Glaube und Religiöse Rede bei Tillich und im Shin-Buddhismus: Eine religionshermeneutische Studie 9783110268874, 9783110268751

The challenges of Late Modernism form the shared horizon of Christian and Buddhist religious-hermeneutic efforts to demo

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German Pages 634 [636] Year 2011

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Table of contents :
Vorbemerkungen zur formalen Gestaltung der Arbeit und der Transkription fremdsprachlicher Begriffe und Eigennamen
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
1. Einleitung
1.1 Thema und Ziele der Arbeit
1.2 Forschungsgeschichte
1.3 Aufbau und Quellen der Arbeit
1.4 Zur Methodologie vorliegender Studie
I. Hauptteil: Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich
2. Grenzgänge und Brückenschläge
2.1 Vorbemerkung
2.2 Die Relevanz Paul Tillichs für den christlich-buddhistischen Dialog
2.3 Überwindung des „westlichen Provinzialismus“ – Tillichs Japanreise 1960 und die Begegnung mit Jōdo-shinshū
2.4 Paul Tillich als Kommunikator der christlichen Botschaft
3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs
3.1 Grundlinien der philosophischen Theologie Tillichs: Funktion, Konstruktionsprinzipien, Durchführung
3.1.1 Funktion: Apologetik als die Kunst zu antworten
3.1.1.1 Die „Kirchliche Apologetik“ von 1913
3.1.1.2 Die Weiterentwicklung in der Systematischen Theologie
3.1.2 Konstruktion: fundamental-ontologische Verhältnisbestimmungen
3.1.2.1 Sein, Nichtsein und Sein-Selbst
3.1.2.2 Essenz, Existenz und die multidimensionale Einheit des Lebens
3.1.2.3 Die paradoxe Gegenwart des Unendlichen im Endlichen in der Erfahrung des Heiligen
3.1.3 Durchführung
3.1.3.1 Korrelation von Botschaft und Situation
3.1.3.2 Das Problem religiöser Sprache
3.2 Grundstrukturen in Tillichs Glaubensbegriff
3.2.1 Der Glaubensbegriff als apologetischer Testfall
3.2.2 Formale Definitionsaussagen
3.2.3 Die Differenz von „faith“ und „belief“
3.2.4 Unbedingte Affirmation als Durchbruchserfahrung: absoluter Glaube
3.2.5 Glaube als anthropologisches Universale im Horizont des multidimensionalen Lebensbegriffs
3.2.6 Glaube und Heilung
3.3 Zwischenfazit und Ausblick auf die Predigttheorie
4. Die Predigttheorie Paul Tillichs
4.1 Überblick über die Forschungsgeschichte
4.2 Einzelübersicht über bisherige Arbeiten zu Tillichs impliziter Homiletik
4.2.1 Veit Brügmann – Religiöse Rede als Korrelation
4.2.2 Andreas Rössler – Religiöse Interpretation der Wirklichkeit
4.2.3 William Terrell Sanders – Tillich als Apologetic Preacher
4.2.4 Peter Cornehl – Befähigung zur Einheit im Konflikt
4.2.5 Hyung Suk Na – Boundary Preaching
4.2.6 William Carl Bergmann – Apologetic Preaching
4.2.7 Erdmann Sturm – Zwischen Apologetik und Seelsorge (Tillichs frühe Predigten)
4.3 Analyse homiletisch relevanter Texte Paul Tillichs
4.3.1 Vorbemerkung
4.3.2 Protestantische Verkündigung
4.3.3 Der apologetische Dreischritt
4.3.4 Fokussierung der Botschaft
4.3.5 Die Irrelevanz und Relevanz der christlichen Botschaft
4.4 Fazit
5. Analyse ausgewählter Predigten
5.1 Methodische Vorbemerkungen
5.2 Biographischer Hintergrund zu den frühen Predigten
5.3 Tillichs frühe Predigt über Römer 3, 28 (Nr. 152)
5.4 Die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 1925
5.5 Biographischer Hintergrund zu den amerikanischen Predigten
5.6 „You are accepted“/„Dennoch bejaht“
5.7 „Our ultimate concern“/„Was uns unbedingt angeht“
5.8 „Waiting“/„Vom Warten“
6. Fazit
II. Hauptteil: Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū
7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū
7.1 Grundstrukturen des Mahāyāna-Buddhismus
7.2 Die Entstehung und Entwicklung von Jōdo-shinshū
7.2.1 Basistexte und zentrale Aspekte der Genese von Jōdo-shinshū
7.2.1.1 Die drei Reines-Land-Sūtren
7.2.1.2 Die Sieben Patriarchen
7.2.2 Shinran im religiösen Kontext seiner Zeit
7.2.2.1 Shinrans Leben und religiöse Entwicklung
7.2.2.2 Überblick über Shinrans Werke
7.2.3 Die weitere Entwicklung von Jōdo-shinshū
8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū
8.1 Begriffsgeschichtlicher Hintergrund und das Problem der Übersetzung
8.2 Strukturelemente und Begründungszusammenhänge von shinjin
8.2.1 Shinrans Neuinterpretation der Tradition
8.2.2 Implikationen der tariki-Hermeneutik für den Traditionsbestand
8.3 Shinjin in Honganji-ha-Darstellungen der Gegenwart
8.3.1 Jodo Shinshu – A Guide
8.3.2 Y. Ueda und D. Hirota
8.3.3 Otani Koshin
8.4 Zusammenfassung und Ergebnisse
9. Die „geschickten Mittel“ (upāya/hōben 方便) als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung
9.1 Hinführung
9.2 Die Lehre von den „geschickten Mitteln“ im Mahāyāna allgemein
9.3 Das Verständnis von hōben 方便 bei Jōdo-shinshū
9.4 Die geschickten Mittel und der interreligiöse Dialog
Exkurs: Jōdo-shinshū – Diskussion um Entfaltung oder Verfälschung buddhistischer Ursprungserfahrung
10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū
10.1 Vorbemerkung
10.2 Überblick über die Forschungsgeschichte
10.3 Terminologie für religiöse Rede bei Jōdo-shinshū
10.4 Das kozō-shinan-shū 小僧指南集 von Ekü 惠空
10.5 Gegenwartsdarstellungen von Yakumo Enjō, Endō Ryōgi und Sannomiya Gishin
10.5.1 Yakumo Enjō 八雲圓成
10.5.2 Endō Ryōgi 遠藤了義
10.5.3 Sannomiya Gishin ニ宫義信
10.5.4 Hōwa-Sammlungen des monshu von Honganji-ha Ōtani Kōshin 大谷光真
10.6 Der Stellenwert der religiösen Rede (hōwa 法話) bei Jōdo-shinshū
10.7 Die Verortung der religiösen Rede im Kontext der Glaubensverbreitung
10.8 Die Bedeutung des Hörens auf den dharma (mompō 聞法) bei Jōdo-shinshū
10.9 Ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 als Grundprinzip religiöser Rede
10.10 Definitionen und Ziel religiöser Rede bei Jōdo-shinshū
10.11 Person und Aufgabe des Verkündigers fukyō-shi 布教使
10.12 Ritueller Kontext und klassischer Aufbau einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū
Exkurs: Teilnehmende Beobachtung bei Jōdo-shinshū hōza (法座)
10.13 Der Aufbau einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū
10.14 Zehn Stufen auf dem Weg zur vollkommenen Predigt
11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin – Analyse ausgewählter hōwa nach Form und Inhalt
11.1 Methodische Vorbemerkung
11.2 Biographische Notiz
11.3 Überblick über die Themen in den religiösen Reden von Otani Koshin
11.4 Exemplarische Übersetzung und Detail-Analyse
11.4.1 Übersetzung der hōwa „Allein durch shinjin wird man gerettet“
11.4.2 Detail-Analyse
11.5 Weitere Analysen religiöser Reden von Ōtani Kōshin
11.5.1 „Auf die Lehre hören“ (hōwa Nr. 1)
11.5.2 „Von der Barmherzigkeit umfangen“ (hōwa Nr. 14)
11.5.3 Im Reinen Land Satori/Erwachen erreichen (hōwa 66)
11.5.4 „Allein durch shinjin gerettet werden“ (hōwa Nr. 54)
11.5.5 „Das Errettetwerden“ (hōwa Nr. 17)
11.6 Zusammenfassung und Ergebnisse der Untersuchung
III. Hauptteil: Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie in historischer und religionsvergleichender Perspektive
12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube – kurze Geschichte einer Begegnung
12.1 Methodische Vorbemerkung
12.2 Die Ausgangslage – historische Einordnung
12.3 Jōdo-shinshū im Spiegel älterer protestantischer Darstellungen
12.3.1 Shinran als ‚japanischer Luther‘?
12.3.2 Hans Haas und Arthur Lloyd
12.3.3 Nathan Söderblom und A. K. Reischauer
12.3.4 Karl Barth
12.3.5 Tucker N. Callaway
12.3.6 Gerhard Rosenkranz
12.3.7 Oguro Tatsuo
12.4 Gegenwärtige Begegnungen zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie am Beispiel des Rudolf-Otto-Symposions
12.4.1 Die Bedeutung der Rudolf-Otto-Symposien für den Dialog
12.4.2 Charakter und Dialogverständnis der Rudolf-Otto-Symposien
12.4.3 Sola fide und das nembutsu allein
12.5 Zusammenfassung
13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich
13.1 Religiöse Kommunikation im Feld von Glaubenserfahrung, Tradition und Kontext
13.2 Das Ziel religiöser Rede: Glaube/faith resp. shinjin als Heilserfahrung
13.2.1 Glaube/faith resp. shinjin als „ekstatische“ Verwirklichung des Heilszieles
13.2.2 Wahrnehmung der Negativität der Unheilssituation
13.2.3 Der Umschlag der Negation in die Position als paradoxe Affirmation
13.2.4 Freude als Signum der Heilsverwirklichung
13.3 „Leben“ als Referenzbegriff religiöser Reflexion und Kommunikation
13.4 Verhältnisbestimmung von Glaube resp. shinjin und religiöser Rede
13.4.1 Religiöse Rede als Raum des „Hörens“
13.4.2 Religiöse Rede als Ausdruck des Glaubens resp. shinjin des Predigers
13.4.3 Religiöse Rede als Funktion der Ausbreitung des Glaubens
13.5 Das Verhältnis von Botschaft und Situation
13.5.1 Wahrheit und Anpassung
13.5.2 Kommunikative Strategien der Vermittlung
13.5.3 Bezug zu den Basistexten
13.6 Der Charakter der religiösen Rede
13.6.1 Religiöse Rede als Medium von Spiritual Presence resp. Wirken Amidas
13.6.2 Der transformierende Charakter religiöser Rede
13.6.3 Der therapeutische Charakter religiöser Rede
13.6.4 Religiöse Rede als doxologische „Namensrede“
13.7 Unbedingtheitsrelation und Geltungsbereich religiöser Rede
13.7.1 Absolute Positivität versus Absolutes Nichts resp. Leere/śūnyatā
13.7.2 Amida und Christus als „Gegenstand“ religiöser Rede
13.7.3 Das protestantische Prinzip und die „geschickten Mittel“
Literaturverzeichnis
1. Werke von Paul Tillich
2. Japanische Quellen
3. Quellen in außerjapanischen Sprachen
4. Wörterbücher und Nachschlagewerke
5. Sekundärliteratur
6. Digitale Medien
Übersicht über die Anhänge
Anhang 1: Drei Predigten Paul Tillichs
1.1 Tillichs frühe Predigt über Römer 3, 28 (Nr. 152)
1.2 Die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 1925
1.3 Die Predigt „You are accepted“
Anhang 2: Mit Anmerkungen versehene Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin
2.1 Ōtani Koshin 1992, 7–26, hōwa Nr. 24
2.2 Ōtani 52000 [11983], 1–7, hōwa Nr. 1
2.3 Ōtani 52000 [11983], 100–106, hōwa Nr. 14
2.4 Ōtani 42005 [12001], 181–183, hōwa 66
2.5 Ōtani 42005 [12001], 121–125, hōwa Nr. 54
2.6 Ōtani 52000 [11983], 122–128, hōwa Nr. 17
Anhang 3: Zwei hōwa bekannter fukyōshi von Ōtani-ha
3.1 Kondō Tatsuo: „Es ist gut, dass ich ich bin!“
3.2 Hōwa von Matsui Ekō
Anhang 4: Glossar Shin-buddhistischer Termini
Anhang 5: Bekenntnistexte der Jōdo-shinshu (Nishi-Honganji-ha)
5.1 浄土具宗の教卑 (Jōdo-shinshu no kyōshō) – Kyosho – The Essentials of Jōdo Shinshu (1967)
5.2 領解文 (ryō-ge-mon) – The Creed
5.3 浄土具宗の生活信条 (Jōdo-shinshu no seikatsu-shinjō) – Shinshu Pledge – Seikatsu Shinjo
Namensregister
Sachregister
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Glaube und Religiöse Rede bei Tillich und im Shin-Buddhismus: Eine religionshermeneutische Studie
 9783110268874, 9783110268751

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Stefan S. Jäger Glaube und Religiöse Rede bei Tillich und im Shin-Buddhismus

Tillich Research Tillich-Forschungen Recherches sur Tillich

Edited by

Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger and Erdmann Sturm

Volume 2

De Gruyter

Stefan S. Jäger

Glaube und Religiöse Rede bei Tillich und im Shin-Buddhismus Eine religionshermeneutische Studie

De Gruyter

ISBN 978-3-11-026875-1 e-ISBN 978-3-11-026887-4 ISSN 2192-1938 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Jäger, Stefan S. Glaube und Religiöse Rede bei Tillich und im Shin-Buddhismus : eine religionshermeneutische Studie / Stefan S. Jäger. p. cm. - (Tillich research, ISSN 2192-1938 ; v. 2 = Tillich-Studien) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-026875-1 (hardcover : alk. paper) 1. Tillich, Paul, 1886-1965. 2. Shin (Sect) - Relations - Christianity. 3. Christianity and other religions - Shin (Sect). 4. Faith - Sermons History and criticism. 5. Faith - Comparative studies. 6. Faith (Buddhism). I. Title. BQ8719.4.C5J34 2011 261.2143926-dc23 2011022769

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de. ” 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Printing: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Für Daniela Noemi, Maike und Noah

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner im Juni 2010 eingereichten und im Wintersemester 2010/2011 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg angenommenen Dissertation. Da das Thema der Arbeit verschiedene Fachgebiete umfasst, hatte ich das Vorrecht, von mehreren Betreuern begleitet zu werden, denen ich mich in besonderer Dankbarkeit verbunden fühle. Prof. Dr. Gerhard Marcel Martin hat als Erstgutachter das Projekt in einer Weise betreut, die man sich als Doktorand nicht besser wünschen könnte. Seine ständige Ermutigung (zu der auch die regelmäßige und freundliche Ermahnung zur Konzentration und Eingrenzung gehörte), seine kompetente Beratung und persönliche Betreuung haben ihn mir zu einem wirklichen Doktorvater werden lassen. Ebenso danke ich Prof. Dr. Hans-Martin Barth, der das Thema der Arbeit angeregt und mir den Weg von Japan nach Marburg zum Promotionsstudium eröffnet hat. Er hat den Fortschritt der Arbeit auch über seine Emeritierung hinaus in vorbildlicher Weise kritisch-konstruktiv begleitet und mich auch in Dürrephasen ermutigt, dran zu bleiben. Mein Dank gilt ebenfalls Prof. Dr. Jörg Lauster für die Erstellung des Zweitgutachtens und die konstruktiven Vorschläge, die ich gerne berücksichtigt habe. Für den religionswissenschaftlichen Teil sei Prof. Dr. Christoph Kleine (Universität Leipzig) für hilfreiche Hinweise und die Übernahme des Begleitgutachtens mein herzlicher Dank ausgesprochen. Ein besonderer Dank gilt auch meinen shin-buddhistischen Gesprächspartnern während meiner Forschungen in Japan. Hier sind besonders Prof. Dr. Sakada Hiromu (Ōtani-Universität/Kyōto) und Prof. Dr. Fukagawa Nobuhiro (Ryūkoku-Universität/Kyōto) zu nennen, denen ich wesentliche Hinweise und die freundliche Unterstützung bei der Materialbeschaffung verdanke. Rev. Ōtani Kōshin, den Abt des Nishi-Hongwanji/Kyōto, danke ich besonders für das freundliche Interesse an meinen Studien und für die Erlaubnis zur Übersetzung und Veröffentlichung seiner religiösen Reden. Herrn Ozawa Yoshio,

VIII

Vorwort

M. A. danke ich für die kompetente sprachwissenschaftliche Beratung und Einführung in das klassische Japanisch. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Tillich Research“ danke ich Prof. Dr. Christian Danz (Universität Wien), den Vorsitzenden der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft, und allen Herausgebern sowie dem Verlag Walter de Gruyter für die kompetente Betreuung. Ich danke der Marburger Mission, mit der ich acht Jahre in Japan tätig war, und der Studien- und Lebensgemeinschaft Tabor, die mir im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit das lange Studium ermöglichten sowie meinen Kollegen an der Evangelischen Hochschule Tabor für ihre Ermutigung und Unterstützung durch konstruktiv-kritische Diskussionen und beim Korrekturlesen. Namentlich zu nennen sind Prof. Dr. Norbert Schmidt, Prof. Dr. Thorsten Dietz, Prof. Dr. Detlef Häußer und Prof. Dr. Heinzpeter Hempelmann. Die Gewährung eines Forschungsfreisemesters hat mir den zeitgerechten Abschluss der Arbeit ermöglicht. Der Friedhelm Loh Stiftung & Co. KG danke ich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Nicht zuletzt gebührt ein großer Dank meiner Frau Daniela und unseren Kindern, die während der langen Jahre des Forschens und Schreibens oft auf mich verzichten mussten, und die durch ihr Mittragen und ihre Unterstützung einen wesentlichen Anteil am Gelingen dieses Projekts haben. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Marburg, im Mai 2011

Stefan S. Jäger

Inhalt Vorbemerkungen zur formalen Gestaltung der Arbeit und der Transkription fremdsprachlicher Begriffe und Eigennamen . . . XVII Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . XIX 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Thema und Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufbau und Quellen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zur Methodologie vorliegender Studie . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 11 11 13

I. Hauptteil: Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich 2. Grenzgänge und Brückenschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Relevanz Paul Tillichs für den christlich-buddhistischen Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Überwindung des „westlichen Provinzialismus“ – Tillichs Japanreise 1960 und die Begegnung mit Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Paul Tillich als Kommunikator der christlichen Botschaft 3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Grundlinien der philosophischen Theologie Tillichs: Funktion, Konstruktionsprinzipien, Durchführung . . . 3.1.1 Funktion: Apologetik als die Kunst zu antworten . 3.1.1.1 Die „Kirchliche Apologetik“ von 1913 . . . . 3.1.1.2 Die Weiterentwicklung in der Systematischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Konstruktion: fundamental-ontologische Verhältnisbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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28 38

48 48 48 49 55 58

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Inhalt

3.1.2.1 Sein, Nichtsein und Sein-Selbst . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Essenz, Existenz und die multidimensionale Einheit des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3 Die paradoxe Gegenwart des Unendlichen im Endlichen in der Erfahrung des Heiligen . 3.1.3 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.1 Korrelation von Botschaft und Situation . . 3.1.3.2 Das Problem religiöser Sprache . . . . . . . . . . 3.2 Grundstrukturen in Tillichs Glaubensbegriff . . . . . . . . . 3.2.1 Der Glaubensbegriff als apologetischer Testfall . . . 3.2.2 Formale Definitionsaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Differenz von „faith“ und „belief“ . . . . . . . . . . 3.2.4 Unbedingte Affirmation als Durchbruchserfahrung: absoluter Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Glaube als anthropologisches Universale im Horizont des multidimensionalen Lebensbegriffs . 3.2.6 Glaube und Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zwischenfazit und Ausblick auf die Predigttheorie . . . . . 4. Die Predigttheorie Paul Tillichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Überblick über die Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . 4.2 Einzelübersicht über bisherige Arbeiten zu Tillichs impliziter Homiletik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Veit Brügmann – Religiöse Rede als Korrelation . . 4.2.2 Andreas Rössler – Religiöse Interpretation der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 William Terrell Sanders – Tillich als Apologetic Preacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Peter Cornehl – Befähigung zur Einheit im Konflikt 4.2.5 Hyung Suk Na – Boundary Preaching . . . . . . . . . . 4.2.6 William Carl Bergmann – Apologetic Preaching . . 4.2.7 Erdmann Sturm – Zwischen Apologetik und Seelsorge (Tillichs frühe Predigten) . . . . . . . . . . . . . 4.3 Analyse homiletisch relevanter Texte Paul Tillichs . . . . . 4.3.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Protestantische Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Der apologetische Dreischritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Fokussierung der Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Die Irrelevanz und Relevanz der christlichen Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 61 67 72 73 79 87 87 91 96 97 101 106 110 115 115 117 117 119 121 124 127 130 133 137 137 138 143 150 155 168

Inhalt

XI

5. Analyse ausgewählter Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Biographischer Hintergrund zu den frühen Predigten . . 5.3 Tillichs frühe Predigt über Römer 3, 28 (Nr. 152) . . . . . . 5.4 Die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Biographischer Hintergrund zu den amerikanischen Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 „You are accepted“/„Dennoch bejaht“ . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 „Our ultimate concern“/„Was uns unbedingt angeht“ . . . 5.8 „Waiting“/„Vom Warten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171 171 173 177

187 190 221 223

6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Hauptteil: Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū 7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Grundstrukturen des Mahāyāna-Buddhismus . . . . . . . . 7.2 Die Entstehung und Entwicklung von Jōdo-shinshū . . . . 7.2.1 Basistexte und zentrale Aspekte der Genese von Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1.1 Die drei Reines-Land-Sūtren . . . . . . . . . . . . 7.2.1.2 Die Sieben Patriarchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2. Shinran im religiösen Kontext seiner Zeit . . . . . . . . 7.2.2.1 Shinrans Leben und religiöse Entwicklung 7.2.2.2 Überblick über Shinrans Werke . . . . . . . . . . 7.2.3 Die weitere Entwicklung von Jōdo-shinshū . . . . . . 8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Begriffsgeschichtlicher Hintergrund und das Problem der Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Strukturelemente und Begründungszusammenhänge von shinjin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Shinrans Neuinterpretation der Tradition . . . . . . . 8.2.2 Implikationen der tariki-Hermeneutik für den Traditionsbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Shinjin in Honganji-ha-Darstellungen der Gegenwart . . 8.3.1 Jodo Shinshu – A Guide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234 234 246 246 246 253 264 266 278 280

289 289 298 298 302 309 310

XII

Inhalt

8.3.2 Y. Ueda und D. Hirota . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Ōtani Kōshin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Zusammenfassung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die „geschickten Mittel“ (upāya/hōben 方便) als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die Lehre von den „geschickten Mitteln“ im Mahāyāna allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Das Verständnis von hōben 方便 bei Jōdo-shinshū . . . . . 9.4 Die geschickten Mittel und der interreligiöse Dialog . . . Exkurs: Jōdo-shinshū – Diskussion um Entfaltung oder Verfälschung buddhistischer Ursprungserfahrung . . . . . 10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . 10.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Überblick über die Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . 10.3 Terminologie für religiöse Rede bei Jōdo-shinshū . . . . 10.4 Das kozō-shinan-shū 小僧指南集 von Ekū 恵空 . . . . . . 10.5 Gegenwartsdarstellungen von Yakumo Enjō, Endō Ryōgi und Sannomiya Gishin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.1 Yakumo Enjō 八雲圓成 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.2 Endō Ryōgi 遠藤了義 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.3 Sannomiya Gishin 三宮義信 . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.4 Hōwa-Sammlungen des monshu von Honganji-ha Ōtani Kōshin 大谷光真 . . . . . . . . 10.6 Der Stellenwert der religiösen Rede (hōwa 法話) bei Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Die Verortung der religiösen Rede im Kontext der Glaubensverbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Die Bedeutung des Hörens auf den dharma (mompō 聞法) bei Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 als Grundprinzip religiöser Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.10 Definitionen und Ziel religiöser Rede bei Jōdo-shinshū 10.11 Person und Aufgabe des Verkündigers fukyō-shi 布教使 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.12 Ritueller Kontext und klassischer Aufbau einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Teilnehmende Beobachtung bei Jōdo-shinshū hōza (法座) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

10.13 Der Aufbau einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū . . 10.14 Zehn Stufen auf dem Weg zur vollkommenen Predigt . 11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin – Analyse ausgewählter hōwa nach Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Biographische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Überblick über die Themen in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Exemplarische Übersetzung und Detail-Analyse . . . . 11.4.1 Übersetzung der hōwa „Allein durch shinjin wird man gerettet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Detail-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Weitere Analysen religiöser Reden von Ōtani Kōshin 11.5.1 „Auf die Lehre hören“ (hōwa Nr. 1) . . . . . . . . . 11.5.2 „Von der Barmherzigkeit umfangen“ (hōwa Nr. 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.3 Im Reinen Land Satori/Erwachen erreichen (hōwa 66) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.4 „Allein durch shinjin gerettet werden“ (hōwa Nr. 54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.5 „Das Errettetwerden“ (hōwa Nr. 17) . . . . . . . . . 11.6 Zusammenfassung und Ergebnisse der Untersuchung

XIII 396 401

407 407 407 408 410 410 414 418 418 422 426 428 430 432

III. Hauptteil: Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie in historischer und religionsvergleichender Perspektive 12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube – kurze Geschichte einer Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die Ausgangslage – historische Einordnung . . . . . . . . 12.3 Jōdo-shinshū im Spiegel älterer protestantischer Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Shinran als ‚japanischer Luther‘? . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Hans Haas und Arthur Lloyd . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Nathan Söderblom und A. K. Reischauer . . . . . 12.3.4 Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.5 Tucker N. Callaway . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.6 Gerhard Rosenkranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.7 Oguro Tatsuo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439 439 441 447 447 449 456 459 463 467 474

XIV

Inhalt

12.4 Gegenwärtige Begegnungen zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie am Beispiel des RudolfOtto-Symposions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Die Bedeutung der Rudolf-Otto-Symposien für den Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Charakter und Dialogverständnis der RudolfOtto-Symposien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Sola fide und das nembutsu allein . . . . . . . . . . . 12.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich 13.1 Religiöse Kommunikation im Feld von Glaubenserfahrung, Tradition und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Das Ziel religiöser Rede: Glaube/faith resp. shinjin als Heilserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Glaube/faith resp. shinjin als „ekstatische“ Verwirklichung des Heilszieles . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Wahrnehmung der Negativität der Unheilssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Der Umschlag der Negation in die Position als paradoxe Affirmation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.4 Freude als Signum der Heilsverwirklichung . . . 13.3 „Leben“ als Referenzbegriff religiöser Reflexion und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Verhältnisbestimmung von Glaube resp. shinjin und religiöser Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1 Religiöse Rede als Raum des „Hörens“ . . . . . . . 13.4.2 Religiöse Rede als Ausdruck des Glaubens resp. shinjin des Predigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.3 Religiöse Rede als Funktion der Ausbreitung des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Das Verhältnis von Botschaft und Situation . . . . . . . . . 13.5.1 Wahrheit und Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.2 Kommunikative Strategien der Vermittlung . . . 13.5.3 Bezug zu den Basistexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6 Der Charakter der religiösen Rede . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6.1 Religiöse Rede als Medium von Spiritual Presence resp. Wirken Amidas . . . . . . . . . . . . . . 13.6.2 Der transformierende Charakter religiöser Rede 13.6.3 Der therapeutische Charakter religiöser Rede . 13.6.4 Religiöse Rede als doxologische „Namensrede“

478 478 480 483 488 491 491 493 493 495 497 499 500 501 501 502 502 503 503 504 505 507 507 508 509 510

Inhalt

13.7 Unbedingtheitsrelation und Geltungsbereich religiöser Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7.1 Absolute Positivität versus Absolutes Nichts resp. Leere/śūnyatā . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7.2 Amida und Christus als „Gegenstand“ religiöser Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7.3 Das protestantische Prinzip und die „geschickten Mittel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV 512 512 513 515

Literaturverzeichnis 1. Werke von Paul Tillich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Japanische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellen in außerjapanischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wörterbücher und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Digitale Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

519 520 523 525 526 546

Übersicht über die Anhänge Anhang 1: Drei Predigten Paul Tillichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Tillichs frühe Predigt über Römer 3, 28 (Nr. 152) . . . . . . 1.2 Die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Predigt „You are accepted“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

548 548 552 556

Anhang 2: Mit Anmerkungen versehene Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Ōtani Kōshin 1992, 7–26, hōwa Nr. 24 . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ōtani 52000 [11983], 1–7, hōwa Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ōtani 52000 [11983], 100–106, hōwa Nr. 14 . . . . . . . . . . . . 2.4 Ōtani 42005 [12001], 181–183, hōwa 66 . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Ōtani 42005 [12001], 121–125, hōwa Nr. 54 . . . . . . . . . . . . 2.6 Ōtani 52000 [11983], 122–128, hōwa Nr. 17 . . . . . . . . . . . .

563 563 575 579 583 585 587

Anhang 3: Zwei hōwa bekannter fukyōshi von Ōtani-ha . . . . . . 3.1 Kondō Tatsuo: „Es ist gut, dass ich ich bin!“ . . . . . . . . . . 3.2 Hōwa von Matsui Ekō . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

592 592 595

XVI

Inhalt

Anhang 4: Glossar Shin-buddhistischer Termini . . . . . . . . . . . .

597

Anhang 5: Bekenntnistexte der Jōdo-shinshū (Nishi-Honganji-ha) 5.1 浄土真宗の教章 (Jōdo-shinshū no kyōshō) – Kyosho – The Essentials of Jodo Shinshu (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 領解文 (ryō-ge-mon) – The Creed . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 浄土真宗の生活信条 (Jōdo-shinshū no seikatsu-shinjō) – Shinshu Pledge – Seikatsu Shinjo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

599 599 600

Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

603

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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600

Vorbemerkungen zur formalen Gestaltung der Arbeit und der Transkription fremdsprachlicher Begriffe und Eigennamen Die Transkription des Japanischen erfolgt nach dem modifizierten Hepburn-System. Der Silbenschlusskonsonant „n“ wird vor b, m, p als „m“ gesprochen und dementsprechend transkribiert (z. B. „nembutsu“). Japanische Personennamen werden wie in Japan üblich in der Reihenfolge Nachname-Vorname wiedergegeben. Ausnahmen sind bibliographische Angaben, wo die Initial des Vornamens in lateinischer Umschrift vor den Nachnamen gesetzt wird. Chinesische Eigennamen und Begriffe werden in der Regel nach dem Wade-Giles System wiedergegeben. Fremdsprachliche Termini werden mit Ausnahme von Eigennamen, Werk-Titeln, Ortsbezeichnungen und an Satzanfängen grundsätzlich klein geschrieben. Zur besseren Lesbarkeit werden aus mehreren Schriftzeichen bestehende Worte in der Transkription durch Bindestrich in Bedeutungseinheiten getrennt (Bsp. Jōdo-shinshū 浄土 真宗, Kyō-gyō-shin-shō 教行信証). Eigene Übersetzungen vorangehend zitierter fremdsprachlicher Texte stehen in eckigen Klammern. Transkribierte fremdsprachliche Texte, Eigennamen und Begriffe werden kursiv gesetzt. Die genannten Darstellungskriterien können von entsprechenden Wiedergaben innerhalb von Zitaten abweichen.

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen Alle Abkürzungen richten sich nach dem Verzeichnis der „Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4“, hg. von der Redaktion der RGG4, Tübingen 2007. Ergänzend bzw. abweichend werden verwendet: BGJ BHDJ BZRGG CWS DJBT EN GW GWE IBJ IJTF JEBD JSS KGSS MDCB MDV MMK MW NB NBW OLW PL PL(NS) RR SF

Bukkyōgaku Jiten Bukkyō Hōwa Daijiten Beihefte der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Collected Works of Shinran I–II A Dictionary of Japanese Buddhist Terms Paul Tillich, The Eternal Now (= RR III) Paul Tillich, Gesammelte Werke I–XIV Paul Tillich, Ergänzungs- und Nachlassbände I–XIV zu Paul Tillich GW Iwanami Bukkyō Jiten Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung Japanese-English Buddhist Dictionary Jōdo-shinshū Seiten Shinrans Kyōgyōshinshō A Multilingual Dictionary of Chinese Buddhism Paul Tillich Marburger Dogmatik-Vorlesung Nāgārjunas Mūlamadhyamaka-kārikās Paul Tillich, Main Works/Hauptwerke 1–6 Paul Tillich, The New Being (= RR II) Nyanatiloka Buddhistisches Wörterbuch Oxford Lexikon der Weltreligionen Pure Land Pure Land New Series Paul Tillich, Religiöse Reden I–III (1.–3. Folge) Paul Tillich, The Shaking of the Foundations (= RR I)

XX

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

SKJ STD STE TS

Shinshūkojiten Paul Tillich, Systematische Theologie I–III Paul Tillich, Systematic Theology I–III Tillich-Studien 1–18

1. Einleitung 1.1 Thema und Ziele der Arbeit Thema dieser Arbeit ist eine Untersuchung der Frage, wie das Verständnis von „Glaube“ bei Paul Tillich und shinjin bei der buddhistischen „Wahren Schule des Reinen Landes“ Jōdo-shinshū in Japan mit dem jeweiligen Verständnis von Bedeutung und Funktion religiöser Rede korreliert. Dabei geht es jedoch nicht um eine Erklärung der Ermöglichungsbedingungen religiöser Erfahrung vermittels religiöser Rede. Diese Eingrenzung wird in Abschnitt 1.4 methodisch begründet. Vielmehr wird gefragt, welche Strukturen und Strategien sich erkennen lassen, die die Basis für einen substanziellen Dialog und interreligiöse Lernprozesse bilden könnten? Und welche Konsequenzen lassen sich daraus möglicherweise für eine kontextuelle Homiletik im Horizont der Säkularisierung ableiten? Damit ist eine homiletische Problemstellung angezeigt und in eine interreligiöse und interkulturelle Perspektive gestellt. Dabei verbinden sich sowohl systematisch- und praktisch-theologische, als auch japanologisch-religionswissenschaftliche Fragestellungen. Als Studie „auf der Grenze“ soll hier im Sinn einer interreligiös sensiblen und dialogischen Theologie anhand einer konkreten Fragestellung jener Perspektivenwechsel eingeübt und fruchtbar gemacht werden, wie ihn z. B. Theo Sundermeier eingefordert hat und wie er von Hans-Martin Barth modellhaft vorliegt.1 Es geht, wie Ingolf U. Dalferth formuliert um ein „… topisches Denken in Perspektiven und Horizonten …“.2 Diese Multiperspektivität stellt ein wesentliches Charakteristikum vorliegender Arbeit dar. Der als Säkularisierung beschriebene veränderte lebensweltliche Bezugsrahmen der Spätmoderne stellt eine große Herausforderung für die Anschlussfähigkeit traditioneller Lehr- und Glaubensüberliefe1 2

Hans-Martin Barth leistete in dieser Hinsicht Pionierarbeit mit seiner Dogmatik, in der „Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen“ dargestellt wird. I. U. Dalferth 2004, 12.

2

1. Einleitung

rung dar und bildet den gemeinsamen Horizont von Christentum wie auch der japanischen Jōdo-shinshū. Diese Herausforderung verlangt nach Antworten und generiert Transformationsprozesse.3 Es ist die Aufgabe einer Religionshermeneutik, den Überlieferungsbestand einer Religion in den jeweiligen lebensweltlichen Horizont und die kulturelle Matrix so einzuzeichnen, dass er – unter Wahrung des Gehaltes und der Ursprungsintention – für die jeweiligen Adressaten evident und relevant wird. Es geht darum, diese Prozesse kritisch-konstruktiv zu reflektieren und zu unterstützen. Insbesondere kulturüberschreitend ist dieser Prozess in der Regel mit dem Begriff Kontextualisierung belegt. Kontextuelle Theologie beschränkt sich jedoch längst nicht mehr auf den klassischen Bereich einer als „hermeneutische Wissenschaft“ (Theo Sundermeier) verstandenen Missionswissenschaft. Vielmehr hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass jede Theologie immer schon kontextuell ist. Entsprechend kann die gesamte christliche Überlieferungs- und Theologiegeschichte als Geschichte der Kontextualisierung und als kontinuierliche Interpretationspraxis gelesen werden.4 Dass diese Aufgabe der Interpretation des christlichen Überlieferungsbestandes heute auch in der westlichen Hemisphäre im Kontext der Weltreligionen zu geschehen hat, gehört mittlerweile fast zum common sense. Diesen Prozess zu fördern gilt auch das Anliegen dieser Studie. Die Relevanz dieses Prozesses für die Homiletik im Kontext einer pluralistischen Gesellschaft liegt auf der Hand. Vergleichbares gilt für Jōdo-shinshū in Japan. Eine grundsätzliche Aussage dazu findet sich dazu bei S. Yasutomi: „Religion must change the outward aspects positively without losing the essence according to the situations of the time and beings. The first characteristic of Japanese Buddhist tradition, I would dare to say, is the ‘jikisoo’ (the correspondence of the time and beings). Jodo Shinshu has tried to keep its own religiosity through adapting the teaching to the situations of the people of each age.“5 3

4

5

Zu diesem Thema gab es ein eigenes Symposion zu dem eine Berichtsband erschien: Hans-Martin Barth, Ken Kadowaki, Eryo Minoura, Michael Pye (Hg.), Buddhismus und Christentum vor der Herausforderung der Säkularisierung, Hamburg 2004. Vgl. dazu insgesamt Stephen B. Bevans: Models of Contextual Theology, 62006 und David J. Bosch: Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of Mission, 121997. Auch I. U. Dalferth sieht „Evanglische Theologie als Interpretationspraxis“ im Kontext und in Wechselwirkung mit der jeweiligen kulturellen Matrix und unterscheidet dabei eine trans-cultural, contextual, counter-cultural und cross-cultural Dimension (I. U. Dalferth 2004, 57–59). S. Yasutomi: „Shinshu and Secularism: The Way to Modern Buddhism.“ In: HansMartin Barth et al. 2004, 143–157, 155. Vgl. auch die von Honganji-ha herausgegebene Studie „Shinran in the Contemporary World“ von 1973 (21979), in der angesichts der

1. Einleitung

3

Indem ich P. Tillich als protestantisches Pendant für diese Untersuchung wähle, sollen im Vergleich mit Jōdo-shinshū zugleich Möglichkeiten einer kontextellen Homiletik ausgelotet werden, die insbesondere (aber nicht nur) Relevanz für die evangelische Kirche in Japan besitzen dürften, in der ich in der Zeit zwischen 1995 und 2004 in verschiedenen Gemeinden sowie in der homiletischen Gesellschaft sekkyō-juku mitgearbeitet habe. Gilt von der christlichen Verkündigung, dass sie eine Kultursynthese unter Aufnahme antiker Rhetorik und abendländisch-philosophischer Denkkategorien bildet, so steht christliche Homiletik in Japan vor der Herausforderung eine indigene Gestalt der Predigt zu generieren, wenn sie an das jeweilige „Vorverständnis“ anknüpfen und lebensweltlich relevant sein soll. Zu sich berührenden Aspekten bei Tillich und Jōdo-shinshū gehören zunächst – neben der durch die Säkularisierung bedingten Schwierigkeiten der Anschlussfähigkeit traditioneller Überlieferungsbestände  – z. B. auf der anthropologischen Ebene die Erfahrung des unbedingten „Ergriffen-und Angenommensein“, was sowohl bei Tillich als auch bei Jōdo-shinshū als eine Subjekt-Objekt transzendierende Evidenzerfahrung beschrieben wird, die von affektiven Gestimmtheiten wie z. B. der Freude begleitet wird. Dazu kommt die prinzipielle Sprachlichkeit religiöser Kommunikation. Diese Aspekte bieten einen ersten Zugang zu einer interreligiösen Komparatistik. Zum Problemhorizont der Fragestellung in der neueren evangelischen Theologiegeschichte. „Einig sind wir darin, daß das innere Leben der Religion schließlich etwas Geheimnisvolles und Unübertragbares ist. Kein Mensch kann dem anderen durch seine Mitteilung dazu verhelfen, daß das Beste in der Religion ihm zu eigen wird. Der Einzelne muß es für sich selbst erleben als eine Gabe von oben.“6

Mit dieser Aussage leitet der bedeutende evangelische Systematiker und Marburger Theologieprofessor Wilhelm Herrmann (1846–1922) um die Wende zum vergangenen Jahrhundert das erste Kapitel seines Hauptwerkes „Der Verkehr des Christen mit Gott“ ein, in dem er sich mit dem Verhältnis der christlichen Religion zur Mystik beschäftigt. Er markiert damit den Problemhorizont dieser Studie: Wie verhält sich das nach Herrmann „Beste in der Religion“, das er als eine Evidenzer-

6

Bedrohung der Religion durch die Säkularisierung ein Dialog angestrebt wird, indem bei Shinran Antworten auf die Krise der Moderne gesucht werden. W. Herrmann 71921 (1886), 15.

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1. Einleitung

fahrung, als „Ergriffensein“ beschreibt, zu seiner „Mitteilung“, spezieller: der Vermittlung einer Religion in Form von Predigt resp. religiöser Rede. Wie verhalten sich kataphatischer Inhalt und apophatischer Erfahrungsgehalt einer Religion zueinander. Die Relevanz dieser Fragestellung für die Homiletik ist evident. Kann Predigt „Mitteilung des Glaubens“ (W. Gräb) sein? Und wenn ja, in welchem Sinn? Es geht um die Differenz und den Konnex von apophatischer und kataphatischer Wirklichkeit, deren Verhältnis Rudolf Otto 1917 in seiner zum theologischen und religionswissenschaftlichen Klassiker avancierten Studie „Das Heilige“ formuliert hat als „das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen“. Beim frühen Tillich kehrt diese Unterscheidung in der Begrifflichkeit von Grund- und Heilsoffenbarung wieder. Dieser Differenzierung auf der objektiven Seite korrespondieren Unterscheidungen auf der subjektiven Seite im Glaubensbegriff: traditionell als fides qua creditur und fides quae creditur, als Ergriffensein und Fürwahrhalten (W. Herrmann, P. Tillich), als faith und belief (beim späten Tillich und in dessen Gefolge bei Wilfred Cantwell Smith7). Abraham H. Maslow, bekannt durch seinen Entwurf einer psychology of being, gibt aus psychologischer Sicht ebenfalls in Anlehnung an Tillich eine Beschreibung der individuellen peak-experience im Unterschied zu einem verobjektivierten und institutionalisierten Glaubenssystem.8 In neuester Zeit hat Hans-Martin Barth, gerade auch im Blick auf den interreligiösen Dialog, die Unterscheidung von Alphaund Omega-Glauben in die Diskussion eingebracht, wobei hier beide Aspekte nicht als Gegensätze in Opposition oder zumindest Konkurrenz zu stehen kommen, sondern in reziproker Verwiesenheit ein Kontinuum zwischen beiden Polen besteht. „Alpha- und Omega-Glaube sind insofern grundsätzlich aufeinander verwiesen, als Alpha-Glaube sein Omega sucht und Omega-Glaube des Alpha-Glaubens bedarf, um wenigstens begrenzt artikulierbar zu werden.9 Diese spezifischen Differenzierungen stehen – und das macht ihre Relevanz in der Moderne aus – in engem Verhältnis zu der Frage nach Zweifel und (religiöser) Gewissheit. Je stärker der überlieferte Lehrgehalt einer Religion in Zweifel gerät, desto wichtiger wird die Sicherung des „Wesensgehaltes“ (W. Herrmann). W. Herrmanns Schüler Karl Barth und Rudolf Bultmann haben als Vertreter einer die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts zu überwinden suchenden „kerygma7 8 9

W. C. Smith: Faith and Belief, 1987 (1979). A. H. Maslow: Religion, Values, and Peak-Experiences, 1994 (1964). Vgl. H.-M. Barth 2004, 7–19; 32008, 114–119; ders. 2010, 37–51; Zitat: H-M. Barth 3 2008, 116.

1. Einleitung

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tischen“ Theologie diese Problematik aufgegriffen und einerseits die apologetische Intention Herrmanns aufgenommen und im Unterschied zu ihm auf „dialektische“ Weise zu lösen versucht, K. Barth durch eine radikale Offenbarungstheologie, R. Bultmann durch sein Programm der „Entmythologisierung“ und „existenzialen Interpretation“. Einen anderen (jedoch auch dialektischen) Weg angesichts der Säkularisierung geht Paul Tillich mit dem „Protestantischen Prinzip“ und der „Methode der Korrelation“, in der er bewusst das, was Bultmann „Vorverständnis“ genannt hat, in die Formulierung der Botschaft aufnimmt. Tillich steht damit in der Tradition einer dezidierten Vermittlungstheologie, als deren neuzeitlicher Nestor F. D. E. Schleiermacher gelten kann. Die Gewissheitsproblematik steht auch bei Tillich, an dessen philosophischer Theologie diese Frage in ihrer homiletischen Relevanz exemplarisch dargestellt wird, sowohl zeitlich als auch sachlich am Anfang seines Lebenswerkes. In seinem berühmt gewordenen Vortrag „Rechtfertigung und Zweifel“ von 1924 fragt Tillich nach der Bedeutung der Rechtfertigung angesichts des Verlustes von Gottesgewissheit als deren Voraussetzung.10 1924 antwortete Tillich mit der Metapher des Durchbruchs. Fünfzig Jahre später beschreibt er in ST III das „… Wesen und Wirken des göttlichen Geistes: er erhebt den menschlichen Geist in die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens und gibt ihm die unmittelbare Gewißheit der Wiedervereinigung mit Gott, d. h. er befreit von der Autorität des Buchstabens und schafft unmittelbare religiöse Gewißheit.“11

Mit dieser Bestimmung der Spiritual Presence wendet sich Tillich gegen eine Auffassung von Wort und Geist, in der das Wort zum tötenden Buchstaben geworden ist (vgl. 2 Kor 3,6b). Bei Tillich kommt die Gewissheit auf die Seite unmittelbarer Evidenzerfahrung, wohingegen der Inhalt als fides quae creditur oder belief als einem „Fürwahrhalten“ dem Zweifel unterliegt – und auch unterliegen muss. 2005 legte Jörg Lauster eine Hermeneutik religiöser Erfahrung vor, in der er „Religion als Lebensdeutung“ definiert. Von einem erfahrungstheologischen Ansatz in der Linie von Schleiermacher, Otto, James und Tillich ausgehend und unter Verarbeitung von Einsichten Jan Assmanns über das „kulturelle Gedächtnis“, wird im Kontext der gegenwärtigen hermeneutischen Diskussion aufgezeigt, wie religiöse Erlebnisse immer schon in überlieferungsgeschichtlichen Zusammen10 11

MW 6, 84–97 = GW VIII, 85–100. STD III, 153 = STE III, 128.

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hängen verortet sind, welche die Voraussetzung für den Aufbau der religiösen Erfahrung im Bewusstsein (als gedeutetes Erlebnis) und deren Artikulation bilden. Damit ist der Konnex zwischen Erlebnis und Deutung als Voraussetzung für die Möglichkeit der „Vermittlung religiöser Erfahrung“ gegeben. Innerhalb der verschiedenen Modi religiöser Erfahrungsvermittlung kommt im Christentum der Predigt zentraler Stellenwert zu.12 Als mündliche Rede im Rahmen des Gottesdienstes komme die Predigt zwischen den Überlieferungskategorien Text und Ritus zu stehen. Die zentrale Bedeutung der Predigt gibt nach Lauster in anthropologischer und kultureller Perspektive „Aufschluss über das Wesen religiöser Erfahrungsvermittlung“, die wesentlich ein sprachliches Geschehen darstellt.13 Das werde gerade auch an der Tatsache deutlich, dass beispielsweise die deutschen Mystiker des Mittelalters ihre apophatische Erfahrung ex negativo insbesondere in Form der Predigt vermittelten. Dass religiöse Rede „Erfahrungsformen verbalisieren und artikulieren kann, die selbst nicht allein in ihrer sprachlichen Struktur aufgehen“ mache ihre besondere Leistungskraft aus.14 Kulturgeschichtlich gesehen kann mit Lauster gesagt werden, dass die christliche Predigt eine Adaption antiker Rhetorik im Dienst der religiösen Erfahrungsvermittlung darstellt, welche die formale Homiletik weitgehend bestimmt hat. In theologischer Perspektive lasse sich auch bei Luther, der in der Rückbindung an das Schriftwort das mündliche Wort als „mündliche Verflüssigung des Schriftwortes“15 betont, eine erfahrungstheologische Begründung der Predigt als gesprochenem Wort ausmachen, da hier die Erfahrungswirklichkeit des Predigers und der Hörer einfließen. Dadurch wird die Predigt zum Kristallisationspunkt theologischer Hermeneutik.16

12 13 14 15 16

J. Lauster 2005, 122 (vgl. z. B. ApolCA XV, in der das Predigtamt als das „höchste Amt in der Kirchen“ bezeichnet wird). J. Lauster 2005, 123. J. Lauster 2005, 123. Vgl. dazu auch A. M. Haas Mystik als Aussage über das „Mystische Paradox“, 1996, 110–153. J. Lauster 2005, 124. Vgl. Luthers Übersetzung von Röm 10,17 „So kommt der Glaube aus der Predigt …“ (ἡ πίστις ἐξ ἀκοής; Vulgata: fides ex auditu). „In einer deutungstheoretischen Fassung kann also im Anschluss an Luther die Predigt genau als jener Ort bestimmt werden, an dem die religiöse Lebensdeutung der Bibel auf die gegenwärtige Erfahrungswirklichkeit zu übertragen ist. In der Predigt fokussiert sich das überlieferungsgeschichtliche Problem der religiösen Erfahrungsvermittlung in besonderer Weise. Damit ist sie in einem ganz grundsätzlichen Sinn ein bevorzugter Anwendungsfall der theologischen Hermeneutik“ (J. Lauster 2005, 124).

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Begründung der Auswahl von Jōdo-shinshū und Paul Tillich. Der Vergleich mit der buddhistischen Tradition der „Wahren Schule des Reinen Landes“ Jōdo-shinshū 浄土真宗 mag zunächst überraschen. Werden hier nicht zwei völlig verschiedene, ja gegensätzliche Erfahrungen, Wirklichkeitsverständnisse und deren religiöse Praxis miteinander verglichen, die eigentlich un-vergleichlich sind? Und worin soll der Erkenntnisgewinn bestehen? In starkem Kontrast zu der theologisch kaum zu überbietenden Hochschätzung der Predigt in der reformatorischen Gestalt des Christentums und deren aufgezeigten hermeneutischen Schlüsselstellung für die Vermittlung religiöser Erfahrung steht die viel beschworene „Krise der Predigt“ unter den Bedingungen spätmoderner Entwicklungen. Dazu kommt die zunehmende Aufgeschlossenheit spirituell interessierter Menschen für eine nicht-theistische religiöse Lebensorientierung und meditative Praxis, wie sie für den Buddhismus zunächst charakteristisch ist. In der Geschichte westlicher Rezeption des Buddhismus wurde bis in die Gegenwart kaum Notiz von der bis zu dessen Ursprüngen reichenden starken Tradition religiöser Rede im Interesse religiöser Erfahrungsvermittlung genommen. Pointiert formuliert: Der Buddhismus ist auch eine predigende Religion, die ihren Anfang mit der berühmten Predigt Buddhas in Benares nimmt, mit der er das „Rad der Lehre“ in Bewegung setzt. Für die Tradition der Jōdo-shinshū, die im Unterschied zum Zen eine nicht-meditative Form des Buddhismus darstellt, gilt dies – wie ich in dieser Studie aufzeige – in einem genuin buddhistischen Begründungszusammenhang sogar in einem Maß, die der reformatorischen Betonung der Predigt kaum nachsteht. Dazu kommt, dass gerade Jōdo-shinshū durch seine zunächst verblüffend protestantisch anmutende Lehrgestalt immer wieder das besondere Interesse evangelischer Theologen auf sich gezogen hat. Durch seine spezifische Ausprägung weist sie manche Affinitäten zu evangelischer Theologie auf, die in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise (häufig jedoch unter Eintragung christlicher Kategorien) interpretiert wurden. Bereits im 16. Jahrhundert sahen die ersten katholischen Missionare in Japan in Jōdo-shinshū die „lutherische Ketzerei“ repräsentiert.17 Nach einer langen Zeit des Schweigens – bedingt durch die radikale 17

Kigoshi, Yasushi: „‚Sola Fide‘ und das nembutsu. Die Begegnung der Jodo Shinshu mit dem Christentum“, in: Buddhismus und Christentum, Jodo Shinshu und Evangelische Theologie. Hg. von Hans-Martin Barth, Eryo Minoura, Michael Pye. Hamburg, 2000, 39. G. Amstutz: Interpreting Amida. History and Orientalism in the Study of Pure Land Buddhism, New York 1997, 44–46.

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Selbstisolation Japans von 1639 bis zu deren von außen erzwungenem Ende im Jahr 1853 – wurde durch die Öffnung Japans und die beginnende protestantische Missionsarbeit erstmals die direkte Begegnung zwischen Protestantismus und Jōdo-shinshū möglich. 1939 widmete Karl Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik einen Abschnitt dem „Jodoismus“18 , der (nicht zuletzt durch die japanische Barth-Rezeption) intensiv wahrgenommen wurde. Jedoch sind die deutschsprachigen Bemühungen um einen Dialog zwischen Jōdo-shinshū und Evangelischer Theologie erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in Gang gekommen. Einen wesentlichen Anteil am Dialog haben die in Marburg 1993 von Hans-Martin Barth initiierten und ab 1999 unter Vermittlung von Michael Pye unter Beteiligung der Jōdo-shinshū durchgeführten Rudolf-Otto-Symposien, zu denen bereits mehrere Berichtsbände erschienen sind. Das Besondere an dieser buddhistischen Richtung (die auch als „Glaubens-buddhismus“ bezeichnet wurde) ist die Anschauung, dass es unmöglich ist, durch „Eigene Kraft“ (jap. jiriki) gerettet zu werden, sondern allein durch die „Andere Kraft“ (jap. tariki) des Urgelübdes (hongan) Amida-Buddhas und dessen große Barmherzigkeit, der „ergreift/annimmt und nicht verwirft“ (jap. sesshu-fusha), was als Geschenk des „Glaubens“ (shinjin), in dem die Subjekt-Objekt-Struktur transzendiert wird, erfahren wird. Diese shinjin-Erfahrung wird zudem als „being grasped by Amida“19 beschrieben und ist naturgemäß unverfügbar. Der Shin-Buddhismus spricht hier explizit vom Wirken Amidas. Diejenigen, die shinjin erfahren, „enter into a complex relationship with Amida“. 20 Die Quintessenz von Jōdo-shinshū findet sich in der paradoxen Aussage Shinrans, die im Tanni-shō überliefert wird: „Even a good person is born in the Pure Land, how much more so is an evil person.“21

18 19 20 21

K. Barth, KD I,2, 372. Y. Ueda/D. Hirota: Shinran, an introduction to his thought. Kōyto 1989, 158. Y. Ueda/D. Hirota 1989, 150. Ryukoku Translation Series Vol. II: The Tanni Shō, Notes on Lamenting Differences. Kōyto 1990, 22. Dieses Angenommensein bringt auch Paul O. Ingram zum Ausdruck: „According to Shinran, it is in and through the experience of Amida’s light, that passion-ridden beings caught up in samsaric existence, subject to forces within and without over which they have no control, in the age of mappō are granted the status of salvation. On the cognitive side, Amida’s light reveals to a man his true nature as a being incapable of doing anything to bring about his own salvation, while at the same time showing him the way of faith (trust) in Amida’s efforts to save him, since the light reveals that a man is already saved in spite of what he is“ (P. O. Ingram 1974, 344).

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Zugleich stehen die religiöse Rede (hōwa, dharma-talk) und das Hören des dharma (mompō) im Zentrum der religiösen Praxis, was zu einer elaborierten, aber in der Forschung bisher kaum wahrgenommenen Tradition religiöser Rede führte. Kommt der Glaube nach dem Neuen Testament aus der Predigt (ἀκοή), die Predigt aber aus dem Wort (ῥῆμα) Christi (Röm 10, 17)22, so ist „Glaube“ bei Jōdo-shinshū ebenfalls ein „Hörereignis“, das ein unverfügbares Donum darstellt. In der Selbstdarstellung der Jōdo-shinshū Honganji-ha heißt es: „True Listening We can hear sounds and words without actually absorbing the message or being conscious of the content. In other words, we are not listening. The same is true regarding hearing Amida Buddha’s Primal Vow. Shinran wrote: ‘What is referred to as ‘listening’ happens when we sentient beings learn why the Primal Vow was developed, when we understand its activity in causing our birth in the Pure Land, and when the doubtful mind disappears.’ Thus, it means more than merely hearing that the Primal Vow was established to liberate deluded sentient beings, and that this activity became the ‘name of the Buddha.’ When we nod our heads in agreement–when we accept the calling voice of the Primal Vow–that is what ‘having listened’, means. Accepting is the ‘entrusting of our heart and mind [i. e. shinjin, d. Verf.] to Buddha-centered Power’.“23

Für die Vermittlung dieser Erfahrung in religiöser Rede ist die eigene religiöse Verwirklichung (i. e. „shinjin“ „being grasped by Amida“) des Subjekts der Predigt von ausschlaggebender Bedeutung, wie in der shin-buddhistischen Formel ji-shin-kyō-nin-shin zum Ausdruck kommt, d. h. das shinjin der Hörer ist eine „Frucht“ des shinjin des Predigers. Es drängt sich daher die Frage nach der zentralen religiösen Erfahrung bei Jōdo-shinshū und der Bedeutung religiöser Rede im Interesse von deren Vermittlung auf. Dazu werden repräsentative japanische Quellentexte durch Übersetzung und Analyse erschlossen, die einen Zugang zu dieser bedeutenden Tradition und deren Kom22

23

Ferdinand Hahn schreibt dazu in seiner Theologie des Neuen Testaments: „Glaube ist begründet im ‚Evangelium‘ (εὐαγγέλιον) bzw. in der ‚(Heils-)Botschaft‘ (κῆρυγμα), der lebendigen Verkündigung der Rechtsfertigungs- und Heilszusage. Glaube wird insofern durch das Evangelium bewirkt. Paulus kann deshalb in Gal 3, 2. 5 von der ‚Predigt des Glaubens‘ (ἀκοὴ πίστεως), sprechen. Daß der Begriff ἀκούειν, wörtlich das ‚Hören‘, zum Ausdruck für die ‚Predigt‘ wurde, weist darauf hin, dass es um die ‚zu hörende‘ Botschaft geht, durch die Glaube entsteht. ‚Hören‘ (ἀκούειν) bezeichnet das bereitwillige Annehmen, das gleichsam in das „Glauben“ (πιστεύειν) als SichVerlassen, Sich-Anvertrauen, Sich-Stützen einmündet, und zwar unter Verzicht auf alles Eigene und Innerweltliche, was menschliche Existenz begründen könnte“ (F. Hahn 2002, 268). Jodo Shinshu – A Guide 2002, 82–83.

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munikationsräume eröffnen. Dabei beschränke ich mich auf eine der beiden größten shin-buddhistische Denomination (Nishi) Hong(w)anji-ha, des „(westlichen) Tempels des Urgelübdes“. Als Quellen stehen mehrere Bände einer elaborierten Theorie religiöser Rede (als fukyōhō „Methode der Ausbreitung der Lehre“) sowie drei Predigtbände (hōwa-shū) des religiösen Oberhauptes dieser Denomination, Ōtani Kōshin, zur Verfügung. Als protestantische Referenz für diese Studie wähle ich Paul Tillich. Das ist zu begründen. Tillichs Glaubensbegriff und seine ‘Religiösen Reden’ bieten sich im Vergleich mit den shin-buddhistischen Reden für diese Studie in mehrfacher Hinsicht an. Dies ist sowohl durch die Quellenlage als auch inhaltlich begründet. Als Quellen liegen von Tillich nicht nur ausführliche systematisch-theologische Schriften zu seinem Glaubensbegriff vor, sondern auch ein umfangreiches Korpus von Predigten, an denen die homiletische Umsetzung dieses Glaubensbegriffs aufgezeigt werden kann. Dazu kommen kleinere Arbeiten, in denen sich Tillich auch theoretisch mit der Kommunikation der christlichen Botschaft befasst hat. Unterstützend kommt hinzu, dass Tillich in Japan eine große Resonanz erfahren hat. Er ist neben Karl Barth und Albert Schweitzer der in Japan am stärksten rezipierte evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts – auch über den Bereich des Christentums hinaus. Eine Beschäftigung mit Tillich lässt sich bis in die shin-buddhistischen religiösen Reden/hōwa nachweisen. Zu dieser Rezeption dürften auch insbesondere seine ins Japanische übersetzten amerikanischen Predigten beigetragen haben. Verstärkt wurde sie noch durch Tillichs Japan-Besuch 1960 (u. a. in der shin-buddhistischen Ōtani-Universität). Diese Rezeption hängt mit der besonderen Gestalt von Tillichs Theologie zusammen. Es gibt zahlreiche Aspekte bei Tillich, die insbesondere im protestantisch – shin-buddhistischen Dialog als gewisse Nähe wahrgenommen werden können. Dazu zählen die non-dualistische Ontologie und der integrale Lebensbegriff, das mystische Apriori, die Gattung der religiösen Rede mit ihrer apologetischen Intention, Tillichs homiletisch relevanter Begriff der Grenzerfahrung und das Protestantische Prinzip als Hermeneutik der Selbstunterscheidung sowie die Bestimmung von Glaube als eine die Subjekt-Objekt-Spaltung transzendierende ekstatische Erfahrung. Im Vergleich mit Jōdo Shinshū kommt zudem der für Tillichs Denken zentralen und mit dem Glaubensbegriff eng verknüpften Neuformulierung der Rechtfertigungslehre als „being accepted in spite of being unacceptable“ und deren therapeutische Wirkung („healing power“) besondere homiletische Bedeutung zu.

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1.2 Forschungsgeschichte Da in vorliegender Studie notwendigerweise unterschiedliche Forschungsbereiche verknüpft werden, würde eine Darstellung der Forschungsgeschichte den Rahmen dieser Einleitung sprengen. Der jeweilige forschungsgeschichtliche Überblick sowie der gegenwärtige Stand der Diskussion werden daher am Anfang der jeweiligen Teile der Arbeit gegeben. In Teil I für die Predigttheorie Paul Tillichs in Abschnitten 4.1 und 4.2. Für die religiöse Rede bei Jōdo-shinshū in Teil II im Abschnitt 10.2 und in Teil III für die Begegnung zwischen Evangelischer Theologie und Jōdo-shinshū Abschnitte 12.3 und 12.4. An dieser Stelle bleibt zu sagen, dass vorliegendes Thema m. W. bisher nicht behandelt wurde. Insbesondere im Blick auf die shin-buddhistische Predigttheorie und Predigt in der Gegenwart wird weitgehend neues Forschungsgebiet betreten. Ebenso wurden Tillichs Predigttheorie und seine Predigten in der deutschsprachigen Tillich-Forschung (im Unterschied zur amerikanischen Tillich-Rezeption) bisher kaum erschlossen und im Kontext seines Gesamtwerkes gewürdigt.

1.3 Aufbau und Quellen der Arbeit Paul Tillich. Im ersten Hauptteil werden zunächst die Relevanz Tillichs für den christlich-(shin-)buddhistischen Dialog sowie der biographische Hintergrund von Tillichs philosophischer Theologie und Predigttheorie skizziert. Das Gesamtwerk, innerhalb dessen die Predigten einen integralen Bestandteil bilden, ist nicht von der Person des Grenzgängers und Brückenbauers Tillich zu abstrahieren, wie gerade in homiletischer und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive an den Predigten sichtbar wird. In diesen Zusammenhang gehört auch die Relevanz Tillichs für den („westlichen Provinzialismus“ überwindenden) Dialog mit dem Buddhismus. Nachdem in einem nächsten Schritt die Grundstrukturen von Tillichs Glaubensbegriff und dessen Voraussetzungen in den Konstruktionsprinzipien seiner philosophischen Theologie skizziert werden, wird die Frage nach den Konsequenzen dieses Glaubensbegriffs für die Homiletik gestellt. In der Darstellung der indirekten Homiletik Tillichs werden zunächst in einem ausführlichen forschungsgeschichtlichen Kapitel die bisherigen Arbeiten zu Tillichs Predigttheorie von Veit Brügmann (1969), Andreas Rössler (1971), William Terrell Sanders (1983), Peter

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Cornehl (1989), Hyung Suk Na (1996), Erdmann Sturm (1999) und William Carl Bergmann (2001) diskutiert. Da einige dieser Arbeiten (in der Regel Qualifikationsschriften) nicht publiziert und schwer zugänglich sind, wird eine umfassende Darstellung der Predigtforschung zu Tillich gegeben. Dabei zeigen sich spezifische Unterschiede in der deutschsprachigen und amerikanischen Tillich-Rezeption, die ich anhand der Predigtforschung hiermit ins Gespräch bringe. In meiner eigenen Darstellung der indirekten Homiletik beziehe ich mich v. a. auf die Analyse folgender Tillich-Texte: die „Kirchliche Apologetik“ (1913), „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ (1928), die Predigt-Trilogie „The Theologian“ (1948), „Communicating the Christian Message: A Question to Christian Ministers and Teachers“ (1952) und „The Irrelevance and Relevance of the Christian Message“ (= die 1996 edierten und publizierten Earl Lectures von 1963). An dieser diachronen Durchsicht der für Tillichs Predigttheorie relevanten Texte lassen sich sowohl Kontinuität als auch Akzentverschiebungen wahrnehmen. Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zu Tillichs indirekter Homiletik werden fünf ausgewählte Predigten analysiert, davon die Predigt über Römer 3,28 von 1917 und die Marburger Universitätspredigt von 1925. Im Unterschied zur bisherigen Forschung werden hier Predigten des frühen Tillich und aus der amerikanischen Zeit gemeinsam in den Blick genommen. Damit soll auch ein eigenständiger Beitrag zur Tillich-Forschung geleistet werden. Jōdo-shinshū. Der zweite Hauptteil bietet zunächst eine Einführung in die Tradition des japanischen Shin-Buddhismus. Diese bildet den Verstehenshorizont für die Darstellung der religiösen Rede aus ihren genuin buddhistischen Begründungszusammenhängen. Dabei konzentriere ich mich auf die Quellen einer der beiden größten shinbuddhistischen Denomination Jōdo-shinshū Honganji-ha (Nishi), in denen das jeweilige Selbstverständnis dargestellt ist. Quellen anderer Provenienz (insbesondere von Ōtani-ha, die jedoch die selben Basistexte zugrunde legen) werden gelegentlich zur Verdeutlichung von Sachverhalten herangezogen. Analog zum Tillich-Teil der Arbeit folgt die Darstellung des shinbuddhistischen Glaubensbegriffs (shinjin) als genuin buddhistischer Erfahrung in seinen Grundstrukturen und Begründungszusammenhängen sowie der so genannten „geschickten Mittel“ (skr. upāya, jap. hōben) als Theorie der Vermittlung absoluter apophatischer Wahrheit in kataphatischer relativer Wahrheit. Den Forschungsschwerpunkt bietet das folgende Kapitel über die Theorie religiöser Rede bei Jōdo-

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shinshū. Anhand der shin-buddhistischen japanischen Quellentexte wird die Theorie religiöser Rede dargestellt, die unter dem Begriff fukyōhō („Methode der Ausbreitung der Lehre“) verortet ist. In zwei Protokollen teilnehmender Beobachtungen beschreibe ich den „Sitz im Leben“ shin-buddhistischer religiöser Rede. Sechs shin-buddhistische Reden (von dem religiösen Oberhaupt der Honganji-ha Ōtani Kōshin, der mehrere Bände religiöser Reden veröffentlicht hat) wurden von mir übersetzt und analysiert. Jōdo-shinshū und Paul Tillich vor dem Hintergrund der bisherigen Begegnungs- und Rezeptionsgeschichte. Der abschließende dritte Teil der Arbeit stellt den Versuch dar, die Ergebnisse der beiden Teiluntersuchungen zusammenfassend zu vergleichen. Da dieses Unterfangen jedoch im Kontext einer komplexen Geschichte der Begegnung zwischen Jōdo-shinshū und Evangelischer Theologie steht, die nicht unproblematisch ist und in deren Horizont gegenwärtige Vergleiche und Dialogbemühungen stehen, zeige ich zunächst anhand einiger Arbeiten der evangelischen Theologen Hans Haas (1910), Arthur Lloyd (1910), Nathan Söderblom (1928/1966), Karl Barth (1936), Tucker Callaway (1957), Gerhard Rosenkranz (1960) und Tatsuo Oguro (1974) Grundlinien und Tendenzen bisheriger protestantischer Interpretationen des Shin-Buddhismus auf. Vor diesem Problemhorizont wird dann der gegenwärtigen Stand des Dialogs anhand der Veröffentlichungen des Rudolf-Otto-Symposions skizziert. Im Vergleichsteil werden verschieden Aspekte, die sich aus der Untersuchung ergaben in ihren jeweiligen Begründungszusammenhängen gegenübergestellt, wobei neben den nicht zu übersehenden Affinitäten auch deutliche Unterschiede namhaft gemacht werden. Auf dieser Basis stellt sich die Frage nach Aspekten und Möglichkeiten interreligiöser Lernprozesse, die nicht zuletzt auch zu einer vertieften Reflexion der eigenen Tradition führen können.

1.4 Zur Methodologie vorliegender Studie In seiner „Hermeneutik eines christlichen Verständnisses der buddhistischen Heilsbotschaft“ unterscheidet Perry Schmidt-Leukel die drei Modelle des apologetischen und phänomenologischen Vergleichs sowie des Religionsvergleichs zum interreligiösen Dialog und unterzieht sie einer kritischen Würdigung. 24 P. Schmidt-Leukel selbst 24

P. Schmidt-Leukel 1992, 36–136.

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schlägt eine Hermeneutik vor, die bei den „menschlichen Grunderfahrungen“ einsetzt. 25 In vorliegender Studie wird jedoch kein direkter Zugang zum Erfahrungsgehalt gesucht, sondern nach der jeweiligen Beschreibung und Deutung der vorausgesetzten Unheilssituation und der sie überwindenden Heilserfahrung gefragt, wie sie in der jeweiligen religiösen Kommunikation vermittelt wird. 26 Der Zugang ergibt sich auf induktive Weise durch die in der Erfahrung selbst mitgesetzten Kommunikationsprozesse. Es wird also nicht versucht, eine Phänomenologie der Erfahrungsgehalte zu geben, sondern ich untersuche, wie diese Erfahrungsgehalte in religiöser Rede kommuniziert werden. So gilt z. B. für das Selbstverständnis von Jōdo-shinshū, wie zu zeigen sein wird, dass die religiöse Rede hōwa als Ausdruck der zentralen Erfahrung shinjin verstanden wird. Auf diesen Kommunikationsprozessen, wie sie sich in religiöser Rede vollziehen, liegt der Fokus dieser Studie. In Ethnologie und Religionswissenschaft hat sich die hilfreiche Unterscheidung von emischer und etischer Perspektive durchgesetzt. 27 Die etische Perspektive geht vom Standpunkt des Beobachters aus, der seine Beobachtungen anhand der eigenen Denkkategorien und Parameter deutet, klassifiziert und bewertet – unabhängig vom jeweiligen Selbstverständnis der Träger einer bestimmten Kultur oder Religion und deren Bedeutungszuschreibungen. Diese Perspektive liegt den meist älteren theologischen Annäherungsversuchen an Jōdo-shinshū zugrunde, die oft heterogene Interpretationsmuster eintragen und theologische Wertungen vollziehen (i. d. R. in apologetischer Absicht). Das ist z. B. der Fall, wenn Shinran als „japanischer Luther“ gedeutet oder seine Texthermeneutik als willkürlich und problematisch bewertet wird. Hier werden moderne Verfahren der Textexegese zum Kriterium für einen buddhistischen Text aus dem japanischen Mittelalter gemacht. Auch die ältere Religionsphänomenologie (wie besonders an Gerardus van der Leeuws „Phänomenologie der Religion“ deutlich wird) erlag – wenn auch auf anderer Ebene – der Gefahr heterogene Interpretationsmuster einzutragen, indem sie eine von der konkreten Religion und ihrer Träger abstrahierte „Wesensschau“ anstrebte. Die emische Perspektive, die in dieser Studie angestrebt wird, geht vom Selbstverständnis der jeweiligen Religion und ihrer Träger aus und versucht, die dieser Religion inhärente Eigenlogik, ihre Begründungszusammenhänge und Semantiken zu erhellen. Dazu gehört 25 26 27

P. Schmidt-Leukel 1992, 349. Diese methodische Selbstbeschränkung umfasst den Punkt 3 c) des von P. SchmidtLeukel vorgeschlagenen Interpretationsschemas. In Analogie zu den linguistischen Termini phonemisch und phonetisch.

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auch, wie der Religionswissenschaftler Hans-Jürgen Greschat hervorhebt, von der Authentizität der fremdreligiösen Erfahrung auszugehen und diese zu respektieren. „Wissenschaftlich bleibt religiös Geglaubtes unfassbar, doch in der Religionsforschung muss das Unfassbare unbedingt respektiert werden.“28 Wenn aus christlicher Perspektive selbstredend keine buddhistische Innenperspektive erreicht werden kann, so ist doch auf dieser Basis im Anschluss an W. C. Smith ein dialogisch rückgekoppeltes Annäherungsverstehen möglich. 29 Neben der genauen sprachlichen Analyse shin-buddhistischer Texte wird auch die Genese dieser buddhistischen Tradition skizziert. Damit soll Jōdo-shinshū nicht allein aus ihren eigenen Voraussetzungen verstanden, sondern auch die diachrone Tiefendimension der hier angesprochenen Kommunikationsräume erhellt werden. Dies ist umso wichtiger, als gerade das Japanische eine in hohem Maß assoziative Sprache ist. Analog gilt, wenn auch unter der Voraussetzung der christlichen Innenperspektive, dass die Darstellung Paul Tillichs von einer werkimmanenten Interpretation ausgeht, wobei das Gesamtwerk als Bezugsrahmen zugrunde gelegt wird. Das schließt natürlich die forschungsgeschichtliche und kritische Diskussion nicht aus, soll aber dem Selbstverständnis Tillichs Priorität einräumen und ihn nicht zum Gewährsmann eigener Präferenzen werden lassen. Der emischen Perspektive entspricht es ebenfalls, dass es in vorliegender Studie nicht darum gehen kann, die buddhistische „Orthodoxie“ von Jōdo-shinshū zu behaupten oder zu widerlegen. Vielmehr geht es um die Darstellung des Selbstverständnisses von Jōdo-shinshū als genuinem Mahāyāna. Das schließt jedoch die Frage nach der Kohärenz dieses Selbstverständnisses nicht aus. Methodisch wähle ich einen textbasierten Zugang. Auch hier gilt für die emische Perspektive, dass bei der Darstellung und Analyse shin-buddhistischer religiöser Rede selbstredend keine aus westlichchristlicher Tradition entnommenen Kategorien und Parameter der Homiletik und Predigtanalyse als heteronomer Maßstab angelegt werden dürfen. Vielmehr geht es auch hier um ein Annäherungsverste28 29

H.-J. Greschat 2008, 25. Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle an meine shin-buddhistischen Gesprächspartner in den vergangenen Jahren während meiner Forschungsaufenthalte in Japan und bei den Rudolf-Otto-Symposien in Marburg, die mir in ihrer freundlichen und offenen Art meine Fragen nicht nur geduldig beantwortet und mich mit Quellenmaterial versorgt haben, sondern darüber hinaus durch ihre Person einen Einblick in die Praxis und Spiritualität von Jōdo-shinshū gegeben haben.

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hen, das zunächst auf induktivem Wege versucht, die dem shin-buddhistischen Selbstverständnis entsprechenden Kriterien zu erarbeiten, mit deren Hilfe dann ein vertieftes Verständnis shin-buddhistischer religiöser Rede auch für Leser ermöglicht werden soll, die einem anderen Kulturkreis und einer anderen Religion angehören. Daher werden zunächst die wesentlichen Quellen für die Theorie der religiösen Rede bei Jōdo-shinshū und deren zentrale Themen dargestellt, um die dadurch gewonnen Einsichten für die Analyse ausgewählter religiöser Reden von Ōtani Kōshin fruchtbar zu machen. An dieser Stelle muss jedoch auf eine Schwierigkeit aufmerksam gemacht werden, die mit der Übersetzung japanischer Texte ins Deutsche zusammenhängt und die für die Analyse religiöser Rede in mehrfacher Hinsicht relevant ist: ein japanischer Satz kommt u. a. ohne Subjekt aus. Wenn es nicht explizit erwähnt wird, so entscheidet der Kontext. Oftmals bleibt aber auch dann noch eine genaue Bestimmung zweifelhaft. Dieses Charakteristikum der japanischen Sprache resultiert daraus, dass viele grammatische Differenzierungen, die in westlichen Sprachen geläufig sind, im Japanischen nicht morphologisch realisiert werden (z. B. Kasus, Genus und Numerus bei Nomen oder die Person bei Verben). Das Japanische ist, wie bereits erwähnt, eine eher assoziative Sprache, was im Japanischen selbst als aimaisa 曖昧さ („Zweideutigkeit, Unklarheit“) bezeichnet wird. Dadurch bekommt der überlieferungsgeschichtliche, kulturelle und soziale Kontext eine gesteigerte Bedeutung für die Erfassung des jeweiligen Bedeutungsgehaltes. Durch diesen assoziativen Charakter der Sprache, der dem Studenten des Japanischen oft große Schwierigkeiten bereitet, werden Räume für unterschiedliche Deutungen eröffnet, die jedoch auch kulturell definiert und nicht beliebig sind.30 Dazu kommt eine für das Japanische typische Diskursstruktur, die selbst für fortgeschrittene Studierende oft das Verständnis längerer Texte erschwert. Senko K. Maynard fasst diese Schwierigkeit so zusammen: „Reading Japanese can be frustrating. Even after thoroughly learning most of the basic Japanese sentence structure, one may find it difficult to understand how sentences ‘make sense’ when arranged in discourse. […] In reality, to appreciate even the simplest Japanese phrase, one must be able to understand how surrounding sentences and paragraphs hang together as they forward the writer’s thoughts. We are aware that even the briefest communication act contains abundant psychological, social and 30

Dieser Aspekt berührt sich mit dem von Gerhard Marcel Martin für die christliche Homiletik ins Gespräch gebrachten Verständnis der Predigt als „offenem Kunstwerk“, vgl. G. M. Martin 1984, 46–58.

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cultural information, some of which cannot be decoded simply by examining the language. Still, much information is expressed through language. Language provides the mechanism not only to communicate meaning but also, and as importantly, to mark connection and, in fact, to signal the very organization of discourse. Larger structural units build discourse further so as to create a cohesive whole. In order to ‘get it’, one must understand how the interlocking strands of a text are tied together and where the critical information appears. […] Our task is complex because the rhethorical organization of discourse is based on the organization of ideas. Learning principles of Japanese discourse necessarily forces one to learn more than the meanings directly attributable to language.“31

Diese für japanische Rhetorik im Allgemeinen gemachten Beobachtungen gelten auch für religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und deren elaborierter Diskursstruktur. Wenn in den gegebenen Übersetzungen in dieser Hinsicht Unklarheiten und Zweideutigkeiten beobachtet werden, so liegt es daran, dass sie nicht westlich „vereindeutigt“ wurden. Die Forderung shin-buddhistischer Theorie religiöser Rede (fukyōhō 布教法) nach Leichtverständlichkeit ist u. a. vor diesem Hintergrund zu verstehen.

31

S. K. Maynard 1998, vii.

I. Hauptteil: Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

You are not supposed to be physicians; you are not supposed to be psychotherapists; you are not supposed to become political reformers. But you are supposed to pronounce and to represent the healing and demonconquering power implied in the message of the Christ, the message of forgiveness and of a new reality. Rejoice that you are his messengers.1 Paul Tillich

2. Grenzgänge und Brückenschläge 2.1 Vorbemerkung Im diesem ersten Hauptteil werden Aspekte evangelischer Homiletik für den Vergleich mit Jōdo-shinshū anhand von Tillichs Glaubensverständnis und dessen Kommunikation in seinen Predigten resp. „Religiösen Reden“ erarbeitet. Die Relevanz Tillichs für den Dialog soll hier zunächst nur angedeutet werden, da sie erst nach der ausführlichen Behandlung religiöser Rede bei Jōdo-shinshū und im Horizont der bisherigen Geschichte der evangelisch–shin-buddhistischen Begegnung im abschließenden Vergleichskapitel zum Austrag kommen kann. Insbesondere die Begegnung mit dem Buddhismus in Japan (auch mit Vertretern der Jōdo-shinshū) während der Japanreise im Jahr 1960 bietet den thematischen und biographischen Ansatz für die weitere Untersuchung. Da Glaube und religiöse Rede bei Tillich nur aus seinem Gesamtwerk adäquat verstanden und interpretiert werden können, impliziert die Forschungsfrage zugleich ein Verständnis von Tillichs Theologie und Religionsphilosophie, das in dem hier gegebenen Rahmen weitgehend vorausgesetzt wird und nur annähernd grob skizziert, jedoch 1

EN 40 = RR III, 55.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

nicht im Einzelnen entfaltet werden kann. 2 Im Unterschied zu den meisten Monographien, die jeweils einen bestimmten Aspekt des Tillich’schen Systems untersuchen, wähle ich einen integralen Zugang zu seinem Werk unter der Perspektive der religiösen Kommunikation, in der die verschiedenen Aspekte in ihrem inneren Zusammenhang erhellt werden sollen. So bietet sich ein doppelter Zugang an, der vom Gesamtwerk her die Predigten liest und von den Predigten her das Gesamtwerk, jeweils vor dem Hintergrund der Biographie Tillichs. Tatsächlich ist es nicht schwierig, die drei Bände der „Religiösen Reden“ und Tillichs theoretische Schriften synoptisch zu lesen und die Querverbindungen zu ziehen, sowohl in formaler als auch in materialer Hinsicht. Es lässt sich zeigen, wie beide Teile aufeinander bezogen und nicht nur durch die apologetische Intention, sondern auch in der Methode und in einzelnen Themen (bis in einzelne Formulierungen) eng miteinander verknüpft sind.3 Wie das Eingangszitat aus einer Predigt Tillichs anlässlich der Graduierung von Theologiestudenten des Union Theological Seminary aus dem Jahr 1955 zeigt, ist Tillichs Predigtverständnis mit zentralen Aspekten seiner Theologie eng verknüpft. Inhaltlich stehen Christologie und Soteriologie in Tillichs spezifischer Fassung als Macht der Heilung, der Überwindung des Dämonischen, sowie als Botschaft der Vergebung und einer neuen Realität (das „Neue Sein“) im Zentrum. Religiöse Kommunikation wird unter den Doppelaspekt von Verkün2 3

Zu verweisen ist hier jeweils auf die einschlägigen Monographien zu Einzelproblemen der Theologie und Religionsphilosophie Tillichs. Da biographisch bedingt Tillichs Schriften in deutscher und englischer Sprache, außerdem in z. T. mehreren Ausgaben, vorliegen, die z. T. durch Rückübersetzungen und Überarbeitungen von zweiter Hand einer komplizierten Editionsgeschichte unterliegen, ist im Einzelfall die bessere Textgrundlage zu eruieren und heranzuziehen (das trifft auch besonders auf die Schrift Dynamics of Faith/Wesen und Wandel des Glaubens) zu. Grundsätzlich bevorzuge ich die jeweilige Abfassungssprache einer Schrift (das gilt insbesondere für die im nordamerikanischen Kontext entstandenen späten Predigten) und ziehe zum Vergleich die jeweilige Übersetzung heran. Im Fall einer von Tillichs eigener Hand überarbeiteten Übersetzung, hat diese den Vorzug. Ich weise im Einzelfall jeweils auf die Übersetzungs- und Editionsprobleme hin. Gleiches gilt für die Verwendung der beiden vorliegenden Gesamtausgaben des Tillich’schen Werkes, den Gesammelten Werke (einschließlich der Ergänzungs- und Nachlassbände) und den Main Works. Letzteren ist aufgrund der editorischen Maßstäbe gegenüber den älteren Bänden der GW der Vorzug zu geben. Zum Vergleich und zur leichteren Auffindbarkeit der betreffenden Nachweise gebe ich so weit möglich zusätzlich die Stelle der parallelen Textausgabe an. Ein weiterer Grund für diese „doppelte Zitation“ liegt in dem Wunsch, dass vorliegende Arbeit auch „grenzüberschreitend“ von Nutzen sein möge. So will auch diese Arbeit einen kleinen Brückenschlag zwischen amerikanischer, japanischer und deutscher Tillich-Forschung versuchen.

2. Grenzgänge und Brückenschläge

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digung und Repräsentation gefasst. Was das im Einzelnen bedeutet und wie es mit dem für Tillichs Gotteslehre und Glaubensverständnis zentralen Begriff des „ultimate concern“ in Beziehung steht, soll in diesem Teil entfaltet werden.

2.2 Die Relevanz Paul Tillichs für den christlich-buddhistischen Dialog Paul Johannes Oskar Tillich (20. August 1886 – 22. Oktober 1965)4 gilt zusammen mit Karl Barth und Rudolf Bultmann als einer der wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts.5 Seine Wirksamkeit umspannt die beiden Weltkriege, die jeweils tiefe Zäsuren in seiner Biographie darstellen.6 Seine hauptsächlichen Schaffensperioden (die erste in Deutschland, die zweite in den USA) liegen in den jeweiligen Nachkriegsjahren (1919–1933 und 1948–1963) mit ihren verschiedenen politischen und geistigen Herausforderungen.7 Diese Unterschiede wirken sich bis in die vielgestaltige Rezeption Tillich’schen Denkens und die unterschiedlich akzentuierte Tillich-Forschung in den USA und Deutschland aus, wie am Beispiel der Predigtforschung deutlich wird (vgl. den Forschungsüberblick in Kapitel 4.1 und 4.2). Dennoch gibt es in der wechselvollen Biographie auch eine erstaunliche Kontinuität, wie anhand Tillichs indirekter Homiletik aufgezeigt werden soll (vgl. Kapitel 4.3 und 5). Dabei bilden der Prozess der Säkularisierung und dessen Herausforderungen für die Kommunikation der christlichen Botschaft den ständigen Bezugs4

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Für die Biographie Tillichs sind insbesondere drei autobiographische Essays relevant: „Autobiographische Reflexionen,“ „Auf der Grenze“ und „Wer bin ich? Ein autobiographischer Essay.“ Darüber hinaus bilden die in GWE V veröffentlichten Briefe, Tagebuch-Auszüge und Berichte eine wichtige Quelle zur Biographie Tillichs. Die beiden Herausgeberinnen dieses Bandes, Renate Albrecht und Margot Hahl, korrigieren auch an etlichen Stellen die nach wie vor grundlegende Tillich-Biographie von W. und M. Pauck. Die Sekundärliteratur zu allen Aspekten von Tillichs Theologie und Philosophie ist nahezu unüberschaubar und wächst immer noch weiter an. Eine von Werner Schüssler betreute und laufend aktualisierte Bibliographie findet sich im Internet unter http://www.theo.uni-trier.de/tillich.html. So, wie Tillich nach dem Ersten Weltkrieg ein anderer war als vorher, so unterscheidet sich – wie C. H. Ratschow betont – der Tillich der 1920er Jahre von dem der 1950er Jahre (C. H. Ratschow 1986, 123). 1948 erschien der erste Predigtband „The Shaking of the Foundations“ und 1963 der dritte Band der Systematic Theology.

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rahmen für Tillichs theologisches und philosophisches Denken, wie es sich auch in seinen Predigten niederschlägt. Erst in seiner letzten Schaffensphase rücken für Tillich die Weltreligionen in den Horizont systematischer und praktischer Reflexion. Seine Japanreise und die gemeinsamen Seminare mit Mircea Eliade im Frühjahr 1964 bildeten hierfür wesentliche Faktoren.8 Tillich hat sich selbst gerne als Denker „auf der Grenze“ beschrieben.9 Bereits 1930 schrieb Tillich in seinem Buch „Die Religiöse Verwirklichung“: „Die Grenze ist der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis.“10 Nach dem schwierigen Neuanfang in den USA wurde ihm die Metapher der Grenze zu einem Schlüsselbegriff biographischer Selbstdeutung.11 Auch in Tillichs Predigttheorie kommt dem Begriff der Grenze bzw. der Grenzsituation eine hermeneutische Schlüsselfunktion zu.12 Eine der letzten Grenzen (sowohl geographisch als auch v. a. denkerisch), die er in der Absicht überschritt, den von ihm an vielen Stellen wahrgenommenen „Provinzialismus“ zu überwinden, war seine Begegnung mit Ostasien und dem Buddhismus in Japan während seiner letzten Schaffensphase (vgl. ausführlich Abschnitt 2.3). Im Blick auf die Horizonterweiterung für Tillich messen seine Biographen W. und M. Pauck der Japanreise 1960 eine ähnliche Bedeutung bei wie der Emigration in die USA.13 Bereits in den fünfziger Jahren gehörten in den USA zu seinen Dialogpartnern im Blick auf den (Zen-)Buddhismus Hisamatsu Shinichi 久松真一, den er von Harvard kannte und mit dem er dann auch in Japan zusammentraf, sowie Suzuki Daisetz Teitarō 鈴木大拙貞太郎, der u. a. auch Professor an der shin-buddhistischen Ōtani-Universität in Kōyto war.14 Auch 8 9 10 11

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Vgl. GWE V, 356, sowie W. Schüssler/E. Sturm 2007, 151. GW XII, 13–57. GW XII, 13. Um in den USA bekannt zu werden, schrieb er als Einleitung zu dem Buch „The Interpretation of History“ 1936 einen autobiographischen Essay (den ersten von insgesamt drei) mit dem Titel „On the Boundery“ („Auf der Grenze“, jetzt in GW XII, 13–57). In der Einleitung dazu schreibt er: „Als ich die Aufforderung erhielt, die Entwicklung meiner Gedanken aus meinem Leben heraus darzustellen, entdeckte ich, daß der Begriff der Grenze geeignet ist, Symbol für meine ganze persönliche und geistige Entwicklung zu sein“ (GW XII, 13). Zur Aufnahme dieses Buches in den USA vgl. W. und M. Pauck 1978, 181. GW VII, 70–83; vgl. dazu auch P. Cornehl 1989, 258–265. Hyung Suk Na beschreibt Tillichs Theologie der Predigt in seiner Studie als „Boundary Preaching“ (H. S. Na 1996). W. und M. Pauck 1978, 267. GW XIII, 501–504; M. Boss 2009, [254]–255. Über die Bedeutung D. T. Suzukis für das westliche Buddhismus-Bild und seiner Interpretation von Jōdo-shinshū vgl. besonders Kap. 12 vorliegender Arbeit sowie E. Porcu 2008, 66–76. Mit D. T. Suzuki kam Tillich vermutlich über deren gemeinsame Freundin, der Neoanalytikerin Karen Horney, in New York zusammen. Tillich begegnete Suzuki auch bei der Er-

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wenn die Japanreise die eigentliche Zäsur im Blick auf Tillichs Dialog mit den östlichen Religionen bildete, war die Begegnung mit dem Buddhismus auch in den fünfziger Jahren im Horizont Tillichs. So begründet er die Neuherausgabe seiner frühen Qualifikationsschrift „Mystik und Schuldbewusstsein in Schellings philosophischer Entwicklung“ im Vorwort zum ersten Band der Gesammelten Werke (1959) mit deren Bedeutung für den Dialog mit „asiatischen Religionen.“15 Die 1961 (ein Jahr nach der Japanreise gehaltenen) Bampton-Lectures standen unter dem Thema „Christianity and the Encounter of the World Religions“.16 Darin ist auch die Vorlesung „A ChristianBuddhist Conversation“ enthalten, welche die Begegnungen in Japan reflektiert. Die Bedeutung der Japanreise für Tillichs Beschäftigung mit den Weltreligionen, insbesondere mit dem Buddhismus, zeigt sich auch daran, dass die 1963 veröffentlichten Bampton-Lectures Prof. Y. Takagi gewidmet sind, der diese Reise ermöglicht hatte. Tillichs letzte Vorlesung am 11. Oktober 1965 kurz vor seinem Tod, die posthum 1966 auf der Basis von Tonbandaufzeichnungen veröffentlicht wurde, trug den Titel „The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian“.17 Hier entwirft er skizzenhaft ein „dynamisch-typologisches“ Modell einer „theology of the history of religions“, in der er einen Weg zwischen supranaturalistischer Neo-Orthodoxie (Heteronomie) und radikal-säkularer „Gottist-Tod-Theologie“ (Autonomie)18 sucht, den er in der tentativen Idee

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anos Tagung 1953 in Ascona/Schweiz wieder. Auch Richard de Martino, der Tillichs Schüler war und als Dolmetscher für Hisamatsu und Suzuki arbeitete (GW XIII, 503), gehört in diesen Zusammenhang, vgl. auch die Tagung zum Thema „Zen-Buddhismus und Psychoanalyse“ 1957 und den daraus entstandenen Berichtsband (E. Fromm u. a. 1960). Ich werde an entsprechenden Stellen jeweils auf die (oft nicht explizit genannten) Impulsgeber und Gesprächspartner Tillichs verweisen. „Sowohl innerhalb der eigentlichen theologischen Arbeit als auch in der Auseinandersetzung mit den asiatischen Religionen spielt gerade heute das Problem: Mystik und Schuldbewußtsein eine entscheidende Rolle“ (GW I, Vorwort, o. S.). Die 1963 veröffentlichten Bampton-Lectures finden sich jetzt in MW 5, [291]–325 und in deutscher Übersetzung („Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen“) in GW V, 51–98. Eine englische Ausgabe, mit einem Vorwort von Krister Stendahl und um den Vortrag „The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian“ von 1956 ergänzt, erschien in der Reihe Fortress Texts in Modern Theology (= P. Tillich 1994). MW 6, [431]–446. Eine deutsche Übersetzung findet sich in GWE IV, 144–156. Vgl. auch W. und M. Pauck 1978, 291. Zu Tillichs Religionstheologie vgl. auch W. Schüssler/E. Sturm 2007, 150–158, die hervorheben, dass der letzte Vortrag Tillichs weder einen denkerischen Neuansatz noch eine pluralistische Theologie der Religion enthalte (ebd. 150). Tillich vertritt in diesem Vortrag explizit die Notwendigkeit einer „God-language“ (MW 6, 434).

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einer theonomen „Religion des konkreten Geistes“ („Religion of the concrete spirit“) zum Ausdruck bringt, in der er das innere Ziel eines teleologischen Prozesses der Religionsgeschichte sieht. Die Basis aller Religionen sieht er dabei in der Heiligkeitserfahrung: „The universal religious basis is the experience of the Holy within the finite.[…] I could call this the sacramental basis of all religions…“.19 Indem Tillich (unter Rekurs auf F. Schleiermacher und R. Otto und im Rahmen seiner Religionsphilosophie) die Religionen in ihrer Bedeutung für die Theologie erkennt, nimmt er eine für seine Zeit kontraintuitive Einsicht vorweg20, die sich erst in der Gegenwart auszuwirken beginnt, nämlich dass der Kontext der Weltreligionen in einer globalisierten und multireligiös geprägten Spätmoderne den Vollzugshorizont Evangelischer Theologie und Predigt bildet. 21 Tillich selbst nennt in dieser letzten Vorlesung die gemeinsamen Seminare mit Mircea Eliade in Chicago als wesentlichen Faktor für den Perspektivenwechsel von der apologetischen Auseinandersetzung mit dem Säkularismus, wie sie noch im dritten Band der Systematic Theology vorherrscht, zur Beschäftigung mit der Religionsgeschichte. 22 Tillichs Denken mit seiner nicht-dualistischen Grundstruktur hat im interreligiösen Dialog insbesondere mit östlichen Religionen sehr anregend gewirkt. In ihrer Tillich-Darstellung kommen W. Schüssler und E. Sturm gar zu dem Schluss, „…dass Tillich im Dialog mit dem Buddhismus und der Kōyto-Schule für das Christentum und das westliche Denken insgesamt steht.“23 Mag diese Aussage in dieser Allgemeingültigkeit angezweifelt werden, so zeigt doch die Rezeption, die Tillich gerade in Japan und auch von buddhistischer Seite zuteil wurde, 24 dass sich sein Denken anbietet, um sich über das eigene Bekannte dem Fremden anzunähern. Denn nur auf diese Weise ist Annäherungs19 20

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MW 6, 436. Tillich setzt sich einerseits gegen einen Barthianismus ab, der jede Bedeutung der Religionen für die Theologie verneint, sowie andererseits gegen eine radikal säkulare Theo-logie ohne Theos (MW 6, 432). Vgl. z. B. H.-M. Barth 32008, 37–39 und A. Grötzinger 2008, 14–39. Angesichts der „Wiederkehr der Religionen“ fordert Grötzinger für die Predigt sogar einen „reflektierten Synkretismus“ (A. Grötzinger 2008, 36–38). MW 6, 439. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 245. Diese Aussage lässt allerdings die gewaltige Rezeption der Theologie Karl Barths in Japan außer Acht, die selbst in der Kōyto-Schule nicht unbeachtet blieb. So empfahl der Zen-Philosoph und Begründer der KōytoSchule Nishida Kitaro (1870–1945) dem evangelischen Theologen Takizawa Katsumi, bei Karl Barth zu studieren (vgl. A. Dohi u. a. 1991, 142). Von 1977–1979 erschien eine zehnbändige Werkausgabe auf Japanisch und an der Universität Kōyto gibt es eine „Tillich-Forschungsgesellschaft“, vgl. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 244–246; ebd. findet sich auch ein kurzes Referat von Themen, die von

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verstehen zwischen Kulturen und Religionen möglich. Insbesondere die nicht-theistische Gotteslehre und das Glaubensverständnis in der Theologie Paul Tillichs eignen sich als Ansatzpunkt für den christlich-buddhistischen Dialog, da sie u. a. das früher stark betonte Differenzkriterium von personal versus a-personal transzendieren. 25 Der in Frankreich lebende und durch zahlreiche Publikationen bekannte vietnamesische Zen-Lehrer Thich Nhat Hanh, zitiert Tillich ohne Namensnennung folgendermaßen: „Ein deutscher Theologe hat einmal zutreffend ausgedrückt: ‘Gott ist keine Person, aber auch nicht weniger als eine Person.’“ Und er kommentiert: „Diese Aussage ähnelt der für das Zen typischen Denkweise. Warum müssen wir Gott in einer dieser zwei Vorstellungen einsperren: Person oder Nicht-Person? Müssen wir Gott wirklich in dieser Weise definieren?“26 Das ist eine selbst für einen Zen-Buddhisten, der auch „Jesus und Buddha als Brüder“ versteht, bemerkenswerte Aussage. D. T. Suzuki hielt sich dagegen mit Kritik am Christentum nicht zurück. 27 So führt z. B. Hans-Martin Barth in einer Replik auf die Christentumskritik von D. T. Suzuki Tillichs nicht-theistisches Gottesverständnis an. 28 H.-M. Barth selbst schlägt einen „trinitarischen Met-a-theismus“ vor, den ich für den christlich-buddhistischen Dialog sehr hilfreich halte, da er insbesondere an der Trinität als Proprium christlicher Gottesvorstellung orientiert ist. 29

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den Autoren Yoshinori Takeuchi, Langdon Gilkey und Michael von Brück mit Bezug auf Tillich aufgegriffen wurden. Siehe auch den Beitrag von A. Stenger 2000. Wie gerade die Gottesvorstellung und die damit transportierte abendländisch-philosophisch geprägte Metaphysik die Geschichte der Begegnung des Christentums mit den Religionen Ostasiens bestimmt hat und z. T. bis heute bestimmt, zeichnet M. Repp 2003 in seinem Aufsatz „Die Begegnung zwischen Europa und Ostasien anhand der Auseinandersetzung um die christliche Gottesvorstellung“, worin er auch insbesondere auf die sprachlich-kognitiven kulturellen Bedingtheiten als Schwierigkeiten im interreligiösen und interkulturellen Dialog hinweist. Er verleiht aber auch der Hoffnung Ausdruck, dass die Gewinnung weiterer und neuer Perspektiven möglich ist, die notwendige Bedingungen für eine positiv-kritische Auseinandersetzung mit ostasiatischen Religionen darstellen (M. Repp 2003, 99–100). Ein aktuelles Beispiel dafür, wie schwierig der Gottesgedanke selbst für einen dem Christentum mit Sympathie begegnenden Buddhisten ist, zeigt der Beitrag von Okochi Ryōgi in der FS für H.-M. Barth (R. Okochi 2004, [299]–300. Thich Nhat Hanh, 2000, 21 (der Satz Tillichs findet sich in STD I, 245). Vgl. sein berühmt-berüchtigtes Diktum: „Der gekreuzigte Christus ist ein schrecklicher Anblick, und ich kann nicht anders, in meiner Vorstellung verbindet er sich mit dem sadistischen Impuls einer seelisch überreizten Phantasie“ (D. T. Suzuki, 1974, 127). H.-M. Barth 2002b, 99. Vgl. H.-M. Barth 1971, 318 ff.; 1972; 2001, 269; 32008, 321–340. Zur Bedeutung HansMartin Barths für den christlich-(shin-)buddhistischen Dialog vgl. den Abschnitt über das Rudolf-Otto-Symposion Abschnitt 13.4.

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Von shin-buddhistischer Seite geht Ōtani Kōshin in einer seiner religiösen Reden (hōwa) auf Tillichs Glaubensbegriff ein. In der hōwa „Satori und Shinjin“ (1984) zitiert er, ebenfalls ohne Namensnennung („ein christlicher Theologe“), Paul Tillichs berühmtes Diktum in der Einleitung zu Dynamics of Faith, dass der Begriff Glaube zu den am meisten missverstandenen Begriffen gehöre und zunächst selbst der Heilung bedürfe. Ōtani kommentiert: „Das trifft auch auf den Begriff ‚Shinjin‘ zu.“30

2.3 Überwindung des „westlichen Provinzialismus“ – Tillichs Japanreise 1960 und die Begegnung mit Jōdo-shinshū Obwohl Tillich bereits Anfang der 1950er Jahre erste Dialogerfahrungen mit Vertretern des Zen gemacht hatte, erhielt er nach eigener Aussage auf seiner Vortragsreise nach Japan vom 2. 5.–10. 7. 1960 (im Alter von 73 Jahren) einen wesentlichen Anstoß, bisherige Grenzen des Denkens nochmals auszudehnen.31 Hier kam es auch zu Begegnungen mit Jōdo-shinshū. Als Ergebnis dieser Reise hält er in seinem Bericht fest: „Ich kann vorläufig noch nicht zum Ausdruck bringen, was mir Japan tatsächlich bedeutet hat. […] Aber eines weiß ich: Ich werde von jetzt an jeden westlichen Provinzialismus in meinem Denken und Arbeiten bekämpfen […]“32 Diese Absicht, „jeden westliche Provinzialismus“ zu 30 31

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K. Ōtani 1992, 18–19. Diese religiöse Rede wird ausführlich in Abschnitt 8.3.3 analysiert. „Meine Vortragsreise nach Japan 1960“; abgedruckt in GW XIII, 490–517. Die Reise wurde organisiert von dem Committee for Intellectual Interchange. Dessen Vorsitzender Prof. Takagi Yasaka und der Leiter des dazugehörigen International House in Tōkyō, Mr. Matsumoto, gehörten beide der Nicht-Kirche-Bewegung (i. e. mukyōkai) an (GW XIII, 492–493). In den neun Wochen seines Aufenthalts in Japan (davon fünfeinhalb Wochen in Tōkyō drei Wochen in Kyōto, sowie fünf Tage in Karuizawa) hielt Tillich zahlreiche Vorträge an verschiedenen Universitäten, führte Gespräche mit Christen und Anhängern japanischer Religionen (Zen, Jōdo-shinshū, Shintō, Tenri, Risshō Kōsei Kai) und predigte auch in Tōkyō und Kyōto. Darüber hinaus absolvierte er ein strammes Kulturprogramm. In seinen Vorträgen behandelte er die Themen „Religion und Kultur“, „Religionsphilosophie“, „Philosophie und Theologie“, „Der Einfluss der Philosophie auf mein Denken“, „Prinzipien des religiösen Sozialismus“ (hier sah er eine gewisse Nähe zu den Vertretern der NichtKirche-Bewegung), „Die geistigen Grundlagen der Demokratie“ und „Essentialismus und Existenzialismus“ (GW XIII, 494). GW XIII, 517. Bereits 1953 hielt er einen Vortrag über The Conquest of Theological Provincialism: Europe and America, jetzt in Tillich 1959, 159–176 (hier: „Intellectual“ statt „Theological“) und GW VIII, 13–27, vgl. auch die bibliographische

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vermeiden, schlug sich u. a. in den erwähnten Bampton-Lectures von 1961 nieder, sowie im dritten Band der Systematic Theology (1963).33 Krister Stendahl berichtet, dass Tillich nach seiner Japan-Reise mehrfach sagte, er habe das Gefühl, sein theologisches Werk noch einmal von vorne beginnen zu sollen.34 Tillich empfing tiefe Eindrücke in Japan. In seinem Reisbericht schreibt er begeistert, dass er seinen japanischen Freunden sagen möchte, er habe Japan und seine Menschen lieben gelernt.35 Diese „Liebe“ wurde erwidert, wie die Tillich-Rezeption in Japan zeigt, zu der diese Reise wesentlich beigetragen haben dürfte.36 In dem Bericht über die Japan-Reise finden sich einige aufschlussreiche Passagen über Tillichs Wahrnehmung des Buddhismus und des Christentums in Japan sowie der kulturellen, politischen und religiösen Situation insgesamt. Tillich greift v. a. den Konflikt zwischen japanischer Tradition und westlicher Moderne auf, der auch einen Konflikt zwischen den Generationen bildet und der alle Bereiche der Gesellschaft erfasst hat. Angesichts der Orientierungskrise im Nachkriegsjapan stellt er fest: „Es fehlt der Jugend ein letztes Ziel, etwas, was sie unbedingt angeht und ihre Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet.“37 Tillich sieht die Antwort auf die geistigen Situation in Japan in seinem sinntheoretisch begründeten Religions- und Glaubensbegriff. In seinen Vorträgen und Begegnungen ging es ihm um „die letzten Probleme“, für die er eine Offenheit bei Professoren und Studenten wahrnahm. Der Konflikt zwischen Alt und Neu, Ost und West führe letztlich zur Frage nach dem „religiösen Anliegen“.38 Als ein Ziel sei-

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Anmerkung GW VIII, 336. In diesem Vortrag betont Tillich, dass es nicht angehe, von einem Provinzialismus in einen anderen zu verfallen, sondern um eine Balance unterschiedlicher Schwerpunkte. Dass die Freiheit „spiritual provincialism“ zu überwinden, die er als Immigrant erlebt hatte, gewahrt bleibe, wünscht sich Tillich für die USA der fünfziger Jahre. An diese Gedanken knüpft Tillich an, wenn er zehn Jahre später von der Überwindung des westlichen Provinzialismus spricht. Z. B. STD III, 167–170 = STE III, 141–144. Im Vorwort zu Tillich 1994, viii. Dass Tillichs Japanbesuch insgesamt nicht wirklich viel Neues brachte, versucht D. A. T. Thomas in seiner 1982 an der University of Nottingham entstandenen Dissertation „Paul Tillich and World Religion: A Study of Paul Tillich’s Thought on Interreligious Encounter and Dialogue“ aufzuzeigen. GW XIII, 517. In einem Rundbrief von 1959, in dem Tillich die geplante Reise nach Japan ankündigt, schreibt er: „Es ist erstaunlich, wie viele unter meinen nächsten Kollegen in Ostasien waren. Man fühlt sich fast provinziell, wenn man nicht da war. Was es für uns beide menschlich und für mich theologisch bedeuten wird, weiß ich nicht“ (GWE V, 349). Vgl. u. a. die Arbeit von K. Kasai 1980. GW XIII, 497. GW XIII, 500.

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ner Vorträge in Japan benennt Tillich, „… eine Antwort aufzuzeigen, die die Gleichgültigkeit überwand, sich aber von jeder abgergläubischdogmatischen Lösung fernhielt und nicht das wiederholte, was die institutionellen Religionen einschließlich der protestantischen zu bieten haben.“39 Die Basis für einen Dialog mit dem Buddhismus kann für Tillich nicht eine von der Tradition vorgegebene Gestalt des Christentums sein. Bei seinen Begegnungen mit christlichen Gruppen und Gesprächen mit Pfarrern und Missionaren konnte Tillich angesichts der Minorität von weniger als einem Prozent Christen sagen, dass einen das Problem der Missionierung ganz existenziell erfasse.40 Er bemerkt auch, dass nicht die traditionellen Religionen des Buddhismus und Shintoismus, sondern die „religiös gleichgültigen Massen“, also die Säkularisierung das eigentliche Problem darstellen. Hier sieht Tillich die Analogie zwischen Ost und West und antwortet entsprechend für Japan mit einem barthianisch klingenden Satz, der jedoch das „Protestantische Prinzip“ und dessen Religionskritik zum Hintergrund hat: „In meinen Vorlesungen habe ich darum gesagt, das Christentum dürfe sich nicht als eine weitere Religion darstellen, sondern als das, was es in Wahrheit ist, nämlich eine Botschaft, die gegen jede Religion steht, auch gegen das Christentum, insofern es eine Religion ist.“41

Und Tillich fragt nach der Ermöglichung christlicher Predigt im japanischen Kontext: „Auf der Grundlage welcher Theologie ist christliches Predigen überhaupt möglich?“42 Dabei nimmt er auch deutlich einen Unterschied wahr zwischen der in Japan sehr einflussreich gewordenen Theologie Karl Barths und der mit dieser nicht zu verwechselnden Gestalt ihrer Rezeption in Japan. Zwei theologische Fragen stehen nach Tillich für die Situation in Japan im Vordergrund. Erstens die Frage, ob die Theologie in der Lage ist zwischen dem „christlichen Ereignis“ und der Aufnahme dieses Ereignisses in Form der christlichen Religion zu unterscheiden.43 Hinter dieser Differenz steht die für Tillichs Religionsphilosophie und Offenbarungslehre grundlegende Unterscheidung von Form und Gehalt (oder in der Terminologie der Marburger Dogmatik-Vorlesung von 1925: zwischen Grund- und Heilsoffenbarung). Die zweite Frage ist die nach dem „Problem der Vermittlung“, bei der die Sprachgestalt im Zentrum steht. Eine exklu39 40 41 42 43

GW XIII, 500. GW XIII, 505. GW XIII, 506. GW XIII, 506. GW XIII, 506.

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sive Identifikation der christlichen Botschaft mit der biblischen Sprache, wie er sie bei „fundamentalistischen Gruppen“ beobachtet, aber auch ein amerikanischer und europäischer Konfessionalismus, sind nach Tillich die Haupthindernisse für die Kommunikation des Evangeliums in Japan.44 Die Kirche müsse sich um adäquate Ausdrucksformen des Christentums (das versteht er im umfassenden Sinn unter „Sprache“) bemühen und „… zu jeder Gruppe in ihrer eigenen Sprache reden“.45 Tillich hat hier das Problem der Notwendigkeit kontextueller Theologien und Sprachgestalten für die Predigt klar formuliert. Die Begegnung mit Japan, so darf wohl vermutet werden, hat für ihn die Frage nach der Kommunikation des Evangeliums und die Einsicht in Bedeutung seiner eigenen theologischen Voraussetzungen für eine kontextuelle „Ausdrucksform des Christentums“ noch vertieft. Man könnte nach Tillich sagen, dass die „Überwindung des westlichen Provinzialismus“ gerade auch eine Aufgabe für die christliche Kirche in Japan darstellt. Wie hat Tillich nun den Buddhismus in Japan wahrgenommen und mit seiner eigenen Theologie verglichen? Drei Leitoppositionen hat Tillich in diesem Zusammenhang formuliert. Identität versus Partizipation. In seinem Japanbericht schildert er zunächst eine Diskussion mit S. Hisamatsu, in der es zentral um die Frage nach Identität (so der Buddhismus) oder Partizipation (so Tillich) ging.46 An dieser Grund-Differenz zeigt sich, dass Tillich sehr genau einen Unterschied in der jeweiligen nicht-dualistischen Wirklichkeitsauffassung feststellen konnte. Man sollte als Grundsatz ohnehin den undifferenzierten Begriff „Monismus“, sowohl im Blick auf Jōdo-shinshū als auch bei Tillich vermeiden.47 So sieht Tillich auch nach einer Diskussion mit Gelehrten der Jōdo-shinshū folgende Hauptunterschiede zum Buddhismus: „[D]ie verschiedene Bewertung der individuellen Persönlichkeit, der religiösen und sozialen Reformen, der Bedeutung der Geschichte, der zwi44

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„Wenn beide [sc. die amerikanisch-methodistische und die europäisch-lutherische Mission] ihren Konfessionalismus nicht abstreifen und sich auf den Kern der christlichen Botschaft besinnen, ist kein Weg zu erkennen, wie sie das Herz des japanischen Volkes erreichen wollen“ (GW XIII, 507). GW XIII, 506–507. GW XIII, 501–502. Diese Diskussion bildet auch den Hintergrund für die Ausführungen in „A Christian-Buddhist Conversation“. Otto Schnübbe betont z. B., nochmals in einem anderen Zusammenhang, dass sich Tillichs Theologie nicht allein aus Schellings Identitätsphilosophie erklären lässt, sondern gerade die „Dialektik zwischen dem Identitätsprinzip und der von jenseits kommenden Offenbarung“ für sein Denken konstitutiv sei (O. Schnübbe 1985, 12. 23–38). Auf hier angesprochene spezifische Differenzen wird noch einzugehen sein.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

schenmenschlichen Beziehungen, der Endlichkeit und der Schuld. Letztlich beruhen diese Unterschiede auf dem Gegensatz von Identität und Partizipation.“48

Allerdings beruht diese Einschätzung Tillichs mehr auf seiner Begegnung mit dem Zen als mit Jōdo-shinshū selbst. Es bleibt die Frage, wie sich die spezifischen Differenzen zwischen Zen und Jōdo-shinshū gerade im Blick auf shinjin und satori (den zentralen religiösen Erfahrungen) auf die Unterscheidung von Identität und Partizipation im Rahmen einer non-dualistischen Wirklichkeitsauffassung auswirken.49 Sein-Selbst und absolutes Nichtsein. In der Begegnung mit dem Zen und dem von ihm beeinflussten Kunst-Stil stößt Tillich auf den Begriff des absoluten Nichtseins, der für ihn zugleich ein Unterscheidungsmerkmal zum Shin-Buddhismus bildet.50 „Der Zen-Stil hat eine starke Neigung zur Konzentration oder, wie ich mit einem Begriff von Schelling sagen möchte, zur ‚Essentifikation‘. Im Anblick eines berühmten Gemäldes in diesem Stil ‚Die vier Dattelpflaumen‘ erlebten wir das Tee-Zeremoniell, das diesmal nach strengen ZenRiten vor sich ging. Jede der vier Früchte ist so dargestellt, daß sie das ‚Sein-Selbst‘ repräsentiert, wie ich sagen würde, oder das ‚Nichtsein‘, das für den Buddhismus nicht Nichts ist, sondern ein Sein, das in Richtung auf das absolute Nichtsein jenseits von Subjekt und Objekt transzendiert wird.“51

In der Transzendierung von Subjekt und Objekt sieht Tillich eine Konvergenz der Termini „Sein-Selbst“ und „absolutes Nichtsein“ als Ausdruck letzter Wirklichkeit. Gerade die Kunst bildet hier das Medium der Vermittlung, die Tillich mit Schelling’scher Terminologie zu fassen versucht. „Kraft des eigenen Selbst“ versus „Kraft von außen“. Mit dieser Begrifflichkeit, die der Terminologie von jiriki und tariki entspricht, fasst Tillich den Unterschied zwischen Zen und Jōdo-shinshū, die den „Gegenpol“ zum Zen darstelle.52 Die christliche Analogie dazu 48 49 50

51 52

GW XIII, 504. Vgl. die auch die Ausführungen in „A Christian-Buddhist Conversation“ MW 5, 309–317 = GW V, 76–88. Vgl. Kap. 8 vorliegender Studie. Obwohl Tillich in Kyōto auch Nishitani Keiji begegnet ist, erwähnt er ihn in diesem Zusammenhang nicht. Offensichtlich blieb diese Begegnung bei einer Diskussionsrunde ohne tiefere Eindrücke. Tillich hielt Nishitani für philosophisch sehr versiert und hoch spekulativ. Nishitanis Buch „Was ist Religion“ (jap. shūkyō to wa nani ka? 宗教とは何か) erschien 1961 – etwa ein Jahr nach Tillichs Besuch. Die Lehre vom „absoluten Nichts“ wie sie Nishitani vortrug, bildete die Voraussetzung für die Habilitationsschrift von Hans Waldenfels 1978 („Absolutes Nichts: zur Grundlegung des Dialogs zwischen Buddhismus und Christentum“). GW XIII, 512. GW XIII, 502 und 512.

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sieht er in Pelagius und Augustin. Jōdo-shinshū sei als populäre Laienbewegung entstanden und fordere die „… vollkommene Hingabe an die Buddha-Macht, wie sie in der Amida- oder Kannon-Gestalt [sic!] verkörpert ist. Ihren Namen anzurufen, schafft Erlösung. Der Gegensatz beider Richtungen kann auch als Glaube an die ‚Kraft des eigenen Selbst‘ und die ‚Kraft von außen‘ beschrieben werden.“53 Der Shin-Buddhismus mit der Verehrung Amidas ist für Tillich die „Religion der göttlichen Barmherzigkeit, die bis zur leidenden Welt herabreicht …“.54 Die hier vorgetragenen Kenntnisse verraten, dass Tillich bei seinen Begegnungen mit Jōdo-shinshū lediglich eine rudimentäre bis inkorrekte Auffassung gewonnen haben kann. Trotz dieser Aussagen, und obwohl er bei der Diskussion an der Shin-buddhistischen Ōtani-Universität ausdrücklich auf das Gebet zu sprechen kommt, stellt sich Tillich die Frage nach der Partizipation im Shin-Buddhismus nicht. Im Unterschied zum Zen wurde offenbar das Interesse Tillichs an dieser Gestalt des japanischen Buddhismus nicht sonderlich geweckt. Das ist angesichts der allgemeinen Faszination, die Jōdo-shinshū auf protestantische Theologen im Allgemeinen ausgeübt hat (vgl. Kap. 13), umso erstaunlicher. Eine Ursache dafür könnte darin liegen, dass das Glaubens- und Rechtfertigungsthema (als unbedingtes Angenommensein) in den Gesprächen mit Shin-Buddhisten (soweit bekannt) nicht aufgegriffen wurde, sondern andere Themen im Vordergrund standen, die für den Dialog eher unergiebig waren, wie die Frage nach dem „historischen Gautama“ oder dem Gebet.55 Obwohl Tillich im Blick auf Jōdo-shinshū recht spröde berichtet, erwähnt er, dass er sich noch zweimal mit Gelehrten und Priestern der „OtaniGruppe“ zu Diskussionen traf. U. a. reiste eine Delegation eigens nach Karuizawa, um mit Tillich zu sprechen. Insbesondere die Anthropologie schien im Mittelpunkt des Interesses gestanden zu haben.56 Allerdings beschäftigte Tillich die Frage nach der Bedeutung des „Namens“, wenn er in Reflexion der Praxis der Anrufung des BuddhaNamens (jap. myōgō 名号 resp. shōmyō 称名), über die er mit dem Buddhismus-Gelehrten Yasuda Rijin gesprochen hatte, schrieb: „A name, but not a name alone!“.57 Die für den Zusammenhang dieser Arbeit wichtige Begegnung mit Jōdo-shinshū am 6. Juni 1960, bei der sich Tillich der Diskussion mit 53 54 55 56 57

GW XIII, 502. GW XIII, 512–513. GW XIII, 502; R. W. Wood 1961, [48]–55. GW XIII, 503. Leider erfahren wir über die Inhalte dieser Gespräche nichts. R. Okochi 2004, [300].

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

20 Gelehrten und 50 Studenten an der dem Higashi-Honganji affilierten shin-buddhistischen Ōtani-Universität stellte, wurde von Robert W. Wood ediert.58 Dieses Treffen stellt somit den Anfang eines mündlichen und unmittelbaren Dialogs zwischen evangelischer Theologie und Jōdo-shinshū auf akademischer Ebene dar, wenn auch nicht mit der akademischen Theologie in Deutschland und auch nur punktuell.59 Allerdings verlief dieses Gespräch mit shin-buddhistischen Gelehrten und Studenten für Tillich selbst relativ unbefriedigend, da sich die Dialogpartner bedingt durch Tillichs Fragen an den Themen des Gebetes und einer Ich-Du-Beziehung verhakten.60 Dazu muss man verstehen, dass der Shin-Buddhismus Gebet als (magische) Verfügbarmachung und Funktionalisierung der Unbedingtheitsrelation als Aberglaube strikt ablehnt, was auch gegenüber dem Christentum in apologetischer Abgrenzung betont wird. Tillich zog den Vergleich zur Ritschl-Schule.61 Und in Bezug auf die Diskussion einer Ich-Du-Beziehung notiert jüngst Marc Boss mit Verwunderung: „In all the dialogoues with Zen or Pure Land Buddhists that we have examined – that is in all those of which a record has been kept–Tillich seems to put himself in the position of defending a rather staunch personalism whose Buberian overtones can hardly be overlooked.“62 Tillich fühlte sich, auch in einem Gespräch mit S. Hisamatsu, nicht wirklich in seinen Fragen verstanden. Im Blick auf die Diskussion in Ōtani sagte er, dass die Antworten auf seine Fragen mehr eine Negation der Frage gewesen sei.63 Hier zeigt sich deutlich die Problematik im Dialog zweier so verschiedener Denktraditionen, dass die in den jeweiligen Fragen implizierten Paradigmen eine Antwort verhindern, wenn nicht die jeweiligen Prämissen der Fragen und Antworten geklärt sind. Gerade die „Negation der Frage“ bietet die Möglichkeit epistemologischer 58

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Der Bericht findet sich auch in der Doppelnummer 2/3 von Japanese Religions 2 (1961) 48–71: „Tillich encounters Japan.“ Vgl. auch GW XIV, 195 (Nr.  405). Vgl. ebenfalls M. Boss 2009, 258–262. Die Begegnung mit Jōdo-shinshū kam dadurch zustande, dass der Sohn des „Erzbischofs“ (wie Tillich ihn bezeichnet, gemeint ist der monshu Ōtani Kōshō) ein Jahr lang im Haus Tillichs während eines Studienaufenthalts in New York wohnte (GW XIII, 502). R. W. Wood 1961, [48]–55. Das Transkript der Diskussion zeigt, dass Tillich seine Fragen mehrmals reformulierte, aber die Buddhisten bei den Fragen, die einen westlich-christlichen Verstehensrahmen implizierten, Schwierigkeiten in der Beantwortung hatten. R. W. Wood 1961, 54. M. Boss 2009, 262. R. W. Wood 1961, 57. Auch K. Kasai (1980, 114–116) schildert, dass sich Tillich nicht recht verstanden fühlte, und macht dafür auch die in Japan nicht ausgeprägte Diskussionskultur verantwortlich.

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Klärungen, da sie darauf verweist, dass an dieser Stelle der „common ground“ (wie Tillich die Voraussetzung der Apologetik als „Kunst des Antwortens“ nennt) fehlt bzw. nicht erkannt wird. Tillich hat in diesen Begegnungen insgesamt das Dialog-Potenzial seiner Theologie, (z. B. des nicht-theistischen Gottesbegriffs) überraschender Weise nicht entfaltet. Die Stellen in der Diskussion, die für den christlich-buddhistischen Dialog sehr ergiebig gewesen wären, wurden von beiden Seiten nicht wahrgenommen. Zum einen fragt Tillich, ohne den Begriff zu nennen, nach einem buddhistischen Äquivalent des „Protestantischen Prinzips“, indem er seine Beobachtung erwähnt, dass es einen Unterschied zwischen buddhistischer Volksreligion und einem Buddhismus der Priester und Gelehrten gebe. Er nennt die Unterscheidung von fides implicita und fides explicita und fragt, ob es so eine Unterscheidung auch im Buddhismus gebe und was der Buddhismus machen könne, um die von einem primitiven Volksbuddhismus nicht angesprochenen Gebildeten („thinking middle classes“) zu erreichen. Die Tragweite der Frage, hinter der Tillichs apologetisches Interesse, seine Unterscheidung von faith und belief, sowie sein Kampf gegen die Dämonisierung des Heiligen stehen, wird von shinbuddhistischer Seite nicht erkannt. Ebenso war die Frage der religiösen Kommunikation angesprochen, wurde jedoch nicht thematisiert. Offensichtlich war Tillichs Begriff des „Dämonischen“, der diskutiert wurde, zu fremd. An dieser Stelle hätte das Konzept der „geschickten Mittel“ (skr. upāya, jap. hōben) als Funktionsäquivalent für das „Protestantische Prinzip“ eingebracht werden können. Implizit kommt es in der buddhistischen Antwort nur insofern vor, als in ihr auf die entscheidende Kategorie der Erfahrung abgehoben wird. Die Sūtren seien nicht wichtig. Tillich erkennt darin die fides implicita. Er hakt nochmals nach und fragt nach der Möglichkeit einer idolatrischen Erfahrung. Das Gespräch nimmt jedoch die Wendung zu Zen und Shin als Gestalten buddhistischer Reformation, in denen es idolatrische oder dämonische Entstellungen (zumindest im Prinzip) nicht gebe. In diesem Zusammenhang liefert der shin-buddhistsiche Gesprächspartner (leider finden sich keine namentlichen Erwähnungen) eine Vorlage für Tillichs Glaubensbegriff, wenn er sagt: „Only Shin Buddhism could get rid of the magical and demonic elements. Why? Because of its emphasis upon personal faith in the grace of Amida Buddha. In this faith people rootet their concern in the Ultimate. And this faith, although it did not consist in intellectual understanding, yet involved certain intellectual elements such as hearing the preaching of Buddha’s Law, somewhat similar to the hearing of the Gospel in Christianity.

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And through this hearing of the preaching of the Law the Shin Buddhist could engage in self-criticism.“64

Tillich geht auf diesen Beitrag, der das Thema vorliegender Studie gewissermaßen zusammenfasst, merkwürdigerweise mit keiner Silbe ein und leitet abrupt zum Thema „Gebet“ über (so zumindest im Transskript der Diskussion). Man kann nur spekulieren, dass Tillich aufgrund der konkreten Gesprächssituation, in der sich Beiträge z. T. überlagerten und bedingt durch die Anstrengung der Kommunikation mittels Übersetzung, diese einmalige Steilvorlage nicht aufgegriffen hat.65 M. Boss zitiert dieses Passage in seiner Darstellung nicht und hält stattdessen (fälschlicherweise) die Bedeutung des Gebets im Kontext der Ōtani-Universität für entscheidend wichtig.66 In den Bampton-Lectures erläutert Tillich später den Unterschied von Partizipation und Identität anhand agape und compassion/Mitleid. Dort heißt es: „It [i. e. Mitleid im Buddhismus, Anm. d. Verf.] differs in that it lacks the double characteristic of agape–the acceptance of the unacceptable, or the movement from the highest to the lowest, and, at the same time, the will to transform individual as well as social structures.“67 Gerade das unbedingte Angenommensein und der transformierende Charakter der Erfahrung von shinjin sind für Jōdo-shinshū jedoch charakteristisch. Man kann aus heutiger Perspektive nur ahnen, wie viel sich Tillich und Jōdo-shinshū zu sagen gehabt hätten, wäre die Kommunikation damals unter günstigeren Umständen und mit wichtigen Vorkenntnissen auf der Seite Tillichs zustande gekommen. Trotz dieser Schwierigkeiten hinterließen Tillichs Dialogbemühungen in Japan bleibenden Eindruck. Der japanische evangelische Theologe Kasai Keiji widmete seine 1977 von der evangelischen theologischen Fakultät der Universität Bern angenommene Dissertation dem Thema „Die Bedeutung des Christentums in der heutigen Welt bei Albert Schweitzer und Paul Tillich.“68 Kasai bezieht dieses Thema jedoch konkreter auf die Bedeutung von Schweitzer und Tillich 64

65 66 67

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R. W. Wood 1961, 52–53. Dieses Statement ist im Blick auf das Verhältnis von Glaubenserfahrung und religiöser Rede zentral und bildet das Kernthema der Jōdo-shinshū. Auf das Sprachproblem und die Notwendigkeit des Dolmetschens geht Tillich in seinem Reisebericht ein (GW XIII, 493–494). M. Boss 2009, 260. MW 5, 316 = GW V, 86 „Aber es ist nicht agape, es fehlt ihr, was agape hat: die Bejahung des anderen, das Herabsteigen vom Höchsten zum Niedrigsten und zugleich der Wille, ihn und die Bedingungen seiner Existenz zu verwandeln.“ K. Kasai 1980. Die Arbeit wurde betreut von Fritz Buri und Heinrich Ott.

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für die christliche Kirche im buddhistischen Kontext Japans. Er geht in diesem Zusammenhang auch auf die Begegnungen zwischen Tillich und dem Buddhismus in Japan ein, die er trotz der genannten Kommunikationsschwierigkeiten für den christlich-buddhistischen Dialog und für eine kontextuelle japanische Theologie als überaus positiv und bedeutungsvoll beurteilt: „Der Name Tillichs ist bei vielen Christen bekannt. Ebenso sind seine Predigten und alle wichtigen Abhandlungen nach der Übersiedlung nach den USA ins Japanisch übersetzt […]. Seine Gedanken sind bei ziemlich vielen japanischen Theologen und Pfarrern beliebt, die mit der Richtung der Theologie Karl Barths nicht zufrieden sind. In den theologischen Fakultäten werden die Werke Tillichs oft gelesen, und einige Studenten gebrauchen sie für ihre Abhandlungen bei Abschlussexamen. Sein Name ist nicht nur bei Christen, sondern auch bei Philosophen und Buddhisten bekannt. Als Tillich 1960 Japan besuchte, bekamen die Japaner von ihm einen tiefen Eindruck, denn er wollte nicht als ein berühmter amerikanischer Theologe den Japanern etwas lehren, sondern mit uns einen Dialog führen und von uns etwas hören. Seine demütige Haltung wurde die Brücke zwischen Christen und Buddhisten. Er öffnete die Augen unserer japanischen Christen für die anderen Religionen.“69

Neben A. Schweitzer sieht Kasai vor allem in der Theologie und der persönlichen Haltung Tillichs großes Potenzial für die Indigenisierung des Christentums in Japan. Gerade der starke Einfluss der Theologie Karl Barths mit seiner radikalen Ablehnung der Religionen habe diesen Prozess der Verwurzelung des christlichen Glaubens in Japan sehr erschwert.70 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich prima vista gerade der nicht-theistische Gottesbegriff, die non-dualistische Struktur seiner philosophischen Theologie und der integrale Lebensbegriff, sowie das Verständnis von Glaube als einer die Subjekt-Objekt-Spaltung transzendierenden ekstatischen Erfahrung und die Neuformulierung 69 70

K. Kasai 1980, 175. Noch größer allerdings ist nach Kasai der Einfluss Albert Schweitzers in Japan. Ebd. K. Kasai 1980, 164; vgl. dazu auch den Abschnitt zu K. Barth 13.3.3. Kasai unterscheidet jedoch nicht, wie Tillich es tut, zwischen der Theologie Barths selbst und deren Rezeption in Japan. Kasai sieht insbesondere in der Aussage von D. T. Suzuki über die dualistische Sichtweise der Existenz im Christentum, die sich in einem heteronomen Legalismus im Gegensatz zum jesuanischen Evangelium der Liebe im Christentum durchgehalten habe, „deutlich das allgemeine Gefühl der Japaner gegenüber dem Christentum“ ausgedrückt. „Der Gedanke des Richtergottes ist für sie [sc. die Japaner, Anm. d. Verf.] gefühlsmässig schwierig, obwohl sie ihn verstandesmässig verstehen“ (K. Kasai 1980, 168). Das entspricht den apologetischen Aussagen gegenüber dem Christentum in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin, die ihren Anhalt durchaus in der Erfahrung mit einer meist reformiert-puritanischer Tradition entstammenden Form des Christentums westlicher Prägung haben.

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der Rechtfertigungslehre als unbedingtes Angenommensein im Dialog mit Jōdo-shinshū besonders anbieten. Diese Themen führen letztlich zu der Frage nach der religiösen Vermittlung, die zwar in den Begegnungen Tillichs mit Buddhisten in Japan angesprochen, jedoch weder in ihrer Relevanz erkannt noch vertieft wurden. Es wird u. a. zu fragen sein, ob gewisse Affinitäten zwischen Tillich und Jōdo-shinshū in einer jeweils spezifisch gefassten non-dualistischen Grundstruktur zu suchen sind und inwiefern diese für das Verständnis von Glaube und religiöser Kommunikation zum Austrag kommt.71

2.4 Paul Tillich als Kommunikator der christlichen Botschaft Dass Tillich im Vergleich mit dem Shin-Buddhismus gerade auch im Blick auf die religiöse Kommunikation relevant ist, zeigt sich nicht zuletzt in seiner Bedeutung als Prediger. Tillich war nicht nur systematischer Theologe und Religionsphilosoph, sondern zunächst auch evangelischer Pfarrer mit dem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums. Das zeigen v. a. seine frühen Predigten, die er überwiegend schriftlich ausgearbeitet hat und die rund 650 Druckseiten füllen (veröffentlicht 1994!). Es sind jedoch seine späten amerikanischen Predigten, die in drei Bänden unter dem Begriff „Religiöse Reden“ ins Deutsche übersetzt wurden, die Tillich weit über akademische Kreise hinaus bekannt machten. Die ins Japanische übersetzten drei amerikanischen Predigtbände trugen zur Tillich-Rezeption gerade auch in Japan bei. Die Predigten lassen sich relativ klar in drei Gruppen und Zeitabschnitte einteilen.72 Die Gemeindepredigten73 aus den Jahren 1909– 71

72 73

Diese Affinitäten könnten sich historisch-genetisch daraus erklären, dass sowohl Jōdo-shinshū als auch Tillich indirekt Elemente aus dem Erbe indischen Geistes aufgenommen haben. Um 1800 gab es in Deutschland erste Kenntnisse über indische Religion und Philosophie, die insgesamt anregend auf das Geistesleben jener Zeit wirkten, so z. B. bei Goethe, Herder, Schelling und insbesondere bei Schopenhauer. Dass Schelling mit indischem Denken bekannt wurde, zeigt bereits dessen Beschäftigung mit dem 1808 (ein Jahr vor der Freiheitsschrift) erschienenen Buch von Friedrich Schlegel „Über die Sprache und Weisheit der Indier.“ Bereits 1908 befasste sich Tillich ausführlicher mit dem Monismus, vgl. seine Schrift „Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion?“, in der er für einen differenzierten Monismus eintritt (GWE IX, 20–91). Vgl. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 202. Über die genaue Anzahl der Predigten herrscht in der Literatur etwas Verwirrung. A. Rössler listet 68 „Vikariatspredigten“ (Predigten, Predigtentwürfe und Kasual-

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1914.74 Eine zweite Gruppe stellen die 140 Feldpredigten aus den Jahren von 1914–1918 dar.75 Die dritte Gruppe von Predigten (aus den Jahren von 1945–1963) bilden die in englischer Sprache gehaltenen insgesamt 62 Universitätspredigten, die zu Tillichs Lebzeiten in drei Bänden veröffentlicht wurden: The Shaking of the Foundations (1948), The New Being (1955) und The Eternal Now (1963). Die Predigten wurden unter dem Begriff „Religiöse Reden“76 Folge 1–3 („In der Tiefe ist Wahrheit“ 1952, „Das Neue Sein“ 1956 und „Das Ewige im Jetzt“ 1964) ins Deut-

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ansprachen) auf, die damals im Göttinger Paul-Tillich-Archiv in vier Bündeln verfügbar waren (A. Rössler 1971, 134–136). P. Cornehl nennt 64 Predigten, die im Tillich-Archiv lagern (P. Cornehl 1989, 256). In GWE VII wurden von E. Sturm (bis auf Ausnahmen) keine Fragmente, Skizzen und Entwürfe aufgenommen, sondern nur die ausgeführten Frühpredigten Tillichs, insgesamt 67. Zunächst als Kandidat der Theologie aushilfsweise von März bis Juni 1909 in Lichtenrade und Mahlow, ab April 1911 während seines einjährigen Lehrvikariats in Nauen, zur Aushilfe in Treptow Juni/Juli 1912 und in der Zeit als Hilfsprediger in Berlin-Moabit vom 1. August 1912 – Mitte Mai 1912. Vgl. dazu die Historische Einleitung zu Tillichs Frühpredigten von E. Sturm GWE VII, v–ix. E. Sturm erwähnt nur 106 Predigten aus dieser Zeit (W. Schüssler/E. Sturm 2007, 202). In GWE VII hat Sturm nur 106 Predigten veröffentlicht, aber es gibt noch weitere nicht edierte Predigthandschriften. An anderer Stelle zählt Sturm 105 ausgeführte Predigten und 45 Skizzen (E. Sturm 1999, 261). Auch die Bemerkung Sturms, dass die frühen Predigten „bisher unbeachtet geblieben“ sind, stimmt so nicht, da A. Rössler bereits in seiner Dissertation von 1971 auf rund 50 Seiten Tillichs Frühpredigten behandelt. Rössler listet 146 „Weltkriegspredigten“ (davon 39 Skizzen und 37 Grabreden) aus der Zeit von 1914–1918 auf (A. Rössler 1971, 144–147). Vielleicht in Anspielung auf Schleiermachers (ebenfalls apologetische) „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799) wurden die Predigten Tillichs (die im Original immer als sermons bezeichnet werden) mit einem gewissen Recht als „Religiöse Reden“ herausgegeben (so A. Rössler 1971, 7) , wobei Tillich bereits 1928 die Unterscheidung von Predigt (als Verkündigung an Gemeindegliedern) und Apologetik (die sich an kirchenfremde Gebildete wendet) aufgegeben hat, wie W. Schüssler und E. Sturm 2007, 199 mit Bezug auf Tillichs Aufsatz „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart.“ (GW VII, 70–83) unterstreichen. Unter Bezug auf eine persönliche Mitteilung von Renate Albrecht an Rössler, schreibt Rössler, dass Tillich selbst den Untertitel „Religiöse Reden“ angeregt habe (Rössler 1971, 7a Anm. 1). Ein Blick in die Predigtliteratur um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeigt, dass der Begriff „Religiöse Reden“ damals sehr populär war. Sehr bekannt waren die „Religiösen Reden“ des anglikanischen Priesters Frederick William Robertson (1816–1853), die von Adolf Harnack ins Deutsche übersetzt wurden und weite Verbreitung fanden (Leipzig 1890). Ein weiteres Beispiel sind die von Hans Hartmann herausgegebenen Predigten: „Von der Heiligung des Lebens. 20 religiöse Reden von bekannten deutschen und ausländischen Kanzelrednern“ (Leipzig 1928). Als weitere Beispiele sind zu nennen die 1876 in Zürich erschienenen zwei Bände „Religiöse Reden gehalten im St. Peter zu Zürich von Heinrich Lang.“ Christoph Schrempf: „Drei Religiöse Reden“ (Stuttgart 31893); ders., „Natürliches Christentum. Vier neue Religiöse Reden.“ (Stuttgart 1893). Ernst Horneffer: „Am Webstuhl der Zeit. Religiöse Reden“ (Leipzig 1914); Hermann Köstlin: „Religiöse Reden“ (um 1910).

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sche übersetzt.77 Nach E. Sturm ist der Einfluss der späten Predigten Tillichs „… auf die Theorie und Praxis der kirchlichen Verkündigung in den USA und Deutschland […] nicht zu unterschätzen.“78 Die letzte Gruppe unterscheidet sich von den frühen Predigten zunächst im Blick auf Sprache, kulturellen Kontext und Hörerschaft. Sodann sind es „Gelegenheitspredigten,“ die Tillich wie andere Fakultätsmitglieder zu halten hatte.79 Auffällig ist der große zeitliche Abstand zwischen den beiden Predigt-Phasen. Die Jahre 1919 bis 1945 bildeten (bis auf gelegentliche Ausnahmen) Tillichs „predigtlose“ Zeit, während der er auch kaum zur Kirche ging.80 Nach R. Albrecht war Tillich während der deutschen Universitätsjahre zwar vom Familien- und Freundeskreis zu gelegentlichen Kasualreden gebeten worden, hielt aber, soweit bekannt, während dieser Jahre nur einen einzigen Predigt-Gottesdienst. Es handelt sich um einen akademischen Gottesdienst, den er zum Semesterabschluss im Juli 1925 vor der Theologenschaft der Theologischen Fakultät der Universität Marburg hielt, zu dem er als Theologieprofessor einmal im Jahr verpflichtet war.81 Die Predigt hat den Text aus Mk 1, 16–29 zur Grundlage und ist mit „Über das Wagnis“ überschrieben.82 Da für Tillich die Zeit in Marburg in den Jahren 1924–1925 lediglich ein kurzes, wenn auch (allein durch die Begegnung mit Rudolf Otto) wichtiges Zwischenspiel in seiner akademischen Laufbahn bil77

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Im Unterschied zur englischen Originalausgabe fehlt in „Das neue Sein“ die Predigt „Love is stronger than death“. Dafür findet sich in „Das Ewige im Jetzt“ zusätzlich die Predigt „Damit sie Leben und reiche Fülle haben“. Dazu kommt die Predigt „Das Recht auf Hoffnung“, die Tillich kurz vor seinem Tod 1965 hielt (GW XIII, 528–537), auf die P. Cornehl eingeht (P. Cornehl 1989, 271–272). W. C. Bergmann analysiert auch eine unveröffentlichte Predigt von 1942 („The Buchanan-Sermon“), ohne aber leider den Text abzudrucken. W. C. Bergmann 2001, 178–187. Es existieren also auch außerhalb der drei Predigtbände noch andere Predigten (z. T. unveröffentlicht) aus Tillichs amerikanischer Zeit. Nicht zu rechnen sind die Radioansprachen über die „Stimme Amerikas“ an das deutsche Volk, da es sich hier nicht um religiöse Reden handelt. Schüssler/Sturm 2007, 204. Bereits 1954 rezipiert von Alfred Dedo Müller in seinem „Grundriß der Praktischer Theologie,“ A. D. Müller 1954, 202. Vgl. zur Rezeption auch W. Engemann 2002, 268–372; P. Cornehl 1989, 258. Die Bedeutung der drei veröffentlichten Predigtbände zeigt auch die große Anzahl der Rezensionen, die dazu in den USA erschienen. W. T. Sanders zählt vier Rezensionen zu Shaking of the Foundations, fünf zu The New Being und zehn zu The Eternal Now, W. T. Sanders 1983, 276. Vgl. P. Tillich 1969, 37; A. Rössler 1971, 3. P. Cornehl 1989, 256; W. C. Bergmann 2001, 74. Tillich selbst begründet diese zunehmende praktische Entfremdung jener Zeit mit wachsender Kritik, die er an Lehre und Einrichtungen der Kirche zu üben hatte, GW XII, 38. GW XIII, 181. Der Text der Predigt ist abgedruckt in GW XIII, 181–184.

2. Grenzgänge und Brückenschläge

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dete, blieb es bei dieser einen Predigt, der jedoch durch ihren Inhalt (sie richtet sich an angehende Prediger und deren zukünftige Aufgabe mit ihren Schwierigkeiten) und die zeitliche Nähe zu der für die spätere Entwicklung Tillichs bedeutsamen Marburger Dogmatik-Vorlesung und die 1925 veröffentlichte Religionsphilosophie besonderes Gewicht für die Darstellung der Entwicklung der impliziten Homiletik Tillichs zukommt. Zudem ist es die einzige bekannte Gottesdienst-Predigt aus der Zeit zwischen den frühen deutschen und den späten amerikanischen Predigten und nimmt so die Stellung eines Zwischenglieds ein. Sie bildet gewissermaßen seinen öffentlichen „Abschied“ von der Marburger Fakultät. Für die relativ predigtlose Zeit mögen innere als auch äußere Gründe, wie der Wechsel an eine nicht-theologische Fakultät und nach der Emigration die Tillich noch recht fremde englische Sprache, zusammengespielt haben.83 In einem Interview bezeichnete Tillich seine ersten Predigten in den USA am Smith College und Mt. Holyoke als „völliges Desaster“, was vor allem auch daran lag, dass „ihm damals nicht genügend klar war, was man den Studenten zumuten konnte“.84 Nach W. und M. Pauck scheute Tillich „keine Mühe, sich die Kunst des wirksamen Predigens vor jungen Amerikanern anzueignen. Auf diese Weise wurde er schließlich der beliebteste Prediger auf der Kanzel des Union Seminary“.85 Der Anstoß zur Wiederaufnahme seiner Predigtpraxis kam von Außen. Als Fakultätsmitglied des Union Theological Seminary war er verpflichtet an den täglichen Andachten teilzunehmen und regelmäßig zu predigen, eine Herausforderung, der Tillich einen positiven Effekt auf die Entwicklung seiner Ausdrucksfähigkeit zusprach.86 Tillich selbst bemerkt dazu: „Darüber hinaus gibt Union Seminary seinen Mitgliedern einen Platz des gemeinsamen Gottesdienstes. Das war eine neue Erfahrung für mich, zudem eine sehr bedeutsame. Sie gewährt der Professorenschaft eine Gelegenheit, theologische Gedanken im Verhältnis zu ihrem eigenen und zum allgemeinen frommen Leben der Kirche in Beziehung zu setzen. […] Es legte mir die Verpflichtung auf, mich in Meditation und Predigt ebenso 83

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P. Cornehl nennt als Ursache für die Entfremdung von Predigt und Gottesdienst in dieser Zeit eine „biographisch-institutionelle Erklärung“ und „inhaltliche Gründe“: Zum einen lehrte er ab 1925 nicht mehr an einer theologischen Fakultät; zum anderen lebte er auch seine Kritik an Kirche und traditioneller kirchlicher Verkündigung, wie sie z. B. in seinem Vortrag „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ von 1928 zum Ausdruck kam, aber auch noch im dritten Band der Systematischen Theologie von 1963, vgl. STE III, 236 = STD III, 271. W. und M. Pauck 1978, 236. W. und M. Pauck 1978, 237. W. C. Bergmann 2001, 73–74.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

auszudrücken wie in abstrakten theologischen Konzepten der Vorlesungen und Aufsätze.“87

Die (immerhin fünfzehn bis dreißig Jahre nach seiner Ankunft in den USA) in den drei Bänden veröffentlichten Predigten fallen zugleich in die Zeit seiner Arbeit an den drei Bänden der Systematic Theology (1951, 1957, 1963) und den beiden Bänden The Courage to Be (1952, „Der Mut zum Sein“) und Dynamics of Faith (1957, „Wesen und Wandel der Glaubens“). Interessant ist angesichts dieser Unterschiede zwischen frühen und späten Predigten die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in der Predigttheorie Tillichs. Dieser Frage soll besonders unter dem Tillich’schen Leitbegriff der „Apologetik“, wie er bereits in dem Aufsatz „Kirchliche Apologetik“ von 1913 (zuerst veröffentlicht 1972) entfaltet wird, und anhand einer vergleichenden Predigtanalyse nachgegangen werden. Tillichs oft schwer zu verstehende theoretischen Schriften einerseits und seine Popularität als Prediger in den USA andererseits führten zu einer doppelten Tillich-Rezeption.88 Der katholische Theologe George T. Tavard unterschied als erster in seiner Darstellung der Theologie Tillichs (Paul Tillich and the Christian Message, New York 1962) den Systematiker von dem Prediger Paul Tillich: „Tillich as preacher is infinitely more faithful to the word than Tillich as system-bilder.“89 Zwar hat sich nach W. Schüssler und E. Sturm diese Differenzierung in Tillich als „spekulativen System-Denker“ einerseits und als Prediger andererseits weitgehend durchgesetzt.90 Andererseits gelten gerade die Predigten als leichtverständlicher Einstieg in sein System.91 87 88

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90 91

P. Tillich 1969, 37. Die Herausgeberin (Renate Albrecht, die Herausgeberin der GW, der dieser Band auch gewidmet ist) des biographisch angelegten Bandes XIII der Gesammelten Werke Tillichs („Impressionen und Reflexionen, Ein Lebensbild in Aufsätzen, Reden und Stellungnahmen“ 1972), lässt jeden der sieben Lebensabschnitte, in die der Band gegliedert ist, unter dem Stichwort „Der Prediger“ mit einer Predigt Tillichs beschließen. In dem Band findet sich auch ein Abschnitt über den Feldprediger Tillich, GW XIII, 69–79. George T. Tavard, Paul Tillich and the Christian Message. New York 1962, 139. Zitiert nach W. Schüssler/E. Sturm 2007, 237. Es mag dahingestellt bleiben, ob man sich dem Urteil Tavards anschließen will, da es einen inneren Bruch zwischen der Systematischen Theologie Tillichs und seiner Verkündigung impliziert, der hinsichtlich dessen, was über die Funktion der Theologie als Apologetik bei Tillich zu sagen ist, zumindest fraglich erscheint. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 237. So z. B. A. Köberle 1962, 58; A. Rössler 1971, 2; W. T. Terrell 1983, ix; D. H. Kelsey 2002, ix; u. v. a. D. H. Kelsey schreibt in seinem Vorwort zu dem Predigtband The Eternal Now: „Thus collections of Tillich’s sermons such as The Eternal Now can serve as both entrance and exit to his System. As entrance, they can help ground the

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Eine gründliche Analyse zeigt zudem, dass Tavards’ Urteil widersprochen werden muss, wenn es auf der Tatsache beruht, dass Tillich in der Systematischen Theologie fast völlig auf Bibelzitate verzichtet und eine Terminologie verwendet, die im Wesentlichen von traditioneller biblisch-kirchlicher Begrifflichkeit abweicht.92 Vielmehr lassen sich die Konstruktionsprinzipien der Theologie Tillichs mühelos in den Predigten aufzeigen, ebenso wie die Tatsache, dass Tillich die biblischen Texte in der Regel als „Sprungbrett“ und Illustration der Rede verwendet. Im Vorwort zum ersten Predigtband The Shaking of the Foundations (1948)93 nennt Tillich zwei Gründe für die Veröffentlichung seiner amerikanischen Predigten. Zum einen hält er sie selbst für einen geeigneten Einstieg in sein Denken, da er vielen seiner Studenten und Freunden außerhalb des Seminars, die Schwierigkeiten hätten, seine theologischen Gedanken zu durchdringen, mit einer Veröffentlichung entgegenkommen möchte. „They believe that through my sermons the practical or, more exactly, the existential implications of my theology are more clearly manifest. I should like to think that the sermons included here help to show that the strictly systematic character of a theology does not prevent it from being ‘practical’ – that is to say: applicable to the personal and social problems of our religious life.“94

An diesem Zitat wird der innere Zusammenhang von Systematischer Theologie und der Predigt als Erhellung der existenziellen Implikationen und als applicatio deutlich. Als zweiten und wichtigeren Grund nennt er, dass ein Großteil der Gottesdienstbesucher „… from outside the Christian circle in the most radical sense of the phrase“95 kam. Für sie habe eine Predigt (sermon)

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abstractions of the System in concrete experience. As exit, they can help illumine the practical upshot of the System for the shape of our daily lives. But serving as entrance or exit to Tillich’s systematic thought is at most a secondary gain from reading The Eternal Now. It rewards reading for its own sake simply because it deepens us.“ Ebd. ix–x. Und Adolf Köberle meint: „Tillich ist nicht leicht zu verstehen. […] Wer einen erste Zugang zu diesem Lebenswerk finden möchte, dem seien die beiden Bände ‚Religiöse Reden‘ empfohlen […] ,wo dieser im besten Sinn des Wortes moderne Theologe eine ehrfürchtig am biblischen Wort orientierte Frömmigkeit erkennen lässt.“ Ebd., 58. Zur Erwiderung Tillichs auf diesen Einwand gegen sein System vgl. die Vorrede zum zweiten Band der Systematischen Theologie, STD II, 8 = STE II, viii. P. Tillich 1950, Preface o. S. Leider ist dieses für Tillichs Predigttheorie relevante Vorwort, auf das ich nochmals zurückkommen werde, in der deutschen Ausgabe „Religiöse Reden“ von 1987 nicht wiedergegeben. SF, Preface o. S. SF, Preface o. S.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

in traditionellen biblischen Begriffen keine Bedeutung. Deshalb sieht sich Tillich verpflichtet (obliged), eine Sprache zu suchen, die in anderen Begriffen die menschliche Erfahrung (human experience) ausdrückt, die durch biblische und kirchliche Sprache angezeigt werde.96 „In this situation, an ‘apologetic’ type of sermon has been developed. And, since I believe that this is generally the situation in which the Christian message has to be pronounced today, I hope that the publication of some attempts to meet this situation may not be useless.“97

Dieser kurze Abschnitt enthält Tillichs Theologie- und Predigtverständnis in nuce. Zudem findet sich hier ein Hinweis auf die von Tillich angesprochene Hörerschaft. In der vorausgesetzten Situation, in der traditioneller biblisch-kirchlicher Sprachgebrauch unverständlich geworden sei, sieht Tillich die Situation der christlichen Verkündigung generell.98 So versucht er gerade auch in den Predigten in Korrelation zu den existenziellen Fragen und vor dem Hintergrund seiner philosophischen Theologie auf z. T. meta-kommunikative Weise Begriffe der christlichen Tradition durch pragmatisch-kommunikativ valide Funktionsäquivalente zu ersetzen oder neu zu interpretieren.99 Tillich hat zwar keine ausgearbeitete Predigtlehre hinterlassen, es kann aber von einer „indirekten Homiletik“ Tillichs gesprochen werden.100 Im Zentrum der von Tillich selbst dezidiert als apologetisch verstandenen Theologie steht also die Bemühung um eine neue, für den modernen und kirchlich entfremdeten Menschen verständliche und relevante Deutung und Sprachgestalt der christlichen Botschaft angesichts der Säkularisierung. Es geht – mit Eugen Biser gesprochen – um die Neuentdeckung des Christentums für die jeweilige Zeit.101 Es entspricht Tillichs apologetischer Intention, dass er eine Begrifflichkeit zu verwenden sucht, die Vorurteile gegenüber der christlichen Botschaft ausräumen und zugleich deren Relevanz für die Gegenwart aufzeigen möchte.102 Die neue Begrifflichkeit entwickelt Tillich auf der Basis des 96 97 98 99 100

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SF, Preface o. S. SF, Preface o. S. Eine ausführliche homiletische Situationsanalyse gibt Tillich (neben anderen in seinem Werk verstreuten Äußerungen) besonders in den Earl Lectures 1963. Vgl. insbesondere auch die Predigt „You are Accepted“ (SF 153–163 = RR I 144– 153), die ich ausführlich analysiere. Wie es z. B. A. Haizmann in seiner Habilitationsschrift anhand der Reden Sören Kierkegaards getan hat. Albrecht Haizmann: Indirekte Homiletik. Kierkegaards Predigtlehre in seinen Reden, Leipzig 2006. E. Biser 22001, 10. Inwiefern dieser Versuch als gelungen bezeichnet werden kann und ob er auch über vierzig Jahre nach Tillichs Tod unter anderen kulturellen und philosophischen Bedingungen noch von Bedeutung ist, sei an dieser Stelle dahingestellt.

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Kerygmas als Antwort auf gestellte (existenzielle) Fragen, denn allein eine antwortende Theologie, die sich in Korrelation zu den existenziellen Fragen des modernen Menschen in dialektischer Weise entwickelt, kann nach Tillich relevant sein. Das gilt sowohl für seine Systematische Theologie103 als auch für seine Predigten. Der apologetischen Theologie Tillichs entspricht sein apologetischer Predigttypus.104 Dies lässt sich anhand von Intention, Inhalt und Methodik der Durchführung zeigen. Tillich geht es dabei auch wesentlich um die Korrektur eines missverständlich gewordenen Begriffs von Glauben als Für-wahr-Halten von Unglaubwürdigem und die Neuformulierung der paulinisch-reformatorischen Rechtfertigungslehre als „Angenommensein, obwohl wir unannehmbar sind.“ Die Neuinterpretationen des Glaubensbegriffes als „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“ und der Rechtfertigungslehre sind eingespannt in eine umfassende nichtdualistische Lebensphilosophie und Ontologie, aus der heraus sie zu verstehen sind. Dass diese Bemühungen Tillichs im Dienst der Kommunikation des Evangeliums stehen, macht neben seinen theoretischen Schriften zur Predigttheorie der von ihm entwickelte „apologetische“ Predigttypus deutlich. Die Frage nach der Relevanz der christlichen Botschaft und deren Kommunikabilität unter den Bedingungen der Moderne ist das zentrale Motiv in Tillichs philosophischer Theologie und bildet bei allem äußerem Wandel ein thematisches Kontinuum. Bereits in der Moabiter Zeit (1912) wurde Tillich die homiletische Krise konventioneller kirchlicher Verkündigung deutlich bewusst, was in der „Kirchlichen Apologetik“ (1913) Ausdruck fand. Dieses Krisenbewusstsein hatte sich nach dem 1. Weltkrieg verschärft, wie der für Tillichs Predigttheorie wichtige Aufsatz von 1928 über die „Protestantische Verkündigung“ zeigt. Hier wird auch deutlich, dass Tillich homiletische Fragestellungen selbst in einer Zeit persönlicher kirchlicher Entfremdung beschäftigt haben. Auch in der amerikanischen Zeit, in der Tillich parallel zur Arbeit an den drei Bänden der Systematic Theology (1951, 1957, 1963) und den für seinen Glaubensbegriff zentralen Schriften „The Courage 103

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„Aber ich kann keine Kritik als fruchtbar ansehen, die behauptet, ich hätte die Substanz der christlichen Botschaft preisgegeben, nur deshalb, weil ich eine Terminologie benutze, die sich bewußt von der biblischen oder kirchlichen Sprache entfernt. Ohne solche Neuformulierung würde ich es für überflüssig halten, ein theologisches System zu entwickeln (Without such deviation, I would not have deemed it worthwhile to develop a theological system for our period [Hervorhebung von mir]).“ STD II, 8; STE II, viii. Dies betont auch W. T. Sanders 1983, vi–ix.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

to Be“ (1952) und Dynamics of Faith (1957) drei Predigtbände veröffentlichte (Shaking of the Foundations 1948, The New Being 1955, The Eternal Now 1963), befasste er sich auch theoretisch mit Fragen der Homiletik. 1952 hielt Tillich einen Vortrag, der 1959 in der von Robert C. Kimball edierten Aufsatzsammlung Theology of Culture als Conclusion unter dem Titel „Communicating the Christian Message: A Question to Christian Ministers and Teachers“ aufgenommen wurde. Die darin zur Sprache gebrachten homiletischen Einsichten bilden gewissermaßen die praktischen Konsequenzen seiner „Idee einer Theologie der Kultur“, die Tillich bereits 1919 in seinem wichtigen Vortrag vor der Kant-Gesellschaft in Berlin entworfen hat. Eine Besonderheit dieses Aufsatzes bildet die Aussage über die Funktion der Kommunikation der christlichen Botschaft: „The Christian Gospel is a matter of decision. It is to be accepted or rejected. All that we who communicate this Gospel can do is to make possible a genuine decision.“105 Und schließlich nimmt Tillich die Frage nach einer relevanten Kommunikation der christlichen Botschaft in den 1963 gehaltenen Earl Lectures über „The Irrelevance and Relevance of the Christian Message“ auf (vgl. Abschnitt 4.3.5). Zwischen der „Kirchlichen Apologetik“ und den Earl Lectures liegen exakt 50 Jahre – das zentrale Anliegen des Schaffens Tillichs blieb dabei in erstaunlicher Kontinuität die Frage nach einer für Glauben und Kirche entfremdeten Menschen der Gegenwart relevante Predigt. Und im Mittelpunkt der Frage nach der Kommunikation der christlichen Botschaft steht das Glaubensverständnis. Jede Interpretation der Theologie Tillichs, die diesen Horizont unterschlägt, führt notwendig zu einer einseitigen und damit im Entscheidenden verkürzten Wahrnehmungsperspektive. Anhand von Einzelanalysen von Tillich-Predigten kann ein induktiver Zugang zu Tillichs Glaubens- und Predigtverständnis gewonnen werden. Andererseits war Tillich in erster Linie akademischer Lehrer– und nicht Seelsorger und Prediger. Dies ist auch ein Grund, weshalb die Bedeutung Tillichs für die Homiletik bisher relativ geringe Aufmerksamkeit seitens der Forschung erfahren hat.106 Wenn auch seine Predigten nur einen kleineren Teil seines Gesamtwerkes ausmachen, so bilden sie doch als von Tillich selbst als „apologetische“ Predigten verstandene Reden die praktisch-kirchliche Konsequenz seiner apolo105

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P. Tillich 1959, 201 (= GW VIII, 265). Leider ist die deutsche Übersetzung an etlichen Stellen ungenau und gibt u. a. den von Tillich bewusst gewählten Begriff (reziproker) „communication“ mit „Verkündigung“ wieder, was den Eindruck eines kerygma-theologischen Einsprengsels bei Tillich noch verstärkt. So auch W. T. Terrell 1983, vii; H. S. Na 1996, 5 und 356; W. C. Bergmann 2001, 5.

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getischen Theologie und damit gewissermaßen die „Nagelprobe“ seines theologischen Schaffens.107 Zugleich zeigen sie auch Tillichs große homiletische und seelsorgliche Begabung, die ihm regelmäßig bescheinigt wurde.108

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Ähnlich W. T. Sanders vi. Wie sehr Tillich seine philosophisch-theologische Arbeit durch die Aufgabe der Verkündigung der christlichen Botschaft motiviert sah, machen wiederum besonders seine Earl Lectures von 1963 deutlich. Vgl. z. B. die Übersicht über Rezensionen zu Tillichs Predigtbänden bei W. T. Sanders 1983, 275–287. Vgl. auch z. B. Helmut Thielicke in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Hanseatischen Goethe-Preises, der insbesondere das seelsorgliche Motiv in Tillichs Theologie hervorhebt (H. Thielicke 1967, 190–191). Ebenso Otto Dibelius, der Tillich als den „großen Seelsorger des innerlich ringenden Menschen von heute“ bezeichnete (Laudatio bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1962) oder William Carl Bergmann, der Tillich einen der gefragtesten und beliebtesten Prediger der USA nennt, W. C. Bergmann 2001, 1. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und ich werde an gegebener Stelle darauf zurückkommen.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs 3.1 Grundlinien der philosophischen Theologie Tillichs: Funktion, Konstruktionsprinzipien, Durchführung Zunächst frage ich nach Funktion, Konstruktionsprinzipien und Durchführung von Tillichs philosophischer Theologie, in welcher der Glaubensbegriff verortet ist. In einem zweiten Arbeitsgang wird dann der Glaubensbegriff selbst im Abriss dargestellt, um anschließend zu fragen, wie sich dieses Glaubensverständnis auf die Homiletik auswirkt.

3.1.1 Funktion: Apologetik als die Kunst zu antworten Tillichs apologetische Intention geht in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück und war bereits prägend für seine frühe theologische Arbeit.1 1913 führte Tillich in Berlin zusammen mit Carl Richard Wegener (von ihnen scherzhaft so genannte) „Vernunft-Abende“ durch, um die der Kirche entfremdeten Gebildeten zu erreichen. 2 Diese Praxis 1

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In dem Entwurf für eine Systematische Theologie in 72 Thesen von 1913 findet sich die Dreiteilung in Apologetik, Dogmatik und Ethik, vgl. dazu die Arbeit von A. Bernet-Strahm 1982, 161–184. Insgesamt halte ich die starke Betonung des Ersten Weltkrieges als entscheidende Wende in Tillichs Denken, wie sie z. B. jüngst W. C. Bergmann wieder für seine Tillich-Deutung ins Feld führt, zumindest in dieser Hinsicht für relativierungsbedürftig. Die theologischen Ansätze, wie sie sich nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten, waren in ihrer Anlage bereits vorhanden (vgl. W. C. Bergmann 2001, 21–25). Diese Vernunft-Abende waren offene Diskussionsrunden mit einführenden Vorträgen über Themen zu Religion und moderner Gesellschaft, die nicht in kirchlichen Räumen, sondern in einer privaten Wohnung abgehalten wurden. Damals definierte Tillich Apologetik noch als „… Verantwortung gegenüber einem Angreifer vor einer gemeinsam anerkannten Instanz“ (Tillich GW XII, 38). Vgl. den Bericht Tillichs über die apologetische Vortragstätigkeit im Winter 1912/13 in Berlin in GW XIII, 59–61 und den

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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hat Tillich 1913 in dem Memorandum „Kirchlichen Apologetik“ reflektiert. Die darin zum Ausdruck kommende apologetische Intention hat sich in erstaunlicher Kontinuität bis in den (genau ein halbes Jahrhundert später erschienenen) dritten Band der Systematischen Theologie und die ebenfalls 1963 gehaltenen Earl Lectures durchgehalten. Tillichs Theologie ist apologetische, d. h. für den späteren Tillich: antwortende Theologie.3 Sie ist eine Funktion der Kirche.4 3.1.1.1 Die „Kirchliche Apologetik“ von 19135 Bereits 1913 erhob Tillich in seinem Memorandum „Kirchliche Apologetik“6 an die „Gesamtkirche“ die Forderung, dass die Kirchen Apologetik treiben müssen. 7

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Bericht über Tillich als Apologeten von Maria Rhine in GW XIII, 543–545. Tillich ging es auch später immer um die „gemeinsam anerkannte Instanz“, die er später als den „common ground“ bezeichnete: “Apologetik setzt gemeinsamen Boden (common ground) voraus, wie unbestimmt dieser auch sein mag“ (STD I, 13 = STE I, 6). STD I, 12–15 ; III, 126, 224–228; STE I, 6–8; III, 193–196. Vgl. auch Josef Schmitz: Die apologetische Theologie Paul Tillichs. Mainz 1966. Zur Apologetik vergleiche neuerdings Michael Roth (2002): „Gott im Widerspruch? Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik.“ Zu dieser Bestimmung der Aufgabe der Theologie bei Tillich vgl. H-M. Rieger 2008, 151–157. Rieger weist darauf hin, dass diese Bestimmung bei Tillich – im Unterschied zu Bonhoeffer und Barth – im Kontext der Apologetik zu verstehen ist und mit der Aufgabe der Vermittlung und einer Kulturhermeneutik einhergeht (H-M. Rieger 2008, 152). MW 6, 40–61; GW VIII, 34–58. Vgl. dazu auch die Arbeit von Doris Lax 2006, 63–115, in der die „Vernunftabende“ und die „Kirchliche Apologetik“ behandelt werden. Lax bringt ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass diese Schrift angesichts ihrer Bedeutung noch nicht Gegenstand eigener Untersuchung geworden ist (D. Lax 2006, 91). MW 6, 39–61 = GW XIII, 34–58. Dieser Aufsatz entstand im Zusammenhang mit Tillichs apologetischer Vortragstätigkeit in Berlin 1912–1913, über die er einen Bericht gibt, der als Anhang zu diesem Aufsatz erhalten ist (vgl. dazu, sowie zur Datierung, die Hinweise zur Textgeschichte in MW 6, 39). Dieser Text aus dem Paul-Tillich-Archiv in Cambridge/Mass. (HA 204:049) wurde erst 1972 in GW XIII, 34–58 veröffentlicht und stand Josef Schmitz für seine Habilitationsschrift „Die apologetische Theologie Paul Tillichs“ nicht zur Verfügung. Andreas Rössler lag für seine Dissertation 1971 der Aufsatz in hektographierter Form im Paul-Tillich-Archiv (ohne Standortangabe) mit der Signatur V 13/1 vor; er zieht ihn jedoch nur im Anhang im Zusammenhang mit Tillichs frühen Predigten heran. Da dieser Text jedoch zentral ist für das Verständnis von Tillichs Predigten und seiner Predigttheorie insgesamt, sowie für das Verständnis der Entwicklung Tillichs als apologetischen Theologen, soll der Aufsatz hier in seinen Grundaussagen referiert werden. MW 6, 60. Tillich reichte sein Memorandum bei der brandenburgischen Kirchenleitung ein. Es führte nach Tillichs eigener Angabe später zur Gründung der „Apologetischen Zentrale der Inneren Mission“ (GW XII, 39), der Vorläuferorganisation der heutigen Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Theoretisch vorbereitet war die „Kirchliche Apologetik“ bereits in der Examenspredigt von 1908 und in den zehn Promotionsthesen vom Februar 1912: „Die Kirche

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Die Theorie einer praktischen Apologetik, entfaltet Tillich in diesem Memorandum unter den Punkten „Ziele und Methoden der Apologetik“, „Objekte der Apologetik“, „Die Grenzen der Apologetik“, „Der apologetische Stoff“, „Die apologetische Praxis“ und „Der Apologet“. Die Zielgruppe der Apologetik bilden 1913 (wie auch dann in ST III 1963) die Gebildeten innerhalb einer christlichen Kultur, die der Kirche entfremdet sind oder ihr gar feindselig gegenüberstehen.8 Apologetik ist eine betont kirchliche Aufgabe: „Verständnis erwecken–überzeugen–Gemeinschaft stiften: das ist das dreifache Ziel der Apologetik.“9 Ihr „letztes, höchstes Ziel“ dabei ist: „Sie will die Gebildeten zurückführen zur Gemeinde.“10 Diese Zielgruppenbestimmung unterscheidet Apologetik und Evangelisation von der Mission als primärer Funktion der Ausbreitung der Kirche.11 Bereits 1913 unterscheidet Tillich wie in ST III zwischen wissenschaftlicher und praktischer Apologetik und definiert: „Die praktische Apologetik hat die Aufgabe, von dem vorhandenen Wahrheitsbesitz auf dem Wege des Denkens zu der christlichen Wahrheit hinzuführen.“12 Dabei bildet „[d]ie wissenschaftliche Apologetik […] jederzeit die Voraussetzung der praktischen.“13 So wie Tillich in der Marburger Dogmatik-Vorlesung sagen konnte: Dogmatik ist Angriff14, so gilt auch von der Apologetik, dass sie „Lehre vom Angriff“ ist: „Die Apologetik ist das aggressive Organ der Kirche gegenüber der Bildung; im Angriff liegt ihre Verteidigung.“15 Als solcher „Angriff“ will sie aber nichts anderes als intellektuelle Diakonie, „Dienst am Denken“16 sein. Den martialischen Begriff des Angriffs hat Tillich später aufgegeben.

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kann ihrer apologetischen Arbeit an den Gebildeten nur dann gerecht werden, wenn sie weder die Verteidigung kirchlicher Lehren, noch Grenzregulierungen zwischen Glauben und Wissen anstrebt, sondern das lebendige dialektische Verhältnis des vorhandenen Geistslebens zum Christentum offenbar macht.“ MW 1, 25. Vgl. dazu auch E. Sturm 1999, 251. MW 6, 47; STD III, 227 = STE III, 195. MW 6, 46. MW 6,46. STD III, 224–225 = STE III, 193–194. MW 6, 40 (im Original gesperrt). MW 6, 40. GWE XIV, 1. MW 6, 46 (kursiv im Original). Der Begriff des Angriffs im Zusammenhang der Apologetik findet sich bereits bei Kierkegaard in „Die Krankheit zum Tode“ (S. Kierkegaard 2005 [1849], 88). MW 6, 49. Als solche unterscheidet Tillich damals noch Apologetik von Predigt und Seelsorge (MW 6, 49), auch wenn für christliche Kreise Predigt, Seelsorge und Theologie apologetische Bedürfnisse erfüllen (MW 6, 47). Andererseits kann Apologetik

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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Nun gab es zwar nach Tillich immer schon wissenschaftliche Apologetik, aus der letztlich die Theologie entstanden ist, aber der praktischen Apologetik eignete der „Charakter des Gelegentlichen, Zufälligen, Individuellen.“17 Das sei geschichtlich dadurch bedingt, dass die Wahrheit des Christentums allgemeine Geltung beanspruchen konnte, wobei Gegner dieses allgemein anerkannten Geltungsanspruches mit dem Ziel ihrer Bekehrung zum Gegenstand der Seelsorge und/oder der Verfolgung wurden. Daher kam es nach Tillich bisher zu keiner Theorie der praktischen Apologetik, die aber nun von der geschichtlichen Lage erzwungen werde. Tillich versucht in diesem Aufsatz daher „eine Theorie der praktischen Apologetik“ zu geben. Die „Voraussetzung für eine organisierte kirchliche Apologetik ist die Anerkennung, daß der ernste Gegner der christlichen Lehre nicht sowohl als Ungläubiger, der zu bekehren ist, sondern zuerst einmal als Irrender, der nicht ohne Wahrheitsbesitz ist, behandelt werden muß.“18 Nach einem geistes- und kulturgeschichtlichen Rückblick konstatiert Tillich einen „verhängnisvolle[n] Gegensatz von kirchlicher Verkündigung und christianisierter Kultur […]“19 und kommt zu dem Schluss: „die ordnungsmäßige christliche Predigt erreicht die Menge der Gebildeten nicht mehr, das ist das Resultat.“20 Sei für die Zielgruppe der „Massen des Volkes“, die von der „kirchlichen Beeinflussung“ nicht mehr erreicht werden, die Innere Mission zuständig, so muss „[a]us der Erkenntnis, daß die kirchliche Predigt die Gebildeten nicht erreicht, […] die Apologetik geboren werden, und zwar von vornherein als kirchliche Apologetik.“21 Darin sieht Tillich die „Forderung der Lage.“22

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als „Missionsarbeit“ auch in „Gemeindearbeit“ übergehen auch wenn „der Begriff der Apologetik immer an der nichtkirchlichen Religion und Geisteskultur“ orientiert bleibt (MW 6, 48). So geht Apologetik über in Evangelisation (MW 6, 50). MW 6, 40. Inwieweit dieses historische Urteil Tillichs zutrifft, mag bezweifelt werden. Zu den individuellen Versuchen praktischer Apologetik rechnet Tillich vielleicht u. a. die bemerkenswerten Ausführungen zur Apologetik bei F. A. G. Tholuck (dessen Schüler Tillichs Lehrer M. Kähler in Halle war): „Über den Werth der verschiedenen Arten von der Wahrheit des Christenthums zu überzeugen, oder über das wechselseitige Verhältnis der Apologetik, Dogmatik und christlicher innerer Erfahrung.“ In: „Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner oder die wahre Weihe des Zweiflers.“ Hamburg 1830 (3., verb. Aufl.), 180–191 (dort auch weitere Literaturangaben!). Vgl. Insbesondere die Verhältnisbestimmung von Zweifel und innerer Evidenzerfahrung ebd. MW 6, 40. MW 6, 42. MW 6, 42 (im Original gesperrt). MW 6, 42 (im Original gesperrt). MW 6, 42.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Reflektieren der Sprachstil und die ungebrochene Kirchlichkeit Tillichs eindeutig die Situation seines theologischen Entwicklungsganges am Ende des ausgehenden „19. Jahrhunderts“, so ist das Grundanliegen Tillichs, die dem christlichen Glauben gegenüber ablehnend oder fern stehenden Gebildeten mit der Wahrheit der christlichen Botschaft zu erreichen, die Intention seiner Theologie und Verkündigung geblieben  – wie sie gerade auch in seine späten Predigten zum Ausdruck kommt. In dieser Intention stimmt Tillich, wie regelmäßig hervorgehoben wird, mit den „Reden“ Schleiermachers überein: „Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799). Da Apologetik nach Tillich die von ihm wahrgenommene „Kluft“ zwischen Kirche und kirchlicher Verkündigung und den „geistig lebendigen, kirchenfremden Gebildeten“ überbrücken will, besteht die erste Forderung darin, „[…] zunächst einmal wieder Fühlung miteinander zu gewinnen, im äußeren und inneren Sinn.“23 Dabei geht es um eine differenzierte Wahrnehmung des jeweiligen Gegenübers, die zu einem gegenseitigen „Kennen- und Verstehenlernen“ führen soll. Es geht um die nicht durch modische Schlagworte verstellte differenzierte Wahrnehmung der (geistigen) Lebenswirklichkeit des Gegenübers. Der Apologet will jedoch nicht nur verstehen, sondern auch verstanden werden. Dazu ist es notwendig, dass er nicht in der Autorität eines Lehrers gegenüber einem Schüler auftritt (die Autonomie des Gegenübers ist zu respektieren), „[…] sondern er muß sich als Mitsuchenden geben, weil er es eben ist, und er muß hineinblicken lassen in die Wege, die er gegangen ist und geht […].“24 Der Apologet öffnet sich, er nimmt Teil und gibt Teil an einer gemeinsamen Suche nach der Wahrheit. Diese Grundhaltung, die Tillich an späterer Stelle mit dem Begriff der Partizipation 25 beschreibt, findet sich auch noch als Forderung in den späten Predigten und charakterisiert auch die Begegnungen mit Vertretern anderer Religionen, wie z. B. in Japan. 26 Die zweite Aufgabe der Apologetik besteht darin, zu überzeugen, was in echtem Verstehen schon impliziert sei. Dieses Überzeugen geschieht in Form von Autorität (im Sinne einer allgemeinen Anerkennung), Zeugnis und dem Hinweis auf die geschichtliche Wirksamkeit und die praktischen Konsequenzen eines Gedankens. All dies sind je23 24

25 26

MW 6, 43; Hervorhebung im Original. MW 6, 44. Gerade diese Haltung Tillichs hat nach Kasai seine japanischen Gesprächspartner anlässlich des Japanbesuches 1960 tief beeindruckt, vgl. K. Kasai 1980, 175. GW VIII, 265 u. ö. Vgl. z. B. die Predigt-Trilogie „The Theologian“ in SF, 118–129.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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doch nur „pädagogische“ Hilfen, die nie pädagogisch wirken dürfen. Letztlich gilt: „Die Wahrheit ruht auf sich selbst und der ihr innewohnenden Evidenz.“27 Die „Gedankenarbeit,“ die der Apologet nach Tillich zu verfolgen hat, muss zunächst „… die Voraussetzungen der gegnerischen Position erschüttern …“ (das negative Element), um dann „… aus der Negation die Position zu entwickeln, auszubreiten und zu begründen,…“ (das positive Element). 28 Tillich begründet es mit seiner ontologischen Grundeinsicht: „[…] denn alle Negation ist nur möglich aufgrund einer Position. Das zu zeigen, aus der Negation die Position zu entwickeln, auszubreiten und zu begründen, ist nun die schwere und entscheidende Aufgabe.“29 Dies ist eine Grundstruktur, die sich bis in die rhetorische Analyse von Tillichs Werken, wie den Aufbau der Systematischen Theologie, “The Courage to Be” oder einzelner Predigten verfolgen lässt. Bereits hier finden wir (und zwar im Dienst der apologetischen Verkündigung) das Konstruktionsprinzip Tillich’schen Denkens, wie es F. Wagner als „Absolute Positivität“ dargestellt hat.30 Diese Aufgabe, aus der Negation die Position zu entwickeln, kann nun nach Tillich mehr „dialektisch“ oder „konstruktiv“ umgesetzt werden. Die „dialektische Methode“ geht von vorhandenen Positionen aus und führt sie aufgrund ihrer Partizipation an der Wahrheit zu ihrem Ziel im Christentum. Die „konstruktive Methode“ geht von der behaupteten Wahrheit aus und beweist diese.31 Induktive und deduktive Kommunikationsstrategie bleiben jedoch aufeinander bezogen, und die Verwendung der jeweiligen Methode hängt von der konkreten Situation ab. An dieser Stelle wird bereits die Struktur der „Methode der Korrelation“ sichtbar, wie sie später von Tillich ausgearbeitet wurde.32 Diese intellektuelle Aufgabe kann der Apologet jedoch nur auf der Basis seiner persönlichen christlichen Überzeugung und in dem Wissen um die Stückwerkhaftigkeit eigener Wahrheitserkenntnis erfüllen. Auch über der Arbeit des Apologeten steht das „Nein und Ja des Rechtfertigungsglaubens […]. Nur auf dem Boden des Rechtfer27 28 29 30 31 32

MW 6, 44–45. Darin stimmt Tillich mit Karl Barth überein, zieht aber in der Bewertung der Apologetik eine andere Konsequenz daraus. MW 6, 45. MW 6, 45. F. Wagner 1973, 172–191. MW 6, 45. Vgl. auch M. Repp 1982, der den Hintergrund der Korrelationsmethode in der frühen deduktiven Dialektik Tillichs findet (M. Repp 1982, 209). Allerdings geht Repp nicht auf die Kirchliche Apologetik ein.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

tigungsglaubens, auch dem Denken gegenüber, ist Apologetik möglich.“33 Tillich benennt als weitere und „absolute“ Grenze der Apologetik: als intellektuelle Diakonie will sie die Hindernisse für die Annahme der christlichen Botschaft aus dem Weg räumen, aber sie will nicht bekehren.34 Dieses Motiv, (intellektuelle) Hindernisse oder wie Tillich später formuliert „wrong stumbling blocks“ aus dem Weg zu räumen, ist ein bis zuletzt immer wiederkehrendes Anliegen in Tillichs Gesamtwerk, sei es in den theoretischen Schriften oder in den Predigten.35 Das zentrale apologetische Problem, nämlich der Möglichkeit des theoretisch-intellektuellen Zugangs zum Christentum, beantwortet Tillich mit dem „absoluten Paradox.“ Die Paradoxie des Christentums sei identisch mit der Paradoxie des Denkens.36 Das „radikale Denken stürzt in seinen eigenen Abgrund, wenn es nicht im Christentum sein Fundament findet.“37 Apologetik könne zu dieser Einsicht führen, aber sie kann niemanden zwingen, „diese Erkenntnis als freie Tat zu erfassen, sich hineinzustellen in die lebendige Paradoxie der Gemeinschaft mit dem, der die Wahrheit ist.“38 Der Wahrheitsbegriff ist vom christologischen Paradox her bestimmt, deshalb ist die „Selbstverneinung“ (!) Bedingung für radikales Denken. Die Widerstände gegen diese Selbstverneinung muss der Apologet aufdecken und so die Hörer zu wahrer Selbsterkenntnis führen. Seine ständige Predigt ist das γνῶθι σεαυτόν („Erkenne dich selbst!“).39 An dieser Grenze hört die Apologetik auf, denn hier beginnt der Glaube als menschlich unverfügbare Tat Gottes.40 Hier wirkt bei Tillich die klassisch-erweckungstheologische negative Anknüpfung am Sündenbewusstsein des Menschen, wie sie auch von den Hallensern Tholuck und Kähler durchgeführt wurde, deutlich nach.41 Zugleich macht die Verschränkung von Rationalität 33 34 35 36 37 38 39 40 41

MW 6, 46. MW 6, 50. P. Tillich 1959, 213 u. ö. Dahinter steht die Identität von Sein und Denken als Prinzip der Wahrheit, an der Tillich zeitlebens festgehalten hat, vgl. GW XII, 49. MW 6, 49. MW 6, 49. MW 6, 50. MW 6, 50. Vgl. dazu auch G. Wenz 1989, 70–73. Als Beispiel für die Anknüpfung in der Evidenz faktischer Sündenerfahrung durch den usus elenchticus legis soll ein Zitat von Tholuck dienen: „Bei Seite setzend alle Zweifel, die sonst sich ihm aufdrängen, hält er sich nur an die eine Lehre von dem überwiegenden Verderben. Diese kann er nicht bezweifeln, weil er die unmittelbare Erfahrung davon in seinem Herzen hat. Eben diese Erfahrung erweckte jenes zweite Bedürfnis nach einem Versöhner und Heiliger, auch daß dieser da ist für die, welche ihn suchen, erfährt er nun durch die innere That Gottes in seinem

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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und christologisch bestimmtem Wahrheitsbegriff durch den Begriff des absoluten Paradoxes deutlich, dass Apologetik bei Tillich dazu dient, Rationalität durch sich selbst in ihrer Aporetik aufzuweisen und so die postrationale Transzendenzerfahrung (die Tat Gottes) vorzubereiten, indem der Mensch innerlich dafür geöffnet wird. Da es für Tillich „durch die Wahrheit […] einen direkten Weg von allem Wirklichen zu Gott“ gibt, eignet sich prinzipiell jeder Bereich der Wirklichkeit als apologetischer Stoff.42 Konkret weist Tillich auf Geschichte, Literatur (Goethe, Realistik, Romantik), Schauspiel, Musik und bildende Kunst, sowie auf Popularphilosophie, Aphoristik und Sozialethik hin.43 An erster Stelle müsse allerdings die systematische Philosophie stehen, denn sie biete der Apologetik „das Fundament und Gerüst.“44 In dem Abschnitt über die apologetische Praxis macht Tillich konkrete Vorschläge zur Durchführung der Apologetik und fordert u. a. die „Einrichtung eines apologetischen Seminars an der Universität, damit jeder Theologe von vornherein in lebendige Berührung mit der Geisteskultur seiner Zeit kommt.“45 Dieses Seminar ist innerhalb der praktischen Theologie anzusiedeln. Für die Funktion und Person des Apologeten fordert Tillich neben dessen umfassender Bildung vor allem die Unabhängigkeit von „synodalen Instanzen,“ um zu vermeiden, dass die Zielgruppe als Objekte kirchlicher Apologetik als solche der Öffentlichkeit preisgegeben wird.46 3.1.1.2 Die Weiterentwicklung in der Systematischen Theologie „Theologie ist eine Funktion der christlichen Kirche, sie muß den Erfordernissen der Kirche entsprechen. Ein theologisches System muß zwei grundsätzliche Bedürfnisse befriedigen: Es muß die Wahrheit der christlichen Botschaft aussprechen, und es muß diese Wahrheit für jede neue Generation neu deuten (engl. interpretation of this truth for every new generation).“47

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Herzen, die Wiedergeburt, und so ist seine Überzeugung auf eine unerschütterliche Basis gegründet, auf Facta seines Innern“ (A. Tholuck 1830, 190). MW 6, 50. Besonders erwähnt werden die Autoren „Johannes Müller, Carlyle, Kierkegaard, Tolstoi, Ellen Key, Maeterlink, Chamberlain, Nietzsche, Bölsche u. a. m.“ (MW 6, 52). MW 6, 52. MW 6, 54. MW 6, 60. STD I, 9 = STE I, 3. Vgl. dazu auch die grundsätzlichen theologiegeschichtlichen Ausführungen in P. Tillich 2007, 5–12.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Im dritten Band der Systematischen Theologie beschreibt Tillich die Apologetik näher unter den „ausbreitenden“ (expanding) Funktionen der Kirche, wozu er Mission, religiöse Erziehung (education) und Evangelisation zählt. Evangelisation unterscheidet er in evangelistic preaching und practical apologetics.48 In ST III versteht Tillich unter evangelistischem Predigen im Unterschied zu apologetischem Predigen das „mehr“ charismatisch begabte Sprechen Einzelner im Namen und der Kraft der Geistgemeinschaft zu den innerhalb einer christlichen Kultur der Kirche entfremdeten Menschen in einer Weise, die einen „Eindruck auf die Hörer“ macht, welcher evangelistische Predigten von „gewöhnlichen“ Predigten unterscheidet. Trotz der Gefahren evangelistischer Predigten, emotionale Erregtheit mit echter Ekstase zu verwechseln, hält Tillich evangelistische Predigten für eine notwendige Funktion der Ausbreitung der Kirchen.49 Diese Beschreibung lässt mehr Fragen offen als sie klärt. Da Zielgruppe und Funktion gleich sind, scheint der Unterschied zwischen beiden Predigttypen der zu sein, dass der apologetische als mehr kognitiv und der evangelistische als eher affektiv zu charakterisieren ist. Deutlicher war Tillich in der Kirchlichen Apologetik: „Die Evangelisationspredigt muß die Tat, von der die Rede ist [i. e. Glaube als unverfügbare Tat Gottes, Anm. d. Verf.] dem Menschen näher bringen durch Beeinflussung des Gefühls und dadurch indirektem Druck auf den Willen.“50

Tillich war sich später wohl der Problematik dieser Aussage bewusst. Für das „gewöhnliche Predigen“51 bleibt jedoch daneben nicht mehr viel übrig. In der Gottesdiensttheorie, wie sie Tillich unmittelbar vorher entfaltet52, kommt sie auch nicht vor, was bei einem evangelischen Theologen singulär sein dürfte. Da Tillichs Ausführungen über praktische Apologetik auch grundlegend für seine Predigttheorie ist, sollen sie hier in einem längeren Zitat wiedergegeben werden: „Praktische Apologetik ist die praktische Anwendung des apologetischen Elements, das in jeder Theologie vorhanden ist. Wir haben in dem einleitenden Teil unseres Systems darauf hingewiesen, daß der Typ des theologischen Denkens, der in diesem System vertreten ist, mehr apologetisch als kerygmatisch ist. In dieser Rolle gibt die systematische Theologie die theoretische Grundlage für die praktische Apologetik. Auch hier muß zunächst betont werden, daß praktische Apologetik ein immer vorhandenes 48 49 50 51 52

STE III, 193–196; STD III, 224–228. STD III, 227–228 = STE III, 195–196. MW 6, 50. STD III, 227. STD III, 222–224 = STE III, 190–193.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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Element in allen Manifestationen des Lebens der Kirchen ist. Infolge ihres paradoxen Charakters werden den Kirchen ständig Fragen über ihr Wesen gestellt, auf die sie antworten müssen. Und die Kunst des Antwortens ist Apologetik. Die wirksamste Antwort ist zweifellos die Wirklichkeit des Neuen Seins in der Geistgemeinschaft und im Leben der Kirche, soweit dieses durch den Geist bestimmt ist. Es ist das wortlose Zeugnis der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, das den Fragenden überzeugt, der durch die stärksten Argumente oft zum Schweigen gebracht, aber nicht überzeugt wird. Dennoch sind auch Argumente nötig; sie können dazu dienen, die intellektuellen Mauern des Skeptizismus und des Dogmatismus zu durchbrechen, mit denen die Kritiker der Kirche dem Andringen des Geistes Widerstand leisten. Und da solche Mauern ständig in uns allen erbaut werden und große Massen in allen sozialen Schichten von den Kirchen getrennt haben, müssen die Kirchen Apologetik treiben. Sonst können sie nicht wachsen, sondern nehmen ab und werden schließlich zu einer kleinen, unwirksamen Gruppe innerhalb einer dynamischen Kultur.“53

Mit dem Begriff der Apologetik ist der Herzschlag in Tillichs philosophischer Theologie namhaft gemacht. Diese Apologetik ist trotz aller Kritik, die Tillich an Lehre und Leben der Kirchen zu üben hatte, in ihrer Funktion immer (im weitesten Sinn) kirchlich geblieben.54 Apologetik dient dazu, dass die Kirche innerhalb einer sich dynamisch wandelnden Kultur anschlussfähig bleibt (oder wieder wird), indem sie auf die ihr gestellten Fragen antworten kann und so relevant wird. Es ist vielmehr der Kirchenbegriff, der insbesondere durch die Idee der „Geistgemeinschaft“ bzw. der „latenten Kirche“ von Tillich universal ausgeweitet und apologetisch modifiziert wurde.55 Zu fragen bleibt nach dem Verhältnis von Apologetik einerseits und Glauben als menschlich unverfügbarem Ergriffensein durch den göttlichen Geist andererseits. Die Wahrheit ist nach Tillich selbstevident. Und Glaubensgewissheit ist eine ekstatische Evidenzerfahrung, die der theologischen Reflexion vorausgeht.56 Keine apologetische Bemühung kann Glauben bewirken, das wäre zutiefst unevangelisch; Tillich ist sich in dieser Hinsicht der Grenze der Apologetik sehr bewusst. Er sieht auch die Gefahr, dass apologetische Argumentation das Ziel der Überzeugung konterkarieren kann, indem sie Widerstände aufbaut 53 54 55

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STD 226–227 = STE III, 195. Vgl. auch W. T. Sanders 1983 und P. Tillich 2007. Zur Bedeutung des Protestantischen Prinzips für einen konsequenten Reformismus und die Möglichkeit der Kontextualisierung vgl. P. Tillich 2007, 48–52. „The decisive implication of this paradox of the churches is the possibility to liberate Christianity from any cultural fixation and open it for new embodiments in other worlds and other periods“ (ebd., 50). STD III, 138–139. 153 = STE III, 115.128 Hier findet sich Tillich auch in Übereinstimmung mit W. Herrmann 71921 (1886), 191–194.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

anstatt sie abzubauen. Daher ist es notwendig, dass sie getragen wird von dem „wortlosen Zeugnis der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe“. Von diesen auch psychologisch sensiblen Überlegungen führt die Linie zu Tillichs rezeptionsästhetischen Ansätzen und dem, was K. Grau als „Geheimhaltungsmotiv“ bei Tillich beschreibt.57 Hier lassen sich durchaus Affinitäten zur sokratischen Mäeutik erkennen, die keine propositionellen Wahrheiten aufgrund von Autorität vorgibt, sondern Hilfestellung anbietet, selbst zur Wahrheit zu finden. Innerhalb der genannten Grenzen hat Apologetik als theologische Aufgabe schlechthin die Funktion, „intellektuelle Mauern […] zu durchbrechen“, oder–mit einer anderen Metapher Tillichs: „What we have to do is to overcome the wrong stumbling block in order to bring people face to face with the right stumbling block and enable them to make a genuine decision.“58 Ohne ihn zu zitieren schließt sich Tillich in seiner Apologetik prinzipiell an Paulus an (vgl. 2 Kor 10, 4–5).59

3.1.2 Konstruktion: fundamental-ontologische Verhältnisbestimmungen60 3.1.2.1 Sein, Nichtsein und Sein-Selbst Das fundamentale Axiom in Tillichs philosophisch-theologischem Denken, das sich bis in die Formulierung einzelner Sätze seiner späten Predigten zieht, ist „die ontologische Priorität des Seins vor dem Nichtsein.“61 57 58 59 60

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K. Grau 1999, 211. P. Tillich 1959, 213. Vgl. die Ausführungen über die Predigt-Trilogie „The Theologian“ in Abschnitt 4.3.3. Eine übersichtliche Einführung in Voraussetzungen und Entwicklung der zentralen Themen von Tillichs Theologie bildet die Münchner Dissertation von Gunther Wenz „Subjekt und Sein – Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs“ (1979). Einen Vorschlag, „das Grundthema der Theologie Paul Tillichs“ zu formulieren, machte Falk Wagner in seiner Antrittsvorlesung 1972 in München (F. Wagner: „Absolute Positivität, Ein Grundthema der Theologie Paul Tillichs.“ NZSTh 15, 2 [1973], 172–191). Wagner beschreibt diesen Versuch als „[…] so etwas wie eine Grammatik der Theologie Tillichs zur Darstellung zu bringen. Ihre Aufstellung kann dann als gelungen angesehen werden, wenn sich mit ihr jedes Einzelthema strukturell erfassen lässt“ (F. Wagner 1973, 191 Fn. 34). Wagner benennt dieses Grundthema der Theologie Tillichs mit dem Begriff „Absolute Positivität“, mit dem er das Konstruktionsprinzip der Theologie Tillichs beschreibt. Der Begriff des absolut Positiven findet sich bereits bei Schelling (vgl. F. W. J. Schelling 1997, 74). Allerdings verzichten F. Wagner und G. Wenz darauf, die für Tillich grundlegende Perspektive der apologetischen Intention in die theologische Würdigung mit einzubeziehen. GW XI, 38 = MW 5, 159; auch STD I, 222 = STE I, 189, u. ö. Zum apodiktischen Charakter dieser Aussagen Tillichs vgl. W. Weischedel 1983, 97–111. „Tillichs Seins-

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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„Sein ist der Anfang ohne Anfang, das Ende ohne Ende.“62 Es ist eine Umschreibung für das Unendliche oder Absolute.63 Dieses unendliche Sein unterscheidet Tillich als Sein-Selbst (andere Wendungen sind „Grund des Seins“/„ground of being“ oder „Macht des Seins“/„power of being“) von dem durch das Nichtsein begrenzte endliche Sein. Entsprechend gewinnt er seinen Begriff des Nichtseins als eines relativen Nichts, das von dem Sein abhängig ist, das es negiert. Für Tillich ist die Priorität des Seins vor dem Nichtsein eine „logische Notwendigkeit“, für die bereits der Begriff „Nicht-sein“ ein Plausibilitätsargument darstellt.64 In seiner ontologischen Schrift „Love, Power, and Justice“ (1954, dt. „Liebe, Macht, Gerechtigkeit“)65 erklärt Tillich das Nichtsein als „… die Verneinung des Seins innerhalb des Seins-Selbst.“66 In religiöse Sprache übersetzt heißt das: „Gott als das Sein-Selbst transzendiert das Nichtsein absolut.“67 In dieser Struktur von Sein, Nichtsein und Sein-Selbst ist die idealistische Trias Sein-Nichtsein-Übersein unschwer zu erkennen, die zugleich die dialektische Grundoperation in Tillichs Denken bildet. Für die Beschreibung des Seins wählt Tillich den Begriff der „Macht“ („power“), den er zum einen der aristotelischen und augustinischen Tradition und zum anderen der Lebensphilosophie Schopenhauers und besonders Nietzsches („Wille zur Macht“) entnimmt.68 „Wille zur Macht“ bei Nietzsche (und bei Schopenhauer) interpretiert er als „dynamische Selbstbejahung des Lebens“ und als „… Selbstbejahung des Lebens, das dynamisch über sich hinausdrängt und dabei inneren und äußeren Widerstand überwindet.“69 Dieser dynamische Seinsbegriff ist möglich, weil das Sein durch den Widerstand des Nichtseins bedroht ist, das fortwährend durch das Sein überwunden

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metaphysik bleibt unausgewiesen. Das wirkt sich auf seinen philosophisch-theologischen Ansatz verhängnisvoll aus“ (W. Weischedel 1983, 98). STD I, 222 = STE I, 189. So weit ich sehe, spricht Tillich allerdings nie von absolutem Sein. GW XI, 38 = MW 5, 159. Es ist eine bei Tillich häufig zu findende Methode, dass er aus etymologischen Beobachtungen theologische Schlussfolgerungen zieht. Jetzt in GW XI, 143–225 = MW 3, 583–650. GW XI, 167; vgl. STE I, 189 = STD I, 222. STD I, 311 = STE I, 270. GW XI, 165–166; Es wäre eine eigene Untersuchung wert, inwiefern Tillichs Begriff der Macht und die von Nathan Söderblom bereits 1914 (dt. 1916 „Das Werden des Gottesglaubens“ 2. neub. Aufl. 1926). und dann in den fünfziger Jahren durch die Religionsphänomenologie von Gerardus van der Leeuw vertretene These von der Macht als dem Wesen von Religion konvergieren. Van der Leeuw sah Ursprung und Wesen der Religion in dem melanesischen Begriff des „Mana“, den er von Lehmanns Studie übernahm und auf die Religionsgeschichte verallgemeinerte. Vgl. G. Widengren 1969, 10 ff. Zu Tillichs Nietzsche-Rezeption vgl. IJTF 3/2007. GW XI, 166.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

wird. Endliches Sein (als „begrenzte Seinsmächtigkeit“) kann Nichtsein jedoch nur durch die Macht des Seins-Selbst überwinden, an dem es partizipiert. Die in “The Courage to Be” offen gebliebene Frage, wie sich denn das Übergewicht des Seins über das Nichtsein begründen ließe, wird an dieser Stelle explizit als existenzielle Glaubens-Antwort definiert: „Mut und das im Glauben, was an ihm Mut ist, bejaht den schließlichen Sieg des Seins über das Nichtsein. Dieser Mut bejaht die Gegenwart des Unendlichen in allem Endlichen.“70 Die „Begründung“ des mystischen Apriori, wie es Tillich auch in seinen „Autobiographical Reflections“ (um etwa die gleiche Zeit niedergeschrieben wie „Love, Power, and Justice“) als für sein Denken grundlegend bezeichnete, ist letztlich nur existenziell als „Mut“ und als „Entscheidung“ möglich. „Und eine Theologie, die sich auf einen solchen Mut stützt, versucht den Nachweis, daß gerade so, wie das Nichtsein von dem Sein abhängt, das es verneint, auch das Bewußtsein der Endlichkeit einen Ort außerhalb alles Endlichen voraussetzt, von dem erst das Endliche als solches begriffen wird. Aber einen solchen Standort einzunehmen, verlangt einen mutigen Entschluß und nicht so sehr logisches Denken.“71

An diesem Punkt des Glaubenswagnisses oder des „Sprunges“ und des „Entschlusses“ steht Tillich ganz in Übereinstimmung mit Kierkegaard und der Dialektischen Theologie. Hier liegt auch die Begründung dafür, dass Tillich das Ziel der Kommunikation der christlichen Botschaft in der Ermöglichung einer genuinen Entscheidung sieht.72 Der Unterschied ergibt sich da, wo Tillich (in der Tradition Schleiermachers) sich auch als (apologetischer) Denker um den Nachweis des Ortes „außerhalb der Endlichkeit“ bemüht, der die Konstitutionsbedingung des Endlichkeitsbewusstseins darstellt. Im Zusammenhang mit dem Seins- und Lebensbegriff, der von Tillich über dessen Machtcharakter beschrieben ist, steht der Begriff der „Selbstbejahung“ (engl. self-affirmation). Tillich definiert: „Macht ist die Möglichkeit der Selbstbejahung trotz innerer und äußerer Verneinung; sie ist die Möglichkeit, den Widerstand des Nichtseins zu überwinden.“73 Selbstbejahung und Seinsmächtigkeit korrelieren und stehen in proportionaler Beziehung zueinander: je stärker die Selbstbejahung, desto größer die Seinsmächtigkeit. Hier deutet sich die Be-

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GW XI, 168. Hier sieht sich Tillich in Übereinstimmung mit Nikolaus von Kues’ Begriff der coincidentia oppositorum und Luther, vgl. GW IV, 120 = MW 6, 403. GW XI, 168. P. Tillich 1959, 201 = GW VIII, 265. GW XI, 168.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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deutung des Glaubens und der Rechtfertigungslehre im Horizont der Lebensphilosophie Tillichs an. 3.1.2.2 Essenz, Existenz und die multidimensionale Einheit des Lebens74 Stehen in ST I und II die Begriffe „Essenz“ und „Existenz“ im Mittelpunkt der ontologischen Beschreibung, so wird im Unterschied dazu in ST III „Leben“ zum Leitbegriff und zum umfassenden Paradigma des gesamten Systems – einschließlich der Eschatologie, die mit einem Abschnitt über das göttliche Leben das opus magnum Tillichs beschließt.75 Über den Lebensbegriff lassen sich dann auch die Schriften Tillichs über den Glauben und die religiösen Reden überzeugend erschließen. Für den späten Tillich wird in ST III „der universale Lebensbegriff“ zum „Fundamentalbegriff, der in einem theologischen System verwendet werden kann, allerdings nur, wenn er existentiell interpretiert“ werde.76 Entsprechend unterscheidet er zwischen einer „essentialistischen“ und einer „existentialistischen“ Betrachtungsweise, die der ontologische Lebensbegriff verlange.77 Unter Bezug auf Aristoteles versteht Tillich Leben zunächst als die „Aktualisierung des Seins“78 und der mit diesem Verständnis von Leben gegebenen Grunddifferenzierung von Essenz und Existenz, auf die Tillich sein gesamtes System aufgebaut hat.79 Entsprechend dieser Grunddifferenz gebraucht Tillich den Begriff „Leben“ als „Mischung“ von essentiellen und existenziellen Strukturen.80 Aus dieser „Mischung“ entstehen die existenziellen 74

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Zu Tillichs Lebensbegriff vgl. u. a. S. Peeck 1991, 112–131; K. Grau 1999, 159–204. In beiden Arbeiten steht bezeichnender Weise der seelsorgliche und therapeutische Charakter des Lebensbegriffs im Mittelpunkt. Tillich selbst hat den multidimensionalen Lebensbegriff aus dem Kontext des Themas der Heilung entwickelt, vgl. den wichtigen Aufsatz „Dimensions, Levels and the Unity of Life“ MW 6, [401]–416 = GW IV, 118–129 (in der deutschen Fassung ist leider „Life“ durch „Sein“ wiedergegeben). Bereits eine Analyse der Gliederung von ST III zeigt, wie der Lebensbegriff dem System seine Kohärenz verleiht. STD III, 22 = STE III, 12. STD III, 22 = STE III, 12. Obwohl Tillich nirgends explizit darauf eingeht, bestehen große Überschneidungen dieses Lebensbegriffs mit dem Ideal der humanistischen Psychologie, wie sie z. B. A. H. Maslows in seiner „Psychology of Being“ vertritt. Maslow prägte den Begriff „self-actualizing“, vgl. A. H. Maslow 1954 u. ö. STD III, 21 = STE III, 11–12. STD III, 22 = STE III, 12 (in der englischen Fassung findet sich „elements“ anstelle von „Strukturen“ in der korrigierten deutschen Fassung).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Konflikte und Zweideutigkeiten (ambiguities) des Lebens, die Tillich analysiert, um auf die in diesen Ambiguitäten enthaltenen Fragen die theologische Antwort zu formulieren, die in der Gegenwart des göttlichen Geistes (Spiritual Presence81) besteht, der diese Zweideutigkeiten überwindet – wenn auch unter den Bedingungen der Existenz nur fragmentarisch.82 Tillich setzt die essenzielle Struktur des Lebens als eine „vieldimensionale Einheit“ voraus, um von dieser Grundlage her, die existenziellen Zweideutigkeiten zu analysieren, aus denen dann die Frage nach unzweideutigem Leben entsteht.83 Auch hier wird klar ersichtlich, dass bei der Methode der Korrelation die Antwort bereits in der Frage impliziert ist und also innerhalb des „theologischen Zirkels“ entwickelt wird. Es ist auch dieselbe Argumentationsstruktur, wie sie oben unter dem Stichwort der „Absoluten Positivität“ als Konstruktionsprinzip Tillich’schen Denkens aufgezeigt wurde, dass nämlich die Zweideutigkeiten innerhalb der Existenz einen Ort außerhalb derselben, d. h. in diesem Fall „essentielle Einheit“, als Konstitutionsbedingung voraussetzt. In religiöse Sprache übersetzt besteht die Unheilssituation des Menschen in den Zweideutigkeiten (ambiguities) im Zustand existenzieller Entfremdung. Der Heilszustand ist dementsprechend die „transzendente Einheit unzweideutigen Lebens“, die unter den Bedingungen der Existenz fragmentarisch erreicht wird, indem der göttliche Geist den menschlichen Geist ergreift und über die Subjekt-Objekt-Struktur erhebt.84 Darin kommt der selbst-transzendierende Charakter des Lebens zur Erfüllung. Damit ist zugleich die inhaltliche Füllung des Glaubensbegriffs gegeben (vgl. Abschnitt 3.2) Eine homiletische Beschreibung dieses Heilszieles findet sich am Ende

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Tillich unterscheidet klar zwischen „zweideutig“ und „fragmentarisch“. Vgl. hierzu auch die Predigt Spiritual Presence in EN 53–60 = RR 417–491. Der Predigtband The Eternal Now erschien im selben Jahr wie der dritte Band der Systematic Theology (1963), deren vierter Teil „Life and the Spirit“ den pneumatologischen Abschnitt der trinitarisch aufgebauten Systems bildet und in dessen Mittelpunkt der Begriff der „Spiritual Presence“ (dt. „Die Gegenwart des göttlichen Geistes“) steht. Im Nachwort zur englischen Ausgabe von „The Eternal Now“ schreibt Tillich 1963: „I could have chosen ‚The Spiritual Presence‘ as the general title, but the many unfafourable connotations with which the word spiritual is burdened excluded this possibility. Only for a particular sermon in which every sentence interpreted the meaning of ‘spiritual’, could the word be used.“ (Dieser Satz fehlt in dem Vorwort zur deutschen Übersetzung von 1964). Vgl. die Analyse der Predigt „Vom Warten“/„Waiting“ (RR 141–143 = SF 149–152), die den eschatologischen Vorbehalt als ein (noch) Nicht-Haben, das bereits hat, behandelt. STD III, 22 = STE III, 12. STD III, 153 = STE III, 128.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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der Predigt „You are accepted“, in der Tillich Gnade als „reunion of life with life“ beschreibt.85 In ST III nennt Tillich drei Elemente in jedem Lebensprozess innerhalb der ontologischen Grundpolarität von Selbst und Welt: 1) SelbstIdentität (self-identity), 2) Selbst-Veränderung (self-alteration) und 3) Rückkehr zu sich selbst (return to one’s self).86 Die Grundstruktur dieses Prozesses gilt auch für das göttliche Leben, das allem Leben diesen Rhythmus vorgibt: „In diesem dreifachen „In-Sein“ [als schöpferischer Ursprung, ontologische Abhängigkeit und endgültiger Erfüllung bzw. Essentifikation aller Geschöpfe, Anm. d. Verf.] des Zeitlichen im Ewigen kommt der Rhythmus des göttlichen Lebens und des universalen Lebens zum Ausdruck. Man könnte diesen Rhythmus als den Weg von der Essenz über die existentielle Entfremdung zur Essentifikation bezeichnen. Es ist der Weg vom bloß Potentiellen über die aktuelle Trennung zur Wiedervereinigung und Erfüllung, die die Trennung von Potentialität und Aktualität transzendiert.“87

Man könnte diese Position als einen dynamischen Non-Dualismus bezeichnen. Folgendes Zitat von F. W. J. Schelling über die „Endabsicht der Schöpfung“ aus dessen Freiheitsschrift zeigt die große Nähe, die Tillich bis in seine letzten Schaffensjahre zu Schelling und dessen Grundpositionen bewahrt hat88: 85 86

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SF 162–163; vgl. die Predigtanalyse weiter unten. STE III, 30; STD III, 42. Diese dialektische Struktur des Lebensprozesses formuliert Tillich auch in mehreren Aufsätzen: „Dimensions, Levels and the Unity of Life“ (1959, jetzt in MW 6, 401–410 = GW IV, 118–129) oder „The Meaning of Health“ (1961, jetzt in MW 2, 345–352; GW IX, 287–296). Vgl. dazu auch Schellings Lehre von den drei Weltaltern: 1) Selbstbezeugung Gottes und Schöpfung, 2) Freiheitsgeschichte der Menschheit und 3) Apokatastasis und eschatologischer Zustand in Gott (vgl. die Kurzzusammenfassung in Schellings Freiheitsschrift, Schelling 1997, 75–76 und Anm. 325). Insbesondere bei der Behandlung der Eschatologie in ST III rekurriert Tillich explizit auf Schelling. Man könnte Tillichs gesamte Theologie auch „von hinten“ lesen, d. h. von seiner Eschatologie her, und käme damit auch in der Erfassung von Tillichs ganzem System direkter zum Ziel. So findet sich hier nicht nur die Beschreibung des göttlichen Lebensprozesses in Anlehnung an Schelling, sondern auch (auf der letzten Seite der Systematischen Theologie) das Bekenntnis Tillichs zu einem theozentrischen Ansatz. Vgl. zu Tillichs Theozentrismus auch G. Wenz 2007, 23. Tillich als existenzialistischen Theologen zu bezeichnen ist daher verfehlt. STD III, 475 = STE III, 421. Zum Einfluss Schellings auf Tillich vgl. P. Steinacker 1989, 37–61. Steinacker macht darauf aufmerksam, dass der Einfluss Schellings auf Tillich nicht nur begriffsgeschichtlich, sondern auch in den beide verbindenden Intentionen nachzuweisen ist. Nach Steinacker faszinierte Tillich an Schelling besonders: „Die wenigstens versuchte Versöhnung von Glauben und Denken ohne die Verwischung ihrer Differenzen […], und er hat sie in der Erneuerung der Apologetik selber zu seinem Lebensthema gemacht“ (ebd., 39).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

„Gott gibt die Ideen, die in ihm ohne selbständiges Leben waren, dahin in die Selbstheit und das Nichtseiende, damit, indem sie aus diesem ins Leben gerufen werden, sie als unabhängig existierende wieder in ihm seien.“89

Entsprechend bezeichnet Tillich seine Position auch als „eschatologischen Pan-en-theismus.“90 Und in dem Aufsatz „The Meaning of Health“ formuliert Tillich aufgrund seines idealistischen Prinzips der Identität von Sein und Denken: „And all dialectical thought is nothing but a mirror of such life processes.“91 An dieser Aussage wird auch klar der Unterschied zwischen ontologischem Realismus und einer reinen Bewusstseinsphilosophie deutlich.92 Die Abhängigkeit von Schellings Naturphilosophie zeigt sich auch in Tillichs Darstellung der „vieldimensionalen Einheit des Lebens“ in negativer Abgrenzung zu einem Schichtenmodell, das zwischen einzelnen Stufen des Lebens kategoriale Trennungslinien zieht (zwischen Anorganischem und Organischem, Organischem und Geistigem, Religion und Kultur, Gott und Mensch). Stattdessen ist es Tillich in der Wahl der Metaphern „Dimensionen“, „Bereiche“ und „Grade“ um eine „veränderte Sicht der Wirklichkeit“ zu tun, in der die „Einheit des Lebens jenseits seiner Konflikte sichtbar wird.“93 Diese Konflikte seien nur deshalb überwindbar, weil sie nicht durch eine „Hierarchie der Schichten,“ sondern durch die Ambiguitäten der Lebensprozesse selbst bedingt seien.94 Diese Wirklichkeitsschau ist entscheidend für die Verhältnisbestimmung der verschiedenen Stufen des „Lebens,“ deren erste die anorganische Dimension darstellt, gefolgt von der organischen. Als dritte und höchste Dimension in diesem Entwicklungsprozess erscheint die „Dimension des Geistes.“95 In all diesen Dimensionen gibt 89 90

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Schelling 1997 (1809), 76 (Hervorhebung im Original). STD III, 475 = STE III, 421; den Begriff Panentheismus gebrauchte bereits Schelling für seine Position. An dieser Stelle zeigt sich auch die Nähe zu den großen metaphysischen Entwürfen Indiens. MW 2, 346 = GW IX, 288. Auch der bei Tillich zu findende Predigt-Aufbau einer Ja-Nein-Ja-Struktur wurzelt im Prozess des Lebens selbst, vgl. dazu H. S. Na 1996, 362. Damit unterscheidet sich Tillich auch von der mahāyānischen Nur-Bewusstseinsschule (vgl. Hauptteil II). STD III, 25–26 = STE III, 15. STD III, 26 = STE III, 15. Dieser Entwicklungsgedanke, der in die Naturphilosophie Schellings einging und hier von Tillich rezipiert wird, stammt von dem deutschen Mediziner, Naturforscher und Chemiker Carl Friedrich Kielmeyer (1765–1844). Zu dessen Grundgedanken gehört, dass die Entwicklung vom Anorganischen zum Organischen und bis zur Erzeugung des Geistigen fortschreitet und dass die Kraft des natürlichen Lebensprozesses dieselbe ist, die auch die Entwicklung des Individuums bestimmt. Der Lebensprozess wird durch die drei Hauptfunktionen Empfindung, Bewegung und

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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es nach Tillich unterschiedliche Bereiche und Grade. Ein Bereich ist definiert durch das Vorherrschen einer bestimmten Dimension. So herrschen im menschlichen Bereich die Dimensionen des Geistigen und Geschichtlichen vor.96 Wertunterschiede als „Grade der Seinsmächtigkeit“ („degrees of power of being“) ergeben sich entsprechend der Kraft eines Individuums, möglichst viele Potententialitäten zu aktualisieren.97 Geist als Dimension des Lebens, die nur im Menschen verwirklicht ist, enthält nach Tillich die beiden Elemente „Kraft“ und „Leben im Sinn.“98 An späterer Stelle definiert Tillich: „Geist als eine Dimension des Lebens [ist] die Einheit von Seins-Macht und Seins-Sinn. Geist kann definiert werden als Aktualisierung von Macht und Sinn in ihrer Einheit.“99 In dem Aufsatz „The Theological Significance of Existentialism and Psychoanalysis“100 erläutert Tillich auch den Dreischritt von Essenz, Existenz und Transzendierung der aus Essenz und Existenz resultierenden Zweideutigkeiten in der Terminologie der christlich-dogmatischen Tradition als die drei fundamentalen Konzepte: 1) esse qua esse bonum est (Thomas von Aquin) – als das ursprünglich geschaffene Gutsein; 2) Übergang von essentiellem Gutsein in den Zustand der

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Selbsterhaltung bestimmt. Die Bedeutung Kielmeyers liegt u. a. darin, dass er den Entwicklungsgedanken bereits vor Charles Darwin formulierte und er im Unterschied zu dessen mechanistischem Verständnis der Evolution einen Vitalismus vertrat (vgl. J. Kirchhoff 42000, 27–28). Zum Verhältnis zwischen Kielmeyer und Schelling vergleiche die Studie von Thomas Bach: „Biologie und Philosophie bei C. F. Kielmeyer und F. W. J. Schelling,“ Schellingiana Bd. 12, Stuttgart Bad-Cannstadt 2001 [Univ.Diss., Stuttgart 1998]. In Überwindung des cartesianischen Dualismus ging es Schelling um eine Wirklichkeitsschau, die die Einheit von Natur und Geist philosophisch begründet. Denselben Versuch unternimmt Tillich in der Entfaltung des Lebensbegriffs in Verbindung mit der Pneumatologie in ST III. STD III, 27 = STE III, 16. STD III, 27–28 = STE III, 17. An dieser Stelle berührt sich Tillichs Lebensbegriff stark mit der humanistischen Psychologie, in deren Mittelpunkt das Konzept der „self-actualization“ (A. H. Maslow, 1954) steht. Mit den Protagonisten der humanistischen Psychologie, die auch größtenteils zu Tillichs Freundes- und Bekanntenkreis zählten (K. Horney, E. Fromm, R. May, u. a.), befindet er sich im ständigen Dialog, auch wenn er ihn in seinen Schriften nicht explizit macht. 1960 veröffentlichte C. Rogers seinen, einen für Rogers zentralen Satz Kierkegaards aufnehmenden Aufsatz, „Das Selbst zu sein, das man in Wahrheit ist“, in dem er auch Maslows Begriff der „selbstaktualisierenden Person“ aufnimmt. Inwieweit psychologische Ansätze, insbesondere V. E. Frankls Logotherapie, von Tillich beeinflusst sind, lässt sich im Einzelnen kaum nachweisen. STD III, 34 (diese Bestimmung fehlt in STE III, 23). STD III, 134 = STE III, 111. Deutsche Übersetzung in GW VIII, 304–315; da dieser Aufsatz nicht in die MW aufgenommen ist, zitiere ich hier den englischen Text nach P. Tillich 1959, 112–126.

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existentiellen Entfremdung als universalem Fall; und 3) die Möglichkeit der Erlösung als Heil- bzw. Ganzwerden.101 Und Tillich fährt fort: „These three considerations of human nature are present in all genuine theological thinking: essential goodness, existential estrangement, and the possibility of something „third,“ beyond essence and existence, through which the cleavage is overcome and healed. Now, in philosophical terms, this means that man’s essential and existential nature points to his teleological nature (derived from telos, aim, that for which and towards his life drives).“102

Allerdings darf dies bei Tillich nicht im Sinne einer (heilsgeschichtlich verstandenen) zeitlichen Abfolge von drei konsekutiven Stufen oder status verstanden werden; zwar sind sie immer zu unterscheiden, aber sie sind immer gemeinsam in uns.103 Das entspricht der Koinzidenz von Schöpfung und Fall, wie sie Tillich in ST II in seiner viel diskutierten These formuliert hat: „Verwirklichte Schöpfung und entfremdete Existenz sind materialiter identisch.“104 Protologie und Eschatologie fallen im nunc aeternitatis zusammen: „Das Ende der Zeit im Ewigen ist kein bestimmbarer Augenblick innerhalb der physikalischen Zeit, sondern ein Prozeß, der sich in jedem Augenblick vollzieht, ebenso wie der Prozeß der Schöpfung. Schöpfung und Vollendung, Anfang und Ende ereignen sich immerwährend.“105

In dem Aufsatz von 1959 über „Dimensions, Levels and the Unity of Life“ sieht Tillich in der Lehre von der multidimensionalen Einheit des Lebens eine Überwindung von Naturalismus und Supranaturalismus.106 Nach Tillich ist der Bereich, in dem diese neue Sicht der Wirk101

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„We should remember that salvation is derived from salvus or salus, which means ‘healed’ or ‘whole,’ as opposed to disruptiveness“ (P. Tillich 1959, 119; dieser Satz fehlt in GW VIII). Tillich definiert Heil (salvation) im Sinne von Heilung und Ganzwerden und spricht demgemäß von der heilenden Kraft des Glaubens (als transzendenter Überwindung der Trennung). Auch dieser Sprachgebrauch findet sich bereits bei Schelling: „Mit der hergestellten Beziehung des Grundes auf Gott ist erst die Möglichkeit der Heilung (des Heils) wiedergegeben“ (F. W. J. Schelling (1809) 1997, 52). Tillich 1959, 119 = GW VIII, 309–310. Tillich 1959, 119. STD II, 52 = STE II, 44. STD III, 474 = STE III, 420. MW 6, 402–410 = GW IV, 118–129. Zur Textgeschichte und den z. T. großen Unterschieden zwischen englischer und deutscher Fassung vgl. MW 6, 401–402 und den kritischen Apparat MW 6, 410–461. K.Grau betont den „Modellcharakter“ des multidimensionalen Lebensbegriffes, dass aber die Pneumatologie in ST III im Unterschied zu diesem wichtigen Aufsatz kognitiv verengt werde (K. Grau 1999, 221). – Eine Alternative jenseits von Naturalismus und Supranaturalismus, resp. liberaler und (neo-) orthodoxer Theologie zu finden, ist auch tragendes Motiv in der Entwicklung der Korrelationsmethode und der Symboltheorie bei Tillich.

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lichkeit besonders relevant ist, die Anthropologie. Es ist nicht verwunderlich, dass bei Tillichs Gesprächen mit Jōdo-shinshū in Japan die Anthropologie in den Mittelpunkt des Interesse rückte, zeigt sich doch hier eine große Nähe zur Lehre von der Entstehung in Abhängigkeit (skr. pratitya-samutpada, vgl. die Ausführungen in Hauptteil II).107 Es ist die „Hauptthese“ von Tillichs Aufsatz, dass der Mensch eine vieldimensionale Einheit bildet.108 Dies wird speziell an der Frage der Heilung deutlich. Über seine eigene Erfahrung im Bereich der Heilung, bekennt Tillich, habe sich ihm größtenteils das Verständnis für die Zweideutigkeit und der Einheit der Lebensprozesse erschlossen.109 Das erklärt, weshalb Tillich etwas unvermittelt in ST III die Frage nach Krankheit und Heilung besonders hervorhebt.110 Heilen definiert Tillich in dem Aufsatz als die „Überwindung der desintegrierenden Kräfte durch Selbst-Integration des Lebens.“111 Und in ST III heißt es: „Die Ekstase ist durch ihre Transzendierung der Subjekt-ObjektStruktur die große heilende Kraft im psychischen Bereich.“112 3.1.2.3 Die paradoxe Gegenwart des Unendlichen im Endlichen in der Erfahrung des Heiligen Die Kategorie des Heiligen gehört zum Kernbestand Tillich’schen Denkens und bildet eine Konstante von der frühen Phase bis hin zu seinem letzten Vortrag.113 Noch zehn Tage vor seinem Tod formuliert 107

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GW XIII, 503. Leider wird Tillich an der Stelle nicht konkreter; neben der Lehre vom sog. Kausalnexus bildet im Dialog mit Jōdo-shinshū besonders die Anschauung von der völligen Ohnmacht im Blick auf das eigene Heil und der dieser zugrunde liegenden Sicht der Natur des Menschen. GW IV, 128. MW 6, 409–410 = GW IV, 128. STE III, 34–37; 275–282; STD III, 46–51; 315–323. GW IV, 128 = MW 6, 410. STD III, 142. Die englische Fassung lautet: „Ecstasy […] is the great liberating power under the dimension of self-awareness“ (STE III, 119). Dass in der deutschen Übersetzung „liberating power“ durch „heilende Kraft“ ersetzt wurde, zeigt die zunehmende Bedeutung des Themas Heilung bei Tillich. Die Wiedergabe von „self-awareness“ mit „psychischer Bereich“ ist dagegen weniger glücklich (vgl. dazu auch K. Grau 1999, 177). Es verwundert, dass dies in der Tillichforschung bisher wenig nähere Beachtung fand und gegenüber der Ontologie kaum thematisiert wird. Der katholische Theologe Hans Röer widmete seine Studie dem Thema „Heilige–profane Wirklichkeit bei Paul Tillich“, in der er einen „Beitrag zum Verständnis und zur Bewertung des Phänomens der Säkularisierung“ gibt (H. Röer 1975). Vom Begriff des Heiligen ausgehend, entfaltet Röer die Verhältnisbestimmung von Gott und Welt bei Tillich und vergleicht sie mit der von Karl Rahner. Im Resumee kommt jedoch die Heiligkeitserfahrung nicht mehr zur Sprache, sondern das leitende Interesse der

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Tillich: „The universal religious basis is the experience of the Holy within the finite.“114 Dabei nimmt er im Kontext dieses Vortrags explizit auf F. D. E. Schleiermacher, R. Otto und F. Heiler Bezug. Das „Erlebnis des ‚Heiligen‘“ gehörte nach Tillichs eigenen Aussagen zu seinen prägenden Eindrücken der Jugendzeit. Als er dann 1917 R. Ottos Buch „Das Heilige“ las, war für ihn dessen Begriff des Heiligen evident.115 In den „Autobiographischen Reflexionen“ schreibt er 1952 im Rückblick: „Das Erlebnis des „Heiligen“ wurde mir damals [sc. in Schönfließ und Königsberg, Anm. d. Verf.] zum unverlierbaren Besitz und zur Grundlage für meine gesamte religiöse und theologische Arbeit. Als mir Rudolf Ottos Idee des „Heiligen“ zuerst begegnete, verstand ich sie unmittelbar im Licht dieser frühen Erlebnisse und nahm sie als wesentliches Element in mein Denken auf. Sie bestimmte meine Methode der Religionsphilosophie, in der ich von den Erlebnissen des Heiligen ausging und von da zur Gottesidee kam, und nicht umgekehrt. Existentiell und theologisch ebenso wichtig waren die mit der Idee des Heiligen gegebenen mystischen, sakramentalen und ästhetischen Elemente. Die ethischen und logischen Elemente leitete ich dann aus der Erfahrung der Gegenwart des Göttlichen ab und nicht umgekehrt. Das machte mir Schleiermacher geistesverwandt, wie er es auch für Rudolf Otto war, und veranlaßte sowohl Rudolf Otto wie mich, an Bewegungen für eine liturgische Erneuerung teilzunehmen und eine neue Würdigung der christlichen und nichtchristlichen Mystik anzustreben.“116

Diese autobiographische Reflexion des späten Tillich ist deshalb bedeutsam, weil sie zum Ausdruck bringt, wie die Kategorie des Heiligen in der Erfahrung als „mystisches Apriori“ Tillichs Denken fun-

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Arbeit besteht darin, gegenüber der Tendenz einer radikalen Transzendierung und Entweltlichung durch das Protestantische Prinzip das Eigenrecht des Endlichen und der Welt und damit der Gegenständlichkeit des Heiligen zu wahren. In diesem Zusammenhang wird u. a. die Frage der Heiligenverehrung thematisiert (307). Allerdings ist der zentrale Einwand Röers ernst zu nehmen, „… ob Tillich nicht so sehr von der Gefahr, es könnte sich etwas Endliches an die Stelle des Unendlichen setzen, gebannt war, daß er die tatsächliche Bedeutung des Endlichen nicht genügend in den Blick bekam“ (H. Röer 1975, 299). Insbesondere für die Praktische Theologie und den interreligiösen Dialog ist jedoch dieser Ansatz fruchtbar zu machen. Für die Homiletik macht der Koreaner H. S. Na 1996 in seiner Dissertation auf diesen Aspekt aufmerksam (vgl. Abschnitt 4.2.5). MW 6, 436 = GWE IV, 149. 1925 erinnert sich Tillich in der Vossischen Zeitung an seine erste Lektüre des Buches im Jahr 1917 als er in der Champagnie stationiert war: „Dann aber begann ein Staunen, ein inneres Gepacktsein, eine leidenschaftliche Zustimmung, wie man sie bei theologischen Büchern nicht mehr gewohnt war“ (GW XII, 179). GW XII, 60–61; eine fast identische Passage findet sich in dem Essay „Wer bin ich?“ (P. Tilllich 1969, 17); vgl. dazu z. B. auch Tillichs Aussagen in STD III, 428 = STE III, 377.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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damental bestimmt, und wie diese Grundorientierung biographisch in seiner frühen Jugend angelegt ist.117 In der Einleitung zu ST I argumentiert Tillich, wie durch das „mystische Apriori“ ein Zirkel begründet ist, dem kein Religionsphilosoph entgehen könne. Der Theologe unterscheide sich vom Religionsphilosophen dadurch, dass sein Zirkel enger ist: „Er fügt dem ‚mystischen Apriori‘ das Kriterium der christlichen Botschaft hinzu.“118 In dieser Formulierung reflektiert sich Tillichs frühe Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung sowie seine Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie, wie er sie 1925 formuliert hat, wonach sich die Theologie als konkrete Durchführung und Erfüllung an eine theonome Religionsphilosophie anschließen kann.119 Es ist eine wesentliche Hilfe zum Verständnis der Schriften Tillichs, wenn man versteht, dass das Christlich-Besondere ein Additum, einen spezifischen historisch bedingten Deutungshorizont, die spezielle Formatierung der allgemeinen apriorischen religiösen Erfahrung bildet – in der Sprache Tillichs „Form.“ Und auch Tillichs Offenheit für die (Natur-)Mystik innerhalb und außerhalb des Christentums, die er im Gegensatz zu dem so genannten „Extra Calvinisticum“ durch das christologisch begründete lutherische finitum capax infiniti (Infralutheranum) ermöglicht sieht, die Gegenwart des Unendlichen in jedem Endlichen, ist bereits hier grundgelegt.120 Wie sehr sich Tillich in seinem Denken Rudolf Otto verpflichtet weiß, macht neben dem oben angeführten Zitat besonders seine Rezension von „Das Heilige“ aus dem Jahr 1923 (also zwei Jahre vor der Religionsphilosophie und der Marburger Dogmatik-Vorlesung) deutlich.121 Tillich fragt aber über Otto hinausgehend nach der Ver117

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Tillichs Verhältnis zur Mystik war Gegenstand des VIII. Internationalen Paul-Tillich-Symposiums in Frankfurt a. M. im Jahr 2000 „Mystisches Erbe in Tillichs philosophischer Theologie“. STD I, 17 = STE I, 9. Vgl. GW I, 364. GW XII, 59–60 und P. Tillich 1969, 15. Die Parallelität zu Schleiermacher (insbesondere in den „Reden“ von 1799) wird an dieser Stelle vielleicht am deutlichsten. Tillich betont in seinen autobiographischen Essays, wie seine „Naturmystik“ durch Naturerfahrungen seiner frühen Jugend angelegt und in späterer Schelling-Lektüre, aber auch durch deutsche Dichtung vertieft worden ist. Durch das Aufwachsen in einer mittelalterlich geprägten Kleinstadt und in einem lutherischen Pfarrhaus verbinden sich für Tillich biographisch neben dem romantischen Sinn für Natur ein Bewusstsein für Geschichte und das Heilige. Vielleicht kam ihm dieses Erbe erst in den USA voll zu Bewusstsein, als er den Kontrast dazu in der calvinistisch-puritanisch geprägten amerikanischen Gesellschaft erlebte, in der er dann auch diese Reflexionen anstellte. Tillichs Rezension „Die Kategorie des Heiligen bei Rudolf Otto“ erschien zuerst in Theologische Blätter 2 (1923), Sp. 11–12, jetzt in: GW XII, 184–186. Dort heißt es:

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hältnisbestimmung von Irrationalem und Rationalem, die er bei Otto (zwar im Untertitel enthalten) aber nicht ausgeführt sieht. In der Konsequenz der Auseinandersetzung mit Otto kommt Tillich, so meine These, zu seiner Neuformulierung des Glaubensbegriffs. Gegenüber der „rein-intuitiven“ phänomenologischen Wesensschau bei Otto fordert Tillich eine „kritisch-intuitive Methode“. „Es muss gezeigt werden, in welchem Wesensverhältnis dieses ‚ganz Andere‘ zu den übrigen Formen des Bewußtseins steht.“122 Andernfalls komme es zu einer Zersprengung der Einheit des Bewusstseins. An dieser Stelle führt Tillich den Begriff des Unbedingten ein, der für ihn im Unterschied zu Otto „die ganze Gewalt des ‚Anderen‘, ‚Fremden‘ in sich“ trägt.123 Tillich hält den Begriff des „ganz Anderen“ für die Charakterisierung des Heiligen für unzulänglich, „… da es sich ja nicht um ein beliebiges Anderes handelt, sondern um ein solches, das für mich von entscheidender Bedeutung ist, dem ich mich unter keinen Umständen entziehen kann, d. h. eben ein Unbedingtes.“124 So sieht Tillich im Unterschied zu Otto im Unbedingten ein „Wesenselement des Heiligen selber“.125 An dieser Stelle macht Tillich explizit, dass der Glaubensbegriff als unbedingtes Angegangensein, wie er ihn später formuliert hat, in der Erfahrung des Heiligen gründet, wie er sie bei Otto beschrieben fand. Aber indem er in Weiterführung des Otto’schen Ansatzes über den Begriff des Unbedingten auch den Begriff der Geltung einführt, will er sowohl die Gefahr einer „ästhetisierenden Mystik“ überwinden als auch eine Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur geben, in der die für Tillichs Denken konstitutive Selbstunterscheidung eingezeichnet ist: „Denn nicht die Form als solche ist das Heilige, sondern das Unbedingte, das sich in die Form ergießt und zugleich jede Form sprengt, die es sich gegeben hat.“126 Auch wenn sich religiöser Gehalt in kulturellen Formen ausdrückt, so geht er doch nicht in ihnen auf. D. h., die Erfahrung des Heiligen muss durch ein „kritisches Prinzip“ (der „prophetischen Kritik“ oder dem „Protestantischen Prinzip“, wie

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„Wer, wie der Rezensent, im Felde den ersten machtvollen Eindruck der Otto’schen Analyse des Heiligen erlebt hat, wer wie er in seinen eigenen Konzeptionen dauernd mitbestimmt ist durch diesen Eindruck, für den ist es zunächst einmal eine Dankespflicht, von der Schönheit und Kraft des Buches zu zeugen“ (ebd., 184). GW XII, 185. GW XII, 185. GW XII, 185. GW XII, 185. GW XII, 186.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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er es später nannte) gebrochen, bzw. transzendiert werden, wenn es nicht der Gefahr der Dämonisierung erliegen soll.127 In der Vorlesung „Das Heilige: das Absolute und das Relative in der Religion“128 spricht Tillich von dem Sein-Selbst jenseits der Spaltung in Subjekt und Objekt als „Absolutem-Selbst“. Die Begegnung mit diesem Absoluten-Selbst bezeichnet er als die „Begegnung mit dem Heiligen“.129 Diese sei keine Begegnung neben anderen, sondern in allen anderen Begegnungen mit der Wirklichkeit.130 Im Unterschied zu den anderen Wirklichkeitsbereichen werde in der Religion die Begegnung mit dem Absoluten bewusst angestrebt. Das Element des Absoluten sieht Tillich am stärksten im Gebot der Gottesliebe (Dtn 6, 5) ausgedrückt, von dem er seine Definition der Religion resp. des Glaubens abstrahiert hat, wie er an dieser Stelle explizit ‚gesteht‘.131 Unter der Frage, ob eine partikulare Religion universalen Anspruch auf Absolutheit erheben könne, führt Tillich in dieser Vorlesung das religionstheologische Kriterium der Selbstunterscheidung ein. Im Blick auf die Religionen formuliert Tillich hier die Einsicht, „… daß der Anspruch einer Religion auf Absolutheit nur der Anspruch sein kann, daß sie das Absolute mit relativen und endlichen Mitteln bezeugt. Die Religion ist nur ein Mittel.“132 Hier formuliert Tillich explizit den Sachgehalt der buddhistischen Lehre von den „geschickten Mitteln“ (skr. upāya, jap. hōben). Den Vorsprung des Christentums vor den anderen Religionen sieht er in diesem bei ihm staurologisch begründeten „Protestantischen Prinzip“.133 In dieser Vorlesung erinnert er sich auch sehr positiv an die Begegnungen mit R. Otto während der Marburger Zeit.134 An dieser Stelle wird die Verbindung von Tillichs Religions- und Glaubensbegriff und dem Begriff des Heiligen, wie er ihn bei Rudolf Otto fand, besonders deutlich. Später war es für Tillich naheliegend, den Begriff des Heili-

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Vgl. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 154. P. Tillich 1969, 110–128 = GWE IV, 59–70 (urpspr. in My Search for the Absolutes, 1967). GWE IV, 60 = P. Tillich 1969, 111. GWE IV, 61 = P. Tillich 1969, 113. Tillich erwähnt hier die kognitiven, moralischen, ästhetischen und gesellschaftlich-politischen Bereiche, die über sich hinaus auf das in ihnen gegenwärtige Absolute hinweisen. GWE IV, 61–62 = P. Tillich 1969, 114. Auch an anderen Stellen rekurriert Tillich explizit auf das Gebot der Gottesliebe im Zusammenhang mit seiner Definition von Religion und Glaube, vgl. ausführlicher Abschnitt 3.2. GWE IV, 69 = P. Tillich 1969, 126 (Hervorhebung von mir). Z. B. GW V, 222 = P. Tillich 1959, 66–67 u. ö. GWE IV, 62–63 = P. Tillich 1969, 114–115.

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gen mit dem Lebensbegriff zu verbinden und vom Heiligen als dem ‚Mysterium des Lebens‘ zu sprechen. Die Bedeutung der Erfahrung des Heiligen reflektiert sich auch in den späten Predigten. In der Predigt „Über die Weisheit“ wird das Heiligkeitserlebnis wiederholt an zentraler Stelle erwähnt und mit dem Begriff des Lebens verbunden. Folgendes Zitat kann als repräsentativ für viele andere Stellen gelten: „In dem Erlebnis des Heiligen, in der heiligen Scheu vor dem Mysterium des Lebens, erfahren wir eine Dimension des Lebens, die uns Mut und Kraft gibt, unsere Grenzen auf uns zu nehmen und dadurch weise zu werden.“135

Im englischen Original wird im letzten Satz dieser Predigt die Weisheit, die aus der Heiligkeitserfahrung den Mut gewinnt, die eigene Endlichkeit auf sich zu nehmen, mit Glaube (faith) gleichgesetzt. Hier zeigt sich der Zusammenhang der Kategorie des Heiligen und des Lebensbegriffs für Tillichs Glaubensverständnis. An dem gegebenen Zitat wird auch deutlich, dass es zu kurz greift, wenn man wie M. Seils und P. Gallus die Genese des Glaubensbegriffs bei Tillich einseitig durch den Einfluss von Schelling zu erklären sucht.136

3.1.3 Durchführung Da die für die Durchführung von Tillichs philosophischer Theologie zentrale „Methode der Korrelation“ bereits in zahlreichen Studien dargestellt wurde137 kann in dem hier gegebenen Rahmen auf eine ausführliche Diskussion verzichtet werden. Ähnliches gilt für sprachtheologische Aspekte, insbesondere für Tillichs Symbolbegriff. Es werden 135 136

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RR III, 162 = EN 121. Vgl. dazu ausführlich Abschnitt 3.2. Weder die ausführlichen Monographien von P. Gallus und M. Korthaus, noch der Beitrag von M. Seils sehen diesen Zusammenhang in der Genese des Tillich’schen Glaubensbegriffs. In diesen Arbeiten findet Rudolf Otto auch prinzipiell keine Erwähnung. Eine letzte Bestätigung für die Zentralität der Kategorie des Heiligen dürfte in der amerikanischen Zeit auch Tillichs Zusammenarbeit mit Mircea Eliade, der selbst eine Monographie über das Heilige verfasst hat, gewesen sein. Stellvertretend kann hier auf die grundlegende Arbeit von John P. Clayton „The Concept of Correlation: Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology“ Berlin/New York 1980 verwiesen werden, sowie auf den Aufsatz von M. Repp „Zum Hintergrund von Paul Tillichs Korrelationsmethode“ NZSTh 24 (1982), 106–215 und den entsprechenden Abschnitt bei M. Roth 2002, [289]–341. Den Begriff der Korrelation hat Tillich vermutlich von Hermann Cohen („Der Begriff der Religion im System der Philosophie“, 1915) übernommen (M. Repp 1982, 211).

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daher lediglich einzelne Aspekte, die für den vorliegenden Zusammenhang relevant sind angezeigt und können in der folgenden Darstellung vorausgesetzt werden. 3.1.3.1 Korrelation von Botschaft und Situation Bereits 1905 monierte der Praktische Theologe Friedrich Niebergall, der sich seinerseits um eine Predigt für den modernen Menschen bemühte: „Sie [sc. „jene so altmodisch anmutenden Predigten“, Anm. d. Verf.] antworten auf Fragen, die niemand stellt, und auf die Fragen, die jeder stellt, antworten sie nicht.“138 Das allgemein als dramatisch wahrgenommene Auseinanderbrechen von Botschaft und Situation in der Moderne, das in der so formulierten Krise der Kommunikation des Evangeliums auf den Punkt gebracht wird, nahm Tillich als Herausforderung an, und er bearbeitete diese in grundlegender Weise. Tillich will Antworten geben auf die Fragen, die gestellt werden: „Die Funktion der Kirche ist es, Antworten zu geben, und zwar nicht nur an die Menschen innerhalb, sondern auch außerhalb der Kirche.“139 Dabei setzt er seiner apologetischen Intention gemäß bei der Situation der Menschen und ihren (existenziellen) Fragen ein und bezieht die (essentiellen) Antworten der Offenbarung auf diese Fragen. Die christliche Verkündigung antwortet auf die in der Situation implizierte Frage.140 Die „Methode der Korrelation“ bildet das Rückgrat der apologetischen Theologie Tillichs. Dabei beruft sich Tillich zum einen auf Luthers Ausdruck ut credunt, ita habent, in dem die objektive und subjektive Seite aufeinander bezogen sind.141 Zum anderen bildet die frühchristliche Logos-Lehre, ohne die keine apologetische Theologie möglich sei, die wesentliche Voraussetzung.142 Tillich versucht, den Verlust an Plausibilität und Anschlussfähigkeit der christlichen Botschaft vor dem Hintergrund der Säkularisierung durch eine ontologische Verhältnisbestimmung von Botschaft und Situation zu überwinden, indem er beide in einen dynamischen Non-Dualismus einspannt und aufeinander bezieht. Wie bereits M. Repp bemerkt, ist die „Korrelationsmethode“ als ein deduktiver dia138

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F. Niebergall: „Die Moderne Predigt“, ZThK 15 (1905), 203–271, abgedruckt in G. Hummel (Hg.) 1971, [9]–74; Zitat hier: [9]. Vgl. auch F. Niebergall: „Die moderne Predigt. Kulturgeschichtliche und theologische Grundlage, Geschichte und Ertrag,“ Tübingen 1929. Vgl. auch A. Grötzinger 2008, 62–64. GW IX, 107. STE I, 59–66; STD I, 73–80; GWE IV, 19–35. GWE IV, 32. GWE IV, 33–34.

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lektischer „Dreischritt vom Begriff, durch die existenzielle Problematisierung, auf die Antwort hin zu bestimmen.“143 Peter Steinacker fasst zusammen: „Das methodische Instrument für Tillich, Bedingtes und Unbedingtes aufeinander zu beziehen und die Subjekt-ObjektStruktur zu unterlaufen, ist seine Lehre von der Analogie bzw. seine Symboltheorie, die auf der Korrelation zwischen Gott und Mensch beruhen.“144 Und Oswald Bayer konstatiert: „Die Korrelationsmethode gestattet, aus einem rein Identischen, in dem alles zusammenfällt, differenzlos in eins fällt, herauszutreten und eine Differenz wahrzunehmen, gleichwohl aber die Beziehung auf den einen Grund einleuchtend präsent zu halten.“145 Dass die christliche Botschaft eine Antwort auf die in der existenziellen Situation gestellten Fragen bildet, gehört zu den Voraussetzungen von Tillichs Theologie. Er befindet sich immer schon in einem „theologischen Zirkel“.146 Die Funktion der Korrelationsmethode ist apologetisch, die Begründung ergibt sich folgerichtig aus der non-dualistischen Ontologie. Sie bildet nicht nur das Konstruktionsprinzip von Tillichs Systematischer Theologie147, sondern gilt, wie aus dem obigen Zitat ersichtlich, gerade auch für die kirchliche Verkündigung als praktische Apologetik. Der Verdacht liegt nahe, dass in dieser vorausgesetzten Korrelation entweder die Frage auf die Antwort hin gestellt oder die Antwort auf die Frage hin entworfen wird. Der ontologische Begründungszusammenhang, in den Tillich die Apologetik einspannt und der so axiomatischen Charakter annimmt, stützt diesen Verdacht der Konstruktion. Dass es sich demnach gar nicht um eine „Korrelation“, welche die Unabhängigkeit beider Pole voraussetzt, handle, bildet die Hauptkritik von J. P. Clayton an der Korrelationsmethode.148 Oder noch grundsätzlicher: Ist die Antwort am Ende nichts als die Projektion der menschlichen Frage in eine göttliche Antwort? Aus theologischer Perspektive hat Oswald Bayer diesen Vorwurf der Projektion erhoben: 143

144 145 146 147 148

M. Repp 1982, 207. Repp zeigt auf, dass sich diese Dialektik in der Nähe zu Hegel und Franz Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ (1921) bewegt; und dass sich dieser Dreischritt bereits 1913 in dem Entwurf „Systematische Theologie. 72 Thesen“ nachweisen lasse. Wie in Abschnitt 3.1.1.1 gezeigt, gilt dies ebenfalls für die „Kirchliche Apologetik“ und wird noch an der Predigttrilogie „The Theologian“ homiletisch zu entfalten sein (Abschnitt 4.3.3). P. Steinacker 1989, 51. Bayer 1994, 218 (kursiv im Original). STE I, 8–11; STD I, 15–18. Vgl. auch GWE IV, 32–35. Das zeigt bereits eine Analyse der Gliederung der Systematischen Theologie, vgl. dazu auch W. Schüssler/E. Sturm 2007, 180–198. J. P. Clayton 1980, 42 und 227.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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„Nur was innerhalb des Horizontes der nach sich selbst fragenden Existenz liegt, gilt Tillich als theologisch legitim, als wahr. Wahre christliche Religion ist ihm Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Frage des Menschen nach sich selbst. Die Wahrheit des Christentums muß als Antwort auf die Frage verständlich sein, die der Mensch ist.“149 „Tillichs Theologie hat keinen zu weiten, sondern einen viel zu engen Horizont.“150

Diesem Urteil schließt sich auch M. Roth an: „Tillichs Methode der Korrelation führt zu einer Verkürzung der theologischen Antworten.“151 Von der so vorgebrachten Kritik an der Korrelationsmethode aus kommt Bayer zum Kriterium der Hamartiologie für ein Gesamturteil über Tillichs Theologie: „Ein theologisches Urteil über Tilllichs Denken muß im entscheidenden Punkt hamartiologisch sein.“152 Allerdings ist zweifelhaft, ob O. Bayer mit dieser Kritik Tillichs Selbstanspruch und der apologetischen Leistungsfähigkeit der Korrelationsmethode gerecht wird. Zwei Gründe sprechen dagegen. Zum einen behauptet Tillich: „Die Antwort kann nicht aus der Frage abgeleitet werden. Sie wird dem Menschen gegeben, aber nicht von ihm gegeben.“153 Wenn Bayer eine Horizontverengung auf den Bereich der Frage behauptet, so lässt sich umgekehrt anhand der Texte Tillichs eine „Verengung“ (oder vielmehr eine Erweiterung?) der Frage auf den Horizont der Antwort belegen. Tillich hat nie behauptet, die Fragen unbeeinflusst von der christlichen Antwort zu formulieren. Vielmehr befindet er sich bewusst immer schon innerhalb des „theologischen Zirkels“ – auch als jemand, der die „menschliche Frage“ formuliert. In ST II heißt es expressis verbis: „In jedem Zug widerspricht das Bild Jesu als des Christus (nicht nur in den Evangelienberichten, sondern auch in den Episteln) den Merkmalen der Entfremdung, die wir in der Analyse der existentiellen Situation des Menschen herausgearbeitet haben. Das ist nicht überraschend, denn die Analyse selbst beruhte teilweise auf der Gegenüberstellung der existentiellen Situation des Menschen und des Bildes des Neuen Seins im Christus.“154

Tillich gewinnt die Fragen also gemäß dem deduktiven Dreischritt von der Antwort her. Die Hamartiologie wird von der Christologie her entworfen. Zum anderen geht es Tillich darum, wie er 1952 in „Communicating the Christian Message“ (vgl. zu diesem Aufsatz Abschnitt 149 150 151 152 153 154

O. Bayer 1994, 226 (kursiv im Original). O. Bayer 1994, 227 (kursiv im Original). M. Roth 2002, 329. O. Bayer 1994, 226 (kursiv im Original). GW IX, 107; das konzediert auch O. Bayer 1994, 225. STD II, 137 = STE II, 125–126.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

4.3.4) ausführt, dass die Fragen in Richtung auf die Offenbarungsantwort geformt werden. Ohne den Begriff zu verwenden beschreibt Tillich in diesem Aufsatz die Methode der Korrelation, für die er in den Seligpreisungen Jesu ein biblisches Vorbild sieht.155 Für die Beschreibung der menschlichen Situation (besonders der Angst und der Verzweiflung) geht Tillich auf den Existenzialismus ein. Es sind besonders die „anxiety of being finite,“ „feelings of guilt“ und „mans tragic existence“ angesichts der Weltsituation, welche die menschliche Notsituation (predicament) zum Ausdruck bringen.156 Für das Verständnis als apologetischer Methode der Kommunikation des Evangeliums bietet der behandelte Aufsatz eine Schlüsselpassage, die geradezu als Kommentar zur Korrelationsmethode gelten kann und diese in Analogie zu Religionspädagogik und Missionsmethode erläutert: „There are two principles we should follow in the religious education of our children. The first is that the questions which are really in the hearts of the children should be answered and the children should be shown that biblical symbols and the Christian message are an answer to just these questions. And secondly, we ought to shape their existence in the direction of the questions which we believe are the more universal ones. This would be similar to what we do with primitive peoples in the mission field. We seek to answer their questions and in doing so we, at the same time, slowly transform their existence so that they come to ask the questions to which the Christian message gives the answer.“157

Hier erklärt Tillich unmissverständlich, dass die Fragen zur Antwort hinführen sollen; und er geht sogar noch weiter: Dadurch werde auch die Existenz langsam in Richtung der christlich bestimmten Fragen geformt. Hier könnte kritisch gefragt werden, inwieweit dabei der Respekt vor der Würde und Freiheit der Person in Erziehung und Mission gewahrt bleibt, da zugleich ein Urteil über den Verstehenshorizont des Gegenübers impliziert wird und die Grenze zur Manipulation fließend wird.158 Allerdings darf man dies Tillich, der selbst immer gegen den 155 156

157 158

Tillich 1959, 207 = GW VIII, 270. Tillich 1959, 202–203 = GW VIII, 266. Auch hier lassen sich wieder leicht die Parallelen zum Aufbau der Systematischen Theologie und „The Courage to Be“ ziehen. In der Systematischen Theologie geht Tillich von der menschlichen Frage aus, um ihr die Antwort der Offenbarung folgen zu lassen. Anhand der Stichworte Vernunft, Sein, Existenz, Leben und Geschichte zeigt er zuerst das „human predicament“ auf. Auch in „The Courage to Be“ entfaltet Tillich zunächst eine Ontologie der Angst (anxiety), bevor er deren Überwindung aufzeigt. Dieselbe Struktur lässt sich auch an den religiösen Reden aufzeigen. Tillich 1959, 205–206 = GW VIII, 269 (Hervorhebung im Original). Den religionspädagogischen Aspekt der Apologetik hat Tillich bereits 1913 in der „Kirchlichen Apologetik“ hervorgehoben. In diesem Zusammenhang beschreibt

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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„Großinquisitor“ gekämpft hat, kaum unterstellen. Wesentlich ist die Intention, die Bereitschaft, auf das konkrete Gegenüber einzugehen und es gerade darin in seiner Situation ernst zu nehmen. Zudem darf der zeitgeschichtliche Kontext der USA im Jahr 1952 nicht außer Acht gelassen werden, und es bleibt zu bedenken, dass dieser Vortrag im selben Jahr gehalten wurde, in dem „The Courage to Be“ erschien, und ein Jahr nach Erscheinen des ersten Bandes der Systematic Theology. Beide Werke lassen sich m. E. schlüssig von diesem Vortrag über die Kommunikation des Evangeliums her interpretieren. Zugleich steht auch der Vortrag von 1952 in erstaunlicher Kontinuität zur „Kirchlichen Apologetik“ von 1913, sowohl in der dort geforderten Partizipation am Leben der dem christlichen Glauben entfremdeten Gebildeten als auch der dort genannten „dialektischen Methode“ der Apologetik: „… die dialektische Methode führt von dem vorhandenen geistigen Tatbestand durch konsequentes Weiterdenken zu den Überzeugungen, die geschaffen werden sollen; sie zeigt, wie sämtliche Positionen eine innere Beziehung zur Wahrheit selbst haben, wie alle geistigen Strömungen zuletzt ihr Ziel im Christentum finden müssen.“159 Von dem Aufsatz über die Kommunikation der christlichen Botschaft her kann die Methode der Korrelation auch als eine religionspädagogische Methode interpretiert werden.160 Für Tillich ist die Korrelationsmethode ein letztlich vorläufiges Mittel religiöser Kommunikation. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von göttlichem und menschlichem Geist führt Tillich eine prinzipielle sprachtheologische Überlegung an, die nach Möglichkeit und Modus sprachlicher Kommunikation des Unbedingten fragt.161 Einerseits könne die Unbedingtheitsrelation nicht durch Metaphern endlicher Relationen adäquat ausgedrückt werden, da das Unendliche über jedem Vergleich mit dem Endlichen steht (im englischen Text findet sich hier der Begriff „incommensurable“). „Andererseits kann die Beziehung zum göttlichen Seinsgrund nicht anders als durch Metaphern des Endlichen und die Sprache der Symbole be-

159 160

161

Tillich, was er 1952 als Fokussierung bezeichnet, so: „Pädagogisch verhält er sich dabei nur insofern, als er das zeigt, was der andere verstehen kann und das verbirgt, was dem andern nur Anstoß geben und ihn fern halten würde, was ihn nicht zum Verstehen, sondern zum Mißverstehen veranlassen würde“ (MW 6, 43). MW 6, 45 = GW XIII, 40–41. Dem entspricht, dass gerade in der Religionspädagogik der Begriff der „Korrelation“ rezipiert wurde. Ähnliches gilt für den Symbolbegriff (vgl. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 233–235). STD III, 136–137 = STE III, 113–114.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

schrieben werden.“162 Er fragt, wie das Verhältnis von Unbedingtem und Bedingtem beschrieben werden könne, ohne ein „dualistisch-supranaturalistisches Element“ einzuführen. Die eine Möglichkeit bestehe darin, den Begriff „Dimension“, wie er in der „vieldimensionalen Einheit des Lebens“ gebraucht ist, in Bezug auf das Sein-Selbst radikal vom Gebrauch in Bezug auf Seiendes zu unterscheiden. Ist „Dimension“ in Bezug auf Seiendes metaphorisch gebraucht, so in Bezug auf das Sein-Selbst als Symbol, wie es in den Zusammensetzungen Dimension der Tiefe, des Ewigen, des Unbedingten zum Ausdruck kommt.163 Die zweite Möglichkeit sieht Tillich in einem Verzicht auf die Metapher „Dimension“. Stattdessen könne man sagen, dass „… alles Endliche durch die Beziehung zum Göttlichen bestimmt sei.“164 Diese Beziehung ist in der existenziellen Entfremdung „verdeckt“. „Nur in dem, was wir Selbst-Transzendierung des Lebens genannt haben, ist, mythisch gesprochen, die ‚Erinnerung‘ der wesenhaften Einheit des Endlichen und Unendlichen erhalten. Das dualistische Element dieser Redeweise ist sozusagen vorläufig und vorübergehend.“165

Die Unterscheidung von Essenz und Existenz und die „wesenhafte Einheit des Endlichen und Unendlichen“ bilden den Hintergrund für die Methode der Korrelation als Modus der Kommunikation der Unbedingtheitsrelation, von (existenzieller) Frage und (theologischer) Antwort. „Obwohl in der essentiellen Beziehung des göttlichen zum menschlichen Geist von gegenseitigem Innewohnen gesprochen werden muß, bleibt für den Stand existenzieller Entfremdung nur die Korrelation von Frage und Antwort übrig …“166 Das heißt, dass die dualistische Redeweise der Korrelationsmethode nur auf der Ebene existenzieller Entfremdung Gültigkeit besitzt, die als apologetische Methode als solche „vorläufig und vorübergehend“ ist. Im Akt der „Selbst-Transzendierung“ hat sie ihr Ziel erreicht und ihre Funktion erfüllt. O. Bayer lässt bei seiner Beurteilung der Korrelationsmethode deren pragmatisch-kommunikative Intention sowie deren vorläufigen Charakter, Plausibilitätsstrukturen aufzubauen, außer Acht und kommt so zu rigiden Urteilen. Tillich will mit der Korrelationsme162 163 164 165 166

STD III, 136 = STE III, 113. STD III, 136–137 = STE III, 113. Der englische Text hat hier noch: „… and it is doubtful whether this double use of the same word is to be recommended.“ STD III, 137 = STE III, 114. STD III, 137 = STE III, 114 (Hervorhebung vom Verf.). STD III, 137 = STE III, 114 (Hervorhebung vom Verf.).

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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thode zwei Extreme vermeiden: einerseits Antworten auf Fragen zu geben, die nicht (mehr) gestellt werden und damit irrelevant geworden sind, und andererseits den Verlust der Wahrheit der christlichen Botschaft für den modernen Menschen einfach hinzunehmen. Indem Tillich Situation und Botschaft im Sinne von Frage und Antwort aufeinander bezieht, versucht er die Relevanz der christlichen Botschaft zu erweisen. Dass dies gerade für die Predigttheorie von großer Bedeutung ist, liegt auf der Hand.167 3.1.3.2 Das Problem religiöser Sprache Neben der Korrelationsmethode sind es vor allem semantische und sprachtheologische Überlegungen, die in Tillichs Theologie und Predigttheorie zum Tragen kommen.168 Für Tillich ist Sprache zum einen Grundlage aller Funktionen des menschlichen Geistes und damit zugleich Medium der Selbsttranszendierung des Menschen über das Gegebene hinaus.169 Als primäre kulturelle Schöpfung bildet Sprache die Form von Religion. Das Proprium religiöser Sprache gegenüber der Alltagssprache liege in dem, was sie zum Ausdruck bringt. So heißt es in dem Aufsatz „Aspects of a religious Analysis of Culture“ (1956): „Die religiöse Sprache ist gewöhnliche Sprache [ordinary language], aber verwandelt kraft dessen, was sie ausdrückt: das Letzte [the ultimate] Anliegen in Sein und Sinn. Die religiöse Sprache kann erzählend sein (mythologisch, legendär, historisch), oder sie kann prophetisch, poetisch, liturgisch sein. Und sie kann heilig werden für alle die, die in ihr den Ausdruck ihres letzten Anliegens [ultimate concern] finden und von Generation zu Generation weitergeben. Aber es gibt keine heilige Sprache als solche, wie Übersetzungen und Neuübersetzungen und revidierte Übersetzungen der Bibel zeigen.“170

Sprache wird dadurch zu religiöser Sprache, dass in ihr „das Letzte in Sein und Sinn“ zum Ausdruck kommt, gewissermaßen als Substanz religiöser Sprachform. Verschiedene Redegattungen sind demgegen167

168

169 170

Ohne direkten Bezug auf Tillich und gewissermaßen in Antwort auf das Monitum F. Niebergalls stellte Joachim Konrad 1957 die Forderung auf: „… die Predigt muß Antwort auf die in unserer situationsbestimmten Existenz verborgene Frage sein“ (J. Konrad 1971 (1957), 248). Vgl. dazu auch A. Rössler 1971, 85–101; H. S. Na 1996, 183–245; W. C. Bergmann 2001, 70–79. Auch die Jahrestagung 2006 der Deutschen Paul Tillich-Gesellschaft befasste sich mit Tillichs Symbolbegriff, wobei in den Beiträgen von C. Schwöbel und M. Moxter dessen Relevanz im Kontext der Fundamentalismus-Debatte betont wurde (vgl. IJTF 2 „Das Symbol als Sprache der Religion“, 2007). Vgl. MW 4, [405] = GW VIII, 70; GW IX, 106 = P. Tillich 1959, 47; STD III, 74 = STE III, 58. GW IX, 106 = P. Tillich 1959, 47–48.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

über sekundär. Entscheidend ist das Was (der Gehalt) religiöser Rede, nicht das Wie (die Form). Demgegenüber differenziert Tillich in ST III (1963) scharf zwischen Alltagssprache und religiöser Sprache.171 Unter Rückgriff auf Heideggers Unterscheidung von Zuhandensein und Vorhandensein eigne gewöhnlicher Alltagssprache ein technischer, der religiösen Sprache ein kognitiver Zugang zur Wirklichkeit. Da religiöse Sprache zum Ausdruck bringt, was in religiöser Erfahrung als Begegnung mit etwas von höchster Bedeutung ist und das Alltägliche transzendiert, schließt Tillich, „… daß eine andere Sprache notwendig wird: die Sprache der religiösen Symbole und ihrer verschiedenen Kombinationen – des Mythos. Die religiöse Sprache ist symbolisch-mythologisch […] Die heute oft übliche Verwechslung dieser beiden Arten von Sprache ist eines der ernstesten Hindernisse für das Verstehen der Religion.“172 „Das Symbol ist die Sprache der Religion.“173

An dieser Stelle geht Tillich einen dezidiert anderen Weg als R. Bultmann mit seinem Programm der „Entmythologisierung“ oder als D. Bonhoeffer mit seiner Forderung einer nicht-religiösen Sprache. Vielmehr steht Tillichs Symbolbegriff in sachlicher Nähe zu dem Otto’schen Begriff des Ideogramms.174 Es geht nicht um die Eliminierung des Mythos, sondern um ein adäquates Verständnis als symbolische Sprachform. D. h. für Tillich im Unterschied zu einem (supranaturalistischem) „literalistischem“ Verständnis das Verständnis des Mythos als Mythos und somit als eines „gebrochenen Mythos“.175 Darin kommt die Intention des „Protestantischen Prinzips“ zum Ausdruck, die absolute Transzendenz des Unbedingten zu wahren. Dass hier eine Spannung zu dem für Tillich ebenso wichtigen inkarnationstheologisch begründeten Infralutheranum entsteht, liegt auf der Hand. Mythos definiert Tillich als „die Verknüpfung von Symbolen, die ausdrücken, was uns unbedingt angeht.“176 Gegenüber der Alltagsspra171 172

173

174 175 176

STD III, 74–75 = STE III, 59–60. STD III, 74–75 = STE III, 59. Trotz der positiven Wertung des Mythos bleibt allerdings festzuhalten, dass Tillich in den Predigten sehr wenig mythologische Sprache gebraucht! GW V, 237 („Recht und Bedeutung religiöser Symbole“); vgl. MW, 4, 413 = GW VIII, 81. Zur vielfach vorgebrachten Kritik an Tillichs Symboltheorie vgl. z. B. Schmitz 1966, 83–104; G. Wenz 1979, 161–180; M. Korthaus 1999, 115–118. Ein Defizit dieser Darstellungen besteht darin, dass der Einfluss der „analytischen Psychologie“ C. G. Jungs in der Kritik am Symbolbegriff nicht gesehen wird. Vgl. R. Otto 2004 (ND 171931), 132. 198. MW 5, 254 = GW VIII, 146. MW 5, 254 = GW VIII, 146.

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che besitzt der Mythos einen Mehrwert. Hier klingen auch Parallelen zum Verständnis von Mythos und Symbol bei C. G. Jung an. In dem Aufsatz „The Nature of Religious Language“ (1955)177 schreibt Tillich: „‘Out of what womb are symbols born?’ I would say out of the womb which is usually called today the ‘group unconscious’, or ‘collective conscious,’ or whatever you may call it – out of a group which acknowledges, in this thing, this word, this flag, or whatever it may be, its own being“.178

Bereits 1946 heißt es in dem Aufsatz “Erlösung in Kosmos und Geschichte”: “Die Aufgabe der protestantischen Theologie heute scheint mir zu sein, die Situation, wie sie von Jung beschrieben wurde, anzuerkennen und die verlorenen Symbole in einer Weise neu zu interpretieren, daß ihr archetypischer Charakter wieder durchsichtig und damit ihre christliche Umformung auf der Grundlage ihrer universalen Bedeutung erneut sinnvoll wird.”179 Dieser Satz formuliert ein hermeneutisches Programm. Besonders bei der Analyse der Predigt „You are accepted“ (ebenfalls 1946 entstanden), wird gezeigt werden können, wie Tillich den archetypischen Charakter christlicher Symbole mit der „Dimension der Tiefe“ verknüpft und Jung’sche Einsichten in seine Ontologie integriert. Der tiefenpsychologisch verstandene Symbolbegriff dient bei Tillich der Wiedergewinnung und der Neuinterpretation der christlichen Botschaft in Abgrenzung von einer „Bewusstseins–Philosophie und –Theologie“, welche die „unbewussten und halbbewussten Seiten der menschlichen Natur“180 unterdrücke In Tillichs Symboltheorie besteht die wesentliche Funktion eines Symbols darin, „levels of reality“ zu eröffnen („open up“), die verborgen sind und in keiner anderen Weise erfasst werden können.181 Symbole partizipieren nach Tillich (im Unterschied zu Zeichen) an der Mächtigkeit und Bedeutung der Wirklichkeit, die sie repräsentieren und die sie eröffnen sollen. Neben dieser „objektiven“ Seite, haben die Symbole auch die Funktion die innere Realität der Seele zu eröffnen, die der äußeren Realität der eröffneten Schichten entsprechen müssen („correspond“). „So every Symbol ist two-edged. It opens up reality 177 178 179

180 181

P. Tillich 1959, 53–67; jetzt unter dem Titel „Religious Symbols and Our Knowledge of God“ in MW 4, [395]–403; dt. Übers. in GW V, 213–222. P. Tillich 1959, 58. GW VIII, 241; vgl. auch die positive Wertung von Jungs Archetypenlehre GW XII, 316–319 (1961). Auch in STD II, 33 erwähnt Tillich explizit die „analytische Psychologie“. Den Hinweis auf letztgenannte Stellen verdanke ich Dr. Heiner Kücherer. Für eine Kritik an Tillichs Rezeption der Archetypenlehre Jungs vgl. P. Biehl 1980, dargestellt in W. Schüssler/E. Sturm 2007, 234. STD II, 34 = STE II, 27. MW 4, 397 = GW V, 215 und MW 4, 412–413 = GW VIII, 79–81.

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and it opens up the soul.“182 In der Analyse der Predigten lässt sich zeigen, wie Tillich versucht, die biblischen Begriffe so zu beschreiben und zu übersetzen, dass die darin zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit ein Resonanzphänomen in den Hörern erzeugt, in dem die „Dimension der Tiefe“ eröffnet wird. Denn das Wesen religiöser Symbole besteht darin, dass sie „the depth dimension of reality itself“ eröffnen: „Religious symbols open up the experience of the dimension of this depth in the human soul. If a religious symbol has ceased to have this function, then it dies. And if new symbols are born, they are born out of a changed relationship to the ultimate ground of being, i. e., to the Holy.“183

Das so verstandene Symbol bildet in der Funktion des doppelten Öffnens den Konnex zwischen dem Heiligen und dessen subjektiver Erfahrung. Damit kommt der (tiefenpsychologisch interpretierten) Symboltheorie eine Schlüsselstelle in Tillichs Verständnis der Vermittlung religiöser Erfahrung in religiöser Kommunikation zu. Sie hat eine doppelte Stoßrichtung: die Abwehr einer im Horizont der Moderne nicht mehr anschlussfähigen literalistischen Interpretation des Mythos und die Erschließung religiöser Erfahrung. Daraus ergeben sich im theologischen Kontext die Fragen, wie sich das zu den traditionell gefassten media salutis, insbesondere die Vermittlung durch den göttlichen Geist und das Wort Gottes verhält. Auf beide Fragen geht Tillich explizit ein. In dem Aufsatz „The Word of God“ (1957) entfaltet Tillich ein funktionales Verständnis von „Wort Gottes“.184 Zunächst wird der symbolische Charakter des Terminus „Wort Gottes“ gegenüber einer literalistischen Fehlinterpretation betont. Seinen Ursprung hat das „Wort Gottes“ in der göttlichen Selbstmanifestation, die sich in ekstatischen Erfahrungen ereignet und in eine sprachliche Form gefasst wird, die auf diese Selbstmanifestation hinweist.185 „Wort Gottes“ ist demnach die Versprachlichung religiöser Erfahrung, die als Einbruch des Göttlichen gedeutet wird. Diese göttliche Selbstmanifestation kann nur symbolisch ausgedrückt werden.186 Wie in ST I (1955) unterscheidet Tillich in dem Aufsatz sechs Bedeutungen von „Wort Gottes“, wobei es im Vergleich zur Darstellung in ST I eine signifikante Weiterentwicklung gibt: 1) Logos als inner182 183 184 185 186

MW 4, 397 = GW V, 216. MW 4, 398 = GW V, 217. MW4, [405]–413 = GW VIII, 70–81. Vgl. dazu auch STD III, 148–153 = STE III, 124–128. MW 4, 406. MW 4, 410.

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trinitarisches Wort, 2) das Wort der Schöpfung, 3) Wort Gottes als Inspiration und Inkarnation in der Geschichte, v. a. in Jesus als dem Christus. Diese drei Bedeutungen beziehen sich auf die göttliche Selbstmanifestation. Drei weitere Bedeutungen beziehen sich auf die Rezeption dieser Selbstmanifestation durch menschliche Worte187: 4) die Bibel als Ausdruck („expression“) der offenbarenden Ekstase der biblischen Autoren, 5) die kirchliche Predigt und schließlich 6) jedes Wort, das als göttliche Selbstmanifestation erfahren wird.188 Im Unterschied zu ST I wird Jesus als der Christus unter die geschichtliche Selbstmanifestation mit in die dritte Bedeutung aufgenommen. Dafür kommt die sechste Bedeutung hinzu, in der es zu einer universalistischen Ausweitung des Begriffs „Wort Gottes“ kommt: „Every word, and also every event, can become the ‘Word of God’ for someone in a special situation. If it is experienced as divine self-manifestation it is the ‘Word of God’ for him who experiences it. This makes the whole of nature and culture a possible bearer of the ‘Word of God.’ Someone may experience ultimate meaning in a casual conversation, in the encounter with a human being, in a philosophical text, in a piece of art, in a political event. If this happens, he has heard the ‘Word of God’ through these media.“189

Das Kriterium für ekstatische Erfahrung göttlicher Selbtmanifestation ist nach Tillich die Erfahung von „ultimate meaning“ bzw. „ultimate concern“ „… for the ‘Word of God’ is not a collection of propositions, but a symbol for the dynamic, and ever-changing encounter between man and what concerns him ultimately.“190 Der Anspruch des Christentums, dass das Verhältnis von Gott und menschlicher Situation symbolisch in Christus, dem „fleischgewordenen Wort“ adäquat ausgedrückt ist, ist Gegenstand „wagenden Glaubens und nie endender Erfahrung“.191 Eine Predigt hat die Möglichkeit zum „Wort Gottes“ zu werden, wenn der Hörer in einer bestimmten Situation dadurch existenziell ergriffen wird von dem, was ihn unbedingt angeht. Tillich kontrastiert dieses „subjektive“ Verständnis von „Wort Gottes“ mit einem von dem Effekt auf die Hörer unabhängigen „objektiven“ Verständnis von 187 188

189 190 191

Auch dieses Unterscheidung der sechs Bedeutungen von „Wort Gottes“ in Selbstmanifestation und Rezeption findet sich noch nicht in ST I. MW 4, 411–409; vgl. STD I, 187–189 = STE I, 157–159. A. Rössler referiert lediglich die Darstellung von ST I und fügt die universalistische Erweiterung des Wort-Gottes-Begriffs als siebte Bedeutung ohne weitere Diskussion an. Auf die Bedeutung des Aufsatzes von 1957, der gerade das Kriterium des unbedingten Angegangenseins aufstellt, für das Predigtverständnis geht er nicht ein. MW 4, 408–409. MW 4, 413. MW 4, 413 = GW VIII, 81.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

„Wort Gottes“ resp. Predigt. Wort Gottes ziele nicht auf Information, sondern auf Transformation.192 Die Unverfügbarkeit des Wort-Gottes-Ereignisses korrespondiert mit der Unverfügbarkeit des Glaubensaktes. Glaube als „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“ und Wort Gottes bilden die beiden Aspekte des einen Ereignisses göttlicher Selbstmanifestation. In ST III ist es der göttliche Geist, der den menschlichen Geist „ergreift“ und die ekstatische Selbst-Transzendierung bewirkt, die als Glaube und Liebe erfahren wird. „Wort Gottes“ ist hier der Ausdruck für menschliche Worte als Mittler des göttlichen Geistes.193 Es kann hier zunächst festgehalten werden, dass die Vermittlung der Erfahrung des Heiligen durch Symbole geschieht, welche die Dimension des Unbedingten, der Tiefe oder des Heiligen eröffnen. Das symbolisch verstandene „Wort Gottes“ wird zum Medium des göttlichen Geistes, der den menschlichen Geist ergreift und ekstatische Selbst-Transzendierung wirkt (vgl. ausführlicher Abschnitt 3.2). Symboltheorie und Pneumatologie werden hier über den Begriff des unbedingten Ergriffenseins, das die Subjekt-Objekt-Spaltung transzendiert, phänomenologisch vermittelt. Dabei kommt es einerseits zu einer Entgegenständlichung des „Wortes Gottes“ und zugleich zu einer universalen Ausweitung, indem potentiell alles zu einem Medium unbedingten Angegangenseins werden kann. Dass die Symboltheorie gegen die Vergegenständlichung und damit gegen eine„Dämonisierung“ des Unbedingten sichern soll, kommt für Tillich im Kreuz als dem Symbol schlechthin zum Ausdruck: „Wenn das Christentum den Anspruch erhebt, in seinem Symbolismus eine Wahrheit zu besitzen, die jeder anderen Wahrheit überlegen ist, so findet es sie im Symbol des Kreuzes Jesu Christi. Er, der in sich die Fülle göttlicher Gegenwart verkörpert, opfert sich selbst, um nicht ein Götze, ein Gott neben Gott, ein Halbgott zu werden, zu dem seine Jünger ihn gern gemacht hätten. Und deshalb ist der entscheidende Text im Markusevangelium und vielleicht im ganzen Neuen Testament die Geschichte, in der Jesus den ihm von Petrus angebotenen Namen ‘Christus’ nur unter der Bedingung annimmt, daß er nach Jerusalem gehen und dort leiden und sterben müsse. Und das bedeutet, daß er die Vergötzung seiner selbst verneint. Dies ist das Kriterium für alle Symbole, und es ist das Kriterium, dem sich jede christliche Kirche unterwerfen sollte.“194

192 193 194

MW 4, 410. STD III, 149 = STE III, 124. Z. B. GW V, 222 = P. Tillich 1959, 66–67. Vgl. dazu G. Wenz 1979, 168. Wenz sieht hier Tillichs Christologie in Übereinstimmung mit der von Hegel (ebd. Fn. 22).

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Das hier zur Sprache gebrachte „Protestantische Prinzip“ der Selbstunterscheidung, welche die Transzendenz des Unbedingten wahren und gegen jede Form der Verabsolutierung des Endlichen sichern will, ist für Tillich zugleich das Kriterium für eine Theologie der Religionen. Das entscheidende Problem der Symbole als religiöse Sonderform von Sprache ist, darauf hat Gunther Wenz zurecht aufmerksam gemacht, dass dadurch entgegen der Intention Tillichs, Religion als eine Sonderfunktion erscheint.195 Neben der Symboltheorie sind es vor allem semantische Überlegungen, die für Tillichs Neuformulierung der christlichen Botschaft in apologetischer Intention charakteristisch sind. Es ist Tillichs eigentümliche Terminologie, die einerseits die religiöse und kulturelle Anschlussfähigkeit gewährleisten soll, andererseits aber den Zugang zu Tillichs Denken oft erschwert und manche Irritationen ausgelöst hat. Gott wird so zum „Sein-Selbst“, Glaube zum „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“, Rechtfertigung zu „Angenommensein, obwohl man unannehmbar ist“, Rettung zu „Heilung“, Sünde zu „Entfremdung“ etc. Dass diese Neuformulierungen religiöser Kommunikation dienen sollen und so den Konnex zu Tillichs Predigttheorie bildet, machen zahlreiche Passagen in seinen Predigten deutlich, in denen er traditionelle Termini problematisiert und neuinterpretiert. Eine grundlegende Aussage zu diesem Vorgehen Tillichs, findet sich in der Predigt „Salvation“/„Erlösung und Heilung“.196 In metakommunikativer Weise führt Tillich den Gegenstand der folgenden Predigt, die genuine Bedeutung des Begriffes „salvation“, ein und problematisiert ihn zugleich: Die großen religiösen Worte unserer Tradition seien durch den häufigen Gebrauch abgenutzt, ihrer ursprünglichen Bedeutung fast völlig entleert und so ohne große Wirkung auf den menschlichen Geist („mind“; der deutsche Text gibt hier „Denken“ wieder). D. h. sie erfüllen ihre kommunikative Funktion nicht mehr. In dieser Situation sieht Tillich nur zwei radikale Möglichkeiten: eine „Wiedergeburt“ dieser Worte (falls möglich) oder deren Entfernung aus dem christlichen Vokabular. Analog seiner Symboltheorie spricht Tillich hier in metaphorischer Weise vom Lebensprozess religiöser Begriffe.197 Bezeichnenderweise 195

196 197

G. Wenz 1979, 170. Auch P. Biehl 1980 wendet sich trotz grundsätzlich positiver Aufnahme der Symboltheorie aus religionspädagogischer Sicht gegen Tillichs Unterscheidung einer religiösen Sondersprache (vgl. die Darstellung in W. Schüssler/E. Sturm 2007, 233–235). EN 76–77 = RR III 110–111. Von den Symbolen heißt es: „Like living beings, they grow and they die. They grow when the situation is ripe for them, and they die when the situation changes“ (MW 5, 251 = GW VIII, 140).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

spricht Tillich im Kontext der Predigt nicht von Symbolen, sondern von „Worten“ („words“) und „Begriffen“ („terms“) der religiösen Sprache, die er andernorts als Symbole bezeichnet („God“, „the Christ“, „Eternal Life“). Sie stehen in der Predigt in einer Reihe mit Begriffen, die Tillich in der Regel nicht als Symbole bezeichnet („the Church“, „faith“, „forgiveness“, „hope“, „love“). Das entscheidende Differenzkriterium zwischen Zeichen („sign“) und Symbol ist nach Tillich (angesichts des Verweisungscharakters, der beiden zu eigen ist), dass ein Symbol an der symbolisierten Realität partizipiert, während das beim Zeichen nicht der Fall ist. Daher ist ein Zeichen im Unterschied zu einem Symbol durch ein Funktionsäquivalent substituierbar.198 Wie an obigem Zitat abzulesen ist, sind jedoch die Übergänge zwischen Symbol, Zeichen, Begriff, Wort eher fließend und die Unterschiede nicht ganz klar.199 Wie kann aber nun ein traditioneller Terminus, der seine ursprüngliche Bedeutung und kommunikative Kraft verloren hat, wieder hergestellt werden? Tillich sieht nur einen Weg: „… to ask ourselves what these words mean for our lives; to ask wether or not they are able to communicate something infinitely important to us. […] About each of them we must ask whether it is able to strike us in the depth of our being.“200 Das Kriterium für eine adäquate Terminologie christlicher Kommunikation, das Tillich hier in Anschlag bringt, ist zunächst scheinbar ausschließlich empfängerorientiert: Die existenziell sinnhaltige und affektive Rezeption ist entscheidend. Zugleich knüpft Tillich mit der Formulierung „something infinitely important to us“ an seine Definition von Religion resp. Glaube an und verlegt die Affektivität in die „Tiefe unseres Seins.“ Die Inkonsistenz in Tillichs Terminologie und der rezeptionsästhetische Ansatz, der hier anklingt, signalisieren, dass Tillichs Anliegen die theoretische Kohärenz seines Systems zuweilen überholt.

198 199 200

MW 5, 250 = GW VIII, 140. Vgl. A. Rössler 1971, 95. EN 76–77 = RR III, 111.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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3.2 Grundstrukturen in Tillichs Glaubensbegriff201 3.2.1 Der Glaubensbegriff als apologetischer Testfall Der Glaubensbegriff steht für Tillich im Zentrum der apologetischen Aufgabe. 202 Die Anfänge seiner Bemühungen um ein neues Verständnis des Glaubens, wie er es 1925 in seiner Religionsphilosophie und der Marburger Dogmatik-Vorlesung 1924–1925 grundgelegt 203 und in seinen späteren Schriften entwickelt hat, dürften bis in seine Moabiter Zeit 1912 (also der Zeit der „Vernunft-Abende“ und der „Kirchlichen Apologetik“) zurückgehen. Im Abstand von 50 Jahren erinnert sich Tillich: 201

202 203

Die jüngste umfassende Darstellung des Tillich’schen Glaubensbegriffs stammt von Petr Gallus, der in seiner Prager Dissertation von 2005 das Glaubensverständnis bei P. Tillich und K. Barth vergleicht: „Der Mensch zwischen Himmel und Erde: Der Glaubensbegriff bei Paul Tillich und Karl Barth“, Leipzig 2007. Gallus beschreibt Tillichs Glaubensbegriff als fides apprehensa, als „Kanal“, im Unterschied zu einer fides intelligens oder „Glaube als tätiges Kennen“ bei Karl Barth. Dabei berücksichtigt er in seiner Tillich-Interpretation ausdrücklich die seelsorgliche Intention der Theologie Tillichs, die „unten“ beim Menschen und dessen innerer Not einsetzt, und er sieht darin eine Grunddifferenz zu Barths Einsatz „von oben.“ Gallus’ Interpretation liegen insbesondere die einschlägigen Arbeiten des späten Tillich zugrunde. Im Kern handelt es sich in seiner Darstellung um eine Interpretation von „Wesen und Wandel des Glaubens,“ der Systematischen Theologie und „Der Mut zum Sein.“ Erstaunlicherweise fehlt aber bei Gallus’ Studie–trotz der Berücksichtigung der seelsorglichen und biographischen Horizonte der Theologie Tillichs – der große Rahmen der Apologetik, die als pragmatische Kommunikation des Evangeliums das Leitmotiv auch für Tillichs Reinterpretation des Glaubensbegriffs bildet. Gerade von diesem apologetischen Motiv geht die Studie von Michael Korthaus aus, der in seiner Münsteraner Dissertation von 1998 Tillichs Glaubensbegriff auch auf dessen apologetische Tragfähigkeit hin überprüft („‚Was uns unbedingt angeht‘ – der Glaubensbegriff in der Theologie Paul Tillichs“, Stuttgart 1999). Beide Autoren kommen schließlich je auf ihre Weise zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Tillichs groß angelegtem Versuch einer Neuinterpretation des christlichen Glaubens. Nach wie vor instruktiv ist auch der Abschnitt über Tillichs Glaubensverständnis von Martin Seils in dem Band „Glaube“ in HST 13 (1996), 241–295. Seils kommt insgesamt zu einer etwas wohlwollenderen Beurteilung von Tillichs „idealistisch-lutherischem Glaubensverständnis“ als die beiden erstgenannten Verfasser. In diesem Kapitel ist es nicht möglich, eine umfassende Interpretation des Glaubensbegriffs bei Tillich zu entfalten, vielmehr sollen anhand der Quellentexte und in kritischer Diskussion mit den einschlägigen Tillich-Interpretationen die Grundlinien aufgezeigt werden, die für die Interpretation der religiösen Reden im Blick auf die Frage der Glaubensvermittlung und den Vergleich mit shinjin bei Jōdo-shinshū wesentlich sind. Zur Genese des Tillich’schen Glaubensbegriffs vgl. auch M. Seils 1996, 244–259 und M. Korthaus 1999, 35–42. GW I, 331. Bereits hier wird der Glaube als „Richtung auf das Unbedingte“ verstanden. Die Marburger Dogmatik-Vorlesung wurde 1986 von Werner Schüssler herausgegeben. Seit 2005 in GWE XIV.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

„Ich war Kandidat der Theologie und arbeitete in einer Gemeinde im Norden Berlins. Da machte ich die folgende Erfahrung: Berlin-N besteht meistens aus Arbeiterbevölkerung, und ich hatte die 12- und 13jährigen Jungen, ungefähr 20 in der Klasse, zu unterrichten. Und als ich anfing, mit ihnen zu reden, meldeten sie sich immerzu, und ich rief einen auf und er antwortete: ‚Der Glaube‘. Ich rief den nächsten auf, als wir über ein ganz anderes Problem sprachen, wieder kam die Antwort: ‚Glaube‘, und so ging es bis 20. Und dann entschloss ich mich, ein Verbot ausgehen zu lassen, das Wort Glaube in den nächsten Monaten in diesem Raum nicht mehr zu gebrauchen, und ich wünschte, statt der Arbeiterjungen wäre eine Reihe von Pfarrern dagewesen, und sie hätten sich wahrscheinlich in einem Gespräch ein bißchen raffinierter, aber nicht viel anders ausgedrückt und hätten alle 20, statt auf die theologischen Sachprobleme einzugehen, das Wort ‚Glaube‘ geantwortet.“204

„Glaube“ begegnet Tillich hier als ein entleerter Begriff, der theologische Probleme überdeckt. Er ist nicht nur bedeutungslos geworden, sondern er konterkariert darüber hinaus eine sinnvolle Kommunikation über Sachgehalte. In der editorischen Einleitung zur „Kirchlichen Apologetik“ sieht Renate Albrecht in dieser frustrierenden Erfahrung Tillichs das auslösende Moment für die Entwicklung der apologetischen Theologie und der Korrelation von Frage und Antwort. 205 Insofern wären die Frage nach dem Glaubensbegriff und die Korrelationsmethode als Durchführung der Apologetik auch historisch-genetisch konstitutiv aufeinander bezogen. Daneben wird deutlich, dass trotz dem z. T. sehr theoretischen und abstrakten Charakter seiner Schriften, Tillichs Theologie aus persönlichen Erfahrungen und der Begegnung mit Menschen erwachsen ist. Man könnte sie als eine essayistische Theologie des existenziellen encounter mit der Lebenswelt bezeichnen. 206 204 205 206

GWE V, 61. GW XIII, 33–34. Auch W. und M. Pauck schließen sich dieser Vermutung an (W. und M. Pauck 1978, 49). Tillichs Bücher sind in der Regel aus okkasionellen Essays und Vorträgen entstanden. Selbst in der Systematischen Theologie, seinem opus magnum, haften gewisse Inkonsistenzen in Terminologie und Gedankenführung nach Tillichs eigener Einschätzung als Nachteile dieser Arbeitsmethode an. Für Tillich überwiegen jedoch die Vorteile dieser Arbeitsweise, da lebendiger Diskurs in Frage und Antwort seinem Denken entspräche und zum gesprochenen Wort der unmittelbare Eindruck der Person zur Wirkung der Rede gehört (vgl. P. Tillich 1969, 32–34). Theoretisch formuliert Tillich den Zusammenhang zwischen Erfahrung und systematischer Theologie in STE I, 42 = STD I, 51 folgendermaßen: „Experience is not the source from which the contents of systematic theology are taken but the medium through which they are existentially received.“ Mit anderem Akzent in der deutschen Version: „Erfahrung ist das Medium, durch das die Quellen zu uns sprechen, durch das wir sie aufnehmen können.“ C.-H. Ratschows Diktum, dass Tillichs Theologie nur von seiner Person her zu verstehen sei, hat auch daher durchaus seine Berechtigung.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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Die zentrale Stellung, die der Glaubensbegriff in Tillichs Denken einnimmt und der ein thematisches Kontinuum seines Schaffens darstellt, zeigt sich auch darin, dass er dem Ziel der Neuinterpretation des Glaubensbegriffes gleich zwei umfangreichere Schriften gewidmet hat, die zu seinem Spätwerk zählen. 207 Zunächst ist hier seine ontologische Schrift „The Courage to Be“ von 1952 (dt. „Der Mut zum Sein“ 1953, im Folgenden abgekürzt CB) zu erwähnen, 208 in der er den Versuch unternimmt, „[…] den Glauben durch eine Analyse des Mutes zu interpretieren.“209 Denn er ist der Überzeugung, „[…] daß der Begriff Glaube mehr als irgendein anderer religiöser Begriff der Neuinterpretation (reinterpretation) bedarf.“210 Besonders deutlich tritt dieses Anliegen in der Vorbemerkung zu seinem Buch Dynamics of Faith von 1957 (dt. „Wesen und Wandel des Glaubens“ 1961, im Folgenden abgekürzt DF), 211 wo er schreibt: 207

208 209 210 211

Da zeitgleich zu diesen beiden Büchern die ersten beiden Bände von Tillichs Systematic Theology entstanden (1951 und 1957, der dritte Band etwas später 1963), sind sie zum Verständnis der Entwicklung von Tillichs Glaubensbegriff in jener Zeit synoptisch zu lesen. 1955 erschien auch seine James W. Richard Vorlesung von 1951 in erweiterter Form im Druck unter dem Titel Biblical Religion and the Search for Ultimate Reality (jetzt in MW 4, 357–388; dt. „Biblische Religion und die Frage nach dem Sein“ GW V, 138–184), worin er das Verhältnis von biblischem Personalismus und Ontologie klärt, das auch besonders für seine Darstellung des Glaubens in “The Courage to Be” wichtig ist. MW 5, 141–230; GW XI, 13–139. GW XI, 18 = MW 5, 145. GW XI, 18 = MW 5, 145. Der englische Text erschien zuerst 1957 bei Harper & Brothers, New York, in der von Ruth Nanda Anshen herausgegebenen „World Perspectives“ Series als Band 10. Dieser Text liegt auch der Ausgabe in den MW 5, 231–290 zugrunde. 2001 erschien ein Nachdruck in der Reihe Perennial Classics bei Harper-Collins in New York mit einer Einführung von Marion Pauck. Die deutsche Übersetzung erschien 1961 ebenfalls in der Reihe „Weltperspektiven“ als Band 8 (Ullstein Buch Nr. 318). Da diese Übersetzung von Nina Baring und Renate Albrecht von Tillich mit Hilfe von Eberhard Amelung selbst durchgesehen und stark verändert worden ist (vgl. die Vorbemerkung dort), ist sie dem englischen Text vorzuziehen. Der Text in GW VIII, 111–196 (1969) wurde nochmals von Herbert Drube überarbeitet und von Renate Albrecht korrigiert. Zur Textgeschichte bis zur Ausgabe in GW VIII vgl. GW XIV, 65. Die Übersetzung ins Japanische von Taniguchi Michio erschien erstmals 1961 bei Shinkyōshuppansha, Tōkyō (2.Aufl. 2000) unter dem Titel 信仰の本質と動 態 [Shinkō no Honshitsu to Dōtai] für die sowohl der englische als auch der deutsche Text zugrunde gelegt wurden (GW XIV,184 erwähnt fälschlicherweise eine jap. Übersetzung im selben Verlag von 1959. Die Übersetzung ins Japanische steht auch im Zusammenhang mit Tillichs Japanreise 1960 (vgl. a. a. O. das Nachwort von Taniguchi Michio, S. 162). Im folgenden Zitat gibt der Text in Klammern die entsprechenden Stellen nach der Ullstein-Ausgabe von 1961 wieder, die Tillich noch selbst bearbeitet hat; sie zeigen, wie stark in der Bearbeitung für GW VIII nochmals in den Text eingegriffen wurde. Daneben finden sich noch zahlreiche kleinere Veränderungen im Text bei GW

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

„Es gibt kaum ein Wort der religiösen Sprache–weder der gelehrten noch der volkstümlichen –, das mehr Mißverständnissen, Entstellungen [Verzerrungen] und fragwürdigen Begriffsbestimmungen ausgesetzt ist als das Wort ‚Glaube‘. Es gehört zu jenen Ausdrücken, die selber erst ‚geheilt‘ werden müssen, ehe sie zur Heilung des Menschen [zum Heil der Menschen] gebraucht werden können. Heute führt das Wort ‚Glaube‘ mehr in die Irre als zum Heil [Heute hat das Wort ‚Glaube‘ mehr Krankheit als Gesundheit zur Folge]. Es verwirrt, führt zu Mißverständnissen und erzeugt bald Skepsis, bald Fanatismus, Widerstand auf seiten des Verstandes und gefühlsmäßige Hingabe [intellektuellen Widerstand und emotionale Hingabe], Abwendung von echter Religion und unkritische Annahme [Ablehnung echter Religion und Annahme] von Surrogaten. Manchmal möchte man fast dazu raten, das Wort ‚Glaube‘ gänzlich aus dem Spiel zu lassen [zu beseitigen]. Aber wie wünschenswert das auch sein mag, so ist es doch kaum möglich. Eine mächtige Überlieferung [Tradition] schützt dieses Wort. Und außerdem besitzen wir bisher keinen anderen Begriff, der der Wirklichkeit gerecht wird, auf die das Wort ‚Glaube‘ hinweist [… haben wir keinen Ersatz, der die Wirklichkeit ausdrücken kann, auf die …]. So gibt es im gegenwärtigen Zeitpunkt keinen anderen Ausweg, als den Versuch zu unternehmen, dieses Wort neu auszudeuten […  nur eine Möglichkeit: wir müssen versuchen, das Wort ‚Glaube‘ neu zu interpretieren …] und die irreführenden und sinnentstellenden Vorstellungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte beigesellt haben [… sinnentstellenden Nebenbedeutungen, die zum Teil jahrhundertealtes Erbe sind], auszuschalten. Der Verfasser hofft, dass ihm wenigstens dieses Vorhaben gelingen möge, auch wenn er sein viel weitergespanntes Ziel [sein eigentliches, viel weitergehendes Ziel] nicht erreichen sollte: einige Leser von der verborgenen Macht des Glaubens in ihrem Innern [in ihnen selbst] zu überzeugen und ihnen die unendliche Bedeutung dessen vor Augen zu führen [deutlich werden zu lassen], worauf der Glaube gerichtet ist.“212

In CB interpretiert Tillich den Glaubensbegriff vom Begriff des Mutes her neu und entwirft zunächst eine Ontologie der Angst als Kontrastfolie. Angst ist definiert als Bedrohung durch das Nichtsein und in ontologische, moralische und geistige Bedrohung untergliedert als Angst vor Schicksal und Tod, vor Schuld und Verdammnis und vor Leere und Sinnlosigkeit entfaltet, die jeweils durch den Mut, der an der Macht des Seins-Selbst in den verschiedenen Dimensionen partizipiert, integriert werden kann. Demgegenüber entfaltet er in DF eine umfassendere Darstellung seines Verständnisses von „Glaube“, indem er Glaube/„faith“ zunächst

212

VIII, die sich überwiegend um leichtere Verständlichkeit bemühen, indem Fremdwörter durch deutsche Äquivalente wiedergegeben werden und der Satzbau vereinfacht wird. Im Folgenden zitiere ich den Text nach GW VIII und setze den Text von 1961 und/oder den englischen Text in eckige Klammern, wenn die Unterschiede den Sinn oder die Nuancierung einer Aussage stark verändern. GW VIII, 111 = P. Tillich 1960, 7.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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positiv („Was der Glaube ist“) und negativ („Was der Glaube nicht ist“) definiert und dann „Symbole,“ „Typen,“ „Wahrheit,“ und „Leben“ des Glaubens ausführt, um schließlich auf die „Möglichkeit des Glaubens und seine Bedeutung in der Gegenwart“ einzugehen. Von der Glaubensdefinition her ergeben sich sowohl die Typisierungen als auch die Kritik an Missdeutungen und Fehlentwicklungen des Glaubensbegriffs. Dabei grenzt sich Tillich (wie Schleiermacher) gegenüber einer Verortung des Glaubens in Metaphysik und/oder Moral ab. Beide sind dem Glauben immanent, werden jedoch selbst vom Glauben transzendiert, daher ist eine Verengung des Glaubens resp. des Religionsbegriffes auf Metaphysik und Moral, aber auch auf den Bereich der Emotionen abzulehnen. Im Unterschied zu Schleiermacher lehnt Tillich einen eigenen Bereich des Glaubens ab, vielmehr ist er ein zentrierter „Akt der ganzen Person“. 213 Im Schlusswort greift Tillich das in der Vorbemerkung bereits geschilderte apologetische Anliegen wieder auf, das sich durch den ganzen Text zieht. In beiden Schriften wird Glaube als eine esssentielle und universale Möglichkeit des (personhaften) Lebens betrachtet.

3.2.2 Formale Definitionsaussagen Tillich hat seine Religions- und Glaubensdefinition nach eigenen Aussagen aus dem Gebot der Gottesliebe (Dtn 6, 5) abgeleitet. „Das Element des Absoluten ist am mächtigsten ausgedrückt in dem großen Gebot: ‚Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganze Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften.‘ Das ist Absolutheit in religiöser Sprache, und es ist, um ein Geständnis zu machen, die Basis für meine Definition der Religion als Ergriffensein von einem unbedingten Anliegen.“214 „Damit [sc. Dtn 6, 5, Anm. d. Verf.] ist ausgedrückt, was letztes Anliegen, letztes Ergriffensein bedeutet, und von diesem ‚vornehmsten‘ Gebot ist der Begriff des ‚letzten Anliegens‘ [ultimate concern] oder dessen, ‚was uns unbedingt angeht‘, abgeleitet.“215

In diesem Gebot sieht Tillich das „Wesen echten Glaubens“/den „character of genuine faith“. 216 Ebenso bildet er seinen Theologiebegriff von Dtn 6, 5 her: „Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns un213 214 215 216

GW VIII, 114 = MW 5, 233. P. Tillich 1969, 114 = GWE IV, 61–62. GW VIII, 112–113 = MW 5, 232 (der Begriff des Ergriffenseins und die Wendung „was uns unbedingt angeht“ fehlen im englischen Text). GW VIII, 113 = MW 5, 232.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

bedingt angeht.“217 D. h., dass Tillich seinen Religionsbegriff und seine formale Glaubensdefinition aus einer Abstraktion jüdisch-christlicher Tradition gewonnen hat, die er auf die Religionsgeschichte als universalen Begriff appliziert, um von dort aus wieder zurück in den engeren Zirkel der christlichen Botschaft zu treten. Theologie ist mithin die Reflexionsgestalt der Erfahrung unbedingten Angegangenseins. G. Wenz vermerkt, dass es Tillich darum ging, den Religionsbegriff primär vom Gottesgedanken her zu entwickeln. 218 Nach U. Barth ist Tillich ist der erste Theologe, der eine sinntheoretische Konstruktion des Religionsbegriffs vorlegt. 219 Beide Aspekte verbinden sich in Tillichs Gottesbegriff als dem Grund von Sein und Sinn. In der formalen Definition sind „Glaube“ und „Religion“ im Wesentlichen wechselseitig substituierbar. 220 Allerdings findet sich eine Analogie dazu bereits bei Ludwig Feuerbach, der in „Das Wesen des Christentums“ die personale Integrität durch einen die Person transzendierenden Endzweck begründet sieht „Jeder Mensch muss sich daher einen Gott, d. h. Endzweck setzen. Der Endzweck ist der bewusste und gewollte wesentliche Lebenstrieb […] Wer keinen Endzweck, hat keine Heimat, kein Heiligtum. […] Wer einen Zweck hat, einen Zweck, der an sich wahr und wesenhaft ist, der hat eben damit Religion, wenn auch nicht in dem beschränkten Sinne des theologischen Pöbels, …“221

Tillichs Glaubensdefinition klingt wie eine Reflexion auf dieses Zitat. Der Haupttext von DF beginnt: „Faith is the state of being ultimately concerned […].“222 Die deutsche Fassung (1961 und 1969) lautet: „Glau217 218 219

220

221

222

STD I, 19 = STE I, 11. G. Wenz 2007, 23. U. Barth 2003, 89. Vgl. Tillichs Bestimmung in der Religionsphilosophie (1925): „Religion ist Richtung des Geistes auf den unbedingten Sinn, …“ (GW I, 329). Zu den philosophiegeschichtlichen Hintergründen von Tillichs sinntheoretischer Konstruktion des Religionsbegriffs vgl. U. Barth 2003, 89–123. Vgl. die Aussagen in der Religionsphilosophie (1925): „Religion ist Richtung auf das Unbedingte, …“ (GW I, 320, kursiv im Original). „Die Richtung auf das Unbedingte, von der in der Ableitung des Wesensbegriffs der Religion die Rede war, nennen wir Glaube“ (GW I, 331, kursiv im Original). Formal ist Glaube bei Tillich definiert als Gerichtetsein auf das Unbedingte, das zugleich Grund von Sein und Sinn ist. Dieses Gerichtetsein auf das Unbedingte ist möglich, weil im Menschen die Lebens-Dimension des Geistes verwirklicht ist, die ihn zur Selbst-Transzendierung befähigt. L. Feuerbach 42005 (1843), 173. In Analogie zur Bezeichnung Feuerbachs als Linkshegelianer, könnte man Tillichs Religions- und Glaubensbegriff wiederum als dessen Umkehrung bezeichnen. Für Feuerbach ist Religion nötig um des Charakters willen, für Tillich ist die Selbstintegration eine Folge der Selbsttranszendierung in Richtung auf den Grund von Sein und Sinn. MW 5, 231.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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be ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht.“223 Auf die Unterschiede ist wiederholt aufmerksam gemacht worden. 224 Allerdings ist der Definitionssatz in DF nicht, wie M. Seils annahm, die für uns früheste greifbare Fassung. 225 Sie reicht vielmehr zurück in die zwanziger Jahre. In dem 1929 gehaltenen Vortrag „Protestantische Gestaltung“ (veröffentlicht 1930 in dem Band „Religiöse Verwirklichung“) differenziert Tillich radikal zwischen einem Verständnis von Glaube als gegenständlichem Erkennen und Glaube als „reines, d. h. transzendentes Ergriffensein“. 226 In der amerikanischen Übersetzung 1948 und der deutschen Rückübersetzung 1950 wird der Begriff der Transzendenz durch den des Unbedingten ersetzt, der bereits in der Marburger Dogmatik Vorlesung und der Religionsphilosophie zentral ist. 227 Auch die James W. Richard Vorlesung, die Tillich 1951/52 hielt und die 1955 unter dem Titel „Biblical Religion and the Search for Ultimate Reality“ veröffentlichet wurde, bildet eine wichtige Stufe für die Entwicklung der englischen Formulierung der Glaubensdefinition. 228 Dort finden sich folgende definitorischen Aussagen: „The biblical word for religious existence is ‘faith.’ Only in this sense will it be used here and in the following lecture. Faith is the state of being grasped by an ultimate concern. And, since only that which is the ground of our being and meaning should concern us ultimately, we can also say: Faith is the concern about our existence in its ultimate ‘whence’ and ‘whither.’ It is a concern of the whole person; it is the most personal concern and that which determines all others.“229

Der wesentliche Unterschied zum englischen Text von DF ist, dass in der deutschen Fassung der Begriff des „Ergriffenseins“ wieder hinzukommt. Dadurch wird der akthafte und ekstatische Charakter des Glaubens herausgestellt, in dem der Mensch zunächst eine passive Rolle einnimmt. Die Definition, wie sie sich im deutschen Text von 1961 gegenüber dem englischen von 1957 findet, hat Tillich allerdings bereits in CB (1952, dt. 223 224 225 226

227 228 229

Ullstein-Ausgabe 1961, 9 und GW VIII, 111. Z. B. von M. Seils 1996, 276–278, der allerdings in der deutschen Übersetzung den Sachgehalt „weitgehend angemessen“ zum Ausdruck gebracht sieht (ebd., 277). M. Sails 1996, 276. P. Tillich 1930, 48. Mit dem Begriff des Ergriffenseins knüpft Tillich an F. Schleiermachers Reden (2. Rede) und W. Herrmann an. Der Begriff des „Ergriffenseins“ besitzt bereits ein Vorbild im NT bei Paulus (Phil 3, 12). Es ist verwunderlich, dass Tillich die einzige Stelle des Neuen Testaments, die explizit vom „Ergriffensein“ spricht, nie zitiert. GW VII, 58. Jetzt abgedruckt in MW 4, 357–388 und GW V, 138–184. MW 4, 376 = GW V, 165.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

1953) gebraucht: „Glaube ist Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, dem Grund unseres Seins und Sinns. […] Glaube ist der Zustand des Ergriffenseins von der Macht des Seins-Selbst, die alles transzendiert und an der alles partizipiert.“230/„Faith is the state of being grasped by the power of being-itself.“231 Diese überarbeitete deutsche Fassung ist gegenüber dem englischen Text um den Begriff „das, was uns unbedingt angeht“ erweitert und bedeutungsgleich mit „Macht des Seins-Selbst“ und „Grund des Seins und Sinns“ verwendet; alle drei Begriffe interpretieren sich wechselseitig. Die Variationen bei den unterschiedlichen Versionen der Glaubens-Definition zeigen, dass Tillich immer wieder an der Formulierung gefeilt hat. Die Frage erhebt sich aber, warum Tillich in der englischen Fassung von DF 1957 den Begriff des „Ergriffenseins“/„being grasped“ in der Definition nicht gebraucht hat. Jedenfalls nimmt er ihn in der deutschen Überarbeitung wieder auf und knüpft damit an die Fassung der Definition von 1929 und 1952 an. Diese Definition drückt als Formaldefinition das Wesen des Glaubens aus und gilt zunächst unabhängig von jeder material-dogmatischen Bestimmung.232 Dies entspricht Tillichs Verhältnisbestimmung von Religionsphilosophie und Theologie, wie er sie bereits in der Marburger Zeit entfaltet hat. 233 Der Begriff des unbedingten Angegangenseins spielte bereits 1925 in der „Religionsphilosophie“ und der Marburger Dogmatik-Vorlesung (1924/25) eine tragende Rolle, dort heißt es: „§ 1. Satz: Dogmatik ist wissenschaftliche Rede von dem, was uns unbedingt angeht.“234 „Die Richtung auf das Unbedingte […] nennen wir Glaube.“235 Dieser Glaube ist bezogen auf Offenbarung, die für Tillich „Durchbruch“ ist: „Der Durchbruch des unbedingten Sinngehaltes durch die Sinnform ist Offenbarung. Glaube ist immer Offenbarungsglaube, denn Glaube ist Erfassung des unbedingten Gehaltes durch die bedingten Formen hindurch.“236 Ebenso in der Marburger Dogmatik-Vorlesung: 230 231 232 233

234 235

236

GW XI, 128. MW 5, 221. STD III, 155 = STE III, 130. „Die Dogmatik setzt also die Religionsphilosophie methodisch voraus“ (GWE XIV, 14). In der Religionsphilosophie beschreibt er das Konzept einer theonomen Religionsphilosophie, „… an die sich die Theologie als konkrete Durchführung und Erfüllung anschließen kann“ (GW I, 364). GWE XIV, 1. GW I, 331 (Hervorhebung im Original). Bereits 1919 sprach Tillich in dem Aufsatz „Über die Idee einer Theologie der Kultur“ von der „Erfahrung des Unbedingten“. Wie J. L. Adams bemerkte, findet sich in der 2. Aufl. von 1921 die Änderung der Terminologie in „Richtung auf das Unbedingte“ (nach der editorischen Notiz in MW 2, 70). GW I, 353.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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„§ 5. Satz: Offenbarung ist Durchbruch des Unbedingten in das Bedingte. Sie ist weder Verwirklichung noch Zerstörung der bedingten Formen, sondern ihre Erschütterung und Umwendung.“237

Und Tillich erläutert dazu: „1. In der Offenbarung bricht das Verborgene, das zugleich das Tragende unseres Wesens ist, in unsere Wirklichkeit durch als das, was uns unbedingt angeht.“238 Allerdings verschiebt sich die Betrachtungsweise von der „Offenbarung“ als Durchbruch hin zum Glauben als Akt des Ergriffenseins, was mit seinem durch die Methode der Korrelation durchgeführten apologetischen Anliegen begründet ist, das „vom Menschen in der Offenbarungssituation“ ausgeht. 239 Den Begriff des Durchbruchs hat Tillich später aufgegeben, 240 ebenso wie die Terminologie von „Grund- und Heilsoffenbarung“ für die Unterscheidung der akthaften Glaubenserfahrung und deren geschichtlicher Ausgestaltung. Dem Sachgehalt nach ist Tillich jedoch bis ins Spätwerk hinein dieser Fundamentalunterscheidung treu geblieben, die dann schließlich in den Bampton Lectures (1961) als Selbstunterscheidung von Bedeutung für den interreligiösen Dialog ist. Glaube ist primär Durchbruchserfahrung, Ergriffensein, Akt–die konkreten Glaubensinhalte sind demgegenüber sachlich, wenn auch nicht zeitlich, sekundär und an der Struktur der Durchbruchserfahrung zu messen: „§  8. Satz: Jede Offenbarung ist sowohl Grundoffenbarung wie Heilsoffenbarung. Als Grundoffenbarung ist sie Offenbarung des Unbedingten schlechthin, als Heilsoffenbarung ist sie Durchbruch des Unbedingten auf bestimmtem Weg. Ihr Offenbarungscharakter hängt an dem Durchbruchscharakter überhaupt, nicht an dem Weg.“241

Die Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung bildet eine Grundoperation in Tillichs Religionsphilosophie, die ihm ermöglicht apophatische Durchbruchserfahrung und kataphatische Deutung und Rezeption so aufeinander zu beziehen, dass universale religiöse Erfahrung und deren geschichtlich und sprachlich bedingte Gestalt 237 238 239

240 241

GWE XIV, 19. Zum Begriff des Durchbruchs bei Tillich vgl. U. C. Scharf 1999, 145–319. GWE XIV, 19. „Die in der apologetischen Theologie benutzte Methode der Korrelation hat zur Folge, daß die Offenbarung von ‚unten‘ her, vom Menschen in der Offenbarungssituation, und nicht von ‚oben‘ her, vom göttlichen Grund der Offenbarung, zugänglich wird“ (STD I, 185 = STE I, 155). Diese Aussage ist in der Konsequenz auch für Tillichs Predigttheorie von grundsätzlicher Bedeutung. Dieser Zugang „von unten“ lässt sich in seinen Predigten durchgängig beobachten. Er begegnet noch einmal in STD III, 252 im Zusammenhang mit der Beschreibung von „Bekehrung“; vgl. auch U. C. Scharf 1999, 277–294. GWE XIV, 37.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

aufeinander bezogen sind, ohne beides miteinander zu identifizieren. Dadurch bleibt die absolute Transzendenz des Unbedingten gewahrt und seine bedingten Erfahrungs- und Deutungsgestalten dynamisch wandelbar. Alle übrigen Unterscheidungen, die Tillich trifft (faith – belief; originale Offenbarung – abhängige Offenbarung, formaler und materialer Glaubensdefinition) leiten sich hiervon ab.

3.2.3 Die Differenz von „faith“ und „belief“ Die konsequente Unterscheidung zwischen „faith“ und „belief“ gehört zu den Basisoperationen in Tillichs Apologetik, sowohl in den theoretischen Schriften, als auch in den Predigten, in denen Tillich stereotyp auf diese Differenz aufmerksam macht.242 In den „Earl Lectures“ (1963) gibt er im Zusammenhang der Frage nach der Relevanz der christlichen Botschaft wohl eine der letzten definitorischen Ausführungen zu seinem Glaubensbegriff: „Faith is the state of being grasped by something that has ultimate meaning, and acting and thinking on the basis of this as a centered person. Beliefs are opinions held to be true, which may or may not really be true. We need beliefs in practical affairs all the time. But they are never a matter of life and death. One of the worst things making the Christian message irrelevant is the identification of faith with belief in doctrines. Especially bad is the demand to believe what is unbelievable. It would greatly help to use in all our preaching the gift of the English language–not available, for example, in German or French–of the two words ‘faith’ and ‘belief.’ We need to say clearly that faith is being grasped by a power that concerns us ultimately, and belief is being not certain, but accepting something preliminary.“243

Bereits 1929 differenziert Tillich analog: „Entweder ist der Glaube an das seins-jenseitige Heilsgut selbst Heilsgut, oder er ist die intellektuelle und willensmäßige Unterwerfung unter den Bericht über ein jenseitiges Heilsgut. […] Entweder ist Glaube reines, d. h. transzendentes Ergriffensein, oder er ist gegenständliches Erkennen.“244

Die fides qua creditur und die fides quae creditur kommen hier in Diastase zu stehen. Es lässt sich jedoch zeigen, dass dies bei Tillich nicht notwendig der Fall ist. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Unterscheidung von „faith“ und „belief“ nicht identisch ist mit der Differenz von formalem und materialem Glaubensbegriff, wie man zunächst an242 243 244

Z. B. NB 125 = RR II, 120 (belief ist hier mit „Fürwahrhalten“ übersetzt). P. Tillich 2007, 15 (kursiv im Original). P. Tillich 1930, 48.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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nehmen könnte. Vielmehr ist sie eine Differenz innerhalb von „faith“. Beiden Unterscheidungen ist die apologetische Intention gemeinsam, allerdings richtet sich die Unterscheidung von „faith“ und „belief“ v. a. gegen einen heteronomen (supranaturalistischen) Glaubensbegriff, der die Akzeptanz von unglaubwürdigen Propositionen fordert. Die Unterscheidung von formaler und materialer Glaubensdefinition zielt dagegen auf die Plausibilisierung konkret christlicher Glaubenserfahrung im Rahmen einer theonomen Religionsphilosophie resp. als anthropologisches Universale im Kontext von Tillichs Lebensphilosophie (vgl. 3.2.6). Die Unterscheidung von belief als „Fürwahrhalten“ und faith als Ergriffensein resp. „Erhebung“ findet sich bereits bei W. Herrmann: „Nur wenn nichts anderes Glaube genannt wird, als das Vertrauen, das Christi Bild in uns erweckt, und der neue Sinn und Mut, der daraus entsteht, ist der Begriff des von Gott verliehenen Glaubens sicher gestellt.“245 Dieses Glaubensverständnis, das Herrmann auch als Erhebung „durch Gott zu Gott“ bezeichnen kann grenzt er negativ ab gegen ein „Fürwahrhalten von Lehren und Berichten.“246 Der Glaube sei im Anschluss an Luther nicht eine Vorbedingung der Gottesbeziehung, sondern diese selbst. 247 In dieser Hinsicht stimmt Tillich mit Herrmanns Glaubensverständnis überein, das er jedoch in seine Ontologie einzeichnet. Auch der Begriff des „Ergriffenseins“ findet sich bei Herrmann. 248 Ebenso sind in diesem Zusammenhang der „neue Sinn und Mut“ als affektive Glaubensgehalte, die durch das „Bild Christi“ erweckten Vertrauens zu vermerken.

3.2.4 Unbedingte Affirmation als Durchbruchserfahrung: absoluter Glaube Die prinzipielle Entkoppelung von „faith“ und „belief“, welche letztlich durch den Satz von der Rechtfertigung des Zweiflers motiviert ist, ermöglicht es Tillich, in apologetischer Zuspitzung auf propositionelle Aussagen im Zusammenhang mit der Glaubenserfahrung ganz zu verzichten und den Zweifel in die Glaubenshaltung zu integrieren. 245 246 247 248

W. Herrmann 1921, 193. W. Herrmann 1921, 193. W. Herrmann 1921, 193–194. Vgl. W. Herrmann 1921, 15–16. Herrmann sieht in diesem „Erlebnis“ als einer Evidenzerfahrung, das Wesen aller Religion, an der das Christentum als spezifische Ausprägung teilhat. Ebd.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

In CB führt Tillich den Begriff des absoluten Glaubens ein, den er jedoch in späteren Schriften nicht mehr verwendet. Auch wenn Tillich die Terminologie aufgegeben hatte, geht es dabei sachlich um die Erfahrung der Grundoffenbarung, die noch nicht die Gestalt der Heilsoffenbarung angenommen hat, eine Erfahrung auf der „Grenze“ von beiden. „Er [sc. der absolute Glaube, Anm. d. Verf.] ist die Situation auf der Grenze menschlicher Möglichkeiten – er ist diese Grenze. […] Er ist kein Ort, wo man leben kann; er ist ohne die Sicherheit, die Worte und Begriffe vermitteln, er ist ohne Namen, ohne Kirche, ohne Kult, ohne Theologie. Aber er ist in der Tiefe von ihnen allen wirksam. Er ist die Macht des Seins, an dem sie alle partizipieren und dessen fragmentarische Ausdrucksformen sie sind.“249

Der so beschriebene absolute Glaube als „Zustand des Ergriffenseins von dem Gott über Gott“250 entspricht dem Glauben als „reines, d. h. transzendetes Ergriffensein“ von 1929. 251 Im „absoluten Glauben“ wird der Glaube auf den reinen Akt reduziert, da die geschichtliche Form zutiefst fragwürdig geworden ist. Da es aber, wie Tillich konzediert, keine Offenbarung ohne notwendig geschichtlicher Form geben kann, ist die Rede vom „absoluten Glauben“ eine apologetische Grenzaussage, für die ebenso Tillichs Aussage über die Formulierung „Gott über dem Gott des Theismus“ gilt: „Die dialektischen Aussagen, die eine extreme Situation hervorruft, sind Kriterium der Wahrheit, geben aber keine Basis ab, auf der die Wahrheit als Ganzes [the whole structure of truth] aufgebaut werden könnte.“252 Ebenso sieht Tillich in der Rede von „Gott über Gott“ die „potentielle Restitution“ der Sinngehalte, die durch den Zweifel ihrer Sinnhaltigkeit verlustig gegangen sind.253

249 250 251

252 253

GW XI, 138–139 = MW 5, 229 (kursiv im Original). GW XI, 138 = MW 5, 229. P. Tillich 1930, 48. Von hier lässt sich eine direkte Linie zur Mystik des Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz) ziehen, in dessen Erfahrung der „dunklen Nacht“ der „reine Glaube“ (pura fe) den völligen Verzicht auf die Möglichkeit, von sich aus Gott erkennen zu können, beinhaltet. Die Kontemplation (contemplacion) ist bei Juan die Selbstmitteilung Gottes, wobei der Mensch die Eingießung von Licht (Weisheit) und Wärme (Liebe) als Einigung mit Gott erfährt (Johannes vom Kreuz 72005 (1586), 75. 98. 100–101). Für Juan ist pura fe eine Selbsttranszendierung, welche durch die „dunkle Nacht“ vorbereitet wird, in der der Mensch jedes eigenen Vermögens entblößt wird und wo Gott allein wirkt. Die Struktur der Erfahrung weist starke Parallelen zu Tillichs Begriffen von „Grenzsituation“ und „Durchbruch“, sowie zum „Glauben der Anderen Kraft“ tariki-shinjin 他力信心 bei Jōdoshinshū auf (vgl. Kapitel 8). STD II, 19; STE II, 12. GW XI, 137 = MW 5, 228.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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An der ersten Fundstelle, an welcher der Begriff „absoluter Glaube“ in CB vorkommt, wird er von Tillich folgendermaßen via negationis beschrieben: „Der Glaube, der den Mut erzeugt, sie [i. e. Zweifel und Sinnlosigkeit, Anm. d. Verf.] in sich hineinzunehmen, hat keinen besonderen Inhalt. Er ist einfach Glaube – ohne auf etwas Bestimmtes gerichtet zu sein, absoluter Glaube. Er ist undefinierbar, da alles Definierte durch Zweifel und Sinnlosigkeit aufgelöst ist. Trotzdem ist absoluter Glaube nicht eine Entladung subjektiver Gefühle oder eine Stimmung ohne objektives Fundament.“254

Das Ausgangsproblem für Tillich ist die existenzielle Angst vor Sinnlosigkeit, die durch den radikalen Zweifel erzeugt wird. Dieser Zweifel lässt keinen Raum für konkrete Glaubensinhalte (als fides quae creditur), Glaube ist auf sich selbst zurückgeworfen als „einfach Glaube“/ „simply faith“, der nicht weiter definierbar ist. Dennoch ist die Erfahrung durch die Reflexivität inneren Erlebens ausgezeichnet, in der eine Deutung vorgenommen wird. Folgende drei Elemente analysiert Tillich im Wesen des absoluten Glaubens. 255 1. „… die Erfahrung der Macht des Seins, …“ 2. die Erfahrung des Nichtseins hängt von der Erfahrung des Seins und die der Sinnlosigkeit von der Erfahrung des Sinnes ab 3. die „Erfahrung des Bejahtseins“ Die Erfahrung der Macht des Seins zeigt sich nach Tillich auch angesichts der radikalen Manifestation des Nichtseins in der Vitalität, die der Verzweiflung widersteht. Vitalität entspricht nach Tillich der Intentionalität des Menschen, deshalb sei sie sich selbst in der Zerstörung eines verborgenen Sinnes bewusst. 256 Die Intentionalität kann sich nicht mit einer offenbaren Sinnlosigkeit zufrieden geben. Der Drang nach Sinnzuschreibung ist stärker als die Macht von Zerstörung und Sinnlosigkeit (man vergleiche V. E. Frankls „Wille zum Sinn“). Das Bewusstsein eines verborgenen Sinnes ist das Reflexivwerden der Erfahrung, dass trotz Zerstörung die Intentionalität weiter besteht. Und dieses Bewusstsein wird bei Tillich als Erfahrung der Macht des Seins gedeutet. Das zweite Element in der Erfahrung des absoluten Glaubens ist die Vorgängigkeit des Seins vor dem Nichtsein und nach Tillichs idealistischem Ausgangspunkt dementsprechend des Sinns vor der Sinnlosigkeit. Die Verzweiflung am Sinn des Seins ist nur möglich durch 254 255 256

GW XI, 130–131 = MW 5, 223. GW XI, 131, MW 5, 223. GW XI, 131, MW 5, 223.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

die Macht des Seins. So ist selbst die Verzweiflung eine Manifestation der Macht des Seins. Schließlich, und für unseren Zusammenhang vor allem bedeutsam, besteht ein drittes Element der Erfahrung des absoluten Glaubens in der „Erfahrung des Bejahtseins“/„experience of the power of acceptance“. Dieses dritte Element ist das Proprium der religiösen Antwort auf die Erfahrung der Sinnlosigkeit. Erst durch dieses Reflexivwerden des „Bejahtseins“ wird sich der absolute Glaube seiner selbst als Glaube bewusst. Dieser Glaube, obwohl durch den Zweifel jedes konkreten Inhaltes verlustig gegangen, ist „die Quelle der höchst paradoxen Manifestation des Mutes zum Sein.“257 „One could say that the courage to be is the courage to accept oneself as accepted in spite of being unacceptable.“/„Man könnte sagen: der Mut zum Sein ist der Mut, uns anzunehmen als angenommen trotz unserer Unannehmbarkeit.“258 Damit ist Tillichs Fassung der Rechtfertigungslehre ontologisch begründet und bildet den Erfahrungsgehalt des „absoluten Glaubens“. In CB nimmt Tillich im Zusammenhang der Diskussion der Vitalität (als Lebensmacht) den Begriff der Intentionalität als Ausrichtung auf Sinngehalte auf, um die Qualität der Lebensmacht zu beschreiben: „Die Vitalität des Menschen ist so stark wie seine Intentionalität, beide sind voneinander abhängig.“259 An gleicher Stelle definiert Tillich: „Vitalität ist die Macht, sich zu transzendieren, ohne sich zu verlieren.“260 Leben und menschliches Leben als Leben in der Dimension des Geistes zeichnen sich also durch ein Gerichtetsein aus, das den status quo überschreitet. „In der Dimension des Bewußtseins hat die Selbst-Transzendierung den Charakter der Intentionalität: Wer sich seiner selbst bewusst ist, ist dadurch über sich selbst hinaus.“261 Wenn Glaube als Ergriffensein von der Macht des Seins-Selbst definiert ist, dann hat der Glaube eine entscheidende Funktion innerhalb des Lebensprozesses als Ermöglichung von Vitalität; und die Rechtfertigungslehre gefasst als paradoxe Selbstbejahung („accept acceptance in spite of being unacceptable“) beschreibt die im Glauben verwirklichte Partizipation an der Selbstbejahung unbedingter Seinsmächtigkeit unter den Bedingungen der Endlichkeit. So, wie Sein und Nichtsein 257 258

259 260 261

GW XI, 131, MW 5, 223–224. MW 5, 217; GW XI, 123. Es ist ein „Trotzdem ja zum Leben sagen“ (Viktor E. Frankl). Es wäre interessant, dem Zusammenhang von Frankls Logotherapie und Tillichs „Mut zum Sein“, der ja zugleich ein Mut zum Sinn ist, nachzugehen). GW XI, 66 = MW 5, 178. GW XI, 66 = MW 5, 178. STD III, 112 = STE III, 91.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

101

vom Sein-Selbst umgriffen sind, sind analog dazu auch Selbstverneinung und Selbstbejahung von der Selbstbejahung des Seins-Selbst umgriffen; und auch der Sinnbegriff, der bei Tillich in diesem Kontext eine tragende Rolle spielt, ist möglich, weil sowohl Sinn als auch Sinnlosigkeit von unbedingtem Sinn umgriffen sind. Wie das Endlichkeitsbewusstsein einen „Ort außerhalb der Endlichkeit“ zur Bedingung hat, so gründen auch Sinnlosigkeit und Selbstverneinung in unbedingtem Sinn und der Selbstbejahung des Seins-Selbst.

3.2.5 Glaube als anthropologisches Universale im Horizont des multidimensionalen Lebensbegriffs Mit der ontologischen Deutung des Glaubensaktes verbindet Tillich eine umfassende Phänomenologie des Lebens: „Wer in die Sphäre des Glaubens eindringt, betritt das Allerheiligste des Lebens.“262 Diese programmatisch klingende Aussage Tillichs in DF zeigt die Verbindung des Glaubensbegriffs mit dem des Lebens und des Heiligen. Der Glaube ist eingebettet in eine umfassende Philosophie des Lebens, wie Tillich sie zwei Jahre später 1959 in dem Aufsatz „Dimensions, Levels and the Unity of Life“263 bereits formuliert und dann insbesondere im vierten Teil der Systematischen Theologie „Das Leben und der Geist“ (1963) entfaltet. 264 Der in ST III gebotene integrale Lebensbegriff, der von Tillich als „vieldimensionale Einheit des Lebens“/„multidimensional unity of life“265 gefasst wird, bildet den beständigen Referenzrahmen, wenn er auf das Phänomen Glauben zu sprechen kommt. 266 Gerade diese Verortung des Glaubensbegriffs in einer umfassenden Lebensphilosophie bildet das Proprium von Tillichs Verständnis des Glaubens. 267 Darin unternimmt er es, den „Glauben“ aus einer reli262 263 264

265 266 267

GW VIII, 119 = MW 5, 237. Vgl. zum Lebensbegriff Abschnitt 3.1.2.3. MW 6, 401–416; „Dimensionen, Schichten und die Einheit des Lebens“ GW IV, 118–129. „I. Das Leben, seine Zweideutigkeiten und die Frage nach unzweideutigem Leben.“ STD III, 21–133. Zu Weiterentwicklungen und Veränderungen der Terminologie in ST III gegenüber ST I, II vgl. M. Seils 1996, 262. STD III, 21 = STE III, 11. Analog zum Lebensbegriff spricht Tillich von Glauben als einem ganzheitlichen Akt der zentrierten Person und von der Dynamik des Glaubens. Weitere aussagekräftige Zitate finden sich z. B. in der Predigt „On Wisdom“, in der Tillich wiederholt von der Begegnung mit dem Heiligen als dem Mysterium des Lebens spricht (EN 116–122 = RR 492–500; leider fehlt in der deutschen Übersetzung dieser Predigt der wesentliche letzte Satz: „…, faith and wisdom become one.“ EN 122).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

giösen Sondersphäre heraus zu holen und als zentrale Funktion der Lebensprozesse einer zentrierten und selbst-transzendierenden Person zu plausibilisieren (vgl. zum Lebensbegriff Abschnitt 3.1.2.2). In DF geht es Tillich darum, das eigentliche Wesen des Glaubens und dessen Dynamik, von seinen im Lauf der Geschichte hinzugekommenen und für den heutigen Menschen nicht mehr nachvollziehbaren oder gar abstoßenden Nebenbedeutungen und Fehlinterpretationen des Glaubensbegriffs zu reinigen und als universelle und für das Person-Sein des Menschen gar unabdingbare Möglichkeit aufzuweisen.268 Glaube (faith) in seiner Formaldefinition als Akt des Ergriffenseins von dem, was uns unbedingt angeht, ist nach Tillich eine „essential possibility of man, and therefore its existence is necessary and universal.“269 „Denn der Mensch ist als Person nicht möglich ohne Glauben.“270 So verstanden ist der Glaube keine „Verzerrung des wahren Wesens des Menschen“ wie viele, die den Glauben ablehnen, meinen, sondern geradezu dessen Erfüllung: „Glaube ist unlösbar mit dem Wesen des Menschen verknüpft und darum notwendig und universal [Glaube ist eine essentielle und darum universale Möglichkeit des Menschen].“271 „Einige Leser von der „verborgenen Macht des Glaubens zu überzeugen und ihnen die unendliche Bedeutung dessen vor Augen zu führen, worauf der Glaube gerichtet ist“272, ist (nach der Ullstein-Ausgabe 1961) sogar das eigentliche Ziel dieser Schrift. Die Widerlegung der Einwände gegen den Glauben seitens Wissenschaft und Philosophie sowie die Befreiung des Glaubensbegriffes von Entstellungen sind die Vorstufe dazu. Tillich kämpft an zwei Fronten: Zum einen richtet sich seine Argumentation gegen einen verzerrten und missverstandenen „Glauben“, zum anderen will er die Argumente gegen den Glauben, wie sie besonders seit der Neuzeit seitens Wissenschaft und Philosophie geltend gemacht werden, widerlegen. 273 Es sind die beiden Fronten, die Tillich bereits in der „Religionsphilosophie“ mit dem Begriffspaar Autonomie und Heteronomie belegt und beschrieben hat und die er in CB unter den Leitbegriffen Kollektivismus und Individualismus auch in ihrer sozialpsychologischen und politischen Dimension behandeln. Aufgrund seiner Definition von Glaube kommt er schließlich zu dem Ergebnis: 268 269 270 271 272 273

GW VIII, 111, 195–196 = MW 5, [231], 289–290. MW 5, 290 = GW VIII, 196. GW VIII, 125 = MW 5, 240. GW VIII, 196 = MW 5, 290. GW VIII, 111 = MW 5, [231]. Vgl. auch STD III, 155 = STE III, 130.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

103

„Der Glaube rechtfertigt sich selbst und verteidigt sein Recht gegen alle, die ihn angreifen, da sie ihn nur im Namen eines anderen Glaubens angreifen können. Es ist der Triumph der Dynamik des Glaubens, daß jede Verneinung des Glaubens selbst Ausdruck von Glauben ist.“274

Das Argumentationsmuster dieser Aussage entspricht wieder dem grundlegenden Konstruktionsprinzip der Theologie Tillichs, wonach der Gegenstand der Religion „Voraussetzung aller Realitätssetzung“275 ist, der Vorgängigkeit des Seins vor dem Nichtsein. Stellt Tillich in DF die religionsphilosophische Matrix seines Glaubensbegriffs dar, so entfaltet er diesen in ST III materialdogmatisch. 276 „Die formale Definition umfasst jede Art von Glauben in allen Religionen und Kulturen. […] Dieser formale Glaubensbegriff ist fundamental und universal.“277 Demgegenüber definiert Tillich in ST III den Glauben christologisch: „Glaube ist der Zustand des Ergriffenseins durch das Neue Sein, wie es in Jesus als dem Christus erschienen ist“. 278 Ist der Übergang von der Essenz zur Existenz durch die Schöpfung gegeben, so wird die Stelle des Übergangs von Existenz zur transzendenten Einheit vom Glauben als einer Schöpfung des göttlichen Geistes279 eingenommen. Geist als Lebensdimension ist zunächst als Aktu274 275 276

277

278 279

GW VIII, 196 = MW 5, 290. GW I, 328; vgl. GW XI, 38. Dass es sich in DF um eine religionsphilosophische („formale“) Darstellung handelt, wird u. a. daran deutlich, dass eine materiale christliche Definition des Glaubens nicht über Andeutungen hinausgeht. Anders in der Systematischen Theologie, wo Tillich die formale Definition des Glaubens auf die konkrete christliche Botschaft anwendet. Tillich selbst verweist in ST III auf seine Schrift Dynamics of Faith als umfassenderen Beitrag zum Glaubensbegriff (STD III, 154 = STE III, 129). Steht in ST III naturgemäß die Systemfunktion des Glaubens innerhalb des systematischen Gesamtentwurfs Tillichs im Vordergrund, so muss jedoch auch hier die ursprüngliche apologetische Intention, von der dieser getragen ist, mit in Betracht gezogen werden. So auch M. Korthaus 1999. M. Seils 1996 hat diesen Aspekt in seiner Darstellung nicht in Betracht gezogen, und auch bei P. Gallus 2005 wird er nicht eigens thematisiert. STD III, 155 = STE III, 130. Es wird hierbei deutlich, dass die formale Definition von Glauben die ontologische Matrix bildet, auf die der spezifisch christliche Gehalt bezogen wird. Sie ist diesem vor- und übergeordnet. Dass dies für Tillich keinen Gegensatz darstellt, macht er im Schlusssatz seiner Religionsphilosophie deutlich, die als „theonome Religionsphilosophie“ den Konflikt zwischen Theologie und Religionsphilosophie gerade überwunden habe. Deshalb könne sich, die Theologie als „konkrete Durchführung und Erfüllung“ an die Religionsphilosophie anschließen (GW I, 364). „Wesen und Wandel des Glaubens“ ist eine in diesem Sinne konsequent religionsphilosophische Schrift, welche die „religiöse Funktion und ihre Kategorien“ vorgibt, die in der Systematischen Theologie konkret erfüllt wird. STD III, 156 = STE III, 131. STD III, 158, 203 = STE III, 133, 173.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

alisierung von Seins-Macht und Seins-Sinn in ihrer Einheit definiert280 und der göttliche Geist als „sinntragende Macht, die den menschlichen Geist in einer ekstatischen Erfahrung ergreift“. 281 Tillich definiert die „transzendente Einheit“ unzweideutigen Lebens, in der die Subjekt-Objekt Spaltung transzendiert wird, als Heilsziel, das mit den Symbolen „Gegenwart des göttlichen Geistes“ („Spiritual Presence“), „Reich Gottes“ und „Ewiges Leben“ beschrieben wird. 282 „Alle Zweideutigkeiten des Lebens wurzeln in der Trennung und dem Ineinander von essentiellen und existentiellen Elementen des Seins. Deshalb bedeutet Schöpfung unzweideutigen Lebens die Wiedervereinigung dieser Elemente im Lebensprozeß. Wiedervereinigung bedeutet, daß das aktuelle Sein der wahre Ausdruck des essentiellen Seins ist. Wiedervereinigung ist nicht Rückkehr zu dem Stand der „träumenden Unschuld,“ sie wird vielmehr auf dem Wege über Entfremdung, Kampf und Entscheidung erreicht. In der Wiedervereinigung von essentiellem und existentiellem Sein wird das zweideutige Leben über sich hinausgehoben zu einer transzendenten Einheit, die es aus eigener Kraft nicht hätte erreichen können. […] Die transzendente Einheit erscheint im menschlichen Geist als das ekstatische Erlebnis, das von der einen Seite gesehen Glaube, von der anderen Seite her gesehen, Liebe genannt wird. Glaube und Liebe sind die Manifestationen der transzendenten Einheit, die der göttliche Geist im menschlichen Geist schafft. […] Glaube und Liebe können in folgender Weise unterschieden werden: Glaube ist der Zustand des Ergriffenseins von der transzendenten Einheit, und Liebe ist der Zustand des Hineingenommenseins in die transzendente Einheit.“283 „Der Geist erhebt das personhafte Zentrum – symbolisch gesprochen – in das göttliche Zentrum, in die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens, die Glaube und Liebe möglich macht. Wenn das persönliche Zentrum in diese Einheit erhoben ist, steht es über den Begegnungen mit der Wirklichkeit auf der zeitlichen Ebene, weil die transzendente Einheit den Inhalt aller möglichen Begegnungen umfaßt. Sie ist jenseits von Potentialität und Aktualität, denn sie ist die Einheit des göttlichen Lebens selbst.“284

Die Manifestation transzendenter Einheit als Glaube und Liebe verweist auf ihren akthaften Aspekt, sowie auf deren dimensionale Aus280 281

282 283 284

STD III, 134 = STE III, 111.. STD III, 138 = STE III, 115. Es ist vielfach bemerkt worden, dass Tillichs Pneumatologie begrifflich nicht ganz klar ist und sein spezifisch christliches Profil weitgehend vermissen lässt (z. B. H.-M. Barth 32008, 413 Fn. 1) STD III, 130–131 = STE III, 107. STD III, 153–154 = STE III, 129. STD III, 308 = STE III, 269. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass Tillich für den Glaubensakt nicht nur die Metapher des „Ergriffenwerdens“, sondern auch die der „Erhebung“ (elevate/take into) an mehreren Stellen gebraucht (z. B. STD III, 153 = STE III, 128).

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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dehnung. Da diese transzendente Einheit paradoxen Charakter hat, entspricht der Erfahrungsgehalt Tillichs Interpretation der Rechtfertigungslehre als „Angenommensein, obwohl man unannehmbar ist.“ Der „absolute Glaube“ ist daher kein apologetischer Sonderfall, sondern bildet die Grundstruktur des Glaubens als faith. 285 Glaube ist ein Akt der Selbsttranszendierung, die im Lebensprozess in der Dimension des Geistes angelegt ist und in der ekstatsiche Erfahrung „transzendenter Einheit“ zu ihrem Ziel kommt. Diese Glaubenserfahrung bildet als – unter den Bedingungen der Existenz fragmentarische286 – Überwindung der Ambiguitäten des Lebens den Heilsgegenstand selbst. In dem Begriff des Fragmentarischen verbinden sich Weisheit und Glaube. Beide gehören insofern zusammen, als sowohl Glaube als auch Weisheit aus der Begegnung mit dem Heiligen kommen und zur Anerkennung der eigenen Endlichkeit führen. In seiner Predigt „Über die Weisheit“ macht Tillich das besonders deutlich. Der letzte Absatz dieser Predigt lautet: „Our final wisdom is to accept our foolishness and to look at the place in history in which wisdom itself appeared in the garb of utter foolishness, the Cross of the Christ. Here the wisdom that is eternally with God, that is present in the universe, and that loves the children of man, appears in fullness. And in those who look at it and receive it, faith and wisdom become one.“287

Der Aspekt der Weisheit kommt bei Tillich auch an der Stelle vor, wo er die Spannung zwischen Selbst-Integration und Selbst-Veränderung unter den Bedingungen der Existenz beschreibt.288 Geistliche Weisheit ermöglicht einerseits die Beurteilung dessen, was das personhafte Selbst integrieren kann und was es abstoßen muss, damit die Balance zwischen beiden Polen gewahrt bleibt. Durch die geistgewirkte Richtung auf das Unbedingte gibt er das Kriterium für die Beurteilung zweideutiger Richtungen und Ziele. An dieser Stelle gibt es eine wörtliche Übereinstimmung von der Beschreibung des Wirkens des göttlichen Geistes und der Definition des Glaubens als „Richtung auf das Unbedingte“. 289 285

286 287 288 289

Ähnlich urteilt M. Seils: „Die Rede vom ‚absoluten Glauben‘ und dem ‚Gott über Gott‘, auf den er sich bezieht, ist keine Grenzaussage der Tillichschen Glaubenstheologie angesichts der Notwendigkeit, auch die existenzialistische Verzweiflungssituation noch in die Glaubenssituation zu integrieren. Sie ist vielmehr zutiefst in Tillichs Glaubensdenken angelegt“ (M. Seils 1996, 258). Vgl. M. Seils 1996, 264. EN 122 = RR 500 (Hervorhebung vom Verf.). STD III, 309 = STE III, 269. STD III, 309–10 = STE III, 270–271.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

3.2.6 Glaube und Heilung Mit der apologetischen Intention in Tillichs Interpretation des Glaubens, tritt verstärkt ein seelsorglich-therapeutisches Anliegen in den Vordergrund. 290 Krankheit definiert Tillich als Desintegration im Gegensatz zur Lebensfunktion der Selbst-Integration.291 Durch seine die Person zentrierende und die Zweideutigkeiten des Lebens transzendierende Funktion erhält die Glaubenserfahrung so therapeutisches Potenzial: „Die Ekstase ist durch ihre Transzendierung der SubjektObjekt Struktur die große heilende Kraft im psychischen Bereich.“292 Marion Pauck berichtet von der seelsorglichen Begabung Tillichs, die ihm den Beinamen eines „therapeutischen Theologen“ eingetragen hat, und einer „fast wunderbaren Heilung“, die jemand durch die Lektüre von „The Courage to Be“ erfahren habe. Und sie macht darauf aufmerksam, dass „Tillichs Botschaft des Heilens […] überzeugend und sichtbar in seinen Predigten hervor[tritt].“293 Auch E. Sturm stimmt dem zu: „Zweifellos ist aber Tillichs Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg therapeutisch und seelsorglich geworden. Das gilt insbesondere für seine Predigten und für die Schrift ‚The Courage to Be‘.“294 Auch C. H. Ratschow sieht in Tillichs Botschaft der Heilung einen wesent290

291 292 293 294

Vgl. besonders die Aufsätze „The Meaning of Health“ MW 2, 345–352 = GW IX, 287–296; „Dimensions, Levels and the Unity of Life“ MW 6, 401–416 = GW IV, 118–129; und die entsprechenden Stellen in ST III. In den genannten Texten wird die Verbindung von Tillichs Verständnis der Heilung mit dem umfassenden Lebensbegriff und seiner Ontologie deutlich. Zudem verknüpft Tillich über seine Interpretation von „Rettung“ als „Heilung“ medizinische, psychologische und religiöse Aspekte in seinem holistischen und multidimensionalen Lebensbegriff. „Es ist eine universale Vision des menschlichen Seins und der Welt, die seine Welt ist, und darüber hinaus, es ist eine Vision des göttlichen Grundes beider, des Menschen und seiner Welt, mit der ich schließe“ (GW IX, 129). Der englische Text endet mit diesem Zitat noch nicht, sondern es folgt eine für Tillichs Gesamtsicht und Wertung des Existenzialismus erhellende Erläuterung, die vom Herausgeber ausführlich erläutert wird: „It is a step in a sphere which has been neglected in recent times under the influence of existentialist problems. This was an attempt in essentialist thought. It is my conviction that as essentialism without existentialist questions can never reach life, so existentialism without an essentialist context can never answer the question of life. Both are needed for thought and life“ (MW 6, 410). Ausführlich wird Tillichs Verständnis von Heilung von K. Grau dargestellt „Healing Power– Ansätze zu einer Theologie der Heilung im Werk Paul Tillichs“, 1999 (TS 4). STD III, 46–51 = STE III, 34–38. STD III, 142 = STE III, 119 (Der englische Text lautet abweichend: „Ecstasy […] is the great liberating power under the dimension of self-awareness.“) W. und M. Pauck 1978, 236. Als repräsentative Beispiele seien angeführt die zwei Predigten „On Healing I and II“ NB 34–45 = RR II, 41–55. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 82; aber auch Tillichs Feldpredigten wird der seelsorgliche Aspekt deutlich, ebd., 204 und E. Sturm 1999, 262–268.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

107

lichen Grund für seine Popularität nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass diese Fokussierung der Neuinterpretation der christlichen Botschaft auf den Begriff der Heilung im Dienst des Aufweises ihrer Relevanz (also des apologetischen Interesses) steht, macht folgendes Zitat aus einer Predigt Tillichs deutlich: „Und ich glaube, daß von den verschiedenen Möglichkeiten, den Menschen die christliche Botschaft nahezubringen, der Weg des Heilens heute einer der wichtigsten ist.“295

Für den Kähler-Schüler Tillich ist Christologie eine Funktion der Soteriologie. 296 Das Zentrum christlicher Dogmatik steht im Dienst der Rettung (salvation), die Tillich unter regelmäßigem etymologischem Verweis auf das Lateinische salvus, salvatio als „Heilung“ definiert im Sinne der „Überwindung des Zwiespaltes in der menschlichen Situation“. 297 „With respect to both the original meaning of salvation (from salvus, „healed“) and our present situation, it may be adequate to interpret salvation as „healing.“ It corresponds to the state of estrangement as the main characteristic of existence. In this sense, healing means reuniting that which is estranged, giving a center to what is split, overcoming the split between God and man, man and his world, man and himself. Out of this interpretation of salvation, the concept of the New Being has grown. Salvation is reclaiming from the old and transferring into the New Being. This understanding includes the elements of salvation which were emphasized in other periods; it includes, above all, the fulfilment of the ultimate meaning of one’s existence, but it sees this in a special perspective, that of making salvus, of ‘healing’.“298

In der deutschen Fassung wird an Stelle des letzten Satzes angefügt: „Für die Zusammenarbeit von Kirche und Theologie mit Medizinern und Psychologen ist dieses Verständnis von Erlösung von fundamentaler Bedeutung.“299 In seinem 1960 publizierten Aufsatz „The Impact of Psychotherapy on Theological Thought“300 sieht Tillich in der Annahme/acceptance, wie sie wesentlich ist für die Psychotherapie, ein Vorbild für die Seelsorge. Gerade diese Annahme dessen, der sich selbst nicht annehmen kann, ist nach Tillich der Mittelpunkt der christlichen 295 296 297 298

299 300

RR III, 52 = EN 37. STD II, 163 = STE II, 150. STD II, 181 = STE II, 166. STE II, 166 = STD II, 181. Tillich betont hier die Genese seiner Christologie aus einer lebensphilosophisch gefassten Soteriologie. In der Predigt „You are Accepted“ kehrt dieses zentrale Motiv in der Wendung der „Einheit des Lebens mit dem Leben“ wieder. STD II, 181 = STE II, 166. MW 2, 309–316 = GW VIII, 325–335.

108

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Verkündigung und theologisches Fundament für Predigt und Seelsorge. In dem Aufsatz fordert Tillich auch eine „therapeutische Theologie“, die pneumatologisch verankert ist, ein Thema das er in ST III aufgreift.301 Dort definiert er: „Health in the ultimate sense of the word, health as identical with salvation, is life in faith and love.“302 In der bereits zitierten Predigt an graduierende Theologiestudenten 1955 „Heal the Sick; Cast out the Demons“ beschreibt Tillich die Aufgabe von Pastoren (und von allen Christen) als Dienst der Heilung, deren erste Aufgabe in der Diagnose der menschlichen Situation besteht und zweitens in der Botschaft von der Heilung, wie sie in Christus als dem Neuen Sein zum Ausdruck kommt. Heilung besteht in der Wiedererlangung der verlorenen Einheit: „It [i. e. ein um seinen Reichtum reduziertes Leben, Anm. d. Verf.] can be transformed into health only if what is lost on a lower level is regained on a higher level, perhaps on the highest level – that of our infinite concern, our life with God.“303

Der Name der heilenden Macht ist „Gnade.“304 In diesem Zitat wird der innere Zusammenhang von Tillichs Glaubensverständnis unter dem Aspekt der Heilung als Wiedererlangung der verlorenen Einheit durch „Gnade“ im Kontext seiner Lebensphilosophie besonders deutlich. 305 Im ersten Teil der zweiteiligen Predigtreihe On Healing (Text Mt 10, 1) definiert Tillich Glaube/faith im Zusammenhang mit seinem Verständnis von Heilung: „These Stories [i. e. neutestamentliche Heilungsgeschichten, Anm. d. Verf.] describe the attitude which makes healing possible. They call it faith. Faith here, of course, does not mean the belief in assertions for which there is no evidence. It never meant that in genuine religion, and it never should be abused in this sense. But faith means being grasped by a power that is greater than we are, a power that shakes us and turns us, and transforms us and heals us. Surrender to this power is faith. The people whom Jesus could heal and can heal are those who did and do this self-surrender to the healing power in Him. They surrendered their persons, split, contradicting themselves, disgusted and despairing about themselves, hateful of themselves and therefore hostile towards everybody else; afraid of life, burdened with guilt feelings, accusing and excusing themselves, fleeing from others in loneliness, fleeing from themselves to others, trying finally to escape from the threats of existence into the painful and deceptive 301 302 303 304 305

„The Healing Power of the Spiritual Presence“, STE 275–282 = STD III, 315–323. STE III, 280 = STD III, 321. EN 38–39 = RR III, 54; „our infinite concern“ fehlt in der deutschen Version. EN 39 = RR III, 55. Vgl. auch die Predigt „Salvation/Erlösung und Heilung“ EN 76–83 = RR III, 110– 118.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

109

safety of mental and bodily disease. As such beings they surrendered to Jesus and this surrender is what we call faith. But he did not keep them, as a good helper should never do. He gave them back to themselves, as new creatures, healed and whole. And when he died He left a group of people who, in spite of much anxiety and discord and weakness and guilt, had the certitude that they were healed, and that the healing power amongst them was great enough to conquer individuals and nations all over the world. We belong to these people, if we are grasped by the new reality which has appeared in Him. We have His healing power ourselves.“306

In dieser Predigt, in der Jesus als Arzt vorgestellt wird, erläutert Tillich seinen Glaubensbegriff im Kontext der evangelischen Heilungsberichte als faith, der Heilung ermöglicht – auch hier nicht ohne die stereotype negative Abgrenzung zu belief – als ein Sich-selbst-Ausliefern (subjektive Seite) an die und ein Ergriffenwerden (objektive Seite) von der in Jesus gegenwärtigen heilenden Macht. Die unheilvolle Grundsituation des Menschen wird in Begriffen der Entfremdung von sich selbst und anderen, des Hasses und der Verzweiflung, der Schuldgefühle und Einsamkeit, bis hin zur Flucht in geistige und körperliche Krankheit beschrieben. Im Akt des Glaubens wird nach Tillich diese existenzielle Zerrissenheit und Trennung durch die Macht der Heilung Jesu überwunden, die wir nun als (fragmentarisch) Geheilte haben. Hier wird nebenbei die geschichtliche Vermittlung des Evangeliums durch die Weitergabe der „heilenden Macht“ konstituiert. Hier bleibt zunächst festzuhalten: Die Christologie ist bei Tillich eine Funktion der Soteriologie, gefasst als „Heilung.“ Heilung besteht in der Überwindung der existenziellen Entfremdung (Sünde) und der Einheit, die erfahren wird als Angenommensein.307 Diese Einheit wird erlangt durch Glauben als Sich-selbst-Ausliefern und Ergriffenwerden von der Macht des in Christus erschienenen Neuen Seins, das den sachlichen Grund für die Kommunikation der christlichen Botschaft bildet. Die Kirche als Gemeinschaft des Neuen Seins ist Trägerin der heilenden Macht; dem entspricht die therapeutische Funktion der Predigt.308 Der Begriff der Heilung bildet den Kristallisationspunkt der Neuinterpretation der christlichen Botschaft durch Tillich und zeigt zugleich deren hohe Kohärenz. 306 307

308

NB 38–39 = RR II, 45 (kursiv im Original). „First you must be accepted. Than you can accept yourself, and that means, you can be healed. Illness, in the largest sense of body, soul, and spirit, is estrangement“ (P. Tillich 1959, 211). Dies ist zugleich eine Zusammenfassung, die Tillich inhaltlich für die Kommunikation des Evangeliums in „Communicating the Christian Message“ zieht (P. Tillich 1959, 211).

110

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Dass die Botschaft der Heilung für die Kommunikation des Evangeliums auch im 21. Jahrhundert relevant ist, hat katholischerseits jüngst Eugen Biser betont, der zwar nirgends auf Tillich Bezug nimmt, aber genau dieses zentrale Anliegen Tillichs, noch dazu im Vergleich mit dem Buddhismus, aufgreift: Unter Rekurs auf den historischen Jesus, der sich selbst als „Arzt“ bezeichnete, klagt Biser neben der ästhetischen und sozialen Dimension, vor allem die durch ihre Szientifizierung verloren gegangene therapeutische Dimension der Theologie ein, in deren Mittelpunkt der heilende Glaube steht. In dieser therapeutischen Dimension sieht Biser eine Neuentdeckung des Christentums für das neue Jahrtausend.309 Das „Programm der therapeutischen Theologie“ lässt sich nach Biser zusammenfassen in dem Satz: „Leiden hat Sinn!“310

3.3 Zwischenfazit und Ausblick auf die Predigttheorie Im Vorangehenden war es nicht die Aufgabe, auch nur annähernd eine Gesamtdarstellung von Tillichs philosophischer Theologie und deren zahlreichen geistesgeschichtlichen Bezügen zu geben, sondern die für das Verständnis der Predigttheorie und die Relevanz für den interreligösen Dialog mit dem Buddhismus wesentlichen Grundzüge für eine Interpretation aus dem Gesamtwerk herauszuarbeiten. Dies konnte im wesentlichen in synchroner Perspektive geschehen, da sich die Grundpositionen Tillichs im Wesentlichen durchhalten. Tillichs philosophische Theologie ist dezidiert apologetische Theologie, die als „Kunst zu antworten“ die kulturelle Anschlussfähigkeit und die Relevanz der christlichen Botschaft durch deren Neuformulierung im Horizont der Säkularisierung zu begründen versucht. Apologetische Theologie ist eine Funktion der Kirche, die sich zwischen den beiden Polen der „ewigen Wahrheit ihres Fundamentes und der Zeitsituation, in der diese Wahrheit aufgenommen werden soll“ bewegt.311 So bildet Tillichs Versuch der Neuformulierung der christlichen Botschaft den groß angelegten Entwurf einer kontextuellen Theologie und ist als solcher zu würdigen. Zugleich wird aus Tillichs eigenen Voraussetzungen die Zeit- und Situationsgebundenheit seines Entwurfs erhellt. 309 310 311

E. Biser 22001, besonders die Seiten 282–284; 363–374 und 382–383 („Ergreifendes Ergriffensein“!). Mühelos lassen sich in Bisers Buch Parallelen zu Tillich ziehen. E. Biser 22001, 374. STD I, 9 = STE I, 3.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

111

Tillich entwirft eine non-dualistischen Ontologie, deren Axiom die Vorgängigkeit des Seins vor dem Nichtsein bildet und deren dynamischer Aspekt in einer Philosophie der „multidimensionalen Einheit des Lebens“ ausgestaltet wird. In diesem dynamischen Werdeprozess treten „Essenz“ und „Existenz“ auseinander, um schließlich die „transzendente Einheit“ oder „Essentifikation“ (Schelling) zu erreichen. Dies geschieht im Akt des Ergriffenseins von einem unbedingten Anliegen in ekstatischer und fragmentarischer Weise, in der die Subjekt-Objekt-Struktur transzendiert wird (Glaubensbegriff). Die idealistische Trias von Sein, Nichtsein und Übersein bildet die grundlegende Struktur, die auch dem dreistufigen Lebensprozess unterliegt und in die Tillich die christlichen Überlieferungsbestände einträgt. Die zentrale Formulierung ist hierbei die Rede von dem, „was uns unbedingt angeht“, die Tillich aus Dtn 6, 5 abgeleitet hat und die strukturell sowohl die subjektive als auch die objektive Seite zum Ausdruck bringt. Gott ist der uns unbedingt Angehende, Offenbarung ist Durchbruch des Unbedingten im Bedingten, Glaube das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, es ist zugleich einziger Gegenstand der Theologie; und zum „Wort Gottes“ wird das, worin den Menschen ein unbedingtes Anliegen ergreift. Die Korrelation von subjektiver und objektiver Seite geschieht innerhalb der Subjekt-Objekt-Spaltung auf diskursiv-vermittelnder Ebene, indem die unter den Bedingungen der Existenz als Zustand der Entfremdung vom Grund des Seins entstehenden existenziellen „Fragen“ auf die in der Offenbarung gegebenen essentiellen „Antworten“ bezogen werden (Methode der Korrelation). Dadurch „verschreibt“ (um einen Begriff von E. Lange einzutragen) Tillich auf dialektische Weise christliche Überlieferungsbestände mit der Lebensweltlichkeit gegenwärtiger Adressaten der christlichen Botschaft. Die Korrelationsmethode bildet das Konstruktionsprinzip von Tillichs System. Sie ist nicht ein bloßes Frage-Antwort-Schema, dessen Horizont zudem auf die menschliche Frage beschränkt ist, sondern vielmehr eine dreistufige Dialektik. Zugleich ist sie eine rezeptionsästhetisch orientierte und religionspädagogisch relevante Kommunikationsstrategie, deren pragmatisch-kommunikative Dimension gelegentlich den Vorrang vor systematischer und terminologischer Konsistenz innehat. Sie wird endlich durch die Transzendierung der Subjekt-Objekt-Spaltung in der Ekstase der Glaubenserfahrung überholt.312 Dasselbe gilt für Religion insgesamt: Sie ist „nur ein Mittel“.313 Entsprechend frei kann 312 313

Vgl. STD III, 137 = STE III, 114. GWE IV, 69.

112

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Tillich traditionelle Termini durch Übersetzungsäquivalente austauschen, solange diese ihre kommunikative Funktion erfüllen. Für Tillich bildet die Erfahrung des Heiligen (im Anschluss an F. Schleiermacher und R. Otto) als Gegenwart des Unendlichen im Endlichen die universale Basis der Religion. Indem er diese Erfahrung paradox als Negation und Affirmation fasst (das Protestantische Prinzip), ist er dialektischer Theologe. Dieser Struktur entspricht auch die Fassung der Rechtfertigungslehre als paradoxes Angenommensein. Die Vermittlung des Unbedingten im Bedingten geschieht „symbolisch“, d. h. uneigentlich als „gebrochener Mythos“. Damit soll einerseits einem supranaturalistischen „literalistischem“ Verständnis (und damit einer vergegenständlichenden Dämonisierung) gewehrt werden, andererseits hat das religiöse Symbol im Blick auf das Unbedingte resp. die „Dimension der Tiefe“ erschließende Kraft. Es hat mystagogische Funktion. Dabei steht die zur Wahrung der Transzendenz des Unbedingten in Dienst genommene symbolische Sprache als religiöse Sondersprache in der für Tillich kontra-intentionalen Spannung, die Weltlichkeit der Kondeszendenz Gottes (das Infralutheranum) zu gefährden.314 Im Zentrum der apologetischen Bemühungen steht der Glaubensbegriff, in dem Tillich konsequent zwischen „faith“ und „belief“ unterscheidet. Hier lässt sich eine deutliche sachliche Kontinuität zwischen der frühen und späten Phase in Tillichs Werk konstatieren.315 Dabei bildet das Erlebnis des Heiligen als mystisches Apriori die erfahrungstheologische Basis, die Tillich mit seiner Ontologie verbindet: Die Begegnung mit dem Absoluten ist die Begegnung mit dem Heiligen.316 Beim späten Tillich rückt die Glaubenserfahrung stärker in den Horizont des Lebensbegriffs und der Heilung. Glaube wird dabei als anthropologisches Universale im teleologisch-selbsttranszendierenden Prozess des Lebens als Selbstaktualisierung gefasst, dessen Träger die integrierte und zentrierte Person ist. In der die Person konstituierenden zentrierenden und selbstintegrativen Kraft des Glaubens liegt für Tillich zugleich dessen Heilungspotential. Dadurch wird der Glaubensbegriff anschlussfähig an die zeitgenössische Diskussionslage der humanistischen Psychologie wie sie beispielsweise von A. H. Maslow, K. Horney, E. Fromm, C. Rogers und V. E. Frankl repräsentiert wird. Gerade die Einsicht in die Dynamik der Glaubenserfahrung im Zusammenhang eines ganzheitli314 315 316

„Das Medium des Symbols, das immer ein finitum ist, bleibt aber non capax infiniti“ (P. Gallus 2007, 210). Vgl. M. Seils 1996, 276; ebenso P. Gallus 2007. GWE IV, 59–63.

3. Der Glaubensbegriff im Kontext der philosophischen Theologie Tillichs

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chen Lebensprozesses bietet auch ein großes religionspädagogisches Integrationspotenzial, indem eine Pluralität an Ausdrucksformen des Glaubens kultiviert werden kann, die der religiösen Erfahrung im Zusammenhang von Lebens- und Entwicklungsprozessen eher gerecht wird als die exklusive Bindung an bestimmte Ausdrucksweisen der Spiritualität. Das Gerichtetsein auf das Unbedingte in bedingten Formen verhindert dabei, dass es angesichts der Pluralität zu einer Desintegration zentrierter Personalität kommt. Da sich Glaube als Akt des Ergriffenseins zwar theoretisch, jedoch nie in concreto von seinen geschichtlichen Ausdrucksformen abstrahieren lässt, sieht Tillich in der Vorgängigkeit des akthaften Charakters des Glaubens eine potentielle Restitution der Sinngehalte einer konkreten Glaubensgestalt, insofern sie sich der Endlichkeit und Bedingtheit ihrer Inhalte angesichts des Unbedingten bewusst ist. Glaube als „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“, bildet nach Tillich die Überwindung der Zweideutigkeiten des Lebens. Der Erfahrungsgehalt besteht in einem unbedingten Angenommensein durch die Macht des Seins selbst, wodurch existenzielle Angst vor Verzweiflung und Sinnlosigkeit integriert und durch einen „Mut zum Sein“ überwunden wird. Das fiduziale Element reduziert sich hierbei auf das „Wagnis“, die Macht des Seins über das Nichtsein zu akzeptieren.317 Das ist sozusagen der „mythologische Rest“ bei Tillich, der verschiedentlich zu der Kritik Anlass gab, dass Tillich noch nicht die Tiefe radikalen Zweifels erreicht habe, sondern noch von einer „religiösen Rest- oder Grundgewissheit“ zehre, die seinen apologetischen Ansatz insgesamt in Frage stelle.318 Dass der Glaubensbegriff als ultimate concern im Kontext der apologetischen Intention auch im Zentrum von Tillichs indirekter Homiletik steht, zeigt neben dem Begriff des „apologetic type of sermon“ die Funktionsbestimmung der Predigt: „Something is being said to us, to the speaker as well as to the listeners, something about which we may become infinitely concerned. This is the meaning of every sermon. It shall awaken infinite concern.“319 317

318 319

„Im Grunde handelte es sich also um eine Reduktion des Glaubensvollzugs auf sein nach Tillich immer letztes Gewißheitsmoment im glaubend-transzendierenden Ergreifen der essentiellen Identität mit dem Unbedingten. Zweifel ist ein Element des Glaubens deshalb, weil der Glaube es wagen muß, angesichts der Sinnlosigkeitsbedrohung durch das Nichtsein sich der Tragkraft des sinnerhaltenden Seinsgrundes anheimzugeben“ (M. Seils 1996, 285). M. Korthaus 1999, 225. NB 153 = RR 319 („Our ultimate concern“), Hervorhebung vom Verf. Der deutsche Text lautet abschwächend: „Sie soll uns bereit machen, das Unbedingte zu ver-

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

So sind die apologetische Intention, die Neuformulierung des Glaubensbegriffs und die Predigttheorie eng aufeinander bezogen. Es gilt zu fragen, welche homiletischen Implikationen in Tillichs Entwurf in den religiösen Reden als Medium der Vermittlung zum Austrag kommen.

nehmen.“ Vgl. ausführlich Abschnitt 5.7, in dem die Predigt, der dieses Zitat entstammt, analysiert wird.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs 4.1 Überblick über die Forschungsgeschichte Wie bereits erwähnt, spielt in der Forschung, trotz einiger Ansätze, die Bedeutung Tillichs für die Homiletik bislang eine eher untergeordnete Rolle, dies gilt umso mehr für die deutschsprachige Literatur.1 Dieser Sachverhalt ist erstaunlich, da gerade auch Tillichs „Religiöse Reden“ eine große Breitenwirkung erzielten. Die 1971 von Andreas A. Rössler in Tübingen erstellte Dissertation über die Predigttheorie Tillichs blieb unveröffentlicht. 2 Abgesehen von Veit Brügmanns Dissertation über „Die Durchführung der Methode der Korrelation in den Religiösen Reden Paul Tillichs“ von 19693 gibt es darüber hinaus m. W. bis heute keine größere deutschsprachige Arbeit, die sich mit dem Thema Predigt bei Tillich eigens auseinandersetzt. Ein kürzerer Beitrag, der Tillichs „Religiöse Reden“ in ihrer Bedeutung für die Homiletik der Gegenwart positiv würdigt, stammt aus dem Jahr 1989 von Peter Cornehl.4 Die Arbeiten von V. Brügmann und A. Rössler gehören in die frühe Phase der insgesamt späten Tillich-Rezeption in Deutschland Ende der sech1

2

3 4

In den beiden Forschungsberichten von Peter Schwanz (VuF 24 [1979] 55–86) und Christoph Schwöbel (ThR 51 [1986] 166–223), in denen die Literatur über Tillich aus den Jahren 1967–1983 gesichtet wird, findet sich keine Arbeit zu Tillichs „Religiösen Reden“ und seine Bedeutung als Prediger. Die Arbeiten von V. Brügmann (1969) und A. Rössler (1971) finden keine Erwähnung. Auch der apologetische Charakter von Tillichs Denken bleibt merkwürdig unterbestimmt (so findet auch die einschlägige Arbeit von J. Schmitz 1966 keine Aufnahme in die Forschungsberichte). Rössler, Andreas. 1971. Die Predigttheorie Paul Tillichs. [Unveröffentlichte maschinenschriftliche Univ. Diss., Tübingen]. Exemplare befinden sich im Archiv der Deutschen Paul Tillich Gesellschaft Marburg und der Universitätsbibliothek Tübingen. Ein kürzerer Beitrag über die „Religiösen Reden“ von A. Rössler erschien 1986 in dem Sammelband „Paul Tillich, sein Werk,“ hg. von Renate Albrecht und Werner Schüssler. Veit Brügmann: Die Durchführung der Methode der Korrelation in den Religiösen Reden Paul Tillichs. [Univ. Diss. 1969, Hamburg]. „Tillichs Religiöse Reden haben eine aktuelle Relevanz. Sie sind einzigartig, und sie sind zugleich ein Modell. Sie zeigen eine Einstellung, von der wir für unser eigenes Predigen lernen können.“ P. Cornehl 1989, 256.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

ziger Jahre (und der damals gegebenen eingeschränkten Quellenlage), und sie spiegeln (insbesondere die Arbeit von Brügmann) den theologischen und zeitgeschichtlichen Kontext in Deutschland wider. Der Aufsatz von P. Cornehl, der sich in der Interpretation der späten Predigten im Wesentlichen auf eine selektive Aufnahme des Tillich-Aufsatzes von 1928 über die „Protestantische Verkündigung“ stützt, ist, so weit ich sehen kann, der letzte größere Beitrag zu Tillichs „Religiösen Reden“. Einen wesentlichen Fortschritt stellte 1994 die Edition der zu Tillichs Lebzeiten unveröffentlichten Gemeinde- und Feldpredigten aus den Jahren 1909 bis 1918 dar, die von Erdmann Sturm mit einer historischen Einleitung versehen als Band VII der Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich (GWE) herausgegeben wurden.5 Ebenfalls von E. Sturm stammt ein Aufsatz zu Tillichs frühen Predigten: „Zwischen Apologetik und Seelsorge. Paul Tillichs frühe Predigten (1908–1918).“6 Auch hier sind mit den Stichworten „Apologetik“ und „Seelsorge“ bereits die beiden wesentlichen Charakteristika von Tillichs Predigten angezeigt. Im Unterschied zur deutschsprachigen Aufnahme der „Religiösen Reden“ als Forschungsthema stammen die größeren Arbeiten in den USA aus jüngster Zeit. Dort entstanden bisher drei theologische Dissertationen, die sich explizit mit der „Theologie der Predigt“ bei Paul Tillich befassen und ein (neu) erwachtes Interesse an Tillich als Prediger zeigen. Es handelt zunächst um die Arbeit von William Terrell Sanders (Paul Tillich: Apologetic Preacher of the Christian Faith, 1983), in der Tillich vor allem als kirchlicher Apologet erscheint, und um die fast themengleichen Arbeiten von Hyung Suk Na (Paul Tillich’s Theology of Preaching: Boundary Preaching, 1996) und William Carl Bergmann (Living Questions, Telling the Truth: Paul Tillich’s Theology of Preaching, 2001). Aber auch diese Arbeiten sind nicht in Buchform publiziert und nur schwer zugänglich. Trotz der Arbeiten von Rössler, Terrell und Na und drei kleineren Beiträgen in Zeitschriften7 schreibt Bergmann noch, dass Tillich zwar als einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts gewürdigt werde, „but little attention has been paid to his preaching enterprise.“8 Für die deutschsprachige For5 6 7

8

GWE VII (Seiten 19–353 Gemeindepredigten; 355–665 Feldpredigten). E. Sturm 1999, 251–268 (jetzt auch abgedruckt in TS 5, 2001, 85–104). J. Frederick McKirchan, The Preaching of Paul Tillich. Princeton Seminary Review 53 (January 1960) 33–43. Bob Price, Homiletical Hermeneutics. Drew Gateway 50/1 (Fall 1979) 15–24. Ralph E. Knupp, The Apologetic Preaching of Paul Tillich. Encounter 42/4 (Autumn 1981) 395–407. W. C. Bergmann 2001, viii.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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schung trifft dies durchaus noch zu. Allen bisherigen Arbeiten mangelt es allerdings an genauen rhetorischen und inhaltlichen Analysen und Einzelexegesen von Tillich-Predigten. In der Regel werden die Predigten mehr als Illustration für Aspekte einer „Theologie der Predigt“ bei Tillich verwendet. Dieses Defizit, das bereits P. Cornehl anmahnte, soll in dieser Arbeit insbesondere anhand der Einzelanalyse der Predigt „You are Accepted“ ausgeglichen werden. An den genannten Arbeiten wird auch deutlich, dass sich eine amerikanische und eine deutsche Forschung im Blick auf Tillichs Predigten entwickelt haben, die durchaus je eigenen Charakter tragen. Eine erste Beobachtung im Blick auf die Unterschiede zeigt sich an der Themenstellung. Rückte in Deutschland von Anfang an der Begriff der „Religiösen Reden“, dem großes Gewicht beigemessen wird, in den Mittelpunkt der homiletischen Reflexion9, so fehlt dieser Begriff in der englischsprachigen Forschung, wo ausschließlich von preaching und sermon gesprochen wird, völlig. Das zeigt, wie die Übersetzung der Predigten Tillichs aus dem Englischen unter dem Titel „Religiöse Reden“ im deutschsprachigen Kontext zu einer anderen Akzentuierung in der Rezeption der Predigten führte als in den USA. Zudem betonen die amerikanischen Arbeiten durchweg den apologetischen Charakter von Tillichs Predigttheorie und -praxis. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die späten Predigten Tillichs durch Sprache und Kontext primär ein nordamerikanisches Phänomen bilden, was auch in der Analyse und Interpretation zu berücksichtigen ist. Eine sachgemäße Analyse der späten Predigten kann von diesem Kontext, der die unmittelbare homiletische Situation darstellt, nicht abstrahieren.

4.2 Einzelübersicht über bisherige Arbeiten zu Tillichs impliziter Homiletik10 4.2.1 Veit Brügmann – Religiöse Rede als Korrelation Veit Brügmann eröffnete 1969 mit seiner Dissertation über „Die Durchführung der Methode der Korrelation in den Religiösen Reden 9 10

Vgl. A. Rössler 1971, 4–12. Der Grund für eine ausführlichere Darstellung der bisherigen Arbeiten, die sich mit Tillchs Predigt und deren Theorie befassen, liegt u. a. darin, sie den Leserinnen und Lesern zugänglich zu machen, da es sich z. T. um unveröffentlichte und/oder schwer zugängliche Arbeiten handelt. Die Arbeiten von Bergmann und Na wurden (ebenso wie die Arbeit von Harrison zu Shin-Predigten) auf meinen Vorschlag von der UB-

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Paul Tillichs“ die Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zu Tillichs Predigttheorie, indem er den Gebrauch der für Tillichs System konstitutiven Korrelationsmethode auch in den Predigten nachweist. Sie fällt damit in die erste Phase der Tillich-Rezeption in Deutschland.11 Die Arbeit von Brügmann konzentriert sich ganz auf die Korrelationsmethode in Auseinandersetzung mit deren theologischer und philosophischer Kritik. U. a. anhand der Predigt „Was ist Wahrheit“ zeigt Brügmann, wie Tillich von der Situation des nach Wahrheit fragenden Menschen ausgeht und diese Frage dann von der christlichen Botschaft her beantwortet. Dabei macht Brügmann deutlich, wie die menschliche Situation von der Antwort her neu verstanden und damit auch die Frage von der Antwort her umgestaltet wird.12 Am Aufbau des 3. Bandes der „Religiösen Reden“ („Das Ewige im Jetzt“) zeigt Brügmann, wie auch die Gliederung des ganzen Bandes in die drei Abschnitte („Die menschliche Situation“, „Die göttliche Wirklichkeit“ und „Die menschliche Verwirklichung“) dem gestaltenden Prinzip der Durchführung der Korrelationsmethode in den Religiösen Reden entspricht. Die grundlegende Kritik, die Brügmann an Tillichs Methode und deren philosophisch-theologischen Voraussetzungen übt, besteht in der Ablehnung des mystischen Apriori bei Tillich: „Tillich bleibt in der Immanenz hängen. Es gelingt ihm nicht, die Wand zum Transzendenten zu durchbrechen. […] Ein Rückschluß von der Weltwirklichkeit auf die Wirklichkeit Gottes ist nicht möglich.“13 Die Begründung dafür sieht Brügmann in Anschluss an Dietrich Bonhoeffer und Herbert Braun darin, dass „das Unbedingte […] gar nicht ein Sein-Jenseits, sondern das ‚Für-andere-da-sein‘ Christi [ist].“14 Wesentliche Mängel der Arbeit von Brügmann bestehen darin, dass sie den nordamerikanischen Kontext, in dem die Predigten entstanden, ebenso ausblendet wie deren apologetische Intention und deren

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Marburg erworben und bilden bisher die einzigen Exemplare in Deutschland. Zum anderen wird dadurch das besondere Profil und die eigentliche Forschungsleistung vorliegender Arbeit deutlicher, die z. T., wenn auch oft nur bedingt, auf diesen Vorarbeiten aufbauen kann. 1969 ist das Gründungsjahr der „Paul-Tillich-Gesellschaft e. V.“, die aus dem 1960 entstandenen „Kreis der Freunde Paul Tillichs“ hervorging, die sich aus ehemaligen Tillich-Schülern zusammensetzte. 1966 erschien Heinz Zahrnts Buch „Die Sache mit Gott“, das er mit der Darstellung der Theologie Tillichs, in der dieser auch als Prediger zur Sprache gebracht wird, enden lässt. Zur späten Rezeption Tillichs in Deutschland vgl. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 219–235. V. Brügmann 1969, 33–34. Brügmann geht nicht so weit zu behaupten, dass bereits die Frage bei Tillich von der Antwort her formuliert wird. V. Brügmann 1969, 303–304. V. Brügmann 1969, 304.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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Genese und Bedeutung im Gesamtwerk Tillichs. Zudem bezieht sich Brügmann (neben der zeitbedingt eingeschränkten Quellenlage) ausschließlich auf deutschsprachige Tillich-Texte (im Literaturverzeichnis findet sich kein einziger englischer Titel). Die Zeitbedingtheit und Engführung von Brügmanns Tillich-Deutung zeigt sich u. a. sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher Hinsicht in folgendem Zitat, mit dem er die Bedeutung Tillichs resümiert: „Es wird das bleibende Verdienst Tillichs sein, als die beherrschende Dämonie unserer Zeit die kapitalistisch-militaristische Gesellschaftsordnung erkannt zu haben.“15 Und Brügmann folgert entsprechend: „Wenn Jesus für die Opfer des pharisäischen Gesellschaftssystems eintrat, wird die Kirche heute für die religiös und sozial Deklassierten des kapitalistisch-militaristischen Gesellschaftssystems eintreten müssen.“16 Dass der Verfasser damit ernsthafter Tillichforschung in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht wird, ist nicht erst aus heutiger Sicht deutlich.17 Zudem leidet die Arbeit insgesamt an großer Unübersichtlichkeit. Positiv bleibt jedoch festzuhalten, dass Brügmann die Korrelationsmethode als Konstruktionsprinzip der „Religiösen Reden“ als erster formuliert und ausführlich nachgewiesen hat.

4.2.2 Andreas Rössler – Religiöse Interpretation der Wirklichkeit Die zweite deutschsprachige Arbeit stammt von Andreas A. Rössler, der im Unterschied zur Arbeit von Brügmann auch die englischsprachigen Texte heranzieht und das Gesamtwerk Tillichs ab 1919 (!) berücksichtigt. Zudem liegt der Fokus der Untersuchung mehr auf der Predigttheorie Tillichs und nicht auf einer einzelnen Methode. Rössler stimmt mit Brügmann darin überein, dass Tillichs Korrelationsmethode auf dem von Tillich postuliertem „universalen Transzendenzbewusstsein“ aufruht, und die damit verbundene Sinnfrage als anthropologische Notwendigkeit konstitutiv für Tillichs Theologie ist. Rössler fasst seine Darstellung der Predigttheorie Tillichs unter den Stichworten „Form,“ „Aufgabe“ und „Ziel“ der Predigt zusammen. Die spezifische Form der Predigt ist die durch ihren apologetischen Charakter bestimmte „Religiöse Rede“, die Aufgabe der Predigt 15 16 17

V. Brügmann 1969, 309. V. Brügmann 1969, 310. A. Rössler erwähnt die Arbeit in seiner Dissertation zwei Jahre später, würdigt sie jedoch keiner weiteren Beachtung.

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besteht in der „Interpretation der Situation im Licht der Botschaft“, und das Ziel der Predigt ist es, „Medium des Wortes Gottes“ zu sein.18 Rössler setzt diese drei Bestimmungen in Beziehung zu anderen Formen der Verkündigung und konstatiert die Form „Religiöse Rede“ als Unterscheidungsmerkmal der Predigt von sonstiger Verkündigung. Die Aufgabe überschneide sich teilweise mit anderen Formen der Verkündigung, während die Zielbestimmung in allen Formen der Verkündigung dieselbe sei.19 Da Rössler jedoch Begriff und Formen „von sonstiger Verkündigung“ nicht näher bezeichnet, bleiben diese (und dementsprechend die Bestimmungen der Predigt) in ihrer Konturierung undeutlich. Die „Interpretation der Situation im Licht der Botschaft“ führt Tillich nach Rösslers induktiv vorgehender Analyse der „Religiösen Reden“ so durch, dass Tillich zunächst von einer Situationsanalyse ausgeht, die er dann auf ein universales Transzendenzbewusstsein hin vertieft. Dieser Analyse wird die christliche Botschaft durch Behauptung und Begründung gegenübergestellt, die dann zu einer Kritik an der Situation (Polemik) führt und als Paränese in der Applikation der Botschaft mündet. Das Ziel der Predigt bei Tillich liegt nach Rössler, der in diesem Kapitel Tillichs Verständnis religiöser Sprache eingehend behandelt, in ihrer Funktion, Medium des Wortes Gottes zu sein. Rössler behandelt in einem umfangreichen Anhang als Erster auch die Frühpredigten Tillichs. Die Vikariatspredigten ordnet er drei sich z. T. überschneidenden Predigt-Typen zu: einem „meditativen“ Typus, einem „korrelativen“ und einem „mythologisch-theosophischen“ Typus. 20 Die Kriegspredigten, in denen Tillich ganz im Sinn der Heeresleitung predigt, sind wie die frühen Gemeindepredigten aufgebaut (Einleitung, Themenbestimmung, Ausführung). Und im Hinblick auf die homiletische Theorie bildet das Transzendenzbewusstsein „nun unmißverständlich die Nahtstelle zwischen Situation und Botschaft“.21 Zusammenfassend kann Rössler sagen: „Die Analyse der Predigten, die er in seinen ‚Vorbereitungsjahren‘ von 1909–1918 gehalten hatte, hat gezeigt, daß sich Tillichs spätere systematische und homiletische Konzeption von Anfang an abzeichnete und sich in kontinuierlicher Entwicklung profilierte und präzisierte.“22 18 19 20 21 22

A. Rössler 1971, 120. A. Rössler 1971, 120. A. Rössler 1971, 137–138. A. Rössler 1971, 148. A. Rössler 1971, 163.

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Obwohl Rössler wichtige Texte Tillichs zu seiner Predigttheorie noch nicht zur Verfügung standen (hier handelt es sich vor allem um die erst 1996 veröffentlichten Earl Lectures), stellt seine Arbeit – sowohl in Anlage und Durchführung als auch aufgrund der verwendeten Quellen – einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der Dissertation von Brügmann dar. Aber auch Rössler deutet, wie bereits kritisch vermerkt, die „Religiösen Reden“ unter Absehung ihres amerikanischen Ursprungskontextes. Ebenso fehlt eine eingehende rhetorische Analyse und Einzelexegese von ausgewählten Reden.

4.2.3 William Terrell Sanders – Tillich als Apologetic Preacher Wie vielgestaltig die Tillich-Deutung ausfallen kann, zeigt besonders auch die 1983 an der Florida State University angenommene PhD-Dissertation von W. T. Sanders: Paul Tillich: Apologetic Preacher of the Christian Faith, mit der die amerikanische Predigtforschung zu Tillich eröffnet wird. Auch Sanders betont, dass Tillich als Prediger von der Forschung bislang nicht gewürdigt wurde und verweist lediglich auf zwei Aufsätze zu dem Themenbereich. Die Arbeiten von Brügmann und Rössler werden nicht erwähnt. 23 Als Hauptthese seiner Arbeit formuliert Sanders: „Paul Tillich’s vocation as a Christian apologist is demonstrated in his preaching. All other concerns are a direct consequence of this thesis.“24 Sanders stellt nicht nur die apologetische Intention Tillichs ins Zentrum seiner Untersuchung, sondern er will auch ein Gesamtverständnis Tillichs von den Predigten aus erschließen. Denn gerade die Predigten bilden den Kontaktpunkt zwischen Theologie und dem, was der Mensch braucht (human need)25 – und damit das praktische Ergebnis seines Denkens. Sanders verortet Tillichs Predigtverständnis im Kontext desssen, was dieser als katholische Substanz und protestantisches Prinzip bezeichnete (Kapitel 1). Erstere analysiert Sanders als die „experience of worship“ (Kapitel 2) und das Zweite als die prophetische Aufgabe des Predigers (Kapitel 3). Aus der „sacramental-prophetic dialectic“ entspringt nach Sanders die Predigt bei Tillich – werde das nicht be23 24 25

Überhaupt findet sich kein einziger deutschsprachiger Titel (auch nicht von Tillichs Schriften) im Literaturverzeichnis. W. T. Sanders 1983, xi. W. T. Sanders 1983, ix.

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dacht, verfalle man einer unangemessenen rationalistischen Interpretation Tillichs. 26 Die Synthese von katholischer Substanz und protestantischem Prinzip bildet „A New Creation“. Der Fokus der Arbeit von Sanders liegt, wie der Titel bereits anzeigt, auf dem Homileten selbst („The Preacher and His Task“, Kapitel 3; „Tillich as Preacher in the Christian Tradition“, Kapitel 4). Das abschließende 5. Kapitel befasst sich dann auch mit dem „Tillichian Sermon“, in dem Sanders die Predigt „Man and Earth“ (EN 42–50) analysiert, wenn auch eher nur oberflächlich. In diesem abschließenden Kapitel schildert Sanders Tillich (aufgrund des generellen Textbezugs seiner Predigten) als einen „biblical preacher“, in einem gewissen Sinn sogar als evangelikal. 27 Dass Sanders in den USA mit dieser Einschätzung nicht ganz allein dasteht, macht er anhand einiger Zitate deutlich, die sich in der Regel auf Tillichs Predigten beziehen. Diese eher ungewöhnliche Tillich-Rezeption rechtfertigt die Wiedergabe der entsprechenden Passage bei Sanders: „Calling Tillich an ‘evangelical’ is probably an invitation to be misunderstood, but properly conceived it is not incorrect to do so. Tillich is evangelical in the sense that he emphasises salvation by faith in Jesus as the Christ. He preaches on the basis of the authoritative Scripture and calls for personal transformation. In carrying out his task Tillich makes use of conversion language, and an analysis of this type of language will point directly to the soul and the priorities of the preacher.“28

Sanders erklärt jedoch einschränkend: „Tillich is not, of course, an evangelical in the popular sense of the word.“29 Als Beispiele für letztere Einschränkung nennt Sanders Tillichs Verständnis religiöser Sprache und die Definition von „Erlösung“ als „Heilung“. Diese Ausführung lässt ersehen, zu welchen Ergebnissen man gelangen kann, wenn bei der Analyse der Predigten von deren ontologischen Voraussetzungen in Tillichs Denken abgesehen wird. Dadurch verfehlt Sanders auch in der Predigtanalyse die Dimension der Tiefe. Sanders Predigtanalyse beschränkt sich auf gelegentliche kurze Verweise auf Tillichs philosophische Theologie, ohne sie jedoch auszuführen. Bereits der im Zitat formulierte Glaubensbegriff entspricht schwerlich Tillich’schem Denken. Richtig an Sanders’ Urteil ist jedoch die Beobachtung gewisser 26 27

28 29

W. T. Sanders 1983, ix. Dass diese Deutung bei oberflächlicher Betrachtung nicht ganz ohne Anhaltspunkte ist, machte bereits das angegebene Zitat von Adolf Köberle deutlich, nach dessen Aussage Tillich eine „ehrfürchtig am biblischen Wort orientierte Frömmigkeit erkennen lässt“ (A. Köberle 1962, 58). W. T. Sanders 1983, 241. W. T. Sanders 1983, 241.

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Strukturanalogien, die aus Tillichs reformatorisch-erweckungstheologischem Erbe stammen, und die Tatsache, dass Tillich kein „existentialistischer“ oder „liberaler“ Theologe war. Vergleicht man die Arbeit von Sanders mit der von Brügmann (oder auch der aus koreanischer Perspektive von H. S. Na), dann bestätigt sich der Verdacht, dass die jeweilige Tillich-Deutung mehr die theologischen Entwürfe ihrer Verfasser zum Ausdruck bringt.30 Es zeigt sich aber, dass bei Tillich selbst zumindest die Ansätze zu diesen recht konträren Deutungen vorhanden sind. Diese Tatsache wird auch durch die sehr instruktive Zusammenstellung wesentlicher Aussagen der Rezensionen zu Tillichs Predigtbänden am Ende von Sanders’ Arbeit bestätigt, die einen Eindruck von den Wirkungen vermitteln, die Tillichs Predigten auf seine Zeitgenossen ausübten. Sanders betont insgesamt die apologetische Intention der Predigt bei Tillich, wobei er unverständlicherweise im Unterschied zu Tillichs eigenen Formulierungen Apologetik als Verteidigung des christlichen Glaubens beschreibt. Dass Sanders die Predigt bei Tillich gerade im Gottesdienst verortet, erscheint merkwürdig angesichts der Tatsache, dass Tillich in seiner Gottesdiestlehre in ST III die Predigt überhaupt nicht erwähnt. Sanders fasst den Ertrag seiner Untersuchung im Wesentlichen in vier Punkten zusammen: (1) Die Predigten bilden als Ergebnis seines Denkens auf der Grenze zwischen Religion und Kultur, Theologie und Philosophie einen genuinen und legitimen Zugang zu Tillichs Denken insgesamt (ix). (2) Tillich zeigt in den Predigten einen Weg, wie der Mensch des 20. Jahrhunderts sich selbst als religiöses und erfahrungsorientiertes Wesen verstehen kann, ohne die intellektuelle Integrität einzubüßen (x). (3) Die Predigten erweisen Tillich als christlichen Apologeten ersten Ranges.31 (4) Tillichs Predigten müssen als Typus oder Modell gesehen werden (xi). Als Resumee kann mit Sanders gesagt werden: „Tillich leaves the Christian preacher with a challenge to be apologetic.“32

30 31 32

Vgl. C. Schwöbel 1986, 222–223. „The sermons have shown Tillich to be a ‘Christian apologist’ of the first order.“ W. T. Sanders 1983, 290. W. T. Sanders 1983, 292.

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4.2.4 Peter Cornehl – Befähigung zur Einheit im Konflikt Peter Cornehl beanstandet, dass die Beiträge von Andreas Rössler und Hans-Joachim Rothert33 ohne genauere homiletisch-rhetorische Analysen auskommen und daher recht allgemein bleiben.34 In seinem Beitrag „In der Tiefe ist Wahrheit. Tillichs Religiöse Reden und die Aufgabe der Verkündigung“35 markiert Cornehl zunächst „Ort und Stellenwert“ der Religiösen Reden in Tillichs Theologie. Dabei geht er zunächst auf die biographischen Gründe ein, warum diese Predigten zu Tillichs Spätwerk gehören. Sodann sieht Cornehl in dem Vortrag von 1928 „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ zu Recht einen zentralen Text für die Predigttheorie Tillichs („das homiletische Konzept“) und interpretiert von hier aus die späten Predigten.36 Und schließlich bezeichnet er unter dem Stichwort des „Kairos der Predigten“ die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem Bedrohungspotenzial als den Ort der Predigten. Es ist aber fraglich, ob damit bereits „Ort und Stellenwert“ der Predigten in Tillichs Theologie zureichend bestimmt sind. Gerade der Vortrag von 1928 deutet auf den apologetischen Horizont von Tillichs Predigttheorie, ja Tillich selbst bezeichnet seine Predigten als „apologetischen Typus.“37 Im engen Zusammenhang mit Tillichs Verständnis von Apologetik steht seine „Methode der Korrelation“, die er analog zur Systematischen Theologie auch in seinen Predigten (als practical apologetics) durchführt, wie V. Brügmann gezeigt hat. Dass Cornehl diesen Horizont unterschlägt, ist ein wesentliches Defizit seines Beitrags, das sich besonders auf seine Interpretation von Tillichs Predigt „You are Accepted“ auswirkt.38 Gerade diese Predigt stellt in besonderer Weise die homiletische Umsetzung von Tillichs Neuformulierung der Rechtfertigungslehre dar, wie sie ebenfalls in dem Vortrag 33

34 35 36 37 38

P. Cornehl verweist auf einen 1966 von Hans-Joachim Rothert gehaltenen Vortrag (in leicht überarbeiteter Fassung abgedruckt in H.-J. Rothert 1967, 151–165), in dem Rothert anhand einiger Grundgedanken aus den Religiösen Reden „Die Bedeutung Paul Tillichs für die Frömmigkeit des modernen Menschen“ behandelt. Ob P. Cornehl die Arbeit von V. Brügmann bekannt war, wird nicht ersichtlich, allerdings trifft Cornehls Urteil auch auf Brügmanns Arbeit zu. Die Arbeit von Sanders dürfte ihm nicht bekannt gewesen sein. P. Cornehl 1989, 276 Anm. 22. P. Cornehl 1989, 256–278. P. Cornehl 1989, 258–260. So im Vorwort zu „The Shaking of the Foundations“ von 1948. P. Cornehl 1989, 267–270.

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von 1928 thematisiert wird.39 Der Begriff der Grenzerfahrung, den Cornehl hervorhebt, ist bei Tillich nur in diesem Kontext zu verstehen. In einem zweiten Teil interpretiert Cornehl drei Predigten Tillichs exemplarisch unter den Stichpunkten: „The Shaking of the Foundations“ – „Heilsgewissheit im Schatten der Apokalypse“, „Der Weg in die Tiefe–Prophetie als Lehre und Seelsorge“, „You are accepted – Bejahe, dass du bejaht bist“ und schließlich in summarischer Weise den dritten Band der Religiösen Reden unter der Überschrift „Das Neue Sein und die Gegenwart des Ewigen in der Zeit.“ Dabei gelingt es Cornehl zu zeigen, wie sich die Strukturprinzipien, die Tillich 1928 für die protestantische Verkündigung gefordert hat, in den späten Predigten reflektieren. In einem dritten Abschnitt fragt Cornehl, was wir für unsere eigene Verkündigung von Paul Tillich lernen können. An erster Stelle steht das, was Tillich auf den Begriff der Grenzsituation gebracht hat. In den globalen Bedrohungspotenzialen sieht Cornehl die „Voraussetzung für alles politische und auch religiöse Tun,“40 das er unter die Leitworte des Konziliaren Prozesses „Frieden, Gerechtigkeit und die Integrität der Schöpfung“ stellt. Die biblische Eschatologie mit ihren apokalyptischen Bildern hilft uns dabei, „uns in diesen Letzthorizont zu stellen.“41 Zweitens hat Predigt die Aufgabe Orientierung und Vergewisserung des Glaubens zu geben, die bei Tillich als prophetische (Götzen-)Kritik präzisiert wird.42 Die Suche nach neuen Maßstäben steht auch hier wieder unter den Stichworten des Konziliaren Prozesses. Drittens können wir nach Cornehl von Tillich lernen, „… daß und wie der Prophet zum Seelsorger wird, der in der Predigt (nicht nur, aber auch in der Predigt) versucht, die Abwehr zu lösen, indem wir mit den Hörerinnen und Hörern zusammen den Weg in die Tiefe gehen  …“43 Und schließlich sieht Cornehl als Konsequenz aus Tillichs Ansatz „… ein Plädoyer für einen konsequenten Reformismus.“44 Predigt habe die Aufgabe der „biblisch orientierten Überzeugungsbildung,“ um möglichst viele zum „graduellen Handeln“ zu motivieren. „Es gehört zu den Aufgaben der Predigt, mit daran zu arbeiten, daß in den Gemeinden und Kirchen sowohl die Fähigkeit zum Konflikt als 39 40 41 42

43 44

GW VII, 74. P. Cornehl 1989, 272 P. Cornehl 1989, 272–273. Hier wäre das Stichwort des protestantischen Prinzips zu erwarten gewesen, das bei Tillich einen ontologischen Grund hat, nämlich die paradoxe Gegenwart der Transzendenz in der Immanenz. P. Cornehl 1989, 273. P. Cornehl 1989, 274.

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auch die Fähigkeit zur Einheit im Konflikt ausgebildet und gestärkt wird.“ 45 Tillich habe das vorgemacht, wofür ihm auch die praktische Theologie zu danken habe.46 Ich zweifle allerdings daran, dass sich Tillichs Predigten im Sinne Cornehls in ein operationalisierbares Orientierungswissen ummünzen lassen. Gerade die Tatsache, dass Paränese in Tillichs Predigten so gut wie ganz fehlt, steht eher in einem Gegensatz dazu.47 Dass Cornehl den apologetischen Horizont der Theologie und Predigttheorie Tillichs ausblendet, mag neben der zeitgeschichtlichen Situation eine Ursache für diese Engführung sein. Am adäquatesten sehe ich Tillichs Intention im dritten Punkt bei Cornehl wiedergegeben. Der seelsorgliche Aspekt in Tillichs Verkündigung ist vielfach hervorgehoben worden. Im Unterschied zu Cornehl sieht Tillich allerdings gerade die heilende Kraft in der Rechtfertigungsbotschaft. Die „Abwehr zu lösen“ kann nur ein erster Schritt dahin sein. Zudem ist die Aufgabe des Predigers, der sich mit den Hörern solidarisiert, indem er an ihrer Situation in partieller Weise partizipiert, 48 nur ein erster Schritt in der (apologetischen) Verkündigungsaufgabe. Dass bei Tillich die Rechtfertigungslehre der articulus stantis et cadentis ecclesiae ist und gerade deshalb im Zentrum der Neuformulierung der christlichen Botschaft durch Tillich steht, 49 wird bei Cornehl (obwohl er die zentralen Texte Tillichs zu diesem Thema behandelt) nicht berücksichtigt. Ebenso ist zu fragen, ob der Begriff der „Grenzerfahrung“ in ihrer Bedeutung für Tillichs Predigttheorie ganz erfasst ist.50 Der Begriff der Grenze führt uns zum nächsten Autor.

45 46 47

48 49 50

P. Cornehl 1989, 274. P. Cornehl 1989, 274. Dass die Paränese in Tillichs Religiösen Reden so gut wie völlig fehlt, lässt bereits Brügmann fragen, „… ob es theologisch legitim ist, den Imperativ in dem Maße zu eliminieren, wie es Tillich in den Religiösen Reden tut,“ um ihm dann gegen Paulus, in dessen ethischen Weisungen Brügmann „einen Rückfall in Nomismus und Heteronomie“ sieht, zuzustimmen (V. Brügmann 1969, 203). Auch ohne das (wohl am besten zeitgeschichtlich zu verstehende) Urteil Brügmanns über paulinische Paränese zu übernehmen, wird hier die große Distanz Tillichs zu paulinischer Paränese deutlich. GW VIII, 265. STD III, 257–258 (sowie die im deutschen Text eingefügte Anmerkung). Ich werde auf diesen Aspekt ausführlich in meiner Analyse der Predigt „You are Accepted“ eingehen.

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4.2.5 Hyung Suk Na – Boundary Preaching Der Koreaner Hyung Suk Na stellt den Begriff der Grenze (boundary) in den Mittelpunkt seiner Darstellung von Tillichs Theology of Preaching, die er 1996 in seiner PhD–Dissertation vorgelegt hat. Na geht es in seiner Arbeit um die Frage, was Tillichs Theologie der Predigt für die Situation des amerikanischen und insbesondere koreanischen Protestantismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts austrägt, eine Situation, die der Verfasser mit einem deutlichen Krisenbewusstsein charakterisiert. Die Frage des Verhältnisses von Kirche und säkularer Industrie- und Wohlstandsgesellschaft in Anpassung (adaption) und Trennung (separation), sowie die homiletischen Implikationen dieses Verhältnisses bilden das leitende Interesse seiner Untersuchung. Sowohl in den nordamerikanischen Kirchen mit ihrem Mitgliederverlust als auch in den wachsenden südkoreanischen Kirchen, in denen oft ein Wohlstandsevangelium verkündet werde, sieht Na unangemessene Anpassungen und Trennungen im Verhältnis zur säkularen Gesellschaft wirksam. In dieser homiletischen Situation sucht Na im Anschluss an Tillich Antworten für eine Homiletik, die die Situation ernst nimmt, ohne dass sich jedoch die christliche Botschaft selbst verliert.51 Mit dem Thema des Verhältnisses von Religion und Kultur resp. Botschaft und Situation nimmt Na ein Grundthema Tillichs auf. Dabei zeichnet er Tillichs „boundary preaching“ als dritten Weg zwischen Friedrich Schleiermacher (dem liberalen Typus der „Anpassung“) und Karl Barth (dem neo-orthodoxen Typus der „Trennung“) – eine Charakterisierung, die schematisch wirkt, aber heuristischen Wert besitzt, um Tillichs Position deutlicher zu konturieren. Ausgangspunkt für seine Tillich-Deutung ist für Na die „sacramental view of reality“ bei Tillich, die ihren Hintergrund in der Philosophie Schellings habe.52 „Tillich’s new vision of the nature of preaching is based on his view of the relation of the finite and the finite [sic!, sc. infinite], that is, spiritual (sacramental) view of reality.“53 Diese sakramentale Deutung der Wirklichkeit bildet die Abgrenzung nach der Seite eines liberalen Naturalismus wie eines neo-orthodoxen Su51 52

53

H. S. Na 1996, 1–3. H. S. Na 1996, 7. Diese Sichtweise steht im Gegensatz zu der von Robert W. Duke vorgebrachten Deutung von Tillichs Homiletik als existenzialistischem Predigttypus (ebd., 6). Na stützt sich dabei auf die Arbeit von Ulrich Reetz „Das Sakramentale in der Theologie Paul Tillichs“ (1974), der in der sakramentalen Wirklichkeitsschau den Rahmen für Tillichs gesamtes Denken sieht. H. S. Na 1996, 88.

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pranaturalismus und hat grundlegende Bedeutung für Tillichs Theologie der Predigt, da sie die Prinzipien von Anpassung und Trennung korreliert.54 Na teilt mit Tillich das Bewusstsein einer homiletischen Krise, die darin besteht, dass angesichts des Säkularismus die christliche Botschaft in ihrer bisherigen Form an Relevanz verloren hat. Die Symptome der Irrelevanz der christlichen Botschaft stellt Na anhand Tillichs Earl Lectures vor, die ihm in noch unveröffentlicher Form vorlagen. Nach ausführlicher Darstellung von Tillichs Ontologie kommt Na zu dem Ergebnis, „… that the really real or the ultimate is mediated in and through the finite. By these concepts, Tillich suggests the way to correlate the finite and the ultimate in the way in which the finite becomes the symbol or sacrament of the ultimate.“55 Der Ort, an dem das Endliche vom Grund und Abgrund des Seins durchbrochen wird, ist die Situation der Grenze (boundary-situation), in der das Endliche zugleich negiert und affirmiert wird. Na fasst die Bedeutung von Tillichs Begriff der Grenzsituation für die Homiletik folgendermaßen zusammen: „‘Boundary-situation,’ in other words, indicates the time and place in which the human being is confronted, penetrated or grasped by the ultimate, or in which the finite is transformed into the theonomous (sacramental) reality or the Gestalt of grace in and through which the ultimate being and meaning is mediated. The task of preaching in Tillich’s theological system is to lead the hearer to this tension-filled structure of theonomy–the boundary situation; it is to help people to be grasped by the ‘depth,’ ‘the really real,’ or the ‘transcending meaning of life.’ It is to make everything finite (nature, culture, history and the human being and community) the sacrament of the mystery. In Tillich’s ontological terms, preaching is to transform beings into the symbol in which the ground and abyss of being is breaking through. It is to reveal the theonomous meaning of time and space.“56

Nach der Analyse von Na geht es also nicht nur um eine religiöse Interpretation der Situation als Aufgabe der Predigt (A. Rössler)57, sondern um die Ermöglichung des „Durchbruchs“ des Unbedingten im Bedingten, d. h. es geht um Transformation, nicht nur um Interpretation. In der Darstellung von Na ist es nach Tillich die Aufgabe der Predigt, die göttliche Dimension der endlichen Wirklichkeit als der 54 55 56 57

H. S. Na 1996, 9–10. Vgl. dazu weiter unten meine Analyse der Predigttrilogie „Der Theologe.“ H. S. Na 1996, 138. H. S. Na 1996, 140. H. S. Na kannte die Arbeit von A. Rössler nicht.

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Neuen Realität zu vermitteln (mediate).58 D. h. nicht innerhalb (within) der Erfahrung (Schleiermacher) und auch nicht oberhalb (above) der Erfahrung (Barth), sondern in und durch die Erfahrung wird das Wort Gottes als Inhalt der Predigt vermittelt.59 Nach Na ist „Tillich’s ideal of preaching […] to express and transform the finite into sacramental reality.“60 Tillich wende die Hermeneutik des Expressionismus als lebendiger Begegnung mit der Wirklichkeit, die Symbole des Unbedingten hervorbringt, auch auf seinen Umgang mit der Bibel an: „For Tillich, the Bible is an expressionistic picture, expressing the really real, and thus, becoming symbols of the ultimate.“61 In diesem Sinn verstehe auch Tillich das Bild Jesu als des Christus als expressionistische Darstellung der Apostel. „The apostels are considered to be expressionistic painters.“62 Analog dazu versteht Na die Aufgabe des Predigers bei Tillich im Sinne eines expressionistischen Künstlers, der die Alltagserfahrungen seiner Hörer in Symbole des Unbedingten umwandelt.63 In dieser Deutung fasst Na Tillichs Methode der Korrelation, der „deliteralization,“ des ‚geistlichen Gebrauchs des Endlichen‘ oder der ‚symbolischen Interpretation‘ zusammen.64 Auf diese Weise kommt Na zu der Aussage im Blick auf die meistdiskutierte Methode der Korrelation bei Tillich: „The answer is nothing other than the question which is grasped and penetrated by the ultimate.“65 Aufgrund seiner Darstellung der homiletischen Bedeutung der Tillich’schen Ontologie und des Begriffes der Grenzsituation sowie der expressionistischen Hermeneutik, stellt Na sechs Predigten Tillichs dar66 , deren „Analyse“ im Wesentlichen darin besteht, dass Na herausarbeitet, wie Tillich ausgehend von Alltagserfahrungen (Affirmation) und durch deren Vertiefung auf ihren transzendenten Grund hin die Hörer in die Erfahrung der Grenzsituation (Negation) zu führen sucht, in der der Durchbruch des Unbedingten geschehe als bedingungslose 58 59 60 61 62 63 64 65 66

H. S. Na 1996, 358. H. S. Na 1996, 358–359. H. S. Na 1996, 138. H. S. Na 1996, 359–360. H. S. Na 1996, 359. Na 1996, 360. H. S. Na 1996, 360. H. S. Na 1996, 360. Darin stimmt Na indirekt mit dem Urteil Oswald Bayers überein (vgl. Abschnitt 3.1.3). Obwohl Na die Analyse von acht Predigten ankündigt (Na 1996, 305) handelt es sich nur um die folgenden sechs Predigten: 1) The Shaking of the Foundations, 2) Escape from God, 3) The Depth of Existence, 4) To Whom much is forgiven, 5) Loliness and Solitude und 6) In Everything Give Thanks.

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Affirmation. In dem Predigtaufbau, der bei Tillich idealerweise in dieser dreigliedrigen Struktur von Ja-Nein-Ja besteht, sieht Na Tillichs „… ideal of the expressionistic style of painting in which the surface is broken, so that the depth is mediated“ reflektiert.67 Schließlich sieht Na die Bedeutung von Tillichs Theologie der Predigt in der „cosmological dimension of the preaching,“ wonach der Mensch zum Priester werde, der die göttliche Dimension der Natur vermittle.68 Dies sei ein Aspekt in Tillichs sakramentalem Wirklichkeitsverständnis, der in der Konsequenz der Homiletik auch ökologische Bedeutung zukommen lasse.69 Die Arbeit von Hyung Suk Na, ausgehend von Tillichs sakramentalem Wirklichkeitsverständnis und dem Begriff der Grenzsituation, macht in ihrer originellen wie plausiblen Anwendung expressionistischer Kunsttheorie auf die Deutung von Tillichs Theology of Preaching in besonderer Weise deutlich, wie sehr Tillichs Theologie und Predigttheorie kontextuell arbeitet und für eine kontextuelle Homiletik auch über den Kontext ihrer Entstehung hinaus anregend sein kann, indem sie ein Modell bietet, wie Situation (Kontext) und Botschaft aufeinander bezogen werden können. Zum Abschluss seiner Arbeit weist Na darauf hin, wie Tillichs Predigttheorie die Rahmenbedingungen für eine koreanisch-kontextuelle Homiletik bieten könnte. Allerdings ist zu fragen, ob Na nicht allzu unkritisch Tillichs Ontologie rezipiert, ohne sich deren (theologische wie philosophische) Schwierigkeiten bewusst zu machen. Es bleibt offen, ob Tillichs sakramentales Wirklichkeitsverständnis eine überzeugende Alternative zum Säkularismus bieten kann. Ebenso verzichtet Na auf eine kritische Reflexion der homiletischen Umsetzung des Begriffs der Grenzerfahrung. Auch der apologetische70 und seelsorgliche Charakter von Tillichs Predigten kommen in der Analyse von Na nicht zum Tragen.

4.2.6 William Carl Bergmann – Apologetic Preaching Die bislang letzte größere Arbeit zu Tillichs Predigttheorie von William Carl Bergmann entstand ebenfalls in den USA. Bergmann arbeitet die Grundzüge von Tillichs Theologie anhand seines apologetischen Predigttypus heraus und fragt nach den sich daraus für gegenwärtige 67 68 69 70

H. S. Na 1996, 362. H. S. Na 1996, 363. H. S. Na 1996, 364. Die Arbeit von W. T. Sanders 1983 erwähnt H. S. Na nicht!

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Predigt ergebenden homiletischen Impulsen. Bergmann bezieht sich (ebenso wie H. S. Na) auf die amerikanischen Predigten71, die er anhand der beiden theoretischen Texte interpretiert, in denen Tillich seine Predigttheorie formuliert hat („Communicating the Christian Message“ von 1952 und die „Earl Lectures“ von 1963 „The Irrelevance and Relevance of the Christian Message“). Allerdings unterlässt er es, diese beiden Texte im Einzelnen vorzustellen, und setzt sie stillschweigend voraus. Fälschlicherweise bezeichnet er den Aufsatz von 1952 als ersten Text, in dem sich Tillich zu seiner Predigttheorie äußerte.72 Insbesondere der Aufsatz über die „Protestantische Verkündigung“ von 1928 (auf den sich auch H. S. Na stützt), wäre für Bergmann aufschlussreich gewesen, da Bergmann (ebenso wie Na) das Konzept der „Grenzsituation“ als für Tillichs Predigtverständnis zentral würdigt. Da Bergmann (wie auch W. T. Sanders) jedoch die „Grenzsituation“ nicht in Tillichs Lebensphilosophie verortet, wie H. S. Na es tut, greift seine Interpretation wesentlich zu kurz. Die schmale Quellengrundlage zeigt sich auch an der scharfen, wenn auch in gewissem Maß nicht ganz unberechtigten Kritik, der er die Arbeit von A. Rössler unterzieht: „Rösslers examination, which addressed issues unique to German homiletics […] impose a foreign structure upon Tillichs preaching.“73 Und da Bergmann die methodische Grundentscheidung getroffen hat, die Predigten Tillichs „from an exclusively North American point of view“ zu untersuchen, 74 findet die deutschsprachige Literatur keine Berücksichtigung (ebensowenig wie bei W. T. Sanders). Die Betonung des nordamerikanischen Kontextes der späten Predigten Tillichs ist berechtigt und führt zu wesentlichen Einsichten (z. B. der Betonung der Ermöglichung einer Entscheidung für oder gegen die christliche Botschaft als Ziel der Kommunikation des Evangeliums, wie Bergmann mehrmals aufgrund des Textes von 1952 betont75). Al71 72 73 74 75

In der Arbeit analysiert er folgende Predigten: „Yor are Accepted“, „The Shaking of the Foundations“, „The New Being“ und den unveröffentlichten Buchanan-Sermon. W. C. Bergmann 2001, viii und 15. Dass Bergmann die Tillich-Aufsätze von 1913 und 1928 nicht zur Kenntnis nahm, stellt ein Defizit dieser Arbeit dar. W. C. Bergmann 2001, 6–7. W. C. Bergmann 2001, 6. W. C. Bergmann 2001, viii. In dieser Betonung sieht Bergmann den entscheidenden Unterschied zu den bisherigen Arbeiten über Tillichs Predigttheorie: „In the plethora of studies on Paul Tillich, there are only three specific examinations of his preaching enterprise. However, all three neglect Tillich’s fundamental understanding that the purpose of preaching is to communicate the Christian message in order that a decision can be made for or against it“ (W. C. Bergmann 2001, 5). Trotz der eindeutigen Textbezeugung bei Tillich fehlt dieser Aspekt auch in den bisher spärlichen deutschsprachigen Beiträgen.

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lerdings entsteht so kein umfassendes Bild von Tillichs Predigttheorie, und der historisch-genetische Aspekt fehlt ganz. Diese methodische Selbstbeschränkung wirkt sich insbesondere auf das Reflexionsniveau der gebotenen Predigtanalysen aus. Auch der Mangel an rhetorischer Analyse der Predigten ist bei Bergmann zu beobachten. Bergmann kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Tillichs Predigttheorie im Wesentlichen aus drei Komponenten besteht:76 1) der Betonung der „boundary experience“, 2) der Vermeidung traditioneller biblischer und theologischer Begrifflichkeit in der Kommunikation christlicher Grundkonzepte, und 3) dem Gebrauch der Methode der Korrelation von existenzieller Frage und Antwort aus der christlichen Botschaft. Insbesondere die Betonung der Grenzerfahrung macht Bergmann ausführlich aus der Biographie Tillichs plausibel, allerdings ohne den philosophischen Hintergrund des Tillich’schen Begriffes der „Grenzsituation“ in der Dialektik des positiven Paradoxes zur Kenntnis zu nehmen. Als Prediger auf der Grenze ist Tillich aber gleichzeitig auch Brückenbauer. Das apologetisch motivierte Bemühen Tillichs um eine neue Sprachgestalt illustriert Bergmann an der Predigt „You are Accepted,“ ohne diese jedoch eingehend zu analysieren. Anhand der Predigten „Shaking of the Foundations“ und „The New Being“ entfaltet er den Gebrauch der Korrelationsmethode in den Predigten. Schließlich macht der „Buchanan-Sermon“ aus dem Jahr 1942, den Tillich zur Ordination des Militärgeistlichen Buchanan hielt, deutlich, wie der Prediger, der in zwei Ordnungen lebt, die Korrelation zwischen christlicher Botschaft und existenzieller Situation in der eigenen Person als Spannung leben müsse. Diese Beobachtung konvergiert mit der von C. H. Ratschow von der „wechselseitigen Auslegung von Persönlichem und Öffentlichem“ bei Tillich.77 Bergmann betont, wie Tillich nicht über seine Erfahrungen, sondern aus seiner eigenen Erfahrung als Feldgeistlicher spricht und fasst zusammen: „This is a key element in his notion of the preacher’s participation in the life situation of others because he/she is always ‘on the boundary’, maintaining the tension between the temporal situation and the eternal message.“78 76 77 78

W. C. Bergmann 2001, ix und 188–190. C. H. Ratschow 1986, 143. W. C. Bergmann 2001, 186. An diesem Zitat zeigt sich auch die sehr verkürzte Interpretation von Tillichs Begriff der Grenze, der allerdings auch bei Tillich selbst sehr vielschichtig ist.

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Wesentliche Punkte, die wir von Tillich lernen können, sind nach Bergmann das enge aufeinander Bezogensein von systematischer Theologie und Homiletik, die Notwendigkeit einer Methodologie für eine effektive Kommunikation der christlichen Botschaft sowie die Notwendigkeit der Spannung zwischen „existenzieller“ Form und „ewigem“ Gehalt des Predigens.79

4.2.7 Erdmann Sturm – Zwischen Apologetik und Seelsorge (Tillichs frühe Predigten) In seinem 1999 veröffentlichten Aufsatz „Zwischen Apologetik und Seelsorge – Paul Tillichs frühe Predigten (1908–1918)“ behandelt der Herausgeber der frühen Predigten in GWE VII, Erdmann Sturm, Tillichs Frühpredigten.80 Nach einer Einführung in den biographischen und akademischen Hintergrund Tillichs zur Entstehungszeit der Predigten, bei dem Sturm v. a. auch auf das von Tillich verfasste Memorandum „Kirchliche Apologetik“ eingeht, stellt der Verfasser aus jeder der sechs frühen Phasen bzw. Stationen Tillichs eine bis mehrere Predigten vor. Bereits die Examenspredigt (1908) zu 1 Kor 3, 21–23 kann Sturm als „Predigt über die apologetische Aufgabe des Predigers oder des Predigens“ nennen, in der man die apologetische Methode resp. eine Vorform der Korrelationsmethode erkennen kann, indem Tillich menschliche Frage und göttliche Antwort aufeinander beziehe.81 Da die Lichtenrader Predigten (1909) in die Passions- und Osterzeit fallen, sind sie inhaltlich dadurch bestimmt.82 Zentrale Themen sind das Kreuz, Sünde, Gericht und Gnade, sowie Natur und Geist– Themen, die auch in den späten Predigten wiederkehren. Sturm bemerkt den seelsorglichen Charakter dieser Predigten, die im Blick auf ihr Reflexionsniveau durchaus mit den späten Religiösen Reden mithalten können.83 79 80

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83

W. C. Bergmann 2001, 188. E. Sturm 1999, 241–268. Wenn auch nicht als erster überhaupt (Sturm nahm die Arbeit von A. Rössler nicht zur Kenntnis), so doch zum ersten Mal in veröffentlichter Form und einer größeren Öffentlichkeit zugänglich. E. Sturm 1999, 253–254. Auch wenn sich Tillich nicht an die Perikopenordnung hält, sondern bereits in der Frühzeit biblische Texte bestimmten Themen zuordnet (E. Sturm 1999, 257), orientiert er sich jedoch in den Frühpredigten am Kirchenjahr. Das trifft für die späten Predigten nicht mehr zu und markiert einen wesentlichen Unterschied. Ein Verzeichnis der „Predigten nach den Zeiten und Festen des Kirchenjahres“ findet sich in GW VII, 681. E. Sturm 1999, 256.

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In den insgesamt 17 erhaltenen Predigten aus der Zeit des Vikariats in Nauen (1911–1912),84 in denen sich auch eine Reihe von Psalmenauslegungen befinden, treten die Themen Gottesgewissheit, Gebet und Vergänglichkeit in den Vordergrund. Unter explizitem Bezug auf Jakob Böhme (die Welt als Leib Gottes) finden sich naturmystisch-monistische Aussagen, die den gemeinsamen Grund aller Menschen in Gott betonen. „Im Grunde geht es Tillich in allen Predigten um den Aufweis der Gemeinschaft mit Gott und der Teilhabe am Ewigen in der Zeit.“85 In diesem Urteil von E. Sturm zeigt sich die Kontinuität zum späten Tillich sehr deutlich (die hier gegebenen Stichworte werden uns als common ground und participation noch mehrmals begegnen). Angesichts der Vergänglichkeit seien die Nauener Predigten schwermütig gestimmt, enthielten aber auch den Blick auf die ewige göttliche Liebe. „So ist alles Vergängliche nur ein Gleichnis des Ewigen.“86 Einen wieder anderen Charakter haben die Predigten aus der Zeit Tillichs als Hilfsprediger in Moabit (1912–1913). In dieser Zeit wird Tillich in der großen Industriearbeitergemeinde zum ersten Mal mit der sozialen Frage näher konfrontiert. In diese Zeit fallen aber auch die Vernunftabende, mit denen sich Tillich apologetisch an die Gebildeten wendet. Auch die Predigten aus dieser Zeit wenden sich an Gebildete. In einem Notizbuch findet sich ein Eintrag, datiert auf den 15. 7. 1912 (Anfang der Moabiter Zeit), mit einer Themenliste: „Die Angst,“ „Todessehnsucht und Todesfurcht,“ „Gott und das Leiden,“ „Gott und das Sterben,“ „Gott und die Sünde,“ „Der Wille zur Größe,“ „Die Verzweiflung des Denkens,“ „Die Kraft,“ „Der Einzelne und sein Unrecht,“ „Die vielen und die Masse“ und „Abgründe und Übergänge.“87 Zu den Themen wählte Tillich jeweils passende Bibeltexte aus. Sturm macht auf die Diskrepanz zwischen der proletarisch geprägten gesellschaftlichen und kirchlichen Situation in Moabit und der von Naturromantik geprägten Bildungsbürgerlichkeit Tillichs aufmerksam, wie sie sich in den Themen und Predigten zeige. E. Sturm charakterisiert die Moabiter Predigten: Sie „wollen Apologetik im Sinne von intellektueller Seelsorge sein“.88 84 85 86 87 88

Das Predigtheft aus dem Frühjahr 1912 ist verschollen (E. Sturm 1999, 256 Fn. 22). E. Sturm 1999, 257. E. Sturm 1999, 258. E. Sturm 1999, 259 (Fundort Paul Tillich Archiv Andover-Harvard). E. Sturm 1999, 260. Offensichtlich konnte sich Tillich damals nicht auf die Situation der Arbeiter einlassen; sein (auch primär theoretischer) Beitrag zum Religiösen Sozialismus ist im Wesentlichen auf die Zeit zwischen 1919 und 1933 beschränkt. In der „Kirchlichen Apologetik“ weist er diese Aufgabe der „Inneren Mission“ zu. Allerdings engagierte sich Tillich nach seiner Emigration in die USA als Vorsitzen-

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Die größte Gruppe der frühen Predigten bilden die Feldpredigten aus den Jahren 1914–1918. Tillich hatte sich freiwillig gemeldet und war mit einer sog. überetatmäßigen Stelle als Feldgeistlicher während des gesamten 1. Weltkrieges an der Westfront im Einsatz. In dieser Funktion hatte Tillich, der der Heeresleitung verantwortlich war, nach E. Sturm vier kriegsrelevante Aufgaben: 1) Gottesdienste zu halten, in denen die Siegeszuversicht gestärkt wurde; 2) im Fall des „Murrens“ der Soldaten zum Durchhalten zu motivieren; 3) Niederlagen religiöstheologisch zu deuten und schließlich 4) angesichts des Todes zu trösten und Sinn zu vermitteln.89 Nach Sturm zeigen die Feldpredigten eine „Kriegstheologie auf hohem Reflexionsniveau“.90 Vor allem aber wollten diese Predigten durch religiöse Sinndeutung der zunehmend ausweglosen Situation Seelsorge und Trost sein.91 Allerdings, so muss man anhand der Kriegspredigten auch sagen, hat Tillich dabei auch die Grenze zu dem überschritten, was er später als das Dämonische oder als Götzendienst beschrieben hat, 92 und vielleicht spielt gerade dieser biographische Hintergrund eine Rolle für das von ihm formulierte „Protestantische Prinzip“. Wie hat Tillich, der sich in patriotischer Begeisterung freiwillig als Feldgeistlicher gemeldet und ganz im Sinn der Heeresleitung gewirkt hatte, nach Niederlage und Zusammenbruch gepredigt?93 Leider sind nur zwei ausführlichere Predigtskizzen aus dieser Zeit erhalten. Die erste Predigt beschreibt in einem ersten Teil das, was zusammengebrochen ist und antwortet darauf im zweiten Teil mit dem, was fest bleibt, nämlich Gott, „unsere Zuflucht“, wobei noch ein ungebrochener Vorsehungsglaube zum Ausdruck kommt. Angesichts der bedrohlichen äußeren Situation sucht Tillich den Weg in die Innerlichkeit: „Mit dem Ewigen können wir eins werden. Wir müssen uns zurückziehen in unsere Seele, dort allein den festen Punkt suchen, dort allein spricht Gott ganz zu uns.“94 E. Sturm weist auf den seelsorglichen Charakter und die Strukturanalogie zu der Predigt The Shaking of the Founda-

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93 94

der der „Selfhelp“ auch praktisch-diakonisch für die aus Deutschland kommenden Emigranten (vgl. dazu GW XIII, 220 und 570–572). E. Sturm 1999, 262. E. Sturm 1999, 264. E. Sturm 1999, 266. Vgl. A. Rössler 1971, 163. E. Sturm erklärt Tillichs Kriegstheologie, wie sie in den Predigten zum Ausdruck kommt, aus seiner Rolle als Feldprediger und vermeidet ein Urteil darüber. Vielmehr stellt er die seelsorgliche Intention in den Vordergrund. Von Ende Juli bis Mitte Dezember 1918 (Kriegsende mit Waffenstillstand am 11. 11. 1918) predigte Tillich in der Militärkirchengemeinde in Spandau. P. Tillich zitiert bei E. Sturm 1999, 267.

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tions hin, die Tillich in ähnlicher geschichtlicher Situation nach dem 2. Weltkrieg hielt.95 Im zweiten Spandauer Predigtentwurf behandelt Tillich das Thema des Zusammenhangs von Schuld und Strafe (gehalten am Buß-und Bettag zwei Wochen nach der Revolution am 9. 11. 1918). In der Predigt will Tillich (vorschnell?) den Blick von der Vergangenheit weg und auf die Zukunft hin orientieren: „Die Leidenden sollen nicht fragen: ‚Womit habe ich das verdient?‘, sondern: ‚Welche Kräfte soll das Leid in mir auslösen?‘“96 Den Schluss der Predigt bildet ein Hinweis auf das Gebet als Ausweg in jeder Situation („Für alles ein Weg: das Gebet“).97 Der Durchgang durch die Predigten aus diesem Lebensjahrzehnt Tillichs macht, wie E. Strum zeigt, deutlich, dass vor allem die apologetische und seelsorgliche Intention den Charakter der Predigten bestimmen. Dabei werden bereits Grundzüge der späten Predigten sichtbar.98 Tillich nimmt insbesondere die existenzielle (Anfechtungs-)Situation der Hörer ernst, bringt sie zum Ausdruck und sucht sie sub specie aeternitatis zu deuten. Die „Quintessenz aller frühen Predigten Tillichs“ sieht E. Sturm in folgender Gedichtstrophe, die Tillich in einer Feldpredigt zitiert: „Ewigkeit, in die Zeit scheine hell hinein, daß uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine, sel’ge Ewigkeit.“99 Die frühen Predigten, mit deren Edition sich E. Sturm ein großes Verdienst erworben hat, bieten einen tiefen Einblick in die Entwicklung des Predigtstiles sowie der persönlichen religiösen und theologischen Entwicklung des frühen Tillich. Man darf wohl zu Recht behaupten, dass es sich bei Tillichs Frühpredigten um ein beeindruckendes Dokument der evangelischen Frömmigkeitsgeschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts handelt, das noch ein lohnendes Feld für die Forschung bietet–nicht nur für die Tillich-Exegese. 95 96 97 98

99

E. Sturm 1999, 267. E. Sturm 1999, 267. Damit stellt Tillich eine in der an den Ressourcen orientierten Seelsorge und in der Resilienzforschung entscheidende Frage. Zitiert nach E. Sturm 1999, 267. Auch A. Rössler konstatiert im Blick auf die Analyse der frühen Predigten: „Tillich hat in den Jahren 1919–1965 seine theologische Grundposition kaum gewandelt, bei allen Akzentverschiebungen im Einzelnen. Die Analyse der Predigten, die er in seinen ‚Vorbereitungsjahren‘ von 1909 bis 1918 gehalten hatte, hat gezeigt, daß sich Tillichs spätere systematische und homiletische Konzeption von Anfang an abzeichnete und sich in kontinuierlicher Entwicklung profilierte und präzisierte. Tillich hat also Impulse, Fragestellungen und Motive aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg festgehalten und in die weitere theologische Diskussion eingebracht“ (A. Rössler 1971, 163). Es handelt sich um die vierte Strophe des damals noch nicht im Gesangbuch enthaltenen Liedes „Brich herein, süßer Schein selger Ewigkeit!“ von Marie Schmalenbach.

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4.3 Analyse homiletisch relevanter Texte Paul Tillichs 4.3.1 Vorbemerkung Im Überblick über die Forschungsgeschichte, mit dem ich das Diskursfeld im Kontext amerikanischer und deutscher Tillich-Forschung erstmalig dargestellt und abgesteckt habe, eröffnete sich zugleich ein Zugang zu zentralen Themen von Tillichs Predigttheorie: das apologetische und seelsorgliche Anliegen, die Bedeutung der Grenzerfahrung, die Durchführung der Korrelationsmethode, das „mystische Apriori“ und die Neuformulierung zentraler christlicher Termini, um nur die wichtigsten zu nennen. Als Desiderata blieben primär eine Synopse der unterschiedlichen (meist unter systematisch-theologischer Perspektive behandelten) Aspekte und eine im Gesamtwerk Tillichs (auch biographisch) verortete Darstellung der impliziten Homiletik Tillichs sowie vor allem eine gründliche rhetorisch-homiletische Detailanalyse von Predigten. Im Folgenden gebe ich zunächst eine diachrone Übersicht über Texte Tillichs zur „praktischen Apologetik“ (wie Tillich sie nannte), die für seine Predigttheorie grundlegend sind und die in der bisherigen Forschung sehr selektiv herangezogen wurden. Dadurch werden Kontinuität und Akzentverschiebungen in der Entwicklung von Tillichs impliziter Homiletik sichtbar. Der Fokus soll dabei auf der Analyse der kommunikativen Strategien in Tillichs Predigttheorie liegen. Aus der deutschen Zeit handelt es sich um den Vortrag „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ von 1928.100 Aus der amerikanischen Schaffensphase stammen zunächst die Predigttrilogie „The Theologian“, die ich auf die darin von Tillich explizit reflektierte Kommunikationsstrategie hin analysiere. Der Aufsatz „Communicating the Christian Message: A Question to Christian Ministers and Teachers“ von 1952 und die erst 1996 veröffentlichten Earl Lectures „The Irrelevance and Relevance of the Christian Message“ aus dem Jahr 1963 bilden die zwei theoretischen Basis-Texte. Diese Quellenanalyse, die ich durch Querverweise auf das Gesamtwerk Tillichs an gegebener Stelle ergänze, bietet eine solide Grundlage für die Erarbeitung der grundlegenden Aspekte in Tillichs Predigttheorie, die neben den Konstruktionsprinzipien seiner philosophischen Theologie und seines Glaubensbegriffs die Voraussetzung für eine adäquate Analyse ausgewählter Predigten bietet. 100

Der grundlegende (erst 1972 veröffentlichte) Text „Kirchliche Apologetik“ von 1913 wurde bereits in Abschnitt 3.1.1.1 vorgestellt.

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4.3.2 Protestantische Verkündigung „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ ist ein neben der „Kirchlichen Apologetik“ für die Predigttheorie Tillichs grundlegender Aufsatz.101 Zwischen beiden Texten liegen fünfzehn Jahre, die v. a. durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und die radikalen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen infolge des Zusammenbruchs geprägt sind. Inzwischen ist Tillich Professor für Religionswissenschaft und Sozialphilosophie in Dresden (1925–1929) und Honorarprofessor für Systematische Theologie in Leipzig (1927– 1929); eine gewisse kirchliche Entfremdung hat bereits stattgefunden, und es ist auch die „predigtlose“ Zeit Tillichs. Aber trotzdem beschäftig ihn nach wie vor die Frage nach einer relevanten Verkündigung der christlichen Botschaft. Das Bewusstsein der homiletischen Krise als Ausgangsbedingung für die Forderung der Apologetik hat sich seit 1913 vertieft und verschärft – der Säkularismus tritt als Problem in den Vordergrund. Neben einer homiletischen Situationsanalyse enthält der Vortrag bereits Überlegungen zur Neuinterpretation der christlichen Botschaft insbesondere der Rechtfertigungslehre102, wichtige Ausführungen zum Begriff der „Grenzsituation“103 und deren homiletischer Relevanz und v. a. drei Grundforderungen an die protestantische Verkündigung, die ein Schema des Predigtaufbaus darstellen. Wie in kaum einem anderen Text wird hier das Bemühen um die kontextuelle (auch wenn Tillich diesen Begriff noch nicht gebraucht hat) Kommunikation der christlichen Botschaft in einer sich radikal gewandelten geschichtlichen und geistigen Situation greifbar. Zunächst definiert Tillich den „Menschen der Gegenwart“ mit seiner prägnanten Formel: „Er ist der autonome Mensch, der in sei101

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Diesen Vortrag hielt Tillich auf der Aarauer Studentenkonferenz im März 1928 und wurde zuerst in „Religiöse Verwirklichung“ veröffentlicht. Ich beziehe mich im Folgenden auf die überarbeitete deutsche Rückübersetzung aus dem Amerikanischen, wie sie in GW VII, 70–83 wiedergegeben ist. So bereits in dem wirkungsgeschichtlich wichtigen Aufsatz von 1924 „Rechtfertigung und Zweifel“ MW 6, 84–97 = GW VIII, 85–100. Der Begriff der Grenzsituation wurde von Karl Jaspers 1919 („Psychologie der Weltanschauungen“) eingeführt, in dessen Philosophie er eine zentrale und bei Tillich vergleichbare Stellung einnimmt. Mit W. Schüssler (TS 1, 63) vermute ich, dass Tillich den Begriff der Grenzsituation von Jaspers übernommen hat. Bei Jaspers, der sich ebenfalls vom späten Schelling inspirieren ließ, wird durch die Grenzsituation der Sprung zur wahren Existenz ermöglicht. Auch Jaspers geht es um die umgreifende Einheit jenseits von Subjekt und Objekt. Inwieweit das mehr ist, als eine Strukturanalogie zu Tillich, kann hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein. In der bisherigen Literatur ist diese Parallele noch kaum beachtet worden.

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ner Autonomie unsicher geworden ist.“104 Diese Unsicherheit mache sich in einer Indifferenz gegenüber Weltanschauungen und kirchlicher Verkündigung bemerkbar. Eine Möglichkeit, dieser Unsicherheit zu entkommen, wäre die Rückkehr in die Heteronomie, wie sie besonders durch die katholische Kirche repräsentiert werde, die trotz Verkrustungen ihre geistige Substanz bewahrt habe. Gerade deshalb übe sie einen „starken Zauber“ auf den Menschen der Gegenwart aus.105 Dass sich der moderne Mensch dennoch nicht in die Heteronomie zurück begibt, hat seinen Grund in dem „Erlebnis der menschlichen Grenzsituation, oder der unbedingten Bedrohtheit des menschlichen Seins …“106 Tillich stellt die These auf: „Das Protestantische am Protestantismus ist und muß immer sein die Verkündigung der menschlichen Grenzsituation, der unbedingten Bedrohtheit des menschlichen Seins.“107 Der moderne Mensch sei aufgrund seiner gebrochenen Autonomie bereit, diese Botschaft zu akzeptieren und auf jegliche Sicherung zu verzichten. Tillich sieht im Verständnis des „Menschen der Gegenwart,“ wie er es zeichnet, eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem Proprium protestantischer Verkündigung, das er auf den Begriff der „Grenzsituation“ bringt, und kontrastiert es mit Tendenzen religiöser und säkularer Sicherungsversuche. Damit will er die Rechtfertigungslehre, die unverständlich geworden sei, wieder verständlich machen und neu formulieren, denn bei der Rechtfertigungslehre geht es nach Tillich um „das menschliche Problem überhaupt.“108 Tillich fasst nun den Begriff der Grenzsituation genauer: „Die menschliche Grenzsituation ist da erreicht, wo die menschliche Möglichkeit schlechthin zu Ende, die menschliche Existenz unter eine unbedingte Bedrohung gestellt ist.“109 Dieses Ende der menschlichen Möglichkeit besteht nach Tillich nicht im Tod, sondern in der Verzweiflung. In der Verzweiflung erfährt der Mensch seine Freiheit von 104 105 106 107 108

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GW VII, 70. GW VII, 71. GW VII, 73. GW VII, 73. In diesen Aussagen reflektieren sich deutlich die Erfahrungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. GW VII, 74. „Was anderthalb Jahrhunderte lang einer gar nicht fernen Vergangenheit alle Häuser und Werkstätten, alle Märkte und Dorfschenken Deutschlands erfüllte, das ist jetzt selbst den Spitzen der geistigen Bildung kaum mehr zugänglich. Ein Abbruch der Tradition ohnegleichen liegt hier vor“ (ebd.). Bereits 1924 macht Tillich in dem Vortrag „Rechtfertigung und Zweifel“ auf die allgemeine Unverständlichkeit der Rechtfertigungslehre aufmerksam, wobei es ihm um deren Kommunikabilität als reformatorisches „Durchbruchsprinzip“ angesichts des Verlusts ihrer Voraussetzung der „Gottesgewissheit“ geht (MW 6, 84–85). GW VII, 74.

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seiner vitalen Existenz als Zwiespalt. Er kann seine vitale Existenz affirmieren oder negieren. Er ist frei, sich zu entscheiden und steht unter dem unbedingten Anspruch, „das wahre Sein zu erfassen, das Gute zu verwirklichen.“ Und da dieser Anspruch nicht erfüllt wird, wird der Mensch nach Tillich in einen Zwiespalt getrieben, für den auch der Tod keine Lösung biete. An dieser Stelle führt Tillich die Begriffe des Nicht-Seins und des unbedingten Sinns in die Beschreibung der Grenzsituation ein: „Der Ort, wo das Nicht-Sein im unbedingten Sinn droht, der Ort, wo unsere ganze Existenz vor dem Nicht-Sein steht, ist die menschliche Grenzsituation.“110 Bereits in der drei Jahre früher (1925) veröffentlichten Religionsphilosophie hat Tillich definiert: „Religion ist die Richtung des Geistes auf den unbedingten Sinn …“111 Und: „Die Unbedingtheit des Sinnes ist aber nicht selbst ein Sinn, sondern sie ist der Sinngrund.“112 Der Mensch erscheint eingespannt zwischen die beiden Pole abgründiger Sinnlosigkeit und dem Sinngrund. Die Schellingsche Trias von Sein, Nichtsein und Übersein wird auf den Sinnbegriff übertragen als Sinn, Sinnlosigkeit und Übersinn. Der Begriff des Paradoxes, den Tillich in der Kirchlichen Apologetik auf die Rationalität angewandt hat, ist auch auf den Sinnbegriff zu beziehen. So kann im Anschluss an Tillich formuliert werden: Dort wo der Mensch radikal nach Sinn sucht (was seiner Natur als geistigem Wesen entspricht, denn nach Tillich ist jeder geistige Akt ein Sinnakt113), dort stürzt er in den Abgrund der Sinnlosigkeit, „wenn er nicht im Christentum sein Fundament findet.“114 Der Begriff der Richtung in diesem Zusammenhang deutet auf eine Bewegung, einen intentionalen Akt des menschlichen Geistes, der nach Sinn angesichts existenzieller Sinnfrustration sucht, die als Drohung des Nichtseins von Tillich gedeutet wird. So, wie das Nichtsein nach Tillich das Sein-Selbst erschließt, so erschließt sich der Sinn paradoxerweise in der Grenzerfahrung der Sinnlosigkeit als absoluter Sinn. Die sinntheoretische Begründung von Religion bei Tillich (wie sie U. Barth herausgestellt hat) sei hier angemerkt. Sie findet sich allerdings bereits bei Ludwig Feuerbach (vgl. Abschnitt 3.2.2 dieser Arbeit). Auf diesem Hintergrund ist es das Anliegen Tillichs, die Bedeutung der Rechtfertigungslehre und deren Relevanz durch deren Neu110 111 112 113 114

GW VII, 76. GW I, 329; vgl. auch die entsprechenden Stellen der Dogmatik-Vorlesung GWE XIV. GW I, 319. GW I, 318. MW 6, 49.

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formulierung für den so beschriebenen Menschen der Gegenwart zu artikulieren. Bildet für Tillich die Verzweiflung existenzieller Sinnfrustration den negativen Hintergrund, so besteht die positive Seite in der Rechtfertigungslehre als „… das Ja über den Menschen da, wo diese Bedrohtheit anerkannt wird.“115 Aus dem Gesagten zieht Tillich folgende Konsequenzen für die Verkündigung: „Nicht sein kann sie eine direkte Verkündigung der religiösen Inhalte, wie sie in Bibel und Tradition gegeben sind.“116 Da gerade diese Inhalte angezweifelt werden, bleibe die Arbeit kirchlicher Verkündigung hoffnungslos, wenn dies nicht verstanden werde; damit werde auch die Lage der Hörer nicht ernst genommen.117 Schließlich führt Tillich das theologische Hauptargument für seine These an: die Überwindung des Zweifels am religiösen Inhalt „Gott“ und die Annahme dieses Inhaltes kann nicht zur Voraussetzung gemacht werden dafür, dass der Mensch „… das unbedingte Urteil, das Nein und Ja über sich vernehmen …“ kann.118 Diese Last wäre eine schlimmere Art der Gesetzlichkeit als die moralische; beide Arten sind „… durch die radikal gefaßte Lehre von der Rechtfertigung gebrochen.“119 Tillich schließt mit einem Satz, der eine Vorwegnahme des berühmt gewordenen Schlusssatzes von „The Courage to Be“ darstellt, und den er ca. 34 Jahre später niederschrieb – auch hier wird eine starke Kontinuität in Tillichs Denken sichtbar.120 „Das ist die Tiefe der Rechtfertigung in unserer Lage und gegenüber dem Menschen der Gegenwart, daß wir gerade da Gott vernehmen können, wo uns der Inhalt ‚Gott‘ der religiösen Verkündigung entschwunden ist.“121

Unter den Bedingungen der Moderne sieht Tillich die fides quae creditur in Konflikt mit der fides qua creditur. Eine fides quae creditur wird zum Hindernis für die fides qua creditur, wenn sie als Sicherung gegen 115 116 117

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GW VII, 79. GW VII, 80. GW VII, 80. Tillich selbst war ein ausgezeichneter Zuhörer, zugleich bringt er damit seine eigene Situation zum Ausdruck: „die Lage der Hörer“ ist ja auch seine eigene. GW VII, 80. GW VII, 80. Auch insgesamt finden sich in “The Courage to Be” Themen und Grundstruktur des Aufsatzes von 1928 wieder: Die Spannung zwischen Heteronomie und Autonomie, Ontologie der Angst aufgrund des drohenden Nichts in Sein und Sinn, Neuformulierung der Rechtfertigungsbotschaft (mit den ähnlichen Formulierungen!) und die Transzendierung eines theistischen Gottesbegriffs. GW VII, 80. Der letzte Satz in „The Courage to Be“ lautet: „The Courage to be is rooted in the God who appears when God has disappeared in the anxiety of doubt“ (MW 5, 230).

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die durch die Begegnung des Endlichen mit dem Unbedingten entstehende Krisis missbraucht wird und zugleich dem modernen Menschen den Zugang zum Unbedingten durch absurde Glaubensforderungen versperrt. Dann verhindert die fides quae creditur gerade die Rechtfertigung. Auch dieser Gedanke ist zentral für “The Courage to Be” wie für den Glaubensbegriff bei Tillich insgesamt. Tillich zieht in dem Aufsatz von 1928 drei Konsequenzen für die Verkündigung der evangelischen Kirche. Sie muss zunächst „… auf das radikale Durchleben der Grenzsituation dringen.“122 „Zweitens muß sie sprechen von dem Ja, das in der unbedingt ernst genommenen Grenzsituation über den Menschen ergeht.“123 „Drittens endlich muß der Protestantismus zeugen von dem neuen Sein, aus dem heraus es allein möglich ist, jenes Wort in Vollmacht zu sprechen, das heißt so zu sprechen, daß es nicht wieder zur Sicherung wird.“124 Tillich bietet hier eine klare dreigliedrige Rede-Struktur: 1) Die Darstellung der Negation, die in der Erfahrung der Grenzsituation gegeben ist, die sich für Tillich aus dem aporetischen Konflikt zwischen Autonomie und Heteronomie und aus existenzieller Sinnfrustration ergibt, die in der Konsequenz als Verzweiflung erfahren wird. 2) Die Darstellung der Position als Zuspruch der Affirmation, die gerade in der Grenzsituation ergeht, und: 3) Das Zeugnis von dem neuen Sein als Realgrund der Affirmation unter Vermeidung autonomer oder heteronomer Sicherungsversuche diesseits der Grenzsituation. Diese Struktur entspricht der Aufgabe der Apologetik, die Position aus der Negation zu entwickeln, wie sie Tillich 1913 beschrieben hat, sowie der Korrelationsmethode. Neu ist gegenüber der „Kirchlichen Apologetik“ der Begriff der Grenzsituation, die jedoch dort der Sache nach bereits angelegt ist. In “The Courage to Be” entspricht die Analyse der Angst der ersten Forderung nach dem „Durchleben der Grenzsituation,“ die zur Verzweiflung führt.125 Sowohl Heteronomie („Mut und Individuation“) als auch Autonomie („Mut und Partizipation“) müssen transzendiert werden („Mut und Transzendenz“). Die zweite 122 123 124 125

GW VII, 80. GW VII, 81. GW VII, 82. Diese letzte Bedingung erfüllt Tillich durch das „Protestantische Prinzip“ und seinen Symbol-Begriff. Der Begriff der Grenzsituation wird in dem Abschnitt über die Bedeutung der Verzweiflung aufgenommen. GW XI, 48.

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Forderung, von dem Ja zu reden, das in der Erfahrung der Grenzsituation ergeht, entspricht der Erfahrung des absoluten Glaubens. „Er [der absolute Glaube] ist das Bejahen des Bejahtseins ohne jemanden oder etwas, das uns bejaht. Es ist die Macht des Seins-Selbst, die bejaht und den Mut zum Sein verleiht.“126 Diese Erfahrung entspricht der Neuformulierung der Rechtfertigungslehre als „annehmen, dass wir angenommen sind, obwohl wir unannehmbar sind.“127 Entsprechend dem apologetischen Anliegen von “The Courage to Be” wird die dritte Forderung, dem Zeugnis von dem Neuen Sein als Ermöglichungsgrund der Bejahung, nicht ausgeführt. Darauf geht Tillich in einer Replik auf Kritik an seinem nicht-theistischen Gottesbegriff in der Einleitung zum dritten Teil seiner Systematischen Theologie ein: „Die dialektischen Aussagen, die eine extreme Situation hervorruft, sind Kriterium der Wahrheit, geben aber keine Basis ab, auf der die Wahrheit als Ganzes aufgebaut werden könnte.“128 In “The Courage to Be” geht es Tillich um Menschen im radikalen Zweifel, um Menschen, „… die keinen Namen für sie [die Macht des Seins] haben, nicht einmal den Namen Gott.“129 Entsprechend ermutigt Tillich die Hörer seiner Predigt „Dennoch bejaht (You are accepted)“: „Dennoch bejaht, bejaht durch das, was größer ist als du und dessen Namen du nicht kennst. Frage jetzt nicht nach dem Namen, vielleicht wirst du ihn später finden.“130 Auch hier erfüllt Tillich die beiden ersten Forderungen in den zwei Teilen der Predigt, wo er zunächst von der „Macht der Sünde“ und dann von der „Übermacht der Gnade“ spricht. Die Position wird aus der Negation entwickelt. Auch hier finden wir die Schelling’sche Grundfigur von Sein, Nicht-Sein und Übersein wieder.131

4.3.3 Der apologetische Dreischritt Anhand der Predigttrilogie „The Theologian“ (veröffentlicht 1948) als erstem Text der amerikanischen Zeit, soll aufgezeigt werden, wie Tillich sowohl auf inhaltlicher als auch auf metakommunikativer Ebene seine Kommunikationsstrategie in den Predigten durchführt. 126 127 128 129 130 131

GW XI, 136–137. GW XI, 123; STD II, 191–192 = STE 177–179; RR I, 151–153 = SF 162. STD II, 19 = STE II, 12. STD II, 19 = STE II, 12. RR I, 152 = SF 162. Vgl. auch P. Steinacker 1989, 54.

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Tillich unterscheidet in ST III drei Gruppen von Funktionen der Kirchen: die der Begründung, der Ausbreitung und des Aufbaus.132 In den ausbreitenden Funktionen sieht er die Polarität der Prinzipien von Wahrheit und Anpassung. „In diesen Polaritäten ist auch auf die Zweideutigkeiten hingewiesen, gegen die der göttliche Geist kämpft. […] die Gefahr der Wahrheit dämonischer Absolutsetzung, die Gefahr der Anpassung entleerende Relativierung; […].“133 Den locus classicus für die Spannung zwischen Wahrheit und Anpassung sieht Tillich in den paulinischen Aussagen in 1 Kor 9, 19–23. Paulus bemüht sich, den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche zu sein. „Gerade durch dieses Bemühen macht Paulus deutlich, daß er jede Lehre ablehnt, die das ‚Neue Sein’ oder die ‚Neue Kreatur’ entweder mit dem jüdischen Gesetz oder mit der griechischen Weisheit identifiziert, was im Gegensatz zu seiner eigenen Botschaft stünde.“134 Bezeichnender Weise hat Tillich in seiner Predigt-Trilogie „The Theologian“ die zweite Predigt über diesen Text gehalten.135 In dieser dreiteiligen Predigt-Reihe finden sich nun wichtige Aussagen zu Tillichs Theologie- und Predigtverständnis.136 Bereits die Auswahl der den Predigten zugrunde gelegten Texte ist charakteristisch (1 Kor 12, 1–11; 1 Kor 9, 19–23; Apg 17, 22–32). Theologen stellen, wie es Tillich in der ersten der drei Predigten ausführt, die Frage nach dem, was uns unbedingt angeht, dem „ultimate concern, the question of God and His manifestations.“137 Theologie (das Wort der Weisheit und der Erkenntnis) sei eine unter anderen, wenn auch eine besondere Gabe des göttlichen Geistes. Das Kriterium für die Gabe des Geistes ist das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus. Dieses Bekenntnis ist das Fundament der Kirche. „Theology is a work of the church, precisely because it is a gift of the Divine Spirit.“138 Allerdings ist für Tillich nicht die Gewissheit des Theologen, sondern vielmehr die sich im ernsthaften Zweifel bewährende theolo132 133 134 135 136

137 138

STD III, 213 = STE III, 182. STD III, 214 = STE III, 183. STD III, 216 = STE III, 185. SF 122–125; RR I, 116–119. A. Rössler 1971, 1a Anm.  3. Als für die Predigttheorie besonders wichtig nennt Rössler hier folgende Predigten Tillichs: „The Yoke of Religion/Die Last der Religion“ (SF 93–103 = RR I, 89–98), „The Theologian (Part I-III/Der Theologe“ (SF 118–129 = RR I, 112–123), „The New Being/Das Neue Sein“ (NB 15–24 = RR II, 197–206), „What is truth?/Was ist Wahrheit?“ (NB 63–74 = RR II, 241–251), „Is there any word from the Lord?/Ein Wort vom Herrn?“ (NB 114–124 = RR II, 284– 293) und „Heal the sick; cast out the demons/Heilet Kranke, treibet Dämonen aus“ (EN 36–41 = RR III, 387–393). SF 119. SF 120.

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gische Frage das Erkennungszeichen echter theologischer Existenz.139 Er betrachtet den Theologen „… as a believer in spite of his doubt and despair, and as a member of the Church, in whose power all theological work is done, in spite of his lack of certainty.“140 Auch hier klingt das (apologetische und seelsorgliche) Grundmotiv der Theologie Tillichs, das die Rechtfertigung auf den Zweifel anwendet, an. Der Glaubende (und auch der Theologe in seinem Denken) ist trotz seiner Zweifel, seiner Verzweiflung und seiner Ungewissheit gerechtfertigt.141 Im zweiten Teil der Predigtreihe beschreibt Tillich die Aufgabe des Theologen von der paulinischen Aussage her, dass er allen alles geworden sei: „The theologian, in his theology, must become all things to all men.“142 Tillich exemplifiziert und aktualisiert diese Aussage, indem er anstelle von „Gesetz“ „Idealismus“ einsetzt und „Realismus“ anstelle von „ohne Gesetz.“ Der Theologe ist gefordert, dem Idealisten wie ein Idealist zu werden, obwohl er selbst kein Idealist ist. Das ist nach Tillich nur möglich, weil (analog zum Gesetz) das Gesetz nicht abgetan, sondern erfüllt wird. Ebenso wird die Wahrheit im Idealismus bzw. Realismus anerkannt und „benutzt“. „Likewise, the theologian who is not an idealist (and who could never be an idealist) does not destroy idealism. He utilizes it and states that it contains some truth which creates a continuous temptation for the theologian to become an idealist himself, and to deny the Cross which is the judgment over idealism. The theologian uses idealism, its concepts and methods. He becomes a Platonist to the Platonists, a Stoic to the Stoics, an Hegelian to the Hegelians, a progressivist to the progressivists. But he cannot confuse any of these forms of idealism with the Christian message.“143

Diese Aussagen bilden den hermeneutischen Schlüssel für den Umgang Tillichs mit philosophiegeschichtlichem Material: „he utilizes it“. Aus dieser Instrumentalisierung der Philosophiegeschichte im Dienst des „Neuen Seins“ erklären sich manche philosophiegeschichtlichen Rekonstruktionen in Tillichs Werk. Auch der Idealismus kann, ebenso wie das Gesetz, zur Verzweiflung führen. Aber im neuen Sein des Christus sind alle Ideale erfüllt. Ganz parallel handelt Tillich im nächsten Abschnitt der Predigt über den Realismus: Der Theologe benutzt den Realismus, indem er die darin enthaltene Wahrheit aufnimmt, zugleich weiß er aber auch um die in einem reinen Realismus enthaltene Verzweiflung. Besteht das Ge139 140 141 142 143

SF 121. SF 122. GW VIII, 85–100 „Rechtfertigung und Zweifel.“ SF 123 (kursiv im Original). SF 123–124.

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richt über den Idealismus im Kreuz, so das Gericht über den Realismus im ewigen Leben. Im neuen Sein werde die Selbstzerstörung der Realität überwunden.144 Tillich knüpft ganz im Stil der altkirchlichen Apologeten an Wahrheitsmomente einer bestimmten Philosophie oder Weltanschauung an und würdigt diese positiv. Er sucht immer den „common ground“. Zugleich macht er jedoch auf das Verzweiflungspotential, das in der betreffenden Anschauung enthalten ist, aufmerksam (das entspricht der elenchtischen Funktion bzw. dem Dringen auf das „Durchleben der Grenzsituation“). Diese Verzweiflung korrespondiert dem Gericht, das durch das Kreuz bzw. das Neue Sein des Christus gegeben ist. Jede Weltanschauung wird also christologisch gebrochen. Das Neue Sein transzendiert sowohl Idealismus als auch Realismus, indem das jeweilige darin enthaltene Wahrheitsmoment aufgenommen wird, sie aber zugleich in ihrer Ganzheit vom Neuen Sein her gerichtet werden. Diese „partielle Partizipation“,145 wie sie Tillich an anderer Stelle für die Verkündigung fordert, ermöglicht ihm den instrumentalisierenden Umgang mit philosophischen Konzepten und Methoden („concepts and methods“). Im dritten Punkt dieser Predigt, den Tillich als den wichtigsten für die theologische Existenz bezeichnet, geht es um die Partizipation an der Schwachheit derer, zu denen der Theologe spricht. Tilllich will damit einem Fanatismus und einer theologischen Selbstsicherheit („self-certainty“) wehren, die für die Überzeugungsarbeit des Theologen kontraproduktiv seien. Tillich hat an mehreren Stellen (z. B. bereits in der „Kirchlichen Apologetik“) auf die abstoßende Wirkung einer selbstgewiss auftretenden christlichen Verkündigung hingewiesen.146 Der Theologe kann schwach sein, weil er die Stärke hat, seine Schwachheit einzugestehen; denn es ist ja nicht seine eigene Kraft, mit der er die Wahrheit besitzt, sondern es ist die Wahrheit, die ihn besitzt als einen vom göttlichen Geist Ergriffenen.147 Hat Tillich in der ersten Teilpredigt auf die pneumatologische und ekklesiologische Basis einer theologischen Existenz hingewiesen, die ihr Zentrum in dem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus hat, so entfaltet er in der zweiten Teilpredigt, wie sich diese theologische Exis144 145 146

147

SF 124 GW VIII, 265; SF 125 Tillich gebraucht hier im Original die starken Begriffe „disastrous“ und „despicable“, die in der Übersetzung mit „anstößig“ und „verächtlich“ abschwächend wiedergegeben sind (SF 125; vgl. GW VII, 80). SF 125.

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tenz in der Beziehung zur Welt äußert, nämlich im Sinne einer partiellen Partizipation, „die allen alles wird, um etliche zu gewinnen.“ Dabei führt Tillich einen apologetischen Dreischritt durch: Erstens: Anerkennung von Wahrheitsgehalten in philosophischen Anschauungen. Zweitens: Hinweis auf die darin enthaltene Möglichkeit zur Verzweiflung, und drittens: Erfüllung im Neuen Sein. Das entspricht dem bereits dargestellten Dreischrit von Ja-Nein-Ja bzw. der Triade Sein/ Sinn-Nichtsein/Sinnlosigkeit-Sein selbst/absoluter Sinn.148 An dieser Stelle macht Tillich in aller Klarheit deutlich, dass der Theologe das philosophische Material im Dienst der Verkündigung des Neuen Seins benutzt. Eine Spannung bleibt bestehen, wenn man fragt, ob das Ergriffensein durch den göttlichen Geist und das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, das der Theologe als Glied der Kirche mitspricht und das die Basis seiner theologischen Existenz ausmacht, nicht eine Gewissheit impliziert, die den Zweifel des Theologen zumindest relativiert. Zwischen dem ehrlichen Eingeständnis des eigenen Zweifels und der Gefahr einer berechnenden Koketterie mit dem Zweifel auf der Kanzel besteht eine feine aber deutliche Differenz, die bei Tillich hier und an anderen Stellen m. E. nicht mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck gebracht wird. Die Gründe dafür dürften zum einen in der Intention Tillichs und dem Kontext, für den er schrieb, zu suchen sein. Zum anderen muss die Betonung auf das „selbst“ bei dem Begriff der theologischen „self-certainty“ gelegt werden, der bei der typisierten Entgegensetzung von Gewissheit und Zweifel bei Tillich zuungunsten der Gewissheit gebraucht wird. Tillich widmete dem Verhältnis von „Faith and Uncertainty/Glaube und Ungewissheit“ eine eigene Predigt, in der er von Luthers Schrift „Vom unfreien Willen“ und dem Anfang des Galaterbriefes ausgeht.149 Tillich diskutiert in dieser Predigt das Luther-Zitat: „Was ist unseliger als Ungewissheit.“150 Und er fragt sich, ob wir denn heute noch solche Gewissheit wie Paulus, Augustin und Luther sie hatten, nachvollziehen können.151 Tillich löst die Gewissheitsproblematik unter Bezug auf Gal 1,8, indem er die Ge148 149 150 151

Dies entspricht auch der dialektischen Struktur der Korrelationsmethode, vgl. Abschnitt 3.1.3.1. RR II, 78–81 = NB 75–78. RR II, 79 = NB 76. Seine polemische Spitze gegen Karl Barth an der selben Stelle verneint diese Frage eindeutig: „Was it not embarrassing for all of us when Karl Barth, following the attitude of the Reformers, said his uncompromising ‘No!’ to all attempts to approach God in terms of progressive assurance? Did we not hear in his words the voices of ancient and modern dictators?“ (SF 76).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

wissheit des Evangeliums von der Selbstsicherheit152 (self-certainty) scharf unterscheidet: „But let us look more exactly at the nature of that certainty which Paul and Luther defend. The words of Paul show clearly that it is not self-certainty: […].“153 Echte Gewissheit gibt es nur in der Selbst-Transzendierung durch das Ergriffensein vom göttlichen Geist, jenseits aller relativen und vorläufigen Gewissheiten, wo wir in Berührung mit dem Grund unserer Existenz kommen, ergriffen vom Absoluten, jenseits verobjektivierender Gotteserkenntnis: „Looking at God, we see that we do not have Him as an object of our knowledge, but that He has us as the subject of our existence. […] We may not grasp anything in the depth of our uncertainty, but that we are grasped by something ultimate, which keeps us in its grasp and from which we may strive in vain to escape, remains absolutely certain.154 […] We can attain the certainty of the Reformers and Apostles whenever it is given to us to touch the Ground of our existence and to look beyond ourselves. […] when all preliminary certainties have disappeared, the ultimate certainty may appear to us.“155

Die Aussagelogik entspricht genau der von The Courage to Be, an dessen Schlusssatz das obige Zitat strukturell und inhaltlich in z. T. wörtlicher Übereinstimmung (disappear-appear) anschließt. Die existenzielle Ungewissheit enthält die Frage nach einer letzten Gewissheit, die durch ekstatische Selbst-Transzendierung auf den Grund der Existenz hin erreicht wird. Auf der Ebene der Subjekt-Objekt-Struktur kann es nur relative und vorläufige Erkenntnis und Gewissheit geben.156 Der Selbst-Gewissheit steht der Glaube (faith) als Selbst-Transzendierung im Zustand des Ergriffenseins (being-grasped) gegenüber, welcher die Subjekt-Objekt-Struktur unterläuft. Deshalb kann Tillich diese selfcertainty gar als Kriterium anlegen, durch das sich jemand als Theologe disqualifiziere.157 Schematisch kann demzufolge gesagt werden, dass sich Gewissheit auf faith bezieht, Zweifel auf belief (als Für-wahr-Halten). Auch wenn Tillich die frühe Terminologie von Grundoffenbarung und Heilsoffenbarung aufgegeben hat, so liegt sie auch seinen späteren Ausführungen zugrunde. Grundoffenbarung als Durchbruchserfahrung, als Er152 153 154 155 156

157

In der Deutschen Übersetzung wird „certainty“ sowohl mit „Sicherheit“ als auch mit „Gewissheit“ wiedergegeben. SF 76, kursiv im Original. SF 77. SF 78. In den Formulierungen der Religionsphilosophie von 1925 heißt das, dass sich die unbedingte Gewissheit auf den unbedingten Gehalt der Offenbarung bezieht, welche die Kritik der symbolischen Form enthält (vgl. GW I, 355–356). S. o. zu SF 120–121.

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griffensein vom Unbedingten entspricht der formalen Definition des Glaubens, wie sie insbesondere auch in „Dynamics of Faith“ entfaltet ist. Und Heilsoffenbarung entspricht der konkreten geschichtlichen Gestalt, in der sich die Grundoffenbarung ausdrückt. Beides kann nicht voneinander getrennt werden, Letzteres unterliegt jedoch den Bedingungen der Existenz und bleibt angesichts des Absoluten relativ. Daher gehört der Zweifel ebenso notwendig zur Heilsoffenbarung wie die Gewissheit zur Grundoffenbarung als einer die Subjekt-ObjektSpaltung transzendierenden Evidenzerfahrung. Wie Tillich auch über die Gewissheit predigen konnte, zeigen seine zwei Predigten über Röm 8, 38–39.158 In der die Reihe abschließenden Predigt über die Areopagrede Apg 17, 22–32 spricht Tillich nun über den „answering Theologian“, nachdem er in einer knappen Einleitung die beiden ersten Predigten unter den Stichworten des „believing Theologian“ und des „self-surrendering Theologian“ zusammengefasst hat.159 In Paulus auf dem Areopag, dem zentralen Ort griechischer Weisheit, sieht Tillich den „Prototyp des antwortenden Theologen.“ Er entfaltet die Antwort des Paulus in dem bereits aus der zweiten Predigt bekannten Dreischritt: Zunächst macht Paulus seine Hörer darauf aufmerksam, dass sie bereits um die Antwort wissen („they themselves are already aware of the answer“).160 Denn es gibt keinen Standort außerhalb Gottes, wie der Bezug auf die zitierten griechischen Dichter deutlich macht. Der zweite Teil der paulinischen Antwort besteht in dem Gericht über die Götzen. Da das erste Gebot der Fels ist, auf dem Theologie stehe, gebe es gegenüber falschen Göttern keinen Kompromiss.161 Hier kann Tillich in geradezu prophetischer Schärfe fordern, dass der Theologe im Namen des ersten Gebots „[…] must become an instrument of the Divine Judgement against a distorted world.“162 Wurden die ersten beiden Antworten von den Hörern aufgenommen, so besteht nun die Reaktion der Hörer in Ablehnung, Aufschub der Antwort oder Annahme. Denn der dritte Teil der theologischen Antwort bei Paulus besteht in der Aussage, dass Jesus der Christus ist, den Gott zum Gericht und Leben für die Welt bestimmt 158 159 160

161 162

„The Meaning of Providence/Von der Vorsehung“ SF 104–107 = RR I 99–102; „Principalities and Powers/Fürstentümer und Gewalten“ NB 50–59 = RR II 56–64. SF 125–129, 127. Vgl. GW VII, 255: „Denn um nach Gott fragen zu können, muß der Mensch Gott schon als Ziel einer möglichen Frage erfahren haben. Die menschliche Möglichkeit des Fragens ist also schon nicht mehr nur Möglichkeit. Denn sie enthält schon Antworten.“ Vgl. dazu V. Brügmann 1969, 45. SF 128–129. SF 129.

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hat. „For we are real theologians when we state that Jesus is the Christ, and that it is in Him that the Logos of theology is manifest.“163 Das ist das wahre Paradox, das ein Theologe zu interpretieren habe im Gegensatz zu paradoxalen Phrasen, die den Hörern oft als künstliche Hindernisse (artificial stumbling-blocks), wie Mirakel-Geschichten, Legenden, Mythen und andere ausgeklügelte paradoxale Reden aus kirchlicher und theologischer Arroganz in den Weg gelegt werden.164 Denen, die uns fragen, dürfen solche „schweren Lasten“ nicht aufgebürdet werden, es dürfe aber auch das wahre Paradox nicht entleert werden. „For the true theological existence is the witnessing to Him Whose yoke is easy and Whose burden is light, to Him Who is the true paradox.“165 Die drei Predigten dieser Reihe weisen inhaltlich-thematisch und durch das Schema des „apologetischen Dreischrittes,“ wie ich ihn nenne, eine hohe Kohärenz auf. Der Dreischritt findet auf verschiedenen Ebenen statt: In der dritten Predigt ist er anhand der Areopagrede ausgeführt. In der zweiten Predigt findet sich der Dreischritt in der Begegnung mit „Idealismus“ und „Realismus.“ Und auf der Ebene der Predigtreihe entspricht die zweite Predigt der Forderung „allen alles zu werden,“ dem ersten Schritt als „self-surrendering“, der Anerkennung von Wahrheitsmomenten, während in der dritten Predigt das Moment der Antwort als Gericht und Bezeugung des wahren Paradoxes in den Vordergrund gestellt wird. Im Zweifel, der durch eine traditionell kirchlich-biblische Sprache gebrauchenden Verkündigung mit einem literalistischen Verständnis von nach Tillich symbolisch zu verstehenden Aussagen entsteht, sah er bereits in dem Aufsatz über „Die Protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ (1928) das entscheidende Hindernis für die Akzeptanz der christlichen Botschaft.166 Der Gedanke des Gerichts in den oben dargestellten Predigten als zweitem Schritt entspricht der Darstellung der „Grenzsituation“ im genannten Aufsatz.

4.3.4 Fokussierung der Botschaft Einen weiteren zentralen, diesmal theoretischen, Text Tillichs zur Predigttheorie stellt der Aufsatz „Communicating the Christian Message: A Question to Christian Ministers and Teachers“167 dar, der zu163 164 165 166 167

SF 129. SF 129. SF 129. GW VII, 80. Dieser für die Thematik wichtige Text wurde von V. Brügmann in seiner Dissertation 1969 leider nicht mehr ausgewertet. Der englische Text war ihm wohl nicht

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

151

nächst 1952 als Vortrag unter dem Titel „Communicating the Gospel“ auf der „First Annual Mid-Winter Ministers Conference and Workshop“ im Union Theological Seminary in New York gehalten wurde und im selben Jahr in der Union Seminary Quarterly Review erschien.168 Diese Version wurde in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Verkündigung des Evangeliums“ in GW VIII, 265–275 (1969) aufgenommen. Allerdings wurde der Vortrag von Tillich unter dem oben genannten leicht verändertem Titel in einer von Robert C. Kimball herausgegebene Sammlung von Aufsätzen, die Tillich selbst überarbeitet hat, veröffentlicht: „Theology of Culture“ (1959) – und zwar als letzter von fünfzehn Aufsätzen als Teil IV „Conclusion“, was zugleich den Stellenwert des Themas für Tillich anzeigt: Eine Theologie der Kultur, wie sie Tillich vorher in den Aufsätzen der Teile „Basic Considerations“, „Concrete Applications“ und „Cultural Comparisons“ dargelegt hat, führt zur Verkündigung der christlichen Botschaft in einer säkularen Kultur. So schreibt Tillich im Vorwort: „Most of my writings – including the two volumes of Systematic Theology [der dritte Band erschien 1963, Anm. d. Verf.] – try to define the way in which Christianity is related to secular culture.“169 Dieser Aufsatz stellt also gewissermaßen das Ergebnis seines systematischen Nachdenkens im Blick auf die Kommunikation des Evangeliums dar und kann daher in seiner Bedeutung für Tillichs Predigttheorie kaum überschätzt werden. Zugleich zeigen sich wieder zahlreiche inhaltliche Bezüge zu seinen übrigen Arbeiten, angefangen von der „Kirchlichen Apologetik“ von 1913 bis zu den späten Predigten und der Systematischen Theologie. Tillich stellt in diesem Aufsatz betont nicht die Frage nach dem Inhalt der christlichen Botschaft (obwohl er diese indirekt auch behandelt), sondern nach deren Fokussierung („How shall the message […] be focused …“) für die Menschen unserer Zeit.170 Da Tillich den Begriff

168

169 170

zugänglich. A. Rössler 1971 erwähnt den Text nur am Rand, wertet ihn aber für die Predigttheorie Tillichs nicht aus. Auch P. Cornehl 1989 stützt sich ausschließlich auf den Aufsatz von 1928 „Die protestantische Verkündigung“. Da dieser Aufsatz nicht in die Main Works aufgenommen wurde, zitiere ich im Folgenden nach der englischen Ausgabe von 1959. Vgl. die bibliographische Notiz in GW VIII, 337. Da Tillich im selben Jahr 1952 “The Courage to Be” veröffentlichte, lassen sich (ebenso wie zu dem Aufsatz von 1928) mühelos inhaltliche Parallelen erkennen. P. Tillich 1959, v. Es ist sachlich dieselbe Frage, die auch als Motivation für die Systematische Theologie Tillichs gelten darf: „The perennial question has been: Can the Christian message be adapted to the modern mind without losing its essential and unique character“ (STE I, 7 = STD I, 14).

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„focus“, bzw. „be focused“ zweimal an exponierter Stelle gebraucht171, kann er als Schlüssel-Metapher für das Verständnis der Formulierung der christlichen Botschaft in diesem Aufsatz dienen. Es geht Tillich um die Schärfeneinstellung bestimmter Aspekte der Botschaft für Hörer in einer bestimmten Zeit und Situation. Andere Aspekte treten demgegenüber in den Unschärfebereich zurück.172 Da diese Fokussierung bedingt ist durch die Partizipation dessen, der das Evangelium kommuniziert, an der Situation derer, denen er es kommunizieren will, ergibt sich eine Eingrenzung dieses „Schärfebereichs“ von beiden Seiten: „None of us is asked to speak to everybody in all places and in all periods. Communication is a matter of participation. Where there is no participation there is no communication.“173 Das Ziel dieser Fokussierung der Botschaft ist es nach Tillich, den falschen „Stein des Anstoßes“ für die Hörer zu entfernen, damit es zu einem echten Hören der Botschaft kommt. Dieses Ziel bringt Tillich in seinem engagierten Schlussplädoyer des Aufsatzes prägnant zum Ausdruck: „What we have to do is to overcome the wrong stumbling block in order to bring people face to face with the real stumbling block and enable them to make a genuine decision.“174 Das echte Vernehmen des Evangeliums zeigt sich nach Tillich an der Möglichkeit einer genuinen Entscheidung für oder gegen die christliche Botschaft. Dieser Aspekt ist im Unterschied zu den Texten von 1913 und 1928 neu, findet sich aber auch andernorts bei Tillich:175 „How can the Gospel be communicated? We are asking: How do we make the message heard and seen, and then either rejected or accepted? The question cannot be: How do we communicate the Gospel so that others will accept it? For this there is no method. To communicate the Gospel means putting it before the people so that they are able to decide for or against it. The Christian Gospel is a matter of decision. It is to be accepted or rejected. All we who communicate this Gospel can do is to make possible a genuine decision. Such a decision is one based on understanding and on partial participation.“176

In der deutschen Übersetzung wird „communication/communicate“ mit „Verkündigung/verkündigen“ wiedergegeben. Da für Tillich an 171 172

173 174 175 176

Die deutsche Übersetzung gibt diesen Begriff sehr unpräzise mit „nahebringen“ und „Schwerpunkt“ wieder. 1928 hat Tillich radikaler formuliert: „Nicht sein kann sie [sc. die protestantische Verkündigung, Anm. d. Verf.] eine direkte Verkündigung der religiösen Inhalte, wie sie in Bibel und Tradition gegeben sind“ (GW VIII, 80). P. Tillich 1959, 204. P. Tillich 1959, 213. Vgl. MW 4, 373 = GW V, 162. P. Tillich 1959, 201; kursiv im Original.

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153

dieser Stelle außerdem der Begriff der „Entscheidung“ zentral ist, klingt der Aufsatz auf Deutsch fast wie eine Stimme der kerygmatischen Theologie. Doch kommt es Tillich im Unterschied zu Barth oder Bultmann gerade auf die konstitutive Bedeutung des Situationsbezuges und des Horizontes des Hörers sowie auf die teilweise Partizipation des „minister“ und „teacher“ an dieser Situation an.177 Gerade der reziproke und „partizipative“ Aspekt, der im Begriff der Kommunikation zum Tragen kommt, fehlt im Begriff der Verkündigung. Tillich hat den Begriff der Kommunikation sicher bewusst gewählt. In dem ein Jahr vorher veröffentlichten 1. Band der Systematischen Theologie führt Tillich über das Verhältnis von „kerygmatischer“ und „apologetischer“ Theologie aus: „Will man nämlich eine echte Antwort auf eine Frage geben, so muß man mit dem, der sie stellt, etwas Gemeinsames haben (something in common). Apologetik setzt gemeinsamen Boden (common ground) voraus, wie unbestimmt dieser auch sein mag. Kerygmatische Theologen aber neigen dazu, jeden gemeinsamen Boden mit Menschen außerhalb ihres ‚theologischen Zirkels’ abzuleugnen. Sie sind besorgt, solch gemeinsamer Boden könnte die Einzigartigkeit des Kerygmas (message) zerstören.“178

Tillich sucht in seiner apologetischen Theologie, wie bereits erwähnt, immer diesen „common ground“ mit dem Empfänger der Botschaft, von Kerygma und Situation, für deren Analyse ihm vornehmlich der Existenzialismus, aber auch die Einsichten der Tiefenpsychologie die Werkzeuge bereitstellen.179 Die methodische Konsequenz, die Tillich aus der Spannung, die sich zwischen Botschaft und Situation aufbaut, zieht, ist seine Methode der Korrelation.180 Diese Spannung darf weder nach der Seite des Kerygmas (die Gefahr der Neo-Orthodoxie und des Fundamentalismus) noch nach der anderen Seite (dem Verlust des Kerygmas als Basis der Apologetik) aufgelöst werden.181 Daher schränkt Tillich auch die Partizipation ein und spricht bewusst von partieller Partizipation. Der sachliche Grund für diese Einschränkung liegt letztlich im prophetischen Moment des protestantischen Prinzips. Daher kann Tillich in dem Aufsatz sogar fordern: „But sometimes there 177 178 179

180 181

Vgl. zu Tillichs Kritik an der kerygmatischen Theologie STE I, 4–8 = STD I, 11–15. STD I, 13 = STE I, 6. Tillich begründet dies ausführlich in dem Aufsatz „The Theological Significance of Existentialism and Psychoanalysis“ in P. Tillich 1959, 112–126 (ebenfalls abgedruckt in GW VIII, 304–315). In diesem Aufsatz gibt Tillich ebenfalls eine kurze Aufzählung seiner Neuinterpretationen zentraler Inhalte der christlichen Botschaft. Die wesentlichen Aussagen zur Methode der Korrelation in diesem Aufsatz wurden bereits in Abschnitt 3.1.3.1 dargestellt! STD I, 13–14 = STE I, 7.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

is not a lack of participation but too much of it. […] In fact, it is so easy that in order to communicate the Gospel we need non-participation.“182 Dieses Diktum ist auf dem Hintergrund eines von Tillich kritisierten „Kulturprotestantismus“ zu verstehen, wie er ihn in frühen Jahren in Deutschland und später in anderer Weise in den USA erlebt hat: „Another experience which is but slightly less painful is to meet those who have accepted it[i. e. the Gospel, Anm. d. Verf.] without ever having been able to make a decision about it because it never was a matter of doubt. It came to them as a matter of habit, custom, or social contact. This the Gospel can never be.“183

Mit der Forderung nach der elenchtischen Funktion der Kommunikation des Evangeliums knüpft Tillich an die Aussagen von 1913 und 1928 wieder an. Es geht Entwicklung der Position aus der Negation: „The first thing we must do is to communicate the Gospel as a message of man understanding his own predicament. What we must do, and can do so successfully, is to show the structures of anxiety, of conflicts, of guilt.“184

Tillich gebraucht die Metapher des Spiegels für die Strukturen menschlicher Existenz, in denen der Mensch sich selbst erkennt. Tillich bezieht den usus elenchticus legis, wie ihn die reformatorische Theologie verstand, auf die existenzielle menschliche Situation und sieht in der so verstandenen Elenchtik den ersten notwendigen Schritt in der Kommunikation des Evangeliums. In seiner Predigt über Mt 10, 8 („Heal the sick … cast out the demons“) an Absolventen des Union Theological Seminary von 1955 formuliert er: „Therefore, the first task of a minister is to make men aware of their predicament.“185 In der deutschen Übersetzung ist der sowohl in dem Aufsatz von 1959 als auch in der Predigt gebrauchte Begriff „predicament“ mit „Not“ bzw. „innerer Not“ wiedergegeben. Diese Übersetzung könnte auch psychologisierend oder aktualistisch verstanden werden, im Sinne einer vorübergehenden konkreten Notsituation. Im theologischen Kontext ist der Begriff „predicament“ entsprechend der Konvention adäquater mit „Verlorenheit“ (so in GW VIII, 325 = MW 2, 309) als unheilvoller Grundsituation des Menschen wiederzugeben, die bei Tillich als existenzielle Entfremdung im Gegensatz zur essentiellen Einheit des Lebens interpretiert wird. Dies wird auch im Kontext des Aufsatzes über die Kommunikation des Evangeliums deutlich, in dem Tillich die menschliche Existenz als ge182 183 184 185

P. Tillich 1959, 206, kursiv im Original. P. Tillich 1959, 201–201. P. Tillich 1959, 203. EN 36 = RR III 51.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

155

prägt von Angst, Schuld und in Bezug auf die Weltsituation als tragisch bezeichnet.186 Nach dem Aufweis der unheilvollen Grundsituation („human predicament“) in der Haltung der existenziellen Partizipation folgt das Zeugnis vom Neuen Sein, der neuen Realität: „Our answers must have as many forms as there are questions, and situations, individual and social. But there is one thing perhaps which will be common to all our answers if we answer in terms of the Christian message. The Christian message is the message of a new Reality in which we can participate and which gives us the power to take anxiety and despair upon ourselves. And this we must, and this we can communicate.“187

Die Christologie, gefasst in dem Begriff des Neuen Seins als Soteriologie, bildet den sachlichen Grund und die thematische Mitte seiner Theologie und der Kommunikation der christlichen Botschaft.188 Mit einem kurzen Abschnitt, in dem Tillich die Theologiegeschichte als Geschichte der Kontextualisierung des Evangeliums durchdekliniert, begründet er die Legitimität seiner Neuformulierung der Christologie unter dem Begriff „New Being“, durchaus in Kontinuität zur Reformation und in Anschluss an Paulus’ Wort von der neuen Kreatur (2 Kor 5, 17). Aber Tillich betont, dass sich bedingt durch die Situation der gegenwärtigen Adressaten des Evangeliums der Fokus verändert: „It centers around what we might call ‘healing reality,’ around the courage to say ‘yes’ in the encounter with nothingness, anxiety and despair.“189 Die zentrale Bedeutung der Heilungsthematik in Tillichs Theologie und Predigt wurde bereits in Abschnitt 3.2.6 erörtert.

4.3.5 Die Irrelevanz und Relevanz der christlichen Botschaft „Aber sie [i. e. die Kirche, Anm. d. Verf.] sollte verstehen, daß die traditionelle Predigt die Menschen unserer Zeit nicht erreicht.“190 Dieses Bewusstsein einer homiletischen Krise, das Tillich schon in der „Kirchlichen Apologetik“ 1913 beschäftigte und das sich 1928 nach dem „Abgrunderlebnis“ des Ersten Weltkrieges vertieft hatte, trat in dem Aufsatz von 1952 im nordamerikanischen Kontext der Säkularisierung in den Vordergrund und bildet auch das zentrale Thema 186 187 188 189 190

Tillich 1959, 202–203. P. Tillich 1959, 208. Vgl. dazu H. Fischer 1989, 207–229. P. Tillich 1959, 209. GW IX, 108.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

seiner 1963 gehaltenen Earl Lectures191: „The irrelevance of Christian preaching“ (5). Im Vorwort zur Veröffentlichung dieser Vorlesungen schreibt er: „When asked by the Earl Committee to give them a subject, and I thought about all the possible subjects on which I have spoken or written, suddenly it came to me like a voice of conscience: ‚You must speak in this situation, not what you already know or believe you know – of course, you know nothing – but what is nearest your heart, what lies on your conscience.’ Then, when I thought about it, I decided that what worries me most deeply in these last years is the question: ‚Is the Christian message (especially the Christian preaching) still relevant to the people of our time? And if not, what is the cause of this? And does this reflect on the message of Christianity itself?’ Out of these questions my subject matter arose.“192

Die „Earl Lectures“ (aus demselben Jahr wie ST III, zwei Jahre vor Tillichs Tod) bieten in komprimierter Weise nochmals eine Zusammenfassung von Tilllichs apologetischer Theologie mit Zuspitzung auf die Homiletik und eine im Horizont der Säkularisierung relevanten Predigt. Da es sich um Tillichs letzte Ausführungen zu diesem Thema handelt, kommt ihnen besonderes Gewicht für seine Predigttheorie zu.193 In einem ersten Durchgang identifiziert Tillich die Symptome für die allgemein wahrgenommene Krise der Predigt, nachdem er zunächst einen theologiegeschichtlichen Überblick über zwei Arten von Theologen gegeben hat, den Typ der „Vermittlung“ (mediation) angefangen vom Johannesevangelium bis Schleiermacher und dem Social Gospel und den des „Anstoßes“ (offense) von Tertullian bis Karl Barth. Ähnlich wie in dem Aufsatz von 1952 (nur ausführlicher) dekliniert Tillich die Theologiegeschichte als Geschichte der Kontextualisierung der christlichen Botschaft durch, indem er sie (wie 1952) unter der heuristisch hilfreichen Frage betrachtet: „How can the message of Christianity be communicated?“ (5) Aufgrund dieser Betrachtung kommt Tillich zu dem Schluss, dass der Aspekt der mediation immer auch ausbalanciert sein muss durch den Aspekt des offense, da beide Methoden Gefahren in sich bergen, wenn sie einseitig gebraucht werden: „The first becomes irrelevant by adaption, the second by opposition. […] Thus mediation and offense must both be kept alive in Christianity.“ (9, kursiv im Original) 191

192 193

Die folgende Darstellung bezieht sich auf den von Durwood Foster edierten Earl Lectures, die unter dem Titel „The Irrelevance and Relevance of the Christian Message“ 1996 herausgegeben wurde (Nachdruck 2007). Im folgenden Text beziehen sich die Zahlen in Klammern auf den Nachdruck von 2007. P. Tillich 2007, [3]. D. Foster schreibt in seiner Einleitung dazu: „We have in these lectures, as nowhere else with such brevity, the fully rounded out Tillich“ (P. Tillich 2007, ix).

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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Beim späten Tillich finden die beiden Aspekte, die des „Angriffs“ und der „Antwort“, mit denen er Apologetik und Dogmatik charakterisierte, zusammen. Zugleich korrespondieren sie den beiden Polen der Korrelationsmethode: Kerygma und Situation. Je nachdem, auf welchem Pol der Schwerpunkt liegt, hat christliche Predigt mehr den Charakter von mediation oder offense. Angesichts der „post-Christian period“(10) sieht Tillich allerdings die Notwendigkeit nach der möglichen Anpassungsfähigkeit des Christentums im Vordergrund der Frage nach der Relevanz christlicher Predigt.194 Für seine Situationsanalyse bezieht sich Tillich auf drei Gruppen von Personen: erstens auf aktive Kirchenmitglieder, zweitens auf von den kirchlichen Aktivitäten enttäuschte Menschen am Rande des institutionellen Christentums und schließlich auf Menschen außerhalb der Kirche, die Tillich als „disappointed lovers of Christianity“ bezeichnet. (10–11) Besonders auf die Stimmen der beiden letzten Gruppen müssen die hören, die das Christentum für Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen relevant machen wollen: „Thus I made it a principle of my whole vocational life to listen to them eagerly – to find out why they not only deem Christianity irrelevant but totally deny it.“ (11) Blickt man von dieser Selbstaussage zurück auf Tillichs Biographie und Gesamtwerk mit seiner ungeheueren thematischen Spannbreite, so wird darin die intensive Wahrnehmung der unterschiedlichen Lebenswelten eindrücklich belegt. Was aber bedeutet eigentlich Irrelevanz und Relevanz im Blick auf die christliche Botschaft? Tillich definiert ganz im Sinn der Korrelationsmethode: „In that context ‘relevant’ means that the Christian message answers the existential questions of the humanity of today. ‘Irrelevant’ means it does not answer those questions. By ‘existential’ questions I refer to those which concern the whole of human existence: not only knowing, but also feeling and willing – all sides of our being as they come together in the center of our personality.“195 194

195

Den vermittlungstheologischen Ansatz verdankt Tillich seinem Lehrer Martin Kähler. In der wichtigen Selbstdarstellung seiner theologischen Entwicklung in der Einleitung zu seinem Buch „The Protestant Era“ schreibt Tillich unter Bezug auf Kähler: „Deshalb würde ich mich nicht schämen, als ‚Vermittlungstheologe‘ bezeichnet zu werden, was für mich einfach ‚Theo-loge‘ heißt“ (GW VII, 14). und W. C. Bergmann schreibt:„Kähler nurtured Tillich’s convictions that mediation is the central task of theology, a conviction that encouraged Tillich’s development of an apologetic approach to preaching“ (W. C. Bergmann 2001, 51–52). Die Korrelationsmethode, die strukturell bereits in der dogmatischen Methode Kählers nachzuweisen ist (G. Wenz 1989, 84), bietet das Instrumentarium für Tillichs „Vermittlungstheologie.“ P. Tillich 2007, 13 (kursiv im Original).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Dies entspricht ganz der Aufgabe und Intention der Systematischen Theologie, wie sie Tillich in der Einleitung von ST I dargestellt hat, wobei hier der ganzheitliche Charakter der existenziellen Frage betont wird–der Mensch ist nicht nur in seiner kognitiven, sondern auch emotionalen und voluntativen Existenzialität angesprochen. Tillich führt beispielhaft eine Liste existenzieller Fragen an.196 Stichworte sind „Sinn des Daseins,“ „Mut zum Leben,“ Möglichkeit der Hoffnung, Überwindung innerer Konflikte oder die Frage nach einem ultimate concern, der die innere Leere überwindet: „These are existential questions. They could also be called passionate quests for a meaningful life.“ (13–14) Die „humanity of today“ definiert Tillich als Menschen, die genau diese Fragen haben (14).197 Ihnen gilt als der geistigen Avantgarde der Zeit sein Interesse. Tillich zählt (betont aufgrund seiner Perspektive, die er nicht für allgemeinverbindlich erklärt) nun die wesentlichen Symptome der Irrelevanz christlicher Verkündigung auf. An erster Stelle steht dabei die traditionelle christliche Sprache (von Bibel, Bekenntnis und Liturgie), die für den heutigen Menschen keine Bedeutung mehr habe, da die ursprüngliche Kraft der großen christlichen Symbole verloren gegangen sei. Beantworteten sie ursprünglich Fragen, so sind sie jetzt zu Steinen des Anstoßes geworden, indem sie als (verobjektivierte) Glaubensinhalte aufgrund von Tradition und Autorität geglaubt werden müssten (14–15). Im Zentrum steht hier die Verwechslung von belief und faith (15). Diese Unterscheidung von faith und belief entspricht (wie in Abschnitt 3.2.3 dargestellt) der Unterscheidung von originaler und abhängiger Offenbarung in Tillichs Offenbarungslehre. An dieser Stelle wird wieder deutlich betont, dass der Glaubensbegriff in dem apologetischen Bemühen um eine relevante christliche Verkündigung verortet ist, die den Sachgehalt christlicher Symbole neu zur Sprache bringen will. Das zweite Beispiel für die Irrelevanz der christlichen Botschaft sieht Tillich in dem Inhalt der Verkündigung, die er im Allgemeinen als gesetzlich und moralisierend kennzeichnet–im Gegensatz zu den „good news“ des Angenommenseins. Tillich geht es um die klassische lutherische Zuordnung von Gesetz und Evangelium, wenn er demgegenüber formuliert: „You first must accept and then you can trans196 197

Das ist ein oft wiederkehrendes Stilmittel auch in den Predigten. Auch in seinem Aufsatz von 1928 geht Tillich so vor, dass er zunächst den „modernen Menschen“ idealtypisch definiert und von diesem Punkt aus sowohl seine Analyse als auch seine Antwort entwirft.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

159

form.“ (17)198 Zu beachten ist hier wieder der reformiert-puritanische Hintergrund der Situation in den USA. In der moralisierenden Verkündigung sieht Tillich die Hauptursache dafür, dass christliche Seelsorge weithin durch psychotherapeutische Beratung abgelöst wurde. In diesem Zusammenhang bringt Tillich eine geradezu tempelreinigende Polemik gegen irrelevante Aktivitäten der Kirche, die die Versammlung Gottes (Ekklesia) in eine (säkular ersetzbare) Klub-Gesellschaft (social activities sind nicht zu verwechseln mit sozialen Aktionen!), verwandeln. Zudem raubten solche Aktivitäten den Pfarrern die Zeit für Studium, Predigtvorbereitung und Seelsorge (17). Ein weiteres Symptom sei die traditionalistische Einstellung unter Christen. Tradition sei gut, Traditionalismus aber schlecht (17). Unter Traditionalismus versteht Tillich einen toten Konservativismus, der nicht nach lebendiger Realität frage und jede ernsthafte Angelegenheit und grundlegende theologische Auseinandersetzung vermeide. Das gelte für Pfarrkonvente ebenso wie für die Sunday School. Letztere trage eine besondere Verantwortung für die Irrelevanz der christlichen Botschaft, da ernsthafte Fragen mit der Forderung „You must believe!“ erdrückt würden (18).199 Ein weiteres Symptom der Irrelevanz christlicher Botschaft erkennt Tillich in der Persönlichkeit christlicher Leiter und Kirchgänger, die oft einen Mangel an Vitalität aufwiesen, die nicht verwechselt werden dürfe mit der Schwachheit, von der Paulus spricht: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Demgegenüber sei eine vitale Leiterschaft in der Kirche nötig: „What the church needs in any period […] is leadership by the strongest, most dynamic, and most daring kinds of people–those in whom there is high vitality balanced with profound spirituality.“200 198

199

200

Diese Formulierung findet sich häufiger bei Tillich (P. Tillich 1959, 211; MW 2, 311–312 = GW VIII, 328–329). Dabei bezieht er sich vermutlich auf C. G. Jungs Ausführungen, die dieser ursprünglich auf der Elsässischen Pastoralkonferenz in Straßburg im Mai 1932 vorgetragen hat („Über die Beziehung der Psychotherapie zur Seelsorge“): „Man kann nichts ändern, das man nicht annimmt. Verurteilung befreit nicht, sie unterdrückt. […]. Will der Arzt einem Menschen helfen, so muß er ihn in seinem So-sein annehmen können. Er kann dies aber nur, wenn er zuvor sich selber in seinem So-sein angenommen hat.“ (C. G. Jung 51971, 143; kursiv im Original). Vgl. auch die Aussage weiter unten in P. Tillich 2007, 55: „From Psychoanalysis I have learned that the unacceptable must first be accepted and only then can be transformed.“ Die von Tillich hier vorgebrachte Kritik an der Sunday School in den USA seiner Zeit ist vernichtend. Inwiefern er dabei an seinen eigenen Katechismusunterricht zurückdenkt, kann nicht gesagt werden. Zu beachten ist, dass in den USA Sunday School auch für Erwachsene durchgeführt wird. P. Tillich 2007, 19.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

In diesen Ausführungen reflektiert sich besonders deutlich Tillichs Lebensphilosophie, in der Vitalität einen wichtigen Parameter darstellt. Für Tillich besteht ein Zusammenhang zwischen Vitalität und Glauben als Mut zum Sein, der Selbstbejahung impliziert. 201 Tillich fragt provokant, ob das Christentum noch relevant sei für die Starken in der Gesellschaft (20). Soweit ich sehen kann, ist dies eine singuläre Aussage bei Tillich, die in gewisser Spannung zu seiner üblichen Elenchtik mit der Betonung des Durchlebens der Grenzsituation zu stehen kommt. Die Entfremdung der Arbeiter und der Gebildeten (die Tillich bereits 1913 beklagte) ist ein weiteres Symptom für die Irrelevanz der christlichen Botschaft für viele gesellschaftliche Gruppen. Und schließlich zeigt sie sich in der Tatsache, dass heute andere denn christliche Themen im Vordergrund gesellschaftlichen Interesses und ihrer Leidenschaft stehen (20–21). Dieser Symptombeschreibung, die für Tillich anzeigt, dass die Methode der Mediation in dieser Situation gefordert ist (23), lässt er eine Ursachenanalyse folgen, gewissermaßen die Diagnose, bevor im letzten Teil der Vorlesung die Therapie folgt. In der zweiten Vorlesung „The Nature of Present-Day Thought: Its Strangeness to Traditional Christianity“ stellt Tillich zunächst die Frage nach den bestimmenden Prinzipien der modernen Vernunft (mind). In der Perspektive der Relevanz christlicher Predigt sieht Tillich vor allem vier Aspekte: (1.) Die Betonung der horizontalen Dimension. (2.) Die intentionale Kontrolle der Natur. (3.) Die der Wissenschaft intrinsische Verobjektivierung der Wirklichkeit (einschließlich des Menschen), indem sie alles beschreibbar und messbar macht. Und schließlich (4.) ein reduktionistischer Vernunftbegriff als „calculating reason“. Die Wurzeln für diese Entwicklung liegen, wie Tillich in einem geistesgeschichtlichen Exkurs ausführt, in der Renaissance (23–26). Daneben gab es aber noch andere Haltungen des Weltverhältnisses in westlicher Zivilisation. Tillich systematisiert diese mithilfe von drei „archetypischen Symbolen“: Zirkel (als Erfüllung innerhalb des Kosmos–repräsentiert von antiker griechischer Kultur), vertikale Linie (Erfüllung durch Transzendierung des Kosmos und direkten Zugang zum Absoluten-Hellenismus) und die horizontale Dimension, durch welche die westliche Moderne (einschließlich des Calvinismus) charakterisiert ist: Fortschritt durch Kontrolle und Transformation der gegebenen Welt einhergehend mit fortschreitender naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Den bisherigen 201

Vgl. dazu die Ausführungen in „The Courage to Be“ MW 5, 177–180 = GW XI, 64–69.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

161

Endpunkt dieser Entwicklung sieht Tillich im Skinner’schen Behaviorismus, der den Menschen gänzlich in ein Objekt, in ein „blessed animal“ verwandele. Im technischen Bereich sieht Tillich in der Raumfahrt den vorläufigen Endpunkt erreicht (27–32). 202 Bevor Tillich diese Beschreibung der Moderne mit dem traditionellen Christentum vergleicht und in den Kontrastpunkten die Ursachen für die gegenwärtige Irrelevanz der christlichen Botschaft ausmacht, erinnert er daran, dass auch die westliche Moderne noch innerhalb eines christlich geprägten kulturellen Paradigmas verstanden werden müsse (als Beispiele führt Tillich Nietzsche, Marx und Goethe an). Die Haltung dieses (zuweilen anti-christlichen) „christlichen Humanismus“ bestehe in einer meist naturalistischen stoischen Resignation gegenüber dem Schicksal und einem unterdrückten „profound feeling of guilt“. Die Hoffnung dieses „christlichen Humanismus“ gründe in menschlichem Fortschritt und der Identifikation mit einer Gruppe; christliche Erlösung sei säkularisiert als „technische Kontrolle“. (32–34) Im traditionellen Christentum stehen nun dieser modernen Selbstinterpretation des Menschen als Ursachen für dessen gegenwärtige Irrelevanz nach Tillich gegenüber: (1.) Die Betonung der Vertikalen (Reich Gottes, Ewiges Leben) ausgedrückt in einer verobjektivierenden „vertikalen Sprache“ – die jedoch dem Absoluten gegenüber unangebracht und für den modernen Menschen unverständlich ist. (2.) Die Verobjektivierung der Wirklichkeit zum Zweck ihrer Beherrschung (einschließlich des Menschen) steht im Widerspruch zur christlichen Agape als „love-relationship“, die in allem eine Manifestation des göttlichen Grundes sieht und es als solches annimmt. Es gibt Dimensionen, in denen die Erkenntnis der Partizipation der ganzen Person bedarf. Auf diesem Hintergrund ist u. a. falsche Apologetik, die eine literalistische Deutung biblischer Symbole gegenüber dem gewandelten naturwissenschaftlichen Weltbild verteidigt, eine Ursache für die Irrelevanz der christlichen Botschaft. (3.) Autorität gegenüber Autonomie: Relevanz wird nicht aufgrund äußerer Autorität gewonnen, auch nicht durch Kirche oder Bibel. Vielmehr ist das Wort Gottes ein ekstatisches Ereignis (hier entfaltet Tillich in wenigen Zeilen seinen Begriff der Theonomie). (4.) Der Angriff des Relativismus auf ethische Werte und Glaubensinhalte. Dem hält Tillich Glaube und Liebe als Ergriffensein vom Unbedingten gegenüber. Die relativen historisch bedingten Inhalte und Formen stehen alle unter dem unbedingten Kri202

In ST III, die im selben Jahr 1963 erschien, gebraucht Tillich diese drei Metaphern für die Beschreibung der Lebensbewegungen (STD III, 42–43 = STE III, 30–31).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

terium der Agape. (5.) Die heutige „alliance of the modern scientific mind with the Asiatic mystical mind“. Und die „invasion of Buddhist propaganda into the West …“ (38). Besonders unter Gebildeten findet vor allem der Zen-Buddhismus großes Interesse. Eine Ursache liegt nach Tillich darin, dass der Buddhismus die Möglichkeit bietet, jede Objektivierung der Religion mystisch zu transzendieren im Gegensatz zu wörtlich verstandenen christlichen Symbolen.203 Vielleicht spielt auch der Wunsch eine Rolle, durch die Transzendierung der Individualität die Verantwortung für uns selbst loszuwerden (35–39). Tillich schließt diese Vorlesung mit dem Hinweis auf eine Gegenbewegung gegen die so skizzierte Moderne: den Existenzialismus. Der Existenzialismus arbeite durch die Konzentration auf die individuelle Existenz dem Christentum zu, indem er aufzeige, dass die Begrenzung auf die horizontale Dimension zu Leere und Sinnlosigkeit führe; und er mache auf die Tatsachen von Endlichkeit, Angst, Schuld und Einsamkeit aufmerksam. Der Existenzialismus thematisiere genau die menschlichen Grundfragen, auf die die christliche Botschaft als Antwort entstanden sei. Daher kann Tillich schreiben: „So it seems to me we may consider this arising of existentialist interpretation as the divine providential way to make it at least possible again to understand the Christian symbols as answers to actual questions. If this were done, then the Christian symbols would again become possible answers to be rejected or accepted. This would already be a new relevance.“204

In diesem Zitat wird deutlich, worum es Tillich in seiner Rezeption des Existentialismus im Grunde geht. Deshalb gibt es auch kaum Anlass, sich über die Tatsache zu wundern, dass Tillich sich nicht mit den in den USA zu seiner Zeit diskutierten philosophischen Entwicklungen auseinandersetzte. 205 Wie kann nun eine relevante christliche Antwort auf diese Situation aussehen? Das ist explizit das Thema der dritten und letzten Vorlesung (auch wenn viele Punkte bereits angesprochen wurden): „The Revolt 203

204 205

In dieser Äußerung analysiert Tillich den Vorteil der Lehre von den „geschickten Mitteln“ (skr. upāya) in Verbindung mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis (vgl. z. B. die Arbeiten des Physikers Fritjof Capra), ohne dass Tillich an irgendeiner Stelle die hermeneutische Relevanz der „geschickten Mittel“ reflektiert hat. Vermutlich war Tillich nicht mit dem Konzept der „geschickten Mittel“ vertraut (vgl. dazu ausführlich Kapitel 9 vorliegender Arbeit). P. Tillich 2007, 40 (kursiv im Original). Für C. H. Ratschow ist Tillichs Verhalten in diesem Punkt schwer erklärlich und er vermutet ein mögliches Zeit- und Sprachproblem dahinter (C. H. Ratschow 1986, 138–139), was der Bevorzugung des Existenzialismus bei Tillich als „divine providential way“ aber nicht widerspricht. Dieser Sachverhalt zeigt aber auch die Begrenztheit von Tillichs Kontextualisierungsmodell.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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against the Modern Mind: The Relevance of the Christian Message in Spite of Its Irrelevance.“ Die existentialistische Bewegung liefert die Analyse der menschlichen notvollen Grundsituation (human predicament). Allerdings kann diese Analyse nicht die Antworten liefern auf die Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz. Sie müsse, wie bereits Pascal wusste (auf den sich Tillich mehrfach in dieser Vorlesung bezieht), von anderswoher kommen, nämlich aus der Essenz. 206 Die entscheidende Frage ist für Tillich, ob das Christentum aus seinem Wesen heraus (trotz seiner Entstellungen in der Geschichte) eine Antwort auf die Fragen, sowohl der modernen Vernunft als auch der existentialistischen Bewegung, geben kann. Und Tillichs Antwort lautet: „I answer: yes. It can“ (46). Was nun folgt, ist eine konzentrierte Zusammenfassung seiner Theologie, wie er sie in seinem Gesamtwerk und insbesondere in der Systematischen Theologie entfaltet hat. Die Konzentration auf die wesentlichen Punkte verleiht diesem Text einen gewissen vermächtnishaften Charakter. (1.) An erster Stelle steht das Urdatum des Christentums, das faktische Ereignis des personalen Lebens Jesu, der von den Jüngern als der Christus aufgenommen wurde. In dieser Faktizität, die für ihn unaufgebbar ist, sieht Tillich die universale Relevanz für die Menschheit. Wie viel in der biblischen Überlieferung der faktischen, wie viel der aufnehmenden Seite angehört, sei irrelevant–in jedem Fall werde diese Realität durch das Bild hindurch scheinen. (2.) Das „Paradox der Kirchen“, welche die Geistgemeinschaft repräsentieren, mache es möglich, trotz der oft abstoßenden faktischen Wirklichkeit der Kirchen, an der Kirche festzuhalten–allerdings nur unter der Bedingung, dass die Kirchen sich ihrer paradoxen Existenz bewusst bleiben. Möglich und notwendig sei dies aufgrund des „Protestantischen Prinzips“, das ontologisch und staurologisch begründet ist: „Only through his death can he be the Messiah. This is the basic paradox of Christianity“ (49). Die ekklesiologische Relevanz des „protestantischen Prinzips“ besteht demnach für Tillich in dem stets geforderten Protest der Kirche in ihrer Essenz (ihrem wahren Wesen) gegen ihre existenzielle Wirklichkeit. Dies schließe die Polarität von „Tradition“ und „Reformation“ ein. Die entscheidende Konsequenz dieser Begründung des semper reformanda-Prinzips ist für Tillich in der Perspektive der Relevanzfähigkeit die prinzipielle Kontextualisierbarkeit des Christentums:

206

Vgl. hierzu den bereits zitierten Schlusssatz in MW 6, 410.

164

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

„The decisive implication of this paradox of the churches is the possibility to liberate Christianity from any cultural fixation and open it for new embodiments in other worlds and other periods. I refer to differences of culture, nations, and times, and beyond these to something even more fundamental: the essential difference about the meaning of human existence which underlie religions and cultures.“207

Daher kann nach Tillich das Christentum trotz der in ihm prävalenten vertikalen Dimension auch andere Selbstdeutungsentwürfe, wie die der horizontalen oder der zirkularen Dimension, in sich aufnehmen, ohne die vertikale Dimension zu verlieren. Unter der Bedingung des protestantischen Prinzips „that everything finite has to sacrifice itself to that which is infinite in order to become a bearer of the infinite“, könne das Christentum sogar andere Religionen in sich aufnehmen (50). Die Vermeidung dieses Opfers führt zu einer „demonic distortion“, die es in allen Religionen – einschließlich des Christentums – gebe. Hier liegt der Konvergenzpunkt Tillich’scher und Barth’scher Religionskritik. Die Parallele zu Tillichs Glaubensbegriff, wie er ihn an anderen Stellen ausführt, ist offensichtlich: faith (als Ergriffensein vom Unbedingten) muss sich in konkreten Symbolen ausdrücken (belief ); diese müssen jedoch dem Unbedingten „geopfert“ werden, um Träger desselben sein zu können. Das ist auch analog zur Unterscheidung von Gehalt und Form in Tillichs Religions- und Offenbarungsbegriff. Von daher gewinnt Tillich nun einen hermeneutischen Schlüssel für die Deutung der gesamten Religionsgeschichte: „the fight of religion against religion“ (50). Dieser Kampf hat nach Tillich zwei Gründe: (1.) Der Kampf gegen die Dämonisierung der Religion, die endliche Inhalte zum Göttlichen erhebt, und (2.) die göttliche Gegenwart in der säkularen Welt. Die Trennung von religiöser und säkularer Sphäre ist demgemäß ein Ausdruck des grundlegenden Übels in der menschlichen notvollen Grundsituation. Das Ideal bestehe in der Überwindung dieses Gegensatzes als non-religion und non-secular in der neuen Realität des Christusereignisses (51–52). Es ist das Ideal einer theonomen Kultur, wie es Tillich in seiner Kulturtheologie entfaltet hat. Die Relevanz des Christentums bestehe so in seiner Selbstnegation: „Without this continuous self-negation, Christianity is not true Christianity and is not relevant“ (52). Aus der Negation kommt Tillich in einem dritten Punkt zur Position: Diese Selbstnegation des Christentums ist nur möglich aufgrund der höchsten Form der Selbstaffirmation, ohne welche das Christen207

P. Tillich 2007, 50.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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tum keine rettende Kraft hätte. Diese Selbstaffirmation besteht im Neuen Sein, der Erscheinung (appearance) Jesu als des Christus: Das sei für alle menschliche Existenz „infinitely relevant“, weil es den Konflikt zwischen essentiellem und existenziellem Sein überwindet. Diese Realität des Neuen Seins scheint (radiates) durch das Bild Jesu als des Christus hindurch. Dieses Neue Sein ist an erster Stelle gekennzeichnet durch das „anti-demonic self-sacrifice“. Im Blick auf das Leben des Einzelnen bedeutet das Neue Sein die Möglichkeit der „self-acceptance“. Da die diesbezüglichen Aussagen Tillichs relevant sind für die Interpretation der Predigt „You are Accepted“, gebe ich hier das ausführliche Zitat: „New being means for all of us one unheard-of-thing – one almost impossible thing, if we are serious: namely, self-acceptance. You may answer, ‘Nothing is easier. We all accept ourselves, love ourselves, and like to stay with ourselves as long as possible on this earth.’ So why make this the fundamental point of the new being? This self-acceptance is partly our natural self-affirmation, and it is partly a continuous repression of disgust with ourselves. I never have met a serious human being who did not tell me the story of his or her self-disgust, which makes right self-love impossible. If this self-disgust is there and is felt – if the voice is heard which says: ‘You are not what you essentially are, not your image (eidos) in God’s mind, symbolically speaking, but a distortion of that’, then self-acceptance becomes the deepest and most difficult question.“208

In der Frage der Selbstannahme gebe es zwei verbreitete Positionen: die Position des Gesetzes (nach Tillich einschließlich des Puritanismus und Evangelikalismus), die entweder zur Verdammung oder (schlimmer noch) zur Selbstaffirmation auf der Basis der eigenen Meriten führe. Und andererseits die resignative Aufgabe des Selbst in Mystik und „asiatischer“ Selbstnegation. 209 Die Lösung, die Tillich für die Probleme in den beiden von ihm konstruierten Alternativen gibt, besteht nun in dem Paradox der Rechtfertigung, das die Größe des Christentums ausmache: „the acceptance of the unacceptable“. (55) Auch an dieser Stelle macht Tillich deutlich, dass diese Formulierung ein probatorisches Angebot in kommunikativer Absicht darstellt, wenn er betont, dass der gemeinte Sachverhalt auch anders formuliert werden könne: „You can call it divine grace, justification by grace through faith, or you can give it other names. Here I do not use the old words, but try to find another expression.“ (55) Zugleich zeige sich in dieser „Posi208 209

P. Tillich 2007, 57. Diese Sicht des Buddhismus, wie sie Tillich hier im Blick auf das „Selbst“ entwirft, wird zu modifizieren sein, was für die Frage des Vergleichs mit dem Shin-Buddhismus von großer Tragweite ist.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

tivität des Lebens“ gegenüber dem Gesetz oder östlicher Resignation die Größe des Christentums. Die Verortung der Neuinterpretation der Rechtfertigungslehre in Tillichs Lebensphilosophie machen die Aussagen deutlich, dass die darin vorausgesetzte Macht der „Gnade“ (bei Tillich in Anführungszeichen) ein Prinzip oder eine Realität im Leben selbst sei: „But there is a principle or a reality in life itself which breaks through in moments of self-disgust and self-condemnation and which can affirm that one is accepted, although one knows how unacceptable one is.“210

Es ist der von Schelling inspirierte Umschlag der Negativität in die Positivität im existenziellen Vollzug der Grenzsituation, der als Durchbruch erfahren wird in dem es zu einer paradoxen Selbstaffirmation kommt. Tillich betont, dass es bei dieser „Gnade“ nicht um einen kontingenten göttlichen Rettungsakt handelt, sondern um das immer gegenwärtige aktuelle Paradox unseres Lebens, das manchmal, wenn wir offen dafür sind, durchbricht und uns ergreift. Ich werde auf diesen Aspekt ausführlicher in der Predigtanalyse zurückkommen. Hier sei noch die sachliche Übereinstimmung mit dem Aufsatz von 1928 erwähnt. 211 Die so gefasste „Gnade“ als ergreifende Erfahrung des Neuen Seins, einer neuen Realität, hat rettende, und das heißt heilende Kraft. Diese heilende Kraft der Gnade ist nicht an Religion gebunden, sondern könne prinzipiell in jeder Situation erfahren werden, z. B. selbst bei der Hausarbeit (56). 212 Abschließend behandelt Tillich die Frage, die ihn viele Jahre geplagt hat, ob das Christentum die Sinnlosigkeit überwinden könne. Tillich sieht die mögliche Überwindung in der dreifachen Versöhnung („reconciliation“) mit dem Grund des Seins, mit der Welt und mit sich 210 211

212

P. Tillich 2007, 55. Zwei Dissertationen haben sich bisher ausführlich mit Tillichs Neuinterpretation der Rechtfertigungslehre und deren Verhältnis zu reformatorischem Verständnis befasst: O. Schnübbe 1985 und A. Karras 1997. Beide sehen in Tillichs Entwurf eine sachliche und strukturelle Kontinuität zu Luther gegeben, so dass Tillichs Rechtfertigungslehre im Grunde keine „Neuformulierung“, sondern eine Erweiterung in Bezug auf den gegenwärtigen Kontext darstellen. Auf eine ausführliche Diskussion von Tillichs Formulierung kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Allerdings ist an beide Studien die kritische Anfrage zu richten, ob nicht der identitätsphilosophische Lebensbegriff mit seiner gewissen „Automatik“ (die bei Tillich hier und an anderen Stellen sichtbar wird) lutherisches Verständnis zumindest überlagert. P. Tillich 2007, 56. An dieser Stelle besteht eine große Nähe zum Zen. Ein präferenzieller Ort des Erwachens oder Satori, das ebenfalls als Durchbruch erlebt wird, ist die Küchenarbeit.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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selbst, sowie in der Agape. Denn die Agape sei die Liebe, die das nicht Annehmbare annimmt. Die so verstandene Agape sieht Tillich z. B. auch in Japan, wo sie als Barmherzigkeit („compassion“) verstanden werde. „But the pure, clear principle of acceptance of the unacceptable – and therefore of reconciliation and healing in the ultimate sense – is nowhere expressed as radically and fully as in Christianity.“ (58) Dieses Urteil ist, wie diese Studie zeigt, im Blick auf Jōdo-shinshū eindeutig zu revidieren. 213 Das heißt zugleich, dass das christliche Proprium in Tillich’scher Fassung ein funktional valides Äquivalent innerhalb des Buddhismus besitzt. Im Blick auf die Sinnfrage formuliert Tillich: „Where there is reconciliation and agape there is no meaninglessness anymore. There is rather the experience of eternal life here and now.“ (58) Es ist die Vereinigung mit dem ewigen Grund, von dem wir herkommen und zu dem wir zurückkehren. Diese Bewegung des Lebens ist notwendig, damit das Potenzielle aktualisiert werden kann. In Analogie zu einem Künstler gehe es im Leben der Kirche um den Ausdruck („expression“) der essentiellen Realität. Da jedoch jede Expression eine Diskrepanz zu essentieller Realität aufweist, bleibe ein Wagnis. Im Blick auf die Aufgabe des Prediger bedeute das konkret: „The minister who simply preaches in traditional ways, without risking error and controversy, should not have become a minister. Ministry means service, and he or she does not serve – does not heal, but rather prevents healing.“214

Als konkrete Kommunikationsstrategie empfiehlt Tillich daher, bisher Gesagtes zusammenfassend, jede das Heilige objektivierende Sprache oder Namen zu vermeiden. Entweder völlig oder, wo es unumgänglich sei, Begriffe zu gebrauchen und diese unter das Ja und das Nein zu stellen, unter dem jede Rede vom Göttlichen stehen müsse. Tillich sieht diesen Sprachgebrauch in biblischer, besonders alttestamentlicher Rede von Gott begründet. Da die meisten Hörer jedoch religiöse Sprache in objektivierender Weise verstünden, sei es ratsam, nicht mit „Gott“ zu beginnen, sondern bei der persönlichsten Erfahrung, unserem „ultimate concern“ (60–61). Aus der Vermeidung einer verobjektivierenden Schau der Wirklichkeit, an deren Stelle Tillich eine sakramentale Deutung der gesamten Wirklichkeit setzt, ergibt sich dann der Widerstand gegen einen sinnlosen Fortschritt um des Fortschritts willen („forwardism“) und damit gegen den Missbrauch von Mensch 213 214

Vgl. dazu ausführlich Hauptteil II dieser Studie. P. Tillich 2007, 59.

168

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

und Natur. Zugleich ermögliche die sakramentale Schau der Wirklichkeit, dass das Heilige in jedem Aspekt der Wirklichkeit (auch den kulturellen Schöpfungen) hindurchscheinen könne. Das Christentum kämpfe bergan, aber dieser Kampf könne, da ist Tillich zuversichtlich, gewonnen werden (61–62).

4.4 Fazit Zwischen der „Kirchlichen Apologetik“ und den „Earl Lectures“ liegen exakt 50 Jahre – das zentrale Anliegen von Tillichs Schaffen blieb dabei in großer Kontinuität die Frage nach einer relevanten Predigt für Menschen der Gegenwart, die dem Glauben und der Kirche entfremdet sind. Das belegen die hier diachron abgeschrittenen Texte Tillichs. Dass die Predigttheorie und die Predigtpraxis im Gesamtwerk Tillichs nicht nur einen Nebenschauplatz in seinem Gesamtwerk bilden, ist auch durch die in der Forschungsgeschichte ausführlich dargestellten Arbeiten deutlich geworden. Eine Interpretation der Predigttheorie Tillichs hat unter dieser Voraussetzung zu geschehen. Es gilt die prägnante Formulierung H. Thielickes: „Die Toga des Philosophen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein Botschafter spricht.“215 Der pragmatisch-kommunikative Aspekt in apologetischer Intention wird in allen untersuchten Texten deutlich. Entsprechend zieht C. Schwöbel nach seinem Bericht über Tendenzen der Tillichforschung von 1967–1983 folgenden Schluss: „Die eminente Situationsbezogenheit der Theologie Tillichs läßt sich nicht in die situationstranszendente Gültigkeit eines kohärenten theologischen Systems übertragen, wenn nicht die systematischen Ansätze Tillichs eigenständig weiterentwickelt werden. Insofern sind die Versuche einer Gesamtdeutung der Theologie Tillichs mehr systematische Entwürfe der Autoren, die sie unternehmen.“216 Die Situation der Säkularisierung (und in Tillichs letzten Jahren auch die Relevanz der anderen Religionen) bilden den lebensweltlichen Bezugsrahmen für Tillichs Theorieentwicklung. Analog zu seiner apologetischen Theologie entwickelte Tillich einen apologetischen Predigttypus, in dem er sich insbesondere auch an eine der christlichen Botschaft entfremdete Hörerschaft richtet. Dabei werden jedoch die Grenzen zwischen Apologetik als „intellektueller Diakonie“ und Seel215 216

H. Thielicke 1967, 196. C. Schwöbel 1986, 222.

4. Die Predigttheorie Paul Tillichs

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sorge fließend. Die Apologetik steht letztlich im Dienst der Verkündigung der Heilserfahrung, die in ihren unterschiedlichen Aspekten als Heilung, Ergriffensein von einem unbedingten Anliegen, unbedingtes Angenommensein oder einfach Gnade oder Glaube (faith) und Agape namhaft gemacht wird. Bereits in dem Aufsatz „Die Protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ von 1928 ist die Grundstruktur des Tillich’schen Systems als homiletisches Programm formuliert und setzt sich bis in die späten Texte fort. Wie Tillich immer wieder betont, besteht die erste Funktion der Kommunikation der christlichen Botschaft in der Elenchtik, dem Aufweis des „human predicament“, das er mithilfe des Existenzialismus interpretiert, und die zur Erfahrung der Grenzsituation führen soll. Diese Grenzerfahrung geht der Erfahrung des „Durchbruchs“ als Erfahrung paradoxen Angenommenseins voraus, welches die Mitte der Verkündigung bildet. Hier reflektiert sich das reformatorisch-lutherische Schema von Gesetz und Evangelium. Die dritte Aufgabe protestantischer Verkündigung besteht in dem Zeugnis von dem Neuen Sein. Neben einem Supranaturalismus, den Tillich mit seinem dynamischen Non-Dualismus unterlaufen will, ist es vor allem die traditionelle biblisch-kirchliche Terminologie, die nach Tillich ihre kommunikative Funktion eingebüßt hat. So besteht neben der Korrelationsmethode die Hauptstrategie in einer großangelegten semantischen Reinigung und Neuformulierung der christlichen Botschaft. Diese beiden kommunikativen Strategien sind prinzipiell zu unterscheiden. In der Durchführung bei Tillich sind sie jedoch nicht zu trennen, da die Neuformulierung der christlichen Botschaft mittels der ontologisch begründeten Korrelationsmethode geschieht. Als wesentliche Voraussetzung für die Kommunikation der christlichen Botschaft sieht Tillich entsprechend der Korrelation von Botschaft und Situation eine partielle Partizipation an der Lebensweltlichkeit der Adressaten. Die Suche nach dem „common ground“ ist für die relevante Vermittlung des Evangeliums konstitutiv. Tillichs eigener Kontextualisierungsversuch knüpft dabei im Wesentlichen an den Existenzialismus als „divine providential way“ an, ohne diesen jedoch für andere Zeiten und Situationen für verbindlich zu erklären. Auch für Tillichs systematischen Zugriff selbst (einschließlich der Ontologie) gilt das „Protestantische Prinzip“ in dem Tillich die prinzipelle Kontextualisierbarkeit der Gestalt des Christentums begründet sieht. Ohne Zweifel besteht Tillichs größter Beitrag zur Homiletik in der Hörerorientierung, wie sie durch die Korrelationsmethode und

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

einen auf Resonanzphänomene abzielenden probatorischen Gebrauch einer alternativen Terminologie zum Austrag kommt. Die kontinuierliche Reformulierung der christlichen Botschaft und die semantische Reinigung ihrer Termini im Dienst ihrer kommunikativen (und „heilenden“) Funktion in der ständigen Begegnung mit unterschiedlichen Lebenswelten bilden die Bedingung für deren bleibende kulturelle Anschlussfähigkeit. Die prinzipielle Differenz von kommunikativer Strategie und Ontologie erlaubt dabei eine kreative Weiterentwicklung von Tillichs kulturtheologischem Erbe und die Bewahrung seiner Intention. Im Folgenden ist zu untersuchen, wie sich die bisher dargestellten theoretischen Ansätze Tillichs im Blick auf die religiöse Kommunikation auswirken.

5. Analyse ausgewählter Predigten 5.1 Methodische Vorbemerkungen Zur Auswahl der Predigten. Leitend für die Auswahl der Predigten ist die Forschungsfrage nach dem Zusammenhang von Glaubensbegriff und dessen Auswirkung auf die Predigt als Vermittlungsgeschehen.1 Zunächst analysiere ich drei Predigten Tillichs aus unterschiedlichen Schaffensphasen, die jedoch thematisch eng miteinander verbunden sind. Es handelt sich zunächst um die Feldpredigt zu Röm 3, 28 vom Oktober 1917. In ihr wird der Glaubensbegriff explizit im Kontext der für Tillichs Theologie zentralen Rechtfertigungsthematik aufgegriffen. Da diese Predigt in die Phase entscheidender theologischer Entwicklungen beim frühen Tillich gehört, ist sie werkgeschichtlich besonders aufschlussreich. Zudem stellt sie eine frühe Parallele zu der späten Predigt aus der amerikanischen Zeit „You are accepted“ dar, der ebenfalls ein Text aus dem Römerbrief (Röm 5, 20) zur Rechtfertigungsthematik zugrunde liegt. Die hier gebotene ausführliche Exegese von „You are accepted“ ist dadurch gerechtfertigt, dass diese Predigt wirkungsgeschichtlich als Tillichs wichtigste gelten kann und bisher nicht in dieser Weise analysiert wurde. Zwischen diesen beiden Predigten, in denen Tillichs implizite Homiletik eingeklammert ist, liegen 29 Jahre, so dass sich eine Linie zwischen beiden ziehen lässt, an der Tillichs Entwicklung im Blick auf Thematik, Struktur und Stil besonders klar hervortritt. An zweiter Stelle – und als Bindeglied – analysiere ich die einzig erhaltene Predigt aus Tillichs „predigtloser“ Zeit. Es handelt sich dabei um die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 1925, in welcher der Dienst von zukünftigen Predigern thematisiert wird. Sie ist daher homiletisch besonders interessant. Der vollständige Text dieser drei Predigten ist im Anhang wiedergegeben. 1

In der bisherigen systematischen Darstellung wurde bereits auf relevante Aussagen einzelner Predigten Bezug genommen, die hier nicht wiederholt werden. In Abschnitt 4.3.3 wurde die Predigt-Trilogie „The Theologian“ rhetorisch analysiert.

172

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Daneben analysiere ich noch zwei weitere amerikanische Predigten ohne Wiedergabe des vollständigen Textes. Insbesondere in der Predigt „Our ultimate concern“ wird der Glaubensbegriff explizit behandelt und homiletisch umgesetzt. So führt die diachrone Perspektive zur synchronen Analyse und verleiht dieser die nötige werkgeschichtliche Tiefe, die in der amerikanischen Forschung bisher unberücksichtigt blieb. Auf diese Weise ergibt sich eine Verbindung der unterschiedlichen Tendenzen amerikanischer und deutscher Tillich-Forschung. Methoden der Predigtanalyse. Da sich die Analyse naturgemäß auf in gedruckter Form vorliegende Texte der Predigten beschränken muss, ist eine rhetorische und inhaltlich-semantische Analyse der Predigten angezeigt. 2 Neben der durch die Quellen gegebene Beschränkung auf Predigttexte bietet dieses Vorgehen auch die Basis für eine Vergleichbarkeit mit den (schriftlichen) religiösen Reden bei Jōdo-shinshū. Bei diesem diachronen Durchgang durch die „homiletische Biographie“ Tillichs nehme ich jeweils eine etwas ausführlichere biographische Einordnung vor, da sich die hermeneutische Bedeutung des Verhältnisses von Biographie und Theologie bei Tillich für die Analyse der Predigten als sehr aufschlussreich erweist.3 2 3

Vgl. zu den einzelnen Modellen der Predigtanalyse insgesamt S. Wöhrle 2006. Die Gründe für eine hier jeweils gegebene Skizze der Biographie Tillichs liegen zum Einen, wie Carl Heinz Ratschow (C. H. Ratschow 1980, 14–15), Trutz Rendtorff (T. Rendtorff 1989, 253) und Andere (vgl. z. B. insbesondere die Tillich-Biographie von W. und M. Pauck) bemerkten, in der großen Bedeutung der Person Tillichs für sein theologisches und philosophisches Gesamtwerk. Zudem hat Tillich selbst in nicht weniger als drei autobiographischen Essays die enge Verbindung seiner Biographie und seines philosophisch-theologischen Systems zum Ausdruck gebracht. Was für die theoretischen Schriften Tillichs gilt, fällt für die Predigten umso mehr ins Gewicht. Denn religiösen Rede ist nie von dem Subjekt der Rede abstrahierbar. Jede Predigt hat als Kommunikationsgeschehen auch einen „Selbstoffenbarungsaspekt“ (Friedemann Schulz von Thun), ein Faktum, das Tillich in seinem Theologiebegriff als existenzieller Rede formuliert hat. So geht beispielsweise W. C. Bergmann in seiner Dissertation über „Tillich’s theology in his apologetic preaching“ sehr ausführlich auf die Biographie ein (W. C. Bergmann 2001, 19–69). Dass V. Brügmann, A. Rössler und H. S. Na diesen Aspekt in der Behandlung von Tillichs Predigttheorie, sowie M. Seils und M. Korthaus in ihrer Darstellung des Tillich’schen Glaubensbegriffs, völlig ausblenden, ist als Defizit anzuzeigen. Korthaus gibt den zeitlichen Abstand zur Person Tillichs, die uns dadurch als solche nicht mehr zugänglich ist, als Grund für den prinzipiellen methodischen Ausschluss der Biographie Tillichs an. Korthaus erhebt „gravierende Einwände“ gegen „das von Ratschow geltend gemachte hermeneutische Prinzip, das in der Person Paul Tillichs selbst besteht.“ (M. Korthaus 1999, 22). Dass uns aber die Person Tillichs nicht mehr unmittelbar zugänglich ist, kann jedoch kein Argument für den methodischen Ausschluss der Einsicht in deren Bedeutung für sein Denken sein. Vielmehr ist es Aufgabe jeder historisch-kritischen Rekonstruktion, sich über die Analyse der Primär- und Sekundärquellen der

5. Analyse ausgewählter Predigten

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5.2 Biographischer Hintergrund zu den frühen Predigten Als Sohn eines evangelisch-lutherischen Pfarrers wuchs Tillich ganz im bürgerlich-obrigkeitlichen Denken des wilhelminischen Kaiserreiches und eines konservativen Luthertums auf. Tillich selbst teilt seine Biographie in vier Lebensabschnitte4, deren beiden erste dem 19. Jahrhundert angehören, das Tillich auch für sich persönlich 1914 enden lässt. Die frühen Jahre verlebt Tillich im kleinstädtischen Bereich. Auf Starzeddel folgte 1891 aufgrund der Berufung des Vaters zum Superintendenten der Umzug nach Schönfließ in der Neumark. Die Vorkriegsjahre lässt Tillich mit dem Umzug nach Berlin beginnen, wohin Tillichs Vater 1900 zum königlichen Konsistorialrat berufen wurde. Diese stehen unter dem Vorzeichen der akademischen Ausbildung und der großen Stadt, die Tillich zeitlebens begeisterte (auch später lebte Tillich in Großstädten, insbesondere ab 1933 in New York). In Berlin besuchte Tillich das Königliche Friedrich-Wilhelm Gymnasium bis zum Abiturientenexamen 1904. Zum Wintersemester desselben Jahres nimmt er in Berlin das Theologiestudium auf und beginnt privat mit Schelling-Studien. Nach einem Semester in Berlin wechselt er 1905 zum Sommersemester nach Tübingen, wo er ebenfalls nur ein Semester bleibt, und im Wintersemester nach Halle, wo er insgesamt vier Semester Theologie und Philosophie studiert. Dort erhielt Tillich besonders von seinem Lehrer Martin Kähler tiefe und prägende Eindrücke.5 Neben der Tradition der Vermittlungstheologie verdankt

4

5

historischen Wirklichkeit möglichst anzunähern. Einen Sachverhalt methodisch auszuklammern, weil er uns nicht mehr unmittelbar zugänglich ist, ist ein unzulässiger methodischer Kurzschluss. Indem Korthaus den apologetischen Charakter der Neuinterpretation des Glaubensbegriffs bei Tillich herausstellt, relativiert er sein striktes Urteil jedoch selbst, denn für die apologetische Intention entscheidend ist gerade auch der Apologet. Wie insbesondere die Neuinterpretation des Glaubensbegriffs in der Erfahrung Tillichs aus seiner Berliner Zeit zu verorten ist, haben W. und M. Pauck in ihrer Tillich-Biographie herausgestellt. Auch die für den Glaubensbegriff zentrale Schrift “The Courage to Be” ist, wie allein schon die Widmung im englischen Original anzeigt, nicht von der konkreten Situation abstrahierbar. Dasselbe gilt für viele weitere theoretische Schriften Tillichs, die meist okkassionell entstanden sind. Dass Ratschows Einsatz bei der Person Tillichs aber auch ein kritisches Korrektiv zu den Deutungen von G. Wenz und F. Wagner bilden kann, konzediert denn auch Korthaus (M. Korthaus 1999, 29). GW XII, 58–77; ursprünglich als „Autobiographical Reflections“ 1952 in New York erschienen, 1971 in dt. Übersetzung als „Autobiographische Betrachtungen“ in GW XII veröffentlicht. Über die Bedeutung Kählers für Tillichs Entwicklung vgl. besonders G. Wenz 1989, 62–89.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

er Kähler vor allem den Zugang zur paulinischen Rechtfertigungslehre und deren Anwendung auf den Bereich des Denkens.6 In der Philosophie übte Fritz Medicus, damals Privatdozent für Philosophie in Halle und hervorragender Kenner des Deutschen Idealismus, starken Einfluss auf Tillich aus. Neben der Beschäftigung mit Schelling zählt Tillich auch die „Entdeckung Kierkegaards und de[n] erschütternd[n] Einfluss seiner dialektischen Psychologie“7 zu den prägenden Ereignissen jener Studienjahre. Die Kierkegaard’sche Hinwendung zum Menschen, seine Analyse der existenziellen Bedeutung von Angst und Verzweiflung und das Element des Mutes im Glauben sind formative Momente in Tillichs Werk. Im Frühjahr 1909 legt Tillich sein Erstes theologisches Examen vor dem Konsistorium der Provinz Brandenburg ab, und 1910 wird er mit einer Dissertation über Schelling („Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien“) an der Universität Breslau zum Doktor der Philosophie promoviert.8 In das Jahr 1909 fällt auch die Ausbildung im damaligen „königlichen Domkandidatenstift“ in Berlin, wo Tillich seine homiletische Ausbildung erhielt. W. und M. Pauck schreiben dazu: 6

7 8

Tillich schreibt in seinem Brief an Thomas Mann vom 23. 5. 1943: „Die überragende Persönlichkeit des ersten Typus [i. e. konservativer Vermittlungstheologie, Anm. d. Verf.] war Martin Kaehler, … […] Gegenüber der Wucht dieses Mannes erschienen uns alle anderen klein. […] Ihm verdanken ich und meine Freunde die Einsicht, daß auch unser Denken gebrochen ist und der ‚Rechtfertigung‘ bedarf, und daß darum Dogmatismus die intellektuelle Form des Pharisäismus ist“ (GW XIII, 23–24). W. und M. Pauck fassen den Einfluss Kählers auf Tillich folgendermaßen zusammen: „Von Kähler kam Tillich die innere Gewißheit, daß der Mensch im Glauben durch Gnade gerecht werde, und zwar nicht nur als Sünder, sondern auch als Zweifler. Diese Einsicht war für ihn mit dem Gefühl einer großen Befreiung verbunden“ (W. und M. Pauck 1978, 33). Vgl. insbesondere Tillichs Aufsatz „Rechtfertigung und Zweifel“ von 1924, GW VIII, 85–100. P. Tillich 1969, 25. Warum sich Tillich in Breslau promovieren ließ, ist nicht ganz klar. W. und M. Pauck vermuten, dass zum einen der Förderer dieser Dissertation Fritz Medicus als Privatdozent die Arbeit nicht betreuen durfte, zum anderen vielleicht aufgrund von Beziehungen seines Vaters nach Breslau (W. u. M. Pauck 1976, 34; dieser Hinweis auf Beziehungen von Tillichs Vater fehlt in dt. Ausgabe 1978, 47). Vielleicht kam es aber dort bereits zu einer Begegnung mit Joseph Wittig, der besonders in seinem Buch „Roman mit Gott“ (etwa zeitgleich mit Tillichs „The Courage To Be“ entstanden) genau wie Tillich den Theismus aufgrund der Erfahrung von Verzweiflung und Sinnlosigkeit zu überwinden sucht. Die Parallelen und unterschiedlich akzentuierten Antworten von Tillich und Wittig wären eine eigene Studie wert. Mittelsperson zwischen P. Tillich und J. Wittig könnte Eugen Rosenstock-Huessy (enger Freund Wittigs) gewesen sein, aber auch Martin Buber, den Tillich seit 1924 kannte (W. und M. Pauck 1978, 271) und der auch in Kontakt mit Wittig stand. Tillich rezensierte auch das Buch „Das Alter der Kirche“ von E. Rosenstock und J. Wittig (GW XII, 248–250).

5. Analyse ausgewählter Predigten

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„Tillich learned to preach supremely well at the cathedral school. The sermons he wrote and delivered during World War I, as well as the chapel talks and Sunday sermons given in America, were the fruit of this superb training.“9

Es folgte ein Lehrvikariat in Nauen von April 1911 bis zum März des folgenden Jahres. Während dieser Zeit legt er in Halle am 16. Dezember 1911 seine Lizentiatenprüfung in Theologie ab, ebenfalls mit einer Dissertation über Schelling. Das Thema seiner Dissertation lautete „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung.“ 1912 nimmt er, nachdem er am 27. Juli das Zweite theologische Examen abgelegt hatte und am 18. August zum Pastor der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union ordiniert worden ist, eine Stelle als Hilfsprediger im Arbeiterviertel Berlin-Moabit an (1912– 1914) und beginnt nebenbei mit kirchlich-apologetischer Tätigkeit. Am 28. September 1914 ehelicht Tillich Margarete (Greti) Wever, kurz bevor er am 1. Oktober als Kriegsfreiwilliger an die Westfront abkommandiert wird, wo er als Feldgeistlicher bis 1918 verbleibt. Die kirchliche Ausbildung hatte Tillich 1912 mit der Ordination, die akademische 1916 mit der Habilitation abgeschlossen. Der erste Weltkrieg bildete für Tillich ein „Abgrunderlebnis,“ die „Katastrophe des idealistischen Denkens überhaupt.“10 Tillich entdeckt in dieser Zeit Nietzsche für sich.11 Ebenfalls für seine weitere 9

10

11

W. und M. Pauck 1976, 33. Der Abschnitt über das Domstift (S. 32–34), das 1854 von Friedrich Wilhelm IV. gegründet wurde und bis 1934 bestand, fehlt in der deutschen Übersetzung der Tillich-Biographie von Pauck. Die Gründe für diese Tilgung konnte ich leider nicht recherchieren. GW XII, 34. In den „Autobiographischen Betrachtungen“ geht Tillich auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges nicht näher ein. Im April 1918 erlitt er einen psychischen Zusammenbruch, der zu seiner Versetzung und schließlichen Entlassung aus dem Militärdienst führte. Inwiefern das „Abgrunderlebnis“ aus zeitlichem Abstand von Tillich theologisch gedeutet ist, kann nur vermutet werden. Aus den Feldpredigten lässt es sich jedenfalls nicht ableiten, auch wenn er bereits in einem Brief vom 5. 12. 1917 schrieb: „Ich bin durch konsequentes Durchdenken des Rechtfertigungsgedankens schon lange [!] zu dem Paradox des Glaubens ohne Gott gekommen“ (GWE V, 121 und GW XIII, 70). Der Idealismus hat in modifizierter Form den Krieg bei Tillich durchaus überlebt, so die Identität von Sein und Denken und die für Tillichs Denken Struktur gebende Schelling’sche Trias Sein, Nicht-Sein und Übersein. Wie unterschiedliche theologische Konsequenzen aus der Kriegserfahrung gezogen werden können, zeigt der Vergleich mit Karl Barth, Werner Elert oder Paul Althaus, vgl. dazu M. Roth 2002, der die genannten Theologen im Blick auf die unterschiedlichen apologetischen Konzepte auf dem Hintergrund ihrer für sie einschneidenden Erfahrung des Ersten Weltkrieges untersucht. C. H. Ratschow sieht in Tillichs Nietzsche-Rezeption jener Zeit v. a. ein emotionales und etwas sentimentales Ereignis, da sich Tillich durch Nitzsches Vitalismus und die Idee der Einsamkeit des Verstehenden selbst bestätigt fand (C. H. Ratschow 1986, 131). Und Hannah Tillich schreibt in ihrer Autobiographie, wie Tillich in den „wilden

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

religionsphilosophische und theologische Entwicklung entscheidend nennt Tillich die Beschäftigung mit der Malerei, die für ihn mehr als nur eine Art Ventil angesichts des Grauens des Krieges wurde. Insbesondere „jenes erste offenbarungsartige Erlebnis von einem BotticelliBild in Berlin“ führte in der Reflexion zu der für Tillichs Religionsphilosophie konstitutiven Unterscheidung von „Form“ und Gehalt“ sowie auf dem Hintergrund der Beschäftigung mit dem Expressionismus den für seine Offenbarungslehre wichtigen Begriff des „Durchbruchs.“12 Nach dem Essay „Wer bin ich?“ führte der Erste Weltkrieg Tillich zur Einsicht, dass dieser Krieg Europa zerstören würde und dass die Gesellschaft in Klassen gespalten ist, wobei die Massen der Kirche entfremdet sind.13 Aus dieser Zeit stammt auch die Predigt über Röm 3,28 im Oktober 1917, die auch Aufschluss über Tillichs theologische Entwicklung zu dieser Zeit gibt. Die Desillusionierung über den Krieg und die vertiefte Wahrnehmung der Situation der Arbeiterklasse führten zu einem intensiven Bemühen um den religiösen Sozialismus in den folgenden Jahren bis 1933. Nach dem Krieg übernimmt Tillich zunächst für kurze Zeit eine Stelle als Garnisionspfarrer in Berlin-Spandau, bevor er von 1919–1924 als Privatdozent für Theologie an die Universität Berlin wechselt. 1921 wird die Ehe mit Greti Wever geschieden. Am 22. März 1924 ehelicht Tillich Hannah Werner, kurz darauf folgt der Wechsel nach Marburg, wo Tillich (nach eigenen Aussagen gegen seinen Willen14) bis 1924

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Jahren“ der Berliner Zeit durch die Lektüre von Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ mit allem brach, was er vom Vater gelernt hatte (H. Tillich 1973, 101). Es war Tillichs Protest gegen den väterlichen „Großinquisitor“ (C. F. Wegener, K. Barth), den er in den späten Jahren nach eigenen Worten aufgeben konnte (P. Tillich 1969, 41). In den späten Predigten erscheint Nietzsche als Beispiel für die Unmöglichkeit des Atheismus (SF 42–47 = RR I, 43–47). Ausführlich beschäftigte sich die Jahrestagung der Deutschen Paul Tillich Gesellschaft 2007 mit Thema „Friedrich Nietzsche und Paul Tillich“, deren Beiträge im IJTF 3/2007 herausgegeben wurden. Tom Kleffmann untersucht darin in seinem Beitrag die „Aufnahme des Dionysischen in die christliche Dogmatik. Evangelische Nietzsche-Rezeption der 20er Jahre am Beispiel Paul Tillichs“ und stellt Tillichs Nietzsche-Rezeption in den Kontext der damaligen theologischen Diskussion um den Lebensbegriff. IJTF 3, 35–50. Kleffmann weist unter Bezug auf die Marburger Dogmatik-Vorlesung darauf hin, „… wie Tillich Nietzsches Lebensbegriff im Sinne eines theologischen monistisch überformt“ (ebd., 44). GW XII, 21. Auf dieses Kunsterlebnis kommt Tillich mehrfach zurück, vgl. auch GW IX, 345. Hyung Suk Na nimmt dies zum Ausgangspunkt für seine Deutung der Tillich’schen Predigttheorie durch die Kunsttheorie des Expressionismus (H. S. Na 1996, 256–304). P. Tillich 1969, 27. Allerdings könnte er diese Einsicht auch bereits in Moabit bekommen haben, wie sie sich in der „Kirchlichen Apologetik“ 1913 bereits reflektiert, vgl. MW 6, 42. P. Tillich 1969, 30.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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eine außerordentliche Professur für Systematische Theologie annahm. Das Intermezzo im „provinziellen“ Marburg 1924–25 hatte das Ehepaar Tillich nicht in guter Erinnerung15, obwohl es Tillich später als nützlich bezeichnen konnte, da ihm am negativem Beispiel die Notwendigkeit der theologischen Reflexion kultureller Probleme deutlich wurde.16 1925 folgte Tillich der Berufung als Ordentlicher Professor für Religionswissenschaft an die Technische Hochschule Dresden (bis 1929). Von 1927 bis 1929 nahm er gleichzeitig eine Honorarprofessur für Systematische Theologie an der Universität Leipzig wahr. 1929 wird Tillich als Professor für Philosophie und Soziologie an die Universität nach Frankfurt am Main berufen.17

5.3 Tillichs frühe Predigt über Römer 3, 28 (Nr. 152) Tillich hielt diese Predigt als Feldgeistlicher im Oktober 1917, wenige Tage vor dem 400. Jahrestag der Reformation.18 Es geht in dieser Feldpredigt (die Hörer werden mit „Liebe Kameraden!“ angesprochen) um 15

16 17

18

Vgl. dazu den aufschlussreichen Abschnitt über die Marburger Zeit in Hannah Tillichs Biographie „From Time to Time,“ wo sie auch auf die Begegnung mit Rudolf Otto zu sprechen kommt. Rudolf Otto und „v. s.“ (wohl Hans von Soden), waren die einzigen aus dem Kollegenkreis, zu denen Tillichs näheren Kontakt bekamen. H. Tillich beschreibt die Begegnungen mit Otto und vermerkt: „Paulus had been influenced by Otto’s idea of the mysterium tremendum. They talked philosophy, I listened.“ H. Tillich 1973, 117. In Marburg hatte sich Tillich auch mit der Philosophie M. Heideggers sowie mit dem wachsenden Einfluss der Dialektischen Theologie auseinanderzusetzen (ebd.; vgl. dazu auch P. Tillich 1969, 30–31). P. Tillich 1969, 30. In Frankfurt pflegte Tillich intensive Beziehungen zur sog. Frankfurter Schule. Theodor Adorno z. B. habilitierte sich bei Tillich; hier lernte er auch Erich Fromm kennen, der dann ebenfalls 1933 in die USA emigrierte, wo sich später auch gelegentliche Zusammenarbeit ergab. Berührungen mit der humanistischen Psychologie, wie sie z. B. in Fromms einflussreichem Buch Escape from Freedom (1941, dt. „Furcht vor der Freiheit“ ) (zum Verhältnis von Tillich zu Fromm vgl. GW XII, 333–336) oder in den Arbeiten der Neo-Analytikerin Karen Horney, einer Freundin Tillichs, zum Ausdruck kommen, finden sich vielfältig in Tillichs Denken aufgenommen und reflektiert. Da Tillich in seinen Schriften kaum zitiert, ist es immer schwierig, gegenseitige Beeinflussungen genau nachzuweisen. Dasselbe gilt auch für die Beziehung Tillich’schen Denkens zu der von Viktor Emil Frankl begründeten Logotherapie. Auch Abraham H. Maslow greift mit seiner Theorie der peak-experience, der Unterscheidung von faith und belief sowie dem Konzept der self-actualizing person explizit Themen Tillichs auf (vgl. z. B. A. H. Maslow 1994 [1964], 31–32. 45–47. 56 u. ö.) Da der 31. 10. 1917 auf einen Mittwoch fiel, handelt es sich vermutlich um die Sonntagspredigt am 28. 10. Zur 400. Wiederkehr des Thesenanschlags hält sich Tillich an die vorgegebene Epistel zum Reformationstag aus Röm 3, 21–28, beschränkt sich allerdings auf Vers 28 als Predigttext.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

die Bedeutung der Rechtfertigung für den Menschen der Gegenwart. Genau zehn Jahre vorher, 1907, stellte Karl Holl, der Nestor der Luther-Renaissance, noch unter anderen Ausgangsbedingungen dieselbe Frage: „Was hat die Rechtfertigungslehre dem modernen Menschen zu sagen?“19 Briefe Tillichs aus unmittelbarer zeitlicher Nähe geben Aufschluss über seine theologische Entwicklung am Ende des vierten Kriegsjahres. Sie bilden den Hintergrund für diese Predigt. In dem Freundesbrief, der vom 19. August 1917 datiert, heißt es: „Die höchste Leistung des theologischen Prinzips, d. h. des Paradoxes der ‚Rechtfertigung‘ ist der Begriff ‚Gott des Gottlosen‘ oder ‚fromm sein als wäre man gottlos – gottlos sein, als wäre man fromm‘“. 20 Der „God above/beyond God“ von „The Courage to be“ (1952) wird hier entwickelt und von der Rechtfertigung als Prinzip abgeleitet. Der Grund für die Anwendung des Rechtfertigungsprinzips auf den Gottesglauben liegt wohl in der Theodizeefrage. Anfang Oktober 1917 war Tillich aus Anlass der Hochzeit seiner Schwester Elisabeth auf Heimaturlaub. Am 14. Oktober schreibt er wieder vom Feld aus an Maria Klein und schildert ihr seine Eindrücke, welche die „Berliner Pastorenkreise“ auf ihn machten und aus welchen er „jedenfalls […] keine Stützen der Kirche“ hervorgehen sieht: „Ich bin eigentlich mit dem Eindruck eines richtigen Desasters weggefahren. Nietzsche und Sexualität, das sind die beiden Elemente, die ich überall wiederfinde.“21 Neben weiteren Desasters, auf die er nicht eingehen wolle, sehe er auch „theologische Desasters“, von denen er nur die Theodizeefrage nennt: „Und hier auf dem Felde! An der Theodicee bricht alles zusammen, was denken zu können glaubt!“22 Er selbst ringt mit der Frage Philosoph zu werden; dies erscheine ihm einerseits zwar als Flucht, andererseits fragt er aber, ob er noch das Recht habe, sein „Schicksal mit dem der Kirche zu verknüpfen“. 23 Tillich arbeitet sich während dieser Monate durch die philosophischen Richtungen der Gegenwart, insbesondere auch Husserl, Scheler und Ebbinghaus. 24 Neben der Nietzsche-Lektüre fasziniert ihn v. a. R. Ottos „Das Heilige“, das ihn druckfrisch im Herbst 1917 19

20 21 22 23 24

K. Holl 1928 (1907), 558–567. Es ist auch die zentrale Frage in Tillichs späteren Aufsätzen „Rechtfertigung und Zweifel“ (1924) und „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“ (1928). GWE V, 107. GWE V, 120. GWE V, 120. GWE V, 120. GWE V, 120; W. und M. Pauck 1978, 65.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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auf dem Feld erreichte.25 In diesem geistigen Klima, das von heftigen inneren Kämpfen inmitten des Krieges geprägt ist, entwickelt Tillich seine Verhältnisbestimmung von Glaube und Gottesbegriff. Am 5. Dezember 1917 schreibt er an Maria Klein: „Ich bin durch konsequentes Durchdenken des Rechtfertigungsgedankens schon lange zu der Paradoxie des ‚Glaubens ohne Gott’ gekommen, dessen nähere Bestimmung und Entfaltung den Inhalt meines gegenwärtigen religionsphilosophischen Denkens bildet.“26

Stichpunktartig skizziert Tillich seine neuen Suchbewegungen, in denen die Begriffe des „Lebens“ und der „Unendlichkeit“ zentral sind: „… es handelt sich um die innere Unendlichkeit des Lebens als Aktus, die unendliche Lebendigkeit, das Transzendieren über jeden Gegenstand und alles Gegenständliche. Doch das ist nur die eine Seite; auf der anderen steht das Ja zu allem Lebendigen und seiner inneren immanenten Unendlichkeit.“27

Der Selbsttranszendierung des Lebens in Richtung auf das Unendliche als Entgegenständlichung korrespondiert seine Affirmation. Unter die Entgegenständlichung fällt auch der Gottesbegriff, der nun kein Hindernis mehr für den Glauben darstelle. „Denn nicht an ihn [i. e. den Gottesbegriff, Anm. d. Verf.] wird geglaubt, sondern er ist die Folge eines Glaubens, der in sich selber ruht.“28 Hier deutet sich die Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung an, wie Tillich sie 1924 in dem Vortrag „Rechtfertigung und Zweifel“ getroffen hat und dessen zentrale Frage lautet, welche Bedeutung die Rechtfertigung haben kann, wenn die Gottesgewissheit als deren Voraussetzung durch den Zweifel verloren ging. 29 Der Gottesbegriff folgt aus der Glaubenserfahrung. Es ist zu fragen, ob und inwiefern sich diese theologischen Suchbewegungen in der vorliegenden Predigt reflektieren. Die Predigt hat folgenden klaren Aufbau: Einleitung, Hauptteil mit drei Unterpunkten und Schlussteil. Die Einleitung führt Thema und Text ein: Die Aussage von Röm 3, 28 bildet den „Quellpunkt der Reformation“ und deren Ursprungserlebnis, nach dessen „Bedeutung für unsere Zeit“ gefragt wird. Die drei Hauptpunkte stehen – ausgehend von Röm 3, 28 – jeweils unter einer Leitfrage: I. „Gerecht werden, was heißt das?“ (Antwort: Trotz Verzweiflung an eigener religiöser Leistung Freiheit von Schuld und Fähigkeit zur Selbstachtung). II. „Wie 25 26 27 28 29

Vgl. Abschnitt 3.1.2.3 vorliegender Arbeit. GWE V, 121. GWE V, 121. GWE V, 121. MW 6, 84–97 = GW VIII, 85–100.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

kommen wir dazu?“ (Antwort: nicht durch Gesetzeswerke, diese führen nur zur Erkenntnis der Sünde, sondern aus Gnade durch Glauben) und III) „Was ist das für ein Glaube?“ (Antwort: kein Fürwahrhalten, sondern Vertrauen auf Gott; Gewissheit trotz Zweifel). Der Schlussteil kehrt zum Predigtanlass zurück, indem er das Stichwort vom „Erlebnis der Reformation“ wieder aufnimmt und zeigt, wie die Reformation seit 400 Jahren durch Krisen der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart hindurch weitergeht. Die Predigt gehört in eine Reihe von Predigten, in der Tillich unter den Stichpunkten „Bibel“, „Leben der Seele in Gott“, „Kirche“ und „Stellung des Christen zu den Dingen Welt“ „das Werk der Reformation und ihre Bedeutung für unsere Zeit“ thematisch behandelt hat. Es geht ihm entsprechend seiner apologetischen Grundintention um den Aufweis der Relevanz reformatorischer Einsichten für die Gegenwart. Diese Predigtreihe findet nun ihren Höhepunkt, indem Tillich zu dem Ursprungserlebnis der Reformation vordringt, das er als das durch die Reformation hervorgebrachte Neue in Röm 3, 28 ausgedrückt findet. Ganz in Übereinstimmung mit K. Holl, der unter Laien wie Theologen eine große Entfremdung von der Rechtfertigungslehre konstatiert, stellt Tillich die Frage der Rechtfertigung ins Zentrum. Der Begriff des Erlebnisses ist in diesem Zusammenhang auch für Holls Darstellung konstitutiv. Es ist unschwer zu zeigen, dass die Predigt geradezu eine homiletische Umsetzung von Holls Aufsatz von 1907 darstellt, und ich vermute, dass Tillich in seiner weiteren Entwicklung stark von Holls Situationsanalyse und Deutung beeinflusst war.30 Bereits Holl sieht den Gottesglauben als Voraussetzung der Rechtfertigungslehre nicht mehr als selbstverständlich gegeben: „Wir empfinden heute stärker, ein wie Großes es ist, wenn in einem Menschen der lebendige Gottesglaube durchbricht [sic!]“ (560). Holl fordert nicht die Anerkenntnis eines dogmatischen Gottesglaubens, sondern spricht sich für den (nach Holl heute allgemein anerkannten) Grundsatz aus nur „Selbsterlebtes“ als religiös gültig anzuerkennen (559). Er appelliert an das „unmittelbare Gefühl“, von der aus er die Rechtfertigungslehre wiedergewinnen möchte (559). Wie Tillich in der Predigt, so versucht auch Holl die Frage zu formulieren, auf welche die Rechtfertigungslehre eine Antwort gibt. Diese Frage ergibt sich als “persönliche Krisis” (560), wenn der Mensch sich selbst von Gott her betrachtet. Mithilfe (tiefen-) psychologischer Einsichten in die menschlichen Motive, die 30

Die Seitenzahlen in Klammern in folgendem Text beziehen sich auf K. Holl 1928 (1907), 558–567.

5. Analyse ausgewählter Predigten

181

eine klare Unterscheidung von guten und bösen Handlungen unmöglich machen, plausibilisiert er die Wirklichkeit, von der die klassische Erbsündenlehre spricht (564–565). Der Glaube, der die paradoxe Begnadigung als wahr annimmt, ist ein Wagnis und enthält das Element des Mutes (566). Holl sieht in der durch die Rechtfertigungslehre zur Darstellung gebrachten dialektischen Auseinandersetzung zwischen Gott und Mensch „die einfache Darstellung des verzweifelten Konflikts, in den jeder Mensch hineingetrieben wird“ (565). Die Lösung dieses Konflikts durch die Erfahrung der Rechtfertigung bewirkt eine Selbstunterscheidung durch ein außerhalb seiner selbst neu konstituiertes Subjekt: „Wem Gott das natürliche Selbstgefühl zerbrochen hat, der hat den Schwerpunkt seiner Persönlichkeit außerhalb seines empirischen Daseins. Er hat damit den richtigen Abstand von sich selbst und von den Dingen dieser Welt“ (567). Der äußere Aufbau der Predigt überlappt mit der inneren Struktur von Gesetz und Evangelium, Sünde und Gnade: Das heteronome Gesetz (das uns nicht helfen kann, weil „es fremd ist und uns nicht kennt“31) führt zur Erkenntnis der Sünde (usus elenchticus), Gnade gibt es durch Glauben unabhängig von der moralischen Leistung. Die drei Hauptpunkte sind in ein Frage-Antwort-Schema gefasst, wobei die Frage der Reformation zugleich „der Menschenseele tiefste Frage“32 bildet. Bereits in dieser Predigt, die sich noch ganz im Rahmen der traditionellen Verkündigungstradition bewegt, findet sich die Korrelationsmethode als Strukturprinzip mit ihrer die Antwort implizierenden Anknüpfung an die existenzielle Frage. „Gerechtigkeit vor Gott, das ist kein veralteter Begriff für Theologen und Pfarrer, das ist das Anliegen einer jeden Menschenseele, das ist das Entscheidende für jede Menschenseele. Frei sein von Schuld und bösem Gewissen, frei aufblicken können gen Himmel, sich selbst achten können im allertiefsten Grunde, seines ewigen Wertes gewiss sein, aller Menschlichkeit und allem Erdenstaub zum Trotz, fröhlich sein in jedem Schicksal, Sieger sein über Tod und Todesgrauen, das ist Gerechtigkeit vor Gott, das heißt, einen gnädigen Gott haben.“33

Die Frage Luthers nach einem gnädigen Gott wird als anthropologische Grundfrage angesichts existenzieller Fragen nach Schuld, Schicksal und Tod in einen weiten Horizont gestellt, der durch eine universelle Deutung des Gesetztes als heteronomes Prinzip (als unerfüllbares du sollst – du sollst nicht) ermöglicht wird (das Gesetz „bei uns“ ist 31 32 33

GWE VII, 615. GWE VII, 614. GWE VII, 613.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

das „Gesetz der Sitte und der Gesellschaft“34). Einen „gnädigen Gott haben“ bedeutet Überwindung angesichts von Schuld, Schicksal und Tod sowie in der daraus folgenden Selbstachtung und einem menschlichem Würdebewusstsein.35 Abgesehen davon, dass der Begriff der Verzweiflung bei Tillich hier noch nicht entwickelt ist (der Sache nach ist er jedoch gegeben), entspricht der Predigtaufbau den Forderungen von 1928 und dem Aufbau von „The Courage to Be“ (1952). Die elenchtische Funktion des „Gesetzes“ ist für Tillich immer konstitutiv für die Kommunikation der christlichen Botschaft geblieben. In dieser Predigt wird auch bereits das Verhältnis von Glaube und Zweifel im Kontext der Rechtfertigungslehre bestimmt. Glaube besteht nach reformatorischer Überzeugung nicht in einem Fürwahrhalten von Dogmen, sondern im Vertrauen auf den Gott, der „uns für gerecht erklärt, trotz aller unserer Ungerechtigkeit“„Seht, das ist Glaube! Und dieser Glaube kann da sein, wenn auch die Stürme des Zweifels das Herz durchtoben und Gott selbst ein Rätsel, eine Frage wird, er kann da sein im tiefsten Innern des Zweiflers und kann fehlen dem allzeit Rechtgläubigen.“36 Wenn sich die Predigt auch noch ganz im Duktus traditioneller Sprache und Theologie bewegt, findet sich hier bereits die „Rechtfertigung des Zweiflers“ und das „Paradox eines Glaubens ohne Gott“, wie es für Tillich aus der Theodizee-Problematik folgt. Das Zitat dürfte die inneren Kämpfe Tillichs in jenen Monaten treffend wiedergeben. Die Predigt ist getragen von einem starken Pathos, das sich zuweilen im Überschwang romantischer Sprache äußert. Sie liefert ein eindrückliches Beispiel für Tillichs rhetorische Begabung. Eng an die geschichtliche Erinnerung an Luther angelehnt, dessen innerer Werdegang bis zum Durchbruch reformatorischer Einsicht anschaulich nachgezeichnet wird, zeugt die Predigt im Vergleich mit den im Brief an Maria Klein vom 14. Oktober vorgebrachten Zweifeln von einer starken Kirchlichkeit Tillichs, dem es um „unsere“ evangelische Kirche geht.37 Auch die von Tillich verwendete Terminologie bewegt sich 34 35 36 37

GWE VII, 615. GWE VII, 614. GWE VII, 616. Angesichts von drei Kriegsjahren einschließlich der Katastrophe von Verdun und etwa einen Monat vor der russischen Oktoberrevolution (nach westlich-gregorianischem Kalender 6./7. November), die am Horizont stand, klingt aus der Predigt eine eigentümlich binnenkirchliche Horizontverengung. Dies mag durchaus den Vorgaben der obersten Heeresleitung geschuldet sein. Am deutlichsten tritt diese binnenkirchliche Perspektive gegen Ende der Predigt bei der Sorge um die evangelische Kirche zutage: „Der Kampf der Geister tobt nirgends heftiger als in unserer

5. Analyse ausgewählter Predigten

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ganz im Rahmen biblisch-kirchlicher Konvention, bis hin zu einem frommen „Kanaanäisch“. Dennoch markiert diese Predigt einen wichtigen Schritt in Tillichs theologischer Entwicklung, in der es wesentlich um einen Neufassung der Rechtfertigungslehre und des Verhältnisses von Glaube und Zweifel geht.

5.4 Die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 1925 Zu Ort und Wirkung dieser Predigt findet sich eine historisch-biographische Notiz von Harald Poelchau (1903–1973), der sich als Theologiestudent von Paul Tillich in Marburg (1924–25) sehr angezogen fühlte.38 Poelchau erinnert sich an Tillich in jenen Marburger Semestern: „Sein Gott war nicht der ‚Ganz Andere‘ wie bei Rudolf Otto, nicht der ‚Fremde‘ wie in Karl Barths „Römerbrief“, sondern der uns unbedingt Angehende; dadurch gewannen alle Lebenserfahrungen ihren persönlichen Ernst und ihre Relevanz. Das vermittelte uns Tillich besonders eindrücklich im Anschluß an Markus 1, 16–20 in der Semesterschlußandacht im Michelchen, jener frühgotischen Friedhofskapelle, als er uns junge Theologen auf unsere Berufung zur Nachfolge ansprach. Seine persönliche Beteiligung dabei blieb mir und manchen Freunden unvergesslich.“39

Poelchau verdeutlicht in dieser Reminiszenz den Zusammenhang von dem für Tillichs Glaubensverständnis konstitutivem Begriff des unbedingten Angegangenseins, das in dieser Predigt sowohl auf inhaltlicher als auch auf performativer („persönliche Beteiligung“) Ebene Ausdruck gewinnt und so einen starken Eindruck hinterlassen hat. Dass es sich hier um die einzige bisher bekannte Gottesdienstpredigt aus dieser Zeit handelt, verleiht dieser Tatsache zusätzliche Relevanz für vorliegende Studie. Die Zuhörerschaft besteht vorwiegend aus angehenden Theologen und Pfarrern. Da diese Predigt zur selben Zeit entstanden ist, wie die Marburger-Dogmatikvorlesung und die Religionsphilosophie, ist anzunehmen, dass sich Grundeinsichten dieser Arbeiten auch in der Predigt reflektieren. In Sprache und Stil unterscheidet sich diese Predigt stark von der Predigt zu Röm 3, 28 von 1917. Darin spiegelt

38

39

evangelischen Kirche. Viel Irren, viel Ringen, viel Zweifel und Abfall. Schwach nach außen, zerrissen im Innern.“ Wahrscheinlich denkt Tillich bei diesem Satz an seine Eindrücke, die er kurz vorher von den „Berliner Pastorenkreisen“ mitgebracht hatte. Ein kurzer „Freundesbericht“ findet sich in GW XIII, 556–557. Auszüge aus einem auf Tonband aufgezeichneten Interview mit H. Poelchau aus dem Jahr 1968 sind in GWE V, 167–169 abgedruckt. GW XIII, 557.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

sich auch die theologische Entwicklung Tillichs. Gemeinsam ist beiden Predigten jedoch die grundlegende Bedeutung der Rechtfertigung, die nicht an einen gegenständlichen Glaubensinhalt gebunden ist. Die zentralen Leitworte dieser Predigt sind „Ruf“ und „Wagnis“. Das Predigt-Thema des Wagnisses gewinnt Tillich in der Einleitung der Predigt, indem er anhand des Perikopentextes herausarbeitet, wie der neutestamentliche Autor in nüchterner Aufzählung äußerer Fakten sich gerade jedes Versuchs enthält, die Reaktion der Jünger auf den Ruf der Nachfolge zu psychologisieren. „Ein solches Handeln aber, das herausbricht aus allen Berechnungen, das vorstößt ins Dunkle und Unbekannte, nennen wir Wagnis. Und vom Wagnis wollen wir reden in dieser Stunde, vom vollkommenen Wagnis, vom Wagnis des Lebens und der Seele.“40

Zunächst beschreibt Tillich das Wesen des Wagnisses als eine Tat, die auf Sicherungen verzichtet und ins Ungewisse vorstößt, die berechnendes rationales Abwägen überholt und Zweifel hinter sich lässt. Die Beschäftigung mit Kierkegaard, Heidegger und der Dialektischen Theologie dürfte in diesen Ausführungen ihre Spuren hinterlassen haben.41 Überraschend wirkt jedoch nun die Analogie der „lebendigen Natur“. Das „Wagnis“ wird zur Metapher für die Entwicklung von der unbelebten Natur bis hin zum Menschen, der „das größte Wagnis des Lebendigen“ ist. Die Natur wird nun zum (auch grammatischen) Subjekt der wagenden Tat, die durch den Ruf Gottes bedingt ist: „Gott ruft in sie [sc. die Natur, Anm. d. Verf.] hinein und sie wagt.“ Gemessen an ihrer eigenen Vollkommenheit sei ihr das Wagnis Mensch nicht gelungen, und doch sei es ihre größte Tat, da sich in „unserem Leben“ die Natur selbst transzendiert. Hier findet sich die Lebensphilosophie, wie sie in ST III entfaltet wird und wo er auch vom „Wagnis-Charakter des Lebens“ spricht, bereits angedeutet.42 Der Begriff des menschlichen Wagnisses führt zum Begriff der Entscheidung. Jede Entscheidung ist ein „Sprung“, der auch durch 40 41

42

GW XIII, 182. Ebenfalls im Jahr 1925 veröffentlichte Tillichs Marburger Kollege Rudolf Bultmann seinen Aufsatz „Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?“ (GuV I, 26–37). Zwischen Bultmanns Aufsatz und dieser Predigt lassen sich zahlreiche inhaltliche Bezüge feststellen (z. B. der Begriff der freien resp. wagenden Tat, die Vermeidung jeder Psychologisierung und die Bedeutung der Rechtfertigung für das dialektische Reden von Gott), die jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein können. STD III, 41 = STE III, 30. Vgl. insgesamt STD III, 35–39 = STE III, 25–28. „Jeder Akt des Geistes gründet sich auf ein vorgegebenes psychisches Material und setzt einen Sprung voraus, der nur für ein völlig zentriertes Selbst möglich ist, und das heißt für ein Wesen, das frei ist“ (STD III, 38). Vgl. auch Abschnitt 3.1.2.2 dieser Arbeit.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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Sicherungsversuche letztlich nicht vermeidbar ist. Indem die Jünger ihren Vater und die Netze verlassen, wagen sie ein Doppeltes: Sie verlassen ihren Vater und ihr Werk. Tillich sieht in diesem Satz des Evangelisten das Wagnis des Lebens selbst ausgedrückt. Zunächst deutet Tillich das Verlassen des „Vaters“ im Sinne einer Ablösung von der Tradition, die sich unter schweren inneren Kämpfen vollzieht. Hier wechselt der Prediger in die direkte Anrede der 2. Person. Er spricht Theologiestudenten an, die sich diesem Kampf gestellt haben und vergewissert sie, dass selbst das Misslingen größer sei, als sich gar nicht auf das Wagnis einzulassen. Es legt sich der Gedanke nahe, dass Tillich hier auch seinen eigenen Kampf gegen den eigenen Vater und den „Großinquisitor“ (wie es K. Barth formulierte) beschreibt. Aus der Berliner Zeit berichtet Hannah Tillich, wie Tillich durch die Lektüre von Nietzsches Zarathustra mit der väterlichen Tradition und Moral brach: „One of the first books Paulus gave me was Nietzsche’s Zarathustra, which broke with everything Paulus had learned from Little Father.“43 Und Tillich selbst schreibt in dem autobiographischen Essay „Wer bin ich“: „Besonders schwierig zu überwinden war der Einfluß des autoritären Systems auf mein persönliches Leben, besonders auf seine religiösen und intellektuellen Seiten. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren starke Persönlichkeiten.“44

Der starke Eindruck, den Tillichs „persönliche Beteiligung“ nach Poelchau bei den Hörern hinterlassen hat, liegt sicher darin, dass er selbst diese Kämpfe der „theologischen Adoleszenz“ durchlitten hat. Auch dieses Wagnis geschieht aufgrund des „Rufes“, der zugleich „Hereinbrechen von Schicksal“ ist. Zum „Verlassen des Vaters“ tritt das „Verlassen des Werkes“. Für die Jünger bestand letzteres darin, dass sie die Arbeit beim Vater den Tagelöhnern überließen, um zu Menschenfischern zu werden. Tillich spricht konkret diejenigen an, die sich zum geistlichen Amt berufen fühlen, sich dieser Berufung aber unsicher geworden sind. Anstatt nun, wie zu erwarten wäre, das Verlassen der Arbeit als Fischer als eigentliches Wagnis zu deuten (analog zum Verlassen des Vaters), folgt eine überraschende Wendung in der Predigt: „Sollte vielleicht eine Zeit da sein, wo die, die den Ruf vernommen haben, den Beruf, Menschenfischer zu sein, den Tagelöhnern überlassen müssen, 43

44

H. Tillich 1973, 101. Zu Tillichs Beschäftigung mit Nietzsche während der Marburger Zeit vgl. auch Poelchau GW XIII, 556–557. Vgl. auch. P. Tillich 1969, 29 und IJTF 3/2007. P. Tillich 1969, 20.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

deren es viele in jedem Beruf gibt, vielleicht um wieder Fischer zu werden und Netze zu flicken und darin von dem Ruf zu zeugen, der an sie ergangen ist? Sollte dieses das Wagnis, nicht die Willkür, nicht die Flucht einiger unter uns sein?“45

Tillich unterscheidet hier ganz evangelisch zwischen dem Ruf in die Nachfolge und dem Beruf des geistlichen Amtes als einer Funktion. Und Tillich tut hier nichts Geringeres, als Theologiestudenten, die sich des Theologiestudiums und ihrer Berufswahl unsicher geworden sind, einen Weg zu eröffnen, der ihnen ohne Gesichtsverlust eine Möglichkeit bietet ihre religiöse Erfahrung authentisch zu leben. Tillich kehrt zur Situation der Jünger und ihren möglichen Motiven zurück. Weder Gehorsam gegenüber einem Befehl noch gegenüber dem eigenen Gewissen lässt Tillich als Motive, dem Ruf zu folgen, gelten. Das entspräche heteronomen Motiven, denn auch das Gewissen ist gesellschaftlich geprägt, wie Tillich betont. Das Wagnis darf nicht abgeschwächt werden durch solche Sicherungsversuche. Mit diesem Gedanken nimmt Tillich den Faden der Einleitung wieder auf, um zum Schluss der Predigt auf das Kreuz zu sprechen zu kommen. Das Kreuz zeige an, dass das Wagnis der Jünger misslang. In der Deutung des Kreuzes kommen die Jünger jedoch zu einer paradoxen Rechtfertigung misslungenen Wagnisses: „Und da wagten sie noch eins: Sie wagten es, dieses Mißlingen selbst, dieses Kreuz zum Grund des letzten und höchsten Wagnisses zu machen, das der Kreatur möglich ist: Sie wagten es, im Kreuz, im Mißlingen die Gnade anzuschauen, die ihr Wagnis richtet und rechtfertigt.“46

Wenn Tillich im abschließenden Absatz diese Struktur des paradoxen Ja und Nein auch auf das Reden über und das Wissen von Gott überträgt, dann handelt es sich hier um das staurologisch begründete „Protestantische Prinzip“, das in dieser Predigt vom Gedanken des Wagnisses aus entwickelt wird. Aber Tillich entwickelt diesen Gedanken noch weiter, indem er fragt, ob es nicht für einige („ob Theologe oder nicht“) das Wagnis bedeuten könne, das vertraute Kreuz zu verlassen und „… daß er in die Wüste und in das Leben zu den anderen, die nicht wissen, gehen muß, damit vielleicht einst nach langer Wanderung, nach langem Schweigen das Kreuz wieder in der Ferne erscheint und wir von ihm zeugen können als Nichtwissende und Wagende und Gerettete!“47

Hier spricht der apologetische Theologe, der diejenigen, die der Botschaft des Kreuzes entfremdet sind, sucht und auf gemeinsamem Weg 45 46 47

GW XIII, 183–184. GW XIII, 184. GWXIII, 184.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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gewinnen möchte. Gemäß der Unterscheidung von Grundoffenbarung (die in dieser Predigt dem Ruf entspricht) und Heilsoffenbarung, ermöglicht der Ruf, das Verlassen der geschichtlichen Gestalt der Heilsoffenbarung und ist deren potenzielle Restitution. Auch wenn der Begriff Glaube in der ganzen Predigt nicht vorkommt, so ist er dem Sachgehalt nach in den Begriffen Ruf (objektive Seite) und Wagnis (subjektive Seite) gefasst. Auch die Verortung des Glaubensbegriffs in einer umfassenden Lebensphilosophie, in dem der Glaube als Akt der Selbsttranszendierung gefasst ist, lässt sich bereits an dieser Stelle beobachten. Besonders Tillichs seelsorgliches Anliegen wird in dieser Predigt anschaulich. Er nimmt die Situation von Theologiestudenten, die mit der Frage nach ihrer religiösen und (angestrebten) beruflichen Identität ringen, in einfühlsamer Weise auf und eröffnet Deutungsmöglichkeiten, die entlastend wirken und Handlungsoptionen eröffnen.

5.5 Biographischer Hintergrund zu den amerikanischen Predigten Tillichs Schrift „Die sozialistische Entscheidung“ (1932) führte am 13. April 1933 zur Suspendierung als Universitätsprofessor durch die nationalsozialistische Regierung und schließlich zur Emigration in die USA (3. November 1933), wohin er einer Einladung von Reinhold Niebuhr – zunächst als Gastdozent für Philosophie – ans Union Theological Seminary nach New York folgt, wo er bis 1955 (dem Jahr seiner Emeritierung) eine Professur für systematische und philosophische Theologie innehat. Die Emigration stellt eine entscheidende Zäsur in Tillichs Leben und Schaffen dar. Tillich war inzwischen 47 Jahre alt und in Deutschland eine anerkannte Größe in der akademischen Welt mit allem, was mit dem Status eines ordentlichen Universitätsprofessors verbunden war. In den USA angekommen sprach er kaum ein Wort Englisch und war praktisch ein Unbekannter. Für Tillich war der Beginn der Amerikanischen Jahre „recht schwierig.“48 Diese Erfahrung der Grenze – wie er sie in seiner autobiographischen Darstellung „Auf der Grenze“ beschrieb,49 verstand Tillich jedoch in 48 49

GW XII, 72. GW XII, 13–75. Dort beschreibt Tillich insgesamt zwölf Grenzen, auf denen sich sein Leben und Denken bewegt: auf der Grenze zwischen den Temperamenten von Vater und Mutter, auf der Grenze von Stadt und Land, der sozialen Klassen, von

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

seinem Denken fruchtbar zu machen.50 Es war vielleicht gerade die Tatsache, dass er sein Denken und seine Biographie in dem Begriff der Grenze auf authentische Weise zu verbinden verstand, die seine Wirkung als existenzieller Denker ausmacht und ihn zu einer BrückenPerson51 zwischen Fakultäten und Kulturen werden ließ, wie es Helmut Thielicke in seiner Laudatio zur Verleihung des Hanseatischen Goethe-Preises an Tillich 1958 formulierte, der Tillich als „Virtuosen der Begegnung“ bezeichnete.52 So wurde der Begriff der „Grenze“ in der Tillich-Rezeption immer wieder als Proprium Tillich’schen Denkens aufgenommen.53 Auch die beiden amerikanischen Dissertationen zu Tillichs Predigttheorie nehmen ausdrücklich den Begriff der Grenze auf.54 Gerade die Grenze wird auch zum Ort von Brücken, die Begegnung und Austausch ermöglichen. Dass Tillich dieser Brückenschlag in hohem Maße gelungen ist, macht gerade auch die interkulturelle und interreligiöse Rezeption Tillichs bis in die Gegenwart hinein deutlich.55 Tillich stellte sich der Herausforderung, sein bisheriges Denken in eine ihm bislang fremde Sprache und Kultur zu übersetzen, was ihm mehr oder minder gelang.56 Er publizierte nur noch in Englisch und wurde trotz seinem starken deutschen Akzent und seiner schwierigen und für Amerikaner ungewohnten ontologischen Begrifflichkeit innerhalb zweier Jahrzehnte zum intellektuellen Star des Nachkriegs-Amerika. 57 Den Höhepunkt bildete vielleicht sein Bestseller-Erfolg „The Courage to Be“ 1952, der ihn auch außerhalb des akademischen Publikums bekannt machte. Auch seine Predigten haben nicht unwesentlich zu diesem Erfolg beigetragen, wie Peter J. Gomez betont: „Tillich, unlike most professional theologians, was an able and persuasive preacher, and many people got far more from his sermons than from his formal lectures and

50 51 52 53

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Wirklichkeit und Phantasie, von Theorie und Praxis, von Heteronomie und Autonomie, Theologie und Philosophie, Kirche und Gesellschaft, Religion und Kultur, Luthertum und Sozialismus, Idealismus und Marxismus, Heimat und Fremde. GW XII, 13. Durwood Foster bezeichnet Tillich als „bridge-figure“ (in: P. Tillich 2007, xix). H. Thielicke 1967, 186–199, 188. Auch seine Rede anlässlich der Verleihung des „Friedenspreises des deutschen Buchhandels“ am 23. 9. 1962 stellte er unter das Thema der „Grenzen“. Der Text der Rede ist abgedruckt in GW XIII, 419–428. Hyung Suk Na 1996 und William Carl Bergmann 2001 (vgl. 4.2.5 und 4.2.6). Zur Wirkungsgeschichte Tillichs vgl. W. Schüssler/E. Sturm 2007, 215–258. Tillichs eigenwilliges Englisch blieb für viele eine Zumutung, vgl. dazu die kritischen Anmerkungen von C. H. Ratschow 1986, 136. Die amerikanische Staatsbürgerschaft war ihm bereits 1940 verliehen worden.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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writings.“58 Und am 16. März 1959 zierte Tillichs Portrait das Titelblatt des Time Magazins. C. H. Ratschow sieht drei wesentliche Momente, die zu diesem ungewöhnlichen Erfolg Tillichs beitrugen.59 Erstens die Haltung der „aktive[n] Resignation im Zugeständnis der ‘heiligen Leere’“(142). Tillich brachte mit seinem eigenen Lebensgefühl innerer Leere und seinem Schicksal, das ihm eine Wirksamkeit auf der Horizontale (politisch, ökumenisch) versagte, das allgemeine Lebensgefühl der Nachkriegszeit zum Ausdruck, das für die religiöse Botschaft der vertikalen Dimension empfänglich war. Die „wechselseitige Auslegung von Persönlichem und Öffentlichem“ (143) und seine Fähigkeit zur Identifikation mit ihm begegnenden Menschen und Ereignissen machte Tillichs Urteile und Situationsanalysen treffend und hellsichtig. Zweitens nennt Ratschow die „entschlossene Hinwendung zum Menschen“ unter dem Aspekt der Heilung (144). Tillich wollte „dem Selbstverständnis und der psychischen Not der Menschen verstehend und heilend nahestehen“ (144); und er erwarb sich dazu die nötigen tiefenpsychologischen und psychotherapeutischen Kenntnisse. Ratschow sieht auch diese Intention biographisch in Tillichs eigener Existenzangst, seinen Schuldkomplexen und seinem Sinn für das Dämonische begründet.60 Als dritten Grund für Tillichs Popularität nennt Ratschow „die Ontologisierung der idealistischen Trias Sein/Nichtsein/Übersein“ die das Rückgrat von Tillichs Denken darstellt (145). Es kann gezeigt werden, wie diese drei Elemente auch für die implizite Homiletik Tillichs von grundlegender Bedeutung sind. Nach seiner Emeritierung als Professor für philosophische Theologie am Union Theological Seminary im Jahr 1955 nimmt er die Berufung zum „University Professor“ in Harvard an (d. h. er hat das Recht, in allen Fakultäten über von ihm frei gewählte Themen Vorlesungen zu halten). Neben seiner Arbeit an der „Systematic Theology“ (Band II erscheint 1957, Band III 1963) und zahlreichen weiteren Veröffentlichungen (z. B. „Dynamics of Faith“ 1957; ab 1959 beginnt die Heraus58

59 60

Peter J. Gomez in der Einführung zur Neuausgabe von “The Courage to Be”, New Haven and London 2000, xxi. Ähnlich Durwood Foster: „His steadfastly pursued ‘great work’ was a systematic theology, while his sermons were hailed by many as his best teaching“ (in: P. Tillich 2007, xix). Folgende Darstellung nach C. H. Ratschow 1986, 142–146, die Zahlen in Klammern geben die Seitenzahlen dieses Textes an. Dass die Seelsorge psychoanalytische Einsichten aufgenommen hat, ist zu einem guten Teil den Anregungen Tillichs zu verdanken (vgl. besonders seinen Aufsatz „The Impact of Psychotherapie on Theological Thought“ von 1960, abgedruckt in MW 2, [309]–316 und GW VIII, 325–335); vgl. auch M. Klessmann 32006, 604–606.

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gabe der Gesammelten Werke) ist Tillich zu zahlreichen Vortrags- und Auslandsreisen unterwegs (1953/54 Schottland, 1956 Griechenland, 1960 Japan, 1963 Ägypten und Israel). Nach der Pensionierung in Harvard 1962 erhält Tillich (inzwischen sechsundsiebzigjährig) nochmals eine Berufung und übernimmt die „Nuveen Professur“ für Theologie an der University of Chicago, die er bis zu seinem Tod am 22. Oktober 1965 innehat.

5.6 „You are accepted“/„Dennoch bejaht“ Tillich hat das Paradox der paulinisch-lutherischen Rechtfertigungslehre neu interpretiert als „Accepting acceptance though being unacceptable …“ („Annehmen, daß wir angenommen sind, obwohl wir unannehmbar sind, …“)61 Die Wirklichkeit der Rechtfertigung (gerade auch des Zweiflers), die Tillich bereits als Student bei Martin Kähler in Halle zur Gewissheit wurde, und die sich auch im Zentrum seiner Deutung des „absoluten Glaubens“ findet, kommt in besonders eindrucksvoller Weise in einer Predigt über Röm 5,20 zur Darstellung, die zuerst in der St. Pauls Kapelle der Columbia–Universität gehalten wurde. John E. Smith hielt sie für seine beste Predigt, und sie fand auch in der Literatur immer wieder besondere Beachtung.62 Obwohl diese Predigt zu einem Klassiker der Predigt und Spiritualität des 20. Jahrhunderts63 avancierte, gibt es bislang keine detaillierte inhaltliche und rhetorische Analyse und umfassende Interpretation dieser Predigt vor dem Hintergrund des Tillich’schen Gesamtwerkes (insbesondere seiner Lebensphilosophie). Die umfangreichste Darstellung der Predigt stammt von Bergmann, der sie als deutlichstes Beispiel für die (apologetische) Neuformulierung der christlichen Botschaft und den Gebrauch neuer Termini anführt.64 Allerdings bewegt sich diese Dar61

62

63 64

MW 5, 217; GW XI, 123; vgl. STD II, 191–192; STE II, 179; STD III, 258; STE III, 224–225. In der deutschen Übersetzung wird accept sowohl mit „annehmen“ als auch mit „bejahen“ wiedergeben. Z.B .P. Cornehl 1989, 267–270; W. C. Bergmann 2001, 82–100; R. S. Baard 2007, 412– 413; W. Schüssler/E. Sturm 2007, 205–206; C. L. Campbell 1997, 40–44. Campbell hält die Predigt für „one of the most wellknown sermons of the twentieth century“ (C. L. Campbell 1997, 40), ordnet sie jedoch fälschlicherweise der liberalen Theologie zu und benutzt sie lediglich als Illustration seiner „postliberalen“ Kritik im Sinne von Hans Frei. Campbell macht jedoch darauf aufmerksam, dass die Anfänge der narrativen Homiletik (Charles Rice 1970) stark von Tillich und seiner Korrelationsmethode beeinflusst sind (ebd. 41). W. C. Bergmann 2001, 83. W. C. Bergmann 2001, 82.

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stellung (auch aufgrund der bewussten Selbstbeschränkung des Autors im Blick auf die Quellen, die das Gesamtwerk Tillichs methodisch ausblendet65) an der Oberfläche, da jegliche textexternen Bezüge zu Tillich’s in diesem Kontext relevanten und zahlreichen Schriften, sowie vor allem eine theologische Reflexion des Glaubens- und Lebensbegriffes, der Neuinterpretation der Rechtfertigungslehre als „acceptance“ aufgrund der „absoluten Positivität“ und des Erfahrungsbegriffes fehlen. So besteht diese Darstellung im Wesentlichen aus einer kommentierten Paraphrase und entbehrt der kritischen Reflexion – und dies, obwohl gerade diese Predigt in besonderer Weise, den von Bergmann für Tillichs Predigttheorie als konstitutiv angeführten Begriff der Grenze zur Grundlage hat. Bergmanns Darstellung macht deutlich, dass eine Interpretation der Predigten Tillichs, die von seinem Gesamtsystem absieht, die wesentlichen Punkte verfehlt. Gründlicher und reflektierter zeigt sich dagegen der Abschnitt von Peter Cornehl, der in seinem Beitrag über Tillichs Religiöse Reden auch diese Predigt, jedoch sehr kurz, bespricht.66 Allerdings beschränkt sich Cornehl in seiner (im Wesentlichen rhetorischen) Analyse auf den Schlussteil der Predigt und verzichtet ebenfalls auf textexterne Bezüge zu Tillichs Gesamtwerk sowie eine Deutung der Predigt auf dem Hintergrund der Konstruktionsprinzipien der Tillich’schen Theologie und Lebensphilosophie. Der Akzent von Cornehls Interpretation liegt ganz auf dem performativen Zuspruch des Angenommenseins und der Vergewisserung des Glaubens als Aufgabe der Predigt. Im Folgenden werde ich eine ausführliche Interpretation der Predigt geben, in der ich versuche, die grundlegenden Konstruktionsprinzipien und zentralen Motive aus dem Gesamtwerk zu deuten, um so die Tiefendimension der Predigt nachvollziehbar zu machen. Dabei werde ich an gegebener Stelle auf den theologie- und philosophiegeschichtlichen Kontext hinweisen, in dem sich Tillich bewegt. Zur leichteren Orientierung wird die nach dem englischen Original vorgenommene Absatznummerierung angegeben. Tillich wählt einen doppelten Einstieg. Zunächst stellt er summarisch fest, dass in dem Satz des Apostels Paulus von der mächtig gewordenen Sünde, aber der noch mächtiger gewordenen Gnade aus Röm 5, 20 dessen „apostolic experience, his religious message as a whole, and the Christian understanding of life“ zusammengefasst ist. In Absatz 12 sieht Tillich diese Aussage als Beschreibung von Paulus’ 65 66

W. C. Bergmann 2001, 11–12. P. Cornehl 1989, 267–270.

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„… most overwhelming and determining experience of his life …“. Es geht also zentral um eine Erfahrung, die Paulus gemacht hat. Die der Predigt unterliegende Frage ist die nach dem „floating gap“ (J. Assmann), der Vermittlung religiöser Erfahrung unter Rückbezug auf die traditionsbildende Ursprungserfahrung, die Rudolf Otto in „Das Heilige“ folgendermaßen stellt „Wichtiger als die Frage ob die Urgemeinde das Heilige in und an Christo erlebte und erleben konnte ist uns die andere ob wir es auch noch können, das heißt ob das uns in der Gemeinde und durch sie überlieferte Bild seines Leistens Lebens Handelns für uns selber Offenbarungswert und– kraft hat oder ob wir hier nur zehren vom Erbe der ersten Gemeinde und glauben auf Grund von Autorität und fremdem Zeugnis.“67

Es ist die Frage nach der Möglichkeit gegenwärtigen Erlebens der in Christus erschlossenen Wirklichkeit des Heiligen. Von Paulus schwenkt Tillich nun zu sich selbst und spricht angesichts dieses umfassenden apostolischen Horizontes von Röm 5,20 in der 1. Person Singular über seine Motivation angesichts der Schwierigkeiten und der Scheu, über diesen Text zu sprechen. In der persönlichen Retrospektion wurde ihm deutlich, dass es sich um nichts weniger handelt als um „all determining facts of our life“. Seine Aufgabe als Prediger sieht er darin, „Zeugnis“ (witness) abzulegen – dazu fühlte er sich getrieben, von einem Verlangen (desire) dazu bewegt. Auf dem Originalmanuskript Tillichs steht „For Myself! 20. August 1946“68 (Tillichs 60. Geburtstag). Das zeigt, wie Tillichs Theologie zutiefst in seiner eigenen Biographie und existenziellen Erfahrung wurzelt und wie ihn das Problem der Selbstannahme, das den Scopus dieser Predigt bildet, zeitlebens beschäftigte.69 Zugleich verschmelzen in diesem ersten Absatz der Predigt die apostolische Erfahrung des Paulus und die Erfahrung von Paul Tillich geradezu. Die zentralen Stichworte des ersten Satzes der Predigt (Erfahrung, Botschaft, Leben), mit der Tillich 67

68 69

R. Otto 2004 (ND 171931), 189. Auf den Einfluss von Rudolf Otto und die Bedeutung der Kategorie des Heiligen bei Tillich wurde schon mehrfach aufmerksam gemacht. Die in dem gegebenen Zitat angesprochene Differenz zwischen eigener Erfahrung und einem auf heteronome Autorität gegründeten Akzeptieren von Glaubensinhalten liegt der gesamten Entwicklung des Tillich’schen Glaubensbegriffes zugrunde und wird in dieser Predigt noch in Absatz 12 von Tillich angesprochen. Auch der Begriff des Bildes ist für die Christologie Tillichs zentral und findet sich ebenfalls in Absatz 12 (vgl. auch den Begriff des picture/Bildes bzw. „Realbildes“ [M. Kähler] in STE II, 113–117 = STD II, 123–128). W. und M. Pauck 1978, 102–103 und Anm.  74. Die deutsche Übersetzung dieser Predigt findet sich unter dem Titel „Dennoch bejaht“ in RR I, 144–153. „Der Zweifel an sich selbst und der Konflikt mit sich selbst, über den er bemerkenswert klar und bewußt dachte, verließen ihn nicht bis zu seinem Sterbebett“ (W. und M. Pauck 1978, 102).

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sich an eine paulinische Summa annähert, sind zugleich die tragenden Elemente seines eigenen Systems: die Korrelation von existenzieller Erfahrung und Kerygma im Horizont eines umfassenden Lebensbegriffes. Zugleich führt das Thema der Predigt, die Wirklichkeit von „Sünde“ und „Gnade,“ werkgeschichtlich zurück bis zu Tillichs Lizentiaten-Dissertation von 1912: „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung.“70 Wenn Tillich in der Predigt von „Trennung“ und „Einheit“ spricht, so nimmt er damit inhaltlich genau das Thema von 1912 auf, in dem es gerade um diese Grundfrage des Verhältnisses zum göttlichen Grund geht als Einheit (Mystik) und Trennung (Schuldbewusstsein). Zum anderen sah Tillich selbst im Vorwort zur Neuherausgabe dieser frühen Qualifikationsschrift in GW I (1959) deren Bedeutung für den Dialog mit „asiatischen Religionen.“71 So führt uns dieses zentrale Thema in Tillichs Theologie und Religionsphilosophie an entscheidender Stelle in den Vergleich mit Jōdo-shinshū. Im zweiten Absatz konzentriert sich Tillich auf die beiden Begriffe „Sünde“ und „Gnade.“ Es entspricht dem oft zu beobachtenden typischen Umgang Tillichs mit den biblischen Texten, dass er zunächst einen Satz aus einem bestimmten Kontext isoliert und sich dann einen einzelnen Begriff aus diesem Satz vornimmt, um diesen zu meditieren.72 Gerade in den Predigten prüft er oft auf diese Weise die pragmatisch-kommunikative Brauchbarkeit traditioneller Termini für die Verkündigung in einer meta-kommunikativen Weise.73 Das ständige Bemühen Tillichs um eine neue Begrifflichkeit, mit der die christliche Botschaft auf relevante Weise kommuniziert werden kann, liefert neben der im ersten Absatz genannten existenziellen Motivation Tillichs eine weitere Begründung für die folgenden Ausführungen. 70 71

72 73

GW I, 13–108. „Sowohl innerhalb der eigentlichen theologischen Arbeit als auch in der Auseinandersetzung mit den asiatischen Religionen spielt gerade heute das Problem: Mystik und Schuldbewußtsein eine entscheidende Rolle“ (GW I, Vorwort, o. S.). Eine Ausnahme, die diese Regel bestätigt, ist eine Homilie zu Psalm 139 „Escape from God/Flucht vor Gott“ SF 38–51 = RR I, 39–50. Beispiele hierfür finden sich in den Religiösen Reden „Von der Tiefe“ RR I, 51–61 = SF 52–63; „Ja und Nein“ RR II, 274–276 = NB 101–104; „Verlassenheit und Einsamkeit“ RR III, 349–357 = EN 3–10; „Erlösung und Heilung“ RR III, 110–118 = EN 76–83 u. a. Bemerkenswert scheint, dass Tillich nie eine Predigt ausschließlich dem Glaubensbegriff gewidmet hat, wie er dies in den Studien „‚The Courage to Be‘“ und „Dynamics of Faith“ getan hat. Allerdings finden sich die entsprechenden Überlegungen und definitorischen Aussagen in vielen Religiösen Reden eingeflochten. Vgl. z. B. „Vom Warten“ RR I, 141–143 = SF 149–152; „Was uns unbedingt angeht“ RR II, 318–150 = NB 152–160; „Werdet reif im Denken“ RR III, 485–491 = EN 110–115 u. ö.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Diese Predigt ist daher auch ganz vor dem Hintergrund der apologetischen Intention Tillichs zu lesen. Es geht ihm um die Darstellung der Relevanz der christlichen Botschaft angesichts ihrer vielbeschworen Irrelevanz für die Gegenwart. Zunächst konstatiert Tillich, dass uns die Begriffe „Sünde“ und „Gnade“ durch ihre Geläufigkeit fremd (strange) seien. Durch semantische Verzerrung in der Vergangenheit sind sie kraftlos geworden, und wir müssen uns nach Tillich ernstlich fragen, „whether we should use them at all, or whether we should discard them as useless tools“.74 Es ist, wie bereits dargestellt, genau dieselbe Überlegung, die Tillich auch im Blick auf den Glaubensbegriff anstellt und in grundlegender Weise in der Predigt „Salvation“ zum Ausdruck gebracht hat.75 Traditionelle biblisch-kirchliche Begriffe sind nach Tillich an ihrer Brauchbarkeit für die Kommunikation des Evangeliums zu messen und haben keinen Wert an sich. Allerdings kommt Tillich zu dem bemerkenswerten Schluss (den er als „mysterious fact“ bezeichnet), dass die Termini „Sünde“ und „Gnade“ nicht ersetzt werden können, auch nicht durch Tillichs eigene Versuche einer Neuformulierung (die er im Folgenden vorstellt). Als Begründung dafür gibt er an, dass die Substitute nicht die in traditionellen Termini gemeinte Realitität übermitteln (convey) konnten. Sie würden vielmehr zu „shallow and impotent talk“ führen.76 Das ist ein starkes Eingeständnis fünf Jahre vor dem Erscheinen des ersten Bandes der Systematischen Theologie (1951) und angesichts der Tatsache, dass Tillich in der Vorrede zu ST II (1957) betont, dass er es ohne den Versuch der Neuformulierung der traditionellen biblisch-kirchlichen Sprache für überflüssig gehalten hätte, sein theologisches System überhaupt zu entwickeln.77 Tillich gibt sich an dieser Stelle der Predigt sehr (selbst-) kritisch, was den Erfolg einer Neuformulierung der christlichen Botschaft anbelangt. Allerdings zeigt er in dieser metakommunikativen zweiten Einleitung der Predigt einen Weg auf, der nach seiner Ansicht zur Wiederentdeckung (rediscovering) der Wirklichkeit führen kann, die mit den traditionellen Begriffen ausgedrückt wird. Es ist derselbe Weg, wie der in die Tiefe unserer Existenz. Denn in der Tiefe unserer menschlichen Existenz wurden nach Tillich diese Begriffe „con74 75 76

77

Der deutsche Text gibt „useless tools“ als „unnützes Gerät“ wieder; „useless tools“ wird an dieser Stelle wohl besser als „unbrauchbare Werkzeuge“ übersetzt. MW 5, 191 = GW VIII, 111; EN 76–77 = RR III 110–111. P. Cornehl bemerkt dazu: „Die Sprache der Bibel hat einen Mehrwert. Sie behält einen Vorsprung und bleibt ein Gegenüber. Das ist festzuhalten, gerade wenn man dann, wie Tillich es tut, daran geht, die alten Worte zu übersetzen, um ihren gegenwärtigen Gehalt zu erschließen“ (P. Cornehl 1989, 268). STE II, viii = STD II, 8.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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ceived“,78 und dort erhielten sie ihre „power for all ages“. Und ergo müsse dort jede Generation und jeder Einzelne sie in dieser Tiefe wiederfinden. Eine nächste Analogie zu dieser Vorstellung stellt die Lehre von den Archetypen und dem kollektiv Unbewussten bei C. G. Jung dar. „Sünde“ und „Gnade“ wären demnach archetypische Begriffe, die tief im kollektiven Bewusstsein menschlichen Daseins verankert sind. In der Predigt „The Depth of Existence“ gebraucht Tillich tatsächlich den Begriff „collective mind“, 79 in dem Alltagsbegriffe zu religiösen Symbolen geformt wurden.80 Bei Rudolf Otto wird die Frage nach der Möglichkeit des Erlebens des Heiligen „in und an Christo“ mit der „kategorialen Anlage des Heiligen im Gemüte selber“ begründet: „Die Frage wäre ganz hoffnungslos wenn nicht eben auch in uns jenes ahnende Verstehen und Deuten von innen her, jenes Zeugnis des Geistes das nur möglich ist auf der Grundlage einer kategorialen Anlage des Heiligen im Gemüte selber, eintreten könnte. Wenn ohne dieses schon damals kein Verstehen und kein Eindruck des unmittelbar gegenwärtigen Christus möglich war, wie sollte irgendeine vermittelte Überlieferung dazu imstande sein.“81

Es ist das mystische Apriori, das Tillich mit Otto teilt, und das die Kritik einer heteronomen fides quae creditur impliziert. Mit einem Adhortativ („Let us …“) fordert Tillich nun seine Hörer und Leser auf, die in den traditionellen Termini begriffenen Realitäten (realities) in der Tiefe menschlicher Existenz zu entdecken und dazu in die tieferen Schichten unseres Lebens einzudringen (penetrate). Der Metapher der Tiefe kommt in Tillichs Denken zentrale Bedeutung zu. Im unmittelbaren Kontext des zweiten Absatzes steht sie in Opposition zu „shallow … talk,“ zu dem neue Alternativbegriffe in der theologischen Sprache und christlichen Verkündigung führen. Der Begriff der „Tiefe“ ist ausdrückliches Thema der Predigt „The Depth of Existence“/„Von der Tiefe“82 und mehrerer religionsphilosophischer Aufsätze. Nach ST I erhalten alle Formen rationalen Schaffens die Dimension der Tiefe im Sinne geistiger Substanz (spiritual substance) durch die in Jesus als dem Christus offenbar gewordene Gegenwart 78

79 80 81 82

Der deutsche Text gibt hier „begriffen“ wieder, was allerdings angesichts der semantischen Weite von conceived eher im Sinne von „empfangen“ als passives Moment in einem schöpferischen Akt zu verstehen ist. Der deutsche Text gibt dafür lediglich „das Unbewusste“ wieder (RR I, 51). Vgl. ausführlicher zu Tillichs Rezeption Jung’scher Ansätze den Abschnitt 3.1.3.2 dieser Arbeit. R. Otto 2004 (ND 171931), 189. SF 52–63 = RR I, 51–61; diese Predigt lieferte auch den Titel für die deutsche Übersetzung des ersten Predigtbandes: „In der Tiefe ist Wahrheit.“

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

des göttlichen Grundes.83 Mit dem Erscheinen der Dimension der Tiefe zeigt sich das Heilige; und da alles die Dimension der Tiefe besitzt, ist auch alles Säkulare potenziell heilig.84 In ST III widmet Tillich dem Begriff der „Dimension der Tiefe“ einen Abschnitt mit grundsätzlichen sprachtheologischen Erwägungen im Zusammenhang der Frage nach der Beziehung zwischen der „vieldimensionalen Einheit des Lebens“ und der „Gegenwart des Göttlichen Geistes.“85 Wie die von Tillich gebrauchten Formeln „Dimension des Ewigen“, „Dimension des Unbedingten“ so ist synonym dazu auch „Dimension der Tiefe“ ein Begriff, der die Beziehung des Unbedingten zum Bedingten in einer Weise zum Ausdruck bringen soll, dass dadurch einem „dualistischsupranaturalistischen“ Verständnis gewehrt werde. Nach Tillichs Verständnis wird die Metapher „Dimension“ in der Verbindung mit „Tiefe“ als Ausdruck für die Beziehung des Endlichen zum Unendlichen zum Symbol, denn „[…] die Beziehung zum göttlichen Seinsgrund [kann] nicht anders als durch Metaphern des Endlichen und die Sprache der Symbole beschrieben werden.“86 In „The Depth of Existence“ gebraucht Tillich dementsprechend die „Tiefe“ als „Symbol“ für Gott, der über dieses Symbol namhaft gemacht wird: „It [i. e. die Tiefenpsychologie, Anm. d. Verf.] can help us to find the way into our depth, although it cannot guide us to the deepest ground of our being and of all being, the depth of life itself. The name of this infinite and inexhaustible depth and ground of all being is God. That depth is what the word God means. And if that word has not much meaning for you, translate it, and speak of the depth of your life, of the source of your being, of your ultimate concern, of what you take seriously without any reservation. Perhaps in order to do so, you must forget everything traditional that you have learned about God, perhaps even that word itself. For if you know that God means depth, you know much about Him. You cannot then call yourself an atheist or unbeliever. For you cannot think or say: Life has no depth! Life itself is shallow. Being itself is surface only. If you could say that in complete seriousness, you would be an atheist; but otherwise you are not. He who knows about depth knows about God.“87

83 84 85 86

87

STD I, 174 = STE I, 147. STD I, 254 = STE I, 218. STD III, 136 = STE III, 113. STD III, 136 = STE III, 113; „Depth is a dimension of space; yet at the same time it is a symbol for a spiritual quality.“ Der deutsche Text übersetzt „spiritual quality“ mit „geistige Wirklichkeit“ (SF, 52 = RR I, 51). SF 57 = RR I, 55–56 (Hervorhebungen im Original kursiv)

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In diesem Zitat macht Tillich zum einen verschiedene probatorische Übersetzungsangebote anstelle des für viele bedeutungslos gewordenen Wortes „Gott.“88 Auch die für Tillichs Glaubensbegriff so zentrale Formulierung des „ultimate concern,“ sowie die in der Predigt „You Are Accepted“ zum Ausgangspunkt genommene Tiefe unseres Lebens kommen in der Reihung vor. Tillich liegt nichts an den Worten selbst, wenn sie nicht Ausdruck für die Tiefendimension des Menschen sind und für den Einzelnen mit Bedeutung gefüllt werden können (vgl. dazu auch Absatz 6 in „You Are Accepted“). So erscheint hier der Begriff der „Tiefe“ als Zentralmetapher, über die er sich den übrigen Begriffen annähert. Neben diesem pragmatisch-kommunikativen Umgang mit Begriffen kommt zum andern in dem Zitat der apologetische Ansatz Tillichs zum Tragen, der Atheisten und Ungläubige in den theologischen Zirkel hineinholen will.89 Der Argumentationsgang entspricht dabei ganz der Korrelationsmethode und dem dieser zugrunde liegendem Prinzip von absoluter Positivität. Die „Tiefe“ als die „religiöse Dimension“ ist die dem gegenwärtigen Menschen „verlorene Dimension,“90 – so der Titel eines Aufsatzes Tillichs von 1958. „Ich beabsichtige, die Dimension der Tiefe im Menschen als seine ‚religiöse Dimension‘ zu bezeichnen. Religiös sein bedeutet, leidenschaftlich nach dem Sinn des Lebens zu fragen und für Antworten offen zu sein, auch wenn sie uns tief erschüttern.“91 Im selben Aufsatz kann Tillich die Dimension der Tiefe auch mit dem Sinn des Lebens gleichsetzen: „Ohne zu verstehen, was geschehen ist, empfinden viele, dass sie den Sinn des Lebens, die Dimension der Tiefe, verloren haben.“92 Analog dazu kann er die Frage nach dem Sinn des Lebens als Weg in die Tiefe bezeichnen.93 Daneben nennt Tillich das 88

89

90 91 92 93

Ebenso verfährt Tillich in der selben Predigt mit den Begriffen „Kingdom of God“ und „Divine Providence“: „And if these words do not have much meaning for you, translate them, and speak of the depth of history, of the ground and aim of social life, and of what you take seriously without reservation in your moral and political activities. Perhaps you should call this depth hope, simply hope“ (SF 59 = RR I, 57, kursiv im Original). Ein weiteres Beispiel für den Umgang mit traditionellen Termini findet sich in der Predigt „Escape from God“: „Let us therefore forget these concepts as concepts [i. e. Divine Omnipresence and Divine Omniscience, Anm. d. Verf.], and try to find their genuine meaning within our own experience“ (SF 46 = RR I,45, kursiv im Original). Ein exponiertes Beispiel hierfür bietet auch die Predigt „Escape from God/Flucht vor Gott“ SF 38–51 = RR I, 39–50. Die Grundlage für diese Form der Apologetik hat sich Tillich bereits 1912 erschlossen, siehe dazu GW I, 95. GW V, 43–50. GW V, 44. GW V, 47. SF 55 = RR I, 54.

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Leiden als die einzige Tür zur Tiefe der Wahrheit: „[T]he depth of suffering which is the door, the only door, to the depth of truth.“94 „There is no excuse which permits us to avoid the depth of truth, the only way to which lies through the depth of suffering.“95 Die religiöse Haltung des für Tillich gegenwärtigen Menschen ist aus Kunst und Philosophie zu ersehen, die ihn zu dieser Situationsanalyse führen. Sie ist für Tillich deshalb so wichtig, weil für ihn die Einsicht in den Verlust der Dimension der Tiefe eine neue Hinwendung zu dieser sein kann. Aber nicht nur das: „Wer versteht, daß er von dem Sinngrund seines Lebens getrennt ist, ist durch dieses Verstehen in gewissem Sinne mit ihm vereint. Deswegen ist uns vor allem die radikale Erkenntnis unserer Situation nötig ohne den Versuch, sie durch säkulare oder religiöse Ideologien zu verdecken.“96 Die Argumentation, dass die Einsicht in die Trennung bereits eine Art Wiedervereinigung bedeute, ist eine Grundfigur Tillich’scher Apologetik, die auch an anderen Stellen zum Tragen kommt.97 Sie ruht auf dem „Positiven Paradox“, des „Ja“ jenseits der Dialektik von „Ja und Nein“98, an dem alles Sein partizipiert, und ist zugleich der Grund für Tillichs elenchtischen Ansatz, der auch in der Predigt „You are Accepted“ deutlich zum Tragen kommt. Die Einsicht in die Negation schlägt um in die Position.99 In dieser Struktur ist auch der Tillich’sche Begriff der Grenzsituation zu verorten, der ebenfalls im Hintergrund der hier zu analysierenden Predigt steht (vgl. insbesondere die Absätze 11 und 12). Entsprechend diesem grundlegenden Konstruktionsprinzip seiner Theologie beschreibt Tillich in den nun folgenden Absätzen 3 bis 4 und 7 bis 11 die Negation bis hin zur Darstellung der Verzweiflung als dem Endpunkt des Eindringens in die eigene Tiefe. Absatz 5 erwähnt in einem Vorgriff das Paradox der Gnade und Absatz 6 fordert erneut (in Wiederaufnahme des letzten Satzes von Abschnitt 2) zum Gang in die Tiefe der eigenen Existenz auf. In Absatz 3 verwahrt sich Tillich gegen ein moralistisches Missverständnis des Sündenbegriffes und eine daraus resultierende Einteilung 94 95 96 97 98

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SF 59 = RR I, 58. SF 61 = RR I, 60. GW V, 50 Vgl. GW V, 50. Vgl. dazu auch die Predigt „Yes and No/Ja und Nein“ NB 101–104 = RR II, 100–102! „We can stand the Yes and No of life and truth because we participate in the Yes beyond Yes and No, because we are in it, as it is in us“ (NB 104, kursiv im Original). Vgl. zu Tillichs Verständnis des Paradoxes auch seine Auseinandersetzung mit K. Barth und F. Gogarten GW VII, 216–246. Vgl. bereits die Ausführung über „Sünde und Zorn“ in GW I, 94–95.

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der Menschen in „Sünder“ und „Gerechte.“ Bei den „distorting connotations“, von denen Tillich in Absatz 2 sprach, dachte er wohl vor allem daran.100 Gerade dieses Missverständnis von Sünde als unmoralischer Tat verhindert ein richtiges Verständnis von Sünde als des „alles durchdringenden Problems unseres Lebens“.101 Nachdem Tillich betont hat, was Sünde nicht ist, gibt er nun eine positive Erklärung, indem er die Begriffe „separation“ („Trennung“) und „estrangement“ („Entfremdung“) einführt.102 Tillich betont, dass es sich bei dem Begriff der „separation“ nicht um ein Substitut handelt, das das Wort „Sünde“ ersetzen soll (vgl. dazu seine kritische Aussagen in Absatz 2), sondern um einen nützlichen Hinweis (useful clue) zur Interpretation des Begriffes „Sünde“. Tillich macht also wieder ein probatorisches Übersetzungsangebot, um ein Annäherungsverstehen zu ermöglichen. Ich halte diese Aussage Tillichs wesentlich für eine adäquate Interpretation der Sprachgestalt und Terminologie, wie sie Tillich dann in der Systematischen Theologie geschaffen hat. Sie ist von Aussagen in dieser und anderen Predigten her als „clue“ und als probatorisches Übersetzungsangebot zu verstehen.103 Wie Tillich später in homiletischer Perspektive 1952 und grundsätzlich 1957 in der Systematic Theology erklärt, ist die Trennung des Menschen eine dreifache: intrapersonal (Selbstbezug), interpersonal (Weltbezug) und Trennung vom „Grund des Seins“ (Gottesbezug).104 Diese Trennung ist nun, so Tillichs These, eine universale Tatsache (universal fact) und das Schicksal (fate) jedes Lebens, was er in den folgenden Abschnitten 100 101 102

103

104

Tillich entfaltet seinen Sündenbegriff am ausführlichsten in ST II (1957) im Teil III „Die Existenz und der Christus“ Abschnitte I. C. und D. RR I, 145 = SF 154. In dieser Predigt hat der Begriff der „Trennung“ noch das Übergewicht über dem der „Entfremdung.“ In der Systematischen Theolgie zehn Jahre später hat sich das Gewicht zugunsten von „Entfremdung“ verschoben. Bereits in dem Aufsatz von 1952 „Communicating the Christian Message“ hat Tillich den Begriff „separation“ durch „estrangement“ ersetzt, da er Letzteren für ein allgemein verständliches Konzept hält. Die pragmatisch-kommunikative Absicht des Apologeten behält also den Primat über den Systemdenker. Zugleich lassen uns an dieser und anderen Stellen die Predigten (die zeitlich vor oder parallel zur Entstehung der ST liegen) einen Blick in die Genese der Systematischen Theologie werfen. „Der Zustand der Existenz ist der Zustand der Entfremdung. Der Mensch ist entfremdet vom Grund des Seins, von den anderen Wesen und von sich selbst“ (STD II, 52 = STE II, 44). Während in der Predigt der Ausgang von der Erfahrung genommen wird und daher die Reihung bei der Selbstentfremdung einsetzt, ist die Aufzählung in der ST umgekehrt von der Entfremdung vom Grund des Seins über die anderen Wesen zur Selbstentfremdung. Darin kommt wieder das Problem der Korrelationsmethode zum Tragen: Auf induktivem Weg soll erfahrungsmäßig nachvollzogen werden, was deduktiv schon vorgegeben ist.

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durch Beispiele aus der alltäglichen Erfahrung zu belegen sucht. Vorher jedoch schiebt Tillich noch eine kurze Meditation über das Reflexivwerden der Trennungserfahrung im menschlichen Bewusstsein ein, das den Menschen von allen anderen Wesen unterscheidet und daher sein ganz besonderes Schicksal ausmacht. Der Mensch weiß um das Dass der Trennung. Der Mensch leidet nicht nur an den selbstzerstörerischen Konsequenzen der Trennung, sondern er weiß auch um das Warum des Leidens – der Trennung.105 Hier springt Tillich von der Erfahrung des Leidens zur Erklärung des Leidens. Reflexivwerden von Leidenserfahrung im menschlichen Bewusstsein wird identifiziert mit einer Ursachenzuschreibung. Dieser Sprung in der Argumentation Tillichs wird besonders deutlich im Vergleich mit dem Buddhismus (vgl. die Teile II und III dieser Arbeit!). Hat Tillich in Absatz 3 zunächst einem moralistischen Missverständnis von „Sünde“ gewehrt und absolut formuliert, „… that sin does not mean an immoral act, that sin should never be used in the plural …“, so kann er dann doch am Ende von Absatz 4 auch von Aktsünde sprechen. Um eine Brücke zwischen beiden Aussagen zu schlagen, führt er nun den Begriff der „Schuld“ (guilt) ein und definiert Sünde im Sinne von Trennung als Schicksal und Schuld. Die Trennung ist nicht nur Schicksal, sondern auch Schuld, weil der Mensch aktiv an dieser Trennung partizipiert (45). Tillich formuliert ganz im Sinne der klassischen Unterscheidung von peccatum originale und peccatum actuale, wobei er aus apologetischen Gründen für Erb- oder Grundsünde den Begriff der Trennung resp. Entfremdung einführt und Aktsünde als ‚aktive Partizipation’ an der Trennung umschreibt.106 Diesen Sprachgebrauch in der Kommunikation des Evangeliums reflektiert Tillich in homiletischer Perspektive in dem bereits behandelten Aufsatz von 1952: „In the whole period since the beginning of the eighteenth century this [i. e. the doctrine of sin, Anm. d. Verf.] has been the most attacked of all 105

106

In ST III erscheint das Leiden als „psychisches Material“ als Bedingung in der Entstehung der Dimension des Geistes, wenn Tillich Nietzsche (Also sprach Zarathustra) zitiert: “Geist ist Leben, das selber ins Leben schneidet; an der eignen Qual mehrt sich das eigne Wissen“ (STD III, 39 = STE III, 28). In der Predigt selbst kann Tillich eine Formulierung gebrauchen, die an den locus classicus der „Erbsündenlehre“ Psalm 51, 7 erinnert: „Such separation is prepared in the mother’s womb, …“. Bereits Luther gebrauchte alternativ zu dem Begriff „Erbsünde“ den der „Hauptsunde“ und im Lateinischen heißt es an der betreffenden Stelle der Schmalkaldischen Artikel: „Hoc nominatur originale, haereditarium, principale et capitale peccatum.“ (BSLK, 433). Unter „solcher Sunden Fruchte“ zählt Luther dann auch „verzweifeln.“ BSLK, 434; auch S. Kierkegaards „Krankheit zum Tode“ (ein Begriff, den Tillich öfters zitiert, z. B. SF 96, 160), ist für das Verständnis von Sünde als Verzweiflung bei Tillich wichtig.

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doctrines. A term like ‚original sin’ was considered as a shame and as ridiculous. The change in this regard is tremendous. Perhaps we should not use these words very often because of their traditionalistic and moralistic connotations, and because of their corresponding protest against them. Yet we can describe today in every sermon and address all phases of that aspect of the human situation which Christianity has called ‚sin.’ We can describe concupiscence, will-to-power, and hubris–the self-elevation of man and such negative consequences of it as self-hate, hostility, self-seclusion, pride, and despair. Today the meaning of original sin, its universality, its tragic role in history, can be emphasized in a way that it could not be twenty years ago. For we are able today to use a concept which everybody understands, the concept of estrangement: estrangement from oneself, from the other man, from the ground out of which we come and to which we go.“107

Zusammenfassend betont Tillich nochmals: Sünde im Sinn von Trennung als Schicksal und Schuld ist der Zustand (state) unserer gesamten Existenz. „Existence is separation! Before sin is an act, it is a state.“108 Nachdem Tillich den Begriff der Sünde erklärt und über den Begriff Trennung resp. Entfremdung plausibel zu machen versucht hat, ist der Absatz 5 der Erläuterung des Gnadenbegriffs gewidmet. Da „Sünde“ und „Gnade“ Komplementärbegriffe sind, gibt es Erkenntnis von Sünde nur aufgrund vorgängiger Erfahrung von Gnade und umgekehrt, kein Wissen um Gnade ohne die Erfahrung von Sünde. An dieser Stelle führt nun Tillich den Lebensbegriff ein. Ist Sünde „separation of life“, so wird nun Gnade definiert als „unity of life“. Hier kommt die von Schelling inspirierte Lebensphilosophie Tillichs zum Tragen, wie ich sie bereits anhand ihrer reifen Ausformulierung in ST III dargestellt habe; sie bestimmt den weiteren Argumentationsgang der Predigt. Die Trennung von Selbst, Welt und Gott wird nun unter den Lebensbegriff subsumiert. Das entspricht ganz der Lehre von der „multidimensional unity of life“ bei Tillich.109 Wesentlich für Tillichs Argumentation ist, dass die Erfahrung existenzieller Entfremdung bereits eine essentielle Einheit voraussetzt.110 Diese Schelling’sche Denkfigur, die auf dem Identitätsprinzip beruht, kommentiert Tillich in seiner LizenziatenArbeit von 1912 anhand einer Stelle aus der Freiheitsschrift („Wird die 107 108 109

110

Tillich 1959, 210 = GW VIII, 272. SF 155 (kursiv im Original). So kann von ST III her formuliert werden, dass „Sünde“ die existenzialistische und „Gnade“ die essentialistische Betrachtungsweise des ontologischen Lebensbegriffs ist (STD III, 22 = STE III, 12). D. h. auf der Ebene der Korrelationsmethode formuliert, dass die Antwort bereits in der Frage implizit enthalten ist. Vgl. dazu die Ausführungen weiter oben und insbesondere die dort zitierten Stellen aus STD III, 22 = STE III, 12; vgl. dazu auch F. W. J. Schelling 1997 (1809), 45–46.

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Einheit ganz aufgehoben, so wird eben damit der Widerstreit aufgehoben.“ SW VII, 371)111 folgendermaßen: „Im Widerstreit selbst offenbart sich das Band und dadurch das Wesen. Das Nicht-sein-Sollende kann nur am Sein-Sollenden offenbar werden. Das Schuldbewußtsein selbst schließt das Bewußtsein um die wahre Einheit in sich. Je tiefer und absoluter das Schuldbewußtsein, desto höher die Erfassung der wahren Identität. Ja und Nein stehen auch hier in voller Absolutheit nebeneinander und ineinander.“112

Bei aller Nähe zu einem Gesetz-Evangelium-Schema (die der späte Schelling bestätigt hat), wie es sich bereits im Aufbau des Römerbriefes zeigt und wie es sich in der evangelischen Homiletik insbesondere lutherischer Prägung bis hin zu einem starren Schema im Pietismus ausgewirkt hat, indem der Predigt des Gesetzes eine elenchtische Funktion als Voraussetzung des Zuspruchs der Vergebung und Rechtfertigung zukommt (vgl. Röm 3, 20 den usus elenchticus legis),113 so liegt der eigentliche Grund für die Betonung der Elenchtik bei Tillich in der Struktur, wie sie in dem eben zitierten Abschnitt zum Ausdruck kommt. „Je tiefer und absoluter das Schuldbewußtsein, desto höher die Erfassung der wahren Identität.“ D. h. in der Tiefe der Entfremdung schlägt die Entfremdung in Einheit um. „Das Ja zur Sünde geht notwendig über in das Nein, und das Nein in seiner tiefsten Form schlägt notwendig um in das Ja.“114 Genau dieser prinzipiellen Struktur entspricht die Zweiteilung der Predigt „You are accepted,“ ein Aufbau, der sich bei Tillich regelmäßig auch in seinen übrigen Predigten findet. Charakteristisch für diesen Umschlag des Nein ins Ja sind Formulierungen, wie die Folgende aus der Predigt über Lk 10, 38–42 („Our ultimate concern“): „… everything seems the same and yet everything is changed.“115 Analog zur Erläuterung des Sündenbegriffs wehrt Tillich nach dieser grundsätzlichen Formulierung über den Zusammenhang von Sünde und Gnade zunächst mögliche Missverständnisse des Gnadenbegriffs ab. Gnade sei weder die Bereitschaft eines göttlichen Königs oder Vaters die Torheiten und Schwächen (warum nicht „(Akt-)Sünden“?) seinen Kindern oder Untertanen immer wieder zu vergeben, da 111 112 113

114 115

F. W. J. Schelling 1997 (1809), 43. GW I, 93. Vgl. z. B. das berühmte Diktum Friedrich August Gottreu Tholucks: „Ohne die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis ist die Himmelfahrt der Gotteserkenntnis nicht möglich“ (A. Tholuck 1830, 38). GW I, 94. NB 160 = RR II, 150. Eine analoge Aussage findet sich in „You Are Accepted“ in Absatz 12, die ich an entsprechender Stelle behandeln werde.

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dies eine Zerstörung der menschlichen Würde (human dignity) bedeuten würde, noch eine magische Kraft, die für das praktische Leben keine Bedeutung hätte. Gnade ist auch nicht einfach die Benevolenz des Lebens, das es vielleicht gut mit einem meint, denn Gnade sei mehr als das. Und schließlich meint Gnade auch nicht die Gaben der Natur und Gesellschaft, die es ermöglichen, Gutes zu tun. Insbesondere das erste von Tillich angeführte Missverständnis verrät seine Ablehnung eines heteronom verstandenen Theismus, der die Autonomie des Menschen nicht achtet.116 Mit diesen Sätzen zeichnet Tillich eine Kontrastfolie, die mehr oder minder plausibel ist, um sein eigenes Verständnis besonders konturiert davon abzuheben. Die nun folgende Definition besteht in einer ganzen Reihung von Sätzen, die in sich selbst sehr dicht und semantisch aufgeladen sind. „In grace something is overcome; grace occurs ‘in spite of’ something; grace occurs in spite of separation and estrangement. Grace is the reunion of life with life, the reconciliation of the self with itself. Grace is the acceptance of that which is rejected. Grace transforms fate into a meaningful destiny; it changes guilt into confidence and courage.“117

Tillich hat diese Definition kunstvoll durchstrukturiert, indem er Charakter, Wesen und Wirkung von Gnade beschreibt. In drei kurzen parallel aufgebauten Parataxen, die eine Klimax enthalten, beschreibt er zuerst den paradoxen Charakter von Gnade. Zunächst formuliert er passivisch, wobei Gnade durch die Präposition „in“ (so auch der deutsche Text) als „Raum“ vorgestellt wird, in dem, zunächst noch völlig unbestimmt, „etwas“ überwunden wird. Das steht in Übereinstimmung mit der Aussage, dass Gnade ebenso wie Sünde ein Status sei. Ein Widerstand wird angezeigt, der aber nicht stärker ist als Gnade. In der zweiten Parataxe wechselt das grammatische Subjekt von „etwas“ zu „Gnade“, die sich nun ereignet (occurs)118, und zwar „in spite of“. Es ist das Paradox des „Trotzdem“ (dt. Text „obgleich“), das für Tillichs Neuformulierung der Rechtfertigungslehre konstitutiv ist. Zugleich wird der Ereignischarakter von Gnade betont. In der dritten Parataxe macht nun Tillich namhaft, „trotz“ welchen Realitäten sich Gnade 116

117 118

An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie weit sich Tillich durch seine Ontologie von der biblischen Sprach- und Vorstellungswelt entfernt, wenn man insbesondere auch an die Verkündigung Jesu (z. B. die fünfte Bitte des Vaterunsers oder das Gleichnis vom Schalksknecht [Mt 18, 21–35]) betrachtet. SF 156. Das scheint zunächst dem Verständnis von Gnade als Status zu widersprechen, wird aber vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Existenz und Essenz verständlich. Auf der Ebene der essentiellen Einheit des Lebens ist Gnade ein Status, auf der Ebene der Existenz ein die Entfremdung überwindendes Ereignis.

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paradoxerweise ereignet, nämlich trotz Trennung und Entfremdung. Es ist bezeichnend, dass Tillich nicht sagt, dass Trennung und Entfremdung überwunden werden. Der Grund dafür besteht wohl darin, dass die Betonung hier ganz auf dem Paradox des „in spite of“ liegt. Dahinter steht die Unterscheidung von Sein und Seinsgrund. Das Paradox gilt nur im Blick auf das Sein im Zustand existenzieller Entfremdung, diese Dialektik wird jedoch im Seinsgrund aufgehoben. Darauf folgen drei positiv formulierte Sätze über das Wesen der Gnade („Grace is …“), wenn Tillich sie als „reunion of life with life“ beschreibt, d. h. die Wiedervereinigung des existenziell Getrennten in seiner essentiellen Einheit. D. h. im Prozess des Lebens die Rückkehr des Lebens zu sich selbst, die Tillich an anderer Stelle mit dem Schelling’schen Begriff der „Essentifikation“ bezeichnet.119 Auf der Ebene des individuellen Selbst bedeutet das „reconciliation of the self with itself“. Die Vorsilbe „re-“ ist im englischen Original jeweils kursiv hervorgehoben. Die dritte Wesensbeschreibung nimmt bereits den Begriff auf, der für die Neuformulierung der Rechtfertigungslehre bei Tillich zentral ist: acceptance.120 Und schließlich beschreibt Tillich in seiner vielschichtigen Definition noch die Wirkungen von Gnade in Bezug auf Schicksal und Schuld: Schicksal wird in sinnvolles Geschick transformiert und Schuld in Zuversicht und Mut. Absatz 5 schließt mit einem Rekurs auf Röm 5, 20 – der Übermacht der Gnade. Es legt sich nahe, diesen fast triumphalistisch wirkenden Schlusssatz vor dem Hintergrund von Tillichs Ontologie zu lesen: Es geht bei dem Triumph der Gnade um den Triumph des Seins. Als Sieg über das Nichtsein aus der Perspektive des „Seinsgrundes“ und als Sieg „trotz“ des Nichtseins aus der Perspektive des existenziellen Seins. Absatz 6 nimmt nun nach diesen recht ausführlichen definitorischen Passagen, die sehr gewichtig am Anfang der Predigt stehen und etwas überladen wirken, die Aufforderung in uns selbst hinein zu sehen vom Ende des zweiten Absatzes wieder auf. Wie dort geht es bei dieser Introspektion um die Wiederentdeckung der Bedeutung der Begriffe „Sünde“ und „Gnade.“ Das soll geschehen, indem wir in uns selbst den Kampf zwischen Trennung und Wiedervereinigung erkennen; und 119 120

STD III, 453 = STE III, 400. Der deutsche Text liest hier „Wiederannahme“, obwohl sonst „acceptance“ immer entweder mit „Annahme“ oder „Bejahung“ übersetzt wird. Da der Begriff „acceptance“ in dem zentralen Absatz 12 den Hauptbegriff bildet und die inhaltliche Identität von Gnade und Rechtfertigung anzeigt, die für die gesamte Predigt konstitutiv ist, halte ich die deutsche Übersetzung für nicht so glücklich. Das Motiv, „acceptance“ mit „Wiederannahme“ zu übersetzen, dürfte in dem Wunsch liegen, eine analoge Form zu „reunion“ und „reconciliation“ zu bilden.

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zwar in der dreifachen Hinsicht: intrapersonell, interpersonell und in Beziehung „to the Ground and aim of our being“, d. h. zu dem Grund von Sein und Sinn. Damit ist die Gliederung für die folgenden Absätze der Predigt gegeben und zwar in der Reihenfolge der interpersonellen Ebene im individuellen (Absatz 7) und sozialen bzw. internationalen Bereich (Absatz 8) und intrapersonal (Absatz 9). Vorher jedoch gibt Tillich noch als Metakommunikation das entscheidende Kriterium dafür, ob der Versuch einer Revitalisierung der traditionellen Begriffe gelungen ist oder nicht. Es ist das innere Responsorium der Hörer, der Widerhall121 in den tiefsten Schichten individuellen Seins, das allein ausschlaggebend ist für die Wahl der Worte.122 Diese expliziten Aussagen Tillichs, die in dieser Weise (soweit ich sehe) einmalig sind, haben entscheidende Konsequenzen für das Verständnis der Korrelationsmethode als apologetischer Methode. Eine Antwort ist nur dann eine Antwort, wenn sie nicht nur auf eine existenzielle Frage antwortet, sondern wenn sie auch in ihrer Formulierung ein Resonanzphänomen und einen existenziellen Rezeptionsprozess auslöst, d. h. wenn neben dem kognitiven auch emotive und voluntative Aspekt der Kommunikation mit eingeschlossen sind. Die Korrelationsmethode ist also zutiefst rezeptionsästhetisch orientiert und misst den Erfolg ihrer Kommunikation an der Reaktion des Empfängers. Solange eine bestimmte (und bei Tillich ist das in der Regel traditionelle biblisch-kirchliche) Sprache bei den Empfängern keine Reaktion, keinen inneren Widerhall auslöst, ist die Kommunikation des Evangeliums nicht gelungen. Dass es bei diesem Widerhall nicht nur um eine „Antwort“ geht, wird auch dadurch deutlich, dass Tillich diesen „response“ mit der Erkenntnis von Gnade gleichsetzt. In Absatz 7 zählt Tillich die Phänomene Einsamkeit, enttäuschte Liebe, Agression und Schadenfreude123 als Ausdruck der „Trennung des Lebens vom Leben“ auf der individuellen Ebene auf. Diese Wendung kommt in den beiden Absätzen 7 und 8 in leichter Abwandlung sechsmal vor. In Absatz 8 führt Tillich auf sozialer und internationaler Ebene die Nazi-Verbrechen und den Rassismus in den Südstaaten der USA an. Dass es ihm aber nicht um „politische“ Predigt, sondern um eine individuelle Elenchtik geht, wird durch den Verweis Tillichs 121

122 123

Der deutsche Text liest für „response“ einfach „Antwort,“ was in diesem Kontext der Aussageintention nicht gerecht werden dürfte. Allein der Kontext macht deutlich, dass es nicht um eine Antwort im eigentlichen Sinn geht, sondern darum, dass ein existenzieller Rezeptionsvorgang im Hörer ausgelöst wird. „… the words themselves are not important“ (SF 156). Hier zitiert Tillich I. Kant mit Namensnennung.

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unterstrichen, dass diese Phänomene nicht als Entschuldigung dienen dürfen, von uns selbst abzusehen. Gerade die Gleichgültigkeit gegenüber Armut und Hunger in Teilen Europas und Asiens (die Predigt stammt aus dem Jahr 1946) sei das sprechendste Beispiel für die „Trennung des Lebens vom Leben“. Besonders Absatz 7 ist geprägt von stark suggestiven rhetorischen Fragen („Who has not …“ und ähnlich, insgesamt 4x) und existenziell andringenden Beispielen. Der Vorwurf der Gleichgültigkeit in Absatz 8 ist grenzwertig und könnte im Verdacht des Versuchs der Erzeugung von Schuldgefühlen stehen. Beide Absätze enden mit zwei Worten aus Röm 5, 20 („sin abounding“ bzw. „sin abounds“), gefasst als „separation of life from life“, die wie Ausrufezeichen das Ergebnis der elenchtischen Argumentation nochmals unterstreichen. Dem Problem der Selbstentfremdung ist der Absatz 9 gewidmet, der schon durch seine Stellung am Ende der Argumentationsreihe und seinen Umfang (ein Drittel länger als Absatz 7 und doppelt so lang wie Absatz 8) den Hauptakzent erhält. Tillich sieht die tiefste Trennung in der inneren Spaltung des Menschen und der daraus resultierenden Unfähigkeit zu echter Selbstliebe: „But the depth of our separation lies in just the fact that we are not capable of a great and merciful divine love towards ourselves“. Vielmehr besteht im Menschen die Tendenz zu Selbstverachtung bis hin zur Selbstzerstörung. In Aggression, Hass und Verzweiflung kommt nach Tillich die Bewegung des Lebens gegen das Leben zum Ausdruck. Diese intrapersonale Spaltung findet Tillich durch die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie über die „Spaltung“ von „unbewusstem“ Leben und „bewusster Persönlichkeit“ bestätigt, die er bereits von Paulus in Röm 7 formuliert findet. Tillich zitiert an dieser Stelle die Verse Röm 7, 15bc und 20. Es geht ihm dabei darum, den transmoralischen Begriff der Sünde als Entfremdung, die am tiefsten in der Selbstentfremdung wie eine fremde Macht (alien power) erfahren wird, von Paulus her zu gewinnen („Sünde“ im Singular!, vgl. Absatz 3).124 Tillich nimmt hier eine nicht ganz unproblematische theo124

Allerdings bleibt bei diesem Versuch kritisch zu fragen, ob die tiefenpsychologische Einsicht in die unbewussten Triebkräfte des Menschen tatsächlich beschreibt, was Paulus in Röm 7 meint und nach Tillich zum Ausdruck bringen will, denn nach Röm 7 ist die quasi personalisierte hamartia gerade nicht mit den vitalen Trieben des Freud’schen Es identisch. In ST II kritisiert Tillich Freuds Beschreibung der menschlichen Natur gerade deshalb als defizitär, weil Freud nicht zwischen Essenz und Existenz unterscheidet (STD II, 62–63 = STE II, 54; vgl. auch GW VIII, 167– 168 = MW 5, 270). D. h. Freud sieht die innere Gespaltenheit des Menschen gerade nicht als Symptom für die menschliche Entfremdung vom Grund des Seins. In der Predigt „The Depth of Existence/Von der Tiefe“ betont Tillich, dass „the so-called

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logische Deutung und Einordnung tiefenpsychologischer Einsichten vor und stellt diese in den Dienst der Verkündigung. Sowohl Röm 7 als auch die Einsicht in die unbewussten Triebenergien im Menschen konvergieren jedoch in dem Punkt, dass die Autonomie des Menschen zumindest stark in Frage gestellt ist. So findet sich auch hier wieder der für Tillichs Denken als Ausgangspunkt dienende Konflikt zwischen Autonomie und Heteronomie bezeichnet, der aufgrund dessen Aporetik nach Tillich in die Verzweiflung führt. Absatz 10 fasst den Argumentationsgang zusammen als „estrangement from others and ourselves“. Die Ursache (because) dafür liegt in der Entfremdung vom „ground of our being,“ der zugleich „origin and aim of our life“ ist. Im Englischen wird dieser Satz mit „Thus“ („also, folglich; entsprechend“) eingeleitet. Dass aber die Entfremdung vom Grund des Seins nicht aus einer Phänomenologie der Entfremdung von Selbst und Welt logisch abgeleitet werden kann, ist möglicherweise der Grund dafür, dass diese Folgerungspartikel in der deutschen Übersetzung gestrichen wurde.125 So folgt eine Reihung thetischer Sätze, um diese Entfremdung vom Grund unseres Seins, der zugleich „the mystery, the depth and the greatness of our existence“ ist, zu beschreiben. Es ist ein Nichtwissen unseres „Woher“ und „Wohin“,126 ein Nichthörenkönnen der Stimme aus der Tiefe und ein Rebellieren und Fliehen vor ihrer unbedingten Forderung und ein Nichtakzeptieren ihrer Verheißung.127 In den Verben kommen sowohl der schuldhafte wie schicksalshafte Charakter der Entfremdung zum Ausdruck. Diese Sätze bilden das Gegenstück von Tillichs Glaubensbegriff, die in traditionelle Termini rückübersetzt eine Beschreibung des Unglaubens nach lutherischem Verständnis darstellen. Zugleich kann man diesen inneren Zwiespalt als den Konflikt zwischen Autonomie und Hetero-

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126

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‘psychology of depth’“ uns nicht in den tiefsten Grund des Seins, in die Tiefe des Lebens selbst führen könne (SF 56–57 = RR I, 55). Das ist eine lutherische Grundeinsicht: „Solche Erbsunde ist so gar ein tief bose Verderbung der Natur, daß sie kein Vernunft nicht kennet, sondern muß aus der Schrift Offenbarung gegläubt werden.“ (Schmalkaldische Artikel, BSELK 434; WA 50,221). „Was ‚Ursünde’ meint, lässt sich zwar plausibel nachvollziehen, aber letztlich nicht phänomenologisch erfassen.“ H.-M. Barth 32008, 493. Von der Frage nach unserem „Woher“ und „Wohin“ gewinnt Tillich seinen Sinnbegriff, der für seine Religionsdefinition respektive seinen Glaubensbegriff konstitutiv ist: „And, since only that which is the ground of our being and meaning should concern us ultimately, we can also say: Faith is the concern in its ultimate ‘whence’ and ‘whither’“ (MW 4, 376 = GW V, 165). An dieser Stelle fällt eine Rückübersetzung in traditionelle theologische Begrifflichkeit besonders leicht. Der entscheidende Unterschied liegt hier in der Substitution des Wortes Gottes in Gesetz und Evangelium bzw. promissio bei Luther durch die „Stimme aus der Tiefe“ mit ihrer unbedingten Forderung und Verheißung.

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nomie verstehen, wie ihn Tillich an anderer Stelle beschrieben hat.128 Beide Perspektiven überlagern sich hier. Obwohl der Mensch sich nach Tillich dem Anspruch des Unbedingten durch Flucht entziehen will, sind diese Fluchtversuche vergeblich. Der Begriff escape bildet die semantische Klammer, die Tillichs Begriff der Entfremdung mit seinem Verständnis der Verzweiflung (despair; der Begriff kommt 6 × in Absatz 11 vor!) als „ the ultimate depth of sin“ verbindet.129 Auf diese letzte Konsequenz der Verzweiflung strebt Tillich jetzt in Absatz 11 als den Zielpunkt seiner elenchtischen Argumentation mit einem Crescendo zu, mit dem der erste Hauptteil der Predigt schließt. Tillich definiert Verzweiflung als die Unmöglichkeit des Entkommens: „Despair means that there is no escape“. Der Mensch kann sich dem Grund seines Seins nicht entziehen, so sehr er es auch versucht: „… we are bound to it for all eternity …“ „We always remain in the power of that from which we are estranged“. Das heißt in der ontologischen Terminologie Tillichs, dass alles Sein am Grund des Seins bzw. an der Macht des Seins selbst partizipiert. In der Argumentation von „The Courage to Be“ liegt darin gerade der Grund für den Mut zum Sein, der die Angst vor dem Nichtsein in sich hineinnehmen kann. Die Frage, die sich im Kontext dieser Predigt erhebt, ist, warum der Mensch vor dem Grund des Seins ausweicht und ihm entkommen will? Denn, wie Tillich gesagt hat, enthält er ja auch eine Verheißung. An dieser Stelle der Predigt fehlt ein Argumentationsgang, den Tillich im Zusammenhang mit der Erläuterung der Verzweiflung üblicherweise mit dem Begriff der „Grenzsituation“ namhaft macht.130 „Die menschliche Grenzsituation ist da erreicht, wo die menschliche Möglichkeit schlechthin zu Ende, die menschliche Existenz unter eine unbedingte Bedrohung gestellt ist.“131 Insbesondere der Aufsatz „Die protestantische Verkündigung und der Mensch der Gegenwart“132 von 1928 ist an dieser Stelle sehr aufschlussreich für Tillichs Deutung der Verzweiflung und deren Stellenwert im Argumentationsgang der Predigt. Tillich sieht in diesem Aufsatz die Offenheit des modernen Menschen für die Erfahrung der Grenzsituation in dem aporetischen Konflikt 128 129

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So z. B. in GW VII, 70–83; STD I, 101–105 = STE I, 83–86 Der Begriff „escape“ kommt in den Abschnitten 10 und 11 drei Mal vor; in der deutschen Übersetzung wird er mit „entziehen“, „entgehen“ und „Entrinnen“ wiedergegeben, dadurch verliert dieser Abschnitt jedoch an rhetorischer Kohärenz. So z. B. GW VII, 73–79; MW 5, 166–167 = GW XI, 48–49. GW VII, 74. GW VII, 70–83.

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zwischen Autonomie und Heteronomie gegeben. Es ist der Konflikt, der im Hintergrund der Absätze 10 und 11 in der Predigt steht und der hier, ebenso wie in dem Aufsatz von 1928 in der Verzweiflung kulminiert. Auch hier steht der Gedanke Schellings von der „Anziehung des Grundes“ im Hintergrund: „Der Urgrund zur Existenz wirkt auch im Bösen fort, wie in der Krankheit die Gesundheit noch fortwirkt, und auch das zerrüttetste, verfälschteste Leben bleibt und bewegt sich noch in Gott, sofern er Grund von Existenz ist. Aber es empfindet ihn als verzehrenden Grimm, und wird durch das Anziehen des Grundes selbst in immer höhere Spannung gegen die Einheit, bis zur Selbstvernichtung und endlichen Krisis, gesetzt.“ 133

In der Predigt „Escape from God“ behandelt Tillich anhand einer Homilie von Psalm 139 ausführlich, was er hier in Absatz 11 nur mit knappen Strichen skizziert: die Unmöglichkeit, Gott zu entrinnen, und die Verzweiflung als Ergebnis jedes Fluchtversuches.134 Von dem gegebenen Schelling-Zitat her erschließen sich Aussagen dieser Predigt, wie z. B. die folgenden: „The centre of our whole being is involved in the centre of all being; and the centre of all being rests in the centre of our being.“ „The God Whom he [i. e. the psalmist] cannot flee is the Ground of his being.“ „The psalmist has overcome his wavering between the will to flee God and the will to be equal with God. He has found that the final solution lies in the fact that the Presence of the Witness, the Presence of the centre of all life within the centre of his life, implies both a radical attack on his existence, and the ultimate meaning of his existence.“135

Von dem bisher rekonstruierten Gedankengang erschließt sich der Tillich’sche Begriff der „Grenzsituation“/„boundary situation“, als diejenige Situation, in der das Nein ins Ja, die Negation in die Affirmation umschlägt.136 Es ist, mit Schelling gesprochen, die Situation der „end133 134 135 136

F. W. J. Schelling 1997 (1809), 75; vgl. dazu GW I, 94–95. „Escape from God/Flucht vor Gott“, SF 38–51 = RR I, 39–50. In dieser Predigt zeigt Tillich anhand von F. Nietzsche die Unmöglichkeit, Gott zu entrinnen. SF 46.47.50 = RR I, 46.47.49; Hervorhebung nur im englischen Text. G. Wenz bemerkt in diesem Zusammenhang: „Es ließe sich unschwer zeigen, daß die durch die Verhältnisbestimmung von negativer und positiver Philosophie [sc. Schellings, Anm. d. Verf.] aufgegebenen Probleme strukturanalog sowohl in Kählers Dogmatik als auch in der Korrelationsmethode Tillichscher Systematik auftreten. Die entscheidende Frage ist dabei stets, wie der Übergang von der Negation zur Position, von Schuldbewusstsein zur Erlösungserfahrung, von existenzieller Frage zur essentiellen Antwort eigentlich vermittelt ist“ (G. Wenz 1989, 75–76). Und Wenz fragt tastend weiter, ob „dieser Übergang durch eine selbstinitiierte Selbstnegation des Subjekts hergestellt“ werde, oder ob es mit Tillichs Worten einer „gesetzt und niemals setzbar verheißenen neuen Wirklichkeit“ bedürfe (G. Wenz, ebd.). Den

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lichen Krisis“, die aus der „Spannung gegen die Einheit“ folgt. So bleibt Tillich über den Begriff der Verzweiflung auch in „You are Accepted“ seiner 1928 formulierten homiletischen Maxime treu: „Das Protestantische am Protestantismus ist und muß immer sein die Verkündigung der menschlichen Grenzsituation, der unbedingten Bedrohtheit des menschlichen Seins.“137 Wie in diesem Aufsatz dient auch in „You are Accepted“ und den meisten übrigen Predigten138 die Verkündigung der Grenzsituation der Neuinterpretation der Rechtfertigungslehre.139 An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Predigt nur die Aussage Röm 5, 20b zugrunde liegt. Die Funktion des Gesetzes, wie sie Paulus in Vers 20a heilsgeschichtlich als Voraussetzung für 20b sieht, wird von Tillich nicht eigens thematisiert, vielmehr sieht er die Funktion des Gesetzes in der Situation des modernen Menschen, „der sich in seiner Autonomie unsicher geworden ist,“ ohne jedoch in die Heteronomie zurückkehren zu können, erfüllt.140 Nachdem die Negation als Trennung resp. Entfremdung bis zur Verzweiflung als ihrer letzten Tiefe aufgezeigt ist, folgt nun in den Absätzen 12–14 die Affirmation als „Übermacht der Gnade“. Das entspricht der 1928 formulierten zweiten homiletischen Maxime: „Zweitens muß sie [sc. die protestantische Verkündigung, Anm. d. Verf.] sprechen von dem Ja, das in der unbedingt ernst genommenen Grenzsituation über den Menschen ergeht.“141 Absatz 12 bildet mit zwei Druckseiten im englischen Original den längsten Absatz der Predigt. Hier führt Tillich die Erfahrung der Gnade im Zustand tiefster Entfremdung im Sinne seiner Interpretation der Rechtfertigungslehre aus. Auch der Glaubensbegriff wird hier eigens Gegenstand der Diskussion. Die Absätze 13 und 14

137 138

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141

Begriff der Grenzerfahrung erwähnt Wenz in diesem Zusammenhang überraschenderweise nicht. Religiös gesprochen handelt es sich um „Gnade.“ GW VII, 73 Z. B. SF 1–11 = RR I, 7–16; NB 152–169 = RR II, 144–150; EN Teil 1 „The Human Predicament“ = RR III, „Die menschliche Situation“ (dort insbesondere die erste Predigt „Loneliness and Solitude“: „He [i. e. God, Anm. d. Verf.] wants us to penetrate to the boundaries of our being (dt. Text: „Gott will, dass wir in die Tiefe unseres Seins reichen“), where the mystery of life appears (dt. Text: „verborgen ist“), and it can only appear in moments of solitude“ (EN 8 = RR III, 20). Vgl. GW VII, 74 und 80–90. GW VIII, 70–71, 70; Zitat im Original kursiv. Bereits in der Predigt zu Röm 3,28 von 1917 kann Tillich den Begriff des Gesetzes von seinem neutestamentlichen Bezug abstrahieren. Es handelt sich hier auch um eine Kontextualisierung des Gesetzesbegriffs, der für das Paradox der Rechtfertigung konstitutiv ist. GW VIII, 81. Tillich weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass daraus kein Schema werden dürfe, das jeder Predigt zugrunde liegt, aber es verleihe im Hintergrund jeder Verkündigung dieser „den Klang und die Vollmacht“ (GW VIII, 82).

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beschreiben dann diese Gnade als „reunion of life with life“ in interpersonaler und intrapersonaler Hinsicht, gefolgt von einem kurzen Predigtschluss (Absatz 15). Tillich leitet zu diesem (insgesamt etwa ein Drittel der Predigt umfassenden) zweiten Predigtteil über, indem er nochmals Röm 5,20b zitiert. Er setzt wieder ein mit Paulus (vgl. Absatz 1), dem summarischen Hinweis auf dessen Beschreibung der Negation im Kontext des Römerbriefes und der Aussage von der Übermacht der Gnade angesichts der mächtig gewordenen Sünde als Beschreibung der „most overwhelming and determining experience of his life“.142 An dieser Stelle führt Tillich auch seine Christologie in sehr indirekter Weise ein. Da die Aussage, auf die es hier ankommt, wieder sehr dicht in einem längeren Satz formuliert ist, ist eine genauere Analyse angezeigt: „In the picture of Jesus as the Christ, which appeared to him at the moment of his greatest separation from other man, from himself and God, he found himself accepted in spite of his being rejected. And when he found that he was accepted, he was able to accept himself and to be reconciled to others.“143

Paulus findet sich nach Tillich obwohl rejected als accepted im „Bild Jesu als des Christus“ vor, das ihm genau in dem Moment erscheint (appeared), da seine Trennung am größten ist. Gerade „at the moment of his greatest separation“ machte Paulus diese Erfahrung des Angenommenseins.144 Es ist der Umschlag in die Affirmation am tiefsten Punkt der Negation. Diese Affirmation äußert sich paradox: „he found himself accepted in spite of his being rejected.“145 Dies entspricht der Tillch’schen Neuformulierung der Rechtfertigungslehre, wie ich sie bereits anhand der entsprechenden Aussagen insbesondere in der Systematischen Theologie und „The Courage to Be“ dargestellt habe – und wie sie in der Predigt bereits in der Definition des Gnadenbegriffs (Absatz 5) andeutungsweise vorweggenommen wurde. Ob dieser Umschlag in die Affirmation durch die „Erscheinung des Bildes Jesu als des Christus“ induziert wird oder nicht, lässt Tillich (im Gegensatz 142

143 144 145

Die Ausführungen Tillichs legen nahe, dass er hier an die Berufung des Paulus vor Damaskus denkt, wie sie in Apg 9 geschildert ist. Dazu passt auch die Lichtmetaphorik in Absatz 12, 182, vgl. Apg 9, 3. Möglicher Hintergrund kann auch die Erfahrung sein, die Paulus in 2 Kor 12, 1–10 schildert. SF 160. Der deutsche Text hat hier zweimal „bejaht“ (RR I, 151). Die deutsche Übersetzung „… fand er sich selbst zugleich verworfen und bejaht“ bringt das Paradox nicht so deutlich zum Ausdruck wie das englische „in spite of“. Auch hat die Übersetzung von „rejected“ als „verworfen“ eine stärkere religiöse Konnotation. Die Frage an dieser Stelle ist, warum Paulus von wem verworfen resp. „zurückgewiesen/abgelehnt“ wurde.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

zu Apg 9) eigentümlich offen. Das propter Christum reformatorischer Rechtfertigungslehre wandelt sich in eine apparentia imaginis Christi, vom Realgrund der Rechtfertigung zu einer Abbildung, in der die Erfahrung des Angenommenseins reflexiv wird.146 Aber insofern dieses Bild wirksam ist, wäre es auch auch propter.147 Hinter dieser Fassung dürfte zum einen stehen, dass dem Umschlag der Negation in die Affirmation oder paradox: die Erfahrung Affirmation sive Negation, Negation sive Affirmation ein gewisser ontologischer „Automatismus“ zugrunde liegt, der aber dennoch unverfügbar ist, wie Tillich betont: „it happens; or it does not happen.“148 Damit hält Tillich zumindest formal an dem ubi et quando visum est Deo von CA V fest. Der andere Grund für diese Neufassung des propter Christum liegt, neben der für Tillich selbstredenden Ablehnung einer wie auch immer gefassten Stellvertretung oder gar Satisfaktionslehre, in der Definition von „Gnade“ als Wiedervereinigung des Getrennten jenseits der SubjektObjekt-Spaltung, als „Einheit des Lebens“. Zugespitzt könnte man formulieren, dass nach Tillich das Neue Sein, anschaubar geworden in Jesus als dem Christus, das Symbol für das „Positive Paradox“ ist149 und Christologie somit letztlich als nicht notwendig erscheint – so die zentrale Kritik Karl Barths an Tillich.150 Streng genommen müsste dann der Satz Tillichs, den er von seinem Lehrer M. Kähler übernom146

147

148

149 150

In der Systematischen Theologie entfaltet Tillich sein christologisches Zentralmotiv des Neuen Seins als dessen „appearance“ und „expression“ Jesus als der Christus gefasst wird, vgl. ST II, II B. In der Predigt über Röm 3,28 von 1917 über Rechtfertigung und Glaube konnte Tillich ohne Bezug auf das propter Christum auskommen. Und in der Predigt von 1925 über das Wagnis wird das Kreuz bereits zu einem abstrakten Prinzip. Die Frage, was geschieht, wenn sich Gnade nicht ereignet, lässt Tillich offen. Aber es ist offensichtlich, dass die Erfahrung von Grenzsituationen im Leben oft zu Verhärtungen und Verbitterung führen kann. Das ist die tiefe Ambivalenz von Grenzsituationen, die Tillich eigentümlicherweise nicht reflektiert. So Tillich selbst STD III, 260 = STE III, 226. „Für ‚uns‘ ist Christus die Heilsgeschichte, die Heilsgeschichte selbst – Christus ist das ‚positive Paradox‘ –, für Tillich ist er die Darstellung einer mehr oder weniger immer und überall sich ereignenden Heilsgeschichte in vollkommener Symbolkraft“ (Karl Barth 1923 in der Erwiderung auf Tillichs Aufsatz „Kritisches und Positives Paradox“, GW VII, 235). Ähnlich C. L. Campbell in seiner Kritik: „The sermon concludes Christologically empty […] In ‘You Are Accepted’ Jesus Christ becomes the function of an independently developed understanding of salvation; he becomes the form for an anthropologically determined contend“ (C. L. Campbell 1997, 44). Die Kritik Campbells unterschlägt jedoch den ontologischen Begründungszusammenhang bei Tillich und bewegt sich innerhalb einer Tillich-Deutung, die ihn lediglich als „existenzialistischen“ Theologen gelten lassen möchte. Sie wird Tillichs Geist- bzw. Manifestationschristologie in keiner Weise gerecht. Die Erfahrung des Angenommenseins ist für Tillich gerade keine eigene Möglichkeit des Menschen, sondern Wirkung der „Spiritual Presence“.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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men hat, „Christologie ist eine Funktion der Soteriologie“,151 umformuliert werden: „Christologie ist eine Darstellungsweise der Soteriologie.“ In seinen späten „Earl Lectures“ 1963 bringt Tillich den Gehalt seiner Christologie unter dem Begriff des Neuen Seins als Selbst-Annahme am deutlichsten zum Ausdruck: „New being means for all of us one unheard-of-thing – one almost impossible thing, if we are serious: namely, self-acceptance.“152 Wenn nun Tillich die Erfahrung von Gnade fasst als Erfahrung der Wiedervereinigung des Getrennten in der Einheit des Lebens, die sich in der Selbst-Annahme äußert, so ist diese Erfahrung identisch mit der Erfahrung des Glaubens als ekstatischem Ereignis, das Tillich in ST III als Manifestation der transzendenten Einheit definiert:Glaube ist der Zustand des Ergriffenseins von der transzendenten Einheit, und Liebe ist der Zustand des Hineingenommenseins in die transzendente Einheit.“153 Für das „ekstatische Ereignis“ (engl. Text: „ecstatic movement“) als Erscheinung der transzendenten Einheit steht in der Predigt der Begriff der „Gnade“. Der Ereignischarakter wird in der Predigt durch die Wiederholung der englischen Worte „stroke“ bzw. „strike“ (insgesamt 8 ×!) stark zum Ausdruck gebracht. Daneben spricht Tillich davon, dass sich Gnade „ereignet“ (happen, 4 ×). Im Hintergrund dieser Formulierungen lässt sich unschwer der Gedanke des „Durchbruchs“ bei Tillich erkennen, der für seine Offenbarungslehre konstitutiv ist. Die Terminologie von Grundoffenbarung und Heilsoffenbarung beim frühen Tillich bietet für die Deutung des Absatzes 12 und den in diesem Zusammenhang diskutierten Glaubensbegriff einen hermeneutischen Schlüssel. Nachdem Tillich die Erfahrung von Gnade, wie sie Paulus nach Tillichs Interpretation gemacht hat, beschrieben hat, folgt der Sprung in die Gegenwart der Hörer und Leser mit der Frage, ob wir wüssten, was es heißt, von der Gnade getroffen zu sein. Die Antwort Tillichs wird deutlicher konturiert, wenn man sie mit der reformatorischen Antwort vergleicht, welche die Vermittlung durch Wort und Geist verwirklicht sieht (CA 5). Tillich beantwortet diese Frage, indem er zunächst eine zweifache Abgrenzung des Glaubensbegriffs vornimmt: 151

152

153

STD II, 163 = STE II, 150. Vgl. aber auch die Aussage von Philipp Melanchton „… hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognoscere“ (Loci Communes 1521, O,13, zitiert nach der Ausgabe von G. Pöhlmann 1993, 22). P. Tillich 1996, 54. Vgl. auch folgende Aussage aus ST II: „Das christologische Paradox und das Paradox der Rechtfertigung des Sünders sind ein und dasselbe Paradox. Es ist das Paradox, daß Gott eine Welt annimmt, die ihn verwirft“ (STD II, 163 = STE II, 150). STD III, 154 = STE III, 129, vgl. Abschnitt 3.2.5 dieser Arbeit.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Glaube ist weder Metaphysik noch Moral:154 „To believe that something is, is almost contrary to the meaning of grace.“ Als Beispiele für diese fides quae creditur, die Tillich an anderen Stellen mit der stereotypen Formulierung „belief in something unbelievable“ bezeichnet,155 nennt er hier den Glauben, dass Gott existiert, dass Jesus der Retter ist oder dass die Bibel die Wahrheit enthält – zentrale Gehalte christlicher Tradition, die nach der frühen Terminologie Tillichs als Beispiele der Heilsoffenbarung, d. h. als geschichtlich (kontingente) Konkretion der so genannten Grundoffenbarung, zu bezeichnen sind. In analogem Verhältnis zur Gnade sieht Tillich moralischen Fortschritt, der nicht nur Frucht der Gnade sein könne, sondern sogar den Empfang von Gnade unter Umständen verhindere. Tillich schließt also, wie Schleiermacher, 156 weder die fides quae creditur noch die Moral als Elemente des Verhältnisses zum Absoluten aus, aber sie sind im Verhältnis zur religiösen Erfahrung selbst (hier als „stroke of grace“) sekundär. Tillich sieht die Gefahr, dass das, was sekundär ist, zum Primären erhoben wird, d. h. „… a graceless acceptance of Christian doctrines and a graceless battle against the structures of evil in our personalities.“ Da Gnade die Erfahrung essentieller Einheit ist, bleiben „belief“ und Moral ohne diese Erfahrung im Zustand existenzieller Entfremdung  – und vertiefen diesen, was nach Tillich wiederum zu Arroganz oder Verzweiflung führen muss. Wenn Tillich die Termini Grund- und Heilsoffenbarung aus den 1920er Jahren später auch aufgegeben hat, so blieb er ihnen jedoch der Sache nach treu.157 154

155 156 157

Hier bewegt sich Tillich ganz auf den Spuren Schleiermachers, dessen apologetischer Rat aus der zweiten Rede bei Tillich zum Grundsatz wird: „Darum ist es Zeit die Sache einmal beim andern Ende zu ergreifen, und mit dem schneidenden Gegensatz anzuheben, in welchem sich Religion gegen Moral und Metaphysik befindet“ (F. D. E. Schleiermacher 2001 [1799], 79). GWE VII, 616; MW 4, 376 = GW V, 165; SF 97 = RR I, 92; NB 38 = RR II, 45; NB 125 = RR II, 120; u. ö. F. D. E. Schleiermacher 2001 (1799), 75–78. Vgl. z. B. STD I, 178–180 = STE I, 151, wo Tillich zwischen „konkreter Seite der letztgültigen Offenbarung“ und „absoluter Seite der letztgültigen Offenbarung“ unterscheidet. Die konkrete Seite „erscheint (appears) in dem Bild Jesu als des Christus“, (sozusagen das kataphatische Element), die absolute Seite kommt in der völligen (complete) Selbst-Opferung (self-sacrifice) und Transparenz zum Ausdruck (das apophatische Element). Tillich definiert letztgültige Offenbarung: „Eine Offenbarung ist letztgültig und normgebend, wenn sie die Macht hat, sich selbst zu verneinen, ohne sich zu verlieren.“ STD I, 159 = STE I, 133. Darin besteht zugleich das „protestantische Prinzip“, das auch für den Glaubensbegriff konstitutiv ist, was in der Predigt „You Are Accepted“ u. a. in folgendem Satz zum Aussdruck kommt: „It would be better to refuse God and the Christ and the Bible than to accept Them without grace.“ Die Beurteilung der Annahme konkreter Glaubensinhalte entscheidet sich an der Erfahrung transzendenter Einheit, in der die auf der

5. Analyse ausgewählter Predigten

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Wenn Tillich hier Metaphysik und Moral in den Bereich des Sekundären verlegt, so verfolgt er damit die apologetische Absicht, den Hörern zu verdeutlichen, dass ein Fürwahrhalten von Dogmen oder moralische Anstrengung nicht Voraussetzung für die genuin christliche Erfahrung sein kann. Bereits 1928 machte er leidenschaftlich darauf aufmerksam, dass in der Forderung der Akzeptanz religiöser Inhalte eine Gesetzlichkeit liegt, die durch die „radikal gefaßte Lehre von der Rechtfertigung gebrochen“ werde.158 Nach dieser doppelten Abgrenzung gegenüber Metaphysik und Moral betont Tillich nochmals die Unverfügbarkeit von Gnade: „It happens; or it does not happen. And certainly it does not happen if we try to force it upon ourselves …“ Analog der Beschreibung der Erfahrung des Apostels Paulus, den die Gnade „traf“ in dem Moment tiefster Entfremdung, lässt Tillich nun eine Reihe von sieben parallel aufgebauten when-Sätzen folgen, die jeweils eingeleitet sind mit „Grace/it strikes us when …“, gefolgt von Beschreibungen, in denen das Durchleben der Grenzsituation zum Ausdruck kommt: Erfahrungen von Sinnlosigkeit und Leere, von Schuld und Versagen und von Verzweiflung, die Freude und Mut zerstört, kurz: in der Tiefe des Leidens. Hier bietet Tillich Identifikationsangebote, die so allgemein gehalten sind, dass sich die Hörer in ihrer individuellen Situation selbst wiederfinden können, und die so ein inneres Nacherleben eigener Erfahrungen von „Grenzsituationen“ ermöglichen.159 Die parallel aufgebauten Sätze zielen auf das innere Responsorium der Hörer, die dadurch geöffnet werden sollen für die nachfolgend beschriebene Erfahrung der Gnade und den direkten Zuspruch des Angenommenseins trotz dieser Erfahrungen. Zunächst ist aber noch zu fragen, wie nun diese Sätze mit „when“ zu verstehen sind. Nach den Aussagen über die Unverfügbarkeit der Gnade offensichtlich nicht als Bedingungssätze! Als Temporalsätze verstanden stimmen sie mit der gegebenen Analyse der Tillich’schen Deutung der paulinischen Erfahrung überein als Zeitpunkt des Umschlags von der Negation in die Affirmation. Daher folgert P. Cornehl: „Die sieben Wenn-Sätze, die dann folgen, formulieren keine Bedin-

158 159

Ebene der Existenz in der Subjekt-Objekt-Spaltung sich zeigende konkrete Offenbarung nicht verdinglicht, sondern wieder durch Negation auf den transzendenten Grund hin überschritten wird. Es ergibt sich also ein dialektisches Verhältnis von Apophasis und Kataphasis. GW VIII, 80. So auch P. Cornehl: „Tillich redet nicht einfach über Situationen, sondern er ermöglicht Identifikationen“ (P. Cornehl 1989, 269).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

gungen, es sind vielmehr Ortsbeschreibungen. Es geht nicht um eine Konditionierung der Gnade, sondern um ihre Situierung.“160 Dennoch scheint das Durchleben der Grenzsituation, die Erfahrung des radikalen Nein die Voraussetzung für die Erfahrung des Ja zu sein.161 Die Möglichkeit, dass jemand von der Gnade getroffen wird, ohne die Grenzsituation zu durchleben, liegt (soweit ich sehe) außerhalb der Überlegungen Tillichs. Aber wäre nicht gerade das in einem noch radikaleren Sinn Gnade? Wenn schon derjenige, der weiß, dass er der Gnade bedarf, gerettet wird, um wie viel mehr derjenige, der seine Bedürftigkeit nicht erkennt? Und ist es bei Paulus nach Röm 2, 4b nicht auch die Güte Gottes, die zur Umkehr leitet? Und auch Tillich betont ja (wenn auch – wie beschrieben – in einem anderen Begründungszusammenhang), dass die Sünde (auch) erst von der Gnade her verstanden werden kann (Absatz 5). Es muss kritisch angemerkt werden, dass das Durchleben der Grenzsituation, würde sie als Bedingung für die mögliche Erfahrung von Gnade vorausgesetzt werden, eine noch radikalere Form von Gesetzlichkeit darstellt als diejenige, die Tillich überwinden will. Aber es bleibt zu beachten, dass Tillich 1946 zu Menschen spricht, die zutiefst in ihren Fundamenten erschüttert sind (vgl. den Titel „The Shaking of the Foundations“) – und dass er diese Predigt sich selbst gewidmet hat! Dieser historische und biographische Horizont darf nicht außer Acht bleiben.162 Tillich will Trost und Zuspruch geben, seine Predigt hat nicht nur eine apologetische, sondern auch eine therapeutische Absicht. Den Zusammenhang von Rechtfertigung als Angenommensein und Heilung betont Tillich regelmäßig.163 Wieder ist Tillich bei der Verzweiflung angekommen und hat in Sätzen, die wie Paukenschläge wirken, nochmals die Argumentation des ersten Teils aufgenommen und den Punkt markiert, wo die Gnade widerfährt. Und nun kommt er an den Zielpunkt der Predigt, in dem Tillich die Erfahrung von Gnade beschreibt und als Zuspruch formuliert, der primär seelsorglich ist.

160

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P. Cornehl 1989, 268–269. Wobei es sicher eher um den Zeitpunkt als um den „Ort“ geht (when!) – vielleicht liegt auch hier eine schwache Erinnerung an Tillichs Kairos-Gedanken vor. So schon in GW VIII, 80. Das wird besonders im Vergleich mit der Predigt zum Reformationsfest 1917 deutlich, wo Tillich noch in Luthers unter der Last des Gesetzes entstandene Frage nach dem gnädigen Gott als „der Menschenseele tiefste Frage!“ bezeichnen konnte (GWE VII, 614). Vgl. P. Tillich 1959, 211 = GW VIII, 273; MW 2, 309–316 = GW VIII, 325–335; P. Tillich 1996, 54–56.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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An dieser Stelle wechselt Tillich zum ersten Mal in der Predigt in die indirekt-direkte Anrede, einer „voice“, die zitiert wird „as though“. P. Cornehl betont, dass es sich hier nicht um Information, sondern um einen performativen Akt, einen Zuspruch handelt.164 „Sometimes at that moment a wave of light breaks into our darkness, and it is as though a voice were saying: ‘You are accepted. You are accepted, accepted by that which is greater than you, and the name of which you do not know. Do not ask for the name now; perhaps you will find it later. Do not try to do anything now; perhaps later you will do much. Do not seek for anything; do not perform anything; do not intend anything. Simply accept the fact that you are accepted!’ If that happens to us, we experience grace. After such an experience we may not be better than before, and we may not believe more than before. But everything is transformed. In that moment, grace conquers sin, and reconciliation bridges the gulf of estrangement. And nothing is demanded of this experience, no religious or moral or intellectual presupposition, nothing but acceptance.“165

Diese Lichterfahrung ist jedoch begleitet von einer Stimme (voice), von der diese Lichterfahrung interpretiert wird. Durch das „as though“ wird die indirekte Rede, wie P. Cornehl zutreffend bemerkt, als symbolische Rede gekennzeichnet.166 Das kann auch entsprechend Tillichs Verständnis religiöser Sprache gar nicht anders sein. Inhaltlich ist nun, wie bereits vermerkt, die Erfahrung der Gnade identisch mit der Tatsache des Angenommenseins, die an dieser Stelle auf „indirekt-direkte Weise“167 und betont zugesprochen wird: „You are accepted. You are accepted …“ Dieses objektiv gegebene Angenommensein muss nun subjektiv angeeignet werden:168 „‘Simply accept the fact that you are accepted!’ If that happens to us, we experience grace.“ Durch eine Reihe von fünf verneinten Imperativen (do not) sowie die vorübergehende 164 165 166 167 168

P. Cornehl 1989, 269. SF 162 (kursiv im Original). Der letzte Satz findet sich gleichlautend in „The Courage to Be“. P. Cornehl 1989, 269. P. Cornehl 1989, 269. Auf diese Unterscheidung objektiv gegebener Botschaft und der Notwendigkeit von deren subjektiver Aneignung macht zu Recht W. C. Bergman aufmerksam (W. C. Bergmann 2001, 87–88). Tillich selbst betont diese traditionelle Unterscheidung: „Wie die Wiedergeburt ist die Rechtfertigung zuerst ein objektives Ereignis und dann ein subjektives Aufnehmen. Rechtfertigung im objektiven Sinn ist der aus der Ewigkeit kommende Akt Gottes, in dem er diejenigen, die in Wirklichkeit von ihm entfremdet sind, annimmt. Es ist der Akt der Sündenvergebung, durch die er sie in die Einheit mit ihm zurücknimmt“ (STD II, 191). Der englische Text liest: „Justification in the objective sense is the eternal act of God by which he accepts as not estranged those who are indeed estranged from him by guilt and the act by which he takes them into the unity with him which is manifest in the New Being in Christ“ (STE II, 178; kursiv vom Verf.).

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Rückstellung der Frage nach dem Namen dessen, der annimmt, betont Tillich zum einen die Bedingungslosigkeit des Angenommenseins, auf das die fides quae creditur als dem Wesentlichen der christlichen Botschaft konzentriert wird. „And nothing is demanded of this experience, no religious or moral or intellectual presupposition, nothing but acceptance.“ Diese Zentrierung der christlichen Botschaft, die zugleich eine Fokussierung auf deren Proprium hin ist, dient in Tillichs „apologetic preaching“ der Beseitigung von „stumbling blocks,“ die seiner Ansicht nach eine echte Entscheidung für das Evangelium behindern.169 Das entspricht nach Inhalt und Intention auch genau seiner Schrift „The Courage to Be“, wo Tillich definiert: „Man könnte sagen: der Mut zum Sein ist der Mut, uns anzunehmen als angenommen trotz unserer Unannehmbarkeit.“170 Und in diesem Zusammenhang betont Tillich ebenso wie in der Predigt: „Entscheidend für diese Selbstbejahung ist, daß sie von allen moralischen, intellektuellen und religiösen Voraussetzungen unabhängig ist.“171 Dass diese Fokussierung der christlichen Botschaft auf den Begriff des Angenommenseins und der dadurch ermöglichten Selbst-Annahme im Dienst der wirkungsvollen Kommunikation des Evangeliums im Kontext der von Tillich wahrgenommenen Lebenswirklichkeit seiner Adressaten steht, formuliert er in ST II im Vergleich mit der psychologischen Wirkung von Anselms Versöhnungslehre: „Die Entdeckung eines oft tief verborgenen Schuldgefühls durch die Psychoanalyse hat uns einen wertvollen Schlüssel zur Erklärung der gewaltigen Wirkung der Anselmschen Theorie auf persönliche Frömmigkeit, Kirchenlieder, Liturgien, Lehre und Predigt gegeben. Ein System von Symbolen, das dem einzelnen den Mut gibt, sich anzunehmen, obwohl es ihm bewusst ist, dass er unannehmbar ist, hat alle Chancen, selbst angenommen zu werden.“172

Wie bereits in dem Abschnitt über „absoluten Glauben“ (3.2.4) aufgezeigt, lehnt Tillich den „Glauben, daß etwas ist“ nicht ab, wie das „almost“ in Absatz 12 der Predigt andeutet. Aber er macht hier eine wichtige Einschränkung: Dieser Glaube darf nicht ohne Gnade sein, d. h., in Tillichs früher Terminologie, nicht ohne Durchbruchserfahrung. Unter der Voraussetzung des Ergriffenseins von der Gnade hat auch die fides quae eine legitime Funktion, aber nur dann! Der Mythos muss „gebrochener Mythos“ sein, wie Tillich an anderer Stelle 169 170 171 172

P. Tillich 1959, 201 und 213. GW XI, 123 = MW 5, 217. GW XI, 123 = MW 5, 218. STD II, 186 = STE II, 173.

5. Analyse ausgewählter Predigten

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betont.173 Daher kann Tillich auch in „The Corurage to Be“ schreiben: „Der Gott über dem Gott des Theismus stellt keine Abwertung der Sinngehalte dar, die der Zweifel in den Abgrund der Sinnlosigkeit gestoßen hat, sondern er ist ihre potentielle Restitution.“174 Dass in der Predigt die Frage nach dem Namen dessen, der annimmt, offengelassen und zurückgestellt wird („Do not ask for the name now; perhaps you will find it later“) bildet das apologetische Funktionsäquivalent zur Rede vom „Gott über dem Gott des Theismus“. Dem Hörer soll die Erfahrung der Gnade nicht gleich verstellt werden durch ein Gottesbild, das dieser womöglich ablehnt und dessen Akzeptanz als Bedingung für die Erfahrung von Gnade missverstanden werden könnte. Dass es sich bei der Rede von „Gott über Gott“ um eine apologetische Aussage in kommunikativer Absicht handelt,175 hat Tillich selbst in seinem Artikel „The God above God“ von 1961, in dem er auf die kritischen Einwände gegen die Aussagen in „The Courage to Be” eingeht, deutlich formuliert: „The question was: what can you say to a man, for whom all expressions of religious faith have disappeared in the fire of doubt …“176 Die konsequente (apologetische) Orientierung Tillichs am Empfänger der Botschaft fasst er im letzten Absatz dieses Aufsatzes so zusammen: „The God above God and the God to whom we can pray are the same God. I say this to those who feel endangered by the term ‘God above God’. To the others, to those who are in radical doubt and to those who live in a profound uneasiness about the Christian images of God, I would say: ‘Transcend the symbols; they themselves want you to do so. That is what they demand. With your doubt and your uneasiness you witness to that of which the term ‘God above God’ is a paradoxical expression: The Ultimate, the Holy itself.’“177

Nach dieser ausführlicheren Erläuterung der zentralen Predigtaussage, in der Tillichs Theologie in nuce enthalten ist, kann der Predigtschluss kurz gefasst werden. In den Abschnitten 13 und 14 der Predigt beschreibt Tillich den transformierenden Charakter der Gnade. Das entspricht einem klaren Vorher-Nachher-Schema: 1) Trennung resp. Entfremdung des Lebens vom Leben, 2) Erfahrung der Gnade als Angenommensein und der Versöhnung, 3) Wiedervereinigung des Lebens mit Leben in interpersonaler und intrapersonaler Hinsicht. 173 174 175 176 177

GW VIII, 146 = MW 5, 254. GW XI, 137; Hervorhebung vom Verf. Vermutlich benutzte Tillich diese Wendung bereits 1919 (!), vgl. MW 6, 417. MW 6, 417. Vgl. auch die Aussagen der Predigt von 1917 über Glaube und Zweifel (Abschnitt 5.3). MW 6, 420–421.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

In diesem Zusammenhang löst sich für Tillich auch die Frage nach dem ewigen Sinn unseres Lebens in Versöhnung und Agape.178 Die Predigt schließt zurückblickend auf das Eingangsthema mit der nun gewonnenen Einsicht, dass „Sünde“ und „Gnade“ strange (fremde, merkwürdige) Worte sind, der Sache nach aber die lebensentscheidende Wirklichkeit, individuell wie universell. Tillich entlässt seine Hörer und Leser mit dem Segenswunsch: „May grace more abound within us!“ Diese Predigt kann als zentral für Tillichs Paulus-Interpretation gelten. Zugleich ist sie ein „Zeugnis“ Tillichs darüber, was ihm „in Stunden der Rückschau als die entscheidenden Tatsachen unseres Lebens erscheinen: die Macht der Sünde und die Übermacht der Gnade.“179 Man kann diese Predigt geradezu als Tillichs theologisches Vermächtnis in nuce180 ansehen, obwohl er zentrale Aussagen erst in seinen späteren Arbeiten elaboriert. Die Vorarbeiten dazu sind in dieser Predigt ohne Mühe erkennbar.181 Am Ende dieser ausführlichen Interpretation von „You are accepted“ sei auf eine Predigt von Karl Barth im Advent 1959 verwiesen, die er mit „Das große Ja“ überschrieben hat.182 Für Barth untypisch handelt es sich um eine Themapredigt, die große Strukturanalogien zu Tillichs Predigt aufweist. „Im großen Ja ist auch ein solches Nein enthalten. […] Das große Ja ist ein Ja – trotzdem.“183 Im großen Ja Gottes ist das Nein eingeschlossen und überwunden. Der Unterschied zu Tillich liegt in der expliziten Betonung des Namens bei Barth: „Jesus Christus ist das große Ja.“184 Hält Tillich den Namen in apologetischer Absicht zurück und argumentiert erfahrungstheologisch, geht es Barth um das 178

179 180

181 182 183 184

Vgl. dazu die Ausführungen zu den „Earl Lectures“ in Abschnitt 4.3.5. Die Beschreibung der Erfahrung von Gnade im Horizont von Ontologie und Lebensphilosophie, wie sie sich hier bei Tillich findet, weist erstaunliche Parallelen zu dem auf, was A. H. Maslow als „Peak-Experiences“ beschrieben hat. Maslow nimmt explizit auf Tillich Bezug und übernimmt auch dessen Unterscheidung von faith und belief. Maslow deutet jedoch die Glaubenserfahrung als Transzendierung der SubjektObjekt-Spaltung mit ihren affektiven Begleiterscheinungen rein naturalistisch. Zur Peak-Erfahrung gehören u. a. auch die Erfahrung von Ganzheit, der Überwindung von Dichotomie (A. H. Maslow 1994 [1964]). Einer rein psychologischen Deutung der Ekstase widerspricht Tillich jedoch und bezeichnet sie als „reduktive Profanisierung der Selbst-Transzendierung des Menschen“ (STD III, 141 = STE III, 118). GW XI, 137. Auch H. Thielicke möchte in Bezug auf den Grundgedanken dieser Predigt, dass wir „gnadenvoll bejaht sind, auch wenn wir selber nein zu uns sagen müssen“, den „Herzpunkt in Tillichs Denken“ sehen (H. Thielicke 1967, 190). Diese Predigt wurde zuerst in „The Shaking of the Foundations“ (1948, 21950) kurz vor STE I (1951) und „The Courage to Be” (1952) veröffentlicht. K. Barth GA 12, 267–270. K. Barth GA 12, 267. K. Barth GA 12, 269 (kursiv im Original).

5. Analyse ausgewählter Predigten

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Geltenlassen und Annehmen des großen Ja. Die dialektische Struktur von Ja-Nein-Ja, die Betonung des pro me und der transformierende Charakter der Gnade entsprechen sich.

5.7 „Our ultimate concern“/ „Was uns unbedingt angeht“ Den Konnex von Glaubensbegriff und religiöser Kommunikation formuliert Tillich explizit in einer Predigt über die Perikope Lk 10, 38–42 (Martha und Maria), die er mit „Our ultimate concern“ (dt. „Was uns unbedingt angeht“) überschrieben hat. In dieser Predigt zeichnet Tillich Martha und Maria idealtypisch als Repräsentantinnen zweier grundlegender möglicher Lebenshaltungen: das Besorgtsein um viele Dinge, die jedoch endlich und vergänglich sind, und das Besorgtsein um das Eine, das unbedingt und bleibend ist. Es geht um den Unterschied des Gerichtetseins entweder auf das Zeitliche oder auf das Ewige: „The hour of a church service and every hour of meditative reading is dedicated to listening in the way Mary listened. Something is being said to us, to the speaker as well as to the listeners, something about which we may become infinitely concerned. This is the meaning of every sermon. It shall awaken infinite concern.“ [„Das ist der Sinn jeder Predigt. Sie soll uns bereit machen, das Unbedingte zu vernehmen“].185

Jede gottesdienstliche Veranstaltung und jedes meditierende Lesen (der dt. Text lässt „reading“ weg und gibt „Meditation“ wieder) dienen dem Hören/listening. Sie bieten den Raum für die Möglichkeit, dass sich solches existenzielles „Hören“ unbedingten Angegangenseins ereignet. Die englische Fassung der Predigt spricht sogar von einem aktiven „awaken“.186 Diese Funktionsbestimmung stimmt überein mit der Definition von Predigt als „Wort Gottes“ in dem Aufsatz von 1957. Dort betont Tillich, dass die Predigt (sermon) zum „Wort Gottes“ für jemanden werden muss, der darauf hört. „It must speak to the listener as God’s self-manifestation to him. It must grasp the listener ‘existentially’ in order to become the ‘Word of God’ for him.“187 Glaube als 185 186 187

NB 153 = RR II, 145. Der Begriff des „Erweckens“ in diesem Zusammenhang findet sich auch in STD III, 149! MW 4, 408 = GW VIII, 75; vgl. auch Abschnitt 3.1.3.2 dieser Arbeit. Tillich bezeichnet seine Definition als „subjektivistisch“ im Unterschied zu einem „objektivistischen“ Verständnis in der (Neo-)Orthodoxie. Diese Unterscheidung ist allerdings zu schematisch und wird auch der „Wort-Gottes-Theologie“ Barths (an den Tillich hier denkt) nicht gerecht. Ebenso hält Tillich an der objektiven Seite des

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, kommt für Tillich in Übereinstimmung mit der reformatorischen Tradition aus dem Hören (vgl. Röm 10, 17). In „Die Protestantische Gestaltung“ kann er sogar formulieren: „Der Glaube wird bewirkt durch das Hören des Wortes.“188 Das Hören Marias hat als Hören auf das, was uns unbedingt angeht, eine besondere Qualität gegenüber gewöhnlichem Hören und ist nicht gleichzusetzen mit einem rein kognitiven Vorgang. Dieses Hören ist vielmehr ein Gerichtetsein auf das Unbedingte: „Aber Maria ist auf etwas gerichtet, das sie unbedingt angeht.“189 Dass im Fall der Predigt sowohl Hörer als auch Sprecher Subjekt des Hörens sind („to the speaker as well as to the listener“), kommt in der passiven und eigentümlich unbestimmten Wendung nochmals zum Ausdruck: „Something is being said to us.“ Tillich konkretisiert den Inhalt der Predigt nicht und bleibt bei der Formaldefinition des Glaubens, wie er sie besonders in „Dynamics of Faith“ entfaltet hat. Auch Aufbau und Inhalt der Predigt zeigen zahlreiche Bezüge zu dieser Schrift. So steigt Tillich mit der Sorge um vorletzte Anliegen ein, zeigt auf, wie diese der Vergänglichkeit unterworfen sind, und weist auf die Gefahr von deren Vergötzung hin. Die einzige Alternative zu einem unbedingten Anliegen wäre ein indifferenter Zynismus, der jedoch nach Tillich selbst ein unbedingtes Anliegen darstellt und sich so ad absurdum führt. Ebenso bleibt die Bestimmung dessen, was uns unbedingt angeht, inhaltlich ungefüllt (weder „Religion“ noch „Gott“). Stattdessen wird das „Ergriffensein“ beschrieben als neues Welt- und Selbstverhältnis, in dem die Macht der Angst gebrochen und das Vorletzte als solches seinen Stellenwert erhält: „… dann scheint alles genauso zu sein wie vorher, und doch ist alles verwandelt. (… everything seems the same and yet everything is changed.)“190 In der Möglichkeit des Hörens dessen, was uns unbedingt angeht, liegt der Sinn der Predigt.Wir haben hier eine sehr dezidierte und spezifische Definition von Predigt bei Tillich, die in großer Nähe zur Bedeutung Religiöser Rede und des Hörens bei Jōdo-shinshū steht.

188 189

190

„Wortes Gottes“ fest, wie besonders der Kontext des folgenden Zitates aus GW VII, 58 zeigt. GW VII, 58. RR II, 150 (Hervorhebung im Original); dieser Satz entspricht genau der Definition des Glaubens in der Religionsphilosophie von 1925: „Die Richtung auf das Unbedingte […] nennen wir Glaube. Glaube ist die in allen Funktionen des Geistes wirksame Hinwendung zum Unbedingten“ (GW I, 331). RR II, 150 = NB 160. Gerade dieses letzte Zitat enthält starke Anklänge an mahāyāna-buddhistische Mystik.

5. Analyse ausgewählter Predigten

223

5.8 „Waiting“/„Vom Warten“ In der Predigt Waiting/Vom Warten191 handelt Tillich vom „eschatologischen Vorbehalt“ des Glaubens, der eine Verabsolutierung des endlichen Glaubensgehaltes als Götzendienst entlarvt. Glaube als (passives) Ergriffensein impliziert so ein religionskritisches Element gegenüber einem Glauben, der sich als (aktives) „Haben“ versteht. Ausgehend von einer alttestamentlichen (Ps 130, 5–7) und einer neutestamtentlichen Perikope (Röm 8, 24–25) als Textbasis, wählt Tillich den darin enthaltenen Leitbegriff des Wartens bzw. der Hoffnung als Beschreibung menschlicher Existenz in Relation zu Gott. In der sehr knappen Einleitung definiert Tillich zunächst Erwartung (engl. „waiting“) paradox als ein „Nicht-Haben und Haben zu gleicher Zeit“. Die Erläuterung des „Nicht-Habens“ (Negation) bildet den ersten, die Ausführung der „Haben“-Seite (Affirmation) den zweiten Teil der Predigt. Im ersten Teil betont Tillich, dass die Beziehung zu Gott zunächst eine negative ist als ein „Nicht-Haben“, „Nicht-Sehen“, „Nicht-Wissen“ und „Nicht-Ergreifen.“ Wo dieses negative Element vergessen wird, schafft sich eine Religion eigene Gottesbilder und wird zu Idolatrie. In vier aufeinander folgenden, parallel aufgebauten Sätzen erinnert Tillich an den Theologen, Studenten, Kleriker und Gläubigen, der jeweils Gott in ein Lehrgebäude, ein Buch, eine Institution oder die eigene Erfahrung „eingeschlossen“ hat und daher auch nicht mehr auf Gott wartet. Die Religionskritik trifft, wie bei Karl Barth, zunächst das Christentum selbst. In diesem Zusammenhang geht Tillich auf die Schwierigkeit der sonntäglichen Predigt ein, die darin bestehe, keinen Anspruch erheben zu können, Gott zu besitzen oder über ihn verfügen zu können, sondern auf Gott warten zu müssen. Gott ist für Tillich auch im Predigtgeschehen der unverfügbar Freie. Tillich reflektiert an dieser Stelle die apologetische Schwierigkeit, die darin enthalten ist: „Es ist nicht leicht, Kindern und Heiden, Skeptikern und Atheisten [sic!, engl. secularists, Anm. d. Verf.] Gott zu verkündigen und ihnen gleichzeitig klarzumachen, daß wir selbst Gott nicht besitzen, daß auch wir auf ihn warten.“ Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass für Tillich die (Sonntags-)Predigt apologetische Verkündigung ist und die Hörerschaft auch Nicht-Christen umfasst. Zugleich befindet sich Tillich auf der Ebene seiner eigenen Predigt im Modus einer Metakommunikation über diesen Sachverhalt. Sieht Tillich in dem „NichtHaben“ Gottes eine Schwierigkeit für die Verkündigung, so hebt er 191

RR I,141–143 = SF 149–152.

224

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

sie jedoch gleich wieder auf, wenn er davon überzeugt ist, „… daß ein großer Teil des Widerstandes gegen das Christentum daher rührt, daß die Christen, offen oder versteckt, den Anspruch erheben, Gott zu besitzen und daher das Element der Erwartung verloren haben …“ Auch die Apostel und Propheten besaßen Gott nicht, sondern warteten auf ihn, denn es ist unmöglich Gott zu besitzen. Nur ein Ding oder etwas, das weniger als eine Person sei, könne man besitzen. Gilt das WartenMüssen schon in Bezug auf eine andere Person, so umso mehr in Bezug auf Gott, der „unendlich verborgen, frei und unerforschlich“ ist. Die Beziehungen zu Tillichs Gotteslehre sind an dieser Stelle besonders deutlich: Es ist unmöglich, von Gott als einem Seienden zu sprechen, denn das würde ihn den Kategorien der Endlichkeit unterwerfen und zu einem Götzen machen. Predigt kann keine verobjektivierende Rede über Gott sein, und von Gott kann nur geredet werden im Modus des existenziellen unbedingten Angegangenseins.192 Nun zieht er am Ende dieses ersten Predigtteils den paradoxen Schluss: „Wir haben Gott dadurch, dass wir ihn nicht haben.“ Auf diese Weise wird Religionskritik zur Religionsbegründung. Wie aber ist nun dieses Haben als Nicht-Haben zu verstehen? Im zweiten Teil erklärt Tillich, dass dieses Nicht-Haben Gottes durch die Erwartung zugleich ein „antizipatorisches“ Haben ist. „Erwartung nimmt das voraus [engl. anticipates, Anm. d. Verf.], was noch nicht wirklich ist. Wenn wir in Hoffnung und Geduld warten, dann ist die Kraft dessen, worauf wir warten, in uns schon wirksam.“ Dieses Warten wird von Tillich mit mehreren Attributen versehen: als Warten „in einem unbedingten Sinn“, „mit absoluter Ernsthaftigkeit“, „in Geduld“, „leidenschaftlich“. Und an dieser Stelle der „Erwartung“ kehrt sich die Bewegungsrichtung um: Nicht mehr der Mensch versucht, Gott zu ergreifen und zu besitzen, sondern als der Erwartete ergreift Gott den Menschen: „Aber wenn wir wissen, daß wir ihn nicht kennen, und wenn wir auf ihn warten, um ihn zu erkennen, dann wissen wir wirklich etwas von ihm, dann hat er uns ergriffen und erkannt und besitzt uns. Dann sind wir Glaubende in unserem Unglauben, und dann sind wir von ihm bejaht trotz unseres Getrenntseins von ihm.“193

In dieser Formulierung wird deutlich, wie sehr der Glaubensbegriff und das Verständnis der Rechtfertigung vor dem Hintergrund der Ontologie Tillichs zusammen gehören. 192 193

Vgl. die Nähe zu R. Bultmann GuV I, 26–37. „Es zeigt sich also: will man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden“ (ebd., 28, kursiv im Original). RR I, 143 = SF 151.

5. Analyse ausgewählter Predigten

225

In diesem Predigtteil erklärt Tillich gewissermaßen seine Formaldefinitionen von Religion und Glaube als „Gerichtetsein auf das Unbedingte“ bzw. „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht.“ Entspricht das Gerichtetsein der aktiven Seite des Erwartens, so das Ergriffensein der passiven Seite des Glaubensaktes. Eine Verständnisschwierigkeit besteht im Kontext dieser Predigt darin, dass der Aspekt des Wartens einerseits die „Vorbedingung aller unserer Beziehungen“ zu Gott ist und in zeitlicher Dehnung eine psychische Spannung erzeugt (vgl. die Attribute des Wartens). Dadurch wird der „eschatologische Vorbehalt“ aufrechterhalten. Andererseits wird jedoch diese Spannung in Paradoxien aufgelöst, dass wir Gott nur als Nicht-Habende haben, dass wir Glaubende sind in unserem Unglauben und bejaht trotz unseres Getrenntseins von Gott. Deshalb ergänzt Tillich sogleich, dass es sich nicht um eine Auflösung ins Paradox handelt, sondern um eine „tremendous tension“/fruchtbare [sic!] Spannung“. Diese Spannung hat nach Tillich die Funktion, eine Arroganz des Nicht-Habens zu verhindern, die zur Leere führt (Tillich sieht darin die größte Versuchung seiner Zeit). Betont grenzt Tillich deshalb die Erwartung von Verzweiflung ab und definiert nochmals Erwartung: „Sie ist die Bejahung unseres Nicht-Habens in der Kraft dessen, was wir schon haben.“ Dass Tillich hier mit gewissen Unklarheiten ringt, lässt sich daran ablesen, dass fast die Hälfte des Textumfanges des zweiten Teils der Abwehr von Missverständnissen der paradoxen Aussagen gewidmet ist. Auch der letzte Absatz klappt als Schluss etwas nach, indem scheinbar unvermittelt nun der Begriff der Ewigkeit neu eingeführt wird, der durch die Beschreibung „unserer Zeit“ (und „irgendwie“ jeder Zeit) als „Zeit des Wartens“ motiviert ist, „des Wartens auf den Einbruch der Ewigkeit“.194 War bisher „Gott“ der Begriff für das Unbedingte, so steht nun die „Ewigkeit“ an dieser Position als Komplementärbegriff zu „Zeit“, deren Diskussion sich durch die zeitliche Dimension des Wartens ergeben hat. Diese Unklarheit lässt sich erhellen, indem wir „Warten“ sowohl als intensives als auch extensives Gerichtetsein, wie die beigelegten Attribute auch deutlich machen, verstehen. Als extensiver Akt liegt es auf der horizontalen Zeitlinie und impliziert den „eschatologischen Vorbehalt“, als intensiver Akt liegt es auf der vertikalen Linie des Bedingten zum Unbedingten und drückt sich im Paradox aus. In ST III versucht Tillich dieses Verhältnis 194

An dieser Stelle klingt (in sachlicher Übereinstimmung damit) der Begriff des „Durchbruchs“ beim frühen Tillich an (vgl. insbesondere die Marburger Dogmatik-Vorlesung).

226

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

von Horizontale und Vertikale durch die Metapher einer Kurve auszudrücken: „Das Ewige ist nicht ein zukünftiger Stand der Dinge. Es ist immer gegenwärtig, nicht nur im Menschen (der Bewußtsein von ihm hat), sondern in allem, was in der Gesamtheit des Daseins Sein hat. Und in bezug auf die Zeit kann man sagen, daß ihre Dynamik sich nicht nur vorwärts, sondern auch aufwärts bewegt, und daß sich die beiden Bewegungen in einer Kurve vereinigen, die zugleich horizontale und vertikale Richtung hat.“195

Es geht Tillich hier weniger um ein „Schon-Jetzt“ und „Noch-Nicht“ in dem die Kategorie der Zeit primär ist und auf den „Stand zukünftiger Dinge“ wartet, sondern mit einer Formulierung von G. M. Martin um ein „Jetzt und jetzt auch“.196 Oder mit T. Sundermeier: „Die Zukunft kommt so, dass sie ganz als präsent aufblitzt.“197 Durch dieses nicht allein „horizontale“ bzw. lineare Zeitverständnis wird in der Begegnung mit dem Shin-Buddhismus noch einmal eine neue Perspektive eröffnet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in dieser Predigt Tillichs religions-philosophisches und theologisches System in nuce enthalten ist, das sich mit den Stichworten Gottesbegriff, Protestantisches Prinzip, Apologetik, Religions- und Glaubensbegriff als „Gerichtetsein auf das Unbedingte“ resp. „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“, und Neuinterpretation der Rechtfertigungslehre als Bejaht-Sein trotz Getrenntsein umreißen lässt. Den Hintergrund bildet die für Tillichs Theologie konstitutive paradoxe Gegenwart des Unendlichen im Endlichen, das dadurch zugleich negiert als auch affirmiert wird. Der Glaube ist als nexus zwischen Gott und Mensch die zentrale Funktion der Beziehung des Endlichen zum Unendlichen, des Zeitlichen zum Ewigen und ist als solcher durch das Paradox charakterisiert: „Dann sind wir Glaubende in unserem Unglauben, und dann sind wir von ihm bejaht trotz unseres Getrenntseins von ihm.“

195 196

197

STD III, 452 = STE III, 400. Vgl. G. M. Martin 1984. G. M. Martin behandelt hier die „doppelte Wirklichkeitsansage“ der Apokalyptik. Zu den biblischen Zeitverständnissen u. a. aus Sicht der „primären Religionen“ vgl. T. Sundermeier 2005, 44–52. T. Sundermeier 2005, 50.

6. Fazit In der bisherigen Untersuchung wurde ein weiter Weg abgeschritten, auf dem deutlich wurde, dass Paul Tillich als ein engagierter Kommunikator der christlichen Botschaft unter den Bedingungen der Säkularisierung zu würdigen ist. Dies kommt insbesondere in seinen Predigten zum Ausdruck. In der Tradition der „Vermittlungstheologie“ versteht sich Tillich als apologetischer Theologe, der Antworten auf die vorhandenen Fragen geben will und auch den Zweifel in den religiösen Vollzug einholt, um auf diese Weise die bleibende Relevanz der christlichen Botschaft und deren kulturelle Anschlussfähigkeit zu erweisen. Die Grundannahmen Tillichs bilden zum Einen die unter den Bedingungen der Moderne nicht mehr anschlussfähige supranaturalistische Deutung des Überlieferungsbestandes des Christentums und zum Anderen eine durch Fehlinterpretationen überformte und/oder unverständlich gewordene traditionelle biblisch-kirchliche Begriffssprache, die ihre kommunikative Funktion nicht mehr erfüllt oder diese sogar erschwert, wenn nicht gar verhindert. Entsprechend gestaltet sich der methodische Zugriff Tillichs, die Kommunikabilität der christlichen Botschaft zu sichern, der durch die Schritte „Dekonstruktion“ und „Rekonstruktion“ beschrieben werden kann. Der Supranaturalismus wird durch eine idealistische non-dualistische Ontologie unterlaufen, die zugleich gegenüber einem reinen Naturalismus absichern soll. Diese Ontologie bildet die Basis für die Neuformulierung und semantische Reinigung des christlichen Überlieferungsbestandes. Im Zentrum der Neuformulierung steht der Begriff des „ultimate concern“. Damit wird zugleich deutlich, dass der Glaubensbegriff im Zentrum der Bemühungen Tillichs um die (apologetische und seelsorgliche) Kommunikation der christlichen Botschaft steht. Tillichs Theologie ist dezidiert kontextuelle Theologie, d. h., einer an den kognitiven und kulturellen Paradigmen der Empfänger orientierten religiösen Kommunikation. Das zentrale Konstruktionsprinzip dieser Theologie und zugleich deren Kommunikationsmethode

228

I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

stellt die „Methode der Korrelation“ dar. Man könnte Tillichs Kontextualisierungsmodell als theonom-korrelativ bezeichnen. An dieser Stelle ergibt sich eine Spannung, da es sich bei der Korrelationsmethode nicht um ein einfaches Frage-Antwort-Schema handelt, sondern die Deutung der „Situation“ bereits durch die Ontologie vorgegeben ist und sich die Korrelation von Frage und Antwort als deduktiver dialektischer Dreischritt (M. Repp) erweist. Die konkrete Situation des Hörers muss daher durch den Verweis auf die „Dimension der Tiefe“ transzendiert und von dorther gedeutet werden. So ergibt sich bei Tillich die Elenchtik als erste Aufgabe religiöser Kommunikation. Im Blick auf die Neuformulierung der christlichen Botschaft hat sich gezeigt, dass Tillich in der Theorieformulierung zwar auf ontologische Begriffssprache zurückgreift, aber im Blick auf die religiöse Kommunikation rezeptionsästhetisch orientiert ist und durch metakommunikative „Übersetzungsangebote“ Resonanzphänomene auszulösen versucht. Die Freiheit im Umgang mit der Terminologie und dem Theorierahmengebäude ergibt sich pragmatisch aus der kommunikativen Intention und theologisch aus dem „Protestantischen Prinzip“, das die Vorläufigkeit und Funktionalität jeder Aussage über das Unbedingte betont und (ganz dialektisch) unter das paradoxe Ja und Nein stellt. Das „Protestantische Prinzip“ gilt auch für Tillichs Entwurf selbst. Dadurch ist Tillichs Ansatz bestätigt und im Sinne des semper reformanda-Prinzips zugleich überholbar. Es geht mit Eugen Biser gesprochen und ganz im Sinn Tillichs um die Neuentdeckung des Christentums für die jeweilige Zeit.1 Es konnte ferner gezeigt werden, dass die Predigten Tillichs sowohl im Blick auf die apologetische Intention als auch rhetorisch und inhaltlich eine Einheit mit Tillichs Gesamtwerk bilden und der Systemdenker nicht von dem Prediger getrennt werden darf. Das wird besonders im Vorwort zur englischen Ausgabe des Predigtbandes „The Shaking of the Foundations“ von 1948 deutlich, in dem er seinen Predigttypus als „apologetic type of sermon“ bezeichnet. Dieses Vorwort macht auch den kritischen und exemplarischen Anspruch von Tillichs Predigttypus deutlich. Sind bei Tillich Theologie und Predigt intentional durch den Begriff der Apologetik verknüpft, so bildet der Glaube als „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“, deren gemeinsamen Gegenstand. 1

E. Biser 22001, 10.

6. Fazit

229

„Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht.“2 Daraus ergibt sich der prinzipiell „existenzielle“ Charakter der Theologie: „Das, was unbedingt ist, gibt sich selbst nur dem Zustand unbedingten Betroffenseins [attitude of ultimate concern].“3 Religiöse Rede dient dazu, unbedingtes Ergriffenwerden zu ermöglichen. Das entspricht dem funktionalen Verständnis von „Wort Gottes“ bei Tillich.4 Die Predigt hat die Möglichkeit zum „Wort Gottes“ zu werden, wenn der Hörer in einer bestimmten Situation dadurch existenziell ergriffen wird von dem, was ihn unbedingt angeht. So ist „Glaube“ primär ein Hörereigneis. Dabei ist sich Tillich bewusst, dass Apologetik nicht das Ziel haben kann zu bekehren oder Glauben zu erzeugen. Die Wahrheit ist letztlich selbstevident.5 Es geht jedoch darum, durch „intellektuelle Diakonie“ falsche „Steine des Anstoßes“ zu beseitigen. Diese Aufgabe gibt Tillichs Predigten ihren charakteristischen Grundzug. Die Unverfügbarkeit des Wort-Gottes-Ereignisses korrespondiert mit der Unverfügbarkeit des Glaubensaktes, der als Transzendierung der Subjekt-Objekt-Spaltung und Erfahrung transzendenter Einheit interpretiert wird. Diese ekstatische Erfahrung transzendenter Einheit enthält das unbedingte Angenommensein als affektives Moment und entfaltet heilende Kräfte. Gerade der Begriff der „Heilung“ und des unbedingten Angenommenseins im Rahmen seines Lebensbegriffs bilden den seelsorglichen Kern in Tillichs Theologie und wurde und wird im Gespräch mit den Humanwissenschaften rezipiert.6 Für Tillichs religiöse Kommunikation gilt, was S. Kierkegaard im Vorwort zu „Die Krankheit zum Tode“ als Maxime formuliert hat: „Alles Christliche muß in der Darstellung den Ausführungen eines Arztes am Krankenbett ähnlich sein …“7 Tillichs Predigten wollen „Mut zum Sein“, der die Angst induzierende Endlichkeitserfahrung integriert, vermitteln, indem Hörer (und Leser) zunächst elenchtisch an den Punkt der Negation geführt werden (nach Tillich die erste Aufgabe protestantischer Predigt8), wo der Umschlag in die Position möglich ist, die als paradoxes Angenommensein erfahren wird (Rechtfertigung). Dabei ergeben sich Strukturent2 3 4 5 6 7 8

STD I, 19–20, kursiv im Original. STD I, 19 = STE I, 12. Auf die Parallelität zu R. Bultmanns Aufsatz „Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?“ wurde im Kontext der Predigtanalyse hingewiesen. Vgl. dazu STD III, 148–153 = STE III, 124–128; MW 4, 405–413 = GW VIII, 70–81. STD III, 226–227; MW 6, 22–45. Vgl. z. B. R. A. Emmons 2003 (1999); K. Grau 1999 und C. Tietz 2005. S. Kierkegaard 2005 (1849), [3]. GW VIII, 80; RR III, 51; u. ö.

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I. Glaube und religiöse Rede bei Paul Tillich

sprechungen zwischen der Dialektik von Gesetz und Evangelium und der für Tillichs Denken grundlegenden Trias von Sein, Nichtsein und Übersein. Diese Struktur, die den Hintergrund der Korrelationsmethode bildet, wird in den Predigten rhetorisch umgesetzt. In den „Earl Lectures“ von 1963 gibt Tillich für die Kommunikation der christlichen Botschaft als Empfehlung weiter, was er in seinen Predigten und theoretischen Schriften selbst umgesetzt hat: „… Christianity is based on the vertical dimension. But what is this vertical dimension? When we try to explain it to people today, let us not start with the ‘question of God’. For people of our objectified world take ‘God’ as an object whose existence or nonexistence is debated like that of another galaxy. This denies the divinity of the divine. Let us start instead with what we have, what we really are – our ultimate concern, which is implied in everything positive and negative in our life.“9

Tillich ist als „apologetischer“ Prediger ein kontextsensibler Kommunikator, der sich die kulturrelevante Aneignungsfähigkeit der christlichen Botschaft zum Ziel gesetzt hat und dabei bemüht ist, deren reformatorischen Gehalt wieder freizulegen und für die Gegenwart auszulegen.10

9 10

P. Tillich 1996 [1963], 60. Die Aktualität von Tillichs Fassung der Rechtfertigungslehre wurde jüngst aus feministischer Perspektive von Rachel Sophia Baard unterstrichen (vgl. R. S. Baard 2007).

II. Hauptteil: Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Vorbemerkung. Bevor die Frage nach der Vermittlung religiöser Erfahrung durch das bei Jōdo-shinshū für westliche Beobachter unerwartet prominente Medium der Predigt / hōwa als Gestalt religiöser Kommunikation und deren Funktion für Aufbau religiöser Erfahrung im Bewusstsein untersucht werden kann, muss zunächst eine Beschreibung der zentralen religiösen Erfahrung selbst erfolgen. Diese Erfahrung, shinjin 信心, die oft als „Glaube“ wiedergegeben wird, soll anhand des shin-buddhistischen Selbstverständnisses im Kontext seiner Überlieferungsgeschichte und in ihrer inneren Logik dargestellt werden. Dazu ist es nötig, zunächst eine orientierende Einordnung in die buddhistische Religions- und Überlieferungsgeschichte vorzunehmen und die Basisinformationen zu Jōdo-shinshū im Kontext genuin shin-buddhistischer Begründungszusammenhänge zu erörtern.1 Dabei wird besonderer Wert auf eine exakte Terminologie zu legen sein. 2 Die Klärung des Verständnisses von shinjin im ersten Hauptteil folgt die Frage nach der Hermeneutik der Vermittlung dieser Erfahrung, die insbesondere im Kontext mahāyānischen Denkens unter dem Stichwort der „geschickten Mittel“ (skr. upāya, jap. hōben 方便) elaboriert ist.

1

2

D. h., dass auch in dieser Darstellung (entsprechend der wissenschaftstheoretischen Unterscheidung von emischer und etischer Perspektive, vgl. 1.4) der Fokus auf dem shin-buddhistisch-mahāyānischen Selbstverständnis liegt. Von einer historisch-kritischen „objektiven“ Rekonstruktion buddhistischer Religionsgeschichte muss hier (auch aus methodischen Gründen) abgesehen werden. Das betrifft auch die Frage nach der „religiösen Erfahrung“, die selbst kein Gegenstand historischer Forschung sein kann. Lediglich die Selbstbeschreibungen und Deutungen der Träger religiöser Überlieferung (auch wenn sie sich z. T. als Rückprojektionen erweisen sollten) können Gegenstand historischer Untersuchungen sein. Dass aber die Funktion der Rede von „religiöser Erfahrung“ im religiösen Diskurs auch ideologiekritisch untersucht werden kann, darauf hat Robert H. Sharf zurecht aufmerksam gemacht (R. H. Sharf 1998, [94]–116), ohne dass ich seine Kritik insgesamt aus den in 1.4 genannten Gründen teile. Gerade ältere theologische und religionsvergleichende Arbeiten lassen es in der Regel an der notwendigen begrifflichen Schärfe mangeln (oft auch bedingt durch mangelnde Sprachkenntnisse und/oder nivellierende Übersetzungen) und kommen dann zu z. T. gravierenden Fehlinterpretationen. Das hat nicht nur zu berechtigter Kritik von religionswissenschaftlicher Seite geführt, sondern auch die Begegnung von ShinBuddhismus und Christentum erheblich verkompliziert.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū Jōdo-shinshū 浄土真宗, die „Wahre Schule des Reinen Landes“, stellt mit ihren mehr als zehn Denominationen3 eine der größten buddhistischen Schulen in Japan dar. In der Literatur wird zurecht in stereotyper Regelmäßigkeit darauf hingewiesen, dass die marginale Beachtung, die Jōdo-shinshū im Westen (im Unterschied zu einer gewissen Dominanz des Zen) erfährt, weder den tatsächlichen zahlenmäßigen Verhältnissen, noch ihrer religiösen Bedeutung entspricht.4 Im Folgenden soll eine knappe Einführung in diese bedeutende buddhistische Tradition gegeben werden, die den Verstehensrahmen für die Darstellung shin-buddhistischer Homiletik und der Analyse ausgewählter religiöser Reden bildet.

7.1 Grundstrukturen des Mahāyāna-Buddhismus Wie jede buddhistische Lehrtradition gründet sich auch Jōdo-shinshū auf den historischen Buddha Gautama Śākyamuni, seine Ursprungserfahrung und seine Lehre.5 Zur Zeit Shinrans hatte der Buddhis3

4

5

Zur Terminologie: In der Literatur begegnen die Begriffe „Sekte“ und „Schule“ uneinheitlich, um innerbuddhistische Ausdifferenzierungen zu bezeichnen. Im Kontext des Buddhismus wird der Begriff „Sekte“ in einem religionswissenschaftlich neutralen Sinn gebraucht und entbehrt einer abwertenden Konnotation, die er im Kontext des Christentums hat. Dennoch ziehe ich den Begriff „Schule“ als Wiedergabe für jap. shū 宗 vor und schließe mich damit an Autoren wie T. Ashizu 1989, 2 und andere an. Den Begriff „Denomination“ gebrauche ich in diesem Kontext als Wiedergabe für jap. ha 派 (z. B. Honganji-ha ist die „Honganji-Denomination“ der Wahren Schule des Reinen Landes). Als offizielle Bezeichnung wurde Jōdo-shinshū 浄土真宗 erst 1872 angenommen; bis dahin war die Bezeichnung ikkō-shū 一向宗 geläufig (SKJ 93). D. T. Suzuki, der vor allem als Protagonist des Zen im Westen bekannt ist, nennt den Shin-Buddhismus im Titel einer seiner Veröffentlichungen sogar „Japan’s major contribution to the West“, D. T. Suzuki 1970. So beginnt auch die Selbstdarstellung Jodo Shinshu – A Guide, die vom Hongwanji International Center herausgegeben wurde, mit einer Darstellung des Lebens und der Lehre des historischen Buddha. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 5–19. Auch Shinran selbst hat sich selbstverständlich als Schüler Śākyamunis verstanden. Gleichwohl

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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mus jedoch eine bereits ca. 1600jährige Geschichte, in deren Verlauf er sich auf dem Weg von Indien über China bis Japan in der Gestalt des Mahāyāna (dem „Großen Fahrzeug“) entwickelt hat.6 Um die Botschaft Shinrans und seine eigene Ursprungserfahrung aus ihren genuin buddhistischen Voraussetzungen verstehen und einordnen zu können, ist es notwendig, diese Entwicklung kurz zu skizzieren. Erst vor diesem Hintergrund kann dann die besondere religionsgeschichtliche Stellung dieser Lehrtradition gewürdigt und in ihrer überlieferungsgeschichtlich rückgebundenen Reflexionsgestalt einsichtig gemacht werden. In dem hier zur Verfügung stehenden knappen Raum kann jedoch keine umfassende Darstellung von Jōdo-shinshū im Rahmen des Buddhismus gegeben werden, sondern lediglich auf die für das Verständnis von Jōdo-shinshū notwendigen Grundanschauungen und Rezeptionsprozesse hingewiesen werden.7 Entstehung des Buddhismus. Den religionsgeschichtlichen Kontext der Entstehung des Buddhismus (wie auch des etwas früher entstandenen Jainismus) bilden die Reformbewegungen im 5. Jh. v. Chr. in Indien gegen eine dem individuellen Heilsverlangen nicht mehr als dienlich empfundene brahmanische Religion mit ihrem hochkomplexen rituellen System und der damit verbundenen exklusiven Klasse religiöser Spezialisten. Da der Buddhismus aus dem allgemeinen religiösen und kulturellen Wurzelboden Indiens erwuchs, hat er viele Elemente aus den indischen Religionen aufgenommen und in spezifischer Weise weiter verarbeitet.8

6 7

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ist bereits an dieser Stelle einschränkend zu erwähnen, dass sich der Modus dieser Gründung in der Lehrgestalt der Jōdo-shinshū in spezifischer Ausprägung darstellt. Zur Problematik der buddhistischen Selbstbegründung aus religionshistorischer Sicht vgl. die kritischen Anmerkungen O. Freiberger / C. Kleine 2011, 27–31. Entsprechend gelten in Japan Sanskrit, Chinesisch und Japanisch als die Sprachen des Buddhismus, in denen die Basistexte abgefasst sind. Überblicksdarstellungen des Buddhismus bieten O. Freiberger / C. Kleine 2011, M. v. Brück 2007, H.-J. Greschat 2003, D. Keown 2001, E. Conze 101995 und 1986, U. Schneider 31992, H.-J. Klimkeit 1990. Zu indischen Religionen vgl. S. Piano 2004, A. Michaels 1998 und H. Zimmer 1973. Eine umfassende und wissenschaftliche Darstellung von Jōdo-shinshū in deutscher Sprache ist nach wie vor ein Desiderat. Vgl. z. B. die prägnante Einschätzung von H. Zimmer: „Der Buddha hatte als ein Hindu begonnen. Ja, die Hindu-Götter hatten – der buddhistischen Legende zufolge – bei jeder Stufe seines Fortschreitens über ihn gewacht. Er blieb also im Bereich der traditionellen indischen Philosophie und griff nur ihr klassisches Problem der Erlösung (moksha) von einem neuen fruchtbaren Gesichtspunkt auf. Seine Anliegen und Bestrebungen entsprachen genau denen der zeitgenössischen brahmanischen Denker“ (H. Zimmer 1973, 472). Vgl. zur Vorgeschichte der Lehre des Buddha auch U. Schneider 3 1992, 57–65 und H. Bechert 2000, 1–11. U. Schneider versteht das Mahāyāna auch als eine „Rückwärtsbewegung“ zum Vedānta (U. Schneider 31992, 186).

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Der Begriff „Buddhismus“ fasst in sich sowohl die Ursprungserfahrung des Einen, das Ziel der Heilsverwirklichung sowie den dahin führenden Weg. Als Religion mit einer universalen Heilsverheißung und dem darin implizierten missionarischen Impetus, stellt der Buddhismus die älteste Weltreligion im eigentlichen Sinn dar.9 Der Buddhismus als „Stifterreligion“ nimmt seinen Anfang in der Sehnsucht nach der Erlösung von der Leidhaftigkeit der phänomenalen Wirklichkeit und der Überwindung dieser Unheilssituation durch die Erfahrung des Erwachens eines Einzelnen–Siddhartha Gautama / Pali: Siddhatha Gotama10 (450–370 v.Chr.).11 Fortan verkündigte er als der Erwachte (skr. buddha), so seine Selbstbezeichnung, über vierzig Jahre lang (im Gebiet des heutigen Nepal und der indischen Bundesstaaten Bihar und Uttar Pradesh) den Weg zum Erwachen, zur Befreiung und trug seinen Mönchen die Verbreitung dieses Weges auf12, bevor er ca. 9

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Manfred Hutter führt in seiner kurzen Darstellung der Weltreligionen den Buddhismus als die historisch gesehen älteste Weltreligion an. Er will damit auch dem Selbstverständnis der jeweiligen Religion Rechnung tragen, indem er nicht nur den universellen Anspruch einer Religion als Heilsweg für alle Menschen, sondern auch die praktische Umsetzung dieses Anspruches in der Propagierung dieses Anspruches zum Ausgangspunkt der zeitlichen Anordnung macht. Dies trifft für den Buddhismus ab dem 3. Jh. v. Chr. zu (M. Hutter 2005, 17). Die Ergebnisse historischer Buddha-Forschung hat H.-J. Klimkeit 1990 zusammengefasst. Da der Buddha aus dem Geschlecht der Shakya stammte, wird er auch Śākyamuni („der Weise aus dem Geschlecht der Śāykas“, jap. o-shaka-sama お釈迦 様) genannt. Andere Ehrenbezeichnungen sind Tathāgata oder Sugata (Jap. Nyorai „der So-Gegangene“), Arhat („Würdiger, Vollendeter“), Jina („Sieger“) oder Bhagavan („Erhabener“). Für die Datierung seiner Lebenszeit gibt es zwei Möglichkeiten, über die in der Forschung keine Einigkeit besteht. Nach der langen Chronologie lebte Gautama von 624–544 v. Chr. Nach der kurzen Chronologie, die für wahrscheinlicher gilt, lebte er ca. 450–370 v. Chr. Die Unterschiede in der Datierung führen sich auf unterschiedliche Datierungen der Thronbesteigung Ashokas in den ceylonesischen Chroniken zurück. Die Zeitrechnung in den Theravāda-Ländern legt das Todesjahr Buddhas nach der langen Chronologie zugrunde (sein Eingang ins endgültige nirvāna, das parinirvāna). Es gibt auch eine korrigierte lange Chronologie, die die Lebenszeit Gautamas auf 560–480 v. Chr. datiert. Y. Ueda und D. Hirota geben diese korrigierte lange Chronologie an, Y. Ueda/D. Hirota 1989, 16. Ich schließe mich der kurzen Chronologie an, die aufgrund der Studien von E. Lamotte und H. Bechert weitgehend anerkannt ist, vgl. H.-J. Klimkeit 1990, 23–24; M. v. Brück 2007, 66–67. Im Vinaya-pitaka Mahā-vagga I, 11, 1 wird berichtet, wie zu Beginn der Mönchsgemeinde der Buddha seine ersten 61 Bikkhus zu sich rief und ihnen den Auftrag gab loszuziehen, um aus Mitleid und zum Wohl der Menschen den dharma / dhamma zu lehren: „Then the Lord adressed the monks, saying: ‘I, monks, am freed from all snares, both those of devas and those of men. And you, monks, are freed from all snares, both those of devas and those of men. Walk, monks, on tour for the blessing of the manyfolk, for the happiness of the manyfolk out of compassion for the world, the welfare, the blessing, the happiness of devas and men. Let not two (of you) go by one (way). Monks, teach dhamma which is lovely at the beginning, lovely in the middle,

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achtzigjährig starb. So ist der Buddhismus als Stifterreligion mit universaler Heilsverheißung von Anfang an eine Missionsreligion.13 Ursprungserfahrung und Verkündigung. Der Beginn der Wirksamkeit Śākyamuni Buddhas mit der Predigt von Sarnath zählt nach buddhistischer Auffassung neben seiner Geburt, seinem Erwachen und seinem Eingang ins pari-nirvāna zu den vier wichtigsten Ereignissen seines Lebens.14 Diese erste Predigt bildet den Abschluss der Darstellung des Lebens Śākyamuni Buddhas im Pali-Kanon15 und ist dadurch besonders hervorgehoben. Bereits diese erste Predigt, in welcher der Buddha die Vier Edlen Wahrheiten und den Achtfachen Pfad lehrt, ist nach buddhistischem Verständnis angesichts der grundsätzlich apophatischen Wirklichkeit des Erwachens ein Zugeständnis an die notwendigerweise kataphatische Verkündigung, die um der Erlösung aller willen geschieht. Die Tradition hat diese Spannung zwischen der prinzipiellen Unsagbarkeit der Befreiungserfahrung des Einen und des Gesagt-werden-Müssens um der Befreiung aller willen in den Mythos gekleidet. Der Gott Brahma musste dem Erwachten erscheinen und ihn zur Verkündigung überreden.16 Die theoretische Reflexion dieses Sachverhalts wurde später (insbesondere von Nāgārjuna) in der Lehre von den zwei Wahrheitsebenen (skr. satya-dvaya, jap. nitai 二諦), der konventionellen Wahrheit (skr. samvrti-satya, jap. zokutai 俗諦) und der absoluten Wahrheit (skr. paramārtha-satya, jap. shintai 真諦), gefasst.17 Der Inhalt der ersten Predigt. Mit der Verkündigung der „Vier Edlen Wahrheiten“ (skr. āryasatya, jap. shi-tai 四諦)18, bei der ersten Predigt

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lovely at the ending. Explain with the spirit and the letter Brahma-fearing completely fulfilled, wholly pure. There are beings with little dust in their eyes, who, not hearing the dhamma, are decaying, (but) if they are learners of dhamma, they will grow. And I, monks, will go along to Uruvelā, to the Camp township, in order to teach the dhamma.’“ Zitiert nach Pali Text Society IV 1982, 28. D. Keown 2001, 88. H.-J. Greschat 2003, 356; zur buddhistischen Mission vgl. E. Zürcher, EncRel (E), 9, 570–573 und jüngst O. Freiberger / C. Kleine 2011, 435–460 und 465–467. Vgl. H.-J. Klimkeit 1990, Abbildung auf Seite [2]. H.-J. Klimkeit 1990, 93. Die Frage nach der Historizität dieser ersten Predigt, wie sie zuweilen gestellt wird, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Entscheidend ist ihre Wirkungsgeschichte als „Urdatum“ des Buddhismus als geschichtlicher Religion. H.-J. Klimkeit 1990, 91–92. Vgl. auch die religionspsychologische Deutung dieses Sachverhaltes bei D. und A. Matsunaga 1984, 52–53: „It is only possible to describe this event devotionally as a psychological struggle since, as we shall later see, an inevitable function of enlightenment entails its preaching.“ Vgl. C. Lindtner 1981, 161–214; H. Zimmer 1973, 462–465. Die „Vier Edlen Wahrheiten“ sind als Kernbestand buddhistischer Lehre vielfach dargestellt worden, vgl. z. B. H.-J. Greschat / M. Kraatz 1985, 81–86; U. Schneider

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in Benares, setzte der Buddha das „Rad der Lehre“ (skr. dharma-cakra, jap. hō-rin 法輪)19 in Bewegung. Diese vier Wahrheiten sind entsprechend zeitgenössischen medizinischen Vorgehens aufgebaut. 20 Entsprechend wird der Buddha oft als „Arzt“ beschrieben (wie er sich auch selbst bezeichnet hat).21 Der hier zum Ausdruck gebrachte therapeutische Charakter der Lehre Buddhas ist auch für die shin-buddhistische „Homiletik“ relevant. 22 Die erste der vier Wahrheiten besteht in der Universalität des Leidens (skr. duhkha, jap. ku 苦)23, aufgrund der Impermanenz der fünf Gruppen der „Daseinsfaktoren“ (skr. skhandas, jap. go-shū 五衆). 24 Mit dieser „Wahrheit vom Leiden“ ist die Symptomatik beschrieben, wobei mit der Lehre der „Daseinsfaktoren“ bereits eine Ontologie impliziert ist. Die zweite Wahrheit von der Entstehung des Leidens analysiert dessen Ursache, die im „Durst“ (skr. trshnā, jap. katsu-ai 渇愛), dem anhaftenden Begehren, besteht. Die dritte „Wahrheit von der Aufhebung des Leidens“ zeigt die Möglichkeit der Therapie durch das Aufgeben des „Durstes“. Und schließlich weist die vierte „Wahrheit vom Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt“, den edlen achtgliedrigen Pfad, d. h. „rechte Einsicht, rechter Entschluss, rechte Rede, rechte Tat, rechter Wandel, rechtes Streben, rechte Wachheit, rechte Versenkung.“25 Wird die Unheilssituation mit dem Begriff des Leidens gefasst, so die Erfahrung der Befreiung davon als Erwachen. Das Ziel jedes Aspiranten auf dem Weg des Buddha besteht im Mahāyāna darin, selbst zu einem Buddha, einem Erwachten zu werden und nirvāna zu er3

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1992, 72–111; M. v. Brück 2007, 117–131. Über Zweifel an der Historizität dieser ersten Predigt vgl. H.-J. Klimkeit 1990, 94; ders. 2000, 229. Bereits in diesem Begriff ist die Ausbreitung der Lehre impliziert, vgl. DJBT 52003, 112. H.-J. Greschat / M. Kraatz 1985, 81–86; M. v. Brück 2007, 117. H.-J. Greschat / M. Kraatz 1985, 83. So fordert Sannomiya Gishin von einem Verkündiger des dharma die innere Haltung des „großen Königs der Ärzte“ (dai-i-ō 大医王), sc. des Buddha, der den Hörer von dem Leiden des samsāra befreit (G. Sannomiya 31996, 49). M. v. Brück gibt duhkha allgemeiner mit „Frustration“ wieder, was einerseits die Universalität von Leiden besser zum Ausdruck bringt, andererseits aber etwas abschwächend ist. Zum Leidverständnis des Buddha vgl. auch U. Schneider 31992, 96. Darstellungen im Einzelnen bei U. Schneider 31992, 97–103; J. Bronkhorst 2000, 95–98; M. v. Brück 2007, 130–133. Werden diese Daseinsfaktoren (skhandas, auch dharmas oder dharma-Faktoren genannt) im älteren Buddhismus substanzartig gedacht, so gelten sie im Mahāyāna als „leer“ (skr. shunyā), vgl. M. v. Brück 2007, 130–131. Sutta-pitaka Dīgha-nikāya 22 und Majjihima-nikāya 22 in der Übersetzung von K. Mylius 1998, 145. 242.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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reichen. 26 D. h. dass im Vergleich z. B. mit dem Christentum das so genannte Problem der „Erfahrung zweiter Hand“ nicht in derselben Weise gegeben ist, da das Ziel gerade darin besteht, selbst eine Erfahrung „erster Hand“ zu machen. Allein diesem Zweck dient, wie noch ausführlich zu zeigen ist, die Lehrüberlieferung und die buddhistische Praxis. Der Buddha hat dies seinen Jünger im berühmten Gleichnis vom Floß verdeutlicht, das für eine Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung grundlegend ist: „Dem Floß gleich will ich euch die Lehre darstellen, zum Überschreiten geschaffen und nicht dazu bestimmt, sie festzuhalten. Das hört und richtet wohl euren Sinn darauf, ich werde euch dies verkünden. […] Ebenso wahrlich, ihr Mönche, einem Floß vergleichbar, wurde von mir die Lehre gezeigt, zum Überschreiten geschaffen, doch nicht, um sich daran festzuklammern. Ihr Mönche, die ihr das Gleichnis vom Floße versteht, sollt selbst die wahre Lehre aufgeben, wie viel mehr dann die falsche.“27

Wird in diesem Gleichnis auch die Vorläufigkeit sprachlicher Vermittlung in Gestalt der Lehre in besonderer Weise betont und vor dem Anhaften daran gewarnt, so wird doch in dieser Vorläufigkeit (dieser Aspekt wird häufig übersehen) eine Differenz von echter und falscher Lehre konstatiert, die eine lehrmäßige Beliebigkeit religiöser Vermittlung ausschließt und einen religions- und kulturgeschichtlich allgemein beobachtbaren Prozess der Verschriftlichung und Kanonisierung der Reflexionsgestalt religiöser Erfahrung im Dienst von deren Vermittlung aus sich heraus setzt. 28 Die imposanten Überlieferungsbestände buddhistischer Texte sowie die elaborierte rhetorische Tradition buddhistischer Lehrvermittlung geben davon eindrückliches Zeugnis. Grundanschauungen und Basisunterscheidungen. Der Buddhismus als Erlösungsreligion unterscheidet kategorial die Wirklichkeiten von „Unheil“ und „Heil“, die der historische Buddha innerhalb der von ihm vorgefundenen Parameter und Vorstellungswelten indischer Religion und Weltanschauung definiert und damit die eigene Erfahrung im Horizont vorgegebener Überlieferungsbestände interpretiert und artikuliert. Die Unheilssituation ist allgemein als „Leiden“ (erste Wahrheit) definiert, speziell als Verhaftetsein im samsāra (jap. rinne-shōji 輪廻 26 27 28

Darin besteht ein Unterschied zum Theravāda, in dem das Ideal darin besteht ein arhat zu werden und nirvāna zu erlangen. Sutta-pitaka Majihima-nikāya 22 zitiert nach der Übersetzung aus dem Pali von I.L. Gunsser 2001, 49–51 (auch in K. Mylius 1998, 156–157). Vgl. dazu J. Lauster 2005, der insbesondere die Einsichten Jan Assmanns (Stichwort: „kulturelles Gedächtnis“) religionshermeneutisch aufgreift.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

生死), dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten (traditionell in sechs Bereichen, zu denen u. a. auch die Götterwelt gehört). Dieses Rad der Wiedergeburten wird durch karma, der notwendigen Retribution aller Taten, die negativ durch die drei Grundübel von Gier, Hass und Unwissenheit verursacht sind, oder diese positiv ausgleichende Taten perpetuiert. 29 Dieser Vorstellung von karma und samsāra liegt das Konzept ausgleichender Gerechtigkeit gemäß dem dharma (hier etwa: universales Gesetz, Weltordnung) zugrunde, die innerweltlich, resp. innerhalb einer bestimmten Existenzform nicht aufgeht. Die Befreiung aus samsāra wird als Verwehen (sc. der an das samsāra bindenden Begierde), als nirvāna, bezeichnet. Dieser Unterscheidung von Unheils- und Heilswirklichkeit korrespondiert die buddhistische Grundoperation von Ignoranz/Unwissenheit (skr. avidyā, jap. mu-myō 無明) und Erwachen (skr. bodhi, jap. satori 悟り, shō-gaku 正覚). Es ist dabei wichtig, zu beachten, dass diese Grundoperation nicht einfach der Differenz von „Immanenz“ und „Transzendenz“ entspricht (und selbstredend nicht der Leitunterscheidung Gott – Mensch / Schöpfer – Geschöpf in der jüdisch-christlichen Tradition). Um eine Metapher zu gebrauchen: die buddhistische Grundoperation steht sozusagen „quer“ zu einer (mythologischen oder metaphysischen) „vertikalen“ Differenzierung.30 Analog dazu stellt sich die Frage (die auch innerbuddhistisch unterschiedliche Antworten gefunden hat), ob samsāra und nirvana als Unheils- und Heilswirklichkeit im Unterschied zu Ignoranz und Erwachen „objektive“ Wirklichkeiten darstellen. Die für die Heilsverwirklichung gebrauchte Metapher des Erwachens31 weist bereits darauf hin, dass es sich dabei um einen Bewusstseins-, oder besser: Bewusstwerdungsvorgang handelt. Auch hierbei befindet sich der Buddha noch ganz innerhalb indischer Traditionen.32 Ist jedoch für indische Vorstellung die Ātman-Brahman 29

30

31 32

Bereits in der Bhagavadgita begegnet uns die Vorstellung der Überwindung karmischer Bindungen durch das Konzept des Nicht-Tun, das in einem völlig anderen Kontext im chinesischen Taoismus als wu-wei zentrale Bedeutung besitzt und insbesondere auch auf den Cha’an / Zen-Buddhismus eingewirkt hat. Bei Shinran begegnet uns im Zusammenhang der aufgrund der Lehre von der „Anderen Kraft“ gedeuteten nembutsu-Rezitation der Begriff der Nicht-Praxis (hi-gyō 非行), die frei ist von jeder Intentionalität im Blick auf das Heil (hakarai), vgl. Tannishō 8 und Abschnitt 8.2.2. Und in unserem Zusammenhang wird die Frage zu beantworten sein, wie sie sich zu Tillichs Leitdifferenz von Essenz und Existenz, resp. Sein und Grund des Seins verhält. „Erwachen“ ist als adäquate Wiedergabe von bodhi dem in der Literatur häufig gebrauchten Übersetzungsbegriff „Erleuchtung“ vorzuziehen. Das zeigt bereits ein Vergleich des achtstufigen Yoga mit seinen psycho-physischen Übungen, wie es das Patanjali zugeschriebene Yoga-Sūtra darstellt, mit dem Edlen

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Spekulation des Vedanta zentral, so lehrt der Buddha im Unterschied zur Vorstellung eines dem Menschen innewohnenden ewigen und unveränderlichen ātman das anātman33 (pali: anattā, jap. mu-ga 無我), das Nicht-Selbst. Diese Lehre wird in der Folge zum entscheidenden Differenzkriterium, das für den Buddhismus konstitutiv ist.34 Sie besagt im Wesentlichen, dass die Ursache für die an das samsāra fesselnde Begierde in der Illusion eines substanziellen, dauerhaften „Selbst“ liege. Vielmehr sind alle „fünf Gruppen von Daseinsfaktoren“ dem ständigen Wandel unterworfen (skr. anityā, jap. mu-jō 無常). Konstituiert sich die Vorstellung eines „substanzhaften“ Selbst durch die Begierde, so erlischt im Umkehrschluss mit der Einsicht in die Wirklichkeit von anātman die Begierde und damit die Ursache für samsāra, womit nirvāna erlangt ist. Die Ontologie des Selbst wird in pragmatisch-soteriologischer Intention zu einer Meonotologie. Das erhellt auch daraus, dass nach der Überlieferung der Buddha auf die Frage, ob es anātman gebe, schweigt.35 Durch die Lehre des Nicht-Selbst ergab sich von Anfang an die Frage, was unter dieser Voraussetzung das Subjekt der Leiderfahrung sei und wie sich diese zu einer objektiven Wirklichkeit verhalte. Bereits im frühen Buddhismus haben sich unterschiedliche Antworten zu diesem Problem entwickelt.36 Als Konsequenz der anātman-Lehre ergab sich eine völlige Neugestaltung der Lehre von der Wiedergeburt. Denn die Frage erhebt sich:

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35 36

Achtfachen Pfad des Buddha, an deren Ende jeweils samādhi („Konzentration“) als Ziel steht. Innerhalb der sich auf die Veden berufenden indischen Tradition haben sich sechs als orthodox angesehene philosophische Systeme (darshanas) herausgebildet, die entweder pluralistisch, dualistisch oder monistisch sind. Patanjali hat seinen Yoga auf der Basis des dualistischen samkhya entwickelt. Der Buddhismus hingegen ist monistisch. Insbesondere die monistische advaita (Nicht-Dualismus)-Lehre des südindischen Philosophen Shankara (um 800 n. Chr.) hat sich in Konkurrenz zum Buddhismus entwickelt. An dieser Stelle werden die verschiedenen Wechselwirkungen innerhalb der Entwicklung indischer Religionsgeschichte besonders deutlich. Das präfigierte „a-“ im Sanskrit und Pali entspricht dem verneinenden Alpha-Privativum im Griechischen. Daneben lehnte der historische Buddha die Autorität der Veden ab und postulierte gemäß seinem soteriologischen Universalismus die prinzipielle Erlösungsfähigkeit aller Menschen bereits in diesem Leben. Dies bedeutete in der Konsequenz die Aufhebung der Kastenunterschiede im samgha, der Mönchsgemeinde, sowie die Gründung eines Frauenordens. Damit hatte sich der Buddha außerhalb der Orthodoxie gestellt. Andererseits gab es auch in der Entwicklung des Buddhismus eine Schulrichtung, die eine „Person“ annahm, die sog. Pudgalavadins. Vgl. Samyutta-nikaya 44,10 und den Kommentar dazu von M. v. Brück 2007, 171 und M. Shimizu 1981, 15. Schulen wie die Sarvāstivadins, Sautrāntikas und Vaibāshikas fanden darauf unterschiedliche Antworten, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Vgl. dazu H. Zimmer 1973, 458–460.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Wenn es kein „Selbst“ mit einer inhärenten und Dauer verleihenden Identität gibt, was wird dann wiedergeboren? Die Antwort auf dieses Problem bildet die Lehre vom so genannten „Kausalnexus“, dem Entstehen in Abhängigkeit (skr. pratītya-samutpāda, jap. en-gi 縁起), wie sie mit der zwölfgliedrigen nidāna-Kette ausformuliert wurde. Es stellt die universale Interdependenz alles Seienden als Bedingt-Bedingendem dar. Nichts existiert a se, sondern nur aufgrund kausaler Beziehungen.37 Im Unterschied dazu gilt nirvāna als un-bedingt. Māhāyana. Der Buddhismus hat seit seinen Anfängen vielfältig ausdifferenzierte Lehrtraditionen entwickelt. Im Allgemeinen wird zwischen den drei großen Traditionsströmen (skr. yāna „Laufbahn / Fahrzeug“) unterschieden: Hīnayāna („Kleines Fahrzeug“)38, Mahāyāna („Großes Fahrzeug“) und Vajrayāna („Diamantfahrzeug“). Diese Traditionen konzentrieren sich grob auf unterschiedliche geographische Ausbreitungsgebiete, so der Theravāda / Hīnayāna auf die Kernländer Sri Lanka, Myanmar, Laos, Thailand (daher auch „südlicher Buddhismus“), das Vajrayāna, das sich u. a. durch Aufnahme des indischen Tantra (daher auch Tantrayāna oder Mantrayāna) und der autochthonen Bön-Religion in Tibet entwickelt hat, sowie das Mahāyāna mit den Kernländern China, Korea und Japan (daher auch „nördlicher Buddhismus“). Der Mahāyāna-Buddhismus (jap. daijō-bukkyō 大乗仏教), in dessen Tradition Jōdo-shinshū steht, hat sich etwa zwischen 100 v. und 200 n. Chr. allmählich aus unterschiedlichen Motiven und Einflüssen39 entwickelt und sich schließlich als eigene Lehrtradition in Abgrenzung zum „Hīnayāna“ konstituiert. Das Mahāyāna versteht sich, wie der Name bereits andeutet, als universaler Heilsweg, der nicht allein dem asketischen Ideal eines Arhat („Heiligen“), sondern auch gewöhnlichen Laienanhängern die Erlangung der Buddhaschaft in Aussicht stellt.40 E. Conze sieht folgende fünf Punkte als zentrale Weiterentwicklungen gegenüber dem Theravāda: das bodhisattva-Ideal, einen 37 38

39

40

Hier liegt auch eine Begründung buddhistischer Ethik. Vgl. M. v. Brück 2007, 171 und die von mir analysierten hōwa von Ōtani Kōshin. Es handelt sich dabei allerdings um eine abwertende Bezeichnung aus der Sicht der Māhāyanisten, vgl. U. Schneider 31992, [177]. Daher wird hier die Bezeichnung Theravāda („Weg der Alten“) präferiert. Da sich das Mahāyāna in Norwest- und Süd-Indien entwickelt hat, wird in der Forschung angenommen, dass neben indischen primär hellenistische (vgl. die GandharaKultur) und iranische Einflüsse zu seiner Entstehung beitrugen, vgl. E. Conze 1986, 49; D. Kewon 2001, 87; M. v. Brück 2007, 226–227. In China, wo sich erstmals eine eigenständig Organisationsform des Jōdo-Buddhismus entwickelt hat, kamen auch taoistische Einflüsse hinzu, vgl. dazu weiter unten. H. Inagaki 2000. 13.

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neuen Erlösungsweg, eine zunehmende Bedeutung des Glaubens, die Anwendung der „geschickten Mittel“ (upāya) und eine „kohärente ontologische Lehre“.41 Dass sich das Mahāyana nicht nur in Kontinuität zu Śākyamuni Buddha sieht, sondern als Restitution und Offenbarung der wahren Intention und Verkündigung Buddhas versteht, zeigt sich u. a. darin, dass alle Mahāyāna-Sutren als Lehrreden Śākyamuni Buddhas stilisiert sind.42 Als bedeutenster Philosoph des Māhāyana und Begründer der meisten Schulrichtungen gilt Nāgārjuna (2. Jh. n. Chr.), der auch bei Jōdo-shinshū als erster von sieben Patriarchen gilt. Die ältesten Mahāyāna-Texte, die sogenannten prajinā-paramitā-sūtren (Sūtren der vollkommenen Weisheit), sind etwa im 2./1. Jh. v. Chr. entstanden und behandeln zentrale Mahāyāna-Themen wie „Leehreit“ (skr. shūnyatā) und die bodhisattva-Praxis, aber auch die Lehre von den „geschickten Mitteln“ (upāya).43 Leerheit. Existiert bereits gemäß der Anschauung des ursprünglichen Buddhismus kein dauerhaftes Selbst (anatmān), das anhaften könnte, und dementsprechend kein „Subjekt“ der Leiderfahrung, so weitet das Māhāyana gewissermaßen die anatmān-Lehre auf die gesamte Wirklichkeit aus, sodass auch das „Objekt“ des Anhaftens letztlich substanzlos, „leer“ (skr. shunyā), bzw. reine Bewusstseinsprojektion ist. Im Māhāyana haben sich im Hinblick auf das Verständnis der Gesamtwirklichkeit zwei philosophische Systeme entwickelt: Mādhyamika (der „Mittlere Weg“, skr. mādhyamaka, jap. chū-dō 中道 des Nāgārjuna mit der negativen Dialektik von shūnyatā, jap. kū 空 „Leerheit“), wonach samsāra und nirvāna identisch sind, und dem später entstandenen Yogācāra, der von Asanga und Vasubandhu (der als zweiter Patriarch von Jōdo-shinshū gilt) begründeten Nur-Bewusstseinsschule (skr. vijnānavāda, jap. yui-shiki-ron 唯識論).44 41 42

43 44

E. Conze 1986, 51–52. Im Mahāyāna wird die Entstehung dieser mehrere Jahrhunderte nach dem historischen Buddha entstandenen Sūtren auf den mit der höchsten Wahrheit identischen dharma-kāya (s. tri-kāya-Lehre) zurückgeführt (W. Lai/M. v. Brück 22002, 307. H. Inagaki unterscheidet die gesprochenen Worte Śākyamuni Buddhas, wie sie im Theravāda überliefert sind und dessen Lehrgrundlage bilden, von seinem samādhi („Versenkung“, E. Conze: „Trancezustand“), auf das sich das Mahāyāna gründe. Durch samādhi offenbare (reveals) das Mahāyāna die sprachlichen Ausdruck transzendierende Wahrheit Buddhas (H. Inagaki 2000, 13 und 58). M. v. Brück 2007, 53; U. Schneider 31992, [177]. Vgl. H. Zimmer 1973, 462–475; E. Conze 101995, 153–165; V. Zotz 1996, 123–149; M. v. Brück 2007, 243–253.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Im Unterschied zum Theravāda transzendiert Nāgārjuna mit der durch die Lehre von der Leerheit postulierten Identität von samsāra und nirvāna die bisherige Basisunterscheidung von bedingtem samsāra und un-bedingtem nirvāna, die nun den Charakter von zwei unterschiedlichen „Perspektiven“ derselben „leeren“ Wirklichkeit werden. Entsprechend gilt, dass es vom Standpunkt der absoluten Wirklichkeit aus gesehen weder Entstehen noch Vergehen („Nicht-Geburt“, jap. mu-shō 無生) gibt. Der Fachterminus dafür, der auch regelmäßig in den Reines-Land-Sūtren erscheint, lautet skr. anuttpatika-dharmaksānti, jap, mu-shō-bō-nin 無生法忍.45 Nach der Lehre des Yogācāra besteht die wahrgenommene Wirklichkeit lediglich aus Gedankenbildern, denen außerhalb des Bewusstseins keine objektive Realität zukommt. Allein dem Bewusstsein kommt Wirklichkeit zu. Die Inhalte der Gedankenbilder stammen aus dem sog. Speicherbewusstsein (skr. ālaya-vijnāna, jap. araya-shiki 阿頼耶識), das zugleich Synonym für das Absolute ist.46 Nach Japan kam die Yogācāra-Lehre in den Jahren 653 und 712 unter dem Namen hossō-shū 法相宗.47 Diese differierenden Auffassungen besitzen für die unterschiedlichen Deutungsansätze von Jōdo-shinshū unmittelbare Relevanz, wie noch näher auszuführen sein wird. Obwohl sich Jōdoshinshū zum Mādhyamika zählt, gab es immer wieder auch Interpretationen im Sinn der Nur-Bewusstseinschule. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Dialog mit dem (Shin-)Buddhismus sich also nicht nur die Frage nach dem „Subjekt“, sondern auch die nach dem „Objekt“ stellt. Mahāyānische Buddhologie im Dienst der Soteriologie. Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Mahāyāna, der für das Verständnis von Jōdoshinshū zentrale Bedeutung besitzt, ist die Lehre von der Wirksamkeit von Buddhas und Bodhisattvas, in der das universale soteriologische Interesse des „Großen Fahrzeuges“ zum Ausdruck kommt. Daneben besteht das Ziel nicht mehr allein in der Überwindung von Leiden (skr. duhkha), sondern auch in der Erlangung von Glückseligkeit (skr. sukha).48 Im Mahāyāna wird das Arhat-Ideal ersetzt durch das Ideal eines Bodhisattva, dessen zentrale Qualitäten Weisheit und Mitleid/ Barmherzigkeit sind, und der seine auf dem Bodhisattva-Weg erlangten 45 46 47 48

DJBT 52003, 216. Für eine ausführlichere Darstellung des Yogacara vgl. E. Conze 101995, 153–165; V. Zotz 1996, 136–149; M. v. Brück 2007, 248–253. E. Conze 101995, 157. U. Schneider 31992, 183–185.

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karmischen Verdienste auf andere überträgt, was wiederum karmisch verdienstvoll ist. H. Inagaki definiert einen Bodhisattva als „one who makes vows to attain enlightenment (bodai) and save suffering beings, and thus sets out on the course of practice (known as ropparamitsu) which requires a long period of time to complete. He who has accomplished the bodhisattva practice is a buddha.“49 Zu den sechs ropparamitsu (skr. pāramitā) zählen Geben (dāna), Sittlichkeit (sila), Nachsicht/Geduld (ksānti), Willensstärke (vīrya), Meditation (dhyāna) und Weisheit (prajinā). Diese sechs paramitās wurden durch „Anwendung der geschickten Mittel“ (upāya-kausalya), Gelübde (pranidhāna), Kraft (bala) und Erkennen (jnāna) zu den zehn Vollkommenheiten ergänzt.50 Mit der Lehre von der Übertragbarkeit (skr. parināma, jap. ekō 廻 向/回向) der auf dem Bodhisattva-Weg erlangten karmischen Verdienste (skr. punya, jap. kudoku 功徳)51, wie sie auch in den 48 Gelübden des Mönches und Bodhisattvas Dharmakāra, des späteren Buddha Amitāyus/Amitābha mit seinem „Land der Glückseligkeit“ (skr. sukhāvatī), im längeren sukhāvatī-Sūtra Gestalt gewonnen hat, wurden die theoretischen Grundlagen für eine Soteriologie geschaffen, in der sich Erlösungssuchende vertrauensvoll an Bodhisattvas und Buddhas wenden, die diesen bei der Heilsverwirklichung zu Hilfe kommen. Die phänomenologischen Parallelen zum indischen Bhakti und der Vorstellung von Avataras ist kaum zu übersehen und wurde in der Forschung oft gezogen.52 Allerdings besteht ein wesentlicher Strukturunterschied, insofern es sich bei einem Bodhisattva und sambhogakāya-Buddha zunächst um eine durch eigene Verdienste erworbene Aszendenz, bei einem Avatar um eine reine „Herabkunft“ (Deszendenz) handelt. Entsprechend geht es beim Bhakti auch nicht um eine Verdienstübertragung. Mit der gewandelten Soteriologie und einem gewandelten Wirklichkeitsverständnis geht auch ein erweitertes Verständnis von Buddha einher, wie es in der bereits angeklungenen tri-kāya („drei Körper“, jap. san-shin 三身)-Lehre zum Austrag kommt.53 Im Māhāyana ist die letzte Wirklichkeit (Leerheit, Soheit) identisch mit der Buddha-Natur 49 50 51

52 53

DJBT 51983, 17. DJBT 51983, 253; E. Conze 1986, 52–56; U. Schneider 31992, 182. H. Inagaki 2000, 36. Die Praxis der Übertragung von Verdiensten ist bereits frühbuddhistisch bezeugt (M. v. Brück 2007, 257 Fn.  57 unter Verweis auf Adelheid Herrmann-Pfandt), dort allerdings nur für inner-samsarische Ziele. Im Mahāyāna richtet sich die Verdienstübertragung jedoch auf das Heilsziel selbst, ebd., 258. E. Conze 101995, 136–137. U. Schneider 31992, 188–189. Vgl. insbesondere die Gestalt Krishnas in der Bhagavatgita. H. Inagaki 2000, 20–26; IBJ 22002, 390; DJBT 52003, 273; SKJ 42004, 69.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

(dharma-kāya jap. hosshin 法身). Der historische Buddha Gautama Shaykamuni gilt als eine (nicht die Einzige) Manifestation der BuddhaNatur als nirmāna-kāya (jap. ōjin 応身), d. h. als Buddha, der sich entsprechend den Bedürfnissen und dem Fassungsvermögen der „Adressaten“ manifestiert. Besondere soteriologische Bedeutung kommt nun dem sambhoga-kāya (jap. hōjin 報身) zu, der als „Körper der Glückseligkeit“ das Ergebnis verdienstvoller karmischer Taten ist, und dessen Bereich die zahllosen Buddhaländer in der buddhistischen Kosmologie bilden. In der Tradition des Reinen Land Buddhismus ist Amida und sein Reines Land im Westen ganz im Bereich des sambhoga-kāya verortet. Bei Shinran ist hier jedoch eine Modifikation in seiner Anschauung von Amida festzustellen (vgl. Abschnitt 8.2.2).

7.2 Die Entstehung und Entwicklung von Jōdo-shinshū 7.2.1 Basistexte und zentrale Aspekte der Genese von Jōdo-shinshū Die Genese des japanischen Reines-Land-Buddhismus und seiner überlieferungs-geschichtlichen Aspekte ist bereits mehrfach dargestellt worden54 und kann an dieser Stelle nicht ausführlich wiedergegeben werden. Das Ziel im vorliegenden Zusammenhang besteht darin wesentliche Aspekte zu erhellen, wobei sich diachrone (Genese) und synchrone (Basistexte) Aspekte zum Teil überschneiden. 7.2.1.1 Die drei Reines-Land-Sūtren Die Basistexte der Jōdo-shinshū sind im 浄土真宗聖典 Jōdo-shinshūseiten (sprich: se-iten), den Heiligen Schriften von Jōdo-shinshū, kompiliert.55 Dieser etwa tausend Druckseiten umfassende Kanon enthält 54 55

Vgl. dazu C. Langer-Kaneko 1986; V. Zotz 1991; C. Wilhelm 1996; C. Steineck 1997; H. Inagaki 2000; H. Rolle 2003; M. Repp 2005, u. a. Diese Kompilation ist relativ jungen Datums. Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, etwa 500 Jahre nach Shinrans Tod, intensivierten sich bei Honganji-ha die Bemühung um Kodifizierung und Druck der Shinshū-Schriften. 1741 wurde eine offizielle Liste von 39 heiligen Shinshū-Schriften erstellt. Zwischen 1759 und 1765 wurde die Sammlung mit Anmerkungen versehenenen als Shinshū-hōyō 真宗法要 ediert. 1941 erschienen die Shinshū-sei-kyō-zensho 真宗聖教全書 die „gesammelten Schriften der heiligen Lehre von Jōdo-shinshū“ (vgl. Shinshū-seiten 161996, [Zeitta-

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

247

allem voran die drei Reines-Land-Sūtren (jōdo-sanbu-kyō 浄土三部経), die zentrale Aspekte der Vorstellungswelt des Reinen-Land-Buddhismus behandeln: die Wirklichkeit des Buddha Amitābha/Amitāyus (jap. Amida)56 , seinen Bodhisattva-Gelübden und dem von ihm geschaffenen „Land der Glückseligkeit“ (skr. sukhā-vatī, jap. goku-raku 極楽) im Westen handeln.57 Gemäß der trikāya-Lehre (s. o.) gehört Amida mit seinem Reinen Land in den Bereich des sambogha-kāya (jap. 報身) und wird personal vorgestellt. So bildet er in den Reines-Land-Sutren das zentrale Objekt der Visualisierungs-Übungen.58 Diese drei Sutren, die in den Ausgaben des Jōdo-shinshū-seiten (im Folgenden abgekürzt: JSS) an erster Stelle vor den Schriften Shinrans und weiterer Schriften angeordnet sind, werden auch im Jōdo-shinshū-kyōshō 浄土真宗 教章, den „Essentials of Jōdo-shinshū“ als die „three principal Sūtras“

56

57

58

fel im Anhang]). Im Jahr 1950 wurde eine Übersetzung ins Englische von der Honpa Honganji Mission of Hawaii herausgegeben (Jodo Shinshu – A Guide 2002, 160). Die jetzt im Gebrauch befindlichen Ausgaben stammen aus den siebziger und achtziger Jahren. Für den Erstdruck der Ōtani-Ausgabe wird das Jahr 1978 angegeben (enthält 43 Schriften). Honganji-ha hat im Jahr shōwa 63 (1988) eine mit Erläuterungen bearbeitete Version herausgegeben, die sich auf eine vorhergehende Ausgabe (Genten-han 原典版) aus dem Jahr 1985 stützt (enthält 48 Schriften). Beide Ausgaben (von Ōtani-ha und Honganji-ha) unterscheiden sich in Anlage und Editionsprinzipien, stimmen aber im Wesentlichen überein. Die japanische Bezeichnung Amida 阿弥陀 bildet die Wiedergabe für skr. a-mita „un-ermesslich/un-begrenzt“ in homophonen chinesischen Schriftzeichen. Es ist die Abkürzung und Zusammenfassung der beiden Sanskrit-Wörter amitāyus („von unermesslichem Licht“, jap. muryōkō 無量光) und amitābha („von unermesslichem Leben“, jap. muryōju 無量寿). Amida-butsu bezeichnet also den „Buddha von unermesslichem Licht und Leben“. In der Mahāyāna-Tradition gehört Amitābha/ Amitāyus zu den fünf (transzendenten) Dhyani (Meditations-)Buddhas. Nach E. Conze steht die Genese der Vorstellungen von Amitābha und Amitāyus in Beziehung zu persischer Mythologie: „Amitāyus entsrpricht dem persischen Zurvan Akaranak (‚Unbegrenzte Zeit‘), so wie auch der Kult des Amithāba vieles der persischen Sonnenverehrung verdankt und wahrscheinlich im Kuschan-Reich im Grenzgebiet zwischen Indien und Iran entstanden ist“ (E. Conze 1986, 56). Auch O. Freiberger und C. Kleine bemerken (bei aller berechtigten Reserve gegenüber religionsgeschichtlichen Einflüssen), dass es „doch bemerkenswert“ bleibe, „dass diese beiden Bodhisattvagestalten [sc. Maitreya und Amitābha, d. Verf.] Parallelen bei Gottheiten iranischer Herkunft aufweisen, die in Zoroastrismus und Manichäismus ebenfalls an der Seidenstraße verehrt wurden“ (O. Freiberger / C. Kleine 2011, 102). Amida wird in zahlreichen Mahāyāna-Sūtren erwähnt, u. a. in einunddreißig Sanskritund 290 Chinesischen Texten (DJBT 5; H. Inagaki 2000, 3 und 203, Anm. 3). Den wichtigsten Text bildet das hier vorgestellte im 1. Jh. n. Chr. im Nordwesten Indiens entstandene „Sūtra über den Buddha des unermesslichen Lebens“ (skr. sukhāvatīvyūha; jap. bussetsu-muryōju-kyō 仏説無量寿経). Eine leicht zugängliche Ausgabe dieser Sutren findet sich in Englisch mit ein Einleitung und Anmerkungen aus shin-buddhistischer Perspektive bei H. Inagaki 2000. Eine Zusammenfassung mit Erläuterungen bietet M. Repp 2005. H. Inagaki 2000, 20–26.

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aufgeführt.59 Mit dieser auf Shinrans Lehrer Hōnen zurückgehenden Auswahl60 der drei Sūtren als Grundlagentexte aus dem großen Korpus von Mahāyāna-Sūtren distinguiert sich Jōdo-shinshū, wie die von Hōnen begründete Jōdo-shū, als eigenständige Schulrichtung innerhalb des Mahāyāna. Die Entstehung dieser Texte reicht bis in das erste nachchristliche Jahrhundert im Nordwesten Indiens zurück.61 Die religionsgeschichtlichen Hintergründe der Entstehung dieser Tradition liegen im Dunkel.62 Die Texte weisen sich selbst explizit als Mahāyāna-Sutren aus, wie auch aus zentralen inhaltlichen Aspekten ersichtlich wird (z. B. das Ideal des Bodhisattva und seiner Gelübde, die Übertragbarkeit karmischer Verdienste, sowie die Lehre von der „Leerheit“ u. a.). Das längere Sūtra.63 Das „Sūtra über den Buddha des unermesslichen Lebens“ (skr. sukhāvatī-vyūha; jap. bus-setsu-mu-ryō-ju-kyō 仏説無 量寿経; auch daikyō 大経, längeres Sūtra) entstand ca. im 1. Jh. n. Chr. im Nordwesten Indiens. Den narrativen Rahmen des Sūtra bildet eine Lehrrede Buddhas auf dem Geiergipfel in Rajagriha im Kreis von 12.000 Mönchen und zahlreichen Bodhisattvas, sowie eine Beschreibung, wie der Buddha die höchste Erleuchtung (jap. sai-shō-gaku 最正覚) erlangte. Auf die Bitte von Śakra und Brahmā lehrt der Buddha den dharma mit donnernder Stimme. Es folgt eine Beschreibung der heilvollen Wirksamkeit der Bodhisattvas, die aus Barmherzigkeit durch geschickte Mittel empfindende Wesen zur Befreiung führen.

59 60 61 62

63

Service Book 1986, 5; kyō-bon 2007, 54, s. Anhang 3. M. Repp 2005, 9. Zu den historischen Fragen und der Datierung der einzelnen Texte vgl. M. Repp 2005, 14–17. 24–26. 32–37. H. Inagaki 2000, 12. Es wurden persische, manichäische und christlich-gnostische Einflüsse angenommen (z. B. A. Lloyd, E. Conze. Vorsichtig formulieren O. Freiberger / C. Kleine 2011, 102). Eine Vorstellung von der multikulturellen und multireligiösen Situation in Zentralasien und dem heutigen Afghanistan, wo der Buddhismus seit dem 3. Jh. v. Chr. verbreitet wurde, gibt J.-U. Hartmann (RM 24,1) 2000, 421–436. Eine Begegnung zwischen Nestorianern und Shan-tao (613–681, jap. Zendō), dem fünften Patriarchen von Jōdo-shinshū, wird in der älteren Literatur häufig angenommen (K. Florenz, A. Lloyd, K. L. Reichelt). Shinran erachtet es aufgrund des darin genannten 18. Gelübde von Bodhisattva dharmakāra (dem Urgelübdes Amidas) und seines Namens zur Rettung aller, als das wichtigste Sūtra, das die wahre Lehre verkündet (CWS I, 7 und 13). Shinran sieht im Urgelübde die eigentliche Intention dieses Sūtra, sodass es zu einer exklusiven Konzentration auf Amida und das Urgelübde kommt. Das Motiv bei Shinran ist dabei durchweg soteriologisch bestimmt.

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Auf die Frage Anandas nach dem majestätischen Glanz der Erscheinung Buddhas nennt dieser sein großes Mitleid (mugai no daihi 無蓋の大悲) als Grund für seine Erscheinung in der Welt und beginnt mit einer Lehrrede über den Bodhisattva dharmakāra, dem späteren Amitāyus, und dessen Gelübde. Auf 53 Buddhas, die bereits ins nirvāna eingegangen sind, folgte der Buddha Lokeśvararāja. Als ein König dessen Rede hörte, gab er seinen Thron auf und entschloss sich, höchste Erleuchtung zu erlangen. Er wurde Mönch und nahm den Namen dharmakāra (jap. Hōzō 法蔵) an. Lokeśvararaja zeigt ihm zahlreiche Buddhaländer, die er studierte, um sein eigenes Buddhaland zu errichten. Nach der unbeschreiblich langen Zeit von fünf kalpas, in denen er über seine Gelübde und die zu wählenden Übungen nachdachte, legte er seine 48 Bodhisattva-Gelübde ab (Kap. 7). Diese Gelübde sind alle analog aufgebaut nach dem Schema: „Falls, wenn ich Buddhaschaft erlange … noch / nicht …, will ich höchste Erleuchtung nicht erlangen.“ Von diesen 48 Gelübden hat in der Tradition des Jōdo-Buddhismus insbesondere das 18. Gelübde (bei Hōnen und dann bei Shinran als das entscheidende Urgelübde hon-gan 本願 exklusive soteriologische) Bedeutung erlangt. Aber auch andere, wie z. B. das 11. Gelübde mit der Verheißung, dass die im Land Amidas Geborenen den Status des jōju 定聚 erlangen (d. h. die Zusicherung, von dort aus gewiss das nirvāna zu erreichen), erlangten in der Tradition besonderen Stellenwert. Bei Shinran gewinnen im Zusammenhang mit dem 18. das 19. und 20. Gelübde besondere Bedeutung, da Shinran (seine eigene religiöse Entwicklung generalisierend) eine Entwicklung vom 19. über das 20. zum 18. Gelübde konstatiert.64 Das 19. Gelübde nennt als Bedingung für die Geburt in Amidas Land das Erwecken des Herzens, die Buddhaschaft zu erlangen (bodai-shin 菩提心), das Vollbringen verdienstvoller Werke (ku-doku 功徳) sowie den Wunsch, im Land Amidas geboren zu werden (abgek. yoku-shō 欲生). Wer diese Bedingungen erfüllt, dem werde Amida, umgeben von der großen Versammlung, in der Todesstunde erscheinen. Auf der Basis dieses Gelübdes spielten Erfahrungen in der Todesstunde im weiteren Verlauf der chinesischen und japanischen Jōdo-Tradition eine herausragende Rolle, die zur Ausbildung spezieller Riten am Sterbebett führten.65 Das 20. Gelübde nennt als weitere Konditionen der Geburt die Kontemplation (nen 念) von Amidas Land für diejenigen, die seinen Namen gehört haben, sowie die Übertragung 64 65

Vgl. san-gan-ten-nyū Abschnitt 8.2.1. Vgl. H. Inagaki 2000, 42–46.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

(e-kō 回向) verdienstvoller Werke in Amidas Land mit dem Wunsch, dort geboren zu werden. Nach der Schilderung der 48 Gelübde fährt die Lehrrede Buddhas damit fort, dass Dharmakāra aufgrund der in unermesslichen Zeiträumen erfüllten Gelübde Meriten akkumulierte und schließlich die Buddhaschaft erlangte. Auf eine entsprechende Anfrage Anandas antwortet der Buddha, dass dharmakāra bereits die Buddhaschaft erlangte und als Buddha Amitāyus (unermessliches Licht) bereits seit zehn kalpas im Buddhaland namens „Friede und Freude“ (jap. an-raku 安楽), das 100.000 kotis von Ländern im Westen liege, lebe. In den weiteren Teilen der Sūtra findet sich die Beschreibung, wie Dharmakāra einzelne Gelübde erfüllte, sowie die Aussage, dass alle, die den Namen des Buddha Amitāyus hören und in sein Land geboren zu werden wünschen, aufgrund der Kraft seiner Urgelübde ohne Ausnahme mühelos die Stufe der Nicht-Wiederkehr (engl. stage of non-retrogression, jap. fu-tai-ten 不退転) erlangen. Gegen Ende der Sūtra, die noch zahlreiche Beschreibungen des Buddha-Landes und eine Hymne auf Amitāyus enthält, warnt Gautama Buddha, nach seinem Eingang ins nirvāna Zweifel aufkommen zu lassen, und prophezeit, dass in der Zukunft die buddhistischen Schriften und Lehren (kyō-dō 経道) zugrunde gehen werden. Daher werde er aus Barmherzigkeit diese Sūtra hundert Jahre länger überdauern lassen. Die Lehrrede Buddhas schließt mit der Ermahnung, den Anweisungen dieser Sūtra genau zu folgen. Die narrative Schlussrahmung enthält eine Beschreibung der wunderbaren soteriologischen und kosmologischen Wirkungen der Lehrrede Buddhas und der großen Freude, die sie auslöste. Das Meditations-Sūtra. Vom „Sūtra über die Visualisierung des Buddha des unermesslichen Lebens“ (jap. bus-setsu-kan-mu-ryō-ju-kyō 仏説観無量寿経 (auch kan-kyō 観経; Kontemplations- / MeditationsSūtra) liegt nur eine chinesische Version vor. Ein Sanskrit-Original oder eine tibetische Übersetzung fehlen. Es wird daher vermutet, dass es eventuell erst im 4.–5. Jh. in Zentralasien entstanden sein könnte.66 Den narrativen Rahmen dieser Lehrrede von Gautama Śākyamuni Buddha an Vaidehi und Ananda bildet die Erzählung von König Bimbisara, der von seinem Sohn Ajatashatru fest eingesperrt dem sicheren Tod überlassen wird. Vaidehi, der Frau Bimbisaras, gelingt es jedoch, den König heimlich mit Nahrung zu versorgen. Als Ajatashatru davon 66

IBJ 22002, 539.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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erfährt, will er seine Mutter mit dem Schwert töten. Als es seinen Hofleuten gelingt, ihn von dieser Gräueltat abzuhalten, kerkert er seine Mutter ebenfalls ein, woraufhin diese den Buddha in tiefer Verzweiflung und unter Tränen um Hilfe anruft. Als dieser vor ihr erscheint, bittet sie ihn darum, ihr ein Land ohne Leid und Unreinheit zu zeigen, in dem sie wiedergeboren werden kann. Daraufhin zeigt Buddha ihr unzählige Buddha-Länder. Vaidehi entscheidet sich für das Land höchster Glückseligkeit (skr. sukhā-vatī, jap. goku-raku 極楽) des Amitāyus mit der Bitte, der Buddha möge sie lehren, dieses Land zu visualisieren (jap. shiyui 思惟) und Erwachen zu erlangen (jap. shō-ju 正受). Daraufhin folgt die stereotyp aufgebaute Lehrrede Buddhas, in der insgesamt sechzehn Visualisierungen und dreimal drei Stufen der Wiedergeburt entsprechend der karmischen Verdienste beschrieben werden. Entsprechend der erbrachten Übungen und Visualisierungen wird die Tilgung karmischer Schuld (jap. tsumi 罪) bemessen. Für die Tradition des Reinen-Land-Buddhismus entscheidend ist die unterste Stufe auf der untersten Ebene der Wiedergeburten (jap. gebongeshō 下品下生). Hier handelt es sich um Wesen, die so viel schlechtes karma angesammelt haben, indem sie die schlimmsten buddhistischen Sünden begingen, dass sie zahlreiche Weltzeiten in den drei schlechten Existenzformen (aku-dō 悪道) leiden müssen. Wenn dann ein guter Lehrer (zenchishiki 善知識) kommt, um ihnen den wundervollen dharma (myō-hō 妙法) zu verkündigen und sie zur Kontemplation Buddhas (nembutsu 念仏) anzuleiten, sind sie so unter Qualen, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Darauf sagt der gute Freund (zen-nu 善友): Wenn du dich nicht auf den Buddha (butsu 仏) konzentrieren (nenzuru 念ずる) kannst, dann sage den Namen von Buddha Amitāyus: namu amida butsu 南無阿弥陀仏. Durch die Rezitation des nembutsu wird das schlechte karma von achtzig kotis von kalpas (eine metaphorische Zahl für einen unendlich langen Zeitraum) ausgelöscht und die Geburt in Amidas Land wird ermöglicht, wo die Bodhisattvas Avalokiteshvara und Mahasthamaprapta mit der Stimme großer Barmherzigkeit die Methode zur Auslöschung bösen Karmas durch die Realisation der Soheit aller dharmas lehren (sore ga tame ni hiroku shohōjitsusō tsumi wo jometsu suru no hō wo toku それがために広く諸法実相・罪を除滅す るの法を説く). Mit dieser sechzehnten Kontemplation bei der untersten Geburt auf dem untersten Level und der Einführung des Rezitations-Nembutsu für Menschen, die sich zu tief in karmischer Verstrickung befinden, um zu anderen Übungen als dem Sagen des nembutsu fähig zu sein, endet die Lehrrede Buddhas. Die Rahmenerzählung wird wieder

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

aufgenommen. Buddhas Lehre von Amitayus und seinem Land höchster Glückseligkeit löst Freude bei allen Zuhörern aus. Vaidehi und ihre 500 Begleiterinnen erlangen Einsicht in mu-shō-nin 無生忍 und erwecken bodai-shin 菩提心. Sie erhalten von Buddha die Verheißung in Amidas Land geboren zu werden und dann höchstes Erwachen zu errreichen. Ananda fragt den Buddha nach dem Namen des Sūtra, den Buddha zusammen mit der Ermahnung erläutert. Darauf hin kehrt er durch die Luft zum Geiergipfel zurück. Amida-Sūtra. Das „Sūtra über Amida Buddha“ (skr. sukhāvatī-vyūha, jap. bussetsu-amida-kyō 仏説阿弥陀経, auch shō-kyō 小経, kürzeres Sūtra) ist wie das längere Sūtra wohl ebenfalls im 1. Jh. n. Chr. im Nordwesten Indiens entstanden. Den Rahmen bildet wieder eine Lehrrede Gautama Śākyamuni Buddhas. Sie ist zunächst an Sāriputra gerichtet mit dem Hinweis, dass es im Westen (100.000 kotis von BuddhaLändern entfernt) ein Buddha-Land gebe, das „Höchste Wonne“ (skr. sukhāvatī: jap. goku-raku 極楽) heißt, und in dem ein Buddha namens Amida 阿弥陀 sei. Es folgt eine Beschreibung dieses Landes in den leuchtendsten mythologischen Farben. Durch den Gesang von Vögeln wird sechsmal am Tag und in der Nacht der dharma verkündigt. Jeder, der ihn hört, konzentriert sich achtsam auf Buddha, dharma und sangha (butsu, hō, sō-nenzu 仏、法、僧念ず). Wer in diesem Land geboren wird, verweilt auf der Stufe der Nicht-Wiederkehr, und die meisten erreichen die Buddhaschaft nach nur einem weiteren Leben. Auf die Aussage Sāriputras, dass jeder in diesem Land geboren zu werden wünschen sollte, antwortet der Buddha: „Sāriputra, if a good man or woman who hears of Amida Buddha holds fast to his Name even for one day, two days, three, four, five, six or seven days with a concentrated and undistracted mind, then, at the hour of death, Amida Buddha will appear with a host of holy ones. Consequently, when their life comes to an end, the aspirants’ minds will not fall into confusion and so they will be born immediately in the Land of Utmost Bliss of Amida Buddha.“67

Darauf folgt ein Lobpreis der wunderbaren Tugend und Bewahrung aller Buddhas in den sechs Himmelsrichtungen (Ost, Süd, West, Nord, Nadir und Zenith) und die Würdigung der Leistung Śākyamuni Buddhas, der in dieser Saha-Welt der fünf Verunreinigungen die höchste Erleuchtung erlangt hat. Der Buddha betont, dass er diese Lehrrede um der ganzen Welt willen gegeben hat, dass ihre Annahme im Glau67

H. Inagaki 2000, 356.

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ben jedoch eine schwierige Aufgabe sei (is-sai se-ken no tame ni, kono nan-shin no hō wo toku 一切世間のために、この難信の法を説く).68 Den narrativen Schluss der Lehrrede bildet wieder die Reaktion darauf, die in verehrender Annahme, Freude und Lobpreis besteht. 7.2.1.2 Die Sieben Patriarchen Wie die obige Skizze der Reines-Land-Sūtren zeigt, war die AmidaVerehrung bereits um die Zeitenwende in Nordindien und Zentralasien verbreitet. Ihre Entstehung liegt aber im Einzelnen im historischen Dunkel. Als eigenständige Schulbildung wird der Jōdo-Buddhismus erst in China mit Hui-yuan 慧遠 (334–416) in Zusammenhang gebracht. Hui-yuan gründete 402 die allerdings erst später so genannte „Gesellschaft vom Weißen Lotos“ (chin. bailian-she, jap. byakuren-sha 白蓮社), in der man sich vornehmlich um die Erfahrung des nembutsusamādhi bemühte.69 C. Kleine weist jedoch auf die großen Differenzen zwischen Hui-yuan und der späteren Jōdo-Tradition hin.70 Allgemein gilt T’an-luan als Begründer des Jōdo-Buddhismus in China, der dann von Tao-ch’o und Shan-tao weiterentwickelt wurde.71 Nach Klimkeit wurde „[d]as Aufkommen des ‚Buddhismus des Reinen Landes‘ […] auch durch einheimische taoistische Gedanken angeregt.“72 Shinran selbst hat sich innerhalb der Reines-Land-Tradition verortet, indem er seine Lehre durch die Interpretation der genannten Sūtren und der Werke von sieben von ihm ausgewählten Patriarchen legitimiert.73 Gerade in dieser Auswahl der Vorläufer und deren Interpretation zeigt sich, wie auch bereits in der Auswahl der drei Reines-Land-Sūtren und deren eigenständigen Interpretation, dass dieser Rezeptionsprozess als Ursprungserinnerung im Dienst gegenwärtiger Aneignung und Applikation steht und nicht mit einer objektiven Abbildung der religionshistorischen Entwicklung verwechselt werden darf.74 Daher ist in der Dar68 69 70 71 72 73

74

JSS 128. O. Freiberger / C. Kleine 2011, 121.329–328; OLW 438–439; vgl. auch H. Inagaki 2000, 79–83. C. Kleine 1996, 239. H.-J. Klimkeit 2000, 251; OLW 975–978. H.-J. Klimkeit 2000, 251. Zu den Affinitäten zwischen Taoismus und T’an-luan s. u. Die Aufstellung solcher Traditionslinien ist in allen buddhistischen Schulen üblich. Neben diesen sieben Aszendenten, die Shinran gewählt und die er in seinen Lehrgedichten kōsō wasan 高僧和讃 gewürdigt hat, gibt es zahlreiche weitere Meister des Reinen-Land Buddhismus. Vgl. z. B. die ausführliche Darstellung bei H. Inagaki 2000, 58–188. Im Blick auf Shinrans Konstruktion der Traditionslinie der sieben Patriarchen schreibt V. Zotz zutreffend: „Auch wenn Shinran dieses Bewusstsein für Tradition

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

stellung shin-buddhistischer Überlieferungsgeschichte zwischen den Werken der Patriarchen und deren Aussageintention einerseits und der aneignenden (und z. T. alterierende) Interpretation durch Shinran zu differenzieren. Bei den Sieben Patriarchen (jap. shichisō 七僧) handelt es sich im Einzelnen um folgende Meister, die Shinran in eine Traditionslinie bringt: Nāgārjuna und Vasubandhu (Indien); T’an-luan, Tao-ch’o und Shan-tao (China); Genshin und Hōnen (Japan). Da Nāgārjuna und Vasubandhu bereits kurz im Zusammenhang mit der Entstehung des Mahāyāna erwähnt wurden, genügt es hier, die Aspekte zu benennen, die für Shinrans Rezeption ausschlaggebend sind. Sie finden sich sowohl in seinem „Hymnus des wahren shinjin und des nembutsu“ (shōshin-nembutsu-ge, kurz: shōshin-ge 正信偈) als auch in den „Hymnen der Meister des Reinen Landes (kōsō wasan 高僧和讃) in Gestalt von Lehrgedichten Shinrans in verdichteter Form.75 Nāgārjuna, jap. Ryūju 龍樹 (ca. 2 Jh. n. Chr.), dessen Erscheinen als durch eine Prophetie Śākyamuni-Buddhas angekündigt gilt, verkündete (sen-zetsu 宣説) den unübertroffenen dharma des Mahāyāna und zerstörte die Anschauung von Sein und Nichtsein (u-mu no ken wo saiha sen 有無の見を摧破せん). Er verdeutlichte die Härten der „schwierigen Praxis“ (nan-gyō 難行) und zeigte den „Wasserweg der leichten Praxis“ (sui-dō no i-gyō 水道の易行).76 Wenn jemand Amidas Urgelübde eingedenk wird (oku-nen 憶念), erreicht er spontan (ji-nen 自然) das Stadium der „gewissen Zusicherung“ (hitsu-jō ni hairu 必定に入る)77 und soll, so Nāgārjuna, durch das ständige Rezitieren des nembutsu den Dank für die große Barmherzigkeit des universalen Gelübdes abstatten (tada yoku tsune ni nyorai no mi-na wo shō-shite, dai-hi-gu-zei no on wo hō-zubeshi to ieri ただよくつねに如来の号を称して、大悲弘誓 の恩を報ずべしといへり). Das Mahāyāna und Shinrans Lehre, als deren Promulgator Nāgārjuna gilt, verschmelzen in dieser Perspektive. An diesen kurzen Ausführungen wird deutlich, wie die Inanspruchnahme

75 76

77

zeigte, war er kein Geschichtsschreiber, der die Meister der Vergangenheit aus ihrem jeweiligen Selbstverständnis begreifen wollte. Zwar dienten ihm ihre Lehren auch als Versicherung, daß seine persönliche Erfahrung dem Weg des Buddha entsprach. Doch mehr noch las und verstand er ihre Schriften von der Warte seines eigenen religiösen Erlebens, seiner Vergegenwärtigung des Buddha“ (V. Zotz 1991, 10). Folgende Darstellung nach JSS 204–205. 578–582; CWS I, 71. 361–366. D. h. dass die leichte Praxis „angenehm ist, wie das Segeln zu Wasser“ (Shōshin-ge 1966, 46). Es ist das Bild von Amidas Urgelübde als Schiff, das sicher über den leidevollen Ozean von Geburt und Tod bringt (CWS I, 363), das auch Ōtani Kōshin in seinen religiösen Reden verwendet. Shōshin-ge 1966, 48; CWS I, 71: „stage of the definitely settled“.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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Nāgārjunas auf eine Interpretation im Dienst zentraler Theologumena Shinrans reduziert werden kann, die zwar überlieferungsgeschichtlich an Nāgārjuna anknüpft, nicht aber im Sinn einer modernen historischkritischen Rekonstruktion seiner ursprünglichen Aussageintentionen gelten kann. Wenn diese überlieferungsgeschichtliche Hermeneutik z. B. aus moderner westlicher Perspektive mit einem negativen Werturteil belegt wird (wie oft in der Literatur beobachtet werden kann), so handelt es sich dabei um eine Eintragung heterogener Maßstäbe. Gleiches gilt auch für die übrigen Patriarchen wie für Shinrans Rezeption insgesamt. Indem Shinran Vasubandhu, jap. Seshin 世親 (ca. 4./5. Jh.), der nach der Tradition zusammen mit seinem Bruder Asanga als Begründer der Nur-Bewusstsein-Schule des yogācāra gilt, als zweiten Patriarchen wählt, legitimiert er seine Lehre auch durch die zweite große philosophische Interpretation des Mahāyāna, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass er deren Implikationen alle teilen würde.78 Vielmehr steht auch hier die Intention einer traditionsgeschichtlichen Legitimation im Vordergrund. Das erhellt zum einen daraus, dass Shinran sich vor allem auf den Vasubandhu zugeschriebenen und wirkungsgeschichtlich bedeutsam gewordenen „Diskurs über das Reine Land“ (jap. Jōdo-ron 浄土論)79 bezieht und daraus, dass Vasubandhu in Shinrans Interpretation vorbildhaft seine Zuflucht zu Amida nimmt und zum Verkünder der Soteriologie wird, wie sie Shinran entwickelte: „He discloses the mind that ist single [isshin 一心] so that all beings be saved [do-suru 度する] by Amida’s directing of virtue through the power of the Primal Vow [hongan-riki no ekō ni yorite 本願力の回向に よりて].“80 In seinem Hymnus auf Vasubandhu wird dieser zum Zeugen für das wahre shinjin: „The mind to save all sentient beings is true and real shinjin, which is Amidas benefitting of others.“ „Shinjin is the mind that is single […] This mind is itself Other Power.“81 78

79

80 81

So stützt T. N. Callaway 1957 auf die Tatsache, dass Shinran Vasubandhu als zweiten Patriarchen gewählt hat, seine Interpretation von Jōdo-shinshū im Sinn der NurBewusstsein-Schule insgesamt (vgl. Abschnitt 13.1.3). Im Kontext des Denkens der Nur-Bewusstsein-Schule ist das Reine Land eine reine Gestaltung des Bewusstseins (vgl. V. Zotz 1991, 53). Es wird vermutet, dass es sich bei diesem Werk um die älteste Schrift handelt, die exklusiv der Reines-Land-Praxis gewidmet ist. Die älteste Version ist nur in chinesischer Sprache erhalten (vgl. V. Zotz 1991, 10; Anm. 47). Hōnen zitiert diesen Text im ersten Kapitel seines Hauptwerkes und schätzte ihn so hoch, dass er ihn den drei ausgewählten Reines-Land-Sūtren beiordnete (H. Inagaki 2000, 70). CWS I, 71; JSS 205. CWS I, 365.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

T’an-luan, jap. Donran 曇鸞 (476–542), der erste chinesische Patriarch, verfasste einen Kommentar zu Vasubandhus „Diskurs über das Reine Land“ (Ōjō-ron-chū 往生論註, chin. Wang-shêng-lun-chu), der grundlegende Bedeutung für die weitere Entwicklung des Jōdo-Buddhismus erlangte. Bei der Beschreibung T’an-luans setzt jedoch Shinran sowohl im shōshin-ge als auch im kōsō wasan zunächst nicht mit diesem Kommentar, sondern mit T’an-luans Abkehr vom Taoismus und der konsequenten Hinkehr zum Reines-Land-Buddhismus ein, die in der Verbrennung seiner taoistischen Schriften (sen-gyō 仙経) drastischen Ausdruck findet.82 Diese Reminiszenz ist (obgleich eine sehr verkürzte Darstellung des Sachverhalts83) in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen soll sie die Überlegenheit des von Indien kommenden Jōdo-Buddhismus über den autochthonen chinesischen Taoismus dokumentieren. Zum anderen verweist sie darauf, dass sich eine eigenständige Schule des Reines-Landes im 5. Jh. in Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung von taoistischem Gedankengut vollzog, in dem es zahlreiche Anknüpfungspunkte gab.84 Mit der Übersetzung der Reines-Land-Texte ins Chinesische findet eine überlieferungsgeschichtlich signifikante Transferleistung statt, die mit einer eigenständigen Fortschreibung der Tradition verbunden ist. So wurde der Begriff „Reines Land“ (chin. ching-t’u, jap. jōdō 浄土) erst in China geprägt. Für unseren Zusammenhang ist besonders hervorzuheben, dass sich in diesem Kontext eine Verschiebung vom Meditations-nembutsu, mit dem Ziel samādhi (Versenkung) zu erlangen und so des Buddha ansichtig zu werden (ken-butsu 見仏), hin zum Rezitations-nembutsu vollzieht, die mit dem nur auf chinesisch überlieferten Meditations-Sūtra (s. o.) verbunden ist, auf das sich T’an-luan, der das Rezitations-nembutsu empfiehlt, explizit bezieht.85 Das Sagen des nembutsu 念仏 (称名念仏 shōmyō-nembutsu = Rezitationsnembutsu) stellt die zentrale religiöse Praxis bei Jōdo-shinshū dar. Es handelt sich dabei um das (wiederholte) Rezitieren der Formel namu-amida-butsu 南 無阿弥陀仏. Die Schriftzeichen für namu geben den Lautwert von skr. namas / pali namo wieder, das etwa „geehrt sei …!“ bedeutet und die Zufluchtnahme zu den drei Kostbarkeiten Buddha, Dharma und Sangha einleitet.86 Dieses „Sagen des Namens“ (sc. Amidas) wird auch als shōmyō 称名 bezeichnet. 82 83 84

85 86

CWS I, 72.367; JSS 205. Vgl. H. Inagaki 2000, 83–84. Vgl. V. Zotz 1991, 55–57, sowie H.-J. Klimkeit 2000, 251. Es mag ein Indiz sein, dass sich religionsgeschichtlich gesehen Abgrenzungsbestrebungen mit zunehmender inhaltlicher Nähe intensivieren. H. Inagaki 2000, 86–87. S. MDCB 1999, 141.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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Das Schriftzeichen 念 nen stellt die chinesische Wiedergabe für skr. smrti (pali sati) dar, das mit „Gedächtnis“ oder „Achtsamkeit“87 (engl. mindfulness) wiedergegeben werden kann. samyak smrti (jap. shōnen 正 念) bezeichnet als rechte „unablässige Achtsamkeit“ (M. v. Brück) den siebten Punkt des „Achtfachen Pfades“, der in der weiteren Entwicklung als praktische Übung auf dem Weg zum Erwachen eine bedeutende Funktion einnimmt.88 Das chinesische Schriftzeichen setzt sich aus den beiden Komponenten für „jetzt“ 今 und „Herz/Geist/mind“ 心 zusammen und bezeichnet in Verbindung mit Buddha 仏 das beständige meditierende Vergegenwärtigen Buddhas.89 Im Mahāyāna verband sich diese Achtsamkeits-Praxis mit Amida und seinem Paradies im Westen, wie aus den sukhāvatī-vyūha-Texten ersichtlich ist, wobei ursprünglich nicht die Rezitation des Buddha-Namens, sondern die Meditation und Visualisierung Amidas und seines Reinen Landes gemeint ist90, wodurch für die Hingeburt ins Reine Land notwendige karmische Verdienste erworben werden. Erst mit der Übertragung der Sutrentexte ins Chinesische entsteht die Rezitations-Praxis91, die sich innerhalb der Tradition von Jōdo-shinshū insbesondere mit dem Namen des 4. Patriarchen Tao-ch’o (542–645) verbindet, der das nembutsu täglich siebzigtausendmal rezitiert und in diesem Zusammenhang den Rosenkranz (jap. nenju 念珠) eingeführt haben soll. Seither kann zwischen einer Meditations- und Rezitations-Praxis unterschieden werden.92 Innerhalb des verschiedenen Schulen des Mahāyāna, einschließlich der Tendai, aus der auch Hōnen und Shinran ursprünglich stammen, war die nembutsu-Praxis verbreitet. Die Diskussion bezog sich auf die Anzahl der zu erbringenden Rezitationen, sowie schließlich auf die Exklusivität der nembutsu-Praxis mit der sich unter Hōnen der Reines-Land-Buddhismus als eigenständige Schule (Jōdo-shū) etablierte. Bei alledem galt das nembutsu jedoch als zu erbringendes verdienstliches Werk als Bedingung für die Hingeburt ins Reine Land.

T’an-luan hat aber darüber hinaus grundlegende Bedeutung durch seine Lehre von jiriki 自力 (der Eigenen Kraft) und tariki 他力 (der Anderen Kraft). Dieser für Jōdo-shinshū zum Zentralbegriff gewordene Terminus der „Anderen Kraft“ wurde erstmals von T’an-luan verwen87 88 89

90 91

92

M. v. Brück 2007, 543. Vgl. IBJ 22002, 809–810. Vgl. DJBD 52003, 225; IBJ 22002, 809–810. Dieses Achtsamkeitspraxis bezieht sich ursprünglich nicht nur auf den Buddha als Meditationsobjekt, sondern auf insgesamt sechs bzw. zehn Objekte (Buddha, dharma, Sangha, Gebote, Geben, Götterwesen; zusätzlich: Frieden des nirvāna, Atmung, Körper und Tod), vgl. H. Inagaki 2000, 204 Anm.  13. Ekū kann in seinem Werk kozō-shinan-shū nenji (念死) und nenbutsu (念仏) als „die beiden Beine einer Predigt“ bezeichnen (I, 27). Für einen Überblick über die Entwicklung des Verständnisses von nembutsu vgl. C. Kleine 1996. C. Wilhelm 1996, 112. Das Rezitations-nembutsu begegnet im jüngeren Meditations-Sūtra (H. Inagaki 2000, 348; JSS 115), für das keine Vorlagen in Sanskrit bekannt sind. V. Zotz 1991, 76.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

det93 und korrespondiert mit Nāgārjunas Unterscheidung von schwieriger und leichter Praxis. Eine weitere grundlegende Distinktion, die Shinran übernahm, betrifft die Doppelperspektive des dharma-kāya (dharma-Körper) als dharma-Körper der dharma-Natur (skr. dharmatā-dharma-kāya; jap. hosshō-hosshin 法性法身) und dharma-Körper der geschickten Mittel (skr. upāya-dharma-kāya; jap. hōben-hosshin 方便法身).94 Diese Unterscheidung resultiert aus T’an-luans Interpretation des Reinen Landes, die eine wesentliche Akzentverschiebung darstellt.95 Es ist nicht mehr im Gegensatz zum Leiden (skr. dukha) das Land der Glückseligkeit (skr. sukhā-vatī), sondern der „Fülleaspekt der Leerheit“.96 Da das Reine Land als mit der höchsten Wirklichkeit identisch (d. h. außerhalb des Kausalnexus, nicht dem samsāra unterworfen) gedeutet wird, kann „Geburt“ im Reinen Land nur bedeuten, dass es sich um eine „geburtlose Geburt“ handelt.97 Obwohl das Reine Land als höchste Wirklichkeit „leer“ / „formlos“ ist, bringt es sich spontan selbst zum Ausdruck und imponiert sich sozusagen selbst dem Menschen. „Nicht der Mensch strebt ins Reine Land, sondern die höchste Wirklichkeit drückt sich dem Menschen verständlich in Gestalt des Reinen Landes aus und lädt ihn ein.“98 Hier erhält die letzte Wirklichkeit eine in sich aktive und geradezu selbstoffenbarende Qualität. Durch Verzicht auf die Eigene Kraft jiriki setzt sich die Andere Kraft tariki spontan durch. „Gibt der Strebende die Illusion persönlicher Fähigkeit zur Befreiung auf und läßt damit von der eigenen Kraft ab, wird er automatisch von der anderen Kraft des Buddha als letzter Wahrheit getragen und befreit.“99 Die Affinität zur taoistischen Vorstellung von der Selbstwirksamkeit des Tao und der dieser angemessenen Haltung des „Nicht-Tun“ seitens des Menschen, wie wir es grundlegend im Tao-Te-Ching finden, ist kaum übersehbar.100 93 94

95 96 97 98 99 100

H. Inagaki 2000, 89. H. Inagaki 2000, 89. Das Zitat, das Inagaki zur Erläuterung anführt, lässt sofort die Formulierungen des christologischen Dogmas von Chalcedon assozieren: „These two dharma-bodies are different but inseparable; they are one but not the same.“ Ebd. Vgl. dazu ausführlich den Abschnitt über die „geschickten Mittel“ bei Jōdo-shinshū 9.3. Zugleich nimmt dies Interpretation eine zwischen mādhyamika und yogācāra vermittelnde Position ein (vgl. H. Inagaki 2000, 84; H. Rolle 2003, 43. V. Zotz 1991, 70; 1996, 139; H. Rolle 2003, 43. H. Inagaki 2000, 85. V. Zotz 1991, 70. V. Zotz 1996, 194. So konstatiert V. Zotz, dass T’an-luan die indische Reines-Land-Tradition im Sinne der taoistischen Lehre vom Nicht-Tun (wu-wei) interpretiert habe (V. Zotz 1996, 194). Diese Vermutung dürfte wohl nicht leicht von der Hand zu weisen sein.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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Tao-ch’o, jap. Dōshaku 道綽 (562–645), wandte sich durch die Lektüre eines Textes von T’an-luan dem Jōdo-Buddhismus zu. In seiner Sammlung von Textpassagen über „Friede und Freude“ (chin. An-le-chi, jap. An-raku-shū 安楽集), einem Kommentar zum Meditations-Sūtra, unterscheidet Tao-ch’o zwischen dem „Tor des Heiligkeits-Weges“ shōdō-mon 聖道門 und dem „Tor des Reinen Landes“ jō-do-mon 浄土門. Da gegenwärtig die Endzeit des dharma (jap. mappō 末法) angebrochen sei, ist der Weg der Heiligkeit als Erlösungsweg durch eigene Kraft nicht mehr möglich. Es bleibt nur der Weg des Reinen Landes.101 Der Gedanke, dass mit dem Eingehen Gautama Śākyamuni Buddhas ins nirvāna – und dem damit verbundenen Verlust der Unmittelbarkeit zur Stifterpersönlichkeit102 – ein Prozess der Entfremdung und damit die Gefahr des Verlustes des rechten dharma (jap. shō-bō 正法) eingesetzt hat, findet sich bereits im indischen Buddhismus im 3. Jh. v. Chr. und in zahlreichen Sūtren.103 Die Ausbildung dieses Gedankens zu einem dreistufigen Geschichtsbild findet sich allerdings erst im chinesischen Jōdo-Buddhismus des 6. Jh. v. a. bei Tao-ch’o. Der Geschichtsverlauf ist in drei Zeitabschnitte (jap. san-ji 三時) gegliedert: 1. shō-bō 正法 (das Zeitalter des rechten dharma), 2. zō-hō 像法 (dem Zeitalter des nachgeahmten dharma); und schließlich 3. mappō 末法, der Endzeit des dharma. Dabei gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Dauer der jeweiligen Phasen. In Tao-ch’os An-raku-shū heißt es: „Es wird auch in Daishūkyō gesagt, daß in der Mappō-Zeit mehrere 10 Millionen Menschen zwar den Willen zur Tat haben und danach streben werden, daß aber keiner dies vollenden wird. Jetzt herrscht Mappō, die von den fünf Unreinheiten geprägte böse Welt. Es gibt nur Jōdo als das einzige Tor, durch das hineingegangen werden soll (42), denn es wird gesagt, daß die Zeit in der die Lehre Śākyamunis (Gautama Buddhas) verbreitet sein wird, in drei Phasen geteilt ist, nämlich in Shōbo 500 Jahre, in Zōhō 1000 Jahre und in Mappō 10.000 Jahre. In Mappō wird sich die Zahl der Menschen verringern; jede Lehre wird verschwinden. Aber Nyorai (Gautama Buddha) erbarmte sich der durch den Einfluss der Zeit von brennenden Schmerzen verzehrten Menschen und ließ dieses Sūtra (das 101 102

103

C. Langer-Kaneko 1986, 10; V. Zotz 1991, 73–76; H. Inagaki 2000, 91; H. Rolle 2003, 45–46. Unter Bezug auf Arbeiten von Matsubara Yuzen betont S. Hara, dass die Lehre im Buddhismus „von der Persönlichkeit des Lehrers“ abhängig ist (S. Hara 1981, 148). D. h., dass die Entwicklung des geschichtsphilosophischen Konzeptes von mappō auch im Buddhismus seine Ursache im so genannten „floating gap“ (Jan Assmann) hat. Vgl. dazu J. Lauster 2005, 41–43. Einen detaillierten Überblick über die Entwicklung des mappō-Gedankens bietet Hara Shuko 1981, 145–206; hier: 148.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

große Sūtra) für die Welt nach Mappō überdauern, dieses Überdauern wird 100 Jahre währen (43).“104

Tao-ch’o trägt mit dem Konzept des mappō 末法 einen geschichtsphilosophischen Entwurf in den Jōdo-Buddhismus ein, der konstitutiv für die weitere Entwicklung und insbesondere für die Ausprägung der Lehrgestalt bei Hōnen und Shinran geworden ist. Es handelt sich um die Vorstellung eines auf den dharma als Referenzgröße bezogenen determinierten Geschichtsverlaufs, der in einer zunehmenden Verschlechterung der Bedingungen für das Verstehen und Praktizieren des dharma und damit der Möglichkeit, die Buddhaschaft zu erlangen, besteht. Diese zunehmende Degeneration in determinierten Zeitabschnitten, an deren Ende sich der gegenwärtige Autor sieht, ist eine typisches Charakteristikum der Apokalyptik, die bereits in Indien bekannt ist (vgl. das gegenwärtige Kali-Yuga, das dunkle Zeitalter). Taoch’o sah sich selbst im vierten Zeitabschnitt, in dem Erlösung nur noch durch die Rezitation des Namens erlangt werden könne.105 Shinran hat in seinen Hymnen über die dharma-Zeitalter shō-zō-matsu-wasan 正 像末和讃 anhand dieser Degenerationstheorie eine kritische Analyse der Religion und Gesellschaft seiner Zeit vorgenommen, in deren Kontext Shinrans Anthropologie und Soteriologie verortet ist. Shan-tao jap. Zendō 善導 (613–681) ist direkter Schüler von Tao-ch’o, durch den er in die Lehre vom Reinen Land eingeführt wurde. Er praktizierte Meditations- und Visualisierungsmethoden gemäß dem MeditationsSūtra, zu dem er einen vierbändigen Kommentar verfasste (chin. kuan-wu-liang-shou-ching-su, jap. kanmuryōjukyō shijō shō, kurz: kangyō-gi). Daneben erkannte er jedoch in seiner Exegese von Amidas Gelübde dem Rezitations-nembutsu volle Suffizienz als causa für die Geburt im Reinen Land zu. Der shin-buddhistische Autor H. Inagaki sieht diese Einsicht Shan-taos in dessen samādhi, das er durch seine Meditation Amidas erlangte, begründet.106 Die Ansicht, dass Shan-tao 104

105 106

Zitiert nach S. Hara 1981, 153. Nach H. Inagaki führte Tao-ch’o den mappōGedanken auf der Grundlage des „Sūtra der großen Sammlung“ (Dai-shū-kyō 大 集経) ein. Nach dem „Sūtra der großen Sammlung“ gliedert sich dieser Geschichtsverlauf in fünf mal 500 Jahre dauernde Perioden gerechnet von dem Tod Gautamas. Diese Perioden sind durch folgende Haltungen der Praktizierenden charakterisiert: 1. Konzentration auf Befreiung (sc. aus dem samsāra); 2. Konzentration auf Meditation; 3. Konzentration auf das Hören der buddhistischen Lehre; 4. Konzentration auf das Errichten von Tempeln; 5. Konzentration auf Lehrstreitigkeiten (H. Inagaki 2000, 213 Anm. 129). H. Inagaki 2000, 91. H. Inagaki 2000, 108.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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das Rezitations-nembutsu jedoch bevorzugte, stellt möglicherweise eine rezeptionsgeschichtliche Projektion dar.107 Allerdings findet sich bei ihm eine exklusive Fokussierung der religiösen Praxis auf Amida. Nach C. Langer-Kaneko „… akzeptierte [er] nur die Praktiken, die allein zur Verehrung Amidas waren und lehnte alle anderen ab.“108 Auf der Basis des von T’an-luan ausgearbeiteten mappō-Konzeptes kommt es bei Shan-tao in anthropologischer Hinsicht zu einer Vertiefung des Bewusstseins der moralisch-religiösen Insuffizienz des Menschen im Blick auf die Heilsverwirklichung. Das wird durch sein berühmtes Gleichnis von den „zwei Strömen und dem weißen Pfad“ (jap. ni-ga-byaku-dō 二河百道) illustriert, das traditions- und motivgeschichtlich an die Metapher des Überquerens eines Flusses als Weg vom samsāra ins nirvāna anknüpft. Ein einsamer Wanderer kommt an die Stelle, wo ihm der weitere Weg durch zwei Flüsse versperrt ist. Nach Norden fließt ein eisiger und nach Süden ein feuriger Strom (eine Metapher für Gier und Hass), zwischen denen nur ein schmaler weißer Pfad führt, den zu überqueren jedoch zu gefahrvoll scheint. Hinter ihm nähern sich aus östlicher Richtung Räuber und wilde Tiere. Eine ausweglose Situation. Doch ermutigt durch eine Stimme hinter ihm (Buddha) und eine Stimme vom jenseitigen westlichen Ufer (Amitābha), die ihm Zuversicht geben, geht er (trotz warnender Stimmen der Räuber) den schmalen Pfad und gelangt sicher auf die rettende Seite (das Reine Land im Westen). Die Ermöglichung der Errettung besteht nach Shan-tao in der Kraft des Urgelübdes. Sie eröffnet sich aber erst in dem Moment, wenn der Mensch seiner ausweglosen Situation und Verlorenheit gewahr wird.109 Inagaki schreibt: „The white path symbolizes the possibility of awakening faith in a mind full of evil passions.“110 Die Koinzidenz der Einsicht in die Tiefe und Ausweglosigkeit der eigenen Sündhaftigkeit und der Erfahrung von shinjin, die hier zum Ausdruck kommt, bildet (wie noch zu zeigen ist) ein konstitutives Element shinbuddhistischer religiöser Erfahrung. Da Shan-tao mit diesem Gleichnis die „Drei Herzen/three minds“ (jap. san-shin 三心) illustriert, die für die Analyse des Glaubens grundlegend sind, kommt ihm in der ShinTradition besondere Bedeutung zu. Shinran interpretiert dieses Gleichnis im Kapitel über shinjin in seinem Hauptwerk Kyō-gyō-shin-shō.111 107 108 109 110 111

Vgl. C. Wilhelm 1996, 37; gegen C. Langer-Kaneko 1986, 11. C. Langer-Kaneko 1986, 11. CWS II, 216; H. Inagaki 2000, 114; V. Zotz 1991, 83–85 (dort auch eine deutsche Übersetzung des Gleichnisses). H. Inagaki 2000, 114. CWS I, 89–91; JSS 223–227.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Genshin 源信 (942–1017) ist der erste japanische Patriarch und gilt als Systematiker der Amida-Lehre innerhalb des Tendai, der den Weg für die Praxis des rezitativen nembutsu breiteren Bevölkerungsschichten erschloss. In Shinrans Hymnus auf Genshin heißt es: „Our teacher Genshin earnestly set forth / From among all the teachings of the Buddha’s lifetime, / The single gateway of the nembutsu [jap. nembutsuichimon 念仏一門), / And spread it among the beings of this defiled world in the latter age.“112 Zwar betont Genshin in seiner Schrift ōjō-yōshū 往生要集, einer Sammlung wesentlicher Textstellen bezüglich der Geburt im Reinen Land, die Bedeutung des Meditiations-nembutsu mit der Visualisierung Amidas Gestalt und des Reinen Landes, konzediert jedoch die bloße Rezitationspraxis als akkommodierten Heilsweg für Praktizierende mit geringeren Möglichkeiten und trägt so wesentlich zu einer Popularisierung der nembutsu-Praxis bei.113 Hōnen 法然 (1133–1212)114 war zunächst für zwölf Jahre Tendai-Mönch auf dem Berg Hiei, wo er unter Genkō und Kōen studierte. Später zog er sich nach Kurodani im westlichen Teil des Hiei zurück, wo er sich dem Studium des gesamten buddhistischen Kanons widmete. Dabei las er auch im Jahr 1175 Genshins ōjō-yō-shū, dem Jahr, das als Gründungsdatum der Jōdo-shū gilt. Hōnen gelangte wohl durch die Lektüre einer Passage von Shan-tao, die er in dem genannten Werk Genshins fand, zu der Überzeugung der soteriologischen Suffizienz des Rezitations-nembutsu.115 In der Endzeit des dharma, map-pō 末法, bestehe für die große Mehrzahl der Menschen keine Möglichkeit der Erlösung durch den Weg der schwierigen Praxis (nan-gyō 難行の道) des Tendai, Shingon oder Kegon, die Hōnen unter Aufnahme dieser Unterschei112 113 114

115

CWS I, 384; JSS 594. C. Langer-Kaneko 1986, 11; C. Wilhelm 1996, 41; H. Rolle 2003, 48–49. Zu Hōnen liegen die beiden umfassende Monographien von C. Kleine (Hōnens Buddhismus des Reinen Landes: Reform, Reformation oder Häresie?, 1996) und M. Repp (Hōnens religiöses Denken: Eine Untersuchung zu Strukturen religiöser Erneuerung, 2005) vor. Beide Arbeiten bieten unter je spezifischer Fragestellung eine ideengeschichtliche Verortung Hōnens im Kontext der japanischen Religionsgeschichte, einen Überblick über die Genese des Reinen-Land-Buddhismus und eine Darstellung von Lehre und Leben dieser bedeutenden Gestalt des Japanischen Buddhismus. Einen kurzen religionsgeschichtlichen Überblick über die Jōdo-shū bis in die Gegenwart bieten K. Kasahara 2001, 169–190. 357–369. 591–592 und Japanese Religion 1981, 198. 251–252. H. Inagaki 2000, 174; K. Kasahara 2001, 170; M. Repp 2005, 490. Eine kritische Diskussion der (im wesentlichen vier) unterschiedlichen Versionen über den Auslöser von Hōnens „Bekehrungserlebnis“ findet sich bei C. Kleine 1996, 86–88.

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dung von Tao-ch’o als das „Tor des Heiligkeits-Weges“ shō-dō-mon 聖道門 im Gegensatz zum „Tor des Reinen Landes“ jō-do-mon 浄土門 bezeichnet. Im Anschluss an Shan-tao lehrt Hōnen, dass es im Blick auf die Erlösung keinen Unterschied zwischen Klerus und Laien, Männern und Frauen, Armen und Reichen gibt, sondern dass die Barmherzigkeit Amidas allen zugewandt ist und die Geburt im Reinen Land ausschließlich durch die Rezitation des nembutsu erlangt wird. Das ist die „Praxis des leichten Weges“ i-gyō no michi 易行の道. Hōnen ließ sich in Yoshimizu (der Stelle in Kyōto, wo heute der Chion-in, der Haupttempel der Jōdo-shū steht) nieder, wo er durch seine Botschaft in der Zeit des sich durch Bürgerkrieg ankündigenden Kamakura-Shogunats großen Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten und Landesteilen hatte. 1198 verfasste er auf Verlangen von Fujiwara Kanezane sein Hauptwerk sen-chaku-hon-gan-nem-butsu-shū 選擇 本願念佛集 (kurz: sen-chaku-shū) „Sammlung [von Texten] zur Wahl des Urgelübdes des Nembutsu“116. Motiviert von der Frage nach dem Ermöglichungsgrund und der Vergewisserung einer vom Leiden befreienden Hingeburt ins Reine Land, hatte Hōnen die Antwort in der exklusiven Praxis des (Rezitations-) nembutsu gefunden. Die exklusive soteriologische Bedeutung des 18. Gelübdes begründet Hōnen mit dem Gedanken der „Wahl“ sen-chaku 選擇 durch Amida117, das damit zum Ur-, bzw. Grund-Gelübde hon-gan 本願 wird, in dem das nembutsu 念仏, gedeutet als Rezitations-nembutsu, zum exklusiven Heilsweg für die „Endzeit des dharma“ mappō 末法 erklärt wird. Wie M. Repp herausgearbeitet hat, ergeben sich damit drei Stufen in der Entwicklung von Hōnens Lehre: die Vergewisserungs-Frage als Ausgangsmotiv, die exklusive Praxis des nembutsu als Antwort und schließlich die Begründung dieser Antwort mit dem Begriff der „Wahl“.118 Wohl aufgrund der großen Volkstümlichkeit Hōnens und seiner Lehre, die zunehmend an Einfluss gewann, entstand ihm eine gefährliche Gegnerschaft unter dem etablierten Klerus.119 So erwirkten im Jahr 1207 Mönche des Kōfukuji-Tempels mit einer Anklageschrift beim Kaiserhof die Verbannung Hōnens nach Tosa auf die Insel Shikoku sowie die Hinrichtung und Verbannung einiger seiner Schüler. 116

117 118 119

M. Repp 2005, [313]. M. Repp bietet einen Abriss von Hōnens Hauptwerk, in dem er die Hauptgedanken klar herausarbeitet und wichtige Textstellen übersetzt und ausführlich kommentiert (ebd. [313]–495). Eine englische Übersetzung mit Einleitung und Glossar stammt von dem Senchakushū English Translation Projekt 1998. M. Repp 2005, 490. M. Repp 2005, 490. H. Inagaki 2000, 175.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Die Verbannten (darunter auch Shinran) werden laisiert und erhalten bürgerliche Namen. 1211 wurde die Verbannung aufgehoben. Hōnen kehrte daraufhin nach Kyōto zurück, wo er ein Jahr später starb. Zusammenfassend lässt sich bei diesem Durchgang für die Genese der Reines-Land-Tradition bis Shinran festhalten, dass es sich bei den überlieferungsgeschichtlichen Transformationsprozessen im Wesentlichen um eine fortschreitende Konzentration und Reduktion der in den Basistexten angelegten Interpretationsmöglichkeiten handelt, die im Dienst einer je gegenwartsbezogenen (und seit Shan-tao explizit geschichtsphilosophisch begründeten) Soteriologie stehen. Am vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung steht die Konzentration auf das achtzehnte Gelübde als dem Urgelübde und die exklusive Praxis des rezitativen nembutsu als Bedingung für die Hingeburt ins Reine Land. Aber erst bei Shinran findet sich, wie zu zeigen ist, im Vergleich mit der Tradition eine wesentliche qualitative Veränderung der Soteriologie, indem er jeden Synergismus ausschließt. Das Sagen des nembutsu gilt nicht mehr als Bedingung für die Hingeburt, sondern als Ausdruck der Dankbarkeit für den Empfang desselben. Entsprechend findet eine Transformation des Glaubensbegriffes statt.

7.2.2 Shinran im religiösen Kontext seiner Zeit Jōdo-shinshū, als deren Begründer Shinran Shōnin 親鸞聖人 (1173– 1262) entgegen seiner ursprünglichen Absicht120 gilt, ist innerhalb der mahāyānischen Tradition des Reinen-Land-Buddhismus verortet und zählt im Kontext der Religionsgeschichte Japans zu den Erneuerungsbewegungen während der Kamakura-Zeit (1185–1336).121 Neben Jōdoshinshū zählen dazu die Schule des Reinen Landes Jōdo-shū 浄土宗, 1175 begründet durch Shinrans Lehrer Hōnen 法然 (1133–1212), der Zen-Buddhismus der Rinzai-Schule 臨済宗 (Eisai 栄西 1141–1215) und 120

121

Jodo Shinshu – A Guide 2002, 29. Shinran betonte, dass er nichts anderes als sein Lehrer Hōnen lehre (wohl aus Gründen der Legitimation der eigen Lehre, da er dessen Anschauungen in zentralen Punkten grundlegend neuinterpretierte). Als eigenständige religiöse Organisation etablierte sich Jōdo-shinshū als Honganji-ha erst unter seinem Urgroßenkel Kakunyō (1270–1351). Vgl. zum sog. „Kamakura-Buddhismus“ K. Kazahara 2001, 157–162; M. v. Brück 2007, 380–408. M. v. Brück spricht von „Reform-Buddhismus“; aus shin-buddhistischer Perspektive beschreibt T. Ashizu, der in den Schulen des Kamakura-Buddhismus „sozusagen die Sturm- und Drang-Epoche des japanischen Buddhismus“ sieht, die „Erneuerung des Buddhismus von innen heraus“ und den „Kampf gegen den veraltet gewordenen Glauben“ als die beiden Stoßrichtungen dieser neuen Schulen (T. Ashizu 1989, 7).

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der Sōtō-Schule 曹洞宗 (Dōgen 道元 1200–1253), sowie die sich auf das Lotus-Sūtra (jap. renge-kyō 蓮華経) konzentrierende Nichiren-Schule 日蓮宗 (auch Hokke-shū 法華宗) von Nichiren (1222–1282). Diese fünf genannten Gründergestalten der Kamakura-Schulen gehörten ursprünglich alle der Tendai-shū 天台宗 an und hatten auf dem Berg Hiei bei Kyōto im Enryaku-ji studiert. Als weitere Gestalt muss auch Ippen 一遍 (1239–1289), der Grüner der Ji-shū 時宗 hinzugerechnet werden, der wie Hōnen und Shinran eine exklusive nembutsu-Praxis verkündigte. Augenscheinliche Gemeinsamkeiten dieser drei Richtungen, die sich etwa zur selben Zeit entwickelten, führten in der buddhistischen Historiographie zu einer Epochenbildung.122 Da diese „Gemeinsamkeiten“ jedoch im Einzelnen einer kritischen und differenzierten Bewertung zu unterziehen sind, hat C. Kleine zurecht auf den simplifizierenden Charakter dieser religionsgeschichtlichen Konstruktion aufmerksam gemacht, die u. a. den Einfluss der Hijiri-Bewegung123 auf die Entstehung der Kamakura-Schulen unterschlägt.124 Als Charakteristika werden in der Literatur genannt: das Auswahlprinzip (senchaku 選擇) und die damit verbundene Konzentration auf eine einzige (senju 專修), einfache Praxis (igyō 易行)125, sowie die daraus resultierende Volkstümlichkeit (minshū-sei 民衆性) und Rezeption durch breite Bevölkerungsschichten. Als zusätzliches Kennzeichen wird (wohl nicht ohne polemischem Unterton aus sektengeschichtlicher Perspektive) auch noch ein gewisser „Antinomismus“ (han-kairitsu 反戒律) genannt. Die Betonung dieser eher formalen Ähnlichkeiten überdeckt jedoch die emischen Basisunterscheidungen und z. T. beträchtlichen Differenzen in Lehre und Frömmigkeit, die zwischen den Einzelnen Schulen bestehen. Dennoch kann festgehalten werden, dass die Entstehung von Jōdoshinshū (sowie die von Hōnen126 begründete Jōdo-shū) im Kontext der Bemühung um einen für alle Menschen möglichen Heilsweg an122

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Vgl. K. Kazahara 2001, 157–162, der „choice, exclusive practice, and easy practice“ als Charakteristika des Kamakura-Buddhismus benennt, der ein Buddhismus für das gewöhnliche Volk „common people“ ist. Hijiri 聖 sind als heilig geltende buddhistische Eremiten. Eine deutsche Übersetzung von Texten der Hijiri-Mönche mit einem spirituellen Kommentar versehen liegt von G. M. Martin: vor „Buddhismus krass, Botschaften der japanischen HijiriMönche“, München 2010. C. Kleine 1996, 15–23. D. h., das Sagen des nembutsu 念仏, die (Sitz-)Meditation (za-)zen 座禅, oder das chanten des Mantras namu-myō-hō-renge-kyō 南無妙法蓮華経. „Mit Nachdruck vertrat Honen einen Buddhismus für jedermann und wählte bewusst die geringste Anforderung die er in den Sūtras fand, als für die Erlösung notwendig“ (V. Zotz 1991, 107).

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gesichts der Endzeit des dharma, mappō 末法, stehen. Dieses Bemühen um einen einfachen und für alle praktikablen Heilsweg verbindet Jōdo-shinshū mit den übrigen Schulen des japanischen Buddhismus zur Kamakura-Zeit. Die Ausbreitung dieser Kamakura-Schulen führte nicht nur zu Konflikten mit dem etablierten Buddhismus und seinen mächtigen Institutionen, sondern auch zu einer gewissen Konkurrenz-Situation unter diesen Schulen, in deren Kontext nicht zuletzt die Verkündigungspraxis eine wichtige Rolle einnahm.127

7.2.2.1 Shinrans Leben und religiöse Entwicklung128 Als die älteste und wichtigste Hagiographie129 Shinrans gilt das Godenshō 御伝鈔 (auch: godenne 御伝絵), die um 1305 von Kakunyō 覚如 (1270–1351), dem dritten hosshu 法主 (religiöses Oberhaupt) des Honganji und Shinrans Urgroßenkel, verfasst wurde.130 Sie bildet–trotz mancher Fragen im Blick auf die historische Zuverlässigkeit im Einzelnen–die wichtigste Quelle zu seinem Leben. Darüber hinaus ist sie jedoch vor allem in religiöser Hinsicht bedeutsam, da sie durch ihre rituelle Verlesung zum jährlichen Hauptfest von Honganji, dem Todestag Shinrans, eine zentrale Form der Vermittlung religiöser Erfahrung 127 128

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Vgl. die Studie von E. E. Harrison 1992, in der sie diesen Sachverhalt insbesondere für die Tokugawa-Ära (1600–1868) in überzeugender Weise herausarbeitet (s. 10.2). Zur Biographie Shinrans vgl. A. Bloom 1968/1999, 1–63; Y. Ueda / D. Hirota 1989, 20–42; J. C. Dobbins 1989, 21–46; V. Zotz 1991, 89–111; C. Wilhelm 1996, 60–75; Jodo Shinshu – A Guide 2002, 29–62; C. Kleine 2004, 1283. Im Anschluss an C. Kleine 1996 und M. Repp 2005 ziehe ich hier den Begriff der Hagiographie, die ein eindeutiges religiöses Interesse verfolgt, der Bezeichnung „Biographie“ vor. Der Text ist in den Kanon von Jōdo-shinshū aufgenommen. Im Folgenden zitiere ich nach JSS 1043–1061. Die feierliche Verlesung des Godenshō, sowie religiöse Reden (hōwa) zu diesem Text, gehören traditionell zu den Veranstaltungen aus Anlass des Todestages Shinrans (hoonkō 報恩講), die sich über sieben Tage erstrecken. Die Besonderheit des Godenshō ist seine Verbindung mit der ikonographischen Darstellung der Biographie Shinrans auf zwei Rollbildern mit insgesamt vier Bahnen und 15 Absätzen, in welchen die Biographie szenisch dargestellt ist (abgekürzt shinran denne 親鸞伝絵 genannt). Die an traditionelle Erzähltechniken anknüpfende Verkündigung der Biographie Shinrans anhand dieser Rollbilder heißt etoki 絵解き. 2006 veröffentlichte Sakado Hiromu zwei DVDs mit Begleitbuch, auf denen er die traditionelle Vortragsweise dokumentiert. Eine Übersetzung des Godenshō ins Englische besorgten Gesshō Sasaki und Daisetz Teitarō Suzuki im Jahr 1911, jetzt abgedruckt in D. T. Suzuki 1973, [169]–182. Da es sich hier um eine in weiten Teilen sehr freie Übersetzung mit der Tendenz zur Paraphrase handelt, ist sie für wissenschaftliche Untersuchungen nur bedingt heranzuziehen.

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darstellt.131 Hier konzentriert sich in besonderer Weise das „kulturelle Gedächtnis“ (Jan Assmann) von Jōdo-shinshū, dessen religiöse und Identität stiftende Kraft kaum hoch genug geschätzt werden kann, wie auch die Analyse einiger Predigten zeigen wird. Im Jahr 1921 wurden die Briefe von Shinrans Frau Eshinni 恵信 尼 entdeckt132, die letzte Zweifel an der Historizität Shinrans, die zuweilen vorgebracht wurden, ausräumten133 und wesentliche Aspekte zu seiner Biographie beitragen. Zudem finden sich in Shinrans eigenen Schriften gelegentlich autobiographische Bemerkungen. Wenn auch zahlreiche Aspekte der Biographie Shinrans historisch ungeklärt bleiben, so ergibt sich doch ein genügend klares Bild. Die historische und religiöse Bedeutung Shinrans als Gründer-Gestalt (shū-so 宗祖) und die Autorität seiner Schriften für Jōdo-shinshū stehen außer Frage. Shinrans Lebensweg lässt sich in fünf Abschnitte einteilen: seine frühe Kindheit, die Zeit als Tendai-Mönch auf dem Berg Hiei, seine Hinwendung zur Lehre Hōnens, die Zeit des Exils und der Wirksamkeit in Echigo und der Kantō-Region sowie die letzten Lebensjahre in Kyōto. Die drei mittleren Lebensphasen unterschied Shinran bereits selbst aufgrund seiner religiösen Entwicklung und deutete sie anhand der drei Gelübde (19, 20 und 18) Dharmakāras im Längeren Amida-Sūtra. Hier finden wir bei Shinran eine reflektierte biographische Selbstdeutung, in der er das von der Tradition vorgegebene Material anhand seiner eigenen religiösen Entwicklung neu interpretiert und so Elemente seiner Biographie und der Tradition in einem hermeneutischen Prozess neu bestimmt (vgl. die Ausführungen zum sog. san-gan-ten-nyū). Kindheit. Shinran wurde gegen Ende der Heian-Zeit 平安時代 (794– 1185) in einer historischen Umbruchsphase geboren, nachdem Kyōto als kaiserliche Hauptstadt eine rund vierhundertjährige Blütezeit erlebt hatte. Als Geburtsjahr Shinrans gilt der 1. April des dritten Jahres der shō-an (承安)-Ära (1173). Der vermutliche Geburtsort Hino lag südöstlich von Kyōto. Shinrans Vater Hino Arinori war ein Hofbeamter im Dienst der Kaiserin-Witwe. Die Tradition nennt als Shinrans Mutter Kikkō, die Tochter von Minamoto Yorinaka; sie wird im 131

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Die Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit ergeben sich durch die eindeutige Tendenz, Shinran als Begründer der Jōdo-shinshū zu verklären (u. a. wird Shinran als Manifestation Amidas dargestellt) sowie dem lehrhaft-erbaulichen Charakter der Schrift (vgl. auch O. Aumann 2000, 19). Es handelt sich um acht Briefe, die Eshinni in der Zeit zwischen 1263–1268 an ihre jüngste Tochter Kakushinni schrieb. Sie finden sich mit editorischen Notizen und Erläuterungen im JSS 810–827. D. T. Suzuki, 1973, [165]; C. Wilhelm 1996, 61.

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go-den-shō jedoch nicht erwähnt. Womöglich ist sie schon früh verstorben.134 Als Sohn der aristokratischen Hino-Familie, einem kleinen Zweig des Fujiwara-Clans, bekam Shinran zunächst den Namen Matsuwaka-maru. Mit seinen vier jüngeren Brüdern wurde er in das Haus des Onkels Hino Noritsuna, einem gelehrten Dichter, aufgenommen. Vielleicht verdankt ihm Shinran die Grundlagen der Lyrik, die er später in seinen religiösen Hymnen zur Geltung bringen konnte.135 Die Zeit von Shinrans Kindheit und Jugend war neben dem persönlichen Verlust der Eltern von Katastrophen und allgemeinem Niedergang geprägt. 1175, dem Jahr, das als Gründungsjahr der durch Shinrans späteren Lehrer Hōnen begründeten Jōdo-shū 浄土宗 (Schule des Reinen Landes) gilt, wurde Kyōto von einem Taifun und einer Epidemie heimgesucht. 1176 erschütterte ein schweres Erdbeben die Stadt. 1177 fegte eine Feuersbrunst durch Kyōto und zerstörte den Kaiserpalast. Zwischen 1180–1185 herrschte Bürgerkrieg, wobei es zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse in Japan kam. Der kaiserliche Hofstaat, der seine Pracht im 10. und 11. Jahrhundert entfaltet hatte, verlor seinen Einfluss an Feudalherren, die miteinander in blutigen Machtkämpfen lagen. Nachdem der Minamoto-Clan den Taira-Clan im so genannten gempei-Krieg (1180–1185) besiegt hatte, gründeten erstere die bakufu-Regierung in Kamakura, dem neuen Zentrum der Macht, und leiteten damit die Kamakura-Ära 鎌倉時代 ein (1185–1333). Diese Erfahrungen dürften das Lebensgefühl Shinrans geprägt haben, das ihn für die buddhistische Einsicht in die Leidhaftigkeit und Vergänglichkeit des Daseins empfänglich gemacht hat. Es ist anzunehmen, dass biographische Bedingungen auch in seiner Sicht der für seine Soteriologie zentralen Lehre von mappō 末法 zum Austrag kommen.136 Tendai-Mönch auf dem Berg Hiei 1181–1201. Im Alter von acht Jahren137 wurde Shinran Mönch der Tendai-Schule (Tendai-shū 天台宗) 134 135 136 137

Vgl. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 20; C. Wilhelm 1996, 62; V. Zotz 1996, 218–220; H. Inagaki 2000, 189. V. Zotz 1991, 91. Ausführlich behandelt Shinran den mappō-Gedanken in KGSS VI; vgl. S. Hara 1981, 154–188. In der Literatur wird in der Regel das Alter von neun Jahren angegeben, so auch in der Übersetzung des Godenshō von G. Sasaki und D. T. Suzuki (vgl. V. Zotz 1991, 92; H. Inagaki 2000, 189, u. a.). Allerdings zählt nach traditioneller japanischer Zählweise das Geburtsjahr (kazoedoshi) bereits als Jahr eins und mit Neujahr beginnt bereits das zweite Lebensjahr. Shinran war also nach westlicher Zählung bei seinem Eintritt ins Kloster im ersten Jahr der kennin-Ära (1201) erst acht Jahre alt. Entsprechend ist bei den weiteren Altersangaben in der Literatur ein Jahr abzuziehen.

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auf dem Berg Hiei (hieizan 比叡山) bei Kyōto. Über die Gründe für den Eintritt ins Kloster gibt es zahlreiche Spekulationen.138 Die Quellen weisen darauf hin, dass sein Vater und seine Brüder ebenfalls das Mönchsgelübde ablegten.139 Das Godenshō nennt idealisierend ausschließlich religiöse Motive, die durch die Betonung einer alternativ möglichen Karriere bei Hof noch unterstrichen werden: „If he desired, he could have become a high dignitary at the Imperial court and enjoyed whatever prosperity he would have aspired to the end of his life. But his heart was inclined towards things unworldly; for he wished to devote himself to the holy cause of Buddhism and to increase the spiritual welfare of all beings.“140

Shinran erhält die Tonsur von dem späteren Oberhaupt der TendaiSchule Jien 慈円 (1155–1225) und bekommt den Novizen-Namen Hannen-shōnagon-no-kimi 範宴少納言の公.141 Über Shinrans Werdegang im Kloster ist so gut wie nichts bekannt. Er scheint sich intensiv dem Studium der Tendai-Lehre gewidmet zu haben, wozu insbesondere die Lehre von den drei Aspekten des Bewusstseins san-gan-butsu-jō 三観 仏乗 und die Lehre von den vier Graden in perfekter Harmonie shikyō-en-nyū 四教円融 im Godenshō genannt werden.142 Nach dem Godenshō erlangte er tiefste Einsicht in die Tendai-Philosophie. In einem Brief seiner späteren Frau Eshinni findet sich die aufschlussreiche Notiz, dass Shinran als dōsō 堂僧 seinen Dienst versah. D. h., dass er als einfacher „Hallen-Mönch“ in der „Halle des samādhi der ständigen Praxis“ (jōgyō-zanmai-dō 常行三味堂) unablässig das namu-amida-butsu rezitierte, während er eine Amida-Statue umschritt (fudan-nembutsu-shū 不断念仏衆).143 Diese Übung, die in staatlichem Auftrag durchgeführt wurde, sollte Verdienste erwerben, die dem Wohl des Landes dienen.144 Die nembutsu-Praxis und die mit ihr verbundene Tradition des Reinen Landes, wird nach dem „Shōtoku-Taishi-Denryaku“ (聖徳太子伝暦) bis auf die Zeit der Einführung des Buddhismus in Japan aus China und Korea zurückgeführt, die of138

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Es war nicht ungewöhnlich, dass Kinder aus aristokratischen Familien, besonders in Zeiten des Niederganges, an die Klöster gegeben wurden, die als mächtige Organisationen mit politischem Einfluss und eigenem Heer von Mönchs-Soldaten soziale Aufstiegschancen boten und zugleich als Zentren der Bildung und Kultur die Bedingungen für intensive Studien bereitstellten (vgl. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 23). Y. Ueda / D. Hirota 1989, 23. D. T. Suzuki 1973, [169]; JSS 1043. Shōnagon bezeichnet eigentlich den unteren Rang eines Hofbeamten, nach dem von China übernommenen Beamtensystem. JSS 1043; D. T. Suzuki 1973, [169]. JSS 814. V. Zotz 1991, 100.

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fiziell unter Prinz Shōtoku (574–621) im Jahr 552 stattfand.145 In der Forschung wird jedoch angenommen, dass der Buddhismus bereits im Jahr 538 unter Kinmei-Tennō eingeführt wurde.146 Die nembutsu-Praxis, mit der Shinran auf dem Hiei vertraut wurde, ist von dem TendaiMönch Ennin (794–864) im 9. Jh. eingeführt worden.147 Diese Praxis unterscheidet sich jedoch von der grundlegenden Neuinterpretation, wie sie Shinran später unter Hōnens Einfluss vollziehen sollte. Offensichtlich konnten Lehre und Praxis des Tendai, wie sie Shinran in den zwanzig Jahren als Mönch auf dem Hiei kennen gelernt hatte, seine religiösen und existenziellen Bedürfnisse nicht befriedigen.148 Das Godenshō legt nahe, dass Shinran Zweifel hegte, dass angesichts der degenerierten Zeit Menschen in der Lage seien, den „schmalen Weg der schwierigen Praxis“ (nangyō no shōryo 難行の小路) zu gehen, und er sich daher „dem großen Weg der leichten Praxis“ (igyō no daidō 易行の大道), wie ihn Hōnen lehrte, zuwandte. Zahlreiche Forscher vermuten daher, dass Shinran Schwierigkeiten mit der monastischen Disziplin (insbesondere dem Zölibat) hatte.149 Im Tannishō findet sich folgendes Selbstzeugnis Shinrans: „But I am incapable of any other practice, so hell is decidedly my abode whatever I do.“150 Einem Brief Eshinnis zufolge war es die Sorge um das nächste Leben (jap. gose 後 世), die Shinran veranlasste, den Hiei für eine hunderttägige Klausur im Rokkakudō-Tempel zu verlassen. Dort hatte er eine Offenbarung (jigen 示現) von Shōtoku-Taishi, die ihn veranlasste Hōnen aufzusuchen.151 Ein weiteres Moment mag eine gewisse Enttäuschung angesichts scholastischer Debatten gewesen sein, die Shinran später als der Heilsverwirklichung abträglich ansah. Im Alter von 88 Jahren schrieb Shinran – in Erinnerung an seinen Lehrer Hōnen – in einem Brief an seinen Schüler Joshin-Bō: „Simply achieve your birth in the Pure Land, firmly avoiding all scholarly debate.“152

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Vgl. dazu die hōwa Nr. 21 von Ōtani Kōshin (Anhang 2.1) und Abschnitt 8.3.3. O. Freiberger / C. Kleine 2011, 147. Vgl. DJBD 47; den Hinweis verdanke ich C. Kleine. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 27. J. C. Dobbins 1989, 24; V. Zotz 1991, 101; A. Bloom 1968/1999, 15; O. Aumann 2000, 15, u. a. CWS I, 662. いづれの行もおよびがたき身なれば、とても地獄は一定すみかぞかし (JSS 833). R. Okochi und K. Otte übersetzen: „Ich bin keiner guten Werke fähig, deshalb müsste die Hölle ohnehin mein Platz sein“ (R. Okochi / K. Otte 1979, 26). JSS 811 und 814. Zitat bei Y. Ueda / D. Hirota 1989, 22. vgl. CWS I, 531 (= Mattosho Brief 6). Ueda und Hirota heben hervor, wie sehr diese Haltung im Gegensatz zu der Betonung scholastischer Studien in den großen Tempeln seiner Zeit stand. Trotzdem erkannte

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Shinran verließ den Berg Hiei (1200), der als Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit galt153, um sich 1201 Hōnen Shōnin 法然上人 (1133–1212) anzuschließen. Hōnens Schüler in Yoshimizu 1201–1207. Das Jahr 1201 bildet für Shinran den entscheidenden Wendepunkt. Im Postskript zu seinem Hauptwerk kyō-gyō-shin-shō schreibt er dazu: „I, Gutoku Shinran, disciple of Śākyamuni, discarded sundry practices and took refuge in the Primal Vow in 1201.“154 Nach dem Bericht im Brief Eshinnis fand die hunderttägige Klausur im Rokkakudō vor seiner Begegnung mit Hōnen statt, und die Offenbarung Shōtoku Taishis am 95. Tag gab den Anlass Hōnen aufzusuchen.155 Gemäß dem Godenshō suchte Shinran sofort Hōnen auf und hatte erst ca. 2 Jahre später (im Jahr drei der kennin-Ära) eine entscheidende Traumvision (jap. musō 夢想) im Rokkakudō.156 Das Godenshō berichtet sehr ausführlich von dieser bemerkenswerten Traumvision, die für Shinrans spirituelle Entwicklung und seine spätere Wirksamkeit entscheidend ist.157 Unter Berufung auf einen nicht weiter bezeichneten „Bericht“158 heißt es dort, dass ihm der Bodhisattva Avalokiteśvara (jap. hier: kuse-bosatsu 救世菩薩 [„Welterlöser-Bodhisattva“]; allg. kanseon / kannon-bosatsu 観音菩薩)159 als

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Shinran die Bedeutung der Sprache für die Weitergabe der Lehre – im Gegensatz zum Zen – an (ebd., 22). Einschränkend ist zu bemerken, dass der Klerus auf dem Hiei in weiten Teilen religiöse Verfallserscheinungen zeigte, wozu auch politische Machtkämpfe unter Einsatz von militanten Mönchsheeren gehörten. Shinran beklagt später diese Verfallserscheinungen, in denen er ein Zeichen des letzten dharma-Zeitalters mappō 末法 sieht, in seinen shōzōmatsu-Hymnen 正像末和讃. Vgl. zu der oft übertriebenen Reputation des Hiei als Zentrum der buddhistischen Gelehrsamkeit K. Kasahara 2001, 170. CWS I, 290. JSS 811. Für diese Version entscheiden sich Y. Ueda / D. Hirota 1989, 27. JSS 1044; D. T. Suzuki 1973, 170. Mögliche Erklärungen für diese Diskrepanz in den Quellen sind entweder eine unzuverlässige Chronologie oder die Annahme von zwei verschiedene Aufenthalten im Rokkakudō, in denen Shinran Traumvisionen hatte. Da solche Traumvisionen in der Vita Shinrans wiederholt erwähnt werden, ist letzteres auch denkbar, vgl. J. C. Dobbins 1989, 24. Ohne diese Fragen zu diskutieren, entscheidet sich Aumann für die Version des Godenshō (O. Aumann 2000, 20–21). Eine Übersicht über verschiedene Interpretationen dieses Traums bietet aus der Perspektive der Genderforschung S. Heidegger 2006, [229]–259. Vielleicht handelt es sich um ein Tagebuch Shinrans oder das Shinran-muki (Aufzeichnungen der Träume Shinrans). Zu den einzelnen Vermutungen vgl. D. T. Suzuki 1973, 184 Anm. 8. Der Rokkakudō („Sechseck-Halle“) ist die populäre Bezeichnung des (Tendai) Chōhōji-Tempels (頂法寺) in Kyōto, dessen Gründung Shōtoku Taishi zugeschrieben wird. Im Tempel befindet sich eine (weibliche) Nyoirin-Kannon Statue, vgl. DJBT 247. Shinran hielt Shōtoku Taishi für eine Inkarnation des Boddhisattva Kannon.

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ein in weißes Mönchsgewand gekleideter Mönch160 erschien, der auf einer großen weißen Lotus-Blüte saß und in autoritativer Stimme zu ihm sprach. Da diese Offenbarung (jap. o-tsuge お告げ / jigen 示現) in der Darstellung Kakunyōs und deren weiteren Rezeption als eine Art Gründungsmythos gelten kann, sei sie hier in der Übersetzung von G. Sasaki und D. T. Suzuki ausführlicher zitiert: „‘When the devotee finds himself bound by his past karma to come in contact with the female sex, I will incarnate myself as a most beautiful woman and become his object of love; and throughout his life I will be his helpmeet for the sake of embellishing this world, and on his death I will become his guide to the Land of Bliss.’ ‘This,’ continued the Bodhisattva, ‘is my vow. Thou, Zenshin [i. e. Shinran, d. Verf.] shalt announce the signification of this my vow to the world and make all sentient beings know of it.’“161

Kakunyo fährt fort, dass sich Shinran–immer noch im Traumzustand (Suzuki: „trance“) befand, als er nach Osten blickend auf einem hohen Gipfel eine Menge von „vielen zehntausend Millionen“ Menschen sah, denen er nach dem Befehl des Bodhisattva diese Botschaft verkündigte, bevor er wieder erwachte. Kakunyo deutet diesen Bericht als glückliches Vorzeichen für die Ausbreitung von Jōdo-shinshū und dem nembutsu. G. Sasaki und D. T. Suzuki übersetzen: “… we notice herein symbolised an auspicious opening for the establishment of the True Sect and the propagation of its doctrine of salvation.“162 Nach Kakunyōs Bericht im Godenshō sieht sich Shinran in seiner späteren missionarischen Tätigkeit in Hitachi in Übereinstimmung mit diesem Initial-Erlebnis.163 Eine Analyse dieser Traumvision zeigt, dass das Gelübde (jap. seigan 誓願) Avalokiteśvaras die Lösung der religiösen Schwierigkeiten Shinrans bildet, indem der Bodhisattva verheißt, sich in Gestalt einer schöne Frau zu manifestieren und sich Shinran zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise ermöglicht er die Wiedergeburt im Reinen Land und beantwortet damit Shinrans Sorge um das nächste Leben. Traditionsgeschichtlich findet sich der Gedanke, dass sich ein Bodhisattva aus Mitleid als Sexualpartner zur Verfügung stellt, bereits im upāya-kauśalya-sūtra (etwa 1. Jh. n. Chr.).164 Dass in Ostasien Avalokiteśvara, der Bodhisattva 160 161 162 163 164

Nicht „in Gestalt einer schönen Frau“ – so gegen den Text O. Aumann 2000, 20. D. T. Suzuki 1973, 170. Vgl. die fast identische Version im Shinran-muki zitiert bei J. C. Dobbins 1989, 24. D. T. Suzuki 1973, 170. JSS 1054; D. T. Suzuki 1973, 178. Dort wird z. B. von dem jungen Brahmanen Jyotis berichtet, der vor unvorstellbar langer Zeit für 42.000 Jahre zölibatär gelebt hatte. Da begegnet er einer Wasserträ-

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der Barmherzigkeit, zu einer weiblichen Gestalt geworden ist, mag ein weiteres Moment im Zusammenhang mit Shinrans Traumvision darstellen. Festzuhalten ist, dass es sich hier gemäß der Bodhisattva-Theorie um die Anwendung eines „geschicktes Mittels“ handelt, das durch große Barmherzigkeit motiviert ist. Shinrans Traumvision steht damit ganz im Kontext des Bodhisattva-Ideals.165 Bemerkenswert ist nun aber, dass diese Traumvision nicht nur eine Antwort auf Shinrans Problem, sondern (daraus folgend) auch einen universalen Verkündigungsauftrag enthält. Phänomenologisch weist der Bericht im Godenshō Parallelen zu einer Propheten-Berufung auf. Wenn auch die Ereignisse, die Shinran zum Verlassen des Hiei veranlassten und zu seiner Begegnung mit Hōnen führten, historisch unklar bleiben, so ist deutlich, dass Shinran in der Lehre Hōnens den einzig möglichen Weg zur Erlösung erkannte und 1201 dessen überzeugter Schüler wurde. Kakunyō betont, dass Hōnen Shinran besonders ausführlich und gründlich seine Lehre erläuterte, woraufhin Shinran in der Botschaft, dass alle Lebewesen durch die Andere Kraft aufgenommen (und zur Erlösung geführt) werden (tariki-sesshō 他力摂生)166, als deren innerstes Wesen sofort erfasste und das „wahre Herz der sofortigen Hineinführung [sc. ins Reine Land, d. Verf.] von in Begierden und Unwissenheit gefangenen Menschen festmachte“ (bon-pu jiki-nyū no shin-shin wo ketsu-jō shimashimashikeri 凡夫直入の真心を決定しましましけり).167

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gerin, die ihn sehr begehrt. Könne sie nicht mit ihm zusammen sein, wolle sie lieber sterben. Zunächst weist er sie zurück, kehrt aber dann doch um, da er sich sagt: „I may go to hell for breaking my vow of austerity. But I can bear to experience the pain of hell. Let this woman not die, but be happy.“ Das große Mitleid, obwohl mit Konkupiszenz verbunden, generierte ein moderat positives karma. So heißt es abschließend: „Something that sends other sentient beings to hell, sends the Bodhisattva who is skilled in means to rebirth in the world of Brahmā“ (M. Tatz 2001, 34–35). Der Interpretationsversuch von Volker Zotz, der in dieser Traumvision eine (vielleicht tiefenpsychologisch zu erklärende) Überwindung des buddhistischen Dualismus von Sexualität und Erlösung (mit seinen frauenfeindlichen Implikationen) sieht (V. Zotz 1991, 102), ist spekulativ und erfährt vor diesem Hintergrund zumindest eine Relativierung. Auch Shinrans spätere Heirat war kein singulärer Fall. Das Schriftzeichen 摂 setsu „nehmen“ bildet in Kombination mit dem Synonymen toru 取 als sesshu 摂取 einen zentralen soteriologischen Terminus, der im Unterschied zur profan-japanischen Bedeutung „einnehmen“ die rettende Aufnahme oder Annahme durch Amida bezeichnet. H. Inagaki erläutert sesshu als „‘To take in’; said of the protection and guidance given by a buddha or bodhisattva to lead one to salvation.“ Ein Synonym bildet injō 引接, vgl. SKJ 34–35. Shinran gebraucht den Begriff sesshu fusha 摂取不捨 in der Einleitung zum KGSS (JSS 132), wo in der englischen Ausgabe von Honganji-ha „that one is grasped, never to be abandoned“ übersetzt wird (CWS I, 4). Ebenso beschließt Shinran das KGSS mit einem Zitat aus dem Garland-Sūtra, wo CWS übersetzt: „But the bodhisattva embraces [sesshu 摂取] them all“ (CWS I, 292; JSS 474). JSS 1044. An diesem Beispiel wird wieder deutlich, dass die ungeheuere semantische Dichte shin-buddhistischer Terminologie zu großen Übersetzungsschwierigkeiten

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Trotz der grundlegenden Neuinterpretation, die Shinran gegenüber Hōnens Lehre vornehmen sollte, verstand er sich immer als dessen treuen Schüler und nahm ihn als siebten Patriarchen und unmittelbaren Vorgänger in die Traditionslinie der Jōdo-shinshū auf.168 Im Tannishō findet die Loyalität gegenüber Hōnen ihre tiefsten Ausdruck, wenn Shinran mit den Worten zitiert wird: „As for me, I simply accept and entrust myself to what my revered teacher told me, ‘Just say the nembutsu and be saved by Amida’; nothing else is involved. I have no idea whether the nembutsu is truly the seed for my being born in the Pure Land or whether it is the karmic act for which I must fall into hell. Should I have been deceived by Master Hōnen and, saying the nembutsu, were to fall into hell, even then I would have no regrets.“169

Die besondere Verbindung mit Hōnen wird durch verschiedene Vertrauensbezeugungen Shinran gegenüber betont, wodurch ebenfalls die Legitimität der Traditionslinie dokumentiert werden soll. So wird Shinran von Hōnen im Jahr 1205 gestattet, eine Kopie seines Hauptwerkes, dem sen-chaku-shū, anzufertigen. Ebenso darf Shinran eine Kopie des Portraits von Hōnen anfertigen. Beide Werke erkennt Hōnen an, indem er mit eigener Hand eine Widmung hinzufügt. Nachdem Shinran bereits vorher den Namen „Shakkū, Shüler des Śākyamuni“ von Hōnen erhalten hatte, bekommt Shinran, betont aufgrund einer Traumvision (yume no tsuge 夢の告げ), den Namen Zenshin 善信.170 Dass Shinran auch die lebenspraktischen Konsequenzen aus Hōnens egalitärer Soteriologie zog, soll eine spätere Tradition bezeugen, die von einer Heirat mit der Tochter Fujiwara Kanezanes berichtet. Demnach forderte Kanezane von Hōnen, dass einer seiner Schüler zu Beweis, dass es keinen Unterschied zwischen Mönch und Laie gibt, seine Tochter Tamahi heirate. Hōnen wählte Shinran aufgrund dessen Vision im Rokkakudō, um Tamahi zu ehelichen. Obwohl dieser Bericht histo-

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führt. Entsprechend bemüht wirkt die Übersetzung von G. Sasaki und D. T. Suzuki, die im Blick auf ihre „christlichen“ Implikationen nicht unproblematisch ist: „… the Shōnin instantly came to realise the inmost meaning of the doctrine of salvation through Amida and his all-embracing love for sentient beings; and to his heart’s fullest content, he found his faith firmly established in the truth that leads every sentient being, however ignorant, to the direct path of the Pure Land“ (D. T. Suzuki 1973, 170). Nach dem Godenshō sah Shinran in Hōnen eine Manifestation des Bodhisattva seishi 勢至, der zusammen mit kannon, als dessen Manifestation Shinran Prinz Shōtoku ansah, die beiden Begleiter Amidas in der Ikonographie bilden. CWS I, 662. Shinran berichtet im Postskript zum KGSS ausführlich über diese Begebenheiten, was deren Bedeutung unterstreicht. Auch das Godenshō zitiert diese Berichte Shinrans.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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risch fraglich ist, gewann er in der Tradition grundlegende Bedeutung als Typos für die Praxis, dass Shin-Priester heiraten.171 Damit geriert sich Jōdo-shinshū im Gegensatz zum shukke-bukkyō 出家仏教 (der asketische Mönchs-Buddhismus, der die „Hauslosigkeit“ praktiziert) als zaike-bukkyō 在家仏教 (Buddhismus „in Haus und Familie“)172 und gewinnt damit ein Identität stiftendes distinktives Merkmal. Verbannung nach Echigo und Wirksamkeit in der Kantō-Region 1207–1235. Im Zusammenhang mit der Verfolgung Hōnens wird Shinran nach Kokubu in Echigo (heute: Niigata-Präfektur) verbannt, wo er den bürgerlichen Namen Fujii Yoshizane bekommt. Shinran wechselte mehrmals seine Namen, bevor er sich seinen letzten Namen Shinran 親鸞173 gab, unter dem er dann in die Geschichte einging. Shinran sieht seinen Status nun als „weder Mönch noch Laie“ (sō ni arazu zoku ni arazu 僧にあらず俗にあらず und gibt sich die Selbstbezeichnung Toku 禿 („Glatze“).174 1210 geht Shinran die Ehe mit Eshinni ein und gründet eine Familie. Damit zieht er die ethische Konsequenz aus seiner Soteriologie, die einen qualitativen Unterschied zwischen Klerus und Laien ausschließt. Gerade dieser Zug ist häufig mit Luthers Biographie und seiner Lehre vom Allgemeinen Priestertum verglichen worden. T. Ouro merkt dazu an: „Man kann sagen, Shinran hat die Priester den Laien gleichgestellt, und Luther hat die Laien in die Stellung der Priester erhoben.175 An diese schematische Gegenüberstellung ist jedoch die kritische Anfrage zu richten, ob nicht die negative Beschreibung als „weder Priester noch Laie“ (hisō-hizoku 非僧非俗) beide Konzepte transzendiert. 1211 wird Shinrans Verbannung aufgehoben; er kehrte aber erst zwanzig Jahre später nach Kyōto zurück. Der Grund dafür mag in seiner Familien-Situation liegen (1211 wird auch Shinrans erster Sohn Shinren-bō geboren). Über den Aufenthalt in Echigo gibt es kaum Notizen.176 A. Bloom macht jedoch darauf aufmerksam, dass sich nun, 171

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A. Bloom 1968/1999, 14–15; C. Wilhelm 1996, 67–68. Wenn auch die Ehe mit Tamahi von den meisten Forschern angezweifelt wird, steht die spätere Ehe mit Esshini außer Frage, wie deren Briefe beweisen. SKJ 64. „Shinran“ setzt sich aus den jeweils letzten Schriftzeichen von Seshin 世親 (Vasubandhu) und Donran 曇鸞 (T’an-luan) zusammen. JSS 471–472; CWS I, 289. T. Oguro 1985, 133. Das Godenshō gibt als Grund für den weiteren Aufenthalt in Echigo an, dass er dort seine begonnenen religiösen Aktivitäten fortsetzen wollte („… for he wished to continue his religious work already started there.“ D. T. Suzuki 1973, 178). Der

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unabhängig von Hōnen, der nach wie vor am monastischen Lebensstil festhielt, Shinrans Interpretation der Jōdo-Tradition frei entfalten konnte, wie die deutlichen Lehrunterschiede zu Hōnen, die sich in seinem späteren Werken finden, belegen.177 1214 zieht Shinran mit seiner Familie nach Hitachi (Ibaraki Präfektur) in der Kantō-Region um. Er nimmt in dem Ort Inada seinen Wohnsitz und beginnt mit seiner Missionstätigkeit. Galt die Absicht der Verbannung der Unterdrückung der Lehre Hōnens, so führte sie paradoxerweise gerade zur landesweiten Verbreitung und Volkstümlichkeit des Jōdo-Buddhismus.178 Wie Hōnen so lehrte auch Shinran das einfache Volk auf dem Land. Im Godenshō wird berichtet, wie zahlreiche Wahrheitssucher aus allen Ständen und Schichten unablässig zu Shinran kamen und auf diese Weise sein lang gehegtes Verlangen, zum Wohl aller Wesen die Botschaft Buddhas zu verbreiten, erfüllt wurde. Shinran sah diese Entwicklung in Übereinstimmung und als Erfüllung seiner Vision im Rokkakudō.179 Shinrans Missionstätigkeit beschränkte sich jedoch nicht auf Inada, sondern er verfolgte eine aktive Mission bis in die benachbarten Provinzen, die schließlich zu einer großen Anhängerschaft führte. Die Versammlungsplätze(jap. dōjō 道場) bildeten gewöhnliche Häuser oder für Verkündigungszwecke eingerichtete Tempel, die jedoch im Unterschied zu traditionellen Tempeln einer großen Hörerschaft Raum boten. Die Zuhörer bestanden überwiegend aus der einfachen Landbevölkerung, Händlern, aber auch Angehörigen der Samurai-Klasse.180 Zwanzig Jahre wirkte Shinran auf diese Weise in der Kantō-Region, die bis heute ein Zentrum der Jōdo-shinshū in Japan bildet. T. Oguro weist darauf hin, dass Shinrans Missionspraxis dem egalitären Grundzug seiner Lehre entspricht. So setzte er keine Priester ein und gründete keine Tempel im traditionellen Sinn. Neben seiner Missionstätigkeit begann er mit der Niederschrift seines Hauptwerkes Kyō-gyō-shin-shō, deren erste Fassung auf das Jahr 1224 (Shinran ist 52 Jahre alt) datiert wird.181 Dieses Datum wurde später zum Grün-

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japanische Wortlaut ke wo hotokosan ga tame ni 化を施さんがために (JSS 1054) deutet auf eine missionarische Praxis, vgl. auch Y. Ueda / D. Hirota 1989, 36. A. Bloom 1968/1999, 19–20; vgl. auch Y. Ueda / D. Hirota 1989, 32–33. O. Aumann 2000, 23. JSS 1054; D. T. Suzuki 1973, 178. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 36; K. Kasahara 2001, 197–199. Im Einzelnen vgl. A. Bloom 1986/1999, 24–34. Bloom betont auch den starken „evangelistic impulse“ von Shinran. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 36–37. Eine historisch gesichertes Datum für das Werk in vorliegender Form lässt sich jedoch erst mit dem Jahr 1247 geben (CWS II, 11–13).

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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dungsdatum von Jōdo-shinshū. Es ist festzuhalten, dass Shinrans einziges systematisches Werk im Kontext seiner Missionspraxis entstand. Es liegt daher nahe, darin die Reflexionsgestalt seiner Verkündigungspraxis, mit der sie in Wechselbeziehung steht, zu sehen. Rückkehr nach Kyōto 1235–1262. 1235, im Alter von 63 Jahren, kehrt Shinran nach Kyōto zurück, nachdem er die Leitung der verschiedenen dōjō an ihm nahestehende Schüler übertrug.182 In den ihm verbleibenden 27 Jahren seines Lebens entfaltet Shinran eine reiche literarische Tätigkeit. Neben seinem Hauptwerk, das er mehrmals überarbeitete, sind besonders seine japanischen Lehrgedichte (wasan 和讃) sowie seine Korrespondenz mit Schülern, die im Zusammenhang der weiteren Entwicklung der von Shinran gegründeten Bewegung stehen, hevorzuheben. Unter seinen Schülern kam es zu Lehrstreitigkeiten und Machtkämpfen, wovon auch das spätere Tan-ni-shō zeugt. Der für Shinran persönlich wohl schwerste Zwischenfall betraf seinen Sohn Zenran (Jishin), der (ursprünglich von Shinran selbst gesandt), unter dem Vorwand einer ihm vermeintlich von Shinran anvertrauten geheimen Lehre die Macht in den Kantō-Gemeinden an sich reißen wollte und die Gläubigen verwirrte. Daraufhin verstieß ihn Shinran im Jahr 1256 als seinen Sohn. („From this moment on, I cease to regard Jishin as my son.“).183 In dem betreffenden Brief begründet Shinran diesen drastischen Schritt damit, dass Zenran Irrlehren verbreitet und damit die Gläubigen von Amidas Urgelübde abbringt. Dieser Zwischenfall zeigt deutlich, dass der Prozess der Lehrbildung bereits in den Anfängen im Zusammenhang von Auseinandersetzungen um die Orthodoxie der Lehrüberlieferung führte. Im Alter von 90 Jahren stirbt Shinran in Kyōtō am 28. November 1262. Shinrans Tochter Kakushinni, die ihn im Alter gepflegt hatte, errichtete in Ōtani am Hang des Higashiyama eine Grabstätte und legte damit die Grundlage für den späteren Honganji-Tempel, der zur größten Denomination der sich auf Shinran als Gründer beziehenden Anhängerschaft entwickelte.184

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Y. Ueda / D. Hirota 1989, 38. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 40–41. CWS I, 576. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 38. Das Godenshō schließt in überschwenglicher Weise mit einer Beschreibung der vitalen Ausbreitung der Lehre Shinrans und dem rasanten Wachstum seiner Anhängerschaft (mehrere Millionen) in allen Landesteilen (D. T. Suzuki 1973, 182; JSS 1060).

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

7.2.2.2 Überblick über Shinrans Werke Im Kanon der Jōdo-shinshū folgen die Schriften Shinrans unmittelbar auf die drei Reines-Land-Sūtren. Die wichtigsten sind185: Kyō-gyō-shin-shō. An der Spitze dieser Sammlung steht das bereits mehrfach erwähnte Hauptwerk Shinrans, das Ken-jōdo-shin-jitsukyō-gyō-shō-mon-rui 顕浄土真実教行証文類 (kurz: Kyō-gyō-shinshō 教行信証, „Die wahre Lehre über Praxis, shinjin, Verwirklichung, wahres Land und Buddha, transformierte Körper und Länder“).186 Es ist in kanbun verfasst und gilt als der eigentliche Basistext der Jōdoshinshū.187 Hier entfaltet Shinran seine Lehre systematisch in sechs Kapiteln in Form von Kommentaren zu ausgewählten Zitaten aus Sūtren (insbesondere der drei Reines-Land-Sūtren) und Schriften der sieben Patriarchen sowie in Frage und Antwort. Die Form des mon-rui (chin. wen-lei) wurde von Shinran entsprechend der Konvention für buddhistische Gelehrte seit der Sung-Dynastie (960–1280) verwendet, um seine eigene Lehrmeinung darzustellen.188 Sie diente ihm durch Berufung auf die Autoritäten der Tradition, die Kontinuität und Legitimität der eigenen Lehrmeinung zu dokumentieren und letztlich auf Gautama Śākyamuni selbst zurück zu führen. Dabei ist die Texthermeneutik Shinrans jedoch eindeutig von seiner Einsicht in die Exklusivität von tariki als Materialprinzip bestimmt, das nicht nur das Kriterium für die Auswahl der Zitate bildet, sondern für Shinran auch Veränderungen der Zitate selbst rechtfertigt.189 Am Ende des zweiten Kapitels findet sich ein Hymnus (Gatha) auf das wahre nembutsu und auf shinjin, das Shō-shin-nem-butsu-ge 正信念仏偈 (kurz: Shō-shin-ge), das den Inhalt des ganzen Werkes in nuce enthält. Später wurde es separat überliefert und hat aufgrund seiner Konzentration des Lehrgehaltes und seiner hymnischen Form für Frömmigkeit, Liturgie und Predigt überragende Bedeutung erlangt. Poetische Texte wurden für Jōdo-shinshū zu einer zentralen Form der Glaubensvermittlung. Dazu zählen vornehmlich Shinrans wasan 和讃. 185

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Überblicke über Shinrans Shriften bieten Y. Ueda/D. Hirota 1989, 42–55 (Charakterisierung und kurzer Überblick); C. Wilhelm 1996, 75–88 (kurze Erläuterung einiger Schriften); O. Aumann 2000, 28–29 (Auflistung), sowie CWS II, 3–196. Im Einzelnen sind die Textausgaben im JSS heranzuziehen. Eine ausführliche Darstellung und Analyse bietet C. Langer-Kaneko 1986, 21–98. Eine detaillierte Gliederung mit Einleitung und zusammenfassende Übersicht findet sich in CWS II, 3–91. Zur Datierung s. o. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 55. C. Wilhelm 1996, 77. Zur Problematik dieses Vorgehens vgl. C. Wilhelm 1996, 77; C. Steineck 1997, 118.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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Wasan. Im JSS folgt eine Gruppe von Hymnen-Sammlungen: Lehrgedichte im klassischen Stil der japanischen Hymnen auf das Reine Land (Jōdo-wasan 浄土和讃, 1248), auf die Sieben Patriarchen (Kōsō-wasan 高僧和讃, 1248), Hymnen auf die drei dharma-Zeitalter (Shō-zō-matsu-wasan 肖像末和讃, 1258). Daneben finden sich Lobpreis-Hymnen auf Shōtoku Taishi (Kōtaishi Shōtoku hōsan 皇太子聖徳奉賛) und das Gatha über das Ein- und Ausgehen durch die zwei Tore (Nyū-shutsuni-mon-ge 入出二門偈, 1252). Kürzere Lehrtexte /Textsammlungen und Kommentare, mon-rui und mon-i. Texsammlung über die Arten der Geburt in den drei ReinesLand-Sūtren (san-gyō-ō-jō-mon-rui 三経往生文類, 1255), die Schrift über die wahre Gestalt des erhabenen Namens (Son-gō-shin-zō-meimon 尊号真像銘文, 1255), Erläuterungen zu Glauben-Allein (yui-shinshō-mon-i 唯信鈔文意, 1257) und die Erläuterungen zum einmaligen und mehrmaligen nembutsu (ichi-nen-ta-nen-mon-i 一念他念文意, 1257). Briefe. Shinrans über 40 erhaltene und überwiegend datierte Briefe haben ihren „Sitz im Leben“ in der Ausbreitung seiner Botschaft und der Konsolidierung der Gemeinden. Shinran antwortet darin auf Anfragen und korrigiert Irrlehren und Missstände. Die meisten Briefe wurden bereits früh zu Sammlungen zusammen gefasst: Das Mattō-shō 末灯鈔 (Leuchte für die Endzeit des dharma) bildet mit 22 Briefen aus der Zeit zwischen 1251–1262 die größte und älteste Sammlung. Sie wurde 1333 von Jūkaku, dem dritten Oberhaupt des Honganji, zusammengestellt. Daneben gibt es drei weitere Sammlungen sowie einige Einzelbriefe. Tan-ni-shō. Eine Sonderstellung nimmt das Tan-ni-shō 嘆異抄 (Aufzeichnungen in Klage über Abweichungen) ein, das Shinrans Schüler Yuien-bō zugeschrieben wird190 und eine Sammlung von z. T. einmaligen Shinran-Sentenzen enthält. Die relativ kurze und konzise Schrift (bestehend aus nur 18 kurzen Abschnitten) gehört zu den wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Textdokumenten der Shin-Tradition und des japanischen Buddhismus insgesamt.191

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Zu den Einleitungsfragen vgl. The Tanni Shō 1990, 3–10. Rennyo schreibt in einem kurzen Nachwort: „This sacred writing is an important scripture in our tradition. It should not be indiscriminately shown to any who lack past karmic good“ (CWS I, 682). Die wirkungsgeschichtliche Bedeutung des Tanni-shō kann man auch an den zahlreichen Übersetzungen ablesen.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

7.2.3 Die weitere Entwicklung von Jōdo-shinshū192 Wie bereits erwähnt intendierte Shinran keine eigene Schulgründung. Nach seinem Tod und damit in Ermangelung seiner Lehrautorität in auftretenden Streitfragen bildete sein Grab in Ōtani den Identifikationspunkt für die ständig wachsende Anhängerschaft. Gegen den Widerstand von Shinrans direkten Schülern aus der Kantō-Region setzten sich nach mehreren Auseinandersetzungen die Nachkommen Shinrans als Verwalter von Shinrans Erbe durch und erlangten so eine zentrale Machtposition für die Traditionsweitergabe.193 1277 wurde von Kakushin-ni auf Bitte von Anhängern ein Mausoleum (jap. byō-dō 廟堂) errichtet, dessen Pflege durch Shinrans Nachkommen (zunächst als ru-su-shiki 留守式) in einer dynastischen Abfolge der Äbte (mon-shu 門主) der späteren Jōdoshinshū Honganji-ha resultiert. Insbesondere Shinrans Urenkel Kakunyō, dem dritten mon-shu und Verfasser des Godenshō und einer Liturgie für das jährliche Gedenken zu Shinrans Todestag (hō-on-kō-shi-ki 報恩講私記, 式文), kommt für die Traditionsbildung und Etablierung einer eigenständigen Institution zentrale Bedeutung zu. Das Mausoleum wird zur Bildnis-Halle Go-ei-dō 御影堂 mit dem Bildnis Shinrans ausgebaut, deren erster Vorsteher 1310 Kakunyo wird. In Auseinandersetzung mit anderen sich auf Shinran berufenden Gründungen, nahm Hongan-ji die orthodoxe Interpretation von Shinrans Erbe für sich in Anspruch.194 Die kontinuierliche Verbreitung der Lehre Shinrans führte zu Gründungen von weiteren dōjō 道場 mit informellen Organisationsstrukturen, die als kō 講 bezeichnet wurden.195 Allerdings trat Jōdo-shinshū erst im 15. Jh. mit Rennyo aus dem Schatten der Geschichte. Rennyo 蓮如 (1415–1499), der 8. Abt, wurde in einer Zeit des Niedergangs, in der Honganji-ha von anderen Shinshū-Denominationen überflügelt wurde196 , zum chūkō shōnin 中興上人, dem „Wieder192

193 194 195

196

Da sich vorliegende Arbeit auf die Honganji-ha (Nishi) beschränkt, konzentriert sich der folgende kurze Abriss auf diese Denomination innerhalb der Jōdo-shinshū. Eine prägnanten Überblick aus der Perspektive der Honganji-ha über die weitere Entwicklung von Shinrans Tod bis zur Gegenwart bildet die Selbstdarstellung in Jodo Shinshu – A Guide 2002, 95–123. Aus religionshistorischer Sicht vgl. K. Kasahara 2001, 191–210. 408–420. 589–595; J. Dobbins 1989 behandelt die weitere Entwicklung bis einschließlich Rennyo. K. Kasahara 2001, 200–201. K. Kasahara 2001, 201. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 96. Zur Bedeutung dieser kō als „lay believers associations“, die nicht genuin shin-buddhistisch sind, vgl. K. Kasahara 2001, 470–474; IBJ 298–299. Zu den shinshū-dōjō vgl. J. Dobbins 1989, 65–69. J. Dobbins 1989, 129. Für eine Übersicht über die Genese der unterschiedlichen Shin-Denominationen vgl. SKJ 225, in der heute 18 verschiedene Organisationen gezählt werden.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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errichter“ der Honganji-ha.197 Sein Wirken als Prediger, Lehrer und Organisator bildet eine entscheidende Zäsur in der Entwicklung der Jōdo-shinshū. Seine Schriften und deren Shinran-Interpretation erlangten normative Geltung und wurden in den späteren Kanon der Jōdo-shinshū aufgenommen. Sein aktiver Einsatz für die Verbreitung des Glaubens führte zu einer neuen Blüte. Methodisch bediente er sich vor allem seiner in leicht verständlicher Sprache abgefassten Briefe O-fumi 御文 (auch Go bun-shō 御文章), in denen er in z. T. veränderter Terminologie eine gegenwartsbezogene Applikation der Lehre Shinrans entwarf, die bis heute zur Basis der Honganji-ha zählt.198 Daneben sorgte er auch durch die Ausgabe von Shinrans Shōshinge und seiner Hymnen (wasan) als Andachtsbuch für den täglichen häuslichen Gebrauch für eine Verwurzelung des Glaubens in den Familien. Durch die Errichtung verschiedener Tempel, insbesondere der Gründer-Halle (1480) und der Amida-Halle (1481) in Yamashina, östlich von Kyōto, legte er das Fundament für die Honganji-Institution.199 In der Zeit Rennyos, die in die japanische Geschichtsschreibung als „Zeitalter der kämpfenden Provinzen“ (sengoku-jidai 戦国時代, 1467–1568) einging, kam es u. a. zu Aufständen von Honganji affilierten Gruppen (die damals unter der Fremdbezeichnung Ikkō-shū 一向宗 bekannt waren) gegen lokale Feudalherren, die aus der Bevölkerung immer mehr Soldaten und Steuern herauspressten. Diese Aufstände (bekannt als ikkō-ikki 一向一揆) fanden in einem Sieg der Honganji-Anhänger gegen den daimyō in Kaga (heute Provinz Ishikawa) einen Höhepunkt, der zu einer hundertjährigen Herrschaft des Honganji in dieser Provinz führte. Der wachsende politisch-militärische Einfluss des Honganji und die Ausbreitung seiner Anhänger, der mit einer aggressiven Propagierung der Lehre und der Kritik anderer Glaubensrichtungen einherging, führte naturgemäß zu politischen Reaktionen. So wurde in vielen Provinzen die Lehre der Jōdo-shinshū verboten und es kam zu Verfolgungen, wodurch sich das weitere Wachstum des Honganji jedoch nicht aufhalten ließ. In der Selbstdarstellung der Honganji-ha heißt es: „Indeed, the voice of the nembutsu was spread throughout Japan as a result of the great suffering, and even martyrdom, of adherents.“200 197 198 199 200

Zu Rennyo vgl. J. Dobbins 1989, [132]–156; M. L. Rogers/A. T. Rogers 1991; Rennyo-shōnin 1995. Vgl. SKJ 186. Von Rennyo sind 266 Briefe erhalten, die aus den Jahren 1461–1498 stammen (Letters of Rennyo 2000, xiii). Letters of Rennyo 2000, xi–xii. Jodo Shinshu–A Guide 2002, 98.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Vor dem Hintergrund der ikkō-Aufstände erließ Rennyo in den Jahren 1473–1475 mehrere Regularien für das ethische Verhalten der Gläubigen, in denen verächtliche Aussagen über andere Götter und Bodhisattvas untersagt und der Gehorsam gegenüber der politischen Herrschaft eingefordert wurde. Außerdem wurden die Anhänger aufgefordert, ihren Glauben zu verbreiten und andere zur Erlösung führen. Dem dharma widersprechende Lehre sollte unterbunden werden, und innere Angelegenheiten durften nicht an Außenstehende weitergegeben werden. 201 Damit waren auf der Grundlagen der Unterscheidung von buppō 仏法 (dem Gesetz/dharma Buddhas) und ō-bō 王法 (dem Gesetz des Königs), die die religiöse von der säkularen Sphäre trennte, Leitlinien für eine shin-buddhistische Ethik formuliert. 202 Damit konnte Rennyo jedoch militärische Auseinandersetzungen und gewalttätige Rivalitäten seitens anderer buddhistischer Schulen in der Zukunft nicht vermeiden. Nach seinem Tod kam es zu weiteren Auseinandersetzungen, in denen der von Rennyo gegründete Honganji-Tempel in Yamashina niedergebrannt wurde. Er wurde in Ishiyama (einem Teil des heutigen Osaka) wiedererrichtet und später von Oda Nobunaga elf Jahre lang belagert, ohne jedoch eingenommen werden zu können. Schließlich kam es 1580 durch Intervention des Tenno zu einer Einigung, die dahin führte, dass der Honganji unter Rennyos Nachfolger Kennyo 顕如 in Kyōto an seinem heutigen Standort errichtet werden konnte. Da Kennyōs ältester Sohn Kyōnyo 教如 jedoch gegen den Willen seines Vaters den Kampf gegen Oda Nobunaga fortsetzen wollte, ernannte Kennyo seinen zweiten Sohn Junnyō 准如 zu seinem Nachfolger als 10. monshu des Honganji. Darüber kam es zur Spaltung des Honganji in zwei Fraktionen, die in der Etablierung des Higashi (östlichem)-Honganji (= Ōtani-ha) mit Kyōnyo als Abt und dem bisherigen Honganji als Nishi (westlichem)-Honganji. Diese Spaltung war durchaus auch im Interesse der politischen Machthaber. In religiöser Hinsicht entwickelten die beiden Denominationen einen unterschiedlichen Charakter. So kann Nishi-Honganji bis heute als die konservativere Traditionslinie bezeichnet werden, auch wenn es in der Lehre laut offizieller Darstellung keine Unterschiede gibt. 203 Während der Tokugawa-Herrschaft (1600–1868) erlebte Jōdoshinshū einen Höhepunkt seiner Entwicklung, da es unter dem feu201 202 203

Vgl. K. Kasahara 2001, 209–210. E. Harrison zeigt, wie sich diese Unterscheidung auch in den Predigten während der Tokugawa-Ära auswirkt (E. G. Harrison 1992, 181–189). So Jodo Shinshu–A Guide 2002, 100; vgl. dazu jedoch Abschnitt 8.1.

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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dalistischen Shogunat zu einem Verbot des Christentums und einer Christenverfolgung kam und im Gegenzug (wenn auch mit Einschränkungen) der Buddhismus staatlich gefördert wurde. In der Folge übernahm die Organisation des Honganji jedoch auch feudalistische Strukturen. 204 Während der Meji-Ära (1868–1912) mit der Abschaffung des Shogunats und des Feudalismus, der Restauration des Tennō und der Modernisierung des Landes infolge der Öffnung für den Westen änderte sich die Situation grundlegend. Der Buddhismus sich starken anti-buddhistischen Tendenzen ausgesetzt (hai-butsu ki-shaku 排仏毀釈) und musste sich unter großem Legitimationsdruck um eine grundlegenden Neuorientierung und Modernisierung bemühen. 205 In dieser Situation geriet der Buddhismus in starke Konkurrenz zum Christentum, was sich nicht unerheblich auf die interreligiöse Begegnung während dieser Zeit auswirkte. 206 Gleichzeitig begann Honganji-ha auch mit der durch die politisch Öffnung des Landes erstmals möglich gewordene Missionstätigkeit in Übersee (zunächst unter ausgewanderten Japanern, 1889 wurden erste Missionare nach Hawaii ausgesandt) und in der neu erschlossenen Region Hokkaido im Norden Japans (seit 1869). 207 Begegnung mit der Moderne. Aus der Begegnung von Jōdo-shinshū mit der Moderne – mit ihrem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt und dem zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Weltbild  – die Ōtani-ha und Honganji-ha auf je eigene Weise bearbeitet haben, entwickelten sich dogmatischen Differenzen, die sich auf Gesamtcharaker und die Gestalt der religiösen Kommunikation auswirken. Ihren Kristallisationspunkt fand diese Konfrontation in der Nonomura-Debatte 1923, in der der Honganji-ha Priester und Professor der Honganji affilierten Bukkyō-(heute Ryūkoku-)Universität Nonomura Naotarō 野々 村直太朗 in einer Serie von Zeitungsartikeln und durch Buchpublikationen (insb. Jōdo-kyō-hihan 浄土教批判 „Kritik der Lehre vom Reinen Land“) Jōdo-shinshū als mit der Moderne unvereinbar kritisierte.208 204 205 206

207 208

Jodo Shinshu – A Guide 2002, 100. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 100–101; K. Kasahara 2001, 545–559. M. Schrimpf (2000) hat die buddhistisch-christliche Begegnung während diese Zeit ausführlich dargestellt. Vgl. auch Abschnitt 13. In diesem Zusammenhang gerierte sich Jōdo-shinshū durchaus nationalistisch, was auch gegen das Christentum als ausländischer Religion aus dem Westen in Anschlag gebracht wurde. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 101. 162. Auch Ōtani Kōshin geht in seinen hōwa regelmäßig auf die überseeische Mission ein. Ich beziehe mich hier auf die Darstellung durch Y. Kigoshi 2004, [89]–101. Dort finden sich auch die einschlägigen Zitate von Nonomura.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Nonomuras Hauptkritikpunkte lassen sich wie folgt zusamenfassen: Erstens habe der Glaube an die Geburt in einem Reinen Land nach dem Tod durch seine Jenseits-Orientierung den Feudalismus gestützt, indem er die leidvolle Gegenwart zu ertragen und die Hoffnung auf ein nachtodliches Paradies lehrte. Shin-Buddhismus sei nicht vereinbar mit dem gegenwärtigen politischen System. Zweitens seien Amida und das Reine Land Mythen, die mit moderner Wissenschaft nicht vereinbar seien und deshalb als geschickte Mittel aufgefasst werden müssten; sie seien lediglich akzidentieller Ausdruck (expression), aber nicht Wesen (essence) des Glaubens. Und drittens könne sich der Reines-Land-Buddhismus historisch nicht auf den Buddha berufen. Nonomura, der mit seinen Thesen einen heftigen Disput entfachte, verfolgte die Absicht, mit dieser „Destruktion“ eine der Moderne entsprechende „Konstruktion“ von shinbuddhistischer Lehre zu ermöglichen.209 Diese Fundamentalkritik mit ihrer soziologischen, philosophischen und historischen Argumentation forderte (nicht zuletzt durch die in breiter Öffentlichkeit geführten Debatte) eine Reaktion der Honganji-ha heraus, die sich zu dem Zeitpunkt auf das 700. Jubiläum vorbereitete. Im August 1923 wurde Nonomura die Priesterwürde entzogen und seine Absetzung als Professor von der Universität betrieben, aus der er im Dezember des selben Jahres ausschied. Unter Bezug auf H. Sasaki und aus der Perspektive von Ōtani-ha hält Y. Kigoshi als Ergebnis fest: „Unfortunately, in the Honganji Order, such development ended with the establishment of ‘more conservative and rigid’ Doctrinal Studies.“210 Während sich Honganji-ha durch den „Nonomura-Zwischenfall“ (Nonomura-jiken 野々村事件) auf eine konservative Position festgelegt hat, mündete die Debatte bei Ōtani-ha, die davon ebenso betroffen war, in eine Öffnung für (existenzialistische) Neuinterpretationen des Reinen Landes. Im Zentrum der Entwicklung standen hier Professoren der Ōtani-ha affilierten Ōtani-Universität, namentlich Kiyozawa Manshi, Kanneko Daiei, Soga Ryojin und D. T. Suzuki. 211 Kiyozawa 209

210 211

Die Parallelen der Nonomura-Debatte in Japan zur Auseinandersetzung um Bultmanns Programm der Entmythologisierung eine Generation später in Deutschland liegen auf der Hand. Y. Kigoshi 2004, 97. Obwohl er auch über Jōdo-shinshū publizierte, wurde Suzuki Daisetzu Teitarō 鈴木 大拙貞太郎 (1870–1966) im Westen durch seine zahlreichen Publikationen über Zen bekannt und kann als Nestor des Zen im Westen gelten. Suzuki war seit 1921 Professor an der Ōtani-Universität. In Vorträgen von 1958, die als Buch in englischer Sprache veröffentlicht wurden, erläutert er seine Reinterpretation der traditonellen Lehrgestalt: „According to my explanation, Pure Land is right here, and those who have eyes can see it around them. And Amida is not presiding over an ethereal paradise, but his Pure Land is this dirty earth itself. It is now apparent that my Pure

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

285

Manshi 清沢満之 (1863–1903) hatte bereits eine Generation vor Nonomura das Problem des Verhältnisses von Glaube und Vernunft bearbeitet und den Weg für moderne Interpretationen von Jōdo-shinshū geebnet. 212 Als jedoch Kaneko Daiei 金子大榮 (1881–1976) inmitten der Nonomura-Debatte das Reine Land als Bewusstseinsinhalt interpretiert, wird seine Lehre von Konservativen innerhalb der Ōtani-ha als häretisch verurteilt. Daraufhin legt Daiei sein Amt an der Universität nieder und sagt sich 1924 von seinem Priesteramt der Ōtani-ha los. Im Unterschied zu Nonomura bei Honganji-ha, konnte Daiei 1940 in sein Amt als Priester und Universitätslehrer zurückkehren und nahm fortan ein führende Rolle in der Modernisierung der Lehrgehalte von Jōdo-shinshū ein. Mit der gewonnenen akademischen Freiheit gegenüber der von der Tradition vorgegebenen Lehrgestalt ergab sich auch ein neuer Zugang zu Shinrans Schriften. Y. Kigoshi resümiert den unterschiedlichen Ausgang der Auseinandersetzung um Nonomura und Daiei: „It indicates that the Otani Order managed to avoid a rigid approach in Doctrinal Studies and opened up a new path for free academic pursuit directly linked to Shinran.“213 Er fügt jedoch einschränkend hinzu, dass die Aufgabe der Modernisierung auch bei Ōtani-ha noch nicht abgeschlossen sei. 214 Einen wesentlichen Anteil an der Modernisierung von Jōdo-shinshū hat der anlässlich des 700. Todestages von Shinran (1962) initiierte Individualisierungschub bei Ōtani-ha. Hintergrund ist die zunehmende Urbanisierung mit der schwindenen Bedeutung der Großfamilie und die Ausdünnung der ländlichen Basis der Honganji- Denominationen. Bis dato galt die (Groß-)Familie (jap. ie 家) als grundlegende soziale Einheit auch als Einheit in religiöser Hinsicht. Mit der sog. dō-bō-kai un-dō 同朋会運動, einer Art Zellgruppen-Laienbewegung, sollte die

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Land doctrine will go directly against the traditional or conventional explanation.“ Und an anderer Stelle: „As I said before, we don’t go out of this world in order to be born in the Pure Land, but we carry the Pure Land all the time. Being born in the Pure Land means discovering the Pure Land in ourselves.“ Entsprechend werden auch Amida und das Nembutsu interpretiert: „We find our inner self when Namu Amida Butsu is pronounced once for all. My conclusion is that Amida is our inmost self, and when that inmost self is found we are born in the Pure Land.“ (D. T. Suzuki 1970, 17. 40 und 41). Suzuki ist sich bewusst, dass seine Reinterpretation in direktem Widerspruch zur traditionellen Auffassung steht. Der Begriff „conventional“ mag ein Hinweis auf den Begriff der relativen oder konventionellen Wahrheit (jap. zoku-tai 俗諦). Vgl. zu Suzukis heterodoxer Interpretation von Jōdo-shinshū auch E. Porcu 2008, 66–76. Vgl. auch SKJ 52. Y. Kigoshi 2004, 100. Y. Kigoshi 2004, 101.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

individuelle Glaubensüberzeugung des Einzelnen gestärkt werden. 215 Auf diese Weise wurden die Angehörigen der Ōtani-ha auf breiter Basis mit den bereits seit Kiyozawa Manshi und dann in den 20er Jahren einsetzenden dogmatischen Entwicklungen vertraut. Diese Entwicklung hatte auch großen Einfluss auf die Lehrgestalt der Verkündigung. 216 Bereits ein Jahr zuvor hatte Hongaji-ha die vergleichbare Bewegung der mon-shin-to-kai 門信徒会 (Vereinigung der Angehörigen der Denomination) gegründet. Zum 750. Jubiläum der Jōdo-shinshū (1973) veröffentlichte die Komission für die Förderung religiöser Erziehung von Honganji-ha die Schrift „Shinran in the Contemporary World“, die auch ins Englische übersetzt wurde. Insbesondere Marxismus und Nihilismus bilden eine Gefahr für den Glauben. Die Beschreibung der Krise erinnert stark an Tillich: „We have shown that the fundamental problem of modern man is his loss of the ultimate ground of being, his severance from that which is timeless.“217 Die kritische Analyse der Moderne mit ihren negativen zivilisatorischen Begleiterscheinungen wie Entfremdung und Umweltverschmutzung wird mit Shinrans Lehre in Beziehung gesetzt, die zu einem „productive dialogue of past and present“ führen soll. Jōdo-shinshū in der Gegenwart. In der Statistik des 2007 vom japanischen Kultusministerium herausgegebenen statistischen Jahrbuchs der Religionen (shūkyō-nenkan 宗教年鑑)218 werden für das Jahr 2006 zweiundzwanzig religiöse Körperschaften in der Reines-Land-Tradition (jōdo-kei 浄土系) mit insgesamt 19.553.860 Gläubigen aufgeführt, davon entfallen mehr als die Hälfte der Anhänger auf die beiden größten Denominationen von Jōdo-shinshū. Honganji-ha ist mit fast sieben Millionen (6.940.964) Gläubigen die größte Körperschaft zu der 10.446 Tempel (ji-in 寺院) und Verkündigungsplätze (kyō-kai 教会 und fukyō-jo 布教所) mit 19.085 „Lehrern“ (kyō-shi 教師) – davon 2.288 Frauen – gehören. Zu Ōtani-ha, der zweitgrößten Denomination, zählen 5.533.146 Anhänger mit 19.162 „Lehrern“ (davon 2.545 Frauen) in insgesamt 8.781 Tempeln und Verkündigungsplätzen. 219 215 216 217 218 219

Die Idee hatte der damalige Leiter der Abteilung für religiöse Angelegenheiten (shūmu-sōchō 宗務総長) Kurube Shinyū 順覇信雄. E-Mail-Kommunikation mit Sakado Hiromu 24. 9. 2005. Zur dō-bō-kai-Bewegung vgl. auch K. Kasahara 2001, 592–593. Shinran in the Contemporary World 21979, 37 und 131. Shūkyō-nenkan 2007, 46–47. Ein Vergleich mit den Zahlen der Vor- und Nachkriegszeit lässt die Entwicklung innerhalb Honganji-ha und Ōtani-ha deutlich werden. Im Jahr 1933 (Zahlen nach W. Gundert 1943, 207–208) zählten die traditionell zehn Denominationen von

7. Basisinformationen zu Jōdo-shinshū

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Eine vergleichbare Größenordnung erreichen in Japan nur noch der Nichiren-Buddhismus (mit gut sechzehn Millionen Anhängern), die auch Jōdo-shinshū überflügeln, sowie der esoterische Shingon mit knapp zwölf Millionen Anhängern. Die alten Nara-Schulen spielen mit insgesamt gut 700.000 Anhängern kaum mehr eine Rolle. Für den im Westen als dominant wirkenden Zen-Buddhismus werden lediglich 1.771.719 Anhänger gezählt. 220 Die christlichen Kirchen nehmen sich mit einer runden Millionen Mitgliedern im religiösen Kontext Japans sehr bescheiden aus. Die gegenwärtig weltweiten Aktivitäten von Honganji-ha belegen, dass auch im 21. Jahrhundert der ursprüngliche Impetus der buddhistischen Lehre als universaler Heilsverheißung nach wie vor lebendig und zu neuem Selbstbewusstsein erwacht ist (Vergleichbares lässt sich in der Weise von Ōtani-ha nicht sagen). So schreibt Itoku Takeno, der Governor General von Honganji-ha, im Vorwort zur Selbstdarstellung der Jōdo-shinshū: „The Nembutsu teaching of Shinran Shonin provides a path to true awakening, enlightenment and liberation not only for Japanese people but for all people, regardless of nationality, ethnic background, ability, or any

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Jōdo-shinshū in Japan insgesamt 13.214.390 Anhänger, davon entfielen allein auf Honganji-ha und Ōtani-ha 12.259.584 Anhänger (7.209.752 und 5.049.832). Gegenüber dieser Dominanz bewegen sich die übrigen acht Denominationen im niedrigen fünf- und sechsstelligen Bereich. Die Zahl der Tempel wird für Honganji-ha mit 9.765 und für Ōtani-ha mit 8.484 angegeben. Davon unterschieden werden kyōkaisho (von Gundert als „Predigtstätten“ bezeichnet), die bei Honganji-ha auf 1.449 und bei Ōtani-ha auf 746 beziffert werden. Liegt die Zahl der „Predigtstätten“ bei Honganji-ha fast doppelt so hoch wie bei Ōtani-ha, so liegt die Zahl der sōryō (Gundert: „Predigt- und Lehrberechtigte“ – nur männlich!) bei Ōtani-ha signifikant höher: 25.754 im Unterschied zu Honganji-ha mit 18.474. Das liegt möglicherweise daran, dass bei Ōtani-ha jeder sōryō lehrberechtig ist, während bei Honganjiha eine zusätzliche Prüfung abzulegen ist (Persönliche Kommunikation mit Sakado Hiromu, Kyōto am 17. 8. 2006). Fünfzig Jahre später (Zahlen nach Japanese Religion 1972/1981, 252) sah die Entwicklung nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und des Wirtschaftswunders bei Honganji-ha und Ōtani-ha folgendermaßen aus: Anhänger von Honganji-ha zählten 6.662.362 (ein Rückgang von 547.390), während Ōtani-ha einen signifikanten Zuwachs von 1.665.302 auf insgesamt 6.715.135 Anhänger verzeichnete. Die Zahl der Versammlungsstätten („Temples“, „Churches“ „Meeting Places“) wird in dieser Reihenfolge für Hongaji-ha mit 10.492, 14, 7 angegeben und für Ōtani-ha mit 9.554. 424. Insgesamt also für Honganji-ha 10.513 (1933: 11.214) und für Ōtani-ha 9978 (1933: 9230). Bei Honganji-ha ergibt sich hier also ein leichter Zuwachs trotz des starken Anhängerschwundes und bei Ōtani-ha ein Zuwachs, der nicht ganz dem Zugewinn an neuen Anhängern entspricht. Die Zahl der sōryō sank bei Honganji-ha auf 15.236 (1933: 18.474), wobei nun auch 914 weibliche sōryō gezählt werden. Bei Ōtani-ha verringerte sich die Zahl der sōryō (trotz nun auch 1.402 weiblicher) gar um 8865 von 25.754 im Jahr 1933 auf 16.889. Das ist angesichts des großen Zugewinns an Anhängern umso erstaunlicher. Shūkyō-nenkan 2007, 46–47.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

other distinction. Accordingly, there is a pressing need for resources about Jōdo-shinshū and its doctrine in languages other than Japanese. Thus it is with great pleasure that we release this publication of Jōdo-shinshū – A Guide. […] We sincerely wish that through efforts such as this, the Nembutsu teaching will spread to people throughout the world.“221

Gegenwärtig unterhält Honganji-ha Missionen in 16 Ländern auf fünf Kontinenten. Eine Übersicht der einzelnen Vertretungen zählt folgende Länder auf: Brasilien, Argentinien, Mexiko, Kanada, USA, Australien, Deutschland, Österreich, Polen, Rumänien, England, Schweiz, Belgien, Hong-Kong, Singapur und Taiwan. 222 Die meisten Tempel gibt es in den USA. Für Jōdo-shinshū in Deutschland und Europa gilt der in Berlin geborene Harry Pieper (1907–1978) als Pionier. Pieper wandte sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg dem Buddhismus zu und war von 1930–1934 Leiter des Buddhistischen Hauses in Berlin-Frohnau. 1951wurde er zu einem Priester des Mahāyāna ordiniert und gab die Zeitschrift „Licht des dharma“ heraus. 1954 wandte er sich unter dem Eindruck von Osamu Yamada und dem damaligen monshu der Hongaji-ha, Kōshō Ōtani, Jōdo-shinshū zu. 1956 gründete er mit anderen die „Buddhistische Gemeinschaft Jōdo-Shinshū“ (BGJ), die erste ihrer Art in Europa. Ab 1957 wurde er zum offiziellen Vertreter des Honganji in Europa. 223 Seit 1993 bildet der durch die Numata-Foundation geförderte Ekō-Tempel (恵光寺) in Düsseldorf das Zentrum des ShinBuddhismus in Europa.224

221

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Jodo Shinshu – A Guide, o. S. Ebenso gilt, wie bereits Rennyo gefordert hat, für jeden Gläubigen die Aufgabe der Glaubensverbreitung: „Responsibility for spreading the Buddha-dharma is not left up to ministers alone. As ‘fellow practicers,’ there is no distinction between priests or laypeople, and in actuality, the teaching is passed along from one person to another. In this way, all ‘fellow practicers’ are the means by which the dharma is propagated.“ (Jodo Shinshu – A Guide 2002, 104). Der egalitäre Grundsatz Shinrans „weder Priester noch Laie“, der im Kontext der Soteriologie steht, wird hier auf die Aufgabe der Glaubensweitergabe übertragen, die unterschiedslos gilt. Der minister bei Jōdo-shinshū wird vom priest unterschieden. Ihm fällt bei Jōdo-shinshū als fu-kyō-shi 布教師 in besonderer Weise die Aufgabe der öffentliche Predigt zu, wie noch ausführlich dargestellt wird. www.pitaka.ch/dirshin.htm#europe aufgerufen am 27. 8. 2009. J. Eracle 1998, 9–10. Der Ekō-ji firmiert unter der Bezeichnung „Eko – Haus der Japanischen Kultur“ als Kommunikationszentrum. Er bietet eine Fülle religiöser, kultureller und wissenschaftlicher Veranstaltungen und unterhält eigene Publikationsreihen (homepage: www.eko-haus.de).

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū Shinjin 信心 ist der shin-buddhistische Terminus für die zentrale religiöse Erfahrung Shinrans und der Kern der sich auf ihn gegründenden Jōdo-shinshū.1 In Rennyos Gobunshō 御文章 5,10 heißt es: „What is taught in the tradition of Shinran Shonin is that the entrusting heart [shinjin 信心] is essential.“2 Für Jōdo-shinshū bildet shinjin nicht nur den Anfang auf dem Weg der Buddhaschaft, sondern auch dessen Mitte und Ziel.3 Damit ist innerhalb des Buddhismus ein wesentliche Entwicklung markiert. Ausgehend von Shinran und der Tradition der (Nishi)Honganji-ha, stelle ich im Folgenden die Grundstrukturen des Glaubensbegriffs dar.4

8.1 Begriffsgeschichtlicher Hintergrund und das Problem der Übersetzung Begriffsgeschichtlich weist shinjin eine genuin buddhistische Genese auf. Shin 信 bzw. shin-jin 信心 bildet zunächst die sino-japanische Übersetzung des Sanskritwortes sraddhā (pali: saddhā).5 Sraddhā wird mit 1

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Vgl. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 148, Ōtani Kōshin 1992, 21, Y. Kigoshi 2000, 50–51, Jodo Shinshu – A Guide 2002, 78; T. Shigaraki 2004, 42. Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen, sei hier angemerkt, dass die Schriftzeichen mit dem Lautwert shin in shinjin (信心) und shin 真-Buddhismus, bzw. Jōdo-shinshū (浄土真宗) nicht identisch sind, daher kann von der Selbstbezeichnung der Jōdo-shinshū nicht die Bezeichnung „Glaubensbuddhismus“ abgeleitet werden (wie es z. B. J. Laube in LThK 9, 544 tut)! Letters of Rennyo 2000, 3; JSS 1196. Vgl. K. Ōtani 1992, 21. Meine Quellen bilden die japanischen Werke Shinrans im JSS und deren von Honganji-ha autorisierte englische Übersetzung in den CWS, englischsprachige Selbstdarstellungen des Honganji International Center, sowie eine hōwa 法話 des gegenwärtigen religiösen Oberhauptes von Honganji-ha Ōtani Kōshin 大谷光真 über „satori und shinjin“, die ich vollständig übersetzt und analysiert habe. In einzelnen indischen Texten steht anstelle von sraddhā der Begriff prasāda, der nach U. Schneider noch eher als „Glaube“ wiedergegeben werden kann (U. Schneider

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

„Vertrauen, Glaube“ wiedergegeben und bezeichnet ursprünglich das Vertrauen auf die Wahrheit des Buddha, seiner Lehre und der daraus folgenden Praxis.6 Sraddhā gilt als der erste Schritt auf dem Heilsweg.7 Nach H.-J. Klimkeit handelt es sich dabei um „eine wesentliche Voraussetzung des Betretens des Heilsweges“8 und steht in enger Beziehung zur ersten Forderung des achtfachen Pfades, der rechten Anschauung, die H.-J. Klimkeit als „Stufe der ‚rechten Glaubensansicht‘“ bezeichnet.9 Bevor die Lehre Buddhas intellektuell durchdrungen und erfahrungsmäßig nachvollzogen werden kann, muss sie zunächst akzeptiert werden, um sich auf ihren Weg einzulassen. Das gilt insbesondere zunächst für Mönche, die sich konkret auf die Lebensweise eines Wanderasketen einlassen und in die „Hauslosigkeit“ ziehen (jap. shukke 出家). In diesem Kontext enthält sraddhā das Moment eines existenziellen Wagens und Sich-Einlassens auf die Verheißung hin, dass der Weg, den der Buddha gegangen ist und den er lehrte, zur Heilsverwirklichung führt. Es handelt sich gewissermaßen um ein Vorschussvertrauen, das von der eigenen Erfahrung und Einsicht eingeholt werden muss. So wird in „Jodo Shinshu – A Guide“ definiert: „Shin or sraddha is something based on fact that can be ascertained through practice.“10 U. Schneider weist darauf hin, dass dieses Vertrauen auf die Wahrheit der Lehre Buddhas zudem eine Alternative zur theoretischen Durchdringung der Lehre11 darstelle, welche keine Bedingung der Heilsverwirklichung ist, und zu der nicht jeder Aspirant intellektuell in der Lage ist.12 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Glaube und Vertrauen in dem Maß an Bedeutung gewinnen, in dem nicht nur das Studium der Lehre, sondern auch die asketische Praxis nicht in vollem Maß möglich ist, d. h. für Laien.13 Glaube/Vertrauen konzentriert sich auf die drei Juwelen (skr. triratna, jap. sanbō 三宝), den Buddha, die Lehre (skr. dharma) und die Gemeinde

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3 1992, 71, Fn.  31). Auch T. Shigaraki rekurriert in seiner Darstellung auf prasāda, gibt es allerdings mit „Klarheit, Reinheit, Ruhe“ wieder (T. Shigaraki 2004, 43), eine Bedeutung, die in BGJ 278 und im SKJ 98 angeführt wird. Zu Sraddha im indischen Kontext vgl. W. C. Smith 1987, 59–68. U. Schneider 31992, 217; M. v. Brück 2007, 543. Die hier angesprochene Trias von Lehre, Praxis und Erleuchtung bildet die „Drei Pfeiler des Zen“. Shinran hat in seinem Hauptwerk Kyō-gyō-shin-shō als viertes und entscheidendes Element shin 信 („Glaube/Vertrauen“) hinzugefügt. BGJ 278, dort weitere Belege. H.-J. Klimkeit 1990, 164. H.-J. Klimkeit 1990, 164. Anders M. v. Brück 2007, 127. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 78. Der Sanskrit-Begriff adhimukti (jap. shinge 信解) fasst Glaube und Verstehen zusammen, vgl. DJBT, IBJ, BGJ s. v. shinge. U. Schneider 31992, 71. 125. H.-J. Klimkeit 1990, 164–165; U. Schneider 31992, 125.

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū

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(skr. sangha), zu denen jeder, der den Weg Buddhas betritt, seine Zuflucht (skr. sarana, jap. kie 帰依) nimmt. „Ich nehme meine Zuflucht zum Buddha! Ich nehme meine Zuflucht zur Lehre! Ich nehme meine Zuflucht zur Gemeinde.“14 H. Inagaki gibt sogar als erste Bedeutungen von shinjin 信心 an: „Faith; belief in the Buddha and dharma or in the Three Treasures (sanbō*).“15 Inagaki gebraucht hier faith als direkte Wiedergabe von shinjin und definiert dann faith als belief in die drei Juwelen. Auch Ōtani Kōshin erläutert shinjin etymologisch im Zusammenhang mit der Zuflucht zu den drei Juwelen, die affektiv verbunden ist mit Ruhe und Reinheit des Herzens/Geistes, sowie der Erfahrung tiefer Freude.16 Da ein gewisses Vertrauen die Voraussetzung dafür ist, sich auf das Hören und Befolgen der Lehre einzulassen, gilt auch für Ōtani Kōshin shinjin als „Startpunkt des Buddhismus“ (shinjin wa bukkyō no shuppatsuten dearu 信心は仏教の出発点である).17 Bei dem dreifachen Zuflucht-Nehmen handelt es sich um einen performativen Sprechakt, der, begleitet von Symbolhandlungen, den grundlegenden buddhistischen Initiationsritus bildet. Bei Jōdo-shinshū wird diese feierliche Zeremonie als kikyoshiki 帰敬式 oder auch kieshiki 帰依式 bezeichnet (umgangssprachlich auch als kamisori-shiki, wörtl. Kopfrasur-Zeremonie). Im Englischen wird dieser Ritus mit „confirmation-rite“ oder „affirmation-rite“18 wiedergegeben. Spezifisch für Jōdo-shinshū ist, dass der „Konfirmand“ bezeugt, dass er seine Zuflucht zu Jōdo-shinshū resp. dem nembutsu nimmt.19 In der Regel wird dieser Ritus nur im Haupttempel vom monshu durchgeführt. Neben der symbolischen Kopfrasur wird auch ein neuer (dharma-) Name verliehen (hō-myō 法名). 20 In dem Initial-Vertrauen, das seine Zuflucht ki-e 帰依 (auch ki-myō 帰命) zu Buddha nimmt, findet sich auch terminologisch der Konnex zum nembutsu 念仏 in der Formel namu-amida-butsu 南無阿弥陀仏. Das Sanskrit-Wort namas, dessen Lautwert (ateji) mit den beiden chinesischen Schriftzeichen 南無 als namu wiedergegeben wird, bedeutet auch „Verehrung/Huldigung“ und gilt als Synonym für kie-e / ki-myō. 21 14 15 16 17 18 19 20 21

U. Schneider 31992, 112. Zur kritischen Diskussion der Genese dieser Formel ebd., 112–113. DJBT s. v. shinjin 302. K. Ōtani 1992, 19. K. Ōtani 1992, 20. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 140. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 140; SKJ s. v. ki-kyō-shiki 帰敬式, 47. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 140. SKJ 49; DJBT 223; im Glossar zu JSS wird ki-myō sogar als erste Bedeutung von namu angegeben, JSS 1473.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Die Frage, wozu man seine Zuflucht nimmt, impliziert die Frage wovor sie gesucht wird. Die erste der vier Edlen Wahrheiten Buddhas bezeichnet die Unheilssituation als Leiden im umfassenden Sinn. So wird das Leiden zum Anlass für den Glauben, wie das samyutta nikaya (II, 31) formuliert: „Aus dem Leiden folgt Glaube, aus Glaube Beseligung, aus Beseligung Freude, aus Freude innere Ruhe, aus innerer Ruhe seliges Behagen, aus Seligkeit die Versenkung, aus Versenkung die rechte schauende Erkenntnis, aus der Erkenntnis Leidenschaftslosigkeit, aus der Leidenschaftslosigkeit die Befreiung.“22 H.-J. Klimkeit kommentiert dazu: „Erst der sich aus der konkreten Leidenserfahrung ergebende Glaube ermöglicht das Betreten des Pfades, der zur Erlösung führt. Wenn im späteren Ostasiatischen Buddhismus der Glaube fast im Sinne einer sola fideTheologie zur unmittelbaren Voraussetzung der Erlösung wird, so ist das letztlich im obigen Schema begründet.“23

Hier ist das für die religiöse Rede relevante Verhältnis von (erfahrener) Unheilssituation und Glaube angesprochen, das zu der Frage führt, inwiefern die existenzielle Leiderfahrung bzw. der Aufweis und die Plausibilisierung einer (nicht letztlich beweisbaren) prinzipiellen Unheilssituation notwendige Bedingung für das Aufgeschlossenwerden für die Heilserfahrung ist. 24 Das Problem der Übersetzung von shinjin 信心. Das erste Schriftzeichen shin 信 bedeutet „Vertrauen, Glauben“, bzw. als Verb (shin-zuru) „vertrauen, anvertrauen, glauben“. Das zweite Schriftzeichen mit der japanischen Lesung kokoro 心 bezeichnet „Herz, Geist, Wesen“. 25 So 22 23 24

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Zitiert nach H.-J. Klimkeit 1990, 164. H.-J. Klimkeit 1990, 164. Ich habe aufgezeigt, wie bei Paul Tillich (in Aufnahme des lutherischen Schemas von Gesetz und Evangelium) das „Durchleben der Grenzsituation“ als elenchtische Funktion der Predigt die erste Forderung an die protestantische Verkündigung bildet, wie sie Tillich auch selbst in seinen Predigten umgesetzt hat. Im Folgenden wird zu fragen sein, wie dieses Verhältnis bei Jōdo-shinshū zu verstehen ist. Diese Frage führt zugleich ins Zentrum des shin-buddhistischen Verständnisses von shinjin. Vgl. auch das bereits aufgeführte Zitat von D. T. Suzuki, dass nichts so sehr das religiöse Bewusstsein erwecke wie das Leiden (D. T. Suzuki 1970, 41). Der japanische Begriff kokoro 心 ist, im Unterschied zum Begriff shinzō 心臓, der das Körperorgan bezeichnet, ein semantisch stark aufgeladener Begriff, wie bereits der einfache Blick in ein Wörterbuch zeigt. Shinzinger u. a. 1980 geben es als „Herz, Seele, Geist, Gemüt“ wieder. Bei Masuda 341996 (der kokoro und seinen Zusamensetzungen ganze sieben Spalten im Kenkyusha’s New Japanese-Englisch Dictionary widmet) finden sich „mind, spirit, mentality, an idea, (a) thought, heart, feeling, attention, interest, care, memory, fancy, taste, a mood, humor, a frame of mind, the why, the answer, the meaning“ als Äquivalente für kokoro in seinen unterschiedlichen Kontexten. Spahn / Hadamitzky 1989 listen nicht weniger als acht Spalten von mit

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū

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wird shinjin in der Regel als „entrusting heart“26 , „gläubiges Herz“27, oder als „true, real, and sincere heart and mind“28 wiedergegeben. Im Profanjapanischen hat shinjin jedoch diesen spezifisch shin-buddhistischen Gehalt weitgehend eingebüßt und wird im Sinn von „Pietät, Frömmigkeit“ gebraucht. Die konventionelle Übersetzung von shinjin lautet „faith“ bzw. „Glaube“. Die Brisanz dieser Übersetzung ergibt sich jedoch erst durch ihren shin-buddhistischen Strukturzusammenhang mit der Exklusiviät von shinjin und der Wirksamkeit der „Anderen Kraft“ tariki 他力. Die formale Analogie zum reformatorischen sola fide und sola gratia hat in der christlichen Rezeption teilweise eine Eigendynamik entwickelt, die den genuin shin-buddhistischen Gehalt überdeckt hat. Dies hat wiederum auf shin-buddhistischer Seite zu Klärungsprozessen und Abgrenzungen geführt. Ich gebe an dieser Stelle einige Beispiele zur Verdeutlichung:29 In Shinrans Schrift yui-shin-shō-mon-i 唯信鈔文意 (Notes on ‘Essentials of Faith Alone’), lässt, wie die englische Übersetzung als „faith alone“ anzeigt, sofort an das evangelische sola fide denken.30 Dort heißt es in der von Honganji-ha (1979/1997) besorgten englischen Übersetzung: „To be free of self-power, having entrustet oneself to the Other Power of the Primal Vow – this is faith alone. […] Faith alone also means that nothing is placed equal with this shinjin of Other Power, for it is the working of the universal Primal Vow.“31

Im Zentrum der Begegnung zwischen Christentum und Jōdo-shinshū steht von Anfang an die Frage nach der Bedeutung des sola fide. Dabei wurde, wie ich im historischen Überblick über protestantische Verständnisse von Jōdo-shinshū zeige, Glaube in der Regel als Glaube an die Andere Kraft eines quasi-theistischen Amida-Buddha und dessen

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kokoro/shin Zusammengesetzten Begriffen (jukugo) auf. Das große Japanisch-Japanische Standard-Wörterbuch Kōjien 広辞苑 gibt unter drei Grundbedeutungen insgesamt fünfzehn Bedeutungsvarianten an, an deren erster Stelle chishiki 知識 „Wissen, Kenntnis, Information, Bekanntheit, Weisheit, Erfahrung“ steht. Hier steht der kognitive Aspekt von kokoro im Fokus. Zusammenfassend kann man sagen, dass alle drei Aspekte, der kognitive, emotionale und voluntative Aspekt, im semantischen Spektrum von kokoro enthalten sind. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 78. Y. Kigoshi 2000, 51. CWS II, 206. Im Kapitel über Jōdo-shinshū im Spiegel älterer protestantischer Darstellungen gehe ich ausführlicher auf diesen Sachverhalt ein. CWS I, 451–469. Das japanische Original findet sich in den Ausgaben des JSS 161996, 699–718 und 242005, 547–559. CWS I, 451 (Kursiv im Original).

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Gnade im Sinn eines Fiduzialglaubens verstanden und so in unmittelbarer Nähe zu reformatorischer Theologie gesehen. Gegenwärtige shin-buddhistische Autoren verwahren sich jedoch explizit gegen diese Auffassung, zu der die Übersetzungsäquivalente beigetragen haben, und lassen in der Regel shinjin unübersetzt.32 Dabei lassen sich für die Abgrenzungen zwei unterschiedliche Stoßrichtungen ausmachen. So heißt es in einer Selbstdarstellung von Honganji-ha: „The word previously had been mistranslated as ‘faith’. However, Buddhist literature does not promote ‘faith’ as it is understood in the western religious use of the word, and clearly gives this term a negative value.“33

Die zweite Stoßrichtung – sich mit der ersten überschneidend – gilt einem Verständnis, das (diesen?) Glauben als zu erbringende Bedingung für die Errettung ansieht. Y. Ueda und D. Hirota schreiben: „His [i. e. Shinrans, d. Verf.] teaching is also sometimes construed as one of ‘salvation by faith,’ but shinjin is not a means to birth. It is not an attitude assumed by practicers, but Amidas wisdom-compassion unfolding itself in them.“34

Und im Glossar zu den Collected Works of Shinran (CWS) findet sich die offensichtlich ebenfalls gegenüber christliche Missverständnisse gerichtete Erläuterung zu shinjin: „Shinran’s teaching, then, is not one of salvation through ‘faith,’ for shinjin is not a means to salvation but salvation itself.“35

Auch T. Shigaraki36 betont, dass die in der Vergangenheit gebrauchten Übersetzungsbegriffe „Glaube“ oder „Vertrauen“ den Sinn verfehl32

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So z. B. die Collected Works of Shinran. Auf die interreligiöse Problematik gegenseitiger Vereinnahmungen und darauf reagierender Abgrenzungsversuche in diesem Zusammenhang, weist auch H. M. Barth in seinem auf dem III. Internationalen Rudolf-Otto Symposium gegebenen Beitrag „Allein durch den Glauben“ hin (H. M. Barth 2000, 31). Jodo Shinshu – A Guide 2002, 78. Die Frage, worin der „negative value“ des westlichen Glaubensbegriffes im Unterschied zu shinjin bestehe, bleibt an dieser Stelle unbeantwortet. Hinter dem Nachsatz ist die apologetische Absicht deutlich erkennbar, die sich auch bei Ōtani Kōshin findet. Ebenso betont T. Shigaraki: „Häufig gab man in der Vergangenheit Shinjin mit den Worten Glauben oder Vertrauen wieder, was den Sinn verfehlte“ (T. Shigaraki 2004, 42). Y. Ueda / D. Hirota 1989, 148. CWS II, 207. Vgl. auch die grundsätzlichen Bemerkungen bei Y. Ueda/D. Hirota 1989, 12–13. Shigaraki Takamaro wird innerhalb der Honganji-ha teilweise als heterodox angesehen wird. Eine Zusammenfassung von Shigarakis Glaubensverständnis und Shinran-Interpretation liegt in der 2004 von Volker Zotz ins Deutsche übersetzten und mit einem Vorwort versehenen Schrift „Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse. Der Weg des buddhistischen Meisters Shinran“ vor. T. Shigaraki (1926–), der zuletzt Rektor der Honganji affilierten Ryūkoku-Universität war, machte sich kritische Ansichten von N. Nonomura (s. u.) zu eigen, der von Honganji-ha 1923

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ten.37 Er vergleicht shinjin mit zwei weiteren japanischen Begriffen, die als erstes der zwei Schriftzeichen ebenfalls shin (信)enthalten. Zum einen shinrai (信頼), das ein Alltagsvertrauen, ein Sich-auf-etwas-Verlassen, bedeutet, weil man die Erfahrung gemacht hat, dass es in der Vergangenheit auch so war. Zum anderen shinkō (信仰), ein genuin religiöser Begriff, der nach Shigaraki in einer Haltung besteht, „… dass zweifellos etwas Höheres und meiner Erfahrung Unzugängliches über mir steht.“38 (D. h. in der Regel Götter oder Gott). Positiv erläutert Shigaraki den Begriff shinjin als Erfahrung der Anderen Kraft (tariki 他力): „Tariki no shinjin, Shinjin der anderen Kraft, bedeutet nicht, an die andere Kraft zu glauben, wie manchmal behauptet wird. Shinjin ist die andere Kraft, ihre unmittelbare Erfahrung.“39

Der vom Katholizismus zu Jōdo-shinshū (Honganji-ha) konvertierte Belgier Adrien Peel schreibt in seinem Vergleich von Jōdo-shinshū und Christentum, dass gerade shinjin als Kernbegriff von Shinrans Lehre und Glaube nach christlichem Verständnis wesentlich verschieden seien. Gerade deshalb müsse Jōdo-shinshū gerade im Blick auf die Terminologie von shinjin sehr sorgfältig sein.40 Die Übersetzung als faith sei ein Irrtum, der in der Folge bei vielen westlichen Gelehrten zu Fehlinterpretationen geführt habe, wobei insbesondere im Vergleich mit dem Protestantismus shinjin und Amida mit Glaube und Gott substituiert wurden. Während jedoch faith im Christentum eine dualistische (ni-gen-sei 二元性) Beziehung zwischen Mensch und Schöpfergott beschreibe, bringe shinjin die Einheit (ittai-sei 一体性 zwischen Mensch und Buddha zum Ausdruck. Stelle insbesondere im Protestantismus der Glaube das Mittel oder die Methode (shu-dan 手段) dar, um durch Gottes Gnade für die eigene Seele das ewige Leben zu erlangen, so stelle shinjin aufgrund der Verhei-

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als Professor abgesetzt und aus der Priesterschaft entfernt worden war. Dass Shigaraki (der sich wegen seiner Ansichten verantworten musste) nicht das selbe Schicksal zuteil wurde, mag eine gewisse dogmatische Öffnung anzeigen. In jedem Fall dürfte jedoch im Fall Shigarakis die traumatische Erfahrung des „Nonomura-Zwischenfalls“ im Hintergrund stehen. Shigaraki gehört zu den progressiven Interpreten der Jōdoshinshū und steht der Reformbewegung innerhalb der Ōtani-ha nahe. Zotz beschreibt Shigarakis Shinran-Interpretation als „existenzialistisch“ und zählt ihn zu den konstruktiven Kritikern der Honganji-ha (V. Zotz im Vorwort zu T. Shigaraki 2004, 18). T. Shigaraki 2004, 42. T. Shigaraki 2004, 43. Shinkō 信仰 ist auch in den japanischen Bibelübersetzungen der Begriff für Glaube. In der christlichen Kirche in Japan wird für Glaube shinkō verwendet, manchmal wird Glaube auch als shinrai (im Sinn von „sich verlassen auf, Vertrauen“) erläutert, niemals wird er jedoch als shinjin bezeichnet. T. Shigaraki 2004, 70. A. Peel 1986, 21.

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ßung und Vergewisserung der Hingeburt ins Reine Land auch das Ziel selbst dar. A. Peel begründet dies mit einem Zitat aus Shinrans yui-shinshō-mon-i. Shinjin, so Peel weiter, ist auch nicht etwas, das der Mensch selbst hervorbringen müsse, sondern durch die Kraft des Urgelübdes von Amida gegebenes – und dies nicht als partikulare Erwählung durch Gott, sondern als universale Wirksamkeit der Gelübde-Kraft der großen Barmherzigkeit Amidas, die als hōben-hosshin 方便法身 (dharma-kāya der geschickten Mittel)41 universal ist und nicht diskriminiert. Ebenso stehe dem universalen Wirken der Barmherzigkeit, die allen Lebewesen zugewandt ist, einem individualistisch verengtem Heilsstreben, das das Glück der eigenen Seele im Himmel anstrebt, auf Seiten des Christentums entgegen.42 Wenn auch A. Peel die unterschiedlichen Begründungszusammenhänge berücksichtigt und Glaube und shinjin als ontologisch divergente Verhältnisbestimmungen beschreibt, so macht doch die problematische Skizze des protestantischen Verständnisses, die hier zunächst auf sich beruhen mag, die Schwierigkeit solcher Vergleiche deutlich. An den genannten Zitaten wird ersichtlich, dass shinjin nicht als Voraussetzung oder Bedingung für die Erlösung verstanden werden darf, die der Mensch zu erbringen hätte, was als jiriki ganz offensichtlich in Widerspruch zu tariki zu stehen käme und als hakarai („Berechnung“) bezeichnet wird.43 Vielmehr ist shinjin ebenso wie das genuine Aussprechen des nembutsu Wirkung und Manifestation von Amidas Weisheit und Barmherzigkeit.44 Im Kontext des Buddhismus, in dem die Unheilssituation als verblendetes/verunreinigtes Bewusstsein und das Heilsziel als Erwachen gefasst wird, kann die Bedeutung von kokoro/shin durchaus auch mit „Bewusstsein“ wiedergeben werden. Shinjin würde dann eher einen Bewusstseinszustand beschreiben, der vom Erleuchtungszustand Amidas resp. der letzten Wirklichkeit affiziert ist. Diese Frage ist im Folgenden an den Texten zu überprüfen. Die angeführten Beispiele haben die semantischen Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich im interreligiösen Dialog durch Übersetzungsäquivalente ergeben, wenn diese bereits durch Vorverständnisse im Kontext einer anderen Kultur und Religion besetzt sind, wie das in der Regel der Fall ist.45 Shin-buddhistische Autoren sind sich der Proble41 42 43 44 45

Vgl. zu hōben-hosshin 方便法身 Abschnitt 9.3. A. Peel 31998, 25–30. Zu hakarai vgl. CWS II, 174–175. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 148–150. Das gilt natürlich vice versa ebenso für christliche Termini, deren Übersetzung ins Japanische oft nicht minder problematisch ist. Vgl. dazu z. B. S. Jäger 2003 und M. Repp 2003.

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matik der sprachlichen Vermittlung des Erfahrungsgehaltes von shinjin bewusst. Das gilt auch im Blick auf die japanische Sprachgemeinschaft. So zitiert Ōtani Kōshin in seiner hōwa „Satori und Shinjin“ (1984) Paul Tillichs berühmtes Diktum in der Einleitung zu Dynamics of Faith, dass der Begriff Glaube zu den am meisten missverstandenen Begriffen gehöre und zunächst selbst der Heilung bedürfe. Ōtani kommentiert: „Das trifft auch auf den Begriff ‚Shinjin‘ zu.“46 Das Übersetzungsproblem stellt sich in wesentlich stärkerem Maß für den Fall interreligiöser und interkultureller Kommunikation. Aus diesem Grund verzichten shin-buddhistische Autoren häufig auf eine Übersetzung und behalten in fremdsprachigen Veröffentlichungen den Begriff shinjin als terminus technicus bei (analog zu Begriffen wie nirvāna oder samsāra, die als Fachtermini unübersetzt bleiben).47 So fordert T. Shigaraki: „Auch Shinjin, wie man die zentrale Erfahrung auf Shinrans Weg bezeichnet, sollte als buddhistischer Begriff in europäische Sprachen eingeführt werden.“48 Soll der Begriff jedoch kein Nullmorphem bleiben, müssen sein semantischer Gehalt und seine Funktion im Zusammenhang religiöser Kommunikation geklärt werden. Da der Begriff shinjin und die darin zur Sprache kommende religiöse Erfahrung ganz offensichtlich nicht allein aus seiner Genese und konventionellen lexikalischen Bedeutung zu erheben ist, müssen entsprechend der emischen Perspektive die semantischen Bezüge und Konstruktionsprinzipien shin-buddhistischer Rede von shinjin erhellt werden, um einen ersten Zugang zu bekommen.49 Gerade diese religionsimmanenten Bezüge sind bereits mehrfach in der Skizze der Abgrenzungsbemühungen gegenüber einem (z. T. vermeintlich) protestantischen Glaubensverständnis zum Tragen gekommen.50

46 47 48 49 50

K. Ōtani 1992, 18–19; vgl. auch T. Hirose 1999, 19–20. So z. B. in den Collected Works of Shinran (CWS), Y. Ueda / D. Hirota 1989, Jōdoshinshū – A Guide 2002 und T. Shigaraki 2004, T. Shigaraki 2004, 42 (Kursiv im Original). Diese methodische Einsicht liegt auch der linguistisch orientierten Kulturanthropologie zugrunde, wie sie von Benjamin Lee Whorf u. a. angeregt wurde. Die Grundlage für die Darstellung von Shinrans Verständnis von shinjin 信心 bildet das Kapitel über shin im Kyō-gyō-shin-shō, das zugleich den zentralen Abschnitt des Werkes bildet. Hier entfaltet Shinran sein neu gewonnenes Verständnis in systematischer Weise anhand der (Neu-)Interpretation der Tradition. Daneben behandeln auch Shinrans übrigen Schriften dieses Zentralthema.

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8.2 Strukturelemente und Begründungszusammenhänge von shinjin 8.2.1 Shinrans Neuinterpretation der Tradition Shinran hat seine religiöse Entwicklung selbst reflektiert und anhand der drei Gelübde 18, 19 und 20, wie sie im längeren Sūtra überliefert sind, in eigenständiger Auseinandersetzung mit der Tradition interpretiert.51 Dabei kommen neben den überlieferungsgeschichtlichen und sozio-kulturellen v. a. biographische Momente zum Tragen, wie sie in der Skizze von Shinrans Lebenslauf untersucht wurden. In diesem religiösen Entwicklungs-Prozess Shinrans, der als san-gan-ten-nyū 三 願転入 („drei Gelübde hindurchwechseln“) bezeichnet wird, deutet Shinran seinen Weg in drei Stufen, die ihn vom 19. über das 20. zum entscheidenden 18. Gelübde geführt haben.52 Die erste Stufe des 19. Gelübdes korrespondiert der Zeit als einfacher Hallen-Mönch des Tendai auf dem Hiei. Im 19. Gelübde werden als Bedingungen für das Erscheinen Amidas am Sterbebett das Erwecken des Strebens nach Erleuchtung (hotsu-bodai-shin 発菩提心), verschiedene verdienstliche Werke (shūsho-kudoku 修諸功徳) und der Wunsch, im Reinen Land geboren zu werden (shishin-hotsugan 至心発願, yokushō -gakoku 欲生我国), genannt. In dieser Phase bemühte er sich, durch eigene Anstrengung und eine Vielzahl von Praktiken (zashū 雑修) die Erlösung zu erlangen. Das 20. Gelübde nennt als Bedingungen für die Hingeburt ins Reine Land, dass diejenigen, die Amidas Namen (myō-gō 名号) gehört haben, dieses Land kontemplieren (nen-zuru 念ずる), allerlei Meriten/ Tugenden (toku-hon 徳本) „pflanzen“ und diese ins Reine Land übertragen(ekō 回向) mit dem Wunsch, dort geboren zu werden (yoku-shō 欲生). Dieses Gelübde wird zum Interpretament der zweite Phase als Schüler Hōnens, in der noch ein Synergismus von Eigener Kraft und Anderer Kraft besteht. So kommt Shinran über die Stufen der Selbsterlösung und des Synergismus schließlich zur Rettung allein durch die Andere Kraft tariki 他力, die er im 18. Gelübde (shi-shin-shin-gyō no gan 至心信楽の願) verwirklicht sieht. Die chinesische Fassung lautet:

51 52

KGSS VI, 68 = CWS I, 240; JSS 284–285. Vgl. KGSS VI, 68 = CWS I, 240; JSS 284–285; A. Bloom 1968, 33–36; T. Oguro 1985, 17. 97; C. Langer-Kaneko 1986, 33–34; C. Wilhelm 1996, 124–125–130; SKJ 66.

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設我得佛 十方衆生 至心信樂 欲生 我國 乃至十念 若不生者  不取正覺 唯除五逆 誹謗正法53

Die japanische Übersetzung im JSS: たといわれ仏を得たらんに、十方の衆生、至心信楽して、わが国に生ぜんと 欲ひて、乃至十念せん.もし生せずは、正覚をとらじ.ただ五逆と誹謗正法 とをば除く. [tatoi ware butsu wo etaran ni, jip-pō no shū-jō, shi shin-shin-gyō shite, waga kuni ni shō-zen to omotte, nai-shi jū-nen sen. moshi shō sezu wa, shō-gaku wo toraji. tada go-gyaku to hi-bō-shō-bō to wo nozoku.] [Im Fall, dass ich die Buddhaschaft erlange und die empfindenden Wesen in den zehn Richtungen, die shi-shin-shin-gyō machen und in mein Land geboren werden wollen und bis zu / wenigstens zehn Mal nen machen, falls sie nicht die Geburt erlangen, werde ich das Erwachen nicht ergreifen. Ausgeschlossen sind aber die (,welche die) fünf Übeltaten (begehen) und den rechten dharma lästern.]

Die Schriftzeichen für shi-shin-shin-gyō 至心信楽 bedeuten aufrichtiges /wahrhaftiges Herz/Bewusstsein54, Vertrauen/Glaube und Freude. H. Inagaki übersetzt: „…  who sincerely and joyfully entrust themselves to me, desire to be born in my land, and call my name even ten times  …“55 Als weitere Bedingung wird der Wunsch, im Reinen Land geboren zu werden (yoku-shō 欲生), genannt. Shi-shin 至心, shingyō 信楽 und yoku-shō 欲生 bilden die drei Aspekte von shinjin 信心. Hōnen identifizierte sie mit den drei Herzen / Bewusstseinshaltungen san-shin (auch san-jin) 三心, wie sie im Kontemplations-Sūtra enthalten sind, d. h. shi-jō-shin 至誠心 („aufrichtiges, ernsthaftes Herz“), jin-shin 深心 („tiefes Herz“) und ekō-hotsugan-shin 回向発願心 (der Wunsch, durch Übertragung von Meriten im Reinen Land geboren zu werden). Nach Shan-tao bilden diese „drei Herzen“ die zu erbringende Bewusstseinshaltungen als Bedingung für die Geburt im Reinen Land.56 Ebenso gilt das nembutsu als zu erbringende Voraussetzung. Subjekt ist dabei der Mensch, Amida und das Reine Land bilden das Objekt. Shinran interpretiert im Unterschied zu Hōnen und der Tradition das 18. Gelübde konsequent von tariki 他力 her (als tariki-hongan 他力本願 „Urgelübde der Anderen Kraft“), sodass Amida zum Subjekt wird57, der die drei Aspekte von shinjin mit dem nembutsu 念仏 an den Menschen überträgt (ekō 回向). Das ekō als Donum Amidas be53 54 55 56 57

Jōdo-shinshū-seiten (JSS) 242005, 18. T. Oguro übersetzt „Herz der Wahrheit“ (1985, 39). H. Inagaki 2000, 243. CWS II, 211–212; SKJ 68–69. Vgl. auch die Ausführungen von C. Langer-Kaneko 1986, 52–53.

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zeichnet Shinran als gensō-ekō 還相回向 im Unterschied zum ekō ins Reine Land mit dem Menschen als Subjekt (ōsō-ekō 往相回向). Die genannten Bedingungen der drei Herzen / Bewusstseinshaltungen haben Amida zum Subjekt und sind damit seine „Eigenschaften“, die er überträgt. Analog wird auch das nembutsu nicht primär als eine Anrufung Amidas, sondern als Ruf Amidas interpretiert. In diesem Wechsel des Subjekts in der Interpretation des 18. Gelübdes liegt auch die Basis für gegenwärtige shin-buddhistische Darstellungen von shinjin als einer die Subjekt-Objekt-Spaltung transzendierenden Erfahrung (vgl. Abschnitt 8.3). Einen Testfall für Shinrans tariki-Hermeneutik bildet der letzte Satz des 18. Gelübdes mit seinen Ausschlusskriterien. Konsequenterweise werden sie von Shinran als „geschicktes Mittel“ des Tathagata interpretiert, der damit lediglich intendiere, Menschen von diesen bösen Taten abzuhalten. Das schließe jedoch nicht aus, dass auch sie vom Tathagata ergriffen werden.58 Um seine tariki-Interpretation zu begründen, bedient sich Shinran der Unterscheidung von expliziter Bedeutung (kenshō no gi 顕彰の義) und impliziter Bedeutung (onmitsu no gi 隠密の義). In ihrer „expliziten Bedeutung“ lehnt Shinran Shan-taos Interpretation von san-shin 三心 als Weg der Eigen-Kraft jiriki 自力 ab und differenziert die drei Bewusstseinshaltungen (san-shin 三心) aus dem Kontemplations-Sūtra von den drei Aspekten von shinjin (san-shin 三信) im längeren Sūtra. Auf der „impliziten“ Bedeutungsebene identifiziert Shinran jedoch san-shin 三信 sowohl mit san-shin 三心 als auch mit dem einen Herzen isshin 一心 des kürzeren Sūtra.59 Daher heißt san-shin 三信 auch das san-shin 三心 des längeren Sūtra.60 Die Hermeneutik der Unterscheidung von expliziter Bedeutung und impliziter Bedeutung, wie sie Shinran in der Exegese der Reines-Land-Sūtren entfaltet, ermöglicht es ihm – trotz einer grundlegenden Neuinterpretation – an der Tradition festzuhalten. Während die explizite Bedeutung als „provisional means“ (hōben 方便) gilt, kommt der impliziten „wahre Realität“ (shinjitsu 真実) zu.61 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Shinrans Hermeneutik eine konsequente tariki-Hemeneutik darstellt, die auf alle Aspekte der Tradition angewendet wird. Die Unterscheidung von Eigener Kraft 58 59 60 61

CWS I, 148; JSS 302 (= KGSS III, 121). CWS I, 225–227; JSS 397–399 (= KGSS VI, 37). CWS II, 211–212; SKJ 68. CWS I, 212–214. 225–227; JSS 381–383. 397–399 (= KGSS VI, 14 und 37).

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und Anderer Kraft bildet die Basisoperation in Shinrans Texthermeneutik62 und der Klassifizierung der übrigen buddhistischen Schulen. Im ersten Brief aus der Sammlung Mattōshō ordnet Shinran den gesamten buddhistischen Überlieferungsbestand in seine prozessuale Differenzierung der drei Gelübde ein und kommt zu dem Schluss: „The true essence of the Pure Land way is the consummation of Mahāyāna Buddhism; the provisional gateways of expedience include the other Mahāyāna and the Hinayana teachings, accommodated and real.“63

Der entscheidende Unterschied zur bisherigen Jōdo-Tradition besteht nicht darin, dass Shinran die zu erbringende Voraussetzung für die Geburt im Reinen Land quantitativ reduziert hätte. Der Endpunkt dieser Reduktion war mit Hōnen, der allein die Rezitation des nembutsu 念仏 als suffiziente Bedingung, aber eben noch als Bedingung für die Hingeburt ins Reine Land lehrte, erreicht. Vielmehr besteht ein qualitativer Unterschied insofern, als Shinran jeden Synergismus ausschließt und als jiriki 自力 „Eigen-Kraft“ oder hakarai (Berechnung/Kalkulation) in prinzipieller Weise der „Anderen Kraft“ tariki 他力 gegenüberstellt. Die Voraussetzung für die radikale Negation jedes Synergismus bildet Shinrans Einsicht in die Abgründigkeit menschlicher Sündhaftigkeit (tsumi 罪) als aku-nin 悪人 (wörtl. „böser/schlechter Mensch“), seinem aufgrund der Begierde unüberwindbaren Verhaftetsein in karmische Verstrickung. Das ist einerseits durch die Lehre von mappō 末法, der Endzeit des dharma, geschichtsphilosophisch begründet. Dass die mappō-Lehre aber bereits in der Tradition vor Shinran ein konstitutives Element im Begründungszusammenhang der Soteriologie bildet, zeigt, dass sie allein den qaulitativen Wechsel bei Shinran nicht begründen kann. Es bedarf vielmehr des Moments existenzieller Einsicht in die eigene völlige Ohnmacht im Blick auf das Heil, wie wir sie als Endpunkt einer Entwicklung bei Shinran finden.64

62

63 64

Vgl. besonders den 2. Brief des Mattōshō CWS I, 525–527. Darin konzediert Shinran jedoch auch, dass selbst diejenigen, die sich auf die Eigene Kraft verlassen, im Reinen Land geboren werden, jedoch nur im „Grenzland, dem Uterus-Palast, oder der Stadt des Zweifels“. Vgl. O. Aumann 2000, 32–36. CWS I, 524–525. Vgl. auch T. Oguro, 1985, 17–18; O. Aumann 2000, 143.

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8.2.2 Implikationen der tariki-Hermeneutik für den Traditionsbestand Diese neue Interpretation Shinrans impliziert eine Modifikation der Bezugsgrößen von shinjin (Amida, hongan, nembutsu.) und wirft insbesondere die (auch im Blick auf die religiöse Kommunikation zentrale) Frage auf, auf welche Weise shinjin erlangt wird, wenn jeglicher Synergismus prinzipiell ausgeschlossen ist. Die Antwort muss lauten: durch eine aktive Selbstdurchsetzung der Anderen Kraft. Dies ist im Folgenden genauer zu untersuchen. Wenn shinjin 信心 keine eigene Möglichkeit, sondern Donum Amidas darstellt, kann auch das nembtusu 念仏 keine zu erbringende Bedingung mehr darstellen. Vielmehr gilt es als Signum von shinjin und Ausdruck der Dankbarkeit seitens des Menschen. Aus diesem Grund ist auch die in der Tradition kontrovers diskutierte Frage, wie oft oder wann das nembutsu rezitiert werden müsse, gegenstandslos geworden; und auch die Todesstunde verliert ihre entscheidende Bedeutung als Zeitpunkt der Erscheinung Amidas. Den Zusammenhang von nembutsu und shinjin definiert Shinran wie folgt: „True and real shinjin is unfailingly accompanied by [saying] the Name. [Saying] the Name, however, is not necessarily accompanied by shinjin that is the power of the Vow.“65 Shinjin ist Wirkung des Urgelübdes und daher ursächlich mit der Äußerung des nembutsu verknüpft. Als Wirkung des Urgelübdes ist es die Andere Kraft, die hier wirkt. Diesen Sachverhalt bringt der Begriff tarikihongan 他力本願 „Urgelübde der Anderen Kraft“ zum Ausdruck. Dem korreliert der Begriff tariki-shinjin 他力信心, d. h. durch die Andere Kraft bewirktes shinjin. Strukturell ausgeschlossen ist daher, umgekehrt eine Kausalität zwischen der Äußerung des nembutsu und dem Empfang von shinjin herzustellen. Die Überlegungen, wie shinjin methodisch durch eigene Kraft erlangt werden könne (jiriki no shinjin 自力の信心), verwirft Shinran als hakarai „Berechung/ Kalkulation“, das synonym zu jiriki gebraucht wird. „Other Power means to be free of any form of calculation.“66 Nach diesen negativen Aussagen stellt sich die Frage nach dem Konnex zwischen der Selbstdurchsetzung der Anderen Kraft und Amida, dem Urgelübde und dem nembutsu. Kann von Amida nach der bisherigen Erörterung noch als „Glaubensgegenstand“ gesprochen 65 66

CWS I, 107 = KGGS III, 50. CWS I, 537.

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werden?67 Um diese für das Verständnis von shinjin zentralen Fragen zu klären, muss auf die damit eng korrelierende Buddhologie Shinrans rekurriert werden.68 Nach dem Jōdo-shinshū-kyōshō 69 bildet Amida-Buddha, der Buddha des unermesslichen Lichtes und Lebens, die zentrale Gestalt der Verehrung honzon 本尊. Bereits in der offiziellen Übersetzung der Lehrartikel ins Englische gehen jedoch wesentliche inhaltliche Aspekte verloren. So heißt es in der Übersetzung „BUDDHA: Amida Buddha (Buddha of Infinite Life & Light)“, wo im Japanischen „honzon: amida-nyorai (namu-amida-butsu) 本尊:阿弥陀如来(南無阿弥陀仏)“ steht. Amida wird zum Einen als nyorai bezeichnet, d. h. als der tathāgata (der So-Gekommene / So-Gegangene) identisch mit der letzten Wirklichkeit oder Soheit. Zweitens wird in Klammern nicht, wie im Englischen, die etymologische Bedeutung von „Amida“ angegeben, sondern die nembutsu-Formel „namu-amida-butsu“. Darin kommt der zentrale Gedanke zum Ausdruck, dass sich Amida als nembutsu, d. h. als Name, manifestiert. Damit ist zugleich der Bezug zum Urgelübde hongan 本願 hergestellt. Bei Shinran ergibt sich im Vergleich zur trikāya-Lehre eine signifikante Verschiebung70, wie folgendes Zitat aus Shinrans Alterswerk „Notes on ‘Essentials of Faith Alone’“ deutlich macht, das im Zusammenhang mit der Erörterung von shinjin und der zahllosen Bezeichnungen für das nirvāna resp. die Buddha-Natur steht: „Buddha-nature is none other than Tathagata. This Tathagata pervades the countless worlds; it fills the hearts and minds of the ocean of all beings. […] Since it is with this heart and mind of all sentient beings that they entrust themselves to the Vow of the dharma-body as compassionate means, this shinjin is none other than Buddha-nature. For this reason there are two kinds of dharma-body with regard to the Buddha. The first is called dharma-body as suchness and second, dharma-body as compassionate means. Dharma-body as suchness has neither color nor form; thus the mind (kokoro 心) cannot grasp it nor words describe it. From this oneness (ichi-nyo 一如) was manifested form called dharma-body as compassionate means (hōben-hosshin 方便法身).“71

67 68 69 70 71

So O. Aumann 2000, 44. „The nature of Amida as the form of formless reality or nirvana is reflected in the nature of shinjin.“ Y. Ueda / D. Hirota 1989, 175. S. Anhang 5.1. Dieser Sachverhalt besitzt unmittelbare Relevanz für das Verständnis der „geschickten Mittel“, vgl. Abschnitt 9.3. CWS I, 461; JSS 709–710.

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In diesem sehr dichten Zitat argumentiert Shinran, dass das freudige sich dem Gelübde Amidas als dem dharma-Körper der geschickten Mittel Anvertrauen (shin-gyō 信楽) eine Wirkung des alles durchdringenden Tathagata bildet und daher dieses shinjin 信心 identisch ist mit der Buddha-Natur busshō 仏性. Shinran differenziert in der Folge zwei Arten von dharma-kāya72, dem mit der letzten Wirklichkeit identischen hosshō-hosshin 法性法身 nicht wahrnehmbaren (weil ohne „Form“ und „Farbe“) und dem wahrnehmbaren als „geschicktes Mittel“ (hōben-hosshin 方便法身). Diese Basisunterscheidung entspricht der Differenz von apophatischer und kataphatischer Wahrheit. Um das menschliche Herz (kokoro) zu erreichen und kommunizierbar zu werden, muss sich die letzte Wirklichkeit manifestieren. Diese soteriologisch wirksame Selbstmanifestation geschieht als Name (namu-amida-butsu) und Form (Urgelübde). Analog zu den beiden Aspekte des dharma-kaya und den beiden Elementen des nembutsu werden zwei Aspekte von shinjin unterschieden. Als Vertrauen des Menschen auf das Urgelübde und den Namen (ki no shinjin 機の信心) befindet es sich auf der Ebene des hōben-hosshin. Da dieses Vertrauen aber eine Wirkung des hosshō-hosshin ist, ist es identisch mit der Buddha-Natur. (hō no shinjin 法の信心) Dieser Sachverhalt wird mit dem Terminus kihō-ittai 機法一体 zum Ausdruck gebracht.73 Dabei bezeichnet ki 機 die menschliche Seite als Zufluchtnehmen (nicht jedoch als eigene Leistung, sondern als Zuwendung ekō Amidas), wie sie der erste Teil des nembutsu, namu 南無, zum Ausdruck kommt. Der zweite Teil, das amida-butsu 阿弥陀仏, bezeichnet die Wirklichkeit Buddhas. Im namu-amida-butsu 南無阿弥陀仏 werden beide Aspekte eins ittai 一体.74 Damit wird das Sagen des nembutsu eine Praxis, die paradoxerweise eine Nicht-Praxis (higyō 非行) darstellt (vgl. Tanni-shō 8), die Shinran auch als die „Große Praxis“ (daigyō 大行) bezeichnet. Shinjin und das nembutsu sind damit konstitutiv aufeinander bezogen. Im Yui-shin-mon-i und in einem Brief erläutert Shinran den selben Sachverhalt anhand des Begriffes jinen-hōni 自然法爾, mit dem er bevorzugt die letzte Wirklichkeit bezeichnet und der in engem Zu72 73

74

Vgl. dazu ausführlicher in Abschnitt 9.2. Gegen O. Aumann 2000, 49 und J. Laube 2006, 544 (dort jeweils ohne Quellenangabe) findet sich diese Terminologie nicht bei Shinran. Sie spielt jedoch in der Tradition eine große Rolle, vgl. dazu Rennyos Gobunshō, insbesondere 4, 11, der als kihō-ittai no shō 機法一体章 bekannt ist, JSS 1182; Letters of Rennyo 2000, 56; SKJ 48; Rennyo-Shōnin 1995, 30–34. Vgl. O. Aumann 2000, 49–50. SKJ 48.

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sammenhang mit der Anderen Kraft tariki 他力 und shinjin 信心 steht. Shinran erklärt jinen-hōni als die spontane, natürliche Wirksamkeit des Urgelübdes, frei von jeder Berechnung/Kalkulation (hakarai) seitens des Menschen. Da die höchste Buddha-Wirklichkeit (mujō-butsu 無上仏) formlos ist, werde sie jinen genannt.75 Erscheint sie in Gestalt, werde sie nicht als höchstes nirvāna (mujō-nehan 無上涅槃) bezeichnet.76 Shinran argumentiert nun weiter, dass der Name Amida-butsu dazu gegeben ist, die Formlosigkeit der höchsten Buddha-Wirklichkeit anzuzeigen. „In order to make it known that supreme Buddha is formless, the name Amida Buddha is expressly used; so I have been taught. Amida Buddha fulfills the purpose of making us know the significance of jinen.“77 D. h., es geht um die un-bedingte Selbstdurchsetzung des Unbedingten im Bedingten, das jede Bedingung („Selbst-Kraft“ jiriki 自力/Berechnung hakarai) per se ausschließt. Im Blick auf die Andere Kraft tariki 他力 gilt daher das Paradox: „no working is true working“ (jap. gi naki wo gi to su 義なきを義とす).78 Das nembutsu als Ausdrucksgestalt dieses Sachverhaltes kann daher nach Shinran keine zu erbringende Vorbedingung für die Errettung sein, sondern ist (auf der Ebene des hōben-hosshin 方便法身 gesprochen) Geschenk Amidas, das nur dankbar empfangen werden kann. Entsprechend wird im Glossar zu den CWS erläutert: „Amida Buddha […] is the Buddha whose essence is dharma-body as compassionate means, characterized by form. The formless dharma-body, to awaken beings of blind foolishness to itself, manifested form and announced a Name [im Original groß geschrieben, d. Verf.], appearing as Dharmākara Bodhisattva. This bodhisattva established and fulfilled the special vow to save foolish and evil beings and became Amida Buddha. Hence, Amida is called the Tathagata of fulfilled body. While the other Buddhas help people who accumulate meritorious deeds, practice medi75

76 77 78

Der Begriff ji-nen 自然 spielt auch im Taoismus eine tragende Rolle. Von 自然 heißt es im Daodejing 25: 道法自然 dào fă zì rán, was Rainald Simon wie folgt übersetzt: „Was das Dao anbetrifft – sein inneres Gesetz ist das, was so ist, wie es ist.“ (Laozi, Daodejing 2009, 86–87). Im Glossar zum Daodejing erklärt R. Simon jinen als „das so Seiende, natura naturans und natura naturata, oft ungenau als ,Natur‘ übersetzt. Alle Zustände und Prozesse, die autonom andauern oder sich nach inneren Gesetzmäßigkeiten verändern und in anderes übergehen. Psychologisch als Spontaneität zu verstehen.“ (Laozi, Daodejing 2009, 252–253). Nach Chen Guying sei 自然 als das So-Seiende „die grundlegende Kraftquelle der Philosophie des Laozi.“ (Chen Guying Hrsg., Laozi zhuyi ji pingjie, Beijing 1984, 170; zitiert nach R. Simon in Laozi, Daodejing 2009, 89). CWS I, 453. 530; JSS 701. 769. CWS I, 530. CWS I, 530; JSS 769. Diese Wendung Hōnens kehrt an zahlreichen Stellen in Shinrans Schriften wieder.

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tative activities, and perfect wisdom, Amida Buddha liberates the being of blind foolishness and karmic evil through „form“ (Primal Vow) and „name“ (Namu-amida-butsu). That is through the virtue of Amida, who is light that is wisdom-compassion, persons of the nembutsu realize themselves to be human (ignorant and evil), becoming their foolish selves, and attain Buddhahood.“79

Form und Name (skr. nāma-rūpa) sind nach traditionell buddhistischer Auffassung eines der zwölf Glieder der nidana-Kette (des „Kausalnexus“), mithin Attribute des samsāra. Mit dem Namen Amidas und dem Urgelübde als Manifestationen des apophatischen dharmaKörpers werden Name und Form zu Heilsmitteln („through“) im Interesse einer notwendig kataphatischen Heilsvermittlung. Der letzte Satz des gegebenen Zitates zeigt an, dass in der Logik der tariki-Hermeneutik, in der jede Form der Eigen-Kraft und der Berechnung ausgeschlossen sind, die Erfahrung von shinjin mit der Einsicht in die eigene Unwissenheit und Bosheit koinzidieren, wie sie am klarsten in der berühmten Sentenz Shinrans im Tannishō zum Ausdruck kommt: „Denn wer durch seine eigene Kraft das Gute leisten will, dem fehlt der Glaube, sich einzig und allein auf die Andere Kraft zu verlassen. Wenn er jedoch seine eigene Kraft verwandeln läßt und sich ganz der Anderen Kraft anvertraut, kann er in das Wahre Land hineingeboren werden, welches das Gelöbnis verheißen und eigentlich schon immer erfüllt hat. Weil wir wegen unserer Begierden nicht imstande sind, durch irgendein gutes Werk dem ewigen Kreislauf von Geburt und Tod zu entrinnen, hat Amida-Buddha aus tiefem Trauern und Erbarmen sein Gelöbnis abgelegt. Und weil die eigentliche Absicht Amida-Buddhas in nichts anderem liegt, als daß der Böse Buddha werde [akunin-jōbutsu 悪人成仏, Anm. d. Verf.], ist gerade der Böse selbst, der sich auf die Andere Kraft verlassen hat, das wesentliche Ziel Buddhas. In diesem Sinne sprach der selige Meister: Wenn schon die Guten hingeboren werden können, dann erst recht die Bösen …“80

In diesem Abschnitt findet sich die Kern-Aussage der Jōdo-shinshū, die unter dem Begriff akunin-shōki 悪人正機 einen wesentlichen Indentitätsmarker bildet. Allerdings ist darauf zu achten, dass der Begriff „akunin“ (böser Mensch) nicht primär in einem juristischen oder moralischen Sinn zu verstehen ist, sondern vor dem Hintergrund des mappō-Konzeptes und im Kontext buddhistischer Anthropologie als in Begierden/Anhaften und Unwissenheit/Irrtum befangene Menschen (bonnō-gusoku 煩悩具足), die sich nicht aus eigener Kraft befreien 79 80

CWS II, 170. R. Okochi / K. Otte 1979, 27 (Tannishō 3).

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können. Und gerade an der Stelle der Erfahrung eigener Ohnmacht im Blick auf das Heil koinzidiert die Einsicht in die Unmöglichkeit von jiriki mit der Erfahrung von tariki.81 Diese Befreiung von dem Herzen der Eigen-Kraft hat Shinran als eshin 廻心 „Umwandlung des Herzens“ oder ōchō 横超 „seitliches Überschreiten“ bezeichnet.82 Shinran: „The true and real shinjin […] is the diamondlike mind of the crosswise leap realized through Other Power.“83 ōchō 横超 bringt im Gegensatz zu einem stufenweisen Voranschreiten zur Erleuchtung auf der „Horizontalen“ den Aspekt der „vertikalen“ unmittelbaren Verwirklichung in einem Moment (ichinen 一念). Das Konzept des „einen Moments“, das in den Wendungen ichinen no shinjin 一念の信心 und ichinen no nembutsu 一念の念仏 begegnet ist nun zentral für die Frage, wie shinjin im Bewusstsein entsteht. Es ist eine Augenblickserfahrung, die sowohl in der Zeit stattfindet, als auch die Zeit transzendiert.84 Shinran schreibt: „Contemplating true and real shinjin [shingyō 信楽, Anm.], I find there is the one-thought-moment. One-thought-moment expresses the ultimate brevity of the instant of the realization of shinjin [shingyō 信楽, Anm.] and manifests the vast, inconceivable mind of joyfulness.“85

Im Ichinen-tanen-mon’i führt Shinran als Auslegung der Erläuterung des 18. Gelübdes im zweiten Teil des längeren Sūtra, worin der Begriff ichi-nen 一念 vorkommt,86 aus: „Hear the Name ist to hear the Name that embodies the Primal Vow. ‘Hear’ means to hear the Primal Vow and be free of doubt. Further it indicates shinjin [信心]. Realize even one thought-moment of shinjin and joy: shinjin is hearing the Vow of the Tathagata and being free from doubt. […] One thought-moment is time at its ultimate limit, where the realization of shinjin takes place.“87

Shinran beschreibt die Erfahrung von shinjin als eine Augenblickserfahrung, die mit der Erfahrung von Zeitlosigkeit und Freude, sowie der Abwesenheit von Zweifel affektiv verbunden ist.88 Zweifel (utagai 疑い, futa-gokoro) ist Ausdruck von Eigener Kraft und Berechnung und wird zum Antonym von shinjin.89 Diese shinjin-Erfahrung iden81 82 83 84 85 86 87 88 89

Vgl. SKJ 24; Mattō-shō Brief 6 CWS I, 531. Vgl. CWS II, 193. 212–215. CWS I, 476. JSS 680. CWS II, 197. CWS I, 110–111; JSS 250 (= KGSS III, 60). JSS 41; H. Inagaki 2000, 268. CWS I, 474; JSS 687. Vgl. auch KGSS III, 66: „The mind of great joy is true and real shinjin. True and real shinjin is the diamondlike mind.“ (CWS I, 112–113; JSS 252). Vgl. CWS II, 180.

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tifiziert Shinran mit dem Hören des Namens resp. des Urgelübdes. Shinran kann sogar sagen:「聞」はきくといふ、信心をあらわす御のりなり. Hear is a word indicating shinjin.“90 „Hören“, das hier mit der Erfahrung von shinjin koinzidiert, bildet die Basis für das Verständnis der religiösen Rede, wie noch ausführlich zu behandeln ist. Die Abwesenheit jeglichen Zweifels erklärt sich daraus, dass shinjin keine durch Eigene Kraft hervorgebrachte Erfahrung ist, sondern identisch mit der Buddha-Natur und daher un-bedingt. Es ist das Ergriffen- und Aufgenommensein (sesshu-fusha 摂取不捨) durch Amida. „Im wahren Glauben, der keine Zweifel hegt, wird Amida Buddhas Hongan erfüllt, und zwar in dem Augenblick des Erwachens des Glaubens. In diesem Augenblick werden Buddha-Herz und Menschen-Herz eins. Die Kategorien von Subjekt und Objekt können hier nicht mehr angewandt werden. Die Grenze zwischen Buddha als Subjekt und dem Menschen als Objekt verfließen. Wir sind hier an die Grenzen des Denkmöglichen und Vorstellbaren gelangt.“91

Den apophatischen Charakter von shinjin betont Shinran in einer Passage, die man als das „Hohelied des shinjin“ bezeichnen könnte, wo er shinjin als „inconceivable, inexplicable, and indescribable“ bezeichnet.92 Die Erfahrung von shinjin, wie sie bisher beschrieben wurde, ist jedoch noch nicht das letzte Ziel des Erlösungsweges, sondern deren „Antizipation“, die bei Shinran einen „eschatologischen Vorbehalt“ kennt.93 Mit der Realisation von shinjin in diesem Leben ist noch nicht das endgültige höchsten nirvāna mujō-nehan 無上涅槃, noch nicht das Erwachen (shō-gaku 正覚) erreicht. Vielmehr ist damit der Status des shō-jō-ju 正定聚 (Zugehörigkeit zur Gruppe der wahrhaft Bestimmten) und des fu-tai-ten 不退転, des Nicht-Zurückfallens erreicht und somit die Hingeburt (ōjō 往生) ins Reine Land gewiss. Die Todesgrenze bleibt bestehen, hat aber ihre existenzielle Bedrohlichkeit verloren. Im Tanni-shō 15 heißt es: „Attaining enlightenment in the coming life [rai-shō 来生] is the essence of the Pure Land teaching of Other Power; it is the principle actualized through the settlement of shinjin [shinjin 90 91 92 93

CWS I, 457; JSS 705. C. Langer-Kaneko 1986, 58. CWS I, 107; ただこれ不可思議不可称不可説の信楽なり tada kore fukashigi fukashō fukasetsu no shingyō nari. JSS 245 (= KGSS III, 51). H. Rolle 2003, 91–94. H. Rolle spricht von dem „präsentischen Immanenz-Charakter“ und „futurischem Transzendenz-Charakter von ōjō“, ebd. Es muss allerdings kritisch bemerkt werden, dass diese Terminologie, die ein westliches Zeit- und Geschichtsverständnis impliziert, nicht eo ipso auf shin-buddhistische (Zeit-)Vorstellungen übertragen werden kann. Aus diesem Grund habe ich an dieser Stelle die Begriffe in Anführungszeichen gesetzt; sie bilden lediglich einen tentativen Annäherungsversuch.

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ketsujō 信心決定].“94 In einem Brief an Senshin-bō schreibt Shinran: „Because persons of shinjin dwell in the same stage as Maitreya, who will attain Buddhahood after one lifetime, it is certain that they are grasped, never to be abandoned.“95 (Vgl. auch KGSS III, 103) In der weiteren Tradition kommt diesem Aspekt eine entscheidende Bedeutung zu. Im Unterschied zur bisherigen Jōdo-Tradition gilt das Reine Land nicht als Ausgangspunkt für das Erreichen des nirvāna in der darauf folgenden Wiedergeburt, sondern koinzidiert mit diesem. Für Shinran hat die Hingeburt ins Reine Land ōjō 往生 eine doppelte Bedeutung: „(1) the awakening in the immediate present called shinjin, in which one is grasped by great compassion, never to be abandoned, and (2) the attainment of supreme enlightenment at the end of life, brought about without any effort or contrivance on the part of the practicer through the natural working (jinen) of Amida’s compassion.“96

Auch wenn derjenige, der shinjin, das Herz Buddhas, erlangt hat, bereits den Buddhas gleich ist, so ist damit noch keine einfache Identität ausgesagt.97 Die endgültige Heilserfüllung steht noch aus. Die Geburt im Reinen Land ist auch (und gerade) nachtodlich, weshalb besonders Rennyo dem „Leben nach dem Tod“ go-shō 後生 höchste Bedeutung beimaß.98 Für vorliegende Studie ergeben sich daraus zwei relevante Konsequenzen: zum einen für das Glaubensverständnis, das trotz der Subjekt-Objekt transzendierenden shinjin-Erfahrung an einer Relationalität von Gläubigen und Amida festhält und zweitens für das Verständnis der „geschickten Mittel“ – wie in Abschnitt 9.2 ausgeführt wird – und deren Relevanz für die religiösen Kommunikation.99

8.3 Shinjin in Honganji-ha-Darstellungen der Gegenwart Nach der Darstellung von Shinrans Verständnis des Glaubens und der relevanten Terminologie kann sich die folgende Übersicht über Be94 95 96 97 98 99

CWS I, 674; JSS 847. CWS I, 574. CWS II, 172. Vgl. CWS II, 206–207. Letters of Rennyo 2000, 129. Dass mit dieser Auffassung eine Differenz zwischen Jōdo-shinshū und allen anderen Formen des Buddhismus markiert ist, betonen auch H.-S. Keel und im Vorwort zu dessen Shinran-Studie J. v. Bragt (H.-S. Keel 1995, xi und 154).

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schreibungen von shinjin aus der Perspektive der Honganji-ha auf die wesentlichen Strukturen beschränken.

8.3.1 Jodo Shinshu – A Guide Der Abschnitt über shinjin in der bereits mehrfach angeführten Selbstdarstellung der Honganji-ha für einen englischsprachigen Leserkreis100 betont zunächst die Zentralität von shinjin für Jōdo-shinshū und grenzt sich gegen die Fehlübersetzung von shinjin als „faith“ ab. Unter Rückbezug auf Sanskrit sraddha werden die beiden Schriftzeichen von shinjin als „Entrusting Heart“ übersetzt. Shin resp. sraddha wird definiert als „… something based of fact that can be ascertained through practice“ (78). Unter Bezug auf Shinrans Schriften (die angeführten Zitate sind dem KGSS entnommen), werden folgende Punkte genannt: – „First, shinjin is not something that one can fabricate through one’s self-centered efforts and concepts.“ – „Further, shinjin is the means for full realization of nirvana.“ – „Shinjin allows one to suddenly attain the various paramitas of going to the nirvana shore simultaneously.“ (D. h. nicht als fortschreitender Prozess aus eigener Kraft.) – Buddha-Natur bezeichnet vom Standpunkt empfindender Wesen das Unbedingte (the ultimate). Dieses Unbedingte (dharma-kāya, tathāgata) ist Amida. Daraus folgt: Amida „… acting within sentinent beings is Buddha-Nature. Finally, Buddha-Nature is shinjin.“ „… and speaking more conventionally, Amida’s compassion extended to sentient beings is called shinjin“ (78–80). Shinjin stellt also keine Möglichkeit der Eigenen Kraft dar, sondern ist Handeln (acting) des Unbedingten (ultimate) als Amida/Buddha-Natur im Menschen mit dem Ziel der Erlangung des nirvāna. Durch shinjin partizipiert der Mensch an der Buddha-Natur. In konventioneller Sprechweise: shinjin ist die Zuwendung von Amidas Barmherzigkeit. Mit der Identifikation von shinjin mit der Buddha-Natur, die durch Amida vermittelt wird, ist der genuin buddhistische Begründungszusammenhang herausgestellt, was noch dadurch betont wird, dass die Rede von Amidas barmherziger Zuwendung als konventionelle Aus100

Jodo Shinshu – A Guide 2002, 78–82. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich in folgendem Abschnitt auf diesen Text.

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drucksweise (d. h. auf der Ebene der „gewöhnlichen Wahrheit“ zokutai 俗諦, s. Abschnitt 9.1) bezeichnet wird. Wie wird shinjin erfahren (Experiencing Shinjin)? Shinjin, so wird erneut betont, ist nicht die Bedingung für die Befreiung (emancipation). „Amida Buddha does not state that he will liberate us if we entrust ourselves to him. What he does state is that we should rest assured of his absolute guarantee for our liberation“ (81). Da unsere Wahrnehmungen, Konzeptualisierungen und Wertungen durch Egozentrik und Eigenwillen verunreinigt seien, können wir uns nicht auf sie verlassen. Die Erfahrung von shinjin schließt jede willkürliche, egozentrische Konditionierung des Bewusstseins aus und überwindet sie, da sich durch shinjin das Unbedingte („[t]he ultimate, which is Amida“) in einer erkennbaren (knowable) Weise manifestiert. Diese Erfahrung befreit von Konzepten wie Selbst, Kraft, Zeit, Kausalität und Kalkulation und führt zu wahrer Selbsterkenntnis und zum Erwachen zur Wahrheit Amida Buddhas. Es ist die Realistation der höchsten Realität der Non-Dualität, die sich als Amida manifestiert und auch uns einschließt. Dieses Aufgehobenwerden wird als umschlossen sein von dem alles durchdringenden Licht Amidas und des Urgelübdes beschrieben. Der einzige Weg zu dieser Erfahrung „… is ‘to listen’, which means to be open, and free from conditioning“ (82). „True Listening“ ist nicht nur ein Hören von Amidas Urgelübde und seiner Bedeutung, sondern ein (von Amida gewirktes, 84) zustimmendes Annehmen seines Rufes. „When we nod our heads in agreement–when we accept the calling voice of the Primal Vow–that is what ‘having listened’, means. Acceptance is the ‘entrusting of our heart and mind to Buddha-centered Power’“ (82–83). Nach der bekannten Aussage des Tanni-shō ist das Objekt von Amidas Buddhas Befreiungshandeln (liberation) der böse Mensch (evil person). Dieser Begriff, der ein Synonym für das egozentrische Selbst ist, gilt jedoch in einem viel tieferen als nur allgemein moralischen Sinn. Im Spiegel Buddhas („when we reflect in Buddha’s mirror“) erkennen wir uns als „unaware beings filled with blind passions“ (83–84). An anderer Stelle wird dieses Gewahrwerden der eigenen Wirklichkeit und das Gewahrwerden der Realität Amida Buddhas als reziprokes und simultanes Geschehen beschrieben: „Becoming aware of what we truly are is at the same time becoming aware of Amida Buddha’s reality. Becoming aware of Amida Buddha’s reality is at the same time becoming aware of the nature of our own conventional self“ (86).

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Gerade in der Weigerung, uns selbst als solche (anzu-) erkennen, bestehe die Schwierigkeit für die Befreiung. Ausführlich wird das „antinomistische“ Missverständnis abgewehrt: Befreiung (emancipation) von unseren Taten bedeute jedoch nicht, dass wir ihre Konsequenzen nicht tragen müssten (exempt). Man solle, wie Shinran sagt, nicht am Gift Gefallen finden, nur weil es ein Antidot gibt (83–84). Das nembutsu-Sagen bildet für jemanden, der shinjin empfängt, keine „Übung“, um etwas zu erreichen, sondern es ist (ebenso wie unser Alltagsleben in Arbeit, Familie und Gesellschaft) der Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Amida, der damit geehrt wird. Darüberhinaus wird das nembutsu-Sagen jedoch auch für Menschen, die mit uns in karmischer Verbindung stehen, zum Mittel (means), das ihnen ermöglicht, den dharma zu hören und ebenfalls befreit zu werden (85). Zum Aspekt der Dankbarkeit tritt dezidiert der „Zeugnischarakter“ des nembutsu. Dies wird nochmals gegen Ende der Darstellung betont, wo aus Shinrans Aufzählung der Vorteile (benefits) von shinjin in dieser Welt die Möglichkeit, Amidas große Barmherzigkeit weiterzugeben, herausgegriffen wird. Daraus leitet sich dann die Forderung nach Weitergabe der Freude von shinjin ab, indem möglichst viele Menschen von dieser höchste Lehre informiert werden (88–89). Die Erfahrung von shinjin enthält einen präsentischen und einen futurischen Aspekt. Mit shinjin gehört man zur Gruppe der absolut Vergewisserten, die nicht zurückkehren in die Welt der Täuschung, sondern nach diesem Leben im Reinen Land geboren werden. Zum präsentischen Charakter von shinjin gehört die Erfahrung von innerem Frieden (peace of mind), Freude und Dankbarkeit. Da die Täuschungen durch shinjin verwandelt werden, wird ein freudiges und erfülltes Leben ermöglicht. Zum futurischen Aspekt gehört das Erlangen der Buddhaschaft nach dem Tod, die mit der Geburt im Reinen Land koinzidiert. „In short, we are guaranteed to attain Buddhahood from the moment we truly hear and accept the Primal Vow. That does not mean, however, that we will attain the same Awakening as a Buddha right now. We have accumulated negative karma from the past. Therefore, as long as we exist with the physical body that we currently have, we cannot be completely pure. Yet, despite this, when our shinjin is determined, we will absolutely be born in the Pure Land where we will immediately attain Awakening of a Buddha, since our becoming awakened has already been established“ (87).

Die Darstellung von shinjin schließt mit dem Hinweis auf diesen Status der Aufnahme in die Gruppe derer, denen die Geburt im Reinen Land gewiss ist, als dem größten Benefit von shinjin. „This is the beginning of our existence in the Pure Land“ (89).

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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass shinjin als Erfahrung einer die Egozentrik transzendierenden non-dualen letzten Wirklichkeit beschrieben wird, die auf Seiten des Subjekts von affektiven Gestimmtheiten wie innerem Frieden, Freude und Gewissheit begleitet ist. Da diese Erfahrung nicht willkürlich herbeigeführt werden kann, was wiederum der Egozentrik verhaftet wäre, geschieht sie als Wirkung des Unbedingten selbst, das sich in Amida und seinem Urgelübde manifestiert, und so intelligibel wird. Die Öffnung des Subjekts auf die Selbsttranszendierung hin geschieht im Hören, das zu einem Einverständnis in die soteriologische Wirkung von Amidas Urgelübde führt. Durch den Akt der Selbsttranszendierung, die als Befreiung beschrieben ist, kommt es im Licht Buddhas, das heißt der non-dualen letzten Wirklichkeit, zu einem Perspektivenwechsel, der eine von der Egozentrik und ihrer Abwehrmechanismen befreite Selbstwahrnehmung freisetzt. Dass sich das Subjekt als „evil person“, die in Täuschung und Begierden gefangen ist, erkennen kann, setzt bereits einen selbst-transzendenten Standpunkt voraus. Insofern koinzidieren das Gewahrwerden von Selbst und Buddha. Allerdings ist damit noch nicht das endgültige Heilsziel der Buddhaschaft erreicht. Vielmehr koinzidiert diese mit der nachtodlichen Geburt ins Reine Land, die mit der Erfahrung von shinjin jedoch antizipiert und vergewissert wird und sich lebenspraktisch auswirkt. Der Doppelaspekt einer präsentischen und futurischen Hingeburt wird in dieser Darstellung eindeutig in Richtung des futurischen Aspektes akzentuiert.

8.3.2 Y. Ueda und D. Hirota101 Y. Ueda und D. Hirota beschreiben Shinrans Denken gegenüber der Jōdo-Tradition als „reformulation“ und als „thorough recasting of all the major concepts, …“ ([137] und 139). Galt in der bisherigen JōdoTradition das Reine Land Amidas als Zwischenstadium auf dem Weg von samsāra zum nirvāna, so bestimmt Shinran das komplexe Verhältnis zwischen dieser Welt und der Sphäre der Erleuchtung in Übereinstimmung mit grundlegendem mahāyānischem Denken neu. Amidas Wirken stehe nicht nur in Dichotomie zu dieser Welt, sondern es transzendiere aufgrund der Non-Dualität von samsāra und nirvāna auch diese Dichotomie (139). D. h., dass die Sphäre der Erleuchtung nicht 101

Y. Ueda / D. Hirota 1989, [137]–182. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich in folgendem Abschnitt auf diesen Text.

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nur futurischen Charakter hat, sondern auch schon präsentischen. Shinrans Weiterentwicklung – und darin liegt die immer wieder betonte Aussageintention von Y. Ueda und D. Hirota – führte also nicht zu einer Eschatologisierung, sondern zu einer partiellen Ent-eschatologisierung der bisherigen Jōdo-Tradition – und in Übereinstimmung mit genuin mahāyānischem non-dualistischem Denken. Der antizipatorische Aspekt der Erleuchtung ist in Shinrans eigener Erfahrung begründet (139). Indem Shinran den Weg buddhistischer Praxis bis ans Limit ging, gelangte er zu der Einsicht, dass jede als verdienstvolle Praxis angesehene Tat aus der Verhaftung an ein verblendetes Selbst entspringt und daher vollständig abgelehnt werden müsse. „At the core of Shinran’s thought lies the existential awareness of the passions that permeate human life, and at the same time of the working of Amida’s Primal Vow to grasp precisely those who are incapable of performing any genuinely good act […]. Shinran saw himself thus, and it was precisely as such a person that he experienced Amida’s compassion“ (141).

Auf diese Weise überwindet Shinran einen Dualismus, wie er in einem Synergismus von Eigener Kraft des Menschen und Anderer Kraft Amidas gegeben ist (150). Im Unterschied zu diesem Dualismus treten diejenigen, die shinjin verwirklichen, in eine komplexe Beziehung (complex relationship) mit Amida ein (150). Einerseits kommen der Mensch, der seine völlige Unfähigkeit zu verdienstvoller Praxis erkannt hat, und der Buddha in totalen Gegensatz (total, mutual opposition) zu stehen. „On the other hand, Amida’s mind has been given to them, so that the working of their minds and the Buddha’s are one“ (150). Diese Einheit entspringt der Non-Dualität wahrer Realität, wie sie dem mahāyānischen Denken entspricht, schließt aber die Differenz von empfindendem Wesen und Buddha nicht aus (150). Da der Mensch jedoch noch Begierden besitzt, steht die Erleuchtung noch aus. Aber es ist bereits eine „Gleichheit mit den Tathagatas“ erlangt; und die schließliche Erlangung vollständiger Buddhaschaft ist gesichert (151). Da die samsarische Existenz nicht negiert werde, spiele der mahāyānische Zentralbegriff der Leerheit (emptiness) in Shinrans Lehre keine entscheidende Rolle (152). Die Transformation von Selbst und Welt geschieht nicht durch Überwindung dichotomisierender mentaler Aktivität, sondern durch die Einsicht in die völlige Unfähigkeit zu eigener Aktivität, die zur Erleuchtung führen könnte. Vielmehr geht es um ein „… being known and grasped by the enlightened activity of the transcendet Other while carrying on one’s existence“ (152). Die Struktur der Gleichzeitigkeit von Identität und Differenz bleibe gewahrt.

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Entsprechend dem bisher Gesagten, beinhaltet die Erfahrung von shinjin zwei Aspekte, die in einer Wechselbeziehung stehen: „At the foundation of the realization of shinjin lie two interrelated elements: the dissolution of self-power, which is attachment to one’s own will and capacity to determine and do what is good, or what accords with truth and reality; and the emergence of Other Power in one’s existence, which is expressed as entrance into the ocean of Amida’s Vow, or being grasped by Amida. These two elements are in fact two faces of a single religious awakening“ (158).

Die Auflösung der Eigenen Kraft bildet dabei ausdrücklich nicht die Bedingung für das Hervortreten der Anderen Kraft, sondern beide sind wie zwei Seiten einer Medaille gleichursprünglich. D. h. es lässt sich keine Methode ableiten, die eine Erfahrung von shinjin herbeiführen könnte. Jede Methodisierung eines Heilsweges würde als Ausdruck von eigener Kraft und Berechnung der Grundstruktur von shinjin der Anderen Kraft widersprechen. Der zweite Aspekt der Erfahrung von shinjin, das Hervortreten der Andern Kraft in der eigenen Existenz, wird von Shinran poetisch im Bild des „Eintritts in den Ozean von Amidas Gelübde“ und durch die Metapher des „Ergriffenseins“ („being grasped“) von Amida zum Ausdruck gebracht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Darstellung von Y. Ueda und D. Hirota den präsentischen Charakter betont. Dadurch sollen zum einen christliche Missverständnisse (als „Rettung durch Glauben“) abgewehrt und die Übereinstimmung mit dem mahāyāna betont werden. Dennoch gilt die Struktur von Einheit in Differenz, die der Doppelstruktur von präsentischer und futurischer Heilsverwirklichung entspricht, und die dazu führt, dass bei Shinran das Konzept der „Leerheit“ eine untergeordnete Rolle spielt. Hier wird die Differenz zu Nagarjunas Ontologie der Leere einerseits und zur Bewusstseinsontologie der Nur-Bewusstsein-Schule andererseits erkennbar.

8.3.3 Ōtani Kōshin102 Nachdem zwei englischsprachige Honganji-Darstellungen mit je eigenem Akzent dargestellt wurde, soll nun eine japanische Darstellung von dem religiösen Oberhaupt der Honganji-ha, Ōtani Kōshin, unter102

Ōtani Kōshin 1992, 7–26, Hōwa Nr. 24. Der vollständige Text ist von mir ins Deutsche übersetzt und in Anhang 1 abgedruckt. Da es an dieser Stelle lediglich auf die Erhellung des Verständnisses von shinjin ankommt, wird von einer rhetorischen Analyse abgesehen, vgl. dazu die Analysen in den Abschnitten 11.3 und 11.4.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

sucht werden. Es handelt sich um eine hōwa 法話 bei einem Sommerkurs am shitenō-ji-Tempel 1984 zu dem Thema satori und shinjin さと りと信心, in der das shin-buddhistische Verständnis von shinjin insbesondere im Vergleich mit dem zen-buddhistischen Verständnis von satori erläutert wird. Die hōwa besteht aus acht Abschnitten. In den ersten sechs Abschnitten werden Abgrenzungen gegenüber Shinto, Christentum und Zen vorgenommen, in den letzten beiden Abschnitten wird der positive Gehalt von shinjin erläutert. An diesem Aufbau wird bereits der apologetische Charakter der Rede deutlich. (1) Die Einleitung stellt zunächst die Beziehung zwischen Veranstaltungsort (der shitenō-ji gilt als von Shōtoku Taishi gegründet) und Shinran her. Die Verbindung ist durch das nembutsu gegeben, das Shōtoku bereits als Zweijähriger gesprochen haben soll. Damit ist sowohl religiös als auch kulturell der überlieferungsgeschichtliche Horizont aufgezeigt und eine Anknüpfung vollzogen.103 Über die Etymologie von namu 南無 als Zufluchtnahme wird der Bezug zu shinjin hergestellt. Dass dabei auch der Begriff „Buddha“ – zu dem Zuflucht genommen wird – erläutert wird, weist (wie der insgesamt allgemeinverständliche gehaltene Vortrag und die darin vorgenommenen Unterscheidungen) darauf hin, dass es sich um eine Zuhörerschaft mit geringer buddhistischer Bildung handelt. Da die Frage nach satori identisch ist mit der Frage nach „Buddha“, wird im ersten Abschnitt die Basisunterscheidung von Buddha und Gottheiten des Shintō (kami 神) eingeführt, die bei Shinran deutlich vollzogen sei. (2) Der Gegenwartsbezug ist durch die volksreligiöse Identifizierung von Buddha und Gottheiten gegeben, die Ōtani deutlich zurückweist. Ōtani hält fest, dass das, was einen Buddha zu Buddha macht, satori ist. Er nimmt sich jedoch sofort zurück, indem er auf den Umstand verweist, dass Jōdo-shinshū satori kaum thematisiere und er deshalb kaum kompetente Ausführungen darüber machen könne. Diese bescheidene Selbstrücknahme ist jedoch nicht (nur) kulturell, sonder im 103

Shōtoku Taishi 聖徳太子 (574–622) war Regent unter seiner Tante Kaiserin Suiko und Förderer des Buddhismus, der ab 594 die staatstragende Religion wurde. Shōtoku Taishi, der als Vater des japanischen Buddhismus gilt, studierte unter dem koreanischen Mönch Eji 慧慈 und verkündete 604 die Verfassung der 17 Artikel (jūshijichō kenpō 十七条憲法). Ihm werden die Gründung zahlreicher Tempel, u. a. auch des shitenōji 四天王寺, und die Abfassung von Sutrenkommentaren zugeschrieben (vgl. DJBT 322–323, 524; GLB 2008, 94–95; K. Kasahara 2001, 58–60). Das Shōtoku Taishi Denryaku, die 917 entstandene und Fujiwara Kanesuke 藤原兼 輔 zugeschriebene Lebensbeschreibung, übte den größten Einfluss auf die Folgezeit aus (vgl. IBJ 539).

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū

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tiefsten religiös begründet: Der Grund für diesen Umstand liegt darin, dass Jōdo-shinshū betont, „… dass wir, solange wir in dieser Welt leben, sündigen, wir wiederholt irren und immer in Leidenschaften und Ignoranz gebunde Menschen (bonpu 凡夫) bleiben und nicht mehr sind als armselige (somatsu 粗末) Menschen. Daher sind wir geneigt, „satori“ für eine unsichtbare/jenseitige Welt zu halten.“ In einem Durchgang durch die Überlieferungsgeschichte stellt Ōtani einen Wandel in der Auffassung von satori fest. Sie scheine zwischen den beiden Polen, dass satori entweder in kaum erreichbarer Ferne oder aber in unmittelbarer Erreichbarkeit sei zu pendeln. Ausgehend von Śākyamuni-Buddhas alltagsweltlicher Begrifflichkeit für die Beschreibung seines satori, war für ihn und seine Jünger das satori oder Erwachen eine unmittelbare Erfahrung. Die Gegenwart von Personen, die satori erreicht hatten, erzeugte in deren Zeitgenossen das Gefühl unmittelbarer Nähe dieser Erfahrung. (3) Mit zunehmendem zeitlichem Abstand kam der Gedanke auf, dass Śākyamunis satori das Ergebnis von in vielen Wiedergeburten angehäufter Verdienste sei. Damit wurden der Buddha und seine Erfahrung der Sphäre gewöhnlicher Menschen entrückt. Ōtani deutet den theravāda-Buddhismus als Form, die eine „übergroße Kluft“ zwischen Buddhas satori und unserem satori konstatiert. Das mahāyāna habe sich demgegenüber aus dem Gedanken, dass die satori-Erfahrung für jeden Menschen genauso wie für Śākyamuni möglich sei, entwickelt. Daher versteht Ōtani das mahāyāna als Restitutions-Bewegung, die den ursprünglichen Zustand wieder herstellt (fukkō-undō 復興運動). (4) Nach dieser religionsgeschichtlichen Deutung geht Ōtani auf die Differenz von Zen, in dessen Zentrum die satori-Erfahrung steht, zu Jōdo-shinshū ein. Im Zen werde satori nahe bei uns gedacht. Unter Bezug auf ein Zitat eines Zen-Gelehrten und die Praxis des kōan im Rinzai-Zen, fasst Ōtani das satori bei Zen als einen entgrenzenden Bewusstseinssprung, der durch einen durch die kōan-Praxis ausgelösten großen existenziellen Zweifel getriggert wird. Ist für den Zen satori eine prinzipiell für jeden im Hier und Jetzt gegebene Möglichkeit, so stehe die Lehre der Jōdo-shinshū in direkter Opposition dazu: „Gegenüber diesem Gedanken, sagt Jōdo-shinshū genau das Gegenteil: „In dieser Welt kann man ‚satori‘ nicht erlangen. Daher ist für Leute von Jōdo-shinshū ‚satori‘ keine Sache von dieser Welt, sondern etwas, das nach dem Ende dieser Welt kommt. Deshalb wird es in Worten wie ‚im Reinen Land geboren werden‘ oder ‚im Paradies [gokuraku 極楽] geboren werden‘, vermittelt.“

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Aber das heißt nicht, dass man nur in jener Welt geboren wird, sondern das Erreichen von ‚satori‘ wird tatsächlich angestrebt. Wenn das nicht so wäre, dann würde man das nembutsu sagend diese Welt sich selbst überlassen – das wäre das die Denkweise eines Faulen, der nach diesem Leben in einer angenehmen Welt ohne Leid geboren sorglos leben will.“

Gegenüber dem Zen wird also der futurische Aspekt stark herausgestellt. Gleichzeitig wird jedoch dem Missverständnis einer weltflüchtigen Jenseitsorientierung gewehrt (vgl. die Ausführungen zum Nonomura-Zwischenfall Abschnitt 7.2.3). (5) Anhand einiger Shinran-Zitate verdeutlicht Ōtani, dass „im Reinen Land geboren werden“ gleichbedeutend ist mit dem Erreichen von satori und nirvāna. (6) Nach diesen Vorklärungen geht Ōtani auf das Verständnis von shinjin ein. Er setzt bei der Begriffsklärung mit der Problematik der Übersetzung ins Englische und anderen Sprachen ein. „Um auch Menschen im Ausland den Buddhismus zu vermitteln [tsutaeru 伝える], hat Honganji die Japanisch oder Chinesisch geschriebenen Sutrentexte und Werke Shinrans ins Englische und andere Landessprachen übersetzt. Das größte Problem dabei war die Frage, wie man das Wort ‚shinjin‘ [信心] am besten übersetzen sollte. Wenn man in einem herkömmlichen Wörterbuch nachschlägt, dann wird shinjin mit der Vokabel ‘faith’ wiedergegeben.“

Dieselben Schwierigkeiten hatte auch das Christentum im umgekehrten Fall. Obwohl shinjin in Wörterbüchern in der Regel mit ‘faith’ wiedergegeben wird, habe man im Christentum nicht shinjin, sondern shinkō für den Glaubensbegriff gewählt, da – so Ōtani unter Bezug auf ein Gespräch mit einem Christen – shinjin zahlreiche Konnotationen enthalte, die dem christlichen Glauben nicht angemessen seien. Aufgrund der zahlreichen Bedeutungen und Konnotationen von shinjin äußert Ōtani seinen Eindruck, dass das Wort shinjin allein die shinbuddhistische Aussageintention zu vermitteln, gar nicht in der Lage ist. Ōtani teilt Tillichs pessimistische Einschätzung im Blick auf den Glaubensbegriff in seiner Alltagssemantik: „Ein christlicher Theologe aus dem Westen sagt: ‚Es gibt kein Wort, das mehr missverstanden und fragwürdig definiert wird, wie das Wort Glaube (faith). Anstatt die Leiden der Menschen zu heilen, bedarf das Wort selbst zuerst der Behandlung.‘104 Mit anderen Worten sagt er, dass bereits das Wort ‚Glaube‘ (shinkō) krank geworden ist, bevor es die Leiden der Menschen und die Krankheit des Herzens behandeln kann. 104

Ōtani Kōshin bezieht sich auf Paul Tillich und zitiert hier (allerdings nicht ganz wörtlich nach der japanischen Übersetzung) aus dem berühmten Vorwort zu „Dynamics of Faith“.

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū

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Ich denke, das trifft auch auf das Wort ‚shinjin‘ zu.“

Nach dieser interreligiös ausgeweiteten semantischen und kommunikativen Problematik, in der zunächst Unterscheidungen zum Shintō, zum Zen und zum Christentum vorgenommen wurden, kommt Ōtani im letzten Drittel der hōwa zur Erklärung des positiven Gehaltes von shinjin. Zunächst wird anhand der Begriffsgeschichte das allgemeinbuddhistische Verständnis aufgezeigt, sodann das spezifisch shinbuddhistische. Ōtani setzt wieder mit einer Differenz ein, indem er grammatisch den Unterschied zwischen verbalem und nominalem Gebrauch von shinjin erläutert: „Als Verb reflektiert ‚shinjin-suru‘ eine Denkweise, wobei man etwas von einem Gegenüber, Gott oder Buddha, erwartet, ohne dass sich auf unserer Seite etwas verändert: ‚verändere doch die Umstände, bitte heile mich, tut doch etwas‘. Im Gegensatz dazu kann man einen Unterschied machen zu ‚shinjin‘ als Nomen: ‚shinjin‘ als Nomen meint, dass unser Herz in den Zustand von ‚shinjin‘ kommt, unser Herz verwandelt sich.“

Anhand der Begriffsgeschichte vom Sanskrit über das Chinesische wird shinjin nun zunächst als „die Herzenshaltung der Zuflucht (kie 帰依), einer festen Überzeugung (shinnen 信念) gegenüber den Drei Juwelen (sanbō 三宝), d. h. dem Buddha (butsu 仏), der Lehre (hō 法) und der Gemeinde (sō 僧)“ erläutert. „Oder es bedeutet auch ein ruhiges, klares Herz, rein geworden, der Zustand des Herzens, in dem man eine tiefe Freude empfindet. Weiter bedeutet es ein Herz, das einem Gegenüber zugewandt ist, das Objekt fest ergreift.“ In jedem Fall setzt das Sich-Einlassen auf eine bestimmte Praxis ein gewisses Vertrauen (shinrai 信頼 oder shinyō 信用) voraus. Daher komme shinjin in jeder buddhistischen Rede vor; ‚shinjin‘ sei als Eingang, als erster Schritt in den Buddhismus, ganz wichtig. (7) In den letzten beiden Abschnitten geht Ōtani nun auf das spezifisch shin-buddhistische Verständnis von shinjin ein. Im Unterschied zum allgemeinbuddhistischen Verständnis, das bei Jōdo-shinshū nicht verworfen werde, stehe shinjin nicht nur als ‚Eingang‘ am Anfang, sondern geht „… bis zum Allerinnersten – wir stehen auf dem Denken von ‚shinjin allein‘ [shinjin hitotsu 信心一つ].“ Shinjin besitze im Gegensatz zum allgemeinen Gebrauch abweichende Bedeutung: „Das heißt, dass man ‚shinjin‘ von Buddha geschenkt bekommt. Die Denkweise von Jōdo-shinshū entspricht dem vorhin gegebenen typischen Beispiel für den nominalen Gebrauch von ‚shinjin‘. Indem ich von Buddha

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

mit ‚shinjin‘ begnadet worden bin, ‚habe ich shinjin‘ als etwas, das ich geschenkt bekommen habe.“

Der Geschenkcharakter von shinjin wird durch den Begriff „Urgelübde der Anderen Kraft“ (tariki-hongan 他力本願) ausgedrückt. In der Umgangssprache erfuhr dieser Begriff jedoch einen Bedeutungswandel (als ein sich Verlassen auf Andere aufgrund mangelnder Selbstverantwortlichkeit, oder als Segen der Natur), der die ursprüngliche Bedeutung entstellt. Ōtani fragt selbstkritisch, ob die Ursachen für diesen Bedeutungswandel nicht auch bei Jōdo-shinshū selbst liegen. Da shinjin ein von einem Anderen geschenktes shinjin ist, das nicht durch uns selbst hervorgebracht wird, gibt es die Unterscheidung von Selbst und dem Anderen, die als „shinjin der Anderen Kraft“ [tariki no shinjin 他力の信心]“ bezeichnet wird. (8) Im letzten und längsten Abschnitt erläutert Ōtani die Bedeutung von tariki-shinjin. Entsprechend der Komplementarität von Selbst und Anderem, ist tariki eng mit der tiefen Reflexion der Art und Weise unseres Seins verbunden (waga mi no arikata わが身のあり方). Indem Ōtani nun die menschliche existenzielle Seite beleuchtet, wird dadurch auch die Dimension Amidas erhellt. An existenziellen Grenzerfahrungen wie der Sorge um das eigene Leben und Sterben, durch Krankheit oder die Erfahrung von Sinnlosigkeit, aber auch an moralischem Versagen und der eigenen Verführbarkeit durch Täuschungen erkennt der Mensch, dass er anhaftet und kein reines und klares Herz hat. In diesem Sinn sei es zu verstehen, „…  dass das von Amida geschenkt bekommene ‚shinjin‘ selbst das wirkliche Herz [hontō no kokoro 本当の心], das wahre Herz [makoto no kokoro まことの心] ist.“ Dieses shinjin ist die einzige Ursache für die Geburt im Reinen Land. Darin bestehe gerade das Spezifikum von Jōdo-shinshū: „Es ist nicht nur ‚shinjin‘ als Eingang, es ist sozusagen auch das ‚shinjin‘ bis zum Ausgang.“ Gerade in der Anerkenntnis der des eigenen wahren Zustands liege eine Stärke, die sich positiv auf die gegenwärtige Lebensbewältigung auswirkt.

8.4 Zusammenfassung und Ergebnisse Shinjin 信心 bildet den zentralen Terminus für die shin-buddhistische religiöse Erfahrung, der sowohl begriffsgeschichtlich als auch in seinen Konstruktionsprinzipien und semantischen Verknüpfungen eine genuin buddhistische Genese im Kontext der Jōdo-Tradition auf-

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū

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weist.105 Dabei kommt es bei Shinran (durch die mappō-Lehre und v. a. die eigene religiöse und biographische Entwicklung, vgl. san-gan-tennyū) zu einer qualitativen Neubestimmung des Traditionsbestandes aufgrund seiner in der Textinterpretation konsequent durchgeführten tariki-Hermeneutik. Indem Amida selbst das Subjekt der im Urgelübde genannten Bedingungen wird, eignet Amida seine Buddha-Natur dem Gläubigen als shinjin zu, was als Ergriffen- und Aufgenommen sein ohne Verworfen zu werden (sesshu-fusha) bezeichnet wird und auf der affektiven Ebene von Freude, innerem Friede und Gewissheit begleitet ist. Entsprechend ist das nembutsu keine Bedingung, sondern die von der Anderen Kraft Amidas bewirkte Antwort auf den darin ergangenen Ruf Amidas. Es ist die Erfahrung eines Augenblicks, in der auch die Zeit transzendiert wird (ichi-nen). Shinjin hat den Doppelaspekt der Erfahrung der Unmöglichkeit soteriologisch wirksamer Eigen-Kraft und der Wirkung der Anderen Kraft. Die Selbstdurchsetzung der Anderen Kraft geschieht „spontan“ jinen 自然. Da es keine Methode gibt, durch die shinjin herbeigeführt werden kann, ereignet sich shinjin als Akt des Hörens. Weil shinjin Geschenk Amidas ist, kommt es zur Transzendierung einer mit Amida als Glaubensobjekt gedachten Subjekt-Objekt-Beziehung. Dabei geht es nicht um einen indifferenten Monismus, sondern um eine non-dualistische Einheit in Differenz. Die Differenz ergibt sich dabei aus der vortodlichen Existenzform, in der Erleuchtung resp. Buddhaschaft als endgültiges Heilsziel noch nicht voll verwirklicht werden kann. Die Hingeburt ins Reine Land gewinnt einen präsentischen und futurischen Aspekt. Gegenüber der bisherigen Jōdo-Tradition kommt es zu einer partiellen Ent-eschatologisierung bei Shinran. Gegenüber dem Zen (aber auch gegenüber rein präsentischen Interpretationen bei Ōtani-ha) wird jedoch in allen Selbstdarstellungen der Honganji-ha in Übereinstimmung mit der Tradition an dem futurischen Aspekt streng festgehalten.106 Shinjin bleibt somit auch in einem temporalen Sinn die causa für die Hingeburt ins Reine Land und ist nicht einfach identisch mit diesem, während nachtodliche Hingeburt und Erlangung der Buddhaschaft koinzidieren. Der Zustand der Gewissheit der Hingeburt ins Reine Land und der damit verheißenen Erlangung des höchsten nirvāna, wird als shōjōju 正定聚 bezeichnet. Gegenüber einer vollständig präsentischen Eschatologie ergeben sich also spezifische Unterschiede im Glaubensverständnis, wie Ōta105 106

Das gilt auch für die darin enthaltenen taoistischen Momente. Diesen Aspekt betont auch H.-S. Keel 1995, 122.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

ni Kōshin am Vergleich mit dem Zen verdeutlicht, die aber implizit auch einer „Reform-Position“ der Ōtani-ha, gelten mögen, in deren Hintergrund auch Einflüsse der Nur-Bewusstseins-Lehre yui-shikiron 唯識論 mitwirken. Diese dogmatischen Entwicklungen sind in der westlichen Literatur zu Jōdo-shinshū – soweit ich sehe – kaum berücksichtigt und haben in der Darstellung aus christlicher Perspektive oft zu Unklarheiten geführt. Selbstredend haben diese Differenzen auch Auswirkungen auf die religiöse Kommunikation. Das Problem der Übersetzung von shinjin, das in allen Darstellungen behandelt wird, ergibt sich aus zwei sich z. T. überschneidenden Horizonten der Kommunikation über Religion als auch religiöser Kommunikation: dem interreligiösen einerseits und dem intrakulturellen andererseits. 1. Die Begegnung mit dem Glaubensbegriff des Christentums (insbesondere in seiner reformatorischen Gestalt) fordert auf beiden Seiten zu einer semantischen Klärung heraus, die zugleich eine Klärung der jeweiligen religiösen Identität impliziert. Neben der rein sprach- und religionswissenschaftlichen Ebene findet diese Klärung häufig im Kontext und vor dem Hintergrund religiöser Kommunikationsprozesse statt. Das gilt historisch primär für die Begegnung durch christliche Mission in Japan sowie auch für die Notwendigkeit der Übersetzung shin-buddhistischer Texte in westliche Sprachen, die sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Auslandsmission von Honganji-ha ergibt, wie die beiden englischsprachigen Darstellungen und die hōwa von Ōtani zeigen.107 2. Die kommunikative Insuffizienz von shinjin in seiner alltagsweltlichen Semantik nötigt zu einer „Übersetzung“ und semantischen „Reinigung“ des Begriffs für die Praxis religiöser Komunikation innerhalb der japanischen Gesellschaft der Gegenwart, in der die Kommunikabilität shin-buddhistischer Terminologie nicht ohne weiteres gegeben ist.108 Natürlich gilt dies nicht nur für den Glaubensbegriff, sondern ebenso, wenn auch nicht in dieser Zuspitzung, für andere zentrale Begriffe wie Gnade, Liebe, Barmherzigkeit, etc.109 107 108 109

Vgl. z. B. K. Ōtani, 42005, 85–104, u. a. Vgl. K. Ōtani 1992, 7–26; T. Hirose 1999, 19–20. Einen Einblick in die Übersetzungsarbeit will das eher religionsphilosophische Gespräch zwischen Ryōgi Okochi und Klaus Otte geben, das sie im Zusammenhang ihrer shin-buddhistisch-christlichen Gemeinschaftsübersetzung des Tan-ni-shō dokumentiert haben. Dabei erstaunt jedoch, dass die Übersetzung von shinjin mit „Glaube“ in keiner Weise problematisiert wird (R. Okochi / K. Otte 1979, 63–136).

8. Shinjin als religiöse Grunderfahrung bei Shinran und Jōdo-shinshū

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Zieht man die Geschichte bisheriger Begegnungen mit dem Christentum, insbesondere mit deren reformatorischer Gestalt in Betracht, so sind die in den Darstellungen vollzogenen Abgrenzungen verständlich. Allerdings erheben sich berechtigte Zweifel, ob mit den zitierten Aussagen reformatorisches Glaubensverständnis wirklich getroffen ist. Denn auch hier ist der Glaube keine menschliche Vorleistung, die als Bedingung für die Erlösung zu erbringen wäre. Der Korrektur des Missverständnisses, der Glaube (zumal als Für-wahr-Halten von Unglaubwürdigen) wäre eine zu erbringende Bedingung, galten gerade auch Tillichs Bemühungen um den Glaubensbegriff. Zunächst ist jedoch noch nach dem Gültigkeitsbereich religiöser Kommunikation bei Jōdo-shinshū zu fragen.

9. Die „geschickten Mittel“ (upāya/hōben 方便) als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung 9.1 Hinführung Im Folgenden kann im Rahmen dieser Arbeit nur ein kurzer Überblick über den Begriff im Allgemeinen gegeben werden, von dem ausgehend dann das Verständnis von hōben bei Jōdo-shinshū im Besonderen dargestellt wird. Das Verständnis der „geschickten Mittel“ bildet die Voraussetzung für eine Theorie religiöser Kommunikation, wie sie in den religiösen Reden konkret Gestalt gewinnt. Die Behandlung der „geschickten Mittel“ findet daher auch im Aufbau dieser Arbeit ihren strukturellen Ort zwischen der Darstellung des Glaubensbegriffs shinjin 信心 und der Analyse der religiösen Reden hōwa 法話. Forschungsüberblick. Das Konzept der „skilful means“ wurde erstmals 1978 (22003) in umfassender Weise von Michael Pye insbesondere anhand einer genauen Analyse des Lotus-Sūtra und der Lehre des Vimalakīrti dargestellt. Dabei konnte Pye im Ergebnis festhalten: „The Mahayanists saw the whole Buddhist religion as a vehicle for ‘crossing over’ and for ‘bringing over’, which are inseparable. In short, Buddhism is skilful means.“1 1994 erschien die englische Übersetzung des „Skill in Means Sūtra“ von Mark Tatz. Bereits 1974 veröffentlichten Daigan und Alicia Matsunaga einen wichtigen Aufsatz über upāya/ hōben, in dem sie den inneren Zusammenhang zwischen der buddhistischen Erfahrung des Erwachens (resp. nirvāna) und der Notwendigkeit des Predigens herausarbeiteten. Er enthält in nuce eine Hermeneutik buddhistischer Verkündigung, die im Strukturgefüge zentraler Vorstellungen mahāyānischer Philosophie wie der Lehre von der doppelten Wahrheit (dvaya-satya), Leere (shūnyatā) und der bodhisattvaTheorie, begründet liegt. 2001 (ND 2004) erschien die Studie von John 1

M. Pye 22003, 158.

9. „Geschickte Mittel“ als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung

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W. Schroeder „Skillful Means“, in der upāya als „The Heart of Buddhist Compassion“ vorgestellt wird. Die zentrale These in Schroeders Arbeit ist, dass das zentrale Konzept der „geschickten Mittel“ primär die Frage nach der heilswirksamen Praxis stellt und nicht – wie häufig in der westlichen Rezeption – die Frage nach Erkenntistheorie oder einer bestimmten Ontologie. „As a specific form of metapraxis, upāya is not reflecting on the limits of knowledge, the nature of reality, or metaphysical assertions, but on the efficiacy and justifiability of Buddhist praxis.“2 Die Frage nach hōben speziell bei Jōdo-shinshū behandeln die beiden kurzen Beiträge von Ryogi Okochi (1977) und Michael Pye (1984). Auf die Behandlung der „geschickten Mittel“ im interreligiösen Dialog wird weiter unten eingegangen. Begrifflichkeit. Der Begriff 方便 chin. fang-pien, jap. hōben bildet die Übersetzung von skr. upāya, das von den Verben upa-i „sich nähern“ und aya „kommen / gehen“ abgeleitet wird.3 Im übertragenen Sinn bezeichnet upāya die Annäherung an ein Ziel und nimmt daher die Bedeutung „Methode / Mittel“ (sc. ein Ziel zu erreichen) an.4 Der zusammengesetzte Begriff upāya-kauśalya (chin. shan-chüan-fang-pien; jap. zengyō-hōben 善巧方便)5 bedeutet „Geschicklichkeit (in der Wahl und Anwendung) der Mittel“, oder „Fähigkeit, das rechte Mittel anzuwenden“6. In der Literatur werden im Kontext des Buddhismus sowohl upāya-kauśalya als auch nur upāya mit „skilful means“ oder „geschickte Mittel“ wiedergegeben.7 Das MDCB bietet als deutsche Übersetzung „geschickte Heilsmittel“8 und nimmt damit die soteriologische Funktion der „geschickten Mittel“ in die Übersetzung mit 2 3

4

5 6 7 8

J. W. Schroeder 2004, 151. R. Okochi 1977, 278; vgl. CWS II, 175; H. Zimmer 1973, 118 Fn. 1. Zu den terminologischen Fragen und den Schwierigkeiten der Übersetzung vgl. M. Pye 22003, 8–12. C. Kleine 2004b gibt eine Übersicht über den prä-mahāyānischen Gebrauch von upāya und den komplexen Übersetzungsprozess ins Chinesische. BGJ 404–405; H. Zimmer listet die Methoden zur Annäherung (upāya) an einen Nachbarn (oder Feind), wie sie in traditioneller indischer Philosophie des Erfolgs entfaltet wurden, auf (H. Zimmer 1975, 117–124). M. Pye bemerkt gegenüber verschiedenen Versuchen zurecht, dass die Etymologie des Begriffs keine Deutungshoheit im Kontext der buddhistischen Verwendungsweise gewinnen dürfe, auch wenn eine gewisse Bedeutungskontinuität gegeben sei (M. Pye 22003, 9). Festzuhalten bleibt jedoch, dass das Konzept bereits vor- und außerbuddhistisch bekannt war und vom Buddhismus aufgegriffen und integriert wurde. BGJ 405; IBJ 614; DJBT 368. U. Schneider 31992, 182. M. Pye 22003; M. v. Brück 2007, u. a. MDCB 1999, 67.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

auf. Entsprechend übersetzt auch H. Inagaki „‘A method, means, device’ as of saving suffering beings“.9 Theorie der Vermittlung. Das Konzept der „geschickten Mittel“ bildet im Mahāyāna das grundlegende hermeneutische Modell der Vermittlung religiöser Erfahrung.10 Es bildet den Konnex von prinzipiell apophatischer religiöser Erfahrung einerseits und der Vermittlung in (kataphatischer) religiöser Rede andererseits und entspricht damit der Relation des Buddha und dem unerleuchteten Menschen (der buddhistischen Grundunterscheidung). Im Vinaya-pitaka Mahāvagga wird erzählt, wie der Buddha nach seinem Erwachen zunächst beschloss, seine Einsicht nicht weiterzugeben, da sie für unerleuchtete und noch in Begierden verhaftete Menschen zu schwierig sei: „Unter Mühen habe ich (die Lehre) erkannt. Was soll ich sie jetzt verkünden?“11 Erst nach dreimaligem Flehen des Gottes Brahma „… schaute der Erhabene aus Mitleid mit den Wesen mit einem Buddhablick auf die Welt hernieder.“12 Dabei unterschied er die Menschen im Blick auf ihr sehr verschiedenes Fassungsvermögen aufgrund moralischer, kognitiver und karmischer Voraussetzungen. Daraufhin sagt der Erwachte dem Gott Brahma zu, die Lehre zu verkünden: „Geöffnet ist des Unsterblichen Tor für die, welche hören; entsenden sollen sie Vertrauen.“13 Das Motiv für die Verkündigung ist Mitleid, das die je verschiedenen individuellen Voraussetzungen des jeweiligen Hörers berücksichtigt. An anderer Stelle vergleicht der Buddha (wie bereits zitiert) die Lehre mit einem Floß, das lediglich ein Mittel darstellt, um das andere Flussufer zu erreichen. Ebenso dient die Lehre als Mittel der Befreiung, an dem man jedoch nicht anhaften soll (Majihima-nikāya 22).

9.2 Die Lehre von den „geschickten Mitteln“ im Mahāyāna allgemein „Der Buddhismus wacht eifersüchtig über die Transzendenz des Absoluten und sucht jene Mißverständnisse zu vermeiden, die so leicht entstehen, wenn derselbe Name, der etwas in unserer Welt bezeichnet, zugleich et9 10 11 12 13

DJBT 100; 368. Dabei ist dieses Modell aber, wie M. Pye bemerkt, nicht immer eindeutig systematisierbar, M. Pye 22003, 158. Mahāvagga I,5 zitiert nach K. Mylius 1998, 402. Mahāvagga I,5 zitiert nach K. Mylius 1998, 404. Mahāvagga I,5 zitiert nach K. Mylius 1998, 405.

9. „Geschickte Mittel“ als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung

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was anderem verliehen wird, das von unserer Welt völlig verschieden ist – so wie es den Christen begegnet, die Gott als eine Person bezeichnen.“14

Edward Conze verweist in diesem Zitat auf den prinzipiellen Apophatismus des Buddhismus. Die Frage, wie der Buddhismus trotzdem kommunizierbar sein und eine reiche Lehr- und Verkündigungspraxis entfalten konnte, beantwortet Nāgārjuna mit der Lehre von der doppelten Wahrheit (skr. dvaya-satya), die zwischen relativer/konventioneller Wahrheit (skr. samvrti-satya jap. zokutai 俗諦) und absoluter/ letzter Wahrheit (skr. paramartha-satya, jap. shintai 真諦) unterscheidet.15 Absolute Wahrheit gilt für den Bereich der Erlösung, dem Erwachen, der Einsicht in die „Leerheit“ śūnyatā als letzter Wirklichkeit. Konventionelle Wahrheit hingegen hat ihre Gültigkeit im Bereich der Erlösungsbedürftigkeit. Relative Wahrheit ist die Entstehung aller Phänomene (dharma), die absolute Wahrheit die illusionslose Einsicht in die Nichtentstehung aller Phänomene (skr. sarvadharmānutpādadarśana, jap. mushō-bōnin 無生法忍), da sie in ihrem Wesen „leer“ sind.16 Beide sind jedoch konstitutiv aufeinander bezogen. „Independently of the common truth / The absolute truth cannot be taught. / Without the absolute truth / Nirvāna cannot be obtained.“17 Im Bereich der konventionellen Wahrheit gibt es nach Nāgārjuna wiederum förderliche und hinderliche Lehren auf dem Weg zur Erlösung. V. Zotz erläutert: „Auf der Ebene gewöhnlicher Wahrheit gilt die Perspektive des von der Welt gesonderten Subjekts: Das Ich und von ihm aufgefasste Objekte scheinen getrennt. Die Erkenntnis letzter Wahrheit ist dagegen unmittelbar, subjekt- und objektfrei. Weil alle Gegebenheiten, das Subjektsein wie jedes wahrnehmbare oder erschlossene Ding, leer sind, erweisen sich Subjekt-, Objekt- und Leerheitserkenntnis als ein und dieselbe Erfahrung.“18

Mit der Lehre von der doppelten Wahrheit steht die Lehre von den „geschickten Mitteln“ in engem Zusammenhang. Die Logik Nāgārjunas, die sich auf das Destruieren bestehender Systeme beschränkt, indem sie deren Aporetik aufzeigt, dient dazu, die konventionelle Wahrheit für die absolute Wahrheit (der Leere) transparent zu machen. Nāgārjuna beschreitet die via negationis als Zugangsmöglichkeit zu apophatischer letzter Wahrheit. Daraus folgt: „Sind alle Lehren und Übungen in letz14 15

16 17 18

E. Conze 101995, 158. Einen detaillierten Überblick über die Genese der Lehre von den „Zwei Wahrheiten“ von Nāgārjuna bis Atiśa bietet C. Lindtner 1989, 161–214. Vgl. auch E. Conze 101995, 125–126; V. Zotz 1996, 126–127. C. Lindtner 1989, 165. Akutobhayā ad MMK 10, zitiert nach C. Lindtner 1989, 165. V. Zotz 1996, 126.

328

II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

ter Wahrheit gleichsam falsch, können sie im konkreten Fall gewöhnlicher Wahrheit angebracht sein.“19 Aufgrund der prinzipiellen Negation ergibt sich im Blick auf die relative Wahrheit eine große Offenheit. Das spiegelt auch die große Variationsbreite buddhistischer Schulen wieder, die sich in der Regel tolerieren. Auf diesen irenischen Aspekt macht im Zusammenhang mit den „geschickten Mitteln“ M. Pye aufmerksam. 20 Als grundlegend und instruktiv für das mahāyānische Verständnis der „geschickten Mittel“ erweist sich das „Sūtra von der Lotosblüte des wunderbaren dharma“, abgek. Lotos-Sūtra (skr. saddharma-pundarīka-sūtra, jap. myōhō-renge-kyō 妙法蓮華経, abgek. hokke-kyō 法華経). 21 Insbesondere das zweite Kapitel, das mit upāya-kauśalya überschrieben ist, bietet eine theoretische Darlegung in Form einer Lehrrede Gautama Śākyamunis. Dort heißt es z. B. „Śariputra, seitdem ich Buddha geworden bin, lege ich anhand mannigfaltiger Gleichnisse die Lehre weithin dar, mit unzähligen geschickten Mitteln führe ich die Menschen und veranlasse sie, sich von den verschiedenerlei Dingen, denen sie verhaftet sind, abzutrennen.“22

Dieses Zitat über die Anwendung der „geschickten Mittel“ steht im Zusammenhang eines Lobpreises auf die unermessliche Weisheit der Buddhas. Die Funktion der Befreiung aus dem Verhaftetsein wird am eindrücklichsten durch das Gleichnis vom brennenden Haus illustriert (Kapitel III des Lotos-Sūtra), in dem ein Vater seine Kinder aus einem brennenden Haus rettet, indem er sie mit dem Versprechen herauslockt, jedem einen anderen schönen Wagen zu geben und ihnen damit einen Herzenswunsch zu erfüllen. Als sie zum Vater laufen und damit aus der Gefahr gerettet sind, bekommt jedes der Kinder den gleichen großen Wagen, der die Wünsche der Kinder übersteigt. In dem anschließenden stilisierten Lehrgespräch des Buddha mit Śariputra wird erklärt, dass es sich bei dieser Methode nicht um Lüge oder Falsch19 20 21

22

V. Zotz 1996, 135–136. M. Pye 1998, 57–59. Für das Lotus-Sūtra vgl. die deutsche Übersetzung von Margareta von Borsig 32004. Das Lotos-Sūtra, das auch die „Bibel Ostasiens“ (H. Dumoulin) genannt wurde, zählt zu den wichtigsten mahāyānischen Texten. Für die Entstehung wird ein Zeitfenster von 200 v. bis 200 n. Chr. angenommen (M. v. Borsig). Hajime Nakamura nimmt für die Entstehung einer Proto-Version das ersten Jh. n. Chr. an. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam wurde die Übersetzung aus dem Sanskrit ins Chinesische von Kumārajīva um das Jahr 406 (M. v. Borsig 32003, 17). Für einen historisch-kritischen Überblick über die verschiedenen Versionen des Lotos-Sūtra vgl. M. Pye 167–181, der aufgrund der literarischen Integrität der Übersetzung von Kumārajīva den Vorzug als Textbasis für seine Untersuchung gibt. M. v. Borsig 32003, 57.

9. „Geschickte Mittel“ als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung

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heit handle, da die soteriologische Absicht erreicht und das Geschenk noch überboten wurde. Da der Tathāgata (Buddha) so handelt wie der Vater im Gleichnis, wird er der „Vater der ganzen Welt“ genannt. So koinzidieren im Gebrauch der „geschickten Mittel“ die Weisheit und Barmherzigkeit Buddhas. Das Konzept der upāya-kauśalya steht in engem Zusammenhang mit der Bodhisattva-Theorie. Als Ausdruck von Weisheit und Barmherzigkeit bildet die Fähigkeit, geschickte Mittel anzuwenden, die siebte der zehn Vollkommenheiten eines Bodhisattva. 23

9.3 Das Verständnis von hōben 方便 bei Jōdo-shinshū Śākyamuni and Amida are our father and our mother, Full of love and compassion for us; Guiding us through various skillful means, They bring us to awaken the supreme shinjin. 24 Shinran

Besteht eine Differenz zwischen hōben im Mahāyāna allgemein und bei Jōdo-shinshū im Besonderen? Wen ja, worin besteht sie? M. Pye formuliert seine Beobachtungen im Blick auf hōben bei Jōdo-shinshū sehr vorsichtig: „Nevertheless it might appear that Shinran and later Shin Buddhist tradition operate with a de facto discrimination between (i) ordinary expressions of Buddhism, reckoning these as skilful means and at the same time downgrading them as merely provisional and expedient, and (ii) the central symbols of Shin Buddhist faith Amida Buddha, the original vow and other-power, which are more or less established as eternal verities. This seems to be the ordinary tendency among Shin Buddhist believers at the present day.“25

Diese Bobachtung hat, sollte sie zutreffen, weit tragende Konsequenzen für die religiöse Rede und muss genauer überprüft werden. Dabei ist vor allem auf eine differenzierte Untersuchung der „skilful means“ und der Buddhologie Shinrans im Kontext seiner tariki-Hermeneutik nötig. Auch für Shinran gilt zunächst, wie das angeführte Zitat aus seinen Kōsō-wasan zeigt, dass die „geschickten Mittel“ Ausdruck der Barmherzigkeit Buddhas sind, die das Ziel haben, auf vielfältigen Wegen 23 24 25

U. Schneider 31992, 182. Beispiele dafür finden sich besonders im Lotus-Sūtra und im upāya-kauśalya-Sūtra. CWS I, 380. M. Pye 1984, 73.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

zum höchsten shinjin zu führen. D. h., hōben nimmt eine Heil vermittelnde Funktion ein. Dabei ist zu beachten, dass hōben eine Aktivität Buddhas resp. Amidas darstellt und damit ganz der Anderen Kraft (tariki) entspricht. „Geschickte Mittel“ als menschliche Bemühung, um shinjin zu erlangen, wäre Eigene Kraft jiriki resp. Berechnung hakarai und ist strukturell ausgeschlossen. V. Zotz bringt es auf die prägnante Formel: „Amitābha gilt ihm [sc. Shinran, Anm. d. Verf.] als Selbstausdruck der letzten Wahrheit, ist deren Mittel für den Menschen, kein bloßes Mittel des Menschen.“26 Das ist anhand der Buddhologie Shinrans noch genauer auszuführen. Die dem Lotos-Sūtra entnommene Metapher des brennenden Hauses, das das durch Begierden (bonnō 煩悩) dem samsāra („der transienten Welt“ mujō no sekai 無常の世界) Verhaftetsein des Menschen symbolisiert und in mahāyāna-Texten geläufig ist, wurde auch von Shinran aufgenommen. Im Epilog des Tan-ni-shō werden ihm folgende Worte zugeschrieben: „Bei mir gemeinem und blinden Wesen voller Begierden aber und in dieser Welt, die so unbeständig und vergänglich ist wie ein brennendes Haus, ist doch alles und jedes einfach nichts anderes als Lug und Trug: nichts ist wahr. Wahr bleibt Nembutsu allein.“27

Im Kontext von Jōdo-shinshū ist nach den Implikationen des letzten Satzes, der die Exklusivität des nembutsu konstatiert, für das Verständnis der „geschickten Mittel“ zu fragen. Ein differenziertes Verständnis der „geschickten Mittel“. Jōdo-shinshū unterscheidet im Anschluss an Shinran zwei Arten von hōben. Erstens: gonke-hōben 権仮方便, d. h. „provisorische“ Lehren und Übungen, die in mystagogischer Absicht an den Grad der Reife des Aspiranten angepasst werden und mit Erreichen des Zieles und der Einsicht in die Wahrheit redundant sind und aufgegeben werden (zan-yū-gen-pai 暫 用還廃). 28 Im sechsten Kapitel des KGSS definiert Shinran den Weg der schwierigen Praxis der Eigen-Kraft jiriki 自力 als Kriterium für gonkehōben, die er auch als jiriki-kemon 自力仮門29 („provisorisches Tor der Eigen-Kraft“) bezeichnet: „These are self-power teachings, the path of the accomodated gate of provisional means [jap. hōben-gon-mon 方 26 27

28 29

Im Vorwort zu T Shigaraki 2004, 12 (Hervorhebung im Original). R. Okochi / K. Otte 1979, 61. Das japanischer Original lautet: 煩悩具足の凡夫、火宅 無常の世界は、よろずのことみなもてそらごとたわごと、まことあることなきに、ただ念 仏のみぞまことにおはします. The Tanni-shō 1990, 81. JSS 1535. CWS I, 223 = KGSS VI, 35.

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331

便権門, Anm. d. Verf.] recommended [by those] in the state of benefiting others.30 Im engeren Sinn bezeichnet Shinran das 19. und 20. unter den 48 Gelübden Amidas als gonke-hōben.31 Da im Unterschied zu Shinrans Neuinterpretation, die einen Paradigmawechsel darstellt, alle übrigen buddhistischen Traditionen unter die Wege der Eigen-Kraft gezählt werden, ergibt sich, dass abgesehen von Jōdo-shinshū diese Schulen als „provisional means“ im Sinn von gonke-hōben gedeutet werden. Somit ist innerbuddhistisch von Jōdo-shinshū eine Basisunterscheidung eingeführt, die einen prinzipiellen qualitativen Unterschied konstatiert und damit einen Alleinstellungsanspruch erhebt. Zweitens: zengyō-hōben 善巧方便 bezeichnet im Gegensatz zu diesen provisorischen Lehren und Übungen die Selbstmanifestation der Soheit shinnyo 真如 resp. der Buddha-Natur hosshō 法性 und bildet die Methode, die (apophatische) Wahrheit zu kommunizieren.32 Für Shinran sind Amida, das Urgelübde und das nembutsu nicht gonke-hōben, sondern zengyō-hōben und identisch mit der Buddha-Natur.33 Die shin-buddhistischen englischen Übersetzungen (z. B. CWS) unterscheiden terminologisch „provisional means“ (gonke-hōben) und „compassionate means“ (zengyō-hōben). Im Folgenden übernehme ich diese Terminologie. Die „geschickten Mittel“ und Shinrans Buddhologie. Mit dieser Unterscheidung ist Shinrans doppel-perspektivische Deutung des dharma-kāya (jap. hosshin 法身) verknüpft. Als letzte Wirklichkeit ist hosshō-hosshin 法性法身 absolut transzendent und menschlicher Wahrnehmung unzugänglich. Die Selbstmanifestation dieser letzten Wirklichkeit bezeichnet Shinran demgegenüber als hōben-hosshin 方 便法身, als dharma-kāya der „barmherzigen Mittel“.34 Amida und das Urgelübde sind als hōben-hosshin 方便法身 zengyō-hōben 善巧方便.35 Shinran knüpft mit dieser Unterscheidung von dharma-kāya als letzter apophatischer und nicht intelligibler Wirklichkeit („ohne Farbe und Form“) und dharma-kāya als „barmherzige Mittel“ explizit an Nāgārjunas Unterscheidung der zwei Wahrheiten an.36 Andererseits 30 31 32 33 34 35 36

CWS I, 223 = KGSS VI, 35. Vgl. auch den Begriff gon-kyō 権教 „accommodated teachings“ CWS II, 170. Vgl. dazu das san-gan-ten-nyū. Hier wird deutlich, wie Shinrans Konzeption von hōben eng mit seiner eigenen religiösen Entwicklung verknüpft ist. Vgl. SKJ 151; JSS 1535–1536. CWS II, 175; SKJ 151. JSS 1536. SKJ 151. H. Rolle 2003, 65, unter Verweis auf P. Schmidt-Leukel, Fn. 202.

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übernimmt er jedoch durch die exklusive Bindung an Amidas Urgelübde nicht deren eher relativistische Haltung gegenüber der relativen Wahrheit. „In Shin Buddhism, compassionate means refers to the manifestation of ultimate reality, which is beyond time and form, in the world of relativities – that is of the dharma-body of suchness in the realm of birth-anddeath – so that it comes into the range of human comprehenshion and description. Thus, Amida, with Primal Vow, Name, and Land, is dharmabody as compassionate means that, while being one with dharma-body as suchness, makes possible the liberation and enlightenment of all beings.“37

Shin-buddhistische Übersetzungen geben, wie gesagt, hōben im Sinn von zengyō-hōben konsequent als „compassionate means“ wieder. Darin kommt zum Ausdruck, dass diese Selbstmanifestation ein Akt der Barmherzigkeit ist, um in Unwissenheit und Begierden gefangene Wesen zur Befreiung zu führen. Hōben ist die formale Bedingung für den Heilsweg, der materialiter durch Amidas Urgelübde gefüllt ist. Der Konnex zwischen hōben als Form und dem nembutsu als Inhalt ist – das ist entscheidend – für Shinran unhintergehbar. Damit unterscheidet er sich zugleich von Nāgārjuna, für den es auf der Ebene relativer Wahrheit keine Exklusiviäts-Ansprüche geben kann. Wenn also von Amida, dem Urgelübde und dem nembutsu als hōben gesprochen wird, dann handelt es sich nicht „nur“ um hōben, sondern man muss sagen, dass es „nichts weniger als“ hōben ist! In diesem Sinn verteidigte auch Rennyo das Konzept von hōben als Mittel, die Wahrheit (shinjitsu 真実) aufzuzeigen.38 Diesen Unterschied zu beachten ist wesentlich angesichts der Tatsache, dass aus westlicher (und christlicher) Perspektive mit dem Begriff hōben oft eine negative Wertung verbunden ist. Mit dieser Unhintergehbarkeit Amidas als hōben-hosshin ist ein weiterer Gebrauch des Begriffs hōben verbunden: „Hōben is also used to refer to provisional means, such as the practices described in the Nineteenth and Twentieth Vows, in contrast to the true mind (shinjin) and practice (nembutsu) of the Eighteenth Vow.“39 Das Verhältnis von präsentischer und futurischer Heilsverwirklichung, wie es bei der Analyse von shinjin deutlich geworden ist, hat nun unmittelbare Konsequenzen für das Verständnis von hōben. Auch Jōdo-shinshū hält an der prinzipiellen Unterscheidung von absoluter apophatischer und relativer kataphatischer Wahrheit fest. Da in shinbuddhistischem Verständnis satori allerdings erst nach diesem Leben 37 38 39

CWS II, 175. SKJ 151; JSS 1267. CWS II, 175.

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verwirklicht werden kann, behält die absolute Wahrheit einen transzendenten Charakter, wenn sie auch als shinjin immanent-transzendent gedeutet wird. Für die gegenwärtige Lebenszeit in dieser Welt gilt die relative Wahrheit als Manifestation der absoluten Wahrheit, hinter die man nicht zurück kann. Der nach wie vor in Begierden und Verblendung gefangene Mensch ist nicht in der Lage, die absolute Wahrheit unmittelbar zu erreichen.40 Insofern sind Amida, sein Urgelübde und das nembutsu „geschickte Mittel“, die allerdings in ihrer Vorläufigkeit unhintergehbar sind.41 So nimmt das nembutsu geradezu Offenbarungscharakter an, wie es in der exklusiven Aussage des Tan-ni-shō „nembutsu nomi-zo makoto nite owashimasu“ 念仏のみぞまことにておわします [„Das nembutsu allein ist wahr und real“] zum Ausdruck kommt.42 In seiner hōwa zu diesem Satz aus dem Tan-ni-shō erläutert Matsui Ekō 松井恵光 von Ōtani-ha: 念仏のみぞまこと」というのは、念仏以外にまことはない、という断定なので す。念仏は南無阿弥陀仏、これは言葉です。単なる言葉でなく、如来のまこと が南無阿弥陀仏という言葉となって、表現(廻向)されてくだされたのです。 凡夫の言葉で凡夫がさとるということはありません。如来のまことの言葉に よって、迷いの凡夫が仏として翻されていくのです.43 [Die Aussage, „allein das nembutsu ist wahr“, ist die Bekräftigung, dass es außerhalb des nembutsu keine Wahrheit gibt. Das nembutsu lautet namu amida butsu, das ist ein Wort. Aber es ist nicht einfach ein Wort, sondern die Wahrheit des nyorai ist das Wort namu amida butsu geworden, es ist der Ausdruck [oder auch Repräsentation, jap. hyōgen] (die Zuwendung [jap. ekō]) der [uns] gegeben wurde. Ein gewöhnlicher Mensch [jap. bonpu]44 kann durch ein Wort eines gewöhnlichen Menschen nicht erleuchtet werden (jap. satoru). Durch das wahre Wort nyorais wird der irrende gewöhnliche Mensch zu einem Buddha umgewandelt.]

Drei Punkte sind in diesem Zitat bemerkenswert. Zum einen wird die Exklusivität des nembutsu betont. Zweitens, und das ist der entscheidende Punkt, wird als Begründung dafür gegeben, dass das nembutsu als von nyorai gegebenes Wort im Unterschied zu gewöhnlichen Wor40 41 42

43 44

Vgl. die Darstellungen in 8.3. Die wurde mir auch im Gespräch mit Nagao Kōji von Honganji-ha bestätigt. Persönliche Kommunikation vom 21. 8. 2009. JSS 854; CWS I, 679. Dieser Aussage geht die Beschreibung des Unheilszustandes durch Begierde und Verblendung voraus. „But with a foolish being full of blind passions, in this fleeting world – this burning house – all matters without exception are empty and false, totally without truth and sincerity. The nembutsu alone is true and real.“ Ebd. E. Matsui 62004, 6. Der Begriff bonpu 凡夫 ist religiös qualifiziert als ein Mensch, der der in blinden Begierden und Unwissenheit gefangen ist. In shinjin kommt der Mensch zu Einsicht in diesen seinen wahren Zustand, vgl. CWS II, 187.

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ten qualifiziert wird als Repräsentation und Zuwendung der Wahrheit des nyorai, d. h. der Soheit, des wahren Wesens der Wirklichkeit. Letzte Wirklichkeit wird worthaft vermittelt, wobei sich alles in dem einen Wort des nembutsu in äußerster Verdichtung konzentriert. Und schließlich wird die transformierende Funktion dieses Wortes im Blick auf das Heilsziel der Buddhaschaft (satori) benannt. Die Differenz zwischen nyorai und gewöhnlichem Menschen bleibt bestehen als differenzierte Einheit. Dieser Dualismus von jiriki und tariki ist aber nur ein vorläufiger in diesem Leben; solange aber bleibt das nembutsu das einzige „Heilsmittel“. M. Pye kommt auf die eingangs gestellte Frage nach hōben bei Jōdoshinshū zu dem Schluss, dass Shinrans Auffassung mit mahāyānischem Denken insofern übereinstimmt, als er das Anhaften an jeglicher Praxis ablehnt. „By contrast, the revealing of reliance on Amida Buddha’s other power is meant to symbolise the emptying out of all forms of practice. At the same time it is not intended as a new mythically expressed ontological statement, as observers have often taken it to be.“45

Damit käme Shinran näher an die ursprüngliche Intention von upāya als „Metapraxis“, wie J. W. Schroeder in seiner Studie betont. Das sieht auch M. Pye so. Die Buddhologie Shinrans hätte demgemäß eine rein soteriologische Funktion. Ist also dem ersten Satz in M. Pyes Zitat zuzustimmen, so ergibt sich die Frage, ob mit dem zweiten Satz das Selbstverständnis der Jōdo-shinshū getroffen ist und ob die Praxis als Nicht-Praxis bei Shinran im Gegensatz zu einem als bedenklich eingeschätzten Exklusivitätsanspruch zu stehen kommt. Sicherlich geht es nicht um eine neue mythologisch ausgedrückte Ontologie, aber es handelt sich nach allem, was die Untersuchung der Texte bisher gezeigt hat, um eine Normativität beanspruchende Deutung des Ausdrucks letzter Wirklichkeit. Nach shin-buddhistischem Selbstverständnis ist gerade die Erfahrung von tariki-shinjin nicht von Amida und dem Urgelübde als Ausdrucksseite letzter Wirklichkeit ablösbar. Es muss hier wiederholt werden, was bereits weiter oben gesagt wurde. Im Unterschied zu nur hōben als „provisional means“ geht es bei Shinrans Interpretation um nicht weniger als hōben als „compassionate means“ im Sinn der „spontanen“ Selbstdurchsetzung der Anderen Kraft des Absoluten. Entsprechend formuliert R. Okochi in seinem Beitrag über „Absolute Wahrheit: Ihre Selbstverneinung als Selbstverwirklichung. Das 45

M. Pye 1984, 77.

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Problem des HŌBEN im Jōdo-Buddhismus“ unter Rekurs auf Shinrans Buddhologie thetisch: „Der geformte, erschienene ‚dharma als Hōben‘ ist dem Menschen der einzig zugängliche, not-wendige Ausdruck des eigentlich formlosen dharma selbst. […] Der absolute, formlose dharma muß seine Absolutheit und Formlosigkeit verneinen, um sich am Menschen zu realisieren und zu verwirklichen. Das eben heißt ‚Hōben‘. […] Der Name [i. e. „die Benennung und Selbst-Benennung des Amida Buddhas“ Anm. d. Verf.] ist das notwendige Mittel, der not-wendige Weg zum Menschen. Das eben bedeutet ‚Hōben‘.“46

Es ist daher noch weitergehend nach dem Verständnis der Lehrgestalt von Jōdo-shinshū zu fragen. Die Entwicklung eines differenzierten Konzeptes der „geschickten Mittel“ hin zu einer‚ geradezu „offenbarungspositivistisch“ erscheinenden Interpretation in der Tradition der Jōdo-shinshū macht darüber hinaus auf ein grundsätzliches religionspsychologisches und im Kontext der Jōdo-shinshū auf ein epistemologisches Problem aufmerksam. Es ist erstens die Frage, ob ein „geschicktes Mittel“ noch seine Funktion erfüllen kann, wenn es als „geschicktes Mittel“ sozusagen entlarvt ist.47 Hätten die Kinder im Gleichnis vom brennenden Haus im Lotos-Sūtra gewusst, dass sie nicht exakt die versprochenen Wagen bekommen, sondern nur aus dem Haus gelockt werden sollen (wenn auch zu ihrer eigenen Rettung) – wären sie zum Vater gelaufen? Dem Aussageduktus des Textes entsprechend wohl nicht, denn sie erkannten ja nicht, wie lebensbedrohlich ihre Situation ist. Die Bedrohlichkeit des Unheilszustandes kann erst vom Heilszustand aus (außerhalb des Hauses) wahrgenommen werden. Das epistemologische Problem das damit impliziert ist, lautet: Wenn „geschickte Mittel“ als solche nur aus der Perspektive des Erwachtseins erkannt werden können (es ist ja der Buddha, der verschiedene Mittel in soteriologischer Absicht gebraucht), besteht für den Menschen im Zustand des Noch-nicht-Erwachtseins keine Möglichkeit eines diese Situation transzendierenden dritten Standpunktes, von dem aus „geschickte Mittel“ als solche identifiziert und beurteilt werden könnten. Die buddhistische Basisunter46 47

R. Okochi 1977, 279. Das ist wohl auch der Hintergrund, wenn Shinran empfahl, man solle nicht ständig über hōben sprechen. V. Zotz meint hierzu: „Obwohl er sich bewußt war, daß Amitābha und sein Reines Land nicht unmittelbare Wahrheiten sind, sondern Instrumente, die den Menschen zur höchsten Wirklichkeit führen, hielt sich Shinran an die eigene Empfehlung, nicht ständig darüber zu reden. Die letzte Wirklichkeit bleibt als ‚Geheimnis der Buddhas‘ dem Unerwachten unzugänglich. Will der Mensch, der sich selbst als Person erlebt, die Soheit erfahren, muß diese ihm personhaft erscheinen“ (V. Zotz 1991, 138).

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scheidung von erwacht / nicht-erwacht wirkt sich bei Jōdo-shinshū aufgrund der hier konstatierten Koinzidenz von nachtodlicher Hingeburt ins Reine Land und Erlangen des Erwachens direkt auf den epistemologischen Stellenwert von hōben aus. Der apriorische Konnex von hosshō-hosshin 法性法身 und Amida als hōben-hosshin 方便法身 geriert sich so als epistemologische Notwendigkeit, die im Glaubensvollzug ihre religionspsychologische Plausibilisierung erfährt. Im Blick auf die religiöse Kommunikation wird daher zu prüfen sein, ob die „geschickten Mittel“ meta-komunikativ thematisiert werden und ob es eine Selbstrücknahme im Sinne relativer Wahrheit bei propositionellen Aussagen gibt.48

9.4 Die „geschickten Mittel“ und der interreligiöse Dialog Das Konzept der „geschickten Mittel“ steht auch im Fokus westlicher Buddhismus-Deutungen von theologischer und religionswissenschaftlicher Seite, die, wie bereits angedeutet, nicht immer unproblematisch sind, wie folgendes Zitat des Buddhologen Edward Conze deutlich macht: „Eigentlich ist alles, was wir bisher als für die Lehre des mahāyāna grundlegend beschrieben haben, lediglich ‚Geschicklichkeit bei der Anwendung der Mittel‘ und nichts mehr. Es handelt sich um eine Folge von Fiktionen, die entwickelt wurden, um zur Erlösung der Lebewesen beizutragen. In Wirklichkeit gibt es keine Buddhas, keine Bodhisattvas, keine Vollkommenheiten und keine Stufen. Dies alles sind nur Erzeugnisse unserer Vorstellungskraft, lediglich Hilfsmittel und Zugeständnisse an die Bedürfnisse des gewöhnlichen Volkes, entworfen, um ihnen als Fähre zum Jenseits zu dienen. Alles außer dem Einen, das auch ‚Leere‘ oder ‚Soheit‘ genannt wird, entbehrt der realen Existenz, und was man auch immer darüber sagen kann, ist letztlich unwahr, falsch und wertlos. Nichtsdestoweniger ist es jedoch nicht nur zulässig, sondern sogar nützlich, es zu sagen, denn die Erlösung der Wesen verlangt es.“49

Conze beschreibt hier in pejorativer Weise, dass die Lehrinhalte des mahāyāna als „geschickte Mittel“ eine „Folge von Fiktionen“ und 48

49

Ein Beispiel dafür wäre eine religiöse Rede von Asukai Shōjō von shinshū-takadaha. Er gebraucht in einer seiner kurzen hōwa den Begriff hōben adverbial (hōbenteki ni). Weil er gerne möchte, dass seine Predigten auch von jungen Leuten verstanden werden, erklärte er den Begriff namu als drei L’s (Love, Leave, Listen), wobei er sich mnemotechnisch geschickt der Alliteration bedient und an die Vorliebe junger Japaner für Anglizismen anknüpft (S. Asukai 102001, 121). Das Beispiel macht gerade deutlich, dass hier hōben lediglich als rhetorisches Mittel verstanden wird. E. Conze 1986, 56–57.

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„nur Erzeugnisse unserer Vorstellung“ sind, die soteriologisch nützlich und letztlich nur Konzessionen eines volkstümlichen Buddhismus darstellen.50 Dementsprechend fällt auch Conzes Deutung der Jōdo-shinshū aus: „Shin, die zahlenmäßig erfolgreichste Sekte, hat die buddhistischen Lehren und Praktiken so sehr reduziert, daß sie kaum mehr zu erkennen sind.“51 In dezidiert apologetischer Absicht sahen von einem offenbarungspositivistischen Standpunkt aus Tucker Callaway (1957) und in dessen Gefolge Gerhard Rosenkranz (1960) den wesentlichen Unterschied zum Christentum, insbesondere im Blick auf Jōdo-shinshū, im Konzept der „geschickten Mittel“. Beide kommen zu einer ähnlich schroffen Beurteilung wie Conze.52 Eine offenere Annäherung findet sich bei Hans-Martin Barth, der in einem Vergleich von upāya (als „brauchbare Hilfen“) mit dem christlichen Verständnis der Heilsmittel (media salutis) das positive Deutungspotenzial dieses Konzeptes im Blick auf konträre christlichtheologische hermeneutische Entwürfe auslotet.53 Eine dezidiert positive, wenn auch aus religionswissenschaftlicher Sicht problematische Aufnahme finden die „skilful means“ ins Christentum bei John Hick (1993), der versucht, eine Hierarchie religiöser Aussagen aufzustellen.54 Die Diskussion um die „geschickten Mittel“ stellt sich als sehr komplexe Frage nach einer Religionshermeneutik dar, die besonders im Vergleich mit dem Christentum heuristisches Potential besitzt. So fragt M. Pye aufgrund von beobachteten Strukturanalogien in einem Aufsatz von 1998 „Die ‚geschickten Mittel‘ – zur Dialektik der Ausdrucksformen in Buddhismus und Christentum“, inwieweit der Begriff „auch für die Erschließung der Sinnmitte des Christentums nützlich gemacht werden und damit einen Beitrag zu einer sinnvollen vergleichenden Analyse bzw. dem interreligiösen Dialog leisten kann.“55 Pye sieht insbesondere im Blick auf das irenische Potenzial einen entspannteren Umgang mit dogmatischen Differenzen und eine kenotische Christologie als Mög-

50 51 52 53 54

55

E. Conze 1986, 57. E. Conze 1986, 160. Eine eingehendere Darstellung der Positionen von T. Callaway und G. Rosenkranz findet sich Teil III der vorliegenden Arbeit. H.-M. Barth 2010, 52–68. John Hick widmet in „Disputed Questions in Theology and the Philosophy of Religion“ ein Kapitel dem Thema „Religion as ‘skilful means’“, in dem er die Übertragbarkeit auf das Christentum diskutiert und eine Hierarchisierung religiöser Aussagen vorschlägt. Zur Kritik an diesem Versuch vgl. M. Pye 2003, 164–167. M. Pye 1998, 41–64; 2003, 164 Fn. 10.

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lichkeiten, das Konzept der „geschickten Mittel“ theologisch fruchtbar zu machen. In Teil III sind diese Fragen wieder aufzunehmen.

Exkurs: Jōdo-shinshū – Diskussion um „Entfaltung oder Verfälschung“ buddhistischer Ursprungserfahrung An dieser Stelle ist es angebracht, in einem kurzen Vorgriff einen Exkurs zu der kontrovers diskutierten Frage zu geben, ob Jōdo-shinshū eine überlieferungsgeschichtlich legitime Gestalt im Dienst der religiösen Ursprungserfahrung des Buddhismus darstellt und vielleicht sogar deren konsequente Fortschreibung und Erfüllung, oder ob es sich dabei um eine populistische Degenerationserscheinung auf Kosten genuin buddhistischer Identität handelt . Da es sich hier um normative Urteile handelt, denen u. a. auch konträre geschichtsphilosophische Konzepte zu Grunde liegen können (Degeneration oder Entfaltung), kann es in diesem Zusammenhang lediglich darum gehen, die beiden extremen Gegenpositionen zu skizzieren, um den Problemhorizont anzudeuten, der später ausführlicher in dem Kapitel über die evangelischen Interpretationen der Jōdo-shinshū erörtert wird. Allerdings wird an dieser ebenso innerbuddhistisch geführten Debatte deutlich, dass es auch im Buddhismus mit dem Ziel der Buddhaschaft für jeden Aspiranten um eine normative Rückbindung an die Ursprungserfahrung des historischen Buddha Gautama Śākyamuni und die durch ihn initiierte Transmission der Lehrgestalt geht – und damit auch um eine geschichtlich vermittelte Erfahrung. Diese Tatsache ist für das Selbstverständnis von Jōdo-shinshū und für eine Hermeneutik religiöser Rede von grundsätzlicher Bedeutung. Jōdo-shinshū hatte traditionellerweise ihren Rückhalt besonders in der ländlichen Bevölkerung (das hat seine Ursprünge in der Biographie Shinrans selbst) und unterhält bis heute eine hohe Zahl an Lehr- und Predigtberechtigten. Das zeugt von einer großen Volkstümlichkeit. An dieser Stelle eröffnet sich nun folgendes Spannungsfeld. Einerseits wird Jōdo-shinshū als reduktionistisch und buddhistisches Denken extrem verfremdend angesehen, wie das bereits angeführte Zitat von E. Conze zeigt.56 Diese Aussage legt nahe, dass der zahlenmäßige Erfolg teuer mit der buddhistischen Identität erkauft wurde.

56

E. Conze 1986, 160.

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Der Grund für diese Popularität liegt in dem Ziel Shinrans, „die Schranken zwischen der Religion und dem einfachen Volk niederzureißen …“.57 Charakteristisch hierfür ist Shinrans abschließende Bemerkung in seiner Schrift ichinen-tanen-mon’i 一念多念文意 (“Notes on Once-Calling and Many-Calling”, 1257), in der er sich gegen die mögliche Kritik gebildeter Leser mit dem Hinweis verteidigt, dass er leichtverständlich immer wieder das gleiche für die ungebildete Landbevölkerung schreibe. „I write only that foolish people may easily grasp the essential meaning.“58 Dem Vorwurf, gar kein genuiner (Mahāyāna-) Buddhismus zu sein, sah sich Jōdo-shinshū bereits zu Shinrans Zeiten, besonders aber seit dem Aufkommen historisch arbeitenden Buddhologie ausgesetzt. Dabei wurden auch religionsphänomenologische Entsprechungen zum Christentum ins Feld geführt, die in Jōdo-shinshū eine quasi-theistische Gnadenreligion sehen.59 Diese gewisse Sonderstellung von Jōdoshinshū im Rahmen des Buddhismus führte nun aber gerade auch dazu, dass sie stärker ins Blickfeld evangelischer Theologie geraten ist und hier eher als eine Art Krypto-Christentum (Hans Haas) oder als ein „etwas primitiv verstandener japanischer Protestantismus“60 (Karl Barth) eingestuft wurde. Michael von Brück und Whalen Lai konstatieren daher in ihrer Darstellung der buddhistisch-christlichen Begegnung, dass gerade der Reines-Land-Buddhismus nur zögerlich in einen Dialog mit dem Christentum eintrete und mehr bestrebt sei, durch Abgrenzung vom Christentum den genuin shin-buddhistischen Beitrag zur Tradition des mahāyāna zu betonen.61 Dieser Sachverhalt wird auch von Y. Ueda und D. Hirota in der Einleitung zu ihrer Shinran-Monographie reflektiert, wenn sie schreiben: „Shinran’s thought is often said to bear close resemblance to elements of certain Christian teachings: an emphasis on trust or faith, a concern with evil, and a concept of salvation as given through the compassionate activity of the transcendent Other. Emphasis on such similarities can be misleading, however, for Shinran’s use of such general Mahāyāna terms as nirvana, dharma-body, suchness, wisdom, and true reality reflects a 57 58

59 60 61

E. Conze 1986, 139. CWS I, 490. Ungeachtet dessen bergen die (entgegen der Eigenaussagen sehr gelehrten) Schriften Shinrans für den heutigen Leser aus dem Abstand von rund 750 Jahren oft große Verständnisschwierigkeiten. Y. Ueda und D. Hirota nennen hierfür die literarische Form, mahāyāna-buddhistisches Denken im Allgemeinen sowie die Begrifflichkeiten und Konzepte der shin-buddhistischen Tradition als Reformulierung des Mahāyāna als Gründe. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 11. Vgl. Abschnitt 13.1. KD I,2, 375. M. v. Brück / W. Lai 2000, 193.

340

II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

clear awareness of basic Mahāyāna teachings as the foundation of the Pure Land path.“62

Mitsuya Dake formuliert das Problem folgendermaßen: „Some, however, may doubt wether Pure Land Buddhism can be called Mahāyāna Buddhism because theoretically its way of interpreting Amida Buddha appears to be similar to a God-Creator or ultimate Being which Buddhism fundamentally negates. Moreover, the salvation by Amida’s Vow also seems to infringe upon the law of cause and effect.“63

Die Kernfrage scheint jedoch zu lauten, ob Jōdo-shinshū mit der śūnyatā-Lehre, wie sie von Nāgārjuna entwickelt wurde, übereinstimmt oder nicht.64 Die Orthodoxie von Jōdo-shinshū wurde besonders von Seiten des Zen angefochten. Jan van Bragt hat die Diskussion zusammengefasst und fragt, ob Jōdo-shinshū eine Brücke zwischen Buddhismus und Christentum bildet.65 Diese kurzen Hinweise mögen genügen, um aufzuzeigen, dass in dieser Debatte unterschiedliche Motivlagen und Argumentationsebenen in komplexer Weise verknüpft sind. Ich komme zum Ausgangszitat von Edward Conze und der Frage zurück, ob die Volkstümlichkeit von Jōdo-shinshū um den Preis der buddhistischen Identität erkauft wurde und kontrastiere sie mit einem Zitat von Y. Ueda und D. Hirota, das den Spannungsbogen, in dem wir uns befinden, zum Ausdruck bringt: „Shinran’s „fundamental contribution to Buddhist tradition lies in articulating the nature of this transformation [i. e. die grundlegende Transformation des Alltagslebens anstelle der Weltentsagung als Kennzeichen des Mahāyāna, Anm. d. Verf.] as realized in the path of Pure Land Buddhism. By doing so, he not only firmly grounded Pure Land teachings in general Buddhist, and particularly Mahāyāna, thought, but also played a crucial role in bringing Mahāyāna Buddhism to the fulfillment of one of its highest goals: a practicable and unfailling path to enlightenment accessible to all people.“66 62 63 64

65 66

Y. Ueda / D. Hirota 1989, 12–13. M. Dake 1992, 152–153. J. van Bragt 1993, 55; M. v. Brück / W. Lai 2000, 193. James D. Steadman geht in seinem Beitrag „Pure Land Buddhism and the Buddhist Historical Tradition“ in seinem Urteil weiter, indem er zwar das „Reine Land“ als ein auf Nāgārjunas Logik basierendes „Buddhist concept“ gelten lässt. Da er allerdings Nāgārjunas Logik und sein Konzept von śūnyatā nicht in Übereinstimmung mit dem frühen Buddhismus sieht, folgt für Steadman: „Pure Land Buddhism, therefore, inherits a non-Buddhist notion. We must conclude that it is not a ‘Buddhist System’ at all. The most exact way to state its status would be to describe it as a purely ‘Māhyamika System’.“ (J. D. Steadman 1987, 420). Allerdings hängt dieses Urteil an Steadmans Definition von „Historical Tradition“, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. J. van Bragt 1993, 47–75. Vgl. auch S. Yagi / L. Swidler 1990, 43–44. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 56.

9. „Geschickte Mittel“ als Hermeneutik der Vermittlung religiöser Erfahrung

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Im Gegensatz zu Conze u. a., der von einem Degenerationsmodell ausgeht, aber auch zum Zen, der sich in der Vermittlung buddhistischer Erfahrung auf eine intuitive mind-to-mind Transmission (jap. isshindenshin 一心伝心) stützt, entspricht es shin-buddhistischem Selbstverständnis, die eigene Lehrtradition als genuine Entfaltung und als mit der Ursprungsintention identischen Zielpunkt des überlieferungsgeschichtlichen Prozesses zu sehen. Diese Spannung hat uns im Hintergrund auf unserem Weg durch die einzelnen Teile dieser Arbeit bisher begleitet – bei der Frage nach dem Wesen der shin-buddhistischen Grunderfahrung von shinjin und der Frage nach der Bedeutung der „geschickten Mittel“ in der Vermittlung und bei der Konkretion in der religiösen Rede. Es ist jedoch auch deutlich geworden, dass vor dem Hintergrund der „geschickten Mittel“ die Alternative von „Verfälschung oder Entfaltung“ der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht wird. Im Folgenden soll nun die Frage nach der Praxis religiöser Kommunikation untersucht werden.

To realize shinjin oneself and to guide others to shinjin Is among difficult things yet even more difficult. To awaken beings everywhere to great compassion Is truly to respond in gratitude to the Buddha’s benevolence.1 Shan-tao

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū 10.1 Vorbemerkung Die religiöse Rede bei Jōdo-shinshū gilt als Ausdruck von shinjin 信 心. Shinjin ist der Kern der religiösen Rede. Im Folgenden wird diese These zu begründen und zu entfalten sein. Nach der vorausgegangenen Darstellung von shinjin und den Ermöglichungsbedingungen religiöser Kommunikation soll nun zunächst die shin-buddhistische Reflexion dieses Sachverhaltes in Bezug auf die religiöse Rede anhand repräsentativer Texte dargestellt und durch eine darauf aufbauende Analyse ausgewählter religiöser Reden von Ōtani Kōshin konkretisiert und entfaltet werden. Wie das Eingangszitat von Shantao in Shinrans KGSS deutlich macht, handelt es sich bei religiöser Rede, die das Ziel hat, Andere zu shinjin zu führen, um eine dankbare Antwort auf die Güte Amida-Buddhas. Obgleich oder gerade weil shinjin als tariki-shinjin, shinjin der Anderen Kraft ein unverfügbares Geschenk Amidas und Wirkung der Anderen Kraft des Urgelübdes ist, handelt es sich bei dessen Vermittlung zugleich um etwas vom Schwierigsten, das es gibt. Dieses Zitat mag als sandai 2 für dieses Kapitel gelten, das eine Spannung beschreibt, die für religiöse Rede bei Jōdo-shinshū konstitutiv ist.

1 2

CWS I, 120, 94. Vgl. Abschnitt 10.13.

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū

343

10.2 Überblick über die Forschungsgeschichte Die systematische Forschung zur Verkündigung bei Jōdo-shinshū steckt trotz der langen Lehrtradition und der ausgedehnten Verkündigungspraxis erst in den Anfängen, wie die einschlägigen Autoren unisono betonen. Sannomiya Gishin vergleicht Jōdo-shinshū mit der evangelischen Homiletik und setzt sich bewusst mit Autoren wie Karl Barth, Rudolf Bohren u. a. auseinander. Obwohl vor allem durch Sekiyama Kazuo die Forschung zur Geschichte der Predigt im Buddhismus in Gang gekommen ist, mangele es an einer systematischen Erforschung und Reflexion von fukyō 布教.3 Auch Endō Ryōgi betont die Notwendigkeit einer Forschung zu fukyō-hō 布教法. Dass dies nicht selbstverständlich ist und gegen Vorurteile abgesichert werden muss, zeigt die Tatsache, dass Endō die Notwendigkeit dieser Forschung ausführlich begründet und sogleich betont, dass jemand, der fukyō-hō gut erforscht habe, deshalb noch lange kein guter fukyō-shi 布教使 sei.4 Die genannten Autoren zählen zu Honganji-ha, die auf diesem Gebiet bereits wesentlich aktiver geworden ist als Ōtani-ha, wo es nach Auskunft von Sakado Hiromu bisher keine vergleichbare Literatur gibt.5 Dass die bisher vernachlässigte systematische Erforschung der „Verbreitung der Lehre“ nun als Notwendigkeit erkannt wird und die bisherige mangelnde theoretische Reflexion als Defizit empfunden wird, kann man als Ergebnis der Herausforderungen durch Urbanisierung und Säkularisierung, die z. T. einen Zusammenbruch besonders der auf dem Land verbreiteten Infrastrukturen mit sich brachten, und der Begegnung mit der christlichen (insbesondere evangelischen) Verkündigung und deren homiletischer Tradition verstehen. Allerdings gibt es bisher m. W. keine Literatur, die sich systematisch und interreligiös mit der Frage nach der religiösen Rede bei Jōdo-shinshū auseinandersetzt. Die bisher einzige größere Untersuchung in einer westlichen Sprache zur Geschichte der Verkündigung von Jōdo-shinshū stammt von Elisabeth Harrison, die in ihrer an der University of Chicago entstandenen Dissertation von 1992 „Encountering Amida, Jodo Shinshu Sermons in Eighteenth-Century Japan“ Jōdoshinshū-Predigten untersucht, die im 18. Jh. geschrieben und publiziert wurden. Sie untersucht diese Predigten auf dem sozial- und religionsgeschichtlichen Hintergrund der sogenannten Säkularisierung des 3 4 5

G. Sannomiya 31996, 9–10 und 13. R. Endō 81994, 214–217. Sakado Hiromu, persönliche Kommunikation vom 17. 8. 2006.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Buddhismus während der Zeit des Tokugawa-Shogunats (1603–1868). Dabei geht Harrison von der erstaunlichen Beobachtung aus, dass die verbreitete und intensive Predigtpraxis während dieser Zeit und die große Bedeutung, die ihr für die Durchdringung der Gesellschaft mit dem Buddhismus zukommt, von der Forschung bis vor Kurzem weitgehend ignoriert wurde.6 Sekiyama Kazuo war einer der Ersten, die dieses Feld der Forschung erschlossen hat; er und einige seiner Schüler wirkten hier bahnbrechend.7 Dass bis in die jüngste Zeit die Predigtforschung innerhalb des Buddhismus vernachlässigt wurde, führt Harrison darauf zurück, dass die Popularität der Predigtversammlungen, die zu den alltäglichen Pflichten der Priester gehörten und von der Bevölkerung zahlreich besucht wurden, durch deren Unterhaltungswert erklärt wurde.8 Diese innerbuddhistische Abwertung der Redekultur9 führte u. a. auch in der westlichen Forschung dazu, dass von der Nicht-Existenz einer expliziten Redekultur ausgegangen wurde.10 Eine weitere Erklärung könnte nach Harrison darin liegen, dass die Predigttätigkeit der Priester so selbstverständlich war, dass sie keiner eigenen Erforschung zu bedürfen schien. Harrison setzt dem die Hauptthese ihrer Dissertation entgegen: „… that eighteenth century sermons represent vital, constructive, and eminently religious attempts to rearticulate sectarian doctrine (as it was being formulated in the institutions and taught to the clergy in sect academies) for lay audiences. Preachers occupied the growing space between sectarian organization and layperson, and it was their embodiment of a Buddhist vision, not the doctrinal tracts of the institutions, that brought sectarian Buddhism into the lives of the populace. We will view such ar6 7

8

9

10

E. G. Harrison 1992, 3. Sekiyama Kazuo (関山和夫) wurde 1929 in der Aichi-Präfektur geboren und graduierte 1952 in Literaturwissenschaft an der Ōtani-Universität / Kyōto. Sein 1978 bei Iwanami in Tōkyō erschienenes Werk sekkyō no rekishi – bukkyō to wagei (説教の歴 史-仏教と話芸 [Geschichte der Predigt – Buddhismus und Redekunst]) darf wohl als Grundlagenwerk gelten. Sekiyama, K., 1978, 207 und E. G. Harrison 1992, 1, Fn. 2. E. G. Harrison 1992, 2. Dieses Argument impliziert einen Widerspruch zwischen „Unterhaltungswert“ und buddhistischer Verkündigung, der keineswegs zwingend ist – im Gegenteil – es weist aber auf einen innerbuddhistischen Diskurs über Inhalts- oder Hörerorientiertheit (hyōhakutai 表白体 und enzetsutai 演説体) hin, der durchaus kontrovers geführt wurde. Vgl. auch E. G. Harrison 1992, 23 unter Bezug auf Sekiyama Kazuo. Als drastisches Beispiel für diese Abwertung berichtet E. G. Harrison von der Leugnung für die Predigt relevanter Texte durch buddhistische Gelehrte während ihrer Forschungen. E. G. Harrison 1992, 197–198 (vgl. auch den drastischen Vergleich von Predigthörern mit Fliegenschwärmen und verrottendem Fisch in dem Eingangszitat auf S. 197). Nachweise bei H. Buck-Albulet 2005, 278.

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū

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ticulations as contributions to, rather than aberrations from, ‘proper’ sectarian teaching.“11

Auch Heidi Buck-Albulet widerspricht der These von der „Abwesenheit einer rhetorischen Tradition“ (J. L. Morrison 1972) bzw. vom „rhetorischen Vakuum“ und führt aus der Literatur zahlreiche Erklärungsmodelle für dieses Diktum an. So sei nach Morrison die japanische Sozialgeschichte mit Schlagworten wie „Hierarchie, Zeremonie, Imitation, Konformität, Gehorsam, Nicht-Individualität“ zu beschreiben.12 Nach G. D. Claireborne (1993) mache die High context–Kultur Japans „explizites Benennen häufig überflüssig.“13 Des weiteren führt Buck-Albulet die „Neigung zu intuitiver Verständigung (ishin [sic!] denshin, haragei), de[n] Einfluß des Zen-Buddhismus, die Auswirkung ethischer Werte wie Harmonieprinzip (wa) oder Loyalität (chū)“14 als Erklärungsmodelle für die These vom „rhetorischen Vakuum“ an. Neben der mehr formalen Bestimmung der Bedeutung shin-buddhistischer Predigt während der Tokugawa-Zeit ist für unseren Zusammenhang eine inhaltliche Bestimmung der Predigt, wie sie Harrison in ihrer Arbeit gibt, wichtig. Nach Harrison geht es in shin-buddhistischer Predigt um eine „Begegnung mit Amida“, wie sie im Haupttitel ihrer Dissertation anzeigt: „Encountering Amida“. Gerade diesen Aspekt des encounter versucht Harrison in ihrer Darstellung der Predigt bei den Autoren Ekū, Chidō und Gikei herauszuarbeiten. Harrison hat in ihrer Dissertation zunächst wesentliche Punkte der Entwicklung der Predigt während der Tokugawa-Ära herausgearbeitet, auf denen vorliegende Arbeit aufbauen kann, da während dieser Zeit wesentliche Grundlinien gelegt wurden. Folgende sechs Verschiebungen in der buddhistischen Lehrtätigkeit, die nachfolgend kurz skizziert werden sollen, stellte Harrison für das japanische Mittelalter vom 12.–15. Jh. fest15: Wandel in der Hörerschaft Durch die neuen Schulen des Kamakura-Buddhismus (Zen, Nichiren, Reines-Land) kam es aufgrund des mappō-Konzeptes zu einer Simplifizierung der Praxis, die sich auf jeweils eine Methode beschränkte (za-zen, Verehrung des Lotos-Sūtra, nembutsu). Dadurch konnte nicht mehr nur (wie bis dahin) die Oberschicht, sondern das allgemeine Volk 11 12 13 14 15

E. G. Harrison 1992, 2–3. H. Buck-Albulet 2005, 278. H. Buck-Albulet 2005, 278. H. Buck-Albulet 2005, 278. Im Folgenden referiere ich E. G. Harrison 1992, 11–39

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

partizipieren. Nach Sekiyama Kazuo entsprang die große missionarische Energie der einzelnen Schulen dem Konkurrenzkampf um die Etablierung einer einzig gültigen Traditionslinie, die sich gegenüber den Ansprüchen anderer Praktiken behaupten musste. Wandel in Inhalt und Sprache Frühe Predigten tendierten dazu, reine Auslegungen von Sūtren-Texten zu sein. Der Begriff dafür war sekkyō 説経 („Erklärung von Sutren“). Seit Shōtoku Taishi, dem größten Förderer des japanischen Buddhismus in der Nara-Zeit, war dies die allgemeine Lehrmethode, vgl. auch die Begriffe 講経 kōkyō und 講会 kōe (i. e. „Vortag über Sūtren“, bzw. „Vortrags-Versammlung“). Mit dem Wandel in der Hörerschaft kamen inhaltlich zwei neue Linien hinzu: a) Da es nun auch darum ging, aus dem Volk neue Anhängerschaft für die eigene Schulrichtung zu gewinnen, wurde versucht, die Predigten durch Allegorien und Geschichten aus Sūtren, aber auch aus der Alltagswelt, interessanter zu machen und die Hörer emotional anzusprechen. Die autoritativen Texte bekamen nun die Funktion die Aussagen des Predigers zu inspirieren und zu erläutern. Dieser Stil wurde shōdō 唱導 genannt (die Schriftzeichen bedeuten intonieren, to chant, und leiten oder führen). Dieser Begriff impliziert eine Art Performanz und die Gewinnung von Anhängern. Es entstanden Erzählsammlungen. b) Zwei weitere Formen dienen dem Versuch, den persönlichen Glauben des Autors in introspektiver und dialogischer Weise auszudrücken – wasan und hōgo. Hōgo (法語) sind Erzählungen vom dharma – Shinrans hōgo zeugen von seinem persönlichen Glauben. c) Wasan (和讃) sind Lieder, die in allgemeinverständlicher Sprache Glauben und Dankbarkeit gegenüber Amida zum Ausdruck bringen. Shinran war der Erste in Japan, der seinen Glauben in dieser Weise zum Ausdruck brachte. Sie sind ein wichtiger Teil der ShinLehrtradition. d) Als weitere Form des Ausdrucks von Glauben im lehrhaften Stil sind die von Rennyo verfassten Briefe (ofumi 御文), die (in Alltagssprache an alle Gläubigen geschrieben) zu den autoritativen Texten der Shin-Tradition gehören. Bei japanischen buddhistischen Forschern verbindet sich damit ein Werturteil: während hōgo, wasan und ofumi im Sinne der Schule wahr und autoritativ sind, ist es shōdō nicht. Shōdō habe nach Akamatsu

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū

347

zwar bleibende Bedeutung für die Gewinnung von Anhängern, verwässere aber den religiösen Inhalt. Wechsel im Fokus Unter der Voraussetzung, dass shōdō eine gültige Form des Lehrens darstellt, werden noch andere Verschiebungen deutlich, so der Wechsel des Fokus vom Ritual auf die Hörerschaft. Nicht mehr der Priester, der das Ritual vollzieht, steht im Mittelpunkt, sondern die Hörerschaft. Hier wird zum ersten Mal die Hörerschaft in die Struktur buddhistischer religiöser Praxis mit einbezogen, wobei buddhistische Gelehrte die Gefahr sehen, die Hörerschaft zu ernst zu nehmen.16 In diesem Zusammenhang geht Harrison auf hōben ein, wobei sie den Begriff hōben nur auf der Ebene der Vermittlungsart grundlegender Wahrheiten sieht – der Inhalt der Vermittlung bleibe davon unberührt. Daher ist shōdō für Harrison gleichzusetzen mit hōben. Das scheint mir wesentlich zu kurz gegriffen, ist aber ein Indiz dafür, dass in der Shin-Tradition der eigene religiöse Gehalt nicht als hōben verstanden wird.17 Wechsel des Modus von „Präsentierend“ zu „Performierend“ Nach Harrison ist die Präsentation ritualzentriert, während die Performanz hörerzentriert ist und eine mündliche Literatur darstellt. Die Stimme spielte schon immer eine große Rolle im Buddhismus, da Stimm-Äußerungen eine der fünf traditionellen Opfergaben bilden. Im japanischen Mittelalter wurde nun die buddhistische Lehrrede zu einer vokalen Kunst. Besonders bei den Schulen des Reinen Landes wurde, wegen ihrer Betonung von Vokalisierung (nembutsu) und Proselytismus, größter Wert auf die Performanz gelegt. Wandel von rhetorischem zu literarischem Stil Zu dem informelleren und weniger ritualisierten Stil, der die Zuhörer mehr ansprach, gehörten narrative Elemente, durch welche die spätere Lehrpraxis eine „decidedly literary quality“ bekam.18 Unter „rhetorisch“ versteht Harrison an dieser Stelle Argumentation im Gegensatz zu „story“. Die didaktische Intention einer Predigt wird gewöhnlich in der Struktur deutlich. Bei einer Story kann es jedoch sein, dass sie nur 16

17 18

Hier eröffnet sich ein Diskursfeld, das mit der Spannung zwischen Text- und Hörerorientierung umschrieben werden kann und seine Entsprechung im Diskurs evangelischer Homiletik findet. Im Blick auf gegenwärtige Religiöse Rede bei Jōdo-shinshū werde ich in dem Abschnitt über Hörerschaft eingehen. Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 9.3. E. G. Harrison 1992, 26–27.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

lose mit dem Lehrinhalt verknüpft ist, den sie illustrieren soll. „It is not the stories themselves, but their place within the structure and flow of the entire sermon, the associations emphasized by the author-narrator, that define the lesson to be learned from a particular sermon.“19 In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion um den Wert von kyōgen kigo 狂言綺語 („verrückte Worte und fiktive Rede“) in buddhistischer Lehre. Ein Konzept, das von dem chinesischen Dichter Bo Juyi in Japan eingeführt wurde. Während anfangs die Tendenz dahin ging, kyōgen kigo als für ernsthafte religiöse Rede unpassend und als leere und frivole Methode abzulehnen, so wurde es später als eine Art von hōben akzeptiert. Die poetische oder literarische Form selbst kann Metapher für die letzte Wahrheit sein. 20 Als Beleg dafür zitiert Harrison den Schluss des Genmu Monogatari (1497), das kyōgen kigo als nützliche Methode zur Unterweisung der Unwissenden sieht und zur Anschauung der letzten Wirklichkeit führe. 21 Dass der Gebrauch von alten Erzählungen und Geschichten in Lehrreden verteidigt werden musste, zeigt an, dass buddhistischen Kreise diesem Konzept eher ablehnend gegenüber standen. 22 Während Literatur mit buddhistischen Inhalten traditionell als Beispiel für den kulturellen Einfluss des Buddhismus angesehen wurde, entstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine „Buddhistische Literaturwissenschaft“ (bukkyō bungaku 仏教文 学), die (buddhistischen) Inhalt über die Form stellte. Gegenüber einer klassischen Definition von Literatur begann man in der jüngeren Forschung den Fokus auf die Hörerschaft und die Intentionalität dieser Werke zu legen. US-amerikanische Forscher und besonders Sekiyama Kazuo erkannten in dieser Literatur unterschiedlicher Gattungen (monogatari, setsuwa, otogi zōshi etc.) eine vokale Literatur, die in der Absicht geschrieben wurde, zu einer Zuhörerschaft gesprochen zu werden, oft mit der expliziten Absicht, Buddhismus zu lehren. 23 Die Entstehung performativer Formen des Lehrens Harrison macht darauf aufmerksam, dass performative Formen, die bereits früher bestanden und mehr oder weniger mit Japanischer Religion verbunden waren, im Mittelalter ein wichtiges Medium für volkstümliche religiöse Unterweisung wurden. 24 Dazu gehörten insbeson19 20 21 22 23 24

E. G. Harrison 1992, 27–28. E. G. Harrison 1992, 28 unter Bezug auf M. H. Childs. E. G. Harrison 1992, 29; M. H. Childs 1985, 101–102. E. G. Harrison 1992, 29. E. G. Harrison 1992, 30–31. E. G. Harrison 1992, 32.

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū

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dere die lehrhafte „Erläuterung von Bildern“ etoki 絵解き. 25 War diese Art der Lehrverkündigung ursprünglich wohl nur für die Oberschicht reserviert, so entstand in der Kamakura-Zeit der Beruf des etoki hōshi, eines umherziehenden Priesters, der auch außerhalb eines Tempels anhand von Bildrollen deren visuelle Darstellung für eine größere Zuhörerschaft erläuterte. 26 Eine weitere performative Lehrform war die Erzählung insbesondere des heïke monogatari 平家物語 mit musikalischer Begleitung auf der biwa 琵琶, der japanischen Laute, welche seit alters mit Religion assoziiert wurde. Die biwa hōshi (biwa-Lehrer) trugen Priestergewänder oder waren im Falle von Frauen, die bikuni 比丘尼27 genannt wurden, als buddhistische Nonnen erkennbar. Ursprünglich wurden damit nur Personen bezeichnet, die auch die buddhistischen Gelübde abgelegt hatten. Im japanischen Mittelalter gab es jedoch auch Künstler, die lediglich in priesterlichen Gewändern auftraten. Konnte der Begriff bikuni während der Tokugawa-Zeit sogar eine Prostituierte bezeichnen, so macht Harrison darauf aufmerksam, dass es sich nicht nur um eine Verkleidung als Kleriker handelt, sondern dass sie, insofern sie auch Buddhismus lehrten, die Funktion von Klerikern wahrnahmen. Harrison schließt aus dem Gebrauch der klerikalen Bezeichnung, „… that the association of performance with proselytism was a common one in medieval Japan.“28 Harrison weist darauf hin, dass es kaum Quellen zu diesen performativen Lehrweisen gebe, ebenso schwierig sei es, die Reaktionen des Publikums, wie beispielsweise des uke-nembutsu 受け念仏 (der spontanen Ausrufe des nembutsu bei besonders bewegenden Stellen der Erzählung) nachzuzeichnen. Fasst man die von Harrison herausgearbeiteten Verschiebungen, die sich im Blick auf die religiöse Rede bei Jōdo-shinshū seit dem Entstehen der neuen Kamakura-Schulen vollzogen, zusammen, so fällt die Öffnung zu den Hörern hin auf, die sich mit dem Stichwort der Volkstümlichkeit charakterisieren lässt. Reduktionismus in Lehre und Praxis, performierende Formen und der Bezug zur Lebensweltlichkeit breiterer Bevölkerungsschichten stehen im Dienst der Ausbreitung shin-buddhistischer Lehre und der Gewinnung von Anhängern. Es muss nun allerdings betont werden, dass der Wandel, den Harrison für 25 26 27 28

Das exponierte Beispiel in der Jōdō-shin-Tradition ist die Darstellung der Biographie Shinrans Godenne 御伝絵, vgl. S. Hiromu 2006. E. G. Harrison 1992, 34. Von skr. bhiksuni, buddhistische Nonne. Mönche heißen bhikshu, ein Begriff der das Betteln um Nahrung impliziert. E. G. Harrison 1992, 36.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

die Tokugawa-Zeit beschreibt, für Jōdo-shinshū kein prinzipieller ist. Vielmehr scheint es so gewesen zu sein, dass durch die Religionspolitik des Tokugawa-Shogunats ein Anstoß zu erneuter missionarischer Aktivität gegeben wurde. Bereits Shinran und nach ihm Rennyo sind für ihre volkstümliche missionarische Verkündigung bekannt. Die Eröffnung des buddhistischen Heilsweges für die einfache (Land-) Bevölkerung ist das zentrale Motiv für die Wirksamkeit Shinrans und die Entwicklung der Jōdo-shinshū von Anfang an gewesen, wie in Abschnitt 7.2.2 und 7.2.3 gezeigt werden konnte. 29

10.3 Terminologie für religiöse Rede bei Jōdo-shinshū Für die buddhistische religiöse Rede gibt es im Japanischen eine Fülle von Termini. Im Wesentlichen sind es folgende, wobei alle Autoren auf die Vielzahl der Termini und die Unvollständigkeit der eigenen Aufzählung hinweisen30: sekkyō 説教, sekkyō 説経, seppō 説法, hōwa 法話, hōsetsu 法説, hōza 法座, hōdan 法談, enzetsu 演説, shōdō 唱導, fukyō 布教, dendō 伝道, kaikyō 開教, senkyō 宣教, sandan 讃嘆, dangi 談義, saisoku 催促, kyōke 教化, kanke 勧化, kedō 化導. Allein diese zahlreichen japanischen Termini, belegen die große Bedeutung der oralen Tradition und deren Ausdifferenzierung im Buddhismus, der von Anfang an eine „predigende“ bzw. missionierende Religion war.31 Im Vergleich dazu nimmt sich der singuläre Begriff „Predigt“ oder der des Sermon eher bescheiden aus, was natürlich noch nichts über den Stellenwert der Predigt in der religiösen Praxis der christlichen Kirchen, zumal der evangelischen, die sich von Anfang an als „Kirche des Wortes“ verstand, aussagt. Aber hier kann bereits festgehalten werden, dass die Verkündigung der buddhistischen Lehre einen zentralen Stellenwert einnimmt, wie nachfolgend ausgeführt werden soll. Auch wenn die genannten Termini nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden können, müssen sie im Einzelnen differenziert werden, was in Veröffentlichungen in europäischen Sprachen meist 29

30 31

Vgl. auch K. Kasahara 2001, 191–207, der besonders die Missionserfolge Shinrans unter der Landbevölkerung hervorhebt, sowie die Tatsache, dass sich Shinrans Soteriologie im Kontext seiner Predigttätigkeit entwickelte (ebd., 193, 197). Unvollständige Auflistungen der Termini finden sich u. a. bei K. Sekiyama 1978, 3; G. Sannomiya 31996 und N. N. Fukagawa 2006, 24. Vgl. N. N. Fukagawa 2006, 24–28; bukkyō-hōwa-daijiten 仏教法話大辞典 [„Großes Wörterbuch buddhistischer hōwa“] 31985, 2–16; fuhkyōhō-nyūmon 81994, 3–12, u. a.

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū

351

nicht geschieht.32 Eine Ursache dafür dürfte die uneinheitliche Verwendung der Begriffe im Japanischen selbst sein. Ein anderer Grund liegt wohl darin, dass es an Bedeutungsäquivalenten in den europäischen Übersetzungszielsprachen mangelt, was sich auch in den gängigen Wörterbuchübersetzungen niederschlägt. Das soll exemplarisch anhand von drei Standardwörterbüchern für Japanisch-Deutsch und Japanisch-Englisch in Form einer Tabelle aufgezeigt werden. Es handelt sich dabei um das „Wörterbuch der Deutschen und Japanischen Sprache“, das von Robert Shinzinger u. a. herausgegeben wurde (1980, abgek. Schinzinger), das von Koh Masuda herausgegebene „Kenkyusha’s New Japanese English Dictionary (ND 341996 [41978], abgek. Kenkyusha) und das Japanese Character Dictionary von Mark Spahn und Wolfgang Hadamitzky (1989). Japanischer Begriff

Schinzinger

Kenkyusha

Spahn/Hadamitzky

sekkyō 説教

Predigt Strafpredigt —

sermon, preaching, scolding —

sermon

hōsetsu 法説 enzetsu 演説

Predigt eine buddhistische Predigt — Rede, Vortrag

shōdō 唱導 fukyō 布教

missionieren Mission

dendō 伝道

die Mission

kaikyō 開教 senkyō 宣教

— die Mission

hōdan 法談 kyōke 教化

wie hōwa Belehrung, belehren

wie sekkyō a sermon, a religious discourse, a homily — speech, an address, an oration, a lecture — propagation, missionary work, mission, propagandism gospel preaching, missionary work, missions, evangelism — missionary work wie fukyō wie hōwa 法話 culture, enlightenment, education; edification; civilization; illumination praise; admiration; admire; extol; speak highly of; be filled with admiration (of)

sekkyō 説経 seppō 説法 hōwa 法話

lobend santan 讃嘆 bewundern (buddhistische Aussprache sandan)

32

discourse on the Sūtras (Buddhist) sermon (Buddhist) sermon — speech, address advocate proselyting, missionary work evangelism proselytizing missionary work — missionary work, evangelism (Buddhist) sermon culture, education, enligthenment praise; admiration

Ein typisches Beispiel hierfür ist die Arbeit von E. G. Harrison 1992, die durchgehend „sermon“ übersetzt, ohne dass i. d. R. klar wird, welcher Begriff im Japanischen dafür steht.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Zu Beachten ist bei dieser Liste, dass alle japanischen aus zwei Schriftzeichen zusammen gesetzten Komposita (jukugo 熟語) durch Anhängen von suru („tun, machen“) verbalisiert werden können, z. B. sekkyō „Predigt“, sekkyō suru „predigen“. Analysiert man die chinesisch-japanischen Schriftzeichen (kanji 漢字), aus denen die genannten Begriffe zusammengesetzt sind, so fällt auf, dass die Zeichen setsu 説 und hō 法 sehr häufig verwendet werden. Setsu setzt sich aus den Elementen für „Wort“ kotoba 言 und da 兌 zusammen. 兄 bedeutet „großer Bruder“ oder elementarer „Mensch mit großem Kopf“, ハ bedeutet „erklären, belehren“, also: „mit Worten eine Schwierigkeit lösen/erklären.“ Das Schriftzeichen hō 法 ist die Wiedergabe von skr. dharma „Gesetz, Wahrheit, Religion“, dem terminus technicus für die buddhistische Lehre.33 Im Englischen bleibt der Begriff „dharma“ in der Regel unübersetzt. seppō 説法 und hōsetsu 法説 bezeichnen das „Erklären und Auslegen der buddhistischen Wahrheit“. Inagaki gibt als Übersetzung für seppō 説法 die Bedeutung „‚Exposition of the dharma‘; sermon“ an.34 hōsetsu ist darüber hinaus im engeren Sinn die Bezeichnung für den zweiten Teil der shin-buddhistischen „Predigt“ entsprechend dem fünfteiligen Aufbaumodell (s. u.) Für den homophonen Begriff sekkyō gibt es zwei Schreibweisen 説教 und 説経. Das Element setsu ist jeweils identisch, für kyō steht einmal das Schriftzeichen für „Lehre“ 教 und zum anderen das Zeichen für „Sūtra“ 経. 説経 bedeutet also die Erklärung eines Sutrentextes, wohingegen 説教 weitgehend synonym ist mit seppō 説法 und hōsetsu 法説. Der Unterschied liegt darin, dass hō 法 eindeutig die buddhistische Lehre bezeichnet, während kyō 教 „Lehre“ ganz allgemein bedeutet. Daher konnte im Japanischen sekkyō 説教 auch zum terminus technicus für die christliche Predigt werden.35 Sekkyō 説経 wird in einem engeren Sinn als Auslegung einer Sūtra und im weiteren Sinn synonym mit seppō verwendet.36 Dieser Begriff wird jedoch nur noch im historischen Kontext gebraucht und findet in der gegenwärtigen Verkündigungspraxis von Jōdo-shinshū keine Verwendung mehr.37 Das Gleiche gilt für shōdō 唱導, das explizit die 33 34 35

36 37

Zu den zahlreichen Bedeutungen und der Zentralität dieses Begriffes im Buddhismus vgl. IBJ 901–902. DJBT, s. v. seppō 説法. Dass in Japan gerade dieser Terminus gewählt wurde hängt mit einem in der Tendenz intellektualistischen Verständnis der christlichen Botschaft zusammen. Entsprechend gleichen viele (evangelische) Predigten in Japan eher einem Lehrvortrag. IBJ, s. v. sekkyō 説経. Vgl. E. G. Harrison 1992, 14.

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missionarische Funktion der Verkündigung zum Ausdruck bringt.38 Dabei geht es unter Verwendung der Rhetorik darum, das Interesse der Hörer durch das Erklären der buddhistischen Lehre für diese zu gewinnen.39 Das Schriftzeichen ke/ka 化, das ebenfalls häufig in den Komposita vorkommt, hat die Grundbedeutung „verwandeln / machen zu“ und weist so auf den transformierenden Charakter und die missionarische Intention der Verkündigung hin. Der weitaus gebräuchlichste und heute gängige Begriff für die buddhistische Verkündigung ist hōwa 法話. Das Schriftzeichen für wa bezeichnet durch die beiden Elemente 言 kotoba „Wort“ und 舌 shita „Zunge“, das gesprochene Wort, die Rede. Die japanische Lesung von wa lautet hanasu, was „sprechen, reden“ bedeutet. Fukagawa Nobuhiro macht darauf aufmerksam, dass bis zur Zeit der Meiji-Restauration (1868) zahlreiche Begriffe für sekkyō 説教 in Gebrauch waren, danach aber meist nur noch sekkyō 説教 verwendet wurde. Da in jüngerer Zeit, der Begriff jedoch die negative Konnotation „Strafpredigt“ angenommen hat, werden anstelle von sekkyō oft die Begriffe hōwa 法話, fukyō 布教 und kōwa 講話 verwendet.40 Auch G. Sannomiya geht auf die negative Konnotation von sekkyō 説教 ein, zeigt aber, dass der Begriff auch in der Gegenwart in bestimmten Zusammenhängen gebraucht wird und nicht einfach ersetzt werden kann. So wird der Begriff auf Einladungen an Prediger von Auswärts gebraucht (z. B. 報恩講のお説教に来て頂けませんか。Hōonkō no o-sekkyō ni kite-itadakemasenka? [Könnten Sie zur Predigt für Hōonkō kommen?“] u. ä. Würde in diesen geprägten Formeln ein anderer Begriff als sekkyō stehen, so würde der eingeladene Prediger denken, er müsste etwas ganz außergewöhnliches bieten und wäre verunsichert.41 Der Begriff, der aus der Reihe der aufgezählten Termini herausfällt, ist sandan 讃嘆 („lobend bewundern“). Mit ihm ist eine mehr inhaltliche Bestimmung gegeben, wie ich bei der Definition der religiösen Rede bei Jōdo-shinshū noch darstellen werde. Es geht dabei um den Lobpreis der Tugenden Amidas. Ein Hinweis auf diesen Zusammenhang findet sich auch in dem Eröffnungsteil der Rede nach dem fünfteiligen Aufbau, dem sandai 讃題 (s. u.), das traditionell aus einem als 38

39 40 41

„Shōdō literally means „to chant and guide“ and has been described as an attempt to make sermons more interesting. While the term shōdō denotes proselytizing in a general sense (it is the most commonly-used word in reference to Buddhist preaching in the medieval period) it also connotes a performance of some kind.“ E. G. Harrison 1992, 16. IBJ, s. v. shōdō 唱導. N. Fukagawa, 2006, 24. G. Sannomiya 31996, 16–17.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Lobpreis Amidas zum Altar hin intonierten Text besteht, der zugleich die Grundlage und die Themenangabe für die religiöse Rede bildet. Endō Ryōgi unterscheidet drei Arten von fukyō 布教: sekkyō 説 教, enzetsu 演説 und hōwa 法話.42 Hier wird fukyō als Oberbegriff gebraucht. Der Unterschied liegt nach R. Endō darin, dass sekkyō und enzetsu monologisch sind, hōwa aber entweder monologisch oder dialogisch sein kann. Bei hōwa besteht also prinzipiell die Möglichkeit, dass sich die Hörer durch Frage und Antwort aktiv beteiligen.43 Eine etwas andere Differenzierung nimmt Nakano Tōzen 中野東禅 in seinem Beitrag im BHDJ vor. Zwar würden sekkyō und hōwa oft synonym gebraucht, doch müsse man im Hinblick auf die Hörer unterscheiden: richtet sich sekkyō ausschließlich an Gläubige mit dem Ziel der Glaubensvertiefung- und vergewisserung, so wird bei hōwa kein Unterschied im Blick auf den Glauben der Hörer gemacht, wobei das missionarische Element bei hōwa grundlegend ist. Das Ziel der hōwa besteht darin, das Interesse am Glauben zu wecken und diesen zu empfehlen.44 Allerdings überzeugt diese Differenzierung nicht, wie ein Überblick über die Literatur und die unterschiedlichen Definitionen und deren Bedeutungswandel zeigt. Eine weitere Differenzierung von fukyō stammt von Yakumo Enjō, der zwischen „direkter“ (chokusetzu-fukyō 直接布教) und „indirekter“ (kansetsu-fukyō 間接布教) Ausbreitung der Lehre unterscheidet. Die direkte geschieht als Verbreitung der Lehre (durchaus auch im Sinne des „Dogmas“ kyōgi-senpu 教義宣布) durch gesprochenes Wort kugō 口業45 entweder sitzend mit der Bezeichnung sekkyō 説教 oder hōwa 法話 oder stehend als kōwa 講話 oder kōza 講座 bzw. kōgi 講義. Die indirekte Ausbreitung der Lehre geschieht im weiteren Sinne durch alle Aktivitäten, die sich in den Dienst der Wortverkündigung stellen, wie Erziehung, soziale Wohlfahrt, gesellschaftliches Engagement und im engeren Sinne durch Riten, Schriftenverbreitung, Kindergeschichten, kamishibai 46 , 42 43 44 45

46

R. Endō 81994, 229. R. Endō 81994, 230. BHDJ 31985, 2. Kugō 口業 (wörtl. „[karmisches] Werk des Mundes“) ist die Übersetzung für skr. vāk-karman und gehört zu den drei karmischen Werken (sangō 三業) von Körper, Mund und Geist/Wille. Kamishibai 紙芝居 (wörtl. „Papiertheater“) ist eine traditionelle Erzählmethode, wobei die Erzählung durch Bilder, die in einem Holzrahmen hintereinander geschoben werden, unterstützt wird. Der Text ist auf die Rückseite der Bilder geschrieben und dient dem Erzähler als Gedächtnisstütze. Auch in christlichen Kirchen wird diese Erzählweise heute noch für Kinder praktiziert, wobei auch die Erwachsenen ihre Freude daran haben.

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Dia- und Filmvorführungen, und buddhistische Loblieder etc.47 An dieser Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Verbreitung der Lehre, wird der Primat des gesprochenen Wortes zum Ausdruck gebracht. Zugleich wird dadurch die Zuordnung der mündlichen Verkündigung in den Bereich der Ausbreitung, d. h. der Mission noch einmal deutlich. Dass E. Yakumo die Begriffe für die mündliche Verkündigung lediglich anhand der Körperhaltung des Vortragenden differenziert, zeigt an, dass eine inhaltliche Definition schwierig ist, bzw. wenn sie vollzogen wird, wie bei T. Nakano, künstlich wirkt. G. Sannomiya gebraucht den Begriff fukyō (布教 „Verbreitung der Lehre“) im Sinne von mündlich vorgetragener (kōen 口演) religiöser Rede (hōwa 法話) und orientiert sich damit am traditionellen Sprachgebrauch.48 Ich werde mich im Wesentlichen an diese Bestimmung anschließen und im Allgemeinen von „religiöser Rede“ sprechen, da skr. dharma / jap. hō 法 mit „Religion“ (sc. im Sinne der buddhistischen Wahrheit) übersetzt werden kann und so auch ein intellektualistisches Missverständnis von „Lehre“ ausgeschlossen wird.49 Ein weiterer Vorteil dieser Lösung ist, dass „Lehre“ als Übersetzung für das Wort kyō 教 reserviert bleibt. Da in der Literatur keine einheitlichen Kritierien zur Unterscheidung der Terminologie verwendet werden, ist eine genaue Definition der Begriffe problematisch, zumal es in der Praxis zahlreiche Überschneidungen im Anwendungsbereich der Termini gibt. Am meisten überzeugt daher die Erklärung von N. Fukagawa, der den Gebrauch aus dem Bedeutungswandel durch neue Konnotationen erklärt. So kann man hinter der Vermeidung des Begriffes sekkyō 説教 durchaus eine inhaltliches Motiv erkennen, da die Konnotation der „Strafpredigt“ dem Lehrinhalt bei Jōdo-shinshū widerspricht, der die unbedingte Annahme durch Amidas Barmherzigkeit, die Strafe oder Gericht ausschließt, betont.50 Es besteht durchaus Anlass zu der Vermutung, dass die negative Konnotation des Begriffes sekkyō 説教 als „Strafpre47 48 49 50

E. Yakumo 81981, 4. G. Sannomiya 31996, 14. Im Englischen wird Hōwa regelmäßig mit „dharma-talk“ wiedergegeben – wobei „dharma“ unübersetzt bleibt. Vgl. K. Ōtani 42005, 100 (hōwa 52): „Demgegenüber [i. e. im Unterschied zum Christentum, Anm. d. Verf.] geht es bei der Errettung Amida-Nyorais auf keinen Fall um das Bestrafen. Es ist die Kraft, die der leidenden Welt zugewandt ist und sie in die Welt des Erwachens/satori einlädt. Er entscheidet nicht über das Gute und Böse der Menschen und fällt auch kein Urteil wie ein Richter, sondern er sieht das ursprüngliche Wesen des Menschen genau und errettet; …“ Vgl. auch CWS II, 185 und K. Kasai 1980, 168.

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digt, Schelte“ eine Folge des Einflusses der christlichen Verkündigung in Japan ist, da sekkyō zum terminus technicus für christliche Predigt wurde, die mit der Meiji-Restauration wieder und für protestantische Mission erstmals möglich geworden ist. Bis heute besteht in den überwiegend vom nordamerikanischen Puritanismus beeinflussten meist evangelikalen japanischen Gemeinden ein gewisser gesetzlicher Zug in der Verkündigung, was z. B. auch von Ōtani Kōshin in apologetischer Absicht thematisiert wird.51 Ein weiterer Grund für den Gebrauch unterschiedlicher Termini sieht Sannomiya G. in der Anpassung an die jeweiligen Zeitverhältnisse, die unterschiedliche Weisen der Verbreitung der Lehre erfordern.52 Diese Schwierigkeiten mit der Terminologie zeigen aber auch den Primat der Praxis über die theoretische Reflexion an. Wesentlich sind jedoch bei allen Bestimmungen die Intention der Glaubensverbreitung, die Orientierung an der Lehre und der Charakter der gesprochenen Rede.

10.4 Das kozō-shinan-shū 小僧指南集 von Ekū 恵空 Von besonderer wirkungsgeschichtlicher Bedeutung für die Darstellung der religiösen Rede bei Jōdo-shinshū und das, was wir als Funktionsäquivalent zu einer evangelischen Homiletik bezeichnen können, ist das kozō-shinan-shū 小僧指南集 von Ekū 恵空 (1644–1721). Das wird allein daraus deutlich, dass sich auch alle jüngeren Darstellungen auf Ekū beziehen, wie an den drei Beispielen weiter unten deutlich wird. Sannomiya Gishin von Honganji-ha hat es während seiner Lehrtätigkeit am Chuō-Bukkyō-Gakuin 中央仏教学院 als Textgrundlage für seine Vorlesung über „Mission“ dendō 伝道53 verwendet und auch seiner aktuellen Darstellung über die „Ausbreitung der Lehre“ fukyō 布教 im Wesentlichen zugrunde gelegt.54 G. Sannomiya zitiert auch Kaneko Daiei 金子大榮 (1881–1976), einen bedeutenden Gelehrten von Ōtani-ha, der bekannte, dass seine Gedanken über die „Verbreitung der 51 52 53

54

Vgl. hōwa Nr. 52 von K. Ōtani die im Anhang in Übersetzung wiedergegeben ist. G. Sannomiya 31996, 15. Harrison erläutert, dass dendō ein gebräuchlicher Terminus für proselytizing während der Tokugawa-Zeit war und dass nach Washio Kyōdō zu dieser Zeit dogmatische Studien nicht von missionarischen Schriften unterschieden werden konnten. Der Ansicht Harrisons, dass gegenwärtig diese missionarische Funktion der dogmatischen Studien überschattet wurde von Studien rein um der Dogmatik willen, kann zumindest im Blick auf die Aktivitäten von Honganji-ha nicht ohne weiteres gefolgt werden (E. G. Harrison 1992, 58). G. Sannomiya 31996, 11.

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Lehre“ (fukyō) nichts anderes als Ausarbeitungen der Grundgedanken von Ekū seien.55 Die Bedeutung des kozō-shinan-shū für die religiöse Rede bei Jōdo-shinshū, sowohl bei Honganji-ha als auch bei Ōtani-ha, kann kaum überschätzt werden. Auch E. G. Harrison gibt eine kurze Zusammenfassung wesentlicher Aspekte shin-buddhistischer Lehrrede im kozō-shinan-shū.56 Das kozō-shinan-shū ist allerdings aufgrund seiner historischen Sprachgestalt, vieler Fachtermini und chinesischer Zitate und seiner Prägnanz selbst für Japaner nicht leicht zu verstehen. Ekū war der erste akademische Leiter nōke 能化 des Higashi-Honganji Gakuryō (学寮), des Seminars für Priesteraus- und fortbildung von Ōtani-ha.57 Er war besonders durch seine dogmatischen Studien bekannt, allerdings erlangte seine Schrift kozō-shinan-shū 小僧指南集 (wörtl. etwa „Anweisungen für junge Priester“) aus dem Jahr 1691, die man als kurzes Kompendium shin-buddhistischer „Homiletik“ bezeichnen könnte, besondere Popularität und Wirkung. Diese Schrift ist im Zoku Shinshū Taikei in Band 17 auf den Seiten 119–133 enthalten und umfasst lediglich vierzehneinhalb Druckseiten. E. G. Harrison bemerkt, dass es sich zwar um eine umfassende (comprehensive) Darstellung der für die Predigt wichtigen Aspekte handelt, aber kein systematischer Aufbau erkennbar sei.58 Dieses Urteil impliziert eine bestimmte Vorstellung von „Systematik“, die jedoch keineswegs vorausgesetzt werden darf. Zudem ist die Frage, welche Gliederungs- und Darstellungsprinzipien der jeweiligen Sachgehalte am angemessendsten sind. Für die christliche Homiletik hat Rudolf Bohren beispielsweise aus theologischen Gründen gar auf eine Definition von Predigt verzichtet59 und folgert: „Das ‚Unwissenschaftliche‘ ist hier sachlicher als eine Wissenschaftlichkeit, die sich in Abstraktion verliert.“60 Bohren hält den Essay für die der Predigtlehre angemessene Darstellungsform, weil er der aus dem „Stückwerkcharakter der Predigt“ folgenden Fragmentarizität einer Predigtlehre entspreche.61 Ohne natürlich die 55 56

57 58 59 60 61

G. Sannomiya 31996, 12. E. G. Harrison 1992, 50–58. Der Nachteil der Darstellung bei Harrison ist, dass sie die Aussagen des kozō-shinan-shū nur z. T. inhaltlich wiedergibt und auch die Reihenfolge bei Ekū nicht eingehalten ist. So ist es oft nicht einfach, Harrisons Darstellung zu folgen – manches klärt sich besser, wenn man den japanischen Text dazu vergleicht. Die Gliederungszahlen in Klammern bei Harrison kann ich anhand des Grundtextes im Zoku Shinshū Taikei, den auch Harrison zugrunde legt, nicht nachvollziehen. E. G. Harrison 1992, 50. E. G. Harrison 1992, 50. R. Bohren 31974, 51. R. Bohren 31974, 52. R. Bohren 31974, 54.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

theologische Argumentation Bohrens auf das kozō-shinan-shū übertragen zu können und zu wollen, soll hier lediglich festgehalten werden, dass ein aus westlicher Sicht „fehlende“ Systematik durchaus in der am Sachgehalt orientierten Intention des Verfassers zu finden sein könnte, die ihre eigene „Systematik“ erfordert. Die systematische Darstellung von fukyōhō, wie ich sie weiter unten in neueren Darstellugnen von Honganji-ha untersuchen werde, ist eine forschungsgeschichtlich gesehen relativ junge Entwicklung und mag u. a. (wie bei Sannomiya Gishin) mit der Begegnung mit christlicher homiletischer Literatur in Verbindung gesehen werden. Das kozō-shinan-shū ist unterteilt in einen Hauptteil (hon 本), der acht Druckseiten umfasst und einem untergeordneten Teil (matsu 末), mit sechseinhalb Seiten. So wird zunächst zwischen wichtigen und weniger wichtigen Aspekten unterschieden. Jeder der beiden Teile ist wiederum unterteilt in kleinere thematische Abschnitte, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Religiösen Rede darstellen und die im Druck durch Querbalken unterteilt sind.62 Der Hauptteil enthält 39 kurze Abschnitte, der untergeordnete Teil besteht aus 57 Abschnitten, die oft lediglich aus aphorismenartigen Hinweisen zu Details bestehen. Das Werk wird von einem kurzen Anhang abgeschlossen, der ein längeres chinesisches Zitat und die Warnung, die Verkündigung nicht zum „Beruf“ kashoku 家職 (zum Zweck des Gelderwerbs) zu machen, enthält, sowie die Auflistung der jweils fünf Kennzeichen von „reiner“ und „unreiner“ Predigt (seijō-seppō 清浄説法 und fujō-seppō 不浄説法). Der Hauptteil befasst sich thematisch mit der Predigt (Ekū gebraucht meist den Begrif seppō 説法), dem Prediger (seppō-sha 説法者) und dem Hörer (kiku-hito 聞く人).63 Diese drei grundlegenden Komponenten jedes Predigtgeschehens und deren Verhältnis zueinander bilden auch die Grundstruktur der Darstellung von Ekū. Das Urteil E. G. Harrisons, dass Ekū auf den ersten Blick scheinbar kaum Interesse an den Hörern hat und ihn nur einer flüchtigen (cursory) Betrachtung würdigt, kann allein anhand des Textumfanges nicht aufrechterhalten werden.64 Dass für Ekū der Hörerschaft von der inhaltlichen 62

63 64

Für eine genauere Zitation des Textes nach dem Zoku Shinshū Taikei nummeriere ich die Abschnitte und zitiere im Folgenden z. B. als I, 12 (Hauptteil hon, Abschnitt 12) oder II, 33 (untergeordneter Teil matsu, Abschnitt 33). So auch E. G. Harrison 1992, 50. Dass nach E. G. Harrison ein Mangel an Interesse für die Hörer in einem an junge Priester gerichteten Werk über Predigt nur natürlich erscheinen könne, weil es sich um einen Anleitungstext und nicht um einen psychologischen Text handle, ist unlogisch. Das Gegenteil scheint mir naheliegender zu sein. Gegen E. G. Harrison 1992, 51.

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Gewichtung her eine zentrale Bedeutung zukommt, betont jedoch auch Harrison.65 Eine genauere Analyse des Hauptteils zeigt, dass Ekū häufig für buddhistische Lehrformeln charakteristische Zahlenreihen66 verwendet. Dies weist auf eine Mnemotechnik, die ganz dem didaktischen Anliegen des kozō-shinan-shū entspricht. So kann das chinesische Eingangszitat aus dem zōden 像伝, mit den vier für die missionarische Verkündigung (shōdō 唱導) grundlegenden Elementen als Überschrift gelten, das nach Harrison die Rolle eines sandai übernimmt.67 Es handelt sich um die Elemente shō 聲 („Stimme“)68, ben 辧 (hier: „Situationsangemessenheit“69), sai 才 „geistige Fähigkeiten [Harrison im Anschluss an Sekiyama: ‚sense‘]“) und haku 博 („Gelehrsamkeit“), die von Ekū im Einleitungsabschnitt erläutert werden. Es folgt bei Ekū den Erläuterungen dieses „shō-ben-sai-haku“ eine weitere Viererreihe, die wichtige Komponenten für eine religiöse Rede hōdan 法談 aufzählt: onsei 音聲 („Klang/Stimme“), benzetsu 辧説 („Rhetorik“), daitan 大 膽 („Beherztheit“ wörtl: „große Leber“) und dōshin 道心 (hier identisch mit shinjin). Das letzte Element der vorangehenden Reihe wird in einer Zweierreihe aufgenommen, die „Wurzel und Blätter“ einer Predigt unterscheidet: shinjin ist die Wurzel, Worte sind die Blätter. Wenn shin 信 tief ist, folgt der Gewinn der Predigt (seppō 説法) von selbst (onozukara 自ら), I, 3. Neben dem wiederholt begegnenden Gebrauch von Metaphern für die theoretische Beschreibung von Aspekten einer religiösen Rede, ist hier die zentrale Bedeutung von shinjin zu vermerken. Die Worte folgen mit Konsequenz aus shinjin, und shinjin ist entscheidend für den Erfolg einer religiösen Rede. Bevor dies vertieft wird anhand des für die Theorie religiöser Rede bei Jōdo-shinshū zentralen Begriffes, der weiter unten als ji-shin-kyō-nin-shin beschrieben wird (ein Begriff, den Ekū allerdings in dieser Form nicht gebraucht), folgt wieder eine Viererreihe über vier Arten von Predigt-Zusammenkünften (seppō-shiza 説法四座). 65 66

67 68

69

E. G. Harrison 1992, 51. Vgl. H.-J. Klimmkeit 1990, 219–232; im kozō-shinan-shū finden sich fünf Viererreihen, zwei Fünferreihen, eine Achterreihe und mehrere Begriffspaare. Ein Aspekt, den Harrison nicht in Rechnung stellt. E. G. Harrison 1992, 56. Die übliche Lesung für dieses Schriftzeichen ist i. d. R. „se-i“ (so auch bei Harrison wiedergegeben), allerdings wird es im buddhistischen Kontext als shō gelesen (siehe dazu BHDJ 31985, 16). Ekū erläutert: ben to wa toki o shiru nari 辧とは時を知る也。E. G. Harrison übersetzt ben von der Grundbedeutung her mit „eloquence“, was die Bedeutung von ben in diesem Kontext verfehlt. Zu der großen Bedeutung, die der Situationsangemessenheit einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū zugemessen wird s. u. zu jikisōō 時機相応.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

In Abschnitt I, 6 wird uns das Konzept von fujō-seppō vorgestellt, was sich aus dem vorhergehenden Abschnitt über religiöse Rede als Darstellung des eigenen shinjin ergibt. Standen bisher die religiöse Rede und der Prediger im Vordergrund, folgt nun, wieder eine Viererreihe, eine Klassifikation von Hörergruppen: Angehörige einer anderen Religion oder buddhistischen Schule (tashū no hito 他宗の人), gebildete Menschen (chijin 知人), Gläubige von Jōdo-shinshū (tōryū no shinja 當流の信者) und ungebildete Menschen (gujin 愚人). Bezieht sich die eine Polarität auf die religiöse Zugehörigkeit, so die zweite auf das intellektuelle Fassungsvermögen der Zuhörer. Es folgt eine weitere Viererreihe, die vier abzulehnende Dinge (hibō 誹謗, „Verleumdungen“) aufzählt, gefolgt von der Unterscheidung der Zuhörer mit shukuzen 宿善 bzw. mushukuzen 無宿善, d. h. mit oder ohne karmischer Meriten (vgl. dazu unten). Dabei handelt es sich im Unterschied zu der Klassifikation der eben erwähnten vier Hörergruppen um eine transzendentale Kategorie.70 Die folgenden Abschnitte bilden Anweisungen für die Gestaltung der religiösen Rede im Hinblick auf die unterschiedlichen Hörergruppen. Ekū begründet diese Hörerorientiertheit mit der Tatsache, dass religiöse Rede eine Sache des Hörens ist (kikikoto naru seppō 聞事なる 説法), I, 15. Der Prediger (toku-hito 説く人) wird gewarnt, den Erfolg einer Predigt seiner eigenen Kraft zuzuschreiben, vielmehr ist der Prediger Gesandter/Bote (shi 使), ein Vogt/Statthalter (godaikan 御代官) Nyorais, I, 17. Nach Erläuterungen, die sich mehr auf Prediger und Zuhörer beziehen, kommt Ekū auf die religiöse Rede selbst zurück. Nach ausführlichen chinesischen Zitaten aus verschiedenen Sūtren fasst er zusammen: „Schlussfolgernd: das Eingedenksein des Todes und das Eingedenksein Buddhas sind die beiden Beine einer religiösen Rede.“ (sareba nenji nembutsu no futatsu wa seppō no ryōashi nari されば念死 念佛の二つは説法の両足也), I, 27. Dieser Satz bildet wieder eine menmotechnisch einprägsame Formel mit einer Metapher für die inhaltlich zentralen Themenkreise einer religiösen Rede. Nach diesen materialen Aussagen folgen formale Hinweise zum Aufbau einer religiösen Rede (I, 30): Da man eine religiöse Rede wie eine Schrift verfassen soll, orientiert sich der Aufbau an dem Prinzip von joshō-ryū-tsū 序正流通, der rechten Anordnung und Flüssigkeit der Rede. 70

Eine differenzierte Unterscheidung des Fassungsvermögens bei Hörern des dharma vollzog bereits der Buddha, als er sich auf Bitten des Gottes Brahma zur Verkündigung entschloss. Mit dieser Hörerorientierung ist die Anwendung „geschickter Mittel“ konstitutiv verknüpft (vgl. Abschnitt 9.1).

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Auf diesen Aspekt macht E. G. Harrison besonders aufmerksam, wenn sie schreibt: „Indeed, it is the sense of movement that is at the center of Ekū’s poetic, and of the sermon.“71 Und weiter: „For Ekū, the reigning principle of a sermon is the way of the poetry (uta no michi 歌の道).“72 Harrison verweist auf die Aussage eines Unbekannten, das Ekū in II, 17 aufnimmt und Ekū’s Kommentar dazu: „Predigt (seppō) bei Jōdoshinshū (tōryū) soll in der Weise eines guten Gedichtes gemacht werden: mit hoher Statur (take takaku たけ高く), kräftiger Mitte / Hüfte (koshi tsuyoku 腰つよく), anmutig (yūbi ni 優美に), aufrichtig (sunao), reichaltig im Wortgebrauch, aber nicht schwatzhaft, in eleganter Form (fūtei-gatei 風體雅體) soll die Predigt gemacht werden …“73 Und Ekū kommentiert: „Eine Predigt (seppō), die den Weg der Lieder (uta no michi) überhaupt nicht kennt, muss man für schäbig halten.“ (II, 17). Religiöse Rede bei Jōdo-shinshū hat sich nach Ekū an der klassischen Poetik zu orientieren. Die drei Hauptteile einer Religiösen Rede bestehen nun bei Ekū aus hō 法 (dharma, buddhistische Lehre), yu 喩 (Gleichnis, Vergleich, Beispiel) und innen 因縁 (karmischer Beispielgeschichte). In einer religiösen Rede sollen höchstens zwei oder drei kurze Beispiele oder ein langes gebraucht werden, im Blick auf karmische Beispielgeschichten soll im Haupttempel (honji 本寺) und ähnlichen Situationen Zurückhaltung geübt werden (I, 32). Kann auf hōdan 法談 als Hauptteil auf keinen Fall verzichtet werden, so scheint das sandai 讃題 für Ekū nicht zwingend zu sein (I, 37). Dennoch behandelt er es im zweiten Teil (matsu) ausführlicher als Eingangsteil der religiösen Rede, die zugleich das Thema vorgibt und der eine Einleitung vorangestellt werden soll (II, 30. 31). Der Schlussteil im traditionellen fünfteiligen Aufbauschema kange 勧 化 (s. u.), der shinjin und das nembutsu empfiehlt, soll entsprechend der (karmischen) Potentialität der Hörer (ki 機)74 und Zeit/Situation (toki 時) erfolgen (I, 30). E. G. Harrison gibt nach ihrem Durchgang durch das kozō-shinanshū eine Zusammenfassung der Hauptanliegen dieses Werkes, der ich mich trotz einiger Differenzen in der Interpretation von Details anschließe: „The aim of a sermon is to reach the audience so that they „receive benefit“ (riyaku o uru, 5); to speak in a way that „stands in one’s ears“ (mimi 71 72 73 74

E. G. Harrison 1992, 54. E. G. Harrison 1992, 53. E. G. Harrison 1992, 53. Inagaki H. definiert ki als „‘Potentiality’ for receiving the teaching; one who is capable of receiving the dharma; one who is fit to be converted by a buddha or bodhisattva.“ DJBT s.v. ki 機.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

ni tatsu, 14) and moves the heart (2); to reach even a single person (3; 4–5). That is, to convert as well as to speak truly to those who already believe. Yet the preacher must not use the reaction of his audience as a measure of his sermon (9). Indeed, from this comes the main issue of the entire work: the fact that the measure of a sermon lies in the faith of the preacher, not in the number of people who are moved. The solid faith of the preacher himself must be prior to all other considerations (2; 3), for with faith one understands that it is really Amida who brings its blessings (5). This does not mean that simple, albeit true, faith is all a priest needs in order to give a good or effective sermon. We might see a sermon as a bridge leading an audience to a new place. Just as a bridge needs a solid foundation, and the body of the bridge itself must be strongly and carefully constructed on top of its foundation of faith.“75

Harrison gebraucht die Metapher der Brücke. Eine genuin buddhistische Metapher für diesen Sachverhalt ist die des Floßes, der wir bei der Darstellung der „geschickten Mittel“ begegnet sind. Auch das Floß ist „leading an audience to a new place“. In dem kommunizierten „faith of the preacher“, wie Harrison missverständlich die Bedeutung von shinjin in einen westlich-christlichen Kontext übersetzt, liegt der „Kontaktpunkt“ zwischen Amida und dem Hörer. Hier kommt es nach Harrison zu einem encounter, der zentralen Metapher in der Dissertation von Harrison, mit der sie das Wesen shin-buddhistischer religiöser Rede beschreibt.76 Unter dem Stichwort ji-shin-kyō-nin-shin wird dieser Sachverhalt weiter unten eingehender untersucht. Nachdem in historischer Rückschau in die Tokugawa-Zeit ein Überblick über das wirkungsgeschichtlich bedeutsame Werk von Ekū einen ersten Zugang zu zentralen Themen shin-buddhistischer religiöser Rede eröffnet hat, sollen im Folgenden repräsentative Darstellungen der Gegenwart in den Fokus gerückt werden.

10.5 Gegenwartsdarstellungen von Yakumo Enjō, Endō Ryōgi und Sannomiya Gishin Bevor eine detaillierte Darstellung der Theorie gegenwärtiger religiöser Rede bei Jōdo-shinshū in thematischer Orientierung folgt, soll ein erster Überblick über die zugrunde gelegten Quellen und deren Autoren gegeben werden. Bereits am Aufbau (der ausführlicher bei Endō Ryōgi gegeben wird), lassen sich Schwerpunkte und Charakteristika der Theorie religiöser Rede ablesen. 75 76

E. G. Harrison 1992, 51–52. E. G. Harrison 1992, 165.

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10.5.1 Yakumo Enjō 八雲圓成 E. Yakumo stammte aus der Präfektur Tottori und absolvierte die mit Honganji-ha verbundene Ryūkoku-Universität. Er war Leiter der Forschungsstelle für die Ausbreitung der Lehre von Honganji-ha (fukyō-kenkyūjo-chō 布教研究所長) und zur Zeit der Abfassung seines Lehrbuches Gendai-Fukyō-Kyōan 現代布教教案 1954 Leiter der Chūō-Bukkyō Gakuin (中央仏教学院、Chūō-Buddhismus Akademie). Der Aufbau dieses Lehrbuches, das 1981 in 8. Auflage erschien, entspricht einem klassischen sekkyō-bon 説教本, das praktische Hinweise für die Gestaltung und Durchführung einer religiösen Rede mit zahlreichen Beispielen enthält.77 Das Buch ist in acht Hauptteile gegliedert, deren erster eine Darstellung gegenwärtiger Methode zur Ausbreitung der Lehre enthält (gendai-fukyō-hō 現代布教法). Hier handelt E. Yakumo nacheinander Bedeutung, Arten, Ziel, Methode (wozu Aufbau und Ausdrucksweise gehören) von fukyō ab. Diesen Teil abschließend gibt er einen Ausblick auf die Zukunft von fukyō. Im Vergleich zu den 292 Seiten des Bandes nimmt sich dieser Teil mit gerade 21 Seiten relativ bescheiden aus. Eine Unterscheidung von Theorie (ron 論) und Methode (hō 法) wie bei G. Sannomiya ist in dieser Darstellung noch nicht durchgeführt. Die übrigen Hauptteile des Buches bieten ausgeführte Beispiele von religiösen Reden, die nach Themen, Anlässen und der E. Yakumo eigenen Differenzierung von religiöser Rede bei Jōdo-shinshū (s. o.) gegliedert sind. Besonders interessant sind die Beispielreden auch deshalb, weil E. Yakumo hier den Aufbau der Reden nach dem tradtitionellen Fünferschema erläutert.

10.5.2 Endō Ryōgi 遠藤了義 Die Ausführungen von Endō Ryōgi (遠藤了義), finden sich in einem Sammelband des fukyō-kenkyū-jo 布教研究所 [Institut für die Erforschung der Ausbreitung der Lehre] von Honganji-ha mit dem Titel fukyōhō-nyūmon 布教法入門 [Einführung in die Methode der Ausbreitung der Lehre]. Das Werk aus dem Jahr shōwa 36 (= 1961)78, das 77 78

Vgl. zu sekkyō-bon E. G. Harrison 1992, 59–60. Im selben Jahr wurde auch aus Anlass des 700. Todestag Shinrans die mon-shintoBewegung initiiert und eine missionarische Erneuerung der Honganji-ha angestrebt (vgl. Abschnitt 7.2.3). 1961 fand in Kyoto die Konferenz der Weltreligionen für den Frieden (vom 25.–28. 7.) statt.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

im Jahr heisei 6 (= 1994) in achter Auflage erschien, kann ebenfalls als repräsentatives Werk zum Thema fukyō bei Jōdo-Shinshū Honganji-ha gelten. Das Buch hat folgenden Aufbau: In dem Vorwort des Institutsleiters Takeda Tatsuchika 武田達誓, in dem die Bedeutung von ji-shinkyō-nin-shin 自信教人信 und des Hörens auf den dharma (mompō 聞 法) hervorgehoben wird, wird der Anlass vorliegenden Sammelbandes benannt: das 700. Todesjahr Shinrans, das zum Ausgangspunkt genommen wird, die Priorität von Honganji-ha auf die Verkündigung der Lehre in allem an die erste Stelle zu setzen. Im ersten Hauptteil behandelt Takemura Shōhō 武邑尚邦 die Geschichte der Mission (dendō 伝道) des Buddhismus, beginnend mit der ersten Predigt Gautamas in Benares bis zur Gründung des Instituts zur Erforschung der Ausbreitung der Lehre von Honganji-ha im Jahr shōwa 2 (= 1927). Im Zweiten Hauptteil (von Futaba Kenkō 二葉憲香) wird – unter besonderer Berücksichtigung Shinrans – die Geschichte der ShinshūMission (shinshū-dendō-shi 真宗伝道史) behandelt. Und im dritten Teil folgt ein ausführlicher Bericht über Literatur zur Ausbreitung der Lehre (fukyō-sho 布教書) unter besonderer Berücksichtigung der Tokugawa-Zeit (1600–1868) unter der Überschrift shinshū no fukyō no tenkai 真宗の布教の展開 [Entwicklung der Ausbreitung der Lehre von Shinshū] von Ishida Mitsuyuki 石田充之. Damit ist der geschichtliche Teil des Buches abgeschlossen, der knapp die Hälfte des dreihundertseitigen Bandes umfasst. Im systematisch-praktischen Teil behandelt zunächst Takeda Tatsuchika 武田達誓 in sechs Kapiteln, worauf bei der Ausbreitung der Lehre zu achten ist (fukyōjō no kokoroe 布教上の心得). Dabei geht es vor allem um die Person des Verkündigers (fukyō-sha 布教者), der zunächst selbst Hörender und Glaubender sein muss, sowie um das Selbstverständnis als Verkündiger. Im fünften Hauptteil folgt ein Kapitel über die Praxis von fukyō (fukyō-jisshū 布教実習), der Vorbereitung und Durchführung (wobei auch der Aufbau der Rede behandelt wird) von Yamamoto Bukkotsu 山本仏骨. Schließlich folgt (als umfassendster Teil mit über 90 Seiten) ein Anhang unter dem Titel fukyōhō-kōgi 布教法講義 [Vorlesung über die Methode der Ausbreitung der Lehre] von Endō Ryōgi 遠藤了義, in dem kompendienartig Theorie und Praxis von fukyō in zehn Kapiteln dargelegt werden. Ich beziehe mich im Wesentlichen auf die Inhalte der Ausführungen von R. Endō und greife bei Gelegenheit auf die anderen Beiträge des Bandes zurück, sofern sie zum besseren Verständnis beitragen und sich nicht überschneiden.

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Der Aufbau von Endō Ryōgis Vorlesung. Das erste Kapitel handelt von der Notwendigkeit der Erforschung von fukyō, sowie den Quellen, die er verwendet. Das zweite Kapitel nennt die geforderten Qualifikationen eines Predigers, wobei Endō in zehn Stufen den Weg zum vollkommenen Prediger auf sehr originelle Weise beschreibt (s. u.) Im dritten Kapitel behandelt er die Grundlagen der Erforschung von fukyō, indem er drei Redegattungen unterscheidet, das Ziel von fukyō beschreibt und die Hilfswissenschaften, deren er sich bedient, aufzählt. Die Kapitel fünf bis neun behandeln jeweils ein spezielles Problem im Zusammenhang mit fukyō. Der Reihe nach: Sprache, Stimme, Onomatopoietik, Beispiele, Struktur und Material der Rede. Im abschließenden zehnten Kapitel gibt er Warnhinweise für das Verhalten vor – während und nach der Predigtdurchführung.

10.5.3 Sannomiya Gishin 三宮義信 Sannomiya Gishin stammt aus der Shiga-Präfektur und studierte Literaturwissenschaft (文学 bungaku) an der mit Honganji-ha verbundenen Ryūkoku-Universität. Sannomiya nahm verschiedene verantwortliche Positionen innerhalb der Verwaltung von Honganji-ha wahr; u. a. hatte er die Leitung des Chūō-Bukkyō Gakuin (中央仏教 学院、Chūō-Buddhismus Akademie) inne, wo er auch fukkyō-hō 布教 法 lehrte. 1995 veröffentlichte Sannomiya den Band shinshū fukkyō-hō 真宗布教法 [Methode der Ausbreitung der Lehre von shinshū], das ein Jahr später (1996) bereits die dritte Auflage erlebte. Bemerkenswert ist an dieser Darstellung, dass er evangelische homiletische Literatur zur Kenntnis nimmt. So diskutiert er z. B. kurz die Predigtverständnissse von Karl Barth und Rudolf Bohren und verweist im Blick auf das christliche Missionsverständnis auf Emil Brunner.79 Bereits im Vorwort verweist Sannomiya G. auf die Bedeutung des kozō-shinan-shū von Ekū, das er, wie bereits erwähnt, während seiner Zeit an der Chūō Bukkyō Gakuin als Textgrundlage für seine Studien und Vorlesungen verwendete. Im Verlauf seines Buches bezieht er sich regelmäßig auf das kozō-shinan-shū, das er auszugsweise zitiert. Der Aufbau des Buches folgt einer klaren Gliederung: Die zwei Hauptteile fukyō-ron 布教論 (Theorie von fukyō) und fukyō-hō 布教法 (Methode von fukyō) untergliedern sich in sechs bzw. drei Unterkapitel. Kapitel 79

Die Predigtlehre von Rudolf Bohren lag G. Sannomiya in der Übersetzung von Kato Tsuneaki, einem Schüler und ehemaligen Wuppertaler Assistenten Bohrens vor.

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1 des Theorieteiles beschreibt die Aufgabe einer Theorie von fukyō, das Verhältnis von religiöser Körperschaft und Mission (fukyō-dendō 布 教伝道) im Allgemeinen sowie die Bedeutung des kozō-shinan-shū. In Kapitel 2 gibt Sannomiya eine Definition von fukyō anhand der Erläuterung der verschiedenen Termini und eine Verhältnisbestimmung der religiösen Körperschaft des Honganji-ha zu Mission. Das dritte Kapitel handelt von ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 und buttoku-sandan 仏徳讃嘆 („Lobpreis der Tugenden Buddhas“) als Wesensbestimmungen von fukyō in ihrem inneren Zusammenhang. Kapitel 4 handelt von Prediger und Hörer und gibt eine Wesensbestimmung des Predigers als nyorai no daikan 如来の代官 („Vogt des tathāgata“). Ein fünftes Kapitel ist mit dem Adverb わかりやすく wakariyasuku („leicht verständlich“ [sc. predigen]) überschrieben. Ausgehend von der ursprünglichen Hörerschaft der Verkündigung durch Shinran, geht Sannomiya auf Aspekte gegenwärtiger fukyō ein und beschreibt schließlich die Methode von fukyō bei Rennyo 蓮如. Ein Kapitel über fujō-seppō 不浄説 法 („unreine Predigt“) schließt den Theorieteil ab. Der zweite Hauptteil über die Methode von fukyō enthält die Kapitel über die Hörer, deren Typisierung und die Notwendigkeit einer an den Adressaten orientierten Verkündigung. Das zweite Kapitel handelt vom Aufbau einer hōwa 法話 und das dritte und letzte Kapitel befasst sich mit der „Methode des Ausdrucks“ hyōgen-hō 表現法, wozu u. a. auch die Sprechtechnik und ganz praktische Hinweise zur Durchführung fallen (z. B. die Kleidung und der Gebrauch eines Mikrofons etc.). Der Umfang des Buches verteilt sich zu zwei Dritteln auf den Theorieteil (rund 80 Seiten) und zu einem Drittel auf den Praxisteil (rund 40 Seiten). Obzwar die Unterteilung in Theorie und Praxis an vielen Stellen eher künstlich erscheint, wird an den Proportionen der Teile auch der Schwerpunkt der Darstellung deutlich, der der eingeklagten Forderung nach Überwindung des Forschungsdefizits im Bereich theoretischer Reflexion von fukyō entspricht. Auffallend ist, wie auch bei den anderen Darstellungen von fukyō, dass das Stichwort hōben 方便 („geschickte Mittel“) nirgends erscheint. Ein sachlicher Zugang zu hōben führt über das zentrale Stichwort ji-shin-kyō-ninshin (vgl. dazu ausführlich Abschnit 10.9) und dem dahinter stehenden Bodhisattva-Ideal, sowie bei der Diskussion einer an den Adressaten orientierten Verkündigung. Hier bleibt jedoch vorerst zu konstatieren, dass hōben kein explizites Thema der Theorie religiöser Rede bei Jōdoshinshū ist.

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10.5.4 Hōwa-Sammlungen des monshu von Honganji-ha Ōtani Kōshin 大谷光真 Als primäre Quellen für die Analyse shin-buddhistischer Predigten dienen die hōwa von Ōtani Kōshin, dem gegenwärtigen religiösen Oberhaupt (monshu 門主) von Honganji-ha. Ōtani darf als repräsentativer Prediger von Jōdo-shinshū Honganji-ha gelten, der durch sein Amt großen Einfluss und auch Popularität genießt. Von ihm wurden bisher folgende Sammlungen Religiöser Reden veröffentlicht: (i) 願いに応える人生 negai ni kotaeru jinsei [Leben in Antwort auf das Gelübde] 52000 (1983); (ii) さとりと信心 satori to shinjin [Erleuchtung und shinjin] 1992; (iii) まことのよろこび makoto no yorokobi [Wahre Freude] 42005 (2001). (iv) Zuletzt erschien 2003 ein für die breite Öffentlichkeit geschriebenes Buch 朝には紅顔ありて ashita ni wa kōgan arite [etwa: Morgen(s) mit jugendlicher Frische] 2003 in einem säkularen Verlag, das innerhalb von drei Monaten sechs Auflagen erlebte. In letztgenanntem Buch handelt es sich zwar nicht um hōwa im eigentlichen Sinn, es ist aber für das Gesamtverständnis von Ōtani Kōshin wichtig.80

10.6 Der Stellenwert der religiösen Rede (hōwa 法話) bei Jōdo-shinshū Heidi Buck-Albulet macht in ihrem Artikel über Rhetorik in Japan darauf aufmerksam, dass die Vorstellung eines „rhetorischen Vakuums“ im Buddhismus, meist unter Bezug auf den Zen-Buddhismus, nicht der Wirklichkeit entspricht.81 Als Beispiel für die positive Bedeutung der Rede im Buddhismus führt Buck-Albulet neben der Argumentationstheorie der sechs Nara-Schulen u. a. das Lotus-Sūtra an, das für mehrere Schulen als zentraler Text gilt. Das Lotus-Sūtra „… preist an zahlreichen Stellen die positive Wirkung metaphorischer, geschickter Rede zum Zweck der Überzeugung.“82 Ebenso verweist sie u. a. – neben der Predigerausbildung der auf Chōken (1126–1203) zurückgehende AguiSchule – auf die „fünfstufige Textorganisation“ bei Jōdo-shinshū und 80 81 82

Über die erläuterten Quellen hinaus ziehe ich im Literaturverzeichnis genannte hōwa-Sammlungen und das bukkyō-hōwa-daijiten als Ergänzungen heran. H. Buck-Albulet 2005, 280. H. Buck-Albulet 2005, 280. Zur Bedeutung des Lotus-Sūtra für das hier angesprochene Konzept von upāya Abschnitt 9.2.

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den Stellenwert des Amida-Buddhismus im Vergleich zu dem im Westen in seiner Bedeutung meist überschätzten Zen.83 Sekiyama Kazuo 関山和夫 schreibt in der Einleitung zum Kapitel über Shinshū-Predigt (shinshū-sekkyō 真宗説教) in seinem grundlegenden Werk über die Geschichte der buddhistischen Predigt, dass unter allen Schulen des Buddhismus in Japan Jōdo-shinshū, die das Hören auf den dharma (mompō 聞法) zum Zentrum gemacht hat, am eifrigsten die Predigttätigkeit ausübt („… mompō o mune to suru shinshū ga mottomo nesshin ni sekkyō o enjita koto 聞法を旨とする真宗が最も熱心に説教 を演じたこと …“).84 Das Hören auf den dharma, mompō 聞法, gehört wesentlich in den Begründungszusammenhang shin-buddhistischer Predigttätigkeit. Diese Predigttätigkeit steht nicht am Rande religiöser Praxis bei Jōdo-shinshū, sondern ist eines ihrer Wesensmerkmale.85 Auch in der gegenwärtigen Praxis von Jōdo-shinshū nimmt die religiöse Rede einen zentralen Stellenwert ein. Hōza 法座 genannte Versammlungen im Tempel bilden in der Regel den Ort und rituellen Rahmen der hōwa 法話. Diese hōza sind nicht an einen bestimmten Termin gebunden und auch der Rhythmus, in dem hōza abzuhalten sind, ist nicht festgelegt, sondern wird der jeweiligen Situation und den vorhandenen Möglichkeiten angepasst. So werden in den großen Haupttempeln in Kyōto oft täglich hōwa 法話 gehalten, während in einem kleinen Dorftempel auf dem Land nur an wenigen Tagen im Jahr Predigtversammlungen angeboten werden. Dennoch gibt es feste Kasus, zu denen eine hōwa wesentlich dazugehört. An erster Stelle steht hier hōonkō 報恩講, dem Höhepunkt des liturgischen Jahres bei Jōdoshinshū. Über acht Tage/sieben Nächte werden religiöse Reden und Vorträge zum dankbaren Gedenken an Shinran jedes Jahr anlässlich seines Todestages (28. Nov.; kinichi 忌日) gehalten. Im Nishi-honganji (Honganji-ha) finden diese Vorträge vom 9.–16. Januar, im Higashihonganji (Ōtani-ha) vom 21.–28. November statt. In der in englischer Sprache herausgegebenen Selbstdarstellung von Honganji-ha wird im 83

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85

H. Buck-Albulet 2005, 281. Auch in Zen-Klöstern werden Predigtveranstaltungen angeboten. So wird z. B. in einem großen Zen-Kloster in Kamakura/Japan, dem Engaku-ji 円覚寺 regelmäßig zur Predigtversammlung am Sonntagvormittag von 9–10 Uhr (nichiyō-sekkyō-kai 日曜説教会) eingeladen – mit anschließendem zazen. Diese Gestalt kann sicher als Reaktion auf christlichen Einfluss gesehen werden. Lehrgespräche gehören jedoch schon immer auch zum Zen. K. Sekiyama 1978, 165. Als Beispiele führt Sekiyama die beiden bedeutenden Prediger von Jōdo-shinshū an, die Elisabeth Harrison in ihrer Dissertation einer genaueren Untersuchung unterzogen hat: Chidō (智洞) und Gikei (義圭). Ebenso spricht allein schon die Existenz eines „Großen Wörterbuches buddhistischer hōwa“, das immerhin über 800 Seiten umfasst, gegen die These eines „rhetorisches Vakuums“ im Buddhismus.

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Zusammenhang mit hōonkō ausdrücklich auch die Bedeutung von sermons betont: „During that period, numerous activities are held, recalling the legacy that the Founder [sc. Shinran, Anm. d. Verf.] has left. This gives practicers a chance to ‘hear the light’ through listening to sermons, talks, ritual, and sangha fellowship.“86 Neben hōonkō werden besonders bei Bestattungsriten (sōshiki 葬 式 oder sōgi 葬儀) und Gedächtnisfeiern für verstorbene Angehörige (hōji 法事) hōwa 法話 gehalten.87 Hier handelt es sich im Vergleich zu hōonkō, das ja ebenfalls eine Gedächtnisfeier für Shinran darstellt, im eigentlichen Sinn um Kasualrede.88 Darüber hinaus zählt E. Yakumo als Anlässe für Kasualreden auch gesetzliche Feiertage (z. B. seijin no hi 成人の日 [Tag des Erwachsenwerdens], kodomo no hi 子どもの日 [Tag der Kinder], kempō-kinenbi 憲法記念日 [Tag der Erinnerung an die Verfassung], u. a. auf, für die er jeweils auch Beispiel-hōwa gibt.89 Ein weiteres Indiz für die zentrale Bedeutung der Verkündigung bei Jōdo-shinshū sind die sehr zahlreichen gedruckten Predigtsammlungen (hōwa-shū 法話集) sowie der Rundfunkauftritt und die Präsenz von Honganji-ha im Internet, was zeigt, wie auch elektronische Medien in den Dienst der Verkündigung gestellt werden.90 86

87 88

89 90

Jodo Shinshu – A Guide 2002, 135. Gemäß dem Programmheft für hōonkō bei Higashi-honganji (Ōtani-ha) für 2006 werden täglich (außer am ersten und letzten Tag) fünf bis sechs hōwa gehalten. Alle Veranstaltungen finden von früh morgens bis ca. 17:00 Uhr statt (真宗本廟報恩講 shinshū-honbyō hōonkō, 2006). Jodo Shinshu – A Guide 2002, 142. Für Hōwa während dieser Trauerzeit lautet der terminus technicus chūinhōwa 中 陰法話 (chūin 中陰 oder auch chūu 中有 bezeichnet die Zeit des Zwischenzustandes zwischen Tod und nächstem Leben). Vgl. dazu DJBT s. v.; Koyama 1992 und bukkyō-hōwa-daijiten 1985, 525–541. Den selben Rhythmus von sieben mal sieben Tagen gab es auch bei den nestorianischen Seelenmessen. Karl Ludwig Reichelt hat in seiner Darstellung des chinesischen Buddhismus (norwegisch 1922, deutsch 1926) den Nachweis zu erbringen versucht, diese Toten- und Seelenmessen im Mahāyāna („… einem der zentralsten Punkte in diesem ganzen Religionssystem.“ K. L. Reichelt 1926, 82) in Verbindung mit Einflüssen aus der nestorianischen Mission zu bringen (besonders das Siebenerschema, das genauso ist, wie im Jōdō-Buddhismus). Im Unterschied zum religionsgeschichtlichen Ursprung dieses Ritus kommt es bei Jōdo-shinshū zu einer charakteristischen Umdeutung: „For Jodo Shinshu practicers, the significance of a memorial service is not for appeasing or consoling the spirits of the deceased, but is, rather, the opportunity to pay tribute to and recall cherished memories of the departed while listening to the Buddha-dharma. In other words, the hoji is not for the sake of the deceased, but is indeed, for the sake of the living. In remembering the deceased, we acknowledge the influence of the deceased on our lives. Generally, the service consists of chanting Sūtras, the offering of incence by members of the family and friends, the reading of a Gobunsho Letter, and a dharma talk by the minister“ (Jodo Shinshu – A Guide 2002, 142). E. Yakumo 81981, 3. http://www.hongwanji.or.jp/houwa/index.html (dort finden sich u. a. Audio-Dateien von Radio-hōwa und das web-TV von Honganji-ha); aufgerufen am 15. 4. 2008.

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10.7 Die Verortung der religiösen Rede im Kontext der Glaubensverbreitung Die Untersuchung in den Kapiteln 7 bis 9 hat bereits deutlich gemacht, dass die Verbreitung des dharma dem Buddhismus als universaler Erlösungsreligion konstitutiv eingestiftet ist und ihn damit zur ersten „Weltreligion“ werden ließ. Angefangen vom historischen Buddha, der mit seiner ersten Predigt in Sarnath das „Rad der Lehre“ in Bewegung setzte und hernach ca. 40 Jahre als Wanderprediger den dharma verbreitete und seinen Mönchen ebenfalls den Auftrag gab, loszuziehen und den dharma zu verkündigen. Dieser missionarische Impetus, der durch die Barmherzigkeit Buddhas motiviert ist, zieht sich wie ein roter Faden durch die buddhistische Religionsgeschichte. Auch die Entstehung von Jōdo-shinshū steht – wie ausführlich gezeigt – im Kontext der Bemühung um einen für alle Menschen möglichen Heilsweg angesichts von mappō 末法, der Endzeit des dharma. Shinran selbst bemühte sich um die Ausbreitung seiner Botschaft, wie es nach dem Godenshō in Übereinstimmung mit seiner Traum-Vision im Rokkakudō steht, die für die religiöse Identität Shinrans und die Entstehung von Jōdo-shinshū grundlegende Bedeutung gewonnen hat. Auch bei Rennyo, dem „zweiten Gründer“ von Honganji-ha, ist der missionarische Impetus ein deutliches Charakteristikum seiner Wirksamkeit. Wie bereits erwähnt, arbeitet Elisabeth Harrison in ihrer Dissertation zu Shin-Predigten in der Tokugawa-Zeit heraus, wie hier gerade die religiöse Rede als Mittel der Durchdringung breiter Bevölkerungsschichten mit der Lehre von Jōdo-shinshū dient. Bislang wurden die damals weit verbreiteten Predigtversammlungen im Kontext der zunehmenden Säkularisierung während des Tokugawa-Shogunats meist als bloße Unterhaltung gedeutet. Dass diese Erklärung unzureichend ist, hat Harrison in ihrer Untersuchung überzeugend dargelegt und die Predigttätigkeit in die missionarischen Bemühungen von Jōdo-shinshū eingeordnet, wie auch bei der Analyse und der Ausrichtung der religiösen Rede ebenso auf Nicht-Gläubige deutlich wird. So gebraucht Harrison die Begriffe „teaching“ und „proselytizing“ fast synonym, „… because Tokugawa Period Shinshu writings note that a sermon audience was commonly made up of both believers (who needed further teaching) and non-believers (who needed to be converted).“91 Die gegenwärtig weltweiten missionarischen Aktivitäten von Jōdo-shinshū legen ebenfalls nahe, dass auch im 21. Jahrhundert der 91

E. G. Harrison 1992, 10, Fn. 3.

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ursprüngliche Impetus der buddhistischen Lehre als universaler Heilsverheißung nach wie vor lebendig und zu neuem Selbstbewusstsein erwacht ist.92 Dass die Verkündigung im Dienst der Ausbreitung des dharma steht, machen alle drei Autoren, deren Ausführungen über die Theorie und Praxis von hōwa dieser Untersuchung zugrunde liegen, deutlich. So schreibt G. Sannomiya im Vorwort zu 真宗布教法 Shinshū-fukyōhō [Methode der Ausbreitung der Lehre bei Shinshū]: „布教は宗教教団の生命である。それだけに、いずれの教団も、布教に 全力をそそいできた.“ [Die Ausbreitung der Lehre ist das Leben eines religiösen Verbandes. Jeder religiöse Verband hat bisher an die Ausbreitung der Lehre seine ganze Kraft gewandt.]93 Und der erste Satz des ersten Kapitels unterstreicht diese Aussage nochmals: „宗教教団において、布教が重要であることはゆうまでもな い.“ [Dass für einen religiösen Verband die Ausbreitung der Lehre sehr wichtig ist, bedarf keiner Erwähnung.]94 Als Beleg für diese Tatsache führt er den bekannten Satz Emil Brunners „Die Kirche lebt von der Mission, wie das Feuer vom Brennen“ für das Christentum und ein Werk der Nichiren-Schule über fukyō an.95 E. Yakumo schreibt in seinem Buch 現代布教教案 Gendai-fukyō kyōan [Lehrplan für zeitgemäße Ausbreitung der Lehre]) im Vorwort „布教は教団の生命である.“ [Die Ausbreitung der Lehre ist das Leben eines religiösen Verbandes.].96 Und in der Vorbemerkung zum ersten Kapitel heißt es dort: „教団の存する所、教義の宣布に布教が行われる のは理の当然であって、斯れが消長こそ、その教団の一つのバロメーター なのではあるまいか.“ [Es ist selbstverständlich logisch, dass dort, wo ein religiöser Verband ist, beim Verkündigen der Lehrinhalte/kyōgi die Verbreitung der Lehre/fukyō geschieht; ist nicht gerade dessen Auf und Ab ein Barometer für den religiösen Verband?].97 Diese Aussage spiegelt die Krise wider, in der sich gerade Jōdo-shinshū nach dem Krieg befand. Der große Rückhalt von Jōdo-shinshū bestand hauptsächlich in den ländlichen Gebieten98, die durch die rapide Urbanisierung stark 92

93 94 95 96 97 98

Für das wiedererwachte missionarische Bemühen von Jōdo-shinshū, insbesondere von Honganji-ha, gilt die 700. Wiederkehr von Shinrans Todestag im Jahr 1961, nachdem in den Kriegs- und Nachkriegsjahren durch Landflucht und Traditionsabbruch eine allgemeine Krisenstimmung erzeugt wurde. G. Sannomiya 31996, 1. G. Sannomiya 31996, 3. G. Sannomiya 31996, 3. E. Yakumo 81981, 1. E. Yakumo 81981, 2. K. Kasahara (Hg.) 1981, 61.

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ausgedünnt wurden. Dadurch kam es an vielen Orten zu einem Niedergang der Tempel und der Predigttradition. Die traditionelle Predigtweise wurde nur noch von denen beherrscht, die vor dem Krieg ausgebildet worden waren.99 Weitere Ursachen dürften der Verlust traditioneller Werte nach dem Krieg und eine Neuorientierung am Westen bei der jüngeren Generation sowie die allgemein zunehmende Säkularisierung sein (die freilich bereits seit der Meji-Restauration durch den Einfluss eines westlichen Rationalismus und die Modernisierung der Gesellschaft begann).100 Die Lösung für diese Krise wurde und wird v. a. in einer Erneuerung der Verkündigung und Mission gesehen. So heißt es z. B. in dem bereits vorgestellten Sammelband des 布教 研究所 [Institut für die Erforschung der Ausbreitung der Lehre] von Honganji-ha, wo Takemura Shōhō im Vorwort schreibt: „浄土真宗の 教団活動の中心は布教であり、伝道である.“ [Das Herzstück/Wesen/ Mittelpunkt der Aktivitäten des Verbandes von Jōdo-shinshū ist die Ausbreitung der Lehre, die Mission.]101 Takemura begründet im Weiteren diese Aussage buddhologisch mit dem Wesen Buddhas und seiner großen Barmherzigkeit. So müssen letztlich alle, auch die sozialen Aktivitäten diesem Zweck dienen.102 Ein wichtiges Ergebnis, das hier festgehalten werden muss, ist, dass shin-buddhistische Verkündigung unter dem Vorzeichen und im Rahmen der Ausbreitung der (Buddha-)Lehre (fukyō) behandelt wird, d. h. der Glaubensverbreitung, die sowohl intensiv als auch extensiv geschieht. Auch wenn sozialgeschichtliche Bedingungen wie in der Kamakura-Ära, nach der Meiji-Restauration oder nach dem Zweiten Weltkrieg die Motivlage mitbestimmen, so ist die Ausbreitung der Lehre doch historisch durch den Buddha Gautama Śākyamuni und im Wesen Buddhas selbst begründet – sie ist Ausdruck seiner großen Barmherzigkeit. Dies führt uns zum Bodhisattva-Ideal. Zu den Aufgaben eines Bodhisattva gehört zentral die Verkündigung der Lehre, des dharma, 99

100 101

102

Galen Amstutz. Persönliche Kommunikation Ryukoku-Universität/Kyoto am 26. 11. 2006 in Kyoto; ebenso Harrison unter Verweis auf Sobue Shonen, persönliche E-MailKommunikation vom 14. 4. 2008. Vgl. dazu S. Yasutomi 2004, 143–157 und die Honganji-ha-Studie Shinran in the Contemporary World 21979. S. Takemura 81994, 2. Während der Begriff fukyō keinen Eingang in den christlichen Bereich gefunden hat, gehört dendō zu den zentralen Begriffen kirchlicher Praxis in Japan, die wir im Deutschen unter dem Begriff „Evangelisation“ fassen. Für „Mission“ wird im christlichen Bereich der Begriff senkyō 宣教 verwendet, der jedoch mit fukyō synonym ist. S. Takemura 81994, 2.

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an die noch unerleuchteten Wesen.103 Zu diesem Zweck perfektionieren sie den Gebrauch der „geschickten Mittel,“ um unerleuchtete Wesen zur Befreiung zu führen.104 Auch die religiöse Rede bei Jōdo-shinshū ist am Bodhisattva-Ideal orientiert, wenn auch in modifizierter Weise. Dies wird besonders in der hōwa von Ōtani Kōshin über „Wahre Jünger Buddhas“ (shin no butsu-deshi 真の仏弟子) deutlich.105 D. h. 1. Verkündigung des dharma ist ein „verdienstliches“ Werk zugunsten des Heiles anderer (nach Shinshū-Verständnis dankbare Antwort auf die Errettung durch Amida), 2. ist sie motiviert durch Weisheit und Mitgefühl, 3. bedient sie sich deshalb der „geschickten Mittel“ und 4. ist der Prediger selbst eine Darstellung der religiösen Verwirklichung, aus dessen Wesen die Verkündigung entspringt, wie besonders die Formel ji-shin-kyō-jin-shin 自信教人信 zum Ausdruck bringt. Letzteren Aspekt hat besonders Harrison in ihrer rein historischen Untersuchung herausgestellt, ohne jedoch den Begriff ji-shin-kyō-nin-shin gekannt zu haben.106 In der eben erwähnten religiösen Rede von Ōtani Kōshin ist er ebenso zentral wie bei den gegenwärtigen Darstellungen von fukyō. Allerdings erwähnt K. Ōtani in der genannten religiösen Rede, dass sich trotz des hohen Ideals der Verkündigung Shinran selbst nie als Bodhisattva bezeichnet hat. Das sei ein Hinweis, auf den eigenen Hochmut Acht zu geben. Ebenso wird der Gebrauch der „geschickten Mittel“ nicht thematisiert, worauf noch zurückzukommen ist.107

10.8 Die Bedeutung des Hörens auf den dharma (mompō 聞法) bei Jōdo-shinshū Die Aussage von Sekiyama Kazuo über die fundamentale Bedeutung des Hörens auf den dharma (mompō 聞法) bei Jōdo-shinshū wurde bereits zitiert. Shinran konnte sagen: 聞はきくといふ、信心をあらわす御の りなり „Hear is a word indicating shinjin.“108 „Hören“, das hier mit der Erfahrung von shinjin koinzidiert, bildet die Basis für das Verständnis der religiösen Rede. Hier findet sich der Konnex zwischen shinjin als unverfügbares Donum Amidas und der Funktion religiöser Rede. 103 104 105 106 107 108

Y. Ueda / D. Hirota 1989, 96. Y. Ueda / D. Hirota 1989, 103. K. Ōtani 42005, 36–52. Persönliche E-Mail-Kommunikation mit E. Harrison vom 14. 4. 2008. K. Ōtani 42005, 52. CWS I, 457; JSS 705.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Das Hören als religiöse Praxis ist tief in der buddhistischen Tradition verwurzelt, die ihren Ausgangspunkt bei dem Hören der fünf Asketen nimmt, die der Überlieferung nach die erste Lehrrede Gautama Śākyamuni Buddhas im Tierpark von Sarnath vernahmen und so seine ersten Anhänger wurden. Ebenso wird erzählt, dass der König Prasenajit von Kosala (jap. Hashinokuō 波斯匿王), ein Zeitgenosse Gautamas, zum Buddha auf den heiligen Berg kam, um durch das Hören auf den dharma den buddhistischen Weg zu betreten (jap. mompō-ketsuen 聞法結縁).109 Das Hören auf den dharma gehört traditionell an die erste Stelle in dem Dreiklang von Hören (skr. śruta, jap. Mon 聞), Reflektieren (skr. cintā, jap. Shi 思) und Praktizieren (skr. bhāvanā, jap. shū 修) als Voraussetzung für das Erwachen. Auf das Hören auf den dharma wird großer Wert gelegt, weil es als erster Anlass für das Erwachen gilt.110 Jedes Sūtra, auch die drei Reines-Land-Sūtren, beginnt mit den Worten: „Also habe ich gehört.“ Der transzendente Buddha spricht, und die Schüler hören. Besonders in der prajñā (Weisheits)-Literatur steht das Hören vor Reflexion und Praxis an erster Stelle. Bei der von Shinrans Lehrer Hōnen begründeten Jōdo-shū (浄土宗) spricht man in gleicher Weise vom Hören auf den Namen, mommyō 聞名, i. e. das Hören auf den Namen Amida-Butsu.111 Im Daimuryōjukyō 大無量寿経, dem längeren Amida-Sūtra, heißt es im zweiten Teil, Kapitel 22: „All sentient beings who, having heard his Name, rejoice in faith, remember him even once and sincerely transfer the merit of virtuous practices to that land, aspiring to be born there, will attain birth and dwell in the Stage of Non-retrogression.“112

Bei Jōdo-shinshū bedeutet „Hören“, das Wesen des Urgelübdes (hongan 本願) ohne Zweifel zu erkennen, und wird so mit shin 信 gleichgesetzt.113 In unüberbietbar prägnanter und klarer Weise wird diese Bedeutung des Hörens bei Jōdo-shinshū in der Erklärung im Glossary of Shin Buddhist Terms zusammengefasst, das den Collected Works of Shinran (CWS) in englischer Übersetzung von Honganji-ha beigegeben wurde. Dort heißt es: „HEARING 聞 mon. Hearing or listening to the teaching has been central to the Buddhist path; for example, in the cultivation of prajñā the 109 110 111 112

113

IBJ s. v. mompō 聞法, 1010. IBJ s. v. mompō 聞法, 1010; BGJ s. v. mon 聞, 444. IBJ s. v. mompō 聞法, 1010. Inagaki 2000, 268. Der japanische Text lautet: „あらゆる衆生、その名号を聞きて、信 心歓喜せんこと乃至一念せん。かの国に生まれんと願ずれば、すなわち往生を得、不 退転に住せん“ (JSS 52). BGJ s. v. mon 聞, 444.

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earlier stages are to be pursued by hearing (śruta), reflecting (cintā), and practicing (bhāvanā) what one has heard. The act of hearing is also said to implant seeds which will ultimately bear rich fruit. In Shin Buddhism, however, hearing is not just the beginning; it is the alpha and omega of religious life, for it is the experience of shinjin. This is to say, „hearing“ is „awakening“ to (1) Amida’s Primal Vow as the highest expression of compassion in relation to (2) the deep crisis of one’s existential plight. Thus, in „hearing“/“awakening,“ these are experienced simultaneously; hearing is to hear the call of true and real life to return to the home of homes, and to respond with one’s whole being to that call, following until one has arrived home. This call is Namu-amida-butsu.“114

Das Hören wird mit dem Einpflanzen von gutem Saatgut verglichen, das zu seiner Zeit reiche Frucht bringen wird. Es ist der Akt des Empfangens potenziellen Erwachens. Hören ist also nicht bloßes Vernehmen von Worten und Gedanken auf rational-logischer Ebene, es appelliert nicht in erster Linie an die diskursive Rationalität, sondern es ist der Modus der Offenheit und des Empfangens für ein Geschehen jenseits menschlicher Möglichkeiten. So korrespondiert das Hören auf den dharma (mompō 聞法) mit der „Anderen Kraft“ (tariki 他 力). Daher kann das Hören sogar dem Erwachen gleichgesetzt werden: „This ist to say, ‘hearing’ is ‘awakening’ …“115 Dementsprechend wird Erwachen weder durch meditative Introspektion, noch durch psycho-physische Übungen oder tantrische Mantras erlangt, sondern das Hören selbst ist ein Akt der Selbsttranszendierung, die Konstituierung des „wahren Selbst“ außerhalb der eigenen ego-zentrierten (karmischen) Bedingungen und Möglichkeiten, allein gegründet auf die Andere Kraft des Urgelübdes (tariki-hongan 他力本願) Amidas, das als Ruf an die Hörenden ergeht. Als Antonyme für dieses „Hören“ gelten daher der Zweifel (utagai 疑い), der sich als „zwei Herzen“ bzw. „double-mindedness“ (futagokoro ふたごころ) manifestiert, als Unkenntnis über das Selbst und das Wirken Amidas, als „Eigene Kraft“ (jiriki 自力), durch die das Ego durch „Berechnung“ (hakarai はからい) die Geburt im Reinen Land erwirken will.116 „Hören“ bei Jōdo-shinshū entspricht also, wie gerade an dessen Antonymen deutlich wird, in klassischer buddhistischer Terminologie der Einsicht in anātman („Nicht-Selbst“). Dabei bleibt bei Jōdo-shinshū das „Hören“ bezogen auf das Urgelübde Amidas: „To hear ist to hear the origin and the end of the establishment of the Primal Vow and be without doubt.“117 114 115 116 117

CWS II, 189–190. CWS II, 189. CWS II, 180. CWS II, 180.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Die Erfahrung von shinjin enthält – wie in Kapitel 8 dargestellt – die zwei gleichursprünglichen Pole der Barmherzigkeit Amidas und der Anderen Kraft und der Einsicht in die eigene Unfähigkeit zu allem Guten, die völlige Ohnmacht im Blick auf das Heil. Beide korrespondieren einander. Wenn das „Hören“ hier gleichgesetzt wird mit dem „Erwachen“ zu diesen beiden Einsichten, so findet das durchaus eine Strukturanalogie in der lutherischen Dialektik von Gesetz und Evangelium. Wobei zu beachten ist, dass es bei der Erfahrung von shinjin nicht um eine zeitliche Vor- bzw. Nachordnung beider Pole geht, sondern ausdrücklich die „Gleichzeitigkeit“ betont wird: „Thus, in ‘hearing’/‘awakening,’ these are experienced simultaneously; …“118 Auch Ōtani Kōshin hat eine religiöse Rede dem Thema „Hören“ gewidmet.119 In seinem Einleitungssatz weist er auf die allgemein bekannte grundlegende Bedeutung des Hörens auf den dharma bei Jōdoshinshū hin, um dieses Hören sogleich zu präzisieren als ein intensives und wiederholtes Hören, auch im Sinn von „sich selbst einschärfen“. Im Unterschied zu dem (vergleichsweise einfacheren) Hören auf eine logisch aufgebaute Vorlesung, deren Gedankengang man verfolgen und deren logischen Schluss man nachvollziehen kann, gehe es beim Hören auf den dharma um ein „existenzielles“ Hören. Dieses Hören werde jedoch durch die Selbstbezogenheit des Hörers gestört und sei daher sehr erschwert. Dem Maßstab egozentrischen Nützlichkeitsdenkens, wie es Ōtani in der gegenwärtigen Zeit vorherrschen sieht, setzt er den Maßstab des „in Wahrheit leben“ beim Hören der Lehre Buddhas entgegen.120 Weitere Schwierigkeiten für das rechte Hören sieht Ōtani in den Annehmlichkeiten modernen Lebens, vor allem aber in der Verdrängung der Begegnung mit der Wirklichkeit von Sterben und Tod aus der unmittelbaren Erfahrung, wie z. B. beim Sterben Angehöriger in der eignen Familie.121 Das führe zugleich zu einer Entfremdung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben. Das Wesen der Religion besteht nach Ōtani jedoch gerade in der persönlichen existenziellen Betroffenheit. H. Sakado spricht von mompō no ba 聞法の場 und hōwa no ba 法 話の場 als Situation/Ort des Hörens und der religiösen Rede, die dadurch qualifiziert sind, dass Amida selbst dort wirke. Der fukyōshi 布 118 119 120

121

CWS II, 189; vgl. auch Y. Ueda / D. Hirota 1989, 158. Die deutsche Übersetzung dieser Hōwa ist im Anhang („Auf die Lehre hören“) abgedruckt. Im Kapitel über den 7. Buddha vor Gautama Śākyamuni Mahākāsyapaya (jap. Kashō 迦葉) im nirvāna-Sūtra, wird erklärt, dass das kein rechtes Hören sei, das um der Lehr-Streitigkeiten, der Ehre oder des Gewinnes willen geschieht. Vgl. BGJ s. v. mon 聞, 444. Vgl. auch den Abschnitt über fujō-seppō 不浄説法. Vgl. dazu die Aussage von Ekū im Kozō-shinan-shū I, 27.

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教使 hat die Aufgabe, die Bedingungen zu schaffen, unter welchen der Mensch, dem Buddha-dharma begegnen kann (fukyōshi no yakuwari wa hito wo buppō ni awaseru goen o tsukuru koto desu 布教使の役割は 人を仏法に遇わせる御縁をつくることです).122 Es ergibt sich bei Jōdo-shinshū also eine Differenz im Verhältnis von mompō 聞法 als Erfahrung von shinjin und der religiösen Rede hōwa 法 話. Hören ist nicht gleich Hören. Da shinjin allein als Geschenk des barmherzigen Wirkens Amidas empfangen werden kann, kann die Aufgabe des Verkündigers nur darin bestehen, die Voraussetzungen zu schaffen für diese Erfahrung, die in der Möglichkeit des „Hörens“ auf den dharma besteht. Der dharma nimmt dabei durchaus die Funktion eines „Gnadenmittels“ ein, wobei zu beachten bleibt, dass es sich beim dharma nicht in erster Linie um eine propositionelle Wahrheit handelt, sondern um die Weisheit und Barmherzigkeit Buddhas, die alles umgreift und sich im Prediger, der selbst shinjin empfangen hat, konkretisiert. Wie verhält sich nun die Verkündigung des dharma mit dem Ziel, die Hörer zur Erfahrung von shinjin zu führen, zur Tradition? P. Schmidt-Leukel versteht „Gläubiges ‚Hören’ als Prinzip der Schrifthermeneutik“ bei Shinran.123 In folgendem berühmten Zitat aus dem Tanni-shō sieht Schmidt-Leukel das „Schrift- und Traditionsverständnis“ Shinrans formuliert: „Für mich, Shinran, bleibt weiter nichts übrig als nach der Anweisung des guten Meisters [i. e. Hōnen, Anm. Anm. d. Verf.] zu glauben [accept and entrust myself; shinzuru 信ずる], daß wir von Amida gerettet werden, wenn wir ausschließlich den Namen Amidas anrufen [say the nembutsu]. Ich meinerseits weiß überhaupt nicht, ob das Nembutsu, die Anrufung des Namens Amidas, wirklich die Saat ist, die Hingeburt in das Reine Land zu ernten, oder ob es ein Tun ist, durch das man in die Hölle kommen wird. Auch wenn ich durch die Anrufung des Namens Amidas, zu der ich von Meister Hōnen überredet wurde, in die Hölle kommen würde, so würde ich es doch gar nicht bereuen. Ich würde es nämlich mit guten Gründen bereuen, daß ich von ihm überredet wurde, wenn ich durch das Nembutsu in die Hölle käme, während ich durch andere fleißige Übungen hätte Buddha werden können. Da ich keinerlei Übungen fähig bin, so ist die Hölle bestimmt meine Wohnstätte. Ist Amidas Urgelübde wahr, so kann auch die Lehre Shākyamunis keine Lüge sein. Wenn das Wort Buddhas wahr ist, dann können Zendōs Auslegungen keine Lüge sein. Wenn Zendōs Auslegungen wahr sind, wie können die Anweisungen Hōnens unwahr sein? Sind aber die Anweisungen Hōnens wahr, dann dürfte auch das, was ich, Shinran, euch sage, wohl nicht eitel sein. 122 123

Sakado Hiromu, Persönliche E-Mail-Kommunikation vom 6. 8. 2007. P. Schmidt-Leukel 1992, 647.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Alles in allem, ist es der Glaube von mir, einem einfältigen Mann [Such, in the end, is how this foolish person etrusts himself (to the Vow); Shinjin 信心]. Da es einmal so ist, kommt es ganz auf eure Entscheidung an, ob ihr das Nembutsu annehmt und glaubt [take up and accept; Nembutsu wo torite shinjitatematsuran 念仏をとりて信じたてまつらん] oder es verwerft.“124

Shinran zieht die „Traditionslinie“ ausgehend von Amida über Śākyamuni (den historischen Buddha) zu Shan-tao, Hōnen und schließlich sich selbst. Findet sich in der Shin-Tradition üblicherweise die Rede von sieben Patriarchen, so liegt hier eine verkürzte Traditionslinie vor. Wichtig ist, dass das jeweils folgende Traditionsglied durch das vorhergehende in seinem Wahrheitsanspruch legitimiert ist. Alle weitere Legitimation leitet sich von der Wahrheit von Amidas Urgelübde ab. Diese Verhältnisbestimmung von „historischem Buddha“ und Amida wird auch durch eine Aussage von Ōtani Kōshin in einer seiner Religiösen Reden deutlich: „Der einzige Buddha, der in der Geschichte erschienen ist, ist Śākya. […] Wir verehren und preisen ihn als den, der sozusagen in der Geschichte tatsächlich existierte. Gleichzeitig verehren wir bei Jōdo-shinshū als dessen Ursprung Amida. Unsere Errettung hat natürlich damit angefangen, was Shakya gelehrt und mit menschlichen Worten gezeigt hat. Wenn man aber weiter in die Tiefe geht, dann versteht man, dass in Wirklichkeit Amida der wahre Erretter ist. Die Grundlage muss sein, dass wir durch diesen Amida gerettet werden.“125

Die Aussageabsicht von Shinran und Ōtani liegt nicht in einer historischen Legitimation der Lehre von Jōdo-shinshū durch den historischen Buddha, sondern in der Einordnung Śākyamunis in die umfassende Wirklichkeit Amidas. Von hier aus wird die Tradition gedeutet (wie in der Rezeption der „Sieben Patriarchen“ ausführlich gezeigt). Dass sich Shinran besonders auf seinen Lehrer Hōnen beruft, hat ihn nicht daran gehindert, dessen Lehre fundamental neu zu interpretieren, indem er das Sagen des Nembutsu nicht als verdienstliche Bedingung für die Hingeburt ins Reine Land verstand, sondern als ein Geschenk Amidas.126 Dem entspricht, dass auch in den Religiösen Reden von Jōdo-shinshū der historische Buddha und seine Lehren über den kursorischen Verweis auf dessen Erscheinung als Gründergestalt keine 124 125 126

Tanni-shō 1977, 2–3; in Klammern die Übersetzung nach CWS I, 662 und das japanische Original nach JSS, 832–833. K. Ōtani 52000, 102; hōwa Nr. 14 im Anhang. Dieser Aspekt bleibt in der Darstellung von P. Schmidt-Leukel unberücksichtigt, so dass der Eindruck entsteht, dass es Shinran tatsächlich auch um eine Legitimation in historischem Sinne gehe (P. Schmidt-Leukel 1992, 648).

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größere Bedeutung zukommt. Die historisch-kritische Rückfrage nach Śākyamuni und dessen Verhältnis zu Amida liegt im Unterschied zur analogen Fragestellung in christlicher Theologie nach dem Verhältnis von historischem Jesus und dem Christus des Glaubens, außerhalb des Interesses. Der historische Buddha wurde vielmehr zu einer Manifestation Amidas und zu dessen Verkündiger, wie gerade auch die für Jōdo-shinshū grundlegenden Reines-Land-Sūtren belegen.127 Die Struktur-Analogie in christlicher Theologie wäre hier die Frage nach der Beziehung von Gott Vater und Sohn. In der Selbstdarstellung von Honganji-ha wird dem Hören im Zusammenhang mit der Erfahrung von shinjin zentrale Bedeutung zugeschrieben. „True Listening We can hear sounds and words without actually absorbing the message or being conscious of the content. In other words, we are not listening. The same is true regarding hearing Amida Buddha’s Primal Vow. Shinran wrote: ‘What is referred to as ‚listening’ happens when we sentient beings learn why the Primal Vow was developed, when we understand its activity in causing our birth in the Pure Land, and when the doubtful mind disappears.’ Thus, it means more than merely hearing that the Primal Vow was established to liberate deluded sentient beings, and that this activity became the „name of the Buddha.“ When we nod our heads in agreement – when we accept the calling voice of the Primal Vow – that is what ‘having listened’, means. Accepting is the ‘entrusting of our heart and mind [i. e. shinjin, Anm. d. Verf.] to Buddha-centered Power’.“128

„Wahres Hören“ ist also durch das Akzeptieren, die subjektive Aneignung und das innere Einverständnis in die soteriologische Kraft des Urgelübdes charakterisiert. Es ist die zustimmende Antwort auf den ergangenen Ruf Amidas. Damit ist die subjektive Seite von shinjin bezeichnet, die jedoch nicht im Sinne einer Leistung der „Eigenen Kraft“ jiriki verstanden werden darf.

127

128

Zur durch westliche Wissenschaftstradition angeregten historische-kritisch arbeitende Buddhologie, die in Japan auch von Jōdo-shinshū (insbesondere Ōtani-ha) getragen wurde und das Verhältnis des Buddhismus zur historischen Fragestellung vgl. ausführlich von Brück/Lai 22000, 295–311. Von Brück und Lai schließen diese Diskussion mit dem Verweis auf die „geschickten Mittel“ (upāya), die u. a. auch eine rein bewusstseins-psychologische Deutung des Reinen Landes zulasse. Die Verehrung Amidas und eines idealen Reinen Landes werde von der historischen Rückfrage nach Gautama Śākyamuni nicht berührt (von M. v. Brück / W. Lai 22000, 310–311). Jodo Shinshu – A Guide 2002, 82–83.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

10.9 Ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 als Grundprinzip religiöser Rede Alle shin-buddhistischen Autoren gehen auf die fundamentale Bedeutung dieser Formel für die religiöse Rede ein.129 Sannomiya kann schreiben, dass der Lobpreis (讃嘆 sandan), d. h. die Verbreitung der Lehre (布教 fukyō) identisch ist mit ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信.130 Der eigene (ji 自) Glaube (shin 信) verursacht/lehrt (kyō 教) Menschen (jin/nin 人) Glauben. Das Schriftzeichen kyō 教 ist im Chinesischen, dem diese Formel entnommen ist, sowohl Kausativ-Marker als auch das Schriftzeichen für „Lehre/lehren“. In den shin-buddhistischen Texten werden in den Japanischen Übersetzungen beide Bedeutungen gebraucht. So übersetzt z. B. Sannomiya kyō-nin-shin 教人信 als „人に 信ぜしめる (hito ni shinzeshimeru)“: die Menschen zum Glauben veranlassen.“ und beschreibt es als 人を勧化する hito wo kange suru: „Menschen durch Erklärung und Empfehlung dazu bringen, ihre Zuflucht im Buddhismus zu suchen.“131 Die Bedingung und das Mittel dafür ist der eigene Glaube (ji-shin 自信), das heißt: die eigene Realisation von shinjin, das eigene Vertrauen auf Amidas Urgelübde, das weitergegeben wird (自信の領解を述べるー自信 [仏の本願を我も信じ] jishin no ryokai wo noberu – jishin [hotoke no hongan wo ware mo shinji].)132 Die Formel ji-shin-kyō-nin-shin geht auf den fünften Patriachen von Jōdo-shinshū, den Chinesen Shan-tao zurück, der in seinem Werk Wangsheng lizan (jap. Ōjō-raisan 往生礼賛) formulierte, dass es nichts Schwierigeres als ji-shin-kyō-nin-shin gebe.133 In der englischen Übersetzung der Werke Shinrans, der diese Stelle bei Shan-tao im KGSS (III 94) zitiert, ist der ganze Satz folgendermaßen wiedergegeben: „To realize shinjin oneself and to guide others to shinjin Is among difficult things yet even more difficult. To awaken beings everywhere to great compassion Is truly to respond in gratitude to the Buddha’s benevolence.“134

129

G. Sannomiya 31996, 30–41; Takeda 81994, 138; R. Endō 81994, 219; E. Yakumo 1981, 2; K. Ōtani 2005, 51; u. a. 讃嘆すなわち布教は、自信教人信である [Sandan sunawachi fukyō wa, ji-shin-kyōnin-shin de aru]. G. Sannomiya 31996, 34. G. Sannomiya 31996, 34; zur Bedeutung von Kange 勧化 vgl. s. v. IBJ 170. G. Sannomiya 31996, 34 (unter Aufnahme eines Zitates aus dem Kozō-shinan-shū von Ekū). 自ら信じ人を教えて信ぜしむること、難きが中に転た更に難し。大悲をもて伝えて普く 化するは、真に仏恩を報ずるに成る (zitiert nach G. Sannomiya 31996, 35). CWS I, 120. 8

130 131 132 133 134

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Da diese Formel von Shinran und auch von Rennyo aufgenommen wurde, bekam sie bei Jōdo-shinshū normative Geltung. Zur Grundlage der Verkündigung bei Jōdo-shinshū scheint die Formel bei Rennyo ausgestaltet worden zu sein, dessen entscheidende Aussage dazu lautet: 教化するひと、まず信心をよく決定して、そのうえにて聖教をよみかたらば、 きくひとも信をとるべし135 Kyōke suru hito, mazu shinjin wo yoku ketsujō shite, sono ue nite shōgyō wo yomikataraba, kiku hito mo shin wo torubeshi. [Wer verkündigt/lehrt, der macht zuerst shinjin fest; wenn er dann die heilige Lehre liest und redet, so muss der Hörer auch shin ergreifen.“]

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Erfahrung von shinjin beim Prediger selbst als das entscheidende Moment im ganzen Predigtgeschehen im Interesse der Vermittlung religiöser Erfahrung angesehen wird.136 Das shinjin des Hörers gilt als Frucht des shinjin des Predigers. Shinjin ist jedoch unverfügbares Donum Amidas und kann daher vom Prediger nicht willkürlich in das Predigtgeschehen eingebracht werden, es kann nicht methodisch verfügbar gemacht werden. Es ist vielmehr das Selbst, das sich als von Amida ergriffen und in seiner wahren Gestalt unbedingt angenommen weiß – so wie es ist „sono mama“. Dieses shinjin des Predigers ist jedoch an die Ausdrucksgestalt der sprachlich kommunizierten Predigt gebunden. Hier findet sich die analoge Struktur zu dem Konnex von apophatischem hosshō-hosshin 法生法身 und kataphatischem hōben-hosshin 方便法身 (vgl. Kapitel 9). Die Predigt stellt einen Ausdruck des shinjin des Predigers dar, der so zu einer Verlängerung Amidas als hōben-hosshin wird. Tatsächlich gilt der Prediger fukyōshi als Vogt / Vertreter daikan 代官 Amidas. Die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, ist, wie eine Predigt aussehen muss, in der die spontane Wirksamkeit (jinen) der Anderen Kraft und die Einsicht der Unmöglichkeit in die Eigene Kraft Gestalt gewinnen und so auch den Hörer ergreifen kann. Die Antwort kann nur die sein, dass der Prediger transparent wird für das Wirken der Anderen Kraft, dass er in der Selbstrücknahme so weit geht, dass er predigt, als predige er nicht (darauf ist noch zurückzukommen). Der sachliche Ausgangspunkt für eine Theorie religiöser Rede (einschließlich des Predigt-Aufbaus) bei Jōdo-shinshū ist die Frage, wie shinjin ausgedrückt werden kann. Aus diesem Grund war es notwen135 136

JSS 1236. Vgl. dazu auch E. G. Harrison, die anhand der Shinshū-Predigten aus der Tokugawa Ära die zentrale homiletische Frage nach dem shinjin des Predigers für die Predigt als „encounter with Amida“ beschreibt (E. G. Harrison 1992, 87–88 und 109).

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

dig, die Frage nach dem Verständnis von shinjin 信心 bei Jōdo-shinshū eingehend zu erörtern. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass shinjin ausgedrückt werden kann – das war das Thema des Kapitels über die „geschickten Mittel“ (upāya /hōben); festzuhalten ist auch, dass bei dieser Ausdrucksform von shinjin Amida als Subjekt agiert und shinjin vermittels shinjin, das in anderen Menschen bereits verwirklicht ist, „schenkt“. So betont G. Sannomiya: „Der Buddha-dharma (buppō 仏 法) wird von Mensch zu Mensch vermittelt (tsutawatte iku 伝わってい く).“137 Man beachte den Gebrauch des intransitiven Verbs tsutawaru! Das eigentliche medium salutis (wenn man diesen Begriff hier gebrauchen will), ist der Mensch, der shinjin bereits selbst verwirklicht hat – und als solcher ist er „Werkzeug“ des Handelns Amidas und dessen „Vertreter“ (nyorai no daikan 如来の代官), s. u. Harrison bemerkt, dass die scheinbar unstrukturierten und willkürlich zusammen gestellten Bemerkungen über Vorbereitung und Durchführung eines sermon bei den von ihr analysierten Priestern Ekū, Chidō, Kikei und Emyō alle darin ihren Bezugspunkt haben, dass sie für den Ausdruck des Glaubens (expression of faith) relevant sind und zu ihm in direkter Beziehung stehen.138 Und sie folgert: „Given faith as the core of the sermon and assuming that the preachers we have met accept this, their own premise, we can see their interest in all aspects of the sermon as a recognition of the multi-dimensionality of faith and of the avenues of this expression.“139

10.10 Definitionen und Ziel religiöser Rede bei Jōdo-shinshū Mit dem Hören auf die preisende Beschreibung der Tugenden Amidas, welches das böse Karma tilgt, ist eine Definition von fukyō 布教 gegeben, welche die Funktion der religiösen Rede im Lobpreis der Tugenden Amidas sieht. G. Sannomiya listet eine Reihe von Definitionen auf: 法を説くことは仏徳を讃嘆する外にはありません (Takeda Tatsuchika 武田 達誓) Hō o toku koto wa Buttoku wo sandan suru hoka ni wa arimasen [Den dharma zu lehren ist nichts anderes als die Güte Buddhas zu lobpreisen].

137 138 139

G. Sannomiya 31996, 49. E. G. Harrison 1992, 88. E. G. Harrison 1992, 88–89.

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布教はあくまで讃嘆です (Fujita Tetsufumi 藤田徹文) Fukyō wa akumade sandan desu [Verbreitung der Lehre ist letztlich Lobpreis]. 法話は讃嘆です (Toyoshima Gakuyū 豊島学由) Hōwa wa Sandan desu [Religiöse Rede ist Lobpreis].140

Dieselbe Aussage findet sich bereits bei Ekū, der im Kozō-shinan-shū einen unbekannten Lehrer anführt (aru hito no iū 有人の云), der Lobpreis sandan 讃嘆 definiert als das ehrerbietige Aussprechen des eigenen Erwachens vor Buddha und Gemeinde (Sandan wa busso-daishū no mae nite jishin no ryōkai wo mōshiageru to kokoroeru nari to 讃嘆 は仏祖大衆の前にて自身の領解を申し上げると心得る也と.141 Das in allen Definitionen gemeinsame Ziel, durch die Darstellung der eigenen Erfahrung von shinjin die Hörer ebenfalls zu shinjin zu führen (in den Definitionen wird regelmäßig die Kausativform verwendet, die im Deutschen mit „lassen“ wiedergegeben werden kann), steht in gewisser Spannung zu der Aussage, dass shinjin entsprechend der Lehre von der Anderen Kraft (tariki) ein reines Geschenk Amidas ist. Das Rühmen der Anderen Kraft ist daher eine folgerichtige Konsequenz und die zur Einsicht in das wahre Selbst komplementäre Aussdruckseite von shinjin. Im Unterschied zu anderen buddhistischen Schulen ist, wie Sannomiya anführt, bei Jōdo-shinshū Amida das eigentliche Subjekt von fukyō. Fukyō ist demgemäß die Partizipation an dem rettenden Wirken Amida-Buddhas. So kommt Sannomiya zu einer dreifachen Definition von fukyō als – „Lobpreis der Tugend/Güte Buddhas“ (buttoku-sandan 仏徳讃嘆) – „Die Freude eigener Errettung an andere Menschen vermitteln“ (jibun ga sukuwareta yorokobi wo hoka no hito ni tsutaeru koto 自 分が救われた喜びを他の人に伝えること) – Am Wirken der Errettung durch Amida-Buddha partizipieren dürfen (Amida-butsu no aukui no hataraki ni sanyo sasete itadaku koto 阿弥陀仏の救いのはたらきに参与させていただくこと).142 Endō Ryōgi betont, dass es zwar unterschiedliche Formen von fukyō gibt, der Zweck aber immer derselbe sei, nämlich die Hörer zum Vertrauen auf die Buddha-Weisheit Amidas zu veranlassen (Amida no butsu-chi wo shinzeshimeru 阿弥陀の仏智を信ぜしめる), und zwar in kog140 141 142

Zitate bei G. Sannomiya 31996, 27. Kozō-Shinan-Shū I, 5. G. Sannomiya 31996, 28.

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nitiver, affektiver und voluntativer Hinsicht (jap. chi-jō-i 知情意), genau so, wie der Prediger selbst erkennt, empfindet und will.143 Darin kommt die Grundforderung shin-buddhistischer Theorie religiöser Rede (jishin-kyō-nin-shin 自信教人信) zum Ausdruck und zur Konkretion. Bei Endō wird der Zusammenhang von eigener Verwirklichung von shinjin und dessen Vermittlung an die Hörer heruntergebrochen auf die kognitiven, affektiven und voluntativen Dimensionen religiöser Verwirklichung (das, was Harrison als multi-dimensionality of faith bezeichnet) und damit innerhalb dieser anthropologischen Kategorien konkret und darstellbar. Der Prediger nimmt die Hörer in seine eigene Glaubensbewegung mit hinein und bietet dadurch den Hörern Identifikationsangebote alternativer Selbstdeutungen und Handlungsoptionen. Dasselbe gilt auch von einer Definition, die Yakumo Enjō gibt: „Fukyō [bedeutet] nicht, die Lehre als ein Wissen weiter zu geben, [sondern] selbst die Freude wahrer Errettung im Herzen, die Wärme des durch die große Barmherzigkeit Nyorais ergriffen und umfangen Seins zu schmecken/empfinden, und dieses Schmecken/Empfinden auch den Hörer schmecken/empfinden zu lassen.“ (Fukyō wa oshie wo chishiki to shite tsutaeru no dewa nai no deatte, mizukara ga, kokoro ni shinjitsu sukuwareta yorokobi, nyorai no daihi ni idakitorareta atatakasa wo ajiwai, kono ajiwai wo kiku-mono ni ajiwahaseru tokoro ni aru 布教は教えを知識として伝えるのではないのであって、自からが、心に 真実救われた喜び、如来の大悲に抱き取られた暖かさを味わい、この味 わいを聞く者に味わはせる所にある.)144 Der in dieser Definition gebrauchte Begriff ajiwai 味わい mit der Grundbedeutung „schmecken“, wird in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin regelmäßig für die Beschreibung der religiösen Erfahrung benutzt. Dass es sich bei fukyō nicht um Vermittlung von gewissen Kenntnissen oder um eine „Schulstunde“ handelt, wird immer wieder betont.145 Fukyō ist vielmehr „personale Berührung“ (jinkakuteki na sesshoku 人格的な接触) und „Reaktion und Gemeinschaft des Lebens“ (Seimei no kanō-dōkō 生命の感応同交).146 Nichtsdestotrotz betont E. Yakumo aber besonders die sozialethischen Implikationen der religiösen Verwirklichung. Das ist ein Aspekt, der zwar bei G. Sannomiya und R. Endō nicht eigens erwähnt wird, aber dem in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin eine große Bedeu143 144 145 146

R. Endō 81994, 231. Zitiert nach G. Sannomiya 31996, 27–28. E. Yakumo 81981, 5; vgl. auch Ōtanis Hōwa über das Hören im Anhang, Hōwa Nr. 1. E. Yakumo 81981, 5.

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tung beigemessen wird. Bei E. Yakumo hat die religiöse Rede geradezu die Doppelfunktion, zum Glauben zu führen und ein Leben in gesellschaftlicher Verantwortung aus Dankbarkeit für die Güte Amidas zu führen. Für E. Yakumo ist der Gläubige ein nützlicher und produktiver Bürger (Shinshū shinja wa yūyō na ichi shimin, yūnō na seisansha 真 宗信者は有用な一市民, 有能な生産者), der seine Pflichten zum Frieden und Wohl der Gesellschaft erfüllt. Religion wird betont nicht auf die individuelle Sphäre beschränkt, sondern der Glaube wird zur starken Antriebskraft für gesellschaftliches Engagement. Fast polemisch wendet sich E. Yakumo gegen einen Glauben (shinkō 信仰), der nur inneren Frieden und Trost des Herzens sucht; das Glaubensleben (shinkō-seikatsu 信仰生活) bestehe nicht in süßer Meditation und mystischer Erfahrung.147 Daher hat die Verkündigung ihr Ziel erst erreicht, wenn sie zu einer Praxis führt, die dem Wohl der Gesellschaft dient. Entsprechend soll der Schlussteil der religiösen Rede (kekkan 結勧) sowohl zum Glauben führen als auch zum praktischen Lebensvollzug veranlassen (jissen-seikatsu ni tesseshimeru 実践生活に徹せしめる).148 Das shin-buddhistische Ideal einer sozialethisch verantwortlichen Alltagsfrömmigkeit wird in den sog. myōkōnin-den 妙好人伝 dargestellt. Es handelt sich dabei um seit dem Ende des 18. Jh. kompilierte hagiographische Beschreibungen von Menschen (myōkōnin = „Wonderously Good People“ E. Harrison), die in besonderer Weise ihr Vertrauen auf Amida im Alltag verwirklicht, ihre Bürgerpflicht aus Dankbarkeit für Amidas Güte erfüllt und dabei auch soziale Barrieren überwunden haben.149 Eine ähnlich starke Betonung des praktischen Lebensvollzuges als Konsequenz aus der Erfahrenen Güte Amidas findet sich regelmäßig in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin. Historisch gesehen handelt es sich dabei um die Versöhnung von buppō 仏法 und ōbō 王法 (dem „Gesetz Buddhas“ und dem „Gesetz des Königs“) ōbō buppō sō’i 王法仏法相依.150 Harrison hat in ihrer Dissertation herausgearbeitet, wie auch zur Tokugawa-Zeit, besonders in den Predigten von Chidō, konfuzianische Werte vermittelt werden.151 War es bereits zu Shinrans 147 148 149 150

151

E. Yakumo 81981, 6. E. Yakumo 81981, 14. E. G. Harrison 1992, 194–195; SKJ 167–168; OLW 691; O. Freiberger / C. Kleine 2011, 189–190. IBJ 110–111. Vgl. den Abschnitt über Rennyo in 7.2.3 und E. G. Harrison 1992, 181–189. Im Hintergrund steht die Auseinandersetzung mit den antinomistischen sog. hongan-bokori und die politischen Unruhen im Zusammenhang mit den IkkōAufständen zur Zeit Rennyos. E. G. Harrison 1992, 172; eine Liste konfuzianischer ethischer Normen findet sich auch bei Yakumo 81981, 5.

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Lebzeiten zu dem Missverständnis gekommen, dass das Vertrauen auf Amidas Urgelübde von den allgemein gültigen moralischen Standards befreie,152 so war es besonders Rennyos Verdienst, die Zuordnung von religiöser und gesellschaftlicher Dimension zu vollziehen. Nach Harrison war „… a solid, unmystical joining of the religious (junshūkyōteki) and the real (genjitsuteki) worlds“ Rennyos wichtigster Beitrag zu Shinrans Gedanken.153 Durch seine Briefe (O-fumi) interpretierte Rennyo Shinrans Gedanken und verlagerte nach Harrison die Schwerpunkte: „If, for Shinran, the real world existed as a sort of shadowy subset of the religious world where one acts out one’s religious gratitude to Amida, for Rennyo it was the central arena of life where one acts not only in gratitude but also out of obligation to repay one’s blessings (on o hōjiru). Rennyo thus shifted Shinshū concern outward, from a preoccupation with individual faith to a concern for everyday activity in the political world.“154

Die in obenstehendem Zitat erwähnte Wendung on o hōjiru (恩を報じ る; vgl. den Begriff hōon 報恩), gehört zu den zentralen Motiven shinbuddhistischer religiöser Rede und ist tief in der japanischen Kultur verwurzelt. Im Westen war es besonders Ruth Benedict, die in ihrem zum (nicht ganz unumstritten gebliebenen) Klassiker kulturanthropologischer Japanologie „The Chrysantemum and the Sword – Patterns of Japanese Culture“ (1946, 49. Aufl. 1994) dieses Konzept herausgearbeitet und im Westen bekannt gemacht hat. On 恩 ist allgemein gesprochen das, was man empfängt. Und dieses Empfangene schließt die Verpflichtung zur Dankbarkeit und deren entsprechenden Handlungen gegenüber dem Geber ein, ist also zugleich eine Obligation, die gewissermaßen zurückgezahlt werden muss. Dies gilt für alle zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere in einer streng hierarchisch strukturierten Gesellschaftsform. Auch in zahlreichen japanischen Sprichwörtern und Redewendungen findet das Konzept von on seinen Ausdruck. Bei Jōdo-shinshū dient es der Verhältnisbestimmung von Amida und dem Gläubigen und wird zur grundlegenden Motivation für die Lebensgestaltung (einschließlich der Glaubensverbreitung). Den Höhepunkt des religiösen Lebens bei Jōdo-shinshū bilden die Hōonkō 報恩講, die Vortragsveranstaltungen zur „dankbaren Erstattung“ des von Shinran empfangenen on. 152

153 154

Vgl. die Auseinandersetzung Shinrans mit Shinken-bo, der lehrte, dass die Leute ohne Furcht jede Übeltat verüben könnten, ohne dadurch irrezugehen (Y. Ueda / D. Hirota 1989, 40–41); vgl. dazu z. B. den Brief Shinrans in CWS I, 547. E. G. Harrison 1992, 181. E. G. Harrison 1992, 181.

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10.11 Person und Aufgabe des Verkündigers fukyō-shi 布教使 Die übliche Bezeichnungen für Verkündiger/Prediger/Missionar bei Jōdo-shinshū ist fukyō-shi 布教使, wörtlich: „Jemand, der zur Ausbreitung der Lehre gesandt ist“. Aber auch die Bezeichnung fukyō-sha 布教 者 „Jemand, der die Lehre ausbreitet“ kommt häufig vor. Die Bezeichnung sekkyō-sha 説教者 „Prediger“ (wörtl. „Jemand, der die Lehre erklärt“), wie sie für christliche Prediger üblich ist, wird in der Regel nicht mehr verwendet, was mit der Vermeidung des Begriffes sekkyō 説教 zusammenhängen dürfte (s. o. Abschnitt 10.3). Die Bezeichnung fukyō-shi macht sowohl auf die Verortung der religiösen Rede in der Mission als auch auf den Aspekt des Gesandtseins und den „BotenCharakter“ des Verkündigers aufmerksam. Die unterschiedlichen Termini für religiöse Rede bei Jōdo-shinshū sind unter dem Begriff fukyō, wie er in der Bezeichnung für die Funktionsträger enthalten ist, subsumiert. Sōryō 僧侶 bezeichnet einen buddhistischen Priester; ist er Priester, der an einem Ortstempel ansässig und für diesen verantwortlich ist, so wird er als jūshoku 住職 bezeichnet. Bei Ōtani-ha ist der Priester zugleich als fukyōshi qualifiziert, bei Honganji-ha bedarf er dagegen einer weiteren Qualifikation, um den Verküdigungsdienst auszuüben.155 In dem Ausbildungs-Manual von Honganji-ha für die Voraussetzungen der Ordination (tokudo-shiki 得度式), dem tokudo-shūrai-kyōbon 得度 習礼教本, wird das Hören, Lernen und weitergeben der Erlösungs-Lehre Shinrans höchste Bedeutung für einen Priester beigemessen. Und das Studieren und Ausbreiten der Lehre (bengaku-fukyō 勉学布教) steht an erster Stelle im Ordinationsgelübde (tokudo-seiyaku 得度誓約).156 In seinem Vorwort zu dem Buch Sōryo no Michi – Hōwa no kisoteki Gakushū 僧侶の道 – 法話の基礎的学習 [Der Weg des Priesters – grundlegende Vorlesung über die Religiöse Rede], schreibt Ōtani Kōshin den lapidaren Satz: „Zuallererst ist der Priester (jūshoku 住 職) einer, der auf den dharma hört (mompō-sha 聞法者)“.157 Beachtet man die Gleichsetzung von mompō mit shinjin,158 dann entspricht diese Aussage der Forderung nach ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信.159 155 156 157 158 159

Sakado Hiromu, persönliche Kommunikation am 17. 8. 2006. Tokudo-shūrai-kyōbon. 22007, 35 und 15. Vorwort von K. Ōtani in: Toyoshima 1994, 5. Vgl. die Ausführungen zu mompō. Vgl. zum Verhältnis von ji-shin-kyō-nin-shin und mompō auch G. Sannomiya 3 1996, 40.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Darüber hinaus impliziert es jedoch auch das intensive Studium der Lehrtradition von Jōdo-shinshū und deren grundlegenden Texte als Voraussetzung für die Verkündigung. G. Sannomiya hält das rechte Verständnis der „Dogmatik“ (kyōgi 教義) von Shinshū für selbstverständlich und für eine Vorbedingung für einen Verkündiger, wenn anders er an seiner Aufgabe nicht scheitern soll.160 Eine weitere grundlegende Bestimmung des Verkündigers bietet die bereits erwähnte Metapher des „Vogtes“. Der Prediger ist Stellvertreter/Vogt Nyorais (Nyorai no godaikan 如来の御代官), eine Bezeichnung, die auf Rennyo zurückgeht.161 Als solcher hat er die Funktion eines Bodhisattva.162 Er orientiert sich dazu an der Situation und dem Fassungsvermögen der Hörer. In der Lehrtradition von Jōdo-shinshū finden sich dafür die Begriffe shukuzen-mushukuzen 宿善無宿善 und jiki-sōō 時機相応. Jiki-sōō bezeichnet die Anpassung der Lehre an die Situation und die Zeit der Hörer, ohne ihren positiven Inhalt zu verlieren. Shukuzen-mushukuzen bezieht sich demgegenüber auf die Einschätzung der karmischen Bedingungen der Hörer. H. Inagaki bietet als Übersetzung für shukuzen „’Residual goodness’; good acts done in past lives.“163 Rennyo fordert in seinen Briefen regelmäßig die Beachtung dieser karmischen Bedingungen bei der Verkündigung. Im Aufbau der religiösen Rede entsprechen dem besonders die Elemente hiyu und innen (s. Abschnitt 10.12). In dem Maß allerdings, wie auch die metaphysischen Kategorien von karman und samsāra in den Hintergrund treten, nehmen auch in der religiösen Rede diese Elemente ab. Auch G. Sannomiya geht unter bezug auf Rennyo und das Kozōshinan-shū auf die Bedeutung von shukuzen-mushukuzen ein.164 Demnach gibt es zwei Arten von Hörern, solche mit und ohne shukuzen. Eine wichtige Aufgabe des Verkündigers ist es, die Hörer gemäß ihrer karmischen Voraussetzungen, den dharma zu hören und aufzunehmen, einzuschätzen und die Verkündigung darauf abzustimmen, soll die Verkündigung nicht ins Leere laufen oder gar verlästert werden.165 160 161 162

163 164 165

G. Sannomiya 31996, 91–92. Kozō-shinan-shū I, 17; R. Endō 81994, 291; G. Sannomiya 31996, 51–54. Vgl. dazu die hōwa von Ōtani Kōshin „shin no butsu-deshi 真の仏弟子“ (Wahre Jünger Buddhas). K. Ōtani 42005, 51–52, wo er unter anderem die Formel ji-shinkyō-nin-shin 自信教人信 aufgreift und die Beziehung zum Bodhisattva-Ideal herstellt – jedoch mit Vorbehalt. DJBT s. v. shukuzen 宿善. G. Sannomiya 31996, 84–89. G. Sannomiya 31996, 86; vgl. dazu bereits die Unterscheidungen im Blick auf das Fassungsvermögen beim historischen Buddha (Vinaya-pitaka Mahā-vagga I,11,1 und I,5,11).

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Nun könne man zwar an der Lebensweise eines Menschen etwa erkennen, ob er gute karmische Bedingungen hat oder nicht, allerdings darf der Verkündiger nicht die Verkündigung vernachlässigen, wenn er jemanden so einschätzt, dass er keine guten karmischen Bedingungen erfüllt, sondern er soll trotzdem verkündigen, denn gerade die Ausbreitung der Lehre kann für ihn vielleicht zu einer guten karmischen Bedingung werden, die zum Ergreifen von shin führt (sono toki no fukyō ga, aite no kakushin e no shukuzen ni naru kamoshirenai kara dearu そのときの布教が、相手の獲信への宿善になるかも知れないから である).166 Auch R. Endō geht in der sechsten Stufe auf dem Weg zum vollkommenen Prediger unter bezug auf ein Rennyo-Zitat auf shukuzen-mushukuzen und jiki-sōō ein und folgert daraus für die religiöse Rede, dass besonders die Teile innen und hiyū eher für eine Zuhörerschaft geeignet sind, die die Freude an shinjin noch nicht kennen; führt man diese Teile jedoch bei bereits gläubigen Zuhörern zu lange aus, so wird das nicht gemocht werden. Man müsse also immer auf die Zusammensetzung der Zuhörerschaft achten.167 Gerade bei der Berücksichtigung karmischer Bedingungen fällt die Spannung zum Prinzip der Anderen Kraft auf, wo es ja gerade um die Einsicht geht, dass aufgrund der karmischen Schuld (zaigō 罪業) jede positive karmische Voraussetzung für die Erlösung ausgeschlossen ist – vgl. das oben angeführte Zitat Shinrans aus dem Tanni-shō. Die Erklärung Sannomiyas, dass gerade die Verkündigung zum karmischen Anlass der Erlösung werden kann, vermittelt hier. Yasutomi Shinya bemerkt in seinem Aufsatz über „Shinshu and Secularism – The Way to Modern Buddhism“ zusammenfassend: „Religion must change the outward aspects positively without losing the essence according to the situations of the time and beings. The first characteristic of Japanese Buddhist tradition, I would dare to say, is the „jikisoo“ (the correspondence of the time and beings). Jodo Shinshu has tried to keep its own religiosity through adapting the teaching to the situations of the people of each age.“168

Wesentlich zur Verkündigung des dharma gehört nicht nur die Person des Verkündigers und seiner shinjin-Erfahrung, sondern – damit zusammenhängend – seine Motivation für die Verkündigung. Ersteres wird durch den Begriff ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信, letzteres durch die Unterscheidung von „unreiner“ und „reiner“ Lehrverkündigung (fujō-seppō 不浄説法 und seijō-seppō 清浄説法) zum Ausdruck 166 167 168

G. Sannomiya 31996, 88. R. Endō 81994, 226. S. Yasutomi 2004, 155.

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gebracht. Unreine Lehrverkündigung gilt als schwere Sünde und wird in den Sūtra-Texten mit schlimmsten Höllenstrafen belegt.169 Im Kontemplations-Sūtra heißt es nach der Übersetzung von H. Inagaki: „A foolish person such as those [i. e. solche, die die fünf buddhistischen Gebote brechen und nur auf dem mittleren Level des untersten Grades wiedergeboren werden, Anm. d. Verf.] steals from the Sangha or takes the personal belongings of monks, or preaches the dharma with impure motives but feels no remorse. Thus he defiles himself by evil karma, and because of this he will fall into hell.“170

In der japanischen Version steht für „preaches the dharma with impure motives“ der Begriff fujō-seppō 不浄説法, der im Glossar zum Jōdoshinshū-seïten als ein Verkündigen des dharma um eigner Ehre und materiellen Gewinns willen erklärt wird.171 Allein das Hören auf die Beschreibung der zehn übernatürlichen Kräfte Amidas, seines Lichtes und seiner Tugenden etc. durch einen guten Lehrer kann solch einen Menschen den Flammen der Hölle entreißen und ihn an einen Ort der Erlösung versetzen. Durch dieses Hören wird das böse Karma von achtzig kotis von kalpas im samsāra ausgelöscht.172 Ekū zählt am Ende des Kozō-shinan-shū fünf Charakteristika bzw. Motive auf, die eine Lehrrede (seppō 説法) unrein machen: shōta 勝 他 [Rechthaberei], myōmon 名聞 [Ruhm(sucht)], riyō 利養 [Habgier], ishaku 異釋 [falsche Auslegung], jichi 自知 [hier etwa: Selbst-Bewusstheit (im Sinne von „Zweifel“].173 Fukagawa bezieht sich auf das Yubasokkai-kyō 優婆塞戒経, das ebenfalls fünf Elemente von fujō-seppō aufzählt: ri 利 [Vorteil/Nutzen], hō 報 [Dank/Belohnung], shōta 勝他 [Rechthaberei], yohō 世報 [weltlicher Gewinn] und utagatte toku 疑ひ て説く [zweifelnd lehren].174 G. Sannomiya widmet der unreinen Lehrrede ein eigenes Kapitel175 und zählt dieselben fünf Elemente auf, die er folgendermaßen zusammenfasst: 要するに、布教使が名聞利養を願って行う布教は、不浄なる説法であり …176 Yōsuru ni, fukyōshi ga jiko no myōmonriyō wo negatte okonau fukyō wa fujōnaru seppō de ari, … [Zusammengefasst: „Verbreitung der Lehre, die 169 170 171 172

173 174 175 176

Vgl. N. N. Fukagawa 2006, 28–30. H. Inagaki 2000, 347; vgl. auch G. Sannomiya 31996, 74–75. JSS 114. Ein kalpa entspricht in indischer Mythologie einer Weltzeit von vier yugas in der ein Universum entsteht und vergeht mit insgesamt 4.320.000 Jahren; ein koti entspricht der Zahl von 10 Millionen. Zoku-Shinshu-Taikei 17, 233 (Kozō-shinan-shū Anhang). N. N. Fukagawa 2006, 28–31. G. Sannomiya 31996, 73–79. G. Sannomiya 31996, 78.

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der fukyōshi/Prediger mit dem Wunsch nach Ruhm und Gewinn durchführt ist unreine Lehrrede …“].

„Reine Lehrrede“ dagegen ist es, wenn sie mit dem Wunsch geschieht dem Hörer ein Herz dafür bekommen zu lassen, dass er dem samsāra entrinnen muss.177 D. h., die eigene Erlösungsbedürftigkeit einsichtig zu machen und ein Verlangen nach Berfreiung zu bewirken. Im Zusammenhang des bisher Gesagten wird deutlich, dass fujōseppō als Verkündigung aus ego-zentrischen Motiven im Widerspruch zu mompō, shinjin und ji-shin-kyō-nin-shin steht, da sie nicht dem Wesen des Urgelübdes Amidas entspricht, das als Bodhisattva-Gelübde gerade die Befreiung von Leid bewirkendem Anhaften an das egozentrische Selbst oder positiv formuliert „Weisheit“ und „Barmherzigkeit“ symbolisiert. Fujō-seppō beschreibt also den strukturellen Selbstwiderspruch zwischen „Heilsverwirklichung“ und „Heilsvermittlung“, der entsteht, wenn die angestrebte Selbsttranszendierung durch selbstsüchtige Motive konterkariert wird. Von hier aus ergibt sich in sachlicher Konsequenz auch eine Kritik, wie sie bei G. Sannomiya zu finden ist, an einer für die Mitgliederaquise institutionell funktionalisierten Mission.178 Diese Differenzierung der Motivationen ist ein Ideal, das in der Praxis sicher nicht immer gelingt und gerade deshalb in ihrer zum Begriff gewordenen Gestalt zu kritischer Selbstreflexion anleitet.

10.12 Ritueller Kontext und klassischer Aufbau einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū Die verschiedenen möglichen Kasus für eine religiöse Rede wurden bereits genannt. An dieser Stelle soll es nun um den rituellen Kontext einer religiösen Rede innerhalb einer so genannten hōza 法座 (Predigt-/Lehrversammlung) gehen, wie ich ihn u. a. aufgrund teilnehmender Beobachtung beschreibe, und insbesondere um den traditionellen Aufbau einer religiösen Rede. Eine hōza ist grundsätzlich zweigeteilt in o-tsutome お勤め (auch gongyō 勤行 genannt) und hōwa 法話. Ein dritter Teil, die allgemeine Begrüßung und Einleitung, ist optional. Bei o-tsutome werden Texte in kanbun (漢文, chinesische Texte, die japanisch ausgesprochen werden) chinesisch oder altjapanisch intoniert, was für heutige Japaner in 177 178

G. Sannomiya 31996, 78. G. Sannomiya 31996, 21.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

der Regel unverständlich ist. Diese intonierten Texte gelten als direkte Anrede Buddhas.179 Die hōwa gilt als Exposition und Applikation. Während einer hōza ist die religiöse Rede oft in zwei (manchmal sogar noch mehr) „Sitzungen“ za 座 oder seki 席 geteilt und von einer kurzen Pause unterbrochen, in der Erfrischungen gereicht werden und die Möglichkeit zu rauchen besteht. Die Zuordnung von erster und zweiter „Sitzung“ (isseki und niseki 一席二席 oder zenseki und goseki 前席 後席) ist ein oft behandeltes Thema in der Literatur. Vor allem wenn es sich um zwei Verkündiger handelt, die sich die Aufgabe teilen, sind gute inhaltliche Absprachen nötig.180 Als die Predigt-Ausbildung noch in Form des traditionellen zuikō 随行-(Lehrlings-)Systems verlief, teilten sich Meister und Schüler die Predigtsitzungen.181

Exkurs: Teilnehmende Beobachtung bei Jōdo-shinshū hōza (法座) 16. 8. 2006 (zur O-Bon-Zeit) im Nishi-Honganji (Honganji-ha), Kyōto Kurz vor 14 Uhr betrat ich die Somido-Haupthalle. Etliche junge Priester waren anwesend, von denen einige mit diversen Verrichtungen beschäftigt waren – die übrigen standen um die Halle herum. Vor dem Altarraum war eine Absperrung aus niedrigen Holzgeländern auf dem Tatamiboden aufgestellt, die eine vor dem Altarraum bereits versammelte Gruppe, zu der Personen jeden Alters gehörten, von den übrigen Anwesenden (sowohl Gläubige als auch Touristen) trennte. Außerhalb der Absperrung bewegten sich die Besucher der Tempelhalle frei umher. Einige verrichteten ihre Andacht während andere Besucher umhergingen und/oder sich unterhielten. Ich konnte mich in unmittelbarer Nähe zu der versammelten Gruppe neben einen großen Holzpfeiler, an dem auch ein großer hölzerner Kollektenkasten stand, völlig unbehelligt hinsetzen und alles beobachten. Ab und zu warf jemand Münzen in den Kollektenkasten, was jeweils ein lautes Geräusch verursachte. Ein junger Priester, der von der rechten Seite her vor den Altarraum trat, setzte sich kurz in seiza (formelle Sitzhaltung auf Knien und Fersen) und kündigte an, dass in Kürze die o-tsutome (お勤め, die rituelle 179 180 181

Sakado Hiromu, persönliche Kommunikation vom 17. 8. 2006. Vgl. R Endō 81994, 273–275. Eine Beschreibung einer traditionellen Veranstaltung mit fushidan-sekkyō 節談 説教 findet sich u. a. anhand der Autobiographie des berühmten Predigers Sobue Shōnen bei E. G. Harrison 1992, 137–140; vgl. dazu auch K. Sekiyama 1978, 14–15.

10. Religiöse Rede und shinjin bei Jōdo-shinshū

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intonierte Lesung eines kanonischen Textes) vor dem Altarraum beginnt. Seine Bewegungen waren, wie die der übrigen Priester, gemessen aber zügig. Vor der versammelten Gruppe waren drei niedrige Tischchen aufgestellt, auf denen sich Räucherwerk befand. Von der linken Seite vor dem Altarraum kamen drei Priester in festlichem Gewand, die sich zwischen der Gruppe und dem Altarraum mit dem Gesicht zum Altar in seiza hinsetzten. Sie begannen mit der Intonierung des Textes, die durch rhythmisches Zusammenschlagen von Klanghölzern, die den Takt vorgaben, begleitet wurde. Diese o-tsutome dauerte etwa fünf Minuten und endete mit dem nembutsu 念仏, das mehrmals in verschliffener Form „namandabu“ gesprochen wurde. Anschließend konnte jede Person aus der Gruppe der Reihe nach zu einem der Tischchen mit Räucherwerk kommen und einige Körner Weihrauch darauf verbrennen. Nachdem fast alle Weihrauch verbrannt hatten, brachte ein Priester eines der drei Weihrauchtischchen zu einer älteren Dame, die im Rollstuhl saß, damit sie auch etwas Weihrauch verbrennen konnte. Die drei Priester, welche die o-tsutome verrichtet hatten, entfernten sich wieder, und ein Priester kündigte an, dass in Kürze die hōwa 法話 beginnt. Als sich ein relativ jung aussehender Priester – wieder von rechts – dem Altarraum näherte, stellte der „Küster“ ein Mikrofon auf den Tatamiboden und richtete es für den Prediger ein, der sich in Seiza auf der rechten Seite der Gruppe niedergesetzt hatte. Der Altarraum blieb frei; der Prediger sprach die Gruppe von der Seite in einem etwa 45º Winkel an. Obwohl der Prediger eindeutig die versammelte Gruppe von etwa 20–25 Personen ansprach, war seine Stimme durch das Mikrofon so verstärkt, dass man ihn in der ganzen Halle hören konnte, ohne dass es aufdringlich laut gewesen wäre. Manchmal kamen trotz der laufenden Zeremonie und Predigt neue Besucher in die Halle und warfen Münzen in den Kollektenkasten, was die Stimme des Predigers übertönte. Hinter mir ließ sich eine Gruppe Jugendlicher nieder, die sich offenbar unbeeindruckt von der hōwa unterhielten. Der Prediger begann mit einem Beispiel aus seinem Dienst, wo er zu einem Trauerfall gerufen wurde. Der Ehemann war plötzlich verstorben. Auch für den Prediger, dem das Ehepaar bekannt war, war es ein plötzlicher Tod, und er gab seiner Überraschung Ausdruck. Er machte deutlich, dass nicht nur im Sterbefall die Sutren zu rezitieren, sondern vor allem zu Lebzeiten zu lesen sind.182 Er sprach weiter 182

Das ist auf dem Hintergrund zu verstehen, dass der Buddhismus in Japan hauptsächlich als „Bestattungsreligion“ gesehen wird und der Priester in der Regel nur ins Haus kommt, wenn jemand verstorben ist, um Sūtren zu rezitieren. Nach Tamaru Noriyoshi gehören Bestattungszeremonien zu den signifikantesten Funktionen

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über den Weg zur Befreiung und Erwachen und griff auf ŚākyamuniBuddha zurück, wobei er kurz den geschichtlichen Anfang des Buddhismus erläuterte und dann die Beziehung zum nembutsu herstellte, in dem dann auch die hōwa endete und die versammelte Gruppe aufgefordert wurde, das nembutsu zu sagen. Die hōwa dauerte 11 Minuten. Sie war völlig frei und fließend vorgetragen worden, wirkte aber nicht auswendig gelernt. Der Prediger sprach lebendig und engagiert, die Stimmführung war gut moduliert. Nach der hōwa und dem gemeinsamen Sprechen des nembutsu war die insgesamt ca. dreißigminütige Veranstaltung zu Ende. Der Prediger ging zur rechten Seite weg und kniete nochmals in seiza abseits der Gruppe. Ein Priester kündigte an, dass nun die Sichtwände vor dem Altarraum geschlossen werden, weil der Schmuck gewechselt wird. Danach brachte er eines der Tischchen mit dem Räucherwerk in den Seitenflügel der Halle, wo zwei Angehörige der Gruppe kamen und eine Urne in ein Tuch wickelten. Die Hōwa – in diesem Fall eine Kasualrede183 – war durchaus missionarisch ausgerichtet. Sie machte deutlich, dass angesichts des Todes und der Ungewissheit des Sterbezeitpunktes das „Erwachen“ drängt, da es nur zu Lebzeiten möglich ist.184 Bemerkenswert war, dass es zwar eine Trennung zwischen der Gruppe und den übrigen Besuchern gab (die rituellen Handlungen wurden nur von der Gruppe bzw. den Priestern vorgenommen; sie saßen hinter den niedrigen beweglichen Holzabsperrungen), aber keine Trennung des Klang- und Sichtraumes. Wurde zunächst die Gruppe angesprochen, so wurde doch die hōwa von allen gehört (bewusst durch das Mikrofon verstärkt), ebenso wie die Geräusche der übrigen Besucher (Gespräche, geräuschvolle Kollekten) von der Gruppe und dem Prediger wahrgenommen wurden. Der rituelle Vollzug geschah öffentlich, beanspruchte aber für sich keine exklusive Aufmerksamkeit von den übrigen Anwesenden in der Halle. Ebenso gab es eine Überlappung des Zeitraumes. Die strukturierte Zeit der Versammlung

183

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im Buddhismus, und es gebe Grund zu der Bezeichnung des Buddhismus als „a religion of the dead.“ Nach wie vor halte der Buddhismus auf dem Gebiet der Bestattungen ein gewisses Monopol (Japanese Religion, 1981, 51–52). Auch Ōtani Kōshin geht in einer Predigt auf dieses eher düstere Image des Bestattungs-Buddhismus ein stellt ihm die Freude gegenüber (K. Ōtani 2005, 8). Es handelte sich um ein hōji (法事), ein buddhistischer Ritus zum Totengedächtnis (im Englischen mit „Family Memorial Service“ wiedergegeben). Dieser Gedächtnisritus wird bis zum 49. Tag alle sieben Tage durchgeführt, danach auch am hundertsten Tag. Für Hōwa während dieser Trauerzeit lautet der terminus technicus chūinhōwa 中陰法話. Ein japanisches Sprichwort unterstreicht dies: „Was die Lehre Buddhas betrifft, eile dich!“ (buppō wa isoge 仏法は急げ).

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war überlagert von dem unstrukturierten Kommen und Gehen in der Tempelhalle, in das sie sich selbst wieder auflöste. Die Grenzen waren fließend. Das gilt ebenso für die Zuhörerschaft. So war die Hōwa zwar am Kasus ausgerichtet und v. a. für die Gruppe gedacht, jedoch auch so allgemein gehalten, dass jeder Anwesende, der zufällig mithörte, angesprochen wurde.

Teilnehmende Beobachtung bei einer Hōza (法座) in einem Dorftempel von Ōtani-ha (浄土寺) in Notogawa Sasō Jōdoji (能登川 佐生) in der Präfektur Shiga 17. 8. 2006 Dr. Sakado, Professor an der Ōtani-Univeristät / Kyōto und Jōdoshinshū Priester (sōryo 僧侶 – bei Ōtani-ha damit zugleich auch ordinierter Verkündiger fukyōshi 布教使 ist) – nahm mich mit in eine Landgemeinde in der Präfektur Shiga, etwa eine Stunde Autofahrt von der Stadt Kusatsu entfernt. Sakado-Sensei führte mich bei dem Ortspriester (jūshoku 住職) ein. Bevor die Veranstaltung begann, wurde ich sehr freundlich aufgenommen und bewirtet. In der kleinen Tempelhalle mit dem Altarraum und einer Amida-Statue in der Mitte kamen vierzehn Personen in fortgeschrittenem Alter (10 Frauen und 4 Männer). Einige saßen auf Stühlen in der mit Tatami ausgelegten Halle, die meisten saßen aber auf Sitzkissen (zabuton). Die Hereinkommenden warfen 100 Yen Münzen oder in Papier eingewickeltes Geld einfach auf den Tatamiboden, das anschließend eingesammelt wurde. Der Ortspriester begann um 14 Uhr mit der o-tsutome お勤め, die ziemlich genau 20 Minuten dauerte. Der Priester, der quer zum Raum in einer Seitennische des Altarraumes saß, rezitierte zunächst alleine aus Sūtren, dann kam ein längerer gemeinsamer Teil aus einem Rezitationsbuch, das ausgeteilt wurde. Danach gab es eine kleine Unterbrechung, weil nun eine hölzerne Kanzel an die linke Seite (vom Altar aus gesehen) gestellt wurde, dazu ein Whiteboard und ein Mikrofon. Nun erst begrüßte der Ortspriester die versammelte Gemeinde185 und las aus einem Büchlein eines seiner ehemaligen Professoren an der Ōtani-Universität einen Abschnitt über die Bedeutung des Hörens 185

Nach Sakado kann so eine Einleitung und Begrüßung auch vor der o-tsutome kommen oder auch ganz weggelassen werden. Persönliche Kommunikation Kyōto am 17. 8. 2006

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auf den dharma, mompō 聞法. Erst als der Ortspriester geendet hatte, betrat Sakado als Prediger aus einer Seitenkammer die Tempelhalle. Nachdem er zuerst vor dem Altar kniete und das nembutsu gesprochen hatte, stellte er sich hinter die Kanzel und intonierte als sandai 讃題 den ersten Satz aus Rennyos O-fumi186 – das Gesicht zum Altar gewandt. Dann wandte er sich den Hörern zu und sprach ein paar einleitende Worte zum Anlass dieser Predigtversammlung und paraphrasierte das zuvor intonierte sandai. Sakado sprach die ganze Zeit frei, sehr lebendig und anschaulich mit vielen Beispielen, auch aus seiner eigenen Erfahrung. Außerdem sprach er durchgehend im Dialekt. Da diese hōza aus zwei „Predigtsitzungen“ (niseki 二席) zu je 40 Minuten bestand, gab es dazwischen eine ca. zehnminütige Pause, in der Tee und Kekse gereicht wurden. Manche fingen an zu rauchen, und es wurden Aschenbecher hingestellt. Jemand nutzte auch die Pause, um zu gehen. Sakado war gleich nach der ersten hōwa wieder in der Seitenkammer verschwunden und kam erst zu Beginn der zweiten hōwa wieder. Sobald die zweite hōwa beendet war, sagte Sakado ein kurzes Schlusswort. Dann kniete er vor dem Altar und sprach mehrmals das nembutsu, in das alle mit einstimmten. Danach verschwand der Prediger wieder in der Seitenkammer und die Versammlung löste sich rasch auf.

10.13 Der Aufbau einer religiösen Rede bei Jōdo-shinshū Senko K. Maynard stellt in ihrem Rhetorik-Lehrbuch „Principles of Japanese Discourse“ drei Aufbaumodelle vor, die auch in der Literatur über fukyō bei Jōdo-shinshū behandelt werden: ein dreistufiges, ein vierstufiges und ein fünfstufiges Aufbauschema.187 Das dreistufige Aufbaumodell besteht aus initial, introductory part (joron 序論), middle, main part (honron 本論) und final, concluding part (ketsuron 結論). 186

187

Der erste Satz des zweiten Briefes lautet: „Die grundlegende Lehre Shinran Shōnins in unserer Tradition ist nicht primär das Verlassen der Welt um zu erwachen (jap. shukke-hosshin 出家発心) oder weltlichen Begierden abzusagen, sondern lediglich indem shinjin durch die Anderen Kraft (tariki 他力) entschieden (ketsujō 決 定) wird, wenn man in einem einzigen Gedankenmoment die Zuflucht bei Amida nimmt (ichinen-kimyō 一念帰命) – hier gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, alt und jung.“ (Übers. d. Verf. nach Shinshū-Seïten 242005, 761). S. Maynard 1998, 25–39; E. Yakumo 81981, 12–14; R. Endō 81994, 270–277; G. Sannomiya 31996, 96–100; G. Sannomiya, sowie das Kozō-shinan-shū erwähnen kishō-ten-ketsu nicht.

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Das fünfstufige Modell orientiert sich nach Maynard an der traditionellen japanischen (buddhistischen) Rhetorik: beginning (okori 起 こり), leading (uke 承け), main point (hari 張り), supplement (soe 添え) und conclusion (musubi 結び). Der vierstufige Aufbau schließlich orientiert sich an der klassischen chinesischen Poetik, dem so genannten ki-shō-ten-ketsu 起承転結. Ki (in der sinojapanischen) oder okori (in der japanischen) Lesung gibt zu Beginn das Thema an. Shō entwicklelt das Thema weiter. Ten (wörtlich „Drehung, Wendung“) führt eine überraschende Wendung ein, die indirekt in Beziehung zu ki steht. Ketsu (sinojapanisch) oder musubi (japanisch) gelesen, bringt alle Elemente zusammen und zieht einen Schluss. Maynard gibt dafür folgendes Standardbeispiel, das auch E. Yakumo und R. Endō in leichter Variation für ihre Erläuterungen zitieren188: Ki:

Ōsaka Motomachi itoya no musume. [Die Töchter des Fadenhändlers in Osaka Motomachi] Shō: Ane wa jūroku, imoto wa jūgo. [Die Ältere sechzehn, die Jüngere fünfzehn (Jahre alt)] Ten: Shokoku daimyō wa yumiya de korosu. [Landesfürsten töten mit Pfeil und Bogen] Ketsu: Itoya no musume wa me de korosu. [Die Töchter des Fadenhändlers „töten“ (Männer) mit den Augen]

Ki gibt das Thema an: es geht um die Töchter des itoya. Shō führt dieses Thema aus, indem das Thema mit Details angereichert wird (hier das für die kommende Aussage wichtige Alter der Töchter). Ten wechselt nun überraschender Weise scheinbar das Thema, indem plötzlich mit Pfeil und Bogen tötende Landesfürsten eingeführt werden. Ketsu führt nun alle Elemente zu einem Schluss zusammen: Das Thema (ki) wird wieder aufgenommen, und der Begriff „töten“ aus ten wird nun metaphorisch auf die Blicke der jungen Töchter übertragen. Das traditionelle Aufbauschema einer religiösen Rede bei Jōdoshinshū, das, wie S. Maynard zeigt, auch die säkulare japanische Rhetorik prägt, besteht traditionell aus fünf Elementen.189 Diesem Fünferschema (sekkyō no godanhō 説教の五段法) liegt ein älteres Dreierschema (sanshū-seppō 三周説法) zugrunde, das sich auf das Lotos-Sūtra zurückführt und aus hōsetsu, hiyu und innen bestand. Hōsetsu zielte auf Hörer mit hoher Fähigkeit (jōkon no hito 上根, sc. in Bezug auf den buddha-dharma), hiyu zielte auf mittelmäßig begab188 189

E. Yakumo 81981, 12–13; R. Endō 81994, 272–273. Vgl. K. Sekiyama 1978, 24; E. Yakumo 81981, 6–7; B.Yamamoto 81994, 183–189; G. Sannomiya 31996, 96–100; N. Fukagawa 2006, 31–41.

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te Hörer (chūkon no hito 中根) und innen auf minder begabte (gekon no hito 下根の人).190 Nach K. Sekiyama wurde während der Tokugawa-Zeit191 dieses Dreierschema von Jōdo-shinshū nach vorne um das sandai und nach hinten um das kekkan erweitert und steht in der Tradition des Agui-Stiles.192 Dieses Fünferschema stellt also eine genuin Shin-buddhistische Entwicklung dar, jedoch nicht von Anfang an. Die fünf Elemente in der Übersicht: (i) Sandai 讃題 (wörtl. „Lobpreis-Thema“) (ii) Hōsetsu 法説 („Erklärung des dharma“) (iii) Hiyu 比喩 („Redefigur, Parabel, Simile, Allegorie, Metapher“) (iv) Innen 因縁 (wörtl. „Ursache und Bedingung“, karmische Beispielerzählung) (v) Kekkan 結勧 (wörtl. „zusammenbinden und empfehlen“) Das sandai besteht aus einem (in der Regel relativ kurzen) Text aus der Shin-Tradition (in der Regel aus den drei Reines-Land-Sūtren, den sieben Patriarchen, den Schriften Shinrans und Rennyos). Das sandai, das traditionell zum Altarraum gewandt als Lobpreisung Amidas intoniert wird (fushi wo tsukete 節をつけて)193 stellt das Thema der religiösen Rede vor. Obwohl in erster Linie Anrufung Amidas, dient es nach Harrison auch den Hörern, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren, und dem Prediger, das zentrale Thema einzuführen, „… and to begin the train of associative movement that would give structure to the images of the sermon.“194 Hōsetsu stellt eine kurze und leichtverständliche Erklärung des sandai dar, das in der Regel in kanbun oder Altjapanisch abgefasst ist und den Hörern meistenteils unverständlich ist. Hiyu bilden Gleichnis-Erzählungen, Metaphern und Beispiele, die das Thema leichtverständlich und interessant erläutern sollen. Hier kommt in besonderer Weise die Hörerorientierung zum Tragen. Innen, karmische Erzählungen, dient als Beweis (shōmei 証明)195 des in sandai und hōsetsu genannten und entwickelten Themas.196 Kekkan 190 191 192 193 194 195 196

N. Fukagawa 2000, 36. Diese (relativ grobe) zeitliche Einordnung der Entstehung des Fünferschemas wird von K. Sekiyama allerdings nicht belegt. K. Sekiyama 1978, 24; N. Fukagawa 2000, 35. K. Sekiyama 1978, 24. E. G. Harrison 1992, 64. K. Sekiyama 1978, 25. Nach H. Sakado wird innen kaum mehr verwendet, und aus der Fünfer-Struktur sei eine Vierer-Struktur geworden. Persönliche Kommunikation vom 17. 8. 2006. Die Ursache dafür dürfte in einer Art „Entmythologisierung“ des samsāra-Gedankens liegen.

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bildet den Schluss, der die wesentlichen Punkte zusammenfasst und shinjin bzw. das nembutsu empfiehlt. E. Yakumo ordnet diese fünf Elemente in seiner Darstellung, den Abschnitten der grundlegenden rhetorischen Dreierstruktur, bestehend aus joron, honron und ketsuron folgendermaßen zu: 1. Das sandai entspricht joron, der Einleitung, gefolgt von 2. hōsetsu, das keine Zuordnung erfährt. Hiyu und Innen bilden 3. den Hauptteil honron. Den Schluss ketsuron bildet 4. das kekkan.197 Aus der Darstellung Yakumos wird allerdings nicht klar ersichtlich, ob er diese vier Abschnitte den vier Elementen von ki-shōten-ketsu, die er unmittelbar vorher nennt, zuordnet. Dann würden sandai und hōsetsu ki und shō entsprechen, was durchaus nachvollziehbar ist. Allerdings würde innen dann die Position von ten übernehmen, was nicht gut zusammen passt. Ketsu ist dann wieder deckungsgleich mit kekkan. Es wird aber an diesem Beispiel deutlich, dass sich die unterschiedlichen Aufbauschemata nicht immer ganz synchronisieren lassen. E. Yakumo erläutert das fest gefügte Fünferschema als Beispiel, das jedoch nicht zwingend ist und je nach Persönlichkeit des Predigers modifiziert werden kann. Er betont aber, dass der Redeaufbau grundlegend wichtig sei, damit die Rede eindrücklich, interessant und leicht verständlich ist. Dennoch warnt er vor einem Missverständnis, als ziele die religiöse Rede auf Hörergefälligkeit ab und betont scharf, dass ein fukyōshi kein Künstler (geinin 芸人) sei.198 N. Fukagawa stellt einen Vergleich des fünfstufigen Aufbaumodells von Jōdo-shinshū mit indischer buddhistischer Logik (jap. in-myō 因明; skr. hetu-vidyā) an, wie sie um 440 n. Chr. von Dignaga begründet wurde,199 und die stark von der klassischen indischen Logik des Schließens beeinflusst ist, wie sie im Nyāya und Vaīshshīka ausgebildet sind. 200 N. Fukagawa kommt zu dem Schluss, dass die spätere Entwicklung der Struktur buddhistischer religiöser Rede in ihren Grundzügen mit großer Wahrscheinlichkeit von klassischer buddhistischer Logik geprägt ist. 201 Diese Logik, die ihre Anwendung in philosophischer Diskussion und religiöser Verkündigung fand, diente dem Ziel, das Gegenüber zu überzeugen. Nach E. Conze war es gerade der „propagandistische Wert“, wodurch das 197 198 199 200 201

E. Yakumo 81981, 13. E. Yakumo 81981, 12 und 8. Vgl. dazu E. Conze 101995, 156–157; V. Zotz 1996, 146–[149]. Vgl. z. B. H. Zimmer 1973, 540–545. N. Fukagawa 2006, 33.

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Interesse an der Logik gefördert wurde. 202 Dies entspricht auch der Intention von E. Yakumo, wenn er fordert, dass eine Rede so aufgebaut sein muss, dass zuerst die Behauptung (shuchō 主張) aufgestellt, diese dann bewiesen werden muss (shuchō no shōmei 主張の証 明) und schließlich zur Praxis veranlassen soll (jissen seshimuru 実 践せしむる)Auch wenn sich die einzelnen rhetorischen Aufbaumodelle nicht ohne weiteres entsprechen, so sollen durch folgende tabellarische Übersicht Entsprechungen und Ähnlichkeiten zwischen Aufbaumodellen aus völlig unterschiedlichen Kontexten (klassische indische Logik, chinesische Poetik, japanische religiöse Rede, klassische griechisch-lateinische Rhetorik, moderne westliche Psychologie) verdeutlicht werden. Ohne dies an dieser Stelle vertiefen zu können (das wäre die Aufgabe einer interkulturellen und interreligiösen Rhetorik), kann als Ergebnis festgehalten werden, dass (bei allen Differenzierungen im Einzelnen) die Grundstrukturen sich jeweils entsprechen und so etwas wie eine anthropologische Grundkonstante der Rhetorik bilden. Tabellarische Übersicht203 Chinesische JōdoLogik des Poetik shinshū Schließens im (ki-shō-tenNyāyaketsu) Vaīsheshīka sandai 讃題 hōsetsu 法説

Behauptung

hiyū 譬喩

Beispiel

innen 因縁 kekkan 結勧

Anwendung

202 203

Grund

Folgerung

Japanische Diskursstruktur

LernAntiker rhetorischer psychologisches Aufbaumodell Fünfsatz (Aristoteles)

ki 起 shō 承

okori 起り (beginning) uke 承け (leading)

exordium

ten 転

hari 張り (main point)

confirmatio

Versuch und Irrtum

refutatio

ketsu 結

soe 添え (supplement) musubi 結び (conclusion)

Lösungsangebot Lösungsverstärkung

propositio

peroratio

Motivation/ Einleitung Problemabgrenzung

E. Conze 101995, 156. Zum antiken Fünferschema bei Aristoteles vgl. dessen Rhetorik (Ausgabe von F. G. Sieveke 51995); für das lernpsychologische Aufbaumodell P. Bukowski 41999, 28–31 und W. Engemann 2002, 304–305.

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10.14 Zehn Stufen auf dem Weg zur vollkommenen Predigt204 Zum Abschluss und Zusammenfassung der Darstellung einer Theorie der religiösen Rede, wie sie sich aus der bisherigen Analyse repräsentativer Texte von Jōdo-shinshū ergeben hat, und als Übergang zur Analyse der religiösen Reden von Ōtani Kōshsin soll die originelle Darstellung der „Zehn Stufen auf dem Weg zur vollkommenen Predigt“, wie sie bei Endō Ryōgi zu finden ist, als Zusammenfassung wesentlicher Punkte dienen. Diese Darstellung bringt in prägnanter Weise zum Ausdruck, was in Abschnitt 10.9 bis 10.11 als Grundfrage shin-buddhistischer Homiletik herausgearbeitet wurde: In welchem Verhältnis stehen das unverfügbare Wirken Amidas und die Aktivität des Predigers. Wie muss die Gestalt einer religiösen Rede beschaffen sein, in der das shinjin des Predigers als Geschenk der Anderen Kraft zur Darstellung kommen kann und ein Raum für das Wirken Amidas resp. eines encounters mit Amida (E. G. Harrison) entstehen kann. 1. Stufe: Von der Zuhörerschaft ‚verschluckt‘ Der Predigtanfänger auf der ersten Stufe nimmt sich vor, eine gute Predigt (sekkyō 説教) zu halten, sucht sich Material aus Büchern zusammen, die als Gleichnisse (hiyu 譬喩) und karmische Beispielgeschichten (innen 因縁) dienen können. Er gibt sich sehr viel Mühe beim Aufbau der Predigt, indem er die Teile sandai (讃題), hōmon (法門), yu (喩), innen (因縁) und kekkan (結勧) zu einem schönen Text ausarbeitet, so dass nichts fehlt und er die Predigt überall halten kann, ohne sich dafür schämen zu müssen. Dann steigt er mit Selbstvertrauen auf das Rednerpult. Da sieht er unter den Zuhörern vielleicht andere Prediger (sekkyōsha 説教者) oder sehr gebildete und vornehme Männer, und aus lauter Befangenheit bricht sein schöner Redeaufbau zusammen. Der Puls erhöht sich und vor lauter Nervosität spricht er immer schneller und kann am Ende die Predigt nicht mehr zufriedenstellend zusammenbinden. Das ist der Prediger auf der ersten Stufe, der von der Hörerschaft „verschluckt“ wird. 2. Stufe: Von der Predigt (sekkyō 説教) ‚verschluckt‘ Der Prediger merkt, dass er trotz des sehr gelungenen Predigtaufbaus nicht gut reden konnte und sieht die Ursache dafür in der mangeln204

R. Endō 81994, 223–229. Diese zehn Stufen gehen auf den nicht näher zitierten bereits verstorbenen Tsubaki Ryōgi 椿原了議 zurück. Ich gebe den Text von Ryōgi hier in zusammenfassender Übersetzung wieder.

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den Beachtung der Sprache. In der Absicht, genau auf seine Sprache zu achten, wendet er planlos seine ganze Kraft allein an die Formulierung der Rede. Aber das führt nun dazu, dass die Hörer selbst von den doch wesentlichen Teilen hiyu und innen gelangweilt werden und die Rede unnötig lang wird. Dadurch produziert der Prediger zu viel Speichel, wird nervös, seine Stimmlage erhöht sich. Danach wird er müde, und die Zunge bewegt sich nicht mehr wie erwartet, während er immer schneller spricht. Die Zuhörer nicken die Predigt nur noch ab, und auf ihren Gesichtern steht zu lesen, dass sie auf ein baldiges Ende der Predigt hoffen. Hier wurde der Prediger von seiner Predigt verschluckt. 205 3. Stufe: Von der Redekunst (ben 弁) ‚verschluckt‘ Dass der Versuch auf der zweiten Stufe missglückte, lag daran, dass sich der Prediger nur auf Ausdrücke und Formulierungen konzentrierte. Diesmal verlegt er sich ganz auf die Redekunst und verbessert seine Fähigkeiten, indem er Literatur studiert und andere Prediger hört, um von ihnen zu lernen, etc. Nun ist seine Predigt eine brillante Rede geworden, aber die Lehre (hōmon 法門) kann überhaupt nicht deutlich werden. Sie rollt wie ein Schleifstein die Straße hinab und kann keinen Eindruck hinterlassen. Der Hörer folgt der brillanten Rede zwar interessiert, kann sich aber hinterher an den Inhalt nicht mehr erinnern, und es entsteht weder Dankbarkeit noch Freude. Deshalb wird er auch das nächste Mal nicht mehr zur Predigt kommen. Das ist die dritte Stufe: von der Redekunst „verschluckt“. 4. Stufe: Die dozierende Predigt Obwohl der Prediger auf der dritten Stufe Aufbau, Ausdruck und Rede gemeistert hat und sich wie ein großer Redner fühlt, fällt die Kritik der Mit-Praktizierenden (dōgyō 同行) nicht gut aus. Der Grund hierfür liegt in der fehlenden „Frucht“ (mi 実) der Predigt. Und so stürzt sich der Prediger diesmal mit aller Kraft auf die Lehre, gebraucht neue Begriffe und macht die wissenschaftliche Auslegung zur Hauptsache. So wird es eine dozierende Predigt (kōshakuteki-sekkyō 講釈的説教). Diesmal fühlt sich der Prediger wie ein großer Meister, kritisiert viele andere Predigten als billige Anbiederung (baidan 売談) und meint selbstgefällig, er allein vertrete die wahre Lehre und predige recht. Diesmal wird seine Predigt von den Mit-Praktizierenden zwar recht gelobt, aber trotzdem kommen sie nicht mehr, um ihn zu hören. Die Predigt ist noch unausgereift. 205

Eigentlich müsste es hier sachgemäßer heißen, von Formulierungen verschluckt.

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5. Stufe: Allgemeinverständlichkeit und keine langen Zitate Trotz der gelobten Predigt bleiben die Hörer das nächste Mal aus, weil sich der Prediger auf der vierten Stufe als Gelehrter aufgespielt und viele unverständliche Begriffe und Fachtermini gebraucht hat. Hier taucht die Notwendigkeit von „Übersetzungsworten“ (yakugo 訳語) auf. Fachtermini müssen so übersetzt werden, dass sie für jeden allgemein verständlich sind (tsūzokuka 通俗化). Ebenso sind lange Zitate zu vermeiden. 6. Stufe: Das Herz der Zuhörerschaft kennen Bisher erreicht der Prediger das Herz der Zuhörer manchmal, manchmal aber auch nicht. Die Zuhörer freuen sich manchmal, manchmal aber auch nicht. Der Prediger ist noch nicht in der Lage, gute Predigten auf einem gleichmäßigen Niveau zu halten. Das liegt daran, dass er die Situation der Hörer nicht richtig unterscheiden kann und ihr Herz nicht kennt. Man muss die Fähigkeit der Hörer den dharma aufzunehmen gemäß shukuzen-mushukuzen prüfen und soll dementsprechend den dharma weitergeben. 206 Es ist also wichtig im Blick auf die Hörer diese Unterscheidung zu treffen und den dharma der Situation gemäß zu verkünden. In einem Gebiet, wo es viele Shin-Gläubige gibt, braucht man nicht lange anhand von Gleichnissen und karmischen Beispielgeschichten zu sprechen. Wo allerdings an einem Ort viele Zuhörer versammelt sind, die vom buddha-dharma noch nicht berührt sind (mubuppō no ki no ōku atsumaru tokoro nite wa 無仏法の機の多く集まる処 にては), ist es wichtig, dass man die Rede von shinjin zurückstellt und von einer anderen Seite her die Predigt voranbringt, indem man über die Notwendigkeit des Glaubens (shinkō 信仰), die über alles wichtige Bedeutung des nächsten Lebens und die Freude am Glaubensleben (shinkō-seikatsu no tanoshisa 信仰生活の楽しさ) predigt. Ein weiterer Grund, warum eine Predigt mal gut und mal schlecht ist, liegt daran, dass zwar das eigene Herz in die Predigt, nicht aber die Predigt in das eigene Herz gelegt wird. Man muss also Zeit und Situation unterscheiden können und den dharma vollständig ins eigene Herz legen, um die sechste Stufe zu meistern. Trotzdem ist diese Stufe noch nicht vollkommen, weil man das Herz der Zuhörer nur manchmal trifft und manchmal nicht.

206 Ohne

den Namen zu nennen, wird nun der bekannte Satz von Rennyo über shukuzen-mushukuzen zitiert (vgl. dazu den Abschnitt über shukuzen mushukuzen weiter oben).

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7. Stufe: Das Herz der Hörer erreichen Nun hat der Prediger zwar den dharma ganz in seinem Herzen, aber es gelingt ihm nur manchmal oder auch gar nicht, „sein Herz, in dem der dharma ist, in die Brust der Hörer zu legen.“ Warum ist das so? Weil er sich immer noch bemüht, den Hörer die Wahrheit fühlen zu lassen. Ein Schauspieler litt darunter, dass er seine Zuschauer nicht zu Tränen rühren konnte, obwohl er sich jahrelang sehr bemühte. Dann dachte er, wenn er selbst weinen würde, dass die Zuschauer dann dadurch angesteckt und auch weinen würden. So wandte er seine Phantasie und Geschicklichkeit an diese Aufgabe. Aber auch jetzt weinten seine Zuschauer nicht. Es wird berichtet, dass der Schauspieler daraufhin aufhörte, sich überhaupt Gedanken zu machen, ob er seine Zuschauer zum Weinen bringen würde oder nicht, sondern widmete sich ganz selbstvergessen seinem Schauspiel – und rührte damit alle Zuschauer zu Tränen. Solange der Prediger nicht eins wird mit den Zuhörern und sozusagen von oben herab predigt, weil er (wie auf der sechsten Stufe) sich nur auf das Hörenlassen der Predigt konzentriert, wird er das Herz der Hörer nicht erreichen. Demgegenüber ist er auf der siebten Stufe schon sehr weit fortgeschritten, denn er steigt von seiner erhöhten Position herab und setzt sich mit den Hörern auf denselben Platz (chōshū to dōza 聴衆と同座). Trotzdem ist es noch keine vollkommene Predigt. 8. Stufe: Die Unterscheidung von eigenen und fremden Worten Auf der siebten Stufe müssen sich die Hörer noch bemühen zuzuhören, weil der Prediger zwischen seinen eigenen Worten und den Worten anderer unterscheidet (jigo tago no bunbetsu 自語他語の分別). Wenn er z. B. bei innen von Sariputras Weisheit erzählt und ständig erwähnt, wie früher Sariputra dieses und jenes sagte, so ist es durch diese Erklärungen das Wort eines anderen. Auf der achten Stufe macht der Prediger das Wort eines Dritten zu seinen eigenen Worten. Er wird selbst zu Sariputra, so dass dadurch dessen Worte gegenwärtig und anschaulich werden und nicht wie Worte aus längst vergangener Zeit klingen, die das Herz der Zuhörer nicht ergreifen können. Trotzdem ist diese Stufe noch nicht vollkommen, da der Prediger das Herz der Zuhörer noch nicht ganz auf sich lenken kann. 9. Stufe: Predigt als Dialog mit dem Hörer Dass der Prediger das Herz der Zuhörer noch nicht ergreifen und frei mitnehmen kann, ist darin begründet, dass er nicht zwischen Monolog und Dialog unterscheidet (dokugo-tsuigo no bunbetsu 独語対語の

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分別). Dialog heißt, bei den Zuhörern Wort für Wort im Herzen eine Antwort hervorzurufen. Während beim Monolog der Hörer die Dinge „vorbeirauschen“ lässt, als ob sie ihn nichts angingen, ist er bei einem Dialog ganz engagiert und hat auch keine Möglichkeit, während des Hörens seine Aufmerksamkeit von anderen Dingen gefangen nehmen zu lassen. Wer die Herzen der Hörer so mitnehmen (tsuremawaru 連れ 回る) kann, der ist schon in einen geheimnisvollen Bereich fortgeschritten, aber noch nicht vollkommen, denn er muss sich immer noch sehr bemühen und ist bei der Predigtarbeit mal tapfer und mal verzweifelt. 10. Stufe: predigen und dabei vergessen, dass man predigt Dass das Predigen viel Mühe macht und noch nicht leicht fällt, liegt daran, dass die Predigt immer noch „über dem Herzen“ (kokoro no ue 心の上) ist, d. h., man ist sich beim Besteigen des Rednerpultes bewusst, dass man jetzt eine Predigt halten wird. Stattdessen soll man die „Predigtsache“ völlig vergessen und überhaupt nichts im Kopf haben (nentō ni sara ni naku 念頭に更になく) als allein das sandai 讃題 aus dem Gedanken an die Verehrung zu empfangen und sich danach zum Predigtsitz (zashiki 座敷) wenden und in der Haltung des Dialogs auf natürliche Weise beginnen, wie man es bis zur neunten Stufe trainiert hat. Dann ergeben sich auf natürliche Weise die drei Punkte des jo-hakyū 序破急. 207 Als jo 序 bezeichnet man den langsamen und ruhigen Beginn, der die Grundlage der Predigt bildet. Ha 破 bildet den Mittelteil, in dem Emotionen zum Ausdruck gebracht werden, und kyū 急 (Heftigkeit, Betonung) gemäß der jeweiligen Rede den schneller gesprochenen Schlussteil. Aber weil man selbst vergessen hat, dass es sich um eine Predigt handelt, müht sich das Herz nicht, und die Stimme ermüdet nicht, und man kann gleicherweise sprechen, ob es sich um eine voll besetzte Halle handelt oder ob man vor vier oder fünf Leuten predigt. Das ist das Geheimnis der zehnten Stufe.“ Selbstredend sind diese „Zehn Stufen zur vollkommenen Predigt“ nicht als konsekutiv abzuschreitende Entwicklungsphasen in einem temporalen Sinn zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um eine didaktische Beschreibung, die nicht ohne humorvoll-ironischer Färbung ist. Das Grundthema ist jedoch in allen Stufen das Verhältnis von Predigt207

Jo-ha-kyū ist ein Begriff der in den traditionellen japanischen Künsten Musik, Schauspiel, Puppentheater u. a. beheimatet ist und hier auf den Aufbau und die Dynamik der Predigt übertragen wird. Oft wird der Begriff auch unspezifisch für einen dreiteiligen Aufbau gebraucht.

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kunst, in der sich das Subjekt bemüht (jiriki), eine gute Predigt zu halten – und gerade diese Bemühung das Ziel der Predigt konterkariert. Jede absichtsvolle Bemühung schafft eine kontraproduktive Distanz zwischen Prediger und Hörer. Am Klarsten kommt das in dem Beispiel des Schauspielers zu Ausdruck, der – solange er sich bemüht, das Publikum zu Tränen zu rühren – erfolglos bleibt. Erst als er selbstvergessen ganz im Spiel aufgeht, tritt der gewünschte Effekt ein. Sozusagen in absichtsloser Absicht. Gleiches gilt für den Prediger, der gerade dann sein Ziel erreicht, wenn er eins mit dem Hörer wird und vergisst, dass er predigt – und so ganz durchlässig wird das Wirken der Anderen Kraft.

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin – Analyse ausgewählter hōwa nach Form und Inhalt 11.1 Methodische Vorbemerkung Nachdem die Grundzüge religiöser Rede bei Jōdo-shinshū in ihrer geschichtlichen Entwicklung und anhand repräsentativer Gegenwartsdarstellungen ihrer Theorie und Praxis erarbeitet wurden, kann nun aufgrund der damit gegebenen genuin shin-buddhistischer Kriterien eine inhaltliche und rhetorische Analyse religiöser Reden bei Ōtani Kōshin vorgenommen werden. Das dieser Untersuchung zugrunde liegende Korpus besteht aus insgesamt 67 hōwa, die in den drei bereits genannten Bänden veröffentlicht sind. Davon sind sieben hōwa übersetzt und genauer analysiert. Kriterien für die Auswahl bildeten dabei das explizite Thema von shinjin, die Auswahl von mindestens zwei hōwa aus jedem Band, sowie die Übereinstimmung mit dem Gesamttitel der hōwaSammlung, die damit als repräsentativ gelten können. Der Fokus der Analyse liegt auf der Frage nach dem Verhältnis von shinjin und religiöser Rede in inhaltlicher und formaler Hinsicht. Den ersten Schritt bildet jeweils eine Übersetzung des japanischen Originals der Reden, gefolgt von einer dichten Beschreibung. Da die erste Rede einer exemplarischen Detailanalyse unterzogen wird, ist die Übersetzung im Haupttext wiedergegeben. Die übrigen Übersetzungen finden sich im Anhang.

11.2 Biographische Notiz Ōtani Kōshin (大谷光真), 1945 in Kyōto geboren, wurde 1960 fünfzehnjährig zum Priester und zukünftigen monshu geweiht (shinmon 新 門). Er studierte an der Tōkyō-Universität indische Philosophie (M. A. 1969) und an der mit Honganji-ha verbundenen shin-buddhistischen

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Ryūkoku-Universität in Kyōto Shin-Buddhismus (shinshū-gaku 真宗 学, M. A. 1969). 1977 trat er sein Amt als 24. monshu (門主), als Abt von Honganji-ha an. Seine Aufgabe besteht in der Traditionssicherung, Wahrung der Einheit und Repräsentation der Denomination.1 Der monshu, dessen Amt als religiöses Oberhaupt erblich ist, ist zugleich Hauptpriester (jūshoku 住職) des Nishi-Honganji. Zu seinen Veröffentlichungen zählen vor allem hōwa-shū (Sammlungen religiöser Reden 法話集), die als monshu-hōwashū vom 宗務事業局 shūmu-jigyōkyoku, dem Verwaltungsamt von Honganji-ha, veröffentlicht werden (siehe die Aufstellung in 10.5.4).

11.3 Überblick über die Themen in den religiösen Reden von Ōtani Kōshin Der erste Band aus dem Jahr 1983 (52000) ist mit negai ni kotaeru jinsei 願いに応える人生 (etwa: „Leben in Antwort auf das Urgelübde“; identisch mit dem Titel von Hōwa Nr. 15) betitelt. In diesem Titel wird bereits angedeutet, dass es um die aus dem Vertrauen auf das Urgelübde Amidas folgenden Konsequenzen im praktischen Lebensvollzug geht, die sozialethische Komponente also bereits mitschwingt. Immer wieder setzt sich Ōtani mit dem Missverständnis auseinander, die Lehre von der Anderen Kraft (tariki) und der Errettung allein durch das nembutsu, bzw. durch shinjin, führe zu einer ethischen Indifferenz und einer passiven Haltung gegenüber der aktiven Lebensgestaltung zum Wohl der Allgemeinheit. Einen Heilsindividualismus, dem es nur um die persönliche Errettung und die Hingeburt im Reinen Land ankommt, weist er immer wieder betont zurück. Die Überschriften der einzelnen religiösen Reden, die zugleich Themenangaben sind, bewegen sich ganz in traditioneller shin-buddhistischer Terminologie. Wenn etwa über die Bezeichnung „Jōdoshinshū“ oder die Bedeutung von „Religion des Hauses“ (i. e. der religiösen Familientradition) und den Sinn von hōonkō nachgedacht wird, so geht es dem Prediger dabei bewusst um die Stärkung und Erneuerung der Shin-Tradition zunächst unter eher traditionellen Anhängern. Dieser Aspekt kommt auch in den Erläuterungen der Tradition in den hōwa-Einleitungen zum Tragen, die regelmäßig auf den Kasus Bezug nehmen. In diesem Kontext kann man auch die Erläuterung und Klärung zahlreicher Fachtermini in den religiösen Reden verstehen. 1

Vgl. SKJ 175.

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Diese oft aus mehreren Schriftzeichen zusammen gesetzten Termini shin-buddhistischer Lehre werden nicht aufgegeben oder durch andere, heute leichter verständliche Begriffe ersetzt. Zum Erfassen von Jōdo-shinshū gehört ganz offensichtlich auch eine „Sprachschule“. Dass die traditionelle Begriffssprache heute große Schwierigkeiten für die Kommunikation der Botschaft von Jōdo-shinshū darstellt, bildet ein durchgängiges Thema von Ōtanis religiösen Reden, und ist auch im Zusammenhang mit der missionarischen Intention der Verkündigung zu sehen. 2 Ein weiteres Charakteristikum der Reden Ōtanis im Horizont von Gegenwartsbezug und Glaubensverbreitung ist die implizite und oft auch explizite Auseinandersetzung mit dem Christentum. Dabei geht es Ōtani meist darum, durch einen Vergleich die Konturen von Jōdo-shinshū im Unterschied zum Christentum herauszustellen.3 Das Problem semantischer Klärungsbedürftigkeit wird bereits im Titel des zweiten Bandes von 1992 thematisiert: satori und shinjin. Der Buchtitel ist der Überschrift der zweiten hōwa entnommen, in der die Bedeutung von shinjin im Vergleich mit satori (dem zentralen Begriff des Zen) ausführlich und leicht verständlich erläutert wird.4 Wie bereits im ersten Band spielt auch der Begriff des Lebens eine große Rolle. Wurde dort zunächst eher abstrakt über die Bedeutung von Leben und den Wert des Lebens reflektiert, so wird in Band zwei nach der Bedeutung von nembutsu im Alltagsleben gefragt oder der Wunsch nach Frieden der Menschheit, die Rolle der Frau bei Jōdo-shinshū und Jōdo-shinshū in der gegenwärtigen Gesellschaft thematisiert und der Gegenwartsbezug von Jōdo-shinshū betont. Dabei finden sich auch immer wieder religiöse Reden, die ausdrücklich die Verbreitung von Jōdo-shinshū aufgreifen. 2

3

4

Die Frage der Übersetzungsmöglichkeit und -notwendigkeit shin-buddhistischer Fachtermini und der Wunsch nach Allgemeinverständlichkeit wird auch von Hirose Takashi 廣瀬杲, ehemaliger Professor und Präsident an der shin-buddhistischen Ōtani-Universität/Kyoto, problematisiert. In seinen „Lectures on Shin Buddhism“ schreibt er: „A word, any word, is functional only when it has life. Thus even the most ancient of words, if they are in this sense alive, may be called ‘modern’. If it strikes a responsive chord in us at this very moment, it qualifies as a word for today. Technical vocabulary must be regarded in this way. A technical term which elicits no response in us is, for all intents and purposes, a dead word, and as such there is no way to revive it regardless of how much it is modernized“ (T. Hirose 21999, 20). Diese Ausführung erinnern stark an Paul Tillichs Theorie religiöser Sprache und deren kommunikativer Funktion. Dabei ist Ōtani nicht immer ganz frei von polemischen Untertönen, die jedoch mehr auf einer allgemeinen Wahrnehmung des Christentums als auf genauerer Kenntnis der Inhalte beruhen. Hier gibt es durchaus vielversprechende Ansatzpunkte für einen künftigen Dialog. Diese hōwa wurde bereits im Kapitel über shinjin in Abschnitt 8.3.3 analysiert.

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Im dritten Band makoto no yorokobi まことのよろこび („Wahre Freude“) von 2001 (42005), findet das Thema der Glaubensverbreitung besonders in den Reden „Wahre Buddha-Jünger“, „Dieseseits und Jenseits des Meeres ohne Unterschied“ oder „Die Zukunft von Jōdoshinshū“ Aufnahme. Auch mit der Friedensthematik befassen sich ausdrücklich zwei religiöse Reden. Neben den genannten Themen finden sich in allen drei Sammlungen regelmäßig die Stichworte „Hören“, „Wahrheit“, „nembutsu“, „Licht“, „shinjin“, „Barmherzigkeit“ und „Errettung“, die den traditionellen religiösen Kern der hōwa bilden. Im Zusammenhang mit shinjin und nembutsu wird jeweils ausdrücklich deren Exklusivität in der Überschrift betont: „Allein durch shinjin wird man gerettet“ (hōwa 32); „Allein durch shinjin gerettet werden“ (hōwa 54); „Der einzige Weg des nembutsu“ (hōwa 45). Für den Blick von außen auffällig und interessant ist die Beobachtung, dass Amida, die zentrale Gestalt bei Jōdo-shinshū, nur in einer einzigen hōwa-Überschrift explizit genannt wird, und zwar im Zusammenhang mit dem Urgelübde (hōwa Nr. 64).5

11.4 Exemplarische Übersetzung und Detail-Analyse 11.4.1 Übersetzung der hōwa „Allein durch shinjin wird man gerettet“6 Versammlung zur Erstattung der Dankespflicht an den Gründer der Schule (1) Auch dieses Jahr konnten wir ungehindert den großen Vorabend (ōtaiya 大逮夜) der Wiederkehr des Todestages [Shinrans, Anm. d. Verf.] mit Lehrvorträgen (shōki-hōonkō 正忌報恩講) begehen. Es ist eine große Freude, diesen Anlass zusammen mit den Priestern, die ihrer Aufgabe gemäß gekommen sind, und allen Tempelbesuchern zu begehen. Es nicht nötig zu erwähnen, dass der 28. November (seit der Erneuerung des Kalenders in der Meji-Ära der 16. Januar) jedes Jahr aus Anlass der Geburt des heiligen Shinran im Reinen Land (往生 ōjō) hōonkō-Vorträge in einer vollbesetzten Tempelhalle veranstaltet werden. Hōonkō bedeutet „Versammlung zur Erstattung der Dankespflicht an den heiligen Gründer der Schule“. 5 6

Vgl. dazu die Erläuterung zu hōwa Nr. 14. K. Ōtani 1992, 80–84, hōwa Nr. 32. Die Ziffern in Klammern geben den jeweiligen Absatz der Rede an.

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(2) Durch die Mühen des Heiligen durften wir der Jōdo-shinshū Lehre vom nembutsu (念仏) begegnen. Indem wir diese Tugend/Gnade7 preisen, und auch durch das Preisen der Tugend des Heiligen wird es zu einer Gelegenheit, die Tugend des Amida-Nyorai 8 zu preisen, der/die uns errettet.9 (3) Wie Sie alle oft gehört haben, hat uns Rennyo-shōnin in seinen Gobunshō (O-fumi) über hōonkō unterrichtet. Darin ermahnt er, „das wahre Wesen von goon-hōsha (ご恩報謝, Dankerstattung) zum Ausdruck zu bringen und fordert damit zusammen ein: „Wer noch nicht zur Freude am nembutsu gelangt ist, der soll in diesen sieben Tagen die Lehre richtig empfangen. Werde jemand, der shinjin empfängt!“ Dasselbe wiederholt er mehrfach. (4) Wenn man das bedenkt, dann ist es diesem Anlass angemessen, die eigene Lebensweise zu reflektieren und auch das nembutsu zu sagen. (5) Des Weiteren fällt nach dem neuen Kalender hōonkō mit dem Jahresanfang zusammen, wobei wir auf das vergangene Jahr zurückblicken, um das Neue Jahr mit ganzer Kraft anzugehen. Zu diesem Zweck sollen wir zur Lehre (mi-oshie 御教え) aufblicken. (6) Vorhin haben wir alle zusammen die o-tsutome (お勤め) vollzogen10 und dabei das shōshinge rezitiert. Davor haben wir das sōjo (総序) intoniert, ein Abschnitt in kanbun. Dieser Abschnitt ist das Vorwort zu dem bedeutendsten Werk Shinrans, an das er die meiste Kraft gewandt hat, es ist der Anfang des Kyōgōshinshō. Dort heißt es (7) „Wenn ich bei mir selbst überlege: Das universale Gelübde, das schwierig zu ergründen ist, ist ein großes Schiff, das uns über den schwer zu überquerenden Ozean bringt. Das ungehinderte Licht (muge no kōmyō 無碍の光明) ist die Sonne der Weisheit (enichi 恵 日)11, welche die Dunkelheit unserer Ignoranz (mumyō no an 無明の 闇) vertreibt.“ 7

8 9 10

11

Der Begriff toku 徳 kann in diesem Kontext sowohl Tugend als auch Gnade (恩恵 onkei) bedeuten, vgl. IBDJ, s. v.; in der englischen Übersetzung der CWS wird toku mit „benevolence“ wiedergegeben. Amida wird hier nicht als Bodhisattva (jap. bosatsu 菩薩) bezeichnet, sondern als vollendeter höchster Buddha, als nyorai (d. h. als So-Gegangener skr. tathāgata). Die Wendung ist Doppeldeutig, Subjekt der Errettung kann sowohl Amida als auch Tugend/Gnade sein. Der Aufbau einer Predigtversammlung gohōza (ご法座) ist in die liturgische Rezitation von kanonischen Texten – die in der Regel aus kanbun (japanisch ausgesprochene chinesische Texte) bestehen – und die hōwa zweigeteilt, vgl. zum Aufbau Abschnitt 10.12. Das Schriftzeichen 恵 (chin. Lesung „e“; jap. Lesung „megumi“) bedeutet „Gnade“. Der normale Japaner versteht „enichi“ als „Gnadensonne“. Das ursprüngliche Kanji für Weisheit, das auch in buddhistischen Texten in der Regel gebraucht wird,

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(8) Mit diesem Satz beginnt das Kyōgyōshinshō. (9) Das unermesslich große Urgelübde (hongan 本願) Amida-Nyorais ist ein großes Schiff, das uns dieses schwer zu überquerende Meer überqueren lässt, das Licht Amidas, das durch nichts gehindert werden kann, ist die Sonne der Weisheit, welche die Dunkelheit unseres Lebens zerstört, die wir keine Weisheit haben und von Leiden/Leidenschaften (bonnō 煩悩)12 erfüllt sind. So heißt es hier. Shinran-shōnin beschreibt hier mit sehr schönen Worten die Freude eines Lebens, das auf dem Schiff des universellen Gelübdes fahren darf und vom Licht Amidas erleuchtet gelebt wird. (10) Ohne Zweifel ist unser Leben so ein schwer zu überquerendes Meer, ein stürmisches Meer, in dem es für das Auge unsichtbare seichte Stellen gibt, auf denen das Schiff vielleicht aufsitzt; es ist ein schwieriges Meer. Über dieses Meer möchte ich durch die Führung Amidas auf dem Schiff des Urgelübdes mit reichem Herzen bis ins Reine Land gebracht werden. (11) Die annehmende Barmherzigkeit13 , die nicht verwirft Der wichtigste Punkt, um den sich unser Gründer Shinranshōnin am meisten gemüht hat, ist die Rettung allein durch shinjin, allein durch namu-amida-butsu.

12

13

ist 慧 (skr. prājña), das ebenfalls „e“ gelesen wird. In einer Nebenbedeutung hat jedoch auch 恵 die Bedeutung „Weisheit“. In den Ausgaben des Jōdo-shinshū Seïten von Honganji-ha und Ōtani-ha wird an dieser Stelle 恵 verwendet, und die offizielle englische Übersetzung lautet „sun of wisdom“ (CWS I, 3). Es ist zu überlegen, ob sich in diesem Gebrauch der Kanji die Identität von Mitleid und Weisheit im Mahāyāna reflektiert. In der Ausgabe des Kyōgōshinshō von Daiei Kaneko 大榮金子 findet sich die Schreibweise 慧日. Bonnō (skr. klésha) ist ein zentraler Begriff im Buddhismus, der mit Leiden bzw. Leidenschaften nur unzureichend wiedergegeben werden kann. Das erste kanji setzt sich aus den Elementen „Feuer“ und „Haupt“ zusammen und bedeutet „Leiden, Kummer, Sorge, Unruhe“ ; das zweite besteht aus den Elementen „Herz“ und „Kopf“ und bedeutet Leiden im weitesten Sinn (einschließlich Unzufriedenheit). H. Inagaki definiert ihn als „mental functions which disturb and pollute the mind and body; evil passions“ (DJBT, s. v.). Es handelt sich hauptsächlich um eine Verunreinigung des Bewusstseins durch die drei Grundübel Unwissenheit, Begierde und Hass. Im ursprünglichen Buddhismus galt es, durch die Überwindung von klésha aus dem samsāra befreit zu werden und das nirvāna zu erlangen. Im Mahāyāna wurde diese Sicht durch die Lehre von śūnyatā (Leere: samsāra = nirvāna) reinterpretiert. So lehrt Shinran, dass man das nirvāna erlangt, ohne klésha zu überwinden (fudanbonnō-toku-nehan 不断煩悩得涅槃). Ōtani kontrastiert hier bonnō mit Weisheit (chie 智慧 = transzendentale Weisheit Buddhas). Jap. jihi 慈悲 gehört mit Weisheit (chie 智慧) zu den beiden Wesensmerkmalen eines Bodhisattva und steht in engem Zusammenhang mit upāya/hōben 方便 und den „Zwei Wahrheiten“. Barmherzigkeit und (transzendentale) Weisheit sind identisch. Im Blick auf die gewöhnliche Wahrheit (jap. zokutai 俗諦, skr. samvrti-satya) erscheint sie als Barmherzigkeit, vom Standpunkt der absoluten Wahrheit (jap. shintai 真諦, skr. paramārtha-satya) als Weisheit (vgl. Kapitel 9 über die „geschickten Mittel“).

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(12) Das wird durch die Begriffe genshō-shōjōju (現生正定聚) oder heizei-gōjō (平生業成) zum Ausdruck gebracht.14 Das bedeutet, dass es nicht das Problem ist, ob im letzten Moment, kurz bevor man diese Welt verlässt, die Geburt im Reinen Land (ōjō 往生) bestimmt wird (sadamaru 定まる); vielmehr wird unabhängig von Zeit und Ort, jetzt, hier, indem man jemand wird, der nembutsu empfängt, die Geburt im Reinen Land bestimmt. (13) Das ist sesshu-fusha (摂取不捨), das Eingehülltsein in die Barmherzigkeit (jihi 慈悲) Amidas, die ergreift/annimmt und nicht verwirft. Hier dürfen wir die Bedeutung des Lebens in seiner Tiefe erfahren und auskosten15. Ich wünsche uns, dass wir jeden Tag die wunderbare Tatsache genießen dürfen, dass wir in die Barmherzigkeit Amidas hineingenommen sind. (14) Wenn wir auf das vergangene Jahr zurück blicken und die Ereignisse in Japan reflektieren, dann gab es viele das menschliche Herz16 betreffende traurige Ereignisse. (15) Gewiss gab es auch Unglücksfälle wie Naturkatastrophen, gegen die keine menschliche Macht etwas ausrichten kann. Aber es gab auch nicht wenige Probleme, die das menschliche Herz betreffen. Schwache Kinder, die von Gleichaltrigen drangsaliert werden, oder die Schadenfreude beim Anblick des Unglückes eines Anderen zum Beispiel. (16) Das hängt alles mit dem Problem unseres menschlichen Herzens zusammen. Wenn sich die Leere im menschlichen Herzen ausbreitet, und wenn wir nichts haben, woran wir uns wirklich freuen können, dann versuchen wir zum Beispiel die Freude am eigenen Leben zu erfahren, indem wir andere niedertreten oder uns am eigenen Glück freuen, indem wir das Unglück anderer ansehen. Das wird ein bedauernswertes Leben. (17) Das vergangene Jahr hat uns fühlen lassen, wie notwendig es doch ist, das wahre Herz Amidas, das nembutsu zu empfangen. Auch 14

15 16

Das heißt, dass nicht erst in der Sterbestunde, sondern bereits in der Gegenwart die Gewissheit der Wiedergeburt im Reinen Land erlangt wird, sobald durch tariki shinjin erlangt wird. Das japanische ajiwau 味わう, wörtl. „schmecken“ ist in der Übersetzung mit „kosten, auskosten, genießen, erfahren“ wiedergegeben. Der japanische Begriff kokoro 心, der im Deutschen mit „Herz“ wiedergegeben wird, hat eine große semantische Breite (Herz, Seele, Geist, Gemüt, Sinn, Gefühl, vgl. Shinzinger s. v.). Im Kontext des Buddhismus muss beachtet werden, dass kokoro die Übersetzung für das Sanskritwort citta (Bewusstsein) ist und auch kognitive, emotive und affektive Funktionen umfasst (vgl. IBDJ s. v.). Im Englischen wird kokoro oft mit „mind“ übersetzt. In dieser religiösen Rede wird das menschliche „Herz“ dem „Herzen“ Amidas gegenübergestellt.

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in diesem Sinne dient der heutige Tag dazu, das wahre Herz Amidas noch einmal zu kosten, welches im „namu-Amida-butsu“, dem nembutsu, das uns gegeben ist, konkret wird. Ich freue mich über die Gelegenheit, dieses Fest des Gedenkens an den Todestag Shinrans gemeinsam mit Ihnen begehen zu dürfen, und über die Tatsache, auch in Zukunft in erneuerter Weise zusammen mit dem Nembutsu mit aller Kraft leben zu dürfen. shōwa 61 [1986] goshōki-hōonkō goshinkyō.“

11.4.2 Detail-Analyse Anlass und ritueller Bezug Diese hōwa (goshinkyō ご親教) wurde im Januar 1986 am Vorabend des Todestages Shinrans (ōtaiya 大逮夜) beim hōonkō in Kyōto gehalten, dem Höhepunkt des Festkalenders bei Jōdo-Shinshū. Über sieben Tage werden Predigtversammlungen abgehalten, die in tiefer Dankbarkeit an den Gründer Shinran und seine Lehre erinnern. Aus dem ganzen Land strömen die Festpilger zum Haupttempel (honzan 本山) in Kyōto, und die ganze Atmosphäre ist von tiefer Frömmigkeit geprägt. Man darf sich dabei die Haupthalle des Nishi-Honganji-Tempels mit mehreren hundert Zuhörern voll besetzt vorstellen. Die Predigtversammlung ist zweigeteilt in o-tsutome und hōwa. Bei der o-tsutome wurden Texte aus dem Shōshinge und das Sōjo des Kyōgōshinshō intoniert. Letzteres bildet die Textgrundlage der hōwa. Schlüsselwörter – Shinjin kommt nur an drei (aber entscheidenden) Stellen vor: in der Predigtüberschrift, welche die Exklusivität des Heils durch shinjin konstatiert, in dem Zitat aus Rennyos O-fumi (mit der Aufforderung, shinjin zu empfangen), in der das Ziel der Predigt formuliert wird, und schließlich im ersten Satz des zweiten Predigtteils, der inhaltlich die Aussage der Predigtüberschrift aufnimmt. – „gerettet werden“ (sukuwareru 救われる) 3 × (1 × im Predigttitel und 1 × am Ende des Einleitungsteiles, 1 × im ersten Satz des zweiten Predigtteiles) – Nembutsu (9 × inkl. der Formel namu amida butsu) – Hōonkō 5 × im Einleitungsteil und 1 × im letzten Satz – „Lehre“ 3 × im Anfangsteil – Shinran 7 × inkl. Ehrennamen

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– Amida (– Nyorai) (9 ×) Im ersten Teil der Predigt überwiegt die Nennung Shinrans, was sich aus dem Kasus erklärt, im zweiten Teil überwiegt die Nennung Amidas. Die Bewegung geht also von Shinran, dem heiligen Gründer der Jōdo-shinshū, zu Amida und seiner Weisheit und Barmherzigkeit. Diese Bewegung wird dadurch vorbereitet, dass bereits das Lob Shinrans zu einer Gelegenheit des Lobes Amidas und seiner Tugend/Gnade wird. – Weisheit: 3 × am Ende des ersten Predigtteils (1 × im Zitat und 2 × in der Erläuterung des Zitates) – „Barmherzigkeit“ 3 × im zweiten Predigtteil – „Freude/freuen“ 8 × – „Herz“ 8 × (1 × am Ende des ersten Predigtteils; 7 × im Schlussteil; 6 × menschliches Herz, 2 × Herz Amidas); auch hier lässt sich eine Bewegung erkennen vom menschlichen Herzen zum Herzen Amidas, damit zugleich zur Freude. Die Freude am nembutsu, die bereits im Rennyo-Zitat angesprochen wurde, bildet den Schluss der Predigt. – „erfahren/schmecken“ 4 × bezogen auf Tugend/Barmherzigkeit Amidas, Bedeutung des Lebens, wahres Herz Amidas Aufbau und Inhalt Die Struktur der Hōwa ist bestimmt vom Predigtziel: Wer noch nicht die Freude am nembutsu empfangen hat, soll die Lehre recht empfangen, er soll jemand werden, der shinjin empfängt. Die Bewegung geht dabei von der reflektierenden Rückschau zum Aufblick, von Shinran zu Amida, von der menschlichen Unheilssituation zum nembutsu. In zunächst konzentrischen Kreisen geht der Weg von „Außen“ nach „Innen“. Die zwei Verben, welche die geforderte Aktivität des Zuhörers beschreiben, sind „reflektieren“ (kaerimiru 省みる) und „aufblicken“ (aogu 仰ぐ). Reflektiert werden soll die eigene Lebensweise; aufblicken soll der Hörer zur Lehre. Verschränkt wird dies mit dem Jahreswechsel, der seit der Umstellung auf den westlichen Kalender in zeitliche Nähe zum hōonkō fällt. Die Reflexion des eigenen Lebens korrespondiert so dem Rückblick auf das vergangene Jahr; der Aufblick auf die Lehre der nach vorne ausgerichteten Lebensperspektive. Rückschau und Aufblick können als Strukturprinzip dieser religiösen Rede gelten: 1. Einleitungsteil: a) Shinrans Todestag/hōonkō (Rückschau) b) Lob der Tugend/Güte Amidas (Aufblick) – Erläuterung des Strukturprinzips und des Zieles der Predigt (Rennyo-Zitat)

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2. Erster Predigtteil: a) Rekurs auf Texte O-tsutome und Shinran-Zitat mit Erläuterung (Rückschau) b) Wunsch, sicher ins Reine Land geführt zu werden (Aufblick) 3. Zweiter Predigtteil: – Erläuterung der Barmherzigkeit Amidas (Aufblick) – Beispiele für menschliche Unheilssituation im vergangenen Jahr (Rückblick) – Notwendigkeit des nembutsu (Aufblick) Die hōwa beginnt mit der Nennung des Kasus und der Begrüßung der Hörer. Der Kasus (Dank an Shinran) und das Datum, das für die Predigt noch bedeutsam wird, werden kurz erörtert. Dabei werden die Hörer mit in den Vollzug des hōonkō hineingenommen. Es folgt eine weitere Näherbestimmung des Kasus: Dank an Shinran für die Lehre vom nembutsu wird zum Lobpreis der Tugend/Güte Amidas, durch die wir gerettet werden. Das erinnert an die Definition von religiöser Rede als „Lobpreis Amidas“. Mit dem Zitat von Rennyo folgt eine weitere Näherbestimmung des Kasus: Durch den richtigen Empfang der Lehre und den Empfang von shinjin soll es zur Freude am nembutsu kommen. Der Hörer wird zur Reflexion der eigenen Lebensweise und dem Sagen des nembutsu aufgefordert. Damit ist der Einleitungsteil, der schrittweise die Bedeutung des Kasus erläutert und mit der Nennung des Predigtzieles endet, abgeschlossen. Von diesem Ziel her werden nun der Kasus und der Jahreswechsel verschränkt. Im Rückblick auf das alte Jahr soll die eigene Lebensweise im Licht der Lehre reflektiert werden. Darauf folgt zunächst ein längerer Abschnitt über die Lehre, bevor dann im Schlussteil der Rückblick auf das vergangene Jahr in deren Licht gestellt wird. Der Lehrabschnitt wird eingeleitet mit dem Rekurs auf die Texte, die bei der o-tsutome intoniert wurden. Der erste Satz aus dem Vorwort zum Kyōgyōshinshō bildet die Textgrundlage. Das Zitat wird paraphrasiert, und die Metapher des stürmischen Meeres existential interpretiert, ohne jedoch an dieser Stelle konkret zu werden. Dem Menschen ohne Weisheit wird die Weisheit Amidas gegenübergestellt. Die Metapher des stürmischen Meeres evoziert das Eingeständnis der Hilflosigkeit des Hörers, den sicheren Hafen erreichen zu können, dessen Lebensschiff womöglich auf einer Sandbank aufläuft. Der Abschnitt ist von den Dualismen Licht – Finsternis, Weisheit – Ignoranz, Leiden – Freude durchzogen. Allein das Urgelübde Amidas

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führt wie ein Schiff sicher über das stürmische Meer des Lebens. Damit endet der erste Predigtteil. Der zweite Teil erläutert nun diese Rettung durch Amidas Urgelübde unter dem Stichwort Barmherzigkeit (jihi 慈悲). Die Exklusivität der Errettung allein durch shinjin bzw. nembutsu wird als Ergebnis der Mühen Shinrans vorangestellt. Es folgt ein dogmatischer Abschnitt über die Lehre, dass, sobald shinjin erlangt wird, die Geburt im Reinen Land sicher ist. Im Hintergrund steht die bereits dargestellte dogmatische Diskussion in der Tradition des Reinen-Land-Buddhismus. Für Honganji-ha gibt es nach orthodoxem Verständnis ein „Schon-Jetzt“ und „Noch-Nicht“, wobei die Gewissheit, das endgültige Heilsziel zu erreichen, bereits jetzt geschenkt wird. Hierbei erläutert der Prediger drei schwierige Fachtermini, welche die annehmende Barmherzigkeit Amidas zum Ausdruck bringen. Wer von dieser Barmherzigkeit umfangen ist, der ist angenommen und wird nicht verworfen. Hier wird das Bild vom Schiff, das sicher ins Reine Land trägt, nochmals in abstrakter Weise expliziert. Derjenige, der nembutsu empfangen hat, darf sich der Geburt im Reinen Land und damit der endgültigen Befreiung sicher sein. Er wird nicht mehr verworfen. Aus dieser Gewissheit folgt die Freude. Der Sinn des Lebens wird erfahren. Nochmals greift der Prediger das Thema Selbstreflexion auf und konkretisiert nun die menschliche Situation (bonnō) im Licht Amidas – diesmal unter dem Stichwort der Rückschau auf das vergangene Jahr. Anlass dazu bieten, mehr noch als Naturkatastrophen, soziale und psychologische (das menschliche Herz betreffende) Probleme. Das angesprochene Problem des Mobbing unter Schülern führte im vorhergehenden Jahr zu schockierenden Schülerselbstmorden und war den Hörern sicher noch ganz präsent. Die Beispiele Mobbing und Schadenfreude machen ein Leben auf Kosten Anderer deutlich, das letztlich zu einem bedauernswerten Leben führt. Hier werden dem Hörer Identifikationsangebote gemacht, wo er oder sie sich als Täter oder Opfer wiederfinden kann. An der als negativ erfahrenen Wirklichkeit des „menschlichen Herzens“ wird die Notwendigkeit des „wahren Herzens Amidas“ demonstriert. Dieses wahre Herz Amidas findet seine Konkretion im nembutsu und ist als solches gesandt worden. Der Prediger schließt unter Rückbezug auf den Kasus mit dem Wunsch, in erneuerter Weise mit dem nembutsu zu leben. Im Blick auf das Heil ist der Hörer passiv: shinjin bzw. nembutsu wird empfangen – ebenso, wie auch die Lehre durch Shinran empfangen und das namu-amida-butsu gesandt wurde. Das gnadenvolle Wir-

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ken Amidas ist vermittelt durch die Lehre. Das wird sowohl im Kasus, der die überragende Bedeutung Shinrans als Gründergestalt zum Ausdruck bringt, als auch durch den Textbezug (Shinran und Rennyo) deutlich. Durch Selbstreflexion im Lichte Amidas wird die Notwendigkeit der Annahme durch Amida demonstriert. Ein erster Höhepunkt wird im Schlusssatz des ersten Predigtteiles erreicht: der Wunsch, von Amidas Urgelübde sicher ins Reine Land geleitet zu werden. Der zweite Predigtteil folgt demselben Muster: Zunächst wird die Lehre dargestellt (Barm-herzigkeit Amidas), bevor durch Selbstreflexion die menschliche Situation erhellt wird, um schließlich wieder auf die Notwendigkeit, das nembutsu zu empfangen, zurück zu kommen. Obwohl es sich um ein Fest handelt, zu dem nur Anhänger von Shinshū erwartet werden, fehlt der missionarische Akzent nicht. Zum einen wird durch das Rennyo-Zitat deutlich gemacht, dass nicht jeder der das nembutsu sagt und an hōonkō teilnimmt, auch shinjin empfangen hat. Die Unterscheidung der Zuhörer in solche mit und solche ohne die Erfahrung von shinjin wird explizit vollzogen. Zugleich wird der Zusammenhang von Lehre, nembutsu und shinjin betont. Durch diese Lehre kann shinjin empfangen werden. Nur wer shinjin empfangen hat, kennt die Freude am nembutsu. Die paradoxe Beziehung zwischen Lehre und shinjin wird in dem Zitat Rennyos deutlich durch den Imperativ: Werde jemand, der shinjin empfängt.

11.5 Weitere Analysen religiöser Reden von Ōtani Kōshin 11.5.1 „Auf die Lehre hören“ (hōwa Nr. 1) Ōtani beginnt die hōwa, indem er an die allgemein bekannte Grundlage von Jōdo-shinshū erinnert, nämlich das intensive Hören auf den dharma (mompō 聞法). Damit ist das Thema vorgegeben, das in der Überschrift bereits angekündigt wurde. Zugleich folgt eine Problematisierung und eine Differenzierung: das Hören auf den dharma scheint leicht, ist es in Wirklichkeit jedoch nicht. Im Unterschied zum Hören einer logisch-rationalen Vorlesung geht es beim Hören auf den dharma um existenzielles Hören, das durch Egozentrik sehr erschwert wird. Im zweiten Absatz wird diese Aussage vertieft durch eine zunächst negative Definition: Der dharma des Buddha ist kein Mittel, um gut durchs Leben zu kommen. Er lässt sich nicht für den (verständlichen)

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin

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Wunsch nach einer ichbezogenen Lebensbewältigung funktionalisieren. Sowohl Buddha als auch Shinran ging es darum, dies deutlich zu machen. Vielmehr geht es darum, den Maßstab der Wahrheit anzulegen, der durchaus auch zur Selbstkritik führt. Das ist die rechte Art, auf den dharma zu hören. Die entscheidende Frage lautet: „Wie ist mein Leben aus der Perspektive der Wahrheit.“ Um diese Wahrheit, die empfangen wird, muss man sich allerdings mühen. Es ist die Wahrheit, dass es nicht allein um Eigennutz, sondern um den Nutzen alles Lebendigen geht. Indem Ōtani nun den Blick in die Vergangenheit lenkt, setzt er die gegenwärtigen Schwierigkeiten in Relation: Auch die Menschen der Vergangenheit hatten unter schwierigen Bedingungen ihre Existenz zu bewältigen. Durch den Bezug auf Shinran stellt er die Verbindung zur eigenen Tradition her. Im Licht der Lehre Buddhas erscheint Ōtani die Gegenwart von einer Selbstentfremdung geprägt zu sein („… dass wir uns selbst verloren haben“). Im nächsten Absatz wird nun dieser „Selbstverlust“ konkretisiert: Im Unterschied zu vergangenen Generationen ist unser Leben durch technologischen Fortschritt und Wissenschaft angenehmer geworden. Dieses Wohlleben (das nicht grundsätzlich abzulehnen ist) birgt jedoch die Gefahr, dass Geist und Herz davon gefangen genommen werden und der Mensch so von den Problemen der „inneren Wirklichkeit“ abgelenkt wird und diese vergisst. Gerade diese innere Wirklichkeit ist jedoch das Wesentliche. Das wird besonders an einer Verdrängung des Todes aus dem alltäglichen Erfahrungsbereich deutlich. Die Grundfrage des Buddhismus, nämlich nach Leben und Tod, nach der Vergänglichkeit, wird in „das Krankenzimmer einer hochspezialisierten Klinik“ eingesperrt. Das ist nicht nur ein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Gesellschaft hat sich eine Welt geschaffen, in der der Tod keinen Platz mehr hat. Dadurch entsteht für Ōtani das Empfinden der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und dem Nächsten. An dieser Stelle zitiert Ōtani als Beispiel die Beobachtung eines jungen Priesters auf Kyūshū, der sich in einem Artikel über Erziehungsfragen äußerte. Anstatt die Ursache für ein Missgeschick bei sich selbst zu suchen, wird die Schuld einem stehenden Objekt gegeben (das Auto, an dem sich das Kind gestoßen hat, wird mit dem Fuß getreten, oder die Tischtennisplatte geschlagen und gehasst, anstatt die eigene Unachtsamkeit als Ursache zu sehen). Ōtani fragt: Was nun, wenn anstelle eines Autos oder einer Tischtennisplatte ein Mensch dort gestanden hätte?

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Nach Ōtani kommt in den Beispielen ein Mangel an Eigenverantwortung zum Ausdruck, welche in der Gesellschaft anerzogen wird. Dabei bezieht sich Ōtani als Glied der Gesellschaft in diese Tendenz mit ein und verurteilt in keiner Weise von oben herab, sondern fragt, wie er wohl selbst in so einer Situation gehandelt hätte. Dass es nicht um eine Gesellschafts-Schelte geht, macht Ōtani an der (gedankenlosen) Aussage: „die jungen Leute von heute“ deutlich. Auch er selbst nehme solche Worte in den Mund, aber dabei wird der eigentliche Sinn von Religion verfehlt, bei dem es um die eigene existenzielle Betroffenheit gehe. An dieser Stelle gibt es nun eine Zäsur in der Rede, und Ōtani setzt neu mit dem Thema „Unruhe des Herzens“ beziehungsweise „Angst“ ein, die durch die skizzierte Lebenswirklichkeit verursacht wird. Es kommt also zu einer weiteren existenziellen Zuspitzung. Als Zeichen dieser Angst nennt Ōtani den sich zunehmend ausbreitenden Glauben an Wahrsagerei und Amulette trotz allem wissenschaftlichen Fortschritt. Ōtani sieht darin ein Zeichen für die Schwachheit des menschlichen Herzens, die nicht anders kann, als sich auf solche Dinge zu verlassen. Auch hier verurteilt oder moralisiert Ōtani nicht, sondern lenkt nun auf die shin-buddhistische Lösung dieses Problems: „Die große Bedeutung der Nembutsu-Lehre, von shinjin bei Jōdo-shinshū liegt darin, dass dem solchermaßen schwachen Menschen eine Kraft geschenkt wird, die es ermöglicht, dass er sich nicht auf Aberglauben zu verlassen braucht. Wer das namu amida butsu als etwas fest annimmt, worauf er sein Herz verlassen kann, dem eröffnet sich ein Leben, das durch das nembutsu ermöglicht wird, und das ein Vertrauen auf Aberglauben nicht nötig hat.“

Shinjin wird kontrastiert mit Aberglauben, i. e. das Vertrauen auf Wahrsagerei und Amulette, der jedoch nur eine Krücke menschlicher Schwachheit darstellt und nicht wirklich von Angst und Unruhe des Herzens befreien kann. Die Ablehnung von Aberglauben (meishin 迷 信) ist ein geläufiger Topos shin-buddhistischer Rede. Der vorletzte Absatz der Rede bringt nochmals einen neuen Aspekt: die Verbindung aller mit allem. Ōtani entfaltet hier, was in traditioneller buddhistischer Terminologie als „Entstehung in Abhängigkeit/dependent origination“ i. e. der sog. „Kausalnexus (jap. engi 縁起; skr. pratitya-samutpada) bezeichnet wird, und zieht ethische Konsequenzen daraus. Ōtani unterscheidet sichtbare und unsichtbare Verbindungen, die man entweder als Fessel oder als Netz verstehen kann, von dem man getragen wird. Diese Verwobenheit mit allem Existierenden kann zu einer positiven und aktiven Lebensgestaltung führen, für die „tiefe Reflexion“ und „Demut“ nötig sind.

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin

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Den Schluss der hōwa bildet eine Zusammenfassung dessen, was es heißt, „das Herz Buddhas zu empfangen“, nämlich durch tiefe Selbstreflexion zu demütiger Selbsterkenntnis zu gelangen. Der Prediger schließt mit dem Wunsch, so von der Tendenz zur Egozentrik des eigenen Herzens weg „in Richtung auf die Welt des unbegrenzten Lebens Buddhas“ sein Leben zu führen. Damit ist der Bezug zum Einstieg hergestellt, bei dem es um das Hören des dharma geht, das durch die Egozentrik sehr erschwert ist. Damit ist auf einen existenziellen hermeneutische Zirkel aufmerksam gemacht: Die Egozentrik verhindert das Hören auf den dharma, aber durch das Hören auf den dharma, das zu vertiefter Selbsterkenntnis durch eine Reflexion des Selbst-Welt-Verhältnisses im Sinne der zentralen buddhistischen Lehre der „Entstehung in Abhängigkeit“, der universalen Interdependenz alles Lebenden führt, wird diese Egozentrik aufgebrochen und dadurch wiederum ein vertieftes Hören auf den dharma ermöglicht. Insofern findet die Erfahrung von shinjin ihre dimensionale Ausdehnung im „Hören auf den dharma“. Vergleicht man den Aufbau dieser hōwa mit dem traditionellen Fünferschema, so steht an der Stelle des sandai als Themenangabe das Hören auf den dharma, der Grundlage von Jōdo-shinshū, das dann entfaltet wird. Auch sonst kommt diese hōwa ganz ohne Zitate aus autoritativen Shin-Texten aus. Dennoch werden der Buddha und Shinran bei der Erörterung der Intention der Lehre Buddhas angeführt und die Schlüsselworte shinjin und nembutsu kommen neben mompō vor. Der Name Amidas wird jedoch nur in der Formel namu-amida-butsu erwähnt. Handelt es sich durch die Themenangabe zunächst um eine MetaKommunikation über die Kommunikation des dharma, so wird durch die Betonung des „existenziellen“ Hörens und durch die in der Rede selbst sich vollziehenden Selbstreflexion, in die der Hörer anhand der Themen Egozentrik, Tod, Angst, Selbst-Welt-Verhältnis mit hineingenommen ist, der Sinn des Hörens auf den dharma verwirklicht. Dem entspricht der Schluss, in dem der Sprecher durch einen Wunsch für sich selbst ein Identifikationsangebot macht, das aufgrund des Gesagten als kange verstanden werden kann. Entsprechend der Anweisung von Ekū im Kozō-shinan-shū, dass „die beiden Beine“ einer religiösen Rede der „Tod“ und das „nembutsu“ sein müssen, lässt sich diese hōwa in zwei Hauptteile gliedern. Das Thema „Tod“ wird aufgegriffen als Problemanzeige unter dem Vorzeichen seiner Verdrängung, die als Symptom einer sich selbst entfremdenden Gesellschaft steht, in der der Mensch der Wahrheit seiner Vergänglichkeit nicht mehr begegnet.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Egozentrik und mangelnde Eigenverantwortlichkeit, Angst und Aberglaube können nach Ōtani als Folgen dieser Selbstentfremdung verstanden werden. Damit verbindet sich eine Gesellschaftskritik, in der durch technischen Fortschritt die Bedingungen für diese Entwicklung geschaffen wurden. Hier wird die kritische Funktion von Religion im Blick auf Kultur und Gesellschaft sichtbar, die zugleich einen Kampf mit den Folgen des Säkularismus darstellt. Das zweite Standbein der Rede ist das nembutsu, das ein die Egozentrik transzendierendes und solchermaßen entgrenztes Leben eröffnet, das durch die Metaphern „das Herz Buddhas empfangen“ und „vom weiten Herzen Buddhas umfangen werden“ ausgedrückt wird.

11.5.2 „Von der Barmherzigkeit umfangen“ (hōwa Nr. 14) In der hōwa „Von der Barmherzigkeit umfangen“ thematisiert Ōtani das Problem der Säkularisierung als Krise der Religion auch hier und beginnt wie in hōwa Nr. 1 mit der Anknüpfung an für die Hörer Bekanntes – in diesem Fall die Probleme der Religionen allgemein, die durch das moderne naturwissenschaftliche Weltbild entstanden sind. Besonders schwer haben es die Christen, da sich der Glaube an die Schöpfung der Welt durch Gott sehr schwer mit naturwissenschaftlicher Denkweise verbinden lasse. Demgegenüber gebe es zwischen Buddhismus und naturwissenschaftlicher Denkweise (oberflächlich betrachtet, wie Ōtani einräumt) keine Widersprüche. Dies ist ein von buddhistischer Seite häufig (besonders gegenüber dem Christentum) vorgebrachtes Argument. Gerade deshalb ist es bezeichnend, dass Ōtani dies an dieser Stelle nicht weiter ausspielt (die Andeutung genügt), sondern zur Selbstreflexion hinführt und eine bisher vernachlässigte Konfrontation zwischen Jōdo-shinshū und modernen Geistesströmungen als Problem anzeigt. Als Beispiel für diese Problemstellung nennt er die Schwierigkeit für Menschen in der Gegenwart, zu verstehen, „was für eine Art von Person der Buddha (hotoke 仏) ist.“ Wieder stellt er die Analogie zum Christentum her, das sich seit Jahrhunderten über die Frage streitet, ob es Gott gibt oder nicht (sic!). Auffällig ist, dass Ōtani nicht (was der Analogie entsprechen würde) die Frage nach der Existenz Buddhas bzw. Amidas stellt, sondern nach dessen „Art von Person“ (どんな方). Und er lenkt sogleich diese Frage von seinen intellektuellen Implikationen auf das „Empfinden [Buddhas, Anm. d. Verf.] mit Leib und Herz,“ das für Menschen heutzutage immer schwieriger geworden sei. Ōtani

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin

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geht es um eine ganzheitliche, neben den kognitiven gerade auch emotive und voluntative Aspekte integrierende religiöse Erfahrung. Dies entspricht der Wendung von chi-jō-i 知情意 bei der Beschreibung des Zieles von fukyō, wie es oben anhand der Aussagen von Endō Ryōgi und Yakumo Enjō dargestellt wurde.17 Um dieses Problem genauer zu fassen ist zunächst eine semantische Klärung des Begriffes hotoke nötig, mit dem im Japanischen „Buddha“ wiedergegeben wird. Ōtani geht ausführlich auf die verbreitete Vorstellung ein, dass ein Verstorbener zu einem hotoke werde, was mit Ahnenverehrung verbunden wurde, und grenzt sich klar von dieser Vorstellung ab. Die Ausführlichkeit und Verständlichkeit, mit der er dies erläutert, macht deutlich, dass es sich um eine Rede mit apologetischer Intention handelt, die sich an Menschen mit volksreligiösen Anschauungen richtet.18 Im Gegensatz zu diesen definiert Ōtani ganz im Sinne des mahāyāna und seiner „dynamischen“ Vorstellung vom nirvāna „Buddha“ als „… eine lebendige, fortwirkende Gestalt, eine zur wahren Wirklichkeit erwachte, aus der wahren Wirklichkeit kommende aktive Gestalt – …“ d. h., als skr. tathāgata / jap. nyorai. Diese Aussage wird nun im Blick auf den historischen Buddha Gautama Śākyamuni und dessen Verhältnis zu Amida präzisiert. Śākyamuni ist der einzige Buddha, der tatsächlich historisch aufgetreten ist und mit dessen in menschlicher Sprache ausgedrückten Lehre die Errettung der Menschen ihren Anfang nahm. Doch, so Ōtani weiter: „Wenn man aber weiter in die Tiefe geht, dann versteht man, dass in Wirklichkeit Amida der wahre Erretter ist. Die Grundlage muss sein, dass wir durch diesen Amida gerettet werden.“19 Amida wird hier als Erretter/Erlöser (jap. sukui-nushi 救い主) bezeichnet. Amida ist die eigentlich bestimmende Wirklichkeit, die auch hinter dem historischen Buddha steht. Da Amida aber nicht sinnlich wahrnehmbar ist, gebe es keine unmittelbare Erkenntnis Amidas. Daher rette Amida durch den Namen, i. e. das namu-amida-butsu bzw. das Namenszeichen (myōgō 名号), indem der Mensch diesen Ruf von Amida geschenkt bekommt. Das Empfinden und Kennen Amidas ist identisch mit der Freude am nembutsu. Hier wird ganz in personalen Kategorien von Amida als Erlösergestalt gesprochen, dessen Heilswir17 18

19

R. Endō 81994, 231; E. Yakumo 81981, 7–8. In hōwa Nr. 24 (satori und shinjin) beklagt Ōtani Kōshin, dass selbst viele Anhänger von Shinshū solche Anschauungen teilen würden (K. Ōtani 1992, 8), vgl. die Darstellung in 8.3.3. Zum Hintergrund dieser Aussage vgl. die Ausführungen zu Shinrans Buddhologie in Abschnitt 8.2 und 9.3.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

ken sich in dem Ruf, den er schenkt, konzentriert. Ist die Vorstellung einer personalen Erlösergestalt konkret, so wird diese Konkretheit sogleich durch den abstrakten „Ruf“ eingeholt. Dieser „Ruf“ kommt ohne Inhaltsbestimmung und ohne jedes narrative Element, ohne Beschreibung der Person oder der Taten Amidas aus. In der religiösen Erfahrung verschmilzt die Kenntnis Amidas mit der Freude am nembutsu, ja die Freude am nembutsu ist die Kenntnis Amidas, über die hinaus es keine Kenntnis zu geben braucht. Amida bleibt auch bei der nun folgenden Beschreibung unanschaulich, bei der Ōtani den Namen „Amida“ etymologisch erläutert. Amida bedeutet „unermessliches Licht und unermessliches Leben“ – es geht um „Licht und Leben ohne Grenze“. Licht steht für „Weisheit“ (chie 智慧) und Leben für „Barmherzigkeit“ (jap. jihi 慈悲), wie Ōtani erläutert. Langer-Kaneko fasst die Vorstellung über Amida bei Jōdo-shinshū zusammen, die uns hier auf der Ebene der religiösen Rede begegnet: „Wenn auch oft der Eindruck entsteht, daß Amida als ein personales, objekthaftes Gegenüber zu sehen ist, so darf Amida doch nicht als solches verstanden werden: Es mag symbolisiert oder personifiziert werden, als sei er ein tatsächlich existierendes Wesen, aber in der buddhistischen Erfahrung ist er Ausdruck für den dharma oder die letzte Wirklichkeit [Fußnote 7]. Für Shinran ist Amida kein statisches Objekt, das dem Menschen gegenübersteht, sondern Amida ist das Wirken des großen Erbarmens und der Liebe, das Wirken, das alle aufnimmt und keinen verläßt; Amida ist das Tun, das im Menschen den Glauben erweckt; Amida ist die Liebe und das Mitleid.“20

Ōtani übergeht den Aspekt der „Weisheit,“ sodass „Barmherzigkeit“ nun das Stichwort für den folgenden Teil der Rede bildet. Ein Zitat aus dem Kontemplations-Sūtra, das die Identität des Herzens Buddhas mit der großen Barmherzigkeit Buddhas zum Ausdruck bringt, bildet die Brücke von der Erläuterung des Namens zu den Ausführungen über Barmherzigkeit. Auch hier beginnt Ōtani wieder zunächst mit einer semantischen Klärung, indem er den Begriff „Barmherzigkeit“ von dem unter jungen Japanern populären Begriff „Liebe“ (jap. ai 愛) abgrenzt. Eine partielle semantische Überschneidung der beiden Begriffe führt zu Missverständnissen, auch wenn Shinran selbst die Barmherzigkeit Amidas mit der Elternliebe vergleicht, aber, so Ōtani, das ist eben nur ein Vergleich (jap. tatoe), nicht die Sache selbst. Umso mehr muss auf eine Klärung der Begrifflichkeit geachtet wer20

C.Langer-Kaneko 1986, 28 (Hervorhebung im Original).

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin

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den, als – und hier greift Ōtani wieder das Problem der Kindererziehung als gegenwärtiges Gesellschaftsproblem auf – Liebe der Eltern zu den Kindern oft in den Extremen von laisser-faire oder Überbehütung zum Ausdruck kommt. Durch Überbehütung und Verwöhnung wird die Selbstständigkeit geschwächt und durch einen laisser-fairen Erziehungsstil kann keine Eltern-Kind-Beziehung entstehen, dadurch wiederum entsteht eine Beziehungsunfähigkeit als gesellschaftliches Problem. Hier nimmt Ōtani starken Bezug auf aktuelle lebensweltliche Themen und setzt sie in Beziehung zur Barmherzigkeit Amidas. Zunächst hält Ōtani negativ fest, dass eine solcherart verstandene menschliche „Liebe“ für die Beschreibung der Barmherzigkeit Amidas nicht genügt. Barmherzigkeit Amidas bedeutet weder die Erfüllung aller egoistischen Wünsche (z. B. nach Heilung und Wohlstand), noch ein „alles Übersehen“. Positiv formuliert: „In Wirklichkeit ist es mit wahrer Liebe so, dass sie uns zugleich liebevoll umfängt und gleichzeitig zu zur Selbstständigkeit fähigen Menschen, zu Menschen, die ihre eigenen Dinge selbst tun können, erzieht.“ Die Themen Kindererziehung und Selbstverantwortung kommen immer wieder in den religiösen Reden von Ōtani vor. Hier wird auch die Barmherzigkeit Amidas als ein Erziehungshandeln gesehen. Entsprechend der Ablehnung des Bittgebetes bei Jōdo-shinshū wird die Erfüllung von Wünschen durch Amida ausgeschlossen. Zugleich bereitet Ōtani an dieser Stelle bereits den Schluss der hōwa vor, die vom selbstverantwortlichen Einsatz des Menschen spricht. Doch zunächst wird die Barmherzigkeit Amidas noch einmal präzisiert als bedingungslose Barmherzigkeit, die allen Menschen in gleicher Weise gilt. Sie orientiert sich nicht am Wert des Empfängers. Diese bedingungslose Barmherzigkeit ist Geschenk Amidas, die durch das Namenszeichen empfangen wird. Das nembutsu ist das Medium des Empfangens der Barmherzigkeit. Es ist ein Zufluchtsort in Notzeiten und bewahrt vor Hochmut in guten Zeiten. Das nembutsu lässt den Gläubigen das Auf und Ab des Lebens transzendieren. Am Schluss der hōwa, der traditionell als kange, als Empfehlung von shinjin und nembutsu gilt, zitiert Ōtani einen Vers aus Shinrans Wasan, der die äußerste menschliche Bemühung als Antwort auf die Barmherzigkeit Amidas fordert. Auf den Zuspruch folgt der Anspruch. Letzterer wird an dieser Stelle allerdings nicht mehr konkretisiert – wie Ōtani in den religiösen Reden überhaupt wenige Konkretionen bietet. Die Lebensweise des Gläubigen als Ganzes ist dankbare Antwort auf die bedingungslose Barmherzigkeit Amidas, die nochmals als „Umfangensein von der Person Amidas“ beschrieben wird.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Die betonte Stellung des Anspruches am Schluss der Hōwa weist auf ein durchgehendes Motiv in Ōtani Kōshins religiösen Reden hin: Die bedingungslose Barmherzigkeit und Annahme Amidas darf nicht zu einem beliebigen Lebenswandel führen, wie es oft missverstanden wurde und wird, sondern führt gerade zu einem individual- und sozialethisch verantwortlichen Handeln – ein Aspekt, den besonders Yakumo Enjō in seiner Darstellung von fukyō hervorgehoben hat, und wie er der Einheit von buppō und ōbō entspricht. 21

11.5.3 Im Reinen Land Satori/Erwachen erreichen (hōwa 66) – Befreiung von den Fesseln der Leidenschaften (bonnō) – Bei dieser hōwa handelt es sich um eine kürzere Rede, die das hundertjährige Bestehen der Mission von Honganji-ha in Nordamerika und zugleich den fünfhundertsten Todestag von Rennyo zum Anlass hat. Der Predigteinstieg nimmt diesen doppelten Anlass auf und entfaltet ihn in den beiden folgenden Abschnitten. Der im Druckbild als Unterüberschrift gesetzte Satz: „Befreiung von den Fesseln der Leidenschaften“ dient als Themaangabe und wird, ohne dass darauf nochmals explizit Bezug genommen wird, mit der nordamerikanischen Mission und Rennyo verknüpft und in der Rede inhaltlich vertieft. Der erste Abschnitt blickt auf Beginn und Entwicklung der Arbeit von Jōdo-shinshū in Nordamerika zurück. Stichwortartig werden der Anlass (die Auswanderung von Shin-Gläubigen und deren Bedarf an Tempeln und Priestern) und einige Probleme in der Geschichte (wie die andere Sprache, Kultur, Gesellschaft in den USA, Generationenkonflikte und besonders der Pazifische Krieg) erwähnt. Für all die damit verbundenen Mühen der Missionare und Gläubigen bringt Ōtani als Oberhaupt von Honganji-ha seinen Dank und Respekt zum Ausdruck. Den Situationsbezug stellt Ōtani durch seine Kenntnis der Geschichte her und baut durch Respekts- und Dankesbezeugung eine positive Beziehung zu den Hörern auf. Im folgenden Abschnitt nimmt Ōtani den zweiten Anlass (den fünfhundertsten Todestag Rennyos) auf und verknüpft indirekt das Thema Mission mit dem Hinweis auf die ausgedehnte Verkündigungstätigkeit Rennyos, der „vielen Menschen das Herz von namu amida butsu weitergegeben und sie die Freude zu leben erlangen lassen“ hat. Nembutsu 21

Vgl. zur Ethik bei Jōdo-shinshū auch besonders die Arbeit von U. Dessì 2007 und im Vergleich von Shinran und Luther Oguro T. 1985, 103–141.

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und Freude dienen auch hier als zentrale Stichworte, die Botschaft und deren Wirkung zusammenzufassen. Der beiläufige Hinweis auf die lokalen Gegebenheiten in Kyōto und auf die Gründergestalt Shinran in diesem Zusammenhang verweist auf die Situation der Hörer, deren Vertrautheit damit nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Ōtani bleibt bei Rennyo und führt ein Zitat von ihm ein, das in inhaltlicher Beziehung zur Themenangabe steht und als sandai dient: „Wer gehört hat, dass das Paradies ein Ort des Vergnügens ist und dort hingelangen will, wird kein Buddha, sondern wer sich auf Mida verlässt wird Buddha.“ Im folgenden Absatz, dem man die Funktion des hōsetsu zuordnen kann, wird dieses Zitat paraphrasiert und inhaltlich damit erläutert, dass derjenige, der im nächsten Leben das Vergnügen sucht (und sei es im Paradies [i. e. das Reine Land]), ja seine Leidenschaften mitnimmt. Das Reine Land besteht jedoch im Gegensatz dazu gerade in der Befreiung von den Leidenschaften. Diese Befreiung impliziert positiv die Teilhabe an der Aktivität der Weisheit und Barmherzigkeit Amida-Nyorais. Hier begegnet uns wieder die Grundanschauung im mahāyāna-Buddhismus, die nirvāna (wörtl. „Abkühlen“ sc. der Begierden) nicht nur negativ definiert, sondern es positiv als Wirksamkeit Buddhas in Weisheit und Barmherzigkeit beschreibt. Indem man sich der Errettung durch Amida-Nyorai überlässt und das nembutsu empfängt, wird man dieser Wirksamkeit hinzugefügt (kuwawaru 加わ る). In äußerster Konzentration wird in diesem kurzen Abschnitt die Botschaft von Jōdo-shinshū zusammengefasst. Der folgende Abschnitt, der wieder eine Unterüberschrift erhält, führt zunächst Shinrans Metapher des Urgelübdes als Schiff ein, die in den religiösen Reden immer wieder vorkommt. Dieser Absatz kann als hiyu gelten. Jeder ist ungeachtet seiner Alltagssorgen und deren Auswirkungen auf dem Schiff des Urgelübdes. Ohne hier konkret zu werden, bringt Ōtani wieder in äußerster Kürze zum Ausdruck, dass das Wissen um die Wirksamkeit des Urgelübdes die Alltagssorgen transzendieren lässt. Der nächste Absatz, der nur aus einem einzigen Satz besteht, greift das Stichwort Leben auf und warnt vor der Tendenz der Verobjektivierung des menschlichen Lebens (als quasi Privatbesitz) in unserer Zeit. Unter der Perspektive des unbegrenzten Lebens Amida-Nyorais sieht Ōtani die Notwendigkeit darüber nachzudenken. Es bleibt bei der Problemanzeige, die jedoch den Horizont einer Lösung andeutet. Sachlich entspricht dieser Gedanke dem „Entstehen in Abhängigkeit“ und könnte daher als innen verstanden werden.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Das kekkan besteht ebenfalls aus nur einem Satz, der dem nordamerikanischen Buddhismus einen als Wunsch formulierten „Arbeitsauftrag“ erteilt: erneute Schritte zu gehen. Obwohl diese Predigt relativ kurz ist, enthält sie in äußerst gedrängter Form den Kern der Botschaft von Jōdo-shinshū als einer der großen Ausprägungen des Mahāyāna unter Bezug auf die Tradition anhand der beiden zentralen Gestalten Shinran und Rennyo und in shin-buddhistischer Terminologie. Situation und Anlass der nordamerikanischen Mission werden mit dem Wesen des Erwachens als Befreiung von den Leidenschaften und Teilhabe an der Wirkung Buddhas als Weisheit und Barmherzigkeit in Verbindung gebracht, das handlungsleitend für die Zukunft sein soll. Trotz der Kürze lässt sich hier – im Unterschied zu anderen hōwa von Ōtani Kōshin – der traditionelle Aufbau im Fünferschema erkennen, eingeleitet von einer kurzen Vorrede, die eine Beziehung zu Situation und Hörern herstellt.

11.5.4 „Allein durch shinjin gerettet werden“ (hōwa Nr. 54) – ich, der ich nicht verdient habe, gerettet zu werden – Die hōwa beginnt wieder mit einem, in diesem Fall sehr ausführlichen, Bezug auf den Kasus (ein Drittel des gesamten Textumfanges). Es handelt sich um die Feier zum Gedenken des Todestages Rennyos in einem Zweigtempel von Honganji-ha. Zugleich nimmt Ōtani noch das Gedenken an den Todestag von Rennyos Großvater Gyōnyō auf, das zur gleichen Zeit im Haupttempel gefeiert wird. Dadurch sind zugleich die Bezüge zum Kasus und zur Tradition gegeben, die durch ihr großes Gewicht die Predigt zunächst beherrschen. Ōtani hebt das beide prägenden Gestalten der Tradition verbindende Charakteristikum hervor, nämlich ihre Bemühungen um die Ausbreitung der nembutsu-Lehre. Der große Zeitraum der Tradition lässt den Prediger (und die Hörer) die Bemühungen ihrer Vorläufer (an)erkennen. Mit dem Verweis auf die zentrale Botschaft Rennyos kommt Ōtani zum eigentlichen Thema der Rede: die für die Errettung exklusive Bedeutung von shinjin. Rennyo kommt es zu, shinjin gegen das Missverständnis eines verdienstlichen Werkes abgegrenzt zu haben. Vielmehr ist das nembutsu-Sagen Ausdruck der Freude über die Errettung allein durch shinjin. Um die Bedeutung der Botschaft von shinjin zu unterstreichen (und dem Kasus angemessen) führt Ōtani eine Anekdote aus

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Rennyos Schrift Goichidai-kikigaki an, durch die deutlich wird, dass die Verkündigung von shinjin für Rennyo wichtiger war als die Regeln guten Benehmens. Diese Anekdote übernimmt die Funktion von hiyu. Im nächsten Abschnitt problematisiert Ōtani wie an anderen Stellen, die heutige semantische Unbestimmtheit im Gebrauch von shinjin und betont: „Bei jeder Gelegenheit wollen wir die wahre Bedeutung suchen und immer wieder hören.“ Immer wieder geht es Ōtani in seinen religiösen Reden um die semantische Klärung zentraler Termini, wobei shinjin im Zentrum steht. Ōtani bietet nun jedoch keine „Lexikon-Definition“, sondern erläutert („zum wiederholten Mal“) die wahre Bedeutung von shinjin durch den Verweis auf die exklusive Errettung durch das Urgelübde, das Empfangen des namu-amida-butsu und das Vertrauen darauf – und eben nicht durch gute Taten. „Das Herz der Barmherzigkeit Amidas beruft uns …“ Zugleich wehrt Ōtani das mögliche Missverständnis ethischer Indifferenz ab. In einem weiteren Abschnitt argumentiert Ōtani, weshalb gerade die Errettung, obwohl man sie nicht verdient hat, Lebensfreude schenkt und dadurch Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Für Ōtani ist es einer der wichtigsten Punkte der nembutsu-Lehre, dass Errettung nicht aus eigenem Verdienst geschieht, sondern gerade angesichts und trotz der eigenen Unwürdigkeit geschenkt wird. Ōtani vertieft an dieser Stelle nicht, warum wir es nicht verdient haben, gerettet zu werden. Nirgends wird eine Negativ-Folie gezeichnet, die die Unmöglichkeit einer Selbsterlösung oder wenigstens eines Synergismus konkret aufzeigen würde. Immer wird diese Einsicht als Tatsache vorausgesetzt oder nur angedeutet. Vielmehr wird die bedingungslose Barmherzigkeit und Annahme Amidas betont. 22 Das Stichwort Freude bietet die Überleitung zum letzten Abschnitt der hōwa, in dem der mit Problemen beladene Einzelne in den Horizont globaler Probleme gestellt wird. Die Freude an der Errettung ist keine heilsindividualistisch verengte Freude, sondern hat sozialethische Konsequenzen aufgrund der „Verbindung mit allem Lebenden“. Ōtani fordert zum Nachdenken über die großen Probleme und einem achtsamen Leben des Einzelnen auf (kange). Mit dem Ausdruck der Freude und Dankbarkeit für die gemeinsame Feier schließt die hōwa. Eine Analyse dieser hōwa anhand des traditionelle Fünferschemas ergibt: die Überschrift bildet das sandai, das im Hauptteil ausgelegt 22

An dieser „Definition“ von shinjin wird noch einmal deutlich, dass es sich um die beiden Seiten der einen Medaille von shinjin handelt: die Auflösung der Eigenen Kraft (jiriki) und die Erfahrung der Anderen Kraft (tariki) als Ergriffensein von Amida. Vgl. Y. Ueda / D.Hirota 1989, 158, sowie Kapitel 8.

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

wird, ohne dass hier eigens nochmals ein Zitat angeführt wird. Der hiyu-Abschnitt beschränkt sich auf die Anekdote aus dem Leben Rennyos (abgesehen von den biographischen Hinweisen zu Rennyo und Gyōnyō in der längeren Einleitung). Die Erläuterung des richtigen Verständnisses von shinjin und des Verhältnisses von „Glaube und Werken“ nimmt den breitesten Raum ein (hōsetsu) und führt zu einem sich daraus logisch konsequent ergebenden kange-Abschnitt am Ende. Wenn auch innen als karmische Beispielgeschichte (wie gewöhnlich bei Ōtani) fehlt, so fehlt aber der Gedanke der „Verbindung mit allem Lebenden“, der sachlich damit zusammen hängt, nicht. Auch hier wird deutlich, dass Ōtani sich nicht streng an das Fünferschema hält und es demgegenüber eine relativ große Freiheit im Redeaufbau gibt.

11.5.5 „Das Errettetwerden“ (hōwa Nr. 17) In dieser hōwa geht Ōtani (untypisch ohne Kasus und Situationsangabe, in der er sonst eine Beziehung zu den Hörern herstellt) sofort in medias res mit der allgemeinen Terminologie des buddhistischen Heilszieles, nämlich ein „Buddha werden“ oder „Geburt und Tod transzendieren“. Dies gelte auch für Jōdo-shinshū. Da diese Begriffe jedoch zu ungenau seien, werde bei Jōdo-shinshū der Begriff der „Errettung/Erlösung“ gebraucht. Durch den Verweis auf Shinran und dessen Gebrauch des Begriffes „Rettung“ wird der Bezug zur Shin-Tradition hergestellt (die buddhistische Lesart kusai für die Schriftzeichen, deren übliche Lesart kyūsai lautet, wird erläutert). Dieser Begriff ist jedoch (gerade wegen seiner Allgemeinverständlichkeit) durch das Alltagsverständnis von „Rettung“ verunklart und mit Missverständnissen behaftet. Er bedarf daher ebenfalls der Klärung. Die hōwa beginnt also mit einem bestimmten Thema und einer Begriffsklärung, was für Ōtani charakteristisch ist. Zugleich greift er Kritik an Jōdo-shinshū auf, die aus einem Missverständnis der Soteriologie resultiert, und geht in apologetischer Absicht darauf ein. Das Missverständnis, es gehe Jōdo-shinshū nur um die Errettung nach dem Tod, muss geklärt werden. Anhand der Erläuterung zweier Fachtermini shin-buddhistischer Lehre zeigt Ōtani, wie es zu diesem Missverständnis kommen konnte, und weshalb es wichtig ist, den Aspekt künftiger Errettung auszubalancieren mit dem Aspekt der bereits in der Gegenwart empfangenen Errettung. Durch die einseitige Betonung des Zukunfts-Aspektes sei Jōdo-shinshū in der allgemeinen Wahrnehmung zu einer Religion geworden, die nur für

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das nachtodliche Leben, nicht aber für die Gegenwart Relevanz besitze, weshalb viele ihre Handlungsorientierung und Spiritualität bei anderen Religionen suchen. 23 Ōtani bedauert diese Entwicklung sehr und sieht die Ursache dafür in einem Mangel an Klärung. Im folgenden Absatz kommt ein weiterer Gesichtspunkt unter Berufung auf einen amerikanischen Soziologen dazu. Dieser begründete die gegenüber Jōdo-shinshū wesentlich intensivere Rezeption des Zen in den USA mit der modernen Schwierigkeit des Glaubens an ein Reines Land. Ōtani nimmt dies auf, indem er den (nicht nur modernen Zweifel) versteht. Gegenüber einer gegenständlichen Vorstellung vom Reinen Land betont er die tiefere und wesentliche Bedeutung des Reinen Landes als „Transzendieren von Geburt und Tod“, das für das gegenwärtige Leben relevant ist. In den beiden folgenden Absätzen wird diese Aussage vertieft, indem (wieder anhand terminologischer Klärungen) ein einseitig zukünftig verstandener Heilsbegriff relativiert wird und der soteriologische Prozess des zunehmenden Erwachens zum „wahren Selbst“ in seiner Gegenwartsbedeutung betont wird. Diesen Prozess vergleicht Ōtani nun in ausführlicher Weise mit entwicklungspsychologischen Prozessen. Hier liegt ein eindrückliches Beispiel eines hiyū-Abschnittes vor. Der entwicklungspsychologische Prozess der Ausbildung eines relativ autonomen Selbst, durch das das Erwachsenenalter charakterisiert ist, ist jedoch noch nicht der Abschluss. Dies ist eine Einsicht, die man durch Selbstreflexion erlangen kann. An dieser Stelle wird nun die Lehre von Jōdo-shinshū als Antwort auf die existenzielle Frage, ob dieses autonome Selbst denn alles sein könne, eingeführt. Der letzte Ort, auf den der Mensch gegründet sein kann, ist außerhalb seiner selbst, nämlich im „Herzen Amida-Nyorais […], der Leben und Tod transzendiert“. Indem man sich dies zu eigen macht, nicht als Kopfwissen, wird man „wahrer Mensch“. Zugleich gibt Ōtani damit explizit eine Definition von shinjin, die stark an Kierkegaards Definition von Glaube erinnert, wonach sich das Selbst zu sich selbst verhält, und indem es selbst sein will, sich durchsichtig gründet in der Macht, welche es gesetzt hat („Die Krankheit zum Tode“). Ebenso sind die Struktur-Parallelen zu Tillichs Glaubensbegriff als anthropologischer Notwendigkeit der Selbstaktualisierung an dieser Stelle offensichtlich. 23

Vgl. zu dem hier angesprochenen Problem-Komplex die Ausführungen zum Nonomura-Zwischenfall in Abschnitt 7.2.3 und zu dem präsentisch-futurischen Doppelaspekt von shinjin in den Abschnitten 8.2 und 8.3.

432

II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

Allerdings – und darin besteht der Unterschied – geht es hier nicht um die Konstituierung eines neuen Subjekts durch das „Erwachen des Glaubens“, wie Ōtani präzisiert und vertieft. Der Glaube steht bei vielen Menschen im Dienst des Subjekts, das somit wieder zum letzten Ort wird, auf den man sich verlässt. Unsere Welt und Gesellschaft – und der kritische Unterton ist unüberhörbar – ist von Menschen geschaffen, die sich letztlich auf sich selbst verlassen. Im „Licht Buddhas reflektiert“ haben dadurch allein jedoch das Leben und die Gesellschaft kein tragfähiges Fundament. Rettung ist, so wird nun definiert, als „ein von Buddha getragenes Selbst“, ein Leben in der Gegenwart führen, das „vom Leben Buddhas getragen“ ist. Das gilt es zu „schmecken“ und „anzunehmen“. Im letzten Absatz, der als kange fungiert, wird diese Erkenntnis als Ermöglichung für ein bewusstes und engagiertes Leben im Heute formuliert. Dadurch wird das Hauptthema der hōwa zusammengefasst und nochmals unterstrichen. Das Leben in dieser Welt ist nicht nur ein Warten auf die Geburt im Reinen Land. Indem sich der Prediger als Identifikationsfläche anbietet, hat dieser Schluss adhortativen Charakter. Diese beeindruckende Hōwa stellt nochmals in besonderer Klarheit shinjin, wie es durch die religiöse Rede zum Ausdruck gebracht wird, dar. Sie schöpft ihre Überzeugungskraft bei aller begrifflichen Klärung nicht aus der Tradition (die semantische Klärung dient vielmehr vordergründig nur dem Ausräumen von Missverständnissen), sondern aus der religiösen Verwirklichung des Predigers, der sichtlich darum ringt, das Verständnis shin-buddhistischer Soteriologie und deren existenzielle Relevanz für die Gegenwart angesichts von Fehlinterpretationen und Säkularisierung zu verdeutlichen.

11.6 Zusammenfassung und Ergebnisse der Untersuchung (i) Religiöse Rede hat für die Praxis von Jōdo-shinshū grundlegende Bedeutung für die Vermittlung religiöser Erfahrung. Shinjin, das „vertrauende Herz“, gilt als zentrale Heils-Erfahrung, die ein unverfügbares Donum des „Herzens Amidas“ bildet. Shinjin wird als eine die Subjekt-Objekt-Struktur transzendierende Erfahrung beschrieben, die eine Einheit in Differenz des Gläubigen mit Amida konstituiert. Die Bedingung der Möglichkeit sprachlicher Vermittlung in religiö-

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin

433

ser Rede ist durch Amida resp. dem nembutsu als kataphatische Ausdrucksseite (hōben-hosshin) der apophatischen letzten Wirklichkeit (hosshō-hosshin) gegeben, die exklusiven Charakter hat. Durch diesen unhintergehbaren Konnex ergibt sich auch der Bezug zur Überlieferungsgeschichte, die ihren Haftpunkt in dem Gründer der Jōdo-shinshū, Shinran und dessen Neuinterpretation der Jōdo-Tradition findet. Individuelle Erfahrung und Traditionsvermittlung sind so konstitutiv aufeinander bezogen. Die beiden gleichursprünglichen Aspekte von shinjin sind die Erfahrung der totalen Unfähigkeit im Blick auf die eigene Errettung aktiv zu werden und der damit koinzidierenden Erfahrung der Anderen Kraft (tariki) des Urgelübdes. Da shinjin unverfügbares Geschenk ist, kann es nicht durch menschliche Rede erzeugt werden. Das wäre jiriki Eigene Kraft resp. hakarai Berechnung und stünde im Widerspruch zum Prinzip der Anderen Kraft. (ii) Religiöse Rede gilt als Ausdruck des shinjin des Predigers. Shinjin bei den Hörern wird als Frucht des shinjin des Predigers verstanden. Dies kommt in der „fundamental-homiletischen“ Formel ji-shin-kyōnin-shin zum Ausdruck, wo es nicht in erster Linie um die Kommunikation einer zu akzeptierenden Lehre, sondern um die Vermittlung eines „Seins“ geht. Der Prediger gilt als „Vogt/Beauftragter“ (daikan) Amidas, der teilhat am Wirken Amidas als Weisheit und Barmherzigkeit. Er muss zuallererst selbst ein Hörer auf den dharma (mompō-sha) sein und shinjin „fest gemacht“ haben. Diese subjektive Verwirklichung soll ganzheitlich in kognitiven, emotiven und voluntativen Dimensionen vermittelt werden (chi-jō-i). Auch im Predigtgeschehen ist es Amida selbst, der wirkt. Wenn religiöse Rede Darstellung von shinjin ist und shinjin die Transzendierung des Selbst in Richtung auf das „unbegrenzte Licht und Leben“ Amidas, dann besteht die höchste Meisterschaft in der Verkündigung darin, „selbst-vergessen“ zu predigen, zu predigen, als predigte man nicht (vgl. die zehnte Stufe bei Endō). Das gleiche Prinzip liegt auch dem Begriff von fujō-seppō („unreiner Predigt“) zugrunde. Wahre buddhistische Verkündigung ist „selbstlos“ und darf nicht verzweckt werden oder egozentrischen Motiven dienen. (iii) Dass es nicht primär um die Vermittlung eines Glaubenssystems geht, sondern um direkte Heilserfahrung, wird auch daraus ersichtlich, dass mompō („Hören auf den dharma“) als Grundlage von Jōdoshinshū mit shinjin gleichgesetzt wird (vgl. Abschnitt 10.8). Es geht

434

II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

um ein „existenzielles“ Hören, das auch die Texthermeneutik bestimmt. Schließt die Erfahrung von shinjin auch kognitive Elemente ein, so können sie doch niemals Voraussetzung oder Bedingung für shinjin sein (ebenso wenig wie moralische oder voluntative Elemente). Den inhaltlichen Mittelpunkt der Verkündigung bildet die unbedingte Annahme durch Amida (sesshu-fusha), wodurch Befreiung von Egozentrik und dem Kreislauf von Geburt und Tod geschieht. Shinjin als subjektiver Empfang dieser Annahme transzendiert und entgrenzt zugleich diese Subjektivität als Begegnung mit „unbegrenztem Licht und Leben“, i. e. Amida. Entsprechend der beiden Aspekte von shinjin stehen in den hōwa der Lobpreis der Tugend Amidas (sandan) und die Reflexion der eigenen Wirklichkeit im Licht Amidas im Vordergrund. (iv) Die dimensionale Ausdehnung von shinjin als einem von Amida Ergriffensein geschieht im Hören (lassen) auf den dharma und als „Erstattung der Dankesschuld“ (hōon) für die erfahrene Güte Amidas in ritueller und sozialethischer Praxis. In ritueller Hinsicht bilden diejenigen Kasus die große Mehrzahl, die das dankbare Gedenken an die Vorläufer von Jōdo-shinshū, allen voran den Gründer Shinran, im Mittelpunkt haben (insbesondere hōonkō). Besonders in den religiösen Reden Ōtanis wird neben dem rituellen Bezug der sozialethische Aspekt immer wieder betont und durch das zentrale Konzept der „Erstattung“ hō von on („Dankesschuld“) und vor dem Hintergrund der universalen Interdependenz alles Lebenden motiviert. (v) Die mahayanische Hermeneutik der „geschickten Mittel“ (hōben) wird weder in der Literatur, die sich mit Theorie und Praxis der Ausbreitung der Lehre (fukyō) auseinandersetzt, noch in den religiösen Reden selbst erwähnt oder gar thematisiert. Vielmehr werden shinjin, bzw. das nembutsu als exklusiver Heilsweg betont. Der Grund hierfür dürfte primär in dem differenzierten Verständnis von hōben liegen. Als hōben-hosshin ist Amida, das Urgelübde und das nembutsu als Ausdruck der letzten Wirklichkeit unhintergehbares „barmherziges Mittel“ (zengyō-hōben). Davon werden als „provisorische Mittel“ (gonke-hōben) die Praktiken und Lehren der Eigen-Kraft unterschieden, wie sie Shinran insbesondere in den Gelübden 19 und 20 erkannt hat (vgl. Abschnitt 9.3). Die Unhintergehbarkeit ergibt sich aus dem präsentisch-futurischen Doppelaspekt von shinjin. Die Erlangung der höchsten Erleuchtung koinzidiert mit der nachtodlichen Hingeburt ins Reine Land

11. Die Frage nach dem Ausdruck von shinjin

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(ōjō). Für dieses Leben gilt die Vergewisserung der endgültigen Heilsverwirklichung, wie sie in den Termini futaiten und shōjōju zum Ausdruck kommt (vgl. Kapitel 8). (vi) Wie in christlicher Homiletik gilt auch für religiöse Rede bei Jōdoshinshū, dass die Praxis deren theoretischer Reflexion vorausgeht. Die gegenwärtigen shin-buddhistischen Autoren konstatieren im Blick auf die Theorie der religiösen Rede ein Forschungsdefizit, das zum einen aus der Selbstverständlichkeit der Praxis und zum andern aus einem bis ins zwanzigste Jahrhundert praktizierten Meister-Schüler-System (zuikō-seido) resultieren dürfte. (vii) Religiöse Rede bei Jōdo-shinshū ist sowohl in deren theoretischer Darstellung als auch in der Praxis im Kontext von fukyō, der „Ausbreitung der Lehre“, verortet – wie alle shin-buddhistischen Autoren betonen (vgl. Abschnitt 10.7). Dies hat seinen sachlichen Grund in der universalen Heilsverheißung des Buddhismus. Dass der Buddhismus von Anfang an eine Missionsreligion ist, gilt auch für Jōdo-shinshū, deren missionarischer Impetus auf Shinran selbst sowie in der weiteren Geschichte besonders auf Rennyo zurückgeht. Eine Erneuerung der Verkündigungspraxis stand jeweils im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche, so durch die Religionspolitik in der Tokugawa-Zeit, die Modernisierung Japans nach der Öffnung durch die Meiji-Restauration und aktuell besonders durch die Herausforderungen aufgrund der Säkularisierung. Durch die Auswanderung zahlreicher Japaner mit shin-buddhistischem Hintergrund, insbesondere nach Nord- und Südamerika um die Wende zum 20. Jahrhundert, entwickelte sich auch eine aktive Auslandsmission, die nicht nur auf traditionelle Angehörige von Jōdo-shinshū oder Japaner begrenzt ist. (viii) Wenn religiöse Rede definiert ist als ji-shin-kyō-nin-shin (vgl. Abschnitt 10.9), dann ist damit nicht nur die Bedeutung des Predigers als Subjekt der religiösen Verwirklichung angesprochen, sondern auch das Ziel der Verkündigung, nämlich andere Menschen zur Verwirklichung von shinjin zu führen. Da religiöse Rede bei Jōdo-shinshū per Definition der Glaubensverbreitung dient, wird nicht grundsätzlich zwischen Predigt für Gläubige und Außenstehende unterschieden. Auch die Untersuchung der zahlreichen Termini für religiöse Rede hat dies deutlich gemacht. Religiöse Rede bei Jōdo-shinshū wird weniger über die Gattung oder Form, sondern mehr über die Funktion defi-

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II. Religiöse Rede und „Glaube“ bei Jōdo-shinshū

niert. Es wird immer mit einer „gemischten“ Hörerschaft gerechnet. 24 Der Prediger hat die jeweilige Zusammensetzung der Hörer und deren unterschiedliche Voraussetzung im Blick auf die Verkündigung Rechnung zu tragen. Dies wird durch die traditionellen Termini jiki-sōō und shukuzen-mushukuzen zum Ausdruck gebracht, d. h. der Prediger passt die Predigt der jeweiligen Situation und dem (karmisch bedingten) Fassungsvermögen der Hörer an. (ix) Gerade die religiösen Reden von Ōtani Kōshin stellen eine bewusste Auseinandersetzung mit den Folgen der Säkularisierung in apologetischer Absicht dar. Dabei liegt ihm besonders an der semantischen Klärung shin-buddhistischer Terminologie und der Beseitigung von Missverständnissen. Dies geschieht in den hōwa auch in metakommunikativer Weise. Auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Einfluss des Christentums und die Betonung sozialethischer Relevanz von Jōdo-shinshū gehören in diesen Kontext. Ōtani setzt so die Tradition immer wieder in Beziehung mit der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit. (x) Das traditionelle Aufbauschema mit den fünf Elementen sandai, hōsetsu, hiyū, innen und kekkan sowie die Empfehlung zu einem stringenten, flüssigen und an der Poetik orientiertem Aufbau dient ebenfalls der Hörerorientierung und stellt den Rahmen für den Ausdruck von shinjin bereit. Die Analyse der hōwa von K. Ōtani hat gezeigt, dass dieses Schema nicht zwingend ist. Da shinjin letztlich nicht über die Ratio vermittelt wird, haben auch rhetorische Strukturen hier nur eine Hilfsfunktion, die der Plausibilität und Verständlichkeit dienen. Die Warnung vor übertriebener Kunstfertigkeit und Effekthascherei bei der Rede hat hier ihren sachlichen Grund.

24

Vgl. dazu auch die Beschreibung der teilnehmende Beobachtung im Nishi-Hoganji, wo die hōwa für eine Trauergemeinde bewusst für alle „zufällig“ in der Tempelhalle Anwesenden (darunter auch Touristen) verstärkt wurde. Eine hōza ist auch eine grundsätzlich öffentliche und für alle frei zugängliche Veranstaltung.

III. Hauptteil: Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie in historischer und religionsvergleichender Perspektive

12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube – kurze Geschichte einer Begegnung 12.1 Methodische Vorbemerkung Im Folgenden soll zunächst ein Abriss bisheriger protestantischer Deutungsversuche der Jōdo-shinshū gegeben werden, die von Anfang an eine Herausforderung besonderer Art für die evangelische Systematische Theologie darstellte. Der bisherige Gang der Untersuchung hat die Vielschichtigkeit der Herausforderung durch diese fernöstliche Religion, die in manchem (zum Verwechseln) ähnlich scheint und dann doch wieder so „quer“ zu stehen kommt, angezeigt. Im Rahmen dieser Arbeit kann nur exemplarisch anhand ausgewählter evangelischer Theologen, die für die Geschichte der protestantisch-theologischen Wahrnehmung von Jōdo-shinshū als repräsentativ gelten dürfen, der Hintergrund aufgezeigt werden, vor dem dann das abschließende Vergleichs-Kapitel 13 zu verstehen ist. Die Funktion dieser theologiegeschichtlichen Reflexion besteht darin, bestimmte Wahrnehmungsschemata zu identifizieren, die zu wechselseitigen Interpretationsmustern geführt haben, welche unter Umständen die interreligiöse Begegnung und einen sachgemäßen Dialog eher verstellt als gefördert haben. C. Kleine hat in seiner luziden Studie1 die Strukturen dieser Begegnung als „Orientalismus“2 und 1

2

„Der ‚protestantische Blick‘ auf Amida: Japanische Religionsgeschichte zwischen Orientalismus und Auto-Orientalismus“ (C. Kleine 2003, 145–193). C. Kleine verwendet den Protestantismus-Begriff nicht in einem konfessionalistischen Sinn, sondern als Sammelbezeichnung für verschiedene Interpretationsschemata, die direkt oder indirekt von einem protestantischen Verständnis von Religion und Geschichte geprägt sind (ebd., 147). Dabei untersucht er drei Ebenen westlicher Deutungszuschreibungen: (1)  den theologisch-religionsphänomenologischen, (2) einen indologisch-buddhologischen und (3)  einen wirtschaftshistorischen, soziologischen und politologischen Diskurs (ausgehend von M. Webers „Protestantismus-These“). In unserem Zusammenhang sind primär der erste, aber auch der zweite Diskurs relevant. Für den indologisch-buddhologischen Diskurs wurde bereits ein Beispiel in dem Exkurs im Anschluss an Kapitel 9 gegeben. Der Begriff „Orientalismus“ wurde von Edward Said geprägt, der damit eine eurozentrische Perspektive auf Gesellschaften des Vorderen Orients im Dienst kolonialer

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

„Auto-Orientalismus“ herausgearbeitet und den konstruktivistischen Charakter religionsgeschichtlicher Bedeutungszuschreibungen erhellt. So wurde z. B. das protestantisch-geschichtsphilosophische Konzept der „Reformation“ auf die japanische Religionsgeschichte übertragen (sowohl von westlichen als auch von japanischen Forschern, die diese Konstruktion übernommen haben).3 Im Vergleich mit Tillich soll der Gefahr eines religiösen „Orientalismus“ durch diese theologiegeschichtliche Reflexion vorgebeugt werden. Für die Auswahl der Theologen waren folgende Gesichtspunkte leitend: Neben der expliziten Beschäftigung mit Jōdo-shinshū in akademischen Veröffentlichungen sind (diachron) die verschiedenen Zeitabschnitte seit der Meiji-Zeit (H. Haas, A. Lloyd) bis in die Gegenwart (T. Oguro; Rudolf-Otto-Symposion), sowie (synchron) verschiedene theologische Ausgangspositionen (K. Barth, N. Söderblom) wichtig. Ein weiteres Kriterium ist die wirkungsgeschichtliche Bedeutung einzelner Theologen für die weitere Shinshū-Deutung (H. Haas, K. Barth). Zudem ist durch die Vertreter unterschiedlicher Nationalitäten (USA, Schweden, Japan, Deutschland) und konfessioneller Standpunkte (lutherisch, reformiert) ein relativ weites Feld unterschiedlicher Wahrnehmungshorizonte abgesteckt. Abschließend skizziere ich anhand des Rudolf-Otto-Symposions und der daraus entstandenen Berichtsbände den gegenwärtigen Stand der Begegnung zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie in Deutschland auf akademischer Ebene.

3

Machtinteressen bezeichnet (E. Said, Orientalism 1978). Das entspricht etwa dem in dieser Studie verwendeten neutralen Terminus der etischen Perspektive. „AutoOrientalismus“ meint dann, dass diese etische Perspektive von Angehörigen der betreffenden Kultur und Religion als Selbstinterpretation übernommen wird (dies könnte man im Duktus der hier präferierten Terminologie als „emisch-etisch“ bezeichnen). Am Beispiel von D. T. Suzuki stellt C. Kleine dar, wie „Auto-Orientalismus“ als Instrument gegen die im Orientalismus implizierten Machtansprüche der Deutungshoheit gewendet und zum Ansatz für Apologetik werden können: „So wie Radhakrishnan dies für Indien getan hat, hat Suzuki religiöse Ideale des Westens übernommen, dem japanischen Buddhismus zugeschrieben, orientalische Vorurteile gegen das vermeintlich irrationale und rückständige Asien in ihr Gegenteil verkehrt und damit eine Überlegenheit des ‚spirituellen Ostens‘ konstruiert. Wie ein geschickter Aikidō-Kämpfer hat er die Kraft des orientalistischen Herrschaftsdiskurses gegen den Westen selbst gelenkt“ (C. Kleine 2003, 164–168, Zitat hier: 168). C. Kleine bezeichnet das „Motiv der buddhistischen Reformation“ als „langlebigen Geschichtsmythos“ (C. Kleine 2003, 155).

12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube

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12.2 Die Ausgangslage – historische Einordnung Vorbemerkung. Die Begegnung zwischen protestantischem Christentum und Buddhismus in Japan nahm ihren Anfang unter ungünstigen Vorzeichen und muss vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung seit der Mitte des 16. Jahrhunderts und insbesondere im Kontext der radikalen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen im Zusammenhang der Meiji-Restauration (1868) bewertet werden.4 Das gilt auch und gerade für die Begegnung mit Jōdo-shinshū. Nur in diesem weiteren Kontext, der historische und sozio-kulturelle Rahmenbedingungen berücksichtigt, kann es zu einer angemesseneren Würdigung auch der inhaltlichen, im engeren Sinne theologischen und religionswissenschaftlichen Verstehensbemühungen und interreligiösen Begegnungen kommen. Katholisch-Buddhistische Religionsgespräche im 16./17. Jahrhundert. Begegnungen von Vertretern der Jōdo-Tradition mit dem Christentum in Zentralasien und China können als sehr wahrscheinlich gelten.5 Ob bereits nestorianische Missionare bis nach Japan kamen, ist unsicher. Erst die katholische Mission in Japan seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bietet historisch greifbare Berichte über eine interreligiöse Kommunikation zwischen (katholischem) Christentum und Jōdo-shinshū. Die erste, rein römisch-katholische, Phase christlicher Mission in Japan begann 1549 mit der Ankunft P. Francisco Xaviers in Japan.6 Erste Kenntnisse über den japanischem Buddhismus im Abendland verdanken wir den Briefen Xaviers, Cosimo de Torres und anderer Jesuiten-Missionare.7 M. Repp gibt einen Überblick über „Religionsgespräche zwischen Jesuiten und Buddhisten im Japan des 16./17. Jahrhunderts“, in dem er die – neben der Predigt – für die Mission grundlegende Kommunikationsform der Disputation als apologetischer Methode anhand historischer Berichte darstellt.8 Dabei konnten 4

5 6

7 8

Für einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der buddhistisch-christlichen Begegnung in Japan vgl. M. v. Brück / W. Lai 22003, [148]–199. Einen ausführlichen Einblick in die konfliktbeladene Begegnung zwischen Buddhismus und Christentum während der Meiji-Ära (1868–1912) gibt M. Schrimpf 2000; zur Profangeschichte vgl. R. Zöllner 2006. G. Amstutz 1997, 43–44. P. Francesco de Xavier (1506–1552), der „Apostel Ostasiens“– Gründungsmitglied der Societas Jesu, Freund und Vertrauter des Ignatius von Loyola – landete am 15. August 1549 in Kagoshima, einer Stadt in der Satsuma-Provinz auf der Insel Kyūshu – gerade ein knappes Jahrzehnt nach der offiziellen Ankerkennung der Gesellschaft Jesu. Vgl. K. Florenz 1925, 348; G. Amstutz 1997, 44. M. Repp 2005, 41–53.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

sowohl die christlichen Missionare als auch buddhistische Priester und Gelehrte auf eine in der jeweiligen Tradition entwickelte und gepflegte Disputations-Kultur als selbstverständlicher Kommunikationsform zurückgreifen.9 Diese interreligiöse Begegnung stand, wie M. Repp aufzeigt, jedoch ganz unter dem Vorzeichen der Konfrontation, wobei es entweder um „Sieg“ oder „Niederlage“ einer Religion ging. Das führte nicht selten zum Abbruch der Kommunikation.10 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass – neben anderen Faktoren – diese konfrontative und antagonistische Methode letztlich zu einem Verbot des Christentums in Japan mit beigetragen hat. In der Begegnung mit Jōdo-shinshū sahen sich die katholischen Missionare in einer doppelten Frontstellung. Neben den Schwierigkeiten im Blick auf die japanische Sprache und den zunächst völlig fremden religiösen Anschauungen erkannten sie hier Affinitäten in der Struktur des Glaubens mit der„lutherische Ketzerei“. Allesandro Valignano (1537–1606) schreibt über Jōdo-shinshū (Ikkō-shū, latinisiert: icoxua): „[…] they hold precisely the doctrine which the devil, father of both, taught to Luther […] this very same doctrine [‘Lutheranism’] has been bestowed by the devil upon the Japanese heathendom. Nothing is changed except the name of the person in whom they believe and trust, and the same effect being created among these heretics as obtains amidst these heathen: for these as much as the others are sunk in total carnality and obscenity, divided in diverse sects, and living therefore in great confusion of belief and in continious wars.“11

Damit rückte die Begegnung mit Jōdo-shinshū in den Horizont der Gegenreformation als zusätzlich belastendem Moment.12 Ab 1592 kam verkomplizierend die Konkurrenz zu Franziskanern und Dominikanern hinzu.13 Es muss allerdings hervorgehoben werden, dass sich die Jesuiten-Missionare intensiv mit der Sprache, Kultur und Religion Japans befassten, was auch eine Beschäftigung mit buddhistischen Lehrmethoden einschloss.14 So war Gaspar Vilela mit dem Konzept 9 10

11

12 13 14

M. Repp 2005, 41. M. Repp 2005, 49–51. Diese ersten Begegnungen standen unter dem Vorzeichen aggressiver missionarischer Bemühungen, die offene Kritik an der Korruption des buddhistischen Klerus einschloss (K. Kasahara 2001, 422). G. Elison, Deus Destroyed: The Image of Christianity in Early Modern Japan (Cambridge University Press, 1973), 43 (zitiert nach C. Kleine 2003, 151). Weitere einschlägige Zitate bei C. Kleine 2003 und G. Amstutz 1997. Vgl. G. Amstutz 1997, 44; Y. Kigoshi, 2000, 39. Ferner Karl Barth, KD I,2, 374 unter Verweis auf K. Florenz. M. v. Brück/W. Lai, 22002, 151. Vgl. die Beschreibungen von P. Luiz Frois S. J. (1532–1597) in seiner História de Japam, auf die sich auch M. Repp in seiner Darstellung stützt.

12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube

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der „geschickten Mittel“ vertraut, und die Berichte von L. Frois legen nahe, dass die Missionare auch von der elaborierten Predigtkunst der Jōdo-shinshū lernten.15 Der katholischen Mission im Japan des 16. und 17. Jahrhunderts war kein bleibender Erfolg beschieden. Durch politische Wirren im Kampf verschiedener Kräfte um die Vorherrschaft in Japan selbst sowie durch die Verquickung der Mission mit Machtinteressen in diesem Zusammenhang und der Furcht vor einer Invasion und Kolonisation durch westliche Mächte kam es zunächst zur Ausweisung der Missionare im Jahr 1587 unter Toyotomi Hideyoshi16 (die allerdings unterlaufen wurde) und schließlich zum völligen Verbot des Christentums, das bis auf wenige Kakure-Kirishitan (Krypto-Christen) ausgelöscht wurde. Tokugawa Ieyasu (1542–1616), der Nachfolger Hideyoshis und Begründer des Togugawa-Shogunats, setzte die anti-christliche Politik seines Vorgängers fort. Erlasse zum Verbot des Christentums in den Jahren 1612, 1613 und 1616 wurden ebenso wie weitere Edikte unter den folgenden Shogunaten des Hidetada und Iemitsu nicht konsequent durchgeführt. Erst der Aufstand von Shimabara 1638 gab den Anstoß zur völligen Abschließung des Landes und der konsequenten Verfolgung des Christentums.17 Im Kontext der Religionspolitik des Tokugawa-Shogunats steht auch die Erneuerung shin-buddhistischer Predigt, wie sie von Elisabeth G. Harrison in ihrer Dissertation dargestellt wird.18 Christlich-buddhistische Begegnung in der Meji-Ära. Nach einer langen Zeit des Schweigens – bedingt durch die radikale Selbstisolation Japans von 1639 bis zu deren von außen erzwungenem Ende im Jahr 1853 unter dem amerikanischen Commodore Perry – wurde durch die Öffnung Japans und die beginnende protestantische Missionsarbeit erstmals die direkte Begegnung zwischen Protestantismus und Jōdoshinshū möglich. Kam Jōdo-shinshū – wie dem Buddhismus insgesamt – durch die Religionspolitik während des Tokugawa-Shogunats (insbesondere durch das Verbot des Christentums und dem tera-ukeSystem, i. e. der obligatorischen Registrierung bei einem buddhisti15 16

17 18

G. Amstutz 1997, 45 und 47. Für Hideyoshi waren die Rede vom „Reich Gottes“ und die christliche Enklave in Nagasaki suspekt. Er sah das Christentum, genauso wie die Ikkō-Aufstände von Jōdo-shinshū, als schädlich für die Nation an (vgl. Abschnitt 7.2.3 und K. Kasahara 2001, 435). Zu den Hintergründen der Abschließung Japans (jap. sakoku 鎖国), vgl. U. Pauly 1989. Vgl. Abschnitt 10.2.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

schen Tempel) eine wichtige politisch-gesellschaftliche Funktion zu, so änderte sich die Situation während der Meji-Ära (1868–1912) mit der Abschaffung des Shogunats und des Feudalismus, der Restauration des Tennō und der Modernisierung des Landes infolge der Öffnung für den Westen grundlegend.19 Ein reiner Shintō sollte zur staatstragenden Ideologie werden (kokka-shintō 国家神道), und die Abschaffung des Buddhismus wurde aktiv betrieben (hai-butsu ki-shaku 廃仏 毀釈). Der Buddhismus musste sich unter großem Legitimationsdruck um eine grundlegende Neuorientierung und Modernisierung bemühen. 20 In dieser Situation geriet er in starke Konkurrenz zum Christentum, was sich nicht unerheblich auf die interreligiöse Begegnung während dieser Zeit auswirkte. In diesem Zusammenhang gerierte sich Jōdo-shinshū nationalistisch, was auch gegen das Christentum als ausländischer Religion aus dem Westen in Anschlag gebracht wurde. 21 M. Schrimpf (2000) hat die buddhistisch-christliche Begegnung während dieser Zeit untersucht und kommt u. a. zu dem Ergebnis: „Die einzelnen Schulen widmeten sich in unterschiedlichem Ausmaß der Aufgabe, die Ausbreitung des Christentums zu verhindern. Am aktivsten waren die Honganji- und Ōtani-Zweige der Jōdo shinshū. Sie bemühten sich, unter ihren Gläubigen eine antichristliche Haltung zu verbreiten, um so das Vordringen des Christentums in ihre Hoheitsgebiete aufzuhalten. Zu den häufigsten Maßnahmen gehörten die Behinderung christlicher Veranstaltungen, die Organisation von Redeversammlungen, die der theoretischen Widerlegung christlicher Lehren, nicht selten aber auch der der reinen Polemisierung gegen die ‚schlechte Religion‘ dienten, und die Gründung antichristlicher Vereinigungen auf lokaler oder regionaler Ebene.“22

Zu diesem Zweck bemühte sich Jōdo-shinshū um gründliche Kenntnisse des Christentums und seiner gesellschaftlichen Stellung im Westen. Bis 1873 ließen Hongaji-ha und Ōtani-ha Priester inkognito von christlichen Missionaren unterrichten und entsandten Studenten ins westliche Ausland, wo sie mit naturwissenschaftlichen und religionskritischen Strömungen vertraut wurden. 23 Durch den Priester Gesshō von Honganji-ha wurde das in der Tokugawa-Ära entwickelte Argument, dass das Christentum eine Gefahr für die nationale Unabhängigkeit darstelle, erneuert. 24 War der Buddhismus in Japan gegen Ende 19 20 21 22 23 24

Für einen gründlichen Einblick in die Geschichte Japans in der frühen Neuzeit und Moderne vgl. R. Zöllner Geschichte Japans von 1800 bis zur Gegenwart 2006. Jodo Shinshu – A Guide 2002, 100–101; K. Kasahara 2001, 545–559. Vgl. Abschnitt 7.2.3; R. Zöllner 2006, 149–150 M. Schrimpf 2000, 45 (dort auch konkrete Beispiele). M. Schrimpf 2000, 49. M. Schrimpf 2000, 52–53; R. Zöllner 2006, 149–150.

12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube

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des 19. Jahrhunderts in die Defensive geraten, so wurde dadurch auch eine innere Erneuerung initiiert, die zu dem Wunsch intentionaler und internationaler Verbreitung des Buddhismus im Westen führte. Als Markstein dafür kann das World’s Parliament of Religions in Chicago 1893 gelten. Nach M. Schrimpf war die Verbreitung des Buddhismus im Westen das zentrale Anliegen der buddhistischen Delegation aus Japan. 25 Durch das Weltparlament der Religionen wurde in der späten Meji-Zeit der 90er Jahre aber auch eine Annäherung von Buddhismus und Christentum angeregt, deren Trägerkreise die sog. shūkyōka kondankai („Freundschaftliche Gesprächs-Versammlung der Religionsvertreter“) und die reformbuddhistische shin-bukkyō-to-Bewegung („Anhänger eines neuen Buddhismus“) waren. Hier kam es erstmals zu einem nicht-konfrontativen Austausch der Religionen, die sich auf ihre gemeinsamen Aufgaben in der Gesellschaft konzentrierten und dogmatische Fragen dabei ausklammerten. 26 Es handelte sich dabei im Wesentlichen um eher liberale Intellektuelle und nicht um eine Begegnung auf der Ebene der Institutionen oder der Gläubigen. Dabei wurde der Beitrag des Christentums insbesondere in dessen sozialem Engagement gesehen. Ebenso hatte man erkannt, dass Atheismus und Materialismus eine gemeinsame Herausforderung aller Religionen darstellen. Die unterschiedliche Bearbeitung dieser Herausforderung bei Jōdo-shinshū wurde bereits in Abschnitt 7.2.3 am sog. NonomuraZwischenfall exemplarisch dargestellt. M. Schrimpf hat herausgearbeitet, dass die christlich-buddhistische Begegnung während der Meiji-Zeit v. a. von religionspolitischen Interessen geleitet war und im Kontext der politischen und sozio-kulturellen Umbrüche jener Zeit einzuordnen ist. Diese Situation hat sich nach 1945 grundlegend gewandelt. Es kann an dieser Stelle nur angedeutet werden, welche gesellschaftliche Dynamik das Nachkriegsjapan als moderne Industrienation mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung entfaltet hat. Die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion, das japanische „Wirtschaftswunder“ und die damit rasant zunehmende Urbanisierung, die für die zunehmende Auflösung des traditionellen Familien-Systems (ie-seido 家制度) wesentlich verantwortlich ist, haben das Problem der Säkularisierung und des Traditionsabbruchs rasant beschleunigt. Mit der Finanzkrise 1994 setzt R. Zöllner den Beginn der postindustriellen Gesellschaft in Japan an. 27 25 26 27

M. Schrimpf 2000, 95. Vgl. M. v. Brück / W. Lai 22002, 160–164; M. Schrimpf 2000, [82]–83; K. Kasahara 2001, 555–556. R. Zöllner 2006, 423.

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Im Jahr 1999 beschreibt der damalige Rektor der Ōtani-ha affilierten Ōtani-Universität die japanische Gegenwartssituation als Krise der Moderne mit der einhergehenden Orientierungslosigkeit und Unübersichtlichkeit, die zu einer gegenwärtig katastrophenartigen Stimmung führe. Der zurückliegende 150jährige Modernisierungsprozess Japans, insbesondere seit Ende des Zweiten Weltkrieges, habe letztlich zu Anthropozentrismus, Materialismus und Religionsverlust geführt, worin er die Ursache für die gesellschaftliche Krise ausmacht. 28 Der Dialog zwischen Christentum und japanischem Buddhismus (insbesondere des Zen) wurde durch die Arbeiten von D. T. Suzuki und der sog. Kyōto-Schule (Nishida Kitarō, Nishitani Keji, Ueda Shizuteru) u. a. dominiert, die bewusst westlich-philosophische Konzepte aufgenommen haben. T. Kurube macht darauf aufmerksam, dass der Begründer der modernisierten Ōtani-Universität, Kiyozawa Manshi (1863–1903), als erster Japaner Hegel studiert, und der zweite Rektor Nanjō Bunyū (1849–1927) acht Jahre bei Max Müller in Oxford gearbeitet habe. Ebenso haben D. T. Suzuki und dessen Freund K. Nishida, der Begründer der Kyōto-Schule, in Ōtani gelehrt. 29 Erst vor dem geschichtlichen Hintergrund kann ermessen werden, welchen Fortschritt gegenwärtige Dialogbemühungen darstellen und wo nach wie vor neuralgische Punkte interreligiöser Begegnung liegen. Erst im Kontext der historischen Rahmenbedingungen können protestantische Deutungsversuche der Jōdo-shinshū, wie sie im Folgenden dargestellt werden, auch in ihrer religionspolitischen und kommunikationspsychologischen Dynamik im interreligiösen Dialog ermessen werden. Die christlich-buddhistischen Begegnungen haben eine reziproke Interpretationsdynamik freigesetzt und die jeweilige Wahrnehmungsperspektive bestimmt. Insbesondere der Glaubensbegriff und die Parallelen zur lutherischen Gestalt der Reformation stehen hier im Mittelpunkt.30 Für den Dialog mit Jōdo-shinshū konstatieren M. v. Brück und W. Lai, dass aufgrund der phänomenologischen Nähe von Christentum und Shinshū der Dialog eher zögerlich sei und unter Betonung der buddhistischen Identität eher die Abgrenzung gesucht werde.31 Dieses Urteil unterstellt jedoch, dass Dialog und sachlich-inhaltliche Abgrenzung bzw. die Konstatierung von Differenzen sich gegenseitig 28 29 30 31

Kurube Teruo in seiner Begrüßungsansprache zum III. Internationalen Rudolf-Otto-Symposion 1999 in Marburg (H.-M. Barth u. a. 2000, 3–4). T. Kurube, in: H.-M. Barth u. a. 2000, 3–4. In Kapitel 8 konnte gezeigt werden, wie dieser Kontext bis in die gegenwärtigen Darstellungen von shinjin nachwirkt. M. v. Brück / W. Lai 22002, 193.

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ausschließen. Das ist jedoch weder sachlich zwingend, noch deckt sich das mit meinen eigenen Dialog-Erfahrungen oder denen im Rahmen des Rudolf-Otto-Symposions (siehe Abschnitt 13.4). Gerade im Blick auf den evangelisch-shin-buddhistischen Dialog kann ein neues Stadium markiert werden, in dem sowohl historisch-politische als auch orientalistisch/auto-orientalistische Paradigmen, wie sie für ältere Darstellungen charakteristisch sind, überwunden werden.

12.3 Jōdo-shinshū im Spiegel älterer protestantischer Darstellungen 12.3.1 Shinran als ‚japanischer Luther‘? Folgendes Zitat von K. L. Reichelt zeigt, welche Resonanzphänomene die Botschaft Shinrans bei einem protestantischen Theologen auszulösen vermag, der zudem auf der Suche nach „Anknüpfungspunkten“ in missionarischer Intention ist. Es ist ein idealtypisches Beispiel für den „protestantischen Blick“ (C. Kleine). Zugleich lässt es erahnen, zu welchen Reaktionen es aufseiten einer solchermaßen vereinnahmten Jōdo-shinshū führt, die sich bereits innerbuddhistisch (v. a. gegenüber dem Zen) als genuin mahāyānisch rechtfertigen muss. „29 Jahre alt kam er [i. e. Shinran, Anm. d. Verf.] zu dem alten Meister Honen, der schon begonnen hatte, von der Macht der Erlösung, die in Amitabhas Namen liege, zu predigen. Aber erst Shinran tat den letzten Schritt und zeigte, daß der Mensch allein durch den Glauben und die Anrufung von Amitabhas Namen wiedergeboren werden könne, so daß er in das ‚Reine Land‘ passe. Als ein Reformator höchsten Ranges stund [sic!] er in der Zeit der großen Verwirrung auf und predigte wie ein Luther sein ‚sola fide‘ (allein durch den Glauben). Nachdem er selbst durch die ‚Schulen der Gesetzlichkeit‘ gegangen und wie die anderen Buddhistenmönche seiner Zeit in seiner Seele innersten Lebensdrang gedrückt und geknebelt worden war, hatte er sich durchgefunden zu der ‚Rechtfertigung aus Glauben ohne des Gesetzes Werke‘. Mit unbezwinglichem Freimut und hoher Freude sang er den Lobgesang des Glaubens, zum größten Segen für seine Gegenwart und Nachwelt.“32

32

K. L. Reichelt 1926, 109. Karl Ludvig Reichelt (1877–1952) war Norwegischer Missionar in Nanjing und Hong Kong, der den Buddhismus als praeparatio evangelica ansah und buddhistische Konzepte und Traditionen für seine christliche Missionstätigkeit benutzte, vgl. N. R. Thelle 2006, 157 (dort auch Verweise auf weitere Literatur zu Reichelt).

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

Zahlreiche ähnlich lautende Zitate ließen sich mühelos aneinanderreihen. 33 Der Vergleich zwischen Shinran und Luther drängt sich in verschiedener Hinsicht auf und ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. 34 Überblickt man die ältere Literatur, in der sich protestantische Autoren um eine Würdigung der Jōdo-shinshū bemühen, so reichen die Einschätzungen je nach theologischer Ausgangsposition von fast überschwänglicher Begeisterung über den „japanischen Luther“ Shinran, die aus partikularen phänomenologischen Affinitäten theologische Identität ableitet, bis hin zu konfrontativ-apologetischen Abgrenzungs- und Deutungsversuchen. Die sprachlichen Barrieren tragen zusätzlich zu Verständnisschwierigkeiten und einer gewissen Verunsicherung angesichts der „verblüffenden Übereinstimmung“35 bei. So sind es gerade die sich einer christlich geprägten Terminologie bedienenden Übersetzungen shin-buddhistischer Texte in europäische Sprachen, die entsprechende Resonanzphänomenen auslösten, und die z. B. gegenwärtig dazu führten, dass Selbstdarstellungen von Jōdo-shinshū auf die Übersetzung das Begriffes shinjin ganz verzichten. Dabei besteht das Interesse durch die offensichtlichen Affinitäten beider Traditionen durchaus auch auf beiden Seiten, wie z. B. die 1983 in Marburg gehaltene Joachim-Wach-Vorlesung von dem Germanisten und shin-buddhistischen Priester Ashizu Takeo über „Shinran als ‚japanischer Luther‘“ deutlich macht. Ashitsu konstatiert: „Die Verwandtschaft [i. e. von Luther und Shinran, Anm. d. Verf.] reicht bis in die Grundstruktur ihres Glaubens und religiösen Denkens.“36 Dass gerade der Glaubensbegriff als Kristallisationspunkt der Konvergenz beider Traditionen gilt, fasst Ashizu so zusammen: „Den Grundsatz 33

34

35 36

Vgl. z. B. die Zitate bei G. Amstutz 1997 und C. Kleine 2003. F. Heiler schrieb 1924: „Der japanische Amida-Buddhismus ist sogar unverfälschtes Luthertum, nur in asiatisch-buddhistischen Hüllen“ (F. Heiler 1924, 226 Anm. 84). Heiler bezieht sich dabei explizit auf die Darstellung bei H. Haas 1910 (vgl. Abschnitt 12.3.2). Auch Rudolf Otto hat in seiner 1926 erschienenen Studie West-östliche Mystik: Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung in einer Fußnote Shinran und Hōnen als Geistesverwandte und Zeitgenossen in einem tieferen Sinn bezeichnet (R. Otto1979, 4). H. Butschkus: „Luthers Religion und ihre Entsprechung im japanischen AmidaBuddhismus“ (1940); P. O. Ingram: „Shinran Shōnin and Martin Luther: A Soteriological Comparison“ (1971); T. Oguro: „Der Rettungsgedanke bei Shinran und Luther“ (1974/1985); T. Ashizu: Shinran als ‚japanischer Luther‘. Über das Nembutsu“ (1983/1989); J. Laube: „Der Glaubensakt bei Luther und Shinran“ (1983); H-M. Barth: „Luther und Shinran – Wegbereiter von ‚Säkularisation‘?“ (2004). Einen Vergleich von Luther und Hōnen unter dem Aspekt der „religiösen Erneuerung“ stellt M. Repp (2001/2005) an. G. Rosenkranz 1960, 297. T. Ashizu 1989, 16.

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‘allein der Glaube’ besitzen Shinran und Luther gemeinsam.“37 Auch J. Laube konzentriert sich in seinem Religionsvergleich auf den Glaubensbegriff und sieht eine „weitgehende strukturale Analogie“ in Bezug auf das Glaubenssubjekt und einschränkend auch im Blick auf das Glaubensobjekt.38 Auch auf dem III. internationalen Rudolf-OttoSymposion in Marburg stand das Glaubensthema im Vordergrund. 39 Folgende Einzeldarstellungen können nur einige Schlaglichter auf die Resonanzphänomene und reziproken Interpretationsleistungen interreligiöser Begegnung geben.40

12.3.2 Hans Haas und Arthur Lloyd Von wirkungsgeschichtlich kaum zu überschätzender Bedeutung für die Wahrnehmung von Jōdo-shinshū im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts wurden die Arbeiten von Hans Haas.41 1907 veröffentlichte H. Haas drei Vorlesungen, die er im April desselben Jahres auf einem Missionskurs des Allgemeinen Evangelisch-Protestantischen Missionsvereins an der Universität Berlin gehalten hatte, unter dem Titel „Japans Zukunftsreligion“. Darin heißt es im Vorwort: „Das Christentum ist den ‚Heiden‘ auch in Japan willkommen, weil es ihnen hilft, 37 38 39

40

41

T. Ashizu 1989, 17. J. Laube 1983, 45–46. Vgl. die Beiträge H-M. Barth: „Allein durch den Glauben“ (2000, [31]–38); Y. Kigoshi: „‚Sola Fide‘ und das nembutsu. Die Begegnung der Jodo Shinshu mit dem Christentum“ (2000, [39]–51), sowie den Rückblick auf das Symposion von H.-M. Barth (2000, [194]–205). G. M. Martin bemerkte bei der Podiumsdiskussion am 9. 5. 1999 etwas kritisch dazu: „Wir haben in dem Sinne ‚steil‘ eingesetzt, daß wir unseren Dialog sehr zentriert haben auf die Ebene von Glaubensvorstellungen und Denkweisen“ (in H.-M. Barth u. a. 2000, 166). Zur Geschichte dieser Begegnung vgl. auch G. Amstutz 1997 und C. Langer-Kaneko 1987, [101]–130. Langer-Kaneko behandelt darin die Arbeiten von H. Haas, K. Barth und H. Butschkus ausführlicher. Hans Haas (1868–1934) studierte in Erlangen Evangelische Theologie und klassische Philologie. Von 1894–1897 war er zunächst Stadtvikar in Aschaffenburg und wurde 1898 (über Beziehungen zum „Allgemeinen Evangelisch-Protestantischen Missionsverein“, der späteren Ostasienmission) zum Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Tōkyō und Yokohama, sowie zum Direktor der protestantischen theologischen Hochschule (shinkyō shingakkō) in Tōkyō berufen. Er hielt auch religionsgeschichtliche Vorlesungen an der Kaiserlichen Universität Tōkyō, wo Arthur Lloyd ebenfalls als Dozent tätig war. 1903 erhielt er für seine wissenschaftlichen und kirchlichen Verdienste die Ehrendoktorwürde der Universität Straßburg. 1909 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde 1913 zum a. o. Professor in Jena und 1915 als o. Prof. zum Nachfolger von Nathan Söderblom auf den Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Religionsgeschichte berufen (vgl. F. W. Bautz, BBKL Bd. II, Sp. 412–413, www.bautz.de/bbkl/h/haas_ha.sthml, letzte Änderung 9. 7. 2008).

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ihre eigenen Ideale zu erreichen.“42 Ganz im Duktus liberaler Theologie der Zeit wird die positive Funktion des Christentums für die Kultur hervorgehoben, die im Kontext der ausgehenden Meiji-Ära ihre apologetische Pointe nicht versäumt. Was allerdings die „eigenen Ideale“ der Japaner sind, wird nicht erwähnt. Nachdem Japan die Überlegenheit der westlichen Zivilisation erkannt habe, sei es eine Pflicht, auch die christliche Religion als deren Grundlage mitzuteilen (12). In der ersten Vorlesung beschreibt Haas die Stellung der Religion im gegenwärtigen Japan, wobei besonders der buddhistische Widerstand gegen das Christentum namhaft gemacht wird. Die gründliche Kenntnis des Buddhismus sei die Voraussetzung für den Erweis der „Superiorität des Christentums“ und für die Beantwortung der Frage, inwieweit es den Buddhismus „aufzulösen“ oder zu „erfüllen“ habe (13).43 Der „endliche Sieg des Christentums über den Buddhismus“ ist ihm nicht zweifelhaft (57). Daher sucht er in der zweiten Vorlesung nach Berührungspunkten und Gegensätzen zwischen Christentum und japanischem Buddhismus. Dabei bezieht er sich primär auf Arbeiten und Übersetzungen des Missionars und Professors Arthur Lloyd, da es nach Haas kaum andere gebe.44 Bei der Jōdo- und der Shinsekte stehe nach Haas „im Mittelpunkt des Lehrsystems Amida und der Glaube an seine stellvertretende Mittlerschaft, die Erlösung durch Vertrauen auf ihn und durch die gläubige Anrufung seines Namens […]“ (73). An dieser Stelle wird Amida bereits durch christologische Kategorien interpretiert, wenn von „stellvertretender Mittlerschaft“ gesprochen wird. So verwundert es kaum, dass er in der Lehre von jiriki, der Anderen Kraft, „… stillschweigend die Vergebung der Sünden, ohne die die Seligkeit nicht zu gewinnen ist, angenommen“ sieht (78). Im Ergebnis fasst Haas zusammen, dass die „Umbiegungen des 42 43

44

H. Haas 1907, 7. Die im Folgenden in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf H. Haas 1907. An anderer Stelle zitiert H. Haas ausführlich E. Tröltsch („Die Christliche Welt“ 1906, Nr. 3): „Aber wir bleiben bei der Gewißheit, daß die christliche Religion in ihrer Verbindung mit dem europäisch-antiken Zivilisationserbe die höchste Form und Kraft geistigen Lebens ist […]. Deshalb fühlen wir uns verpflichtet und berechtigt, überall da mit unserem höheren Besitze einzugreifen, wo Höheres und Besseres sich gestalten will oder sich gestalten muß.“ Und Haas fügt hinzu: „Und in Japan will Höheres sich gestalten“ (H. Haas 1907, 91). A. Lloyd lehrte etwa zur selben Zeit wie Haas an der Kaiserlichen Universität in Tōkyō. Er verfasste neben einer Übersetzung der Predigten von Tada Kanae (1907) Aufsätze über Mission und japanischen Buddhismus (Wheat among Tares, 1908; The Creed of Half Japan 1911), sowie eine Studie über Jōdo-shinshū Shinran and His Work: Studies in Shinshu Theology (1910). Da sich Haas auf Lloyd stützt und beide vergleichbare Auffassungen vertreten, ist eine gemeinsame Darstellung in diesem Abschnitt angebracht.

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alten Dogmas“ im Vergleich mit dem ursprünglichen Buddhismus den japanischen Buddhismus näher an christliche Vorstellungen rücke (88). In seiner dritten Vorlesung über „[b]isherige Erfolge und verbleibende Aufgaben der christlichen Propaganda in Japan“ resümiert Haas, dass es in der zweitausendjährigen Missionsgeschichte in keinem anderen Land so großen Erfolg gab, wie in den fünfzig Jahren seit Beginn der Öffnung Japans. Das Christentum habe schon „Wurzel gefasst im Leben der japanischen Nation, es hat aufgehört, ein exotisches Gewächs zu sein“ (113). Im krassen Widerspruch dazu steht jedoch, wenn er im Blick auf die verbleibenden Aufgaben schreibt, dass etwa 90 Prozent aller Japaner noch nie direkt vom Christentum gehört hätten (115). Daran, dass Haas das Christentum, wenn es eine Kultursynthese mit Japan eingeht, für „Japans Zukunftsreligion“ hält, lässt er keinen Zweifel. Seine Darstellung ist ganz vom Pathos eines kulturoptimistischen Fortschrittsglaubens geprägt, der seine Kulturtheologie und sein Missionsverständnis bestimmt. Die Missionserfolge der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gaben ihm Anlass zu einer optimistischen Prognose, die sich aus heutiger Sicht als grundfalsch erwiesen hat, wie der geringe Anteil von gerade einmal 1 % Christen in der japanischen Bevölkerung 100 Jahre später zeigt. So sehr das Bemühen von Haas um das Verständnis japanischer Religionen und der Ansatz eines kontextuellen Verständnisses des Christentums zu würdigen ist, steht es doch ganz unter dem Vorzeichen eines religiösen Kulturimperialismus, der insbesondere in Jōdo-shinshū als buddhistischem Interpretament des Christentums eine indigene Form des Evangeliums entdeckt. Vor diesem Hintergrund ist auch sein wirkungsgeschichtlich bedeutsamstes Werk zu sehen. 1910 wurden Haas’ Übersetzungen shin-buddhistischer Texte in der im Auftrag der religionsgeschichtlichen Kommission bei der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen herausgegebenen Sammlung Quellen der Religionsgeschichte veröffentlicht: Amida Buddha unsere Zuflucht. Urkunden zum Verständnis des Japanischen Sukhāvatī-Buddhismus.45 Zahlreiche Religionswissenschaftler und Theologen (wie Karl Florenz oder Nathan Söderblom, Karl Barth, Gustav Mensching, Gerhard Rosenkranz und Geo Widengren u. a.) beziehen sich auf die Übersetzungen und Darstellung von Haas.46 Es 45 46

H. Haas 1910. Die Angaben der Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf dieses Werk. Selbst Hans-Jürgen Greschat ist in seinem 1980 erschienenen Lehrbuch „Die Religion der Buddhisten“ noch auf die Übersetzung von Haas angewiesen (H.-J. Greschat 1980, 103).

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ist keine Übertreibung zu behaupten, dass H. Haas das Bild von Jōdoshinshū in der deutschsprachigen evangelischen Theologie und Religionswissenschaft bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt hat, da es die einzig verfügbare Quellensammlung zum ShinBuddhismus in deutscher Sprache war. Vor aller berechtigten Kritik steht daher auch die Würdigung Haas’ als Pionier in der Erschließung erster Kenntnisse über den japanischen Amida-Buddhismus.47 Haas gibt – nach einer kurzen allgemeinen Einleitung in die Jōdoshū und die Jōdo-shinshū – Texte aus beiden Schulen in Übersetzung wieder. Ich beschränke mich auf die Texte der Jōdo-shinshū: das Shōshin-ge, Worte Shinrans, die von Nyoshin überliefert sind, das Tani-shō, das Nyoshin zugeschrieben wird, das Ryōge-mon von Rennyo, die „Shinshū-Doktrin“ (1881) von Akamatsu Renjō (Honganji-ha) und drei Predigten von Tada Kanae (Ōtani-ha). Dabei konzediert H. Haas in seiner Einleitung, dass sowohl Akamatsu als auch Kanae innerhalb ihrer Denominationen wegen ihrer Tendenzen, sich dem Christentum anzunähern, umstritten sind. Angesichts der Infragestellung der buddhistischen Orthodoxie seiner Gewährsmänner fragt Haas, ob man Jōdo-shū und Shinshū überhaupt als buddhistisch gelten lassen könne (35)! Haas sieht im Jōdo-Buddhismus gerade das Gegenteil der Lehre Śākyamunis und hält japanische „Buddhisten“ eher für „Kryptochristen“.48 In der Einleitung beschreibt er beide Schulen in christlichen Kategorien und benutzt drei Verse des Neuen Testaments, um ihren Gehalt zusammenzufassen: „Sie [i. e. die Religion der Jōdo-shū und Jōdo-shinshū, Anm. d. Verf.] hat eigentlich nur ein [im Original gesperrt, Anm. d. Verf.] Thema: Glaube nur! Oder: Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden. Oder höchstens: So man von Herzen glaubet, so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennet, wird man selig.“ (6)

Es ist bezeichnend, dass Haas die Stellen akontextuell wiedergibt. So fehlt in Apg 4, 12 der Bezug auf den Namen Jesu Christi (Apg 4, 10), und in Röm 10, 10 ist auf das Bekenntnis „Jesus ist Herr“ und der Glaube an 47

48

Einen Versuch, die Darstellung von Haas zu ersetzen, stellt die 1997 von C. Steineck besorgte Übersetzung und Einleitung ausgewählter „Quellentexte des japanischen Amida-Buddhismus“ dar, die allerdings (obwohl in einer wissenschaftlichen Reihe herausgegeben) keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt und keinen qualitativen religionswissenschaftlichen und philologischen Fortschritt darstellt. Vgl. auch die Rezension von C. Kleine, in der auf problematische bis falsche religionsgeschichtliche Angaben und Übersetzungen aufmerksam gemacht wird (C. Kleine 2006, 207–212). H. Haas 1912, 144.

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seine Auferweckung von den Toten (Röm 10, 9) rekurriert. Genau an der Stelle wird eine Generation später Karl Barths Kritik einsetzen, die in dem Namen Jesus Christus den entscheidenden Unterschied sieht. Und auch H.-M. Barth macht auf die jeweiligen religionsimmanenten Bezüge des „Namens“ aufmerksam, wenn er entscheidende Differenzen aufzeigt. Haas schließt aufgrund von Affinitäten auf theologische Identität, die er in den Dienst seiner Idee einer christlich-japanischen Kultursynthese stellt. In diesem Interesse kann auch die Auswahl der Quellen und seiner Gewährsmänner gesehen werden, wie die Beispiele von Akamatsu und Kanae zeigen. An den Übersetzungen lässt sich im Detail aufweisen, wie diese von den leitenden Interessen geprägt sind. An einer Predigt von Tada Kanae soll das in diesem Rahmen nur exemplarisch aufgezeigt werden. Wie verblüffend die empfundene Nähe von Tadas Predigten zum Christentum auf Lloyd und Haas gewirkt haben mag, wird daran deutlich, dass sich Lloyd im Vorwort seiner Übersetzung gegen den möglichen Verdacht verwahrt, die Predigten gar nicht übersetzt, sondern für seine eigenen Zwecke manipuliert zu haben. Zurecht verweist Lloyd darauf, dass sie auch im Original christlich klingen.49 Und Haas bemerkt zu den Predigten in der Übersetzung Lloyds: „Der jedem Leser auffallende christliche Klang dieser buddhistischen Predigten erklärt sich daraus, daß der Priester Tada der Jōdo-shū [sic!] oder Shukhāvatī-Sekte (in Japan begründet 1174) angehört, nach deren ganz und gar unbuddhistischer Lehre der sündige Mensch sola fide, nur durch den Glauben an die Heilandsmacht eines gnädigen Vatergottes, nicht durch eigene Vernunft oder Kraft selig zu werden hofft.“50

Haas benutzt bei seiner Übersetzung der Predigten nicht das japanische Original51, sondern die englische Übersetzung von Arthur Lloyd52 (36), die ihrerseits auf einem japanischen Text beruht, dessen Autor versucht, sich christlichen Vorstellungen anzunähern. Die deutsche Übersetzung ist also durch mehrere Filter gegangen. So heißt es z. B. in der Predigt „Die Welt und wie wir durch sie gehen sollen“ in der Übersetzung von Haas, die sich eng an die englische Vorlage (Text in Klammern) anschließt: „Noch klarer werden wir dies sehen, wenn wir bedenken, daß der Vater der Barmherzigkeit (Father of Mercies) [Anm. H. Haas: Amida] uns gerne und reichlich (freely) alle unsere Sünden vergibt (forgives), Sünden, deren Be49 50 51 52

A. Lloyd 1907, [1]. H. Haas 1910a, 391. 多田鼎: 修道講話 Tada Kanae: shūdō kōwa. Tōkyō 51909 (1905). A. Lloyd: The Praises of Amida, seven buddhist sermons translated from the Japanese of Tada Kanae. Second Edition Revised and Enlarged. Kyōbunkwan: Tōkyō 1907.

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trachtung uns selbst erzittern macht, und daß er uns annimmt so, wie wir eben sind, und uns errettet. Ist aber uns also vergeben worden, sollten nicht auch wir Anderen vergeben? Es ist der Wille Buddhas (Hotoke), der da allen Menschen vergibt, daß auch wir vergeben sollen, wir er (He) vergeben hat.“53

Das Original bei Kanae lautet54: 殊に御慈悲の御父は、私共が自分ながら震ひ戦くほどの罪をも宥したまい て、この私を、このままながら、すくいとつて下さるるではないか.私共、かく 自分に恕されながら、他人を宥さぬということがあるべきか.一切を恕した まふ佛の大御心を心として、私共、亦一切を赦さねばらぬ. Koto ni on-jihi no mi-oya wa, watakushi-domo ga jibun nagara furuiononoku hodo no tsumi wo mo yurushi-tamaite, kono watakushi wo kono mama nagara, sukui-totte-kudasaruru dewanai ka. Watakushi-domo, kaku jibun ni yurusare-nagara, tanin wo yurusanu to iū koto ga arubeki ka. Issai yurushi-tamō hotoke no ō-mi-kokoro wo kokoro to shite, watakushi-domo, mata issai wo yurusanebanaranu.

Die Parallelität zu biblischen Aussagen über die Vergebung (z. B. Mt 6, 12. 14), oder zur Gottesbezeichnung „Vater der Barmherzigkeit“ (2 Kor 1, 3) liegt auf der Hand. Bei der „Vergebung“ hat Lloyd ein „freely“ interpoliert, das Haas zu der Katechismus-Formulierung „gerne und reichlich alle“ erweitert. Allerdings (das wird nicht erwähnt) unterscheidet sich das Verständnis von tsumi (Sünde) insofern, als es sich bei Jōdo-shinshū dabei um die karmische Verstrickung in samsāra handelt. Für „Vergebung“ yurushi (ein Konzept, das in der Shin-Tradition m. W. nicht gebraucht wird) verwendet Kanae drei verschiedene Schriftzeichen (宥, 恕, 赦), wobei mit den ersten beiden „besänftigen, lindern, versöhnlich stimmen“ und „Großmut, Toleranz, Sympathie, Rücksichtnahme“ ausgedrückt wird. Lediglich das letzte Schriftzeichen ist im christlichen Kontext für Vergebung gebraucht. Der semantische Gehalt von yurushi ist im Kontext dieses Satzes durch das sono mama zu bestimmen. Amida errettet, indem er den in karmische Schuld verhafteten Menschen annimmt, wie er ist. Das verweist auf die Lehre des akunin-shōki 悪人正機. An vielen weiteren Beispielen ließe sich zeigen, dass die Übersetzungen von Lloyd und Haas philologisch ungenau, ja sogar paraphrasierend und ausdeutend sind. Dabei kommt die „christliche“ Terminologie, die Kanae verwendet, unterstützend entgegen. In seinem Buch Shinran and His Work: Studies in Shinshu Theology (1910) hat Arthur Lloyd seine Übersetzungsgrundsätze explizit gemacht. In der Vorbemerkung zur Übersetzung des Shōshin-ge heißt es: 53 54

H. Haas 1910, 146; A. Lloyd 1907, 122–123. T. Kanae 51909, 148–149.

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„I have in several passages made use of words and phrases drawn from Christian theology to express what I have believed to be the real meaning of the poem. I have done so purposely, my object in doing so being to call attention to the parallelisms between the two systems. They are indeed well called parallel, for like parallel straight lines they ‘meet in Infinity.’ May we say that Infinity is God?“55

Die letzte Frage ist für Lloyd lediglich rhetorisch. Man könnte hier sagen, dass der Wunsch zum Vater der Übersetzung geworden ist. Rekonstruiert man den hermeneutischen Prozess, so ergibt sich aus der oberflächlichen Beobachtung von Ähnlichkeiten die Auffassung einer tieferen Identität. Diese Identifikation führt zu einer für legitim angesehenen Übersetzung mit christlichen Termini, die wiederum die Identität bestätigt. So geht es Lloyd nicht um historische Genauigkeit und philologische Akribie, sondern die Behauptung der tieferen Identität von Christentum und Jōdo-shinshū steht bereits als theologisches Axiom am Anfang. A. Lloyd sieht in Christentum und Shinshū zwei voneinander unabhängige Wege, in denen der eine Herr und Retter der Menschheit zu seinem Ziel kommt, indem die Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, dass Rettung durch Glaube an das, was er getan hat, geschieht und nicht durch eigene verdienstliche Werke. Auch wenn an der Oberfläche sich Formen und Namen unterscheiden, so wende sich der Christ im Gebet und der Shin-Gläubige beim Rezitieren des nembutsu (wenn auch unbewusst) an dieselbe göttliche Person.56 Anhand der Arbeiten von Lloyd und Haas konnte exemplarisch aufgezeigt werden, wie theologische Interessen eine bestimmte Wahrnehmungsperspektive erzeugen, die durch Adaptionsversuche seitens einzelner Vertreter von Jōdo-shinshū angeregt und verstärkt werden konnte. Dabei entsteht eine hermeneutische Spirale, in der zunächst vermutete Identität durch mangelnde philologische Genauigkeit, historische Vermutungen und theologische Vorverständnisse sich zu einer behaupteten Identität verfestigt, die wiederum eine sehr freie, christliche Übersetzung legitimiert, welche wiederum die Behauptung der tieferen Identität aufrechterhält.

55 56

A. Lloyd 1910, 35. A. Lloyd 1910, 5–6. Die selbe inklusivistische Argumentationsfigur findet sich bereits in der Bhagavadgita.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

12.3.3 Nathan Söderblom und A. K. Reischauer Etwa ein Jahrzehnt nach den Pionier-Arbeiten von A. Lloyd und H. Haas verlagert sich in den Darstellungen von Reischauer und Söderblom der Akzent von der Glaubensfrage auf die Gottesfrage. Das Theismus-Konzept wird zum Kriterium, an dem der Buddhismus gemessen wird – für Reischauer als fundamentales Differenzkriterium, für Söderblom im Rahmen einer teleologischen Konzeption der Religionsgeschichte. Nathan Söderblom (1866–1931) kommt als Religionswissenschaftler nicht weniger Bedeutung zu, als ihm als Erzbischof von Schweden und Gründergestalt der ökumenischen Bewegung gebührt.57 Sein Hauptwerk Das Werden des Gottesglaubens: Untersuchungen über die Anfänge der Religion (dt. 1916 / 21926; das schwedisches Original Gudstrons uppkomst erschien 1914 in Stockholm) gilt als wesentlicher Beitrag zur Religionsforschung im 20. Jahrhundert. Die Religionsgeschichte stand bei Söderblom im Dienst eines Gottesbeweises. Wenige Wochen vor seinem Tod sagte er in Bezug auf die kurz vorher gehaltenen Gifford-Lectures: „Ich weiß, daß Gott lebt. Ich kann es beweisen durch die Religionsgeschichte.“58 Söderblom geht von einer fortdauernden Offenbarung aus, deren wesentliche Momente er im Genius, der Geschichte und der geistigen Persönlichkeit – und nicht in einem politisch verdächtig gewordenen Monotheismus – erkennt. In der Religionsgeschichte sieht er eine göttliche Selbstmitteilung.59 Für die Darstellung des Amida-Buddhismus benutzt Söderblom neben der Quellensammlung seines Nachfolgers auf dem Leipziger Lehrstuhl H. Haas die Arbeiten von K. L. Reichelt, R. Fujishima, A. Lloyd, Y. Okusa und A. K. Reischauer als Quellen.60 Für N. Söder57

58

59 60

Lars Olof Jonathan Nathan Söderblom war zunächst Pfarrer der lutherischen Kirche von Schweden (1893 Ordination in Stockholm), ab 1894 Pfarrer der schwedischen Gemeinde in Paris. 1901 wurde er mit einer Arbeit über den Parsismus an der Sorbonne zum Dr. theol. promoviert. Ab 1912 hatte er einen Lehrstuhl für Religionsgeschichte in Leipzig inne. 1914 wurde er zum Erzbischof von Schweden berufen. 1925 leitete er die Konferenz für praktisches Christentum Life and Work, die den Höhepunkt seiner ökumenischen Bemühungen darstellte. Ein Jahr vor seinem Tod (1930) erhielt er den Friedensnobelpreis. Zu Leben und Werk vgl. jetzt die umfassende Darstellung von Dietz Lange: „Nathan Söderblom und seine Zeit“, Göttingen 2011. N. Söderblom 21966, V. Die nachgelassenen Gifford-Lectures wurden von Friedrich Heiler mit einem Vorwort und einem biographischen Abriss versehen und posthum herausgegeben unter dem Titel Der Lebendige Gott im Zeugnis der Religionsgeschichte. N. Söderblom 21966, 338–374. N. Söderblom 21928, 118; ders. 1931, 141; ders. 21966, 150–151.

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blom ist Jōdo-shinshū eine theistische Religion, wie bereits seine stereotype Bezeichnung des „Buddhagottes Amida“ deutlich macht.61 Shinran habe nach Söderblom die Methode seines Lehrers Hōnen „vereinfacht“ und „entwickelt“: „Alles hängt vom Glauben ab. Man muß auf das Gelübde des Amitabha, des Buddhagottes, volles Vertrauen setzen. Die Hilfe liegt ganz und gar außerhalb des Menschen in der unfaßbaren Barmherzigkeit Amitabhas.“62 Mit H. Haas erkennt er in Jōdo-shinshū eine grundlegende Wandlung gegenüber dem ursprünglichen Buddhismus, die er folgendermaßen zusammenfasst: „Im Laufe seiner Entwicklung hat der Buddhismus eine durchgreifende Verwandlung in der Richtung auf das Christentum hin durchgemacht, indem er ein wärmeres Liebesgebot sowie den Glauben an einen (oder mehrere Erlöser) und an Gott in sich aufgenommen hat.“63

Söderbloms Verständnis liegt ein teleologisches Modell der Religionsgeschichte zugrunde, das seinen Zielpunkt im Christentum erreicht. So sieht er die der gesamten Menschheit zu gemeinsamem Besitz werdende „siegreiche Gotteserkenntnis“ aus einem „weltumfassenden geistigen Prozess“ hervorgehen, den die „Mission seiner Vollendung entgegen“ treibt.64 Für A. K. Reischauer65 sind die Amida-Sekten „at least semi-theistic“.66 Diese theistische Gottesidee habe ihnen ermöglicht, das Prinzip der göttlichen Gnade klarer zu erkennen und bis zu ihrem Extrem durchzuführen.67 Die Differenz zwischen Theismus und Semi-Theismus liegt nach Reischauer im Vergleich mit dem Christentum darin, dass der Mensch Dharmakāra (dem jedoch keine Historizität zukommt68) durch seine eigene Kraft ein Gott wurde (wobei Reischauer Amida rein als sambhoga-kāya versteht69), während im Christentum Gott in Christus Mensch wurde. Die Differenz von „Aszendenz“ und „Deszendenz“ bzw. Exkarnation und Inkarnation, wird hier zum 61 62 63 64

65

66 67 68 69

N. Söderblom 21928, 115; 21966, 149. N. Söderblom 61931, 197. N. Söderblom 21928, 128. N. Söderblom 1979 (21926), 345. Obwohl D. Lange auch Söderbloms Missionsmotivation betont und das Verhältnis von Mission zu religionsgeschichtlicher Forschung darstellt, findet dieser zentrale Gedanke keine Erwähnung. August Karl Reischauer (1879 in Jonesboro / Illinois geboren) studierte evangelische Theologie und ging direkt nach seiner Ordination 1905 nach Japan, um in Tōkyō am Missions-Kolleg der Meiji-Gakuin (Universität) Philosophie und Systematische Theologie zu lehren. A. K. Reischauer 1915, 573–575; ders. 1925 (1917), 217 und 254. A. K. Reischauer 1925 (1917), 254. A. K. Reischauer 1915, 577. A. K. Reischauer 1925 (1917), 222–224.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

Unterscheidungsmerkmal. Die shin-buddhistische Erlösergestalt bleibe daher eine bloße Idee ohne ontologische Referenz.70 Dabei deutet sich bei Reischauer bereits die Bedeutung der „geschickten Mittel“ an, die apologetisch gegen Jōdo-shinshū in Anschlag gebracht wird (wie mehr als eine Generation später besonders von T. N. Callaway und G. Rosenkranz). „Salvation through faith in Amida’s grace is to him [i. e. „the enlightened Buddhist“] but an accommodation of language, and does not represent anything really true.“71 Was wie christliche Wahrheit anmutet, scheint lediglich so auf der Oberfläche.72 Damit setzt sich Reischauer dezidiert von A. Lloyd und H. Haas ab. Für Reischauer entscheidet sich die Zukunft des Buddhismus an der Frage, ob er den Agnostizismus (i. e. der Unerkennbarkeit des Absoluten), der zu Pessimismus und Defätismus führe, aufgeben und einen Zugang zum lebendigen Gott finden könne. Der Amida-Buddhismus sei deshalb eine lebendige Kraft im gegenwärtigen Japan, weil er eine Ahnung von dieser großen Wahrheit enthalte.73 Die Ähnlichkeiten zum Christentum könnten aber als „points of contact“ genutzt werden.74 Religionstheologisch deutet Reischauer diese Ähnlichkeiten – wie später G. Rosenkranz – als Zeugnis für ein dem Christentum korrelierendes anthropologisches Grundbedürfnis: „Undoubtedly Amidaism is an approach towards the Christian conception of God and bears eloquent testimony to the needs of the human heart.“75 Als Zwischenergebnis kann formuliert werden, dass sich folgende Denkbewegung der bisher behandelten Autoren erkennen lässt: Auf der indologisch-buddhologischen Diskursebene wird die Deviation der Jōdo-shinshū vom ursprünglichen Buddhismus bis hin zu dessen Gegenteil konstatiert. Auf der phänomenologisch-religionsvergleichenden Ebene ergibt sich dabei eine große Nähe zum Christentum. Kriterien sind dabei ein (semi-)theistisches Konzept von Amida sowie die (damit ursächlich verbunden gedachte) Erlösung durch Gnade aus Glauben. Dabei wird jeweils ein allgemeines Verständnis von Theismus vorausgesetzt und als höchste Stufe der Religion angenommen. Eine Notwendigkeit, den Theismusbegriff zu problematisieren, scheint nicht gegeben. Indem A. K. Reischauer auf eine Differenz von Aszendenz und Deszendenz aufmerksam macht, führt er ein theo70 71 72 73 74 75

A. K. Reischauer 1915, 577; ders. 1925 (1917), 259. A. K. Reischauer 1925 (1917), 260. A. K. Reischauer 1915, 577. A. K. Reischauer 1925 (1917), 326–327. A. K. Reischauer 1915, 576. A. K. Reischauer 1915, 574.

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logisches Unterscheidungskriterium ein, das dazu dienen soll, dem Jōdo-Buddhismus den Realgrund der Soteriologie zu entziehen, was er in dem Konzept der Akkomodation für Unerleuchtete bestätigt findet. Dabei bewegt er sich jedoch (wie auch die übrigen Autoren) ganz im Feld abendländischer Ontologie und erkennt auch nicht die zentrale Bedeutung von ekō 回向, die analog dem Deszendenzgedanken die Zuwendung vonseiten Amida beschreibt und in Dharmakāra eine Manifestation dieser Zuwendung erkennt. Eine genaue Analyse der Buddhologie Shinrans sowie der damit verbundenen differenzierten Betrachtung der Lehre von hōben ist bei keinem der Autoren zu finden

12.3.4 Karl Barth Einen Paradigmenwechsel in evangelischer Shinshū-Deutung bietet der dialektische Ansatz der Theologie Karl Barths (1886–1968).76 In einem für die Begegnung zwischen Jōdo-shinshū und Christentum wirkungsgeschichtlich bedeutsam gewordenen Exkurs im Rahmen seiner Offenbarungslehre (KD I, 2 § 17, 2 „Religion als Unglaube“) setzt er sich mit dem japanischen Amida-Buddhismus auseinander.77 Dabei wechselt die Perspektive von der „horizontalen“ Ebene religionsphänomenologischer Betrachtung zu einer „vertikalen“ Perspektive, in der alle Religion (einschließlich der christlichen) als Unglaube erscheint. Damit ist im Vergleich mit Haas und Söderblom das andere Extrem der Skala erreicht. Durch diesen Perspektivenwechsel bekommen die bisher diskutierten religionsvergleichenden Fragen einen neuen Stellenwert. Nicht die Proximität zum Christentum entscheidet über den Wahrheitsgrad einer Religion, sei Amida noch so theistisch gedacht oder werden Gnade und Glaube noch so exklusiv als Heilsweg gelehrt. Dabei zieht Barth eine Differenz zwischen „Gnadenreligion“ und der „Wirklichkeit der Gnade selbst“ ein (371). Entsprechend besteht die Funktion des Exkurses über den Jōdo-Buddhismus in dem Aufweis der Validität dieser Differenz. Daher kann er die dem reformatorischen Christentum am genauesten entsprechende fernöstliche Gnadenreli76

77

K. Barths Darstellung und Beurteilung der Jōdo-shinshū ist häufig untersucht und diskutiert worden, vgl. K. Takizawa 1980, 66–110; C. Langer-Kaneko 1986, [124]– 130; H. Rolle 2003, 105–107. Barth subsumiert Jōdo-shū (die er fälschlicherweise als Jōdo-shin bezeichnet) und Jōdo-shinshū (die er auch mal als Jodo-shu bezeichnet) unter der Bezeichnung „Jodoismus“ – ein Begriff, den er von K. Florenz übernommen hat. Als Quellen für seine Darstellung benennt er K. Florenz und Tiele-Söderblom, beide stützen sich auf die Arbeit von H. Haas 1910.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

gion als „eine geradezu providentielle Fügung“ (372) bezeichnen, da sie das Christentum „vor die Frage nach seiner Wahrheit stellt“ (372). Der hier gebotene Wahrheitsbegriff ist exklusiv und impliziert, dass reformatorisches Christentum und Jōdo-shinshū nicht gleichermaßen wahr sein können. Ist aber die Struktur beider Religionen als Gnadenreligion identisch, worin besteht dann das Wahrheitskriterium des Christentums? Diese Frage zu beantworten, dient der auszuführende Vergleich. Nachdem Barth die Lehre der Jōdo-shū und Jōdo-shinshū nach seinen Quellen referiert hat (wonach letztere als „japanischer Protestantismus“ (375) als reine Gnadenreligion, in der es allein auf den Glauben an einen theistisch gedachten Amida und dessen Gnade ankomme), hält er im Ergebnis fest, dass die „providentielle Fügung“ gerade darin bestehe, dass aus dem Vergleich erhellt, dass die Wahrheit des Christentums (auch des reformatorischen) nicht in der geschichtlichen Gestalt als Gnadenreligion bestehen könne (375). Obwohl Barth damit seine Argumentation zunächst zum Ziel geführt hat, macht er auf Unterschiede aufmerksam (die jedoch jetzt einen anderen Stellenwert haben, da sie ja ohnehin nicht über die Wahrheit des Christentums entscheiden). Die Differenzen lassen sich nach Barth folgendermaßen zusammenfassen (375): (i) Ausgangspunkt sei im Unterschied zu Calvin und Luther nicht die Frage nach einem einfacherem Heilsweg gewesen;78 (ii) es fehle beim Jōdo-Buddhismus die Dimension des Gesetzes und des Zornes Gottes, die damit auch das Heil als echte Problemlösung verblassen lasse; (iii) es fehle der Einsatz für die Ehre Gottes entgegen dem menschlichen Eigenwillen; (iv) das letzte Heilsziel bestehe schließlich in einer „Erlösung durch Auflösung, nach dem Eingang ins Nirwana“ zu dem Amida und der Glaube an ihn nur „Mittel zum Zweck“ seien. Damit hat Barth Grunddifferenzen angesprochen, wie er sie aufgrund seiner Quellen wahrnehmen konnte, die aber letztlich nicht entscheidend sind. Barth kann daher ganz gelassen auch die mangelnde Detailgenauigkeit seiner religionsgeschichtlichen Kenntnisse eingestehen (375). Der erste Argumentationsgang hat ergeben, dass die Struktur 78

Damit destruiert Barth das von C. Kleine als „protestantischer Blick“ bezeichnete westlich-protestantische Geschichtsbild, das auf die religionsgeschichtliche Deutung des japanischen Buddhismus übertragen wurde (so auch H. Rolle 2003, 106 Anm. 361).

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als Gnadenreligion nicht das Wahrheitskriterium darstellt, wie an dem Vergleich aufgewiesen wurde. Selbst wenn beide Religionen identisch wären, was sie aber nicht sind (!), würde das keine Auswirkung auf das Wahrheitskriterium haben. Ja, es lassen sich nach Barth ohne Mühe Vergleiche zu Luther und dem Protestantismus ziehen. In einem zweiten Argumentationsgang geht es um die Erhellung des Kriteriums für die wahre Religion, die – Barth wiederholt noch einmal – nicht in ihrem Wesen als Gnadenreligion besteht. „Entscheidend über Wahrheit und Lüge ist wirklich nur Eines. Und darum ist die Existenz des Jodoismus eine providentielle Fügung zu nennen, weil er das mit relativ größter Dringlichkeit so deutlich macht, daß über Wahrheit und Lüge zwischen den Religionen nur eines entscheidet. Dieses Eine ist der Name Jesus Christus“ (376).

Die Wahrheit des Christentums liege in der „ganzen formalen Simplizität dieses Namens als des Inbegriffs der göttlichen Offenbarungswirklichkeit“ (376). Entsprechend sind auch die Angehörigen einer nicht-christlichen Gnadenreligion „… Heiden, arme, gänzlich verlorene Heiden …“(376). Nach diesem Exkurs kommt Barth auf die zu Anfang eingeführte Unterscheidung von Gnadenreligion und „der Wirklichkeit der Gnade selbst“ zurück und konstatiert: „Daß es eine wahre Religion gibt, das ist Ereignis im Akt der Gnade Gottes in Jesus Christus …“ (377).79 79

Auch Emil Brunner geht im dritten Band seiner Dogmatik auf den Amida-Buddhismus ein, dem er u. a. während seiner Japanaufenthalte begegnet sein dürfte. Im Kapitel über „Glaube und Unglaube“ wendet er sich der Frage nach den nicht-christlichen Religionen zu. Dabei versucht er einen Mittelweg zwischen einer pauschalen Verurteilung anderer Religionen als Aberglaube und Illusion einerseits und einem pluralistischen Relativismus andererseits zu gehen. Das Kriterium ist für Brunner der Glaubensbegriff. Unglaube ist dabei die gerade auch religiöse Selbstsicherung und Selbstherrlichkeit des Menschen. Da selbst im Amida-Buddhismus (der, wie das indische Bhakti, „anerkanntermaßen dem christlichen Glauben am nächsten“ stehe), zum einen „die Begegnung mit dem geschichtlichen Offenbarer“ und damit das „Korrelat des Glaubens“ fehle, könne man bei diesen Religionen nicht von „Gestalten des Glaubens“ reden. Entscheidender noch sei zum anderen, dass auch auf sie das Urteil des Unglaubens zutreffe. Denn Unglaube als „Selbstherrlichkeit und Selbstvertrauen“ werde zwar in Schranken gewiesen, aber eben nur begrenzt und führe nicht zu „Gottgehörigkeit und ausschließlichem Vertrauen auf ihn“ (E. Brunner 21964, 174–175). „Religion als eine letzte, höchste Selbstsicherung des Menschen“ werde durch den Rechtfertigungsglauben aufgedeckt (E. Brunner 21964, 239). Wie im weiteren Verlauf der Diskussion von Barths Position noch deutlicher wird, bleibt Brunner sogar in seiner religionskundlichen Kenntnis und vor allem im Reflexionsniveau weit hinter Barth zurück. Gerade das Kriterium des Unglaubens als religiöser Selbstsicherung und Selbstbehauptung, wie es Brunner definiert, trifft auf Jōdo-shinshū nicht zu – gerade das Gegenteil ist der Fall. Damit bricht jedoch sein ganzer Argumentationsgang zusammen.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

Es liegt auf der Hand, dass sich Barth innerhalb des „theologischen Zirkels“ befindet: Die Differenz von Gnadenreligion und dem Akt der Gnade selbst kann nur aus der Innenperspektive eingeführt werden, in der die Wahrheit offenbarungstheologisch exklusiv an den Namen Jesus Christus gebunden wird. Mit dem selben Recht könnte umgekehrt Jōdo-shinshū gegenüber dem Protestantismus analog argumentieren. Die apodiktischen (und harschen) Urteile sind jedoch auch – aber nicht nur – vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund und aus dem genuin soteriologischen Interesse der Ausführungen Barths zu verstehen. Barth schrieb die „Lehre vom Wort Gottes“ mitten im Kirchenkampf (1. Aufl. 1939). Die christologische Konzentration spielte bei der Barmer Theologischen Erklärung 1934 eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, wie besonders die erste These klarstellt. Daher rührte Barths radikale Ablehnung jeglicher „natürlichen Theologie“ und der Möglichkeit für „Anknüpfungspunkte“, wie er in dem Streit mit dem theologischen Weggefährten Emil Brunner unmissverständlich zum Ausdruck brachte („Nein!“ – 1934, im selben Jahr wie die Barmer Thesen). In KD I, 2 § 17 wird der zweite Satz der ersten Barmer These, die Verwerfung (die Negation), entfaltet („Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes [sc. Jesus Christus, Anm. d. Verf.] auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“). Den ersten Satz (die „Position“) entfaltet Barth erst in der Versöhnungslehre. Der erste Satz der ersten Barmer These ist identisch mit dem Leitsatz von KD IV, 3, 1 § 69 („Die Herrlichkeit des Mittlers“): „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und gehorchen haben.“ Von der Betonung der Negation kommt Barth zur Position, von der aus auch (in einer anderen zeitgeschichtlichen Situation, 1959) ein neuer Blick auf das früher Negierte fallen kann, wie die Lichterlehre in KD IV, 3, 1 § 69 nahelegt. Hier wird Barth versöhnlicher und kann sogar schreiben: „Daß Jesus Christus das eine Wort Gottes ist, heißt nicht, daß es nicht – in der Bibel, in der Kirche und in der Welt – auch andere, in ihrer Weise auch bemerkenswerte Worte – andere, in ihrer Weise auch helle Lichter – andere, in ihrer Weise auch reale Offenbarungen [sic!] gebe.“80 Von der Versöhnungslehre und der christologischen Konzentration aus kann Barth auch „wahre Worte“, die keine biblischen oder 80

KD IV, 3, 1, 107.

12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube

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kirchlichen Worte sind, annehmen, welche die Kirche, die mit der Verkündigung des Wortes Gottes in der Welt beauftragt ist, auch zu hören hat.81 So wird durch die Negation der kontingenten Gestalt als Gnadenreligion die Position ermöglicht. Die hier in dieser Ausführlichkeit gegebene Darstellung ist deshalb von Belang, da Barths Theologie im christlich- shin-buddhistischen Diskurs auf die Aussagen von KD I, 2 §  17 reduziert werden, was der Konstatierung eines Kommunikationsabbruchs vonseiten Barths gleichkommt.82 Leider hat die Barth-Rezeption in Japan stark diesen Charakter angenommen.83 Die prinzipielle Christentumskritik in Barths Ansatz und die dadurch ermöglichte Offenheit im Blick auf die jeweilige geschichtliche Gestalt des Christentums wurde i. d. R. nicht wahrgenommen. Demgegenüber lässt sich jedoch ein erhebliches Dialogpotenzial in Barths Theologie feststellen, da nicht zuletzt die Gestalt des Christentums selbst als Religion negiert und dadurch in ihrer Kontingenz affirmiert wird. Dieser Aspekt wurde in vorliegender Arbeit anhand Tillichs „protestantischem Prinzip“ entfaltet, das sich in dieser Pointe im Wesentlichen mit Barths Anliegen überschneidet.

12.3.5 Tucker N. Callaway In seiner 1957 in Tōkyō erschienenen Dissertation „Japanese Buddhism and Christianity: A Comparison of the Christian Doctrine of Salvation with that of some major sects of Japanese Buddhism“84 81 82

83

84

KD IV, 3, 1, 128. Z. B. H. Rolle 2003, 107; selbst der Barth-Schüler Takizawa Katsumi (1980) erwähnt in diesem Zusammenhang die Lichterlehre und die Konstruktionsprinzipien von Barths dialektischer Theologie nicht. C. Langer-Kaneko nimmt auf die Lichterlehre Bezug, sieht aber aus ihrer eigenen konfessionellen Perspektive darin keinen wesentlichen Fortschritt und konstatiert im Anschluss an H. Küng eine natürliche Gotteserkenntnis (C. Langer-Kaneko 1986, 130). So kritisierte der durch sein Werk „Theologie des Schmerzes Gottes“ (jap. kami no itami no shingaku) bekannt gewordene K. Kitamori, dass Barth nichts vom Evangelium wisse, sondern nur im Nein des Zornes Gottes über alle menschlichen Werte bestehe (K. Kitamori 1972, 19). Auch wenn Takizawa diese Kritik zurecht als unhaltbar zurückweist (K. Takizawa 1980, 112–119) zeigt es doch, wie Barths Theologie empfunden wurde und wird. Die Dissertation entstand am Southern Baptist Theological Seminary Louisville / Kentucky. T. N. Callaway, der zwanzig Jahre in Japan lebte, war Professor für Weltreligionen und Philosophie an der Seinan Gakuin-Universität in Fukuoka und wurde besonders durch sein Buch Zen way – Jesus Way (Charles Tuttle, Tōkyō 1976) einem weiteren Leserkreis bekannt, vgl. die Rezension von Herbert Skoglund in JJRS 5/1 1978, 78–82).

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

untersucht der baptistische Theologe Tucker N. Callaway neben Zen und Nichiren-Buddhismus auch Jōdo-shinshū. Das leitende Interesse dieser vergleichenden Studie ist apologetisch; Callaway will buddhistische Fehlinterpretationen des Christentums überwinden und Material für die Evangelisierung von Anhängern der dargestellten Schulen zur Verfügung stellen.85 Dabei will Callaway die Grundprinzipien der jeweiligen buddhistischen Schulen so akkurat und objektiv wie möglich nachzeichnen und nur das jeweilige Selbstverständnis beschreiben.86 Aufgrund mangelnder Sprachkenntnis87 bestehen die verwendeten Quellen aus ins Englische übersetzten Basistexten88 und Darstellungen von Vertretern der betreffenden buddhistischen Richtungen, die ergänzt werden durch 31 Antworten auf Fragebögen, die an 100 z. T. repräsentative Vertreter der drei buddhistischen Schulrichtungen ausgegeben wurden.89 Seinen theologischen Standpunkt bezeichnet Callaway als einen evangelisch-konservativ geprägten „theistic realism“.90 Als entscheidenden Mangel bisheriger Arbeiten zum japanischen Buddhismus sieht Callaway „… that they do not make a consistent attempt to distinguish between the metaphorical expressions employed by its teachers and the ultimate realities which these expressions portray.“91 Den Hintergrund dieser Aussage bilden die Unterscheidung von absoluter und gewöhnlicher Wahrheit (jap. shintai und zokutai) und die Methode der „geschickten Mittel“ (hōben). Für Callaways Darstellung und seine Interpretation von Jōdo-shinshū ist entscheidend, dass er die hier angesprochene letzte Realität im Sinn der NurBewusstseinsschule des Yogācāra (skr. vijñāna-vāda, jap. yui-shikiron 唯識論) interpretiert, die er als „monistic idealism“ bezeichnet.92 Callaway definiert: „Idealism here designates the view that all particular entities exist only as ideas. Nothing is outside the mind.“93 Diese 85 86 87 88

89 90 91 92 93

T. N. Callaway 1957, ii, 1, 4. T. N. Callaway 1957, i. T. N. Callaway 1957, 5. Im Blick auf Jōdo-shinshū stand ihm dabei vor allem das 1955 ins Englische übersetzte „Shinshu Seiten – The Holy Scripture of Shinshu“ von der Honpa Honganji Mission of Hawaii zur Verfügung. Im Übrigen ist die verwendete Literatur sehr begrenzt und besteht im Wesentlichen aus älteren Arbeiten, wie die von August Karl Reischauer und Arthur Lloyd. In der Beschränkung auf englische Übersetzungen besteht ein wesentliches Defizit der Arbeit. T. N. Callaway 1957, 6. T. N. Callaway 1957, 3. Zu seinen theologischen Gewährsmännern zählt auch Emil Brunner mit dessen dezidiertem Personalismus, vgl. T. N. Callaway 1957, 185–190. T. N. Callaway 1957, 1. T. N. Callaway 1957, 99, 104. T. N. Callaway 1957, 12.

12. Jōdo-shinshū und evangelischer Glaube

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Deutung wird auch daran deutlich, dass Callaway, unter Bezug auf Sasaki Gesshō (1925), Charles Eliot (1935) und Fuji Ryuchi (o. J.), das Speicherbewusstsein (skr. ālaya-vijñāna, jap. araya-shiki 阿頼耶識), den Zentralbegriff des Yogācāra, als shin-buddhistischen Ausdruck für das Absolute zur Interpretation heranzieht.94 Die gesamte Wirklichkeit besteht aus Bewusstseins-Bildern, denen keine objektive Realität zukommt. Entsprechend bezeichnet Callaway shin-buddhistische Lehrinhalte regelmäßig als „thought-images“.95 Dieser monistische Idealismus bildet nach Callaway den weltanschaulichen Hintergrund der shin-buddhistischen Erleuchtungserfahrung und Lehrgestalt. Allerdings benennt er nirgends die Differenz zwischen Nāgārjunas Mādhyamika (mādhyamaka „Mittlerer Weg“ mit der śūnyatā-Lehre), der sich auch Jōdo-shinshū verpflichtet weiß, und dem vijñāna-vāda des Yogācāra. Zwar gab und gibt es immer wieder auch yui-shiki-ron 唯識論-Interpretationen von Jōdo-shinshū (u. a. von D. T. Suzuki, auf den sich auch Callaway bezieht, K. Daiei u. a.), aber das trifft in dieser Ausschließlichkeit nicht auf die shin-buddhistische Tradition im Allgemeinen zu.96 Diese Deutung Callaways hat aber nun entscheidende Konsequenzen für das Verständnis von hōben bei Jōdo-shinshū und für die Interpretation einzelner Lehrinhalte, insbesondere des Glaubensbegriffs. Als Hauptziel der Darstellung shin-buddhistischer Soteriologie gibt Callway an, „… to discover the body of actual teaching which is hidden behind the thick robes of Shin hooben.“97 Denn im Unterschied zum Zen kleide Jōdo-shinshū ihre Lehren absichtlich von Kopf bis Fuß in attraktive Gewänder aus hōben.98 Dazu zählten insbesondere die Vorstellung von Amida und dem Reinen Land. Unter Bezug auf A. K. Reischauer sieht Callaway die Popularität von Jōdo-shinshū in der vermeintlich theistischen Präsentation von Amida.99 Wie problematisch aber der Versuch ist, die shin-buddhistische Anschauung von Amida mit dem begrifflichen Instrumentarium eines wie auch immer gedachten Theismus-Konzeptes zu fassen, zeigt die Tatsache, dass Callaway überraschenderweise konstatiert: „Ultimately, Shin is pantheistic.“ In der Lehre von sanshin (sc. tri-kāya) 94 95 96 97 98 99

T. N. Callaway 1957, 102–103. Z. B. T. N. Callaway 1957, 107. 125, u. ö. Vgl. den Abschnitt über den Nonomura-Zwischenfall in 7.2.3 und die Differenzen von Honganji-ha und Ōtani-ha, sowie die Darstellung von shinjin in Kapitel 8. T. N. Callaway 1957, 99. T. N. Callaway 1957, 99. T. N. Callaway 1957, 106.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

sieht er „polytheistic elements“. Und kurz darauf heißt es: „Ultimately, Shin is atheistic in the same sense that Zen in atheistic.“100 Ebenso ist die Vorstellung vom Reinen Land ein „thought-image“, auch wenn in realistischer Weise davon gesprochen werde. Als hōben soll es lediglich dazu dienen, die Erleuchtung zu erlangen.101 „Actually, the Pure Land concept is simply a kind of metaphorical description of the state of mind in which chie and jihi are realized. It is a portrayal of the enlightened consciousness which perceives that particular entities as kuu and thereby has an intuitive awareness of the busshin of which they are expressions. In other words, the Pure Land is a pictorial expression of the enlightenment experience.“102

Die entscheidende Frage im Blick auf den Glaubensbegriff, in der nun Callaways Yogācāra-Interpretation von Selbstaussagen bei Jōdoshinshū abweicht, ist, wann dieser Zustand der Erleuchtung erreicht werden kann, ob schon in diesem Leben oder erst danach.103 Im Tannishō heißt es: „Attaining enlightenment in the coming life is the essence of the Pure Land teaching of Other Power; it is the principle actualized through the settlement of shinjin.“104 Unter Bezug auf diese Stelle schreibt Callaway, dass die Lehre, Erleuchtung könne nicht in diesem Leben erlangt werden, vielmehr durch „faith“ der Zustand des „Right Established State“ (sc. shōjōju 正定聚) erreicht werde, hōben sei.105 Er begründet dies damit, dass letztlich solche Konzepte wie „dieses Leben“ und „nächstes Leben“ keine objektiven Realitäten, sondern lediglich „thought-images in the consciousness of the busshin“ seien.106 Als Gewährsmann für dieses yui-shiki-ron 唯識論-Interpretation führt Callaway bezeichnenderweise D. T. Suzuki an, der den Zustand des shōjōju 正定聚 als das satori der Jōdo-shinshū bezeichnet.107 Auch die Unterscheidung von jiriki und tariki sowie die übrigen Lehrinhalte der Jōdo-shinshū seien nichts anderes als hōben.108

100 T. N. 101 102 103

104 105 106 107 108

Callaway 1957, 107. 109 und 110. T. N. Callaway 1957, 113. T. N. Callaway 1957, 114. Callaway konzediert lediglich, dass es zwischen „Amidaists“ bei der Frage, wann jemand, der im Reinen Land geboren ist, die Erleuchtung erlange, Meinungsverschiedenheiten gebe. Damit spielt Callaway auf die Tatsache an, dass Shinran im Unterschied zur Tradition lehrt, dass mit der Hingeburt im Reinen Land das Erwachen koinzidiert. CWS I, 674; T. N. Callaway 1957, 117. T. N. Callaway 1957, 117. 119–120. 121. T. N. Callaway 1957, 120. T. N. Callaway 1957, 121. T. N. Callaway 1957, 139.

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Neben den Mängeln bei der Auswahl der Quellen von Callaways Darstellung, die sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnis auf englischsprachige Literatur beschränkt und sich dabei in der Interpretation auch auf „auto-orientalistische“ und im Vergleich mit der Tradition durchaus heterodoxe Darstellungen wie der von D. T. Suzuki bezieht, ist insbesondere die undifferenzierte und pejorative Verwendung des Begriffes hōben ein wesentliches Manko der Arbeit. Mit Shinran und der Tradition der Jōdo-shinshū unterscheidet er nicht zwischen hosshō-hosshin und hōben-hosshin sowie der damit zusammenhängenden Differenz von zengyō-hōben und gonke-hōben.109 Zusammenfassend kann gesagt werde, dass Callaway vor dem Hintergrund einer yui-shiki-ron 唯識論-Interpretation als „monistischen Idealismus“ Jōdo-shinshū als „nur“ hōben entlarven möchte, wobei ein dezidiert apologetisches Interesse verfolgt wird. Dabei wird an Jōdo-shinshū der Maßstab westlicher Ontologie angelegt.

12.3.6 Gerhard Rosenkranz110 Vergleichbares kann für die Arbeiten von G. Rosenkranz gesagt werden. Wie T. N. Callaway, versteht er die Lehren des Mahāyāna insgesamt und Jōdo-shinshū im Besonderen als „geschicktes Mittel“. Die für unsere Untersuchung relevanten Veröffentlichungen von Rosenkranz datieren beide aus dem Jahr 1960.111 Es handelt sich zum einen um eine 109 110

111

Vgl. dazu die Kritik an der Verwendung des Begriffs hōben bei G. Rosenkranz im folgenden Abschnitt. Gerhard (Heinrich Richard Walter) Rosenkranz (1896–1983) studierte u. a. in Marburg Theologie, wo er von Rudolf Otto, aber auch von der aufkommenden Dialektischen Theologie geprägt wurde. Er arbeitete zunächst zehn Jahre als Pfarrer und wurde 1931 Inspektor, später Direktor der Deutschen Ostasien-Mission (bis 1948). Promotion 1935. Ab 1939 Lehrbeauftragter für Religions- und Missionswissenschaft in Heidelberg. 1941 Habilitation. 1953 Berufung nach Tübingen als Nachfolger Martin Schlunks auf den neugegründeten Lehrstuhl für Missionswissenschaft (dem ersten in Deutschland). 1956 Gründer des „Ökumenischen Instituts“ (ab 1962 „Institut für Missionswissenschaft und Ökumenische Theologie“). 1964 emeritiert vertrat er den Lehrstuhl noch bis 1966. R. gilt als Nestor der deutschen evangelischen Missionswissenschaft und engagierte sich auch als Mitglied und Vorsitzender etlicher Organisationen in Kirche und Mission. Umfangreiche Bibliografie über religions- und missionswissenschaftliche Themen (besonders asiatische Hochreligionen). Zur Biographie und Bibliographie vgl. W. Raupp 2001, BBKL, XVIII, 1205–1214. Als Quellen für seine Shinshū-Darstellung finden sich im Literaturverzeichnis die englische Übersetzung des Jōdo-shinshū-Seiten von 1955 und die Quellensammlung von H. Haas „Amida unsere Zuflucht“. In den Anmerkungen des betreffenden Kapitels wird jedoch v. a. auf H. Haas 1910 verwiesen. Neben der bereits besproche-

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

Gesamtdarstellung des Buddhismus unter dem Titel der „Weg des Buddha“, in der auch ein ausführliches Kapitel Jōdo-shinshū gewidmet ist. Darin wird auch ein Besuch im Higashi-Honganji (Ōtani-ha) in Kyōto geschildert. Im selben Jahr veröffentlichte Rosenkranz ein Referat zu dem Thema „Upāyakauśalya (Geschickte Anwendung der Mittel) als Methode buddhistischer Ausbreitung“.112 Die religionswissenschaftliche Forschung steht bei Rosenkranz bewusst im Dienst des von ihm auch hermeneutisch begründeten Programms einer „Evangelischen Religionskunde“ (gleichnamiges Buch von Rosenkranz 1951).113 Rosenkranz sieht in den „geschickten Mitteln“ die beherrschende Methode des Mahāyāna, die aber nicht als unmoralischer „Trick“ verurteilt werden dürfe. Sie diene als „Kunstgriff“, der die niedere Wahrheit (zokutai) benutzt, um „gewöhnlichen Menschen“ zur höheren Wahrheit (shintai) zu führen. Für buddhistisches Selbstverständnis sei das „geschickte Mittel“ zwar selbst nicht wahrhaft wirklich, aber von der „Wahrhaftigen Wirklichkeit“ gesetzt, welche sich vermittels jener in der phänomenalen Welt durchsetze.114 Rosenkranz sieht in der Unterscheidung der zwei Wahrheiten und der Notwendigkeit der „geschickten Mittel“ ein für den Buddhismus strukturell gegebenes hermeneutisches Programm. Allerdings hat die Anwendung der „geschickten Mittel“ in einem Maß zur Aufnahme fremder Religionen und Anschauungen geführt, welche in einem volkstümlichen Buddhismus die „Höchste Wahrheit“ oft bis zur Unkenntlichkeit überwuchert habe, ohne jedoch den Bezug zur „Höchsten Wahrheit“ ganz zu verlieren.115 Ein „besonders eindrückliches Beispiel“ für die Anwendung der „geschickten Mittel“ als Kunstgriff, durch den sich die Höchste Wahr-

112

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114 115

nen Arbeit von T. N. Callaway und H. Haas stützt sich Rosenkranz auf K. Florenz, A. Lloyd, A. K. Reischauer, M. Anesaki und D. T. Suzuki. Der Text wurde ursprünglich als Referat in der religionswissenschaftlichen Sektion des Deutschen Theologentages in Berlin-Spandau vorgetragen und in ThLZ 85 (1960) 11, 815–822 sowie in dem Aufsatzband „Religionswissenschaft und Theologie: Aufsätze zur Evangelischen Religionskunde“ (1964, [101]–109) abgedruckt. Im Folgenden zitiere ich letzteren textidentischen Abdruck. Sehr deutlich wird dieser Ansatz auch in einer von Rosenkranz betreuten Tübinger Dissertation von Jan Hermelink, die sich von der dialektischen Theologie herkommend mit dem theologischen Ertrag der Religionsphänomenologie von Gerardus van der Leeuw auseinandersetzt. Diese missionswissenschaftliche Dissertation von Jan Hermelink, die 1957 der evangelischen Fakultät der Universität Tübingen vorlag, erschien 1960 mit dem Titel „Verstehen und Bezeugen – Der theologische Ertrag der ‚Phänomenologie der Religion‘ von Gerardus van der Leeuw“ im Chr. Kaiser Verlag, München, als 30. Band in der Reihe Beiträge zur Evangelischen Theologie – Theologische Abhandlungen, herausgegeben von E. Wolf. G. Rosenkranz 1964, 104. G. Rosenkranz 1964, 105.

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heit realisiere, sieht Rosenkranz in der – neutestamentlicher Verkündigung „sehr nahe“ kommenden – Jōdo-shinshū. Rosenkranz bemerkt dazu (wohl auch aufgrund eigener Begegnungen im Higashi-Honganji?): „Die Priester der Sekte fördern diese Vorstellung, geben aber, darauf angesprochen, unumwunden zu, daß sie damit einer Täuschung Vorschub leisten. Amida ist keineswegs eine (historische) Persönlichkeit, sondern ein Denkgebilde[vgl. T. N. Callaway: „thought-image“, Anm. d. Verf.] der Höchsten Wirklichkeit, des allem zugrunde liegenden Buddha-Wesens, das auch auf diesem Wege der sogenannten Gnadenreligion zu seiner Selbstverwirklichung drängt, und die Wiedergeburt in seinem Paradies ist kein realer Vorgang, sondern bildhafte Fassung eines geistigen Vorgangs, in dem sich vollkommene Erkenntnis und Güte darstellen. Der Zweck, die Erlösung aller Wesen, heiligt hier den Kunstgriff.“116

Mehrere Aspekte und Diskursebenen überlagern und vermischen sich in diesem Zitat. Zum einen spricht Rosenkranz zwar davon, dass man die „geschickten Mitteln“ nicht als moralisch verwerflichen Trick ansehen dürfe (aus buddhistischer Perspektive), andererseits legt seine Beschreibung der Jōdo-shinshū genau dies nahe, wenn er von einem „Kunstgriff“ spricht, welcher der „Täuschung Vorschub“ leiste, dass es sich um eine „sogenannte“ Gnadenreligion handle, wobei der Zweck den Kunstgriff (sc. „Mittel“) heilige. Die angeführten Zugeständnisse shin-buddhistischer Priester scheinen das zu stützen. Auf der Dialogebene werden Antworten auf typisch westliche Fragen, dass es sich bei Amida nicht um eine „historische“ Persönlichkeit handle und die Geburt im Reinen Land kein „realer“ Vorgang sei, nach christlich-abendländischen Kategorien bewertet (denn welchen soteriologische Stellenwert besitzen im buddhistischen Kontext solche Attribuierungen wie „historisch“ oder „real“!).117 Viel grundsätzlicher ist jedoch, dass Rosenkranz in der Beschreibung der „geschickten Mittel“ nicht zwischen der sich selbst durchsetzenden letzten Wirklichkeit (obwohl er dies kurz vorher explizit formulierte) und von Menschen hervorgebrachten „Kunstgriffen“ differenziert. Für Jōdo-shinshū ist jedoch gerade diese Differenz, wie sie in der doppelten dharma-kāra-Lehre zum Ausdruck kommt, ent116 117

G. Rosenkranz 1964, 106. P. Schmidt-Leukel macht kritisch geltend, dass G. Rosenkranz die soteriologische Intention des mahāyānischen Wahrheitsverständnisses nicht berücksichtigt und dieses nicht in Korrelation zur vorausgesetzten Unheilssituation und deren Überwindung setzt (P. Schmidt-Leukel 1992, 445). Demgegenüber ist zu sagen, dass sich Rosenkranz sehr wohl bewusst ist, dass die Konzeption der doppelten Wahrheit und der damit verbundenen „geschickten Mittel“ im Kontext der buddhistischen Soteriologie ein konstitutives Element bildet. Aber er macht diese Einsicht nicht für den erkenntnistheoretischen Diskurs geltend, da er zu sehr von einem apologetischen Interesse und einem bestimmten Wahrheitsverständnis geleitet ist.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

scheidend. Mit einer Formulierung von Volker Zotz geht es nicht um „geschickte Mittel“ des Menschen, sondern für den Menschen.118 Die von Rosenkranz gebrauchte Formulierung ist erhellend: „Seine [i. e. das Lehrgebäude des mahāyāna als Niedere Wahrheit, Anm. d. Verf.] Darbietung ist ein Kunstgriff, um die gewöhnlichen Menschen dafür bereit zu machen, daß sich die Höchste Wahrheit durch sie realisiere.“119 Hier ist genau der Konnex zwischen religiöser Rede und Heilsverwirklichung angesprochen. Als Subjekt der Darbietung erscheint bei Rosenkranz in diesem Zusammenhang der mahāyāna-Buddhist, der sich aus der Position der Höchsten Wahrheit „geschickter Mittel“ bedient. Subjekt der Heilsverwirklichung ist aber die Höchste Wirklichkeit selbst. Für Shinran und die Tradition der Jōdo-shinshū hat jedoch auch das „geschickte Mittel“ als hōben-hōsshin ihren Ursprung in der höchsten Wirklichkeit selbst (hosshō-hosshin) und bildet damit die Konstitutionsbedingung für religiöse Kommunikation. Entsprechend wird soteriologisch zwischen „barmherzigen Mitteln“ (zengyō-hōben) und „provisorischen Mitteln“ (gonke-hōben) differenziert. Bei Rosenkranz hingegen wird – wie bei T. N. Callaway – das upāyā-Konzept bei Jōdo-shinshū undifferenziert apologetisch verwertet. Die apologetische Intention von Rosenkranz’ Beitrag mündet in der Frage nach der buddhistischen Mission im Westen und der dadurch herausgeforderten christlichen Antwort. Am Beispiel von D. T. Suzuki und der durch ihn angeregten Rezeption des Zen in der Psychologie – ebenfalls 1960 erschien das Buch „Zen-Buddhismus und Psychoanalyse“120 – macht Rosenkranz auf die Gefahren sowohl für den Buddhismus, als einer sich von ihrem Ursprung entfremdenden Religion, als auch für das Christentum das sich der Buddhismus unterwerfen könne aufmerksam. Die Antwort der christlichen Verkündigung gegenüber dem Buddhisten, der sich durch die Lehre von der doppelten Wahrheit „religiös sichert“121, müsse darin bestehen, dass er „durch das Zeugnis 118 119 120

121

V. Zotz, Vorwort zu T. Shigaraki 2004, 12. G. Rosenkranz 1964, 106. Es handelt sich dabei um drei Vorträge von D. T. Suzuki, E. Fromm und R. de Martino, die auf einer 1957 in Mexiko veranstalteten Tagung gehalten wurden. Auch C. G. Jung zählte zu Suzukis Gesprächspartnern und schrieb ein Geleitwort zu Suzukis Einführung in den Zen-Buddhismus „Die große Befreiung“ (deutsch 1958). Rosenkranz sieht hier klar, wie sehr D. T. Suzuki es versteht, durch Übernahme westlicher Konzepte gleichzeitig die spirituelle Superiorität des Ostens zu propagieren (vgl. auch G. Rosenkranz 1960, 262). Instruktiv ist hier z. B. das erste Kapitel in dem bereits erwähnten Band „Zen-Buddhismus und Psychoanalyse“, in dem Suzuki einen Vergleich zwischen West und Ost anstellt (vgl. auch C. Kleine 2003, 164–168). Diese Argumentationsfigur und Begrifflichkeit entstammt der Religionskritik der Dialektischen Theologie, wie sie z. B. auch bei E. Brunner zu finden ist, wo “… die-

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von Christus als Geschichte gewordener Gotteswahrheit und -wirklichkeit in sein Gegenüber vor Gott“ gerufen werde.122 Rosenkranz ist damit typischer Vertreter einer kerygmatischen Theologie, wie sie bei K. Barth und E. Brunner ausgeprägt ist. In seiner Buddhismus-Monographie gibt Rosenkranz einen historisch-genetischen Aufriss der Geschichte des Buddhismus, die er im Sinne sukzessiver Entfaltung unter die Hauptüberschriften Aufbruch, Wanderung, Erfüllung und Begegnung stellt. Die geographischen Entsprechungen zu den ersten drei Hauptteilen bilden Indien, China (inklusive der japanischen Nara-Schulen) und Japan. Die in den Überschriften gegebenen Wesensbeschreibungen entsprechen der zeitgenössischen Religionsphänomenologie. So ist z. B. das Kapitel über Zen überschrieben mit „Der Weg der mystischen Wesensschau“, und der Amida-Buddhismus wird verhandelt unter der Überschrift „Der Weg der Gläubigen Hingabe.“ Dass Rosenkranz in den japanischen Ausprägungen die Erfüllung des buddhistischen Weges sieht, wird auch am Umfang der Darstellung deutlich, die ein gutes Drittel des ganzen Buches ausmacht, wohingegen der tibetische Buddhismus auf nur sieben Seiten abgehandelt wird. In Jōdo-shinshū sieht Rosenkranz trotz der von ihm gebrauchten Vorstellungen der „Entfaltung“ und „Erfüllung“ eine Degenerationserscheinung gegenüber dem ursprünglichen Buddhismus und zugleich die stärkste Ausprägung von upāya. Hier stehen bei Rosenkranz zwei konträre Geschichtsmodelle unverbunden nebeneinander. Die Anwendung der geschickten Mittel ermöglichte es Jōdo-shinshū, in der Moderne auch christliche Elemente in die religiöse Praxis zu integrieren wie Gesang, Sonntagsschul- und Jugendarbeit. Allerdings geht G. Rosenkranz einen Schritt zu weit, wenn er behauptet: „Im Wettkampf mit der christlichen Mission wurde sie [i. e. die „Buddha-Lehre“, Anm. d. Verf.] nicht nur neu angeregt, sondern durch Übernahme und Nachahmung ihrer Methoden beeinflußt. Das zeigt am deutlichsten die Wertschätzung und Art der Wortverkündigung im Kult der Jōdoshinshū …“123 Dieses Zitat macht deutlich, dass bei Jōdo-shinshū die Predigttätigkeit für den christlichen Beobachter in auffallender Parallelität zu christlicher Predigt steht (sowohl hinsichtlich des Stellen-

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se Selbstherrlichkeit des Menschen noch darin sich geltend macht, daß der Mensch sich in seiner Religion sichert und sogar die göttliche Macht für sich gebraucht“ (E. Brunner 21964 [1960], 175). Die Rechtfertigungslehre decke gerade Religion als Selbstsicherung des Menschen auf (ebd., 239). G. Rosenkranz 1964, 109. G. Rosenkranz 1960, 172; gesperrt im Original.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

wertes, als auch in Bezug auf die Art). Allerdings handelt es sich nicht, wie Rosenkranz seinerzeit annahm, um eine Übernahme und Nachahmung, sondern kann, wie diese Studie gezeigt hat, aus genuin (shin-) buddhistischer Tradition erklärt werden. Möglicherweise bezieht sich Rosenkranz dabei auf Aussagen in der Japanische Religionsgeschichte von W. Gundert, der bereits 1935 bemerkte, wie sich der Buddhismus in Aufnahme christlicher Methoden religiöser Kommunikation neu formierte.124 Dass Rosenkranz den Konnex zwischen Heilsverwirklichung und religiöser Kommunikation trotz seiner Beschäftigung mit der Hermeneutik der „geschickten Mittel“ nicht erkannte, zeigt sich auch in dieser „Übernahme-Theorie“. Eine Gestalt des Buddhismus, in der Predigt einen zentralen Stellenwert aus genuin buddhistischen Begründungszusammenhängen einnimmt, liegt (bei Gundert und Rosenkranz) außerhalb des gängigen Buddhismusbildes. Zudem gilt die Predigt gerade als das Proprium des Protestantismus und wird damit zum als Identitätsmarker zum Differenzkriterium. Wie bereits bemerkt, kann als wahrscheinlich gelten, dass bereits die Jesuiten-Missionare im 17. Jh. von der elaborierten Predigtkunst der Jōdo-shinshū gelernt haben.125 Die harsche theologische Beurteilung von Jōdo-shinshū steht, wie bereits ausgeführt, unter dem Vorzeichen von Rosenkranz’ Verständnis der „geschickten Mittel“. Dabei wird er in seinem Buddhismus-Buch, im Unterschied zum upāya-Aufsatz, in der theologischen Deutung noch schärfer. Daher ist ein längeres Zitat gerechtfertigt, das sowohl das zugrunde liegende Buddhismus-Verständnis als auch seine Religionstheologie erhellt: „Im Glauben an den Buddha Amitābha ist dem Buddhismus eine bis an die Grenze des für ihn Tragbaren vorstoßende Form des Erlösungsglaubens erwachsen, die mit ihrem Verzicht auf Selbsterlösung, in ihrer Bindung an (pseudo-)persönliche Erlösergestalten, an (pseudo-)geschichtliche Ereignisse die Heilssehnsucht zahlloser Buddhisten erfüllt. Sie nehmen als Glaubenswirklichkeit, was Mythos, Zweckdeutung und zutiefst Illusion 124

125

„Zunächst begann der Buddhismus, sich die modernen Methoden christlicher Propaganda anzueignen, um so das Christentum mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Er entfaltete eine neue Predigt- und Vortragstätigkeit, die Shinsekte schuf Amidalieder im Stil des englisch-amerikanischen Kirchengesangs, 1892 entstand der Buddhistische Verein junger Männer, andere Vereine, besonders für das weibliche Geschlecht, folgten nach, seit etwa 1900 wurden buddhistische Privatschulen nach dem Vorbild der christlichen gegründet, namentlich für Mädchen, man begann Liebeswerke und sogar kleine Missionsunternehmungen unter den Landsleuten in Korea, China, Hawaii und Kalifornien“ (W. Gundert 1943, 172; Hervorhebung im Original gesperrt). G. Amstutz 1997, 47.

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ist. Daß sie das tun, daß sie an Persönlichkeit und Geschichte haften und nach einem Du verlangen, das ihre Gebete hört und sich ihrer Not erbarmt, und vor allem, daß der Buddhismus darauf eingeht und sich damit weiter in die Welt der Niederen Wahrheit hineinbegibt, als es seine eigene Verkündigung der Höchsten Wahrheit gestattet, zeigt die Verlegenheit, die hier vorliegt. Im Verlangen nach hilfreicher Gotteswirklichkeit, das den Buddhisten über die Lehre seines Meisters hinausgedrängt hat, aber in der Sackgasse phantastischer Spekulationen endet, sieht der Christ den verzweifelten Versuch des Menschen, der sich, irregeworden am eigenen Vermögen, bemüht, mit Hilfe eines anderen seine Erlösung zu erlangen.“126

Dieses polemisch-beißende Urteil, das in Jōdo-shinshū keinen genuinen Buddhismus mehr erkennen kann, sondern nur das illusionäre LügenGebäude als Ergebnis verzweifelter Gottessehnsucht des menschlichen Herzens, zu dem der Versuch buddhistischer Selbsterlösung letztlich treibe, stellt nur noch den Totalbankrott einer nicht-christlichen Religion fest. Rosenkranz nimmt damit eine Extremposition ein, die zugleich die Wirkung einer undialektisch verstandenen „Wort-GottesTheologie“ aufzeigt, wie sie sich im interreligösen Kontext entfalten konnte. Jede Kommunikationsbasis ist damit destruiert. Die Überlegenheit des Christentums mit seinen Kategorien Geschichte und Persönlichkeit wird durch eine auf Jōdo-shinshū projizierte Sehnsucht danach scheinbar bewiesen. Dabei hat bereits zur der Zeit, als Rosenkranz diese Sätze formulierte, die intellektuelle Avantgarde längst eine andere Zeitansage gemacht, die sich von der nicht-theistischen Spiritualität und philosophischen Reflexion des Buddhismus stark angezogen fühlte.127 Der weitere Verlauf der Entwicklung im Kontext der Säkularisierung hat diesen Trend nur verstärkt. Auch wenn Rosenkranz (in der Linie von A. K. Reischauer, K. Barth und T. N. Callaway) entgegengesetzte Schlüsse aus der Nähe zum Protestantismus zieht, als sie zwei Generationen vorher von A. Lloyd und H. Haas gezogen wurden, so beruhen doch beide konträre Positionen auf den selben Voraussetzung eines auf den Buddhismus übertragenen „protestantischen“ Geschichtsbildes (C. Kleine) und mangelnder methodischer und philologischen Gründlichkeit bei der Erhebung des shin-buddhistischen Selbstverständnisses. Die von Callaway und Rosenkranz im Vergleich zu ihren Vorläufern geltend gemachte (jedoch undifferenziert und an 126 127

Rosenkranz 1960, 331. So schreibt Erich Fromm 1960: „Der Osten war jedoch nicht mit der Vorstellung eines transzendenten Vaters und Erlösers belastet, in dessen Gestalt die monotheistischen Religionen ihre Sehnsucht zum Ausdruck brachten. Der Taoismus und der Buddhismus besaßen eine Rationalität und einen Realismus, die denen der westlichen Religionen überlegen waren“ (E. Fromm, D. T. Suzuki, R. de Martino 1971, 104).

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einem christlichen Wahrheitsbegriff gemessene) Hermeneutik der „geschickten Mittel“ geriet in den Sog einer theologisch-konfrontativen Apologetik.

12.3.7 Oguro Tatsuo In seiner Marburger theologischen Dissertation „Der Rettungsgedanke bei Shinran und Luther: eine religionsvergleichende Studie“ von 1974, die von Carl-Heinz Ratschow betreut wurde, geht es dem japanischen Theologen Oguro darum, aufgrund des Selbstverständnisses der jeweiligen Religion gerade auch die Unterschiede angesichts scheinbarer Ähnlichkeiten herauszuarbeiten. Damit will er unter anderen Voraussetzungen das klassische Thema „Luther und Shinran“ neu bearbeiten. So schreibt er im Vorwort zu der erst 1985 im Druck erschienenen Arbeit: „Hier wird an dem Beispiel des Vergleichs des japanischen Buddhismus in der Ausprägung durch Shinran mit dem christlichen Glauben in der Ausprägung Luthers die Ähnlichkeit entscheidender Gedanken dargestellt. Aber dieser Gedankentreffpunkt beider Religionen wird bei näherer Untersuchung zum Auseinandersetzungspunkt, und die Verschiedenheiten des Denkens entfalten sich.“128

Es geht dem japanischen Christen Oguro jedoch nicht nur in erster Linie um ein vertieftes gegenseitiges Verständnis von Jōdo-shinshū und der Theologie Luthers, sondern um „Indogenisation [sic!] und Kontextualisierung, um Verwurzelung des Evangeliums im eigenen Kulturgefüge“.129 Gerade das setze aber „eine profunde Kenntnis des eigenen Anders-Seins“ voraus.130 Gegenüber älteren religionsvergleichenden Arbeiten131, welche die vordergründigen Ähnlichkeiten (oft aufgrund unzureichender Über128 129 130 131

T. Oguro 1985, X. T. Oguro 1985, X. T. Oguro 1985, X. Oguro hat dabei v. a. Missionare der Meiji-Zeit wie A. Reischauer, aber auch die 1940 erschienene Bonner Dissertation von H. Butschkus (einem Schüler Gustav Menschings) über „Luthers Religion und ihre Entsprechung im japanischen Amida-Buddhismus“ im Blick, deren entscheidenden Mangel er in der unzureichenden Quellenlage durch ungenaue, christlich gefärbte Übersetzungen sieht (T. Oguro 1985, 2–3). Allerdings verzichtet Oguro konsequent auf eine Diskussion mit den Arbeiten von Butschkus und anderer Forscher. So hatte Paul O. Ingram bereits 1971 einen Aufsatz mit dem fast identischen Titel „Shinran Shonin and Martin Luther: A soteriological comparison“ veröffentlicht (JAAR 39, S. 430–447). Die entsprechenden Arbeiten erscheinen auch nicht im Literaturverzeichnis.

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setzungsversuche) entweder als Identität in der Sache oder als Illusion bewerteten, rücken hier das Bemühen um das Selbstverständnis von Jōdo-shinshū und das Bemühen philologisch genauer Analyse der Basistexte in den Vordergrund. Nicht das „Wesen“ der Religion soll erschaut werden, wie das bei den frühen Religionsphänomenologien der Fall war, sondern die konkrete Gestalt der historischen Religion wird anhand ihrer Quellen zum Ausgangspunkt der Untersuchung, weshalb Oguro auch besonderen Wert auf eine philologisch genaue Untersuchung der zentralen Begriffe und auf eine Exegese der Texte legen will.132 Allerdings befremdet es, dass er sich dabei explizit der Methoden biblischer Exegese bedient133, wobei die Frage entsteht, ob hier nicht heterogene Interpretationsmuster angelegt werden.134 Oguro ist sich der Schwierigkeiten der Übersetzungen shin-buddhistischer Fachtermini ins Deutsche bewusst und betont, dass eine Exegese der Texte innerhalb buddhistischer Kategorien bleiben müsse.135 Stellt der methodische Ansatz der Arbeit Oguros einen Fortschritt im Vergleich zu manch früheren religionsvergleichenden Studien dar, so erstaunt – angesichts seines eigenen Anspruches – umso mehr, dass der zentrale Begriff für die shin-buddhistische Heilserfahrung – shinjin – nicht thematisiert wird. Stattdessen findet sich die stereotype Wendung, dass „der Mensch aus Amidas Gnade allein durch den Glauben gerettet“ werde, an zahlreichen Stellen in seiner Arbeit.136 Im betreffenden Kapitel V. „Der Glaube bei Shinran und Luther“ analysiert Oguro Shinrans Interpretation des 18. Gelübdes und des Begriffes „san-shin isshin“ als „Drei Glauben im Herzen“.137 Es handelt sich dabei um (1) shishin, „das Herz der Wahrheit“, i. e. das Herz Amidas, das er selbst dem Gläubigen gibt, um (2) shingyō, der als „der zweifelsfreie Glaube aus Amidas vollkommener Gnade“ ein „froher Glaube“ ist, und schließlich um (3) yokushō, den Wunsch, im Reinen Land geboren zu werden. Oguro stellt fest, dass diese „Drei Glauben“, die nach dem Wortlaut des 18. Gelübdes als menschliche Bedingung genannt werden, von Shinran passiv interpretiert werden, als von Ami132 133 134

135 136 137

T. Oguro 1985, 5. T. Oguro 1985, 5. Diese Orientierung an biblischer Exegese kommt auch im Vergleich zum Tragen, wo er in Luther einen Exegeten sieht, der sich nur auf die biblischen Basistexte stützt, wohingegen Shinran neben dem Kanmuryōjukyō „viel mehr Traditionsgut“ in seine Lehre einbeziehe (T. Oguro 1985, 150). Hier wird ein protestantischer Traditionsbegriff auf Shinran übertragen. T. Oguro 1985, 4. T. Oguro 1985, 3. 16. 17. 18. 20. 22. 23. 30. 31. 52 u. ö. T. Oguro 1985, 37.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

da gewirkt. Oguro hält im Grunde davon als Ergebnis für die weitere Untersuchung nur fest, dass der Glaube eine Wirkung Amidas ist und der Mensch durch diesen Glauben gerettet werde, wie es die genannten zahlreichen Zitate belegen. Offensichtlich ist es Oguro nicht ganz gelungen, eine Interpretation vorzulegen, die ausschließlich mit buddhistischen Termini und Kategorien arbeitet. Das wird auch im Resümee der Arbeit deutlich, wo er formuliert: „Was für die Reformation durch Luther in jenen Schlagworten, sola gratia, sola fide, sola christo [sic!], sola scriptura ausgesagt ist, findet man, im buddhistischen Sinn, auch in der Lehre Shinrans.“138 Allerdings hat Oguro bereits an anderen Stellen der Arbeit auf Unterschiede insbesondere im Blick auf das Heilsziel (nirvāna vs. Gottesgemeinschaft) und die Beschreibung der Unheilssituation (bonnō vs. Sünde) hingewiesen und auch auf die Differenzen zwischen Gott bzw. Christus und Amida aufmerksam gemacht, die im Resümee der Arbeit aber nicht mehr zur Geltung gebracht werden. Stattdessen legt Oguro den Fokus auf die inneren Entwicklungen Shinrans und Luthers bis zu deren jeweils reifer Ausformulierung der neuen Einsicht in die Rettung allein durch den Glauben. Dabei findet er strukturelle Übereinstimmung zwischen beiden im Blick auf einen dreistufigen Prozess, den Shinran selbst (im Unterschied zu Luther) explizit reflektiert hat. Dieser Prozess, den Shinran im Kyō-gyō-shinshō beschreibt und der als san-gan-ten-nyū 三願転入 bezeichnet wird, korrespondiert den drei biographischen Abschnitten im Kloster (Rettung durch eigene Leistung), bei Hōnen (Rettung durch das einzige Werk des nembutsu) und der Phase ab dem Exil (Rettung durch das nembutsu der Anderen Kraft). Dieser Prozess entspricht dem Weg vom 19. über das 20. zum 18. der insgesamt 48 Gelübde (gan 願) Amidas.139 Nach Oguro verstand Shinran diesen Prozess als allgemeine Entwicklung des religiösen Menschen. Den widersprüchlichen Aussagen der einzelnen Gelübde kommt dabei eine mystagogische Funktion zu, die Oguro so zusammenfasst: „Diese Widersprüche in den Wünschen Amidas haben den Sinn, den Menschen zur Erfahrung des Scheiterns zu bringen, wenn sie aus eigener Kraft gute Werke zu ihrer Rettung tun wollen, und sie so zur Selbstverneinung treiben, die die Voraussetzung dafür ist, sich von Amida, von fremder Kraft, retten zu lassen.“140 138 139 140

T. Oguro 1985, 150. T. Oguro 1985, 17–22. 151–152. Vgl. CWS I, 222–224; IBJ 378; C. Langer-Kaneko 1986, 35–36; A. Bloom 21968, 33–34, vgl. dazu ausführlich Kapitel 8.2. T. Oguro 1985, 18–19.

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Die Strukturanalogie zu Luthers Verständnis von Gesetz und Evangelium (und ebenso zu Tillichs Predigttheorie, insbesondere der Erfahrung der Grenzsituation) liegt auf der Hand. Bereits A. Bloom hat in seiner Shinran-Darstellung von 1965 auf die Parallelität zur Funktion des Gesetzes bei Paulus in Röm 7 und Gal 3 aufmerksam gemacht.141 Das Ergebnis der Arbeit von Oguro legt den Schluss nahe, dass sich trotz der (sich aufgrund der jeweiligen Begründungszusammenhänge und Symbolsysteme ergebenden) grundlegenden Unterschiede zwischen Luther und Shinran die Psychodynamik und der religiöse Erfahrungsgehalt im Wesentlichen entsprechen.142 Auch wenn Oguro darauf verweist, dass es sehr problematisch sei, Shinran als Reformator zu bezeichnen (viel eher sei er mit der japanischen Nicht-Kirche-Bewegung mukyōkai 無教会 zu vergleichen), sieht er religionsphänomenologisch in der „Rettung durch Glauben allein“ die notwendige Reaktion auf den „Gedanken der Rettung durch Verdienst“.143 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Paul O. Ingram in seinem Vergleich der soteriologischen Konzeptionen Shinrans und Luthers. Anhand der Differenzen zwischen Luther und Shinran (Mappō and Sin, Amida Buddha and God, Other-power and Grace) versucht er zunächst aufzuzeigen, wie historische, psychologische, soziologische, kulturelle und sprachliche Faktoren die Entwicklung und Ausprägung einer religiösen Tradition bestimmen. Mit diesen fundamentalen Differenzen kontrastiert Ingram dann das Glaubensverständnis, das sich sozusagen als Kern aus der kontingenten Schale herausschält und das sich bei Luther und Shinran im Wesentlichen entspricht: „If it is decided, as this paper shows, that Shinran’s and Luther’s doctrinal statements refer to experiences of faith which are more or less similar but verbalized in significantly different ways, these differences become more important than the parallels, and should, therefore, draw our closest attention.“144

Im Glaubensverständnis sieht Ingram die engste – und vielleicht einzig wirkliche – Parallelität und Ähnlichkeit zwischen Luther und Shinran.145 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wie bereits erwähnt J. Laube (1983) und T. Ashizu (1989). Daran wird nochmals deutlich, dass 141 142

143 144 145

A. Bloom 21968, 34. Auch der koreanische christliche Theologe H.-S. Keel betont, dass das paradoxe simul iustus et peccator Luthers in gleicher Weise auf Shinrans Heilserfahrung zutreffe (H.-S. Keel 1995, 122). T. Oguro 1985, 152–153. P. O. Ingram 1971, 431. P. O. Ingram 1971, 446.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

sich der Dialog zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie auf das Problem der Glaubenserfahrung konzentriert.

12.4 Gegenwärtige Begegnungen zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie am Beispiel des Rudolf-Otto-Symposions 12.4.1 Die Bedeutung der Rudolf-Otto-Symposien für den Dialog Obwohl Jōdo-shinshū von Anfang an das besondere Interesse evangelischer Theologie auf sich gezogen hat, kamen die Bemühungen um eine intensivere Beschäftigung und um einen direkten Dialog mit Jōdo-shinshū im deutschsprachigen Bereich erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts langsam in Gang.146 Über die Gründe ließe sich spekulieren. Zu den Ursachen dürften jedoch trotz zahlreicher Erwähnungen in theologischen und religionswissenschaftlichen Werken die Sprachbarriere sowie die fehlende Gelegenheit zu entsprechenden Dialogbeziehungen zwischen Deutschland und Japan auf institutioneller Ebene zu zählen sein. Zudem wurde der buddhistisch-christliche Dialog v. a. vom Zen-Buddhismus dominiert; v. a. durch die Popularität des Dalai Lama rückte auch der Tibetische Buddhismus mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Daher konnte das von H.-M. Barth, M. Pye u. a. initiierte und vom 5. bis 10. Mai 1999 in Marburg am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität abgehaltene III. Internationale Rudolf-Otto146

1975 und 1982 entstanden zwei theologische Dissertationen zu Jōdo-shinshū, die auch japanische Quellen auswerteten. Es handelt sich zum einen um die 1975 unter Carl-Heinz Ratschow in Marburg entstandene Arbeit des Japaners Tatsuo Ogura über einen „Vergleich des Rettungsgedankens bei Shinran und Luther“ und um die in Tübingen von Hans Küng betreute Arbeit von Christiane Langer-Kaneko „Der Reine-Land-Buddhismus. Darstellung seiner Lehre und Ansätze zu einem Dialog mit dem Christentum“. Trotz einzelner Übersetzungen, insbesondere des Tannishō, war man immer noch auf die Übersetzungen von H. Haas angewiesen. Erst 1991 erschien ein schmales Bändchen „Der Buddha im Reinen Land: Shin-Buddhismus in Japan“ von Volker Zotz, das in populärer Weise Jōdo-shinshū einem breiteren Publikum bekannt machte. Bis heute gibt es keine wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Jōdo-shinshū in Deutscher Sprache. Eine sehr knappe Darstellung erschien 2003 in der von Herbert Rolle vorgelegten Diplomarbeit „Jodo Shinshu. Genese und Lehre einer japanischen Tradition des Mahāyāna sowie ihre Reflexion im Rahmen der Evangelischen Systematik“, in der Karl Barth und Katsumi Takizawa als protestantische Referenten gewählt wurden.

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Symposion (ROS) als eine „Weltpremiere“ gelten: „Zum ersten Mal begegneten sich Jodo-Shin-Buddhismus und Evangelische Theologie in einer breiteren Öffentlichkeit auf wissenschaftlicher Ebene.“147 Das Tagungsthema lautete unspezifisch „Buddhismus und Christentum – Jodo Shinshu und Evangelische Theologie“. H.-M. Barth macht in seiner Begrüßung zur Eröffnung des Symposions auf die „verblüffende Ähnlichkeit trotz der eben auch nicht unerheblichen Unterschiede“ aufmerksam. Zwischen diesen beiden Gestaltungsformen großer Weltreligionen bestehe eine „schicksalhafte – und als Christ möchte ich sagen: eine providentielle – Verbindung.“148 Zustande gekommen war die Kooperation zwischen der Ōtani-ha (Higashi-Honganji) affilierten Ōtani-Universität in Kyōto und dem FB Evangelische Theologie durch die Beziehungen von Prof. Dr. Michael Pye vom Fachgebiet Religionswissenschaft der Philipps-Universität (zum Vorbereitungskreis gehörten neben H.M. Barth, dem Beauftragten für das ROS, und M. Pye auch M. Kraatz und C. Elsas). Das Symposion wurde intensiv vorbereitet und von den respektiven Universitätsleitungen aktiv gefördert. Aus Japan nahm eine Delegation von 21 buddhistischen Gelehrten (einschließlich des Rektors der Ōtani-Universität Prof. Terue Korube) an der Tagung in Marburg teil.149 Mit diesem Symposion, das „einer vertieften Kenntnis der Religion, dem interreligiösen Gespräch und damit auch dem Frieden in der Welt dienen soll“150, wurde ein Dialogprozess in Gang gesetzt, dem weitere Dialogphasen folgten.151 So wurden zwischen dem III. und IV. ROS einzelne Vorlesungen und Beiträge (v. a. von H.-M. Barth und G. M. Martin), die aus dem akademischen Austausch entstanden, in einem Folgeband 2003 auf Japanisch veröffentlicht.152 Die dritte Dialogphase 147

148 149 150 151 152

So die Herausgeber H.-M. Barth, E. Minoura und M. Pye im Vorwort des Berichtsbandes zum Symposion (2000, VIII). Der Besuch von Paul Tillich an der ŌtaniUniversität in Kyōto am 6. und 7. Juni 1960 wurde weder von evangelischer noch von shin-buddhistischer Seite erwähnt, obwohl diese Begegnung in Japan einen hohen Symbolwert erhielt. Zumindest besteht über Tillich bereits ein geschichtlicher Kontaktpunkt zwischen Marburg und Kyōto. Aber das war nur eine individuelle und punktuelle Berührung, die zudem kaum zu tieferer Kommunikation führte (vgl. ausführlich Abschnitt 2.3) Die beiden ersten Rudolf-Otto-Symposien beschäftigten sich mit dem Thema „Bild und Bildlosigkeit“ und der „Hermeneutik in Islam und Christentum“, zu denen jeweils Dokumentationsbände erschienen. Mit dem evangelisch-shin-buddhistischen Dialog wurde ein neues Feld erschlossen. H.-M. Barth 2000, [1]. Von der Honganji-ha affilierten Ryūkoku Universität/Kyōto nahm beim III. ROS ein Vertreter (Prof. Takada Shinryo) teil. H.-M. Barth 2000, [1]. Vgl. H.-M. Barth u. a. 2004, [194]–195. Bukkyō to Kirisutokyō no taiwa II: Hans-Martin Barth kyōju Gerhard Marcel Martin kyōju wo mukaete, Kyōto 2003.

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wurde mit dem IV. ROS in Marburg unter das Thema „Buddhismus und Christentum vor der Herausforderung der Säkularisierung“ gestellt.153 Die Säkularisierung, das klang bereits auf dem III. ROS an, bildet sowohl für Jōdo-shinshū in Japan als auch für die Evangelische Theologie in Deutschland einen gemeinsamen Problemhorizont, in dem man sich einem sachbezogenen Dialog stellen konnte. Auch bei den folgenden beiden Symposien in Marburg, die sich den Thematiken von „Innerer Friede und Gewalt“ (V. ROS 2006 ) und der „Interreligiösen Verständigung zu Glaubensverbreitung und Religionswechsel“ (VI. ROS 2008) widmeten, waren Vertreter der Ōtani-Universität aktiv beteiligt, wobei wieder mehrere religiöse Traditionen in den Blick genommen wurden.

12.4.2 Charakter und Dialogverständnis der Rudolf-Otto-Symposien Bereits zu Beginn wurde auf dem III. ROS unter der Frage nach der Möglichkeit des Dialogs das Problem der Sprache in einem grundsätzlichen Beitrag von E. Minoura thematisiert.154 Minoura markiert zunächst zwei Dialogverständnisse, gegen die er sich verwahrt. Weder gehe es um Disputationen („Ohne Menschenliebe stürzt der Dialog unvermeidlich in irgendeinen gelehrten Streit ab“), noch könne das Ziel sein, auf dialektischem Weg eine Religionssynthese zu entwickeln (23). Vielmehr sieht er im Dialog die Aufgabe gestellt, „eine gemeinsame Sprache“ zu finden (24). Das Problem der Übersetzung steht dabei zunächst im Vordergrund, reicht aber noch tiefer zu der Frage nach der Möglichkeit von Versprachlichung religiöser Erfahrung überhaupt. Hier rekurriert Minoura auf die Unterscheidung Shinrans zwischen hosshō-hosshin und hōben-hosshin und vergleicht den „Namen“ (myōgo) resp. nembutsu mit „Wort Gottes“ (29). „Das nembutsu ist also der Ausdruck von shinjin“ (30). Dabei sind für Minoura das „Wort“ als Ausdrucksseite und die „Erfahrung“ konstitutiv aufeinander bezogen (30). Die Möglichkeit des Dialogs, der mehr als lediglich der Austausch religiöser Positionen ist, sieht er in der Frage gegeben, auf welche die jeweiligen Antworten gegeben werden, denn die Antworten könnten nur durch die Frage verstanden werden, auf die sie antworten. Es ist 153

154

H.-M. Barth u. a. 2004. Auch von diesem Berichtsband liegt eine japanische Übersetzung vor: Bukkyō to Kirisutokyō no taiwa III: Jōdo Shinshū to Fukuinshugi no shinkō. Sezokuka kara no chōsen ni chokumen suru Bukkyō to Kirisutokyō, Kyōto 2004. H.-M. Barth u. a. 2000, [22]–30.

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nach Minoura die „Frage nach der Sünde des Menschen“, in der eine „Horizontverschmelzung“ (Minoura mit Bezug auf H.-G. Gadamer) vorliege, und die den Dialog ermögliche (30). Dass das III. ROS eine Suche nach einer gemeinsamen Sprache darstellte, kann H.-M. Barth in seinem Schlusswort so zusammenfassen: „Unsere Gespräche und Diskussionen waren in einem äußeren, aber auch in einem sehr tiefen inneren Sinn ‚Sprech-Übungen‘ und ‚Sprachschule‘“ (2000, 209). Die Struktur der Dialog-Veranstaltungen, von Vertretern der (nicht-theologischen) Religionswissenschaft moderiert, dient dem gegenseitigen vertieften Fremdverstehen.155 M. Pye formulierte es als die „Aufgabe, Welten zusammenzuführen und sich gegenseitig verständlich zu machen …“.156 Anhand der Sachthemen, an deren Beginn das Glaubensverständnis steht, werden Konvergenzen und Differenzen in jeweils zwei Referaten von je einem Vertreter evangelischer Theologie und Jōdo-shinshū erarbeitet, welche die Grundlage für weitere Diskussionen bieten. Es handelt sich bei diesem Dialogprozess um das, was Wilfred C. Smith als ein Miteinander-über-sich-Reden als ideale Form des Dialogs und der religionsvergleichenden Forschung beschrieben hat. Auf dem IV. ROS zum Thema Säkularisierung wurde die kommunikative Rückkoppelung und Spiegelung des Fremdverstehens an einer Stelle explizit aufgenommen, wo K. Otte über „Die Reaktionen auf buddhistischer Seite in christlicher Sicht“ und K. Kadowaki über „Die Reaktionen auf christlicher Seite in buddhistischer Sicht“ referierten.157 Hier wurde (im Sinn von T. Sundermeier) der Perspektivenwechsel konkret geübt. Charakter und Dialogverständnis sind insgesamt bestimmt von der Offenheit für interreligiöse Begegnungen und dem Wunsch nach gegenseitigem Verstehen, das nicht in apologetisch-missionarischer Absicht das jeweilige Gegenüber zu überzeugen oder die eigene Position zu rechtfertigen versucht, wie es die Begegnungen und Fremddarstellungen bis in die sechziger und siebziger Jahre geprägt hat.158 155

156 157 158

Zur Moderations-Rolle einer religionsneutralen Religionswissenschaft vgl. den Beitrag von M. Pye „Zur Legitimation, Struktur und Durchführung von interreligiösem Dialog“ in: H.-M. Barth u. a. 2004, [13]–20. Zum Abschluss der öffentlichen Podiumsdiskussion am 9. 5. 1999 (H.-M. Barth u. a. 2000, 175). H.-M. Barth u. a. 2004, [158]–176. Darauf verweist R. Okochi in seinem Dankeswort am Ende des III. ROS (H.-M. Barth u. a. 2000, [206]). Vgl. auch die in diesem Kapitel vorgestellten Arbeiten, die entweder einen vereinnahmenden oder apologetisch-konfrontativen Charakter besitzen. Vgl. auch den Beitrag von M. Pye über Aspekte der Geschichte und Prob-

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Vielmehr ist die Atmosphäre getragen von dem, was H.-M. Barth in seiner Predigt im ökumenischen Abschluss-Gottesdienst des V. ROS als „Interreligiöse Gastfreundschaft“ bezeichnet hat.159 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die intensivste Phase des Dialoges in dem halben Jahrzehnt zwischen 1999 und 2004 mit den zwei Symposien und drei Berichtsbänden liegt, die sich ausschließlich dem Thema Evangelische Theologie und Jōdo-shinshū widmen. Damit ist ein Meilenstein evangelisch-shin-buddhistischer Begegnung gesetzt. In vorliegendem Zusammenhang ist auf zwei Einschränkungen, die jedoch in der Natur der Sache liegen, aufmerksam zu machen. Zum einen beschränkt sich der Dialog im Wesentlichen auf die akademische Ebene des theologischen, buddhologischen und religionsphilosophischen Diskurses, wenn auch Elemente religiöser Praxis, wie ein gemeinsamer evangelischer/ökumenischer Gottesdienst oder eine rituelle Sūtren-Rezitation ins Programm aufgenommen worden sind. Zum andern beschränkt sich das Gegenüber bei Jōdo-shinshū auf Ōtani-ha (Higashi-Honganji-ha). Daher kommen spezifische Unterschiede zu der in dieser Studie behandelten Honganji-ha (Nishi-Honganji) nicht ins Blickfeld.160 Die Relevanz dieser Beobachtung steht in Korrelation zu der Einsicht, die während des III. ROS gewachsen ist, nämlich dass „im interreligiösen Gespräch verstärkt auf aktuelle Tendenzen der Interpretation klassischer Positionen zu achten sei“, wie es H.-M. Barth in Bezug auf den Beitrag von Yasushi Kigoshi, in dem er eine existenzialisierende Interpretation des mappō-Konzeptes wahrnahm, formulierte.161

159 160

161

leme der Begegnung zwischen Buddhismus und Christentum (H.-M. Barth u. a. 2000, [6]–21). H.-M. Barth / C. Elsas 2007, [272]–276. Eine Ausnahme bildet der Beitrag von Prof. Takada Shinryo von der Ryūkoku-Universität über „Das shin-buddhistische Verständnis von ‚Gebet/Meditation‘ in der Begegnung mit dem personalen Gottesverständnis des Christentums“ (H.-M. Barth u. a. 2000, [150]–159. In dem in Abschnitt 7.2.3 vorliegender Studie besprochene Beitrag auf dem IV. ROS von Yasushi Kigoshi „Shin Buddhist Doctrinal Studies and Modernization. A Dispute over the Understanding of the Pure Land“ (H.-M. Barth 2004, [89]–101), kommt aus Sicht der Ōtani-ha ein Unterschied in der Anpassung an die Moderne zur Sprache. Am Deutlichsten wurde dies bei dem V. ROS zum Thema „Glaubensverbreitung“, wo der Vertreter der Ōtani-Universität (Prof. Fujieda Shin) in seinem Hauptvortrag das gestellte Thema „Glaubensverbreitung und Religionswechsel nach hinduistischem und buddhistischem Verständnis“ nicht aufgenommen hat. Hier wird der Unterschied zu Honganji-ha am deutlichsten (vgl. die Ausführungen zu fukyō 布教 „Verbreitung der Lehre“ in vorliegender Studie). Prof. Fujieda widmete sich in seinem Vortrag dem Thema „Reines-Land-Buddhismus und ‚Nembutsu‘ als eine gegenwärtige Form inoffizieller Spiritualität“. H.-M. Barth u. a. 2000, 196.

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12.4.3 Sola fide und das nembutsu allein M. Pye macht in seinem Beitrag162 zu Beginn des III. ROS darauf aufmerksam, dass es sich bei dieser Begegnung um Vertreter der jeweiligen religiösen Tradition handelt, die nicht nur akademisch arbeiten, sondern die sich auch ihren jeweiligen Traditionen verpflichtet wissen und in diese auch institutionell eingebunden sind (12). Obwohl sich beide Traditionen unabhängig voneinander entwickelt haben, gebe es eine „strukturellen Ähnlichkeit im Glaubensverständnis“, das zu analogen Äußerungsformen führte. Daher werde „eine durchaus vergleichbare religiöse Struktur sichtbar …“ (18). Ausgehend von der Ähnlichkeit im Heilsverständnis stellt Pye als Religionswissenschaftler die Frage, ob und inwiefern der Glaubensakt eine bestimmte Metaphysik bedingt, oder ob nicht gerade auch die soteriologische Struktur des sich Verlassens auf eine andere Kraft von (durchaus kontingenten) „metaphysischen Gefangenschaften befreit?“ (19). Pye denkt hier insbesondere an den Theismus: „Kommen wir auf die expliziten christlichen Überlieferungen zurück, dann stellt sich die allgemeine Frage, wie weit ein Verständnis der christlichen Botschaft auf den Grundgedanken des theistischen Rahmens angewiesen ist und wie weit man sich davon entfernen kann oder sollte. Je fester diese Rahmenvorstellungen sind, um so schwieriger ist es, die Gedankengänge des Buddhismus nachzuvollziehen“ (16). In diesem Zusammenhang bringt M. Pye den Namen Paul Tillichs ins Spiel, ohne dessen Relevanz für den buddhistisch-christlichen Dialog weiter auszuführen. M. Pye geht auch sofort über Tillich hinaus, wenn er aus der bereits vollzogenen „Entmythologisierung“ auch die Notwendigkeit einer „Entonotologisierung“ ableitet (16), wie sie im Kontext der Moderne als Frage aufgeworfen ist (19). Als Religionswissenschaftler markiert M. Pye damit präzise den in der Moderne gegebenen Problemhorizont, in dem insbesondere die beiden Beiträge von von H.-M. Barth „Allein durch den Glauben“ und Y. Kigoshi „‚Sola fide‘ und das nembutsu. Die Begegnung von Jodo Shinshu mit dem Christentum“ verortet sind.163 Der Dialog setzte also „steil“ ein mit der Fokussierung auf die „Glaubensvorstellungen und Denkweisen“, wie G. M. Martin bemerkte.164 Im Folgenden gebe ich die Grundaussagen dieser beiden Beiträge wieder, die für den Zusammenhang dieser Studie 162 163 164

M. Pye 2000, [6]–21; die folgenden Zahlen in Klammern geben die Seitenzahlen in diesem Beitrag an. H.-M. Barth u. a. 2000, [31]–51; im folgenden beziehen sich die Seitenzahlen in Klammern auf diesen Text. Bei der öffentlichen Podiumsdiskussion am 9. 5. 1999 (H.-M. Barth u. a. 2000, 166).

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relevant sind. Zugleich führt die Ausgangsfrage von M. Pye direkt zum abschließenden Vergleich von Jōdo-shinshū und Paul Tillich. H.-M. Barth macht in seinem Beitrag „Allein durch den Glauben“ deutlich, in welchen Beziehungen sich christlicher Glaube konstituiert und verweist auf die übrigen „particulae exclusivae“: sola gratia, solus Christus und sola scriptura, welche das sola fide nach reformatorischem Verständnis interpretieren und ergänzen (31–32). Den „Glauben allein“ könne es nicht geben, „denn der Glaube stellt den Knotenpunkt eines Gefüges von Beziehungen des Bewußtseins und der konkreten Existenz dar“ (32). H.-M. Barth definiert Glaube folgendermaßen: „Er ist eine Funktion des Wirkens Gottes und übt in Abhängigkeit von dieser Funktion seinerseits selbst eine göttliche Funktion aus. Er ist daher empirisch nicht zu fassen und hat gleichwohl ein phänomenologisches, empirisch faßbares Profil“ (32).

Der Glaube ist, christliche verstanden, ein „Epiphänomen“, das sich nicht selbst verdankt. Daher ist nach dem Woher des Glaubens zu fragen (32), das nach dem Neuen Testament aus der Predigt (wörtlich: dem Gehörten) kommt, das wiederum durch das „Wort Christi“ kommt (Röm 10, 17). Der Bezug auf Christus, den „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12, 2) ist konstitutiv (33). Dieses Woher des Glaubens bestimmt H.-M. Barth trinitarisch: „das Wort von Jesus Christus, die Schöpfung, der Geist“ (34). Entsprechend diesem dreifaltigen Ursprung ziele der Glaube (sein Woraufhin) auf Emanzipation, Kommunikation und Kreation im Bereich des Empirischen und letztlich, dieses transzendierend, wieder auf seinen Ursprung: „Sein letztes Woraufhin ist sein Woher: der Geist, Jesus Christus, der Schöpfer“ (36). Entsprechend beschreibt Barth den Glauben als „metaphänomenales Phänomen“, da zwar die Äußerungen des Glaubens fassbar sind, nicht jedoch (entsprechend seines Woher und Woraufhin) der Glaube selbst (36). Im Bereich des Empirischen jedoch bleibe der Glaube ambivalent und mit anderen Phänomenen verwechselbar. In dieser letzten Unaufweisbarkeit des Glaubens liege demnach auch die Anfechtung begründet. Glaube und Anfechtung gehören zusammen. Entscheidend sei jedoch die christologische Verankerung des Glaubens, da der Glaube nicht an sich selbst glaubt, sondern „der Platz Gottes in uns“ (Sergio Rostagno) ist (37), oder mit Eph 3, 17 „… dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.“ So kann Barth zugespitzt formulieren: „Mein Glaube interessiert mich nicht. Christus ist hier – ‚Christus adest‘“ (38).165 165

In diesem Beitrag orientiert sich H.-M. Barth sehr stark am reformatorischen Glaubensbegriff. An späterer Stelle führt er die Unterscheidung von Alpha- und Ome-

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In seinem Koreferat geht Y. Kigoshi auf die exklusive soteriologische Bedeutung des nembutsu ein, indem er zunächst die Traditionslinie von Shan-tao über Hōnen zu Shinran zieht. Dabei gibt Y. Kigoshi einen Überblick über die Entwicklung der nembutsu-Praxis in der Jōdo-Tradition. Haben auch Shan-taoHui-yuan und Hōnen die Heilssuffizienz des nembutsu gelehrt, so liege doch die Originalität im Denken Shinrans darin, „dass die Anrufung des Namens die einzige Übung zur Errettung des Menschen ist. Die anderen verschiedenen Übungen seien dagegen geschickte Mittel (hoben, upaya), welche gelehrt worden sind, um verworfen zu werden“ (40). Wie sein Lehrer Hōnen gelangte Shinran zu der Einsicht, dass das Urgelübde und das nembutsu gerade zur Errettung der „törichten“ Menschen gegeben sei, die zu keiner Praxis fähig sind (43–44). Y. Kigoshi beschreibt ausführlich Shinrans Bekehrung zum Urgelöbnis, die „nichts anderes [ist] als die Befreiung vom Geist, der von jiriki abhängt“ (44). Indem Shinran sich seiner selbst als gewöhnlichem, törichtem Menschen bewusst wurde, öffnete sich ihm das Nirvana. „Shinran sagt, daß er in das höchste Nirvana gelangen könne, so wie er ist, voller Verunreinigungen“ (45). Y. Kigoshi erläutert diese Aussage anhand der grundlegenden These des Buddhismus, dass die Wurzel des Leidens in unserem Selbst liege (46). „Der Mensch ist eine Existenz, die sich selbst mit dem eigenen Selbst quält. Darüber hinaus ist er eine Existenz, die sich dieses Sachverhalts nicht bewußt ist“ (46). Indem der Mensch sich jedoch als einen solchermaßen Leidenden und Unwissenden erkennt, liege zugleich die Erfahrung des höchsten Nirvana (46). „Das Erwachen zur Unwissenheit ist nämlich zugleich eine Befreiung von der Unwissenheit“ (46–47). Diese Erfahrung Shinrans ist konstitutiv für sein Verständnis des nembutsu, dessen Leistung er darin sah, „die Lebewesen zu solch einer Selbstbewusstwerdung zu leiten, sie auf den Weg zum Nirvana zu rufen und ihr Erwachen hervorzubringen“ (47). Die Neuinterpretation des nembutsu durch Shinran besteht darin, dass es nicht die Praxis des Übenden, sondern die „Praxis des Amida“ selbst sei, der auf diese Weise „die in der Finsternis der Unwissenheit existierenden Lebewesen zur Bekehrung hinführt“ (48). Das NamuAmida-Butsu wird verstanden als erlösender Ruf Amidas und so als „Selbstausdruck des Tathagata selbst“ (48). Dadurch werde bei Shinran nach Kigoshi das „religiöse Subjekt“ (48) konstituiert.

ga-Glauben im interreligiösen Dialog mit dem Buddhismus weiter aus (vgl. H.-M. Barth 2004, 7–19; ders. 2010, 39–51).

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Zum Schluss kommt Y. Kigoshi auf den Begriff shinjin zu sprechen, dessen Übersetzung als „gläubiges Herz“ unzureichend sei (51). Shinjin ist ein Geschenk des Tathagata, Wirken Amidas zugunsten des Menschen, das „durch die Berührung mit dem Appell des Ursprünglichen Gelöbnisses entsteht“ (51). Y. Kigoshi definiert: „In dem gleichen Sinne ist shinjin nicht die Manifestation eines Glaubens, der auf Tathagata gerichtet ist, welche vom Praktizierenden erzeugt worden wäre. Es ist eher das Herz, das erzeugt wird, wenn es in Kontakt kommt mit der Selbst-Manifestation des Tathagata als sein Name“ (51).

Da shinjin bereits die Erfahrung der Errettung sei, ist es das „Herz, das nicht zweifelt“ (51). Das „Nur-Nembutsu“ sei nicht die Bedingung für die Hingeburt ins Reine Land. Vielmehr gelte: „Als shinjin bringt das ‚Nur-Nembutsu‘ die Etablierung eines religiösen Glaubens zum Ausdruck, und damit stellt es die Selbstbewußtheit eines Menschen dar, der sich auf dem Weg [sic!] zum Nirvana befindet“ (51). H.-M. Barth berichtet in seinem Rückblick auf das Symposion166 , wie es im nachträglichen persönlichen Gespräch zwischen ihm und Y. Kigoshi zum „Abbau von Vor-Einstellungen“ kam. Y. Kigoshi habe offenbar ein „klares, knallhartes theistisches Denken“ erwartet und wusste nicht recht auf den – Theismus transzendierenden – trinitarischen Ansatz zu reagieren. Umgekehrt zeigte sich H.-M. Barth überrascht, wie sehr Y. Kigoshi auf die Lehre vom Nicht-Ich (anatta) verzichten konnte. Wie bereits mehrfach erwähnt konzentrierte sich der Dialogprozess von Anfang an auf das Glaubensverständnis und dabei wiederum auf das „Allein“. Daher geht H.-M. Barth in seinem Resumee ausführlich auf diese „große Strukturanalogie“ ein, wie sie ja die bisherige Geschichte der Begegnung dominiert hat. Bei der Strukturanalogie von „sola fide“ und „nembtusu allein“ unterscheidet H.-M. Barth drei Stufen von Analogien zwischen dem Denken Shinrans und Luthers, in denen (1.) Differenzen zurücktreten, (2.) Differenzen unübersehbar sind und (3.) Differenzen sich kaum überbrücken lassen (197). In die erste Kategorie fallen das Bekehrungserlebnis bei Luther und Shinran, die Anthropologie (der Mensch, der um sich selbst kreist; aber auch die Nähe von Leiden und Sünde, 169), die Unmöglichkeit, durch eigene Kraft gerettet zu werden und die damit korrelierende Selbsteinschätzung, sowie der Aspekt des 166

„Die ‚Andere Kraft‘. Versuch eines Brückenschlags zwischen Shin-Buddhismus und evangelischem Glauben“, H.-M. Barth u. a. 2000, [194]–205; die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diesen Text.

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Angerufenseins von der Wahrheit (198). Die zweite Kategorie, in der die Differenzen klarer hervortreten, sind zunächst der heilspragmatische Stellenwert des nembutsu für Menschen, die zur Praxis weder moralisch noch intellektuell in der Lage sind im Unterschied zu einem reformatorischen transmoralischen und metarationalem Sündenverständnis, sodann die christlich gegebene geschöpfliche Selbstbejahung unter der Gnade, die Differenz im Blick auf das Heilsziel und schließlich auch noch die in Aussagen wie Gal 2, 20 gegebene kategoriale Differenz zwischen dem Glaubenden und Christus (198–199).167 In die Kategorie kaum überbrückbarer Differenzen fallen schließlich die jeweiligen Bezugsgrößen von nembutsu respektive fides. Nicht das „Allein“ sei das Entscheidende, sondern aufseiten des christlichen Glaubens gerade der Bezug auf den Namen Jesus Christus und der damit verbundenen Konnotationen. H.-M. Barth knüpft hier explizit an Karl Barth an (200). Im „Allein“ zeige sich nach H.-M. Barth „zugleich größte Nähe und zugleich weiteste Distanz“ zwischen Jōdo-shinshū und evangelischem Glauben (204). Die konstitutive Bezogenheit des sola fide auf das solus Christus ist für christliches Glaubensverständnis ebensowenig hintergehbar wie die shin-buddhistische Verwiesenheit auf das nembutsu. Pointiert formuliert H.-M. Barth: „Das Allein macht allein keinen Sinn“ (204). Bei aller kritischen Distanz zur Art und Weise, wie K. Barth die Bezogenheit christlichen Glaubens auf den Namen Jesus Christus gegenüber anderen Gnadenreligionen geltend gemacht hat, sieht sich H.-M. Barth als ein Ergebnis des Symposions in sachlicher Nähe zu K. Barth. In der Podiumsdiskussion hält er fest: „Es geht alles um den Namen, und es ist eben die Frage, um welchen Namen, AmidaBuddha oder Jesus Christus? Das sind ja nicht irgendwelche Namen, sondern in ihnen sind ganz bestimmte Konnotationen mitgesetzt.“168 Bei der Frage nach der möglichen Überbrückung von Divergenzen benennt H.-M. Barth vier Themenkreise: Erstens die Frage nach dem Verhältnis personaler resp. a-personaler Auffassung der letzten Wirklichkeit. So fragt H.-M. Barth aufgrund der nicht-theistischen Ansätze evangelischer Theologie, in denen auch ein a-personales Moment in den Gottesbegriff integriert werden kann, ob buddhistischerseits Möglichkeiten der Integration personalen Denkens bestehen (201). Zweitens stellt sich die Frage, ob sich mit dem Begriff der „Manifestation“ Konvergenzen in Christologie und Buddhologie ergeben, bei 167 168

Vgl. dazu ausführlich H.-M. Barth 2002, 174–188. Bei der öffentlichen Podiumsdiskussion am 9. 5. 1999 (H.-M. Barth u. a. 2000, 169).

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denen eine Brücke zur Inkarnation und dem Historischen geschlagen werden könne (201). Als dritter Themenkreis wird die Frage nach dem Verhältnis von Gnade und tariki benannt sowie die für vorliegende Studie zentrale Frage, wie zur jeweils damit begründeten Befreiungserfahrung spirituell angeleitet werden könne (die Frage der Mystagogik). Und schließlich stellt sich die Frage nach der Korrelation von Gebet und Meditation, bzw. dem nembutsu bei Jōdo-shinshū. Hier lasse sich eine große Nähe in der „Glaubens-Existenz“ wahrnehmen (203).

12.5. Zusammenfassung Der Überblick über die Geschichte der Begegnung zwischen Christentum (insbesondere dem Protestantismus) und Jōdo-shinshū hat uns durch weite geschichtliche, kulturelle, konfessionelle und kommunikative Räume geführt, in denen eine Fülle von Aspekten angeschnitten wurde. Es handelt sich dabei auch um einen Prozess zunehmender Klärung, in dem sich zwei religiöse Welten in Anziehung und Abstoßung begegneten, bevor es zu einer versachlichten gemeinsamen Kommunikation über die eigenen Religionen kommen konnte. Das ist ein Prozess, der jedoch längst nicht abgeschlossen ist, sondern gerade erst richtig begonnen hat. Dabei wurde klar, dass in der Frage nach dem jeweiligen Glaubensverständnis der Kristallisationspunkt der inhaltlichen Beschäftigung mit der jeweils anderen Tradition besteht. Von hier aus lassen sich zahlreiche phänomenologische Affinitäten und Differenzen interpretieren. Die Beschäftigung mit dem jeweils religiös Anderen bewegt sich dabei immer in der Spannung zwischen diesen beiden Polen. Je nach (theologischen) Voraussetzungen und leitenden Interessen oszillierte die Bewertung zwischen vereinnahmender Identifikation oder radikal abgrenzender Differenz. Dabei standen jeweils Einzelaspekte im Vordergrund, deren Funktion und Stellenwert im Gesamtgefüge eines Religionssystems nur in Einzelfällen in Betracht gezogen wurden. Das ROS hat in dieser Hinsicht sowohl in religiöser als auch religionswissenschaftlicher Hinsicht qualitativ andere und neue Maßstäbe für Forschung und Dialog gesetzt. Blickt man auf die Entwicklung der protestantischen Darstellungen der Jōdo-shinshū, entdeckt man, dass einzelne „Theologumena“ einen Funktionswandel innerhalb der Argumentationsstrategien durchlaufen haben (Ähnliches ließe sich auch im umgekehrten Fall sagen). Diente z. B. bei H. Haas und A. Lloyd der (vermeintliche) shin-buddhistische Theismus der Vereinnahmung und bei A. K. Reischauer der

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als „semi-theistisch“ identifizierte Amida-Glaube als Argument für die Abgrenzung, so wandelte sich unter den Bedingungen der Moderne der nicht-theistische Aspekt des Buddhismus zum strategischen Vorteil. In Korrelation dazu steht das Konzept der „geschickten Mittel“, das von T. N. Callaway und G. Rosenkranz geradezu als „Täuschung“ entlarvt wird, hingegen in den neueren Beiträgen (u. a. von M. Pye und H.-M. Barth) eine positive Würdigung erfahren. Allerdings kam das so zentrale Thema der „geschickten Mittel“ in den ROS nur am Rand vor und zwar in dem Beitrag von Y. Kigoshi, in dem er Shinrans Auffassung referiert, dass alle anderen (sc. jiriki-)Übungen des Buddhismus hōben seien, „welche gelehrt worden sind, um verworfen zu werden“.169 Gerade Shinrans für die Möglichkeit religiöser Kommunikation konstitutive und im Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von Buddhologie und Christologie relevante Lehre von apophatischem und kataphatischem dharma-kāya ist hier für künftige Dialogprozesse hoch interessant.170 Die Frage nach der religiösen Kommunikation kam nur am Rande bzw. gar nicht in den Blick. Abgesehen von der zweifelhaften Übersetzung der tendenziösen Predigten Tada Kanaes (von Ōtani-ha) am Beginn des letzten Jahrhunderts und der falschen Annahme, dass Jōdo-shinshū die Predigtpraxis vom Protestantismus kopiert habe (W. Gundert, G. Rosenkranz) wurde die religiöse Kommunikation selbst nicht thematisiert. Konnte H.-M. Barth im Zusammenhang mit dem reformatorischen Glaubensverständnis die Zentralität der Predigt (dem Gehörten) mit Röm 10, 17 begründen, so kam aufseiten von Jōdo-shinshū die große Bedeutung religiöser Rede selbst bei dem eigens unter das Thema der Glaubensverbreitung gestellten VI. ROS gar nicht vor. In engem Zusammenhang mit der Bedeutung des Namens Jesus Christus resp. Amida / nembutsu, in dem H.-M. Barth die entscheidende Differenz ausmacht, steht die Frage nach Grund und Inhalt der Verkündigung.171 169 170 171

Y. Kigoshi 2000, 40. So auch H. S. Keel 1995, 180. Unter Aufnahme und Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Namens Jesus Christus, wie er sie bei seinem Lehrer Karl Barth kennen gelernt hat, sieht Takizawa Katsumi in dem Urfaktum Immanuel eine universale Grundlage von Christentum und (Shin-)Buddhismus. (K. Takizawa 1980; vgl. dazu auch H. Rolle 2003, 108–110). Bereits im Jahr 1975 legte Richard David Evans eine religionsvergleichende Dissertation über „The Name as Symbol in the New Testament and the Writings of Shinran“ vor. Darin untersucht er die Namen Jesus und Amida als „symbolic function“ der Präsentsetzung Jesu resp. Amidas, deren Unterschied jedoch in dem Inhalt der jeweils symbolisierten letzten Wirklichkeit besteht (96). Die Funktion bestehe darin, dass „religious sensibilities are awakened and religious practice is increased in persons and groups“ (96).

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

Mehr oder minder tauchte bei allen Begegnungen die Frage nach dem jeweiligen Bezugsrahmen der Namensrede im Hintergrund auf. Auf dem III. ROS kamen die Fragen nach einer „Ent-ontologisierung“ oder der Möglichkeit einer „Meta-Ontologie“ auf. Bestand für frühere Theologen-Generationen die Überlegenheit des Christentums in einer realistischen (und pluralistischen) Ontologie gegenüber dem Monismus der mahāyānischen „Leere“ oder einem „Nur-Bewusstsein“, so stellt sich gegenwärtig die Frage nach einer „nach-metaphysischen“ Theologie, wobei die Frage, wie sich Christentum und Buddhismus zueinander verhalten, wieder spannend wird. In dem etwas ausführlichen Überblick über die Dialogbemühungen und interreligiösen Forschungsansätze im Kontext des RudolfOtto-Symposions wurde deutlich, dass Paul Tillichs theologische und religionsphilosophische Ansätze nochmals spezifisch andere Zugänge eröffnen, die für die Begegnung zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie fruchtbar gemacht werden können. Das gilt neben dem nicht-theistischen Gottesbegriff (der auch beim ROS aufgenommen wurde) insbesondere für den erfahrungstheologischen Ausgangspunkt im Horizont eines integralen Lebensbegriffs.172 Es liegt auf der Hand, dass die hier angesprochenen Aspekte auch unmittelbare Relevanz für die Homiletik besitzen.

172

Insgesamt kann auch gesagt werden, dass die erfahrungstheologische Tradition evangelischer Theologie, die u. a. durch den Namensgeber des Rudolf-Otto-Symposions mit seinem Begriff des Heiligen repräsentiert wird, in den bisherigen Dialogbemühungen noch kaum zum Tragen kam. Gerade in der Begegnung mit dem auf Erfahrung dringenden Buddhismus eröffnet sich hier auch ein Forschungsfeld empirischer Theologie und Religionspsychologie, das von medizinisch-psychologischer Seite (v. a. durch die Resilienz- und salutogenetische Forschung) bereits bearbeitet wird.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich 13.1 Religiöse Kommunikation im Feld von Glaubenserfahrung, Tradition und Kontext Ausgangspunkt vorliegender Studie war die Beobachtung, dass die Praxis religiöser Rede im Dienst der Glaubensvermittlung sowohl in evangelischer Theologie als auch bei Jōdo-shinshū einen zentralen Stellenwert einnimmt und in beiden Traditionen der Glaube resp. shinjin als unverfügbares Donum aus dem „Hören“ kommen.1 Es konnte aufgezeigt werden, dass sich auf diesem Feld ausgerechnet eine der größten Richtungen innerhalb des Buddhismus als kongeniales Gegenüber mit einer elaborierten und reichen Tradition religiöser Rede erweist. Pointiert formuliert: Der Buddhismus ist (von Anfang an) eine predigende Religion. Zudem ließen sich Affinitäten zwischen Jōdo-shinshū und der dynamischen non-dualistischen philosophischen Theologie P. Tillichs beobachten, die konventionelle Leitunterscheidungen im christlichbuddhistischen Dialog (z. B. theistisch – nicht-theistisch, dualistisch – monistisch) unterlaufen und eine präzisere Betrachtung erfordern. In diesem Schlusskapitel wird der Versuch unternommen, den Ertrag der bisherigen Untersuchungsergebnisse im Blick auf die religiöse Kommunikation durch einen Vergleich von Paul Tillich und Jōdo-shinshū zusammenzufassen und in den interreligiösen Dialog einzubringen. Dadurch soll auch eine vertiefte Wahrnehmung der eigenen Tradition und Reflexion gegenwärtiger Praxis im Spiegel des religiös und kulturell Anderen ermöglicht und der für eine dialogische Theologie notwendige Perspektivenwechsel eingeübt werden. Ich bin mir allerdings auch der Schwierigkeiten (nicht zuletzt aufgrund der Fülle des Materials) dieses Unternehmens bewusst, welche mich 1

Wenn daher H. M. Müller unter Bezug auf Röm 10, 17 schreibt, dass es die Dialektik von Wort und Glaube sei, die das Christentum von allen anderen Religionen unterscheide (H. M. Müller 1995, 3), so ist dem mit Blick auf Jōdo-shinshū zu widersprechen.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

während der langen Arbeit an dieser Studie ständig begleitet haben. Der Gefahr der Konstruktion sollte durch die bewusst eingenommene emische Perspektive, eine exakte semantische Analyse und Erhellung der Begründungszusammenhänge und Kommunikationsräume sowie durch die exemplarischen Analysen bisheriger Begegnungen zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie und deren Problematik begegnet werden. Zudem ging es in bewusster Selbstbeschränkung nicht um eine Phänomenologie der jeweiligen religiösen Erfahrung an sich, sondern um die Kommunikation des Glaubens in religiöser Rede und deren Hermeneutik. Letztlich lassen sich die verbleibenden Schwierigkeiten interreligiöser Komparatistik jedoch nur durch ein gegenseitiges Annäherungsverstehen an das jeweilige Selbstverständnis im Vollzug des Dialogs selbst begegnen, dem diese Studie dienen will. Insofern will sie als Anregung zur Weiterarbeit auf diesem bisher wenig betretenen Gebiet interreligiöser und interkultureller Homiletik verstanden werden. Dass nicht alle Einzelbeobachtungen der ersten beiden Hauptteile an dieser Stelle explizit mit einbezogen werden können, versteht sich. Die folgenden Thesen können nur die unter der Perspektive der Forschungsfrage als wesentlich und weiterführend erscheinenden Aspekte behandeln und in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dabei ist darauf zu achten, dass sich auch die Durchführung des Vergleichs sowohl in Aufbau als auch Gewichtung der einzelnen Aspekte nicht allein an christlich-theologischen Konventionen und Kategorien orientiert, sondern die jeweiligen Begründungszusammenhänge angemessen zur Geltung kommen. Sowohl Paul Tillich als auch Jōdo-shinshū verorten den Glauben/ faith resp. shinjin in der Erfahrung, die jedoch überlieferungsgeschichtlich in der jeweiligen Tradition rückgebunden und durch diese vermittelt ist. Die Vermittlung geschieht dabei jeweils notwendig sprachlich als religiöse Rede, die als Auslegung und Applikation der Tradition für den jeweiligen Kontext verstanden wird, der sowohl für Tillich als auch für Ōtani Kōshin primär durch das Stichwort der Säkularisierung namhaft gemacht ist. Der Vermittlungsleistung in diesem Horizont dienen die jeweilige Hermeneutik sowie kommunikative Strategien, wie sie im bisherigen Gang der Untersuchung dargestellt wurden. Für Jōdo-shinshū und für Tillich gilt, dass sich religiöse Kommunikation immer im Feld von Glaubenserfahrung, Überlieferungsgeschichte und gegenwärtigem lebensweltlichen Kontext vollzieht.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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13.2 Das Ziel religiöser Rede: Glaube/faith resp. shinjin als Heilserfahrung 13.2.1 Glaube/faith resp. shinjin als „ekstatische“ Verwirklichung des Heilszieles Sowohl shinjin als auch Glaube/faith bei Tillich stehen im Zentrum der religiösen Kommunikation und werden jeweils als Transzendierung der Subjekt-Objekt-Spaltung im Zustand des Ergriffenseins (being grasped, jap. sesshu-fusha 摂取不捨 „being grasped, never to be abandoned“) gefasst. Das Ergriffensein äußert sich in dem Bewusstsein des paradoxen Angenommenseins durch einen transzendenten Grund, der durch die Deutungskategorien der je eigenen Tradition (i. e. Amida resp. der göttliche Geist) namhaft gemacht und bei Tillich ontologisch begründet wird. 2 Gemeinsam ist dieser „Glaubens“-Erfahrung auch die Gewissheit unmittelbarer Evidenz. Shinjin, als Ergriffensein von Amidas Anderer Kraft (tariki), bildet den Inhalt der soteriologischen Erfahrung: „Shinran’s teaching […] is not one of salvation through ‚faith‘, for shinjin is not a means to salvation but salvation itself.“3 Diese wohl gegen ein protestantisches Missverständnis von Jōdo-shinshū gerichtete Aussage betont die Unmöglichkeit von shinjin als Bedingung für die Erlangung des Heilszieles zu verstehen. Das würde dem Prinzip der Anderen Kraft widersprechen. Gegen einen Glauben, der als Bedingung der Rechtfertigung verstanden wird, verwahrt sich auch Tillich vehement. Vielmehr besteht auch hier Glaube/faith als Ergriffenheitserfahrung in dem Hineingenommenwerden in die transzendente Einheit, in der auch die Differenz von Glaube und Liebe als Manifestationen des Unbedingten verschwindet. Für Jōdo-shinshū (wie für alle Richtungen des Buddhismus) besteht das letzte Heilsziel in der Erlangung der Buddhaschaft, im Erwachen. Allerdings betonen Ōtani Kōshin und die Autoren von Honganji-ha 2

3

In Anlehnung an F. D. E. Schleiermachers berühmte Formulierung resümiert H. Rolle seinen Vergleich von Jōdo-shinshū und Christentum: „Sowohl der Christ, als auch der Shin-Buddhist erfahren im Moment des Glaubens ein ‚Gefühl des schlechthinnigen Angenommenseins‘, welches die bestehenden Grenzen der eigenen Subjektheit überschreitet“ (H. Rolle 2003, 115). Rolle sieht darin den entscheidenden aber auch einzigen Kreuzungspunkt beider Traditionen (H. Rolle 2003, 116). Allerdings fehlt in Rolles Darstellung das Moment des Paradoxes in der Erfahrung des Angenommenseins. Ebenso wenig ist der These zuzustimmen, dass es sich hierbei um den einzigen „Kreuzungspunkt“ handle. Gerade die Theologie Tillichs (auf die Rolle keinen Bezug nimmt) bietet hier in mehrfacher Hinsicht weiterführende Ansätze. CWS II, 207.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

im Anschluss an Shinran, dass dieses Ziel (im Unterschied zum Zen) erst nachtodlich erreicht werden kann. Für die verbleibende Zeit in diesem Leben gilt der Stand des shōjōju 正定聚, die Zugehörigkeit zur Gruppe der wahrhaft Bestimmten, mit der die Gewissheit endgültiger Erlangung des Erwachens gegeben ist.4 Dadurch ergibt sich der für Jōdo-shinshū charakteristische präsentisch-futurische Doppelaspekt der Soteriologie, der für die shin-buddhistische Auffassung der „geschickten Mittel“ und die Bedeutung religiöser Kommunikation unmittelbare Relevanz besitzt (vgl. Abschnitte 8.4 und 9.3). Neben der Ergriffenheitserfahrung besteht auch der Aspekt der Notwendigkeit einer Entscheidung für die christliche Botschaft resp. den Buddha-Dharma in seiner spezifisch shin-buddhistischen Fassung, da die Erfahrung des Glaubens resp. shinjin an die konkrete geschichtlich bedingte Form der Vermittlung gebunden ist. Bei Jōdo-shinshū besteht diese in dem Urgelübde Amidas und der Praxis des nembutsu. Die Aufforderung sich dem nembutsu anzuvertrauen, bildet als kekkan 結勧 (wörtl. „zusammenbinden und empfehlen“) traditionell den Abschluss einer hōwa. Bei Tillich besteht die fides quae creditur in dem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus als der Manifestation des Neuen Seins – oder ontologisch gesprochen in „absoluter Positivität“, i. e. die Vorgängigkeit des Seins vor dem Nichtsein. Dabei wird sowohl bei Jōdo-shinshū als auch bei Paul Tillich an der Notwendigkeit eines personalen Elementes in der Erfahrung des Absoluten festgehalten (vgl. Abschnitt 13.7). Im Zusammenhang mit der geschichtlichen Gestalt des Christentums und der fides quae creditur steht Tillichs Verhältnisbestimmung von Glaube und Zweifel. Entsprechend seiner Unterscheidung zwischen materialer und formaler Definition des Glaubens (und analog der Differenz von Grund- und Heilsoffenbarung beim frühen Tillich) differenziert Tillich zwischen faith und belief. Da sich belief auf propositionelle Wahrheiten bezieht, ist Zweifel ein konstitutives Element dieses Glaubens, das durch das Moment des Mutes im Glauben integriert wird. Mit dieser Unterscheidung will Tillich die neuzeitliche Gewissheitsproblematik unterlaufen, die bereits am Anfang seiner apologetischen Bemühungen steht. Es konnte gezeigt werden, dass Tillich die Unterscheidung von faith und belief auch in den Predigten konsequent durchführt. Es geht ihm nicht um die Verkündigung propositioneller Wahrheiten, die dem Zweifel unterliegen (belief; vgl. Tillichs 4

Diesen häufig in der Literatur übergangenen, jedoch essentiellen Aspekt betont auch Hee-Sung Keel in seiner Studie über Shinran (H.-S. Keel 1995, 106–107 und 154).

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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stereotype Wendung, dass Glaube kein Für-wahr-Halten von Unglaubwürdigem ist), sondern um eine als „Ergriffenwerden von dem, was uns unbedingt angeht“ beschriebene transformierende Evidenzerfahrung (faith). Darin sieht Tillich die Funktion der Predigt. Jōdo-shinshū macht eine der Differenzierung von faith und belief analoge Unterscheidung bei shinjin nicht explizit. Vielmehr wird von (shin-) buddhistischer Seite der Charakter der Evidenzerfahrung von shinjin gegenüber einem als belief (der zudem als Voraussetzung der Errettung gelte) verstandenen christlichen Glauben als Differenzkriterium geltend gemacht. Dennoch hat auch bei Jōdo-shinshū shinjin einen subjektiven und einen objektiven Aspekt, der mit dem Terminus kihō-ittai 機法一体 namhaft gemacht wird. Bei Jōdo-shinshū ist Gewissheit ein Kennzeichen von shinjin und gilt als Voraussetzung für einen Verkündiger (fukyōshi 布教使). Die Frage nach dem Zweifel an propositionellen Wahrheiten stellt sich bei Jōdo-shinshū nicht in der gleichen Schärfe wie im Christentum, worin buddhistische Apologetik (auch bei Ōtani) einen Vorsprung gegenüber dem Christentum sieht. (Vgl. aber den unhintergehbaren Konnex von nembutsu und shinjin, sowie dem differenzierten Verständnis der „geschickten Mittel“.)

13.2.2 Wahrnehmung der Negativität der Unheilssituation In engem Zusammenhang mit der zentralen Erfahrung des Angenommenseins steht sowohl bei Jōdo-shinshū als auch bei Tillich die Erfahrung der eigenen Unannehmbarkeit, der völligen Ohnmacht im Blick auf die Heilsverwirklichung. Tillich bezeichnet diese Erfahrung des Endes menschlicher Möglichkeiten als „Grenzerfahrung“, die sich insbesondere als Angst und Verzweiflung äußert. Der Aufweis dieser Grenzsituation, deren Durchleben von Tillich als Priorität protestantischer Verkündigung gefordert wird, bildet ein konstitutives Element seiner religiösen Reden und entspricht auch dem Aufbau seiner Christologie in Band II der Systematischen Theologie. Die Elenchtik bildet somit den Ansatzpunkt der Kommunikation des Evangeliums. Die erste der vier edlen Wahrheiten Buddhas ist die Wahrheit vom Leiden. Auch hier bietet die Erfahrung von Leid die „Initialzündung“ für das Reflexivwerden der Differenz von Ist-Zustand und Soll-Zustand.5 Aber der Buddhismus kommt im Unterschied zu Tillich zu 5

So kann D. T. Suzuki für westliche Adressaten schreiben: „God seems cruel to put us human beings into this hot place and make us suffer so much. But nothing awakens us to religious consciousness like suffering“ (D. T. Suzuki 1970, 41).

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

einer anderen Ursachenzuschreibung: Im Unterschied zu Tillich sieht der Buddhismus die Ursache des Leidens nicht in der Trennung vom „Grund des Seins“, sondern im Anhaften am Sein durch den Lebensdurst (skr. trsna). Das ist konträr zu Tillichs Lebensphilosophie, für die gerade die Selbstaktualisierung des Lebens, insbesondere im individuellen Leben in der Dimension des Geistes, konstitutiv ist. Dieser Unterschied zwischen Tillich und dem Buddhismus ruht letztlich auf der fundamentalontologischen Differenz der These Tillichs vom Primat des Seins vor dem Nichtsein versus „śūnyatā/Leere“ im Buddhismus.6 Ōtani Kōshin geht es in seinen hōwa um den Aufweis der Leidhaftigkeit des Daseins und der Ohnmacht des Menschen im Blick auf das Heil (der Unmöglichkeit von jiriki 自力), indem er dies durch Beispiele aus der Erfahrungswelt seiner Hörer plausibel zu machen versucht, allerdings nicht im Sinne einer systematischen Elenchtik wie bei Tillich (zu dem sachlichen Grund für diesen Unterschied vgl. Abschnitt 13.6.4). Wie das Endlichkeitsbewusstsein bei Tillich (als Angst induzierende Bedrohung durch das Nichtsein), so bildet auch bei Jōdoshinshū das Eingedenksein der Vergänglichkeit (skr. anityā; jap. mujō 無常) den entscheidenden Anknüpfungspunkt (vgl. die shin-buddhistische homiletische Formel nenji-nembutsu 念死念仏, wonach das Denken an den eigenen Tod und das „Denken“ an Amida die beiden Pole der religiösen Rede bilden). Daher kann Ōtani in einer hōwa die Verdrängung des Todes aus dem Alltag beklagen. Aus christlicher homiletischer Perspektive hat z. B. Rudolf Bohren den Zusammenhang von Predigt und dem Eingedenksein des Sterben-Müssens prägnant zum Ausdruck gebracht, wenn er von der „kommunikativen Frucht“ spricht, die aus dem Bedenken des eigenen Sterbens erwächst: „Darum hat der etwas zu sagen, der um sein Sterben weiß: das Sterben lernend lernen wir das Predigen. Sterbekunst und Predigtkunst sind gewissermaßen eins.“7

6

7

Oder handelt es sich nur um eine unterschiedliche Perspektive? Man kann aus buddhistischer Sicht fragen, ob nicht auch bei Tillich das Anhaften am existenziellen Sein Ursache von Leid ist und „Trennung“ gerade hierdurch definiert ist. Idolatrischer Glaube ist ja bei Tillich gerade dadurch definiert, dass er als zentrierter Akt der menschlichen Person auf eine falsche Unbedingtheit gerichtet ist, die letztlich zu existenzieller Enttäuschung und der Zerstörung der zentrierten Person führe (GW VIII, 119 = MW 5, 237). Dann würde der Unterschied in der Fassung der Einheit jenseits der konkreten Existenz einerseits als „essentielle Einheit des Seins im Grund des Seins“ und andererseits als Einheit im Sinn einer indifferenten „Leere“ liegen. R. Bohren 2003, 45.

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13.2.3 Der Umschlag der Negation in die Position als paradoxe Affirmation Der Umschlag von der Negativität in die Positivität wird erfahrbar als paradoxes Angenommenseins trotz der eigenen Unannehmbarkeit (so Tillichs Neuformulierung der Rechtfertigungslehre). Dies entspricht auch dem Erfahrungsgehalt des „absoluten Glaubens“, der als Moment in jedem Glauben als faith enthalten ist. Dabei ergeben sich erstaunliche Parallelen zu Jōdo-shinshū, wie folgendes Zitat von Paul O. Ingram zeigt: „According to Shinran, it is in and through the experience of Amida’s light, that passion-ridden beings caught up in samsaric existence, subject to forces within and without over which they have no control, in the age of mappō are granted the status of salvation. On the cognitive side, Amida’s light reveals to a man his true nature as a being incapable of doing anything to bring about his own salvation, while at the same time showing him the way of faith (trust) in Amida’s efforts to save him, since the light reveals that a man is already saved in spite of what he is.“8

Wesentlich in der Erfahrung des Glaubens resp. shinjin ist die Gleichursprünglichkeit der Erfahrung unbedingten Angenommenseins und der Einsicht in die Ausweglosigkeit und Tiefe der eigenen Negativität. Der Stein der (in die karmische Schuldverstrickung) herabsinkt, verwandelt sich in Gold.9 Der Begründungshorizont dieser Einsicht bei Jōdo-shinshū liegt in der Unentrinnbarkeit aus den negativen karmischen Bedingungen der eigenen Existenz und der Unmöglichkeit, sich aus eigener Kraft (jiriki) jemals daraus zu befreien. Im Gegenteil: jeder Versuch, durch eigene Kraft die Befreiung zu erwirken, führt zu noch tieferem Verhaftetsein in negatives karma. „Sich aus den Fesseln befreien zu wollen, würde nur mehr Leid bringen.“10 Ein konstitutives Element shin-buddhistischer Spiritualität liegt daher in der Pflege der Einsicht in die eigene Ohnmacht im Blick auf die Heilsverwirklichung durch Reflexion der Negativitäten der eigenen Existenz11, wie dies auch immer wieder in den hōwa von Ōtani Kōshin zu beobachten ist. Bei Tillich hat dieser Umschlag als unverfügbarer „Durchbruch“ Offenbarungscharakter. Dabei ist zu betonen, dass sowohl das Drin8 9 10 11

P. O. Ingram 1974, 344. Vgl. K. Kadowaki 2000, 180 mit Bezug auf das Yuishinsho-Mon’i. K. Kadowaki 2000, 179. Vgl. Y. Kigoshi Aufsatz: „Befreiung durch Bewusstwerden der Schlechtigkeit des eigenen Wesens als der Weg des Shin-Buddhisten.“ Kigoshi schreibt darin: „Für Shinran besteht das Leben des Gläubigen aus nichts anderem als der kontinuierlichen Erkenntnis seiner selbst als ‚böse Person‘ in diesem Sinne. Und dennoch, dieser Glaube in sich selbst ist tatsächlich genau die Erfahrung der Befreiung durch das Wirken des Amida Buddha“ (Y. Kigoshi 2007, 250–261, 258).

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

gen auf das Durchleben der Grenzsituation bei Tillich (als Erfahrung von Entfremdung des Lebens vom Leben), als auch die Reflexion der karmischen Schuldverhaftung der eigenen Existenz, in Opposition zu jeglichem Moralismus zu stehen kommen. Da Moralismus die Fähigkeit zum Guten im Menschen voraussetzt, ist dies in je spezifischem Begründungszusammenhang ausgeschlossen. Tillich bekämpft ein moralistisches Sündenverständnis ebenso, wie es Ōtani dem Christentum aus seiner Wahrnehmungsperspektive vorhält. Gerade die theologische Anthropologie und der trans-moralische und trans-individuelle Sündenbegriff der paulinisch-lutherischen Tradition bilden wesentliche Punkte im Dialog mit Jōdo-shinshū. Der wesentliche Unterschied zwischen shinjin und Glaube besteht darin, dass der Glaube bei Tillich als ultimate concern unter Anknüpfung an das Gebot der Gottesliebe (Dtn 6,5)12 im Rahmen einer Lebensphilosophie entfaltet wird, in der das zentrierte Selbst den Mittelpunkt bildet. Der Begriff des „Selbst“ als anthropologischer Grundbegriff ist bei Tillich ganz in westlicher Tradition verwurzelt und korrespondiert mit der Betonung der Verwirklichung von Potenzialitäten des Selbst bei den Vertretern der zeitgenössischen humanistischen Psychologie.13 Jōdo-shinshū hingegen geht von der buddhistischen Grundanschauung des Nicht-Selbst (skr. anatman, jap. muga 無我) aus. Hier ist jedoch zu beachten, dass auch die anatman-Lehre eine Funktion der Soteriologie ist, d. h. der Befreiung von durch egozentrisches Anhaften erzeugtem Leid. An der anatman-Lehre wie an einem verobjektivierten dogmatischen Lehrsatz anzuhaften, würde der buddhistischen Grundintention widersprechen.14 Entsprechend ist das nembutsu „… der Ort, wo sich der Mensch von der egozentrischen Seinsweise abwendet und im ‚Großen Mitleiden‘ Buddhas sein ‚wahres selbstloses Selbst‘ realisiert.“15 12

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Aus buddhistischer Perspektive müsste diese „Gottesliebe“ als Anhaften bezeichnet werden, wie „Liebe“ allgemein im buddhistischen Kontext (im Unterschied zu Barmherzigkeit/Mitleid) negativ konnotiert ist. Allerdings wird bei Tillich dieser Einwand dadurch in gewisser Weise entkräftet, dass „Gott“ als ultimate concern radikal entgegenständlicht ist. Dennoch bleibt aufgrund des intentionalen Gerichtetseins auf das Unbedingte eine Differenz bestehen. Hier ist zu verweisen auf E. Fromm, die Neo-Analytikerin Karen Horney und besonders auf Carl Rogers und dessen Kierkegaard-Rezeption. Im Blick auf die sinntheoretische Begründung von Religion und den Aspekt der Selbsttranszendierung vgl. besonders Viktor E. Frankl. Vgl. Samyutta-nikāya 44,10 und den Kommentar dazu von M. Brück 2007, 171 und M. Shimizu 1981, 15. Nagarjuna sagt dazu „Man hat [die Theorie vom] ‚Âtman‘ verbreitet und auch den ‚Nicht-Âtman‘ gelehrt. Die Buddhas [freilich] lehrten auch: Es gibt weder den Âtman noch den Nicht-Âtman“ (MMK 18,6). M. Shimizu 1981, 83.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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Hier dürften neutestamentliche Aussagen wie Mk 8, 35 oder Gal 2, 20 und Aussagen christlich-mystischer Tradition größere Berührungsflächen mit buddhistischen Aussagen aufweisen16 , auch wenn Tillich durch die spirituelle Selbsttranszendierung des Lebens und die Metapher des „Durchbruchs“ vergleichbare theoretischen Ansätze bietet, die in dieser Richtung weiter entfaltet werden könnten. In meiner Wahrnehmung stehen diese Ansätze jedoch in gewisser Spannung zu Tillichs Anschauung von der gestalttheoretisch geprägten Funktion der Selbstaktualisierung des Lebens und seiner Nietzsche-Rezeption.17

13.2.4 Freude als Signum der Heilsverwirklichung Ausdruck der religiösen Verwirklichung ist sowohl bei Jōdo-shinshū als auch bei Tillich die Freude. Shinran beschreibt die Erfahrung von shinjin als eine Augenblickserfahrung, die mit der Erfahrung von Zeitlosigkeit und Freude sowie der Abwesenheit von Zweifel affektiv verbunden ist.18 Zweifel (utagai 疑い, futa-gokoro) ist Ausdruck von Eigen-Kraft (jiriki) und Berechnung (hakarai) und wird so zum Antonym von shinjin.19 Ōtani Kōshin hat einen seiner hōwa-Bände mit „Wahre Freude“ betitelt, in dem eine Rede ausschließlich diesem Thema gewidmet ist. Freude bei Jōdo-shinshū ist die Freude des Empfangens des nembutsu, die „Freude der Begegnung mit der wahren Wirklichkeit“ (真実に遇うよろこび, shinjitsu ni au yorokobi) , die Ōtani als „wahre Freude“ (まことのよろこび, makoto no yorokobi) bezeichnet. 20 Der shin-buddhistische Fachterminus für diese Freude ist shinjin-kangi 信心歓喜, die Verwirklichung von shinjin und Freude. Tillich definiert in seiner Predigt “The meaning of joy“: „But only the fulfillment of what we really are can give us joy. Joy is nothing else than the awareness of our being fulfilled in our true being, in our personal center. […] ‘Rejoice!’ That means: ‘Penetrate from what seems to be real to what is really real.’“21 Diese Freude ist bei Tillich Aus16

17

18 19 20 21

Zu verweisen wäre hier auf Meister Eckhart oder die devotio moderna. Vgl. zu diesem Thema auch die Arbeit von M. Shimizu 1981 oder H.-M. Barth 2002, 174–188; ders. 2010, 175–190. In ähnlichem Zusammenhang kommt Donald F. Dreisbach in seinem Aufsatz „Will to Power vs. agape“ zu dem Schluss: „Is Tillich successful in demonstrating that Will to Power is not antithetical to Christian love? In the end, no“ (D. F. Dreisbach 2008, 58). Vgl. auch KGSS III, 66: „The mind of great joy is true and real shinjin. True and real shinjin is the diamondlike mind.“ (CWS I, 112–113; JSS 252). Vgl. CWS II, 180. K. Ōtani 42005, 15. NB 146 = RR II, 139, kursiv im Original.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

druck essentieller Einheit, die als Erfahrung fragmentarischer Einheit gegeben ist: „In fulfilment and joy the inner aim of life, the meaning of creation, and the end of salvation, are attained.“22 Ist also Glaube der Akt des Hineingenommenseins in die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens und Liebe als agape deren dimensionale Ausdehnung, so stellt die Freude die emotionale Seite der Spiritual Presence dar.

13.3 „Leben“ als Referenzbegriff religiöser Reflexion und Kommunikation Bei Tillich wie bei Jōdo-shinshū kommt dem Lebensbegriff zentrale Bedeutung zu (vgl. bereits die Bedeutung des Namens Amida „unermessliches Leben“) und bietet damit einen weiterführenden Ansatzpunkt für den Dialog. So lautet ein aktuelles Motto von Jōdo-shinshū: „Jetzt, das Leben lebt dich (今、いのちがあなたを生きている, ima, inochi ga anata o ikiteiru).“ Zudem besitzt der Lebensbegriff auch unmittelbare Relevanz für die Homiletik. So stellt in den religiösen Reden von Ōtani „Leben“ ein zentrales Thema dar, das er immer wieder aufgreift. Bei Tillich bildet der Lebensbegriff den Kohärenzbegriff von essentialistischer und existenzialistischer Perspektive. Glaube wird von Tillich in diesem Horizont verstanden als Funktion des Lebens, die zur Essentifikation, zum wahren Wesen, führt, d. h. zum teleologischen Ziel des Lebensprozesses (vgl. das Symbol des Ewigen Lebens). Seine non-dualistische Lehre von der multidimensional unity of life integriert und transzendiert die ontologischen Polaritäten des Lebens und begründet damit die Möglichkeit der Korrelation von (jeder!) Situation und Botschaft. Durch eine Vertiefung der Situation auf ihren transzendenten Grund hin ergibt sich die religiöse Deutung der Situation im Licht der Botschaft als Aufgabe der religiösen Rede (A. Rössler). Tillichs universaler und non-dualistischer Lebensbegriff nähert sich in der Konsequenz an die buddhistische Lehre des pratitya-samutpada, des so genannten „Kausalnexus“ an, die auf ihre spezifische Weise eine kausale Verkettung alles Seienden aufgrund karmischer Bedingungen postuliert und die bei Ōtani Kōshin auch zur Begründung ethischen Handelns angeführt wird. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass samsāra (jap. rinne 輪廻) als “ewiger Kreislauf von Geburt und Tod” (jap. shōji 生死) ursprünglich den Unheilszustand beschreibt, aus dem die Befreiung zum nirvāna erfolgt. Im Mahāyāna sind jedoch samsāra 22

NB 151 = RR II, 143, vgl. auch EN 125–126 = RR III, 168–167.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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und nirvāna identisch (= śūnyatā „Leere“, vgl. den Begriff shōji soku nehan 生死即涅槃). 23

13.4 Verhältnisbestimmung von Glaube resp. shinjin und religiöser Rede 13.4.1 Religiöse Rede als Raum des „Hörens“ Der Vermittlung der letztlich unverfügbaren Glaubenserfahrung dient die religiöse Rede, die ein qualifiziertes, „existenzielles“ Hören ermöglichen soll, in dem sich die Selbstdurchsetzung des transzendenten Grundes (als Spiritual Presence bei Tillich und jinen-hōni / Wirken Amidas / tariki bei Jōdo-shinshū) ereignen kann. Die Abschwächung oder gar der Verlust des vorausgesetzten Transzendenzbewusstseins durch die Säkularisierung wird sowohl von Ōtani Kōshin als auch von Tillich (als „Verlust der Dimension der Tiefe“) problematisiert. Nach Tillich ist es Ziel jeder Predigt, durch ein religiös qualifiziertes intensives Hören („like Mary did“) die Bereitschaft für das Vernehmen des Unbedingten zu erzeugen („It shall awaken infinite concern“). 24 Religiöse Rede dient dazu, einen „Ort“ zu schaffen, an dem die Möglichkeit besteht, von dem, was uns unbedingt angeht, ergriffen 23

24

Bei D. T. Suzuki bildet die Affirmation einen wesentlichen Aspekt des Lebens selbst. So schreibt Suzuki in seiner „Einführung in den Zen-Buddhismus“: „Wir sollten zudem bedenken, daß wir in einer Welt der Bejahung (engl. affirmation) und nicht der Verneinung leben, denn Leben ist Bejahung selber (affirmation itself); und diese Bejahung darf weder begleitet noch bedingt sein von einer Verneinung, denn eine derartige Bejahung wäre relativ und durchaus nicht absolut. Mit solch bedingter Bejahung verlöre das Leben seine schöpferische Urwüchsigkeit und verwandelte sich in ein mechanisches Verfahren, das nur dazu diente seelenloses Fleisch und Gebein zu mahlen. Um frei zu sein, muß Leben absolute Bejahung (absolute affirmation) sein, muß alle möglichen Bedingungen, Beschränkungen und Gegensätze überschreiten, die seine freie Wirksamkeit (free activity) behindern“ (D. T. Suzuki 1975, 68). Diese Einführung in den Zen-Buddhismus geht zurück auf Aufsätze, die bereits 1914 (!) veröffentlicht wurden. Die erste Buchveröffentlichung (ebenfalls in Englisch) erschien bereits 1934 und dürfte Tillich auch bekannt gewesen sein. Die Parallelen zu Tillichs „Absoluter Positivität“ sind offensichtlich. Ebenso die Bedeutung des Lebens- und Freiheitsbegriffes. Vielleicht richtet sich Suzuki in dieser Darstellung auch gegen das westliche Vorurteil eines pessimistischen und nihilistischen Buddhismus. Der Unterschied zu Tillich ist jedoch hier die Ablehnung jeglicher Negation als Bedingung oder Begleitung von Affirmation. Es fehlt das Moment des Paradoxes, das „Trotzdem“ der Rechtfertigung, das für Tillichs Denken konstitutiv ist und wie wir es auch bei Jōdo-shinshū finden. In der Predigt „Our ultimate concern“ / „Was uns unbedingt angeht“ NB 153 = RR II, 145. Der deutsche Text formuliert indirekter.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

zu werden. Das entspricht dem funktionalen Verständnis von „Wort Gottes“ bei Tillich. 25 Die Predigt hat die Möglichkeit zum „Wort Gottes“ zu werden, wenn der Hörer in einer bestimmten Situation dadurch existenziell ergriffen wird von dem, was ihn unbedingt angeht. Tillich kontrastiert dieses „subjektive“ Verständnis von „Wort Gottes“ mit einem von dem Effekt auf die Hörer unabhängigen „objektiven“ Verständnis von „Wort Gottes“ resp. Predigt. Die Unverfügbarkeit des Wort-Gottes-Ereignisses korrespondiert mit der Unverfügbarkeit des Glaubensaktes (vgl. auch das ubi et quando visum est deo in CA 5). Bei Jōdo-shinshū kann mit Shinran das „Hören auf den Dharma“ (mompō 聞法) mit shinjin gleichgesetzt werden. Ōtani verweist in der in Abschnitt 11.5.1 analysierten hōwa auf den existenziellen Charakter dieses Hörens. Und H. Sakado spricht von dem Ort / der Situation der religiösen Rede als dem „Ort des Hörens auf den Dharma“ (mompō no ba 聞法の場), der dadurch qualifiziert ist, dass Amida selbst dort wirke (vgl. Abschnitt 10.8).

13.4.2 Religiöse Rede als Ausdruck des Glaubens resp. shinjin des Predigers Der shin-buddhistische Prediger (fukyōshi 布教使) hat die Aufgabe, den Raum für die Möglichkeit einer Begegnung mit dem BuddhaDharma zu eröffnen. Dazu gehört wesentlich seine eigene Verwirklichung von shinjin. Dieser Zusammenhang kommt in dem Grundkonzept shin-buddhistischer Homiletik ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 zum Ausdruck, das seine adäquate Verwirklichung in einer „selbst-losen“ Predigt findet – gewissermaßen einem Predigen als predigte man nicht. Im Zusammenhang damit steht die Forderung nach einer von egozentrischen Motiven freien Predigt (vgl. seijō / fujō seppō 清浄・不 浄説法).

13.4.3 Religiöse Rede als Funktion der Ausbreitung des Glaubens Religiöse Rede dient sowohl bei Tillich als auch bei Jōdo-shinshū der Ausbreitung des Glaubens resp. shinjin. Hōwa bei Jōdo-shinshū wird systematisch und praktisch behandelt als „Methode der Ausbreitung der 25

Vgl. Abschnitt 3.1.3.2 vorliegender Arbeit.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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Lehre“ (布教法 fukyōhō). Dementsprechend gibt es weder eine eigentliche „Homiletik“ als ein von fukyōhō unterschiedenes Fachgebiet, noch wird gattungsmäßig zwischen einer Predigt für Gläubige und Verkündigung an noch nicht Gläubigen differenziert. Es wird stets von einer heterogenen Hörerschaft in Bezug auf die jeweilige Botschaft ausgegangen. Parallel dazu verortet Tillich seine religiösen Reden im Kontext der Apologetik als Funktion der Ausbreitung der Kirchen. Apologetik als „die Kunst zu Antworten“ bildet von der „Kirchlichen Apologetik“ bis zum 3. Band der Systematischen Theologie eine Grundintention in Tillichs Werk. Analog zu seiner apologetischen Theologie bezeichnet er seine Predigten als „‚apologetic‘ type of sermon“. Dabei geht auch Tillich stets von einer im Blick auf die Einstellung zur christlichen Botschaft gesehen heterogenen Hörerschaft aus, wobei er primär Hörer im Blick hat, die der traditionellen kirchlichen Verkündigung und deren Sprachgestalt entfremdet sind. Die Differenzierung von Apologetik und (Gemeinde-) Predigt (wie noch in der „Kirchlichen Apologetik“ 1913) hat Tillich bereits 1928 aufgegeben.26

13.5 Das Verhältnis von Botschaft und Situation 13.5.1 Wahrheit und Anpassung Religiöse Rede dient der Vermittlung überlieferungsgeschichtlich rückgebundener Glaubenserfahrung und bewegt sich damit zwischen den beiden Polen der bleibenden Gültigkeit der in Tradition gefassten Ursprungserfahrung und den gegenwärtigen Adressaten in ihren lebensweltlichen Kontexten. Sowohl bei Jōdo-shinshū als auch bei Paul Tillich wird der Zusammenhang von überlieferter Botschaft und religiöser Rede betont. Dabei steht bei beiden die Spannung von Wahrheit und Anpassung angesichts der Herausforderungen durch die Säkularierung im Mittelpunkt der Überlegungen. In shin-buddhistischer Homiletik schlägt sich diese Spannung u. a. in der Diskussion um einen am Hörer orientierten Predigttypus (ensetsutai 演説体) und einem am Verkündigungsinhalt orientierten Typus (hyōhakutai 表白体) nieder. Entsprechend der beiden Pole Botschaft und Hörer unterscheidet Tillich zwischen dem neo-orthodoxen und liberalen (Ideal-)Typus der Theologie und wählt mit seiner deduk26

Darauf weist E. Sturm ausdrücklich hin, vgl. W. Schüssler / E. Sturm 2007, 199.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

tiv dialektischen „Methode der Korrelation“ von Botschaft und Hörer einen dritten Weg. Grundsätzlich besteht auch bei Jōdo-shinshū die Aufgabe der Verkündigung darin – unter Wahrung des positiven Inhalts – die Botschaft an die konkrete Situation und Hörerschaft anzupassen (ji-ki-sō-ō 時 機相応). So können beide Zugangsweisen als kontextuell bezeichnet werden. Tillich geht es in seiner Neuformulierung der christlichen Botschaft prinzipiell um eine kulturell relevante Aneignungsfähigkeit der christlichen Botschaft. Begründet das „Protestantische Prinzip“ für Tillich die grundsätzliche Möglichkeit der Neuformulierung der christlichen Botschaft für die jeweilige Situation, so gilt dies analog im Blick auf die Auffassung der Lehre von den „geschickten Mitteln“ bei Jōdo-shinshū nicht in gleicher Weise (vgl. Abschnitt 13.7.2).

13.5.2 Kommunikative Strategien der Vermittlung Sowohl bei Paul Tillich als auch bei Ōtani Kōshin bildet das Problem, dass der semantische Gehalt überlieferungsgeschichtlich vorgegebener Termini im gegenwärtigen Kontext nicht mehr als einfach allgemein verständlich vorausgesetzt werden kann, den Hintergrund religiöser Rede. Vielmehr konstatieren sowohl Tillich als auch Ōtani eine semantische Überformung zentraler Termini durch sich im Lauf der Geschichte durch den Prozess der Rezeption religiöser Kommunikation im Alltagsverständnis angelagerten Fehlinterpretationen, die eine effektive Kommunikation konterkarieren. Bei beiden steht daher – wie insbesondere die Behandlung des Glaubensbegriffs als Testfall religiöser Kommunikation gezeigt hat – das Bemühen um die Wiedergewinnung der Kommunikabilität des Sachgehaltes traditioneller Begrifflichkeit im Vordergrund. Dem Beseitigen von Hinderungsgründen für die Hörbereitschaft und Annahme der christlichen Botschaft durch ein in der Moderne gewandeltes Selbst- und Weltverständnis, dienen die Neuformulierung der christlichen Botschaft und das Bemühen um eine dem heutigen Hörer verständliche Sprache bei Tillich. Das gleiche Bemühen ist auch in den religiösen Reden bei Ōtani Kōshin zu beobachten, der die traditionelle shin-buddhistische Terminologie oft sehr ausführlich erläutert. Daraus ergibt sich bei beiden der oft lehrhafte und meta-kommunikative Stil der religiösen Rede. Allerdings verzichtet Ōtani im Unterschied zu Tillich darauf, die traditionelle Terminologie durch andere Begriffe zu ersetzen, mit ihnen zu experimentieren oder sie in eine bestimmte Ontologie zu übertragen.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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Neben dem rezeptionsästhetisch orientierten pragmatisch-kommunikativen Gebrauch alternativer Terminologie und der konsequenten Unterscheidung von religiöser (symbolischer) und nicht-religiöser Sprache, ist es die (ebenfalls apologetisch intendierte) Korrelationsmethode als Verknüpfung von Botschaft und Situation, mit der Tillich auf die Aufgabe zugreift, die Relevanz der christlichen Botschaft im Horizont ihrer Akzeptanzproblematik aufgrund der Säkularierung zu erweisen. Symbolische Sprache als Sprache der Religion ist nach Tillich Ausdruck der Unbedingtheitsrelation, der Erfahrung des Heiligen. Da diese Heiligkeitserfahrung (Tillich schließt hier an R. Otto an) im „Grund der Seele“ verortet ist, kann sie nicht durch diskursive, sondern allein durch symbolische Sprache erschlossen werden. 27 Daraus erhellt auch, dass es bei der Korrelationsmethode nicht um ein reines, katechismusartiges „Frage-Antwort-Schema“ geht, das göttliche Antworten auf existenzielle Fragen geben und somit die Botschaft auf den Bereich anthropologischer Fragestellungen eingrenzen möchte, oder darum, Antworten aus der Existenz zu entwickeln. Vielmehr ist es Tillich darum zu tun, entsprechend der für seine von Schelling inspirierte philosophische Theologie konstitutiven (und in Analogie zu dem heilsgeschichtlichen Schema von Schöpfung – Fall – Erlösung gebildeten) Trias von Sein – Nichtsein – Übersein, durch eine Vertiefung der Existenz zu ihrem sie selbst unendlich transzendierenden Grund vorzudringen. Dem entspricht die homiletische Struktur: Hinführung zur Erfahrung der Grenzsituation (durch Schuld, Tod und Sinnlosigkeit induzierte Angst und Verzweiflung), Zuspruch des paradoxen unbedingten „Ja“ (christologisches Paradox, Rechtfertigung als paradoxe Selbstaffirmation) und Zeugnis von dem Neuen Sein, wie sie Tillich bereits 1928 formuliert hat. Hier bewegt sich Tillich im Schema von Gesetz und Evangelium. Es zeigt sich zudem deutlich, wie Tillich seine theologische Methode konsequent aus seiner onto-theologischen Grundlegung entwickelt hat. Die Korrelationsmethode bildet auch das Strukturprinzip der religiösen Reden Tillichs, in denen er seine Theologie rhetorisch umgesetzt hat.

13.5.3 Bezug zu den Basistexten Es konnte gezeigt werden, wie Shinran die als normativ geltenden Basistexte durch eine konsequente tariki-Hermeneutik im Blick auf seine 27

MW 4, 412–413 = GW VIII, 81.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

religiöse Erfahrung und im Horizont des religiösen und sozio-kulturellen Kontextes seiner Zeit (insbesondere unter dem Leitgedanken der „Endzeit des dharma“ mappō 末法) ausgelegt und damit die Tradition eigenständig rezipiert hat. Die Unterscheidung von expliziter und impliziter Bedeutung, wie sie Shinran in der Exegese der ReinesLand-Sūtren entfaltet, ermöglichte es ihm – trotz einer grundlegenden Neuinterpretation – an der Tradition festzuhalten. Während die explizite Bedeutung als „provisional means“ (gonke hōben 権仮方便) gilt, kommt der impliziten „wahre Realität“ (shinjitsu 真実) zu. Shinran steht somit am vorläufigen Ende eines langen überlieferungsgeschichtlichen Prozesses. Seine Werke wurden wiederum zur Basis für die Entstehung und weitere Entwicklung der Jōdo-shinshū, die sich wie Shinran selbst als genuinen und auf Gautama Buddha selbst zurückgehenden Buddhismus versteht. Für Jōdo-shinshū hat die Auslegung der Tradition durch Shinran normative Bedeutung gewonnen und wurde selbst traditionsbegründend. In den hōwa von Ōtani bilden Shinran als Begründer der Jōdo-shinshū und dessen Texte als Interpretation der Tradition sowie deren Interpretation durch Rennyo den beständigen Referenzpunkt religiöser Rede. Ein Rückbezug zu den Basistexten der Reines-Land-Tradition an Shinran vorbei ist nicht erkennbar (vgl. in diesem Zusammenhang den Abschnitt über die „geschickten Mittel“ in Kapitel 9). Andererseits können auch andere Texte buddhistischer Überlieferung außerhalb dieser Tradition als Referenzen in religiöser Rede angeführt werden, sofern dies der Hörerschaft angemessen erscheint. Besteht für Jōdo-shinshū das Materialprinzip in einer konsequenten tariki-Hermeneutik, so liegt es bei Tillich in reformatorischer Tradition („was Christum treibet“) in der von ihm neu gefassten Rechtfertigungslehre und der Manifestation des Neuen Seins in Jesus als dem Christus. Für Tillich ist der biblische Text als „Dokument der zentralen Offenbarung“28 insofern normativ, als er das Kriterium dafür bietet, was für jemanden zum „Wort Gottes“ als Medium des Ergriffenseins in Glaube (als unbedingtes Angegangensein) und Liebe werden kann. 29 Andererseits ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht das Kriterium für das, was „Wort Gottes“ ist.30 Hier argumentiert Tillich zirkulär. Die Texthermeneutik Tillichs ist über den Begriff des Ergriffenwerdens pneumatologisch bestimmt. Der Begriff des ul28 29 30

STD III, 149 = STE III, 125. STD III, 149 = STE III, 125. STD III, 149 = STE III, 125.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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timate concern wird zum Schlüsselbegriff in Tillichs Gesamtentwurf und der daraus konsequent abgeleiteten Predigttheorie. Der formale Bezug zu den kanonischen Basistexten in religiöser Rede entspricht der Funktion der Verbreitung des Glaubens unter den gewandelten Ausgangsbedingungen in der Gegenwart. Weder bei Tillich (mit wenigen Ausnahmen) noch bei Ōtani Kōshin findet sich das, was man in christlicher Homiletik als Textpredigt, Homilie, expository preaching oder in buddhistischer Lehrrede seppō 説法 (Erläuterung von Sutrentexten) nennen könnte. Darin zeigen beide eine Freiheit gegenüber traditionell gewachsenen rhetorischen Formen der jeweiligen Verkündigungstraditionen. Sowohl Tillich als auch Ōtani entfalten anhand ausgewählter Passagen und einzelner Aspekte jeweils das Ganze der Botschaft. Der konkrete Text bietet dabei in der Regel das „Sprungbrett“ für die Rede. Die Analogie zwischen Tillichs Textgebrauch und der Funktion des sandai 讃題 ist naheliegend. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass das sandai traditionell als Lobpreis Amidas zum Altarraum gewandt intoniert wird.

13.6 Der Charakter der religiösen Rede 13.6.1 Religiöse Rede als Medium von Spiritual Presence resp. Wirken Amidas Da Sprache der fundamentale Ausdruck des menschlichen Geistes ist, ist die Vermittlung des göttlichen Geistes nach Tillich an das Wort gebunden. Die Logos-Struktur des menschlichen Geistes ist der „Kontaktpunkt“ für den göttlichen Geist. Wie bereits erwähnt, können menschliche Worte zum „Wort Gottes“ werden, wenn durch sie der menschliche Geist vom göttlichen Geist ergriffen wird. Dabei hält Tillich an der Personhaftigkeit des göttlichen Geistes fest: „Im Protestantischen Denken wird der göttliche Geist immer personal verstanden: Glaube und Liebe sind Kraftwirkungen des Geistes auf das zentrierte Selbst, und Träger dieser Kraft ist das ‚Wort‘ – auch in den Sakramenten.“31 Jōdo-shinshū hat selbstverständlich kein Geist-Konzept, das der christlichen Pneumatologie entsprechen würde. Dennoch erscheint die permanente Rede vom quasi-personalen Wirken Amidas, durch 31

STD III, 139 = STE III, 116.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

welches der Mensch ergriffen werde, nicht weit davon entfernt zu sein. 32

13.6.2 Der transformierende Charakter religiöser Rede Die shin-buddhistische Formel des ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 besagt, dass die religiöse Erfahrung des Subjekts der Rede die Voraussetzung der religiösen Rede darstellt. Ebenso finden wir bei Tillich ein Sprechen nicht über, sondern aus der Erfahrung. Die religiösen Reden sind darin unterschieden von Reden über die Religion. Der prinzipiell existenzielle Charakter, den Tillich für die Theologie einfordert, gilt um so mehr für seine Predigten. Auch wenn Tillich in seinen Predigten selten „ich“ sagt, so ist die Bedeutung seiner eigenen existenziellen Erfahrung, aus der er spricht („Grenzerfahrung“) und in die er spricht (vgl. die Widmung „For myself“ auf dem Manuskript von „You are accepted“), deutlich. Weder bei Jōdo-shinshū noch bei Tillich geht es primär um die Verkündigung propositioneller Wahrheiten, sondern um Transformation. „The ‚Word of God‘ does not aim to give information, but its aim is to effect a transformation.“33 Bei Tillich wird dieses veränderte Bewusstsein u. a. an der bereits zitierten Stelle aus der Predigt „Our ultimate concern“ deutlich: „In the power and passion of such an ultimate concern, we look at our finite concerns, at the Martha sphere of life, everything seems the same and yet everything is changed. We are still concerned about all these things but differently – the anxiety is gone! It still exists and tries to return. But its power is broken; it cannot destroy us anymore. He who is grasped by the one thing that is needed has the many things under his feet.“34

Formal geht es um den heilsamen „Durchbruch“ des Unbedingten in das Bedingte, das dadurch „im Licht der Ewigkeit“ gesehen und in seiner beängstigenden Unmittelbarkeit und Dämonie gebrochen wird. Die Heilsbotschaft hat angesichts der Endlichkeitserfahrung Angst 32

33 34

In Abwandlung des von Arnold Anton van Ruler eingeführten Begriffs der „theonomen Reziprozität“, der von Rudolf Bohren für seinen pneumatologischen Ansatz einer evangelische Homiletik fruchtbar gemacht wurde, könnte man bei Jōdoshinshū etwas gewagt von einer „amida-nomen Reziprozität“ sprechen. Strukturell entspricht dem christlichen Geistbegriff die Auffassung von der spontanen Selbstdurchsetzung der Anderen Kraft (jinen-hōni 自然法爾). MW 4, 410 = GW VIII, 77. Der deutsche Text hat für „transformation“ „Verwandlung und Sinnesänderung“. NB 159–160 = RR II, 150.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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reduzierende Funktion und will bei Tillich vor allem „Mut zum Sein“ vermitteln. Materialdogmatisch geht es um die Manifestation des Neuen Seins in Jesus als dem Christus, dessen Botschafter und Repräsentant nach Tillich ein christlicher Prediger ist: „You are not supposed to be physicians; you are not supposed to be psychotherapists; you are not supposed to become political reformers. But you are supposed to pronounce and to represent the healing and demonconquering power implied in the message of the Christ, the message of forgiveness and of a new reality. Rejoice that you are his messengers.“35

13.6.3 Der therapeutische Charakter religiöser Rede In engem Zusammenhang mit der Analyse der menschlichen Notsituation (human predicament) als entfremdet, leidvoll oder gar verzweifelt, bei der die Verkündigung jeweils ihren Ausgangspunkt nimmt, und dem Zuspruch des unbedingten Angenommensein trotz und gerade in dieser Situation, steht der therapeutische Charakter der religiösen Rede – sowohl bei Jōdo-shinshū als auch bei Tillich. Die Aufgabe des Predigers wird jeweils verglichen mit der Funktion des Arztes, der Heilung bringt. Beide Traditionen können sich dabei auf die (Selbst-) Bezeichnung ihrer Stifter als „Arzt“ berufen. Den entscheidenden Anknüpfungspunkt des Evangeliums für den modernen Menschen sieht Tillich in der Botschaft der „Heilung“ gegeben, in deren Zentrum die Rechtfertigung als das Angenommensein, obwohl man unannehmbar ist, steht. Darin liegt das entscheidende Therapeutikum, weil sich in dieser Erfahrung die Einheit des Lebens mit sich selbst manifestiert und damit „heil“ wird. Grundgelegt ist dieses Verständnis von Rettung als Heilung bei Tillich in dessen Anschauung von der multidimensionalen Einheit des Lebens. Mit der therapeutischen Funktion verbindet sich der seelsorgliche und tröstende Charakter der religiösen Reden. Tillich selbst hat auf die psychotherapeutische Relevanz seiner Fassung der Rechtfertigungslehre und deren Übereinstimmung mit Einsichten der Tiefenpsychologie und Psychotherapie hingewiesen. Allerdings verwahrt sich Ōtani – unter Bezug auf K. Nishitani – gegen eine Funktionalisierung von Religion. Religion werde pervertiert, wenn sie auf ihren innerweltlichen Nutzen – und sei es Heilung – reduziert werde. Dem würde Tillich wohl nicht widersprechen, wie seine Ermahnung an angehende Prediger „You are not supposed to be 35

EN 40 = RR III, 55.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

physicians; you are not supposed to be psychotherapists“36 deutlich macht. Dennoch liegt hier durchaus eine Gefahr in Tillichs etymologischer Deutung von salvation als healing, die in gewisser Spannung zum kreuzestheologischen „protestantischen Prinzip“ steht. Diese Gefahr wird durch den Verweis auf den fragmentarischen Charakter, der immer noch unter der Prämisse der „Gestalt“ als Ganzheit steht, nicht ganz gebannt.37

13.6.4 Religiöse Rede als doxologische „Namensrede“ Religiöse Rede/hōwa bei Jōdo-shinshū ist ihrem Wesen nach doxologisch als Preisung (sandan 讃嘆) Amidas bestimmt. Sie erzeugt den Raum, in dem ein encounter mit Amida (E. G. Harrison) geschehen soll. Das Rühmen der Tugend Amidas nimmt hier eine zentrale Stellung ein, weil die Erfahrung der Anderen Kraft des Urgelübdes Amidas und die Einsicht in die Unmöglichkeit der Eigen-Kraft gleichursprünglich sind. Beide Aspekte bilden in shinjin die zwei Seiten derselben Medaille. Dass die Elenchtik, die bei Tillich die erste Aufgabe protestantischer Verkündigung darstellt, bei Jōdo-shinshū nicht in gleicher Weise gegeben ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ein bewusstes Hinführen zur Erfahrung der eigenen abgründigen Sündhaftigkeit als Bedingung – und damit als hakarai resp. jiriki – in Widerspruch zur Selbstwirksamkeit von tariki zu stehen käme. Vielmehr ist im Lobpreis der Tugend Amidas als der Kehrseite der Unmöglichkeit von jiriki die Einsicht in die eigene soteriologische Ohnmacht impliziert. Bei Jōdo-shinshū ist daher kein Schema in religiöser Rede erkennbar, das in Analogie zur reformatorischen Dialektik von Gesetz und Evangelium, wie sie von Tillich rezipiert wurde, zu stehen käme. Den doxologischen Aspekt der Predigt kennt auch die christliche Tradition, wie das Gebet vor der Predigt: „Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige“ (Ps 51, 17) zum Ausdruck bringt (vgl. auch Pss 34, 3; 73, 2 8; Mk 5, 19 f.; Apg 2, 11). Unter Bezug auf Mal 1, 11 heißt es in ApolCA XXIV: „Denn erst sagt der Prophet, 36 37

EN 40 = RR III, 55. Vgl. zu der hier vorgebrachten Kritik auch K. Grau 1999, 218. Dennoch bietet der erfahrungstheologische Ansatz Tillichs, der sich mit shin-buddhistischen Beschreibungsformen religiöser Erfahrung berührt, auch unter religionspsychologischer Perspektive, wie sie z. B. von Abraham H. Maslow mit dem Begriff der „peak-experience“ namhaft gemacht wurde, Ansätze für den weiteren Dialog. Auch im Blick auf salutogenetische Fragestellungen ergeben sich hier Konvergenzen.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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es solle der Name des Herrn groß werden; das geschieht durch die Predigt des Evangelii.“38 Die Verkündigung der „großen Taten Gottes“ (Apg 2, 11), welche die Analogie zum „Lobpreis der Tugend Amidas“ bilden würde, fehlt bei Tillich im Großen und Ganzen wohl aufgrund der Gefahr supranaturalistischer Missverständnisse. Daher übt Tillich in den religiösen Reden in apologetischer Absicht große Zurückhaltung39, die durch eine „rezeptionsästhetisch begründete Christologie“ (Ulrich H. J. Körtner)40 kompensiert werden soll. Die Christozentrik der religiösen Reden Tillichs (die auch K. Grau hervorhebt) ergibt sich also mittelbar über Elenchtik und die Erfahrung des paradoxen Angenommenseins. Führt bei Tillich der Weg über den Aufweis der „Grenzsituation“ mithilfe des zeitgenössischen Existenzialismus, so geht Jōdo-shinshū primär den Weg über den „Lobpreis des Namens“ und vermeidet dadurch die Gefahr eines Schematismus, in dem sich die Einsicht in die notvolle menschliche Grundsituation (human predicament) zur Bedingung für das Erfassen der Heilsbotschaft geriert. Insofern ergibt sich eine Asymmetrie im Aufbau der religiösen Kommunikation bei Ōtani und Tillich, die allerdings nicht per se im Unterschied zwischen Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie angelegt ist, wie ein Seitenblick auf K. Barth und R. Bohren zeigt. Für Jōdo-shinshū gilt: Amida vergegenwärtigt sich in seinem Namen, besser gesagt: als Name, denn es gibt keine „Person“ Amida abgesehen von dem Namen. K. Barth sah in KD I, 2 § 17,3 im Namen Jesus Christus das Eine, worin sich die christliche Wahrheit vom „Jodoismus“ unterscheidet. Die Bedeutung des Namens machte für die Homiletik R. Bohren geltend, der christliche Predigt im Namen legitimiert sieht: „Die Predigt hat ihren Rechtsgrund im Namen dessen, den sie verkündigt.“ Predigt ist für Bohren „Namenrede“.41 Im Unterschied dazu kann, wie gezeigt, Tillich den Namen in apologetischer Absicht zurückhalten: „Dennoch bejaht, bejaht durch das, was größer ist als du und dessen Namen du nicht kennst. Frage jetzt nicht nach dem Namen, vielleicht wirst du ihn später finden.“42 Das entspricht auch Tillichs Empfehlung, in der Verkündigung nicht mit der Frage nach Gott, sondern nach dem ul38 39

40

41 42

BSLK I, 358. Vgl. K. Grau 1999, 148–153; 212. Grau spricht in diesem Zusammenhang von einem „Geheimhaltungsmotiv“ bei Tillich, das aus rezeptionsästhetischen Gründen Zurückhaltung fordere. Nach Körtner lasse sich „Tillichs Christologie als wegweisendes Modell einer rezeptionsästhetisch begründeten Christologie interpretieren“ (U. H. J. Körtner 1997, 127). R. Bohren 31971, [89] und 90. RR I, 152 = SF 162.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

timate concern einzusetzen.43 Die Frage spitzt sich auf das Problem des Wirklichkeitsbezugs der Namenrede zu, wie sie im Kontext der Moderne mit aller Schärfe gestellt ist und wie sie bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich je unterschiedlich beantwortet wird.

13.7 Unbedingtheitsrelation und Geltungsbereich religiöser Rede 13.7.1 Absolute Positivität versus Absolutes Nichts resp. Leere/śūnyatā An das Tillichsche Axiom der Priorität des Seins vor dem Nichtsein ist die kritische Anfrage zu stellen, wie sich dieses vom Sein abhängige und damit relative Nichtsein zum Begriff eines „absoluten Nichts“ verhält, den Tillich nicht thematisiert. Wie Tillich konzediert, ist die Annahme der Priorität des Seins gegenüber dem Nichtsein ein Akt des Mutes und des existenziellen Sprunges im Glauben. Zugleich eröffnet gerade dieser Punkt Tillichschen Denkens das fundamentalontologische Diskursfeld mit dem Buddhismus und dessen Verständnis von „śūnyatā/Leere“ resp. „Absolutem Nichts.“44 In ihrer Tillich-Studie „A Comparison of Spiritual Presence with Buddhist Sunyata“45 befasst sich Mary Ann Stenger mit der Frage des mystischen Apriori bei Tillich als intuitiver Erfahrung des Unbedingten und dessen Verhältnis zur Erfahrung von sunyata und kommt zu dem Schluss: „Tillich’s discussion of the mystical a priori does apply cross-culturally and inter-religiously, in the case of Kyoto School Buddhist philosophy. The qualities of the mystical a priori apply equally well to Tillich’s own doctrine of Spiritual Presence and to the Buddhist doctrine of sunyata. The experience of Spiritual Presence / sunyata involve immediate, intuitive awareness of ultimacy, a point of identity with ultimacy, and an awareness of transcending the subject-object split. In each case, the mystical a priori grounds in a critical principle against absolutization of the finite 43 44

45

P. Tillich 2007, 60. Vgl. die Habilitationsschrift von Hans Waldenfels „Absolutes Nichts“ im Dialog mit der Kyōto-Schule, insbesondere der Philosophie von Nishitani Keiji. Nishitani spricht ebenfalls von der Tiefe der Seele. Im Unterschied zu Tillich findet Nishitani dort allerdings nicht den Grund des Seins als Übersein, sondern das „absolute Nichts“, das für die Freiheit der Subjektivität konstitutiv sei. Die größten Strukturanalogien zu diesem Konzept sieht Nishitani bei Meister Eckhart (Nishitanis Schüler in Kyōto, Ueda Shizuteru, hat sich besonders dem Vergleich von Zen und Eckhart gewidmet; vgl. dazu aber auch die Beiträge von D. T. Suzuki). Stenger 2000, 463–478.

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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world and especially in the Buddhist view, absolutization of the liberating experience (nirvana). Ontologically, Spiritual Presence and sunyata share a transcendence of ambiguities, of the subject-object split.“46

Stenger konstatiert also eine Übereinstimmung wesentlicher Elemente von Tillichs Glaubensbegriff mit mahāyāna-buddhistischer Erfahrung. Zum anderen verweist Stenger auf das kritische Prinzip gegen die Verabsolutierung des Endlichen, das mit dieser Definition religiöser Erfahrung in beiden Traditionen gegeben ist. Im Mahāyāna ist dieses Prinzip konstitutiv für die Vermittlung des Buddha-Dharma durch die Methode der „geschickten Mittel“. Allerdings kommt Stenger dann auf das Axiom der Priorität des Seins vor dem Nichtsein bei Tillich in Differenz zu mahāyānischer Terminologie zu sprechen, wenn sie schreibt: „But in Mahayana Buddhist understanding the transcendence is absolute nothingness which involves negation of both being and nothingness and yet leads to the affirmation of each particular as it is in itself. […] Emptiness/nothingness versus God/Spiritual Presence holds as a major contrast.“47

Im Vergleich mit Jōdo-shinshū stellt sich diese Differenz jedoch noch einmal in spezifisch anderer Weise dar, welche die innerbuddhistisch kontrovers diskutierte Frage impliziert, inwiefern Jōdo-shinshū mit der Lehre von śūnyatā übereinstimmt. Allerdings wird hier nicht der Versuch unternommen, diese Frage zu beantworten. Sie bildet lediglich den Horizont der abschließenden Überlegungen.

13.7.2 Amida und Christus als „Gegenstand“ religiöser Rede Bei Jōdo-shinshū bildet die Gestalt des Amida („unermessliches Licht und unermessliches Leben“) und dessen Urgelübde als Ausdruck der transzendenten Weisheit und Barmherzigkeit der Buddhanatur (i. e. der un-bedingten Wirklichkeit), die Begründung und den ständigen Referenzpunkt religiöser Kommunikation. Das Urgelübde ist der Ermöglichungsgrund der Errettung als unbedingte Annahme durch Amida, obwohl der Mensch noch in Begierden gefangen ist, aus denen er sich nicht selbst befreien kann (fudan-bonnō-toku-nehan 不断煩 悩得涅槃). Amida manifestiert sich in seinem Namen, dessen Anrufung Wirkung Amidas und zugleich zentrale religiöse Praxis bei Jōdo46 47

Stenger 2000, 477. Stenger 2000, 477–478.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

shinshū darstellt (namu-amida-butsu 南無阿弥陀仏). Die Frage nach der Historizität des Bodhisattva Dharmākara (jap. hōzō 法蔵) oder der Existenz Amidas ist aus buddhistischer Sicht bereits falsch gestellt und trägt für die religiöse Vergewisserung nichts aus. Das leitende Interesse der Aussagen über Amida ist die Soteriologie. „Dieser Amida ist […] bei Shinran kein persönlicher Erlöser, der dem Menschen gleichsam gegenübersteht, sondern das Wirken des ‚Großen Mitleidens‘ selbst, das den grundlegenden Wunsch des Menschen erfüllt, vom Leiden errettet zu werden. Er ist also die Transzendenz, die die Immanenz durch ihr muge [i. e. „ohne Hindernis“, Unbegrenztheit, Anm. d. Verf.] in ihrer Tiefe transzendiert.“48

Bei Tillich ist religiöse Rede in der spezifischen Fassung seiner Christologie begründet.49 In der Aussage, dass Jesus der Christus ist, sieht Tillich das christliche Grundbekenntnis, dessen Anerkenntnis (fides quae creditur) das eigentliche Glaubenswagnis darstellt.50 Dieses Glaubenswagnis konstituiert den Konnex zwischen dem Unbedingten und dessen relativer Manifestation im Bereich des Relativen. Nach Tillichs Neuformulierung der Christologie manifestiert sich in Jesus als dem Christus eine neue Realität, das Neue Sein. Dieses Neue Sein ist qualifiziert durch die Überwindung der Zweideutigkeiten der Existenz und der Verwirklichung essentieller Einheit unzweideutigen Lebens unter den Bedingungen der Existenz. Darin besteht das eigentliche Paradox des Christentums,51 das identisch ist mit dem Paradox der Rechtfertigung.52 In nicht-religiöser Sprache ausgedrückt: die paradoxe Gegenwart des Unendlichen im Endlichen, das dieses zugleich negiert und affirmiert. Die religiösen Symbole dafür sind „Kreuz“ und „Auferstehung“.53 Darin besteht auch die christologische Begründung des „protestantischen Prinzips“. Das christologische Paradox der „ewigen Gott-Mensch-Einheit“54 zeigt eine starke Affinität zu der mahāyānischen „Logik des soku-hi“, wie es D. T. Suzuki formulierte, der „Logik des sich Widersprechenden“.55

48 49 50 51 52 53 54 55

M. Shimizu 1981, 82–83. P. Tillich 1959, 208. STD II, 127 = STE II, 116; vgl. MW 4, 413 = GW VIII, 81. STD II, 100 = STE II, 90. STD II, 162 = STE II, 150. STD II, 165 = 152–153. STD II, 160 = STE II, 148. Vgl. dazu M. Shimizu 1981. Bereits in der Kirchlichen Apologetik macht Tillich in der Verschränkung von Rationalität und christologisch bestimmtem Wahrheitsbegriff durch den Begriff des absoluten Paradoxes deutlich, dass Apologetik dazu dient, Rationalität durch sich selbst in ihrer Aporetik aufzuweisen und so die post-

13. „Glaube“ und religiöse Rede bei Jōdo-shinshū und Paul Tillich

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Tillichs Christologie als Funktion der Soteriologie ist universalistische Geist-Christologie im Rahmen seiner non-dualistischen Lebensphilosophie. Wie die Gegenwart des göttlichen Geistes (Spiritual Presence) in Jesus als dem Christus die transzendente Einheit schafft, so wirkt sie in jedem, der vom Geist ergriffen ist, diese Einheit durch ekstatische Selbsttranszendierung, die sich als Glaube und Liebe manifestiert. Die Manifestation des Neuen Seins in Jesus als dem Christus bildet den Realgrund für die Partizipation am Neuen Sein, das pneumatologisch vermittelt wird. Wie sich diese Christologie homiletisch auswirkt, hat die Analyse der Predigt „You are accepted“ gezeigt, wo die Erscheinung des Bildes Jesu als des Christus koinzidiert mit der Erfahrung des „Durchbruchs“, des Umschlags von der Negation in die Position, in der Erfahrung unbedingten Angenommenseins und der Wiederherstellung der Einheit des Lebens mit dem Leben.

13.7.3 Das protestantische Prinzip und die „geschickten Mittel“ „Die Religion ist nur ein Mittel.“56 Mit dieser Spitzenaussage kommt Tillich nicht nur begrifflich, sondern auch sachlich ganz nahe an die Lehre der „geschickten Mittel“ (skr. upāya, jap. hōben) im Mahāyāna heran. Er kann dabei an Friedrich Schleiermacher anknüpfen, der bereits in den Reden 1799 Mythologie und Metaphysik in der Religion als „nur Hülfsmittel der Darstellung“ bezeichnet hat.57 Ebenso konnte gezeigt werden, dass die dualistische Redeweise der Korrelationsmethode nur auf der Ebene existenzieller Entfremdung Gültigkeit besitzt, die als apologetische Methode als solche „vorläufig und vorübergehend“ ist.58 Im Akt der „Selbst-Transzendierung“ hat sie ihr Ziel erreicht und ihre Funktion erfüllt (vgl. das buddhistische Gleichnis vom Floß).59

56 57

58 59

rationale Transzendenzerfahrung (die Tat Gottes) vorzubereiten, indem der Mensch innerlich dafür geöffnet wird. GWE IV, 69. „Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen, das ist Religion, es drückt die Beziehung auf ein unendliches Ganzes aus, aber über das Sein dieses Gottes vor der Welt und außer der Welt grübeln, mag in der Metaphysik gut und nöthig sein, in der Religion wird auch das nur leere Mythologie, eine weitere Ausbildung desjenigen, was nur Hülfsmittel der Darstellung ist, als ob es selbst das wesentliche wäre, ein völliges Herausgehen aus dem eigenthümlichen Boden“ (F. D. E. Schleiermacher 2001 [1799], 82–83). STD III, 137 = STE III, 114. An dieser Stelle sind die Strukturanalogien zu den „geschickten Mitteln“ besonders klar erkennbar. Auf der Ebene relativer Wahrheit haben dualistische Aussagen relative Gültigkeit, die jedoch in der Erfahrung des Erwachens und der Einsicht in die

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

Aufgrund seiner Verhältnisbestimmung von Unbedingtem und Bedingtem, von Absolutem und Relativem, hält Tillich fest, dass die geschichtlich bedingte Form als Trägerin des unbedingten Gehaltes auf das Unbedingte hin transzendiert werden muss, indem sie sich selbst als Form negiert und gerade durch diese Negation des Relativen eine Funktion absoluter Positivität wird. Tillich hat dies als das „Protestantische Prinzip“ bezeichnet, dessen Symbol das Kreuz ist.60 In der Möglichkeit der Affirmation durch Negation, so die Deutung des Kreuzes, sieht er den religionsgeschichtlichen Vorsprung des Christentums begründet. Dieses Prinzip der Selbstunterscheidung bildet auch die Grundlage von Tillichs Theologie der Religionen, wie er sie kurz vor seinem Tod in den Bampton Lectures skizziert hat. Wie gezeigt werden konnte, findet sich eine Strukturanalogie zu dieser Selbstunterscheidung auch in der auf der Unterscheidung der zwei Wahrheiten basierenden buddhistischen Lehre der „geschickte Mittel“, die bei Jōdo-shinshū jedoch insofern modifiziert und differenziert ist, als die eigene Lehre im Unterschied zu anderen buddhistischen Schulen (und eo ipso anderen Religionen) gerade nicht als upāya im Sinne von „provisional means“ (gonke hōben 権仮方便), sondern als „compassionate means“ (zengyō hōben 善巧方便) aufgefasst wird, das unhintergehbar mit Amida resp. dem nembutsu verbunden ist.61 Shinran modifiziert die mahāyānische tri-kāya-Lehre und unterscheidet unter Bezug auf Tan-luan zwei Arten von dharma-kāya 62, dem mit der letzten Wirklichkeit identischen hosshō-hosshin 法性法身 nicht wahrnehmbaren (weil ohne „Form“ und „Farbe“) und dem wahrnehmbaren als „geschicktes Mittel“ (hōben-hosshin 方便法身). Diese Basisunterscheidung entspricht der Differenz von apophatischer und kataphatischer Wahrheit. Um das menschliche Herz (kokoro) zu erreichen und kommunizierbar zu werden, muss sich die letzte Wirklichkeit manifestieren. Diese soteriologisch wirksame Selbstmanifestation geschieht als Name (namu-amida-butsu) und Form (Urgelübde der Andren Kraft tariki-hongan 他力本願) und damit als (zengyō hōben 善巧方便). Daraus erhellt, dass bei Jōdo-shinshū die „geschickten Mit-

60 61 62

„wahre Wirklichkeit“ in ihrer wesenhaften Identität erfasst werden. Entsprechend sind die „dualistischen“ Aussagen über die Beziehung des Gläubigen zu Amida zu verstehen. Die Identitätsphilosophie des Mahayana und des von Schelling beeinflussten Tillich führen in der Reflexion der Erfahrung des Leidens an der Wirklichkeit auf monistischem Hintergrund zu einer relativen dualistischen Aussageweise, die durch die Erfahrung des Unbedingten eingeholt werden soll. Vgl. GW VIII, 177 und GW XI 138. Vgl. Abschnitt 9.3 und Y. Kigoshi 2000, 40. Vgl. dazu ausführlich Abschnitt 9.2.

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tel“ weder in der Theorie religiöser Rede (fukyōhō) noch in den hōwa selbst thematisiert werden, wie das im Gegensatz dazu bei Tillich im Blick auf die Selbstzurücknahme aufgrund des protestantischen Prinzips geschieht. Vielmehr findet sich bei Shinran und Jōdo-shinshū ein mehr oder weniger stark vorgebrachter Ausschließlichkeitsanspruch, wie er in der Formel aus dem Tannishō „allein das nembutsu“ zum Ausdruck kommt. In der Sprache des frühen Tillich heißt das, dass eine prinzipielle Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung nicht stringent durchgeführt wird. Andererseits lässt sich fragen, ob nicht Tillichs Manifestations-Christologie und Shinrans Buddhologie in ein fruchtbares Gespräch zu bringen wären.63 So könnte durchaus in Anschluss an die Christologie des Kolosserbriefes, wo in Kol 1, 15 von Christus als dem Bild (εἰκών) des unsichtbaren Gottes die Rede ist und in dem die „Fülle der Gottheit wohnt“ (Kol 1, 19; 2, 9), von Christus als (hōben-hosshin 方便法身), der notwenig kataphatischen Form der apophatischen (formlosen) letzten Wirklichkeit Gottes und in diesem Sinn als „compassionate means“ (zengyō hōben 善巧方便) gesprochen werden, die für christliches Selbstverständnis ebenso unhintergehbar sind. Einen Vorschlag in dieser Richtung hat der koreanische Theologe Sung-Hee Keel vorgebracht, der schreibt: „Be it as it may, one thing we can say firmly is: God, being love, always exists in self-negation (kenosis), self-limitation, and in relationship with something other than Himself, just as the Dharmakāya-as-suchness negates itself to manifest the formless form of Dharmakāya-as-compassionatemeans, Amida Buddha.“64

Dieser Ansatz könnte manche durch die metaphysische Tradition abendländischer Christologie aufgeworfene Probleme in ein neues Licht rücken. Die Ausführung dieser Gedanken muss jedoch einer anderen Studie vorbehalten bleiben. The game is afoot! Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es neben den bestehenden Differenzen zwischen Paul Tillichs indirekter Homiletik im Blick auf Ontologie, religionsgeschichtlichen- und kulturellen Kontext und den damit gegebenen Begründungszusammenhängen einerseits und Jōdo-shinshū als mahāyāna-buddhistischer Ausprägung besonderer Art andererseits sowohl Strukturanalogien als auch inhaltliche Berührungen gibt, die insbesondere durch die non-dualistische Onto-Theologie Tillichs, wie sie besonders in dem multi-dimensiona63

64

John P. Keenan hat bereits 1989 mit seinem Buch „The Meaning of Christ: A Mahāyāna Theology“ einen Versuch unternommen, die Christologie unter mahāyānischen Prämissen neu zu denken. H.-S. Keel 1995, 176.

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III. Zur Begegnung von Jōdo-shinshū und evangelischer Theologie

len Lebensbegriff zum Ausdruck kommt, bedingt sind. Dabei gibt es starke Berührungen zwischen der Glaubenserfahrung als einem die Subjekt-Objekt-Struktur transzendierendem Ergriffensein und der darin verwirklichten Heilserfahrung als paradoxes unbedingtes Angenommensein. Religiöser Rede kommt als Vermittlungsfunktion die Aufgabe zu, den Raum für die Möglichkeit der an sich unverfügbaren Glaubenserfahrung zu eröffnen, in dem die Negativität der Unheilssituation aufgewiesen wird bei gleichzeitiger Verweisung auf die Unbedingtheit des Angenommenseins als absoluter Affirmation. Bei Tillich wie bei Jōdo-shinshū ist deutlich geworden, dass die jeweilige Theorie und Praxis religiöser Rede durch die Fassung der zentralen religiösen Erfahrung Glaube/faith resp. shinjin bestimmt ist.

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6. Digitale Medien Weltreligionen: Der Buddhismus. 2005. Hg. EKÔ-Haus der japanischen Kultur e. V., Düsseldorf. Digital Versatile Disc. Janette Delembre Produktion, o. O. Laufzeit ca. 45 Min. [Vorstellung des Honganji affilierten Jodo-Shin-Buddhistischen Tempels Ekō-ji in Düsseldorf] www.buddhistinformation.com/library.htm#1 (The BIONA Library) www.gateway.id.au.notes/index.htm (Notes on the Nembutsu) http://web.otani.ac.jp/EBS/index.html (The Eastern Buddhist Society) www.pitaka.ch/dirshin.htm#europe

Übersicht über die Anhänge

Anhang 1: Drei Predigten Paul Tillichs

Anhang 2: Mit Anmerkungen versehene Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

Anhang 3: Zwei hōwa bekannter fukyōshi von Ōtani-ha

Anhang 4: Glossar shin-buddhistischer Termini

Anhang 5: Bekenntnistexte der Jōdo-shinshū (Nishi-Honganji-ha) a) 浄土真宗の教章 (Jōdo-shinshū no kyōshō) – Kyosho – The Essentials of Jodo Shinshu (1967) b) 領解文 (ryō-ge-mon) – The Creed c) 浄土真宗の生活信条 (Jōdo-shinshū no seikatsu-shinjō) – Shinshu Pledge – Seikatsu Shinjo

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Anhänge

Anhang 1: Drei Predigten Paul Tillichs 1.1 Tillichs frühe Predigt über Römer 3, 28 (Nr. 152)1 „Röm 3, 28: So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. (1917, Oktober) Liebe Kameraden! Tage noch, und die evangelische Christenheit in allen Teilen der Welt begeht das Fest ihres vierhundertjährigen Bestehens. Schon in den letzten Wochen haben wir unsere Gedanken gerichtet auf das Werk der Reformation und ihre Bedeutung für unsere Zeit. Wir haben gesprochen von der Bibel, vom Leben der Seele in Gott und dem, was die Kirche uns gibt, und von der Stellung des Christen zu den Dingen dieser Welt, ihren Freuden und Gaben. Heut aber wollen wir uns zu dem Quellpunkt der Reformation wenden, zu dem Erlebnis, aus dem sie geboren ist, von dem sie gelebt hat und von dem sie noch lebt fort und fort. Was war es, das den Wittenberger Mönch Martin Luther am 31. Oktober 1517 dazu trieb, seine geistesgewaltigen 95 Sätze an die Schloßkirche zu Wittenberg zu schlagen? Was war es, was die alte Kirche zersprengte und ein Neues schuf und erhielt in den schwersten Kämpfen und Erschütterungen durch vier Jahrhunderte? Was ist dies Neue, Mächtige, das ein neues Zeitalter der Menschheit heraufgeführt hat? Es ist beschlossen in dem schlichten Wort des Paulus an die Christengemeinde zu Rom: „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ I. Gerecht werden, was heißt das? – In kalter Mönchszelle im Augustinerkloster zu Wittenberg liegt ein Mann am Boden, sich windend in den Qualen seines Gewissens, Tag und Nacht ringend mit seinem Gott, zweifelnd und verzweifelnd an seiner Seele Rettung. Wer ist der Mann? Welche Schuld liegt auf ihm? Es ist der frömmste und eifrigste der Mönche. Er fastet und betet Tag und Nacht, er bringt seinen Leib an den Rand des Grabes im Eifer um Gott. Seine Jugend war streng und ernst. Niemand kann ihm einen Vorwurf machen. Jeder sucht ihn zu beruhigen, aber er fühlt Gottes Zorn furchtbar über sich. Was sind alle meine guten Werke vor dem heiligen, allwissenden Gott, der mich durchschaut (Fn. 124 Hs.: durch und durchschaut), der meine geheim1

GWE VII, 613–617.

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sten Gedanken sieht und vor dessen Auge es keinen Schlupfwinkel gibt, in dem die Sünde sich verkriechen kann. Was hilft mir die Kirche mit all ihren Sakramenten, die mir doch keine Gewißheit geben können, daß Gott mir gnädig ist? So fragte er, so rang er und verzweifelte, bis eines anderen Mannes Ringen und Verzweifeln und Siegen seiner Seele Licht und Trost gab: „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Verstehen wir nun, was Gerechtigkeit heißt? Vor Gottes Richtertron [sic!] steht unsere Seele. Unser Gewissen klagt uns an. Wir entschuldigen uns, aber wir fühlen selbst, wir bleiben schuldig, wir behalten Unrecht vor Gott. Niemand, auch der Beste nicht, behält Recht vor Gott. So sind wir denn verurteilt, entwertet, gewogen und zu leicht befunden vor der Ewigkeit. Doch unsere Seele schreit: Wie kann ich dennoch Recht bekommen vor Gott, freigesprochen und wieder aufgerichtet (Fn.  125 G: gerettet) werden? Auch deine Seele ruft so. Gerechtigkeit vor Gott, das ist kein veralteter Begriff für Theologen und Pfarrer, das ist das Anliegen einer jeden Menschenseele, das ist das Entscheidende für jede Menschenseele. Frei sein von Schuld und bösem Gewissen, frei aufblicken können gen Himmel, sich selbst achten können im allertiefsten Grunde, seines ewigen Wertes gewiß sein, aller Menschlichkeit und allem Erdenstaub zum Trotz, fröhlich sein in jedem Schicksal, Sieger sein über Tod und Todesgrauen, das ist Gerechtigkeit vor Gott, das heißt, einen gnädigen Gott haben. II. Wie kommen wir dazu? Luthers Frage, des Paulus Frage, der Menschenseele tiefste Frage! Und all die tausend Antworten die darauf gegeben sind von Dichtern und Propheten, von Philosophen und Theologen, von Pfarrern und Laien, sie haben nur insoweit Wahrheit in sich, als sie eins sind mit des Apostels Antwort: Nicht durch des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben! – Des Gesetzes Werke! Bei Paulus war es das jüdische Gesetz (Fn. 126 G: wie das Alte Testament es uns zeigt), bei Luther war es das Gesetz der Kirche (Fn. 127 G: mit all seinen Geboten und Gelübden), bei uns ist es das Gesetz der Sitte und Gesellschaft (Fn. 128 G: das uns von Jugend an eingeprägt wird), und bei ihnen wie bei uns, wie zu allen Zeiten ist es das „du sollst und du sollst nicht“, das unser Gewissen zu uns spricht. Warum kann das „du sollst“ uns nicht helfen? Weil es fremd ist und uns nicht kennt, weil es kalt ist und uns nicht hilft, weil es hart ist und uns zum Widerspruch treibt. „Du sollst“, „du sollst nicht“, das ist zu allen gesagt, für alle Zeiten und Lagen des Lebens. Aber was hilft mir das in meiner besonderen Lage, die besondere Antworten verlangt auf

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die Frage: Was soll ich tun? Das Gesetz bleibt mir die Antwort schuldig und läßt mich in Irrtum und Dunkelheit. Es bleibt mir fremd. – „Du sollst“, „du sollst nicht“, sagt das Gesetz, aber es fragt nicht, ob ich kann, und es hilft nicht, daß ich stark werde. Kalt steht es da, unbekümmert um meine Schwächen und Mängel, um meine Triebe und Leidenschaften, ihm fehlt das Herz. – „Du sollst“, „du sollst nicht“, sagt das Gesetz und zeigt uns damit, daß wir nicht sind, wie wir sein sollten. Denn wären wir, wie wir sein sollten, wozu ein Gesetz? So offenbart es unsere Schuld, so beschämt es und entehrt es uns, so reizt es uns zu Widerspruch und Feindschaft. Wir hassen das Gesetz und müssen es doch stehen lassen. Kennen wir das, liebe Freunde? Ich denke wohl, denn wir alle ohne Ausnahme haben versucht und versuchen noch, gerecht zu werden durch des Gesetzes Werke. Ein Stück Pharisäer ist in uns allen. Wahrlich, nicht jeder evangelische Christ ist auf der Höhe des evangelischen Glaubens, und niemand ist es immer. Du rühmst dich in dir selbst, ehrbar und ordentlich, anständig, fleißig und pflichtgetreu gelebt zu haben. Du hast Recht vor Menschenaugen. Aber hast du das brennende Licht des Ewigen in dich hineinleuchten lassen? Willst du auch vor ihm bestehen mit deinem Tun? Du hast das Gefühl, gut und liebreich zu sein, friedfertig und zuvorkommend, gehorsam und tapfer, wahrhaftig und opferwillig, und das macht dich sicher. Wer wollte dir etwas vorwerfen? Niemand von uns. Aber du hast die Stimme der Ewigkeit widerhallen hören in deines Gewissens Tiefe. Kannst du bestehen vor dieser Stimme? Du warst auch fromm und deiner Kirche treu, du hast gebetet und geglaubt, und durch deine Frömmigkeit willst du dir ein Recht geben. Vor wem? Vor den Menschen? Wohlan, sie werden dir bestätigen, daß du frömmer bist als viele. Aber ein anderer wird es dir nicht bestätigen, es sei denn, daß du ihm deine Frömmigkeit vor die Füße wirfst und zu ihm sagst: Herr, erbarme dich meiner! Lieben [sic!] Freunde! Wenn wir die Menschen einteilen, dann teilen wir ein in Ehrbare und Bösewichte, in Gute und Schlechte, in Fromme und Gottlose. Wenn Gott die Menschen einteilt, dann scheidet er in solche, die gerecht sein wollen durch sich selbst, und solche, die gerecht sein wollen durch seine Gnade. Und zu beiden gehören Ehrbare und Bösewichte, Gute und Schlechte, Fromme und Gottlose. III. Hier liegt die letzte Tiefe und die ganze überwältigende Größe, das unendliche Geheimnis der evangelischen Botschaft: Nicht durch des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Was ist das für ein Glaube? Sagen wir zuerst, was er nicht ist. Er ist kein Fürwahr-

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halten irgendeiner Lehre, eines Dogmas, einer Theologie. Das war der Kampf der Reformatoren, daß der Glaube für sie etwas ganz anderes war als für die Kirche ihrer Zeit. Glaube ist Vertrauen. Gerecht durch Glauben, das heißt Vertrauen auf Gott, daß er uns für Gerecht erklärt trotz aller unserer Ungerechtigkeit, Vertrauen auf sein gnädiges Urteil! So kommt denn herzu, ruft uns die evangelische Botschaft, Ehrbare und Verworfene, Gute und Schlechte, Fromme und Gottlose! Gott sieht nicht auf die Güte der Guten und nicht auf die Frömmigkeit der Frommen, aber er sieht auch nicht auf die Schuld der Schuldigen und die Gottlosigkeit der Gottlosen, er hört nicht auf die leise Stimme, die sich selbst gerecht nennt, und nicht auf das laute Rufen des bösen Gewissens, er weiß nichts von den [sic!] Urteil, das Menschen über dich haben, und nichts von dem Urteil deines eigenen Herzens. Er hört allein auf sein Herz, das zu ihm spricht: Gnade! Vertraust du ihm? (Fn. 129 G: Glaubst du es?) Seht, das ist Glaube! Und dieser Glaube kann da sein, wenn auch die Stürme des Zweifels das Herz durchtoben und Gott selbst ein Rätsel, eine Frage wird, er kann da sein im tiefsten Innern des Zweiflers und kann fehlen dem allzeit Rechtgläubigen. Er kann leben fern von der Kirche und fehlen in der Brust des Priesters am Altar (Fn. 130 G: Er kann da sein in des Unglücklichen Herz und fehlen in den Häusern des Glücks.), er kann da sein in den Zellen der Gefängnisse und fehlen bei den Hochgeehrten und Angesehenen. Wo er aber ist, da jubelt das Herz auf, befreit von jeglicher Last, da leuchten die Augen, und alle Furcht muß schwinden, da gibt es kein Gesetz mehr, das „du sollst“ sagt, sondern nur brennende Liebe, die da sagt: Ich will. Da ist Seligkeit auch im Schmerz, im Leid, im Unglück, Seligkeit schon jetzt und Gewißheit, in Ewigkeit geborgen zu sein. Da wird unhörbar die Stimme der Menschen, die uns beurteilt, die ehrt oder anklagt, da muß verstummen des eigenen Herzens Stimme im Guten und Bösen, denn Gott ist größer als unser Herz (1 Joh 3, 20). Da ist Ruhe, Festigkeit, Kraft, Fröhlichkeit, da ist Liebe und Heldentum, da wiegen alle Zweifel und aller Irrtum und alle Schwäche und alle Schuld wie eine Feder vor dem unendlichen Gewicht der göttlichen Gnade. Gerecht durch Glauben. Das Lieben [sic!] Freunde, ist das Erlebnis der Reformation. Tausende sind um seinetwillen in den Tod gegangen, Tausende haben Haus und Hof verlassen. Zwei Jahrhunderte haben unsere Väter gerungen und geblutet, um nicht wieder unter das Gesetz gezwungen zu werden. Wohl ist nach außen hin die evangelische Kirche schwach. Sie trägt das

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Kreuz und die Schmach ihres Herrn. Mächtiger ist allezeit das Gesetz, aber nicht seliger, nicht göttlicher. Und jetzt, wo die Feindschaft von außen nachgelassen hat, da erheben im Inneren die Gefahren ihr Haupt. Der Kampf der Geister tobt nirgends heftiger als in unserer evangelischen Kirche. Viel Irren, viel Ringen, viel Zweifel und Abfall. Schwach nach außen, zerrissen im Innern. So steht unsere Kirche da am vierhundertjährigen Tage ihrer Geburt. Nun wohl, sie selbst steht unter dem Wort ihrer Botschaft. Allein durch Glauben, nicht durch Macht und Herrschaft, nicht durch Pracht und Ansehen ist sie etwas vor Gott, sondern durch das verborgene Leben, das nur Gott sieht, durch die Kräfte, die von ihr ausgehen auf den Geist und das Leben der Menschheit. Auf ihrem Boden, aus der Freiheit vom Gesetz und der Innerlichkeit der Seele, aus dem Ja zur Welt und ihren Gütern, aus der stolzen Unabhängigkeit von dem Urteil der ganzen Welt ist jener Geist geboren, der die Werke der Menscheitskultur geschaffen hat und weiter schafft, der Geist unserer großen Dichter und Denker, Erfinder und Reformer. Denn die Reformation ist nicht zu Ende, sie geht fort, wie einer ihrer größten Söhne gesagt hat. Wir aber wollen mitarbeiten an ihrem Werke, heut wie vor 400 Jahren im Geiste Luthers, im Geiste Pauli, im Geiste Jesu. Frei von jedem Gesetz, unabhängig vom Urteil der Welt, demütig vor dem ewigen Gott, vertrauend nicht auf unser Werk, sondern auf seine Kraft (Fn. 131 G: Gnade). Amen.“

1.2 Die Marburger Universitätspredigt „Über das Wagnis“ zu Mk 1, 16–20 von 19252 Wir haben die Berufungsgeschichte von vier Jüngern Jesu gehört. Aber nichts von dem wird uns berichtet, was zu einer guten Geschichte gehört. Nichts von der Vergangenheit der Jünger, von ihrem Charakter, ihrer Entwicklung, ihrem Innenleben, ihrem Verhältnis zur Religion, zu den Hoffnungen ihres Volkes, zu Jesus. Dafür erfahren wir einiges sehr Äußerliche: daß sie Fischer sind, daß es zwei Brüderpaare sind, daß sie gerade in dem Augenblick aufgerufen werden, wo sie ihre Netze auswerfen oder die hereingeholten in Gemeinschaft mit ihrem Vater und Fischerknechten flicken. Das ist alles, und dann folgt das, um deswillen diese Geschichte geschrieben ist: Jesus ruft sie zur Nachfolge auf; sie lassen alles stehen und liegen und folgen. 2

GW XIII, 181–184.

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Soviel ist sicher: Dem Erzähler dieser Geschichte kam es nicht darauf an, die Nachfolge der Jünger verständlich zu machen. Der Gedanke, daß das Verhalten der Jünger begreiflich, erklärlich sein könnte, dieser Gedanke liegt ihm fern – während einem Erzähler unserer Tage gerade das wichtig gewesen wäre. Für den Evangelisten kommt es nur darauf an, daß die Jünger dem Rufe Jesu folgen, ohne Zwischenglieder, ohne seelische Vorbereitungen, ohne aufzeigbare Gründe. Ein solches Handeln aber, das herausbricht aus allen Berechnungen, das vorstößt ins Dunkle und Unbekannte, nennen wir Wagnis. Und vom Wagnis wollen wir reden in dieser Stunde, vom vollkommenen Wagnis, vom Wagnis des Lebens und der Seele. Wagnis ist ein Handeln, das ins Ungewisse vorstößt, ein Handeln, das auf Sicherungen verzichtet, das vielmehr sicheren Besitz aufs Spiel setzt. Das Wagnis fängt erst da an, wo die Möglichkeit des Verzichts ernst wird. Das Wagnis bricht hervor aus Gründen und Berechnungen, aus Fragen und Zweifeln, die alle nicht zum Abschluß gekommen sind und die nun alle dahinten bleiben und überholt werden durch eine wagende Tat. Solch Wagen zeigt uns das Lebendige der Natur. Wenn es sich erhebt über dem Unlebendigen als etwas Neues, Zarteres, Höheres, das alle Bewegungen des Unlebendigen weit unter sich läßt. Es war, es ist wieder und wieder ein Wagnis, eines, dessen Größe wir nur selten noch fühlen und das doch in uns, dem Menschen, seine Vollendung erreicht hat. Denn der Mensch ist das größte Wagnis des Lebendigen. Er ist die unerhörte, unerwartete, unableitbare Tat der Natur. Gott ruft in sie hinein und sie wagt, ihr Letztes, Höchstes zu geben, ihr Schicksal, ihren Verderber, ihren Erretter. Ist ihr dies Wagnis gelungen? Gemessen an ihrer eigenen Vollkommenheit, nein! Und doch ist dieses ihr mißlungenes Wagnis ihre größte Tat. Denn es führte über sie hinaus, auf eine höhere Ebene, die wir als unser Leben bezeichnen. Unser Leben, das Leben, das wir haben, das wir unser eigen nennen, es ist nicht nur ein Wagnis aus der Tiefe des schaffenden Lebens, es ist ein Wagnis aus sich selbst. Wir sind nicht nur Wagnis, wir wagen selbst. Keine ernsthafte Entscheidung unseres Lebens geschieht anders als in einem Wagnis. Wir suchen wohl dem Wagnis aus dem Weg zu gehen. Wir schalten Sicherungen ein. Wir wägen ab. Wir suchen Gründe, die uns die Entscheidung abnehmen. Wir versuchen, die gewohnten Linien unseres Lebens weiter zu ziehen. Wir fragen die anderen. Auf alle Arten suchen wir uns selbst zu entgehen, die Entscheidung in eine Notwendigkeit zu verwandeln, die über uns steht. Aber einmal

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kommt doch der Augenblick, wo der Sprung unvermeidlich ist. Und dann scheiden sich die Menschen: die einen, die wirklich wagen, die den Bogen scharf spannen und den Pfeil ihrer Tat abschießen in dunkle Fernen; und die anderen, die kurz zielen mit der heimlichen Hoffnung, auf dem festen Boden des gesicherten Weges zu bleiben. Von den Jüngern wird berichtet, daß sie ihren Vater mit den Tagelöhnern bei den Netzen zurücklassen und Jesus nachfolgen. Sie verlassen ihren Vater, sie verlassen ihr Werk. Das doppelte Wagnis des Lebens steckt in diesem einen Satz des Evangelisten. Der Vater, das Bild des Hauses, der Kindheit, der Liebe, des Haltes, der geistigen und räumlichen Heimat, das Bild der Bindung an die Vergangenheit, des Besten und Stärksten, das wir empfangen haben, das Bild des Übergeordneten, zu dem wir aufsehen, von dem wir abhängig sind, von dem eine Drohung ausgeht gegen jedes eigene Tun. Sie ließen ihren Vater. Wenige Generationen können so gut wie die unsrige die Wucht dieses Wortes empfinden, das Ringen, die Qual, die Größe, die in ihm liegt. Einige unter Euch haben diesen Kampf gekämpft, einige stehen in ihm, einige stehen davor, einigen gilt er nicht. Den ersten sei gesagt, daß auch ihr Mißlingen größer war als das Stehen vor dem Wagnis, daß auch ihr Weg durch Dunkel und Dickicht, auch das Dunkel der Schuld größer war als der Nahe sichere Weg. Denn er hat sie höher geführt. Den anderen aber sei gesagt: Wagnis ist nicht Willkür. Wagnis ist Antwort auf Ruf, auf Hereinbrechen von Schicksal. Die Jünger sind ihrem Vater nicht aus der Lehre gelaufen. Aber als der Ruf kam, ließen sie ihn. Und sie ließen ihr Werk! Die Leistung des Menschen, seine Tat, seine Stellung unter den anderen, das Bild seiner schöpferischen Freude, seiner Schmerzen, seiner Macht – sie überlassen es den Tagelöhnern, also denen, für die es das alles nicht ist, für die es Tagelohn, nicht Werk ist. Sie werden zu Menschenfischern gerufen, zu einem anderen Werk, um dessentwillen jenes zurückstehen muß. Viele von uns glauben, den gleichen Ruf vernommen zu haben und sind ihm gefolgt! Aber was haben sie dabei gewagt, welches Werk haben sie verlassen, welchem Unbekannten haben sie sich zugewandt? Sollte vielleicht eine Zeit da sein, wo die, die den Ruf vernommen haben, den Beruf, Menschenfischer zu sein, den Tagelöhnern überlassen müssen, deren es viele in jedem Beruf gibt, vielleicht um wieder Fischer zu werden und Netze zu flicken und darin von dem Ruf zu zeugen, der an sie ergangen ist? Sollte dieses das Wagnis, nicht die Willkür, nicht die Flucht einiger unter uns sein? Die Jünger wurden gerufen und sie folgten. Das war ihr Wagnis. Und wir wollen ihr Wagnis nicht dadurch verkleinern, daß wir sagen:

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sie waren gehorsam. Wohl waren sie gehorsam, aber nicht einem Befehl, einem Gesetz, sondern dem Rufes ihres Schicksals, der sie von allem trennte, was ihnen Gesetz und Befehl gewesen war, von ihrem Vater, von ihrem Werk. Wir wollen ihr Wagnis auch nicht dadurch verkleinern und damit unser Wagnis erleichtern, daß wir sagen: sie folgten der Stimme ihres Gewissens. Wohl folgten sie der Stimme ihres Gewissens, aber diese Stimme sprach gegen ihr Gewissen, gegen alles, wodurch ihr Gewissen geformt war, die Gebote des Vaters, die Gebote der Gesellschaft, die Gebote der öffentlichen Religion. Wir haben kein unfehlbares Gewissen, auf das wir die Entscheidung abwälzen könnten. Die Schicksalsstunde bringt unser Gewissen in Zwiespalt mit sich selbst. Das ist nicht gesagt, damit wir gewissenlos werden, sondern damit niemand, ruhend auf seinem guten und bösen Gewissen – das gilt hier gleich – den Ruf überhöre, das Wagnis seines Lebens versäume. Die Jünger wagten es, und niemand, der nicht durch Vorurteile und vergoldete Bilder betört ist, kann bestreiten, daß ihr Wagnis mißlang. Das Kreuz erzählt von diesem Mißlingen. Und da wagten sie noch eins: Sie wagten es, dieses Mißlingen selbst, dieses Kreuz zum Grund des letzten und höchsten Wagnisses zu machen, das der Kreatur möglich ist: Sie wagten es, im Kreuz, im Mißlingen die Gnade anzuschauen, die ihr Wagnis richtet und rechtfertigt. Wir alle wissen von diesem letzten, höchsten Wagnis, von dem aus alles Wagen gerichtet und gerechtfertigt wird. Wir wissen davon! Könnte das nicht heißen: Es ist für uns kein Wagnis mehr. Muß es das nicht heißen? Es muß nicht, aber es kann, und es ist fast menschenunmöglich, daß es das nicht heißt: Das ist das Gericht über alles Reden von Gott, über alles Wissen von ihm, das ist fast der Fluch darüber. Und darum: das ist das Wagnis, das für manchen unter uns sein Ruf ist, daß er, ob Theologe oder nicht, das Kreuz verlassen muß, das er so gut kennt, daß er in die Wüste und in das Leben zu den anderen, die nicht wissen, gehen muß, damit vielleicht einst nach langer Wanderung, nach langem Schweigen das Kreuz wieder in der Ferne erscheint und wir von ihm Zeugen können als Nichtwissende und Wagende und Gerettete! Amen

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1.3 Die Predigt “You are accepted”3 Moreover the law entered, that the offence might abound. But where sin abounded, grace did much more abound. Romans 5:20 1) These Words of Paul summarize his apostolic experience, his religious message as a whole, and the Christian understanding of life. To discuss these words, or to make them the text of even several sermons, has always seemed impossible to me. I have never dared to use them before. But something has driven me to consider them during the past few month, a desire to give witness to the two facts which appeared to me, in hours of retrospection, as the all-determining facts of our life: the abounding of sin and the greater abounding of grace. 2) There are few words more strange to most of us than “sin” and “grace.” They are strange, just because they are so well-known. During the centuries they have received distorting connotations, and have lost so much of their genuine power that we must seriously ask ourselves whether we should use them at all, or whether we should discard them as useless tools. But there is a mysterious fact about the great words of our religious tradition: they cannot be replaced. All attempts to make substitutions, including those I have tried myself, have failed to convey the reality that was to be expressed; they have led to shallow and impotent talk. There are no substitutes for words like “sin” and “grace.” But there is a way of rediscovering their meaning, the same way that leads us down into the depth of our human existence. In that depth these words were conceived; and there they gained power for all ages; there they must be found again by each generation, and by each of us for himself. Let us therefore try to penetrate the deeper levels of our life, in order to see whether we can discover in them the realities of which our text speaks. 3) Have the men of our time still a feeling of the meaning of sin? Do they, and do we, still realize that sin does not mean an immoral act, that “sin” should never be used in the plural, and that nor our sins, but rather our sin is the great, all-pervading problem of our life? Do we still know that it is arrogant and erroneous to divide men by calling some “sinners” and others “righteous”? For by way of such a division, we can usually discover that we ourselves do not quite belong to the “sinners”, since we have avoided heavy sins, have made some progress in the control of this or that sin, and have been even humble enough 3

SF 153–163.

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not to call ourselves “righteous.” Are we still able to realize that this kind of thinking and feeling about sin is far removed from what the great religious tradition, both within and outside the Bible, has meant when it speaks of sin? 4) I should like to suggest another word to you, not as a substitute for the word “sin”, but as a useful clue in the interpretation of the word “sin”: “separation”. Separation is an aspect of the experience of everyone. Perhaps the word “sin” has the same root as the word “asunder”. In any case, sin is separation. To be in the state of sin is to be in the state of separation. And separation is threefold: there is separation among individual lives, separation of man from himself, and separation of all man from the Ground of Being. This three-fold separation constitutes the state of everything that exists; it is a universal fact; it is the state of every life. And it is our human fate in a very special sense. For we as man know that we are separated. We not only suffer with all other creatures because of the self-destructive consequences of our separation, but also know why we suffer. We know that we are estranged from something to which we really belong, and with which we should be united. We know that the fate of separation is not merely a natural event like a flash of sudden lightning but that it is an experience in which we actively participate, in which our whole personality is involved, and that, as fate, it is also guilt. Separation which is fate and guilt constitutes the meaning of the word “sin”. It is this which is the state of our entire existence, from its very beginning to its very end. Such separation is prepared in the mother’s womb, and before that time, in every preceding generation. It is manifest in the special actions of our conscious life. It reaches beyond our graves into all the succeeding generations. It is our existence itself. Existence is separation! Before sin is an act, it is a state. 5) We can say the same thing about grace. For sin and grace are bound to each other. We do not even have a knowledge of sin unless we have already experienced the unity of life, which is grace. And conversely, we could not grasp the meaning of grace without having experienced the separation of life, which is sin. Grace is just as difficult to describe as sin. For some people, grace is the willingness of a divine king and father to forgive over and again the foolishness and weakness of his subjects and children. We must reject such a concept of grace; for it is a merely childish destruction of a human dignity. For others, grace is a magic power in the dark places of the soul, but a power without any significance for practical life, a quickly vanishing and useless idea. For others, grace is the benevolence that we may find beside the

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cruelty and destructiveness in life. But then, it does not matter whether we say “life goes on”, or whether we say “there is grace in life”; if grace means no more than this, the word should, and will, disappear. For other people, grace indicates the gifts that one has received from nature or society, and the power to do good things with the help of those gifts. But grace is more than gifts. In grace something is overcome; grace occurs “in spite of” something; grace occurs in spite of separation and estrangement. Grace is the reunion of life with life, the reconciliation of the self with itself. Grace is the acceptance of that which is rejected. Grace transforms fate into a meaningful destiny; it changes guilt into confidence and courage. There is something triumphant in the word “grace”: in spite of the abounding of sin grace abounds much more. 6) And now let us look down into ourselves to discover there the struggle between separation and reunion, between sin and grace, in our relation to others, in our relation to ourselves, and in our relation to the Ground and aim of our being. If our souls respond to the description that I intend to give, words like “sin” and “separation” “grace” and “reunion”, may have a new meaning for us. But the words themselves are not important. It is the response of the deepest levels of our being that is important. If such a response were to occur among us this moment, we could say that we have known grace. 7) Who has not, at some time, been lonely in the midst of a social event? The feeling of our separation from the rest of life is most acute when we are surrounded by it in noise and talk. We realize then much more than in moments of solitude how strange we are to each other, how estranged life is from life. Each one of us draws back into himself. We cannot penetrate the hidden centre of another individual; nor can that individual pass beyond the shroud that covers our being. Even the greatest love cannot break through the walls of the self. Who has not experienced that disillusionment of all great love? If one were to hurl away his self in complete self-surrender, he would become a nothing, without form or strength, a self without self, merely an object of contempt and abuse. Our generation knows more than the generation of our fathers about the hidden hostility in the ground of our souls. Today we know much about the profusive aggressiveness in every being. Today we confirm what Immanuel Kant, the prophet of human reason and dignity, was honest enough to say: there is something in the misfortune of our best friends which does not displease us. Who amongst us is dishonest enough to deny that this is true also of him? Are we not almost always ready to abuse everybody and everything, although often in a very refined way, for the pleasure of self-elevation,

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for an occasion for boasting, for a moment of lust? To know that we are ready is to know the meaning of separation of life from life, and of “sin abounding”. 8) The most irrevocable expression of life from life today is the attitude of social groups within nations towards each other, and the attitude of nations themselves towards other nations. The walls of distance, in time and space, have been removed by technical progress; but the walls of estrangement between heart and heart have been incredibly strengthened. The madness of the German Nazis and the cruelty of the lynching mobs in the South provide too easy an excuse for us to turn our thoughts from our own selves. But let us just consider ourselves and what we feel, when we read, this morning and tonight, that in some sections of Europe all children under the age of three are sick and dying, or in some sections of Asia millions without homes are freezing and starving to death. The strangeness of life to life is evident in the strange fact that we can know all this, and yet can live today, this morning, tonight, as though we were completely ignorant. And I refer to the most sensitive people amongst us. In both mankind and nature, life is separated from life. Estrangement prevails among all things that live. Sin abounds. 9) It is important to remember that we are not merely separated from each other. For we are also separated from ourselves. Man Against Himself is not merely the title of a book, but rather also indicates the rediscovery of an age-old insight. Man is split within himself. Life moves against itself through aggression, hate, and despair. We are wont to condemn self-love; but what we really mean to condemn is contrary to self-love. It is that mixture of selfishness and self-hate that permanently pursues us, that prevents us from loving others, and that prohibits us from losing ourselves in the love with which we are loved eternally. He who is able to love himself is able to love others also; he who has learned to overcome self-contempt has overcome his contempt for others. But the depth of our separation lies in just the fact that we are not capable of a great and merciful divine love towards ourselves. On the contrary, in each of us there is an instinct of selfdestruction, which is as strong as our instinct of self-preservation. In our tendency to abuse and destroy others, there is an open or hidden tendency to abuse and destroy ourselves. Cruelty towards others is always also cruelty towards ourselves. Nothing is more obvious than the split in both our unconscious life and conscious personality. Without the help of modern psychology, Paul expressed the fact in his famous words, “For I do not do the good I desire, but rather the evil that I do

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not desire.” And then he continued in words that might well be the motto of all depth psychology: “Now if I should do what I do not wish to do, it is not I that do it, but rather sin which dwells within me.” The apostle sensed a split between his conscious will and his real will, between himself and something strange within and alien to him. He was estranged from himself; and that estrangement he called “sin”. He also called it a strange “law in his limbs”, an irresistible compulsion. How often we commit certain acts in perfect consciousness, yet with the shocking sense that we are being controlled by an alien power. That is the experience of the separation of ourselves from ourselves, which is to say “sin,” whether or not we like to use that word. 10) Thus, the state of our whole life is estrangement from others and ourselves, because we are estranged from the Ground of our being, because we are estranged from the origin and aim of our life. And we do not know where we have come from, or where we are going. We are separated from the mystery, the depth, and the greatness of our existence. We hear the voice of that depth; but our ears are closed. We feel that something radical, total, and unconditioned is demanded of us; but we rebel against it, try to escape its urgency, and will not accept its promise. 11) We cannot escape, however. If that something is the Ground of our being, we are bound to it for all eternity, just as we are bound to ourselves and to all other life. We always remain in the power of that from which we are estranged. That fact brings us to the ultimate depth of sin: separated and yet bound, estranged and yet belonging, destroyed and yet preserved, the state which is called despair. Despair means that there is no escape. Despair is “the sickness unto death.” But the terrible thing about the sickness of despair is that we cannot be released, not even through open or hidden suicide. For we all know that we are bound eternally and inescapably to the Ground of our being. The abyss of our separation is not always visible. But it has become more visible to our generation than to the preceeding generations, because of our feeling of meaninglessness, emptiness, doubt, and cynicism – all expressions of despair, of our separation from the roots and the meaning of our life. Sin in its most profound sense, sin, as despair, abounds amongst us. 12) “Where sin abounded, grace did much more abound”, says Paul in the same letter in which he describes the unimaginable power of separation and self-destruction within society and the individual soul. He does not say these words because sentimental interests demand a happy ending for everything tragic. He says them because they de-

Anhang 1: Drei Predigten Paul Tillichs

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scribe the most overwhelming and determining experience of his life. In the picture of Jesus as the Christ, which appeared to him at that moment of his greatest separation from other man, from himself and God, he found himself accepted in spite of his being rejected. And when he found that he was accepted, he was able to accept himself and so be reconciled to others. The moment in which grace struck him and overwhelmed him, he was reunited with that to which he belonged, and from which he was estranged in utter strangeness. Do we know what it means to be struck by grace? It does not mean that we suddenly believe that God exists, or that Jesus is the Saviour, or that the Bible contains the truth. To believe that something is, is almost contrary to the meaning of grace. Furthermore, grace does not mean simply that we are making progress in our moral self-control, in our fight against special faults, and in our relationships to men and to society. Moral progress may be a fruit of grace; but it is not grace itself, and it can even prevent us from receiving grace. For there is too often a graceless acceptance of Christian doctrines and a graceless battle against the structures of evil in our personalities. Such a graceless relation to God may lead us by necessity either to arrogance or to despair. It would be better to refuse God and the Christ and the Bible that to accept Them [sic!] without grace. For if we accept without grace, we do so in the state of separation, and can only succeed in deepening our separation. We cannot transform our lives, unless we allow them to be transformed by that stroke of grace. It happens; or it does not happen. And certainly it does not happen if we try to force it upon ourselves, just as it shall not happen so long as we think, in our self-complacency, that we have no need of it. Grace strikes us when we are in great pain and restlessness. It strikes us when we walk through the dark valley of a meaningless and empty life. It strikes us when we feel that our separation is deeper than usual, because we have violated another life, a life which we loved, or from which we were estranged. It strikes us when our disgust for our own being, our indifference, our weakness, our hostility, and our lack of direction and composure have become intolerable to us. It strikes us when, year after year, the longed-for perfection of life does not appear, when the old compulsions reign within us as they have for decades, when despair destroys all joy and courage. Sometimes at that moment a wave of light breaks into our darkness, and it is as though a voice were saying: “You are accepted. You are accepted, accepted by that which is greater than you, and the name of which you do not know. Do not ask for the name now; perhaps you will find it later. Do not try to do anything now; perhaps later you will do much. Do not seek for any-

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thing; do not perform anything; do not intend anything. Simply accept the fact that you are accepted!” If that happens to us, we experience grace. After such an experience we may not be better than before, and we may not believe more than before. But everything is transformed. In that moment, grace conquers sin, and reconciliation bridges the gulf of estrangement. And nothing is demanded of this experience, no religious or moral or intellectual presupposition, nothing but acceptance. 13) In the light of this grace we perceive the power of grace in our relation to others and to ourselves. We experience the grace of being able to look frankly into the eyes of another, the miraculous grace of reunion of life with life. We experience the grace of understanding each other’s words. We understand not merely the literal meaning of the words, but also that which lies behind them, even when they are harsh or angry. For even then there is a longing to break through the walls of separation. We experience the grace of being able to accept the life of another, even if it be hostile and harmful to us, for, through grace, we know that it belongs to the same Ground to which we belong, and by which we have been accepted. We experience the grace which is able to overcome the tragic separation of the sexes, of the generations, of the nations, of the races, and even the utter strangeness between man and nature. Sometimes grace appears in all these separations to reunite us with those to whom we belong. For life belongs to life. 14) And in the light of this grace we perceive the power of grace in our relation to ourselves. We experience moments in which we accept ourselves, because we feel that we have been accepted by that which is greater than we. If only more such moments were given to us! For it is such moments that make us love our life, that make us accept ourselves, not in our goodness and self-complacency, but in our certainty of the eternal meaning of our life. We cannot force ourselves to accept ourselves. We cannot compel anyone to accept himself. But sometimes it happens that we receive the power to say “yes” to ourselves, that peace enters into us and makes us whole, that self-hate and self-contempt disappear, and that our self is reunited with itself. Then we can say that grace has come upon us. 15) “Sin” and “Grace” are strange words; but they are not strange things. We find them whenever we look into ourselves with searching eyes and longing hearts. They determine our life. They abound within us and in all of life. May grace more abound within us!

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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Anhang 2: Mit Anmerkungen versehene Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin Übersicht4 1. „satori und shinjin“ (satori to shinjin さとりと信心), hōwa Nr. 24 2. „Auf die Lehre hören“ (mi-oshie ni kiku 御教えに聞く), hōwa Nr. 1 3. „Von der Barmherzigkeit umfangen“ (o-jihi ni idakarete お慈悲に抱かれて), hōwa Nr. 14 4. „Im Reinen Land satori/Erwachen erreichen“ (jōdo de satori o hiraku 浄土でさとりを開く), hōwa Nr. 66 5. „Allein durch shinjin gerettet werden“ (shinjin hitotsu de sukuwarete-yuku) hōwa Nr. 54 6. „Das Errettetwerden“ (sukuwareru to iu koto 救われるということ), hōwa Nr. 17

2.1 Ōtani Kōshin 1992, 7–26, hōwa Nr. 24 Satori und Shinjin さとりと信心 Gottheit(en) und Buddha Ich bedanke mich für die heutige Einladung zum shitenōji Sommerkurs. Nachdem das heutige Vortragsthema festgelegt war, untersuchte ich die Beziehung zwischen Shōtoku Taishi und unserem Gründer Shinran Shōnin. Ich habe mich sehr gefreut, als ich dabei entdeckte, dass das allererste Wort Shōtoku Taishis eine enge Verbindung zu dem heutigen Vortragsthema „satori und shinjin“ aufweist. Im „Shōtoku Taishi Denryaku“ (聖徳太子伝暦) wird berichtet, dass Shōtoku Taishi in seinem zweiten Lebensjahr am fünften Tag des zweiten Monats, ohne dass er von irgend jemandem dazu angeleitet worden war, alleine auf die Veranda ging, nach Osten gewandt zum ersten Mal die Hände zusammenlegte (gasshō 合掌) und „namu butsu“ (南無仏) sagte. Als Taishi zum ersten Mal seine Zuflucht (kie 帰依) zu 4

Die Hōwa Nr. 32 „Allein durch shinjin wird man gerettet“ (shinjin tada hitotsu de sukuwareru 信心ただ一つで救われる) ist im Haupttext abgedruckt.

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Buddha nahm und das in Worte ausdrückte, tat er das in der Form des „namu butsu“. „na“ (南) und „mu“ (無) sind chinesische Schriftzeichen, deren Lautwert ein indisches Wort wiedergibt (im Chinesischen gibt es nämlich kein Silbenalphabet wie das japansiche Katakana). In dem Wort „namu“ ist die Bedeutung von „shinjin“ mitenthalten. Desweiteren bedeutet „butsu“ (仏) eine Person, die satori erreicht (Erleuchtung verwirklicht) hat.5 Was verstehen sie unter „satori“ ? Diese Frage ist identisch mit der Frage, wer ist ein Buddha, der satori erreicht hat. Im Japan der Gegenwart ist [die Vorstellung von] Gottheit(en) (kami-sama 神様) sehr verbreitet und die Herzen der Menschen sind davon durchdrungen. Der Begriff „kami“ wird zwar auch für den Gott des aus dem Westen gekommenen Christentums verwendet, an dieser Stelle möchte ich aber, dass sie an die von alters her an die auf den kamidana [kleiner häuslicher Shinto-Altar] zur Verehrung lokalisierten Gottheiten denken. Haben sie schon einmal darüber nachgedacht, worin der Unterschied zwischen Gottheit und Buddha liegt? Shinran Shōnin unterscheidet Gottheit und Buddha ziemlich deutlich. Aber im japanischen Denken wird diese Unterscheidung nicht klar vollzogen. Ich bereise im ganzen Land die Tempel von shinshū. Wenn ich mit den Anhängern von shinshū, die den Tempel besuchen, spreche, dann bekomme ich von vielen zu hören, dass Gottheit und Buddha doch dasselbe sei. Sicher, wenn man den Punkt herausgreift, dass unser Leben in der unsichtbaren Welt beschützt wird, dann kann man von Ähnlichkeiten sprechen. Ich denke nicht, dass es Buddhas oder Gottheiten gibt, die unser Unglück wünschen würden. Neulich hörte ich einen Vortrag von einem Professor für Volkskunde, der also die Denkweise erforscht, die im Herzen der Japaner weitergegeben wird. Demnach sei es so, „dass Japaner nach dem Tod zu einem Buddha werden, an jedem siebten Tag werden buddhistische Riten vollzogen, bis zum 49. Tag, zum 1. Todestag … bis zum 33. Todestag ist man ein Buddha, danach wird man zu einer Gottheit“. Ich bin sehr erschrocken. Ich hoffe, dass es bei uns wahrscheinlich kaum jemanden gibt, der die Gedanken des Shintoschreins (jinja 神社) vertritt, aber es ist tat5

Im Japanischen wird die Wendung satori wo hiraku さとりを開く, wörtl. „Erleuchtung öffnen“ gebraucht.

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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sächlich so, dass diese Ansicht im Herzen der Japaner weit verbreitet ist. Man kann wohl nicht verleugnen, dass im Allgemeinen die Neigung vorhanden ist: „Irgendwie ist es zwar nicht ganz klar, aber wenn man die Tendenz beim Gedanken an Gottheit(en) und Buddha in extremer Form ausdrückt, dann ist man bis zum 33. oder bis zum 50. Todestag ein Buddha. Danach wird man eine Gottheit und wird als Familiengottheit (ujiigami 氏神) verehrt.“ Dieser Eindruck wurde mir erneut bestätigt. Was ist „satori“? Was uns angeht, so halten wir das für unmöglich. Also, wer war der Buddha? Ich verstehe das so, dass das, was (einen) Buddha zum Buddha macht „satori“ ist. Dieses Erleuchtetwerden (satoru) wird bei Jōdo-shinshū kaum thematisiert. Das ist deshalb so, weil wir betonen, dass wir, solange wir in dieser Welt leben, sündigen, wir wiederholt irren und immer in Leidenschaften und Ignoranz gebunde Menschen (bonpu 凡夫)6 bleiben und nicht mehr sind als armselige (somatsu 粗末) Menschen. Daher sind wir geneigt, „satori“ für eine unsichtbare / jenseitige Welt zu halten. Ich habe dieses Thema untersucht, obwohl ich dazu gar nicht befähigt bin. Trotzdem wage ich es heute, mit ihnen zusammen darüber nachzudenken, während ich meine Untersuchungsergebnisse vorstelle. Der Gedanke des „satori“ hat – natürlich durch Śākyamuni – vor über 2000 Jahren bei den Menschen Indiens begonnen. Aber ich denke, dass sich die Auffassung von Buddhas „satori“ sich im Wandel der Zeiten ziemlich gewandelt hat. Zum Einen gibt es die Auffassung, es sei eine so wunderbare Sache, dass sie sozusagen in dieser Welt kaum zu erlangen möglich sei. Zum Andern der Gedanke, dass es ohne Zweifel eine wunderbare Sache ist, die uns aber näher ist als man meint. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Menschen in unserer Umgebung im Wechsel der Zeiten entweder denken, dass „satori“ erreichbar sei, oder sie haben die entgegengesetzte Meinung. Diese Auffassungen kommen und gehen. In den in Indien früh zusammengestellten Sutren, die die Worte Śākyamunis überliefert haben sollen, heißt es: „Das unvergängliche Nirvana, der Zustand des satori, besteht darin, was in dieser Welt gesehen, gehört und gedacht wird, das Begehren und Verlangen nach prächtigen Dinge zu verlassen. Die Menschen, die dies gut erkannt 6

Zu bonpu vgl. CWS II, 187.

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haben und darauf achten, die die Leiden dieser Welt verlassen haben, haben inneren Frieden gefunden. Sie haben das Anhaften an der Welt überwunden“ (Suttanipata). Śākyamuni beschreibt „satori“ mit dem ganz alltäglichen Wort: „Das Begehren und die Gier, das Gefangensein von den Dinge dieser Welt wegwerfen und verlassen.“ Oder: „Solange samsāra (das fortwährende Geborenwerden und wieder Sterben) sich fortsetzt, gibt es grenzenloses Leiden“ (Tera-Gatha). „Durch das Zerstörtwerden des Körpers und das Zerstörtwerden des Lebens habe ich keine weitere Wiedergeburt. Denn ich habe die Befreiung aus allen Dingen erlangt“ (Tera-Gatha). „Ich habe den Pfeil der Leidenschaften zerbrochen, die schwere Last abgelegt, das, was ich tun musste, zu Ende gebracht“ (Tera-Gatha). Diese Worte Śākyamunis stammen von den Jüngern zu Śākyamunis Zeit. Wir sagen oft „Śākyamuni hat ‚satori‘ erlangt und ist Buddha geworden“. Allerdings drückt selbst ein Jünger Śākyamunis, der nicht so berühmt war, um in Sutren überliefert zu werden und der auch in der Nachwelt nicht bekannt ist, das „satori“ zum Ausdruck, das er selber erlangt hat. Von dem verehrten Annan, dem Jünger Buddhas, der immer um ihn war und sich um ihn kümmerte, heißt es: „Die Befleckung mit Leidenschaften vernichtet, von den Fesseln gelöst, das Anhaften überwunden, die Ruhe und den Frieden des Herzens erlangt, vom samsāra (dem Ufer des Geborenwerdens und Sterbens) an das jenseitige Ufer gelangt“ (Tera-Gatha) Mit diesen Worten beschreibt er sein „satori“. Wenn man an „satori“ zu der Zeit als Śākyamuni lebte, denkt, dann gab es damals auch Menschen, die sogar vierzig Jahre lang praktiziert hatten. Und in dem Sinn, dass die Menschen in der Realität zu ihrer Zeit etlichen Menschen begegnen konnten, die „satori“ erreicht hatten und die in ihrer Umgebung mit solchen Menschen in Berührung kommen konnten, war „satori“ eine verhältnismäßig nahe Erfahrung. „satori“ wurde auch mit Worten wie „die Leidenschaften hören auf“ oder „zur Wahrheit erwachen [satoru さとる]“ ausgedrückt. Im heutigen Sprachgebrauch kann man auch z. B. sagen „zur Wahrheit erweckt werden“ [mezameru めざめる]. In dieser Bedeutung: mit einem Aufwachen, d. h. dem geöffnet werden der Weisheit, verlassen wir die Leidenschaften, die wir haben, das Verhaftetsein an uns selbst, die Begierden u. s. w., und wir kommen aus diesen Dingen heraus – ich denke, man kann das auf diese Weise schmecken.

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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Śākyamunis satori und das satori danach Nach einer gewissen Zeit kam allerdings der Gedanke auf, dass das „satori“ Śākyamunis nicht wirklich das „satori“ eines nur gewöhnlichen Menschen gewesen sei. „Śākyamuni hat in dieser Welt nur einige Jahre praktiziert, aber sicher hat er in der vorherigen Welt [zense 前世, i. e. in früheren Wiedergeburten, Anm. d. Verf.] unzählige (asketische) Übungen [jap. shūgyō 修行] angesammelt und dann ‚satori‘ erlangt.“ Es scheint sich das Denken verbreitet zu haben, dass eine übergroße Kluft zu uns bestehe, zu dem, wo wir allein in dieser Welt mit ein paar Jahrzehnten Übung gelangen könnten. Deswegen kam es dazu, dass man einen Unterschied zwischen dem „satori“ Śākyamunis und dem späteren „satori“ machte. Ich denke, dass es zwar etwas zu einfach formuliert ist, aber ich glaube, dass man es so auffassen kann, dass das die in den Ländern Südostasiens heute verbreitete buddhistische Denkart ist. Die Menschen in Sri Lanka, Birma (Myanmar), Thailand u. s. w. denken ungefähr „Śākyamuni war auf jeden Fall wunderbar. Wir reichen zwar nicht an Śākyamuni heran, aber in dieser Welt praktizieren wir und wollen bis zu einer bestimmten Stufe gelangen“. Aber etwa drei bis vier Jahrhunderte nach Śākyamunis Tod, um die Wende des Beginns westlicher Zeitrechnung, gab es Menschen, die das als zweifelhaft ansahen. Den Gedanken, dass wir doch genauso wie Śākyamuni „satori“ erlangen können sollten, nennen wir daijōbukkyō [大乗仏教, Buddhismus des großen Fahrzeugs, Mahayana, Anm. d. Verf.]. Diese Denkweise verbreitete sich über China und Korea bis nach Japan. D. h., dass diejenigen, die sich bemühen, „satori“ zu erlangen, alle so sind, wie Śākyamuni, bevor er „satori“ erlangt hatte. Da wir Bodhisattvas sind und auf jeden Fall das gleiche „satori“ wie Śākyamuni erlagen können, kam es dazu, dass wir „satori“ wieder näher bei uns empfinden konnten. Man kann das als eine Bewegung interpretieren, die den ursprünglichen Zustand wieder herstellte [ fukkōundō 復興運動]. Die Denkweise des Zen und die Denkweise von Jōdo-shinshū Dieser Buddhismus ist die Strömung, die von China aus nach Japan ausgebreitet wurde. Daher könnte man wohl sagen, dass im Zen „satori“ vergleichsweise nahe bei uns gedacht wird. Wenn man z. B. liest, was jemand so geschrieben hat: „Die Welt des Herzens im eigenen Innern und die äußere Welt der Natur wird als etwas ganz Unveränderliches gedacht, aber das ist nicht mehr als eine Täuschung und eine Verirrung, die das menschliche Herz / Bewusst-

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sein hervorgebracht hat. Wenn wir diesen Gedanken des Ich aufgeben und wirklich in die innere Welt des Herzens hineingehen, dann verschwindet der Unterschied zwischen mir und den Menschen meiner Außenwelt. Es öffnet sich eine andere Welt ohne Zeit und Raum. Es öffnet sich eine Welt, in der eine wunderbare Lebenskraft sich ins All ausweitet. Durch diese Welt, können wir unsere kleine Ich-Welt, die Schale des Selbst verlassen und mit dem All verbunden sein.“ So sagt es eine Person, die Zen erforscht. In den kōan, mit denen sich die Leute der Rinzai-Schule befassen, gibt es das Wort „Stimme einer Hand“ [sekishu no koe 隻手の声]. Wenn man beide Hände zusammenlegt und klatscht, dann entsteht ein Ton. Aber im Unterschied dazu bekommt man vom Lehrer das schwierige kōan: „höre den Ton, der von nur einer Hand kommt“, um mit aller Kraft darüber nachzudenken. Unsere gewöhnliche Vernunft gibt die einfache Antwort, dass man mit zwei Händen klatschen kann, aber durch einer Hand allein kein Ton entsteht. Nichtsdestotrotz wird man aufgefordert: höre diesen Ton! – und man denkt darüber nach, wie das sein kann. Aber „in dieser Situation, wo eine Antwort unmöglich ist, werde ich selbst, mein ganzes Sein zu einer Art Klumpen von Zweifel. Darauf wird der gewöhnliche Zustand unseres Bewusstsein transzendiert, schließlich gibt es eine Sprung eines Augenblicks“ heißt es weiter. Das würde heißen, dass das Herz [Bewusstsein] irgendwie einen „Sprung“ erlebt. Ein Zen-Vertreter hat „satori“ ausgedrückt als ein die Grenze des Bewusstseins Überschreiten, das Wesen Buddhas, seine wahre „Gestalt“ sehen. Daher gibt es in der Praxis des Zen ein Erwachen des Herzens. Man kann wohl sagen, dass dies ein „satori“ ist. Gegenüber diesem Gedanken sagt Jōdo-shinshū genau das Gegenteil: „In dieser Welt kann man ‚satori‘ nicht erlangen“. Daher ist für Leute von Jōdo-shinshū ‚satori‘ keine Sache von dieser Welt, sondern etwas, das nach dem Ende dieser Welt kommt. Deshalb wird es in Worten wie „im Reinen Land geboren werden“ oder „im Paradies [gokuraku 極楽] geboren werden“, vermittelt. Aber das heißt nicht, dass man nur in jener Welt geboren wird, sondern das Erreichen von „satori“ wird tatsächlich angestrebt. Wenn das nicht so wäre, dann würde man das nembutsu sagend diese Welt sich selbst überlassen – das wäre das die Denkweise eines Faulen, der nach diesem Leben in einer angenehmen Welt ohne Leid geboren sorglos leben will.

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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Im Reinen Land geboren werden Aber so ist es nicht. Vielmehr möchte ich denken, dass Leute von Jōdoshinshū, welche die Wendungen „im Reinen Land geboren werden“ oder „im Paradies geboren werden“ gebrauchen, wirklich „satori“ zum Ziel haben. Gleichzeitig aber geht Jōdo-shinshū davon aus: „wenn wir den Zustand dieser Welt und unsere eigene Gestalt genau ansehen, dann erscheint es ganz unmöglich zu sagen, dass man hier und jetzt „satori“ erreicht oder zum Buddha wird. Das Ideal ist zwar hoch, aber verglichen mit mir selbst unerreichbar.“ In den Worten Shinrans heißt es: „Das Land äußerster Wonne ist das Reine Land der Freude, wo es immer unzählige Freuden gibt, die niemals mit irgendwelchem Leiden vermischt sind“ [JSS 709; vgl. CWS I, 460]. Weiter heißt es dort: „Es ist das Ungeschaffene / Nichtgetane [jap. mui 無為]. Der Bereich des nirvāna bezeichnet den Ort, wo man die Illusion der Unwissenheit umwendet und höchste Erleuchtung erlangt. Bereich bedeutet Ort, es ist der Ort des Erreichens von Erleuchtung.“ (Ebd.) Allerdings heißt es nicht nur „unzählige Freuden, die niemals mit irgendwelchen Leiden vermischt sind“, sondern „höchste Erleuchtung“ [jap. mujō-nehan 無上涅槃]. An der Hinzufügung „höchste Erleuchtung verwirklichen“ lässt sich erkennen, dass „im Reinen Land geboren werden“ und „im Land der Wonne“ geboren werden gleichbedeutend ist mit „satori“ erreichen. Der erste Schritt in den Buddhismus Ich glaube, dass sie alle das Wort „shinjin“ häufig hören. Um auch Menschen im Ausland den Buddhismus zu vermitteln [tsutaeru 伝える], hat Honganji die Japanisch oder Chinesisch geschriebenen Sutrentexte und Werke Shinrans ins Englische und andere Landessprachen übersetzt. Das größte Problem dabei war die Frage, wie man das Wort „shinjin“ (信心) am besten übersetzen sollte. Wenn man in einem herkömmlichen Wörterbuch nachschlägt, dann wird shinjin mit der Vokabel „faith“ wiedergegeben. Im umgekehrten Fall wurde das Christentum, unmittelbar nachdem im Jahr 1543 ein mit Feuerwaffen beladenes portugiesisches Schiff in Tanegashima landete, verbreitet [tsutaeru 伝える]. Die Missionare der Gesellschaft Jesu, die die Worte des Christentums ins Japanische übersetzten mussten, hatten sehr große Mühe damit. Ein Christ sagte mir, dass das Wort „faith“ heute mit dem Japanischen shinkō (信仰) übersetzt wird. Der Grund dafür ist, dass „shinjin“

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zahlreiche Bedeutungen konnotiert, welche die Bedeutung des Christentums nicht angemessen ausdrücken. Deshalb hat man den Begriff „shinkō“ gewählt. Wenn man wiederum unser „shinjin“ bedenkt, dann ist es sicher so, wie der Christ gesagt hat, dass der Begriff zahlreiche Bedeutungen enthält. Ich habe den Eindruck, dass man allein mit dem Wort „shinjin“ gar nicht vermittelt, was gesagt werden soll. Man sagt, dass auch dem englischen Wort „faith“ zahlreiche Bedeutungen hinzugefügt sind. Ein christlicher Theologe aus dem Westen sagt: „Es gibt kein Wort das mehr missverstanden und fragwürdig definiert wird, wie das Wort Glaube (faith). Anstatt die Leiden der Menschen zu heilen, bedarf das Wort selbst zuerst der Behandlung.“7 Mit anderen Worten sagt er, dass bereits das Wort „Glaube“ (shinkō) krank geworden ist, bevor es die Leiden der Menschen und die Krankheit des Herzens behandeln kann. Ich denke, das trifft auch auf das Wort „shinjin“ zu. An dieser Stelle möchte ich das Wort „shinjin“ zum Anlass nehmen, um buddhistische Denkweise, insbesondere die Denkweise von Jōdo-shinshū, in der „shinjin“ für ganz wichtig erachtet wird, zu erklären. „Shinjin“ kann grammatisch sowohl als Verb als auch als Nomen verwendet werden. Als „shinjin“ ist es ein Nomen, als Verb gebraucht wird es zu „shinjin-suru“. Als Verb „shinjin-suru“ reflektiert eine Denkweise, wobei man etwas von einem Gegenüber, Gott oder Buddha, erwartet, ohne dass sich auf unserer Seite etwas verändert: „verändere doch die Umstände, bitte heile mich, tut doch etwas“. Im Gegensatz dazu kann man einen Unterschied machen zu „shinjin“ als Nomen: „shinjin“ als Nomen meint, dass unser Herz in den Zustand von „shinjin“ kommt, unser Herz verwandelt sich. Das Wort „shinjin“ stammt aus chinesischen Schriftzeichen, die in Japan in Gebrauch kamen; in Indien werden die indischen Worte gebraucht. Wenn man das ursprüngliche indische Wort untersucht, so bezeichnet es die Herzenshaltung der Zuflucht (kie 帰依), einer festen Überzeugung (shinnen 信念) gegenüber den Drei Juwelen (sanbō 三宝), d. h. dem Buddha (butsu 仏), der Lehre (hō 法) und der Gemeinde (sō 僧), der Versammlung von Menschen, die nach der Lehre verlangen. Oder es bedeutet auch ein ruhiges, klares Herz, rein geworden, der 7

Ōtani Kōshin bezieht sich auf Paul Tillich und zitiert hier (allerdings nicht ganz wörtlich nach der japanischen Übersetzung) aus dem berühmten Vorwort zu „Dynamics of Faith“.

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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Zustand des Herzens, in dem man eine tiefe Freude empfindet.8 Weiter bedeutet es ein Herz, das einem Gegenüber zugewandt ist, das Objekt fest ergreift. So gibt es in Indien zahlreiche Worte. Diese wurden ins Chinesische übersetzt und von da weiter nach Japan verbreitet. Wenn man eine buddhistische Rede hört, dann kommt darin ganz bestimmt vor, dass „shinjin“ der Ausgangspunkt des Buddhismus ist. Wenn man sich auf das Gegenüber nicht zunächst verlässt (shinyō 信 用), wird man gar nicht versuchen, die Rede anzuhören und eine Herzenshaltung, die sich auf die Praxis einlässt, wird auch nicht entstehen. Ein Herz, das irgendetwas lernen will, verlässt sich selbstverständlich bereits auf etwas (shinyō 信用) und hat Vertrauen (shinrai 信頼). Im Avatamska-Sutra (kegon-kyō 華厳経), mit dem unabhängig von der Schulrichtung jeder Buddhist vertraut ist, heißt es „shin (信) ist der Ursprung des Weges, die Mutter der Tugend. Es nährt jede gute Lehre, beseitigt Zweifel und öffnet satori und nirvāna.“ In diesem Sinn sagte der zweijährige Shōtoku Taishi das „namu butsu“, er sagte es nicht mit schwierigen Gedanken, sondern ganz schlicht brachte er sein Herz des Vertrauens (shinrai 信頼) zu Buddha zum Ausdruck. Deswegen ist „shinjin“ als Eingang, als erster Schritt in den Buddhismus, ganz wichtig. „shinjin“ bei Jōdo-shinshū Obwohl im Verständnis von Jōdo-shinshū natürlich dieses „shinjin“ in der Bedeutung von Vertrauen (shinrai 信頼) und sich Verlassen (shinyō 信用) auf etwas nicht verworfen wird, ist „shinjin“ nicht nur am Anfang, sondern bis zum Ende, nicht nur der Eingang, sondern bis zum Allerinnersten – wir stehen auf dem Denken von „shinjin allein“ (shinjin hitotsu 信心一つ). Daher möchte ich, dass sie Jōdo-shinshū für eine Denomination halten, in der „shinjin“ äußerst wichtig ist. Zudem besitzt „shinjin“, wie wir es verwenden, eine vom allgemeinen Gebrauch abweichende Bedeutung. Das heißt, dass man „shinjin“ von Buddha geschenkt bekommt. Die Denkweise von Jōdo-shinshū entspricht dem vorhin gegebenen typischen Beispiel für den nominalen Gebrauch von „shinjin“. Indem 8

Diese Erläuterung bezieht sich auf sich auf die Beschreibung von sanshin 三信 (auch 三心) die aus dem 18. Gelübde Amidas, dem Urgelübde abgeleitet ist (vgl. CWS II, 211–212).

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ich von Buddha mit „shinjin“ begnadet worden bin, „habe ich shinjin“ als etwas, das ich geschenkt bekommen habe. Neuerdings wird der Begriff „Urgelübde der Anderen Kraft“ (tariki-hongan 他力本願) an verschiedenen Stellen in einem falschen Sinn verwendet. Das halte ich für sehr bedauerlich. Zwar ist der Begriff durch die Denominationen des nembutsu, Jōdo-shū und Jōdo-shinshū, in Gebrauch gekommen, aber heute wird z. B. in Sportzeitungen und anderswo der Begriff in einer völlig anderen Bedeutung verwendet. Allerdings können wir nicht umhin, uns selbstkritisch zu fragen, ob die Ursachen für diese Missverständnisse nicht auch bei uns liegen. Denn in unserem Fall sagen wir, dass wir „shinjin“ von AmidaNyorai geschenkt bekommen. Weil es ein „vom Anderen geschenkt bekommenes shinjin“ und kein von uns hervorgebrachtes „shinjin“ ist, gibt es eine Unterscheidung von Selbst und dem Anderen und bezeichnen es als „shinjin der Anderen Kraft“ (tariki no shinjin 他力の信心). Noch etwas, das wir verstehen müssen, ist, dass wir nicht allein leben. Es gibt Wasser, Luft und Nahrung. Damit Kinder wachsen können bedarf es der Pflege und Erziehung durch Eltern und des Schutzes der Menschen in ihrer Umgebung. In diesem Sinn haben wir Japaner ein schlichtes und wunderschönes Empfinden: eine tiefe Dankbarkeit für den Segen der Natur. In einem buddhistischen Sinn ist das etwas ganz Wunderbares. Ich denke, es ist buddhistisch gesehen eine wichtige Lebensweise, wenn man das Leben, das man in dieser Gnade leben darf, sorgfältig und mit aller Kraft durchlebt. Wenn man allerdings das Leben in dieser Gnade mit den Worten „Andere Kraft“ beschreibt, dann hält man eine Denkweise, wie sie in Aussagen wie „man darf sich nicht auf andere Menschen verlassen, die eigenen Dinge muss man selbst machen“ zum Ausdruck kommen, für die Eigene Kraft (jiriki 自力). Wenn es heißt „tariki ist verantwortungslos, es muss jiriki sein“, dann verfehlt man das Wesen der Rede [von tariki]. Deshalb möchte ich, dass man für die Dankbarkeit für die Gnade der Natur und für die Verbundenheit mit anderen Menschen den Begriff tariki nicht gebraucht. Das von Amida-Nyorai geschenkte bekommene „shinjin“ Wenn man über das Urgelübde der Anderen Kraft (tariki-hongan 他力 本願) nachdenkt, dann liegt, wie bereits gesagt, gerade im „shinjin, das wir von Amida geschenkt bekommen, die Grundbedeutung von „tariki“. D. h., dass es eng mit der Frage nach der tiefen Reflexion der Art und Weise unseres Seins (waga mi no arikata わが身のあり方) verbunden ist.

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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Viele Menschen denken, dass die Ereignisse dieser Welt, oberflächlich betrachtet, irgendwie glatt gehen. Aber wenn wir versuchen, noch ernster über uns selbst nachzudenken, dann kommen verschiedene ernste Probleme unseres Lebens zum Vorschein: „Ich weiß nicht, ob ich morgen noch am Leben sein werde“, oder „wie wird es mit mir werden, wenn ich alt bin?“, oder „ich leide an einer Krankheit“ oder „ich erkenne den Sinn des Lebens nicht“ u. s. w. Das 8. Oberhaupt des Honganji, Rennyo Shōnin, war mit 27 Kindern gesegnet, davon starben aber sieben Kinder. Das verlorene Leben kommt nicht zurück. Wenn wir auf so ein Problem stoßen, das nicht Rückgängig gemacht werden kann, in welchem Zustand befindet sich dann mein Herz? Wenn wir dann über uns selbst nachdenken, dann bleibt in meinem Herzen ein Anhaften, das nicht zu beseitigen ist, selbst wenn man mir sagt, ich solle mein Herz reinigen, ein großartiger Mensch werden und die Leidenschaften ausreißen. Theoretisch verstehe ich, wenn man sagt „vergiss doch die Menschen, die diese Welt verlassen haben“, aber wenn man sich in das Herz der Angehörigen einfühlt, dann kommt man von diesem Anhaften nicht los, solange man lebt, selbst wenn man [die Verstorbenen] vorübergehend vergessen könnte. Wenn ich solche ausweglosen Regungen meines Herzens bedenke, dann wird aus meinem Inneren kein klares und reines Herz entstehen. In diesem Sinn wäre es doch zu verstehen, dass das von Amida geschenkt bekommene „shinjin“ selbst das wirkliche Herz (hontō no kokoro 本当の心), das wahre Herz (makoto no kokoro まことの心) ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass genau das die Ursache (genin 原因) für das Geborenwerden im Reinen Land ist. Shinran Shōnin sagt, dass das von Buddha geschenkt bekommene „shinjin“ der Same für das Geborenwerden im Reinen Land wird. Extrem gesagt heißt das: ohne „shinjin“ wird man nicht im Reinen Land, sondern in irgendeinem anderen Bereich wiedergeboren. Ich denke, dass sich die Anschauung von Jōdo-shinshū dadurch auszeichnet, dass gerade das von Amida-Nyorai geschenkt bekommene „shinjin“ der Same, die alleinige Ursache für die Geburt im Reinen Land, beziehungsweise für das Erlangen von „satori“ ist. Es ist nicht nur „shinjin“ als Eingang, es ist sozusagen auch das „shinjin“ bis zum Ausgang. Wenn man nur zum Ziel hat, nach diesem Leben im Reinen Land geboren zu werden und satori zu erreichen, dann besteht keine besonders tiefe Verbindung zu den Problemen jetzt. Ich denke, dass es eine

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weitere Charakteristik von „shinjin“ ist, dass es nicht nur darum geht, was nach dem Ende dieses Lebens kommt, sondern dass in ihm darüber hinaus auch eröffnet wird, wie wir leben sollen, solange wir in dieser Welt Leben haben. Im Tannishō ist folgendes Wort von Shinran Shōnin überliefert: „Was das nembutsu betrifft, es ist der eine Weg ohne Hindernisse.“9 Das Leben, in dem man das nembutsu sagt, ist ein Leben, das durch nichts behindert wird. „Die Götter des Himmels und der Erde verneigen sich vor ihm, der Bereich der bösen Geister und Nichtbuddhisten können sie nicht hindern“ (ebd.). Weder die Götter des Himmels, noch die Götter der Erde und auch die bösen Geister können einen Praktizierenden des nembutsu behindern – das ist ein ermutigendes Wort. Für uns, die wir nach der Lehre von Shinshū leben, ist dieses Wort die stärkste Unterstützung und Ermutigung. Unser leben ist of schwankend. Man schwankt nicht nur, wenn man Alkohol getrunken hat; auch wenn man das Leben selbst bedenkt, dann schwankt man in diese und jene Richtung, sobald irgendetwas passiert. Kann man nicht sagen, dass es ein Leben auf wackeligen Beinen ist? Wenn uns z. B. jemand etwas Schlechtes über jemanden, dem wir bisher ganz vertraut haben, zuflüstert, dann bekommen wir Gefühle des Zweifels. Wenn die Sache wahr ist, dann ist das nicht so schlimm, aber tatsächlich ist es nicht selten der Fall, dass es sich um eine Verleumdung handelt, um denjenigen herabzuwürdigen. Oder wenn wir in der Zeitung über die Welt der Politik lesen, so wissen wir schwerlich, wie weit das stimmt und wo die Lüge beginnt. Warum ist es so, dass wir schwankend werden, weil unser Herz von solchen Dingen, die nicht wirklich sind, bewegt wird? Ist es nicht sicherlich deshalb, weil wir etwas haben, das getäuscht wird und das unser Herz zum Abweichen bringt? Wenn wir hören, dass wir etwas, was wir begehren, einfach bekommen können, dann stürzen wir uns darauf. Haben wir nicht diese angeborene Tendenz, die solche Lügen annimmt? Im Alltag lebe ich, ohne dass ich diese meine eigene Schwachheit ganz ehrlich und aufrichtig ansehe, indem ich sie verste-

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念仏者は無碍の一道なり (Tannishō 7). Die Übersetzung in CWS lautet „The nembutsu is the single path free of hindrances“ (CWS I, 665). Zur Bedeutung von nembutsusha und der Übersetzung mit nembutsu als Subjekt vgl. die Anmerkung 2 in Tanni Shō 1990, 30. Die Übersetzungen von Ikeyama, E. 1885, 13 und Sato, M. 1977,5 haben den Praktizierenden als Subjekt.

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cke. Aber ich halte es für sehr wichtig, dass wir die wahre Gestalt unseres Herzens ehrlich und aufrichtig betrachten. Ich verberge weder meine unausweichliche Reue und Traurigkeit noch täusche ich Stärke vor, sondern ich erkenne ehrlich und aufrichtig meinen wahren Zustand an. Darin liegt in einer anderen Bedeutung die Stärke dessen, der lebt, indem er das Herz Buddhas geschenkt bekommen hat. Er hat eine Stärke, mit der er sich flexibel und elastisch mit dem auseinandersetzen kann und damit zurecht kommen kann, was auch immer ihm widerfährt. In diesem Sinn geht derjenige, der das nembutsu geschenkt bekommen hat, den „einen Weg ohne Hindernis“. Heute scheint die allgemeine Meinung zu herrschen, dass man sich auf die Lehre des nembutsu nicht verlassen könne. Auch da, wo man scheinbar schwach und unzuverlässig aussieht, liegt eine Stärke, durch die man Schritt für Schritt geht, indem man sich nicht über seinen Zustand täuscht und ihn ehrlich und aufrichtig annimmt. Hōwa bei dem Shitenōji-Sommerkurs 1984

2.2 Ōtani 52000 [11983], 1–7, hōwa Nr. 1 Auf die Lehre hören Es ist sicher allgemein bekannt, dass die Grundlage von Jōdo-shinshū das (intensive) Hören (chōmon 聴聞), das Hören auf den dharma (mompō 聞法)ist. Es geht nicht nur darum, etwas mündlich zu sagen, sondern man muss es sich auch jederzeit selbst einschärfen und predigen (言い聞かせる). Den dharma zu hören, die Lehre gesagt bekommen, scheint eine einfache Sache zu sein, aber das ist nicht unbedingt so. Wenn man etwa ein Vorlesung in der Schule hört und das, was der Lehrer sagt, logisch nachvollziehen kann, dann kann man den Schluss, den der Lehrer zieht auch selbst ziehen und in sein Notizheft eintragen. Aber wenn man die Lehre des Buddha gesagt bekommt, dann kann man das für sich nicht unbedingt genauso machen wie bei einer Vorlesungsmitschrift. Leider ist die Art des Verstehens und Auffassens oft rechthaberisch und selbstbezogen, demzufolge versucht man, die eigene Erfahrung bestätigt zu bekommen. In diesem Sinn empfinde ich auch selbst in dieser Zeit die Notwendigkeit, immer wieder die Wichtigkeit des Hörens auf den dharma gesagt zu bekommen. Die Lehre Buddhas (buppō 仏法), das braucht eigentlich nicht gesagt werden, ist kein Mittel, um in dieser Welt auf geschickte Weise zu

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leben. Wenn die gesellschaftliche Lage, wie heutzutage, unsicher wird, dann hat der Mensch den Wunsch, irgendwie durchzukommen im Leben, unversehrt durchs Leben zu kommen – solche Gefühle entstehen natürlicherweise. Das mag zwar normal sein, aber ich denke der Buddha und auch Shinran haben ihr ganzes Leben daran gesetzt, um die Lehre deutlich zu machen, nämlich dass es nicht darum geht, geschickt durchs Leben zu kommen. Es geht nicht nur darum, ob man geschickt oder ungeschickt durchs Leben kommt, sondern es gibt einen anderen Maßstab, nämlich ob man in Wahrheit lebt oder nicht. Wie ist mein Leben aus der Perspektive der Wahrheit – das zu bedenken und sich zu korrigieren, das ist doch die rechte Art, auf die Lehre Buddhas zu hören. Bis man die Wahrheit als solche empfängt, bedarf es der entsprechenden Mühe und Zeit. In diesem Fall ist oft, wie ich bereits gesagt habe, das, wovon man selbst überzeugt ist und womit man zufrieden ist, das, was nur einem selbst nützt, und nicht das Gute, was allen Menschen ohne Unterschied gilt. Im Gegensatz dazu gilt: Weil Wahrheit Buddhas nicht immer das ist, was mir vielleicht nützt, aber es Wahrheit ist, deshalb lehrt es mich, dass es nicht nur mir, sondern allem Lebendigen die Wahrheit ist und die Wahrheit so ist. So nehme ich das an. Indem wir unser Leben führen, sind wir mit sehr schwierigen Problemen der Gegenwart beladen. Ich denke, dass das natürlich nicht nur uns, die wir in dieser Zeit leben, so geht, sondern auch den Menschen der Vergangenheit, die in ihrer jeweiligen Zeit unter großen Schwierigkeiten ihr Leben geführt haben. Ich weiß zwar nicht, inwieweit wir als historische Laien das Zeitalter Shinrans verstanden haben, aber es gab damals den Kampf zwischen Genji und Heike (genpei no tatakai), eine Zeit, in der sich die Gesellschaft drastisch gewandelt hat. Darüber hinaus gab es Katastrophen, die zwar durch den heutigen technologischen Fortschritt bewältigt sind, aber damals jeden Einzelnen unmittelbar getroffen haben. Deshalb denke ich, dass es etwas verwöhnt klingt, wenn gesagt wird „wir alleine haben Schwierigkeiten“. Aber ich denke, es ist sicher, dass auch wir wieder, die wir heutzutage leben, zahlreiche Probleme haben, die lebenslang unsere ganze Kraft fordern. Während ich die Lehre Buddhas fortgesetzt gesagt bekomme und die Gegenwart betrachte, kann man wohl sagen, dass wir uns selbst verloren haben. Das gilt besonders heutzutage, wo durch den technologischen Fortschritt die Kraft der Wissenschaft zahlreiche Dinge erreicht hat, die ein einzelner Mensch allein durch seine Kraft wohl nie gekonnt hätte. Viele Krankheiten, die bisher unheilbar waren, können nun geheilt werden; während früher die Menschen unter sommerlicher Hitze

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und winterliche Kälte litten, können wir mit Klimaanlage und Heizung in vielen Häusern angenehm leben. Obwohl wir diese Dinge, die das Leben angenehm machen, sehr dankbar annehmen, könnte man sagen, dass sie doch unter Umständen unseren Geist so gefangen nehmen und unser Herz so ablenken, dass wir vergessen, welche Probleme den Menschen selbst in seiner inneren Wirklichkeit betreffen. Es ist nicht so, dass man alle Bequemlichkeit ablehnen sollte, aber wenn man sein Herz nur davon gefangen nehmen lässt, vergisst man dabei das Wesentliche. Besonders das Problem des menschlichen „Lebens“ und das Ende des Lebens, nämlich der „Tod“ (das der Buddhismus in der Geschichte immer wieder gelehrt hat), verschwindet zunehmend aus unseren Augen. Natürlich gibt es viele Personen, die durch eine Krankheit mit dem Tod konfrontiert wurden, und welche, die verschiedene Erfahrungen gemacht haben, aber wenn man in der Welt auf´s Ganze sieht, dann ist das menschliche Leben in das Krankenzimmer einer hoch spezialisierten Klinik eingesperrt, und die Gelegenheit, dass das einzelne Familienmitglied zuhause in der Familie ernsthaft über das Leben nachdenkt, ist gering geworden. Dementsprechend leben wir so im Alltag, als ob der Mensch nicht stürbe und wir mit dem Tod nichts zu tun hätten. Das hat seine Hauptursache darin, dass die Bewegung der Gesellschaft so eine Welt geschaffen hat – nicht nur, dass der Mensch nicht mehr über den Tod nachdenkt, sondern das Problem liegt darin, dass die Gesellschaft als Ganze so geworden ist. Gerade deshalb ist es umso nötiger, dass wir noch ernsthafter darüber nachdenken. Ich habe das Gefühl, dass ich, der ich auf diese Weise gleichgültig gegenüber meinem Leben geworden bin, auch nicht mehr den anderen Menschen mit wirklich liebevollen Augen sehen und mit liebevollem Herzen umfangen kann. Als ein Beispiel möchte ich den Artikel eines jungen Priesters aus Kyushu anführen, der in einer Ausgabe vom April in der Ihnen bekannten Zeitschrift „Honganjishinpō“ (Nachrichten vom Honganji) erschienen ist. In jüngster Zeit sind wir von sehr ernsten Problemen im Blick auf Erziehung betroffen. Ein Vater lief mit seinem kleinen Kind über die Straße und zog es an der Hand hinter sich her. Wahrscheinlich hatte er nicht aufgepasst, als das Kind, das beim Laufen anderswohin sah, gegen ein an der Straße geparktes Auto lief. Was hat der Vater dann getan? Ohne Beziehung zu seiner unaufmerksamen Haltung oder dem Kind, das nicht auf den Weg sah, gab er dem Auto die Schuld und trat

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mit dem Fuß gegen den Reifen des geparkten Autos. In einem ähnlichen Beispiel stieß sich ein kleines Kind an einer Tischtennisplatte und fiel hin. Darauf sagte es, dass die Tischtennisplatte hassenswert sei, und schlug mit der Hand auf die Platte. Soweit der Artikel. Unsere Gesellschaft hat die Tendenz, auf diese Weise keinen Unterschied mehr machen zu können zwischen der Verantwortung, die wir selbst übernehmen müssen, und der Ursache, die außerhalb von uns liegt. Ist es nicht so, dass wir immer mehr zu Menschen erzogen werden, die ein geparktes Auto so ansehen, als ob es uns angriffe. Wenn es schon bei Sachen so ist, wie wäre es wohl, wenn dort ein Mensch gestanden hätte. Was für eine Haltung hätten wir wohl eingenommen, wenn wir, während wir anderswohin sehen, gegen einen Menschen gelaufen wären. Könnte man wohl wie das Kind in dem Beispiel sagen: „Du bist schuld, weil du mitten in der Straße herumstehst.“ Ich dachte mit Schrecken, dass sich so eine Tendenz zunehmend in der Welt ausbreitet. Ich habe ein schreckliches Gefühl, wenn ich daran denke, dass ich es nicht nur wie ein Ereignis aufnehme, das im Shimpō berichtet wurde, sondern wie ich wohl handeln würde, wenn mir eine sehr ähnliche Situation begegnen würde. Wie ist es im gegenwärtigen Japan? Ich höre oft Worte wie „die jungen Leute von heute“, und ich selbst nehme sie auch in den Mund. Aber ich denke, dass die Frage der Religion dann ihren eigentlichen Sinn bekommt, wo ich selbst betroffen bin. Da wir in so einer Welt leben, kommt unser Herz oft nicht zur Ruhe, und wir haben Angst. Ist es nicht auch ein Zeichen dieser Angst, dass trotz allem wissenschaftlichem Fortschritt, von dem wir reden, der unwissenschaftliche Aberglaube wie Wahrsagerei oder Amulette sich in der Welt ausbreitet. Wir folgen der Lehre Shinrans und verlassen uns nicht auf Aberglauben, wir glauben nicht an Wahrsagerei oder Amulette. Wir sagen das zwar, aber wir müssen auch unsern Blick auf die Schwachheit von Menschen, die Schwachheit des Herzens werfen, die nicht anders kann, als sich auf solche Dinge zu verlassen. Die große Bedeutung der nembutsu-Lehre von shinjin bei Jōdoshinshū liegt darin, dass dem solchermaßen schwachen Menschen eine Kraft geschenkt wird, die es ermöglicht, dass er sich nicht auf Aberglauben zu verlassen braucht. Wer das Namu Amida Butsu als etwas fest annimmt, worauf er sein Herz verlassen kann, dem eröffnet sich ein Leben, das durch das nembutsu ermöglicht wird, und das ein Vertrauen auf Aberglauben nicht nötig hat. Unser Leben besteht aus solchen Verbindungen, die man in der Welt sehen kann, und solchen, die unsichtbar sind. Das kann man zum

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einen so verstehen, dass wir in jeder Hinsicht gefesselt sind, aber auch so, dass wir von allem getragen werden. Man kann es weiterhin wohl auch so auffassen, dass es eine Verbindung ist, in der ich allen Menschen gegenüber mein Bestes tue. In diesem Sinn bin ich inmitten einer großen Gesellschaft nicht mehr wie ein einzelnes Getreidekorn. Für einen Menschen, der mit einer unendlich weiten Welt verbunden ist, ist für alle Dinge tiefe Reflexion und Demut nötig. Gleichzeitig, auch wenn es klein aussieht, kann man es auch so auffassen, dass ich als Glied in einer großen Welt ein aktives Leben führen kann. Das Herz Buddhas zu empfangen heißt, mein Leben, mich selbst, tief zu reflektieren; dann wird mir demütig die Erkenntnis geschenkt, was für ein Selbst ich denn in dieser Welt bin. Weiter, umfangen vom weiten Herzen Buddhas wird mein Herz, das immer zu Egozentrik neigt und dazu, nur den Genuss im Augenblick zu suchen, immer geöffnet; dadurch möchte ich ein Leben führen dürfen, das in Richtung auf die Welt des unbegrenzten Lebens Buddhas zugeht. 26. Mai 1978

2.3 Ōtani 52000 [11983], 100–106, hōwa Nr. 14 Von der Barmherzigkeit umfangen Sie werden sicher alle wissen, dass nicht nur Jōdo-shinshū, sondern auch nicht-buddhistische Religionen, Religionen mit einer langen Geschichte, weltweit verschiedene große Probleme haben und sich abmühen. Es scheint so, dass mitten in den neuen Bewegungen der Gegenwart die Christen am meisten zu kämpfen haben. Besonders zwischen naturwissenschaftlicher Denkweise und der Schöpfung der Welt durch Gott ist es ziemlich schwierig, eine vernünftige Erklärung zu finden. Damit verglichen gibt es oberflächlich betrachtet zwischen Jōdoshinshū, bzw. dem Buddhismus im Allgemeinen keine Widersprüche zur naturwissenschaftlichen Denkweise. Umso mehr müssen wir bedenken, dass wir die Konfrontation mit solchen gegenwärtigen neuen Geistesströmungen vernachlässigt haben. Trotzdem ist Ihnen wahrscheinlich bewusst geworden, dass es etliche Problempunkte gibt. Heute möchte ich eines dieser Probleme aufgreifen und bedenken. Im Christentum gibt es seit Jahrhunderten oder seit über tausend Jahren einen Streit über der Frage, ob es Gott gibt oder nicht. Man könnte in unserem Fall sagen, dass es heutzutage immer schwieriger zu verstehen ist, was für eine Art von Person der Buddha (hotoke) ist.

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Natürlich bedeutet das nicht nur ein Verstehen in intellektueller Hinsicht, sondern es beinhaltet auch das Empfinden mit Leib und Herz, das meiner Meinung nach zunehmend schwieriger zu verstehen ist. Was dieses Problem noch verkompliziert, ist die Tatsache, dass der Begriff Buddha in der Welt tendenziell in einer völlig anderen Bedeutung gebraucht wird. Es gibt einen sehr starken Brauch, einen Leichnam, den Körper eines Verstorbenen, als Buddha (hotoke) zu bezeichnen. Man sagt, dass jeder, der aufgehört hat zu leben, ein Buddha wird. Beziehungsweise macht man keinen Unterschied zwischen der Verehrung von Buddha und der Verehrung der Ahnen. Das ist zwar eine markante Tendenz in Japan, aber ich denke, dass jeder von Ihnen unter Buddha etwas anderes versteht oder sich vorstellt. In diesem Sinne ist es notwendig, zuerst die Grundlage richtig zu begreifen. Das aus China stammende Schriftzeichen 仏 wird in Japan Hotoke gelesen, was in Indien Buddha genannt wird und einen Menschen bezeichnet, der zur Wahrheit, zur wahren Wirklichkeit erwacht ist. Der von uns Nyorai genannte Amida-Nyorai ist tatsächlich auch ursprünglich ein indisches Wort und bezeichnet eine Person, die aus dem So-sein, aus der wahren Wirklichkeit gekommen ist. Deshalb bedeutet es auf keinen Fall, dass ein Verstorbener Hotoke wird, sondern vielmehr bedeutet es in einem weiten Sinn eine lebendige, fortwirkende Gestalt, eine zur wahren Wirklichkeit erwachte, aus der wahren Wirklichkeit kommende aktive Gestalt – man kann sagen, dass das der Begriff Buddha (hotoke) bedeutet. Der einzige Buddha, der in der Geschichte erschienen ist, ist Shakya. Man nennt ihn Śākyamuni-Buddha, Śākuson (ehrenwerter Śākya), Śākya-Nyorai. Wir verehren und preisen ihn als den, der sozusagen in der Geschichte tatsächlich existierte. Gleichzeitig verehren wir bei Jōdo-shinshū als dessen Ursprung Amida. Unsere Errettung hat natürlich damit angefangen, was Śākya gelehrt und mit menschlichen Worten gezeigt hat. Wenn man aber weiter in die Tiefe geht, dann versteht man, dass in Wirklichkeit Amida der wahre Erretter ist. Die Grundlage muss sein, dass wir durch diesen Amida gerettet werden. Aber ich denke, es ist eine Tatsache, dass wir heutzutage, diesen Amida nicht mehr konkret (wörtl. mit Leib und Haut) und nah empfinden können. Wenn man einen Schritt weiter denkt, dann können nicht nur wir Heutigen den Buddha nicht mehr direkt kennen. Amida ist ein Buddha, den wir weder mit den Augen sehen, noch mit der Hand berühren können. Ich denke, dass in diesem Sinne selbst die Menschen zur Zeit Shinrans nicht sofort mit Amida vertraut wurden.

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Gerade weil das so ist, errettet er uns durch den Namen namu-amida-butsu, durch das Namenszeichen (myōgō 名号); wir werden nicht gerettet, indem wir mit den Augen sehen oder mit der Hand berühren, sondern indem wir den Ruf von Amida-Nyorai geschenkt bekommen. Ich denke, dass wir gerade da, wo wir uns am nembutsu, dem Namu-Amida-Butsu, freuen dürfen, Amida empfinden und kennen dürfen. Also, wenn wir die Sache Amidas noch etwas weiter denken, dann nennen wir ihn normalerweise unermessliches Licht (kōmyō-muryō 光 明無量) und unermessliches Leben (jumyō-muryō 寿命無量), „Licht und Leben ohne Grenze“, wie es auch modern übersetzt wird, unbegrenztes Licht und Leben. Dieses „Licht“ und „Leben“ bedeutet „Weisheit“ und „Barmherzigkeit“, wie gesagt wird. Amida-Nyorai ist es, der wirkliche Weisheit und wirkliches Leben vollkommen und unbegrenzt besitzt. Im Kanmuryōju-Sūtra (Sūtra der Kontemplation des Buddhas von unermesslichem Licht)10 heißt es: „Das Herz Buddhas ist die große Barmherzigkeit.“ Das Herz von Buddha ist das Herz der großen Barmherzigkeit, ja es ist selbst diese Barmherzigkeit. Das Wort Barmherzigkeit ist heutzutage etwas schwerverständlich geworden. Unter jungen Leuten ist das Wort Liebe sehr beliebt. Es gibt zwar Überschneidungen in der Bedeutung, aber die Barmherzigkeit Buddhas kann damit nicht erschöpfend ausgedrückt werden. Vielmehr denke ich, dass es auch zum Anlass von Missverständnissen werden kann, auch wenn es zu einem gewissen Grad Überschneidungen gibt. In dieser Bedeutung wird die Barmherzigkeit Buddhas herkömmlich verglichen mit dem Herzen der Eltern ihren Kindern gegenüber, als Mutter- und Vaterherz, als Elternliebe. Sogar Shinran-Shōnin selbst hat den Ausdruck „Shakya, Amida ist Vater und Mutter der Barmherzigkeit“ gebraucht und so die Barmherzigkeit Buddhas mit Vater und/oder Mutter verglichen. Durch diesen Vergleich können wir uns zwar die Barmherzigkeit vorstellen, aber es bleibt immer nur ein Vergleich und ist nicht die Sache selbst. Im Blick auf die Liebe der Eltern ihren Kindern gegenüber gibt es heutzutage bekanntlich verschiedene Probleme. Heutzutage ist die Gesellschaft stabil geworden, auch wirtschaftlich; und im Vergleich mit früher ist vieles angenehmer geworden. Im Gegensatz dazu entsteht in Bezug auf Kindererziehung ein Problem nach dem anderen. Zwar geht es hier um die Haltung der Eltern gegen10

Kürzeres Sukhāvatīvyūha-Sūtra.

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über ihrem Kind, aber es wird neu deutlich, wie schwierig es ist, einen Menschen als Menschen zu erziehen. Es fällt auf, dass man in der Zeitung zwar viel von Überbehüten bzw. Laisser-faire liest. Wenn die Eltern alles nach dem Wunsch der Kinder machen, dann scheint es oberflächlich gesehen so zu sein, dass die Eltern die Kinder mit Liebe überschütten, weil es die Kinder erfreut, aber in Wirklichkeit wird durch so eine Einstellung die Selbstständigkeit der Kinder mehr und mehr geschwächt, und sie verlassen sich in allem auf die Eltern, die dadurch eine verwöhnte Einstellung fördern, in der die Kinder in der Abhängigkeit von ihnen leben. Zwar zieht heutzutage der Begriff der Überbehütung das Interesse vieler Menschen auf sich. Im Unterschied dazu bedeutet Laisserfaire, dass man die Kinder machen lässt, was sie wollen, man tut überhaupt nichts und kümmert sich nicht darum, wo die Kinder hingehen, mit wem sie Umgang haben – man gibt ihnen nur das Taschengeld. Auf diese Weise kann man nicht nur keine richtige Eltern-Kind-Beziehung, sondern auch keine richtige menschliche Beziehung in der Gesellschaft aufbauen. So erzieht man mit Problemen beladene Menschen. Wenn man das bedenkt, dann erkennt man, dass die Eigenschaften des Menschen, besonders die menschliche Liebe, ungenügend sind. Im Unterschied dazu besteht die Barmherzigkeit Buddhas, die Barmherzigkeit Amida-Nyorais nicht darin, dass er jede unserer eigennützigen Forderungen in überbehütender Weise erfüllt, z. B. uns gesund macht, wenn wir krank sind, oder dass er uns reich macht, und auch nicht darin, dass er alles auf laisser-faire Weise übersieht. In Wirklichkeit ist es mit wahrer Liebe so, dass sie uns zugleich liebevoll umfängt und gleichzeitig zu zur Selbstständigkeit fähigen Menschen, zu Menschen, die ihre eigenen Dinge selbst tun können, erzieht. So wie es als unbegrenztes, endloses und unermessliches Leben bezeichnet wird, das nicht entsprechend dem Zustand des Gegenübers zu- oder abnimmt, so wird es als bedingungslose Barmherzigkeit angesehen. Wir bekommen solche Barmherzigkeit von Amida-Nyorai durch das Namenszeichen (Myōgō) Namu-Amida-Butsu geschenkt. Es ist nicht nur ein Zufluchtsort, wenn wir im Leben verschiedenen Schwierigkeiten begegnen, sondern es tadelt auch unseren menschlichen Hochmut, zu dem wir neigen, wenn es uns gut geht und wir glückliche Tage verleben. Shinran-Shōnin dichtete Go-Wasan, um die Güte (on 恩) von Amida-Nyorai zu preisen. In dem ondokusan (恩徳讃), das Sie alle ab und zu singen, kommt folgendes Wort vor:

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„Die Güte (engl. benevolence; ondoku 恩徳)11 von der großen Barmherzigkeit von Nyorai muss auch erwidert werden, indem man sich in Bemühung aufreibt.“ Auf jeden Fall werden wir von der Barmherzigkeit verwöhnt und sind dazu geneigt zu denken, dass wir eigennützige Forderungen anerkannt bekommen. Aber Shinran-Shōnin, der unsere derartige Einstellung tief bedacht hat, fasst es als solche Barmherzigkeit auf, für die wir uns erkenntlich zeigen müssen, indem wir uns mit Bemühen aufreiben. Darin zeigt er uns unsere Lebensweise, wie wir sein sollen als Menschen, die von der Barmherzigkeit umfangen sind, durch seine eigene Person. 22. April 1979

2.4 Ōtani 42005 [12001], 181–183, hōwa 66 Im Reinen Land satori/Erwachen erreichen Befreiung von den Fesseln der Leidenschaften Die Besonderheit der Mission (kaikyō) in Nordamerika Ich bin sehr dankbar darüber, dass ich mit Ihnen allen gemeinsam den Ritus zur 100 Jahrfeier des Bestehens der Mission in Nordamerika und das 500jährige Gedenken zum Todestag von Rennyo Shōnin (蓮如上 人) begehen (tsutomeru 勤める) konnte. Eine Besonderheit der nordamerikanischen Mission besteht darin, dass als Antwort auf die Bitte von zur damaligen Zeit nach San Fransisco gekommenen junger buddhistischer Leute von Japan aus Missionare (kaikyō-shi 開教使) gesandt wurden. In einer hauptsächlich aus Christen bestehenden Gesellschaft waren für buddhistische Japaner Tempel und Priester nötig. Seither haben Sie sich hier in Nordamerika mit vielen Probleme befasst, wie z. B. mit dem Unterschied im Denken der Generationen oder den Unterschieden in Sprache und Kultur zwischen Ost und West, und sind so bis heute gekommen. Die allergrößte 11

Ondoku 恩徳 (Skr. krta): „‘The virtue of providing benefit’ to people; benevicience, benevolent provision.“ DJBT s. v. Ondoku; vgl. auch das Glossary zu CWS II, 174 s. v. Button 仏徳. Die Wiedergabe von Ondoku mit „Gnade“ ist in einem christlichen Kontext missverständlich. Die Englische Übersetzung in CWS I, 412, 57 gibt die Strophe folgendermaßen wieder: „Such is the benevolence of Amida’s great compassion, That we must strive to return it, even to the breaking of our bodies …“

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Schwierigkeit, der Pazifische Krieg, liegt genau ein halbes Jahrhundert zurück. Und nach dem großen Krieg wurden Japanischstämmige in alle Gegenden zerstreut, und aus allen Gegenden Asiens strömt der Buddhismus herein – das wurde zu einem Wesensmerkmal. Dass Sie sich alle, angefangen von der Reihe der Missionare und aller Gläubigen in der Geschichte, sehr bemüht haben, dafür möchte ich meinen Dank und Respekt zum Ausdruck bringen. Sich auf die Rettung Nyorais verlassen Das achte Oberhaupt des Honganaji, Rennyo Shōnin, hat unauffällig in Kyōto am Fuß des Berges Higashiyama, wo sich das Mausoleum des Schulgründers Shinran Shōnin befindet, das Licht der Lehre Buddhas übernommen; danach hat er den Bereich seiner Wirksamkeit ausgedehnt und hat vielen Menschen das Herz von Namu Amida Butsu weitergegeben und sie die Freude zu leben erlangen lassen. Rennyo Shōnin hat gesagt (Goichidai-kikisho, JSS 1271): „Wer gehört hat, dass das Paradies ein Ort des Vergnügens ist und dort hingelangen will, wird kein Buddha, sondern wer sich auf Mida verlässt, wird Buddha.“ Wenn wir sagen: „Diese Welt ist bitter, wenigstens in der nächsten Welt möchte ich mit Vergnügen leben.“ Oder: „Diese Welt hat Spaß gemacht, in der nächsten Welt möchte ich auch mit Vergnügen leben.“, dann nehme ich die Leiden(schaften) genauso in die nächste Welt mit. Im Reinen Land Erwachen zu erlangen bedeutet, dass ich, der von den Leidenschaften gefesselt bin, befreit werde und an der Aktivität der Weisheit und Barmherzigkeit Amida-Nyorais beteiligt werde. Das wird dadurch verwirklicht, dass ich mich der Rettung Amida Nyorais anvertraue und Namu Amida Butsu geschenkt bekomme. Das sichere Schiff des Urgelübdes Dass ich in dieser Welt das Namu Amida Butsu geschenkt bekomme, ist so wichtig, dass es ein neues Leben zu führen bedeutet. Das hat Shinran Shōnin „auf dem Schiff des Urgelübdes fahren dürfen“ genannt. Im täglichen Leben werden wir von unterschiedlichen Sorgen überfallen, aber selbst wenn wir nach links und rechts abdriften, so sind wir immer auf dem sicheren Schiff. Jeder einzelne, auch wenn er sein eigenes Leben lebt, ist auf dem selben Schiff. Heutzutage wird das Leben des Menschen wie eine Sache behandelt und wie ein Privatbesitz des Einzelnen angesehen. Ist es da etwa nicht nötig, dass wir vom Standpunkt des unbegrenzten Lebens Amida-Nyorais versuchen, über solche Themen nachzudenken.

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Es ist mein Wunsch, dass die nun hundertjährige Organisation des nordamerikanischen Buddhismus aus diesem Anlass erneute Schritte beginnt. 1999 (heisei 11) hōwa bei der Zeremonie zum 100jährigen Bestehen der Mission in Nordamerika

2.5 Ōtani 42005 [12001], 121–125, hōwa Nr. 54 Allein durch shinjin gerettet werden – ich, der ich nicht verdient habe, gerettet zu werden Der ganze Einsatz von Rennyo Shōnin Auch dieses Jahr durfte ich gemeinsam mit Ihnen hier im Yamashina-Zweigtempel (betsuin 別院) die Totengedächtnisfeier (hōyō 法要) zum Todestag (meinichi 命日, wörtl. Lebenstag) Rennyos das chūsōe 中宗会 abhalten. Gerade wird ebenfalls zu dieser Zeit im Haupttempel (Honzan 本山) zum 550. Todestag für das 6. Oberhaupt von Honganji, Gyōnyo Shōnin (巧如上人), eine Totengedächtnisfeier abgehalten. Da Gyōnyo Shōnin, der Großvater von Rennyo war, möchte ich mit Ihnen bei dieser Gelegenheit auch diese Verbindung mit aufnehmen. Im Zeitalter Gyōnyo Shōnins befand sich der Honganji in KyōtoHigashiyama, an einer Ecke des heutigen Chionin (知恩院) von JōdoShū. Es wird zwar berichtet, dass er recht abgelegen lag, aber man weiß, dass Gyōnyo seine Missionsbemühungen bis nach Ōmi no kuni (近江の国)12 und nach Hokuriku 北陸 ausgedehnt hat. Man kann sich gut denken, dass der Enkel Rennyo das übernommen und die Lehre des nembutsu weit verbreitet hat. Dieses Jahr ist nach westlichem Kalender das Jahr 1989, das Jahr, in dem Rennyo im Reinen Land wiedergeboren wurde (ōjō 往生), war 1499, also vor 490 Jahren; wenn man die Todestage zählt, ist es der 491te. Wenn man allein diese Jahre bedenkt und die Leute, die von Rennyo selbst die Lehre empfangen haben und auch der nächsten Generation die Lehre des nembutsu weitergegeben haben, dann ist das eine sehr lange Zeit, bis die Lehre auch uns Heutigen überliefert wurde; und wir erkennen, wie groß die Bemühungen unserer Vorläufer waren. 12

Ōmi no kuni liegt in der heutigen Präfektur Shiga, die an Kyōto angrenzt, Anm. d. Verf.

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Was uns Rennyo Shōnin besonders von ganzem Herzen und mit aller Kraft gelehrt hat, ist shinjin (信心), bzw. anjin (安心). Während manche dachten, dass man nur das Namu-Amida-Butsu in den Mund zu nehmen brauche, um gerettet zu werden, oder dass es im Tausch für das Sagen des nembutsu eine Übertragung von Verdiensten gebe, lehrte Rennyo Shōnin, dass wir aus Freude das nembutsu sagend leben, weil und nachdem wir allein durch Shinjin gerettet wurden. Eine bewegende Anekdote aus Rennyos Leben Unter den Sachen, die uns von Rennyo überliefert sind, befindet sich die Schrift „Rennyo Shōnin goichidai kikigaki“ (蓮如上人御一代記聞書)13. Als ich diese Schrift aufschlug, blieb ich mit den Augen an einer Anekdote hängen (JSS 1246). Als es Abend wurde, kamen viele Menschen ohne Anmeldung herein. Daraufhin wurden die Leute gescholten, dass sie die Sitten des Anstandes missachtet haben und sollten wieder fortgeschickt werden. Als das dann Rennyo hörte, so heißt es in der Geschichte, mahnte er, dass den Leute, die extra gekommen waren, die Wichtigkeit von Shinjin erklärt werden müsse, bevor man sie wieder zurück schickt. Wenn also sogar alle Regeln des Anstandes missachtet würden, so muss man doch den extra gekommenen Leuten auf jeden Fall wenigstens von Shinjin weitersagen, bevor man sie wieder entlässt. Diese Geschichte macht auf bewegende Weise das Herz Rennyo Shōnins deutlich. Obwohl Rennyo die Wichtigkeit von Shinjin so sehr gelehrt hat, wird das Wort Shinjin heute mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Und man kann nicht in jedem Fall sagen, dass es im Sinn von Rennyo oder auch Shinran richtig weitergegeben wird. Bei jeder Gelegenheit wollen wir die wahre Bedeutung suchen und immer wieder hören (chōmon 聴聞). Auch wenn ich es zum wiederholten Male sage: Es geht allein um die Errettung durch das Urgelübde Amida-Nyorais, um das Empfangen des Namu-Amida-Butsu und um das Vertrauen/Sich verlassen (shinzuru 信ずる) auf das Namu-Amida-Butsu. Wir werden nicht gerettet, indem wir gute Taten aufhäufen. Auf der andern Seite bedeutet das aber auch nicht, dass wir gar nichts tun, oder nur das tun, was uns gefällt. Das Herz der Barmherzigkeit Amidas beruft uns, die wir mit allerlei schwierigen Problemen beladen sind: „Ich kann sie nicht so lassen, wie sie sind“, sondern wir werden durch das Empfangen des Namu-Amida-Butsu gerettet. Ich empfinde, dass einer der wichtigsten Punkte der Lehre des nembutsu darin besteht, dass ich, der ich nicht verdient habe, gerettet zu wer13

Wörtl. „Berichte über das Leben Rennyo Shōnins“, Anm. d. Verf.

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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den, gerettet werde. Wenn jemand, der es verdient hat, gerettet zu werden, gerettet würde, dann würde uns das überhaupt nicht bewegen. Ich empfinde aber, dass wenn ich, der ich nicht verdient habe, gerettet zu werden, gerettet werde, dass mir da der Weg eröffnet wird, wo ich Lebensfreude empfange und kraftvoll mit vollem Einsatz dieses Leben führe. Mit der Freude des Gerettet-Seins Während wir heute, jeder einzelne von uns, mit vielfältigen schwierigen Problemen beladen sind, sind wir auch als ganze Welt und das Leben auf dieser Erde mit großen Problemen beladen. Nicht eingeschlossen in eine enge Freude, dass ich allein gerettet bin, sondern mit der Freude, durch das nembutsu gerettet worden zu sein, in unserer Lebensweise, bzw. in der Verbindung mit allem Lebenden, möchte ich meine ganze Kraft weit einsetzen. Zwar kann der Einzelne nur wenig ausrichten, aber wir können immer wieder darüber nachdenken, wo die wichtigen Probleme liegen, und ich denke, dass da, wo wir unser tägliches Leben sorgfältig leben, ergibt sich die Verbindung zu den großen Problemen von selbst. Ich freue mich und bin dankbar, dass ich heute mit Ihnen gemeinsam das traditionelle chūsōe abhalten konnte. 1989, Hōwa bei dem chūsōe im Yamashina-Betsuin

2.6 Ōtani 52000 [11983], 122–128, hōwa Nr. 17 Das Errettetwerden Dass ich ein Buddha werde, ist im Buddhismus – der Lehre Śākyamunis – für gewöhnlich das angestrebte Ziel dessen, was der Buddha lehrt. Das ist nicht auf Jōdo-shinshū begrenzt. Es wird auch jōbutsu (成仏, „ein Buddha werden“) oder shōji o koeru (生死を超える, „das Transzendieren von Leben und Tod“) genannt. Aber weil diese Ausdrücke allein noch etwas unklar sind, wird bei uns in Jōdo-shinshū vielmehr der Begriff des Erettetwerdens (sukuwareru 救われる) oft gebraucht. Auch Shinran selbst gebraucht das Wort Rettung (kusai 救済). In der buddhistischen Lesart, wird es „kusai“ ausgesprochen.14 Ich denke zwar, dass uns auf der einen Seite von unse14

„Kusai“ ist die Lesung für den buddhistischen Fachterminus. Im profanjapanischen und christlichen Gebrauch werden dieselben Schriftzeichen „kyūsai“ mit der Bedeutung Errettung/Erlösung gelesen.

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rem alltäglichen Lebensgefühl her das Wort Errettung gut verständlich ist, weil „Errettung“ aber auf der anderen Seite heutzutage auch eine erweiterte Bedeutung hat, ist die wahre Bedeutung von Errettung bei Jōdo-shinshū unklar geworden. Weil es zudem heutzutage gegenüber unserer Schule auch Missverständnisse gibt, die Grundlage von Kritik an uns sind – so gibt es Leute, die sagen, dass Jōdo-shinshū nur die Errettung nach dem Tod lehre  –, ist die Zeit gekommen, dass wir erneut bekräftigen müssen, was die wahre Errettung ist. Natürlich ist auch bei Jōdo-shinshū, wie ich bereits sagte, das Ziel, ein Buddha zu werden. Wenn man sagt, dass wir, solange wir in dieser Welt leben, kein Buddha werden können, sondern dass wir erst nach dem Ende des Lebens ein Buddha werden – ōjō-jōbutsu (往生成仏), dann kann man es gewiss auch von der Seite auffassen, dass es erst in der Welt nach dem Tod stattfindet. Aber wenn man es mit einem ursprünglichen etwas sperrigen Begriff bezeichnet, geht es um genshōshōjōju (現生正定聚), das heißt, während ich jetzt hier in dieser Welt lebe, habe ich bereits die Errettung durch Buddha empfange.15 Diese Seite ist genauso wichtig. Weil nur die eine Seite betont und aufgenommen worden ist, deshalb neigt man dazu, dass die Tatsache, dass man die Errettung durch Buddha bereits in dieser Welt empfängt, nicht ausreichend verstanden worden ist. So wendet man sich mit dem, was nach dem Tod kommt, an Jōdo-shinshū; aber während man in dieser Welt lebt, kann man die Tendenz feststellen, dass man einer anderen Religion oder einer anderen ethischen Lehre folgt. Für mich ist das etwas sehr Bedauerliches. Aber wenn man genau nachdenkt, dann kann man auch denken, dass das Leben mit dem nembutsu, in welcher Gestalt man auf dieser Erde errettet ist, nicht ausreichend geklärt ist. Kürzlich hörte ich einen berühmten Soziologen aus Amerika sprechen, der auch über Japan sehr gründlich forscht, und der auf Einladung der Ryūkoku-Universität nach Japan kam. In den USA ist die Lehre des Zen sehr verbreitet, aber Jōdo-shinshū ist auf einen sehr kleinen Bereich beschränkt. Darüber hinaus sagte er, dass eine Ursache dafür wohl darin liegt, dass Menschen, die eine moderne Erziehung empfangen haben, an ein Reines Land (jōdo 浄土) nicht mehr glauben können. Ich denke, dass es normal ist, wenn wir nicht nur aufgrund unserer schulischen, sondern durch die Massenmedien auch lebenslangen Aus15

Vgl. Ōtani 1992, 83 (hōwa Nr. 32).

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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bildung zahlreiche Zweifel bekommen, wenn man das Reine Land nur als etwas auffasst, in das man hinein geboren wird, wenn man gestorben ist. Aber ich empfinde es sehr deutlich, dass es nötig ist, das Reine Land als das Transzendieren von Leben und Tod (shōji o koeru 生死 を超える) nicht im Sinne einer Wiedergeburt nach dem Sterben (raisei 来世), sondern in einer viel wesentlicheren Bedeutung gründlich zu klären. Die Frage nach raise, will ich etwas aufschieben und zunächst darüber nachdenken, ob es nicht [gerade] die Lehre von Jōdo-shinshū ist, was wir hier, während wir leben, für ein Leben führen dürfen. Jemand, der das nembutsu empfangen hat, man kann auch sagen, wer Shinjin empfangen hat, wird ohne Zweifel im Reinen Land wiedergeboren (ōjō suru 往生する); für diese Sache wurde traditionell der Begriff genshō-shōjōju (現生正定聚) gebraucht. Wer den Status erreicht hat, dass seine Wiedergeburt bestimmt ist, wer Shinjin der Anderen Kraft (tariki no shinjin 他力の信心) erlangt hat, der kann auf jeden Fall im Reinen Land wiedergeboren werden. Auch wenn man den Begriff shinjin shōin 信心正因 „die rechte Ursache von shinjin“, dieses ihnen allen bekannte Wort, nur von der Seite auffasst, dass die Wiedergeburt im Reinen Land bestimmt ist, dann bleibt in dieser Welt nichts anderes, als nur auf die Geburt im Reinen Land zu warten. Ich denke, so kann sich das auch anhören. Dass die Wiedergeburt im Reinen Land bestimmt ist, enthält natürlich auch die Bedeutung des Wartens auf die Wiedergeburt im Reinen Land. Aber es geht nicht um ein Leben, das nur dem Sitzen in einem Wartezimmer gliche; in Wirklichkeit hat es eine noch tiefere Bedeutung. Das heißt, ich bekomme den verlässlichen Ort des wahren Lebens geschenkt und erwache zunehmend jetzt und hier zu der Kostbarkeit meines Lebens. Man kann wohl auch sagen, ich erwache zu meinem wahren Selbst (jiko 自己). Wenn man die Wachstumsstufen des Menschen bedenkt, dann wächst man, in diese Welt geboren, bis zur Erreichung eines gewissen Alters unter der Pflege durch Eltern und anderen Menschen, die eine ähnliche Stellung einnehmen, auf. Selbst ein kleines Kind hat seiner Entwicklung entsprechend zunehmend Bedürfnisse und Begierden. Aber es zieht sich wie ein großer roter Faden durch das menschliche Leben, dass, wenn man gar kein eigenes subjektives Denken hat, dass man dann dementsprechend lebt, wie es die Menschen in der Umgebung sagen. Diese Stufe gibt es, wie sie alle wissen, bei Menschen und auch bei Tieren Aber entsprechend den Begriffen, die es für die Bildung des eigenen Selbst, das Erwachen zum eigenen Selbst gibt, will man als Grund-

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und Mittelschüler zunehmend für sich selbst entscheiden, und das Gefühl, dass sich die Eltern nervend einmischen, wird stärker. In der Pubertät, wenn so ein Selbst alles zu entscheiden und zu tun wünscht, aber gleichzeitig auch noch nicht im gesellschaftlichen Sinn erwachsen ist, kommt es auch zu allerlei seelischen Unsicherheit. Auf diese Weise kommt in der Pubertät das eigene Selbst zustande. Nicht im materiellen Sinn, sondern im seelischen Sinn wächst ein Selbst, das auch ohne Eltern leben kann. Gewöhnlich denkt man nur bis hierhin. Auf diese Weise führt man dann als Erwachsener sein Leben bis zum Ende. Aber hier müssen wir noch eine Sache bedenken, es gibt nämlich noch eine weitere Stufe. Das Leben eines Erwachsenen besteht zwar erst einmal darin, dass man selbst seine Tätigkeiten entscheidet und seinen eigenen Gedanken folgt, aber wenn man über dieses eigene Selbst reflektiert hat, stellt sich schließlich die Frage, ob das wirklich alles ist. Wenn man die Lehre von Jōdo-shinshū zu hören bekommt, dann empfängt man die Lehre, dass man sich selbst nicht der letzte Ort sein kann, auf den man sich verlassen kann. Dann darf ich erfahren, dass die wahre Gestalt des Menschen, der wahre Ort, auf den man sich verlassen kann, nicht im Menschen selbst zu finden ist. Dann darf ich auch gleichzeitig erfahren, dass der wahre Ort, worauf sich der Mensch verlassen kann, im Herzen Amida-Nyorais ist, der Leben und Tod transzendiert hat. Natürlich ist das nicht eine Sache, die man nur einfach als Wissen im Kopf hat, sondern wenn es sich wirklich zueigen macht, das ist, denke ich, shinjin. Wenn man diese Art zu wissen, diese Weise der Überzeugung, so eine Stufe erreicht, dann wird man wahrer Mensch, bzw. kann man wohl sagen, dass man ein wahrer Mensch geworden ist. Heute gibt es Leute, die das Erwachen zum Glauben als das Zustandekommen eines neuen Subjekts bezeichnen. Im Denken der meisten erwachsenen Menschen wird der Mensch zum Höchsten gemacht, und die menschliche Intelligenz bzw. der menschliche Wille wird zum höchsten Ort, auf den man sich verlässt. Menschen, die dies zu ihrem letzten Ort, auf den sie sich verlassen, machen, sind in der Mehrzahl. Und man kann wohl sagen, dass diese Welt, das Leben und die Gesellschaft heute von solchen Menschen geschaffen ist. Aber wenn man das noch einen Schritt tiefer im Licht Buddhas reflektiert, dann bekommt man die Erkenntnis geschenkt, dass man das Leben und die Gesellschaft allein dadurch nicht leben kann. Hier darf ich ein Leben schmecken, das von dem Herzen Amida-Nyorais getragen wird. In dieser Welt gerettet zu sein, hat die wahre Bedeu-

Anhang 2: Übersetzung ausgewählter hōwa von Ōtani Kōshin

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tung, dass die Geburt im Reinen Land bestimmt ist, dass der Grund/ das Fundament (konpon 根本) des Lebens (seimei 生命) klar wird. Aber wenn man das noch etwas weiter denkt, dann ist so ein von Buddha getragenes Selbst, gerade jetzt hier mein Leben als ein vom Leben Buddhas getragenes Leben, und man darf es als solches schmecken und annehmen. Wenn das so ist, dann ist dieses Leben nicht einfach ein Wartezimmer, in dem ich auf die Geburt im Reinen Land warte. Sondern jeder Tag ist ein vom Herzen Amida-Nyorais umhüllter sehr wertvoller Tag. Ich bekomme die Erkenntnis geschenkt, dass dieser Tag heute ein wertvoller Tag ist, an dem ich alle meine Kraft einsetze und die Flamme der Fackel des Lebens vollständig sich verzehren und wandeln muss. 10. Juni 1979

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Anhang 3: Zwei hōwa bekannter fukyōshi von Ōtani-ha 3.1 Kondō Tatsuo: „Es ist gut, dass ich ich bin!“16 Als ich während der hōonkō-Vorträge in Kyōto-Stadt war, hatte ich eine Begegnung mit einem jungen Mann. Als Hauptpriester eines Jōdo-shinshū Tempels und als einer, der ihnen eine hōwa halten darf, wurde mir von diesem jungen Mann zum ersten Mal meine eigene Unzulänglichkeit bewusst gemacht. In der voll besetzten hōonkō-Tempelhalle führte ich mit dem jungen Mann einen Dialog. „Hōonkō bedeutet doch, dass wir unsere Dankespflicht (on 恩) abstatten (hō 報). Es handelt sich um das, was wir dem heiligen Shinran zu verdanken haben (恩). Hōonkō ist also unsere Dankespflicht gegenüber dem heiligen Shinran. Was also ist es, das wir dem heiligen Shinran zu verdanken haben?“, fragte er einen (anderen) jungen Mann, der zum Tempel gekommen war. Er antwortete: „Das nembutsu zu sagen.“ „So ist es, das nembutsu zu sagen, das ist die Lehre Shinrans. Auch du sagst doch (schon lange) das nembutsu. Wie bist du geworden (oder: was hat sich bei dir verändert?) durch das Sprechen des nembutsu?“, fragte ich den jungen Mann erneut. Der junge Mann machte ein erschrockenes Gesicht und blickte mich fest an. Du sprichst (schon länger) das nembutsu, hast die Lehre Shinrans empfangen (oder: angenommen) und sprichst das nembutsu. Wie bist du selbst dadurch geworden, dass du das nembutsu sprichst?“ fragte ich den jungen Mann weiter. Und während ich ihn so fragte, sah er mir weiter fest ins Gesicht, aber seine Augen fingen an, sich mit Tränen zu füllen, und er fing an, mir gegenüber nanmandabu, nanmandabu17 zu sagen. Dann wandte er sich (einem Bild, Statue von) Gohonzonsama (Buddha) zu, machte Gasshō (klatschte in Gebetshaltung in die Hände) und sagte: „nanmandabu, nanmandabu, ich wurde gefragt, wie man wird, wenn man das nembutsu sagt.“ Er wandte sich weiter zur rechten Seite: nanmandabu, nanmandabu. Der Ort, an dem er huldigte, war das Bildnis des Begründers unserer Schule (宗祖), des heiligen Shinran. Danach wandte sich der junge Mann mir zu, der ich redete, legte seine Hände auf den Tatami-Boden, legte seinen Kopf auf 16 17

T. Kondō 2003, 30–34. Nanmandabu ist eine verschliffene Form von Namu Amida Butsu.

Anhang 3: Zwei hōwa bekannter fukyōshi von Ōtani-ha und eine Analyse

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die beiden Hände und schrie: „Lehrer, wie wird man, wenn man das nembutsu sagt? Ich sage das nembutsu (schon lange), aber es hat sich überhaupt nichts verändert. Wie wird man, wenn man das nembutsu sagt? Heute ist hōonkō des heiligen Shinran. Eine wichtig Lehrveranstaltung, zu der wir versammelt sind, um die Lehre Shinrans genau zu hören. Lehrer, lehren Sie [mich] bitte! Wie wird man, wenn man das nembutsu sagt?“ Ich wurde in der gleichen Weise gefragt, wie zehn Jahre vorher Lehrer Taka, als ich an einer Erbauungsversammlung bei ihm teilnahm. Ich war fassungslos und konnte nicht gleich antworten. Ich habe mich gesammelt.18 Und als ich mich gesammelt hatte, hörte ich die Stimme Shinrans an mich dringen. Den Inhalt dessen, was ich hörte, sagte ich allen, als ob ich es (nur) dem jungen Mann sagte. „ Der ehrenwerte Shinran lehrt mich jetzt. Wenn ich das nembutsu sage, dann kann ich zu einem Ich werden, das sagen kann: gut, dass ich ich bin! Eine so sprechende Stimme hörte ich jetzt.“ Was halten sie davon? Gut, dass ich ich bin – wo kann man das sagen? Ich, der ich den Menschen nicht als Menschen ansehe. Mir, der ich keine andere Lebensweise führen kann, der das Namu Amida Butsu spricht, sagt der Buddha: Werde jemand, der sagen kann „gut, dass ich ich bin.“ Begegne deinem wahren Selbst, sagte er. Immer, zu welcher Zeit auch immer, werde zu einem, der sagen kann „gut dass ich ich bin,“ so ruft mich Buddha an. Mit anderen Worten: Es geht um Selbstgenügsamkeit (jitai-mansoku 自体満足). Gut, dass ich ich bin – wo kann man das sagen? Weil der Mensch nicht alleine lebt, könnte er nicht sagen „gut dass ich ich bin“, wenn er sich allein in einen Berg einschlösse und niemandem begegnete. Wenn wir fragen, wo ich jetzt, mitten in meinem gegenwärtigen Leben „gut dass ich ich bin“ sagen kann, dann (lautet die Antwort): Wenn ich nicht zu jemandem werde, der sagen kann „gut, dass ich dir begegnen konnte“, dann kann ich auf keinen Fall jemand werden, der sagen kann „gut, dass ich ich bin“. Deshalb lautet die Rückseite dessen, was wir gehört haben: Wenn ich nicht zu einem Ich werde, das sagen kann „gut, dass ich dir begegnet bin“, dann heißt das, dass ich auch nicht sagen kann „gut, dass ich ich bin“. Die Begegnung mit dir war eine Begegnung, die mich zum Ich machte. „Durch die Begegnung mit dir wurde ich zum Ich“; wenn man das zwischen Ehepartnern, zwischen Eltern und Kind, zwischen Geschwistern, unter Nachbarn auch nur einmal sagen konnte, dann kann man zum ersten Mal sagen „gut, dass ich ich bin“. 18

Nen (念) entspricht hier dem skr. samadhi „Sammlung, Versenkung“ und entspricht dem letzten Punkt des achtfachen Pfades.

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Das „gut, dass ich dir begegnet bin“ – das versteht sich von selbst – ist identisch mit der dienenden Gestalt des gemeinsam praktizierenden und auf dem Buddhaweg seienden heiligen Shinran. Analyse Christliche Leser mögen zunächst überrascht sein, in wie hohem Maße shin-buddhistische Prediger auf die Lehre vom Nicht-Ich (anātman) scheinbar verzichten können und die Begriffe Ich, Du und Begegnung die religiöse Rede von Kondo beherrschen. Auf den ersten Blick erscheint sie wie die Wiedergabe des reinsten Personalismus in der Linie von Martin Buber und Emil Brunner. Wie ist das einzuordnen? Zum einen gibt es in der japanischen Gesellschaft der Gegenwart eine starke Tendenz zur Betonung der Individualität angesichts des nach wie vor herrschenden kollektivistischen Gesellschaftsparadigmas und hierarchischer Stratifikationen. Werbespots, die ein Produkt anpreisen, weil es angeblich zu einem dem eigenen Selbst entsprechenden (jibunrashii) Lebensstil gehöre, sind keine Seltenheit. Handelt es sich also bei dem scheinbaren Personalismus um eine Konzession an den Zeitgeist? Ich denke, die Analyse muss viel tiefer gehen und die Predigt aus dem Kontext der mahayanistischen Philosophie zu verstehen suchen, die auch für Jōdo-shinshū konstitutiv ist. Zunächst ist allgemeinbuddhistisch davon auszugehen, dass alles, was ist, nur in Abhängigkeit besteht (pratitya-samutpada, „Kausalnexus“) und nur nirvāna unbedingt ist. Nach buddhistischer Lehre ist der Mensch die Zusammensetzung von fünf Dharmafaktoren – ein substanzieller Kern, eine bleibende Identität kommt dem Menschen nicht zu. Alles ist letztlich mit allem identisch und im Innersten ohne Substanz, d. h. leer (śūnya, jap. kū). Nagarjuna weitete die anatman-Lehre auf alles Seiende aus und kam zur Lehre von śūnyatā („Leerheit“), die zugleich besagt, dass nirvāna und samsāra identisch sind. Aus der Sicht des unerleuchteten Menschen ist alles Seiende samsāra, aus der Sicht des Erleuchteten ist es Nirvana, d. h. so wie es ist – unbedingt (tathata; Buddha ist der Tathagata, der So-gegangene“). Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage des jungen Mannes, was ändert sich, wenn ich das nembutsu sage, und die Antwort darauf, an Relevanz. Seine Ansicht, dass sich nach längerer Praxis nichts geändert habe, bringt die Sicht des Unerleuchteten zum Ausdruck. Alles bleibt, wie es ist. Die Antwort, es ist gut, dass ich ich bin, sagt: So wie es ist (tatathā, jap. sono mama), ist es gut. D. h., es ist die Sicht des Erleuchteten, der die Identität von samsāra und Nirvana erkannt hat. Da im Buddhis-

Anhang 3: Zwei hōwa bekannter fukyōshi von Ōtani-ha und eine Analyse

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mus Erwachen gleich zu setzen ist mit der Einsicht in das Gesetz vom Entstehen in Abhängigkeiten, kann das Ich sich nur Erkennen in seinem kausalen Verwobensein mit dem Anderen. Ein sich in einen Berg einschließender und keinem anderen begegnenden Mensch kann sich nicht als Subjekt wahrnehmen. Die Subjektivität wird allein durch die Intersubjektivität konstituiert. In der Begegnung mit dem anderen wird das wahre Selbst erkannt, das letztlich identisch mit allem ist, d. h., in der trikāya-Lehre mit dem dharma-kāya. Auf diesem Hintergrund gewinnen die personalistisch klingenden Aussagen Kondōs an Plastizität. Besondere Aufmerksamkeit verdient in der Predigt noch die (inszenierte und doch existenziell bedrängende) Frage des jungen Mannes, sowie die unmittelbare Antwort durch Shinran, resp. Buddha in der Versenkung. Predigt wird so zu einem dialogischen Geschehen zwischen Prediger, Hörer und Buddha, wobei der Prediger als Mittler der Botschaft fungiert und nicht aus eigener Autorität spricht. Subjektive Erfahrung und Rückbindung an Autorität kommen hier zur Deckung.

3.2 Hōwa von Matsui Ekō Die Sprache19 Allein das nembutsu ist die Wahrheit. (Tanni-shō) Die Sprache verletzt sowohl als sie auch glücklich macht das ist eine einfache Grammatik Dieses Gedicht eines elfjährigen Jungen aus Brasilien erschien in den „gelegentlichen Gedichten“ von Ōka Nobu.20 Die Sprache gehört nur zum Menschen, aber durch diese Sprache wird der Mensch sowohl verletzt als auch im Gegenteil durch ein bloßes Wort aufgerichtet. Obwohl der Junge erst zwölf Jahre alt ist, hat er diese Tatsache feinfühlig empfunden. Ich musste auch zweimal wegen einer Krankheit gezwungenermaßen ins Krankenhaus, und da wurde mir dieses Sache mit der Sprache tief bewusst. Leute, die mich im Krankenhaus besuchten, sagten mir Sätze wie: „Sie sehen gesund aus“, „Sie sind die Gesundheit in Person“, „Werden Sie bitte wieder so aktiv wie vorher“. Wenn Leute so 19 20

E. Matsui 1994, 4–6. Vgl. zu dieser hōwa die Ausführungen über hōben in Abschnitt 9.3 vorliegender Studie. Gedichte des bekannten japanischen Literaturkritikers erschienen zunächst in der Asahi-Zeitung und wurden später als Gedichtband herausgegeben.

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etwas sagen, dann empfinde ich die Krankheit nicht mehr so schwer. Wenn hingegen jemand sagt: „Du siehst schlecht aus im Gesicht“ oder „Du hast aber abgenommen“ oder „Stirb mir bloß nicht“ und ähnliches, dann geht es mir mit einmal schlechter. Shinran gebraucht den Begriff „Wahrheit“ (shinjitsu 真実) – auch wenn man gewiss wahre Dinge sagt, so hat man doch nicht jitsu 実 gesagt, als ob man in der Haut des Gegenübers steckte. Als der Schauspieler Atsumi Kiyoshi für Filmaufnahmen nach Brasilien unterwegs war, machte sich seine Mutter große Sorgen. Sie versuchte, ihn von dieser Reise abzuhalten, aber das war nicht möglich. „Dann schicke mir wenigstens jeden Tag einen Brief,“ sagte sie. Das war zwar auch unmöglich, aber Atsumi sagte, dass er ihr jeden Tag schreiben würde. Als er in Brasilien ankam, kaufte er zwölf Postkarten. Es wird erzählt, dass er auf jede Postkarte gleich „Mir geht’s gut!“ schrieb und dann jeden Tag eine Karte in den Briefkasten warf. Bei der Mutter kam jeden Tag eine andere Postkarte an, auf der jeweils stand „Mir geht’s gut!“ Es wird gesagt, dass die Mutter, als sie die Postkarten sah, zufrieden und beruhigt war. Atsumi hatte also jitsu 実. Auch in Bezug auf die Wahrheit am Krankenbett bei Krebspatienten, was seit einiger Zeit heftig diskutiert wird, ist es, denke ich, ein sehr großes Problem, ob man, auch wenn man wahre Dinge sagt, wirklich den Inhalt so sagt, als ob man in der Haut des anderen stecken würde. In der Welt der Menschen kommt es manchmal vor, dass man zwar shin 真 [„Wahrheit“] hat, aber kein jitsu 実 [„Empathie“], und dass man umgekehrt zwar jitsu hat, aber kein shin. „Wir sind gewöhnliche Menschen, die von bösen Leidenschaften besessen sind, und unsere Welt ist ein brennendes Haus der Vergänglichkeit; deshalb sind alle Dinge völlig leer und unsinnig und nicht wahr. Das nembutsu allein ist wahr.“21 So ist es im Tanni-sho in Kapitel 16 überliefert. „Allein das nembutsu ist wahr“, bedeutet die kategorische Aussage, dass alles andere außer dem nembutsu nicht wahr ist. Das nembutsu ist das namu-amida-butsu, das ist Sprache. Aber es ist nicht nur einfach ein Wort, sondern die Wahrheit (makoto) Nyorais ist das Wort namu-amida-butsu geworden, es ist zum Ausdruck (ekō 廻向) geworden. Gewöhnliche Menschen können nicht durch Worte gewöhnlicher Menschen zum Erwachen gelangen. Aber durch das wahre Wort Nyorais werden irrende gewöhnliche Menschen als Buddha verwandelt. 21

In der deutschen Übersetzung von Sato Michio lautet der Satz aus dem Tanni-shō: „Aber wir sind Toren voller Leidenschaften und wohnen in dieser Welt, die so unbeständig ist wie ein brennendes Haus. So ist alles Lüge und Eitelkeit und nichts ist wahr; wahr ist und bleibt allein das nembutsu“ (M. Sato 1977, 23).

Anhang 4: Glossar Shin-buddhistischer Termini

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Anhang 4: Glossar Shin-buddhistischer Termini Japanisch Amida

阿弥陀

anjin synonym zu shinjin bussetsu muryōjukyō

安心

Sanskrit

Englisch

Amitāyus/ Amitābha

Buddha of Infinite Buddha des unLife and Light ermesslichen Lichtes und Lebens peace of mind Friede/Ruhe des Herzens/Geistes the sutra on the Buddha of infinite life (the larger sutra on Amitāyus) the sutra on visualisation of the Buddha of infinite life (contemplation sutra) the sutra on Amida Buddha (smaller sutra)

仏説無量寿経

仏説観無量 bussetsu kanmuryōjukyō 寿経

bussetsuamidakyō

仏説阿弥陀経

ekō gensō-ekō ōsō-ekō

回向/廻向 還相回向 往相回向

parināma

futaiten

不退転

avinivartanīya

gokuraku

極楽

sukhāvatī

gonke-hōben

権仮方便

hōben hōben-hosshin

方便 方便法身

hosshō-hosshin

法性法身

hongan hōwa

本願 法話

upāya

Deutsch

Längeres Sutra

Kontemplations-/ Meditations-Sutra

Kürzeres Sutra / Amida-Sutra

Übertragung (von Meriten) – von Amida erhaltenes ekō – Übertragung von Meriten, um im Reinen Land geboren zu werden stage of nonStufe des Nichtretrogression wieder-Zurückfallens land of utmost Land der Wonne/ bliss Glückseligkeit provisional means provisorische Mittel skillful means geschickte Mittel dharma body of dharma-Körper skilful means der geschickten Mittel dharma body of dharma-Körper dharma nature der dharma-Natur Primal Vow Urgelübde dharma-talk religiöse Rede

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Anhänge

Japanisch

Sanskrit

Englisch

jinen-hōni

自然法爾

jiriki Jōdo-shinshū

自力 浄土真宗

kie kudoku

帰依 功徳

myō-gō

名号

nehan nembutsu

涅槃 念仏

nyorai

如来

rinne sanbō satori

輪廻 三宝 さとり/悟り

sekkyō sesshu fusha

説教 摂取不捨

shinge

信解

adhimukti

shinjin

信心

śraddhā/ prasāda

shinkō shōjōju

信仰 正定聚

tariki zashū zengyō-hōben

他力 雑修 善巧方便

faith samyaktva- those who are rāshi truly established/ settled other-power various practices compassionate means

self-power

sarana punya

refuge virtue/merit

nirvāna buddhaanusmrti tathāgata

nirvāna nembutsu

samsāra triratna

Deutsch i. e. spontane Wirkung des Urgelübdes Eigene Kraft Wahre Schule des Reinen Landes Zuflucht Tugend/(karmische) Meriten Namen-Zeichen (= nembutsu) nirvāna nembutsu

der So-Gegangene/ Gekommene samsāra samsāra three treasures drei Kostbarkeiten enlightenment Erleuchtung/ Erwachen sermon Predigt being grasped and ergriffen und not abandoned nicht verworfen werden Glaube und Verstehen entrusting heart vertrauendes Herz Glaube Gruppe der wahrhaft Bestimmten Andere Kraft vielerlei Übungen barmherzige Mittel

Anhang 5: Bekenntnistexte der Jōdo-shinshū (Nishi-Honganji-ha)

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Anhang 5: Bekenntnistexte der Jōdo-shinshū (Nishi-Honganji-ha)22 5.1 浄土真宗の教章 (Jōdo-shinshū no kyōshō) – Kyosho – The Essentials of Jodo Shinshu (1967) 宗名 宗祖 本尊 経典

浄土真宗本願寺は(西本願寺) 見真大師親鸞聖人(1173–1262) 阿弥陀如来(南無阿弥陀仏) 浄土三部経 仏説無量寿経(大経) 仏説観無量寿経(観経) 仏説阿弥陀経(小経) 教義 南無阿弥陀仏のみ教えを信じ、必ず仏にならせていただく身のし あわせを喜 び、つねに報恩のおもいから世のための人のために生 きる. 宗風 宗門は同信の喜びに結ばれた人びとの同朋教団であって、信者はつ ねに言行をつつしみ、人道世法を守り、力を合わせて、広く世の中に まことの法を広めるように努める.また、深く因果の道理をわきまえ て、現世祈祷やまじないを行わず、占いなどの迷信にたよらない. Name: Founder: Buddha: Sutra:

Jodo Shinshu (Honpa Hongwanji) Shinran Shonin (1173–1262) Amida Buddha (Buddha of Infinite Light & Life) Three Principal Sutras of Jodo Shinshu: 1. Larger Sutra on the Buddha of Infinite Life (Daikyo) 2. Sutra of Meditation on the Buddha of Infinite Life (Kangyo) 3. Smaller Sutra on the Budda of Infinite Life (Shokyo) Teaching: Having awakened to the compassion of Amida Buddha and rejoicing in the assurance of Buddhahood, we shall endeavor to live in the life of gratitude and service. Tradition: The Honpa Hongwanji is a community of people joined together by the gladness of a common faith in Amida Buddha. As Jodo Shin Buddhists, we shall seek to be humble and sincere in words and in deeds, to be responsible citizens of our society and to share with others the teachings of Jodo Shinshu. Understanding fully the principle of causal22

得度習礼教本 (Toku-do-shū-rai-kyō-hon) 2007 (innere Klappentexte); Jodo Shinshu Service Book (raihai-seiten) Honpa Hongwanji Mission of Hawaii 1986, 4–11.

600

Anhänge

ity, we shall not practice petitionary prayer and magic, and do not depend on astrology and superstitions.

5.2 領解文 (ryō-ge-mon) – The Creed もろもろの雑行雑修自力のこころをふりすてて、一心に阿弥陀如来われ らが今度の一大事の後生御たすけそらえとたのみもうしてもうろう.たの む一念のとき、往生一定御たすけ治定とぞんじ、このうえの称名は、ご恩 報謝とぞんじよろこびもうしそうろう.この御ことわり聴聞もうしわけそう ろうこと、ご開山聖人ご出世のご恩、次第相承の善知識のあさからざるご 勧化の恩と、ありがたくぞんじそうろう. このうえは、さだめおかせらるる御おきて、一期をかぎりまもりもうす べくそうろう. We rely upon Amida Buddha with our whole heart for the Enlightenment in the life to come, abstaining from all sundry practices and teachings, and giving up the trust in our imperfect self. We believe that the assurance of our Rebirth through his Salvation comes at the very moment we put our Faith in him; and we call the Name, Namu Amida Butsu, in happiness and thankfulness for his Compassion. We also acknowledge gratefully the benign benevolence of our Founder and the succeeding Masters who have led us to believe in his profound teaching; and we do now endeavor to follow throughout our lives the Way laid down for us.

5.3 浄土真宗の生活信条 (Jōdo-shinshū no seikatsushinjō) – Shinshu Pledge – Seikatsu Shinjo 一、み仏の誓いを信じ、尊いみ名をとなえつつ強く明るく生き抜きます. 一、み仏の光りをあおぎ、常にわが身をかえりみて、感謝のうちに励みます. 一、み仏の教えにしたがい、正しい道を聞きわけて、まことのみのりを ひろめます. 一、み仏の恵みを喜び、互いにうやまい助けあい社会のために尽くします. 1. I take my refuge in the Vow of the Buddha. Reciting his Sacred Name, I will live through live with strength and serenity.

Anhang 5: Bekenntnistexte der Jōdo-shinshū (Nishi-Honganji-ha)

601

2. I adore the light of the Buddha. I will put my effort in my work with self-reflection and gratitude. 3. I follow the Teachings of the Buddha. Discerning the Right Path, I will spread the true dharma. 4. I rejoice in the Compassion of the Buddha. I will respect and help others and do my best for the welfare of mankind.

Namensregister Albrecht, R. 23, 39–44, 88–89, 115, 519, 526, 528, 531, 538, 540 Amagasaki, A. 526 Amstutz, G. 7, 372, 441–443, 448–449, 472, 526 Aristoteles 61, 400, 526 Ashizu, T. 234, 264, 448–449, 477, 526 Assmann, J. 5, 192, 239, 259, 267 Aumann, O. 267, 270–272, 276, 278, 301, 303–304, 526, 534 Baard, R. S. 190, 230, 526 Barth, H.-M. VII, 1–2, 4, 7–8, 26–27, 30, 37, 104, 207, 294, 337, 446, 448–449, 453, 478, 479–487, 489–499, 526–527, 537, 545 Barth, K. 4–5, 8, 10, 13, 23, 26, 30, 37, 49, 53, 87, 127, 129, 147, 153, 156, 164, 175–176, 183, 185, 198, 212, 220–221, 223, 339, 343, 365, 440, 442, 449, 451, 459–463, 471, 473, 478, 487, 489, 511, 527, 531, 534, 538, 542 Barth, U. 92, 140, 527 Bayer, O. 74–75, 78, 129, 539 Bechert, H. 235–236, 527 Benedict, R. 386, 527 Bergmann, W. C. X, 12, 40–41, 46–48, 79, 116–117, 130–133, 157, 172, 188, 190–191, 217, 527 Bernet-Strahm, A. 48, 528 Biel, P. 535 Biser, E. 44, 110, 228, 528 Bloom, A. 266, 270, 275–276, 298, 476–477, 528, 530, 543 Bohren, R. 343, 357–358, 365, 496, 508, 511, 528 Borsig, M. v. 328, 523 Boss, M. 24, 34, 36, 528 Bragt, J. v. 309, 340, 528 Bronkhorst, J. 238, 529 Brück, M. v. 27, 235–236, 238, 241–245, 257, 264, 290, 325, 339, 340, 379, 441–442, 445–446, 498, 529

Brügmann, V. X, 11, 115–119, 121, 123–124, 126, 149–150, 172, 529 Brunner, E. 365, 371, 461–462, 464, 470–471, 529, 594 Buber, M. 34, 174, 594 Buck-Albulet, H. 344–345, 367–368, 529 Bukowski, P. 400, 529 Bultmann, R. 4–5, 23, 80, 153, 184, 224, 229, 284, 529, 536 Butschkus, H. 448–449, 474 Callaway, T. N. XIII, 13, 255, 337, 458, 463–470, 473, 489, 529, 542 Campbell, C. L. 190, 212, 529 Childs, M.H. 348, 529 Clayton, J. P. 72, 74, 529 Conze, E. 235, 242–245, 247–248, 327, 336–341, 399–400, 530 Cornehl, P. X, 12, 24, 39–41, 115–117, 124–126, 151, 190–191, 194, 215–217, 529 Dake, M. 340, 353, 530 Dalferth, I.U. 1–2, 530 Dessì, U. 426, 530 Dharmakāra 245, 248–250, 267, 457, 459 Donran 曇鸞(s. T’an-luan) 256, 275 Dōshaku 道綽 (s. Tao-ch’o) 259 Dreisbach, D. F. 499, 530 Duke, R. W. 127 Ekū 江空 XII, 257, 345, 356–362, 365, 376, 380, 382–383, 390, 421, 520 Endō, R. XII, 248, 260, 343, 350–351, 354, 356, 362–366, 372, 377, 380, 383–388–389, 392, 396–397, 401, 423, 433, 520 Eracle, J. 288, 523 Evans, R. D. 2, 489, 528, 530 Feuerbach, L. 92, 140, 530 Fischer, H. 22, 155, 185–186, 235, 262, 529–531, 539, 542, 544, 552, 554

604

Namensregister

Florenz, K. 248, 441–442, 451, 459, 468, 531 Foster, D. 156, 188–189, 520 Frankl, V. E. 65, 99–100, 112, 177, 498, 531, 538, 562 Freiberger, O. 235, 237, 247–248, 253, 270, 385, 531 Fromm, E. 25, 41, 65, 112, 177–178, 183, 470, 473, 498, 531, 550–551 Fukagawa, N. VII, 350, 353, 355, 390, 397–399, 520 Gallus, P. 72, 87, 103, 112, 531, 542 Genshin 源信 254, 262 Gesshō, S. 266, 444, 465 Gomez, P. J. 188–189 Grau, K. 58, 61, 66–67, 106, 176, 181, 229, 510–511, 531, 549 Greschat, H.-J. 15, 235–238, 451, 531, 539 Grötzinger, A. 26, 73, 531 Gundert, W. 286, 287, 472, 489, 531–532 Haas, A. M. 6, 532 Haas, H. XIII, 13, 339–440, 448–459, 467–468, 473, 478, 488, 523, 527, 532 Hahn, F. 9, 532 Harrison, E. G. 117, 266, 282, 343–345, 347–349, 351–353, 356–359, 361–363, 368, 370, 372–373, 381–382, 384–386, 392, 398, 401, 443, 510, 532 Heidegger, S. 80, 177, 184, 271, 532 Heiler, F. 68, 448, 456, 532, 542 Herrmann, W. 3–5, 57, 93, 97, 245, 533 Hirose, T. 297, 322, 409, 521, 523 Hirota, D. XII, 8, 236, 266, 268–271, 276–278, 289, 294, 296–297, 303, 313–315, 339–340, 373, 376, 386, 429 Holl, K. 134, 178, 180–181, 237, 533, 543 Hōnen 法然 248–249, 254–255, 257, 260–276, 298–301, 305, 374, 377–378, 392, 448, 457, 476, 485, 532, 534, 539 Horney, K. 24, 65, 112, 177, 498, 533 Inagaki, H. 242–249, 252–263, 268, 273, 291, 299, 307, 326, 352, 361, 374, 388, 390, 412, 523, 525 Ingram, P. O. 8, 448, 474, 477, 497, 533 Ippen 一遍 265, 510 Johannes vom Kreuz 98, 533 Jung, C. G. 81, 159, 195, 470, 533 Kähler, M. 51, 54, 107, 157, 173–174, 190, 192, 209, 212, 544

Kakunyō 覚如 264, 266, 272–273, 280 Kaneko, D. 246, 259, 261–262, 278, 285, 298–299, 308, 356, 412, 424, 449, 459, 463, 476, 478, 521, 535 Karras, A. 166, 533 Kasahara, K. 262, 271, 276, 280, 282– 283, 286, 316, 350, 371, 442–445, 533 Kasai, K. 29, 34–37, 52, 355, 533 Keel, H. S. 309, 321, 477, 489, 494, 517, 533 Keenan, J. P. 517, 534 Kielmeyer, C. F. 64–65 Kierkegaard, S. 44, 50, 55, 60, 65, 174, 184, 200, 229, 431, 498, 534 Kigoshi, Y. 7, 283–285, 289, 293, 442, 449, 482–486, 489, 497, 516, 534 Kirchhoff, J. 65, 534 Kitamori, K. 463 Kiyozawa, M. 284, 286, 446 Kleffmann, T. 176, 534 Kleine, C. VII, 136, 235, 237, 247–248, 253, 257, 262, 265–266, 270, 325, 385, 439–442, 447–448, 452, 460, 470, 473, 525, 531, 534–535 Klein, M. 178–179, 182 Klimmkeit, H.-J. 359, 535 Köberle, A. 42–43, 122, 535 Kondō, T. XV, 521, 592, 595 Konrad, J. 79, 535 Korthaus, M. 72, 80, 87, 103, 113, 172–173, 535 Körtner, U. H. J. 511, 535 Koyama, O. 369, 521, 523 Kücherer, H. 81 Kurube, S. 286, 446 Lange, D. 111, 456, 535 Langer-Kaneko, C. 246, 259–262, 278, 298–299, 308, 424, 449, 459, 463, 476, 478, 535 Laube, J. 289, 304, 448–449, 477, 535 Lauster, J. VII, 5, 6, 239, 259, 536 Lax, D. 49, 230, 536 Leeuw, G. v. d. 14, 59, 468, 532, 536 Lloyd, A. XIII, 13, 248, 440, 449–450, 453–458, 464, 468, 473, 488, 523, 536 Luther, M. XIII, 6–7, 14, 31, 60, 69, 73, 80, 87, 97, 112, 147–148, 158, 166, 169, 173, 178, 181–182, 188, 190, 200, 202, 207, 216, 275, 292, 376, 426, 440, 442, 446–449, 456, 460–461, 474–478, 486, 498, 526, 533, 535, 537, 541, 544, 548–549, 552

Namensregister Martin, G. M. VII, 16, 226, 265, 449, 479, 483, 536 Maslow, A. H. 4, 61, 65, 112, 177, 220, 510, 536 Matsui, E. XV, 333, 521, 595 Matsunaga, D. und A. 237, 324, 536 Maynard, S. K. 16, 17, 396–397, 536 Medicus, Fritz 174 Melanchthon, P. 537 Minoura, E. 2, 7, 479–481, 527, 534 Mylius, K. 238–239, 326, 524 Nāgārjuna XIX, 237, 243–244, 254–255, 258, 327, 331–332, 340, 465, 524 Na, H. S. X, 12, 24, 46, 64, 68, 79, 116–117, 123, 127–131, 172, 176, 188, 537 Nanjō, B. 446 Niebergall, F. 73, 79, 537 Niebuhr, R. 187 Nietzsche, F. 55, 59, 161, 175–178, 185, 200, 209, 499, 534 Nishida, K. 26, 446 Nishitani, K. 32, 446, 509, 512, 537 Oguro, T. XIII, 13, 275–276, 298–301, 426, 440, 448, 474–477, 537 Okochi, R. 27, 33, 270, 306, 322, 325, 330, 334–335, 481, 524 Ōtani, K. VII, XII–XIII, XV, 10–13, 16, 24, 28, 33–37, 242, 247, 254, 270, 277, 280–291, 294–297, 315–322, 333, 342–344, 355–357, 367–369, 373, 376–380, 384–388, 394–395, 401, 407–412, 418–436, 444, 446, 452, 465, 468, 479–482, 489, 492–511, 522, 547, 563–595 Otto, R. XIV, 4–5, 8, 13, 15, 26–27, 40, 68–72, 80, 112, 177–178, 183, 192, 195, 294, 363, 368, 440, 446–449, 467, 478–480, 490, 500, 505, 527, 538 Pauck, W. und M. 23–25, 41, 88–89, 106, 172–175, 178, 192, 520, 538 Paulus 9, 58, 93, 126, 144, 147, 149, 155, 159, 177, 185, 191–192, 206, 210–216, 220, 477 Peeck, S. 61, 538 Peel, A. 295–296, 520 Peters, A. 538 Poelchau, H. 183, 185 Porcu, E. 24, 285, 538 Pye, M. 2, 7–8, 324–329, 334, 337, 478–484, 489, 525, 527, 530, 532, 534–535, 538

605

Ratschow, C. 23, 88, 106, 132, 162, 172– 175, 188–189, 474, 478, 520, 538–539 Reetz, U. 127 Reichelt, K. L. 248, 369, 447, 456, 539 Reischauer, A. K. XIII, 456–458, 464–465, 468, 473–474, 488, 539 Rennyo 279–282, 288–289, 304, 309, 332, 346, 350, 366, 370, 381, 385–386, 388–389, 396, 398, 403, 411, 414–418, 426–430, 435, 452, 506, 521, 524, 540, 573, 583–586 Repp, M. 27, 53, 72–74, 228, 246–248, 262–263, 266, 296, 441–442, 448, 530, 539 Rieger, H.-M. 49, 539 Röer, H. 67–68, 540 Rogers, C. 65, 112, 498, 540 Rogers, M. L. 281, 540 Rolle, H. 246, 258, 259, 262, 308, 331, 459, 460, 463, 478, 489, 493, 540 Rosenkranz, G. XIII, 13, 257, 337, 448, 451, 458, 467–473, 489, 539, 540 Rössler, A. X, 11, 38–42, 49, 79, 83, 86, 115–121, 124, 128, 131, 133, 135–136, 144, 151, 172, 500, 540 Rothert, H.-J. 124, 540 Roth, M. 49, 72, 75, 89, 124, 175, 540, 543 Ryūju 龍樹 (s. Nāgārjuna) 254 Said, E. 113, 147, 221–222, 273, 285, 339, 375, 439, 440, 523 Sakado, H. 266, 286–287, 343, 376–377, 387, 392, 395–398, 502, 522 Sanders, W. T. X, 11, 40, 45, 47, 57, 116, 121–124, 130–131, 540 Sannomiya, G. XII, 238, 343, 350, 353– 358, 362–366, 371, 380–384, 387–391, 396, 397, 522 Sasaki, G. 266, 268, 272, 274, 284, 465 Scharf, U. C. 80, 95, 131, 148, 399, 532, 540, 554 Schelling, F. W. J. 25, 31–32, 38, 58, 63–66, 69, 72, 111, 127, 138, 140, 143, 166, 173–175, 193, 201–204, 209, 505, 516, 534, 537, 541–542 Schleiermacher, F. 5, 26, 39, 52, 60, 68–69, 91, 93, 112, 127, 129, 156, 214, 493, 515, 538, 541 Schmidt-Leukel, P. 13–14, 331, 377–378, 469, 541 Schmitz, J. 49, 80, 115, 541 Schneider, U. 235–238, 242–245, 289–291, 325, 329, 541 Schnübbe, O. 31, 166, 541

606

Namensregister

Schrimpf, M. 283, 441, 444–445, 530, 532, 535, 541 Schroeder, J. W. 325, 334, 541 Schüssler, W. 23–26, 38–42, 71, 74, 77, 81, 85, 87, 106, 115, 118, 138, 188, 190, 503, 540–541 Schwanz, P. 115, 542 Schwöbel, C. 79, 115, 123, 168, 542 Seils, M. 72, 87, 93, 101, 103, 105, 112–113, 172, 542 Sekiyama, K. 343–350, 359, 368, 373, 392, 397–398, 542 Seshin 世親 (s. Vasubandhu) 255, 275 Shan-tao 248, 253–254, 260–264, 299–300, 342, 378, 380, 485 Shigaraki, T. 289–290, 294–297, 330, 470, 524 Shimizu, M. 241, 263, 271, 498–499, 514, 542 Shinran 親鸞 XI, XIII, XIX, 2–3, 8–9, 14, 234–235, 240, 246–249, 253–318, 321, 329–342, 346, 349–350, 363–381, 386–389, 396, 398, 410–435, 447–459, 466–467, 470, 474–489, 493–494, 497, 499, 502, 505, 506, 514, 516–517, 521– 537, 544–545, 563–564, 569, 573–587, 592–596, 599 Smith, W. C. 4, 15, 41, 190, 290, 481, 542 Söderblom, N. XIII, 13, 59, 440, 449, 451, 456–459, 535, 542 Steinacker, P. 63, 74, 143, 542 Steineck, C. 246, 278, 452, 524, 535 Stenger, M. A. 27, 512–513, 543 Sturm, E. X, 12, 24–26, 38–42, 50, 71, 74, 77, 81, 85, 106, 116, 118, 133–136, 188, 190, 264, 503, 541, 543 Sundermeier, T. 1–2, 226, 481, 530, 539, 543 Suzuki, D. T. 24–27, 37, 234, 266–277, 284–285, 292, 440, 446, 465–470, 473, 495, 501, 512, 514, 527, 531, 543 Tada, K. 254, 299, 308, 353, 383, 443, 450, 452–453, 489, 522–523, 563 Takizawa, K. 26, 459, 463, 478, 489, 543 T’an-luan 253–261, 275 Tao-ch’o 253–254, 257, 259–260, 263

Tatz, M. 273, 324, 525 Thelle, N. R. 447, 543 Thielicke, H. 47, 168, 188, 220, 544 Tholuck, F. A. G. 51, 54–55, 202, 544 Tietz, C. 229, 544 Tillich, H. 176, 177, 185 Toyoshima, G. 383, 387, 522 Tsubaki, R. 401 Ueda, S. 446, 512, 544 Ueda, Y. XII, 8, 236, 266–271, 276–278, 289, 294, 296, 297, 303, 313–315, 339–340, 373, 376, 386, 429, 544 Unno, T. 525 Vasubandhu 243, 254–256, 275 Wagner, F. 53, 58, 173, 527, 544 Waldenfels, H. 32, 512, 544 Wegener, C. R. 48, 176 Weischedel, W. 58, 59, 544 Wenz, G. 54, 58, 63, 80, 84–85, 92, 157, 173, 209, 210, 544 Widengren, G. 59, 451, 545 Wilhelm, C. 246, 257, 261–262, 266–268, 275, 278, 298, 545 Wittig, J. 174, 545 Wöhrle, S. 172, 545 Wood, R. W. 33–36, 156, 188–189, 520, 545 Yakumo, E. XII, 354–355, 362–363, 369, 371, 380, 384–385, 396–400, 423, 426, 522 Yamamoto, B. 364, 397, 522, 526 Yasutomi, S. 2, 372, 389, 545 Zendō 善導 (s. Shan-tao) 248, 260, 377 Zimmer, H. 235, 237, 241, 243, 325, 399, 419, 545 Zöllner, R. 441, 444–445, 545 Zotz, V. 243–244, 246, 253–261, 265–270, 273, 294–295, 327–330, 335, 399, 470, 478, 524, 545 Zürcher, E 237, 545

Sachregister Absolute 12, 32, 54–55, 59, 62, 71, 80, 91, 96, 98, 100, 105, 112, 140, 143, 147– 149, 160–161, 190–191, 197, 202, 214, 218, 224, 237, 244, 311–312, 326–327, 332–335, 412, 458, 464–465, 494, 497, 501, 513–516, 518–519, 524 – absolute Positivität XV, 53, 58, 512, 544 Acceptance 36, 100, 107, 165, 167, 190–191, 203–204, 213–214, 217–218, 311, 526, 528, 558, 561–562 akunin-shōki 悪人正機 306, 454 Amida 阿弥陀 XIV–XV, 7–9, 33, 35, 246–257, 260–263, 267, 269, 273–274, 277, 281, 284–285, 291–315, 320–321, 329–336, 340, 342–346, 353–355, 362, 368, 373–401, 408, 410–434, 439, 448, 450–477, 485–502, 507–508, 510–526, 532, 534–535, 540, 564, 571–573, 578, 580–586, 590–600 – Amitābha 245, 247, 261, 330, 335, 472, 597 – Amitāyus 245, 247, 249–251, 597 anatman 498, 594 Angst 76, 90, 99, 113, 134, 141–142, 155, 162, 174, 189, 208, 220, 222, 229, 361, 414, 420–422, 495–496, 505, 508, 578 Anthropologie 33, 67, 260, 297, 306, 486, 498, 544 Apologetik IX–X, 12, 35, 39, 42, 45–58, 63, 74–77, 87–88, 96, 116, 123–124, 133–134, 137–142, 146, 151–157, 161, 168–169, 176, 197–198, 226–229, 440, 474, 495, 503, 514, 540, 543 – apologetisch X, 5, 10, 13–14, 22, 26, 34–39, 44–50, 53–60, 73–78, 85–88, 91, 95–98, 103–107, 110–126, 130–137, 143–147, 150, 153, 156, 158, 168, 173, 175, 180, 186, 190, 194, 197, 200, 205, 214–216, 219–220, 223, 227–230, 294, 316, 337, 356, 423, 430, 436, 441, 448, 450, 458, 464, 467–470, 481, 494, 503, 505, 511, 515, 541

– apologetic X, 44, 56, 113, 116, 121–124, 130, 157, 172, 218, 228, 503, 527, 540 apophatisch 4, 6, 12, 95, 214, 237, 304, 306, 308, 326–327, 331–332, 381, 433, 489, 516–517 Autonomie 25, 52, 102, 139–142, 161, 188, 203, 207–210 Barmherzigkeit XIII, 8, 33, 167, 244, 248–251, 254, 263, 273, 296, 310, 312, 322, 329, 332, 355, 370, 372, 376–377, 384, 391, 410–417, 422–429, 433, 453–454, 457, 498, 513, 563, 579–586 being XIX, 2, 4, 39–40, 43, 46, 61, 65, 76, 81–86, 92, 100, 107–109, 113, 128, 131–132, 144, 148, 155, 157, 165, 190, 205–213, 217, 221–222, 237, 245, 255, 262, 269, 272–274, 285–286, 303–307, 310–315, 326, 332–333, 340–344, 374–375, 379–380, 389, 442, 455, 495, 497, 499, 513, 517, 519, 557–562 – being accepted 10 – ground of being 59, 82, 286, 557 belief X, 4–5, 35, 96–97, 108–109, 112, 148, 158, 164, 177, 214, 220, 291, 442, 494–495, 542 Bild, Christi 97 Christologie 22, 75, 84, 107, 109, 155, 192, 211–213, 337, 487, 489, 495, 511, 514–517, 531, 535 courage 42, 45, 53, 60, 76–77, 89, 100, 106, 141–143, 148, 151, 155, 157, 160, 173–174, 178, 182, 188–189, 193, 203, 208, 211, 217–220, 520, 558, 561 dharma XII, 9, 236, 238, 240, 243–267, 271, 279, 282, 288, 290–291, 296, 299–306, 310, 312, 327–328, 331–332, 335, 339, 346, 352, 355, 360–361, 364, 368–382, 387–390, 396–398, 403–404, 418–424, 433–434, 457, 459, 469, 489,

608

Sachregister

494, 502, 506, 513, 516–517, 575, 594–597, 601 Dialog IX, XII, XIV, 1, 3–4, 8, 10–15, 21, 23–38, 65, 67–68, 95, 110, 193, 244, 286, 296, 325, 336–339, 346, 354, 404–405, 409, 439, 446–449, 463, 469, 478–492, 498, 500, 510, 512, 527–529, 533, 536, 543–545, 592, 595 Dimension der Tiefe 81–82, 112, 122, 195–198, 228, 501 doxologisch XIV, 510 Dualismus 65, 102, 241, 273, 314, 334, 408 – Non-Dualismus 63, 73, 169 Durchbruch X, 5, 94–98, 111, 128–129, 139, 148, 166, 169, 176, 182, 213, 218, 225, 497, 499, 508, 515, 544 Einheit XVII, 61, 65–67, 70, 79, 103, 108–111, 124, 126, 138, 193, 201–202, 204, 209–214, 217, 228–229, 234, 251, 259, 285, 290–291, 295, 314–315, 321, 334, 351, 355, 408, 426, 432, 496 – Einheit des Lebens X, 64, 66, 78, 101–102, 107, 111, 154, 196, 203, 212–213, 509, 515 – transzendente 5, 62, 104–105, 111, 213, 493, 500, 515 – unzweideutige 5, 62, 104, 500, 514 ekō 回向 XV, 245, 250, 255, 288, 298–300, 304, 333, 459, 521, 546, 595–597 Ekstase 56, 67, 83, 106, 111, 220 Elenchtik 154, 160, 169, 202, 205, 228, 495–496, 510–511 emisch 14–15, 34, 38–41, 46, 133, 147, 173, 175, 187–188, 233, 265, 285, 297, 357, 385, 409, 436, 440, 473, 479, 482–483, 492 Entfremdung 40–41, 45, 62, 63, 66, 75, 78, 85, 104, 109, 111, 138, 154, 160, 180, 199–210, 214–215, 219, 259, 286, 376, 419, 422, 498, 515 Erfahrung X–XIV, 1–15, 28, 32, 35–37, 41–44, 51, 54–57, 67–72, 80–84, 88, 92, 94–100, 104–106, 111–113, 123–126, 129–132, 137–143, 148–149, 166–193, 199–201, 208–223, 229, 233–243, 249, 253–254, 261, 266–268, 289–297, 300, 306–327, 334, 338, 341, 373, 376–385, 389, 396, 418–424, 429, 432–434, 447, 465, 475–480, 485–486, 488–518, 532, 541, 566, 575, 577, 595 Ergriffensein / being grasped 4, 8–9, 45, 57, 84, 85, 91, 93–104, 108–113, 147–148,

161, 164, 169, 213, 218, 222–228, 315, 429, 434, 493, 506, 518, 598 Erhebung 97, 104, 473 Erlöser 271, 423–424, 457–458, 472–473, 514 Essentifikation 32, 63, 111, 204, 500 Essenz / essentiell X, 8, 61–65, 78, 103, 111, 136, 163, 203, 206, 240 etisch 440 Existenz / existentiell X, 5, 9, 30, 36– 37, 43–45, 60–68, 73–79, 83, 86, 88, 99, 103–106, 109–113, 127, 132–133, 136–155, 158, 162–174, 181, 188–189, 192–209, 212, 214–215, 221, 223–224, 229, 240, 251, 270, 284, 290, 292, 295, 301, 308, 314–317, 320–321, 336, 344, 368, 376, 418–422, 431–434, 461, 482, 484–485, 488, 496–502, 505, 508, 511–515, 529, 595 Expressionismus / expressionistisch 129–130, 176 faith X, XIV, 4, 8, 28, 35, 42–43, 46, 72, 86, 89–109, 112, 116, 121–122, 147–149, 158, 164–165, 169, 177, 189, 193, 207, 219–220, 222, 261, 274, 291–297, 303, 310, 318, 329, 339, 362, 374, 382, 384, 386, 458, 466, 477, 492–497, 518, 520, 528, 534, 540, 542, 569, 570, 598, 599, 600 fides 35, 87, 487 – qua creditur 4, 96, 141 – quae creditur 4, 5, 96, 99, 141, 142, 195, 214, 218, 494, 514 – sola fide XIV, 7, 292–293, 447, 449, 453, 476, 483–487, 534 Form XIII, 4, 6–7, 30, 37, 49, 69, 70, 79, 80, 85, 98, 119, 120, 128, 133, 148, 164, 172–176, 197, 202, 204, 212, 216, 254, 266, 276, 278, 302–306, 317, 325, 328, 331–332, 339, 346–348, 359, 361, 392–393, 407, 428, 435, 450–451, 472, 481–482, 494, 516–517, 528, 558, 564–565, 592 Freude XIV, 3, 205, 215, 250–253, 259, 291–292, 299, 307, 312–313, 319, 321, 354, 367, 383–384, 389, 394, 402–403, 410– 418, 423–424, 426–429, 447, 499–500, 521, 548, 554, 569–571, 584–587 fukyō 布教 XII, XV, 10, 13, 17, 286, 288, 343, 350–358, 363–366, 371–373, 377, 380–384, 387, 389–391, 395–396, 399, 423, 426, 434–435, 482, 495, 502–503, 517, 520–522, 547, 592–593, 595

Sachregister fukyōhō 布教法 13, 17, 343, 358, 363–365, 371, 503, 517, 520–522 fukyōshi 布教使 XII, XV, 343, 377, 381, 387, 390–391, 395, 399, 495, 502, 547, 592–593, 595 Fürwahrhalten 4, 5, 96, 97, 180, 182, 215, 550 futaiten 不退転 250, 308, 435, 597 Geist XIX, 5, 23–29, 38, 50–52, 55–57, 62–65, 68, 77–79, 82–85, 90, 92, 100– 105, 109–110, 129, 132–135, 138–140, 144, 146–148, 158, 160, 163, 173, 175, 177, 179, 182, 184–186, 195–196, 200, 212–213, 222, 257, 291–292, 354, 359, 413, 419, 422, 448, 450, 456–457, 469, 484–485, 493, 496, 507–508, 515, 523, 533, 544, 548, 552, 554, 574, 577, 579, 594, 597 Geschickte Mittel (s. upāya) 248, 284, 325, 329–330, 333–336, 366, 468, 470, 485, 516, 597 Gesetz und Evangelium 158, 169, 181, 207, 230, 292, 376, 477, 505, 510 Gewissheit 4–5, 113–114, 125, 134, 139, 144–149, 179, 180, 190, 313, 321, 394, 413, 417, 493–495 Glaube IX–XIV, 1, 4, 6, 8–12, 21–23, 27–29, 33–66, 70–77, 83–113, 122–125, 135, 137, 142–149, 158, 160–161, 164, 168–187, 190–194, 197, 207, 210–233, 243, 252, 261, 264, 278–299, 302, 306, 308–309, 315, 318, 321–324, 336, 346, 354, 356, 364, 370, 372, 377–386, 403, 409–410, 420–424, 430–435, 439, 442, 446–461, 465–466, 472–489, 491–507, 512–519, 524–531, 535, 542, 548–554, 567, 569–570, 578, 588, 590, 598 – absoluter Glaube X, 97, 99 – Alpha- und Omega-Glaube 4, 484, 527 Gnade 108–109, 133, 143, 166, 169, 174, 180–181, 186, 191–195, 198, 201–205, 210–221, 294–295, 320, 322, 339, 377, 411, 415, 417, 457–463, 469, 475, 487–488, 550–552, 555, 572, 583 Gott 3, 5–6, 25, 27, 35, 37, 40–43, 54–56, 59, 63–74, 82–85, 91–92, 97–98, 104–105, 111–112, 118, 120, 123, 129, 134–135, 139, 141, 143, 148–149, 159, 161, 167, 174–186, 193, 196–199, 201–202, 207, 209–229, 237, 240, 247, 295–296, 316, 319, 326–327, 360, 379, 422, 443, 453–463, 471, 473, 476, 480,

609

482, 484, 487, 490, 498, 502, 506–507, 511, 514–517, 526, 533, 536–545, 548–555, 563–565, 570, 579 – Gott über Gott / God above God 98, 105, 219 Grenze / boundary X, 1, 10, 23–24, 28, 50, 54, 57–58, 72, 75–76, 98–99, 116, 123–132, 135, 137, 140, 168–169, 187–188, 191, 209–210, 308, 317, 320, 395, 424, 472, 488, 493, 495, 505, 508, 537, 540, 566, 568, 581 Grenzsituation / boundary situation 24, 98, 125, 128–132, 138–143, 146, 150, 160, 166, 169, 198, 208–212, 215–216, 292, 477, 495, 498, 505, 511 hakarai はからい 240, 296, 301–302, 305, 330, 375, 433, 499, 510 Heilige X, 4, 35, 67–72, 79–84, 101, 105, 112, 167–168, 178, 189, 192, 195–196, 242, 246, 374, 381, 410–411, 415, 462, 469, 490, 505, 522, 538, 540, 548, 592–594 Heilung X, 22, 28, 66–67, 85–86, 90, 106–112, 122, 155, 169, 189, 193, 216, 229, 297, 425, 509, 531 Hermeneutik XI–XII, 2, 5–6, 10, 13– 14, 49, 129, 233, 239, 255, 278, 300–302, 306, 321, 324, 329, 337–338, 377, 434, 472, 474, 479, 492, 505–506, 536, 541 Heteronomie 25, 102, 126, 139–142, 188, 207–210 hiyu 比喩 251, 388, 397–402, 427–430 hōben 方便 XII, 12, 35, 71, 233, 300, 324, 329, 334–335, 347–348, 366, 382, 412, 459, 464–466, 489, 506, 515, 534, 536, 595 – gonke-hōben 権仮方便 330–331, 434, 467, 470, 506, 516, 597 – hōben-hosshin 方便法身 258, 296, 303–305, 331–332, 336, 381, 433–434, 467, 480, 516–517, 597 – zengyō-hōben 善巧方便 325, 331, 332, 434, 467, 470, 598 Homiletik X, 1–6, 11–12, 15–16, 23, 41–42, 44, 46, 68, 113–117, 127–130, 133, 137, 156, 169, 171, 189–190, 202, 234, 238, 343, 347, 356–357, 401, 435, 490, 492, 500, 502–503, 507–508, 511, 517, 530–531, 535–537, 545 hongan 本願 XI–XII, XVI, 2, 8–9, 12–13, 34, 234, 246–249, 255, 263–266, 273, 277–289, 293–295, 299, 302–303, 308–310, 315, 318, 320–322, 333, 343,

610

Sachregister

356–358, 363–380, 385, 387, 392, 407–408, 412, 414, 417, 426, 428, 444, 452, 464–465, 468–469, 479, 482, 493, 516, 520–525, 546–547, 569, 572–573, 577, 584–585, 597, 599, 601 Honganji-ha 本願寺派 XI–XII, XVI, 2, 9, 12–13, 234, 246–247, 264, 273, 280– 289, 293–295, 309–310, 315, 321–322, 333, 343, 356–358, 363–374, 379, 387, 392, 407–408, 412, 417, 426, 428, 444, 452, 465, 479, 482, 493, 520–523, 547, 599, 601 hōonkō 報恩講 266, 280, 353, 368–369, 386, 408–411, 414–418, 434, 522, 592–593 Hören XII–XIII, XIV, 3, 9, 16, 37, 105, 115, 124, 152, 157, 173, 207, 220–224, 250, 260, 266, 286, 291, 308, 311–313, 321, 326, 346, 360, 363–364, 368, 373–379, 382, 384, 387–390, 393, 396, 402, 404–405, 410, 418–421, 429, 433–436, 462–463, 484, 491, 501–502, 541, 550, 563–566, 569–571, 574–576, 586, 589–590, 593 hōwa 法話 XII–XIII, XV, XIX, 9–10, 14, 28, 233, 242, 247, 266, 270, 283, 289, 297, 315–316, 319, 322, 324, 333, 336, 350–356, 363–373, 376–378, 383–384, 387–388, 391–396, 407–411, 414–418, 421–436, 494, 496–499, 502, 506, 510, 517, 521–522, 525, 547, 563–597 hōza 法座 XII, 350, 368, 391–392, 395–396, 411, 436 human predicament 76, 155, 163, 169, 210, 509, 511 Idealismus 145–146, 150, 174–175, 188, 465, 467, 528 Ideogramm 80 innen 因縁 361, 398, 400–401 Japan VII–VIII, 1–3, 7, 10, 15, 21, 24– 31, 34–38, 52, 167, 190, 234–235, 242, 244, 254, 268–269, 276, 281, 284, 287, 295, 322, 343, 346–349, 352, 356–357, 367–368, 372, 379, 393, 413, 440–453, 457–464, 471–474, 477–480, 529–546, 564–572, 578, 580, 583–584, 587–588, 594–595, 597 jihi 慈悲 238–239, 326, 412–413, 417, 424, 454, 466, 563 jiki-sōō 時機相応 359, 388–389, 436, 504

jinen-hōni 自然法爾 304–305, 501, 508, 598 jiriki 自力 8, 32, 257–258, 296, 300–302, 305, 307, 330, 334, 375, 379, 406, 429, 433, 450, 466, 485, 489, 496–499, 510, 572, 598, 600 ji-shin-kyō-nin-shin 自信教人信 XII, 9, 359, 362, 364, 366, 373, 380, 384, 387–391, 433, 435, 502, 508 Jōdo-shinshū 浄土真宗 IX, XI–XIII, XIV, XVI–XVII, XIX, 1–3, 7–17, 21, 24, 28, 31–38, 67, 87–88, 98, 167, 172, 193, 222, 231–235, 242–248, 255–258, 264–267, 272, 274–299, 303, 306, 309– 310, 316–320, 322–325, 329–343, 347, 349–350, 352–353, 355–401, 407–522, 547, 565–580, 587–601 Karma / karmisch 240, 245–248, 251, 257, 272–273, 301, 312, 326, 354, 360–361, 375, 382, 388–390, 398, 401, 403, 430, 436, 454, 497–500, 598 kataphatisch 4, 12, 95, 214, 237, 304, 306, 326, 332, 381, 433, 489, 516–517 kekkan 結勧 385, 398–401, 428, 436, 494 kie 帰依 3, 44, 50, 55, 60, 64–65, 124, 133, 174, 183–184, 200, 216, 229, 289, 291, 309, 319, 417, 431, 447, 480, 483, 498, 534, 563, 570, 598 kihō-ittai 機法一体 304, 495 Kommunikation XIV, 3, 9–11, 14–15, 22–23, 31, 35–38, 45–46, 60, 73, 76–79, 82, 85–88, 109–111, 131–133, 137–138, 143, 151, 153–155, 167, 169–170, 172, 182, 194, 200, 205, 218, 221, 223, 227– 230, 233, 283, 286–288, 297, 302, 309, 322–324, 333, 336, 341–343, 372–373, 377, 387, 392, 395, 398, 409, 421, 433, 441–442, 446, 463, 470, 472–473, 479, 484, 488–495, 500, 504, 511, 513, 536–537 Kontext IX, XI–XII, XIV, 3, 5, 11, 13, 16, 26, 30–31, 36–37, 40–41, 49, 57, 61, 68, 77, 79–80, 82, 86, 97, 101, 108–110, 113, 116–118, 121, 125, 131, 137–138, 147, 154–156, 162–163, 166, 169, 171, 176, 182, 191, 193, 195, 205, 208, 210– 211, 218, 222, 225–230, 233–235, 240, 255–256, 260–266, 273, 277, 287–292, 296, 306, 320, 322, 325, 329, 330, 335, 350, 352, 359, 362, 370, 391, 400, 408, 411, 413, 435–436, 441, 443, 445–446, 450–454, 469, 473–474, 483, 490–492,

Sachregister 498, 503–506, 512, 517, 527, 537, 541, 583, 594 – kontextuelle Homiletik 1, 130 – kontextuelle Theologie 2, 227 Kontextualisierung 2, 57, 155–156, 162, 169, 210, 228, 474 Korrelation X, 5, 44–45, 62, 95, 115, 117, 124, 129, 153, 193, 469, 482, 488–489, 500, 504, 529, 539 – Korrelationsmethode / method of correlation 53, 66, 72–79, 88, 111, 118–119, 132–133, 137, 142, 147, 157, 169, 181, 190, 197, 199, 201, 205, 209, 228, 230, 505, 515 kudoku 功徳 245, 249, 298, 598 Kunst IX, 16, 32, 35, 41–42, 55, 57, 110–111, 130, 176, 198, 203, 344, 347, 402, 406, 436, 443, 468–472, 496, 503, 536, 542 Leben VIII, XI, XIV, 1–10, 13, 27, 29, 37–45, 50, 52, 54–67, 76–79, 85, 88, 91–92, 97–113, 129, 131–132, 136, 142, 146, 149, 154, 157–170, 173, 179–180, 183–229, 234, 236–237, 241, 247–254, 262, 266–279, 287, 290, 292, 295, 298, 303, 308–309, 312–320, 332–335, 340, 349, 367, 369, 371, 376, 384–386, 389, 394, 396, 403, 408–436, 447, 450–451, 456, 458, 462, 466, 490, 492, 494–503, 509, 513–515, 518, 521, 524, 532, 535–555, 563–566, 568, 572–594, 597 – Lebensbegriff X, 10, 37, 60–61, 65–66, 72, 101–102, 106, 112, 166, 176, 191, 193, 201, 229, 490, 500, 518 – Lebensphilosophie 45, 59, 61, 97, 101, 108, 131, 160, 166, 184, 187, 190–191, 201, 220, 496, 498, 515 – multidimensionale Einheit des Lebens / multidimensional unity of life 101, 201, 500 Leere XV, 90, 144, 158, 162, 189, 215, 225, 244, 315, 324, 327, 336, 348, 388, 412–413, 490, 496, 501, 512, 515, 524 Leiden 33, 68, 84, 110, 134, 136, 160, 197–198, 200, 215, 224, 238–239, 244, 251, 258, 263, 292, 317–318, 355, 412, 416, 426–428, 485–486, 495–498, 514, 516, 528, 535, 538, 542, 550, 565–566, 569–570, 573, 583–584, 596 Liebe 29, 37, 39, 52, 57–60, 71, 84, 91, 95, 98, 104, 134, 137, 161, 167, 177, 182, 205, 206, 213, 273, 322, 336, 386, 424–425, 457, 472, 480, 493, 498, 500,

611

506–507, 515, 543, 548, 550–551, 554, 577, 581–582 life 43, 61–66, 86, 96, 101, 106, 108, 128, 132, 157–158, 166–167, 191–192, 196–198, 201–211, 230, 252, 262, 269, 272, 303, 308–309, 314, 375, 386, 409, 456, 466, 500, 508, 519, 528, 538, 556–562, 597–600 Macht 1, 4, 13–17, 22, 28, 33–34, 38, 45, 50, 54–70, 84–85, 88, 93, 96, 102–109, 118, 122, 126, 130, 132, 134, 136, 139, 141–149, 160–161, 165–166, 169, 172, 178, 188–192, 196–197, 199–200, 203– 206, 210–222, 228, 233, 235–236, 265, 268, 271, 273, 275, 277, 280, 282, 294– 296, 301, 303, 307, 316, 328, 335–337, 342, 348–349, 353–354, 361, 367–370, 376, 381, 386–387, 393–394, 402, 404–405, 413, 417–423, 431, 433, 435, 440, 443, 446–454, 457–461, 469–479, 483–484, 487–497, 508, 510–511, 514, 550, 552, 554, 565, 567, 573, 577, 580, 582, 584, 586, 590, 592–593, 595–596 – Macht des Seins / power of being 59–60, 65, 90, 94, 98–100, 113, 143, 208 Mādhyamika 243–244, 258, 465 mappō 末法 8, 259–263, 266, 268, 271, 301, 306, 321, 345, 370, 477, 482, 497, 506 Metaphysik 27, 58, 91, 214–215, 483, 515 Mission VIII, 2, 7–8, 30–31, 49–51, 56, 76, 134, 236–237, 247, 272, 276–277, 283, 286, 288, 322, 338, 341, 346, 350– 356, 359, 363–366, 369–372, 387, 391, 394, 409, 418, 426, 428, 435, 441–444, 447–451, 457, 464, 467–474, 481, 521, 523–524, 528, 539–540, 543, 545, 569, 583–585, 599 mompō 聞法 XII, 9, 364, 368, 373–377, 387, 391, 396, 418, 421, 433, 502, 575 Monismus (s. a. Non-Dualismus) 31, 38, 321, 490 Mut 42, 60, 72, 87, 89, 90, 97, 99, 100, 113, 142, 143, 158, 160, 204, 208, 215, 218, 229, 509 Mystik 3, 6, 25, 68–70, 98, 165, 175, 193, 222, 448, 532, 538, 543, 544 – mystisch 6, 10, 60, 69, 118, 134, 137, 162, 195, 385, 471, 499, 512, 544 – mystisches Apriori 68, 112 Mythologie 247, 390, 515

612

Sachregister

Name, der 9, 33, 37, 108, 196, 217–219, 242, 252, 291, 299, 302–307, 326, 332, 335, 374, 379, 421, 442, 452, 461, 486, 489, 511, 516, 530, 561, 599, 600 – Namensrede XIV, 490, 510 nehan 涅槃 305, 308, 412, 501, 513, 569, 598 nembutsu 念仏 XIV, XVII, 7, 240, 251– 257, 260–274, 278–281, 285, 287–288, 291, 296, 299–307, 312, 316, 318, 321, 330–334, 345, 347, 349, 360–361, 377–378, 393–394, 396, 399, 408–429, 433–434, 448–449, 455, 476, 480–489, 494–499, 516–517, 524, 526, 534, 546, 568, 572, 574–575, 578, 581, 585–589, 592–596, 598 nyorai 如来 236, 254, 259, 303, 333–334, 355, 360, 366, 382, 384, 388, 411–412, 415, 423, 427, 431, 572–573, 580–586, 590–591, 596, 598–600 Offenbarung 5, 31, 73, 76, 94–98, 111, 158, 164, 172, 176, 192, 207, 215, 243, 270–272, 333, 335, 337, 456, 459–462, 497, 506 – Grundoffenbarung 95, 98, 148–149, 187, 213–214 – Heilsoffenbarung 4, 30, 69, 95, 98, 148–149, 179, 187, 213–214, 494, 517 Ontologie / ontologisch IX, 10, 45, 53, 58–61, 63, 64, 67, 73–76, 81, 89–90, 97, 100–103, 106, 111–112, 122, 125, 128– 130, 141, 163, 169–170, 188, 201–204, 208, 212, 220, 224, 227–228, 238, 241, 243, 296, 315, 325, 334, 458–459, 467, 490, 493–496, 500, 504, 512, 517 Paradox X, XIV, 6, 8, 54–57, 67, 100, 105, 112, 125, 132, 140, 150, 163–166, 169, 175, 178–182, 186, 190, 198, 203–204, 210–213, 219, 223–229, 276, 304–305, 418, 477, 493, 497, 501, 505, 511, 514, 518, 540 pratitya-samutpada 67, 420, 500, 594 Predigt X–XI, XIII, XV, 3–12, 15–16, 21–31, 37–58, 62–64, 72–74, 79–86, 95–96, 101, 105–110, 113, 115–138, 143–160, 165–166, 168, 171–230, 233, 237–238, 257, 267, 278, 282, 287–288, 292, 336–338, 343–372, 381, 385, 391–394, 396, 401–406, 411, 414–418, 426, 428, 433, 435, 436, 441, 443, 447, 450, 452–453, 471–472, 477, 482, 484, 489, 494–496, 499, 501–503, 507–508,

510–511, 515, 521, 526–530, 532–533, 535–538, 540, 542–543, 545, 548, 552, 556, 594–595 Protestantisches Prinzip 121, 226 Psychotherapie 107, 159, 189, 509, 531, 540 pura fe 98 Rechtfertigung 5, 10, 38, 45–46, 53, 61, 85–86, 97, 100, 105, 112, 124, 126, 138–145, 165–166, 171, 174–191, 202–204, 210–217, 224, 226, 229–230, 447, 461, 471, 493, 497, 501, 505, 506, 509, 514, 533, 536, 538, 541 Reines Land / pure land XIX, 7–9, 34, 246, 256, 270, 274, 284–285, 301, 308, 312, 335, 340, 379, 431, 466, 482, 523, 525–526, 528, 531, 533–534, 538, 542–543, 588 religiöse Rede IX–XII, XIV, XIX, 6, 9, 11, 14, 17, 21, 28, 38–40, 43–44, 115, 117, 119–120, 124, 191, 229, 231, 266, 292, 329, 336, 342, 347–350, 354, 357, 359–361, 368, 370, 373, 376, 380, 383, 385, 387, 389, 391–392, 399–400, 409– 410, 432, 433, 435, 491–492, 501–503, 507, 510, 514, 520, 529, 594, 597 Rezeption 7–13, 26, 29–30, 37–42, 59, 81–83, 86, 95, 111, 115, 117–118, 122, 162, 175–176, 188, 195, 205, 228, 235, 253–255, 261, 265, 272, 293, 325, 378, 431, 463, 470, 498–499, 504–505, 511, 534–536 – Rezeptionsästhetik 536 – rezeptionsästhetisch 86–87, 111, 205, 228, 505, 511, 535 rinne 輪廻 239, 500, 598 Rudolf-Otto-Symposion 13, 27, 440, 446–449, 478, 490 Säkularisierung 1–5, 30, 44–45, 73, 110–111, 155–156, 168, 227, 343, 370, 372, 422, 432, 435–436, 445, 473, 480–481, 492, 501, 527, 534, 540 samsāra 238–244, 258–261, 297, 306, 313, 330, 388, 390–391, 398, 412, 454, 500, 566, 594, 598 sanbō 三宝 290–291, 319, 570, 598 sandai 讃題 342, 353, 359, 361, 396, 398–401, 405, 421, 427, 429, 436, 507 sangantennyū 三願転入 298, 476 Seelsorge X, 46–51, 107–108, 116, 125, 133–136, 159, 168, 189, 538, 543

Sachregister Sein X, 22, 32, 39–42, 54, 58–64, 79, 87, 89, 92, 100–104, 108, 111, 118, 125, 140–147, 155, 160, 165, 169, 175, 183, 189, 198, 202, 204–205, 208, 212, 218, 226, 229–230, 240, 254, 281, 344, 456, 484, 496, 505, 509, 512, 515, 544, 568 – Grund des Seins / ground of being 59, 94, 111, 128, 166, 199, 206–208, 240, 496, 512 – Sein-Selbst / being itself X, 32, 58–59, 71, 78, 85, 101, 140, 196 – Neues Sein 22, 39, 103, 125, 144, 146, 165, 212, 514, 519 – Nichtsein X, 32, 58–60, 90, 99–100, 103, 111, 113, 140, 147, 189, 204, 208, 230, 254, 494, 496, 505, 512–513 sekkyō 説教 3, 344, 346, 350–356, 363, 368, 387, 392, 397, 401–402, 520, 542, 598 Selbst X, 33, 63, 65, 105, 148, 165, 184, 201, 204, 207, 241–243, 305, 311, 313–314, 320, 335, 375, 381, 383, 391, 395, 421, 431–433, 485, 498, 504, 507, 526, 542, 568, 572, 579, 589–591, 593–595 – Nicht-Selbst 241, 498 – Selbstaktualisierung 112, 431, 496, 499 – Selbst-Integration 67, 105–106 – zentriertes Selbst 184 seppō 説法 350–352, 358–361, 366, 376, 389–391, 397, 433, 502, 507 sermon 39–44, 62, 113, 117, 122–123, 131–132, 175, 188–190, 201, 212, 221, 228, 343–344, 348–353, 361–362, 369–370, 382, 398, 453, 503, 523, 529, 532, 556, 598 sesshu-fusha 摂取不捨 8, 273, 308, 321, 413, 434, 493, 598 shinge 信解 281, 290, 411, 414, 598 shinjin 信心 XI–XIV, 1, 8–9, 12, 14, 28, 32, 36, 87, 98, 233, 254–255, 261, 278, 289–324, 329–334, 341–342, 359–362, 367, 373, 375–391, 396, 399, 401, 403, 407–436, 446, 448, 465–466, 475, 480, 486, 491–502, 510, 518, 521, 563–564, 569–574, 578, 585–586, 589–590, 597–598 shinkō 信仰 89, 295, 318, 385, 403, 480, 519, 569, 570, 598 shintai 真諦 237, 327, 412, 464, 468 shōjōju 正定聚 308, 321, 413, 435, 466, 494, 588, 589, 598 shukuzen 宿善 / mushukuzen 無宿善 360, 388, 389, 403, 436

613

Sinn 1, 4, 6, 29, 31, 43–44, 52, 57, 65–66, 69, 79, 81, 86, 88, 90, 92, 94, 97–107, 110, 113, 119–120, 122, 126, 129, 134–135, 140–142, 147, 154, 157–158, 162–163, 166–167, 174, 176, 184–185, 189–190, 195, 197–210, 215–224, 228–229, 234, 236, 239, 244, 255, 258, 276, 292–295, 306, 311, 320–325, 331–337, 346, 352, 354–355, 367, 369, 376, 378–390, 405, 408, 412–414, 417, 420–421, 423, 439, 441, 448–449, 464, 471, 476, 481, 486–487, 496–498, 505, 508, 516–517, 521, 531, 536, 541, 543, 556, 566, 571–580, 586, 589–590, 596 Spiritual Presence 5, 62, 104, 108, 212, 500–501, 507, 512–513, 515, 543 Sprache X, XV, 15–16, 22, 31, 38–46, 59, 62, 67, 69, 77, 79–80, 85–86, 88–91, 112, 117–120, 122, 150, 158, 161, 167, 182–183, 188, 194–196, 205, 217, 227–228, 235, 255, 271, 281, 284, 297, 318, 320, 322, 343, 346, 350–351, 365, 368, 392, 402, 409, 423, 426, 442, 446, 448, 452, 478, 480–482, 504–507, 514, 517, 522–523, 526, 544, 569, 583, 595–596 Subjekt-Objekt-Spaltung 10, 37, 84, 111, 149, 212, 215, 220, 229, 300, 493 Sünde 54, 85–86, 109, 133–134, 143, 174, 180–181, 191–195, 198–207, 211, 213, 216–217, 220, 251, 390, 450, 453–454, 476, 481, 486–487, 498, 544, 549 śūnyatā XV, 327, 340, 412, 465, 496, 501, 512–513, 594 Supranaturalismus / supranaturalistisch 25, 66, 80–81, 97, 112, 127, 169, 196, 227, 511 Symbol 24, 66, 72, 74, 76–86, 91, 104, 112, 128–129, 142, 148, 150, 158, 160–165, 195–196, 212, 217–219, 261, 272, 291, 329–330, 334, 391, 424, 477, 479, 489, 500, 505, 514, 516, 530, 533 tarkiki 他力 98, 257, 273, 293, 295, 298– 302, 305, 320, 375, 396, 516, 572, 589, 598 Theismus 27, 64, 98, 174, 176, 203, 219, 445, 456–458, 465, 483, 486, 488, 539 – nicht-theistisch 7, 27, 35, 37, 143, 473, 487, 489–491 Theonomie / theonom 26, 69, 94, 97, 103, 128, 161, 164, 228, 508 Tiefe 15, 23, 29, 32, 37, 39, 78–82, 84, 86, 98, 112–113, 122, 124–125, 136, 141, 153, 172–173, 180, 189, 191, 193–198, 202, 206–207, 210, 212, 214–215, 228,

614

Sachregister

251, 261, 273, 291, 299, 306, 311, 319– 320, 378, 400, 413–414, 420–421, 423, 431, 448, 455, 479, 480–481, 497, 501, 509, 512, 514, 519–520, 529, 532, 550, 553, 571–573, 579–580, 589, 590, 594 Tiefenpsychologie 153, 196, 206, 509 Tradition XI, XIV, 1–9, 12–15, 29–30, 34, 37, 41, 43–44, 59–60, 65, 82, 85–86, 90, 92, 112, 122, 132, 139, 141, 150, 152, 155, 158–163, 167, 169, 173, 181–182, 185, 192–197, 201, 205, 207, 214, 217, 222, 227, 234–235, 237, 239–242, 246– 258, 261, 264, 266–282, 285–286, 289, 297–304, 306, 309, 313–314, 320–321, 325, 329, 331, 335, 338–350, 353–355, 361, 371–379, 388–389, 391–392, 396– 398, 405, 408–410, 417, 419–421, 425, 428–436, 441–442, 445, 447–448, 454, 465–467, 470, 472, 475, 477–478, 480, 483, 485, 488, 490–499, 503–510, 513, 517, 525, 528, 531, 540–542, 556–557, 587, 589, 599 Transzendenz 55, 80, 85, 93, 96, 112, 119–120, 125, 142, 240, 308, 326, 501, 514–515, 524 tri-kāya 243, 245, 465, 516, 595 ultimate concern XI, 23, 79, 83, 91, 93, 113, 144, 158, 167, 172, 196–197, 202, 221, 227–230, 498, 501, 506, 508, 511, 530 upāya XII, 12, 35, 71, 162, 233, 243, 245, 258, 272, 324–325, 328–329, 334, 337, 367, 379, 382, 412, 468, 471–472, 515–516, 525, 536, 540, 597 Vermittlung XII, XIV, 4–9, 12, 30, 32, 38, 49, 82, 84, 87, 109, 112, 114, 156–157,

169, 171–174, 192, 213, 227, 233, 239, 266, 278, 297, 306, 324, 326, 341–342, 347, 381, 384, 391, 432–433, 491–494, 501–504, 507, 513, 518, 528 Verzweiflung 76, 99, 100, 105, 109, 113, 134, 139, 141–142, 145–147, 174, 179, 182, 198, 200, 206–210, 214–216, 225, 251, 495, 505 Weisheit 38, 72, 98, 105, 144, 149, 243–245, 293, 296, 328–329, 373–374, 377, 383, 391, 404, 411–412, 415–416, 424, 427–428, 433, 513, 566, 581, 584 Wort Gottes 82–84, 111, 129, 161, 221, 229, 462, 480, 502, 506–507 Yogācāra 243–244, 255, 258, 464–466 Zeichen XVII, 81, 86, 145, 166, 173, 206, 247, 256–257, 265, 271–275, 289, 291–292, 295, 299, 308, 310, 340, 346, 352–353, 358–359, 372, 380, 409, 411, 420–421, 423, 425, 430, 441–442, 451, 454, 472, 495, 564, 570, 578, 580–582, 587, 598 zokutai 俗諦 237, 285, 311, 327, 412, 464, 468 Zweifel 4–5, 16, 26, 51, 54, 57, 75, 97– 100, 106, 113, 138–150, 169, 174, 178– 184, 192, 200, 219, 227, 238, 250, 267, 270, 275, 295, 301, 307–308, 317, 323, 374–375, 390, 405, 412, 431, 450–451, 473, 475, 486, 489, 494–495, 499, 509, 548–553, 565, 567–568, 571, 574, 589