München im 19. Jahrhundert : Frühe Photographien : 1850 - 1914 9783829606547

Herausgegeben vom Stadtarchiv München Mit einer Einleitung von Michael Stephan 320 Seiten, 278 Abbildungen in Duotone

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German Pages [324] Year 2013

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München im 19. Jahrhundert : Frühe Photographien : 1850 - 1914
 9783829606547

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MÜNCHEN IM 19. JAHRHUNDERT FRÜHE PHOTOGRAPHIEN 1850-1914

SCHIRMER/MOSEL

MÜNCHEN IM 19. JAHRHUNDERT

ELISABETH ANGERMAIR

MÜNCHEN IM 19. JAHRHUNDERT ERÜHE PHOTOGRAPHIEN 1850-1914

Mit einer Einleitung von Michael Stephan Herausgegeben vom Stadtarchiv München

SCHIRMER/MOSEL

Einleitung

7

»... alltägliche Kleinigkeiten, die (...) für die Kulturgeschichte von Wert sein können und werden.«

MICHAIL STEPHAN

ELISABETH ANGERMAIR

Photographien von und für München

TAFELN

Die Photographen Konkordanz der Archivnummern

22

MARIENPLATZ

38

ÜBER DIE ISARVORSTADT NACH THALKIRCHEN UND AUF DAS SÜDLICHE ISARTAL

56

ÜBER DAS ANGERVIERTEL DER LINDWURM­ STRASSE FOLGEND NACH SENDLING

80

ÜBER DAS HACKENVIERTEL ZUR THERESIENWIESE

108

DER NEUHAUSER STRASSE FOLGEND NACH WESTEN

140

ZUR FRAUENKIRCHE UND DARÜBER HINAUS ZUR MAXVORSTADT

164

ÜBER DAS KREUZVIERTEL AUF DAS SPÄTERE WESTSCHWABING

194

ÜBER DAS GRAGGENAUER VIERTEL ZUM ENGLISCHEN GARTEN

218

ÜBER DIE SANKT-ANNA-VORSTADT NACH BOGENHAUSEN

242

DURCH DAS TAL UND NACH HAIDHAUSEN

268

ÜBER DIE HEUTIGE MUSEUMSINSEL BIS RAMERSDORF

292

VOM VIKTUALIENMARKT IN DIE AU UND NACH GIESING

3D

317

Einleitung MICHAEL STEPHAN

Das Panorama von 1858 als Ausgangspunkt

erschlossen das Areal der Maxvorstadt: die Brienner Straße und

Die erste photographische Gesamtaufnahme der Stadt München

die Ludwigstraße (diese deutlich im Panorama zu erkennen mit

stammt aus dem Jahr 1858 und wurde von Georg Böttger, einem

Feldherrnhalle, Siegestor, Ludwigskirche, Universität und Staats­

der frühen Photopioniere in München, vom Alten Peter, dem Turm

bibliothek). Die Brienner Straße mit Odeon und zahlreichen Palais’

der Pfarrkirche St. Peter, aus aufgenommen. Ein Exemplar des aus

führte über den runden Karolinenplatz (mit dem Obelisken) zum

elf Einzelphotos zusammengesetzten Panoramabildes wird heute

quadratischen Königsplatz mit Glyptothek, Kunstausstellungs­

im Stadtarchiv München verwahrt.

gebäude und Propyläen (im Panorama durch das massige Schiff

Dieses Photopanorama von 1858 gibt mit seiner Entstehungszeit

der Frauenkirche verdeckt). An der königlichen Residenz trafen

den zeitlichen Beginn und mit seinen eit Teilen auch die inhaltliche

die beiden Boulevards im rechten Winkel aufeinander, wodurch

Struktur dieser Publikation vor. Jedes der elf Kapitel nimmt sich

diese erstmals in der Geschichte der Stadt von der Peripherie ins

vom Ausgangspunkt Alter Peter bzw. Marienplatz die Blickachse

Zentrum zu rücken begann. Dazu gehören die neuen Residenztrakte

eines der Panoramateilbilder vor, und darin werden Gebäude und

mit dem Königsbau, der Allerheiligen-Hofkirche, dem Festsaalbau

Ereignisse anhand von Photographien aus den reichhaltigen Samm­

und dem Apothekenflügel, dem Marstall sowie am Max-Joseph-

lungen des Stadtarchivs München in zeitlichen Schichten aus den

Platz das wiederaufgebaute Hof- und Nationaltheater sowie die Re­

Jahren um 1850 bis etwa 1914 vorgestellt. Einmal so um 360 Grad

sidenzpost. Der starke königliche Wille manifestierte sich noch in

gedreht, ergibt sich ein aufschlussreiches und »rundes« Bild von

einer Reihe weiterer, z. T. pompöser Bauten: die Alte und Neue Pina­

München in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

kothek, an der Theresienwiese die Ruhmeshalle (erst 1853 fertig­ gestellt) mit der Bavaria (1850 enthüllt) und im Englischen Garten

Das Panoramabild selbst zeigt den städtebaulichen Zustand des

Jahres 1858 und damit die gewaltigen Veränderungen, durch die

der Monopteros.

sich die einst so beschauliche Residenzstadt München in der ersten

Auch unter König Maximilian II. (1848-1864) ging die Stadt­

Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine ansehnliche Hauptstadt des Kö­

erweiterung weiter. Ab 1854 begannen die Eingemeindungen mit

nigreichs Bayern verwandelt hat.

den Arbeiter- und Handwerkersiedlungen Haidhausen, Au und

Bis zur Öffnung des Mauerrings der Altstadt im Jahr 1791 war

Giesing. München überschritt jetzt die Zahl von 100.000 Einwoh­

die Stadt jahrhundertelang zwischen Neuhauser Tor (seit 1792: Karls-

nern. 1810, zur Zeit des ersten Oktoberfestes, hatte die Einwohner­

tor) und Isartor sowie zwischen Schwabinger und Sendlinger Tor

zahl nur 40.000 betragen. München avancierte nach Berlin, Ham­

eingezwängt gewesen. Unter den Königen Max I. Joseph (1806-

burg und Breslau zur viertgrößten deutschen Stadt. In der Au (seit

1825) und Ludwig I. (1825-1848) folgten eindrucksvolle Stadterwei­

1813 Stadt) gab es schon seit 1839 die Mariahilfkirche, nun wurde

terungen, wobei die unmittelbaren Vorstädte entstanden: St.-Anna-

auch in Haidhausen eine neue Pfarrkirche errichtet (auf dem Pano­

Vorstadt, Schönfeldvorstadt, Maxvorstadt, Ludwigsvorstadt und

rama ist nur das Kirchenschiff zu erkennen, vollendet wird die

zuletzt die Isarvorstadt. Die Stadt wuchs in wenigen Jahrzehnten

Kirche erst 1874). In Giesing beginnt man erst 1866 mit dem Neubau

um mehr als die doppelte Fläche. Mit den klassizistischen Bauten

der Pfarrkirche.

der Architekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner entstand

Noch einmal entstand in München eine Prachtstraße, die vom

eine Kunststadt von europäischem Rang. Zwei neue Prachtstraßen

absoluten (diesmal einem historisierenden neugotischen) Stilwillen

7

des Monarchen geprägt war und mit dem Namen des Architekten

Revision der Gemeindeordnung vorgeschlagen, nach der sich die

Friedrich Bürklein verbunden ist: die Maximilianstraße. Im Pano­

staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in Angelegenheiten der Kom­

ramaphoto von 1858 ist die Baustelle des neuen Gebäudes für die

mune weitgehend auf die Rechtsaufsicht beschränken sollten. Die

Regierung von Oberbayern zu erkennen, das erst im Sommer 1864

Umsetzung ließ zwar noch bis 1869 auf sich warten, aber in einigen

fertiggestellt wurde. Die neue Straße verband, vom südlichen Rand

Teilbereichen bekam die Stadtverwaltung bereits jetzt mehr Luft.

der Residenz ausgehend, die Altstadt mittels der 1858 eingeweihten

So wurde z. B. die Münchner Baukommission ab 1852 eine rein städ­

Maximilianbrücke über die Isar mit den neuen Gebieten im Osten.

tische Behörde.

Der Bau des Maximilianeums hatte 1858 gerade erst begonnen, im

Die weitere Emanzipation der Stadt von der Residenz markiert

Panorama zeigt der helle Bereich das Baugelände auf dem Isarhoch

dann ein Ereignis des Jahres 1858. München feierte zum ersten Mal

ufer in der Nähe von Haidhausen.

in seiner Geschichte offiziell seinen »Geburtstag«. Dieses 700. Jubi­

Auch einige technische Großprojekte fallen in die Zeit König

läum - nicht der Stadtgründung, sondern korrekt der urkundlichen

Maximilians 11.: So ist auf dem Panoramabild die 1853 eröffnete

Erstnennung im Jahr 1158 - wurde allein von der Münchner Bür­

Schrannenhalle in ihrer ganzen Länge mit über 400 Metern markant

gerschaft organisiert und gestaltet. Höhepunkt war ein prächtiger

zu erkennen; in der Verlängerung der Neuhauser Straße ist im Wes­

historischer Festzug am 27. September, der 100.000 Touristen in

ten der Stadt der neue Bürklein sehe Zentralbahnhof von 1849 mit

die Stadt lockte und der zur Demonstration bürgerlichen Selbstbe­

seiner Haupthalle und Giebelfront zu sehen; und - etwas verdeckt

wusstseins wurde. Im ¡ahrbuch der Stadt München, das im Auftrag

vom Dach der Michaelskirche - der Glaspalast von 1854 mit seiner

des Magistrats der königlichen Haupt- und Residenzstadt im Stadt­

Stahl-Glas-Konstruktion im Areal des Alten Botanischen Gartens.

archiv geführt wurde (rückwirkend seit dem für die Kommunen so wichtigen Jahr 1818), resümierte der damalige Chronist Ulrich

Die bauliche Entwicklung Münchens seit 1858 im Zeichen eines erstarkenden bürgerlichen Selbstbewusstseins

von Destouches: »Das Jahr 1858 wird in den Annalen Münchens,

Der Ausbau der Haupt- und Residenzstadt München zu einer Kunst­

ein denkwürdiges bleiben, denn die Erinnerung an dieses schöne

des abgehaltenen siebenhundertjährigen Jubiläums der Stadt wegen,

stadt von europäischem Rang war in den ersten fünfzig Jahren des

und seltene Fest wird nicht allein bei den Zeitgenossen fortleben,

Königreichs geprägt von der dezidierten und entschiedenen Bau­

sondern werden auch die späteren Nachkommen mit Freude davon

politik der ersten drei Könige, wobei König Ludwig I. der größte

lesen und hören.«

Anteil zuzuschreiben ist. Er beanspruchte auch ganz selbstverständ­

Die Zeit König I.udwigs II. (1864-1886) markiert dann eine deut­

lich die Finanzkraft der hauptstädtischen Kommune. Zwar mar­

liche Zäsur im Einfluss der königlichen Baupolitik auf die Haupt

kierte das Gemeindeedikt von 1818, das dann Teil der Verfassung

und Residenzstadt München. Er ist nach seinen drei Vorgängern

des Königreichs Bayern im selben Jahr wurde, den Beginn der kom­

der erste bayerische Monarch, der sich nicht mit einem markanten

munalen Selbstverwaltung, de facto standen die Kommunen aber

Gebäude oder einem innovativen Straßenzug in die Baugeschichte

weiterhin unter der Kuratel des Staates.

Münchens einschreiben konnte. Der König, der seit seinem Regie­

Ein erstes Auflehnen gegen diesen Zustand wagte der um die

rungsantritt den Komponisten Richard Wagner entschieden för­

Gemeindefinanzen besorgte Bürgermeister Jakob von Bauer (1838-

derte, beauftragte zwar den Architekten Gottfried Semper mit dem

1854). Mit seiner 1845 im Druck vorgelegten Denkschrift Grundzüge

Bau eines exponiert gelegenen Wagner-Festspielhauses auf der

der Verfassungs- und Vermögensverwaltung der Stadtgemeinde Mün­

Münchner Isaranhöhe nördlich des Maximilianeums, doch diese

chen, in der er detailliert alle bisher von der Krone in Anspruch ge­

Idee scheiterte schließlich 1868 an Geldmangel (letztlich sogar am

nommenen Gemeindegelder aufsummierte, legte er sich direkt mit

Widerstand Wagners selbst) und blieb eine Utopie.

dem König an. Das Buch wurde zwar beschlagnahmt, blieb aber

Wegweisender waren dafür die zahlreichen Reformmaßnahmen,

ein Menetekel für die weitere Entwicklung im Verhältnis zwischen

die der bayerische Landtag während der ersten Regierungsjahre

Stadt und Staat.

des jungen Königs Ende der sechziger Jahre verabschiedete. Mit

Die Revolution von 1848 und der Thronverzicht von König Lud

der Gewerbefreiheit, einem neuen Heimatrecht, einer auf neue ge­

wig 1. brachte auch hier Bewegung in die Sache. So wurde 1850 eine

setzliche Grundlagen gestellten Armenpflege und vor allem mit

der neuen Gemeindeordnung von 1869, mit der die staatliche Ku­

Maßnahme vorausschauender Stadtentwicklungsplanung. Mit den

ratel abgeschafft wurde, waren die wichtigen Rahmenbedingungen

Eingemeindungen von Nymphenburg und Gern (1899), Laim, Thal­

geschaffen, mit denen München - mittlerweile eine Stadt mit

kirchen und Obersendling (1900) sowie von Forstenried und Fürs­

170.000 Einwohnern - gerüstet war für die Fülle der Aufgaben, die

tenried (1912) verdoppelte sich das Stadtgebiet. Ein Jahr nach dem

sie auf dem Weg zu einer Großstadt zu bewältigen hatte.

Tod von Prinzregent Luitpold war mit den Eingemeindungen von

Durch die Ausweitung der kommunalen Zuständigkeiten ver­

Moosach, Milbertshofen (seit 1910 Stadt), Oberföhring und Berg

größerte sich auch der städtische Verwaltungsapparat, der sein Zen­

am Laim die Stadtentwicklung Münchens vor dem Ersten Weltkrieg

trum in dem nach Plänen Georg Hauberrissers erbauten Neuen

abgeschlossen.

Rathaus am Marienplatz fand. Nach dem Wegzug der Regierung

Das Wachstum Münchens bedingte eine fast hektische Bautätig­

von Oberbayern aus dem alten Landschaftshaus am Marienplatz

keit in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Architekten wie Fried­

in den Neubau in der Maximilianstraße war der Weg dafür frei ge­

rich von Thiersch, Gottfried von Neureuther, Georg Hauberrisser,

worden. Der Beginn des ersten Bauabschnitts 1867 fiel noch in die

Theodor Fischer, Hans Grässel, Carl Hocheder, Martin Dülfer, Max

Amtszeit des Bürgermeisters Kaspar von Steinsdorf (1854-1870).

Littmann, Max Osterrieder, Richard Schachner, Emanuel und Ga­

Der im Stil flandrischer Gotik errichtete Bau dokumentiert eine

briel von Seidl sowie erfolgreiche Bauunternehmer wie Jakob Heil­

deutliche Hinwendung zur Tradition freier Städte des Mittelalters

mann fanden ein prächtiges Betätigungsfeld und prägten das Stadt­

und eine bewusste Abkehr vom barock-klassizistischen Geist der

bild sowie die Architekturgeschichte weit über die Grenzen

Residenzstadt. Der erst 1908 fertiggestellte Neubau mit seinem ho­

Münchens hinaus. Sie hatten einen nicht unbeträchtlichen Anteil

hen Glockenturm mitten in der Stadt mit fast 10.000 Quadratmeter

an der Entwicklung einer breitgefächerten großstädtischen Kultur

bebauter Fläche wurde letztendlich zum sichtbarsten Zeichen des

Münchnerischer Prägung.

neuen ausgeprägten kommunalen Selbstbewusstseins.

Die Münchner Altstadt wandelte sich zum kommerziellen Zen­

trum mit neuen Geschäften, Kaufhäusern, Arztpraxen, Rechtsan­

München wird Metropole: Der Ausbau der Stadt in der Prinzregentenzeit

ten, Restaurants und Cafés. Das Hauptkennzeichen dieser »City-

Während der Regierungszeit der Prinzregenten Luitpold (1886—

Bildung« waren der steigende Wert der innerstädtischen Grund­

1912) und seines Sohnes Ludwig (seit 1913 als König Ludwig III., bis

stücke, explodierende Mieten und die Umwandlung von Wohnraum

1918) entwickelte sich die bayerische Haupt- und Residenzstadt

in Gewerbefläche.

waltskanzleien und sonstigen Büros, Banken, Hotels, Gastwirtschaf­

München wie nie zuvor in ihrer Geschichte in rasendem Tempo

In den Vorstädten und in den umliegenden neuen Stadtteilen

zu einem modernen großstädtischen Wirtschafts- und Verwaltungs­

wurden deshalb viele Mietshäuser gebaut. Daneben errichteten wei­

zentrum. Die Einwohnerzahl stieg sprunghaft an - von 262.000

ter außerhalb der Kernstadt, in Bogenhausen, Harlaching, Solln,

(1886) auf 640.000 (1912), wodurch München den Rang der dritt­

Laim, Nymphenburg und Gern, große Immobiliengesellschaften,

größten Stadt in Deutschland erlangte (nach Berlin und Hamburg

sogenannte Terraingesellschaften, großzügig durchgrünte Villen­

sowie vor Köln und Breslau).

quartiere und Gartenstadtsiedlungen.

Durch die Bevölkerungszunahme wurden auch die umliegen­

Neben diesen eher traditionell bürgerlichen Stadtvierteln ent­

den Gemeinden in den Münchner Wachstumsprozess einbezogen.

standen aber auch ausgesprochene Arbeiterviertel mit schlechterer

Viele konnten die Zuzugslasten alleine nicht mehr tragen und be­

Wohnqualität und sozialen Missständen wie das Westend, das von

antragten die Eingemeindung. Nachdem in der Zeit König Ludwigs

der Nähe zur Eisenbahn und von der Ansiedlung neuer Industrie­

II. nur Ramersdorf (1864) und Sendling (1877) eingemeindet worden

betriebe geprägt war.

waren, ging es in der Prinzregentenzeit Schlag auf Schlag. Es begann

Diese bauliche Entwicklung Münchens stand bereits völlig unter

1890 mit der - vom Münchner Magistrat aus Furcht vor den Folge­

bürgerlichem Einfluss; sie war im Grunde ein Werk städtischer Ver­

kosten nur zögerlich betriebenen - Angliederung von Neuhausen

waltungsapparate und gut organisierter privater Interessen. Neben

und Schwabing, das 1887 noch zur Stadt erhoben worden war. Doch

der Stadt und privaten Investoren trat zwar auch der Staat sichtbar

schon die Eingemeindung von Bogenhausen 1892 war eine gezielte

als Bauherr in Erscheinung bei großzügigen Museums- und Behör­

9

denbauten (z. B. Bayerisches Armeemuseum am Hofgarten, Baye­

Eine zögerliche Haltung zeigte die Stadt bei der Ansiedlung

risches Nationalmuseum, Justizpaläste, Verkehrsministerium mit

neuer Industrieanlagen. Das offiziell gepflegte Image der gemüt­

einer das Stadtbild prägenden Kuppel) und beim Ausbau der Gar­

lichen Residenz-, Kunst- und Fremdenstadt (»Musenstadt«, »Isar­

nisonsstadt München mit riesigen Kasernenvierteln im Bereich der

athen«) sollte nicht beschädigt werden. Tatsächlich gab es in Mün­

alten Exerzierplätze Marsfeld und Oberwiesenfeld. Aber das wit-

chen neben der traditionellen Brauindustrie nur viele mittelstän­

telsbachische Herrscherhaus selbst hatte sich - wie schon zu Zeiten

dische Unternehmen in Handwerk, Handel und Kleinindustrie.

König Ludwigs II. - ganz aus der Rolle der planenden und gestal­

Großbetriebe mit mehr als 1000 Beschäftigten zählte man dagegen

tenden Stadtherrschaft zurückgezogen.

im Jahr 1907 nur drei.

Anschaulich lässt sich der Unterschied zeigen im Vergleich von

Zu den großen Leistungen des Magistrats in der Prinzregenten­

Ludwig- und Maximilianstraße auf der einen Seite, die noch vom

zeit gehörte jedoch bei aller Kritik der konsequente Ausbau der

absoluten Stilwillen der beiden Monarchen geprägt waren, und der

Stadtverwaltung, die sich zu einem der größten Arbeitgeber in Mün­

Prinzregentenstraße auf der anderen Seite, die im Grunde ein bür­

chen entwickelte, zu einer modernen kommunalen Leistungsver­

gerlich geprägtes Spekulationsobjekt darstellte. Der Name »Prinz­

waltung für die Allgemeinheit. Viele (meist bauliche) Maßnahmen

regentenstraße« suggeriert zwar noch monarchisches Bauwollen,

waren zum Teil sehr innovativ und kamen dem Ausbau der groß­

er wurde aber vom Finanzministerium nur im Rahmen der Grund­

städtischen Infrastruktur zugute:

stücksverhandlungen am Englischen Garten durchgesetzt, obwohl

- Im Rahmen der großstädtischen Verkehrsentwicklung wurde

der Fiskus dort gar nicht baute. Auch das Prinzregententheater

das (seit 1895 elektrifizierte) Tramliniennetz weiter ausgebaut und

(1901) am Ende der Straße ist kein - wie der Name vermuten lässt -

1907 von der Stadt übernommen. In der verkehrsmäßigen Anbin­

öffentlicher Bau gewesen, sondern wurde durch ein privates Kon­

dung auch der neuen Außenbezirke war München vielen anderen

sortium finanziert (es ist erst 1926 in das Eigentum des Freistaats

Großstädten weit voraus.

- Bei den Brücken über die Isar gab das Jahrhunderthochwasser

übergegangen).

München war also eine ausgesprochene Bürgerstadt geworden,

1899 den Anstoß zu einer Reihe von Neubauten bzw. repräsentativen

die Stadt und das Bürgertum wurden die maßgeblichen Bauherren.

Neugestaltungen. In den Jahren 1900 bis 1905 wurden nach Plänen

Schon der Amtsantritt Alois von Ehrhardts (1870-1887) als Bürger­

von Friedrich von Thiersch die Reichenbach , Cornelius- und Ma-

meister markierte diesen Wechsel; mit ihm trat erstmals ein (libe­

ximiliansbrücke und nach Plänen von Theodor Fischer die Max-

raler) Parteipolitiker an die bisher obrigkeitlich geprägte Stadtspitze.

Joseph Brücke nach Bogenhausen, die Wittelsbacherbrücke im Sü­

Seine Nachfolger Johannes von Widenmayer (1888-1893) und Wil­

den sowie die Luitpold- oder Prinzregentenbrücke neu errichtet.

helm von Borscht (1893-1919) beschritten dann energisch den Weg,

- Im Bereich der Stadthygiene wurde der Ausbau einer zentralen

der die bisher noch überschaubare, auf Bedürfnisse eines eher klein ­

Trinkwasserversorgung und der Kanalisation fortgesetzt. Diese

gewerblichen Bürgertums ausgerichtete Residenzstadt in eine den

Maßnahmen erfolgten unter wissenschaftlicher Mitwirkung des

Herausforderungen der Zeit gewachsene Großstadt verwandelte.

Hygienikers Max von Pettenkofer. Bei dessen Tod im Jahr 1901 hatte

Was Münchens Stadtspitze auszeichnete und sich nur mit Groß­

München, das noch 1872 eine schwere Typhus- und 1873/74 eine

städten wie Berlin oder Wien vergleichen lässt, ist ihre vorausschau­

Choleraepidemie mit Hunderten von loten zu verzeichnen hatte,

ende und innovative Stadtentwicklungspolitik. Innerhalb der kom­

den Ruf als eine der gesündesten Städte in Deutschland. Zur Hygiene

munalen Bauverwaltung wurde 1893 ein Stadterweiterungsbüro

im öffentlichen Raum gehörte neben der Einführung einer städti­

geschaffen, mit dessen Leitung der Architekt Theodor Fischer be­

schen Müllabfuhr auch der Bau von Bedürfnisanstalten. 1907 besaß

traut wurde. Er entwickelte die 1904 in Kraft getretene und bis 1979

München 22 öffentliche Toiletten, die teilweise zusätzliche Funk­

rechtskräftige Staffelbauordnung, die eine individuelle, von der In­

tionen wie einen Warteraum oder einen Verkaufsstand aufwiesen.

nenstadt zur Peripherie gestaffelte Baudichte vorschrieb. Nimmt

Da die meisten Haushalte keine eigenen Badezimmer hatten, gehörte

man noch Fischers eigene Bauten hinzu (Schulen, Brücken, Erlö­

die Einrichtung von öffentlichen Bädern zu den kommunalen Auf­

serkirche, Marionettentheater), so prägte er ganz maßgeblich das

gaben. Neben den städtischen Wannen- und Brausebädern (z.T. in

Münchner Stadtbild bis heute.

den städtischen Schulhäusern) ist hier besonders das von dem In­

10

genieur Karl (von) Müller der Stadt München gestiftete Volksbad

- Bei den Sozialeinrichtungen und im Fürsorgewesen unterhielt

zu erwähnen, das - nach den Plänen des Architekten Carl Hocheder

die Stadt im Jahr 1912 insgesamt neunzehn Suppenanstalten zur

erbaut - im Jahr 1901 eröffnet wurde.

Ausgabe preiswerter und sättigender Mahlzeiten für die ärmeren

- Mit der Eingemeindung Schwabings 1890 kam das dortige

Bevölkerungskreise. Für Ganz- und Halbwaisen jeder Konfession

Krankenhaus in städtischen Besitz, das zwischen 1904 und 1909

wurde 1892 in der Hochstraße ein städtisches Kinderasyl eingerichtet,

durch eine großzügige und modernster Technik verpflichtete neue

von 1896 bis 1899 das Waisenhaus in Nymphenburg von Hans Gräs­

Anlage am Kölner Platz ersetzt wurde.

sel. In ihrer sozialpolitischen Verantwortung für die Arbeitslosen

- Das große Bevölkerungswachstum machte auch neue Fried­

richtete die Stadt München 1895 eine zentrale Stellenvermittlung

höfe notwendig. Stadtbaurat Hans Grässel, neben Theodor Fischer

ein, die 1912 in den von Hans Grässel geplanten Neubau an der

einer der maßgeblichen Stadtplaner und Architekten in der Münch­

Thalkirchner Straße ziehen konnte.

ner Bauverwaltung, schlug eine dezentrale Lösung vor. In allen vier

- Für die bereits 1824 gegründete städtische Sparkasse, die zuerst

Himmelsrichtungen wurden neue große Anlagen mit allen dazu­

in einem städtischen Gebäude am Unteranger untergebracht war,

gehörigen Gebäuden geplant, um eine harmonische Gesamtwirkung

beschlossen die Gemeindegremien 1897 die Errichtung eines Neu

zu erzielen. Nach diesem Bauprinzip wurde der 1884 noch von der

baus an der Ledererstraße. Der nach den Plänen von Stadtbaurat

Gemeinde Schwabing angelegte Nordfriedhof von 1897 bis 1910 er­

Hans Grässel von 1898 bis 1899 errichtete Neubau der Münchner

weitert; 1900 konnte der Ausbau des Ostfriedhofs, der auf den Fried­

Stadtsparkasse wurde, um ihn in die umgebende Altstadtbebauung

hof der Gemeinde Au (eingemeindet 1854) zurückgeht, eingeweiht

einzupassen, in Formen der deutschen Spätrenaissance erbaut.

werden; zwischen 1897 und 1902 entstand der Westfriedhof und

- Beim Um- und Neubau des Stadtarchivs zwischen Peters- und

von 1905 bis 1907 im Süden der Stadt der Waldfriedhof.

Marienplatz zu einem repräsentativen Zweckbau in den Jahren 1890

- 1899 wurde die gesamte Energieversorgung der Stadt in kom­

bis 1892 passte sich dagegen Hans Grässel bei der Fassadengestaltung

munale Regie übernommen. Wegen des stetig steigenden Gasver­

im (gotischen) Stil dem unmittelbar anstoßenden alten Rathausturm

brauchs der Bevölkerung entschloss sich die Stadt zum Bau eines

und dem alten Rathaus an.

neuen Gaswerks an der Dachauer Straße in Moosach, das nach

- Die Zuständigkeit für die Errichtung und Finanzierung der

dreijähriger Bauzeit im April 1909 in Betrieb genommen werden

Elementarschulen (Volksschulen) lag bei den Kommunen. Die Stadt

konnte.

wendete erhebliche Finanzmittel auf, um eine flächendeckende Ver

- Die Einführung der elektrischen Beleuchtung erfolgte zunächst

sorgung des gesamten Stadtgebiets mit solchen Schulen zu gewähr­

auf Initiative der privaten Firma Einstein, zuerst 1886 auf dem

leisten. Insgesamt sind 42 Neubauten mit anspruchsvoller Gestaltung

Münchner Oktoberfest, dann 1887 in der Stadt Schwabing. 1894

zu verzeichnen (darunter die von Theodor Fischer gebauten Volks­

übernahm das erste Elektrizitätswerk der Stadt, das Muffatwerk an

schulen an der Haimhauserstraße, an der Guldeinstraße und am Eli-

der Zweibrückenstraße, den Betrieb der elektrischen Straßenbe­

sabethplatz). Auf Vorschlag des einflussreichen Stadtschulrats Georg

leuchtung. Seit 1899 arbeiteten die Städtischen Elektrizitätswerke

Kerschensteiner beschlossen die beiden städtischen Kollegien um

als eigene betriebliche Einheit, im gleichen Jahr wurde das Kraftwerk

1900, die beruflichen Fortbildungsschulen neu zu organisieren. In

Süd an der Isartalstraße gebaut. Der Strombedarf für das rapide

Konsequenz finanzierte die Stadt auch Neubauten wie die von Hans

wachsende München wurde zudem durch das Uppenborn-Kraft­

Grässel geplante Zentral-Gewerbeschule an der Liebherrstraße.

werk nördlich von Moosburg gesichert, das nach dem kurz vor der

- Zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wurde

Einweihung 1907 verstorbenen und für den Ausbau der Elektrizität

1912 eine Großmarkthalle als Ersatz für die Schrannenhalle in der

in München maßgeblichen Stadtbaurat Friedrich Uppenborn be­

Altstadt errichtet. Dieser architektonisch moderne Bau, der als Mus­

nannt wurde.

terbeispiel städtebaulicher Innovation gilt, entwickelte sich zum

- Für die kommunale Feuerwehr und Polizei wurden neue

Hauptumschlagplatz für Gemüse und Früchte aus dem Süden und

Dienstgebäude errichtet: 1904 die Hauptfeuerwache nach Plänen

Südosten Europas. Daneben gab es kleinere dezentrale Märkte wie

von Carl Hocheder und Robert Rehlen, ab 1911 die Polizeidirektion

am Elisabethplatz in Schwabing oder am Preysingplatz in Haidhau­

an der Ettstraße nach Entwürfen Theodor Fischers.

sen, der 1901 an seinen heutigen Standort am Wiener Platz zog.

11

- Von den kommunalen Baumaßnahmen der Prinzregentenzeit

tive« auf einen der beiden Türme der Münchner Frauenkirche. Was

ist noch der Ausstellungspark auf der Theresienhöhe zu erwähnen,

er u. a. sieht, ist »die ungeheure Metamorphose meiner Vaterstadt«:

der 1908 zum 750. Stadtgeburtstag eröffnet wurde.

»Wie sie sich hinaus reckte gegen alle Richtungen der Windrose

- Eine kommunale Aufgabe war in den bayerischen Großstädten

mit neuen, gewaltigen Vierteln, wie sie auch zum Himmel empor­

auch die Musterung der Soldaten. Das zu diesem Zweck von Hans

wuchs mit hohen Giebeln, dem neuen Rathausturm, dem Natio­

Grässel in der Nähe des Kasernengeländes am Oberwiesenfeld neu

nalmuseum, der Kuppel des Justizpalastes, den zahllosen Schulhäu­

errichtete Städtische Wehramt an der Winzererstraße (heute Sitz

sern und den neuerbauten Kirchen. Jahre an Arbeit liegen da vor

des Stadtarchivs München) sollte im September 1914 feierlich ein-

mir, und ich kann jeden Winkel bezeichnen, jede Stelle, wo’s aufhörte

geweiht werden; der Kriegsausbruch und die Mobilmachung im

und wo’s anfing.«

August 1914 machten eine solche Feier obsolet und markierten zu­

Und er fährt fort »mit Worten der Anerkennung für jene Män­

gleich den Übergang in eine ganz andere Epoche der Münchner

ner, die meine Vaterstadt so weit geführt haben«: »Denn sie wächst

Stadtgeschichte.

empor als ein Ding für sich, fröhlich und selbständig, in der neuen,

farbigen Bauart. Mit den Rundtürmen, den Erkern, den Bieder­

Schlussbetrachtung vom Turm der Frauenkirche im Jahr 1907

schaffen hat, und den auch sein Bruder Emanuel erfolgreich ver­

Mit dem Panoramablick des Photographen Georg Böttger vom

wandte. Dienten dabei alte Muster als Vorbild: der gänzlich

Turm des Alten Peter im Jahr 1858 haben wir diesen Bildband über

verlotterte Baustil der Stadt wurde durch diese Künstler zu neuem

meier-Fassaden, kurz, mit dem ganzen Stil, den Gabriel Seidl ge­

München beginnen lassen, mit einem Blick des Münchner Schrift­

Leben geführt. Wo man hinblickt, spricht es von ihrem Wirken, ob

stellers Josef Ruederer (1861-1915) von einem Turm der Frauenkirche

sie selbst bauten, ob sie dem Haus nur den Stempel aufdrückten.

will ich hier enden. Ruederer hat in seiner 1907 erschienenen Mo­

Der aber ist nicht von Wien, nicht vom Norden bezogen, er ist

nographie mit dem Titel München seiner Heimatstadt ein satirisches

münchnerisch. Münchnerisch wie seine Schöpfer, bis in die Kno­

Denkmal gesetzt. Im letzten der neun Kapitel (»Das Ende, die Zu­

chen. Breit und behäbig, fest und selbstbewusst macht er sich Platz.

kunft«) steigt er »zu einem letzten Rundblick aus der Vogelperspek­

Bums, da steht er und lässt keinen andern neben sich aufkommen.«

12

»... alltägliche Kleinigkeiten, die (...)

für die Kulturgeschichte von Wert sein können und werden.«

Photographien von und für München ELISABETH ANGERMAIR

Zu den Inkunabeln der frühen München-Photographie zählt zwei­

erkannte rasch, dass neben der Portraitphotographie auch Städte­

fellos das große 360-Grad- Panorama von Georg Böttger, aufgenom­

bilder, Platzansichten, Aufnahmen von repräsentativen Gebäuden

men im Jahr 1858 vom Turm der Peterskirche. In elf sorgfältig anei­

und Baudenkmälern sowie Aufnahmen von Ereignissen mit hoher

nander montierten Aufnahmen lässt es uns aus der Vogelperspektive

öffentlicher Aufmerksamkeit ein Geschäftsgebiet mit lukrativen

einen Blick auf die Stadt in ihrer damaligen Ausdehnung werfen,

Gewinnaussichten darstellten.

auf einzelne Häuserfassaden und auf die imposanten Dachland­

Georg Böttger wurde am 9. Juli 1821 in Hildburghausen geboren1

schaften mit teilweise mehrstöckigen Speichern, auf einzelne das

und erlernte zunächst die Kupferstecherei und Lithographie in Nürn­

Häusermeer überragende Monumentalbauten wie zum Beispiel die

berg. Schon frühzeitig interessierten ihn die handwerklichen und

Frauenkirche, die Sankt-Michaels-Kirche, die Theatinerkirche und

technischen Optimierungen der Arbeitsabläufe; so ist aus dem Jahr

die Residenz, ferner in einige aus dieser Position einsehbare Stra­

1847 eine Gewerbeprivilegiumsverleihung für den »Lithographen

ßenzüge, die Blumenstraße, die Neuhauser Straße, die Dienerstraße,

Th. Schrader und den Kupferstecher und Lithographen Georg Bött­

das Tal, die Frauenstraße und den Viktualienmarkt. Das Panorama

ger, beide zu Nürnberg, auf die Anfertigung und Anwendung der

dokumentiert die weit fortgeschrittene Bebauung der Vorstadtareale

von ihnen erfundenen Steindruck-Schnellpresse« überliefert? Schon

und lässt insbesondere in östlicher und südöstlicher Richtung die

in Nürnberg, dann auch während eines knapp zwei Jahre dauernden

der Stadt am nächsten liegenden, gerade der bayerischen Flaupt-

Aufenthalts in Erlangen, schuf und verkaufte Georg Böttger nicht

und Residenzstadt angeschlossenen Gemeinden noch erkennen.

nur Lithographien, sondern auch erste Photographien. Im Jahr 1852

In dieser Publikation wird das Panorama in Einzelaufnahmen

zog er dann nach München und eröffnete in der Schützenstraße 18

gezeigt, die als Ausgangspunkt dienen, um die jeweiligen Segmente

sein erstes Atelier, mit dem er in den folgenden Jahren mehrfach in

der Stadt vorzustellen. Sie leiten jeweils einen Abschnitt ein, in dem

der Stadt umzog. Den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit hatte

in verschiedenen Auf nahmen Stadtgeschichte aus diesen Arealen er­

er inzwischen vollständig auf die Photographie verlagert: »Seit mei­

zählt wird und die dortigen Entwicklungen der Jahrzehnte von 1858

nem Aufenthalt in hiesiger Stadt, seit 3)6 Jahren, übe ich die Photo­

bis 1914 nachvollzogen werden. Dies natürlich nur ausschnittweise

graphie teils als Lehrer derselben, hauptsächlich aber im ganzen

in Momentaufnahmen aus wesentlich engeren Blickwinkeln und in

Umfange aus.«3 Wie bei seinen Konkurrenten bot die Portraitpho­

den Zeitfenstern, die die vorhandene Überlieferung vorgibt. Vereinzelt

tographie zunächst die kommerzielle Basis für den erfolgreichen

greifen die hier publizierten Photos über die auf dem Panorama er­

Geschäftsaufbau. Dass sein berufliches Interesse und sein Können

kennbaren und differenzierbaren Areale hinaus, wobei das Hauptin­

weiter, seine Ziele höher gesteckt waren, als sich in die Reihe der da­

teresse der ersten München-Photographen dem Stadtzentrum galt.

mals schon in München recht zahlreichen Portraitphotographen einzuordnen, davon zeugen zwei im Stadtarchiv München überlie­

Georg Böttger (1821-1901), Photograph in München

ferte Aufnahmen von dem großen Dankgottesdienst, abgehalten

Georg Böttger, der Schöpfer des München-Panoramas von 1858,

auf dem Marienplatz nach der Überwindung der Cholera am 3. Okto­

zählt zu den prominenteren Photographen der Frühzeit - sowohl

ber 1854. Schon diese Aufnahmen sind aus der Vogelperspektive auf­

im zeitgenössischen Kontext als auch aus heutiger Perspektive. Er

genommen und zeigen auf diese Weise die gesamte festliche Platz-

13

Feuerwächter auf der Aussichtsplattform vom Turm der Peterskirche, um 1865. Blick nach Norden, im Hintergrund die Turme der Theatinerkirche. Photo: Georg Böttger

Situation. Stolz erwähnt Georg Böttger das Interesse des damaligen

Im 1861 erschienenen Katalog des »artistisch-photographischen

Bürgermeisters Kaspar von Steinsdorfan diesen Aufnahmen in sei­

Ateliers von G. Böttger« bezeichnet er das Panorama selbst als »bis

nem Gesuch an den Magistrat um die Verleihung des Heimatrechts.4

jetzt das größte derartige Werk in Photographie«.7 Ein vergleichbares

Der Ausbruch der Cholera 1854 hatte die Stadt München in ih­

360-Grad-Photopanorama ist in Deutschland nur von der Guss­

rem Ansehen hart getroffen, denn er fiel mit der Eröffnung des

stahlfabrik der Friedrich-Krupp-AG in Essen überliefert. Ebenfalls

Glaspalasts zusammen, die mit einer großen Industrie-Ausstellung

elf Bilder, aufgenommen allerdings etwas später, in den Jahren 1864

gefeiert wurde. Diese Ausstellung bot auch den Photographen ein

bis 1867, wurden für die Pariser Weltausstellung 1867 zum 360-Grad-

wichtiges Forum, ihre Kunst zu zeigen. Georg Böttger war einer

Rundblick montiert.8 Vermutlich älter als das Böttger-Panorama

von sechs Münchner Photographen, die ihre Aufnahmen präsen­

ist ein aus sechs Teilphotographien montiertes Panorama von Algier,

tieren durften. Die Beurteilungskommission würdigte seine Arbei­

datiert auf ca. 1855; der Photograph ist unbekannt.9 Über die Entstehung des Panoramas gibt es keine genaueren

ten mit einer »belobenden Erwähnung«.5

Auch 1858, im Jubiläumsjahr zum 700-jährigen Bestehen der

Angaben. Böttger hatte schon ein Jahr zuvor ein kleineres vierteiliges

Stadt München, wirbt Böttger für sein Atelier und bietet an, die

Panorama vom Turm der Haidhauser Kirche aus aufgenommen,'0

Teilnehmer und Gruppen des großen Jubiläumsfestzugs zu photo­

vielleicht als Probe für das größere Werk. 1858 gesellte er sich offen

graphieren. Die Aufnahmen selbst, mit dem Kollodiumverfahren

sichtlich zu den Feuerwächtern auf dem Turm der Peterskirche, die

ein durchaus aufwendiger Prozess, sollten kostenlos sein, die Pa­

er in einer eigenen Stereoskopaufnahme bildlich festhielt, und fer­

pierabzüge würde er zu »äußerst billigen Preisen abgeben«; sie soll­

tigte die Einzelaufnahmen an, die im Original eine Größe von 34 x

ten den Teilnehmern »zur späten Erinnerung« an »diesen für Mün­

42 cm haben. In den 1870er Jahren, nach der Fertigstellung des

chen ewig denkwürdigen Zug« dienen, wie Böttger in einer Anzeige

ersten Bauabschnitts des Neuen Rathauses am Marienplatz und

in den Münchner Neuesten Nachrichten schreibt. In einer drei Tage

des Maximilianeums, fertigte Böttger erneut ein Panoramabild vom

später aufgegebenen Anzeige wiederholt er dieses Angebot, was na­

gleichen Standpunkt aus an, das allerdings im Hinblick auf die Mon­

helegt, dass er vorhatte, den Zug vollständig zu dokumentieren.

tage nicht mehr die hohe Kunstfertigkeit aufweist wie das erste

Im gleichen Jahr entstanden die Aufnahmen für das Panorama,

Panorama von 1858."

Wie etliche seiner Münchner Kollegen warb Böttger in seinen

das Böttger erst zwei Jahre später, im Dezember 1860, »für Weih­

nachtsgeschenke« zum Verkauf anbot: »Panoramas von München

Geschäftsanzeigen auch damit, Unterricht in Photographie zu er­

1) in größtem Format, in 11 zusammenhängenden Blättern 17 !4'

teilen. Die hohe Zahl der Ateliergründungen'2 allein in München

lang, zum Zusammenlegen in schönem Etui fl.50 2) dasselbe in 3

mag stellvertretend Zeugnis dafür ablegen, wie attraktiv der Ge­

Blättern zum Zusammenlegen in Albums fl 3.30 30 kr«.6

werbezweig auf viele wirkte, die sich damit eine neue Existenz oder

14

zumindest einen zweiten Erwerbszweig aufbauen wollten. Und es

Die Münchner Photopioniere

ist davon auszugehen, dass manch einer bei Böttger und seinen

Als Böttger im Jahr 1852 nach München zog, kam er in eines der

Kollegen Unterricht nahm und dann in München oder in einer

Pionierzentren der Photographie. Im gleichen Jahr als die Erfindung

kleineren Stadt ein Atelier eröffnete, um den dortigen Honoratioren

von Niépce und Daguerre der Académie des Sciences in Paris vor­

und übrigen Einwohnern den Wunsch nach repräsentativen Por-

gestellt worden war und William Fox Talbot in London mit seinen

traitaufnahmen, vielleicht auch nach Ortsansichten und Landschafts­

»Lichtbildern« an die Öffentlichkeit trat, gelangen in München auch

aufnahmen zu erfüllen.

Franz von Kobell (1803-1882) und Carl August von Steinheil (1801-

All diese Tätigkeiten führten dazu, dass Georg Böttger mit sei­

1870) die ersten Photographien, die sie am 13. April 1839 in der Baye­

nem artistisch photographischen Atelier durchaus reüssierte, in

rischen Akademie der Wissenschaften vorstellten. Intensives For­

dem er in den 1860er Jahren nach wie vor Portraitphotographie an­

schen und Experimentieren waren vorausgegangen; das Streben

bot, daneben auch Ansichten von Kunst- und Baudenkmalen, Re­

nach einem wirklichkeitsgetreuen und detailgenauen Abbild von

produktionen von Kunstwerken sowie photographische Apparate

der Natur, dem Menschen und all dem, was die Menschen geschaf­

und Utensilien und den schon erwähnten Unterricht. Er bot seinen

fen hatten, beschäftigte Forscher und Erfinder schon seit Jahrzehn

Münchner Kunden allerdings weit mehr als das, was sie täglich

ten.'5 Die gelehrte Öffentlichkeit hatte offensichtlich darauf gewartet

sehen konnten; sein Angebot umfasste »König Ludwigs Baudenk­

und reagierte mit Aufmerksamkeit und Interesse. Der Münchner

male« einschließlich der Walhalla und der Befreiungshalle, Aufnah

Kunstverein stellte schon im August 1839 die ersten Aufnahmen

men aus dem »Bayerischen Hochland«, insbesondere aus dem

von Steinheil und Kobell aus, im Folgemonat erstmals Daguerreo-

Umkreis von Tegernsee und Starnberger See, aber auch aus Achen-

typien, die Steinheil nach dem in Paris vorgestellten Verfahren her­

kirch und Reichenhall, ferner Stadtansichten von Salzburg und Re­

gestellt hatte. Mit letzteren ließ sich auch bald kommerzieller Erfolg

gensburg sowie Donauansichten zwischen Ulm und Kelheim. Ent

verbuchen, denn sie eigneten sich ausgezeichnet für die Herstellung

sprechend oft muss er mit seiner umfangreichen und empfindlichen

von Portraits. Und Portraits als formaler Ausdruck der Selbstreprä­

Ausrüstung unterwegs gewesen sein. Sein Gesuch um die Erteilung

sentation schmückten im 19. Jahrhundert längst nicht mehr nur die

des Heimatrechts in München und einer Genehmigung für seine

Ahnengalerien von Schlössern und adeligen Herrenhäusern, son

Verehelichung zeugt davon: »Die durch meine Tätigkeit und Spar­

dem hatten in den bürgerlichen Wohnstuben Einzug gehalten. Ne­

samkeit beigebrachten Mittel erlauben es mir, außer einer vollkom­

ben dem Wanderdaguerreotypisten Johann Baptist Isenring, der

menen Einrichtung meines Geschäftes einen eigenen Haushalt zu

nachweislich 1841 auf der Jakobidult in München das Anfertigen

begründen, und bin durch meine ausgedehnten Geschäfte, nament­

von Portraits anbot und vorübergehend am Maximiliansplatz ein

lich durch häufig vorkommende tagelange Beschäftigung außerhalb

als »heliographisches Institut« bezeichnetes Atelier unterhielt,16 ver­

meiner Ateliers zu einer Verehelichung gezwungen, um mein Ge­

suchten in den 1840er Jahren drei weitere Unternehmer in München,

schäft während einer solchen Abwesenheit nicht durch fremde

ihre Existenz auf Photoateliers zu gründen. Das im Vergleich zum

Leute versehen lassen zu müssen.«'5 Im Dezember 1856 heiratete

gemalten Portrait deutlich preisgünstigere photographierte Portrait

Georg Böttger die Gutsbesitzerstochter Maria Hopf. Das Ehepaar

gewann offensichtlich schnell an Popularität.

hatte 16 Kinder; der älteste Sohn Georg übernahm 1879 das Geschäft

Einen deutlichen Aufschwung erlebten die Photographie und

und Atelier, während der Vater und Firmengründer, der im März

gleichzeitig das Geschäft mit der Photographie in München aller­

1872 zum »Hof-Photographen seiner Kaiserlichen und Königlichen

dings erst in den 1850er Jahren. Maßgeblichen Anteil daran hatte

Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reiches« (ab 1887 lautete

der Apotheker und Photograph Alois Löcherer (1815-1862), der als

der Titel »Königlich Preußischer Hof-Photograph) ernannt worden

Erster in München und Bayern zufriedenstellende Ergebnisse mit

war, sich weiterhin als »Kunst-Verleger« profilierte.'4 Seine von

dem von William Fox Talbot in England entwickelten Papiernega­

Krankheit gezeichneten letzten Lebensjahre verbrachte er im Hei-

tivverfahren erzielte und zu Recht als »entwicklungsgeschichtlich

lig-Geist-Spital, wo er am 27. November 1901 im Alter von 80 Jahren

einflußreichste Gestalt der frühen Münchner Photographiege-

starb.

schichte«'7 bezeichnet werden kann. Bald nach Bekanntwerden des

nassen Kollodiumverfahrens, das billigere und schnellere Verviel-

15

fältigungen der Photographien ermöglichte, fuhr Löcherer 1852

Hanfstaengl stellte hier auch seine aktuelle Photoserie über den

nach Paris, um die neue Technik zu erlernen, künftig damit zu ex­

Aufbau des Glaspalasts aus. Großes Aufsehen erregten seine aut

perimentieren und sie zu vervollkommnen.18 Sein Geschäft florierte

der Weltausstellung 1855 in Paris ausgestellten Portraits. Hanfstaengl

insbesondere dank der Portraits der gehobenen bürgerlichen Schicht

war von dem bis dahin üblichen Verfahren abgewichen und hatte

in München, denn ein photographisches Portrait gehörte im Kontext

statt der Positive die Negative retuschiert und auch letztere zur

der allgemeinen Lebenshaltungskosten immer noch zu den

Schau gestellt. Seine von der Lithographie geschulte Hand und seine

Luxusgütern.

Kunstfertigkeit lassen sich besonders gut an der in diesen Band auf­

genommenen Photocollage der 141 Abgeordneten des Bayerischen

Bis 1853 blieb Löcherer der einzige Münchner Photograph, des­

sen Werke im hiesigen Kunstverein ausgestellt wurden. Seine guten

Landtags im Sitzungssaal des Landtagsgebäudes an der Pranner-

Kontakte zu Künstlerkreisen führten 1850 zur Produktion einer

straße erkennen. Am Positiv sucht man vergeblich nach Retusche­

Bildserie über die Monumentalstatue der Bavaria, die nach dem

spuren, die das Aneinandersetzen der Einzelbilder noch nachvoll­

Entwurf von Ludwig Schwanthaler in der Erzgießerei Ferdinand

ziehbar erscheinen lassen. Der kommerzielle Erfolg des bald großen

von Millers gegossen wurde.19 Die Aufnahmen einzelner, aus der

Unternehmens von Franz Hanfstaengl beruhte aber auch auf den

Gussform geholter Teile der Monumentalstatue, die für den Trans­

Reproduktionen von Kunstwerken aus zahlreichen Museen und Ga­

port zur Theresienwiese vorbereitet wurden, können als eine erste

lerien, für die er - wie zuvor schon für seine Lithographien - einen

Münchner »Photoreportage« gesehen werden.

großen Kundenkreis fand.

Löcherer behielt seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die

Der Münchner Joseph Albert (1825-1886)“ lernte und arbeitete

Erfolge seiner Experimente aber nicht für sich, sondern veröffent­

bei Löcherer in den Jahren 1849/50, bevor er zunächst in Augsburg

lichte regelmäßig und in immer wieder aktualisierten und verbes­

ein eigenes Geschäft eröffnete.23 Schon bald knüpfte er Kontakte

serten Auflagen Druckschriften mit Anleitungen zur Kollodium­

zum bayerischen Königshaus und avancierte zum 1 Jofphotographen

photographie. Offensichtlich lernten zwei spätere Konkurrenten

von König Max II. und später König Ludwig 11. Nicht fehlen durfte

zeitweilig direkt bei ihm und von ihm, die ihn dann mit ihren Erfol­

er dementsprechend als Photograph bei so staatstragenden Ereig­

gen in der Öffentlichkeit in den Schatten stellten: Franz Hanfstaengl

nissen wie der Einweihung des Denkmals für König Ludwig I. am

und Joseph Albert.

Odeonsplatz oder bei der Siegesparade der bayerischen Truppen

über die Ludwigstraße nach dem Deutsch-Französischen Krieg

Franz Hanfstaengl (1804-1877) hatte sich schon als Lithograph

mit Portraits und Kunstreproduktionen einen Namen gemacht und

1870/71. Das Ateliergeschäft mit der Portraitphotographie, mit dem

große Erfolge gefeiert, bevor er sich der erfolgversprechenden neuen

er 1858 nach München zog, wurde eines seiner wichtigen Standbeine

Technik der Photographie zuwandte und bei Alois Löcherer, seinem

im Erwerbsleben. Als umtriebiger Geschäftsmann sah er in der wei­

zeitweiligen Mieter im Haus an der Schützenstraße 4, »in die Lehre«

ten Verbreitung der Photographie seinen Erfolg und experimentierte

ging.20 Sein handwerkliches Geschick und sein künstlerisch geschul­

deshalb intensiv im Bereich der Reproduktions- und Drucktechnik.

tes Auge verliehen seinen Aufnahmen, insbesondere den aufwendig

Mit der Albertotypie, einem nach ihm benannten Lichtdruckver­

arrangierten Portraits, eine weitaus stärkere Ausdruckskraft, wie

fahren, erreichten seine Kunstreproduktionen und Mappenwerke

Kritiker und Publikum schon nach der ersten Ausstellung der Werke

ein breites bildungsbürgerliches Publikum.

des von Hanfstaengl noch gemeinsam mit Moritz Lotze betriebenen

Die Reihe der Persönlichkeiten, die München in den ersten Jahr­

»artistisch-photographischen Ateliers« im Münchner Kunstverein

zehnten des Experimentierens und stetigen Verbesserns der photo­

1853 anerkennend bemerkten. Bald gehörte es in der sogenannten

graphischen Verfahren zu einem wichtigen Zentrum machte, ließe

besseren Gesellschaft zum »guten Ton«, sich von Hanfstaengl por­

sich fortführen. Wenige seien hier noch kurz erwähnt: Die Bedeu­

trätieren zu lassen. Seine führende Position unter den Münchner

tung von Johann Baptist Obernetter (1840-1887) beispielsweise, der

Photographen bestätigte Hanfstaengl schon 1854 die Beurteilungs­

in diesem Band mit frühen Momentaufnahmen prachtvoller Er­

kommission der Allgemeinen Deutschen Industrieausstellung im

eignisse vertreten ist, lag insbesondere auf seinen Leistungen in der

Glaspalast, die ihm als Einzigem unter den lokalen Konkurrenten

Fortentwicklung der Photochemie.24 Friedrich Sauer (1813-1888)

eine Ehrenmünze für die ausgestellten Photographien verlieh.21

findet in der Stadtchronik schon 1862 als einer der wichtigsten lokalen

16

Schaufenster der Kunsthandlung Georg Stuffler an der Residenzstraße io, Ecke Perusastraße, uni 1910. Photo: Stuffler

Photographen - neben Joseph Albert und Georg Böttger - Erwäh­

Zu Beginn der 1880er Jahre kam die Gelatine-Trockenplatte als

nung, vor allem wegen seiner Verdienste um die photographische

Negativ-Träger auf den Markt und vereinfachte das Anfertigen von

Reproduktion und die damit einhergehende Verbreitung der gra­

Photographien noch einmal wesentlich. Der Beruf des Photogra­

phischen »Erinnerungsblätter« von Carl August Lebschee.25

phen blieb nicht länger den kunstfertigen und in technischer Hin­

Vergleichsweise wenig bekannt ist über Anton Schiessl, der 1869

sicht hochspezialisierten Pionieren vorbehalten. Momentaufnah­

erstmals im Stadtadressbuch als Photograph genannt ist.26 Die äl­

men aktueller Ereignisse ließen sich nun ohne großen Aufwand

testen bekannten Aufnahmen von ihm zeigen die Wachszieherei

erstellen, woraus sich neue Anwendungsbereiche der Photographie

Ebenböck in der Schwanthalerstraße und das benachbarte Meth-

und neue Erwerbsmöglichkeiten für die professionellen Photogra­

gartenanwesen. Die Photos entstanden vermutlich Mitte der 1860er

phen ergaben. Und der interessierte Laie, der ambitionierte Amateur

Jahre, denn wenig später verlagerte das Unternehmen seinen Sitz

trat auf den Plan, lichtete sich und sein Umfeld ab und gab die Ne­

nach Pasing. Die zahlreichen im Stadtarchiv München aufbewahr

gativplatte in das Photofachgeschäft zum Entwickeln und 1 {erstellen

ten Aufnahmen von Anton Schiessl aus den 1880er Jahren reihen

von Papierabzügen.

sich gewissermaßen in diese Tradition ein; viele Photos zeigen re­ präsentative Geschäftshäuser und Firmensitze. Wenn er nicht selbst

Die Photosammlung im Stadtarchiv München

dieses Sujet als speziellen Themenbereich für sich erfand und aus­

Mit der Anzahl der überlieferten Photographien schon aus den

baute, so verhalf ihm vielleicht die Mundpropaganda unter den

1890er Jahren vervielfachte sich auch das Spektrum der Bildthemen.

Haus- und Geschäftsbesitzern zu immer neuen Aufträgen. Im

Nicht mehr nur die Monumentalbauten im Stadtzentrum, auch

Stadtadressbuch von 1890 gab er die Aufnahmen von »Zimmern

eine Hinterhof-Werkstatt in einer der Vorstädte oder das verwinkelte

und Facaden« als seine Spezialität an, und in der Tat hebt er sich

Herbergenanwesen von Tagelöhnern wurden nun aus den unter­

mit seinen qualitativ hochwertigen Innenaufnahmen, wie in diesem

schiedlichsten Beweggründen zum Bildmotiv.

Die Überlieferung im Stadtarchiv spiegelt die geschilderte Ent­

Band beispielsweise vom Kassenhof der Bayerischen Vereinsbank an der Prannerstraße, von seinen Konkurrenten ab.

wicklungsgeschichte der Photographie in München. Die ersten Pho-

17

autoren flössen in diese Sammlung - wie im übrigen auch in die

tos wurden schon Mitte des 19. Jahrhunderts als Beilagen zur hier

geführten Stadtchronik gesammelt. Der Stadtchronist Ernst von Des­

Bildbände der Stadtchronik - Amateuraufnahmen ein. Erwähnens­

touches schrieb dazu 1888: »Da aber das geschriebene Wort in vielen

wert ist hier vor allem der Gemeindebevollmächtigte Josef Zech­

Fällen durch Beifügung von Illustrationen nur an Lebendigkeit ge­

bauer, der ein ambitionierter Amateurphotograph war und sich

winnt, so wurde es schon bei der Anlegung der Chronik vor vierzig

durch das Photographieren vieler Häuser kurz vor deren Abbruch

Jahren als ihrer Zweckbestimmung entsprechend erachtet, den Text

große Verdienste um die photographische Stadtbildüberlieferung

durch Portraits der in ihr erwähnten Persönlichkeiten, durch Ab­

erworben hat.

bildung der in ihr geschilderten Ereignisse u. dgl. noch anschaulicher

Auch zwei private Sammlungen ergänzen die Stadtarchiv-Be­

zu machen und damit die Erinnerung an die besprochenen Persön­

stände der frühen München Photographien: die in den 1990er Jah­

lichkeiten und Ereignisse noch besser für die künftigen Zeiten zu

ren erworbene Sammlung des Architekten Matthias Weinberger

erhalten. Deshalb wurde dem Texte von Jahr zu Jahr immer mehr

und die viel genutzte und schon weithin bekannte, bereits 1939 er­

von alle dem beigefügt, was sich sozusagen als pragmatisches Do­

worbene Alt-Münchner Bildersammlung von Karl Valentin.29 Die

kument der Zeitgeschichte darstellt, als z. B: außer den eben erwähn­

letztgenannte Sammlung enthält zahlreiche Aufnahmen von Georg

ten Portraits und bildlichen Darstellungen auch Ansichten neuer

Pettendorfer, einem Vertreter der zweiten Generation Münchner

oder durch Abbruch verschwindender Gebäude.. .«27

Photographen, denn 1858, im Entstehungsjahr des Böttger-Panora­

Seit den 1890er Jahren vergrößerten beispielsweise zahlreiche

mas, wurde er gerade erst geboren. Georg Pettendorfer30 lebte seit

Aufnahmen der Photographenfamilie Staffier den Umfang der jähr­

1894 in München und übernahm im darauffolgenden Jahr das Pho­

lichen Chronik-Bildbände. Georg Staffier betrieb seit 1860 zusam­

toatelier von Max Stettmeyer an der Zweibrückenstraße 5, eines der

men mit dem Photographen Otto Reitmayer ein Atelier für Por-

vielen Portraitateliers in der Stadt, soweit die Überlieferung eine

traitphotographie in der Herrenstraße,28 arbeitete aber schon seit

Aussage darüber zulässt. Pettendorfer setzte jedoch bald andere

1862 alleine weiter, laut den Angaben im Stadtadressbuch nicht nur

Schwerpunkte. Er konzentrierte seine als photodokumentarisch zu

als Photograph. Bis 1875 gelang es ihm, eine Kunst- und Schreib­

bezeichnende Tätigkeit auf das Münchner Stadtbild, auf die alte

materialienhandlung zu etablieren, seit 1890 war er als Königlich

Bausubstanz und auf Neubauten, auf Monumentalbauten und ganz

Bayrischer Hof-Kunsthändler in der Residenzstraße 10 ansässig.

gewöhnliche Wohnhäuser, auf Firmensitze oder Handwerksbetriebe

Hier hatte er wohl vor allem die eigenen Aufnahmen und die seiner

im Zentrum und in den einzelnen Vorstädten. Auch wenn in seinen

Söhne im Angebot. Einen Schwerpunkt ihrer photographischen

Aufnahmen zunächst die Architektur den Blick auf sich zieht, so

Tätigkeit bildete neben der Architektur- und Portraitphotographie

vermitteln seine Bilder bei intensiverer Betrachtung einen viel­

die Dokumentation öffentlicher Ereignisse in München, sowohl

schichtigen und tiefen Eindruck vom Leben der Münchnerinnen

einmaliger Ereignisse wie Kaiserbesuche, Grundsteinlegungen und

und Münchnerzwischen diesen Baudenkmälern und Fassaden. Be­

Einweihungen von Gebäuden, Brunnen und Denkmälern oder die

triebsamkeit und Gewerbeleben werden sichtbar, die Menschen

Thronbesteigung von König Ludwig III. als auch die jährlich wie­

spiegeln in Kleidung und Haltung das soziale Umfeld der jeweiligen

derkehrenden Festveranstaltungen wie der Faschingszug, das Sankt-

Vorstädte oder Stadtviertel, der zunehmende und sich verändernde

Georgi-Ritterfest in der Residenz, die Fronleichnamsprozessionen

Verkehr prägt das Straßenbild. Eine lukrative Absatzmöglichkeit

oder natürlich das Oktoberfest auf der Theresienwiese. Die Kunst­

für diese Aufnahmen fand Pettendorfer im Verkauf von Photo-Post­

handlung Georg Staffier übernahm 1896 der ältere Sohn Max (1867-

karten, jenem Medium, das sich zunehmender Beliebtheit erfreute

1926), während der jüngere Sohn Fritz (1869-1900) ein eigenes Ge­

und als Kommunikationsmittel zwischen den überwiegend noch

schäft gründete.

telefönlosen Haushalten eine wichtige Rolle spielte. Das Stadtarchiv

München konnte im Lauf der Jahre wichtige Teilbereiche des Nach

Wie bei den Chronik-Bildbänden handelt es sich auch bei der

Hochbausammlung um eine städtische Sammlung, angelegt 1905

lasses von diesem Photographen Zusammentragen, dem Karl Va­

unter dem Stadtbaurat Hans Grässel mit der Intention, die Stadt­

lentin, der akribische und begeisterte Sammler Alt-Münchner Stadt­

bildveränderung Münchens zu dokumentieren. Neben den Photos

ansichten den inoffiziellen Ehrentitel eines »Stadtphotographen«

bereits genannter Photographen und zahlreicher anonymer Bild­

verliehen hat.

18

Photographien sind im Lauf der Jahrzehnte aus unterschied­

sind die angelegten Sammlungen »eine Menge, für das Heute an­

lichsten Motiven hergestellt und genutzt worden. Kommerzielle

scheinend alltägliche Kleinigkeiten, die aber nach hundert und aber

und künstlerische Aspekte spielten im zeitgenössischen Umgang

hundert Jahren für eine in das Detail eingehende historische For­

mit den Photos eine wichtige Rolle. Der Begriff des dokumentari­

schung und für die Kulturgeschichte von Wert sein können und

schen Wertes war noch nicht gebräuchlich. Der Stadtchronist Ernst

werden ,..«31 Diesem Anspruch an die Sammlung fühlt sich das

von Destouches drückt es pragmatischer aus - in seinen Augen

Stadtarchiv auch heute noch verpflichtet.

' Stadt AM München, PMB Bin, Georg Böttger. 2 Zu Georg Böttger, aber auch allgemein zur Frühgeschichte der Photographie in München und Bayern nach wie vor ein Standardwerk: Heinz Gebhardt, Königlich baye­ rische Photographie 1838-1918, München 1978, hier S. 237. 5 Stadt AM München, Einbürgerungsakt 1856/83, Georg Böttger, Antrag auf Verlei­ hung des Heimatrechts und Heiratsgesuch 1856. * Ebd. ’ Bericht der Beurtheilungs-Commission bei der Allgemeinen Deutschen Indus­ trie-Ausstellung zu München im Jahr 1854, München 1855, Heft XII, S. 44. 6 Münchener Neueste Nachrichten, 16.12.1860. StadtAM, Chronik, Jahrgang 1862, Bd. 24, nach S. 372, Catalog des artistisch-photo­ graphischen Verlags von G. Böttger. 8 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Sehsucht. Das Panorma als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog, Bonn 1993, S. 285; Original im Historischen Archiv Fried. Krupp AG. 9 Ebd., S. 324. 10 Veröffentlicht bei Franz Schiermeier, Panorama München. Illusion und Wirklichkeit. München als Zentrum der Panoramenherstellung, hg. vom Stadtarchiv München, München 2009. Das Panorama von 1858 ist ebenfalls in dieser Publikation veröffentlicht. " Ebenfalls im Stadtarchiv München überliefert; bisher nicht veröffentlicht. 12 Gebhardt, S. 92. 13 StadtAM, Einbürgerungsakt 1856/83. 14 Zu den umfangreichen Katalogangeboten des Verlags von Georg Böttger in den 1880er und 1890er Jahren s. ausführlich Gebhardt, S. 244/245. ” Gisèle Freund zeichnet dies beispielsweise für die Portraitdarstellungen nach, in: Gisèle Freund, Photographie und Gesellschaft, München 1976, S. 13 ff. 16 Gebhardt, S. 63. 17 Zu Löcherer ausführlich: Dirk Halfbrodt, »Alois Eöcherer (1815-1862). Eine biogra­ phische Skizze des Münchner Photopioniers«, in: Ulrich Pohlmann (Hg.), Alois Löcherer.

Photographien 1845-1855, München 1998, S. 22-125, hier S. 22. 18 Halfbrodt, Löcherer, S. 92. 19 Ivo Kranzfelder, »Die zerstückelte Riesenfrau. Alois Löcherers Kalotypien der Ba­ varia«, in: Ulrich Pohlmann (Hg.), Alois Löcherer. Photographien 1845-1855, S. 126-139. 20 Zu Franz Hanfstaengl ausführlich: Heinz Gebhardt, Franz Hanfstaengl: Von der Li­ thographie zur Photographie, München 1984. 21 Bericht der Beurtheilungs-Commission, wie Anm. 5, Heft XII, S. 43. 22 Zu Joseph Albert ausführlich: Winfried Ranke, Joseph Albert - Hofphotograph der bayerischen Könige, München 1977. 23 Halfbrodt, Löcherer, S. 62. 24 Gebhardt, S. 246. 25 StadtAM, Chronik, Jahrgang 1862, Bd. 24, S. 374t 26 Anton Schiessl wurde am 13. Juni 1844 in München geboren; im Mai 1868 bewilligte der Magistrat seinen Antrag auf Verleihung des Heimatrechts und auf Genehmigung zur Verehelichung; seit 1873 besaß er als steuerpflichtiger Bürger auch das Bürgerrecht in München. StadtAM, Einbürgerungsakt 1868/832. Für den Hinweis danke ich meinem Kollegen Anton Löffelmeier. 27 Ernst von Destouches, »König Ludwig I. von Bayern: der Förderer volkstümlicher Pflege vaterländischer Geschichte, der Wiederbegründer bayerischer Städtechroniken«, in: Jahrbuch für Münchener Geschichte, 2,1888, S. 168-184, hier: S. 180/181. 28 Erich Stenger, Die Photographie in München 1839-1860, Berlin 1939, S. 87; und Geb­ hardt, S. 137. 29 Zur Sammlung Valentin ausführlich: Richard Bauer, »>A oids Buidl vo München is mehra wert ois a Brillant« - oder: Karl Valentins Altmünchner Bildersammlung«, in: ders., Das Alte München. Photographien 1855-1912, gesammelt von Karl Valentin, München 1982. 30 Richard Bauer, »Georg Pettendorfer 1858-1945«, in: ders., Eva Graf, Der Stadtpho­ tograph. Georg Pettendorfers Ansichten von München 1895-1935, München 1989, S. 9-20. 31 Destouches, 1888, S. 181.

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TAFELN MARIENPLATZ

i ÜBER DIE ISARVORSTADT NACH THALKIRCHEN UND AUF DAS SÜDLICHE ISARTAL ii ÜBER DAS ANGERVIERTEL DER LINDWURMSTRASSE FOLGEND NACH SENDLING

in ÜBER DAS HACKENVIERTEL ZUR THERESIENWIESE iv DER NEUHAUSER STRASSE FOLGEND NACH WESTEN v ZUR FRAUENKIRCHE UND DARÜBER HINAUS ZUR MAXVORSTADT

vi ÜBER DAS KREUZVIERTEL AUF DAS SPÄTERE WESTSCHWABING vii ÜBER DAS GRAGGENAUER VIERTEL ZUM ENGLISCHEN GARTEN

viii ÜBER DIE SANKT-ANNA-VORSTADT NACH BOGENHAUSEN ix DURCH DAS TAL UND NACH HAIDHAUSEN x ÜBER DIE HEUTIGE MUSEUMSINSEL BIS RAMERSDORF

xi VOM VIKTUALIENMARKT IN DIE AU UND NACH GIESING

MARIENPLATZ

Blick über den Marienplatz nach Westen; Dankgottesdienst an der Mariensäule für die Befreiung von der Cholera, 3. Oktober 1854. Bis in die 1870er Jahre hinein brachen in München immer wieder Cholera-Epidemien aus. Erst dann brachte der Stadtmagistrat in Zusammenarbeit mit dem Hygieniker Max von Pettenkofer die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Situation neue Wasserversorgung, Kanalisation, Müllabfuhr - auf den Weg. Photo: Georg Böttger

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Nordostseite des Marienplatzes mit dem Ständehaus (abgebrochen 1865 für den Bau des Neuen Rathauses) und dem Alten Rathaus (am rechten Bildrand); auf dem Platz warten Droschkenfahrer auf Kundschaft, 1855. Mit dem neuen, 1864 bezugsfertigen Gebäude an der Maximilianstraße als Sitz der Regierung von Oberbayern hatte das alte Ständehaus am Marienplatz seine Funktion verloren. Photo: Georg Böttger (vermutlich)

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Ostseite und Südostseite des Marienplatzes nach der Umgestaltung des Alten Rathauses, 1865. Photo: Georg Böttger

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