Brautwerbung übernehmen soll, angesprochen wird, und an dem vorgeführt wird, wie wichtig diese Sprache für Tristans Listen ist, sowohl auf seinen Irlandreisen, als auch, dies lässt sich zumindest unterstellen, im Kontakt mit Gandin, demgegenüber Tristan sich als Ire ausgibt. Daneben werden nur das Altwestnordische und das Bretonische als Tristans Muttersprache auch in konkreten Kommunikationssituationen abgebildet, die anderen Sprachen dienen vor allem der Illustration von Tristans Bildung (vgl. Tabelle 9):
In Beleg 3628 berichtet der Erzähler über Tristans Gesang in den Fremdsprachen.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
253
Tabelle 9: Tristans Fremdsprachenkenntnisse Fremdsprache³⁴⁵
Okkurenzen
Beleg
Französisch
Irisch Altwestnordisch Bretonisch Walisisch³⁴⁶ Lateinisch Deutsch Schottisch-Gälisch Altostnordisch
, , , , , , , , , , , , , , , f. , , – , ,
Gesamt:
Sein Umgang mit diesen Sprachen zeugt von seinem bewussten Kommunizieren, so etwa, wenn er sich in besonderen Situationen wie der Begrüßung König Markes, der Szene im Bad oder auch der Verabschiedung des Französischen bedient, aber auch, wenn er Kurvenal in Irland ausdrücklich in der gemeinsamen Landessprache anspricht und somit die anderen Figuren aus dem Gespräch ausschließt. Tristan besitzt also durchaus auch einen Sinn für eine Sprache der Vertrautheit und Vertraulichkeit. Diese findet ihren Höhepunkt schließlich in der Arkansprache der Liebenden, die durch mehrfachcodiertes Sprechen das Liebespaar innerhalb der Hofgemeinschaft Liebesdialoge führen lässt, die die Hofgesellschaft zwar hören, aber eben nicht in der der Arkansprache inhärenten Bedeutung entschlüsseln kann – zumindest nicht, solange kein Misstrauen gegenüber den Liebenden herrscht (vgl. III.II.1.2.3: 142– 143). Tristans sprachliche Anpassungen an die figuralen und situativen Gegebenheiten zeugen von der Kalkuliertheit und Durchdachtheit, mit der er kommuniziert – er ist sich seiner Wirkung auf andere Figuren bewusst, kann ihre Gedanken teils vorwegnehmen und ihre Reaktionen entsprechend in seine Kommunikation einplanen. Wie komplex Tristan bei diesen Planungen vorgeht, zeigt sich beispielsweise, als er nach seiner Heilung von Königin Isolde die Erlaubnis erbittet, aus Irland abreisen zu dürfen, und seine Reden so aufbaut, dass er die Weigerung Isoldes, ihn gehen zu lassen, argumentativ in ihre Zustimmung verwandeln kann (vgl. III.II.1.4.1: 219 – 222). Immer jedoch funktioniert Tristans Kalkulation nicht, so etwa, als er in der Kemenate die Fußfallgebärde vollzieht, die im nichtöffentlichen Raum scheitert. Nicht nur Tristan befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer Ausnahmesituation, sondern auch die Damen und sie reagieren entsprechend nicht so, wie es das höfische Zeremoniell Folgende Belege sind in Gesängen belegt: 3627, 3628, 19013 f. Es stünde zur Annahme, dass Tristan in Cornwall Walisisch spricht, allerdings wird dieses bei seiner Musikdarbietung als eine der Sprachen genannt, über die Marke sich rückversichert, ob Tristan sie beherrscht.
254
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
verlangen würde – die Kalkulierbarkeit kann in der nichtöffentlichen Sphäre entsprechend an ihre Grenzen geraten und Tristan in einer Situation zeigen, die er nicht völlig beherrscht (vgl. III.II.1.4.2: 233 – 235). Eine Sonderform der Kalkuliertheit zeigt sich, wenn Tristan implizit Mehrfachadressierungen vornimmt und der Inhalt seiner Rede im Grunde vor allem an eine anwesende Figur gerichtet wird, die er entweder vorgeblich nicht wahrnimmt oder eindeutig ignoriert – Beispiele hierfür finden sich etwa in der Baumgartenszene (vgl. III.II.1.2.3: 156 – 160) und in Tristans Ansprache an Markes Barone im Vorfeld des Moroldkampfes (vgl. III.I.1.3: 60 – 62; III.II.1.3.2: 180). Hierbei gestaltet Tristan seine Reden so, dass sie für unterschiedliche Rezipienten ausgelegt sind und innerhalb einer Rede variante Botschaften transportieren können oder unterschiedliche Zwecke verfolgen. Im Falle Morolds etwa ist die Botschaft, die er aussendet, im Grunde die Gleiche, die er auch den Baronen vermittelt – die Intention jedoch ist eine andere: Tristan kann auf diese Weise seinen Gegner bereits moralisch schmähen und reizen und durch seine Sprachmacht, mit der er einen ganzen Hofstaat zu überzeugen vermag, ebenfalls seine Stärke illustrieren und inszenieren. Tristans Figurenreden zeichnen sich – und ihren Sprecher – durch einen enormen Grad an Souveränität aus, die sich auf unterschiedliche Art und Weise äußert. Tristan beherrscht die Kunst des höfischen Kommunizierens formvollendet und vermag es, gerade in der Zeit, als er sich am Markehof etabliert, seine Gesprächspartner durch seine Reden in einen Bann zu schlagen. Überraschend wirkt hierbei teilweise die Selbstverständlichkeit, mit der Tristan sich auch gegenüber höheren Instanzen wie dem Jägermeister, König Marke und sogar Gott ausdrückt, wenn er ihnen Aufforderungen, Anordnungen und Bitten im Imperativ erteilt und somit nicht nur auf kommunikative Indirektheit verzichtet, sondern sich auch über die ständisch-soziale Hierarchie hinwegsetzt und sich von dieser nicht beeindrucken lässt. Im Gegenteil, er hebt die kommunikative Asymmetrie zu den Gesprächspartnern auf diese Weise auf und zeigt seine Gleichrangigkeit, wenn nicht sogar seine Überlegenheit ihnen gegenüber an. Letztere nimmt er oft oberflächlich zurück, indem er auf Bescheidenheitstopoi und Relativierungen zurückgreift, die im Endeffekt die Wirkung seines Auftretens entsprechend noch steigern, wie z. B. als verre als ichs germerket hân (Tr 2827), […] und enkan doch keines alsô vil, / ine kunde es gerne mêre (Tr 3668 – 3669) oder daz ich mîn unversuohte jugent / ûf werdekeit unde ûf tugent / sô rehte selten g’üebet hân, / daz ist vil sêre missetân / und hân es an mich selben haz (Tr 4421– 4425). Seine Souveränität und Überlegenheit kann sich allerdings auch auf ganz andere Weise äußern: In Ironie und Spott, den er denjenigen entgegenträgt, die entweder als offene Gegner oder zumindest strukturelle Konkurrenten für ihn fungieren. Hierbei geht er teilweise sehr offen und aufmerksam vor, indem er Äußerungen seiner Gegner wieder aufnimmt und sie ins Lächerliche zieht; teilweise hebt er über Sentenzen verallgemeinernd und distanzierend auf das Verhalten seiner Gegner ab, teilweise wiederum äußert er den Spott auf indirektere Art und Weise, indem er vorgibt, nur den Spott der Gesellschaft vorwegzunehmen (vgl. III.II.1.2.3: 144– 147; III.II.1.3.2: 198 – 200; III.II.1.4.2: 240). Tristan tritt insgesamt als einer auf, der andere Figuren bewerten
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
255
kann – sei es der Jägermeister, König Marke, Morold oder die ganze Hofgesellschaft. Häufig (13 Belege) bezieht sich Tristans jeweilige Beurteilung ganz konkret auf die Reden seiner Interaktanten, die er zustimmend wie ablehnend bewerten, über die er aber auch seine Verwunderung oder persönliche Betroffenheit zum Ausdruck bringen kann (vgl. Tabelle 10): Tabelle 10: Bewertung der Reden anderer Figuren Adressat
Realisierung
Beleg
Marke
„hêrre“ sprach Tristan al zehant / „irn dörftet mich niht hân gemant […].“
Morgan
„ir redet übel“ […].
Landbarone
„lât die rede wesen!“
„wie redet ir sus!“
„mîn hêr Môrolt, ir habet wâr, / ich weiz ez unde erkennez gâr: […].“
f.
„nein, hêrre, ir misseredet hier an.[“]
„sô trîbe wir“ sprach Tristan / „vil harte unnütziu teidinc an.[“]
f.
„nein, vrouwe, sprechet alsô niht.[“]
„nein, vrouwe, tuot die rede hin.[“]
Marke (über Landbarone)
„hêrre“ sprach aber Tristan / „sine misseredent niht hier an.[“]
f.
junge Isolde
„ir redet wâr“ sprach Tristan[.]
Tristan sprach: „disiu maere / sint mir ein âventiure.[“]
f.
„vriunt, troumet iu?“ sprach Tristan / „waz maere trîbet ir mich an?[“]
f
Morold
ältere Isolde
Melot
Seine Urteile können sich aber auch, allgemein und konkret, auf das nicht-sprachliche Verhalten der anderen Figuren beziehen. Dies kann sich auf unterschiedliche Weise äußern, etwa als rhetorische Frage (Tr 2792, vgl. auch Tr 2794– 2795): „wie nû, meister, waz sol diz sîn?“ oder expliziter (Tr 6067– 6068): […] schamt ir iuch der schanden niht, / diu disem lande an iu geschiht?, als höfische Richtlinie (Tr 5378): [„]sô tuot ir höfschlîch unde wol.“, aber auch als deutliche Zurechtweisung (Tr 6360 – 6361): ez lûtet übele, swer den man / an sîne triuwe sprichet. Tristan belässt es aber in der Regel nicht bei Beurteilungen, sondern tritt in Anschluss daran oft als ratgebende Instanz auf, so etwa dem Jägermeister gegenüber, der den Hirsch ‚falsch‘ zerlegt (vgl. III.II.1.1: 104 – 109), aber auch gegenüber der ganzen moralisch gescheiterten Hofgesellschaft im Vorfeld des Moroldkampfes (vgl. III.II.1.3.2: 180 – 187). Tristan beruft sich dabei immer wieder auf die höfischen Werte, er verpflichtet andere Figuren auf diese, beurteilt ihr Verhalten oft antizipierend nach dem – im Sinne des höfischen Codex – richtigen Vorgehen und gibt ihnen somit oft schon einleitend zu verstehen, wie sie zu antworten und zu agieren haben. Insbesondere den Frauenfiguren rät Tristan auch
256
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
dazu, ihr Verhalten oder ihre Entscheidungen im Vorfeld zu überdenken oder zu revidieren, und gibt ihnen Hinweise, welche Instanzen oder Aspekte sie in ihre Reflexionen einbeziehen sollen. Diese Aufforderungen werden in allen Fällen mit besonderen Anreden eingeleitet³⁴⁷, die ebenfalls als Verpflichtung auf höfische Werte, aber auch als ein Gewogenmachen und eine Form des In-Beziehung-Setzens verstanden werden müssen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um echte oder fingierte Gespräche (vgl. Tr 14804– 14805) handelt. Ein solcher Beleg entfällt auch auf eine Männerfigur: Tristan empfiehlt Morold, vor seiner Entscheidung für oder gegen einen Zweikampf nachzudenken und sich zu beraten, eine besondere Adressierung entfällt hier jedoch (vgl. Tabelle 11). Tabelle 11: Aufforderung zur Reflexion Adressat
Realisierung
Okkurenzen Beleg
Morold
hêrre, hie zuo denket ir: / berâtet iuch und saget mir, […].
f.
ältere Isolde
„nein edeliu küniginne, / nemet in iuwer sinne, / wie ez umbe die gotes ê / und umbe herzeliebe stê.[“]
junge Isolde
„nein, süeziu juncvrouwe, nein! / durch gotes willen, waz tuot ir? gedenket iuwers namen an mir.[“]
saeligiu, nû bedenket wol, / tugenthaftiu küniginne, / und nemet in iuwer sinne, / daz ich sô rehte unschuldic bin […].
–
nu nemet in iuwer sinne, / wie lûterlîche minne […].
f.
Brangäne „getriuwiu guotiu“ sprach Tristan / „nu sehet got ze vorderst an / und dar nâch iuwer saelekeit. / bedenket unser zweier leit / und unser angestlîche nôt.[“] Gesamt:
–
Nicht alle Figuren halten sich freilich an Tristans Vorgabe höfischer Richtlinien – das eindruckvollste Beispiel hierfür ist Morgan. Und vor allem ist es Tristan selbst, der die Werte zwar häufig als Handlungsmaxime deklariert, sich aber nicht an sie hält – insbesondere dann, wenn es darum geht, persönliche Interessen durchzusetzen wie die Rache für den Tod des Vaters aber auch das Auslebenkönnen seiner Liebe zu Isolde. Obwohl Tristans Reden den im Welschen Gast genannten Maximen, nach denen Eigenlob, Lüge und Spott als unhöfisch zu beurteilen sind (vgl. TZ 831– 832), oft entgegenlaufen, indem er über seine Gegner und Konkurrenten wie Morold, Marke, Gandin oder auch den Truchsess spottet, sich für seine Ziele Listen und Lügen bedient, Herkunftsberichte erfindet u. ä., bleiben sein Reden und Gebaren doch in den meisten Fällen Ausdruck von Tristans Höfischkeit. Er versteht es, sich gewählt und eloquent auszudrücken – u. a. über eine besondere Lexik aus höfischen Bildungsge In Beleg 18271 f. leitet die besondere Anrede den vorausgehenden Satz ein (vgl. Tr 18266).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
257
bieten, französische Phrasen und die differenzierten nominalen und pronominalen Anreden, eine syntaktisch durchaus anspruchsvolle Redegestaltung, rhetorische Kniffe und Sentenzen. Hinzu kommt Tristans Gebaren. Dieses beginnt mit seiner Erscheinung und geht einher mit dem Einsetzen spezifischer Gesten, die er je nach Umfeld durchaus auch ins (geplant) Affektive steigern (vgl. Tr 10462– 10467), aber ebenso maßvoll ausführen kann (vgl. Tr 8159 – 8163, 10661– 10662). Eine Sonderrolle kommt Tristans Umgang mit Kleidung zu. Dies zeigt sich u. a. vor der Auseinandersetzung mit dem Truchsess im Zuge der Brautwerbung, wenn Tristan Kurvenal gegenüber dezidierte Anweisungen zur Kleidung für ihn, sich und das gesamte Gefolge gibt, die nicht nur der Ehrung der Gastgeber dient, sondern auch den Status von Tristan und den Seinen verbürgen und sichtbar machen soll (vgl. III.II.1.4.2: 237– 239). Tristan hat grundsätzlich einen Sinn für ästhetische Anordnungen, so zum Beispiel auch, wenn er das Einreiten der Jagdgesellschaft am Markehof dirigiert. Er kann die höfische Ästhetik aber auch außer Kraft setzen, wenn er sich seiner Maskeraden bedient – gerade in diesen Kontexten wird die Kleidung immer wieder von ihm verwendet, um seinen Status nicht zu verbürgen, sondern ihn zu verbergen. Dies funktioniert aber nur solange zuverlässig, wie Tristan sich auch körperlich in einem defizitären Zustand befindet – die Diskrepanz zwischen seiner natürlichen Schönheit, die Ausweis seines Adels ist, und seinem vorgetäuschten sozialen Status ist schließlich der Auslöser dafür, dass Isolde Tristans Identität hinterfragt und entschlüsselt (vgl. III.II.1.4: 210 – 243). Der kommunikative Zeichenwert der Kleidung wird von Tristan immer wieder ganz gezielt und bewusst genutzt – neben den Maskeraden und dem repräsentativen Auftritt am irischen Hof etwa auch dann, wenn er auf dem Weg zu Morgan seinem Gefolge gebietet, sich zu rüsten, dies aber unter der normalen Kleidung zu verbergen (vgl. III.II.1.3.1: 172– 173). Der Bruch mit den höfischen Zeichen zeigt gleichermaßen immer einen Bruch mit der höfischen Sphäre und Ordnung an, die Tristan hier gezielt außer Kraft setzt. Dies wiederum schlägt sich auch in der verbalen Kommunikation nieder – diese kann entweder scheitern, wie es bei Morgan der Fall ist, oder der List dienen, die sich wiederum sprachlich als Lüge inhaltlich dem unhöfischen Sprechen zuordnen lässt, wenngleich sie häufig formal höfisch gestaltet ist. An manchen Stellen jedoch fällt Tristan aus dem Bereich höfischer disciplina heraus: In solchen Fällen, in denen er wirklich verzweifelt ist. So ist seine kindliche Reaktion auf die Verlassenheit in der Wildnis erst ein Weinen, bevor er über Gebet und Reflexion eine Lösung findet (vgl. III.II.1.1: 97– 102). Besonders eindrücklich ist aber die Szene, in der er Brangäne um Rat bittet und hierbei mit einer enormen Heftigkeit agiert, die jenseits aller höfischen Maßstäbe liegt und die durch eine enorme Körperlichkeit lebt, die Tristans Verzweiflung sowohl in verbalen als auch nonverbalen (Ver‐)Äußerungen seiner selbst greifbar macht. Hier wird eine sehr menschliche Seite Tristans gezeigt, die ebenfalls dadurch hervortritt, dass er eben einmal nicht als derjenige auftritt, der alles am besten regeln und planen kann, sondern als einer, der Hilfe und Rat benötigt und eine andere Figur um diese bittet (vgl. III.II.1.2.3: 149 – 152). Andere Situationen, in denen man erwarten könnte, dass er aus dem höfischen Rahmen herausfällt, meistert er hingegen, indem er entgegen jeder Voraussetzung
258
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
selbst einen Rahmen aus Höfischkeit steckt: So etwa, als er im Bade sitzt und von der jungen Isolde mit dem Tod bedroht wird (vgl. III.II.1.4.2: 229 – 233). Eine Sonderrolle in und für Tristans Reden nimmt Gott ein – in der Narration gleichermaßen wie in der Forschung, die Tristan, wie gezeigt wurde, ebenso tiefe Frömmigkeit wie ein reines Instrumentalisieren Gottes zuspricht. In Tristans Reden sind sehr häufig (außerhalb von Gebeten 74 Belege) Bezüge zu Gott auszumachen und dies in unterschiedlichsten Kontexten (vgl. Tabelle 12): Tabelle 12: Gottesbezüge außerhalb von Gebeten Kontext
Okkurenzen Belege
Moroldkampf
[ – , , , – , – , – ]³⁴⁸, [, – , f., f., f., f., , – ], [, f.], f., [ f., f.], , f., f., [, ], [ f.; – ]
Gruß und Abschied: Segenswunsch
f., – , , , – , , – , [ – , – ], f., , , f., – , f.
implizite Verpflichtung der Gesprächspartner auf Gott
, , – , – , , , – , ,
Bezug auf Schicksal: Gottesgunst, Gottvertrauen
, , – , , – , , – ,
Gott als Zeuge
, f., f.
Totenrede (indirekter Segenswunsch)
[ – , – ; f., – ]
Lobpreis Gottes (außerhalb Gebetskontext)
– , f.
Ausruf (Stoßgebet)
, f.
Anrufung Gottes um Beistand (außerhalb Gebetskontext)
f.
Gott als Argumentationsbasis
–
Verwünschung
Redensart (Totenrede)
f.
Selbstgespräch
Gesamt:
Stehen Belege in eckigen Klammern, kommen sie in derselben Figurenrede vor.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
259
Es kann sich hierbei um (nicht nur) konventionalisierte Segenswünsche handeln, die im Bereich des Grüßens und Verabschiedens zu finden sind (15 Belege), es kann sich um ein eigenes Zuordnen zu Gott handeln, indem Tristan z. B. den Kampf gegen Morold als Gottesurteil stilisiert und sich in Anlehnung an David als Kämpfer Gott zuordnet und so dessen Unterstützung für sich beansprucht – aber glaubwürdig auch davon ausgeht, dass er tatsächlich auf der richtigen Seite kämpft (insgesamt 26 Belege). Ebenfalls kann Tristan seine Standpunkte, seine Bitten und Forderungen bestärken, indem er sie auf Gott bezieht und seine Interaktanten auf Gott verpflichtet (neun Belege), aber auch sein Schicksal grundsätzlich oder akut auf Gott beziehen (acht Belege). Tristan kann sogar andere Figuren mit Bezug auf Gott verwünschen (ein Beleg). Gott wird hierbei zum Ausweis für Tristans Glaubwürdigkeit – unabhängig davon, ob Tristan in den entsprechenden Situationen objektiv glaubwürdig ist oder nicht. Dennoch ist Gott für Tristan selbst tatsächlich immer wieder eine wichtige Instanz, die er anruft, wenn er sich in schwierigen Situationen wiederfindet. In den insgesamt sechs Gebetsbelegen (Tr 2490 – 2532, 2589 – 2619, 2655 – 2659, 2667– 2669, 9450 – 9460, 14637– 14656, 15169 – 15173) verschwimmen oft die Grenzen zwischen Gebet und Gedankenrede, in der eine Reflexion der vorliegenden Situation vorgenommen wird – wie etwa dann, als er in Cornwall ausgesetzt ist. Tristan ersucht Gott um Rat und Hilfe, er fordert ihn teils sehr direkt auf, ihm zu helfen, und begründet dies als Kind etwa damit, dass Gott es zugelassen hat, dass er entführt wurde. Tristan kommuniziert mit Gott auf einer sehr persönlichen, verinnerlichenden Ebene – er erörtert ihm seine Probleme, ruft ihn um Hilfe an, weist ihm durchaus auch Schuld zu, vor allem aber wird deutlich, dass Tristan auf Gott vertraut, sich ihm anvertraut und darüber hinaus nicht nur sich selbst, sondern beispielsweise auch Isolde. Hier von einem rein zweckmäßigen Verhältnis zu Gott zu sprechen, griffe m. E. zu kurz – Gott ist für Tristan sehr gegenwärtig, er bezieht ihn immer wieder in sein Denken, Reden und Handeln ein und hat ein außergewöhnliches, ein inniges und konstantes Verhältnis zu Gott. Tristan ist als Charakter vielseitig angelegt – und nicht immer nur positiv. Teilweise sind es gerade spiegelnde Situationen, die die Mischung in Tristans Charakter hervorheben. So kann die Jagd einerseits zum Ausweis für Tristans Höfischkeit und Integration werden (vgl. III.II.1.1: 104 – 115), mit der er an den Markehof gelangt; sie kann ebenso zum Sinnbild für Tristans Unhöfischkeit werden, wenn er sich mit heimlichen Racheabsichten dem besonders höfisch dargestellten Morgan nähert (vgl. III.II.1.3.1: 172– 173); sie kann ebenso zum Sinnbild für die Distanzierung vom Markehof werden, wenn Tristan sich durch einen Boten von der Jagd entschuldigen lässt und die Distanz nicht nur durch das Fernbleiben von der Jagd verdeutlicht wird, sondern auch dadurch, dass die Kommunikation zwischen Tristan und Marke hier keine direkte mehr ist (vgl. III.II.1.2.3: 148 – 149). Ähnlich verhält es sich mit den Kampfszenen: So ist die Tötung Morgans nicht hinreichend begründbar und es handelt sich um eine persönliche, aber im Grunde nicht gerechtfertigte Rache, die von vornherein durch das bestimmende Element der Heimlichkeit als zweifelhaft gekennzeichnet ist. Formal kann man zwar eine Kampfansage Tristans durchaus als
260
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
solche erkennen und Morgan fasst diese auch so auf – gerade im Vergleich mit der Auseinandersetzung mit Morold wird aber deutlich, wie eine rechtlich korrekte Ansage erfolgen muss, dass nicht nur die Ansage, sondern ebenfalls die rechtsgestische und öffentliche Kampfansage und deren Erwiderung Grundlage für einen Kampf, der einer Urteilsfindung dient, sind. Urgan wiederum gibt eine Außenperspektive auf diese Kämpfe wieder – inwieweit diese auch einer öffentlichen Meinung entsprechen, muss zweifelhaft bleiben, handelt es sich bei Urgan doch um einen unhöfischen Riesen, dessen Bewertung einer höfischen Figur in einer Reizrede sicher nicht gleichzusetzen ist mit der höfischen Wahrnehmung von Tristans Taten – dennoch bleibt die Perspektive für die Rezipienten eine mögliche und zudem eine genannte auf den nicht immer strahlenden Helden ( III.II.1.3: 170 – 210). Auch andere Situationen weisen Parallelen auf: Als Tristan am Markehof das erste Mal in Ungnade fällt, ist sein erster Reflex ein Verzicht auf seinen Status als Königserbe und auf Markes Weigerung, diesem Ansinnen zuzustimmen, der Wunsch, den Hof zu verlassen, um sein durch Intrigen bedrohtes Leben zu retten. Die Gefahr ist hier eine potentielle, eine schwelende, der Tristan nicht direkt begegegnen kann (vgl. III.II.1.2.2: 136 – 137). Ähnlich verhält es sich mit der Entdeckung durch Marke. Tristan mutmaßt, dass Marke auf seinen und Isoldes Tod aus ist, als dieser fortgeht, um Zeugen zu versammeln. Seine Reaktion ist hier ebenfalls die Bereitschaft, den Markehof ohne zu zögern hinter sich zu lassen – hier aber wiegt Tristans Wunsch, fortzugehen, schwerer, denn mit seinem Fortgang vom Hof lässt er ebenfalls auch Isolde zurück – und diese, das verbalisiert er selbst, ist ebenfalls gefährdet (vgl. III.II.1.2.3: 162– 167). In diesen Momenten, aber auch wenn Tristan die Parmenier in eine Kampfsituation gegen Morgans Leute führt, ohne ausreichend für die Sicherheit seiner Leute zu sorgen (vgl. III.II.1.3.1: 178 – 179), wird deutlich, dass Tristan in der finalen Konsequenz ein auf sich selbst bezogener Held bleibt – der durchaus bereit ist, direkte Gefahren auf sich zu nehmen, schillernd hervorzutreten, die Gefährdung anderer Figuren zuzulassen. Aber selbst die Liebe zu Isolde ändert langfristig nichts daran, dass Tristan seine eigenen Wege geht und schließlich alles und jeden zurücklässt. Die soziale Seite Tristans, die erkennbar scheint, wenn deutlich ist, wie dringend er die Zivilisation braucht, dient offenbar weniger einer echten sozialen Interaktion und Zugehörigkeit, sondern vielmehr dazu, ihm ein Publikum zu bieten, eine Bühne, auf der er sich öffentlich inszenieren und darstellen kann in all seinen scheinbar unzähligen Facetten, konstruierten Identitäten und Rollen – er bleibt der Regisseur, der die Anweisungen gibt. Mal subtil, mal direkt, oft in einer manipulativen Gestaltung, die seinen Interaktanten das Gefühl vermittelt, maßgeblich an Entwicklungen beteiligt zu sein, wenn an ihn etwa Ämter vergeben werden – faktisch ist es aber meist Tristan, der sich die Rollen, die Ämter aussucht, der die Situationen gestaltet, andere Figuren lenkt. Ein Großteil dieses Handelns beruht auf Tristans kommunikativem Talent, das sich als sein größtes erweist und ebenfalls facettenreich ist. Tristan ist ein Held – und ein Sprachheld, der sich durch seine Anpassungsfähigkeit, sein Durchschauen von Figuren und Situationen, sein Kalkül, seine Berechnung, Manipulation und List, aber auch seine Höfischkeit, Gottbezogenheit und Bil-
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
261
dung, sein einnehmendes und gleichermaßen erschreckendes Wesen auszeichnet. Sein vornehmliches Wirken ist tatsächlich dies: sein Wirken auf andere Figuren. Dies erreicht er vor allem durch die Bilder, die er selbst von sich entwirft. Wie er rezipiert werden möchte, lenkt er selbst – indem er die Rezeption seiner selbst maßgeblich über seine Kommunikation mit anderen Figuren steuert.
2 Marke In der Charakterisierung der Markefigur über ihre Sprache kann man grob drei größere Themenblöcke unterscheiden, denen sich verschiedene Reden zuordnen lassen. Der erste Block schildert Marke als ‚Rezipienten‘³⁴⁹ der Tristanfigur. Er ermöglicht es Tristan, sich an seinem Hof zu etablieren und sich über die Darstellung seiner unterschiedlichen Künste dort vor- und einzuführen. Der zweite Block zeigt Marke als königliche Vaterfigur Tristans, der Tristan nicht nur als Erben wählt und als legitimes Kind seiner Schwester anerkennt, sondern der ihn als Königserben unterweist, ihn aber auch als Vaterfigur zu unterstützen sucht. Im dritten Block agiert Marke als betrogener Ehemann zwischen öffentlicher und heimlicher Herrschaftssicherung und -gefährdung. Die Blöcke folgen chronologisch aufeinander und führen die Entwicklungsschritte vor, die Marke vollzieht. Bereits durch die kurze Beschreibung der Themenblöcke wird deutlich, wie sehr die Entwicklung Markes an die Entwicklung und an das Handeln Tristans gebunden ist und wie sehr das (sprachliche Inter‐)Agieren dieser Figur von der Konstellation abhängt, die ihrerseits wiederum einen direkten Einfluss darauf hat, in welchen Sphären die Reden stattfinden.³⁵⁰ Ein deutlicher Einschnitt der Konstellation ist in dem Moment zu verzeichnen, als Isolde eingeführt wird und der dritte Themenblock beginnt: Hier wandelt sich der primäre Bezugspunkt Markes von Tristan zu Isolde einerseits, andererseits wird deutlich, dass Marke, der sich eingangs vor allem durch Tristan beeinflussen lässt, nun unter dem Einfluss der negativen Helferfiguren Marjodo und Melot steht, die deutlichen Anteil an Markes Kommunikation insbesondere im Kontext der Listepisoden haben.
Der Begriff Rezipient erscheint mir insofern adäquat, als Tristan sich gerade während seines Aufstiegs am Markehof regelrecht als Kunstwerk inszeniert. Durch sein Auftreten ist er nicht nur Kulturbringer, sondern stilisiert sich selbst als Kulturträger, als das Medium, über das die Kultur vermittelt wird. Er wird zur personifizierten Höfischkeit, zur Projektionsfläche für andere Figuren. Die Artifizialität Tristans wird umso deutlicher, als er sich immer wieder selbst erzählt und sich den anderen Figuren gegenüber immer neue Merkmale stückweise zuordnet und es darauf anlegt, von den anderen Figuren sinnlich erfasst, rezipiert zu werden. Nicht alle Reden der Figur lassen sich diesen Blöcken zuordnen, so steht etwa Markes Dialog mit Gandin für sich – die Einzelstellung dieser Rede lässt sich damit begründen, dass hier eine Übertölpelung der Markefigur vorgeführt wird, die bereits auf die nachfolgenden Listepisoden vorausweist, aber eben noch nicht in diese eingebunden ist, sondern strukturell noch dem erweiterten Schema der gefährlichen Brautwerbung zuzurechnen ist (vgl. Dicke 1998: 142).
262
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Für die Zeichnung Markes innerhalb seiner Reden ist neben der Figurenkonstellation vor allem sein Rang ausschlaggebend und die Größe, an der sein Handeln immer wieder gemessen wird – Marke ist und bleibt immer König und als König dem höfischen Reglement in besonderer Weise unterworfen, sein Reden und Handeln werden entsprechend danach beurteilt, ob es den mit seinem Titel verbundenen Herrschertugenden entspricht oder von diesen abweicht (vgl. III.I.2.1: 74– 76). Mit dem Wandel innerhalb des Figurengefüges und den Änderungen innerhalb seiner Beziehung zunächst vor allem zu Tristan, später auch zu Isolde, geht auch eine Verschiebung in der Bewertung Markes als König einher. Dabei ist der Einfluss der Konstellationsänderungen für den Herrscher nie nur aus einer persönlichen Perspektive heraus zu betrachten: Steht Marke – und somit auch sein Reich – zunächst ohne Thronerben und Königin da, so kann er dieses Defizit schrittweise ausgleichen. Markes Beziehungen sind entsprechend immer auch politisch relevant für den Hof und stehen im Kontext der Herrschaftssicherung; Marke kann nie nur ‚für sich‘ handeln, wie etwa Tristan es tut, sondern bleibt immer in erster Linie seinem Hof verpflichtet. Wie Markes Sprechen ihn im Rahmen von Status, Konstellation und Sphäre charakterisiert und wie sich das Bild von ihm durch sein Reden wandelt, wird im Folgenden im Rahmen der oben vorgestellten Themenblöcke untersucht.
2.1 daz kanstu wol, daz tuo du mir: Marke als Rezipient Tristans Als Tristan an den cornischen Hof kommt, wird Marke vor allem als Reagierender und Rezipierender dargestellt. Diese Unterscheidung, die sich gerade auch in der Sprache der Figuren manifestiert, ist im gesamten Romanfragment feststellbar, aber gerade zu Beginn der Erzählung gebündelt zu beobachten und weist beiden Figuren so von vornherein innerhalb dieser konkreten Konstellation klare Rollen zu. Jacobson (1987: 248) stellt heraus, dass „the relationship between Mark and Tristan can be defined as one of linguistic opposition. Tristanʼs language is manipulative, embroiders reality, is proactive, while Markʼs language is totally reactive, limited but open, and conventional.“ Diese Unterscheidung betrifft grundsätzlich nicht nur die Sprache der Figuren, wird durch diese aber besonders evident. Im Folgenden sollen die Redeszenen bei Tristans Ankunft am Hof, seiner Jagdvorführung für Marke sowie seinem Auftritt als Musiker und Markes Reaktionen hierauf untersucht werden, also die Szenen, in denen Tristan sich Marke präsentiert und geschickt sein Interesse auf sich lenkt.
2.1.1 Markes erste Begegnung mit Tristan Schon Tristans erster Auftritt, sein Einreiten am Hof, ist eine von ihm gesteuerte Inszenierung. Markes erste Rede ist eine Reaktion auf Tristan, dem Marke mitsamt seinem Hofgesinde für seinen Gruß dankt (vgl. Tr 3262– 3272; III.I.2.1: 74). Bevor Marke eine direkte Kommunikation mit Tristan beginnt, betrachtet er diesen zunächst nur und holt dann erst einmal Informationen über ihn ein (Tr 3273 – 3276):
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
263
Der künec der nam des kindes war. den jeger den besande er dar: „sag an“, sprach er „ wer ist diz kint, des wort sô wol besniten sind?“
Marke agiert in Anschluss an Tristans Auftritt königlich, indem er als Befehlender auftritt, der den Jäger kommen lässt und dazu auffordert, ihm zu berichten, wer das Kind sei. Hierbei charakterisiert er Tristan umschreibend und offenbart durch seine Formulierung, dass er von dem kint aufgrund von dessen Sprachmächtigkeit beeindruckt ist. Gleichermaßen schaltet er einer weiteren Interaktion zwischen sich und Tristan den Bericht des Jägers vor und macht diesen zur Grundlage für die folgende Entwicklung. Tristans bloßer Auftritt bewirkt also das Interesse des Königs an ihm, der sich aber im weiteren Umgang mit Tristan nicht nur auf die eigene Perspektive verlässt, sondern bereits im ersten Kontakt maßgeblich auf eine fremde Sicht auf Tristan vertraut. Sein Bild von Tristan ist also von vornherein nicht nur durch Tristan oder seinen eigenen Eindruck von ihm gesteuert, sondern beruht wesentlich auf einer fremden Einschätzung des Jungen. Marke glaubt hier den Geschichten, die über Tristan erzählt werden, ‚erfährt‘ Tristan also aus zweiter Hand, die auch deutlich macht, dass es Zweifel an Tristans Angaben zu seiner Identität gibt (vgl. Grosse 1970: 296). Auf Marke aber wirkt der Bericht des Jägermeisters sehr positiv³⁵¹ und er wird zur Grundlage für Markes weiteres Vorgehen. Er lässt Tristan, der vom Erzähler hier schon als Jägermeister (vgl. Tr 3324) bezeichnet wird (vgl. Wolf 1966: 400), zu sich rufen und fragt ihn, ob er Tristan heiße. Seine Zugewandheit verdeutlicht die freundliche Anrede mit vriunt (Tr 3352), die hier, anders als in den Dialogen mit Gegnerfiguren, Nähe und Freundlichkeit evoziert (vgl. Sosna 2003: 235). Innerhalb des sich anschließenden Dialogs wird Marke erneut als Reagierender gezeigt, als er Tristans auf die Bestätigung seines Namens folgenden und im höfischen Französisch formulierten Segenswunsch wiederaufnimmt und seine Rede so an der des Jungen orientiert (Tr 3351– 3354): Marke sach Tristanden an: „vriunt“ sprach er „heizestû Tristan?“ „jâ, hêrre, Tristan; dêu sal!“ „dêu sal, bêâs vassal!“
Markes Auftreten ist dadurch gekennzeichnet, wie er auf das fremde Kind, den „Findling“ (Gruenter 1964: 115), eingeht. Dies beginnt damit, dass er Tristan, dessen Idealität im direkten Vorfeld der Rede in einer descriptio herausgestellt wird (vgl. Schausten 2011: 151), explizit und bewusst ansieht³⁵², bevor er als König das Wort Barandun (2009: 54) deutet diese Stelle so, dass Marke die Kritik des Jägermeisters an Tristans Herkunftsbericht überhört. Dass Marke Tristan nicht einfach nur ansieht, sondern bewusst betrachtet, legt die vorgeschaltete descriptio nahe.
264
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
an ihn richtet, also hier nun als Gesprächsinitiator auftritt und Tristan somit als Reagierenden erscheinen lässt. Seine Anrede und die Wiederaufnahme von Tristans Worten bekräftigen sprachlich das Wohlwollen, das Marke Tristan entgegenbringt, der sich weiter sprachlich in Szene setzt. Marke lässt Tristan auf sich und seinen Hof wirken, lässt Raum für die begeisterten Reaktionen seiner Höflinge auf Tristan (vgl. Tr 3360 – 3364), bevor er ihm ein für einen Jungen, dessen Herkunft nur auf einer bereits angezweifelten Geschichte beruht, ganz außergewöhnliches Angebot macht. Bevor er dieses jedoch konkret äußert, klassifiziert er das Angebot als Bitte, die er Tristan nicht erlassen will (Tr 3370 – 3373): Marke sprach aber Tristanden zuo: „ich sage dir, Tristan, waz du tuo. du solt mich einer bete gewern, der enwil ich niht von dir enbern.“
Markes Auftreten ist herrschaftlich, seine Formulierung macht deutlich, dass seine Bitte weniger Bitte, Angebot oder Anliegen ist als vielmehr eine Aufforderung, der Tristan Folge zu leisten hat – ungeachtet ihres Inhaltes. Markes Aussage suggeriert, dass er derjenige ist, der für Tristan entscheidet, er tritt als Gebieter auf, der es gewohnt ist, dass seine Anweisungen erfüllt werden. Tristan verspricht blind, dass er allem, was Marke gebietet, Folge leisten wird (vgl. Tr 3369). Und Marke befiehlt tatsächlich und bittet nicht, als er Tristan das Amt des Jägermeisters überträgt, wie die mit solt formulierte Futurbedeutung von Markes Aussage verdeutlicht (Tr 3370): „dû solt mîn jegermeister sîn!“
Entsprechend der Gesprächsstruktur wird Marke von Tristan in diesem Dialog als Herrscher charakterisiert, indem er innerhalb zweier Antworten dreimal das Verbum gebieten gebraucht, wenn er deutlich macht, allen Anforderungen Markes gehorchen zu wollen (vgl. Tr 3369; 3373; 3374). Marke ist dann auch derjenige, der festhält, dass das Gespräch nun beendet sei, nicht ohne vorher Tristan gegenüber erneut die Anrede vriunt zu verwenden (Tr 3377– 3378): „mit guote, vriunt“, sprach Marke dô „diz ist gelobet, nu sî alsô!“
Er verpflichtet Tristan hier auf sein Wort und bekräftigt auf diese Weise öffentlich die gemeinsame Absprache.³⁵³ Jacobson (1987: 246) sieht in Markes abschließendem Kommentar und Tristans vorausgegangener Ankündigung, sein zu wollen, was immer Marke gebiete, auf den ersten Blick „conventional expressions of the traditional relationship between ruler and subject“ – dies aber wird durch die Tatsache kontrastiert, dass Tristan „has created or engineered the situation himself, by creating his own history, so that Marke has no choice than to elevate Tristan.“
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Marke erscheint Tristan in diesem Gespräch auf den ersten Blick deutlich überlegen und verhält sich in der gesamten Szene klar als König – sowohl, wenn er beim ersten Grüßen als Stimme in seiner Hofgesellschaft verortet bleibt, als auch dann, wenn er als König aus der Gesellschaft herausgehoben spricht. Marke wird konsequent als König inszeniert, der gebieterisch, höfisch, gleichermaßen wohlwollend und dadurch auch sympathisch auftritt. Die Höfischkeit der gesamten Redeszene ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Tristan und Marke, die nicht nur durch das Austauschen von Französismen erzeugt wird, sondern auch dadurch, dass die ständischen Kommunikationsregeln durchgängig eingehalten werden. So wird etwa das Hierarchieverhältnis über die nominalen und pronominalen Anreden ausgedrückt, wobei Marke Tristan trotz der ständischen Überlegenheit durch die zweimalige Bezeichnung als vriunt zuvorkommend und einladend begegnet. Marke tritt hier Tristan gegenüber nicht nur als Gebietender und somit rollenkonform auf, sondern auch seinen Höflingen gegenüber, denen er unterschiedliche Anweisungen erteilt. Auch dass Marke beim Jägermeister Erkundigungen über Tristan einholt, passt in das Bild eines Herrschers, der in unterschiedlichen Situationen einen Rat einberuft und sich mit anderen Figuren bespricht. Das Besondere an dieser Situation ist, dass das Bild, das Marke von Tristan gewinnt, maßgeblich durch die Erfahrung und Schilderung einer anderen Figur gezeichnet wird – hier wird ein Verfahren präludiert, das im Kontext der Liebeshandlung von Bedeutung sein und den König im Einflussbereich anderer Figuren verorten wird.³⁵⁴ Auffällig ist, dass Marke die Distanzierung des Jägermeisters zu Tristans Herkunftsgeschichte ignoriert. Vielmehr eröffnet er das Gespräch mit Tristan, indem er sich seinen Namen, der identitätsverbürgend für seine erzählte Identität steht, bestätigen lässt. Weitere Fragen zu Tristans Herkunft, Plänen und Vorhaben stellt Marke nicht – dies mag einerseits daran liegen, dass er sich mit der Geschichte des Jägermeisters zufrieden gibt und alles Wissenswerte als berichtet erachtet, dies mag aber auch und vor allem damit zusammenhängen, dass Marke eigene Absichten mit Tristan hat. Sein Ziel ist es, Tristan an seinen Hof zu binden (vgl. Schausten 2011: 152). Die ständische Überlegenheit des Königs zeigt sich auch darin, dass Marke Tristan, der noch kein Angehöriger seines Hofes ist – sich aber durch die leitende Partizipation beim Einzug am Hofe als zugehörig inszeniert – hier auf sehr direkte Weise gebietet. Indem er seinen Sprechakt, mit dem er Tristan verpflichtet, seinen Anweisungen Folge zu leisten, selbst als bete bezeichnet, drückt er zwar eine Annäherung an die kommunikative Indirektheit aus, faktisch sind Markes Worte aber eindeutig als Befehl zu werten, der nicht abgelehnt werden darf. Marke bekräftigt so allerdings nicht nur seinen Status, sondern er drückt dergestalt auch aus, wie wichtig ihm dieses Anliegen ist, das Tristan nicht ablehnen darf. Dadurch, dass diese Wichtigkeit so deutlich aus Markes Worten herauszuhören ist, wird allerdings klar, dass im Grunde
Kolb (1977: 240) hebt die Beeinflussbarkeit Markes neben seiner Unentschiedenheit als typisches Charakteristikum der Markefigur hervor.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristan derjenige ist, der hier taktisch das Interesse des Königs auf sich zieht und seine eigene Attraktivität gekonnt ausspielt. Das Begehren, das er bei den Kaufleuten unabsichtlich geweckt hatte, kann er hier nun gezielt auslösen und seine Wirkung einsetzen. Indem Marke Tristan das Hofamt des Jägermeisters zuweist, kann er die Beziehung der beiden in einem ersten Schritt definieren und Tristan zum Mitglied seines Hofes machen.
2.1.2 Die Jagd Einen Wandel der Beziehung zeigt bereits der nächste Dialog Markes mit Tristan an. Zunächst wird deutlich, wie sehr Marke sich dafür einsetzt, Tristan bei Hof zu integrieren und für sein Wohlbefinden zu sorgen, indem er sein Gesinde entsprechend instruiert (Tr 3386 – 3391): er bat besunder unde gebôt al dem hovegesinde, daz sî dem vremedem kinde guot unde genaedic waeren, und daz s’im êre baeren mit rede und mit gesellekeit.
Auch hier wird Markes Bitte faktisch in ein Gebot überführt und die kommunikative Indirektheit, die im inquit angedeutet wird, wird durch die Doppelform faktisch wieder relativiert. Auf diese Weise wird „Tristans Verhältnis zur Hofgesellschaft […] zunächst von Marke bestimmt“, der „Tristan gegenüber die Rolle des Beschützers und Förderers ein[nimmt] und […] so eine positive Atmosphäre für den Neuankömmling [schafft]“ (Sosna 2003: 236). Innerhalb einer Woche seit seiner Ankunft am Markehof will Marke sich nun von Tristans Fähigkeiten überzeugen. Seine milte wird an einen Redebericht gekoppelt vorgeführt, wenn Marke Tristan sein Jagdpferd bringen lässt und es ihm zusammen mit einem Jagdhorn schenkt (vgl. Tr 3414– 3419). Auf diese Weise wird zu Markes direkter Rede übergeleitet, in der er Tristan explizit dazu auffordert, seine Jagdkunst vorzuführen (Tr 3420 – 3425): „Tristan“ sprach er „nu wis gemant, daz dû mîn jegermeister bist, und zeige uns dînen jagelist. nim dîne hunde unde var und schicke dîne warte dar, dâ sî dich rehte dunken stân.“
Marke will hier offenbar nicht nur das vorgeführt bekommen, wovon der Jägermeister ihm berichtet hatte – als Tristan auf die Jagdgesellschaft gestoßen ist, war die Jagd selbst ja bereits abgeschlossen –, sondern er will Tristan als aktiven Jäger sehen. Er stellt seiner entsprechenden Aufforderung voran, dass Tristan sich seines Hofamtes
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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als Jägermeister erinnern solle. Neben der allgemeinen Anordnung, seine Jagdkunst vorzuführen, gibt Marke Tristan konkrete Befehle, wie er vorgehen soll, und die Hunde und Späher auf die Weise loszuschicken und dort zu platzieren, wo es ihm am sinnvollsten erscheine. Marke will Tristan einer öffentlichen Probe seines Könnens unterziehen, mit der er den Beweis erbringen soll, dass er das Amt des Jägermeisters zu Recht inne hat. Tristan erweist sich nun aber tatsächlich als umsichtiger als Marke, indem er ihm nicht nur aufgrund seiner örtlichen Unkenntnis widerspricht, sondern ihm Anweisungen gibt, die dieser an die Jäger weitergeben soll (vgl. hierzu ausführlicher III.II.1.2.1: 119 – 120). Marke reagiert auf Tristans Einlassungen einsichtig (Tr 3438 – 3441): „daz weiz got, Tristan, dû hâst reht. du enkanst dich hier an niht bewarn. die jegere müezen selbe varn und sich verrihten under in.“
Er beweist Größe, indem er zugeben kann, dass Tristan die Situation richtig eingeschätzt hat – gleichermaßen hat er als „Förderer Tristans […] durchaus ein Interesse an einer erfolgreichen Probe von dessen Können“ (Sosna 2003: 236, Anm. 25). Hier aber vollzieht sich auf kommunikativer Ebene bereits eine Wandlung, denn Tristan kann Marke das erste Mal widersprechen. Marke zeigt sich empfänglich für Tristans Kritik und die Weise, wie er Situationen einschätzt. Während Marke die Interaktion hier initiiert, ist Tristan derjenige, der sie maßgeblich lenkt. Marke ist ein Beobachter Tristans, der jedoch nicht das Geforderte vorführt, sondern nach seinem eigenen Willen verfährt und nur das zeigt, was er zeigen will, was nicht mit dem übereinstimmen muss, was der König eigentlich sehen will.
2.1.3 Marke als Rezipient von Tristans musikalischer Darbietung Eine weitere Kostprobe von Tristans Können bekommt Marke, als er nach dem Essen intensiv³⁵⁵ einem walisischen Harfner lauscht (vgl. 3505 – 3521).³⁵⁶ Die folgende Szene lässt sich mit Lieb (2002: 63) in den Bereich der Tischgespräche einordnen: Die Aufführung eines Lai erweist sich als sublimierte Form von geselligen ‚Nachtisch-Erzählungen‘. Man darf hier von poetischer oder literarischer Kommunikation reden, denn der Harfner spielt (und singt?) den altfranzösischen ‚Lai Guiron‘, d. h. einen narrativen, ‚literarischen‘ Text.
Lieb (2002: 64) hält zu diesem intensiven Zuhören fest: „D. h. die Performanz erfordert eine gesteigerte Aufmerksamkeit, für die poetische Kommunikation muß der Reziepient ganz Ohr sein. Das […] ist im übrigen ein weiterer Grund dafür, daß wir keine Belege für textzentrierte poetische Performanzen während der Mahlzeiten haben.“ „Tisch- und Tafelmusik waren ursprünglich ein Adelsprivileg und gehörten ebenso wie das Jagdzeremoniell zum adligen Lebensstil im Umkreis zeremonieller Repräsentation.“ (Kästner 1981: 51).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Und man kann feststellen, daß die poetische Kommunikation sich in ihrer pragmatischen Situativität kaum von geselligen Erlebnisberichten nach dem Essen unterscheidet.
Als auch Tristan sein Können vorführt, ist Marke zunächst stiller Betrachter. Sein Interesse wird auf zweifache Weise geschildert; zum einen, indem der Erzähler in einem Gedankenbericht Markes Reaktion auf Tristans Vorführung seiner Künste darstellt (Tr 3576 – 3583): nu Marke der sach allez zuo und saz allez trahtende, sînen vriunt Tristanden ahtende und wunderte in des sêre, daz er sô höfsche lêre und alsô guote liste, die er an im selben wiste, alsô verhelen kunde.
Marke beobachtet Tristan und nimmt hierbei zweierlei in den Blick: erstens Tristans Fertigkeit selbst, die er als höfsch[ ] und guot[ ] einstuft, zweitens die Tatsache, dass Tristan diese bisher verborgen hat.³⁵⁷ Von Bedeutung ist, dass Marke das Bewusstsein Tristans um seine Fähigkeiten bemerkt – dieser Umstand wird sich im kurz hierauf folgenden Gespräch zeigen. Marke zeigt an Tristans Aufführung darüber hinaus auch Interesse; er lässt Tristan bitten, einen weiteren leich zu spielen (Tr 3609 – 3612): Nu dirre leich der was getân: nu hiez der künec dar gân und sprach, daz man in baete, daz er noch einen taete.
Marke verlässt seine Position nicht, er agiert als künec, der indirekt mit Tristan kommuniziert, indem er sein Anliegen durch eine andere Figur ausrichten lässt, die Tristan seinen Wunsch vermittelt, der hier in der indirekten Rede eindeutig als Bitte klassifiziert wird. Auch hier hat Tristan aber grundsätzlich kaum die Wahl, der Bitte zu widersprechen, so dass auch diese im Grunde eher als freundliches Gebot zu verstehen ist. Erst nach der Vollendung der weiteren Darbietung ruft Marke Tristan persönlich zu sich (Tr 3648 – 3655):
Tax (1971: 29) deutet Markes Gedanken in der Weise, dass „[b]ereits jetzt […] Marke seine [d. i. Tristan, A.K.] Verstellungskunst verdächtig [wird] (3576 ff.).“ Auch Kästner (1981: 53) betont Markes „Erstaunen über Tristans Verstellungskunst[.]“ Zwar wird hier tatsächlich der Aspekt des Verbergens durch das Verb verhelen akzentuiert, Markes Reaktion lässt jedoch weniger auf ein negativ konnotiertes Verdächtigen schließen als vielmehr auf seine Verwunderung „über Tristans an den Tag gelegte Bescheidenheit“ (Haug 2011: 341– 342). Grundsätzlich wird hier „Tristans Fähigkeit zur Verstellung [pointiert]“ (Sosna 2003: 237, Anm. 26).
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Marke sprach: „Tristan, gâ her. der dich dâ hât gelêret, der sî vor gote g’êret und dû mit ime! daz ist vil wol. dîne leiche ich gerne hoeren sol underwîlen wider naht, sô dû doch niht geslâfen maht. diz tuostu wol mir unde dir.“ (Vgl. zu den „Motivparallelen ‚David spielt vor Saul‘ und Tristan spielt vor Marke‘“ Kästner 1981: 56 – 60).
Marke bewertet Tristans Auftritt nach höfischen Maßstäben, indem er auf seine Ausbildung abhebt und zuerst Tristans Lehrer die Ehre für Tristans Können zuweist und dann erst Tristan, wodurch er das Hierarchieverhältnis von Lehrer und Schüler betont. Dann betraut er Tristan mit einer neuen Aufgabe, indem er seinen Wunsch äußert, Tristan möge ihm bisweilen nachts, wenn Tristan nicht schlafen könne, seine Leiche vorspielen. Er stellt sein Angebot als eine für alle Beteiligten vorteilhafte Situation dar. Marke spezifiziert nicht weiter, ob Tristans Gewinn wie Markes im gemeinsamen Erleben des Musizierenden und Rezipierenden oder in dem Lohn, den Tristan für seine Dienste erhalten wird, liegt, aber Marke wird Tristan „überreich“ (ebd.: 52) beschenken. Auf Tristans Zustimmung hin befragt Marke ihn, ob er noch ander seitspil (Tr 3657) beherrsche. Mit Tristans knapper Verneinung gibt Marke sich nicht zufrieden, hat er doch bereits zuvor Tristans Fähigkeit zur Kenntnis genommen, seine höfischen Talente zu verbergen. Er fragt erneut, diesmal insistierend, und verpflichtet Tristan noch im Vorfeld einer neuen Antwort ermahnend auf dessen Zuneigung zu sich (Tr 3658 – 3660): „nû iedoch? rehte als lieb als ich dir sî, Tristan, da vrâge ich dich des bî.“
Markes Skepsis verdichtet sich bereits in der Frage, mit der er seine Rede einleitet, und indem er mit Tristans Liebe zu sich ihre gesamte Beziehung in die Waagschale wirft, verdeutlicht er, dass es unverzeihlich wäre, würde Tristan mit zurückgehaltenen Informationen antworten. Auf diese Weise würde das Verhältnis zwischen ihm und dem Jungen und in diesem Zuge auch seine Gunst, die zu diesem Zeitpunkt die Lebensgrundlage für Tristan bildet, gefährdet. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich Markes Blick auf Tristan gewandelt hat und er dessen kommunikative Strategie der stückweisen Informationsvergabe und topischen Bescheidenheit durchschaut. Marke scheint hier erst einmal überlegen, wobei er auf Tristans intendierte Strategie eingeht. Durch die Art seines Insistierens verdeutlicht er die Relevanz, die er den Informationen über Tristans Fähigkeiten beimisst. Dass tatsächlich Tristan der Überlegene ist, zeigt sich in seiner Antwort, in der er nicht nur seine vorige Rede rechtfertigt, sondern auch alle Instrumente, die er
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
beherrscht, aufzählt, wobei er mit der Nennung des sambjût (Tr 3682) endet, womit er Marke, der dieses Instrument nicht kennt, zum Nachfragen und Eingestehen seines Nichtwissens zwingt, also genau die Taktik anwendet, mit der er zuvor bereits den Jägern begegnet ist. Marke fragt ausgesprochen freundlich nach, was besonders die Adressierung verdeutlicht, die ähnlich, wie im ersten Dialog der beiden Figuren, seine Wertschätzung ausdrückt (Tr 3683): „sambjût, waz ist daz, lieber man?“
Auf Tristans Antwort, mit der er Markes Frage faktisch nicht beantwortet, sondern nur hervorhebt, dass es das Saiteninstrument ist, das er am besten beherrsche (vgl. Tax 1971: 30), geht Marke nicht weiter ein – und bleibt also in diesem Fall unwissend, denn anders als bei der Jagd folgt hier weder eine Vorführung noch (etymologische) Erklärung des Instruments bzw. seiner Bezeichnung. Stattdessen forscht Marke nach, ob Tristan noch mehr verborgene Fähigkeiten hat und benutzt die Sprachen, in denen Tristan zuvor gesungen hat, als Aufhänger für seine Frage (Tr 3689 – 3693): Marke der vrâgte in aber dô mê: „Tristan, ich hôrte dich doch ê britûnsch singen und gâlois, guot latîne und franzois. kanstû die sprâche?“
Marke erkundigt sich hier, ob das Können Tristans über das Gezeigte hinausgeht – dass Tristan guot latîne und franzois singt, deutet bereits an, dass Marke davon ausgeht, dass Tristan diese Sprachen tatsächlich nicht nur in Form von gelernten Liedtexten wiedergeben kann, sondern wirklich beherrscht. Auf Tristans Vorführung seiner Sprachkünste schließt sich erst die Reaktion des Hofes an, bevor Marke sich äußert. Jacobson (1987: 249) betrachtet die gesamte Sequenz der Künstlerepisode und verweist auf Parallelen im weiteren Verlauf der Narration: When Tristan plays for the court, Mark is silently considering, lost in admiration (3576 – 79). He does pose questions, but it is the chorus of courtiers who break the general silence and first express the sense of wonderment (3641– 45). Finally, Mark reacts to Tristanʼs performance himself (3721– 41). This sequence of silence, chorus, personal reaction is typical of Mark. It is repeated at the appearance of Rual at his court, and upon Tristanʼs return to Cornwall during his speech excoriating the court for allowing the unjust tribute oft he kingdomʼs sons. It is here that Markʼs weakness in comparison to Tristan becomes most obvious.
Hier, wie auch an vielen anderen Stellen des Romans, ergeben sich Markes Aktionen und auch die durch ihn initiierten Dialoge faktisch als Reaktionen auf Tristan. Aktiv wird Marke somit nicht von sich aus, sondern erst dann, wenn er durch andere Figuren dazu angestoßen wird – dies macht ihn so beeinflussbar, egal ob durch Tristan, Isolde, Marjodo oder Melot.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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Markes Rede in Anschluss an die begeisterte Reaktion seiner Höflinge auf Tristan erweist sich als eine geradezu enthusiastische Steigerung dieser Euphorie. Wie auch sein Hof verfällt Marke dem Überschwang und entwirft in seiner Rede ein Idealbild des gemeinsamen höfischen Lebens, wobei er Tristan auf eine neue Stufe hebt, indem er ihn vom bloßen und, wie die Episode mit dem Jägermeister verdeutlicht hat, leicht austauschbaren Träger eines Hofamtes zu seinem gesellen erklärt (Tr 3721– 3726): Der künec sprach: „Tristan, hoere her: an dir ist allez, des ich ger. dû kanst allez, daz ich wil: jagen, sprâche, seitspil. nu suln wir ouch gesellen sîn, dû der mîn und ich der dîn.[“]
Marke spricht in die begeisterten Äußerungen seiner Höflinge hinein. Tristans Aufmerksamkeit, und auch die des Hofes, zieht er gebündelt auf sich, indem er ihn nun, nachdem der ganze Hof Tristans Können gelauscht hat, dazu auffordert, ihm zuzuhören. Erst dann beginnt er seine eigentliche Ansprache, in der er zunächst doppelt herausstellt, dass Tristan all das verkörpert, was er sich wünscht. Der parallele Aufbau der Verse 3722– 3723 betont die Gegenüberstellung der Figuren in der Wahrnehmung Markes: Tristan wird zum Objekt der Begierde stilisiert. Grundlage der Begierde ist allez, was Tristan ausmacht: er selbst als Figur in Erscheinung,Wirkung und Auftreten und dann als Personifikation der Höfischkeit, indem sein Können, sein Beherrschen der im Folgevers spezifizierten Hofkünste, als alles das geschildert wird, was ein höfischer König sich (nicht nur für seinen Hof) zu besitzen wünscht. Marke offenbart sich demgegenüber als Begehrender und zeigt damit, dass das Verhältnis hier ein in zweifacher Hinsicht asymmetrisches ist: Marke als König kann Ansprüche auf Tristan anmelden und zeigt sich somit in der ständischen Hierarchie Tristan deutlich überlegen. Gleichermaßen ist es Tristans Überlegenheit über den gesamten Markehof in allen relevanten Hofkünsten, die ihn so sehr zum Objekt von Attraktion und Verlangen – nicht nur des Königs – erheben kann: „What Marke expresses here is the knowledge that Tristan has a cultural superiority in ‚höfschlichen dingen‘ (3729), which the king himself lacks.“ (Kerth 1990: 107). Marke zeigt sich rhetorisch versiert, wenn er Tristan zu seinem gesellen erklärt und sich hierbei durch das Beziehungsspiel der Pronomina – dû der mîn und ich der dîn –an die Minnesprache anlehnt (vgl. Gruenter 1964: 116; Mohr 1959a: 163). Durch diesen Bezug wird der Aspekt der Werbung um das Wunderkind betont.³⁵⁸ Die Bezeichnung geselle impliziert eine Gegen-
Krohns (1978: 372) homoerotischer Lesart von geselle und in Folge dessen der ganzen Stelle stellt Hauenstein (2006: 31– 32) entgegen: „Etymologisch gesehen leitet sich das Wort ‚geselle‘ von ‚sal‘ ab und bezeichnet den Hausgenossen, mit dem man den Raum teilt. Im Mhd. bedeutet es den Freund, mit dem man persönlich-vertraulich über jede Rechtsbeziehung hinaus zusammenlebt.“ (Vgl. außerdem insgesamt Jaeger 1989).
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seitigkeit und tiefe Verbundenheit, die für die Darstellung adliger ‚Männerfreundschaften‘ ganz üblich ist, die, da sie unter Gleichrangigen ebenso wie unter Nicht-Gleichrangigen bestehen konnten, zur Lehnsbildung ebenso wenig in Widerspruch stehen mussten wie zur Verwandtschaftsbindung. Ihr auffälligstes Merkmal ist der hohe Grad an affektiver Besetzung, der vom Erzähler und in Figurenreden sowohl mit einem Vokabular der Liebe als auch durch expressive Körperlichkeit vergegenwärtigt wird. Dazu gehören Umarmungen und Küsse, der Wunsch nach beständiger Nähe und manchmal das Schlafen im gleichen Bett. (Eming 2015: 35)³⁵⁹
Marke selbst definiert das Verhältnis im weiteren Verlauf seiner Rede als eines, in dem Leistung mit Lohn vergolten wird, so dass hier ein besonders exklusives Dienstverhältnis dargestellt wird, in dem die personale Nähe mit der hierarchischen Distanz korreliert (Tr 3727– 3741): [„]tages sô sul wir rîten jagen, des nahtes uns hie heime tragen mit höfschlîchen dingen: harpfen, videlen, singen, daz kanstu wol, daz tuo du mir. sô kan ich spil, daz tuon ich dir, des ouch dîn herze lîhte gert: schoeniu cleider unde pfert, der gibe ich dir swie vil du wilt. dâ mite hân ich dir wol gespilt. sich, mîn swert und mîne sporn, mîn armbrust und mîn guldîn horn, geselle, daz bevilhe ich dir. des underwint dich, des pflic mir und wistu höfsch unde vrô!“
Markes Rede beschreibt sowohl gemeinsame Tätigkeiten als auch figurenbezogene Aufgaben- und Handlungsbereiche in der von ihm hier neu definierten Beziehung. So stellt die Jagd eine gemeinsame Aktivität dar, während Tristan bei der von Marke angestrebten gemeinsamen höfischen Abendunterhaltung der aktive, vorführende Part zukommt, Marke sich aber als Rezipient definiert. Dass Tristan hier für Marke
Eming (2015: 36 – 37) weist auf die Einordnung dieser Freundschaften in die „Tradition der antiken amicitia-Konzepte“ hin und ordnet sie, in Anlehnung an Jaeger, dem Begriff der „nobilitierenden Liebe (ennobling love)“ zu, die sich durch die „gegenseitige Aufwertung“ auszeichnet und „im Allgemeinen unter den Augen der Öffentlichkeit vollzieht: „Es handelt sich damit um eine Form der performativen Konstitution von Identität. In der Tradition der antiken amicitia wird das Ideal einer Vervollkommnung, die ein herausragend tugendhafter Mann einem anderen vermitteln kann, in konventionellen Emotionsäußerungen kommuniziert. Nobilitierende Liebe ist also ein literarischer Inszenierungstyp repräsentativer Herrschaft, in dem ritualisierte körpersprachliche Ausdrucksmuster einen Platz haben.“ (Vgl. grundlegend zum hier verwendeten Begriff der nobilitierenden Liebe Jaeger 1999 sowie zur amicitia Epp 1999).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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arbeiten soll, bringt vor allem seine Aussage daz kanstu wol, daz tuo du mir auf den Punkt. Als Gegenleistung bietet Marke Tristan das spil, das er gut beherrscht: eine überreiche Entlohnung, eine „Übersteigerung der üblichen Spielmannsentlohnung (getragene Kleider etc.)“ (Kästner 1981: 53), die dennoch an diesen Berufsstand angelehnt ist. Darüber hinaus übergibt er „zum Zeichen für den verliehenen gesellschaftlichen Rang Adelsprädikate“ (Hauenstein 2006: 32) in Tristans Obhut: insbesondere sein Schwert, aber auch Sporen, Armbrust und das goldene Horn. Hierdurch wird nicht nur der gesellschaftliche, sondern auch der persönliche Rang betont, handelt es sich hier doch gerade nicht um „materiellen Lohn“ (Kästner 1981: 53), sondern um einen enormen Vertrauensbeweis und eine deutliche, öffentliche Auszeichnung. Dadurch, dass Tristan die Pflege der königlichen Waffen zukommt, trägt er Sichtzeichen seines neugewonnenen Standes, gerade dem Schwert kommt ein enormer Symbolwert zu: Das Schwert repräsentierte im Mittelalter die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden. Es war Symbol von Adelsherrschaft und legitimer Gewaltanwendung, z. B. in der Fehde, und verpflichtete den Träger auf ein religiös-moralisches Programm (Schwertleite). (Ebd.: 62)
Markes Rede schließt, indem er Tristan dazu auffordert, höfsch und vrô zu sein – Tristan, der sich als die regelrechte Inkarnation der Höfischkeit inszeniert hat, wird hier nicht nur ein angenehmes Leben gewünscht, sondern er wird regelrecht dazu angehalten, dieses in idealer höfischer Freude zu leben. Dies ist nicht nur Selbstzweck: Gerade das Höfische in Tristans Wesen ist es ja, das die Attraktion ausmacht, das das Interesse an ihm weckt und es ist genau das, was er selbst dem Hof im Gegenzug für die materielle Absicherung und vor allem auch Ehre, die er dort erfährt, zuteil werden lassen soll. Gleichermaßen ist es das, was Tristan zum Teil der höfischen Gemeinschaft werden lässt.³⁶⁰
2.1.4 Zwischenfazit Die Phase in Tristans Leben, in der er sich am Markehof etabliert, ist die, in der König Marke zum ersten Mal in der Narration zu Wort kommt. Vor seiner Begegnung mit Tristan hat Marke keine eigene Stimme und auch in seiner ersten Rede ist sie mit der des Hofes verwoben. Von diesem ersten Treffen an wird Marke als auf Tristan bezogen dargestellt und charakterisiert, seine Handlungen und Reaktionen sind gerade in dieser Phase vornehmlich auf Tristan bezogen, auch dann, wenn er mit anderen Figuren spricht, bei denen er sich über Tristan erkundigt oder denen er Anweisungen darüber gibt, dass sie Tristan bei Hof freundlich integrieren sollen. Marke wird als Förderer und Bewunderer Tristans gezeichnet, dabei immer in Bezug auf seine Rolle als König.
Darauf, dass diese Zielwerte für Tristan nicht passend sind, aber dennoch von Marke immer wieder auf Tristan bezogen werden, gehe ich in III.II.2.2.2 (287– 288) ein.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Markes Status manifestiert sich in seinen Reden, indem er rollenkonform auftritt: eingebunden in seinen Hof einerseits, andererseits in deutlicher Hierarchie über den anderen. Dies zeigt sich etwa in den Anweisungen, die Marke immer wieder gibt, und durch die deutlich ist, dass er es gewohnt ist, dass diesen auch Folge geleistet wird. Hierbei kann er sich aber auch als höfischer Herrscher inszenieren, indem er Gebote als Bitten benennt und somit seinen Interaktanten scheinbar die Möglichkeit lässt, selbst zu entscheiden – dass die Option zur eigenen Entscheidung faktisch nicht gegeben ist, formuliert er teils sogar selbst; es ist aber auch grundsätzlich nicht anzunehmen, dass dem König eine Bitte abgeschlagen werden würde. Somit handelt es sich tatsächlich um Gebote, was etwa auch in Tristans Reden deutlich wird, wenn er Marke gehäuft das Verbum gebieten zuordnet. Auch durch den Gebrauch der nominalen und pronominalen Anreden wird die hierarchische Sonderrolle Markes abgebildet: Marke duzt, während er geihrzt wird, und Marke kommt das Privileg zu, seine Zuneigung über die nominalen Anreden und Bezeichnungen zum Ausdruck zu bringen, hier lediglich auf Tristan bezogen, den er als vriunt und gesellen benennt und anspricht. Tristan hingegen wird Marke sprachlich immer formell angemessen ansprechen. Ein Wandel in der Beziehung der beiden Figuren wird sich an den Anreden also nur in den Reden des Königs ablesen lassen. Besonders auffällig aber bleibt der (nicht nur) sprachliche Kontrast zwischen Marke und Tristan: Während Tristan die aktive, sprachlich-versierte und spielerische Rolle zukommt, bleibt Marke in der Regel Tristan gegenüber der reagierende Part, sprachlich konventionell und rollenkonform. Er wird sprachlich als höfisch gezeichnet: im Rahmen seiner Lexik insbesondere durch die Anreden, aber auch durch das Einbeziehen des Französischen in seine Reden, im Rahmen seiner Syntax besonders durch das Verwenden rhetorischer Stilfiguren. Er verwendet Formulierungen, die dem Minnesang entnommen sein könnten. Würde dies als Zitat verstanden werden, würde hiermit auf Markes höfische und kulturelle Bildung angespielt werden können – diese Interpretation mag aber zu weit führen. Dass Marke sprachlich in der Tendenz eher reagiert als agiert, zeigt sich bereits zu Beginn, wenn das fremde Kind an den Hof kommt und als erstes das Wort ergreift. Es zeigt sich aber auch, wenn Marke Tristans Worte wiederaufnimmt, wobei dies auch als Zeichen von Aufmerksamkeit und einem Bekunden von Wohlwollen und Zugewandtheit und nicht als rein passiv zu bewerten ist. Dennoch ist es naturgemäß eine Reaktion auf die vorangegangene Rede. Marke tritt hier auch als derjenige auf, der den Dialog mit Tristan beginnt: Nach dem Bericht des Jägers, im Vorfeld der gemeinsamen Jagd, nach der musikalischen Vorführung – diesen Reden Markes geht aber jeweils entweder ein Auftritt Tristans voran, der eine sprachliche Reaktion regelrecht heraus- und einfordert. Hierbei kommt aber jeweils Tristan der aktive, zeigende Part zu, Marke ist in allen diesen Situationen schlussendlich Zuhörer oder Zuschauer einer Figur, die sich regelrecht als menschgewordenes höfisches Kunstwerk inszeniert. Es liegt im Rahmen des Konventionellen, dass Marke derjenige ist, der die Beziehung zu dem an seinen Hof gekommenen Jungen öffentlich definiert – auch wenn das Ausmaß der Gunstbezeigungen über das im konventionellen Rahmen Erwartbare
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weit hinausreicht. Dies beginnt im Kleinen mit den freundlichen Anreden, dies steigert sich in die Vergabe von Hofämtern und Positionen, die eine unmittelbare Nähe des Königs auszeichnen und den rasanten Aufstieg in den Favoritenstatus am Hof im Gesellentum verdeutlichen. Hierbei zeichnet sich Marke Tristan gegenüber durch eine übermäßige milte aus, die wiederum Ausweis für das ist, was er als König zu leisten hat. Aber auch dieses Definieren und Neudefinieren der Beziehung bleibt letztlich eine Reaktion auf Inszenierungen Tristans, der auch in solchen Situationen, in denen Marke durch seine Position der Überlegene zu sein scheint, derjenige ist, der letztlich den Verlauf der Gespräche maßgeblich bestimmen kann. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn Tristan Marke auf der Jagd öffentlich widersprechen kann als auch, wenn er, wie schon bei den Jägern, seine Reden auf Fachtermini enden lässt und seine jeweiligen Dialogpartner zum Nachhaken zwingt. Diese Strategie geht selbst dann auf, als Marke bereits erkannt hat, dass Tristan seine Künste grundsätzlich nur stückweise preisgibt (vgl. Tr 3576 – 3583) und diese Handlungsstrategie auch in der Kommunikation wahrnimmt, wenn er deutlich macht, dass er Tristans Aussagen bezüglich seiner musikalischen Fähigkeiten keinen Glauben schenkt und ihn strengstens dazu ermahnt, doch (endlich) die Wahrheit zu sagen – und diese nicht erst Stück für Stück erfragen zu lassen. Dennoch bleibt Marke Tristan gegenüber immer nachsichtig und vor allem auch einsichtig. Tristan wird für Marke zur Trophäe, die er unbedingt haben will – dies bereits in Reaktion auf seinen Auftritt innerhalb der Jagdgesellschaft und auf die Erzählung des Jägers hin. Hier wird, wenn auch sehr subtil, bereits vorgeführt, dass Markes Bild von Tristan von Anfang an auch fremdbestimmt ist und er sich von anderen Figuren beeinflussen lässt. An dieser Stelle ist das sicherlich nicht überzubewerten und kann der königlichen Rolle zugeschrieben werden: Denn, und auch dies wird im Verlauf der Narration dargestellt, der Einfluss und Rat anderer Figuren auf den König etwa in Beratungen ist ein durchaus übliches Procedere. Dennoch wird hier bereits vorgeführt, dass Tristans Schicksal am Markehof nicht nur von Marke selbst abhängt, sondern auch dem Einfluss anderer Figuren auf diesen unterliegt. Dann wird Tristan von der Trophäe zum Objekt der Begierde und Marke zum Begehrenden, auch in seinen eigenen Worten, Worte, die genau das Herausstellen dieser Positionen rhetorisch durch den parallelen Aufbau betonen und hervorheben. Insgesamt zeigt sich in dieser Phase des ersten Etablierens Tristans am Markehof ein Verhältnis der Figuren, das sich sprachlich durch ein Wechselspiel der Asymmetrien auszeichnet: So erscheint Marke auf den ersten Blick als derjenige, der der stärkere Kommunikator sein müsste. Er ist derjenige, der Tristan gebieten kann, der in einer überlegenen Position herrscht – Tristan aber ist derjenige, der durch sein kalkuliertes Auftreten steuert, wie er wahrgenommen werden will, der die Situationen sprachlich beherrscht und sich, bei aller Wahrung standesgemäß-hierarchischer Kommunikation, immer wieder als der faktisch Überlegene erweist. Marke wird hier noch als höfischer Herrscher gezeichnet, aber als Herrscher mit einer großen Schwäche: Tristan.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
2.2 ich wil dîn erbevater sîn – Marke als Vaterfigur Mit Riwalin, Rual und Marke werden Tristan drei verschiedene Väter zugeschrieben, ein leiblicher, ein Ziehvater und eine gesellschaftliche Vaterfigur (vgl. zur Problematik der mit diesen drei Vätern einhergehenden unterschiedlichen Bezugssysteme für Tristan Storp 1994: 156 – 157): Marke ist von den drei Vätern Tristans derjenige, bei dem die Vater-Rolle am schwierigsten zu beschreiben ist. Zunächst einmal ist es nicht selbstverständlich, eine solche überhaupt anzusetzen, denn die Nähe zwischen den beiden kann leicht damit erklärt werden, dass er Tristans Onkel ist. Allerdings ist er der Mutter-Bruder, repräsentiert also Tristans mütterliche Seite. Und doch wird Marke an drei Stellen als Vater bezeichnet. (Zotz 2006: 92)
Einmal ist es der Erzähler, der Marke als unverwânde[n] vater (Tr 3382) Tristans bezeichnet und dessen Aufnahme am Markehof als Heimkommen deutet (vgl. Tr 3379), einmal bezeichnet sich Marke selbst als Tristans erbevater (Tr 4301) und einmal nennt Rual ihn Tristans vater (Tr 4386). „Im weiteren Romanverlauf wird Marke dann nicht mehr als vater bezeichnet, sondern ist von nun an œheim.“ (Zotz 2006: 94). Unabhängig davon, wie sich das Verhältnis Tristans und Markes insgesamt entwickelt und wie stark oder schwach der König im Gesamtverlauf der Narration gestaltet ist, so tritt Marke doch zwischen dem Zeitpunkt, als er Tristans Identität erfährt, und dem Zeitpunkt, als Tristan zur Brautwerbung nach Irland aufbricht, durchaus als Vaterfigur für Tristan auf.³⁶¹ Im Folgenden sollen verschiedene Redeszenen betrachtet werden, in denen Marke sich Tristan gegenüber sprachlich wie ein Vater verhält.
2.2.1 Marke als erbevater Marke beginnt mit Ruals Ankunft am Hof, Tristan gegenüber eine väterliche Position einzunehmen. Sein Kontakt zu Rual gründet in der – immer wieder betonten – Annahme, Rual sei Tristans Vater. Dies, und offenbar nur dies, verschafft Rual, der selbst konstatiert, er sei in seinem Zustand niht hovebaere (Tr 3980), Zutritt zu Markes Hof (vgl. Tr 4014– 4021). Stein (1977: 305) betont die mangelnde Höfischkeit in der ersten Begrüßungsszene, die Ruals Zustand und seiner vermeintlichen sozialen Stellung entspricht: „Wiewohl sich Rual hoveliche (4022) zu benehmen weiß, ist er der Kaufmann, für den offenbar ein knapper Willkommensgruß in der dritten Person des Demonstrativums (4020) genügt“: „der sol uns willekommen sîn.“
Auch Zotz (2006: 95) betont, dass „die Marke-Rollen späterer Romanteile nicht unbedingt als Argumente für oder gegen eine Vater-Rolle gegenüber dem jungen Tristan geeignet [sind]; hier gelten andere Erzählbedingungen als dort.“
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Dennoch folgt Marke dem Zeremoniell; er lässt Rual nach höfischer Sitte baden und mit neuer Kleidung ausstatten (vgl. Brüggen 1993: 207)³⁶², lädt ihn zum Essen, hält Tristan an, Rual bei Tisch zu bedienen, wobei der Grund für diese Anweisung auch darin zu sehen ist, dass Tristan sich hier um seinen Vater kümmern soll (Tr 4101– 4102): „Tristan“ sprach er „gâ balde dar, nim selbe dînes vater war!“
Nach dem Essen beginnt Marke ein Gespräch mit Rual, das nicht nur für ihn, sondern für alle Anwesenden von Interesse ist und deutlich macht, dass Marke (stellvertretend für den gesamten Hof) viele Fragen an Rual hat (Tr 4114– 4121): und als man dô von tische gie der künec den gast mit rede bevie und vrâgete in aller hande beidiu von sînem lande unde ouch umbe sîne vart. und alse er in vrâgende wart, diu ritterschaft losete elliu dar und nam Rûâles maere war.
Dass das Gespräch nach dem Essen stattfindet, stellt eine für mittelalterliche Erzählungen übliche Situierung dar, „einen stereotypen Interaktionszusammenhang, der nicht selten im narrativen Schema von Ankunft – Essen – Erzählen realisiert wird“ (Lieb 2002: 44– 45). Hier ist besonders die gemeinschaftsstiftende Funktion des gemeinsamen Essens ausschlaggebend, und der von Lieb (ebd.: 60) hiermit korrelierte Wunsch, sich „nach der Nahrungsaufnahme […] auch gegenseitig ‚aufzunehmen‘.“ Lieb (ebd.: 61) erklärt dies mit der kultursoziologisch und sozialanthropologisch beschriebenen „Bidirektionalität[…] des Essens“ (vgl. weiterführend ebd.). Er hält für die mittelalterliche Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts fest: Das Mahl funktioniert zweifach, als bidirektionale rituelle Speisegemeinschaft und zugleich sublimierte Form der sprachlichen Mitteilung – und damit beides auch tatsächlich funktioniert, wird es gewöhnlich nacheinander geschaltet, wird es als eine Sukzession etabliert. (Ebd.)
Eine Besonderheit der hier dargestellten Situation liegt jedoch darin, dass Marke und seine Höflinge nicht nur ein Interesse daran haben, Rual in den höfischen Körper ‚einzuverleiben‘, sondern dass Rual vielmehr ein Bindeglied zu Tristan darstellt, das an dieser Stelle Licht in das Dunkel von Tristans Geschichte, die ja von Anfang an für Zweifel gesorgt hat, bringen soll. Über Rual soll Tristan nun vollständig aufgenommen werden – die Fragen nach Ruals Heimat und seiner Reise lassen sich implizit als
Hauenstein (2006: 34) hebt hervor, dass Marke auf diese Weise Ruals „Armutssymptome“ aufhebt und dafür sorgt, dass seine „latenten höfischen Qualitäten […]“ sichtbar gemacht werden.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Fragen nach Tristans Herkunft, aber auch nach einer Bestätigung seines Herkunftsberichts lesen, vor allem nach seiner Identität, die hier in für alle Beteiligten überraschender Weise geklärt wird. Das Tischgespräch ist ein Dialog zwischen Marke und Rual, und so sind es auch jene beiden, die über Tristan sprechen, während dieser stumm bleibt. Auf Ruals Aussage hin, Tristan sei ihm fremd (vgl. Tr 4136 – 4140), ist es Marke, der die Beziehung als erster hinterfragt (Tr 4141– 4143): „vremede?“ sprach der künic dô „sâget an, wie ist dem maere sô? er ist iuwer sun doch, alse er giht?“
Die Formulierung macht deutlich, dass die Frage zunächst als rhetorische Frage wahrgenommen werden könnte, dass sie aber im Grunde den Beziehungsstatus auf Tristans Perspektive und seine Aussage über diesen beschränkt und somit die Möglichkeit, dass Tristans Aussage oder Annahme eine falsche ist, implizit bereits zulässt, vielleicht insgeheim sogar forciert. Die Frage, die vordergründig auf eine Bestätigung zu zielen scheint, kann darauf verweisen, dass hintergründig darauf gewartet wird, dass das als unerhört empfundene Verwandtschafts- und Herkunfsverhältnis Tristans endlich aufgeklärt wird. Während Ruals Bekenntnis, er sei Tristans Gefolgsmann, bei Tristan ein Erschrecken auslöst, antwortet Marke darauf wenig erstaunt und ausgesprochen geschäftsmäßig, eher neugierig, indem er Ruals Mühe und Opfer betont, die suggerieren, dass Tristans Herkunft, auf deren Klärung Marke dringt, tatsächlich eine hohe ist, die Opfer in dem von Rual gebrachten Ausmaß rechtfertigt – und somit faktisch auch Markes Interesse an Tristan und seine Wertschätzung ihm gegenüber (Tr 4147– 4152): Aber sprach der künec: „nu saget uns daz, durch welhe schulde und umbe waz habet ir die nôt durch in erliten, iuwer wîp und iuwer kint vermiten, als ir dâ jehet, sô lange vrist, sît daz er iuwer sun niht ist?“
Marke agiert hier einerseits wieder auf typische Weise herrscherlich, indem er Rual nicht um Auskunft bittet, sondern diese von ihm imperativisch fordert, gleichermaßen stellt sein Einschub als ir dâ jehet heraus, dass Ruals Perspektive eine erstaunliche ist und er seinen Worten nicht vorbehaltlos Glauben schenkt. Noch stehen seine Worte gegen Tristans; der Beweis der Richtigkeit erlangt nun eine besondere Relevanz. Rual schafft es, die Spannung bei Hof zu steigern, indem er erst lediglich andeutet, dass nur er und Gott wüssten, wer Tristan sei. Marke macht hier sein Verlangen nach einer Aufklärung dieses Sachverhalts deutlich (Tr 4154– 4156):
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„nû vriunt, bewîset ouch mich!“ sprach aber der guote Marke „es wundert mich starke.“
Rual rückversichert sich vor einer Auskunft, aus der Aufklärung der Sachlage keine negativen Folgen befürchten zu müssen. Sofort bitten Marke und alle seine Barone um eine Auflösung der „im Grunde längst fällige[n] Identifizierungs- und Erkenntnisfrage“ (Fritsch-Rößler 1992: 177), die den Hof seit Tristans Eintreffen beschäftigt (Tr 4165 – 4170): und al diu massenîe, Marke und sîne barûnîe die bâten an der stunde alle alse ûz einem munde: „saget an, saeliger man, getriuwer man, wer ist Tristan?“
An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie sehr Marke auch hier wieder die Stimme des Hofes und wie wichtig der Faktor der Öffentlichkeit dieses Gesprächs ist, weil eine fremde Figur die Auskünfte über Tristans Herkunft geben wird, die Tristan durch seine Geschichten geschickt vermieden hat: Durch Ruals Bericht „löst sich das Rätsel der überragenden Fähigkeiten eines sozial Inferioren“ (Hauenstein 2006: 33). Marke und sein Gefolge lauschen der Geschichte Ruals bewegt, die Informationen sind aber zu wichtig, als dass Marke sie beweislos hinnehmen würde, so dass er sich vor seinem Bekenntnis zu Tristan noch einmal rückversichert, ob Ruals Geschichte der Wahrheit entspreche (vgl. Tr 4282– 4285). Die Bestätigung erhält er mit Blanscheflurs Ring, den Rual ihm gibt. Das Betrachten des Rings erschüttert Marke, gleichzeitig bewirkt es eine Vergegenwärtigung, eine zumindest mentale Anwesenheitsevokation der verstorbenen Schwester, die Marke seufzend anspricht (Tr 4290 – 4298): der guote und gewaere Marke der nam ez und sach ez an. der jâmer, den er dô gewan, der wart aber dô vester. „â“ sprach er „süeziu swester, diz vingerlîn daz gab ich dir, und mîn vater der gab ez mir, dô er an sînem tôde lac, disem maere ich wol gelouben mac.[“]
Der Beginn der Rede liest sich wie ein Stück Familiengeschichte, durch das nicht nur die Verbundenheit zur Schwester, sondern auch die zu Markes Vater deutlich wird; der emotionale Wert des Ringes ist ebenso an den sterbenden Vater Markes als auch an die verstorbene Schwester gebunden. Hierbei hat Markes Rekurrenz auf seinen eigenen Vater nicht nur eine emotionale Funktion, sondern ruft gleichermaßen ein Identifikations- und Legitimationskonzept auf, in das Tristan im weiteren Verlauf der Rede
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
einbezogen werden wird. Storp (1994: 138) begründet die „herausragende Stellung des Vaters […] [durch die] Struktur der patriarchalisch organisierten Gesellschaft das Mittelalters“ mit der Identifikation und Definition der Menschen über ihre Ahnen: Für das Mittelalter hat der Verweis auf Anciennität als Handlungsorientierung autoritativen Rang, und mit dem Rückgang zu den Ursprüngen lassen sich Wahrheit und Wert begründen, was in den unterschiedlichsten Ausprägungen zu beobachten ist: im feudalen Gewohnheitsrecht, in der Literatur, in der tatsächlichen Familiengeschichte und in der Weltchronistik, die mit dem absoluten Ursprung, der Schöpfung Gottes, beginnt. Die vaterrechtliche Ordnung partizipiert an dem Glauben an die Ursprünge und wird legitimiert durch ein historisches Bewußtsein, das orientierend auf geschichtliche Gemeinschaften einwirkt, indem es Tradition bewahrt. (Ebd.)
Der Verweis auf den Vater, durch den die Herkunftsgeschichte des Königs anzitiert wird, die wiederum ebenfalls Teil von Tristans Genealogie ist, bereitet den nächsten Schritt in Markes Rede vor, in der er Tristan zusichert, sein erbevater sein zu wollen (Tr 4299 – 4301): Tristan, gâ her und küsse mich! und zwâre, soltu leben und ich, ich wil dîn erbevater sîn.
Der neue Sinnabschnitt in Markes Rede steht gleichermaßen für das hier erneut neu definierte Verhältnis zu Tristan. Auf die direkte Anrede folgt die Aufforderung zum Kuss, der hier rituell zu deuten ist und den neuen Status Tristans in eine Geste überführt, hier denkbar als „Kuß gegenseitiger Anerkennung zwischen sozial Gleichrangigen“ (Schreiner 1990: 104), als Begrüßung Tristans im Kontext seiner neuen Identität zur Besiegelung der gegenseitigen Bindung (vgl. ebd.: 150), aber auch als rechtlich-politischer Akt, denn [d]ie symbolische Verdeutlichung rechtlicher Tatbestände ist ein konstitutives Element mittelalterlicher Rechtsauffassung. Der Grundsatz der Offenkundigkeit verlangte nach Sichtbarmachung von Rechtsverhältnissen mit Hilfe von Zeichen, über deren Bedeutung Konsens bestand. (Ebd.: 114)
Vor allem aber ist das Küssen des Vaters eine Geste, die Gottfried zuvor als der VaterKind-Beziehung angemessen beschreibt, wenn Tristan Rual mit einem Kuss begrüßt – dort heißt es (Tr 3944– 3946): und kuste den getriuwen man, als ein kint sînen vater sol. daz was vil billîch unde wol.
Während die Ausführung dieser Geste Rual gegenüber eindringlich geschildert wird, bleibt offen, ob Tristan „Markes Aufforderung […] überhaupt nachkommt“ (Barandun 2009: 55). Der Text gibt hier keinen Hinweis, die Tatsache aber, dass Tristan, obwohl
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angesprochen, außerhalb der Kommunikation zu stehen scheint und sich in einem Schockzustand befindet, macht Zweifel hieran durchaus plausibel. Der Aufforderung zum Kuss folgt Markes Zusicherung, Tristans erbevater sein zu wollen – „[d]as Wort erbevater bedeutet hier wohl, dass Marke an Vaters statt für Tristan da sein, dass er ihm ein Ersatzvater sein will“ (Zotz 2006: 93), wobei hier mit Zotz weniger eine juristische Zwangsläufigkeit des Erbrechts³⁶³ vorliegt, als eher eine bewusste Entscheidung Markes, für Tristan die Rolle eines Vaters übernehmen zu wollen.³⁶⁴ Dass Marke sich hierbei durchaus im Bereich des Üblichen bewegt, stellt Storp (1994: 157) heraus: Als Sohn der Königsschwester steht Tristan ein Platz am Zentralhof zu. Bertau hat in seinen Parzivalstudien das besondere Verhältnis von Mutterbruder (oeheim) und Schwestersohn (neve) explizit gemacht, ein Verhältnis, das so etwas wie eine Institution ist und als „Avunkulat“ bezeichnet wird. In der Familie ist der Mutterbruder Respektperson, oft übernimmt er Erziehungsfunktionen, ersetzt den Vater für das Schwesterkind, wenn dieses ohne den eigenen Vater aufwachsen muß.³⁶⁵
Für Marke ist die Erkenntnis, dass Tristan sein Neffe ist, ein Glücksfall, er verkehrt die Trauer über den Verlust und den Tod seiner Schwester in Freude und beschließt seine Rede, nachdem er Blanscheflur und Riwalin der Gnade Gottes anempfohlen hat, indem er verdeutlicht, dass Tristan für ihn ein Gewinn ist (Tr 4307– 4311): [„]sît ez alsus gevaren ist, daz doch dû mir worden bist von der vil lieben swester mîn, geruochet es mîn trehtîn, so wil ich iemer wesen vrô.“
Wie sehr Marke Tristan auf sich bezieht, verdeutlicht seine Aussage, daz doch dû mir worden bist: Tristan wird hier regelrecht zu einem posthumen Geschenk Blanscheflurs
Vgl. z. B. die Bedeutung ‚vater durch erbrecht, der nach dem tode des wirklichen vaters als nächster verwandter dessen stelle vertritt‘ (BMZ III: 279b); oder ‚pflegevater, der den blutsverwandten pflegesohn zugleich zum erben annimmt, entsprechend unserm adoptivvater (Bechst.)‘ (Lexer 1872: 614). „In der Tat ist dieses Hapax legomenon mit Vorsicht zu deuten, denn Gottfried hat es offenbar für die vorliegende Konstellation geschaffen. Ich würde übersetzen: ‚ich will die freigewordene Stelle deines Vaters beerben‘. Gegen die in den Wörterbüchern angesetzte juristische Bedeutung spricht, dass es Markes Entscheidung ist, Tristans erbevater zu sein, dass ihm also diese Rolle nicht automatisch zufällt. Außerdem ist der Kontext der anderen erbe-Komposita im ‚Tristan‘ zu berücksichtigen, deren Bedeutung ebensowenig durch eine einseitige juristische Deutung erfasst wird[.]“ (Zotz 2006: 93 – 94, Anm. 22). Storp (1994: 157) weist darauf hin, dass es im Weiteren vor allem Tristan sein wird, der „‚väterliche‘ Funktionen“ übernimmt und auf diese Weise „das gesellschaftliche Ansehen eines jeden Mitglieds der höfischen Gesellschaft [degradiert].“ (Vgl. auch Okken 1996: 190).
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an Marke stilisiert³⁶⁶, auch die Satzstellung der Pronomina rückt Tristan an Marke heran und beide ins Zentrum des Verses und der Aussage. Auffällig bleibt in der gesamten Rede, dass Marke vor allem den Effekt in den Blick nimmt, den die Aufdeckung von Tristans Identität auf ihn selbst hat, er formuliert und denkt – wie ein König – von sich aus, nicht von Tristan: Für Marke bedeutet die Entdeckung eine neue Rolle. Tristans neue Identität ist ein Geschenk für ihn, er ist derjenige, der durch die Entdeckung vrô ist. Was Tristan als Verlust empfindet, empfindet Marke als Gewinn. Dass er hier Verantwortung für Tristan übernimmt und ihn anerkennt und aufnimmt, ist sicher sehr positiv – eine Reaktion Tristans auf seine Worte wartet er aber offenbar gar nicht erst ab, sondern wendet sich nach seinem Versprechen sofort Rual zu, um mehr über diesen selbst und Tristan zu erfahren. Er und Rual griffen an ir maere wider / und redeten aller hande / beidiu von Tristande (Tr 4338 – 4340) – sie reden aber eben über und nicht mit Tristan, dessen gesamtes Weltbild soeben eingestürzt ist. Dazu passt auch, dass das Gespräch hier nur indirekt wiedergegeben wird, wodurch bereits eine Distanz zum Berichteten erreicht wird, und zudem, dass Formulierungen wie redeten aller hande zu einer „betonte[n] Entemotionalisierung“ (Stein 1977: 306) der Darstellung der Unterhaltung beitragen. Die Vaterrolle ist in dieser Szene noch auf zwei Figuren verteilt – Rual rückt Tristans Weltbild zurecht, als dieser seinen Vaterverlust beklagt, und macht ihm deutlich, welche Möglichkeit – nämlich die Schwertleite – ihm offensteht, wenn Marke ihm dazu verhilft.Während die Höflinge ihn in diesem Anliegen bestärken, bleibt eine Reaktion Tristans aus. Marke bezieht Tristan, indem er ihn direkt anspricht, in die folgenden Entscheidungen mit ein, um auf diese Weise auch eine Reaktion Tristans zu provozieren (vgl. auch Barandun 2009: 56). Hierbei adressiert er Tristan als seinen Neffen und betont das Verwandtschaftsverhältnis. Es wird deutlich, dass Marke bereit ist, Tristan zu unterstützen (Tr 4402– 4404): der künec sprach: „neve Tristan, sag an, wie stât dîn muot hie zuo? ist ez dir liep, daz ich ez tuo?“
Vielleicht angeregt durch Tristans Klage, die deutlich gemacht hat, wie unterschiedlich Tristan und Marke die Informationen, die Rual ihnen gegeben hat, aufgenommen haben, gibt Marke Tristan nun Raum, seine eigene Perspektive auf die weitere Entwicklung darzulegen. Auf Tristans folgende Ausführungen über seine Eignung, aber auch seine fehlenden Mittel für die Schwertleite reagiert Marke mit einer Rede, die seine neue Rolle sehr deutlich macht. Er sagt Tristan nicht einfach seine Unterstützung zu, sondern erteilt ihm eine Unterweisung über königliche milte³⁶⁷, aber auch
Auch Krohn (112006 (I): 265, Tr 4308 – 4309) übersetzt diese Passage mit „daß du mir geschenkt wurdest / von meiner lieben Schwester“. „Der mittelhochdeutsche Begriff milte umfaßt die Bedeutung Freigebigkeit, Wohltätigkeit, Barmherzigkeit, Gnade, Güte und Freundlichkeit. Die lateinischen Termini für Freigebigkeit sind
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über Tristans eigene Verantwortung und seine neue Position. Marke beginnt damit, Tristan auf das Amt eines Herrschers vorzubereiten: Er ruft ihn zur Reflexion darüber auf, wie er selbst als Herrscher handeln würde und teilt ihm mit, wer für ihn die wichtige Position des Rates besetzen wird (Tr 4445 – 4453): Marke sprach: „neve, nim selbe war, sich, wie du werben woltest, ob du künic wesen soltest und hêrre über allez Curnewal. sô sitzet hie dîn vater Rûal, der ganze triuwe zuo dir hât, der sî dîn ratgebe und dîn rât, daz dîn dinc alsô vollegê, daz ez nâch dînem willen stê.
Hier deutet Marke in seiner Rede, die den väterlichen Ratschlägen zugerechnet werden kann³⁶⁸, bereits suggestiv das erst später folgende Versprechen an, dass Cornwall einst auf Tristan übergehen könne und hält Tristan dazu an, das Verhalten, das er selbst als König über Cornwall an den Tag legen würde, als Handlungsmaxime anzunehmen. Implizit macht er so deutlich, dass Tristan sich an ihm orientieren kann. Durch die Einleitung der Rede wird also deutlich, dass Marke als Vorbild für Tristan verfahren und ihm veranschaulichen wird, wie ein König in einer solchen Situation zu handeln hat. Er bereitet Tristan auf Größeres als die Schwertleite vor. Vor diesem Hintergrund ist auch Markes weiteres Handeln zu bewerten, wenn er Tristan nicht nur auf seinen Besitz an Parmenien hinweist, sondern ihm seine Unterstützung zusagt (Tr 4460 – 4462): dar zuo wil ich dir stiure geben. mîn lant, mîn liut und swaz ich hân, trût neve, daz sî dir ûf getân.
Hier sind weder „eigentümlicher Überschwang“ (Gruenter 1964: 117) noch eine „fast unterwürfige Zärtlichkeit“ (ebd.) zu konstatieren, die Marke zu seiner Großzügigkeit veranlassen, sondern „it is only right – and perfectly legal – for Marke, with becoming largitas und liberalitas, sie haben ein kleineres Bedeutungsfeld als milte, entsprechen ihr aber im Kernbereich. Eine Tradition der klassischen wie auch der christlichen Antike setzt sich fort, indem im Mittelalter die largitas zu den Herrschertugenden zählt. Sie ist zwar nicht gleichrangig den Kardinaltugenden fortitudo, temperantia, iustitia und prudentia, doch ist sie unabdingbar für die Herrscherlegitimation und -präsentation.“ (Krause 2005: 9). Nach der Typologie Kästners (1978: 74) trägt die vorliegende Rede Züge des Lehrgesprächstyps der dictio: „Eigene Erfahrungen, Überlegungen oder situative Züge veranlassen den Praeceptor, die Initiative (/init/) zur Belehrung / Unterweisung zu ergreifen und seine Instruktionen, sein Wissen (W) dem Educandus in zumeist zusammenhängender Rede mitzuteilen, ohne daß eine Meinungskundgabe oder eine Aufforderung zum weiteren Informationstransfer durch den Educandus erwartet wird (Merkmal /ziel/) […].“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
royal ‚milte‘, to lavish upon his nephew those material possessions suitable to his rank“ (Kerth 1990: 107, vgl. auch ebd.: 108).³⁶⁹ Marke verhält sich Tristan gegenüber genau so, wie es einem Sohn gegenüber angemessen wäre, und verdeutlicht damit, dass er tatsächlich als Tristans erbevater agiert. Hauenstein (2006: 35) spricht in diesem Kontext von einer Bestätigung von Tristans „Wertstatus“. Gleichermaßen lebt Marke Tristan vor, dass er selbst die Ansprüche erfüllt, die er an Tristan und die die Gesellschaft an Herrscher stellt (Tr 4470 – 4072): wiltû zer werlde gewerdet sîn, sô schaffe et umbe rîchen muot. ich gibe dir rîlîchez guot.
Die Freigebigkeit, dies wird deutlich, ist die Basis, um in der Gesellschaft zu Ehre zu gelangen; Marke wiederum handelt also selbst nach der Handlungsmaxime, die er Tristan vermitteln will, und somit auf eine Weise, die ihm Ehre und soziale Anerkennung einbringen wird, wie auch die folgenden Reaktionen seiner Höflinge verdeutlichen (vgl. 4489 – 4499). Dennoch ist Markes Freigebigkeit nicht völlig bedingungslos und nicht nur an seine eigene, sondern auch an Tristans Ehre geknüpft (Tr 4463 – 4467): wiltû dîn herze kêren ze vorderlîchen êren und ist dîn wille alsô getân, als ich von dir vernomen hân, sone spar des mînen niht dervor.
Ebenso, wie Marke nicht nur einmal seine Bereitschaft zur allumfassenden Unterstützung anbietet und Tristans Machtbereich auf diese Weise ebenfalls ausbaut, wenn er etwa formuliert Curnwal daz sî dîn urbor, / mîn crône sî dîn zinsaerîn (Tr 4468 – 4469), so ist doch auch die Mahnung an Tristans „ethische Gesinnung“ (Hauenstein 2006: 35) keine singuläre, sondern eine mehrfach betonte (Tr 4472– 4488): [„]sich, dû hâst keiserlîche habe, nun ganc dir selber nihtes abe, bistû dir selbem alsô holt und hastû muot, als du solt, unde als dû mir hâst verjehen, daz hân ich schiere an dir gesehen. sich, vinde ich hêrren muot an dir, du vindest iemer mêre an mir
Okken (1996: 190) hebt hervor, dass die Konstellation des Mutterbruders, der den Schwestersohn sofort mag, erst später von der Verwandtschaft erfährt, den Neffen protegiert regelmäßig „[i]n den Epen der matière de France“ zu finden sei. Die Ausstattung, die Marke hier Tristan gegenüber übernimmt, ist also grundsätzlich eine übliche, auch wenn hier ein besonderes Maß an milte vorgeführt wird (vgl. zur historischen Bedeutung von Mutterbruder und Schwestersohn ebd., S. 190 – 192).
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dînes willen vollen schrîn. Tintajêl muoz iemer sîn dîn triskamere und dîn trisor. gesprengestû mir rehte vor mit rîlîchem muote, volge ich dir niht mit guote, sô muoz mir allez daz zegân, daz ich ze Curnewâle hân.“
Die Schlagwörter aus dem Bereich der höfischen Gesinnung wie holt, muot, hêrren muot und mit rîlichem muote, aber auch der konditionale Aufbau der Rede und die Ankündigung, dass Marke das, was Tristan gejehen hat, überprüfen wird – daz hân ich schiere an dir gesehen –, veranschaulichen, dass es eben nicht „nur“ (Hauenstein 2006: 35) Tristans der höfischen Ethik entsprechendes Verhalten ist, das er beisteuern muss,³⁷⁰ sondern es betont vielmehr den Wert der Ehre, die Relevanz des höfischen Wertesystems, das zum Erlangen der Ritterwürde von mindestens ebenso großer – wenn nicht doch sogar größerer – Wichtigkeit ist als die finanzielle Basis.³⁷¹ Markes Rede gehört in die Kategorie der Lehrreden, wobei Marke die Vermittlung höfischer Werte mit einer Illustration derselben an sich selbst verknüpft. Dieses Muster soll im Kontext der folgenden Lehrreden weiter ausgeführt werden.
2.2.2 Markes Schwertleite-Rede Markes Reden, die als väterliche Ratschläge und zum Teil Lehrreden klassifizierbar sind, haben zwei Eigenheiten: Sie geben Marke die Möglichkeit, sich selbst als vorbildlichen Herrscher zu inszenieren, als Vermittler höfischer Werte. Im weiteren Fortgang der Narration sind es jedoch genau diese Aussagen und Ratschläge Markes, die seine eigene Fallhöhe bestimmen,³⁷² aber auch die Tristans.³⁷³ Dies trifft im Tristan besonders für Markes Lehrrede im öffentlichen Rahmen der Schwertleite zu, in der er
Hierbei wird u. a. der Aspekt der Eigenverantwortung betont (vgl. Stein 1977: 311, besonders Anm. 53). Vgl. hierzu auch die Vorbereitung zur Schwertleite, insbesondere Tr 4563 – 4572 sowie Stein (1977: 308), der betont: „[…] es scheint mir hier vor allem um eine teilweise Vorwegnahme zweier Begriffe aus der Kleiderallegorie, des muotes und des guotes zu gehen, zum Zweck einer weiteren Steigerung der literarischen Stilisierung auf Gestaltungsweisen der höfischen Dichtung hin […].“ Dies trifft mit Wells (1994: 300) insbesondere auf Markes Worte während der Schwertleite zu, denn „the subsequent perception of Marke is all the more ironic through his wise words to Tristan at the time of his investiture.“ Das ironisierende Potential haben auch die anderen Ratschlagsreden Markes, da sie immer wieder allgemein höfische oder königliche Werte in den Blick nehmen, denen langfristig weder Markes Hof noch er selbst gerecht werden. In der hochhöfischen Literatur sind diverse Parallelen für diese Art der Kontrastierung von Ratschlägen mit dem Agieren der Protagonisten zu finden: „For Gregoriusʼs father as for Parzival and Tristan the irony is based upon the contrast between the advice they are compelled to hear and their subsequent behaviour both as men and as rulers in relation to that advice.“ (Wells 1994: 300).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tristan einen Verhaltenscodex mit auf den Weg gibt, der die wichtigsten ritterlichen Tugenden und Verhaltensregeln zusammenfasst. Seine adhortatio coram publico ³⁷⁴ ist eingebunden in das zeremonielle Anlegen von swert unde sporn, wobei Marke Tristan bei der Hand nimmt: „[T]his formal gesture has a dual function: it indicates the solemnity of the occasion of the investiture, but at the same time highlights the set-piece, self-contained nature of the speech itself, the vocative adress neve Tristan (l. 5022) […].“ (Wells 1994: 314). Hierdurch wiederum wird deutlich, dass Marke die väterliche Rolle übernimmt und „feels obliged to deliver the conventional precepts appropriate to the situation“ (ebd.). Marke ermahnt Tristan einführend dazu, sich seinen neuen Status als Ritter, seine hohe Abkunft und seine daraus resultierende edelkeit bewusst zu machen (5019 – 5028): Marke nam dô Tristanden sînen neven ze handen, swert unde sporn stricte er im an. „sich“ sprach er „neve Tristan, sît dir nu swert gesegenet ist und sît du ritter worden bist, nu bedenke ritterlîchen prîs und ouch dich selben, wer du sîs. dîn geburt und dîn edelkeit sî dînen ougen vür geleit.[“]
Tristans soziale Stellung – die erworbene wie die durch Geburt erhaltene – ist an Bedingungen geknüpft, die der höfischen Idealität verpflichtet sind. Diese Regeln lassen sich unterteilen in Anweisungen, die als basal und grundsätzlich gültig zu betrachten sind, und solche, die kontext- bzw. adressatenbezogen sind (Tr 5029 – 5040): [„]wis diemüete und wis unbetrogen, wis wârhaft und wis wolerzogen; den armen den wis iemer guot, den rîchen iemer hôchgemuot; ziere unde werde dînen lîp, êre und minne elliu wîp; wis milte und getriuwe und iemer dar an niuwe! wan ûf mîn êre nim ich daz, daz golt noch zobel gestuont nie baz
Kästner (1978: 82) hält hierzu fest: „Ermahnungen unter ausdrücklicher Einbeziehung der Öffentlichkeit finden sich neben den […] Abschiedsszenen […] [und] den Sterbeszenen […] in unserem Untersuchungszeitraum ansonsten nur noch im Zusammenhang mit einem Ritual, zum Beispiel dem der Schwertleite […].“ Kästner betont, dass diese Ermahnungsreden „als Teil einer zeremoniellen Handlung innerhalb der Abfolge weiterer symbolischer Handlungen“ stehen.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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dem sper und dem schilte dan triuwe unde milte.“
Die formelhaft vorgetragene Sittenlehre,³⁷⁵ die Marke, wie Wells (1994: 312– 318) herausarbeitet, in Anlehnung an die Disticha Catonis formuliert,³⁷⁶ setzt er rhetorisch mit einem Parallelismus vom ersten Teil seiner Rede ab und kennzeichnet auf diese Weise den neuen Sinnabschnitt. Die ersten vier Maximen betreffen den konkreten Anspruch an Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit als charakterliche Grundlagen, darüber hinaus die höfische Erziehung, wodurch die gesamte Formung des höfischen Menschen angesprochen ist, die nicht nur auf angeborenen Eigenschaften, sondern in besonderem Maße auf der höfischen zuht beruht. Die genannten Werte werden dezidiert im Rahmen der höfischen Erziehung vermittelt und bilden das Fundament für höfisches Verhalten auch als Ritter.³⁷⁷ Insofern kann man Marke durchaus als den „representative of traditional knighthood“ (McDonald 1989: 245)³⁷⁸ bezeichnen. Hierzu zählt auch die Vermittlung der Ansprüche an einen standesgemäßen Umgang mit Personen unterschiedlichen Standes, die Marke in einem Antonymenpaar gegenüberstellt, wobei Tristan den Armen gütig, den Mächtigen hingegen stolz begegnen solle. Auch die Tatsache, dass die äußere Erscheinung in der höfischen Vorstellung eine Abbildung des Inneren ist, wird in den Blick genommen, wenn Tristan dazu angehalten wird, seinen lîp zu ziere[n] und zu werde[n] – zwar wird hier sicher unstrittig die Pflege und Inszenierung des Körpers angesprochen, beides steht aber nicht für sich, sondern für eine Verkörperung von Idealität, und ist immer auch Verweis auf das dem Körper innewohnende Subjekt.³⁷⁹ Dass ausgerechnet Marke Tristan den Rat gibt, alle schönen Frauen zu ehren und zu lieben, kann als eine Verdichtung von Ironie gewertet werden (vgl. Fromm 1967:
Die Formelhaftigkeit kennzeichnet die gesamte Rede und wird einerseits durch die Reihung der Ratschläge, andererseits durch den Gebrauch von typischen Wortpaaren wie u. a. ziere unde werde, êre und minne, milte und getriuwe erzeugt. Der Gebrauch von Wortpaaren ist mit Jackson (1973: 253 – 255) typisch für Marke. Vgl. zu den Parallelstellen die tabellarische Übersicht bei Wells (1994: 315). Wells (ebd.: 296) stellt mit Bezug auf Zarncke (1852) heraus, dass die Disticha Catonis das „fundamental Latin textbook and collection of moral maxims“ war (vgl. auch Tax 1971: 32, Anm. 27; Fromm 1967: 347; Schwab 1967: 91). Dass hier auf die Grundlagen der höfischen Erziehung angespielt wird, zeigt sich auch darin, dass gerade in den Vs. 5028 – 5036 besonders starke Bezüge zur Disticha Catonis nachweisbar sind (vgl. Wells 1994: 315). Auch Hauenstein (2006: 37– 38) hebt hervor, dass Marke zu diesem Zeitpunkt noch in „artusähnlicher Rolle gezeigt ist […] als Vertreter der höfisch-ritterlichen Ideale[.]“ Krause (1991: 381– 382) macht deutlich, dass mhd. lîp nicht nhd. Körper entspricht, sondern „das Mittelhochdeutsche bewußt zwischen Leib (lîp) und Körper (körper, körpel, aus lat. corpus, corporis) [differenzierte]. […] Körper wurde vornehmlich als Leichnam, als hinfällige, dinghafte Materie (materia prima) […] angesehen […]. […] Lîp erweist sich ersichtlich als ein Prinzip der Vitalität, des Aktionalen, der lebendig-lebensvollen Zuwendung zur Welt. Es verwundert daher nicht, wenn der lîp als die Gesamtheit aller vitalen Funktionen des Menschen, als Leben überhaupt (und, ausdrücklicher, als Person) angesehen wird.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
348; Green 1979: 54). Sie tritt umso deutlicher hervor, als sich an das minne-Gebot das triuwe-Gebot direkt anschließt: wis milte und getriuwe, hier gekoppelt an die bereits in Markes Rede im Vorfeld der Schwertleite eingehend besprochene milte. Dass es sich nicht einfach um gottgegebene Fähigkeiten handelt, sondern sich der Ritter allgemein und Tristan speziell immer darum bemühen muss, wird in dem Ausruf und iemer dar an niuwe! deutlich. Das Einhalten der ritterlichen Tugenden ist nicht einfach, aber gerade diese Mühe, die disciplina, die hiermit einhergeht, der bewusste Umgang mit Werten ist das, was den höfischen Menschen als höfisch auszeichnet. Marke beschließt seine Worte, bevor er Tristan den Schild reicht, damit, dass er noch einmal verdeutlicht, dass die immateriellen Werte die materiellen weit übersteigen, und mündet in einer erneuten Betonung von triuwe unde milte als den ritterlichen Tugenden schlechthin. „Der Schlußteil der Adhortatio (Anrede, Imperativ), der auf die zeremonielle Überreichung des Schildes folgt (5041), enthält […] zunächst einen Segenswunsch […]“ (Kästner 1978: 117) (Tr 5041– 5045): Hie mite bôt er im den schilt dar. er kuste in und sprach: „neve, nu var und gebe dir got durch sîne craft heil ze dîner ritterschaft! wis iemer höfsch, wis iemer vrô!“
Die am Schluss formulierten „Zielwerte[ ]“ (ebd.) haben Marke (vgl. Tr 3741) und die Jäger (Tr 3164) bereits an früherer Stelle an Tristan herangetragen, und zwar nicht ohne einen gewissen Beigeschmack: „This admonition has the hollow ring of irony about it, since Tristan, born to sorrow, art and love, will not – and cannot – follow it.“ (McDonald 1989: 245).³⁸⁰ Allerdings betrifft die Ironie dieser Worte ebenso Marke, der durch die Entwicklung der Dreiecksgeschichte selbst alse ein trûreger man (Tr 17618) gezeichnet werden wird. Markes „Programm der Freude, das der König [u. a. während der Schwertleite, A.K.] verkündet hat und das er selbst zur Maxime seines Lebens machen wollte“ (Hoffmann 1991: 68), wird in sein Gegenteil verkehrt werden, da Markes Freude an das gemeinsame Erleben derselben mit Tristan gebunden ist. Die Handlungsmaximen, die Marke Tristan vermittelt, sind für beide gleichermaßen gültig. Gerade die „Werte untadeligen, aufrichtigen und treuen Verhaltens“ (Kästner 1978: 116) sind die, die das Verhältnis von Tristan und Marke bestimmen sollten. Faktisch werden sie jeweils in ihr Gegenteil verkehrt und Marke wird als Zweifler und Fallensteller Tristan und Isolde gegenüber so unaufrichtig wie untreu handeln und durch sein Verhalten und den Einbezug der Öffentlichkeit nicht nur Tristan, Isolde und sich selbst, sondern seinen gesamten Hof Tadel und Schande preisgeben. Markes Lehrrede ist somit als Indikator eines Wandels lesbar, zeigt sie Vgl. Ruberg (1989: 317), der den hier vorgetragenen Wunsch Markes auf den in der Jagdepisode vorgebrachten Vorschlag eines Jägers, Tristan umzubenennen, rückbezieht, und feststellt, dass es sich hier um das „Klischee des gutgemeinten Wunsches [handelt], [das] aber der Tristan-Existenz nicht angemessen“ ist.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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doch Marke als vorbildlichen Herrscher, der in der Lage ist, die wichtigsten höfischen Tugenden zu benennen und zu vermitteln, und deutet gleichzeitig auf die Entfernung Markes von diesen postulierten Tugenden voraus. Die Rede beinhaltet also den IstZustand wie Zukünftiges, sie benennt sehr konkret Verhaltensregeln, die von den in den Lehrdialog einbezogenen Figuren nicht eingehalten werden können und wirft somit einen ironisierenden, distanzierenden Blick auf die beteiligten Figuren, aber auch auf die Diskrepanz zwischen Sprechen und Handeln. Das gegenwärtige Sprechen wird zum Gradmesser für zukünftiges Handeln, während das zukünftige Handeln den faktischen Bewertungsmaßstab für das gegenwärtige Sprechen setzt. Somit charakterisiert Markes Rede ihn zum Zeitpunkt der Äußerung als höfischen Herrscher, als Vorbild und moralische Instanz, darüber hinaus aber auch als Figur, die als König dauerhaft die Idealverkörperung der vermittelten Werte darstellen müsste, die im vollen Bewusstsein dieser Werte, aber auch ihrer Gefährdung ist. Seine Rede wird ihn ebenfalls als Figur charakterisieren, die diese Werte verkörpert, aber an ihnen scheitert. Und eben dieses Scheitern wird nur allzubald eingeleitet und stückweise vorgeführt, wenn Tristan aus Parmenien zurückkehrt.
2.2.3 Markes Eheverzicht Auch die nächste, erneut sehr umfangreiche (vgl. Jackson 1973: 254– 255) Rede zeigt Marke als Vaterfigur Tristans. Es ist die Rede, in der er Tristan vor dessen Abschied nach Parmenien urloup gewährt, ein beziehungssichernder wie -definierender Akt: Das mhd. urloup ist ein Objektbegriff, und zwar von einer Sache, die man gibt, gewährt, nimmt. Das heißt, daß der Empfang des urloup ein Zugewinn ist wie die Gabe ein hoher Preis, den der Gewährende dem Nehmenden zahlt. Beide werden in der Sache, dem Objekt, miteinander verbunden. Urloup ist eine höfische Beziehungsformel und per definitionem binär konzipiert. Sie kommt wie der gruoz dem Bedürfnis nach sichtbarer Markierung, Differenzierung und Regulierung personaler Bindungen entgegen. Während die Etymologie des Wortes scheiden das Trennende akzentuiert, unterstreicht urloup das konsenswünschende, einvernehmenherstellende ‚Gutheißen‘. Dem Abschied ist es vorbehalten, die Folgen aus der Begegnung zu resümieren, die Beziehung „für den kontaktlosen Zeitraum“ zu stärken. Die regulierte Trennung vermag sich gegen unabsehbare Folgen von Auflösung just als eine Bestätigung eingeschränkter oder sogar letzter Unlösbarkeit von Personenbeziehungen durchzusetzen[.] (Zellmann 1994: 396 mit Bezug auf Goffman 1976: 50)
Der wesentliche Kern von Markes Ansprache liegt in der Sicherung der Beziehung über die Trennung hinaus und markiert diese als vorübergehend. Darüber, ob hierbei die höfische Öffentlichkeit einbezogen wird, macht der Text keine validen Angaben. Eine Zeugenschaft für Markes Äußerungen wird nicht explizit erwähnt, ebenso wenig wird die Rede aber eindeutig dem nicht-öffentlichen Raum zugewiesen.³⁸¹
Krohn (1978: 369 – 370) hingegen konstatiert die Nicht-Öffentlichkeit dieser Redeszene als Tatsache.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Die 46 Verse umfassende Rede (Tr 5126 – 5171) lässt sich grob in neun Sinnabschnitte einteilen, in denen Marke Tristans Wunsch fortzugehen entspricht, seine Ausstattung regelt, ihm weitere Verhaltensregeln mit auf den Weg gibt³⁸² und ihn an Rual als Orientiertungsinstanz verweist, ihn zur Rückkehr nach einer ehrvollen Regelung des Konfliktes mit Morgan auffordert, ihm das Land als Erbe und darüber hinaus seine eigene Ehelosigkeit verspricht, sich Tristans Zuneigung rückversichert, ihm erneut urloup gewährt und ihm schließlich einen Segenswunsch mit auf den Weg gibt. Die Rede hat einen sehr freundlichen und auch höfischen Charakter, der nicht nur durch die vermittelten Werte und die für den höfischen Interaktionsrahmen typischen Sprachhandlungen wie dem Gewähren von urloup und Segenswünsche erzeugt wird, sondern auch, indem Marke hier gehäuft auf „conventional pairs“ (Jackson 1973: 254) zurückgreift.³⁸³ Dies erzeugt eine gewisse Stereotypie und Überformtheit der Rede, die allerdings nicht rein negativ, sondern durchaus als stilistisches Mittel zu bewerten ist, das nicht zwangsläufig nur auf eine „insensitivity toward words“ (ebd.: 255) hinweisen muss. Im Gegenteil, es kann auf ein Bewusstsein für die höfischen Gepflogenheiten hindeuten, gerade wenn der vermittelte Inhalt selbst auf höfische Werte verweist.³⁸⁴ Diese Art des Formulierens erzeugt eine gewisse Länge, geradezu Monologizität (vgl ebd.: 254– 255). Hier geht es nicht nur um das Vermitteln von Informationen, sondern auch um eine Inszenierung Markes, die vor allem auf sprachlicher, aber auch rituell-gestischer Ebene stattfindet. Prägnant ist dies in einem Bereich, der von hochpolitischer Bedeutung ist, als Marke nämlich Tristan verspricht, um seinetwillen ehelos zu bleiben, ihn somit zu seinem Thronerben erklärt und ihm einen Anreiz bietet, von Parmenien nach Cornwall zurückzukehren (Tr 5151– 5161): kêre wider her ze mir. ein dinc lob ich und leiste dir: sê mîne triuwe in dîne hant, daz ich dir mîn guot und mîn lant
Diese Regeln sind aber eher als Wiederholungen dessen, was Marke in seinen vorigen Reden bereits formuliert hat, zu werten. Jackson (1973: 254) definiert diese als „groupings which add nothing to the meaning or mood of a passage but simply say the same thing in a different way.“ Diese Definition ist m. E. nicht ganz sauber, da die Begriffspaare sich teilweise durchaus ergänzen oder unterschiedliche Tugenden oder Nuancen benennen. Da der Terminus das Phänomen der konventionell einander zugeordneten Wortpaare aber treffend abbildet, wird er hier verwendet. Grundsätzlich ist das Verwenden von conventional pairs auch in der Tristan-Dichtung nicht nur Marke vorbehalten, sondern insgesamt, gerade auch in der Erzählerrede, gehäuft zu beobachten – die Häufung von Paarformeln lässt sich m. E. in der gesamten mittelhochdeutschen erzählenden Dichtung beobachten, so dass es gerechtfertigt scheint, sie als Stilelement höfischen Sprechens zu deuten. Dass allerdings gerade die hövescheit der Faktor ist, der Marke zu einer zwiespältigen Gestalt macht, hebt Hoffmann (1991: 64) hervor, der die Höfischkeit mit dem Umstand korreliert, dass Marke zu einem „passiven, schwachen Herrscher“ stilisiert wird und dass dies, mit Blick auf den gesamten Roman, zu einer negativen Figurenzeichnung führt.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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iemer gelîche teile. und sî’z an dînem heile, daz dû mich sülest überleben, sô sî dir allez z’eigene geben. wan ich wil durch den willen dîn êlîches wîbes âne sîn, die wîle ich iemer leben sol.
Tristans Mitregentschaft (vgl. Kerth 1990: 108; Hauenstein 2006: 39) wird durch die Handgebärde sê mîne triuwe in dîne hant vertraglich besiegelt: „This promise is not idle talk; Marke makes a contract with Tristan by taking his hands in the gesture of fealty.“ (Kerth 1990: 108; vgl. auch Schmidt-Wiegand 1982: 370 – 371). Die Gebärde hat Gültigkeit – dies legt zumindest der vergleichbare Einsatz von Handgebärden im Verlauf der Narration nahe –, unabhängig davon, ob sie im öffentlichen oder nichtöffentlichen Rahmen ausgeführt wird.³⁸⁵ Kerth (1990: 108) macht deutlich, dass die vertragliche Regelung nicht nur die Erbschaft Tristans betrifft, sondern als Grundlage für die Übereinkunft seine Rückkehr zur Bedingung macht. Markes Rede dient auch hier wieder der Neudefinition seines Verhältnisses zu Tristan, das durch Markes Angebot des Eheverzichtes auf eine neue, noch tragfähigere Grundlage [gestellt wird]; mit diesem Versprechen […] baut Gottfried die engst mögliche [!] Beziehung zwischen Marke und Tristan auf[.] An dieser Stelle weist der Autor mit eigenständigem Akzent darauf hin, welches Treueverhältnis belastet wird, wenn es später zur Dreiecksbeziehung der Minne kommt. (Hauenstein 2006: 39)
Wie schon während der Schwertleite, stellt Marke hier Tristan und auch sich ein Leben in höfischer vreude in Aussicht. Durch die Konditionalität seiner Formulierungen wird deutlich, wie angreifbar dieses Verhältnis ist, dass es eben kein bedingungsloses ist und die vreude auf der Voraussetzung der Gegenseitigkeit beruht (Tr 6164– 6167): bistû mir holt, als ich dir bin, treistû mir herze, als ich dir trage, weiz got sô sul wir unser tage vrôlîche mit ein ander leben.
Erneut arbeitet Marke mit einem parallelen Aufbau und einer Gegenüberstellung, die verdeutlicht, dass das Aufrechterhalten des Verhältnisses nur dann gelingen kann, wenn Tristans Gefühle an denen Markes orientiert sind und nicht umgekehrt – Marke
Dies belegt innerhalb der Narration etwa das im konspirativen Rahmen gegebene Versprechen Königin Isoldes, das Leben des Tantris zu schützen, an dessen Gültigkeit sie auch im Kontext der BadSzene gebunden ist (vgl. Anm. 325). Krohn (1978: 369 – 370) hingegen postuliert Zweifel an der Rechtsgültigkeit von Markes Versprechen, die er mit der festen Annahme begründet, dass Markes Rede außerhalb der Öffentlichkeit stattfinde.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
stellt seine emotionale Verbundenheit³⁸⁶ als gesetzt heraus, bei Tristan aber bleibt sie vager, eher Möglichkeit als Fakt: Die Kontrastierung der Aussage wird durch die Rahmung der Sätze durch die Verben besonders hervorgehoben. Während die Verberststellung in den Aussagen über Tristan auf den konditionalen Charakter des Satzes deuten, ist die Verbletztstellung im schließenden Teil der Aussage zwar durch die Position im Nebensatz syntaktisch begründet, beendet Markes Formulierung aber auch als Fakt. Mit Blick auf die Narration überwiegt die Gegenüberstellung der Figuren ihre Zuordnung zueinander, eine Abhängigkeit bleibt aber bestehen und so wie Marke die höfische Freude und sein Glück an Tristan knüpft, wird auch das Unglück der Figuren auf ihrem gestörten, ja zerstörten Verhältnis in der Dreieckskonstellation beruhen.
2.2.4 Die Hofintrige Die nächsten Redeszenen sind im Kontext der Hofintrige gegen Tristan nach seiner Heimkehr aus Irland angesiedelt. Marke verteidigt hier den Status seiner gewählten Ehelosigkeit gegenüber den Landbaronen, aber auch gegenüber Tristan. Zuerst macht er seinen Baronen gegenüber klar, dass, solange Tristan lebe, niemals eine Königin oder Herrin an seinem Hof sein und also herrschen solle. Damit will er Tristans Position stärken (vgl. Tr 8358 – 8364). Indem Marke Tristans Leben zur Voraussetzung für seine Ehelosigkeit macht und dies den Baronen gegenüber ausspricht, wird Tristans Tod für diese zur Handlungsalternative und Tristan rückt stärker in den Fokus von Hass, Missgunst und schließlich Mordanschlagsplänen (vgl. Tr 8365 – 8378). Markes Rede, die Tristans Position bei Hofe stärken soll, wirkt faktisch eher destabilisierend. Als Tristan selbst schließlich Marke bittet, sich eine Frau zu suchen, kommt es zu Markes letzter Lehrrede. Er klärt Tristan über die Gefahren auf, die der Herrscherposition innewohnen. Marke, im inquit als der gewaere (Tr 8386) bezeichnet, schneidet Tristan das Wort ab, indem er ihm gebietet, zu schweigen (vgl. Tr 8387– 8388), und klarstellt, dass er nur ihn als Erben haben will und dieser keinen Grund zur Sorge habe, da er unter Markes Schutz stünde. Marke tut den Hass der Barone und ebenso Tristans Angst wie eine Lappalie ab (Tr 8393 – 8394): ir aller nîden unde ir haz nu sô dir got, waz schadet dir daz?
Auch diese Stelle führt Krohn (1978: 370 – 371) an, um ein homoerotisches Verhältnis zwischen Tristan und Marke zu belegen. Zwar ist Markes Plan, ehelos zu bleiben, auch nach realen historischen Maßstäben tatsächlich erstaunlich, Markes Ehelosigkeit müsste aber nach Kerth (1990: 114– 115) bereits vor Tristans Auftreten in der Geschichte nach historischen Maßstäben für ein Erstaunen, eine regelrechte Ungläubigkeit des Publikums und ein Eingreifen der Barone gesorgt haben, da Könige im Mittelalter für gewöhnlich (früh) verheiratet waren. Zotz (2006: 95) deutet Markes Versprechen, nicht zu heiraten, als ein konsequentes Einhalten seines Versprechens, „Tristans erbevater zu sein. Da er einen männlichen Nachkommen und damit einen Thronfolger hat, braucht er tatsächlich keine Ehe mehr einzugehen, um den Machterhalt zu garantieren.“
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Die Möglichkeit, dass Tristan aus dem Neid tatsächlich irgendein Schaden entstehen, dass sein Leben durch diesen bedroht sein könnte, zieht Marke gar nicht in Betracht, vielmehr verdeutlicht er, dass „Krisen dieser Art […] unvermeidlich [sind und] ‚saelde‘ […] immer auch Neid [erweckt]“ (Hauenstein 2006: 50).³⁸⁷ Wie üblich diese Krisen sind und offenbar zum – nun nicht mehr so idealisierten – Hofleben dazugehören, macht Markes Rede ganz deutlich, denn „Mark’s speech represents a uniquely interesting and important collection of the commonplaces of pro-court literature“ (vgl. Jaeger 1984: 54– 63, Zitat 63; vgl. auch Gruenter 1964: 122– 123) (Tr 8395 – 8406): hazzen unde nîden daz muoz der biderbe lîden. der man der werdet al die vrist, die wîle und er geniten ist. wirde unde nît diu zwei diu sint rehte alse ein muoter unde ir kint. diu wirde diu birt alle zît und vuoret haz unde nît. wen gevellet ouch mê hazzes an dan einen saeligen man? diu saelde ist arm unde swach, diu nie dekeinen haz gesach.
Markes Rede ist „gespickt mit sprichwort- und sentenzähnlichen Aussagen, die die Landläufigkeit dieses Themas [d.s. der Neid und Hass, A.K.] in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft verdeutlichen“ (Przybilski 2004: 392).³⁸⁸ Die Sentenzen werden hier regelrecht aneinandergereiht³⁸⁹ und Markes Rede erscheint, in wesentlich extremerem Ausmaß als seine vorherigen Lehrreden, als eine Bündelung von Gemeinplätzen, die allerdings wieder den höfischen Horizont in den Blick nehmen und aus denen Marke für Tristan Verhaltensregeln für sein Leben am Hof ableitet. Marke liefert im Grunde die theoretische, durch die höfische Meinung gedeckte Basis für seine auf die Praxis bezogenen Handlungsanweisungen für Tristan (Tr 8407– 8423): [„]lebe iemer und wirp iemer daz, daz du einen tac sîst âne haz. dû enwirbest niemer daz,
Classen (2002: 346) spricht in diesem Kontext von einer „sehr pragmatische[n] (Fürsten‐)Lehre[.]“ Przybilski (2004: 392) verweist auf Parallelstellen bei Freidank, Hugo von Trimberg und im Väterbuch. Schultz (1987: 220) spricht von „terms of a ‚general truth‘“: „Such a ‚truth‘ is, ostensibly, valid in the world at large; and by stating it the narrator asserts the congruence of his narrative with such extraextual ‚truths.‘ In doing so he also provides an example for the recipient, who is expected to do the same.“ Eikelmann und Tomasek (2009: 466 – 471) werten folgende, unmittelbar aufeinanderfolgende Verse als Sentenzen: Vv. 8395 – 8396, 8397– 8398, 8399 – 8400, 8401– 8402, 8403 – 8404 und 8405 – 8406.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
daz du iemer werdest âne haz. wellest aber von boeser diet ungehazzet sîn, sô sing ir liet und wis mit in ein boese wiht, sône hazzent sî dich niht. Tristan, swaz man ieman getuo, sô rihte dû dich ie dar zuo, daz tû hôhes muotes sîs. wis vor bedenkende alle wîs dînen vrumen und dîn êre und enrât mir niht mêre, daz dir ze schaden müge ergân! swaz rede hier umbe wirt getân, des envolge ich weder in noch dir.“
Er stellt das Streben nach einem vorbildlichen Leben ohne Neider als aussichtslos heraus, da ein solches nur über eine Mitläuferschaft mit den ‚Bösen‘ zu erreichen ist und somit zu einer Anpassung an diese führt. Auffällig ist, dass Marke den Maßstab für Tristan ändert: Er soll sich nun nicht mehr nach anderen richten – und dies ist doch für ein höfisches, insgesamt soziales Leben eigentlich undenkbar, da es sich ja gerade an der eigenen sozialen Gruppe orientiert und auf diese ausgerichtet stattfindet –, sondern auf dînen vrumen und dîn êre achten. Marke setzt in seiner Rede höfische Schlüsselbegriffe wie saelde und êre ein. Die êre soll die höfische Interaktion steuern und eigentlich für die Stabilität des Hofes sorgen; ein auf êre ausgerichtetes Handeln ist das Leitprinzip aller Höflinge. Gleichermaßen werden so aber auch die von Tristan aufgegebenen Ambitionen (vgl. Jaeger 1984: 47) bei Hofe in den Blick genommen, konkret das Steigern seiner Ehre, das für Tristan in dem mit der Erbschaft verknüpften sozialen Aufstieg liegen würde, der wiederum unter idealen Voraussetzungen mit einem Mehr an êre verknüpft ist. Der andere Zustand, die saelde, ist ein fragiler, ein Zustand, der nicht leicht zu fassen³⁹⁰ und auch nicht unbedingt leicht zu (er‐)halten ist. Nach Hauenstein (2006: 51) macht Marke hier „mit eigenen Worten klar, daß der Zustand der ‚saelde‘, der Wert- und Heilsgewißheit, jederzeit ins Gegenteil umschlagen kann.“ Markes „eigene Worte“ sind aber gerade nicht seine originär eigenen Worte, sondern durch ihre Sentenzhaftigkeit³⁹¹ topische Wertumschreibungen, die Allgemeines benennen und in diesem Allgemeinen verhaftet bleiben und nicht Tristans konkretes Problem in den Blick nehmen, sondern es gerade durch die Verallgemeinerung trivialisieren. Die Problematik ist aus Markes Perspektive eine dem Hofleben dauerhaft inhärente, die sich nicht grundsätzlich lösen lässt. Insofern ist es ebenso passend, dass Marke sie in Gemeinplätzen beschreibt, wie konsequent, dass er „jeden Harmonisierungsversuch [unterläßt]: Der Zustand der Wehrli (1973: 104) etwa beschreibt saelde als „das unübersetzbare Wort, mit dem das deutsche Rittertum den zwingenden und gnadenhaften Glanz eines schönen und hohen, selbstgewissen und spontanen Daseins bezeichnet[.]“ Hier benennt Haug (2011: 476) als stilistisches Vorbild Publilius Syrus.
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Nicht-Harmonie gehöre zur Selbstdefinition, d. h. Marke selbst artikuliert hier die im Prolog geforderte Haltung, dauerhaft spannungsgeladene Zustände zu ertragen“ (ebd.). Marke präsentiert sich hier als durch und durch dem Hofleben verpflichtet und zeigt bei aller Tendenz zur Stereotypie durchaus einen gewissen Grad an Differenziertheit, da er den Hof in all seinen Facetten sieht und sich damit zu arrangieren weiß. Wie ernst die Lage und die Mordpläne der Barone sind, sieht Marke jedoch nicht und somit erweist sich sein Blick als ein bloßer Blick auf die höfische Fassade, deren Schattenseiten er zwar wahrnimmt, aber nicht so weit hinter die Fassade schaut, dass er die Tiefe der Schatten erkennen würde, und so bleibt sein Blick auf den Hof ähnlich wie seine Rede von vorgeblicher Tiefe, faktisch aber dicht an der Oberfläche. Marke vertritt seine Position in dieser Rede ungewöhnlich harsch, indem er Tristan nicht nur Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt, sondern ihm mit einer regelrechten Rüge den Mund verbietet und den Schaden, der Tristan ereilen könnte, weniger im Verhalten der Barone, sondern eher in Tristans Umgang mit diesem Verhalten sieht (vgl. Gruenter 1964: 125). Dies schließt im Grunde an seine einleitenden Worte an, mit denen er Tristan Schutz zugesichert hat: Marke versucht mit seiner Rede, Tristan nicht nur vor den Baronen, sondern vor allem vor sich selbst zu schützen und beweist damit, dass er seine Verantwortung Tristan gegenüber ernst- und wahrnimmt. Seine selbstsichere und bestimmte Aussage, dass er weder Tristan noch den Baronen nachgeben werde, hält nicht lange – auf Tristans Ansinnen hin, sich vom Hof zu entfernen, lenkt er schließlich ein. Tristan trifft ihn hier „an seiner empfindlichsten Stelle“ (ebd.). Als er erkennt, wie ernst Tristan die Angelegenheit ist, beginnt er auch, ihn ernst zu nehmen. Ob er nun aber den Ernst der Situation durchschaut oder nur einlenkt, um Tristan, wenn schon nicht als Erben, so überhaupt am Hof zu halten, wird nicht deutlich (Tr 8433 – 8442): Dô Marke sînen ernest sach, er bat in swîgen unde sprach: „neve, swie gern ich staete und triuwe zuo dir haete, sone gestatestû mir’s niht. swaz sô nû hier ûz geschiht, dâ bin ich gâr unschuldic an. swie ich dir nû gevolgen kan, dâ bin ich aber bereite zuo. sag an, waz wiltu daz ich tuo?“
Markes Auftreten in dieser Rede ist ein deutlich anderes als in seiner vorangehenden Belehrung: Er verbietet Tristan hier nicht mehr den Mund, sondern er bittet ihn darum, zu schweigen. Auch wenn Bitten im Vorfeld immer wieder imperativisch geäußert wurden, ist doch in der vorangehenden Rede deutlich, dass Marke Tristan regelrecht über den Mund fährt, so dass die Formulierung an dieser Stelle auf eine mildere Ansprache schließen lässt. Marke artikuliert nun sein Bedauern und verlagert die Verantwortung für das aktuelle und folgende Geschehen auf Tristan. Hier findet ein
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erster Treue- und de facto auch Vertragsbruch statt, hatte Marke Tristan doch die Erbfolge vor dessen Abreise nach Parmenien in Aussicht gestellt, an dessen Rückkehr an den Markehof geknüpft und den Vertrag durch den Handschlag besiegelt.³⁹² Marke verdeutlicht, dass er nicht aus eigenem Antrieb entgegen der Absprache handelt, sondern nur auf Tristans Wunsch hin. Zentral – auch in der Anordnung der Verse – ist vor allem Markes Aussage swaz sô nû hier ûz geschiht / dâ bin ich gâr unschuldic an. Marke beweist hier deutlich mehr Weitsicht als in seiner Rede über Hass und Neid. Die Rede indiziert erneut einen Wandel im Verhältnis von Onkel und Neffen, König und Favorit, denn dieser erste – wenn auch erbetene – Treuebruch bildet den Anfang der nun von beiden Seiten folgenden Treue- und Vertrauensbrüche und ist faktisch die Basis für alle weiteren – denn erst durch die Zusage des Königs zu heiraten wird das Verhältnis der Männer gefährdet und schließlich zerstört. Marke, der zuvor stark und selbstsicher aufgetreten ist, überlässt nun Tristan das weitere Handeln und zieht sich in einen Zustand der Passivität und des Reagierens zurück, da er jetzt nicht mehr eigenständig agieren, sondern Tristan gevolgen will und diesen um Anweisungen für das weitere Vorgehen bittet. Als die Barone Tristan jedoch als Brautwerber um Isolde bestimmen, stellt er sich ihnen offen entgegen, bewertet ihr Verhalten als übel (Tr 8535), benennt ganz klar ihre Absicht und weist sie deutlich in ihre Schranken, indem er ihnen nicht nur verbietet, noch einmal einen solch schlechten Rat zu erteilen, sondern die Brautwerbung ihnen selbst übertragen will (vgl. Tr 8535 – 8544). Marke verteidigt Tristan gegenüber den Baronen so, wie es ein Vater tun würde. Seine Sorge um Tristan scheint noch einmal auf, bevor Tristan sich auf die Brautwerbungsreise begibt. Verzweifelt will er Tristan davon abhalten (Tr 8558 – 8560): „nein, dû enkumest niht mêre in ir gewalt und in ir hant, sît dich got wider hât gesant.“
Marke formuliert seine Rede nicht als Aufforderung, nicht als Bitte, sondern als Fakt: Er ist nicht bereit, Tristan noch einmal den Iren auszuliefern und damit noch einmal das Schicksal herauszufordern, gerade weil Tristan die erste Reise überlebt hat und durch Gottes Hilfe wieder zurückgekehrt ist. Implizit ist klar, dass eine zweite Herausforderung des Schicksals eine regelrechte Versündigung wäre. Auf Tristans erneuten Widerspruch bleibt Marke stumm. Er weiß, dass Tristan sich durchsetzen und selbst entscheiden wird, was er tut, denn dies hat Tristan von seinem Einzug am Markehof an konsequent so gehandhabt. Gerade im vorangegangenen Vieraugengespräch mit Marke hat er dies erneut unter Beweis gestellt. Tristan folgt nicht Markes Lehren, wie es von einem Sohn erwartbar wäre, sondern Marke folgt Tristans Anweisungen: Damit wird auch die Aufhebung der Vaterrolle angezeigt. Nach Tristans
Auch Gruenter (1964: 123) betont, dass „das Erbschaftsversprechen […] öffentlich bestätigt worden [war], also auf legalem Weg nicht aufzuheben.“
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Rückkehr aus Irland wird sich das Figurenverhältnis komplett wandeln und die Gemeinschaft der Männer nicht mehr bestehen.
2.2.5 Zwischenfazit Markes Reden, die auf seine Rolle als Vaterfigur hinführen oder durch diese motiviert sind, haben Tristan als Bezugspunkt. Dies kann sich darin äußern, dass Marke mit anderen Figuren über Tristan redet – etwa, wenn seine Identität geklärt werden oder sein Schicksal am Hof geregelt werden soll –, oder, und das ist der häufigere Fall, mit Tristan selbst. Wie hoch die Position des Vaters von Marke geschätzt wird, offenbart er in seinem Verhalten gegenüber Rual. Marke rekurriert immer wieder auf dessen Vaterschaft, die Rual Zutritt zum Hof und Tisch des Königs verschafft, wo Marke Tristan in die Rolle des Sohnes verweist, indem er ihn anweist, seinen Vater bei Tisch zu bedienen. Die Vaterschaft als solche spielt während Markes Unterredung und Interaktion mit Rual die wesentliche Rolle, sie ist der elementare Bezugsrahmen für Tristans Abkunft, dadurch gleichermaßen auch der für seine Zukunft: Die Genealogie ist bestimmend für Tristans soziales Leben. Er konnte sich zwar auch in der Rolle des Kaufmannssohnes in die höfische Gesellschaft integrieren und dort eine erstaunliche Karriere machen. Seine adlige Abkunft aber ist es, die Tristan weitere Türen öffnen wird, und sie ist es auch, auf die Marke während der Schwertleite hinweisen wird. Dass Tristan nicht nur Kaufmannssohn ist, ist auch für Marke von Bedeutung: Es vermindert die Diskrepanz zwischen Tristans Können und Status und kann somit die Favoritenstelle rechtfertigen, die Tristan bisher durch seine Leistung, aber nicht durch seine Geburt verdient hat. Die Relevanz der Abstammung wird augenfällig, wenn Marke nach Erhalt des Ringes seiner Schwester nicht nur an diese denkt, sondern die Herkunft des Ringes familienhistorisch einordnet und auf seinen Vater zu sprechen kommt. Diese Überlegungen stellt er seinem Versprechen, Tristans erbevater sein zu wollen, voran und reiht Tristan somit in die Stammlinie ein. Der Begriff erbevater macht deutlich, dass diese auch die Erbfolge betreffen könnte, auch wenn dies erst später konkretisiert wird. Die Verwandtschaft hat einen deutlichen Einfluss auf die Kommunikation zwischen Tristan und Marke: Marke nimmt Tristan gegenüber eine erzieherische Funktion ein, die sich in seinen Lehrreden manifestiert. Diese finden in unterschiedlichen Kontexten statt: vor und während der Schwertleite, vor Tristans Abreise nach Parmenien und ausgelöst durch die Hofintrige. Gemein ist den Lehrreden, dass sie wenig originell sind. Man kann Marke vorwerfen, formelhaft stereotype Gemeinplätze und Sentenzen wiederzugeben. Gleichermaßen kann man dies aber auch als eine dem Königtum geschuldete Konventionalität und auch Traditionalität deuten, die sich darin manifestieren, dass Marke sich im Bereich der Hoflehren so gut auskennt, dass er quasi daraus zitieren kann: Er verlässt sich auf ihre Normativität, was als Grundlage für die Vermittlung höfischer Werte und Handlungsmaximen durchaus als angemes-
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sene Quelle zu werten ist. Eher nachteilig einzuschätzen ist es, wenn Marke (so etwa im Zusammenhang mit der Hofintrige) so sehr seinen Lehrsätzen verhaftet bleibt, dass diese ihm den Blick auf das eigentliche Problem verstellen. Hierbei kann er sich zwar auf Allgemeingültiges beziehen, übersieht aber die Besonderheit der spezifischen Situation, die durch eine Generalisierung und Trivialisierung des Problems nicht lösbar ist. Sprachlich bleibt Marke konventionell, in seinen Lehrreden auch formelhaft. Dieser Eindruck entsteht nicht nur durch das Verwenden von Sentenzen und Sprichwörtern, sondern auch durch den Gebrauch von conventional pairs und Wiederholungen, die sowohl Form als auch Inhalt betreffen können. Seine Konventionalität grenzt ihn von Tristan ab, weist ihn aber auch als höfisch aus. Marke erscheint (anfangs) noch als der Repräsentant arthurischer Art. Das zeigt der von ihm vermittelte Wertekontext, der die wichtigsten Hoftugenden, zum Teil in vielfacher Wiederholung, betont, die Schattenseiten des Hofes benennt und hieraus Handlungsmaxime ableitet. Hierbei berührt Marke Probleme teilweise nur an der Oberfläche und verlässt sich (zu) sehr auf das Allgemeine. Marke könnte durch seine Reden schlicht als höfischer Herrscher charakterisiert sein, wäre da nicht seine weitere Entwicklung im Verlauf der Narration und seine Emotionalität. Marke lässt sich, wenn es um Tristan geht, deutlich von seinen Gefühlen, seiner Zuneigung leiten. Dass seine Reden als Vaterfigur auf Tristan bezogen sind, ist das eine und der Rolle geschuldet. Tristan ist oft der Adressat dieser Reden und der Bezug schon hierdurch erklärbar. Auffällig ist aber, dass Marke sich und sein eigenes Schicksal immer wieder auf Tristan bezieht, dass seine Abhängigkeit von Tristan überdeutlich wird. Er hat keinen Blick dafür, welchen Effekt die Umstände und Enthüllungen in Identitäsklärung und Hofkabale auf Tristan haben müssen, sondern vielmehr nur dafür, wie sie sich auf ihn, Marke, auswirken. Dies offenbart sich, wenn er Tristan in seiner Wahrnehmung von Blanscheflur fast wie ein Besitztum erbt, dies zeigt sich ebenso, wenn er seine vreude immer wieder in Korrelation zu Tristans vreude setzt und die gemeinsame Beziehung immer wieder so in Worte fasst, dass deutlich wird, dass er von Tristan ein gleiches Maß an Zugewandtheit und Zuneigung erwartet, wie er sie ihm entgegenbringt, und dies im Endeffekt das Fundament für die gemeinsame Zukunft bilden soll. Marke bezieht sich auf Tristan, aber vor allem bezieht er Tristan auf sich und fordert diese Bezogenheit auch von Tristan ein. Wie stark diese Bindung Markes ist, wird deutlich, wenn er um Tristans willen darauf verzichten will, sich ehelich zu binden, so dass Tristan sein Erbe wird und einen Anreiz hat, nach Cornwall zurückzukehren. Hier beeinflusst Markes Emotion deutlich auch sein politisches Handeln, wobei zu berücksichtigen ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Attraktion und auch der Nutzen, die Tristan für den Markehof hat und haben wird, noch ungebrochen sind. Markes Emotionalität zeigt sich auf besondere Weise in seinem Reden und Handeln während der Hofintrige. Er findet deutliche Worte für seine Landbarone, die er schroff abweist, aber ebenso in seiner Rede an Tristan, die er recht harsch beginnt: Marke droht hier der Verlust des Erben und er verbietet Tristan, sein Lebenskonzept
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in Frage zu stellen und zu gefährden. Wirksam ist gerade Tristans Ansatz einer emotionalen Erpressung: Geht Marke nicht auf die Wünsche der Barone ein, so will Tristan fortgehen. Marke will den Verlust Tristans nicht hinnehmen und beugt sich seinem Willen: Er verliert Tristan in der Konsequenz gleich doppelt, da er zuerst die Brautwerbung übernimmt und sich dann durch das Dreiecksverhältnis endgültig von seinem Onkel entfremden wird. Dass Markes Zustimmung und Entscheidung nicht die richtige ist – zumindest für sein Lebenskonzept –, scheint Marke selbst zu ahnen, da er sich von der Verantwortung für die Übernahme des Vertrags- und Treuebruchs deutlich distanziert. Marke inszeniert sich durch seine Lehrreden selbst als vorbildlicher Herrscher, der die höfischen Tugenden nicht nur kennt, sondern sein Leben und Handeln an diesen ausrichtet. Besonders deutlich macht er dies mit der Vorführung der eigenen milte, indem er das Verhalten, das er Tristan erklärt, an sich selbst illustriert. milte, triuwe, êre sind immer wiederkehrende Schlagwörter, die Marke programmatisch aufruft und die nicht nur Tristans Agieren bei Hof, sondern vor allem das Verhältnis der beiden Figuren bestimmen sollten.Wie gefährdet die Höfischkeit grundsätzlich ist, macht Marke deutlich, wenn er artikuliert, dass man sich immer wieder neu um diese zu bemühen hat. Die Fragilität der gesellschafts- und hier auch figurengemeinschaftskonstituierenden Werte spricht Marke an, und ihre Zerbrechlichkeit wird hier nicht nur vorausdeutend als mögliche Gefahr akzentuiert, sondern durch den Weitergang der Erzählung sehr konkret vorgeführt. Scheitern wird nicht nur Tristan an den von Marke postulierten Werten, sondern gerade auch Marke selbst. Dies wird umso deutlicher dadurch, dass er derjenige ist, der diese Werte als Handlungsmaximen verkündet. Er selbst ist zudem derjenige, der den Maßstab für die Bewertung dieses Versagens liefert. Er wird seine triuwe aufgeben, er wird seine êre und die des gesamten Hofes gefährden, sich zum Spielball der negativen Figuren machen lassen und somit genau entgegengesetzt der von ihm vertretenen Maximen handeln.
2.3 Marke zwischen Herrschaftssicherung und -gefährdung Mit Isoldes Eintritt in die Konstellation Tristan – Marke findet eine Zäsur in der Gestaltung Markes statt, die sich deutlich in seinem Kommunizieren niederschlägt. Wurde er zuvor über sein Reden auf Tristan bezogen, verschiebt sich sein kommunikativer Bezugspunkt nun auf Isolde, die neben den negativen Helferfiguren Marjodo und Melot Markes bevorzugte Gesprächspartnerin wird. Marke gerät in einen Konflikt zwischen seiner Rolle als König, der für die Herrschaftssicherung verantwortlich ist und in dessen Sinn es sein muss, den von Marjodo geweckten Verdacht auszuräumen und die Ehre seines Hofes zu wahren, und seiner Rolle als Ehemann, der ein Interesse daran hat, den angedeuteten Ehebruch aufzudecken. Sein Dilemma liegt gerade in seiner emotionalen Verbundenheit mit Tristan und auch Isolde begründet. Den Betrug der beiden „(an)zu erkennen, ist für ihn deshalb außerordentlich schwierig, weil die Fundamente seiner wichtigsten sozialen Bindungen – einschließlich der Stabilität seines Hofes – damit zerstört würden“ (Eming 2015: 41). Marke reagiert in der Folge
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einerseits mit Listen und Fallen, die er dem Liebespaar stellt, und begibt sich auf diese Weise in die Sphäre der Heimlichkeit. Andererseits sucht er, nachdem die Gerüchte bei Hof bekannt geworden sind, eine öffentliche Lösung des Konflikts, was sich in der Einberufung des Konzils, im Gottesurteil und in der Verbannung des Paares äußert. Kucaba (1997: 81– 82) konstatiert, dass Marke als höfischer Repräsentant weniger ein Interesse an der Wahrheitsfindung habe,³⁹³ sondern es ihm vielmehr darum gehe, das Gerücht bei Hof auszuräumen: Der König besteht weniger auf ehelicher Treue als auf Treue zu seinen höfischen Idealen. Oder anders gesagt: Die eheliche Treue an sich ist ihm nicht so wichtig, doch soll die Fiktion ehelicher Treue aufrechterhalten werden. Marke weist somit das paradoxe Verhalten auf, betreffs der Liebesaffäre seiner eigenen Selbsttäuschung bewußt und aktiv zuzuarbeiten.
Markes Verhaftetsein im höfischen Verhaltenskodex ist in den vorangehenden Kapiteln deutlich hervorgetreten. Kucabas Urteil ist für Markes Rolle als Herrscher zuzustimmen und würde stringent zu Markes zuvor vermittelten Werten und Verhaltensregeln passen. Gleichermaßen findet hier aber eine Verschiebung statt bzw. eine Rollenanreicherung der Figur: Marke ist neben König und Onkel jetzt auch Ehemann. Er hat bereits im Vorfeld gezeigt, dass er sich durch seine Emotionalität ebenso leiten und beeinflussen lässt wie von anderen Figuren. Marke agiert in der Liebeshandlung zunächst nicht aus eigenem Antrieb, sondern gerade auch auf das Betreiben Marjodos und Melots hin und lässt sich von ihnen steuern und beraten. Zu hinterfragen ist also nicht nur Markes Handlungsmotivation, sondern auch die der einflussausübenden Figuren. Marjodo, getrieben durch die Kränkung und das eigene Begehren Isoldes, wird durch haz unde leit (Tr 13609) zu der grôzen unhöfscheit (Tr 13610) gereizt³⁹⁴, das Verhältnis bei Hof zu offenbaren – allerdings hält nicht seine hövescheit ihn hiervon ab, sondern schlicht seine Angst vor Tristan (vgl. Tr 13613 – 13616). Dass er das Geheimnis dennoch Marke gegenüber andeutet, kann aufgrund der eindringlichen Schilderung der Gefühlslage Marjodos als Racheakt gewertet werden. Die für alle beteiligten Figuren kompromittierende Situation hätte vermieden werden können, hätte sich Marjodo selbst konsequent an den höfischen Kodex gehalten.³⁹⁵ Melot ist als Zwerg eindeutig den unhöfischen Figuren zuzurechnen, so dass für ihn die höfischen Wertmaßstäbe nicht als handlungsinitiierend anzusetzen sind –
Vgl. aber Tr 13666 – 13672 und Tr 13843 – 13851, wo explizit auf die Wahrheitssuche verwiesen wird. Grundsätzlich liegt die Möglichkeit vor, dass die Wahrheitsverschleierung der Königsrolle, die Wahrheitssuche der Ehegattenrolle zugerechnet werden kann. Insofern erscheint es mir durchaus legitim, auch gegen die differenzierten und in vielen Punkten überzeugenden Ausführungen Kucabas (1997) von einer Wahrheitssuche zu sprechen. Auch Hauenstein (2006: 84– 85) betont, dass Markes „Erkenntnissuche […] stets das Leitwort ‚Wahrheit‘ zugeordnet ist.“ Das Offenbaren einer Affäre, dies lässt sich hieraus ablesen, ist also ein Verstoß gegen den höfischen Verhaltenskodex (vgl. Kucaba 1997: 80). Andererseits ist er Marke gegenüber grundsätzlich dazu verpflichtet, den Verdacht weiterzugeben.
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seine Motivation liegt dennoch nicht nur in lôn, sondern auch in êre begründet (Tr 14260). Sowohl der Zwerg als auch Marjodo übernehmen die Rolle der Aufpasser, um Markes Ehre zu verteidigen und verfolgen zugleich eigennützige Zwecke. […] Und doch berufen sich die beiden nicht nur zum Schein auf die angegriffene Stellung des Königs. Sie handeln durchaus im Interesse von Marke und des Landes ‚êre‘, sie vertreten den Hof, den Widerstand der Gesellschaft gegen die ehebrecherische Liebe. (Hauenstein 2006: 84; vgl. auch Gerok-Reiter 2002: 375)
Unabhängig von Markes Handlungsintention und der Frage, ob er die Wahrheit herausfinden oder ‚nur‘ ein Gerücht eliminieren will, ist deutlich, dass Marke selbst das Gerücht am Leben hält, indem er dem Liebespaar gemeinsam mit seinen Helfern immer wieder Fallen stellt (vgl. III.I.2.2: 81– 83; III.I.2.3: 86 – 90). Dies lässt auf den Wunsch schließen, das Paar zu überführen, was mit einem Wahrheitsgewinn einhergehen würde, oder aber zumindest zu einem eindeutigen Ergebnis, auf dessen Basis Marke handeln könnte. Unabhängig von der Intention ergibt sich aus Markes Handeln ein Wechselspiel aus Herrschaftssicherung und -gefährdung, zwischen Öffentlichkeit und Heimlichkeit, das mit der verpatzten Überführung der Liebenden nach der Entdeckung des Verhältnisses in einem halböffentlichen Desaster mündet, da er seine Entdeckung seinem Rat gegenüber zwar als ‚Gerücht‘ formuliert, die Affäre aber letztlich durch Tristans Flucht nicht beweisen kann. Wie Marke in diesem Zusammenhang innerhalb der verschiedenen Sphären sprachlich agiert, mit wem er wie kommuniziert oder nicht kommuniziert und welchen Einfluss die beteiligten Figuren auf ihn haben, ist Gegenstand der folgenden Analysen. Die Listen werden als ein Komplex behandelt. Stellvertretend für das öffentliche Handeln soll Markes Einbezug der Öffentlichkeit, von der Ratsuche bis hin zur Verhandlung über den Umgang mit dem Gerücht vor dem Konzil, untersucht werden.
2.3.1 Die Sphäre der Heimlichkeit: Die Listen Markes Versuch, die Affäre von Tristan und Isolde zu belegen bzw. auszuräumen, findet auf Ebene der Listen im kommunikativ aktiven Rahmen der Bettgespräche und darauf folgend in der Jagdlist statt. Letztere zeigt Marke während der Vorkehrungen und des Arrangements der List und mündet schließlich in die erste Baumgartenszene, in der Marke passiv als verborgener Rezipient des Dialoges des Liebespaares dargestellt wird. Infolge dessen kommt es zu einer Aussprache des Königspaares und kurz darauf mit der Mehlstreuepisode zu Markes letztem Versuch, im Verborgenen das Verhältnis Isoldes und Tristans zu ergründen. Allen Listen ist gemein, dass die Initiative zur List nicht vom Liebespaar, sondern von Marke ausgeht: „Stets setzt er den ersten Zug, dessen Herausforderung die Liebenden mit einem Gegenzug beantworten.“ (Hahn 1963: 137). Marke agiert anfangs nicht selbstbestimmt, sondern unter dem Einfluss Marjodos und später auch Melots. Marke kann sich auf das Wecken des Verdachtes durch Marjodo hin nicht auf äußerliche Anzeichen einer Affäre verlassen, da Tristan Isolde vor Marjodos Verdacht
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gewarnt hat (vgl. Tr 13670 – 13672) und das Paar entsprechend vorsichtig agiert, und geht vom passiven und erfolglosen Beobachten der Liebenden einen Schritt weiter, indem er Isolde im Rahmen der bettemaeren aktiv in eine Falle zu locken sucht.³⁹⁶ Alle vier Bettgespräche sind schon durch ihre raumzeitliche Situierung dem Bereich der Heimlichkeit und eigentlich Intimität zugewiesen (vgl. III.I.2.3: 86). Marke wird hier kommunikativ zwischen zwei – vielleicht richtiger drei, wenn man Brangäne als Ratgeberin Isoldes hinzuzieht – Figuren gesetzt, durch die sein Handeln bestimmt wird: auf der einen Seite seine Ehefrau Isolde, auf der anderen der Truchsess Marjodo. Die Schilderung Markes zeigt, wie groß der Einfluss der anderen Figuren auf ihn ist. Aktiv beteiligt ist Marke an drei von vier Bettgesprächen, das vierte bestreitet ausschließlich Isolde aktiv. Beide Figuren entscheiden je zwei der Listen für sich, Marke das erste und dritte zu seinen, Isolde das zweite und vierte Bettgespräch zu ihren Gunsten.³⁹⁷ Die Regie hinter Markes Listen führt Marjodo, dessen Interesse daran, das Liebespaar des Betrugs zu überführen, überdeutlich wird. So, wie Isolde sich mit Brangäne berät, lässt Marke sich durch Marjodo leiten. Wie groß dessen Einfluss ist, zeigt sich zunächst im Anschluss an die erste bettemaere. Marke versucht dort, Isolde über eine erfundene Wallfahrt und die Frage danach, wer in dieser Zeit für ihren Schutz zuständig sein soll, des Betrugs zu überführen (Tr 13683 – 13689): „nu vrouwe“ sprach er „saget mir, wie dunket iuch, wie râtet ir? ich wil in kurzen zîten in beteverte rîten und bin vil lîhte lange in wege. in wes huote und in wes pflege welt ir al die wîle sîn?“
Die Rede fingiert Marke zwar weniger als „eine offizielle Gesprächssituation“, wie Semmler (1991: 129) konstatiert, denn schon die Situierung im intimen Raum des Bettes im Schlafgemach unter Ausschluss der höfischen Öffentlichkeit kontrastiert einen solchen offiziellen Charakter der Situation.³⁹⁸ Dennoch ist die Rede sehr formell
Semmler (1991: 129) hält, allerdings vor allem bezüglich der Gegenlisten, fest: „Diese Sequenz zählt zusammen mit der fingierten Unterhaltung zwischen Tristan und Isot im Baumgarten (V. 14.721 ff.) zu den hintergründigsten und ausgefeiltesten Inszenierungen von Listdialogen, die wir in der mittelhochdeutschen Literatur haben.“ Vgl. zum symmetrischen Aufbauschema der Bettgespräche etwa Bekker (1987: 204), der die Entwicklung aufgrund ihres schematischen Ablaufs als „dreary monotony“ bezeichnet, sowie Christ (1977: 74– 75). Lieb (2009: 206) definiert die Bettgespräche als Dopplung eines Angriffs durch Marke (Bettgespräch eins und drei) und der hieraus resultierenden Verteidigung Isoldes (Bettgespräch zwei und vier) und spricht von einem „‚epische[n] Doppelpunkt‘ der nächtlichen Bettgespräche“. „Im Kontrast zum Bett mit repräsentativem Charakter steht das Bett im Schlafraum, das zum Handlungsschauplatz im epischen Kontext wird, wenn das Bett als Ort der Intimität für ein Gespräch von existenzieller Bedeutung, das eine Entscheidung herbeiführt, genutzt wird.“ (Lerchner 1993: 377).
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aufgebaut und insofern durchaus mit Reden in offizieller Sphäre vergleichbar, wie nicht nur die distanzierende, hierbei aber gleichermaßen respektvolle Anrede Isoldes als vrouwe verdeutlicht, sondern auch die Sachlichkeit, mit der Marke seine Ehefrau um Rat bittet, sie über seine geplante Abwesenheit informiert und schließlich das weitere Vorgehen für die Dauer seiner Abstinenz zu klären sucht. Der fingierte Anlass, die Fragen – all dies entbehrt einer emotionalen Grundlage und scheint vordergründig nur auf eine sachliche Klärung der Angelegenheiten hinzuweisen. Hierbei zeigt sich Marke allerdings deutlich interessiert an Isoldes Meinung, indem er sie nicht nur als Beraterin anspricht und ihr somit, handelte es sich gerade nicht um eine List, durchaus sein Vertrauen beweisen könnte, sondern auch, indem er ihr im Grunde die Entscheidung darüber, wer für ihren Schutz verantwortlich sein soll, selbst zugesteht. Ein Redeanlass, der in anderem Kontext die Wertschätzung innerhalb der Beziehung und auch ihre Stabilität veranschaulichen kann³⁹⁹, wird durch die Zuordnung zu den Listdialogen zum Ausweis der Fragilität und Brüchigkeit der Beziehung des Königspaares. Genau dieses Spiel aus Vertrauen und Misstrauen macht Markes List so perfide. Lerchner (1993: 384) verdeutlicht, dass hier Vertrautheit und Intimität, die eigentlich wichtige Merkmale der Bettgespräche sind, ad absurdum geführt und auf andere Figuren außerhalb der Ehegemeinschaft, nämlich die jeweiligen Berater des Königspaares, ausgelagert werden. Durch Isoldes irritiertes Nachfragen und die Selbstverständlichkeit, mit der sie deutlich macht, dass nur Tristan diese Aufgabe übernehmen kann, bekräftigt sie Markes Argwohn, wenngleich sie ihm keinen Beweis für ihre Untreue liefert. Marke macht aber nun keinen Unterschied zwischen dem selbstverständlichen Bekenntnis der Königin zum Neffen ihres Mannes und einem möglicherweise darin verborgenen geheimen subjektiven Bekenntnis der liebenden Isolde. Subjektiv und objektiv fallen für ihn zusammen. Jedes ‚pro Tristan‘ ist ihm unmittelbar Indiz von Isoldes Innerlichkeit. (Christ 1977: 75)
So, wie Marke diese und auch die folgenden Reden gestaltet, wird deutlich, dass diese nur dazu dienen können, den Verdacht gegen Tristan und Isolde zu erhärten und über Indizien eine Tendenz abzuleiten, wie das Verhältnis der beiden zu interpretieren ist, einen Beweis können sie aber nicht liefern. Folgerichtig fühlt Marke sich zwar in seinem Argwohn bestätigt, kommt aber zu keinem konkreten Ergebnis. Das Ausdeuten des Gesagten überlässt er Marjodo, der gegenüber Marke Isoldes Reaktion als ein Unvermögen interpretiert, ihre Gefühle zu verbergen, die er konkret als die grôze[ ] liebe, die s’im [d. i. Tristan, A.K.] treit (Tr 13711) auslegt, und daraus die Konsequenz zieht, dass Tristan den Hof verlassen müsse (vgl. Tr 13707– 13715). Marjodo verfolgt hier offen seine eigenen Pläne, wobei er nicht nur die Redeschilderung Markes als Basis für sein Urteil heranzieht, sondern eben auch die wahren Umstände kennt. Dies wiederum weiß aber Marke nicht. Die Sicherheit, mit der Marjodo hier schlussfolgert,
Vergleichbare Dialoge, in denen der König sich aber tatsächlich auf den Rat seiner Ehefrau verlässt, finden sich in der Konstellation von Königin Isolde und Gurmun in Irland (vgl. Tr 9714– 9757).
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scheint Marke nicht vollends zu überzeugen. Vielmehr leidet er weiter unter der Ungewissheit und vor allem unter dem Argwohn, den er zem neven solte hân (Tr 13718), ohne sich jedoch auf einen Beweis für ein Fehlverhalten Tristans stützen zu können. Marke folgt in der Perspektivierung des Geschehens insofern Marjodo, als dieser mit dem Vorschlag, Tristan vom Hof zu entfernen, die Konsequenzen für das Verhältnis ausschließlich auf Tristan fokussiert. Dass Marke die von Marjodo konstatierte Liebe Isoldes beschäftigt, wird mit Blick auf Markes Gedanken direkt im Anschluss an das Gespräch nicht erwähnt. Erst vor dem zwîvel- / arcwân-Exkurs und nachdem Isolde sich mit Brangäne beraten hat, wird Markes doppelter Kummer, der aus Zweifel und Argwohn sowohl gegenüber seinem vriunt Tristan (Tr 13760) als auch seiner vröude Îsot (ebd.) besteht, angesprochen und nun auf beide Figuren bezogen geschildert.⁴⁰⁰ Die folgenden zwei Bettgespräche werden durch Marjodo instruiert (vgl. Christ 1977: 74) bzw. maßgeblich von ihm mitgeplant (vgl. Tr 13853 – 13859). Hatte Marke in der ersten List Isolde auf rationale Weise angesprochen und informiert, ändert er seine Taktik nun in einen regelrechten emotionalen Überfall. Dieser manifestiert sich einerseits in seinem Gebaren und zeichnet die Szene durch eine große Körperlichkeit des Ansichdrückens und Küssens der Königin aus (vgl. III.I.2.2: 87– 88), andererseits in Markes Worten (Tr 13873 – 13877): „schoene“ sprach er „nû enist mir niht herzeclîche liep wan ir. und ich von iu nu scheiden sol, daz wizze got von himel wol, daz nimet mir mîne sinne.“
Marke inszeniert eine Gefühlswallung (vgl. auch Semmler 1991: 130), die den Eindruck vermittelt, seine Abreise stünde unmittelbar bevor und hier würde der Abschied zelebriert. Auf die Anrede mit einem Kosenamen folgt eine Liebeserklärung⁴⁰¹, die doppelt bestärkt wird: Nicht nur die Aussage, der bevorstehende Abschied würde ihm den Verstand rauben, soll den fingierten Abschiedsschmerz betonen, sondern auch das Anrufen Gottes als Zeugen für diesen Umstand. Isolde inszeniert nun selbst einen Gefühlsausbruch, mit dem sie vorgibt, jetzt erst zu begreifen, dass Marke tatsächlich abreisen wolle. Marke, hier durch den Erzähler als geloubege (Tr 13904) charakterisiert, reagiert überrascht, nimmt Isolde ihre Inszenierung aber offenbar ab und fragt nach den Gründen für ihre Bestürzung. Durch die Anrede Isoldes als schoene (Tr 13905) nimmt er die Anrede aus seiner vorangegangenen Rede wieder auf und scheint nun selbst aus seiner eigenen Inszenierung losgelöst (sprachlich) Nähe zu
Eine umfassende Analyse dieser Textstelle bietet Jackson (1973: 258 – 260). Zur Innensicht und Psychonarration von Markes Gefühlswelt im Vorfeld des Exkurses äußern sich Hübner (2003: 331– 336) und Eming (2015: 41– 48). Durch Umarmung, Anrede und Liebeserklärung „schafft er [d. i. Marke, A.K.] für das Gespräch einen intimen Rahmen“ (Semmler 1991: 130).
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seiner Frau aufbauen zu wollen. Isolde unterstellt Marke daraufhin Gleichgültigkeit ihr gegenüber, woraufhin dieser wieder Tristan ins Spiel bringt (Tr 13928 – 13946): „war umbe, schoene?“ sprach er dô „ir habet doch zʼiuwerre hant beidiu liute unde lant, diu sint iuwer unde mîn. dar über sît gebieterîn. daz sol zʼiuwerm gebote stân. swaz ir gebietet, deist getân. die wîle ouch ich bin under wegen die wîle sô müeze iuwer pflegen, der iuwer wol gepflegen kann: mîn neve der höfsche Tristan. der ist bedaehtic unde wîs, der vlîzet sich in alle wîs, wie er iu vröide und êre gemache unde gemêre. dem getrûwe ich alse wol, als ich von grôzem rehte sol. dem sît ir liep, alsô bin ich. der tuot ez durch iuch und durch mich.“
Marke reagiert verständnislos und geht weder auf Isoldes Liebesgeständnis ein⁴⁰² noch kann er den emotionalen Zugang zu seiner Frau aufrecht erhalten. Vielmehr wechselt er zu einer herrscherlichen und tendenziell rationalen Argumentation, mit der er aber auf Isoldes Rede nicht wirklich eingeht und in seiner eigenen Perspektive verhaftet bleibt. Somit zeigt er hier ein sprachliches Verhalten, das er auch schon Tristan gegenüber bereits an den Tag gelegt hat: das Beantworten einer Innenperspektive mit einer Außenperspektive, die die (emotionale) Notlage seines Gegenübers ignoriert oder zumindest nicht reflektiert (vgl. III.II.2.2.1: 281; III.II.2.2.4: 294). Er geht erst auf ihre Rolle als Herrscherin ein, so dass in seiner Rede das einzige, das sie als Paar verbindet, die gemeinsame Herrschaft über liute unde lant ist. Das Paar wird als iuwer unde mîn vereinzelt geschildert. Dann geht er auf Tristans Rolle ein und analysiert das Verhältnis innerhalb der Dreieckskonstellation: 1. Ist Tristan mîn neve, 2. handelt es sich um ein Vertrauensverhältnis und 3. ist Tristan dem Königspaar zugetan, wobei das Königspaar in einer Grund-Folge-Relation dargestellt ist, wenn Marke formuliert dem sît ir lîeb, alsô bin ich. Das Königspaar bildet keine Einheit, es gibt ein ir und ein ich und kein wir. Die Zuneigung Tristans erleben sie in der Tat nicht gemeinsam, sondern nur dann, wenn sie getrennt auftreten. Marke nimmt weniger Isolde in den Blick als Tristan, den er als höfsch, bedaehtic und wîs charakterisiert und auf Isolde bezieht, für deren vröide und êre Tristan alles tun würde. Marke benutzt
Semmler (1991: 130) macht darauf aufmerksam, dass Isolde in ihrer Rede „Markes Liebeserklärung teilweise wörtlich wiederaufnimmt“.
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nicht nur allgemeine Schlüsselbegriffe des höfischen Lebens, sondern insbesondere mit der vröide solche, die er vor der Brautwerbung seinem Verhältnis zu und seinen Zukunftsplänen mit Tristan zugeordnet hat. Hier wird implizit ein Wandel in der Konstellation angedeutet, der in Markes Aussage dem getrûwe ich alse wol, / als ich von grôzem rehte sol kulminiert. Diese Aussage lässt sich in der vorliegenden Situation als eine Form der wahrheitsoffenbarenden Lüge klassifizieren: Weder vertraut Marke Tristan noch würde er Isolde Tristan anvertrauen – gerade dieses Misstrauen ist ja der Gesprächsanlass der bettemaeren. Aber der Rezipient weiß auch, dass Marke tatsächlich keinerlei Anlass hat, Tristan zu vertrauen und insofern trifft diese Aussage am deutlichsten den Kern der Figurenbeziehung, deren Basis von grôzem rehte jenseits eines Vertrauensverhältnisses liegt. Markes rationaler Aufbau seiner Rede, das Neuzuweisen von Schlüsselbegriffen, das separierende Beschreiben seiner Beziehung zu Isolde, das getrennte Zuordnen Tristans zu sich und seiner Frau, die mangelnde Empathie für die Ängste seiner Frau und die Tatsache, dass er faktisch eher seine Beziehung zu Tristan als die zu Isolde in den Blick nimmt, um seine Frau subtil zu einem Bekenntnis zu Tristan zu verlocken, bildet hier sehr gut den tatsächlichen Zustand der Figurenkonstellation ab. Marke hat keinen Zugang zum Innenleben seiner Frau, sondern muss ‚außen vor‘ bleiben, und gerade in einer bewusst formulierten Lüge trifft er den Wahrheitskern seines gewandelten Verhältnisses zu seinem Neffen, der jetzt die vröide, die er selbst als gemeinschaftsstiftendes Element in ihre Beziehung hineinprojiziert und immer wieder beschworen hat, mit seiner Ehefrau teilt. „Als dann Isolde, vor der zweiten Falle gewarnt, vorgibt, Tristan zu hassen, reagiert Marke naiv-wortgläubig, und das bloß verbale ‚contra Tristan‘ beseitigt sein Mißtrauen.“ (Christ 1977: 75 – 76). Wie sehr Marke hier zum Spielball der Figuren wird, zeigt sich deutlich in der indirekt dargestellten Redeszene, in der die Beeinflussung Markes durch Marjodo eindrücklich vorgeführt wird (Tr 14016 – 14026): Der künec der seite sâ ze stete dem truhsaezen von grunde, so er ebeneste kunde, ir antwürte unde ir maere, und an ir dingen waere dekeiner slahte valscheit. diz was dem truhsaezen leit und tete im in dem herzen wê. iedoch lêrte er in aber dô mê und seite im, wie er Isolde aber versuochen solde.
Marke erstattet Marjodo sâ ze stete Bericht, und obwohl er Isoldes Unschuld hervorhebt, lässt er sich zu einer weiteren List Isolde gegenüber verleiten und verlässt sich hierbei auf die Anweisungen des Truchsesses. Fakt ist, dass Marke hier seiner eigenen Einschätzung entgegen handelt und die List nicht seine eigene ist, er hier also stärker im Interesse des Truchsesses als in seinem eigenen agiert. Die Lenkbarkeit Markes ist
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bereits in den Episoden mit Tristan deutlich geworden, nun findet ein Rollenwechel statt, denn: Marjodo […] übernimmt die Rolle Tristans (der den König beriet, aber auch dem Freund schöne maere erzählte) und mehr noch: Er weist dem König im neuen Bündnis die Rolle zu, die er selber früher in der Freundschaft mit Tristan inne hatte. Es ist nun Marke, der offen und vertrauensselig alles, was ihm des Nachts passiert, berichtet[.] (Fritsch-Rößler 2006: 88)
Anders als das Verhältnis zu Tristan gründet das Bündnis mit Marjodo aber nicht auf Zuneigung, auf Attraktion und Verwandtschaft, sondern es hat seine Basis im Misstrauen und in der Intrige. Gemein ist den Konstellationen Marke – Marjodo und Marke – Tristan, dass Marke sich von den anderen Figuren für ihre Zwecke einbinden und instrumentalisieren lässt und teilweise bewusst gegen seine eigene Meinung handelt. Hatte Marke Tristan im Kontext der Intrige der Landbarone noch vor der Mitläuferschaft mit den Neidern und Schlechten gewarnt (vgl. Tr 8411– 8423), so wird er jetzt selbst als ein solcher Mitläufer gezeichnet, der empfänglich ist für die Gerüchte und Verleumdungen auch der Figur gegenüber, die ihm eigentlich die liebste ist und auf die hin er kurz zuvor noch sein ganzes Leben und das Schicksal seines Hofes hin geplant und ausgerichtet hat. Zwar bleibt Marke faktisch auch hier auf Tristan ausgerichtet und von dessen Handlungen abhängig, die Abhängigkeit erweitert sich aber mit Isolde und Marjodo auf zwei weitere Figuren, und Markes Kommunikation mit Tristan wird hier durch die Kommunikation mit diesen beiden ersetzt, wobei die Kommunikation mit Isolde in der Regel direkt, die mit dem Truchsess mit Ausnahme der Interpretation von Isoldes erster Antwort indirekt dargestellt wird. Auf diese Weise nimmt der Erzähler eine Distanzierung von den Beratungen mit dem Truchsess vor. Tristan bleibt auch in absentia präsent und die Gespräche mit Isolde zielen immer wieder darauf, nicht nur ihr, sondern (vor allem?) auch Tristans Handeln und seine Treue zu ergründen. Als Marke Marjodos Rat folgend Isolde erneut zu überlisten sucht, kombiniert er gewissermaßen die Elemente aus den vorangegangenen Gesprächen und bezieht sich im Nachgang auf die vorangegangene Redeszene mit Isolde, wenn er ihren Hass Tristan gegenüber aufgreift und auf diesen reagiert.Wie auch in den vorangegangenen Gesprächen fingiert Marke hier einen (sehr vage gewählten) Anlass, mit dem er sein Fortgehen begründet (Tr 14032– 14035): „seht“ sprach er „vrouwe künigîn, ich waene, es muoz uns nôt geschehen. nu lât mich kiesen unde sehen, wie vrouwen kunnen lant bewarn.[“]
Marke spricht Isolde in ihrer Rolle als Königin an, was nicht nur die formelle Anrede mit ihrem Titel verdeutlicht, sondern inhaltlich dadurch ausgedrückt wird, dass er nun nicht mehr Isoldes Schutz während seiner Abwesenheit in den Blick nimmt, sondern seinen Fortgang als Bewährungsprobe für sie inszeniert, bei dem ihr als
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Landesherrin der Schutz des Reiches obliegt. Der Anlass seines Fortgangs bleibt spekulativ: Marke distanziert sich selbst von seiner Aussage, indem er die nôt, wegen der er das Land verlassen muss (vgl. Tr 14036), durch die Einschränkung ich waene als rein potentiell, nicht aber als eine definitive darstellt und darauf verzichtet, seiner Frau nähere Informationen über die Art der Bedrohung zu geben. Diese könnten allerdings wesentlich sein für ihre weiteren Entscheidungen, da je nach Gefahrenlage auch personell andere Konstellationen sinnvoll für den Schutz des Reiches sein könnten, und auf dieser Grundlage entschieden werden müsste, welche Figur im Gefolge des Königs reisen und welche bei der Königin verweilen soll. Marke verzichtet allerdings nicht nur auf die weiteren Informationen, sondern offenbar in der fingierten Situation auch auf sein Gefolge. Seine Vertrauten, Gefolge wie Vasallen, sollen bei Isolde bleiben (vgl. Tr 14036 – 14042). Isoldes Aufgabe ist es nun nicht mehr, darüber zu entscheiden, wer bei Hof verweilen soll, sondern wer diesen zu verlassen hat und dies nicht etwa, um Marke zu begleiten, sondern endgültig. Grundlage für diese Entscheidung soll Isoldes Sympathie oder Antipathie den Höflingen gegenüber sein (Tr 14043 – 14050): und swer iu niht vil senfte bî und liep in iuwern ougen sî under vrouwen unde mannen, die scheidet alle dannen. irn sult wider iuwerm muote an liuten noch an guote niht weder hoeren noch gesehen, dar an iu leide müge geschehen.
Marke leitet auf diese Weise zu Isoldes vorgetäuschtem Hass gegenüber Tristan über, wobei er billigend in Kauf nimmt, dass seine List auch andere Höflinge betreffen könnte, falls Isolde auf seinen Vorschlag einginge. Gleichzeitig überführt Marke die formell begonnene Rede auf eine emotionale Ebene, da er nicht nur Isoldes Gefühle und seine hierin mitschwingende Fürsorge bezüglich ihres Befindens bei Hof anspricht, sondern so weit geht, Isoldes Gefühle für sein eigenes Empfinden und als Grundlage für sein herrscherliches Handeln übernehmen zu wollen (Tr 14051– 14053): ine wil ouch niht des minnen von herzen noch von sinnen, dem ir unholdez herze traget.
Damit erzeugt er den Eindruck einer angestrebten ehelichen unio und verdeutlicht gleichzeitig, dass diese Einheit nicht vorhanden ist, und dass sie nicht auf einem natürlichen Weg zustandekommen wird, sondern Absprachen benötigt. Gerade im Vergleich zur „völlige[n] innere[n] Parallelität“ (Dembeck 2000: 503) des Liebespaa-
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res⁴⁰³, die sich in ihrer „Herzenskommunikation“ (ebd.: 502– 503)⁴⁰⁴ manifestiert, sticht hier hervor, dass auch Markes Liebe zu Isolde von deutlich anderer Qualität ist, der es an echtem Verbundensein mangelt. Markes Vorstellung einer Einheit ist so, wie er sie hier darstellt, und vor allem in Hinblick auf die angekündigten Konsequenzen primär eine repräsentative: Das Paar würde öffentlich gemeinsam in einem Entscheidungskonsens auftreten, faktisch läge aber nur eine Art Universalzustimmung Markes zu Isoldes Entscheidungen vor, ohne dass er dieselben von sich aus gefällt hätte. Als logische Schlussfolgerung seiner Äußerungen leitet Marke nun zum Kern seiner – respektive Marjodos – List über, indem er ankündigt, Tristan vom Hof zu entfernen (Tr 14058 – 14065): [„]und sît mîn neve Tristan unsenfte in iuwerm herzen ist, sô scheide ich in in kurzer vrist von hove und von gesinde, swie ich die vuoge vinde. er sol ze Parmenîe varn und sol sîn selbes dinc bewarn. des ist im unde dem lande nôt.“
Marke stellt seinen Vorschlag nicht zur Debatte. Er stellt, anders als in den vorangegangenen Listen, keine Fragen, sondern informiert Isolde. Dabei formuliert er sehr klar, nutzt weder Modalverben noch Konjunktive und leitet von der Vagheit, mit der er seine Rede begonnen hat, zu einer Bestimmtheit in seinem Auftreten über, die klar macht, dass die von ihm referierte Entscheidung bereits gefallen ist – und zwar auf der Grundlage von Isoldes Rede im zweiten Bettgespräch. Dabei nimmt er seine einleitende Argumentation durch die Negation des Adverbs senfte wieder auf: Wer Isolde nicht vil senfte bî sei, solle den Hof verlassen, da Tristan unsenfte in iuwerm herzen ist, ist seine Entfernung vom Hof die folgerichtige Konsequenz. Auffällig ist darüber hinaus, dass Marke Isolde hier vorausgreift: Hatte er es zuvor durch die zweite Person Singular eindeutig als ihre Aufgabe formuliert, die Höflinge, die ihr nicht gefallen, vom Hof trennen zu sollen – die scheidet alle dannen –, so wechselt er im konkreten Fall in die erste Person Singular und macht klar: sô scheide ich in. Die Entfernung des
Markes Planen einer Einheit kontrastiert die spontane Vereinigung der Herzen Tristans und Isoldes (wobei hier durch den Einfluss des Minnetranks über die Natürlichkeit des Gefühls und der Einheit diskutiert werden könnte). Gerade die Einheit des Paares als Reaktion auf den Minnetrank wird von Gottfried deutlich herausgearbeitet (Tr 11721– 11731): diu süenaerinne Minne / diu haete ir beider sinne / von hazze gereint, / mit liebe alsô vereinet, / daz ietweder dem andern was / durchlûter alse ein spiegelglas. / si haeten beide ein herze. / ir swaere was sîn smerze, / sîn smerze was ir swaere. / si wâren beide einbaere / an liebe unde an leide […]. Eine Absprache über Gefühle ist nicht nötig, sondern liegt in der Minne begründet. Dembeck (2000: 503) expliziert: „Grundlage der Tristanminne ist diese Herzenskommunikation, die das wechselseitige Wahnehmen des anderen zum idealen kommunikativen Ereignis erhebt, bei dem Wahrgenommener und Wahrnehmender ineinander fließen.“
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Favoriten ist somit nicht nur als Fakt formuliert und stellt einen Vorausgriff auf Isoldes Entscheidung dar, sondern es ist Marke, der sich hier verbal seines Rivalen entledigt. Dass er Tristan, der auch nach der Eheschließung im Falle einer Kinderlosigkeit des Königspaares den Status des Thronerben innehat (vgl. Tr 12573 – 12574), ohne zu Zögern aus seinem Reich entfernen würde, kann als große Illoyalität des Herrschers gewertet werden. Marke versucht diesen Eindruck abzumildern, indem er rational begründet, dass Tristans Anwesenheit in Parmenien für diesen und sein Reich notwendig wären. Diese Argumentation widerspricht Markes gesamtem Auftreten im Vorfeld der Brautwerbung Tristan gegenüber. Auch wird deutlich, dass ihm das vermeintliche Faktum, dass seine Frau Tristan abgeneigt ist, offenbar selbst eigentlich als eine zu dünne Basis für die Begründung der Entscheidung, den Favoriten fortzuschicken, erscheint. Isolde muss, um Tristan am Hof halten zu können, „ihren simulierten, privaten Haß“ (Christ 1977: 79) relativieren und seinen Nutzen für den Hof als relevanter als ihre persönliche Abneigung darstellen. Sie argumentiert konsequent vom Nutzen der Gesellschaft her, klammert Beziehungsfragen aus. […] Obwohl Marke hier keinerlei sprachliche Anhaltspunkte für eine emotionale Beteiligung Isots an Tristans Schicksal finden kann, wird er mißtrauisch; sein Verstand ist zwar nicht durch nonverbale Ablenkungsmanöver getrübt, dafür überscharf auf seinen Verdacht fixiert. (Semmler 1991: 132)
Marke verfällt erneut in Zweifel und Argwohn; allerdings wird nicht berichtet, dass er diese wieder mit Marjodo besprechen würde. Während dieser also initiativ hinter der List steht und Marke instruiert hat, wie er vorgehen soll, scheint für Marke eine Beratung nun, da sein Eindruck mit dem des Truchsesses übereinstimmt, nicht mehr notwendig zu sein.⁴⁰⁵ Da Marke Marjodo nach dem vierten, von Isolde erfolgreich absolvierten und nur von ihr betriebenen Bettgespräch ze einem lügenaere (Tr 14231) hält, betreibt dieser seine Intrige nun gegen das Liebespaar, indem er sich mit Melot, einem Zwerg und Vertrauten des Königs, zusammentut und ihm Markes Lohn in Aussicht stellt, sollte er ihm helfen können, Beweise für die Liebe Tristans und Isoldes zu finden (vgl. Tr 14235 – 14260). Der Zwerg agiert also zunächst nicht auf Markes, sondern Marjodos Initiative hin, wobei Marjodo hier, obwohl er beim König vorübergehend in Misskredit gefallen ist, immer noch über Markes Vermögen verfügt. Die Intrige wird also vorerst hinter Markes Rücken weiterbetrieben. Melot findet die Beweise im Verhalten der Liebenden und unterrichtet Marke sogleich darüber (vgl. Tr 14261– 14273), woraufhin Marke sich wieder an den Listen beteiligt und sich mit den Ränkeschmieden nicht nur einlässt, sondern sich ihnen gemein macht (Tr 14274– 14281): sus triben si drî diz maere, Melôt und Marke und Marjodô,
Hier wird stattdessen im gegenläufigen Aufbau der Bettgespräche von Isoldes Beratung mit Brangänge berichtet.
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bis si under in gevielen dô mit gemeinem râte dar an: würde mîn hêr Tristan von dem hove gescheiden, man möhte an in beiden die wârheit offenbaere sehen.
Markes Position ist hier (schon graphisch) nicht die des Ersten oder die eines Anführers und Herrschers. Dies wird besonders in Vers 14275 deutlich, wie Ruberg (1989: 313) herausarbeitet: „Die Namenkonstellation in dieser kleinen ‚Interessengruppe‘ […] ist so arrangiert, daß die beiden einflußreichen Ratgeber den eher zögernden und schwankenden Marke flankierend in ihre Mitte nehmen.“ Allerdings wird der Eindruck, dass Marke „durch das selbständige Wirken der beiden Helfer zunächst entlastet scheint“ (Hahn 1963b: 138), wieder aufgehoben: Marke wird, wie schon in den Bettgesprächen, die Figur sein, die die List ausführt. Darüber hinaus ist er aber vor allem aktiv an der Verabredung und Besprechung der List beteiligt. Anders als in den Bettgesprächen ist hier zwar immer noch der Einfluss der anderen Figuren ausschlaggebend für Markes Handeln; allerdings wirkt Marke nicht mehr wie ein Handlanger Marjodos und lässt sich das Vorgehen nicht diktieren, sondern es ist ganz klar das gemeinschaftliche Handeln, das im Mittelpunkt steht: Die Figuren werden nicht mit einzelnen Sprechanteilen gezeigt, sondern es heißt explizit sus triben si drî diz maere und das Resultat liegt im gemeinem râte. Marke setzt das Besprochene al zehant (Tr 14282) um (Tr 14284– 14293): der künec bat sînen neven iesâ durch sîn selbes êre, daz er dekeine kêre zer kemenâten naeme noch niemer dâ hin kaeme, da der vrouwen keiniu waere. der hof der tribe ein maere, man wolte es hüetende sîn, dâ von ime unde der künigîn leit unde laster möhte enstân.
Im inquit der indirekt gestalteten Rede wird sowohl das Herrschafts- als auch das Verwandtschaftsverhältnis ausgedrückt und Marke tritt, wie schon diverse Male zuvor, in seiner Rolle als königlicher Onkel als besorgt um Tristans Wohl und Ansehen auf. Die Rede wird durch das verbum dicendi bat als Bitte gekennzeichnet und nicht als Befehl – auch wenn Markes Bitten oft, wie gezeigt wurde, eher als Befehle formuliert werden und es im Nachfeld dieser Rede zudem heißt: daz er gebôt und des er bat (Tr 14295). Befehl und Bitte werden hier als Paarformel parallel gesetzt⁴⁰⁶ und somit verdeutlicht, dass die Bitte eines Königs im Grunde immer als Befehl aufzu Der Genitiv des wird durch das Verb regiert, so dass die Konstruktion als gleich zu erachten ist.
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fassen ist. Dass die Rede indirekt wiedergegeben wird, kann hier deutlich als eine Distanzierung des Erzählers von Markes Aussagen gewertet werden und zwar weniger bezogen auf die Bitte, Tristan möge sich von den Damen fernhalten, als vielmehr in Bezug auf das Gerücht: Nicht der Hof ist es, der hier ein maere treibt, sondern wenige Verse zuvor wird ganz klar mit derselben Wendung festgestellt, dass tatsächlich Marke, Melot und Marjodo diejenigen sind, die dies tun. Marke formuliert hier geschickt, da er Tristan zwar mit dem Gerücht bei Hofe konfrontiert und konstatiert, dass Tristan sich, um seiner Ehre willen, vor diesem Gerücht in acht nehmen solle, aber er verzichtet darauf, seine eigene Position zu diesem Gerücht darzulegen und auch nur ansatzweise anzudeuten, dass er diesem Gerücht Glauben schenken würde. Marke inszeniert sich als Warnender „in der Hüterrolle“ (Hauenstein 2006: 86) und unterstreicht damit im Grunde die Position des Vertrauten. Dadurch, dass Tristan sich von den Damen fernhalten soll, wird der Radius des Gerüchtes allerdings von dem Kreis der drei an der Intrige beteiligten Figuren tatsächlich auf den Hof ausgeweitet: Der König verbannt Tristan aus ‚kemenâten und palas‘ und leistet damit einem Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung Vorschub, der den Helden zusehends in Verruf bringt. Die ‚vremede‘ Tristans erregt Aufsehen, und der Hof spricht darüber ‚vil übele und anders danne wol‘. (Ebd.; die Zitate beziehen sich auf Tr 14301 und Tr 14303)
Indem Marke aber auf diese Weise maßgeblich dazu beiträgt, das Gerücht bei Hof erst zu etablieren und es publik zu machen, ist er es selbst, der, angestachelt durch seine Berater, ehr- und herrschaftsgefährdend handelt und gerade nicht hüetende auftritt. Marke nimmt hierbei nicht nur eine Destabilisierung seines Königtums in Kauf, sondern diskreditiert Tristan bei Hofe, noch bevor er selbst einen Beweis für Tristans Untreue hat. Seine Rede bewirkt also das Gegenteil dessen, was sie vordergründig will: Sie schützt weder Tristans noch Markes oder Isoldes Ehre. Die Intrige funktioniert – Marke selbst erkennt jetzt die Zeichen des Leides, das die Trennung beim Liebespaar verursacht, und initiiert seine erste eigenständige List. Er lädt seinen Hof zu einer 20-tägigen Jagd und lässt verkünden, dass swer mit gejegede kunde oder swer sô sîne stunde dâ mite vertriben wolte , daz er sich reiten solte. (Tr 14357– 14360)
Dies schließt auch seinen Jägermeister Tristan ein, dessen Absage Marke natürlich einkalkuliert (vgl. III.II.1.2.3: 148 – 149). Nach den fingierten Abschiedsschilderungen in den bettemaeren wird Markes Abschied von Isolde nun indirekt wiedergegeben als ein auf den ersten Blick unverfänglicher Wunsch, sie solle nâch ir willen sîn / dâ heime vrôlîch unde vrô (Tr 14362– 14363). Der Abschied fällt jetzt, gerade im Vergleich zu den inszenierten Abschieden während der Bettgespräche, recht unspektakulär und emotional undramatisch aus: Marke muss Isolde nicht mehr verbal herausfordern, um Indizien für ihre Untreue sammeln zu können, sondern braucht, nachdem er der
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Liebeszeichen selbst gewahr geworden ist, eine handhafte Tat, um sie des Betruges überführen zu können. Marke ist an dieser Stelle über das Stadium einer kommunikativen Falle hinaus. Er beauftragt nun veholne, „verdeckt durch den Lärm der aufbrechenden Jagdgesellschaft“ (Ruberg 1978: 234), Melot, die Überwachung der Liebenden zu übernehmen, wobei die Heimlichkeit des Befehls der tougenheite des Liebespaares gegenübergestellt wird (vgl. III.I.2.2: 81) (Tr 14364– 14369): verholne bevalh er dô dem getwerge Melôte, daz ez Tristande unde Isôte zuo zʼir tougenheite lüge unde lâge leite. ez genüzze es iemer wider in.
Marke bezieht ausschließlich Melot ein, dessen Beobachtungsgabe ihm den Anstoß zur Trennungslist gegeben hatte, nicht aber Marjodo. Während Marke sonst auf die Eingaben seiner Berater reagiert hat, baut er diese List offenkundig ganz alleine auf, was vor allem dadurch deutlich wird, dass das Informieren Melots den Abschluss von Markes Vorgehen darstellt. In der sich anschließenden Baumgartenszene ist Markes Rolle die des Rezipienten, der schweigend gemeinsam mit Melot dem Stelldichein des Liebespaares lauschend beiwohnt (vgl. Tr 14612). Ruberg (1978: 234) bewertet Markes Schweigen, das auch die Mehlstreuepisode und die Entdeckung der Liebenden in der zweiten Baumgartenszene betrifft, als negatives Merkmal von Markes Wahrheitssuche:⁴⁰⁷ „Es ist nicht das vorbildliche herrscherliche Schweigen des Aufmerksamen, des Nachdenklichen oder Großmütigen, vielmehr das Kennzeichen der hinterhältigen Nachstellung, des Schwankes und ohnmächtiger Schwäche.“⁴⁰⁸ Wie schon das eigenständige Planen der List markiert auch das Schweigen Markes einen Wandel in seinem Vorgehen, da er von den Redelisten zu Listen übergeht, die nicht auf sprachliche Indizien, sondern auf ein Überführen der Liebenden entweder durch Augenzeugenschaft (im Baumgarten) oder verräterische, außersprachliche Zeichen (in der Mehlstreuepisode) zielen. Zwar sind die Listen im Vorfeld, wie z. B. im obigen Beispiel deutlich wird, teils mit Vorabsprachen mit Markes Helfern verknüpft und führen im Nachgang zu Gesprächen, die Marke mit Tristan, Isolde und Melot führt; die sich anschließenden Gespräche sind aber Reaktionen auf die Listen und nicht Teil derselben. Diese Gespräche und Reflexionsschilderungen zeigen Marke einerseits in einem Zustand von Reue und Schuld (vgl. Tr 14916 – 14928), andererseits in einem Status von Unsicherheit, dem er mit vorgeschobener Scherzhaftigkeit begegnet (vgl.
Eine Sonderrolle kommt den Bettgesprächen als kommunikative Listen zu. Das Schweigen setzt erst im Nachgang ein. Schnyder (2003: 123) bezeichnet Marke als „Prototyp für denjenigen, dessen Sprache im Zweifel erstickt“.
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Tr 15205 – 15224), die aber seine Verunsicherung verdeutlicht und in Markes Schweigen endet. Damit werden die Grenzen von Markes Listen umso deutlicher hervorgehoben. Nicht nur die Tatsache, dass Marke mit den Listen an seine Grenzen stößt, führt schließlich dazu, dass er die Öffentlichkeit in die Klärung seines Verdachts mit Einberufung des Konzils ganz offiziell miteinbeziehen wird. Faktisch bindet er den Hof bereits in dem Moment, als er Tristan der Gemächer der Damen verweist, in die Angelegenheit mit ein. Diese List kann also klar als diejenige benannt werden, mit der Marke nicht, wie für einen König angemessen, herrschaftssichernd, sondern eindeutig herrschaftsgefährdend handelt. Dass er an dieser Gefährdung selbst großen Anteil hat und dass sein Vorgehen nicht nur die Liebenden, sondern auch seine eigene Stellung gefährdet, wird in der Schilderung von Markes Trauer⁴⁰⁹ im Anschluss an die Baumgartenszene deutlich. Marke verflucht seine Berater innerlich wie auch laut dafür, dass sie ihn in diese Lage gebracht haben, und wirft Melot, der ja mit Marke in der Baumgartenszene anwesend ist, tadelnd Betrug vor. Damit nimmt er zunächst eine klare Schuldzuweisung vor, die von ihm selbst wegführt und andere Figuren, die in dar an haeten brâht, für die gesamte Situation verantwortlich macht (Tr 14922– 14928): und die in dar an haeten brâht, die vervluochte er tûsent stunde mit herzen und mit munde. er verweiz ie genôte dem getwerge Melôte, daz ez in haete betrogen und ime sîn reine wîp belogen.
Andererseits weiß Marke doch um seinen eigenen Anteil an der Misere, wobei sich sein hieraus resultierendes leit (Tr 14933) nicht in erster Linie auf das, was er Tristan und Isolde angetan hat, bezieht, sondern vor allem auf die Konsequenzen für sich selbst (Tr 14936 – 14941): Marke durch den arcwân, daz er den neven und daz wîp und allermeist sîn selbes lîp sô haete beswaeret und z’übele vermaeret über hof und über lant.
Die indirekte Schilderung von Markes Gedanken ist zwar nicht eindeutig als Gedankenrede gekennzeichnet, dass hier eine solche vorliegt, wird aber durch die Innensicht der Figur deutlich. Einleitend wird Markes Verhältnis zu den beiden Figuren betont,
„Zu den herausgehobenen trurenden im Tristan gehört auch König Marke, dessen Traurigkeit im Verlaufe der Handlung zunehmend die Züge einer krankhaften Melancholie annimmt.“ (Tomasek 1999: 16).
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die als neve und wîp mit Bezeichnungen der Figurenbeziehung und nicht durch distanzierende Titel beschrieben werden, so dass hier in Markes Gedanken Nähe ausgedrückt wird. Marke ordnet sich zwar in der Aufzählung Tristan und Isolde nach, die Konsequenzen seines Handelns ordnet er aber durch das Adverb allermeist besonders sich selbst zu: Erst hier, nachdem ihm sein Vorgehen (und Vergehen) aus fremder Perspektive im fingierten Dialog der Liebenden geschildert worden ist, scheint Marke sich in seiner stillen Reflexion darüber bewusst zu werden, dass er nicht nur die Liebenden bei Hofe und darüber hinaus diskreditiert hat, sondern dass sein eigenes Ansehen als höchster Repräsentant des Hofes das ist, was durch die Schande am stärksten betroffen ist. Obwohl Marke zu diesem Zeitpunkt noch von der Unschuld der Liebenden überzeugt ist, bleibt ihm faktisch keine andere Wahl, als einen Beleg für oder gegen den Betrug zu finden. Er muss das Gerücht bestätigen oder entkräften, andernfalls bliebe nicht nur das Liebespaar, sondern vor allem auch er als König im Zentrum des Geredes, dessen Urheber seine Berater und er selbst sind. Zu diesem Zeitpunkt betrifft die Angelegenheit längst nicht mehr nur die direkt involvierten Figuren. Da Marke in der Sphäre der Heimlichkeit keinen eindeutigen Beweis für oder gegen die Liebesbeziehung seiner Frau und seines Neffens finden kann, allein das Gerücht aber destabilisierend auf die höfische Ordnung wirkt, muss Marke zur Sicherung und Wiederherstellung derselben den Schritt in die Öffentlichkeit gehen.
2.3.2 Die Sphäre der Öffentlichkeit Nachdem Marke durch den Einfluss Marjodos und Melots und die Listen immer weiter ins Zweifeln geraten und dem Liebespaar gegenüber schließlich verstummt ist, wird Marke in seiner Rolle als Herrscher aktiv. Er verlagert die in der Sphäre der Heimlichkeit gescheiterte Suche nach einer Zerstreuung seiner Zweifel schrittweise in die Öffentlichkeit. Dies ist nicht nur der Erfolglosigkeit des heimlichen Agierens geschuldet, sondern liegt auch darin begründet, dass Marke den Zweifel über Tristan und Isolde nicht nur für sich, sondern auch für die höfische Öffentlichkeit ausräumen möchte, was aus seiner indirekt dargestellten Gedankenrede im Vorfeld der öffentlichen Auseinandersetzung hervorgeht. Dabei wird Markes Zustand in der Einleitung der Schilderung seiner Reflexion als verirrete bezeichnet und sein Kummer hervorgehoben. Dieser resultiert aus zwei verschiedenen Aspekten des aus Markes Perspektive potentiellen Betrugs, so dass sich hieraus zweierlei Ziele als Handlungsinitiatoren ergeben (Tr 15265 – 15279): Der verirrete Marke alrêrste was er starke bekumbert mit trahte, mit wie getâner ahte er sich hier ûz berihtete und disen wân beslihtete, wie er der zwîvelbürde
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ledec und âne würde, wie er den hof braehte von der missedaehte, die er treip ie genôte von sînem wîp Îsôte und sînem neven Tristande.
Einerseits überlegt Marke, wie er sich von seinen Zweifeln befreien könnte, andererseits will er den Hof explizit von der missedaehte abbringen. Hübner (2003: 336) konstatiert: Was der König redet und tut, redet und tut er in Rücksicht auf den Hof. In der Außenwelt geht es um Ehre und Ehe, in der Innenwelt auch Markes geht es um Liebe und Freundschaft. Das narrative Arrangement ermöglicht es, Markes Reden und Handeln vor dem Hintergrund seines eigenen Fühlens und Denkens zu beurteilen, weil innerhalb dieser Relation bei ihm – wie beim Liebespaar – das Fühlen und Denken als das Authentischere erscheint.
Dabei offenbart gerade die Art der Formulierung der Gedanken des Königs, insbesondere der Gebrauch spezifischer Verbgefüge, dass sein Streben nicht zwangsläufig als ein Streben nach Wahrheit gedeutet werden kann, wie Kucaba (1997: 75) herausarbeitet: sich ûz berihten bedeutet ‚einen Ausweg aus einer Lage finden‘; daß dieser ‚Ausweg‘ (oder auch ‚Gewißheit‘) verstanden werden soll, wird jedoch hier nicht gesagt. Auch die Wendung disen wân beslihten, was ‚diese Vermutung oder diesen Gedanken schlichten beziehungsweise in Ordnung bringen‘ heißt, läßt keine spezifisch wahrheitsgerichtete Bestrebung erkennen. Die nächsten Zeilen, wie er der zwîvelbürde ledec und âne würde, zeigen, daß es gerade die ‚Doppel-Deutigkeit‘, das heißt das gleichzeitige Bestehen von Wahrheit und Lüge ist, was Marke belastet.
Wie schon in seinen Überlegungen im Anschluss an die Baumgartenszene (vgl. Tr 14936 – 14941) nimmt in Markes Gedanken das Verwandtschaftsgefüge eine wichtige Rolle ein, indem er Isolde als sein wîp und Tristan als seinen neven denkt. Bei all seinen Zweifeln schwingt also immer auch ein verbindendes Element und hierüber vor allem die eigene Beziehung zu beiden mit. Die Art, wie Markes Gedanken formuliert sind, sein Wunsch, seine eigenen Zweifel ebenso auszuräumen wie die Verdächtigungen des Hofes, vermitteln den Eindruck, dass Marke sich hier nicht nur um sein eigenes Ansehen und Wohl sorgt, sondern auch die Liebenden vor den Anfeindungen des Hofes schützen will. Gleichermaßen wird deutlich, dass Markes Interesse eigentlich darauf zielt, die Schuld der Liebenden gerade nicht zu beweisen, sondern eine „beslihtete Version des Geschehens“ zu erreichen, über die „nur der Verdacht als solcher ausgeräumt, nicht die Wahrheit aufgedeckt werden soll“ (Kucaba 1997: 75). Um dies zu erreichen, muss Marke den Bereich der ausschließlichen Einflussnahme Marjodos und Melots verlassen und den Hof in die Klärung der Angelegenheit einbeziehen. Markes Handeln ist jetzt – anders als bei der Durchführung seiner Lis-
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ten – als für einen König adäquat zu bewerten.⁴¹⁰ Es findet innerhalb der höfischen Konventionen statt (vgl. auch Hauenstein 2006: 95) und ermöglicht grundsätzlich nicht nur ihm selbst, sondern auch dem Liebespaar ein Wiederherstellen seiner angegriffenen Reputation, indem es den bislang geheim ausgetragenen Konflikt in den rechtlichen Bereich überführt: Mark’s move to resolve his doubts is the first of a strictly legalistic nature. […] Mark himself had never caught the lovers in flagrante delicto, in spite of the traps he laid. The evidence of the blood in the bed, however, is sufficiently strong to prompt him to take further action. His appeal to his lords is, legally, the correct thing to do. (Jackson 1973: 111)
Er ruft in einem ersten Schritt einen Rat aus ausgewählten Landesherren zu sich, jene also, derer Treue er sich sicher ist, und schildert ihnen das Gerücht und die daraus resultierenden Konsequenzen (Tr 15280 – 15286): sîne vürsten er besande, dar er sich triuwen versach, und kündete in sîn ungemach und seite in, wie diz maere da ze hove ersprungen waere und vorhte harte sêre sîner ê und sîner êre.
Markes Rede wird gestrafft wiedergegeben, teils als Redebericht, teils als indirekte Rede. Das Gerücht ist den Rezipienten (auch innerhalb) der Narration bekannt und muss nicht erneut in direkter Rede wiedergegeben werden. Eine Formulierung sticht allerdings hervor: Marke erzählt den Landbaronen, wie diz maere / da ze hove ersprungen waere [Hervorhebung A.K.]. Dass Marke den Landbaronen gegenüber den tatsächlichen Hergang der Entstehung des Gerücht wiedergibt oder konkret benennt, von wem er selbst von dem Gerücht gehört und wie er selbst dazu beigetragen hat, es öffentlich zu machen, wird kaum Inhalt von Markes Rede sein. Seine eigene Version verschwindet hinter der indirekten Wiedergabe durch den Erzähler und bleibt für den Rezipienten vage. Hier hätte eine direkte Rede abbilden können, wie weit Marke sich in seinem Bericht an die Fakten hält, wie er sich selbst innerhalb dieser Geschichte positioniert, welchen Zeitrahmen er seit der Entstehung des Gerüchtes benennt, wie sein Handeln unter diesem Gesichtspunkt einzuordnen ist, ob er etwa Schlimmeres
Dass heimliches Handeln von Relevanz für die Herrschaftssicherung ist, hat Wenzel (1988b: 345, Zitat 348) herausgearbeitet. Markes Listen führen aber dazu, dass er nicht nur das Ansehen der Liebenden, sondern gerade auch sein eigenes gefährdet. „Er muß auf das Wechselspiel von Licht und Dunkel, Sehen und Nichtsehen, unsicher und schwankend reagieren, denn allein der unverhüllte Augenschein ermächtigt ihn als König zu wirksamem Handeln (13782 ff.). Der zwîvel wird deshalb zentrales Charakteristikum seines Verhaltens (14010, 15265, 17712). […] Der herrscherliche zwîvel stimuliert jedoch das Schwanken des gesamten Hofes in der Ungewißheit über Recht und Unrecht.“
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
durch ein früheres öffentliches Agieren hätte verhindern können etc.⁴¹¹ Die Perspektivierung dieser Faktoren wäre für die Zeichnung der Markefigur interessant gewesen – für den Fortlauf der Narration ist sie aber unerheblich. Marke artikuliert seine Sorge um seine Ehe und seine Ehre – beide sind durch das Gerücht gleichermaßen und korrelierend gefährdet. Unter dem Eindruck seiner vorangegangenen Gedankenrede ist es plausibel, wenn auch nicht unbedingt ehrlich, dass Marke sich von dem Gerücht distanziert. Dieser neue Sinnabschnitt wird durch ein inquit an eingeschobener Position eingeleitet und hierdurch von der vorangegangenen Rede abgegrenzt. In der Bewusstseinslenkung, dass es sich hier um Markes Aussage handelt, kann auch eine Distanzierung des Erzählers zu Markes Rede gesehen werden, da dieser zwar vorgibt, dem Gerücht keinen Glauben zu schenken, sein gesamtes Agieren bis zu diesem Zeitpunkt aber eine deutlich andere Sprache spricht (Tr 15287– 15294): und jach, des in endûhte niht, sît daz ir beider inziht sô waere gʼoffenbaeret und in daz lant vermaeret, daz er binamen der künigîn holt oder heinlîch wolte sîn, sine behabete offenlîchen ê wider in ir unschuld unde ir ê.
Obwohl er Tristan und Isolde durch die Aussage des in endûhte nicht zögerlich sein (tatsächlich gerade nicht gegebenes) Vertrauen ausspricht, macht er deutlich, dass die eheliche Gemeinschaft als solche bis zur Klärung der Angelegenheit ruhen muss. Dabei stellt er klar, dass Isolde diejenige ist, die das Gerücht öffentlich aus der Welt räumen muss. Tristan wird in dieser gesamten Rede nicht namentlich erwähnt. Marke benennt Isolde hier, anders als in seiner Gedankenrede, ganz klar mit ihrem Titel als künigîn. In seiner Rede steht gerade nicht Markes privates, sondern sein politisches Interesse im Vordergrund und es muss ihm aus Perspektive des Hofes vor allem um den Schutz seiner Reiche gehen, die mit dem Ansehen des Königspaares, vor allem aber dem des Königs selbst, verknüpft sind: „It’s the kings honor which is at stake here“ (Jackson 1973: 111). Hieraus ergibt sich auch, dass Marke den Verdacht gegen die Liebenden nicht weiter befeuern will, wodurch sein Handeln im Kontext der Heimlichkeit kontrastiert wird: Dort bewirkte der Verweis Tristans aus den Damengemächern gerade das Entstehen von Gerede bei Hof. Hier aber soll das Gerücht gerade Auch Kolb (1988: 329) akzentuiert den zeitlichen Faktor in Markes Handeln: „Es ist ihm auf Dauer unerträglich und seiner Stellung als König abträglich, daß am Hofe und im Land Verdächtigungen gegen seine Frau und seinen Neffen laut werden und er aus eigener Initiative nichts dagegen unternimmt, den Verdächtigungen auf den Grund zu gehen und ihnen den Boden zu entziehen.“ Hier ist besonders das Bild Markes in der Öffentlichkeit wichtig, da sein Handeln im Verborgenen vom Hof nicht als Initiative gewertet und Markes ausbleibende Reaktion als Zeichen von Schwäche gewertet werden kann.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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nicht weiter geschürt, sondern aus der Welt geräumt werden. Eine Distanz der Ehepartner ist bis zur Klärung der Angelegenheit eine logische Schlussfolgerung, die faktisch nicht nur dem Ansehen, sondern auch dem Schutz beider Parteien dient: Markes Ehre wird durch die Distanz gewahrt, Isolde steht zwar unter Verdacht, ist aber auf diese Weise vor den listigen Übergriffen ihres Ehemannes geschützt und kann durch ein enthaltsames Leben ihre Unschuld demonstrieren. So lenkt Marke den Umgang mit der desolaten Beziehung in den höfischen Interaktionsrahmen zurück. Er hebt sie zwar im Grunde vorerst auf, macht aber deutlich, dass es sich um eine zeitlich befristete Maßnahme handelt, wobei er antizipiert, dass Isolde ihre unschuld beweisen muss, um die eheliche Gemeinschaft ehrenvoll wieder aufnehmen zu können.⁴¹² Zielten die Listen in der Sphäre der Heimlichkeit durch den Einfluss Marjodos und Melots auf ein Beweisen der Schuld, steht die Sphäre der Öffentlichkeit eher für die Annahme einer Unschuldsvermutung und zielt auf eine Neukonstruktion höfischer Ordnung. Diese kann aber nur durch den Einbezug des Hofes wiederhergestellt werden, so dass Marke vor seiner Schilderung der Problematik in einem neuen Sinnabschnitt nun den Rat in den Umgang mit der vorgestellten Situation einbezieht. In diesem Teil von Markes Rede wird Markes Zweifel noch einmal besonders deutlich und die Unschuldsvermutung tritt tendenziell wieder zurück (Tr 15295 – 15299): hier über suohte er ir aller rât, den zwîvel umbe ir missetât, wie er den sô hin getaete, als er es êre haete, eintweder abe oder an.
Marke sucht nach einer ehrenvollen Lösung, die er allein (und gerade auch unter dem Einfluss seiner Helfer) nicht finden kann, und betont nun, dass es explizit um seine Ehre – und also nicht die Isoldes – geht, und dass der Zweifel über den Ehebruch ‚so oder so‘ ausgeräumt werden solle. Dass er seine Rede auf diese Weise beendet, rückt seine vorangegangene Aussage, dass er nicht an die Schuld der Liebenden glaube, in den durch das erneute inquit bereits angedeuteten Bereich der Unglaubwürdigkeit, da Marke hier sehr offenkundig mit jedem möglichen Ausgang einer Prüfung Isoldes rechnet und dies implizit auch seinem Rat verdeutlicht. Kolb (1988: 329) deutet diese Stelle auf andere Weise und sieht in ihr den Beleg dafür, dass es Marke „nicht so sehr darauf an[kommt], die Wahrheit in dieser Hinsicht herauszufinden, als darauf, daß der Verdacht und Argwohn gegen seine Frau und seinen Neffen zur Ruhe kommen“. Dass es dem König nicht in erster Linie um Wahrheitsfindung geht, ist plausibel (vgl. Kucaba 1997: 75). Gerade der Abschluss von Markes Rede hebt aber seinen Zweifel hervor, macht deutlich, dass er, entgegen seiner früheren Behauptung, er schenke Kolb (1988: 330) stellt heraus, dass Marke Isolde körperlich, aber auch „durch die Repräsentanz ihrer Schönheit und ihrer Bildung“ begehrt und „sein sehnlichster Wunsch noch immer darin [liegt], daz er ir binamen der künigin / holt oder heinlich wolte sin“, gesetzt, ihre Unschuld ist öffentlich wieder hergestellt.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
dem Gerücht keinen Glauben, doch an diesem partizipiert, und lässt seine Rede in einer Weise offen enden, die seinen eigenen Zweifel suggestiv an seine Berater weitertragen kann. Dennoch ist Markes Rede an den Rat definitiv nicht als eine Anklage der Liebenden zu werten (vgl. Jackson 1973: 111). Markes Vertraute raten ihm, ein Konzil einzuberufen, um seine Sorgen mit geistlichen Gelehrten vor dem Hintergrund des Kirchenrechts zu besprechen, wobei auch Laien zur Mitwirkung an einem Konzil zugelassen sind (vgl. Combridge 1964: 86). Das Vergehen, dessen Isolde beschuldigt werden soll, gehört als Ehesache vor das geistliche Gericht; aber insofern ein Moment des Treubruchs gegen den König darin enthalten ist, ist es natürlich auch eine Angelegenheit der Reichsgerichtbarkeit. (Ebd.; vgl. Kerth 1978: 1– 2)⁴¹³
Die Verhandlung der Affäre wird also auf eine neue Stufe von Öffentlichkeit gehoben. Es werden nicht mehr nur Markes engste Vertraute hinzugezogen, sondern die Problematik wird nun vor einer großen Versammlung aus Pfaffen und Laien besprochen (vgl. Tr 15312– 15313). Hatte schon die Besprechung mit dem Rat einen Öffentlichkeitscharakter, da Marke das Gerücht zwar intern, aber dennoch in einer für den Hof relevanten Gruppe ausgesprochen und erläutert hatte, wird die Verhandlung nun nicht mehr nur vor dem engeren Hof, sondern auch vor Instanzen von außen besprochen und somit auch der Tatsache Schuldigkeit getan, dass das Gerücht eben nicht nur den engeren Hof betrifft, sondern auch in daz lant vermaeret (Tr 15290) ist. Ein wesentlicher Unterschied zur vorangegangenen Besprechung mit dem Rat ist auch, dass das Königspaar gemeinsam beim Konzil erscheint, wobei Gottfried die Situation (beider) als bedrückend beschreibt (vgl. Tr 15316 – 15324; Hauenstein 2006: 94). Während Isolde erst einmal aus dem Blickfeld der Erzählung verschwindet, übernimmt Marke gleichzeitig Vorsitz und Klage, was eine rechtlich schwierige Situation erzeugt (vgl. Barandun 2009: 125). Auch diese Ansprache Markes wird indirekt wiedergegeben. Inhaltlich und teils auch im Wortlaut ist sie vergleichbar mit seiner Rede im Rat, allerdings kommen hier einige wesentliche Änderungen hinzu (Tr 15325 – 15337): Nu Marke an daz concîlje gesaz, sînen lantvürsten clagete er daz, wie er beswaeret waere mit disem lastermaere, und bat si harte sêre durch got und durch ir êre, ob sî mit ihte kunden, daz sʼime hier über vunden
Kolb (1988: 324) kommt abweichend zu dem Schluss, dass es sich „bei dem concilje am Hof zu London um ein rein weltliches Gericht handelt […].“ Barandun (2009: 125) hält in Anschluss an Kolb fest, dass Gottfried konsequent der Frage ausweicht, „welche Rechtsinstanz für das Verfahren gegen Isolde zuständig sei […].“ Der Text selbst drückt aber explizit aus, dass der Fall nach gotes reht (Tr 15306) behandelt werden und Marke Vertretern der Geistlichkeit von seinen Sorgen berichten soll.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
321
etslîchen den list oder den rât, dâ mite er dirre missetât râche unde gerihte naeme und ir ouch zʼende kaeme eintweder abe oder an.
Die Rede ist in beiden Punkten wesentlich härter und konkreter als die Rede im Rat. Beide Sequenzen dienen der Entscheidungsfindung, wie Marke den Konflikt um das Gerücht beilegen kann, finden jedoch unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen statt (vgl. Tabelle 13): Tabelle 13: Rat versus Konzil Die Rede vor dem Rat (Tr – )
Die Rede vor dem Konzil (Tr – )
kündete in sîn ungemach ()
sînen lantfürsten clagete er daz ()
maere ()
lastermaere ()
zwîvel umbe ir missetât ()
dirre missetât ()
vorhte () des in endûhte niht () sine behabete offenlîchen ê / wider in ir unschuld under ir ê ( f.) wie er den [d.i. der zwîvel] sô hin getaete ()
râche unde gerihte ()
eintweder abe oder an ()
eintweder abe oder an ()
In der ersten Rede berichtet Marke seinen Vertrauten von seinem Unglück, in der zweiten tritt er als Kläger auf. Der Ton verschärft sich, indem Marke nicht mehr relativ neutral von der maere spricht, sondern nun ein Determinativkompositum wählt, dessen erster Teil, laster-, die Qualität der -maere bestimmt. Anders als in der ersten Rede betont Marke nicht seine Sorge um seine Ehre und vor allem seinen Zweifel am Wahrheitsgehalt des Gerüchtes, er spricht keine Unschuldsvermutung aus. Aus dem zwîvel umbe ir missetât wird dirre missetât, und diese muss nicht mehr ausgeräumt, sondern gesühnt und gerichtlich verhandelt werden. Für den Abschluss der Rede wählt Marke die exakt gleichen Worte wie seinen Fürsten gegenüber. Heißt es dort jedoch, dass er seinen Zweifel auf ehrenvolle Weise ‚so oder so‘ (vgl. Tr 15299) ausräumen will, gilt das eintweder abe oder an hier dem Ausgang der Gerichtsverhandlung und einer potentiellen Bestrafung.⁴¹⁴ Hatte die Formulierung in der ersten Rede
Hauenstein (2006: 96) hält – entgegen Markes Worten – fest, dass „[d]er Aspekt der Genugtuung, die dem erwiesenermaßen betrogenen Ehemann zustünde, […] völlig in den Hintergrund [tritt], und dem Motiv der Rachsucht des Königs läßt Gottfried im Unterschied zu anderen ‚Tristan‘-Fassungen keinen Raum.“ Zwar kann man bezüglich Markes Worten tatsächlich nicht von Rachsucht sprechen,
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Markes Unschuldsvermutung abschließend relativiert, so wirkt sie hier gegenteilig, indem sie den im Tenor sehr bestimmten und eindeutig auf die Schuld gerichteten Wortlaut abmildert und am Ende eben doch die Möglichkeit zulässt, dass nicht zwangsläufig die Schuld Isoldes festgestellt werden wird. Während Marke seine Frau in absentia in seiner ersten Rede erwähnt, mit ihrem Titel respektvoll benannt und ihr bereits die aktive Rolle derjenigen, die den Konflikt beilegen muss, zugedacht hatte, wird Isolde in dieser Rede vor dem Konzil nicht explizit erwähnt.⁴¹⁵ Markes Rede führt zu sehr gemischter Resonanz, bis schließlich der Bischof von Themse das Wort ergreift (vgl. Tr 15338 – 15349), der zuerst Marke und mit dessen Zustimmung und in dessen Auftrag Isolde adressiert. In seiner ersten Rede betont der Bischof, daß nicht die Tat als solche (ob getan oder nicht), sondern vor allem die sprachliche Repräsentation der beiden königsnahen Personen die königlichen Sorgen verursacht. Der Bischof rügt die Disjunktion zwischen Faktizität und Rede, weil letztere ein Eigenleben entwickelt und sich in unerwünschten Richtungen zügellos ausbreitet. (Kucaba 1997: 76)
In seiner zweiten Rede bringt der Bischof Isolde gegenüber Markes Klage vor, von der er sich – faktisch aber auch den König – distanziert, während er Isolde gegenüber empathisch auftritt.⁴¹⁶ Schon die Anrede Isoldes als „vrouwe Îsôt, / tugenthafte künigîn[“] (Tr 15428 – 15429) hebt hervor, dass die Rede auf den Beweis von Isoldes Tugend und Unschuld zielen soll. Seine Distanzierung von den Vorwürfen betont der Bischof, indem er expliziert, dass er „als Markes Sprachrohr agiert“ (Kucaba 1997: 76) (Tr 15431– 15433): der künec mîn hêrre heizet mich sîn wort hie sprechen, nû muoz ich hin z’iu leisten sîn gebôt.
Der Bischof erläutert nicht nur seine eigene Perspektive und hebt das tadellose Ansehen der Königin hervor, sondern erklärt Isolde geradezu entschuldigend die Vorwürfe gegen sie und Tristan. Deutlich macht er dabei auch, dass Marke in zwei Funktionen als Kläger auftritt: als König und als Ehemann. Dabei perspektiviert der Bischof den Widerstreit aus der Sicht des Hofes, den er als Ursprung des Gerüchtes benennt und dessen Repräsentant Marke ist. Außerdem schildert er die Sicht Markes (als Ehemann?) selbst, der keine Schuld an Isolde findet, sie aber dennoch verdächtigen muss, weil der Hof die Verdächtigungen äußert. Was Marke als Ehemann ausblenden könnte, kann er als König nicht langfristig ignorieren, da er als Herrscher für stabile Verhältnisse sorgen muss (vgl. Kolb 1977: 241). Markes Handeln ist und bleibt aber Markes Rede macht eine Bestrafung der Liebenden sehr wahrscheinlich und seine Formulierungen suggerieren im Vergleich zur Rede vor dem Rat eher ihre Schuld als ihre Unschuld. Auf Tristan geht Marke in beiden Reden nicht ein. Combridge (1964: 103) spricht in diesem Zusammenhang von der „Sympathie“ des Bischofs.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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immer auch auf den Hof bezogen; dieser Umstand scheint innerhalb der Narration immer wieder auf. Den Einfluss des Hofes hebt der Bischof hierbei mehrfach hervor, gleichermaßen aber wird implizit auch auf das Scheitern der Höflinge angespielt: „Anyone can slander them [d.s. Tristan und Isolde, A.K.], but proof is a different matter“ (Jackson 1973: 112) (Tr 15440 – 15458): saeligiu, guotiu künigîn, iuwer hêrre und iuwer man der heizet mich iuch sprechen an umbe ein offenlîche inziht. ine weiz noch er enweiz ez niht, wâ von ez sî besprochen von hove und von lande mit sînem neven Tristande. ob got wil, vrouwe künigîn, der untaete der sult ir sîn undschuldic unde âne. iedoch hât er’z in wâne dâ von daz es der hof giht. mîn hêrre selbe dern hât niht an iu bevunden niuwan guot. von maeren, die der hof tuot, hât er den wân ûf iuch geleit, niht von dekeiner wârheit.[“]
Die Rede des Bischofs ist hier wesentlich stärker an Markes Rede an seinen Rat als an Markes Worten vor dem Konzil orientiert und stimmt eher mit der dort vermittelten Sicht überein, übernimmt die Distanzierungen und vor allem die Unschuldsvermutung. Gleichermaßen macht der Bischof deutlich, dass Marke entgegen seiner Überzeugung öffentlich auf das Gerücht reagieren muss (vgl. Hauenstein 2006: 96). Bevor der Bischof auf das Ziel der Verhandlung zu sprechen kommt, betont er, dass es keinen Beweis für Isoldes Schuld gibt. Auf diese Weise wird „die Konzentration aller Anwesenden (einschließlich Isold) […] auf das öffentliche und schädigende Gerücht als den eigentlichen ‚Bösewicht‘ gelenkt, den es folglich zu tilgen gilt“ (Kucaba 1997: 77). Bedenkt man, dass Marke selbst mit Marjodo und Melot gemeinsam das Gerücht an den Hof vermittelt hat, wird klar, dass hier weniger Markes tatsächliche Perspektive darauf wiedergegeben wird als vielmehr eine idealisierte Version von dieser. Dennoch stimmt das nun vom Bischof geäußerte Handlungsziel mit dem von Marke schon in seiner Gedankenrede und auch in seiner an den Rat formulierten Rede überein (Tr 15459 – 15464): durch daz sô sprichet er iuch an, daz ez sîne vriunt und sîne man vernemen unde hoeren, ob er hie mite zestoeren disen liument und dise lüge mit unser aller râte müge.
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Der Bischof begründet die Anklage Isoldes damit, dass Marke versucht, auf diese Weise den Verdacht des Hofes auszuräumen (vgl. Hauenstein 2006: 97): „An diesem Punkt wird dem Gerücht sogar vollends seine referentielle Ambivalenz abgesprochen, und es wird eindeutig als Lüge bezeichnet.“ (Kucaba 1997: 77). Kolb (1977: 241) schlussfolgert, „daß es nicht Marke, sondern letzten Endes der Hof ist, der Isolde den Prozeß macht.“ Und der Hof ist es, den der Bischof in seinen Worten, die ja Markes Worte abbilden sollen, verurteilt, bevor überhaupt klar ist, was das Verfahren ergeben wird, denn das eigentliche Urteil hat der Bischof mit seiner Bezeichnung des Gerüchtes als ‚Lüge‘ bereits vorweggenommen. „As so often in Gottfried’s poem, there is a strong element of tragic irony in his speech. The reader knows that Tristan and Isolde are guilty and that the ‚slanders‘ are in fact the truth.“ (Jackson 1973: 112). Der Bischof erteilt abschließend Isolde das Wort, damit sie Marke in der Gegenwart der Versammlung Rede und Antwort stehen solle. Somit wird der Gedanke, den Marke dem Rat, aber nicht der Versammlung gegenüber formuliert hat, dass Isolde den Zweifel ausräumen solle, wieder aufgegriffen. Es wird nun nicht mehr nur über, sondern mit Isolde verhandelt (vgl. Tr 15465 – 15468). Der Aufbau der Reden von Markes Entschluss an, die Öffentlichkeit auch offiziell einzubeziehen, bis hin zum Konzil, zeigen eine enge Bezogenheit aufeinander. Dies beginnt damit, dass Markes Reden nie unmittelbar wiedergegeben, sondern stets aus der Perspektive anderer Instanzen geschildert werden, so dass der Rezipient Markes Sicht auf die Dinge konsequent nur aus zweiter Hand erfährt: aus Sicht des Erzählers und des Bischofs von Themse. Auffällig ist, dass die Rede Markes vor dem Rat und die des Bischofs in Markes Namen deutlich stärker übereinstimmen. In beiden Reden wird die Unschuldsvermutung, ein in dubio pro reo, deutlich formuliert und als Ziel der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Gerücht wird nicht eine Überführung der Schuldigen oder die Suche nach einer Wahrheit genannt, sondern das Ausräumen des Verdachts: „Für die öffentliche Urteilsfindung bleibt der Ordnungsverlust gegenstandslos, solange der Schein der Ehre dauert, denn der öffentliche Schein der Ordnung funktioniert nicht anders als die öffentliche Ordnung selbst […].“ (Wenzel 1988b: 354). Während in der ersten Rede Marke dem Hof noch erklärt, wie das Gerücht an den Hof gekommen ist, betont der Bischof, dass er und Marke nicht wüssten, wie es entstanden sei. Anders als Marke nutzt der Bischof seine Rede, um den Hof in Markes Namen für das Verbreiten des Gerüchtes zu schelten, wobei er sehr explizit wird, indem er das Gerücht als Lüge einstuft. Seine Worte suggerieren, dass Isolde hier das Opfer einer Hofintrige ist. Anders erscheint dagegen Markes Rede vor der Versammlung, in der er den Themenbereich des Zweifels meidet und so den Eindruck erweckt, dass nicht das Gerücht über, sondern die missetât selbst zur Debatte stünde. Der Bischof kehrt in der Wiedergabe von Markes Willen also zu dessen ersten, milderen Version zurück. Er formuliert diese zwar nicht mehr als Ratsuche, sondern expliziert, dass es sich hierbei um eine Klage handelt, dabei entschuldigt er aber regelrecht, dass Marke aufgrund des Gerüchtes keine andere Wahl habe als dieses offiziell aus der Welt zu schaffen. Marke erhebt gegen die Formulierungen, die Zielvorgabe und die Anschuldigungen gegen den Hof keine Einwände, somit kann konstatiert werden, dass er
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
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in der Öffentlichkeit konform geht mit den Ausführungen des Bischofs, allerdings immer in dem Wissen, dass die anklagenden Worte des Bischofs dem Hof gegenüber gerade auch ihn selbst betreffen, da ihm anders als dem Bischof sehr wohl bekannt ist, wie das Gerücht sich bei Hofe ausbreiten konnte. Dass für Marke nicht nur das Ausräumen des Gerüchtes, sondern auch das Besänftigen seines Argwohns, wie seine Gedankenrede verdeutlicht, treibende Kräfte sind, zeigt sich in seiner Reaktion auf Isoldes Rede, in der sie mehrmals ihre Bereitwilligkeit, sich für die Ehre des Königs und ihre eigene einzusetzen (V. 15473 – 15517)[, äußert und] ferner […] das Thema der Disjunktion zwischen Wirklichkeit und Sprache fort[setzt], indem sie die rede als unbeherrschbare Missetäterin bezeichnet (V. 15484– 15490). (Kucaba 1997: 82)
Das Gerücht selbst negiert sie nicht (vgl. Kerth 1978: 2). Auf ihre Erklärung, bereitwillig jedes geforderte Gerichtsverfahren zu absolvieren, um den Verdacht auszuräumen und ze behabene die êre / mînes herren unde mîn (Tr 15516 – 15517)⁴¹⁷, antwortet Marke prompt und ohne weitere Beratung mit den Anwesenden und nimmt nicht nur Isoldes Angebot an, sondern legt auch das Verfahren fest, mit dem sie das Gerücht ausräumen soll (Tr 15518 – 15526): Der künec der sprach: „vrou künigîn, hier an lâz ich ez wol gestân. mac ich gerihte von iu hân, als ir uns habet vür geleit, sô tuot es uns gewisheit. gât her in alrihte, vertriuwet daz gerihte zem glüejenden îsen, als wir iuch hie bewîsen.“
Markes Rede hebt sich von seinen vorherigen während der öffentlichen Verhandlungen dadurch ab, dass sie direkt dargestellt und nicht durch eine fremde Perspektive selektiert und überformt ist.⁴¹⁸ Marke begegnet Isolde, dem Anlass adäquat, förmlich, wenn er sie mit vrou künigîn adressiert. Auf den ersten Blick wirkt Marke verständnisvoll, wenn er konstatiert hier an lâz ich ez wol gestân. Die Formulierung erweckt den Eindruck, dass Marke sich mit Isoldes Ausführungen zufrieden gibt. Tatsächlich kann dieser Satz auch so interpretiert werden, allerdings eher hinsichtlich eines Teilaspekts: Isolde bietet Marke nicht die Wahrheit, sondern ihrer beider Ehre, und Marke ist auf den ersten Blick bereit, dies zu akzeptieren (vgl. Kucaba 1997: 83). Dann geht Marke Kucaba (1997: 83) stellt heraus, dass „sich in ihren Worten die bereits vom König geäußerten Wunschziele wider[spiegeln].“ In der Gerichtsverhandlung nimmt Isolde also die Ziele Markes wieder auf, die jedoch vor der Versammlung in dieser Weise nur vom Bischof formuliert werden. Auch seine Zustimmung zu den Vorschlägen des Bischofs wird direkt dargestellt (vgl. Tr 15419 – 15421).
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III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
auf Isoldes Rede ein, und betont, dass sie vorgeschlagen habe, sich jedem gerihte zu unterwerfen. Hierdurch gemahnt Marke Isolde in der Öffentlichkeit an ihr Wort, um sie dann aufzufordern, sich sofort zu verpflichten, die ausgewählte Probe durchzuführen: Er verurteilt sie zu einem Ordal mit dem glühenden Eisen. Auffällig ist, dass Marke bei seinem Urteilsspruch von der ersten Person Singular in die erste Person Plural wechselt und somit das Urteil nicht als seines, sondern das der Versammlung kennzeichnet, obwohl diese faktisch an dem Urteil nicht beteiligt ist.⁴¹⁹ Wie aber ist der Urteilsspruch zu bewerten? Er zeigt eine deutliche Härte. Selbst, wenn Marke Isoldes geschicktes Angebot, ihm nicht ihre Unschuld zu beweisen, aber die Ehre des Königspaares wiederherzustellen, annimmt, so kann seinem Urteil hier dennoch mit Jackson (1973: 113) attestiert werden, dass es „[w]ith brutal and unusual decisiveness“ gefällt wird. Während Isolde sich willig zeigt, nicht nur die eigene, sondern gerade auch Markes Ehre zu schützen, ist Markes Urteil ein direkter Angriff auf Isoldes Ansehen und kann als entwürdigender Akt gewertet werden (vgl. Kolb 1977: 249; Hauenstein 2006: 98). Dies geht aus der zeitgenössichen Rechtspraxis hervor: Betont sei, daß die Gottesurteile regelmäßig nur in gewichtigen Fällen stattfanden und in solchen Fällen auch nur dann zum Zuge kamen, wenn die sonst üblichen Mittel zur Wahrheitsfindung – etwa: Zeugen- und Urkundenbeweise – ausfielen und der oder die Betroffene nicht glaubwürdig genug erschien, sich durch den eigenen Eidesschwur vom Schuldvorwurf reinigen zu dürfen. (Okken 1996: 553; vgl. auch Kolb 1977: 249)
Isolde wird durch Markes Urteilswahl die Glaubwürdigkeit abgesprochen, sie wird als Königin wie eine Rechtlose behandelt (vgl. Kolb 1977: 249)⁴²⁰ und auf diese Weise im Vorfeld und unabhängig vom Ausgang des Gottesurteils zunächst öffentlich bloßgestellt. Markes Rede steht im krassen Kontrast zur Rede des Bischofs, die in Markes Sinne formuliert sein soll und Isoldes Schutz und die Annahme ihrer Unschuld stark akzentuiert. Hier wird Isolde nicht mehr geschützt, sondern nicht nur einer höheren Gewalt, sondern auch dem Gerede des Hofes ausgeliefert.⁴²¹ Das Urteil wirkt wie ein Misstrauensvotum des Königs seiner Frau gegenüber, umso mehr, als es eben nicht in
„Gegenüber der Vorlage hat Gottfried hier bedeutsam geändert. Dort erbietet sich Isolde selber, sich dem Gericht mit dem glühenden Eisen zu unterwerfen. Davon ist an dieser Stelle durchaus nicht die Rede. Weiter aber ist es in der Quelle der Bischof, der das Gottesurteil fordert, während beim deutschen Dichter Marke dies tut (15518 ff.). Der Bischof und Isolde werden also entlastet, Marke dagegen bekommt die ganze Verantwortung zu tragen für dieses höfische Arrangement, eine Neuerung, die vielleicht Thomas erst eingefügt hat.“ (Combridge 1964: 104). Hier, wie an vielen anderen juristisch zu bewertenden Stellen des Tristan, stellt sich allerdings die Frage, nach welchem Rechtssystem die Probe zu bewerten ist. Nach Okken (1996: 560) handelt es sich nach angelsächsischem Rechtsbrauch bei der Eisenprobe um diejenige Probe, die für die adeligen Beklagten vorgesehen ist. Die Schutzlosigkeit Isoldes ergibt sich aus ihrer Fremdheit in Markes Reich, so dass sie selbst betont, dass sie keine Helfer, die einen Eid ihrerseits bezeugen könnten, benennen kann – Marke als ihr Ehemann, der diese Funktion übernehmen könnte, scheidet als Kläger aus. Dieser Umstand mag Markes Urteil zwar gewissermaßen plausibilisieren, die Schärfe nimmt es ihm jedoch nicht.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
327
Absprache mit dem Konzil beschlossen ist, sondern ohne Beratung unmittelbar an Isoldes Rede anschließt. Dies fällt umso stärker auf, als in Reaktion auf Markes indirekte Rede vor der Versammlung die Diskussion der Anwesenden hervorgehoben wird (vgl. Tr 15338 – 15341) und eine solche jetzt, wo es tatsächlich darum ginge, den Rat des Konzils abzuwarten, ausbleibt. Die Unmittelbarkeit tritt umso deutlicher hervor, als Markes Rede direkt an Isoldes anschließt und nur durch ein inquit von dieser abgetrennt ist, das den König als Sprecher markiert, der zuvor in der direkten Verhandlung mit Isolde geschwiegen hatte (vgl. Kolb 1988: 327). Gleichermaßen wirft Markes Urteil auch in zeitgenössicher Perspektive ein kontroverses Licht auf den König: So sind Gottesurteile mit dem glühenden Eisen zu dieser Zeit zwar durchaus noch in der Rechtspraxis verankert, wie nicht nur aus dem Sachsenspiegel hervorgeht⁴²², sondern auch dadurch, dass der Tristan im „unmittelbare[n] Vorfeld des Straßburger Ketzerprozesses“ (Tomasek 2007: 32) entstanden ist, „bei dem sich auf Befehl des Bischofs mehr als 80 der Ketzerei beschuldigte Personen dem Gottesurteil des glühenden Eisens unterziehen mussten, von denen die meisten hingerichtet wurden“ (ebd.; vgl. auch Ernst 2008: 422). Allerdings sind Gottesurteile generell nicht nur umstritten, sondern werden 1215 durch Innozenz III. verboten (vgl. Ernst 2008: 427) und von diesem bereits im Vorfeld scharf verurteilt, wie u. a. aus einem Brief an Bischof Heinrich von Straßburg vom 09.01.1212 hervorgeht, in dem Innozenz explizit auf die Probe mit dem glühenden Eisen eingeht: Licet apud iudices saeculares vulgaria exerceantur iudicia, ut aquae frigidae vel ferri candentis sive duelli, huiusmodi tamen iudicia Ecclesia non admisit, cum scriptum sit in lege divina: „Non tentabis Dominum Deum tuum“ [Dt 6,16; Mt 4,7]. (Denzinger 2014: 1209)
Hier wird diese Rechtspraxis eindeutig den weltlichen Gerichten zugeschrieben, aber als wider die göttlichen Gesetze eingeordnet. Insofern besteht die Möglichkeit, dass Marke in einem Konzil auf Widerstand gegen sein Urteil hätte stoßen können. Eine Reaktion der Anwesenden wird nicht näher beschrieben, nur Isoldes Unterwerfung unter das Urteil, die Klärung der Formalitäten und dann die Trennung des Konzils, so dass die Versammlung sich auflöst und Isolde allein mit ihren Sorgen zurücklässt (vgl. Tr 15527– 15559). Ist in der fehlenden Reaktion ein Zuspruch der Ratsgesellschaft zu Markes Urteil abzulesen? Diese Frage ist nicht klar zu beantworten, allerdings erfolgt zumindest kein offener Widerspruch und somit durch die Figuren keine direkte Bewertung von Markes Handeln. Dass das Gottesurteil selbst außerordentlich kritisch gestaltet ist und insofern ein deutliches Licht auf die Haltung des Erzählers wirft, ist allerdings bekannt, so dass Markes Entscheidung, Isolde dem Ordal zu unterwerfen, innerhalb der Narration als fragwürdige Entscheidung wertbar ist.
De er recht mit rove oder mit duve verloren hebben, of men se duve oder roves anderweide sculdeget, se ne mogen met erme ede nicht unsculdich werden; se hebben drier kore: dat [hete] iseren to dragene, oder in enen wallenden ketel to gripene bit to deme elembogen, oder deme kempen sek to werene. (Sachsenspiegel, I: 39).
328
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Sein öffentliches Handeln zur Beilegung und Klärung der Affäre zeichnet ein sehr widersprüchliches Bild von Marke, wobei dieses Bild sich faktisch sehr stringent in seine Charakterisierung als Hin- und Hergerissener einreiht. Bereits Markes Gedanken vor der Einberufung des Rates bei Hofe zeigen diesen Widerstreit der Intentionen, da Marke einerseits sich selbst gegenüber ein – wie auch immer geartetes – Ausräumen der Zweifel anstrebt, er andererseits den Hof von dem Verdacht gegenüber Tristan und Isolde abbringen will, also zweierlei Intentionen hegt, die zwar miteinander konform gehen können, sich aber je nachdem, auf welche Weise Markes Zweifel beslihtet werden würden, auch gegenseitig ausschließen könnten. Um den Verdacht bei Hof zu tilgen, muss Marke diesen aber erst offiziell bei Hof etablieren und ihn zur Hofsache erklären, über die erst im vertraulichen Rahmen des Rates, dann aber öffentlich vor einem extra einberufenen Konzil verhandelt wird. Hierbei erfährt Markes Auftreten eine deutliche Wende: Während er vor seinem Rat vorsichtiger formuliert und die Ehre der Königin noch regelrecht verteidigt und in erster Linie gegen das Gerücht und dessen Folgen argumentiert, erfährt seine Darstellung vor dem Konzil eine Verschärfung, die der Königin den Tatbestand und nicht ein bloßes Gerücht vorwirft und eine Urteilsfindung anvisiert. Die Darstellung Markes wechselt vom Ratsuchenden zum Ankläger. Abgemildert wird seine Position der Königin gegenüber dann durch den Einbezug einer weiteren Instanz, die die Verhandlung übernimmt: Die Worte des Bischofs, der im Namen des Königs spricht, scheinen wieder die Intention von Markes Ratsuche aufzunehmen und sich somit seinem ursprünglichen Anliegen anzunähern. Allerdings ermöglicht die Rede des Bischofs nicht nur die Wiedergabe der Problematik im Namen Markes, sondern darüber hinaus eine an den Hof gerichtete Abrechnung mit der Doppelmoral, die aber faktisch auch den König adressiert und einschließt und ihn ebenso wie den Hof an ein in dubio pro reo gemahnt. Bis auf Markes Zustimmung dem Bischof gegenüber, Isolde anzuhören, ist Markes Reden gemein, dass sie indirekt wiedergegeben bzw. auf andere Figuren ausgelagert werden. Dadurch sticht das Urteil Markes, das direkt formuliert prompt, und nur durch ein kurzes inquit, das der Sprecherbenennung dient, abgetrennt, auf Isoldes Rede folgt, deutlich aus der Szene heraus: Nicht nur durch die direkte Redewiedergabe, sondern auch durch ein klar formuliertes Ziel, das sich zwar auf geschickt artikulierte Kompromisse einlässt, aber in der Konsequenz doch sehr hart ist. Auffällig ist, dass Marke, der zuvor dringend die Beratung nicht nur seines Rates, sondern auch des Konzils benötigt hat, hier nun voller Entscheidungskraft ohne jegliche Absprache ein Urteil fällt, das Isoldes Glaubwürdigkeit und Ehre herabwürdigt und sie dem Gerede umso mehr preisgibt, als es ihrem Stand und ihrer Stellung nicht entspricht und im Grunde in deutlicher Opposition zu den Worten des Bischofs steht. Dass Marke seinen Entschluss so ‚spontan‘ fällt, nachdem er vorher keinerlei Idee hatte, wie er das Gerücht ehrenvoll und angemessen ausräumen könnte, spricht für sich und ebenso, dass Marke an dieser Stelle der Verhandlung selbst das Wort übernimmt, während er zuvor den Bischof für sich hat sprechen lassen. Und auch, wenn Marke durch seine Formulierung und das Personalpronomen wir den Anschein zu erwecken sucht, dass das Urteil das des Konzils ist, ist es doch faktisch ausschließlich Markes Urteil und wi-
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
329
derspricht den Ausführungen des Bischofs, der die einzige (ausformulierte) Stimme neben der Markes vor der Versammlung ist, die der Rezipient hört. Wie schwer die Anwesenden sich tun, einen Konsens zu finden, wird vor den Worten des Bischofs explizit angemerkt. Erst diese Worte sind es, die der Diskussion ein Ende bereiten, die die Verhandlung auf eine moralische Ebene heben, die nicht nur das Königspaar und Tristan, sondern den gesamten Hof betreffen. Mit der Formulierung seines Urteilsspruchs verlässt Marke diese Ebene. Markes Auftreten in der Öffentlichkeit zeigt ihn weiterhin im inneren Widerspruch, den er nun nach außen trägt und der sich deutlich in seinen Reden manifestiert, da er einmal ein Gerücht, einmal die dem Gerücht zugrundeliegende Tat verhandeln will. Gemein bleibt diesen Reden, dass sie Marke in königlicher Perspektive zeigen, in der er die Lösung des Problems unter Einbezug von Hof und Reich angeht, die längst Anteil am Gerücht haben, nun aber auf einer dem Hof adäquaten Ebene mit diesem Problem umgehen können. Den Anteil des Hofes an der prekären Lage, in der sich der König und das Liebespaar befinden, verdeutlichen besonders die Worte des Bischofs. Marke braucht, um als König richtig handeln zu können, während der gesamten Narration immer wieder den Rat anderer Figuren bzw. seines Hofrates, er braucht Perspektiven, die über seine eigene hinausgehen, um andere Figuren, aber auch das Geschehen am Hof in den Blick nehmen zu können. Dass in einem Gewirr aus kontroversen Stimmen gerade die Position des Bischofs diejenige ist, die Marke anerkennt und dem er die weitere Verhandlung überlässt, zeigt ihn grundsätzlich in der Lage, vernünftig abzuwägen und guten Rat von schlechtem zu unterscheiden. Markes Verhalten ändert sich in dem Moment deutlich, als nicht mehr über Isoldes Betrug verhandelt wird, sondern mit Isolde selbst. Er, der vorher zögerlich auftritt, reagiert nun prompt und bestimmt, er lässt geschickte Feinheiten zu, symbolisiert mit seinem Auftreten aber eine Härte und Bestimmtheit, die wiederum auf zweierlei schließen lassen könnten: Das unbedingte Misstrauen gegenüber seiner Frau, das die Härte des Urteils rechtfertigen würde, aber ebensogut das Vertrauen in Isolde zumindest in soweit, als sie in der Lage sein wird, das Gerücht unter allen Umständen aus der Welt zu räumen. Markes Ansinnen und sein Verhalten bleiben ambivalent und lassen auch in seiner Bewertung Raum für kontroverse Ansätze.
2.3.3 Zwischenfazit Dadurch, dass Marke das Gerücht über den Betrug von Tristan und Isolde angetragen wird, gerät er in unterschiedliche Spannungsfelder, die sich in die Gegensatzpaare Vertrauen und Misstrauen, Öffentlichkeit und Heimlichkeit sowie private und herrscherliche Interessen unterteilen lassen und ihn in einem tiefen Konflikt nicht nur mit den ihm wichtigsten zwei Bezugsfiguren, sondern vor allem mit sich selbst zeigen. Der Konflikt schlägt sich in Markes Handeln nieder, da Marke bis zur Entdeckung des Liebespaares in der zweiten Baumgartenszene damit beschäftigt ist, das Gerücht ausräumen zu wollen. Markes Bemühungen hierfür sind nicht nur, aber insbesondere sprachlicher Natur und lassen sich in zwei Aktionsräume unterteilen: Auf der einen
330
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Seite steht das heimliche Agieren im Kontext unterschiedlicher Listen, auf der anderen Seite der Versuch, das Gerücht unter Einbezug der höfischen Öffentlichkeit vom Hof zu eliminieren, indem er erst versucht, das Gerücht über die Verhandlung vor dem Konzil und das Gottesurteil aus der Welt räumen zu lassen, später das Paar vom Hof verbannt und ihm nach der Rückkehr an den Hof im Endeffekt den Kontakt untersagt. Die unterschiedlichen Herangehensweisen, mit denen Marke dem Gerücht begegnet, zeigen ihn kommunikativ insbesondere auf drei Gruppen bezogen: Das fast durchgängig durch Isolde repräsentierte Liebespaar, die negativen Helferfiguren in der Sphäre der Heimlichkeit und beratende Instanzen wie Markes Hofrat und das Konzil in der (halb‐)öffentlichen Auseinandersetzung (vgl. Tabelle 14): Tabelle 14: Markes Adressierungen nach Aufkommen des Gerüchtes Adressat
Okkurenzen
Belege⁴²³
Isolde
( Einzelreden)
Tristan Isolde und Tristan Liebespaar gesamt:
()
– , [ – , – , – ], – , – , [ – , f., – , f., – , – ], – , – , – – , – – , – , –
Marjodo Melot Marjodo und Melot Negative Helferfiguren gesamt:
– , – – , – , – –
Hofrat Konzil Bischof von Themse Beratende Instanzen gesamt:
– , – , – – –
Sonstige
()
– , – , [, , , , , – ], f., – , f.
Auffällig ist, dass sich die Beratungen mit den höfischen Ratgebern und den negativen Helferfiguren mit jeweils sechs Belegen gegenseitig die Waage halten, Marke also durchaus nicht nur unter dem Einfluss der Helferfiguren agiert, sondern sich selbst immer wieder Rat sucht – allerdings erst, nachdem die Listen zur Überführung gescheitert sind und Marke erkennen muss, dass nicht nur seine Ehe auf dem Spiel steht, Eckige Klammern stehen für Gesprächseinheiten, die Adressierungen werden einfach gewertet.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
331
sondern insbesondere seine Ehre durch das Gerücht angegriffen wird, so dass er die höfische Öffentlichkeit miteinbeziehen muss, um seine Herrschaft nicht (länger) selbst zu gefährden. Während Marke im Kontext der Listen allerdings deutlich unter dem Einfluss vor allem Marjodos und später auch Melots steht und seine Reden auf Absprachen mit diesen beruhen, werden gerade die sprachlichen Listen der bettemaeren ausführlich direkt dargestellt. Die Sequenzen, in denen Marke sich mit anderen Figuren bespricht oder ihren Rat sucht, werden hingegen, unabhängig davon, wie die beratenden Instanzen bewertet werden, indirekt dargestellt. Somit werden die Listszenen tendenziell wesentlich unmittelbarer geschildert als die Szenen, in denen Marke aus eigener Initiative handelt. Hierbei lässt sich insgesamt allerdings keine deutliche Korrelation zwischen Rederealisierung und Redesituierung in der öffentlichen oder heimlichen Sphäre ableiten (vgl. Tabelle 15): Tabelle 15: Markes Reden nach Aufkommen des Gerüchtes Beleg
Adressat
Gesprächstyp
Sphäre Realisie- Anmerkungen (ö / h) rung dR indR
–
Isolde
List
h
x
– – , – , – – –
Marjodo Isolde
Besprechung List
h h
x
Marjodo Isolde
Besprechung List
h h
x
–
Marjodo, Melot
Besprechung
h
x
–
Tristan
List
h
x
– – – –
Hof, Jäger Isolde Melot Melot
List List List Schelte
ö ö h h
x x x x
– – , f., – , f., – , –
Jagdgesellschaft Anweisungen Isolde Verdachtsbeilegung
ö h
. bettemaere, Initiative: Marjodo x . bettemaere, Initiative: Marjodo x . bettemaere, Initiative: Marjodo gemeinsame Absprache, keine Einzelrede Resultat aus Absprache von Marke, Marjodo und Melot Jagdlist, Initiative: Marke Reaktion auf Baumgarten I, indirekt in absentia auch Marjodo adressiert
x x
Reaktion auf Baumgarten I, eher intimer als heimlicher Rahmen
332
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tabelle : Markes Reden nach Aufkommen des Gerüchtes (Fortsetzung) Beleg
Adressat
Gesprächstyp
Sphäre Realisie- Anmerkungen (ö / h) rung dR indR
– – –
Melot Isolde Tristan
List List List
h h h
–
Hofrat
Beratung
ö
– –
Verhandlung Verhandlung
ö ö
x
–
Konzil Bischof von Themse Isolde
Verhandlung, Urteil
ö
x
–
Isolde
Gottesurteil
ö
x
–
Isolde, im Verlauf Tristan und Isolde
Verbannung
ö
x
explizit so öffentlich, dass der Hof alles hört und sieht
, , , , , – f. –
Jäger
Erkundigungen
ö
x
Minnegrottenepisode
Gott Hofrat
Gebet Beratung
– ö
x x
–
Tristan, Isolde
Botschaft: Heimkehr
ö
x
– – f.
Tristan, Isolde Kämmerer Hofdame
Kontaktverbot Anweisung Erkundigung
ö ö>h ö>h
x x
–
Hofrat
Beratung
ö
x
Mehlstreuepisode, Initiative: Marjodo und Melot
x
Beratung mit Vertrauten, somit halböffentlich
x
Konzil
x x
x x
Minnegrottenepisode, Beratung, halböffentlich Minnegrottenepisode, Botschaft mit Einverständnis des Rates, daher inhaltlich öffentlich Baumgarten II, Übergang zwischen Öffentlichkeit und Heimlichkeit Beratung, halböffentlich
Der Handlungsbereich der List mit seinen besonderen Anforderungen an die involvierten Kommunikationspartner wird in dem Moment verlassen, in dem die Öffentlichkeit zur Problemlösung hinzugezogen wird. Ab diesem Zeitpunkt wird Marke nicht mehr im Einflussbereich ausschließlich einzelner beratender Figuren gezeigt, sondern berät sich fortan mit größeren Gruppen. Die Favoritenstelle bei Marke, auf der Marjodo zeitweise Tristan abzulösen scheint, wird also nicht dauerhaft neu besetzt und Marke bleibt im Endeffekt alleine zurück. Ab dem Moment, in dem er sich dem Einzeleinfluss entzieht, verhält Marke sich wesentlich königlicher als zuvor und be-
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
333
dient sich der für einen Herrscher üblichen Vorgehensweise, indem er sich von einem Kreis vertrauenswürdiger Figuren beraten lässt. Hierdurch reduziert er den Machtbereich anderer Figuren, stärkt seine eigene Position und handelt wesentlich stringenter im Interesse des Hofes, das im Grunde auch für sein eigenes steht. Mit den Listen hat Marke gerade nicht nur dem Liebespaar, sondern auch sich selbst und der Ordnung, dem Gleichgewicht und Ansehen des gesamten Hofes geschadet. Unabhängig davon, welche Instanzen Marke beraten: Er bleibt bis zur Entdeckung des Liebespaares zwiegespalten. Sein Verhalten während der gesamten Betrugsepisoden ist vom Schwanken bestimmt: Zweifel und Argwohn auf der einen Seite, Vertrauen und Gutgläubigkeit auf der anderen. Grundlage hierfür ist die Liebe sowohl zu Tristan als auch zu Isolde, die bei aller Distanzierung und Fallenstellerei doch immer wieder durchscheint, so etwa, wenn Marke sich nicht nur von seinen Beratern beeinflussen lässt, sondern in der direkt geführten Kommunikation mit Isolde oder dem belauschten Gespräch, in dem Marke zum Rezipienten seiner eigenen Schande wird, auch von ihr bzw. dem gemeinschaftlich handelnden Liebespaar. Darüber hinaus verschwindet Tristan zwar nahezu aus der direkten Kommunikation mit Marke (vgl. Tabelle 15), bleibt aber gemeinsam mit Isolde in seinen Überlegungen, die immer eher den Verwandtschaftsgrad als die soziale Stellung in den Blick nehmen, und Markes Äußerungen deutlich präsent. Das Schwanken ist auch die Grundlage für eine der vielleicht unlösbaren Fragen der Tristanforschung: Sucht Marke überhaupt nach der Wahrheit oder will er nur das Gerücht ausräumen? Indizien gibt es, wie die Analysen gezeigt haben, für beide Interpretationsansätze, und dies liegt darin begründet, dass Markes Handeln, seine Intentionen und sein hieraus folgendes Kommunizeren nicht stringent sind. Scheinen seine Listen eher darauf zu zielen, die Liebenden einer Schuld zu überführen, so scheint Markes Intention in der vertraulichen Beratung auf eine Beseitigung des Gerüchts hin angelegt zu sein, innerhalb der Verhandlung vor dem Konzil wiederum auf eine Bestrafung einer Tat, für die es keine Beweise gibt. Im Endeffekt lässt Marke selbst immer wieder offen, wie der Verlauf ausgehen soll, sein redeabschließendes abe oder an in Beratung und Verhandlung führen eindringlich vor Augen, dass Marke sich zwar den Betrug nicht vorstellen will, dass er sich aber bewusst ist, dass er real sein könnte – sie sind, wenn auch in indirekter Rede, dennoch die deutlichste Ausformulierung einer undeutlichen Wahrnehmung und einer der eigenen Wahrnehmung gegenüber unsicheren Positionierung des Königs. Marke schwankt nicht nur zwischen Zweifel und Vertrauen, sondern auch zwischen Herrschaftssicherung und Herrschaftsgefährdung – und dies bis zur Entdeckung des Liebespaares. Vorher wechseln die Passagen einander ab, die Marke unwürdig, beeinflusst, rechtlich agierend, mächtig auftretend, entscheidungsunfähig oder mit großer Entscheidungskraft, die zu einem zweifelhaften Urteil führt, aber auch mit zurückgewonnener königlicher Würde auftretend zeigen. Nachdem er selbst das Liebespaar entdeckt hat, bleibt er dem Vorwurf überlassen, seine Ehre zu gefährden (Tr 18378 – 18400). Marke bleibt nicht nur der Betrogene, sondern letztlich auch der Gescholtene und dies offenbart umso deutlicher, wie angreifbar Marke sich durch sein Verhalten sogar in dem Moment noch macht, als er selbst die Wahrheit tatsächlich gefunden hat.
334
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
2.4 Fazit Die Darstellung der Markefigur und ihre Charakterisierung werden in besonderem Maße durch zwei Faktoren bestimmt. Der eine Faktor ist, wie schon im Kapitel zur Redeeinleitung dargestellt (vgl. III.I.2.1: 74– 76), die Tatsache, dass Marke König ist und sein gesamtes Handeln und ergo auch sein Sprachhandeln in der Darstellung und Bewertung immer daran ausgerichtet und gemessen wird, ob es einem König adäquat ist oder nicht. Der andere Faktor ist Tristan. Erst mit Tristans Ankunft am Markehof tritt der König auch verbal in Erscheinung und sein Handeln bleibt fortan auf Tristan bezogen und durch das Verhältnis zu diesem bestimmt. Die Beziehung Markes zu Tristan ist von Anfang an eine, die problematisiert werden kann, und wie sehr sie die Markefigur beeinflusst, wird schon durch den Umstand deutlich, dass ein Großteil aller Sprachhandlungen Markes sich entweder an Tristan richten oder in irgendeiner Form auf diesen beziehen. So sind von 107 Einzelreden Markes 31 direkt an Tristan adressiert und drei gemeinsam an das Liebespaar gerichtet (vgl. Tabelle 16): Tabelle 16: Adressierungen Markes Adressat
Okkurenzen
Beleg
Tristan
– ⁴²⁴, / – /⁴²⁵, f., , – , , f., – , – , – , f., – , , – , – , f., , f., – , – , – , – , – , – , – , f., – , – , – , – , –
Sonstige
– , / – /, – , f., f., , – , f., f.⁴²⁶, – , – , – , – , f., – , – , – , – , – , – , , , , , , – , f., – , – , f., –
Isolde
– , – , – , – , – , – , – , f., – , f., – , – , – , – , –
Kursiv gesetzte Belege stehen für Reden, in denen Markes Stimme in die des Hofes eingebunden ist. Hier werden mit hiez zwei Befehle angeordnet, sowohl an Tristan als auch an Markes Jäger, so dass dieser Beleg zweifach aufgeführt wird – in der Gesamtzahl wird er entsprechend der Adressierungen doppelt gewertet. Gemeinsam mit Tristan.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
335
Tabelle : Adressierungen Markes (Fortsetzung) Adressat
Okkurenzen
Beleg
Rual
– , – , – , ?⁴²⁷, – , – , – , – , – , , – , –
Gandin
– , – , – , f., f., – ,
Isolde und Tristan
– , – , –
Melot
– , – , –
Marjodo
– , – ,
[Blanscheflur]
–
Morolt
–
Marjodo und Melot
–
Gesamt:
Von den nicht direkt an Tristan adressierten Reden beziehen sich 28 auf Tristan, wobei diese Bezüge von einem ausführlichen Aufklärungsgespräch über Tristans Herkunft mit Rual bis zu einer einfachen Versicherung von Tristans Befugnissen Morolt gegenüber oder Anweisungen an Höflinge, die etwas für Tristan erledigen sollen, reichen können. Einen Überblick über die Reden und ihre Kontexte gibt die folgende Tabelle (17): Tabelle 17: Reden über Tristan Adressat
Kontext
Okkurenzen Belege
Jäger
Klärung von Tristans Herkunft
–
Höflinge
Anweisungen: Darreichungen für Tristan
f., f.
Höflinge
Anweisungen, Tristan Bitte zu übermitteln
–
Rual
Klärung von Tristans Herkunft
– , – , – , – , – , – , –
Morolt
Bestätigung von Tristans Befugnissen
–
Kurvenal
Erläuterung von Tristans Plänen, gemeinsam mit Tristan
f.
Hier identifiziert der Text den Sprecher nicht eindeutig, allerdings macht der Kontext plausibel, dass es wahrscheinlich Marke ist.
336
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tabelle : Reden über Tristan (Fortsetzung) Adressat
Kontext
Okkurenzen Belege
Landbarone Tristans Status / Brautwerbung
– , – , – , –
Isolde
List / Konsequenz aus Listgesprächen
– , – , – , f., – , –
Melot
List
–
Hofrat
Beratung über Gerücht
–
Konzil
Verhandlung über Gerücht
–
Hofrat
Beratung über Rückkehr Tristans und Isoldes
–
Hofrat
Entdeckung Tristans und Isoldes
–
Gesamt
Bedenkt man, dass 62 von 107 Einzelreden entweder an Tristan gerichtet sind oder sich auf diesen beziehen, und berücksichtigt man zudem, dass sich viele der übrigen Reden aus Erkundigungen und Anweisungen zusammensetzen oder etwa im sieben Reden umfassenden Gespräch mit Gandin faktisch eine Vergleichsfolie gegeben wird, um Tristans Handeln von Markes abzugrenzen, ergibt sich, dass eine Charakterisierung Markes losgelöst von Tristan faktisch nicht möglich ist, sondern Marke fast grundsätzlich in Konstellation mit oder in Bezug auf Tristan dargestellt wird. Dieses Ergebnis bleibt auch dann gültig, wenn sich der Interaktionsschwerpunkt Markes von Tristan auf Isolde verlagert.⁴²⁸ Markes Königtum bildet sich sprachlich in unterschiedlichen Kontexten ab. Bereits im inquit wird die Perspektivierung auf Markes Königsein durch die Bezeichnung als künec immer wieder hervorgehoben und ist das Charakteristikum für die Redeeinleitungen der Markefigur schlechthin (vgl. III.I.2.1: 76). Bestimmte Sprechakte lassen sich im engeren oder weiteren Sinne Markes sozialer Stellung zuordnen: So die Häufung von Anordnungen und Befehlen, die indirekt und direkt wiedergegeben werden können, das Einholen von Informationen und Einberufen des Rates, das Ausrichtenlassen von Anweisungen an Figuren, die sich zeitgleich im selben Raum wie der König aufhalten. Auf diese Weise wird die Hierarchisierung gegenüber anderen Figuren hervorgehoben. Besonders deutlich wird die Befehlsgewalt Markes gerade zu Beginn seiner Beziehung zu Tristan: So beschreibt Marke dort seine Befehle
Dies zeigt sich ebenfalls durch die Verteilung der Reden: Im Kontext der Listen wird Isolde 15-mal, Tristan nur noch zweimal direkt adressiert, das Paar zusammen dreimal; allerdings nimmt Marke in sechs der an Isolde adressierten Reden Bezug auf Tristan.
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
337
selbst als Bitten und gibt ihnen somit einen höfisch-abgemilderten Anstrich, gleichermaßen macht er deutlich, dass ein Nicht-Befolgen seiner Anordnungen keine Option ist (vgl. etwa Tr 3365 – 3370). Marke wird hier nicht nur in der Rolle eines Gönners, sondern auch eines Gebieters gezeigt – ein Umstand, der explizit von Tristan ausgesprochen wird (vgl. III.II.2.1.1: 263 – 264), wobei wiederum Tristan es ist, der die Anweisungen des Königs dann, wenn sie aufgrund der äußeren Bedingungen keinen Sinn ergeben, bereits sehr früh ablehnen kann (vgl. III.II.2.1.2: 265 – 267). Dieser Umstand hängt auch mit Tristans Rolle als Günstling zusammen, als dessen Förderer Marke ein Interesse daran hat, dass Tristan am Hof in möglichst gutem Licht erscheint. Markes Gönnertum beschränkt sich aber nicht nur auf die Vergabe von Hofämtern, sondern ist für Marke selbst eine Möglichkeit, seine Königstugenden zu demonstrieren: Er begegnet Tristan von Anfang an nicht nur mit Zuneigung, sondern auch mit herrscherlicher milte, die er im weiteren Verlauf in den Lehrreden an Tristan als eine der wichtigsten Herrschertugenden vorstellt. Markes Verhalten als König ist immer repräsentativ, es ist auf Vorbildlichkeit und Nachahmung hin angelegt. Dieses Urteil kann allgemein gelten, es gilt aber vor allem für Tristan, was deutlich wird, nachdem das Verwandtschaftsverhältnis geklärt ist und Marke mit Tristan die Konditionen, unter denen er Tristans Schwertleite unterstützen wird, verhandelt und Marke Tristan implizit dazu auffordert, sein eigenes Wirken als Entscheidungsgrundlage für dessen weitere Handlungen heranzuziehen (vgl. III.II.2.2.1: 282– 284). Die Lehrreden zeigen Marke nicht nur als Vaterfigur Tristans, sie bieten ihm auch eine Bühne, um sich selbst als vorbildlichen Herrscher inszenieren zu können, der die höfischen Werte und Tugenden vermitteln kann und sie selbst lebt. Indem er höfische Handlungsmaxime für Tristan formuliert, gibt er auch den Wertmaßstab vor, nachdem sein eigenes königliches Handeln und langfristig Scheitern bemessen werden wird, da er selbst den gesetzten Anforderungen nicht gerecht wird. Dies gilt insbesondere für die immer wieder zitierten Schlüsselbegriffe von triuwe und êre, faktisch aber auch für die höfische vröide (vgl. III.II.2.2: 276 – 285). Auch Markes Scheitern wird konsequent daran gemessen, dass er König ist – jeder Ehrverlust Markes korreliert mit einem Ehrverlust seines Hofes und jede Schmach und Schande Markes hat immer auch eine politische Dimension. Dies betrifft sein Scheitern, wenn er Isolde durch das rash boon an Gandin verliert und sich daraufhin Tristans Spott gefallen lassen muss (vgl. III.II.1.2.3: 146 – 147), genauso, wie Marke das Gerücht um die Liebschaft, sobald es öffentlich geworden ist, auch öffentlich ausräumen muss, um seine Herrschaft nicht weiter zu gefährden. Noch seine letzte Handlung im Fragment wird gerügt, wenn ihm die Schande, der er Isolde und sich selbst aussetzt, von seinem Rat nach der (durch diesen ausbleibenden) Entdeckung des Liebespaares tadelnd vorgehalten wird (vgl. Tr 18374– 18400). Sprachlich äußert sich Markes Scheitern häufig darin, dass er verstummt. Dies betrifft besonders den Ausgang der Mehlstreuepisode (vgl. III.II.2.3.1: 312– 313), lässt sich aber auch schon erkennen, wenn Marke fast während der gesamten Auseinandersetzung Tristans mit
338
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Morold schweigt⁴²⁹ oder während der ersten Baumgartenepisode als Lauscher zur Sprachlosigkeit gezwungen ist und seine eigene Schande mitanhören muss, auf diese aber nicht reagieren kann, ohne sich selbst eines höchst unköniglichen Verhaltens zu überführen (vgl. ebd.). Dass die Beziehung von Tristan und Marke auch durch die Hierarchie der Figuren gesteuert ist, zeigt sich daran, dass Marke einerseits als der König, andererseits auch als der Ältere im Gefüge derjenige ist, der – in Reaktion auf entweder Tristans Können oder Enthüllungen über seine tatsächliche Herkunft – die gemeinsame Beziehung und auf diese Weise auch Tristans Stellung in der Gesellschaft definiert. Derart kann er Tristan schrittweise am Hof etablieren, indem er ihm seinen Status offiziell zuerkennt und ihn benennt. Teilweise formuliert er dabei die Funktion, die Tristan für ihn einnehmen soll, so, wenn er Tristan zu seinem jägermeister (Tr 3370) erklärt, teilweise hebt er die Gegenseitigkeit ihrer Beziehung hervor, indem Marke Tristan und sich zu gesellen (Tr 3725) macht, teilweise benennt Marke, welche Position er ausfüllen will, so, wenn er sich als Tristans erbevater (Tr 4301) anbietet. Marke ist aber auch derjenige, der Tristans Reputation nach der Brautwerbung zerstört, indem er ihm sein Vertrauen entzieht und ihm unter der Vorgabe, seine Ehre schützen zu wollen, den Zutritt zu den Damengemächern untersagt (vgl. Tr 14284– 14293) und schließlich das Liebespaar vom Hof verbannt und somit auch seine Beziehung zu Tristan vorübergehend beendet (vgl. Tr 16535 – 16620). Ein Charakteristikum, das m. E. durchaus auch in Korrelation zu Markes Königtum steht, ist die Tatsache, dass ihm immer wieder sprachliche Konventionalität zugeschrieben wird (vgl. Jacobson 1987: 248; Jackson 1973: 254– 255). Diese Konventionalität lässt ihn weniger strahlen als den Helden und setzt Marke somit in Kontrast zu Tristan. Der oft negative Beigeschmack dieser Wertung ist m. E. allerdings nicht zwingend zutreffend: Markes Konventionalität, sein Eingebundensein in das HöfischNormative ist Ausweis seiner hövescheit. Der Hof selbst ist auf Konventionen, auf Regeln angewiesen, die das höfische Leben bestimmen und sich in den höfischen Werten manifestieren, Marke als König ist der oberste Repräsentant des Hofes und damit auch seiner Regeln. Seine Verbundenheit mit dem Hof zeigt sich sprachlich in vielfältiger Weise. So können etwa seine Reden in die des Hofes eingebunden sein und seine Stimme mit der seiner Höfinge zu einer einzigen verschmelzen – dass gerade Markes erste Rede auf diese Weise dargestellt wird, hebt deutlich hervor, wie sehr Marke auf seinen Hof hin charakterisiert wird (vgl. Tr 3262– 3272, 4165 – 4170). Dennoch unterscheidet sich Markes Stimme auch immer wieder von der seiner Höflinge, da er als König andere Privilegien hat und ihm somit etwa eine Variation der Anreden zukommt, die den anderen Figuren nicht zusteht (vgl. IV.2: 351– 352). Die Sonderrolle des Herrschenden zeigt sich auch in der Vielzahl von Markes Anweisungen, Bitten und Geboten (vgl. Tabelle 18):
Marke adressiert Morold nur ein einziges Mal, um Tristans Rechte zu bestätigen (vgl. Tabelle 16).
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
339
Tabelle 18: Anweisungen, Gebote, Bitten Kategorie
Okkurenzen Belege
Anweisung in indirekter Rede / Redebericht
Anweisung in direkter Rede
, , – , f., f., f., – , f., f., – , f., f., – , – , f., – , – , – , – , – , – , – , – , , – , – , , – , – , – f., – , , – , , f., f., f., , – , , , – , f., , – , – , , f., – , f., – , – , , – , , f., , , f.
Sonderfälle Längere direkte Rede mit (tendenziel- lem) Aufforderungscharakter, z. B. Lehrreden Aufforderung gemeinsam mit den Höflingen Längere indirekte Rede: Ratsuche als Bitte formuliert Gesamt:
– , – , – , – , – , – , –
Die 67 Belege für Anweisungen Markes setzen sich aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, die von einfachen Anweisungen an Bedienstete über Aufforderungen zur Jagd und List, von Redeaufforderungen bis zu lebensentwurfbetreffenden Handlungsanweisungen reichen können. Eine Sonderrolle nehmen die längeren Reden ein, die insgesamt Aufforderungscharakter haben, wenn Marke beispielsweise die Beziehung zu Tristan neu definiert und ihm zuweist, wie langfristig dessen neuer Platz und Handlungsraum aussehen soll und dies teils mit konkreten Aufforderungen verknüpft (vgl. Tr 3721– 3741). Auch die Lehrreden, in denen Marke Tristan Handlungsmaximen fürs höfische Leben darlegt, dienen der Vermittlung von Werten und der damit verknüpften Aufforderung, nach diesen Werten zu leben und zu handeln. Gerade die Lehrreden halten durch die höfischen Schlagworte, die gehäuft in conventional pairs angeordnet sind, und ihren Bezug auf Sittenlehren, Sprichworte und Sentenzen einen Katalog des Normativen bereit, der sich durch einen hohen Grad an Formelhaftigkeit auszeichnet. Dass Marke sich aber insbesondere durch die conventional pairs eines höfischen Stilmittels bedient, macht seine Reden nicht zu einer
340
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Ansammlung leerer Worthülsen, sondern zeichnet ihn als höfischen Sprecher aus, umso mehr, als die Wortpaare sich häufig ergänzen und unterschiedliche Aspekte beleuchten, die enger oder weiter miteinander verknüpft sein können. Solche Wortpaare sind in unterschiedlich gehäuftem Vorkommen innerhalb des gesamten Romanfragments in Markes Reden zu finden (vgl. Tabelle 19): Tabelle 19: Conventional pairs in Markes direkten Reden Conventional pairs
Belege
Okkurenzen
schoeniu cleider unde pfert, der gibe ich dir swie vil du wilt. […] sich, mîn swert und mîne sporn, mîn armbrust und mîn guldîn horn, […].
und wistu höfsch unde vrô!
der sî dîn ratgebe und dîn rât […].
mîn lant, mîn liut und swaz ich hân, trût neve, daz sî dir ûf getân. […] sô schaffe et umbe rîchen muot. ich gibe dir rîlîchez guot. Tintajêl muoz iemer sîn dîn triskamere und dîn trisor. gesprengestû mir rehte vor mit rîlîchem muote, volge ich dir niht mit guote […].
f.
f.
dîn geburt und dîn edelkeit sî dînen ougen vür geleit. wis diemüete und wis unbetrogen, wis wârhaft und wis wolerzogen;[…] ziere unde werde dînen lîp, êre und minne elliu wîp; wis milte und getriuwe […]! wan ûf mîn êre nim ich daz, daz golt noch zobel gestuont nie baz dem sper und dem schilte dan triuwe unde milte.
wis iemer höfsch, wis iemer vrô!
nim ros, nim silber unde golt […]. und swen dû dir gesellest, dem biut ez sô mit guote, mit geselleclîchem muote, […]. vil lieber neve, wirb und lebe, als dir dîn vater lêre gebe, […], der michel triuwe und êre hât […]. […] und dîn dinc dâ beslihtest nâch vrumen und nâch êren, […].
f.
341
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
Tabelle : Conventional pairs in Markes direkten Reden (Fortsetzung) Conventional pairs
Belege
ein dinc lob ich und leiste dir: […] daz ich dir mîn guot und mîn lant […]. […] neve, dû hâst vernomen wol mîne bete und mînen sin.
„jâ hêrre, eist unser aller rât, unser wille und unser muot, swaz er gesprichet oder getuot.“
ouch soltu gâr âne angest sîn umbe dînen lîp und umbe dîn leben: […]. ir aller nîden unde ir haz nu sô dir got, waz schadet dir daz? hazzen und nîden daz muoz der biderbe lîden. […] diu wirde diu birt alle zît und vuoret haz unde nît. […] diu saelde ist arm unde swach, […]. lebe iemer und wirp iemer daz, […]. […] wis vor bedenkende alle wîs dînen vrumen und dîn êre […].
Okkurenzen
„neve, swie gern ich staete und triuwe zuo dir haete, […].
uns hazzet liut unde lant.
ir vlîzet iuch ze starke Tristandes schaden und sîner nôt.
nein, dû enkumest niht mêre in ir gewalt und in ir hant […].
wie dunket iuch, wie râtet ir? […] in wes huote und in wes pflege welt ir al die wîle sîn?
waz wirret iu, waz weinet ir?
ir habet doch zʼiuwerre hant beidiu liute unde lant, […]. der ist bedaehtic unde wîs, der vlîzet sich in alle wîs, wie er iu vröide und êre gemache unde gemêre. nu lât mich kiesen unde sehen, […]. […] ez sî der mâc, ez sî der man, der mir dekeines guotes gan, der muoz iu guot und êre bern, […]. […] irn sult wider iuwerm muote
342
III Figurencharakterisierung durch Figurenrede
Tabelle : Conventional pairs in Markes direkten Reden (Fortsetzung) Conventional pairs
Belege
an liuten noch an guote niht weder hoeren noch gesehen, […]. ine wil ouch niht des minnen von herzen noch von sinnen, […]. […] weset ir vrô unde vruot […]. […] sô scheide ich in in kurzer vrist von hove und von gesinde […].
Okkurenzen
wie habet ir vertriben sît iuwer stunde und iuwer zît?
diu rede und der rât dunket mich gevüege unde gevallesam.
[…] liut unde lande ist wol erkant, wie sêre ir gʼarcwaenet sît nu lange und vor maneger zît […]. nu hân ich maneger hande lâge unde list ûf iuch geleit. […] daz ir sô lange und alle zît des herzen sô gemeine sît. […] ine wil diz laster und diz leit, […]. […] sone wil ich iuch nach dirre vrist beswaeren noch betwingen […]. […] und rûmet mir hof unde lant. sol mir leit von iu geschehen, daz enwil ich hoeren noch sehen.
Gesamt:
Ein den conventional pairs vergleichbarerer Ausweis an Höfischkeit stellt das französische strîfeln dar, für das sich aber in Markes Reden nur zwei Belege (Tr 3269 – 3270, 3354) finden, die an Tristans vorangegangenen Reden orientiert sind und dessen französische Grüße erwidern. Kritischer als formelhaftes höfisches Formulieren ist es zu beurteilen, wenn Marke den Werten, die er vermittelt, so sehr verhaftet bleibt, dass ihm der Blick für die Bedürfnisse seines Gegenübers fehlt. Dieser Umstand ist aber nicht dem Redeaufbau und der Anordnung oder den zugrundeliegenden Quellen von Markes Reden geschuldet, sondern einem allgemeineren Problem im Charakter des Königs: Er nimmt Figuren vor allem auf sich bezogen wahr und übersieht dabei immer wieder die emotionalen Auswirkungen unterschiedlicher Situationen auf seine Interaktanten, wobei dies Tristan (vgl. III.II.2.2.1: 281; III.II.2.2.4: 292– 294) ebenso betrifft wie Isolde (vgl. III.II.2.3.1: 305 – 306). Dabei ist Markes Perspektive einerseits oft beschränkt durch seine Selbstbezogenheit, andererseits – und dies ist ein interessanter Bruch in der Wahrnehmung des Königs – wird diese Perspektive oft durch andere Figuren
III.II Charakterisierung über Figuren- und Gedankenrede
343
gelenkt und überformt. Die (kommunikative) Lenkung des Königs wird von diversen Figuren auf unterschiedlichliche Weise praktiziert: Sei es Tristan, der Gespräche geschickt so lenkt, dass er er den Verlauf bestimmt und Marke immer wieder zum Nachfragen animiert, ihn aber auch von seinen Meinungen und Plänen abbringen kann, sei es, dass Marjodo Marke die verbalen Listen der bettemaeren ein- und vorgibt, sei es, dass Isolde ihren Körper geschickt so einzusetzen vermag, dass sie Marke für sich einnehmen kann. Der Einfluss anderer Figuren auf das Handeln des Königs zeigt sich auch dann, wenn dieser sich beraten lässt und die Ratschläge handlungsweisend für ihn sind. Marke kann in diesem Kontext sehr selektiv vorgehen: So bereits in der ersten dargestellten Situation, als er eine fremde Perspektive einholt, auf deren Basis er eine folgenschwere Entscheidung trifft, als er sich vom Jägermeister über Tristan informieren lässt. Aber auch dann noch, wenn Marke sich auf größerer Ebene Rat einholt und das Gerücht über die Affäre Tristans und Isoldes vor dem Konzil verhandelt, ist er derjenige, der die Konsequenz aus dem Konzil bestimmt und vor seinem Urteil auf weitere Beratungen verzichtet und stattdessen unmittelbar und klar seine Entscheidung durchsetzt. So ergibt sich insgesamt das Bild, dass Marke, wenn er sich offiziell beraten lässt, der Entscheider bleibt, während er aber dann, wenn er mehr oder minder suggestiv beeinflusst wird, faktisch nicht in seinem eigenen, sondern im Sinne der anderen Figuren agiert. Marke ist eine Figur mit ganz unterschiedlichen Facetten, deren Bewertungen weit auseinandergehen können. Er kann der vorbildliche Herrscher sein, der Förderer, die Vaterfigur, der betrogene Ehemann und beeinflusste Listensteller. Im Kern bleibt Marke aber immer der König.Versucht er, die Liebenden des Ehebruchs zu überführen, hat dies Einfluss auf seine königliche Ehre und seinen Hof, auf den sein Agieren destabilisierend wirkt und dessen Ordnung gestört wird. Kürt Marke sich einen Favoriten, so ist das gesamte Schicksal des Hofes davon betroffen. Mal zeigt sich dies im Kleinen, indem Marke Hofämter neu vergibt, mal ist die Herrschaft ganz direkt davon betroffen, wenn Marke die Erbfolge zugunsten Tristans festlegt. Tritt Marke als Lehrender auf, so nutzt er dies immer auch, um sich selbst im Sinne der vorgestellten Tugenden inszenieren und die höfischen Werte repräsentieren zu können. Sprachlich bleibt Marke in seinem Auftreten konventionell-höfisch, tendenziell eher reagierend und lenkbar, teilweise aber bricht er aus dieser Lenkbarkeit auch aus und tritt deutlich für seine eigene Meinung ein. Egal, wie man die Markefigur grundsätzlich bewerten will, im Endeffekt zeigt sich, dass Marke alle höfischen Tugenden und Untugenden, die er vermittelt, repräsentiert und somit faktisch als König immer genau das bleibt, was er sein soll: Der höchste Repräsentant des Hofes – mit allen seinen Seiten.
IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation Mit Marke und Tristan stehen einander zwei Figuren gegenüber, deren Entwicklung innerhalb der Narration eng miteinander verknüpft ist. Dabei ist die Konstellation von Asymmetrien auf verschiedenen Ebenen geprägt: Als König und Gönner ist Marke dem vermeintlichen Kaufmannssohn und späteren Höfling und Thronerben Tristan hierarchisch überlegen, als Erwachsener und Vaterfigur dem Kind; Tristan hingegen übertrifft Marke intellektuell, aber auch bezüglich seiner höfischen Fertigkeiten, seiner Zielstrebigkeit und Souveränität. Diese Asymmetrien prägen die Redeszenen der Figuren, wobei deutlich wird, dass Tristans Intellekt innerhalb der Kommunikation der Figuren höher zu bewerten ist als Markes Status und Tristan derjenige ist, der den Verlauf der gemeinsamen Gespräche maßgeblich bestimmt und Markes Handeln auf unterschiedliche Weise lenkt. Beide Figuren entstammen der höfischen Sphäre, so dass die Grundlagen der höfischen Kommunikation die Basis der Reden beider Figuren bilden (vgl. II.4.1: 26 – 30). Obwohl Marke und Tristan als höfische Sprecher charakterisiert werden können und dieser Eindruck formal durch ähnliche Mittel erreicht wird, werden sie sehr unterschiedlich geschildert; in der gemeinsamen Kommunikation ebenso wie in der sprachlichen Interaktion mit anderen Figuren. Kommt Tristan hierbei der aktivere Part zu, der es versteht, andere Figuren mittels seiner Sprache zu manipulieren und sprachlich subtil und teils unkonventionell seine Ziele zu verfolgen, so wird Marke sprachlich in der Regel eher in einer reagierenden, wenig originellen und häufig auch (nicht nur durch Tristan) manipulierten Position dargestellt (vgl. Jacobson 1987: 248). Tristan wird in einem wesentlich weiteren Interaktionsradius gezeigt, sowohl räumlich als auch hinsichtlich der Figuren, mit denen er interagiert. Während Marke an seinen Hof gebunden bleibt, nie außerhalb seines Reiches gezeigt wird und sich ausschließlich in einem höfischen Personenumfeld aufhält, ist Tristans Geschichte geprägt durch seine vielen Reisen, die ihm nicht nur neue soziale Kontakte erschließen, sondern die er oft in unterschiedlichen Maskeraden vollzieht, die zeigen, dass er nicht nur räumlich, sondern auch zwischen seinen verschiedenen Identitäten bzw. seinen Identitätskonstrukten reist. Anders als Marke interagiert und kommuniziert Tristan auch mit Figuren, die eindeutig als unhöfisch zu klassifizieren sind, so dem Riesen Urgan.⁴³⁰ Aus dieser unterschiedlichen Anlage der Figuren ergibt sich auch bezüglich ihrer Charakterisierung eine Asymmetrie: Während Tristan kommunikativ sowohl bezüglich seiner Interaktanten als auch hinsichtlich der Kommunikationssituationen sehr variabel aufgestellt ist und sich in sehr unterschiedlichen Zwar ist auch Melot als Zwerg in der Tendenz den nicht-höfischen Figuren zuzurechnen, sein Wirken ist aber dem Hof zugeordnet, wenn es auch durch die Verortung in den Bereich von Heimlichkeit und Intrige auf der Oberfläche als unhöfisches Handeln zu bewerten ist, das nicht geeignet ist für die höfische Öffentlichkeit. https://doi.org/10.1515/9783110572476-006
IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
345
Kontexten bewegt, bleibt Markes Kommunikation, wie in Kapitel III.II.2 gezeigt, fast durchgängig auf Tristan bzw. später auf Tristan und Isolde bezogen. Eine Charakterisierung Markes ist, nimmt man ihn aus der Konstellation mit Tristan heraus, nicht möglich. Für Tristan hingegen lassen sich diverse Situationen heranziehen, in denen Marke, wenn überhaupt, nur eine hintergründige Rolle spielt. Dieser Umstand ist zwar grundsätzlich der Tatsache geschuldet, dass Tristan der Protagonist der Narration ist, verdeutlicht aber dennoch die Abhängigkeit der Markefigur von Tristan: Diese ist nicht nur der Zuordnung des Figurenensembles auf den Protagonisten hin geschuldet, sondern deckt sich auch inhaltlich mit der Abhängigkeit von Tristan, in die Marke sich begibt. Dennoch ist die emotionale Verbindung von Marke und Tristan nicht einseitig und Markes Hof, vor allem aber Marke selbst, ist der Bezugspunkt schlechthin für Tristan (vgl. Barandun 2009: 15). Die Beziehung zwischen Tristan und Marke ist gekennzeichnet durch ihre Wandlungen. Sie beginnt als Symbiose: Tristans höfische Attraktivität macht ihn zu einem Objekt, einer Trophäe, die den Markehof aufwertet, er bringt neue, ausgefeiltere Kulturtechniken und sein ungeheures Talent mit an den Hof. Der Hof bietet Tristan nicht nur Obdach, sondern auch ein soziales Gefüge, ein Publikum und eine Bühne, die er benötigt, um seine Exorbitanz überhaupt zur Schau stellen zu können. Tristan erfährt so die Anerkennung, die er immer wieder sucht, und der Hof ermöglicht dem Kind eine ungewöhnliche Karriere. Tristans Bedürfnisse werden hier also auf verschiedenen Ebenen gestillt, gleichermaßen kann er die Bedürfnisse des Hofes befriedigen. Beide Parteien profitieren zu diesem Zeitpunkt voneinander. Mit Ruals Angaben zu Tristans Herkunft wird die Beziehung auf eine neue Ebene gehoben: Die Informationen klären nicht nur das Ständeverhältnis und ermöglichen Tristan somit die Schwertleite (vgl. aber auch Anm. 198), sondern verleihen ihm einen neuen Grad an Autarkie seinem Onkel gegenüber. Dieser muss einen Anreiz für Tristan schaffen, um ihn dauerhaft an seinen Hof zu binden, der über die persönliche Beziehung und die Vergabe von Hofämtern hinausgeht, und schafft dies, indem er Tristan zu seinem Thronerben macht. Hier verschiebt sich die Konstellation in Richtung einer ständischen Gleichrangigkeit, die zwar nicht vollends erreicht, aber antizipiert wird. Die maßgeblichste Änderung vollzieht sich, als Isolde in die Beziehung der Männer eintritt und das Verhältnis sich zu einem Personendreieck wandelt, in dem sich die Bezugspunkte deutlich ändern. Isolde erhält die Position der Dritten innerhalb der homosozialen Männerbeziehung, die durch die Frau aufgebrochen wird. Tristan wird als Liebhaber Isoldes der Dritte innerhalb der Beziehung des Königspaares. Faktisch aber ist der eigentliche Eindringling innerhalb der Beziehung Marke, der keinen Anteil an der Tristanminne hat. Das Verhältnis wandelt sich in ein Antagonistenverhältnis, das aber kein reines Antagonistenverhältnis ist, sondern immer in Spannung zur emotionalen Verbundenheit der Figuren steht. Weder kann Marke die Konsequenzen aus dem Betrug ziehen und bleibt dem Paar selbst dann, als er es vom Hof verbannt, deutlich zugetan, noch können Tristan und Isolde den Markehof endgültig verlassen. Standen im Verlauf der Einzelanalysen Marke und Tristan je für sich im Fokus der Analysen, so sollen beide Figuren im Folgenden unter Berücksichtigung der folgenden
346
IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
Fragestellungen zusammengeführt werden: Wie wird die Entwicklung der Figurenbeziehung durch die gemeinsamen Redeszenen beeinflusst, motiviert und dargestellt? Welche sprachlichen Konstanten manifestieren sich in den Figurenreden? In welchen Redesituationen begegnen die Figuren einander? Wie wird die Kommunikation realisiert, wird sie einseitig oder beiderseitig geschildert? Wer ist der Initiator, wer lenkt die Entwicklung der Reden? Wie werden Über- und Unterlegenheiten sprachlich dargestellt? Wie verändern sich die Redeszenen ab dem Zeitpunkt, als Isolde hinzutritt?
1 Grundlegende und übergreifende Beobachtungen Grundlegend für eine weitere Analyse der Figurenkonstellation im kommunikativen Kontext soll zunächst ein allgemeiner, größtenteils quantitativer Überblick über die Redeszenen zwischen Tristan und Marke gegeben werden, der das Vorkommen der Reden, ihre Realisierung und situative Verortung in den Blick nimmt, in diesem Kontext auch die Sphäre ihres Vorkommens und eine mögliche Beteiligung anderer Figuren an der Kommunikation. Für Tristan und Marke lassen sich 28 Kommunikationssituationen ermitteln, wobei hier bewusst ein relativ breiter Begriff von Kommunikation angesetzt ist und jede sprachliche Handlung, durch die Tristan und Marke interagieren, einbezogen wird. Hierzu zählt z. B. auch die Kommunikation über Boten (zwei Belege), die zwar keinen unmittelbaren verbalen Austausch der Interaktanten abbildet, aber dennoch ein adressatenbezogenes Kommunizieren darstellt.⁴³¹ Durch den Einbezug der Botenkommunikation wird bereits deutlich, dass die hier behandelten Redeszenen nicht ausschließlich dialogisch aufgebaute Reden beeinhalten: So werden auch Einzelreden, in denen sich Tristan an Marke richtet oder umgekehrt, gezählt, ebenso Gruppenreden, in denen die Stimme des Königs mit der des Hofes verschwimmt, und Redeszenen, die nicht rein dialogisch aufgebaut sind, sondern auch andere Figuren einbeziehen. In der folgenden Tabelle (20) findet sich eine chronologische Übersicht über die Redeszenen zwischen Tristan und Marke: Von den 28 Kommunikationssituationen sind 16 in direkter Rede, zehn in indirekter oder berichteter Rede und zwei in einer Mischung aus direkter und indirekter Rede realisiert, wobei z. B. die vier Belege der Botenkommunikation zu den indirekt dargestellten Reden zählen. Für den direkten Kontakt zwischen Tristan und Marke ergibt sich somit eine deutliche Tendenz zur direkten Rederealisierung. Es lässt sich ebenfalls eine Tendenz zur öffentlichen Situierung der Gespräche feststellen: Insgesamt 16 der Redeszenen können dem öffentlichen Kontext zugeordnet werden, vier sind unter Ausschluss der Öffentlichkeit dargestellt und für acht Redeszenen lässt sich
Es bleibt im Verlauf wichtig zu fragen, an welchen Stellen und warum die Kommunikation nicht direkt geführt wird – ist der Weg über den Boten der schlichten Abwesenheit eines Interaktanten geschuldet oder liegt eine bewusste Distanzierung vor?
Begrüßung Aufnahme an den Hof Jagd Botschaft an Tristan [Kommunikation über andere Figur] Musikvortrag Definition der Beziehung Klärung von Ruals Identität Anweisung an Tristan Definition der Beziehung Vorverhandlung Schwertleite Schwertleite urloup und Thronerben-Vertrag Intervention Markes gegen Tristans Kampf mit Morold Klage vor dem Morold-Kampf Tristans Abschied vor dem Morold-Kampf Besprechung über den Plan zur Irlandreise Instruktionen vor Irlandreise Bericht über Irlandreise Besprechung wegen Hofintrige Brautwerbungs-beratung mit Landbaronen Botschaft an Marke [Kommunikation über andere Figuren] Scheltrede
Redesituationa)
x
x x
x
x
x
x
x x
x
x
x
x x
x x x x x x x x
x
x x x
x
x
indR
x x
gem
Realisierung dR
x x x x x x x
kA x x x
h/p
x x x x
ö
Sphäre
Tabelle 20: Übersicht der Redeszenen zwischen Tristan und Marke
x
x
x
x x x
x
x
T
x [?]
x
x
x
x
x x x x x
x x x
M
x
A
Gesprächseröffner
–
– – – –
– – – – –
–
Sprecherwechsel
–
– – Kurvenal – [Hof (Gefolge)] – Landbarone Bote
Hof (Gefolge) – – – in absentia: Blanscheflur Rual, Hof (Gefolge) – – –
Hof (Gefolge) Hof (Gefolge) [mittelbar: Jäger] Bote
andere involvierte Figuren
–
– – – – – – – –
– – – f. – – – – –
– – – –
Beleg
1 Grundlegende und übergreifende Beobachtungen
347
x
ö
x
x
h/p
Sphäre
x
x
x x
indR
x
x x
dR
x
x
kA
gem
Realisierung
x
T
x
x x x
x
M
A
Gesprächseröffner
–
– – –
– –
Sprecherwechsel
Isolde
Isolde Isolde Isolde, Bote (Kurvenal)
– Bote
andere involvierte Figuren
–
– – –
– –
Beleg
a) Legende: ö = öffentlich, h/p= heimlich / ‚privat‘, kA: keine Angabe, dR: direkte Rede, indR: indirekte Rede [hierunter fallen auch Redeberichte], gem = gemischt: direkte und indirekte Rede, T = Tristan, M = Marke, A = andere Figur.
Verbannung aus Damengemächern Botschaft an Marke [Kommunikation über andere Figuren] Scherzen über Blutfund beim Aderlass Verbannung Botschaft: Einladung zur Rückkehr an den Hof [Kommunikation über andere Figur] Kommunikationsverbot
Redesituationa)
Tabelle : Übersicht der Redeszenen zwischen Tristan und Marke (Fortsetzung)
348 IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
1 Grundlegende und übergreifende Beobachtungen
349
nicht eindeutig festmachen, ob sie in der öffentlichen oder nichtöffentlichen Sphäre stattfinden. Auffällig ist hierbei, dass bis zu der Szene, in der Marke Tristan anbietet, sein Thronerbe zu sein, alle Redeszenen öffentlich situiert sind.⁴³² Die Entwicklung der Beziehung von Marke und Tristan wird von Tristans Eintreffen am Markehof an bis zu seiner Abreise nach Parmenien also konsequent im öffentlichen Bereich dargestellt, wobei in den Reden selbst – etwa dann, wenn Marke Tristan zu seinem gesellen erklärt und ihn bittet, nachts für ihn zu musizieren (vgl. Tr 3721– 3741) – der nichtöffentliche Bereich der Beziehung unter dem Vorzeichen von Vertrautheit und Wohlwollen als wichtiger Bestandteil der gemeinsamen Interaktionen auch innerhalb der Figurenreden benannt wird, dies aber gerade in der Öffentlichkeit. Bezüglich der Reden, für die keine konkreten Angaben über ihre Zuordnung zur öffentlichen oder nicht-öffentlichen Situierung vorhanden sind, gibt es teilweise die Möglichkeit, zumindest eine Wahrscheinlichkeit für ihre Verortung anzugeben. So ist anzunehmen, dass Tristan Marke im Zuge der Gandin-Episode nicht in der Öffentlichkeit schilt und auch Markes Anweisungen zur Kommunikationseinschränkung der Liebenden nach deren Rückkehr an den Hof dürfte nicht für eine Öffentlichkeit bestimmt sein, die anderweitig sofort wieder in herrschaftsgefährdender Weise auf Markes mangelndes Vertrauen in die Liebenden hingewiesen und zu neuen Gerüchten angeregt wäre. Völlig auszuschließen ist ein solches Verhalten, das die Ehre des jeweils anderen gefährden würde, zwar nicht, es ist aber eher unwahrscheinlich. Andere Reden entziehen sich einer konkreten Zuordnung oder finden in Grenzbereichen statt: So ist etwa die Brautwerbungsbesprechung, wie bei Beratungen häufig der Fall, halboffiziell, da zwar Repräsentanten des Hofes einbezogen werden, aber eben nicht die gesamte höfische Öffentlichkeit. Anderes, wie etwa die Einladung an Tristan und Isolde zur Rückkehr an den Königshof, wird innerhalb des Rates besprochen, der Inhalt der Besprechung ist als dem Hof bekannt anzunehmen, die Rede über den Boten selbst jedoch findet außerhalb der Öffentlichkeit statt, da sich das Paar fernab des Hofes aufhält. Explizit der Heimlichkeit zugeordnet sind die Reden, in denen Tristan sich mit Marke wegen seiner Pläne zur ersten Irlandreise und wegen seiner Sorgen bezüglich der Hofintrige bespricht, darüber hinaus naturgemäß auch die Reden, die in die Listepisoden fallen. Nimmt man die Reden hinzu, für die eine Heimlichkeit nicht expliziert, aber anzunehmen ist, ergibt sich mit sieben nicht-öffentlichen versus nur zwei explizit öffentlichen und zwei halböffentlichen Reden sowie drei Mitteilungen durch Boten, deren Status nicht eindeutig festzulegen ist, eine Tendenz zur Heimlichkeit nach dem Morold-Kampf. Diese Änderung im Gefüge kann bereits auf Veränderungen innerhalb der Konstellation hinweisen, da hier eine deutliche kommunikative Verschiebung im gemeinsamen Auftreten der Figuren zu erkennen ist, deren Besprechungen nun kein Publikum mehr brauchen, um ihre Strahlkraft zu
Ich würde auch besagte Redeszene den öffentlichen Redeszenen zuordnen, Krohn (1978: 369 – 370) spricht ihr den Öffentlichkeitscharakter ab – da der Text keinen eindeutigen Schluss zulässt, muss dies aber offen bleiben.
350
IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
entfalten und den beteiligten Figuren die Möglichkeit zur Repräsentation zu gewähren, sondern deren Unterredungen nun erst aus Gründen der Vertraulichkeit und dann aus Gründen des fehlenden Vertrauens ein Publikum gerade nicht mehr vertragen. Spätestens ab Tristans Rückkehr von der gefährlichen Brautwerbung interagieren die Figuren zwar noch miteinander, aber wenn sie nun explizit öffentlich kommunizieren, treten sie nicht mehr gemeinsam, sondern, wie im Fall der öffentlichen Verbannung, als Kontrahenten auf und die Kommunikation bleibt eine einseitige. Ein Faktor, der vor dem Hintergrund der bisherigen Einschätzung Markes, dem – wie auch hier – immer wieder nachgesagt wird, dass seine Sprache in der Regel „totally reactive“ (Jacobson 1987: 248) sei, überrascht, ist die Gesprächseröffnung: Mit 18 Belegen eröffnet Marke doppelt so häufig wie Tristan die gemeinsamen Gespräche. Ein Gespräch wird durch eine dritte Figur begonnen. Dennoch darf die Gesprächseröffnung hier nicht mit der Initiative zum bzw. dem Auslösen des Gesprächs verwechselt werden, denn den Anlass für die verschiedenen Gespräche bieten oft mittelbar und unmittelbar Tristans Handlungen: Gerade Tristans Ankunft und Etablierung am Markehof ist mit einem Auftreten verknüpft, das Aufmerksamkeit sucht und Reaktionen provoziert – das Spektrum reicht von Tristans Einzug bei Hof und seiner Jagdvorführung in Markes Abstinenz, so dass Marke die Fertigkeiten seines neuen Jägermeisters überprüfen muss, über Tristans Musikvortrag bis hin zu seinen Kampfesreden Morold gegenüber. Andere Faktoren, die Marke dazu bringen, Gespräche mit Tristan zu beginnen, sind das Hinzutreten anderer Figuren wie etwa Rual, aber auch das mit diesem verbundene neuerworbene Wissen über Tristans Herkunft, weiter die Rückkehr Tristans von Irland und die Reden im Kontext der Listen. Dass die Verbannung Tristans und Isoldes vom Hof und Einladung zur Rückkehr an diesen von Marke ausgesprochen und initiiert werden, ist logisch. Eine weitere Auffälligkeit findet sich im Bereich der Sprecherwechsel. Bis zu Isoldes Ankunft am Markehof werden Tristan und Marke in diversen Redeszenen gezeigt, in denen echte Dialoge zustandekommen, teilweise auch unter Einbezug anderer Figuren oder Figurengruppen wie Rual, den Landbaronen und allgemein Markes Gefolge. Die Redeszenen weisen bis zu zehn Sprecherwechsel auf, wobei die Gespräche zwischen Tristan und Marke gerade im Fall der häufigen Sprecherwechsel oft im öffentlichen oder halböffentlichen Raum stattfinden und andere Figuren sich an ihnen beteiligen.⁴³³ Mit dem Eintreten Isoldes ändert sich das Dialogverhalten schlagartig, denn echte Dialoge kommen nun nicht mehr zustande, Kommunikation zwischen Tristan und Marke wird hier nur noch als einseitiger Prozess geschildert, der ohne verbale Antworten auskommen muss. Durch die Einseitigkeit der Reden wird der Bruch zwischen den Figuren, die eingangs in einem regen verbalen Austausch stehen, eindringlich veranschaulicht. Eine Konstante findet sich dagegen im Bereich
Die Beteiligung anderer Figuren muss nicht zwangsläufig aktiv erfolgen: So ist im Gespräch im Kontext der Jagdvorführung eine mittelbare Adressierung der Jäger zu verzeichnen und in den Gesprächen mit Tristan und Isolde wird das Liebespaar gemeinsam adressiert.
2 Sprachliche Überlegenheits- und Hierarchiedarstellung
351
der pronominalen und nominalen Anreden – diese sollen im folgenden Kapitel im Kontext der Hierarchiedarstellung betrachtet werden.
2 Sprachliche Überlegenheits- und Hierarchiedarstellung Die Konstellation Marke – Tristan ist deutlich geprägt von konträren Ebenen der Überlegenheits- und Hierarchiedarstellung: So ist das Mächteverhältnis der Figuren auf sozialer Ebene eindeutig geklärt und zugunsten Markes entscheidbar, auf intellektueller Ebene ist dieser Tristan aber deutlich unterlegen. Dieser Eindruck wird sprachlich durch unterschiedliche Mittel erreicht, wobei die Darstellung sozialer Hierarchien eher durch formalsprachliche Mittel erzielt wird, die intellektuelle Ebene dagegen eher durch eine Vorführung strategischen Sprechens. Prägnant sind für den Bereich der sozialen Hierarchisierung vor allem die klar geregelten Anredemodalitäten zwischen dem König und Tristan sowohl in ihrer pronominalen als auch nominalen Realisierung. Dies ist kein Zufall, sondern deckt sich mit den historischen Modalitäten der sozialen Hierarchisierung über Anreden: Die Anrede kann […] verschiedene Qualitäten der Stellung von Sprecher und Adressat bezeichnen. Sie kann nicht nur Über- und Unterordnung herausstellen, sondern sie kann auch Nähe und Distanz anzeigen, oder sie kann Aufmerksamkeit oder Nachlässigkeit verraten. (Behrmann 2001: 293)
Hierbei stehen den interagierenden Figuren allerdings je nach Position unterschiedliche Mittel zur Verfügung. Zunächst lässt sich feststellen, dass Tristan Marke während der gesamten Narration ihrzt, während Marke Tristan duzt – hieran ändert auch das aufgedeckte Verwandtschaftsverhältnis nichts, denn entscheidend ist die Ranghöhe der Sprecher (vgl. ebd.: 296). Die nominalen Anreden weisen eine stärkere Variation auf, wobei dies gemäß seines Ranges vor allem auf Markes Reden zutrifft. So adressiert Marke Tristan überwiegend mit dessen Namen (elf Okkurenzen) oder betont in leichter Variation 13-mal das Verwandtschaftsverhältnis, wenn er Tristan als neve, neve Tristan, vil lieber neve Tristan, trût neve oder vil lieber neve anspricht, er bezeichnet Tristan aber auch als vriunt, in Reaktion auf dessen französischen Gruß als bêâs vassal, als geselle und lieber man. Ein einziges Mal greift Marke auf eine Verbindung von Tristans Namen mit einer ständischen Bezeichnung zurück und tituliert ihn als hêr Tristan – dies ist für sich schon auffällig und mitnichten eine zufällige Bezeichnung, sondern dem Kontext zuzuschreiben. Schon Ehrismann (1903/1904: 131) betont die Ambivalenz der Anrede eines Rangniederen mit ‚Herr‘ und hält fest, dass diese je nach Zusammenhang ganz unterschiedlich gedeutet werden kann: „‚Herr‘ genannt zu werden von einem Höheren ist für einen Niederen eine große Ehre, aber sie ist zweideutig, denn sie kann kühle, Vertraulichkeit ausschließende Gesinnung bedeuten, umgekehrt aber auch wirkliche, und zwar die höchste Verehrung[.]“ Der Kontext macht ganz deutlich, wie die Anrede hier zu verstehen ist: Marke findet nach dem Aderlass Tristan und
352
IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
Isolde blutbesudelt vor und spricht sie scheinbar scherzhaft darauf an; die Anrede, gerade in ihrer Singularität, hebt die Distanzierung hervor, die mit Markes vermeintlichem Scherzen und seinem anschließenden Schweigen korrelieren (vgl. zu den Anreden Markes an Tristan insgesamt Tabelle 21). Tabelle 21: Nominale Anreden Markes an Tristan Nominale Anrede
Okkurenzen
Beleg
Tristan
neve neve Tristan vriunt bêâs vassal lieber man geselle vil lieber neve Tristan trût neve vil lieber neve hêr Tristan
, , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
Gesamt:
Die Anreden Tristans an Marke sind wesentlich weniger variant und durchweg Standesbezeichnungen, wobei Tristan Marke in der Regel mit der Titulatur hêrre / herre anspricht (15 Okkurenzen), diese Anrede aber teilweise in ihrer Nuancierung verändert und hêrre einerseits durch ein kosendes trût (ein Beleg) erweitert, das nach der Klärung des Verwandtschaftsverhältnisses eine gewisse Nähe in die Anrede einfließen lässt, andererseits eine Zuordnung seiner selbst zu Marke vornimmt, indem er Marke zweimal als hêrre mîn und einmal als lieber hêrre mîn adressiert. Mit seinem Namen spricht Tristan Marke nur ein einziges Mal an, stellt diesem aber gedoppelt die Standesbezeichnungen künec und herre voran. Von insgesamt 22 Belegen sind also 20 der Gruppe mit hêrre zuzuordnen – dies entspricht den höfischen Gepflogenheiten, nach denen der Rangniedere den Ranghöheren ihrzt und mit der Titulatur ‚Herr‘ anspricht (vgl. Behrmann 2001: 296). Die übrigen Anreden beziehen sich auf Markes Status als König, wobei Tristan Marke einmal auf Französisch als gentil rois anspricht, einmal eine mit einer Ehrenbezeichnung verbundene Zuordnung des Königs zu seinem Reich vornimmt und der dritte Beleg mit der Verknüpfung von Markes Name und der Anrede als hêrre einhergt, so dass dieser dritte Beleg sowohl den hêrre als auch den Königsbezeichnungen zugeordnet werden kann (vgl. Tabelle 22).
2 Sprachliche Überlegenheits- und Hierarchiedarstellung
353
Tabelle 22: Nominale Anreden Tristans an Marke Nominale Anrede
Okkurenzen Beleg
hêrre / herre
hêrre mîn gentil rois edeler künic curnewalois trût hêrre [nach Klärung Verwandtschaft] lieber hêrre mîn künec […] hêrre Marke ⁴³⁴
Gesamt:
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Anders als bei Marke schlägt sich das Verwandtschaftsverhältnis in den direkten Reden Tristans nicht nieder, dafür spielt es in den indirekten Reden eine Rolle und wird in drei von vier Reden durch den Erzähler hervorgehoben (vgl. Tr 7351, 8379, 14374). Hier zeigt sich ganz deutlich der größere Spielraum, den Marke durch seinen Rang als König hat, und auch die Tatsache, dass innerhalb der Figurenrelation der gesellschaftliche Status über dem verwandtschaftlichen steht. Während Tristans Anreden im Rahmen der höfischen Norm neben einer Respektsbezeugung Marke gegenüber auch immer eine unterordnende Funktion haben, kann Marke über die Anreden seine Gunst bezeugen und auch wieder entziehen, indem er vom Persönlichen ins Förmliche wechselt. Will Tristan seinen Anreden eine persönlichere Note hinzufügen, muss er auf Adjektive und Personalpronomen zurückgreifen, die nominalen Anreden selbst kann er hierfür nicht einsetzen. Somit bilden sowohl die nominalen als auch die pronominalen Anreden deutlich die Hierarchie zwischen den Männern ab. Ein weiterer Faktor, der die soziale Hierarchie klar abbildet, ist Markes Möglichkeit, über Tristan zu verfügen, die sich in Anweisungen, Aufforderungen aber auch Statusdefinitionen niederschlägt. Diese Reden mit aufforderndem Charakter können ganz unterschiedlicher Natur sein. Hierzu können einfache, alltägliche Handlungsanweisungen wie die Aufforderung, herzukommen, zählen, so etwa in gâ her (Tr 3648, 4299) und gâ balde dar (Tr 4101), aber auch solche Aufforderungen, die mit konkreten Situationen verknüpft sind wie die Anweisung nim selbe dînes vaters wâr (Tr 4102) oder küsse mich (Tr 4299). Teilweise sind diese Aufforderungen komplexer und setzen sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen, wobei sich aus mehreren Einzelanordnungen eine komplexe Handlungsaufforderung ergibt, so etwa, als Marke Tristan anweist, seine Jagdkünste vorzuführen (Tr 3420 – 3425): „Tristan“ sprach er „nu wis gemant, daz dû mîn jegermeister bist,
Diese Anrede ist durch ein inquit unterbrochen.
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IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
und zeige uns dînen jagelist. nim dîne hunde unde var und schicke dîne warte dar, dâ sî dich rehte dunken stân.“
Hier wird die erste Anordnung konkretisiert, indem sie durch zwei thematisch untergeordnete, ebenfalls als Anweisung formulierte Handlungsschritte ergänzt wird. Wieder andere Anordnungen gehen über akute Situationen hinaus und sind als Gebote oder Verbote für das weitere Zusammenleben aufzufassen. Hierunter fällt z. B. ebenso die imperativisch formulierte Vergabe des Hofamtes ‚Jägermeister‘ (vgl. Tr 3370) als auch das als Bitte formulierte Verbot, sich den Damengemächern zu nähern (vgl. Tr 14284). Grundsätzlich gilt, dass Markes Anweisungen an Tristan direkt, indirekt oder über Boten vermittelt werden können. Markes Gebote verdeutlichen seine Machtstellung und machen ihn formal zu demjenigen, der über Tristan verfügt und dessen Willen Tristan sich fügen muss. Marke erscheint somit offiziell als der Bestimmende innerhalb der Konstellation. Der Grad der Macht lässt sich aber nicht nur an Formalitäten und Befehlen messen. Tristans Überlegenheit über Marke ist von teils subtiler, teils regelrecht aufdringlicher Natur und äußert sich ebenfalls in ganz unterschiedlichen und auch unterschiedlich zu gewichtenden Bereichen. Besonders augenfällig wird sie in den Momenten, in denen Tristan Marke widerspricht, weil er Dinge besser weiß und dies auch öffentlich ausdrückt wie in seiner Zurückweisung von Markes Anordnungen bezüglich der Jagdvorführung (vgl. Tr 3426 – 3437; III.II.1.2.1: 119 – 120) oder dann, wenn er Marke ein regelrechtes Ultimatum stellt und ihn so dazu zwingt, gegen seine vorher ausdrücklich formulierte Meinung zu handeln, wie es in der Episode um die Hofintrige der Fall ist (vgl. Tr 8424– 8432; III.II.1.2.2: 137– 138). Auch in der Gandin-Episode stellt Tristan seine Überlegenheit Marke gegenüber ganz offen zur Schau, er rügt ihn, er gibt ihm Handlungsanweisungen und führt ihm sein Scheitern überdeutlich vor Augen (vgl. Tr 13438 – 13450). Dass er Marke an dieser Stelle der Liebeshandlung gegenüber so klar wird und seine eigene Überlegenheit nicht verschleiert, zeigt, wie deutlich sich Tristan seinem Rivalen gegenüber durchsetzt und sich auch verbal in einer Weise von ihm abhebt, die selbst vor Spott nicht zurückschreckt. Zwar gibt Tristan hier vor, den Spott des Hofes zu antizipieren, faktisch aber ist er es, der Marke gegenüber seine moralische Überlegenheit, die ihn zum Spotten ermächtigt, vorführt (vgl. III.II.1.2.3: 146 – 147). Tristans Darstellung moralischer Überlegenheit findet sich auch in zwei Schlüsselszenen für die Handlung, in denen zwar kein Dialog mit Marke vorliegt, dieser aber mehr oder weniger offenkundig indirekt adressiert wird: Auf der einen Seite im Vorfeld des Morold-Kampfes, als Tristan den Landbaronen ihr moralisches Scheitern vor Augen hält und sich selbst auf dieser Grundlage zum Helden und Heilsbringer stilisieren kann. Hier adressiert er zwar verbal die Landbarone, durch seine Körpersprache sind seine Reden aber indirekt (auch) an Marke und Morold gerichtet. Die Schmach, die Tristan formuliert, betrifft nicht nur die einzelnen Barone, sondern den ganzen Hof und mit ihm an erster Stelle dessen obersten Repräsentanten,
2 Sprachliche Überlegenheits- und Hierarchiedarstellung
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den König (vgl. III.I.1.3: 60 – 61). Auf der anderen Seite wird Marke unfreiwillig Zeuge seiner eigenen Schande, als er das Gespräch von Tristan und Isolde im Baumgarten belauscht und sein eigenes Fehlverhalten eindringlich vorgeführt bekommt. Zwar ist Marke zu diesem Zeitpunkt offiziell nicht anwesend und somit weder gestisch noch verbal direkt zu adressieren, die Liebenden konzipieren aber ihr Gespräch genau so, dass ihre Worte mit einem, gerade in Isoldes Formulierungen, doppelten Boden an Marke gerichtet sind. Nicht nur die Überlegenheit des Paares im Wechselspiel aus List und Gegenlist kommt hier zum Zug, sondern gerade Tristan macht das Fehlverhalten des Hofes ihm und Isolde gegenüber deutlich, leitet die hieraus resultierende Schande ab und stellt seine eigene Opferbereitschaft für Markes Ehre heraus. Somit inszeniert er sich auch in dieser Szene als Marke moralisch überlegen (vgl. III.II.1.2.3: 155 – 160). Eine Besonderheit, die wesentlicher Bestandteil in Tristans gesamtem kommunkativen Verhalten ist, ist sein Hang dazu, das Interesse anderer Figuren zu wecken und aufrecht zu erhalten, indem er Informationen nur stückweise vergibt, wobei er vorher durch Handlungen oder Andeutungen klar macht, dass sich ein Bemühen der anderen Figuren, an diese Informationen zu gelangen, lohnen wird (vgl. III.II.1.1: 104– 108; III.II.1.2.1: 123 – 125; III.II.1.4.2: 232– 236). Handelt es sich hierbei um Termini, die anderen Figuren unbekannt sind, lässt Tristan seine Reden genau mit diesen Begrifflichkeiten enden und rückt sie somit in den Fokus, gibt seinen Interaktanten aber gleichzeitig die Möglichkeit, sich sofort bei ihm über das ihnen Unbekannte zu erkundigen. Mit dieser Strategie hält Tristan nicht nur die Aufmerksamkeit anderer Figuren aufrecht, sondern schafft es gleichzeitig, Gespräche in einer Weise zu lenken, die seine Überlegenheit offenbaren, indem die anderen Figuren durch ihr Nachfragen ein Wissensdefizit eingestehen müssen. Marke und seinem Hof gegenüber offenbart Tristan vor allem seine Überlegenheit in höfischen Dingen, die sich im Beherrschen von kulturellen Fertigkeiten niederschlägt, die Marke und seinen Höflingen so unbekannt sind, dass sie nicht einmal ihre Bezeichnung kennen. Erklärt Tristan Markes Jägern jedoch noch seine Jagdterminologie und führt sie ihnen vor, so bleibt er Marke selbst gegenüber vage, als dieser erfahren will, was er sich unter sambjût vorzustellen habe – und Marke lässt dies zu: Er lässt Tristan nicht nur den Raum zur Selbstdarstellung und die Möglichkeit, sich zu präsentieren und als herausragend darzustellen, sondern er fördert sie (vgl. Tr 3661– 3720). Marke hat ein Interesse daran, dass Tristans Besonderheit bei Hof bekannt wird, er lässt sich auch dann auf Tristans Strategie ein, wenn er sie grundsätzlich durchschaut, denn in den Momenten, in denen Tristan anderen Figuren ihre Defizite vorführt, liefert er ihnen sich selbst als Möglichkeit, diese Defizite auszugleichen und so sich selbst und den Hof über ihn zu vervollkommnen. Dies gibt Tristan eine besondere Macht über andere Figuren, in Markes Fall manifestiert sie sich vor allem in dessen wiederholt artikuliertem Willen, Tristan besitzen und am Hof halten zu wollen. Abschließend lässt sich festhalten, dass Marke Tristan zwar ständisch überlegen ist und sich dies vor allem durch den Einsatz der variableren Anreden und das Verfügen über Tristan äußert, während Tristan seine Superiorität immer wieder herausstellt und dies u. a. deswegen kann, weil Marke ihm eine Bühne hierfür gewährt.
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IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
Tristans Darstellung seiner Überlegenheit gründet darin, dass er anderen Figuren ihre Defizite unterschiedlichster Art vorführt: Mangelnde höfische Bildung und kulturelle Fertigkeiten zählen hierzu ebenso wie das persönliche oder allgemein höfische Fehlverhalten einzelner Figuren oder der gesamten sozialen Gruppe. Tristans Überlegenheit besteht nicht nur darin, dass er eine größere Bildung und mehr Heldenmut mitbringt als andere Figuren, sondern darin, dass er klar erkennt, woran es den anderen Figuren mangelt und dies für sich nutzen kann. Das betrifft nicht nur Marke und diesen auch nicht immer direkt, aber gerade dann, wenn Tristans Kritik Markes Hof betrifft, richtet sie sich grundsätzlich auch an Marke. Wie geschickt Tristan dabei taktiert, wird dadurch deutlich, dass er seine Art der Defizitsvorführung immer wieder variiert und den Gegebenheiten anpasst, dass er sie direkt und indirekt adressieren und platzieren, subtil und ganz offen formulieren kann. Es zeigt sich darin, dass er seinen eigenen Hohn hinter der Vorgabe der Antizipation der öffentlichen Meinung ganz offen formulieren kann oder sich so sehr auf ein höfisch-ethisches Programm – und immer wieder Gott – beruft, dass eine Argumentation gegen Tristans Positionen kaum möglich erscheint. Begegnet Marke ihm dann doch mit Widerstand, setzt er ihm gegenüber seine größte Waffe ein: Die Drohung, sich ihm zu entziehen. Marke aber verleiht Tristan selbst die Macht, so sehr über ihn zu verfügen und gibt sich in seine Hand, indem er sein eigenes Glück selbst immer wieder auf Tristan einschwört und seine Abhängigkeit von diesem ganz offen formuliert. Auf die Beziehung zwischen dem Gönner und seinem Favoriten soll im nächsten Unterkapitel eingegangen werden.
3 Favorit, Gönner und Gegner Die Beziehung Tristans und Markes ist von vornherein bestimmt von gegenseitiger Zuneigung. Von Tristans Seite aus wird geschildert, wie Tristans Herz Marke als Verwandten erkennt (vgl. Tr 3240 – 3245). Markes erste Rede, in der er Tristan losgelöst von seinem Gefolge anspricht, wird eingeleitet durch eine descriptio personae Tristans, die nicht nur den Blick des Erzählers auf Tristan, sondern auch Markes Wahrnehmung des ideal geschilderten Jungen offenbart. Gleich zweimal wird erzählt, wie Marke Tristan ansieht (vgl. Tr 3273, 3351), und beide Male führt dies dazu, dass Marke sich über Tristan informiert – erst beim Jägermeister, dann befragt er Tristan selbst. Sein durch visuelle und kommunikative Eindrücke gewecktes Interesse an dem Jungen ist groß und sein Wohlwollen äußert sich bereits in der freundlichen Anrede Tristans, der hier als vriunt (Tr 3352) angesprochen wird. Im weiteren Verlauf der Handlung entwickelt sich die Beziehung der Männer etappenweise, wobei sie über einen langen Zeitraum zwei bestimmte Rollen innerhalb ihrer Beziehung bedienen: Tristan ist der Favorit Markes, Marke wiederum der Gönner Tristans. Später werden sie zu Gegnern, die aber dennoch emotional verbunden bleiben, wobei diese Verbindung v. a. auf Markes Seite durchscheinen wird.Wie wird die Entwicklung im Kontext der Figurenrede der beiden Männerfiguren ermöglicht, vorangetrieben und geschildert?
3 Favorit, Gönner und Gegner
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Zunächst ist festzuhalten, dass die Entwicklungsschritte durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden. Dabei lassen sich fünf Statusänderungen feststellen, die innerhalb der Figurenkommunikation verhandelt und durch die Reden Markes realisiert werden. Vier der fünf Belege vermitteln Änderungen, denen Handlungen Tristans vorausgehen, die von der Präsentation seiner höfischen Fähigkeiten über die Bitte um urloup bis zu seinen Kampfvorverhandlungen mit Morold reichen. Eine Situation wird durch das Hinzutreten einer dritten Figur, Rual, und den von ihm vermittelten Informationen über Tristans tatsächliche Herkunft ausgelöst (vgl. Tabelle 23): Tabelle 23: Statusdefinitionen Status
Auslöser
Art der Statusbestimmung
Reaktion Tristans
Beleg
jegermeister (T)
Tristans Anführen der Jagdgruppe; Bericht des Jägermeisters
Marke vergibt Hofamt
Zustimmung
gesellen (T & M) Tristans Musikvortrag und Sprachenkenntnis
Marke definiert Beziehung
keine
–
erbevater (M)
Ruals Herkunftsbericht
Marke definiert seine Rolle
keine
–
Thronerbe (T)
Tristans Bitte um urloup
Marke bietet Tristan einen Anreiz zur Rückkehr
keine
–
voget (T)
Tristans Kampfverhandlung mit Morold
Marke bestätigt Tristans Position
keine
–
Gemein ist allen Belegen, dass sie darin münden, dass Marke den jeweiligen neuen Status öffentlich (vgl. III.II.2.2.3: 349; Anm. 432) benennt oder bestätigt. Die Rollenzuweisung ist hierbei eine unterschiedliche: In drei von fünf Fällen klärt Marke Tristans Position, und zwar im Fall der Vergabe bzw. Bestätigung der Hofämter des Jägermeisters und des Vogtes, wobei im zweiten Fall Morold derjenige ist, der den Begriff voget (Tr 6348) spöttisch ins Spiel bringt, woraufhin Marke Tristans Verfügungsgewalt nachdrücklich bekräftigt. Im dritten der auf Tristan ausgerichteten Belege unterbreitet Marke Tristan das Angebot, ihn zu seinem Thronerben zu machen. Einer der beiden Belege, die nicht ausdrücklich auf Tristans Rolle bezogen sind, betrifft die Definition der gemeinsamen Beziehung, wenn Marke sich und Tristan im Sinne der amicitia zu gesellen erklärt, der andere seine eigene Rolle, wenn er sich zu Tristans erbevater ernennt. Auch die Belege, in denen nur einer der Figuren eine Rolle zugewiesen wird, definieren immer das beiderseitige Verhältnis: So bestimmen die Hofämter sowie das Gesellentum das Dienstverhältnis zwischen Tristan und Marke und die Gestaltung desselben, während die anderen beiden Belege das Verwandtschaftsverhältnis, aber auch die politische Beziehung der Männer festlegen. Hierbei werden unterschiedliche
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IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
Hierarchieebenen geschaffen: Während das Dienstverhältnis eine ganz klar hierarchische Ordnung belegt, wird diese durch das amicitia-Verhältnis zwar nicht aufgelöst, aber es handelt sich um einen Akt der Zuordnung zueinander, der zwar immer noch auf der Verfügungsgewalt Markes beruht, aber von diesem stärker zu Tristans Gunsten interpretiert wird und seinen Rang innerhalb der Gesellschaft deutlich aufwertet und ihn in eine größere Nähe zu Marke rückt. Durch die Verwandtschaft folgt eine erneute Annäherung aneinander, gleichermaßen tritt zum vorangegangenen Verhältnis eine familiäre Hierarchie hinzu, die sich unter anderem darin äußert, dass Marke Tristan gegenüber nun auch als Belehrender auftritt. Mit dem Vorschlag, Tristan zu seinem Thronerben zu machen, wird die Hierarchie zwischen den Männern zwar nicht gelöst, aber in Hinblick auf die Zukunft wird eine Egalität angedeutet: Tristan soll Markes Position einnehmen und wäre ihm spätestens zu diesem Zeitpunkt gleichrangig, wobei dieser Zustand nur durch Markes Tod und nicht zu dessen Lebzeiten erreicht werden kann. Dass Marke als König derjenige ist, der die Statusänderungen der Beziehungen vornimmt, indem er sie verkündet, ist nicht weiter verwunderlich – auffällig ist hingegen die Tatsache, dass nur eine einzige Reaktion Tristans hierauf geschildert wird. Diese aber wird dergestalt formuliert, dass Tristan sein wird, was immer Marke gebietet – er gibt also eine Art Universalzustimmung, Markes Anweisungen Folge zu tragen und sein Sein darauf auszurichten, wenn er sagt: swaz ir gebietet, daz bin ich (Tr 3374). Dass aber eine Reaktion Tristans auch nicht immer relevant ist für Marke, zeigt die Stelle, in der Marke seine Rolle neu benennt: Er legt fest, was er zu sagen hat, und wendet sich dann Rual zu, ohne eine Reaktion Tristans abzuwarten (vgl. III.II.2.2.1: 281). Gerade besagte Stelle zeigt ein deutliches Charakteristikum der Beziehung von Tristan und Marke. Marke nimmt innerhalb der gemeinsamen Beziehung Tristan vor allem in einem Sinne wahr, der auf ihn selbst bezogen bleibt, und drückt diese Zuordnung sprachlich auch immer wieder aus, wenn er etwa Tristans Gefühle für sich zu dessen Handlungsgrundlage erklärt (vgl. Tr 3658 – 3660; III.II.2.1.3: 269), wenn er verdeutlicht, dass Tristan und seine Fähigkeiten genau dem entsprechen, was er sich wünscht (vgl. Tr 3721– 3741; III.II.2.1.3: 270 – 271), oder wenn er Tristan zu einer Art posthumem Geschenk Blanscheflurs an ihn stilisiert (vgl. Tr 4299 – 4311; III.II.2.2.1: 281). Selbst dann, als Tristan Marke emotional zwingt, der Hofintrige der Landbarone nachzugeben, handelt Marke letztlich in seinem eigenen Sinne und verhält sich egoistisch: Er will Tristan nicht verlieren und lässt sich deshalb von ihm sein Handeln diktieren, obwohl er selbst ahnt, dass hieraus nichts Gutes resultieren wird (vgl. III.II.2.2.4: 295). Somit erscheint Markes Beziehung zu Tristan in einem eigenwilligen Licht: Einerseits bezieht er sein eigenes Schicksal konsequent auf Tristan und richtet sich und sein Handeln hieran in einer Weise aus, die schon früh über das Maß des Konventionellen weit hinausreicht. Tristan wird nicht nur zum Empfänger emotionaler, sozialer und materieller Zuwendung, sondern selbst zu einer Art Trophäe erhoben, aber auch objektifiziert, in deren Besitz sich der König sehen will, so sehr, dass er nicht nur sich, sondern auch seinen Hof in Abhängigkeit von Tristan begibt und das
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Wohl des Hofes an Tristan bindet.⁴³⁵ Andererseits erfolgt diese Bindung des Hofes an Tristan genau aus dem Grund, dass eigentlich Tristan an den Hof und vor allem an Marke gebunden werden soll. Markes Interesse an Tristan, seine Wahrnehmung des Jungen und jungen Mannes wandeln sich bald in eine regelrechte Abhängigkeit, die Marke selbst dann nicht völlig aufgeben kann, wenn Isolde und der Betrugsverdacht Einzug in sein Leben erhalten. Dass es zu dieser Abhängigkeit kommt, erreicht Tristan geradezu spielerisch durch die Art und Weise, wie er sich bei Hofe etabliert. Er ist sich spätestens nach dem Desaster mit den norwegischen Kaufleuten seiner Wirkung auf andere Figuren bewusst und kann diese kalkuliert einsetzen, um Begehrlichkeiten zu wecken.⁴³⁶ Er erreicht dies durch die Inszenierungen seiner selbst, die sich aus souveränem bis forschem Auftreten, aus Bescheidenheit und Frömmigkeit, vor allem aus einer über Reden und Gebaren vermittelten Höfischkeit zusammensetzen, durch die er sich selbst zu einem unerreichbaren Ideal stilisiert. Gerade seine Eloquenz ist hierbei entscheidend, da er über diese den durch seine Handlungen erreichten Eindruck nicht nur bestätigen, sondern steigern kann und es vermag, sich durch seine Informationsvergabestrategie nicht nur ins Zentrum zu stellen, sondern auch im Zentrum zu bleiben (vgl. III.II.1.5: 249 – 260). Einen besonderen Anteil an Tristans Aufstieg und an der Faszination Markes und des Hofes bildet aber gerade nicht nur Tristans faktisches Können und sein Status als Wunderkind, sondern das Resultat seiner Fabulierkunst, durch die er sich selbst neue Identitäten schafft, und diese so gestaltet, dass sie sein ganzes Können und alles, was er verkörpert, noch unwahrscheinlicher machen und die Diskrepanz zwischen seinem Auftreten und seinem vermeintlichen gesellschaftlichen Hintergrund betonen und dadurch Anlass zu Bewunderung, Erstaunen und auch Spekulation liefern. Wie sehr der Hof damit rechnet, dass Tristans Geschichten über sich selbst nicht zutreffen (können), offenbart nicht nur die Schilderung des Jägers Marke gegenüber, sondern auch Markes wenig überraschte Reaktion, als er erfährt, dass Tristan kein Kaufmannssohn ist (vgl. III.II.2.2.1: 277– 279). Diese Ahnung der anderen Figuren und schließlich deren Bestätigung weckt kein Misstrauen Tristan gegenüber, sondern führt retrospektiv vielmehr zu Annerkennung gerade von Marke, der Tristans Auftreten und Geschichte Rual gegenüber als kündekeite (Tr 4348) bewertet. Dennoch wandelt sich die Stimmung am Hof Tristan gegenüber nach dessen Rückkehr von Irland. Die Figurenbeziehung von Marke und Tristan scheint hiervon vorerst nicht betroffen: Marke versucht, Tristans Position nicht nur gegen die Landbarone, sondern auch gegen Tristan selbst zu verteidigen. Er tritt sowohl den Landbaronen als auch Tristan gegenüber stark und herrscherlich auf. Problematisch ist aber, dass er sich zwar gegen die Meinung seiner Höflinge stellt, aber das Ausmaß Dass Tristan aber ein denkbar schlechter Herrscher wäre, der nicht in der Lage ist,Verantwortung für die Seinen zu übernehmen, beweist er in der Morgan-Episode (vgl. III.II.1.1.3.1: 177– 179). Wie enorm diese Begehrlichkeiten sein können, unterschätzt er in der Begegnung mit den norwegischen Kaufleuten (vgl. III.I.: 47– 49).
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IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
von Tristans Sorge nicht erkennt: Er verliert sich in seiner Lehrrede, in der er Tristan gegenüber das Zusammenspiel von Ruhm und Neid als unumgänglich und im Endeffekt nicht weiter beachtenswert abtut, in einer Aufzählung von Sentenzen und Sprichwörtern, die zwar durchaus belegen, dass die Problematik eine dem Hofleben grundsätzlich inhärente ist, aber für Tristan in keiner Weise hilfreich sind. Während Marke hier Stärke zeigen und Tristan zu dieser anhalten will, beweist Tristan einerseits ein Gespür für den Ernst der Situation, andererseits, wie wenig ihm im Grunde daran liegt, Marke als Thronfolger zu beerben (vgl. III.II.1.2.2: 136 – 138). Tristans Ruhm ist bis hierhin nie ein ererbter und schon Rual muss Tristan gegenüber die Chancen betonen, die die Aufdeckung seiner Herkunft bezüglich seines sozialen Aufstiegs mit sich bringen. Für Tristan aber ist der Ruhm, den er sich nicht selbst erarbeitet hat, offenbar wenig reizvoll. Er braucht zwar die höfische Gesellschaft, aber er braucht sie weniger in einer Form wie Marke, der sich völlig in seine Rolle innerhalb dieser Gesellschaft einfügt. Tristans Charakter ist nicht auf eine Einfügung, auf eine Angleichung ausgelegt, sondern darauf, immer aus der Gesellschaft herauszustechen – dies aber gerade durch sein Können und Handeln. Die Gesellschaft dient Tristan mehr der Bestätigung seiner selbst, er braucht sie, um sich präsentieren zu können. Seine Interaktionen sind zwar nicht ausnahmslos, aber in der Regel solche, in denen er sich beweisen kann – zumindest, bis Isolde und Brangäne an den Hof kommen und das Spiel um List und Gegenlist beginnt.⁴³⁷ Die zur Brautwerbung führende Auseinandersetzung mit den Landbaronen ist die letzte Redesituation, in der Marke und Tristan in einem kommunikativen Austausch gezeigt werden, alle folgenden Reden verlaufen entweder im direkten Kontakt unidirektional oder über Boten. Die letzte Rede, die Tristan an Marke richtet, zeigt ihn im Triumph über diesen, als er Marke nach der Entführung Isoldes schilt und Marke unverhohlen sein Scheitern vorführt. Eine Reaktion Markes auf Tristans Scheltrede wird nicht dargestellt, es gibt nichts, das Marke Tristans Rüge entgegensetzen könnte. Obwohl das Verhältnis von Onkel und Neffe zu diesem Zeitpunkt noch nicht beiderseitig gestört ist, kündigt sich hier bereits der kommunikative und konstellative Wandel an. Denn für Tristan ist Marke hier schon nicht mehr nur König und Onkel, sondern auch sein Rivale. Er behandelt ihn ergo vergleichbar seinem anderen Rivalen, Gandin, und gibt beide seinem Spott preis (vgl. III.II.1.2.3: 144– 148). Das kommunikative Gefüge zwischen Tristan und Marke wandelt sich nun deutlich. Bereits in Tristans Scheltrede scheint durch, dass Marke für ihn nun eine andere Rolle besetzt. Aber auch seine eigene Position Marke gegenüber ändert sich. Er
Tristan selbst wählt immer sozial inferiore Identitäten und Maskeraden. Diese stehen in deutlicher Diskrepanz zu seinem Gebaren und sind ihm inadäquat, obwohl sie oft auf Erfahrungen und Positionen, die er bereits innehatte, beruhen. Diese Inadaequatio ist es schließlich, die ihn am irischen Hof überführen wird und schon im Vorfeld für Zweifel an seinen Geschichten sorgt. Aber er inszeniert sich immer wieder als einer, der u. a. auch deshalb so heraussticht, so außergewöhnlich ist, weil er nicht genuin dem Hof angehört, sondern sich seine Position in der Gesellschaft erarbeitet (vgl. III.II.1.1: 109 – 111, 144; III.II.1.4: 211– 219, 223 – 225).
3 Favorit, Gönner und Gegner
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tritt jetzt nicht mehr als Berater oder Fürsprecher Markes in Erscheinung und seine Kommunikation richtet sich vor allem an Isolde und Brangäne. Marke hingegen zeigt sich kommunikativ ebenfalls auf Isolde und darüberhinaus auf beratende Instanzen wie Marjodo, Melot, seinen Hofrat und das Konzil bezogen. Marke nimmt jetzt Tristan gegenüber seine Machtposition viel entschiedener wahr als zuvor, indem er ihm nahelegt, die Damengemächer zu meiden. Zwar geschieht dies unter dem Vorwand, Tristan schützen zu wollen, so dass oberflächlich die Beziehung der Männer innerhalb der Kommunikation intakt erscheint, faktisch ist allen beteiligten Figuren bewusst, dass hier ein Intrigenspiel stattfindet (vgl. III.II.2.3.1: 310 – 313). Anders als zuvor kann Tristan sich hier den Anordnungen des Königs nicht widersetzen, nicht nur sein, sondern auch Isoldes Schicksal steht auf dem Spiel und Tristan ist vorerst nicht mehr in der Lage, für sich allein zu entscheiden. Tristans Lösung von Marke zeigt sich auch auf andere Weise. Als Marke zur Jagd lädt, lässt Tristan sich über einen Boten entschuldigen – er schlägt somit nicht nur Markes Einladung aus und vermeidet den Kontakt zu diesem, sondern es geht um mehr: Mit der Jagdgesellschaft ist Tristan an den Hof gekommen, das Amt des jegermeisters ist das erste, das ihm von Marke verliehen wurde und es legt den Grundstein für Tristans Aufstieg und Etablierung am Hof. Nun verdeutlicht seine Abstinenz, wie wenig Anteil Tristan noch am höfischen Leben, vor allem aber an der Beziehung mit Marke hat. Die Ernennung zum Jägermeister war, wie oben dargelegt, die einzige Statusänderung und Ernennung, auf die eine Reaktion Tristans geschildert wurde.Von seiner ursprünglichen Beteuerung swaz ir gebietet, daz bin ich (Tr 3374) ist Tristan nun weiter enfernt als je zuvor. Stand die Jagd zuvor für die Annäherung von Tristan und dem König, so symbolisiert sie nun ihre Distanzierung (vgl. III.II.1.2.1: 115; III.II.1.2.3: 148 – 149; III.II.2.3.1: 312). Marke hingegen bleibt sich auch als Antagonist des Paares in einer Hinsicht treu: Er ist ein Beobachter, ein Rezipient Tristans – dies bestätigen nicht nur seine Observationen, durch die er, vorerst erfolglos, versucht, das Paar des Betrugs zu überführen (vgl. Tr 13673 – 13675), und auch die Tatsache, dass er dem Paar über Melot auch auf Distanz hin nachzuspionieren versucht (vgl. Tr 14364– 14369), sondern es wird vor allem in der ersten Baumgartenszene vorgeführt, in der Marke ein regelrechtes Schauspiel von Tristan und Isolde vorgeführt bekommt und sich von der Macht dieses Spiels genau so beeinflussen lässt, wie es vom Liebespaar beabsichtigt wird (vgl. III.II.1.2.3: 156 – 160; III.II.2.3.1: 313 – 314). Seine Beobachtungen sind es schließlich, die ihn dazu bringen, das Paar vom Hof zu verbannen (vgl. Tr 16493 – 16534). Und auch in der letzten Baumgartenszene bleibt Marke letztlich ein Beobachter (vgl. Tr 18215 – 18234), der sich aus der Szene entfernt und dem Paar auf diese Weise – unbeabsichtigt? – die Möglichkeit gibt, die Situation aufzulösen, während er selbst seine Ehre preisgibt. Dass Marke Tristan und Isolde auch in Zeiten von Zweifel und Argwohn grundsätzlich immer zugetan bleibt, zeigen nicht nur seine Gedanken insbesondere vor dem Konzil (vgl. III.II.2.3.2: 314– 316), sondern auch seine Verbannungsrede. Denn während Tristan Marke durchaus einen tödlichen Anschlag auf sein und Isoldes Leben
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IV Schlussüberlegungen: Figurenrede und Figurenkonstellation
zutraut und dies Kurvenal gegenüber äußert (vgl. Tr 16789 – 16794), stellt Marke klar, dass genau dies nicht sein Ziel ist und begründet dies mit seiner Zuneigung zu den beiden (vgl. Tr 16583 – 16591): ouch enwil ich mich durch dise geschiht an iu sô sêre rechen niht, als ich von rehte solte, ob ich mich rechen wolte. neve Tristan, mîn vrouwe Îsôt: daz ich iu beiden den tôt oder iht herzeleides tuo, dâ sît ir mir ze liep zuo, des ich doch vil ungerne gihe.
Noch im Akt der Trennung drückt Marke, wenn auch widerwillig, öffentlich Nähe aus. Dass Tristan und Isolde Marke dennoch explizit misstrauen, wie die Anweisungen an Kurvenal verdeutlichen, führt den Bruch des Verhältnisses deutlich vor Augen – gesellen sind Marke und Tristan längst nicht mehr. Die letzte im Fragment überlieferte Rede Markes, die an Tristan und Isolde gerichtet ist, wird indirekt und einseitig realisiert, denn referiert wird nur das Gebot, das Marke Tristan und Isolde dringlich mit auf den Weg gibt: Er untersagt ihnen jegliche Form kommunikativer Nähe, faktisch aber jegliche Kommunikation selbst (vgl. Tr 17712– 17722). In dem Moment, wo Marke dem Paar die Kommunikation untersagt, wird zweierlei deutlich: Einmal steht er kommunikativ alleine, während Tristan und Isolde in dem Moment, in dem er ihnen den Kontakt untersagen will, gerade noch einmal als Paar angesprochen werden.Wichtiger noch ist aber der andere Aspekt: Mit einem Akt, der die Kommunikation zwischen den Liebenden beenden soll, wird viel mehr die Kommunikation zwischen Marke und Tristan aufgehoben. Zwar reden Marke und Tristan im Zuge der Entdeckung des Liebespaares noch übereinander und die Entdeckung durch Marke veranlasst Tristan zur Flucht, eine Interaktion zwischen den Männern wird aber nicht mehr geschildert. Mit ihrer Kommunikation endet gleichsam auch ihr Verhältnis.
4 Schlussbemerkungen Figurencharakterisierung, Figurenrede und Figurenkonstellation sind drei Bereiche, die grundsätzlich alle eigenständig behandelt werden können, deren Zusammenführung aber einen Gewinn für jeden der Teilbereiche bietet. Die Charakterisierung einer Figur führt vor allem zu der Frage, wie sie handelt und sich zu anderen Figuren und Ereignissen in Beziehung setzt; ein großer Anteil dieses Handelns geschieht in Form von verbaler und nonverbaler Kommunikation. Um eine Figurenrede angemessen beurteilen zu können, ist wichtig, wie diese einzuordnen ist, welcher Sprecher mit wem in welcher Situation in Interaktion tritt. Um eine Figurenkonstellation zu
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untersuchen, sind die Charakteristika und Bewertungen der beteiligten Figuren ebenso zu hinterfragen wie die Art und Weise, wie sie miteinander in Kontakt treten; dies wiederum findet in der Regel durch kommunikative Akte wie Reden und Gebaren statt. Wie differenziert die individuelle Figurensprache bereits in der mittelhochdeutschen Epik trotz ihrer Überformung durch Reim und Metrik sein kann, haben die Analysen der Einzelfiguren Tristan und Marke, aber auch der Blick auf die Entwicklung ihrer Konstellation gezeigt. Die Charakteristika, die sich für die Figuren ergeben, betreffen die verschiedenen Ebenen der Darstellung der Figurenkommunikation. Hierzu zählt neben der Abbildung der Reden auch die Steuerung der Figuren- und Rederezeption durch das inquit und die situative Einbettung der Redesituationen durch das gesamte Redeumfeld, durch Erzählerkommentare, aber auch Reaktionen und Bewertungen durch andere Figuren. Insbesondere eine Variation des inquits lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit auf konkrete Reden und deren zugrundeliegenden Sprecherintentionen, sondern birgt oft wertvolle Hinweise für die Figurenanalyse (vgl. Miedema / Hundsnurscher 2007: 10; Hundsnurscher 2007: 105 – 107; Becker 2009: 79 – 87; Urscheler 2002: 55; II.3: 23 – 26), die sowohl Einzelbeobachtungen betreffen können wie auch durchgängig geschilderte Figurenmerkmale. So wird Marke im inquit zu seinen direkten und indirekten Reden beispielsweise 30-mal als künec bezeichnet, so dass deutlich wird, dass sein sozialer Rang die primäre Bezugsgröße für ihn ist, an der sein Reden und Handeln insgesamt gemessen wird (vgl. III.I.2.1: 75 – 76). Gleichermaßen zeigt gerade der Wandel in der Attribuierung der Sprecherbezeichnung für Marke den Wandel in seiner Gestaltung an (vgl. III.I.2.2: 74– 85), es findet eine Sympathielenkung zu Ungunsten des Königs statt, der vom vorbildlichen Herrscher zum Antagonisten der Liebenden mutiert. Für Tristan lassen sich vor allem punktuell differente Bezeichnungen nachweisen, durch die insbesondere auf seine Höfischkeit, sein Fremdsein und seine Geistesgaben abgehoben wird. Während für Marke die Bezeichnung künec regelrecht synonym gebraucht wird, werden die Charakterisierungen für Tristan vor allem über Attribuierungen erreicht (vgl. Tabelle 1). Ebenfalls in den Bereich von inquit und Redeumfeld fällt die Situierung der Redeanlässe, aber auch das Gebaren der Figuren, das die Reden häufig einleitet. Gerade Tristan bedient sich der Konventionalität und des Zeichencharakters des Gebarens, dessen Kalkulierbarkeit er für den Aufbau seiner Unterredungen nutzbar macht – dies reicht vom Einsetzen rollenspezifischer (Ver‐)Kleidung, die seine Identität entweder verhüllen oder sichtbar machen soll (vgl. III.II.1.4: 237– 239), über den Einsatz von Demutsgesten bis hin zu den Inszenierungen seiner Fertigkeiten. Allerdings werden auch solche Situationen geschildert, in denen konventionelle Gesten scheitern, weil sie auf Öffentlichkeit hin ausgelegt sind, aber im nicht-öffentlichen Rahmen ausgeführt werden (vgl. III.II.1.4.2: 234 – 235). Die Unterscheidung des Gebarens je nach Sphäre findet sich auch in der Emotionsdarstellung: Hier werden Figuren außerhalb der höfischen maze gezeigt, so etwa Tristan, wenn er Brangäne um Hilfe anfleht, aber auch Marke im Kontext der Bettgespräche. Während jedoch Tristans Verhalten jenseits der höfischen Konvention tatsächlich Ausdruck seiner Verzweiflung ist und zum Erfolg führt, kann
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Marke über die Inszenierung einer extremen Gefühlsinvolviertheit bei Isolde nicht zum Erfolg gelangen und scheitert in seiner List (vgl. III.II.1.2.3: 149 – 152; III.II.2.3.1: 304). Im Tristan wird also ebenso misslingende wie gelingende Kommunikation vorgeführt und somit ein richtiges oder falsches Einschätzen von Situationen und Interaktanten durch die Figuren, die mit der Kalkulation der kommunikativen Zeichen zum Teil an ihre Grenzen stoßen, sie aber zum anderen Teil ebenso erfolgreich einsetzen können. Redeumfeld und Figurenrede sind naturgemäß eng miteinander verknüpft. Die Lenkung der Rezipienten führt teilweise auch zu einer Entlastung derselben, etwa dann, wenn auf bestimmte Fertigkeiten der Figuren abgehoben wird. Tristans Fremdsprachenkenntnis wird beispielsweise zwar im inquit und insgesamt im Kontext verschiedener Redeszenen angesprochen, aber in der Figurenrede nicht realisiert – eine Ausnahme bildet hier das Französische, das aber als Sprache des Hofes eine Sonderrolle einnimmt. Fachsprachliche Termini hingegen werden in die Reden Tristans auch tatsächlich miteingebunden. Die Darstellung z. B. der Bildung kann also gleichermaßen durch das inquit wie die Rede selbst erfolgen. Solche Termini, wie etwa die Begriffe der Jagd, die den Rezipienten nicht geläufig sind, werden durch die Handlung, aber auch durch die Erklärung der Figur expliziert (vgl. III.II.1.1: 104– 109). Eine Ausnahme bildet das Musikinstrument sambjût, für das weder Marke noch die Rezipienten eine Erläuterung erhalten (vgl. III.II.2.2.1: 124– 125). Das Auslagern von Fremdsprachen auf das inquit und die Erläuterung von Fachtermini gewährleisten, dass die Rezipienten auch in der Vortragssituation dem Text folgen und ihn verstehen können. Mit den Fremd- und Fachsprachen ist bereits ein Bereich angesprochen, der figurencharakterisierende Informationen vergibt, ebenso aber Informationen über die Konstellation, in denen die Figuren sich befinden. Der Gebrauch spezifischer Lexik offenbart nicht nur Kenntnisse und Unkenntnisse von Figuren – so etwa, wenn die benutzten Termini erläutert werden müssen – und bildet darüber Über- und Unterlegenheiten ab, sondern gerade die Lexik gibt Anhaltspunkte über die höfische Zugehörigkeit, teilweise in Verbindung mit einer rhetorischen und syntaktischen Einbettung. Hier ist eine deutliche Unterscheidung der Figuren Tristan und Marke zu ermitteln: Während sich Tristans Höfischkeit in sprachlichen Neuerungen und der Einführung fremder Kulturtechniken zeigt, zeichnet sich Markes Höfischkeit durch Traditionalität aus: Benennt er höfische Werte, bedient er sich Sentenzen und Sprichwörter, die er häufig als conventional pairs wiedergibt, greift also auf Bekanntes und bereits Konventionalisiertes zurück. Ein deutlicher Unterschied ist auch bezüglich des Französischen festzustellen: Während Marke nur zweimal in Replik auf Tristans strîfeln französisch spricht, sind für Tristan 15 Belege des Französischen festzustellen (vgl. Tabelle 9). Die Häufigkeit, mit der Tristan in ganz unterschiedlichen Kontexten das Französische einfließen lässt, ist für ihn als wiederkehrendes Merkmal als sprachliches Charakteristikum zu bewerten, mit dem Tristan seine Höfischkeit inszeniert. Marke hingegen beherrscht das Französische zwar ebenso, bindet es aber nur reaktiv in seine Reden mit ein.
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Das auffälligste lexikalische Mittel, mit dem Figuren sich zueinander in Beziehung setzen, ist das Anredesystem. Dieses drückt nicht einfach nur die Hierarchie aus, sondern kann in bestimmten Kontexten und von bestimmten Figuren variabel eingesetzt werden und somit den Beziehungsstatus verdeutlichen. So können bestimmte Anreden in einigen Kontexten pejorativ, in anderen aufwertend wirken und über Kosenamen und freundliche Titulierungen kann Zuneigung ausgedrückt werden. Dies geht aber nur dann, wenn die Position der Interkanten dies zulässt: Während der höhergestellte König Marke Tristan gegenüber die Anreden entsprechend variieren kann, steht dies Tristan Marke gegenüber nicht zu. Dass Anreden nicht nur konstellations-, sondern auch situationsabhängig eingesetzt werden und die gegenseitige Wertung der Interaktanten abhängig vom Gesamt der Gegebenheiten ist, wird insbesondere durch die Kampfhandlungen deutlich. Tristan und Morgan bleiben beim ir, während Tristan und Morold sich im öffentlichen Vorfeld des Kampfes ihrzen, in der Kampfsituation aber zum Duzen übergehen; Urgan wiederum steht auch während des Kampfes trotz seiner Spottreden ein Duzen Tristans nicht zu, während Tristan Urgan als Vertreter der unhöfischen Sphäre selbstverständlich duzt (vgl. Tabelle 5). Das Anredesystem, das oft auf den ersten Blick relativ einheitlich wirkt, birgt durch die konstellativen und situativen Variationsmöglichkeiten also ein großes Spektrum an sprecherischen Feinheiten und Nuancen, die das abgebildete Figurenverhältnis charakterisieren. Wie sehr die verschiedenen Ebenen, Formales wie Inhaltliches, Explizites wie Implizites miteinander verschwimmen, zeigt sich vor allem in den ebenfalls miteinander verknüpften Bereichen der Sprachstrategie und Selbstinszenierung. Dies kann ebenso das bewusste Enden auf Termini sein, die anderen Figuren unbekannt sind, wie das Unterstellen von Wissen bei gleichzeitiger Kenntnis oder zumindest Ahnung vom Unwissen der anderen Figuren, es kann ebenso das Nutzen von Erläuterungen zum Vorführen des eigenen Handelns sein, um so das eigene Verhalten als ideal herauszustellen, wie das nur stückweise Vergeben von Informationen. Diese Strategien verfolgen unterschiedliche Ziele, sie können dem Wecken und Aufrechterhalten von Aufmerksamkeit dienen, sie können auf ein Herausstellen der eigenen Attraktivität durch besondere Kenntnisse angelegt sein, auf eine Inszenierung der Idealität und Vorbildichkeit der eigenen Person, aber auch darauf, sich selbst zur Identifikationsfigur zu stilisieren. In einer auf Inszenierung angelegten Kommunikation stehen insbesondere die öffentlichen Figurenreden in der Regel nicht einfach für sich, sondern dienen der Darstellung der eigenen hövescheit, die sich auf ganz unterschiedliche Weise abzeichnen kann. Mal ist es das Spiel mit topischer Bescheidenheit, mal das Herausstellen der eigenen Frömmigkeit, des Wissens gerade um höfische Grundwerte und Kultur, mal ist es das Demonstrieren der eigenen Macht durch das Vorführen von milte, von kämpferischer Überlegenheit, aber auch durch das Gebieten und Befehlen. Hierbei ist im Tristan eine rollenspezifische Verteilung für bestimmte Inszenierungen festzustellen: Tristan selbst führt in teilweise eigentümlicher Verknüpfung seine Bescheidenheit mit der Demonstration seiner Überlegenheit zusammen, er stellt sich
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immer wieder als besonders fromm heraus, legitimiert auf diese Weise aber häufig sein eigenes Vorgehen und instrumentalisiert Gott für seine Anliegen. Er tritt dabei sehr bestimmt auf, vermag es aufgrund seiner Kenntnisse Anweisungen zu geben, Befehle zu verweigern, andere Figuren zu kritisieren und an seinem auf den höfischen Werten und der christlichen Lehre basierenden Moralvorstellung zu messen. Das Scheitern oder zumindest minderqualifizierte Agieren anderer Figuren nutzt Tristan immer wieder, um seine Überlegenheit, seine schier unglaubliche Exorbitanz unter Beweis zu stellen und dies in einem Ausmaß, das ihm schließlich den Vorwurf der Hexerei einträgt. Marke hingegen ist in seinem öffentlichen Handeln über einen weiten Teil der Narration vor allem auf sein Königtum verpflichtet, er tritt als Herrscher auf, indem er Befehle erteilt, über andere Figuren verfügt, Beziehungen definiert, Hofämter und Positionen vergibt, aber auch, indem er höfische Lehren als Handlungsmaxime herausstellt, indem er Urteile fällt, indem er seine Gunst vergibt und auch öffentlich wieder entzieht. Letztlich zielt aber auch das heimliche Handeln im Kontext der Listen immer auf den Erhalt des höfischen Lebens und der höfischen Ordnung, auf die Partizipation an einer Gesellschaft, die den Figuren ein höfisches Leben gerade erst ermöglicht. Insgesamt muss dabei die Inszenierung und die im Werk nachweisbare Einstellung der Figuren nicht auseinandergehen, sondern stimmt oft überein: Einen wichtigen Hinweis hierauf geben die Gedankenreden, die Innensichten, die Gebete, die einen Zugang zur Gedankenwelt der Figuren ermöglichen, die frei sind von einer Zeugenschaft, vor der sich ein Sprecher sonst behaupten oder rechtfertigen muss. Die Motivation der Männerfiguren für ihre sprachlichen, aber auch allgemeinen Inszenierungen ist eine differente: Marke ist als König nicht nur oberster Repräsentant des Hofes, sondern zeigt sich in seinem ganzen Leben auf diesen hin ausgerichtet, identifiziert sich mit den positiven Werten, hat aber auch Anteil am höfischen Intrigenspiel und zeigt somit, dass er alle Facetten des Hofes nicht nur beschreiben kann, sondern faktisch auch verkörpert. Tristan hingegen braucht und sucht immer wieder die Anerkennung, Möglichkeiten, in denen er sich beweisen, in denen er sein Bestsein vorführen kann. In dem Moment, als die Anerkennung in Neid umschlägt, ist er bereit, den Hof zu verlassen, bis er sich selbst zum Träger einer neuen Aufgabe machen lässt, die seine Überlegenheit noch deutlicher beweist. Tristan präsentiert sich über seine Taten, vor allem aber über seine Worte, durch die er nicht nur lenkt, welche Tätigkeitsbereiche er ausüben und vorführen kann, sondern die gerade zeigen, wie geschickt, manipulativ, kreativ und eloquent er Macht über das Handeln und Schicksal anderer Figuren ausübt. Der Zugang zu den Figuren Tristan und Marke über ihre Sprache hat sich als einer erwiesen, der neue Perspektiven auf die Figuren ermöglicht. Dabei war gerade die Beschränkung auf nur zwei Figuren lohnenswert, da hierdurch der Raum blieb, in ausführlichen Einzelanalysen auch kleinen, sonst oft eher versteckten Details innerhalb der Reden und somit auch innerhalb der Figurenzeichnung gerecht zu werden. Der ausführliche Blick auf die Figuren über Einzelepisoden hinaus, aber auch in Abgrenzung voneinander und Inbezugsetzung zueinander konnte zeigen, wie figu-
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ren-, konstellations- und situationsspezifisch die Figurensprache trotz aller Überformung bereits um 1210 sein kann, wenn sie so virtuos, so geradezu individuell eingesetzt wird wie durch Gottfried. Es wäre lohnend, auch die Frauenfiguren im Spiegel ihrer Sprache zu betrachten, gerade Isolde, die eingangs sprachlich hinter ihrer Mutter und auch Brangäne zurücktritt, aber im Verlauf der Narration ihre Stimme findet und lernt, ihre Reden nicht nur ebenso virtuos einzusetzen wie Tristan, sondern diesen in der Abschiedsszene an Tiefe und Überlegtheit deutlich überbietet. Brangäne wiederum wäre insofern spannend, als sie als Beraterin und gerade im Kontext der Listen auch Spracherzieherin Isoldes auftritt, die nicht nur ihre Worte gut zu wählen weiß, sondern auch die sprachlichen Listen der anderen Figuren mühelos durchschaut. Schließlich wäre eine Zusammenführung der großen Konstellation von Tristan, Marke, Isolde und Brangäne lohnend und vielversprechend für weitere Untersuchungen zur Entwicklung der Redeszenen durch Veränderungen innerhalb der Konstellation. Die Nähe zum Text und zu den Figuren, der Blick auf scheinbar nichtige Details, auf ganz offenkundige, wiederkehrende Merkmale und Charakteristika aber auch Einzelbefunde hat gezeigt, wie relevant im Gesamten jede einzelne Rede und Redeszene, aber auch ihr Unterbleiben ist, und dies sowohl für die Figurenzeichnung als auch für die Entwicklung, Gestaltung und Wirkung der Narration. Jean-Paul Sartres (2012: 211) eingangs zitierten Worte spiegeln genau diesen Umstand wider, der für die reale Welt die gleiche Gültigkeit hat wie für die Fiktion: „[C]haque parole a des retentissements. Chaque silence aussi.“
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Index Abschied 34, 142, 151, 158 f., 166-168, 170, 221, 258, 289, 304, 312, 347 Adaequatio 32, 240 Adressat 16, 20 f., 23, 26, 28, 51, 159, 181, 190, 246, 255 f., 298, 330-332, 334-336, 351 Adressatenverweis 24, 61, 67, 69 Adressatenwechsel 99 f. Adressierung 4, 20, 23, 51 f., 61, 63, 101, 150, 159 f., 167, 175, 206 f., 231, 234, 245, 254, 256, 270, 330, 334, 350 Alter 29, 55, 71, 95, 107, 120, 126, 220, 251 amicitia 272, 357 Amtsbezeichnung 245 Anrede 13, 21 f., 29 f., 36, 43, 48, 78, 96, 98 f., 101, 106, 114, 122, 128, 131, 150, 152, 159, 162-164, 166, 169, 188, 196, 198, 203, 207, 231, 234, 245, 256 f., 263-265, 274 f., 280, 288, 303 f., 307, 322, 338, 351-353, 355 f., 365 Anredemodalität 351 Anweisung 66, 81, 106, 108, 111-113, 116, 118, 120, 138, 152, 173, 213, 224, 237 f., 242, 257, 260, 264 f., 267, 273 f., 277, 286, 296, 306, 331 f., 335-339, 347, 349, 353 f., 358, 362, 366 Appell 85, 101, 132 f., 188, 216 f., 221, 232 appellativ 81, 85 Argumentation 120, 182, 186, 189 f., 222 f., 245, 247, 305, 309, 356 Argwohn 73, 82, 148, 168 f., 303, 310, 319, 325, 333, 361 Arkansprache 143, 148, 153, 161, 167 f., 253 Asymmetrie 29, 31, 117, 120, 145, 207, 251, 254, 275 asymmetrisch 18, 117, 251, 271 Attribut 91, 245 Aufforderung 16, 27, 48, 78, 80-82, 96, 98, 107, 109, 119, 123 f., 137, 147, 156, 163, 165, 169, 188, 217, 221, 242, 254, 256, 264, 266, 280 f., 283, 296, 339, 353 Auseinandersetzung 1, 3, 12, 42, 50, 60, 62 f., 94, 153, 170 f., 178, 180, 185, 187, 190, 193, 196, 205, 207 f., 224, 252, 257, 260, 315, 324, 330, 337, 360 Autobiographie 54, 112, 221 autobiographisch 50, 53 f., 57, 102, 110, 218 https://doi.org/10.1515/9783110572476-008
Bedrohung 83, 134, 150, 153, 166, 190, 205, 211, 308 Befehl 16, 27, 75, 82, 90, 96, 119 f., 141, 212, 238, 265, 267, 311, 313, 327, 334, 336, 366 Beleidigung 174 f., 178, 204 Berater 83, 91 f., 141, 184, 303, 312-315, 320, 361 Beraterin 303, 367 Beratung 87, 134, 142, 183, 193, 223, 275, 307, 310, 325, 327 f., 330, 332 f., 336, 343, 349 Bescheidenheitstopik 245 Bescheidenheitstopos 117, 122, 126, 254 Betrug 6, 9, 82, 85-87, 89, 91-93, 145, 148, 150, 159, 161, 164, 299, 302, 314 f., 329, 333, 361 bettemaere 89 bettemaere 86, 89-91, 302, 306, 312, 331, 343 Bettgespräch 73, 81, 86 f., 89-92, 148, 234, 301-304, 309-313, 363 Beweis 82 f., 109, 123, 127, 136, 141, 176 f., 180, 199, 240, 251, 267, 278, 296, 303, 312, 315, 322 f., 366 Beweise 310, 333 Beziehung 17, 21, 30, 45 f., 52, 76 f., 84, 86, 112, 128, 151, 158, 167 f., 174, 222, 256, 262, 266, 269, 272, 274, 278, 280, 289, 291, 298, 303, 306, 316, 319, 334, 336, 338 f., 347, 349, 356-358, 361 f., 365 f. Bildung 48, 65 f., 70, 72, 80, 94 f., 97, 101, 104, 107, 111, 116, 118, 124, 126, 133, 148, 190, 213 f., 245, 250-252, 261, 274, 319, 356, 364 Bitte 16, 27, 34, 36, 78, 82, 98, 103, 106, 155, 158, 168, 221, 243, 245, 264, 266, 268, 274, 296, 311, 335, 339, 354, 357 Bote 18 f., 21 f., 26, 149, 154, 160 f., 167 f., 200, 205, 213, 215 f., 259, 346-349, 354, 360 f. Botendienst 22, 201, 210 Botschaft 15, 22, 168, 201 f., 205, 234, 254, 332, 347 f. Brautwerber 9, 223, 230, 234, 243, 251, 296 Brautwerbung 30, 66, 78, 91, 140, 144 f., 210, 223 f., 226 f., 229, 233 f., 237, 239, 242 f.,
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Index
252, 257, 261, 276, 296, 299, 306, 310, 336, 338, 350, 360 Brief 19, 21 f., 160 f., 327 Charakterisierung 1 f., 5-9, 11-13, 15, 18, 2022, 24, 32, 34, 37-42, 44-47, 50, 72, 75, 78, 80, 91 f., 94, 150, 205, 209, 211, 226, 261, 328, 334, 336, 362 Charakteristikum 66, 76, 90, 92, 250, 265, 317, 336, 338, 358, 363 f., 367 conventional pairs 214, 290, 298, 339, 342, 364 Demutsgeste 220, 363 Dialog 2, 6 f., 9, 16-19, 25, 50, 60, 79 f., 114, 156, 160, 167 f., 170, 178, 181, 188, 190, 194, 196, 198, 201, 204-207, 223, 261, 263 f., 266, 270, 274, 278, 301, 303, 315, 350, 354 dialogisch 4, 12, 16-21, 37 f., 162, 346 Dialogizität 20 Dialogsituation 93 Dialogtyp 16, 18 f., 93 Dialogtypologie 2, 18 direkte Rede 13-17, 21 f., 24, 48 f., 58, 63, 75 f., 120, 158, 208, 213, 266, 317, 339, 346, 348, 353 disciplina 36, 151, 257, 288 Distanz 14, 29, 101, 153 f., 157, 165, 180, 232, 259, 272, 282, 319, 351, 361 distanzierend 114, 135, 157, 170, 188, 215, 254, 289, 303, 315 Distanzierung 8, 28 f., 146, 149, 159, 166 f., 172, 185, 194, 196, 208, 259, 265, 307, 312, 318, 322 f., 333, 346, 352, 361 Disziplinierung 33, 239 Doppelmoral 328 Duzen 30, 105, 122, 132, 196, 203, 207, 252, 274, 351, 365 Ehrenbezeichnung 29, 352 Enfances-Literatur 8 Erzählerrede 4, 7, 13 f., 26, 290 Erziehung 27, 32-35, 94 f., 104, 111, 224, 239, 287 Explizitheit 38, 40 Fachbegriff 49 Fachsprache 40, 105, 364 Fachsprachenkenntnis 250
Falle 87-89, 155 f., 302, 306, 333 Fernkommunikation 21 f., 153 figurencharakterisierend 49, 70, 364 Figurencharakterisierung 4, 7, 11-13, 31, 3739, 44 f., 47, 92, 205, 362 Figureninformation 9, 11 f., 15, 38, 46, 50 Figurenkommentar 32 Figurenkommunikation 39, 45, 357, 363 Figurenkonstellation 6 f., 13, 16, 18, 26, 30 f., 44, 76, 92, 206, 252, 262, 306, 346, 362 Figurenkontext 11 Figurenmerkmal 31, 34, 41, 92, 363 figurenqualifizierend 8, 25, 47, 49, 58, 68, 70, 75, 78 Figurenrede 1-7, 11, 13 f., 16, 19-21, 26 f., 30 f., 36 f., 39-46, 50, 53, 70, 92 f., 98, 100, 109, 118, 224, 254, 258, 272, 346, 349, 356, 362, 364 f. figurenspezifisch 7, 41, 47 Französisch 2, 28, 40, 49, 66, 107, 113-115, 126, 166, 232 f., 235, 237, 248 f., 252 f., 263, 274, 351 f., 364 Fremdsprache 40, 49, 70, 96, 249, 252 f., 364 Fremdsprachenkenntnis 57, 95 f., 116, 126, 250, 252, 364 Fußfallgebärde 235, 249, 253 Gebärde 32-37, 65, 152, 167, 229, 234 f., 237, 291 Gebaren 1, 7, 9, 12, 26, 33-37, 39, 44, 48 f., 51, 54, 58 f., 61, 63, 69 f., 83, 88 f., 93, 95 f., 118, 127, 129, 143, 151-153, 156 f., 161, 167, 201, 209, 235, 237, 244, 249, 256, 304, 359 f., 363 Gebet 20, 50-53, 95, 97-100, 102, 155 f., 159, 257-259, 332, 366 Gebetsgeste 51 Gedankenrede 8, 20, 47, 92 f., 259, 314 f., 318, 323, 325, 366 Gegner 9, 61-63, 94, 142, 144, 169, 171, 177, 180 f., 188 f., 196, 198-204, 206-210, 232, 242, 252, 254, 256, 356 Gegnerfigur 62, 263 Gerücht 9, 82, 91, 144, 148, 175, 300 f., 312, 315, 317 f., 320-325, 328 f., 331, 333, 336 f., 343 Geselle 24, 127, 149, 154, 271 f., 274, 338, 349, 351 f., 357, 362 Gespräch 17 f., 20 f., 25-27, 31 f., 52, 61, 67 f., 86, 88-90, 97, 114, 117 f., 125, 128, 130,
Index
136, 169, 171, 187 f., 194, 196, 201, 214, 217, 223, 227-229, 231, 233, 241, 253, 256, 264 f., 268, 275, 277, 279, 282, 302, 304, 307, 313, 333, 336, 343, 346, 350, 355 Gesprächseröffnung 350 Gesprächssituation 21, 31, 302 Geste 33-36, 51, 54, 59, 62, 65, 70, 151, 194, 196 f., 200, 210, 235, 257, 280, 363 Gestik 12, 32 f., 239 Gestus 33, 36 Gott 2, 20, 48, 51-53, 60, 96-102, 113, 115, 118, 128, 132 f., 136, 154-157, 159, 161, 176, 183-187, 189 f., 195, 199, 201, 203, 217, 221-223, 226, 231, 242, 247, 254, 258 f., 278, 280 f., 296, 304, 332, 356, 366 Gottesurteil 60, 82, 177, 194, 201, 205, 259, 300, 326 f., 330, 332 Gruß 37, 54, 60, 96, 127, 156, 173 f., 224, 258, 262, 265, 351 Halbdialog 16 f., 21 halbdialogisch 16 Halbmonolog 20, 51 f., 99 halbmonologisch 16, 19 Handlungsanweisung 16, 78, 138, 293, 339, 353 f. Handlungsmaxime 208, 256, 283 f., 288, 297299, 337, 339, 366 heimlich 7, 9, 32, 77, 81-84, 86, 154, 158, 259, 261, 315, 331, 348 Heimlichkeit 9, 36, 81, 84, 90 f., 144, 154, 172, 208, 211, 229, 234 f., 242, 259, 300302, 313, 315, 318 f., 329, 332, 344, 349 Helferfigur 261, 299, 330 Herkunftsbericht 50, 59, 256 Herkunftsgeschichte 6, 9, 55, 93, 101, 112, 117, 214, 245, 251, 265, 280 Herrschaftsbezeichnung 147 Herrschaftsgefährdung 9, 261, 299, 301, 314, 333 Herrschaftssicherung 9, 81, 91, 169, 261 f., 299, 301, 317, 333 Herrscher 6, 18, 36, 46, 73 f., 76, 78, 80, 82, 91, 116, 121, 127, 135-137, 153, 174, 179, 208, 262, 264 f., 274 f., 283-285, 289 f., 298-300, 310 f., 315, 322, 333, 337, 343, 359, 363, 366 Hierarchie 9, 254, 271, 274, 338, 351, 353, 358, 365 Hierarchieverhältnis 29, 31, 265, 269
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Hierarchieverhältniss 29, 122 hierarchisch 16, 29, 31, 120, 272, 274, 358 Hierarchisierung 336, 351 Hofamt 115, 119 f., 209, 251, 266, 275, 337, 357 höfische Freude 273, 292 höfische Werte 245, 247, 256, 285, 290, 297, 364 Höfischkeit 36, 48, 56, 63, 70 f., 76, 79, 108 f., 115 f., 118, 123, 127, 133, 136, 173, 180, 190, 196, 208, 214, 231, 239, 245, 256, 258-261, 265, 271, 273, 276, 290, 299, 342, 359, 363 f. hövescheit 29, 55, 63, 104, 111, 120, 132, 205, 232, 290, 300, 338, 365 Hybris 201, 210, 215 Idealbild 210, 271 Idealität 6, 94, 125, 127 f., 136, 239, 263, 286 f., 365 Identität 8 f., 50, 53, 57, 76, 94, 102, 110-112, 116-118, 123, 127, 129, 134, 137, 144, 167, 211 f., 214, 216 f., 231, 234, 237, 242, 244 f., 251, 257, 260, 263, 265, 272, 276, 278, 280, 282, 297, 347, 359 f., 363 Identitätsgeschichte 54 Identitätsgeschichten 251 Identitätskonstruktion 94, 119 Identitätssuche 8, 94 Ihrzen 30, 105, 122, 132, 147, 196, 203, 207, 252, 351 f. Imperativ 118, 120, 139, 254, 288 imperativisch 105, 156, 278, 295, 354 Implizitheit 40 Inadaequatio 35, 128, 245, 360 indirekte Rede 1, 14-16, 44, 63, 75, 79, 85, 173, 268, 317, 327, 339, 348, 353, 363 Informationsvergabe 11, 37, 39, 117, 251, 269 inquit 71 inquit 8, 13, 23-25, 32, 44, 46-48, 51, 57, 59, 62, 69, 71, 74-79, 90, 102, 104, 120, 128, 136, 147, 179, 188, 192, 203, 266, 292, 311, 318 f., 327 f., 336, 353, 363 f. Inszenierung 33, 35, 64 f., 88, 102, 104, 113, 119, 123, 153, 156 f., 180, 187, 235, 239, 262, 275, 287, 290, 302, 304, 359, 363366 Intellekt 120 Intellektualität 53 intellektuell 16, 31 f., 53, 90, 95, 99, 120, 351
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Index
Intention 8, 19, 26, 39, 170, 178, 254, 301, 328, 333 Intimität 34, 73, 86, 128, 302 f. Intrige 260, 292, 297 f., 307, 310, 312, 324, 344, 347, 349, 354, 358 Intrigenspiel 90, 142, 361, 366 Irland 57 f., 66, 69 f., 73, 134, 139, 141 f., 144 f., 147, 180 f., 188-190, 193 f., 211 f., 220, 224, 227-231, 238, 240, 243, 245, 250, 253, 276, 292, 297, 303, 350, 359 Ironie 133, 150, 242, 254, 287 f. ironisch 189, 192, 194 f., 199-201, 203, 206, 241 Jagd
40, 102, 104, 107-109, 113, 117, 119, 149, 170, 173, 250, 252, 259, 266, 270, 272, 274 f., 312, 339, 347, 361, 364 Jägermeister 95, 104-106, 111 f., 114 f., 118120, 149, 251, 254 f., 263-267, 271, 312, 343, 350, 354, 356 f., 361 Kalkulierbarkeit 36, 254, 363 kalkuliertes Sprechen 125, 221 Kalkuliertheit 55, 253 f. Kampf 9, 59 f., 68, 70, 101, 119, 134, 136, 170 f., 177-181, 183-187, 193-199, 201-211, 223, 227, 232, 241, 243, 250, 252, 259 f., 347, 349, 354, 365 Kampfdialog 18, 94, 170 f., 206, 208 f. Kaufmann 50, 57, 93, 96, 111 f., 118, 144, 211, 215 f., 224-227, 229, 244 f., 251, 276 Kleidersymbolik 39 Kleidung 33-36, 39, 52, 99, 173, 213, 238240, 244, 257, 273, 277, 363 Kommunikationsart 16 Kommunikationssituation 18, 20, 27, 31, 117, 245, 251 f., 346 kommunikative Indirektheit 8, 16, 27, 75, 85, 114, 254, 265 f. kommunikative Strategie 216, 236, 269 Konflikt 138, 179, 188, 206, 208, 234, 236, 243, 299, 317, 321 f., 329 König 6, 46, 61, 64, 73-76, 78-80, 83-85, 9092, 105, 111, 113 f., 116, 119 f., 123, 125, 127, 133, 138 f., 141, 144, 146, 149 f., 161, 168 f., 179, 181, 183, 185, 189, 224 f., 237, 240243, 251, 253 f., 262 f., 265-267, 271, 273276, 280, 282 f., 288 f., 292, 296 f., 299301, 303, 307 f., 310-312, 314-322, 325 f.,
328 f., 333 f., 337 f., 342 f., 346, 351-353, 355, 358, 360 f., 363, 365 f. Königin 57, 80, 84, 144, 202, 217-220, 226 f., 229, 231-233, 236, 240, 242 f., 253, 262, 291 f., 303 f., 307, 322, 326, 328 Königspaar 86, 147, 158, 160, 239, 242, 301, 303, 305, 310, 318, 320, 326, 329 Konstellation 5-7, 9, 31 f., 36, 45-47, 71, 84, 93, 118, 170, 196, 206, 209, 237, 248, 261 f., 281, 284, 299, 303, 306-308, 336, 349, 351, 354, 363 f., 367 Konvention 29, 35 f., 103 f., 152, 159, 221, 232, 317, 338, 363 Konventionalität 47, 297 f., 338, 363 Konzil 82, 91, 300 f., 314, 320-324, 327 f., 330, 332 f., 336, 343, 361 Körper 32-36, 50 f., 90, 92, 112, 200 f., 211 f., 217, 230, 239 f., 244, 277, 287, 343 Künstler 214, 245 Lehnsherr 172, 251 Lehrdialog 9, 18, 289 Lexik 8, 27, 29, 144, 198, 206-208, 222, 256, 274, 364 Liebesdialog 253 Liebespaar 46, 69, 82-85, 90 f., 149 f., 153 f., 159 f., 168, 253, 300-302, 309 f., 312 f., 315317, 329 f., 333 f., 337 f., 350, 361 f. List 9, 19, 30, 42, 45, 50, 68, 73, 81 f., 86-91, 93 f., 119, 142, 144, 148, 151, 153 f., 156 f., 160, 169, 212, 216, 220, 236, 241, 252, 256 f., 260, 300-304, 306, 308-315, 317, 319, 330-333, 336, 339, 343, 350, 355, 360, 364, 366 f. Listdialog 302 f. Lüge 19, 21, 28, 30, 42, 45, 50, 53, 58, 93, 118, 167, 199, 221, 224, 256, 306, 316, 324 Manipulation 31, 36 f., 249, 260 manipulativ 5, 102, 121, 202, 260, 366 Markehof 8, 85, 93 f., 101, 116-119, 127, 129, 131 f., 134, 137, 142-145, 153, 158, 160, 164, 167, 169, 173, 179-182, 184, 187 f., 201, 208 f., 213, 219, 242, 244 f., 254, 257, 259, 261, 266, 271, 273, 275 f., 296, 298, 334, 349 f. Maskerade 6, 9, 57, 71, 93, 118, 144, 226, 228, 244, 257, 360 Maskierung 57, 94, 229 mehrfachcodiert 160, 253
Index
milte 236, 286-288, 340 milte 79, 133, 266, 275, 282, 284, 288, 299, 337, 365 Minnekonkurrent 145-147, 169 Minnekonkurrenz 148 Misstrauen 6, 30, 78, 143, 240, 253, 303, 306 f., 329, 359 Monolog 19-21, 90, 97, 162 monologisch 12, 16, 18-21, 37 f. Neid 66, 93, 134 f., 137, 293, 296, 360, 366 Neider 294 Neudefinition 2, 291 nonverbale Kommunikation 143, 156 Norm 40, 117, 159, 177, 232 Normatives 339 Normativität 4, 297 öffentlich 25, 32, 36, 83, 91, 113, 115, 123, 145, 169, 172, 174-176, 188, 209, 242, 252, 260, 264, 274, 296, 309, 317-319, 323, 326, 328, 332, 337, 348 f., 354, 357, 362, 366 Öffentlichkeit 9, 28, 32, 65, 81-84, 86, 91, 109, 115, 133, 136, 139, 143 f., 152 f., 157, 170, 177, 183, 194-197, 208, 231, 235, 238 f., 249, 252, 272, 279, 286, 288 f., 291, 301 f., 314 f., 318-320, 324-326, 329, 331 f., 344, 346, 363 Onkel 46, 67, 76, 78, 80, 118, 136, 147, 151, 168 f., 212, 276, 296, 299 f., 311, 360 Paarformel 75, 85, 290, 311 Parmenien 55, 60, 66, 108, 111, 123, 125, 133, 137, 141, 153, 171 f., 175, 228, 283, 289 f., 296 f., 310, 349 Politik 241 politisch 22, 30, 32, 34, 91, 195, 234, 236, 243, 262, 280, 298, 318, 337, 357 rash boon 79, 144, 147, 202, 337 Rat 90 f., 139, 150-152, 171, 235-237, 257, 259, 265, 275, 283, 287, 296, 301, 303, 307, 317, 319-324, 327-330, 332, 336 f., 343, 349 Ratgeber 82, 182, 251, 311, 330 Rechtsanspruch 172, 175, 177 f. Rechtsgeste 63, 70, 188 Rechtsterminologie 206, 209 rechtsterminologisch 177
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Rechtswortschatz 198 Redebericht 13, 15 f., 44, 68, 75, 126, 148, 212, 266, 317, 339, 348 Redeeinleitung 8, 24 f., 51-55, 57, 59-61, 63, 66-70, 72 f., 75 f., 78-81, 83, 85, 88, 90, 108, 110, 128, 151, 227, 230, 334, 336 redequalifizierend 24, 44, 47, 49, 51 Redesituation 9, 346, 363 Redeszene 1 f., 7-9, 17 f., 31 f., 37, 45, 89, 93, 104, 152, 169, 171, 196, 247, 252, 262, 265, 276, 289, 292, 306 f., 346, 349 f., 364, 367 Redeumfeld 7 f., 13, 23, 44, 46 f., 49 f., 53, 63, 66, 84, 92, 363 f. Redewiedergabemodus 7, 12 f., 16 f., 92, 208 Referenzzuweisung 8, 23 Regie 123, 138, 142, 156, 302 Regisseur 127, 152, 239, 260 Reizrede 190, 203-205, 207, 260 Rolle 2, 4-6, 9, 11, 13, 17, 19, 21, 26, 28, 31 f., 36, 40 f., 45, 47, 50, 53 f., 56, 58, 61, 63, 76, 78, 81, 84 f., 89 f., 92-95, 100, 111, 116, 118 f., 131, 143 f., 146, 160, 167 f., 171, 174, 188, 196, 202, 206, 208 f., 211, 213-216, 219, 223, 226, 236, 238 f., 242, 244 f., 249, 251 f., 256, 260, 262, 266, 273-276, 281 f., 286 f., 297-301, 305, 307, 311, 313, 315 f., 322, 337, 353, 356-358, 360 Schande 147 f., 169, 181, 288, 315, 333, 337, 355 Scheltrede 147, 347, 360 Scherzhaftigkeit 313 Schweigen 1, 12, 64, 313, 352 Schwertleite 119, 127, 131-133, 170, 180, 186, 273, 282 f., 285 f., 288, 291, 297, 337, 347 Selbstdarstellung 38, 40, 53, 107, 239, 355 Selbstgespräch 20, 50, 52 f., 98, 102, 258 Selbstinszenierung 94, 102, 111, 116, 365 Sentenz 41, 183, 192, 194, 201, 254, 257, 293, 297 f., 339, 360, 364 Sittenlehre 176 f., 287, 339 Souveränität 105, 109, 117, 121, 129, 132 f., 151, 198, 210, 240, 242, 249, 254 Spielmann 57 f., 64, 93, 123, 144-146, 211, 213-218, 224, 226 f., 244 f., 251 Spielmanns 57, 144 Spott 28, 80, 145-148, 169, 194, 200, 204, 254, 256, 337, 354, 360 Spottrede 146, 199, 365 Sprachfertigkeit 6, 50, 56, 66
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Index
Sprachhandlung 12, 14, 17, 23, 63, 69, 92, 290, 334 Sprachkenntnis 65, 139 sprachliches Verhalten 12, 30 f., 42, 45-47, 59, 92 f., 255, 305 Sprachstrategie 118, 365 Sprechakt 15, 30, 41 f., 265, 336 Sprecherwechsel 43, 128, 347 f., 350 Sprichwort 293, 339 Sprichwörter 298, 360 Standesbezeichnung 96, 245 Status 28-30, 35 f., 39, 54, 57, 64, 69, 74 f., 79, 84, 90, 122 f., 125-127, 131, 139-141, 145, 148, 159, 161, 167, 174-176, 202, 205, 211, 213, 215, 236, 240, 242, 244 f., 251, 257, 260, 262, 265, 274, 280, 286, 292, 297, 310, 313, 336, 338, 349, 352 f., 357, 359 Stellvertreter 22, 153, 201, 206, 234, 243 Stilmittel 43, 196, 339 Streitdialog 18 Streitgespräch 178 stumm 14, 46, 129 f., 218, 236, 243, 278, 296 Symmetrie 145, 205 Syntax 27, 43, 274 Täuschung 149, 242 Tischgespräch 267, 278 Titel 2, 67, 75, 77, 79, 82, 105, 124, 154, 262, 307, 315, 318, 322 Todfeind 241 überlegen 31 f., 61, 117, 120, 139 f., 142, 145, 183, 195, 201, 209, 223, 240, 265, 269, 271, 355 Überlegenheit 9, 31, 48, 67 f., 96, 117-119, 140, 142, 145-148, 169, 192, 210, 241, 251, 254, 265, 271, 346, 354-356, 364-366 Unschuldsvermutung 85, 319, 321-324 unterlegen 31, 146, 351 Unterlegenheit 60, 346, 364 Unterlegenheitsgestus 113
Unterwerfungsgeste 54, 235 Unterwerfungsgestus 54, 121, 221 urloup 59, 221, 245, 247, 289 f., 347, 357 Urteil 47, 91 f., 108, 122, 193, 205, 225, 300, 303, 324, 326 f., 329, 332 f., 337, 343 Vater 94, 111 f., 128, 131, 164, 170, 172, 175 f., 178, 181, 240, 256, 276 f., 279-281, 296 f. Vaterverlust 131, 282 verbum dicendi 213 verbum dicendi 8, 23, 44, 47, 51, 68, 75, 83, 311 Verhandlung 187 f., 197, 206, 209, 225, 234238, 240, 243 f., 250, 252, 301, 320, 323, 325, 327-330, 332 f., 336 Vertrag 172, 192, 201, 209, 222, 296, 299, 347 Vertragsbruch 192, 296 Verwandtschaftsverhältnis 30, 57, 77 f., 133, 147, 163, 282, 311, 337, 351-353, 357 Vogt 192, 209, 251, 357 Vorausdeutung 200 Vorwurf 62, 80, 98, 132, 135, 147, 162, 176, 204 f., 322, 333, 366 Wahrheit 36, 53, 56, 82 f., 87 f., 103, 118, 124, 155, 159 f., 167, 185, 213 f., 216, 220 f., 227, 239, 251, 275, 279 f., 300 f., 316, 319, 324 f., 333 Wahrheitssuche 300, 313 Wandelbarkeit 251 Wissensvorsprung 117, 240, 249 f. Wortpaar 214, 290, 340 Wortschatz 40 f. Zeichen 9, 11, 33 f., 36, 40 f., 51, 86, 112, 148, 151, 153 f., 156, 202, 212 f., 216, 239, 244, 250, 257, 273 f., 280, 312 f., 318, 364 Zeremonialhandeln 26, 32, 58, 107 Zweifel 73, 82, 85 f., 90, 111, 187, 263, 277, 281, 291, 304, 310, 313, 315 f., 319, 321, 324, 328, 333, 360 f.